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German Pages 239 Year 1995
JENS EUGEN BAGANZ
Der Rechtsberater in der Bundeswehr
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 678
Der Rechtsberater in der Bundeswehr Von
Jens Eugen Baganz
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Baganz, Jens Eugen: Der Rechtsberater in der Bundeswehr / von Jens Eugen Baganz. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 678) ZugL: Bochum, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08191-9 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08191-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist im Wintersemester 1993/1994 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen worden. Rechtsprechung und Literatur sind bis einschließlich Juni 1994 berücksichtigt. Für die wissenschaftliche Betreuung bin ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp, zu Dank verpflichtet. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Knut Ipsen L L D h. c. danke ich für die Zweitberichterstattung. Die Rechtsberatung in der Bundeswehr ist eine in der Öffentlichkeit — bedauerlicherweise — kaum bekannte und auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur nur stiefmütterlich behandelte Einrichtung. Die Bearbeitung des Themas wäre daher ohne Einsichtnahme in Verwaltungspraxis und -Vorschriften nicht möglich gewesen. Den Rechtsberatern der Inspekteure der Teilstreitkräfte, insbesondere aber dem ehemaligen Rechtsberater des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Herrn Bundeswehrdiziplinaranwalt Peter Wolf, schulde ich in diesem Zusammenhang Dank für die mir gewährten Einblicke in die Verwaltungsabläufe und viele erläuternde Hintergrundgespräche. Mein Dank gilt ferner Herrn Ministerialrat Dr. Eckart Busch, der mir aus seiner Tätigkeit als Rechtsberater wertvolle Kenntnisse vermittelte, sowie Herrn Bundeswehrdiziplinaranwalt a. D. Dr. Karl Bayer, von dem ich ebenfalls hilfreiche Hinweise erhielt. Schließlich habe ich den Verteidigungsministerien Frankreichs, Großbritanniens, Israels, Kanadas, Österreichs, Schwedens, der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika zu danken, die mich unerwartet rasch und ausführlich über die in ihren jeweiligen Staaten geltende Rechtslage hinsichtlich des Einsatzes von Rechtsberatern informiert haben. Das Buch ist zum Dank meiner Mutter gewidmet, die mich allein erzogen hat und deren Fürsorge und Aufopferungsbereitschaft beispielhaft waren. Jens Eugen Baganz
Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Die Geschichte der Militärjuristen: Die historischen Vorbilder des Rechtsberaters
11 17
1. Die Militärrechtspflege bis 1500
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2. Der Schultheiß des mittelalterlichen Landsknechtheeres
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3. Das Auditoriat im 17. und 18. Jahrhundert
22
4. Verstaatlichung der Militärrechtspflege und Einführung des Generalauditoriats
24
5. Das Auditoriat von den preußischen Heeresreformen bis zur Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich vom 1. Dezember 1898
28
6. Der Kriegsgerichtsrat nach der Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich vom 1. Dezember 1898
32
7. Die Heeresanwaltschaft der Weimarer Republik
35
8. Die Militäijuristen im Dritten Reich
37
9. Der Aufbau der Militärrechtspflege in der Bundesrepublik Deutschland und die Entstehung der Einrichtung des Rechtsberaters 10. Die Entwicklung in der ehemaligen DDR IL Die Rechtsgrundlagen der Einrichtung des Rechtsberaters 1. Die „Vorläufige Dienstanweisung für die Rechtsberater bei der Truppe"
42 44 46 46
2. Art. 82 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) 47 III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben .
53
1. Rechtsstellung
53
2. Organisation
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3. Unterstellungsverhältnisse
57
4. Aufgaben
57
5. Die Sonderstellung der Rechtsberater des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr, der Inspekteure der Teilstreitkräfte und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
63
6. Exkurs: Die Rechtsberater des Bundesgrenzschutzes
66
8
Inhaltsverzeichnis
IV. Rechtsberater und Grundgesetz 1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung a) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Organisationsbereiches Rechtswesen in der Bundeswehr b) Die Zuordnung der Rechtsberater zu den Organisationsbereichen der Bundeswehr aa) Rechtswesen in der Bundeswehr? bb) Streitkräfte? cc) Bundeswehrverwaltung? 2. Ist die Rechtsberatung militärischer Führer in der Bundeswehr ab einer bestimmten Kommandoebene verfassungsrechtlich gefordert? a) Die erste Grundbedingung: Das Fehlen juristisch geschulten Fachpersonals in den Streitkräften aa) Der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte als eine prinzipiell rechtsnormunverträgliche Materie bb) Der Rechtsunterricht in den Streitkräften cc) Die funktionsimmanente Diskrepanz von Verantwortung und juristischem Sachverstand auf der Ebene der Truppenführer der Bundeswehr b) Die zweite Grundbedingung: Verminderte Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte im Falle ihres Einsatzes in einem internationalen bewaffneten Konflikt c) Exkurs: Sachverständige Beratung des Staates als Konkretisierung des rechtsstaatlichen Effektivitäts- und Rationalitätsgebots aa) Sachverständige Beratung des Staates als Phänomen bb) Verfassungsrechtliche Determinanten der sachverständigen Beratung der allgemeinen Staatsverwaltung d) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt als Maßstab für Verfahren und Organisation der Exekutive aa) Verfahren bb) Organisation e) Die Einrichtung einer sachverständigen Rechtsberatung in den Streitkräften als Gebot des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt aa) Die „juristische Komponente" des Rechtsanwendungsvorgangs und ihre Relevanz für die Streitkräfte bb) Das „Rechtsschutzmonopol" der Streitkräfte bei der Anwendung des Kriegsvölkerrechts in einem internationalen bewaffneten Konflikt cc) Schlußfolgerungen für Organisation und Verfahren der Streitkräfte (1) Organisation (2) Verfahren f) Ergebnis zu 2 g) Anhang
67 67 70 73 74 76 84 93 95 95 102 106 113 119 121 123 127 129 134 136 136 140 142 143 143 145 146
3. Bedarf die Einsetzung und Tätigkeit von Rechtsberatern in der Bundeswehr einer gesetzlichen Grundlage? 147 a) Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG 150 b) Das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes 152
Inhaltsverzeichnis
V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten 1. Das Verhältnis von Rechtsberater und militärischem Führer als Spiegelbild der Verknüpfung von Rechtsstaat und Streitkräften (Beratungsverhältnis) a) Der Kommandeur als Vorgesetzter des Rechtsberaters aa) Der Kommandeur als „Vorgesetzter" des Rechtsberaters (Beamter) bb) Der Kommandeur als „unmittelbarer Vorgesetzter" und „Disziplinarvorgesetzter" des Rechtsberaters (Stabsoffizier) b) Verbindlichkeit des Rechtsrats für den Kommandeur? c) Rechtsfolgen fehlerhafter Beratung und der Nichtbeachtung eines zutreffenden Rechtsrats aa) Rechtsfolgen fehlerhafter Beratung bb) Rechtsfolgen der Nichtbeachtung eines zutreffenden Rechtsrats 2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Leitendem Rechtsberater/Bundesminister(ium) der Verteidigung (Fachdienstverhältnis) a) Die Aussagen der VorlDienstAnw zum Fachdienstverhältnis b) Unabhängigkeit der Rechtsberater? c) Der Leitende Rechtsberater/Bundesminister(ium) der Verteidigung als Vorgesetzte des Rechtsberaters aa) Der Leitende Rechtsberater/Bundesminister der Verteidigung als „Dienstvorgesetzte" des Rechtsberaters (Beamter) bb) Der Leitende Rechtsberater/Bundesministerium der Verteidigung als „Vorgesetzte" des Rechtsberaters (Beamter) cc) Der Leitende Rechtsberater/Bundesministerium der Verteidigung als „Fachvorgesetzte" des Rechtsberaters (Stabsoffizier) d) Rechtsfolgen der Fehlerhaftigkeit des fachdienstlich angeordneten (befohlenen) Rechtsrats VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
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158 160 160 164 167 169 169 173 173 174 175 179 179 179 181 181 183
1. Voraussetzungen der Mob-Beorderung der Rechtsberater (Beamte) nach dem Wehrpflichtgesetz 183 a) Die Mob-Beorderung gedienter Rechtsberater gem. § 23 Abs. 1 WPflG 184 b) Die Mob-Beorderung ungedienter Rechtsberater gem. § 49 Abs. 1 WPflG 185 2. Vereinbarkeit der Mob-Beorderung der Rechtsberater mit der Verfassung? 187 a) Die Entscheidung der Verfassung für eine zivile, eigenständige Bundeswehrverwaltung (Trennungsprinzip) 188 b) Der Beurteilungsspielraum des Inhabers der Organisationsgewalt im Verteidigungsressort bei der Anwendung des Trennungsprinzips 191 c) Rechtsberatung und Befehlsprinzip? 200 VII. Rechtsberater und Art 82 ZP I
205
1. Verpflichtung zur Bestellung von Rechtsberatern?
205
2. Qualifikation
207
Inhaltsverzeichnis
10
3. Auf welchen Kommandoebenen müssen Rechtsberatungs-Dienststellen eingerichtet werden?
208
4. Aufgaben
209
5. Status
210
6. Standort des Rechtsberaters im Frieden und im Einsatzfall
210
7. Obligatorische Einschaltung?
211
VIII. Rechtsberatung der Streitkräfte im internationalen Vergleich — Ein Überbück 213 1. Großbritannien
213
2. Vereinigte Staaten von Amerika
214
3. Kanada
215
4. Frankreich
216
5. Schweden
216
6. Österreich
216
7. Schweiz
217
8. Israel
218
IX. Thesen
219
Anhang
224
Literaturverzeichnis
227
Einleitung „Bei dem Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, den Inspekteuren der Teilstreitkräfte und dem Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens sowie den Verbänden und Dienststellen der Streitkräfte von der Divisionsebene an aufwärts sind insgesamt 113 Rechtsberater als persönlicher Berater des Befehlshabers, des Amtschefs oder des Kommandeurs in dienstlichen Rechtsangelegenheiten eingesetzt. Die Rechtsberater bei den Einleitungsbehörden nehmen die Aufgaben des Wehrdisziplinaranwalts wahr." Mit diesen knappen Worten informierte der Jahresbericht 1989 der Bundesregierung 1 über eine bemerkenswerte Einrichtung der Bundeswehr, die in dieser Form in den deutschen Streitkräften bislang nicht bekannt war und die seit ihrer Geburtsstunde im Jahre 1956 eine ungewöhnlich erfolgreiche Entwicklung genommen hat. So konnte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages schon 1972 in seinem Jahresbericht feststellen: „Die Institution der Rechtsberater hat sich nach meinen Erkenntnissen voll bewährt und ist aus dem Gefüge der Streitkräfte nicht mehr wegzudenken."2 Diese Überzeugung war nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Spätestens seit den fünfziger Jahren zeigt sich weltweit eine Tendenz, in den Armeen Rechtsberater zur juristischen Unterstützung der Truppenführer einzusetzen. Ihren vorläufigen Abschluß hat diese Entwicklung am Ende der von 1974 bis 1977 in Genf tagenden Diplomatischen Konferenz über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts gefunden: Art. 82 des von dieser Konferenz beschlossenen und heute von 1283 Staaten der Welt ratifizierten „Zusatzprotokoll(s) vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I)" verpflichtet die Signatarstaaten sowie die an etwaigen Konflikten beteiligten Parteien, für die Verfügbarkeit von Rechtsberatern in ihren Armeen Sorge zu tragen. Wenn auch speziell dem Amt des Rechtsberaters in der Bundeswehr bislang in der einschlägigen Judikatur und Literatur nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet 1
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung 1989, S. 413. In den Jahresberichten 1990 bis 1992 wird der Rechtsberater nur im Rahmen einer Aufzählung der „Organe der Rechtspflege" der Bundeswehr erwähnt (S. 438, 383 und 439). 2 Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/334, S. 18. 3 Stand: 8. April 1994 (BGBl. 1994 Teil II, Fundstellennachweis B, S. 267 ff., und BGBl. 1994 Teil II, S. 509 f.).
12
Einleitung
wurde, so ist doch zu beobachten, daß im allgemeinen der Einfluß von Beratern auf Entscheidungsträger verstärkt in den Blickpunkt rechtswissenschaftlichen Interesses gerückt ist. Bei näherer Betrachtung stellt sich dieses Phänomen als eine nahezu unausweichliche Konsequenz der permanent zunehmenden Spezialisierung, Technisierung und Komplizierung fast aller Lebensbereiche dar: In dem Maße, in dem die Kompetenzlücke zwischen Entscheidungsträger und dem über den notwendigen Sachverstand verfügenden Berater immer größer wird, muß auch das Interesse an den Einflußmöglichkeiten des Beraters zwangsläufig wachsen. Für den staatlichen Bereich sind unter rechtlichen Gesichtspunkten zwei Denkansätze möglich: Verlagert sich das Schwergewicht des Entscheidungsprozesses infolge des Übergewichts seines Spezialwissens auf den Berater, so muß diese Tendenz im Lichte des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) Besorgnis hervorrufen. Umgekehrt vermag die Vorstellung von entscheidungsberufenen Staatsbediensteten, die infolge der Überkomplexität der ihnen gestellten Aufgabe selbst bei optimaler Ausbildung nicht mehr über das zur Beherrschung ihres Bereiches notwendige Sachwissen verfügen können, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht weniger Unruhe auszulösen. Um die Aufhellung dieses zweiten Aspekts hat sich vor allem Winfried Brohm verdient gemacht. In seinem Beitrag über die „Sachverständige Beratung des Staates" heißt es: „Die staatlichen Organe der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung bedürfen heute zur sachgerechten Bewältigung ihrer Aufgaben eines umfangreichen wissenschaftlichen und technischen Fachwissens. Mangels ausreichender eigener Spezialkenntnisse sind sie in zunehmendem Maße auf die Beratung durch Sachverständige angewiesen. Diese Tatsache bedingt einen einschneidenden Strukturwandel der staatlichen Entscheidungsbildung und Organisation, der noch der rechtlichen Aufarbeitung bedarf." 4 Während dieser von Brohm ventilierte Aspekt zur Implementierung des benötigten Sachverstandes förmlich drängt, um die „Richtigkeit" staatlicher Entscheidung zu gewährleisten, scheint unter Berücksichtigung des Demokratieprinzips eher Vorsicht bei zu weitgehender Auslagerung des Gravitationszentrums staatlicher Entscheidungsprozesse angeraten zu sein. Es steht freilich zu erwarten, daß die tatsächliche Entwicklung eher zu einer Vergrößerung des Sachverständigenapparates neigen wird, der bereits schlagwortartig als „Vierte Gewalt" apostrophiert worden ist 5 ; die demokratische Wahlentscheidung verliert im gleichen Tempo ihr legitimatorisches Gewicht, da sie nur auf die Person des Beratenen, nicht aber auf die Zusammensetzung des Beraterstabes Einfluß nehmen kann. Der wachsende Beratungsbedarf staatlicher Entscheidungsträger ist nicht auf das wissenschaftlich-technische, das ökonomische, ökologische und soziologische Areal beschränkt. Parallel zu den hier zu beobachtenden Komplexitätszu4 Brohm, Winfried: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, S. 207-248 (208). 5 So Vierhaus, Hans-Peter: Sachverstand als Vierte Gewalt?, NVwZ 1993, S. 36-41.
Einleitung
wächsen bzw. als eine ihrer Folgen hat sich auch die „Verrechtlichung" vieler Lebensbereiche beachtlich beschleunigt. Hat dies bereits in den siebziger Jahren zu Klagen über die wachsende „Normenflut" geführt 6, so läßt sich kaum sagen, daß dieser Tendenz seitdem Einhalt geboten worden ist: Noch 1987 sprach der damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages von einer „lawinenartig zunehmenden Flut von Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Dienstanweisungen" sowie von „teilweise zu komplizierten, zu detaillierten und zu perfekten Vorschriften". 7 Die auf wachsendem Wohlstand beruhende Verkomplizierung der modernen Massengesellschaft auf allen Ebenen — so lautet die resignative Erkenntnis — geht scheinbar unausweichlich Hand in Hand mit einer permanent steigenden Zugriffsgeschwindigkeit und -intensität der staatlichen Rechtsordnung. Wurden früher weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ihren eigenen Selbstregulierungsmechanismen überlassen, so drängt die Gesetz- und Verordnungsgebung heute bis in deren entfernteste Winkel vor. Als ein beeindruckendes Beispiel aus jüngster Vergangenheit, welch gewaltigen Aufwandes die Harmonisierung zweier bis ins Detail regulierter Staatsmechanismen bedarf, mag der deutsch-deutsche Einigungsvertrag gelten. In der Folge dieser „Verrechtlichung" hat sich auch der Bedarf an rechtssachverständiger Beratung sprunghaft erhöht. Dies gilt einmal für den privaten Sektor: So indiziert die jährliche Steigerung der Zahl zugelassener Rechtsanwälte8 nicht lediglich bildungspolitische Veränderungen, sondern wird gleichzeitig in erheblichem Maße durch eine wachsende Nachfrage nach Rechtsberatung absorbiert 9; dies hat sogar dazu Veranlassung gegeben, in der „Rechtsberatungslehre" einen „neue(n) Zweig der Wissenschaft" sehen zu wollen. 10 Auch in der Staatsorganisation hat diese Entwicklung ihre Spuren hinterlassen: Dort löst die ständig anwachsende Normenflut eine Sogwirkung aus, die sich in einer verstärkten Implementierung juristischen Sachverstands in den Behörden niederschlägt. 11 Diesem Befund wird noch nachzugehen sein. 6 Vgl. aus der umfangreichen Literatur Lange, Klaus: Eindämmung der „Vorschriftenflut" im Verwaltungsrecht?, DVB1. 1979, S. 533-539; Oschatz, Georg-Berndt: Erscheinungen der Verrechtlichung in der Staats- und Kommunalverwaltung, DVB1. 1980, S. 736-743; Vogel, Hans-Jochen: Zur Diskussion um die Normenflut, JZ 1979, S. 321325; Weiß, Hans-Dietrich: Verrechtlichung als Selbstgefährdung des Rechts, DÖV 1978, S. 601-608. 7 Vgl. Helmrich, Herbert: Entbürokratisierung, S. 299. s Am 1.1.1977 gab es 17.517, am 1.1.1994 70.438 Rechtsanwälte im Bundesgebiet. 9 Ein deutlicher Indikator für diesen Trend ist ζ. B. die Zahl der Anträge nach dem Beratungshilfegesetz (BGBl. 1980 Teil I, S. 689-691): Betrug sie im Jahre 1981 in Nordrhein-Westfalen 23.873, so war sie 1990 auf 71.992 hochgeschnellt (Quelle: Mitteilungsblatt der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf Nr. 6/91, S. 5). 10 Vgl. Weimar, Robert: Rechtsberatungslehre — Ein neuer Zweig der Wissenschaft, in Panou, S. /Bozonis, G. u. a.: Theory and Systems of Legal Philosophy, S. 197-204; ders.\ Ansätze zu einer Rechtsberatungslehre, in Voigt: Das Recht und seine Wissenschaft, S. 123-140. π S. Abschnitt IV.2.a)aa),cc).
14
Einleitung
In dieses thematische Umfeld ist die Institution des Rechtsberaters in der Bundeswehr einzuordnen. Wie seine Dienstbezeichnung unschwer erkennen läßt, ist es die vorrangige Aufgabe des Rechtsberaters, die militärischen Führer der Streitkräfte in dienstlichen Rechtsangelegenheiten zu unterstützen. Eine solche Beratung hat sich im Sinne der einleitenden Ausführungen auch in der Bundeswehr als unumgänglich erwiesen. Wenn auch der „Normendruck" auf dem militärischen Sektor sicherlich nicht in gleichem Tempo wie in anderen Lebensbereichen gewachsen ist, so haben doch vor allem die begrüßenswerten Fortschritte des humanitären Völkerrechts die Streitkräfte aller Nationen vor neue Probleme gestellt. Nach der zutreffenden und allgemein geteilten Einschätzung von de Preux wird das Recht der bewaffneten Konflikte „ständig komplexer, detaillierter und umfangreicher", selbst wenn man sich auf die nicht kontroversen Regeln beschränke, die von den militärischen Führern unmittelbar angewandt würden. 12 Berücksichtigt man ferner, daß das nahezu perfektionierte Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik auch dem Bundeswehr-Soldaten, der sich ungerecht behandelt fühlt, eine Vielzahl von Rechtsbehelfen zur Verfügung stellt, so mag damit der gestiegene Bedarf an Rechtskenntnissen in der Bundeswehr an dieser Stelle ausreichend angedeutet sein. Nach Ansicht der Bundesregierung gehört das Amt des Rechtsberaters zu einem eigenständigen Organisationsbereich „Rechtswesen in der Bundeswehr", der zusammen mit den Streitkräften, der Bundeswehrverwaltung und der Militärseelsorge die vierte „Säule" der Bundeswehr bilden soll. 13 Zum „Organisationsbereich Rechtswesen" rechnet die Bundesregierung die Wehrdienstgerichte, den Bundeswehrdisziplinaranwalt beim Bundesverwaltungsgericht, die Wehrdisziplinaranwälte, die Rechtsberater und die Rechtslehrer der Bundeswehr. Aufgabe der Wehrdisziplinaranwälte ist die Vertretung ihrer Einleitungsbehörde im disziplinargerichtlichen Verfahren (§§ 74 Abs. 2, 87 WDO). Mit Erlaß vom 6. Mai 1957 14 hat der Bundesminister der Verteidigung (im folgenden: B M V g 1 5 ) von 12
De Preux , Jean in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3342 (Übersetzung durch Verf.). 13 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung 1992, S. 439; BMVg: Weißbuch 1994 Nr. 745. Während die Bundesregierung von der „Rechtspflege der Bundeswehr" spricht (aaO), nannte der BMVg diesen Organisationsbereich ursprünglich „Rechtspflege in der Bundeswehr" (vgl. Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 220); seit dem Weißbuch 1994 ist vom „Rechtswesen in der Bundeswehr" die Rede (aaO). Im folgenden wird die Terminologie des (sachnäheren) BMVg verwendet. 14 VIII Β 6 — 1052/57 (VMB1. 1957, S. 316). Neufassung durch die „Anordnung über die Bestellung und Bezeichnung von Wehrdisziplinaranwälten" v. 8.12.1972 — VR I 5 — Az 25-01-36-02 (VMB1. 1973, S. 36). ι 5 Die Abkürzung „BMVg" wird in dieser Untersuchung sowohl für „Der Bundesminister der Verteidigung" als auch für „Das Bundesministerium der Verteidigung" verwendet. Soweit die Unterscheidung im Einzelfall von Bedeutung ist (dazu Abschnitt ΠΙ.5.) und sich nicht bereits aus dem Zusammenhang ergibt, was gemeint ist, wird von der Abkürzung kein Gebrauch gemacht.
Einleitung
der Ermächtigung in § 74 Abs. 1 W D O 1 6 Gebrauch gemacht und die „Rechtsberater bei der Truppe" zu Wehrdisziplinaranwälten bestellt. Neben der Konsequenz, daß beide Ämter — von wenigen Ausnahmen abgesehen17 — von ein und demselben Beamten wahrgenommen werden, hat diese Entscheidung wegen des Wortlauts des § 74 Abs. 1 WDO weiterhin zur Folge gehabt, daß die Aufgabe des Rechtsberaters als „Hauptamt", die des Wehrdisziplinaranwalts dagegen als „Nebenamt" gilt; vor dem Hintergrund der im Laufe der Zeit ständig gewachsenen Arbeitsbelastung des Rechtsberaters durch sein „Nebenamt" ist diese Terminologie immer wieder kritisiert worden. Die Funktion des Wehrdisziplinaranwalts hat mit dem Amt des Rechtsberaters — sieht man von der personenidentischen Wahrnehmung beider Aufgaben ab — keine Berührungspunkte und wird in dieser Untersuchung daher nur am Rande gestreift werden. 18 Die vorliegende Arbeit hat sich vor allem zwei Ziele gesetzt: Zum einen soll die Einordnung der Institution des Rechtsberaters in das Organisationsgefüge der Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland untersucht werden (IV.1.). Dabei wird sich erweisen, daß die Darstellung der Bundesregierung, der Rechtsberater gehöre zu einem — neben Streitkräften, Bundeswehrverwaltung und Militärseelsorge — eigenständigen Organisationsbereich „Rechtswesen in der Bundeswehr", dieses Amt ohne Not in ein verfassungsrechtliches Niemandsland abdrängt. Bei der Überprüfung und Widerlegung dieser Ansicht werden Grundfragen des Verständnisses der Art. 87 a und 87 b GG anzusprechen sein. Ein weiteres Anliegen dieser Untersuchung besteht darin, für die Rechtsberatung der Streitkräfte auch ein materiell-verfassungsrechtliches Fundament zu schaffen (IV.2.). In diesem Zusammenhang wird von Bedeutung sein, daß die Streitkräfte zwar — wie in jedem Staat — die potentiell machtvollste Teilexekutive darstellen, gleichzeitig aber funktionsbedingt über ein völlig ungenügendes Reservoir an juristischem Sachverstand verfügen. Diese Erkenntnis, mit der an die einleitenden Überlegungen zur Diskrepanz zwischen Sachverstand und Verantwortung angeknüpft wird, wird am Maßstab des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt zu untersuchen sein. In der Peripherie dieser beiden zentralen Themen der Arbeit stehen Fragen nach der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Arbeit des Rechtsberaters (IV. 3.), nach der rechtlichen Struktur des Verhältnisses des Rechtsberaters 16 Früher § 59 Abs. 1 WDO. 17 Einige Rechtsberater sind nicht gleichzeitig Wehrdisziplinaranwälte, da der von ihnen beratene Kommandeur nicht Einleitungsbehörde im Sinne von § 87 WDO ist. is Nach Ansicht von Moritz sind „Pflichtenkollisionen zwischen dem Hauptamt des Rechtsberaters und dem Nebenamt eines Wehrdisziplinaranwalts . . . nicht denkbar", weil der Rechtsberater / Wehrdisziplinaranwalt in beiden Funktionen sachlich wie persönlich dem gleichen Kommandeur zugeordnet sei (Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 [245]).
16
Einleitung
zu seinen Dienst- und Fachvorgesetzten (V.) und die Problematik seines für den Verteidigungsfall geplanten Status wechseis vom Beamten zum Soldaten (VI.). Die gestiegene Bedeutung des Rechtsberaters im modernen humanitären Völkerrecht legt ferner eine eingehende Analyse von Art. 82 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen von 1949 nahe, das seit dem 14. August 1991 auch für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich ist (VII.). Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einem Blick auf die Rèchtsberatungs-Systeme in den Streitkräften acht bedeutsamer Staaten (Großbritannien, USA, Frankreich, Kanada, Schweiz, Österreich, Schweden, Israel)fV7//J. Daß die Institution des Rechtsberaters durchaus auch eine historische Dimension hat, zeigt die einleitende Darstellung der Geschichte seiner „Vorgänger" (I. ).
I. Die Geschichte der Militärjuristen: Die historischen Vorbilder des Rechtsberaters So modern die Idee auch anmuten mag: Die Praxis, hohen militärischen Führern zur Unterstützung in Rechtsangelegenheiten Juristen zur Verfügung zu stellen, ist keineswegs erst im 20. Jahrhundert entstanden oder gar ein Spezifikum der Bundeswehr. Ihre Wurzeln reichen vielmehr bis ins Mittelalter zurück. Im folgenden soll daher ein einführender Überblick über die historische Entwicklung der Institution des Militäijuristen gegeben werden. Der Begriff des „Militärjuristen" wird dabei nicht in einem allgemeinen Sinne verstanden (als eine mit dem Militärrecht befaßte Person), sondern beschränkt sich hier — dem Gegenstand der Untersuchung folgend — auf denjenigen Juristen, der einem militärischen Befehlshaber zur sachverständigen Unterstützung in Rechtsangelegenheiten zugeordnet ist. Freilich kann es nicht darum gehen, frühere Armeen auf die Existenz von Personen mit exakt der Funktion und dem Aufgabenkreis abzusuchen, wie sie dem heutigen Rechtsberater zugewiesen sind. Mit den sich verändernden Strukturen in den Streitkräften verlagerte sich in gleichem Maße der Schwerpunkt des Tätigkeitsfeldes für den Militärjuristen. So ist auch die Einrichtung des Rechtsberaters den Verhältnissen in der Bundeswehr angepaßt und in ihrer konkreten Ausgestaltung deshalb ein Novum. Aussagen wie der, der Rechtsberater der Bundeswehr sei „eine Institution ohne Vorbild, Beispiel und Tradition" 1 , mangelt es daher an einem greifbaren wissenschaftlichen Erkenntniswert. Sinnvoll erscheint allein die Frage, ob und ggf. in welcher Form es dem Rechtsberater vergleichbare Ämter in früheren deutschen Heeren gegeben hat. Weiterhin leuchtet ein, daß bei der Suche nach Vorgängern des Rechtsberaters nicht mit der Meßlatte des „Volljuristen" im Sinne von § 74 Abs. 1 Satz 2 WDO, § 5 Abs. 1 DRiG operiert werden darf. Wenn der heutige Rechtsberater die dort genannten Voraussetzungen („Befähigung zum Richteramt") erfüllen muß, so ist klar, daß sie für die Militärjuristen des Mittelalters und der angehenden Neuzeit nicht gegolten haben können. Hier müssen andere, möglicherweise niedrigere Anforderungen genügen, um eine Vergleichbarkeit der Funktionen zu rechtfertigen.
1 So Demandi , Ecke: Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr — Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990, S. 201 - 206 (202); ähnlich Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (241). 2 Baganz
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I. Die Geschichte der Militärjuristen
Hat man sich solchermaßen Klarheit über die maßgeblichen Kriterien der Suche verschafft, so sind vier Ämter in den historischen deutschen Streitkräften erkennbar, die in dem beschriebenen Sinn Ähnlichkeiten mit dem Rechtsberater aufweisen: Der Schultheiß, der Auditeur, der Kriegsgerichtsrat und der Heeresanwalt.
1. Die Militärrechtspflege bis 1500 Die erstmalige Einschaltung juristischen Sachverstands — oder vorsichtiger ausgedrückt: einer gewissen Rechtserfahrung — in eine Heeresorganisation läßt sich in ihren Ursprüngen auch heute noch nicht exakt datieren. Ob es bereits im Militärgerichtsverfahren der römischen Armee einen assessor togatus, einen rechtskundigen Beisitzer, gegeben hat, wie Jähns annimmt 2 , ist umstritten; Schneider hält dies für eine „durch nichts belegte Behauptung", für die sich wohl keine Stütze finden lassen werde. 3 In Deutschland setzt die Entwicklung zum Rechtsspezialistentum etwa zeitgleich mit dem Vordringen der ständischen, d.h. aus den Reihen der Soldaten selbst gebildeten militärischen Gerichte ein. In den germanischen Volksheeren der Frühzeit hatte die Bewahrung des Heerfriedens noch sakralen Charakter und wurde zunächst von den Priestern gewährleistet, bis sie im Zuge der dauernden Kriegführung in den Aufgabenbereich der einzelnen Heerführer fiel. 4 Die zunehmende Christianisierung der germanischen Völker verband sich im fränkischen Reich endgültig mit der Verweltlichung der Heeresstrafgewalt, was ihren Übergang auf den König als den obersten Heerführer zur Folge hatte.5 Bei kleineren Feldzügen übten die mit dem Aufkommen der Lehens Verfassung erstarkenden Herzöge und Grafen 6 die Gerichtsbarkeit in ihren Kontingenten im Namen des Königs aus7, sofern nicht die Unerheblichkeit des Verstoßes die Suspendierung des Verfahrens bis zur Rückkehr in die Heimat erlaubte. 8 2 Vgl. Jähns, Max: Kriegswissenschaften, Bd. I, S. 84 f., 106 f. 3 Vgl. Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 11. 4 Vgl. Conrad, Hermann: Wehrverfassung, Bd. I, S. 27; Hülle, Werner, in Erler/ Kaufmann: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, „Militärstrafrecht", Sp. 556; Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 13 f. 5 Vgl. Conrad, Hermann: Wehrverfassung, Bd. I, S. 28,44,62; Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 44. 6 Beide Titel bezeichnen ursprünglich eine militärische Führungsstellung; vgl. dazu Mitteis, Heinrich / Lieberich, Heinz: Deutsche Rechtsgeschichte, S. 73 (Graf), S. 75 (Herzog). 7 Vgl. Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 1 ; Conrad, Hermann: Wehrverfassung, Bd. I, S. 62; Hülle, Werner, in Erler / Kaufmann: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, „Militärstrafverfahren", Sp. 562; Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 16 f. 8 Vgl. Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 1; Hülle, Werner, in Erler / Kaufmann: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, „Militärstrafverfahren", Sp. 562.
2. Der Schultheiß des mittelalterlichen Landsknechtheeres
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Den entscheidenden Anstoß zur Schaffung einer eigenständigen Rechtspflege in den Heeren dürfte der seit dem 14. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Einsatz von Söldnertruppen nach schweizerischem Vorbild gegeben haben.9 Söldner waren nicht mehr durch das persönliche Band der Vasallität an den Kontigentsherrn gebunden, sondern hatten lediglich die Befolgung der Reichsheeresordnungen und später der Artikelsbriefe zu beschwören, eines vom Söldnerführer mit dem Kriegsherrn vereinbarten Vertragswerkes. 10 Das zum Teil beträchtliche Selbstbewußtsein dieser Truppen — insbesondere die Schweizer „Haufen" waren in ganz Europa für ihre Schlagkraft bekannt — und ihre parallel dazu wachsende Unabhängigkeit von staatlicher Reglementierung erzwang im Laufe der Zeit die rechtliche Selbstverwaltung. In den Reichsheeresordnungen von 1427 bis 1431 finden sich die ersten Belege für ein aus Soldaten-Schöffen gebildetes Heeresgericht, dem freilich in Relation zur Strafgewalt des Regimentsherrn nur beschränkte Kompetenz zukam; auch führten wohl noch die jeweiligen Befehlshaber den Vorsitz im Gericht. 11 Gegen Ende des Jahrhunderts begann sich aus dieser Form das militärische Schultheißengericht zu entwickeln.
2. Der Schultheiß des mittelalterlichen Landsknechtheeres Zum Verständnis der historischen Figur des Schultheißen wie auch der anderen genannten Ämter erscheint es zunächst erforderlich, auf den grundlegenden funktionalen Unterschied zwischen ihnen und dem Rechtsberater hinzuweisen: Während dieser als Wehrdisziplinaranwalt gem. § 74 Abs. 1WDO nur „nebenamtlich" in ein (disziplinarrechtliches) Gerichtsverfahren eingeschaltet ist und der Schwerpunkt seiner Tätigkeit — zumindest nach dem Gesetzeswortlaut — in der Wahrnehmung seines Hauptamtes als rechtlicher Berater seines Kommandeurs liegt, stand bei jenen ihre Beteiligung am Militärgerichtsverfahren im Vordergrund. Solange die Armee über ihre Angehörigen eine eigene Gerichtsbarkeit (und das heißt vor allem: eine eigene Strafgerichtsbarkeit) ausübte, lag hier das natürliche Hauptbetätigungsfeld des Militärjuristen. Mit der erstmals für das Jahr 1499 belegbaren 12 Errichtung eines militärischen Schultheißengerichts geben die Truppenführer den ihnen bis dahin zukommenden 9 Vgl. Conrad, Hermann: Wehrverfassung, Bd. I, S. 129 ff. (135); Hülle, Werner: Auditorial S. 12 f.; Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 197 ff.; Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 23 f. 10 Vgl. Merzbacher, Friedrich, in Erler / Kaufmann: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. I, „Artikelsbrief 4, Sp. 232 f.; Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 31 ff. 11 Vgl. Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 14 ff. (Bonin vermutet, daß diese Gerichte nur zur Aburteilung nichtmilitärischer Delikte befugt waren); Conrad, Hermann: Wehrverfassung, Bd. I, S. 140. 12 Vgl. Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 198 (unter Hinweis auf Art. 20 der Tiroler Feldordnung vom 27.7.1499); ebenso Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 24. 2*
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Gerichtsvorsitz aus der Hand. Damit setzt sich die üblicherweise als Exemtion bezeichnete Tendenz durch, die Soldaten aus der allgemeinen Gerichtsbarkeit zu entlassen und sie in zivil- und strafrechtlichen Belangen nur noch Spruchkörpern zu unterwerfen, die im Bedarfsfall aus ihren eigenen Reihen gebildet werden. Das von Möller 13 deswegen „genossenschaftlich" genannte Schultheißengericht ist allerdings zunächst ein Spezifikum der Landsknechtsheere, während für die Reitertruppen noch andere Regeln galten. 14 Dem Schultheißen kommt in diesen Gerichten die Aufgabe des Vorsitzenden zu, was gemäß der deutschrechtlichen Trennung von „Richtern" und „Urteilssprechern" bedeutete, daß er — im Gegensatz zu den Beisitzern — kein Stimmrecht hatte. 15 Der Begriff des Schultheißen ist keineswegs ein genuin militärischer, sondern bezeichnet im Mittelalter ganz allgemein „den Inhaber eines administrativen oder gerichtlichen Amtes in mannigfachen Bereichen". 16 Im militärischen Sektor leiten sich seine Befugnisse vom Regimentsobersten als dem Inhaber der gerichtlichen Gewalt ab. Um sich von seinen richterlichen Aufgaben zu entlasten, ist der Regimentsoberst bemüht, „nach einem verstendigen Kriegsman (zu) trachten, der geschickt und Kriegßrecht erfahren sey" 17 , eben dem Schultheißen, dem er als symbolisches Zeichen für die Verleihung des „Gerichtsbanns" seinen Stab überläßt. 18 Dem Regimentsschultheißen, der auch Soldat („Kriegsman") im Range eines Hauptmanns oder Majors 19 ist und als Gerichtsoffizier dem Stab des Obersten angehört 20, obliegt vorrangig Vorbereitung und Leitung der mündlichen Gerichtsverhandlung in „Malefiz- und Schuldsachen", also im Straf- wie im Zivilprozeß. 21
13 Vgl. Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 199; ähnlich Hülle, Werner, in Erler / Kaufmann: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. III, „Militärstrafverfahren", Sp. 562 f. („Selbstjustiz"). 14 In den Reitergerichten führte regelmäßig der Feldmarschall selbst den Vorsitz (vgl. Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 121 ff.; Jähns, Max: Kriegswissenschaften, Bd. I, S. 762; Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 29 f.; Schwind, Hans-Dieter: Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 7 ff.). ι 5 Vgl. Buchda, G., in Erler / Kaufmann: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. I, „Gerichtsverfassung", Sp. 1571. 16 Vgl. Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 133; ähnlich Hülle, Werner: Auditoriat, S. 14. Conrad leitet den Begriff von scultheizzo = Schuldenheischer ab (Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, S. 104). 17 Fronsperger, Leonhart: Von Kay serlichem Kriegßrechten, Das erste Buch, S. II; weitere Nachweise zu Qualifikationsanforderungen für den Schultheißen bei Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 134. ι 8 Vgl. Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 80; Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 49. 19 Die Rangfrage ist nicht völlig geklärt; vgl. dazu Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 31, 80. 20 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 15; Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 134.
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Dabei handelt er im Auftrag des Obersten, der seinerseits nur „an der Stadt unsers gnedigsten herren" 22 , also des kriegführenden Fürsten, Gerichtsbarkeit ausübt. Diese noch stark an die Heerschildordnung erinnernde Hierarchie endet in der Spitze beim Kaiser als dem obersten Gerichtsherrn des Reiches. Neben seinen forensischen Aufgaben geht der Schultheiß noch recht lukrativen Nebenbeschäftigungen nach: So ist er Notar und Hinterlegungsstelle für seine Kameraden 23, denen er auch gelegentlich rechtlichen Rat erteilt. 24 Die sich zahlreich findenden Gebührenregelungen verwischen jeden Eindruck von Uneigennützigkeit bei der Amtsausübung. Außerdem ist der Schultheiß zuständig für die Vereidigung der Landsknechte auf den Artikelsbrief, den er auch aufzubewahren hat. 25 Wenngleich diese kurze Gesamtschau der Aufgaben des Regimentsschultheißen seine intensive Befassung mit Rechtsfragen erkennen läßt, so ist es doch verfehlt, ihn mit Friccius bereits als „Rechtsgelehrten" anzusehen, der dafür Sorge tragen sollte, daß „der schlichte Verstand (der Schöffen) . . . von der Rechtswissenschaft begleitet" werde. 26 Eine akademische Ausbildung, die das Prädikat des „Gelehrten" rechtfertigen könnte, haben die Schultheißen in der Regel nicht genossen und sollten dies auch gar nicht: Das studierte Berufsjuristentum, dem ohnehin in Deutschland zu Beginn der Rezeption ein allgemeines Unbehagen entgegenschlug, stieß im Militärwesen auf eine nahezu uneinnehmbare Bastion. Hier herrschte die Überzeugung vor, der Einsatz wissenschaftlich geschulter Juristen würde den Armeebetrieb lähmen oder doch beträchtlich stören. 2 7 Nur ganz langsam vollzog sich auch hier die Angleichung an die allgemeine Rechtsentwicklung, gewann auch der Militärjurist ein schärferes, weil professionelleres Profil. Doch nennt sich das Amt auf dieser nächsten Stufe schon Auditeur; mit dem Begriff des Schultheißen ist die Tendenz zum Berufsjuristentum im Heerwesen nicht mehr in Verbindung zu bringen.
21 Den Verfahrensablauf schildern Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 49 ff.; Fronsperger, Leonhart: Von Kay serlichem Kriegßrechten, Das erste Buch, S. VIII ff.; Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 25-27. Ein anschauliches Beispiel für ein Schultheißengericht liefert Hülle, Werner: Die „Zwölf Geschworenen" von Schweinfurt (AD. 1553), NZWehrR 1990, S. 153-158. 22 Wintzenberger, Kriegsordnung, zitiert bei Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 206. 23 Vgl. Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 136. 24 Vgl. Fronsperger, Leonhart: Von Kayserlichem Kriegßrechten, Das erste Buch, S. III („Zum zwölfften, umb ein jegliche umbfrag im Rechten die einer begert, ist man dem Schultheissen ein Marceli"). 25 Vgl. Bonin, Burkhard von: Rechtsverfassung in den deutschen Heeren, S. 81; Fronsperger, Leonhart: Von Kayserlichem Kriegßrechten, Das erste Buch, S. IIII. 26 Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 62. 2 ? Vgl. Hülle, Werner: Auditorial S. 2 f.; Möller, Hans-Michael: Das Regiment der Landsknechte, S. 183 ff.
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3. Das Auditoriat im 17. und 18. Jahrhundert In der Mitte des 17. Jahrhunderts wird die Bezeichnung Schultheiß allmählich durch den aus dem Französischen stammenden Begriff des Auditeurs 28 (oder Auditors) verdrängt, der sich bis heute in einigen europäischen Ländern erhalten hat. 29 Der Namenswechsel ist sinnfälliger Ausdruck für eine Reihe von Veränderungen, die man zusammenfassend mit den Schlagworten Akademisierung, Professionalisierung und Verbeamtung kennzeichnen kann. Die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland und die damit einhergehende Verwissenschaftlichung der Materie, die im „zivilen" Bereich längst den „gelehrten" (d. h. akademisch gebildeten) Juristen hervorgebracht haben, beginnen jetzt auch in das Militärwesen einzudringen. Von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Militärjuristentums ist daher, daß die an den Auditeur in fachlicher Hinsicht gestellten Anforderungen langsam an das allgemein gestiegene Niveau angepaßt werden. In einer Verordnung aus dem Jahre 1692 beklagt der brandenburgische Kurfürst Friedrich III., daß „einige bey den Regimentern bestellete Auditeurs von sehr schlechten Studien und Wissenschafft" seien, und er befiehlt, in Zukunft von ihnen ihre „Studia, Profectus und Experienz zu erfahren"; unfähige Auditeure sollen ersetzt werden. 30 Am 6. Januar 1698 ordnet Friedrich III. an, daß sich alle bereits ernannten und die neu zu bestellenden Auditeure zur Überprüfung ihrer juristischen Kenntnisse beim Generalauditoriat 31 vorzustellen haben.32 Laufbahnbewerber müssen durch glaubhafte Atteste belegen, daß sie einheimische Gymnasien und Universitäten absolviert haben und über ausreichende Kenntnisse des allgemeinen Reichs- und Landesrechts sowie des Kriegsrechts verfügen. 33 Für die Auditoren der kaiserlichen Armee führt Maria Theresia bereits 1754 die Ablegung der Richteramtsprüfung vor dem Militärappellationsgericht in Wien ein; zusätzlich zu den üblichen Studien haben die Bewerber ein Jahr lang die Vorlesungen des Stabsauditors oder Militärappellationsrates über Militärrecht zu hören. 34 28 „Auditeur" (frz.) = Zuhörer; Beisitzer (im juristischen Sinne); zum erstmaligen Auftauchen der neuen Dienstbezeichnung in Brandenburg vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 32 f. Bonin vermutet, daß der Ausdruck mit den spanischen Regimentern Karls V. nach Deutschland gelangte (Vom richterlichen Offizier zum Justizoffizier, ZWehrR Bd. 9 [1944], S. 49-51 [50]). 29 So kennt das Militärgesetz der Niederlande den „auditeur-militair"; vgl. hierzu EGMR, NJW 1986, S. 3012 ff. (zur Frage, ob der „auditeur-militair" Beamter iSv Art. 5 Abs. 3 MRK ist). 30 Abdruck des Befehls bei Lünig, Johann Christian: Corpus Iuris Militaris des Heil. Rom. Reichs, . . . , S. 891 f. 31 Zum Generalauditoriat s. Abschnitt 1.4. 32 Abdruck des Befehls bei Lünig, Johann Christian: Corpus Iuris Militaris, S. 898. 33 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 55 f. 34 Vgl. Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . .. Kriegsrechts, S. 131 ff. (134); Hülle, Werner: Auditoriat, S. 177 ff. (178).
3. Das Auditoriat im 17. und 18. Jahrhundert
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Die höhere Qualifikation, die jetzt auf Reichs- und Länderebene von den Regimentsjuristen erwartet wird, korreliert freilich noch nicht überall mit einem Zuwachs an sachlichen Kompetenzen. Vor allem im Strafprozeß bleibt der Auditeur von der eigentlichen Entscheidungsfindung vielerorts ausgeschlossen. Ordnet der Oberst als Gerichtsherr ein Kriegsgericht an 35 , das nunmehr unter gemeinrechtlichem Einfluß inquisitorisch ausgestaltet ist, ist der Auditeur zwar Untersuchungsführer, Ankläger und Verteidiger in einer Person; das Stimmrecht im Hauptverfahren (votum decisivum) jedoch wird dem Auditeur in vielen Ländern, so in Preußen und Württemberg, noch nicht zuteil. 36 Er verliert sogar den seinem Amtsvorgänger, dem Schultheißen, noch zustehenden Vorsitz im Kriegsgericht an die Truppenoffiziere und muß sich mit seiner Rolle als Verhandlungsleiter, Berichterstatter und juristischer Konsulent der stimmberechtigten Beisitzer begnügen.37 Eine stärkere Position kommt ihm in den — allerdings noch nicht häufigen — Zivilprozessen 38 und den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu, die bis ins 19. Jahrhundert hinein noch zur Militärgerichtsbarkeit gehören. Außerhalb des Gerichtsverfahrens ist der Auditeur zuvörderst Berater seines Obersten in allen Rechtsfragen, erledigt aber zusätzlich noch eine Vielzahl von Verwaltungsaufgaben: Vereidigung der Rekruten, vierteljährliches Vorlesen der Kriegsartikel vor dem Regiment, Klärung von rechtlichen Bagatellangelegenheiten, entgeltliche Erteilung von Rechtsrat an Regimentsangehörige u.v.m. 3 9 Ein erstaunliches und erst bei näherem Hinsehen begreifliches Phänomen ist es, daß das soziale Ansehen der Auditeure in der Truppe und auch ihr militärischer Status in dem Maße abnehmen, wie ihre fachliche Kompetenz wächst. Stand der Schultheiß des mittelalterlichen Landsknechtheeres noch im Range eines Hauptmanns mit entsprechenden militärischen Befugnissen 40, so muß sich der brandenburgisch-preußische Regimentsauditeur mit dem Dienstgrad eines Fähnrichs be35 Es steht in freiem Ermessen des Obersten, ob er Verstöße gegen die militärische Ordnung kraft seiner eigenen Strafgewalt oder aber gerichtlich ahnden lassen will. Die dogmatische Trennung von disziplinarischem und kriminellem Unrecht ist dem 18. Jhdt. noch nicht bekannt. Vgl. dazu Hülle, Werner: Auditoriat, S. 50, 64 f. 3 6 Anders in Österreich, wo der Auditeur bereits im 18. Jahrhundert das volle Stimmrecht erhält; ebenso in Bayern und Sachsen. Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 175 sowie in Erler / Kaufmann: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. II, „Heeresrichter", Sp. 24. Den Verfahrensgang bei den kaiserlichen Kriegsgerichten beschreibt Rosencrantz: Kriegsgerichte, ZWehrR Bd. 2 (1937/38), S. 40 ff. 37 Zum Verfahrensgang des pr. Kriegsgerichts vgl. die Kriegsgerichtsordnung und die Auditeur-Instruktion von 1712 (abgedruckt bei Fritsch, Thomas: Corpus Iuris Miliaris Novissimum, Sp. 523-552 [Kriegsgerichtsordnung], Sp. 551-566 [Auditeur-Instruktion]); Erläuterungen bei Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 152 ff.; Papke, Gerhard, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 1, Abschn. I, S. 279 ff. 3 8 Zur Stellung des Auditeurs im militärischen Zivilprozeß vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 56 f., 86 f. 3 9 Zu Art und Umfang dieser Nebentätigkeit vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 65 f. 40 S. Abschnitt 1.2.
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gnügen; Befehlsgewalt kommt ihm nicht mehr zu. 41 Die Besoldung ist überaus kärglich. Nach damals verbreiteter Meinung im militärfreundlichen Preußen ist er nun kein Soldat mehr, sondern zählt zu den „Militärbeamten", die lediglich noch dem Unterstab angehören. 42 In Österreich kann sich der Auditor zwar seinen status militaris erhalten; den Wandel vom Truppen- zum Justizoffizier (ohne Feldbinde) bezahlt er jedoch auch hier mit schmerzlichen Ansehens- und Besoldungseinbußen.43 Auf der anderen Seite findet der Auditeur als „Wandler zwischen den Welten" aber auch im Juristenstand noch wenig Anerkennung. Selbst die allmählich verschärften Ausbildungsanforderungen haben nichts daran zu ändern vermocht, daß sich oftmals die „zweite Garnitur" 44 um eine Auditoriatsstelle bewirbt. Einen befähigten Jujisten kann die Tätigkeit kaum reizen, ist der Amtsinhaber doch dienstlich wie fachlich völlig von der Willkür seines Obersten abhängig, dem im 18. Jahrhundert noch fast unbeschränkte Gewalt über seine Regimentsangehörigen zukommt. Wie gering das Ansehen des Auditeurs in der Rechtswissenschaft der Epoche ist, beweist die Tatsache, daß ihn das Schrifttum wegen seiner bloß beratenden Funktion mehrheitlich als bloßen „Gerichtsverwalter" bezeichnet.45
4. Verstaatlichung der Militärrechtspflege und Einführung des Generalauditoriats Die Akademisierung, Professionalisierung und Verbeamtung der Auditeure beruhte — wie gezeigt — auf Anordnungen der Landesfürsten und ist daher nicht denkbar ohne eine tiefgreifende Veränderung der deutschen Wehrverfassungen als Folge des Dreißigjährigen Krieges: die Verstaatlichung des Heerwesens und die Bildung stehender Heere. Den Souveränen gelang es auf diese Weise, das bis dahin freie „Militärunternehmertum" der Regimentskommandeure zu beenden und die Armee in den sich festigenden absoluten Staat einzubinden, in dem sie allerdings noch lange eine Sonderstellung genoß („Staat im Staate"). In ihrem Bestreben, auch die Militärrechtspflege dauerhaft ihrer Kontrolle zu unterwerfen, schaffen einige deutsche Landesherren 46 eine Behörde, wie sie die damals
41 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 87 f. 42 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 88, mit Nachweisen des zeitgenössischen Schrifttums. 43 Zur Entwicklung in Österreich vgl. Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 131-137; Hülle, Werner: Auditoriat, S. 177 ff. 44 So Hülle, Werner: Auditoriat, S. 106. 45 Zum „Berufsbild" des Auditeurs vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 96 ff. 46 Nach Angaben von Hülle handelt es sich um Brandenburg, Bayern, Sachsen und Baden (Auditoriat, S. 181, Fn. 53).
4. Verstaatlichung der Militärrechtspflege
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als vorbildlich geltenden Kriegsartikel des schwedischen Königs Gustav-Adolf 47 vorsehen und die auch das Reich schon kennt 48 : das Generalauditoriat. In Brandenburg-Preußen gelangt das neue Amt zu seinem wohl größten Einfluß. Hier existiert von 1649 49 bis 1900 (!) ein ständiges Generalauditoriat, dessen Chef — obwohl kein Soldat — ab 1655 zum Stab des Generalfeldmarschalls gehört. 50 Als der „Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm der Erste selbst den Oberbefehl über die Armee übernimmt, avanciert der Generalauditeur zum persönlichen Militärrechtsberater des Königs und erhält das Recht des unmittelbaren Vortrages. Seine Aufgaben sind vielfältig und umfassen praktisch die Überwachung der gesamten Militärrechtspflege. So müssen ihm die Prozeßakten der Kriegsgerichte in Strafsachen zur Prüfung „sowohl in formalibus als auch materialibus processus" übersandt werden. 51 Da sich die Kurfürsten und späteren preußischen Könige die Bestätigung besonders schwerer Strafaussprüche vorbehalten 52, hat der Generalauditeur die entsprechende Entscheidung des Monarchen gutachtlich vorzubereiten. 53 Er ist (allerdings stimmloses54) Mitglied des Generalkriegsgerichts, das u. a. über „Appellationen" in Zivilsachen entscheidet, bevor die Zuständigkeit hierfür vollständig in die Hände des Generalauditoriats gelegt wird. 5 5 Neben diesen judiziellen Funktionen obliegen dem Generalauditeur aber auch noch zahlreiche administrative Aufgaben: Als Chef der gesamten Militäijustizverwaltung übt er die Dienstaufsicht über die brandenburgisch-preußischen Auditeure aus, deren ausreichende Qualifizierung er — wie schon erwähnt 56 — in einem 47
Abgedruckt bei Frauenholz, Eugen von: Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens, 3. Bd., 1. Teil, S. 388 ff. (speziell zum Generalauditeur Titel III, S. 415 ff.). Vgl. auch Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 30-34; Schwind, HansDieter: Militärstrafgerichtsbarkeit, S. 9 ff. 48 Der Eid des Reichs-General-Auditeurs aus dem Jahre 1672 ist abgedruckt bei Lünig, Johann Christian: Corpus Iuris Militaris . . . , S. 113. Nicht geklärt ist, ob es das Amt — wenn auch mit anderer Bezeichnung — schon im Mittelalter gegeben hat; vgl. hierzu Hülle, Werner: Auditoriat, S. 181. 49 Bereits 1638 war der Hauptmann Paul von Traupitz für sechs Monate zum Generalauditeur bestellt worden; vgl. hierzu Bonin, Burkhard von: Der erste brandenburgische Generalauditeur, ZWehrR Bd. 2 (1937), S. 386-389. 50 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 30. 51 Befehl des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm v. 9. (19.) Sept. 1687 (abgedruckt bei Lünig, Johann Christian: Corpus Iuris Militaris . . ., S. 882 f. 52 Kriegsgerichtsordnung, Anderer Theil, Art. LXXXVI (abgedruckt bei Fritsch, Thomas: Corpus Iuris Militaris Novissimum, Sp. 523-552). Ein Βestätigungsvorbehält ist schon für das Jahr 1658 nachweisbar (Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 37 f.). 53 Vgl. Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 193; Hülle, Werner: Auditoriat, S. 61. 54 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 31 f., 67. 55 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 57,77 f.; zur Zuständigkeit des Generalkriegsgerichts, des höchsten preußischen Kriegsgerichts, vgl. Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 151 56 S. Abschnitt 1.3.
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Prüfungsverfahren festzustellen hat. Im Kriegsfalle registriert er die Kriegsgefangenen und führt Verhandlungen über ihren Austausch bzw. über Lösegelder. 57 Schon fast kurios wirkt seine Verantwortung für die gewerbepolizeiliche Überwachung der Marketender. 58 Dennoch darf die weit gefächerte Aufgabenzuweisung an den Generalauditeur nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine wirksame Rechtskontrolle der Streitkräfte allein mit der Etablierung einer zentralen Aufsichtsbehörde noch nicht gewährleistet war. Das hat im wesentlichen zwei Gründe: Erstens fehlt es im absolutistischen Staat noch an einer förmlichen Gesetzgebung und damit an einem letztverbindlichen Maßstab dafür, was „rechtens" sein soll. In Preußen galt zwar seit 1712 die „Auditeur-Instruktion" Friedrichs I. 5 9 ; diese war jedoch nie veröffentlicht worden. Hülle hat die Rechtsunsicherheit, die bei den Auditeuren bis in das 19. Jahrhundert hinein herrschte, anschaulich beschrieben. 60 Unter diesen Umständen versprachen auch die Erkenntnisse des Generalauditoriats nicht unbedingt eine tiefere juristische Einsicht. Der zweite und wichtigere Befund dürfte sein, daß die Justizhoheit über die Armeeangehörigen nach fast einhelliger Ansicht Ausfluß der Kommandogewalt des obersten Kriegsherrn war (und auch blieb, als die Rechtsprechung längst als Dritte Gewalt anerkannt war). 61 Diese Sichtweise, die in der konstitutionellen Epoche in die Konstruktion des „besonderen Gewaltverhältnisses" einmündet, in dem sich auch die Soldaten befanden 62, erklärt, warum die preußische Monarchie auch dem Generalauditoriat nur Begutachtungs- und Vorschlags-, kaum Entscheidungsrechte einräumt: So unüberprüfbar die Ausübung der Befehlsgewalt ist, so wenig lassen sich die Könige die Kontrolle über eine Militärjustiz aus der Hand nehmen, die als Mittel zum Zweck einer durchweg streng gehandhabten Straf- und Disziplinargewalt dient. Vor diesem Hintergrund war zwar die Einrichtung des Generalauditoriats zu begrüßen, da sie die „horizontale" Rechtsprüfung durch die Regimentsauditeure in der „Vertikalen" ergänzte; einen qualitativen Fortschritt stellte die Behörde für die Militärrechtspflege aber lange Zeit kaum dar.
57 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 32, 78, 109. 58 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 109. 59 Abgedruckt bei Fritsch, Thomas: Corpus Iuris Militaris Novissimum, Sp. 551 ff. Bereits 1693 war eine „halbamtliche" Anleitung des damaligen Generalauditeurs Schultze erschienen: die „kurtze Instruction und Anleitung von Formirung des Processus bey denen Kriegsgerichten, nach heutiger Art und was dabey zu observieren". Dazu eingehend Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 39-45. 60 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 34 f., 135 f.; vgl. auch Messerschmidt, Manfred, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2, Abschn. IV, 2. Teil, S. 165. 61 Erst das Grundgesetz ordnet die Wehrstrafgerichtsbarkeit in Art. 96 Abs. 2 Satz 4 dem Geschäftsbereich des Bundes/wsiizministers zu. Vgl. Rissom, Carl: Militärgerichtsbarkeit und Kommandogewalt, GA Bd. 56, S. 168-183; Bd. 58, S. 48-66. 62 Vgl. Wolff, Hans J J Bachof, Otto: Verwaltungsrecht I, S. 212 f.
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Im 18. Jahrhundert ist die Entwicklung in Preußen sogar rückläufig. Friedrich II., dem im allgemeinen große Verdienste um das Justizwesen zugeschrieben werden, verkürzt die Stellung seines Militärrechtsberaters erheblich bei gleichzeitiger Ausdehnung der Strafbefugnisse der Regimenter. Seit 1744 haben die Kommandeure nur noch in Fällen schwerster Strafaussprüche („Festungsstrafe, Kassation oder gar Lebensstrafe") eine Bestätigung des Königs einzuholen; das Recht zur „Konfirmation" aller übrigen kriegsgerichtlichen Erkenntnisse wird auf sie übertragen. Ist ausnahmsweise eine königliche Bestätigung erforderlich, so sind die Regimentschefs gehalten, die Sentenz ohne Beifügung der Akten „immediate" an den Monarchen zu senden; das Generalauditoriat wird nur noch auf besondere Rückfrage durch den König eingeschaltet und ist damit an einer wirkungsvollen Kontrolle der Militärrechtsprechung gehindert. 63 Der spätere Generalauditeur Friccius berichtet aus dieser Zeit: „Unaufgefordert durfte das General-Auditoriat kein Gutachten einreichen, noch sonst Bedenken erheben oder Vorstellungen machen, wenn auch aus den Akten die erschrecklichsten Unregelmäßigkeiten und die gröbsten Gesetzes-Verletzungen hervorgingen, noch weniger führte das General-Auditoriat eine allgemeine geregelte Aufsicht über die Regimentsgerichte." 6 4 Dies ist umso bedenklicher, als es im Strafverfahren keine Rechtsmittel gegen die Urteile der Kriegsgerichte gibt 6 5 und es nur den Gerichten, nicht aber den Auditeuren gestattet ist, in Zweifelsfällen das Generalauditoriat um Rechtsrat zu bitten. 66 Unter den Nachfolgern Friedrichs II. verliert das Generalauditoriat als Behörde sukzessive seine organisatorische Sonderstellung und wird Teil des sich ausformenden preußischen Verwaltungsapparates. Von 1787 an bildet es ein „besonderes, aber . . . adhärirendes Departement" des neu geschaffenen Oberkriegskollegiums 67; später ressortiert es bei dem daraus 1814 hervorgehenden Kriegsministerium. e% Daß es nicht völlig von der Exekutive absorbiert wird, verdankt das Generalauditoriat seinem eigentümlichen „janusköpfigen" Doppelcharakter: Es ist eben nicht nur eine kollegialisch verfaßte Justizverwaltungsbehörde, sondern seit 1800 auch das höchste preußische Militärgericht 69 mit fachaufsichtlichen
63 Abdruck der Zirkularordre Friedrichs II. v. 21.6.1749 bei Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . .. Kriegsrechts, S. 194 ff.; vgl. auch Hülle, Werner: Auditoriat, S. 75 ff. Erst 1806 führt Friedrich Wilhelm III. den unmittelbaren Aktenversand an das Generalauditoriat wieder ein (Hülle, Werner, aaO, S. 117; Friccius, Carl, aaO, S. 223). 64 Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 197. 65 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 61 ; Schneider, Hans: Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 40. 66 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 148 (Fn. 14). 67 Patent Friedrich Wilhelms II. vom 25.6.1787 (auszugsweise abgedruckt bei Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 211); vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 81 ff. 68 Vgl. Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 263; Hülle, Werner: Auditoriat, S. 115.
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Befugnissen gegenüber den Instanzgerichten; in vierteljährlichen Abständen haben die Auditeure Ausfertigungen der in ihrer Einheit verkündeten Kriegsgerichtsurteile zur Prüfung nach Berlin einzusenden.70Als folgenschwer für die Unabhängigkeit der Heeresjustiz erweist sich die partielle Unterstellung des Generalauditoriats unter das Militärjustizdepartement 11, das die Rechtsprechung der Kriegsgerichte immer wieder unter militärischen Gesichtspunkten zu lenken versucht. 72 Allein der Generalauditeur selbst bleibt von der Aufsicht des Militärjustizdepartements ausgeschlossen: Er kann sich in seiner Eigenschaft als königlicher Militärrechtsberater und Chef der Heeresjustizverwaltung die unmittelbare Unterstellung unter die Krone erhalten, von 1800 bis 1845 sogar im Range eines Generalmajors. 73 Der mündliche Vortrag der Rechtssachen beim Monarchen ist allerdings Angelegenheit des Militärkabinetts. 74 In Österreich bereitet Maria Theresia dem Generalauditoriat ein frühes Ende. Schon 1766 löst sie die Behörde auf und überträgt ihre Aufgaben im wesentlichem dem Allgemeinen Appellations gericht der Armee in Wien und dem Justizdepartement des bis 1848 existierenden Hofkriegsrates. 75 Das preußische Generalauditoriat hingegen arbeitet unter wechselnden politischen Bedingungen weiter, bis es durch das Inkrafttreten der Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich am 1. Oktober 1900 aufgelöst wird.
5. Das Auditoriat von den preußischen Heeresreformen bis zur Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich vom 1. Dezember 1898 Das 19. Jahrhundert bringt spürbare Verbesserungen auf dem Gebiet der Militärrechtspflege. Einen Meilenstein auf dem Weg in das moderne Wehrrecht stellt die Allerhöchste Kabinettsordre des preußischen Königs Friedrich Wilhelms III. vom 19. Juli 1809 dar: Mit ihr folgt er einem Vorschlag seiner Militär-Reorganisations-Kommission, den Militärgerichten nur noch die Strafsachen zu belassen und die Soldaten im übrigen der allgemeinen Gerichtsbarkeit zu unterstellen. 76 69 Zur Zuständigkeit des Generalauditoriats als Militärgericht vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 112 (bis 1845), 148 (nach 1845); Rönne, Ludwig von: Staatsrecht, 2. Bd., 1. Abt., S. 348. 70 Dierichterliche Unabhängigkeit wird den Militärgerichten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zögernd zugestanden; vgl. dazu Hülle, Werner: Auditoriat, S. 150 ff. 71 Patent Friedrich Wilhelms III. vom 23.10.1798; dazu Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 219 f. 72 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 84 ff. 73 Dienstinstruktion v. 20.10.1800; dazu Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 220-222. 74 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 149. 75 Vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 182 f.
5. Das Auditoriat bis zur MStGO vom 1. 12. 1898
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Diese Entscheidung, die die jahrhundertelange Totalexemtion des Wehrstandes beendet, ist Teil eines ganzen Bündels von Maßnahmen, mit denen die preußischen Heeresreformer (v. Scharnhorst, v. Gneisenau, v. Clausewitz) versuchen, die in sich geschlossene und von adeligen Offizieren beherrschte Armee zu öffnen und in den Staat zu integrieren. Die Beschränkung der Heeresjustiz auf Kriminalsachen, dereine heftige Auseinandersetzung des damaligen Generalauditeurs von Koenen mit den noch weitergehenden Vorstellungen des Justizministers vorangeht 77, beraubt die Auditeure eines Teils ihrer althergebrachten juristischen Uni Versalzuständigkeit im Regiment; ins Positive gewendet, führt sie aber zu einer begrüßenswerten Spezialisierung und Entlastung von Aufgaben, die in keinem inneren Zusammenhang mit dem militärischen Status der Rechtsunterworfenen stehen. Der Befehl Friedrich Wilhelms findet als Art. 37 Satz 1 Eingang in die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850. 78 Die „privilegierte" Zivilgerichtsbarkeit für den Soldatenstand wird später auch in anderen deutschen Staaten abgeschafft, so etwa 1869 in Österreich 79, und lebt nicht mehr wieder auf. 80 Ein erfreuliches Kapitel der Militärrechtsgeschichte stellt die damals vorgenommene endgültige Angleichung der Einstellungsvoraussetzungen für Auditeure an den „zivilen" Juristenstand dar. Wer sich in Preußen 81 um eine Stelle bei den höheren Kollegialgerichten bewerben wollte, hatte nach dem (Entwurf gebliebenen, dennoch aber angewendeten) „Codex Fridericianus Marchicus" von 1748 neben dem Auskultator- und dem Referendarexamen noch eine dritte Staatsprüfung, das Assessorexamen, zu bestehen. Für die Anstellung an unteren Gerichten genügten noch bis 1849 die beiden ersten Prüfungen sowie eine praktische Referendarzeit. 82 In zwei Schritten gleicht die preußische Staatsführung nun den Ausbildungsstandard ihrer Militärjuristen — im Jahre 1806 arbeiten 183 Auditeure in der Armee 83 — an die für den allgemeinen Juristenstand geltenden Voraussetzungen Ausführlich zur Reformierung der Militärgerichtsbarkeit in Preußen Messerschmidt, Manfred, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2, Abschn. IV, 2. Teil, S. 164 ff. 77 Einzelheiten zu diesem Disput bei Messerschmidt, Manfred, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2, Abschn. IV, 2. Teil, S. 166 f. Vgl. auch Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 245-248. 78 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 37 Rönne, Ludwig von: Staatsrecht, 2. Bd., 1. Abt., S. 342, Fn. 4 a. 79 Gesetz v. 20.5.1869, betr. den Wirkungskreis der Militärgerichte (RGBl, für das Kaiserthum Oesterreich 1869, S. 327-332). so Vgl. auch Art. 176 der „Paulskirchenverfassung" vom 28.3.1849, die den Militärgerichten sogar nur die „Aburteilung militärischer Verbrechen und Vergehen" zugestehen will. 81 Zur Entwicklung in Österreich Abschnitt 1.3. 82 Veröffentlichungen des Arbeitskreises für Fragen der Juristenausbildung: Die Ausbildung der deutschen Juristen, S. 52 ff. 83 Angabe bei Friccius, Carl: Geschichte des deutschen . . . Kriegsrechts, S. 257.
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an. Nach der „Dienstinstruktion" vom 20. Oktober 1800 dürfen als Auditeure nur noch Referendare eingestellt werden; diese müssen in einem vom Generalauditoriat abgehaltenen zusätzlichen (dritten) Examen ihre theoretischen und praktischen Rechtskenntnisse nachweisen. Von den Oberauditeuren des Generalauditoriats wird in der „Dienstinstruktion" bereits das Bestehen des Assessorexamens vor der im Jahre 1755 gebildeten Immediat-Justiz-Examinations-Kommission verlangt. Seit 1829 gilt dann die Voraussetzung einer erfolgreich bestandenen Assessorprüfung für alle Auditeure des preußischen Heeres, womit den eine Zeitlang notorischen Klagen über die schlechte Ausbildung der Militäijuristen endgültig ein Ende bereitet ist. 8 4 Durch § 7 Abs. 1 Satz 2 des Reichsmilitärgesetzes vom 2. Mai 1874 85 erlangt die preußische Rechtslage reichsweite Gültigkeit. Die Vorschrift bestimmt: „Zu der Stelle eines richterlichen Militäijustizbeamten kann nur berufen werden, wer die Befähigung zur Bekleidung eines Richteramtes in einem Bundesstaat erworben hat." Sichtbarer Ausdruck für die Veränderungen, die der Liberalismus mit sich bringt, ist die umfassende Kodifizierung des Militärstrafrechts, wie sie in Bayern (1813), Württemberg (1818), Sachsen (1838), Baden (1845) und Österreich (1855) stattfindet. Aber auch dem Verfahrensrecht wird jetzt Aufmerksamkeit gewidmet. In Preußen wird am 3. April 1845 das „Strafgesetzbuch für das Preußische Heer" verkündet 86 ; dessen zweiter Teil, die „Militärstrafgerichtsordnung" (pr. MStGO), enthält endlich eine Reihe gerichtsverfassungs- und verfahrensrechtlicher Vorschriften, die den Auditeuren aus der oft argen Verlegenheit helfen, an welches Reglement sie bei der Leitung des Kriegsgerichts wohl gebunden seien.87 Zu substantiellen Fortschritten freilich kann sich der — noch keineswegs parlamentarische! — Gesetzgeber kaum durchringen: Im Kern stellt sich die pr. MStGO als eine zusammenfassende Niederlegung des seit Jahrhunderten praktizierten Inquisitionsprozesses dar. Das spiegelt sich vor allem in der Stellung des Kommandeurs wider, der als verfahrenseinleitender und bestätigender Gerichtsherr die zentrale Figur des Kriegsgerichts bleibt. Wenn der Name der pr. MStGO dennoch mit einer Stärkung des juristischen Fachrates in der Militärjustiz verbunden ist, so liegt das unter anderem daran, daß sie die Bestätigung eines kriegsgerichtlichen Urteils durch den dazu ermächtigten Korps- oder Divisionskommandeur von dem zustimmenden Gutachten eines mit der Sache vorher nicht befaßten Auditeurs abhängig macht. Das Verfahren, das bereits 1826 durch einfache Kabinettsordre eingeführt worden war, bedeutet praktisch, daß der dis84
Einzelheiten zur Ausbildung der preußischen Auditeure bei Hülle, Werner: Auditoriat, S. 121 f. Seit 1838 wird auch die Erfüllung der gesetzlichen Dienstpflicht verlangt. 85 RGBL 1874, S. 45-64. 86 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1845, S. 287-374. 87 Die Fülle der in Betracht kommenden Vorschriften beschreibt anschaulich Hülle, Werner: Auditoriat, S. 135 f.; vgl. auch Messerschmidt, Manfred, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2, Abschn. IV, 2. Teil, S. 165.
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sentierende Zweit-Auditeur die Abgabe der Akte an das Generalauditoriat in Berlin erzwingen kann; das letzte Wort hat dann allerdings immer noch der König. 88 In lebhaftem Gegensatz zu diesem Zugewinn an Rechtssicherheit steht, daß die Auditeure seit 1812 von der sog. niederen Strafgerichtsbarkeit (kleinere Vergehen von Gemeinen und Unteroffizieren, die auf Regimentsebene abgeurteilt werden) ausgeschlossen sind; hier übernehmen untersuchungsführende Offiziere die Aufgaben des Militärjuristen. 89 Diese bedenkliche Praxis, die in das Mittelalter mit seiner Schultheißen-Tradition zurückweist, wird von der pr. MStGO bestätigt. 9 0 Ein im Vergleich zu Preußen geradezu avantgardistisches Konzept spricht aus der „Militärstrafgerichtsordnung für das Königreich Bayern" vom 29. April 1869 (bay. MStGO): Mit ihrem Bekenntnis zu Anklageprinzip und Öffentlichkeitsgrundsatz, der Einführung eines Rechtsmittelverfahrens und der vollen Stimmberechtigung für die Auditoren 91 gelangt sie bereits in die Nähe moderner Auffassungen von einem rechtsstaatlichen Militärprozeßrecht. Als am 18. Januar 1871 in Versailles das Deutsche Reich proklamiert wird, fehlt es zunächst an einem einheitlichen Militärstrafverfahren. Art. 61 der Reichsverfassung schreibt zwar vor, „in dem ganzen Reiche die gesamte Preußische Militärgesetzgebung ungesäumt einzuführen, . . . namentlich . . . , die MilitärStrafgerichtsordnung vom 3. April 1845"; die „Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt" enthält jedoch Vorbehaltsrechte zugunsten Bayerns und Württembergs, die in zähen Verhandlungen mit Bismarck die Beibehaltung ihres eigenen Prozeßrechts erringen können. Dennoch beauftragt der Reichstag ab 1873 mehrere Kommissionen mit dem Entwurf einer einheitlichen Militärstrafgerichtsordnung. Nach schweren politischen Turbulenzen, die vor allem um die Frage der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung kreisen und die 1896 den Kriegsminister v. Schellendorf zum Rücktritt veranlassen, legt der Reichskanzler zu Hohenlohe-Schillingsfürst am 30. November 1897 dem Reichstag den Entwurf einer Militärstrafgerichtsordnung (MStGO) vor. 92 Am 1. Dezember 1898 wird er nach einer Reihe von Änderungen als Gesetz verkündet und tritt am 1. Oktober 1900 in Kraft. 93 88 Zum Bestätigungsverfahren Hülle, Werner: Auditoriat, S. 125 f., 146. Einen kurzen Überblick über das Verfahren nach der MStGO liefert Messerschmidt, Manfred, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2, Abschn. IV, 2. Teil, S. 170 f.; vgl. auch Schwind, Hans-Dieter: Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 17 ff. 89 Friccius begründet diese Maßnahme mit staatlicher Finanznot (Geschichte des deutschen .. . Kriegsrechts, S. 256-263). 90 Zu Rang und Besoldung der Auditeure nach Inkrafttreten der pr. MStGO vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 154 ff. 91 Zur Rechtsstellung der bayerischen Auditoren vgl. Koppmann, Clemens: Militärstrafgesetzbuch .. . f. d. Königreich Bayern, §§ 16, 18, 20, 22, 23 MStGO. 92 Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 1897 / 98, Erster Anlageband, S. 90-123; Begr. S. 129-198. Kritisch Stenglein: Gegen den MilitärstrafprozeßEntwurf, DJZ 1898, S. 11-14.
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6. Der Kriegsgerichtsrat nach der Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich vom 1. Dezember 1898 Die MStGO läßt noch einmal erkennen, wie zählebig das seit Jahrhunderten eingefahrene System der preußischen Militäijustiz war. Einer fünfzig Jahre währenden, zeitweise erbittert geführten Reformdiskussion zum Trotz 94 hält sie an einer eigenständigen militärischen Strafgerichtsbarkeit fest und schreibt deren traditionellen preußischen Linien fort: Inquisitionsmaxime, Koppelung von Befehls- und Justizgewalt, Weisungsgebundenheit der Militärjuristen außerhalb des Erkenntnis Verfahrens. 95 Dennoch kann sich das fortschrittliche bayerische Konzept einer schrittweisen Annäherung an den bürgerlichen Strafprozeß in wichtigen Bereichen durchsetzen: Die Zulassung von Rechtsmitteln (Berufung, Revision) 96 , der Ausbau der Verteidigungsrechte des Angeklagten und die Einführung einer — freilich stark beschränkten — Öffentlichkeit sind ebenso Konzessionen an das süddeutsche System wie die beachtliche Aufwertung der Militäijuristen, die jetzt die deutschen Amtsbezeichnungen Kriegsgerichtsrat (ehemalige Divisions-, Gouvernements- und Garnisons-Auditeure) bzw. Oberkriegsgerichtsrat (ehemalige Korps- und Ober-Auditeure) führen. 97 Als Militärjustizbeamte mit Befähigung zum Richteramt (§ 4 Abs. 1 MStGO) sind sie mit persönlicher Unabhängigkeit ausgestattet, die — von geringfügigen Ausnahmen abgesehen — an die entsprechenden Regelungen für Richter im Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 anknüpft (§ 96 MStGO). 98 Nach bayerischem Vorbild genießen sie nun neben der Befugnis zur Verhandlungsleitung das volle Stimmrecht in den Kriegs93 RGBl. 1898, S. 1189-1288; Zusammenstellung der ergänzenden Bestimmungen bei Lilienthal, Karl von: Das Militärstrafgerichtsverfahren, § 2, III. Einen Überblick über die Entstehungsgeschichte der MStGO gibt Messerschmidt, Manfred, in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 2, Abschn. IV, 2. Teil, S. 174 f. 94 Vgl. Reinsdorff, G.: Zur Frage des Militär-Strafprozesses und seiner Reform; Schwind, Hans-Dieter: Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 21 ff. 95 Vgl. Rissom, Carl, in Dietz: Handwörterbuch, „Militärstrafgerichtsordnung", A II: „Demgemäß ist die jetzige MStGO ihrem innersten Wesen nach die alte Preußische." 96 Gegen die im Felde und an Bord ergehenden Urteile finden Rechtsmittel allerdings nicht statt (§419 MStGO); hier bleibt es beim Bestätigungsverfahren. 97 Die Umbenennung geht auf einen Vorschlag des preußischen Generalauditeurs Friccius zurück. Zu seinen Reformvorschlägen vgl. Hülle, Werner: Auditoriat, S. 139 f. 98 In der Amtl. Begr. zum Entwurf der MStGO (Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 1897/98, Erster Anlageband, S. 166) klingt noch deutlich der Widerstand gegen eine persönliche Unabhängigkeit der Militärjuristen an: „Wenn auch der Grundsatz, daß die Kriegsgerichtsräthe und Oberkriegsgerichtsräthe nur mit ihrer Zustimmung versetzt werden können, geeignet ist, der Militärjustizverwaltung Schwierigkeiten zu bereiten, und den militärischen Verhältnissen an sich die freie Verfügungsgewalt hinsichtlich der Verwendung ihrer Beamten mehr entsprechen würde, so ist doch im Hinblick auf die bestehenden rechtlichen Verhältnisse . . . die Anerkennung jenes Grundsatzes erfolgt." Vgl. auch das Gesetz, betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militärjustizbeamten und die unfreiwillige Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand vom 1.12.1898 (RGBl. 1898, S. 1297-1304).
6. Der Kriegsgerichtsrat nach der MStGO vom 1. 12. 1898
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und Oberkriegsgerichten, wenn auch der formale Vorsitz in den Spruchkörpern ein Reservat der Offiziere bleibt (§§ 61, 69, 83 MStGO). Untersuchungsführung (§ 156 Abs. 1 Satz 2 MStGO) und Anklagevertretung (§ 255 Abs. 2 MStGO) liegen ebenfalls in den Händen der Militärjustizbeamten; sogar als Verteidiger können sie bestellt werden (§ 341 Abs. 1 Nr. 2 MStGO). Alle drei Funktionen sind aber mit der Ausübung des Richteramtes in ein und demselben Verfahren inkompatibel (§ 122 Nr. 4 MStGO). 99 In der niederen Gerichtsbarkeit (Standgerichte) hält die MStGO am Einsatz juristisch nicht geschulter Gerichtsoffiziere fest (§§99-102 MStGO). Die (Ober-)Kriegsgerichtsräte werden durch die zuständigen Kontingentsherren, in der Marine durch den Kaiser ernannt (§ 93 MStGO) 1 0 0 und sind wie bisher einem höheren Befehlshaber, dem Gerichtsherrn, zugeordnet (§13 Abs. 3 MStGO), dessen Weisungen sie außerhalb des Erkennntnisverfahrens Folge zu leisten haben (§ 97 Abs. 1 MStGO). 101 Auch zu den vorgesetzten Justizverwaltungsstellen stehen sie in einem Unterordnungsverhältnis. Ein preußisches Erbe ist das komplizierte Prüfungs- und Mitzeichnungsverfahren, durch das den (Ober-)Kriegsgerichtsräten die juristische Mitverantwortung für die Rechtmäßigkeit gerichtsherrlicher Verfügungen auferlegt wird (§97 Abs. 2 MStGO). Ist der Beamte von einem Rechtsverstoß überzeugt, sind die Akten zwar — nach erfolgloser Vorstellung — dem Oberkriegsgericht / Reichsmilitärgericht zur abschließenden rechtlichen Beurteilung zuzuleiten; einstweilen hat er jedoch der Weisung des Gerichtsherrn, welcher dann allein die Verantwortung trägt, zu entsprechen (§ 97 Abs. 3 MStGO). 102 Nach über 250 Jahren ununterbrochenen Bestehens wird das preußische Generalauditoriat aufgelöst. 103 Seine gerichtlichen Funktionen werden seit dem 1. Oktober 1900 im wesentlichen von dem neu geschaffenen Reichsmilitärgericht in Berlin wahrgenommen, das in dem jetzt dreistufigen Instanzenzug vor allem 99 In der Inkompatibilität liegt eine Abschwächung des Inquisitionsprinzips, da Ankläger und erkennender Richter nicht mehr personengleich sind. Andererseits beruht das Verfahren der MStGO auch nicht auf dem Anklageprinzip, da der Gerichtsherr sowohl zur Anklageverfügung (§ 250 MStGO) als auch zur Bestellung der Gerichtsmitglieder (§§ 41, 53, 68 MStGO) befugt ist. Dazu Dietz, Heinrich: Einführung, S. 69-71 m.w.N. 100 Das erste Deutsche Reich kennt zwar eine einheitliche Kriegsmarine (Art. 53 der Reichs Verfassung); das Reichsheer besteht jedoch — ähnlich wie im Deutschen Bund — aus zusammengefügten Kontingenten der Bundesfürsten (Art. 63 - 66). 101 Innerhalb des Erkenntnisverfahrens gilt § 18 MStGO, nach dem die erkennenden Gerichte unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. 102 Die Vorschrift war umstritten; Binding hat sie „eine der unwürdigsten Bestimmungen des neueren Rechts" genannt (Strafrecht, Bes. Teil, 2. Bd., 2. Abt., S. 770, Fn. 7). Einzelheiten bei Koppmann, Clemens v.: Militärstrafgerichtsordnung, § 97; Rissom, Carl, in Dietz: Handwörterbuch, „Mitprüfungspflicht". Ausführlich auch Eichler, Wolfgang: Rechtsstellung des Kriegsgerichtsrats, S. 9 ff. (die leicht geänderte Rechtslage nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit v. 12.5.1933 betreffend). Immerhin braucht der Kriegsgerichtsrat — in Abweichung zur pr. MStGO — die Weisung, die er für rechtswidrig hält, nicht mehr zu unterzeichnen (Koppmann, aaO, § 97, 11). 103 AVB1. 1900, S. 186. 3 Baganz
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für die Revision oberkriegsgerichtlicher Urteile zuständig ist (§71 MStGO) 1 0 4 . Seine Senate105 sind mit vier militärischen und drei juristischen Mitgliedern besetzt; wird die Revision lediglich auf die Verletzung prozessualer oder allgemeiner bürgerlicher Vorschriften gestützt, setzt sich der entscheidende Senat aus vier Juristen und drei Soldaten zusammen (§ 84 MStGO). Damit wird der alte Grundsatz des iudicium inter parium an dieser Stelle erstmals ausgehebelt und den Juristen Vorrang gelassen. Durch die Einführung einer Militäranwaltschaft beim Reichsmilitärgerichte (§§ 103-107 MStGO), die der Staatsanwaltschaft der ordentlichen Gerichtsbarkeit entspricht, findet auch der preußische Militärstrafprozeß jedenfalls auf Revisionsebene wieder den Anschluß an das deutschrechtliche Anklageprinzip. 106 Die Militärjustizverwaltung wird den Kriegsministerien der Länder übertragen, denen die Aufsicht über die Ausübung der Militärstrafgerichtsbarkeit obliegt; eine Ausnahme bilden das Reichsmilitärgericht, das von seinem Präsidenten, und die Marinejustiz, die vom Reichsmarineamt verwaltet wird (§§ 111, 112 MStGO). 107 Mit dem Fortbestand der Militärgerichtsbarkeit bleibt auch die Justizlastigkeit der täglichen Arbeit der (Ober-)Kriegsgerichtsräte erhalten. 108 Soweit allerdings den bisherigen Auditeuren durch Reichs- oder Landesrecht „Handlungen der streitigen oder freiwilligen Gerichtsbarkeit, Verrichtungen der Staatsanwaltschaft oder andere juristische Geschäfte zugewiesen sind", treten die Beamten an die Stelle der Auditeure (§ 20 EG MStGO). 109 Sie sind u. a. zuständig für die Aufnahme privilegierter militärischer letztwilliger Verfügungen 110 und für Beurkundungen bzw. Beglaubigungen im Felde. 111 Darüber hinaus schafft § 21 EG MStGO 104 Vgl. Matuschka, Edgar Graf v., in Militärgeschichtliches Forschungsamt: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. 3, Abschn. V, S. 200 f. 105 Die Bayerische Armee erhält einen eigenen Senat beim Reichsmilitärgericht. 106 Nach § 105 Abs. 2 MStGO ist der Obermilitäranwalt als Behördenchef freilich gehalten, „in Fragen, welche die Geltung oder die Auslegung einer militärischen Dienstvorschrift oder eines militärdienstlichen Grundsatzes betreffen oder allgemeine militärische Interessen berühren", die Ansicht des Präsidenten des Reichsmilitärgerichts (eines Generals oder Admirals) zu vertreten. Vgl. Koppmann, Clemens v.: Militärstrafgerichtsordnung, §§ 103-107, 3). 107 Dietz schlug 1915 die Wiederbelebung des pr. Generalauditoriats als oberster Justizaufsichtsbehörde vor (Denkschrift, ZWehrR Bd. 9 [1944], S. 101-108 [106 f.]). Eichler hielt auch 1935 noch die Abschaffung des Generalauditoriats für einen „Rückschritt" (Rechtsstellung des Kriegsgerichtsrats, S. 41). 108 Zu Rang- und Besoldungsverhältnissen der Militärjustizbeamten vgl. Eisner v. Gronow, Kurt, in Dietz: Handwörterbuch, „Militärjustizbeamte, richterliche", 2); zum Verfahren bei Stellenbesetzungen Absolon, Rudolf: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. II, S. 122. 109 RGBl. 1898, S. 1289-1296 (1293). Eine Zusammenstellung der in Betracht kommenden Bestimmungen bei Romen, A. / Rissom, Carl: Militärstrafgerichtsordnung, § 20 EG MStGO. 110 § 44 Reichsmilitärgesetz v. 2.5.1874. m § 1 des Gesetzes, betr. die freiwillige Gerichtsbarkeit und andere Rechtsangelegenheiten in Heer und Marine v. 28.5.1901 (RGBl. 1901, S. 185-188); vgl. auch die
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die Möglichkeit, ihnen auch im Verwaltungswege Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder andere juristische Geschäfte im Bereich der Militärverwaltung zu übertragen. In Betracht kommt hauptsächlich eine Verwendung als Justitiar bei größeren militärischen Verbänden und Instituten, die eines besonderen Rechtsbeistandes entbehren und bei denen schon vorher ein Auditeur tätig war. 1 1 2 Ganz allgemein stehen die (Ober-)Kriegsgerichtsräte in der Praxis ihren jeweiligen Befehlshabern und auch der Truppe als Rechtsberater zur Verfügung 113 , was während des Ersten Weltkrieges die verantwortungsvolle Einbeziehung in schwierigste militärische und politische Vorgänge impliziert, wegen der unglücklichen Formulierung in § 21 EG MStGO („juristische Geschäfte im Bereich der Militärverwaltung") freilich nach damaliger Ansicht ein gesetzwidriger Zustand sein soll. 1 1 4
7. Die Heeresanwaltschaft der Weimarer Republik Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches beschließt die verfassunggebende Nationalversammlung, die Militärgerichtsbarkeit, außer für Kriegszeiten und an Bord von Kriegsschiffen, aufzuheben (Art. 106 der Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. August 1919). 115 Mit dem „Gesetz, betreffend Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit" vom 17. August 1920 116 kommt der Reichstag nach leidenschaftlichen Auseinandersetzungen 117 dem Verfassungsauftrag nach. Damit ist Bekanntmachung über die freiwillige Gerichtsbarkeit in Heer und Marine v. 14.1.1915 (RGBl. 1915, S. 18 f.). 112 So die Begr. zu § 21 EG MStGO (Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstages 1897/98, Erster Anlageband, S. 200 f.). 113 Vgl. Flaxland: Ueber die künftige Betätigung der Militärjuristen, MilRBl. 1919/ 20, S. 157 f. 114 So halten Romen/Rissom die Bearbeitung von Disziplinar- und Ehrengerichtssachen durch den (Ober-)Kriegsgerichtsrat für unzulässig (Militärstrafgerichtsordnung, § 21 EG MStGO, 2 a). Vgl. auch Dietz, Heinrich: Taschenbuch des Militärrechts, S. 369 f. Die heute selbstverständliche Pflicht des Rechtsberaters zur Beratung des Kommandeurs in kriegsvölkerrechtlichen Angelegenheiten ist in keiner dieser Darstellungen erwähnt. Das erstaunt umso mehr, als Art. 1 des IV. Haager Abkommens v. 18.10.1907 (RGBl. 1910, S. 10) die Vertragsmächte zur Erteilung kriegsrechtsgemäßer Verhaltensmaßregeln an ihre Landheere verpflichtet. Vgl. auch Dietz, Heinrich: Denkschrift, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 101-108 (103 f.); ferner die „Allerhöchsten Ausführungsbestimmungen zum Einführungsgesetze zur Militärstrafgerichtsordnung vom 28.12.1899" zu § 21, wonach die richterlichen Militäijustizbeamten „zur Übernahme nebenamtlicher oder anderer fremder Geschäfte der Genehmigung des Kriegsministeriums" bedürfen (AVB1. 1900, S. 2). h 5 Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift vgl. Glahn: Kampf um die Militärgerichtsbarkeit, ZWehrR Bd. 1 (1936/37), S. 441-468 (444 f.); Schwind, Hans-Dieter: Militärstrafgerichtsbarkeit, S. 32 ff. 116 RGBl. 1920, 2. Hj., S. 1579-1587; zur Entstehungsgeschichte Dietz, Heinrich: Gesetz, betreffend Aufhebung, . . . , Vorbemerkungen, S. 6-8. 117 Vgl. Glahn: Kampf um die Militärgerichtsbarkeit, ZWehrR Bd. 1 (1936/37), S. 441 -468 (448-464). 3*
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die dem Mittelalter entstammende Sondergerichtsbarkeit des Soldatenstandes in Friedenszeiten praktisch erloschen; nur für die an Bord von in Dienst gestellten Kriegsschiffen eingeschifften Angehörigen der Reichsmarine gelten die bisherigen Bestimmungen, vor allem also die MStGO, weiter. 118 Versuche, gleichzeitig auch das Militäijustizbeamtentum zu beseitigen, werden im 15. Reichstagsausschuß unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer juristischen Beratung der Truppenführer abgewehrt. 119 Das Gesetz sieht nunmehr eine neuartige, zahlenmäßig stark geschrumpfte 120 Heeres- und Marineanwaltschaft 121 vor, deren Angehörigen als nichtrichterlichen, aber zum Richteramt befähigten Beamten hauptsächlich die Beratung der Befehlshaber in allen militärstraf- und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten obliegt. 122 Daneben können ihnen, wie dies schon §21 EG MStGO zuließ, im Verwaltungswege „sonstige dienstliche Verrichtungen auf juristischem Gebiet im Bereiche der Militärverwaltung" übertragen werden (§§ 15-18 des Gesetzes, betr. . . . ) . 1 2 3 Diese Vorschriften verlagern erstmals das Schwergewicht militäijuristischer Tätigkeit von der Strafjustiz auf die Rechtsberatung der militärischen Vorgesetzten. In diesem Funktionswandel, den nicht zuletzt die verbreitete Ablehnung des preußischen Militarismus und seiner „Selbstjustiz" erzwungen hat 124 , liegt bereits ein Vorgriff auf die spätere Rechtsla118
Während der folgenden Jahre sind in der Marine noch etwa 10 bis 20 Richter tätig (vgl. die Nachweise bei Steinkamm, Eike: Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 257, Fn. 1). 119 Vgl. den Bericht des 15. Ausschusses zu Art. IIa des Entwurfs eines Gesetzes, betr. . . . (Verhandlungen des Reichstages 1920, Nr. 205 der Anlagen zu den Stenogr. Berichten, S. 167-182 [170]): „Entscheidend... war die Erwägung, daß wie jede andere große Organisation im bürgerlichen Leben ihren Justitiar braucht, auch schon zur Beratung der Heeresbehörden in zivilrechtlichen Angelegenheiten eine gewisse Zahl von Juristen erforderlich sein würden. Man würde ihrer aber auch zur Beratung der Befehlshaber in militärstraf- und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten bedürfen." Vgl. auch den Gesetzesentwurf des Reichswehrministeriums „betreffend die Stellung der Heeresanwälte und der bei ihnen beschäftigten Sekretäre" (aaO, S. 182). 120 im 15. Reichstagsausschuß ist von etwa 30 Beamten die Rede. 121 Entgegen dem Gesetzes Wortlaut hat es eine Marineanwaltschaft freilich nie gegeben: Die in der Reichsmarine weiterhin tätigen Kriegs- / Oberkriegsgerichtsräte machten die Verwendung zusätzlicher Justitiare überflüssig. Diese Unkorrektheit des Gesetzes wird — soweit ersichtlich — nirgendwo in der Literatur thematisiert. Auch sonst gibt es keine verläßlichen dokumentarischen Nachweise darüber, wie die Militäijustiz in der Weimarer Republik funktioniert hat — ein Problem, mit dem schon 1956 der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Deutschen Bundestages zu kämpfen hatte (Protokoll der 108. Sitzung, 9.2.1956, S. 8). Die Information, daß eine spezifische Marineanwaltschaft gar nicht existiert hat, erhielt der Verf. dankenswerterweise von Herrn Rechtsanwalt und Flottenrichter a.D. Otto Kranzbiihler. 122 Der damalige Kriegsgerichtsrat Flaxland hatte sogar dafür plädiert, die „Heeresjustitiare" auch mit der juristischen Beratung der Unteroffiziere und Mannschaften zu betrauen (Die künftigen Heeresjustitiare, MilRBl. 1919/20, S. 351-353 [351]). 123 Der Entwurf des Reichswehrministeriums (s. FN. 119) sah weitergehende Befugnisse der Heeres- / Marineanwaltschaft vor. Dazu Dietz, Heinrich: Gesetz, betr. Aufhebung..., zu §§ 15-17, 2). 124 Zu Lage und Ansehen der Militäijustiz am Ende des Ersten Weltkrieges vgl. Glahn: Kampf um die Militärgerichtsbarkeit, ZWehrR Bd. 1 (1936/37), S. 441 -468 (445 ff.); Schwind, Hans-Dieter: Militärstrafgerichtsbarkeit, S. 30 ff.; ders.:: Über die
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ge in der Bundeswehr; freilich besteht ein wesentlicher Unterschied zum Rechtsberater darin, daß Einrichtung und Zuständigkeit der Heeres- und Marineanwaltschaft in ihren Grundzügen durch förmliches Parlamentsgesetz geregelt sind.
8. Die Militärjuristen im Dritten Reich Doch die Geschichte der Militärstrafjustiz ist noch nicht abgeschlossen. Als die Reichsregierung Adolf Hitlers am 12. Mai 1933 unter Mißachtung des Verfassungsbefehls in Art. 106 das „Gesetz über Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit" 125 verkündet, steht für die rasch ernannten und zum Teil noch recht unerfahrenen 126 Militäijuristen wieder das Kriegsgericht im Mittelpunkt ihres dienstlichen Alltags. Das Wirken der Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus ist bis heute Gegenstand heftigster wissenschaftlicher und politischer Kontroversen geblieben, auf die einzugehen hier nicht der Ort ist. 1 2 7 Die am 4. November 1933 bekanntgemachte Neufassung der Militärstrafgerichtsordnung 128 und ihres Einführungsgesetzes 129 enthält zunächst — bei grundsätzlicher Beibehaltung der 1898 geschaffenen Strukturen — gewichtige Verbesserungen in bezug auf Status und Einfluß der Militärjustizbeamten: Neben den Gerichtsherren und erkennenden Gerichten werden sie erstmals als Träger der Gerichtsbarkeit der Streitkräfte anerkannt (§ 8 MStGO n.F.) und vereinen in ihrer Person wieder Vorsitz und Verhandlungsleitung im Spruchgericht (§§21 ff. MStGO n.F.) — eine Position, die sie seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr inne gehabt hatten. 130 In der UntersuKriegsgerichtsbarkeit vor, in und nach dem Ersten Weltkrieg, NZWehrR 1968, S. 167169; Steinkamm, Eike: Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 20-25. 125 RGBl. 1933 Teil I, S. 264. ι 2 6 Vgl. Lehmann, Rudolf: Aufgaben des Rechtswahrers der Wehrmacht, DR 1939, S. 1265-1269 (1267); zur Personalpolitik innerhalb der Wehrmachtjustiz Block, Just: Ausschaltung und Beschränkung der deutschen ordentlichen Militärgerichtsbarkeit, S. 20 ff. 127 In dieser Diskussion bilden die Arbeiten von Schweling, O. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus und von Messerschmidt, Manfred / Wiillner, Fritz: Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus die Kristallisationspunkte. Gegen letztere wieder Schwinge, Erich: Verfälschung und Wahrheit. Kritisch zu Messerschmidt/Wüllner auch Middendorf, Wolf, GA 1988, S. 577 f.; Naucke, Wolfgang, NJW 1988, S. 2873; Schreiber, Jürgen: Wehrmachtjustiz — Anmerkungen zu den „Enthüllungen" von Messerschmidt-Wüllner, NZWehrR 1988, S. 100106. Vgl. auch Der Spiegel Nr. 43/1987, S. 112-128; Nr. 44/1987, S. 112-128. 128 RGBl. 1933 Teil I, S. 924-968, 1016. 129 RGBl. 1933, Teil I, S. 921-923. 130 Eine Zwischenlösung enthielt allerdings schon das Gesetz über Militärgerichte und militärgerichtliches Verfahren v. 22.2.1926 (RGBl. 1926 Teil I, S. 103 f.): Für die seit 1920 nur noch in der Reichsmarine praktizierte Militärstrafgerichtsbarkeit ordnete Buchst. A Ziff. X an, daß der rangälteste Beisitzer, falls er ein höheres Lebensalter als der Verhandlungsführer hat, anderenfalls der Verhandlungsführer (ein Kriegs- oder Oberkriegsgerichtsrat) den Gerichtsvorsitz führt. Schneider hielt dies für „eine völlig verunglückte Bestimmung" (Gerichtsherr und Spruchgericht, S. 45).
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chungsführung sind ihre Befugnisse erweitert: So können sie beispielsweise in dringenden Fällen Durchsuchungen und Beschlagnahmen auch gegen bürgerliche Personen selbständig anordnen (§161 MStGO n.F.). Das von Binding kritisierte Verhältnis zwischen Gerichtsherr und Militärjurist wird in der Weise modifiziert, daß ein — nach erfolgloser Vorstellung gestellter — Antrag des (Ober-)Kriegsgerichtsrats auf höhere Entscheidung grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfaltet (§17 Abs. 3 Satz 4 MStGO n.F.). Die Ausführungsbestimmungen des Reichswehrministers zu § 18 MStGO n.F. 1 3 1 stellen klar, daß die richterlichen Militärjustizbeamten auch weiterhin als „Berater der Gerichtsherrn in allen Rechtsangelegenheiten, insbesondere auch in Disziplinar-, Beschwerde- und Entlassungssachen" in der Pflicht sind sowie Rechtsgutachten auf allen Rechtsgebieten zu erstellen haben, wobei sie bei letzterer Tätigkeit an Weisungen des Gerichtsherrn nicht gebunden sind. 132 In dieser beratenden Funktion sind die Beamten Angehörige der Abteilung I I I — Rechtsabteilung — der Kommandobehörde ihres Gerichtsherrn; Abteilungsleiter ist der jeweils dienstälteste Kriegs- oder Oberkriegsgerichtsrat als Dienstaufsichtsrichter. 133 Durch Verordnung des Reichspräsidenten erhalten sie mit Wirkung ab dem 1. Januar 1934 die Eigenschaft der Militärbeamten des Friedensstandes mit militärischem Rang. 134 Ungeachtet dieses — auf den einzelnen Beamten bezogenen — Kompetenzzuwachses gehen von der Neufassung der MStGO deutliche Signale für die beginnende Demontage einer wirksamen Rechtskontrolle der Streitkräfte aus. So entscheidet nun nicht mehr das übergeordnete Kriegsgericht über rechtsbezogene Meinungsverschiedenheiten zwischen Gerichtsherr und Jurist, sondern der nächsthöhere Gerichtsherr bzw. in letzter Instanz der Reichswehrminister (§17 Abs. 3 Satz 2, 3 MStGO n.F.). 135 Im mobilen Verfahren (§ 7 EG MStGO n.F.) findet ein Antrag auf höhere Entscheidung überhaupt nicht mehr statt (§17 Abs. 3 Satz 2 MStGO n.F.); hier trägt allein der Gerichtsherr die Verantwortung (§ 17 Abs. 3 Satz 5 MStGO n.F.). Die Zulässigkeit von Rechtsbeschwerde (§292 MStGO n.F.) und Revision (§ 316 MStGO n.F.) ist eingeschränkt. 136
131 RGBl. 1933 Teil I, S. 989-994 (989 f.). ι 3 2 Zum (Ober-)Kriegsgerichtsrat als Urkundsperson vgl. Eichler, Wolfgang: Rechtsstellung des Kriegsgerichtsrats, S. 35 f.; vgl. auch Dietz, Heinrich / Hülle, Werner: Militärstrafgerichtsordnung, § 18 EG MStGO. 133 Vgl. Schweling, O. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 21. 134 Verordnung des Reichspräsidenten über Rang und Dienstverhältnisse und die Uniform der Militäijustizbeamten v. 24.12.1933 (HVB1. S. 195). Zu den Amtsbezeichnungen Schweling, O.P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 21. 135 „Reichskriegsminister" seit dem 21.5.1935 (§3 Abs. 2 des Wehrgesetzes v. 21.5.1935, RGBl. 1935 Teil I, S. 609-614. 136 Vgl. Dietz, Heinrich: Einführung, S. 113 f., 117 ff.
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Auch die Reorganisation der obersten Militärjustizverwaltung läßt erkennen, daß die Nationalsozialisten das Primat militärischer Handlungsfreiheit durchzusetzen gewillt sind: Während die Militärjustizverwaltung anfangs noch zentral bei der Rechtsabteilung des Wehrmachtamtes im Reichswehrministerium 137 angesiedelt ist (§ 36 MStGO n.F.), wird sie seit dem 1. Dezember 1935 schwerpunktmäßig von den neu gebildeten Rechtsabteilungen der Wehrmachtteile wahrgenommen und damit vollends dem Einfluß des Militärs preisgegeben. 138 Als der an Rechtsangelegenheiten kaum interessierte Hitler 1938 selbst die oberste Kommandogewalt über die Wehrmacht übernimmt 139 , wird die Militäijustiz endgültig eine Domäne der Oberbefehlshaber von Heer, Luftwaffe und Marine; die Wehrmachtrechtsabteilung beim Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), der die Befugnisse des Reichskriegsministers ausübt, ist auf die Bearbeitung von Grundsatzfragen des Wehrrechts beschränkt. 140 Das Übergewicht militärischer Interessen gegenüber Justizbelangen wird noch dadurch verstärkt, daß die Rechtsabteilungen der Wehrmachtteile nicht unmittelbar dem Oberbefehlshaber, sondern dem jeweiligen Amtschef unterstellt sind, was die Verwirklichung militärjuristischer Vorstellungen zusätzlich erschwert. 141 Die Rechtsabteilungen üben insbesondere die Dienstaufsicht über die richterlichen Militärjustizbeamten des jeweiligen Wehrmachtteiles aus 142 ; nur die Richter und Beamten des am 1. Oktober 1936 seine Arbeit aufnehmenden Reichskriegsgerichts 143 sind der zentralen Wehrmachtrechtsabteilung im OKW unterstellt. 144 137 „Reichskriegsministerium" seit dem 21.5.1935; zu den wechselnden Bezeichnungen dieser Rechtsabteilung Block, Just: Ausschaltung und Beschränkung der deutschen ordentlichen Militärgerichtsbarkeit, S. 7 f.; zur Organisation des Reichskriegsministeriums Absolon, Rudolf: Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. III, S. 140-147. 138 Vgl. Absolon, Rudolf: Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. III, S. 144 (Fn. 580 enthält paradigmatisch den Aufgabenkatalog der Heeresrechtsabteilung); Schweling, O. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 17. 139 Erlaß v. 4.2.1938 (RGBl. 1938 Teil I, S. 111). HO Vgl. Schweling, O. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 17; zur Organisation des OKW Absolon, Rudolf: Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. IV, S. 161 -170. 141 Vgl. Block, Just: Ausschaltung und Beschränkung der deutschen ordentlichen Militärgerichtsbarkeit, S. 8 f.; Schweling, O. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 15. 142 Zwischen die Gerichte und die Rechtsabteilung des jeweiligen Oberkommandos sind noch die Oberstkriegsgerichtsräte des Dienstaufsichtsbereichs als Mittelinstanz eingeschaltet; vgl. Schweling, Ο. Ρ. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 22. 143 Gesetz über die Wiedereinrichtung eines Obersten Gerichtshofs der Wehrmacht v. 26.6.1936 (RGBl. 1936 Teil I, S. 517); Art. I der Verordnung zur Änderung der Militärstrafgerichtsordnung und des Einführungsgesetzes zu ihr v. 5.9.1936 (RGBl. 1936 Teil I, S. 718-728). Bis dahin hatte ein besonderer Senat des Reichsgerichts die Aufgaben der Revisionsinstanz in Militärsachen übernommen (§§ 20 Abs. 1, 35 MStGO n.F.). 144 Vgl. Schweling, Ο. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 19.
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Am 26. August 1939, wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, tritt die „Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz" (KStVO) vom 17. August 1938 in Kraft. 145 Ihr Ziel ist die weitere Verkürzung und Vereinfachung des militärischen Strafprozesses, zu welchem Zweck sie u. a. die Rechtsmittel zugunsten des alten preußischen Bestätigungsverfahrens abschafft (§ 76 ff. KStVO) und Feldkriegs- bzw. Bordkriegsgerichte in erster und letzter Instanz entscheiden läßt (§ 4 Abs. 1 KStVO) 1 4 6 ; das Reichskriegsgericht ist nur noch für besondere politische Straftaten zuständig (§ 14 KStVO). 1 4 7 Nach der geänderten Rechtslage können die richterlichen Militärjustizbeamten durch die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile auch gegen ihren Willen jederzeit versetzt werden (§ 7 Abs. 1 KStVO). Sie sind nicht mehr befugt, die Überprüfung einer für rechtswidrig erachteten Weisung des Gerichtsherrn in einer'höheren Instanz zu veranlassen, sondern sind auf einen Aktenvermerk beschränkt, wenn ihre Vorstellung erfolglos bleibt; der Gerichtsherr hat in diesem Fall nach Abschluß des Verfahrens dem Chef des OKW die Akten vorzulegen (§ 7 Abs. 3 KStVO). 1 4 8 Wie schon in der MStGO für das mobile Verfahren vorgesehen, sind die Feld- und Bordurteile in der Mehrzahl der Fälle vor ihrer Bestätigung von einem richterlichen Militärjustizbeamten zu begutachten, unterhalb eines bestimmten Strafmaßes allerdings nur dann, wenn dem Gerichtsherrn die Entscheidung bedenklich erscheint (§ 83 KStVO). 1 4 9 In Ausführung entsprechender Befehle Hitlers 150 erläßt Wilhelm Keitel als Chef des OKW am 17. Juni 1944 die „Verordnung über die Wehrmachtrichter im Truppensonderdienst". 151 § 1 Abs. 1 der Verordnung erklärt die Wehrmacht145 RGBl. 1939 Teil I, S. 1457-1476, 1482. 146 Schreiber hält dies für „die nach heutigem Rechtsempfinden bedenklichste Regelung" (Wehrmachtjustiz — Anmerkungen zu den „Enthüllungen" von MesserschmidtWüllner, NZWehrR 1988, S. 100-106 [102]). 147 Vgl. Block, Just: Ausschaltung und Beschränkung der deutschen ordentlichen Militärgerichtsbarkeit, S. 10 f. 148 Zur Unabhängigkeit des Wehrmachtrichters vgl. Messerschmidt, Manfred / Wiillner, Fritz: Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus, S. 278-304; Schweling, Ο. P. / Schwinge, Erich: Die deutsche Militäijustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 325-330. 149 Zum Verfahren der Feldkriegsgerichte vgl. Absolon, Rudolf: Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. V, S. 329 f.; Block, Just: Ausschaltung und Beschränkung der deutschen ordentlichen Militärgerichtsbarkeit, S. 12 f. 150 „Befehl für die Bildung des Truppensonderdienstes in der Wehrmacht" und „Befehl für die Bildung der Laufbahn der Wehrmachtrichter im Truppensonderdienst", beide vom 24.1.1944. 151 RGBl. 1944 Teil I, S. 135 f. Hülle vertrat die Auffassung, die Regelung habe deswegen nur in Form einer Rechtsverordnung (und nicht als Erlaß) ergehen können, weil „eine Vorschrift, die es unternimmt, den Richter durch Beschreibung seiner Rechte und Pflichten in die bewaffnete Macht einzuordnen,... Grundfragen der Staatsführung" berühre und „wegen dieses politischen Gehaltes zu einem Stück Verfassungsrecht" werde (Die Stellung des Wehrmachtrichters im Truppensonderdienst, ZWehrR Bd. 9 [1944], S. 145 ff. [147]). Diese an die „Wesentlichkeitstheorie" des BVerfG anklingende Sicht-
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lichter zu Offizieren des richterlichen Dienstes im Truppensonderdienst und erfüllt damit den im militärrechtlichen Schrifttum schon lange gehegten Wunsch nach Zuerkennung des status militaris an die Wehrmachtjuristen. 152 Diese Rückkehr zur mittelalterlichen Vorstellung vom iudicium inter parium, von führenden Militärrechtlern euphorisch begrüßt 153 , reiht den Wehrmachtrichter in die Befehlskette ein (§ 3 der Verordnung) 154 und führt im Verbund mit der Möglichkeit jederzeitiger Entlassung (§ 5 der Verordnung) 155 zu einer Aushöhlung richterlicher Unabhängigkeitsgarantien. Die sachliche Unabhängigkeit bleibt zwar in Gestalt der Weisungsfreiheit formal bestehen, wird aber durch den Zwang, jeder Entscheidung „eine von nationalsozialistischer Weltanschauung getragene Rechtsauslegung zugrunde zu legen" (§ 4 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung), im Mark getroffen. Ob es den Wehrmachtjuristen, deren Zahl in den letzten Kriegsjahren auf weit über tausend ansteigt 156 , gelungen ist, dem gewachsenen Druck standzuhalten, oder ob die hohe Ziffer der gefällten Todesurteile das Resultat geschmeidiger Anpassung an nationalsozialistische Strafzumessungsvorstellungen war, läßt sich — von Einzelfällen abgesehen — kaum zuverlässig feststellen. Fast zeitgleich mit der Kapitulation der Wehrmacht schafft die amerikanische Militärregierung mit ihrem Gesetz Nr. 153 vom 4. Mai 1945 157 alle deutschen Kriegsgerichte mit Ausnahme der Feldkriegsgerichte ab (Art. I); letztere dürfen über einen bestimmten Personenkreis (Art. II, I I I [a], [b]) weiterhin Gerichtsbarkeit ausüben, allerdings unter starken Einschränkungen und beaufsichtigt von der Militärregierung. 158 Auch in Norwegen arbeitet die deutsche Marinejustiz, überwacht von britischen Militärbehörden, bis etwa Februar 1946 weiter. 159 Mit weise ist angesichts der evidenten Außerkraftsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien im Dritten Reich erstaunlich; warum die der Maßnahme doch zugrundeliegenden „Führerbefehle" nicht veröffentlichungsbedürftig waren, vermag sie nicht zu erklären. 152 Vgl. Bonin, Burkhard von: Justizoffiziere, ZWehrR Bd. 3 (1938), S. 75-78; Dietz, Heinrich: Denkschrift, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 101-108 (107); ders.: Strafrecht der Wehrmacht im neuen Reich, DR 1933, S. 163 -172 (168); Eichler, Wolfgang: Rechtsstellung des Kriegsgerichtsrats, S. 42; v. Raab-Straube: Justizoffiziere, ZWehrR Bd. 3 (1938), S. 78-81; Rissom, Carl: Das Justizoffizierkorps der deutschen Wehrmacht, ZWehrR Bd. 3 (1938), S. 73-75. 153 Vgl. die Stellungnahmen von Bonin, Burkhard von: Vom richterlichen Offizier zum Justizoffizier, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 49-51; Dietz, Heinrich: Denkschrift, Vorbemerkungen, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 97 f.; Hülle, Werner: Die Stellung des Wehrmachtrichters im Truppensonderdienst, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 145-152; Lehmann, Rudolf (Chef der Wehrmachtrechtsabteilung), ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 145. 154 Dazu Hülle, Werner: Die Stellung des Wehrmachtrichters im Truppensonderdienst, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 145-152 (149 f.). 155 Dazu Hülle, Werner: Die Stellung des Wehrmachtrichters im Truppensonderdienst, ZWehrR Bd. 9 (1944), S. 145-152 (151 f.). 156 Angaben bei Messerschmidt, Manfred: Deutsche Militärgerichtsbarkeit im Zweiten Weltkrieg, in: Festschrift für Martin Hirsch, S. 111 -142 (117 f.). 157 Aufgehoben durch Art. 2 des Gesetzes Nr. 16 der Alliierten Hohen Kommission vom 16.12.1949. 158 Vgl. im einzelnen Art. III-VI des Gesetzes Nr. 153.
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I. Die Geschichte der Militäjuristen
diesem Datum erlischt auf dem Teil des Staatsgebietes des Deutschen Reichs, auf dem sich 1949 die Bundesrepublik Deutschland konstituiert, die Militärstrafjustiz endgültig 160 ; die DDR hingegen entschließt sich 1963 zu ihrer Wiederbelebung.
9. Der Aufbau der Militärrechtspflege in der Bundesrepublik Deutschland und die Entstehung der Einrichtung des Rechtsberaters In ihren Grundzügen ist die heutige Rechtspflegeorganisation der Bundeswehr ein Produkt der wehrpolitischen Weichenstellungen in der ersten Dekade nach Gründung der Bundesrepublik. 161 Als im Herbst 1950, veranlaßt durch den Ausbruch des Korea-Krieges, die öffentliche Diskussion um einen Verteidigungsbeitrag Westdeutschlands verstärkt einsetzte, konzentrierten sich die Juristen in der seit Oktober 1950 auf Geheiß Adenauers operierenden Dienststelle Blank 162 zunächst auf eine „europäische Lösung", wie sie die westlichen Besatzungsmächte anstrebten. 163 Im Rahmen der geplanten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sollte die Strafgewalt gegenüber Angehörigen der Europa-Armee von einer noch zu errichtenden gemeinschaftlichen Wehrstrafgerichtsbarkeit wahrgenommen werden, so daß nur wenig Raum für nationale Regelungen blieb. 164 159 Vgl. Härten, Heinz: Im Umbruch der Normen, MGM 2/80, S. 137-156 (139); Messerschmidt, Manfred / Wüllner, Fritz: Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus, S. 260 - 272. Schwinge berichtet, deutsche Feldgerichte hätten „auch in SchleswigHolstein, Niedersachsen und im Bereiche von Rimini bis Ende 1945 in alter Weise Recht gesprochen" (Die deutsche Militärgerichtsbarkeit im zweiten Weltkrieg, DRiZ 1959, S. 350-352 [351]). 160 Die MStGO wurde neben anderen, die Organisation der Wehrmacht betreffenden Vorschriften durch Art. III des Kontrollratsgesetzes Nr. 34 v. 20.8.1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, S. 172 f.) aufgehoben. 161 Vgl. zum folgenden vor allem Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 855 ff. 162 Theodor Blank (CDU) war vom 26.10.1950 bis zum 7.6.1955 der Bevollmächtigte (später: Beauftragte) des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen. Die Vorarbeiten in der Dienststelle Blank für eine künftige Militärrechtsordnung beschreibt Hinz, Joachim: Bundeswehr und Recht, NZWehrR 1976, S. 163-169. Ein Organigramm der Dienststelle Blank ist abgedruckt in BMVg: Die parlamentarischen Väter der Bundeswehr, S. 238. 163 Auf der New Yorker Sitzung des NATO-Rates im September 1950 hatten die Allianzpartner beschlossen, einen deutschen Verteidigungsbeitrag in Erwägung zu ziehen. Mit dem sog. Pleven-Plan einer europäischen Armee, benannt nach dem damaligen Ministerpräsidenten, bekundete auch das bis dahin zurückhaltende Frankreich am 24.10.1950 seine grundsätzliche Zustimmung zu einem deutschen Kontingent. 164 Vgl. Art. 18 des Justizprotokolls zum EVG-Vertrag v. 27.5.1952 (BGBl. 1954 Teil II, S. 390-397); Bulletin des Informations- und Presseamtes der Bundesregierung Nr. 157 v. 20.8.1953: Das innere Gefüge der deutschen EVG-Kontingente, S. 13171321.
9. Der Aufbau der Militärrechtspflege in der Bundesrepublik
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Das änderte sich erst, als die französische Nationalversammlung am 30. August 1954 die Zustimmung zum EVG-Vertrag verweigerte und die Bundesrepublik mit Wirkung zum 6. Mai 1955 Mitglied der Nordatlantischen Allianz und der Westeuropäischen Union wurde. Nach äußerst kontroversen Debatten über die verfassungsrechtlichen Grundlagen der nun aufzustellenden deutschen Truppen — sie erhalten den Namen Bundeswehr— wurde die Frage der Wehrstrafgerichtsbarkeit dahingehend gelöst, daß sie nur im Verteidigungsfall sowie über Angehörige der Streitkräfte, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind, ausgeübt werden kann (Art. 96 a Abs. 1 GG). 1 6 5 Da die Auslands- und Einschiffungsklausel von der Größenordnung her vernachlässigt werden konnte 166 , stand somit fest, daß es in Friedenszeiten keine Wehrstrafgerichtsbarkeit und folglich kein mit ihrer Ausübung beauftragtes, juristisch geschultes Personal in den Streitkräften geben würde. Indessen hatte das BMVg frühzeitig erkannt, daß die Einordnung der Bundeswehr in das rechtsstaatliche System des Bonner Grundgesetzes, ihre Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) 1 6 7 sowie Umfang und Kompliziertheit der modernen Wehrgesetzgebung eine juristische Beratung höherer militärischer Stäbe, die sich in der Anfangsphase größtenteils aus ehemaligen Wehrmachtssoldaten zusammensetzten, unumgänglich machten. Im Sommer 1956 traten daher die ersten Rechtsberater—zivile Beamte mit der Befähigung zum Richteramt — ihren Dienst in der Bundeswehr an, um die neu geschaffenen Kommandobehörden bei der Entscheidung der zahlreich an sie herangetragenen Rechtsfragen zu beraten. 168 Nach der endgültigen Absage der verfassungsgebenden Körperschaften an eine Friedensstrafgerichtsbarkeit der Streitkräfte etablierte sich diese ursprünglich als „Behelfsmaßnahme" 169 konzi-
165 7. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 19.3.1956 (BGBl. 1956 Teill, S. 111-113). Sog. Niedersachsen-Klausel (heute Art. 96 Abs. 2 GG). Erst der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hatte dem Bundestag diese Einschränkungen empfohlen, während der Verteidigungsausschuß eine allgemeine Ermächtigung des Bundes zur Errichtung von Militärstrafgerichten vorgeschlagen hatte; vgl. den Zweiten Schriftl. Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, BT-Drucks. 2/2150, S. 4 f. In der Regierungserklärung Blanks ν. 27.6.1955 (Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 92. Sitzung, S. 5213 ff., 5219) war die Frage der Wehrstrafgerichtsbarkeit noch offen gelassen worden. Vgl. auch Moritz, Günther: Die Rechtspflege der Bundeswehr, BWVerw 1977, S. 49-52, 83-85 (51); Steinkamm, Eike: Wehrstrafgerichtsbarkeit, S. 42-57. 166 Der Bund hat von der Ermächtigung in Art. 96 Abs. 2 GG keinen Gebrauch gemacht. 167 In Art. 1 Abs. 3 GG wurde durch das 7. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 19.3.1956 (BGBl. 1956 Teil I, S. 111 -113) der Begriff der „Verwaltung" durch den die Streitkräfte zweifelsfrei einbeziehenden der „vollziehenden Gewalt" ersetzt. 168 Im November 1956 waren bereits sieben Rechtsberater tätig; im Jahr 1963 war die Zahl der Planstellen auf 63 gestiegen (Angaben bei Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 [239]). Daß diese Institution allerdings, wie Moritz meint, „sich nicht auf Traditionen, Vorbilder und Beispiele gründen, sondern . . . sich völlig neu entwickeln" mußte (aaO, S. 241), ist unzutreffend, wie der Überblick über die historische Entwicklung belegt hat.
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I. Die Geschichte der Militäjuristen
pierte Lösung als einer der Grundpfeiler des Rechtswesens in der Bundeswehr. Ζ. Z. sind 110 Rechtsberater in der Bundeswehr eingesetzt.170 Mit der am 1. April 1957 in Kraft getretenen Wehrdisziplinarordnung vom 15. März 1957 171 machte der Bund von der ihm ein Jahr zuvor verliehenen Ermächtigung (Art. 96 Abs. 3 GG 1 7 2 ) Gebrauch, für Dienststrafverfahren gegen Soldaten Bundesdienstgerichte zu errichten. Die Aufgabe der Vertretung der Einleitungsbehörde im disziplinargerichtlichen Verfahren als Wehrdisziplinaranwalt wurde „für die Dauer ihres Hauptamtes" (vgl. § 74 Abs. 1 WDO) den Rechtsberatern bei der Truppe übertragen. 173 Damit war jene eigentümliche Doppelstellung geschaffen, die das Amt des Rechtsberaters / Wehrdisziplinaranwalts bis heute kennzeichnet.
10. Die Entwicklung in der ehemaligen DDR Über die Militärrechtspflege in der ab 1956 aufgebauten Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR ist auf Grund der strikten Geheimhaltungspraxis des SED-Regimes — von der Publikation einschlägiger Gesetze abgesehen — nur wenig nach außen gedrungen. Fest steht allerdings, daß es eine individuelle, organisatorisch verselbständigte und dauerhafte Rechtsberatung hoher Kommandeure, wie sie in der Bundesrepublik seit 1956 praktiziert wurde, in der NVA nicht gegeben hat. Auch das Amt des Wehrdisziplinaranwalts war dem dortigen Disziplinarrecht unbekannt. Mit der Übernahme der Befehlsgewalt über die Truppen der ehemaligen NVA durch den BMVg am 3. Oktober 1990 begann auch der Aufbau einer bundeswehrinternen Rechtspflegeorganisation auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. 169 So Staatssekretär a.D. Hiehle, Joachim: Die Rechtspflege der Bundeswehr im gesetzlichen Spannungsfeld, BWVerw 1982, S. 121 -123 (121); Moritz spricht von einer „Vorhut der zu errichtenden Rechtspflege" (Die Rechtspflege der Bundeswehr, BWVerw 1977, S. 49-52, 83-85 [52]). Die Pläne für den Einsatz von Rechtsberatern existierten schon, als die Frage der Wehrstrafgerichtsbarkeit noch nicht entschieden war. Das geht aus der Begründung zu § 60 des Entwurfs einer Wehrdisziplinarordnung hervor, den die Bundesregierung bereits am 20.1.1956 dem Bundesrat zuleitete (BR-Drucks. 23/ 1956). no Stand: April 1994 (vgl. BMVg: Weißbuch 1994, Nr. 745). πι BGBl. 1957 Teil I, S. 189-212. 172 Heute Art. 96 Abs. 4 GG. 173 Erlaß BMVg v. 6.5.1957 (VMB1. 1957, S. 316). Die Kombination beider Ämter erklärt sich aus „haushaltsmäßigen Erwägungen" (so Huth, Joachim: Wehrdienstgerichtsbarkeit und Streitkräfte, NZWehrR 1976, S. 193-200 [197]). Daß die Tätigkeit des Wehrdisziplinaranwalts als Nebenamt ausgestaltet wurde, beruhte auf der Absicht, seine Stellung der der ebenfalls nebenamtlich tätigen Beauftragten des Bundesdisziplinaranwalts anzugleichen (vgl. § 38 Abs. 2 BDO). Eine Rolle dürfte auch gespielt haben, daß man damals noch keine konkreten Vorstellungen über den Umfang des Geschäftsanfalls beim Wehrdisziplinaranwalt hatte.
10. Die Entwicklung in der ehemaligen DDR
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So erhielt das übergangsweise eingerichtete, dem Bereich der Zentralen Militärischen Dienststellen der Bundeswehr angehörende Bundeswehrkommando Ost in Strausberg einschließlich seiner nachgeordneten Kommandobehörden zehn eigene Rechtsberater. Am 1. April 1991 wurden die militärischen Verbände der neuen Bundesländer den jeweiligen Teilstreitkräften zugeordnet; das Bundeswehrkommando Ost wurde am 30. Juni 1991 aufgelöst. 174 Im Rahmen der Darstellung der Organisation der Rechtsberatung in der Bundeswehr 175 wird gezeigt werden, welche dieser Verbände heute über Rechtsberater verfügen.
174 BMVg: Weißbuch 1994, Nr. 129. 175 S. Abschnitt III.2.
I I . Die Rechtsgrundlagen der Einrichtung des Rechtsberaters Geht man von einem historisch-konventionellen Rechtssatzbegriff 1 aus, so ist festzustellen, daß es den Rechtsberatern in der Bundeswehr an einer Rechtsgrundlage fehlt. Das unterscheidet sie fundamental von ihren nächsten Vorgängern, den Kriegsgerichtsräten und den Heeresanwälten: Deren Ämter wurden — wie gezeigt2 — durch formelles Gesetz geschaffen, das zugleich EinstellungsVoraussetzungen, Zuständigkeiten und Grundzüge ihrer Organisation festlegte. Das bundesdeutsche Wehrrecht kennt ein solches Gesetz nicht. Die Initiative zur Bildung einer Verwaltungsstruktur, die die juristische Beratung hoher militärischer Dienststellen sicherstellt, wurde hier von der Exekutive ergriffen (l.). 3 In jüngster Zeit kommt eine völkerrechtliche Komponente hinzu (2.).
1. Die „Vorläufige Dienstanweisung für die Rechtsberater bei der Truppe" Am 9. November 1956, also wenige Monate, nachdem die ersten Rechtsberater ihren Dienst in der Bundeswehr angetreten hatten, erließ der BMVg die heute noch gültige „Vorläufige Dienstanweisung für die Rechtsberater bei der Truppe" (im folgenden: VorlDienstAnw). 4 Sie regelt in detaillierter Form Rechtsstellung (I.), Unterstellungsverhältnisse (II.), Zeichnungsbefugnis (III.), Aufgaben (IV.) und Unterrichtungspflichten (V.) der Rechtsberater; auch Vorschriften über die „geschäftsmäßige Bearbeitung der Vorfälle" (VI.) sind enthalten. Der Titel der Verwaltungsvorschrift bringt den provisorischen Charakter, der das Amt des Rechtsberaters anfangs kennzeichnete („Behelfsmaßnahme"), deutlich zum Ausdruck. Obwohl aus dem Provisorium längst eine allseits akzeptierte Dauerlösung geworden ist, ist die VorlDienstAnw weder geändert noch durch eine andere Regelung ersetzt worden. Dafür dürfte die Einschätzung im BMVg ausschlaggebend sein, daß sich die jetzige Rechtslage in der täglichen Praxis bestens bewährt
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Vgl. Ossenbiihl, Fritz, in Erichsen / Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 112 f. 2 Siehe oben Abschnitt 1.6 und 7. 3 Die Frage, ob Einrichtung und Tätigkeit von Rechtsberater-Dienststellen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, wird in Abschnitt IV.3. behandelt. 4 Az. VIII Β 6 — 1950/56 (abgedruckt im Anhang).
2. Art. 82 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen
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habe, ein Handlungsbedarf also nicht bestehe.5 Möglicherweise werden aber auch Auseinandersetzungen um Kompetenzverschiebungen befürchtet, die mit einer Neuregelung wahrscheinlich verbunden wären. Auf den Inhalt der VorlDienstAnw wird im einzelnen noch eingegangen.
2. Art. 82 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) Zu der VorlDienstAnw, die als bloßes Verwaltungsinternum — vorbehaltlich des Eingreifens entgegenstehender übergeordneter Rechtssätze — der jederzeitigen Aufhebbarkeit durch den BMVg unterliegt, ist mit Wirkung vom 14. August 1991 eine Vorschrift getreten, die eine völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Einsatz von Rechtsberatern stipuliert. Es handelt sich um Art. 82 des „Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte" (im folgenden: ZP I). 6 Zusammen mit einem zweiten Protokoll, das den Schutz der Opfer nicht internationaler Konflikte zum Gegenstand hat, stellt das ZP I das Ergebnis der Diplomatischen Konferenz über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts (im folgenden: Diplomatische Konferenz) dar, die von 1974 bis 1977 in Genf getagt hat. 7 Beide Protokolle, von der Bundesregierung am 23. Dezember 1977 in Bern unterzeichnet, dienen der Verbesserung und Ergänzung des humanitären Kriegsvölkerrechts, wie es vor allem in den Abkommen der Zweiten Haager Friedenskonferenz und
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Darauf deuten zwei Stimmen von Beamten des BMVg hin: Kleiner, Niels-Peter: Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen (Teil I), BWVerw 1987, S. 232234 (233); Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (247 f.). Diese „halbamtliche" positive Einschätzung entspricht auch der Auffassung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages:"Die Institution der Rechtsberater hat sich nach meinen Erkenntnissen voll bewährt und ist aus dem Gefüge der Streitkräfte nicht mehr wegzudenken." (Jahresbericht 1972, BT-Drucks. 7/334, S. 18). 6 Abdruck des ZP I in BGBl. 1990 Teil II, S. 1551 -1636. Sofern vereinzelt versucht wird, schon Art. 7 Abs. 2 der Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten v. 14.5.1954 (sog. Haager Kulturschutzabkommen, BGBl. 1967 Teil II, S. 1233 -1269) als eine erste Rechtsgrundlage, „die den Rechtsberater auch als Institution legitimiert", zu qualifizieren (so Kleiner, Niels-Peter: Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen [Teil I], BWVerw 1987, S. 232-234 [233]), ist dem nicht zuzustimmen: Die Vorschrift verpflichtet nur zur Bereitstellung von Dienststellen oder Fachpersonal, die „über die Respektierung des Kulturguts zu wachen und mit den für seine Sicherung verantwortlichen zivilen Behörden zusammenzuarbeiten" haben. Der Bezug zum heutigen Aufgabenbereich des Rechtsberaters ist nur schwer erkennbar. 7 Vgl. dazu den Bericht von Bothe, Michael / Ipsen, Knut / Bartsch, Karl Josef: Die Genfer Konferenz über humanitäres Völkerrecht — Verlauf und Ergebnisse, ZaöRV Bd. 38 (1978), S. 1-84.
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II. Die Rechtsgrundlagen der Einrichtung des Rechtsberaters
in den vier Genfer Rotkreuzabkommen vom 12. August 1949 niedergelegt ist. 8 Art. 82 ZP I hat folgenden Wortlaut 9 : The High Contracting Parties at all times, and the Parties to the conflict in time of armed conflict, shall ensure that legal advisers are available, when necessary, to advise military commanders at the appropriate level on the application of the Conventions and this Protocol and on the appropriate instruction to be given to the armed forces on this subject. Die Ursprünge dieser Vorschrift reichen bis weit in das Vorfeld der Diplomatischen Konferenz zurück. 10 Schon auf der 1971 in Den Haag tagenden Konferenz der Rotkreuzexperten schlug ein Vertreter der kanadischen Delegation die Einrichtung von Beraterstellen bei militärischen Befehlshabern vor; sie sollten mit Offizieren besetzt werden, die die Truppe über die Bestimmungen des humanitären Kriegsvölkerrechts unterrichten, gleichzeitig aber auch drohende Verletzungen dieses Rechts verhindern sollten. In einem allgemeineren Sinne sollte ihre Hauptaufgabe die Verbreitung der Genfer Abkommen sein. 11 Konkretere Gestalt nahm diese „völlig neue Idee" 12 auf der Konferenz der Regierungssachverständigen an, deren zweite Sitzungsperiode vom 3. Mai bis zum 3. Juni 1972 in Genf stattfand. 13 Der vom IKRK hier zur Diskussion gestellte Entwurf eines Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen sah in Art. 75 Abs. 1 vor, daß die zivilen und militärischen Autoritäten der Vertragsstaaten ihren Untergebenen die erforderlichen Befehle und Anweisungen („ordres et instructions") zu erteilen hätten, um die Einhaltung der Genfer Konventionen und des ZP I sicherzustellen; die Ausführung solcher Befehle und Anweisungen sollte überwacht werden. 14 Eine Bestimmung über die Aufstellung von „Fachpersonal" zu Überwachungszwecken enthielt der Entwurf zwar auch; dieses sollte jedoch
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Ein Überblick über den Inhalt der Zusatzprotokolle findet sich in Deutsches Rotes Kreuz: Handbuch des Deutschen Roten Kreuzes zum IV. Genfer Rotkreuz-Abkommen und zu den Zusatzprotokollen (Heft für Juristen), S. 76 -113. Allgemein zum humanitären Kriegsvölkerrecht Seidl-Hohenveldern, Ignaz: Völkerrecht, Rn. 1826-1829. 9 Im weiteren Gang der Untersuchung wird grundsätzlich vom englischen Wortlaut ausgegangen, da die deutsche Übersetzung völkerrechtlich nicht authentisch ist (vgl. Art. 102 ZP I). 10 Zum folgenden vgl. besonders Partsch, Karl Josef, in Bothe / Partsch/Solf: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82; außerdem Draper , G.I.A.D.: Die Rolle der Rechtsberater bei den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXX, Nr. 2 (März 1979), S. 18 - 23 (18 - 22); Fleck, Dieter: Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 (Jan. 1973), S. 54-62 (54 ff.). h CIRC: Conférence d'experts de la Croix-Rouge 1971, Rapport, S. 29. ι 2 So Partsch , Karl Josef, in Bothe / Partsch / Soif: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.1. („entirely new idea"). 13 Während der ersten Sitzungsperiode (24.5.-12.6.1971) war der kanadische Vorschlag erwähnt, aber offensichtlich nicht weiterentwickelt worden (CICR: Conférence d'experts gouvernementaux 1971, Rapport, Nr. 579). 14 Vgl. CIRC: Conférence d'experts gouvernementaux 1972, Rapport, Vol. 2, S. 12.
2. Art. 82 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen
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ausschließlich im Rahmen des sog. Schutzmächte-Systems und damit nur im Konfliktfall tätig werden (Art. 7 des Entwurfs). Im Laufe der Konferenz gewann nun die Erkenntnis an Boden, daß solches „Fachpersonal" auch bei der notwendigen Verbreitung des humanitären Kriegsvölkerrechts und seiner Unterrichtung in der Truppe eine zentrale Rolle spielen könnte. 15 Der entscheidende Vorstoß gelang hier den deutschen Sachverständigen. Sie schlugen vor, Art. 75, der gegenüber dem ähnlich formulierten Art. 1 des IV. Haager Abkommens kaum einen Fortschritt bedeutet hätte, durch folgenden Absatz zu ergänzen: Die Hohen Vertragsparteien werden in ihren Streitkräften qualifizierte Rechtsberater verwenden, deren Aufgabe sein wird, im Frieden ebenso wie in der Zeit eines bewaffneten Konflikts die verantwortlichen militärischen Befehlshaber über die Anwendung des humanitären Völkerrechts zu beraten und sie bei der Überwachung des völkerrechtlichen Unterrichts zu unterstützen.16 Zur Verdeutlichung des Konzepts und zu seiner näheren inhaltlichen Präzisierung war dem Entwurf ein Modell für die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften beigefügt. 17 Das Modell, das sich stark an die bundesdeutsche Praxis anlehnte, erklärte den Rechtsberater zum „persönlichen Berater des Befehlshabers in allen dienstlichen Angelegenheiten, die völkerrechtliche Fragen aufwerfen"; in dienstlicher Hinsicht sollte er unmittelbar dem Befehlshaber, fachlich nur dem vorgesetzten Leitenden Rechtsberater unterstellt sein. Neben den bereits genannten Aufgaben betont das Modell besonders diejenige der Mitprüfung von Befehlen, durch die völkerrechtliche Fragen aufgeworfen werden, der Überwachung der rechtlichen Unterrichtung der Truppe sowie der persönlichen Unterrichtung der Offiziere. Ausdrücklich offen gelassen wurde, ob die Rechtsberater zivilen oder militärischen Status erhalten sollten; die zivile Beamteneigenschaft, so verlautbarten die deutschen Experten, sei nicht ein „unverzichtbarer Bestandteil für das internationale Modell". 1 8 Obwohl der Vorschlag der Bundesrepublik im Redaktionsausschuß nach geringfügigen Änderungen allgemeine Zustimmung („large appui") fand 19 , wurde er in der Folge einem „mehrstufigen Verwässerungsprozeß" 20 unterworfen. Das 15 Vgl. CIRC: Conférence d'experts gouvernementaux 1972, Rapport, Vol. 1, Nr. 4.91. 16 CIRC : Conférence d'experts gouvernementaux 1972, Rapport, Vol. 2, S. 112 f. (CE/COM IV/23) (Übersetzung durch Verf.). Auch Dänemark hatte die Abkommandierung von Spezialisten des humanitären Völkerrechts zu namentlich bestimmten militärischen Hauptquartieren vorgeschlagen (aaO, S. 109 [CE/COM IV/10, Art. iii]). 17 Abdruck in deutscher Übersetzung bei Fleck, Dieter: Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 (Jan. 1973), S. 54-62 (61 f.). 18 So Dieter Fleck, einer der deutschen Teilnehmer der Sachverständigenkonferenz (Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 [Jan. 1973], S. 54-62 [58]). 19 Vgl. CIRC: Conférence d'experts gouvernementaux 1972, Rapport, Vol. 1, Nr. 4.127. 4 Baganz
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II. Die Rechtsgrundlagen der Einrichtung des Rechtsberaters
IKRK, das 1972 eine völkerrechtliche Pflicht zum Einsatz von Rechtsberatern mit der Begründung abgelehnt hatte, dies sei Sache der Regierungen 21, legte im Juni 1973 einen neuen Entwurf vor, der den Aktionsradius des Rechtsberaters im Vergleich zu den deutschen Vorstellungen insgesamt wieder einengte.22 Er lautete wie folgt: The High Contracting Parties shall employ in their armed forces, in time of peace as in time of armed conflict, qualified legal advisers who shall advise military commanders on the application of the Conventions and the present Protocol and who shall ensure that appropriate instruction be given to the armed forces. Nur noch die Anwendung der Genfer Abkommen von 1949 und des ZP I selbst sollte Gegenstand der persönlichen Beratung sein. Weitere erhebliche Einschränkungen erfuhr das Projekt eines legal adviser in den Streitkräften auf der Diplomatischen Konferenz, wo namentlich Brasilien Einwendungen gegen den obligatorischen Charakter der Norm erhob. 23 Unterstützt von Bulgarien, Nigeria und der Ukraine wies der brasilianische Delegierte darauf hin, daß es einigen Staaten schwerfallen werde, jedem militärischen Befehlshaber einen qualifizierten Juristen an die Seite zu stellen; auch dürfe solchen Beratern nur eine unterstützende, keinesfalls aber eine überwachende Funktion zugewiesen werden, um die militärische Hierarchie nicht zu gefährden. 24 An Stelle der eindeutigen Formulierung „ . . . shall employ . . . " griff man infolgedessen zu einer weicheren Fassung, wonach dafür Sorge zu tragen sei, daß Rechtsberater „bei Bedarf verfügbar" sind. Die Befehlsebene, ab der Rechtsberater eingesetzt werden sollen, wurde mit der Formel „appropriate level" nur sehr vage definiert. Auf das Erfordernis einer förmlichen Qualifizierung, womit das Absolvieren einer juristischen Ausbildung gemeint war 25 , wurde verzichtet, ebenso wie auf die Einräumung einer persönlichen Verantwortung des Rechtsberaters für die Überwachung des völkerrechtlichen Unterrichts, wie sie das deutsche Modell und auch der Entwurf des IKRK von 1973 vorgesehen hatten. 26 Immerhin blieb das Essentiale der „völlig neuen Idee", nämlich eine völkerrechtliche Verpflichtung zum Einsatz 20 So Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (194). 21 Vgl. CIRC: Conférence d'experts de la Croix-Rouge 1972, Rapport, S. 47. 22 ICRC: Draft Additional Protocols 1973, Art. 71. 23 Vgl. Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Vol. Ill, CDDH/I/265 (Abänderungsantrag). 24 Vgl. Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Vol. VIII, CDDH/I/SR. 37, Nr. 40, 41, 43-45. 25 Vgl. Partsch, Karl Josef, in Bothe / Partsch / Solf: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.7. („legally qualified"). 26 Nach Art. 71 des IKRK-Entwurfs sollten die Rechtsberater „sicherstellen" („. . . shall ensure . .. "), daß die Truppe eine geeignete völkerrechtliche Unterweisung erhalte.
2. Art. 82 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen
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von Rechtsberatern, in der von der Konferenz am 8. Juni 1977 beschlossenen Endfassung erhalten. 27 Eine Festlegung, ob es sich dabei um Offiziere oder Beamte handeln sollte, erfolgte nicht. 28 Beide Protokolle wurden am 23. Dezember 1977 von der Bundesrepublik Deutschland paraphiert. Ihrer raschen Ratifizierung standen zunächst zahlreiche Abstimmungsprobleme innerhalb der Nordatlantischen Allianz entgegen, die gelöst werden mußten, um zu gemeinsamen Interpretationen zu gelangen; insbesondere die Frage, ob sich der Einsatz von Nuklearwaffen noch mit den Protokollen vereinbaren lasse, war umstritten. Nach jahrelangen Konsultationen im Bündnis und mehreren Vorstößen oppositioneller Bundestagsfraktionen 29 leitete schließlich die Bundesregierung am 2. Februar 1990 dem Bundesrat gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1, Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG den „Entwurf eines Gesetzes zu den Zusatzprotokollen I und I I zu den Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949" zu. 3 0 Der Bundesrat beschloß in seiner 610. Sitzung am 16. März 1990, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben. Im Anschluß an die nachfolgenden parlamentarischen Beratungen im Bundestag31 erfolgte am 20. September 1990 die Schlußabstimmung im Plenum: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde einstimmig angenommen.32 Etwa ein halbes Jahr nach Ausfertigung und Verkündung des Ratifikationsgesetzes vom 11. Dezember 1990 33 gab die Bundesregierung bekannt, daß die Ratifikationsurkunden am 14. Februar 1991 beim Schweizerischen Bundesrat hinterlegt worden seien und die Protokolle I und I I für die Bundesrepublik Deutschland am 14. August 1991 in Kraft treten würden. 34
27 Art. 71 (der heutige Art. 82) wurde im sog. „consensus"-Verfahren angenommen (Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Vol. VI, CDDH/SR. 43). Zum „consensus"-Verfahren vgl. Seidl-Hohenveldern, Ignaz: Völkerrecht, Rn. 492. 28 Der Vertreter der Philippinen wies allerdings darauf hin, daß die vorwiegend militärische Funktion der Aufgaben des Rechtsberaters („enforcement of discipline within a military command") seinen militärischen Status erfordere (Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Vol. VIII, CDDH/I/SR. 38, Nr. 10). 29 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 10/406, und den Antrag der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 10/419. Bei der parlamentarischen Beratung am 26.1.1984 versicherte der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Möllemann, die Bundesregierung werde sich bemühen, „das Ratifikationsverfahren noch im Laufe dieses Jahres einzuleiten" (Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 10. Wahlperiode, 50. Sitzung, S. 3598-3609 [3606]). 30 BR-Drucks. 64/90. 31 BT-Drucks. 11/6770; vgl. ferner Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (BT-Drucks. 11/7882). 32 Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 11. Wahlperiode, 226. Sitzung, S. 17917-17922 (17922). 33 BGBl. 1990 Teil II, S. 1550-1649. 34 BGBl. 1991 Teil II, S. 968-998. 4*
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II. Die Rechtsgrundlagen der Einrichtung des Rechtsberaters
Seitdem 14. August 1991 besteht somit auch für die Bundesrepublik einschließlich der neuen Bundesländer die völkerrechtliche Verpflichtung zum Einsatz von Rechtsberatern in den Streitkräften (Art. 82 ZP I). Die im August 1992 erlassene Zentrale Dienstvorschrift 35 „Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten — Handbuch — " 3 6 trägt diesem Umstand bereits Rechnung, indem sie in Ziff. 146 bis 149 Einrichtung und Aufgaben der Rechtsberater beschreibt. Auf Einzelfragen des Art. 82 ZP I wird noch einzugehen sein. 37
35 Im folgenden: ZDv. 36 ZDv 15/2. 37 S. Abschnitt VII.
I I I . Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben Nachdem die Rechtsgrundlagen der Institution des Rechtsberaters dargestellt worden sind, wird es im folgenden darum gehen, Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse und Aufgaben des Rechtsberaters im einzelnen zu erläutern. Dabei wird sich zeigen, daß die VorlDienstAnw in vielfacher Hinsicht nicht mehr dem aktuellen Stand entspricht und „überholungsbedürftig" ist. Dies gilt in besonderem Maße hinsichtlich der Rechtsberater in den Führungsstäben der Bundeswehr (Führungsstab der Streitkräfte, des Heeres, der Luftwaffe und der Marine), die erstmals im Jahre 1970 im Rahmen einer Umstrukturierung des BMVg eingesetzt worden sind; ihre komplizierte Doppelrolle als — zumindest „formale" — Angehörige des Ministeriums, die aber ihrem Inspekteur ausschließlich in dessen Eigenschaft als truppendienstlicher Vorgesetzter seines Befehlsbereiches zugeordnet worden sind, fügt sich nicht ohne weiteres in die Systematik der VorlDienstAnw ein und hat anfangs schwierige Abgrenzungsfragen zu den anderen, für die Rechtsberatung zuständigen Fachabteilungen des BMVg aufgeworfen. Schließlich soll in einem kurzen Exkurs ein Blick auf die Rechtsberater des Bundesgrenzschutzes geworfen werden.
1. Rechtsstellung Nach Nr. I. Abs. 1 der VorlDienstAnw ist der Rechtsberater „Beamter des höheren Dienstes. Er hat die Befähigung zum Richteramt (§ 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes)". 1 Abweichend von der VorlDienstAnw ist vorgesehen, daß die Rechtsberater — mit Ausnahme der in den Führungsstäben tätigen — im Verteidigungsfall sowie bei einer Anordnung der Bundesregierung gem. § 6 Abs. 6 WPflG ihren zivilen Status verlieren und ihren Dienst als Rechtsberater (Stabsoffizier) mit einem vorläufigen militärischen Dienstgrad analog ihrer Amtsbezeichnung als Beamte leisten. Die für Rechtsberater-Verwendungen im Konfliktfall vorgesehenen Beamten haben entsprechende Einberufungsbescheide (Mob-Beorderungen) erhalten, und die V-STAN weisen ihre Dienstposten als Offizierstellen aus.2 1
§ 2 GVG ist mittlerweile gestrichen worden. Die Voraussetzungen der „Befähigung zum Richteramt" regeln sich heute nach § 5 Abs. 1 DRiG.
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
Weil nach derzeitiger Planung im Verteidigungsfall die Aufgaben der Truppendienstgerichte und der Wehrdisziplinaranwälte auf die dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz angehörenden Wehrstrafgerichte und Wehranwaltschaften übergehen und die Rechtslehrer infolge der beabsichtigten Einstellung der Ausbildungstätigkeit der Akademien und Schulen der Bundeswehr ihre Tätigkeit beenden würden, blieben die Rechtsberater der einzige Teilbereich des Rechtswesens der Bundeswehr, der dem BMVg weiterhin unterstellt wäre. 3
2. Organisation Die Organisation der Rechtsberater in der Bundeswehr lehnt sich eng an die militärische Hierarchie an. Der Rechtsberater ist grundsätzlich einem hohen militärischen Führer (Inspekteur, Kommandierender General, Admiral, Kommandeur, Befehlshaber oder Amtschef 4 ) zugeordnet, für dessen persönliche Beratung in Rechtsfragen er verantwortlich ist (Nr. I. Abs. 2 der VorlDienstAnw). Diese persönliche Zuordnung, die durch eine unmittelbare dienstliche Unterstellung unter den Kommandeur flankiert wird 5 , hat Moritz augenscheinlich zu der Feststellung veranlaßt, der Rechtsberater sei „weder Stabsabteilnng noch in eine solche eingegliedert". 6 Daran ist sicher richtig, daß der Rechtsberater nicht den klassischen Stabsabteilungen, denen jeweils die Aufgaben eines Führungsgrundgebietes übertragen sind 7 , zugeordnet worden ist. Andererseits läßt sich schon 2 Vgl. Krüger-Sprengel, Friedhelm: The German Military Legal System, Military Law Review, Vol. 57 (1972), S. 17-26 (25); Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (153); Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (248). Zur rechtlichen Zulässigkeit dieser Maßnahmen s. Abschnitt VI. 3 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (248). Teilte man allerdings die Auffassung, daß der Rechtsberater den „Streitkräften" angehört (dazu Abschnitt IV.l.b)bb)), so läge die Befehls- und Kommandogewalt über ihn im Verteidigungsfall beim Bundeskanzler (Art. 115 b GG). 4 Zur Vereinfachung wird der militärische Führer, dem ein Rechtsberater zugeordnet ist, im folgenden ausschließlich als „Kommandeur" bezeichnet. 5 Zu den Unterstellungsverhältnissen s. im folgenden 3. 6 Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (245). 7 Führungsgrundgebiete sind: G 1 (S 1): Personalführung, Innere Führung und mitunter auch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit; G 2 (S 2): Feindlage, Militärische Sicherheit; G 3 (S 3): Operationsplanung, taktische Befehlsgebung, Alarmierung, Mobilmachung, Organisation, Infrastruktur, Luftunterstützung, Ausbildung, psychologische Verteidigung; G 4 (S 4): Planung des Einsatzes von Versorgungsgütern und Versorgungstruppen, Befehlsgebung auf dem Gebiet der Versorgung, Forderungen zur Inanspruchnahme ziviler Hilfsquellen; G 5 (S 5): Diese Abteilung gibt es nur in wenigen Nato-Stäben. Sie bearbeitet Aufgaben zivil-militärischer Zusammenarbeit;
2. Organisation
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auf Grund seiner räumlichen Unterbringung in unmittelbarer Nähe zum Kommandeur nicht bestreiten, daß er Stabsangehöriger ist, was auch durch die Tatsache unterstrichen wird, daß er gem. Nr. V. 1. der VorlDienstAnw „über wesentliche Vorgänge... auch den Chef des Stabes zu unterrichten" hat. In Übereinstimmung mit Wagener/Rückwardt dürfte es daher die Besonderheiten der organisatorischen Position des Rechtsberaters am ehesten treffen, seinen Bereich als Spezialstabsabteilung zu klassifizieren. 8 Nicht zuletzt das Β VerwG hat anerkannt, daß der Rechtsberater „seinem (sc. des Kommandeurs, Anm. d. Verf.) Stabe in einer einem Stabsoffizier vergleichbaren Stellung" angehört. 9 Vom Ersteinsatz der Rechtsberater im Jahre 1956 an bis 1962 war den Kommandeuren jeweils nur ein Rechtsberater zugeteilt. Erst im Jahre 1962 wurde damit begonnen, den zunehmend überlasteten Beamten je nach den dienstlichen Erfordernissen bei der jeweiligen Kommandobehörde einen zweiten, dritten oder sogar noch weitere Mitarbeiter beizugeben.10 Die 110 Rechtsberater der Bundeswehr werden ab Divisionsebene aufwärts eingesetzt.11 Ihre Zuordnung zu den verschiedenen Kommandobehörden, Ämtern und Dienststellen der Bundeswehr stellt sich zur Zeit (Stand April 1994) wie folgt dar: Auf der Ebene der im Ministerium angesiedelten Führungsstäbe verfügen der Stellvertreter des Generalinspekteurs sowie die Inspekteure des Heeres, der Luftwaffe und der Marine über eigene Rechtsberater; der Rechtsberater des Inspekteurs der Marine ist zugleich für den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zuständig. Der Generalinspekteur der Bundeswehr wird in Rechtsfragen durch den Rechtsberater des Stellvertreters des Generalinspekteurs betreut. Die Rechtsberater-Dienststellen in den Führungsstäben sind erst mit Inkrafttreten des sog. „Blankenese-Erlasses" des BMVg am 6. April 1970 eingerichtet worden. Die Sonderstellung der Rechtsberater der Inspekteure wird noch im einzelnen darzustellen sein. 12
G 6 (S 6): Diese Abteilung gibt es nur bei der Luftwaffe, wo die Abteilungen mit A bezeichnet werden, und bei der Marine. Sie bearbeitet verantwortlich Aufgaben des Fernmeldeverbindungsdienstes, der Elektronischen Kampfführung, des Flugsicherungsdienstes, des Radarführungsdienstes und der Elektronischen Datenverarbeitung. 8 Vgl. Wagener, Frido / Rückwardt, Bernd: Führungshilfskräfte in Ministerien, S. 62. Die Heeresdienstvorschrift (im folgenden: HDv) 100/200 zählt den Rechtsberater hingegen nicht zu den Spezialstabsabteilungen, sondern weist ihn gesondert aus (Nr. 208). Organisationstheoretisch scheint dies entbehrlich zu sein. 9 BVerwG, Beschl. v. 29. März 1984—1 WB 144/82 — (abgedruckt in Truppenpraxis 9/84, S. 649 ff. [650]). 10 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (242). h Ausnahme: Deutsch-Französische Brigade (dazu sogleich im Haupttext). 12 S. unten 5.
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
Im Heer sind Rechtsberater zuvörderst bei dem 1994 neu aufgestellten Heeresführungskommando in Koblenz tätig. Ferner sind Rechtsberater den Kommandierenden Generalen des I. und II. Korps sowie den jeweils unterstellten Wehrbereichskommandos / Divisionen zugeteilt. Dies gilt auch für den Deutschen Anteil der Deutsch-Französischen Brigade im Müllheim und für den Deutschen Anteil des Europäischen Korps in Straßburg. Über Rechtsberater verfügen schließlich das Heeresamt in Köln und das Kommando Luftbewegliche Kräfte/4. Division in Regensburg. Das am 1. Juli 1991 als Kommandobehörde für die Heeres verbände in den neuen Bundesländern errichtete Korps / Territorialkommando Ost in Potsdam, aus dem künftig das IV. Korps des Heeres wird, kann gleichermaßen auf Rechtsberater zurückgreifen wie die ihm unterstellten Divisionen / Wehrbereichskommandos V I I (Leipzig) und V I I I (Neubrandenburg). Innerhalb der Luftwaffe sind Rechtsberater-Dienststellen zunächst beim Luftwaffenführungskommando in Köln sowie den diesem unterstellten Luftwaffenkommandos Nord und Süd einschließlich der dazugehörigen Luftwaffendivisionen eingerichtet. Ebenso verfügen das Luftwaffenamt und das Luftwaffenführungsdienstkommando über Rechtsberater. Das gleiche gilt für das Luftwaffenunterstützungskommando und für das Lufttransportkommando. Die Marine verfügt als kleinste Teilstreitkraft naturgemäß über die wenigsten Rechtsberater. Sie sind eingesetzt beim Flottenkommando in Flensburg, beim Marineamt und beim Marineunterstützungskommando in Wilhelmshaven. Ferner sind auch einigen Zentralen Militärischen Dienststellen der Bundeswehr Rechtsberater zugeordnet. Dies gilt für das Streitkräfteamt, das Personalstammamt der Bundeswehr, das Amt für den Militärischen Abschirmdienst und das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr. Das dem Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr unterstellte Sanitätsamt der Bundeswehr kann ebenfalls auf Rechtsberater zurückgreifen. Rechtsberater sind schließlich auch im Ausland eingesetzt, nämlich bei der Bundeswehrverwaltungsstelle in USA und Kanada 13 und beim Deutschen Militärischen Vertreter bei SHAPE in Belgien. Für die geschäftsmäßige Abwicklung der anfallenden Vorgänge steht den Rechtsberatern ein eigenes Büro mit beamteten Bürosachbearbeitern und nichtbeamteten Büro- und Schreibkräften zur Verfügung (Nr. VI. der VorlDienstAnw). Die Rechtsberater führen die Dienstbezeichnung „Rechtsberater des / der (Bezeichnung der militärischen Dienststelle)" 14 ; gem. Nr. III. der VorlDienstAnw zeichnen sie „Im Auftrag (I.A.)" des Kommandeurs, dem sie zugeteilt sind. 13 Die Bundeswehrverwaltungsstelle verfügt allerdings über keine Planstelle „Rechtsberater"; die Aufgabe der Rechtsberatung des Deutschen Militärischen Bevollmächtigten USA und Canada wird hier vielmehr vom Leiter der Dienststelle wahrgenommen.
4. Aufgaben
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Der Aufenthaltsort der Rechtsberater im Verteidigungsfall ist für die Teilstreitkräfte unterschiedlich geregelt. Die Rechtsberater des Heeres werden die Truppe begleiten; dies entspricht den sachlichen Notwendigkeiten, da das Heer beweglich operiert und eine Beratung über große Entfernungen im Einsatzfall nicht gewährleistet werden kann. Die HDv 100/200 sieht in Nr. 246 vor, daß die Gefechtsstandzelle für den Rechtsberater (Stabsoffizier) im rückwärtigen Gefechtsstand eingerichtet ist. 15 Eine Aufteilung des Stabes in Haupt- und rückwärtigen Gefechtsstand ist in der Luftwaffe grundsätzlich nicht vorgesehen: Der Luftwaffen-Rechtsberater wird sich im Gefecht in der Führungsgruppe des zugehörigen Hauptquartiers bzw. Gefechtsstandes aufhalten. Sofern bei der Zusammenfassung mehrerer Kommandobehörden in einem Hauptquartier / Gefechtsstand nicht alle Rechtsberater dieser Kommandobehörden im Hauptquartier / Gefechtsstand benötigt werden, verbleiben die restlichen Rechtsberater beim Reststab ihrer Dienststelle. Die Rechtsberater der Marine werden ihren Standort ebenfalls nicht verändern.
3. Unterstellungsverhältnisse In Abschnitt V. dieser Arbeit werden die Unterstellungsverhältnisse der Rechtsberater im einzelnen untersucht. Hier mag deshalb der Hinweis auf die Anordnung der VorlDienstAnw genügen, daß der auf Divisionsebene eingesetzte Rechtsberater „dienstlich unmittelbar dem Kommandeur oder Befehlshaber, dem er zugeteilt ist", untersteht (Nr. Il.l.a) der VorlDienstAnw); „fachdienstlich" ist ihm der Korps-Rechtsberater (Leitender Rechtsberater) oder, falls ein solcher nicht eingesetzt ist, unmittelbar das BMVg übergeordnet. Letztere sind „auch Dienstvorgesetzte im Sinne des Bundesbeamtengesetzes".
4. Aufgaben Der Schwerpunkt des Aufgabenbereichs des Rechtsberaters liegt in der „Beratung des Kommandeurs über Fragen aus allen einschlägigen Rechtsgebieten, soweit sie Angelegenheiten der Bundeswehr betreffen, insbesondere Völkerrecht und Wehrrecht" (Nr. IV. 1 .a) der VorlDienstAnw). Schon aus dieser sehr globalen Fassung des Beratungsauftrags wird die erhebliche Bandbreite von Rechtsfragen deutlich, mit denen der Rechtsberater während seines Dienstes konfrontiert sein kann. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man sich die von ihrer Funktion her gänzlich verschiedenen Verbände, Ämter und Dienststellen der Bundeswehr 14 Erlaß des BMVg v. 14. September 1959 — Fü Β IV 2 — Az. 10-20-00 — (VMB1. 1959, S. 705). 15 Z. Zt. wird aber in Erwägung gezogen, dies zu ändern und den Rechtsberater im Hauptgefechtsstand (in der Führungszelle oder in der Operationszentrale [H] unterzubringen. Ob dies aus rechtlicher Sicht erforderlich ist, wird in Abschnitt IV.2.e)cc)(l), VII.6. erörtert.
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
vor Augen hält, bei denen Rechtsberater eingesetzt sind: So leuchtet unmittelbar ein, daß der Rechtsberater des Militärischen Abschirmdienstes mit anderen Rechtsfragen befaßt ist als ein dem Flottenkommando in Flensburg zugeteilter Kollege. Dennoch haben sich in der Praxis der vergangenen Jahrzehnte Tätigkeitsschwerpunkte herausgebildet. Es hat sich gezeigt, daß die Rechtsberater im Frieden von ihren Kommandeuren überwiegend auf den Gebieten des Wehrbeschwerde- und Wehrdisziplinarrechts zu Rate gezogen werden. Nach den Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung ist der Kommandeur in seiner Eigenschaft als nächster bzw. nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter dazu berufen, auf Beschwerden bzw. weitere Beschwerden untergebener Soldaten hin den Sachverhalt aufzuklären und sodann entsprechende Beschwerdebescheide zu erlassen (§§9 Abs. 1, 10 Abs. 1, 12 Abs. 1, 16 WBO). Die federführende Bearbeitung solcher Beschwerden obliegt in der Truppe grundsätzlich der für Personalangelegenheiten zuständigen G 1-Abteilung des Stabes16; hält diese den Fall für juristisch problematisch, so kann sie — nicht: muß sie — ihren Entscheidungsentwurf dem Rechtsberater zuleiten, der ihn auf seine rechtliche Vertretbarkeit hin überprüfen und sodann ggf. „mitzeichnen" wird. Auch eine federführende Bearbeitung von Beschwerden durch den Rechtsberater ist jedoch nicht ausgeschlossen und bei den Rechtsberatern der Inspekteure sogar der Regelfall. 17 Ferner berät er den Kommandeur bei dessen Stellungnahme gegenüber dem Truppendienstgericht gem. § 17 Abs. 4 Satz 3 WBO. In analoger Anwendung des § 86 Abs. 2 WDO hat das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 1984 entschieden, daß der Kommandeur nicht gehindert ist, seinen Rechtsberater auch mit der Aufklärung des Sachverhalts in Beschwerdeangelegenheiten zu beauftragen. „Kann der Divisionskommandeur oder ein Offizier in vergleichbarer Stellung schon bei der Vorbereitung einer für den betroffenen Soldaten so einschneidenden Entscheidung wie der Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens den Rechtsberater in seiner Eigenschaft als Wehrdisziplinaranwalt einschalten", so argumentiert das Bundesverwaltungsgericht, so sei nicht einzusehen, „warum er aus Rechtsgründen gehindert sein sollte, den seinem Stabe in einer einem Stabsoffizier vergleichbaren Stellung angehörenden Rechtsberater, der als juristisch ausgebildeter Beamter des höheren Dienstes über die entsprechende Sachkunde verfügt, nicht auch bei der Aufklärung des Sachverhalts in einer Wehrbeschwerdeangelegenheit einzuschalten."18 16 S. Fn. 7. π Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (247). Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat bereits 1975 gefordert, den Rechtsberater „ alle Beschwerdeangelegenheiten ab der Ebene der Division entweder in eigener Zuständigkeit bearbeiten, mindestens aber mitprüfen" zu lassen (Jahresbericht 1974, BT-Drucks. 7/3228, S. 22). Leider ist dieser Vorschlag noch nicht allgemein in die Praxis umgesetzt worden. is BVerwG, Beschl. v. 29. März 1984 — 1 WB 144/82 — (abgedruckt in Truppenpraxis 9/84, S. 649 ff. [650]).
4. Aufgaben
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Auf dem Gebiet des Wehrdisziplinarrechts hat der Rechtsberater seinen Kommandeur in dessen Eigenschaft als Disziplinarvorgesetzter und Einleitungsbehörde zu beraten. So ist der Kommandeur als nächster Disziplinarvorgesetzter gem. § 28 WDO verpflichtet, bei Kenntniserlangung von einem disziplinarrechtlich möglicherweise relevanten Sachverhalt Ermittlungen gegen den Soldaten einzuleiten; mit diesen Ermittlungen wird regelmäßig der Rechtsberater federführend beauftragt. Stellt sich heraus, daß das jeweilige Dienstvergehen mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme (§18 WDO) geahndet werden kann, so wird der Rechtsberater die entsprechenden Maßnahmen vorbereiten und dem Kommandeur zur Entscheidung vorlegen. Legt es der Schweregrad des Dienstvergehens jedoch nahe, ein gerichtliches Disziplinarverfahren (§ 54 WDO) gegen den Betroffenen durchzuführen, wird der Kommandeur in seiner Eigenschaft als Einleitungsbehörde (§ 87 WDO) seinen Rechtsberater zwecks Vorbereitung seiner Entschließung um die Vornahme von Vorermittlungen ersuchen (§ 86 Abs. 2 WDO). Im Stadium zwischen Sachverhaltsaufklärung und dem Erlaß der Einleitungsverfügung (§ 86 WDO) obliegt es dem Ermessen des Kommandeurs, den ihm zugeordneten Juristen als „Rechtsberater" oder bereits als „Wehrdisziplinaranwalt" einzusetzen; regelmäßig, zumeist in tatsächlich oder rechtlich schwierig gelagerten Fällen, werden die Vorermittlungen jedoch bereits dem „Wehrdisziplinaranwalt" übertragen. 19 Der Übergang ist in der Praxis oftmals fließend. Schließlich berät der Rechtsberater seinen Kommandeur bei der Entscheidung über Beschwerden gegen einfache Disziplinarmaßnahmen gem. § 38 Abs. 2 WDO. Über das Wehrbeschwerde- und Wehrdisziplinarrecht hinaus werden dem Rechtsberater Kenntnisse auf den verschiedensten Rechtsgebieten abverlangt. Naturgemäß spielen das Soldatengesetz20 nicht weniger als das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen 21 eine große Rolle. Von nicht geringerer Bedeutung sind das Verfassungs- und das Strafrecht: So macht die VorlDienstAnw dem Rechtsberater die Beratung des Kommandeurs „in Strafsachen" (Nr. IV. 1 .c) und die „Mitwirkung in Strafverfahren, insbesondere Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft" (Nr. IV.5.) zur Pflicht, wenn Soldaten des nachgeordneten Bereichs straffällig geworden sind. Auch hat er ganz allgemein Befehle und Anordnungen seines Kommandeurs, durch die Rechtsfragen berührt werden, auf entsprechende Weisung hin mitzuprüfen (Nr. IV.2. der VorlDienstAnw.). Im Verteidigungsfall treten zunehmend Fragen des Zusammenwirkens mit den verbündeten Streitkräften und der Zivilverteidigung sowie — in erheblichem Umfang — Probleme des Völkerrechts hinzu: 19 Vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 88 Rn. 14. 20 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten i.d.F. d.B.v. 19.8.1975 (BGBl. 1975 Teil I, S. 2273-2288), zuletzt geändert durch Elftes Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften v. 20.5.1994 (BGBl. 1994 Teil I, S. 1078-1083). 21 V. 12.8.1965 (BGBl. 1965 Teil I, S. 796-799), zuletzt geändert durch Art. 159 EGStGB v. 2.3.1974 (BGBl. 1974 Teil I, S. 469-650).
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
Nach Nr. IV.l.a) der VorlDienstAnw steht der Rechtsberater bei bewaffneten Konflikten „mit seiner Kenntnis der Fragen des Kriegsvölkerrechts dem Kommandeur mit sachverständigem Rat zur Seite" und hat „etwa beabsichtigte Verstöße eindeutig als solche zu kennzeichnen".22 Da die Rechtsberater in jüngerer Zeit auch Unterstützungsverbände der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen begleiten, gewinnt die völkerrechtliche Beratung zunehmend an Gewicht. In Abweichung vom Wortlaut der VorlDienstAnw ist der Rechtsberater allerdings nicht für die Beratung des Kommandeurs in allen Rechtsfragen zuständig. So ist die „Beratung des Kommandeurs . . . in allen Verwaltungs-, Fürsorge- und Wirtschaftsangelegenheiten sowie den damit zusammenhängenden Rechtsfragen" nach einem entsprechenden Erlaß des BMVg vom 19. Mai 1958 23 nicht Sache des Rechtsberaters, sondern obliegt den bei der jeweiligen Kommandobehörde eingesetzten Verwaltungsdezernenten. Die Zuständigkeit des Rechtsberaters erstreckt sich infolgedessen nur auf die Beratung des Kommandeurs in dessen Eigenschaft als truppendienstlicher Vorgesetzter des ihm unterstellten Kommandobereichs. Damit wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, daß eine gemeinsame rechtliche Betreuung von Bundeswehrverwaltungsangelegenheiten und truppendienstlichen, d.h. spezifisch militärischen Belangen wegen der Eigenarten beider Rechtsgebiete wenig sinnvoll ist. Ob aus dieser Unterscheidung auch verfassungsrechtliche Folgerungen abzuleiten sind, insbesondere ob damit eine Zuordnung des Rechtsberaters zur Bundeswehrverwaltung im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 GG ausscheidet, wird zum Gegenstand dieser Untersuchung gehören. 24 Die zweite wesentliche Einschränkung des dem Rechtsberater erteilten Beratungsauftrags besteht in der Anordnung, daß er „ Z w e i f e l s f r a g e n " auf dem Fachdienstweg zu klären hat (Nr. II.2. Abs. 1 der VorlDienstAnw). Die Bestimmung dient erkennbar der Sicherstellung eines einheitlichen Inhalts der Rechtsberatung in der Bundeswehr; es soll vermieden werden, daß der Rechtsberater in umstrittenen oder ungeklärten Fragen dem Kommandeur gegenüber seine persönliche Ansicht als „die Rechtslage" darstellt. Schließlich ist dem Rechtsberater eine Beratung nur in dienstlichen Rechtsangelegenheiten gestattet. Eine Besorgung privater Rechtsangelegenheiten des Kommandeurs wäre mit dem Rechtsberatungsgesetz25 nicht vereinbar.
22 Vgl. Fleck, Dieter: Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 (Jan. 1973), S. 54-62 (58); Kleiner, Niels-Peter: Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen (Teil I), BWVerw 1987, S. 232-234 (233); Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (248 f.). 23 Fü Β IV 1 — Az 10-20-0 W R III 1 — Az 10-90-75 (VMB1. 1958, S. 306). 24 S. Abschnitt IV. 1. 25 V. 13. Dezember 1935 (RGBl. 1935 Teil I, S. 1478) i.d.F. der 8. Änderung v. 13. Dezember 1989 (BGBl. 1989 Teil I, S. 2135 [2147]).
4. Aufgaben
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Obwohl sie — wie schon gesagt—den Schwerpunkt seiner Tätigkeit ausmacht, ist die unmittelbare juristische Unterstützung des Kommandeurs nicht die einzige Aufgabe des Rechtsberaters. Nach Nr. IV.3. der VorlDienstAnw berät und unterstützt er seinen Kommandeur auch „bei der Überwachung der planmäßigen Unterrichtung der Truppe in allen einschlägigen Rechtsgebieten, insbesondere dem Völkerrecht und Wehrrecht"; im Auftrag des Kommandeurs nimmt er ferner an dem bei der Truppe durchzuführenden Rechtsunterricht teil. Handelt es sich bei diesen Aufgaben des Rechtsberaters lediglich um an die Hauptzuständigkeit des Kommandeurs angekoppelte Hilfsfunktionen des Rechtsberaters, so weist ihm Nr. IV.3 Abs. 3 der VorlDienstAnw auch eine eigene Kompetenz auf dem Gebiet des Rechtsunterrichts zu: Der Rechtsberater hat die Offiziere auf den Gebieten des Völker- und Wehrrechts zu unterrichten, „um sie in die Lage zu versetzen, die vorgeschriebenen Ausbildungsprogramme in ihren Einheiten durchzuführen". Damit übernimmt der Rechtsberater eine über die Anforderungen des Art. 82 ZP I hinausgehende Komplementärfunktion zu den Rechtslehrern, die für die juristische Ausbildung der Soldaten an den Schulen und Akademien der Bundeswehr verantwortlich sind. 26 Wenngleich in der VorlDienstAnw nicht vorgesehen, hat der Rechtsberater in der Praxis — über die bloße Rechtsunterrichtung hinaus — auch die Rechtsberatung der Disziplinarvorgesetzten des nachgeordneten Bereiches sowie der Offiziere seines Stabes übernommen. 27 Diese Entwicklung ist in mehreren Erlassen des BMVg erwähnt und damit mittelbar gutgeheißen worden. So heißt es in einem Erlaß vom 17. Mai 1982 28 : „Innerhalb eines Führungsstabes wird sich die Beratungsfunktion allerdings nicht auf den Inspekteur beschränken lassen. Ebenso wie der Rechtsberater einer Division auch Beratungsaufgaben gegenüber den Brigadekommandeuren, Bataillonskommandeuren usw. wahrnimmt, muß auch hinsichtlich der Rechtsberater — im Rahmen ihrer fachlichen Zuständigkeit — von fließenden Grenzen ausgegangen werden, was den Kreis der Beratenen im Führungsstab betrifft." Auch die Geschäfts Verteilungspläne sehen mittlerweile ausdrücklich die Beratung der Disziplinarvorgesetzten des jeweils nachgeordneten Bereichs vor. Für einen speziellen Fall ist sogar eine Verpflichtung der Offiziere des nachgeordneten Bereiches zur Einschaltung von Rechtsberatern festgeschrieben worden: Nach Ziff. 5 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) „Abgabe an die Staatsanwaltschaft" 29 haben die Disziplinarvorgesetzten der Bundes26 Vgl. Dienstanweisung für Rechtslehrer an Schulen der Bundeswehr v. 15.12.1961 (VR II 8 — Az. 39-25-13). Nach Nr. ΠΙ.2. dieser Dienstanweisung berät der Rechtslehrer den Kommandeur der Schule „in einschlägigen Rechtsangelegenheiten"; damit erfüllt er für die Schulen und Akademien der Bundeswehr diejenige Funktion, die der Rechtsberater in den Kommandobehörden innehat. 27 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (245); Wipfelder, Hans-Jürgen: Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 1408. 28 Org 1 Az 10-02-05/00. 29 ZDv 14/3 Β 115.
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
wehr „eine Stellungnahme des zuständigen Rechtsberaters einzuholen", wenn sie bestimmte, im einzelnen aufgeführte Straftaten nicht an die Staatsanwaltschaft abgeben wollen (vgl. § 29 Abs. 3 WDO). Nach Ziff. 7 dieser Dienstvorschrift erteilt der Rechtsberater „Auskunft über alle Fragen, die mit einer Abgabe zusammenhängen". 3 0 Außer der eigentlichen Rechtsberatung, der Rechtsunterrichtung der Truppenoffiziere und der Unterstützung des Kommandeurs bei der Überwachung der Rechtsausbildung der Truppe sind dem Rechtsberater noch eine Reihe komplementärer Funktionen übertragen worden. So wird er häufig mit der Mitwirkung bei bzw. der Bearbeitung von Überprüfungsersuchen des Wehraufbetragten 31 oder des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages beauftragt. Zu nennen ist weiterhin die Ausübung der Dienst- und Fachaufsicht durch den Leitenden Rechtsberater bzw. der Fachaufsicht der Rechtsberater der Inspekteure 32 über die ihnen jeweils nachgeordneten Beamten (Nr. IV.7., II.2. der VorlDienstAnw). Ferner bereitet der Rechtsberater als „Gnadenstelle" die Entscheidung des BMVg über Gnadengesuche bei einfachen Disziplinarmaßnahmen vor. 33 Die von der VorlDienstAnw erwähnte Tätigkeit als Rechtsgutachter (Nr. II.2 Abs. 2) hat hingegen in der Praxis keine Rolle gespielt. 34 Der Vollständigkeit halber sei noch einmal erwähnt, daß die Arbeitszeit des Rechtsberaters im Frieden zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz durch seine Aufgabe als Wehrdisziplinaranwalt in Anspruch genommen wird. 35 Gelegentlich wird von den Rechtsberatern die — wohl begründete — Sorge geäußert, die hohe Auslastung durch die Tätigkeit als Wehrdisziplinaranwalt gefährde die eigentliche Rechtsberatung des Kommandeurs.
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Vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 7 Rn. 12. Dies entspricht einer bereits im Jahre 1975 vom Wehrbeauftragten gestellten Forderung (Jahresbericht 1974, BT-Drucks. 7/3228, S. 22). 32 Zu diesen sogleich im Haupttext. 33 Das dem Bundespräsidenten nach § 15 WDO zustehende Gnadenrecht in Wehrdisziplinarangelegenheiten hat dieser durch Art. 2 Abs. 1 Ziff. 2 der „Anordnung des Bundespräsidenten über die Ausübung des Begnadigungsrechts des Bundes" v. 5.10.1965 (BGBl. 1965 Teil I, S. 1573 f.), geändert am 3.11.1970 (BGBl. 1970 Teill, S. 1513), grundsätzlich dem jeweils zuständigen Bundesminister, hier also dem BMVg, übertragen. 34 Mit der Bestimmung, daß der Rechtsberater auch als Rechtsgutachter tätig werden soll und dabei sogar weisungsfrei agiert, ist 1956 vermutlich an die Ausführungsbestimmungen des Reichswehrministers zu § 18 MStGO n.F. angeknüpft worden, die selbiges vorsahen (s. Abschnitt 1.8.). 35 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (241 f.); Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 7/334, S. 18. 31
5. Die Sonderstellung der Rechtsberater der Inspekteure
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5. Die Sonderstellung der Rechtsberater des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr, der Inspekteure der Teilstreitkräfte und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Die Kontroverse um die Einsetzung von Rechtsberatern für die Inspekteure in den Führungsstäben der Bundeswehr und deren Zuständigkeitsbereich bietet ein anschauliches Beispiel dafür, daß auch der sog. staatliche Innenbereich durchaus „rechtlich" — eben „innenrechtlich" — durchstrukturiert ist und in dieser Hinsicht oftmals nicht weniger problembehaftet ist als das „Außenrechtsverhältnis". Die im Jahre 1956 konzipierte und erlassene VorlDienstAnw ging grundsätzlich von zwei Kommandostufen aus, auf denen Rechtsberater zur Verfügung gestellt werden sollten: der Division und dem Korps. Die Entscheidung, oberhalb der Korps-Ebene keine Rechtsberater einzusetzen, beruhte auf der Weisung, daß die Rechtsberater — wie schon betont — die Kommandeure nur in deren Eigenschaft als truppendienstliche Vorgesetzte der ihnen unterstellten Kommandobereiche zu beraten haben, damals aber die Kommandierenden Generale der Korps die ranghöchsten Offiziere mit unmittelbarer (truppendienstlicher 36) Befehlsbefugnis waren. Zwar existierten auch in der Aufbauphase der Bundeswehr bereits die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine 37 , für die innerhalb des BMVg militärische Abteilungsleiter (ab dem 1. Juni 1957: Inspekteure) zuständig waren 38 ; da diesen jedoch keine truppendienstlichen Kompetenzen und insoweit keine unmittelbare Befehlsbefugnis gegenüber ihrer Teilstreitkraft eingeräumt waren, bestand keine Notwendigkeit, ihnen Rechtsberater zuzuordnen. Bei auftauchenden Rechtsfragen konnten sie sich vielmehr unmittelbar an die damalige Abt. V I I I (Rechtsabteilung) wenden.39 Konsequenterweise ging die VorlDienstAnw in Ziff. II.l. davon aus, daß die Fachaufsichtsbefugnisse gegenüber den Divisions- und Korps-Rechtsberatern innerhalb des Ministeriums von einer einzigen Abteilung aus, nämlich der Rechtsabteilung, wahrgenommen werden sollten. Dieses konzeptionell klare und eindeutige System wurde durch den sog. „Blankenese-Erlaß" des damaligen BMVg Schmidt vom 21. März 1970 aus seinem Gleichgewicht gebracht. 40 Dieser Erlaß, der zum 6. April 1970 in Kraft trat, verlieh den Inspekteuren gegenüber ihrer jeweils nachgeordneten Teilstreitkraft 36 Die Begriffe sind identisch; vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 23 Rn. 5. 37 Am 1.6.1957 wurde zusätzlich die Inspektion des Sanitäts- und Gesundheitswesens (heute: Sanitätsdienst der Bundeswehr) gebildet; vgl. Mann, Siegfried: Das Bundesministerium der Verteidigung, S. 66. 38 Vgl. eingehend Mann, Siegfried: Das Bundesministerium der Verteidigung, S. 63 ff. 39 Daß die VorlDienstAnw ursprünglich nicht auf die Rechtsberatung der im Ministerium angesiedelten Inspekteure zugeschnitten war, ergibt sich nicht zuletzt aus ihrem vollen Titel: „Vorläufige Dienstanweisung für die Rechtsberater hei der Truppe 40 Eingehend zu diesem Erlaß Mann, Siegfried: Das Bundesministerium der Verteidigung, S. 74 ff.
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
und dem Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr 41 gegenüber den Zentralen Militärischen Dienststellen der Bundeswehr erstmals truppendienstliche Befugnisse. Folgerichtig ordnete Ziff. 7 des Erlasses an: „Die Personalabteilung weist zum 6.4.1970 — zunächst im Abordnungswege — den Inspekteuren der Teilstreitkräfte und dem Stellvertreter des Generalinspekteurs — diesem zugleich für den Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens — je einen Rechtsberater zu." Der „Blankenese-Erlaß" hatte insgesamt erhebliche Auswirkungen auf die Struktur des Ministeriums. Durch die Aufwertung der Führungsstäbe zu Kommandobehörden handelte ein Teil der Referate des Hauses nicht mehr „im Auftrag" des Ministers, sondern ,4m Auftrag" des jeweiligen Inspekteurs. „Das Bundesministerium der Verteidigung" spiegelt seitdem nicht mehr die Summe der Zuständigkeiten des „Bundesministers der Verteidigung", sondern erledigt darüber hinaus auch subministerielle Aufgaben. Mit dem Erlaß war unausweichlich eine Auseinandersetzung darüber vorgezeichnet, wie in Zukunft die Zuständigkeit der „neuen" Rechtsberater von derjenigen der — mittlerweile umbenannten 42 — Abteilung „Verwaltung und Recht" (VR) abzugrenzen sei. Umstritten waren vor allem der Umfang der Beratungszuständigkeit und der fachaufsichtlichen Befugnisse der ministeriellen Rechtsberater. Die VorlDienstAnw — so lautete deren Argumentation — sei von zwei mit Rechtsberatern ausgestatteten Kommandoebenen ausgegangen, nämlich der Division und dem Korps; folglich habe es auch nur eine zweistufige Fachaufsicht, nämlich die des Leitenden (Korps-)Rechtsberaters und des BVMg selbst (Abt. VR) geben können. Nun aber, da mit den Inspekteuren eine zusätzliche Kommandoebene zwischen Kommandierenden Generalen und Minister eingezogen worden sei, sei es nur konsequent, auch den Rechtsberatern der Inspekteure unbeschränkte fachaufsichtliche Befugnisse zu gewähren. Das Problem der Beratungszuständigkeit sei dahingehend zu regeln, daß die Rechtsberater grundsätzlich für die Bearbeitung aller dienstlichen Angelegenheiten des Inspekteurs letztverantwortlich sein müßten. Eine wie immer geartete „Fachaufsicht" der Abt. VR über die Rechtsberater der Inspekteure könne nicht stattfinden. Zum einen seien die Rechtsberater ministerielle Referatsleiter und als solche den Referaten der Abt. VR durchaus ebenbürtig; eine intraministerielle Fachaufsicht sei aber schon begrifflich ausgeschlossen. Zweitens sei es nicht hinnehmbar, daß die Inspekteure ihre Verantwortung gegenüber dem Minister (auch) für die Rechtsaufsicht über ihren Bereich nur durch den „Filter" der Abt. VR wahrnehmen könnten. Hier seien die Rechtsberater berufen, ihren Inspekteuren die erforderliche Hilfestellung zu gewähren.
41 Sein Amt war mit Wirkung zum 10.2.1964 neu geschaffen worden; vgl. Mann, Siegfried: Das Bundesministerium der Verteidigung, S. 69. 42 Am 10.1.1958 waren die bis dahin selbständigen Abteilungen „Verwaltung" und „Recht" zu einer Abt. „Verwaltung und Recht" zusammengefaßt worden; vgl. Mann, Siegfried: Das Bundesministerium der Verteidigung, S. 66.
5. Die Sonderstellung der Rechtsberater der Inspekteure
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Die auf Wahrung ihres Einflusses bedachte Abt. VR konterte mit dem Einwand, der „Blankenese-Erlaß" habe nach seinem ausdrücklichen Wortlaut (Ziff. 5) nichts an den bestehenden Aufgaben und Zuständigkeiten der nichtmilitärischen Abteilungen — wozu auch die Abt. VR gehöre — ändern wollen. Dies zwinge zu dem Schluß, daß die Rechtsberater der Inspekteure nur denjenigen zusätzlichen Beratungsbedarf abzudecken hätten, der durch die Zuweisung truppendienstlicher Befugnisse an die Inspekteure entstanden sei. Sofern deren ministerielle Kompetenzen berührt seien, müsse nach wie vor die Abt. VR für die rechtliche Beratung wie auch für die Ausübung der Fachaufsicht über die Teilstreitkräfte und die Zentralen Militärischen Dienststellen der Bundeswehr zuständig sein. Die Einheiten der Rechtsberater in den Führungsstäben seien folglich allenfalls „formell", nicht jedoch „materiell" ministerielle Referate. Die vehementen und mit zäher Beharrlichkeit geführten Verhandlungen mündeten schließlich in einen Kompromiß. Mit Erlaß vom 3. Juni 1982 43 setzte der Leiter des Organisationsstabes des BMVg eine Regelung in Kraft, die den Rechtsberatern der Inspekteure die Eigenschaft vollwertiger ministerieller Referatsleiter zusprach, gleichzeitig aber die von der Abt. VR vertretene Auffassung im wesentlichen bestätigte, wonach sich die Beratungstätigkeit der Rechtsberater nur auf die Inspekteure als truppendienstliche Vorgesetzte ihres jeweiligen Bereiches und nicht als ministerielle Abteilungsleiter beziehe. Kriterium für die Zuständigkeit der Rechtsberater sei, „daß die im Einzelfall wahrgenommene Aufgabe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung truppendienstlicher Befugnisse durch die Inspekteure steht; insbesondere die Beratung der Inspekteure in Disziplinar· und Beschwerdesachen und deren Bearbeitung". In allen anderen Rechtsfragen, z.B. dem Verfassungs- und dem Völkerrecht, blieb die Abt. VR fachlich zuständig, „allerdings ohne Schaffung einer organisatorischen Hierarchie zwischen den Rechtsberatern und den zuständigen Referaten der VR"; die Referate der Abt. VR hätten gegenüber den Rechtsberatern vielmehr die Stellung von „Grundsatzreferaten", denen die Klärung von Rechtsfragen obliege. Die persönliche Beratung der Inspekteure, „z.B. in unbestrittenen Rechtsauffassungen und entschiedenen Sachverhalten", blieb unberührt. 44 Bis zu einem gewissen Grad ist dem Erlaß vom 3. Juni 1982 Realitätsferne vorzuhalten, da die Inspekteure aus verständlichen Gründen nicht bereit sind, die dort vorgenommenen schwierigen Abgrenzungsformeln nachzuvollziehen und sich infolgedessen auch dann an „ihren" Rechtsberater wenden, wenn eigentlich die Zuständigkeit der Abt. VR begründet wäre. Dennoch hat sich der Erlaß für den Regelfall als taugliches Instrument zur Bewältigung der intraministeriellen Abgrenzung zwischen Rechtsabteilung und Rechtsberatern der Führungsstäbe erwiesen. Ein Rest an Unsicherheit ist durch die Schwierigkeiten bei der Differen43 Org 1 — Az 10-02-05/00. 44 Zur Frage der fachaufsichtlichen Befugnisse der Rechtsberater der Inspekteure s. Abschnitt V.2.c)bb). 5 Baganz
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III. Rechtsstellung, Organisation, Unterstellungsverhältnisse, Aufgaben
zierung von „truppendienstlichen" und „ministeriellen" Aufgaben bedingt und läßt sich auch durch noch so ambitionierte Definitionsversuche nicht beseitigen. Von Nachteil ist freilich, daß der Erlaß bis zum heutigen Tage nicht den nachgeordneten Bereichen bekanntgegeben worden ist.
6. Exkurs: Die Rechtsberater des Bundesgrenzschutzes Auch der Bundesgrenzschutz setzt Rechtsberater ein. 45 Sie werden als Bearbeiter für Disziplinar-, Beschwerde- und sonstige Rechtsangelegenheiten bei den Stäben der Grenzschutzkommandos oder als Rechtslehrer bei der Grenzschutzschule in Lübeck verwendet. Sie stehen daneben ihrem Behördenleiter als Berater in allen Rechtsfragen zur Verfügung. Darüber hinaus werden die Beamten als Untersuchungsführer in förmlichen Disziplinar- (§ 56 BDO) und Zwangspensionierungsverfahren (§ 44 BBG) sowie als Untersuchungsbeamte im Verfahren nach § 126 BDO eingesetzt. Später kommt vornehmlich eine Verwendung als Leiter der Personalabteilung eines Grenzschutzkommandos, als Dozent an der Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup oder als Referent im Bundesministerium des Innern in Betracht. Diese Rechtsberater gehörten früher ausschließlich der Laufbahn des höheren Polizeivollzugsdienstes im Bundesgrenzschutz an. Allerdings ist im Zusammenhang mit der Neustrukturierung des Bundesgrenzschutzes damit begonnen worden, Beamte mit der Befähigung zum Richteramt im Personalwesen nicht mehr im Status eines Polizeivollzugsbeamten, sondern im Status eines Verwaltungsbeamten einzusetzen. Soweit vereinzelt noch Polizeivollzugsbeamte des höheren Dienstes mit Befähigung zum Richteramt Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, ist ihnen die Möglichkeit zum Statuswechsel eröffnet.
45 Die nachfolgenden Informationen sind dem Merkblatt „Der Polizeivollzugsbeamte des höheren Dienstes im Bundesgrenzschutz mit Befähigung zum Richteramt" (herausgegeben vom Bundesminister des Innern — Referat Ρ III 3 —) und einem Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 27.6.1994 (Geschäftszeichen Ρ II 3 — 660 000 II) entnommen.
I V . Rechtsberater und Grundgesetz Die Institution des Rechtsberaters wirft in verfassungsrechtlicher Hinsicht eine Reihe von Problemen auf, die im folgenden beleuchtet werden sollen. So bedarf der Untersuchung, ob und ggfs. in welchem Umfang die Rechtsberatung militärischer Führer durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verfassungsrechtlich gefordert ist; in diesem Zusammenhang wird den besonderen, von der übrigen Exekutive abgehobenen Einsatzbedingungen der Bundeswehr Aufmerksamkeit zu schenken sein (2.). Im Anschluß an diese materiell-rechtlichen Überlegungen ergeben sich Fragestellungen auf dem schwierigen Terrain der Organisationsgewalt: Unter staatsfunktionalen Gesichtspunkten ist herauszuarbeiten, ob die lediglich administrativen Grundlagen, auf denen die Rechtsberatung der Truppenführer z. Zt. beruht (VorlDienstAnw), ausreichen, oder ob eine gesetzliche Regelung erforderlich ist (3.). Schließlich stellt sich die Frage nach dem Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung (7J; sie soll wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung mit Vorrang behandelt werden.
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung Die erste, besonders aber die zweite Wehrnovelle von 1956 haben eine Vielzahl von Änderungen des Grundgesetzes mit sich gebracht, die in ihrer Gesamtheit als „Wehrverfassung" bezeichnet werden. 1 Innerhalb der neu eingefügten Vorschriften nehmen die Art. 87 a Abs. 1 und 87 b Abs. 1 GG eine Schlüsselstellung ein; sie bilden gleichsam das Rückgrat der Wehrverfassung, indem sie dem Bund die Exekutivkompetenz zur Aufstellung von Streitkräften (Art. 87 a Abs. 1 GG 2 ) und zum Aufbau einer Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b Abs. 1 GG 3 ) verleihen. Der Begriff Bundeswehr taucht im Grundgesetz zwar nirgendwo auf 4 ; bei unbe1 Überblick bei Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 12-16; Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 855-860. 2 Diirig sieht in Art. 87 a GG die „Grundnorm für das Verhältnis des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates zu seiner Armee" (in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 5). 3 Zur „sonstigen Verteidigungsverwaltung" nach Art. 87 b Abs. 2 GG vgl. Dittmann, Armin: Bundesverwaltung, S. 219-225; Dürig, Günter, in Maunz/Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b, Rn. 31-43; Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, 3); Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 869. 4 Der Ausdruck Bundeswehrverwaltung in Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 GG ist im Sinne von Bundes-Wehrverwaltung zu lesen und kann daher nicht als verfassungskräftig vorgeschriebene Benennung verstanden werden. Erst im Zuge der Beratung des Soldatengeset-
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
fangener Lektüre läßt sich den zitierten Verfassungsnormen allerdings zunächst entnehmen, daß sich die Bundeswehr, wie sie als staatliche Einrichtung etwa in § 2 SG und § 7 Abs. 1 WPflG Erwähnung gefunden hat, aus den Streitkräften und der Bundeswehrverwaltung zusammensetzt. Das sah auch § 2 Abs. 2 des Entwurfes eines Gesetzes über die Organisation der militärischen Landesverteidigung 5 vor, den der Bundeskanzler am 18. Juni 1965 dem Bundestag zuleitete („Die Bundeswehr besteht aus a) den Streitkräften einschließlich des Sanitätsund Gesundheitsdienstes, b) der Bundeswehrverwaltung"). Im staats- und wehrrechtlichen Schrifttum wurde diese Zwei-Säulen-Theorie der Bundeswehr bis in die siebziger Jahre ebenfalls mehrheitlich vertreten. 6 Nimmt man die Zwei-Säulen-Theorie zum Ausgangspunkt, so scheint sich die Standortthematik in der Frage zu erschöpfen, welchem der beiden Komplexe: „Streitkräfte" oder „Bundeswehrverwaltung" der Rechtsberater zugeordnet werden kann. Andere verfassungsrechtliche Lösungen sind vor diesem Hintergrund nicht erkennbar; denn daß die Rechtsberater zur Bundeswehr gehören, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Indessen ist das Problem um einiges facettenreicher, wie der Versuch einer ersten Kategorisierung rasch ergibt. Interpretiert man „Streitkräfte" im Sinne von Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG mit der ganz herrschenden Meinung 7 als „das in der Bundeswehr organisierte militärische Instrument der Bundesrepublik", so scheint die Subsumtion an dem — zumindest in Friedenszeiten — zivilen Status des zes entschied sich der Bundestagsausschuß für Verteidigung am 22.2.1956 für den Namen Bundeswehr (vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1956, S. 325). Vgl. auch Witte, Franz-Werner: Der materielle und formelle Begriff der Wehrverwaltung, DVB1. 1964, S. 60-65 (64). 5 BT-Drucks. 4/3603. 6 Vgl. Hahnenfeld, Günter: Wehrverfassungsrecht, S. 95; Loosch, Gerhard: Die Bundeswehrverwaltung und der Fall des äußeren Notstandes, DÖV 1963, S. 252-256 (252) ( „ . . . die im GG klar ausgesprochene Zweiteilung der Bundeswehr in die Streitkräfte [Art. 87 a] und die BwV [Art. 87 b] . .."); v. Mangoldt, Hermann /Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 b, III 2 b); Quaritsch, Helmut: Führung und Organisation der Streitkräfte, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 207- 259 (257, Ls. 2); Unruh, Georg-Christoph von: Führung und Organisation der Streitkräfte, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 157-206 (166); unklar Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, der einerseits die Zweiteilungstheorie vertritt (S. 867), andererseits Militärseelsorge, Rechtspflege und Bildungseinrichtungen der Bundeswehr gesondert aufführt (S. 862); neuerdings wieder eindeutig Kirchhof, Ferdinand, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 977-1006, Rn. 2; Lerche, Peter: Verfassungsfragen der Bundeswehrverwaltung, in: Das akzeptierte Grundgesetz, S. 401-410 (403); Reinfried, Hubert/Steinebach, Nikolaus: Bundeswehrverwaltung, S. 33 f; Speth, Wolfgang: Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, S. 14 f. 7 Vgl. Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 9; Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 13; v. Mangoldt, Hermann/ Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 a, III 3 a); Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. Π, S. 862; a. A. Hernekamp, Karl-Andreas, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 87 a Rn. 6; Lepper, Manfred: Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltenteilenden Rechtsstaat, S. 16-19.
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung
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Rechtsberaters als Beamter zu scheitern. Einer Placierung in Art. 87 b Abs. 1 GG als Teil der Bundeswehrverwaltung steht auf den ersten Blick entgegen, daß Nr. I Abs. 3 der VorlDienstAnw ausdrücklich anordnet: „Aufgaben der Bundeswehrverwaltung (§ 9 Entwurf des Organisationsgesetzes8) hat der Rechtsberater nicht wahrzunehmen." Die Frage drängt sich auf, welchen Platz das BMVg selbst den Rechtsberatern zuweist. Folgt man den hierzu ergangenen amtlichen Verlautbarungen, so gliedert sich die Bundeswehr keineswegs nur in Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, wie es die Art. 87 a Abs. 1 und 87 b Abs. 1 GG vorzugeben scheinen; mit dem Rechtswesen und der Militärseelsorge treten vielmehr zwei weitere eigenständige Organisationsbereiche der Bundeswehr hinzu — so ein stereotyp wiederkehrender Begriff, wie er etwa im Weißbuch 1994 und in den Jahresberichten der Bundesregierung verwendet wird. 9 Zum Organisationsbereich Rechtswesen in der Bundeswehr rechnet das BMVg die Truppendienstgerichte 10, den Bundeswehrdisziplinaranwalt, die Wehrdisziplinaranwälte, die Rechtslehrer und schließlich auch die Rechtsberater. 11 Diese Vier-Säulen-Theorie der Bundeswehr wird im neueren Schrifttum mehrheitlich, allerdings in der Regel kritiklos akzeptiert. 12 Auch das VG Koblenz hat sich ihr angeschlossen.13 8 Gemeint ist der Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der militärischen Landesverteidigung, den der Bundeskanzler am 26.4.1956 dem Bundestag zuleitete (BT-Drucks. 2/2341). § 9 Abs. 1 des Entwurfes ordnete die Errichtung einer Wehrverwaltung an, die dem BMVg unterstehen sollte. Die Abs. 2 und 3 regelten Gliederung und Aufgabenbereich der Wehrverwaltung. Der Entwurf ist nicht Gesetz geworden. Im Jahre 1965 legte die Bundesregierung einen zweiten, ebenfalls nicht Gesetz gewordenen Entwurf vor (s. Fn. 5). 9 Vgl. BMVg: Weißbuch 1994, Nr. 745; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung 1992, S. 439. Vgl. auch das Weißbuch 1979: Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 170. 10 Sofern das Weißbuch 1994 in Nr. 745 von „Wehrdienstgerichten" spricht, ist dies zumindest unpräzise. Nach § 62 WDO bildet „Wehrdienstgerichte" den Oberbegriff für die Truppendienstgerichte und das Bundesverwaltungsgericht; letzteres gehört aber nicht zum Geschäftsbereich des BMVg, sondern zum Justizressort (vgl. Jahresbericht der Bundesregierung 1992, S. 164). Richtig insoweit BMVg: Weißbuch 1994, Nr. 743. 11 Erstaunlicherweise zählte das Weißbuch 1985 die gesamte Rechtspflege der Bundeswehr an anderer Stelle wieder zur „Verwaltung" (Nr. 580). 12 Vgl. Dürig, Günter, in Maunz /Dürig: Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 9; Hiehle, Joachim: Die Rechtspflege der Bundeswehr im gesetzlichen Spannungsfeld, BWVerw 1982, S. 121 -123 (121); ders.: Streitkräfte, Wehrverwaltung, Militärseelsorge und Rechtspflege in Deutschland, BWVerw 1979,S. 281-285 (281 )\Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 13 a.E.; Kleiner, Niels-Peter: Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen (Teil I), BWVerw 1987, S. 232-234 (232); Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (244); ders.: Die Rechtspflege der Bundeswehr, BWVerw 1977, S. 49-52, 83-85 (52); Schwenck, HansGünter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 173; Tammler, Ulrich: Das katholische Militärbischofsamt als selbständige Bundesoberbehörde, NZWehrR 1988, S. 106-122 (108 f.); Wipfelder, Hans-Jürgen: Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 1407.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Eine dritte Variante bietet schließlich der Bundeshaushaltsplan.14 Auch er weist im Einzelplan 14 (Verteidigung) ein eigenes Kapitel Rechtspflege (Kap. 14 07) aus; die Planstellen und Personalausgaben für Rechtsberater und deren Hilfskräfte sind allerdings nicht dort, sondern im Kap. 14 04 veranschlagt, das die Haushaltsansätze für die Bundeswehrverwaltung sowie — getrennt davon — die Personalausgaben für das Zivilpersonal bei den Kommandobehörden, Truppen, usw. enthält. Zu diesem Zivilpersonal sollen nach der Vorbemerkung des Kap. 14 04 auch die Rechtsberater / Wehrdisziplinaranwälte gehören. 15 Damit weist der Bundeshaushaltsplan den Rechtsberatern eine merkwürdige Zwitterstellung zwischen Bundeswehrverwaltung, Streitkräften und Rechtswesen zu. Dieser kurze Überblick mag die erheblichen Unsicherheiten veranschaulicht haben, die bei der verfassungsrechtlichen Einordnung der Rechtsberater und ihrer Tätigkeit zu Tage treten. Ein Klärungsversuch wird sich zunächst der Frage zuwenden müssen, ob die vom BMVg vorgenommene Einrichtung außerhalb der Art. 87 a Abs. 1 und 87 b Abs. 1 GG stehender Teile der Bundeswehr, hier also eines Organisationsbereiches Rechtswesen in der Bundeswehr, verfassungsrechtlich gedeckt ist (a). Innerhalb des so abgesteckten Rahmens wird sodann in einem zweiten Schritt die Position der Rechtsberater in der Verfassung zu ermitteln sein (b). Dabei wird zunächst der in Friedenszeiten übliche BeamtenStatus der Rechtsberater zugrundegelegt; die Frage, ob sich durch die Einberufung der Rechtsberater als Stabsoffiziere an ihrer verfassungsrechtlichen Zuordnung etwas ändert und ob diese überhaupt verfassungsgemäß ist, wird in einem gesonderten Abschnitt erörtert. 16 a) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Organisationsbereiches Rechtswesen in der Bundeswehr Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Bundeswehrorganisation, die partiell jenseits der Art. 87 a und 87 b GG angesiedelt ist, spricht zunächst der schon erwähnte Umstand, daß die Bundeswehr als solche gar nicht Gegenstand grundgesetzlicher Regelungen ist; ihr Name taucht nirgendwo auf. Geht man also vom Wortlaut der Art. 87 a Abs. 1 und 87 b Abs. 1 GG aus, so zwingt nichts zu der Annahme, daß die Bundeswehr nur aus „Streitkräften" und „Bundes« DÖD 1985, S. 113 m. krit. Anm. von Stauf (S. 114 f.). Soweit ersichtlich, handelt es sich hier um den einzigen Rechtsprechungsbeleg zum Thema. Das Urteil wurde später vom BVerwG aufgehoben, ohne daß sich das Gericht mit der Frage der BundeswehrOrganisation auseinandersetzte (NVwZ 1986, S. 128). 14 Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1994. !5 Kritik an dieser Zuordnung bei Moritz, nach dessen Ansicht „die haushaltsmäßige Herauslösung der Rechtsberater aus dem Haushaltskapitel »Rechtspflege 4... der Gesamtvertretung der Interessen der Rechtspflege nicht förderlich" war (Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 [244]). 16 S. Abschnitt VI.2.
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung
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wehrverwaltung" bestehen dürfe, jede dienstliche Verrichtung in ihr sich also restlos entweder der einen oder der anderen Funktion zuordnen lassen müsse. Vielmehr liegt es — aus diesem Blickwinkel gesehen — nahe, daß dem BMVg in bezug auf die Bundeswehr als der „Gesamtheit der Einrichtungen der militärischen Landesverteidigung" 17 die volle ministerielle Organisationsgewalt zusteht, innerhalb derer auch die Einrichtung komplementärer Organisationsbereiche zulässig ist. In diese Richtung weist etwa ein Urteil des BVerfG aus dem Jahre 1958, demzufolge „uneingeschränkt und allein der Bund" (d. i. im Regierungsbereich der BMVg) für die „Gesamtaufgabe »Verteidigungswesen4" zuständig sein soll. 18 Dabei kann an dieser Stelle des Diskurses die Vorschrift des § 66 SG ausgeblendet werden: Wie auch immer man ihre Zulässigkeit beurteilen mag 19 , so kann sie jedenfalls nicht den BMVg, solange „eine besondere gesetzliche Regelung" nicht ergangen ist (immerhin seit 38 Jahren), an der Organisation seines Ressorts hindern. Bei dieser Argumentation würde allerdings übersehen, daß die der Bundesregierung in Art. 86 Satz 2 GG verliehene und intrakollegial (zumindest auch) von dem jeweiligen Fachminister wahrgenommene 20 Organisationsgewalt 21 nur auf dem Sektor der bundeseigenen Verwaltung (Art. 86 Satz 1 GG) zum Tragen kommt und deshalb auf ihrer Grundlage keine Verwaltungsstrukturen geschaffen werden können, die außerhalb der dem Bund in der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Exekutivkompetenzen liegen. In diesem Kontext hat Stauf völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes einen eigenständigen Organisationsbereich Rechtswesen in der Bundeswehr nicht enthalten. 22 Fehlt es im Grundgesetz an Regelungen, die einen Vollzug von Bundes17 Vgl. BT-Drucks. 4/3603, S. 4. is BVerfGE 8, S. 104 (116); vgl. Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 aRn. 11/12. 19 Vgl. Ossenbiihl, Fritz: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 271 ff.; Ossenbühl hält § 66 SG als „negatives Sperrgesetz zu Lasten der Organisationsgewalt der Exekutive" für unzulässig. Ablehnend auch Böckenförde, Ernst-Wolf gang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 316 ff. Anders wohl Woljf, Hans J./ Bachof, Otto: Verwaltungsrecht Π, S. 136. 20 Die Frage, ob Art. 86 Satz 2 GG ausschließlich die Bundesregierung als Kollegium ermächtigt oder doch zumindest auch den jeweiligen Ressortchef (Art. 65 Satz 2 GG), ist lebhaft umstritten. Für letzteres hat sich das BVerwG entschieden (E 36, S. 327 [333 f.]); ebenso Lerche, Peter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 86 Rn. 94 m. zahlreichen Nachw. aus dem Schrifttum; Oldiges, Martin: Die Bundesregierung als Kollegium, S. 232-235. 21 Nach h. M. enthält Art. 86 GG eine „grundsätzliche Aussage über die Festlegung des Inhabers der Organisationsgewalt des Bundes" (so Lerche, Peter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 86 Rn. 2; ähnlich Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 133; Dittmann, Armin: Bundesverwaltung, S. 98; Oldiges, Martin: Die Bundesregierung als Kollegium, S. 221; a.A. Broß, Siegfried, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 86 Rn. 5). 22 Vgl. Stauf, Wolfgang: Zum Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1982, S. 216-219 (217).
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
gesetzen durch eine bundeseigene Verwaltung anordnen, so greift — vorbehaltlich einer Kompetenz kraft Natur der Sache oder Sachzusammenhangs — die Verwaltungszuständigkeit der Länder ein, die entweder im Auftrage des Bundes (Art. 85 GG) oder — im Zweifel — „als eigene Angelegenheit" (Art. 83, 84 GG) wahrgenommen wird. Eine Befugnis zur Behördeneinrichtung kann der Bund in diesem Fall nur dann in Anspruch nehmen, wenn Bundesgesetze dies mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen (Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 1 GG). Wendet man diese Grundsätze auf das Sujet der militärischen Landesverteidigung an, so bedeutet das bei ausschließlicher Betrachtung des VIII. Abschnitts der Verfassung zunächst, daß der BMVg als innerhalb der Bundesregierung zuständiger Ressortminister nur zur Organisation der Streitkräfte (mit den sich aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden, hier nicht interessierenden Einschränkungen) und der Bundeswehrverwaltung befugt sein kann; nur insoweit nämlich ordnet die Verfassung im VIII. Abschnitt Exekutivkompetenzen des Bundes auf diesem Gebiet an. Legt der BMVg außerhalb der Komplexe „Streitkräfte" und „Bundeswehrverwaltung" zusätzliche Organisationsbereiche fest, so bedarf er hierfür gesonderter (verfassungs-)gesetzlicher Legitimation, wenn nicht lediglich ein Fall von falsa demonstratio vorliegt, die Materie sich also trotz falscher Kennzeichnung den Art. 87 a Abs. 1 oder 87 b Abs. 1 GG zuordnen läßt. Für einen Teilausschnitt des Organisationsbereiches Rechtswesen in der Bundeswehr — von Moritz als „Kernbereich" charakterisiert 23 — hält das Grundgesetz in der Tat eine solche Legitimation bereit. 24 Art. 96 Abs. 4 GG erlaubt dem Bund, „für Personen, die zu ihm in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, Bundesgerichte zur Entscheidung in Disziplinarverfahren und Beschwerdeverfahren (zu) errichten." In § 63 Abs. 1 WDO hat der Bundesgesetzgeber von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Die Vorschrift, die in verfassungsrechtlicher Hinsicht unbedenklich ist 2 5 , verpflichtet den BMVg, durch Rechtsverordnung Truppendienstgerichte zu errichten und deren Sitz und Dienstbereich „nach
23 Moritz, Günther: Die Rechtspflege der Bundeswehr, BWVerw 1977, S. 49-52, 8385 (51); ebenso Hiehle, Joachim: Streitkräfte, Wehrverwaltung, Militärseelsorge und Rechtspflege in Deutschland, BWVerw 1979, S. 281-285 (285). 24 Ob auch die Militärseelsorge (vgl. zu ihr Seiler, Rudolf: Seelsorge in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, in: Friesenhahn / Scheuner: Handbuch des Staatskirchenrechts, 2. Bd., S. 685-697) zu Recht einen eigenständigen Organisationsbereich innerhalb der Bundeswehr bildet, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung; insofern ist auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 der Weimarer Verfassung sowie auf § 36 SG hinzuweisen. Ablehnend Dittmann, der sie „in einem weiteren Sinne" zur Bundeswehrverwaltung rechnet (Bundesverwaltung, S. 215); bejahend Tammler, Ulrich: Das katholische Militärbischofsamt als selbständige Bundesoberbehörde, NZWehrR 1988, S. 106-122. 25 Das BVerfG hat mehrfach festgestellt, daß es der Legislative nicht verwehrt ist, ihre Befugnis zur Errichtung von Gerichten innerhalb der vom Grundgesetz für die Übertragung rechtsetzender Gewalt bestimmten Grenzen der Exekutive zu übertragen (BVerfGE 2, 307 [326]; 24, 155 [166]; weitere Nachweise bei Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 63 Rn. 2).
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung
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den sachlichen Bedürfnissen der Rechtspflege in der Bundeswehr 26 und in Anlehnung an ihre Gliederung" zu bestimmen. Entsprechende Verordnungen sind seit Inkrafttreten der WDO mehrfach ergangen. 27 Die durch sie geschaffenen Truppendienstgerichte — z.Zt. sind es zwei (Nord und Süd) — gehören gem. § 63 Abs. 4 WDO zum Geschäftsbereich des BMVg. Da sie staatsfunktional zur Dritten Gewalt zählen, also weder Teil der „Streitkräfte" sind noch Verwaltungsaufgaben ausführen, ist in § 63 WDO die sachliche Rechtfertigung für die Einrichtung eines komplementären Organisationsbereiches Rechtswesen in der Bundeswehr zu erblicken. Die Handhabung der Organisationsgewalt durch den BMVg ist insoweit verfassungsrechtlich gedeckt. Nicht gesagt ist damit freilich, daß die Zuordnung der Rechtsberater zu diesem in Art. 96 Abs. 4 GG wurzelnden Bereich ebenfalls korrekt ist; das wird im folgenden zu untersuchen sein.
b) Die Zuordnung der Rechtsberater zu den Organisationsbereichen der Bundeswehr Die Zuordnung einer Funktionsstelle der Bundeswehr zu einem der drei Organisationsbereiche: Streitkräfte, Verwaltung, Rechtswesen28 steht nicht zur Disposition des BMVg. Diese Aussage ist unmittelbare Folge des Umstandes, daß die Grenzen dieser Organisationsbereiche deckungsgleich mit den entsprechenden Trennlinien zwischen Art. 87 a Abs. 1, 87 b Abs. 1 und 96 Abs. 4 GG verlaufen, eine freie Austauschbarkeit innerhalb dieser Normkomplexe aber von Verfassungs wegen ausgeschlossen ist. Die hier bestehenden Barrieren sind staatsfunktionaler Natur. So gehört es beispielsweise zum gesicherten wehrverfassungsrechtlichen Erkenntnisstand, daß die Bundeswehrverwaltung —jedenfalls grundsätzlich — nicht von Angehörigen der Streitkräfte durchgeführt werden darf 29 ;
26 Der Begriff erscheint auch in § 63 Abs. 2 Satz 2, 1. Hs. WDO. Daß das Gesetz damit die Rechtspflege in der Bundeswehr als einen eigenständigen Organisationsbereich anerkennen wollte, kann beiden Vorschriften nicht entnommen werden. Auch die Entstehungsgeschichte spricht dagegen: Die oben im Haupttext als Zitat markierte Gesetzesstelle wurde 1971 im Rahmen der Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts auf Vorschlag des Bundesrats hinzugefügt, um die dem BMVg erteilte Ermächtigung näher zu konkretisieren (BT-Drucks. 6/1834, S. 77). Der Begriff Rechtspflege in der Bundeswehr hat daher an dieser Stelle eher einen allgemein-deskriptiven als einen organisatorischen Gehalt. 27 Erstmals am 29.4.1957 (BGBl. 1957 Teil I, S.401). Z.Zt. gilt die Verordnung über die Errichtung von Truppendienstgerichten v. 20.8.1992 (BGBl. 1992 Teil I, S. 1579). 28 Die Militärseelsorge bleibt auch im folgenden aus den Betrachtungen ausgeklammert. 29 Vgl. ausführlich Schulte, Hermann: Die verfassungsrechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, S. 91-109; ferner Dürig, Günter, in Maunz/Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 13; v. Mangoldt, Hermann/Äfew, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 b, III 1.; Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 867.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
das damit angedeutete Problem wird im VI. Abschnitt im Zusammenhang mit dem Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall näher erörtert. Ebenso dürfte klar sein, daß Bundeswehrverwaltung und Streitkräfte nicht die den Wehrdienstgerichten zugewiesenen judikativen Funktionen wahrnehmen können. Die Aufgabe lautet also, die Tätigkeit der Rechtsberater einem der drei genannten Organisationsbereiche zuzuordnen. Sollte sich erweisen, daß der Rechtsberater die Merkmale keines der drei Komplexe Streitkräfte — Bundeswehrverwaltung — Rechtswesen erfüllt, so wäre es unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten überaus fragwürdig, ob der BMVg in diesem Fall überhaupt eine Institution zur juristischen Beratung seiner Truppenführer kreieren könnte. Dem stünde schon der föderalistische Aufbau der Verfassung entgegen, der den Zentralstaat nur dann zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben beruft, wenn die constitutio dies ausdrücklich vorsieht (Art. 30 GG). Ggfs. wäre dann zu prüfen, ob der BMVg zu ungeschriebenen Bundeszuständigkeiten — falls deren Existenz zu bejahen wäre — Zuflucht nehmen kann. aa) Rechtswesen in der Bundeswehr? Die Zugehörigkeit der Rechtsberater zum Organisationsbereich Rechtswesen in der Bundeswehr wird üblicherweise damit begründet, daß diese Beamten keine typischen Verwaltungsaufgaben im Sinne einer „Daseinsvorsorge der Streitkräfte" erfüllten, sondern vielmehr den Soldaten „unmittelbare Führungshilfen" zur Verfügung stellten; ihre Tätigkeit wirke „unter gebundener Anwendung von Rechtsnormen mehr personenbezogen". 30 Mit diesen — wie man meint — kennzeichnenden Unterscheidungsmerkmalen versucht man den Rechtsberater aus der Bundeswehrverwaltung im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 GG herauszulösen; ihren sichtbaren Ausdruck hat diese Auffassung in Nr. I. Abs. 3 der VorlDienstAnw gefunden („Aufgaben der Bundeswehrverwaltung [§ 9 Entwurf des Organisationsgesetzes] hat der Rechtsberater nicht wahrzunehmen."). Nach Auffassung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages sind „Aufgabenstellung und Arbeitsstil von Recht und Verwaltung . . . so unterschiedlich, daß die Klammern dieser beiden Bereiche im wesentlichen nur in der Rechtsgebundenheit der Verwaltung und der weitgehend gleichen Ausbildung des in Verwaltungsund Rechtsfragen tätigen höheren Dienstes bestehen."31
30 So der Staatssekretär a.D. Hiehle, Joachim: Streitkräfte, Wehrverwaltung, Militärseelsorge und Rechtspflege in Deutschland, BWVerw 1979, S. 281-285 (285); ähnlich Moritz, Günther: Rechtsberater in der Bundeswehr, NZWehrR 1976, S. 239-250 (244)(„keine Verwaltungsfunktionen"); Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in: Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193200 (197). 31 Jahresbericht 1973, BT-Drucks. 7/1765, S. 13.
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Andererseits wird aber auch eine Einordnung des beamteten Rechtsberaters in die Streitkräfte nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Der BMVg versucht nun diese von ihm selbst errichteten bundesstaatlichen Hürden zu überwinden, indem er die Rechtsberater (ebenso wie die Rechtslehrer) organisatorisch an die in Art. 96 Abs. 4 GG geregelte Wehrdienstgerichtsbarkeit „anhängt", um so die bundesstaatliche Erledigung der Streitkräfteinternen Rechtsberatung zu legitimieren. Als Hilfskonstruktion dient ihm dabei die seit 1957 existierende Personalunion zwischen Wehrdisziplinaranwalt und Rechtsberater: Da der Wehrdisziplinaranwalt — so argumentiert etwa Hiehle, ehemals Staatssekretär im BMVg — den Truppendienstgerichten ähnlich zugeordnet sei wie der Staatsanwalt der ordentlichen Gerichtsbarkeit, ergebe sich auch für das „Hauptamt Rechtsberater" eine zwingende Zuordnung zur Rechtspflege. Mit dem Hinweis, der Rechtsberater habe „seinen Aufgabenbereich im Vorraum möglicher gerichtlicher Verfahren und Entscheidungen", versucht Hiehle seine These weiter abzustützen.32 Diese Ausführungen vermögen in keiner Weise zu überzeugen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Stellung der Wehrdisziplinaranwälte tatsächlich die behauptete Ähnlichkeit mit derjenigen der Staatsanwälte aufweist. Selbst wenn dieser Vergleich Hiehles stimmig sein sollte, so scheitert seine Argumentation jedenfalls im zweiten Schritt: Zwischen den Ämtern des Wehrdisziplinaranwalts und des Rechtsberaters bestehen — außer dem Umstand der Personalunion — keine Verbindungen, die es rechtfertigen würden, auch den Rechtsberater als Annex der Truppendienstgerichtsbarkeit anzusehen. Weder gibt es Überschneidungen im Aufgabenbereich, noch zeigen sich Parallelen im Unterstellungsverhältnis: Kein Rechtsberater ist etwa als solcher dem Bundeswehrdisziplinaranwalt unterstellt 33 , während umgekehrt die Leitenden Rechtsberater bei den Korps nicht Vorgesetzte der Wehrdisziplinaranwälte auf Divisionsebene sind. 34 Wie gezeigt worden ist 3 5 , waren es vorwiegend finanzielle Erwägungen, die zur personalen Vereinigung der beiden Funktionen führten. Sachliche Rückschlüsse auf die Stellung der Rechtsberater in der Staatsorganisation können daraus keinesfalls gezogen werden. Sie verbieten sich auch deshalb, weil — worauf Moritz hinweist 36 — nicht alle Rechtsberater gleichzeitig auch Wehrdisziplinaranwälte sind; immer dann nämlich, wenn sie bei Dienststellen eingesetzt sind, die nicht Einleitungsbehörde im Sinne von § 87 WDO sind. In diesem Fall ist ihnen die Wahrnehmung von Befugnissen des Wehrdisziplinaranwalts — etwa die Teilnahme als Sitzungsvertreter in einer truppendienstgerichtlichen Hauptverhandlung — unter32 Vgl. Hiehle, Joachim: Streitkräfte, Wehrverwaltung, Militärseelsorge und Rechtspflege in Deutschland, BWVerw 1979, S. 281-285 (285); ebenso Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (245). 33 Vgl. für die Wehrdisziplinaranwälte § 74 Abs. 3 Satz 4 WDO. 34 Vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 74, Rn. 3. 35 S. Abschnitt 1.9. Fn. 173. 36 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (241, Fn. 12).
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sagt.37 In der Logik Hiehles und Moritz' wäre die Konsequenz, daß diese Rechtsberater nicht Angehörige des Rechtswesens in der Bundeswehr wären — ein unhaltbares Resultat. Das Hilfsargument, der Rechtsberater werde im Vorraum möglicher gerichtlicher Verfahren und Entscheidungen aktiv, ist schon deswegen nicht schlüssig, weil dieser Satz mit Abstrichen praktisch für alle Verwaltungsbeamten Gültigkeit besitzt. Die Zuordnung der Rechtsberater zum Organisationsbereich Rechtswesen in der Bundeswehr, wie sie von Hiehle, dessen Ansichten auch heute noch mit der offiziellen Haltung des BMVg übereinstimmen dürften 38 , vertreten wird, ist also nicht begründbar. Damit steht fest, daß die offiziellen Verlautbarungen des Ministeriums insoweit einen unzutreffenden verfassungsrechtlichen Befund enthalten, evor nun auf die naheliegende Alternative, den Rechtsberater als Teil der Bundeswehrverwaltung zu kategorisieren, eingegangen wird, soll vorab untersucht werden, ob man dieses Amt wegen seiner funktionsbedingt besonders engen Verzahnung mit der militärischen Führung nicht den „Streitkräften" zurechnen kann. bb) Streitkräfte? Die These, das Amt des Rechtsberaters gehöre verfassungsrechtlich zu den „Streitkräften" im Sinne von Art. 87 a Abs. 1 GG, ist vor allem in Kreisen der Rechtsberater selbst gelegentlich zu hören. Zur Begründung wird auf den Umstand hingewiesen, daß der Rechtsberater seinem Kommandeur unmittelbar unterstellt ist, diesen auf dem Gebiet der militärischen Führung berät und faktisch eine von mehreren gleichberechtigten Stabsabteilungen bildet. Der zivile Beamtenstatus des Rechtsberaters in Friedenszeiten — so wird versichert — sei eine Reminiszenz an politische Sensibilitäten, die der Vergangenheit angehörten. Daß dieses Amt „eigentlich" ein Bestandteil der Streitkräfte sei, erweise sich im Verteidigungsfall, wo der Rechtsberater Offizierstatus erhalten solle und im rückwärtigen Gefechtsstand untergebracht sei. 39 Schließlich berate er den Kommandeur ja auch nur bei der Erledigung truppendienstlicher Angelegenheiten; handele es sich um eine Beschwerde in Verwaltungsangelegenheiten, sei nicht er, sondern der Leiter Abt. Verwaltung zuständig. Auch daraus erhelle der substantiell militärische Charakter der Aufgabenstellung der Rechtsberater und ihre Zugehörigkeit zu den Streitkräften. Die bei der Aufarbeitung dieser These zu beantwortende Frage ist also, welchen Inhalt der vom Grundgesetz verwendete Begriff der „Streitkräfte" hat. Er findet 37 Vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 74, Rn. 1. Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn der Rechtsberater allgemein zum Vertreter eines Wehrdisziplinaranwalts bestellt worden ist (z.B. als Urlaubsvertreter). 38 Abweichende Stellungnahmen des BMVg sind dem Verf. nicht bekannt. 39 S. Abschnitt III.2.
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sich außer in Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG noch an einigen anderen Stellen der Verfassung, so in Art. 12 a Abs. 1, Abs. 2 Satz 3, Art. 17 a Abs. 1, Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, Art. 65 a, Art. 87 b Abs. 1 Satz 2, Art. 96 Abs. 2 Sätze 1 und 2 und Art. 115 b GG. Anzeichen, die die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Auslegung signalisierten, sind nicht vorhanden. Ein Rückgriff auf ältere Verfassungen scheidet aus, da dort durchweg andere Bezeichnungen verwendet worden sind. 40 Prinzipiell kommen bei der Auslegung des verfassungsrechtlichen „Streitkräfte"-Begriffs zwei Möglichkeiten in Betracht: Einmal kann man „Streitkräfte" unter einem formellen Gesichtspunkt als Gesamtheit der Soldaten im statusrechtlichen Sinne verstehen, also als diejenigen Personen, die auf Grund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis stehen (§ 11 Abs. 1 SG). Diese Ansicht wird explizit von Steinkamm 41, Hernekamp 42 und Thum 43 vertreten. Folgt man ihr, so gehören die Rechtsberater in Friedenszeiten als Beamte nicht zum Normbereich des Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG. Denkbar ist freilich auch, als Angehörige der Streitkräfte alle im Bereich eines Truppenverbandes tätigen Personen anzusehen, also nicht nur die Soldaten im statusrechtlichen Sinne, sondern zusätzlich das gesamte bei den Kommandobehörden und Truppenteilen beschäftigte Zivilpersonal, seien es Beamte oder Angestellte (vor allem die sog. Truppenverwaltung 44). Konstitutives Element des „Streitkräfte"-Begriffs wäre dann die Tätigkeit innerhalb eines räumlichen oder engen funktionalen Zusammenhanges mit einem militärischen Verband. Ratio dieses namentlich von Lepper vertretenen „Streitkräfte"-Begriffs, hier materieller Streitkräftebegriff genannt, ist die Überlegung, daß die soldatischen Kräfte nur einen Teil derjenigen Mittel bilden, die die Streitkräfte erst zu einem realen Machtfaktor werden lassen. Im Zeichen einer zunehmenden Technisierung der Kriegführung sei kaum zu sagen, so Lepper, „daß allein die Angehörigen des Soldatenstandes als die eigentlichen Waffenträger die Schlagkraft der Truppe ausmachen und daß fehlendes Hilfspersonal nicht zu einer entscheidenden Lähmung führen wird", womit dargetan sei, „daß das im Truppenverband tätige Personal im Hinblick auf den mit den Streitkräften verfolgten Zweck eine Einheit bildet." Schließlich sei die Intention des historischen Wehrverfassungsgebers ins 40 "Bewaffnete Macht", „Reichsheer", „Landmacht", „Wehrmacht", „Militär", „Armee", „Reichswehr"; vgl. Lepper, Manfred: Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltenteilenden Rechtsstaat, S. 11 f. m.w.N. 41 Vgl. Steinkamm, Eike: Die Wehrstrafgerichtsbarkeit im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, S. 184. 42 Vgl. Hernekamp, Andreas, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 65 a Rn. 21, Art. 87 a Rn. 5 (mit Verweisung auf Art. 65 a), Art. 115 b Rn. 7. 43 Vgl. Thum, Elmar: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Wehrstrafgerichtsbarkeit im Verteidigungsfall, NZWehrR 1976, S. 223-230 (228 f.). 44 Zur Truppenverwaltung ausführlich Reinhart, Rainer: Die Truppenverwaltung, DVB1. 1977, S. 473-479.
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Kalkül zu ziehen, mit Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG die Wiederentstehung einer „Schwarzen Reichswehr" zu verhindern; gerade diese Absicht könnte aber untergraben werden, wenn man bei der Bestimmung des „Streitkräfte"-Begriffs auf den Status abstelle, wie das Beispiel des zwischen 1925 und 1933 außenpolitisch und haushaltsmäßig als „Arbeitsgruppen" getarnten Personals der Reichswehr gezeigt habe.45 Legt man diese Meinung zugrunde, gelangt man zu dem Ergebnis, daß die Rechtsberater auch als Beamte bereits Angehörige der Streitkräfte sind, da sie in einer von Lepper für konstitutiv gehaltenen Art und Weise in eine militärische Kommandobehörde integriert sind. Welche der beiden Positionen sich im einschlägigen Schrifttum durchgesetzt hat, läßt sich mit verläßlicher Sicherheit kaum sagen. Die Mehrzahl der Kommentatoren begnügt sich mit der lapidaren Feststellung, bei den Streitkräften handele es sich um „das in der Bundeswehr organisierte militärische Instrument der Bundesrepublik" 46 : Eine zwar richtige, aber in diesem Zusammenhang nicht weiterführende Aussage, da sich die Rechtsberater — wie gesehen — gerade des militärischen Charakters ihres Dienstes berühmen. Gleiches gilt für die von v. Unruh entwickelte Definition: „Der formelle Begriff (»Streitkräfte') meint die Summe aller sachlichen Zuständigkeiten, welche von der institutionell als Streitkräfte verfaßten Einrichtung sowie den ihr dienenden Funktionsträgern unter der Bezeichnung Bundeswehr zur Erfüllung von Aufgaben der Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung des Staates (d. h. auch ohne bewaffneten Einsatz) wahrgenommen werden." 47 Zur Klärung der Frage, ob sich der beamtete Rechtsberater unter den „Streitkräfte"-Begriff des Grundgesetzes subsumieren läßt, kann diese Formel nichts beitragen. Da sich dem Wortlaut des Art. 87 a Abs. 1 GG keine Ansätze zur weiteren Aufschlüsselung des Begriffs der „Streitkräfte" entnehmen lassen, hat sich der Blick zunächst der Entstehungsgeschichte der Norm zuzuwenden.48 Das Studium der einschlägigen Ausschußprotokolle des Bundestages ergibt indes, daß bei der Beratung des (späteren) Art. 87 a Abs. 1 GG offenbar kein Bedürfnis für eine Problematisierung des „Streitkräfte"-Begriffs gesehen wurde; jedenfalls wurde über seinen Inhalt nicht weiter gesprochen und dieser scheinbar als feststehend vorausgesetzt. Ein Anlaß zur genaueren Bestimmung dessen, was eigentlich die 45
Lepper, Manfred: Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltenteilenden Rechtsstaat, S. 16-19. 46 Vgl. Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 9; Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 13; Mangoldt, Hermann v. / Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 a, III.3.a); Speth, Wolfgang: Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen, S. 15; Stern, Klaus: Staatsrecht; Bd. II, S. 862. 47 Unruh, Georg-Christoph von: Führung und Organisation der Streitkräfte im demokratisch-parlamentarischen Staat, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 157-206 (171). 48 Zum folgenden auch Steinkamm, Eike: Die Wehrstrafgerichtsbarkeit im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, S. 188-192.
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„Streitkräfte" sein sollen, bot sich aber bei der Diskussion um einen anderen Grundgesetzartikel, nämlich den (heutigen) Art. 96 Abs. 2 GG, der dem Bund die Kompetenz zur Errichtung von Wehrstrafgerichten „für die Streitkräfte" verleiht. Während der 61. Sitzung des „Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit" (im folgenden Verteidigungsausschuß genannt) am 14. Dezember 1955 kam es zu einer lebhaften Debatte um einen Antrag des Ausschuß Vorsitzenden, des Abg. Dr. Jaeger. Der Antrag lautete, die geplante Regelung einer Wehrstrafgerichtsbarkeit im Grundgesetz als Art. 96 a im hier interessierenden Teil wie folgt zu fassen: „Der Bund kann Strafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte einrichten." Im Verlaufe der Beratung spielte sich folgender Wortwechsel zwischen den Abg. Dr. Jaeger und Erler ab: Abg. Erler (SPD): „Herr Vorsitzender, sollten wir nicht klarmachen, daß es sich auch in Ihrem Antrag nur um Strafverfahren gegen Soldaten handeln kann? So ist es doch nach dem bisherigen Vortrag des Ministeriums gemeint. Es ist doch nicht an Strafverfahren gegen Außenstehende gedacht, sondern nur gegen Angehörige der Streitkräfte." Vors. Dr. Jaeger. „Aber,Angehörige der Streitkräfte' müssen nicht nur Soldaten sein!" Abg. Erler (SPD): „Gut, sagen wir »Angehörige der Streitkräfte'! Nach dieser Formulierung können Sie zwar für Angehörige der Streitkräfte Strafgerichte errichten, aber diese Gerichte können auch andere beurteilen." 49 Trotz dieses scheinbar oder wirklich zwischen beiden Abgeordneten erzielten Konsenses darüber, daß „Angehörige der Streitkräfte" nicht nur Soldaten sein müssen, zeigte der weitere Verlauf der Beratung, daß die Mehrheit der Teilnehmer vom Gegenteil ausging. So erklärte der Vertreter des BMVg, Ministerialdirigent Dr. Barth, im Anschluß an die zuletzt zitierte Bemerkung des Abg. Erler, daß das BMVg „im Friedensfalle . . . keinerlei Absicht (habe), Nichtsoldaten vor die Wehrmachtstrafgerichte zu ziehen" 50 ; dies konnte nur bedeuten, daß Barth die „Nichtsoldaten" als das Gegenstück von „Angehörigen der Streitkräfte" ansah. In diese Richtung weist auch eine Äußerung des Abg. Dr. Becker, für den die Formulierung „Strafgerichte für die Streitkräfte" von vornherein ausschloß, „daß überhaupt ein Zivilist darunter fallen kann." 51 Auf der 112. Sitzung des „Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht" (im folgenden Rechtsausschuß genannt) am 22. Februar 1956 wurde folgender, nach Erklärung des Staatssekretärs Dr. Strauß (BMJ) auf einer Absprache zwischen dem BMVg und dem BMJ beruhender Formulierungsvorschlag vorgelegt: „Der Bund kann Wehrstrafgerichte als Bundesgerichte errichten. Sie können im
49 Protokoll, S. 35 f. 50 Protokoll, S. 36. si Protokoll, S. 38.
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Frieden die Strafgerichtsbarkeit nur über Angehörige der Streitkräfte ausüben, soweit wegen besonderer Verhältnisse des Dienstes ein Bedürfnis der Rechtspflege dafür besteht. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."52 Bei der Erläuterung dieses Vorschlags anhand eines direkten Vergleichs mit der Schweiz wies der Ministerialdirigent Schafheutie (BMJ) darauf hin, daß die Schweiz „für diesen Fall (gemeint war eine äußere Bedrohung, ohne daß bereits ein Verteidigungsfall eintritt, Anm. d. Verf.) sogar noch weiter" ginge: „Sie unterstellt nicht nur Soldaten den Militärgerichten, sondern darüber hinaus Zivilpersonen, Grenzschutzpersonal, Personal der Eisenbahnen und der Betriebe, die für den Verteidigungsfall arbeiten. Das möchten wir niemals vorschlagen" 53 Diese Bemerkung von Schafheutie kann als eindeutiger Beleg für die damalige Auffassung der Bundesregierung gelten, daß mit den „Streitkräften" bzw. ihren „Angehörigen" 54 nur Soldaten im statusrechtlichen Sinne, nicht aber bei den Truppenverbänden beschäftigtes ziviles Komplementärpersonal gemeint war. Daß auch der Rechtsausschuß diese Ansicht teilte, beweist folgende, vom Vorsitzenden Hoogen in derselben Sitzung zur Abstimmung gestellte und ohne Gegenstimmen (zwei Enthaltungen) angenommene Grobfassung des geplanten Artikels: „Zulassung von Wehrstrafgerichten als Bundesgerichte: 1. für den Fall der Verteidigung; 2. außerhalb des Verteidigungsfalles a) für Soldaten außerhalb des Bundesgebiets, b) für Besatzungen an Bord von Kriegsschiffen." 55 Wenig später stellte der Vorsitzende Hoogen noch einmal als Meinung des Ausschusses fest, „eine Zuständigkeit von Wehrstrafgerichten für Zivilpersonen solle es im Friedensfall nicht geben." 56 Daß der Ausschuß mit „ Z i v i l p e r s o n e n " das Gegenteil von „Soldaten" meinte, ergibt sich aus den insoweit unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Abg. Dr. Jaeger, der als Gast des Verteidigungsausschusses an der Sitzung teilnahm: „Im Frieden seien nur die Zwanzigjährigen Soldaten, alle übrigen Bürger Zivilisten, im Kriegsfalle aber alle bis zu 60 Jahren und darüber hinaus noch Soldat" 51 Eine kurze Zeit später stattfindende Abstimmung erläuterte sodann der Vorsitzende Hoogen in dem Satz: „Weder im Krieg noch im Frieden können Nicht-Angehörige der Streitkräfte vor Wehrstrafgerichte gezogen werden." 58 Dieses Beratungsergebnis flöß, ohne daß die Unterscheidung von Soldaten einerseits und Zivilisten andererseits noch angegriffen worden wäre, auf der 114. Sitzung des Rechtsausschusses am 24. Februar 52 Protokoll Nr. 112, S. 23. 53 Protokoll Nr. 112, S. 27. 54 Auf der 114. Sitzung des Rechtsausschusses am 24. Februar 1956 bestätigte Staatssekretär Dr. Strauß (BMJ) auf die entsprechende Frage des Abg. Dr. Wahl, daß „Streitkräfte" als „Sammelausdruck für die Angehörigen der Streitkräfte" zu verstehen sei (Protokoll Nr. 114, S. 36). 55 Protokoll Nr. 112, S. 33. 56 Protokoll Nr. 112, S. 36. 57 Protokoll Nr. 112, S. 38. 58 Protokoll Nr. 112, S. 39.
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1956 in folgende, ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung angenommene Formulierung des Art. 96 Abs. 1 GG (heute Art. 96 Abs. 2 GG) ein: „Der Bund kann Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte errichten. Sie können die Strafgerichtsbarkeit nur im Verteidigungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."59 Mit diesem Inhalt wurde die Vorschrift schließlich vom Plenum angenommen und in das Grundgesetz eingefügt. Den zitierten Quellen ist mit hinreichender Genauigkeit zu entnehmen, daß der „Streitkräfte"-Begriff nach anfänglichen Unsicherheiten im Verteidigungsausschuß bei den anschließenden Beratungen im Rechtsausschuß als „Gesamtheit der Soldaten im statusrechtlichen Sinne" aufgefaßt worden ist. Dem von Lepper vorgetragenen Versuch, über die Soldaten hinaus auch das in die Kommandobehörden und Truppenverbände eingegliederte zivile Komplementärpersonal (Angestellte, Beamte) unter Art. 87 a Abs. 1 GG zu subsumieren, ist somit unter Zugrundelegung der normgenetischen Auslegungsmethode eine Absage zu erteilen. Auch eine Gegenprobe anhand einer systematischen Betrachtung derjenigen Artikel, in denen das Grundgesetz von den „Streitkräften" spricht, erhärtet diesen Befund. So hat bereits Steinkamm zu Recht die Aufmerksamkeit auf Art. 17 a Abs. 1 GG gelenkt. 60 Nach dieser Vorschrift können „Gesetze über Wehrdienst und Ersatzdienst . . . bestimmen, daß für die Angehörigen der Streitkräfte und des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes" bestimmte, im einzelnen dort aufgeführte Grundrechte eingeschränkt werden. Daß sich hier auf der einen Seite die Worte „Wehrdienst" und „Angehörige der Streitkräfte" entsprechen und auf der anderen Seite „Ersatzdienst" und „Angehörige des Ersatzdienstes", fällt ins Auge. Wehrdienst aber leisten nach der sicherlich auch bei den „Vätern" der Wehrverfassung gebräuchlich gewesenen Terminologie nur Soldaten. Anzeichen dafür, daß der „Streitkräfte"-Begriff in Art. 17 a Abs. 1 GG und in Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG differieren, sind — wie schon gesagt — nicht erkennbar. Eine letzte Überlegung hat dem von Lepper vorgebrachten Argument zu gelten, eine statusbezogene Interpretation des „Streitkräfte"-Begriffs gefährde die Absicht des historischen Verfassungsgebers, mit Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG die Wiederentstehung einer „Schwarzen Reichswehr" verhindern zu wollen; nur wenn alle in den Truppenverbänden tätigen Personen — unabhängig von der Art ihrer Rechtsbeziehungen zum Bund (Soldat, Beamter oder Angestellter) — hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Stärke und der Grundzüge ihrer Organisation aus dem Haushaltsplan hervorgehen müßten, sei es der Regierung verwehrt, 59 Protokoll Nr. 114, S. 35 f. 60 Vgl. Steinkamm, Eike: Die Wehrstrafgerichtsbarkeit im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, S. 184. 6 Baganz
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unbemerkt oder jedenfalls unbehindert vom Parlament das militärische Potential der „Streitkräfte" durch den Einsatz zivilen Personals zu erhöhen. 61 Lepper ist zuzubilligen, daß er das Motiv des historischen Verfassungsgebers bei der Schaffung des Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG richtig gesehen hat. 62 Seiner Schlußfolgerung kann aus zwei Gründen dennoch nicht zugestimmt werden. Bereits 1969 hat Ipsen zutreffend bemerkt, „daß in einer modernen Armee die Personalstärke von geringerer Bedeutung und damit auch von geringerem Wert für eine effektive parlamentarische Kontrolle ist als die Ausrüstung und insbesondere neue Rüstungsentwicklungen."63 Die damit angedeutete Entwicklung einer zunehmenden Technisierung der Landesverteidigung hat sich seitdem noch erheblich beschleunigt. Das läßt es als entbehrlich erscheinen, die Exekutive bei der Vorlage des Haushaltsentwurfs zum stärke- und organisationsmäßigen Nachweis auch der nichtsoldatischen Angehörigen der Truppenverbände zu zwingen. Hinzu kommt ein weiteres, gewichtigeres Argument. Bei der Entstehung der sog. „Schwarzen Reichswehr" war der Reichstag selber nicht unbeteiligt. Durch großzügige Zulassung der „gegenseitigen Deckungsfähigkeit" verschiedener Etatposten64 hatte er praktisch die Regierung ermächtigt, nach Verabschiedung des Haushalts neue Relationen herzustellen: „Auf diese Weise konnten eine ,schwarze Reichswehr 4 unterhalten und mit Hilfe der Roten Armee auf dem Gebiet der Sowjetunion Panzer und Flugzeuge insgeheim — da nach dem Versailler Vertrag verboten — erprobt und entwickelt werden/ 465 Diese Vorgehens weise, bei der sich das Parlament selbst der ihm verfassungskräftig zustehenden Kontrolle begibt, wäre aber auch dann nicht auszuschließen, wenn man Leppers Forderung nachkommen würde und Stärke und Organisation des gesamten bei den Truppenverbänden stehenden Personals in den Haushaltsplan einstellen würde. Auch dann könnte die Exekutive durch Verschiebung von Haushaltsmitteln zusätzliche Reserven über das ausgewiesene Militärpotential hinaus bilden. Veranschaulicht man sich diese Zusammenhänge, so wird deutlich, daß die von Lepper befürchtete Gefährdung des parlamentarischen Kontrollrechts nicht aus der Wahl einer falschen „Meßgröße" bei Art. 87 a Abs. 1 GG resultieren kann („Soldaten oder Gesamtpersonal"), sondern nur in der vom Reichstag seinerzeit praktizierten Zulassung gegenseitiger Deckungsfähigkeit liegt. Gewährt das
Vgl. Lepper, Manfred: Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltenteilenden Rechtsstaat, S. 17. 62 Vgl. Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 20; Mangoldt, Hermann v. / Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 a, IV.3.b)bb). 63 Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 20. 64 Vgl. zur heutigen Rechtslage § 15 Abs. 2 HGrG, § 20 BHO. 65 Hahnenfeld, Günter: Wehrverfassungsrecht, S. 120. Zur „Schwarzen Reichswehr44 als Bestandteil umfassender „Kompensationsstrategien44 der Reichswehrführung vgl. Jacobsen, Hans-Adolf, in Bracher / Funke / Jacobsen: Die Weimarer Republik 1918-1933, S. 358 ff. (359).
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Parlament diese Möglichkeit nicht oder jedenfalls im Einzelplan 14 (Verteidigung) nicht, ist es gleichgültig, ob im Haushaltsplan Stärke und Organisation des Gesamtpersonals in den Truppenverbänden oder nur der Soldaten angegeben werden. Selbst wenn letztere Variante gewählt wird, könnten doch paramilitärische Verbände oder „Arbeitsgruppen" nicht am Parlament vorbei finanziert werden: Sie müßten als zusätzliches Personal der Bundeswehrverwaltung in den Haushalt eingestellt werden, was jedenfalls bei größeren Zuwächsen Mißtrauen hervorrufen würde. Nach alledem besteht kein Anlaß, von der nachweisbar bereits vom Rechtsausschuß der zweiten Legislaturperiode geteilten Ansicht abzurücken, daß es sich bei dem verfassungsrechtlichen Topos „Streitkräfte" um die Gesamtheit der Soldaten im statusrechtlichen Sinne (§ 1 Abs. 1 SG) handelt. Damit hat sich die in Kreisen der Rechtsberater gelegentlich zu hörende These, ihr Amt gehöre verfassungsrechtlich den Streitkräften an, jedenfalls in Friedenszeiten als nicht haltbar erwiesen. Die Zuordnung zu Art. 87 a Abs. 1 GG vermag demnach selbst eine mit unmittelbarer Unterstellung verbundene Beratung hoher Truppenführer in truppendienstlichen Angelegenheiten nicht zu leisten, solange der Amtsträger nicht selbst Soldat ist. Der Einwand gegen dieses formale Verständnis des „Streitkräfte"-Begriffs liegt auf der Hand: Kann es tatsächlich dem Willen oder — schärfer gesagt — der Willkür des über den dienstrechtlichen Status der Bundeswehr-Angehörigen entscheidenden BMVg überlassen sein, welches Amt den Streitkräften und welches der Bundeswehrverwaltung zuzurechnen ist? Diese Frage wird noch zu behandeln sein, wenn die Zulässigkeit der sog. Mob-Beorderung der Rechtsberater, also ihre für den Verteidigungsfall vorgesehene Ernennung zum Stabsoffizier und damit zum Soldaten, auf dem Prüfstand steht. 66 Vorrangig ist aber noch zu untersuchen, ob der Rechtsberater tatsächlich, wie es die bisherigen Negativbefunde (weder Rechtswesen noch Streitkräfte) nahelegen, der Bundeswehrverwaltung angehört: Zwar ist er im Frieden Beamter und erfüllt somit die formalen Voraussetzungen des Art. 87 b Abs. 1 GG. Nun aber taucht ein föderatives Problem auf: Während die Bundeskompetenz für den Bereich der Streitkräfte seinerzeit nie angegriffen wurde, war die Exekutivzuständigkeit für den Komplex „Bundeswehrverwaltung" zwischen Bund und Ländern heftig umstritten. Produkt dieses Kompetenzkonflikts ist Art. 87 b GG, der mit einer schon durch ihren bloßen Umfang verwirrenden Regelung die Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Verteidigungsverwaltung i. w.S. verteilt. Damit stellt sich die Aufgabe festzustellen, ob das Amt des Rechtsberaters zu denjenigen Funktionen der Verteidigungsverwaltung zählt, die die Verfassung dem Bund übertragen hat.
66 S. Abschnitt VI. 6*
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cc) Bundeswehrverwaltung? Den Rechtsberater als Teil der Bundeswehrverwaltung im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 GG anzusehen, hat Stauf schon 1982 vorgeschlagen. 67 Stauf geht bei der Formulierung seiner These von Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG aus, der vorschreibt, daß die Bundeswehrverwaltung „den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte" dient. Der Begriff des Personalwesens — so Stauf unter Verweisung auf die Entstehungsgeschichte — sei bewußt an Stelle der ursprünglichen Fassung Personalbedarf gewählt worden, weil er als der weitere alle Verwaltungstätigkeit einschließe, die die Rechtsverhältnisse der im Dienst der Streitkräfte stehenden Personen betreffe; damit seien auch Materien wie die Wehrdisziplinarordnung und die Wehrbeschwerdeordnung erfaßt. 68 Dem daraus gezogenen Schluß auf die „verfassungsrechtliche Zuordnung der Rechtsberater zur Bundeswehrverwaltung" dürfte die — von Stauf nicht ausdrücklich erwähnte, aber zutreffende — Annahme zugrundeliegen, daß sich die Rechtsberater im täglichen Dienst vorrangig mit Disziplinar- und Beschwerdesachen zu befassen haben. Diese These Staufs ist im Ergebnis richtig, greift aber in ihrer Begründung noch zu kurz. In der Praxis mag für die Rechtsberater die Beratung des Kommandeurs auf den Gebieten des Disziplinar- und Beschwerdewesens69 im Zentrum stehen; die volle Bandbreite der ihnen zugewiesenen Aufgaben („alle einschlägigen Rechtsgebiete, soweit sie Angelegenheiten der Bundeswehr betreffen" 70 ) ist damit jedoch längst nicht ausgeschöpft. So kann die Beratungstätigkeit auf dem gesamten völkerrechtlichen Sektor 71 auch bei wohl wollender Auslegung nicht 67 Vgl. Stauf Wolfgang: Zum Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1982, S. 216-219 (217); ders.: Anmerkung, DÖD 1985, S. 114 f. Beiläufig schon Hahnenfeld, Günter: Wehrverfassungsrecht, S. 96, Fn. 234. 68 Vgl. die Ausführungen des Ministerialrats Dr. Schäfer (BMI) in der 114. Sitzung des Rechtsausschusses am 24. Februar 1956: „Die ursprüngliche Fassung, die wir neulich mit den Länderbevollmächtigten erörtert haben, lautete eingangs: ,Die zur unmittelbaren Deckung des Sach- und Personalbedarfs der Streitkräfte dienende Verwaltung . . B e i dieser Fassung hatten wir Bedenken, ob Materien wie die Disziplinarordnung mit dem· »Personalbedarf erfaßt würden. Wir glaubten, sie wird nicht erfaßt, und wählten deswegen den nach unserer Meinung weiteren Begriff ,Personalwesen', den wir dann an die Spitze stellten, und ich glaube, die Disziplinarordnung und auch andere Regelungen werden erfaßt." (Protokoll Nr. 114, S. 15). Kurze Zeit später bestätigte Staatssekretär Dr. Strauß (BMJ) diese Sichtweise: „Ich verstehe unter Personalwesen die Rechtsverhältnisse der im Dienste der Streitkräfte stehenden Personen. So ist es doch wohl auch gemeint. Dann gehört nämlich die Disziplinarordnung, die die Rechtsverhältnisse der im Dienste der Streitkräfte stehenden Personen mit regelt, auch dazu." (Protokoll Nr. 114, S. 16). Auch die Vertreter des Bundesrates, Staatssekretär Dr. Koch und Ministerialdirigent Leusser, erklärten ihre Übereinstimmung darin, daß die Disziplinarordnung zum Personalwesen gehöre (Protokoll Nr. 114, S. 13). 69 Nr. IV 1 b) VorlDienstAnw. ™ Nr. IV 1 a) VorlDienstAnw. 7 i Nr. IV 1. a) VorlDienstAnw.
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung
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mehr dem Merkmal Personalwesen im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG 7 2 untergeordnet werden; das gleiche gilt für die „Mitprüfung von Befehlen und Anordnungen, durch die Rechtsfragen berührt werden" 73 , ebenso wie für Maßnahmen der Rechtsberater auf dem Gebiet der Rechtsunterrichtung von Offizieren und Truppe. 74 Um diese Aktivitäten der Rechtsberater verfassungsrechtlich als Wehrverwaltungshandeln des Bundes klassifizieren zu können, reichen mehr oder weniger wortlautgetreue Operationen am Begriff des Personalwesens nicht mehr aus. Auch der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte dienen sie nicht, da Beratung, Prüfung und Unterrichtung als rein geistige Vorgänge die in dem Wort Sachbedarf liegende materiale Komponente nicht auszufüllen vermögen. 75 Hier muß ein anderer Ansatz gefunden werden. Dieser Ansatz liegt in der vorsichtigen Erweiterung des Phänomens Bundeswehrverwaltung über den „Versuch einer Legaldefinition" 76 , wie ihn Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG vorgenommen hat, hinaus. Zu diesem Zweck kann die Entstehungsgeschichte der Norm noch um einiges fruchtbarer gemacht werden, als Stauf dies vorgeschlagen hat. 77 Am 4. Dezember 1953 hatten die Fraktionen der CDU / CSU, GB / BHE und DP einerseits und die Fraktion der FDP andererseits Vorschläge für eine Kompetenzregelung auf dem Gebiet des Wehrwesens vorgelegt, die u. a. — insofern übereinstimmend — vorsahen, daß die Wehrverwaltung „in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt" werden solle. 78 In den parlamentarischen Beratungen dieser Entwürfe, die wegen der außenpolitischen Turbulenzen um die Gründung der EVG erst 1955 begannen, zeichnete sich bald ab, daß der Bundesrat in dieser Vorschrift die Gefahr einer schrittweisen Ausdünnung der Länderkompetenzen erblickte und auf einer — wie auch immer zu formulierenden — Konkretisierung der dem Bund einzuräumenden Exekutivzuständigkeiten bestehen würde. 79 Bei den anschließenden Versuchen im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, den Begriff der „Wehr72 Zu diesem Begriff vgl. Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 19; Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, II.2.a); v. Mangoldt, Hermann /Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 b, III.4.b)dd); Schulte, Hermann: Die verfassungsrechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, S. 149-159. 73 Nr. IV.2. VorlDienstAnw. 74 Nr. IV.3. VorlDienstAnw. 75 Vgl. hierzu Hernekamp, Karl-Andreas, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 87 b Rn. 8; Hernekamp rechnet zum Sachbedarf „z.B. Beschaffungs-, Instandsetzungs-, Lager-, Unterkunfts- und Liegenschaftswesen einschl. des dazugehörenden Kassen· und Rechnungswesens." Vgl. auch Schulte, Hermann: Die verfassungsrechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, S. 159-165. 76 So Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, II.2.a). 77 Zur Entstehungsgeschichte ausführlich Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, I. 78 Vgl. die Gesetzentwürfe der Fraktionen von CDU /CSU, GB/BHE, DP (BTDrucks. 2/124) und der Fraktion der FDP (BT-Drucks. 2/125). 79 Vgl. die Ausführungen des Ministers Dr. Sträter (Bundesrat) in der 107. Sitzung des Bundestags-Rechtsausschusses am 8. Februar 1956 (Protokoll, S. 2 ff.).
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Verwaltung" zu definieren, machte sich indessen bald Ernüchterung breit, als sich herausstellte, daß eine solche Definition praktisch ebenso unmöglich war wie eine positive Bestimmung des Begriffs der „öffentlichen Verwaltung" überhaupt. 80 Dennoch wurde auf der 114. Sitzung des Ausschusses am 24. Februar 1956 vom Vertreter des Bundesrats eine mit dem BMVg und dem B M I abgestimmte „Diskussionsgrundlage" vorgelegt, um aus der drohenden Sackgasse herauszukommen. In der hier interessierenden Passage lautete sie wie folgt: „Die dem Personalwesen und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte dienende Verwaltung wird in bundeseigener Verwaltung und mit Ausnahme des Bauwesens mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt." 81 Bei der Erläuterung dieser Diskussionsgrundlage sprach der Vertreter des B M I ausdrücklich davon, bei dieser Formulierung handele es sich nur um den „Versuch der Umschreibung des Begriffs der Wehrverwaltung": „Wir haben geglaubt, hier doch den Wünschen des Bundesrates insofern entgegenkommen zu sollen, als wir das Personalwesen und die Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte unmittelbar angesprochen haben." 82 Unbestritten, weil selbstverständlich, blieb aber im gesamten Verlauf der Debatte, daß nicht nur Personalwesen und Sachbedarfsdekkung, sondern auch alle ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge, also solche, denen keinerlei Außenwirkung zukommt, ebenfalls von der bundeseigenen Wehrverwaltung wahrgenommen werden sollten. In diesem Sinne äußerte sich etwa der Vertreter des BMVg, Ministerialrat Dr. Cartellieri, auf der 114. Sitzung des Rechtsausschusses: „Die Wehrverwaltung hat ja im wesentlichen Verwaltungsaufgaben interner Art, die nicht nach außen hervortreten, also das Gebührnis-, Betreuungs-, Kassen- und Rechnungswesen für die Streitkräfte, dann die Unterkunfts- und Liegenschaftsverwaltung — es ist das, was auch ein normaler Hausbesitzer macht —, dann die Vertretung des Bundesfiskus im Bereich des Bundesministers für Verteidigung, insbesondere bei Schadensregelungen, dann die Inanspruchnahme für öffentliche Dienste, Eisenbahn, Post, Gas, Wasser und Elektrizität, und dann die eigentlichen Beschaffungsaufgaben zur Beschaffung des Materials usw. Dieser Katalog enthält zunächst die internen Vorgänge, an denen, soviel ich weiß, die Vertreter der Länder nicht interessiert waren, eine Zustimmung zu haben. .. . Nun wurde gesagt: das Personalwesen ist auch eine interne Aufgabe, aber die Einstellung eines Beamten hat auch wieder hoheitliche Folgen; infolgedessen kam die erste Ausnahme, daß das Personalwesen noch mit herausgezogen werden mußte zu den internen Aufgaben, an denen die Länder nicht interessiert sind."* 3 80
Vgl. die Ausführungen des Vors. Hoogen (S. 9), des Abg. Wittrock (S. 10) und des Ministerialrats Dr. Cartellieri (BMVg) (S. 10 f.) auf der 107. Sitzung (Protokoll). 81 Abgedruckt bei Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, I. S2 Ministerialrat Dr. Schäfer (BMI), Protokoll Nr. 114, S. 6. 83 Protokoll Nr. 114, S. 11 (Hervorhebung durch Verf.).
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Diese Darlegungen von Cartellieri blieben in dem hier zitierten Teil unwidersprochen, sieht man von der Vertretung des Bundesfiskus in Schadensangelegenheiten ab, die später noch einmal problematisiert wurde, schließlich aber bei der Formel Personalwesen und unmittelbare Sachbedarfsdeckung „mitgedacht" wurde. 8 4 Cartellieri dürfte damit die Entstehungsgeschichte zutreffend wiedergegeben haben. Der wohl wichtigste Ertrag des genauen Studiums dieser Zitate ist die Erkenntnis, daß „Personalwesen" und „unmittelbare Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte" nur als Zweifelsfälle einer — größeren — Gruppe von Verwaltungsvorgängen im Verfassungstext erwähnt wurden, die wegen ihrer ausschließlich internen Wirkung zwar unstreitig von der Bundeswehrverwaltung wahrgenommen werden sollten, sich aber in allgemeinen Topoi nicht beschreiben ließen („interne Vorgänge" war als Legaldefinition unbrauchbar); als „intern" sah man dabei solche Handlungen der Verwaltung an, die nicht hoheitlich in den Rechtskreis des Bürgers gestaltend oder feststellend eingriffen, sondern sich in ihren Wirkungen auf den innerstaatlichen Bereich beschränkten. Dies ist der Grund, warum die schließlich vom Bundestag beschlossene Formel: „Sie dient den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte" von einigen Autoren lediglich als „Versuch" 85 oder „Leitlinie" 8 6 einer Legaldefinition bzw. als „eine dehnbare und in mancher Hinsicht auslegungsbedürftige Generalklausel" 87 angesehen worden ist, die so allgemein gehalten sei, daß eine sichere Bestimmung ihres Anwendungsbereichs nicht immer möglich sei. 88 Stein bestreitet Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG sowohl die Qualität einer „Legaldefinition" als auch einer „Generalklausel". 89 Schärfer hat Reinfried Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG als „vage, undeutlich und substanzlos" bezeichnet90; mit der Vorschrift solle nur „der allgemeine Aufgabenkreis der Bundeswehrverwaltung" umrissen sein. 91 Vor allem Schulte hat hier die Gegenposition vertreten: Der Verfassungsgesetzgeber habe mit Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG einen materiellen Wehrverwaltungsbegriff gar nicht schaffen können und wollen; die Vorschrift sei vielmehr als Festlegung der Aufgaben der Bundeswehrverwaltung aufzufassen und enthalte insofern einen „fest begrenzten (d. h. wohl: nicht überschreitbaren, 84 Protokoll Nr. 114, S. 13, 18; vgl. auch Dürig, Günter in Maunz /Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 23. 85 So Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, II.2.a); ähnlich Schäfer, Hans: Grundgesetz und Bundeswehr, NJW 1956, S. 529-533 (532) („Versuch einer Definition"). 86 So Witte, Franz-Werner: Der materielle und formelle Begriff der Wehrverwaltung, DVB1. 1964, S. 60-65 (63). 87 So Reinfried, Hubert / Steinebach, Nikolaus: Bundeswehrverwaltung, S. 51. 88 Vgl. Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 19; v. Mangoldt, Hermann /Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 b, III.4.b)bb). 89 Vgl. Stein, Horst: Verteidigungsfunktion und Grundgesetzordnung, S. 55. 90 Vgl. Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 38. 91 Vgl. Reinfried, Hubert: Die Bundeswehrverwaltung, ein neuer Zweig der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1958, S. 142-146 (144).
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Anm. d. Verf.) Aufgabenkreis der Bundeswehrverwaltung". Dafür spreche im übrigen — so Schulte — die Tatsache, daß die Norm trotz des Wissens um die generelle Undefinierbarkeit des Begriffs Wehrverwaltung Eingang in die Verfassung gefunden habe.92 Wäre dieser Argumentation Schultes zu folgen, so könnte die Tätigkeit der Rechtsberater nicht mehr unter Art. 87 b Abs. 1 GG gefaßt werden, da sie in toto weder Aufgaben des Personalwesens noch der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte dient. Da auch die Einordnung als Annexfunktion der Truppendienstgerichtsbarkeit gem. Art. 96 Abs. 4 GG — wie gesehen — ausscheidet, wäre der Schluß auf die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der Rechtsberatung der Streitkräfte unausweichlich, will man nicht Zuflucht zu ungeschriebenen Zuständigkeiten des Bundes nehmen. Letzteres sollte jedoch nur in Ausnahmefällen geschehen und ist hier auch nicht erforderlich. Der Standpunkt Schultes hält nämlich der Kritik nicht stand. Sein Zugriff auf die Entstehungsgeschichte bietet zwar den richtigen Ansatz zur Problemlösung; bei der genetischen Auslegung des Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG setzt er jedoch falsche Akzente. Seine zu dogmatisch anmutende Unterscheidung von materiellem Wehrverwaltungsbegriff und Aufgabenzuweisung 93 geht an der historischen Tatsache vorbei, daß der Formulierung des Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG vor allem ein politischer Impetus zugrundelag, der trotz der bekannten Definitionsprobleme nach einer Umsetzung in Verfassungstext verlangte. 94 Gerade weil den Vertretern von Bundestag und Bundesrat die praktische Unmöglichkeit einer allgemeinen Bestimmung des Wehrverwaltungsbegriffs bewußt war, enthält auch Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG keine solche Definition, sondern nur den Versuch einer annäherungsweisen Lösung. Reinfried hat in diesem Zusammenhang von einer bloß „einengenden" Funktion der Norm gesprochen 95; ähnlich zurückhaltend klingt eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts, nach der Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG den originären Tätigkeitsbereich der Bundeswehrverwaltung nur „umschreibt". 96 Sofern also Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG der Bundeswehrverwaltung das Personalwesen und
92 Vgl. Schulte, Hermann: Die verfassungsrechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, S. 131-139; ihm folgend Hernekamp, Karl-Andreas, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 87 b Rn. 24. 93 Diese Differenzierung Schultes ist ohnehin nicht nachvollziehbar, denn im herkömmlichen Verständnis soll gerade der materielle Verwaltungsbegriff eine allgemeine Umschreibung von Aufgaben und Inhalten der Verwaltung leisten; vgl. Wolff, Hans J. / Bachof, Otto: Verwaltungsrecht I, S. 7-16. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, daß den „Vätern" der Vorschrift die von Schulte getroffene Unterscheidung bewußt war. 94 Zur Notwendigkeit politischer Verfassungsinterpretation vgl. Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. I, S. 129. 95 Vgl. Reinfried, Hubert: Die Bundeswehrverwaltung, ein neuer Zweig der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1958, S. 142-146 (143). 96 Urteil v. 13.4.1978, BVerfGE 48, S. 127 (178); zustimmend Lerche, Peter: Verfassungsfragen der Bundeswehrverwaltung, in: Das akzeptierte Grundgesetz, S. 401-410 (404).
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung
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die Sachbedarfsdeckung überträgt, ist dies offensichtlich nicht als eine abschließende, sozusagen „wasserdichte" Legaldefinition gedacht. Damit ist die Frage gestellt, wie denn der Zuständigkeitsbereich der Bundeswehrverwaltung positiv bestimmt werden kann, wenn der Verfassungstext selbst die abschließende Festlegung ihrer Kompetenzen offenbar nicht erlaubt. Nach einer in den fünfziger Jahren von Cartellieri geäußerten Ansicht soll Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG nur als allgemeine Chiffre für Aufgaben dienen, „die wegen ihrer engen Verzahnung mit den unmittelbaren Bedürfnissen der Streitkräfte nicht von schon vorhandenen Trägern der Verwaltung des Bundes, der Länder oder der Gemeinden wahrgenommen werden können." 97 In diesem unmittelbaren Bezug zu den Streitkräften erblickt die herrschende Meinung sogar das eigentliche Abgrenzungskriterium des Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG 9 8 ; die Vorschrift enthält nach Jess „eine Beschränkung auf die in engem Zusammenhang mit den militärischen Aufgaben stehenden typischen Verwaltungsfunktionen". 99 Weitergehend verzichten zahlreiche Darstellungen völlig auf eine getrennte Behandlung der Komplexe Personalwesen und Sachbedarf und beschreiben die Aufgaben der Bundeswehrverwaltung en bloc. 1 0 0 Mit diesem Normverständnis wird freilich der Kreis der von Art. 87 b Abs. 1 GG gemeinten Bundeswehrverwaltungsaufgaben wiederum unvertretbar weit gezogen: So lassen sich durchaus administrative Tätigkeiten — außerhalb der 97 Vgl. Cartellieri, Wolfgang: Bundeswehrverwaltung, S. 5. Ähnlich hatte schon Theodor Blank in seiner Regierungserklärung vom 27.6.1955 geäußert: „Nur diejenigen Aufgaben werden in die Zuständigkeit der geplanten zivilen Verwaltungsorganisation fallen, die mit den Streitkräften unlösbar eng verflochten sind..(Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 92. Sitzung, S. 5218 f.). 98 Vgl. Cartellieri, Wolfgang: Bundeswehrverwaltung, S. 8; Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 19; ders. : Die Bundeswehrverwaltung in verfassungsrechtlicher Sicht, BayVBl. 1963, S. 129-133 (131); Hahnenfeld, Günter: Wehrverfassungsrecht, S. 95; Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, II.2.a); v. Mangoldt, Hermann /Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 87 b, m.4.b)bb); Reinfried, Hubert: Die Bundeswehrverwaltung, ein neuer Zweig der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1958, S. 142-146 (143); ders. : Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 38 („Zweckbindung an die Streitkräfte"); Reinfried, Hubert / Steinebach, Nikolaus: Bundeswehrverwaltung, S. 51; Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 1 ; kritisch aber neuerdings Lerche, Peter: Verfassungsfragen der Bundeswehrverwaltung, in: Das akzeptierte Grundgesetz, S. 401-410 (406). 99 Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, II.2.a). 100 Vgl. Cartellieri, Wolfgang: Bundeswehrverwaltung, S. 22-28; Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 23; Hahnenfeld, Günter: Wehrverfassungsrecht, S. 95 f.; Jess, Edmund, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 b, II.2.a); Meyer-Dalheuer: Probleme der Bundeswehrverwaltung, DVB1. 1957, S. 185-191 (188); Reinfried, Hubert / Steinebach, Nikolaus: Bundeswehrverwaltung, S. 64-91; Reinfried, Hubert: Die Bundeswehrverwaltung, ein neuer Zweig der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1958, S. 142-146 (144); anders Hernekamp, Karl-Andreas, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 87 b Rn. 7 f. Auch das BMVg geht von einem einheitlichen Aufgabenblock der Bundeswehrverwaltung aus (Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr —, Nr. 192).
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
unproblematischen Komplexe „Personalwesen" und „Sachbedarfsdeckung" — denken, die einen unmittelbaren Bezug zu den Streitkräften aufweisen, gleichwohl aber wegen ihrer Außenwirkung mit der festgestellten Absicht des historischen Verfassungsgebers kollidieren, der Bundeswehrverwaltung grundsätzlich nur interne Verwaltungsaufgaben zuzuschreiben (z.B. die Auflösung einer Anti-Bundeswehr-Demonstration vor der Kaserne durch die örtliche Truppen Verwaltung). Den durch die Quellenexegese bezeugten Intentionen des Verfassungsgebers wird daher nur eine Auslegung gerecht, die beide Merkmale berücksichtigt, indem sie die ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge, sofern sie einen unmittelbaren Bezug zu den Streitkräften aufweisen, vollständig der Bundeswehrverwaltung zuschreibt und die explizit genannten Fälle „Personalwesen" und „unmittelbare Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte" als Zweifelsfälle von Verwaltungsvorgängen versteht, die zwar wesensnotwendig mit Außenwirkungen verbunden sind, auf Grund der politischen Entscheidung des pouvoir constituant jedoch ebenfalls als Bundeswehr-Interna anerkannt sind. Diese Erkenntnis läßt sich in folgende Formel kleiden: Originäre Aufgaben der Bundeswehrverwaltung im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sind alle ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge in der Bundeswehr, soweit sie einen unmittelbaren Bezug zu den Streitkräften aufweisen, sowie die — in Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich genannten — Bereiche des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte. Dieses Verständnis des Begriffs der „Bundeswehrverwaltung" wird mit geringfügigen Abweichungen auch von Reinfried vertreten, der sich wie folgt äußert: „Die Generalklausel läßt begrifflich zusätzliche Aufgaben zu, sofern sie im internen Raum der Bundeswehr wahrgenommen werden und auf der Linie von Personalwesen und Sachbedarfsdeckung liegen." 101 Ob Reinfried in der zweiten Einschränkung („auf der Linie von Personalwesen und Sachbedarfsdeckung") tatsächlich eine vollwertige Voraussetzung sieht, darf angesichts einiger von ihm gewählter Beispiele für „zusätzliche Aufgaben" („Sprachmittlerwesen, die Justitiarangelegenheiten, . . . den Umweltschutz") eher bezweifelt werden. 102 Legt man der weiteren Betrachtung ein solchermaßen erweitertes Verständnis des Begriffs der Bundeswehrverwaltung zugrunde, so ergibt sich, daß die Aufgaben der Rechtsberater geradezu typische Wehrverwaltungsaufgaben sind. Die „unmittelbaren Führungshilfen", die diese Beamten nach Ansicht Hiehles 103 den Kommandeuren „personenbezogen" zur Verfügung stellen, sind geradezu ein Musterfall jener ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge mit unmittelbarem 101
Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 41. 102 Daß die Bundeswehrverwaltung „hauptsächlich interne Verwaltung" ist, betont auch Dürig (in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 25), ohne freilich die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. 1( 3 > S. Abschnitt IV. 1 .b)aa). Hiehle verfolgt mit dieser Skizzierung freilich den Zweck, die Rechtsberater gerade aus der Bundeswehrverwaltung auszugrenzen.
1. Der Standort des Rechtsberaters in der Wehrverfassung
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Bezug zu den Streitkräften, die nach hier vertretener Auffassung das Wesen der bundeseigenen Wehrverwaltung definieren. Die Klassifizierung der Rechtsberatung der Streitkräfte als (Wehr-)Verwaltungshandeln des Bundes fügt sich nahtlos in die Erkenntnisse der modernen Verwaltungslehre ein. Dort ist längst die Existenz und die Notwendigkeit institutionalisierter verwaltungsinterner Kontrollmechanismen bekannt, die mit der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit, Effektivität, Zweckmäßigkeit, aber auch (und vor allem) der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns betraut sein können m(Intra-Organ-Kontrolle 105). Der Begriff der Kontrolle wird dabei nicht auf die nachträgliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen reduziert, sondern in einem weiteren Sinne auch als entscheidungsbegleitende Präventivkontrolle verstanden. 106 Erkennt man ferner 107 mit der herrschenden Meinung an, daß der Kontrollbegriff eine Befugnis zur eigenverantwortlichen Korrektur von Entscheidungen keineswegs als wesensimmanent voraussetzt, vielmehr auch eine rein diagnostisch-indizierende Tätigkeit im Sinne eines Vergleichs von Ist- und Sollzustand darunter gefaßt werden kann, so wird deutlich, daß die Rechtsberater als ein solches Kontrollinstrument zur Vermeidung von Rechtsverstößen in der Truppenführung begriffen werden müssen. 1 0 8 104 Vgl. Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 870-879; Brohm, Winfried: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, S. 207-248; Pitschas, Rainer: Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 390-400; Thieme, Werner: Verwaltungslehre, Rn. 495, 508. los Der Begriff der Intra-Organ-Kontrolle stammt ursprünglich von Karl Loewenstein, der damit eine Kontrolleinrichtung innerhalb der Organisation eines Trägers politischer Macht bezeichnete (Verfassungslehre, S. 167). Wegen seines allgemeinen Gehalts kann der Begriff aber für den gesamten staatlichen Bereich gewinnbringend angewendet werden. 106 Vgl. Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 870 f.; Brunner, Georg: Kontrolle in Deutschland, S. 255-258; Krebs, Walter: Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, S. 34- 37. Pitschas definiert Kontrolle als „einen dynamischen Prozeß der vorgängigen, begleitenden oder nachträglichen Einwirkung eines Staatsorgans auf andere Organe oder Institutionen" (Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 393). 107 Vgl. Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 872; Krebs, Walter: Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, S. 4-6; zur „Diagnosefunktion" der Verfahrenskontrolle auch Pitschas, Rainer: Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 398. Thieme (Verwaltungslehre, Rn. 495) und Brohm (Sachverständige Beratung des Staates, S. 220 f.) heben zu Recht den engen Zusammenhang von Beratung und Kontrolle hervor. los Auch Kleiner betrachtet den Rechtsberater als „Rechtskontrollorgan", leitet daraus freilich die unrichtige Schlußfolgerung ab, daß dieses Amt institutionell weder zur Bundeswehrverwaltung gehöre noch in die Streitkräfte eingegliedert sei (Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen [Teil I], BWVerw 1987, S. 232-234 [232]). Demandi erkennt ebenfalls die Kontrollfunktion des Rechtsberaters („Kontrolle von innen"), möchte dies jedoch als Ausdruck von „Mißtrauen" verstanden wissen, „das den Soldaten trotz ihrer nach § 8 SG gesetzlichen Pflicht, in ihrem gesamten Verhalten für die Erhaltung der Rechtsordnung des Staates einzutreten, entgegengebracht wird" (Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr — Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990, S. 201-206 [203]). Aus den genannten Gründen kann dem nicht gefolgt werden.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Ein letztes Bedenken gilt es auszuräumen. Es läßt sich nämlich der Standpunkt vertreten, Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG verlange mit den Schlüsselbegriffen Personalwesen und Sachbedarf einen so unmittelbaren Bezug auf die Streitkräfte, daß bei Fehlen entsprechender Verwaltungsstellen die militärische Operationsfähigkeit der Truppe gefährdet sei. In diesem Sinne könnte eine Äußerung des ersten BMVg Blank in seiner Regierungserklärung vom 27. Juni 1955 zu verstehen sein, nach der die zivile Verteidigungsorganisation so eng mit den Streitkräften zusammenhängen solle, „daß die Truppe bei ihrer Herausnahme aus der Verteidigungsorganisation nicht lebens- und funktionsfähig wäre". 109 Zieht man den Kreis so eng, wie Blank es tut, dürfte die juristische Beratung der Kommandeure nicht mehr in bundeseigener Wehrverwaltung durchgeführt werden, da die militärische Operationsfähigkeit der Streitkräfte durch Eliminierung von Rechtsberatung und -unterrichtung nicht gefährdet würde. Zu einer solch restriktiven Auslegung von Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG besteht jedoch keine Veranlassung. Es ist schon fraglich, ob der Begriff der militärischen Operationsfähigkeit die erforderliche Abgrenzungsleistung überhaupt erbringen könnte. Der Haupteinwand liegt aber darin, daß selbst die ausdrücklich dort genannten Materien des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte nicht in vollem Umfang Faktoren der militärischen Operationsfähigkeit sind. So wurde schon erwähnt no , daß in den Beratungen bewußt der Begriff des Personalwesens anstelle von Personalbedarf gewählt worden ist, um die gesamte Verwaltungstätigkeit der Streitkräfte und des BMVg in personeller Hinsicht zu erfassen. Hierzu zählen auch Gebiete wie das Beschwerdewesen, das Versorgungs-, Unterhaltssicherungs- und Beihilferecht, die einen höchstens mittelbaren Bezug auf die Schlagkraft der Truppe aufweisen. Gleiches läßt sich von vielen Bereichen der Sachbedarfsdeckung sagen (z.B. Kassen- und Rechnungswesen). De constitutione lata ist folglich nicht ersichtlich, daß solche, die militärische Operationsfähigkeit nur mittelbar tangierende Verwaltungsaufgaben nicht in bundeseigener Verwaltung gem. Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG erledigt werden dürfen. Die Verwendung von Rechtsberatern in der Bundeswehrverwaltung ist also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht angreifbar. Im Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß die Rechtsberater verfassungsrechtlich zur Bundeswehrverwaltung im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 GG gehören. Die anderslautende Auffassung des BMVg, der dieses Amt dem Organisationsbereich Rechtswesen in der Bundeswehr und damit der Truppendienstgerichtsbarkeit gem. Art. 96 Abs. 4 GG zuordnet, stellt sich als Fall einer verfassungsrechtlichen falsa demonstratio dar. Natürlich ist es — das sei bei aller Selbstverständlichkeit gesagt — dem BMVg unbenommen, innerhalb der Bundeswehrverwaltung für die Rechtsberater einen gesonderten Fachdienstweg vorzusehen, wie dies 1956 109 Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 92. Sitzung, S. 5218. no s. Fn. 68.
2. Rechtsberatung verfassungsrechtlich gefordert?
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in der VorlDienstAnw geschehen ist. 1 1 1 Hierfür mag eine Reihe von Gesichtspunkten sprechen, wie etwa der, daß die juristische Beratung der Truppenführer in aller Regel gänzlich andere Rechtskenntnisse verlangt als die verwaltungsmäßige Betreuung des Verbandes. Nicht jedoch geht es an, daraus einen wesensmäßigen Unterschied zur Bundeswehrverwaltung zu konstruieren, um sodann den Rechtsberater an einer von der Verfassung nicht vorgesehenen Position zu piazieren.
2. Ist die Rechtsberatung militärischer Führer in der Bundeswehr ab einer bestimmten Kommandoebene verfassungsrechtlich gefordert? Die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland sind an Gesetz und Recht gebunden. Diese Feststellung leitet sich, setzt man die heute praktisch unbestrittene Zugehörigkeit der Armee zur „vollziehenden Gewalt" voraus 112 , unmittelbar aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (richtigerweise müßte es heißen: der vollziehenden Gewalt 113 ) ab, dessen Geltung — zumindest soweit der Vorrang des Gesetzes berührt ist — dem Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmen ist. Noch sichtbareren Ausdruck hat der Wille des Verfassungsgebers, die Streitkräfte in das rechtsstaatlich-demokratische Gefüge der Bundesrepublik zu integrieren, in Art. 1 Abs. 3 GG erfahren: Die im Rahmen der zweiten Wehrnovelle von 1956 114 geänderte Vorschrift bezieht seitdem nicht mehr nur die „Verwaltung", sondern die gesamte „vollziehende Gewalt" und damit zweifelsfrei auch die Streitkräfte in die unmittelbare Grundrechtsbindung der Staatsgewalt ein. Faßt man schließlich noch Art. 25 GG ins Auge, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts in das Bundesrecht implementiert, so ist zu konstatieren, daß die Verfassung ein System lückenloser Rechtsunterworfenheit des militärischen Apparates konstruiert hat. m Zur Problematik des Begriffes „Fachdienstweg" im Zusammenhang mit den Rechtsberatern s. Abschnitt V.2. 112 Α. Α., soweit ersichtlich, nur Lerche, Peter: Grundrechte der Soldaten, in Bettermann / Nipperdey / Scheuner: Grundrechte, 4. Bd., 1. Hbbd., S. 447-535 (454 f.): „Wo immer eine Allgemeinheit von Bürgern am Vollzuge staatlicher Aufgaben beteiligt wird, ist der reine Hausbereich des ,Exekutiven* notwendig durchbrochen." Lerche ist entgegenzuhalten, daß der Aspekt der Bürgerbeteiligung seine Auffassung nicht trägt. Dies gilt heute um so mehr, als einer umfassenden Partizipation der Bürger im Verwaltungsverfahren unter dem Stichwort Demokratieprinzip sogar verfassungsrechtliches Gewicht zugesprochen wird. Auch ist v. Unruh zuzustimmen, der darauf hinweist, daß Art. 1 Abs. 3 GG keine staatlichen Einrichtungen außerhalb der dort genannten duldet (Führung und Organisation der Streitkräfte, VVDStRL Heft 26 [1968], S. 157-206 [167]); ebenso Schnapp, Friedrich E., in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 20 Rn. 37. 113 Darauf weist zu Recht Herzog hin (in Maunz/Dürig: Grundgesetz, Art. 20, VI., Rn. 32). 114 7. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 19.3.1956 (BGBl. 1956 Teil I, S. 111-113).
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Die Umsetzung dieser strikten Bindung an Gesetz und Recht, die gem. § 10 Abs. 4 SG zu den Handlungsmaximen der Vorgesetzten bei der Befehlserteilung gehören muß, in die Verfassungswirklichkeit erfolgt in der Truppe unter zwei streitkräftespezifischen Grundbedingungen, die in der allgemeinen Staatsverwaltung 1 1 5 nicht gegeben sind und die die Frage aufwerfen, ob die Rechtsberatung militärischer Führer unter diesen Umständen nicht die Weihen eines verfassungsrechtlichen Gebots erhält. Die erste Grundbedingung läßt sich pauschal damit umschreiben, daß es in den militärischen Verbänden (d.h. in den Streitkräften im Sinne von Art. 87 a Abs. 1 GG) auf allen Ebenen an juristisch geschultem Fachpersonal fehlt, um die Gesetz- und Rechtmäßigkeit militärischen Handelns zu überprüfen und sicherzustellen. Schon 1959 erklärte ein Brigadekommandeur in einer Eingabe an das BMVg: „Die zunehmende Verwendung juristischer Begriffe in dienstlichen Schreiben, Anweisungen und Verfügungen und der vermehrte Eingang juristischer Denkweisen veranlassen mich, für die Brigade die Stelle eines Rechtsberaters zu beantragen." 116 Pointierter urteilte ein Jahrzehnt später ein anderer Offizier: „Ein Divisionskommandeur könnte heutzutage nicht mehr ohne Rechtsberater führen." 117 Solche oder ähnliche Äußerungen, in denen hohe Kommandeure ihre faktische Abhängigkeit von einem juristischen „Beistand" erkennen lassen, sind keine Seltenheit. In einem ersten Schritt wird daher zu analysieren sein, ob sie lediglich Ausdruck einer individuell als schwierig empfundenen Führungssituation sind oder vielmehr paradigmatisch für eine prinzipielle Sonderstellung der Streitkräfte innerhalb der Gesamtexekutive stehen. Die zweite streitkräftespezifische Grundbedingung, die die Umsetzung des Gesetzmäßigkeitsprinzips in der Truppe kennzeichnet, ist die — im Verhältnis zur allgemeinen Staatsverwaltung — signifikant geringere Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte im Falle ihres Einsatzes in einem internationalen bewaffneten Konflikt. Wie zu zeigen sein wird, ist die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG insofern mit einer immanenten Schranke behaftet, als die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte als Instrument der militärischen Landesverteidigung durch den freien Zugang der gegnerischen Konfliktpartei zu deutschen Verwaltungsgerichten gefährdet wäre. Die Konsequenz ist, daß weder ein Staat noch ein Angehöriger eines Staates, mit dem sich die Bundesrepublik im Kriegszustand befinden würde, den deutschen Rechtsweg mit der Behaup115
Im folgenden soll der Bereich der Exekutive, der nicht mit den Streitkräften und der Regierung deckungsgleich ist, als allgemeine Staatsverwaltung bezeichnet werden. Eine Stellungnahme zu der seinerzeit umstrittenen Frage, ob die Streitkräfte unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes zur Verwaltung gehören, ist damit nicht beabsichtigt (vgl. dazu Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 851-853 m.w.N.). 116 Zitiert nach Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (242). 117 Zitiert im Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/334, S. 18.
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tung beschreiten kann, die Streitkräfte hätten das Kriegsvölkerrecht verletzt oder eine solche Verletzung stehe unmittelbar bevor. Da somit ein wesentlicher Pfeiler des vom Grundgesetz errichteten Rechtsschutzsystems, nämlich die Überprüfung exekutivischen Handelns durch eine unabhängige Judikative, unter den genannten Bedingungen „einknicken" würde, liegt auch aus dieser Perspektive die Frage nahe, ob nicht die Einbringung juristischen Sachverstands in die Streitkräfte als eine verfassungsrechtlich gebotene Kompensation zugunsten des partiell rechtsschutzlosen Kriegsgegners verstanden werden muß.
a) Die erste Grundbedingung: Das Fehlen juristisch geschulten Fachpersonals in den Streitkräften aa) Der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte als eine prinzipiell rechtsnormunverträgliche Materie Verwaltung ist nicht gleich Gesetzesvollzug. Diese Warnung vor einer zu idealisierenden Sichtweise des Verhältnisses von Legislative und Exekutive ist nicht neu. Sie basiert auf der Erkenntnis, „daß die Verwaltung in großem Stile auch ohne besondere gesetzliche Vorschriften ständig Werte für das Gemeinwesen schafft . . . und die Staatszwecke in gleicher Weise wie die Legislative eigengestaltend verwirklicht". 118 Angesichts der von der Verwaltung entwickelten Aktivitäten — man denke an die kommunale Daseinsvorsorge, die Subventionsvergabe, das Planungswesen — läßt sich dieser These kaum widersprechen. Andererseits darf sie den Blick für die tatsächlichen Anteile von gesetzesgebundener und gesetzesfreier Verwaltung an der Gesamtexekutive nicht trüben. Die allgemeine Staatsverwaltung empfängt ihre wesentlichen Impulse — wenn auch mit Unterschieden in der Regelungsdichte — aus dem Gesetz bzw. aus gesetzesabgeleiteten Rechtsquellen (z.B. Rechts Verordnungen). Das ist — wie allgemein bekannt—ein Postulat des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts, der üblicherweise dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entnommen wird. 1 1 9 Mehr noch: Weite Bereiche der öffentlichen Verwaltung sind in einem solchen Ausmaß durch Rechtsnormen 120 eingeengt, daß häufige Klagen über die wachsende ,,Normenflut" an der Tagesordnung sind. 121 Exemplarisch sei die Finanzverwaltung 118
So Ossenbiihl, Fritz, in Erichsen / Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 101 (Hervorhebung durch OssenbühT). Vgl. Schnapp, Friedrich E., in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 20 Rn. 38. !2o Unter dem Begriff der „Rechtsnorm" wird im folgenden — entsprechend der Terminologie Maurers (Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4, Rn. 3) — eine hoheitliche generell-abstrakte Regelung des Außenrechts verstanden; erfaßt sind also nur Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen. Richter- und Gewohnheitsrecht können als irrelevant hier außer Betracht bleiben.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
genannt, deren Handlungsspielraum durch ein an Kompliziertheit kaum noch zu überbietendes Netz von Steuervorschriften stark eingeschränkt ist. 1 2 2 Aber auch die sog. „gesetzesfreie" Verwaltung bewegt sich in der Regel nicht, wie der Name vermuten läßt, in einem Normvakuum, sondern wird durch mehr oder minder detaillierte Zielvorgaben der Rechtsetzungsorgane gelenkt. So ist zwar die Straßenbauverwaltung bei der Entscheidung, ob, wo und wie eine Straße gebaut werden soll, grundsätzlich „frei"; bei der Planung sind jedoch selbstverständlich die jeweiligen Straßengesetze, übergeordnete Regionalplanungen (z.B. Landesentwicklungsprogramme) sowie eine Reihe weiterer gesetzlicher Vorschriften zu beachten.123 Ähnliches läßt sich für die kommunale Leistungsverwaltung sagen, die bei der Gestaltung der Daseinsvorsorge ebenfalls von einem dichten Geflecht gesetzlicher Vorgaben umgeben ist. Agiert somit die allgemeine Staatsverwaltung in einem umfassenden System abgestuft regelungsintensiver Rechtsnormen, das ihr Handeln bestimmt und lenkt, so ist die Situation in den Streitkräften nahezu spiegelverkehrt. Diese Feststellung trifft allgemein, in besonderem Maße aber auf die Bundesrepublik Deutschland zu, wo sich der pouvoir constituant 1956 entschieden hat, den Apparat zur Erfüllung unmittelbar streitkräftebezogener und „rechtsnormintensiver" Verwaltungsaufgaben aus der Truppe auszugliedern und letztere auf die rein militärische Funktion zu beschränken. Zwar sind auch die Streitkräfte von der Rechtsanwendung — namentlich im grundrechtsrelevanten Personalbereich (Soldaten-, Disziplinar·, Beschwerderecht) — nicht völlig entbunden, wie noch zu zeigen sein wird; im Zentrum ihrer Funktion steht jedoch eine Aufgabe, die sich über weite Strecken einer rechtlichen Determinierung entzieht, nämlich die Durchführung des Verteidigungsauftrags aus Art. 87 a Abs. 2 GG.124 So richtig es ist, daß die Vereinten Nationen in Ausfüllung von Art. 51 UN-Charta den Begriff des „be121
Vgl. Hillmann, Gert: Aspekte der Bürokratiediskussion, VerwArch Bd. 77 (1986), S. 1 - 29 (19 - 24); Isensee, Josef: Mehr Recht durch weniger Gesetze?, ZRP 1985, S. 139145; Vogel, Hans-Jochen: Zur Diskussion um die Normenflut, JZ 1979, S. 321-325 sowie die in der Einleitung, Fn. 6, Genannten. 122 Vgl. Kirchhof, Paul: Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen? (Gutachten F für den 57. Deutschen Juristentag). 123 Beispiel nach Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1 Rn. 25. 124 Diese Aufgabe läßt sich als Primärfunktion der Bundeswehr bezeichnen; zu anderen Aufgaben vgl. Speth, Wolfgang: Rechtsfragen des Einsatzes der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung sekundärer Verwendungen. Speth rechnet allerdings auch den Notstandseinsatz der Bundeswehr nach Art. 87 a Abs. 4 GG zur Primärfunktion (aaO, S. 27-44). Dieser Ansicht wird hier wegen der insoweit eindeutigen Gewichtung in Art. 87 a Abs. 2 GG nicht beigetreten; auch das Weißbuch 1994 sieht es als nach wie vor „primäre Aufgabe der Streitkräfte" an, „das Territorium der Bundesrepublik Deutschland, den Luftraum und die Küstengewässer verteidigen zu können" (BMVg: Weißbuch 1994, Nr. 520). Zustimmend aber wohl Busch, Eckart: Zu den sekundären Verwendungen der Bundeswehr, NZWehrR 1986, S. 111-117 (113). Letztlich handelt es sich allerdings nur um eine terminologische Differenz, aus der konkrete Rechtsfolgerungen nicht abzuleiten sind.
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waffneten Angriffs" wenigstens teilweise definiert und damit völkerrechtliche Standards für das Verständnis des Selbstverteidigungsrechts gesetzt haben: Die Modalitäten der Realisierung des Verteidigungsauftrags lassen sich nicht in starre Gesetzesform gießen, da der „Ernstfall", in dem sich der Verteidigungsauftrag erst aktualisieren würde 125 , in seiner konkreten Beschaffenheit nicht vorhersehbar ist. Die Streitkräfte entwickeln daher bei der Erfüllung ihres Auftrags ein genuin militärisches, per se rechtsnormunverträgliches Bedürfnis nach maximaler Operationsfreiheit, das in der allgemeinen Staatsverwaltung so nicht bekannt ist. Um es plastischer auszudrücken: Ob ein Divisionskommandeur in einer Gefechtslage X an einem Ort Y zu einem bestimmten militärischen Mittel Ζ greifen dürfte, hängt von so vielen, nicht zuletzt politischen Variablen ab, daß eine normative Festlegung dieses Kommandeurs a priori ausscheidet, ja sich im Interesse einer effektiven Landesverteidigung sogar verbietet. 126 Diese Unwägbarkeiten einer Kriegssituation bringen es mit sich, daß selbst gültige und keine ausdrückliche Einschränkung enthaltende Gesetze wie das UZwGBw und das BLG nach h.M. im Kampfgebiet keinen Geltungsanspruch entfalten können, wie Mußgnug überzeugend dargelegt hat. 127 In abgeschwächter Form gilt dieser Grundsatz prinzipieller Rechtsnormunverträglichkeit des Militärwesens auch außerhalb eines Verteidigungsfalles, da der Auftrag der deutschen Streitkräfte im Frieden — Gewährleistung der Einsatzbereitschaft und Vorbereitung eines möglichen Einsatzes im Verteidigungsfall 128 — im Kern einer rechtsnormförmlichen Festlegung kaum zugänglicher ist als der „Ernstfall". 129 Den Schlüssel zum Verständnis dieser Sonderstellung der Streitkräfte innerhalb der Exekutive hat schon vor über einem Jahrhundert Lorenz von Stein in seiner grundlegenden Abhandlung über „die Lehre vom Heerwesen" geliefert, indem er zutreffend darauf hinwies, daß „das, was das Heer wirklich thut, nicht auf 125 Auf die Besonderheit, daß den Streitkräften ihre eigentliche Vollzugsaufgabe erst im „Ernstfall" zuwächst, weist zu Recht Stern hin (Staatsrecht, Bd. II, S. 852). 126 Ein ähnliches Beispiel nennt Scheuner, Ulrich: Diskussionsbeitrag, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 278. 127 Vgl. Mußgnug, Reinhard: Die Befugnisse der Bundeswehr im Verteidigungsfall, DÖV 1989, S. 917-926 (921 ff.); vgl. auch Jess, Edmund IMann, Siegfried: UZwGBw, Einleitung, Rn. 53 („Gegenstand des UZwGBw ist nicht der Kampfeinsatz der Bundeswehr."). ™ Vgl. BMVg: Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 161 f. („Im Frieden müssen die Streitkräfte die personelle und materielle Einsatzbereitschaft gewährleisten sowie ihren Einsatz im Verteidigungsfall vorbereiten . . . Durch Einsatzbereitschaft im Frieden dienen die Streitkräfte der Abschreckung und sichern den Frieden."). 129 Sofern gelegentlich auch für das Wehrrecht die „Normenflut und Regelungsdichte" beklagt wird (so Walz, Dieter: Normenflut und Regelungsdichte, NZWehrR 1987, S. 230239), dürfte diesem Eindruck primär die in der Tat inflationär gestiegene Zahl von Verwaltungsvorschriften, Erlassen, Befehlen und Einzelweisungen in der Bundeswehr zugrundeliegen. Die Wehigesetzgebung selbst hat ihre Regelungsdichte seit 1957 kaum verändert und erfreut sich auch nach Ansicht Walz' „keiner sichtbaren Innovationskraft" (aaO, S. 232). 7 Baganz
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dem Wesen des Staats, sondern auf dem Willen des Feindes" beruhe. 130 Hier liegt der wohl gravierendste Unterschied zur allgemeinen Staatsverwaltung. Quaritsch hat ihn wie folgt beschrieben: „Während weite Bereiche der Staatsverwaltung, z.B. die Steuerverwaltung, im wesentlichen als rechtssatzanwendende Verwaltung existieren, schaffen die Normen des Wehrrechts und des Völkerrechts nur die Existenzgrundlage und den Bewegungsrahmen der Streitkräfte; ihr eigentliches Handeln, das Handeln, wofür sie überhaupt geschaffen sind, nämlich der Krieg und die Übung des Krieges, ist naturgemäß weder durch Gesetze noch durch Rechtsverordnungen normierbar." 131 Schlagwortartig läßt sich mit Wertenbruch formulieren: „Der Soldat f ü h r t . . . keine Gesetze, sondern im Rahmen des Rechts Befehle aus." 132 Letztlich beruht diese Erkenntnis auf dem unauflösbaren Spannungsverhältnis zwischen Krieg und Recht 133 ; ein militärischer Einsatz kann 130 Stein, Lorenz von: Die Lehre vom Heerwesen, S. 13; zustimmend Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 155 und Quaritsch, Helmut: Führung und Organisation der Streitkräfte, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 207-259 (219 f.). 131 Quaritsch, Helmut: Führung und Organisation der Streitkräfte, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 207-259 (209 f.); ähnlich schon Stein, Lorenz von: Die Lehre vom Heerwesen, S. 12 („Das Gesetz hat bei dem Heere eine Grenze, die es bei keinem andern Theile des Staatslebens findet."), S. 13 („Das Objekt des Gesetzes sind alle Bedingungen des Heeres; das Objekt des Befehls ist die Verwendung dieser Bedingungen.") und S. 166. 132 Wertenbruch, Wilhelm: Die Begriffe: Beamter, Richter, Soldat auf bundesrechtlicher Grundlage, DÖV 1960, S. 672-680 (677); ähnlich wiederum Stein, Lorenz von: Die Lehre vom Heerwesen, S. 13: „Der Befehl beginnt da, wo das Gesetz aufhört." Schon Cicero war der Überzeugung, daß die Gesetze im Gefecht schweigen: „Silent enim leges inter arma, nec se exspectari iubent, quum ei, qui exspectare velit, ante iniusta poena luenda sit, quam iusta repetenda." (Oratio pro T. Annio Milone). 133 Seidl-Hohenveidern spricht von dem „letztlich unauflöslichen Widerspruch zwischen Kriegsführung und Menschlichkeit", den das humanitäre Völkerrecht überwinden wolle (Völkerrecht, Rn. 1811). Einen anderen, mehr individualrechtlichen Akzent setzt Moritz, nach dem „die Streitkräfte einem natürlichen Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen des militärischen Auftrags und dem Rechtsschutz des einzelnen unterliegen" (Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 [249]). Vgl. auch den Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/334, S. 18 („natürliches und ständiges Spannungsverhältnis zwischen militärischer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einerseits und den beschränkenden Bestimmungen der Rechtsordnung andererseits... "). Wenn Assmann Recht und militärisches Erfordernis für „letztlich identisch" hält (Führen nach geltendem Recht — Rechtsberater und Truppenführer —, NZWehrR 1987, S. 111-115 [114]), so erscheint diese These angesichts „vorprogrammierter" Differenzen zwischen Militärs und Juristen wirklichkeitsfremd und eher eine Wunschvorstellung zu sein (vgl. auch Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 176). Die Erfahrungen der Rechtslehrer belegen hinreichend, daß gerade bei der Vermittlung des Kriegsvölkerrechts „beträchtliche Vorbehalte und Animositäten" bestehen (so Lingens, Eric: Rechtsausbildung des angehenden Disziplinarvorgesetzten an der Offizierschule des Heeres, Truppenpraxis 1981, S. 298-301 [299]; ähnlich Eichen, Klaus Dieter / Walz, Dieter: Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts, NZWehrR 1988, S. 146-156 [147]). Im irakisch-alliierten Golfkrieg ist die hier existierende Spannungslage erneut zu Tage getreten, was das IKRK in seinem Kommuniqué v. 1.2.1991 (abgedruckt in der F.A.Z. v. 2.2.1991) zu folgender Warnung veranlaßt hat: „Einer der erschreckendsten Aspekte dieses Konflikts ist die Gefahr, daß das Kriegs-
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nach heutigem Völkerrecht ex definitione nur in einer Situation in Betracht kommen, in der das Recht seine ordnende Funktion im zwischenstaatlichen Bereich eben gerade verloren hat. 134 Deswegen kann auch die Existenz des humanitären Völkerrechts kein Argument gegen die hier vertretene Sonderstellung der Streitkräfte innerhalb der Exekutive sein: Dieses Recht wird von der Armee nicht „ausgeführt", sondern zeigt nur dem „an sich" rechtswidrigen Zustand des Krieges letzte Grenzen auf. 135 Mit der Aufdeckung dieser Unterschiede mag eine randscharfe Abgrenzbarkeit der Streitkräfte von der allgemeinen Staatsverwaltung nicht gewonnen sein. Das liegt vor allem daran, daß der Staat des Bonner Grundgesetzes im Kriege nicht, wie Otto Mayer es noch für das Deutsche Reich vertreten hat 1 3 6 , aus seiner eigenen nationalen Rechtsordnung heraustritt, sondern die eingangs genannten Bindungen an Recht und Gesetz ohne Unterbrechung fortbestehen; eine andere Deutung wäre mit der Verfassung nicht vereinbar. Dennoch zeitigt die Tatsache, daß das militärische Kommando „seiner Natur nach unbedingt und an Rechtsschranken nur notdürftig gebunden ist" 1 3 7 , Konsequenzen für das Potential an juristischem Sachverstand in den Streitkräften. In der allgemeinen Staatsverwaltung, die — wie gezeigt — in mehr oder minder großem Umfang durch Rechtsnormen determiniert ist, liegt das Hauptgewicht der täglichen Arbeit in der Anwendung und Umsetzung dieser Normen. Der jeweilige Staatsbedienstete — sei er Beamter oder Angestellter — vollzieht mit Unterstützung durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften die gesetzlichen oder als Rechtsverordnung ergangenen Konditionalprogramme der Rechtsetzungsorgane und wird infolgedessen auf dem von ihm bearbeiteten Gebiet selbst zum „Rechtsexperten"; dies um so stärker, je mehr die eigentlich fachliche Arbeit identisch ist mit dem Normvollzug. 138 Auch für die sog. gesetzesfreie Verwaltung trifft diese Feststellung im Grundsatz zu, wie oben dargelegt
recht — Ausdruck unabdinglicher universeller Grundsätze der Menschheit und Forderung des öffentlichen Gewissens — angesichts kurzfristiger politischer, militärischer oder propagandistischer Sachzwänge unterzugehen droht." 134 Im heutigem Völkerrecht gilt ein umfassendes Kriegs- und Gewaltverbot; davon ausgenommen ist lediglich das Recht zur (individuellen oder kollektiven) Selbstverteidigung gem. Art. 51 UN-Charta (vgl. Kimminich, Otto: Einführung in das Völkerrecht, S. 91 f.; Verdross, Alfred / Simma, Bruno: Universelles Völkerrecht, S. 68, 902 f.). 135 Vgl. Deutsches Rotes Kreuz: Handbuch des Deutschen Roten Kreuzes zum IV. Genfer Rotkreuz-Abkommen und zu den Zusatzprotokollen (Heft für Juristen), S. 11; Kimminich, Otto: Einführung in das Völkerrecht, S. 417. 136 Vgl. Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht, l.Bd., S. 9; wohl auch Ipsen, Hans Peter: Diskussionsbeitrag, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 277; a. A. Kaufmann, E., in Stengel / Fleischmann: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, Bd. 3, S. 701; v. Unruh, Georg-Christoph: Führung und Organisation der Streitkräfte, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 157-206 (169). 137 So Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 10. 138 Vgl. Arnim, Hans Herbert v.: Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 353. i*
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wurde. Aufgabe und juristischer Sachverstand fallen also im Normalfall zusammen; folgerichtig erlegen die Beamtengesetze des Bundes und der Länder dem Beamten ausdrücklich die volle persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen auf. 139 Dieser für weite Teile der öffentlichen Verwaltung charakteristischen Präponderanz des „juristischen Elements" korrespondiert auf der Ebene des höheren Dienstes eine Bevorzugung von Absolventen des rechtswissenschaftlichen Studiums: ein Phänomen, das gewöhnlich als „Juristenmonopol" bezeichnet wird. 1 4 0 Soweit Juristen nicht nur in besonders eingerichteten Rechtsabteilungen, sondern vorzugsweise auch in Spitzenstellungen der Verwaltung verwendet werden, entspricht dies nicht durchweg einem „Privileg", sondern ergibt sich zumindest in den eindeutig rechtlich determinierten Hoheitsverwaltungen aus den Aufgabennotwendigkeiten. 141 In den Streitkräften ist die Ausgangslage grundlegend anders. Zwar verfügen auch sie über Stabsoffiziere, die außerhalb der Bundeswehr eine volljuristische Ausbildung durchlaufen haben (StOffz[R]); diese Laufbahn ist jedoch u. a. wegen der in § 22 Abs. 1 Nr. 2 SLV aufgestellten Voraussetzungen — der Bewerber muß bei der Einstellung bereits Reserveoffizier sein — systemwidrig und eine seltene Ausnahmeerscheinung, was aus der äußerst geringen Anzahl der für solche „Rechtsoffiziere" vorgesehenen Dienstposten deutlich hervorgeht. 142 Die nur in Randbereichen (Soldaten-, Beschwerde-, Disziplinarrecht) konditionale, im wesentlichen aber finale Programmierung der Armee 143 („Auftrag: Verteidigung") führt vielmehr dazu, daß die Soldaten während ihrer Ausbildung und späteren Verwendung mit rechtlichen Problemstellungen verhältnismäßig selten in Berührung kommen. Das gilt für die Masse der Streitkräfte, nämlich die Mannschaftsdienstgrade, fast ausnahmslos.144 Daß auch sie an Recht und Gesetz 139 Vgl. nur § 56 Abs. 1 BBG, § 56 Abs. 2 BGSG, § 59 Abs. 1 LBG NW, § 71 Abs. 1 HessBG. 140 Zum „Juristenmonopol" vgl. Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 849 f.; Püttner, Günter: Verwaltungslehre, S. 195-197; Schnur, Roman: Privileg der Juristen in der Verwaltung?, Die Verwaltung Bd. 10 (1977), S. 141-159. Nach einer Untersuchung von Derlien (Wer macht in Bonn Karriere?, DÖV 1990, S. 311 - 319) haben 65 % der zwischen 1949 und 1984 amtierenden Minister und Spitzenbeamten des Bundes (Staatssekretäre, Abteilungsleiter) Rechtswissenschaft studiert. Mit weitem Abstand folgen die Wirtschaftswissenschaften (12,6%). 141 So überzeugend Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 849. 142 Im Mai 1990 gab es 22 Planstellen für StOffz(R), davon allein 14 in der Personalabteilung des BMVg und damit außerhalb der Streitkräfte; vgl. Demandi, Ecke: Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr — Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990, S. 201-206 (205 f.) („konzeptions- und perspektivlose Einrichtung"). 143 Die hier verwendeten Begriffe konditionale und finale Programmierung lehnen sich an die verbreitete Terminologie Niklas Luhmanns an (Legitimation durch Verfahren, S. 130). Vgl. dazu unter verwaltungswissenschaftlichen Aspekten Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 449 ff. 144 Im Jahre 1984 gehörten von insgesamt 480 700 Soldaten der Bundeswehr 287 700 (= 59,84%) den Mannschaftsdienstgraden an (BMVg: Weißbuch 1985 — Zur Lage und
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gebunden sind, bedarf im Lichte des Art. 20 Abs. 3 GG freilich keiner weiteren Ausführungen und kann unproblematisch als Bestandteil der soldatischen Grundpflichten angesehen werden. 145 Im Interesse einer Optimierung von Effektivität und Schlagkraft der Truppe hat der Gesetzgeber diese Bindung jedoch mediatisiert und in die Form einer umfassenden Gehorsamspflicht gegossen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SG) 1 4 6 ; sie enthebt den Untergebenen im Regelfall einer selbständigen Prüfung der Rechtslage und läßt diese nur auf der Ebene der Vorgesetzten stattfinden (§ 10 Abs. 4 SG). 147 Persönliche Verantwortung erwächst dem Untergebenen gem. § 11 Abs. 2 SG erst, wenn er durch die Befolgung des Befehls eine Straftat begehen würde und er dies erkennt oder es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. Nach der Konzeption des Soldatengesetzes stellt diese Situation einen Ausnahmefall dar. Flankiert wird dieses streng durchgeführte Prinzip von Befehl und Gehorsam durch die dem Beamtenrecht unbekannte Strafandrohung für Ungehorsam und Gehorsamsverweigerung gem. §§ 19, 20 WStG. Ist somit die überwiegende Zahl der Soldaten zu einer eigenverantwortlichen Prüfung von Rechtsfragen weder verpflichtet noch befugt 148 , so erhellt bereits aus diesem Umstand der tiefgreifende Unterschied zur allgemeinen Staatsverwaltung, in der die Anwendung von Rechtsnormen auf einen bestimmten Lebenssachverhalt, begleitet von einer persönlichen Verantwortung des jeweiligen Amtswalters, auf allen Hierarchieebenen die Substanz der täglichen Arbeit ausmacht. Dieses Kontrastbild verschiebt sich nur geringfügig, wenn man die Dienstgradgruppen der Unteroffiziere, Feldwebel und Offiziere in die Betrachtung einbezieht, denen — zumindest auf Grund des Dienstgrades (§ 4 VorgV) — stets Vorgesetzteneigenschaft zukommt. Gewiß ergeben sich hier Abweichungen schon aus der Vorschrift des § 10 Abs. 4 SG, nach der alle Vorgesetzten bei der Befehlserteilung die Regeln des Völkerrechts, die Gesetze sowie die Dienstvorschriften zu beachten haben; davon wird noch die Rede sein. Auch bei diesen Dienstgraden jedoch dominiert eindeutig das spezifisch militärische Moment ihrer Tätigkeit, die auf Wahrnehmung des „metajuristischen" VerteidigungsaufEntwicklung der Bundeswehr, S. 241). In den als Folge des Wiedervereinigungsprozesses auf 370 000 Mann verkleinerten Streitkräften beträgt ihr Anteil nur noch 52,16 % (BMVg: Weißbuch 1994, Nr. 543). 145 Vgl. Scherer, Werner / Alff, Richard: Soldatengesetz, § 7 Rn. 13. 146 Mit der Gehorsamspflicht hat das BVerfG begründet, daß die Verantwortung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Lufteinsatzes von Bundes wehr Soldaten über Bosnien-Hercegowina ausschließlich bei der Bundesregierung — und nicht bei den an dem Einsatz beteiligten Soldaten — lag (NJW 1993, S. 1317 [1318]). 147 Auch Mannschaftsdienstgrade können freilich Vorgesetzte sein, etwa als Vorgesetzte mit besonderem Aufgabenbereich (§ 3 VorgV) oder auf Grund besonderer Anordnung (§ 5 VorgV); in diesem Fall unterliegen auch sie den Bindungen des § 10 Abs. 4 SG. Da diese Unterstellungsverhältnisse jedoch quantitativ von untergeordneter Bedeutung sind, können sie an dieser Stelle vernachlässigt werden. 148 Vgl. zu dieser Besonderheit des Militärwesens schon Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 4, S. 37 f.
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trags als Truppenführer fixiert ist, nicht auf die Bewältigung von Rechtsfragen im durchnormierten „Innenraum" des Staates. Die besondere Natur des Auftrags, im Verteidigungsfall an der Wiederherstellung der territorialen Souveränität der Bundesrepublik mit militärischer Gewalt mitzuwirken, bringt es mit sich, daß die Ausbildung der Truppenführer vorwiegend militärisch bzw. militärfachlich 149 orientiert ist; im Mittelpunkt steht „die Erziehung und Ausbildung zum Führer im Gefecht und zum militärischen Vorgesetzten". 150 Das breite Spektrum an Sachwissen, das der hohe Technisierungsgrad und die allgemein hohe Komplexität des modernen Militärwesens den Soldaten abverlangt, läßt dabei nur wenig Raum für eine gründliche Rechtsausbildung.151 bb) Der Rechtsunterricht
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„Da die Vorgesetzten in aller Regel keine juristische Ausbildung haben, hat ihre Unterrichtung über das Recht großes Gewicht. Nur eigene Rechtskenntnisse helfen, ein waches Rechtsbewußtsein zu entwickeln und die rechtliche Bedeutung eines Sachverhalts zu erkennen und zu würdigen. Dies gilt um so mehr, als ein natürliches und ständiges Spannungsverhältnis zwischen militärischer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einerseits und den beschränkenden Bestimmungen der Rechtsordnung andererseits besteht." 153 Mit diesen Worten bekannte sich der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages in seinem Jahresbericht 1972 zu einer Überzeugung, die schon in der Konzeptionsphase der Bundeswehr viele Fachleute geteilt hatten. Bereits die sog. Himmeroder Denkschrift vom 9. Oktober 1950 hatte unter der Überschrift „Erziehung" die Forderung aufgestellt: „Völkerrechtsfragen sind in den Unterricht mit einzubeziehen."154 Diesen Gedanken griffen die Referate „Innere Führung" und „Völkerrecht" in der damaligen „Dienststelle Blank" auf und setzten ihn gegen mancherlei Bedenken der für die 149 Die Bundeswehr unterscheidet zwischen der allgemeinen militärischen Ausbildung und der fachlichen Ausbildung: während erste die soldatischen Grundkenntnisse vermitteln soll, dient letztere der Vorbereitung auf die spätere fachliche Verwendung (vgl. Bung, Hubert: Bildung, Erziehung und Ausbildung in der Bundeswehr, S. 13 f.). 150 BMVg: Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 720. 151 Vgl. Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 171. 152 Zum Rechtsunterricht in den Streitkräften vgl. Lingens, Eric: Rechtsausbildung des angehenden Disziplinarvorgesetzten an der Offizierschule des Heeres, Truppenpraxis 1981, S. 298-301; Reindl, Helmut: Der Rechtsunterricht in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 250-258; Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 176181 ; Steinkamm, Armin Α.: Die Rechtswissenschaft an den Hochschulen der Bundeswehr, NZWehrR 1976, S. 231-239; Waibel, Gerhard: Wehrrecht in der Offizierausbildung, in Bayer/Czapski u.a.: Zum öffentlichen Dienst- und Disziplinarrecht, S. 53-64; neuerdings umfassend Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht; ders.: Wissenschaftliche Überlegungen zu einer Rechtsausbildung in den Streitkräften, NZWehrR 1988, S. 24-32. 153 Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/334, S. 18. 154 Abgedruckt in MGM 1977, S. 168-192.
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militärische Ausbildung Verantwortlichen durch. 155 Mit der Einfügung des § 33 in das Soldatengesetz vom 19. März 1956 156 , der die Erteilung staatsbürgerlichen und völkerrechtlichen Unterrichts an die Soldaten vorschreibt, trug der Bundestag der Forderung der Himmeroder Denkschrift Rechnung. Damit war der gesetzliche Grundstein gelegt für einen systematischen Rechtsunterricht in den Streitkräften, der in der deutschen Militärgeschichte ohne Vorbild ist. 1 5 7 Über die gesetzliche Verpflichtung des § 33 SG hinaus werden die Soldaten seit 1956 auch auf den Gebieten des Verfassungs-, Soldaten-, Wehrdisziplinar-, Wehrbeschwerde-, Wehrstraf- und militärischen Ordnungsrechts (UZwGBw) unterrichtet. 158 An den Truppenschulen, Offizierschulen und Akademien der Bundeswehr stehen zu diesem Zweck 48 1 5 9 hauptamtliche zivile Rechtslehrer zur Verfügung, die nach der für sie geltenden Dienstanweisung160 die Befähigung zum Richteramt haben müssen und für die Rechtsunterrichtung der Offiziere und Feldwebel zuständig sind. 161 Da der Rechtsunterricht in der Bundeswehr zum Ausbildungsgebiet „Innere Führung" gehört 162 , wurde die notwendige Abgrenzung zu anderen Lehrfächern so vorgenommen, daß die Unterweisung in Fragen der praktischen Anwendung des Rechts (Handhabung der Disziplinargewalt etc.) militärischen Lehrern vorbehalten ist, während die Rechtslehrer für die rechtswissenschaftliche Grundausbildung der Soldaten zuständig sind. 163 Unterhalb der genannten Dienstgrade, also bei Unteroffizieren und Mannschaften, erfolgt die Ausbildung in der Regel durch den Einheitsführer bzw. einen Lehrstabsoffizier. Die Rechtsunterrichtung von Truppenoffizieren außerhalb von Ausbildungs- und Verwendungslehrgängen obliegt, wie schon erwähnt worden ist 1 6 4 , den Rechtsberatern des jeweils vorgesetzten Kommandeurs.
155 Einzelheiten zu dieser Entwicklung bei Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 155-172. 156 BGBl. 1956 Teil I, S. 114-126. 157 Vgl. Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 155; Reindl, Helmut: Der Rechtsunterricht in der Bundeswehr, NZWehrR 1976, S. 250-258 (251). 158 Vgl. Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 162; Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 178. 159 Stand: April 1994. 160 Dienstanweisung für Rechtslehrer an Schulen der Bundeswehr v. 15.12.1961 — VR II 8 — Az. 39-25-13 (abgedruckt bei Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 294296). 161 Vgl. Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 177 f. Den Rechtslehrern obliegt außerdem die Beratung des Schulkommandeurs „in einschlägigen Rechtsangelegenheiten" (Nr. III.2. der Dienstanw. für Rechtslehrer). Die hierin liegende Aufgabenüberschneidung mit den Rechtsberatern der Bundeswehr ist materieller, nicht aber organisatorischer Natur, da die Rechtsberater nur die Kommandeure / Befehlshaber der Truppe, nicht aber die Schulkommandeure beraten. 162 Vgl. Weisung des Generalinspekteurs der Bundeswehr v. 19.5.1980 (abgedruckt bei Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 304 f.). 163 Nr. III. 1. Abs. 3 der Dienstanw. für Rechtslehrer. 164 S. Abschnitt III.4.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Der Rechtsunterricht in den Streitkräften ist somit zu einem festen Bestandteil der soldatischen Ausbildung geworden, seine Einführung im Jahre 1956 zu Recht als „wesentliche Reformmaßnahme ihrer Zeit" 1 6 5 begrüßt worden, die „aus der Ausbildungs- und Erziehungsarbeit der Streitkräfte nicht mehr hinweggedacht werden kann." 166 Dennoch ist der Anteil des Rechtsunterrichts an der militärischen Gesamtausbildung bis heute verhältnismäßig gering geblieben. So erhält beispielsweise ein Heeresoffizier des Truppendienstes im Verlaufe seiner mindestens 15jährigen Aus- und Fortbildung bis zum Bataillonskommandeur-Lehrgang Teil A insgesamt nur 85 Stunden Rechtsunterricht, davon 61 bereits in den ersten 20 Monaten; für Luftwaffe und Marine sind die Vergleichszahlen nur deswegen höher (122 bzw. 238 1 6 7 Stunden), weil hier zahlreiche Spezialvorschriften des Luftverkehrs- bzw. Seerechts beherrscht werden müssen.168 Obgleich schon die Himmeroder Denkschrift 169 die Einbeziehung von Völkerrechtsfragen in den Unterricht forderte und § 33 SG die Erteilung völkerrechtlichen Unterrichts an die Soldaten vorschreibt, ist der Anteil des Kriegsvölkerrechts in der Ausbildung des Heeresoffiziers von 1957 bis 1985 auf insgesamt elf Stunden gesunken.170 Die Universitäten der Bundeswehr bieten zwar rechtswissenschaftliche Veranstaltungen in unterschiedlichem Umfang an; ein eigenständiger Studiengang ist daraus jedoch nicht entwickelt worden, so daß sich die Dozenten auf die Vermittlung von Grundlagenwissen konzentrieren müssen.171 Selbst in den Lehrgängen für die Spitzenpositionen in den Streitkräften an der Führungsakademie der Bundeswehr ist der rechtliche Teil der Ausbildung — gemessen an der Bedeutung 165 So Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 173. 166 So Reindl, Helmut: Der Rechtsunterricht in der Bundeswehr, NZWehrR 1976, S. 250-258 (258). 167 Davon 82 Stunden nicht Teil der Regelausbildung. 168 Das Zahlenmaterial ist einer Tabelle des BMVg entnommen, die im Jahresbericht 1988 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages abgedruckt ist (BT-Drucks. 11/ 3998, S. 9). Der Wehrbeauftragte kritisiert in diesem Bericht den Stundenansatz an den Offizierschulen des Heeres im Hinblick auf den dort zu vermittelnden Stoff als „zu gering" (aaO, S. 8; ebenso schon Lingens, Eric: Rechtsausbildung des angehenden Disziplinarvorgesetzten an der Offizierschule des Heeres, Truppenpraxis 1981, S. 298-301 [300]). In seiner großangelegten Untersuchung des Rechtsunterrichts in der Bundeswehr ist Reeb zu teilweise höheren Stundenzahlen gekommen (Militär und Recht, S. 316320); beispielsweise errechnet er für die Rechtsausbildung des Truppendienstoffiziers im Heer incl. Einheitsführer- und Bataillonskommandeur-Lehrgang eine Gesamtstundenzahl von (113 + 15 + 16 =) 144 Stunden. Wegen ihrer amtlichen Herkunft wird hier jedoch insoweit die Darstellung des BMVg zugrundegelegt. 169 s. Fn. 154. 170 Angabe bei Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 176, 317. Angesichts des generell etwas zu hoch gegriffenen Zahlenmaterials von Reeb (s. Fn. 168) dürfte die Zahl eher noch niedriger liegen. 171 Bis 1987 konnten die Pädagogik-Studenten der UniBw Hamburg das Wahlpflichtfach „Recht" studieren; das ist seitdem nicht mehr möglich. Zum rechtswissenschaftlichen Lehrangebot der beiden UniBw vgl. Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 297299; nicht mehr aktuell, aber noch instruktiv Steinkamm, Armin Α.: Die Rechtswissenschaft an den Hochschulen der Bundeswehr, NZWehrR 1976, S. 231-239.
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des Gegenstandes — gering: Der Lehrplan Stabsdienst — Verwendungslehrgang Fortbildungsstufe C 1 7 2 vom 17. Dezember 1984 sieht im Führungsgrundgebiet 1 (Personalwesen) 32 Stunden für den Gesamtkomplex „Wehrrecht" (Rechtliche Grundlagen, Wehrstrafrecht, Wehrdisziplinar- und -beschwerderecht, Status-, Laufbahn- und Urlaubsrecht, Personalrecht, Datenschutzrecht) vor sowie weitere drei Stunden für das Studium des Kriegsvölkerrechts. In den anderen Führungsgrundgebieten sind die Stundenansätze sogar noch niedriger. 173 Aus diesem Zahlenmaterial läßt sich die quantitativ verhältnismäßig geringe Bedeutung des Rechtsunterrichts in den Streitkräften unmittelbar ablesen. Sie schlägt sich erkennbar in Rechtskenntnis und Rechtsbewußtsein der Soldaten nieder. Bereits in seinem Jahresbericht 1972 bemängelte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, daß „der Rechtsunterricht an den Truppen- und Offizierschulen nicht immer ausreichende Rechtskenntnisse vermitteln kann." 174 Ein Jahr später mußte er feststellen, „daß die Ausbildung der Offizieranwärter und Offiziere in Rechtsfragen nicht ausreicht, sie zu befähigen, die rechtlichen Probleme des militärischen Alltags zu meistern." 175 Auch die umfassende Reform der Offizierausbildung in den 70er Jahren, die u. a. für längerdienende Offiziere das obligatorische Hochschulstudium eingeführt hat, vermochte an diesem Zustand nichts Entscheidendes zu verändern: Im Zusammenhang mit seiner Kritik an häufig mangelhafter Bearbeitung von Beschwerden rügte der Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht 1987 erneut „das Fehlen hinreichender Kenntnisse bei den für die Entscheidung befugten Disziplinarvorgesetzten." 176 Seine vorläufig letzte Stellungnahme zu diesem Thema ergab im Jahre 1989, daß die im Rechtsunterricht vermittelten Inhalte „zum Zeitpunkt des erstmaligen Einsatzes z.B. als Zugführer bzw. stellvertretender' Einheitsführer längst in Vergessenheit geraten" 1 7 7 seien, was den Wehrbeauftragten zu einer kritischen Beleuchtung des für den Rechtsunterricht gewählten Zeitpunkts veranlaßte. Der Kritik des Wehrbeauftragten wird immer wieder entgegengehalten, daß sie aus einem naheliegenden Rollenverständnis heraus bedauerliche Einzelfälle unzulässigerweise zu allgemeinen Aussagen verdichtet. Damit wäre freilich für die hier zu behandelnde verfassungsrechtliche Frage, nämlich ob die Rechtsberatung militärischer Führer unter den spezifischen Einsatzbedingungen der Bundeswehr als ein grundgesetzliches Postulat angesehen werden muß, nichts gewonnen. 172 Die Fortbildungsstufe C enthält die Ausbildung zum Stabsoffizier und die Ausbildung der Stabsoffiziere. Zu den verschiedenen Ausbildungsstufen in der Bundeswehr vgl. Bung, Hubert: Bildung, Erziehung und Ausbildung in der Bundeswehr, S. 11 f. 173 Angaben nach Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht, S. 321 f. 174 BT-Drucks. 7/334, S. 18. 175 BT-Drucks. 7/1765, S. 13. "β BT-Drucks. 11/2034, S. 10. 177 Jahresbericht 1988, BT-Drucks. 11 /3998, S. 8. Das kritisiert — aus der Sicht des Rechtslehrers — auch Lingens, Eric: Rechtsausbildung des angehenden Disziplinarvorgesetzten an der Offizierschule des Heeres, Truppenpraxis 1981, S. 298-301 (299).
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Will man in den Brennpunkt dieser Problematik vorrücken, so ist die Rechtsausbildung der Truppenführer ins Verhältnis zu setzen zu dem Maß an juristischem Sachverstand, das ihnen die sachgerechte und effektive Erfüllung ihrer Aufgaben abverlangt. Erst wenn hier eine auffällige Diskrepanz zu Tage tritt, die sich mit organisatorischen oder inhaltlichen Verbesserungen des Rechtsunterrichts nicht beseitigen läßt und die von der Sache her als „vorgegeben" betrachtet werden muß, kann überlegt werden, ob sich die Verfassung gegen einen solchen Zustand aktivieren läßt. cc) Die funktionsimmanente Diskrepanz von Verantwortung und juristischem Sachverstand auf der Ebene der Truppenführer der Bundeswehr Die bisherigen Überlegungen haben deutlich werden lassen, daß die Streitkräfte im Gegensatz zur allgemeinen Staatsverwaltung von einem im Kern rein final programmierten Auftrag geprägt sind; während die Verwaltung jene Art von Staatswillen zu vollziehen hat, der sich in einer Vielzahl von immer neuen Gesetzen, Rechtsverordnungen und anderen Rechtsnormen manifestiert, obliegt der Armee die Durchführung der im Grundgesetz pauschal „Verteidigung" genannten Aufgabe, die naturgemäß weiterer normativer Aufschlüsselung und Konkretisierung nicht mehr zugänglich ist. Es Schloß sich die Beobachtung an, daß in den Streitkräften die für die allgemeine Staatsverwaltung typische „juristische Arbeit", also die Anwendung von Rechtsnormen auf einen bestimmten Lebenssachverhalt, nur in sehr beschränktem Umfang zu leisten ist. Dieser vergleichsweise geringen Bedeutung des »juristischen Elements" entspricht, so ergab die Untersuchung, die quantitativ niedrige Gewichtung der Rechtsunterrichtung der Truppenführer, gemessen an ihrer Gesamtausbildungszeit. Diese Feststellungen, so sehr sie auch Wesensmerkmale des Militärwesens zu beschreiben vermögen, können andererseits ebensowenig absolut gelten wie die Aussage, daß die allgemeine Staatsverwaltung in weiten Teilen mit dem Vollzug von Rechtsnormen befaßt ist. Die Funktion der militärischen Landesverteidigung mag nach Art und Weise ihrer sachlichen Durchführung prinzipiell rechtsnormunverträglich sein; damit liegt jedoch nicht eo ipso die Gesamtheit dessen, was sich auf den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte bezieht, außerhalb der Reichweite innerstaatlicher Rechtsetzungsorgane. Insbesondere die Geltung der Grundrechte im Soldatenverhältnis, wie sie das Bonner Grundgesetz unmißverständlich (Art. 1 Abs. 3 GG), wenn auch mit der Möglichkeit ihrer Einschränkung (Art. 17 a GG) angeordnet hat, trägt maßgeblich dazu bei, daß die Truppe nicht in einer Art rechtlicher „Exklave" lebt, sondern eine — insgesamt allerdings geringe — Zahl militärspezifischer Gesetze und Rechtsverordnungen anzuwenden hat. 178 178
An dieser Stelle sei noch einmal betont, daß es hier nur um die Streitkräfte i. S. v. Art. 87 a GG geht, nicht aber um die Bundeswehrverwaltung i. S. v. Art. 87 b GG, die
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Genannt seien als bedeutsamste179 das Grundgesetz selbst mit seinem Grundrechtskatalog sowie den Bestimmungen über den Streitkräfteeinsatz, das Soldatengesetz 18 °, die Wehrdisziplinarordnung 181, die Wehrbeschwerdeordnung 182, die Vorgesetztenverordnung 183, die Soldatenlaufbahnverordnung 184 sowie die Bundeswehrvollzugsordnung 185; sie bilden, um erneut Quaritsch m zu zitieren, „die Existenzgrundlage und den Bewegungsrahmen der Streitkräfte." Soweit es um den polizeirechtlichen Schutz der Bundeswehr vor Straftaten und Störungen Dritter geht, ist für diejenigen Soldaten, denen militärische Wach- und Sicherheitsaufgaben übertragen sind, das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Bundeswehr einschlägig. 187 Im Falle eines bewaffneten Konflikts träte schließlich das Kriegsvölkerrecht auf den Plan, das entweder via Art. 25 GG Geltung beansprucht oder aber — als Völkervertragsrecht — über ein entsprechendes Transformationsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Zu letzterer Kategorie zählen hauptsächlich das Vierte Haager Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18.10.1907, dem als Anlage die „Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs" (Haager Landkriegsordnung, HLKO) beigefügt ist 1 8 8 , die vier Genfer Rotkreuzabkommen vom 12.8.1949 sowie in neuester Zeit die beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen.
nach der Begriffsbestimmung in Fn. 115 der allgemeinen Staatsverwaltung zugerechnet wird. 179 Vgl. auch Scherer, Werner / Alff, Richard: Soldatengesetz, § 10 Rn. 48 f. 180 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten i. d. F. d. B. v. 19.8.1975 (BGBl. 1975 Teil I, S. 2273-2288), zuletzt geändert durch Elftes Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften v. 20.5.1994 (BGBl. 1994 Teil I, S. 1078-1083). 181 Wehrdisziplinarordnung i.d.F. d.B.v. 4.9.1972 (BGBl. 1972 Teil I, S. 16651694), zuletzt geändert durch Gesetz über die Beteiligung der Soldaten und der Zivildienstleistenden v. 16.1.1991 (BGBl. 1991 Teil I, S. 47-57). 182 Wehrbeschwerdeordnung i.d.F. d.B.v. 11.9.1972 (BGBl. 1972 Teil I, S. 17371742, ber. S. 1906), zuletzt geändert durch Gesetz über die Beteiligung der Soldaten und der Zivildienstleistenden v. 16.1.1991 (BGBl. 1991 Teil I, S. 47-57). 183 Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses v. 4.6.1956 (BGBl. 1956 Teil I, S. 459 f.), zuletzt geändert durch Verordnung v. 7.10.1981 (BGBl. 1981 Teil I, S. 1129). 184 Verordnung über die Laufbahnen der Soldaten i.d.F. d.B.v. 21.7.1993 (BGBl. 1993 Teil I, S. 1268-1280). 185 Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen, Straf arrest, Jugendarrest und Disziplinararrest durch Behörden der Bundeswehr v. 29.11.1972 (BGBl. 1972 Teil I, S. 2205-2208), geändert durch § 184 des Strafvollzugsgesetzes v. 16.3.1976 (BGBl. 1976 Teil I, S. 581-612). 186 S. oben Fn. 131. 187 Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen v. 12.8.1965 (BGBl. 1965 Teil I, S. 796-799), geändert durch Art. 159 EGStGB v. 2.3.1974 (BGBl. 1974 Teil I, S. 469-650). 188 RGBl. 1910, S. 107-151.
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Die Gesamtheit dieser Rechtsnormen bedarf sowohl der (passiven) Beachtung als auch der (aktiven) Anwendung, d.h. des Vollzugs. Dabei lassen sich drei Verfahren unterscheiden, die wegen ihrer relativ intensiven Regelung durch die genannten Rechtsnormen in der Praxis die Schwerpunkte der Rechtsanwendung in den Streitkräften bilden. 189 Im Frieden sind dies das einfache Wehrdisziplinarverfahren nach der W D O 1 9 0 und das Beschwerdeverfahren 191 nach der WBO. In einem internationalen bewaffneten Konflikt käme dasjenige Verfahren hinzu, das auf die Prüfung der kriegsvölkerrechtlichen Schranken eines militärischen Einsatzes gerichtet ist. Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten hierfür, deren Wahrnehmung eine sichere Beherrschung des Rechts voraussetzt, sind schwerpunktmäßig bei den Einheits- und Verbandsführern der Bundeswehr bzw. bei Offizieren in entsprechender Dienststellung konzentriert. 192 Das ist zunächst Folge ihrer Eigenschaft als Disziplinarvorgesetzte. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 5 Satz 1 SG ist Disziplinarvorgesetzter, „wer Disziplinargewalt über Soldaten seines Befehlsbereichs hat." Diese Disziplinargewalt überträgt § 24 WDO, abgestuft nach der Schwere der maximal zu Gebot stehenden (einfachen) Disziplinarmaßnahmen, 1) dem Kompaniechef oder einem Offizier in entsprechender Dienststellung, 2) dem Bataillonskommandeur oder einem Offizier in entsprechender Dienststellung, 3) dem BMVg sowie den Offizieren vom Regiments- und Brigadekommandeur an aufwärts und den Offizieren in entsprechender Dienststellung. Als Disziplinarvorgesetzte kommt diesen Soldaten die Befugnis zu, Disziplinarmaßnahmen zu verhängen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 WDO); in dieser Eigenschaft haben sie in eigener Verantwortung, d. h. weisungs- und befehlsfrei sowie unter der Strafandrohung des § 39 WStG zu entscheiden, ob und wie ein Dienstvergehen geahndet werden soll (§31 Abs. 1 WDO). Legt der ggfs. Betrof189 Diese Schwerpunktbildung erfolgt zu dem Zweck, in den weiteren Überlegungen eine bessere gedankliche Handhabbarkeit der Rechtsanwendungsverfahren in den Streitkräften zu ermöglichen. Nicht gesagt ist damit, daß die genannten Verfahren die einzigen Fälle sind, in denen Soldaten Rechtsnormen anzuwenden haben. Ihr tatsächlicher Anteil dürfte aber mindestens 90 % betragen. 190 Als einfaches Disziplinarverfahren wird im folgenden das Verfahren zur Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme bezeichnet, dessen Durchführung den Disziplinarvorgesetzten obliegt und das im Zweiten Abschnitt der WDO geregelt ist. Davon zu unterscheiden ist das disziplinargerichtliche Verfahren (§§ 54 ff. WDO). 191 Zur Unterscheidung zwischen der truppendienstlichen und der Verwaltungsbeschwerde vgl. Böttcher, Hans Viktor ! Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, Einf. Rn. 55 ff. 192 Die Grundform der militärischen Einheit im Heer ist die Kompanie (Batterie), Einheitsführer also der Kompanie- (Batterie-)Chef. Der militärische Verband setzt sich aus mehreren Einheiten zusammen; Verbandsführer sind — nach aufsteigender Verbandsgröße— der Bataillonskommandeur, der Regiments-, Brigade-, Divisionskommandeur, der Kommandierende General (eines Korps) sowie der Inspekteur des Heeres. den anderen Teilstreitkräften (Luftwaffe, Marine) lauten die Bezeichnungen anders. Vgl. zum Ganzen Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 23 Rn. 5 f. Wenn im folgenden von Truppenführern gesprochen wird, sind damit — vorbehaltlich einer ausdrücklichen Abweichung — die Einheits- und Verbandsführer der Bundeswehr bzw. Offiziere in entsprechender Dienststellung gemeint.
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fene Beschwerde gegen eine einfache Disziplinarmaßnahme ein, so befindet über deren Rechtmäßigkeit wiederum ein Offizier, nämlich der nächste Disziplinarvorgesetzte des verhängenden Disziplinarvorgesetzten (§ 38 Nr. 2 WDO). Auch zur Entscheidung über Beschwerden und weitere Beschwerden nach der Wehrbeschwerdeordnung hat das Gesetz die Disziplinarvorgesetzten und damit Offiziere berufen (§§9 Abs. 1 Satz 1, 16 Abs. 3 WBO); erst wenn auch die weitere Beschwerde erfolglos geblieben ist, kann der Beschwerdeführer unter bestimmten Voraussetzungen die Entscheidung des Truppendienstgerichts und damit erstmals die Einschaltung (mindestens193) eines Volljuristen beantragen (§17 Abs. 1 WBO). Die Erkenntnis, daß die Hauptlast der „juristischen Arbeit" in den Streitkräften den Einheits- und Verbandsführern obliegt, erhärtet sich bei einem Blick in das Kriegsvölkerrecht, soweit es für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich ist. Die allgemeine Verantwortung der Truppenführer für die Völkerrechtskonformität des Verhaltens ihnen unterstellter Soldaten hat in einer Reihe von Verträgen ihren Niederschlag gefunden. So bestimmt Art. 39 Abs. 1 des III. Genfer Abkommens, daß der ein Kriegsgefangenenlager leitende Offizier den Wortlaut des Abkommens besitzen muß und darüber zu wachen hat, „daß dessen Bestimmungen dem unter seinem Befehl stehenden Personal bekannt sind; er ist, unter der Kontrolle seiner Regierung, für dessen Anwendung verantwortlich." In gleicher Weise stipuliert Art. 99 Abs. 1 des IV. Genfer Abkommens die Verantwortlichkeit des ein Internierungslager leitenden Offiziers. Nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 des ZP I bestehen die Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei „aus der Gesamtheit der organisierten bewaffneten Verbände, Gruppen und Einheiten, die einer Führung unterstehen, welche dieser Partei für das Verhalten ihrer Untergebenen verantwortlich ist"; nach Satz 2 unterliegen diese Streitkräfte „einem internen Disziplinarsystem, das unter anderem die Einhaltung der Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts gewährleistet." Noch prononcierter klingt die Wortwahl in Art. 87 Abs. 1 des ZP I: „Die Hohen Vertragsparteien und die am Konflikt beteiligten Parteien verlangen von den militärischen Führern im Hinblick auf die ihrem Befehl unterstellten Mitglieder der Streitkräfte und die übrigen Personen in ihrem Befehlsbereich, Verletzungen der Abkommen und dieses Protokolls zu verhindern, sie erforderlichenfalls zu unterbinden und den zuständigen Behörden anzuzeigen." Daß es schwerpunktmäßig die Truppenführer sind, die mit Fragen der Rechtsanwendung konfrontiert werden, folgt letztendlich auch aus dem Wesen der militärischen Hierarchie, deren Essentiale das streng durchgefühlte Prinzip von Befehl und Gehorsam ist. Das Befehlsprinzip in den Streitkräften verschiebt tendenziell die Verantwortung für jede militärische Diensthandlung, also auch 193 Wenn dies nach Umfang oder Bedeutung der Sache geboten ist, kann der Vorsitzende der Truppendienstkammer zwei weitere Richter heranziehen (§ 70 WDO — Große Besetzung); vgl. Böttcher, Hans Viktor / Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, § 18 Rn. 11.
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für ihre Rechtmäßigkeit, auf eine höhere Kommandoebene. Wenn § 10 Abs. 4 SG alle Vorgesetzten — und damit auch bereits die Teileinheitsführer 194 — bei der Befehlserteilung an die Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften bindet, so sind es doch auf Grund ihrer exponierten militärischen Leitungsfunktion die Einheits- und Verbandsführer, die die Hauptverantwortung für die Rechtmäßigkeit der Diensthandlungen ihrer Einheit / ihres Verbandes tragen. Entsprechend lauten die militärischen Dienstvorschriften, z.B. Nr. 51 der HDv 100/200 TF/S 1962: „ . . . Die Verantwortung für die Wahrung des Rechtes hat in erster Linie der Truppenführer; alle anderen Führer haben ihn dabei zu unterstützen." 195 Hier besteht, worauf bereits hingewiesen wurde 196 , eine deutliche Abweichung zur Rechtslage in der allgemeinen Staatsverwaltung, in der sich die persönliche Verantwortung durch alle Stufen des Verwaltungsaufbaus zieht. Diese Palette von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, die sich an die Dienststellung der Einheits- und Verbandsführer knüpft, gibt unmittelbar den Blick frei auf die erheblichen Anforderungen, die an den juristischen Sachverstand dieser Offiziere gestellt werden. Dies gilt auf dem Gebiet des innerstaatlichen Wehrrechts, wo z.B. die Wahrnehmung der Disziplinargewalt schwierigste Rechtsfragen aufwerfen kann 197 , nicht minder als im Bereich des Kriegsvölkerrechts, dessen wachsende Kompliziertheit ein erfahrener britischer Rechtsoffizier wie folgt beurteilt hat: „Es gibt keinen einzigen unter den 420 Artikeln der vier Abkommen (gemeint sind die vier Genfer Rotkreuzabkommen vom 12.8.1949, d. Verf.) noch unter den 102 Artikeln und Anhängen von Protokoll I, der nicht wahrscheinlicherweise Rechtsberatung entweder bei der Planung oder Herausgabe allgemeiner Richtlinien in Friedenszeiten oder tägliche Ratschläge zu den taktischen Richtlinien in Kriegszeiten erfordert." 198 Militärische Teileinheiten sind im Heer der Zug und die Gruppe. Während die Gruppenflihrer in der Regel Unteroffiziere sind, haben die Zugführer meistens Feldwebeloder Leutnants-Rang. !95 Zitiert nach Assmann, Rainer: Führen nach geltendem Recht — Rechtsberater und Truppenführer, NZWehrR 1987, S. 111-115 (112). 196 S. oben Abschnitt IV.2.a)aa). 197 Vgl. den 858 Seiten starken Kommentar zur WDO von Klaus Dau, dessen im Vorwort geäußerte Absicht es ist, „dem juristisch nicht so geschulten Disziplinarvorgesetzten Antwort auf seine bei Ausübung der täglichen Disziplinargewalt auftauchenden Fragen zu geben". Deutlicher Pfleiderer, Rolf: „Dieser (sc. der Truppenführer, Anm. d. Verf.) ist weder dazu berufen, noch in der Lage, sich mit juristischen Problemen — mögen sie auch noch so sehr für die Handhabung des Wehrstrafgesetzes und damit für die Truppe praktisch bedeutsam sein — auseinanderzusetzen." (Strafrechtsbuch für Truppenführer und Disziplinarvorgesetzte, S. 3). 198 Draper, G.I.A.D.: Die Rolle der Rechtsberater bei den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXX, Nr. 2 (März 1979), S. 18-23, Nr. 3 (Mai 1979), S. 34-40 (36). Vgl. auch de Preux in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3342: „Force est également de reconnaître que, même en se limitant aux règles non controversées directement applicables par les commandants militaires sur le terrain, le droit des conflits armés devient de plus en plus complexe, détaillé et étendu."
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Den hohen und tendenziell sich weiter erhöhenden Anforderungen an die juristische Qualifikation der Truppenführer ließe sich Rechnung tragen, indem man — wie geschehen — die Zahl der Rechtslehrer erhöht 199 oder den Rechtsunterricht intensiviert bzw. inhaltlich umgestaltet, wie es aus pädagogischer Sicht unlängst Reeb gefordert hat. 200 Damit würde aber der Kern des Problems verfehlt: Der Rechtsunterricht kann verbessert werden, läßt sich aber in der Praxis nicht bis zu einer Stundenzahl emporschrauben, ab der eine sichere Handhabung der Gesetze durch die Truppenführer in einer rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Qualität gewährleistet ist. Ein militärisch voll ausgebildeter Offizier kann im Regelfall nicht gleichzeitig Jurist sein. Akzeptiert man Existenz und Notwendigkeit einer effektiven — und das heißt heute: hoch technisierten — militärischen Landesverteidigung, so wird man zwangsläufig Einbußen bei der rechtlichen Ausbildung der Offiziere hinnehmen müssen. Rechtsausbildung kann in der Armee also immer nur Grundlagenausbildung sein. Mehr noch: Die schon erwähnte natürliche Antinomie zwischen militärischer und rechtsstaatlicher Notwendigkeit 201 verdeutlicht, daß es sich bei der unzureichenden Rechtsausbildung der Offiziere um ein funktionsimmanentes, d. h. aus dem militärischen und über weite Strecken nicht rechtsnormgebundenen Auftrag der Streitkräfte ableitbares Defizit handelt. Damit soll keinesfalls die moralische Integrität und rechtsstaatliche Überzeugung der Einheits- und Verbandsführer der Bundeswehr in Zweifel gezogen werden; erst recht artikuliert sich hier kein „tiefsitzendes Mißtrauen gegenüber dem uniformtragenden Staatsbürger", dem „das notwendige Rechtsbewußtsein, das dem Zivilisten offensichtlich konzediert wird", abgesprochen werden soll. 202 Dennoch bleibt als Faktum bestehen, daß die Anwendung disziplinar-, beschwerde- und völkerrechtlicher Rechtsnormen auf Führungsebene ein Maß an Fachwissen voraussetzt, das den Kenntnisstand auch optimal ausgebildeter Offiziere zwangsläufig übersteigen muß. Daß diese Beobachtung keineswegs auf die Bundeswehr beschränkt ist, sondern ein allgemeines Phänomen des Militärwesens darstellt, zeigt die folgende Anmerkung von Jean de Preux : „On ne peut plus attendre des chefs militaires qu'ils maîtrisent cette complexité juridique, ou les documents qui la reflètent, au même titre que l'art d'exercer un commandement." 203 !99 Im Jahre 1971 waren nur 35 Rechtslehrer in den Streitkräften tätig CBMVg: Weißbuch 1971 /1972 — Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 119). 200 Vgl. Reeb, Hans-Joachim: Militär und Recht; ders.: Wissenschaftliche Überlegungen zu einer Rechtsausbildung in den Streitkräften, NZWehrR 1988, S. 24-32. 201 S. oben Abschnitt IV.2.a)aa). 202 So aber in polemischer Überspitzung Demandi, Ecke: Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr — Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990. 201-206 (203). 203 De Preux, Jean, in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3342.
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Im Ergebnis stellt sich daher das Mißverhältnis zwischen Verantwortung und juristischem Sachverstand auf der Ebene der Truppenführer als funktionsimmanente Diskrepanz 204 dar. Gegen den rechtlichen Bedeutungsgehalt dieser These mag eingewandt werden, daß die beschriebene Diskrepanz auch in der allgemeinen Staatsverwaltung häufig vorkomme, ohne daß dies Rechtsprobleme aufwerfe; so etwa, wenn der Leiter einer Bauaufsichtsbehörde Diplomingenieur ist, obwohl doch das Bauordnungs- und -planungsrecht eine Fülle schwierigster Rechtsfragen enthält. Diesem Argument läßt sich nach den bisherigen Überlegungen zweierlei entgegenhalten: Erstens bedingt die normative Durchdringung der jeweiligen innerstaatlichen Verwaltungsmaterie, hier also der Bauaufsicht, daß auch der zunächst Rechtsunkundige durch dauernde Beschäftigung mit der Materie eine beträchtliche juristische Fachkompetenz auf diesem Gebiet aufbaut. Dies trifft für die Truppenführer der Bundeswehr in weit geringerem Maße zu: Es leuchtet sofort ein, daß für sie die Befassung mit disziplinar-, beschwerde- und völkerrechtlichen Fragen nur einen unerheblichen Teil ihrer Gesamtdienstzeit in Anspruch nehmen kann; er würde in einem Verteidigungsfall zweifellos noch bedeutend niedriger ausfallen. Zweitens kann in den Streitkräften — und hier liegt der entscheidende Unterschied — das Defizit an juristischem Sachverstand auf der Führungsebene nicht durch Rückgriff auf einen Streitkräfteinternen, juristisch geschulten Apparat kompensiert werden, wie ihn beispielsweise die Bauverwaltung auf Grund ihrer weitgehend konditionalen Programmierung im allgemeinen selbst generiert bzw. von außen rezipiert (persönliche Rechtmäßigkeitsverantwortung der Beamten, „Juristenprivileg", Rechtsabteilungen). Von den vielfältigen Strukturen, in denen sich in der allgemeinen Staatsverwaltung juristische Kompetenz bildet, sind die Streitkräfte infolge ihrer im Kern finalen Aufgabenstellung abgekoppelt. Nun wäre dieses Ergebnis weniger besorgniserregend, wenn man diesem streitkräftespezifischen Defizit an Rechtssachverstand sozusagen als Ausgleich die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG entgegenhalten könnte; diese ermöglicht dem durch eine hoheitliche Maßnahme in seinen Rechten Verletzten den Gang zum Gericht, wo etwaige Rechts verstoße der Streitkräfte ggfs. korrigiert werden könnten. Abgesehen von der noch zu behandelnden Problematik, ob sich das beschriebene Defizit der Exekutive überhaupt durch ein entsprechend hohes Niveau der Judikative legitimieren läßt, würde bei einem solchen Gedankengang jedoch übersehen, daß die Rechtsanwendung durch die Streitkräfte häufig gar nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein wird.
204 Den Begriff der discrepantia hat bereits Duppré zur Bezeichnung des vollständigen Auseinanderfallens von Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung benutzt (Sachverstand und Verantwortung — Versuch einer Typologie, in: Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 30, S. 10-26 [23]).
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b) Die zweite Grundbedingung: Verminderte Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte im Falle ihres Einsatzes in einem internationalen bewaffneten Konflikt Die umfassende Kontrolle der Verwaltung mittels eines auf grundrechtlichen Pfeilern ruhenden Rechtswegsystems zählt heute zu den nicht mehr hinwegzudenkenden Errungenschaften des Rechtsstaats. Die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG hat im Verbund mit einer zunehmenden „Verrechtlichung" zu einer immer dichter werdenden Überprüfung der Tätigkeit aller Behörden geführt, die sich einer dreistufig ausgebauten Verwaltungsgerichtsbarkeit gegenübersehen. Die Rechtsprechung des Β VerwG hat das übrige getan, um diese Kontrolle zu perfektionieren; nur in den engen Korridoren des Verwaltungsermessens sowie bei gelegentlich von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten „Beurteilungsspielräumen" öffnen sich für die Exekutive Handlungszonen, die gerichtlicher Kontrolle nicht zugänglich sind. Eine breite Diskussion entfacht hat bereits in den fünfziger Jahren das Problem, ob „Regierungsakte" unter Art. 19 Abs. 4 GG fallen; die wohl herrschende Meinung bejaht diese Frage, obwohl es gewichtige Gegenargumente gibt. 205 In der Literatur kaum eine Rolle gespielt hat hingegen die Frage, ob auch die Streitkräfte, die als einzige Teilexekutive von der Verfassung einen bedingten Auftrag zu nahezu unbeschränkter Gewaltanwendung erhalten haben, durchgängig der verwaltungsgerichtlichen, d.h. durch den jeweils Betroffenen auslösbaren Kontrolle unterliegen. Dabei kann freilich nicht zweifelhaft sein, daß die Streitkräfte im Frieden keine Besonderheiten erkennen lassen, die eine Beschränkung ihrer Unterworfenheit unter die Judikative rechtfertigen könnten. Bedenken ergeben sich aber dann, wenn die Armee in einem „Ernstfall" militärisch gegen andere Staaten aktiv würde. „Betroffener" einer solchen militärischen Aktion, die etwa im Rahmen eines Verteidigungsfalles gem. Art. 115 a Abs. 1 Satz 1 GG oder aber einer Operation von NATO und / oder UN stattfinden könnte, wäre nämlich auch und in erster Linie die gegnerische Konfliktpartei (als Einzelmensch und als Staat): Sie wäre nicht nur faktisch betroffen, sondern u.U. in ihren Rechten verletzt, und zwar insoweit, als die deutschen Streitkräfte ihr gegenüber zur Beachtung des Kriegsvölkerrechts, soweit es für die Bundesrepublik verbindlich ist, verpflichtet sind und eine Bestimmung dieses Kriegsvölkerrechts verletzen. Die Vorstellung allerdings, daß ein Angehöriger des Staates, mit dem sich die Bundesrepublik im Kriegszustand befindet, oder dieser Staat selber gegen Kriegshandlungen der deutschen Streitkräfte den deutschen Rechtsweg beschreiten würde, ist nicht oder doch nur schwierig nachvollziehbar.
205 Vgl. zum Meinungsstand Schmidt-Aßmann, Eberhard, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 81 ff. 8 Baganz
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Die hierin liegende Paradoxie hat bereits den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Bundestages bei der Beratung der 2. Wehrnovelle beschäftigt. So erörterte der Ausschuß in seiner 114. Sitzung am 24. Februar 1956 das Problem, ob mit dem vorgesehenen Grundgesetzartikel zur Einführung einer Wehrstrafgerichtsbarkeit im Verteidigungsfall „für die Streitkräfte" auch eine ausreichende Ermächtigung vorläge, ggfs. ausländische Kriegsgefangene dieser Gerichtsbarkeit zu unterstellen; zu letzterem hat sich die Bundesrepublik in Art. 84 Abs. 1 des III. Genfer Rotkreuzabkommens vom 12. August 1949 verpflichtet. Im Verlauf der Diskussion vertrat der Abgeordnete Arndt die Ansicht, das Grundgesetz dehne sich in einem Verteidigungsfall „weder auf ein besetztes Gebiet noch auf Gefangene aus": „Es ist also nicht so, daß, wenn wir ein besetztes Gebiet haben würden, sich die Bürger des besetzten Gebietes auf das Bonner Grundgesetz . . . berufen könnten . . . " . 2 0 6 Damit war klargestellt, daß für Kriegsgefangene sowie für Bewohner eines besetzten Gebietes die Anrufung eines deutschen Gerichts in Wahrnehmung ihrer Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG nach Ansicht von Arndt ausgeschlossen sein mußte. Diese Auffassung hatte etwa vier Jahre zuvor schon Scheuner vertreten. Seiner Meinung nach „äußert sich in den Handlungen der Kriegführung wiederum das Recht des Staates zur Selbstbehauptung." Handlungen der militärischen Gewalt bei Okkupation fremden Staatsgebietes fielen, so Scheuner, „in den Raum freien, nicht an die heimische Rechtsordnung, wohl aber an das Völkerrecht gebundenen Vorgehens." 207 Auch Lerche hatte in einem 1954 erschienenen Aufsatz trotz grundsätzlicher Bejahung der Gerichtsunterworfenheit der militärischen Kommandogewalt vorsichtig darauf hingewiesen, daß sich in den Rahmen militärischer Aktionen „dann noch die besondere völkerrechtsgespickte Problematik des Rechtsschutzes bei Maßnahmen gegenüber Ausländern" schiebe.208 Widerspruch gefunden hat die Überzeugung des Abgeordneten Arndt bei Herzog, der hervorhebt, daß die deutsche Staatsgewalt — unabhängig davon, in welchem Gebiet sie tätig wird — an das Grundgesetz gebunden sei; außerdem gewähre die Verfassung gerade im Bereich der sog. Prozeßgrundrechte den Grundrechtsschutz nicht nur Deutschen, sondern allen Menschen, so daß zumindest Kriegsgefangene, die im Bundesgebiet interniert seien, sich auf das Grundgesetz berufen könnten. 209 Die zu entscheidende Frage lautet also, ob im Rahmen von Streitkräfteeinsätzen Situationen denkbar sind, in denen der Auslösemechanismus der Rechtsschutzga206 Protokoll der 114. Sitzung des Ausschusses f. Rechtswesen und Verfassungsrecht, 24.2.1956, S. 34. 207 Vgl. Scheuner, Ulrich: Der Bereich der Regierung, in: Festschrift f. Smend, S. 253 301 (289). 208 Vgl. Lerche, Peter: Wehrrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1954, S. 626-632 (632). 209 Vgl. Herzog, Roman, in Maunz/Dürig: Grundgesetz, Art. 96 Rn. 17, Fn. 2.
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rantie des Art. 19 Abs. 4 GG „blockiert" und die Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte damit signifikant sinkt. Diese Frage ist zu bejahen. Richtig ist allerdings — und hier liegt der Kernpunkt der Argumentation Herzogs —, daß die deutsche Staatsgewalt nicht nur auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland an das Grundgesetz und das deutsche öffentliche Recht gebunden ist, sondern auch bei Tätigwerden außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes; eine andere Sichtweise wäre mit Art. 20 Abs. 3,1 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Mit dieser objektiv-rechtlichen Bindung der Exekutive nicht zu verwechseln ist aber die Frage, ob sich der durch ein solches hoheitliches Handeln der deutschen Staatsgewalt Betroffene stets und ausnahmslos auf das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte und hier wiederum speziell auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen kann. Obwohl Art. 19 Abs. 4 GG ein „JedermannGrundrecht" ist und demzufolge auch der Ausländer, der im Ausland durch einen Akt deutscher hoheitlicher Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, grundsätzlich Zugang zu deutschen Gerichten haben muß 2 1 0 , kann man die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß eine solche unbeschränkte Rechtsweggarantie im Falle eines internationalen bewaffneten Konflikts eine Absurdität wäre. Folgte man dieser Ansicht, wäre es z.B. theoretisch denkbar, daß ein Kriegsgefangener der deutschen Streitkräfte, der in seinen Rechten aus dem III. Genfer RotkreuzAbkommen verletzt zu sein behauptet, vor dem Verwaltungsgericht Köln die Bundesrepublik Deutschland verklagt mit dem Antrag, den behaupteten Völkerrechtsverstoß festzustellen. Hätte er mit seiner Klage Erfolg, könnte er im folgenden Amtshaftungsansprüche gem. § 839 BGB, Art. 34 GG geltend machen. Nimmt man die Möglichkeiten vorbeugenden Rechtsschutzes in den Blick, so wären selbst Anträge auf einstweilige Anordnung oder Unterlassungsklagen von Zivilpersonen, die sich auf eine drohende Verletzung des IV. Genfer RotkreuzAbkommens oder des ZP I durch die deutschen Streitkräfte stützen, nicht ausgeschlossen. Würde das Gericht beispielsweise feststellen, daß eine mit einem gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad zu erwartende Offensive gegen das Verbot des unterschiedslosen Angriffs (Art. 51 Abs. 4 ZP I) verstoßen würde, hätte es der Bundeswehrführung diese Offensive zu untersagen. Gegen solche Überlegungen läßt sich nicht einwenden, daß derartige Klagen in einem eventuellen Kriegsfalle praktisch nicht vorkommen würden. Gerade dann, wenn sich die Streitkräfte im großen und ganzen völkerrechtskonform verhalten, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering einzuschätzen, daß z.B. ein Kriegsgefangener über die ihm durch das III. Genfer Rotkreuz-Abkommen geöffneten Kommunikationswege (etwa einen Vertreter des I K R K 2 1 1 ) eine Verwaltungsgerichtsklage in Deutschland anstrengen könnte. Prozeßkosten würden ihm kaum entstehen, da von einer Bedürftigkeit im Sinne der Prozeßkostenhilfe210 Vgl. Schmidt-Aßmann, Eberhard, in Maunz/Dürig: Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 39. 211 Vgl. Art. 126 des III. Genfer Rotkreuz-Abkommens. 8*
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Vorschriften (§ 173 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) auszugehen sein dürfte. Eine solche Klage könnte der Richter auch nicht mit dem Argument als unzulässig abweisen, die kriegsvölkerrechtlichen Verträge enthielten keine „Rechte" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO, so daß der Kriegsgefangene nicht klagebefugt sei. Sämtliche Genfer Abkommen enthalten gleichlautende Vorschriften, nach denen die geschützten Personen nicht auf die „Rechte" verzichten können, die ihnen die jeweiligen Abkommen oder ergänzende Vereinbarungen verleihen. 212 Man wird mit Ipsen davon ausgehen müssen, daß derartig eindeutig formulierte Normen des Kriegsvölkerrechts das Individuum nicht mehr als ein bloßes Schutzobjekt, sondern als einen Träger eigenständiger Rechte und Pflichten ansehen.213 Erst recht müßte dies natürlich für einen klagenden Staat gelten, ist er doch das „geborene" Völkerrechtssubjekt. Trotz dieser völkerrechtlich aufgeweiteten Position des Individuums muß das oben skizzierte, am Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG orientierte Ergebnis als unhaltbar bezeichnet werden. Das geltende Kriegsvölkerrecht geht selbst nicht davon aus, daß gegen Verletzungen seiner Bestimmungen der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten des verletzenden Staates allgemein offensteht; vielmehr sieht es nur in eng begrenzten Einzelfällen vor, daß militärische Akte eines kriegführenden Staates gerichtlich überprüft werden müssen.214 So betrifft z.B. Art. 106 des III. Genfer Rotkreuz-Abkommens, wonach „jeder Kriegsgefangene . . . das Recht (hat), unter den gleichen Bedingungen, die auch für die Mitglieder der Streitkräfte des Gewahrsamsstaates gelten, gegen das gegen ihn ergangene Urteil Berufung oder Revision einzulegen", nach seiner systematischen Stellung nur die strafgerichtliche Verurteilung eines Kriegsgefangenen und kann nicht als Einfallstor zu einer verwaltungsgerichtlichen Klagebefugnis verstanden werden. Aber auch auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts gilt: Die Kriegführung durch die Streitkräfte darf nicht auf entsprechende Rechtsmittel des Kriegsgegners hin der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterzogen werden, soll sie nicht der Gefahr der Wirkungslosigkeit ausgesetzt werden. Das Grundgesetz hat den militärischen Einsatz der Streitkräfte in bestimmten, völkerrechtlich zulässigen Grenzen erlaubt (Art. 24 Abs. 2, 25, 26 Abs. 1, 87 a Abs. 2 GG); es geht nach dem Verständnis des BVerfG 2 1 5 davon aus, daß eine „funktionsfähige militärische Landesverteidigung" aufgebaut und unterhalten wird. Gerade diese Funktionsfähigkeit, also die Effektivität der Armee würde aber untergraben, wenn dem potentiellen Gegner der Streitkräfte das vollständige Instrumentarium des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zu Gebote stünde. Einem völkerrechtlich zulässigen Militäreinsatz geht notwendigerweise ein Verhalten eines oder mehrerer Drittstaaten voraus, das sich als eine ungewöhnlich drastische Verlet212
Vgl. Art. 7 des I., II. und III. Abkommens und Art. 8 des IV. Abkommens. 213 Vgl. Ipsen, Knut: Völkerrecht, § 65 Rn. 4 214 Vgl. z.B. Art. 35, 43, 48, 78 des IV. Genfer Rotkreuz-Abkommens. 2 15 Vgl. BVerfGE 48, S. 127, 159.
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zung der völkerrechtlichen Rechtsordnung darstellt. Könnten sie den Folgen einer solchen Verletzung teilweise dadurch entgehen, daß sie die Gerichtsbarkeit des von ihnen angegriffenen oder des seine Streitkräfte sonst zulässigerweise einsetzenden Staates um Hilfe ersuchen, so wäre das militärische Instrument als ultima ratio der Staatsführung entwertet, zumindest aber entscheidend geschwächt. Aus diesem Grunde sieht etwa die französische Rechtslehre Kriegshandlungen auf nichtfranzösischem Gebiet fast einstimmig als gerichtsfreie actes de gouvernement an. 216 Auch die englischen Gerichte vertreten den Standpunkt, daß Hoheitsakte britischer Besatzungstruppen ihrer Kontrolle entzogen sind. 217 Die Lösung des aufgetretenen Problems kann folglich nur in der Annahme einer immanenten Schranke der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bestehen. Diese immanente Schranke leitet sich aus dem schon mehrfach erwähnten grundgesetzlichen Gebot zum Aufbau und zur Unterhaltung einer funktionsfähigen militärischen Landesverteidigung ab. Sie versperrt denjenigen Staaten oder Angehörigen von Staaten, mit denen sich die Bundesrepublik Deutschland im Kriegszustand befindet und die behaupten, durch (drohende oder realisierte) kriegsvölkerrechtswidrige Maßnahmen der deutschen Streitkräfte in ihren Rechten verletzt zu sein, zumindest dann den Rechtsweg zu deutschen Gerichten, wenn die Bundesrepublik ihre Streitkräfte verfassungsgemäß eingesetzt hat. Sofern sich gelegentlich im Schrifttum die Auffassung findet, „Kommandoakte" unterfielen als „gerichtsfreie Hoheitsakte" nicht der deutschen Gerichtsbarkeit 2 1 8 , geht die hier vertretene Rechtswegsperre für den Gegner eines internationalen bewaffneten Konflikts nicht unerheblich darüber hinaus, da sie nicht nur Kommandoakte, sondern alle kriegsvölkerrechtlich normierten Maßnahmen der Streitkräfte erfaßt. Diese Ansicht hat sich mit dem Argument auseinanderzusetzen, daß das Grundgesetz zwar explizite Einschränkungen der Rechtsweggarantie enthält (Art. 10 Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 4 Satz 1), aber keine in der von ihr angenommenen Art und Weise. Dieser Einwand ist prima facie zutreffend, vermag indessen nicht darüber hinwegzuhelfen, daß die Verfassung die oben geschilderte Problematik nicht gesehen, zumindest aber nicht berücksichtigt hat. Selbst die Implementierung der sog. Notstandsverfassung hat nicht dazu geführt, daß das Grundgesetz Vorschriften enthält, die sich mit der Rechtsstellung des Kriegsgegners befassen. Das war aus Sicht der Väter der Wehrverfassung auch gar nicht erforderlich. Nach ihrer — allerdings wohl unausgesprochen gebliebenen — Grundüberzeugung war nämlich für das Verhältnis zu einem potentiellen Kriegsgegner das jeweilige Kriegsvölkerrecht — sei es Völkergewohnheitsrecht, 216 Vgl. Eisenmann, Charles: Gerichtsfreie Hoheitsakte im heutigen französischen Recht, JöR Bd. 2 (1953), S. 14; Schneider, Hans: Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 49. 217 Vgl. die Nachweise bei Schneider, Hans: Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 36; Schneider zitiert Holdsworth mit den Worten: „The acts done in the exercise of martial law in an enemy's country are a series of (gerichtsfreier, Anm. d. Verf.) acts of state." 2 *8 Vgl. v. Mangoldt, Hermann /Klein, Friedrich: Grundgesetz, Art. 19 Anm. VII, 6 b) E.; Schneider, Hans: Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 47.
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seien es kriegsvölkerrechtliche Verträge — maßgeblich. Mit den Art. 25 und 59 Abs. 2 Satz 1 GG war aber bereits in ausreichendem Maße dafür Sorge getragen, daß dieses Kriegsvölkerrecht Bestandteil der Verfassung war. Hätte man damals die Möglichkeit erkannt, daß sich ein Kriegsgegner über die Gewährleistungen des Kriegsvölkerrechts hinaus auch noch die vom Grundgesetz zur Verfügung gestellten Grundrechte — und damit auch die Rechtsweggarantie — zunutze machen könnte, was in der Praxis die militärische Effektivität der Truppe erheblich beeinträchtigen könnte, wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entsprechende Vorkehrungen getroffen worden. Denkbar ist freilich auch, daß man die Gefahr gesehen, aber als zu gering eingeschätzt hat, um sie im Verfassungstext zu regeln. An dieser Stelle kann nicht allen mit der aufgezeigten Problematik verbundenen Aspekten nachgegangen werden. So wäre noch zu überprüfen, ob die angenommene immanente Schranke auch dann eingreift, wenn die Bundesrepublik die Bundeswehr verfassungswidrig, etwa zur Führung eines Angriffskrieges, einsetzen würde. Zu untersuchen wäre weiterhin, ob eine Rechtswegsperre auch im Falle eines sog. inneren Notstandes (Art. 87 a Abs. 4 GG) bejaht werden müßte. 219 Diese Fragen können jedoch dahingestellt bleiben. Die Untersuchung hat ergeben, daß die Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte im Falle ihres Einsatzes in einem internationalen bewaffneten Konflikt signifikant sinken würde, da der quantitativ wohl bedeutsamste Auslösemechanismus dieser Kontrolle, nämlich die Einlegung von Rechtsbehelfen durch den Betroffenen, in dieser Situation nicht wirksam würde: Trotz der in Art. 20 Abs. 3, 25,59 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten Bindung der Streitkräfte an das Kriegsvölkerrecht ist es jedenfalls dem potentiellen Kriegsgegner (Staat oder Individuum), der eine Verletzung seiner kriegsvölkerrechtlichen Rechte geltend machen will, verwehrt, deswegen eine Klage vor einem deutschen Verwaltungsgericht zu erheben. Vielmehr ist er insoweit auf die Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen, die die einschlägigen Abkommen bieten. 220 Damit sind die beiden Grundbedingungen umrissen, die die Umsetzung des Gesetzmäßigkeitsprinzips in den und durch die Streitkräfte charakterisieren. Die zweite Grundbedingung, nämlich der partielle Wegfall einer judikativen Kontrolle, verstärkt dabei noch die Wirkungen der ersten Grundbedingung, die mit dem Fehlen eines juristischen Sachverstands in den Streitkräften umschrieben worden ist. Auf der Grundlage dieser beiden Bedingungen wird zu analysieren sein, ob 21
9 M. E. ist das abzulehnen, da die Effektivität der Streitkräfte vom Grundgesetz nur in ihrer Primärfunktion als Instrument der äußeren Landesverteidigung geschützt sein dürfte, nicht aber auch in ihrer subsidiären Aufgabe der Bewältigung innerer Krisen. Hinzu kommt, daß die Verfassung in diesem Bereich auch nicht davon ausgehen konnte, daß insoweit Regelungen des Völkerrechts eingreifen. Daß das ZP II jetzt auch den nicht internationalen bewaffneten Konflikt regelt, ist eine neuere Entwicklung des Völkerrechts, die zwar wünschenswert, aber im Kern systemfremd ist. 220 s. Fn. 214.
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sich die Rechtsberatung hoher militärischer Führer als eine verfassungsrechtlich vorgeschriebene Kompensationsmaßnahme verstehen läßt, mit der den aufgezeigten Besonderheiten der Rechtsanwendung in den Streitkräften Rechnung getragen werden kann. Zu diesem Zweck mag ein Blick auf die parallele Situation in der allgemeinen Staatsverwaltung von Nutzen sein, in der ein ständig wachsender Bedarf an sachverständiger außerrechtlicher (naturwissenschaftlicher, technischer, ökonomischer, etc.) Beratung registriert wird. Unter dem Leitbegriff Effektivitäts- und Rationalitätsgebot, das im Rechtsstaatsprinzip wurzeln soll, wird neuerdings im Schrifttum eine Verpflichtung der Behörde angenommen, bei entsprechend komplex strukturierten Verwaltungsmaterien wissenschaftlichen Sachverstand hinzuzuziehen. Dem soll im folgenden nachgegangen werden.
c) Exkurs: Sachverständige Beratung des Staates als Konkretisierung des rechtsstaatlichen Effektivitäts- und Rationalitätsgebots Auf den ersten Blick erscheint die These, die Bundeswehr sei de constitutione lata auf Grund ihrer besonderen Situation zum Einsatz von Rechtsberatern verpflichtet, von einer gewissen Kühnheit zu zeugen; gehört doch die Binnenorganisation der Exekutive bei der herkömmlichen, auf das Außenrechtsverhältnis bezogenen Sichtweise des Verwaltungsrechts, wie sie Otto Mayer propagiert hat 2 2 1 , praktisch zu einer Tabuzone der Rechtswissenschaft. 222 Kaum jemand würde beispielsweise auf die Idee kommen, dem Bundesminister des Auswärtigen unter Hinweis auf die Verfassung vorschreiben zu wollen, an welcher Stelle des Diplomatischen Dienstes er bestimmte Beamte mit einer bestimmten Aufgabe zu betrauen habe; außerhalb gesetzlicher Vorgaben steht grundsätzlich allein dem Minister kraft seiner Organisationsgewalt die Befugnis zur Einrichtung seines Ressorts zu. 2 2 3 Daß die Verwendung von Rechtsberatern in den Streitkräften hier dennoch auf das Fundament eines verfassungsrechtlichen Postulats gehoben werden soll, erklärt sich im Ansatz aus der seit den 70er Jahren verstärkt zu beobachtenden Tendenz, auch den Innenbereich der Exekutive für den regle221 Mayer hielt die „Verwaltungsbehördenordnung" sogar für eine Materie des Staats(und nicht des Verwaltungs-)Rechts (Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., S. 16 f.). Umgekehrt rechnete Köttgen „die Verwaltung und ihre Organisation . . . als solche nicht zu den eigentlichen Themen des Verfassungsrechts" (Das Bundesverfassungsgericht und die Organisation der öffentlichen Verwaltung, AöR Bd. 90 [1965], S. 205-235 [215]). 222 Vgl. Forsthoff, Ernst: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., S. 431 f.; Loeser, Roman: Bundesorganisationsgesetz, S. 44 f.; Schnapp, Friedrich E.: Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 85 ff.; ders.: Grundbegriffe des öffentlichen Organisationsrechts, Jura 1980, S. 68-75 (68); Schwarze, Jürgen: Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, S. 17. 223 Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 144-150.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
mentierenden Zugriff des Rechts zu öffnen. 224 Die Förderung dieser Entwicklung ist vornehmlich dem Β VerfG zu danken, das mit dem Mülheim-Kärlich-Beschluß des Ersten Senats sowie dem dazu ergangenen Sondervotum der Richter Simon und Heußner die entscheidenden Fingerzeige gegeben hat. 225 Die dort vorgetragenen Gedankengänge speisen sich aus der Erkenntnis, daß es zwar im allgemeinen die Endentscheidung der Verwaltung ist, der das Hauptaugenmerk des durch Art. 19 Abs. 4 GG bewehrten Bürgers gilt, daß aber andererseits dieser output behördlichen Handelns nur das Produkt einer Vielzahl von Zwischenschritten ist, die auf das Zustandekommen der Endentscheidung den eigentlich bestimmenden Einfluß ausüben und daher von erheblicher rechtlicher Relevanz sein können. 226 Die Aufdeckung dieses Zusammenhangs, die überraschenderweise erst recht spät gelungen ist, hat die rechtliche Bedeutung von Verwaltungsverfahren und -organisation endgültig ins Blickfeld gerückt. Als taugliche Vehikel für diesen Marsch in den Innenbereich der Exekutive werden hauptsächlich die Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Gestalt sowie das Rechtsstaatsprinzip in Dienst genommen, die beide in unterschiedlichen Konstellationen auf Verfahren und Organisation einwirken sollen. 227 Die dogmatische Bewältigung dieser 224 Den Anstoß gab — soweit ersichtlich — 1972 Bachof mit seiner Anregung, „den bisher vernachlässigten Innenbeziehungen der Verwaltung, insbesondere dem Behördenund Organisationsrecht, mehr Aufmerksamkeit zu schenken" (Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL Heft 30 [1972], S. 193-244 [243]). 225 BVerfGE 53, S. 30 ff.; im Sondervotum (S. 69 ff.) finden sich weitere umfangreiche Nachweise der Rechtsprechung des BVerfG. Vgl. auch Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. m/1, S. 956-959. 226 Vgl. besonders deutlich Brohm, Winfried: Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL Heft 30 (1972), S. 245-312 (253 ff.); ders.: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrecht, Bd. II, S. 207-248 (228); Obermayer, Klaus: Verwaltungsrecht im Wandel, NJW 1987, S. 2642-2647 (2645); Ossenbühl, Fritz: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, S. 465-472 (466); Pietzcker, Jost: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 193-231 (201 ff.); Wahl, Rainer: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 151-192 (153 ff.). 227 a) Zum Grundrechtsbezug von Verwaltungsverfahren und -organisation vgl. die Rechtsprechung des BVerfG (s. Fn. 225) sowie aus dem Schrifttum Bethge, Herbert: Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, NJW 1982, S. 1-7; di Fabio, Udo: Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 193-227 (213 ff.); Goerlich, Helmut: Grundrechte als Verfahrensgarantien; Häberle, Peter: Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL Heft 30 (1972), S. 43-141 (86 ff., 121 ff.); Held, Jürgen: Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens; Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 358-360; ders. : Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1978, S. 427-438 (434 ff.); Redelcer, Konrad: Grundgesetzliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, NJW 1980, S. 1593-1598; umfassend Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. III/1, S. 953-977. b) Zum Rechtsstaatsprinzip als Leitwert für Verfahren und Organisation: Degenhart, Christoph: Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, DVB1.1982, S. 872-886; di Fabio, Udo: Verwaltungsentscheidung
2. Rechtsberatung verfassungsrechtlich gefordert?
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Argumentationstopoi, die über ihre „gewisse vordergründige Plastizität" 228 hinausführen soll, ist noch nicht abgeschlossen und kann auch an dieser Stelle nicht versucht werden. Die zugrundeliegenden Denkansätze jedoch, denen Stern das Prädikat,»richtig und fruchtbar" 229 ausgestellt hat, stellen den verfassungsrechtlichen Nährboden für die seit kurzem einsetzende Diskussion über die sachverständige Beratung des Staates dar und bieten daher den Rahmen für die folgenden Überlegungen. aa) Sachverständige
Beratung des Staates als Phänomen
Daß die modernen Staaten des 20. Jahrhunderts, in denen sich hochindustrialisierte Gesellschaften organisieren, auf vielen Gebieten der Beratung durch Sachverständige bedürfen, ist eine viel beschworene Feststellung.230 Stellt man sich Sachverstand und Verantwortung als nur im Idealfall kongruente, in der Realität aber auseinanderdriftende Größen vor, so nimmt die consultatio in diesem Bild eine mittlere Position ein: „Sachverstand und Verantwortung (geraten) schon erheblich auseinander, ohne allerdings die Beziehung miteinander zu verlieren." 231 In der Justiz hat die Hinzuziehung von Sachverständigen als Beweismittel durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 193-227 (210 ff.); Kopp, Ferdinand: Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 54-166; Kunig, Philipp: Rechtsstaatsprinzip, S. 373-378; Laubinger, Hans-Werner: Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch Bd. 73 (1982), S. 60-85 (83 ff.); Leisner, Walter: Effizienz als Rechtsprinzip; Schmidt-Aßmann, Eberhard: Institute gestufter Verwaltungsverfahren: Vorbescheid und Teilgenehmigung, Festgabe BVerwG 1978, S. 569-584 (569 f.); Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. I, S. 824 f.; Ule, Carl Hermann: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1957, S. 597603 (601); Ule, Carl Hermann ! Laubinger, Hans-Werner: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 3 ff. 228 So Bethge, Herbert: Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, NJW 1982, S. 1-7 (2). 22 9 Vgl. Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. III/1, S. 970 (unter Bezugnahme auf die verfahrensrechtliche Aktivierung der Grundrechte). 2 30 Vgl. Brohm, Winfried: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, S. 207 - 248; ders. : Diskussionsbeitrag, VVDStRL Heft 48 (1990), S. 283 f.; Duppré, Fritz: Sachverstand und Verantwortung — Versuch einer Typologie, in: Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 30), S. 10-26; di Fabio, Udo: Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 193-227; Forsthoff, Ernst: Der Staat der Industriegesellschaft, S. 19 f., 94 ff., 109 ff.; Kölble, Josef: Sachverstand und Verantwortung im Hinblick auf die Aufgabenkomplikation in der Ministerialverwaltung, in: Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 30), S. 27-60; Lukes, Rudolf: Technischer Sachverstand und Rechtsentscheidung, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1981, S. 117 -130 (117); Vierhaus, Hans-Peter: Sachverstand als Vierte Gewalt?, NVwZ 1993, S. 36-41. 2 31 So Duppré, Fritz: Sachverstand und Verantwortung — Versuch einer Typologie, in: Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 30), S. 10-26 (20).
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schon viel Tradition, wie ein Blick in die einschlägigen Prozeßordnungen in ihrer jeweiligen Erstfassung rasch ergibt. Aber auch die Legislative scheut nicht mehr davor zurück, bei der Beratung technisch, naturwissenschaftlich oder sozial komplexer Gesetzesvorhaben auf den Sachverstand von Experten zurückzugreifen: Davon legt beispielsweise § 70 Abs. 1 GeschO-BT Zeugnis ab, der den Bundestagsausschüssen gestattet, zur Information über einen Gegenstand ihrer Beratung „öffentliche Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen" vorzunehmen — ein Instrument, von dem häufig Gebrauch gemacht wird. 2 3 2 Im Zuge des sich beschleunigenden technischnaturwissenschaftlichen Fortschritts und der deutlich sichtbaren Intention des Staates, auf diesem schwierigen Terrain „Herr des Geschehens" zu bleiben, konnte es nicht ausbleiben, daß auch die Exekutive mit der Zeit den notwendigen Sachverstand zur Bewältigung damit verbundener Probleme nicht mehr aus sich heraus aufbringen konnte. Technische Prozesse (Kernspaltung, Emissionen), naturwissenschaftliche und ökonomische Abläufe (Gentechnik, Inflation) und soziale Konflikte (Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot) lassen sich heute mit dem herkömmlichen Arsenal traditioneller Verwaltungspraxis oft nicht mehr abfangen und steuern. 233 In dieser Zwangslage, die durch die parallel zu beobachtenden Verluste an „materieller Steuerungsfunktion" 234 des „technischen Rechts" noch verschärft wird — was heißt schon „Stand von Wissenschaft und Technik" 235 —, hat sich eine zunehmend „kooperativ" 236 agierende allgemeine Staatsverwaltung immer mehr der Kompetenz von Spezialisten bedient. Soweit diese in den Behördenapparat eingegliedert werden und dort als Fachreferenten, Sonderbeauftragte oder Kommissionsmitglieder 237 tätig sind, hat sich der Ausdruck der inter-
n i Kritisch dazu Hoffmann-Riem, Wolfgang: Schwierigkeiten interner Politikberatung, KritV 1987, S. 331-350. 23 3 „Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht" war Thema der Staatsrechtslehrertagung 1989. Vgl. dazu die Beiträge (alle mit eben diesem Titel) von Ipsen, Jörn, VVDStRL Heft 48 (1990), S. 177206; Murswiek, Dietrich, VVDStRL Heft 48 (1990), S. 207-234; Schlink, Bernhard, VVDStRL Heft 48 (1990), S. 235-264 sowie die Begleitaufsätze von Degenhart, Christoph, NJW 1989, S. 2435-2441; Pitschas, Rainer, DÖV 1989, S. 785-800; Ronellenfitsch, Michael, DVB1. 1989, S. 851-866. 234 Der Begriff stammt von Murswiek, Dietrich: Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL Heft 48 (1990), S. 207-234 (218 ff.). 235 Vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG. 236 Vgl. Breuer, Rüdiger: Umweltschutzrecht, in v. Münch / Schmidt-Aßmann: Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rn. 18; Ipsen, Jörn: Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, VVDStRL Heft 48 (1990), S. 177-206 (193 f.). 237 Vgl. neuerdings die „Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit" beim Bundesgesundheitsamt nach § 4 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Gentechnik v. 20.6.1990 (BGBl. 1990 Teil I, S. 1080-1095); ihre Aufgabe ist u. a., die Bundesregierung und die Länder „in sicherheitsrelevanten Fragen der Gentechnik" zu beraten (§ 5 Satz 1).
2. Rechtsberatung verfassungsrechtlich gefordert?
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nen Beratung bzw. des internen Sachverständigen 238 eingebürgert; er ist auch dann sinnvoll, wenn ganze Behörden mit der Beratung in Spezialfragen betraut werden, wie es etwa beim Umweltbundesamt der Fall ist. 2 3 9 Steht der Sachverständige außerhalb der Staatsorganisation, kann von einer Zuhilfenahme externen Sachverstands gesprochen werden, wie er von Hochschullehrern, privaten Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsinstituten repräsentiert wird. Vor allem diese externe Beratung wird bei der herkömmlichen, an der Trennung von Staat und Gesellschaft orientierten Sichtweise häufig noch mit Argwohn betrachtet: Durch die Verlagerung von Entscheidungskompetenz in solche ministerialfreien Räume bietet die externe Beratung, je höher der Grad ihrer Verbindlichkeit für die Verwaltung wird, unter Aspekten der Gewaltenteilung, der Ministerverantwortlichkeit und des Grundrechtsschutzes viel Angriffsfläche. 240 bb) Verfassungsrechtliche Determinanten der sachverständigen Beratung der allgemeinen Staatsverwaltung Hat man von dem Phänomen, daß die allgemeine Staatsverwaltung in hohem Maße auf die Reservoirs externen und internen Sachverstands zurückgreifen muß, Notiz genommen, so stellt sich im Lichte der rasch wachsenden Komplexität vieler Lebensbereiche die Frage, ob nicht die Behörde in entsprechend gelagerten Fällen zur Einschaltung wissenschaftlichen Sachverstands sogar von Rechts wegen verpflichtet ist. Da der Verwaltung eine sachgerechte Aufgabenerfüllung ohne die Rezeption ausgewiesenen Expertenwissens heute vielfach gar nicht mehr möglich sein wird, liegt der Gedanke einer Rechtspflicht nicht fern. Eine solche kann sich bereits aus dem Gesetz oder einer gesetzesabgeleiteten Rechtsnorm ergeben: Art. 38 Abs. 1 Satz 2 EinigungsV 241 , § 24 c GewO, §§ 4,5 GenTG, § 24 Abs. 1 AMG, § 13 Abs. 1 der 9. BImSchV und § 74 Abs. 2 Nr. 2 LuftVZO seien stellvertretend genannt für eine Vielzahl von Beispielen, in denen Gesetz-
238 Vgl. Brohm, Winfried: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, S. 207-248 (210 ff.); di Fabio , Udo: Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 193-227 (195 f.). 239 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes v. 22.7.1974 (BGBl. 1974 Teil I S. 1505 f.): „Das Umweltbundesamt hat insbesondere folgende Aufgaben: 1. Wissenschaftliche Unterstützung des Bundesministers des Innern in allen Angelegenheiten des Immissionsschutzes und der Abfallwirtschaft 240 Vgl. di Fabio , Udo: Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990),S. 193-227(216 i.)\Kölble, Josef: Sachverstand und Verantwortung im Hinblick auf die Aufgabenkomplikation in der Ministerial V e r w a l t u n g , in: Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung (Bd. 30 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer), S. 27-60 (52 ff.); Müller, Wolfgang: Ministerialfreie Räume, JuS 1985, S. 497-508. Instruktiv auch Greipl, Christian: Art. 19IV GG und Entscheidungen von unabhängigen Sachverständigenausschüssen. 241 Vgl. dazu BVerfG NJW 1992, S. 1373.
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und Verordnungsgeber typische Fachkompetenzdefizite der zuständigen Behörden erkannt und durch die obligatorische Einbeziehung von Sachverständigengutachten zu kompensieren versucht haben. Aber auch unabhängig von Spezialvorschriften kann das grundsätzlich bestehende Ermessen der allgemeinen Staatsverwaltung, Sachverständige zu vernehmen oder ihre schriftliche Äußerung einzuholen (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVfG des Bundes und der Länder), im Einzelfall auf Null reduziert sein. 242 So hat der BGH eine Amtspflichtverletzung darin erblickt, daß eine Bezirksregierung im Genehmigungsverfahren nach § 24 Abs. 1 LuftVG keinen Sachverständigen zur Begutachtung der Gefährlichkeit eines geplanten Drachenflugexperiments herbeigezogen hatte; für eine Ermessensausübung sei angesichts der für Leib und Leben der Zuschauer drohenden Gefahren kein Raum mehr gewesen.243 Im sog. Wyhl-Urteil hat das BVerwG zwar die Letztverantwortung für die atomrechtliche Risikoermittlung und -bewertung der Exekutive — und nicht den Sachverständigen — zugewiesen, gleichzeitig aber die Verpflichtung der Genehmigungsbehörde hervorgehoben, bei diesem Vorgang „die Wissenschaft zu Rate zu ziehen". 244 Wenn auch diese Rechtsauffassung des Gerichts nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung zählt, so dürfte damit doch eindeutig zum Ausdruck gebracht sein, daß der Ermessensspielraum in § 20 AtG im Regelfall äußerst gering ist. Filtert man aus diesen beiden Judikaten eine übergreifende Aussage heraus, so läßt sich sagen, daß die Integration (externen oder internen) wissenschaftlichen Sachverstands in ein Verwaltungsverfahren zwar grundsätzlich im Ermessen der Exekutive steht, dieses Ermessen sich jedoch mit zunehmender Komplexität der Materie und abnehmender Eigenkompetenz der Behörde auf Null verdichten kann. Ermessensreduzierend wirken hier, wie auch sonst im allgemeinen Verwaltungsrecht 245, vor allem die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip. Daß der Einsatz Sachverständiger unter grundrechtlichen Aspekten geboten sein kann, hat der BGH in seinem zitierten Urteil demonstriert und mit der potentiellen (im konkreten Fall auch realisierten) Gefährdung von Leib und Leben beteiligter Zuschauer (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) überzeugend begründet. 246 Aber auch und gerade das Rechtsstaatsprinzip leistet auf dem Sektor der sachverständigen Beratung der allgemeinen Staatsverwaltung wertvolle Dienste, wie di Fabio in seiner Untersuchung des arzneimittelrechtlichen Zulassungs- und Überwachungsverfahrens dargelegt hat: „Da das grundlegende verfassungsrechtliche Konzept der 242 Vgl. die Kommentarliteratur zu § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVfGBd. 243 BGH NVwZ 1988, S. 283 (284). 244 BVerwGE 72, S. 300 (316); ihm folgend VGH Kassel, NVwZ 1992, S. 391. 245 Vgl. nur Erichsen, Hans-Uwe, in Erichsen / Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 189; Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 25. 246 Daß Grundrechte auf das einfache Verfahrensrecht (hier § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVfG) einwirken können, ist eine von mehreren Konstellationen, in denen die oben angesprochene Lehre die Grundrechtswirkungen für Organisation und Verfahren erblickt; vgl. dazu Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. III/1, S. 974 f.
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Gewaltenteilung u.a. auf einer gesetzesgebundenen Exekutive beruht, die in nachvollziehbarer, rationaler und wirksamer Weise das Parlamentsgesetz in die Wirklichkeit überführt, kann eine funktionsgerechte Organisierung der Verwaltung durch Beteiligung wissenschaftlichen Sachverstandes als verfassungsrechtliches Gebot, das seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20, 28 Abs. 1 GG) findet, angesehen werden. Soweit auf die Funktion administrativen Entscheidens vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungssystems abgehoben wird, kann von einer objektiv-rechtlichen Pflicht der Exekutive gesprochen werden, den Verwaltungsablauf personell, technisch und kognitiv so zu organisieren, daß sachgerechte Entscheidungen — wobei sich die Sachgerechtigkeit in objektiver Hinsicht an den Vorgaben des Gesetzes zu orientieren hat — ermöglicht werden. Damit unterliegt der innerbehördliche Willensbildungsprozeß dem strukturierenden Zugriff der Verfassung. ... Dieses im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte objektive Sachgerechtigkeits- und Effektivitätsgebot beinhaltet bei komplexen, außerjuristisch-naturwissenschaftlich geprägten Materien die organisatorische Pflicht zum Einsatz adäquater unabhängiger Fachkompetenz — wobei es sich um internen oder externen Sachverstand handeln kann." 247 Diese Thesen di Fabios können hier nicht im einzelnen auf ihre Überzeugungskraft hin ausgelotet werden, da sie das Untersuchungsthema nicht unmittelbar berühren. Sie dienen vielmehr als Beleg dafür, daß im Zuge der fortschreitenden Durchleuchtung des „Innenbereichs" der Verwaltung auch das Phänomen der sachverständigen (außerjuristischen) Beratung der Administration in den Bannkreis rechtswissenschaftlichen Interesses gerückt ist, wofür die vielfach präjudizielle Wirkung solcher Beratungstätigkeit ursächlich sein dürfte. 248 Ferner sollte aufgezeigt werden, daß es erste Ansätze dazu gibt, diese Rezeption externer oder internalisierter Fachkompetenz unter Zuhilfenahme einer „eher unbestimmte(n) verfassungsrechtliche(n) Sachgerechtigkeits- und Effektivitätsanforderung" 249 mit verfassungsrechtlichem Rang auszustatten. Vor diesem Hintergrund bietet sich die Prüfung an, ob die zugrundeliegenden Gedankengänge modellhaft — wenn auch möglicherweise mit abweichender rechtlicher Begründung — auf die 247
Di Fabio, Udo: Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 193-227 (210 f.)(Hervorhebungen d. Verf.); zustimmend Vierhaus, Hans-Peter: Sachverstand als Vierte Gewalt?, NVwZ 1993, S. 36-41 (37). Schon 1974 bezeichnete Schwarze die Einbeziehung wissenschaftlichen S ach Verstandes in das Verwaltungsverfahren als „eine eminent wichtige Aufgabe des Rechtsstaats" (Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, S. 33). 248 Den vielschichtigen Implikationen dieses Themas hat sich vor allem Winfried Brohm zugewandt, dessen Beitrag „Sachverständige Beratung des Staates" im „Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland" (hrsg. von Isensee / Kirchhof) die z. Zt. einzige Darstellung des Themas ist. Dessen Relevanz bringt Brohm auf die prägnante Formel: „Beratung ist inhaltlich gesehen Mitentscheidung" (aaO, S. 229). Vgl. aber auch schon Krüger, Herbert: Allgemeine Staatslehre, S. 887-891. 249 So vorsichtig di Fabio, Udo: Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch Bd. 81 (1990), S. 193-227 (226).
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sachverständige Rechtsberatung in den Streitkräften übertragen werden können. In der allgemeinen Staatsverwaltung sind der Ökonom, der Statiker und der Kernphysiker die Sachverständigen, in den Streitkräften ist es der Jurist. 250 Hier wie dort lautet die Diagnose auf ein Fachkompetenzdefizit, das die jeweilige Exekutivgewalt offensichtlich nicht mit eigenen personellen Mitteln aufzufüllen vermag. Freilich ist nicht zu übersehen, daß der Versuch di Fabios unter den unscharfen Konturen leidet, die das behauptete Effektivitäts-, Sachgerechtigkeits-, Rationalitäts- bzw. Optimierungsgebot — die Kette der Benennungen im Schrifttum ließe sich verlängern — kennzeichnen.251 Ob tatsächlich eine Rechtspflicht der Verwaltung nachweisbar ist, nicht nur das „gesetzmäßige", sondern auch noch das „richtige" Ergebnis auszuwerfen, und ob ein solches Gebot der metajuristischen 252 Sachgerechtigkeit den von di Fabio proklamierten Bezug zum Rechtsstaatsprinzip hat, unterliegt gewissen Bedenken. Denen braucht jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht nachgegangen zu werden. Die Sonderstellung der Streitkräfte, wie sie unter a) und b) entwickelt worden ist, definiert sich nämlich nicht aus einem Mangel an außer- (meta-)juristischem Fachwissen, wie er für die allgemeine Staatsverwaltung typisch ist, sondern aus einem funktionsimmanenten Defizit an juristischem Sachverstand, welches auf der Ebene der Truppenführer mit der Bindung der Streitkräfte an Gesetz und Recht kollidiert und dem in einem internationalen bewaffneten Konflikt — wie gezeigt — partiell kein judikatives Regulativ gegenübersteht. Damit kann auf der Suche nach den verfassungsrechtlichen Determinanten der Rechtsberatung in der Bundeswehr das schwer greifbare Rechtsstaatsprinzip, das sich ohnehin nur „als Inbegriff der normativ belegbaren verfassungsrechtlichen Einzelprinzipien" präsentiert 253, beiseite gelassen werden; stattdessen ist unmittelbar der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden 250 Daß die Entwicklung des Juristen zum „Rechtssachverständigen" im Trend der modernen Verwaltung liegt, hat Forsthoff schon 1960 erkannt (Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, NJW 1960, S. 1273-1277 (1275 f.); ähnlich auch Kölble, Josef: Sachverstand und Verantwortung im Hinblick auf die Aufgabenkomplikation in der Ministerialverwaltung, in: Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 30), S. 27-60 (37 f.). 251 Vgl. dazu Arnim, Hans Herbert v.: Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, S. 235 ff.; Becker, Bernd: Öffentliche Verwaltung, S. 448 f.; Held, Jürgen: Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 35 ff.; Kunig, Philip: Rechtsstaatsprinzip, S. 438 ff. (ablehnend); Ossenbühl, Fritz: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, S. 465-472 (465 f.); Scholz, Rupert: Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL Heft 34 (1976), S. 145-220 (170 f.); Wahl, Rainer: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 151-192 (157); Wolff, Hans J JBachof, Otto: Verwaltungsrecht I, S. 181. 252 Vgl. Scholz, Rupert: Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL Heft 34 (1976), S. 145-220 (152): „Verwaltung bedeutet maßgebend auch metajuristische, d.h. politische, ökonomische, soziale, technologische und kulturelle Verantwortung." 253 So Schnapp, Friedrich E., in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 20 Rn. 21.
2. Rechtsberatung verfassungsrechtlich gefordert?
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Gewalt, in dem gewöhnlich ein „Element" bzw. ein „Unterprinzip" des Rechtsstaatsgedankens gesehen wird, zu fokussieren. 254 d) Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt als Maßstab für Verfahren und Organisation der Exekutive Die Hypothese, die Rechtsberatung der Truppenführer sei ein verfassungsrechtlich gebotenes, aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt abzuleitendes Diktum, läßt sich nur dann untermauern, wenn diesem Prinzip überhaupt Aussagen über Verfahren und Organisation der Exekutive entnommen werden können: Mit diesen beiden Topoi erschließt sich das Verfassungs- und Verwaltungsrecht gewöhnlich den Zugang zum staatlichen Innenbereich, innerhalb dessen sich der Vorgang der Beratung abspielt. Der organisatorische Bezug des Gegenstandes folgt daraus, daß die Schaffung einer Rechtsberatungsstruktur in den Streitkräften nur durch Bildung, Errichtung und Einrichtung entsprechender Ämter bzw. Dienststellen bewerkstelligt werden kann; diese Vorgänge gehören nach der klassischen Definition Hans J. Wolffs zum Organisationsrecht. 255 Soweit es hingegen um die Frage geht, wie die jeweiligen Amtsinhaber ihre Tätigkeit auszuüben haben, erhält das Thema einen verfahrensrechtlichen Anstrich. 256 Unter Verfahren kann dabei nicht nur das „Verfahren" im Sinne des § 9 VwVfG Bd verstanden werden. Erstens ist schon zweifelhaft, ob die Einheitsund Verbandsführer, denen die rechtliche Beratung zuteil werden soll, als militärische Kommandobehörden überhaupt „Behörden" im Sinne dieser Vorschrift sind. 257 Zweitens sind diejenigen Verfahren, die nach den obigen Erkenntnissen 258 den Schwerpunkt der Rechtsanwendung in den Streitkräften bilden, weder auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes noch auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet. Das leuchtet sofort für die Prüfung der kriegsvölkerrechtlichen Schranken eines militärischen Einsatzes ein. Aber auch die Durchführung eines einfachen Disziplinar- bzw. eines truppendienstlichen Besch werde Verfahrens unterfallen als Akte der militärischen Befehls- und Kommandogewalt nach h.M. nicht dem Anwendungsbereich des VwVfG Bd. 2 5 9 Den weiteren 254 Ob sich das aufgezeigte Problem auch mit grundrechtlichen Argumentationsmustern bewältigen läßt, wird im Anhang zu diesem Abschnitt erörtert. 2 55 Wolff, Hans J JBachof, Otto: Verwaltungsrecht II, S. 57 f.; vgl. auch Schnapp, Friedrich E.: Ausgewählte Probleme des öffentlichen Organisationsrechts, Jura 1980, S. 293-303 (293 f.). 256 Vgl. die anschauliche Differenzierung von Organisation und Verfahren durch Bettermann (Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL Heft 17 (1959), S. 118-182 [131]). 257 Ablehnend die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des § 1 VwVfG Bd (BT-Drucks. 6/1173, S. 29; 7/910, S. 33). 2 58 S. oben Abschnitt IV.2.a)cc). 2 59 Vgl. Böttcher, Hans Viktor ! Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, § 23 Rn. 8; Forsthoff, Ernst: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., S. 14; Stelkens, Paul, in Stelkens / Bonk / Leonhardt: Verwaltungsverfahrensgesetz, §1 Rn. 87; a.A. Obermayer,
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Überlegungen wird daher ein Verfahrensbegriff zugrundegelegt, der — über § 9 VwVfG Bd hinausgehend — alle auf die Anwendung von Rechtsnormen gerichteten Vorgänge erfaßt, auch soweit sie truppendienstlicher Natur sind und damit innerhalb der Exekutive ablaufen. Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt stellt nach Schnapp „den zentralen Grundsatz des Rechtsstaatsgedankens dar." 2 6 0 Nach wohl überwiegender, wenn auch in dieser Generalisierung angreifbarer Meinung hat es seinen „Sitz" in Art. 20 Abs. 3 GG 2 6 1 und unterteilt sich in die zwei Komponenten des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes. Während ersteres zum Ausdruck bringen soll, daß Verwaltungsmaßnahmen nicht gegen das formelle Gesetz verstoßen dürfen, verlangt letzteres für bestimmte Exekutivakte der Verwaltung eine gesetzliche Ermächtigung. Über diesen Inhalt des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes herrscht im Grundsatz völliges Einvernehmen. 262 Mißt man die Situation in den Streitkräften, wie sie unter a) erläutert wurde, an diesen verfassungsrechtlichen Parametern, so ergeben sich keine Neuerungen im Vergleich zu der Rechtslage, die bereits zu Beginn dieses Abschnitts dargelegt wurde: Daß die Truppe an das Gesetz gebunden ist und für belastende Eingriffe, etwa die Verhängung einer Disziplinarbuße über einen Soldaten (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 3 WDO), einer gesetzlichen Grundlage bedarf, kann als juristisches Allgemeingut gelten. Klaus: Verwaltungsverfahrensgesetz, § 9 Rn. 37. Richtig ist freilich, daß Ernennung und Entlassung von Soldaten durch militärische Dienststellen Verwaltungsakte darstellen und insofern das VwVfG Bd subsidiär Anwendung finden kann (so Aljf, Richard: Die Auswirkungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die Rechtsstellung der Soldaten, NZWehrR 1977, S. 41-45; Obermayer, Klaus: Verwaltungsverfahrensgesetz, §9 Rn. 30). 260 In v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 20 Rn. 36. 261 Schnapp weist zu Recht darauf hin, daß sich der Vorbehalt des Gesetzes (dazu weiter im Haupttext) nur insoweit aus Art. 20 Abs. 3 GG ableiten lasse, als es überhaupt Gesetze geben müsse, denen der (ausdrücklich dort festgeschriebene) Vorrang des Gesetzes zukommen könne (in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 20 Rn. 38). Nach Herzog ergibt sich der Vorbehalt des Gesetzes nicht aus Art. 20 Abs. 3 GG, sondern aus Verfassungsgewohnheitsrecht (in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 20, VI., Rn. 79). Diese Meinung hat viel für sich. 262 Vgl. Herzog, Roman, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 20, VI., Rn. 33; Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 1 ff.; Ossenbühl, Fritz, in Erichsen/ Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 103; Schnapp, Friedrich E., in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 20 Rn. 38; Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. I, S. 802 ff. Eine Dreiteilung des Gesetzmäßigkeitsprinzips nimmt Sachs vor (in Stelkens / Bonk / Leonhardt: VerwaltungsVerfahrensgesetz, § 44 Rn. 20 ff.): Er versteht unter dem Vorrang des Gesetzes nur die Anordnung einer „Derogationswirkung des Gesetzes gegenüber jeder anderen staatlichen Willensäußerung" (Rn. 21), während die eigentliche „Bindungskraft des Gesetzes" eine dritte Komponente darstellen soll (Rn. 41 ff.). Diese Differenzierung mutet jedoch zu artifiziell an: Wenn das Gesetz andere staatliche Willensäußerungen derogiert, dann liegt genau in dieser Fähigkeit seine „Bindungswirkung". Im folgenden werden daher „Gesetzesvorrang" und „Bindungswirkung" als Synonyme gebraucht. Wieder anders Obermayer, Klaus: Verwaltungsverfahrensgesetz, Einl., Rn. 103.
2. Rechtsberatung verfassungsrechtlich gefordert?
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aa) Verfahren Gelegentlich unbeachtet bleibt im Schatten dieser „Zwei-Komponenten-Theorie", daß Rechtsprechung und Schrifttum im Gesetzmäßigkeitsprinzip — präziser: in der Anordnung des Vorbehalts des Gesetzes — längst eine Quelle verfassungsrechtlicher Ge- und Verbote geortet haben, die über Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes weit hinausgehen und die sich insbesondere auf Organisation und Verfahren der vollziehenden Gewalt auswirken. Namentlich Carl Hermann Ule ist die frühe Aufdeckung des dogmatischen Zusammenhangs von Gesetzesgebundenheit der Exekutive und der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens zu danken 263 : „Ist die Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden, so muß das Verwaltungsverfahren so ausgestaltet sein, daß sich die ergehende Verwaltungsmaßnahme möglichst im Einklang mit Gesetz und Recht befindet." 264 Aus dieser Prämisse leitet Ule die Herrschaft des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungsverfahren, das Recht auf Gehör und Akteneinsicht für die Betroffenen sowie den Begründungszwang für belastende Verwaltungsakte ab. Denn — so Ule — da der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz für einen Eingriff der Verwaltung in Rechtspositionen der Bürger ein ermächtigendes Gesetz verlangt, sei dieser Eingriff nur dann rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorlägen. Dies erlege der Behörde eine Prüfungspflicht auf, der sie nur im Wege der Durchführung eines geeigneten, den genannten Ansprüchen genügenden Verwaltungsverfahrens nachkommen könne. In der Annahme einer verfahrenssteuernden Kraft des Gesetzmäßigkeitsprinzips ist Ule ein großer Teil der Literatur gefolgt. So hält etwa Kopp die Verwaltung für verpflichtet, „ihr Handeln von vorneherein am Grundsatz der Gesetzmäßigkeit auszurichten und im Rahmen des Möglichen und Praktikablen die Übereinstimmung mit dem geltenden Recht sicherzustellen"; dies aber — so Kopp — könne die Verwaltung nur, „wenn sie in geeigneter Weise, nämlich durch ein geeignetes Verfahren, dafür sorgt, daß vor jeder Entscheidung . . . alle dafür erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen umfassend geklärt werden." Ein solches Verfahren erfordere neben anderem Bürgerbeteiligung, Akteneinsicht und Gewähr rechtlichen Gehörs für die Beteiligten. 265 Daß der Grundsatz der rechtsstaatlichen Gebundenheit der Exekutive die Einhaltung eines geeigneten und die Rechte der Bürger wahrenden Verwaltungsverfahrens erzwingt, vertreten gleichermaßen Stern 266 und Bonk. 267 Erst in jüngster Zeit hat Lücke dafür plädiert, 263 Vgl. uief Carl Hermann: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1957, S. 597-603 (601 f.); ders.: Zur Bedeutung des Rechtsstaatsbegriffs in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, DVB1. 1963, S. 475-482; ders.: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß, VerwArch Bd. 62 (1971), S. 114-134; ders. : Rechtsstaat und Verwaltung, VerwArch Bd. 76 (1985), S. 1-23, 129-157 (136 ff.); Ule, Carl Hermann / Laubinger, Hans-Werner: Verwaltungsverfahrensrecht, S. 5-7. 264 Ule, Carl Hermann ! Laubinger, Hans-Werner: Verwaltungs verfahrensrecht, S. 5. 2 65 Kopp, Ferdinand O.: Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 61 f. 2 66 Vgl. Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. I, S. 824 f. 9 Baganz
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den (mittlerweile einfachgesetzlich festgeschriebenen 268) Begründungszwang für alle von dieser Norm erfaßten Entscheidungen unmittelbar aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleiten; zu Recht stellt er im Sinne Ules darauf ab, daß es „geeigneter verfahrensmäßiger Vorkehrungen" bedürfe, um die Einhaltung der sich aus dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz ergebenden Bindungen zu sichern. 269 Schmidt-Aßmann betont, „daß schon das elementare rechtsstaatliche Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in mehrere verfahrensrechtliche Dimensionen hinein zu entfalten ist"; Konsequenzen seien etwa die Herrschaft des Untersuchungsgrundsatzes, „der als Maxime objektiven Rechts unabhängig davon Gültigkeit besitzt, ob es sich um außenwirksame oder um rein interne Verfahren handele", ferner das Gebot rechtsstaatlicher Verfahrensklarheit, bestimmte Publikationspflichten, das Begründungsgebot und schließlich das Gebot unparteiischer Amtswalterschaft. 270 Nicht nur im Schrifttum hat die Ansicht Ules eine breite Anhängerschaft gefunden. 271 Trotz der frühzeitig von Bettermann vorgetragenen Kritik 2 7 2 hat der Gedanke, daß von der Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht starke Impulse für das Verwaltungsverfahren ausgehen, auch in der Rechtsprechung von ΒVerfG und BVerwG Widerhall gefunden 273, bevor er von der verfahrensrechtlichen Aktivierung der Grundrechte überlagert wurde. In der Tat verdient der Standpunkt Ules Zustimmung. Die Verfahrensabhängigkeit des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes ließe sich argumentativ nur dann unterlaufen, wenn man unter Hinweis auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und den dreistufigen Ausbau der 267 Vgl. Bonk, Heinz Joachim, in Stelkens / Bonk / Leonhardt: VerwaltungsVerfahrensgesetz, § 1 Rn. 18. 268 Vgl. § 39 VwVfG Bd. 269 Vgl. Lücke, Jörg: Begründungszwang und Verfassung, S. 39 ff. 270 Vgl. Schmidt-Aßmann, Eberhard: Verwaltungsverfahren, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 623-650 (Rn. 14). 271 Vgl. außer den im Text Genannten noch Heckel, Hans: Die Rolle des Juristen in der Fachverwaltung, DÖV 1958, S. 29-31 (30); Held, Jürgen: Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 34 f., 49; Laubinger, Hans-Werner: Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch Bd. 73 (1982), S. 60-85 (Fn. 93); Lorenz, Dieter: Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 178182; Papier, Hans Jürgen: Verwaltungsverantwortung und gerichtliche Kontrolle, in: Verwaltung im Rechtsstaat, Festschrift f. C. H. Ule z. 80. Geb., S. 235:255 (243); Reuß, Hermann: Das Verwaltungsverfahren — psychologisch betrachtet, DÖV 1958, S. 656659 (659); Spanner, Hans: Empfiehlt es sich, den allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts zu kodifizieren?, Gutachten f. d. 43. Deutschen Juristentag, S. 43. 272 Vgl. Bettermann, Karl August: Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL Heft 17 (1959), S. 118-182 (164 ff.); anders allerdings der Mitberichterstatter Melichar, Erwin, S. 183-212 (187 f.). Auf Bettermanns Kritik wird im folgenden eingegangen. 273 Vgl. die Nachweise bei Ule, Carl Hermann: Zur Bedeutung des Rechtsstaatsbegriffs in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, DVB1. 1963, S. 475-482 (Fn. 6, 10-13). Ule arbeitet in dieser Abhandlung heraus, daß es sich bei den von der Rechtsprechung gewöhnlich herangezogenen „allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen" in Wahrheit um den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt handelt.
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Verwaltungsgerichtsbarkeit eine eigenständige, d.h. originäre und auf das jeweils betroffene Individuum bezogene Rechtsschutzfunktion der Exekutive leugnen wollte. Erfüllte die Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht nämlich nicht zugleich eine Rechtsschutzaufgabe, fehlte ihr m. a.W. ein Bezug zu den durch die Verfassung geschützten Rechtsgütern, so fiele die Ausgestaltung des Verfahrens zweifellos in das freie Ermessen der Behörden; verfassungsrechtliche Vorgaben wären aus dieser Perspektive nicht konstruierbar. Diese einseitig justizzentrierte Position hat vor allem Bettermann auf der Wiener Staatsrechtslehrertagung 1958 eingenommen. Der Schutz des Bürgers gegenüber der Verwaltung, meinte er, sei „bei uns in reichlichem, vielleicht in allzu reichem, jedenfalls aber ausreichendem Maße durch die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte gewährt." Folglich könne, ja müsse auf „die Prozessualisierung, auf die justizförmliche Umgestaltung des Verwaltungs Verfahrens verzichtet werden." Es gelte die Gleichung: „Je mehr und je bessere Verwaltungsgerichtsbarkeit, desto weniger Justizförmlichkeit der Verwaltung." 274 Diese Anschauungen Bettermanns können heute als überwunden gelten. Zu Recht konstatiert Held, daß die originäre Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsverfahrens in der Literatur mittlerweile „unbestritten" ist. 2 7 5 Schon der Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG läßt nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Verpflichtung zur Herstellung (bzw. Wiederherstellung) optimaler Kongruenz zwischen exekutivischem Handeln und Gesetz und Recht beide Gewalten, die vollziehende wie die rechtsprechende, in gleicher Weise trifft; die eine kann sich nicht unter Verweis auf die Existenz der anderen entlasten.276 Ein Blick auf Art. 1 Abs. 3 GG erhärtet diesen Befund aus grundrechtlicher Sicht. Hinzu kommt, daß zwischen dem „gerichtlichen Rechtsschutz" und dem „Rechtswahrungsauftrag" der Verwaltung 277 qualitative Unterschiede bestehen, die es untersagen, die Exekutive zu Lasten der Judikative aus der Verantwortung für die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zu entlassen. Jürgen Held hat in seiner Untersuchung des Verwaltungsverfahrens in Anknüpfung an ältere Abhandlungen vier Gründe herausgearbeitet, die eine ausschließliche Orientierung am gerichtlichen Rechtsschutz als nicht ausreichend erscheinen lassen: Erstens biete der gerichtliche Schutz nur eine 274 Bettermann, Karl August: Das Verwaltungs verfahren, VVDStRL Heft 17 (1959), S. 118-182 (168). 275 Held, Jürgen: Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 49 mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Schnapp, Friedrich E.: Die vorgreifliche Anordnung der Aufsichtsbehörde in der Sozialversicherung, Die Betriebskrankenkasse 1969, S. 97-103 (103). 276 Richtig also Schwarze, der feststellt, daß der Rechtsstaat beides verlange, „sowohl die gerichtliche Kontrolle als auch den im Gange der Verwaltung selbst liegenden Schutz" (Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, S. 44). 277 In Anlehnung an die eingängige Terminologie Rainer Wahls (Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 [1983], S. 151-192 [160]). 9*
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eingeschränkte Kontrolldichte, da der Verwaltung im Bereich des Ermessens und der unbestimmten Rechtsbegriffe judiziell nicht überprüfbare Freiräume zustünden 278 ; zweitens handele es sich bei der gerichtlichen Entscheidung nur um eine repressive Nachprüfung behördlichen Handelns, was eine geringere Kontrollintensität zur Folge habe, da der Richter oftmals nur eine „Plausibilitätsprüfung" durchführe; drittens habe der Bürger einen Anspruch auf rechtzeitigen Rechtsschutz, der sich angesichts der langen Dauer verwaltungsgerichtlicher Prozesse nur im Verwaltungsverfahren realisieren lasse 279 ; und schließlich diene die Schaffung eines geeigneten Verwaltungsverfahrens auch der Verhütung vollendeter Tatsachen.280 Hinzuzufügen ist, daß der originäre Rechtswahrungsauftrag des Verwaltungsverfahrens in den Fällen seine volle Wirkung entfaltet, wo es im Anschluß zu keinem Gerichtsverfahren kommt; dem Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz korrespondiert bekanntlich keine Verpflichtung des betroffenen Bürgers, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. 281 Im Ergebnis kann somit der Einsicht Wolffs gefolgt werden, wonach ein rechtlich geführtes Verwaltungsverfahren einen besseren Rechtsschutz gewähre „als nachträgliche orts- und sachfernere Kontrollen, die allenfalls gerade biegen, was besser gar nicht verbogen worden wäre." 282 Läßt sich also im Grundsatz nicht bestreiten, daß bereits die Verwaltung im Lichte des Art. 20 Abs. 3 GG vollständigen „Rechtsschutz" zur Verfügung zu stellen hat und daß sie dies nur im Wege eines geeigneten Verwaltungsverfahrens tun kann — Wahl spricht treffend vom „Modus der primären Rechtsverwirklichung" 283 —, so könnten doch Zweifel an der Konkretisierungsfähigkeit dieser Aussage anzumelden sein. Offensichtlich sind Ule und die ihm folgenden Autoren von dieser Fähigkeit ausgegangen, haben sie doch aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip eine Reihe konkreter verfahrensrechtlicher Forderungen abgeleitet, etwa die obligatorische Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, den Begründungszwang, 278
Vgl. aus der Flut der Literatur nur Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7. 27 9 Vgl. Kopp, Ferdinand O.: Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 55 f. („Der Rechtsstaat... würde sich selbst aufgeben, wenn die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung nur über die Anrufung der Gerichte erreicht werden könnte und wenn der Bürger nicht einen umfassenden Anspruch auf Schutz und Verwirklichung seiner Rechte schon im Bereich der Tätigkeit der Verwaltung hätte, in dem die Gefahr einer Rechtsverletzung mit am unmittelbarsten in Erscheinung tritt."). 280 Held, Jürgen: Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, S. 42-49; instruktiv auch Pietzcker, Jost: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 193-231 (201-203); Wahl, Rainer, ebendieser Titel, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 151-192 (160-162). 28 1 Auf diesen wichtigen Aspekt weist Pietzcker hin (Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 193-231
(202).
282 Wolff, Hans J JBachof, Otto: Verwaltungsrecht III, S. 322. 283 Wahl, Rainer: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 151-192 (154).
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den Anspruch auf rechtliches Gehör der Betroffenen u.a. 2 8 4 An einer solchen Vorgehensweise wird gelegentlich Kritik geübt. So hat Ossenbühl im Gefolge des Mülheim-Kärlich-Beschlusses vor einer „dem modischen Thema des Verfahrensrechts entsprechenden Verfassungseuphorie" gewarnt, die „weit über das Ziel hinausschießen" könne. 285 Auch Schmidt-Aßmann möchte „das Verfahrensrecht in Sonderheit... vor einer überzogenen verfassungsrechtlichen Zementierung" bewahren; von der Erkenntnis, daß dem Grundgesetz bestimmte verfahrensund organisationsförmliche Schutzmechanismen vertraut seien, führe „im Regelfall kein hinreichend eindeutiger Schluß zur Notwendigkeit oder zur Unzulänglichkeit einer ganz bestimmten Verfahrensgestaltung." 286 An solchen Mahnungen ist sicher richtig, daß nicht die Gesamtheit des seit 1976 kodifizierten allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts schlichtweg als „konkretisiertes Verfassungsrecht" 287 qualifiziert werden kann, daß dem Gesetzgeber bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Verfahrensrechts in der Regel Konkretisierungsspielräume verbleiben und daß es wenig Sinn macht, sich daran zu erfreuen, „wo und wie der Stamm eines verfassungsrechtlichen Prinzips in den ziselierenden Verzweigungen des einfachen Verfahrensrechts ausläuft." 288 Ebensowenig läßt sich allerdings die Existenz von Verfahrensgrundsätzen in Abrede stellen, die im Regelfall als unentbehrlich zur Herstellung optimaler Kongruenz zwischen exekutivischem Handeln und den Anforderungen von Gesetz und Recht angesehen werden müssen und die sich infolgedessen einer Manipulation ihres verfassungskräftigen Kerngehalts entziehen.289 So ist nicht vorstellbar, wie eine Behörde einen rechtmäßigen Verwaltungsakt erlassen soll, wenn sie nicht von Amts wegen zur Untersuchung des Sachverhalts verpflichtet ist. Gleiches gilt für die obligatorische Anhörung der potentiell Betroffenen sowie — in abgeschwächter Form — auch für den Begründungszwang. Diese Verfahrensmaximen stehen in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht; verzichtete man auf sie, nähme man das Risiko aleatorischer Sachentscheidungen in Kauf und stellte das Gesetzmäßigkeitsprinzip zur freien Disposition der Behörden. Gerade dies verbietet sich aber wegen des ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Rechtsschutzauftrags.
284 s. oben Fn. 263. 285 Ossenbühl, Fritz: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, S. 465-472 (467). 28 6 Schmidt-Aßmann, Eberhard: Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, S. 40 f. 287 In Anlehnung an das berühmte Wort Fritz Werners in DVB1. 1959, S. 527. 288 So Ossenbühl, Fritz: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, S. 465-472 (467). 289 So auch Häberle, Peter: Verfassungsprinzipien „im" Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Verwaltungsverfahren, Festschrift z. 50jährigen Bestehen des Richard BoorbergVerlags, S. 47-93 (48-52); Bonk, Heinz Joachim, in Stelkens / Bonk / Leonhardt: Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rn. 18.
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Den Stimmen, die sich gegen eine überzogene verfassungsrechtliche Aufladung des Verfahrensrechts aussprechen, ist freilich zuzugeben, daß auf der Ebene des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts ein erheblicher legislatorischer und exekutivischer Gestaltungsspielraum verbleibt, wofür die zahlreichen Ausnahmeregelungen des VwVfG Bd zur Anhörungspflicht (§ 28) als Beispiel dienen mögen; der verfassungsrechtliche Nährboden wird nicht hinter jeder einfachgesetzlichen Norm sofort zu erkennen sein. Gewinnbringender erscheint es daher, die Ebene des allgemeinen Verfahrensrechts zu verlassen und den Einfluß des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes auf spezifischen Feldern exekutivischer Tätigkeit zu untersuchen. In diesem Sinne hat Wahl auf der Konstanzer Staatsrechtslehrertagung 1982 an den Gesetzgeber appelliert, ein sektorales bzw. bereichsspezifisches Verfahrensrecht zu schaffen. Nur durch differenzierende Verfahrensregelungen, die die vielfältigen Konturen des jeweiligen materiellen Verwaltungsrechts nachzeichneten, könne der prinzipielle Konflikt zwischen Rechtswahrung und Effizienz schrittweise abgearbeitet werden. 290 Dieser differenzierende Ansatz Wahls überzeugt. Was das Gesetzmäßigkeitsprinzip auf verfahrensrechtlichem Gebiet zu leisten vermag, wird in der Tat nicht einheitlich für alle Zweige der vollziehenden Gewalt zu beantworten sein, will man nicht unnötige Verluste an Konkretisierungsgraden in Kauf nehmen. Über das Verfahren von Polizei- und Sozialbehörden werden sich gemeinsame Aussagen nur auf hohem Abstraktionsniveau finden lassen. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Streitkräfteinternen Rechtsberatung im Gesetzmäßigkeitsgrundsatz kann folglich nur gelingen, wenn gerade die Besonderheiten des Rechtsanwendungsvorganges in den Streitkräften ins Auge gefaßt werden. Dies gilt nicht minder für die organisationsrechtliche Seite des Problems. bb) Organisation Erfreut sich das Thema „Gesetzmäßigkeitsprinzip und Verwaltungsverfahren'' immerhin einer gewissen, durch Ule geweckten literarischen Aufmerksamkeit, so wird man selbiges von der Kombination "Gesetzmäßigkeitsprinzip und Verwaitungsorganisation" nicht behaupten können. Das muß erstaunen, stehen doch Organisation und Verfahren in so engem thematischem Zusammenhang, daß sogar die Verschmelzung beider Phänomene unter einer einheitlichen Verfahrensidee vorgeschlagen worden ist. 2 9 1 Das Dogma von der nahezu unbeschränkten Organisationsgewalt der Exekutive, vom „administrativen Arkanbereich", ist dennoch nicht in dem Maße abgebaut worden, daß sich die staatliche Binnenorganisation dem reglementierenden Zugriff des Verfassungs- und Verwaltungsrechts
290 Vgl. Wahl, Rainer: Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL Heft 41 (1983), S. 151-192 (171 ff.). 291 Vgl. Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, S. 430 ff.
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schon in nennenswertem Umfang preisgegeben hätte. Immerhin sind jedoch auch auf diesem Sektor die Bezüge zum Rechtsstaatsprinzip — genauer: zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt — erkannt worden. So hält Stern Verwaltungsorganisation für ein „rechtsstaatliches Gebot"; „rechtsstaatliche Gebundenheit der Exekutive", argumentiert er, „verlangt zugleich funktionsgerechte Organisiertheit, um behördliche Handlungsfähigkeit sowie Wirksamkeit und Überschaubarkeit des Verwaltungshandelns zu gewährleisten." 292 Obermayer fordert eine stärkere Beachtung des „seit langem vernachlässigte(n) Organisationsrecht(s), . . . da die sinnvolle Ordnung des internen Verwaltungsbereichs Voraussetzung dafür ist, daß die im Außenverhältnis rechtserheblichen Maßnahmen effektiv unter Verwirklichung der Rechte des einzelnen vorgenommen werden." 293 Hufen glaubt, daß die Verwaltungsrechtsdogmatik von der Entscheidungstheorie „das Verständnis für die elementare Bedeutung der Organisation für den Ablauf des Verfahrens und damit auch für dessen Ergebnis" zu lernen habe. 294 Von diesem Zusammenhang ist auch Loeser überzeugt: „ . . . Organisationsrecht ermöglicht erst unmittelbar und mittelbar die Erzeugung, Anwendung und Durchsetzung jenes materiellen Rechts. Es ist Garant der Sicherheit und Eindeutigkeit des materiellen und des Verfahrensrechts." 295 Anders als im Verfahrensrecht scheut jedoch das Schrifttum auf dem Gebiet des Organisationsrechts vor Konkretisierungen solch allgemeiner Aussagen über den rechtsstaatlichen Gehalt der Verwaltungsorganisation zurück (sieht man von der mittlerweile erkannten Bedeutung der Zuständigkeit ab 296 ). Das ist verständlich, läßt sich doch die beeindruckende Fülle organisatorischer Strukturen, wie sie in der allgemeinen Staatsverwaltung vorgefunden werden kann, noch weniger als das Verfahrensrecht in das Korsett gemeinsamer Prinzipien pressen; nicht von ungefähr beklagt Roman Loeser den „Thesaurus an förmlichen und förmelnden Organisationskonstrukten". 297 Hinzu kommt, daß sich die Verwaltungsorganisation typischerweise in direkter Abhängigkeit vom Verwaltungsverfahren befindet; erst wenn die Einzelheiten eines rechtsstaatlich gebotenen Verfahrens festgelegt sind, können die Umrisse der dafür erforderlichen Organisationsstruk292 Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. I, S. 824. 293 Obermayer, Klaus: Verwaltungsrecht im Wandel, NJW 1987, S. 2642-2647 (2645). 294 Hufen, Friedhelm: Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 60. 295 Loeser, Roman: Bundesorganisationsgesetz, S. 43. Vgl. außer den Genannten noch Hill, Hermann: Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 244 ff.; Schmidt-Aßmann, Eberhard: Institute gestufter Verwaltungsverfahren: Vorbescheid und Teilgenehmigung, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festg. aus Anlaß d. 25jährigen Bestehens des BVerwG, S. 569-584 (570); ausführlich Steinberg, Rudolf: Politik und Verwaltungsorganisation, S. 189 ff. 296 Vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG Bd und die entspr. Kommentierungen. 297 Loeser, Roman: Bundesorganisationsgesetz, S. 292; vgl. auch Hartkopf, Günter: Zur Lage der Bundesverwaltung nach 30 Jahren Grundgesetz, DÖV 1979, S. 349-354 (352).
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turen transparent gemacht werden. Auch hier erscheint es folglich ratsam, Abstand zu nehmen von einer Methode, die die Totalität der Exekutivorganisation an verfassungsrechtlichen Prinzipien messen will, und vorzudringen zu einer Untersuchung des jeweiligen Teilbereichs der vollziehenden Gewalt. Auf dieser Basis werden sich Aussagen über die Notwendigkeit einer Rechtsberatungsorganisation in der Bundeswehr am ehesten ermöglichen lassen.
e) Die Einrichtung einer sachverständigen Rechtsberatung in den Streitkräften als Gebot des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt Rechtsanwendung in den Streitkräften konzentriert sich, wie schon mehrfach festgestellt wurde, im wesentlichen auf drei Verfahren: 1) das einfache Wehrdisziplinarverfahren nach der WDO; 2) das Wehrbeschwerdeverfahren nach der WBO und 3) in einem internationalen bewaffneten Konflikt das Verfahren zur Prüfung der kriegsvölkerrechtlichen Schranken einer militärischen Maßnahme. Unter dem Aspekt der strikten Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht sind bei der Durchführung dieser Verfahren zwei Besonderheiten im Verhältnis zur allgemeinen Staatsverwaltung konstatiert worden, die als Anknüpfungspunkte für die Herausarbeitung streitkräftespezifischer Verfahrens- und Organisationsformen dienen können: Es handelt sich zum einen um das unter a) thematisierte Fehlen eines juristischen Sachverstands zur Bewältigung der „juristischen Komponenten" des RechtsanwendungsVorganges; zum anderen ist das Fehlen eines gerichtlichen Rechtsschutzes zugunsten des Kriegsgegners in einem internationalen bewaffneten Konflikt zu würdigen.
aa) Die „juristische Komponente" des Rechtsanwendungsvorgangs und ihre Relevanz für die Streitkräfte Im Schrifttum wird das Problem des Verfahrens in der allgemeinen Staatsverwaltung unter der Herrschaft des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes regelmäßig auf die Pflicht der Behörden zu einer umfassenden Ermittlung des Sachverhalts reduziert. Die behördliche Tatsachenfeststellung steht im Vordergrund des verfahrensrechtlichen Interesses. Untersuchungsgrundsatz, Begründungszwang, Anhörungs- und Akteneinsichtsrecht der Betroffenen bilden auf diese Weise das Kernstück der Argumentation Ules und der ihm folgenden Autoren: Diese Maximen sollen in erster Linie dazu dienen, die Exekutive zur Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen der Eingriffsnorm anzuhalten, damit sie den sich aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip ergebenden Bindungen gerecht werden und ihr Handeln in Übereinstimmung mit Gesetz und Recht halten kann. Insofern läßt sich von der Prävalenz einer tatsachenorientierten Betrachtung des Verfahrensrechts spre-
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chen. Sie hat in den entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze ihren Niederschlag gefunden. 298 Indessen besteht der Prozeß der Rechtsanwendung bekanntlich nicht nur aus der Feststellung des Sachverhalts; hinzu treten, geht man von dem klassischen dreistufigen Modell aus, die Auslegung des Gesetzes sowie als dritter und letzter Schritt die Subsumtion. 299 Diese Teile des Rechtsanwendungsvorganges blendet Ule aus seinen Überlegungen aus („Der Auslegungs- und Subsumtionsvorgang wird durch den Untersuchungsgrundsatz nicht berührt." 300 ); aus seiner Sicht zu Recht, da es sich bei der Subsumtion, besonders aber bei der Gesetzesauslegung um genuin »juristische Arbeiten" handelt, für deren Bewältigung die allgemeine Staatsverwaltung, wie oben gezeigt worden ist, gewöhnlich gut gerüstet ist. Gleichwohl läßt sich nicht bestreiten, daß die Herstellung optimaler Kongruenz zwischen exekutivischem Handeln und dem Gesetz von der Qualität der »juristischen Arbeit" mindestens ebenso abhängig ist wie von einer korrekten Tatsachenermittlung. Das sei an einem einfachen Beispiel erläutert: Ein Beamter, der über die Zulässigkeit eines Bauvorhabens im unbeplanten Innenbereich zu entscheiden hat, kann sich nicht damit begnügen, alle irgendwie im Zusammenhang mit dem Projekt stehenden Informationen — also Grundstückslage, Bauweise, Nutzungsart, Erschließungssituation, etc. — zusammenzutragen; darüber hinaus wird von ihm verlangt, daß er die einschlägige Rechtsnorm — hier § 34 BauGB — kennt, in der Lage ist, ihren Inhalt unter Zuhilfenahme anerkannter rechtswissenschaftlicher Methoden und den Erkenntnissen der Rechtsprechung zu ermitteln (ζ. B.: Was heißt „Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung") und schließlich die gesammelten Informationen unter die solcherart ausgelegte Rechtsnorm zu subsumieren. Diese Arbeit mag ihm durch norminterpretierende Verwaltungsvorschriften erleichtert werden; überflüssig wird sie damit nicht. Daß der zweite und dritte Schritt des Rechtsanwendungsvorganges mindestens ebenso fehlerträchtig sind wie der erste, bedarf keiner weiteren Ausführungen: „In der Praxis", so urteilt etwa Hans-Uwe Erichsen, „beruht die Aufhebbarkeit (sc. von Verwaltungsakten, Anm. d. Verf.) zumeist entweder auf der fehlerhaften Interpretation 298 Vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Bd: „Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen."; § 28 Abs. 1 VwVfG Bd: „ . . . ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern." Die Begründungspflicht bezweckt allerdings nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG Bd, daß sich die Behörde neben den tatsächlichen auch über die rechtlichen Gründe ihres Handelns im klaren wird. 299 Vgl. nur Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 3 (Maurer erkennt noch als viertes Element die „Feststellung der Rechtsfolge" an); Papier, HansJürgen: Verwaltungsverantwortung und gerichtliche Kontrolle, in: Verwaltung im Rechtsstaat, Festschrift f. C. H. Ule z. 80. Geb., S. 235-255 (242); Ule, Carl Hermann: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß, VerwArch Bd. 62 (1971), S. 114-134 (127); Wolff, Hans J JBachof, Otto: Verwaltungsrecht I, S. 160; Zippelius, Reinhold: Juristische Methodenlehre, S. 79 ff. 300 Ule, Carl Hermann: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß, VerwArch Bd. 62 (1971), S. 114-134 (127).
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von Rechtssätzen oder auf Subsumtionsfehlern." 301 Daß auch dem Gesetzgeber diese häufige Fehlerquelle bewußt ist, zeigt die Legaldefinition des rechtswidrigen Verwaltungsakts in § 44 SGB X („Soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, . . . " ) . Die herausragende Bedeutung, die die Juristischen Komponenten" des Rechtsanwendungsverfahrens für die an Gesetz und Recht gebundene Exekutive haben, und ihre Auswirkung auf Verfahren und Organisation derselben sind — soweit ersichtlich — in der Literatur noch nicht vertieft worden. Nur beiläufig äußert Heckel in einer Abhandlung aus dem Jahre 1958, daß der Rechtsstaat „ja nicht nur durch die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes, sondern erst recht dadurch verwirklicht wird, daß die Verwaltung von vornherein rechtsstaatlich arbeitet, was die laufende Beteiligung des Juristen erfordert. " 3 0 2 Auch die Bewertung Hermann Hills, daß „in Verfahren mit geringerer Reichweite und Komplexitätsgrad . . . Sachnähe meistens vorhanden" sei, es aber angesichts detaillierter Verfahrensanforderungen „häufig an der nötigen Rechtskenntnis" fehle, „so daß deshalb die Qualität des Verfahrens und der Bestand der Entscheidung gefährdet sein können" 303 , darf nur als Randnotiz, nicht aber als Problemlösungsansatz verstanden werden. Das bestenfalls marginale Interesse, das diesem Thema zuteil wird, kann nicht verwundern, verfügt doch die allgemeine Staatsverwaltung auf Grund ihrer weitgehend konditionalen Programmierung in der Regel über einen ausreichend geschulten juristischen Sachverstand, den sie — wie oben im einzelnen dargelegt wurde — entweder selbst generiert oder aber von außen rezipiert (persönliche Rechtmäßigkeitsverantwortung der Beamten, „Juristenprivileg", Rechtsabteilungen). Ferner darf nicht vergessen werden, daß der durch Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt den Rechtsweg zu staatlichen Gerichten öffnet, die den Grundsätzen der Art. 92 und 97 GG entsprechen 304 , also mit „Richtern" besetzt sein müssen; die Richtereigenschaft im Sinne des Art. 92 GG erfordert aber einen Mindeststandard an „Rechtsgelehrtheit", den „bei der gegenwärtigen Organisation der Dritten Gewalt und beim gegenwärtigen soi Erichsen, Hans-Uwe, in Erichsen/Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 281. Vgl. auch Badura, Peter, in Erichsen / Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 455 f. („Ein wesentlicher Grund für die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts ist die unrichtige Rechtsanwendung durch die Behörde, sei es daß die Behörde ohne hinreichende Rechtsgrundlage oder sonst aufgrund einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts gehandelt, sei es daß sie die Richtlinien und Grundsätze eines ihr eingeräumten Ermessens verletzt hat. Die Ermittlung des für die Entscheidung maßgeblichen Rechts ist somit eine grundlegende Pflicht der Behörde im Verwaltungsverfahren."). 302 Heckel, Hans: Die Rolle des Juristen in der Fachverwaltung, DÖV 1958, S. 2931 (30) (Hervorhebung durch Verf.). 303 Hill, Hermann: Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 246 (Hervorhebung durch Hill). 304 BVerfGE 11, 232 (233); 49, 329 (340).
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System der Juristenausbildung grundsätzlich nur der an einer Universität ausgebildete Richter" erfüllen kann. 305 Damit ist verfassungsrechtlich gewährleistet, daß die konkrete Verwaltungsmaßnahme, soweit es um die „juristische Seite" ihres Zustandekommens geht, spätestens bei Gericht einer Überprüfung durch „Rechtssachverständige" unterzogen wird. Die übliche Vernachlässigung der fast trivial anmutenden Erkenntnis, daß auch eine rechtmäßige Verwaltungsentscheidung einen gewissen Mindeststandard an juristischem Sachverstand voraussetzt, stößt aber an ihre Grenzen, wendet man sich den Streitkräften als einem Teil der vollziehenden Gewalt zu. Die Sonderrolle der Streitkräfte innerhalb der Gesamtexekutive wurde unter a) in der Weise definiert, daß es infolge ihrer rein finalen Programmierung zu einer funktionsimmanenten Diskrepanz von Verantwortung und juristischem Sachverstand auf der Ebene der für die Rechtsanwendung zuständigen Truppenführer kommt. Diese Diskrepanz, so ergab die Analyse des Rechtsunterrichts in den Streitkräften, läßt sich möglicherweise durch inhaltliche oder quantitative Verbesserung der Ausbildung verringern, auf Grund ihrer „Vorgegebenheit" aber keinesfalls zur Gänze beseitigen. Denkt man die seit 1956 in der Bundeswehr tätigen Rechtsberater hinweg, so wäre die Durchführung der einfachen Wehrdisziplinar- und der truppendienstlichen Wehrbeschwerdeverfahren bis in die höchsten subministeriellen Kommandoebenen der Streitkräfte (Kommandierende Generale) rechtlich höchst unzulänglich ausgebildeten Offizieren überantwortet, denen der Rückgriff auf ein juristisch geschultes Fachpersonal, wie ihn Behördenleiter in der allgemeinen Staatsverwaltung praktizieren können, verwehrt wäre. 306 Gleiches würde im „Ernstfall" für die Prüfung der kriegsvölkerrechtlichen Schranken eines militärischen Einsatzes gelten. Die verfassungsrechtliche Relevanz dieser Situation läßt sich nicht mit dem Einwand entkräften, zumindest bei den Disziplinar- und Beschwerdeangelegenheiten handele es sich um vergleichsweise unbedeutende Verfahren, die man bedenkenlos in die Hände juristischer Laien legen könne. Die Bandbreite der den Disziplinarvorgesetzten zu Gebot stehenden Disziplinarmaßnahmen reicht vom Verweis über den strengen Verweis, die Disziplinarbuße und die Ausgangsbeschränkung bis zum Disziplinararrest, der bis zu drei Wochen dauern kann (§§18 Abs. 1,22 WDO). Daß vor allem mit den letzten drei Maßnahmen weitreichende Eingriffe in Grundrechtspositionen der Soldaten verbunden sind (vgl. § 140 WDO), liegt auf der Hand. Wenn auch die Verhängung eines Disziplinararrestes von Verfassungs wegen die Zustimmung eines Richters erfordert (Art. 104 305 So Herzog, Roman, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 92 Rn. 81; ebenso Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 903 f. („Richter ist grundsätzlich der rechtsgelehrte, rechtswissenschaftlich besonders ausgebildete und vorgebildete Berufsrichter."). 306 Für die im BMVg angesiedelten Inspekteure gilt dies nicht, da sie jederzeit auf die Rechtsabteilung des Ministeriums zurückgreifen könnten; bis zum „BlankeneseErlaß" wurde dies auch tatsächlich so gehandhabt (s. Abschnitt III.5.).
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Abs. 2 Satz 1 GG, § 36 WDO), so ist es doch der Disziplinarvorgesetzte, der die Initiative ergreift, die erste rechtliche Bewertung vornimmt (vgl. § 34 Abs. 3 WDO) und somit eine nicht hinwegzudenkende Bedingung für den Freiheitsentzug schafft. Von ebenfalls kaum zu überschätzender Bedeutung für die Rechtsstellung der Soldaten (vgl. § 34 SG) ist das Beschwerdeverfahren nach der WBO, die Böttcher/Dau als „das grundlegende Rechtsschutzgesetz für den Soldaten" charakterisieren: „Sie garantiert ihm in gesetzlich geregelter Form das Recht, sich gegen jede Beeinträchtigung seiner Rechtsposition zu beschweren . . . " 3 0 7 Gerade im militärischen Bereich sind gravierende Eingriffe in Rechtspositionen von Grundrechtsträgern an der Tagesordnung; da sie sich nach der bekannten Rechtsprechung des ΒVerfG nicht mehr ohne weiteres mit der Figur des „besonderen Gewaltverhältnisses" rechtfertigen lassen 308 , hat die Einräumung des Beschwerderechts verfassungsrechtliches Gewicht. Das Argument einer angeblich fehlenden „Bedeutsamkeit" des Verfahrens verfängt also auch insoweit nicht. Gleiches gilt für den Einwand, dem Soldaten stünde sowohl in Disziplinar- als auch in Beschwerdeangelegenheiten die Möglichkeit zur Anrufung eines unabhängigen staatlichen Gerichts offen. Das ist zwar richtig (§§ 38 Nr. 6 WDO, 17 WBO), kann jedoch wegen der originären Rechtsschutzfunktion der Exekutive 309 nicht zur Folge haben, daß an das „vorgelagerte" Verfahren innerhalb der Streitkräfte und damit auch an die »juristischen Komponenten" des Rechtsanwendungsvorganges keinerlei Anforderungen zu stellen sind. Im dritten Rechtsanwendungsverfahren, das in der Truppe durchgeführt wird, nämlich der Prüfung der kriegsvölkerrechtlichen Schranken eines militärischen Einsatzes, gewinnt diese Rechtsschutzfunktion der Streitkräfte eine besondere Dimension.
bb) Das „Rechtsschutzmonopol" der Streitkräfte bei der Anwendung des Kriegsvölkerrechts in einem internationalen bewaffneten Konflikt Unter b) ist ausgeführt worden, daß die Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Streitkräfte in einem internationalen bewaffneten Konflikt signifikant sinken würde: Der gegnerischen Konfliktpartei würde — weder als Staat noch als Individuum — der deutsche Verwaltungsrechtsweg offenstehen, soweit sie geltend machen würde, durch die deutschen Streitkräfte in ihren kriegsvölkerrechtlichen Rechten verletzt zu sein. Insofern greift nach dem oben gefundenen Ergebnis ein Ausschluß der deutschen Gerichtsbarkeit ein, der den Betroffenen auf die ihm in den einschlägigen Abkommen eingeräumten Rechtsbehelfsmöglichkeiten verweist. Daraus folgt, daß die Streitkräfte, soweit sie kriegsvölkerrechtlich relevante Handlungen vornehmen, nicht nur originären, 307 Böttcher, Hans Viktor ! Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, Einf. Rn. 31. 308 Vgl. grundlegend die „Strafgefangenen-Entscheidung" (BVerfGE 33, S. 1 ff.). 309 s. oben Abschnitt IV.2.d)aa).
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sondern häufig den einzigen „Rechtsschutz" zur Verfügung stellen, da eine anschließende gerichtliche Kontrolle vielfach nicht erfolgen wird. M.a.W.: Wenn nicht die Streitkräfte selbst durch ein geeignetes Verfahren und eine entsprechende Organisation sicherstellen, daß die für die Bundesrepublik verbindlichen Kriegsvölkerrechtsnormen beachtet werden, bleibt eine Verletzung dieses Rechts — unbeschadet einer hier nicht interessierenden eventuellen strafrechtlichen Verfolgung des Soldaten 310 — sanktionslos.311 Damit erhält der Rechtswahrungsauftrag, den die Streitkräfte in bezug auf das Kriegsvölkerrecht zu erfüllen haben, eine im Verhältnis zur allgemeinen Staatsverwaltung erheblich gesteigerte Bedeutung. Ist hier die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit exekutivischen Handelns auf zwei Staatsgewalten „verteilt", so läßt sich dort von einem eindimensionalen Rechtsschutz sprechen, den einzig und allein die Streitkräfte gewährleisten können. Ihnen fällt auf diesem Sektor quasi das „Rechtsschutzmonopol" zu. Die besondere Bedeutung, die die Rechtsschutzfunktion der Streitkräfte im Hinblick au/ die Kriegsvölkerrechtskonformität ihres militärischen Handelns hat, wird besonders augenfällig, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Verstöße gegen dieses Recht oftmals irreversible Folgen haben. Läßt beispielsweise der Ortskommandant einer besetzten Stadt fünf angesehene Männer und Frauen als Geiseln festnehmen und beim nächsten Anschlag auf eine Dienststelle der Besatzungsmacht „standrechtlich" erschießen 312, so können diese schweren Verletzungen des IV. GA und des ZP I zwar strafrechtlich verfolgt werden, sind aber nicht mehr rückgängig zu machen. Hier greift zumindest sinngemäß die These Jürgen Heids, daß das Verfahren der Exekutive auch der Verhinderung vollendeter Tatsachen zu dienen habe. 313 Mit der Darstellung dieser für die Rechtsanwendung in den Streitkräften typischen Merkmale sind die notwendigen Grundlagen geschaffen, um die Auswirkungen des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes auf Organisation und Verfahren der Streitkräfte untersuchen zu können. In Anlehnung an die Methode Ules soll auf dieser Basis nun versucht werden, diejenigen spezifischen Organisations- und Verfahrensstrukturen herauszuarbeiten, die als unentbehrlich zur Herstellung op310 Vgl. Art. 49 ff. des I., 50 ff. des II., 126 ff. des III. und 146 ff. des IV. Genfer Rotkreuz-Abkommens sowie Art. 85 ZP I. Diese Vorschriften verpflichten die Vertragsparteien, für „schwere Verletzungen" der Abkommen und des ZP I angemessene Strafbestimmungen zu schaffen. 3Π Art. 90 ZP I sieht allerdings eine — inzwischen gegründete — „Internationale Ermittlungskommission" vor, die bei schweren Verletzungen der Abkommen und des ZP I tätig werden soll. Im hier untersuchten verfassungsrechtlichen Rahmen kann diese Einrichtung jedoch keine Rolle spielen. Davon abgesehen ist fraglich, ob die Kommission die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen kann; vgl. Eichen, Klaus Dieter / Walz, Dieter: Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts, NZWehrR 1988, S. 146-156, 195-213 (213). 312 Beispiel nach Deutsches Rotes Kreuz: Handbuch des Deutschen Roten Kreuzes zum IV. Genfer Rotkreuz-Abkommen und zu den Zusatzprotokollen (Heft für Juristen), S. 121 ff. 313 S. oben Abschnitt IV.2.d)aa).
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
timaler Kongruenz zwischen dem Handeln der Streitkräfte und dem Gesetz anzusehen sind. Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die erläuterten streitkräftespezifischen Grundbedingungen nicht auf einander ausschließende Lösungen zulaufen, sondern jeweils Indikatoren für eine einheitliche Problemlage sind und sich in dieser Wirkung verstärken: Fällt den Streitkräften bei der Anwendung des Kriegsvölkerrechts ein „Rechtsschutzmonopol" zu, so macht sich das Fehlen eines juristischen Sachverstands, wie es unter a) erläutert wurde, unter dem Aspekt der Bindung an Gesetz und Recht um so stärker bemerkbar.
cc) Schlußfolgerungen für Organisation und Verfahren der Streitkräfte Mangelt es den Streitkräften an juristischem Sachverstand, obwohl sie schon im Frieden, verstärkt aber bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Verteidigungsauftrages eine Vielzahl von Rechtsnormen — zum Teil ohne anschließende gerichtliche Kontrolle — anzuwenden haben, so kann die Verfahrens- und organisationsrechtliche Konsequenz nur in der Implementierung eines solchen Sachverstands in die Truppe bestehen; wie sich gezeigt hat, kommt eine rechtsstaatlichen Ansprüchen genügende juristische Ausbildung der für die Rechtsanwendung primär zuständigen Offiziere aus praktischen Gründen nicht in Betracht. Sein verfassungsrechtliches Gewicht bezieht dieses Postulat aus dem Grundsatz der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht: Ähnlich wie sich der Untersuchungsgrundsatz als unabdingbar erwiesen hat, um die tatsächlichen Voraussetzungen einer Eingriffsnorm in jedem Einzelfall sicher feststellen zu können, so verlangt das Gesetzmäßigkeitsprinzip auch nach solchen organisations- und verfahrenstechnischen Vorkehrungen, die als unentbehrlich zur Bewältigung der „juristischen Komponenten" des Rechtsanwendungsvorganges qualifiziert werden müssen. Dabei wird man im Lichte der bisherigen Feststellungen folgende Aussage treffen können: Der Grundsatz der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht, der der Exekutive einen eigenständigen, von der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unabhängigen Rechtswahrungsauftrag erteilt, verbietet nicht nur, den Behörden freie Hand bei der Ermittlung des Tatsachenstoffes zu lassen; ebenso untersagt er die vollständige Abkoppelung einer vollziehenden (Teil-)Gewalt von einem juristisch geschulten Sachverstand, wie ihn die allgemeine Staatsverwaltung teils durch ständige Befassung mit Rechtsnormen selbst generiert, teils durch Einstellung von Juristen von außen rezipiert. Positiv formuliert: Der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz verlangt, der Exekutive dasjenige Potential an juristischem Sachverstand zur Verfügung zu stellen, ohne das die Rechtmäßigkeit exekutivischen Handelns nicht nur in Ausnahmefällen gefährdet wäre. Diese Erkenntnis läßt sich für die Streitkräfte organisations- und verfahrensrechtlich wie folgt umsetzen:
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(1) Organisation Es besteht ein verfassungsrechtliches, aus dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz ableitbares Gebot, den Streitkräften eine mit juristischem Sachverstand ausgestattete Einrichtung zur Verfügung zu stellen. Bei dem gegenwärtigen Stand der Juristenausbildung kommen für die Besetzung der entsprechenden Dienststellen nur Personen in Betracht, die mindestens die erste juristische Staatsprüfung abgelegt haben (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BBG). Diese Dienststellen sind in der Weise in die militärische Organisation einzufügen, daß den für die Rechtsanwendung in den Streitkräften primär zuständigen Einheits- und Verbandsführern — auch und gerade im bewaffneten Konflikt — im Regelfall der jederzeitige und möglichst verzögerungsfreie Zugriff auf den in den Dienststellen konzentrierten juristischen Sachverstand offensteht. 314 Der Zugriff muß so rechtzeitig erfolgen können, daß eine rechtliche Beratung der Truppenführer, soweit sie sich als erforderlich erweist (dazu sogleich), im Regelfall noch vor Einleitung der entsprechenden militärischen Maßnahme stattfinden kann. Die Anforderungen an die organisatorische Sicherstellung dieser Zugriffsmöglichkeit wachsen mit ansteigender Kommandoebene. Solange der Zugriff in der beschriebenen Weise organisatorisch gewährleistet werden kann, ist es — zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht — nicht erforderlich, allen Truppenführern — also etwa schon den Kompaniechefs — eine eigene Dienststelle zuzuordnen. Die geltende Praxis, Rechtsberater erst ab der Divisionsebene einzusetzen, ist also unter den genannten Voraussetzungen nicht zu beanstanden. Bedenken erweckt hingegen die für den Einsatzfall geplante Unterbringung der Heeres-Rechtsberater im rückwärtigen Gefechtsstand: Selbst unter Berücksichtigung der fernmeldetechnischen Möglichkeiten der Bundeswehr scheint die Annahme unrealistisch zu sein, daß der Rechtsberater seinen Sachverstand rechtzeitig in den im Hauptgefechtsstand ablaufenden Entscheidungsprozeß einbringen kann. Die im BMVg z. Zt. erwogene Unterbringung des Rechtsberaters im Hauptgefechtsstand 315 ist also aus verfassungsrechtlicher Sicht nachhaltig zu unterstützen. (2) Verfahren Nach der Festlegung der Organisationsstruktur ist schließlich noch das Verfahren zu regeln, in dem die zu (1) genannten Dienststellen den von ihnen repräsentierten juristischen Sachverstand in die Entscheidungsfindung einzubringen haben. 314
Kleiner zielt in die gleiche Richtung, wenn er — freilich ohne nähere dogmatische Fundierung — eine „normative Verpflichtung aus Art. 20 des Grundgesetzes" erkennt, die verlangt, „daß dem Rechtsberater ein unbeeinflußter Zugang zum Kommandeur und ein effektives Arbeiten in seinem Stab ermöglicht werden muß" (Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen [Teil I], BWVerw 1987, S. 232-234 [233]). 315 S. Abschnitt III.2. Fn. 15.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Die Lösung kann keinesfalls darin bestehen, alle rechtlich relevanten Maßnahmen der Streitkräfte von der Zustimmung einer in dem beschriebenen Sinne über juristischen Sachverstand verfügenden Dienststelle abhängig machen zu wollen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich eine derartige Aussage überhaupt noch mit dem Gesetzmäßigkeitsprinzip bewältigen und begründen ließe; jedenfalls wäre ein solches Verfahren, das auf eine kollegiale Ausübung der Befehlsgewalt (durch Soldat und Jurist) hinauslaufen würde, mit dem das Militärwesen beherrschenden Prinzip einer möglichst effektiven Handhabung der militärischen Führung unvereinbar. Insofern setzt sich das verfassungsrechtliche Gebot zum Aufbau und zur Unterhaltung einer funktionsfähigen militärischen Landesverteidigung gegenüber dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz durch. Andererseits kann die Einschaltung der zu (1 ) geforderten Dienststellen nicht in das freie Ermessen der Einheits- und Verbandsführer gestellt werden: Der eigenständige Rechtswahrungsauftrag der vollziehenden Gewalt verbietet es, der Exekutive insoweit völlig freie Hand bei der Ausgestaltung des Verfahrens zu lassen. Die Lösung im Sinne einer „praktischen Konkordanz" beider Verfassungsgüter kann folglich nur in der obligatorischen rechtlichen Beratung der Einheitsund Verbandsführer durch die rechtssachverständigen Dienststellen bestehen. Eine Verpflichtung zur Einholung von Rechtsrat wird man allerdings nicht automatisch in jedem Fall annehmen können, in dem etwa ein Disziplinarvorgesetzter eine einfache Disziplinarmaßnahme verhängt oder über eine Beschwerde entscheidet. Die Beteiligung juristischen Sachverstands ist vielmehr nur dann sinnvoll, wenn der zur Beurteilung anstehende Sachverhalt von seinem rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeitsgrad her die in militärischen Verbänden routinemäßig vorkommenden Ereignisse nicht unerheblich übersteigt. Mangels einer Alternative muß dabei die Einschätzung des jeweiligen Truppenführers maßgebend sein. In Zweifelsfällen wird man ihn aber für verpflichtet halten müssen, die Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen. Von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben weicht die geltende Praxis in der Bundeswehr insofern ab, als die Einschaltung der Rechtsberater z.Zt. grundsätzlich in das Belieben des jeweiligen Kommandeurs gestellt ist. Gem. Nr. V.2. Satz 1 der VorlDienstAnw ist der Rechtsberater zwar „von allen seinen Tätigkeitsbereich berührenden Vorgängen, Maßnahmen und Planungen in Kenntnis zu setzen". Das impliziert freilich nicht, daß er auch zwingend um Rat gefragt werden muß. Eine Ausnahme gilt nur für die Abgabe von Dienstvergehen an die Staatsanwaltschaft gem. § 29 Abs. 3 WDO: Insoweit schreibt die ZDv 14/3 dem Disziplinarvorgesetzten vor, daß er eine „Stellungnahme des zuständigen Rechtsberaters einzuholen" hat, wenn er eine der im Anhang 2 der Dienstvorschrift aufgeführten schweren Straftaten auf Grund besonderer Umstände nicht an die Staatsanwaltschaft abgeben will. Hält der Rechtsberater eine Abgabe für geboten und schließt sich der Disziplinarvorgesetzte dieser Auffassung nicht an, hat er die Entschei-
2. Rechtsberatung verfassungsrechtlich gefordert?
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dung der Einleitungsbehörde (§§ 86,87 WDO) herbeizuführen. 316 Darüber hinaus erteilt der Rechtsberater „Auskunft über alle Fragen, die mit einer Abgabe zusammenhängen".317 Diese Ausnahmeregelung fügt sich nahtlos in die hier vorgeschlagene Konzeption ein, da der Verdacht einer Straftat über die in militärischen Verbänden routinemäßig vorkommenden Ereignisse hinausgeht. Aus den vorstehend genannten Gründen ist dafür Sorge zu tragen, daß die Einschaltung des Rechtsberaters unter den dargelegten Voraussetzungen zu einer allgemeinen Pflicht des Kommandeurs wird. Zwar wird er sich im allgemeinen schon aus Zweckmäßigkeitserwägungen bei seinem Rechtsberater über die rechtliche Seite einer von ihm erwogenen Maßnahme vergewissern; keinesfalls ausgeschlossen ist aber, daß er den Rat „seines" Juristen — z.B. aus persönlicher Abneigung — nicht einholt. Dies stößt nach den vorangegangenen Überlegungen auf verfassungsrechtliche Bedenken.
f) Ergebnis zu 2. Es hat sich in den vorangegangenen Erörterungen dieses Abschnitts erwiesen, daß der Einsatz von Rechtsberatern in den Streitkräften zur juristischen Unterstützung militärischer Führer nicht lediglich ein taktisch kluger Schachzug der Väter der Bundeswehr war, um die zu einem großen Teil noch aus Wehrmachtzeiten stammende erste Garnitur von Offizieren unter eine Art „rechtsstaatlicher Kuratel" zu stellen. Dieses Motiv einer „civil control" der Bundeswehr mag 1956 beim Entwurf der VorlDienstAnw im Vordergrund gestanden haben, vermochte jedoch wegen seiner politisch-historischen Verwurzelung den Einsatz von Rechtsberatern nur für eine Übergangszeit — eben „vorläufig" — zu begründen. Mit der vollzogenen Integration der Bundeswehr in das rechtsstaatlich-demokratische Gefüge der Bundesrepublik hat die einstmals politische Rechtfertigung zunehmend zugunsten einer verfassungsrechtlichen Argumentation an Gewicht verloren. Unter den Bedingungen eines immer perfekter ausgebauten, auch den Innenbereich der Exekutive erfassenden und reglementierenden Rechtsstaats muß die Verwendung von Rechtsberatern in den Streitkräften als ein Gebot des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt verstanden werden. Infolge ihres funktionsimmanenten Defizits an juristischem Sachverstand ist den Streitkräften daher zur Gewährleistung optimaler Kongruenz von exekutivischem Handeln und den Anforderungen von Gesetz und Recht eine Einrichtung zur sachverständigen Beratung in Rechtsfragen zur Verfügung zu stellen. Die Inanspruchnah316 ZDv 14/3B 115 Nr. 5. Daß der Rechtsberater in Strafverfahren mitwirken, insbesondere mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten soll, ergibt sich auch aus Nr. IV. 5. der VorlDienstAnw. 317 ZDv 14/3 Β 115 Nr. 7. Dau rät dem Disziplinarvorgesetzten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und „in Zweifelsfragen" den zuständigen Rechtsberater um Auskunft zu ersuchen (Wehrdisziplinarordnung, § 7 Rn. 12). 10 Baganz
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
me dieser Rechtsberatung kann nicht in das freie Ermessen der jeweils verantwortlichen militärischen Führer gestellt werden, sondern hat ab einem bestimmten Schwierigkeitsgrad des zur Beurteilung anstehenden Sachverhalts obligatorisch zu sein. g) Anhang Dieser Abschnitt soll mit einer Bemerkung darüber abgeschlossen werden, ob das gefundene Ergebnis auch mit grundrechtlichen Argumentationsmustern erzielt werden kann. Es wurde bereits dargestellt, daß vor allem die Rechtsprechung des Β VerfG die Verbindungslinien zwischen Grundrechten einerseits und Organisation und Verfahren andererseits deutlich gemacht hat. 318 Da sich auch die Rechtsberatung militärischer Truppenführer im Innenbereich der vollziehenden Gewalt abspielt, liegt der Gedanke nahe, daß von den Grundrechten auch insoweit wichtige Impulse ausgehen. Schon bei der ersten Überprüfung dieses Gedankenansatzes wird aber sichtbar, daß die Konstruktion eines „grundrechtsgespeisten" Verwaltungsverfahrens ihre Grenze dort findet, wo sich ein einzelnes Grundrecht als Impulsgeber für die Verfahrensgestaltung nicht identifizieren läßt. So mag etwa die Betätigung von Rundfunkanstalten oder wissenschaftliches Wirken in unmittelbarem Zusammenhang mit dem jeweils tangierten Grundrecht (Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG) stehen.319 Die Rechtsberatung hoher militärischer Truppenführer hingegen kann nicht mit Blick auf ein einzelnes Grundrecht verfassungsrechtlich „gehärtet" werden, weil Maßnahmen der Streitkräfte — sei es im Frieden oder in einem Einsatzfall — praktisch alle Grundrechte gleichermaßen berühren können. Ist bei dem mit Disziplinararrest (§18 Abs. 1 Nr. 5, § 22 WDO) belegten Soldaten das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) tangiert, so ist bei seinem Kameraden, der gegen die Verhängung einer Disziplinarbuße (§18 Abs. 1 Nr. 3, § 20 WDO) Beschwerde einreicht, das Grundrecht auf Eigentum betroffen. Verweigert ein Lagerkommandant einem Kriegsgefangenen die Erlaubnis zur Teilnahme an Gottesdiensten, verstößt er nicht nur gegen Art. 34 des III. Genfer Rotkreuzabkommens, sondern verletzt gleichzeitig das auch dem Kriegsgefangenen zustehende Grundrecht der freien Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG). Die Notwendigkeit, dem über solche Fragen entscheidenden militärischen Vorgesetzten juristischen Sachverstand zur Verfügung zu stellen, kann nicht mit der Betroffenheit des jeweils einschlägigen Grundrechts begründet werden, sondern beruht auf dem übergreifenden Prinzip, daß alle Maßnahmen der Exekutive mit Gesetz und Recht in Einklang zu stehen haben. In diesem Zusammenhang ist die Empfehlung Schmidt-Aßmanns zu sehen, „den Rechtsboden der verfassungsgebotenen Verfah318 S. Abschnitt IV.2.c). 319 Vgl. Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. m/1, S. 966 ff.
3. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage?
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rensinstitute vorrangig im Rechtsstaatsprinzip zu sehen und auf einzelne Grundrechte zur zusätzlichen Wertverdeutlichung erst dann zurückzugreifen, wenn jenseits des allgemeinen Standards ein grundrechtlich besonders intensiv geschütztes Rechtsgut zwingend und eindeutig weitere Verfahrenssicherungen verlangt". 320 Eine grundrechtliche Ableitung des gewonnenen Ergebnisses ist daher nicht möglich.
3. Bedarf die Einsetzung und Tätigkeit von Rechtsberatern in der Bundeswehr einer gesetzlichen Grundlage? Der bisherige Verlauf der Untersuchung hat den Nachweis erbracht, daß die Einsetzung von Rechtsberatern und ihre konsultative Partizipation am Entscheidungsprozeß auf Truppenführerebene auf Grund der besonderen Bedingungen, unter denen die Streitkräfte das Gesetz anwenden, nach materiellem Verfassungsrecht zwingend sind. Ist damit geklärt, daß den Streitkräften Rechtsberater zur Verfügung gestellt werden müssen, so bleibt noch offen, in welcher Form dies zu geschehen hat. Eng damit verwoben ist die Frage nach dem Inhaber der entsprechenden Organisationsgewalt: Kann die Kompetenz zur Einrichtung von Rechtsberater-Dienststellen bzw. zur Festlegung ihres Zuständigkeitsbereiches der Exekutive — konkret dem BMVg als dem zuständigen Ressortminister — zugebilligt werden, so wäre die derzeitige Praxis, nach der die Rechtsberater auf der Grundlage einer ministeriellen Dienstanweisung tätig werden, rechtmäßig. Ergibt die Prüfung hingegen, daß die Rechtsberatung in den Streitkräften — wenn auch nur in ihren Grundzügen — eines formellen Gesetzes bedarf, läge die Organisationsgewalt insoweit bei der Legislative. 321 Daß eine gesetzliche Regelung dieser Materie keineswegs ein fernliegender Gedanke ist, zeigt nicht nur die deutsche Rechtsgeschichte322, sondern auch z.B. ein Blick in das israelische Wehrrecht: Dort sieht das Militärgerichtsgesetz vor, daß der Oberste Militäranwalt der Berater des Chefs des Generalstabes in sämtlichen Rechtsangelegenheiten ist. 3 2 3 Auch Kleiner läßt in seiner Darstellung der „Rolle des Rechtsberaters 320 Schmidt-Aßmann, Eberhard: Verwaltungs verfahren, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 623-650, Rn. 19. 321 Die unter dem Stichwort „Parlamentsvorbehalt" z. Zt. diskutierte dritte Variante, Sachmaterien dem Parlament zur zwingenden Behandlung zuzuweisen, ohne daß eine entsprechende Regelung in der Gestalt eines formellen Gesetzes zu ergehen hätte, wird hier nicht weiter verfolgt: In welchen Fällen etwa „schlichte Parlamentsbeschlüsse" den Anforderungen des „Parlamentsvorbehalts" Genüge tun, ist noch sehr umstritten (vgl. Ossenbühl, Fritz: Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. ΠΙ, S. 315-349, Rn. 40). 322 S. Abschnitt 1.6. und 7. 323 Vgl. Shefi, Dov: The Status of the Legal Adviser to the Armed Forces: His Functions and Powers, RevDrPénalMil 1983 (3-4), S. 259-276 (265). Zum Rechtsberatungs-System Israels und anderer Staaten s. den Überblick in Abschnitt VIII. 10*
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
in militärischen Übungen" erkennen, daß er eine Befassung des Parlaments mit diesem Thema nicht für ausgeschlossen hält, ist doch bei ihm die Rede „von einem möglichen weiteren Schritt, Institution und Aufgaben eines Rechtsberaters insgesamt durch den nationalen Gesetzgeber — nicht nur hinsichtlich seines Nebenamtes als Wehrdisziplinaranwalt — regeln zu lassen". 324 Das damit angeschnittene Thema wäre allerdings von nachrangigem Interesse, wenn eine gesetzliche Grundlage für den Rechtsberater bereits durch das Zustimmungsgesetz des Bundestages zum ZP I 3 2 5 und damit auch zu dessen Art. 82 geschaffen worden ist. Wie bereits dargestellt wurde 326 , verpflichtet Art. 82 ZP I die Vertragsstaaten, Jederzeit . . . dafür Sorge (zu) tragen, daß Rechtsberater bei Bedarf verfügbar sind, um die militärischen Führer der zuständigen Befehlsebenen hinsichtlich der Anwendung der (Genfer) Abkommen und dieses Protokolls sowie der geeigneten Unterweisungen zu beraten, die den Streitkräften auf diesem Gebiet zu erteilen sind." Nach übereinstimmender und richtiger Ansicht in der Literatur, wie sie etwa von Partsch vertreten wird, ist diese Bestimmung jedoch als non-self-executing 327 anzusehen: „ . . . the modalities of fulfilling the obligation incurred are left to the States Parties." 328 Ähnlich formuliert de Preux : „Les conditions d'utilisation et le choix des méthodes de formation de ce personnel sont laissés à la discrétion des Parties au Protocole." 329 Damit ist die richtige Konsequenz aus der weiten Fassung des Art. 82 ZP I gezogen und klargestellt worden, daß die Vorschrift noch der innerstaatlichen Umsetzung bedarf. 330 Sollte im folgenden also festgestellt werden, daß der Gesetzgeber die Rechtsberatung in den Streitkräften zu normieren hat, könnte sich dieser nicht unter Hinweis auf das Zustimmungsgesetz zum ZP I entlasten, da sich darin seine Regelungspflicht noch nicht erschöpft hätte. Vielmehr ist auch dem Art. 82 ZP I nur zu entnehmen, daß eine Regelung zu erfolgen hat; insofern stellt sie das völkerrechtliche Pendant zu dem im vorangegangenen Abschnitt auf verfassungsrechtlicher Ebene gefundenen Ergebnis dar. Wer und in welcher Form nach innerstaatlichem Recht die Rechtsberatung in den Streitkräften zu organisieren hat, sagt diese Bestimmung allerdings nicht. 331 324 Vgl. Kleiner, Niels-Peter: Die Rolle des Rechtsberaters in militärischen Übungen (Teil I), BWVerw 1987, S. 232-234 (233). 325 BGBl. 1990 Teil II, S. 1550-1649. 326 s. Abschnitt II.2. 327 Zu diesem Begriff vgl. Seidl-Hohenveldern, Ignaz: Völkerrecht, Rn. 556 ff. 328 So Partsch, Karl Josef, in Bothe / Partsch / Solf: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.6. 329 De Preux in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3345. 330 So auch die Ansicht des Schweizer Bundesrats in seiner „Botschaft über die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen" v. 18.2.1981: „Die meisten Bestimmungen sind nicht so abgefasst, daß sie unmittelbar . . . angewendet werden können." (zitiert bei Bucher, Hubert: Die Umsetzung der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen ins Bundesrecht, in Hangartner / Trechsel: Völkerrecht im Dienste des Menschen, S. 31 45 [31]).
3. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage?
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Bei der vorzunehmenden Untersuchung werden notwendigerweise Grundfragen der immer wieder für Diskussionsstoff sorgenden Organisationsgewalt berührt werden. Die Ausleuchtung der damit verbundenen Problemkreise kann freilich nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Um dennoch ein tragfähiges Fundament für die nachfolgenden Erörterungen zur Verfügung zu haben, soll hier folgende, an der heute herrschenden Meinung orientierte Ausgangsposition zugrunde gelegt werden: Organisationsgewalt ist die Kompetenz zur Bildung, Errichtung, Einrichtung, Änderung, Aufhebung und Abwicklung von Verwaltungsträgern, Behörden und anderen Verwaltungsstellen durch die Bestimmung ihrer Zuständigkeiten, ihrer Zusammenhänge und ihrer inneren Ordnung sowie durch ihre persönliche und sachliche Ausstattung. 332 Weder die Legislative noch die Exekutive können a priori die Befugnis zum Aufbau der Staatsorganisation für sich reklamieren. 333 Bestimmte Organisationsmaßnahmen lassen sich aus von Fall zu Fall unterschiedlichen rechtlichen Gründen, von denen als wichtigste die ausdrücklichen institutionellen Gesetzesvorbehalte und der allgemeine Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes genannt werden sollen 334 , nur durch den Gesetzgeber vornehmen; insoweit besteht also eine Regelungspflicht der Legislative. Andere Maßnahmen dieser Art fallen wiederum in eine ausschließlich der Exekutive vorbehaltene Sphäre („Zugriffsverbot" für den Gesetzgeber, „Verwaltungsvorbehalt" 335 ). Schließlich besteht ein Mittelbereich, in dem zwar grundsätzlich die Verwaltung zur Setzung organisatorischer Akte befugt ist, in dem aber die Legislative über ein „Zugriffsrecht" verfügt. 336 Für die hier verfolgten Zwecke ist freilich eine Differenzierung zwischen den beiden zuletzt genannten Bereichen nicht vonnöten. Sollte sich herausstellen, daß eine zwingende gesetzliche Regelung der Rechtsberatung in den Streitkräften — wenn auch nur in ihren Grundzügen — nicht begründbar ist, so wird es genügen, die Materie der Organisationsgewalt des BMVg zuzuordnen. Ob dem Bundesgesetzgeber dann insoweit ein „Zugriffsrecht" zusteht, kann dahingestellt bleiben, weil er sich in der Vergangenheit eines solchen nicht berühmt hat und das auch für die Zukunft nicht zu erwarten ist. 331 Zur Auslegung des Art. 82 ZP I s. Abschnitt VII. 332 Vgl. Rudolf, Walter: Verwaltungsorganisation, in Erichsen / Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 693; Wolff, Hans J J Bachof, Otto: Verwaltungsrecht II, S. 128. 333 Vgl. nur Krebs, Walter: Verwaltungsorganisation, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 567-622, Rn. 84; Ossenbühl, Fritz: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 258 f. 334 Überblick bei Ossenbühl, Fritz: Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 315-349, Rn. 27 ff. 335 Vgl. Maurer, Hartmut, und Schnapp, Friedrich E.: Der Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL Heft 43 (1985), S. 135-171, 172-201. 336 Sofern allerdings der Exekutive von Verfassungs wegen ein Kompetenzbereich zugewiesen ist, kann die Legislative auf diesen mangels einer „Kompetenz-Kompetenz" nicht „zugreifen"; darauf hat Schnapp zu Recht hingewiesen (Der Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL Heft 43 [1985], S. 172-201 [188]).
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Nachfolgend wendet sich die Untersuchung zunächst der Frage zu, ob eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Regelung der Materie bereits aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG gefolgert werden kann. Diese Vorschrift legt fest, daß sich die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte und die „Grundzüge ihrer Organisation" aus dem Haushaltsplan ergeben müssen. Da der Haushaltsplan nach Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird, liegt hier die mögliche Begründung für eine ausschließliche Kompetenz der Legislative. Kann eine Regelungspflicht des Gesetzgebers aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG nicht abgeleitet werden, bleibt noch der Rückgriff auf das allgemeine Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes. In seinem Kern unumstritten, dient dieses Prinzip der Abschichtung derjenigen Sachmaterien, die die Exekutive mittels der ihr zu Gebote stehenden Handlungsinstrumente eigenverantwortlich ordnen kann, von solchen, die der zwingenden Regelung durch ein formelles Gesetz bedürfen. Die bei der Anwendung des Prinzips anzulegenden Maßstäbe lassen sich schlagwortartig mit den Leitbegriffen Eingriffsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie umschreiben. Ob und ggfs. inwieweit sich unter diesen Gesichtspunkten eine Regelungspflicht des Gesetzgebers hinsichtlich der Streitkräfteinternen Rechtsberatung feststellen läßt, wird ebenfalls zu prüfen sein.
a) Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Einsatzes von Rechtsberatern könnte sich bereits aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG ergeben. Danach müssen sich die zahlenmäßigen Stärke der Streitkräfte und die „Grundzüge ihrer Organisation" aus dem Haushaltsplan ergeben, der wiederum nach Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird. Außerhalb einer militärischen Operation der Streitkräfte scheitert aber die Anwendung dieser Vorschrift schon daran, daß die Rechtsberater als Beamte nach der in dieser Untersuchung entwickelten Rechtsansicht verfassungsrechtlich nicht zu den Streitkräften gehören, sondern Angehörige der Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 GG) sind. 337 In den Anwendungsbereich des Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG gelangten die Rechtsberater also nur dann, wenn sie im Falle eines zu erwartenden militärischen Einsatzes der Streitkräfte ihren Beamtenstatus ablegen, als Soldaten einberufen und ihren Dienst als Rechtsberater (Stabsoffizier) leisten würden. 338 In diesem Fall wären sie als „Soldaten" i. S. von § 1 Abs. 1 SG automatisch Angehörige der Streitkräfte. Fraglich kann dann nur sein, ob die Gesamtheit der militärischen Rechtsberatungsstruktur zu den „Grundzügen" der Organisation der Streitkräfte zählt.
337 s. Abschnitt IV. 1. 338 s. Abschnitt ΙΠ.1.
3. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage?
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In welchem Umfang Angaben über die Streitkräfte im Haushaltsplan gemacht werden müssen, damit dieser die „Grundzüge ihrer Organisation" widerspiegelt, ist in der Literatur bis heute umstritten. Während Böckenförde eine Aufgliederung „nach Teilstreitkräften, Zahl der Korps, Divisionen, Brigaden, Kommandos der Territorialverteidigung u.ä." befürwortet 339 , geht Quaritsch davon aus, daß es „dem Zusammenspiel von Parlament und Exekutive überlassen" ist, den „Grundzüge"-Begriff jährlich neu zu bestimmen. Diese Entscheidungsfreiheit nehme allerdings „bei gleichbleibender Deutung durch praktische Ausführung jährlich ab bis zu dem Zeitpunkt, in dem aus praktischer Übung Verfassungsgewohnheitsrecht erwachsen" sei. 340 Hernekamp verzichtet auf die Angabe eines bestimmten Konkretisierungsgrades, betont aber die Notwendigkeit, „dem Parlament anhand der für die Effektivität der Streitkräfte maßgeblichen Organisationsstruktur eine verantwortliche Kontrolle darüber zu ermöglichen, ob die Streitkräfte politisch ihren Verteidigungsauftrag erfüllen". 341 Eine Stellungnahme zu der Problematik, inwieweit gemäß Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG eine Aufschlüsselung des Aufbaus der Streitkräfte im Haushaltsplan erfolgen muß, kann jedoch unterbleiben, wenn die Gesamtorganisation der für einen militärischen Einsatz geplanten Rechtsberatung aus der Sicht aller vertretenen oder vertretbaren Ansichten nicht unter den Begriff der „Grundzüge" subsumiert werden kann. In der Tat ist dies ausgeschlossen. Zwar ist die materielle Funktion der Rechtsberater, wie gesehen, von erheblichem verfassungsrechtlichem Gewicht; ihre organisatorische Position aber ist in den am Befehlsprinzip orientierten Streitkräften durch das Fehlen eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnisse gekennzeichnet und daher nicht exponiert. Der Rechtsberater ist Assistent, Gehilfe eines militärischen Entscheidungsträgers und als solcher in die jeweilige Kommandobehörde integriert; er ist aber nicht der Entscheidungsträger selbst. Gerade das wird aber regelmäßig Voraussetzung dafür sein, daß eine bestimmte Funktionsstelle in den Streitkräften überhaupt zu den „Grundzügen ihrer Organisation" gezählt werden kann. Orientiert man sich an dem nahezu unbestrittenen telos des Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG, nämlich dem Parlament ein verstärktes Mitspracherecht bei der Steuerung des „Machtinstruments Armee" zu geben 342 , so wird klar, daß die Vorschrift dem legitimen Interesse der Legislative an der Identifizierung der Schaltstellen militärischer Machtausübung Rechnung tragen, nicht aber einen Zwang zur Offenlegung des internen Entscheidungsprozesses innerhalb einer solchen Schaltstelle schaffen soll. Art. 87 a Abs. 1 33
9 Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 323. 340 Quaritsch, Helmut: Führung und Organisation der Streitkräfte im demokratischparlamentarischen Staat,VVDStRL Heft 26 (1968) S. 207-259 (249, Fn. 110). 341 Hernekamp, Andreas, in v. Münch: Grundgesetzkommentar, Art. 87 a Rn. 11. 342 Vgl. Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 11; Ipsen, Knut, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 87 a Rn. 22; Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 865.
152
IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Satz 2 GG ist nicht das Einfallstor des Parlaments in den Arkanbereich der Bundeswehr. Nicht nur würde eine solche Auslegung die Grenzen des möglichen Wortsinns überstrapazieren; hinzu kommt, daß die Tätigkeit des Rechtsberaters, wiewohl sie enge Bezüge zum Militärwesen aufweist, dennoch selbst keinen militärischen Charakter besitzt 343 und ihr unter „Machtgesichtspunkten" eine nachrangige Bedeutung zukommt. 344 Der innere Aufbau der Kommandobehörden und damit auch die Dienststellen der Rechtsberater fallen somit durch das Grobraster des Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG hindurch.
b) Das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes Kann somit eine Regelungspflicht des Gesetzgebers nicht aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitet werden, so ist zu fragen, ob sich diese nicht unter Zuhilfenahme allgemeiner Prinzipien der Verfassung begründen läßt. Zu denken ist dabei an das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes, über dessen verfassungsrechtliche Lokalisierung zwar lebhaft diskutiert wird, dessen Geltung aber heute auch auf dem Sektor der Organisationsgewalt fast einmütig anerkannt ist. 3 4 5 Nach diesem Prinzip ist es der vollziehenden Gewalt verwehrt, ihre Tätigkeit ausschließlich auf eigene Machtvollkommenheit zu stützen; ein bestimmter, in seiner konkreten Zusammensetzung allerdings nicht einheitlich beurteilter Katalog staatlicher Maßnahmen bedarf vielmehr einer entsprechenden Willensäußerung der Legislative, die regelmäßig — aber nicht notwendig 346 — in Form eines formellen Gesetzes ergehen wird. Nach der herkömmlichen Lehre, der hier gefolgt werden soll, ist der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes vor allem als Eingriffsvorbehalt aufzufassen („rechtsstaatlicher Gesetzes vorbehält"): Immer dann, wenn die Staatsgewalt in den Rechtskreis des Bürgers, also in Freiheit und Eigentum desselben, „eingreift", muß dieser Maßnahme eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung zugrunde gelegen haben. Über diese verhältnismäßig einfach zu ziehende Linie des Eingriffsvorbehalts hinaus ist das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes zusätzlich mit einer „demokratischen Komponente" angereichert worden: Danach obliegt es allein dem Parlament, die wesentlichen, d.h. auch und 343 Daß die Rechtsberatung materiell-verfassungsrechtlich zur Bundeswehrverwaltung gehört, wurde bereits dargestellt (Abschnitt IV.l.b)cc)). 344 Zur Frage, ob die Rechtsberatung als Bestandteil einer „civil control" der Streitkräfte verstanden werden kann, s. Abschnitt IV.2.f). 345 Vgl. nur Krebs, Walter: Verwaltungsorganisation, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Rn. 87; Ossenbühl, Fritz: Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 315-349, Rn. 59; Schnapp, Friedrich E.: Ausgewählte Probleme des öffentlichen Organisationsrechts, Jura 1980. S. 293-303 (295 f.). 34 6 Zur Unterscheidung von Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt vgl. Fn. 321 und Ossenbühl, Fritz: Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 315-349, Rn. 32 ff.
3. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage?
153
vor allem die politisch bedeutsamen Entscheidungen, zu treffen. 347 Mit Krebs kann diese „Wesentlichkeitstheorie" für den Sektor der Organisationsgewalt dahingehend formuliert werden, „daß in ihrem Sinne eine Organisationsentscheidung als »wesentlich' angesehen werden muß, wenn sie wesentlich für die Wahrnehmung der Staatsleitung ist und diese Entscheidung nicht der Exekutive vorbehalten ist." 3 4 8 Eine andere Nuance wählt Loeser, der „zumindest die Grundstrukturen staatlicher Verwaltungsaufbau- und Funktionenordnung" für wesentlich hält. 349 In diese Richtung zielt auch Röttgen, nach dessen Ansicht „vollgewichtige Institutionen . . . durch den Gesetzgeber verfaßt werden" müssen. 350 Wendet man das auf diese Weise dual definierte Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes auf die hier zu beurteilende Einsetzung und Tätigkeit von Rechtsberatern in den Streitkräften an, so wird rasch deutlich, daß unter dem Gesichtspunkt des Eingriffsvorbehalts eine Beteiligung des Gesetzgebers nicht erforderlich ist. Ob als Beamter oder als Stabsoffizier im militärischen Einsatz: Der Rechtsberater ist keine mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Behörde oder sonstige Funktionsstelle der öffentlichen Verwaltung, die zu Eingriffen in Rechte Dritter ermächtigt wäre. Vielmehr hat die Zusammenschau der dem Rechtsberater übertragenen Aufgaben ergeben, daß der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der Beratung seiner Vorgesetzten sowie in der Rechtsunterrichtung der Truppenoffiziere liegt. Dies sind keine außenwirksamen Maßnahmen. Auch als dienstaufsichtführender Rechtsberater vermag er nicht wirksam aufgrund eigener Zuständigkeit in Rechtspositionen seiner Untergebenen einzugreifen, sondern handelt im Auftrag seines Dienstherrn Bundesrepublik Deutschland. Ertragreicher erscheint der Versuch, die Einrichtung von Rechtsberater-Dienststellen im Sinne der sogenannten Wesentlichkeitstheorie einem Gesetzesvorbehalt zu unterwerfen. Ist das Handeln der Rechtsberater — so ist zu fragen — „wesentlich für die Wahrnehmung der Staatsleitung" im Sinne von Krebs? Gehört ihre Organisation zu den „Grundstrukturen staatlicher Verwaltungsaufbau- und Funktionenordnüng", die Loeser für gesetzesbedürftig hält? Ohne Zweifel wäre es verfehlt, diese Fragen a limine mit dem im Rahmen der Anwendbarkeit von Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG zielführenden Hinweis auf fehlende Entscheidungsbefugnisse der Rechtsberater verneinen zu wollen: Ist der spezielle Zweck dieser Bestimmung — wie ausgeführt — die Identifizierung der Schaltstellen militärischer Machtausübung, zu denen der Rechtsberater unbestritten nicht gehört, so reserviert das Vorbehaltsprinzip dem Gesetzgeber ganz allgemein diejenigen 347 Vgl. Ossenbühl, Fritz: Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 315-349, Rn. 34 ff. 348 Vgl. Krebs, Walter: Verwaltungsorganisation, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 567-622, Rn. 87. 34 9 Vgl. Loeser, Roman: Das Bundesorganisationsgesetz, S. 149. 3 50 Vgl. Köttgen, Arnold: Die Organisationsgewalt, VVDStRL Heft 16 (1958), S. 154190 (188).
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
Organisationsstrukturen, die sich aus grundrechtlichen, rechtsstaatlichen oder politischen Gründen als fundamental für die Staatsordnung erweisen. In Anbetracht der in Abschnitt IV.2. dargestellten Sondersituation der Streitkräfte wird man die Einrichtung des Rechtsberaters hier nicht ohne weiteres ausklammern dürfen. Aufschlußreich mag in diesem Zusammenhang ein Blick auf § 66 SG sein; nach dieser Vorschrift bleibt „die Organisation der Verteidigung, insbesondere die Spitzengliederung der Bundeswehr und die endgültige Organisation des Bundesministeriums der Verteidigung, . . . besonderer gesetzlicher Regelung vorbehalten." Bei näherem Hinsehen verbirgt sich hinter der Bestimmung die klare Wertung des (einfachen) Gesetzgebers, daß der Gesamtkomplex der „Organisation der Verteidigung" — zu diesem dürfte die juristische Beratung hoher militärischer Führer nicht zuletzt im Lichte der völkervertraglichen Verpflichtung der Bundesrepublik aus Art. 82 ZP I zweifelsfrei gehören — als „wesentlich" im Sinne des hier diskutierten Vorbehaltsprinzips anzusehen ist. Zwar kann der einfache Gesetzgeber die Verfassung und damit auch die Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes nicht authentisch interpretieren; zur Definition dessen, was „wesentlich" ist oder nicht, ist er nicht befugt. Dennoch wird man bei der Prüfung, ob die Organisation der Verteidigung eine „wesentliche" Angelegenheit ist, an der Aussage des § 66 SG nicht vorbeikommen und ihr insoweit zumindest eine indizielle Wirkung beilegen müssen — die um so stärker ist, als der dahinterstehende Gedanke der „Bedeutsamkeit" der Landesverteidigungsorganisation vollständig dem allgemeinen Verständnis des Vorbehaltsgrundsatzes entspricht, wonach fundamentale, d.h. (auch) für die Existenz des Staates relevante Maßnahmen vom Gesetzgeber getroffen werden müssen. Daß der Gesetzgeber auf verwandten Gebieten seiner Verpflichtung zur Festlegung von Organisationsstrukturen wenigstens teilweise durchaus nachgekommen ist, zeigt etwa das „Gesetz über den Bundesgrenzschutz" vom 18. August 1972, in dem Aufgaben, Befugnisse und Organisation des Bundesgrenzschutzes im einzelnen festgelegt worden sind. 351 Sind somit beachtliche Anhaltspunkte vorhanden, daß der Bereich der Verteidigungsorganisation grundsätzlich dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes zu unterwerfen ist, so ist weiter zu fragen, inwieweit der Vorbehalt in die Tiefe dieser Organisation reicht. Ganz unzweifelhaft lag und liegt es § 66 SG ebenso wie dem Vorbehaltsprinzip fern, den gesamten Aufbau der Streitkräfte vom Ministerium bis in die feinsten Verästelungen der untersten Einheit einer gesetzlichen Regelung zuzuführen; hier spricht die Vorschrift selbst eine beredte Sprache, indem sie beispielhaft nur die „Spitzengliederung der Bundeswehr und die . . . Organisation des Bundesministeriums der Verteidigung" erwähnt. Von Interesse kann es daher sein, einen Blick auf die beiden Gesetzentwürfe zu werfen, die 351 Gesetz über den Bundesgrenzschutz vom 18.8.1972 (BGBl. 1972 Teil I, S. 18341848), zuletzt geändert durch Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens v. 27.12.1993 (BGBl. 1993 Teil I, S. 2378-2427).
3. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage?
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die Bundesregierung in der zweiten und vierten Legislaturperiode zur Ausfüllung des § 66 SG aufgestellt hat. 352 Dabei fällt auf, daß die Entwürfe detaillierte Vorgaben zur Strukturierung des Ministeriums und zur Spitzengliederung der Bundeswehr enthalten, die auch den innerbehördlichen Entscheidungsprozeß berühren 353 ; so sah etwa § 13 Abs. 1 des Entwurfs BT-Drucks. 4/3603 vor, daß „der Generalinspekteur . . . in allen Fragen der militärischen Führung, Organisation, Ausbildung, Ausrüstung und Versorgung der Streitkräfte durch den Militärischen Führungsrat beraten" wird. Bleibt man bei der durchaus schlüssigen These, daß der Gesetzgeber bzw. die Bundesregierung hier die Konturen des verfassungsrechtlichen Vorbehaltsprinzips zutreffend nachgezeichnet haben, so unterstreicht der Entwurf an dieser Stelle, daß dieses Prinzip — im Gegensatz zu Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 GG — auch die Binnenorganisation der Exekutive erfassen kann, sofern deren Regelung aus grundrechtlichen, rechtsstaatlichen oder politischen Gründen für die Staatsordnung von fundamentaler Bedeutung ist. Die an anderer Stelle genannten Beispiele für eine gesetzlich angeordnete Einrichtung und Einbeziehung von Sachverständigengremien 354 belegen hinreichend, daß der Gesetzgeber die gestiegene Bedeutung solcher interner Strukturen erkannt hat und gewillt ist, sie in den von ihm als „fundamental" angesehenen Fällen gesetzlicher Regelung zu unterwerfen. Die Auslegung des Vorbehaltsgrundsatzes folgt insoweit den geschilderten Versuchen, mit Hilfe des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte Aussagen über Verfahren und Organisation der Exekutive zu gewinnen. 355 Hier wie dort liegt die Erkenntnis zugrunde, daß oftmals gerade der Innenbereich der Staatsordnung für den output des Entscheidungsprozesses von ausschlaggebender Bedeutung ist. Haben die von Ule initiierten Bemühungen das Ziel, Verfahrensinhalte und Organisationsformen mit Hilfe des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes bestimmen zu können, so gilt es unter dem Aspekt des Vorbehaltsprinzips, aus dem genannten Befund Schlußfolgerungen für die richtige Rechtssatzform zu ziehen, in der die innerstaatliche Organisation zu reglementieren ist. Was bedeutet diese Erkenntnis nun für die hier zu beantwortende Frage, ob die Einsetzung und Tätigkeit der Rechtsberater in der Bundeswehr einer gesetzlichen Grundlage bedürfen? Dem Vorgang der Beratung wird nur in seltenen Fällen jene Brisanz zu eigen sein, die allein eine verfassungsrechtlich zwingende Aktivierung des Gesetzgebers legitimieren kann. In diesem Sinne hat Ossenbühl der Exekutive zugebilligt, daß sie solche Funktionsstellen schaffen könne, „die wie etwa beratende Gremien nicht mit hoheitlichen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind." 356 Ähnlich hat sich Brohm geäußert: „Fehlen gesetzliche Regelungen, fällt die Errichtung von Beratungsgremien und die Bestellung von Bera352 BT-Drucks. 2/2341, 4/3603. 353 Vgl. §§ 2, 6, 7 des Entwurfs 2/2341 und §§ 8 bis 13 des Entwurfs 4/3603. 354 s. Abschnitt IV.2.c)bb). 355 Dazu s. Abschnitt IV.2.d). 356 Vgl. Ossenbühl, Fritz: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 266.
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IV. Rechtsberater und Grundgesetz
tern unter die Organisationsgewalt des die Beratung suchenden Staatsorgans." 357 Freilich gelten solche Aussagen, wie gezeigt, nicht ausnahmslos. Es ist im einzelnen dargelegt worden 358 , daß die juristische Beratung hoher militärischer Truppenführer aus einer spezifischen Situation der Streitkräfte einen verfassungsrechtlichen Rang bezieht; diese Situation definiert sich, so ergab die Untersuchung, durch die funktionsimmanente Diskrepanz von Verantwortung und juristischem Sachverstand auf der Ebene der Truppenführer und das partielle Fehlen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte in einem internationalen bewaffneten Konflikt. War mit diesen Besonderheiten eine verfassungsrechtliche, auf dem Gesetzmäßigkeitsprinzip beruhende Verpflichtung zur Einsetzung von Rechtsberatern in der Truppe begründet worden, so bestätigt nunmehr auch das für die Bundesrepublik verbindliche Völkervertragsrecht in Art. 82 ZP I die Notwendigkeit der Integration einer solchen Einrichtung in eine Streitkräfteorganisation, die den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips standhalten soll. Das Amt des Rechtsberaters besitzt damit eine Wertigkeit, die es rechtfertigt, seine Einrichtung und die Beschreibung seiner wesentlichen Aufgaben dem Gesetzgeber abzuverlangen; weiterhin sind die Voraussetzungen zu regeln, unter denen der Rechtsberater obligatorisch in den militärischen Entscheidungsprozeß einzubeziehen ist. 3 5 9 Der Sicherstellung einer einwandfreien RechtsanWendung in den Streitkräften kommt damit jenes verfassungsrechtliche Eigengewicht zu, das eine Regelung der entsprechenden Fragen durch Organisationsakt der Exekutive — konkret: des BMVg — nicht mehr ausreichen läßt. Die seit 1956 gültige VorlDienstAnw wird somit durch ein entsprechend modifiziertes Organisationsgesetz zu ersetzen sein, das selbstverständlich im Rahmen einer Gesamtregelung der „Organisation der Verteidigung" in Ausfüllung von § 66 SG ergehen kann.
357 Vgl. Brohm, Winfried: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, S. 207-248 (237). 358 s. Abschnitt IV.2. 359 Dazu Abschnitt IV.2.e)cc)(2).
V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten „Rechtsberatung" ist als Beschreibung einer Aufgabe oder Funktion keineswegs ein unverrückbarer, aus sich heraus definierbarer terminus technicus, sondern läßt außerhalb einer gewissen Begriffssubstanz eine Bandbreite von Ausgestaltungsmöglichkeiten zu. Zur Begriffssubstanz gehört sicherlich, daß der Rechtsberater damit betraut ist, seinen Auftraggeber auf der Basis eines bestimmten Sachverhalts über die bestehende Rechtslage aufzuklären. Ferner wird ein Kompetenzgefälle zwischen Rechtsberater und Auftraggeber zu verlangen sein, das sich in einem überlegenen juristischen Kenntnisstand des Rechtsberaters äußern muß. Schließlich ist der Rechtsberatung wesensimmanent, daß sie als solche für den Beratenen nicht verbindlich ist, eine theoretisch vorausgesetzte Palette von Handlungsmöglichkeiten also nicht einschränkt. Doch damit beginnen schon die Schwierigkeiten: Erlaubt das objektive Recht nur eine einzige Handlungsmöglichkeit, so hat der „Rechtsberater" — genau genommen — nicht mehr zu „beraten", sondern seinen Auftraggeber auf diese einzig verbleibende Handlungsmöglichkeit hinzuweisen. Grundlage der Verpflichtung des Auftraggebers ist dann zwar nicht die Beratung, wohl aber seine Bindung an Gesetz und Recht. Im Ergebnis erstarkt also die Position des Rechtsberaters in dem Maße, wie das objektive Recht die Handlungsmöglichkeiten des Auftraggebers begrenzt. Freilich stellen sich in der Grauzone des Begriffs der „Rechtsberatung" noch andere Fragen. Soll die Einholung von Rechtsrat für den jeweils Beratenen ein „Muß" sein, oder soll dies in sein Ermessen gestellt sein? Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich insoweit gegen die VorlDienstAnw ergeben, wurden bereits ausführlich erörtert. 1 Wie sollen die Folgen einer fehlerhaften Beratung aussehen, wie die Folgen der Nichtbeachtung eines zutreffenden Rechtsrats? Wem soll der Rechtsberater disziplinar unterstellt sein? Nicht zuletzt bedarf der Klärung, ob und ggfs. in welchem Umfang der Rechtsberater unabhängig agieren oder seinerseits den Weisungen vorgesetzter Dienststellen unterworfen sein soll. Mit diesem Katalog von Problemen hatte sich 1956 auch das BMVg bei der Vorbereitung der VorlDienstAnw zur Schaffung von Rechtsberater-Dienststellen zu beschäftigen. Welche Lösungen dort und in späteren einschlägigen Verwaltungsvorschriften gefunden worden sind, wird im folgenden aufzuzeigen sein. Dabei wird die Materie zwecks Systematisierung unterteilt: Zunächst wird das Verhältnis des Rechtsberaters zu „seinem" Kommandeur analysiert, also diejenige ι S. Abschnitt IV.2.e)cc)(2).
158
V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
Achse, in der die eigentliche Beratungstätigkeit stattfindet; sie kann schlagwortartig mit dem Begriff des „BeratungsVerhältnisses" 2 bezeichnet werden (1.). Im Anschluß wird es darum gehen, das Verhältnis des Rechtsberaters zu Rechtsberatern auf höheren Kommandoebenen und schließlich zu den zuständigen Referaten des BMVg zu beleuchten; diese vertikale Achse soll als „Fachdienstverhältnis" gekennzeichnet werden (2.). Erst die Kenntnis der konkreten Ausgestaltung beider Achsen vermag dann Aufschluß darüber zu geben, welcher „Philosophie" der BMVg bei Aufbau und Weiterentwicklung der Rechtsberatung in den Streitkräften gefolgt ist.
1. Das Verhältnis von Rechtsberater und militärischem Führer als Spiegelbild der Verknüpfung von Rechtsstaat und Streitkräften (Beratungsverhältnis) Daß das Verhältnis von Rechtsberater und militärischem Führer unter den Bedingungen einer zunehmenden Verrechtlichung des Militärwesens zu den Schlüsselthemen des modernen Wehrverfassungsrechts gehört, wird auch in den beteiligten Kreisen — von phrasenartigen Verallgemeinerungen abgesehen — nur selten in der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck gebracht. 3 Dies muß überraschen, galt doch die vollständige Integration einer Armee in ein rechtsstaatlich-demokratisches Staatsgefüge zumindest in den Anfangsjahren der Bundeswehr als ein historisches Experiment, dessen Ausgang manchem ungewiß schien. Unter diesen Umständen war die neuartige Einrichtung von Dienststellen, die ausschließlich mit der juristischen Beratung hoher militärischer Führer beauftragt waren, nicht nur — wie sich gezeigt hat — eine verfassungsrechtlich gebotene Maßnahme, sondern auch ein politisch geschickter Schachzug, dessen einziges Manko darin bestand, daß er den Augen der Öffentlichkeit weitgehend verborgen blieb. Schon eher verständlich war es, daß diejenigen, zu deren Gunsten die neuen Ämter geschaffen worden waren, nämlich die Kommandeure ab der Divisionsebene aufwärts, die Rechtsberater als eine Art „rechtsstaatlicher Kuratel" ansahen und ihnen zunächst Mißtrauen entgegenbrachten. Aus dieser Zeit berichtet Moritz: „Die Zusammenarbeit mit den Kommandeuren und Befehlshabern wie auch mit den übrigen militärischen Vorgesetzten war anfangs nicht frei von Unsicherheiten, Mißverständnissen und Vorurteilen; glaubte man doch in der Institution des Rechtsberaters gelegentlich eine Einrichtung der Kontrolle und Bevormundung 2 In Anlehnung an die Terminologie bei Brohm, Winfried: Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee/ Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, S. 207-248 (241). Ebenso Weimar, Robert: Rechtsberatungslehre — Ein neuer Zweig der Wissenschaft, in Panou / Bozonis u.a.: Theory and Systems of Legal Philosophy, S. 197-204 (198). 3 Dies bedauert auch Moritz (Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 [240]).
. Das Verhältnis von Rechtsberater und
t c h e r e r
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der militärischen Vorgesetzten sehen zu müssen, die als Teil einer auch der Bundeswehrverwaltung fälschlicherweise beigemessenen »zivilen Kontrolle* bezeichnet wurde. 4 So äußerte sich bei einer der ersten Rechtsberatertagungen ein Offizier mehr ironisch als sachlich sein wollend wie folgt: ,Die Verwaltung baut die Streitkräfte auf, für die Innere Führung sorgt die Militärseelsorge, die Rechtsberater sind für die Disziplin zuständig und wir Offiziere machen den Schriftkram. 4 " 5 Hauptangriffspunkt war vor allem der zivile Beamtenstatus der Rechtsberater, der Schreiber schon 1958 zu dem erstaunlichen Vorschlag veranlaßte: „Man wird auch bei ihnen (sc. den Rechtsberatern und -lehrern) eine Eingliederung in das militärische Gefüge in Betracht ziehen müssen und damit möglicherweise zu einer organisatorischen und statusmäßigen Form kommen, wie sie früher die Militärrichter (zuletzt Offiziere im Truppensonderdienst) im Rahmen der Abteilung I I I der Stäbe einnahmen."6 Letzte Reminiszenzen an diese kritischen Anfangsjahre sind selbst heute nicht verklungen, wie der 1990 erschienene Aufsatz eines Stabsoffiziers im BMVg eindrucksvoll belegt. Er kommentierte die Verwendung ziviler Rechtsberater wie folgt: „Das notwendige Rechtsbewußtsein, das dem Zivilisten offensichtlich konzediert wird, wird dem Soldaten abgesprochen. Es spiegelt sich darin die gebrochene Identität der Bundesrepublik Deutschland, die sich fortsetzt im gebrochenen Verhältnis zu ihren Streitkräften, aus dem das Mißtrauen resultiert, das die Streitkräfte einer solch umfassenden Kontrolle unterzieht, daß der Rechtsberater angewiesen wurde, monatlich auf dem Fachdienstwege zu berichten." 7 Die Verbitterung, die aus diesen Zeilen spricht, mag als Resultante persönlicher Erfahrungen im Einzelfall verständlich sein; als Gegenwartsdiagnose des Verhältnisses von Streitkräften und Rechtsberater ist sie nicht repräsentativ. Hier gilt vielmehr, daß die Institution des Rechtsberaters von den Truppenführern im Grundsatz nicht mehr beanstandet wird, mehr noch: daß sie — cum grano salis — geachtet wird. Längst haben die Offiziere begriffen, daß ihnen die Rechtsberater wertvolle Hilfe auf dem nicht selten schwierigen Terrain der Rechtsanwendung leisten können, und diese Chance wird in aller Regel genutzt. So äußerte sich 4
Hier irrt Moritz insoweit, als auch die Rechtsberater nach richtiger Ansicht verfassungsrechtlich zur Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b GG) zu zählen sind. 5 Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (242). Partsch hält das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinem militärischen Vorgesetzten für das „schwierigste Kapitel" der Rechtsberatung (Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in: Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 [198]). 6 Schreiber, Jürgen: Brauchen wir neue Laufbahnen in der Bundeswehr?, Wehrkunde 1958, S. 327-329 (329); vgl. auch die Entgegnung von Mitzlaff, H. J. v., Wehrkunde 1958, S. 459-461. Zu den Militärrichtern des Dritten Reiches s. Abschnitt 1.8. 7 Demandi, Ecke: Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr — Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990, S. 201-206 (203 f.). Die von Demandi inkriminierte monatliche Berichtspflicht ist schon vor längerer Zeit abgeschafft worden. Der Tätigkeits- und Erfahrungsbericht ist heute nur noch einmal jährlich zu erstatten.
160
V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
bereits zu Beginn der siebziger Jahre ein Truppenführer wie folgt: „Ein Divisionskommandeur könnte heutzutage nicht mehr ohne Rechtsberater führen." 8 Zwanzig Jahre später hat sich diese Erkenntnis im großen und ganzen durchgesetzt. Im Verhältnis von Rechtsberater und militärischem Führer spiegelt sich heute die — gelungene — Verknüpfung von Rechtsstaat und Streitkräften.
a) Der Kommandeur als Vorgesetzter des Rechtsberaters Daß der Kommandeur Vorgesetzter des Rechtsberaters ist, wurde in einem allgemeinen Sinne bereits dargelegt. 9 Im folgenden soll es nun darum gehen, dieses Vorgesetztenverhältnis anhand der einschlägigen Vorschriften genauer zu untersuchen. Dabei ist zu beachten, daß der Rechtsberater bei der Truppe nur im Frieden Beamter ist, im Falle eines militärischen Einsatzes der Streitkräfte dagegen als Soldat eingesetzt würde. 10
aa) Der Kommandeur als „ Vorgesetzter " des Rechtsberaters (Beamter) Nach Nr. II.l.a) der VorlDienstAnw untersteht der Rechtsberater „dienstlich unmittelbar dem Kommandeur oder Befehlshaber, dem er zugeteilt ist." Bei isolierter Betrachtung dieser ein wenig ungelenk wirkenden Formulierung wird nicht hinreichend deutlich, ob der Kommandeur — in der beamtenrechtlichen Terminologie — „Dienstvorgesetzter" des Rechtsberaters im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG ist oder ob er lediglich die Funktion des „Vorgesetzten" im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG einnimmt. Als Dienstvorgesetzter wäre der Kommandeur „für beamtenrechtliche Entscheidungen über die persönlichen Angelegenheiten" des Rechtsberaters zuständig, wozu beispielsweise Beförderung, Versetzung in den einstweiligen oder endgültigen Ruhestand, Versetzung, Erteilung und Versagung von Urlaub, die Entgegennahme von Entlassungsanträgen und die Ausübung der Disziplinargewalt (vgl. § 15 Abs. 1 BDO) zählen.11 Ist er lediglich Vorgesetzter, könnte er dem Rechtsberater ausschließlich für dessen amtliche Tätigkeit sachbezogene Anordnungen erteilen, also solche, die diesen nicht in seiner persönlichen Rechtsstellung, sondern in seiner Eigenschaft als Amtswalter ansprechen. 12 8 Zitiert nach dem Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BT-Drucks 7/334, S. 18. 9 S. Abschnitt III.3. 10 S. Abschnitt III. 1. 11 Vgl. Battis, Ulrich: Bundesbeamtengesetz, §3, 3.; Scheerbarth, Hans Walter/ Höffken, Heinz: Beamtenrecht, S. 184 f. 12 Vgl. Battis, Ulrich: Bundesbeamtengesetz, § 3, 3.; Scheerbarth, Hans W. / Höffken, Heinz: Beamtenrecht, S. 185 f.; eingehend Schnapp, Friedrich E.: Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 145-159.
1. Das Verhältnis von Rechtsberater und militärischem Führer
161
Die Antwort erschließt sich erst aus Nr. Il.l.b) Abs. 2 der VorlDienstAnw, der zu entnehmen ist, daß die Leitenden Rechtsberater bzw. der BMVg — neben ihrer Funktion als Fachvorgesetzte 13 — „auch" Dienstvorgesetzte der Rechtsberater sind. Daraus läßt sich im Umkehrschluß folgern, daß der Kommandeur ausschließlich „Vorgesetzter" des Rechtsberaters ist, ihm also nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG (nur) Anordnungen für seine amtliche Tätigkeit erteilen kann. 14 Daß ein Soldat Vorgesetzter eines Beamten sein kann, ist unproblematisch und bedarf daher keiner weiteren Vertiefung. 15 Ebenso entspricht es allgemeiner Meinung, daß ein Soldat einem Beamten keine Befehle, sondern nur Weisungen / Anordnungen erteilen kann. 16 Die Befugnis, dem Rechtsberater sachliche, amtsbezogene Weisungen erteilen zu können, erfährt jedoch durch die VorlDienstAnw eine wichtige Einschränkung. Nach ihrer Nr. Il.l.b) Abs. 1 untersteht der Rechtsberater nämlich „fachdienstlich dem übergeordneten Leitenden Rechtsberater oder, falls ein solcher nicht eingesetzt ist, dem Bundesminister für Verteidigung". Offenbar in Anlehnung an § 1 Abs. 2 VorgV, wonach der unmittelbare Vorgesetzte in den Fachdienst untergebener Soldaten, die der Leitung und Dienstaufsicht von Fachvorgesetzten unterstehen, nicht eingreifen „soll", bestimmt Nr. II.2. Abs. 1 der VorlDienstAnw: „Fachdienstliche Anordnungen erhält der Rechtsberater nur auf dem Fachdienstweg." Zwar ist der Begriff des „Fachdienstweges" nicht näher definiert; wie sich aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere aus der Aufgabenstellung des Rechtsberaters („persönliche Beratung . . . in Rechtsfragen") und den Anforderungen an seine Qualifikation („Befähigung zum Richteramt") aber ergibt, sind fachdienstliche Anordnungen solche, die spezifisch die Behandlung und Entscheidung von Rechtsfragen zum Gegenstand haben, sei es, daß mit der Anordnung eine zweifelhafte Rechtsfrage für die administrative Praxis grundsätzlich entschieden, sei es, daß dem Rechtsberater im Einzelfall eine bestimmte Rechtsauffassung verbindlich vorgegeben wird. Soweit m.a.W. die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts berührt ist, ist der Kommandeur nicht Vorgesetzter des Rechtsberaters, da es ihm insoweit an der sachlichen Zuständigkeit fehlt. 17 Zu Recht ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Vorgesetzteneigenschaft keinesfalls ex lege allumfassend ist: „Dieser (sc. der unmittelbare Vorgesetzte) ist Vorgesetzter nur, insoweit ihm der Untergebene von seinen höheren Vorgesetzten unterstellt 13
Dazu im folgenden Abschnitt V.2.c)bb). So richtig Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (155). 15 Vgl. nur Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 161; Scherer, Werner / Aljf, Richard: Soldatengesetz, § 1 Rn. 48. 16 Vgl. Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 161; Reinhart, Rainer: Die Truppenverwaltung, DVB1. 1977, S. 473-479; Scherer, Werner / Alff, Richard : Soldatengesetz, § 1 Rn. 48. 17 Daß dem Anweisenden die Eigenschaft des Vorgesetzten fehlt, wenn und soweit er zum Erlaß einer (amtlichen oder dienstlichen) Weisung unzuständig ist, betonen Battis (Bundesbeamtengesetz, § 55, 2.b) und Schnapp (Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 186). 14
11 Baganz
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
wurde. Das Weisungsrecht des unmittelbaren Vorgesetzten kann sich auf das gesamte Aufgabengebiet des Untergebenen erstrecken, muß es aber nicht." 18 Im Ergebnis ist der Kommandeur daher nur zu allgemein-amtsbezogenen, nicht aber zu fachlich-amtsbezogenen, d. h. spezifisch Rechtsfragen betreffenden Anordnungen befugt; nur insoweit ist er „Vorgesetzter" im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG. 1 9 So kann er den Rechtsberater z.B. auffordern, zu bestimmten Zeiten in einer bestimmten Brigade Rechtsunterricht zu erteilen oder regelmäßig über seine Erfahrung mit der Beratung nachgeordneter Dienststellen Bericht zu erstatten. Die Ansicht Schwencks, der Kommandeur „sollte" dem Rechtsberater keine fachlichen Weisungen zur Beurteilung der Rechtslage erteilen, 20 ist also zumindest mißverständlich, da Nr. II.2. Abs. 1 der VorlDienstAnw ein absolutes Verbot ausspricht. Diese Einschränkung ergibt sich zumindest teilweise aus der Natur der Sache. So wäre es paradox, militärischen Führern eine Dienststelle zu ihrer juristischen Beratung zuzuweisen, wenn diese gleichzeitig auf den Inhalt der Beratung durch Ausübung ihrer Anordnungsbefugnis einwirken könnten. Nicht ganz so augenfällig liegen die Dinge, wenn der Rechtsberater Rechtsunterricht erteilt oder — insofern über die VorlDienstAnw hinausgehend21 — Offiziere des nachgeordneten Bereichs juristisch unterstützt. Hier müßte sich eine fachliche Weisungsbefugnis des Kommandeurs zwar nicht den Vorwurf der Paradoxie gefallen lassen; sie wäre angesichts des überlegenen juristischen Kenntnisstandes des Rechtsberaters jedoch kontraproduktiv. Die Regelung in Nr. II.2. der VorlDienstAnw sichert auf diese Weise gezielt den speziellen Kompetenzvorsprung des Rechtsberaters und gewährleistet so die Effizienz dieser Einrichtung. Eng mit der Problematik der Anordnungsbefugnis verwoben ist die Frage nach den Rechtsfolgen einer Überschreitung dieser Befugnis. Was geschieht, wenn der Kommandeur im Rahmen einer völkerrechtlich zweifelhaften militärischen Aktion eben doch seinen Rechtsberater — mündlich — anweist, sich ihm gegenüber im Sinne einer bestimmten Rechtsauffassung — schriftlich — zu äußern, etwa um sich bei späteren Anwürfen mit dem Hinweis auf das Votum seines Juristen zu entlasten? Wie ist die Rechtslage, wenn der Kommandierende General den Leitenden Rechtsberater anweist, im Rechtsunterricht die Völkerrechtsmäßigkeit einer bestimmten Kriegsführungsmethode wider besseres Wissen zu propagieren? Für den rechtsähnlichen § 1 Abs. 2 VorgV haben Scherer/Alff die Meinung vertreten, ein Befehl, der unzulässigerweise in den Fachdienst eines Unter18 So Rittstieg, Helmut: Die Weisungsunterworfenheit des Beamten, ZBR 1970, S. 7281 (76), vgl. auch Günther, Hellmuth: Folgepflicht, Demonstration und Verantwortlichkeit des Beamten — Eine Skizze zur fachlichen Weisung, ZBR 1988, S. 297-317 (301). 19 Vgl. auch ZDv 15/2 Ziff. 147. 20 Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 174; so auch Wipf elder, Hans-Jürgen: Wehrrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 1409. 21 S. Abschnitt III.4.
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gebenen eingreife, sei allein deswegen noch nicht unverbindlich; es sei nicht Sache des Untergebenen, abzuwägen, ob der unmittelbare Vorgesetzte diese Schranken überschritten habe. 22 Diese Ansicht kann sich auf den Wortlaut des § 1 Abs. 2 VorgV berufen, wonach der Vorgesetzte in den Fachdienst untergebener Soldaten lediglich nicht eingreifen „soll". Für den Fall einer Verletzung der Nr. II.2. Abs. 1 der VorlDienstAnw, die absolut formuliert ist („Fachdienstliche Anordnungen erhält der Rechtsberater nur auf dem Fachdienstweg.") wird man zu unterscheiden haben: Erteilt der Kommandeur dem Rechtsberater für dessen drittgerichtete Beratungs- und Unterrichtungstätigkeit fachdienstliche Anweisungen, so fehlt es ihm zwar insoweit an der sachlichen Zuständigkeit und damit auch an der Vorgesetzteneigenschaft; dieser Fehler löst nach der ganz herrschenden Meinung jedoch nicht ohne weiteres die Unverbindlichkeit der Weisung aus, sondern führt lediglich zu einer Remonstrationspflicht (und zu einem Remonstrationsrecht) des Beamten gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 BBG. 2 3 Der Rechtsberater wird also seine Bedenken unverzüglich bei seinem Kommandeur geltend zu machen haben;24 bleibt das erfolglos und bestätigt der nächsthöhere Vorgesetzte — auf Verlangen des Rechtsberaters schriftlich — die Weisung, so hat dieser sie auszuführen, wenn nicht ein Ausnahmefall des § 56 Abs. 2 Satz 3 BBG vorliegt. Anders ist freilich zu entscheiden, wenn der Truppenführer seinen Rechtsberater — wie in dem oben gewählten Beispiel — anweist, ihn selber auf der Grundlage einer bestimmten Rechtsauffassung zu „beraten". Da eine solche Anordnung die Einrichtung der Rechtsberatung ad absurdum führen und ihren Zweck in sein Gegenteil verkehren würde, erscheint es angemessen, hier einen Fall absoluter Unzuständigkeit anzunehmen, der nach allgemeiner Ansicht zur Unverbindlichkeit der Weisung führt. 25 Dem Rechtsberater ist freilich unbenom22 Vgl. Scherer, Werner / Alff, Richard: Soldatengesetz, § 1 Rn. 56. 23 Vgl. Fürst, Walther / Finger, Hans Joachim / Mühl, Otto / Summer, Rudolf / Zängl, Siegfried: Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Bd. I, Teil 2a, Κ § 55 Rn. 3; Plog, Ernst / Wiedow, Alexander / Beck, Gerhard / Lemhöfer, Bernt: Bundesbeamtengesetz, § 55 Rn. 8; Schnapp, Friedrich E.: Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 186 f.; Stratenwerth, Günter: Verantwortung und Gehorsam, S. 149; Wolff, Hans J./ Bachof, Otto: Verwaltungsrecht II, S. 553; a.A. — soweit ersichtlich — nur Stein, Ekkehart: Die Grenzen des dienstlichen Weisungsrechts, S. 9. 24 Bei einer ausschließlich wortlautorientierten Auslegung des § 56 Abs. 2 Satz 1 BBG ergeben sich allerdings Probleme: Erteilt der Kommandeur seinem Rechtsberater nämlich fachdienstliche Weisungen, so ist er insoweit gerade kein „Vorgesetzter" und damit — genau genommen — auch nicht derrichtige Remonstrationsadressat. Andererseits sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift dafür, auch Bedenken gegen das Bestehen eines Vorgesetztenverhältnisses zunächst im Remonstrationswege zu klären, da anderenfalls — worauf Schnapp hinweist (Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 187) — den Beamten das „Auslegungsrisiko" träfe, ob der Anweisende sein Vorgesetzter ist oder nicht. Die Alternative, daß der Rechtsberater seine Remonstration im Fachdienstweg vorbringt, ist zwar denkbar, aber unzweckmäßig, da sie den Kommandeur der Möglichkeit beraubt, seine fehlerhafte Anordnung selber zu kassieren. 25 Vgl. Fürst, Walther / Finger, Hans Joachim / Mühl, Otto / Summer, Rudolf / Zängl, Siegfried: Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Bd. I, Teil 2a, Κ § 55 Rn. 3; 1*
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men, auch in diesem Fall bei seinem Kommandeur zu remonstrieren; einer Remonstrations/?y7/c/tf kann aber bei dieser evident mißbräuchlichen Ausübung der Anordnungsbefugnis nicht das Wort geredet werden. bb) Der Kommandeur als „ unmittelbarer Vorgesetzter" und „Disziplinarvorgesetzter" des Rechtsberaters (Stabsoffizier)
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Im Verteidigungsfall bzw. zur Absolvierung einer Wehrübung können die Rechtsberater unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 WPflG einberufen werden und leisten ihren Dienst sodann als Rechtsberater (Stabsoffizier) ab. Die für Rechtsberaterverwendungen im Konfliktfall vorgesehenen Beamten haben entsprechende Einberufungsbescheide (Mob-Beorderungen) erhalten, und die VSTAN weist ihre Dienstposten als Offizierstellen aus.27 Die Frage, in welchem Vorgesetztenverhältnis der Kommandeur zu seinem Rechtsberater (Stabsoffizier) steht, ist indessen nicht leicht zu beantworten. Sedes materiae kann nur die „Verordnung über die Regelung des militärischen Vorgesetztenverhältnisses" (VorgV) vom 4. Juni 1956 28 in Verbindung mit der VorlDienstAnw sein, die im Verteidigungsfall ihre Gültigkeit behalten würde. Da der Rechtsberater auch als Stabsoffizier nach Nr. II. 1 .a) der VorlDienstAnw dem Kommandeur „dienstlich unmittelbar" untersteht, liegt es nahe, den Kommandeur als „unmittelbaren Vorgesetzten" im Sinne von § 1 Abs. 1 VorgV anzusehen.29 Nach § 1 Abs. 1 VorgV hat „ein Soldat, der einen militärischen Verband, eine militärische Einheit oder Teileinheit führt oder der eine militärische Dienststelle leitet", die „allgemeine Befugnis, den ihm unterstellten Soldaten in und außer Dienst Befehle zu erteilen". Diese Deutung stößt jedoch auf Schwierigkeiten. Wäre der Kommandeur tatsächlich unmittelbarer, d. h. truppendienstlicher 30 Vorgesetzter seines Rechtsberaters, stünde ihm ex lege nach § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO Disziplinargewalt über diesen zu. Gerade das ist aber nach der VorlDienstAnw Stratenwerth, Günter: Verantwortung und Gehorsam, S. 149 m. Nachw. der Rechtspr. des Reichsgerichts; für den militärischen Befehl Böttcher, Hans Viktor I Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, § 1 Rn. 138 („offensichtlich unzuständig"). 26 Daß der Rechtsberater mit einem Stabsoffizier-Dienstgrad einberufen wird, ist — wie noch zu zeigen sein wird (Abschnitt VI.l.a)) — keineswegs zwingend. Allerdings dürfte die Einberufung mit einem niedrigeren Dienstgrad in der Praxis nur selten vorkommen, so daß im folgenden von einem „Regelfall Stabsoffizier" ausgegangen wird. 27 Vgl. Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (153); Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (248). 28 BGBl. 1956 Teil I S. 459 f., zuletzt geändert durch Verordnung v. 7.10.1981 (BGBl. 1981 Teil I, S. 1129). 29 So wohl Stauf, Wolfgang: Zum Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1982, S 216-219 (218). 30 Die Begriffe sind identisch, vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 23 Rn. 5.
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nicht vorgesehen, da nach ihrer Nr. II. 1 .b) Abs. 2 nicht der Kommandeur, sondern der Leitende Rechtsberater bzw. der BMVg „Dienstvorgesetzter" und damit auch — in der beamtenrechtlichen Terminologie (vgl. § 15 Abs. 1 BDO), auf der die VorlDienstAnw basiert — Inhaber der Disziplinargewalt über den Rechtsberater ist. Das Dilemma liegt also darin begründet, daß derselbe Erlaß, der den Rechtsberater dem Kommandeur dienstlich unterstellt, letzterem gleichzeitig die aus dieser Unterstellung kraft zwingenden Rechts erfließenden Befugnisse zu nehmen scheint. Offensichtlich wurde beim Entwurf der VorlDienstAnw im Jahre 1956 nicht an die Konsequenzen eines Statuswechsels des Rechtsberaters gedacht. Dieser Widerspruch hat Lingens zu der Annahme verleitet, der Kommandeur könne „nur Vorgesetzter mit besonderem Aufgabenbereich nach § 3 VorgV des zum Wehrdienst einberufenen Rechtsberaters (sein), aber mangels unmittelbarer Unterstellung des Rechtsberaters unter ihn nicht nach § 1 VorgV und folglich auch nicht nach § 25 Abs. 1 Satz 2 WDO." 3 1 Diese Ansicht Lingens' beruht offenbar auf der unausgesprochenen Prämisse, eine Unterstellung, die nicht auch die Übertragung der Disziplinargewalt zur Folge habe, könne keine unmittelbare Unterstellung im Sinne von § 1 VorgV sein. Aus mehreren Gründen ist diese Argumentation jedoch nicht haltbar. Zum einen leuchtet sofort ein, daß der Kommandeur einer Division, der Kommandierende General eines Korps und der Inspekteur einer Teilstreitkraft nicht „Vorgesetzte mit besonderem Aufgabenbereich" im Sinne von § 3 VorgV sind: Ihnen ist nach ihrer Dienststellung kein besonderer Aufgabenbereich, sondern eine umfassende Befehlszuständigkeit für ihren Verband zugewiesen. Sind sie aber weder Vorgesetzte mit besonderem Aufgabenbereich noch — nach Ansicht von Lingens — unmittelbare Vorgesetzte, bliebe nur noch, ein Vorgesetztenverhältnis auf Grund des Dienstgrades nach § 4 Abs. 3 VorgV anzunehmen, da der Kommandeur einer höheren Dienstgradgruppe (Generale) angehört als der Rechtsberater (Stabsoffiziere). Die Folge wäre, daß der Kommandeur seinem Rechtsberater gegenüber nur „innerhalb umschlossener militärischer Anlagen" befehlsbefugt wäre: Ein für den „Ernstfall" untragbares Ergebnis. Zweitens hätte der Rechtsberater, wenn die Ansicht von Lingens zutreffend wäre, mit Ausnahme des BMVg selbst überhaupt keinen „unmittelbaren Vorgesetzten" und damit außer diesem auch keinen Disziplinarvorgesetzten, da der einzig noch in Betracht kommende Leitende Rechtsberater weder einen militärischen Verband oder eine militärische Einheit führt noch eine militärische Dienststelle leitet und damit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VorgV nicht erfüllt. 32 31 Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (155). 3 2 Auf diese Konsequenz weist Lingens selbst hin (Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 [Fn. 15]). Daß die überwiegende Mehrheit der Rechtsberater als Wehrdisziplinaranwalt eine militärische Dienststelle leitet, muß angesichts der Trennung beider Ämter außer Betracht bleiben.
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Nun ist es rechtlich nicht ausgeschlossen, einen Soldaten unmittelbar nur dem BMVg zu unterstellen; gerade dies haben die „Väter" der VorlDienstAnw aber nicht getan, sondern vielmehr mit dem Leitenden Rechtsberater eine dritte Ebene zwischen dem Divisionsrechtsberater und dem BMVg geschaffen. Dies spricht dagegen, daß sie eine Immediatstellung aller Rechtsberater zum Inhaber der höchsten Befehls- und Kommandogewalt angestrebt hätten, wäre ihnen die Möglichkeit eines Statuswechsels bewußt gewesen. Drittens vermag die VorlDienstAnw als Verwaltungsvorschrift die WDO und die VorgV als höherrangige Rechtsquellen nicht zu derogieren: Unterstellt sie den Rechtsberater „dienstlich unmittelbar dem Kommandeur oder Befehlshaber, dem er zugeteilt ist", so kann sie die daraus resultierenden Rechtsfolgen — der Kommandeur ist unmittelbarer Vorgesetzter im Sinne von § 1 Abs. 1 VorgV und Disziplinarvorgesetzter nach § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO — nicht dadurch eliminieren, daß sie einen anderen Offizier, hier den Leitenden Rechtsberater, zum Disziplinarvorgesetzten erklärt, wenn dies rechtlich unmöglich ist. Sicherlich ist richtig, daß man diese Rechtslage ändern kann, indem man in der VorlDienstAnw den Rechtsberater (Stabsoffizier) ausdrücklich dem BMVg unmittelbar unterstellt 33 oder dem Leitenden Rechtsberater durch eine Änderung der WDO ebenfalls Disziplinargewalt verleiht. 34 Solange dies jedoch nicht geschieht, ist der Kommandeur unmittelbarer und Disziplinarvorgesetzter des Rechtsberaters (Stabsoffizier) gem. § 1 Abs. 1 VorgV bzw. § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO. Damit ist gleichzeitig die Vorentscheidung gefallen für die Frage, ob fachdienstliche, also Rechtsfragen berührende Befehle des Kommandeurs für den Rechtsberater (Stabsoffizier) verbindlich sind; auch für diesen gilt nämlich, ebenso wie für den beamteten Rechtsberater, daß er „fachdienstlich" nicht dem Kommandeur, sondern „dem übergeordneten Leitenden Rechtsberater oder, falls ein solcher nicht eingesetzt ist, dem Bundesminister für Verteidigung" untersteht (Nr. Il.l.b) Abs. 1 der VorlDienstAnw). Die Verbindlichkeit von Befehlen richtet sich nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SG; nach dieser Vorschrift liegt u. a. kein soldatischer Ungehorsam (und damit Unverbindlichkeit des Befehls) vor, wenn ein Befehl „nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist". Die allgemeine Meinung im Schrifttum geht zu Recht davon aus, daß ein Befehl, den ein Vorgesetzter unter 33 Möglich ist auch, das Büro des Leitenden Rechtsberaters (Stabsoffizier) zu einer „militärischen Dienststelle" auszugestalten, der der Rechtsberater sodann unmittelbar unterstellt ist. Daß eine solche Kombination von truppendienstlicher und fachlicher Unterstellung in der Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel Israel (vgl. Shefi, Dov: The Status of the Legal Adviser to the Armed Forces: His Functions and Powers, RevDrPénalMil 1983 (3-4), S. 259-276 (270). 34 Vgl. zur zweiten Alternative Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (155). Stauf kritisiert diese Lösung als „dogmatisch nicht unproblematische Gesetzesänderung" (Zum Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1982, S. 216-219 [218]).
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Überschreitung der in der VorgV festgelegten räumlichen, zeitlichen und gegenständlichen Beschränkungen erteilt, keinen „dienstlichen Zwecken" dient und damit unverbindlich ist. 35 Versucht ein Kommandeur, auf den Rechtsunterricht seines Rechtsberaters per Befehl Einfluß zu nehmen, überschreitet er dadurch allerdings die Beschränkungen der VorgV noch nicht, denn nach dem bereits zur Sprache gekommenen § 1 Abs. 2 VorgV „soll" der unmittelbare Vorgesetzte in den Fachdienst seiner Untergebenen nicht eingreifen; ein absolutes Verbot, wie es die auf den beamteten Rechtsberater zugeschnittene VorlDienstAnw anordnet, enthält die — höherrangige — VorgV nicht. Daraus muß mit Scherer/Alff der Schluß gezogen werden, daß ein Befehl, der unzulässigerweise in den Fachdienst eines Untergebenen eingreift, allein deswegen noch nicht unverbindlich ist; es kann nicht Aufgabe des Untergebenen sein, abzuwägen, ob sein unmittelbarer Vorgesetzter die mit Absicht elastisch formulierten Rechtsfolgen des § 1 Abs. 2 VorgV beachtet hat. Anders verhält es sich indes wieder, wenn der Truppenführer seinem Rechtsberater (Stabsoffizier) befiehlt, ihn selber auf der Grundlage einer seinen militärischen Zielen entgegenkommenden Rechtsauffassung zu „beraten". Hier greift, ebenso wie für die gleichartige beamtenrechtliche Weisung, der Ausnahmefall der „absoluten Unzuständigkeit" des Vorgesetzten ein; er führt, worauf Böttcher / Dau zutreffend hinweisen, 36 zur Unverbindlichkeit des entsprechenden Befehls.
b) Verbindlichkeit des Rechtsrats für den Kommandeur? Von der Frage, ob fachdienstliche Weisungen des Kommandeurs für den Rechtsberater verbindlich sind, ist die Überlegung aus umgekehrter Blickrichtung zu trennen, ob der juristische Rat des Rechtssachverständigen für den Kommandeur Bindungswirkung entfalten kann. Auf den ersten Blick mag der Gedanke überraschen, da sich „Beratung" und „Bindung" kaum zu vertragen scheinen; schon zu Beginn dieses Abschnitts wurde festgestellt, daß die Unverbindlichkeit des Rats dem Begriff der „Rechtsberatung" wesensimmanent ist. Dennoch kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß sich —jenseits der bloßen Begrifflichkeit — im Einzelfall Bindungswirkungen für den zu Beratenen, nämlich den Kommandeur, ausmachen lassen. In den Kreisen des Bundeswehr-Rechtswesens wird gelegentlich für eine solche Bindungswirkung plädiert, wobei im allgemeinen auf die weitreichenden faktischen Auswirkungen militärischer Entscheidungen und deren zumindest poten-
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Vgl. Böttcher, Hans Viktor /Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, § 1 Rn. 138; Jescheck, Hans-Heinrich: Befehl und Gehorsam in der Bundeswehr, S. 78; Scherer, Werner / Alff, Richard: Soldatengesetz, § 11 Rn. 15. 36 Vgl. Böttcher, Hans Viktor ! Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung, § 1 Rn. 138.
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
tielle Grundrechtsrelevanz rekurriert wird. 37 Damit ist zwar der Tatbestand richtig gesehen, jedoch eine nicht existierende Rechtsfolge gewählt worden. Eine Bindungswirkung des sachverständigen Rechtsrats des Rechtsberaters zu Lasten des Kommandeurs ist — sieht man von Nr. 5 der ZD ν 14/3 ab 38 — nirgendwo angeordnet und könnte sich deshalb nur unmittelbar aus der Verfassung, etwa aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt, ergeben. Hier stößt man aber offenbar auf unüberwindliche Leistungsgrenzen von Verfassungssätzen. Zwar verlangt das Gesetzmäßigkeitsprinzip, wie gesehen, daß dem nur beschränkt rechtskundigen Truppenführer die Folgen seiner Bindung an Gesetz und Recht in einschlägigen Fällen offengelegt werden; nicht aber kann ein abstrakter Verfassungsrechtssatz die Wirkung haben, daß dem nach traditioneller militärischer Praxis alleinverantwortlichen Kommandeur die Entscheidung selbst aus der Hand genommen wird — und sei es nur durch das Druckmittel eines sonst verwirklichten Dienstvergehens. Art. 20 Abs. 3 GG bindet die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht, nicht aber an noch so sachverständige Institutionen, die die Folgen dieser Bindung im Einzelfall bestimmen. In diesem Sinne heißt „Gesetzesbindung" nicht zuletzt Respektierung der vorhandenen Organisations- und Verfahrensrechtsordnung, die insoweit eine Weisungsgebundenheit eben gerade nicht vorsieht. Ein weiteres Argument kommt hinzu. Schon im Zusammenhang mit der Prüfung, ob das Grundgesetz ein Gebot zur rechtlichen Beratung hoher militärischer Führer zwingend vorschreibt, wurde eine verfassungsrechtliche Regel des Inhalts, alle rechtlich relevanten Maßnahmen der Streitkräfte seien von der Zustimmung eines Rechtssachverständigen abhängig zu machen, abgelehnt; begründet wurde dies damit, daß ein solches Verfahren auf eine kollegiale Ausübung der Befehlsgewalt (durch Soldat und Rechtsberater) hinauslaufe und mit dem Prinzip möglichst effektiver Handhabung der militärischen Führung unvereinbar sei. 39 Dieser Gedankengang kann auch für die Problematik der Bindungswirkung fruchtbar gemacht werden. Nun ließe sich zwar argumentieren, eine Bindungswirkung sei im Verhältnis zu einer Zustimmungsbedürftigkeit ein minus, da sie den Kommandeur lediglich dienstrechtlich in die Pflicht nehme, nicht jedoch daran hindere, einen außenwirksamen, also verbindlichen Befehl zu erteilen. Das ist richtig, verfehlt indessen die raison d'être des obigen Gedankens, nämlich zu gewährleisten, daß der jeweilige militärische Führer in ungeteilter Verantwortung und unter Bündelung aller — nicht nur der juristischen! — Gesichtspunkte seine Entscheidung treffen kann. Soweit verschiedentlich Einbruchstellen in dieses Prinzip sichtbar werden, etwa wenn über gesundheitsbedingte Dienstverhinderungen des Soldaten letztverbindlich der Truppenarzt — und nicht der unmittelbare Vorgesetzte — entscheidet,40 kann dies akzeptiert werden, solange Ausnahmen 37 Veröffentlichungen zu diesem Thema sind dem Verf. allerdings nicht bekannt. 38 Dazu Abschnitt IV.2.e)cc)(2). 39 S. Abschnitt IV.2.e)cc)(2).
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eng begrenzt bleiben und einen zwingenden (sachlichen oder rechtlichen) Grund haben (z.B. grundrechtlich flankiert sind). Es zeigt sich also, daß das Beratungsergebnis für den Kommandeur unter keinem Gesichtspunkt verbindlich sein kann. Selbstverständlich wird es vorkommen, daß der Kommandeur der Empfehlung seines Rechtsberaters folgen muß; Ursache dafür ist jedoch nicht die Tatsache, daß eine juristisch kompetente Dienststelle ihr Votum abgegeben hat, sondern die Bindung des Offiziers an die Rechtsordnung. c) Rechtsfolgen fehlerhafter Beratung und der Nichtbeachtung eines zutreffenden Rechtsrats Abschließen soll die Betrachtung des Verhältnisses von Rechtsberater und Kommandeur mit einem kurzen Blick auf die Rechtsfolgen, die einerseits durch eine fehlerhafte juristische Empfehlung des Rechtsberaters und andererseits durch die Nichtbeachtung eines zutreffenden Rechtsrats durch den Kommandeur oder Offiziere seines Bereichs ausgelöst werden. Dabei kann es nur um die Darstellung von Lösungsansätzen gehen, nicht jedoch um eine umfassende Abhandlung aller denkbaren Konstellationen; dies muß einer Untersuchung über die materiellen Probleme der Rechtsberatung vorbehalten bleiben. aa) Rechtsfolgen fehlerhafter
Beratung
Dem Rechtsberater obliegt die Pflicht, den ihm vorgesetzten Kommandeur sowie die Offiziere des nachgeordneten Bereichs objektiv richtig über die jeweilige Rechtslage zu beraten. Daraus folgt, daß die vorsätzliche Erteilung eines fehlerhaften Rechtsrats sowohl für den beamteten als auch für den soldatischen Rechtsberater tatbestandlich ein Dienstvergehen darstellt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG bzw. § 23 Abs. 1 SG). Fahrlässige, d.h. auf fehlerhafter oder nachlässiger Arbeitsweise beruhende Falschberatungen des Rechtsberaters (Beamter) sind hingegen mit der Rechtsprechung des ehemaligen Bundesdisziplinarhofs nur dann als Dienstvergehen zu qualifizieren, „wenn eine Vielzahl von Mängeln erwiesen sind, die über das normale Versagen eines durchschnittlichen Beamten eindeutig hinausgehen und nicht Unvermögen, sondern echte Schuld vorliegt." 41 Dieser Grundsatz wird auch für den Rechtsberater (Stabsoffizier) Geltung beanspruchen können. 42 · 43 40 ZDv 10/5, Nr. 519. 41 BDHE 7, S. 97. Vgl. auch Claussen, Hans Rudolf / Janzen, Werner: Bundesdisziplinarordnung, Einl. C, Rn. 12. 42 Kritisch allerdings Bayer, der es im Bereich des Wehrdisziplinarrechts für erforderlich hält, „jede einzelne notleidend gewordene Verpflichtung auf ihre disziplinarrechtliche Relevanz zu überprüfen" (Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens, in Bayer / Czapski u.a.: Zum öffentlichen Dienst- und Disziplinarrecht, S. 65-126 [89]).
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
Die bekanntermaßen erheblichen Spielräume bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsansicht „fehlerhaft" sei, mahnen indessen zur Vorsicht bei der Feststellung dieses Tatbestandes: Fehlerhaft wird in aller Regel nur derjenige Rechtsrat sein, der entweder eindeutig gegen eine Rechtsvorschrift verstößt (Beispiel: Der Rechtsberater erklärt, daß Fallschirmspringer auch dann während des Absprungs angegriffen werden dürfen, wenn sich ihr Flugzeug in Not befindet; Verstoß gegen Art. 42 Abs. 1 ZP I) oder eine nicht mehr vertretbare Interpretation einer auslegungsbedürftigen Vorschrift enthält (Beispiel: Der mit einem Wehrpflichtigen befreundete Rechtsberater rät dem Kompaniechef von einer Disziplinarbuße gegen diesen ab, da diese Maßnahme bei angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie bei dem Wehrpflichtigen vorlägen, gem. § 20 Abs. 2 WDO grundsätzlich nicht verhängt werden dürfe 44 ). Eine Rechtsauskunft muß hingegen nicht schon deswegen fehlerhaft sein, weil sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht; es entspricht einem anerkannten Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts, daß die Exekutive prinzipiell nicht an die Judikatur gebunden ist. 45 Je nach Schwere des Dienstvergehens wird die Disziplinarbefugnis über die Rechtsberater (Beamte) von den zuständigen Behörden, den Dienstvorgesetzten oder den Disziplinargerichten ausgeübt (§15 Abs. 1 BDO). Der Leitende Rechtsberater und der BMVg können als Dienstvorgesetzte (Nr. Il.l.b) der VorlDienstAnw) Verweise und Geldbußen, letztere in abgestufter Höhe, durch Disziplinarverfügung verhängen (vgl. im einzelnen § 29 BDO). Hält der Leitende Rechtsberater wegen der Schwere des Verstoßes seine Disziplinarbefugnis nicht mehr für ausreichend, leitet er das förmliche disziplinargerichtliche Verfahren ein oder führt die Entscheidung des BMVg herbei (§ 28 Satz 2 BDO). In Übereinstimmung mit einer weit verbreiteten Meinung im disziplinarrechtlichen Schrifttum 46 sowie in der Judikatur wird man allerdings davon ausgehen müssen, daß sog. „Bagatellverfehlungen" nicht den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllen. Teilt etwa ein Rechtsberater einem Regimentskommandeur auf dessen Anfrage mit, er dürfe die Aufklärung des Sachverhalts im Beschwerde verfahren unter keinen Umständen einem Offizier übertragen, so ist diese Auskunft zwar wegen § 10 Abs. 1 Satz 2 WBO objektiv falsch, kann jedoch nicht als Dienstvergehen geahndet
43
Zur Rechtslage, wenn der Rechtsberater auf Weisung fehlerhaft berät, s. Abschnitt V.l.a)aa). 44 Vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 20 Rn. 12 a.E. mit dem zutreffenden Hinweis darauf, daß in solchen Fällen die Möglichkeit zur Bewilligung von Ratenzahlungen besteht (§ 47 Abs. 2 WDO). 45 Vgl. Ossenbühl, Fritz in Erichsen / Martens: Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 159; Schnapp, Friedrich E.: Gesetzesbindung oder behördlicher Beurteilungsspielraum bei der Erteilung der Errichtungsgenehmigung?, Die Betriebskrankenkasse 1990, S. 368375 (368 ff.). 46 Vgl. nur Claussen, Hans Rudolf / Janzen, Werner: Bundesdisziplinarordnung, Einl. Β Rn. 4a-c m.w.N.
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werden, da sie keine ins Gewicht fallenden Konsequenzen nach sich zieht. Entgegen Dau47 hat die Tatbestandslosigkeit von Β agatellVerfehlungen auch Gültigkeit für das Wehrdisziplinarrecht, hier also für den Rechtsberater (Stabsoffizier): Selbst wenn man seine offensichtlich zugrundeliegende Ansicht teilt, die Armee bedürfe einer strafferen Disziplin als das „Beamtenheer", besteht kein Anlaß, geringfügigste und die Disziplin in der Truppe gar nicht berührende Vorgänge mit dem Odium eines tatbestandsmäßigen Dienstvergehens zu belegen. Für den Rechtsberater (Stabsoffizier) stellt sich die Situation freilich insofern anders dar, als er, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, z.Zt. seinem Kommandeur auch disziplinarisch unterstellt ist. Das bedeutet, daß letzterem das gesamte Instrumentarium einfacher Disziplinarmaßnahmen (Verweis, strenger Verweis, Disziplinarbuße, Ausgangsbeschränkung, mit Zustimmung eines Richters auch Disziplinarrest) gegen seinen Rechtsberater zu Gebote steht. 48 Das mag hinsichtlich der allgemeinen Dienstpflichten noch erträglich sein, ist aber eine ausgesprochen unglückliche Lösung, wenn fachliche Verfehlungen des Rechtsberaters (Stabsoffizier) zur Ahndung anstehen. Soll es bei seiner unmittelbaren Unterstellung unter den Kommandeur bleiben, ist sicherlich der Empfehlung von Lingens zu folgen, de lege ferenda eine dem § 23 Abs. 3 WDO nachempfundene gesetzliche Regelung für den Rechtsberater zu schaffen, „da Verstöße von Rechtsoffizieren in ihrer juristischen Tätigkeit sachkundiger von einem Juristen als von einem Nichtjuristen beurteilt werden können." 49 Berät der Rechtsberater vorsätzlich falsch, hat er sich — je nach Einzelfall — u.U. auch strafrechtlich zu verantworten. In Betracht kommen vor allem folgende Delikte, die der Rechtsberater zum Teil eigenhändig, zum Teil in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB) begehen kann: Vorbereitung eines Angriffskrieges, § 80 StGB; falsche Verdächtigung, § 164 StGB (Beispiel: Der Rechtsberater rät seinem Kommandeur als der zuständigen Einleitungsbehörde, ihn um die Aufnahme von Vorermittlungen gegen den Kapitän z.S. Κ zu ersuchen, obwohl ihm positiv bekannt ist, daß das Verhalten des Κ kein Dienstvergehen
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Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, Vorbem. zu § 7 Rn. la. Der Kommandeur könnte selbstverständlich auch als Einleitungsbehörde gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 WDO ein disziplinargerichtliches Verfahren gegen seinen Rechtsberater (Stabsoffizier) einleiten. Da die Personalunion der Ämter des Rechtsberaters und des Wehrdisziplinaranwalts im Konfliktfall entfallen würde, kann sich die rechtlich interessante Frage nicht stellen, wer den Kommandeur als Wehrdisziplinaranwalt im disziplinargerichtlichen Verfahren gegen seinen Rechtsberater vertreten würde (§ 74 Abs. 2 Satz 1 WDO). In Übereinstimmung mit der für die parallele Problematik bei der Staatsanwaltschaft entwickelten Lösung (vgl. Kleinknecht, Theodor / Meyer, Karlheinz: Strafprozeßordnung, vor § 22 Rn. 3) würde man den Bundeswehrdisziplinaranwalt gem. § 85 Abs. 1 WDO, § 145 Abs. 1 GVG für verpflichtet halten müssen, „einen anderen als den zunächst zuständigen" Wehrdisziplinaranwalt zu beauftragen. 49 Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (Fn. 16). 48
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
darstellt 50 ); Beleidigungsdelikte, §§ 185 ff. StGB (Beispiel wie zuvor); Freiheitsberaubung, § 239 StGB (Beispiel: Der Rechtsberater überzeugt einen Regimentskommandeur, daß ein Disziplinararrest gegen den Unteroffizier U wegen der besonderen Verwerflichkeit dessen Handelns vorübergehend auch ohne richterliche Zustimmung zulässig ist 5 1 ); Strafvereitelung im Amt, § 258 a StGB (Beispiel: Der mit dem Oberfeldwebel Ο befreundete Rechtsberater teilt dem Batteriechef auf dessen Anfrage mit, die von Ο begangene körperliche Mißhandlung von Untergebenen sei nur bei Auftreten ernsthafter Verletzungen strafbar, eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft also nicht erforderlich 52). Befolgt der Kommandeur unzutreffende juristische Ratschläge seines Rechtsberaters, so wird die bis dahin bloß „schwebende", noch nicht realisierte Fehlerhaftigkeit der Auskunft in die zweite Verfahrensstufe transformiert und schlägt dort in eine rechtswidrige Maßnahme des Außenrechtsverhältnisses um. So groß wie die Zahl denkbarer Irrtümer des Rechtsberaters ist, so wenig überschaubar ist die Fülle möglicher Rechtsverstöße des Kommandeurs oder seiner nachgeordneten Offiziere. Erwähnung finden soll wegen seiner potentiell verheerenden Konsequenzen vor allem der nie auszuschließende Fall, daß ein ranghoher Truppenführer eine Regel des Kriegsvölkerrechts verletzt, weil sein Rechtsberater ihn nicht auf die Existenz dieser Bestimmung hingewiesen hat. Dieses Beispiel illustriert, daß eine „fehlerhafte Beratung" durchaus auch in einem Unterlassen bestehen kann. Bei rechtswidrigem Handeln der Streitkräfte auf Grund fehlerhafter juristischer Beratung wird dem jeweiligen Truppenführer grundsätzlich kein Schuldvorwurf zu machen sein, da von ihm nicht erwartet werden kann, daß er über bessere Rechtskenntnisse verfügt als der zu seiner Unterstützung bestellte Jurist. 53 Lediglich in Ausnahmefällen, wo die Rechtswidrigkeit einer vom Rechtsberater gutgeheißenen Maßnahme auf der Hand liegt, kann vom Kommandeur verlangt werden, daß er Abstand von ihrer Ausführung nimmt; eine Auskunft des Rechtsberaters ist kein Freibrief und kann nicht in jedem Fall die Exkulpation des militärischen Führers zur Folge haben. Damit soll übergeleitet werden zu den Fallgruppen, in denen der Kommandeur einen zutreffenden Rat seines Juristen nicht beachtet.
so § 86 Abs. 2 WDO. Vgl. Dau, Klaus: Wehrdisziplinarordnung, § 86 Rn. 14. Wird der Rechtsberater in seiner Eigenschaft als Wehrdisziplinaranwalt um die Aufnahme von Vorermittlungen ersucht, so kommt unter den genannten Voraussetzungen eine Strafbarkeit nach § 344 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB in Betracht. 51 § 36 WDp. 52 § 29 Abs. 3 WDO, § 30 Abs. 1 WStG, ZDv 14/3 Β 115 Nr. 5. 53 So auch Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in: Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (199).
2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Ltd. Rechtsberater / BMVg bb) Rechtsfolgen der Nichtbeachtung eines zutreffenden
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Rechtsrats
Ignoriert der Kommandeur oder ein Disziplinarvorgesetzter des nachgeordneten Bereichs den zutreffenden Ratschlag des Rechtsberaters und handelt infolgedessen rechtswidrig, so erfüllt dies grundsätzlich den Tatbestand eines Dienstvergehens (§ 23 Abs. 1 SG). Die Verletzung einer soldatischen Dienstpflicht ist allerdings nicht darin zu suchen, daß sich der Offizier über die Empfehlung des für ihn zuständigen Rechtsberaters hinweggesetzt hat. Wie bereits gezeigt worden ist 5 4 , eignet der juristischen Auskunft des Rechtsberaters keinerlei Bindungswirkung zu Lasten des Adressaten der Beratung; eine solche Bindung kann sich nur aus den jeweiligen Rechtssätzen ergeben, auf deren Einschlägigkeit der Rechtsberater im Einzelfall — zutreffend — hingewiesen hat. Mißachtet der Kommandeur bei seiner Entscheidungsfindung diese Rechtssätze, indem er beispielsweise einen völkerrechtswidrigen Einsatzbefehl erteilt, so liegt sein Dienstvergehen in diesem Verstoß gegen § 10 Abs. 4 SG i.V.m. der jeweiligen Völkerrechtsnorm, nicht aber in der Außerachtlassung der Ansichten seines Ratgebers. Freilich wird die Tatsache, daß der Rechtsberater im Vorfeld die Rechtslage klar und deutlich dargestellt hat, dem Truppenführer in der Mehrzahl der Fälle mindestens den Vorwurf grober Fahrlässigkeit eintragen. Diese dürfte auch dann vorliegen, wenn der Offizier die Einschaltung des für ihn zuständigen Juristen unterläßt, obwohl der ihm zur Beurteilung unterbreitete Sachverhalt von seinem rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeitsgrad her die in militärischen Verbänden routinemäßig vorkommenden Ereignisse nicht unerheblich übersteigt.
2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Leitendem Rechtsberater / Bundesminis ter (ium) der Verteidigung (Fachdienstverhältnis) Das Fachdienstverhältnis, also die Einbindung des Rechtsberaters in ein vertikales und an die militärische Hierarchie angelehntes System „rechtssachverständiger Dienststellen", verdient nicht weniger Beachtung als das BeratungsVerhältnis. Anders als bei diesem stellte sich 1956 hier nicht die anspruchsvolle Aufgabe, die traditionell als sensibel geltenden Beziehungen zwischen Armee und Rechtsstaat in ein stabiles Gleichgewicht zu bringen und damit neu zu definieren; vielmehr ging es — neben Detailproblemen — in erster Linie um die Frage, wieviel Unabhängigkeit dem einzelnen Berater bei der Ausübung seiner Tätigkeit zugestanden werden sollte. Der Begriff des „Fachdienstes" oder „Fachdienstweges" wird in der Bundeswehr nicht einheitlich verwendet und ist daher mit Vorsicht zu betrachten. Die 54 S. Abschnitt V.l.b).
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
Einrichtung von Fachdiensten für den Sanitätsdienst, den Militärgeographischen Dienst und den Militärmusikdienst beruht auf der Absicht, für einen eindeutig abgrenzbaren Aufgabenbereich wegen der hierfür erforderlichen besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse einen gesonderten Befehlsstrang zu schaffen. 55 Diese Abgrenzbarkeit äußert sich u. a. darin, daß dieser Befehlsstrang in einer bestimmten Abteilung bzw. Unterabteilung des BMVg endet. Die Rechtsberatung der Streitkräfte erfordert zwar ebenfalls eine besondere Qualifikation, kann jedoch wegen der Vielfältigkeit der auftauchenden Rechtsfragen nicht einem eindeutig abgrenzbaren Aufgabenbereich zugeordnet werden. So werden z.B. umweltschutzrechtliche Fragen fachaufsichtlich nicht in der Abt. „Verwaltung und Recht" des BMVg bearbeitet, sondern in der „Sozialabteilung". Auch in der Praxis der Rechtsberatung ist bislang kein Konsens erzielt worden. Die konsequenten Vertreter des „Fachdienstweges" unter den Leitenden Rechtsberatern erteilen ζ. B. fachaufsichtliche Weisungen im eigenen Namen, also außerhalb des Truppendienstweges, während diejenigen, die von einer bloßen „fachlichen Unterstellung" sprechen, fachaufsichtliche Weisungen „im Auftrag" ihres Kommandeurs unterzeichnen. Letzteres entspricht der VorlDienstAnw (Nr. III.), die allerdings das Problem wohl nicht gesehen hat. Die begriffliche Verwirrung dürfte nicht zuletzt darauf beruhen, daß der „Fachdienst" ein soldatenrechtlicher Terminus ist (vgl. § 2 VorgV), während die Rechtsberater im Frieden bekanntlich einen Beamtenstatus innehaben. Solange man sich jedoch der aufgezeigten Unterschiede bewußt ist, ist es — vorbehaltlich einer anderslautenden Regelung des BMVg — unschädlich, von der Rechtsberatung als einem „Fachdienst" zu sprechen. Nicht nur verwenden die VorlDienstAnw selbst (Nr. II.2. Abs. 1, VII.) sowie die Zentralen Dienstvorschriften 56 diesen Begriff, auch das wehrrechtliche Schrifttum geht mehrheitlich vom Bestehen eines Fachdienstweges aus. 57 a) Die Aussagen der VorlDienstAnw zum Fachdienstverhältnis Die konkrete Ausgestaltung des Fachdienstverhältnisses durch die VorlDienstAnw wirkt auf den ersten Blick konservativ und von dem Willen zur Vereinheitli55 Vgl. Rittau, Martin: Soldatengesetz, S. 67 f. 56 Vgl. ZDv 15/2 Ziff. 148. 57 Vgl. Demandi, Ecke: Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr—Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990, S. 201 - 206 (204); Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in: Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en Γ honneur de Jean Pictet, S. 193 - 200 (198); Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 160; Schreiber, Jürgen: Brauchen wir neue Laufbahnen in der Bundeswehr?, Wehrkunde 1958, S. 327 -329 (329); Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 7/334, S. 18; a.A. wohl Böttcher, Hans Viktor/ Dau, Klaus: Wehrbeschwerdeordnung; § 10 Rn. 63.
2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Ltd. Rechtsberater / B M V g
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chung der militärischen Rechtspflege getragen. Nach der ausdrücklichen Regelung in Nr. II.2. Abs. 2 der VorlDienstAnw ist der Rechtsberater nur dann „von Anordnungen unabhängig", wenn und soweit er „als Gutachter tätig wird": Eine seltene Ausnahme, von der kaum jemals Gebrauch gemacht worden ist. Im übrigen ist der Rechtsberater, wie aus Nr. Il.l.b) Abs. 1 der VorlDienstAnw hervorgeht, „fachdienstlich" dem Leitenden Rechtsberater oder, „falls ein solcher nicht eingesetzt ist, dem Bundesminister für Verteidigung" unterstellt. Der Nr. II.2. Abs. 2 Satz 2 ist zu entnehmen, daß auf dem Fachdienstweg „auch Zweifelsfragen zu klären" sind. Die Bestimmung dient, worauf schon hingewiesen worden ist 5 8 , der Sicherstellung einer inhaltlich übereinstimmenden Rechtsberatung in den Streitkräften. Der Schritt zum echten „Sachverständigen", dessen Stellung gegenüber seinem Auftraggeber im allgemeinen durch ihre Unabhängigkeit geprägt ist, wurde also — sieht man von der Gutachtertätigkeit ab — nicht gewagt. b) Unabhängigkeit der Rechtsberater? Die geschilderte Rechtslage hatte zunächst Folgen für den Akzeptanzgrad der „Dienststelle Rechtsberater" in den Streitkräften. Wurde schon ihre bloße Einrichtung anfangs von den Offizieren mit Skepsis aufgenommen, so erweckte ihre enge fachdienstliche Unterstellung — letztlich — unter das BMVg erst recht den Eindruck, bei den Rechtsberatern handele es sich um nichts anderes als den verlängerten Arm des zivil geführten Ministeriums („civil control"). 59 Dazu mag auch die in Nr. V I I der VorlDienstAnw festgelegte Berichtspflicht beigetragen haben, die dem Rechtsberater vorschrieb, „in regelmäßigen Abständen, bis auf weiteres zum Fünften eines jeden Monats, auf dem Fachdienstweg einen Tätigkeits- und Erfahrungsbericht" vorzulegen. 60 In der Tat läßt sich kaum leugnen, daß diese Berichtspflicht im Verein mit der fachdienstlichen Abhängigkeit des Rechtsberaters den Verdacht nährte, hier solle dem Truppenführer ein bis dahin nicht bekanntes Überwachungs- und Kontrollorgan zur Seite gestellt werden. „Hört der Kommandeur nicht auf seinen (sc. des Rechtsberaters) Rat und handelt er ihm zuwider", so schreibt Partsch, „kann der Rechtsberater dies auf seinem ,Fachdienstweg' nach oben melden. So kann er ihn also doch kontrollieren . . . " 6 1 ss S. Abschnitt III.4. 59 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (242). 60 In dieser Berichtspflicht sieht Demandi auch heute noch — 38 Jahre nach Erlaß der VorlDienstAnw — den Ausdruck von „Mißtrauen" gegenüber den Streitkräften (Rechtsberater und Rechtsoffizier in den Streitkräften der Bundeswehr — Funktion und Bedeutung —, NZWehrR 1990, S. 201-206 [203 f.]). Der Tätigkeits- und Erfahrungsbericht ist heute nur noch einmal jährlich zu erstatten. 61 Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in: Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
Dieser vorwiegend in den ersten Jahren der Bundeswehr zu beobachtende Argwohn hat sich indessen nicht in einer dauerhaften Ablehnung der Institution „Rechtsberater" niedergeschlagen. Die Einbindung des Rechtsberaters in ein Fachdienstsystem ist heute als praktische Notwendigkeit fast einhellig anerkannt. 6 2 Bei der Bestellung von Juristen zur rechtlichen Beratung der Streitkräfte kann es nicht darum gehen, dem einzelnen Truppenführer einen persönlichen Gutachter zur Verfügung zu stellen, der ungebunden und nach seiner eigenen subjektiven (möglicherweise aber irrigen) Rechtsüberzeugung juristische Empfehlungen in den Rechtsangelegenheiten des Verbandes ausspricht. Die Gefahr divergierender Beratungsergebnisse ist in einer Exekutivorganisation von der Größe und latenten Machtfülle, wie sie die Armee darstellt, nicht tragbar. Anderenfalls wäre es durchaus vorstellbar, daß ein Kommandeur schon deswegen nicht auf die Vorschläge seines Rechtsberaters hört, weil dessen Kollege / Kamerad in einer anderen Division die aus militärischer Sicht „überzeugenderen" Ansichten vertritt; hier sollen und dürfen keine Vorwände geliefert werden. 63 Hinzu kommen verfassungsrechtliche Bedenken. Eine vollständige fachliche Unabhängigkeit des Rechtsberaters könnte mit den Grundsätzen zur Zulässigkeit ministerialfreier Räume kollidieren. Hierbei geht es um das Problem, inwieweit Teile der vollziehenden Gewalt aus der Weisungsunterworfenheit, die gegenüber dem jeweils zuständigen Ressortminister besteht, entlassen werden dürfen. Solche ministerialfreien Räume sind in der Praxis vielfach anzutreffen; als Prototyp seien die staatlichen Prüfungsämter genannt.64 Dennoch besteht — bei Unterschieden in der dogmatischen Begründung — Einigkeit darüber, daß die Verfassung Ministerialfreiheit nur sehr begrenzt im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses erlaubt, daß diese im Einzelfall vor der Verfassung sachlich zu rechtfertigen ist und daß die Einräumung von Ministerialfreiheit die Gesamtleitung der Politik durch die Regierung unter der Kontrolle des Parlaments nicht aushöhlen darf; aus letzterem wird gefolgert, daß der sog. hochpolitische Bereich stets in la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (198). Gleichzeitig mutmaßt Partsch, daß „von dieser Befugnis kaum massiver Gebrauch gemacht worden sein" könne, da doch immer wieder betont werde, es habe sich durchweg „ein fruchtbares Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsberatern und Kommandeuren eingestellt" (aaO, S. 199). 62 Vgl. Fleck, Dieter: Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 (Januar 1973), S. 54-62 (S. 58 f.). 63 Dieses Risiko wird auch von Draper gesehen (Die Rolle der Rechtsberater in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXX, Nr. 2 (März 1979), S. 18-23, Nr. 3 (Mai 1979), S. 34-40 [38]). De Preux weist freilich auf die Existenz von Systemen hin, in denen der Rechtsberater ausschließlich seinem Kommandeur untersteht („subordination simple") und von seinen Fachvorgesetzten — mit Ausnahme allgemeiner Weisungen — nicht unmittelbar kontrolliert werde (in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3361). 64 Vgl. den Überblick bei Müller, Wolfgang: Ministerialfreie Räume, JuS 1985, S. 497-508 (500 ff.).
2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Ltd. Rechtsberater / B M V g 1 7 7
der ministeriellen Kontrolle verbleiben muß. Schließlich fordern Rechtsprechung und Literatur für die Einrichtung, Veränderung und Aufhebung eines ministerialfreien Raumes ein förmliches Gesetz oder mindestens eine Rechtsverordnung, da Ministerialfreiheit stets eine Teil-Suspendierung verfassungsverbürgter parlamentarischer Kontrolle impliziere und dies ohne einen entsprechenden Verzichtsakt der Volksvertretung nicht zulässig sei. 65 De lege lata scheitert eine fachliche Weisungsfreiheit der Rechtsberater also schon am Fehlen eines entsprechenden Gesetzes. Ein solches könnte verfassungskonform aber auch gar nicht erlassen werden. Die Entscheidung darüber, in welcher Weise die militärischen Führer der Bundeswehr rechtlich beraten werden, darf dem BMVg unter keinen Umständen aus der Hand genommen werden. Die Rechtmäßigkeitsaufsicht über sein Ressort zählt zu den wichtigsten Befugnissen und — im Lichte des Gesetzmäßigkeitsprinzips — auch zu den grundlegenden Pflichten eines (Bundes- und Landes-)Ministers; in einigen Landesgesetzen, so ζ. Β. § 13 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 LOG NW, ist diese Pflicht ausdrücklich verankert. 66 Soweit einzelne Sachbereiche aus der ministeriellen Weisungsbefugnis ausgeklammert werden (Beispiel: das Justizprüfungswesen aus dem Ressort der Landesjustizminister), kann der damit einhergehende Teilverlust an Rechtsaufsicht hingenommen werden, wenn die Voraussetzungen der Ministerialfreiheit im übrigen vorliegen. Anders lägen die Dinge jedoch, wenn der BMVg die Rechtsberater in die fachliche Weisungsunabhängigkeit entlassen würde: Angesichts deren umfassender Beratungszuständigkeit („alle[n] einschlägige[n] Rechtsgebiete[n]") und räumlichen Nähe zu ihrem Kommandeur käme dies einer devolvierenden Delegation 67 seiner Rechtsaufsicht über die Streitkräfte gleich, da es nunmehr die Rechtsberater faktisch in der Hand hätten, den Disziplinarvorgesetzten und Kommandeuren ihre individuellen Rechtsansichten aufzudrängen. Ein solcher faktischer Totalverlust der ministeriellen Rechtsaufsicht wäre weder mit dem Ressortprinzip des Art. 65 Satz 2 GG vereinbar, noch könnte er dem Gewicht des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes standhalten, für dessen Beachtung in seinem Ressort wiederum der BMVg verantwortlich ist. Auch eine Argumentation, die
65 Vgl. dazu vor allem Müller; Wolfgang: Ministerialfreie Räume, JuS 1985, S. 497508. Instruktiv auch Stern, Klaus: Staatsrecht, Bd. II, S. 791. 66 Daß dem Aufsichtsrecht staatlicher Organe auch eine Pflicht korrespondiert, wird leider nur selten mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck gebracht; beiläufig immerhin Wolff, Hans JJBachof, Otto: Verwaltungsrecht Π, S. 113. Damit nicht zu verwechseln ist die Frage, ob die Aufsichtsbehörde im Einzelfall von ihren Aufsichtsbefugnissen Gebrauch machen muß; die wohl herrschende Meinung spricht sich in diesem Zusammenhang, soweit nicht einzelne Gesetze etwas anderes bestimmen, für die Geltung des Opportunitätsprinzips aus (so Schnapp, Friedrich E.: Die vorgreifliche Anordnung der Aufsichtsbehörde in der Sozialversicherung, Die Betriebskrankenkasse 1969, S. 97103 [103]; vgl. auch Mayr, Christoph: Aufsichtsverhältnisse als Verwaltungsrechtsverhältnisse, S. 79 ff. m. w.N.). 67 Zum Begriff der devolvierenden (überwälzenden, befreienden) Delegation vgl. Wolff, Hans JJBachof, Otto: Verwaltungsrecht II, S. 25. 12 Baganz
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
auf den hochpolitischen Charakter der Rechtsberatung ranghoher und -höchster Truppenführer verweist, dürfte vertretbar sein. Der denkbare Einwand, der Rechtsberater „berate" eben nur, der letzthin verantwortliche Kommandeur würde aber doch der vollen Rechtmäßigkeitsaufsicht seines Ministers unterstehen, greift nicht, da diese Aufsicht in aller Regel nur repressiv wirken kann, während es gerade in den Streitkräften darauf ankommt, den Truppenführern bereits im Vorfeld eine sachverständige Rechtsberatung zur Verfügung zu stellen; mit dieser Besonderheit war hier sogar eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit zur Einsetzung von Rechtsberatern in der Truppe begründet worden. Dies gilt besonders, weil der Kommandeur sich im allgemeinen an der Auskunft seines Rechtsberaters orientieren wird. Es zeigt sich also, daß die Schaffung eines ministerialfreien Raumes durch eine fachliche Unabhängigstellung der Rechtsberater selbst dann, wenn die Legislative zustimmen würde, verfassungsrechtlich unzulässig wäre. Materiell-rechtlich bedenkenfrei ist es hingegen, daß der Rechtsberater „von Anordnungen unabhängig" ist, wenn er als Gutachter tätig wird — ein allerdings seltener Fall. Bei dieser gutachterlichen Tätigkeit nimmt der BMVg lediglich in Einzelfällen die spezifische juristische Sachkunde des Rechtsberaters in Anspruch, ohne daß damit schon ein ministerialfreier „Raum" von meßbarer Bedeutung entstünde und die Kontrollbefugnis des Parlaments ausgehöhlt würde. Andererseits ist sicherlich richtig, daß die bloße Existenz berichtspflichtiger Rechtsberater einen gelegentlich zur Vernachlässigung rechtlicher Bindungen neigenden Offizier zu disziplinieren vermag. Diesbezüglicher, auch heute noch vereinzelt zu vernehmender Kritik ist entgegenzuhalten, daß dieser Effekt durchaus gewollt ist, ja daß er sogar den Sinn und Zweck dieser neuartigen Institution verkörpert; insofern ist es völlig zutreffend, vom Rechtsberater als einem „Rechtskontrollorgan" zu sprechen. 68 Freilich ist der Begriff irreführend, weil er durch die Historie der Rechtsberatung in den Streitkräften negativ besetzt ist: Wie gezeigt, sollten die Rechtsberater in den Aufbaujahren der Bundeswehr tatsächlich die möglichst reibungslose Integration der sich mehrheitlich aus ehemaligen Wehrmachtsangehörigen zusammensetzenden Armee in das rechtsstaatlich-demokratische Gefüge der Bundesrepublik „kontrollieren". Mittlerweile aber — so ergab die Untersuchung — hat dieses ursprünglich politische Motiv zugunsten der verfassungsrechtlichen Forderung nach einer sachverständigen rechtlichen Beratung der Streitkräfte an Gewicht verloren. 69 Vor diesem Hintergrund läßt sich also sagen, daß die Rechtsberater heute weniger eine Kontroll- als vielmehr eine Servicefunktion erfüllen. 70
68 S. dazu Abschnitt IV.l.b)cc). 69 S. Abschnitt IV.2.f). 70 Ähnlich auch Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 (245); vgl. auch den Jahresbericht 1972 des Wehrbeauftragten des Deutschen
2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Ltd. Rechtsberater / B M V g
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Letztlich dient die fachdienstliche Unterstellung der Rechtsberater vor allem ihrem eigenen Schutz gegen eine übermäßige Einflußnahme des Kommandeurs auf die Gestaltung von Rechtsunterricht und -beratung des nachgeordneten Bereichs. c) Der Leitende Rechtsberater / Bundesminister(ium) der Verteidigung als Vorgesetzte des Rechtsberaters Nach den Ausführungen zur Vorgesetzteneigenschaft des Kommandeurs bereitet es nunmehr keine Schwierigkeiten mehr, die entsprechenden Feststellungen für das Fachdienstverhältnis zu treffen. Allerdings sind die Zuständigkeiten in diesem Bereich verzweigt. aa) Der Leitende Rechtsberater / Bundesminister der Verteidigung als „Dienstvorgesetzte" des Rechtsberaters (Beamter) Gemäß Nr. Il.l.b) Abs. 2 der VorlDienstAnw sind der Leitende Rechtsberater und, falls ein solcher nicht eingesetzt ist, unmittelbar der BMVg Dienstvorgesetzte des Rechtsberaters (Beamter) im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG. Damit sind sie „für beamtenrechtliche Entscheidungen über die persönlichen Angelegenheiten" des Rechtsberaters zuständig; dazu zählen Beförderung, Versetzung in den einstweiligen oder endgültigen Ruhestand, Versetzung, Erteilung und Versagung von Urlaub, die Entgegennahme von Entlassungsanträgen und die Ausübung der Disziplinargewalt. Der Leitende Rechtsberater übt die Dienstaufsicht über die ihm unterstellten Rechtsberater aus (Nr. IV.7. der VorlDienstAnw; dienstaufsichtsführender Rechtsberater). Beantragt ein Divisions-Rechtsberater Erholungsurlaub, so wird dieser vom Divisionskommandeur lediglich „abgezeichnet", genehmigt jedoch vom KorpsRechtsberater. 71 Dienstvorgesetzter des Leitenden Rechtsberaters (Beamter) ist der BMVg (Abt. P). bb) Der Leitende Rechtsberater / Bundesministerium der Verteidigung als „Vorgesetzte " des Rechtsberaters (Beamter) Ferner ist der Leitende Rechtsberater „Vorgesetzter" des Rechtsberaters (Beamter) gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG, da er ihm „fachdienstlich" übergeordnet ist Bundestages (BT-Drucks. 7/334, S. 18): „Sie nehmen jedoch diese Aufgabe nicht in überwachender Funktion, sondern als Gehilfen der militärischen Führung wahr." 7i Falsch insoweit Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in: Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (198). 12*
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
(Nr. Il.l.b) Abs. 1 der VorlDienstAnw) und die Befugnis hat, ihm fachlichamtsbezogene, d.h. Rechtsfragen betreffende Weisungen zu erteilen. 72 Geht man von einem „echten" Fachdienstweg aus — wofür Nr. Il.l.b) Abs. 1 der VorlDienstAnw spricht —, erfolgt diese Weisung in eigenem Namen (und nicht im Auftrag des Kommandeurs). Auf der nächsthöheren Stufe der Fachaufsicht, dem Bundesministerium der Verteidigung, verzweigen sich die Zuständigkeiten innerhalb des Ministeriums zwischen den Rechtsberatern der Inspekteure und der Abt. Verwaltung und Recht. Bei der Darstellung der organisatorischen Grundlagen der Rechtsberatung in den Streitkräften war bereits eingehend die Sonderstellung der Rechtsberater der Inspekteure behandelt worden. 73 Dabei hatte die Überprüfung des einschlägigen Erlasses gezeigt, daß diese Rechtsberater zwar vollwertige ministerielle Referate bilden und insoweit den Referatsleitern der Abt. Verwaltung und Recht ebenbürtig sind, daß sie andererseits aber die Inspekteure nicht in deren Eigenschaft als ministerielle Abteilungsleiter, sondern als truppendienstliche Vorgesetzte beraten. Ausschlaggebendes Kriterium für die insoweit notwendig werdende Abgrenzung ist, „ob die im Einzelfall (vom Rechtsberater) wahrgenommene Aufgabe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung truppendienstlicher Befugnisse durch die Inspekteure steht"; besonders hervorgehoben wird in dem einschlägigen Erlaß 74 „die Beratung der Inspekteure in Disziplinar- und Beschwerdesachen und deren Bearbeitung". In allen übrigen Rechtsfragen (Verfassungsrecht, Völkerrecht u. a.) werden die Inspekteure grundsätzlich von der Abt. Verwaltung und Recht unterstützt. Daß die Praxis von den Vorgaben dieses Erlasses gelegentlich abweicht, wurde schon erwähnt. 75 Die Zuständigkeiten für die Fachaufsicht über den subministeriellen Bereich laufen parallel zu dieser innerministeriellen Aufgabenverteilung. Danach ist davon auszugehen, daß die Rechtsberater in den Führungsstäben vor allem in Disziplinar- und Beschwerdeangelegenheiten sowie in allen sonstigen Rechtsfragen, die durch die truppendienstlichen Befugnisse ihrer Inspekteure aufgeworfen werden, die ihnen nachgeordneten Rechtsberater fachlich beaufsichtigen; insofern sind sie „Vorgesetzte" im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG. 7 6 In allen anderen Rechtsfragen wird diese Kompetenz von der Abt. Verwaltung und Recht (VR I 5) ausgeübt. Letztere ist auch für die Klärung von „ Z w e i f e l s f r a g e n " zuständig (Nr. II.2. Abs. 1 Satz 2 der VorlDienstAnw). 72 Vgl. ZDv 15/2 Ziff. 148 sowie Lingens, Eric: Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (154). 73 S. Abschnitt III.5. 74 Leiter OrgStab v. 3. Juni 1982 (Org 1 — Az 10-02-05/00). 75 S. Abschnitt ΠΙ.5. 76 Geht man auch hier von einem „echten" Fachdienstweg aus (Abschnitt V.2.), müßte der Rechtsberater eine fachaufsichtliche Weisung „im Auftrag" des Bundesministeriums der Verteidigung (und nicht im Auftrag des Inspekteurs) erteilen.
2. Das Verhältnis von Rechtsberater und Ltd. Rechtsberater / B M V g
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Nr. Il.l.b) Abs. 1 der VorlDienstAnw ist daher insofern durch die Entwicklung überholt worden, als nicht mehr „der Bundesminister", sondern nunmehr „das Beamtenministerium der Verteidigung" in fachlicher Hinsicht übergeordnet ist. 77 Nur beiläufig sei die Selbstverständlichkeit erwähnt, daß, sofern einem Kommandeur mehrere Rechtsberater zugeordnet sind, der Erste Rechtsberater „Vorgesetzter" des Zweiten und ggfs. des Dritten Rechtsberaters ist; darauf hat Aßmann richtig hingewiesen.78 Dienstvorgesetzter bleibt allerdings für alle der Leitende Rechtsberater bzw. der BMVg. cc) Der Leitende Rechtsberater / Bundesministerium der Verteidigung als „Fachvorgesetzte" des Rechtsberaters (Stabsoffizier) Werden die Rechtsberater gem. § 49 Abs. 1 WPflG als Stabsoffiziere zum Wehrdienst einberufen, so sind der Leitende Rechtsberater / Bundesministerium der Verteidigung „Fachvorgesetzte" der jeweils nachgeordneten Rechtsberater gem. § 2 VorgV. Für die Aufteilung der Fachaufsicht innerhalb des BMVg gilt das zu bb) Gesagte. Wie oben erläutert 79, nimmt der Leitende Rechtsberater (Stabsoffizier) allerdings mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VorgV nicht die — dem beamtenrechtlichen „Dienstvorgesetzten" vergleichbare — Funktion des „unmittelbaren Vorgesetzten" ein; unmittelbarer Vorgesetzter ist der jeweilige Kommandeur. d) Rechtsfolgen der Fehlerhaftigkeit des fachdienstlich angeordneten (befohlenen) Rechtsrats Weist der Leitende Rechtsberater den Rechtsberater (Beamter) an, gegenüber dem Kommandeur oder im Rechtsunterricht eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten, die der Rechtsberater für falsch hält und die nach seiner Ansicht im Falle ihrer Umsetzung durch den Offizier in eine rechtswidrige Maßnahme des Außenrechtsverhältnisses umschlagen würde, so hat der Rechtsberater das Remonstrationsverfahren gem. § 56 Abs. 2 BBG einzuleiten.80 Der Verpflichtung zur Remonstration ist der Rechtsberater nicht dadurch entledigt, daß er eine ausschließlich inneradministrative Beratungsfunktion erfüllt und 77 Zur Unterscheidung s. Abschnitt III.5. 78 Vgl. Aßmann, Rainer: Die Vorgesetzteneigenschaft des Ersten Rechtsberaters/ Wehrdisziplinaranwalts nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BBG. 79 S. Abschnitt V.l.a)bb). so Vgl. Günther, Hellmuth: Folgepflicht, Demonstration und Verantwortlichkeit des Beamten — Eine Skizze zur fachlichen Weisung —, ZBR 1988, S. 297-317 (308 ff.).
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V. Das Verhältnis des Rechtsberaters zu seinen Vorgesetzten
selbst im Außenrechtsverhältnis niemals tätig wird. Zwar ergibt eine Strukturanalyse des § 56 Abs. 2 BBG deutlich, daß die Vorschrift von einem Dreiecksverhältnis Vorgesetzter — (angewiesener) Beamter — (betroffener) Bürger ausgeht; in diesem Dreiecksverhältnis kommt dem Beamten die Funktion des im Außenrechtsverhältnis Handelnden zu. Es ginge freilich fehl, daraus die Schlußfolgerung ziehen zu wollen, die Verpflichtung zur Remonstration treffe nur den mit Außenwirkung handelnden Beamten. Ein solches Verständnis der Norm als „letztes Bollwerk", bevor es zu einer rechtswidrigen Maßnahme der Exekutive kommt, würde ihrer Funktion nicht gerecht. Da der Beamte für die Rechtmäßigkeit aller seiner Diensthandlungen verantwortlich ist, also auch solcher mit reiner Innenwirkung 81 , kommt die mit § 56 Abs. 2 BBG bezweckte Entlastungswirkung 82 auch dann zum Tragen, wenn er — wie der Rechtsberater — lediglich beratend tätig wird. Zunächst hat der Rechtsberater unverzüglich seine Bedenken beim Leitenden Rechtsberater geltend zu machen. Hält dieser die Anordnung aufrecht, hat sich der Rechtsberater an den BMVg (je nach Rechtsgebiet Rechtsberater des jeweiligen Inspekteurs oder Abt. Verwaltung und Recht oder eine andere zuständige Fachabteilung83) zu wenden, wenn seine Bedenken fortbestehen. Bestätigt dieser — auf Verlangen des Rechtsberaters schriftlich — die Anordnung, ist sie für den Rechtsberater verbindlich, sofern er sich nicht durch den konkreten Rechtsrat strafbar machen84 oder ordnungswidrig verhalten würde und dies für ihn erkennbar ist. Disziplinarrechtlich ist er von jeder Verantwortung frei (§ 56 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz BBG). Ein solches Remonstrationsverfahren ist für den Rechtsberater (Stabsoffizier) nicht vorgesehen. Erhält er auf dem Fachdienstweg den Befehl, seinem Kommandeur oder den von ihm unterrichteten Offizieren eine — wie er meint — fehlerhafte Rechtsauskunft zu erteilen, so hat er diesen Befehl ohne weiteres auszuführen, wenn nicht eine der Ausnahmen des § 11 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 SG vorliegt (Verletzung der Menschenwürde, keine dienstlichen Zwecke, Begehung einer Straftat). Unbenommen ist ihm freilich das Recht, sich über diesen Befehl zu beschweren (§ 1 Abs. 1 WBO). Mangels einer dem § 23 Abs. 3 WDO entsprechenden Bestimmung entscheidet über diese Beschwerde kurioserweise der Disziplinarvorgesetzte des jeweiligen Fachvorgesetzten; in dem Fall, daß der Leitende Rechtsberater (Stabsoffizier) den Befehl erteilt hat, ist dies der Kommandierende General (§ 9 Abs. 1 WBO). Dieser hat lediglich eine „Stellungnahme" der nächsthöheren Fachdienststelle, also des BMVg, einzuholen (§10 Abs. 2 WBO). si Vgl. Plog, Ernst / Wiedow, Alexander / Beck, Gerhard / Lemhöfer, Bernt: Bundesbeamtengesetz, § 56 Rn. 5. 82 Vgl. Schnapp, Friedrich E.: Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 124. 83 Handelt es sich um eine Grundsatzfrage, ist nur die Abt. Verwaltung und Recht zuständig. Allerdings erfüllt der Rechtsberater auch dann seine Remonstrationspflicht, wenn er sich an eine innerministeriell unzuständige Stelle wendet. 84 In Betracht kommende Straftatbestände sind in Abschnitt V.l.c)aa) genannt.
VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall In den vorangegangenen Untersuchungen mußte immer wieder der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die in Friedenszeiten beamteten Rechtsberater — mit Ausnahme der Rechtsberater der Inspekteure — nach den Planungen des BMVg im Ernstfall als Stabsoffiziere zum Wehrdienst einberufen werden sollen.1 Zu diesem Zweck sind diese Rechtsberater seit den 70er Jahren „mob-beordert" worden, d.h. sie haben durch den Verteidigungsfall sowie durch die Anordnung von Bereitschaftsdienst gem. § 6 Abs. 6 WPflG bedingte Einberufungsbescheide erhalten. 2 Die Rechtmäßigkeit dieser Praxis war bereits Gegenstand gerichtlicher Verfahren 3, ohne daß alle damit verbundenen Fragen — nicht zuletzt verfassungsrechtlicher Provenienz — geklärt werden konnten. Das soll im folgenden versucht werden. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß die mob-beorderten Rechtsberater im Rahmen des Wehrpflichtgesetzes auch verpflichtet sind, an Mobilmachungsübungen ihres Mob-Truppenteils als Soldat teilzunehmen. Sollen sie an sonstigen Übungen der Truppe im Soldatenstatus teilnehmen, sieht ein Erlaß des BMVg vom 12. Dezember 19884 vor, daß insoweit „das Einvernehmen mit dem Dienstaufsichtsführenden Rechtsberater (soweit vorhanden) sicherzustellen (ist), anderenfalls ist die Zustimmung des Bundesministers der Verteidigung einzuholen."
1. Voraussetzungen der Mob-Beorderung der Rechtsberater (Beamte) nach dem Wehrpflichtgesetz Für die Einberufung hält das WPflG verschiedene Ermächtigungsgrundlagen bereit, die sich u. a. danach unterscheiden, ob der Betreffende bereits Wehrdienst geleistet hat. Da es der jüngeren Praxis des BMVg entspricht, ausschließlich gediente Wehrpflichtige in die Laufbahn der Rechtsberater zu übernehmen, ist zunächst zu prüfen, welche Voraussetzungen die insoweit einschlägige Norm (§ 23 WPflG) stellt. Als in den Jahren nach 1956 die Bundeswehr aufgebaut ι S. Abschnitt ΙΠ.1. 2 Zu den Begriffen „Mob-Beorderung" und „Mob-Einplanung" vgl. Scherer, Werner / Steinlechner, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 23 Rn. 7 ff. 3 Vgl. VG Koblenz DÖD 1985, S. 113 m. Anm. von Stauf, aufgehoben durch BVerwG NVwZ 1986, S. 128. 4 VR I 2 Az 24-04-04 (VMB1. 1989, S. 29-31).
184
VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
wurde, war es freilich erforderlich, auch zahlreiche Angehörige der sog. „weißen Jahrgänge" als Rechtsberater einzustellen, also solche Wehrpflichtige, die zwar in der früheren Wehrmacht oder wehrmachtähnlichen Verbänden nicht mehr gedient hatten, die aber andererseits doch zu alt waren, um nach Inkrafttreten des WPflG noch zum Grundwehrdienst herangezogen zu werden. 5 Ihre Erfassung, Musterung und Einberufung ist nur noch nach § 49 WPflG möglich.
a) Die Mob-Beorderung gedienter Rechtsberater gem. § 23 Abs. 1 WPflG Rechtsberater, die bereits Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet haben, und sei es auch nur für einen Tag, können unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 WPflG erneut zum Wehrdienst herangezogen werden. Keine Rolle spielt es, welche Art von Wehrdienst (§ 4 Abs. 1 WPflG) geleistet worden ist; auch eine kurze Wehrübung ohne vorangegangenen Grundwehrdienst vermag also bereits den Rechtsberater für die Zukunft zu einem Anwendungsfall des § 23 Abs. 1 WPflG zu machen.6 Die Zulässigkeit von Mob-Beorderungen, also von Einberufungen zum unbefristeten Wehrdienst, die durch die Verkündung bzw. den Eintritt des Verteidigungsfalles (Art. 115 a GG) und durch die Anordnung von Bereitschaftsdienst gem. § 6 Abs. 6 WPflG aufschiebend bedingt sind, wird in ständiger Rechtsprechung vom BVerwG bejaht und braucht daher nicht mehr problematisiert zu werden. 7 Vor dem Erlaß des Mob-Einberufungsbescheides bedarf es auch dann keiner Anhörung, wenn seit dem Ausscheiden aus dem Wehrdienst mehr als zwei Jahre verstrichen sind. 8 Ferner ist eine ärztliche Untersuchung nicht erforderlich. Das ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 WPflG, wonach im Bereitschafts- und Verteidigungsfall, in dem die aus dem bedingten Einberufungsbescheid folgende Gestellungspflicht erst eintritt, § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 nicht anzuwenden sind. 9 Der Rechtsberater wird „nach Prüfung seiner Verfügbarkeit" mob-beordert (§ 23 Abs. 1 Satz 1 WPflG). Daraus hat das VG Koblenz zutreffend gefolgert, daß der Rechtsberater kein subjektives Recht auf eine bestimmte Verwendung geltend machen kann. Wird er also entgegen seinen Vorstellungen auf eine Stelle 5 Zum Begriff der „weißen Jahrgänge" vgl. Scherer, Werner / Steinlechner, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 36 Rn. 12 f. 6 Vgl. Hahnenfeld, Günter / Boehm-Tettelbach, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 23 Rn. 2; Scherer, Werner / Steinlechner, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 23 Rn. 5. 7 Vgl. BVerwG E 27, S. 263 (265 ff.); E 35, S. 252 (253 f.); NVwZ 1986, S. 128 (129). s Vgl. Hahnenfeld, Günter / Boehm-Tettelbach, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, §23 Rn. 8 b. 9 Vgl. dazu BVerwG E 27, S. 263 (267).
1. Mob-Beorderung und Wehrpflichtgesetz
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als Rechtsberater (Stabsoffizier) einberufen, obwohl er eine Verwendung als Truppenoffizier wünscht, ist die Entscheidung des Kreiswehrersatzamtes insoweit nicht gerichtlich ersetzbar. 10 Gleiches gilt selbstverständlich auch für den umgekehrten Fall. Wird der Rechtsberater auf eine Rechtsberater-Stelle mob-beordert, also „militärfachlich" verwendet, so kommt die nach § 40 Abs. 2 WPflG mögliche Verleihung eines höheren vorläufigen Dienstgrades nur dann in Betracht, wenn der Rechtsberater ihr zustimmt. Dies hat das BVerwG im Jahre 1984 entschieden.11 Wenn auch diese Zustimmung — so das Gericht — „im Regelfall als selbstverständlich vermutet und vorausgesetzt werden" könne, sei eine „Beförderung gegen den (erklärten) Willen des Soldaten" wirkungslos. Das läßt es angeraten erscheinen, ungeachtet ihrer gesetzlichen Entbehrlichkeit doch eine Anhörung des Rechtsberaters vor seiner Mob-Beorderung durchzuführen, um ihm Gelegenheit zur Ablehnung des höheren Dienstgrades zu geben. Ist er mit seiner Beförderung einverstanden, erhält der Rechtsberater den seinem Amt entsprechenden Stabsoffizier-Dienstgrad.
b) Die Mob-Beorderung ungedienter Rechtsberater gem. § 49 Abs. 1 WPflG In der von Moritz verfaßten und wohl bekanntesten Abhandlung über den Rechtsberater wird die Ermächtigung zu seiner Einberufung „im Falle eines zu erwartenden militärischen Einsatzes der Streitkräfte" ausschließlich auf § 49 Abs. 1 WPflG gestützt.12 Dafür mag ausschlaggebend gewesen sein, daß ein großer Prozentsatz des Rechtsberater-Corps im Jahre 1976 noch den „weißen Jahrgängen" angehörte, die entweder bei Inkrafttreten des WPflG bereits zu alt für die Einberufung zum Grundwehrdienst waren oder in der Aufbauphase der Bundeswehr aus Kapazitätsgründen nicht herangezogen werden konnten. Für diese ungedienten Wehrpflichtigen sieht § 49 Abs. 1 WPflG eine besondere Möglichkeit zur Erfassung, Musterung und Einberufung vor, wenn sie „wegen ihrer beruflichen Ausbildung oder Tätigkeit im Verteidigungsfall für Aufgaben verwendet werden sollen, die der Herstellung der Einsatzfähigkeit oder der Sicherung der Operationsfreiheit der Streitkräfte dienen". Ob die Rechtsberatung militärischer Truppenführer tatsächlich „der Herstellung der Einsatzfähigkeit oder der Sicherung der Operationsfreiheit der Streitkräfte" dient, ist angesichts der Entstehungsgeschichte der Norm allerdings zunächst io VG Koblenz DÖD 1985, S. 113. h NVwZ 1986, S. 128. 12 Vgl. Moritz, Günther: Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239250 (248); vgl. auch Stauf, Wolfgang: Zum Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1982, S. 216-219.
186
VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
eher zweifelhaft. § 49 wurde im Jahre 1960 durch die erste Novelle zum WPflG 1 3 als § 47 c in das Gesetz aufgenommen und ist seitdem in der hier interessierenden Passage unverändert geblieben. Bei der Übersendung des Gesetzentwurfs an den Bundestag wies die Bundesregierung zur Begründung der Vorschrift auf „die zunehmende Technisierung der modernen Streitkräfte" hin, die zur Folge habe, „daß viele Aufgaben, die früher auch im Frieden durch Soldaten wahrgenommen wurden, heute von technisch geschultem Zivilpersonal durchgeführt werden". Daher seien die Streitkräfte „darauf angewiesen, daß dieses Personal vor allem in Spannungszeiten und im Verteidigungsfall zur Verfügung steht". 14 Mit dieser auf den technischen Fortschritt im Truppenbereich abstellenden Erklärung sind die Rechtsberater zunächst offenbar nicht zu erfassen. Auch wurde die Aufgabe der juristischen Beratung der Truppenführer bereits früher keineswegs von Soldaten wahrgenommen, sondern lag, wie gesehen, in Preußen seit dem frühen 18. Jahrhundert in den Händen von Militärbeamten. 15 Letztendlich dürfte es freilich abwegig sein, die Nutzbarmachung der juristischen Kenntnisse der Rechtsberater im Wege des § 49 Abs. 1 WPflG nicht zuzulassen. Die Entwicklung des modernen Armeewesens ist eben nicht nur durch eine fortschreitende Technisierung, sondern gleichermaßen durch eine progredierende Verrechtlichung gekennzeichnet, die — wie diese Untersuchung gezeigt hat — im Falle der bundesrepublikanischen Streitkräfte sogar eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zum Einsatz von Rechtsberatern nach sich zieht. Berücksichtigt man ferner die Auswirkungen, des Art. 82 ZP I, der seit dem 14. August 1991 der Bundesrepublik völkervertragsrechtlich die Bestellung von Rechtsberatern vorschreibt, so wird deutlich, daß die zur juristischen Unterstützung der militärischen Führer abgestellten Dienste nicht minder als das „technisch geschulte Zivilpersonal" zur „Herstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte" im Sinne von § 49 Abs. 1 Satz 1 WPflG beitragen. Diese Auslegung wird durch die Aufzählung von Funktionen bestätigt, die nach damaliger Ansicht der Bundesregierung einen Anwendungsfall des § 49 Abs. 1 WPflG (damals § 47 c) bilden können: Neben „Sicherungs-, Transport-, Bau-, Werkstätten-, Bergungs-, Instandsetzungs-, Sanitäts-, Versorgungs-"-Aufgaben fanden ausdrücklich auch die „Verwaltungsaufgaben" Erwähnung. 16 Rechtsberater können also, sofern sie noch nicht gedient haben, bis zum Ablauf des 60. Lebensjahres erfaßt und gemustert werden. Da sie zum Geschäftsbereich des BMVg gehören, geschieht dies unabhängig von der in § 49 Abs. 2 WPflG 13 BGBl. 1960 Teil I, S. 853-861. 14 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes, BT-Drucks. 3/ 1423, S. 1-31 (22). 15 S. Abschnitt 1.4. Eine Ausnahme bildet der Zeitraum von Juni 1944 bis Mai 1945, als die Wehrmachtrichter „Offiziere desrichterlichen Dienstes im Truppensonderdienst" waren. 16 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes, BT-Drucks. 3/ 1423, S. 1-31 (23).
2. Mob-Beorderung und Verfassung
187
genannten Rechtsverordnung. Auf Grund des Musterungsbescheides ist sodann die Mob-Beorderung zulässig.17 Sie ist entgegen der Meinung von Scherer/ Steinlechner 18 auch bei Mannschaften noch bis zum Ablauf des 60. Lebensjahres möglich; die Einschränkung in § 49 Abs. 1 Satz 3, 2. Hs. WPflG betrifft, wie sich auch aus § 3 Abs. 3 Satz 2 WPflG ergibt, nur den Fall, daß der Wehrpflichtige, ohne daß die Bundesregierung die Feststellung nach Satz 2 trifft, zu einer Einweisungswehrübung einberufen werden soll. 19 Ungediente Rechtsberater, die mit der Verleihung des vorläufigen Stabsoffizier-Dienstgrades gem. § 40 Abs. 2 WTflG einverstanden sind, werden nicht gemustert, sondern gelten als Gediente und unterliegen dem Verfahren zur Prüfung ihrer Verfügbarkeit nach § 23 Abs. 1 WPflG; dies ergibt sich aus der Verweisung in § 40 Abs. 3 WPflG. 2 0 Da alle nach 1937 geborenen Wehrpflichtigen regulär erfaßt und gemustert wurden 21 , verliert die Sondervorschrift des § 49 WPflG mit Ablauf des Jahres 1997 ihre Bedeutung.
2. Vereinbarkeit der Mob-Beorderung der Rechtsberater mit der Verfassung? Im Rahmen dieser Untersuchung ist im einzelnen die Frage geprüft worden, ob das Amt des Rechtsberaters verfassungsrechtlich den Streitkräften (Art. 87 a Abs. 1 GG), der Bundeswehrverwaltung (Art. 87 b Abs. 1 GG) oder gar einem dritten, vom BMVg „Rechtswesen in der Bundeswehr" genannten Organisationsbereich zugeordnet werden muß. Dabei hatte sich herausgestellt, daß die Ansicht des BMVg, der Rechtsberater gehöre zum „Rechtswesen", verfassungsrechtlich nicht haltbar ist. Anhand einer genetischen Auslegung des Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG war sodann nachgewiesen worden, daß die originären Aufgaben der Bundeswehrverwaltung — über das Personalwesen und die unmittelbare Sachbedarfsdeckung hinaus — sämtliche ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge mit unmittelbarem Bezug zu den Streitkräften umfassen. Diese Erkenntnis erlaubte es, den Rechtsberater — entgegen den Verlautbarungen des BMVg — als ein Element der Bundeswehrverwaltung zu qualifizieren. 22 17 Vgl. Hahnenfeld, Günter / Boehm-Tettelbach, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 49 Rn. 1; Scherer, Werner / Steinlechner, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 49 Rn. 7. 18 Scherer, Werner / Steinlechner, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 49 Rn. 7. 19 Lehnt der über 45 Jahre alte und ungediente Rechtsberater also seine Beförderung zum Stabsoffizier gem. § 40 WPflG ab, kann er im Frieden nicht zu einer Einweisungswehrübung herangezogen werden. Nicht verhindern kann er freilich seine Mob-Beorderung. 20 Vgl. Hahnenfeld, Günter / Boehm-Tettelbach, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, §40 Rn. 12. 21 Vgl. Scherer, Werner / Steinlechner, Wolfgang: Wehrpflichtgesetz, § 49 Rn. 4. 22 S. Abschnitt IV.l.b)cc).
188
VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
Im selben Abschnitt hatte eine Überprüfung des verfassungsrechtlichen „Streitkräfte"-Begriffs zu dem Resultat geführt, daß sich die „Streitkräfte" in personeller Hinsicht nur aus den „Soldaten" im statusrechtlichen Sinne (§ 1 Abs. 1 SG) zusammensetzen. Würde nun der Rechtsberater im Verteidigungsfall oder nach Anordnung der Bundesregierung gem. § 6 Abs. 6 WPflG als Soldat (Stabsoffizier oder — mangels Zustimmung zur Beförderung — Mannschaftsdienstgrad bzw. bereits in der „Reserve" erreichter Dienstgrad) einberufen, träte der überraschende Fall ein, daß ein Angehöriger der Bundeswehr kraft Entscheidung des BMVg als des Inhabers der Organisationsgewalt im Verteidigungsbereich von der Bundeswehrverwaltung zu den Streitkräften „wechseln" würde, ohne daß sich materiell etwas an seinem Aufgabenbereich ändern würde. Die Frage liegt auf der Hand, ob ein solcher Statuswechsel innerhalb zweier von der Verfassung sichtbar getrennter Funktionsbereiche zulässig ist.
a) Die Entscheidung der Verfassung für eine zivile, eigenständige Bundeswehrverwaltung (Trennungsprinzip) Diese Frage ist vor allem von Stauf engagiert verneint worden: „Die in der Verfassung angelegte organisatorische Trennung zwischen Streitkräften und Bundeswehrverwaltung", so Staufs lapidare Begründung, „verbietet Aufgaben nach Art. 87 b GG durch die Streitkräfte und umgekehrt Aufgaben nach Art. 87 a GG durch die Bundeswehrverwaltung wahrnehmen zu lassen. Wenn der zivile Status des Rechtsberaters in den eines Rechtsberater-Stabsoffiziers und damit in den eines allen Pflichten und Rechten nach dem Soldatengesetz unterworfenen Soldaten umgewandelt wird, übernimmt ein Soldat Aufgaben, die nach Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 GG der Bundeswehrverwaltung zugewiesen sind. Die Bundeswehrverwaltung ist aber eine nicht militärische, nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen arbeitende zivile Verwaltungsorganisation, deren Aufgaben im Gegensatz zu den rein militärischen Aufgaben, die nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam durchgeführt werden müssen, von speziell ausgebildetem Verwaltungspersonal im Rahmen von Gesetz und Haushalt nach den allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen wahrgenommen werden. Die bisherigen Überlegungen zeigen in aller Deutlichkeit die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Konzeption 23 Rechtsberater-Stabsoffizier." Daß diese Überlegungen Staufs von einem richtigen Ansatz ausgehen, läßt sich schlechterdings nicht bestreiten. Die Trennung der Bundeswehrverwaltung von den Streitkräften sowie ihre — in statusmäßiger Hinsicht — zivile Ausgestaltung, d.h. die Besetzung ihrer Dienstposten nicht mit Soldaten, sondern mit Beamten und Angestellten, war ein vor und während des Gesetzgebungsverfah23
Stauf, Wolfgang: Zum Status des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1982, S. 216-219 (217 f.) (Hervorhebungen durch Verf.).
2. Mob-Beorderung und Verfassung
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rens bei allen beteiligten Parteien und Organen nachweisbares Anliegen. Wenn auch bei der Mehrzahl der Kommentierungen zu Art. 87 b GG das Schwergewicht zu Recht auf die föderative Komponente dieser Bestimmung gelegt wird, die ja bekanntlich eine Abgrenzung der Bundes- von den Länderzuständigkeiten auf dem Gebiet der Verteidigungsverwaltung i.w.S. leisten sollte, so entsprach es doch gleichzeitig dem Wunsch der Bundesregierung wie aller Fraktionen des Bundestages, bei der Neugestaltung dieses Sektors eine deutliche Abkehr von der alten, in die Truppe integrierten Intendanturverwaltung der Wehrmacht zu vollziehen. In seiner Regierungserklärung vom 27. Juni 1955 formulierte der damalige BMVg Blank diese Zielvorgabe wie folgt: „Während die rein militärischen Aufgaben im Interesse der Schlagkraft der Streitkräfte nach dem Befehlsprinzip durchgeführt werden müssen, sind die Verwaltungsaufgaben von speziell ausgebildetem Zivilpersonal nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen zu bewältigen. Infolgedessen werden die Aufgaben der Kommandogewalt und der Verwaltung so zu verteilen und gegeneinander abzugrenzen sein, daß eine klare Trennung der spezifisch militärischen Funktionen von der allgemeinen Verwaltungstätigkeit erzielt wird. . . . Die zivile Verwaltungsorganisation ist hiernach von den eigentlichen Streitkräften zu unterscheiden, hängt aber so eng mit ihnen zusammen, daß die Truppe bei ihrer Herausnahme aus der Verteidigungsorganisation nicht lebens- und funktionsfähig wäre. . . . Mithin wird für die Streitkräfte eine besondere Verteidigungsverwaltung des Bundes als rein zivile Verwaltung zu errichten sein. Ihr Personal wird einen zivilen Status haben. Mischformen in der Rechtsstellung, wie sie bei der früheren Wehrmacht in dem Wehrmachtbeamten gegeben waren, sollen nicht wiederkommen." 24 Diese an Präzision insoweit kaum noch zu übertreffende Absichtserklärung der Bundesregierung bildete den nicht mehr angefochtenen Ausgangspunkt der nachfolgenden parlamentarischen Beratungen in den Ausschüssen wie im Plenum. 25 Die hernach im Verfassungstext tatsächlich vollzogene Trennung der Art. 87 a und Art. 87 b GG war also nicht lediglich ein Nebenprodukt der Notwendigkeit, den monolithischen und nach einmütiger Meinung dem Bund zuzuweisenden Komplex der militärischen Kommandogewalt von dem kompetentiell umstrittenen Bereich der Verteidigungsverwaltung abzugrenzen; vielmehr wäre sie nach den dargestellten Motiven mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dann durchgefühlt worden, wenn man die Verteidigungsverwaltung gleichermaßen in toto auf den Bund übertragen hätte. Eine Außerachtlassung dieser Motive mit der Begründung, sie hätten in der Verfassung nicht den notwendigen objektiven 24
Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wp., 92. Sitzung, S. 5218 (Hervorhebungen durch Verf.). 25 Vgl. die Äußerungen des Ministerialdirigenten Dr. Barth und des Ministerialrats Dr. Cartellieri (beide BMVg) auf der 107. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages am 8. Februar 1956 (Protokoll, S. 6 und 10) sowie die Plenarprotokolle (Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode, 132. Sitzung, S. 6819-6826,68456849).
1 9 0 V I .
Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
Ausdruck gefunden, verbietet sich angesichts der säuberlich durchgeführten Normseparation von selbst. Zwar ist richtig, daß sich aus der Unterscheidung von Art. 87 a und 87 b GG unmittelbar nur das Trennungsprinzip selbst, nicht aber der zivile Charakter der Bundeswehrverwaltung ableiten läßt; auch der Wortlaut des Art. 87 b Abs. 1 GG bietet insoweit keine Handhabe. Dennoch geriete es zu einer sophistischen Übung, die Entscheidung der Verfassung für eine zivile Bundeswehrverwaltung wegen des nicht eindeutigen Wortlauts leugnen zu wollen: Versteht man unter den „Streitkräften" im Sinne von Art. 87 a Abs. 1 GG im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem — wie gezeigt 26 — auch die „Väter" der Wehrverfassung gefolgt sind, die Gesamtheit der Soldaten im statusrechtlichen Sinne, so wäre es ein erstaunlicher und nicht recht nachvollziehbarer Vorgang gewesen, wenn daneben ein in personeller Hinsicht „hohles" Gebilde Bundeswehrverwaltung geschaffen worden wäre, dessen Aufgaben von den in Art. 87 a GG bereits mit der militärischen Landesverteidigung betrauten Streitkräften zusätzlich erledigt werden sollten. Wäre das gemeint gewesen, so wäre ein klarstellender Hinweis der Verfassung wohl unentbehrlich gewesen. In Ermangelung eines solchen spricht eine — normgenetisch belegbare — Vermutung dafür, daß mit der Übertragung der Exekutivkompetenz für die Wehrverwaltung an den Bund auch eine Verpflichtung zur Einstellung entsprechenden, eben nicht mit den Streitkräften identischen Personals verbunden war. Diesen Befund hat Eckart Busch wie folgt zusammengefaßt: „Neben der vorrangigen föderalen Blickrichtung des Art. 87 b GG liegt die Bedeutung dieser Bestimmung weiterhin darin, daß sie die Bundeswehrverwaltung als einen eigenständigen zivilen Verwaltungszweig des Bundes begründet, der nicht in den militärischen Teil der Streitkräfte eingegliedert ist. Damit finden sowohl das Verhältnis von Bund und Ländern als auch die Beziehungen von Kommando und Verwaltung in dieser Bestimmung ihren Schnittpunkt." 27 Einen quasi-axiomatischen Gehalt gewinnt diese Erkenntnis in einem Beschluß des BVerwG, wenn dort ohne nähere Begründung von der,»klaren Trennung des Grundgesetzes in den Kompetenznormen der Art. 87 a und 87 b zwischen der Aufstellung der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung" die Rede ist. 28
26 s. Abschnitt IV.l.b)bb). 27 Busch, Eckart: Wehrverfassung und Föderalismus, NZWehrR 1976, S. 185-193 (187); ebenso Dürig, Günter, in Maunz / Dürig: Grundgesetz, Art. 87 b Rn. 13; Kirchhof, Ferdinand: Bundeswehr, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 977-1006, Rn. 34; Martens, Wolfgang: Grundgesetz und Wehrverfassung, S. 139; Quaritsch, Helmut: Führung und Organisation der Streitkräfte im demokratisch-parlamentarischen Staat, VVDStRL Heft 26 (1968), S. 207-259 (213); Roellecke, Gerd: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, DÖV 1992, S. 200-205 (204 f.); Schwenck, Hans-Günter: Rechtsordnung und Bundeswehr, S. 13; Witte, Franz-Werner: Die rechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, S. 62 ff. 28 BVerwG E 86, S. 166 (169).
2. Mob-Beorderung und Verfassung
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b) Der Beurteilungsspielraum des Inhabers der Organisationsgewalt im Verteidigungsressort bei der Anwendung des Trennungsprinzips Wäre dieses Trennungsprinzip rigoros auf den Rechtsberater anzuwenden, so gelangte man zu dem erstaunlichen Resultat, daß dessen Amt in keinerlei Berührung mit den Streitkräften stehen dürfte: Nicht nur wäre es de constitutione lata untersagt, dem Rechtsberater den status militaris zu verleihen, sondern auch seine unmittelbare dienstliche Unterstellung unter den Kommandeur sowie die enge räumliche Verbindung zwischen beiden müßte Bedenken erwecken. Mehr noch: Angesichts eines solchermaßen strikt verstandenen Verfassungsgebots wäre der Ausweg einer ungeschriebenen Bundeszuständigkeit, etwa kraft Natur der Sache oder als Annexkompetenz, verbaut, da Art. 87 b GG die Militarisierung der Rechtsberatung eben ausdrücklich verbieten würde. Daß Ergebnisse wie dieses befremden, bedarf keiner weiteren Erläuterung. So ist es nicht verwunderlich, daß das Schrifttum, sofern es die Problematik überhaupt behandelt, das Trennungsprinzip auch nicht als absolut ansieht, sondern in gewissen Grenzen Überschneidungen zuläßt. So ist ζ. B. die Verfassungsmäßigkeit der sog. Truppenverwaltung, also desjenigen Teils der Bundeswehrverwaltung, der in die Streitkräfte integriert ist, um dort die Kommandeure und militärischen Dienststellenleiter in allen Verwaltungs- und Fürsorgeangelegenheiten zu beraten und solche Verwaltungsaufgaben zu erledigen, die truppennah ausgeführt werden müssen, praktisch unumstritten 29 ; bereits der frühere BMVg Blank hatte in seiner schon mehrfach zitierten Regierungserklärung vom 27. Juni 1955 geäußert, daß „unmittelbar bei der Truppe anfallende Verwaltungsaufgaben . . . , im Rahmen des militärisch Möglichen, ebenfalls von zivilem Verwaltungspersonal erledigt (werden), das von der Verteidigungsverwaltung zur Truppe abgeordnet wird." 3 0 Zumindest eine räumliche Überwindung des Trennungsprinzips scheint also von Anfang an unter der Voraussetzung, daß die Eigenart der jeweiligen Bundeswehrverwaltungsaufgabe Truppennähe oder sogar Truppenintegration zwingend verlangte, für zulässig gehalten worden zu sein. Da die rechtliche Beratung militärischer Führer — auch und gerade im Verteidigungsfall — ohne den möglichst verzögerungsfreien Zugriff des Kommandeurs auf den Rechtsberater nicht vorstellbar bzw. nicht sinnvoll ist, ergeben sich unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken, soweit der Rechtsberater in enger räumlicher Nähe zu den Streitkräften eingesetzt wird. Ebenso unproblematisch, weil unmittelbarer 29 Vgl. Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 166-168; Reinhart, Rainer: Die Truppenverwaltung, DVB1. 1977, S. 473-479 (478 f.); Roellecke, Gerd: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, DÖV 1992, S. 200-205 (204); Stein, Horst: Verteidigungsfunktion und Grundgesetzordnung, S. 53; a.A. — soweit ersichtlich — nur Steinlechner, Wolfgang: Grundgesetz und Truppenverwaltung, BWV 1970, S. 169-172, 202-205. 30 Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wp., 92. Sitzung, S. 5218; vgl. auch BMVg: Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr —, Nr. 199.
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VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
Ausfluß dieser funktionellen Kohärenz, ist die allgemein-dienstliche Unterstellung des Rechtsberaters unter seinen Kommandeur, die letzterem beispielsweise erlaubt, dem Rechtsberater Weisung zur Beantwortung einer bestimmten Rechtsfrage zu erteilen. Fraglich bleibt aber, ob dem Rechtsberater über die genannten Bindungen an die Streitkräfte hinaus selbst ein militärischer Status verliehen werden darf; immerhin hatte Blank von zivilem Verwaltungspersonal" gesprochen. Soweit in bezug auf ändere Ämter in der Bundeswehr ähnliche Überlegungen angestellt werden, leiden sie vor allem darunter, daß die räumlich-organisatorischen, die dienstrechtlichen und die statusbezogenen Aspekte des Trennungsprinzips im allgemeinen vermischt und eine Durchbrechung des Trennungsprinzips entweder pauschal zugelassen oder aber generell abgelehnt wird. Diese Vorgehensweise ist nicht frei von Bedenken. So mag zwar die räumliche Integration von Teilen der Bundeswehrverwaltung in die Truppe (Truppenverwaltung) und die allgemein-dienstliche Unterstellung ihres Leiters unter den jeweiligen Kommandeur nach den bisherigen Feststellungen von Anfang an „mitgedacht" und daher verfassungsgemäß sein; von diesem positiven Votum ist jedoch nicht automatisch die Verleihung des Soldatenstatus an ihre Angehörigen umfaßt. Ein gewisses Indiz dafür, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber 1956 auch statusmäßige Überschneidungen zwischen den beiden Bereichen nicht ausnahmslos untersagen wollte, bietet eine Bemerkung des späteren BMVg und Bundeskanzlers Helmut Schmidt in der Bundestagsdebatte vom 21. September 1966. Im Verlaufe der Sitzung, die sich mit der sog. Starfighter-Krise befaßte, traf Schmidt folgende, später häufig zitierte Feststellung: „Der Art. 87 b sagt noch nicht einmal, daß die Bundeswehrverwaltung mit Beamten besetzt sein muß. Man kann sie durchaus mit Generalen besetzen, wenn man das wollte. Auch das wäre grundgesetzkonform. " 31 Diese Äußerung darf nicht mißverstanden werden. Keineswegs ist es Schmidt darum gegangen, das Prinzip der zivilen Bundeswehrverwaltung oder gar die vom Grundgesetz vorgenommene Trennung von Streitkräften und Bundeswehrverwaltung in Frage zu stellen; Schmidt ist nicht dafür bekanntgeworden, daß er diese Verfassungsentscheidung jemals abgelehnt hätte. Auch ist sicherlich zu berücksichtigen, daß die zitierte Bemerkung einer politischen Debatte entstammte und ihr rechtlicher Gehalt daher von vornherein mit einer gewissen Distanz betrachtet werden muß. Dennoch bleibt aufschlußreich, daß Schmidt, der 1955/ 56 an den Beratungen des Verteidigungsausschusses über die zweite Wehrnovelle teilgenommen hatte und aus dieser Zeit die Gemengelage divergierender Interessen, die dem Art. 87 b GG sein endgültiges Gepräge gaben, genau kannte, es offensichtlich für unbedenklich hielt, Dienststellen der Bundeswehrverwaltung 3i Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 5. Wp., 57. Sitzung, S. 2822 (D) (Hervorhebungen durch Verf.).
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mit Offizieren zu besetzen. Wollte er nicht einer generellen Aufgabe des Prinzips der zivilen Bundeswehrverwaltung das Wort reden, wovon — wie gesagt — ausgegangen werden kann, so bleibt nur die Deutung, daß Schmidt in dieser Verfassungsentscheidung einen Grundsatz erblickte, von dem in begründeten Einzelfällen Ausnahmen möglich sind. Die Besetzung der Dienststellen der Bundeswehrverwaltung mit Beamten oder Angestellten wäre aus dieser Sicht der verfassungsrechtlich gewollte Regelfall, die Übertragung von Verwaltungsaufgaben an Soldaten aber nicht ausgeschlossen, wenn und soweit bestimmte, im einzelnen noch festzulegende Gründe vorgebracht werden können. In dieser Einschätzung ist Schmidt die Literatur, soweit sie sich gesondert mit den statusmäßigen Auswirkungen des Trennungsprinzips befaßt, gefolgt. So hat Scheuner in einem 1970 der Wehrstrukturkommission der Bundesregierung erstatteten Gutachten zur Frage der Verwendung von Wehrpflichtigen für Verwaltungsaufgaben in den Streitkräften und in der Bundeswehrverwaltung vermerkt: „Das in Art. 87 a und Art. 87 b GG ausgesprochene Prinzip der Trennung von Streitkräften und ziviler Wehrverwaltung ist keine verfassungsrechtliche Regel, die man als ein höheres Verfassungsprinzip ansehen könnte. . . . Die in den beiden Artikeln ausgesprochene Unterscheidung... hat zwar normativen Charakter, aber sie ist, wie Quaritsch (VVDStRL 26, S. 214 f.) ausführt, keine unüberwindliche Hürde." 32 Konkreter, weil die Statusfrage direkt anschneidend, hat sich Reinfried dagegen gewandt, „in dem zivilen Charakter der BWV . . . das zentrale Kriterium dieser Verwaltung ,neuen Typs' (zu) erblicken, wenn auch die zivile Ausprägung der BWV zu einem neuen Selbstverständnis der Wehrverwaltung geführt hat". 33 Nicht zuletzt die Bundesregierung hat zweimal ihre Ansicht kundgetan, daß Truppe und Verwaltung keine unüberbrückbaren Gegensätze sind: Zu erinnern ist an den — allerdings nie parlamentarisch verabschiedeten — „Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsstellung der zu Offizieren im Verwaltungsdienst der Truppe ernannten Beamten der Bundeswehr". 34 Dieser wies den in der Truppenverwaltung beschäftigten Bundeswehr-Angehörigen sogar in Friedenszeiten den Soldatenstatus zu, wobei die Begründung lautete:"Der Verwaltungsbeamte, der untrennbar mit der Truppe verbundene Verwaltungsaufgaben bearbeitet, muß als Soldat in die militärische Kommandogewalt eingefügt
32 Zitiert bei Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 49. Der Hinweis Scheuners auf Quaritsch geht freilich fehl: Zwar hält dieser tatsächlich „die mit Art. 87 b GG verbundenen Erwägungen über den Unterschied von Verwaltung und Armee (für) zu schwach artikuliert..., um aus ihnen eine verfassungsrechtliche Maxime ableiten zu können". Die „verfassungsrechtliche Maxime", deren Existenz Quaritsch an dieser Stelle seines Berichtes erörtert, ist indessen nicht der unbedingte Geltungsanspruch des Trennungsprinzips, sondern der Verwaltungscharakter der Streitkräfte. 33 Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 55. Freilich gesteht Reinfried an anderer Stelle ein, daß die Statusfrage „nicht problemlos ist und einer endgültigen Lösung noch harrt" (aaO, S. 161). 34 BT-Drucks. 3/1186. 13 Baganz
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werden." 35 Auch der 1962 von der Bundesregierung beschlossene, aus politischen Gründen aber gescheiterte „Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsstellung der als Soldaten im Verwaltungs- und Versorgungsdienst der Bundeswehr verwendeten Beamten der Bundeswehr (Bundeswehrbeamtengesetz)" 36 ging davon aus, daß Wehrverwaltungstätigkeit und Truppenzugehörigkeit keine sich gegenseitig ausschließenden Merkmale sind. 37 In der Tat läßt sich einer rigiden statusmäßigen Abgrenzung der Bundeswehrverwaltung von den Streitkräften in dem Sinne, daß Verwaltungsaufgaben ausnahmslos von Beamten und Angestellten und militärische Aufgaben ebenso ausnahmslos von Soldaten wahrzunehmen seien, kaum das Wort reden. Eine sölche Forderung, würde sie gestellt, scheiterte bereits an der Unmöglichkeit, beide Funktionsbereiche lückenlos voneinander abzuschichten. Zu eindeutig hat sich in der Praxis der vergangenen Jahrzehnte erwiesen, daß die von Blank proklamierte „klare Trennung der spezifisch militärischen Funktionen von der allgemeinen Verwaltungstätigkeit" nur in Annäherungswerten, nicht aber absolut zu erreichen ist. So gibt es eine Vielzahl von Mischzonen, die enge Bezüge zu beiden Bereichen erkennen lassen und eine exakte Bestimmung ihres Charakters (militärisches Kommando oder Bundeswehrverwaltung) von vornherein nicht erlauben. Als Beispiel seien hier verschiedene, im Einsatzfall zu erledigende Tätigkeiten genannt, die der einschlägige Erlaß des BMVg dem Verwaltungsdezernenten, also dem Beamten der Truppenverwaltung, zugewiesen hat, deren sachgemäße Wahrnehmung aber so unmittelbare Auswirkungen auf die Kampfkraft der Truppe hat, daß man mit nicht weniger Berechtigung auch von typisch militärischem Handeln sprechen könnte: „Ausnutzung der Hilfsquellen im Operationsgebiet in Zusammenarbeit mit den zivilen Dienststellen, Heranziehung privater und öffentlicher Einrichtungen für Zwecke der Truppe, Heranziehung der Bewohner des Operationsgebietes zu persönlichen Dienstleistungen" u.s.w. 3 8 Der Zusammenhang mit dem militärischen Auftrag der Truppe ist hier so eng,
35 BT-Drucks. 3/1186, S. 5. 36 BR-Drucks. 359/62. 37 Reinfried schildert die Gründe für das Scheitern des zweiten Entwurfs wie folgt: „Die Bedenken vieler Seiten einschließlich derjenigen der Beamtenseite erwiesen sich als unüberwindbar. Der in dem Entwurf vorgesehene Doppelstatus brachte neben eindeutigen Regelungen über den Offiziersrang der Beamten des höheren und gehobenen Dienstes auch mannigfache statusrechtliche Schwierigkeiten, z.B. eine doppelte disziplinarrechtliche Unterstellung und Friktionen im Versorgungsrecht. Auch der Bundeswehrverband und später die militärischen Abteilungen verwarfen den Gesetzentwurf, weil er einer Vielzahl von Beamten, die keinen Militärdienst aufzuweisen hatten, im Verteidigungsfall den Offizierstatus gebracht hätte." (Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 164). Vgl. auch Reinhart, Rainer: Die Truppenverwaltung, DVB1. 1977, S. 473-479 (476). Nach Mitteilung von Moritz wurden die Pläne zur Statusumwandlung „ab 1971 nicht weiter verfolgt" (Rechtsberater in den Streitkräften, NZWehrR 1976, S. 239-250 [243, Fn. 20]). 38 VMB1. 1958, S. 306.
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daß die Grenze zwischen einer „noch" verwaltungsmäßigen und einer „schon" militärischen Tätigkeit verschwimmt. Dies gilt nicht minder für die gesetzlichen Pflichten des „Beauftragten für den Haushalt" gem. § 9 BHO, der auch in militärischen Dienststellen zu bestellen ist und dem „die Aufstellung der Unterlagen für die Finanzplanung und der Unterlagen für den Entwurf des Haushaltsplans (Voranschläge) sowie die Ausführung des Haushaltsplans" obliegen: Die Bewirtschaftung der Einnahmen und Ausgaben eines Truppenteils berührt direkt dessen Fähigkeit zur Wahrnehmung seines Auftrags, was sogar dazu Veranlassung gegeben hat, den Haushalt als ein militärisches „Führungsmittel" zu qualifizieren. 39 Dennoch hat sich der BMVg dafür entschieden, den jeweiligen Leiter der Truppenverwaltung als Haushaltsbeauftragten zu bestellen.40 Zu erinnern ist ferner an die vielfältigen Aufgaben der Logistik, die zwar als Sachbedarfsdeckung zu den typischen Wehrverwaltungsgeschäften gehört (Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG), von einem bestimmten, nur im Einzelfall zu bestimmenden Punkt in der Verteilungskette an aber notwendigerweise von den Streitkräften übernommen werden muß. Vollends fragwürdig wird die Unterscheidung, betrachtet man die Fülle von Militärpersonalangelegenheiten, die täglich in den Einheiten und Verbänden anfallen: Ist die Erteilung von Urlaub an einen Wehrpflichtigen „Verwaltungssache" oder—wegen der Reduzierung der Personalstärke des Truppenteils während seiner Abwesenheit — eine militäradministrative Angelegenheit? Die Zahl der Beispiele ließe sich fast beliebig vermehren. 41 Sie belegen die Existenz von Mischzonen 42 zwischen den Streitkräften und der Bundeswehrverwaltung, in denen die jeweils wahrzunehmende Aufgabe dauerhaft so eng mit beiden Bereichen verzahnt ist, daß ihre begriffliche Zuordnung zu dem einen oder anderen Bereich praktisch unmöglich ist oder doch an Willkür grenzen würde 43 ; Kirchhof spricht zutreffend davon, daß sich die Tätigkeitsbereiche „überlappen". 44 Wenn das aber der Fall ist, dann — so könnte das Zwischenergebnis 39 Vgl. Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 153; Reinhart, Rainer: Die Truppenverwaltung, DVB1. 1977, S. 473-479 (474). 40 VMB1. 1957, S. 600, 765. 41 Vgl. Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 152 ff.; Reinhart, Rainer: Die Truppenverwaltung, DVB1. 1977, S. 473-479 (474). 42 Dehnert nennt als typische Mischzonen „die Gebiete des Personalwesens, der Rüstungsbeschaffung, der Haushaltsbewirtschaftung und auch der Verwaltung und des Rechts, soweit die durchzuführenden Aufgaben mit dem Dienst der Truppe und ihrem Auftrag, dem Erreichen und der Erhaltung größtmöglicher Einsatzbereitschaft, in unmittelbarem Zusammenhang stehen." (Grundgesetz und Truppenverwaltung, BWVerw 1970, S. 244-250). 43 Wenn Stein beispielsweise die Ansicht vertritt, die Beamten der Truppenverwaltung seien zwar „statusrechtlich Beamte der Bundeswehrverwaltung", sie erfüllten aber „als Teil der Truppe originär militärische Aufgaben" (Verteidigungsfunktion und Grundgesetzordnung, S. 132), so ist das in dieser Allgemeinheit genauso wenig richtig wie die umgekehrte Version, der Truppenverwaltung oblägen ausschließlich Verwaltungsaufgaben. Die „Ambivalenz der Truppenverwaltung" beschreibt eingehend Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 157 ff. 13'
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lauten — muß es dem Inhaber der Organisationsgewalt überlassen sein, in diesen Mischzonen den Status der jeweiligen Amtsinhaber zu bestimmen; die festgestellte Verfassungsentscheidung für eine zivile Bundeswehrverwaltung wäre erst dann berührt, wenn Ämter der Bundeswehrverwaltung auch außerhalb der Mischzonen in nicht unerheblichem Umfang mit Soldaten besetzt würden, so daß von einem Regel (Zivilist) — Ausnahme (Soldat) — Verhältnis nicht mehr die Rede sein könnte. Unter der Voraussetzung, daß das Amt des Rechtsberaters einer Mischzone angehört, wären dann gegen ihre Mob-Beorderung gem. § 23 Abs. 1 bzw. § 49 Abs. 1 WPflG keine Einwände zu erheben. Zuvor bleibt freilich noch die Frage zu beantworten, ob nicht die Verfassung zu der soeben als in den Mischzonen problematisch erkannten Differenzierung von Militär- und Verwaltungssektor förmlich zwingt. Wäre dem so, so müßte für jede Dienststelle in der Bundeswehr eine u. U. äußerst schwierige Prüfung angestellt werden, ob sie dem einen oder dem anderen Sektor zuzurechnen ist. Diese Meinung ist — soweit ersichtlich: nur — von Steinlechner vertreten worden. Steinlechner erblickt in Art. 87 b Abs. 1 GG die entscheidende Grundgesetzbestimmung, deren Funktion es u. a. sei, „eine saubere Grenze zwischen Verwaltung und Truppe zu ziehen". Dies bedeute, „daß die Bundeswehrverwaltung aus keinem denkbaren Grund Aufgaben und Verantwortung für dieses Ziel (sc. die Deckung des Truppenbedarfs, der Verf.) an die Truppe delegieren darf. Die Bundeswehrverwaltung muß vielmehr selbst den Weg suchen und verfolgen, der sie — im allgemeinen wie im Einzelfall — am leichtesten und wirtschaftlichsten zu ihrem Ziel, den Personal- und Sachbedarf der Truppe zu decken, führt. Es ist ihr nicht erlaubt, den Weg durch jemand anderen, wie die Truppe, suchen zu lassen." 45 Diese Ausführungen Steinlechners verfehlen das eigentliche Problem, das — wie gezeigt — in der praktischen Unmöglichkeit einer sauberen Abtrennung liegt, und sind daher in keiner Weise geeignet, das eben gefundene Zwischenergebnis in Frage zu stellen. 46 Zugegebenermaßen ist es ein verständlicher und sogar naheliegender Ansatz, den Maßstab für die Abgrenzung der Bundeswehrverwaltung von den Streitkräften aus Art. 87 b Abs. 1, namentlich aus dessen Satz 2, gewinnen zu wollen; diesem Ansatz sind durchaus auch andere, so etwa Reinfried 47, gefolgt. Die entscheidende Frage lautet aber, welchen Beitrag zu diesem Problem Art. 87 b Abs. 1 GG überhaupt leisten will. Sicherlich beabsichtigt die Norm eine quasi-definitorische Abgrenzung der Bundeswehrverwaltung 44
Vgl. Kirchhof Ferdinand: Bundeswehr, in Isensee / Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, S. 977-1006, Rn. 34; ihm folgend Lerche, Peter: Verfassungsfragen der Bundeswehrverwaltung, in: Das akzeptierte Grundgesetz, S. 401-410 (403). 45 Steinlechner, Wolf gang: Grundgesetz und Truppen V e r w a l t u n g , BWVerw 1970, S. 169-172, 202-205 (170) (Hervorhebungen durch Verf.). Ablehnend auch Dehnert, Hans: Grundgesetz und Truppen V e r w a l t u n g , BWVerw 1970, S. 244-250. 47 Vgl. Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 43 ff.
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von den Länderverwaltungen; insofern ist sie — sieht man von der entstehungsgeschichtlich belegten Ausnahme der ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge ab 48 — restriktiv zu interpretieren. Sucht man hingegen nach Hinweisen darauf, daß seinerzeit mit Satz 2 auch eine „saubere" Abschichtung der Bundeswehrverwaltung gegenüber den Streitkräften bewältigt werden sollte, wird man nicht fündig. Diese Fragestellung hat in den Ausschüssen keine Rolle gespielt. Hätte es tatsächlich Bestrebungen gegeben, die in Art. 87 b Abs. 1 GG genannten Sachgebiete exklusiv der Bundeswehrverwaltung zu reservieren, so wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl im Rechts- als auch im Verteidigungsausschuß die Frage aufgeworfen — und wohl verneint — worden, ob es denn in der Praxis gelingen könne, die Truppe tatsächlich von sämtlichen Aufgaben des „Personalwesens", also auch von der Bearbeitung der routinemäßigen Militärpersonalangelegenheiten (Beförderung, Urlaub u. s. w.), sowie der Sachbedarfsdeckung fernzuhalten. Aus dem Umstand, daß dies nicht geschehen ist, wird man schlußfolgern müssen, daß der Verfassungsgeber mit den in Art. 87 b Abs. 1 GG aufgezählten Sachgebieten zwar eine möglichst deutliche Trennlinie im Bund-Länder-Verhältnis ziehen, keineswegs aber damit auch unumstößliche Maßstäbe für die Abgrenzung der zivilen Wehrverwaltung von den Streitkräften vorgeben wollte. Insofern wird man dieser Grundgesetzbestimmung kaum mehr als eine Direktive entnehmen können, daß Personalwesen, Sachbedarfsdeckung sowie — bei Ermächtigung durch zustimmungsbedürftige Bundesgesetze — auch Beschädigtenversorgung, Bauwesen und Eingriffsverwaltung schwerpunktmäßig von der Bundeswehrverwaltung zu erledigen sind, was die Möglichkeit einer Übertragung auf die Streitkräfte bei Vorliegen sachlich rechtfertigender Gründe (Mischzonen) impliziert. 49 Dies wiederum bestätigt die Erkenntnis, daß die Statusfestlegung und damit mittelbar auch die Bestimmung der jeweiligen Aufgabenkreise von Streitkräften und Bundeswehrverwaltung in dem Umfang dem Inhaber der Organisationsgewalt im Verteidigungsressort zufallen, wie nicht eine dieser beiden großen Säulen der Bundeswehr in ihrem Kernbestand betroffen ist. Der Begriff des „Kernbestandes" darf hier freilich nicht im Sinne eines „unerläßlichen Minimalbestandes" verstanden werden, sondern umfaßt diejenige personelle und sachliche Substanz, deren funktionelle Zuordnung zu einer der beiden Säulen eindeutig ist. Erst wenn in den so definierten Kernbestand eingegriffen wird, beispielsweise also Dienststellen der territorialen 50 , d.h. nicht notwendigerweise 48 S. Abschnitt IV.l.b)cc). 49 Ähnlich Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 53 („Vorrangigkeit", „Recht ersten Zugriffs"). Die denkbare Extremposition, daß auch eine vollständige Übertragung der in Art. 87 b Abs. 1 GG aufgezählten Sachgebiete auf die Streitkräfte nicht zu beanstanden sei, solange nur der Bundeswehrverwaltung Ersatzkompetenzen zugewiesen werden, ist angesichts des Wortlauts der Norm allerdings nicht haltbar. Auch die von Reinfried / Steinebach angenommene „Willkürgrenze" (Die Bundeswehrverwaltung, S. 53) entspricht nicht der Verfassung, worauf Lerche richtig hinweist (Verfassungsfragen der Bundeswehrverwaltung, in: Das akzeptierte Grundgesetz, S. 401 -410 [403]). so Zur territorialen Bundeswehrverwaltung vgl. BMVg: Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 194-198.
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in die Mischzone einzuordnenden Bundeswehrverwaltung in nicht unerheblichem Umfang mit Soldaten besetzt werden, wäre die Verfassungsentscheidung für die zivile Bundeswehrverwaltung in einer Weise verletzt, die nicht mehr durch den beschriebenen Beurteilungsspielraum gedeckt wäre. 51 Diese Auslegung des Trennungsprinzips befindet sich in voller Kongruenz mit der bereits getroffenen Feststellung, daß der verfassungsrechtliche „Streitkräfte"-Begriff mit der Gesamtheit der Soldaten im statusrechtlichen Sinne identisch ist. 52 Diese anhand der Normgenese des Art. 96 Abs. 2 GG entwickelte Interpretation des Art. 87 a Abs. 1 GG ist nämlich nur dann denkbar, wenn die Verfassung tatsächlich den Willen hat, die Statusbestimmung im Einzelfall den zuständigen Organen zu überlassen. Dies ist, wie gesehen, grundsätzlich der Fall. Erst dann, wenn die Statusfestlegungen des zuständigen Organs dazu führen, daß eine der beiden Säulen ohne rechtfertigenden Grund (Mischzonen) personell verringert und in ihrer Substanz angegriffen wird, sind die Grenzen dieser Verfassungsermächtigung überschritten und schlägt die primär formelle Sichtweise der Art. 87 a und 87 b GG in eine materielle, der Erhaltung der jeweiligen Teilgewalt dienende Perspektive um. Schließlich hält diese Lösung auch einem Vergleich mit dem allgemeinen Gewaltenteilungsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG stand.53 Die dort vorgeschriebene Trennung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung liefert nach allgemeiner Meinung nur eine Richtlinie, von der Abweichungen durchaus zulässig sind, solange nicht der absolut geschützte Kernbereich der jeweiligen Staatsgewalt verletzt wird. 5 4 Zieht man ins Kalkül, daß sowohl die Streitkräfte als auch die Bundeswehrverwaltung Teile der vollziehenden Gewalt sind 55 , wäre es nur schwer einzusehen, wenn die Abgrenzung dieser beiden Teilfunktionen strenger durchgeführt werden müßte als die Trennung der drei übergreifenden Staatsgewalten. An dieser Stelle ist dem Urteil Reinfrieds zuzustimmen, daß, „wäre eine grundlegende Trennung fundamentaler und unabänderlicher Art als Verfassungsprinzip beabsichtigt gewesen", dies durch eine klare Formulierung hätte festgelegt werden müssen.56 Bei Zugrundelegung der vorstehenden Überlegungen ergeben sich für das Amt des Rechtsberaters folgende Konsequenzen: 51 Die pauschale Äußerung Schmidts, man könne Dienststellen der Bundeswehrverwaltung verfassungskonform mit Generalen besetzen, wenn man das wolle (s. Fn. 31), ist also in dieser Allgemeinheit nicht haltbar. 52 S. Abschnitt IV.l.b)bb). 53 Reinfried lehnt diesen Vergleich allerdings ab (Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 52). 54 Vgl. BVerfG E 34, S. 52 (59); Herzog, Roman, in Maunz/Dürig: Grundgesetz, Art. 20, V., Rn. 10 f. 55 S. Abschnitt IV.2. 56 Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 49 (Hervorhebung durch Reinfried).
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Eine eindeutige inhaltliche Zuordnung des Amtes zu einer der beiden Teilgewalten, also den Streitkräften oder der Bundeswehrverwaltung, ist nicht möglich. Einerseits ist die dem Rechtsberater gestellte Aufgabe sicherlich nicht genuin militärischer Natur, da er im allgemeinen lediglich die Übereinstimmung militärischen Handelns mit abstrakten Rechtssätzen überprüft und daher keinen aktiven, „weiterführenden" Beitrag zur Erfüllung des Verteidigungsauftrags leistet; bei Abschaffung des Amtes erlitte die Truppe keine Einbuße an Effizienz. 57 Andererseits entspricht die juristische Beratung von Truppenführern aber auch nicht dem von Art. 87 b Abs. 1 GG geprägten Bild einer eigenständigen, von den Streitkräften separierten Wehrverwaltung. Bereits bei der Untersuchung des Standortes der Rechtsberater in der Wehrverfassung war die Ansicht des ehemaligen Staatssekretärs im BMVg, Hiehle, referiert worden, wonach der Organisationsbereich „Rechtswesen in der Bundeswehr" im allgemeinen und der Rechtsberater im besonderen eben keine typischen Verwaltungsaufgaben im Sinne einer „Daseinsvorsorge der Streitkräfte" erfüllten, sondern vielmehr der Truppe „unmittelbare Führungshilfen zur Verfügung" stellten; sie wirkten „unter gebundener Anwendung von Rechtsnormen mehr personenbezogen". 58 Daraus hatte Hiehle zwar die erwiesenermaßen falsche Quintessenz gezogen, das Amt des Rechtsberaters gehöre verfassungsrechtlich nicht der Bundeswehrverwaltung an, sondern einem eigenständigen Organisationsbereich „Rechtspflege in der Bundeswehr"; in der Substanz richtig war aber die Erkenntnis, daß der Rechtsberater — insofern der Truppenverwaltung durchaus gleichend — innerhalb einer Mischzone wirkt, in der die direkte Kooperation mit den Streitkräften funktionsbedingt und dauerhaft in einer solchen Intensität stattfindet, daß sich von einer reinen, d. h. typischerweise von den Streitkräften abgekoppelten und abkoppelbaren Verwaltungsaufgabe nicht mehr sprechen läßt. Das spiegelt sich sichtbar in der ständigen engen räumlichen Verbindung der Rechtsberater zu den Truppenführern, ihrem unmittelbaren Zugangsrecht zum Kommandeur sowie — im Einsatzfall — in ihrer Unterbringung im rückwärtigen Gefechtsstand 59 und damit im Operationsgebiet. Gerade im Verteidigungsfall, wenn sich der Rechtsberater verstärkt völkerrechtlichen Fragestellungen zuzuwenden hat, zeigt sich ein weiteres Argument für den Mischcharakter der Rechtsberatung: Während Gegenstand typischen Wehrverwaltungshandelns meist ein zwar streitkräftebezogener, jedoch vom eigentlichen 57 Der scheinbare Einwand, bei dieser Argumentation gehörten auch andere „passive" Verbände, so etwa das Heeresmusikkorps, nicht zwingend zu den Streitkräften, entpuppt sich daher in Wirklichkeit als eine logische Konsequenz des hier vertretenen Verhältnisses von Art. 87 a und 87 b GG: In der Tat gäbe es aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken, die Musiktruppen der Bundeswehr mit Zivilisten zu besetzen, da der zur Wahrnehmung des Verteidigungsauftrags benötigte Kernbestand der Streitkräfte dadurch nicht betroffen wäre. Daß der BMVg dies mit Blick auf traditionelle Gewohnheiten anders entschieden hat, steht auf einem anderen Blatt. 58 Hiehle, Joachim: Streitkräfte, Wehrverwaltung, Militärseelsorge und Rechtspflege in Deutschland, BWVerw 1979, S. 281-285 (285). 59 Vgl. HDv 100/200 Nr. 246. S. auch Abschnitt ΠΙ.3.
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Kampfgeschehen mehr oder weniger weit entfernter Versorgungs-, Nachschuboder sonstiger Unterstützungsauftrag ist, richtet sich das Augenmerk des völkerrechtlich prüfenden Rechtsberaters gerade auf das Zentrum der militärischen Aktion und damit auf den Mittelpunkt der den Streitkräften in Art. 87 a Abs. 2 GG aufgegebenen Verteidigungsfunktion. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied, der die besondere Kohärenz zwischen Rechtsberater und Truppe und damit seine Zugehörigkeit zu dem hier als „Mischzone" bezeichneten Sektor illustriert. In diesem Bereich fällt es nach dem zuvor Gesagten dem Inhaber der Organisationsgewalt zu, den Status des jeweiligen Bundeswehrpersonals zu bestimmen. Das bedeutet, daß verfassungsrechtlich keine Einwände bestehen, wenn der BMVg — vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gesetzgebers60 — die im Frieden als Beamte eingesetzten Rechtsberater für den Verteidigungsfall bzw. den Bereitschaftsdienst gem. § 6 Abs. 6 WPflG als Soldaten einberuft. 61 Zwar sind die Rechtsberater nicht die einzigen Beamten, die mob-beordert sind; vielmehr haben auch sämtliche Truppenverwaltungsbeamte entsprechende Bescheide erhalten. 62 Angesichts einer Zahl von ca. 6.000 Truppenverwaltungsangehörigen, in der aber auch die Angestellten und Arbeiter enthalten sind und die einer Gesamtstärke der Bundeswehrverwaltung von ca. 99.000 gegenübersteht 63, läßt sich freilich nicht sagen, daß der BMVg durch seine Statusentscheidungen den Kernbestand der durch Art. 87 b Abs. 1 GG institutionell garantierten Wehrverwaltung angegriffen hat.
c) Rechtsberatung und Befehlsprinzip? Einem letzten Bedenken gegen die Mob-Beorderung der Rechtsberater gilt es Rechnung zu tragen: Kann es tatsächlich der Wille der Verfassung sein, daß eine Aufgabe wie die Rechtsberatung militärischer Führer, die ihrem Wesen nach eine gewisse gedankliche Freiheit unabdingbar voraussetzt und deren optimale Wahrnehmung häufig die Auseinandersetzung mit kontroversen Ansichten geradezu voraussetzt, von einem dem Befehlsprinzip unterworfenen Soldaten wahrgenommen wird? Verlangt eine solche Funktion, die sogar nach dem materiellen 60 s. Abschnitt IV.3. 61 So auch Eichen, Klaus Dieter / Walz, Dieter: Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts, NZWehrR 1988, S. 146-156, 195-213 (211): „Die oft gestellte Frage, ob der Rechtsberater der Bundeswehr zivilen oder militärischen Status haben muß, ob er Kombattant oder Nichtkombattant ist, . . . unterliegt der Disposition des deutschen Gesetzgebers bzw. der Bundesregierung." 62 Vgl. den Erlaß des BMVg über die „Teilnahme von Beamten, Richtern und Arbeitnehmern im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung an Übungen der Streitkräfte — Neufassung —" v. 12.12.1988 — VR I 2 — Az 24-04-04 (VMB1. 1989, S. 29-31). 63 Quelle: BMVg: Weißbuch 1985 — Zur Lage und Entwicklung der Bundeswehr, Nr. 193, 521. In der Zahl 6000 sind auch noch die Angehörigen der Krankenhausverwaltungen sowie die der Abteilungen Verwaltung bei den Kommandobehörden enthalten.
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Verfassungsrecht geboten ist, nicht vielmehr umgekehrt ein Maß an Objektivität, das sich mit den Eigenarten des militärischen Befehls, insbesondere der aus ihm erwachsenden Gehorsamspflicht, nicht verträgt? Und ergibt sich unter diesem Gesichtspunkt nicht doch eine Rechtspflicht des Inhabers der Organisationsgewalt, auch in den ambivalenten Mischzonen eine Tätigkeit dann einem Angehörigen der Bundeswehrverwaltung — und damit einem Zivilisten — zuzuweisen, wenn ihre sachgerechte Erledigung einen dem Soldaten typischerweise nicht zukommenden Handlungsspielraum voraussetzt? Um mit Reinfried zu sprechen: „Bleibt Verwaltung noch, was Verwaltung ist, wenn sie im Soldatenstatus ausgeübt wird?" 6 4 Auf die durchaus unterschiedliche Rechtslage, wenn der Rechtsberater statt als Beamter als Stabsoffizier 65 eingesetzt wird, ist im einzelnen bereits hingewiesen worden. 66 Als Soldat unterliegt der Rechtsberater dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Er würde für die Richtigkeit seiner Rechtsauskünfte, sofern sie ihm befohlen würden, nicht mehr die volle persönliche Verantwortung des Beamten (§ 56 Abs. 1 BBG) tragen, sondern nur noch das Risiko, einen Befehl zu befolgen, durch dessen Ausführung eine Straftat begangen wird (§11 Abs. 2 SG). 67 In der Tat sind diese Unterschiede bei der Etablierung einer eigenständigen Bundeswehrverwaltung in einem allgemeinen, also vom Amt des Rechtsberaters losgelösten Sinne deutlich gesehen worden und haben eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. So lag der schon mehrfach zitierten Regierungserklärung Blanks vom 27. Juni 1955, die die regierungsseitigen Motive bei der Einbringung der zweiten Wehrnovelle mit großer Präzision wiedergibt, ausdrücklich das Konzept einer spezialisierten, „nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen" arbeitenden Wehrverwaltung zugrunde. 68 Mit den „allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen" konnte Blank sinnvollerweise nur den Gegensatz zum Befehlsprinzip gemeint haben69, was wiederum die Vermutung nahelegt, daß die Bundesregierung die Gehorsamspflicht als ein der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben nicht angemessenes, weil nicht sachgerechtes Führungsinstrument ansah.
64 Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 163. Reinfried geht an dieser Stelle ersichtlich von der Überzeugung aus, daß mit den Art. 87 a und 87 b GG fest umrissene und abgegrenzte Aufgabenbereiche vorgegeben seien, die allerdings in zwingenden Einzelfällen auch der „anderen" Teilgewalt übertragen werden dürfen. Demgegenüber hat diese Untersuchung hervorgehoben, daß schon die jeweiligen Aufgabenbereiche nicht lückenlos gegeneinander abgegrenzt sind. 65 Oder mit einem sonstigen Dienstgrad, wenn er der Zuerkennung eines Stabsoffizierdienstgrades nicht zugestimmt hat; s. Abschnitt VI.l.a). 66 S. Abschnitt V.l.a)bb), 2.c)cc). 67 Der bereits erwähnte, nie parlamentarisch verabschiedete „Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsstellung der als Soldaten im Verwaltungs- und Versorgungsdienst der Bundeswehr verwendeten Beamten der Bundeswehr (Bundeswehrbeamtengesetz)" (BRDrucks. 359/62) sah in seinem § 4 eine dem § 56 BBG sehr ähnliche Regelung vor. 68 Stenogr. Berichte des Deutschen Bundestages, 2. Wp., 92. Sitzung, S. 5218. 69 So auch Reinfried, Hubert: Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung, S. 50.
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VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
Die Blank'sehen Grundlinien sind, was ebenfalls schon festgestellt worden ist, ohne Abstriche von den gesetzgebenden Organen gebilligt worden und folglich bei der Auslegung der Art. 87 a und 87 b GG zu berücksichtigen. Demnach ließe sich die These vertreten, zumindest in den Fällen, in denen der Zweck einer konkreten Funktionsstelle der Bundeswehr bei ihrer Besetzung mit befehlsunterworfenen Soldaten nicht erreichbar oder zumindest gefährdet sei, könne eine Übertragung dieser Aufgabe auf die Streitkräfte nicht in Betracht kommen 70 ; erst recht müsse dies gelten, wenn die entsprechende Funktion — wie im Falle der Rechtsberatung — verfassungsrechtlich vorgeschrieben sei. In diesem Sinne hat z.B. Steinlechner die Unterstellung der Truppenverwaltungsbeamten unter den Kommandeur des jeweiligen Truppenteils kritisiert: Von der — allerdings falschen — Prämisse ausgehend, daß diese Beamten von ihren soldatischen Vorgesetzten ,3efehle" erhielten, sieht er ein Risiko, daß Beschaffungen nicht nach wirtschaftlichen Maßstäben erfolgten bzw. „weit über den Rahmen des Sofortbedarfs für die Truppe — der in engen Grenzen durch die Truppenverwaltung beschafft werden kann — hinausgehen".71 Die These klingt auf den ersten Blick plausibel. Andererseits drängt sich die Frage auf, ob nicht die Leistungskraft eines Verfassungssatzes überschätzt wird, wenn „Sachgerechtigkeit" und „Zweckadäquanz" zu Anknüpfungspunkten für eine angeblich im Grundgesetz vorgeschriebene Differenzierung gemacht werden. Wenn schon die Verfassung, wie gesehen, außerstande ist, eine saubere materielle Trennlinie zwischen Streitkräften und Bundeswehrverwaltung zu ziehen und stattdessen — bis zur Grenze des Kernbereichsschutzes — dem Inhaber der Organisationsgewalt die Bestimmung der Normbereiche überlassen muß, so wäre es nicht recht einleuchtend, wenn letzterer innerhalb dieses Beurteilungsspielraumes dann doch wieder verfassungsrechtlichen Restriktionen unterworfen wäre. Die Existenz von Mischzonen, in denen die jeweils wahrgenommenen Funktionen trotz ihres verwaltungsmäßigen Grundcharakters weit in den Sektor der militärischen Kommandogewalt hineinreichen, ist nicht hinwegzudiskutieren und wird auch von den Art. 87 a und 87 b GG, wie gesehen, nicht geleugnet. Mangels erkennbarer und justitiabler Maßstäbe muß die Entscheidung, in welchem Status die jeweilige Aufgabe „sachgerechter" oder „zieladäquater" durchzuführen ist, dem zuständigen Organ zufallen. Eine Kontrolle kommt nur dann in Betracht, wenn subjektive Rechte des durch die konkrete Entscheidung jeweils Betroffenen verletzt werden, beispielsweise das Recht auf Gleichbehandlung.72 70 Umgekehrt ließe sich dann auch postulieren, eine Aufgabe dürfe dann nicht der Bundeswehrverwaltung zugewiesen werden, wenn die effektive Erfüllung des Verteidigungsauftrags ihre möglichst verzögerungsfreie und nicht durch Remonstrationsverfahren behinderte Wahrnehmung verlange. 71 Vgl. Steinlechner, Wolfgang: Grundgesetz und Truppenverwaltung, BWVerw 1970, S. 169-172, 202-205 (171). 7 2 So würde es einen Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Willkürverbot darstellen, wenn der BMVg ohne sachlichen Grund einzelne Beamte aus den Mischzonen mob-beordern würde und es im übrigen bei der „zivilistischen Lösung" beließe.
2. Mob-Beorderung und Verfassung
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Verallgemeinernd läßt sich sagen, daß „offene" Normen, wie sie Art. 87 a und 87 b GG insoweit darstellen, in hohem Maße auf die Zuerkennung von Entscheidungskompetenzen angewiesen sind. Im übrigen dürfte mit der These Steinlechners auch der Unterschied zwischen Befehls- und Weisungsprinzip überzeichnet sein. Bekanntlich trifft es keineswegs zu, daß ein soldatischer Befehl stets blinden Gehorsam erheischt, während die einem Beamten erteilte Weisung nach dessen Belieben vollzogen oder mißachtet wird. Auch der Beamte muß Weisungen grundsätzlich sofort nachkommen; erst wenn er Zweifel an deren Rechtmäßigkeit (nicht: Zweckmäßigkeit) hat, hat er das in § 56 Abs. 2 BBG vorgesehene Remonstrationsverfahren zu durchlaufen. Wird die Weisung letztlich bestätigt, steht sie einem gleichlautenden Befehl im Verbindlichkeitsgrad nicht mehr nach (§ 56 Abs. 2 Satz 3 BBG). Das bedeutet im Ergebnis, daß die von Steinlechner befürchteten Defizite des militärischen Befehls, insbesondere die Vernachlässigung von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, auch im Weisungsverfahren durchaus auftreten können. Die einzig erkennbaren Unterschiede, nämlich die aus der Durchführung des Remonstrationsverfahrens resultierende zeitliche Verzögerung sowie die Strafbarkeit des Ungehorsams (§19 WStG), vermögen Verfassungspflichten des Inhabers der Organisationsgewalt bei der Statusfestlegung nicht zu tragen. Es bestehen daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken, den Status der Rechtsberater im Wege der Mob-Beorderung zu ändern. Freilich löst die Vorstellung, daß der Rechtsberater (Stabsoffizier) von höheren nicht-fachlichen, d. h. juristisch nicht ausgebildeten Vorgesetzten fachliche Befehle erhalten könnte, Irritationen aus, da auf diese Weise die Wirkung der aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip erschlossenen sachverständigen juristischen Beratung der Truppenführer verfehlt zu werden droht. Das ist jedoch kein Grund, den Soldatenstatus der Rechtsberater als verfassungswidrig abzulehnen. Mit der Institution des „Fachdienstes" hat der Verordnungsgeber in § 1 Abs. 2 VorgV eine Möglichkeit geschaffen, den fachlich verwendeten Soldaten aus der normalerweise allumfassenden Befehlszuständigkeit seiner unmittelbaren Vorgesetzten herauszulösen und ihn in fachlicher Hinsicht seinen „Fachvorgesetzten" zu unterstellen. Diese Sperre des § 1 Abs. 2 VorgV wirkt zwar nicht absolut, wie die Untersuchung des Fachdienstverhältnisses ergeben hat; jedoch dürften Mehrfachverletzungen dieser Vorschrift die Ausnahme sein und für den seine Befehlsbefugnis überschreitenden unmittelbaren Vorgesetzten die Gefahr einer disziplinarischen Verfolgung mit sich bringen. Ist folglich dem Gesetzgeber zu empfehlen, in dem nach hier vertretener Ansicht erforderlichen Organisationsgesetz für die Rechtsberatung in der Bundeswehr das Bestehen eines „Fachdienstes" im Sinne von § 1 Abs. 2 VorgV ausdrücklich festzulegen 73, so sollte diese Maßnahme durch 73 So ausdrücklich auch Fleck, Dieter: Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 (Jan. 1973), S. 5462 (59). Vgl. ferner zum System der „doppelten Unterstellung" de Preux in Sandoz/
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VI. Der Statuswechsel des Rechtsberaters im Verteidigungsfall
eine Änderung des § 23 Abs. 3 WDO flankiert werden, nach der disziplinarische Verstöße der Rechtsberater gegen ihre Beratungspflichten nur durch Fachvorgesetzte geahndet werden können.
Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3361.
V I I . Rechtsberater und Art. 82 Z P I In dem zu beobachtenden Prozeß progredierender Verrechtlichung internationaler bewaffneter Konflikte konnte es nicht ausbleiben, daß auch das Völkerrecht dem Rechtsberater zunehmend Aufmerksamkeit zuwandte. Ergebnis des nicht zuletzt von deutscher Seite getragenen Engagements auf diesem Sektor war Art. 82 ZP I, der sich mit der Implementierung von Rechtsberatern in die Truppe befaßt. Im Zusammenhang mit der Darstellung der Rechtsgrundlagen der Rechtsberatung war bereits die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, die als Bestandteil des gesamten Vertragswerks (ZP I und ZP II) am 14. August 1991 für die Bundesrepublik in Kraft getreten ist, wiedergegeben worden. 1 Im folgenden soll eine Auslegung von Art. 82 ZP I versucht werden. Dabei wird nicht zuletzt zu erweisen sein, ob die Auffassung der Bundesregierung, „die in Art. 82 geforderte Beratung (sei) bereits jetzt in der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang gewährleistet" 2, zutrifft.
1. Verpflichtung zur Bestellung von Rechtsberatern? Nicht ganz unproblematisch zu beantworten ist bereits die Frage, ob Art. 82 ZP I tatsächlich eine Rechtspflicht der Vertragsstaaten zur Bestellung von Rechtsberatern stipuliert, oder ob dies in ihr — wenn auch möglicherweise beschränktes — Ermessen gestellt ist. Wie bereits erläutert, war die Vorschrift einem „mehrstufigen Verwässerungsprozeß" unterworfen worden, der u. a. zur Folge hatte, daß statt des im zweiten IKRK-Entwurf (1973) vorgesehenen Wortlauts „The High Contracting Parties shall employ in their armed forces . . . legal advisers . . . " 3 nur die abgeschwächte Fassung „The High Contracting Parties at all times, . . . shall ensure that legal advisers are available, when necessary, . . . " Eingang in den Vertragstext gefunden hat. 4 Diese vor allem von Brasilien beeinflußte Entwicklung hat Partsch augenscheinlich veranlaßt, in Art. 82 ZP I eine „bloße Anregung" zu sehen, von der die Vertragsstaaten je nach ihrem Gutdünken Gebrauch machen können.5 Mit ι S. Abschnitt II.2. Entwurf eines Gesetzes zu den Zusatzprotokollen I und II zu den Genfer RotkreuzAbkommen von 1949, BT-Drucks. 11/6770, S. 116. 3 ICRC: Draft Additional Protocols 1973, Art. 71. 4 Im folgenden wird der englische Text des Abkommens verwendet, da der deutsche Wortlaut, wie sich aus Art. 102 ZP I ergibt, nicht verbindlich ist. 2
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VII. Rechtsberater und Art. 82 ZP I
dieser Ansicht hat er jedoch keine Gefolgschaft gefunden. So hat sich de Preux eindeutig für einen obligatorischen Charakter des Artikels ausgesprochen: „Que les conditions d'utilisation ou de disponibilité de ces conseillers soient réglées en termes particulièrement souples . . . ne change rien au fait que la création de postes de conseillers juridiques est obligatoire." 6 Auch Partsch selber hatte zwei Jahre zuvor noch den gegenteiligen Standpunkt vertreten: „The mandatory character of the provision is maintained . . . " . 7 Der Ansicht von de Preux ist zuzustimmen. Die namentlich von Brasilien forcierten Modifikationen des zweiten IKRK-Entwurfs haben zwar in der Tat spürbare Einschränkungen bewirkt, den per se obligatorischen Gehalt der Norm jedoch nicht auszulöschen vermocht: Wer für etwas „Sorge tragen" 8 muß — das englische „shall ensure" ist eher noch stärker —, kann sich vielleicht auf eine gewisse Übergangszeit berufen, die er zur Durchführung der avisierten Maßnahme benötigt; nach Ablauf dieser Frist jedoch muß der Erfolg eingetreten sein, will sich der Vertragsstaat nicht dem Vorwurf aussetzen, eine ihm tatsächlich unmögliche Verpflichtung eingegangen zu sein. Insofern wird zu differenzieren sein zwischen Vertragsstaaten, für die die dauerhafte Bestellung von Rechtsberatern aus finanziellen oder organisatorischen Gründen oder aus Mangel an geeignetem Personal mit gravierenden Schwierigkeiten verbunden ist, und solchen Staaten, bei denen dies nicht der Fall ist oder die sogar schon über Rechtsberater verfügen: Während für letztere — etwa für die Bundesrepublik Deutschland — der obligatorische Gehalt des Art. 82 ZP I zeitgleich mit Vertragsbeitritt seine volle Wirksamkeit entfaltet, wird man erstgenannten Staaten zubilligen müssen, daß sie für den Aufbau der erforderlichen Organisation einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen dürfen. Dieser kann freilich auf keinen Fall fünf Jahre überschreiten, da ansonsten ein erhebliches Mißverhältnis zur Verpflichtung der zweiten Zielgruppe des Art. 82 ZP I, nämlich den „am Konflikt beteiligten Parteien", entstünde: Wenn diesen immerhin zugemutet wird, in Zeiten eines möglicherweise nur wenige Monate dauernden bewaffneten Konflikts für die Verfügbarkeit von Rechtsberatern Sorge zu tragen, wäre es nur schwer einzusehen, wenn jenen für die Durchführung der gleichen Maßnahme mehr als fünf Jahre zugestanden würden.
5 Vgl. Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (196). 6 De Preux, Jean in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3344. 7 Partsch, Karl Josef, in Bothe / Partsch / Soif: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.6. s Vgl. den Wortlaut der amtlichen deutschen Übersetzung des ZP I (BGBl. 1990 Teil II, S. 1551-1636).
2. Qualifikation
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2. Qualifikation Der im Jahre 1973 vom IKRK vorgelegte zweite Entwurf verlor auch in anderer Hinsicht während der Beratungen der Diplomatischen Konferenz an Profil: Hatte es dort noch geheißen, es seien „qualifizierte" Rechtsberater zu beschäftigen 9, so findet sich dieses Merkmal in der beschlossenen Endfassung nicht mehr wieder. „Offensichtlich werden gewisse Staaten Schwierigkeiten haben", so mutmaßte Draper 1979, „solche Rechtsberater auszubilden und Personen zu finden, die das geforderte moralische und intellektuelle Format besitzen." Es sei „leicht zu verstehen, daß die Regierungen ihre Pflichten in diesem Bereich vermindern und einschränken" wollten; der Rechtsberater werde aus Gründen der Personaleinsparung „ein vielseitiger Stabsoffizier und Vorzugs-, aber nicht notwendigerweise ein qualifizierter Jurist sein". 10 Ohne Zweifel ist der erwähnten Entstehungsgeschichte in der Weise Tribut zu zollen, daß tint förmliche Qualifikation von den Rechtsberatern völkerrechtlich nicht verlangt werden kann. Indessen wäre es evident falsch anzunehmen, daß die in Art. 82 ZP I angeordnete Beratung auch von solchen Personen übernommen werden könnte, denen jegliche Kenntnisse der Genfer Konventionen und des ZP I fehlen: Ohne das für das Beratungsverhältnis typische Kompetenzgefälle kann sicherlich der Zweck einer Beratungseinrichtung nicht erreicht werden. 11 Richtig dürfte also sein, mit de Preux eine — wenn auch informelle — Ausbildung des Rechtsberaters auf den in Art. 82 ZP I genannten Rechtsgebieten zu fordern: „ I I y a donc obligation, pour les Parties au Protocole, de veiller à ce que ces conseillers juridiques, qui peuvent fort bien être choisis parmi les juristes experts en droit militaire dont disposent toutes les armées, reçoivent unc formation correspondante ."12 Eine in diesem Sinne angemessene Ausbildung der als Rechtsberater vorgesehenen Personen kann und muß auch von solchen Vertragsstaaten geleistet werden, die — aus ihrer Sicht verständlich — die Notwendigkeit einer fachlichen Qualifikation mit Erfolg bekämpft haben. Die Rechtsberater der Bundesrepublik Deutschland müssen nach Nr. I Abs. 1 der VorlDienstAnw die Befähigung zum Richteramt haben, was insoweit über die Maßgabe des Art. 82 ZP I hinausgeht. Andererseits sind mit dieser Qualifikation nach dem gegenwärtigen Ausbildungsmodus nicht automatisch Kenntnisse des humanitären Völkerrechts verbunden, so daß eine auf die Genfer Konventio9 ICRC : Draft Additional Protocols 1973, Art. 71. 10 Draper , G. I. A. D.: Die Rolle der Rechtsberater bei den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXX, Nr. 2 (März 1979), S. 18-23 (23), Nr. 3 (Mai 1979), 34-40 (34). n Zu dem für Beratungsverhältnisse typischen Merkmal des „Kompetenzgefälles" s. Abschnitt V. 12 De Preux, Jean in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3344; ebenso Partsch, Karl Josef, in Bothe / Partsch / Solf: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.7.
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VII. Rechtsberater und Art. 82 ZP I
nen und das ZP I bezogene obligatorische Zusatzausbildung unverzichtbar sein dürfte. Dies ist in der Bundeswehr z.Zt. noch nicht in ausreichendem Umfang gewährleistet.
3. Auf welchen Kommandoebenen müssen Rechtsberatungs-Dienststellen eingerichtet werden? Zu der Frage, auf welcher Kommandoebene die Dienststellen für die von Art. 82 ZP I geforderten Rechtsberater eingerichtet werden müssen, äußert sich die Vorschrift bei genauerem Hinsehen nicht explizit. Die auf den ersten Blick einschlägige Formel „at the appropriate level" bezieht sich auf die „military Commanders" und beantwortet damit nur die Frage, wer zwingend Objekt der Beratung zu sein hat; eine Aussage über die Organisation der Rechtsberatung ist damit nicht getroffen. Scheinbar konsequent vertritt daher Partsch die Ansicht, diese Entscheidung sei „eindeutig den Vertragsstaaten überlassen". 13 Damit dürfte aber der Regelungsgehalt der Norm nicht ausgeschöpft sein. Um den Beratungsbedarf der militärischen Führer auf allen „zuständigen Befehlsebenen" 14 nicht zuletzt im Einsatzfall rasch und zuverlässig zu decken, kann es nicht genügen, ein zentrales Büro für die Rechtsberatung der Streitkräfte — etwa im Verteidigungsministerium — einzurichten. Damit hätte der Vertragsstaat seine Verpflichtung aus Art. 82 ZP I noch nicht erfüllt, da die Beratung im Ernstfall häufig eben nicht „bei Bedarf verfügbar" 15 wäre. Der Zweck der Vorschrift erfordert vielmehr in gewissem Umfang eine Dezentralisierung der Rechtsberatung: Entsprechende Dienststellen sind bis hinunter zu solchen Kommandobehörden vorzusehen, die auch für die niedrigsten, mit Disziplinargewalt ausgestatteten Truppenführer noch möglichst verzögerungsfrei zu kontaktieren sind. Unter Würdigung dieser Umstände hat de Preux vorgeschlagen, die Rechtsberater organisatorisch ab Divisionsebene aufwärts anzusiedeln, sie aber im Wege der Abordnung ggfs. auch auf unteren Befehlsebenen, etwa im Regiment, einzusetzen: „ A ce titre, il ne paraîtrait pas déraisonnable de prévoir, ne serait-ce que par délégation des conseillers juridiques rattachés à la division, la présence de ces conseillers jusqu'à un échelon relativement rapproché des exécutants eux-mêmes, par exemple le régiment." 16 Ob Art. 82 ZP I tatsäch!3 Partsch, Karl Josef, in Bothe / Partsch / Soif: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.8. (Übersetzung durch Verf.); ebenso Bothe, Michael / Ipsen, Knut / Partsch, Karl Josef: Die Genfer Konferenz über humanitäres Völkerrecht — Verlauf und Ergebnisse, ZaöRV Bd. 38 (1978), S. 1-84 (56). Amtliche Übersetzung von „appropriate level". 15 Amtliche Übersetzung von „available, when necessary". 16 De Preux, Jean in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3349.
4. Aufgaben
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lieh eine physische Präsenz von Rechtsberatern auf Regimentsebene im Sinne von de Preux anordnet, mag im Lichte der im allgemeinen eher zurückhaltenden Aussagen der Vorschrift zweifelhaft sein. Zustimmung verdient aber die auch von Partsch 17 vertretene Auffassung, wonach die Division diejenige Kommandoebene sei, von der an Rechtsberatungs-Dienststellen dauerhaft eingerichtet sein müssen. Auf dieser Stufe sind das Bedürfnis nach einer effektiven Beratung auch untergeordneter Verbände und die Zielsetzung vieler Staaten der Dritten Welt, durch strenge organisatorische Festlegungen möglichst wenig belastet zu werden, am besten in Einklang zu bringen.
4. Aufgaben Nach Art. 82 ZP I obliegt den Rechtsberatern die Beratung militärischer Führer auf folgenden Gebieten: „ . . . the application of the Conventions and this Protocol and . . . the appropriate instruction to be given to the armed forces on this subject". 18 Diese Festlegung der Beratungsbandbreite war während der Konferenzen ebenso mannigfachen Modifikationen unterworfen wie die Fragen der Qualifikation und des obligatorischen Gehalts der Vorschrift. Der von den deutschen Vertretern 1972 auf der Konferenz der Regierungssachverständigen vorgelegte Entwurf hatte noch vorgesehen, daß der Rechtsberater die verantwortlichen militärischen Befehlshaber über die Anwendung des humanitären Völkerrechts in seiner Gesamtheit zu beraten sowie diese bei der Überwachung des völkerrechtlichen Unterrichts der Truppe zu unterstützen habe.19 Der IKRK-Entwurf von 1973 20 schränkte diese Befugnisse zwar insoweit ein, als er — entsprechend der jetzt gültigen Fassung — nur noch die Genfer Konventionen und das ZP I zu Beratungsgegenständen erklärte; andererseits wertete er die ursprünglich von der deutschen Delegation vorgeschlagene bloße Unterstützungsfunktion bei der Unterrichtsüberwachung zu einer eigenständigen Verantwortung auf ( „ . . . who shall ensure that appropriate instruction be given to the armed forces"). 21 Im Verlaufe der Konferenz einigte man sich bedauerlicherweise hinsichtlich beider Tätigkeitsfelder auf die Minimallösung. So blieb es bei der vom IKRK 17
Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (197). !8 Die amtliche deutsche Übersetzung lautet: „ . . . Anwendung der Abkommen und dieses Protokolls sowie der geeigneten Unterweisungen, . . . die den Streitkräften auf diesem Gebiet zu erteilen sind". 19 S. Abschnitt II.2. 20 S. Abschnitt II.2. 21 Vgl. Bothe, Michael /Partsch, Karl Josef /Solf, Waldemar Α.: New Rules for Victims of Armed Conflicts, Art. 82, 2.9. 14 Baganz
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VII. Rechtsberater und Art. 82 ZP I
initiierten Beschränkung der beratungsrelevanten Rechtsgebiete auf die Genfer Konventionen und das ZP I, und die vom IKRK angeregte eigenständige Verantwortlichkeit der Rechtsberater für die Unterrichtung der Streitkräfte wurde wieder auf die ursprüngliche Unterstützungsfunktion zurückgeschnitten. Nach Mitteilung von Bothe/Ipsen /Partsch ist dies auf „Souveränitäts Vorstellungen" der teilnehmenden Staaten zurückzuführen. 22 Durch Nr. IV. 1 .a) der VorlDienstAnw, wonach der Rechtsberater den Kommandeur „insbesondere" auf den Gebieten des Völkerrechts und des Wehrrechts zu beraten hat, und mit Nr. IV.3., wo ihm die Beratung und Unterstützung des Kommandeurs „bei der Überwachung der planmäßigen Unterrichtung der Truppe in allen einschlägigen Rechtsgebieten, insbesondere dem Völkerrecht und dem Wehrrecht", übertragen wird, trägt die Bundesrepublik den genannten Anforderungen Rechnung.
5. Status Der Status des Rechtsberaters, also die Frage, ob er Zivilist oder Soldat sein soll, wird von Art. 82 ZP I nicht geregelt. „Die oft gestellte Frage, ob der Rechtsberater der Bundeswehr zivilen oder militärischen Status haben muß, ob er Kombattant oder Nichtkombattant ist, beantwortet sich nicht aus Art. 82, sondern unterliegt der Disposition des deutschen Gesetzgebers bzw. der Bundesregierung." 23 Letztere hat, soweit die Abgrenzung von Art. 87 a und Art. 87 b GG betroffen ist, in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von diesem Beurteilungsspielraum Gebrauch gemacht.24
6. Standort des Rechtsberaters im Frieden und im Einsatzfall Mit der Formulierung „available when necessary" 25 äußert sich Art. 82 ZP I nur sehr vage zu der Positionierung des Rechtsberaters im militärischen Gefüge. Sicherlich unzulässig wäre freilich eine Unterbringung, die den militärischen Führern den Zugriff auf den für sie zuständigen Rechtsberater praktisch unmöglich machen oder doch in einer Weise erschweren würde, daß die Verfügbarkeit 22 Vgl. Bothe, Michael / Ipsen, Knut / Partsch, Karl Josef: Die Genfer Konferenz über humanitäres Völkerrecht — Verlauf und Ergebnisse, ZaöRV Bd. 38 (1978), S. 1 - 84 (56). 23 So richtig Eichen, Klaus Dieter / Walz, Dieter: Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts, NZWehrR 1988, S. 146-156, 195-213 (211). Die Vor- und Nachteile einer Zivilisten- / Soldatenlösung faßt de Preux zusammen (in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3363-3366). Vgl. auch Fleck, Dieter: Die Verwendung von Rechtsberatern und Rechtslehrern in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXIV, Nr. 1 (Jan. 1973), S. 54-62 (58). 24 S. Abschnitt VI.2. 25 Amtliche deutsche Übersetzung: „bei Bedarf verfügbar".
7. Obligatorische Einschaltung?
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des Rechtsrats im Normalfall nicht mehr gewährleistet wäre. Andererseits ist der Bewertung Drapers zuzustimmen, Art. 82 ZP I lasse „zu Recht ziemlich viel Spielraum, was die Präsenz solcher Berater betrifft"; es werde von der Kampfsituation und der Art der unternommenen Operationen abhängen, ob die Rechtsberater an der Front oder in der Etappe eingesetzt würden. 26 Innerhalb dieser beiden Eckpunkte dürfte es der jeweiligen nationalen Streitkräfteführung überlassen sein, den Standort der Rechtsberater festzulegen. Mit der Entscheidung der Heeresführung, den Rechtsberater im rückwärtigen Gefechtsstand und damit im Operationsgebiet unterzubringen, hat die Bundesrepublik den Anforderungen des Art. 82 ZP I auf jeden Fall Genüge getan.27
7. Obligatorische Einschaltung? Lebhaft umstritten ist die Frage, ob der Rechtsberater in den militärischen Entscheidungsprozeß obligatorisch einzuschalten ist. Dov Shefi vertritt die Ansicht, Art. 82 ZP I reflektiere die,»klassische Konzeption, wonach der Rechtsberater nur beraten sollte, wenn er gefragt ist und nur so weit wie nötig". 28Umgekehrt sieht es Draper. „Aus Artikel 82 geht implizite hervor, daß die Kommandanten diese Berater über die Anwendung der Abkommen und des Protokolls befragen sollten." 29 Auch Partsch hält die Kommandeure für verpflichtet, „sich über die Rechtslage zu unterrichten, wenn sie selbst handeln, z.B. Befehle geben". 30 Die Lösung dürfte auf der völkerrechtlichen Ebene nicht anders aussehen als im innerstaatlichen deutschen Recht. Diesbezüglich hatte diese Untersuchung ergeben, daß das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der vollziehenden Gewalt die Beteiligung juristischen Sachverstands bei Entscheidungsprozessen auf Truppenführerebene immer dann fordert, wenn der jeweilige Sachverhalt von seinem rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeitsgrad her die in militärischen Verbänden routinemäßig vorkommenden Ereignisse nicht unerheblich übersteigt. 31 Dies gilt auch für den Rechtsberater im Sinne von Art. 82 ZP I, läßt sich aber weniger 26 Vgl. Draper, G. I. A. D.: Die Rolle der Rechtsberater in den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXX, Nr. 2 (März 1979), S. 18-23, Nr. 3 (Mai 1979), S. 34-40 (40). 27 Kritisch aber Lingens, der eine völkerrechtlich zwingende Zugehörigkeit zum Hauptgefechtsstand behauptet (Nochmals zur Stellung des Rechtsberaters im Verteidigungsfall, NZWehrR 1986, S. 153-155 (155). Daß die Unterbringung im rückwärtigen Gefechtsstand unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich ist, wurde bereits dargelegt (Abschnitt IV.2.e)cc)(l)) 28 Shefi, Dov: The Status of the Legal Adviser to the Armed Forces: His Functions and Powers, RevDrPénalMil 1983 (3-4), S. 259-276 (267) (Übersetzung durch Verf.). 29 Draper, G. I. A. D.: Die Rolle der Rechtsberater bei den Streitkräften, RevICR, Beilage, Bd. XXX, Nr. 2 (März 1979), S. 18-23, Nr. 3 (Mai 1979), S. 34-40 (38). 30 Partsch, Karl Josef: Rechtsberater in den Streitkräften — Ein neuer juristischer Beruf?, in Etudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge, en l'honneur de Jean Pictet, S. 193-200 (195). 31 S. Abschnitt IV.2.e)cc)(2). 14*
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VII. Rechtsberater und Art. 82 ZP I
aus dieser Vorschrift selbst entnehmen — sie regelt unmittelbar nur, daß es Rechtsberater geben muß —, sondern ist vielmehr die Konsequenz aus Art. 87 ZP I, der von den militärischen Führern verlangt, daß sie Verstöße ihrer Untergebenen gegen die Genfer Abkommen und das ZP I verhindern. 32 Diese Vorschrift impliziert, daß der Truppenführer sich auch selbst über die Rechtslage zu unterrichten hat, wenn er Befehle erteilt. Dies wird regelmäßig nur über den Rechtsberater geschehen können. 33 Eine wie immer geartete Bindungswirkung solcher Rechtsempfehlungen kann aus Art. 82 ZP I freilich nicht herausgelesen werden; insofern greifen die gleichen Bedenken durch, die sich bei der Erörterung dieser Frage im nationalen deutschen Recht ergeben haben.34 De Preux hat sie wie folgt formuliert: „II fallait éviter de mettre en cause la validité de l'ordre du supérieur chaque fois que le conseiller juridique n'aurait pas été consulté, voire éviter de mettre en cause toute la hiérarchie militaire." 35 Auch unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten bestätigt sich damit die hier vertretene These, daß Rechtsberater nicht nur zwingend einzusetzen, sondern von einem bestimmten Komplexitätsgrad an auch obligatorisch einzuschalten sind.
32 S. auch Abschnitt IV.2.a)cc). 33 So auch Parks, Hays: The Law of War Adviser, RevDrPénalMil 1979, Bd. XVIII4, S. 357-417 (376). 34 S. Abschnitt V.l.b). 35 De Preux, Jean in Sandoz / Swinarski / Zimmermann: Commentaire des Protocoles Additionnels du 8 juin 1977 aux Conventions de Genève du 12 août 1949, Art. 82 Rn. 3346.
V i l i . Rechtsberatung der Streitkräfte i m internationalen Vergleich — Ein Überblick Im Verlaufe dieser Untersuchung ist wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Verwendung von Rechtsberatern in den Streitkräften eine in vielen Staaten der Welt zu beobachtende Praxis ist. Unzweifelhaft ist dies in erheblichem Maße auf die inzwischen weit verbreitete Geltung des Art. 82 ZP I zurückzuführen. Doch auch lange vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung hatte der Einsatz juristisch geschulten Personals in zahlreichen Armeen Europas und Amerikas bereits Tradition. Der nachfolgende Überblick über die Situation in acht mittleren bis großen Staaten soll die unterschiedlichen Standards bei der Realisierung dieser Idee verdeutlichen und gleichzeitig zeigen, daß die Überzeugung von der Notwendigkeit der Rechtsberatung — von wenigen Ausnahmen abgesehen — mittlerweile ein Allgemeingut genannt werden kann.
1. Großbritannien Eine traditionelle und altbewährte Einrichtung stellen die Rechtsberater in den britischen Streitkräften dar, wobei hier, wie in vielen Staaten, das Militärgerichtsverfahren im Vordergrund ihrer Tätigkeit steht.1 Noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vereinte das „Judge Advocate General's Department" richterliche und anklagende Funktionen unter einem Dach. Im Jahre 1948 trennten sich dann die mit der Anklageerhebung beauftragten uniformierten Juristen von dieser Behörde und bildeten eine eigene Abteilung der Armee, die „Army Legal Services". Dreißig Jahre später erhielt diese Abteilung sogar den vollen Status eines eigenständigen Korps („Army Legal Corps"), dem 1989 immerhin 57 Offiziere (ein Generalmajor, zwei Brigadegenerale, vier Obristen, 13 Oberstleutnante, 15 Majore und insgesamt 22 Hauptleute und Oberleutnante) unter der Leitung eines Direktors angehörten. Die britischen Rechtsoffiziere sind den Divisions- und Distriktskommandeuren ab dem Range eines Generalmajors zugeordnet. Zu ihrem Aufgabenkreis zählt die Beratung des Kommandeurs auf den Gebieten des nationalen Wehr-, besonders des Disziplinarrechts und des internationalen Kriegsrechts; aber auch die 1 Die nachfolgenden Informationen wurden einem Schreiben des britischen Verteidigungsministeriums an den Verf. vom 19.12.1991 (Az. D/ALS/35/5/1) sowie dem Artikel „Kontaktaufnahme zwischen britischen und deutschen Militärjuristen" von Hubertus Graf Hoensbroech (NZWehrR 1989, S. 193-199) entnommen.
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VIII. Internationaler Vergleich
einfachen Soldaten können bei privaten Rechtsproblemen den Rat des „legal adviser" einholen. Hinzu kommen die Unterweisung der Truppe auf den genannten Rechtsgebieten sowie die Tätigkeit in Militärgerichts-, auch Militärstrafverfahren. Nicht zuletzt bringen die britischen Rechtsoffiziere ihren Sachverstand im Gesetzgebungsverfahren, soweit sie militärische Angelegenheiten betreffen, ein. Das britische Rechtsberatungssystem für die Streitkräfte beruht auf ministerieller Anordnung. Es zwingt den Kommandeur nicht zur Einholung des Rates seines Rechtsoffiziers, geht aber davon aus, daß erforderlichenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird.
2. Vereinigte Staaten von Amerika Auch die USA setzen seit Jahrzehnten Rechtsberater (,judge advocates") in ihrer Armee ein, wiewohl sie — ähnlich wie Großbritannien — eine entsprechende völkervertragliche Verpflichtung durch Ratifizierung des ZP I bis zum heutigen Tag nicht eingegangen sind. 2 Die Rechtsberater stehen allen Kommandeuren in den Streitkräften ab Brigadeebene aufwärts zur Verfügung. Es handelt sich durchweg um Offiziere ab dem Dienstgrad eines Hauptmanns, die den Kommandeur in dienstlichen Rechtsangelegenheiten unterstützen sowie — allgemein gesprochen — sämtliche Funktionen erfüllen, die mit Rechtsanwendungsfragen verbunden sind. Dazu gehören die Erstellung von Gesetzes- und Vertragsentwürfen, die Prozeßführung in Zivilund Strafverfahren, die Verhandlung von Arbeitsverträgen sowie die Vorbereitung von Steuererstattungen. Von großem Gewicht ist die Unterrichtung der Offiziere und Soldaten, aber auch junger Rechtsberater in nationalem und internationalem Militärrecht. 3 Ranghöchster Militärjurist ist der „Judge Advocate General". Ob der Kommandeur den Rat seines Juristen zwingend einzuholen hat, hängt von der jeweils intendierten Maßnahme ab. So kann er zwar die Einberufung eines Kriegsgerichts ohne die vorherige Konsultation des judge advocate anordnen; hat er sich freilich für dessen Einberufung entschieden, ist er verpflichtet, sich über den Gang des Verfahrens und dessen rechtliche Ausgestaltung im einzelnen bei seinem Rechtsberater zu erkundigen. Außer den Kommandobehörden sind auch andere militärische Einrichtungen („installations") mit eigenen Rechtsabteilungen ausgestattet („legal staffs"). Bei 2 Die nachfolgenden Informationen entstammen einem Schreiben des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums an den Verf. (Department of the Army, Office of the Judge Advocate General, Office of the Executive, v. 15.1.1992). 3 Auch deutsche Rechtsberater besuchen gelegentlich Kurse an der , Judge Advocate General's School" in Charlottesville, Virginia.
3. Kanada
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den hier tätigen Rechtsberatern handelt es sich sowohl um Offiziere als auch um Zivilisten, deren Aufgabenkreis sich prinzipiell nicht von dem ihrer Kollegen bei den Kommandobehörden unterscheidet. Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der US-amerikanischen Militäijuristen ist ein Gesetz, zu dessen Ausfüllung entsprechende Verwaltungsvorschriften ergangen sind.
3. Kanada Kanada ist Vertragsstaat des ZP I, hat gleichwohl aber schon lange vor dessen Ratifikation ein Rechtsberatungssystem für seine Streitkräfte eingerichtet. 4 Rechtsgrundlage dieses Systems ist der „National Defence Act", dessen Kapitel N-5, Abschnitte 9 und 10 vorschreiben: „9. Der Ratsgouverneur ernennt einen Barrister oder Rechtsanwalt mit einer Zulassungsdauer von nicht weniger als zehn Jahren zum Generalmilitäranwalt der kanadischen Streitkräfte. 10. Der Minister kann die Ausübung der Befugnisse des Generalmilitäranwalts sowie die Wahrnehmung seiner Pflichten und Aufgaben auf andere Personen übertragen." 5 Die in Ausfüllung dieser Grundnorm erlassenen Verwaltungsvorschriften („Queen's Regulation and Order 4.08" und „Canadian Forces Administrative Order 4-1") sehen vor, daß Rechtsoffiziere im Nationalen Verteidigungshauptquartier in Ottawa sowie — als Beauftragte des Generalmilitäranwalts — in verschiedenen Regionen des Landes tätig werden. Letztere sind vor allem mit der juristischen Beratung ihres Kommandeurs, dem sie auch allgemein-dienstlich unterstellt sind, der Unterrichtung der Truppe auf den Gebieten des nationalen und internationalen Militärrechts und der Wahrnehmung bestimmter Funktionen im Militärgerichtsverfahren betraut. Der im baden-württembergischen Lahr stationierte „Senior Legal Adviser Europe" ist darüberhinaus für die Rechtsberatung der kanadischen Vertreter im NATO-Hauptquartier in Brüssel verantwortlich, soweit spezifisch Fragen des Europa-Aufenthalts der kanadischen Truppen betroffen sind, und berät auch im Rahmen von UN-Einsätzen außerhalb Kanadas und Europas operierende kanadische Verbände. So wurden die kanadischen Streitkräfte während des irakisch-alliierten Golfkrieges von insgesamt fünf Rechtsberatern betreut, obwohl die entsprechende völkervertragliche Verpflichtung des ZP I für Kanada erst ab dem 20. Mai 1991 bestand.
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Die nachfolgenden Informationen sind einem Schreiben des kanadischen Verteidigungsministeriums an den Verf. entnommen (Department of National Defence, Office of the Judge Advocate General, v. 17.1.1992, Az. 1456-1 D Law/A-2). 5 Übersetzung durch Verf.
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VIII. Internationaler Vergleich
4. Frankreich Frankreich verfügt nach Angaben des französischen Verteidigungsministeriums über keine Rechtsberater. 6 Eine völkerrechtliche Verpflichtung besteht nicht, da Frankreich nur das ZP II, nicht aber das ZP I ratifiziert hat.
5. Schweden Schweden, das bereits im Jahre 1979 als elfte Nation das ZP I ratifiziert hat, hat die Vorbereitungen für einen protokollgerechten Einsatz von Rechtsberatern abgeschlossen.7 Die Regierungsweisung 1986:1029, in deren Folge die Rechtsberatungs-Organisation aufgebaut wurde, ist mit Wirkung zum 1. März 1990 durch die Abschnitte 27 bis 32 der Regierungsweisung 1990:12 vom 18. Januar 1990 abgelöst worden. Sie sieht im Kriegsfalle Planstellen für militärische Rechtsberater vor, deren Zahl und Dienstgrad vom Oberkommandierenden der Streitkräfte festgelegt werden. Aufgabe der Rechtsberater, die Rechtsanwalt sein müssen (Abschn. 32) und in „höheren Stäben" eingesetzt werden sollen, ist die Beratung militärischer Führer bei der Anwendung des Kriegs- und Neutralitätsrechts. Vorgesehen ist eine frühzeitige Einschaltung der Rechtsberater bereits in der Planungsphase (Abschn. 27). In Friedenszeiten verfügen der Oberkommandierende sowie jeder General mit eigenem Kommando über einen Rechtsberater, dem zusätzlich die Teilnahme an der kriegs- und neutralitätsrechtlichen Ausbildung der Truppe übertragen ist (Abschn. 28). Der Oberkommandierende der Streitkräfte ist ermächtigt, die für die Implementierung der Rechtsberater erforderlichen Weisungen zu erteilen (Abschn. 29).
6. Österreich In beschränktem Umfang verfügt Österreich bereits über „Rechtsberater". 8 Sie sind auf der territorialen Befehlsebene bei den Militärkommanden (Befehlsbereich jeweils ein Bundesland) eingesetzt, die Militärbehörde hinsichtlich des Ergänzungswesens sind. Bei jedem Militärkommando ist ein rechtskundiger Bediensteter (Berufsoffizier oder Zivilbediensteter) diensteingeteilt, der bei Bedarf den Kommandanten in allen Rechtsfragen, auch in Fragen des Völkerrechts, zu 6 Schreiben des franz. Verteidigungsministeriums an den Verf., Ministère de la Défense, Az. DEF/CAB/SDBC/K, v. 19.2.1992 — 000314. 7 Zum nachfolgenden vgl. Swedish Ministry of Defence: International Humanitarian Law in Armed Conflict, S. 163-167, 185 f. s Die nachfolgenden Informationen wurden dem Verf. vom Bundesministerium für Landesverteidigung der Republik Österreich mit Schreiben vom 21.1.1992 (Az. GZ 13.540/4-1.12/92) übermittelt.
7. Schweiz
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beraten hat. Der Kommandant behält die volle Entscheidungsfreiheit. Bei Verletzung der Dienstpflichten, z.B. Verstößen gegen das Völkerrecht, wird der Kommandant disziplinar- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Mit dem völkerrechtlichen Unterricht sind die „Rechtsberater" nicht betraut; dieser wird an den Akademien, Waffen- und Fachschulen durchgeführt. Rechtsgrundlage der Tätigkeit dieser „Rechtsberater" ist eine ministerielle Verwaltungsanweisung. Mit Wirkung vom 13. Februar 1983 ist das ZP I für Österreich in Kraft getreten. Die Vorbereitungen für einen protokollgerechten Einsatz von Rechtsberatern gem. Art. 82 ZP I sind angelaufen. In einer Geschäftseinteilungsänderung des Bundesministeriums für Landesverteidigung wurden die bis dahin den „völkerrechtlichen Angelegenheiten" zugehörigen Aufgaben „Grundsätzliche Angelegenheiten und Koordinierung der Einrichtung von Rechtsberatern in den Streitkräften gemäß Artikel 82 des Protokolls" im Hinblick auf ihre Bedeutung ausdrücklich ausgewiesen und einem selbständigen Referat in der Zentralstelle zugeordnet. Zur Zeit werden nach Angaben des Bundesministeriums mit den militärischen Stellen grundsätzliche Erwägungen angestellt und es wird geprüft, welche Maßnahmen erforderlich sind, um den Anforderungen des Art. 82 ZP I Rechnung zu tragen. Erhebliche Auffassungsunterschiede bestehen zwischen den Juristen und den militärischen Stellen in grundlegenden Fragen wie dem Status der Rechtsberater, ihrer Zahl und ihren genauen Aufgaben; ungeklärt ist auch noch, bei welchen Kommandos sie bestellt werden sollen. Es wird erwogen, rechtskundige Personen (Soldaten oder Zivilbedienstete), die in bestimmten Bereichen Stabsfunktionen ausüben, als Rechtsberater heranzuziehen, d.h. daß diese Personen die Funktion als Rechtsberater neben ihren sonstigen Aufgaben wahrzunehmen hätten.
7. Schweiz Die Schweiz, obwohl erst seit dem 17. August 1982 Vertragsstaat des ZP I, setzt Rechtsberater bereits seit der Revision der Truppenordnung im Jahre 1951 ein. 9 Es handelt sich um Milizoffiziere, die im Armeestab, in den ArmeekorpsStäben und in den Stäben der Territorialzonen tätig sind. Die Rechtsberater im Armeestab und in den Stäben der Armeekorps werden als „Offiziere für Völkerrecht", diejenigen in den Stäben der Territorialzonen werden als „Chef Rechtsdienst" bezeichnet. Während letzteren generell die Beratung auf staats- und völkerrechtlichem Gebiet obliegt, sind die Aufgaben der „Offiziere für Völkerrecht" klar auf die Beratung in Fragen des Kriegsvölkerrechts ausgerichtet. Die Kommandanten sind nicht zur Konsultation ihrer Rechtsberater verpflichtet und entscheiden in allen Rechtsfragen frei und in eigener Verantwortung. 9 Die nachfolgenden Informationen sind einem Schreiben der Direktion der Eidgenössischen Militärverwaltung an den Verf. vom 16.1.1992 (Az. 046.29) entnommen.
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VIII. Internationaler Vergleich
8. Israel Israel bietet ein weiteres anschauliches Beispiel dafür, daß auch Staaten, die das ZP I nicht ratifiziert haben, durchaus die Überzeugung von der Notwendigkeit einer rechtlichen Beratung der Streitkräfte teilen können. 10 In Friedenszeiten verfügt in Israel jedes Territorialkommando, in Kriegszeiten jeder Brigadekommandeur über einen Militäranwalt („Military Advocate") im Range eines Oberstleutnants, dem Militärstaatsanwälte („military prosecutors") und Verteidiger („defence counsels") zugeordnet sind. In den besetzten Gebieten (Gaza, Westbank) werden Militäranwälte im Range eines Obersten eingesetzt. Obwohl sie physisch ihrem jeweiligen Verband zugeteilt sind, unterstehen diese Rechtsoffiziere truppendienstlich wie fachlich dem Obersten Militäranwalt, einem Brigadegeneral. Dessen Aufgaben sind im israelischen Militärgerichtsgesetz von 1955 festgelegt; sie umfassen — neben militärstrafrechtlichen Funktionen — die Beratung des Chefs des Generalstabes in sämtlichen Rechtsangelegenheiten sowie die Überwachung der Beachtung der Rechtsnormen in den Streitkräften. So ist der Oberste Militäranwalt für die wehr- und kriegsvölkerrechtliche Unterrichtung der Truppe verantwortlich und führt alle sechs Monate Fortbildungslehrgänge für Juristen der stehenden und der Reserveverbände durch, um diese auf den Dienst als Rechtsberater, Richter oder Militärstaatsanwalt in den besetzten Gebieten vorzubereiten. In seiner beratenden Tätigkeit, die naturgemäß im Vordergrund steht, hält der Oberste Militäranwalt — entsprechend die Militäranwälte auf unteren Befehlsebenen — ständig Kontakt mit dem Generalstab und berät diesen in allen auftauchenden Rechtsfragen. 1968 wurde im Amt des Obersten Militäranwalts eine „Abteilung für Völkerrecht" eingerichtet. Diese Abteilung ist für die Unterstützung der Armee in allen Fragen, die das Völkerrecht betreffen, verantwortlich. Seit ihrer Gründung gehört es in der Praxis außerdem zu ihren Pflichten, die Ministerien — und insbesondere deren Rechtsberater — in Angelegenheiten zu unterstützen, die die Rechtsanwendung in den besetzten Gebieten betreffen. Die Abteilung berät das Verteidigungsministerium und den „Koordinator für Aktivitäten in den besetzten Gebieten" in aktuellen Rechtsfragen und koordiniert die Arbeit der Rechtsberater in diesen Gebieten. Letzteren kommt als juristischen Ratgebern einer Militärregierung praktisch die Rolle von allgemeinen Verwaltungsjuristen zu, was sich in ihrer über militärrechtliche Fragen weit hinausgreifenden Aufgabenstellung spiegelt (Erarbeitung von Militärgesetzentwürfen, Herausgabe von Befehlen zur Verwaltung, Ausweisung, Beschlagnahme, Inbesitznahme von Land, Sperrung von Gebieten, Rechtsfragen der Erziehung und Bildung, der Wasser- und Stromversorgung, der Landwirtschaft und Industrie u. ä.). io Die nachfolgenden Informationen sind dem Artikel „The Status of the Legal Adviser to the Armed Forces: His Functions and Powers" des Obersten Militäranwalts der israelischen Streitkräfte, Dov Shefi, entnommen (RevDrPénalMil 1983 [3-4], S. 259276), den dieser in einem Schreiben an den Verf. um verschiedene Angaben ergänzt hat (Ministry of Defense, Office of the Legal Adviser, v. 29.12.1991, Az 53131).
I X . Thesen 1. Der Rechtsberater in der Bundeswehr ist keine Institution ohne Vorbild, Beispiel oder Tradition. In Deutschland ist spätestens seit dem Ende des 15. Jahrhunderts die Existenz von rechtserfahrenen Offizieren bzw. Beamten nachweisbar, die dem Truppenführer zur Unterstützung in Rechtsangelegenheiten zur Verfügung stehen. 2. Die Einrichtung der Rechtsberater in der Bundeswehr wurde durch die „Vorläufige Dienstanweisung für die Rechtsberater bei der Truppe" des Bundesministers der Verteidigung vom 9. November 1956 geschaffen. Diese Dienstanweisung ist bis heute in Kraft. Infolge zahlreicher Änderungen durch später ergangene Erlasse und die Verwaltungspraxis entspricht sie jedoch nicht mehr dem aktuellen Stand und sollte daher—unbeschadet der Notwendigkeit eines formellen Gesetzes (These 13.) — insgesamt neu gefaßt werden („Dienstanweisung für die Rechtsberater im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung"). 3. Der Rechtsberater ist Beamter des höheren Dienstes; er muß die Befähigung zum Richteramt besitzen. Im Verteidigungsfall sowie im Falle einer Anordnung der Bundesregierung gem. § 6 Abs. 6 WPflG verlieren die Rechtsberater ihren zivilen Status und verrichten ihren Dienst als Soldat (mit Zustimmung des Rechtsberaters: als Stabsoffizier). Zu diesem Zweck sind sie „mobbeordert" worden (Ausnahme: die Rechtsberater der Inspekteure der Bundeswehr). 4. Rechtsberater werden in der Bundeswehr grundsätzlich ab der Divisionsebene aufwärts eingesetzt. Sie sind schwerpunktmäßig für die persönliche Beratung des jeweiligen Kommandeurs in allen dienstlichen Rechtsangelegenheiten, für seine Beratung und Unterstützung bei der Überwachung der Rechtsausbildung der Truppe sowie für die Rechtsunterrichtung und- beratung der Offiziere des jeweils nachgeordneten Bereichs zuständig. Darüberhinaus erfüllen sie eine Vielzahl komplementärer Aufgaben (z.B. als Gnadenstelle). Im Nebenamt ist der Rechtsberater grundsätzlich Wehrdisziplinaranwalt. 5. Seit Inkrafttreten des sog. „Blankenese-Erlasses" des Bundesministers der Verteidigung am 6. April 1970 verfügen auch der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, die Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine sowie der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr über Rechtsberater; letztere bilden vollwertige ministerielle Referate. Ihre Beratungstätigkeit erstreckt sich grundsätzlich nur auf die Inspekteure in deren Eigenschaft als
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IX. Thesen
truppendienstliche Vorgesetzte ihres Befehlsbereichs, nicht als ministerielle Abteilungsleiter; in letzterer Funktion werden die Inspekteure im wesentlichen von der Abteilung „Verwaltung und Recht" des Bundesministeriums der Verteidigung beraten. 6. Als Beamter ist der Rechtsberater in Friedenszeiten nicht Teil der Streitkräfte in Sinne von Art. 87 a Abs. 1 GG. Die Streitkräfte setzen sich ausschließlich aus den Soldaten im statusrechtlichen Sinne zusammen (§ 1 Abs. 1 SG). 7. Originäre Aufgaben der Bundeswehrverwaltung im Sinne von Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 und 2 GG sind alle ausschließlich internen Verwaltungsvorgänge in der Bundeswehr, soweit sie einen unmittelbaren Bezug zu den Streitkräften aufweisen, sowie die Bereiche des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte. 8. Die Beratung des jeweiligen Kommandeurs durch seinen Rechtsberater ist ein ausschließlich bundeswehrinterner Verwaltungsvorgang mit unmittelbarem Bezug zu den Streitkräften. Das Amt des Rechtsberaters ist daher verfassungsrechtlich der Bundeswehrverwaltung zuzuordnen. 9. Die Umsetzung der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) erfolgt in den Streitkräften unter zwei spezifischen Grundbedingungen: a) Die erste Grundbedingung besteht im Fehlen eines juristisch geschulten Fachpersonals in den Streitkräften. Die Ursache liegt in einer Sonderstellung der Streitkräfte innerhalb der Gesamtexekutive, die sich dadurch definiert, daß es sich bei dem ihnen erteilten Auftrag („Verteidigung") um eine prinzipiell rechtsnormunverträgliche und folglich über weite Strecken rechtlich nicht determinierte Materie handelt. Da sich vor allem auf der Ebene der Einheits- und Verbandsführer dennoch Fragen der Rechtsanwendung stellen (Wehrbeschwerde-, Wehrdisziplinar- und Kriegsvölkerrecht), entsteht hier eine funktionsimmanente Diskrepanz von Verantwortung und juristischem Sachverstand, die durch den in den Streitkräften stattfindenden Rechtsunterricht nicht beseitigt werden kann. b) Die zweite Grundbedingung besteht in der signifikant verminderten Wahrscheinlichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Streitkräfte im Falle ihres Einsatzes in einem internationalen bewaffneten Konflikt, da einem etwaigen Kriegsgegner, der behaupten würde, durch völkerrechtswidrige Maßnahmen der deutschen Streitkräfte in seinen Rechten verletzt zu sein, der Rechtsweg zu den deutschen Verwaltungsgerichten versperrt wäre (immanente Schranke der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG). 10. Über die bisherige, „tatsachenorientierte" Betrachtungsweise hinaus sind dem Gesetzmäßigkeitsprinzip auch Aussagen über die „juristischen Komponenten" des Rechtsanwendungsvorganges (Auslegung, Subsumtion) zu ent-
IX. Thesen
nehmen. Das ist von besonderer Bedeutung für die Streitkräfte, da sie funktionsbedingt über ein Defizit an juristischem Sachverstand verfügen und ihnen im Falle eines internationalen bewaffneten Konflikts auf Grund der in These 9.b) genannten Rechtslage praktisch ein „Rechtsschutzmonopol" bei der Anwendung des Kriegsvölkerrechts zufiele. 11. Das Gesetzmäßigkeitsprinzip verlangt, der Exekutive dasjenige Potential an juristischem Sachverstand zur Verfügung zu stellen, ohne das die Rechtmäßigkeit exekutivischen Handelns nicht nur in Ausnahmefällen gefährdet wäre. 12. Es besteht ein verfassungsrechtliches, aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip ableitbares Gebot, den Streitkräften eine mit juristischem Sachverstand ausgestattete Einrichtung zur Verfügung zu stellen. Diese Dienststellen sind so einzurichten, daß den Einheits- und Verbandsführern im Regelfall der rechtzeitige Zugriff auf den in den Dienststellen konzentrierten Sachverstand möglich ist; „rechtzeitig" bedeutet, daß eine rechtliche Beratung im Regelfall noch vor Einleitung der entsprechenden militärischen Maßnahme stattfinden kann. Sofern der zur Beurteilung anstehende Sachverhalt von seinem rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeitsgrad her die in militärischen Verbänden routinemäßig vorkommenden Ereignissen nicht unerheblich übersteigt, sind die Einheits- und Verbandsführer verpflichtet, Rechtsrat einzuholen. 13. Die Einrichtung des Amtes des Rechtsberaters hat durch formelles Gesetz zu erfolgen, das auch die Beschreibung seiner wesentlichen Aufgaben und die Voraussetzungen, unter denen die Einheits- und Verbandsführer der Bundeswehr zur Einholung von Rechtsrat verpflichtet sind, zu regeln hat. 14. Der Kommandeur ist nach der „Vorläufigen Dienstanweisung" nur zu allgemein-amtsbezogenen, d. h. nicht spezifisch Rechtsfragen betreffenden Anordnungen / Befehlen an den Rechtsberater befugt. 15. Überschreitet der Kommandeur seine Weisungs-/Befehlsbefugnis, so hat der Rechtsberater (Beamter) das Remonstrationsverfahren nach § 56 Abs. 2 BBG einzuleiten. Der Rechtsberater (Stabsoffizier) hat den Befehl unter den Voraussetzungen des § 11 SG grundsätzlich auszuführen. Eine Weisung/ein Befehl des Kommandeurs, ihn selber auf der Grundlage einer bestimmten Rechtsauffassung zu „beraten", ist für den Rechtsberater — unabhängig von seinem Status — unverbindlich. 16. Eine rechtliche Empfehlung des Rechtsberaters ist als solche für den Kommandeur nicht verbindlich. 17. Die Erteilung einer fehlerhaften Rechtsauskunft stellt als vorsätzliche Tat immer, als fahrlässige Tat unter bestimmten Voraussetzungen ein Dienstvergehen des Rechtsberaters dar. Die Disziplinarbefugnisse über den Rechtsberater (Beamter) werden von seinem Dienstvorgesetzten (Leitender Rechtsberater / BMVg), die Disziplinarbefugnisse über den Rechtsberater (Stabsoffi-
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IX. Thesen
zier) werden von seinem Disziplinarvorgesetzten (z.Zt. Kommandeur) wahrgenommen. De lege ferenda empfiehlt es sich, für den Rechtsberater (Stabsoffizier) eine dem § 23 Abs. 3 WDO entsprechende Regelung zu schaffen. 18. Ignoriert der Kommandeur oder ein Truppenführer des nachgeordneten Bereichs den zutreffenden Rechtsrat des Rechtsberaters und handelt infolgedessen rechtswidrig, so erfüllt dies grundsätzlich den Tatbestand eines — mindestens fahrlässigen — Dienstvergehens. 19. Der Rechtsberater untersteht nach der „Vorläufigen Dienstanweisung" fachdienstlich dem Leitenden Rechtsberater bzw., falls ein solcher nicht eingesetzt ist, unmittelbar dem Bundesministerium der Verteidigung. Innerhalb des Bundesministeriums verzweigt sich die fachaufsichtliche Zuständigkeit zwischen der Abt. „Verwaltung und Recht" und den Rechtsberatern der Inspekteure gem. der in These 5. dargestellten Aufgabenverteilung. 20. Eine fachliche Unabhängigkeit der einzelnen Rechtsberater würde mit den Grundsätzen zur Zulässigkeit ministerialfreier Räume kollidieren und könnte daher — auch vom Gesetzgeber — nicht eingeführt werden. 21. Der Leitende Rechtsberater bzw., falls ein solcher nicht eingesetzt ist, der Bundesminister der Verteidigung sind Dienstvorgesetzte des Rechtsberaters (Beamter). 22. Rechtsberater, die bereits Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet haben, können unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 WPflG „mob-beordert" werden. Die Verleihung eines höheren vorläufigen Dienstgrades bei militärfachlicher Verwendung ist nur mit Zustimmung des Rechtsberaters möglich. 23. Ungediente Rechtsberater können noch bis zum Ablauf des Jahres 1997 unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 WPflG mob-beordert werden. 24. Die Art. 87 a und 87 b GG sehen grundsätzlich eine Trennung der Streitkräfte von der Bundeswehrverwaltung in räumlich-organisatorischer, dienstrechtlicher und auch statusmäßiger Hinsicht vor (Trennungsprinzip). 25. Dem Bundesminister der Verteidigung steht bei der Anwendung des Trennungsprinzips ein Beurteilungsspielraum zu. Er erlaubt ihm, in den typischen Mischzonen den Status des jeweiligen Amtsinhabers und damit mittelbar auch die Aufgabenkreise von Streitkräften und Bundeswehrverwaltung festzulegen, solange eine dieser beiden Säulen der Bundeswehr nicht in ihrem Kernbestand betroffen ist. Da das Amt des Rechtsberaters einer typischen Mischzone angehört, bestehen gegen seine Mob-Beorderung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine Einwände. 26. Seit dem 14. August 1991 ist die Bundesrepublik Deutschland durch Art. 82 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (ZP I) zur Bestellung von Rechtsberatern völkervertragsrechtlich verpflichtet.
IX. Thesen
27. Die Ausbildung der Rechtsberater in der Bundesrepublik Deutschland auf den in Art. 82 ZP I genannten Rechtsgebieten genügt z.Zt. den Anforderungen noch nicht. Im übrigen ist die von Art. 82 ZP I geforderte Beratung in der Bundesrepublik bereits jetzt in vollem Umfang gewährleistet.
Anhang Der Bundesminister für Verteidigung VIII Β 6 — 1950/56
Bonn, den 9. November 1956
Vorläufige Dienstanweisung für die Rechtsberater bei der Truppe I. Rechtsstellung Der Rechtsberater ist Beamter des höheren Dienstes. Er hat die Befähigung zum Richteramt (§ 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Der Rechtsberater ist der persönliche Berater des Kommandeurs oder Befehlshabers in Rechtsfragen. Er unterstützt ihn bei der Überwachung der erforderlichen planmäßigen Unterweisung der Truppe auf allen einschlägigen Rechtsgebieten. In Disziplinarverfahren kann der Rechtsberater zum Untersuchungsführer bestellt werden. Weitere Aufgaben im Rahmen der Wehrdisziplinarordnung werden ihm als Wehrdisziplinaranwalt zufallen. In Strafverfahren nimmt der Rechtsberater die Rechte des Kommandeurs oder Befehlshabers wahr. Aufgaben der Bundeswehrverwaltung (§9 Entwurf des Organisationsgesetzes) hat der Rechtsberater nicht wahrzunehmen. II. Unterstellung und Bindung an dienstliche Anordnungen 1. Der Rechtsberater untersteht: a) dienstlich unmittelbar dem Kommandeur oder Befehlshaber, dem er zugeteilt ist; b) fachdienstlich dem übergeordneten Leitenden Rechtsberater oder, falls ein solcher nicht eingesetzt ist, dem Bundesminister für Verteidigung. Diese sind auch Dienstvorgesetzte im Sinne des Bundesbeamtengesetzes. Beim Bundesminister für Verteidigung ist die Abteilung V I I I (Rechtsabteilung) federführend für die fachliche Dienstaufsicht. 2. Fachdienstliche Anordnungen erhält der Rechtsberater nur auf dem Fachdienstweg. Auf diesem sind auch Zweifelsfragen zu klären. Soweit der Rechtsberater als Gutachter tätig wird, ist er von Anordnungen unabhängig.
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III. Zeichnungsbefugnis Der Rechtsberater zeichnet „Im Auftrag (I.A.)" des Kommandeurs oder Befehlshabers, dem er zugeteilt ist. Unter die Unterschrift ist die Bezeichnung „Rechtsberater" zu setzen. Der Leitende Rechtsberater zeichnet entsprechend. IV. Aufgaben Im einzelnen hat der Rechtsberater folgende Aufgaben: 1. Beratung des Kommandeurs a) über Fragen aus allen einschlägigen Rechtsgebieten, soweit sie Angelegenheiten der Bundeswehr betreffen, insbesondere Völkerrecht und Wehrrecht. Bei bewaffneten Konflikten steht der Rechtsberater mit seiner Kenntnis der Fragen des Kriegsvölkerrechts dem Kommandeur mit sachverständigem Rat zur Seite. Etwa beabsichtigte Verstöße hat er eindeutig als solche zu kennzeichnen. b) in Disziplinar- und Beschwerdesachen. c) in Strafsachen. 2. Mitprüfung von Befehlen und Anordnungen, durch die Rechtsfragen berührt werden. 3. Der Rechtsberater berät und unterstützt den Kommandeur bei der Überwachung der planmäßigen Unterrichtung der Truppe in allen einschlägigen Rechtsgebieten, insbesondere dem Völkerrecht und Wehrrecht. Im Auftrag des Kommandeurs oder Befehlshabers nimmt er an dem bei der Truppe durchzuführenden Rechtsunterricht teil. Der Rechtsberater unterrichtet die Offiziere auf diesen Gebieten, um sie in die Lage zu versetzen, die vorgeschriebenen Ausbildungsprogramme bei ihren Einheiten durchzuführen. 4. In Disziplinarangelegenheiten: a) Durchführung der Vorermittlungen (§21 BDO) im Auftrag des Kommandeurs oder Befehlshabers oder b) Tätigkeit als Untersuchungsführer (§§ 44 ff BDO). Ferner: c) Mitwirkung bei der Auswahl und Benennung von Beisitzern für die Bundesdisziplinarkammern; d) Ermittlung der Beweggründe bei Selbstmorden und Selbstmordversuchen; e) Prüfung der Disziplinarbücher und Personalakten im Auftrage des Kommandeurs oder Befehlshabers. 5. Mitwirkung im Strafverfahren, insbesondere Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. 6. Bearbeitung von Amtshilfeersuchen. 7. Der Leitende Rechtsberater übt die Dienstaufsicht über die ihm unterstellten Rechtsberater aus. 15 Baganz
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V. Vortrag und Unterrichtung 1. Der Rechtsberater trägt alle Angelegenheiten, die Rechtsfragen, das Disziplinar- und Beschwerdewesen oder das Strafverfahren betreffen, unmittelbar dem Kommandeur vor. Über wesentliche Vorgänge hat er auch den Chef des Stabes zu unterrichten. 2. Der Rechtsberater ist von allen seinen Tätigkeitsbereich berührenden Vorgängen, Maßnahmen und Planungen in Kenntnis zu setzen. Er muß auch über die Fragen der Organisation und der Menschenführung unterrichtet sein. 3. Vorgänge, die der Rechtsberater zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, sind ihm von den Dienststellen des Kommandobereichs auf Anfordern zur Verfügung zu stellen. 4. Von Strafverfahren, die gegen Soldaten der Bundeswehr eingeleitet werden, ist der Rechtsberater unverzüglich in Kenntnis zu setzen. VI. Geschäftsmäßige Bearbeitung der Vorfälle Für den Büro- und Schreibdienst werden den Rechtsberatern nichtbeamtete Büro- und Schreibkräfte, teilweise auch Beamte des gehobenen Dienstes als Sachbearbeiter zugeteilt. Der Sachbearbeiter oder die Bürokraft führt die Akten, Register, Fristenkalender, Aktenkontrolle, das Tagebuch sowie die Zeitschriften- und Gesetzessammlungen des Rechtsberaters, überwacht selbständig das Einhalten der Fristen und protokolliert im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften prozessuale Erklärungen von Soldaten. Zu Rechtsauskünften sind diese Personen nicht befugt. VII. Berichtswesen Der Rechtsberater legt in regelmäßigen Abständen, bis auf weiteres zum Fünften eines jeden Monats, auf dem Fachdienstweg einen Tätigkeits- und Erfahrungsbericht vor. In diesen können Vorschläge für zweckmäßige Änderungen bestehender Vorschriften und Anordnungen aufgenommen werden. VIII. Vertretung Die Vertretung des Rechtsberaters wird durch den nächsten Fachdienstvorgesetzten im Benehmen mit dem Befehlshaber bzw. Kommandeur geregelt. In Vertretung Dr. Rust
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