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German Pages 512 [515] Year 2020
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 36
ARTI BUS
Theo Bodewig
Der Rückruf fehlerhafter Produkte Eine Untersuchung der Rückrufpflichten und Rückrufansprüche nach dem Recht Deutschlands, der Europäischen Union und der USA
M o h r Siebeck
Theo Bodewig: Geboren 1946; Studium der Volkswirtschaftslehre und der Rechtswissenschaften in Münster und München; 1980 Promotion zum Dr.jur.; 1996 Habilitation; zahlreiche Lehraufträge an deutschen und US-amerikanischen Hochschulen; seit 1979 Leiter des US-Referats am Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München; Gastprofessor an der Tulane University Law School, New Orleans; seit 1998 Professor für Bürgerliches Recht und Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität München.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Juristischen Fakultät der Ludwig Maximilians-Uni versität München gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte: eine Untersuchung der Rückrufpflichten und Rückrufansprüche nach dem Recht Deutschlands, der Europäischen Union und der USA / Theo Bodewig. - Tübingen : Mohr Siebeck, 1999 (Jus privatum ; Bd. 36) 978-3-16-157896-0 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-146883-X
© 1999 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610
Meinen Eltern
Vorwort Die Sicherheit von Produkten, die in der modernen Industriegesellschaft in unüberblickbarer Vielfalt und in riesigen Stückzahlen gefertigt und in Verkehr gebracht werden, ist eines der größten Probleme einer modernen Industriegesellschaft. Sie soll gewährleistet werden durch Vorschriften über die Herstellung der Produkte, durch die Aufstellung von Sicherheitsstandards, denen die Produkte zu genügen haben, und durch Zulassungsverfahren für die Vermarktung der Produkte. Ergänzt werden diese präventiven Schutzmaßnahmen durch das Produktsicherheitsgesetz (seit 1997) sowie durch das verschuldensabhängige Produkthaftungsrecht nach §§ 823ff. BGB und das verschuldensunabhängige nach dem Produkthaftungsgesetz. Diese Haftungsvorschriften wirken einerseits ebenfalls präventiv, indem ihre Sanktion des Schadensersatzes Anreize zur Vermeidung von Rechtsgutverletzungen gibt, andererseits wirken sie kompensatorisch, indem sie den Geschädigten einen Ersatzanspruch einräumen, wenn der Schaden dennoch eingetreten ist. Trotz dieser präventiv wirkenden verwaltungs- und zivilrechtlichen Regelungen gelangt aber immer noch eine Vielzahl von übermäßig gefährlichen Produkten auf den Markt und in die Hände der Endabnehmer und gefährdet diese und Dritte. Eine sinnvolle Produktsicherheitspolitik muß deshalb Schutzmaßnahmen auch für die Zeit nach dem Inverkehrbringen vorsehen. Auch hier ist an verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Vorschriften zu denken. Zu dem verwaltungsrechtlichen Instrumentarium gehören Verkaufsverbote, Rücknahmen von Marktzulassungen, Benutzungsverbote, Beschlagnahmen und die Anordnung von Rückrufen. Zivilrechtlich kommen Produktbeobachtungspflichten, Warnpflichten und Rückrufpflichten in Betracht. Die vorliegende Arbeit wird untersuchen, ob solche Pflichten bestehen, wie sie im Einzelfall konkretisiert werden können und ob den Pflichten durchsetzbare Ansprüche der Betroffenen auf ihre Erfüllung gegenüberstehen. Sie wird sich dabei auf die Untersuchung der Problematik nach dem Zivilrecht beschränken. Öffentlich-rechtliche Regelungen der „Nachmarktkontrolle" und strafrechtliche Sanktionen wegen der Unterlassung gebotener Rückrufe werden zwar berücksichtigt, doch nur soweit sie für die zivilrechtliche Beurteilung Bedeutung haben. Es wird darum gehen herauszuarbeiten, ob das geltende Vertragsrecht, das verschuldensabhängige (§§823ff. BGB) wie das verschuldensunabhängige Produkthaftungsrecht (PHG) oder das Wettbewerbsrecht ( U W G ) dem Hersteller, Importeur oder Händler eines Produktes Pflichten auferlegen, die von diesen Produkten ausgehenden Gefahren auch nach dem Inverkehrbringen abzuwenden,
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Vorwort
und ob mit diesen Pflichten, soweit sie bestehen sollten, Ansprüche der Betroffenen auf ihre Erfüllung korrespondieren. Die Arbeit wurde im Wintersemester 1995/96 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift angenommen. Sie ist im wesentlichen auf dem Stand von Ende 1995, doch konnten das Inkrafttreten des Produktssicherheitsgesetzes Mitte 1997 und ein Teil der neueren Literatur noch berücksichtigt werden. Größten Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. muh. Gerhard Schricker für den Vorschlag des reizvollen Themas, die Möglichkeit der Fertigstellung der Arbeit neben meiner Tätigkeit als Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München, wertvolle Anregungen und seine Betreuung. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Fikentscher danke ich ebenfalls für viele weiterführende Hinweise und die ungewöhnlich zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ein herzliches „Danke schön" geht schließlich an Frau Rechtsreferendarin Martina Blasi und Herrn Rechtsreferendar Tossilo Hahn, die mir bei der Durchsicht der Druckfahnen und der Erstellung des Sachverzeichnisses behilflich waren. Noch verbleibende Fehler liegen jedoch allein in meiner Verantwortung. München, im Dezember 1998
Theo Bodewig
Inhaltsverzeichnis Vorwort Abkürzungsverzeichnis Erster Teil Einleitung 1. Kapitel. Das Problem 2. Kapitel. Begriffliche Abgrenzung 3. Kapitel. Gang der Untersuchung
Zweiter Teil Rückrufpflichten und Rückrufansprüche im US-amerikanischen Recht 1. Kapitel. Rückrufe in der US-amerikanischen Wirtschafts- und Rechtspraxis 2. Kapitel. Rückrufpflichten auf der Grundlage der Produktsicherheitsgesetze A. Allgemeines B. Rückrufpraxis der Produktsicherheitsbehörden I. National Highway Traffic Safety Administration 1. Aufgabenstellung 2. Rechtsgrundlagen von Rückrufanordnungen 3. Rückrufpraxis a) Informationsquellen der N H T S A b) Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung c) Durchführung des Rückrufs II. Consumer Product Safety Commission III. Food and Drug Administration IV. Uberblick über weitere Produktsicherheitsbehörden V. Zusammenfassung der Rückrufpraxis der Sicherheitsbehörden
3. Kapitel. Rückrufpflichten und -ansprüche auf der Grundlage der allgemeinen Produkthaftung A. Uberblick über das US-amerikanische Produkthaftungsrecht I. Entwicklung II. Die wichtigsten Haftungsgrundlagen 1. Negligence-Haftung
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Inhaltsverzeichnis 2. Strict Liability 3. Warranty-Haftung B. Rückrufpflichten im allgemeinen Produkthaftungsrecht I. Instruktions- und Warnpflichten 1. Begründung von Instruktions- und Warnpflichten a) Ursprüngliche Warnpflichten aa) Negligence-Haftung bb) Strict liability cc) Warranty-Haftung b) Nachträgliche Produktbeobachtungs- und Warnpflichten aa) Nachträgliche Warnpflichten bei vorbestehenden Fehlern . . . bb) Produktbeobachtungs- und Warnpflichten bei nachträglich erkennbaren Fehlern (1) Negligence-Haftung (2) Strict liability (3) Warranty-Haftung 2. Art und U m f a n g der Warnungen a) Allgemeine Grundsätze b) Einzelheiten aa) Widersprüchliche Angaben bb) Mißbräuche cc) Offensichtliche Gefahren dd) Warnung an Fachleute ee) Warnung an Allergiker ff) Probleme des Zeitablaufs (1) Statutes of repose; useful life (2) Wirkung des Zeitablaufs nach common law gg) Hinweis auf Produktverbesserungen 3. Adressaten der Warnung 4. Fälle, in denen eine ordnungsgemäße Warnung nicht ausreicht 5. Einige Kausalitätsprobleme II. Reparatur-, Rücknahme-, Austausch- und Rückzahlungspflichten
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C. Rückrufansprüche im allgemeinen Produkthaftungsrecht I. Rückrufansprüche nach c o m m o n law II. Zivilrechtliche Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Rückrufpflichten . . 1. Klage gegen Unternehmen 2. Klage gegen Behörden
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4. Kapitel. Erfahrungen mit Rückrufen in den USA
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A. Rückruforganisation US-amerikanischer Unternehmen B. Reaktionen der Verbraucher auf Rückrufe I. Rücklaufquoten und ihre Bewertung II. G r ü n d e für geringe Rücklaufquoten 1. Mängel der Rückruforganisation 2. Verbraucherverhalten und seine Bestimmungsgründe
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C. Die Auswirkungen von Rückrufen auf die Marktposition
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Inhaltsverzeichnis
XI
D r i t t e r Teil Der Rückruf fehlerhafter Produkte im europäischen und
harmonisierten
deutschen Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht 1. K a p i t e l . D i e P r o d u k t s i c h e r h e i t s p o l i t i k d e r E U
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2. K a p i t e l . D i e P r o d u k t h a f t u n g s r i c h t l i n i e
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A. Grundzüge der Produkthaftungsrichtlinie I. Verschuldensunabhängige Deliktshaftung II. Fehlerbegriff 1. Berechtigte Sicherheitserwartungen als Maßstab 2. Maßgeblicher Zeitpunkt; Entwicklungsgefahren III. Haftungsadressaten IV. Ersatzfähige Schäden V. Beweisfragen
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B. Rückrufpflichten und Rückrufansprüche nach der Produkthaftungsrichtlinie C. Umsetzung der Richtlinie im P H G
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3. K a p i t e l . D i e a l l g e m e i n e P r o d u k t s i c h e r h e i t s r i c h t l i n i e s o w i e p r o d u k t s p e zifische Sicherheitsvorschriften
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A. Produktspezifische Sicherheitsvorschriften B. Die Richtlinie über allgemeine Produktsicherheit I. Produktübergreifender Ansatz II. Sicherheitsmaßstab III. Verpflichtungen der Hersteller IV. Verpflichtungen der Mitgliedstaaten V. Deliktsrechtliche Rückrufpflichten nach der PSRL
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C. Verhältnis der Produkthaftungs- zur Produktsicherheitsrichtlinie D. Umsetzung der Produktsicherheitsrichtlinie in deutsches Recht I. Die Novelle zum Gerätesicherheitsgesetz 1992 II. Das Produktsicherheitsgesetz III. Wirkung der nicht umgesetzten Produktsicherheitsrichtlinie 1. Horizontale Direktwirkung zwischen Privaten 2. Direkte Wirkung gegen den Staat 3. Staatshaftung wegen fehlerhafter oder versäumter Umsetzung 4. Die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts
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4. K a p i t e l . Z u s a m m e n f a s s u n g
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V i e r t e r Teil Rückrufpflichten u n d R ü c k r u f a n s p r ü c h e im deutschen Zivilrecht 1. K a p i t e l : F e h l e n g e s e t z l i c h e r R e g e l u n g e n i m Z i v i l r e c h t
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2. K a p i t e l : V e r t r a g s r e c h t l i c h e R ü c k r u f p f l i c h t e n u n d - a n s p r ä c h e
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A. Anwendungsbereich vertraglicher Rückrufhaftung B. Äquivalente zu Rückrufpflichten und -ansprüchen aus Gewährleistung I. Der Zweck des Gewährleistungs- und des Produkthaftungsrechts
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Inhaltsverzeichnis II. Der Fehlerbegriff im Gewährleistungs- und im P r o d u k t h a f t u n g s r e c h t . . III. Rückrufäquivalente Pflichten und Ansprüche aufgrund des Gewährleistungsrechts 1. Warn- und Informationspflichten und -ansprüche 2. Reparatur-, Austausch- und Rücknahmepflichten und -ansprüche . . . 3. Gewährleistungshaftung bei der Verwirklichung von Entwicklungsrisiken
C. Rückrufäquivalente Pflichten u n d Ansprüche bei Nichterfüllung der H a u p t leistungspflicht D. Rückrufäquivalente Pflichten und Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung I. Mangelfolgeschäden; Weiterfresserschäden II. Verletzung von Treue- und Sorgfaltspflichten
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E. Rückrufhaftung aus nachwirkenden Schutzpflichten I. Nachwirkende vertragliche Schutzpflichten 1. Voraussetzungen a) Grundsätzliche Anerkennung b) Nachwirkende Schutzpflichten als Folge früherer Pflichtverletzung c) Nachwirkende Schutzpflichten ohne vorherige Pflichtverletzung . 2. Konkretisierung nachwirkender Schutzpflichten a) Inhaltliche Konkretisierung b) Zeitliche Konkretisierung II. Ansprüche auf Erfüllung nachwirkender Schutzpflichten
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F. Pflichten gegenüber Dritten; Ansprüche Dritter G.Zusammenfassun g
162 163
3. Kapitel. Rückrufpflichten und -ansprüche im Rahmen der verschuldensabhängigen Produzentenhaftung A. Rückrufpflichten I. Rückrufpflichten als Verkehrspflichten 1. Rückrufe als Gefahrabwendungsmaßnahmen 2. Begründung von Verkehrspflichten 3. Begründung von Rückrufpflichten a) Produktverantwortung über Vermarktung hinaus b) G r ü n d e nachträglicher Gefahrabwendungspflichten aa) Setzung und Aufrechterhaltung einer Gefahr bb) Beherrschung der Gefahr cc) Vorteilsziehung aus der Gefahrenquelle dd) Vertrauensschutz ee) Ökonomische G r ü n d e ff) Zusammenwirken c) Zurechnungsgründe aa) Bereichshaftung bb) Ubernahmehaftung cc) Vorangegangenes besonders gefährliches Tun d) Nachträgliche Produktverantwortung und Handlungspflicht im Einzelfall
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Inhaltsverzeichnis 4. Verhältnis der Rückrufhaftung zur allgemeinen Produkthaftung . . . . a) Fehlerkategorien b) Verletzung von Rückrufpflichten und Haftungsbegründung aa) Ursprünglicher, auf zurechenbares Fehlverhalten zurückgehender Produktfehler (1) Die Bedeutung der Rückrufpflicht und der Vornahme eines gebotenen Rückrufs (2) Nichtbeachtung durch Geschädigten bb) Entwicklungsfehler cc) Folgerungen für die Bedeutung von Rückrufpflichten II. Persönliche Reichweite der Rückrufpflichten 1. Hersteller von Vorprodukten 2. Händler 3. Importeure, Vertragshändler, Vertriebsgesellschaften und Hersteller 4. Einschaltung Dritter a) H a f t u n g bei Einschaltung Dritter b) Pflicht zur Einschaltung Dritter
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Quasi-
III. Typologie der Rückrufpflichten 1. Allgemeines 2. Vorbereitende und begleitende Pflichten a) Produktbeobachtung aa) Haftungsrechtliche Relevanz der Produktbeobachtungspflicht bb) Konsequenzen aus der Produktbeobachtung (1) für die zukünftige Produktion (2) für bereits in Verkehr gebrachte Produkte cc) Arten von Produktbeobachtungsmaßnahmen b) Organisation 3. Rückrufmaßnahmen a) Informationsmaßnahmen aa) Warnungen bb) Instruktionsmaßnahmen b) Direkte Beseitigungsmaßnahmen aa) Reparaturmaßnahmen bb) Austauschmaßnahmen cc) Rücknahmemaßnahmen dd) Zuzahlungen IV. Kriterien f ü r die Konkretisierung der Rückrufpflichten 1. Situationen, die eine Konkretisierung erfordern a) Konkretisierung durch Hersteller b) Konkretisierung im gerichtlichen Verfahren aa) Kompensatorischer Rechtsschutz bb) Vorbeugender Rechtsschutz c) Konkretisierung im Verhältnis z u m Benutzer, zu Dritten oder zur Allgemeinheit 2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit a) Schutz des Integritätsinteresses als Maßstab der Beurteilung
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Inhaltsverzeichnis b) Die Kriterien zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit c) Geeignetheit d) Erforderlichkeit e) Zumutbarkeit 3. Kriterien bei der Interessenabwägung a) Art und Ausmaß der Gefahr b) Umstände im Bereich des Herstellers aa) Kosten der Maßnahme bb) Nachteilige Auswirkungen der Maßnahme auf den goodwill bzw. die Wettbewerbsstellung cc) Verschuldeter Fehler oder Entwicklungsgefahr dd) Verhältnis des individuellen Vorteils des Herstellers zum sozialen N u t z e n des Produktes bzw. der Tätigkeit c) Umstände in der Person des Betroffenen aa) Vorhandensein von Ausweichmöglichkeiten und deren Zumutbarkeit bb) U m f a n g und Kosten der erforderlichen Mitwirkung cc) Schutzbedürftigkeit des Betroffenen d) Art des Produktes und seines Vertriebs
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V. Die Konkretisierung der Rückrufpflichten im einzelnen 1. Konkretisierung der vorbereitenden und begleitenden Pflichten a) Kriterien zur Bestimmung der Art und Intensität von Produktbeobachtungsmaßnahmen aa) Maßgeblicher Zeitpunkt bb) Intensität der Produktbeobachtung cc) Einbeziehung von Drittprodukten (1) Kombinationsprodukte (2) Konkurrenzprodukte dd) Organisation der Produktbeobachtung ee) Zeitliche Grenze der Produktbeobachtung b) Kriterien zur Bestimmung der Art und Intensität von Organisationspflichten 2. Konkretisierung der eigentlichen Rückrufpflichten a) Verhältnis der Pflichten zueinander b) Schwelle für die Notwendigkeit von Gefahrabwendungsmaßnahmen c) Informations- und Warnpflichten aa) Gründe für Nichtbestehen von Warnpflichten (1) Unmöglichkeit einer Warnung (2) Fehlende Geeignetheit (3) Kenntnis der Betroffenen (4) Mißbräuche (5) Kein geschütztes Rechtsgut bedroht (a) N u r Schäden am Produkt selbst (b) N u r Vermögensschäden (6) Unzumutbarkeit (7) Abstumpfungs-, Abschreckungs- und Anlockeffekte . . . (8) Zusammenfassung
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Inhaltsverzeichnis bb) Ausgestaltung u n d Adressatenkreis der Warnung cc) Warnung und Information als ausreichende Gefahrabwendungsmaßnahme (1) Warnung als Sicherung der Integrität oder der Entscheidungsfreiheit (2) Grundsatz des Vorrangs direkter Gefahrbeseitigung gegenüber Warnungen (a) Vorrang direkter Gefahrbeseitigung vor Inverkehrbringen (b) Vorrang direkter Gefahrbeseitigung nach Inverkehrbringen (aa) bei Produktfehlern aufgrund Fehlverhalten des Herstellers (bb) bei Entwicklungsrisiken (3) Gefahrabwendung bei Instruktionsfehlern (4) Sichere Gefahrabwendung durch Warnung (5) Gefahrabwendung bei Kombinationsgefahren (6) Gefahrabwendung bei Entwicklungsrisiken (7) Gefahrabwendung bei Selbstschutzmöglichkeit (a) Möglichkeit des Selbstschutzes (aa) Keine Selbstschutzmöglichkeit unbeteiligter Dritter (bb) Selbstschutzmöglichkeiten der tatsächlichen Benutzer (cc) Selbstschutzmöglichkeit des Eigentümers/Benutzers (b) Breite Nichtbeachtung und Selbstschutzmöglichkeit. (aa) Ursprüngliche Produktfehler (bb) Entwicklungsrisiken (c) Zumutbarkeit des Selbstschutzes (8) Gefahrabwendung bei Sachschäden (9) Zumutbarkeit des Selbstschutzes bzw. weitergehender Maßnahmen (a) Zumutbarkeit bei pflichtwidrig verursachten Fehlern (b) Zumutbarkeit bei Entwicklungsrisiken (c) Zumutbarkeit des Selbstschutzes bei existentieller Gefährdung (10) Zusammenfassung d) Direkte Beseitigung des Gefahrenherds aa) Allgemeines bb) Kostentragung cc) Die einzelnen Gefahrabwendungsmaßnahmen (1) Reparaturmaßnahmen (2) Austauschpflichten (3) Rücknahmepflichten (4) Zuzahlungen (5) Hinweise auf Verbesserungen, Nachrüstungen
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Inhaltsverzeichnis VI. Rückrufpflichten nach § 823 Abs. 2 BGB 1. Wesen der H a f t u n g aus § 823 Abs. 2 BGB, mögliche Bedeutung 2. Schutzgesetzverstoß als Verkehrspflichtverletzung 3. Schutzgesetzverstoß als Auslöser für Verkehrspflicht z u m Rückruf . . 4. Verkehrspflicht zur Abwendung von Schutzgesetzverstößen 5. Selbständige Bedeutung eines Schutzgesetzverstoßes VII. Rückrufpflichten nach § 826 BGB 1. Stellung im Deliktsrecht; Haftungsvoraussetzungen 2. A n w e n d u n g des § 826 B G B im Bereich des Schutzes vor gefährlichen Produkten a) Inverkehrbringen gefährlicher Produkte aa) G r o b e Leichtfertigkeit; Gewissenlosigkeit bb) Arglistige Täuschung b) Inverkehrlassen gefährlicher Produkte 3. Zusammenfassung VIII. Beweisfragen bei der Rückrufhaftung 1. Beweisregeln bei ursprünglichem Fehlverhalten 2. Beweisregeln bei nachträglichen Verkehrspflichtverletzungen a) Pflichtverletzung; Verschulden b) Kausalitätsprobleme IX. Folgen der Nichtbeachtung von Warnungen und Rückrufaufrufen 1. Schädigung des Benutzers 2. Schädigungen Dritter 3. Pflicht des Herstellers zur Unterbindung der Benutzung
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B. Beseitigung der Produktgefahr durch Dritte I. Erstattungsansprüche bei Beseitigung der Gefahr durch Eigentümer, Dritte oder Verbände 1. Geschäftsführung ohne Auftrag a) Fremdgeschäftsführungswille b) Wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Herstellers 2. Bereicherungsrechtliche Ansprüche 3. Deliktsrechtliche Ansprüche II. Exkurs: Schadensersatzansprüche des Herstellers bei Warnaktionen Dritter 1. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag 2. Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag
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C. Rückrufansprüche als vorbeugender Rechtsschutz gegen Verletzung von Rückrufpflichten I. Verhältnis von Ansprüchen auf Rückrufmaßnahmen zu Aufwendungsbzw. Schadensersatzansprüchen II. Rückrufansprüche 1. Vorbemerkungen 2. Der Präventionsgedanke im Deliktsrecht a) Kompensation und Prävention als Zwecke des Deliktsrechts b) Mittel der Prävention 3. Rückrufansprüche als Beseitigungsansprüche a) Rückrufansprüche aus §823 Abs. 1 BGB aa) Rechtsgutverletzung aufgrund der Produktgefahr
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Inhaltsverzeichnis bb) Produktgefahr als Rechtsgutverletzung b) Rückrufansprüche nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB 4. Unterlassungsansprüche a) Beeinträchtigung; geschützte Rechtsgüter b) Kein Verschulden erforderlich c) Unterlassungspflicht als Pflicht z u m Tun d) Ansprüche auf Erfüllung von Organisations- und Produktbeobachtungspflichten e) Ansprüche auf Erfüllung von Warnpflichten aa) Sinn von „Warnansprüchen" bb) N a t u r des Warnanspruchs cc) Bestehen eines Warnanspruchs (1) Kein Warnanspruch mangels Warnpflicht (2) Warnanspruch trotz fehlender Warnpflicht (3) Warnanspruch bei bestehender Warnpflicht dd) Konkretheit u n d Inhalt des Anspruchs ee) Unbegründetheit möglicher Bedenken f) Ansprüche auf Erfüllung direkter Gefahrabwendungspflichten . . aa) Allgemeine Voraussetzungen bb) Bestehen eines Anspruchs (1) Mögliche Ansprüche von unbeteiligten Dritten (2) Mögliche Ansprüche von Benutzern (a) Konkretheit der Gefährdung (b) Ansprüche des Benutzers wegen Gefährdung Dritter . (c) Ansprüche des Benutzers wegen eigener Gefährdung (aa) bei Entwicklungsgefahren (bb) bei durch zurechenbares Fehlverhalten verursachten Fehlern (3) Mögliche Ansprüche von Eigentümern cc) Inhalt der Ansprüche dd) Zusammenfassung g) Rückrufansprüche aufgrund §§1004 analog i.V.m. 826 B G B h) Rückrufansprüche aufgrund §§1004 analog i.V.m. 823 Abs. 2 BGB
4. Kapitel: Rückrufpflichten und -anspräche aufgrund des U W G A. Vorbemerkungen I. Vorteile des wettbewerbsrechtlichen Ansatzes II. Bisherige Auseinandersetzungen in der Literatur III. Mögliche Ansatzpunkte für eine wettbewerbsrechtliche Beurteilung . . . B. Warn- und Rückrufaktionen im Sanktionssystem des U W G I. Überblick über die Sanktionen des U W G II. Der Beseitigungsanspruch 1. Allgemeines 2. Anwendungsfälle des wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruchs a) Berichtigungswerbung
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Inhaltsverzeichnis
b) Urteilsveröffentlichung c) Rückruf III. Ansprüche auf Warn- u n d Rückrufaktionen bei gefährlichen Produkten C. Die Tatbestände im einzelnen I. Irreführung der Verbraucher 1. Allgemeines zum wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot 2. Irreführung durch Werbeangaben a) Positive Angaben b) Verschweigen spezifischer Produktgefahren in der Werbung; Irreführung durch Unterlassen 3. Irreführung durch sonstiges Verhalten, insb. durch das Anbieten unerwartet gefährlicher Produkte II. Rechtsbruch 1. Allgemeines zum Tatbestand 2. Anbieten (Verkauf, Inverkehrbringen) unerwartet gefährlicher Produkte 3. Unterlassen gebotener Warn- und Rückrufaktionen a) Voraussetzung: Rechtlich gebotene Rückrufpflichten b) A n k n ü p f u n g s p u n k t Unterlassen c) Handeln zu Wettbewerbszwecken d) Verkehrspflicht als „par condicio" e) Per se - Sittenwidrigkeit? III. Sittenwidrigkeit wegen Gefährdung der Verbraucher 1. Wettbewerbshandlung 2. Sittenwidrigkeit a) Allgemeines b) Anwendung auf den Fall D. Ergebnis 5. K a p i t e l . G e f a h r a b w e n d u n g s p f l i c h t e n u n d - a n s p r ä c h e u n d G e w ä h r l e i stungsrecht A. Deliktsrecht und Gewährleistungsrecht I. Ubereinstimmung mit dem Gewährleistungsrecht II. Mögliche Konflikte mit Gewährleistungsrecht und ihre Lösung 1. Unterschiede zwischen Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht 2. Anwendung auf direkte Gefahrabwendungspflichten 3. Rückrufansprüche B. Wettbewerbsrecht und Gewährleistungsrecht
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F ü n f t e r Teil Rechtsbeziehungen nach erfolgtem Rückruf 1. K a p i t e l . D a s P r o b l e m
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2. K a p i t e l . R ü c k r u f in F o r m d e r I n s t r u k t i o n o d e r W a r n u n g
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3. K a p i t e l . R ü c k r u f in F o r m v o n R e p a r a t u r o d e r A u s t a u s c h d e s P r o d u k t e s . .
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Inhaltsverzeichnis A. Rückruf mittels individueller Anschreiben I. Bindendes Vertragsangebot? II. Vertragsschluß III. Rechtliche Qualifikation des Vertrages B. Rückruf über Massenmedien C. Weitere Formen des Rückrufs I. Behördlich angeordneter Rückruf II. Urteilsveröffentlichung bei Rückruf III. „Stiller" Rückruf
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Sechster Teil Zusammenfassung und rechtspolitische Wertung A. Zusammenfassung I. Das US-amerikanische Recht 1. Rückrufe als Mittel öffentlich-rechtlicher Produktsicherheitspolitik . 2. Rechtstatsachen zum Rückruf in den USA 3. Rückrufpflichten und Rückrufansprüche im US-amerikanischen Zivilrecht II. Europäisches Recht III. Deutsches Recht 1. Verschuldensabhängige Produkthaftung a) Grundlagen b) Konkretisierung der Rückrufpflichten aa) Verzicht auf Gefahrabwendungsmaßnahmen bb) Warnungen als ausreichende Gefahrabwendungsmaßnahmen cc) Direkte Gefahrbeseitigung als erforderliche Gefahrabwendungsmaßnahme dd) Arten direkter Maßnahmen und Kostentragung c) Rückrufansprüche d) Verhältnis zum Gewährleistungsrecht 2. Vertragsrecht 3. Wettbewerbsrecht B. Rechtspolitische Wertung u n d Ausblick 1. Kompensatorischer Rechtsschutz 2. Vorbeugender Rechtsschutz
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Literaturverzeichnis
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Sachverzeichnis
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Abkürzungen A. A.2d A.A. A.a.O. AB1.EG Abs. AcP ADAC Adm.L.Rev. AfP AG AGBG AgV Akron Bus.&Econ.Rev. Ala. ALR Amend. AMG Anm. Ann.Survey of Amer.Law App. App.Div. Appl.Econ. Ariz. Ariz.App. Ariz.St.L.J. Art. Aufl.
Atlantic Reporter Atlantic Reporter, Second Series anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft, Ausgabe C und L Absatz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeiner Deutscher Automobil Club Administrative Law Review Archiv für Presserecht Die Aktiengesellschaft Gesetz zur Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände Akron Business and Economics Review Alabama Annotated Law Reports Amendment Arzneimittelgesetz Anmerkung Annual Survey of American Law Appeals Appellate Division Applied Economics Arizona Reports Arizona Appellate Reports Arizona State Law Journal Artikel Auflage
BauR BB Bd. Beschl. BEUC BGB BGB1. BGH BGHSt. BGHZ Bus.Law. BVerfG BVerfGE bzgl. bzw.
Baurecht Der Betriebs-Berater Band Beschluß Bureau Européen des Unions des Consommateurs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Business Lawyer Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise
Abkürzungen C.A. ca. Cal. Cal.2d Cal.3d Cal.App. Cal.App.3d Cal.L.Rev. Cal.Rptd. Cath.U.L.Rev. CCH cert.den. CFR Chap. Cir. Civ. CMLR Co. Colo. Colum.L.Rev. Cong. Cons.Pol.Rev. Corp. CPSA CPSC CR Ct.
Court of Appeals zirka California California Reports, Second Series California Reports, Third Series California Appellate Reports California Appellate Reports, Third Series California Law Review West's California Reporter Catholic University Law Review Commerce Clearing House certiorari denied Code of Federal Regulations Chapter Circuit Civil Common Market Law Review Company Colorado Reports Columbia Law Review Congress Consumer Policy Review Corporation Consumer Product Safety Act Consumer Product Safety Commission Computer und Recht Court
D. D.C. d.h. DAR DAV DB Del. dergl. ders. Diss. Dist. Dok. DR Duke L.J.
District - District of Columbia - District Court das heißt Deutsches Autorecht Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Delaware dergleichen derselbe Dissertation District Dokument Deutsches Recht Duke Law Journal
E.2d E.D. ECLJ Econ. Ed. EG erw. EU EuGH
Eastern, Second Series Eastern District European Consumer Law Journal Economic(s) Edition Europäische Gemeinschaft(en) erweitert(e) Europäische Union Europäischer Gerichtshof
XXI
XXII
Abkürzungen
EuR Eur. Eur.Bus.L.Rev. EuZW evtl. EWG EWGV EWiR EWS
Europarecht European European Business Law Review Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f., ff. F. F.2d F.Cas. F.R.D. F.Supp. FTC FAA FDA Fed.Reg. Fla.St.U.L.Rev. Fn. Food Drug Cosm.L.J. Food & Drug L.J. FS
folgende Federal Reporter Federal Reporter, Second Series Federal Cases Federal Rules Decisions Federal Supplement Federal Trade Commission Federal Aviation Administration Food and Drug Administration Federal Register Florida State University Law Review Fußnote Food Drug Cosmetic Law Journal Food and Drug Law Journal Festschrift
Ga. Ga.L.Rev. GAO GenTG Geo.L.J. Geo.Wash.L.Rev. GRUR Int.
Georgia Georgia Law Review General Accounting Office Gentechnikgesetz Georgetown Law Journal George Washington Law Review Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Inlandsteil Gerätesicherheitsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
GRUR GSG GWB H.R. Harv.Bus.Rev. Harv.L.Rev. Hdb. Hrsg.
House of Representatives Harvard Business Review Harvard Law Review Handbuch - Herausgeber - herausgegeben
III. 111. I11.2d III.App.3d I.L.M. Inc. Ind.
Illinois Reports Illinois Illinois Reports, Second Series Illinois Appellate Court Reports, Third Series International Legal Materials Incorporated - Indiana - Indiana Reports
Abkürzungen Ind.App. Ind.Code Ann. Int'l Bus.Law
Indiana Court of Appeals Reports Indiana Code Annotated International Business Lawyer
JJA JB1. J.Cons.Aff. J.Cons.Policy J.Econ.Lit. J.L. & Econ. J.Legal Stud. J.Pol.Econ. J.Prod.Liability J.Pub.Pol'y & Marketing JR JuS JW
Journal Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Journal of Consumer Affairs Journal of Consumer Policy Journal of Economic Literature Journal of Law and Economics Journal of Legal Studies Journal of Political Economy Journal of Products Liability Journal of Public Policy and Marketing Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung
JZ Kan. Kap. Kfz KG KritJ KritV Kza
Kansas Reports Kapitel Kraftfahrzeug Kammergericht Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kennzahl
L. L.Ed. L.Ed.2d L.J. L.Rev. La.App. La.L.Rev. L & Contemp. Probs. LG lit. Loyala U.L.J. Ltd.
Law Lawyer's Edition Lawyer's Edition, Second Series Law Journal Law Review Louisiana Appeals Court Louisiana Law Review Law and Contemporary Problems Landgericht litera Loyola University Law Journal Limited
m.a.W. M.D. m.E. m.w.N. Mass. Md.
mit anderen Worten Middle District meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Massachusetts Reports - Maryland Reports - Maryland Monatsschrift für Deutsches Recht - Michigan - Michigan Reports Michigan Court of Appeals
MDR Mich. Mich.App.
XXIII
XXIV
Abkürzungen
Minn. Mio. Miss.
Minnesota Million(en) Mississippi
N.D. N.E. N.E.2d N.J. N.J.Super. N.M. N.W. N.W.2d N.Y. N.Y.2d N.Y.S. 2d N.Y.U.L.Rev. Nat'l L.J. NHTSA NJW NJW-RR No. Nr. NStZ Nw.U.L.Rev.
Northern District North Eastern Reporter North Eastern Reporter, Second Series New Jersey Reports New Jersey Superior Court New Mexico North Western Reporter North Western Reporter, Second Series - New York Court of Appeals - New York New York Court of Appeals Reports, Second Series West's New York Supplement New York University Law Review National Law Journal National Highway Traffic Safety Administration Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Number Nummer Neue Strafrecht Zeitschrift Northwestern University Law Review
Ohio St.LJ. Ohio St.2d Ohio St. Okl. OLG Ox.J.Leg.Stud.
Ohio State Law Journal Ohio State Reports, Second Series Ohio State Reports Oklahoma Oberlandesgericht Oxford Journal of Legal Studies
P. P.2d Pa. Pa.Super Pen. PHG PHI PHRL Pkw PLA PLI PSG PSRL Publ.L.
Pacific Reporter Pacific Reporter, Second Series Pennsylvania State Reports Pennsylvania Superior Court Pennsylvania Produkthaftungsgesetz Produkthaftpflicht International Produkthaftungsrichtlinie Personenkraftwagen Product Liability Act Product Liability International Produktsicherheitsgesetz Produktsicherheitsrichtlinie Public Law
RabelsZ
Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Randnummer Revue Européene de droit de la consommation Review
Rdnr. REDC Rev.
Abkürzungen RG RGRK RGZ RIW/AWD
XXV
Rs.
Reichsgericht Reichsgerichtsräte-Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft, Außenwirtschaftsdienst des BB Rechtssache
s. S. S.C. S.Cal.L.Rev. S.Ct. S.D. S.E. S.E.2d S.W. S.W.2d Sec. Sess. SJZ Slg. So.2d. sog. Stan.L.Rev. Stat. Stud. Sup.Ct. Suppl. Sw.U.L.Rev. Syr L.J.
siehe Satz, Seite(n) South Carolina Reports Southern California Law Review Supreme Court [Reports] Southern District South Eastern Reporter South Eastern Reporter, Second Series South Western Reporter South Western Reporter, Second Series Section Session Schweizerische Juristenzeitung Entscheidungssammlung des EuGH Southern Reporter, Second Series sogenannt Stanford Law Review Statutes Studies Supreme Court Supplement Southwestern University Law Review Syracuse Law Journal
Tenn.
- Tennessee - Tennessee Reports Tennessee Court of Appeals Texas Texas Civil Appeals Court Texas Court of Appeals Texas Law Revie*v Trial Lawyers Quarterly Tulane Law Review
Tenn.Ct.App. Tex. Tex.Civ.App. Tex.Ct.App. Tex.L.Rev. Trial Law Q. Tul.L.Rev. u.a. U.Chi.L.Rev. U.Cin.L.Rev. U.Det.J.Urb.L. U.Kan.L.Rev. U.Pa.L.Rev. U.S. U.S.C. U.S.C.A. u.U. UCC
unter anderem, unter anderen University of Chicago Law Review University of Cincinnati Law Review University of Detroit Journal of Urban Law University of Kansas Law Review University of Pennsylvania Law Review - United States - United States Reports United States Code United States Code Annotated unter Umständen Uniform Commercial Code
XXVI
Abkürzungen
U C L A L.Rev. UPLA USA usw.
U C L A Law Review Uniform Product Liability Act United States of America und so weiter
v.
- versus - von Virginia Verkehrsdienst Verfasser Versicherungsrecht Versicherungswirtschaft vergleiche Verordnung Volume Verbraucherpolitische Korrespondenz Verbraucher und Recht Verwaltungsverfahrensgesetz
Va. VD Verf. VersR VersWirtsch vgl. VO Vol. VPK VuR VwVfG W.D. Wash.
Wis.2d WM WRP WuR WuW
Western District - Washington - Washington Reports Washington Reports, Second Series Washington Appeals Court Washington Law Review - Wisconsin Reports - Wisconsin Wisconsin Reports, Second Series Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Recht Wirtschaft und Wettbewerb
Yale J.on.Reg.
Yale Journal on Regulation
z.B. z.T. ZEuP ZfB ZHR Ziff. ZIP ZLR ZR ZRP ZvglRWiss. ZVR
zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für Ziffer Zeitschrift für Zeitschrift für Zivilrecht Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für
Wash.2d Wash.App. Wash.L.Rev. Wis.
Europäisches Privatrecht Betriebswirtschaftslehre das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Wirtschaftsrecht das gesamte Lebensmittelrecht Rechtspolitik Vergleichende Rechtswissenschaft Verkehrsrecht
Erster Teil
Einleitung 1. Kapitel Das Problem D i e Sicherheit von Produkten, die in der modernen Industriegesellschaft in unüberblickbarer Vielfalt und in riesigen Stückzahlen gefertigt und in Verkehr gebracht werden, ist eines der wichtigsten Anliegen der allgemeinen Sicherheit und des Verbraucherschutzes. Produktsicherheit 1 soll gewährleistet werden durch Vorschriften für die Herstellung der Produkte ( z . B . Hygiene-Vorschriften bei Lebensmitteln), durch die Aufstellung von Sicherheitsstandards, denen die P r o dukte zu genügen haben ( z . B . Grenzwerte für giftige Inhaltsstoffe, D I N - N o r men) und durch Zulassungsverfahren für die Markteinführung der Produkte ( z . B . bei Arzneimitteln). Diese Regelungen sollen sicherstellen, daß nur Produkte in den Verkehr gelangen, welche die Verbraucher und Benutzer nicht mehr gefährden, als es den Umständen nach unvermeidbar ist. Ergänzt werden diese präventiven Schutzmaßnahmen durch das verschuldensabhängige Produkthaftungsrecht nach § § 8 2 3 f f . B G B und das verschuldensunabhängige nach dem Produkthaftungsgesetz ( P H G ) . 2 D i e Haftungsvorschriften wirken einerseits ebenfalls präventiv, indem ihre Sanktion des Schadensersatzes Anreize zur Vermeidung von Rechtsgutverletzungen gibt, andererseits wirken sie kompensatorisch, indem sie den Geschädigten einen Ersatzanspruch einräumen, wenn der Schaden denn o c h eingetreten ist. Trotz dieser präventiv wirkenden verwaltungs- und zivilrechtlichen Regelungen gelangt eine Vielzahl von übermäßig gefährlichen Produkten auf den M a r k t und in die Hände der Endabnehmer und gefährdet diese und Dritte. Eine sinnvolle Produktsicherheitspolitik muß deshalb Schutzmaßnahmen auch für die Zeit nach dem Inverkehrbringen vorsehen. A u c h hier ist an verwaltungsrechtliche und zi1 S. allgemein zum Problem der Produktsicherheit und ihrer Gewährleistung durch staatliche Maßnahmen Micklitz/Roethe/Weatherill (Hrsg.), Federalism and Responsibility. A Study of Product Safety Law and Practice, 1994; Stauder (Hrsg.), La sécurité des produits des consommation, 1992; Fallon/Maniet (Hrsg.), Sécurité des produits et mécanismes de contrôle dans la Communauté européenne, 1990 und Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, Die Sicherheit von Konsumgütern und die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, 1988. 2 Sowie der Haftungsvorschriften im Arzneimittelgesetz (AMG) und im Gentechnikgesetz.
2
Einleitung
vilrechtliche Vorschriften zu denken. 3 Zu dem verwaltungsrechtlichen Instrumentarium gehören Verkaufsverbote, R ü c k n a h m e n von Marktzulassungen, B e nutzungsverbote, Beschlagnahmen und auch die Anordnung (und D u r c h f ü h rung) von Rückrufen, um das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen. Zivilrechtlich gehören hierhin Produktbeobachtungspflichten, Warnpflichten und R ü c k r u f pflichten. D i e zivilrechtlichen Möglichkeiten einer „Nachmarktkontrolle" haben - soweit sie von der Rechtsordnung überhaupt zur Verfügung gestellt werden wiederum eine präventive Seite, indem sie zu Gefahrabwendungsmaßnahmen verpflichten und die Verletzung dieser Pflicht im Schadensfall mit der Zahlung von Schadensersatz sanktionieren, und eine kompensatorische, weil beim Fehlschlagen der Prävention Ausgleich zu leisten ist. Die Präventionswirkung wird verstärkt, wenn ein Erfüllungsanspruch hinsichtlich der Gefahrabwendungspflichten bestehen sollte. R ü c k r u f e von gefährlichen Produkten sind somit integraler Bestandteil einer umfassenden staatlichen Produktsicherheitspolitik, unabhängig davon, ob sie verwaltungsrechtlich angeordnet sind, zivilrechtlich durchgesetzt werden k ö n n e n oder nur als autonome Reaktionen der U n t e r n e h m e n auf Anreize zur Vermeidung rechtlicher und wirtschaftlicher Sanktionen erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, daß Rückrufe gefährlicher Produkte durch ihre Hersteller, Importeure oder Händler mittlerweile eine übliche E r scheinung des Wirtschaftslebens sind. Eigentümer, B e n u t z e r oder Verbraucher werden durch Pressemitteilungen, Zeitungsanzeigen oder direkte Anschreiben darüber informiert, daß ein bestimmtes Produkt einen Fehler aufweist, von dem Gefahren für Leben, Körper, Gesundheit oder Sachgüter der Angesprochenen oder Dritter ausgehen. Gleichzeitig wird vor der Benutzung oder dem Verzehr gewarnt; manchmal werden Hinweise auf Vorsichtsmaßnahmen gegeben, bei deren Beachtung eine ungefährliche Benutzung gewährleistet sei, oder darauf, wie der Fehler beseitigt werden könne. Häufig wird auch der Besitzer aufgefordert, eine Werkstatt aufzusuchen und den Fehler dort auf Kosten des rückrufenden Unternehmens beseitigen zu lassen, oder es wird der kostenlose Austausch gegen ein einwandfreies Exemplar angeboten. D i e Praxis der R ü c k r u f e ist vielfältig wie die Welt der Produkte und die Gefahren, die von ihnen ausgehen können. R ü c k rufe können grundsätzlich bei allen Produktkategorien v o r k o m m e n , da überall die Möglichkeit besteht, daß die Fehlerhaftigkeit eines Produktes von den Verantwortlichen erst nach dem Inverkehrbringen erkannt wird, daß eine ursprünglich als gering eingeschätzte Gefahr sich als größer herausstellt als vorhergesehen, daß eine bekannte, bisher unvermeidbare Gefahr beherrschbar wird oder daß unter dem D r u c k der öffentlichen Meinung zur Vermeidung von Rufschäden eine bisher aus der Sicht des Unternehmens für tolerabel gehaltene Gefahr beseitigt werden muß. D e n größten publizistischen Aufmerksamkeitswert erreichen im allgemeinen die R ü c k r u f e im Kraftfahrzeugbereich, nicht nur weil die dadurch zu beseitigen3 S. ausführlich zu Maßnahmen der Produktsicherheit bei in den Verkehr gelangten Produkten in verschiedenen Ländern Micklitz (Hrsg.), Post Market Control of Consumer Goods, 1990.
Das Problem
3
den Gefahren in der Regel jedermann als Verkehrsteilnehmer bedrohen und meist nicht nur Sachschäden, sondern auch Körperschäden befürchten lassen, sondern auch weil das A u t o im Wirtschafts-und Privatleben eine so bedeutende Rolle spielt. Tatsächlich sind heute Rückrufaktionen in diesem Sektor, zu dem nicht nur die Kraftfahrzeuge selbst, sondern auch Reifen und sonstiges Z u b e h ö r zu zählen sind, wenn nicht an der Tagesordnung, so doch relativ häufig. D i e ersten R ü c k r u f e von Kraftfahrzeugen sind in den U S A bereits aus den J a h ren 1903, 1916 und 1924 belegt. 4 Von 1966 bis 1979 haben die Autohersteller in diesem Land Rückrufaktionen für über 83,7 Millionen A u t o m o b i l e wegen Sicherheitsmängeln vorgenommen. 5 In Deutschland gibt es keine veröffentlichten Rückrufstatistiken, doch werden in nahezu jeder Ausgabe der Club-Zeitschrift des A D A C neue Rückrufaktionen der Kraftfahrzeughersteller gemeldet. 6 In einer internen Aufstellung des A D A C für das J a h r 1994 werden zehn bekannt gewordene Rückrufaktionen aufgelistet; 7 die rückrufauslösenden Defekte reichten von unbeabsichtigt auslösenden Airbags über Rißbildungen im Flankenbereich bei den Erstausrüstungsreifen bis zu möglichen Bränden bei Zusatzheizungen, die auf das ganze Fahrzeug übergreifen konnten. Insgesamt stellt der A D A C eine wachsende Bereitschaft der Hersteller zu Rückrufen fest. 8 G r ö ß e r e Aufmerksamkeit hat 1995 eine Rückrufaktion der Fa. O p e l für ihr Modell Astra erlangt. 9 Dabei ging es um mögliche Verpuffungen beim Betanken des Fahrzeugs, die auf eine mangelhafte Erdung zurückzuführen waren. Mindestens zwanzig Vorkommnisse dieser A r t waren bekannt geworden, keiner hatte zu Personenschäden geführt. Spätestens Mitte 1994 war O p e l von solchen Tankunfällen beim Astra unterrichtet; es waren allerdings auch Modelle anderer H e r steller (Peugeot, F o r d ) betroffen. D i e Ursache wurde zunächst bei den Tankstellen vermutet, was die Ursachenforschung im eigenen Bereich möglicherweise weniger dringlich erscheinen ließ. Erst als die Vorkommnisse in Fernsehsendungen aufgegriffen wurden und darin dem Unternehmen Hinhaltetaktik und leichtfertiges Inkaufnehmen von Todesfällen und schweren Verletzungen vorgeworfen wurde, reagierte O p e l am 2 3 . 2 . 1 9 9 5 mit „der umfangreichsten Rückrufaktion aller Zeiten in Europas Autoindustrie" 1 0 , die sich allerdings wegen der notwendi4 Levenson, Recalls: Tracing Them Back to the Turn of the Century, 113 Dun's Review 117 (Jan. 1979). 5 Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981), S.302, Fn.3. 6 S. etwa ADAC-Motorwelt, Heft 5/95, S.38: Rückruf von ca. 9 500 Limousinen des Ford Mondeo und einer unbekannten Zahl des Typs Nissan Primera. Heft 8/95, S.22: Rückruf von weltweit 12 952 Fahrzeugen der Marke Range Rover und ca. 3 000 der Typen Volvo 740, 940 und 960. 7 Eine ähnliche Aufstellung für das Jahr 1989 ist veröffentlicht bei Rettenbeck, S. 18f. Die Zeitschrift Auto-Bild veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 4.5.1992 eine auf den Angaben der Hersteller (allerdings nicht aller) beruhende Ubersicht über Rückrufaktionen in den Jahren 1987 bis 1992; insgesamt waren dies 88. 8 Süddeutsche Zeitung v. 16.5. 1995, 23. 9 S. ADAC-Motorwelt, Heft 4/95, 44ff.; Süddeutsche Zeitung vom 17.3. 1995, 30. 10 Süddeutsche Zeitung v. 25./26.2. 1995, 34.
4
Einleitung
gen logistischen Vorbereitungen (Herstellung des Ersatzteils zur Abhilfe des Mangels, Belieferung der Vertragswerkstätten) n o c h verzögerte. D e n U n m u t , der sich in der Öffentlichkeit angestaut hatte, versuchte das Unternehmen durch zwei Anzeigenkampagnen zu dämpfen. In einer ersten ganzseitigen Anzeige 1 1 rechtfertigte man das eigene Verhalten und verwies unter anderem auf das geringe Risiko bei 100 Millionen Betankungen von Astra-Fahrzeugen im J a h r 1994 und neun bekannten Vorfällen mit diesem Modell 1 2 sowie auf das eigene Verantwortungsbewußtsein, „aufgrund einzelner, statistisch kaum zu erfassender Fälle nun denn o c h eine umfassende R ü c k r u f - A k t i o n " durchzuführen. Offensichtlich weil die Kritik in der Öffentlichkeit dadurch nicht wesentlich entschärft werden konnte, folgte zehn Tage später dann die zweite Anzeige, in der sich der Vorstandsvorsitzende im N a m e n des Unternehmens dafür entschuldigte, bei der Behandlung des Falles unnötig Zeit verloren und „in Einzelfällen auch - unwissentlich und ohne A b s i c h t - u n r i c h t i g e Auskünfte gegeben" zu haben. 1 3 In der gleichen Ausgabe der Zeitung, in der die Anzeige erschien, wurde im redaktionellen Teil berichtet, daß man zwar keine größeren Auswirkungen bei den Verkäufen, wohl aber negative Folgen für das Image erwarte. 1 4 D i e Kosten wurden mit 90 Mio. D M für Europa angegeben; u m etwa den gleichen Betrag fiel der Jahresüberschuß hinter den - vor dem R ü c k r u f - erwarteten Betrag zurück. 1 5 Bemerkenswert ist, daß O p e l zusammen mit dem R ü c k r u f der Astra-Modelle einen zweiten für 300 000 Fahrzeuge mit Airbag durchführte, weil bei einem einzigen bekannt gewordenen tödlichen Unfall das Sicherheitssystem wegen einer fehlerhaft verriegelten Kabel-Steckverbindung nicht ausgelöst worden war, und daß der K o n k u r r e n t Volkswagen, praktisch im Windschatten der O p e l - A k t i o n , ebenfalls bestimmte Modelle zurückrief, ohne daß davon in der Öffentlichkeit viel N o tiz genommen wurde. 1 6 D e r ebenfalls von der Verpuffungsgefahr betroffene F o r d M o n d e o wurden ohne große publizistische Beteiligung später zurückgerufen. 1 7 Viel Pressewirbel 1 8 verursachte kurz vor dem O p e l - R ü c k r u f auch die E n t d e k kung, daß der P e n t i u m - C h i p der Fa. Intel einen Fehler in seinem R e c h e n p r o gramm aufwies, der sich jedoch nur bei hochkomplizierten Rechnungen auswirken konnte, welche bei Privatpersonen praktisch nicht v o r k o m m e n . D e n n o c h sah sich auch hier das U n t e r n e h m e n wegen der negativen Reaktionen der Ö f f e n t lichkeit zu einer Austauschaktion genötigt, o b w o h l Sicherheitsrisiken und damit Schadensersatzforderungen aufgrund Produkthaftung wegen des Fehlers des Chips kaum zu erwarten waren. S. Süddeutsche Zeitung v. 27.2. 1995, 9. Die elf anderen Vorfälle betrafen somit andere Fahrzeugmodelle. 13 Süddeutsche Zeitung v. 8.3. 1995, 9. 14 Süddeutsche Zeitung v. 8.3. 1995, 21. 15 Süddeutsche Zeitung v. 27.6. 1995, 23. 16 ADAC-Motorwelt, Nr. 4/95, 46. 17 ADAC-Motorwelt, Nr. 5/95, 38. Davon, daß der Peugeot 205, bei dem auch Verpuffungen festgestellt worden waren, anscheinend nicht zurückgerufen wurde (ADAC-Motorwelt, Nr. 4/95, 44), nahm kaum jemand Notiz. 18 S. New York Times v. 24.11. 1994, C l ; Süddeutsche Zeitung v. 15.12. 1994, S. II. 11
12
Das
Problem
5
Weitere R ü c k r u f a k t i o n e n aus jüngerer Zeit betrafen: Sahne-Fruchtjoghurt „ K i r s c h " der Fa. Zott, weil in mehreren Bechern Glassplitter gefunden w o r d e n waren. 1 9 - Birnensaft der Fa. Alete, da geringste Spuren eines Pflanzenschutzmittels festgestellt w o r d e n waren. 2 0 - Fernsehgeräte der Fa. Blaupunkt, da ein Brand durch eine fehlerhafte Lötstelle nicht auszuschließen war. 2 1 - Rückentragen für Kinder der Fa. Peg Perego, weil sich Tragegurte lösen und dadurch die Trage v o m R ü c k e n rutschen konnte. 2 2 -
-
Nähmaschinen der Fa. Q u e l l e , wegen eines elektrischen Sicherheitsrisikos aufgrund eines Montagefehlers. 2 3
Tauchmotorpumpen der Fa. Gardena, bei denen wegen eines möglichen Schadens am Anschlußkabel die elektrische Sicherheit u . U . nicht gewährleistet war. 2 4 - Entsafter der Fa. Moulinex, vorbeugende Sicherheitsmaßnahme z u m U m t a u s c h des Deckels u n d / o d e r Filters. 2 5 - Spiegel- und Möbelleuchten der Fa. O s r a m , weil wegen eines Materialfehlers das K u n s t stoffgehäuse brechen und beim Entfernen der L a m p e n a b d e c k u n g stromführende Teile berührt werden konnten. 2 6 - Gaseinbau- und Gasstandherde der Marken Bosch, Siemens, C o n s t r u c t a und N e f f , weil durch einen möglichen Materialfehler bei einer zugelieferten Aluminiummutter die G e fahr des Austritts von G a s bestand. 2 7
-
- Akku-Ladegeräte der Altlas C o p c o Elektrowerkzeuge G m b H , weil wegen einer fehlerhaften D i o d e Uberhitzungsgefahr bestand. 2 8 - Fernsehgeräte der Fa. Sony, weil ein mechanisches Problem an der rückseitigen A b d e k kung bestand, w o d u r c h Außenanschlüsse des Gerätes unter Spannung stehen konnten. 2 9 D i e s e b e r e i t s u m f a n g r e i c h e L i s t e ließe s i c h m i t B e i s p i e l e n a u s d e r L i t e r a t u r f a s t b e l i e b i g f o r t s e t z e n . 3 0 S o z u f ä l l i g d i e s e B e i s p i e l e a u c h s i n d , z e i g e n sie d o c h , d a ß R ü c k r u f e g e f ä h r l i c h e r P r o d u k t e m i t t l e r w e i l e v o n d e r W i r t s c h a f t in e r h e b l i c h e m U m f a n g praktiziert werden. A n d e r e r s e i t s heißt d i e s n i c h t , d a ß alle U n t e r n e h m e n in j e d e m F a l l r e c h t z e i t i g d i e g e b o t e n e R ü c k r u f m a ß n a h m e e r g r e i f e n w e r d e n . Z w a r g i b t es e b e n s o w e n i g w i e ein e R ü c k r u f s t a t i s t i k e i n e Z u s a m m e n s t e l l u n g d e r F ä l l e , in d e n e n ein R ü c k r u f h ä t t e Abendzeitung v. 14./15.1. 1995,26. Süddeutsche Zeitung v. 6.9. 1994, 2. 21 AgV, V P K Nr.6 v. 8.2. 1994, 5. 22 Anzeige der Fa. Peg Perego, Süddeutsche Zeitung v. 14.3. 1994, 42. 23 Anzeige der Fa. Quelle, Süddeutsche Zeitung v. 6.6. 1994, 15. 24 Anzeige der Fa. Gardena, Süddeutsche Zeitung v. 21 7. 1994, 39. 2 5 Anzeige der Fa. Moulinex, Abendzeitung v. 16.6. 1994, 19. 26 Süddeutsche Zeitung v. 26.5. 1995, 12. 2 7 Süddeutsche Zeitung v. 22.11. 1995, S.34. 28 Süddeutsche Zeitung v. 13.2. 1996, S.6. 2 9 Süddeutsche Zeitung v. 27.8. 1996, S. 14. 30 Rettenbeck, S. 13 erwähnt: Teigwaren, Schmerzmittel, Kinderspielzeug, Mikrowellengeräte, Wäschetrockner und Bürostühle. Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320, 321 listen zusätzlich nicht kippsichere Kinderwagen, Kunstfaser-Pyjamas, Plüschtiere, Schnellkochtöpfe. 19
20
6
Einleitung
erfolgen müssen, aber nicht vorgenommen wurde, 3 1 doch würde es jeder Lebenserfahrung widersprechen anzunehmen, daß die Hersteller, Importeure und H ä n d ler immer, wenn ein R ü c k r u f geboten ist, auch tatsächlich rechtzeitig alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der A b n e h m e r oder Dritter ergreifen werden. 3 2 D i e Motivation der Unternehmen, eine Rückrufaktion durchzuführen, ist vielfältig, jedoch nicht notwendig auf die gleichzeitige und uneingeschränkte Wahrnehmung der Verbraucherinteressen ausgerichtet. Insbesondere in Fällen, in denen ein ursprünglicher, d.h. durch zurechenbares Fehlverhalten vor oder bei Inverkehrbringen verursachter Produktfehler vorliegt, ist eines der Ziele der R ü c k rufaktion sicherlich, die Haftung aufgrund dieses Produktfehlers durch dessen Beseitigung zu vermeiden. Eine Rolle spielt sicher auch, daß ein Bekanntwerden gravierender Sicherheitsmängel und des Untätigbleibens des Herstellers zu einer Schädigung seines guten Rufes und damit seiner Wettbewerbsposition führen kann. Es soll auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß nicht nur zivil-und strafrechtliche Sanktionsdrohungen die Entscheidungsträger im U n t e r n e h m e n beeinflussen, sondern auch ein natürliches Verantwortungsgefühl. Insoweit laufen wohlverstandene U n t e r n e h m e n s - und Verbraucherinteressen parallel. Andererseits stehen bei Unternehmensentscheidungen wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Es werden deshalb tendenziell die Maßnahmen getroffen, die den Unternehmenszielen am besten dienen; die Befriedigung von Verbraucherinteressen ist ein Nebeneffekt. Glaubt man z . B . daß eine Rufbeeinträchtigung entweder gar nicht stattfindet oder allenfalls kurzfristig wirken wird, weil die Verbraucher das Verhalten des Unternehmens bald vergessen haben werden oder weil man mit gezielten Public-Relations-Maßnahmen erfolgreich gegensteuern kann, wird man entweder auf die nachträglichen Gefahrabwendungsmaßnahmen ganz verzichten oder den Aufwand reduzieren und statt eines Reparaturangebots z . B . nur eine Warnung durchführen. Kurz, wenn die rechtlichen oder wirtschaftlichen Sanktionsdrohungen nur „leere D r o h u n g e n " sind 33 , bestehen wenig Anreize, im Interesse der Verbraucher umfassende Gefahrabwendungsmaßnahmen vorzunehmen. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß es längst nicht immer bewußtes, gewinnorientiertes Kalkül sein muß, welches Unternehmensinteressen kalt über 31 Der ADAC hat allerdings eine Liste von Produktfehlern im Kfz-Bereich aufgestellt, in denen ein seiner Meinung nach gebotener Rückruf unterlassen wurde, und auf dem 21. Deutschen Verkehrsgerichtstag 1983 in Goslar der Presse zur Verfügung gestellt. S. auch Wegener, DAR 1983, 65, 67. 32 Diesen Eindruck versuchen jedoch j ene Autoren zu erwecken, die behaupten, daß zwischen Herstellern und Verbrauchern eine Interessenidentität bestehe, welche einen umfassenden und in keiner Hinsicht ergänzungsbedürftigen Schutz der Verbraucher durch die vom Hersteller initiierten Maßnahmen garantiere; s. etwa Hollmann, PHI1986,3 7; u. Hülsen, in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S. 223ff., 227f. 33 Weil die Ursächlichkeit des Fehlers schwer zu entdecken sein wird oder gar nicht nachgewiesen werden kann, weil ein Verschulden nicht zu beweisen sein wird, weil - aus der Sicht des Unternehmens - nur tragbare Schäden drohen, weil sich kaum Kläger werden finden lassen, weil die Marktposition ein Abwandern von Kunden nicht erwarten läßt etc.
Das Problem
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berechtigte Sicherheitsinteressen der Verbraucher stellt; in der Regel wird es vielmehr u m Fahrlässigkeiten, um Fehleinschätzungen der G e f a h r und der D r i n g lichkeit von Gegenmaßnahmen gehen. 3 4 U n t e r diesen Umständen fragt sich, ob die anfänglich geschilderten und die unbekannten unterlassenen Rückrufaktionen der Kulanz der U n t e r n e h m e n und ihrer Furcht vor schwerwiegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Sanktionen überlassen bleiben können oder ob sie nicht auch rechtlich dazu verpflichtet sind und diese Pflichten klageweise durchgesetzt werden können. D i e Beantwortung dieser Fragen wird den Gegenstand der vorliegenden Arbeit ausmachen. Sie wird sich dabei auf die Untersuchung der Problematik nach dem Zivilrecht beschränken. Öffentlich-rechtliche Regelungen der „ N a c h m a r k t k o n trolle" einschließlich der Möglichkeit von Rückrufanordnungen 3 5 und strafrechtliche Sanktionen wegen der Unterlassung gebotener Rückrufaktivitäten 3 6 werden zwar berücksichtigt, doch nur soweit sie für die zivilrechtliche Beurteilung B e deutung haben. E s wird darum gehen herauszuarbeiten, ob das geltende Vertragsrecht, das verschuldensabhängige (§§ 823ff. B G B ) wie das verschuldensunabhängige Produkthaftungsrecht ( P H G ) oder das Wettbewerbsrecht ( U W G ) dem H e r steller, Importeur oder Händler eines Produktes die Pflicht auferlegen, die von diesen Produkten ausgehenden Gefahren auch nach dem Inverkehrbringen abzuwenden, und ob mit dieser Pflicht, soweit sie bestehen sollte, Ansprüche der B e troffenen auf ihre Erfüllung korrespondieren. D a b e i wird es insbesondere notwendig sein, die Gründe für das Bestehen solcher nachträglichen Pflichten und die Kriterien herauszuarbeiten, nach denen die konkreten Handlungs- und U n terlassungsgebote für die Pflichtigen, die ihnen zur Abwendung der Gefahr auferlegt werden, abgeleitet werden. Diese Probleme sind bisher weder ausreichend literarisch behandelt n o c h befriedigend gelöst. Zwar gibt es mittlerweile eine Reihe von Autoren, die sich in Aufsätzen oder als Teil von Gesamtdarstellungen des Produkthaftungsrechts mit dem R ü c k r u f gefährlicher Produkte befaßt haben 3 7 ; in der monographischen L i 34 Die organisatorischen Voraussetzungen für eine effektive Produktbeobachtung und Durchführung von Rückrufmaßnahmen fehlen, weil „schon nichts passieren" wird. Eine Warnung wird der Reparatur vorgezogen, weil man davon ausgeht, der Verbraucher werde schon vernünftig genug sein, sie zu befolgen. 35 S. etwa §69 Abs. 1 AMG, §6 Abs. 1 GSG und §9 ProdSG. 36 S. nur LG München II, in: Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung, Bd. IV, Nr. IV.28 „Metzeler" und BGHSt 37, 106 = NJW 1990, 2560 = BB 1990, 1856 = JuS 1991, 253 m. Anm. Hassemer = EWiR §223a StGB 1/90,1017 m. Anm. Marxen = MDR 1990,1025 = JR 1992, 27 = NStZ 1990, 588 = StrVert 1990, 446 - „Lederspray". 37 Zuerst Löwe, DAR 1978, 288; ders., ZVR 1979, 225; Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320; Sack, DAR 1983, 1; ders., GRUR Int. 1983,565;/. Hager, VersR 1984,799; K. Mayer, DB 1985,319;//. Herrmann, BB 1985,1801; Schwenzer, JZ 1987,1059; Pieper, BB 1991,985; Pauli, PHI 1985,134 und 180; Hollmann, PHI 1986, 37; v. Hülsen, RIW/AWD 1977, 91; ders., in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.223ff. Aus der Handbuch-Literatur sind hervorzuheben Foerste, in: Produkthaftungshandbuch; Kullmann, in: Kullmann/Pfister; Schmidt-Salzer, Produkthaftung. BandIII/1: Deliktsrecht. Umfassender unter Berücksichtigung des verwaltungsrechtlichen Instrumentariums gehen Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier an das Thema heran.
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Einleitung
teratur gibt es bisher die Dissertationen von Schulenburg 38 , von Rettenbeck 3 9 und von Seeling 40 . Die dabei verfolgten Ansätze sind ebenso unterschiedlich wie die Ergebnisse. Die Rechtsprechung hat die Problematik bis heute erst für den Bereich der Produktbeobachtungs- und die daraus folgenden Warnpflichten präzisieren und im Ansatz lösen können. Viele Fragen sind in den Entscheidungen jedoch noch nicht angesprochen worden. Dies gilt insbesondere für die eigentlichen Rückrufpflichten der Reparatur und des Austauschs und der vorbeugenden Durchsetzung dieser Pflichten. Was bisher fehlt, ist eine umfassende Behandlung des gesamten Komplexes nachträglicher Gefahrabwendungspflichten des Herstellers, Importeurs oder Händlers gefährlicher Produkte von der Produktbeobachtung und Organisation bis zu Warnungen und Maßnahmen direkter Beseitigung der Gefahrenquelle. Bisher völlig unbeachtet geblieben in der rechtlichen Diskussion sind ferner die Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Durchführung eines Rückrufs stellen. Dabei geht es um Fragen des Rechtsverhältnisses, das durch den Rückruf zwischen dem Rückrufenden und dem Rückrufadressaten entsteht und wie Leistungsstörungen in diesem Verhältnis zu behandeln sind. Auch auf diese Fragen soll hier eine Antwort versucht werden. Viele dieser Probleme praktischer Gestaltung von Rückrufpflichten sind im Recht der U S A bereits angesprochen und gelöst worden. Die Behandlung von Rückrufpflichten und -ansprüchen in dieser Rechtsordnung soll deshalb zur Illustration und Argumentationshilfe herangezogen werden. Dem steht nicht entgegen, daß die U S A die „Nachmarktkontrolle" gefährlicher Produkte durch Rückrufe und Warnungen hauptsächlich verwaltungsrechtlich, d.h. durch die Einschaltung von Produktsicherheitsbehörden geregelt haben. Das Problem, wann Rückrufpflichten und -anspräche ausgelöst werden und wie sie inhaltlich konkretisiert werden, ist im wesentlichen das gleiche. 41 Es sollte deshalb hilfreich sein, die US-amerikanischen Erfahrungen zu berücksichtigen, wenn dabei auch immer beachtet werden muß, daß sie nicht nur unter anderen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen gemacht wurden, sondern auch in einem anderen Rechtssystem und einem anderen Rechtsgebiet. Ein kurzer Blick gilt ferner den Vorschriften der E U , soweit sie durch die Produkthaftungsrichtlinie und die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie (zusammen mit den sog. vertikalen Produktsicherheitsrichtlinien) das deutsche Recht beeinflußt haben.
38 Schulenburg, Der Rückruf des Warenherstellers im deutsch-amerikanischen Rechtsvergleich, Frankfurt/M. 1992. 39 Rettenbeck, Die Rückrufpflicht in der Produkthaftung, 1994, der jedoch die Warnpflichten weitgehend ausklammert und zu teilweise nicht ausreichend differenzierten und deshalb auch nicht immer befriedigenden Ergebnissen kommt. 40 Seeling, Die „Rückrufpflicht" des Warenherstellers, Aachen 1996. 41 Allerdings werden sich die zivilrechtlichen Pflichten auf die Abwendung hinreichend konkreter Gefährdungen beschränken müssen, während verwaltungsrechtlich auch abstrakte Gefahrsituationen bekämpft werden können.
Begriffliche
Abgrenzung
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2. Kapitel
Begriffliche
Abgrenzung
Die rechtliche Diskussion des Rückrufs gefährlicher Produkte leidet unter der Unscharfe, mit der dieser Begriff verwendet wird. 42 Wie bei vielen schlagwortartig gebrauchten Begriffen wird er von den Teilnehmern an der Diskussion unterschiedlich verstanden. Dies wird dadurch verschleiert, daß der Begriff sprachlich leicht zugänglich erscheint und eine vermeintlich unproblematische Umschreibung eines vielen geläufigen Sachverhaltes darstellt. Man verbindet damit spontan bestimmte Vorstellungen. Würde man eine Umfrage machen, so zeigte sich wahrscheinlich als Ergebnis, daß die meisten mit „Rückruf fehlerhafter Produkte" nicht nur die Warnung der Konsumenten vor einem gefährlichen Produkt, sondern - entsprechend der wohl am weitesten bekannten Praxis in der Automobilindustrie - auch die kostenlose Reparatur eines nachträglich entdeckten Fehlers des Produktes verbinden. Andere jedoch werden darin die Warnung der Verbraucher vor der Verwendung eines Produktes sehen, wiederum andere hingegen dessen gänzliches Ausdemverkehrziehen. Diese begriffliche Unschärfe findet sich auch in der juristischen Literatur zu dem Problemkreis. So erfaßt Hauschka unter dem Begriff „Produktrückruf" auch den Fall, in dem lediglich zur Vernichtung oder zum Nichtverzehr von Produkten aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr öffentlich aufgerufen, also eine Warnung ausgesprochen wird. 43 Schwenzer dagegen trennt bereits im Titel ihres Aufsatzes zwischen Rückruf- und Warnpflichten. 44 Brüggemeier wiederum bezeichnet das Ausdemverkehrziehen aller entsprechenden gefährlichen Produkte als „Rückruf'-Aktion. 4 5 H . Herrmann hingegen sieht in Rückrufen keine individuellen Maßnahmen, sondern solche, die über Massenmedien erfolgen 46 , denn es gehe um Ansprüche gegen den Hersteller mangelbehafteter Massenwaren, die Produkte nach Inverkehrbringen zurückzufordern, wobei ein solcher Rückruf ohne ein Recht auf Mangelbeseitigung kein geeignetes Mittel der Gefahrenabwehr sei. 47 Rettenbeck, der kürzlich die bisher umfassendste Untersuchung der Problematik vorgelegt hat, definiert den Rückruf als „die Aufforderung des Herstellers an den Besitzer, das auf Grund des Fehlers gefährliche Produkt zwecks Schadensverhütung in den Unternehmensbereich zurückzuführen, unter gleichzeitigem Angebot einer Leistung", die in einer Uberprüfung, einer Reparatur, ei-
Dies beklagt auch Pieper, B B 1991, 985, S. 987. Hauschka, A G 1988, 29, S.30 Fn.3. 44 Schwenzer,JZ 1987,1059; so zudiSack, B B 1985,813, S. 817. Auch Schulenburg, Der Rückruf, a.a.O., S.2 grenzt den Rückruf von der Warnung ab. 45 Brüggemeier, W M 1982, 1294, S.1302. Ähnlich die Gleichsetzung auch bei Löwe, D A R 1978,288, S.288. 46 H. Herrmann, B B 1985, 1801, S.1804. 4 7 Ebd. S. 1801, 1802. 42
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Einleitung
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nem Austausch oder einer Geldleistung bestehen kann. 4 8 Pieper schließlich versteht unter dem Begriff eine zu stufende Skala möglicher Maßnahmen, die von der Warnung bis zur R ü c k n a h m e reichen. 4 9 Diese Situation ist unbefriedigend. Gerade wenn es u m die Begründung von rechtlichen Rückrufpflichten und Rückrufansprüchen geht, kann eine mehr oder weniger diffuse Begriffsvorstellung gefährlich sein. Erforderlich ist eine klare A b grenzung dessen, was unter der Kurzbezeichnung „ R ü c k r u f " verstanden werden soll. N u r so k ö n n e n Mißverständnisse vermieden, der zugrundeliegende Konflikt interessengerecht gelöst und Rechtssicherheit erreicht werden. Bereits einige Überlegungen zur Bedeutung des Wortes „ R ü c k r u f " zeigen, daß sich hinter diesem vordergründig einfachen Begriff ein äußerst komplexer Sachverhalt verbirgt, der nach Differenzierung verlangt. A u f der banalsten sprachlichen E b e n e bedeutet „ R ü c k r u f " offensichtlich, daß etwas (in unserem Zusammenhang: ein fehlerhaftes Produkt) zurückgerufen wird. Ist aber dieser „ R u f " nur ein „Zuruf", eine Warnung also, oder ist er eine Aufforderung, die Sache zurückzugeben? Wäre eine solche Aufforderung durchsetzbar und welche K o n s e quenzen hätte ihre Nichtbefolgung? U n t e r welchen Bedingungen muß
mögli-
cherweise ein R ü c k r u f erfolgen? Von w e m m u ß der R ü c k r u f ausgehen und wen muß er erreichen? Sind im Vorfeld besondere M a ß n a h m e n erforderlich, um die Notwendigkeit eines Rückrufs zu erkennen und das Erreichen seiner Adressaten sicherzustellen? Reicht ein R ü c k r u f mit dem A n g e b o t der R ü c k n a h m e bzw. der Aufforderung zur Rückgabe oder ist die Beseitigung des Fehlers erforderlich? Wer trägt die Kosten des Rückrufs, der Rückgabe oder der Reparatur? D i e Verschiedenheit der Fragestellungen deutet bereits an, daß es keine einfache und für alle Fallkonstellationen gleichermaßen gültige rechtliche Lösung der Rückrufproblematik geben wird. Es erscheint deshalb sinnvoll, sich einmal den Ablauf, die einzelnen Schritte einer bis zur schließlichen Gefahrbeseitigung führenden Rückrufaktion vor Augen zu halten, unabhängig davon, ob jeder dieser Schritte rechtlich gefordert oder „nur" von dem wirtschaftlich begründeten B e streben des Unternehmens motiviert ist, Schadensersatzrisiken oder zukünftige Absatzeinbußen aufgrund von Imageverlusten zu minimieren. A m Anfang steht die Entdeckung der Fehlerhaftigkeit des Produktes nach dessen Markteinführung, sei es weil der Fehler vorher aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entdeckt werden konnte, sei es weil vorher nicht die gebührende Sorgfalt bei M a ß n a h m e n der Qualitätskontrolle angewandt worden war. 50 Diese Entdeckung hat einen janusköpfigen Charakter. In die Zukunft ge48 49
Rettenbeck, S.15. Pieper, BB 1991, 985, 987.
50 Selbstverständlich besteht auch die Möglichkeit, daß die Fehlerhaftigkeit bereits vorher bekannt war, die Markteinführung aber dennoch vorgenommen wurde. Der Grund dafür kann sein, daß das Gefahrenpotential unterschätzt wurde oder daß man glaubte, der Fehler sei mit wirtschaftlich zu rechtfertigendem Aufwand nicht vermeidbar, er werde unentdeckt bleiben, dem Unternehmen nicht zugerechnet oder seine Entdeckung werde keine gravierenden Absatznachteile oder Schadensersatzforderungen mit sich bringen. Die tatsächliche Entwicklung mag
Begriffliche
Abgrenzung
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richtet bedeutet sie, daß die nunmehrige Kenntnis des Fehlers die Produktion neuer Produkte beeinflussen muß. N e u erkannte Konstruktions-oder Instruktionsfehler müssen ausgemerzt werden. In die Vergangenheit gerichtet stellt sich die Frage nach einer Behandlung der bereits in Verkehr gelangten Produkte. Soweit die Produktverantwortung des Herstellers nicht generell mit dem Zeitpunkt, in dem das Produkt seine Sphäre verläßt, erlischt, kann die neue Erkenntnis der Fehlerhaftigkeit des Produktes auch in dieser Hinsicht nicht folgenlos bleiben. D e r Hersteller m u ß deshalb als nächstes das Gefahrpotential des entdeckten Fehlers für Besitzer, Benutzer oder Dritte einschätzen. Ist dieses nicht vernachlässigenswert gering, m u ß über die erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrbeseitigung nachgedacht werden. D a z u mag es unter Umständen ausreichen, vor der Benutzung oder dem Besitz des Produktes zu warnen oder über die Gefahren zu informieren. Ist dies der Fall, m u ß entschieden werden, wer zu informieren ist und wie. Bereits im Vorfeld wird sicherzustellen sein, daß der Personenkreis, der nach den Umständen erreicht werden soll oder muß, auch in geeigneter Weise und angemessener Zeit erreicht werden kann. Soweit eine Gefahrbeseitigung oder ausreichende Gefahrverminderung durch diese M a ß n a h m e n nicht erreicht werden kann, muß weiter geprüft werden, ob die R ü c k n a h m e des fehlerhaften Produktes angeboten wird. 5 1 Statt der bloßen R ü c k nahme kann jedoch auch eine Reparatur oder ein Austausch infrage k o m m e n . In diese Fällen stellt sich ferner die Frage der Kompensation. Sowohl zur Sicherung einer effektiven Beseitigung der Gefahr als auch zur Vermeidung zu großer I m a geverluste mag es erforderlich sein, die Kunden bzw. Benutzer auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist für den Verlust einer nicht reparaturfähigen Sache angemessen zu entschädigen, das fehlerhafte gegen ein neues Produkt auszutauschen oder seine Reparatur kostenfrei durchzuführen. Diese kurze Skizze des Entscheidungsprozesses des Herstellers und der Stufen und Gabelungen hinsichtlich der Vorbereitung und Durchführung einer R ü c k rufaktion zeigt bereits, daß es sich dabei um ein komplexes Geschehen handelt, für dessen rechtliche Beurteilung sich vielfältige Ansatzpunkte finden lassen werden. Abgesehen von den tatsächlichen Gegebenheiten jedes Einzelfalles je nach Gefahrenpotential des fehlerhaften Produktes, nach Zahl und Art der Bedrohten etc. wird es dabei auf eine Differenzierung der Gefahrabwendungsmaßnahmen, die zur Pflicht gemacht oder beansprucht werden können, ankommen. Dafür bietet sich zunächst eine Unterscheidung nach solchen M a ß n a h m e n an, die direkt der Gefahrenabwehr durch den Hersteller oder den Betroffenen dienen, und anderen, welche deren effiziente Durchführung ermöglichen sollen. Zu letzteren gehören Maßnahmen, die üblicherweise unter dem Begriff der P r o d u k t b e o b a c h dann diese Erwartungen enttäuschen und das Unternehmen wenigstens zu einer Rückrufaktion zur Schadensbegrenzung veranlassen. Läßt sich in solchen Fällen nachweisen, daß die Gefährdung der Produktbenutzer oder Dritter bewußt in Kauf genommen wurde, könnte möglicherweise der Tatbestand des § 826 BGB erfüllt sein. Allerdings handelt es sich dabei um Ausnahmefälle. 51 Sack, BB 1985, 813, 817 m.w.N.
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Einleitung
tung zusammengefaßt werden und der Fehlererkennung, -bewertung etc. dienen, und Maßnahmen, welche die organisatorischen Voraussetzungen für die D u r c h führung der eigentlichen Gefahrabwendungsmaßnahmen schaffen sollen. Diese wiederum lassen sich unterteilen in Maßnahmen, bei denen der rückrufende Hersteller die Gefahr selbst durch Reparatur, Austausch oder R ü c k n a h m e beseitigt oder beseitigen läßt, und solche, bei denen er den Betroffenen durch Warnungen und Aufklärung Informationen zur Verfügung stellt, welche diese in die Lage versetzen sollen, die Gefahr selbst zu beseitigen oder ihre Verwirklichung zu vermeiden. F ü r jede dieser M a ß n a h m e n ist gleichzeitig die Kostenfrage zu beantworten, was zu weiteren Differenzierungsmöglichkeiten führt. D i e einzelnen Phasen einer Rückrufaktion bzw. die damit zusammenhängenden M a ß n a h m e n stehen somit in einem bestimmten Verhältnis zueinander. E i gentliche Rückrufmaßnahmen sind die Warnung bzw. Information der Benutzer, die Aufforderung zur Rückgabe des Produktes sowie seine R ü c k n a h m e und die Nachbesserung oder sein Austausch. Diese M a ß n a h m e n sind allerdings mit unterschiedlichen Kosten einerseits und unterschiedlichen Wirkungsgraden hinsichtlich der Gefahrbeseitigung andererseits verbunden. Wirkungsgrad und K o stenhöhe sind dabei positiv korreliert: D i e regelmäßig wohl kostengünstigste Maßnahme der bloßen Information der Benutzer bietet gleichzeitig die geringste G e w ä h r für eine wirksame Beseitigung der Gefahr, da sie v o m tatsächlichen E r reichen und der Mitwirkung der Adressaten abhängt. D i e fehlerhaften Produkte aus dem Verkehr zu ziehen, beseitigt dagegen zwar die Gefahr am zuverlässigsten, ist aber in der Regel auch am teuersten, insbesondere wenn aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Gefahrbeseitigung für die Kunden kostenfrei gehalten werden soll. E s wird deshalb nach der Interessenlage jedes Einzelfalls zu prüfen sein, welche konkrete Rückrufmaßnahme ergriffen werden muß. N e b e n diese eigentlichen Rückrufmaßnahmen treten die vorbereitenden und unterstützenden Maßnahmen der Produktbeobachtung und der Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen für eine effiziente Durchführung des R ü c k rufs. 5 2 Dabei hat die Produktbeobachtung nicht nur im Zusammenhang mit m ö g licherweise erforderlichen Rückrufen Bedeutung, sondern sie wirkt sich auch auf die laufende Produktion aus. Bereits diese kurze Darstellung hat gezeigt, daß unter dem Kürzel „Rückruf fehlerhafter P r o d u k t e " sehr unterschiedliche wirtschaftliche und rechtliche P r o bleme subsumiert werden. Wenn im folgenden dennoch vereinfachend diese K u r z f o r m e l verwendet wird, ist daher stets im Auge zu behalten, daß es sich um einen äußerst komplexen Sachverhalt handelt, der als Voraussetzung die Produktbeobachtung und gewisse organisatorische Maßnahmen hat und der ein Spektrum von der bloßen Fehlerinformation bis zur kostenlosen Nachbesserung, dem Austausch des Produktes oder der Entschädigung dafür umfassen kann. 5 3 Inwie-
52 So auch P. Ulmer, Z H R 152 (1988) 564, 571 f. Ausführlich dargestellt werden solche Maßnahmen bei Hauschka, AG 1988, 29. 53 Wie hier auch T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984), S.402: „...the
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weit innerhalb bestimmter Abschnitte dieses Spektrums rechtliche Pflichten und/ oder Ansprüche festgestellt werden können, ist je nach Interessenlage im Einzelfall sehr unterschiedlich zu beurteilen. Jedenfalls wird man den konkreten Inhalt der „Rückrufpflicht" oder des „Rückrufanspruchs", so sie rechtlich bestehen, nicht global bestimmen können, sondern abstufend ermitteln müssen. 5 4 D i e P r o blematik, welche Gefahrabwendungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang geeignet, erforderlich und zumutbar sind, welche also dem Hersteller (oder H ä n d ler, Importeur) von der Rechtsordnung als Verpflichtung auferlegt werden ( k ö n nen), kann nicht für einzelne dieser Maßnahmen isoliert, sondern nur im Zusammenhang aller infrage kommender Maßnahmen gelöst werden. O b die Rechtsordnung von einem Hersteller die kostenlose Reparatur eines von ihm in den Verkehr gebrachten gefährlichen Produktes verlangt, kann nicht ohne Bezug auf die Eignung einer Warnung zur Gefahrabwendung bestimmt werden. Im R a h m e n der vorzunehmenden umfassenden Einzelfallwürdigung und Interessenabwägung müssen vielmehr im H i n b l i c k auf ihre Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit alle grundsätzlich in Betracht kommenden Maßnahmen gegeneinander abgewogen werden. Eine einzelne davon oder auch ein nach bestimmten Kriterien ausgewähltes Bündel herauszugreifen, erscheint deshalb nicht sinnvoll. 55 Als Kurzformel für diese möglichen Maßnahmen zur Abwendung, Beseitigung oder Verminderung der Gefahren, die von gefährlichen Produkten ausgehen, soll hier der Begriff des Rückrufs verwendet werden. E r umfaßt also in diesem weiteren Sinne nicht nur Maßnahmen, die den gefährlichen Gegenstand wieder in den endgültigen oder vorübergehenden Besitz des Herstellers bringen sollen 56 , sondern auch Warnungen der Verbraucher oder Informationen darüber, wie sie den Fehler selbst beheben können.
3. Kapitel
Gang der
Untersuchung
D i e Diskussion der Rückrufproblematik beginnt im zweiten Teil mit einer Darstellung des Rechts der U S A . D a b e i werden zunächst die verwaltungsrechtlichen Ansätze der verschiedenen Produktsicherheitsbehörden geschildert und ihre Probleme und Lösungen aufgezeigt. E s geht insbesondere um die Bestimmung der Kriterien, nach denen entschieden wird, wann ein R ü c k r u f durchgeführt werterm ,recall' encompasses a variety of post-sale remedial actions by product manufacturers and sellers. These include notifying consumers of problems with products, offering to repair products, and offerings to refund or replace products." 54 So statt vieler auch Pieper, BB 1991, 985. 55 Bereits Löwe (ZVR 1979, 225) hat die Frage nach der Rückrufpflicht allein als zu eng bezeichnet, da der Rückruf immer nur ultima ratio sein könne. 56 So aber Rettenbeck, S. 15.
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Einleitung
den muß, und um die Frage, wie er gestaltet sein muß, um das Sicherheitsziel zu erreichen. Es erfolgt dann ein Wechsel von der verwaltungsrechtlichen auf die zivilrechtliche Ebene. Nach einer gerafften Darstellung der Anspruchsgrundlagen des Produkthaftungsrechts der U S A folgt eine Untersuchung, inwieweit die verwaltungsrechtlichen Rückrufpflichten durch zivilrechtliche ergänzt werden und ob auch zivilrechtliche Ansprüche Einzelner (eventuell im Rahmen einer class action) auf die Durchführung von Rückrufen bestehen können. Im Anschluß daran wird über die praktischen Erfahrungen mit den Auswirkungen von Rückrufen auf das Unternehmens- und das Verbraucherverhalten berichtet. Es wird untersucht, ob die Unternehmen organisatorisch auf die erfolgreiche Durchführung von Rückrufen eingestellt sind, ob und inwieweit die Rückrufadressaten darauf reagieren und schließlich, welche Auswirkungen Rückrufe auf die Marktstellung des betroffenen Unternehmens haben. Im dritten Teil wendet sich die Arbeit dann dem Produktsicherheitsrecht der EU zu, insbesondere wie es sich in den beiden grundlegenden Richtlinien zur Produkthaftung und zur Produktsicherheit manifestiert. Gleichzeitig wird das aus der Umsetzung dieser Richtlinien hervorgegangene deutsche Recht (Produkthaftungsgesetz, Produktsicherungsgesetz) mit seinen Bezügen zur Rückrufproblematik dargestellt. Der vierte Teil ist als Kernstück der Arbeit dem Rückruf im deutschen Zivilrecht gewidmet. Er beginnt mit einer Darstellung der rückrufäquivalenten Pflichten und Ansprüche im Vertragsrecht; damit sind solche gemeint, die im Ergebnis wie Rückrufe zu Warnungen, Informationen, Nachbesserungen, Nachlieferungen oder Produktrücknahmen führen. Die Bedeutung solcher Pflichten und Ansprüche für den Schutz der Benutzer und Dritter vor gefährlichen Produkten erweist sich aber wegen der kurzen Verjährungsfrist des Gewährleistungsrechts und der Beschränkung des personellen Schutzbereichs auf die Vertragsparteien als unzureichend. Im Gegensatz dazu zeigt sich das Deliktsrecht bzw. die verschuldensabhängige Produkthaftung nach §§823 ff. BGB als die eigentliche Heimstatt von Rückrufpflichten. Rückrufpflichten stellen sich als eine Ausprägung der allgemeinen Verkehrspflichten dar. Deren Entstehungsgründe werden deshalb rekapituliert und auf ihre Bedeutung für die Rückrufproblematik abgeklopft. Dabei zeigt sich, daß den Hersteller von Produkten auch eine nachträgliche Produktverantwortung trifft, aus der Gefahrabwendungspflichten auch nach dem Inverkehrbringen erwachsen können. Diese Arten von Gefahrabwendungspflichten im Zusammenhang mit dem Rückruf gefährlicher Produkte werden zunächst erläutert und ihr Verhältnis zueinander abgeklärt. Dann wird untersucht, nach welchen Kriterien für den Einzelfall bestimmt wird, welchen konkreten Inhalt die Pflicht haben soll, ob z.B. eine Warnung ausreicht oder der Austausch des defekten Produktes gegen ein einwandfreies angeboten werden muß. Diese Auswahl wird vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht, der im folgenden allgemein und in seiner Anwendung auf im Verkehr befindliche gefährliche Produkte dargestellt wird. Da-
Begriffliche
Abgrenzung
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nach müssen die Maßnahmen geeignet, erforderlich und sowohl dem Hersteller als auch den Betroffenen zumutbar sein. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, wobei die dabei zugrundezulegenden Kriterien ausführlich diskutiert werden. Es folgt dann die Anwendung dieser Grundsätze auf verschiedene Fallgruppen gefährlicher Produkte. Dabei wird zwischen Fallgruppen unterschieden, in denen keinerlei Gefahrabwendungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen, solchen, bei denen Warnungen oder andere Informationsmaßnahmen ausreichen und schließlich solchen, die die direkte Beseitigung des Gefahrenherds durch Reparatur, Austausch oder Rücknahme erfordern. Die Darstellung wendet sich dann möglichen Ansprüchen von Gefährdeten gegen den Hersteller zu. Dabei wird zunächst untersucht, ob nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag oder im Rahmen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs Gefährdete oder Dritte Ersatzansprüche gegen den Hersteller haben können, wenn sie den Fehler auf eigene Kosten beseitigen. In einem Exkurs wird untersucht, inwieweit sie sich selbst schadensersatzpflichtig machen können, wenn sie dabei Rechtsgüter des Herstellers verletzen. Schließlich wird diskutiert, ob und in welchem Umfang die Erfüllung der Gefahrabwendungspflichten gegen den Hersteller im Rahmen eines vorbeugenden Rechtsschutzes nach § 823 oder § 1004 BGB durchgesetzt werden können. Das Ergebnis wird zeigen, daß solche Ansprüche nur in geringem Umfang möglich sind. Als weitere mögliche Grundlage für Rückrufansprüche wird das Recht des unlauteren Wettbewerbs untersucht. Das U W G bietet u.a. den Vorteil einer Verbandsklage, der Anerkennung eines weitreichenden vorbeugenden Rechtsschutzes und der Möglichkeit, das Verhalten der Unternehmen nicht nur im Einzelfall sondern insgesamt anzugreifen. Es geht hier insbesondere um Unterlassungsund Beseitigungsansprüche wegen der Täuschung der Verbraucher, wegen Erlangung eines wettbewerblichen Vorsprungs durch Rechtsbruch und wegen sittenwidrigen Verhaltens durch das Inverkehrbringen und „Inverkehrlassen" gefährlicher Produkte. Abgeschlossen wird der vierte Teil mit dem Versuch der Lösung des Konflikts, der durch die Anerkennung von Rückrufpflichten und Rückrufansprüchen mit dem Gewährleistungsrecht entsteht. Der fünfte Teil befaßt sich mit den Rechtsbeziehungen, die zwischen dem rückrufenden Unternehmen und dem Rückrufadressaten entstehen, ein Problemkreis, der - soweit ersichtlich - bisher noch nicht behandelt wurde. Im abschließenden sechsten Teil findet sich dann eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein rechtspolitischer Ausblick.
Zweiter Teil
Rückrufpflichten und Rückrufansprüche im US-amerikanischen Recht 1. Kapitel.
Rückrufe in der US-amerikanischen und Rechtspraxis
Wirtschafts-
D i e ersten Rückrufaktionen fanden in den U S A bereits in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts statt. 1 Sie betrafen A u t o m o b i l e wie den Packard von 1903, den Buick von 1916 und den Maxwell von 1924. A u c h heute noch k o m m t den Rückrufaktionen der Automobilindustrie aufgrund der überragenden Bedeutung des Autos sowohl für die Wirtschaft als auch für das Privatleben in den U S A eine prägende Rolle zu. Die N a m e n der verbliebenen drei großen amerikanischen A u t o m o b i l k o n z e r n e in Detroit finden sich in vielen Entscheidungen, die wegweisend für die Entwicklung des Rechts der Produzentenhaftung und des R ü c k rufs waren. Entgegen der heutigen umfassenden Publizität, die Rückrufaktionen der A u t o mobilhersteller erfahren, handelte es sich bei den erwähnten ersten Rückrufaktionen meist um „stille R ü c k r u f e " . D i e Autobesitzer wurden dabei nicht über den Fehler informiert. Vielmehr wurden die Händler und Werkstätten angewiesen, den Fehler unauffällig bei dem nächsten Werkstattbesuch zu beseitigen. Diese Praxis blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt bis 1966, als die A u t o mobilindustrie zur Offenlegung von Zahlen gezwungen wurde. Dabei stellte sich heraus, daß allein in den Jahren 1959 bis 1965 ca. 8,7 Millionen Autos von solchen „stillen R ü c k r u f e n " betroffen waren. 2 Diese „Entdeckung" war mit ausschlaggebend dafür, daß 1966 der National Traffic and M o t o r Vehicle Safety A c t erlassen 3 und als Aufsichtsbehörde die N a tional Highway Traffic and Safety Administration gegründet wurde. Dieser B e hörde wurden weitgehende Vollmachten eingeräumt, Sicherheitsstandards für Autos vorzuschreiben, deren Einhaltung zu überwachen und Warn- und R ü c k rufaktionen auf Kosten der Hersteller anzuordnen. Die Hersteller wurden außer1 2 3
Levenson, 113 Dun's Review 117 (Jan. 1979). S. dazu Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.303, Fn.9 m.w.N. 15 U.S.C. §§1381-1431 in der heutigen Fassung.
Rückrufpraxis
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dem verpflichtet, Sicherheitsmängel der Behörde, Käufern und Händlern mitzuteilen und diese kostenlos zu beseitigen. 4 Von 1966 bis 1979 haben die A u t o h e r steller Rückrufaktionen für über 83,7 Millionen Autos wegen Sicherheitsmängeln vorgenommen. 5 Dabei wurden z.T. ganze Modellreihen zurückgerufen, o b w o h l nur ein Prozent der Fahrzeuge den Fehler aufwiesen, jedoch unbekannt war, welche dies waren. 6 D i e Kosten solcher Rückholaktionen sind enorm. Bereits Ende der 70er Jahre wurden sie für die Reparatur von Mängeln an 1,5 Millionen Fahrzeugen des F o r d Pinto auf 3 0 - 4 5 Millionen U S $ geschätzt. 7 Heute können sogar Milliarden Dollar auf dem Spiel stehen. 8 Allerdings sind damit n o c h nicht alle volkswirtschaftlichen Kosten erfaßt, da selbst eine kostenlose Reparatur v o m Besitzer Aufwand an Zeit und Geld (etwa für die Fahrt zur Werkstatt) erfordert. 9 Zum Teil wird deshalb der volkswirtschaftliche Sinn von Rückrufaktionen wegen hoher Kosten bei nur relativ geringen Sicherheitsgewinnen angezweifelt. 1 0 I m Zuge der in den 60er Jahren einsetzenden Konsumentenschutzbewegung wurde in den U S A 1972 die C o n s u m e r Product Safety C o m m i s s i o n gegründet, der die Ausführung des neu erlassenen C o n s u m e r Product Safety Act und von vier anderen Produktsicherheitsgesetzen übertragen wurde. Auch diese Behörde hat die Möglichkeit, Sicherheitsstandards für Produkte für Endverbraucher festzulegen und R ü c k r u f e von in den Verkehr gelangten gefährlichen Produkten mit den Herstellern auszuhandeln oder anzuordnen. Entsprechend der Breite der betreuten Produktpalette sind die Zahlen der durchgeführten Rückrufaktionen n o c h erheblich höher als im Automobilsektor. Allein im Jahre 1991 wurden 703 A k t i o n e n zur Fehlerbeseitigung durchgeführt, die insgesamt 39 Millionen P r o dukteinheiten (Kaffeemaschinen, Heizgeräte, Spielwaren, Fitneß-Geräte, B a b y ausrüstungen etc.) betrafen. 1 1 4 15 U.S.C. §1411, mit geringfügigen Ausnahmen in 15 U.S.C. §§ 1414(a)(4) und 1417. 15 U.S.C. § 1414 gibt dem Hersteller ein Wahlrecht zwischen Reparatur, Austausch oder Rückerstattung des Kaufpreises. 5 Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.302, Fn.3. 6 Der Rückruf von 1,3 Mio. Fahrzeugen der Marken Dodge Aspen und Plymouth Volare diente so dazu, die 13 000 tatsächlich fehlerhaften Autos herauszufinden und zu reparieren. Ebd. S. 306, Fn. 30. 7 S. Tamarkin, 122 Forbes 78 (July 10, 1978) mit zahlreichen weiteren Beispielen. 8 S. die geschätzten Kosten einer Rückrufaktion für über 6 Millionen Fahrzeuge von General Motors, auf die die zuständige Behörde dann jedoch im Rahmen eines äußerst umstrittenen Vergleichs verzichtete; s. Bennett, New York Times vom 3. Dezember 1994, S. 1, 7 und vom 5. Dezember 1994, S. A16. 9 Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.305f.; ferner Lamken, 42 Stan. L. Rev. 103 (1989). 10 Guzzardi, Fortune v. 9. Apr. 1979, 54-64; zuletzt äußerst kritisch gegenüber staatlichen Maßnahmen zum Schutze der Sicherheit von Verbrauchern Breyer, 1993; dazu jedoch die durchwegs sehr kritischen Buchbesprechungen von Zubler, 8 Harv. J. L. Sc Tech. 241 (1994), Heinzerling, 62 U. Chi. L. Rev. 449 (1995) und Ditlow/Claybrook, 25 Antitrust L. & Econ. Rev. 91 (No. 3, 1994). 11 Consumer Product Safety Commission, 1991 Annual Report to Congress, Washington, D.C. 1992, S.l.
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D i e F o o d and D r u g Administration, die unter anderem für die Sicherheit von Arzneimitteln und medizinischen Geräten zuständig ist, initiiert ebenfalls jährlich mehrere hundert Rückrufe.' 2 Sie hat zwar formell keine generelle K o m p e tenz, R ü c k r u f e anzuordnen, doch ist sie überaus erfolgreich darin, R ü c k r u f e durch Verhandlungen mit den Herstellern zu erreichen. D a b e i hilft die M ö g l i c h keit der Behörde, zur Gefahrenabwehr die Öffentlichkeit umfassend informieren und nicht den Gesetzen entsprechende Produkte beschlagnahmen zu können. F ü r die „voluntary recalls" hat die Behörde elaborierte Richtlinien entwickelt, die den U n t e r n e h m e n Entscheidungshilfen und Hinweise für die effiziente D u r c h führung eines Rückrufs geben. 1 3 D i e hohe Zahl der R ü c k r u f e im Zuständigkeitsbereich der F D A erfaßt allerdings nicht nur gefährliche Produkte, sondern alle, die in irgendeiner Weise gegen die einschlägigen Gesetze ( z . B . gegen Etikettierungsvorschriften) verstoßen. 1 4 N e b e n den erwähnten Behörden mit Zuständigkeiten im Produktsicherheitsbereich gibt es noch eine Vielzahl von anderen staatlichen Stellen, die Produktrückrufe anordnen können. Bezogen auf die Zahl der tatsächlich vorgenommenen R ü c k rufe ist deren Bedeutung in diesem Zusammenhang jedoch deutlich geringer. F a ß t man die Zahlen allein der drei wichtigsten Behörden im Zusammenhang mit dem R ü c k r u f gefährlicher Produkte zusammen, so läßt sich sagen, daß R ü c k r u f a k tionen für den amerikanischen Verbraucher etwas sehr Vertrautes seinsollten. Gleiches gilt auch für die U n t e r n e h m e n bestimmter Industriezweige wie der A u t o m o bilindustrie, der pharmazeutischen Industrie, der Haushaltsgeräteindustrie und der Spielzeugwarenindustrie. H i e r sind Rückrufaktionen, wenn schon nicht an der Tagesordnung, so doch eine Möglichkeit, mit der täglich gerechnet werden muß. US-amerikanische Unternehmen 1 5 insbesondere in den „rückrufträchtigen" G e schäftszweigen müssen deshalb die organisatorischen wie auch die finanziellen Vorkehrungen treffen, um den gesetzlichen Anforderungen genügen zu können.
2. Kapitel
Rückrufpflichten auf der Grundlage der Produktsicherheitsgesetze A.
Allgemeines
Das System der Produktsicherheit in den U S A ist durch ein enges N e t z von Gesetzen und Behörden, die das Inverkehrbringen gefährlicher Produkte verhindern und für die Beseitigung solcher Gefahren bei dennoch auf den Markt gelangT. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.446. Food and Drug Administration Regulatory Procedures Manual, part 5, Washington, D.C. (im folgenden F D A Manual) 14 T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.446. 15 Aber auch ausländische Unternehmen, die in die USA exportieren. 12 13
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ten Produkten sorgen sollen, gekennzeichnet. Erfaßt sind generell Produkte für Endverbraucher, Landfahrzeuge und Luftfahrzeuge, Lebensmittel, Arzneimittel, medizinische Geräte und Kosmetika, aber auch B o o t e und Trinkwasserbehälter. K a u m eine Produktkategorie, von der erhebliche Gefahren ausgehen können, bleibt dabei ausgespart. Ergänzt wird dieses Arsenal präventiver administrativer M a ß n a h m e n durch ein zivilrechtliches Produkthaftungsrecht, das wegen der Haftung ohne Verschulden und hoher Schadensersatzsummen als sehr streng gilt. Hauptziel der Produkthaftung ist dabei die Schadenskompensation. Inwieweit es sich auch präventiv zur Schadensvermeidung einsetzen läßt, wird später zu untersuchen sein. H i e r sollen zunächst die Möglichkeiten und die Praxis der U S - a m e r i kanischen Produktsicherheitsbehörden im Zusammenhang mit der Vermeidung von Schäden durch im Verkehr befindliche gefährliche Produkte untersucht werden. Viele der Produktsicherheitsgesetze haben sowohl Vorschriften, die durch das Aufstellen von Sicherheitsstandards und Zulassungsprüfungen das Inverkehrbringen gefährlicher Produkte verhindern sollen, als auch solche, die der K o n trolle von Gefahren dienen, wenn gefährliche Produkte dennoch in Verkehr gelangt sind. Zu den letzteren gehören diejenigen, die den jeweiligen Sicherheitsbehörden die K o m p e t e n z für Rückrufanordnungen einräumen. Sie sind aber k o n zeptionell mit den Vorschriften über Sicherheitsstandards verbunden, weil Voraussetzung für eine Rückrufanordnung i.d.R. ein fehlerhaftes bzw. gefährliches Produkt ist, was oft dann vermutet wird, wenn ein relevante Abweichung von den einschlägigen Sicherheitsstandards vorliegt. 1 6 ,
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16 Die Verletzung einer zwingenden Sicherheitsvorschrift stellt eo ipso Fahrlässigkeit dar: S. z.B. Chrysler Corp. v. Dept. of Transportation, 472 F.2d 659 (6th Cir. 1972) für Verletzung des National Traffic and Motor Vehicle Safety Act; Gonzales v. Virginia-Carolina Chemical Co., 239 F.Supp 567 für Verletzung des Federal Insecticide, Fungicide and Rodenticide Act. Allgemein dazu Comment, 64 Mich. L. Rev. 1388 (1966). Umgekehrt schützt den Hersteller der Nachweis, daß sein Produkt den einschlägigen Sicherheitsvorschriften entsprach, nicht automatisch vor Ansprüchen aus Produzentenhaftung: S. z.B. Raymond v. Riegel Textiles Corp., 484 F.2d 1025 (1st Cir. 1973), S. 1027; Howard v. McCrory Corp., 601 F.2d 133 (4th Cir. 1979) S. 138, Simien v. S. S. Kresge Co., 566 F.2d 511 (5th Cir. 1978) S.557 (für Flammable Fabrics Act); Hubbard Hall Chemical Co. v. Silverman, 340 F.2d 402 (1st Cir. 1965); Ferebee v. Chevron Chemical Co., 736 F.2d 1529 (D. C. Cir. 1984) (für Federal Insecticide, Fungicide and Rodenticide Act); Stevens v. Parke Davis & Co., 507 P.2d 563 (Cai. 1973); Wooderson v. Ortho Pharmaceutical Co., 235 Kan. 387,681 P.2d 1038 (1984), McEwen v. Ortho Pharmaceutical Co., 270 Or. 375, 528, P.2d 522 (Or. 1974), Larsen v. General Motors Corp., 391 F.2d 495 (8th Cir. 1968) S. 506 (für National Highway Traffic Safety Act). 17 Ein anderes Problem ist, ob die Tatsache, daß die zuständige Behörde einen Rückruf (oder andere Schutzmaßnahmen) angeordnet hat, in privaten Haftungsklagen als Beweis für die Fehlerhaftigkeit eines Produktes zugelassen werden kann. S. zur Rechtslage mit vielen Nachweisen Frumer/Friedman, §57.05. Gegen die Zulassung nach Rule 407 der Federal Rules of Evidence, Grenada Steel Ind. v. Alabama Oxygen Co., 695 F.2d 883 (5th Cir. 1983) und darin Fn. 1 mit weiteren Nachweisen auf die Literatur zu diesem Problem. Vgl. aber auch Herndon v. Piper Aircraft Corp., 716 F2d 1322 (10th Cir. 1983); Farner v. Paccar, Inc., 562 F.2d 518 (8th Cir. 1977), In re Multi-Piece Rims Products Liability Litigation, 545 F.Supp. 149 (W.D. Mo. 1982).
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B. Rückrufpraxis der
Produktsicherheitsbehörden
Von den zahlreichen Behörden, die in den U S A über die Sicherheit von P r o dukten wachen, k o m m t die größte Bedeutung der C o n s u m e r Products Safety C o m m i s s i o n ( C P S C ) , der F o o d and D r u g Administration ( F D A ) und der N a t i o nal H i g h w a y Traffic Safety Administration ( N H T S A ) zu. Sie sollen im folgenden ausführlicher dargestellt werden, wobei die Rückrufpraxis im einzelnen 1 8 vor allem am Beispiel der National Highway Traffic Safety Administration aufgezeigt werden soll. 1 9
I. National Highway Traffic Safety Administration 1. Aufgabenstellung I m Jahre 1965 starben in den U S A 4 9 0 0 0 Menschen bei Verkehrsunfällen, drei Millionen wurden verletzt; 2 5 % davon mußten ins Krankenhaus, 9 0 % benötigten ärztliche Hilfe; der wirtschaftliche Verlust aufgrund dieser Unfälle wurde auf U S $ 8,5 Milliarden geschätzt. V o m ersten berichteten Verkehrsunfall im Jahre 1897 an bis 1964 waren 1,5 Millionen Amerikaner bei Verkehrsunfällen ums L e ben gekommen. 2 0 Diese schockierenden Zahlen wiesen auf einen akuten H a n d lungsbedarf der Politik hin. H i n z u kam, daß einige spektakuläre Veröffentlichungen über die Sicherheit der Automobile auf dem U S - M a r k t 2 1 auf erhebliche M ä n gel in der Konstruktion der Fahrzeuge hinwiesen und aufgrund ihres Erfolges bei Publikum und Politikern den Weg zu neuen gesetzlichen Regelungen ebneten. Zugleich setzte sich die Erkenntnis durch, daß die grundsätzliche und nicht ausschließbare Fehlbarkeit des Menschen, auf welche die Autokonstrukteure bis dahin die hohen Unfallzahlen zurückgeführt hatten, diese nicht davon entbinde, Autos so zu bauen, daß sie trotz dieser U n v o l l k o m m e n h e i t des Menschen sicher seien. 2 2
18 S. dazu allgemein Frumer/Friedman, § 57; T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984). 19 Als Beispiel für eine ausführliche Darstellung der Rückrufpraxis einer US-Produktsicherheitsbehörde könnte auch die Consumer Products Safety Commission gewählt werden. Darüber liegen jedoch bereits Darstellungen vor, auf die deshalb verwiesen werden kann. S. Rettenbeck, S. 161 ff.; Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, S. 201 ff.; Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, S. 155-209; den., PHI 1987, 30 und 78. 20 Note, 29 Ohio St. L. J. 177 (1968), S. 177. Um die Ungeheuerlichkeit dieser Zahl zu verdeutlichen, wurde darauf hingewiesen, daß die Gesamtzahl der getöteten Opfer das Zweieinhalbfache der Zahl der 605000 Toten aus allen Kriegen der USA von 1775 bis 1964 betrug. 21 Darunter der Klassiker der Konsumentenschutzbewegung des Anwaltes Ralph Nader „Unsafe at Any Speed: The Designed-In Dangers of the American Automobile", erschienen 1965. 22 Mashaw/Harfst, 4 Yale J. Reg. 257 (1987) S.257ff.
Produktsicherheitsgesetze
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D i e Festlegung von Sicherheitsvorschriften für Automobile war bis 1966 im wesentlichen Sache der 50 Einzelstaaten. O f t aber waren diese Regelungen nur punktuell auf bestimmte einzelne Bestandteile des Autos (etwa die Bremsen oder die Reifen) bezogen, nur sehr allgemein gefaßt oder nicht auf dem neuesten Stand der Technik. Außerdem konnte ihre Einhaltung praktisch nicht überprüft werden, da über die Hälfte der Staaten keine Rechtsgrundlage für die Uberprüfung von Kraftfahrzeugen geschaffen hatten. 2 3 Als Folge dieser unbefriedigenden Situation wurde im Jahre 1966 der National Traffic and M o t o r Vehicle Safety A c t (Safety Act) 2 4 erlassen. Ziel des Gesetzes ist die Verminderung von Verkehrsunfällen und der damit verbundenen Verletzungen von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer. Das wichtigste Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist die Aufstellung von Sicherheitsstandards für A u t o m o b i l e und der in A u t o m o b i l e n verwendeten Teile und Zubehör. D e r Erlaß dieser Sicherheitsstandards ist der National H i g h w a y Traffic and Safety Administration ( N H T S A ) übertragen worden. Bis 1976 hatte die N H T S A fünfzig Sicherheitsregelungen erlassen. 25 Allerdings wurden diese Aktivitäten der B e h ö r d e teilweise sehr kritisch beurteilt. So wurde ihr vorgeworfen, daß die Regelungen kaum dem ursprünglichen Ziel, durch die Aufstellung von anspruchsvollen Vorgaben die technische Entwicklung der Automobilindustrie im Sicherheitsbereich voranzutreiben, entsprochen zu hätten. Statt dessen hätten sie sich oft damit begnügt, bereits bekannte und z u m Teil sogar bereits in großem U m f a n g angewandte technische Lösungen zur Pflicht zu machen. 2 6 Eine Reihe der von der N H T S A erlassenen Sicherheitsstandards sind ferner vor den Gerichten von der Automobilindustrie, Konsumentenorganisationen u.a. angegriffen worden. Bis 1987 sind dabei in sechs von zwölf Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der Standards entscheidungserheblich war, die Vorschriften der Behörde ganz oder teilweise aufgehoben worden. 2 7 Wegen dieser Hindernisse hat sich nach Ansicht dieser Kritiker die Tätigkeit der N H T S A mehr v o m Erlaß von Sicherheitsstandards auf den R ü c k r u f fehlerhafter Automobile verlagert, bei denen die Erfolgsquote in den Gerichten erheblich höher sei. 28
Note, 29 Ohio St. L. J. 177 (1968), S. 177ff. 15 U.S.C. §§1381-1431. 25 Mashaw/Harfst, 4 Yale J. Reg. 257 (1987) S.263. Eine ausführliche Darstellung des „Kampfes" um die Festlegung der ersten Sicherheitsstandards nach dem Safety Act findet sich bei Morris, 33 Law & Contemp. Probs. 536 (1968). 26 Mashaw/Harfst, 4 Yale J. Reg. 257 (1987), S. 263. Es gibt Stimmen, die daraus die Schlußfolgerung ziehen, daß die Regulierung durch allgemeinverbindliche Sicherheitsstandards ihrem Wesen nach nicht in der Lage sei, innovative Lösungen voranzutreiben oder gar zu initiieren. S. Mackay, in: The Liability Maze, S. 191, 205 ff. 27 S. Mashaw/Harfst, 4 Yale J. Reg. 257 (1987) S.273f., Fn.38 mit den entsprechenden Fundstellen. 28 Ebd., S.263 f. Die von den Autoren für diese Schwerpunktverlagerung gefundene Begründung wird jedoch nicht allgemein akzeptiert. S. dazu die kritischen Äußerungen bei Trehilcock, 8 Yale J. on Reg. 497 (1991), einer Besprechung des kurz nach dem hier zitierten Aufsatz erschienenen Buches der Autoren „The Struggle for Auto Safety", 1990. 25
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2. Rechtsgrundlagen von
Rückrufanordnungen
Rückrufaktionen waren in der Automobilindustrie bereits vor Erlaß des Safety A c t gängige Praxis; allerdings handelte es sich dabei in den meisten Fällen um „stille R ü c k r u f e " , die dem Besitzer oder Benutzer des Autos weder das Risiko bekannt machten n o c h die Fehler umfassend beseitigen konnten, da es v o m Zufall abhing, ob ein Kunde das A u t o aus anderen Gründen zur Reparatur oder Inspektion brachte. 2 9 D e n n o c h hatten die ersten Entwürfe des Safety A c t keine R ü c k r u f vorschriften enthalten; 3 0 so sehr stand offensichtlich der Erlaß von Sicherheitsstandards als wichtigste M a ß n a h m e der Schadensvermeidung im Vordergrund und so vorherrschend war die Ansicht, der D r u c k der öffentlichen Meinung werde die U n t e r n e h m e n auch ohne gesetzliche Vorschrift dazu veranlassen. 3 1 In der Praxis hat die Automobilindustrie allerdings in der Regel eine kostenlose Reparatur der zurückgerufenen Fahrzeuge angeboten. Zwischen 1966 und 1973 wurden 40 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen. Bei 9 0 % davon trug der Hersteller die Kosten der Fehlerbeseitigung, bei 1 0 % war es der Eigentümer allein oder zusammen mit dem Hersteller. 3 2 Zwei Rückrufaktionen, bei denen die Hersteller entgegen den vorherigen Versicherungen von Branchenvertretern die Ü b e r n a h me der Kosten verweigerten, alarmierten jedoch den Kongreß. 3 3 I m ersten Fall ging es um die Reparatur einer fehlerhaften Heizung im Modell Corvair der Firma General M o t o r s , die U S $ 2 0 0 kosten sollte. D i e Rücklaufquote betrug deshalb nur 7 , 6 % . I m zweiten Fall, der eine sich lösende Schraube an der Scheibenwischeranlage seines Käfer-Modells betraf, benachrichtigte V W mangels Unterlagen nur 2 2 0 0 0 0 der 3,7 Millionen betroffenen Besitzer. In einer Novelle des Safety A c t von 1974 wurde deshalb einerseits die Pflicht der Hersteller zur kostenlosen Reparatur der Fehler eingeführt, andererseits die Benachrichtigungspflicht von den bekannten Erstkäufern auf alle registrierten Besitzer des betroffenen Modells ausgedehnt. 3 4 D e r Hersteller kann dabei zwischen der Reparatur, der Lieferung eines identischen oder vergleichbaren Austauschmodells oder der Rückzahlung des Kaufpreises unter A b z u g der Wertminderung wählen. D i e N H T S A kann ferner eine solche Benachrichtigung und die Fehlerbeseitigung anordnen, wenn sie nach einem Anhörungsverfahren feststellt, daß ein Verstoß gegen Bundessicherheitsstandards oder ein sicherheitsrelevanter
Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.303, Fn.9. T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.404. 31 Allerdings wurde mit 15 U.S.C. § 1400 eine bis heute bestehende Schutzvorschrift für Autohändler erlassen. Danach hat der Hersteller eines Autos, Teiles davon oder Zubehörteiles oder ein Zwischenhändler die Verpflichtung, dieses Fahrzeug oder Teil von einem abnehmenden Händler zurückzukaufen, wenn es anwendbaren Sicherheitsstandards nicht entspricht oder einen sicherheitsrelevanten Fehler aufweist und noch nicht weiterverkauft worden ist. 32 T. Schwartz/Adler, Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.405, Fn. 18. 33 Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.305. 34 15 U.S.C. § 1411 i.V.m. §§1413,1414. Kostenlose Beseitigung ist allerdings nicht mehr notwendig für Fahrzeuge, die mehr als acht Jahre vor der Benachrichtigung erstmals gekauft wurden (drei Jahre für Reifen), 15 U.S.C. § 1414(a)(3). 29
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Fehler vorliegt. 35 Jeder interessierte Dritte kann ferner eine Anhörung vor der N H T S A beantragen, wenn er der Ansicht ist, ein Hersteller habe seine Benachrichtigungs- und Beseitigungspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt. Wenn die Behörde anschließend dieser Bewertung zustimmt, soll sie die entsprechenden Maßnahmen anordnen. 3 6 Bei Nichtbefolgung der Benachrichtigungs- und Beseitigungspflichten 3 7 oder von Anordnungen der N H T S A ist die Auferlegung von Zivilstrafen 3 8 und eine Klage vor den ordentlichen Gerichten möglich. 3 9 D e r Begriff des Fehlers, der zur Beseitigungspflicht führt und die Rückrufanordnung der N H T S A auslösen kann, ist gesetzlich nur wenig aussagekräftig definiert. 40 Danach umfaßt er im Sinne des Safety A c t jeden Fehler „in Performance, construction, components, or materials in m o t o r vehicles and m o t o r vehicle equipment". D i e Gerichte haben diese Definition präzisiert. 41 Demzufolge liegt prima facie ein Fehler i.S.d. Safety Act vor, wenn ein Versagen in erheblichem U m f a n g (significant number of failures) während des normalen Gebrauchs (einschließlich eines vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlgebrauchs oder M i ß brauchs) vorliegt. Bei Nachweis des Versagens in erheblichem U m f a n g wird der normale Gebrauch vermutet. D e r Fehlerbegriff des Safety A c t ist damit ein anderer als der des allgemeinen Produkthaftungsrechts. 4 2 Während die Produkthaftpflicht bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen bereits bei einem einzigen fehlerhaften Produkt einsetzen kann, entstehen Benachrichtigungs- und Beseitigungspflichten nach dem Safety A c t erst bei einer erheblichen Anzahl solcher Produkte. D i e Rückrufpflicht wird ferner beschränkt auf sicherheitsrelevante Fehler (defects relating to m o t o r vehicle safety). D i e gesetzliche Definition dieses Begriffs stellt dabei wesentlich auf das Vorliegen eines unangemessenen Risikos (unreasonable risk) von Unfällen einerseits und von Verletzungen bei diesen Unfällen andererseits ab. 43 In einer weiteren Entscheidung gegen General M o t o r s sind die Anforderungen an ein unangemessenes Risiko recht niedrig angesetzt worden. 4 4 In diesem Fall war n o c h kein Unfall mit Todes- oder Verletzungsfolge vorgekommen. D i e Regierung hatte nur das Eintreten einer gefährlichen Situation in einem Fall nachgewiesen und Sachverständigenaussagen über die Gefahr von Steue15U.S.C. §1412. 15U.S.C. §1416. 37 Dabei handelt es sich um unmittelbare Pflichten aus dem Gesetz, deren Verletzung auch ohne entsprechende Anordnung der NHTSA einen Gesetzesverstoß darstellt. United States v. General Motors Corp., 574 F.Supp. 1047 (D. D.C. 1983). 38 15U.S.C. §1398 i.V.m. §1397. 39 15 U.S.C. §§1399, 1415. 40 15 U.S.C. §1391(11). 41 S. United States v. General Motors Corp., 518 F.2d 420 (D.C. Cir. 1975). 42 S. ausführlich zu diesen Unterschieden v. Hülsen/Brüning-Brinkmann, RIW/AWD 1977, 91. 43 15 U.S.C. §1391(1). Ausführlich zu diesem Begriff, Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.313ff. 44 United States v. General Motors Corp., 561 F.2d 923 (D.C. Cir. 1977). 35
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rungsproblemen auch bei niedrigen Geschwindigkeiten vorgelegt. In einem anderen Fall eines feuergefährlichen Vergasers waren zwar 665 Unfälle mit Feuer im M o t o r r a u m berichtet worden; General M o t o r s schätzte das Risiko neuer Unfälle und Verletzungen nur äußerst gering ein, da viele der betroffenen Fahrzeuge wegen ihres Alters bereits aus dem Verkehr gezogen seien oder der Fehler schon behoben sei. Das Gericht war jedoch der Ansicht, daß - dies unterstellt - selbst eine minimal kleine Zahl von Verletzungen durch den unstrittigen Fehler als unangemessen hoch anzusehen sei. 45
3.
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a) Informationsquellen der NHTSA Informationen über fehlerhafte Fahrzeuge oder Fahrzeugteile oder solche, die nicht den einschlägigen Sicherheitsbestimmungen entsprechen, erhält die N H T S A aus verschiedenen Quellen. Zunächst stehen der Behörde alle öffentlich zugänglichen Informationsquellen wie allgemeine und Fachzeitschriften, F e r n seh- und Rundfunkberichte etc. zur Verfügung. Solche Berichte können einen erheblichen D r u c k auf die Behörde ausüben, wie das Beispiel des in den U S A „Audi 5 0 0 0 " genannten Modells zeigt, bei dem die N H T S A nur durch den D r u c k der öffentlichen Meinung zur Durchführung eigener Tests gezwungen wurde. 4 7 Bei einer beschränkten Anzahl von Fahrzeugen und Teilen führt die N H T S A regelmäßig eigene stichprobenartige Tests durch, um herauszufinden, ob sie den Standards entsprechen. Allerdings gehen auf diese Tests nur wenige Rückrufaktionen zurück. 4 8 Von großer Bedeutung ist das „Sorgentelefon" der B e h ö r d e mit der Bezeichnung „Auto Safety H o t l i n e " , das täglich mehrere hundert Anrufe erhält, in denen sich Verbraucher über die Sicherheit von Fahrzeugen und über laufende Informationskampagnen und Rückrufaktionen informieren können, aber auch ihre B e schwerden über Probleme mit Fahrzeugen loswerden können. Diese Anrufe werden systematisch ausgewertet und in entsprechenden Fällen wird mit einer United States v. General Motors Corp., 565 F.2d 754 (D.C. Cir. 1977). S. auch Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, S. 155ff., 162ff. 47 In mehreren Beschwerden von Fahrern, die auch zu Produkthaftungsklagen geführt hatten, war vorgetragen worden, daß das Fahrzeug mit automatischem Getriebe manchmal aus unerklärlichen Gründen beschleunige. Ein Defekt wurde jedoch von Audi nach eigenen Tests abgestritten. Die Fälle wurden dennoch vom Fernsehen aufgegriffen und zu einer spektakulären Sendung in einem vielgesehenen Magazin verarbeitet. Daraufhin stieg die Zahl der berichteten Unfälle und der Produkthaftungsklagen erheblich an, der Absatz des Modells sank in einem Jahr um 30%. Bei den Test der NHTSA konnten allerdings, wie auch bei anderen Tests dritter Institutionen, weder die Fehlerhaftigkeit des Modells noch möglicherweise den Unfall begründende Abweichungen von den Modellen anderer Hersteller festgestellt werden. Unfallursache waren deshalb wohl Bedienungsfehler. Diese Feststellungen konnten jedoch den wirtschaftlichen Schaden des Herstellers nicht mehr vermeiden. S. Mackay, in: The Liability Maze, S. 191, 210f. 48 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.409. 45
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schriftlichen Nachfrage nachgehakt. Zusammen mit schriftlichen Beschwerden, die die NHTSA erreichen49, lassen sich so relativ frühzeitig mögliche Gefahrenquellen aufdecken, denen die Behörde dann weiter nachgeht. Diese Konsumentenbeschwerden sind der hauptsächliche Ausgangspunkt für die massenhaften Rückrufaktionen, die gelegentlich von der NHTSA ausgelöst wurden.50 Die Erfahrung mit der Praxis der „stillen Rückrufe" in der Automobilindustrie, die ohne Kenntnis der Besitzer, der Öffentlichkeit oder der Sicherheitsbehörden abliefen, hat ferner dazu geführt, daß der Safety Act von den Fahrzeugund Teileherstellern die Vorlage einer Kopie aller Mitteilungen, Bulletins etc. an ihre Händler oder die Käufer ihrer Produkte verlangt, welche sich auf Produktfehler oder die Abweichung von Sicherheitsvorschriften beziehen.51 Der allgemein gehaltene Wortlaut dieser Vorschrift bezieht sich auf Informationen über jeden Fehler (any defect), nicht nur über sicherheitsrelevante oder von den Herstellern als solche qualifizierte52 und erlaubt so der NHTSA eine umfassende Kenntnis und eigene Einschätzung der Bedeutung des Fehlers. Von großer Bedeutung als Informationsquelle sind ferner die Berichte der Hersteller an die NHTSA, die ihnen vom Safety Act auferlegt werden.53 Ein solcher Bericht ist vorgeschrieben, wenn der Hersteller54 eines Fahrzeugs oder Teiles Kenntnis von einem Fehler erlangt und nach bestem Wissen (in good faith) zu der Ansicht gelangt, daß dieser Fehler ein unangemessenes Sicherheitsrisiko darstellt, oder wenn er nach bestem Wissen die Nichterfüllung eines anwendbaren Sicherheitsstandards feststellt. Nicht schon der Verdacht begründet also die Berichtspflicht, sondern erst die Kenntnis von dem tatsächlichen Vorliegen eines sicherheitsrelevanten Fehlers. Es gibt Hinweise, daß die Hersteller ihren gesetzlichen Berichtspflichten nicht in vollem Umfang nachkommen.55 Allerdings ist die Möglichkeit der NHTSA, Zivilstrafen wegen des Versäumens gesetzlich geforderter Berichte aufzuerlegen, nur selten benutzt worden.56 b) Informationsverarbeitung
und
Entscheidungsfindung
Wenn die NHTSA über eine ihrer Informationsquellen Kenntnis von der ernsthaften Möglichkeit eines sicherheitsrelevanten Fehlers erlangt, wird zunächst informell versucht, u.a. durch Gespräche mit dem betroffenen Hersteller das Problem klarer zu definieren.57 Stellt sich dabei heraus, daß die Sache weiter49 Auch hier wird auf Anregung des General Accountig Office bei unklaren Beschwerden nachgehakt, s. U.S. Coraptroller General, The Auto Safety Program, 1975, S.2f. 50 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.409ff. 51 15 U.S.C. § 1418(a). 52 49 C.F.R. §573.8. 53 15 U.S.C. §1411. 54 Anders als bei der CPSC sind somit Vertreiber und Händler nicht berichtspflichtig. 55 Tobin, 16 J. Cons. Äff. 278 (1982) S.288. 56 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.410. 57 Ebd., S.412ff. zu diesen Abläufen.
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verfolgt werden muß, unternehmen die Ingenieure der N H T S A Studien an den entsprechenden Fahrzeugen oder Teilen; der Hersteller m u ß detaillierte F r a g e b o gen zu technischen und anderen Problemen beantworten; unter Umständen werden Tests durchgeführt. Diese Phase kann leicht ein J a h r und länger dauern. A n ihrem Ende steht die Entscheidung, o b eine formelle Fehleruntersuchung eingeleitet werden soll. Meist ist diese Entscheidung negativ. 58 Wird die Weiterverfolgung befürwortet, wird der Hersteller informiert, eine Pressemitteilung wird herausgegeben, um die Öffentlichkeit zu informieren, weitere Informationen und Daten werden gesammelt. Erneut kann diese Phase lange Zeit in Anspruch nehmen. D i e formelle Untersuchung wird durch einen Bericht abgeschlossen, in dem die Feststellung eines sicherheitsrelevanten Fehlers im technischen und rechtlichen Sinne oder das Ende des Verfahrens empfohlen werden. 5 9 I m ersteren Fall wird die Feststellung des Fehlers dem Hersteller mitgeteilt und im Federal Register der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Gegen diese Feststellung kann der H e r steller in einer öffentlichen Anhörung, bei der auch interessierte Dritte gehört werden, vorgehen. 6 0 Bleibt es danach bei der Fehlerfeststellung, wird der Hersteller von der N H T S A angewiesen, Eigentümer und Händler von dem Fehler in Kenntnis zu setzen und ihn kostenlos zu beseitigen. 6 1 Diese Anordnung muß dann unter Umständen noch gerichtlich durchgesetzt werden, wobei dem H e r steller der volle Instanzenzug zur Verfügung steht und Tatsachen- und Rechtsfragen neu verhandelt werden müssen. 6 2 Diese Schilderung zeigt, daß der Weg zu einer behördlich angeordneten R ü c k rufaktion der N H T S A und ihrer Durchsetzung lang und steinig ist. E r kann, wenn alle Rechtsmittelmöglichkeiten ausgeschöpft werden, leicht fünf und mehr Jahre betragen. 6 3 Angesichts der Zeitdauer, die Vorbereitung und Durchsetzung einer solchen Anordnung benötigen, und der Notwendigkeit, nach Erkenntnis des gefährlichen Fehlers zur Schadensvermeidung möglichst rasch zu reagieren 6 4 , ist dieses Instrument der N H T S A viel zu schwerfällig. Tatsächlich sind die auf solche Anordnungen zurückgehenden Rückrufaktionen auch weit in der M i n derzahl. Es k o m m t vielmehr in der überwiegenden Zahl zu „freiwilligen" R ü c k 58 In einer Untersuchung des General Accounting Office von 1975 wurden in einem Zweijahreszeitraum von Juni 1972 bis Juni 1974 von 245 Fällen 156 in diesem Stadium eingestellt, s. U. S. Comptroller General, The Auto Safety Program, 1975, S. 3. 59 Von 1966 bis Juni 1974 wurden von 436 formellen Untersuchungen 321 mit der Feststellung abgeschlossen, daß kein sicherheitsrelevanter Fehler vorlag, s. U.S. Comptroller General, The Auto Safety Program, 1975, S.4. 60 15 U.S.C. § 1412(a)(2). 61 15 U.S.C. §1412(b). 62 United States v. Ford Motor Co., 421 F.Supp. 1239 (D.C. D.C. 1976), affirmed 574 F. 2d 534 (D.C. Cir. 1978), dabei trägt die NHTSA die Beweislast für das Vorliegen eines Fehlers und dessen Sicherheitsrelevanz. 63 T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.415. 64 Wegen der begrenzten Lebensdauer von Autos und der sich beschleunigenden Modellwechsel sind bei solchen Verfahrenszeiten die meisten fehlerverursachten Schädigungen vor der Durchführung einer behördlich angeordneten Rückrufaktion schon passiert; sie beträfe nur noch die relativ wenigen Fahrzeuge des Modells, die tatsächlich noch genutzt werden.
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rufen, die von den Herstellern, z.T. nach Verhandlungen mit der N H T S A , durchgeführt werden. D a z u trägt einerseits bei, daß die Hersteller während des gesamten verwaltungrechtlichen Untersuchungsverfahrens die Möglichkeit haben, eine R ü c k r u f a k tion zu starten, um einer Rückrufanordnung durch die B e h ö r d e z u v o r z u k o m men. Zeigt sich also während des Verfahrens, daß ein sicherheitsrelevanter Fehler zweifelsfrei vorliegt, kann das U n t e r n e h m e n den R ü c k r u f von sich aus einleiten. A u f diese Weise kann der Hersteller die formelle Feststellung eines Fehlers durch die N H T S A , welche später in Produkthaftungsverfahren eine starke Indizwirkung gegen ihn haben könnte, vermeiden. Die N H T S A ihrerseits ist aus Gründen einer frühzeitigen Gefahrbeseitigung und der Einsparung personeller und finanzieller Ressourcen ebenfalls an einer gütlichen Einigung interessiert. Solche vergleichsweise Regelung stellt auch nicht einen Mißbrauch des Ermessens der B e hörde dar. 65 Andererseits sind die von den Herstellern initiierten Rückrufe keineswegs völlig „freiwillig". D e r Safety Act erlegt ihnen nämlich bei Kenntnis eines Fehlers und seiner nach bestem Wissen erfolgenden Einschätzung als sicherheitsrelevant nicht nur eine Informationspflicht gegenüber der N H T S A auf, sondern auch eine Benachrichtigungspflicht gegenüber Händlern, Käufern und Eigentümern sowie eine Pflicht zur kostenlosen Fehlerbeseitigung. 6 6 Diese Pflichten sind unmittelbare gesetzliche Pflichten, die nicht erst durch eine Anordnung der N H T S A entstehen. 67 Sie sind gerichtlich durchsetzbar. 6 8 Ihre Verletzung kann sogar Strafschadensersatz nach sich ziehen. 6 9 Allerdings ist der Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen (Kenntnis des Fehlers und seine bösgläubige Einschätzung als kein unangemessenes Risiko darstellend) in der Regel schwierig, so daß die gerichtliche Durchsetzung von Rückrufaktionen durch die N H T S A eher selten ist. 70 D i e Entscheidung der N H T S A , einen R ü c k r u f anzuordnen und durchzusetzen, oder des Herstellers, eine Informations- und Rückrufkampagne einzuleiten, hat ganz erhebliche Kostenwirkungen für die Unternehmen. D i e Durchführung einer erfolgversprechenden Rückrufaktion ist teuer. General M o t o r s schätzte 1983, daß der von der N H T S A verlangte R ü c k r u f von 5,3 Millionen Autos U S $ 125 Millionen kosten werde. 7 1 In einem Verfahren gegen die F o r d M o t o r C o . , das schließlich durch Vergleich ohne Einschluß eines Rückrufs beendet wurde, war im selben J a h r von Rückrufkosten in H ö h e von U S $ 130 Millionen die Rede. 7 2 1994 konnte General M o t o r s durch einen heftig kritisierten Vergleich durch Zahlung von U S $ 51,3 M i o . einen R ü c k r u f vermeiden, der das U n t e r n e h m e n voraus-
65 66 67 68 69 70 71 72
Center for Auto Safety, Inc. v. Lewis, 685 F.2d 656 (D.C. Cir. 1982). 15U.S.C. §1411. United States v. General Motors Corp., 574 F.Supp. 1047 (D.C. D.C. 1983). 15 U.S.C. §§1397, 1399. Gillham v. Admiral Corp., 523 F.2d 102 (6th Cir. 1973). T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.414. Ebd., S.417, Fn. 107. Ebd., S. 420, Fn. 129.
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sichtlich über eine Milliarde U S $ gekostet hätte. 7 3 Zu diesen direkten Kosten k o m m e n n o c h die schwer kalkulierbaren Schäden des Unternehmens aus möglichen Image Verlusten. Die Hersteller haben deshalb immer wieder versucht, mit Kostenargumenten die Anordnung eines Rückrufs zu vermeiden oder die N i c h t durchführung eines Rückrufs zu rechtfertigen. D i e Gerichte tendieren jedoch dazu, bei einem eindeutig gefährlichen Fehler die Kosten des Herstellers für dessen Beseitigung nicht zu berücksichtigen. 7 4 Kostenüberlegungen des Herstellers k ö n n e n sich sogar eher -insbesondere in Verfahren vor einer J u r y 7 5 - zu seinen Ungunsten auswirken. So war im Fall Grimshaw v. F o r d M o t o r C o . 7 6 , der die fehlerhafte Tankanordnung im Modell „ P i n t o " betraf, die zu zahlreichen Toten und Verletzten durch Verbrennung geführt hatte, ein internes M e m o r a n d u m des Unternehmens bekannt geworden, in dem die Kosten eines von der N H T S A vorgeschlagenen Sicherheitsstandards dem N u t z e n durch die Vermeidung von Toten, Körperverletzungen und Fahrzeugschäden gegenübergestellt worden waren. 7 7 Das M e m o r a n d u m kam zu dem Ergebnis, daß dem N u t z e n von U S $ 49,5 Millionen Kosten in H ö h e n von U S $ 137 Millionen gegenüberstünden; der geplante Sicherheitsstandard verursache deshalb fast dreimal soviel Kosten wie Nutzen. 7 8 Zwar wurde dieses M e m o r a n dum nicht als Beweismittel zugelassen, jedoch wurde es als Zeichen für zynisches Unternehmenskalkül in der Öffentlichkeit zur Rechtfertigung des F o r d auferlegten Strafschadensersatzes 7 9 herangezogen. 8 0 Gegenüberstellungen der Kosten einer Rückrufaktion und des N u t z e n s durch verhinderte Unfälle sind auch in anderen Fällen als Begründung gegen die A n o r d nung der A k t i o n zurückgewiesen worden. So hatte General M o t o r s 1983 vorgetragen, daß die Kosten der Fahrzeugbesitzer, die dem A n g e b o t der kostenlosen Reparatur folgen würden, U S $ 117 Millionen (bestehend aus Kosten für Benzin, O l , Abnutzung, Zeitverlust) ausmachen würden, während dadurch nur 16 U n f ä l le verhindert würden; die Kosten der Unfallverhinderung betrügen somit pro 73 S. die Berichte von Bennett in der New York Times vom 3. Dezember 1994, S. 1, 7 und vom 5. Dezember 1994, S. A16. 74 Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981) S.318. 75 S. zu Produkthaftungsverfahren vor einer Jury Rayroux, Amerikanisches Civil Jury Trial und Antitrust-, Products Liability- und Derivative Suits, 1994 76 119 Cal.App. 3d 757, 174 Cal.Rptr. 348 (1981). 77 Teilweise abgedruckt in: Keeton/Owen!Montgomery/Green, S. 840f., Note 1. 78 Das Memorandum ging von jährlich 180 Toten (ä US$ 200000), 180 schweren Verbrennungen (ä US$ 67000) und 2100 verbrannten Fahrzeugen (ä US$ 700) aus, die durch den Sicherheitsstandard vermieden werden könnten. Dem standen zusätzliche Kosten von US$ 11 pro Auto bei 12,5 Millionen Fahrzeugen gegenüber. 79 Die Jury hatte US$ 125 Millionen Strafschadensersatz zugesprochen, die jedoch vom Richter auf US$ 3,5 Millionen herabgesetzt wurden. 80 Keeton! Owen! Montgomery/Green, S. 840f., Note 1. Eine ausführliche Kritik der Einschätzung dieses Dokuments durch die Öffentlichkeit und der Rolle, die es im Rahmen der Verfahren gegen die Ford Motor Co. spielte, sowie anderer faktischer Annahmen im Fall Grimshaw v. Ford Motor Co. findet sich bei G. Schwartz, 43 Rutgers L. Rev. 1013 (1991).
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Unfall U S $ 8 Millionen. 8 1 In einem anderen Fall hatte F o r d erfolglos argumentiert, daß der von der N H T S A angeordnete R ü c k r u f wegen defekter Scheibenwischer für die Besitzer aufgrund der notwendigen H i n - und Rückfahrten zu den Werkstätten ein zehnmal größeres Risiko darstelle als das, welches von dem F e h ler ausgehe. A u f diesen Fahrten sei statistisch mit 20 Unfällen zu rechnen, während der fehlerhafte Scheibenwischer nur zwei Unfälle verursachen werde. 8 2 Das Gericht ging auf diese Überlegungen nicht ein. 8 3 In anderen Fällen haben die Gerichte das Vorbringen der Hersteller, eine A u f klärungs- und Rückrufanordnung der N H T S A werde einen nicht wiedergutzumachenden Schaden durch Beeinträchtigung ihrer Reputation, durch Verkaufsausfälle und Reparaturkosten von U S $ 38 Millionen verursachen und erfordere deshalb eine einstweilige Unterlassungsverfügung gegen die Behörde, zurückgewiesen. 8 4 D i e Kosten einer Rückrufaktion für das Unternehmen, aber auch ein K o s t e n Nutzen-Vergleich unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen
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werden also von den Gerichten in der Regel nicht als Verteidigungsvorbringen akzeptiert. 8 5 Allerdings wird teilweise argumentiert, daß ein solcher Vergleich im R a h m e n der Tatbestandsvoraussetzung „unangemessenes (unreasonable) Risik o " angelegt sei, und deshalb berücksichtigt werden müsse. 8 6 A u c h sei es kurzsichtig und volkswirtschaftlich unsinnig, Sicherheit um jeden Preis anzustreben, ohne zu beachten, wer letztlich die Kosten zu tragen habe. 8 7 Es gibt aber auch Vermutungen, daß die N H T S A in ihren Vergleichsverhandlungen mit den H e r stellern solchen Überlegungen durchaus zugänglich ist. Jedenfalls hätten - Zeitungsberichten zufolge - in dem Fall eines in der Öffentlichkeit äußerst umstrittenen Vergleichs mit der F o r d M o t o r C o . , bei dem die Behörde auf einen R ü c k r u f verzichtete, die geschätzten Kosten für das Unternehmen in H ö h e von U S $ 130 Millionen dessen Überleben ernsthaft infrage gestellt. 8 8 D i e Berücksichtigung des Verhältnisses von Schadensvermeidungskosten und ihres gesamtwirtschaftlichen N u t z e n s ist dem US-amerikanischen Recht nicht fremd, wie die bereits 1947 v o m gleichnamigen Richter entwickelte „LearnedKeeton/ Owen!Montgomery/Green, S. 849, Note 5. Michell, Charlotte Observer, June 3,1978, S. 2A, abgedruckt in: Keeton/Owen!Montgomery/Green, S. 847f. 83 United States v. Ford Motor Co., 453 F.Supp. 1240 ( D. D.C. 1978), S. 1242ff. 84 General Motors Corp. v. Volpe, 321 F.Supp. 1112 (D. Del. 1970), modified on other grounds 457 F.2d 922. 85 Note, 33 Stan L. Rev. 301 (1981) S.302. 86 Ebd., S. 310ff. unter Berufung auf den Willen des Gesetzgebers. In der grundlegenden Entscheidung zur Definition eines Fehlers im Sinne des Safety Act in United States v. General Motors Corp., 518 F.2d 420 (D.C. Cir. 1975) hatte das Gericht jedoch festgestellt, daß die Kosten von Sicherheitsmaßnahmen berücksichtigt werden müßten, und unter anderem mit diesem Hinweis verneint, daß die Hersteller Schutzvorkehrungen für alle noch so entfernten Mißbrauchsmöglichkeiten treffen und Fahrzeuge konstruieren müßten, die niemals versagten. 87 Guzzardi, Fortune, Apr. 9, 1979, 54; Lamken, 42 Stan. L. Rev. 103 (1989). 88 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984), S.418ff. und Fn. 129. 81 82
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Hand-Formel" für das Vorliegen von „negligence" beim Unterlassen von Schadensabwendungsmaßnahmen zeigt. 89 Danach ist eine Haftung dann begründet, wenn der Schaden durch einen Aufwand zu verhindern gewesen wäre, der geringer war als das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und dem zu erwartenden Schaden, tatsächlich aber weniger aufgewendet wurde. Dem entspricht auch der Ansatz der ökonomischen Analyse des Rechts, welche die Auferlegung von Sorgfaltspflichten ebenfalls danach beurteilt, ob die gesamtwirtschaftlichen Kosten dieser Maßnahmen größer oder kleiner sind als ihr gesamtwirtschaftlicher Nutzen. Danach geht es nicht um Schadensminimierung, sondern um Schadensoptimierung. 90 Dies ist richtig, doch ist mit dieser Feststellung das Problem nicht gelöst. Dieses liegt vor allem in der Bewertung des Nutzens in Form verhinderter Todesfälle, Körperverletungen etc. Hier besteht eine verständliche und berechtigte Scheu, diese „unbezahlbaren" Rechtsgüter offen gegen die Schadensvermeidungskosten zu verrechnen. 91 Eine solche Gegenüberstellung geschieht allerdings implizit, wenn Gerichte bestimmte Schutzvorkehrungen unter Fahrlässigkeitsgesichtpunkten als unzumutbar oder außer Verhältnis stehend bezeichnen. Die Abneigung der oben angeführten Gerichtsentscheidungen, den Kostenargumenten der Autohersteller zu folgen, mag aber nicht nur in fundamentalen Uberzeugungen seine Basis finden, sondern auch in einem gesunden Mißtrauen, wenn solche Berechnungen von einem beteiligten Unternehmen quasi als Richter in eigener Sache angestellt werden.
c) Durchführung
des Rückruf s
Rückrufe in der Automobil- und Zubehörindustrie sind mittlerweile übliche Praxis. In den U S A kommt es monatlich zu 15-25 solcher Aktionen. 9 2 Die Zahl der betroffenen Fahrzeuge beträgt jährlich mehrere Millionen. 93 Es gab Jahre, in denen fast genauso viele Fahrzeuge zurückgerufen wie neue hergestellt wurden. 94 Manche Modelle wurden innerhalb kurzer Zeit mehrfach zurückgerufen. 95 Die United States v. Caroll Towing Co., 159 F.2d 169 (2d Cir. 1947). P. Behrens, S. 175. 91 Solche Versuche werden resümiert und unternommen von Asch, Consumer Safety Regulation -Putting a Price on Life and Limb, 1988 und Viscusi, Fatal Tradeoffs. Public and Private Responsibilities for Risk, 1992; ders. 31 J. Econ. Lit. 1912 (1993). 92 Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 843. 93 Zwischen 1966 und 1970 wurden 15 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen, 1971 bis 1975 waren es 33 Millionen und zwischen 1976 und 1980 sogar 39 Millionen, s. Mashaw/Harfst, 4 Yale J. Reg. 2 5 7 ( 1 9 8 7 ) S.263f. Allerdings bedeutet dies nicht, daß alle diese Fahrzeuge fehlerhaft waren. Oft mußten vielmehr ganze Modellreihen zurückgerufen werden, weil der Fehler ohne Inspektion nicht näher bei einzelnen Fahrzeugen lokalisiert werden konnte. Als Extremfall kann dabei eine Aktion der Ford Motor Co. gelten, die nach eigenen Angaben einmal 200 000 Fahrzeuge zurückrief, um ein einziges mit einem defekten Rad herauszufinden, s. Werber, 56 U. Det. ]. Urb. L. 1083 (1971) S. 1085. 94 Für das Jahr 1977 s. Gnzzardi, Fortune, Apr. 9, 1979, 54, auf S.56. 95 Zwischen Januar 1971 und März 1973 gab es für den VW-Käfer 8 und den Ford Pinto 6 Rückrufaktionen, s. Wynne/Hoffer, 8 Applied Econ. 157 (1976) S. 162. 89
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Hersteller sind deshalb mit den gesetzlichen Rückrufvorschriften und der Durchführung solcher Aktionen bestens vertraut. Das dürfte auch für die deutschen Automobilhersteller (und in gewissem Umfang auch für Zulieferunternehmen) gelten, die auf dem amerikanischen Markt präsent sind und für die deshalb dieselben Vorschriften gelten. Der Erfolg eines Rückrufs hängt wesentlich davon ab, daß die Warnung vor dem Fehler und das Angebot der Beseitigung auch den gefährdeten Besitzer oder Benutzer erreicht. Der Safety Act schreibt deshalb vor, daß jeder Hersteller von Motorfahrzeugen und Reifen Aufzeichnungen über Namen und Adresse des ersten Käufers dieser Produkte anlegen und fortführen muß. 9 6 Vertreibern und Händlern kann auferlegt werden, die Hersteller bei der Erfüllung dieser D o k u mentationspflichten zu unterstützen. Informationen über den Weiterverkauf der Fahrzeuge bzw. über den gegenwärtigen Eigentümer sind über die einzelstaatlichen Kraftfahrzeugregister zugänglich. Im Gegensatz zu anderen Endverbraucherprodukten ist es bei Autos deshalb relativ leicht möglich, die gefährdeten Personen direkt anzusprechen. Eine weitere Voraussetzung eines erfolgreichen Rückrufs ist, daß die Benachrichtigung den Besitzer oder Benutzer nicht nur erreicht, sondern daß ihm die Gefahr und deren Beseitigungsmöglichkeiten auch verständlich gemacht werden. Der Safety Act schreibt deshalb weiter vor, wie diese Benachrichtigung zu erfolgen hat. Die Benachrichtigungspflicht ergibt sich für den Hersteller entweder direkt aus dem Gesetz, wenn er von einem Fehler Kenntnis erlangt und ihn nach bestem Wissen als sicherheitsrelevant einstuft oder nach bestem Wissen einen Verstoß gegen einschlägigen Sicherheitsstandards feststellt, oder aufgrund einer Anordnung durch die N H T S A . 9 7 Adressaten der Benachrichtigung sind dabei aber nicht nur die „ersten Käufer", sondern allgemein Eigentümer (owner), Käufer und Händler. Die Benachrichtigungspflicht geht also über den Personenkreis hinaus, über den Aufzeichnungen vom Gesetz vorgeschrieben sind. Eine solche Benachrichtigung muß nach dem Gesetz 9 8 enthalten: Eine klare Beschreibung des Fehlers bzw. der Abweichung von dem Sicherheitsstandard; eine Bewertung des Sicherheitsrisikos; die Angabe der Maßnahmen, die zur Beseitigung erforderlich sind; die Feststellung, daß der Fehler von dem Hersteller kostenlos beseitigt werden wird; die Angabe des frühestmöglichen Zeitpunktes, an dem eine solche kostenlose Beseitigung vorgenommen werden kann; eine Beschreibung des Verfahren, welches der Empfänger der Nachricht befolgen muß, um der N H T S A mitzuteilen, wenn der Hersteller, Vertreiber oder Händler die kostenlose Beseitigung nicht vornimmt oder vornehmen kann. Ferner muß die Benachrichtigung in einer angemessenen Frist nach der Feststellung der Sicherheitsrelevanz des Fehlers bzw. des Verstoßes gegen den Sicherheitsstandard erfol96 15 U.S.C. § 1418(b)(l). Als erster Käufer gilt dabei nicht, wer das Produkt zum Weiterverkauf erwirbt, 15 U.S.C. § 1419(3). 9 7 15 U.S.C. §§1411, 1412. Die Ausführungsvorschriften der N H T S A finden sich in 49 C.F.R. §577. 98 15 U.S.C. §1413(a).
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g e n . " Vorgeschrieben wird bis ins einzelne die A r t und Weise der Benachrichtigung. 1 0 0 Soweit der Tatbestand der Benachrichtigungspflicht erfüllt ist, muß der Hersteller eines betroffenen Motorfahrzeuges oder Ersatzteils dafür Sorge tragen, daß der Fehler kostenlos (without charge) 1 0 1 beseitigt wird, wenn es zu diesem Z w e c k präsentiert wird. 1 0 2 D a b e i stehen ihm bei einem Motorfahrzeug drei Beseitigungsmöglichkeiten zur Wahl: E r kann das Fahrzeug reparieren, er kann es gegen ein identisches oder ein nach vernünftigen Maßstäben als gleichwertig anzusehendes (reasonably equivalent) ersetzen oder er kann den vollen Kaufpreis abzüglich einer vernünftigen Wertminderung zurückzahlen. 1 0 3 Austausch und Kaufpreisrückzahlung können dabei von Bedingungen abhängig gemacht werden, welche die N H T S A durch Verordnung gestatten kann. 1 0 4 Bei einem defekten Ersatzteil kann der Hersteller zwischen der Reparatur und dem Austausch wählen. 1 0 5 Eine kostenlose Fehlerbeseitigung ist dann nicht mehr vorgeschrieben, wenn das betroffene Fahrzeug oder Ersatzteil vor mehr als acht Jahren (im Fall von R e i fen drei Jahre) erstmalig an einen Endabnehmer verkauft wurde. 1 0 6 Diese A u s schlußfrist enthält allerdings einen gewissen Anreiz für die Hersteller, bei älteren Fahrzeugen die Benachrichtigung der Kunden und der N H T S A hinauszuzögern, da damit die Zahl der Fahrzeuge, deren Fehler kostenlos beseitigt werden muß, gesenkt werden kann. 1 0 7 H a t der Hersteller sich für die Reparatur des Fahrzeuges oder Ersatzteils als Beseitigungsmaßnahme entschieden, so muß er diese innerhalb einer angemessenen Frist durchführen. Als angemessen gilt dabei eine Frist von 60 Tagen nach der Präsentation des Fahrzeuges oder Ersatzteiles durch den Kunden, soweit dies nach dem v o m Hersteller angegebenen frühestmöglichen Zeitpunkt dafür geschieht. Wird die Reparatur innerhalb dieser Frist nicht in angemessener Weise durchgeführt, m u ß der Hersteller das Fahrzeug austauschen oder (nach seiner Wahl) den Kaufpreis unter A b z u g der Wertminderung zurückzahlen; Ersatzteile müssen ausgetauscht werden. 1 0 8 Soweit ein Händler die gesetzlich geforderte Fehlerbeseitigung kostenlos durchführt, muß er dafür v o m Hersteller in fairer
15 U.S.C. §1413(b). 15U.S.C. §1413(c). 101 Dies bedeutet, daß nur die Beseitigung als solche kostenlos sein muß, nicht jedoch, daß z.B. Anfahrtskosten des Kunden, Nutzungsentgang, Verdienstausfall etc. ersetzt werden müßten. Der Kunde trägt somit je nach Einzelfall einen erheblichen Teil der tatsächlich anfallenden Kosten, die neben anderen Faktoren bei seiner Bereitschaft, dem Rückruf zu folgen, eine Rolle spielen. 102 15 U.S.C. §1414(a)(l). 103 In der Praxis wählen die Hersteller durchwegs die Reparatur, s. Melican, in: Recalls, 39 Bus. Law. 757 (1984) S. 763. 104 15 U.S.C. §1414(a)(2)(A). 105 15 U.S.C. §1414(a)(2)(B). 106 15 U.S.C. §1414(a)(4). 107 So auch T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.415. 108 15 U.S.C. §1414(b). 99
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und angemessener Weise entschädigt werden. 1 0 9 Schließlich muß der Hersteller der N H T S A eine K o p i e seiner Pläne zur Fehlerbeseitigung vorlegen, welche sie dann der Öffentlichkeit zugänglich macht. 1 1 0 D e r Safety Act geht seinem Wortlaut nach davon aus, daß immer dann, wenn eine Pflicht zur Benachrichtigung der Kunden vorliegt, auch eine kostenlose B e seitigung des Fehlers erfolgen muß. Danach wären die bloße Warnung oder die Mitteilung von Verhaltensregeln oder einfachen Maßnahmen der Fehlerbeseitigung durch den Kunden selbst in keinem Fall ausreichend. Dies erscheint dann gerechtfertigt, wenn der Fehlerbegriff so gefaßt wäre, daß unter ihn nur gravierende Defekte fallen, die zuverlässig nur durch den Hersteller beseitigt werden können. Tatsächlich ist jedoch der Fehlerbegriff durch die Gerichte sehr weit definiert worden. 1 1 1 D i e von der N H T S A administrierte Rückrufpraxis ist deshalb auch, teilweise, weniger strikt. D i e weitaus meisten Rückrufaktionen werden von den Herstellern selbst unmittelbar oder nach Verhandlungen mit der Behörde ausgelöst. 1 1 2 In diesen Verhandlungen kann das Unternehmen
unter Umständen
erreichen, daß
die
N H T S A auf einen R ü c k r u f der Fahrzeuge verzichtet und sich mit der Vornahme weniger einschneidender Maßnahmen begnügt. So hat sie sich in einem Fall, in dem das automatische Getriebe von F o r d - A u t o m o b i l e n angeblich unvorhersehbar von der Park- in die Rückwärtsstellung umschaltete, darauf eingelassen, daß der Hersteller die Kunden über die Fehlerfeststellung der N H T S A informierte und ihnen einen warnenden Aufkleber für das Armaturenbrett zuschickte, auf dem sie aufgefordert wurden, den Schalthebel auf „Parken" zu stellen, die H a n d bremse zu ziehen und den M o t o r abzustellen, bevor sie das Fahrzeug verließen. Dieser Vergleich wurde von Konsumentenorganisationen erfolglos angegriffen. 1 1 3 In einem anderen Fall, der Rostschäden an bis zu elf Jahre alten F i a t - M o dellen betraf, einigten sich Hersteller und Behörde nach Verhandlungen auf den R ü c k k a u f der Modelle zum Zeitwert bei der Einleitung des Verfahrens vor der N H T S A statt einer Reparatur. 1 1 4
II. Consumer Product Safety Commission I m Jahre 1967 setzte der K o n g r e ß der U S A eine National C o m m i s s i o n on P r o duct Safety ein, die untersuchen sollte, ob die Verbraucher nach dem damaligen 15 U.S.C. § 1414(a)(3). 15 U.S.C. §1414(c). 111 S. die Leitentscheidung United States v. General Motors Corp., 518 F.2d 420 (D.C. Cir. 1975). Ein Fehler kann z.B. danach auch dann vorliegen, wenn der Schaden durch vorhersehbaren Mißbrauch auftrat. In diesen Fällen könnten jedoch u.U. Warnhinweise im Fahrzeug zu einer effektiven Gefahrbeseitigung durchaus ausreichen. 112 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.415. 113 Center for Auto Safety, Inc. v. Lewis, 685 F.2d 656 (D.C. Cir. 1982). 114 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.416, Fn.97. 109 110
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Stand in ausreichender Weise gegen Verletzungen durch Haushaltsgegenstände geschützt waren. 1 1 5 D i e Ergebnisse alarmierten den Gesetzgeber und die Ö f f e n t lichkeit. Es wurde geschätzt, daß jährlich 2 0 Millionen Amerikaner im Haushalt durch Unfälle im Zusammenhang mit Haushaltsprodukten verletzt würden; 3 0 0 0 0 von ihnen würden getötet, 1 1 0 0 0 0 trügen eine Behinderung davon. 1 1 6 N a c h Ansicht der K o m m i s s i o n entfalteten weder das Produkthaftungsrecht noch die bereits bestehenden Sicherheitsrichtlinien für bestimmte Produkte eine ausreichende Präventivwirkung, um die Verbraucher wirksam zu schützen. Als Reaktion auf diesen Befund wurde 1972 die C o n s u m e r Product Safety Commission ( C P S C ) durch den C o n s u m e r Product Safety A c t gegründet. 1 1 7 Ihre Aufgabe ist es, Sicherheitsstandards für Produkte für Endverbraucher aufzustellen, ihre Einhaltung durch die Industrie zu überwachen und durchzusetzen, F o r schungen zur Produktsicherheit durchzuführen, R ü c k r u f e von Produkten anzuordnen, die Konsumenten zu informieren und sonstige Aktivitäten zum Schutz der Verbraucher zu entfalten. Sie ist zuständig für alle Produkte für Endverbraucher, soweit sie nicht - wie etwa Autos oder Arzneimittel - anderen Behörden zugewiesen sind. 1 1 8 Dies sind über 10000 verschiedene Produkte 1 1 9 . N e b e n dieser Allgemeinzuständigkeit wurde ihr auch die Duchführung verschiedener Spezialgesetze für einzelne Produktgruppen zugewiesen. 1 2 0 D e r C o n s u m e r Product Safety A c t hat die C P S C mit einem innovativen Arsenal von Instrumenten zur Durchsetzung ihrer Produktsicherheitspolitik ausgestattet. Eindeutig im Vordergrund standen zunächst präventive Maßnahmen der C P S C , die bereits verhindern sollten, daß unnötig gefährliche Produkte überhaupt in Verkehr gebracht wurden. Das wichtigste Instrument dafür sollten bindende Sicherheitsstandards (mandatory safety S t a n d a r d s ) sein, die von der B e h ö r de unter Mitwirkung der interessierten Kreise aus Industrie und K o n s u m e n t e n schutzvereinen entwickelt und überwacht werden sollten. 1 2 1 Später entwickelte sich zum wichtigsten Instrument der C P S C jedoch die Möglichkeit, den R ü c k r u f eines Produktes, verbunden mit seiner Reparatur, dem Austausch oder der Erstattung des Kaufpreises, anzuordnen. Dieses Instrument National Commission on Product Safety Act, Pub. L. No. 90-146, 81 Stat. 466 (1967). National Commission on Product Safety, Final Report, Washington, D.C. 1970, S. 1. 117 15 U.S.C. §§ 2051 ff. Einen umfassenden Uberblick über das Gesetz und die ersten Erfahrungen mit der Arbeit der CPSC gibt Lamatina, 4 J. Prod. Liability 275 (1981). Aus dem deutschen Schrifttum s. Butler/Fischer, RIW/AWD 1973, 74; Rettenbeck, S.161ff.; Joerges/Falke/ Micklitz/Brüggemeier, S. 201 ff.; Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, S. 155209; ders., PHI 1987, 30 und 78. 118 15 U.S.C. §2052(a)(l). 119 Interview mit Robert D. Verbalen, Associate Executive Director, CPSC, in: BEUC News No. 36, June 1984, S.7. 120 Federal Hazardous Substances Act, 15 U.S.C. §§1261 ff.; Flammable Fabrics Act, 15 U.S.C. §§ 1191 ff.; Poison Prevention Packaging Act, 15 U.S.C. §§1471ff.; Refrigerator Safety Act, 15 U.S.C. §§ 1211 ff. 121 Scalia/Goodman, 20 U.C.L.A. L. Rev. 899 (1973) S. 906; T. Schwanz, 51 Geo. Wash. L. Rev. 32 (1982) S. 57 m.w.N. Eine ausführliche Darstellung der Aktivitäten der CPSC im Bereich der Standards bis 1980 findet sich bei Lamatina, 4 J.Prod.Liability, S.283ff. 115
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kann flexibel gegen konkrete Gefahren einzelner Produkte und gegen einzelne Hersteller eingesetzt werden. Es ist deshalb auch weniger anfällig als zwingende branchenweite Sicherheitsstandards für langwierige Diskussionen mit den beteiligten Kreisen über Kriterien und Ausgestaltung im Einzelnen. Von 1973 bis 1981 konnte die CPSC so ca. 2500 Produktrückrufe initiieren, die über 100 Millionen Einzelprodukte betrafen. 122 Allein 1991 waren 39 Millionen Produkteinheiten in 703 Aktionen involviert, die zu Warnungen an die Verbraucher, Produktionseinstellungen und Rückrufen führten. 123 Der Rückruf ist damit das bei weitem am häufigsten eingesetzte Instrument der CPSC geblieben. Der Consumer Product Safety Act hat die CPSC mit zwei Rechtsgrundlagen für die Einleitung von Rückrufaktionen ausgestattet. 124 Gemäß See. 12 CPSA 125 kann die CPSC bei Gericht die Anordnung von Rückrufmaßnahmen durch den Hersteller beantragen, wenn sie feststellt, daß von einem Produkt eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Verbraucher ausgeht, d.h das Produkt „imminently hazardous" ist. Da die Gerichte die Möglichkeit einstweiliger Anordnungen haben, kann auf diesem Wege ein schneller auf gefährliche Produkte zugegriffen werden. Allerdings hat die CPSC von dieser Möglichkeit bisher nur sehr wenig Gebrauch gemacht. Der Grund ist darin zu sehen, daß es aufgrund des Drohens einer gerichtlichen Anordnung meist zu einer vorgerichtlichen Einigung zwischen der Behörde und dem Hersteller kommt, der dann einen „freiwilligen Rückruf" (voluntary recall) durchführt. 126 Von größerer praktischer Bedeutung für die Rückrufpraxis der CPSC ist See. 15 CPSA. 127 Hier ist Vorausetzung für ein Eingreifen der Behörde, daß eine erhebliche Gefahr von dem Produkt ausgeht (substantial product hazard). Wird eine solche Gefahr festgestellt, kann nach Durchführung eines Anhörungsverfahrens der Rückruf des Produktes von der Behörde angeordnet werden. Der Hersteller hat dann die Verbraucher in geeigneter Weise zu informieren, das Produkt zu reparieren, gegen ein fehlerfreies auszutauschen oder den Kaufpreis zu erstatten. Dabei kann er zwischen diesen Maßnahmen wählen, hat sie jedoch mit der Behörde abzustimmen. 122
Stellungnahme von Susan B. King, in: CPSC Reauthorization: Hearings, 1981, S.22. CPSC, Annual Report 1991. 124 Daneben enthält der Federal Hazardous Substances Act, 15 U.S.C. §§1261-1276, der ebenfalls von der CPSC administriert wird, in 15 U.S.C. § 1274 die Möglichkeit der Anordnung von Rückrufen, die jedoch in einer Novelle von 1981 an die entsprechende Vorschrift im CPSA angepaßt wurde. Die übrigen Gesetze, deren Verwaltung der CPSC übertragen wurde, der Flammable Fabrics Act, 15 U.S.C. §§1191-1204, der Poison Prevention Packaging Act, 15 U.S.C. §§1471-1474,1476 und der Refrigerator Safety Act, 15U.S.C. §§2111-1214 enthalten keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung in dieser Hinsicht. 125 15 U.S.C. §2061. 126 S. T. Schwartz/Adler, 39 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.429f. und die dort genannten Fälle. S. auch das bei v. Hülsen/Brüning-Brinkmann, RIW/AWD 1977, 91 geschilderte Beispiel von fehlerhaften Lichtbogenschweißgeräten, deren Hersteller sich nach Intervention der CPSC bereit erklärte, die Produktion dieser Geräte einzustellen, 250000 seit 1950 hergestellte Geräte zurückzurufen und den Kunden den vollen Wert zu erstatten. 127 15 U.S.C. §2064. Ausführlich Madden, 30 Cath. U. L. Rev. 195 (1981). 123
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B e v o r die C P S C die Gefährlichkeit von Produkten und notwendige Gefahrabwendungsmaßnahmen prüfen kann, muß sie erst Kenntnis von der Gefahrenlage und der G r ö ß e und Schwere des Risikos haben. D i e Behörde hat deshalb ein enges Informationsnetz gespannt, das es ihr ermöglicht, relativ bald und umfassend von aufgetretenen Schädigungen durch Produkte zu erfahren. Verbraucher k ö n nen sich nicht nur schriftlich an die C P S C oder eines ihrer Regionalbüros wenden, es gibt auch ein ständig besetztes gebührenfreies „Sorgentelefon", über das die Bürger einerseits Informationen über laufende Rückrufaktionen erhalten können, andererseits aber auch über Probleme mit und Schädigungen durch P r o dukte berichten können. R e c h t häufig sind auch Beschwerden und Hinweise von Wettbewerbern eines Herstellers. 1 2 8 Weitere Informationen bezieht die Behörde aus Berichten von Konsumentenschutzorganisationen, Zeitungs- und Fernsehberichten sowie eigenen Nachforschungen und Inspektionen. Ferner hat die C P S C ein National Electronic I n j u r y Surveillance System ( N E I S S ) aufgebaut. D a b e i werden in ausgewählten Krankenhäusern 1 2 9 täglich Berichte aus den N o t aufnahmen und Ambulanzen über alle Verletzungen, die mit Produkten zusammenhängen, erstellt und an die C P S C weitergeleitet. 1 3 0 D i e Auswertung dieser Berichte ergibt frühe Hinweise auf besondere Produktgefahren. Eine weitere besonders wichtige (und kontroverse) Informationsquelle der C P S C sind Berichte der Industrie über fehlerhafte Produkte. Ungefähr 6 0 % der Rückrufe wegen eines erheblichen Produktfehlers (nicht berücksichtigend solche wegen Verletzung von Sicherheitsregeln) beruhen auf solchen Selbstanzeigen der Industrie. 131 Diese Fehlerberichte der Industrie sind allerdings nicht freiwillig. See. 15(b) und 37 C P S A 1 3 2 verpflichten vielmehr die Industrie dazu. Angesichts dieser umfassenden Berichtspflichten, die jeden Hersteller, Importeur, Vertreiber und Einzelhändler von Endverbraucherprodukten in den U S A 1 3 3 treffen, und der 10000 bis 15000 Produkte, die in den Kompetenzbereich der C P S C fallen 134 , ist die Zahl der jährlich tatsächlich bei der C P S C eingehenden Berichte enttäuschend gering. Sie beträgt nach Informationen des Senatsunterausschusses für K o n s u mentenfragen nur 150 bis 2 0 0 pro Jahr. 135 Wenn sich Verdachtsmomente gegen ein Produkt aufgrund der U n t e r n e h mensberichte oder anderer Informationen ergeben, wird zunächst innerhalb der 128
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Note, 75 Iowa L. Rev. 567 (1990) S.586, Fn. 160. nahmen an diesem Programm 91 Krankenhäuser teil; s. CPSC, Annual Report 1991,
S.l. 130 Interview mit Robert D. Verbalen, Associate Executive Director, CPSC, in: BEUC News No. 36, 7, 8ff. 131 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1981) S.431, Fn.209 132 15 U.S.C. §§ 2064(b) und 2084. 133 Das sind nach Schätzungen ca. zwei Millionen Unternehmen, Statler, 7 J. Prod. Liability 89 (1984) S.91. 134 H.R. Report No. 114, 98th Cong., 1st Sess., Washington, D.C. 1983, S.3. 135 Consumer Product Safety Improvements Act of 1990, Senate Report No. 101-37, Washington, D.C. 1990, S. 10. Zwischen 1974 und 1983 schwankte sie zwischen 74 und 201 pro Jahr, T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.433, Fn.221.
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C P S C eine U n t e r s u c h u n g eingeleitet, bei der u n t e r Beiziehung der e n t s p r e c h e n den F a c h l e u t e der B e h ö r d e entschieden w e r d e n soll, o b eine erhebliche G e f a h r gegeben sein k ö n n t e . L i e g t sie vor, w i r d das P r o d u k t v o n der C P S C einer b e s t i m m t e n Risikoklasse z u g e o r d n e t . D i e Z u o r d n u n g ist v o n B e d e u t u n g , weil v o n ihr A r t , Intensität u n d U m f a n g der v o r z u n e h m e n d e n G e f a h r a b w e n d u n g s m a ß n a h m e n abhängen. E i n i g e Beispiele aus d e m J a h r e 1991 m ö g e n die B a n d b r e i t e der M a ß n a h m e n , w e l c h e mit der C P S C a b g e s p r o c h e n w u r d e n , zeigen: Die Shell Oil Co. hatte ca. 40000 Barrel Flüssiggas ohne einen Geruchszusatz, der die Entdeckung von Lecks in der Leitung erleichtern sollte, ausgeliefert. Das Unternehmen schickte daraufhin Mitarbeiter zu Verbrauchern mit entsprechenden Tanks, um das Vorhandensein des Zusatzes zu prüfen und ihn notfalls nachzufüllen. Außerdem wurden die Besitzer von Wohnwagen angewiesen, ihre Tanks mit fehlerfreiem O l aufzufüllen. Ferner wurden die Verfahren zum Versetzen des Gases mit dem Zusatz und die Testverfahren verbessert. Schließlich gab es ein gebührenfreies Informationstelefon. 1 3 6 In Fernsehgeräten der Firma Zenith Electronics Corp. konnte ein Kurzschluß zu schweren elektrischen Schlägen führen. Das Unternehmen informierte die Besitzer und forderte sie auf, den Stecker des Gerätes herauszuziehen, bis ein Mitarbeiter die Reparatur vorgenommen habe. 1 3 7 Bei aufblasbaren schwimmenden Sitzen für Kleinkinder bestand die Gefahr, daß sie wegen unsachgemäßer Handhabung oder fehlender Aufsicht umkippten; die Kinder könnten dann ertrinken. Bei zwei Modellen wurden die Gebrauchsanweisungen und Warnhinweise so geändert, daß ihre Lesbarkeit verbessert und auf das Unterlassen bestimmter Mißbräuche besonders hingewiesen wurde. Der Name des Modell „Baby Sitter" wurde geändert, da er suggeriere, man könne das Kind beruhigt allein lassen. 138 Bei einem Gürtel der Firma Levi Strauss and Co., der zusammen mit zwei Modellen von Mädchenkleidung verkauft worden war, konnten sich kleine Metallteile lösen, die dann von den Kindern möglicherweise verschluckt werden konnten. Die Gürtel konnten gegen Ersatz von U S $ 5 zurückgegeben werden. 1 3 9 Bei defekten Kaffeemaschinen, die vom Hersteller zurückgerufen wurden, zahlte der Hersteller U S $ 10 als Prämie und kam für die Kosten von Verpackung und Versand auf, um die Rücklaufquote zu erhöhen. 1 4 0 Bei defekten Gashähnen und -leitungen an Gasgrills schickte der Hersteller allen Kunden, die die fehlerhaften Teile einsandten, kostenlos fehlerfreie Ersatzteile und ein Geschenk. 1 4 1 In vielen anderen Fällen w u r d e n kostenlose R e p a r a t u r e n o d e r Tests, E r s a t z der fehlerhaften P r o d u k t e d u r c h neue, Z u s e n d u n g k o s t e n l o s e r R e p a r a t u r s e t s mit A n leitungen, R ü c k z a h l u n g des Kaufpreises, Z e r s t ö r u n g n o c h v o r h a n d e n e r E x e m plare, Einstellung des Vertriebs, Ä n d e r u n g e n in H e r s t e l l u n g s - u n d K o n t r o l l v e r -
136 137 138 139 140 141
CPSC, 1991 Annual Report, S. F-22. Ebd., S. F-24. Ebd., S. F-25. Ebd., S. F-27. Ebd., S. F-35. Ebd., S. F-38.
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fahren, Konstruktionsänderungen etc. von der C P S C als Gefahrabwendungsmaßnahme gebilligt. Fast alle Rückrufaktionen werden so im Wege der Verhandlungen zwischen der C P S C und dem Hersteller vereinbart. Sie gelten deshalb als „voluntary recalls", wenn auch die Freiwilligkeit sicher durch die Sanktionsmöglichkeiten der C P S C , die hohen Kosten eines Rechtsstreites und den damit verbundenen größeren Imageverlust gefördert wird. 1 4 2
III. Food and Drug Administration D i e F o o d and D r u g Administration ( F D A ) wurde im Jahre 1927 gegründet. 1 4 3 D i e Befugnisse der Behörde zur Gewährleistung der Sicherheit der Verbraucher waren zunächst nur schwach ausgeprägt. Bestrebungen, eine umfassende bundeseinheitliche Regelung dieses Bereichs durchzusetzen, scheiterten jedoch am W i derstand der sich entwickelnden Industrie und der Werbebranche. 1 4 4 I m Jahre 1938 schließlich, nachdem über einhundert Personen an der Einnahme eines „Elixir of Sulfanilamide" gestorben waren, k o n n t e als K o m p r o m i ß der Industrie- und Verbraucherinteressen der Federal F o o d , D r u g and C o s m e t i c A c t den K o n g r e ß passieren, der mit wesentlichen Novellierungen und Ergänzungen auch heute n o c h die Grundlage der Tätigkeit der F D A ist. 145 D i e Hauptaufgabe der F D A ist der Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit und die Durchsetzung von ehrbaren und fairen Praktiken im Wettbewerb auf dem Markt 1 4 6 durch die Verhinderung der Vermarktung von Lebensmitteln, human- und veterinärmedizinischen Arzneimitteln, Impfstoffen, Blutprodukten, medizinischen Geräten, Kosmetika und anderen Produkten wie z . B . Röntgengeräte und Mikrowellenherde, welche unsicher sind oder unter irreführenden A n gaben (misrepresentation) angeboten werden. 1 4 7 142 Zu den Anreizen für die Hersteller und die CPSC, Rückruffälle vergleichsweise zu erledigen s. T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.439f. 143 Janssen, 35 Food Drug Cosm. L. J. 132 (1980) S. 134. 144 Janssen, ebenda, S. 133 ff. Die Hersteller von „Wundermedizinen" waren zu Beginn des Jahrhunderts die größten Werbungtreibenden, S. 134. 145 Heute kodifiziert als 21 U.S.C. §§ 301-394. Hinzu kommen Teile des Public Health Service Act, 42 U.S.C. §§262f. für die Kontrolle über biologische Produkte. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetz von 1938 konnte man 1992 bereits 55 Änderungen verbuchen, Hoeting, 47 Food Drug Cosm. L. J. 405 (1992), S.405. 146 Hoeting, ebenda, S.405 Zum nicht unproblematischen Verhältnis zwischen der bundesrechtlichen Regulierung des Arzneimittelmarktes zum Schutze der Gesundheit der Allgemeinheit und dem einzelstaatlichen Produkthaftungsrecht, bei dem es u.a. um die Frage geht, welchen Einfluß der Erlaß und die Erfüllung bundesrechtlicher Sicherheitsvorschriften auf Bestand und Voraussetzungen einzelstaatenrechtlicher Produkthaftungsansprüche hat, s. Walsh/Klein, 41 Food Drug Cosm. L. J. 171 (1986). 147 Merril, 45 Geo. Wash.L. Rev. 994 (1977) S. 994, Fn. 1.
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Das Instrumentarium zur Durchsetzung dieser Ziele, das der Behörde im Laufe der Zeit zugewachsen ist, ist äußerst vielseitig und durchschlagskräftig, wenn es entschlossen eingesetzt wird. Es reicht von Maßnahmen, die das Inverkehrbringen von unsicheren Produkten verhindern sollen, bis zu solchen, die dennoch auf den M a r k t gelangte Produkte wirkungsvoll aus dem Verkehr ziehen können. Zu den ersteren gehört das Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel, die nur nach Genehmigung der F D A vermarktet werden dürfen, sowie die Aufstellung von Sicherheitsstandards für bestimmte Produkte, aber auch die Überwachung von Produktions- und Lagerstätten durch Inspektionen 1 4 8 und die Begutachtung importierter Produkte 1 4 9 . Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist auch die Zuständigkeit der F D A , die Qualität der jährlich ca. 1 8 0 0 0 Bieter auf 6 5 0 0 Beschaffungsverträge der Regierung zu begutachten, da dadurch auch die G ü t e der für die Allgemeinheit hergestellten Produkte beeinflußt wird. 1 5 0 N a c h der Vermarktung eines Produktes wird die Sicherheit der Allgemeinheit durch Aufklärungsaktionen, die Möglichkeit von Beschlagnahmen, Unterlassungsverfügungen und Zivilstrafen bei Nichtbeachtung von Anordnungen der F D A sowie R ü c k r u f a k tionen gewährleistet. 1 5 1 I m Bereich der Nachvermarktungskontrolle hat die F D A zunächst das Instrument der Beschlagnahme am stärksten eingesetzt. 1945 waren dies über 3 0 0 0 pro Jahr. D a n a c h aber verschob sich der Schwerpunkt mehr auf Rückrufaktionen; 1969 betrug die Zahl der Beschlagnahmen nur n o c h 383, die Zahl der jährlichen Rückrufe über eintausend pro Jahr. 1 5 2 Heute liegt die Zahl der Beschlagnahmen bei 2 0 0 im Jahr, die der Rückrufe bei 2000. 1 5 3 Diese große Zahl von Rückrufen jährlich im Zuständigkeitsbereich der F D A ist umso erstaunlicher, als diese B e hörde sich dabei, anders als die C P S C und die N H T S A , nicht auf eine generelle Ermächtigung zur Anordnung von Rückrufaktionen stützen kann. 1 5 4 Bei prak148 In einem typischen Jahr inspiziert die FDA ca. 20000 Betriebsstätten und analysiert 29500 Proben, Hoeting, 47 Food Drug Cosm. L. J. 405 (1992) S.407. 149 Pro Tag überprüft die FDA ca. 6000 Importe von Gütern, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, ebd., S.407. 150 Ebd., S. 406. 151 Die Befugnisse der FDA gestatten ihr, praktisch in jeder Phase der Herstellung und Vermarktung eines Produktes regulierend einzugreifen. So entscheidet sie nicht nur über die Marktzulassung eines Produktes, sondern bereits über die Art der dafür erforderlichen Laboratoriums- und klinischen Tests; sie reguliert Produktionsmethoden, die Etikettierung und die Absatzmethoden, s. Gihbs/Mackler, 21 Tort & Insurance L. J. 194 (1987) S. 196. Ausführlich zum nach dem Inverkehrbringen zur Verfügung stehenden Instrumentarium und zu den Kriterien für die Auswahl der einzelnen Instrumente, Urban, 47 Food Drug Cosm. L. Rev.411 (1992). 152 T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.446, Fn.309. 153 Hoeting, 47 Food Drug Cosm. L. J. 405 (1992) S.407. 154 Eine erste Rechtsgrundlage zur Anordnung von Rückrufen für einen begrenzten Produktbereich erhielt die FDA erst 1968 durch den Radiation Control for Health and Safety Act (ursprünglich kodifiziert als 42 U.S.C. §§263b-263n, heute als 21 U.S.C. §§263hh-360ss). Die Rückrufvorschrift findet sich in 21 U.S.C. 36011. Hinzu kamen 1976 die sogenannten Medical Device Amendments (nach einer weiteren Novelle von 1990 sind diese Vorschriften jetzt kodifiziert als 21 U.S.C. §§360c-360l.) und 1980 der Infant Formula Act (kodifiziert als 21 U.S.C.
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tisch allen dieser Rückrufe handelt es sich zumindest formell um freiwillige Rückrufe der Unternehmen, an denen die F D A allerdings in gewisser Weise beteiligt war. Zwar fehlte ihr die Möglichkeit, Rückrufe anzuordnen, doch konnte sie die Hersteller durch die Drohung mit dem Einsatz ihrer anderen Instrumente (Beschlagnahme, Entzug der Marktzulassung) dazu bewegen, Rückrufaktionen durchzuführen. Die Informationsquellen der FDA über Sicherheitsprobleme der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Produkte sind sehr vielfältig und äußerst ergiebig. Das Problem der Behörde scheint oft nicht so sehr die Informationserlangung zu sein, als vielmehr deren Verarbeitung, Einschätzung und Umsetzung in konkrete Maßnahmen zum Schutze der Allgemeinheit. Die FDA erhält jährlich ca. 88000 Berichte von Unternehmen über beeinträchtigende (Neben-)Wirkungen von Arzneimitteln, 33000 solcher Berichte über medizinische Geräte und 17000 Erfahrungsberichte über Kosmetika. Hinzu kommen 10000 Verbraucherbeschwerden. Ferner führt die Behörde jährlich 20000 Inspektionen von Betriebsstätten durch, bei denen 29500 Proben analysiert werden, und überprüft täglich 6000 neu importierte Artikel auf ihre Ubereinstimmung mit den Sicherheitsvorschriften. 155 Außerdem werden regelmäßig die Presse und Fachzeitschriften ausgewertet. Die Fülle der dabei anfallenden Informationen erlauben es der FDA, relativ frühzeitig Gefahren für die Gesundheit der Allgemeinheit zu erkennen und je nach Gefährdungsgrad und -umfang entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen. Im Rahmen der Auswertung der eingehenden Informationen wird das Gefahrenpotential des Produktes, welches den Fehler aufweist oder von einer Sicherheitsvorschrift abweicht, festgestellt. Diese Bestimmung dient als Grundlage der Entscheidung über die erforderlichen Gegenmaßnahmen. So wird möglicherweise bei falschen Gewichtsangaben, welche kein Gesundheitsrisiko bedeuten, nur die Korrektur auf Etikett und Beipackzettel bei der zukünftigen Produktion verlangt. Wird dagegen ein Rückruf (vom Unternehmen freiwillig) durchgeführt oder (von der FDA oder dem Unternehmen) in Betracht gezogen, dient eine „Health Hazard Evaluation" auch dazu, den Rückruf einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Von dieser Kategorisierung hängen die notwendigen Rückrufmaßnahmen, die „Rückruftiefe" 156 , die notwendigen Uberprüfungen der Wirksamkeit des Rückrufs durch das Unternehmen und der Umfang der Kontrolle durch die F D A ab.157 §350a und novelliert 1986). Ferner gibt es eine 1986 eingeführte begrenzte gesetzliche Rückrufmöglichkeit für biologische Produkte wie Viren, Seren, Impfstoffe, Blut, Blutbestandteile oder -derivate etc. in 42 U.S.C. §262(d)(2)(A). 155 Hoeting, 47 Food Drug Cosm. L. J. 405 (1992) S.405, 407. 156 Dabei werden Rückrufe bis zur Verbraucherebene (einschließlich vorgeschaltetem Großund Einzelhandel), welche einzelne Verbraucher, Arzte, Krankenhäuser, Gaststätten etc. betreffen können, unterschieden von Rückrufen auf der Einzelhändlerebene (betreffend Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Drogerien, Pflegeheime etc.) und solchen auf der Großhandelsebene. 157 Insgesamt zu den Verfahrensschritten bei der Einleitung und Durchführung eines Rückrufes s. Bozeman, 33 Food Drug Cosm. L. J. 342 (1978).
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Bei der Durchführung des Rückrufs 1 5 8 ist zwischen solchen, die von den U n ternehmen ausgelöst werden (firm initiated), und solchen, die von der F D A gefordert werden ( F D A requested), zu unterscheiden. Wenn der Rückruf von dem Unternehmen ausgeht, überprüft die F D A zunächst die von diesem zugeleiteten Informationen, teilt die Klasse mit, welcher der Rückruf zugeordnet wurde und empfiehlt gegebenenfalls Änderungen des von dem Unternehmen vorgelegten Rückrufplans. Generell müssen sich die Unternehmen bei von ihnen selbst initiierten Rückrufen an die umfangreichen Richtlinien der F D A halten. 159 Verlangt die F D A den Rückruf aufgrund eigener Risikobewertung, benachrichtigt sie zunächst das Unternehmen, daß unverzüglich ein Rückruf durchzuführen ist. Für die Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung ist es grundsätzlich unerheblich, ob ein gefährliches Produkt aufgrund eines vom Unternehmen initiierten, von der F D A geforderten oder von ihr angeordneten Rückrufes aus dem Verkehr gezogen wird. Entscheidend ist, daß dies schnell und zuverlässig geschieht. Die erschwerenden Verfahrensanforderungen an die durch behördliche Anordnung erzwungenen Rückrufe nach den Medical Device Amendments lassen es jedoch für manche Kommentatoren nicht unbedingt wünschenswert erscheinen, der F D A eine allgemeine Ermächtigung zur Anordnung von Rückrufen einzuräumen, da durch die dann zu erwartende Einführung verfahrensrechtlicher Schutzvorschriften zugunsten der Unternehmen kostbare Zeit verloren gehen könnte. 1 6 0 Die Politik der freiwilligen Rückrufe ist erheblich flexibler und führt zu rascheren Ergebnissen. Allerdings kann eine solche Politik nur wirksam sein vor dem Hintergrund anderer einschneidender Eingriffsmöglichkeiten der F D A , die bei Verweigerung des Rückrufs eingesetzt werden können, und der erkennbaren Bereitschaft der Behörde, dieses Arsenal zur Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung auch effektiv zu nutzen, da sonst die Anreize für die Unternehmen zur Durchführung freiwilliger Rückrufe zu gering sein könnten. 1 6 1 Dieser Zu158 Auf die Besonderheiten bei Rückrufen, die von der F D A entsprechend der oben beschriebenen Rechtsgrundlagen angeordnet wurden, soll hier nicht eingegangen werden, da auch in diesen Bereichen die „freiwilligen" Rückrufe vorherrschen. 159 S.21 C.F.R. Part 7, Subpart C, Recalls. 160 Ebd., S.459ff. Im Rahmen freiwilliger Rückrufe können auch Produkte vom Markt genommen werden, die zwar dringend als Ursache schwerer Schädigungen verdächtigt werden, bei denen jedoch der Nachweis des konkreten schadensverursachenden Fehlers schwerfällt. In diesen Fällen ist es fraglich, ob die F D A aufgrund der schwierigen Beweislage rechtzeitig in einem Verfahren mit Anhörungen und gerichtlichen Uberprüfungen einen Rückruf durchsetzen könnte. Als Beispiel für eine solche Situation wird der Rückruf von Babynahrung zitiert, welche 20000 Kindern in den U S A verabreicht wurde. Hier bestanden sehr konkrete Hinweise, daß die Babynahrung die Ursache für schwere Entwicklungsstörungen war. Der Hersteller führte einen - allerdings nicht völlig erfolgreichen - freiwilligen Rückruf durch. Noch Monate später aber stritt man über den konkreten schadensverursachenden Fehler des Produktes. S. Note, 1980 Utah L. Rev. 809, S. 824f. 161 Es wird allerdings auch davor gewarnt, Rückrufe leichtfertig und ohne dringende Notwendigkeit zu verlangen, da diese rechtlich wenig abgesicherte Sanktion sonst leicht zu „administrative blackmail" degenerieren könne, Lambert, 27 Food Drug Cosm. L. J. 668 (1972) S. 672. S.
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sammenhang scheint sich auch in der Realität zu bestätigen. So wurde Anfang der achtziger Jahre parallel zu einem Nachlassen der Durchsetzungsaktivitäten der F D A auch ein erheblicher Rückgang der freiwilligen Rückrufe beobachtet. 1 6 2
IV. Uberblick über weitere
Produktsicherheitsbehörden
N e b e n der N H T S A , der C P S C und der F D A gibt es aber noch eine Reihe anderer Behörden, denen K o m p e t e n z e n der „ N a c h m a r k t k o n t r o l l e " für bestimmte Produktarten oder Risiken übertragen wurden. So ist die Environmental Protection A g e n c y u.a. zuständig für die Durchführung des Toxic Substances C o n t r o l A c t von 1976 ( T S C A ) 1 6 3 , des Federal Insecticide, Fungicide and Rodenticide Act von 1972 ( F I F R A ) 1 6 4 und des Clean Air Act 1 6 5 ; die U.S. C o s t Guard, eine Behörde des Department of Transportation, ist für die Durchführung des Federal B o a t Safety Act von 1971 zuständig 1 6 6 und die ebenfalls zum Transportministerium gehörende Federal Aviation Administration ( F A A ) kann Rückrufe aufgrund des Federal Aviation A c t von 1958 1 6 7 anordnen. A u c h das Department of Housing and U r b a n Development und das Landwirtschaftsministerium und schließlich die Federal Trade Commission 1 6 8 haben Rückrufkompetenzen.
V. Zusammenfassung der Rückrufpraxis der Sicherheitsbehörden D i e vorstehende Darstellung des Rechts des Rückrufes und der Rückrufpraxis im US-amerikanischen Verwaltungsrecht hat gezeigt, daß dieses Instrument zu einem bevorzugten Mittel der Produktsicherheitspolitik geworden ist. D i e R ü c k rufmaßnahmen richten sich einerseits auf die Warnung der Verbraucher, der Händler oder anderer Mittelsmänner, über die die Verbraucher in K o n t a k t mit den gefährlichen Produkten gelangen, andererseits auf Austausch, Reparatur auf Kosten des Herstellers oder die Rückzahlung des Kaufpreises. Zum Teil werden den Verbrauchern sogar zusätzliche Zahlungen oder andere Vorteile angeboten, um sie zur Befolgung des Rückrufs zu bewegen.
dort auch zu den Gründen eines Unternehmens, der Rückrufaufforderung der FDA Folge zu leisten oder nicht. 162 T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.460. 163 15 U.S.C. §§2601 ff. 164 7 U.S.C. §§136a-136cc. 165 42 USC §7541 (c). 166 Zunächst kodifiziert als 46 U.S.C. §§ 1451-1489, später rekodifiziert in verschiedenen Sections von Titel 46 U.S.C. Für eine kurze Darstellung diese Gesetzes s.Jander/Gäbel, R I W 1984, 253, 255f. 167 49 U.S.C. §§1301-1542. 168 S. allgemein zu Warnhinweisen, Rückrufen und ähnlichen Maßnahmen im Bereich der FTC, Buc, in: Recalls, 39 Bus. Law. 757 (1984) S. 773ff.
Produktsicherheitsgesetze
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K a u m eine Branche, kaum ein Produkt bleibt von der Produktsicherheitspolitik ausgespart. D e r Bereich der Kraftfahrzeuge und deren Z u b e h ö r wird von der N H T S A abgedeckt, über die Sicherheit der Arzneimittel, medizinischen Geräte, Lebensmittel und Kosmetika wacht die F D A , eine weit definierte Bandbreite weist der Zuständigkeitsbereich der C P S C auf, in den 10000 bis 1 5 0 0 0 Produkte für den Endverbraucher (vom Streichholzheftchen bis zu Fahrgeschäften in Vergnügungsparks) fallen. D i e Sicherheit des Flugverkehrs einschließlich der Flugzeuge und ihrer Teile steht unter dem Patronat der F A A , B o o t e werden von der Coast Guard reguliert, für die Sicherheit von Pestiziden zeichnet die E P A verantwortlich. Ergänzt werden die Sicherheitsmaßnahmen dieser Behörden durch Zuständigkeiten des Landwirtschaftsministeriums ( U S D A ) , des Wohnungsbauministeriums ( D H U D ) , der Behörde für die Sicherheit am Arbeitsplatz ( O S H A ) . Sollte dann immer noch eine L ü c k e bestehen, wird diese unter Umständen durch das Eingreifen der F T C als Verbraucherschutzbehörde geschlossen. Es ergibt sich somit der Eindruck eines allumspannenden Netzes von Sicherheitsbehörden und -Vorschriften. D i e bevorzugten Regelungsinstrumente sind dabei einerseits die Aufstellung von Sicherheitsstandards und Zulassungsverfahren, um zu verhindern, daß übermäßig gefährliche Produkte auf den Markt k o m men, und andererseits der R ü c k r u f solcher Produkte, falls sie dennoch vermarktet wurden. D i e Verfahren und die Kriterien für die Anordnung eines Rückrufs sind dabei nicht einheitlich. Sie variieren je nach den gesetzlichen Vorgaben, der Art des Produktes und der zu schützenden Bevölkerungskreise. In Behörden wie der F D A ist der R ü c k r u f sogar ohne generelle gesetzliche Grundlage zum wichtigsten Mittel der N a c h m a r k t k o n t r o l l e geworden. Unabhängig von dem Vorhandensein und der Art der gesetzlichen Grundlage für die Anordnung oder gerichtliche Durchsetzung von Rückrufen wird die überwiegende Zahl von Rückrufen in der amerikanischen Wirtschaft freiwillig durchgeführt, d.h. nicht auf A n o r d nung einer Behörde oder eines Gerichts. D a z u gehören zunächst die Rückrufe, die von den U n t e r n e h m e n aus Verantwortungsgefühl oder auch aus wirtschaftlichem Kalkül selbst veranlaßt werden. O f t geht aber der A n s t o ß auch von der B e hörde aus, die nach der Auswertung ihrer vielfältigen Informationsquellen über gefährliche Sicherheitsverstöße oder Mängel von Produkten dem Hersteller einen R ü c k r u f empfiehlt und diesen mitgestaltet und überwacht, ohne daß es einer förmlichen Anordnung bedarf. D i e Motivation der Unternehmen zur Selbstinitiierung eines Rückrufs oder zur Befolgung der behördlichen Empfehlung ist vielfältig. Insbesondere bei P r o duktmängeln mit Gefahren für Leib und Leben ist auch in einem auf Gewinnerzielung ausgerichteten U n t e r n e h m e n das Verantwortungsbewußtsein der Verantwortlichen nicht grundsätzlich zu leugnen oder zu unterschätzen. Die F D A geht z . B . generell von der Annahme aus, daß die U n t e r n e h m e n sich gesetzestreu verhalten wollen und deshalb bei einer Information über Verstöße freiwillig K o r rekturmaßnahmen ergreifen. 1 6 9 D a n e b e n treten aber auch Erwägungen, die den 169
Urban, 47 Food Drug Cosm. L. Rev. 411 (1992) S.411.
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(frühzeitigen) Rückruf von Produkten und die Befolgung behördlicher Empfehlungen aus wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen als vorteilhaft oder zumindest als das kleinere Übel erscheinen lassen. Der freiwillige Rückruf, begleitet von einer entsprechenden Aufklärungs- und Werbekampagne, kann durchaus in der Lage sein, drohenden Umsatzeinbußen und Imageverlusten vorzubeugen und dem Unternehmen sogar die Gelegenheit zu bieten, sich als besonders sicherheitsbewußt zu profilieren. 170 Außerdem kann es der zuständigen Sicherheitsbehörde gegenüber günstig sein, sich sicherheitsbewußt und kooperativ zu verhalten. Selbst wenn die Behörden einen Rückruf mangels gesetzlicher Grundlagen nicht anordnen können, stehen ihnen doch in aller Regel genügend andere Sanktionen zur Verfügung, mit denen sie eine Entfernung der Produkte vom Markt durchsetzen könnten (Beschlagnahme, Verkaufsverbote, Zulassungsentzug etc.) und die erheblich einschneidender sein können. Insbesondere dann, wenn die Behörde gleichzeitig Zulassungsbehörde ist, bestehen große Anreize, nicht durch Verweigerung der Kooperation eine strengere Behandlung zu provozieren. Schließlich spielt auch noch eine Rolle, daß die rechtzeitige Vornahme eines Rückrufs sich vorteilhaft in Produkthaftungsprozessen auswirken kann. Zum einen kann dadurch der Vorwurf der Fahrlässigkeit abgewendet oder gemildert werden, zum anderen kann dadurch dem geschädigten Besitzer oder Benutzer möglicherweise ein Mitverschulden zugewiesen werden, wenn er seinerseits von dem Rückrufangebot keinen Gebrauch gemacht hat. Nicht selten wird die Durchführung einer Rückrufaktion deshalb auch von den Versicherungsträgern einer Produkthaftungsversicherung empfohlen oder verlangt. Allerdings kann es für die Unternehmen auch einige gewichtige Gründe geben, auf einen Rückruf zu verzichten oder ihn so lange wie möglich hinauszuzögern. Zunächst könnte das Unternehmen darauf hoffen, daß sich die von seinem Produkt ausgehende Gefahr gar nicht verwirklicht oder die Kausalitätskette der Schädigungen nicht bis zu ihm zurückverfolgt werden kann. Möglicherweise scheut es auch die negativen Auswirkungen auf seinen Ruf, die von einem Rückruf ausgehen und nicht mit Sicherheit durch Informations- und Werbekampagnen eingedämmt werden können. Allerdings dürften die negativen Wirkungen eines von der Behörde zwangsweise durchgesetzen Rückrufs größer sein als die eines frühzeitig freiwillig vorgenommenen. Einige Unternehmen mögen auch befürchten, durch einen freiwilligen Rückruf, der in der Regel der Behörde gemeldet werden muß, „schlafende Hunde zu wecken" und dadurch eine Uberreaktion der Behörde mit kostenträchtigen Auflagen auszulösen. Eine Verzögerung könnte insbesondere bei kurzlebigen Produkten Kosten sparen, da Reparatur- und Ersatzkosten wegen der immer geringer werdenden Zahl noch benutzter Produkte sinken werden. Uberhaupt dürften Kostenüberlegungen eine wichtige Rolle spielen, da die Durchführung einer erfolgreichen Rückrufaktion leicht mehrere Millionen US-Dollar verschlingen kann. Schließlich kann ein Rückruf auch negative Wirkungen auf Produkthaftungsprozesse haben, wenn darin das Zugeständnis ei170
H o w to Turn a Recall into a Sales Pitch, Business Week, Aug. 30, 1976, S.21.
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Produkthaftung
nes Fehlers gesehen wird und die im R a h m e n des Verfahrens der Behörde zugänglich gemachten Informationen in den P r o z e ß als Beweismittel eingeführt werden können. D i e Entscheidung der U n t e r n e h m e n ist deshalb meist eine Entscheidung für das voraussichtlich geringere Ü b e l . Allerdings scheint dabei in der überwiegenden Zahl der Fälle - auch wenn die H ö h e der Dunkelziffer unbekannt ist - die Wahl auf die Durchführung eines Rückrufes zu fallen. 171 Die Zahl der Produktrückrufe in den U S A ist jedenfalls jährlich vierstellig; Millionen von Produkteinheiten sind davon erfaßt; es gibt kaum einen Verbraucher, der bisher noch nicht von Rückrufaufforderungen erreicht worden wäre. Eine andere Frage ist jedoch, wie effektiv dieses Instrument der Sicherheitspolitik ist, d.h. insbesondere, o b die Unternehmen und Behörden in der Lage sind, effektive R ü c k r u f e durchzuführen, und o b die Verbraucher auch in einem Maße von den Rückrufangeboten G e brauch machen, welches tatsächlich zu einer vollständigen oder zumindest wesentlichen Beseitigung der Gefahr durch das fehlerhafte Produkt führt.
3. Kapitel
Rückrufpflichten und -ansprüche auf der Grundlage allgemeinen Produkthaftung A. Uberblick über das US-amerikanische
der
Produkthaftungsrecht
Das US-amerikanische Recht der Produkthaftung ist schon traditionell ein bevorzugter Gegenstand der rechtsvergleichenden Betrachtung aus deutscher Sicht. Die Zahl der Monographien und Aufsätze, die sich umfassend oder überblicksartig mit diesem Rechtsgebiet oder mit Teilaspekten befassen, ist unübersehbar geworden. 1 7 2 Es soll diesen Werken hier nicht eine neue umfassende, generelle Ubersicht hinzugefügt werden. Beabsichtigt ist vielmehr, die Darstellung bei kur171 Zweifelhaft dürfte allerdings sein, ob der Rückruf immer rechtzeitig erfolgt. Man kann aber wohl davon ausgehen, daß bei ernsthaften gesundheitlichen Schäden oder gar Todesfolgen das auslösende fehlerhafte Produkt in den meisten Fällen nicht unentdeckt bleibt, so daß zumindest auf Druck der Behörde oder der Öffentlichkeit letzlich, wenn auch nicht immer zum frühestmöglichen Zeitpunkt, ein Rückruf erfolgt. 172 S. auszugsweise aus der Fülle der Literatur in alphabetischer Reihenfolge: Borer, Produktehaftung: Der Fehlerbegriff nach deutschem, amerikanischem und europäischem Recht, 1986; Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 1967, S.244ff.; Dielmann, AG 1987, 108; Gäbel/Gaus, ZvglRWiss 88 (1989) 352; Hoechst, Die US-amerikanische Produzentenhaftung, 1986; von Hülsen, RIW 1983,633; ders., RIW/AWD 1981, Uders., Absatzwirtschaft 1981, Heft 3,104; von Hülsen/Brüning-Brinkmann, RIW 1985, 187; dies., RIW/AWD 1977, 91; Lorenz, RIW/ AWD 1980,609; de Lousanoff, ZHR 151 (1987) 72; Marschall v. Bieberstein, Die Produktenhaftpflicht in der neueren Rechtsprechung der USA, 1975; Pfeifer, Produktfehler oder Fehlverhalten des Produzenten. Das neue Produkthaftungsrecht in Deutschland, den USA und nach der EGRichtlinie, 1987; Schlechtriem, JZ 1968,507; Graf v. Westphalen, Die Haftung des Warenherstellers im amerikanischen Recht und der Uniform Commercial Code, 1969.
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zen Hinweisen auf die Grundzüge des allgemeinen US-amerikanischen Produkthaftungsrechts auf die besonderen Voraussetzungen der Warn- und R ü c k r u f pflichten und die Rechtsfolgen ihrer Nichtbeachtung zu konzentrieren. E s ist ferner zu beachten, daß trotz verschiedener Bestrebungen, ein einheitliches System der Produkthaftung auf Bundesebene zu etablieren, 173 das R e c h t der Produkthaftung in den U S A weiterhin einzelstaatliches R e c h t ist. Dies bedingt z.T. nicht unerhebliche Unterschiede bei den anerkannten Haftungstheorien, den Anspruchsvoraussetzungen, etc. nach dem c o m m o n oder statutory law der über fünfzig Jurisdiktionen. 1 7 4 Darauf kann im folgenden allerdings nur in Ausnahmefällen eingegangen werden; es lassen sich jedoch trotz dieser einzelstaatlichen B e sonderheiten allgemeine Grundsätze und Tendenzen darstellen. Dies rechtfertigt es, im vorliegenden Zusammenhang vereinfachend vom US-amerikanischen R e c h t der Produkthaftung zu sprechen, wobei allerdings im Auge behalten muß, daß im konkreten Fall je nach anwendbarem R e c h t möglicherweise A b w e i c h u n gen zu beachten sein werden.
I.
Entwicklung
Das US-amerikanische Produkthaftungsrecht hat in vielerlei Hinsicht durch die innovative Entwicklung neuer und den Ausbau traditioneller Haftungsgrundlagen eine Vorreiterrolle für die Entwicklung dieses Rechtsgebietes auch in Europa gespielt. Seine Wurzeln reichen jedoch bis in das englische R e c h t des 13. Jahrhunderts zurück. Damals entwickelte sich im c o m m o n law die Haftung für fahrlässiges Verhalten; der Geschädigte konnte Ersatz seiner Schäden erlangen, wenn er nachwies, daß der Schädiger eine Sorgfaltspflicht ihm gegenüber verletzt und dies zu einem ersatzfähigen Schaden geführt hatte. 175 Seit der grundlegenden 173 S. für einen der letzten erfolglosen Versuche den 1991 im 102. Kongreß eingebrachten Entwurf S. 640 „Product Liability Fairness Act of 1991" (Senate Rep. No. 102-215,102nd Congress, 1st Sess. (Nov. 14,1991)), der von Madden, Products Liability, Bd. 1, § 1.3, Suppl. S.2ff. kurz dargestellt wird. Dieser Gesetzesentwurf ist im wesentlichen identisch mit dem früheren Entwurf S. 1400 „A Bill to Regulate Interstate Commerce by Providing for a Uniform Products Liability Law"; s. dazu The Product Liability Reform Act, Hearing before the Committee on the Judiciary, United States Senate, 101st Cong., 2d Sess., Washington 1991. Für weitere vergebliche Ansätze s. Spacone, 8 J. Products Liability 1 (1985); Atkeson/Neidich, 38 Bus. Law. 623 (1983); Dielmann, A G 1987, 108, 114; Krauß/Schubert, PHI 1988, 132. 174 Viele der Einzelstaaten haben Produkthaftungsgesetze und/oder Gesetze zur Haftung für bestimmte Produkte (etwa Blutprodukte) erlassen. Auch hier besteht eine große Vielfalt der Regelungen. Zum Teil werden in diesen einzelstaatlichen Gesetzen auch als zu weit gehend empfundene Ergebnisse der deliktsrechtlichen „strict liability" zurückgestutzt. Eine gewisse Vereinheitlichung wird jedoch im Bereich der „warranty"-Haftung durch die auch in den Einzelstaaten (außer Louisiana) gültigen Regeln des Uniform Commercial Code erreicht. Auch der Modell Uniform Product Liability Act, der 1979 veröffentlicht wurde (44 Fed. Reg. 627104 v. 31. Oktober 1979, abgedruckt bei: Hoechst, S.162ff.) ist von einigen Einzelstaaten zumindest teilweise übernommen worden. 175 Leebron, 1990 Ann. Survey Amer. L. 395, S.395ff.
(Allgemeine)
Produkthaftung
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Entscheidung M a c P h e r s o n v. B u i c k M o t o r Co. 1 7 6 im Jahre 1916 wird auf die bis dahin verlangte einschränkende Voraussetzung der „privity" verzichtet. D i e Sorgfaltspflicht leitet sich nicht mehr aus einem Vertrag, sondern aus dem c o m m o n law ab. D i e zweite traditionelle Grundlage der Haftung für fehlerhafte Produkte bietet die „warranty". Dieser Begriff läßt sich mit „Garantie" nur sehr unvollkommen übersetzen. Dies liegt auch daran, daß die so bezeichnete Haftung sich weder eindeutig als vertragliche n o c h als deliktische einordnen läßt. 177 Auch für die „warr a n t y " - H a f t u n g war ursprünglich strenge „privity" Voraussetzung. Beginnend mit der Entscheidung Henningsen v. Bloomfield Motors, Inc. 1 7 8 des N e w Jersey Supreme C o u r t wurde auch hier der persönliche Schutzbereich immer weiter gezogen. H e u t e gilt in allen Bundesstaaten außer Louisiana der U n i f o r m C o m m e r cial C o d e , der die Garantiehaftung generell über den Kreis der direkten Vertragspartner ausdehnt, wenn auch der geschützte Personenkreis in den alternativen Fassungen des U C C , von denen die Staaten sich für jeweils eine entschieden haben, unterschiedlich gefaßt ist. 179 D i e soeben beschriebene Aufweichung der Voraussetzungen für die „negligence"-Haftung und die Annäherung der „warranty"-Haftung an das Deliktsrecht durch den Wegfall des „privity"-Erfordernisses haben den Weg für die E n t wicklung der dritten Haftungsgrundlage für fehlerhafte Produkte geebnet. D e r Schritt zur „strict liability", mit der das US-amerikanische Produkthaftungsrecht heute nahezu gleichgesetzt wird, wurde in der Entscheidung Greenman v. Yuba P o w e r Products, Inc. 1 8 0 vom California Supreme C o u r t getan. Diesem Beispiel sind nach und nach nahezu alle Einzelstaaten und auch die Lehre 1 8 1 gefolgt. Bei 176 217 N.Y. 382, 111 N.E. 1050(1916). Der diesem Fall zugrunde liegende Unfall führte im übrigen zu einer der ersten Rückrufaktionen der Automobilindustrie. 177 Borer, S. 104ff. 178 32 N.J. 358, 161 A.2d 69 (1960). 179 Leebron, 1990 Ann. Survey Amer. L. 395, S. 398ff. Dort (Fn. 19) sind auch die alternativen Fassungen des §2-318 UCC abgedruckt. Die meisten Einzelstaaten haben eine dieser Fassungen wörtlich oder mit leichten Abweichungen übernommen, einige wenige haben stärkere Abwandlungen vorgenommen; zwei haben §2-318 gestrichen, um die Entwicklung ihrer Rechtsprechung zu überlassen. 180 59 Cal.2d 57, 377 P.2d 897, 27 Cal.Rptr. 697 (1962). 181 S. Restatement (Second) of Torts, §402A, dessen Formulierung und Regelungsinhalt sich wiederum viele Gerichte zu eigen gemacht haben. Im Mai 1998 hat das American Law Institute nach langen Vorarbeiten und intensiven Diskussionen ein Restatement (Third) of Torts: Products Liability verabschiedet. Gegenüber § 402A des alten Restatement wurden einige nicht unerhebliche Änderungen und Erweiterungen vorgenommen. Dazu gehört auch die ausdrückliche Regelung von Rückrufpflichten. Für diese Arbeit soll jedoch noch Restatement (Second) of Torts zugrunde gelegt werden, einerseits weil eine Einarbeitung der Neufassung aus Zeitgründen nicht mehr möglich war, andererseits aber auch, weil die Aufnahme der Neufassung durch die Gerichte noch unsicher ist. Die Literatur hat z.T. sehr kritisch reagiert und den Verfassern zu große Industriefreundlichkeit vorgeworfen, s. die Tagungsbeiträge Symposium on The Revision of the Restatement (Second) of Torts Section 402A, 10 Touro L. Rev. 1-237 (1993) und A Symposium on the ALI's Proposed Restatement (Third) of
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„strict liability" k o m m t es auf ein Verschulden des Herstellers nicht mehr an; es reicht der Nachweis, daß das Produkt fehlerhaft ist und den - ersatzfähigen Schaden verursacht hat. D a m i t steht das allgemeine Produkthaftungsrecht der U S A heute auf drei Pfeilern: negligence, warranty und strict liability. Alle drei Anspruchsgrundlagen können nebeneinander geltend gemacht werden. 1 8 2 In der Praxis dürfte jedoch die verschuldensunabhängige „strikte" Haftung wegen der leichter nachzuweisenden Haftungsvoraussetzungen die größte Rolle spielen. 183 Allerdings ist nicht immer eindeutig zwischen den einzelnen Haftungsgrundlagen zu trennen, weil sich deren Anwendungsbereiche in vielfältiger Weise überschneiden. 1 8 4 N e b e n diesen drei wichtigsten Anspruchsgrundlagen des allgemeinen P r o dukthaftungsrechts mag in bestimmten Fällen auch eine Klagemöglichkeit auf der Grundlage von „fraudulent misrepresentation" gegeben sein. 185
II. Die wichtigsten
Haftungsgrundlagen
1. Negligence-Haftung D i e negligence-Haftung des Produkthaftungsrechts setzt voraus, daß dem B e klagten eine (Sorgfalts-)Pflicht gegenüber dem Kläger oblag, daß er gegen diese Pflicht verstoßen hat, daß der Kläger verletzt und ihm ein Schaden zugefügt wurde und daß zwischen der Pflichtverletzung und der Verletzung bzw. dem Schaden des Klägers ein kausaler Zusammenhang besteht. 1 8 6 Welche Sorgfaltspflichten im konkreten Fall bestehen, hängt u.a. von der Stellung des Beklagten in der Distributionskette ab. Sie sind für den Hersteller des Produktes andere (und umfassendere) als für den bloßen Verkäufer. D i e Pflichten des Herstellers richten sich auf die Konstruktion, die Herstellung (einschließlich der Untersuchung von Vorprodukten und Materialien und des Tests der E n d p r o dukte) sowie auf Warn- und Benutzungshinweise. 1 8 7 Es besteht also grundsätzlich eine Herstellerhaftung für schuldhaft verursachte Konstruktions-, 1 8 8 Fabri-
Torts: Products Liability, 61 Tenn. L. Rev. 1043-1454 (1994). S. ferner zu den Vorschlägen Cupp, 63 Geo. Wash. L. Rev. 76 (1994); Madden, 29 Tort & Ins. L.J. 569 (1994); Latin, 15 J. Prods. &Toxics Liability 169 (1993) und die Erläuterungen der Berichterstatter und Hauptautoren Henderson/Twerski, 42 Am. U. L. Rev. 1257-1267 (1993) und dies., 77 Cornell L. Rev. 1512-1557 (1992). 182 Leebron, 1990 Ann. Survey of Amer. L. 395, S.400 In einigen Staaten wurde jedoch die Klagemöglichkeit auf der Grundlage von „warranty" wegen der Möglichkeit, aus „strict liability vorzugehen, abgeschafft, ebenda, Fn.22 m.N. 183 Leebron, 1990 Ann. Survey of Amer. L. 395, S. 400; Spacone, 8 J. Products Liability 1 (1985) S.l. 184 185 186 187 188
Zu diesen Überschneidungen s. Phillips, Products Liability, S.69ff. S. dazu Madden, Products Liability, Bd. 1, Chapter 7, S.268ff. Ebd., Bd. 1, §2.2, S.26. Ebd., Bd. 1, §4.2, S. 107ff. Restatement (Second) of Torts, Sec. 398.
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kations- 189 und Instruktionsfehler. Die Pflichten des Verkäufers dagegen beschränken sich in der Regel auf Informationspflichten über Risiken des Produktes gegenüber dem Käufer und vorhersehbaren Benutzern, soweit nicht erwartet werden kann, daß diesen diese Risiken bekannt sind.190 Hinzu kommen Sorgfaltspflichten bei der Lagerung, Ausstellung etc. der Produkte sowie unter besonderen Umständen Untersuchungs- und Testpflichten. 191 Der Grad der anzuwendenden Sorgfalt wird allgemein umschrieben als „that care which would be exercised by the reasonable man in the circumstances". 192 Dabei wird eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Beklagten als Hersteller und Verkäufer, des Klägers als Geschädigtem und der Allgemeinheit vorgenommen. Im Ergebnis wird deshalb dem Beklagten eine effizientere Gestaltung seiner Warnhinweise, die in der Regel nur mit geringen Mehrkosten verbunden sind, eher zugemutet werden können als eine grundlegende Änderung des Produktionsverfahrens, wodurch die Gefährdung der Verbraucher zwar ebenfalls, aber zu erheblich höheren Kosten vermieden werden könnte. Schwerste Risiken für Leib und Leben rechtfertigen die Auferlegung erhöhter Sorgfaltspflichten und die Übernahme erheblicher Kosten zu ihrer Vermeidung. Generell wird die negligence-Haftung durch die Vorhersehbarkeit bzw. Nichtvorhersehbarkeit von Umständen begrenzt, welche in dreifacher Hinsicht haftungsausschließende Funktion haben kann. 193 Es muß 1. das Risiko der Rechtsgutverletzung, 2. die Art der Benutzung des Produktes, bei der die Verletzung auftrat, und 3. die Verletzung von Mitgliedern der Personengruppe, zu welcher der Verletzte gehört, vorhersehbar gewesen sein.194 Die Vorhersehbarkeit spielt dabei nicht nur eine Rolle bei der Feststellung des Verschuldens (negligence), sondern auch bei der Kausalitätsprüfung (proximate cause)195, wobei die Abgrenzung nicht immer deutlich ist.196 189
Restatement (Second) of Torts, See. 395. Restatement (Second) of Torts, See. 401. 191 Madden, Products Liability, Bd. 1, §4.4, S. 121 ff. 192 Im Fall des Herstellers eines Produktes gilt als Leitbild des „reasonable man" jemand, der ein Fachmann auf dem Gebiet der Herstellung dieses Produktes ist. Dem Hersteller werden also bei der Festlegung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen die Kenntnisse und Fähigkeiten eines solchen Fachmannes zugerechnet. Madden, Products Liabilty, Bd. 1, §4.2, S. 107, 112. 193 Madden, Products Liability, Bd. 1, §4.3, S. 113ff. 194 Restatement (Second) of Torts, See. 395. 195 Madden, Products Liability, Bd. 2, §14.2, S.43. Die Frage, ob die Unvorhersehbarkeit die Kausalität oder das Verschulden (oder beides) ausschließt, ist im Rahmen der negligence-Haftung nur von untergeordneter Bedeutung, nicht jedoch bei der warranty-Haftung oder der strict liability, wo es auf ein Verschulden nicht ankommt. 196 Manchmal liegen der Beurteilung der Vorhersehbarkeit auch Überlegungen zum Schutzzweck zugrunde, wenn z.B. die Vorhersehbarkeit aus Rechtsgründen verneint wird (unforeseeable as a matter of law). Madden, Products Liability, Bd. 1, § 4.3, S. 114 führt als Beispiele Fälle an, in denen Gerichte eine Pflicht von Autoherstellern verneinten, einbruchsichere Zündschlüssel zu liefern, oder von Busherstellern, Sicherheitsgurte für die Passagiere einzubauen, obwohl die Tatsache, daß Autos gestohlen oder Buspassagiere verletzt werden, gewiß vorhersehbar ist. S. dazu die Entscheidungen Dean v. G.M.C., 301 F.Supp. 187 (E.D.La. 1969) und Gleich v. G.M.C., 29 Ohio App.2d 28, 277 N.E.2d 566 (1972). 190
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D i e Vorhersehbarkeit einer Verletzung allein reicht für eine negligence-Haftung jedoch nicht aus. Erforderlich ist ferner, daß der Beklagte durch sein Verhalten eine unangemessen gefährliche Lage (unreasonably dangerous condition) geschaffen hat. 1 9 7 Dies wird im R a h m e n einer Interessenabwägung festgestellt, bei der die Schwere des Risikos und die Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung, der Aufwand der möglichen Vermeidungsmaßnahmen sowie der N u t z e n des P r o duktes für den Benutzer und die Allgemeinheit eine Rolle spielen. 1 9 8
2. Strict Liability D i e verschuldensunabhängige deliktische Haftung im Produkthaftungsrecht der U S A geht zurück auf die Entscheidung Greenman v. Yuba Power Products, Inc. des kalifornischen Supreme C o u r t im Jahre 1962. 1 9 9 Offensichtlich war die Zeit reif für die neue D o k t r i n , denn sie wurde in sehr kurzer Zeit von anderen J u risdiktionen und der Lehre übernommen. Bereits 1965 wurde § 4 0 2 A des Restatement (Second) of Torts veröffentlicht, in dem ebenfalls die deliktische verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers für fehlerhafte Produkte, die unangemessen gefährlich sind, etabliert wurde. 2 0 0 Ü b e r zwei Drittel der Einzelstaaten haben sich bisher der „strict liability in t o r t " gemäß dem Restatement (Second) of Torts angeschlossen. 2 0 1 Andere wenden Variationen an oder haben die „negligence"-bzw. „warranty"-Haftung so abgewandelt, daß sie einer verschuldensunabhängigen Haftung nahekommen. 2 0 2 D a praktisch alle Produkthaftungsklagen, in denen „negligence" behauptet wird, und die meisten, die Verletzung einer
Restatement (Second) of Torts, §289, Comment b. Madden, Products Liability, Bd. 1, §4.3, S. 119f. 199 5 9 Cal.2d 57, 27 Cal.Rptr. 697, 377 P.2d 897. Bereits vorher war allerdings für einige Produktarten wie z. B. Lebensmittel eine verschuldensunabhängige Haftung anerkannt. 200 Sec. 402A lautet: (1) One who sells any product in a defective condition unreasonably dangerous to the user or consumer or to his property is subject to liability for physical harm thereby caused to the ultimate user or consumer, or to his property, if (a) the seller is engaged in the business of selling such a product, and (b) it is expected to and does reach the user or consumer without substantial change in the condition in which it was sold. (2) The rule stated in Subsection (1) applies although (a) the seller has exercised all possible care in the preparation and sale of the product, and (b) the user or consumer has not bought the product from or entered into any contractual relation with the seller. 201 Für eine Liste dieser Jurisdiktionen und der Entscheidungen, in denen diese Übernahme des Restatement erstmals erfolgte s. Madden, Products Liability, Bd. 1, §6.1, S. 192f. Fn. 12. In vielen Einzelstaaten gibt es ferner Produkthaftungsgesetze, in denen die verschuldensunabhängige Haftung für Produktfehler geregelt wurde. 202 Laut Prosser/Keeton on Torts, (1988 Suppl.) S. 94, Ergänzung zu § 98, S. 694, Fn. 11.5 hatten bisEndel986 nur sechs Einzelstaaten und der District of Columbia die verschuldensunabhängige deliktische Haftung noch nicht ausdrücklich anerkannt. 197 198
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„warranty" rügen 203 , auch auf „strict liabilty" gestützt werden könnten, ist diese Anspruchsgrundlage zur praktisch wichtigsten geworden. 2 0 4 Aus der Formulierung von § 4 0 2 A Restatement (Second) of Torts lassen sich folgende Tatbestandsvoraussetzungen der deliktischen verschuldensunabhängigen Haftung ableiten: Das Produkt m u ß einen Fehler aufweisen; dieser Fehler m u ß eine unangemessene Gefahr für Benutzer oder Verbraucher bei Verwendung in hinreichend voraussehbarer Weise hervorrufen; der Verkauf des Produktes m u ß zum G e w e r b e (business) des Beklagten gehören (was in der Regel auch für den Hersteller zutrifft); das Produkt m u ß den Benutzer oder Verbraucher ohne wesentliche Veränderungen erreicht haben; der Fehler muß „proximate cause" für die Rechtsgutverletzung der Person oder des Eigentums (property) des B e nutzers oder Verbrauchers darstellen; der Benutzer oder Verbraucher m u ß deshalb einen Schaden erlitten haben. Zentraler Begriff der verschuldensunabhängigen deliktischen Haftung ist danach der des Fehlers 2 0 5 . Einigkeit besteht darüber, daß für Konstruktionsfehler (design defects), Fabrikationsfehler (manufacturing defects) und Instruktionsfehler, zu denen auch fehlende oder unzureichende Warnungen zählen, (instruction and warning defects) gehaftet wird. 2 0 6 Eine allgemein anerkannte, einheitliche Definition eines Produktfehlers im Sinne der „strict liability" hat sich jedoch bis heute nicht entwickeln können. J e nach Kategorie wird der Fehler unterschiedlich bestimmt, wobei auch innerhalb der Kategorien zwischen den Jurisdiktionen Unterschiede bestehen. Ähnlich wie die Vorhersehbarkeit im R a h m e n der „negligence"-Haftung die Verletzung ursprünglicher von der nachträglicher Sorgfaltspflichten trennt, werden durch die Berücksichtigung des Standes der Technik bei der „strict liability" ursprüngliche von „nachträglichen Fehlern", d.h. von Entwicklungsrisiken geschieden. Tatsächlich haben beide K o n z e p t e Berührungspunkte, da der Stand der Technik wesentlich die Vorhersehbarkeit mitbestimmt. Eine Haftung für E n t wicklungsrisiken lehnt die herrschende Meinung in den U S A auch im R a h m e n der „strict liability" ab. 207 Konstruktionsfehler, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem damaligen Stand der Technik nicht erkennbar und nicht vermeidbar waren, begründen keine Haftung, auch wenn sich der diesbezügliche E r kenntnisstand und die technischen Möglichkeiten später ändern. Allerdings k ö n nen solche neuen Erkenntnisse auch nachträglich Warnpflichten auslösen.
203 Nicht deckungsgleich sind die beiden Anspruchsgrundlagen der „warranty" und der „strict liability" z.B. in Fällen, in denen zwar eine zugesicherte Eigenschaft fehlt, das Produkt dadurch jedoch nicht unangemessen gefährlich wird. 204 Madden, Products Liability, Bd. 1, §6.1, S. 194. 205 Ahnlich der zentralen Bedeutung der „negligence" bei der gleichnamigen Haftung. Wie unten zu sehen sein wird, werden z.T. zur Ausfüllung beider Begriffe die gleichen Kriterien herangezogen. 206 Phillips, Products Liability, S.4. 207 Kort, VersR. 1989, 1113, 1118.
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USA 3.
Warranty-Haftung
D i e „warranty"-Haftung hat sich zwar historisch aus der deliktischen Haftung entwickelt, ist heute jedoch im wesentlichen (kauf-)vertragsrechtlich ausgeprägt. 208 D a z u hat insbesondere ihre Kodifizierung im U n i f o r m Commercial C o de ( U C C ) beigetragen, der von allen Einzelstaaten (außer Louisiana 2 0 9 ) wenn auch zum Teil in alternativen Formulierungen oder mit Abweichungen angenommen wurde. Dabei bestimmen die Regelungen des U C C nicht nur das R e c h t in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich sondern strahlen wegen ihres Modellcharakters auch auf andere, nicht erfaßte Fallkonstellationen aus. Bei der „warranty"-Haftung geht es um ausdrückliche oder konkludente vertragliche Vereinbarungen über oder Zusicherungen von Eigenschaften der verkauften Sachen und die Bereitschaft des Verkäufers, für deren Vorhandensein einzustehen. D a z u gehört aber auch eine von Rechts wegen auferlegte Haftung für Fehlerfreiheit. 2 1 0 Diese Definition legt eine gewisse Übereinstimmung mit der Sachmängelhaftung des deutschen Rechts nahe; vor einer weitgehende Gleichsetzung wird jedoch zurecht gewarnt. 211 Wie bei der „strict liability in t o r t " trifft den Verkäufer die „ w a r r a n t y " - H a f tung ohne Verschulden. D i e Produktfehler, für die er einzustehen hat, werden jedoch anders definiert. Insbesondere muß es sich nicht um einen Fehler handeln, von dem eine unangemessene Gefahr ausgeht. Haftungsgrund bei der „warrant y " - H a f t u n g ist die ausdrücklich oder konkludent erklärte Bereitschaft oder v o m Recht auferlegte Pflicht, für das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften der verkauften Sache einzustehen. D e r U C C unterscheidet drei Fälle einer solchen „warranty"-Haftung: Express warranty 2 1 2 , implied warranty of merchantability 213 und implied warranty of fitness for a particular purpose. 2 1 4 Bei der „express warranty" handelt es sich um schriftliche, mündliche und zum Teil auch konkludente Zusicherungen über Eigenschaften des verkauften P r o duktes hinsichtlich seiner Qualität, Leistungsfähigkeit, Konstruktion, Lebensdauer etc., die dem Verkauf vorausgehen oder zusammen mit ihm abgegeben werden. 215 Eine „express warranty" kann nicht nur durch ausdrückliche Erklärungen sondern auch durch in den Vertrag einbezogene technische Zeichnungen, B e schreibungen, Modelle oder durch in vergangenen Lieferungen gesetzte Maßstä-
208 S. allgemein zur „warranty"-Haftung Madden, Products Liability, Bd. 1, §§2.4 - 2.11, S.28ff., Chapter 5, S. 141 ff. 209 Louisiana hat aufgrund seiner im französischen, zum Teil aber auch im spanischen Recht wurzelnden Tradition eine eigene kodifizierte Zivilrechtsordnung. 210 Madden, Products Liability, Bd.l, §2.4, S.29. 2,1 Marschall v. Bieberstein, S. 13. 212 UCC §2-213. 213 UCC §2-214. 214 UCC §2-215. 2 , 5 UCC §2-313.
(Allgemeine)
Produkthaftung
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be entstehen. 2 1 6 D i e Haftung wegen „express warranty" ist somit in etwa mit der Haftung für zugesicherte Eigenschaften zu vergleichen. Implied warranties haben ihre Grundlage nicht in einer tatsächlichen Vereinbarung der Parteien eines Kaufvertrages, sondern werden unabhängig von deren Absichten von Rechts wegen begründet. 2 1 7 Bei der implied warranty of merchantability hat der Verkäufer dafür einzustehen, daß das verkaufte Produkt von durchschnittlicher A r t und G ü t e ist und sicher für seine üblichen Verwendungszwecke eingesetzt werden kann. 2 1 8 Ein Fehler liegt entsprechend dann vor, wenn die Eigenschaften des Produktes ungünstig von dieser Normbeschaffenheit abweichen und/oder es ungeeignet oder nur beschränkt geeignet für seine normalen Verwendungszwecke ist. Dabei k o m m t es nicht darauf an, ob der Verkäufer w u ß te, für welche konkreten Zwecke der Käufer das Produkt einsetzen wollte. D e r Käufer wird ferner nur im R a h m e n der gewöhnlichen Art der Benutzung geschützt. Ein Mißbrauch des Produktes, auch wenn er vorhersehbar war und somit unter „negligence"-Gesichtspunkten zur Haftung führen könnte, ist davon nicht erfaßt. 2 1 9 Während es bei der Haftung für „merchantability" um die Geeignetheit des Verkaufsgegenstandes für Zwecke ging, für die er gewöhnlich eingesetzt wird, geht es bei der „fitness for a particular purpose" um eine größere Bandbreite der Benutzungsarten. Haftungsvoraussetzung ist, daß der Käufer auf die Sorgfalt und die Fähigkeiten des Verkäufers bei der Auswahl und Bereitstellung geeigneter Produkte vertraute, und daß der Verkäufer dieses Vertrauen kannte und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den konkreten Benutzungszweck des Käufers kannte oder kennen mußte. 2 2 0 Eine „warranty"-Haftung unter diesem Gesichtspunkt k o m m t somit selbst dann in Betracht, wenn die Produkte unter Zugrundelegung durchschnittlicher Maßstäbe gar nicht fehlerhaft sind, „merchantability" also gegeben ist. 221 Entscheidend ist die Geeignetheit für den vom Käufer verfolgten und dem Verkäufer bekannten Zweck. D i e „implied warranty f o r fitness for particular purposes" hat also Anklänge an den „vertraglich vorausgesetzten G e b r a u c h " des deutschen Rechts.
S. UCC §2-313, comment 5. Madden, Products Liability, Bd. 1, §5.6., S. 149. 218 UCC §2-314. 219 Madden, Products Liability, Bd. 1, §5.10, S. 155f., Fn. 10. 220 Ebd., Bd. 1, §5.11, S. 158ff. UCC §2-315 lautet: „Where the seller at the time of contracting has reason to know any particular purpose for which the goods are required and that the buyer is relying on the seller's skill or judgement to select or furnish suitable goods, there is unless excluded or modified under the next section an implied warranty that the goods shall be fit for that purpose." 221 Madden, a.a.O., S. 160. 216
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USA
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B. Rückrufpflichten
im allgemeinen
Produkthaftungsrecht
I. Instruktions- und Warnpflichten 1. Begründung von Instruktions- und Warnpflichten Sowohl im R a h m e n der verschuldensabhängigen (negligence) wie der verschuldensunabhägigen (strict liability) Deliktshaftung als auch der eher vertragsrechtlichen Garantiehaftung (warranty) obliegen Herstellern und Verkäufern von P r o dukten im US-amerikanischen Recht Instruktions- und Warnpflichten. 2 2 2 E n t sprechend ist eine Haftung für Instruktions- und Warnfehler in Rechtsprechung und Lehre allgemein anerkannt 2 2 3 , wobei Fehlerbegriff und sonstige Tatbestandsvoraussetzungen zwar je nach Haftungsgrundlage differieren, in der Praxis jedoch die Unterschiede besonders zwischen den beiden deliktsrechtlichen T h e o rien nur gering sind. 2 2 4 O b w o h l die Anerkennung von Instruktions- und Warnfehlern als Haftungsgrundlage eine recht junge Entwicklung des Produkthaftungsrechts darstellt, gehört die Berufung auf solche Fehler heute zum Standardrepertoire der Kläger. 2 2 5 Instruktionen und Warnungen unterscheiden sich durch ihre Zielrichtung. Während Instruktionen die sachgemäße und effiziente N u t z u n g des Produktes sicherstellen wollen, richten sich Warnungen auf die Sicherheit der Benutzung und die Aufklärung der B e n u t z e r über mögliche Gefahren. 2 2 6 Illustriert wird die Unterscheidung durch einen Fall, in dem es um Verletzungen durch eine E x p l o sion bestimmter Materialien ging. Zwar hatte der Hersteller darauf hingewiesen, diese nicht zu erhitzen oder zu verdünnen, da dies ihre Wirksamkeit beeinträchtigen werde; er hatte jedoch nicht davor gewarnt, daß eine Erhitzung zur Explosion führen könne, so daß nach Ansicht des Gerichts trotz des Hinweises ein Warnfehler vorlag. 2 2 7 D i e Trennlinie zwischen Instruktions- und Warnfehlern bzw. den entsprechenden Pflichten ist jedoch nicht immer klar zu ziehen, da effizienter Gebrauch
222 S. ausführlich dazu Madden, Products Liability, Bd. 1, chapter 10, S.357ff.; Noel, 23 Sw. L. J. 256 (1969); Twerski Weinstein/Donaher/Piehler, 61 Cornell L. Rev. 495 (1976); Barry/DeVivo, 20 Forum 38 (1984). 223 S. als eine der wichtigen Entscheidungen Borel v. Fibreboard Paper Products Corp., 493 F.2d 1076 (5th Cir. 1973), cert, denied, 419 U.S. 869 (1974). Ferner Restatement (Second) of Torts §388 (für negligence) und §402A, comment j (für strict liability). 224 Kidwell, 53 Tex. L. Rev. 1375 (1975) S. 1378. 225 Madden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988); ders., Products Liability, Bd.l, §10.1, S.358 schreibt: „ The duty to warn is perhaps the most widely-employed claim in modern product liability litigation. This development is aided by the recognition that nearly any product capable of causing injury can or could be rendered less hazardous by conveying effective warnings or instructions to the user or to one administering the use of the product." 226 Phillips, Products Liability, S.211. 227 Panther Oil & Grease Mfg. Co. v. Segerstrom, 224 F.2d 216 (9th Cir. 1955). So im selben Jahr in der Literatur auch Dillard/Hart, 41 Va. L. Rev. 145 (1955) S. 147.
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Produkthaftung
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und sicherer Gebrauch teilweise nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Allerdings ist eine eindeutige Abgrenzung auch nicht unbedingt erforderlich, da es sich in beiden Fällen nur um besondere Ausprägungen von Informationspflichten des Herstellers oder Verkäufers handelt, deren genauer Inhalt vom Einzelfall abhängt. Im hier zu behandelnden Zusammenhang wird es um die Rechtsfolgen der Vermittlung oder Vorenthaltung von sicherheitsrelevanten Informationen gehen, die stärker den Warnpflichten zuzuordnen sind. Es wird deshalb im Folgenden meist nur noch von Warnpflichten gesprochen werden, auch wenn die Sicherheitshinweise für eine effiziente Nutzung erforderlich sein sollten. Bei den Warnpflichten unterscheidet man sinnvollerweise zwischen ursprünglichen Pflichten, die bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens bestehen, und nachträglichen Warnpflichten, die diesen Zeitpunkt überdauern oder erst danach entstehen. Die typische Rückrufproblematik stellt sich in letzterem Zusammenhang.
a) Ursprüngliche Warnpflichten aa)
Negligence-Haftung
Die „negligence"-Haftung setzt das Bestehen einer Sorgfaltspflicht, deren Verletzung, einen Schaden und die adäquate Kausalität (proximate cause) der Sorgfaltspflichtverletzung für den Schaden voraus. 228 Entscheidend für eine Verschuldenshaftung wegen unterlassener Warn- und Rückrufmaßnahmen ist somit, daß entsprechende Sorgfaltspflichten anerkannt werden. Rechtsprechung und Lehre haben in den U S A eine Fülle von konkreten Pflichten herauskristallisiert, die sich grob den Bereichen Konstruktion, Fabrikation, Instruktion und Produktbeobachtung zuordnen lassen. D e m entsprechen die Fehlerkategorien, die auch vom deutschen Recht übernommen wurden. Von besonderem Interesse sind in unserem Zusammenhang die Instruktions-, Warn- und Produktbeobachtungspflichten sowie die aus neu gewonnenen Erkenntnissen zu ziehenden Konsequenzen in Form von „Reaktionspflichten". Den Hersteller trifft eine Instruktions- und Warnpflicht in dem Sinne, daß er durch entsprechende Gebrauchsanweisungen und sonstige Mittel einen zweckgemäßen und möglichst gefahrlosen Gebrauch des Produktes und durch entsprechende Warnhinweise eine korrekte Einschätzung der verbleibenden Gefahren und deren Vermeidung ermöglichen soll. D e r „Fehler", für dessen zumindest fahrlässige Verursachung gehaftet wird, liegt also nicht notwendigerweise im Produkt selbst, das technisch völlig in Ordnung sein kann, sondern in der begleitenden Produktinformation. Eine Verletzung der Warnpflicht liegt vor, wenn der Verkäufer einer Sache Personen, von denen er erwarten kann, daß sie die Sache benutzen oder daß sie durch deren Benutzung gefährdet werden, nicht mit angemessener Sorgfalt über die Ri228
Borer, S. 100.
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siken informiert, o b w o h l er weiß oder G r u n d zu der Annahme hat, daß die Sache bei der geplanten Benutzung gefährlich sein kann, und o b w o h l er nicht davon ausgehen konnte, daß die Benutzer diese Gefahr erkennen würden. 2 2 9 D i e dem Verkäufer zuzurechnende Kenntnis muß sich auf die Gefahr, die B e nutzungsart, bei der sie sich verwirklichte, und die Rechtsgutsverletzung beziehen. Welche Kenntnis dabei zuzurechnen ist, hängt von den Umständen des E i n zelfalls ab, wie etwa der Stellung des Verkäufers in der Vertriebskette. Von einem Einzelhändler können in aller Regel nur geringere Kenntnisse über die Eigenschaften und möglichen Risiken eines Produktes erwartet werden als von dessen Hersteller. B e i m Hersteller gelangt zudem ein strengerer Maßstab für die zuzurechnende Kenntnis zur Anwendung. K o m m t es beim (bloßen) Verkäufer auf das an, was er weiß oder G r u n d zu wissen hat (knows or has reason to know) 2 3 0 , wird dem Hersteller das Wissen zugerechnet, das er tatsächlich hatte oder hätte haben müssen (knows or should have known). 2 3 1 D e r Unterschied ist nicht trivial, da der für den Hersteller geltende Standard auch seine Pflicht umfaßt, sich aktiv K e n n t nisse über die Risiken des Produktes zu verschaffen. 2 3 2 D i e dem Hersteller zuzurechnenden Kenntnisse werden auch dadurch relativ weit definiert, daß ihm eine Expertenstellung auf dem Gebiet der Herstellung des betroffenen Produktes unterstellt wird. E r hat deshalb in aller Regel einen erheblichen Informationsvorsprung hinsichtlich der Zusammensetzung, der Eigenschaften und der Risiken des Produktes vor dem Benutzer, woraus sich die Auferlegung der Warnpflichten rechtfertigt. 2 3 3 Das entscheidende Kriterium für die Auslösung der Warnpflicht im R a h m e n der „negligence"-Haftung ist danach das der Vorhersehbarkeit nach dem so definierten Standard. Dabei wird als Zeitpunkt für die Bestimmung der Vorhersehbarkeit (bzw. der zuzurechnenden Kenntnisse) teilweise die Herstellung angegeben 2 3 4 , teilweise der Zeitpunkt der Anbringung des Warnhinweises, teilweise der des Inverkehrbringens 2 3 5 . Allerdings ist aus der Entscheidungspraxis nicht ersichtlich, daß diese Unterschiede im Anknüpfungszeitpunkt auch entscheidungserheblich geworden wären. 2 3 6 229 S. Restatement (Second) of Torts, § 388, dessen Regelung allgemein zur Grundlage der „negligence"-Haftung für Warnfehler gemacht wird. 230 Restatement (Second) of Torts, §388 und §401. 231 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.2, S.370. 232 S. dazu Restatement (Second) of Torts, §401, comment a. Besonders klar hat diesen Unterschied das Gericht formuliert in Foremost-McKesson Co. v. Allied Chem. Co., 140 Ariz. 108, 680 P.2d 818 (App. 1983) S.823: „While other parties in the chain of distribution may be liable for negligently failing to warn of a product's hazards, it is only the manufacturer that bears the heavy burden of discovering the product's dangers to the foreseeable user and providing the warnings regarding those dangers. That burden is reflected in the „should know" standard placed on the manufacturer." 233 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.2, S. 370f. 234 So Smith v. FMC Corp., 754 F.2d 873 (10th Cir. 1985) S.877. 235 S. die Nachweise für unterschiedliche Anknüpfungszeitpunkte bei Kort, VersR 1989,1113, 1117. 236 Dagegen spricht die Anerkennung einer nachträglichen Warnpflicht durch Literatur und
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Produktkaftung
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D i e Vorhersehbarkeit muß sich auf die Gefahren und Schäden beziehen, die bei der zu erwartenden Benutzung ohne eine Warnung auftreten können. Allerdings müssen weder der konkrete Kausalverlauf 2 3 7 n o c h die konkrete Schädigung vorhersehbar gewesen sein. Es genügt, daß die Schädigung ihrer A r t nach erkennbar war oder in die „general danger area" der Handlungen oder Unterlassungen des Herstellers fällt. 2 3 8 Gefahr und Benutzungsart sind eng miteinander verbunden, da ein Produkt immer im Hinblick auf einen bestimmten Z w e c k und die damit zusammenhängenden Benutzungsarten konstruiert ist. D e n n o c h ist die Vorhersehbarkeit bei beiden Merkmalen getrennt zu prüfen. So m u ß auch vor Gefahren bei vorhersehbaren Mißbräuchen und Fehlanwendungen gewarnt und - bei U n terlassung -für dadurch adäquat verursachte Schäden gehaftet werden. F ü r G e fahren unvorhersehbarer Benutzungsarten besteht dagegen selbst dann keine Warnpflicht, wenn sie, die Kenntnis des Mißbrauchs oder unorthodoxen G e brauchs vorausgesetzt, erkennbar gewesen wären. 2 3 9 D i e Folgen unvorhersehbarer Mißbräuche gehen zulasten des Benutzers. E s m u ß allerdings nicht vor jedem n o c h so kleinen Risiko gewarnt werden, sondern nur vor solchen, die „significant" bzw. „unreasonable" sind. U m dies festzustellen, wird ein Vergleich angestellt zwischen der Schwere der möglichen Verletzung bei Unterbleiben der Warnung und der Wahrscheinlichkeit ihres E i n tritts auf der einen Seite und den Kosten und Belastungen des Herstellers oder Verkäufers bei Vornahme der Warnung auf der anderen. 2 4 0 D a bei Warnfehlern deren Beseitigung oder Verringerung durch verbesserte Gebrauchs- und Warnhinweise relativ leicht herbeigeführt werden kann, wird der Belastung des Warnpflichtigen oft nur ein geringes G e w i c h t z u k o m m e n , so daß die Abwägung eher zugunsten der Auferlegung einer Warnpflicht ausgehen wird als etwa bei K o n struktionsfehlern. 2 4 1 Rechtsprechung. Der Anknüpfungszeitpunkt spielt dann nur für die Abgrenzung der ursprünglichen von der nachträglichen Warnpflicht eine Rolle. Nach diesem Zeitpunkt erworbenes Wissen kann dann zu einer Verletzung letzterer führen. 237 Die Unterlassung der Warnung muß sich jedoch im Rahmen der Kausalitätsprüfung als „proximate cause" darstellen, wobei es wieder auf die Vorhersehbarkeit ankommt. 238 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.2, S. 372f. 239 S. Newman v. Utility Trailer & Equipment Co., Inc., 278 Or. 395, 546 P.2d 674 (1977) S. 657ff. 240 S. Hoiladay v. Chicago, Burlington & Quincy R. Co., 255 F.Supp.879 (S.D. Iowa 1966) S. 884. Die gegenüberzustellenden Kriterien gehen zurück auf eine deliktsrechtliche Entscheidung des berühmten Judge Learned Hand in United States v. Carroll Towing Co., 159 F.2d 169 (2d Cir. 1947), rehearing denied 160 F.2d 482 (1947), der dort auch die entsprechende Entscheidungsregel (die sog. „Learned-Hand-Formel") aufstellte, wonach eine Haftung dann gegeben sein sollte, wenn das Produkt aus der Schwere der Verletzung und dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts größer ist als die Belastung des Beklagten (S. 173). S. auch Restatement (Second) of Torts, §291: „Where an act is one which a reasonable man would recognize as involving a risk of harm to another, the risk is unreasonable and the act is negligent if the risk is of such magnitude as to outweigh what the law regards as the utility of the act or the particular manner in which it is done." 241 S. ausdrücklich das Gericht in Moran v. Faberge, Inc., 273 Md. 538, 332 A.2d 11 (1975). S. auch Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.2, S.375f.
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bb) strict liability A u c h im R a h m e n der „strict liability" ist das Bestehen einer (ursprünglichen) Warnpflicht anerkannt. 2 4 2 D a b e i ist die Verwendung des Begriffs „Pflicht" und damit korrespondierend der „Pflichtverletzung" in diesem Zusammenhang dogmatisch irreführend, tatsächlich jedoch naheliegend. D o g m a t i s c h irreführend ist der Begriff, weil es bei der „strict liability" gerade nicht u m die Haftung für ein Fehlverhalten gehen soll. Das ist die D o m ä n e der „negligence"-Haftung. E n t scheidend ist vielmehr das Vorliegen eines Produktfehlers, hier also eines Instruktions- oder Warnfehlers, für dessen schädigende Wirkung der Verkäufer auch ohne Verschulden haftet. Tatsächlich naheliegend ist der Begriff der Warnpflicht aber dennoch, weil das zentrale Kriterium der verschuldensabhängigen Haftung, die Vorhersehbarkeit, bei der Feststellung, ob ein Fehler vorliegt, durch die B e rücksichtigung des Standes der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens wiederum eine entscheidende Rolle spielt. Es ist deshalb eine weit verbreitete Meinung, daß die praktischen Unterschiede zwischen „strict liability" für Warnfehler und „negligence"-Haftung für Verletzung von Warnpflichten kaum feststellbar sind. 2 4 3 Dies gilt jedenfalls für die F e h lerdefinition der herrschenden Meinung. Danach liegt ein Instruktions- oder Warnfehler dann nicht vor, wenn zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des P r o duktes die Gefahr nach dem Stand der Technik nicht vorhersehbar war 2 4 4 , also im R a h m e n der „negligence"-Haftung ebenfalls keine Warnpflicht bestanden hätte. Unterschiede bestünden nur dann, wenn die Vorhersehbarkeit nach unterschiedlichen Maßstäben bestimmt würde. So könnte es z . B . für die Vorhersehbarkeit bei der verschuldensabhängigen Haftung auf den traditionellen „reasonable man" ankommen, bei der „strict liability" hingegen auf absolute Vorhersehbarkeit. 2 4 5 Die herrschende Meinung macht jedoch diese Unterscheidung nicht und wendet im R a h m e n beider Theorien den gleichen Maßstab an. So spricht das Restatement (Second) of Torts in c o m m e n t j zu § 4 0 2 A bei der „strict liability" ebenfalls von einer Warnung vor Risiken, die dem Verkäufer bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (knew or should have known). Dies ist der Standard bei der „negligence"-Haftung für den Hersteller. D a für den Nur-Verkäufer jedoch ein weniger strenger Standard (had reason to k n o w ) angewandt wird, führt die „strict liabilit y " für Warnfehler bei letzteren allerdings zu einer Verschärfung der Haftung. 2 4 6 242 Sales, 13 St. Mary's L. J. 521 (1982); A.Jackson, 48 Insurance Counsel J. 381 (1981); Barry/ DeVivo, 20 Forum 38 (1984). 243 „.. .the theory of strict liability in tort for warnings cases adds little, either doctrinally or literally, to the tort of negligent failure to warn." Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.3, S. 377 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. S. zu tatsächlichen und vermeintlichen Unterschieden und ihrer Bedeutung Wade, 58 N.Y.U. L. Rev. 734 (1983) S.748f. 244 Borel v. Fibreboard Paper Products Corp., 493 F.2d 1076 (5th Cir. 1973), cert, denied 419 U.S. 869, 95 S.Ct. 127, 42 L.Ed.2d 107 (1974). 245 So etwa Phillips, Products Liability, S.225. 246 S. Prosser/Keeton on Torts, (1988 Suppl.) S.697.
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Eine Minderheit von Gerichten verzichtet jedoch eben wegen der Nähe des Kriteriums der Vorhersehbarkeit zur Verschuldenshaftung völlig auf seine Prüfung. Das Verhalten des Beklagten könne im Rahmen der „strict liability" keine Rolle spielen und deshalb auch nicht über den Fehlerbegriff durch die Hintertür eingeführt werden. Die tatsächliche oder unterstellte Kenntnis des Beklagten dürfe deshalb kein Entscheidungskriterium sein. 247 Nach dieser Meinung haftet der Hersteller selbst f ü r Schäden, die durch Produktgefahren verursacht wurden, welche zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nach dem Stand der Wissenschaft nicht erkennbar waren, v o r denen deshalb auch der sorgfältigste und am umfassendsten informierte Hersteller nicht hätte warnen können. 2 4 8 Entscheidend ist danach der wissenschaftliche Erkenntnisstand über Produktrisiken zum Zeitpunkt des Verfahrens, v o r denen nicht gewarnt zu haben dem Hersteller rückblikkend als Warnfehler zugerechnet wird. Es handelt sich somit um den Fall einer Haftung f ü r Entwicklungsrisiken, die jedoch nach der h.M. auch im Rahmen der „strict liability" abgelehnt wird. 2 4 9 Diese Entscheidungen sind deshalb auch auf heftige Kritik gestoßen 250 und der N e w Jersey Supreme C o u r t hat später seine Entscheidung in Beshada v. Johns-Manville Products Corp. in ihrer Präzedenzwirkung auf den konkreten Sachverhalt der Asbestfälle beschränkt und ihre A n wendung auf Schäden durch ein Antibiotikum abgelehnt. 251 U m einen Asbestfall handelt es sich auch bei einer der jüngeren Entscheidungen, in denen der Stand der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehr bringens f ü r irrelevant angesehen w u r de. 252 Insgesamt handelt es sich bei diesen Entscheidungen jedoch um eine Mindermeinung. 253 Little v. PPG Industries, Inc., 19 Wash. App. 812, 579 P.2d 940 (1978) S.946f. Beshada v. Johns-Manville Corp., 90 N.J. 191,447 A.2d 539 (1982); Nesselrode v. Executive Beachcraft, Inc., 707 S.W.2d 371 (Mo. 1986). 249 Kort, VersR 1989, 1113, 1118. 250 Henderson, 69 Calif. L. Rev. 919 (1981) S.939ff. S. zur Beshada-Entscheidung des New Jersey Supreme Court: Comment, 35 Rutgers L. Rev. 982 (1983); Comment, 71 Geo. L.J. 1635 (1983); Funston, 51 Insurance Counsel J. 39(1984);S¿wbert, 7 J. Prod. Liability 107 (1984); V: Schwartz, 58 N.Y.U.L. Rev. 892 (1983) S.901ff.; Epstein, Commentary (zum Aufsatz von V. Schwartz), 58 N.Y.U.L. Rev. 930 (1983) S. 933ff. („By and large, I regard the decision as indefensible."). 251 Das Antibiotikum hatte zu einer Verfärbung der Zähne geführt. Die beklagte Herstellerin hatte vorgetragen, daß die Klägerin für den Schaden ausreichende Mengen bereits vor dem Zeitpunkt eingenommen hatte, an dem das Wissen über die Verursachung erlangt wurde. Feldman v. Lederle Laboratories, 97 N.J. 429, 479 A.2d 374 (N.J. 1984). Wie umkämpft diese Entscheidung war, zeigt die nachfolgende Prozeßgeschichte: appeal after remand 234 N.J. Super. 559, 561 A.2d 288 (1989), reversed 125 N.J. 117, 592 A.2d 1176 (1991), on remand 257 N.J. Super. 163,608 A.2d 356 (1992), certification granted 130 N.J. 399, 614 A.2d 620 (1992). Zur Problematik s. a. Cox, PHI 1985, 2. 252 Anderson v. Owens-Corning Fiberglas Corp., 266 Cal.Rptr. 204, 227 Cal.App.3d 1035 (1990), review granted, 269 Cal.Rptr. 74, 790 P.2d 238 (1990). 253 Eine vermittelnde Stellung nimmt das Gericht in der Entscheidung Halphen v. Johns-Manville Sales Corp., 737 F.2d 642 (5th Cir. 1984) ein, indem es die Vorhersehbarkeit des Risikos für unerheblich hielt, nicht jedoch die Vorhersehbarkeit der Benutzungsart. Andere Gerichte lassen die Warnpflicht bereits bei der Möglichkeit einer Verletzung entstehen, nicht erst bei ihrer Wahr247
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cc)
„Warranty"-Haftung
Eine fehlende oder nicht ausreichende Instruktion oder Warnung kann auch einen Fehler im Sinne der „warranty"-Haftung darstellen. 254 Der dadurch geschaffene unangemessen gefährliche Zustand des Produktes stellt auch einen Bruch des Garantieversprechens der Geeignetheit für den gewöhnlichen Gebrauch (implied warranty of merchantability) dar. 255 Viele Gerichte sehen deshalb die verschuldensunabhängige Deliktshaftung (strict liability) 256 und die ebenfalls verschuldensunabhängige „warranty"-Haftung 2 5 7 als nahezu austauschbar an. 258 Wieder andere Gerichte ziehen Parallelen zwischen der „warranty"- und der „negligence"-Haftung. 2 5 9 Es ist deshalb durchaus berechtigt, wenn in der Literatur festgestellt wurde, daß die vom Kläger nach allen drei Haftungstheorien nachzuweisenden Tatsachen nahezu identisch sind. 260 Allerdings bestehen Unterschiede in anderer Hinsicht, da je nach Haftungsgrundlage unterschiedliche Verteidigungsvorbringen möglich sind, der zu ersetzende Schaden unterschiedlich definiert ist und die „warranty"-Haftung nicht unbedingt einen unangemessen gefährlichen Fehler voraussetzt. 2 6 1
b) Nachträgliche
Produktbeobachtungs-
und
Warnpflichten
Die Warnpflicht endet aber nicht mit dem Inverkehrbringen des Produktes. Danach setzt vielmehr eine Produktbeobachtungspflicht ein, aus deren Ergebnissen dann die notwendigen Konsequenzen gezogen werden müssen. 2 6 2 Die Produktbeobachtungspflicht besteht, solange sich das Produkt im Verkehr befindet. 263 scheinlichkeit, Graham v. Pittsburgh Corning Corp., 593 A.2d 567 (Del. Super. 1990) oder verlangen vom Beklagten, daß er die wissenschaftliche Unerkennbarkeit des Risikos zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens beweist, Shanks v. Upjohn Co., 835 P.2d 1189 (Alaska 1992). Auch einzelstaatliche Gesetze verlangen z.T. nur, daß der Kläger nicht die Vorhersehbarkeit der Verletzung, sondern nur die Wahrscheinlichkeit und Ernsthaftigkeit der Schädigung aufgrund der Unterlassung der Warnung beweist, Ayers v. Johnson & Johnson Baby Products Co., 117 Wash.2d 747, 818 P.2d 1337 (Wash. 1991). 254 Madden, Products Liability, Bd. 1, §10. 4, S. 3 84 ff. 255 S. Borel v. Fibreboard Paper Products Corp., 493 F.2d 1076 (5th Cir. 1973), cert. denied 419 U.S. 869, 95 S.Ct. 127, 42 L.Ed.2d 107 (1974), wo das Gericht eine Haftung aufgrund beider Theorien bejahte. 256 Exemplarisch formuliert in Restatement (Second) of Torts, § 402A. 257 UCC §2-314. 258 S. z.B. Santor v. A. & M. Karagheusian, Inc,44 N.J. 52,507 A.2d 305 (1965); Davis v. Wyeth Laboratories, Inc., 399 F.2d 121 (9th Cir. 1968). Weitere Nachweise bei Madden, Products Liability, Bd.l, §10.4, S.384ff. 259 Gardner v. Q. H. S., Inc., 448 F.2d 238 (4th Cir. 1971). 260 Kidwell, 53 Tex. L. Rev. 1375 (1975) S. 1377f. 261 Einer der wesentlichen Unterschiede ist das Fehlen einer nachträglichen Warnpflicht im Rahmen der „warranty"-Haftung. S. dazu sogleich. 262 Borer, S. 101-Jander/Gäbel, RIW 1984,253,257; Hoechst, S.59ff.; Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.13, S.453ff.; VC Schwartz, N.Y.U.L. Rev. 892 (1983); Royal, 33 Drake L. Rev. 817 (1983/84). 263 Jander/Gäbel, RIW 1984, 253, 257.
(Allgemeine)
aa) Nachträgliche
Warnpflichten
61
Produkthaftung
bei vorbestehenden
Fehlern
Das Fortbestehen einer Warn- und Hinweispflicht leuchtet unmittelbar bei Produkten ein, die bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens mit einem K o n struktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler behaftet waren. D i e unangemessene Gefährlichkeit des Produktes hätte bereits zu diesem Zeitpunkt erkannt werden können und müssen, so daß je nach A r t des Fehlers das Produkt oder das Herstellungsverfahren hätten geändert oder eine Warnung hätte ausgesprochen werden müssen. 2 6 4 Das Produkt hätte so nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Wird dieser Fehler vom Hersteller oder Verkäufer erst später tatsächlich entdeckt, so stellt sich die Warnpflicht nur als eine Konsequenz der früheren Pflichtverletzung bzw. des vorbestehenden Fehlers dar. D i e Unterlassung der nachträglichen Warnung ist dann nicht allein haftungsbegründend. D i e Haftung ergibt sich im Schadensfall bereits aus der vorherigen Pflichtverletzung (bei der „neglig e n c e " - H a f t u n g ) bzw. aus dem vorbestehenden Fehler (bei der „strict liability" oder der „warranty"-Haftung). D i e Gerichte könnten jedoch die Unterlassung der nachträglichen Warnung auch nach tatsächlichem Bekanntwerden des Fehlers als besondere Rücksichtslosigkeit bewerten und bei der Prüfung von Strafschadensersatz berücksichtigen. 2 6 5 Die eigentliche Bedeutung einer nachträglichen Warnung bei vorbestehenden Fehlern scheint deshalb eher in der Frage zu liegen, ob dadurch in den Fällen, in denen der Schaden noch nicht eingetreten ist, das ursprüngliche Fehlverhalten bzw. der vorbestehende Fehler „geheilt" werden können. Liegt ein ursprünglicher Instruktionsfehler durch fehlerhafte Gebrauchsanweisungen oder mangelnde Hinweise auf Vorsichtsmaßnahmen vor, so kann der Fehler durch das „ N a c h schieben" dieser Informationen aufgehoben werden. D e r jetzt ausreichend informierte Benutzer wird sich im nachfolgenden Schadensfall nicht mehr auf den ursprünglichen Informationsfehler berufen können. 2 6 6 Allerdings m u ß die nachgeschobene Information auch nach Art und Inhalt geeignet sein, das Informations-
264 Auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens kommt es für die Feststellung eines Fehlers bei der „strict liability" allerdings nur nach der Mehrheitsmeinung an. Wie ausgeführt, stellt die Mindermeinung auf den Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Verfahrens ab, so daß ein Produkt auch dann fehlerhaft ist, wenn es zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens dem Stand der Technik entsprach. 265 Bei wissentlicher oder grob fahrlässiger Schädigung des Klägers ist auch die Zuerkennung von Strafschadensersatz (punitive damages) möglich, der über den Kompensationszweck hinausgeht und auf dem Präventionsgedanken beruht. S. Madden, Products Liability, Bd. 2, §22.3, S.316ff. Vgl. ferner die Ubersichten bei Meyers/Barrus, 51 Insurance Counsel J. 212 (1984); Blatt/Meyer, PHI 1982,56; Morgan, 8 J. Publ. Policy & Marketing 279 (1989); Morgan, 3 J. Publ. Policy & Marketing 113 (1984). Allerdings ist der Strafschadensersatz unter rechtspolitischen Aspekten nicht unumstritten. S. dazu zuletzt Grube, 66 S. Cal. L. Rev. 839 (1993). 266 Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 501, note 6: „Where the product is defective solely for a failure to warn, intervening discovery of the danger is also likely to shift responsibility as a matter of law."
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USA
defizit zu beseitigen, und deshalb möglicherweise anders formuliert und aufgemacht sein als eine ursprüngliche Warnung. Anders ist es bei Konstruktions- oder Fabrikationsfehlern. Hier könnte man argumentieren, daß eine Warnung einen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler definitionsgemäß niemals entfallen lassen kann. Wenn das der Fall wäre, hätte auch eine ursprüngliche Warnung ausgereicht, die unangemessene Gefährlichkeit des Produktes auszuschließen. Begleitet von der Warnung wäre das Produkt somit fehlerfrei gewesen. 2 6 7 D e r vorbestehende Fehler wäre dann eigentlich kein Konstruktions- oder Fabrikationsfehler gewesen, sondern ein Instruktionsfehler. Selbst wenn aber eine vollständige Aufhebung eines Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers nicht möglich ist, hängt es doch v o m Einzelfall ab, o b eine nachträgliche Warnung die Gefahr zumindest wirksam einzuschränken und den H e r steller auf diese Weise zu entlasten vermag. D e r Fehler selbst, z . B . fehlende technische Sicherheitseinrichtungen wie Schutzbleche, bleibt in diesem Fall bestehen, die Gefahr kann jedoch durch zusätzliche oder intensivere Vorsichtsmaßnahmen des Benutzers zumindest eingeschränkt werden. In anderen Fällen bleibt dagegen als einzig wirksame Gefahrvermeidungsmaßnahme des Eigentümers nur der Verzicht auf die Benutzung. K o m m t es in diesen Fällen trotz der Warnung zum Schaden, stellt sich die schwierige Frage, ob die Gefahrkenntnis des Benutzers beim U m f a n g der Haftung des Herstellers berücksichtigt werden kann 2 6 8 , inwieweit es dem Hersteller oder Verkäufer somit gestattet werden soll, seine Verantwortung für den Produktfehler durch die Warnung auf den Benutzer abzuwälzen. 2 6 9 Eine solche Entlastung des Beklagten ist besonders dann problematisch, wenn unbeteiligte Dritte geschädigt wurden. Zumindest wenn diese keine Kenntnis des F e h 267 Dieser Gedanke liegt wohl auch comment j des Restatement (Second) of Torts, § 402A zugrunde: „....a product bearing such a warning, which is safe for use if it is followed, is not in [a] defective condition, nor is it unreasonably dangerous." 268 Die Berücksichtigung des Mitverschuldens des Geschädigten („comparative negligence") stellt das amerikanische Recht vor besondere Probleme. Der alte Grundsatz lautete, daß in solchen Fällen der Geschädigte leer ausging. Die neuere, wenn auch noch nicht überall durchgesetzte Entwicklung tendiert eher zu einer Schadensteilung zumindest bei der verschuldensabhängigen Haftung. Für die „strict liability" scheint sich die Tendenz zu verstärken, den Einwand des Mitverschuldens nicht zuzulassen und so dem Beklagten eine Entlastung zu verweigern. S. dazu Gäbel/Gaus, ZvglRWiss 88 (1989) 352, 368f. Ein anderes Verteidigungsvorbringen des Beklagten in solchen Fällen ist das des freiwilligen Handelns auf eigene Gefahr (assumption of risk), welches auch bei der „strict liability" die Haftung des Beklagten ausschließen kann. Ebenda, S. 369. 269 Besonders kritisch gegenüber einer solchen Möglichkeit das Gericht in Uloth v. City Tank Corp., 376 Mass. 874, 384 N.E.2d 1188 (1978) S. 1192: „We decline, however, to adopt any rule which permits a manufacturer or designer to discharge its total responsibility to workers by simply warning of the dangers of a product." Anders Rekab, Inc. v. Frank Hrubetz & Co., 261 Md. 141, 274 A.2d 107 (1971), wo die nachträgliche Warnung des Herstellers und das Angebot, den Fehler zu beseitigen, den Hersteller von der Haftung befreite. S. auch die Entscheidung Balido v. Improved Machinery, Inc., 29 Cal. App. 3d 633,105 Cal. Rptr. 890 (Cal. App. 2 Dist. 1972), in der eine Entlastung des Herstellers allenfalls durch eine nachträgliche Warnung und gleichzeitiges Angebot der kostenlosen Reparatur oder des Ersatzes für möglich gehalten wurde.
(Allgemeine)
63
Produkthaftung
lers hatten, wird die Nichtbeachtung der Warnung durch den Besitzer den B e klagten nicht entlasten. 2 7 0
bb) Produktbeoba.chtu.ngserkennbaren Fehlern
und Warnpflichten
bei
nachträglich
Produktbeobachtungs- und Warnpflichten obliegen den Herstellern aber auch und gerade hinsichtlich Fehlern, die erst nach dem Inverkehrbringen erkannt werden können. 2 7 1 In diesen Fällen liegen vor dem Inverkehrbringen weder ein Fehlverhalten n o c h objektive Umstände, die zu Konstruktions-, Fabrikationsoder Instruktionsfehlern führten, vor. Eine Haftung unter diesem Aspekt scheidet also aus. 2 7 2 D i e Haftung läßt sich dann erst aus einer Verletzung der Produktbeobachtungspflicht bzw. dem Versäumnis, aus der nachträglichen Fehlererkennung die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, begründen. Diese notwendigen Konsequenzen können Warn- und Rückrufaktionen sein. D i e im c o m m o n law begründete 2 7 3 Pflicht des Herstellers oder Verkäufers, die Käufer oder Besitzer eines Produktes auf nach Inverkehrbringen entdeckte G e fahren hinzuweisen, ist in einer Reihe von Entscheidungen anerkannt worden 2 7 4 und wird heute allgemein akzeptiert. 2 7 5 Allerdings sind dabei n o c h viele Einzelfragen ungeklärt. Dies gilt insbesondere für die konkreten Anforderungen an eine aktive Produktbeobachtungspflicht 2 7 6 , aber auch das Problem, welcher G r a d der 270 Keeton/Owen!Montgomery/Green, S. 501, note 3: „Where a user or bystander without notice of the defect is injured, the intermediate purchaser's failure to remedy the defect is no defense." 271 Keeton!Owen/Montgomery/Green, S. 334, note 11. 272 Anders nur die Mindermeinung, welche eine „strict liability" auch für nicht erkennbare Fehler bejaht. 273 Im Gegensatz zu den oben im 2. Kap. dargestellten gesetzlich verankerten Pflichten. 274 S. Cover v. Cohen, 61 N.Y. 261, 473 N.Y.S.2d 378, 461 N.E.2d 864 (1984); Rekab, Inc. v. Frank Hrubetz & Co., 261 Md. 141, 274 A.2d 107 (1971); doCanto v. Ametek, Inc., 367 Mass. 776, 328 N.E.2d 873 (1975); Comstock v. General Motors Corp., 358 Mich. 163, 99 N.W.2d 627 (1959); Schenebeck v. Sterling Drug, Inc. 423 F.2d 919 (8th Cir. 1970); Braniff Airways, Inc. v. Curtiss-Wright Corp., 411 F.2d 451 (2d Cir. 1969) 453, cert. den., 396 U.S. 959, 24 L Ed 423, 90 S. Ct. 431 (1969). Eine der wenigen ablehnenden Entscheidungen ist Syrie v. Knoll International, 748 F.2d 304 (5th Cir. 1984), in der das Bundesberufungsgericht ausführt, daß es für den ihm vorliegenden Sachverhalt, in dem das Produkt, ein Schreibtischstuhl, schon vor mehreren Jahren gekauft worden war, eine nachträgliche Warnpflicht nicht anerkennen könne, weil ein einschlägiger eine solche Pflicht etablierender Präzedenzfall eines einzelstaatlichen Gerichts (hier des Staates Texas), nicht ersichtlich sei. (S. 3lOff.) 275 Royal, 33 Drake L. Rev. 817 (1983/84) S.818. Ein anderer Autor berichtet, daß er keine Entscheidung habe finden können, in der die Haftung wegen des Fehlens einer nachträglichen Warnpflicht abgelehnt worden wäre; s. Note, 1984 Ariz. St. L. J. 719, S. 720, Fn. 5. 276 Die Produktbeobachtungspflicht wird - anders als im deutschen Recht - kaum als eigenständige Pflicht mit der entsprechenden eigenen Kategorie des Produktbeobachtungsfehlers betrachtet, sondern als Unterfall der Instruktionspflicht. Sie wird deshalb auch kaum in den einschlägigen Werken getrennt behandelt; Borer, S. 187, Fn. 1 mit Nachweisen; Hoechst, S. 59. Auch soweit der nachträglichen Warnpflicht als „continuing duty to warn" eigener Raum ge-
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Gewißheit der Kenntnis von der Gefahr, welche Risikowahrscheinlichkeit, welche Schwere des Risikos und Zahl der möglicherweise Betroffenen eine nachträgliche Warnpflicht auslösen und wie solche Maßnahmen konkret ausgestaltet sein müssen. 277
(1)
„Negligence"-Haftung
Ihre dogmatische Grundlage findet die nachträgliche Warnpflicht in den meisten Fällen in der verschuldensabhängigen Deliktshaftung. D a n a c h besteht eine Sorgfaltspflicht, die Bewährung der Produkte in der Praxis zu beobachten und/ oder bei Schadensmeldungen die Käufer über die Gefahr zu informieren. 2 7 8 U n terschieden wird dabei zwischen einer fortdauernden Warnpflicht (continuing duty to warn) und einer Warnpflicht, die wieder auflebt oder neu entsteht, wenn ein Fehler bekannt wird. 279 M i t der fortdauernden Warnpflicht soll dabei eine aktive Produktbeobachtungspflicht verbunden sein, wonach der Hersteller das Verhalten des Produktes in der Praxis und die Entwicklung des Standes der Technik und der Wissenschaft verfolgen muß, um sicherheitsrelevante Informationen möglichst frühzeitig zu erlangen und darauf reagieren zu können. 2 8 0 Eine wieder auflebende Warnpflicht würde dagegen erst mit der Erlangung der Kenntnis der Fehlerhaftigkeit des Produktes begründet, ohne daß der Hersteller diese I n f o r mationen hätte aktiv suchen müssen. D i e mit aktiver Produktbeobachtung verbundene „continuing duty to w a r n " ist im Fallrecht inzwischen fest verankert für die Hersteller von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. 2 8 1 Allerdings wird sie auch dort häufig nicht explizit apostrophiert, sondern durch den angewendeten Sorgfaltsmaßstab für die Zurechnung der Kenntnis des Fehlers eingeführt. D a nämlich dem Arzneimittelhersteller die Kenntnisse eines Experten auf dem relevanten Gebiet der Technik bzw. Wissenschaft zugerechnet werden, muß er die Verbraucher bzw. deren Ärzte warnen, wenn über die Risiken in einer angesehenen wissenschaftlichen Zeit-
widmet wird, werden die Produktbeobachtungspflichten als Vorstufe zu den Warnpflichten nicht gesondert erörtert; s. z.B. Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.13, S.453ff. 277 Cover V. Cohen, 61 N.Y. 261, 473 N.Y.S.2d 378, 461 N.E.2d 864 (1984). 278 Borer, S. 187. 279 So Royal, 33 Drake L. Rev. 817 (1983/84) S.827f., insb. Fn.86. Diese Unterscheidung wird jedoch nicht allgemein befolgt, vielmehr werden die Begriffe „continuing duty to warn" und „post sale duty to warn" oft für den gleichen Sachverhalt und ohne Unterschied nach aktiver oder passiver Erlangung der Kenntnis gebraucht; s. z.B. Comment, 1978 Ariz. St. L. J. 49. 280 So auch Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.13, S.455f. Im Rahmen dieser „continuing duty" kann der Hersteller auch die Verpflichtung haben, eigene weitere Untersuchungen und Tests anzustellen; Barson v. E. R. Squibb & Sons, Inc., 682 P.2d 832 (Utah 1984). 281 S. z.B. Hermes v. Pfizer, Inc., 848 F.2d 66 (5th Cir. 1988); Lindsay v. Ortho Pharmaceutical Corp., 637 F.2d 87 (2d Cir. 1980) und die weiteren Nachweise bei Royal, 33 Drake L. Rev. 817 (1983/84) S. 827 Fn.85 mit weiteren Nachweisen.
(Allgemeine)
Produkthaftung
65
schrift berichtet wird. 2 8 2 Dabei reicht es aus, daß die schädliche Nebenwirkung des Arzneimittels erst bei einem kleinen Prozentsatz der Benutzer dokumentiert ist 283 oder nur bei wenigen Benutzern zu erwarten ist. 2 8 4 Verläßt man jedoch den Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel, wird der U m f a n g der dem Hersteller obliegenden Produktbeobachtungs- und Warnpflichten weniger klar. Zwar ist eine Warnpflicht nach Kenntniserlangung allgemein anerkannt 2 8 5 , doch läßt sich aus den Entscheidungen nicht immer ablesen, ob diese Kenntnis auch aktiv gesucht werden muß. Dies mag daran liegen, daß es in vielen Fällen darauf nicht ankam, weil dem Beklagten tatsächliche Kenntnis nachgewiesen werden konnte. 2 8 6 M e h r als nur passives Warten auf neue Erkenntnisse über die Sicherheit bereits in Verkehr gebrachter Produkte wird auch dann implizit verlangt, wenn nicht nur auf die tatsächliche Kenntnis, sondern auf ein Kennenmüssen abgestellt wird. In einigen Entscheidungen haben Gerichte aber auch außerhalb des Arzneimittelbereichs ausdrücklich festgestellt, daß es zur Sorgfaltspflicht des Herstellers gehört, sich über die Bewährung des Produktes in der Praxis und über die wissenschaftliche Literatur auf dem Laufenden zu halten. 2 8 7
(2) „Strict liability" Wie dargestellt, vertritt eine Minderheit der Gerichte die Auffassung, daß weder die tatsächliche Kenntnis des Fehlers noch sein Kennenmüssen ein Kriterium für die verschuldensunabhängige Deliktshaftung sein dürfen. 2 8 8 Eine „Warnpflicht" besteht danach auch für Fehler, die vor dem Inverkehrbringen oder auch vor dem Eintritt der Schädigung wissenschaftlich nicht erkennbar waren. E n t scheidend ist vielmehr der Kenntnisstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. N a c h dieser Mindermeinung kann eine Unterscheidung zwischen ursprünglicher und nachträglicher Warnpflicht keine Rolle spielen. Unterblieb die Warnung, liegt in jedem Fall ein Warnfehler vor, unabhängig davon, o b die G e f a h r schon vor oder erst nach dem Inverkehrbringen erkannt werden konnte. Schermbeck v. Sterling Drug, Inc., 423 F.2d 919 (8th Cir. 1970). Sterling Drug, Inc. v. Cornish, 370 F.2d 82 (8th Cir. 1966). 284 Catalanotto Wallace v. Upjohn Co., 535 So.2d 1110 (La.App. 1988). 285 Note, 1984 Ariz. St. L. J. 719, 720 Fn.5. 286 So ging es in vielen Fällen um eine Warnpflicht, nachdem der Hersteller durch Verbraucherbeschwerden auf den Fehler aufmerksam geworden war; Ewer v. Goodyear Tire & Rubber Co., 4 Wash. App. 152,480 P.2d 260 (1971); Gillham v. The Admiral Corp., 523 F.2d 102 (6th Cir. 1975), cert. denied 424 U.S. 913 (1976); LaBelle v. McCauley Industrial Corp, 649 F.2d 46 (1 st Cir. 1981); Noel v. United Aircraft Corp., 342 F.2d 232 (3d Cir. 1964).S. auch Rozier v. Ford Motor Co., 573 F.2d 1332 (5th Cir. 1975). 287 S. McKee v. Moore, 648 P.2d 21 (Okla. 1982) für ein medizinischen Gerät; Borel v. Fibreboard Paper Products Corp., 493 F.2d 1076 (5th Cir. 1973), cert. denied 419 U.S. 869, 95 S.Ct. 127, 42 L.Ed.2d 107 (1974) in einem Asbest-Fall; Bertrand v. Johns-Manville Sales Corp., 529 F.Supp. 539 (D. Minn. 1982), ebenfalls ein Asbest-Fall. 288 S. die Leitentscheidung für diese Ansicht Beshada v. Johns-Manville Prods. Corp., 90 N.J. 191, 447 A.2d 539, (1982). 282
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Für die Mehrheit der Gerichte liegt ein Warnfehler im Sinne der „strict liability" aber nur dann vor, wenn der Fehler vor dem Inverkehrbringen erkennbar war. 289 Eine „continuing duty to warn" oder eine „post sale duty to warn" kann sich deshalb nur als Folge eines solchen vorbestehenden Fehlers und als Fortsetzung der ursprünglichen Warnpflicht ergeben. 290 Allerdings trennen die Gerichte nicht immer streng zwischen den einzelnen Haftungsgrundlagen und ihren jeweiligen Voraussetzungen, so daß in solchen Fällen nicht deutlich wird, auf welche die Warnpflicht im konkreten Fall gestützt wird. 291 Dies gilt namentlich für Jurisdiktionen, in denen Prinzipien der verschuldensabhängigen Deliktshaftung bei der Behauptung von Warnfehlern unabhängig davon berücksichtigt werden, auf welche Haftungsgrundlage der Kläger sich beruft. In diesen Fällen wird entscheidend auf die tatsächliche Kenntnis oder das Kennenmüssen des Fehlers nach Inverkehrbringen abgestellt 292 , so daß „negligence"-Haftung und „strict liability" wie auch beim ursprünglichen Warnfehler zusammenfließen.
(3) „Warranty "-Haftung Im Rahmen der „warranty"-Haftung wird eine nachträgliche Warnpflicht verneint. Die „warranty"-Haftung greift nur ein, wenn dem Produkt zum Zeitpunkt des Verkaufs eine zugesicherte Eigenschaft oder die Geeignetheit zum gewöhnlichen bzw. zum vorausgesetzten Gebrauch fehlte. Ein Produkt, das trotz fehlender Warnung nicht unangemessen gefährlich ist, wenn es den Bereich des Herstellers verläßt, könne später nicht wegen dieses Fehlens gefährlich werden. 293
2. Art und Umfang der Warnungen a) Allgemeine
Grundsätze
Die Warnpflicht entsteht nicht erst, wenn wissenschaftlich mit absoluter Sicherheit erwiesen ist, daß das Produkt einen gefährlichen Fehler aufweist. So muß vor den Nebenwirkungen eines Arzneimittels bereits dann gewarnt werden, wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Einnahme und Nebenwirkungen entdeckt wurde, der kausale Zusammenhang jedoch nicht eindeutig bewiesen ist 294 , oder wenn in wissenschaftlichen Zeitschriften auf das Risiko hingewiesen wurde. 295 2 8 9 S. comment g, Restatement (Second) of Torts, § 402A, wo für die Fehlerhaftigkeit eines Produktes im Sinne der „strict liability" auf den Zeitpunkt, „it leaves the sellers hands", abgestellt wird. 290 Madden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988) S. 171. 291 Gäbel/Gaus, ZvglRWiss 88 (1989) 352, 365f. 292 Madden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988) S.171f. 293 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.4, S. 387 unter Berufung auf Bly v. Otis Elevator Co., 713 F.2d 1040 (4th Cir. 1983), on rehearing 754 F.2d 1111 (4th Cir. 1985). 2 9 4 Basko v. Sterling Drug, Inc, 416 F.2d 417 (2d Cir. 1969). 2 9 5 Schenebeck v. Sterling Drug, Inc., 423 F.2d 919 (8th Cir. 1970).
(Allgemeine)
Produkthaftung
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D i e Warnung m u ß ferner nach A r t und F o r m geeignet sein, bei Befolgung die Sicherheit des Produktes für die beabsichtigte und vorhersehbare Benutzung zu gewährleisten. 296 D a z u ist zunächst erforderlich, daß sie die Gefahr korrekt und umfassend nach A r t und Schwere darstellt. 297 Es m u ß aber auch sichergestellt werden, daß sie die gefährdeten Personen oder solche, welche die Gefahr wirksam kontrollieren können, erreicht. 2 9 8 Sie m u ß ferner vom Adressaten verstanden werden und ihn in einer Weise alarmieren, daß er als vernünftige Person Schwere und Wahrscheinlichkeit des Risikos versteht und in die Lage versetzt wird, die vermittelten Informationen zu seiner eigenen Sicherheit und der Dritter umzusetzen. 299 Viel hängt bei der konkreten Ausfüllung dieser Kriterien im Einzelfall von dem vorhersehbaren Benutzerkreis und den vorhersehbaren Umständen der Benutzung ab. So müssen Warnungen bei Produkten, die für Kinder gefährlich werden können, anders gestaltet werden 3 0 0 als solche für Fachleute in ihrer beruflichen Sphäre. Ist z . B . vorhersehbar, daß ein Produkt viel von der Landessprache unkundigen Ausländern benutzt werden wird, werden schriftliche Warnungen nicht ausreichen, sondern zusätzlich bildhafte erforderlich sein. Sollen Warnungen wirksam sein, müssen sie also die kognitiven und psychologischen Probleme ihrer Aufnahme, Verarbeitung und Umsetzung beim Benutzer berücksichtigen. Diese können vor allem darin liegen, daß eine Überflutung mit Warnhinweisen zur Abstumpfung führt, welche schließlich auch durch drastischste Mittel nicht mehr durchbrochen werden kann. Warnungen vor trivialen G e fahren sind deshalb möglicherweise insgesamt gesehen eher schädlich. „Warnings, in order to be effective, must be selective", ist deshalb eine der vertretenen Maximen. 3 0 1 Andere Probleme ergeben sich aus möglichen systematischen Fehl296 S. ausführlich zur „Adequacy of Warning" Madden, Products Liability, B d . l , §10.12, S.443ff. 297 Das Gericht in Pavlides v. Galveston Yacht Basin, Inc., 727 F.2d 330 (5th Cir. 1984) formulierte diese Anforderungen folgendermaßen: „In order for a warning to be adequate, it must provide a complete disclosure of the existence and extent of the risk involved....A warning must (1) be designed so it can reasonably be expected to catch the attention of the consumer; (2) be comprehensible and give a fair indication of the specific risks involved with the product; and (3) be of an intensity justified by the magnitude of the risk." (S.338). 298 So reicht häufig eine Warnung in der Gebrauchsanweisung nicht aus, weil das Gerät nicht vom Käufer benutzt wird, sondern z.B. von seinen Angestellten. Die Warnung muß deshalb direkt auf dem Gerät angebracht werden. 299 Für ursprüngliche und nachträgliche Warnungen gelten dabei dieselben Grundsätze. Allerdings müssen dabei die unterschiedlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden. So wird eine nachträglichen Warnung möglicherweise drastischer ausfallen müssen, weil sie eingefahrene Sicherheitsvorstellungen und Benutzungsgewohnheiten durchbrechen muß. 300 Gerade bei Produkten, die für Kinder gefährlich werden können, wird die Nähe des Warnfehlers zum Konstruktionsfehler deutlich. Da die Umstände der Benutzung eines Produktes durch Kinder nicht völlig vorhersehbar sind und sie auf mündliche, schriftliche oder bildhafte Warnungen oft nicht reagieren (können), weil sie nicht lesen können oder der Totenkopf auf der Giftflasche diese erst recht interessant macht, wird der Hersteller in diesen Fällen nicht allein auf Warnungen vertrauen können, sondern auch technische Sicherheitsvorrichtungen einbauen müssen. 301 Twerski/Weinstein/Donaher/Piehler, 61 Cornell L. Rev. 495 (1976) S.514ff.
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einschätzungen des Risikos durch die Verbraucher. Viele dieser theoretischen und empirischen P r o b l e m e der wirksamen Ausgestaltung von Warnhinweisen sind jedoch in der Forschung erst ansatzweise erkannt und untersucht. Zum Teil ergaben sich dabei sehr kontroverse Ergebnisse, so daß Schlußfolgerungen für die betriebliche aber auch die Rechtspraxis höchst problematisch sind. 302 Wegen der Unterschiedlichkeit der Produkte und der von ihnen ausgehenden Gefahren, der Personenkreise, die als Benutzer in Frage k o m m e n , und der k o n kreten Umstände der Benutzung läßt sich die Angemessenheit einer Warnung nur für den Einzelfall, nicht jedoch generell festlegen. I m folgenden soll deshalb nur auf einige Einzelaspekte eingegangen werden, die im US-amerikanischen R e c h t eine Rolle gespielt haben.
b)
Einzelheiten
aa) Widersprüchliche Angaben Eines der Probleme besteht darin, daß die Warnung nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern im Zusammenhang mit den anderen Informationen, welche über das Produkt ebenfalls vermittelt werden, zu sehen ist. D i e Wirkung einer ansonsten allen Anforderungen entsprechenden Warnung kann durch die übrigen Angaben in der Gebrauchsanweisung, der Werbung oder durch Aussagen des Verkäufers, welche die besondere Sicherheit des Produktes hervorheben, überlagert und aufgehoben werden. So wurde die Wirkung der Warnung auf einem R e i nigungsmittel, das Einatmen der D ä m p f e zu vermeiden, nach Ansicht des G e richts durch den in erheblich größerer Schrift angebrachten Markennamen des Produkt „Safety-Kleen" aufgehoben. 3 0 3
bb)
Mißbräuche
Ein anderes P r o b l e m stellt die Warnung vor Gefahren bei Mißbräuchen des Produkts dar. Soweit sie in vernünftiger Weise vorhersehbar sind, muß eine solche Warnung erfolgen. 3 0 4 D i e Rechtsprechung geht hier manchmal sehr weit. So wurde ein Parfüm-Hersteller verurteilt, weil er nicht vor dessen leichter E n t flammbarkeit gewarnt hatte. Zwei Mädchen hatten versucht, eine brennende K e r So auch das Gericht gegen eine Uberfrachtung von Warnhinweisen in Crane v. Sears, Roebuck & Co., 32 Cal. Rptr. 754 (1963). 302 S. als Beispiele die Untersuchungen von Dorris/Purswell, 1 J. Prod. Liability 255 (1977) und die Ubersicht über die Forschungsergebnisse bei Stewart/Martin, 13 J. Publ. Policy & Marketing 1 (Spring 1994). Kritisch zu den grundlegenden Verhaltensannahmen der ökonomischen und rechtlichen Haftungstheorien zuletzt Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193 (1994). 303 Maize v. Atlantic Refining Co., 352 Pa. 51,41 A.2d 850 (1945). S. auch Incollingo v. Ewing, 444 Pa. 263, 282 A.2d 206 (1971) und American Optical Co. v. Weiderhamer, 404 N.E.2d 606 (Ind. 1980). 304 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.6, S.393.
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Produkthaftung
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ze mit Hilfe des Parfüms in eine D u f t k e r z e zu verwandeln, und eines hatte dabei Verbrennungen davon getragen. 305 Eine Fülle von Rechtsprechung rankt sich in diesem Zusammenhang um Todesfälle und Verletzungen von Kindern. 3 0 6 D i e Haftung für Schädigungen durch mißbräuchliche Benutzung wird von der Gesetzgebung einiger Einzelstaaten jedoch eingeschränkt. 3 0 7
cc) Offensichtliche
Gefahren
Im Gegensatz zu Gefahren bei vorhersehbaren Mißbräuchen m u ß vor offensichtlichen Gefahren in der Regel nicht gewarnt werden. 3 0 8 Dieser Verteidigungseinwand der Offensichtlichkeit der Gefahr ist von den Beklagten in einer Reihe von Produkthaftungsklagen wegen Schäden durch den G e n u ß von A l k o h o l oder durch Schußwaffen erhoben worden, allerdings durchaus nicht immer mit E r folg. 309 Bei der Offensichtlichkeit k o m m t es auf die Kenntnis der Gefahr in der Allgemeinheit an; Unkenntnis des Benutzers im Einzelfall führt dann auch ohne Warnung nicht zur Haftung. 3 1 0 U m g e k e h r t kann auch die Kenntnis der Gefahr durch den Benutzer, selbst wenn diese nicht offensichtlich ist, zum Ausschluß der Haftung führen. 311 Soweit allerdings nur die Gefahr offensichtlich ist, nicht aber die Methoden, sie zu vermeiden, muß auf solche hingewiesen werden. 3 1 2
dd) Warnung an Fachleute E n g verbunden mit der Regel, daß eine Warnung für offensichtliche Gefahren nicht erforderlich ist, ist eine ähnliche Regel für den Verkauf von Produkten an fachkundige Benutzer. 3 1 3 Soweit hier die Kenntnis der Gefahr wegen der Fachkunde vorausgesetzt werden kann, entfällt die Warnpflicht bzw. ist weniger streng. Dies gilt auch in Fällen, in denen in für den Verkäufer unvorhersehbarer Weise nicht fachkundige Benutzer mit dem Produkt in Berührung kommen. 3 1 4 Diese Konstellation ergibt sich häufig bei Arbeitsunfällen; soweit hier der H e r 305 So Moran v. Faberge, Inc., 273 Md. 538,332 A.2d 11 (1975), da es vorhersehbar war, daß ein Parfüm in die Nähe offener Flammen geraten kann. 306 S. die zahlreichen Nachweise bei Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 394, note 10. 307 S. Keeton! Owen/Montgomery/Green, S. 396, note 14. 308 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.5, S. 387ff.; Gäbel/Gaus, ZvglRWiss 88 (1989) 352, 3 62 f. 309 S. die Nachweise bei Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 376, note 7 mit Hinweisen zur Rechtsprechung und auf Reaktionen des Gesetzgebers. Ferner Note, 75 Cornell L. Rev. 158 (1989). 310 Kerr V. Koemm, 557 F.Supp.283 (S.D.N.Y. 1983). 311 Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 375 mit Nachweisen in note 3. 312 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.5, S.387. 313 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.11, S. 435ff.; Gäbel/Gaus, ZvglRWiss 88 (1989) 352, 363. 314 So z.B. für ein Haarpflegemittel, das mit dem Hinweis „For Professional Use Only" vermarktet worden war, Helene Curtis Industries, Inc. v. Pruitt, 385 F.2d 841 (5th Cir. 1967), cert. denied 391 U.S.913, 88 S.Ct. 1806, 20 L.Ed.2d 652 (1968).
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steller vorhersehen kann, daß dem Arbeitnehmer das Risiko unbekannt ist und bleiben wird oder er das Produkt in der Regel in gefährlicher Weise benutzen wird, wird auch hier eine Warnpflicht bejaht. 315
ee) Warnung an
Allergiker
Die Rechtsprechung zu Produkten, insbesondere Arzneimitteln, welche zwar bei den meisten Menschen ohne Nebenwirkungen angewendet werden können, bei einem geringen Teil aber allergische oder andere negative Reaktionen hervorrufen, ist nicht einheitlich. 316 Zum Teil wird eine Warnung nur dann verlangt, wenn vorhersehbar ist, daß ein erheblicher Teil der Anwender dem Risiko allergischer Reaktionen ausgesetzt ist. 317 Andere Gerichte verzichten auf das Kriterium der erheblichen Zahl und legen eine Warnpflicht in allen Fällen auf, in denen eine ernsthafte allergische Reaktion vorhersehbar ist. 318
f f ) Probleme
des
Zeitablaufs
(1) Statutes of repose; useful life Problematisch ist in vieler Hinsicht, ob die Warnpflicht vor den Gefahren eines Produktes zeitlich begrenzt werden kann. In einigen Bundestaaten wird diese Problem gesetzlich durch sog. „statutes of repose" geregelt. Im Gegensatz zu Verjährungsvorschriften, die den Beginn der Frist etwa mit Eintritt der Verletzung oder Kenntniserlangung vom Fehler zeitlich fixieren und damit den Hersteller oder Verkäufer in Unsicherheit über noch zu erwartende Schadensersatzforderungen lassen, wird bei den „statutes of repose" in aller Regel eine absolute zeitliche Grenze gesetzt, die mit der Auslieferung an den Verbraucher beginnt und nach deren Ablauf Klagen unabhängig von der Verjährungsfrist ausgeschlossen sein sollen. 319 In diesen Fällen läuft mit Ablauf dieser Frist auch die Warnpflicht bzw. die Haftung für das Unterbleiben von Warnhinweisen aus. 1989 hatten einundzwanzig Bundesstaaten solche „statutes of repose"; 3 2 0 vierzehn davon legten eine einheitliche Frist von zwölf (z.B. Arizona, Florida), zehn (z.B. Alabama, Georgia, Michigan), acht (z.B. Kentucky, Oregon) oder sechs Jahren (Utah) fest. Eine solche Fixierung hat jedoch den Nachteil, daß alle Produkte, 315
Gäbel/Gaus,
S.439ff.
ZvglRWiss 88 (1989) 352, 363;
Madden,
Products Liability, B d . l , §10.11,
316 Madden, Products Liability, B d . l , §10.10, S.431ff.; Keeton/Owen!Montgomery/Green, S.353, note 6. 3 1 7 Kaempfe v. Lehn & Fink Products Corp., 21 A.D.2d 197, 249 N.Y.S.2d 840 (1964), affirmed 20 N.Y.2d 818, 284 N.Y.S.2d 708, 231 N.E.2d 294 (1967). 3 1 8 Wright V. Carter Products, Inc., 244 F.2d 53 (2d Cir. 1957). 319 Comment, 73 Minn. L. Rev. 1081 (1989) S.1088. Zu den rechtspolitischen Gründen für solche Regelungen s. V. Schwartz, 58 N. Y. U. L. Rev. 796 (1983) S. 842ff. 3 2 0 S. für diese und die folgenden Angaben Comment, 73 Minn. L. Rev. 1081 (1989) S. 1089f.
(Allgemeine)
Produkthaftung
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unabhängig von ihrer tatsächlich zu erwartenden Lebensdauer, gleich behandelt werden. Eine Minderheit von Staaten hat deshalb eine flexiblere Lösung gesucht und auf das „useful life" des Produktes abgestellt. D i e Produkthaftung des H e r stellers endet dann mit dem Ablauf des „useful life" des betroffenen Produktes. D i e Problematik einer solchen Regelung wurde - nicht unerwartet 3 2 1 -bereits im ersten Fall deutlich, der in Minnesota, dem Staat, der als erster ein solches G e setz erließ, auf der Grundlage von „useful life" entschieden wurde. 3 2 2 Das Gericht überzog die Vorschriften, die es anzuwenden hatte, mit harter Kritik, bezeichnete sie als höchst zweideutig und verweigerte der Regelung die strikte Ausschluß Wirkung. 3 2 3
(2) Wirkung des Zeitablaufs nach common law Ursprünglich galt nach c o m m o n law, daß Zeitablauf und eine lange problemlose Benutzung des Produktes definitiv dessen Fehlerfreiheit bewiesen. 3 2 4 Diese Ansicht ist jedoch heute aufgegeben. 325 Es wird anerkannt, daß Produktfehler sich aus den verschiedensten Gründen erst spät in ihrem Lebenszyklus auswirken oder erkannt werden können. Allerdings kann der Zeitablauf weiterhin ein Indiz für die Ordnungsgemäßheit des Produktes darstellen. 326 Viele Gerichte haben auch festgestellt, daß den Hersteller keine Pflicht trifft, Produkte herzustellen, die sich niemals abnutzen, und verlangen deshalb bei älteren Produkten klare Beweise dafür, daß der Fehler bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens vorhanden war. 327 Das c o m m o n law kennt jedoch keinen Grundsatz, daß eine Warnpflicht von einem bestimmten Zeitpunkt im Produktlebenszyklus an nicht mehr bestehen würde. 3 2 8 J e nach den Umständen des E i n zelfalls wird deshalb eine Warnaktion auch für sehr alte Produkte noch erforderlich sein können. Dies könnte z . B . dann der Fall sein, wenn deren Benutzer noch leicht identifiziert werden können, das Risiko besonders groß ist etc. Auch die Tatsache, daß der Hersteller die Herstellung des Produktes eingestellt hat, entbindet ihn nicht von der Warnpflicht. 3 2 9 A u f der anderen Seite befreit die Tatsache allein, daß der Kläger den Gefahren des Produktes nicht mehr ausgesetzt 321 S. z.B. die kritischen Auseinandersetzungen mit solchen „statutes of repose" in der Lehre bei Schwanz, 58 N. Y. U. L. Rev. 796 (1983) und Note, 14 N. 111. U. L. Rev. 223 (1993). 322 Hodder v. Goodyear Tire & Rubber Co., 426 N.W.2d 826 (Minn. 1988). 323 S. den im Ergebnis zustimmenden, in der Begründung abweichenden Comment, 73 Minn. L. Rev. 1081 (1989). 324 S. Lynch v. International Harvester Co., 60 F.2d 223 (lo th Cir. 1932). 325 Pryor v. Lee C. Moore Corp., 262 F.2d 673 (lo th Cir. 1958). 326 Comment, 73 Minn. L. Rev. 1081 (1989) S.1085f. 327 Auld v. Sears, Roebuck & Co., 261 App. Div. 918, 25 N.Y.S.2d 491 (1941), affirmed 288 N.Y. 515, 41 N.E.2d 927 (1942). 328 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.13, S.458: „There is no bright line standard for the point in time, if one exists, when a manufacturer will no longer be found legally liable for deficiencies in inadequate warnings concerning products no longer in use." 329 Owens-Illinois, Inc. v. Zenobia, 325 Md. 420, 601 A.2d 633 (Md. 1992).
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ist, den Hersteller ebenfalls nicht von einer Warnpflicht, da der Kläger ohne die Warnung der Möglichkeit beraubt ist, eventuell notwendige vorbeugende M a ß nahmen zu ergreifen. 3 3 0 gg)
Hinweis
auf
Produktverbesserungen
M i t einer Warnpflicht eng verwandt ist die mögliche Verpflichtung, die Eigentümer und Benutzer auf nach dem Verkauf vorgenommene Verbesserungen der Sicherheitseinrichtungen 3 3 1 eines Produktes hinzuweisen. 3 3 2 D i e Rechtsprechung zu dieser Problematik ist geteilt. 3 3 3 Einige Gerichte haben eine solche Verpflichtung abgelehnt, zumindest soweit des Produkt zum Zeitpunkt des Verkaufs keinen Fehler aufwies. 3 3 4 Dagegen stehen allerdings Entscheidungen, die eine Pflicht, die Käufer auf nachträgliche Verbesserungen des gekauften Modells hinzuweisen, für gegeben halten, 3 3 5 wenn auch nicht bei Massenprodukten des täglichen Bedarfs und nicht während einer mehrere Jahrzehnte umfassenden Benutzungsdauer. 3 3 6
3. Adressaten
der
Warnung
In der Regel m u ß die Warnung des Herstellers oder Verkäufers an den Käufer des Produktes gerichtet sein. 3 3 7 Eine allein dem Händler gegenüber ausgesprochene Warnung ist nicht ausreichend. 3 3 8 D i e Warnung muß dabei so abgefaßt sein, daß der Personenkreis, für den sie bestimmt ist, sie verstehen und vernünftig einschätzen kann. E i n e Warnung in der Fachsprache kann deshalb bei einem aus Laien bestehenden Kundenkreis ungenügend sein. D i e Warnung an den Erstkäufer genügt jedoch nicht, wenn vorhersehbar ist, daß dies nicht ausreichen wird, das Risiko für Dritte, die das Produkt benutzen Lockwood v. A C & S, Inc., 44 Wash. App. 330, 722 P.2d 826 (Wash. App. 1986). Die Vornahme einer solchen Verbesserung macht das Produkt nicht fehlerhaft, da es dafür auf den Stand der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommt. War die Verbesserung nach dem damaligen Stand der Technik möglich, war auch das Produkt bereits von Anfang an fehlerhaft; war sie es nicht, bleibt das in den Verkehr gebrachte Produkt nach der herrschenden Meinung fehlerfrei. 332 Davon zu unterscheiden wäre eine Verpflichtung, den Besitzern die Nachrüstung der bereits verkauften Produkte anzubieten. Dazu, ob eine solche Pflicht besteht, siehe unten B II und CI. 333 S. ausführlich zur Rechtslage Note, 33 Stan. L. Rev. 1087 (1981); ferner die Nachweise bei Fisher/Powers, S. 285. 334 Jackson v. New Jersey Manufacturers Insurance Co., 166 N.J. Super. 448, 400 A. 2d 81 (1979), cert. denied 81 N. 330, 407 A.2d 1204 (1979); Lynch v. McStome and Lincoln Plaza Ass., 546 A.2d 1276 (Pa. Super. 1988). 335 S. z.B. Gracyalny v. Westinghouse Elec. Corp., 723 F.2d 1311 (7th Cir. 1983). 336 Kozlowski v. John E. Smith's Sons Co., 87 Wis. 2d 882, 275 N. W. 2d 915 (1979). Für eine Hinweispflicht auf nachträgliche Sicherheitsverbesserungen, die nach „negligence"-standards zu beurteilen wäre auch Note, 33 Stan. L. Rev. 1087 (1981). 337 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.9, S.418ff. 338 doCanto v. Ametek, Inc., 376 Mass. 766, 328 N.E.2d 873 (1975). 330
331
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Produkthaftung
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oder von ihm geschädigt werden können, auszuschließen oder zu verringern. 3 3 9 Diese Situation ist besonders häufig in der Arbeitswelt anzutreffen. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob eine dem Käufer und Arbeitgeber ausgesprochene Warnung den Verkäufer auch dann von der Haftung befreien kann, wenn sie den Arbeitnehmer als tatsächlichen Benutzer nicht erreicht. Als Kriterien dafür werden herangezogen: die Gefahr, welche von dem Produkt ausgeht; die Vertrautheit des Käufers mit dieser Gefahr; das berechtigte Vertrauen, er werde die Warnung weitergeben; und die Möglichkeiten, den tatsächlichen Benutzer direkt zu warnen. 3 4 0 Bei Gefährdungen Dritter außerhalb von Arbeitsverhältnissen sind die G e r i c h te anscheinend weniger leicht bereit, den Verkäufer aufgrund von Warnungen an den direkten Käufer von der Haftung freizustellen. 3 4 1 Andererseits ist nicht zu übersehen, daß in vielen Fällen, in denen Dritte geschädigt werden können, deren direkte Warnung unpraktikabel oder unmöglich ist. Trotz der grundsätzlichen Pflicht, die zu warnen, welche möglicherweise gefährdet werden können, kann es dann ausreichen, die Benutzer auf die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen in angemessener Weise aufmerksam zu machen. 3 4 2 Fälle, in denen eine Warnpflicht gegenüber der Allgemeinheit oder jedermann auferlegt worden wäre, weil jedermann, etwa als Verkehrsteilnehmer zu den Gefährdeten und möglichen O p f e r n gehört, sind nicht bekannt. Allerdings kann es die Warnpflicht gegenüber den Käufern oder Benutzern von Massenprodukten, bei denen Unterlagen über die gegenwärtigen Besitzer nicht vorhanden sind, unter Umständen erfordern, eine Warnung über die Massenmedien vorzunehmen. O b w o h l die Warnpflicht dadurch nur gegenüber den Käufern oder Benutzern erfüllt wird, ist ihre Streuung dann weit breiter. I m Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel ist jedoch nach der „learned intermediate doctrine" als Ausnahme anerkannt, so daß ein Warnhinweis an die verschreibenden Arzte oder Krankenhäuser ausreichend sein kann. 3 4 3 D i e ser Grundsatz ist auch auf Herzschrittmacher, Pessare, Herzkatheter und R ö n t gengeräte übertragen worden, außerhalb des medizinischen Bereichs jedoch re-
S. Hopkins v. Chip-In-Saw, Inc, 630 F.2d 616 (8th Cir. 1980). S. comment n, Restatement (Second) of Torts, §388. 341 S. Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.9, S. 421 f. unter Verweis auf Montgomery Elevator Co. v. McCullough, 676 S.W.2d 776 (Ky. 1984), wo der Hersteller einer Rolltreppe in einem Kaufhaus dieses vor möglichen Gefahren gewarnt, Abhilfemaßnahmen empfohlen und den Kauf der dazu notwendigen Materialien angeboten hatte. Zum Schaden eines jugendlichen Kunden kam es, weil das Kaufhaus nichts unternahm. Das Gericht entschied, daß der Hersteller seine Verantwortlichkeit dennoch nicht habe abwälzen können. 342 S. Sills v. Massey-Ferguson, Inc, 296 F.Supp. 776 (n.D. 111. 1969), in dem es um die Verletzung eines unbeteiligten Dritten durch einen Bolzen ging, der von einem Rasenmäher erfaßt und hoch geschleudert worden war. 343 S. z.B. Reyes v. Wyeth Laboratories, 498 F.2d 1264 (5th Cir. 1974), cert, denied, 419 U.S. 1096, 95 S.Ct. 687, 42 L.Ed.2d 688 (1974). S. allgemein zum Adressatenkreis der Warnpflicht auch bei Arzneimitteln Thompson, 13 Fla. St. U. L. Rev. 135 (1985). T. Schwanz, 46 Food DrugCosm. L. J. 829 (1991); Britain, 79 Nw. U. L. Rev. 342 (1984) S. 374ff. 339
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gelmäßig abgelehnt worden. 3 4 4 Ausnahmen von dieser Ausnahme bestehen jedoch dann, wenn nicht erwartet werden kann, daß der Arzt eine individuelle A b wägung und Beratung vornimmt, wie dies im Fall von Massenimpfungen und Empfängnisverhütungspillen anerkannt ist. 345 In einem derartigen Fall muß die Warnung auch in einer für Laien verständlichen Sprache abgefaßt sein. 346 Eine solche Abwendung von der „learned intermedíate doctrine" wird auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel vertreten, welche direkt gegenüber dem Konsumenten beworben werden. 347
4. Fälle, in denen eine ordnungsgemäße 'Warnung nicht ausreicht Warnungen vor Produktrisiken können niemals einen vollständigen Schutz aller Benutzer oder Dritter vor Schäden sicherstellen. Aus den verschiedensten Gründen erreichen sie nicht alle Adressaten, werden von diesen manchmal nicht verstanden oder nicht beachtet. 348 Bei einer offensichtlichen Gefahr sind Warnungen nicht einmal vorgeschrieben, wären wegen der Offensichtlichkeit auch wirkungslos; dennoch geschehen Unfälle. Im Rahmen einer Interessenabwägung haben deshalb einige Gerichte entschieden, daß Warnungen nicht in jedem Fall den Hersteller oder Verkäufer von der Haftung befreien können. In Fällen, in denen eine geringfügige Konstruktionsänderung, die den Hersteller kaum belastet, die Produktgefahr beseitigen kann, könne eine Warnung selbst dann, wenn ihre Beachtung das Risiko ausschlösse, nicht ausreichend sein. Der unvermeidbar geringere Wirkungsgrad einer Warnung gestatte und erfordere es in dieser Situation, die Verpflichtung zur Vermeidung möglicher Verletzungen dem Hersteller aufzuerlegen. 349 In ähnlicher Weise haben Gerichte aus rechtspolitischen Gründen es für fragwürdig gehalten, daß Warnungen vor den Gefahren Hersteller dann entlasten können sollten, wenn sie Maschinen ohne auch nur minimale Sicherheitsvorkehrungen vermarktet hatten. 350 In einem anderen Fall hat die C P S C Warnungen, Keeton/Owen/Montgomery/Green, S.350f., note lff. Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 351, note 3. 3 4 6 MacDonald v. Ortho Pharmaceutical Corp., 394 Mass. 131,475 N.E.2d 65 (1985), cert. denied, 474 U.S. 920, 106 S.Ct. 250, 88 L.Ed.2d 258 (1985). 347 T. Schwanz, 46 Food Drug Cosm. L. J. 829 (1991). 3 4 8 S. ausführlich für mögliche Gründe der Ineffektivität von Warnungen Latin, 41 U C L A L. Rev. 1193 (1994); ders., 73 Calif. L. Rev. 677 (1985). 3 4 9 Uloth V. City Tank Corp., 376 Mass. 874,384 N.E.2d 1188 (1979), S. 1192; Brochu v. Ortho Pharmaceutical Corp., 642 F.2d 652 (ist Cir. 1981), S. 655; Laney v. Coleman Co., Inc., 758 F.2d 1299 (8th Cir. 1985), S. 1302, Fn. 1.; Robinson v. G. G. C., Inc., 808 P.2d 522 (Nev. 1991). 5. auch die Äußerung des Gerichts in Sturm, Ruger & Co. v. Day, 594 P.2d 38 (Alaska 1979): „Where the most stringent warning does not protect the public, the defect itself must be eliminated if the manufacturer is to avoid liability." (S. 44). Angesichts der Tatsache, daß Warnungen niemals hundertprozentig befolgt werden, würde diese Forderung, sollte sie Allgemeingültigkeit beanspruchen, bedeuten, daß Warnhinweise niemals die Haftung ausschließen können. 3 5 0 S. Ursic, 4 J. Publ. Policy & Marketing 80 (1985) S.84f. mit Nachweisen. Selbst wenn die Gerichte in den hier und vorher zitierten Fällen eine Konstruktionsänderung 344 345
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selbst wenn ihre Beachtung die Gefahren vermeiden würde, auf der Grundlage einer Abwägung von Nutzen und Risiko nicht für ausreichend erachtet, wenn das Produkt (Kinderdrachen mit Schwänzen aus Aluminium, welche bei Kontakt mit Hochspannungsleitungen zu schweren Verletzungen führen konnten) keinen praktischen, sondern allenfalls einen ästhetischen Nutzen aufwies. Hier überwiege das Risiko den Nutzen so stark, daß eine Warnung, die niemals eine absolute Gefahrvermeidung gewährleisten könne, nicht ausreiche.351 Die unvermeidbare Unvollkommenheit auch der „besten" Warnung im Hinblick auf die Vermeidung von Schädigungen durch fehlerhafte Produkte hat kürzlich Latin zu einer grundsätzlichen Kritik und Ablehnung der Behandlung von Warnhinweisen nach der herrschenden Meinung in Lehre und Rechtsprechung veranlaßt.352 Seiner Ansicht nach zwingen die von ihm in gründlicher Weise aufgearbeiteten Ergebnisse der psychologischen, verhaltenswissenschaftlichen und kognitionswissenschaftlichen Forschungen zum Verbraucherverhalten zu der Feststellung, daß Warnhinweise niemals die ihnen zugeschriebene Sicherheitsfunktion in ausreichender Weise ausüben könnten. Die Vermutung zugunsten des Warnenden im Restatement (Second) of Torts353, der Verbraucher werde die Warnung befolgen, beruhe auf einem falschen Menschenbild. Sie gehe von einer Hypothese über das Verhalten aus, die durch die Forschung und die Realität widerlegt sei. Damit aber führe sie auch rechts- und sicherheitspolitisch in die falsche Richtung, weil sie falsche Anreize für das Sicherheitsverhalten der Hersteller gebe, indem sie notwendigerweise unvollkommen befolgte Warnhinweise als Alternative zu einer Verbesserung der Produktsicherheit durch Konstruktionsänderungen akzeptiere. Er kommt zu folgender Schlußfolgerung: „Good product warnings may be useful, indeed necessary in many accident-prevention settings but their value is inherently limited and they consequently should not be treated as legally acceptable alternatives to safer designs and marketing strategies."354
5. Einige
Kausalitätsprobleme
Das größte Problem eines Klägers, der sich in einem Produkthaftungsverfahren auf einen Warnfehler beruft, ist oft der Nachweis, daß das Unterlassen oder die Unvollkommenheit der Warnhinweise als „proximate cause" zu seiner Verletzung geführt haben, daß er also die Warnung, wäre sie erfolgt, beachtet hätte und
(statt der Warnung) anmahnten, so bezog sich dies auf die Zukunft, wenn der Hersteller eine Haftung vermeiden will, und/oder auf die Vergangenheit, wie er eine Haftung hätte vermeiden können. Es wurde damit jedoch nicht ausgesprochen, daß dem Eigentümer im konkreten Fall ein Anspruch auf Reparatur oder Nachbesserung zustand. S. zur Möglichkeit solcher Ansprüche unten C I. 351 Zitiert bei Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.1, S. 359, Fn. 7. 352 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193 (1994). 353 §402A, comment j. 354 Latin, 41 UCLA L. Rev. 1193 (1994) S. 1295.
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so der Verletzungserfolg vermieden worden wäre. 3 5 5 D a dieser Nachweis sich auf ein hypothetisches Verhalten bezieht, ist er oft kaum zu führen. 3 5 6 In dieser Situation helfen viele Gerichte dem Kläger durch eine Vermutung, daß die Warnung befolgt worden wäre, wäre sie in ordnungsgemäßer Weise gegeben worden. 3 5 7 D i e Beweislast dafür, daß die Verletzung trotz einer ordnungsgemäßen Warnung eingetreten wäre, wird so auf den Beklagten verlagert. 3 5 8 Dieser Gegenbeweis kann z . B . gelingen, wenn die Verletzung auf eine instinktive H a n d lung des Geschädigten zurückgeht 3 5 9 oder sich herausstellt, daß der Handelnde im entscheidenden M o m e n t nicht auf sein Tun achtgab. 3 6 0 Allerdings setzt sich in der Regel die Vermutung zugunsten des Klägers durch. Einige Gerichte k o m m e n dem geschädigten Kläger bei der Kausalitätsfeststellung sehr weit entgegen. So ist entschieden worden, daß eine nicht ausreichende Warnung selbst dann „proximate cause" sein kann, wenn dem Kläger die Gefahr bekannt war. 361 N o c h weiter geht eine Entscheidung, die eine Warnung für nicht ausreichend und deshalb als möglicherweise kausal erachtete, obwohl die Gefahr, vor der hätte gewarnt werden sollen, sich nicht verwirklicht hatte. 3 6 2 Das Gericht erwähnte beispielhaft den Fall, daß ein Medikament Schwindelgefühle und Blindheit verursachen könnte, aber nur auf die Gefahr der Schwindelgefühle hingewiesen worden war. Selbst wenn sich nur Schwindelgefühle einstellten, könne diese Warnung, weil sie nicht alle wesentlichen Risiken erwähnte, nicht ausreichend und somit kausal für die Verletzung sein. 3 6 3 Ein Antrag der Beklagten auf E n t scheidung im summarischen Verfahren, weil ihre Warnung genau vor der eingetretenen Gefahr gewarnt habe und deshalb definitiv ausreichend gewesen sei, wurde abgelehnt. 3 6 4
Campos v. Firestone Tire & Rubber Co., 98 N.J. 198, 485 A.2d 305 (1984) S.311. Conti v. Ford Motor Co., 743 F.2d 195 (3rd Cir. 1984): „The evidence must be such as to support a reasonable inference, rather than a guess, that the existence of an adequate warning may have prevented the accident before the issue of causation may be submitted to the jury." (S. 198). 357 Madden, Products Liability, Bd. 1, § 10.7, S.405. Aus der Entscheidungspraxis statt vieler Wooderson v. Ortho Pharmaceutical Corp., 235 Kan. 387, 681 P.2d 1038, cert, denied, 469 U.S. 965, 105 S.Ct. 365, 83 L.Ed.2d 301 (1984). 358 Eine umgekehrte Vermutung zugunsten des beklagten Herstellers oder Verkäufers wird in Restatement (Second) of Torts, § 402A, comment j aufgestellt. Danach wird ebenfalls unterstellt, daß ordnungsgemäße Warnung befolgt worden wäre, und so dem Kläger die Beweislast dafür auferlegt, daß die Verletzung trotz der Warnung eingetreten wäre. Zu diesem Umkehrschluß s. Technical Chem. Co. v. Jacobs, 480 S.W.2d 602 (Tex. 1972). 359 Powell v. J. T. Posey Co., 766 F.2d 131 (3rd Cir. 1985). 360 Conti v. Ford Motor Co., 743 F.2d 195 (3rd Cir. 1984) 361 Campos v. Firestone Tire & Rubber Co., 98 N.J. 198, 485 A.2d 305 (1984). 362 Sanderson v. Upjohn Co., 578 F. Supp.338 (D. Mass. 1984). S. zu dieser Entscheidung Walsh/Klein, 41 Food Drug Cosm. L. J. 171 (1986) S. 175 Fn. 18. 363 Sanderson v. Upjohn Co., 578 F.Supp.338 (D. Mass. 1984) S.340. 364 Man könnte dieser Entscheidung mit dem Argument zustimmen, daß die Warnung vor der schwerwiegenderen Gefahr der Blindheit den Geschädigten eher zu ihrer Berücksichtigung veranlaßt hätte. 355 356
(Allgemeine)
II. Reparatur-,
Rücknahme-,
Produkthaftung
Austausch- und
77
Rückzahlungspflichten
Die Verletzung von ursprünglichen oder nachträglichen Warnpflichten gehört mittlerweile zu den am häufigsten in Produkthaftungsklagen vorgebrachten Anspruchsgrundlagen365, weil dafür der oft schwierige Nachweis eines Fabrikationsoder Konstruktionsfehlers nicht unbedingt erforderlich ist und insbesondere bei nachträglich erkannten Gefahren eben diese Kenntnis (oder das Kennenmüssen) des Risikos bereits ausreicht, um die Warnpflicht auszulösen. Über die Warnung hinausgehende Verpflichtungen bei nachträglich erkannten Fehlern (etwa zur Reparatur, zur Rücknahme, zum Austausch oder zur Rückzahlung des Kaufpreises) sind dagegen auf der Grundlage des common law weit weniger häufig geltend gemacht und von den Gerichten anerkannt worden. 366 Allerdings sind entsprechende Äußerungen der Gerichte auch nicht völlig unbekannt, so daß in der Literatur häufig recht unspezifiert referiert wird, daß es über die Warnpflichten hinausgehende zusätzliche Pflichten geben könne. 367 Hoechst zieht aus den Fällen zur Produktbeobachtungs- und Warnpflicht für nachträglich entdeckte Gefahren den Schluß: „Je größer die Gefährdung ist, die von einem fehlerhaften Produkt ausgeht und je weniger die Gefahr durch Instruktionen beseitigt werden kann, desto eher muß der Produzent bei Bekanntwerden von Serienfehlern eine Rückrufaktion starten." 368 In der Folge beschreibt er jedoch nicht die nach common law, sondern die durch die Sicherheitsgesetze auferlegten Rückrufpflichten und erwähnt nur noch in einer Fußnote „vereinzelte Urteile, die nach den Grundsätzen des Instruktionsfehlers eine eigenständige Rückrufverpflichtung des Herstellers bejahten." 369 Zu unterscheiden ist die hier zu behandelnde Frage, ob über Warn- und Hinweispflichten hinausgehende Pflichten eines Herstellers oder Verkäufers bestehen, von der oben behandelten Pflicht, auf nachträgliche Produktverbesserungen hinzuweisen. Diese in den dort angegebenen Entscheidungen anerkannte Verpflichtung impliziert nicht ohne weiteres die weitergehende Pflicht, das Produkt auch tatsächlich (kostenlos) nachzubessern.370 Allerdings liegt diesen EntscheiMadden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988); ders., Products Liability, Bd. 1, § 10.1, S.358. S. den Überblick bei Schulenberg, PHI 1989, 162, 164ff. 367 S. z.B. Phillips, Products Liability, S.233. „The post-sale duty may be greater than one of just warning." mit dem Hinweis auf zwei Entscheidungen. Madden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988). In seiner zweibändigen Darstellung des Produkthaftungsrechts geht auf diese Ansprüche gar nicht ein. Sein Kapitel über Rückrufpflichten behandelt allein solche nach dem Consumer Product Safety Act, dem UCC und einzelstaatlicher „lemon laws" zum Schutz von Gebrauchtwagenkäufern. Keeton/Owen//Montgomery/Green, S. 843: „Under some circumstances, there may be even a common-law duty to recall" mit Hinweis auf eine Entscheidung. 368 Hoechst, S.61. Er fährt dann fort: „Dabei bleibt es dem Unternehmen überlassen, ob [es] den weg des „silent" oder „public recall" wählt, entscheidend ist die Effizienz." Diese Aussage dürfte sich nach der oben beschriebenen Praxis der Sicherheitsbehörden wohl kaum halten lassen. 369 Hoechst, S. 62 Fn.352. 370 Gegen das Bestehen einer solchen Verpflichtung der Nachrüstung bei Fortschreiten der Technik Note, 33 Stan. L. Rev. 1087 (1981) S. 1087, unter anderem mit dem Beispiel, daß Auto365
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USA
düngen ausgesprochen oder unausgesprochen die Überzeugung zugrunde, daß Warnungen allein oft kein zuverlässiges Mittel der Gefahreindämmung sein können. Wenn das aber der Fall ist, dann muß die Pflicht des Herstellers, für eine möglichst gefahrlose Benutzung seiner Produkte zu sorgen, über die reine Warnpflicht hinausgehen.371 Meist bezieht man sich dabei aber auf die Pflicht, Konstruktionsänderungen für die Produktion nach Kenntniserlangung vom Fehler vorzunehmen, bzw. auf die Pflicht, für Schäden aufgrund eines solchen Versäumnisses zu haften. In einigen wenigen Entscheidungen wird jedoch nicht nur eine nachträgliche Warnpflicht anerkannt, sondern auch die Pflicht, fehlerhafte Produkte zu reparieren oder nachzurüsten bzw. auf die Reparatur oder Nachrüstung zu dringen.372 Eine genaue Analyse dieser Entscheidungen zeigt jedoch, daß es höchst problematisch ist, daraus eine allgemeine Rückrufpflicht des Herstellers oder Verkäufers nach common law bei nachträglich entdeckten Fehlern oder Fortschreiten des Standes der Technik abzuleiten.373 Im Fall Bell Helicopter Co. v. Bradshaw 3 7 4 ging es um Heckrotorblätter eines H u b schraubers, die zum Zeitpunkt des Verkaufs des Helikopters zwar dem Stand der Technik entsprachen, in späteren Modellen jedoch durch bessere ersetzt worden waren. Wäre der alte Hubschrauber zu diesem Zeitpunkt verkauft worden, hätte er im Hinblick auf den geltenden Stand der Technik als fehlerhaft angesehen werden müssen. Das Gericht warf dem Hersteller daraufhin vor, er habe seine Pflicht, den Austausch der Rotorblätter zu veranlassen bzw. darauf zu dringen vernachlässigt. Allerdings stellte es bei diesen Überlegungen mitentscheidend darauf ab, daß sich der Hubschrauber zwischenzeitlich im Eigentum einer ihrer Vertragswerkstätten befunden habe, bevor er an den Geschädigten weiterverkauft wurde. 3 7 5 Der Hubschrauber hatte sich also in der Kontrolle des Herstellers befunden und hätte in dieser Zeit leicht nachgerüstet werden können. 3 7 6 Später ergangene texanische Entscheidungen haben die Auferlegung einer Nachrüstungspflicht u.a. wegen der in diesen
hersteiler nach der Erfindung und allgemeinen Einführung des Airbag nicht verpflichtet seien, noch mit Sicherheitsgurten ausgestattete ältere Modelle nachzurüsten. 371 S. z.B. die weitgehende Formulierung in Sturm, Ruger & Co. v. Day, 594 P.2d 38 (Alaska 1979): „Where the most stringent warning does not protect the public, the defect itself must be eliminated if the manufacturer is to avoid liability." (S.44). 3 7 2 Bell Helicopter Co. v. Bradshaw, 594 S.W.2d 519 (Tex. Civ. App. 1979); Braniff Airways, Inc. v. Curtiss-Wright Corp., 411 F.2d 451 (2d Cir. 1969), cert, denied 396 U.S. 959, 90 S.Ct. 431, 24 L.Ed.2d 423 (1969) S. 453; Noel v. United Aircraft Corp., 342 F.2d 232 (3d Cir. 1964); Balido v. Improved Machines, Inc., 29 Cal. App. 3d 633, 104 Cal. Rptr. 890 (1973); Gracyalny v. Westinghouse Elec. Corp., 723 F.2d 1311 (7th Cir. 1983); Rekab, Inc. v. Frank Hrubetz & Co., Inc., 261 Md. 141,274 A.2d 107(1971) S. 110-112. Anders jedoch: Dion v. Ford Motor Co., 804 S.W.2d 302 (Tex. Ct. App. 1991). Kritisch zu den Auswirkungen solch weitgehender Rückrufpflichten V. Schwartz, 58 N. Y. U. L. Rev. 892 (1983) S.597ff. 373 So aber wohl Schulenberg, PHI 1989,162, 166f., der jedoch auch auf die noch zahlreichen verbliebenen Unklarheiten hinweist. 374 594 S. W. 2d 519 (Tex. Civ. App. 1979). 375 V. Schwanz, 58 N.Y.U. L. Rev. 892 (1983) S.898. 376 Kritisch zu diesen tatsächlichen Annahmen und den daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen Comment, 12 St. Mary's L. J. 494 (1980) S.514ff.
(Allgemeine)
Produkthaftung
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Fällen fehlenden Kontrollmöglichkeiten abgelehnt. 3 7 7 D e m Gericht der Entscheidung Bell Helicopter C o . v. B r a d s h a w w i r d außerdem vorgeworfen, seine Schlußfolgerungen ohne Stütze in der Rechtsprechung gezogen zu haben. 3 7 8 Die P r ä z e d e n z w i r k u n g der Entscheidung scheint deshalb zweifelhaft und allenfalls nur sehr begrenzt zu sein. In der Entscheidung Braniff A i r w a y s , Inc. v. Curtiss-Wright Corp. findet sich der Satz: „It is clear that after such a product has been sold and dangerous defects in design have come to the manufacturer's attention, the manufacturer has a d u t y either to remedy these or, if complete r e m e d y is not feasible, at least to give users adequate warnings and instructions concerning methods of minimizing the danger." 3 7 9 Die genaue Reichweite dieser Formulierung ist jedoch unklar. Fest scheint danach nur zu stehen, daß unter nicht völlig eruierbaren U m s t ä n d e n Pflichten des Herstellers zur Beseitigung der nachträglich entdeckten Gefahr bestehen, die über bloße Warnpflichten hinausgehen. 3 8 0 In dem Fall N o e l v. United Aircraft Corp. 3 8 1 ging es u m die H a f t u n g eines Herstellers von Flugzeugpropellern 3 8 2 gegenüber der Ehefrau eines tödlich verunglückten Flugzeugpassagiers. Das Gericht bejahte die Haftung, weil der Hersteller einen schuldhaft fehlerhaften Propeller verkauft habe, die Fluggesellschaft vor und nach dem Kauf schuldhaft nicht gewarnt habe und es schuldhaft versäumt hatte, der Fluggesellschaft eine verbesserte Version, die zwischenzeitlich für ein anderes Flugzeugmodell entwickelt w o r d e n war, z u r Verf ü g u n g zu stellen. 3 8 3 Offensichtlich w a r das Gericht der Ansicht, daß eine Warnung allein nicht ausgereicht hätte. Für die Auferlegung der weitergehenden Pflicht, die verbesserte Propellerversion z u r Verfügung zu stellen, w a r e n jedoch einige Besonderheiten dieses Falles verantwortlich. Z u m einen ging es anscheinend u m einen Konstruktionsfehler, der schon nach dem Stand der Technik z u m Zeitpunkt des Verkaufs vorlag. 3 8 4 Ferner hätte die Fluggesellschaft selbst bei einer Warnung keinen A n s p r u c h auf Ersatz der Kosten einer Nachrüstung gehabt, da dies nicht ersatzfähiger „economic loss" gewesen wäre. A u ß e r d e m
377 Syrie v. Knoll International, 748 F.2d 304 (5th Cir. 1984); Dion v. Ford Motor Co., 804 S.W.2d 302 (Tex. Ct. App. 1991). 378 Comment, 12 St. Mary's L. ]. 494 (1980) S. 522: „No authority is cited by the court, and none exists for the proposition that, once a manufacturer designs and markets an improved component for its new products, it then assumes a duty to complete the remedy by causing the substitution of the improved component in used products that are already on the market." 379 411 F.2d 451 (2d Cir. 1969), cert, denied 396 U.S. 959, 90 S.Ct. 431, 24 L.Ed.2d 423 (1969), S.453. 380 V. Schwartz, 58 N. Y. U. L. Rev. 892 (1983) S. 899f., der eine solche Ausweitung der Pflichten ablehnt, weil sie einer Feststellung eines Konstruktionsfehlers nach dem Stand der Technik zu einem Zeitpunkt nach dem Inverkehrbringen gleichkäme. Dies widerspreche der Beweisregel in Fed.R.Evid. 407, wonach nachträgliche Abhilfe- oder Verbesserungsmaßnahmen nicht als Beweis für das Vorliegen von Verschulden herangezogen werden können. Der rechtspolitische Grund dafür ist, daß diese negativen Beweiswirkungen von der Vornahme der Verbesserungsmaßnahmen abhalten könnten. 381 342 F.2d 232 (3d Cir. 1964). 382 Eine Besonderheit diese Falles ist auch, daß es um die Haftung eines Vorlieferanten, nicht die der Fluggesellschaft ging. 383 Note, 40 Tulane L. Rev. 436 (1966) S.436. 384 Noel V. United Aircraft Corp., 342 F.2d 232 (3d Cir. 1964), S. 242. Zum Zeitpunkt der Entscheidung vertrat eine verbreitete Meinung die Ansicht, daß ein fahrlässig verursachter Konstruktionsfehler eine absolute Verpflichtung zur Verhinderung von Schäden begründe und keine noch so große Sorgfalt, wenn sie nicht zur Verhinderung führe, die Haftung ausschließen könne. S. Note, 40 Tulane L. Rev. 436 (1966) S.442.
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war möglicherweise nur die Beklagte technisch in der Lage, einen verbesserten Propeller zu liefern, da sie einen Marktanteil von 90% hatte. Schließlich ging das Gericht anscheinend auch von dem Vorliegen einer ein besonderes Vertrauenverhältnis begründenden dauernden Geschäftsbeziehung zwischen dem Propellerhersteller und der Fluggesellschaft aus.385 Auch dieser Fall weist deshalb Umstände auf, die seine Verallgemeinerungsfähigkeit in Frage stellen. Zwei neuere Entscheidungen haben ebenfalls eine Verpflichtung des Herstellers festgestellt, mehr als nur Warnungen auszusprechen. In Balido v. Improved Machines 386 stellte das Gericht fest, daß eine Warnung und das Angebot, die notwendige Sicherheitseinrichtung gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen, dann nicht ausreichen könne, wenn vorhersehbar sei, daß der gewarnte Käufer, ein Arbeitgeber, der Aufforderung zur Anbringung von Sicherheitseinrichtungen nicht folgen werde, und ein Arbeitnehmer verletzt wurde. Auch hier ging es jedoch um eine Maschine mit einem ursprünglichen Konstruktionsfehler.387 In Gracyalny v. Westinghouse Elec. Corp. 388 schließlich stellte das Gericht nicht nur eine nachträgliche Pflicht fest, ein Ersatzteil für die Sicherheit zur Verfügung zu stellen, sondern auch beim Einbau zu helfen, wenn ein erhebliches Risiko eines nicht fachgemäßen und deshalb gefährlichen Einbaus bestand. In Lewy v. Remington Arms Co. 3 8 9 erlegte das Gericht der beklagten Waffenherstellerin Strafschadensersatz auf, weil sie nach internen Beratungen über zahlreiche Verbraucherbeschwerden von einem Rückruf abgesehen hatte, und dadurch „conscious disregard for the safety of others" gezeigt habe. Aber auch hier hatte der Hersteller Kenntnis vom Fehler der Waffe mindestens zwei Jahre bevor das Gewehr, das die infrage stehende Verletzung verursacht hatte, produziert worden war. Es lag also ein anfänglicher Konstruktionsfehler vor. Außerdem hatte Remington auf die Beschwerden hin jeweils einen Formbrief verschickt, in dem behauptet wurde, die Fehlfunktion sei bei Tests der Experten des Unternehmens nicht aufgetreten, so daß als Ursache nur eine Fehlbedienung durch den Benutzer infrage komme. 390 Versucht man eine Wertung der hier kurz referierten Entscheidungen, auf die sich Rückrufpflichten nach c o m m o n law gründen könnten, so drängt sich der Eindruck auf, daß sie sämtlich auf sehr spezielle Sachverhalte zugeschnitten sind. 391 Zum Teil betreffen sie nicht erst nachträglich erkennbare Fehler, sondern solche, die schon beim Inverkehrbringen vorhanden waren. In anderen Fällen war das fehlerhafte Produkt zeitweise unter der Kontrolle der beklagten Herstellerin gewesen und hätte bei dieser Gelegenheit nachgerüstet werden können; oder es bestand eine Sonderbeziehung zwischen Hersteller und Käufer. A u c h die vorhersehbare Mißachtung von Warnungen durch einen Arbeitgeber, welche unbeteiligte Dritte, nämlich die Arbeitnehmer, gefährdet, ist kein Standardsachverhalt. Schließlich sind die Gerichte in der Formulierung der konkreten Pflichten recht unpräzise und weisen auch deshalb kaum über den konkreten Sachverhalt hinaus. 385 386 387 388 389 390 391
Note, 40 Tulane L. Rev. 436 (1966) S.440. 29 Cal.App.3d 633, 104 Cal.Rptr. 890 (1973). Fisher/Powers, S.284, note 1. 7 2 3 F.2d 1311 (7th Cir. 1983). 8 36 F.2d 1104 (8th Cir. 1988). Ebd.,S.1106f. So auch Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, S. 155ff., 159f.
(.Allgemeine)
Produkthaftung
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Daneben stehen andere Entscheidungen, welche die Möglichkeit auf einzelstaatliches Produkthaftungsrecht gegründeter Rückrufansprüche klar ablehnen. Das Gewicht der meisten der hier genannten Entscheidungen als Präzedenzfälle zugunsten auf common law gegründeter Rückrufpflichten ist auch dadurch vermindert, daß sie in einer Zeit ergingen, als die zahlreichen oben beschriebenen Sicherheitsgesetze mit ihren ausgedehnten Rückrufkompetenzen für die entsprechenden Behörden noch nicht erlassen waren. Das gleiche gilt auch für eine der wenigen Literaturstimmen, die sich mit dem Umfang der Sorgfaltspflichten des Herstellers bei nachträglich erkannten Fehlern auseinander gesetzt haben. Noel hatte 1962 die durch Rechtsprechung nur schwach gestützte Ansicht geäußert: „It would seem that where a safety device can be easily attached and will remedy a real danger, there should be a duty to take reasonable steps to supply the safety device even to those to whom the product has already been sold. There is no doubt that such a duty exists when it develops that the original design is clearly defective." 392 Zur Zeit als diese vorsichtige Äußerung getan wurde, war die naheliegende Möglichkeit, in den von Noel angesprochenen Fällen eine über die Warnungen hinausgehenden Schutz bei „nachträglichen" Fehlern zu erlangen, die Ausdehnung der „negligence"-Haftung. Ein solches Schutzbedürfnis, das nur oder hauptsächlich durch solche zivilrechtlichen Pflichten befriedigt werden müßte, ist heute wegen der geänderten Gesetzeslage jedoch weit weniger gegeben als damals. Im übrigen nimmt Noel eine klare Pflicht zu Reparaturen, Nachrüstungen etc. nur bei ursprünglichen Konstruktionsfehlern an. Bei nachträglich entdeckten Fehlern oder Fortschritten im Stand der Technik formuliert er vorsichtiger (seems) und sieht eine solche Pflicht nur, wenn die zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen leicht anzubringen sind und eine wirkliche Gefahr beseitigen. Selbst diese Äußerung ist also weit davon entfernt, eine allgemeine Rückrufpflicht für Produkte zu fordern, die nachträglich als fehlerhaft erkannt werden oder nicht mehr dem laufenden Stand der Technik entsprechen. Insgesamt läßt sich deshalb wohl sagen, daß eine allgemeine, im common law begründete Rückrufpflicht für Produkte, die nach dem Inverkehrbringen als gefährlich fehlerhaft erkannt werden oder sich im Lichte neuen Standes der Technik als fehlerhaft darstellen, nicht gegeben ist. Für einzelne, eng abgegrenzte Sachverhalte, die aber kaum verallgemeinerungsfähig sein dürften, mag sich eine solche Pflicht ergeben.393 Ihre konkrete Ausgestaltung dürfte dann vom Einzelfall abhängen. Eine sichere Basis findet sich in der Rechtsprechung und Literatur allenfalls dann für über Warnpflichten hinausgehende Gefahrbeseitigungspflichten, wenn das Produkt schon zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens fehlerhaft war. Die geringe Zahl der Entscheidungen, die sich explizit mit diesen Problemen beNoel, 71 Yale L. J. 816 (1962) S. 826. Weitergehend Schulenberg, PHI 1989,162,166ff. Aber auch Roddy, PHI 1988,42, 45, die Rückrufverpflichtungen nach common law gänzlich ausschließt, geht in ihrer Ablehnung zu weit. 392
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faßt haben, deutet aber auch darauf hin, daß ein dringendes Schutzbedürfnis nicht besteht. 3 9 4 Anscheinend wird dieses durch die starke verwaltungsrechtlich geregelte R ü c k r u f - und Warntätigkeit der zahlreichen Sicherheitsbehörden in erheblichem M a ß e abgedeckt.
C. Rückrufansprüche im allgemeinen
Produkthaftungsrecht
I. Rückrufansprüche nach common law D i e obige Darstellung hat gezeigt, daß Rückrufpflichten der Hersteller oder Verkäufer fehlerhafter Produkte allenfalls dann eine breitere Grundlage im c o m m o n law finden, wenn es sich um Fehler handelt, die bereits beim Inverkehrbringen des Produktes vorhanden waren. Später entdeckte Fehler begründen nur in eng begrenzten Fallgestaltungen eine Rückrufpflicht der Reparatur oder N a c h r ü stung. Entsprechend diesem weitgehend negativen Ergebnis für deliktsrechtliche Rückrufpflichten finden sich auch keine Entscheidungen, die ausdrücklich einen Anspruch auf R ü c k r u f bejaht hätten. 3 9 5 A u c h in den zahlreicheren Verfahren w e gen Verletzung von Warnpflichten, sind mögliche durchsetzbare Ansprüche auf Warnungen nicht behandelt worden. 3 9 6 E s bleibt deshalb nur zu konstatieren, daß nach gegenwärtiger Rechtslage gültige Aussagen zu Rückrufansprüchen nach c o m m o n law nicht gemacht werden können. Dies wird bestätigt durch einen Blick auf die Entscheidungen, die sich zumindest ansatzweise mit dem P r o b l e m von deliktsrechtlichen Rückrufansprüchen auseinandergesetzt haben. I m Laufe der langen Geschichte des Kampfes u m Schadensersatz für Schäden durch Intrauterin-Pessare und ihrer Entfernung v o m Markt hat eine Frauenorganisation in einer Klage gegen einen der Hersteller versucht, diesen zu einem weltweiten R ü c k r u f zu zwingen. 3 9 7 D e r District C o u r t stellte jedoch fest, daß das P r o dukthaftungsrecht des Staates Massachusetts keinerlei Grundlage für die A n o r d nung einer weltweiten Rückrufaktion biete. 3 9 8 Kein Gericht der U S A habe bisher auf der Grundlage einzelstaatlichen Rechts einen R ü c k r u f angeordnet. D i e von der Klägerin zur Unterstützung ihres Anspruchs angeführten Entscheidungen So auch Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, S. 155 ff., 160. S. jedoch unten C H I die Unterlassungsklagen gegen Unternehmen auf der Grundlage der Verletzung von Sicherheitsgesetzen. 396 Solche Ansprüche sind nicht von vornherein sinnlos, weil etwa eine Warnung nach Schadenseintritt zu spät käme und die Geltendmachung eines Anspruchs vorher bei mangelnder Kenntnis unmöglich, bei Kenntnis jedoch überflüssig wäre. Gedacht werden könnte jedoch an Ansprüche von Verbänden auf allgemeine Information und von einzelnen Verbrauchern mit bruchstückhafter Information auf vollständige Aufklärung. 397 S. National Women's Health Network, Inc. v. A. H. Robins Co., 545 F.Supp.1177 (D. Mass. 1982). 398 Gleichzeitig stellte es fest, daß der Federal Food, Drug and Cosmetic Act (21 U.S.C. §§301 ff.) weder ausdrücklich noch implizit Privaten eine solche Klagemöglichkeit einräume. (S. 1178 ff.). 394 395
(Allgemeine)
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Produkthaftung
bezögen sich allesamt auf Schadensersatzansprüche wegen Verletzungen der Warnpflicht und könnten nicht für die Anordnung einer viel weiter gehender Maßnahmen herangezogen werden. D a r ü b e r hinaus würde
einzelstaatliches
Recht, selbst wenn es eine Grundlage für eine Rückrufanordnung biete, durch das stärkere Bundesrecht im F D C A verdrängt. 399 Das Ergebnis der Entscheidung ist möglicherweise dadurch beeinflußt worden, daß die Frauenorganisation einen weltweiten R ü c k r u f beantragt hatte. Das Gericht weist auch auf die besonderen Schwierigkeiten hin, die sich ergäben, würde es einem solchen Antrag stattgeben. Es läßt jedoch andererseits an keiner Stelle durchblicken, daß es das Minus eines nationalen Rückrufs anzuordnen bereit gewesen wäre, so daß man davon ausgehen kann, daß die Reichweite des Rückrufs nicht entscheidungserheblich war. V o m Gericht in National Women's Health N e t w o r k , Inc v. A. H . R o b i n s C o . wird die einzige Entscheidung zitiert, in der im R a h m e n einer Gruppenklage (class action) die Anordnung eines Rückrufs infrage stand. 400 Das G e w i c h t dieser Entscheidung als Präjudiz sei jedoch nur sehr gering, da das kalifornische Berufungsgericht dort zwar die Ablehnung einer Gruppenklage auf Anordnung eines Rückrufs aufgehoben habe, dabei aber nur die Zulässigkeit der Gruppenklage als solche geprüft habe, nicht jedoch die der Anordnung eines Rückrufs. 4 0 1 D e r Vollständigkeit halber sei noch auf eine Entscheidung des District C o u r t of Kansas hingewiesen. 4 0 2 In dieser Entscheidung hatte der Richter die Festsetzung eines Strafschadensersatzes durch die J u r y in H ö h e von U S $ 10 Millionen auf U S $ 1,35 Millionen herabgesetzt, weil sich die Beklagte nachträglich zur D u r c h führung eines Rückrufs bzw. zur Aufgabe der Vermarktung ihrer Tampons bereiterklärt hatte. D i e Entscheidung ist heftig kritisiert 403 und in der nächsten Instanz aufgehoben worden, weil nachträgliches Verhalten bei der Auferlegung und der Bemessung von Strafschadensersatz nicht berücksichtigt werden dürfe. 404 Schließlich ist nach jüngsten Presseberichten eine große Rückrufaktion aufgrund eines in einer class action gegen die Hersteller von Silikon-Brustimplantaten vor dem U . S . District C o u r t in Birmingham, Alabama im Vergleichswege erstritten worden. D i e betroffenen Frauen - nicht nur aus den U S A , sondern weltweit - konnten sich bis zum 1 . 1 2 . 1 9 9 4 registrieren lassen. Sollte eine Frau innerhalb der nächsten 30 Jahre aufgrund der Implantate gesundheitliche Schäden erleiden, kann sie dann Schadensersatzansprüche gegen einen von den Herstellern eingerichteten F o n d s geltend machen. 4 0 5 D e r Verdacht der Gesundheitsgefährdung gegen die Silikonimplantate konnte zwar angeblich in der Zwischenzeit z.T. Ebd., S.1180f. Anthony v. General Motors Corp., 33 Cal.App.3d 699, 109 Cal.Rptr. 254 (1973). 401 National Women's Health Network, Inc v. A. H. Robins Co., 545 F.Supp. 1177 (D. Mass. 1982) S. 1181. 402 O'Gilvie v. International Playtex, Inc, 609 F.Supp. 817 (D.Kan. 1985). 403 Comment, 34 U. Kan. L. Rev. 823 (1986). 404 O'Gilvie v. International Playtex, Inc., 821 F.2d 1438 (10th Cir. 1987). 405 S. Süddeutsche Zeitung v. 16. Juni 1994, S. XXII; DER SPIEGEL, Nr. 26/1994,187f.; „Brigitte", Nr. 18 v. 24.8. 1994, 70; VPK Nr. 26 v. 28. Juni 1994, 6f. 399
400
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ausgeräumt werden, doch wollten es die Hersteller nach demselben Pressebericht nicht auf einen P r o z e ß ankommen lassen. 4 0 6
II. Zivilrechtliche
Durchsetzung
öffentlich-rechtlicher
Rückrufpflichten
D i e Möglichkeit einer Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Rückrufpflichten aufgrund der zahlreichen Produktsicherheitsgesetze durch Private in Zivilverfahren könnte ebenfalls als das Bestehen eines Rückrufanspruchs interpretiert werden. F ü r solche Klagen sind zwei Wege denkbar.
1. Klage gegen
Unternehmen
D i e Durchsetzung von Rückrufen, die nach den Vorschriften der verschiedenen Produktsicherheitsgesetze durchgeführt werden müßten, könnte zunächst durch eine Klage gegen die betroffenen U n t e r n e h m e n erfolgen. Eine solche Klagemöglichkeit zur Durchsetzung von Sicherheitsregeln oder Anordnungen der C P S C wird ausdrücklich jeder interessierten Person durch den C o n s u m e r P r o duct Safety A c t eingeräumt. 4 0 7 Wie oben dargestellt, haben Privatpersonen mit wechselndem Erfolg versucht, sich auf die Vernachlässigung der gesetzlichen Berichtspflichten der U n t e r n e h men über bekanntgewordene Mängel ihrer Produkte zu stützen. Klagen gegen Unternehmen, welche die Einhaltung bzw. Durchsetzung von Sicherheitsstandards und damit letztlich auch den R ü c k r u f der diesen Standards nicht entsprechenden Produkte angestrebt haben, sind dagegen kaum bekannt. D e r einzige eruierbare Fall ist Plaskolite, Inc. v. Baxt Industries, Inc. 4 0 8 . E r endete mit der A b weisung, da die Klägerin nicht als „interested person" im Sinne des Gesetzes angesehen wurde. Z w e c k des Gesetzes sei der Schutz der Verbraucher, die Klägerin aber habe nur ihre Wettbewerbsposition absichern wollen. D i e Bedeutung von 21 U . S . C . § 2073 wird auch dadurch verringert, daß die Vorschrift nach ihrem W o r t laut nur als Ersatz der Durchsetzungsmöglichkeiten der C P S C gedacht ist, nicht jedoch als kumulative Möglichkeit. 4 0 9
2. Klage gegen
Behörden
Untätigkeitsklagen gegen Behörden wegen der Nichtanordnung von R ü c k r u fen bzw. der Nichtdurchsetzung ihrer eigenen Vorschriften sind ebenfalls von S. D E R SPIEGEL, Nr. 26/1994, 187, 188. 1 5 U.S.C. §2073. 4 0 8 4 86 F.Supp.213 (N.D. Ga. 1980) 409 Note, 70 Minn. L. Rev. 955 (1986) S.958, unter Hinweis auf die Formulierung : „No seperate suit shall be brought under this section if at the time the suit is brought the same alleged violation is the subject of a pending civil or criminal action by the United States under this chapter." 406
407
Rückruferfahrungen
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wenig Erfolg gekrönt gewesen. D i e Gerichte sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, die Sachentscheidungen der Behörden zu überprüfen und als eventuell nicht ausreichend zu qualifizieren. So sind Klagen gegen den Abschluß von Vergleichen zwischen den Sicherheitsbehörden und Herstellern abgewiesen w o r den. 4 1 0 Diese Haltung der Gerichte ist durch den U . S . Supreme C o u r t bestätigt worden, der 1985 feststellte, daß es eine allgemeine Vermutung zugunsten der Nicht-Uberprüfbarkeit
von
Verwaltungsentscheidungen
gebe,
Vorschriften
nicht durchzusetzen. 4 1 1 D e r Sachverhalt dieser Entscheidung ist wegen seiner Ungewöhnlichkeit mitteilenswert. Es ging um die Vollstreckung der Todesstrafe durch Injektion. D i e Vorschriften der F D A gestatten es ihr, gegen die Verwendung eines ansonsten zugelassenen Arzneimittels oder Impfstoffes vorzugehen, wenn es in einer Dosis verwendet wird, die nicht einem sicheren und wirksamen Einsatz des Mittels entspricht. D e r Todeskandidat hatte vor dem Berufungsgericht des District of C o lumbia eine Anordnung erreicht, welche die F D A gezwungen hätte, gegen die tödliche Injektion vorzugehen. D e r daraufhin angegangene U . S . Supreme C o u r t verneinte das R e c h t von Privaten, die Behörde zu konkreten Durchsetzungsmaßnahmen zu zwingen. T r o t z des ungewöhnlichen Sachverhalts sind die Rechtsausführungen des G e richts auf andere Fälle von Untätigkeitsklagen gegen Sicherheitsbehörden übertragbar. D i e Erzwingung eines Rückrufs durch Privatpersonen im Wege der Klage auf Anordnung eines solchen durch die zuständige Behörde ist somit eher unwahrscheinlich. Während also Instruktions- und Warnpflichten im c o m m o n law der U S A fest etabliert sind, ist die Durchsetzung weitergehender Rückrufpflichten zu Reparatur, Nachrüstung, Austausch oder Kaufpreisrückzahlung im wesentlichen den Sicherheitsbehörden überantwortet.
4. Kapitel
Erfahrungen mit Rückrufen in den USA A. Rückruf Organisation US-amerikanischer
Unternehmen
N i c h t nur in der rechtswissenschaftlichen, sondern auch in der betriebswirtschaftlichen Literatur besteht Einigkeit darüber, daß unter den soeben beschriebenen Umständen nahezu jeder Hersteller darauf vorbereitet sein muß, seine Produkte kurzfristig v o m Markt zurückzurufen, und daß deshalb die entsprechenden organisatorischen Vorkehrungen getroffen sein müssen. 4 1 2 D i e Zwangsläufigkeit von Rückrufen solle jedoch nicht bloß als Bedrohung sondern auch als S. Center for Auto Safety, Inc. v. Lewis, 685 F.2d 656 (D.C. Cir. 1982). Heckler v. Chaney, 105 S.Ct. 1649 (1985). 412 S. statt vieler Fisk/Chadran, Harv. Bus. Rev. 90 (Nov.-Dec. 1975); Jackson/Morgan, Pubi. Policy & Marketing 152 (1988). 410
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Chance zur Verbesserung der Unternehmensposition gesehen werden. 413 Neben der Möglichkeit, den Kunden durch eine rasche, effiziente Lösung des Sicherheitsproblems zu beeindrucken, und der besseren Verteidigung gegen den Vorwurf eines Organisationsverschuldens im Produkthaftungsprozeß geht es auch darum, das eigene Vertriebssystem besser kennenzulernen und Mängel darin aufzudecken. Diesen möglichen positiven Aspekten steht jedoch gegenüber, daß Rückrufaktionen immer mit erheblichen Kosten und schwer kalkulierbaren Risiken verbunden sind. Zwar mag es dem Unternehmen gelingen, die Kunden oder eine Jury davon zu überzeugen, daß der Produktfehler nicht das Ergebnis fahrlässiger Konstruktion oder Produktion, sondern nach dem Stand der Technik unvermeidbar war und daß alles Menschenmögliche getan wurde, den Schaden nach der Entdeckung der Gefahr in Grenzen zu halten, doch kann nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden, daß diese Überzeugung auch tatsächlich vermittelt werden wird. Eine Unternehmensstrategie, die auf die Verringerung des Risikos aufgrund des Rückrufs fehlerhafter Produkte abzielt, muß deshalb bei der Prävention von Rückrufen beginnen, d.h. bei der Fehlervermeidung. Dabei steht das Unternehmen jedoch vor einem gewissen Dilemma:414 Zwar sind die Kosten, die zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen im Produktionsprozeß, zusätzliche Tests vor der Markteinführung, Studien über die zukünftigen Benutzungsbedingungen sowie über mögliche Fehlgebräuche und Mißbräuche verursachen, relativ gut einzuschätzen; dies gilt jedoch für die daraus sich ergebenden Kosteneinsparungen bei Rückrufkosten, Schadensersatzzahlungen, Vermeidung von Umsatzrückgängen etc. nicht, weil die Fehler, die vermieden werden können, samt ihren ebenfalls vermiedenen Auswirkungen kaum vorhersagbar sind. Eine Kosten-Nutzen-Analyse von Vorbeugemaßnahmen zur Entwicklung einer optimalen Unternehmensstrategie wird dadurch erheblich erschwert und könnte bei einer Unterbewertung der unbekannten Risiken fehlerhafter Produkte (und damit auch der Vorteile von Vorbeugemaßnahmen) gegenüber den feststehenden Kosten zusätzlicher Vorsichtsmaßnahmen zu suboptimalen Investitionen in diesem Bereich führen. Die empfohlenen Vorkehrungen für eine effiziente Rückruforganisation liegen einmal als präventive Maßnahmen im Konstruktions- und Produktionsbereich, d.h. insbesondere in der Qualitätskontrolle, andererseits in der Schaffung der Voraussetzungen für eine effektive Produktbeobachtung zur frühzeitigen Erkennung bislang unentdeckt gebliebener Fehler und für die schnelle und wirksame Beseitigung dieser Fehler durch Warnung, Reparatur, Austausch oder Rückkauf. Im präventiven Bereich geht es um Qualitätssicherung in allen Stufen des Entwicklungs- und Produktionsprozesses von der Ingenieurleistung bei der Erarbeitung erster Konstruktionsskizzen über die Auswahl und Beschaffung von Materialien und Vorprodukten, die Organisation der Fertigung, die Endkontrolle der fertigen Produkte, die Wahl der Absatzwege und -partner unter dem Gesichts413 414
Fisk/Chadran, Harv. Bus. Rev. 90 (Nov.-Dec. 1975) S.91. Jackson/Morgan, 7 J. Pubi. Policy & Marketing 152 (1988) S. 157f.
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punkt einer umfassenden Beratung und Information der Kunden bis zur Berücksichtigung von Erfahrungen der Verkäufer und Benutzer bei der ständigen Verbesserung der Produkte und Verfahren. Mögliche Fehler und Gefahrenquellen sollen dabei so früh wie möglich erkannt werden, da notwendige Änderungen noch vor der Markteinführung erheblich weniger Kosten verursachen als danach. Es wird außerdem darauf hingewiesen, daß die Vermeidung eines Rückrufs durch rechtzeitige Fehlerbeseitigung auch die Gefahr ausschließt, daß Rückrufaktionen und nachträgliche Konstruktionsänderungen in Produkthaftungsprozessen als Zugeständnis eines Fehlers angesehen werden. 415 Empfohlen wird deshalb insbesondere, bei Markttests vor der allgemeinen Markteinführung auch Sicherheitsaspekte wie mögliche Mißbräuche und Verständlichkeit und Vollständigkeit der Gebrauchsanweisungen zu berücksichtigen und aktiv sicherheitsrelevante Informationen von Händlern, Vertretern, Mittelspersonen wie Ärzten und auch den Verbrauchern durch regelmäßige Kontakte, Befragungen, Beschwerdeabteilungen etc. zu suchen. Die Wirksamkeit eines Rückrufs hängt u.a. davon ab, daß die fehlerhaften Produkte möglichst genau identifiziert und lokalisiert werden können. Dem ersteren Zweck dienen genaue Aufzeichnungen über den Einsatz von Rohstoffen und Vorprodukten und deren Zuordnung zu bestimmten Produktionslosen sowie die Kennzeichnung solcher Lose nach Herstellungsort, -art, -Zeitpunkt etc. Dadurch kann beim späteren Auftreten eines Fehlers die Zahl der betroffenen Produkte eingegrenzt und die Quelle des Fehlers genauer bestimmt werden. Der Rückruf und andere Gefahrbeseitigungsmaßnahmen können dann umso gezielter erfolgen. Zu diesem Zweck soll auch angestrebt werden, daß die einzelnen Produkte oder Lose auf ihrem Weg durch die Absatzkette bis zum Verbraucher genau verfolgt werden können. Dabei soll sich der Hersteller der Kooperation der Mitglieder der Absatzkette versichern, die durch genaue Lager- und Verkaufslisten, Adressenkarteien von Kunden etc. ein gezieltes Ansprechen der wirklich betroffenen Kunden ermöglichen. 416 Ohne solche Maßnahmen müssen möglicherweise ganze Serien zurückgerufen werden, obwohl nur wenige Produkte tatsächlich betroffen sind. Dies führt nicht nur zu erhöhten Kosten und hohen Streuverlusten zulasten der Effektivität des Rückrufs sondern auch zu einer unnötigen Verunsicherung breiter Kundenkreise. Ist z.B. der Fehler auf bestimmte, innerhalb einer bekannten Frist und an einer bekannten Herstellungsstätte produzierte Autos beschränkt, so läßt sich mit Hilfe eines sinnvollen Systems von Produktionsnummern und der Adressenkartei der Händler bzw. der Zulassungsstellen scharf abgegrenzt der tatsächlich gefährdete Personenkreis direkt ansprechen. Ohne solche Maßnahmen und private oder staatliche Register müßten möglicherweise alle Besitzer eines bestimmten, seit Jahren produzierten Produktes über die Massenmedien informiert werden. Nicht nur dürfte die Wirksamkeit solcher Warnungen gegenüber direkten Kontakten erheblich geringer sein, sie erlangen auch einen 415 416
Ebd., S. 158. Ebd., S.158f.
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unerwünscht hohen Publizitätsgrad mit schwer abschätzbaren Folgen für die R e putation des Produktes und des Herstellers. Aus unternehmenspolitischer - aber auch aus allgemein sicherheitspolitischer - Sicht ist somit die Möglichkeit der Identifikation und der Lokalisierung der fehlerbehafteten Produkte von überragender Bedeutung. 4 1 7 F ü r die Durchführung des Rückrufs selbst ist entscheidend, daß er schnell erfolgt und daß die betroffenen Personenkreise erreicht und in wirksamer Weise über die Gefahren und ihre Beseitigungsmöglichkeiten informiert werden. E s soll deshalb eine interne Organisationsstruktur geschaffen werden, die Entscheidungsbefugnisse für die Produktsicherheit und die Durchführung eines Rückrufs eindeutig zuweist, für einen ungestörten und schnellen Fluß sicherheitsrelevanter Informationen sorgt, die einzelnen Verfahrenschritte eines Rückrufs definiert, zuordnet und -soweit möglich - vorausplant, unverzügliche und umfassende I n formation der Betroffenen sicherstellt und für die logistischen Probleme der G e fahrbeseitigungsmaßnahmen (Zurverfügungstellung ausreichender Reparaturkapazitäten und Austauschprodukte) Lösungen bereithält. So klar, umfassend und einleuchtend diese theoretischen Überlegungen zu einer optimalen organisatorischen Bewältigung der Probleme von Produktfehlern und Rückrufen sind 4 1 8 , so mangelhaft ist ihre U m s e t z u n g in die unternehmerische Praxis. Dies ist jedenfalls das Ergebnis einer eingehenden Unternehmensbefragung 4 1 9 , die E n d e der 80er Jahre von einer Unternehmensberatung durchgeführt wurde. U m die Fähigkeit der befragten Unternehmen, mit Produkthaftungsrisiken effektiv umzugehen, eruieren zu können, wurden vier Kategorien der „ R ü c k rufbereitschaft" gebildet, bei deren erster nur geringe und relativ unsystematische organisatorische Voraussetzungen vorhanden waren und in deren vierter die dargestellten Managementfunktionen weitgehend umgesetzt waren. D i e Auswertung der Befragung der 529 Unternehmen ergab, daß die höchsten Anforderungen der Kategorie I V nur von einem einzigen U n t e r n e h m e n erfüllt wurden, während 272 ( 5 1 % ) in die am schlechtesten vorbereitete Kategorie I und 233 ( 4 4 % ) in die Kategorie II fielen. 9 5 % der U n t e r n e h m e n waren somit auf Probleme der Produktsicherheit und die Durchführung eines R ü c k r u f nur unzureichend vorbereitet, obwohl ca. 2 5 % bereits Erfahrungen mit Rückrufen gemacht hatten. U n t e r n e h m e n der Lebensmittel-, Arzneimittel- und Automobilindustrie waren stärker in den höheren Kategorien vertreten, was möglicherweise mit den bereits Jahrzehnte zurückreichenden Erfahrung mit Rückrufen in diesen Branchen zu erklären ist. Von den U n t e r n e h m e n mit Rückruferfahrung hatten 2 0 % das fehlerhafte P r o dukt repariert und seine Konstruktion überarbeitet; soweit eine Reparatur nicht sinnvoll war, war die alternative Maßnahme, welche von 3 7 % dieser U n t e r n e h Fisk/Chadran, Harv. Bus. Rev. 90 (Nov.-Dec. 1975) S.92ff. S. für ähnliche Empfehlungen aus der Sicht eines deutschen Automobilherstellers H. Ulmer, PHI 1992, 188. 419 Harrington/Kamlet, in: Product Liability 1989, S.3f.; ähnlich die „Guidelines for Recall" bei Fisk/Chadran, Harv. Bus. Rev. 90 (Nov.-Dec. 1975) S.94f. 417
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men vorgenommen wurde, der Austausch des fehlerhaften Produktes gegen ein mangelfreies. Dabei wurde z.T. dem Austausch trotz der höheren Kosten gegenüber der Reparatur der Vorzug gegeben, da er schneller und einfacher durchzuführen ist, weil Reparaturen oft genaue Anweisungen an die Werkstätten, komplizierte Kostenabrechnungen und erheblichen Kontrollaufwand erfordern. Die Ergebnisse der soeben dargestellten Unternehmensbefragung werden durch eine andere, weniger umfassende und weniger repräsentative deutsche U n tersuchung tendenziell bestätigt. 420 Dabei handelt es sich um eine Befragung von 13 aus dem Kreis der 100 größten US-amerikanischen Unternehmen, die u.a. danach ausgewählt wurden, ob bei ihnen eine besonders große Erfahrung mit Produkthaftungsfragen vermutet werden konnte. 421 Die befragten Unternehmen gaben an, daß sie auf gesteigerte Produkthaftungsrisiken am ehesten durch größere Sorgfalt bei der Formulierung ihrer Produktaussagen und der Abfassung von Warnhinweisen (unter verstärkter Einschaltung der Rechtsabteilung) reagiert hatten. Maßnahmen zur Erhöhung der Produktsicherheit wurden durch die haftungsrechtliche Situation kaum beeinflußt. Auch die Streichung von Produkten aus dem Sortiment wegen des Produkthaftungsrisikos spielte keine große Rolle. Im organisatorischen Bereich hatten die befragten Unternehmen zwar regelmäßig Stellen mit der Zuständigkeit für die Qualitätskontrolle etabliert, doch waren nur bei vier Unternehmen (außerhalb der Rechtsabteilungen) Organisationseinheiten geschaffen worden, die sich speziell mit Produkthaftungsaspekten beschäftigten. Auch wenn nicht speziell nach der „Rückrufbereitschaft" der Unternehmen gefragt worden war, läßt sich daraus doch ableiten, daß ihr wohl ebenfalls keine besondere organisatorische Bedeutung beigemessen wurde. Insgesamt drängt sich aufgrund dieser Studien der Eindruck auf, daß die Unternehmen in den U S A auf die besonderen Anforderungen, welche die erfolgreiche Durchführung eines Rückrufs stellt, nur in sehr beschränktem Umfang vorbereitet sind. Die Regel dürften ad hoc gefällte Entscheidungen und wenig vorausgeplante Maßnahmen sein. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf den Erfolg der Rückrufaktionen bleiben, da damit gerecht gerechnet werden muß, daß Betroffene gar nicht erreicht oder in einer Weise angesprochen werden, welche ihre Kooperationsbereitschaft nur unvollkommen weckt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Einbindung der Sicherheitsbehörden, bei denen sich im Laufe der Zeit erhebliches Erfahrungswissen über die Durchführung von Rückrufen angesammelt hat, in die Durchführung der von den Unternehmen selbst initiierten oder von den Behörden angeregten Rückruf- und Warnaktionen begrüßenswert. Dies gilt auch für den Erlaß von detaillierten Rückrufrichtlinien, welche den UnV: Werder,ZiB Bd. 58, 1988, 1010. Der geringe Umfang der Stichprobe und ihre Zusammensetzung verhindern zwar, daß die Ergebnisse als repräsentativ angesehen werden können, doch lassen sich gewisse Schlüsse auf die Bewältigung von Produkthaftungsrisiken in US-amerikanischen Unternehmen ziehen, da wohl davon ausgegangen werden kann, daß die organisatorischen Vorkehrungen in kleineren Unternehmen mit geringer Produkthaftungserfahrung kaum umfassender sein werden als bei den Teilnehmern an der Befragung. 420
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ternehmen Anhaltspunkte für die erforderlichen Voraussetzungen erfolgreicher Aktionen geben.
B. Reaktionen der Verbraucher auf
Rückrufe
I. Rücklaufquoten und ihre Bewertung In der zitierten Umfrage unter 529 US-amerikanischen Unternehmen über ihre organisatorische Bereitschaft für zukünftige Rückrufmaßnahmen war von ihnen als die schwierigste Aufgabe angegeben worden, den Verbraucher zur Kooperation zu bewegen. 422 Schaut man sich die Zahlen zum Erfolg der staatlich administrierten freiwilligen oder angeordneten Rückrufe an, kann man dieser Einschätzung nur zustimmen. Der Erfolg einer Rückrufaktion ist schließlich nicht an der Zahl der zurückgerufenen Produkte zu messen, die in der Tat beeindruckend ist, sondern an der Zahl der Produkte, deren Defekte aufgrund der Aktion auch wirklich behoben oder die aus dem Verkehr gezogen wurden. Hier zeigt sich eine ganz erhebliche Bandbreite. In der Automobilindustrie fanden sich z.B. Erfolgsquoten von 8 0 % oder gar 9 0 % , gleichzeitig aber auch solche von unter 50%. 4 2 3 1992 berichtete die N H T S A , daß die Rücklaufquote bei 11 von 16 Rückrufen für Autokindersitze unter zehn Prozent lag. 424 Bei der C P S C standen 7 5 % beim Rückruf von Fernsehgeräten durchschnittlich 1 2 % bei anderen Elektro- und kleinen Haushaltsgeräten gegenüber. Das Versandhaus Sears, Roebuck Sc Co. kam trotz drei Rückrufaufrufen innerhalb von drei Jahren für einen bestimmten Typ von elektrischen Heizöfen nur auf eine Erfolgsquote von etwas über 2 % . 4 2 5 Eine auf den Bundesstaat Hawaii beschränkte Untersuchung der Verbraucherreaktionen auf Rückrufe von Arznei- und Lebensmitteln ergab, daß ein Drittel bis die Hälfte die zurückgerufenen Produkte weiterbenutzt hatte. 426 Rückrufe im Bereich der C P S C 4 2 7 sind im allgemeinen weniger erfolgreich als solche der N H T S A . Aber auch dort waren sie Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, welche eine sinkende Erfolgsquote von ca. 7 5 % auf nur noch 5 0 % 4 2 8 sahen, wenig zufriedenstellend, wenn man sich die Zahl der Automobile Harrington/Kamlet, in: Product Liability 1989. Nach Angaben von v. Hülsen, R I W 1983,633,640 beträgt die Erfolgsquote bei Rückrufen der Automobilindustrie in Deutschland bis zu 9 0 % . 424 Hoffer/Pruitt/Reilly, 28 J. Cons. Äff. 96 (1994) S. 105. 4 2 5 The „Failure" of Product Recalls, 46 Consumer Reports 45 (Januar 1981), S.45 (ohne Autor). 426 Keown, 11 J. Cons. Policy 209 (1988). 4 2 7 S. dazu auch Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, 155ff., 192ff. 4 2 8 S. Angaben bei T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.406, Fn. 27 unter Berufung auf Zahlen des General Accounting Office (GAO). Eine andere Analyse von 298 Rückrufaktionen durch das G A O kam sogar auf nur 34% Rücklaufquote im Durchschnitt, U.S. Comptroller General, The Auto Safety Program, S. 5. Allerdings wurden diese Zahlen nach Angaben des G A O durch die schwachen Rücklaufzahlen bei drei Aktionen mit jeweils Fahrzeugzahlen von 2,9 Millionen bis 6,8 Millionen verzerrt. 422
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abrangen
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vor Augen hält, die sich immer noch mit gefährlichen Defekten auf den Straßen befanden. Beide Behörden haben in dieser Zeit deshalb Studien unternommen, welche die Gründe für den mäßigen Erfolg und Möglichkeiten einer besseren Durchsetzung der Rückrufmaßnahmen eruieren sollten. 429 Zu berücksichtigen ist bei der Bewertung der oben genannten Zahlen zunächst, daß die Art ihrer Berechnung möglicherweise zu einer systematischen Unterschätzung der Rücklaufquote führt. So stellten sowohl die N H T S A als auch die C P S C die Zahl der von den Verbrauchern zur Reparatur oder zum Ersatz zurückgebrachten Produkte der Zahl der hergestellten und zurückgerufenen Produkte gegenüber. 430 Dabei wird insbesondere bei erst spät nach der Markteinführung der Produkte durchgeführten Rückrufen nicht berücksichtigt, daß viele Produkte bereits nicht mehr benutzt werden und deshalb auch keine Gefahr mehr darstellen. 431 Ferner bleibt dabei unbeachtet, daß die Verbraucher Fehler möglicherweise selbst beheben oder jedenfalls nicht im Rahmen der Rückrufaktion beheben lassen. 432 Insbesondere bei Rückrufen relativ neuer Automodelle ist außerdem zu beachten, daß sich ein nicht unerheblicher Anteil noch innerhalb des Vertriebssystems bei den Händlern befindet, wo unabhängig von der Verbraucherreaktion der Fehler beseitigt werden wird. 433 Es wird ferner angeführt, daß das Berichtssystem der Unternehmen über den Erfolg der Rückrufaktionen insbesondere im Bereich der C P S C höchst unvollständig sei, so daß nicht alle zurückgebrachten Produkte erfaßt würden. 434 Die Gefahr, welche von nichtbefolgten Rückrufen ausgeht, kann auch deshalb überschätzt werden, weil von Rückrufen auch Produkte erfaßt werden, welche keinen Defekt aufweisen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Fehlerquelle nach Produktionsort, Produktionszeit und tatsächlich betroffenen Produkten nicht exakt eingegrenzt werden kann. Aus Sicherheitsgründen müssen dann große Mengen von Produkten zurückgerufen werden, obwohl nur ein geringer Anteil davon wirklich defekt ist. 435 So wird von einer Rückrufaktion des Automobilher429 U. S. Comptroller General, The Auto Safety Program; Heisler/ Bernstein, 1980; Consumer Product Safety Commission, Recall Effectiveness Study No. 6 (May 1978); Consumer Product Safety Commission, Report of the Recall Effectiveness Task Force 3 (Aug. 25, 1980). 430 Tobin, 16 J . Cons. Aff. 278 (1982), S.293ff. 431 So berechnete die N H T S A für den Ford Pinto mit dem Stichtag 30. September 1980 eine Rücklauf quote von 51 % unter Zugrundelegung der insgesamt hergestellten Fahrzeuge. Die Firma Ford kam unter Berücksichtigung der tatsächlich registrierten Fahrzeuge dieser Marke jedoch auf 6 4 % . S. dazu The „Failure" of Product Recalls, 46 Consumer Reports 45 (Januar 1981) S.48 (ohne Autor). 432 Nach Heisler/Bernstein, Study to Determine Why Vehicle Owners Respond To or Ignore Recall Notifications, 1980, waren bei knapp 5 % der Autobesitzer, die dem Rückrufaufruf eines Herstellers gefolgt waren, nach eigenen Angaben der Defekt bereits vor dem Rückruf behoben worden (S. 14, Tab. 1), bei den Besitzern, die nach Herstellerunterlagen auf den Aufruf nicht reagiert hatten, hatten 2 1 % den Fehler angeblich dennoch reparieren lassen (S. 24, Tab. 6). 433 Hoffer/Pruitt/Reilly, 28 J. Cons. Aff. 96 (1994) S.99. 434 Tobin, 16 J . Cons. Aff. 278 (1982) S.295. 435 Der Anteil der tatsächlich fehlerhaften an den zurückgerufenen Produkten wurde für den Automobilbereich mit 2 0 % bis 3 5 % angegeben, Tamarkin, 122 Forbes 78 (July 10, 1978) S.78.
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stellers Toyota für über 74000 Autos berichtet, obwohl nur 75 davon einen defekten Heizungsschlauch aufwiesen. 436 Ferner können bestimmte Gefahren zwar abstrakt bestehen, im konkreten Fall jedoch ausgeschlossen sein. Das ist z.B. dann gegeben, wenn ein Auto mit defekten Kindersicherungen von einem kinderlosen Fahrer benutzt wird. Außerdem besteht nach Ansicht einiger Autoren die begründete Annahme, daß von den Behörden Rückrufaktionen aufgrund ihrer breiten und nicht klar umrissenen Fehlerdefinition auch für solche Produkte initiiert werden, welche nicht wirklich fehlerhaft sind. Manche Unternehmen setzten solchen Ansinnen keinen entschiedenen Widerstand entgegen, weil sie sich das Wohlwollen der Behörde nicht verscherzen wollten. 4 3 7 Selbst unter Berücksichtigung solcher systematischen Unterschätzung der Erfolgsquoten und Uberschätzung der Gefahr, die von den im Verkehr bleibenden fehlerhaften Produkten ausgeht, ist die durchschnittliche Rücklaufquote unter produktsicherheitspolitischen Aspekten zu gering, da das Gefahrenpotential nicht völlig eliminiert wird. Auch wenn dieser Idealzustand niemals erreicht werden kann, haben die oben erwähnten Studien zu den Gründen der Variation bei den Erfolgsquoten einige Problembereiche und damit auch Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt.
II. Gründe für geringe
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Die Probleme liegen auf zwei Ebenen, nämlich der Rückruforganisation und des Verbraucherverhaltens. Zum einen bereitet es offensichtlich Schwierigkeiten, die betroffenen Verbraucher zu erreichen und ihnen die von dem Produkt ausgehende Gefahr in einer Weise zu vermitteln, daß sie eine aufgeklärte Entscheidung treffen können. Ferner sind Servicestellen und Werkstätten manchmal schlecht auf die Durchführung des Rückrufs vorbereitet. Zum anderen besteht bei den Verbrauchern aus den verschiedensten Gründen eine gewisse Resistenz gegen der Befolgung von Rückrufaufrufen.
1. Mängel der Rückruforganisation Das Problem der Benachrichtigung der Verbraucher ist besonders ausgeprägt bei der C P S C . Hier handelt es sich meist um Produkte des täglichen Lebens, bei denen weder Händler noch Hersteller vollständige oder überhaupt Kundenkarteien führen. Außerdem handelt es sich bei den Herstellern öfter um kleine und mittlere oder um ausländische Unternehmen, die nicht über eine ausreichende betriebliche Infrastruktur für einen effektiven Rückruf verfügen. Die Verbraucher können dann nicht direkt angesprochen werden, was nach der Erfahrung der
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Tobin, 16 J. Cons. Äff. 278 (1982) S.296. Ebd., S.296 mit weiteren Nachweisen.
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C P S C eine niedrigere Rücklaufquote nach sich zieht 4 3 8 , sondern sie können nur über die Massenmedien mit entsprechenden Streuverlusten erreicht werden. D i e se Situation ist in der Automobilindustrie anders. N i c h t nur führen hier Hersteller, Händler und Werkstätten Kundenlisten, aus denen in der Regel die Erstkäufer ermittelt werden können, sondern es existiert auch ein staatliches Registriersystem, von dem die gegenwärtigen Besitzer erfaßt sind. D e n n o c h wirft auch bei der N H T S A die Benachrichtigung der betroffenen Autobesitzer Probleme auf. J e denfalls berichteten fast 8 % der befragten Kunden, die R ü c k r u f angeboten Folge geleistet hatten 4 3 9 , und fast 2 5 % derjenigen, die nicht an der A k t i o n teilgenommen hatten, daß sie keine Benachrichtigung erhalten hatten. 4 4 0 Dabei bleibt allerdings unklar, welche Rolle bei diesen Antworten Erinnerungslücken und bewußte oder unbewußte Falschdarstellungen zur nachträglichen Rechtfertigung der Nichtbeachtung des Rückrufs spielen. Die Umfrageergebnisse zeigen aber auch, daß selbst ein fast hundertprozentiger Benachrichtigungsgrad noch keine Garantie für die Kooperation der Verbraucher bietet. So haben im Fall des F o r d Pinto, der wegen fehlerhafter Tanks zurückgerufen wurde, fast 5 0 % auf den R ü c k r u f nicht reagiert; nur knapp ein Prozent gab jedoch an, sie hätten die Reparatur wegen fehlender Benachrichtigung nicht vornehmen lassen. 441 Ein weiteres Problem bei den Benachrichtigungen ist deren Inhalt, Formulierung und Aufmachung. In einer Studie des General Accounting O f f i c e z u m Rückrufprogramm der N H T S A wird bemängelt, daß die Benachrichtigungen der U n t e r n e h m e n zu schwierig formuliert seien und die von dem Fehler ausgehenden Gefahren nicht eindrücklich genug darstellten, was zu Verständnisproblemen und einer Unterschätzung des Risikos führe. 4 4 2 Ein weiterer häufig genannter G r u n d für die Nichtbeseitigung des Fehlers weist ebenfalls auf Mängel in der Rückruforganisation durch die Unternehmen hin. So beklagten sich viele Verbraucher, daß die Werkstätten und Servicestellen wegen fehlender Ersatzteile, mangelnder K o m p e t e n z oder aus Zeitmangel den D e f e k t nicht oder nicht in angemessener Frist hätten beheben können. 4 4 3 7 % der Autobesitzer, die einem R ü c k r u f nicht gefolgt waren, gaben das Fehlen von E r satzteilen oder Schwierigkeiten, einen Termin zu vereinbaren, als G r u n d dafür an. Dieser Prozentsatz schwankte jedoch bei den einzelnen erfaßten Rückrufaktionen zwischen 0 % und 2 6 , 6 % . 4 4 4 Knapp 1 1 % der Autobesitzer, die das R ü c k r u fangebot wahrgenommen hatten, gaben an, daß sie dabei Schwierigkeiten bei der Consumer Product Safety Commission, Recall Effectiveness Study No. 6 (May 1978), S.3. Offensichtlich hatten sie von der Rückrufaktion auf andere Weise, etwa durch die Presse oder Mundpropaganda erfahren. 440 Heisler/Bernstein, S. 14, Tab. 1 und S.24, Tab. 6. 441 T. Schwanz!Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984). S.422. 442 General Accounting Office, Changes to the Motor Vehicle Recall Programs Could Reduce Potential Safety Hazards (1982), S. 16-24. 443 U.S. Comptroller General, The Auto Safety Program, S. lOf. Einige Autobesitzer wurden durch schlechte Werkstatterfahrungen dieser Art davon abgehalten, überhaupt zu versuchen, die Reparatur vornehmen zu lassen. 444 Heisler/Bernstein, S. 32. 438
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Durchführung erfahren hätten,445 die zumeist auf fehlende Ersatzteile und zu lange Bearbeitungszeiten zurückzuführen waren.446 2. Verbraucherverhalten
und seine
Bestimmungsgründe
Selbst die Verbraucher aber, die in angemessener Weise über den Fehler, das damit verbundene Risiko und die angebotenen Abhilfemöglichkeiten informiert wurden, machen davon in großer Zahl keinen Gebrauch. Einer der Gründe dafür ist die Einschätzung des Risikos als zu gering, um den Aufwand der Teilnahme an der Rückrufaktion zu lohnen. Beide Teile dieser Abwägung - Risikoeinschätzung und Höhe des Aufwands - spielen eine Rolle. Die meisten Rückrufe im Bereich der NHTSA oder CPSC betreffen keineswegs lebensbedrohende Produktgefahren mit einer hohen Verwirklichungswahrscheinlichkeit. 447 Nicht untypische Beispiele sind z.B. defekte Scheibenwischer bei Autos, die plötzlich den Dienst versagen können, oder Kaffeemaschinentöpfe, bei denen sich der Klebstoff für den Griff lösen kann, so daß es zu Verbrühungen kommen kann. In beiden Fällen war die Rücklaufquote gering. Sicherlich ist die Möglichkeit gegeben, daß die Scheibenwischer während eines Platzregens auf der Autobahn ausfallen und dadurch eine lebensgefährliche Bedrohung hervorrufen. Allerdings ist dieser Extremfall sehr unwahrscheinlich und allein diese entfernte Möglichkeit hat offensichtlich nicht ausgereicht, die Verbraucher zu einer Fahrt zur Werkstatt mit den dazugehörigen Unannehmlichkeiten zu veranlassen. Im Fall der Kaffeemaschinentöpfe, die innerhalb von 18 Jahren 18.5 Millionen mal verkauft worden waren und bei denen der Schaden in durchschnittlich 4 Fällen pro 10000 Töpfe eingetreten war, waren viele Töpfe zum Zeitpunkt des Rückrufs bereits nicht mehr in Gebrauch, viele Verbraucher gaben die Benutzung nach dem Erhalt des Rückrufangebots ohne Umtausch einfach auf und ebenfalls eine große Anzahl benutzten den Topf weiter, wenn auch unter größerer Vorsicht, da in ihren Augen das Angebot der Herstellerfirma zum Geldersatz oder zu preisreduzierter Wiederbeschaffung die mit der Wahrnehmung dieses Angebots einhergehende Mühe nicht lohnte.448 Die Umstände, die mit einer Reparatur, einem Austausch oder einer Kaufpreisrückzahlung verbunden sind, werden häufig als zu beschwerlich empfunden. Dies gilt insbesondere für Autobesitzer, die auf das Auto angewiesen sind oder für die Fahrt zur Werkstatt Urlaub nehmen müssen. Aber auch die Aufforderung an Besitzer eines möglicherweise Asbest enthaltenen Haartrockners, das Gerät zum nächsten Kundendienstzentrum zu bringen, wenn dieses über hundert Kilo445
Dies wird bestätigt durch eine regionale Verbraucherbefragung, bei der 12,5% angaben, Probleme bei der Fehlerbehebung durch den Händler gehabt zu haben; Harrison/Cooper/Reidenback, 13 Akron Bus. & Econ. Rev. 17 (Heft 2, 1982) S.20. 446 Heister/Bernstein, S.ilti. 447 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.423f. 448 The „Failure" of Product Recalls, 46 Consumer Reports 45 (Januar 1981) S.46f. (ohne Autor).
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meter entfernt ist, wurde als Zumutung und G r u n d für die Nichtbeachtung des Rückrufes empfunden. Gleiches gilt für die Mühe, Verpackungsmaterial für sperrige Haushaltsgegenstände zu finden und diese zur Post zu bringen, selbst wenn die Portokosten erstattet werden. 4 4 9 So einzelfallbezogen diese Äußerungen auch sind, sie zeigen doch, daß für die Kooperation der Verbraucher das Rückrufangebot allein oft nicht ausreichend ist. Diese Einschätzung wird bestätigt durch eine Befragung von Autobesitzern, die auf Rückrufe nicht reagiert haben. U b e r 2 2 % davon gaben an, dies sei geschehen, weil sie keine Zeit hatten, das Problem bei ihnen nicht aufgetreten war oder die Unannehmlichkeiten der Rückrufbefolgung zu groß gewesen seien. D a die Autoren der Studie davon ausgehen, daß andere der angegebenen G r ü n d e für die Nichtannahme des Rückrufangebotes wie Nichterhalt der Benachrichtigung vielfach nur Schutzbehauptungen gewesen sein könnten, lag dieser Prozentsatz wohl sogar n o c h höher. 4 5 0 I m Lichte dieser Erfahrungen sind Gefahrbeseitigungsmaßnahmen, die darin bestehen, dem Verbraucher Anweisungen für die Selbstreparatur zu geben und ihm Ersatzteile zu schicken, die er gegen die defekten selbst austauschen soll, und die deshalb eine noch höhere Kooperationsbereitschaft (und auch Fähigkeit zu der Reparatur) voraussetzen, besonders kritisch zu sehen. 4 5 1 I m Zusammenhang mit der Tatsache, daß R ü c k r u f e selbst wegen sehr entfernter Risiken und relativ geringer Gefahren für Leib und Leben durchgeführt werden, wird auch argumentiert, daß eine Überflutung der Verbraucher mit Rückrufangeboten zu einer Abstumpfung des Gefahrbewußtseins geführt haben könnte. 4 5 2 Diese „Immunisierung" gegen Warnhinweise dürfte n o c h verstärkt werden, wenn der Verbraucher sich der M ü h e unterzogen hat, das Produkt zur Werkstatt zu bringen, nur um dann zu hören, daß es den Fehler gar nicht aufweist, weil nur ein bestimmter Prozentsatz der zurückgerufenen Produkte defekt ist. 453 U n k l a r ist jedoch, welche Konsequenzen aus einem solchen Befund zu ziehen wären. Eine noch plakativere Darstellung der Risiken in den Rückrufbenachrichtigungen würde dann wohl nur kurzfristig wirken können und letztlich die Reaktionsschwelle der Verbraucher noch weiter heraufsetzen. Eine Beschränkung der Rückrufe auf die gravierendsten Fälle würde dagegen den Verbrauchern die kostenlose Reparatur- und Umtauschmöglichkeit in den übrigen Fällen entziehen und die sicherheitsfördernde Wirkung der Rückrufdrohung auf die Hersteller verringern. 4 5 4 Ebd., S. 46. HeisleHBernstein, S.24, Tab. 6, S.30ff. 451 S. für Beispiele solcher Aktionen Ramp, 44 Insurance Counsel J. 83, (1977) S. 88 Fn. 53. Gerade wegen der ungewissen Erfolgsaussichten warnt der Autor unter Hinweis auf die Entscheidung Bexiga v. Havir Mfg. Corp., 60 N.J. 402,290 A.2d 281 (1972) davor, daß die Gerichte solche Aktionen nicht als ausreichend ansehen könnten, um die Haftung auszuschließen. 452 So z.B. der damalige Commissioner der CPSC Zagoria, zitiertin: The „Failure" of Product Recalls, 46 Consumer Reports 45 (Januar 1981), S. 47, und Tobin, 16 J. Cons. Äff. 278 (1982), S. 298. 453 Zu den Auswirkungen solcher „Fehlalarme" auf die Bereitschaft zur Beachtung von Warnhinweisen s. Stewart/Martin, 13 J. Publ. Policy & Marketing 1 (Spring 1994) S. 7f. 454 T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.424; Tobin, 16 J. Cons. Äff. 278 (1982) S.298. 449 450
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Eine Untersuchung der C P S C ergab, daß der Erfolg einer Rückrufaktion im wesentlichen von den folgenden Umständen abhing: dem Produktpreis, der zu erwartenden Lebensdauer des Produktes, der Zahl der in Verkehr gelangten P r o dukte, dem Alter des Produktes, der Art der Beseitigungsmaßnahme (Reparatur oder Kaufpreisrückzahlung) und dem U m f a n g der unmittelbaren Benachrichtigung der Konsumenten. J e niedriger der Kaufpreis, je geringer die erwartete L e bensdauer des Produktes, je größer die Zahl der vertriebenen Produkte und je länger das J a h r der Markteinführung des Produktes zurückliegt, desto geringer sind die Aussichten für einen erfolgreichen Rückruf. 4 5 5 Positiv wirkt sich dagegen die unmittelbare Benachrichtigung der Konsumenten und die Vornahme von R e paraturen im Hause des Verbrauchers aus. 456 Uberraschenderweise spielte nach der Untersuchung der C P S C die Art und Schwere der drohenden Verletzung keine Rolle. Dieses Ergebnis aus dem Bereich der C P S C wird einerseits bestätigt durch eine Befragung von Autobesitzern im Auftrag der N H T S A . Danach konnten keine signifikanten Unterschiede in der Bewertung der Schwere des Fehlers, der zu dem R ü c k r u f führte, zwischen den Besitzern, die das Rückrufangebot annahmen, und denen, die es ausschlugen, festgestellt werden. Zu nahezu identischen Anteilen hatten sie den Fehler als sehr bedeutsam, bedeutsam oder nicht bedeutsam bezeichnet. D i e Hypothese, daß die angenommene Schwere des Fehlers eine Rolle bei der Entscheidung über die A n nahme des Rückrufangebotes spiele, konnte somit nicht bestätigt werden. 4 5 7 Anderen Berichten aus der Automobilindustrie zufolge kann jedoch bei besonders gefährlichen Defekten wie etwa am B r e m s - oder Lenkungssystem mit einer höheren Rücklaufquote gerechnet werden. 4 5 8 Dies wird durch die jüngste vorliegende Untersuchung bestätigt, wonach bei besonders gefährlichen D e f e k ten die Verbraucher in größerer Zahl von den Rückrufangeboten Gebrauch machen. 4 5 9 D i e empirischen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Rückrufen als Mittel zur Gefahrbeseitigung haben somit gezeigt, daß auch sie nur unvollkommene I n strumente sind. E s gelingt auch mit ihrer Hilfe in aller Regel nicht, gefährliche Produkte völlig aus dem Verkehr zu ziehen. D i e Erfolgsquote ist vielmehr - selbst 4 5 5 Die Erfahrung geringeren Erfolges von Rückrufen für ältere Produkte läßt sich zum einen mit einer größeren Fehlertoleranz der Besitzer solcher Produkte erklären, zum anderen aber auch mit der größeren Vertrautheit der Benutzer im Umgang mit den Produkten. Die Tatsache, daß sich der Fehler bisher nicht ausgewirkt hat, läßt die Wahrscheinlichkeit solcher Auswirkungen für die Zukunft geringer erscheinen. Dieses Verhalten deckt sich mit dem Ergebnis von Untersuchungen über die Wirkung von Warnhinweisen, die ebenfalls mit zunehmender Vertrautheit mit dem Produkt weniger wahrgenommen und beachtet werden. Stewart/Martin, 13 J. Publ. Policy & Marketing 1 (Spring 1994) S.6. 456 T. Schwartz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.442ff. 457 Heisler!Bernstein, S.44ff., Tab. 19. 458 S. dazu die Nachweise bei Ramp, 44 Insurance Counsel J. 83 (1977) S. 88, Fn. 57. 459 Hoffer/Pruitt/Reilly, 28 J. Cons. Äff. 96 (1994) S. 104. Die Autoren kamen ferner zu dem Ergebnis, daß die Rücklaufquoten für neue Autos höher sind als für alte und für Wagen einheimischer US-Produktion höher als für Importwagen.
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unter Berücksichtigung systematischer Unterschätzungen aufgrund der Berechnungsmethode - in vielen Fällen enttäuschend gering. Das liegt nicht nur an M ä n geln bei der Vorbereitung und Durchführung von Rückrufen, sondern auch am Desinteresse und fehlenden Risikobewußtsein der Verbraucher. Letzteres ist gerade bei Defekten, die auch Dritte gefährden, bedenklich. M a n könnte deshalb geneigt sein, der resignierten Äußerung eines amerikanischen Autors zuzustimmen, daß der gefährlichste „Bestandteil" eines Produktes der Verbraucher sei, es aber leider keine Möglichkeit gebe, diesen zurückzurufen. 4 6 0 Es wäre allerdings falsch, daraus auf die Uberflüssigkeit der Rückrufe als Mittel der Produktsicherungspolitik zu schließen. Z u m einen sind die Methoden, um den Konsumenten zu erreichen und aus seiner Reserve zu locken, noch erheblich verbesserungsfähig. So ist z . B . für A u t o s erwogen worden, die Zulassung von der Befolgung der Rückrufangebote abhängig zu machen. 4 6 1 Andere mögliche M a ß nahmen sind eine Klassifizierung der Rückrufe nach dem Grad der Gefährdung wie bei der F D A , welche dem Verbraucher die Einschätzung des Risikos erleichtert, oder bei besonders gefährlichen Fehlern zusätzliche Aufforderungen staatlicher Stellen, den Rückrufen Folge zu leisten. 462 Z u m anderen ist nicht nachgewiesen, daß andere Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahren, die von bereits in den Verkehr gelangten Produkten ausgehen, effektiver wären. 4 6 3 Insbesondere ist eine bloße Warnung der Konsumenten weniger wirksam, da sie einerseits auf die gleichen Schwierigkeiten der K o m m u n i k a t i o n und Uberzeugungswirkung stößt 4 6 4 , andererseits durch das Fehlen kostenloser Beseitigungsangebote noch weniger Anreize zur Beachtung bietet.
C. Auswirkungen von Rückrufen auf die Marktposition Einer der wesentlichen Gründe für die Unternehmen, R ü c k r u f e entweder gar nicht vorzunehmen oder so diskret wie möglich zu handhaben, ist die Befürchtung, daß nicht nur kurzfristig der Absatz des betroffenen Produktes zurückgehen könnte, sondern daß langfristige und kaum wiedergutzumachende Schäden am R u f des Unternehmens und seiner Produkte hervorgerufen werden. 4 6 5 Diese 460 McGuire, zitiert bei Guzzardi, Fortune, Apr. 9, 1979, 54, S. 60. Die Äußerung bezog sich dort allerdings auf die Tatsache, daß die Produktgefahren häufig nicht vom Produkt selbst ausgehen, sondern durch das Fehlverhalten der Verbraucher ausgelöst werden. Sie paßt allerdings auch hier. 461 Tobin, 16 J. Cons. Äff. 278 (1982) S.294 und Hoffer/Pruitt/Reilly, 28 J. Cons. Äff. 96 (1994) S. 105. 462 T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.424f. 463 Dies gilt nicht für Maßnahmen, welche die Sicherheit der Produkte vor dem Inverkehrbringen erhöhen. So kam zum Beispiel eine Studie zum Rückruf des Ford Pinto zu dem Ergebnis, daß eine rechtzeitige Konstruktionsänderung nach einer Kosten-Nutzen-Analyse günstiger gewesen wäre als der Rückruf, Dardis/Zent, 16 J. Cons. Äff. 261 (1982). 464 Stewart/Martin, 13 J. Publ. Policy & Marketing 1 (Spring 1994). 465 Kahan, 30 Admin. L. Rev. 289 (1978) S.309.
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Befürchtungen scheinen durch hin und wieder anzutreffende Berichte über erhebliche Umsatzrückgänge bei von Rückrufen betroffenen Produkten bestätigt zu werden. Allerdings können aus den kurzfristigen Reaktionen der Verbraucher auf einen Rückruf kaum Rückschlüsse auf langfristige Änderungen ihres Nachfrageverhaltens und ihrer Einschätzung der Hersteller gezogen werden. Den Befürchtungen langfristiger Nachteile für die Wettbewerbsposition eines Unternehmens stehen aber auch Einzelfallschilderungen entgegen, in denen ein offensiver und kulanter Umgang mit den Sicherheitsmängeln und ihrer Beseitigung im Rahmen eines Rückrufs nicht nur langfristige Schäden vermeiden half 466 , sondern als Mittel eingesetzt wurde, das Sicherheitsimage des Unternehmens zu verbessern. 467 Rückrufe haben jedoch nicht nur Auswirkungen auf den Absatz der konkret betroffenen Produkte und Modelle. Es wird vielmehr auch berichtet, daß Rückrufaktionen für bestimmte Produkte die Verbraucher so verunsicherten, daß sie auch gleichartige oder ähnliche Produkte anderer Hersteller mieden und auch dort erhebliche Absatzrückgänge verursachten, obwohl deren Produkte offensichtlich ungefährlich und nicht von dem Rückruf betroffen waren. 468 Solchen Beobachtungen von Überreaktionen der Konsumenten stehen jedoch andere Studien entgegen, die bei Rückrufen einzelner Automodelle wegen ernsthafter Sicherheitsmängel eine Zunahme der Nachfrage nach vergleichbaren Modellen der Konkurrenten feststellten. 469 Viele dieser - auch gegensätzlichen - Beobachtungen und Spekulationen können durchaus eine gewisse Plausibilität für sich beanspruchen; nur zu den Auswirkungen von Rückrufen auf das Nachfrageverhalten der Verbraucher in der Automobilindustrie sind jedoch auch mehrere systematische Studien bekannt. So wurde in einer Untersuchung festgestellt, daß sich für Rückrufaktionen für bestimmte Automodelle aus heimischer US-Produktion kein negativer Einfluß auf den Umsatz des Herstellers im folgenden Jahr feststellen ließ. 470 Eine weitere Studie, die den Absatz von Automobilen in den Jahren 1971 bis April 1973 erfaßte, kam zu dem Ergebnis, daß der Marktanteil der meisten zurückgerufenen Modelle von der Tatsache des Rückrufs nur unwesentlich beeinflußt wurde. Der Marktanteil hing danach vielmehr hauptsächlich vom Preis und seinem Verhältnis zu den Konkurrenzpreisen ab. Das Modell, dessen Absatz am stärksten auf den Rückruf reagiert hatte, hatte kurz hintereinander vier Rückrufe erfahren. Zwar hatten andere der untersuchten Modelle in der Untersuchungsperiode mehr Rückrufe aufzuweisen (sechs bzw. acht; der Durchschnitt war 4,3 Rückrufe), doch waren diese
4 6 6 S. dazu den Fall des Schmerzmittels Tylenol, bei dem durch Sabotageakte vergiftete Pakkungen sieben Menschen ums Leben kamen, geschildert; Frazza, in: Recalls, 39 Bus. Law. 757 (1984) S. 766ff. 4 6 7 How to Turn a Recall into a Sales Pitch, Business Week, Aug. 30,1976, S. 21, wo es um die Kaffeemaschinentöpfe der Firma Corning Glass ging. 468 Tobin, 16 J. Cons. Äff. 278 (1982) S.299. 469 Reilly/Hoffer, 21 Econ. Inquiry 444 (1983) S.446f. 470 Page/Wilson, in: Marketing: 1776-1976 and Beyond, S. 417-421.
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gleichmäßiger über die Zeit verteilt gewesen. 471 Warum die R ü c k r u f e den Absatz der betroffenen Modelle nur unwesentlich beeinflußten, ist eine offene Frage. Möglicherweise liegt es an der Tatsache, daß alle Konkurrenzmodelle ebenfalls Gegenstand von Rückrufaktionen waren, der Käufer deshalb bei jedem Modell mit Sicherheitsmängeln rechnen mußte und die Tatsache des Rückrufs somit kein erhebliches Entscheidungskriterium beim Kauf war. 472 Eine später vorgenommene Analyse der Absatzzahlen zurückgerufener A u t o modelle im Vergleich zu nicht zurückgerufenen, welche einen anderen Berechnungsansatz verwendet, k o m m t zu etwas anderen Ergebnissen. 4 7 3 Die Analyse bezog sich auf die Absatzzahlen und ihre Entwicklung in dem Monat, in welchem der R ü c k r u f publik gemacht wurde und betrachtete damit nur die (sehr) kurzfristigen Auswirkungen. Dabei stellte sich heraus, daß bei Rückrufen wegen ernster Sicherheitsprobleme am B r e m s - , Steuer- oder Tanksystem die Absatzentwicklung der zurückgerufenen Modelle signifikant von der nicht von Rückrufen betroffenen negativ abwich. 4 7 4 Bei Rückrufen wegen mittlerer oder geringfügiger Sicherheitsprobleme konnte ein solcher Effekt jedoch nicht nachgewiesen werden. Ebenfalls nicht feststellbar war ein negativer Effekt des Rückrufs eines M o dells auf den Absatz anderer Modelle desselben Herstellers. D e r R ü c k r u f eines Modells konnte somit das Vertrauen der Käufer in den Hersteller anscheinend nicht zerstören. Dagegen lösten R ü c k r u f e innerhalb bestimmter Wagenklassen negative Wirkungen auf die Absatzentwicklung (im Verhältnis zu der anderer Wagenklassen) auch bei den nicht zurückgerufenen Modelle dieser Wagenklasse aus. Konkurrenzmodelle konnten also nicht in signifikanter Weise von den R ü c k rufen profitieren, sondern wurden selbst in Mitleidenschaft gezogen, wohl weil die Verbraucher die den Rückrufen zugrundeliegenden Mängel der gesamten Klasse zurechneten. 4 7 5 Diese Ergebnisse wurden in einer später von zwei der früheren Autoren nach demselben Muster vorgenommenen Untersuchung zumindest zum Teil bestätigt. 476 A u c h hier war das Ergebnis, wenn auch mit etwas geringerer Deutlichkeit, daß Rückrufe das Absatzwachstum der zurückgerufenen Modelle gegenüber dem von vergleichbaren nicht zurückgerufenen negativ beeinflußten. Allerdings 471 Wynne/Hoffer, 8 Applied Econ. 157 (1976) S. 161ff.; Hoffer/Wynne, 9 J. Cons. Äff. 212 (1975) S.217. Nach Angaben der Autoren kam auch eine interne Studie eines der drei großen US-amerikanischen Autohersteller zu dem Ergebnis, daß Rückrufe den Absatz nur geringfügig beeinflussen. 472 Die Zahl der Rückrufe ist von Chrysler einmal zum Gegenstand vergleichender Werbung gemacht worden. T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984) S.417 Fn. 108. Allerdings wird über deren Erfolg nichts berichtet. 473 Crafton/Hoffer/Reilly, 19 Econ. Inquiry 694 (1981). 474 Ebd., S. 702. Durchschnittlich stieg der Absatz der zurückgerufenen Modelle um 7,1 Prozentpunkte weniger als der Absatz der nicht zurückgerufenen. Stieg also z.B. der Absatz der nicht zurückgerufenen Modelle in dem betreffenden Monat um 20%, wuchs der der zurückgerufenen in dieser Zeit nur um 12,9%. 475 Ebd., S. 702 f. 476 Reilly/Hoffer, 21 Econ. Inquiry 444 (1983).
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galt dies nur bei Rückrufen wegen schwerer Sicherheitsmängel, nicht jedoch bei mittleren oder geringfügigen. Abweichend von der früheren Studie konnte nunmehr bei Rückrufen wegen schwerwiegender Sicherheitsmängel eine positive Wirkung auf die Absatzentwicklung der nicht von Rückrufen betroffenen Konkurrenzmodelle derselben Klasse festgestellt werden. Signifikante Auswirkungen auf den Absatz anderer Modelle desselben Herstellers konnten erneut nicht festgestellt werden.477 Mit Hilfe eines völlig anderen Ansatzes wurde versucht, durch einen Vergleich der Auswirkungen eines Rückrufs auf den Wert der Aktien des betroffenen Unternehmens im Vergleich zu den direkten Kosten des Rückrufs (das sind z.B. die Kosten der Benachrichtigung der Konsumenten, die Reparaturkosten etc.) festzustellen, ob der Markt in Form der Verluste der Anteilseigener in der Folge der Ankündigung von Rückrufen ausreichende Anreize zur Vermeidung der Sicherheitsrisiken durch gefährliche Produkte bietet. 478 Die Autoren der ursprünglichen Studie kamen zu dem Ergebnis, daß der Finanzmarkt die Unternehmen in den untersuchten Branchen der Arzneimittel- und Automobilindustrie durch Verluste auf dem Aktienmarkt in einem Maße „bestrafe", welches weit über den zu erwartenden direkten (d.h. die das Unternehmen unmittelbar treffenden) Kosten des Rückrufes, ja sogar über den gesamtgesellschaftlichen Kosten liege. Dies spreche dafür, daß Rückrufe auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Rufes der Unternehmen führten. Außerdem würden Rückrufe nicht nur die Kurse der Aktien der betroffenen Unternehmen negativ beeinflussen, sondern auch die ihrer Konkurrenten. 479 Allerdings sind die Methoden und Ergebnisse dieser Studie unter Fachkollegen nicht unumstritten. 480 So führe eine exakte Anwendung der von Jarrel/Peltzmanaufgestellten Kriterien und Methoden dazu, daß ihre Ergebnisse zumindest für die Automobilindustrie revidiert werden müßten. Danach hätten Rückrufe in den meisten Fällen weder Auswirkungen auf die Anteilseigner des zurückrufenden Unternehmens noch auf die der Konkurrenten. 481 Verbraucherbefragungen scheinen zu bestätigen, daß Rückrufe als normal akzeptiert werden. So verneinten 74% der Befragten die Aussage, sie würden nie ein Modell kaufen, das Gegenstand eines Rückrufs gewesen sei.482 8 5% glaubten, daß alle Autos irgendwelche Defekte aufwiesen, und 69%, daß Fehler, welche zu Ebd., S. 445 ff. Jarrell/Peltzman, 93 J. Pol. Econ. 512 (1985). 479 Ebd., S. 533. 480 Hoff er/Pruitt/R eilly, 96 J. Pol. Econ. 663 (1988). 481 Ebd., S. 669. Selbst wenn die Ergebnisse von Jarrel/Peltzman richtig wären, würden sie nur die kurzfristige Reaktion der Finanzmärkte widerspiegeln und eben nur der Finanzmärkte, d.h. nicht die tatsächliche Verbraucherreaktion sondern allenfalls die von den Teilnehmern am Finanzmarkt im Beobachtungszeitraum erwartete Verbraucherreaktion (wenn nicht sogar nur die Erwartungen der Teilnehmer am Finanzmarkt hinsichtliche der Reaktion der jeweils anderen Teilnehmer an diesem Markt auf die Nachricht vom Rückruf). 482 Harrison/Cooper/Reidenback, 13 Akron Bus. & Econ. Rev. 17 (Heft 2, 1982) S. 18. 477 478
Rückruf erfahrungen
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Rückrufen führten, nur geringfügig seien. Letzteres wurde von den Befragten, welche Rückruferfahrung hatten, sogar noch häufiger bejaht. Sowohl die Befragten, die eine Rückrufaufforderung erhalten hatten, als auch diejenigen, welche keine erhalten hatten, sagten mehrheitlich, daß ein R ü c k r u f ihre Entscheidung, dasselbe Modell noch einmal zu kaufen, nicht beeinflussen werde. Allerdings war diese Meinung bei den Autofahrern, die das Reparaturangebot angenommen hatten, weniger stark ausgeprägt als bei denen, die auf den R ü c k r u f nicht reagiert hatten. 4 8 3 Versucht man die dargestellten empirischen Untersuchungen des Verbraucherverhaltens im Zusammenhang mit Produktrückrufen zu bewerten, so ergibt sich zumindest für den Bereich der Automobilindustrie in den U S A , daß Rückrufe von den Verbrauchern als nicht negativ, sondern als normaler Bestandteil des wirtschaftlichen Lebens angesehen werden. Entsprechend beeinflußt ein R ü c k r u f ihre Kaufentscheidung nur wenig; allenfalls kurzfristig und bei schwerwiegenden Defekten wird danach der Absatz der betroffenen Modelle signifikant betroffen. U n k l a r ist jedoch, inwieweit diese Ergebnisse in den Besonderheiten der A u t o mobilmarktes und der Automobilkäufer begründet liegen. Bei Produkten mit geringerer Markentreue der Verbraucher könnten sich durchaus andere Verhaltensweisen zeigen. Außerdem hat sich möglicherweise das Sicherheitsbewußtsein der Verbraucher seit der Durchführung der Untersuchungen verändert, so daß heute solche Aspekte den Kaufentschluß stärker beeinflussen. Eine Verallgemeinerung der dargestellten empirischen Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses von R ü c k r u fen auf den Absatz der betroffenen Automodelle auf andere Produkte ist deshalb höchst problematisch. 4 8 4
Gegen eine solche
Verallgemeinerungsmöglichkeit
spricht z . B . eine unter Verbrauchern auf Hawaii durchgeführte Befragung bezüglich deren Reaktionen auf Rückrufe für Lebensmittel und Arzneimittel. 4 8 5 D a nach kauften zwischen 1 6 % und 3 3 % der Verbraucher ein J a h r nach den entsprechenden Rückrufen weniger von den betroffenen Produkten
(Frischmilch,
Schmerzmittel, Thunfisch und Lachs in D o s e n , Wasserkresse). Zwischen 3 2 % und 8 % gaben an, zu einer anderen M a r k e gewechselt zu sein. 4 8 6
Ebd., S. 19. Erst recht eine Übertragung auf die Situation in anderen Ländern wie Deutschland. Zu unterschiedlichen Ergebnissen für die USA und Deutschland s. auch Standop, 2 J. Consumer Satisfaction, Dissatisfaction and Complaining Behavior 93 (1989) und ders., 4 J. Consumer Satisfaction, Dissatisfaction and Complaining Behavior 80 (1991). 485 Keown, 11 J. Cons. Policy 209 (1988). 486 Ebd., S.218ff. 483
484
Dritter Teil
Der Rückruf fehlerhafter Produkte im europäischen und harmonisierten deutschen Produkthaftungsund Produktsicherheitsrecht 1. Kapitel
Produktsicherheitspolitik
in der EU
D i e drei wichtigsten Aspekte der Produktsicherheitspolitik der E U 1 (wie jedes modernen Industriestaates) ruht auf diesen drei Säulen 2 :1. Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften, welche die Sicherheitsstandards definieren, die Produkte erfüllen müssen, bevor sie vermarktet werden dürfen, sowie die Schaffung von M ö g lichkeiten, die Erfüllung dieser Standards vor dem Inverkehrbringen z . B . durch europäische oder nationale Zulassungsverfahren zu überprüfen; 2. Vorschriften, welche es erlauben, die Gefahren, die von trotz dieser Sicherheitsverpflichtungen und -kontrollen in den Verkehr gelangten Produkten ausgehen, durch Warn-, R ü c k r u f - , Beschlagnahmeaktionen oder Untersagungsverfügungen zu beseitigen; 3. Vorschriften, welche die Haftung für Schädigungen durch gefährliche P r o dukte, welche trotz dieser präventiven Maßnahmen eintreten, regeln. 3 Produktsicherheit und Produkthaftung sind zwei bedeutsame Anliegen des Verbraucherschutzes, der seit dem Vertrag von Maastricht in einem eigenen Titel X I berücksichtigt wurde. 4 I m folgenden soll nun untersucht werden, inwieweit 1 S. Krämer, EWG-Verbraucherrecht, S.215ff. Ferner die Sammelbände Micklitz/Roethe/ Weatherill (Hrsg.), Federalism and Responsibility. A Study of Product Safety Law and Practice, 1994; Stauder (Hrsg.), La sécurité des produits des consommation, 1992; Micklitz (Hrsg.), Post Market Control of Consumer Goods, 1990; Fallon/Maniet (Hrsg.), Sécurité des produits et mécanismes de contrôle dans la Communauté européenne, 1990; Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, Die Sicherheit von Konsumgütern und die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, 1988. 2 Brüggemeier, ZHR 152 (1988) 511, 529f. 3 Uberblicksartig zu dem Recht der Produkthaftung in den Mitgliedstaaten der EU s. Kelly/ Attree (Hrsg.), European Product Liability, 1992; Hohloch, ZEuP 1994, 408. 4 S. allgemein zum Verbraucherschutz im Vertrag über die EU Micklitz/Weatherill, 16 J. Cons. Policy 285 (1993); Goyens, 29 CMLR 71 (1992); Argiros, Legal Issues of Eur. Integration 1990/1, 139; Micklitz/Reich, EuZW 1992, 593. Zum problematischen Verhältnis des Subsidiaritätsprinzips zu verbraucherschutzpolitischen Maßnahmen der EU s. Reich, ZEuP 1994, 381, 400ff.; Micklitz/Reich, EuZW 1992, 593, 593ff.;
Produkthaftungsrichtlinie
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sich aus den bisher vorliegenden Maßnahmen der E U zur Produktsicherheit und Produkthaftung Verpflichtungen von Herstellern zur Warnung und zum Rückruf ihrer Produkte ergeben und ob sich aus der Verletzung solcher Pflichten zivilrechtliche Schadensersatz-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche ableiten lassen.
2. Kapitel Die Produk thaftungsrich tlinie Im Rahmen einer umfassenden Politik der E G (und jetzt der E U ) zur allgemeinen Sicherheit von Produkten und insbesondere von Konsumgütern ist die P r o dukthaftungsrichtlinie vom 25. Juli 1985 5 der erste Bauabschnitt des gesamten Gebäudes, der - auf Gemeinschaftsebene 6 - abgeschlossen werden konnte. Die Vorarbeiten zü dieser Richtlinie reichen jedoch mehr als ein Jahrzehnt zurück. 7
A. Grundzüge der Produkthaftungsrichtlinie Mit dem Erlaß der Produkthaftungsrichtlinie 8 wurden die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten der E G verpflichtet, eine verschuldensunabhängige deliktische Haftung für fehlerhafte Produkte einzuführen und nach Maßgabe der
Micklitz/Weatherill, 16 J. Cons. Policy 285 (1993), S.304ff.; Gibson, 16 J. Cons. Policy 323 (1993). 5 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG), Abi. EG Nr. L 210 v. 7.8. 1985, S.29ff. 6 Zum Stand der Umsetzung in den Mitgliedstaaten s. zuletzt Statutes of the European Community Member States Passed in Response to the Product Liability Directive, 32 Int'l Legal Mat. 1347-1413 (1993) mit den Umsetzungsgesetzen von Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal und Großbritannien in englischer Sprache. Für eine Ubersicht über die Rezeption und Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie nicht nur in den Mitgliedstaaten, sondern auch in den EFTA-Ländern und anderen europäischen Staaten mit zahlreichen Hinweisen auf die deutschsprachige und jeweils nationale Literatur und Judikatur s. Hohloch, ZEuP 1994,408. Für die Umsetzung in Spanien s. Casals, Eur. Bus. L. Rev. 37 (Feb. 1995) und R. Bercovitz, 2 Eur. Rev. Private L. 225 (1994). 7 Zur Vorgeschichte der Produkthaftungsrichtlinie s. Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 171-176; W. Lorenz, ZHR 151 (1987) 1; Greer, 26 J. Cons. Äff. 159 (Summer 1992). 8 S. allgemein zu der Richtlinie Brüning-Brinkmann, PHI 1986, 78; Coe, 10 J. Prod. Liability 197 (1987); Diederichsen, VersR 1984, 797; Dielmann, 20 Int'l Law. 1391 (1986); Federspiel, PHI 1986, 81; Finsinger/Simon, in: Haftpflichtrisiken in Unternehmen, 1989, S.23; Hollmann, DB 1985 (Teil I) 2389 und (Teil II) 2439; Hurd/Zollers, 30 Am. Bus. L. J. 35 (1992); Kretschmer, PHI 1986, 34; Mottur, 25 L. & Policy Int'l. Bus. 983 (1994); Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S. 401 ff.; Schlechtriem, VersR 1986, 1033; Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103; ders., DB 1987, 1285; Shapo, 26 Cornell Int'l L. J. 279 (1993); Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, 2. Aufl. 1990; Taschner, NJW 1986, 611; Taschner, PHI 1986, 54.
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Europäische Union
Richtlinie auszugestalten. 9 D i e Richtlinie stellt dabei nicht nur Mindeststandards auf, von denen die Mitgliedstaaten im Sinne eines höheren Schutzniveaus zugunsten der Verbraucher abweichen könnten, sondern sie stellt ein geschlossenes gemeinschaftsrechtliches 1 0 Haftungssystem dar. N u r hinsichtlich der Erfassung von Entwicklungsrisiken, einer summenmäßigen Beschränkung der Haftung und der Einbeziehung landwirtschaftlicher Naturprodukte und Jagderzeugnisse werden den Mitgliedstaaten O p t i o n e n eingeräumt. 1 1 D a n e b e n bleibt das nationale Allgemeine Produkthaftungsrecht bestehen und kann persönlich wie sachlich weitergehende Ansprüche gewähren. 1 2
I. Verschuldensunabhängige
Deliktshaftung
D i e Richtlinie stellt ins Zentrum ihrer Regelung als Anknüpfungspunkt der Haftung nicht ein Verschulden des Herstellers (oder des Quasi-Herstellers) sondern den Fehler eines Produktes. Sie etabliert somit im Grundsatz eine Haftung ohne Verschulden. 1 3 O b damit eine Gefährdungshaftung geschaffen wurde, ist umstritten. 1 4 Z u m Teil werden die Begriffe „Gefährdungshaftung" und „verschuldensunabhängige H a f t u n g " in der Literatur s y n o n y m verwendet. 1 5 Andere 9 Zum Verhältnis der Produkthaftungsrichtlinie zum deutschen Produkthaftungsrecht vor der Anpassung s.H.-J. Behrens, Produkthaftung in Ausfüllung der EG-Richtlinie nach den englischen und deutschen nationalen Regeln, 1991; Brüggemeier/Reich, WM 1986,149; Buchner, DB 1988,32; Feldmann, Europäische Produkthaftung und die Verteilung des Haftpflichtschadens, 1979; de Lousanoff/Moessle, 22 Int'lLaw.669(1988);/W;,PHI 1986,153-,Pfeifer, Produktfehler oder Fehlverhalten des Produzenten. Das neue Produkthaftungsrecht in Deutschland, den USA und nach der EG-Richtlinie, 1987; Rohles, VersWirtsch 1988,571 ff. und 628ff.; Sack, VersR 1988,439; ders., JB1.1989,615 ff. und 695 ff.; Schwenzer, Die Umsetzung der EG-Richtlinie zur Produkthaftpflicht in der Bundesrepublik Deutschland, 1991; Wieckhorst, JuS 1990,86; 10 Darauf weisen insbesondere Taschner/Frietsch, Art. 1 PHRL, Rdnr. 2 hin. Es ist ihnen deshalb auch zuzustimmen, daß Begriffe des nationalen deutschen Haftungsrechts nur mit Vorsicht für die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften verwendet werden sollten. 11 Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 165. Allerdings gilt diese Beschränkung der Gestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers nur bei der Umsetzung der Richtlinie als Besonderes Produkthaftungsrecht. 12 Art. 13 PHRL. Zum Verhältnis PHG und allgemeine Produkthaftung s. Honseil, JuS 1995,
211.
13 Art. 1 PHRL: „Der Hersteller eines Produktes haftet für den Schaden, der durch den Fehler dieses Produktes verursacht worden ist". Zweifelnd hinsichtlich der Unabhängigkeit der Haftung vom Verschulden jedoch Kötz, in: FS Lorenz, S. 109ff.; ferner Schubert, PHI 1989, 74; Stapleton, 6 Ox. J. Leg. Stud. 392 (1986). 14 Zum Streitstand s. Schlechtriem, in: FS Rittner, 1991, S. 545ff., 554ff., für den auch die „Gefährdungshaftung" nach dem PHG eine Haftung für die Verletzung objektiver Verkehrspflichten und damit keine grundsätzlich unterschiedliche Kategorie zur Haftung nach § 823 BGB darstellt, und Larenz/Canaris, §84 VI, der mit der h.M. eine Gefährdungshaftung annimmt, allerdings als „Grundform eines neuen Typs der Gefährdungshaftung" (JB1. 1995, 2, 8ff).. Allgemein zur Gefährdungshaftung s. Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, 1993. 15 So z.B. Hollmann, DB 1985 (Teil I) 2389 und (Teil II) 2439, 2389.
Produkthaftungsrichtlinie
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verneinen eine reine Gefährdungshaftung. 1 6 Tatsächlich haftet der Hersteller einerseits zwar für rechtmäßiges gefährdendes Tun, andererseits aber wiederum nicht für jede Verwirklichung des Risikos eines fehlerhaften Produktes. So steht dem Hersteller, soweit dies vom nationalen Gesetzgeber nicht ausgeschlossen wurde 1 7 , der Verteidigungseinwand zu, daß „der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte." 1 8 Eine ähnliche Entlastungsmöglichkeit für „Ausreißer", die sich etwa auf deren praktische Unvermeidbarkeit stützen würde, besteht allerdings nicht, so daß in diesem Fall die Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie weiter geht als nach der Verschuldenshaftung des allgemeinen deutschen Produkthaftungsrechts.
II.
Fehlerbegriff19
1. Berechtigte Sicherheitserwartungen
als Maßstab
D i e Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie betrifft Schäden aufgrund von Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehlern, die grundsätzlich gleich behandelt werden. Letztere sind miterfaßt, da ausdrücklich vorgesehen ist, daß sich die Fehlerhaftigkeit des Produktes auch aus seiner Darbietung ergeben kann. 2 0 D e r Fehler wird dabei im H i n b l i c k auf den Gebrauch des Produktes, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, bestimmt. Dies bedeutet, daß ein F e h ler auch dann gegeben sein kann, wenn die Gefährlichkeit des Produktes sich nicht beim bestimmungsgemäßen, sondern nur bei einem, allerdings vorhersehbaren Fehlgebrauch oder Mißbrauch verwirklicht. 2 1 Ein Fehler liegt jedoch nur dann vor, wenn das Produkt nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist. 22 D i e unspezifizierte Definition des Subjekts der Sicherheitserwartungen als „man" führt zu einer gewissen Unsicherheit darüber, auf welchen Personenkreis dabei abzustellen ist. 23 N a c h der Begründung zu § 3 des Entwurfs eines Produkt-
Nach Taschner/Frietsch, Art. 1 PHRL, Rdnr. 2, erfüllt die PHRL sowohl die Voraussetzungen für eine Gefährdungs- als auch für eine verschuldensunabhängige Haftung. 16 Zu den Unterschieden im Zusammenhang mit der Produkthaftung s. Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103, 1107f. 17 Art. 15 ( l ) b ) PHRL. 18 Art. 7 e) PHRL. 19 Art. 6 PHRL. Schmidt-Salzer, BB 1988, 349. 20 Art. 6 (1) a) PHRL. Ausführlich dazu Feger, Darbietung und Produktfehler, 1990. 21 G. Hager, PHI 1991, 1, 5. 22 Art. 6 (1) PHRL. 23 S. zum Streitstand Borer, Produktehaftung: Der Fehlerbegriff nach deutschem, amerikanischem und europäischem Recht, 1986, S. 264ff.; Christen, Produkthaftung nach der EG-Produkthaftungsrichtlinie im Vergleich zur Produkthaftung nach schweizerischem Recht, 1992, S. 70ff.
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haftungsgesetzes 2 4 soll damit die Allgemeinheit gemeint sein. 25 Diese Bezugnahme auf die Allgemeinheit ist jedoch nicht unproblematisch. Z u m einen dürfte es bei vielen Produkten für begrenzte und der Allgemeinheit nicht zugängliche A n wendungsbereiche kaum möglich sein, deren Sicherheitserwartungen zu definieren, da darüber oft keinerlei Vorstellungen vorhanden sein werden. Z u m anderen können diese Vorstellungen, selbst wenn sie vorhanden sind, irrelevant sein, wenn das Produkt nur von Fachleuten verwendet wird. Andere stellen deshalb auf die Erwartungen des typischen Verbrauchers oder Benutzers ab. 26 D e r Streit erscheint jedoch weitgehend als müßig, da bei beiden Formulierungen eine den Absichten des Gesetzgebers entsprechende Anwendung möglich ist. D e m Gesetzgeber kam es mit der Verwendung des Begriffs der Allgemeinheit in der Begründung vor allem darauf an, einen objektiven Maßstab für die Sicherheitserwartungen festzulegen im Gegensatz zu den subjektiven Sicherheitserwartungen der Parteien des Vertrages bzw. des Geschädigten. D e m kann jedoch auch Rechnung getragen werden, wenn man auf die Erwartungen der Verbraucher oder Benutzer abstellt. 27 D i e Richtlinie (und damit auch das P H G ) stellen nämlich nicht auf die tatsächlichen Sicherheitserwartungen ab, sondern auf die „berechtigten" Erwartungen. 2 8 D a m i t aber ist unabhängig von der Definition des Subjekts der Erwartungen eine Wertungsmöglichkeit eröffnet, welche einen ausreichenden Spielraum für sinnvolle Interessenabwägungen eröffnet. Mit dieser Maßgabe wird deshalb im folgenden von den „Sicherheitserwartungen der Verbraucher und B e n u t z e r " gesprochen. Ein Produkt ist somit jedenfalls nicht bereits deshalb fehlerhaft, weil es nicht den höchsten, technisch möglichen Sicherheitsstandard aufweist. 29 D e r Stand der Technik ist daher unter diesem Gesichtspunkt nur indirekt für die Fehlerfeststellung von Bedeutung, soweit sich nämlich die Sicherheitserwartungen der Verbraucher und Benutzer berechtigterweise daran orientieren. 3 0 Weder macht die
24
Abgedruckt bei Kullmann,
Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, 1993, S. 169ff.,
183. 25 So auch Taschner/Frietsch, die für die Richtlinie von der Allgemeinheit im Lande der Verwendung sprechen (Art. 6 PHRL, Rdnr. 4). Es gehe nicht um die Verbrauchererwartungen, sondern um die der Öffentlichkeit, als deren Repräsentant der Richter agiere. 26 So z.B. Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3604, S.3; Hollmann, DB 1985 (Teil I) 2389 und (Teil II) 2439,2392; Graf von Westphalen, NJW1990, 83,87f.; Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S. 407f. 27 In der Begründung zu §3 P H G selbst wird zustimmend auf die Rechtsprechung des B G H verwiesen, der für die Konkretisierung der Verkehrssicherungspflichten auf die Verkehrserwartung abgestellt habe, und festgestellt, daß demnach durch die Richtlinie keine Änderung der Rechtslage eintrete. 28 Diesen Überlegungen wird Rechnung getragen in der Formulierung von Frietsch, der vom „Erwartungshorizont des objektiven idealtypischen Verbrauchers oder Benutzers unter Berücksichtigung der vernünftigen Vorstellungswelt eines vergleichbaren objektiven Herstellers, letztlich die Sicht der Allgemeinheit" spricht. S. Frietsch, D B 1990, 29, 33. 29 Ein Kleinwagen ohne Antiblockiersystem für die Bremsen ist trotz der Möglichkeit des Einbaus nicht fehlerhaft, da die Verbraucher bzw. Benutzer ein solches Sicherheitselement bei dieser Wagenklasse (noch) nicht in berechtigter Weise erwarten können.
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Nicht-Übereinstimmung mit dem (höchsten) Stand der Technik ein Produkt ohne weiteres fehlerhaft, noch wird es durch dessen Beachtung automatisch fehlerfrei.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt;
Entwicklungsgefahren
Bei der Fehlerfeststellung ist ferner der Zeitpunkt, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht wurde, zu berücksichtigen.31 Daraus und aus dem Haftungsausschlußgrund des Art. 7 b)32 ergibt sich, daß der haftungsbegründende Fehler bereits zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben muß. Da die Fehlerhaftigkeit wesentlich von den Sicherheitserwartungen der Verbraucher und Benutzer abhängt, müssen auch diese für diesen Zeitpunkt bestimmt werden. Ein Produkt kann also nicht nachträglich fehlerhaft werden, wenn es einmal als fehlerfreies in Verkehr gebracht wurde; nachträgliche Änderungen in den Sicherheitserwartungen können dann keine Rolle mehr spielen.33 Dies gilt auch im Hinblick auf Änderungen im Stand von Wissenschaft und Technik sowie auf nachträgliche Änderungen der Ausstattung von Produkten der Serie, da gem. Art. 6 (2) der Richtlinie ein Produkt nicht allein deshalb als fehlerhaft angesehen werden kann, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde. Die generelle Voraussetzung, daß der Produktfehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens bereits vorgelegen haben muß, um eine Haftung begründen zu können, entschärft in Verbindung mit der Fehlerdefinition der Richtlinie ganz erheblich das Problem der Haftung für „Entwicklungsrisiken". 34 Selbst wenn das im konkreten Fall schadenstiftende Produkt, später auf den Markt gebracht, als fehlerhaft angesehen werden müßte, kann dies eine Haftung nicht nachträglich begründen. Allerdings besteht kein Schutz der Hersteller im Hinblick auf die Notwendigkeit von Konstruktionsänderungen aufgrund der Entwicklung von Technik und Wissenschaft für die zukünftige Produktion. 35 So auch G. Hager, P H I 1991, 1, 4. Art. 6 (1) c) P H R L . 32 Danach haftet der Hersteller nicht, wenn er beweist, „daß unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, daß der Fehler, der den Schaden verursacht hat, nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder daß dieser Fehler später entstanden ist." 33 S. das Beispiel eines 1970 ohne Sicherheitsgurte in Verkehr gebrachten Autos bei Frietsch, D B 1990, 29, 33 Fn.72. 34 Daß diese Voraussetzung auch im Zusammenhang mit Entwicklungsrisiken vorliegen muß, ergibt sich einerseits daraus, daß nach Art. 1 P H R L nur für Produktfehler gehaftet wird, welche nach Art. 6 P H R L allgemein unter Bezugnahme auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens definiert werden, andererseits aber auch aus Art. 7 e) P H R L , der ebenfalls von einem vorhandenen Fehler, nicht von dem Vorhandensein der schadenstiftenden Eigenschaft ausgeht. 35 Dies wäre jedoch dann der Fall, wenn man auf das Inverkehrbringen des ersten Produktes einer Serie oder - bei Konstruktionsfehlern - auf den Abschluß der Konstruktionsplanung abstellen würde. Letzteres schlägt etwa Borer, Produktehaftung, 1986, S. 271 vor. Sein zur Begründung herangezogenes Beispiel der Entwicklung eines Großraumflugzeuges, dessen Konstruktionsplanung bereits mehrere Jahre vor der Markteinführung abgeschlossen ist und bei dem deshalb spätere Entwicklungen der Technik nicht mehr berücksichtigt werden können, kann jedoch kaum als 30 31
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Entscheidend für diese immunisierende Wirkung der Festlegung auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens ist jedoch die Fehlerdefinition. Würde man den Fehler allein als das Vorliegen der schadenstiftenden Eigenschaft zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens definieren, unabhängig davon, ob sie oder ihre Gefährlichkeit zu diesem Zeitpunkt erkennbar waren, käme es in Wirklichkeit auf den Kenntnisstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. 36 Dies ist jedoch nicht die Definition der Richtlinie. Sie stellt auf die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verbraucher und Benutzer zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens ab, nicht allein auf das Vorliegen bestimmter Eigenschaften des P r o dukts. A u c h sind nicht die tatsächlichen Vorstellungen der relevanten Personenkreise entscheidend 3 7 , sondern die berechtigten. Will man diesen Begriff nach der Maßgabe der Richtlinie „unter Berücksichtigung aller U m s t ä n d e " ausfüllen, wird man neben den nicht abschließend aufgezählten Umständen kaum den Stand von Wissenschaft und Technik unberücksichtigt lassen können. 3 8 Sicherheitserwartungen, die nach diesem Stand unerfüllbar sind, werden nur schwer als berechtigt angesehen werden können. 3 9 Allerdings gibt es Ausnahmen. 4 0 Dies bedeutet, daß es schwierig sein wird, ein Produkt, dessen Sicherheitseigenschaften dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen, als fehlerhaft i.S.d. P H R L qualifizieren. 4 1 Die Haftung für Entwicklungsrisiken (im Sinne von zum Zeitpunkt des Intypisch für alle Produkte angesehen werden, für deren schadenstiftende Fehler die verschuldensunabhängige Produkthaftung eingeführt wurde. Den begründeten Bedenken, in solch seltenen Fällen jede Abweichung vom Stand der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens auch dann als fehler- und damit haftungsbegründend anzusehen, wenn eine Anpassung der Konstruktion technisch oder wirtschaftlich nicht mehr möglich war, könnte durch eine flexible Handhabung des Begriffs der „berechtigten" Sicherheitserwartungen Rechnung getragen werden. 36 So offensichtlich die Folge der nicht verwirklichten Fassung des Kommissionsvorschlags von 1976. Borer, Produktehaftung, 1986, S. 289 weist zurecht darauf hin, daß dies der BeshadaEntscheidung des New Jersey Supreme Court, Beshada v. Johns-Manville Corp., 90 N.J. 191,447 A.2d 539 (1982), entsprechen würde. 37 Sie wären auch häufig nicht existent oder als Maßstab unbrauchbar. So auch Borer, Produktehaftung, 1986, S. 266ff. Erst recht kommt es nicht auf die Vorstellungen des Geschädigten an. 38 Anders anscheinend Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S. 415, für den der Fehler nicht vom Stand der Wissenschaft und Technik abhängig gemacht werden soll, weil die verschuldensunabhängige Fehlerhaftung gerade das Risikopotential von Entwicklungsgefahren dem Hersteller zurechnen wolle. 39 So auch Borer, Produktehaftung, 1986, S.270. 40 Anders kann es z.B. sein, wenn der Stand der Technik nur ein so niedriges Sicherheitsniveau bei erheblichen Gefahren ermöglicht, daß der Verbraucher berechtigterweise davon ausgehen kann, ein solches Produkt werde erst gar nicht vermarktet, und deshalb aus der Tatsache der Vermarktung auf ein höheres Sicherheitsniveau schließen kann. Außerdem ist es denkbar, daß die Verbraucher zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens berechtigterweise davon ausgehen, daß ein bestimmtes Medikament nicht krebsfördernde oder -auslösende Wirkungen hat, auch und gerade weil diese Wirkungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik noch nicht erkennbar waren. In diesem Fall dürften sich im übrigen die Sicherheitserwartungen der Verbraucher mit denen der Hersteller treffen. 41 Allerdings schließt, anders als Hollmann, DB 1985 (Teil I) 2389 und (Teil II) 2439,2893 annimmt, die Ubereinsimmung mit dem Stand der Technik nicht automatisch die Fehlerhaftigkeit
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verkehrbringens unerkennbaren Fehlern) ist danach bereits aufgrund der Fehlerdefinition der Richtlinie weitgehend ausgeschlossen. Daraus folgt weiterhin, daß die Entlastungsmöglichkeit für den Hersteller im Hinblick auf Entwicklungsrisiken, die in Art. 7 e) P H R L vorgesehen ist, wohl kaum die Bedeutung erlangen wird, die ihr in ersten Reaktionen auf die Richtlinie vielfach zugeschrieben wurde. 42 Nach dieser Vorschrift kann sich der Hersteller dann von der Haftung entlasten, wenn er nachweist, daß der vorhandene Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er das betreffende Produkt in Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte. 43
III.
Haftungsadressaten
Der Kreis der Haftungsadressaten ist von der Richtlinie weit gezogen. Nach Art. 1 haftet grundsätzlich der Hersteller des schadenstiftenden Produktes. Allerdings ist von diesem Begriff nicht nur der tatsächliche Hersteller des Endproduktes erfaßt; vielmehr gehören dazu auch der Hersteller eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt (sog. Quasi-Hersteller). 4 4 Händler und Lieferanten haften nach der Richtlinie im allgemeinen nicht; allerdings können besondere Umstände dazu führen, daß auch diese Personen als Hersteller behandelt werden. 45 Soweit nach diesen Vorschriften mehrere Haftungsgegner infrage kommen, haften sie als Gesamtschuldner, 46 wobei sich der Innenausgleich nach nationalem Recht richtet. 47
aus. Dies gilt nur, soweit der Stand der Technik auch die berechtigten Sicherheitserwartungen bestimmt. 42 So auch Taschner/Frietsch, Art. 7 P H R L Rdnr. 49 m.N. 43 S. die „Prüfliste für die Praxis" bei Taschner/Frietsch, Art 7 P H R L , Rdnr. 52. Die Nichterkennbarkeit des Fehlers nach Wissenschaft und Technik entlastet somit den Hersteller in jedem Fall, so daß es nicht mehr darauf ankommt, ob er nachweist, daß der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (noch) nicht vorhanden war. Dennoch ist die hier vertretene Lesart von möglicherweise großer praktischer Bedeutung. Nach Art. 15 (1) b) P H R L können die Einzelstaaten den in Art. 7 e) P H R L vorgesehenen Entlastungsbeweis ausschließen (was jedoch nur in Luxemburg geschehen ist). Diese Aufhebung würde dann jedoch nicht zu einer generellen Haftung für Entwicklungsfehler führen, sondern nur für solche, die nach den berechtigten Verbrauchererwartungen bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens vorhanden waren. Auf die Haftungsvoraussetzung des Vorhandenseins des Fehlers zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens kann von den Einzelstaaten nicht verzichtet werden. Insofern sind auch die Berichtspflicht der Kommission für 1995 über die Erfahrungen mit Art. 7 e) P H R L und der diesbezügliche Anderungsvorbehalt des Rates (Art. 15 (3) P H R L ) beschränkt. Die Einführung einer umfassenden Haftung für Entwicklungsrisiken bedürfte dann einer Novellierung der Richtlinie. 44 Art. 3 P H R L . 45 Art. 3 (2) P H R L . Innergemeinschaftliche Importe sind nicht erfaßt. Dort kann jedoch Art. 3 (3) P H R L gelten. 46 Art. 5 P H R L . 47 S. § 5 P H G .
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IV. Ersatzfähige Schäden D e r Ausdehnung des Haftungsrisikos durch die Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung durch die Richtlinie entspricht andererseits eine B e grenzung dieses Risikos bei der Festlegung der ersatzfähigen Schäden. G r u n d sätzlich ersatzfähig sind dabei Schäden durch Tod und Körperverletzungen. 4 8 D e r Ersatz immaterieller Schäden ist in der Richtlinie nicht vorgesehen. 4 9 N i c h t ersetzt werden ferner nach der Richtlinie Schäden am fehlerhaften Produkt selbst. Soweit andere Sachen als das fehlerhafte Produkt beschädigt oder zerstört w o r den sind, besteht zwar eine Ersatzpflicht, aber nur, wenn diese Sache gewöhnlich für den privaten G e - oder Verbrauch bestimmt ist und auch so v o m Geschädigten verwendet wurde. 5 0 Eine weitere Beschränkung des Haftungsrisikos gestattet die O p t i o n des Art. 16 der Richtlinie, wonach jeder Mitgliedsstaat vorsehen kann, daß die G e samthaftung des Herstellers für die Schäden infolge Tod oder Körperverletzungen, die durch gleiche Artikel mit demselben Fehler verursacht wurden, auf einen Betrag von nicht weniger als 70 Millionen E C U begrenzt wird. 5 1
V. Beweisfragen Fast ebenso wie über die Festlegung der Tatbestandsvoraussetzungen der P r o dukthaftung läßt sich die Verteilung des Schadensrisikos über die Regelung der Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen steuern. 5 2 D i e Produkthaftungsrichtlinie hat in dieser Beziehung eine für den Geschädigten günstige Regelung vorgesehen. Danach hat er grundsätzlich nur den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden zu beweisen. 5 3 Das Vorliegen von Haftungsausschlußgründen 5 4 hat entsprechend der in Anspruch genommene Hersteller zu beweisen. Dies gilt z . B . für die Tatsache, daß das Produkt zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens fehlerfrei war oder daß der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt werden Art. 9 a) PHRL. Gem. Art. 9 letzter Satz PHRL berührt dies jedoch die entsprechenden Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht. 50 Art. 9 b) PHRL. Dabei eine Selbstbeteiligung in Höhe von 500 ECU (1125 DM nach § 11 PHG) vorgesehen, welche bei einer geringeren Schadenssumme eine Haftung ausschließt und sie bei einer höheren um diesen Betrag mindert. Zur Behandlung von Sachschäden in der PHRL s. M. Wolf.; in: FS Lange, S.779ff. 51 Deutschland hat von dieser Option in § 10 PHG Gebrauch gemacht und einen Haftungshöchstbetrag von 160 Millionen DM eingeführt und zwar im Gegensatz zur Richtlinie nicht nur bei Schädigungen durch Serienprodukte sondern auch durch ein einzelnes Produkt. 52 Die Entwicklung der verschuldensabhängigen Produkthaftung des deutschen Rechts seit der Hühnerpest-Entscheidung des BGH (BGHZ 51, 91) ist ein beredtes Beispiel dafür. 53 Art. 4 PHRL. 54 Art. 7 PHRL. 48
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konnte. Es besteht somit eine Vermutung zugunsten des Geschädigten, daß der Fehler beim Inverkehrbringen bereits vorhanden war und daß er auch erkannt werden konnte. I m Zweifelsfall haftet somit der Hersteller auch für „nachträglic h e " Fehler und die Verwirklichung von Entwicklungsrisiken.
B. Rückrufpflichten und Rückrufansprüche nach der Produkhaftungsrichtlinie D i e Produkthaftungsrichtlinie regelt allein Ersatzpflichten für bestimmte Schäden, die von Produktfehlern herrühren, nicht jedoch Sorgfalts- oder Verkehrssicherungspflichten; sie schreibt deshalb auch keine Produktbeobachtungspflichten oder Rückrufpflichten vor. 5 5 D i e Verwirklichung von (nachgewiesenen) Entwicklungsrisiken fällt deshalb voll in den Risikobereich des Geschädigten. 5 6 Diese harsche Rechtsfolge ergibt sich z u m einen aus der Entscheidung des Rates, die noch im letzten Kommissionsvorschlag enthaltene Haftung des Herstellers für solche Risiken durch die Aufnahme eines entsprechenden Haftungsausschließungsgrundes 5 7 abzulehnen. Diese Lösung hätte jedoch - wie im deutschen P r o dukthaftungsrecht - dadurch abgemildert werden können, daß dem Hersteller ausdrücklich eine Produktbeobachtungs- und möglicherweise auch eine R ü c k rufpflicht auferlegt worden wäre. Tatsächlich war ein Anreiz zur Vornahme von Rückrufen v o m Europäischen Parlament durch Einfügung eines entsprechenden Art. 1 a vorgeschlagen worden. 5 8 Danach hätte der Hersteller bei nach dem Inverkehrbringen erlangten Kenntnissen (oder Kennen-Müssen) über die Fehlerhaftigkeit des Produktes alle zur Schadensverhütung geeigneten Maßnahmen wie z . B . Information der Öffentlichkeit, R ü c k r u f etc. ergreifen und dadurch der H a f tung entgehen können. D i e Beweislast für die Erfüllung dieser Voraussetzungen hätte den Hersteller getroffen. 5 9 A u c h dieser Vorschlag wurde jedoch v o m Rat abgelehnt. O b w o h l somit die Richtlinie die Produktbeobachtung nicht vorschreibt, wird der Hersteller im eigenen Interesse die Bewährung seiner Produkte in der Praxis und die Entwicklung von Wissenschaft und Technik im Auge behalten. Wie ausgeführt, ist für die Fehlerhaftigkeit eines Produktes der Zeitpunkt seines Inverkehrbringens maßgeblich. Dabei k o m m t es auf den Zeitpunkt an, an dem das 55 Taschner/Frietsch, Art. 1 PHRL Rdnr. 8; Diederichsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 13 f. 56 Jedenfalls soweit der Geschädigte nicht konkurrierende Ansprüche aufgrund anderer Vorschriften des nationalem Rechts geltend machen kann. 57 S. Art 7 e) PHRL. 58 ABl. Nr. C 127 v. 25.5. 1979, S.61. 59 S. dazu den Bericht von Willy G. J. Calewaert im Namen des Rechtsausschusses über den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat (Dok. 351/76) für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschiften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1979-1980 Dok 71/79 vom 17.4. 1979 auf S.6ff.
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konkret infrage stehende Produkt in Verkehr gebracht wurde. 60 Dies bedeutet, daß die Entwicklung der Sicherheitserwartungen der Verbraucher und Benutzer sowie anderer Umstände bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zu berücksichtigen sind. Ist z.B. ein Fehler seit der Markteinführung der ersten Produkte der Serie nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erkennbar geworden, so entfällt die Entlastungsmöglichkeit nach Art. 7 e) P H R L für die später hergestellten Stükke. Gleiches gilt für die Entlastungsmöglichkeit nach Art. 7 b) P H R L , die dem Hersteller nur gelingen kann, wenn er beweist, daß unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, daß der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht vorgelegen hat. Will der Hersteller somit eine Haftung vermeiden, muß er nicht nur die Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie anderer relevanter Umstände beobachten, sondern er muß auch die Produkte einer Serie dem jeweiligen Stand der Technik und den Sicherheitserwartungen der Verbraucher und Benutzer anzupassen. 61 Anderenfalls sind die nach dem Entwicklungsfortschritt in Verkehr gebrachten Produkte als fehlerhaft anzusehen. 62 Eine Produktbeobachtungsß/7ici?t wird damit aber von der Produkthaftungsrichtlinie nicht normiert. 6 3 Der im Rahmen von Produktserien quasi „dynamisierte" Fehlerbegriff führt jedoch dazu, daß der Hersteller zur Vermeidung der Fehlerhaftigkeit und damit einer Haftung die sicherheitsrelevanten Eigenschaften seiner Produkte ständig im Auge behalten und notfalls anpassen muß. Allerdings ist ein solcher Anpassungsdruck immer nur auf die zukünftige Produktion gerichtet. Nachträgliche Warn- und Rückrufpflichten bzw. Schadensersatzpflichten bei deren Nichtbefolgung bestehen danach nicht. Andererseits werden solche nachträgliche Pflichten von der Richtlinie auch nicht ausgeschlossen, soweit die daneben bestehende nationale verschuldensab6 0 So auch die Begründung zum Produkthaftungsgesetz, abgedruckt bei Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, 1993, S. 169ff., 183. Hollmann ( D B 1985 (Teil I) 2389 und (Teil II) 2439, 2393) hat zwar gerätselt, ob statt dessen nicht auch der Zeitpunkt der ersten Vermarktung eines Produktes aus einer bestimmten Produktserie oder gar der Zeitpunkt der letztmaligen Vermarktung zugrunde gelegt werden könnten, doch würde dies in beiden Fällen zu untragbaren Ergebnissen führen. Würde man auf das erstmalige Inverkehrbringen abstellen, könnte ein Hersteller ohne haftungsrechtliche Konsequenzen über Jahre oder Jahrzehnte ein Produkt in identischer Form anbieten, wenn es nur zu diesem Zeitpunkt fehlerlos gewesen war. Fortentwicklungen im Stand der Technik, nachträglich entdeckte gefährliche Eigenschaften, geänderte Sicherheitserwartungen der Verbraucher und Benutzer würden keine Rolle spielen. Stellt man jedoch auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des letzten Stücks einer über Jahre hergestellten und vertriebenen Produktserie ab, würde der Hersteller auch für die vorher vermarkteten Exemplare dieser Serie nach dem für das letzte gültigen Standard haften. 61 So auch Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S.417ff. 62 Ebenso Produkthaftungshandbuch/Bd.2/Graf v. Westphalen, §62 Rdnr 62. Dies widerspricht nicht Art. 6 (2) P H R L . Die früher in Verkehr gebrachten Produkte müssen weiterhin als fehlerfrei behandelt werden. 63 Diederichsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S.23; Birkmann, D A R 1990, 124. Insofern ungenau Hollmann, D B 1985 (Tei11) 2389 und (Teil II) 2439, der parallel zur Rechtsprechung des B G H hier von einer Produktbeobachtungspflicht spricht. Tatsächlich kommt es auch hier nicht auf das Verhalten des Herstellers, sondern auf den sich entwickelnden Produktfehler an.
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hängige Haftung entsprechende Regelungen vorsehen sollte.64 Die Richtlinie läßt somit die deutsche Rechtsprechung zur Produktbeobachtungspflicht und zu aus den Ergebnissen der Produktbeobachtung zu ziehenden Konsequenzen unberührt und gestattet auch eine Weiterentwicklung des nationalen Rechts durch die Gerichte oder den Gesetzgeber in Richtung auf eine Stärkung präventiver Elemente des nationalen verschuldensabhängigen Produkthaftungsrechts. Nach der 1988 geäußerten Einschätzung von Diederichsen65 sollen nach Inkrafttreten des P H G „das wichtigste Reservat deliktsrechtlicher Produkthaftung ... Produkthaftbeobachtungs- und die sich daraus ergebenden Warn- und Rückrufpflichten darfstellen]".
C. Umsetzung der Richtlinie im PHG66 Die Produkthaftungsrichtlinie der E G ist mit dem am 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Produkthaftungsgesetz, wenn auch verspätet, nahezu wortgetreu umgesetzt worden. Die Ausführungen zur Richtlinie können deshalb auch im wesentlichen für das P H G gelten. Insbesondere hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit, die Haftung für Entwicklungsfehler vorzusehen, keinen Gebrauch gemacht.67 Sonderregelungen bestehen jedoch für den praktisch und gerade im Hinblick auf Entwicklungsgefahren bedeutsamen Bereich der Arzneimittelhaftung. Hier sieht § 15 P H G die Exklusivität der Gefährdungshaftung nach §§ 84ff. A M G vor, die auch die Haftung für Entwicklungsrisiken umfaßt.68 Im Gegensatz zur allgemeinen Produkthaftung besteht somit im Arzneimittelsektor keine Anspruchskonkurrenz zwischen A M G und PHG, sondern der Vorrang der Spezialregelung. Für die Geschädigten hat dies die erfreuliche Konsequenz, daß der Ausschluß der Haftung für Entwicklungsrisiken dort nicht greift und damit zumindest für Deutschland, d.h. soweit deutsches Recht anwendbar ist, die Hersteller diese Risiken tragen (und, in der Praxis, versichern) müssen. Entsprechend der Richtlinie lassen sich auch aus dem P H G keine Produktbeobachtungs- oder Rückrufpflichten ableiten69. Insofern ist jedoch die Begründung zu § 1 Abs. 2 Nr. 5 mißverständlich, wenn sie formuliert: „Allerdings muß 64 Art. 13 PHRL. Diederichsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 13 f. 65 Diederichsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S.22f. 66 Deutsch, JZ 1989, 465; Frietsch, DB 1990, 29; Prey, Das Produkthaftungsgesetz, Diss. Regensburg 1990; Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, 1990; Graf von Westphalen, NJW 1990, 83. 67 S. Art. 15(1) b) PHRL. Die Haftung für Entwicklungsrisiken war von den Fraktionen der SPD und DIE G R Ü N E N erfolglos beantragt worden; s. Graf v. Westphalen, NJW 1990, 83, 85, Fn. 34. 68 Zur Haftung nach §84 AMG s. Larenz/Canaris, §84 VI 2. 69 Diederichsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 13f.
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von dem Hersteller erwartet werden, daß er während der D a u e r der Fertigung sowohl die Erprobung des Produktes im praktischen Gebrauch wie auch eine für das Produkt relevante Weiterentwicklung der Wissenschaft und Technik b e o b achtet und gegebenenfalls Schlußfolgerungen daraus zieht." 7 0 Gemeint ist damit wohl, wie oben zur Produkthaftungsrichtlinie ausgeführt, nicht die Auferlegung einer Sorgfaltspflicht, sondern der Hinweis auf die negativen Haftungsfolgen unabhängig vom Verschulden, wenn der Hersteller seine Produkte „fehlerhaft werden läßt". Dafür spricht auch die Beschränkung der „Pflicht" auf die Zeit während der Fertigung. Offensichtlich geht es in der Begründung nur um die K o n s e quenzen der Nichtbeachtung von Weiterentwicklungen der Sicherheitserwartungen oder von Wissenschaft und Technik in der zukünftigen Produktion, die dadurch zum Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens fehlerhaft wird. Verpflichtungen der Hersteller hinsichtlich fehlerfrei in Verkehr gebrachter Produkte bis hin zu Rückrufpflichten lassen sich daraus nicht ableiten. 71 D i e Weitergeltung des allgemeinen verschuldensabhängigen Produkthaftungsrechts führt jedoch dazu, daß der von Rechtsprechung und Literatur erreichte bisherige Entwicklungsstand in dieser Hinsicht beibehalten und weitergeführt werden kann. 7 2
3. Kapitel
Die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie sowie produktspezifische Sicherheitsvorschriften A. Produktspezifische
Sicherheitsvorschriften
D i e Regelung von Sicherheitsstandards für Produkte, die diese für die M a r k t zulassung qualifizieren, bildet eine weitere Säule der Produktsicherheitspolitik. Sie ist auf europäischer Ebene im wesentlichen von zwei politischen Zielen geprägt. A u f der einen Seite ist das R e c h t der Verbraucher auf Sicherheit anerkannt, auf der anderen Seite sollen die Hemmnisse des freien Warenverkehrs durch unterschiedliche nationale Produktsicherheitsregelungen abgebaut werden. 7 3 D i e integrationshemmende Wirkung einzelstaatlicher Sicherheitsstandards für die in den jeweiligen nationalen Grenzen vermarkteten Produkte ist bereits 1969 in einem Programm zum A b b a u technischer Handelshemmnisse angegangen
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Abgedruckt bei Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, 1993, S. 169ff.,
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A.A. wohl Graf von Westphalen, NJW 1990, 83, 85. §15 Abs. 2 PHG. 73 Zur neueren Rechtsprechung des EuGH gegenüber nationalen Vorschriften als Handelshemmnisse, in der sich in der Folge der Entscheidung Keck und Mithouard (Slg 1993,1-6097 = GRUR Int. 1994, 56) eine gewisse Liberalisierung andeuten könnte, s.Joliet, GRUR Int. 1994, 979. 71
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wurde. 7 4 Das wichtigste Mittel dabei wurde die Harmonisierung der einzelstaatlichen Sicherheitsstandards für bestimmte Produkte oder Produktgruppen. 7 5 Mit solchen „vertikalen Richtlinien" sollte sichergestellt werden, daß die richtlinienk o n f o r m e n Produkte ungehindert gemeinschaftsweit zirkulieren konnten. 7 6 D i e größte Regelungsdichte dürfte sich in der Zwischenzeit im Arzneimittelbereich finden, w o die E G insbesondere die Zulassungsvoraussetzungen, bestimmte Aspekte des Zulassungsverfahrens und die Marktüberwachung durch die zuständigen Behörden regelte. 7 7 D i e Richtlinie 7 5 / 3 1 9 / E W G 7 8 enthält in Art. 28 im R a h m e n der Nachmarktkontrolle auch die Befugnis der nationalen B e hörden, Rückrufe von Medikamenten anzuordnen. Ein solcher „ R ü c k r u f " , der richtigerweise nur der Widerruf bzw. die Aussetzung der Genehmigung des I n verkehrbringens ist, 7 9 ist jedoch nur im jeweiligen Mitgliedsstaat wirksam. Allerdings sollen die Mitgliedstaaten solche Maßnahmen (soweit sie nicht vorläufiger N a t u r sind) dem Spezialitätenausschuß 8 0 mitteilen. Bei technologisch hochwertigen Arzneimitteln 8 1 m u ß diese Mitteilung bereits vor der Entscheidung der nationalen B e h ö r d e erfolgen. 8 2 Dadurch soll eine einheitliche Marktüberwachung in den einzelnen Mitgliedstaaten erleichtert werden. D e m gleichen Ziel dient die Verpflichtung der Hersteller von Arzneimitteln, freiwillige R ü c k r u f e ebenfalls dem Spezialitätenausschuß mitzuteilen. 8 3 Weiter auf diesem Weg zu einer einheitlichen Zulassung und Kontrolle von Arzneimitteln geht die Schaffung einer europäischen Arzneimittelbehörde. Sie wurde auf Vorschlag der Kommission 8 4 am 22. Juli 1993 v o m Rat beschlossen. 8 5 In dieses Maßnahmenpaket 8 6 gehört auch die Verbesserung der „Pharmakovigilanz", d.h. der Marktkontrolle von Arzneimitteln. 8 7 Dadurch werden den H e r stellern u.a. Berichts- und Informationspflichten über die negativen Erfahrungen Beschlossen am 28.5. 1969, ABl. Nr. C 76 v. 17.6. 1969, S. lff. S.Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, S.258ff. 76 Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S.446. 77 S. die Darstellung bei Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S.454ff. 78 ABl. Nr. L 147 v. 9.6. 1975, S. 13ff. 79 Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S. 456. 80 Dieser durch die Richtlinie 75/319/EWG geschaffenen Ausschuß soll die Zulassung und die Marktüberwachung innerhalb der EG koordinieren, hat jedoch keine Entscheidungsbefugnisse. 81 Dies sind z.B. gentechnisch erzeugte Arzneimittel. 82 Richtlinie 87/22/EWG, ABl. Nr. L 15 v. 17.1. 1987, S.36ff. 83 Richtlinie 89/341/EWG vom 3.5. 1989, ABl. Nr. L 142 v. 3.5. 1989, S. 11 ff. 84 Memorandum der Kommission, Kom (90) 283 endg., ABl. Nr. C 330 v. 31.12. 1990, S. lff. 85 Verordnung des Rates 2309/93, ABl. Nr. L 214,1993, S. lff. Im Zusammenhang damit waren am 14.6. 1993 verschiedene Richtlinienvorschläge der Kommission verabschiedet worden, die die entsprechenden Harmonisierungsmaßnahmen anordnen; Richtlinie 93/39, ABl. Nr. L 214,1993, S.22ff.; Richtlinie 93/40, ABl. Nr. L. 214,1993, S.31ff. und Richtlinie 93/41, ABl. Nr. L 214,1993, S. 40ff. Die Harmonisierung sollte am 1.1. 1995 erfolgt sein und das neue System in Kraft treten. S. die ausführliche Darstellung bei Kingman/Bogaert/Eddy, 49 Food & Drug L. J. 301-321 (1994). 86 S. ausführlich dazu Friedel/Freundlich, 49 Food Sc Drug L. J. 141-170 (1994). 87 S. insbesondere die Richtlinie 93/39, a.a.O. 74 75
116
Europäische Union
mit Ihren Produkten sowie Organisationspflichten auferlegt, um angemessen auf solche Informationen reagieren zu können. D i e Nichterfüllung dieser Pflichten kann mit dem Entzug der Zulassung geahndet werden. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, damit Kliniken und Ärzte über solche Erfahrungen Bericht erstatten. Die europäische Behörde kann einen R ü c k r u f bzw. das Verbot der Vermarktung oder der Verwendung allerdings nicht von sich aus anordnen. D a z u ist vielmehr ein gemeinschaftliches Verfahren vorgesehen. 8 8 N e b e n den Arzneimitteln finden sich Regelungen der E G für gefährliche Stoffe und Substanzen, worunter insbesondere chemische Stoffe und Zubereitungen, Pflanzenschutzmittel und Kosmetika erfaßt sind. 89 Chemische Substanzen wurden bereits durch die Richtlinie 67/548/EWG vom 27. J u n i 1967 über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe 9 0 erstmals auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene geregelt. Ahnliche Regelungen bestehen auch für chemische Zubereitungen, d.h. Fertigprodukte 9 1 , für Pflanzenschutzmittel 9 2 und für Kosmetika 9 3 . Zahlreiche Richtlinien sind für technische Produkte erlassen w o r den. 94 Diese Richtlinien enthalten meist Vorschriften über Sicherheitstsandards für die betroffenen Produkte, gegebenenfalls Anmelde- und Zulassungsverfahren und über die gemeinschaftsweite Verkehrsfähigkeit, wenn sie den Vorschriften entsprechen. Rückrufvorschriften, die den gesamten Markt betreffen, sind nicht enthalten. 95 Allerdings ist den Mitgliedstaaten in Gefahrsituationen die Vornahme vorläufiger Maßnahmen gestattet. Diese Maßnahmen, zu denen auch behördlich angeordnete Rückrufaktionen gehören können, haben jedoch nur nationale Wirkung. Eine solche Durchbrechung des Prinzips der gemeinschaftsweiten Verkehrsfähigkeit soll durch den von diesen einseitigen Maßnahmen ausgelösten Konsultationsprozeß abgefedert werden. D i e Kontrolle der Einhaltung der Sicherheitsstandards und die notwendigen Gefahrbeseitigungsmaßnahmen bleiben somit in der K o m p e t e n z der Mitgliedstaaten, wobei jedoch ihr Handlungsspielraum hinKingman/Bogaert/Eddy, 49 Food & Drug L. J. 301 (1994) S.303, 312. Ausführlich zu diesen Regelungen Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S. 468ff. 90 ABl. Nr. 196 v. 16.8. 1967, S.lff. Zuletzt geändert durch die Richtlinie des Rates 92/32/ E W G vom 30. April 1992 zur siebten Änderung der Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe, ABl. Nr. L 154 v. 5.6. 1992, S. lff. 91 Richtlinie 88/379/EWG vom 7.6. 1988 über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen, ABl. Nr. 187 v. 16.7. 1988, S. 14ff. 92 Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. Nr. L 203 v. 19.8. 1991, S.lff. 93 Richtlinie 76/768 vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, ABl. Nr. L 262 v. 27.9. 1976, S. 169ff. 94 So für einfache Druckbehälter, Spielzeuge, Bauprodukte, elektromagnetische Verträglichkeit, Maschinen, persönliche Schutzausrüstungen, nichtselbsttätige Waagen, aktive implantierbare medizinische Geräte, Gasverbrauchseinrichtungen, bewegliche Maschinen, medizintechnische Produkte, Telekommunikationseinrichtungen. S. die Auflistung und die Fundstellen bei Keßler, EuZW 1993, 751, Fn.4. 95 Ausnahme ist die Regelung für Arzneimittel, s.o. 88
89
117
Produktsicherheitsrichtlinie
sichtlich der regulierten Produkte durch die Beschränkung auf vorläufige M a ß nahmen begrenzt ist. D e r Fall, daß Produkte in einem Mitgliedsstaat von den Sicherheitsbehörden aus dem Verkehr gezogen werden, während sie in anderen weiterhin frei verfügbar sind, gehört längst noch nicht der Vergangenheit an. 96
B. Die Richtlinie über allgemeine Produktsicherheit I. Produktübergreifender
(PSRL)97
Ansatz
A m 2 9 . 6 . 1992 hat der Ministerrat der E G die Richtlinie über allgemeine P r o duktsicherheit verabschiedet. 9 8 Sie hätte von den Mitgliedstaaten bis zum 29. Juni 1994 umgesetzt werden müssen; in Deutschland ist dies verspätet erst am 1.8. 1997 geschehen. 9 9 Ahnlich wie der Produkthaftungsrichtlinie gingen auch der Richtlinie über allgemeine Produktsicherheit (Produktsicherheitsrichtlinie, P S R L ) jahrelange Vorarbeiten voraus, wobei man sich auf die Erfahrungen mit den „vertikalen" Richtlinien, auf Produktsicherheitsgesetze in Frankreich 1 0 0 und Großbritannien 1 0 1 wie auch auf zahlreiche Anregungen aus der verbraucherpolitisch orientierten Literatur stützen konnte. 1 0 2 D i e Richtlinie war politisch heftig umstritten. Gerade Deutschland hatte sich gegen ihre Verabschiedung gewandt, war dabei jedoch überstimmt worden. D e r Widerstand richtete sich insbesondere gegen die Regeln für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission 1 0 3 und die Ü b e r t r a gung von sicherheitspolitischen Entscheidungs-und Anordnungsbefugnissen auf die Kommission. 1 0 4 N a c h dem erreichten K o m p r o m i ß hat die K o m m i s s i o n zwar 96 S. das Beispiel lebensgefährlicher Halogen-Stehleuchten, die Anfang 1993 in Deutschland mit einem Verbot belegt worden waren, in den Niederlanden und Belgien mangels Information über die Gefährlichkeit noch länger zirkulieren konnten, VPK Nr. 35 v. 30. August 1994, S. 2f. 97 S. Micklitz, VuR 1992,261 ; Davis, ECLJ 1992,138; Good/Easter, [1993] 1 EIPR 10; Keßler, EuZW 1993, 751; Argiros, Legal Issues of European Integration 1994/1, 125; Hoffmann, in: La sécurité des produits des consommation, 1992, S. 5-22;Joerges, in: Sécurité des produits et mécanismes de contrôle dans la Communauté européenne, 1990, S. 177-213; ders., in: Technische Regeln im Binnenmarkt, 1991, 159-201; Gielisse, 3 Revue du Marché Unique Européen 49 (1992). 98 Richtlinie 92/59/EWG, ABl. Nr. L 228 v. 11.8. 1992, S.24ff. 99 Bisher liegt nur der Entwurf eines Produktsicherheitsgesetzes (PSG) des Bundeswirtschaftsministeriums vom 8.6. 1995 vor. 100 Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, S. 62ff.; Loosli, BEUC News, Legal Supplement No. 11, July 1985, 1-5; Heloire, in: Post Market Control of Consumer Goods, 1990, S.213-257. 101 S. zum britischen Gesetz Weatherill, Eur. Zeitschr. f. VerbraucherR 1987,75-89; ders., 13 J. Cons. Policy 79 (\99Q);Joerges/Falke/Micklitz/Brüggemeier, S. 106ff. 102 Micklitz, CMLR23 (1986) (>17; Falke, BEUC Legal News No. 16(Nov./Dec. 1986),S.1624; ders., 12 J. Cons. Policy 207-228 (1989). 103 Falke, in: Federalism and Responsibility, 1994, S.215-231. 104 Nach Verabschiedung der Richtlinie hat die Bundesregierung Klage zum EuGH eingereicht, weil der als Rechtsgrundlage angegebene Art. 100a EWG-Vertrag diese Befugniseinräumung nicht trage. In seinem Urteil vom 9.8.1994 hat der EuGH die Klage jedoch abgewiesen; S. Bundesrepublik Deutschland gegen Rat der Europäischen Union (Rs. C-359/92), EWS 1994,312.
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Union
die Möglichkeit, EU-weite Rückrufe anzuordnen, doch reicht die einmalige Lektüre der kumulierten Voraussetzungen 105 und prozeduralen Umwege und Absicherungen, um berechtigte Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß die Kommission auch tatsächlich in der Lage sein wird, rechtzeitig dringende sicherheitspolitische Maßnahmen europaweit durchzusetzen. 106 Auch ging die Umsetzung der Vorschriften der ungeliebten Richtlinie über das nationale Produktsicherheitssystem in Deutschland nur zögerlich voran. 107 Im Gegensatz zu den bereits vorhandenen „vertikalen" Produktsicherheitsrichtlinien geht die Richtlinie über allgemeine Produktsicherheit von einem „horizontalen" Ansatz aus, d.h. sie ist nicht nur auf bestimmte Produkte anwendbar, sondern generell auf „jedes Produkt, das für Verbraucher bestimmt ist oder von Verbrauchern benutzt werden könnte und das entgeltlich oder unentgeltlich im Rahmen einer Geschäftstätigkeit geliefert wird, unabhängig davon, ob es neu, gebraucht oder wiederaufgearbeitet ist."108
II.
Sicherheitsmaßstab
Zweck der PSRL ist es sicherzustellen, daß die in Verkehr gebrachten Produkte sicher sind.109 Sicher ist ein Produkt, „das bei normaler oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung, was auch die Gebrauchsdauer einschließt, keine oder nur geringe, mit seiner Verwendung zu vereinbarende und unter Wahrung eines hohen Schutzniveaus für die Gemeinschaft und Sicherheit von Personen 105
Die Kommission muß Kenntnis von einer ernsten und unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher in mehr als einem Mitgliedsstaat durch Notifizierung oder übermittelte Informationen von einem Mitgliedsstaat erhalten haben; einer oder mehrere Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen zur Beschränkung des Inverkehrbringens oder die Rücknahme eines Produktes angeordnet haben; zwischen den Mitgliedstaaten müssen Meinungsverschiedenheiten über die zu ergreifenden Maßnahmen bestehen; die Gefahr kann nach den für das Produkt einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften nicht in mit der Dringlichkeit des Problems zu vereinbarender Weise bewältigt werden; und die Gefahr kann nur durch Erlaß geeigneter und gemeinschaftsweit anwendbarer Maßnahmen angemessen bewältigt werden. 106 Ebenfalls kritisch Micklitz, VuR 1992, 261, 265 f. 107 S. dazu die Berichte der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, „Regierung will Produktsicherheit unter EG-Niveau", VPK Nr. 2 v. 11.1. 1994, S. 1 ff.; „Bundesregierung verzögert Produktsicherheit", VPK Nr. 13 v. 29.3. 1994, S. lf.; „Bundesregierung verweigert Umsetzung der EU-Richtlinie", VPK Nr.26 v. 28.6. 1994, S.5f.; „Bundesregierung verweigert mehr Produktsicherheit", VPK Nr. 35 v. 30.8. 1994, S.2f. Am 8.6.1995 hat jedoch das Bundeswirtschaftsministerium einen überarbeiteten Entwurf eines Produktsicherheitsgesetzes (PSG) vorgelegt, der nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat mit geringfügigen Änderungen schließlich am 1.8. 1997 in Kraft treten konnte. 108 Art. 2 a) PSRL. Diese weite Definition erfaßt auch Produkte, wie etwa Spielzeug, Heimwerkermaschinen etc., für die auch spezielle Richtlinien bestehen. Diese werden jedoch durch die PSRL nicht außer Kraft gesetzt sondern nur ergänzt. 109 Art. 1 (1) PSRL.
119
Produktsicherheitsrichtlinie
vertretbare Gefahren birgt." 110 Bei dieser Beurteilung müssen die Eigenschaften des Produktes wie seine Zusammensetzung, seine Verpackung, die Bedingungen für einen Zusammenbau und seine Wartung ebenso berücksichtigt werden wie seine Einwirkung auf andere Produkte bei gemeinsamer Verwendung, seine Aufmachung, seine Gebrauchs- und Bedienungsanleitungen sowie die Gruppen von Verbrauchern, die bei der Verwendung des Produktes einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, vor allem Kinder.111 Allerdings werden allein durch die Einhaltung von Sicherheitsstandards die Behörden des Mitgliedstaates nicht daran gehindert, die Vermarktung eines Produktes zu beschränken oder dessen Rücknahme vom Markt zu verlangen, wenn es trotzdem für die Gesundheit oder die Sicherheit der Verbraucher gefährlich ist.112
III. Verpflichtungen
der
Hersteller
Ungewöhnlich für eine Richtlinie, die sich an die Mitgliedstaaten richtet und ihnen Harmonisierungsmaßnahmen bezüglich der nationalen Gesetzgebung vorschreibt, werden in Art. 3 PSRL „Allgemeine Sicherheitsverpflichtungen" der Hersteller und Händler aufgestellt. Danach dürfen Hersteller nur sichere Produkte im soeben definierten Sinn in Verkehr bringen. Außerdem werden dem Hersteller Instruktions- und Warnpflichten gegenüber dem Verbraucher auferlegt. Ferner müssen sie angemessene Maßnahmen für eine Beobachtung der Produkte ergreifen, damit sie die etwaigen von dem Produkt ausgehenden Gefahren erkennen können, sowie die zweckmäßigen Vorkehrungen treffen, um die zur Vermeidung dieser Gefahren erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Rücknahme des betreffenden Produkts vom Markt wirksam durchführen zu können.113 Die Händler dürfen keine Produkte liefern, von denen sie wissen oder wissen müssen, daß sie die Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen. Außerdem müssen sie an der Produktbeobachtung, der Weitergabe entsprechender Informationen und den Gefahrvermeidungsmaßnahmen wie z.B. Rückrufen mitwirken.114 Nach diesem Wortlaut legt die Richtlinie den Herstellern somit umfangreiche Organisationspflichten für die Durchführung von Produktbeobachtungs-, Warnund eventuellen Rückrufaktionen auf, für die der Maßstab der Angemessenheit Art. 2 b) PSRL. Nach Art. 4 PSRL besteht eine Vermutung für die Sicherheit eines Produktes, wenn es mit den EU-rechtskonformen Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen des Mitgliedstaates, in dem es sich in Verkehr befindet, in Einklang steht. Ohne solche spezifischen Vorschriften, wird es als Erfüllung der allgemeinen Sicherheitsstandards bewertet, wenn das Produkt z.B. mit Verhaltenskodices der betreffenden Branche oder dem Stand der Kenntnisse und der Technik sowie der Sicherheit, welche der Verbraucher billigerweise erwarten darf, übereinstimmt. 112 Art. 4 (3) PSRL. 1 1 3 Art. 3 (2) PSRL. 114 Art. 3 (3) PSRL. 110 111
120
Europäische
Union
und der Zweckmäßigkeit gilt. 115 Die danach erforderlichen Maßnahmen können z.B., soweit zweckmäßig, die Kennzeichnung der Produkte zur besseren Identifizierung, die Durchführung von Stichprobem bei in Verkehr gebrachten Produkten, die Untersuchung von Verbraucherbeschwerden sowie die Unterrichtung der Händler umfassen. Allerdings schweben alle diese Verpflichtungen der Hersteller und Händler zunächst im luftleeren Raum, da die Richtlinie keinerlei gemeinschaftsrechtliche Sanktion für ihre Verletzung vorsieht. Diese sind vielmehr dem gemäß der P S R L zu harmonisierenden nationalen Recht vorbehalten. 1 1 6
IV. Verpflichtungen
der
Mitgliedstaaten
Die P S R L verpflichtet gern Art. 5 die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Regeln zu erlassen, um sicherzustellen, daß die Hersteller und Händler die sich für sie aus dieser Richtlinie ergebenden Pflichten einhalten. Die Richtlinie geht ferner davon aus, daß diese Verpflichtung der Mitgliedstaaten nicht (allein) durch die Auferlegung zivilrechtlicher Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückrufpflichten erfüllt werden kann. Gedacht ist vielmehr an den Aufbau eines verwaltungsrechtlichen Kontroll- und Rückrufsystems. So werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Behörden zu schaffen und zu benennen, welche die Ubereinstimmung der Produkte mit den Sicherheitsvorgaben kontrollieren. Außerdem müssen diese Behörden die erforderlichen Befugnisse haben, geeignete Maßnahmen der Sicherheitskontrolle, der Gefahrvermeidung und der Sanktion von Zuwiderhandlungen zu treffen. Art. 6 listet beispielhaft Maßnahmen auf, zu deren Erlaß die Mitgliedstaaten befugt sind. Sie können u.a. darauf gerichtet sein, -
die Sicherheitseigenschaften eines Produktes, auch wenn es bei Inverkehrbringen sicher war, in angemessenem Umfang bis zur letzten Stufe des Gebrauchs oder Verbrauchs zu überprüfen,
-
von allen Beteiligten die entsprechenden Informationen zu verlangen,
115 Häufig wird aus dieser Vorschrift die Verpflichtung der Hersteller zur Vornahme von Rückrufen auf eigene Initiative herausgelesen; so etwa Kurer/Mclntosh/Schwenninger, SJZ 1994, 169, 176; Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S.492. Tatsächlich ist damit aber wohl nur die Verpflichtung zur Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen dafür gemeint, Rückrufaktionen, wenn sie von den Sicherheitsbehörden angeordnet werden, effektiv durchführen zu können. Der englische Text von Art. 3 Ziff. 2. P S R L ist insoweit möglicherweise klarer als der deutsche; er lautet: „...producers shall... adopt measures ... to enable them ... to take appropriate action including, if necessary, withdrawing the product in question from the market to avoid these risks." § 4 ProdSG setzt diese Richtlinienvorschrift jedoch, die obigen Stimmen bestätigend, um, indem er formuliert: „Der Hersteller hat... den Eigenschaften des Produkts angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um eine vom Produkt ausgehende Gefahr zu erkennen und diese abzuwenden..." Richtiger wäre wohl: „... zu ergreifen, damit sie imstande sind, eine vom Produkt ausgehende Gefahr... abzuwenden". 116 Die Formulierung bei Reich, Europäisches Verbraucherrecht, S. 492f., daß es sich hier für den Hersteller um eine „verschuldensunabhängige" Verpflichtung handele und der Händler einer verschuldensabhängigen Sorgfaltspflicht unterliege, ist deshalb zumindest insoweit mißverständlich.
Produktsicherheitsrichtlinie
121
- das Inverkehrbringen eines Produktes an die Erfüllung von Vorbedingungen zu knüpfen, u m das Produkt sicher zu machen und das Anbringen geeigneter Warnhinweise zu verlangen, -
zu veranlassen, daß alle möglicherweise Gefährdeten rechtzeitig und in geeigneter F o r m gewarnt werden,
-
vorübergehend Lieferung, Anbieten der Lieferung und Ausstellung von Produkten zu verbieten, wenn genaue und übereinstimmende Indizien für deren Gefährlichkeit vorliegen,
-
das Inverkehrbringen zu verbieten, wenn sich die Gefährlichkeit erwiesen hat, und die R ü c k n a h m e bereits auf dem M a r k t befindlicher Produkte und nötigenfalls deren Vernichtung unter geeigneten Bedingungen effizient und sofort zu organisieren.
Das Maßnahmenspektrum, das nach der Richtlinie den einzelstaatlichen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden soll, ist also sehr breit, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß Art. 6 keine abschließende Aufzählung enthält. Hinsichtlich der zuletzt aufgeführten Rücknahme- bzw. Rückrufmaßnahmen fällt auf, daß die Richtlinie, anders als die US-amerikanischen Sicherheitsgesetze, keine (kostenlosen) Nachlieferungs- oder Reparaturmaßnahmen oder die Kaufpreisrückzahlung vorsieht. Bei der Anordnung solcher Pflichten handelt es sich um ihrer Natur nach eher zivilrechtliche Regelungen, die Rechtsfolgen und Ansprüche zwischen Privatpersonen betreffen; sie würden deshalb zur verwaltungsrechtlichen Ausrichtung der P S R L schlecht passen. Ihre Aufnahme hätte auch zu Friktionen mit der Produkthaftungsrichtlinie geführt, welche eine verschuldensunabhängige Haftung für Entwicklungsrisiken, auf die solche Pflichten hinauslaufen würden, gerade nicht vorsieht. 117 Allerdings würde die P S R L einer Einführung solcher Verpflichtungen in den nationalen Sicherheitsgesetzen wohl auch nicht entgegenstehen, da die Liste der Maßnahmen in Art. 6 nicht abschließend ist und nur durch die Beachtung der Regeln des freien Warenverkehrs und der Prinzipien der Zweckmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird. Die von den nationalen Sicherheitsbehörden zu treffenden Maßnahmen können sich an den Hersteller, die Händler und Importeure, aber auch an jede andere Person richten, wenn sich dies zur Gefahrvermeidung als notwendig erweist. 118 Damit können auch Verbraucher zur Mitwirkung bei den Gefahrvermeidungsmaßnahmen verpflichtet werden, indem ihnen z. B. aufgegeben wird, gefährliche Produkte nicht mehr zu benutzen oder zurückzugeben. Interessant ist, daß durch die Inpflichtnahme der Händler und die möglichen Mitwirkungspflichten der Verbraucher Schutzlücken geschlossen werden (können), welche gegenwärtig z.B. nach dem deutschen Gerätesicherheitsgesetz noch bestehen. 119 Bei den Maßnahmen, durch welche die Rücknahme des Produktes vom Markt angeordnet wird, ist ferner dem Bestreben Rechnung zu tragen, Händler, Benutzer und Verbraucher zur Mitwirkung bei der Durchführung dieser Maßnahmen zu veranlassen. 117 S. allgemein zum Verhältnis der beiden Richtlinien zueinander Calais-Auloy, 159-165. 118 Art. 6 (2) PSRL. 119 Michlitz, VuR 1992, 261, 262.
R E D C 1994,
122
Europäische Union
V. Deliktsrechtliche Rückrufpflichten und PSRL I m H i n b l i c k auf die deliktsrechtliche Regelung von Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückrufpflichten im nationalen Recht ist nach dem Vorstehenden zweierlei festzuhalten: D i e Richtlinie verlangt zum einen nicht die Einführung oder den Ausbau solcher deliktsrechtlicher Pflichten; sie steht dem aber auch nicht entgegen. Z u m anderen reicht das Bestehen entsprechender deliktsrechtlicher Pflichten nicht aus, den Umsetzungsverpflichtungen der P S R L zu genügen. Insofern sind die Mitgliedstaaten in der Wahl der Mittel zur Umsetzung der Richtlinie nicht völlig frei. Sie geht vielmehr von einem verwaltungsrechtlich fundierten System der Marktkontrolle gefährlicher G ü t e r und der Abwendung der davon ausgehenden Gefahren aus. Dies bedeutet, daß die P S R L die im R a h m e n der deutschen verschuldensabhängigen Produkthaftung bestehenden oder weiter zu entwickelnden Warn- und Rückrufpflichten der Hersteller und Händler nicht direkt berührt. Sie ergänzt diese vielmehr durch ein verwaltungsrechtliches Rückrufsystem, welches allenfalls indirekte Wirkungen im Deliktsrecht entfalten kann. 1 2 0
C. Verhältnis der Produktbaftungs-
zur
Produktsicherheitsrichtlinie
D i e Produkthaftungs- und die Produktsicherheitsrichtlinie bezwecken zwar beide den Schutz der Verbraucher, doch folgen sie dabei unterschiedlichen Ansätzen. Während die P H R L auf die Kompensation von Schäden der Verbraucher durch „fehlerhafte" Produkte mit zivilrechtlichen Mitteln gerichtet ist, geht es bei der P S R L u m die Prävention von Schäden durch „unsichere" Produkte mit Hilfe eines verwaltungsrechtlichen Anordnungs- und Vollzugsinstrumentariums. 1 2 1 D i e P S R L stellt weder unmittelbar wirkende und privatrechtlich durchsetzbare Sorgfaltspflichten der Hersteller auf, n o c h sanktioniert sie deren Verletzung durch Schadensersatzansprüche der Geschädigten.' 2 2 Wäre dies anders, würde die in langen politischen Auseinandersetzungen erreichte K o m p r o m i ß l ö s u n g der P H R L aus dem Gleichgewicht gebracht. Wie gezeigt, führen die Fehlerdefinition der P H R L und die vorgesehenen Haftungsausschlüsse dazu, daß eine Kompensation für die Verwirklichung von E n t w i c k 120 Z.B. im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB oder durch Auswirkungen in der Praxis, indem ein effektives veraltungsrechtliches Warn- und Rückrufsystem deliktsrechtliche Haftungsverfahren überflüssig machen könnte. 121 Davis, ECLJ 1992, 138, 140f.; Calais-Auloy, REDC 1994, 159. 122 Richtlinien der Europäischen Union richten sich im Gegensatz zu Verordnungen nicht an die Bürger direkt, sondern an die Einzelstaaten. Auch wenn die PSRL in Art. 3 Sicherheitsverpflichtungen für Hersteller und Händler aufstellt, folgt daraus nicht ohne weiteres, daß diese unmittelbar an diese Vorschriften gebunden sind. Dazu bedarf es vielmehr der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht. Art. 5 verpflichtet deshalb die Mitgliedstaaten, die entsprechenden Rechtsvorschriften zu erlassen, um sicherzustellen, daß Hersteller und Händler ihre sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen einhalten. Zur Möglichkeit einer horizontalen Direktwirkung von Richtlinien nach der Rspr. des EuGH s. unten D III 1.
Produktsicherheitsrichtlinie
123
lungsgefahren 1 2 3 nicht erfolgt. D e r zentrale Begriff des „fehlerhaften" Produkts der P H R L weist einen subjektiven Einschlag auf 1 2 4 , der dem Parallelbegriff des „gefährlichen" bzw. unsicheren Produkts der P S R L fremd ist. O b ein Produkt sicher ist, wird objektiv und im H i n b l i c k auch auf seine Gebrauchsdauer definiert, berücksichtigt somit auch die Entwicklungsgefahren. Gefahrabwendungsmaßnahmen können dem Hersteller nach der P S R L auch für beim Inverkehrbringen im Sinne der P H R L fehlerfreie Produkte treffen. W ü r d e die P S R L an die Verletzung der öffentlich-rechtlichen Sicherheitspflichten des Herstellers unmittelbar privatrechtliche Ansprüche knüpfen, entstünde ein schwerer Konflikt mit der P H R L . Genau dies will die P S R L ausweislich der ausdrücklichen Regelung in Art. 13 jedoch vermeiden, welche lautet: „Diese Richtlinie läßt die Richtlinie 85/ 3 7 4 / E W G [die P H R L ] unberührt." 1 2 5 Andererseits wird dadurch jedoch nicht die Möglichkeit für die nationalen B e hörden oder die K o m m i s s i o n (im Notfallverfahren) ausgeschlossen, im R a h m e n der Anordnung von Produktrücknahmen oder -rückrufen deren kostenlose R e paratur, Nachbesserung etc. zu verlangen oder mit den U n t e r n e h m e n zu vereinbaren. D a b e i würde es sich um eine nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässige sicherheitspolitische (also: öffentlich-rechtliche) Präventionsmaßnahmen handeln, nicht um eine mit den Zielen der P H R L konfligierende zivilrechtliche Haftung für Entwicklungsrisiken. Es würden damit auch nicht „Rechte der Geschädigten" eingeführt, die die P S R L nach den Begründungserwägungen unberührt lassen will, sondern öffentlich-rechtliche Verpflichtungen aufgestellt und durchgesetzt, die allein v o m Präventionszweck der P S R L , nicht vom Kompensationszweck der P H R L bestimmt sein dürfen. Soweit dabei reflexhaft eigentlich haftungsrechtliche Interessen der Verbraucher mitgeschützt werden, muß dies in Kauf genommen werden und kann nicht als eine „ U m g e h u n g " der P H R L angesehen werden. D e r Grundsatz, daß die P S R L die P H R L unberührt läßt, gilt auch hinsichtlich der Würdigung von Entscheidungen der K o m m i s s i o n oder der nationalen B e h ö r den aufgrund der P S R L im R a h m e n einer privatrechtlichen Haftungsklage nach der P H R L . Soweit die Behörden das Inverkehrbringen eines Produkts wegen seiner Risiken für Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher beschränken, an B e dingungen knüpfen, Warnhinweise verlangen oder aussprechen, die R ü c k n a h m e des Produkts anordnen etc., kann daraus wegen der unterschiedlichen Zwecke und Eingreifkriterien der beiden Richtlinien nicht unmittelbar auf die Fehlerhaftigkeit des Produkts im Sinne der P H R L und eine Haftung des Herstellers geschlossen werden. 1 2 6 Allerdings gehören solche Maßnahmen zu den Umständen, 123 Außer in den Grenzfällen, in denen der Hersteller seiner Beweislast für das Vorliegen der entsprechenden Haftungsausschlußgründe nicht genügen kann.
124
Schubert, PHI 1989, 74.
Die Begründungserwägungen stellen dazu fest: „Diese Richtlinie hat keine Auswirkungen auf die Rechte der Geschädigten im Sinne der Richtlinie 85/374/EWG..." ABl. Nr. L 228 v. 11.8. 1992, S.25. 126 Für die strafrechtliche Haftung wird dies ausdrücklich in Art. 14 (3) PSRL festgestellt. 125
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die für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des Produkts herangezogen werden können und müssen. So wie die Verletzung von Sicherheitsstandards und Sicherheitspflichten der P S R L (aber auch der „vertikalen" Produktsicherheitsrichtlinien) nicht unmittelbare Produkthaftungsansprüche auslöst, immunisiert auch deren Erfüllung den Hersteller nicht automatisch gegen Schadensersatzansprüche nach den die P H R L in nationales Recht umsetzenden Vorschriften. 1 2 7 Das Produkt kann dennoch fehlerhaft im Sinne der P H R L sein, insbesondere weil die P S R L nur einen M i n desstandard der Sicherheit definiert. 1 2 8 Allerdings kann die Richtlinienkonformität durchaus als Indiz für die Fehlerfreiheit herangezogen werden. Eine Frage des nationalen, nicht des europäischen Rechts ist es ferner, inwieweit die Nichtbeachtung der Sicherheitspflichten nach der P S R L eine privatrechtliche Haftung nach dem neben der P H R L weitergeltenden nationalen verschuldensabhängigen Produkthaftungsrecht begründen bzw. ihre Beachtung sie ausschließen kann.
D. Umsetzung der Produktsicherheitsrichtlinie
in deutsches Recht
I. Die Novelle zum Gerätesicherheitsgesetz 1992 D i e P S R L sieht in Art. 1 7 ( 1 ) vor, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts-und Verwaltungsvorschriften zu ihrer Umsetzung in nationales Recht bis spätestens zum 2 9 . 6 . 1994 hätten erlassen müssen. Dies ist in Deutschland, wohl auch im H i n b l i c k auf die zu diesem Zeitpunkt noch anhängige, inzwischen aber abgewiesene Klage auf Nichtigkeit von Art. 9 P S R L , nicht rechtzeitig, sondern erst über drei Jahre später zum 1.8. 1997 geschehen. Allerdings ist bereits am 2 6 . 8 . 1992 in zumindest zeitlichen Zusammenhang mit der am 2 9 . 6 . 1992 im Ministerrat verabschiedeten P S R L eine Novelle zum Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz, G S G ) verabschiedet worden, in der einige Aspekte der Richtlinie berücksichtigt wurden. 1 2 9 Sachlich war der Anwendungsbereich des G S G bereits vorher weit über die im offiziellen N a m e n genannten technischen Arbeitsmittel hinaus in den Bereich der Konsumgüter hinein ausgedehnt worden 1 3 0 ; allerdings ist er nicht mit dem der P S R L identisch. 127 Die PHRL sieht einen Haftungsausschlußgrund nur dann vor, wenn die Fehlerhaftigkeit auf der Befolgung obligatorischer staatlicher Standards beruht. Art. 7 d) PHRL. 128 So auch Wagner, BB 1997, 2541f. 129 Die Novelle diente auch der Umsetzung der für die Gerätesicherheit einschlägigen „vertikalen" Richtlinien. S. zur Novelle des GSG Sattler, EuZW 1992,764 und zu ihrem Verhältnis zur PSRL Keßler, EuZW 1993, 751 und Micklitz, VuR 1992, 261. S. allgemein zum GSG den Kommentar von Jeiter. 130 §2 GSG. Neben Werkzeugen, Arbeitsgeräten, Arbeits- und Kraftmaschinen, Hebe- und Fördereinrichtungen sowie Beförderungsmittel (Fahrzeuge, Fahrzeugteile und Fahrzeugzubehörartikel sind jedoch vom Anwendungsbereich des GSG ausgeschlossen, § 1 Abs. 2 Nr. 1.) stehen den Arbeitseinrichtungen u.a. gleich: Einrichtungen, die zum Beleuchten, Beheizen, Kühlen
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Der Sicherheitsbegriff des G S G ist in § 3 enthalten. Danach dürfen technische Arbeitsmittel nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie den einschlägigen sicherheitstechnischen Vorschriften entsprechen und Leben und Gesundheit oder sonstige geschützte Rechtsgüter der Benutzer oder Dritter bei bestimmungsgemäßer Verwendung nicht gefährdet werden. Dabei ist die bestimmungsgemäße Verwendung diejenige, für die die technischen Arbeitsmittel nach Hersteller- oder Händlerangaben geeignet sind, bzw. ihre übliche Verwendung. 131 Die P S R L stellt dagegen auf den vorhersehbaren Gebrauch ab, womit auch vorhersehbare, vom Hersteller nicht gewollte Mißbräuche erfaßt werden. Bestehen keine einschlägigen sicherheitstechnischen Vorschriften, muß das Produkt den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften im Hinblick auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch entsprechen. 132 Auch darin weicht das G S G von der P S R L ab, welche die Sicherheit des Produkts nicht nur in Abhängigkeit vom allgemein anerkannten Stand der Technik definiert. Eine der wichtigsten Änderungen im Rahmen der Novellierung bestand in der Erweiterung des Maßnahmenkatalogs, der den zuständigen Behörden zur Durchsetzung der Sicherheitsvorschriften zur Verfügung steht. Bis zur Gesetzesänderung war die einzige ausdrücklich erwähnte Sanktion die Untersagung des Inverkehrbringens durch die Gewerbeaufsichtsämter. Dabei wurde die Untersagungsverfügung als ultima ratio angesehen; als vorhergehende, weniger gravierende Maßnahmen wurden Belehrungen über die festgestellten Mängel und Anordnungen zu deren Behebung eingesetzt. 133 Diese Möglichkeit von Untersagungsverfügungen besteht weiterhin, denn die Behörde trifft alle erforderlichen Maßnahmen, um das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme des Arbeitsmittels zu verhindern oder zu beschränken oder es aus dem Verkehr zu ziehen, wenn sie feststellt, daß von diesem technischen Arbeitsmittel bei bestimmungsgemäßer Verwendung eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Benutzer oder Dritter oder für andere geschützte Rechtgüter droht. 134 Die Neuregelung präzisiert und ergänzt diese „erforderlichen Maßnahmen" durch die ausdrückliche Erwähnung von Untersagungsverfügungen, Rückrufanordnungen, Sicherstellungen und hoheitlichen Warnungen der Öffentlichkeit. 135 Somit sind waren der Novelle des G S G Rückrufanordnungen nicht nur im Arzneimittelbereich möglich, sondern auch für die vom G S G erfaßten Produkte. Allerdings war über die Bedingungen des Rückrufs nichts gesagt. So war unklar, ob es sich dabei nur um die Rücknahme des Produkts vom Markt handeln soll oder ob auch (kostenlose) Reparaturen, Ersatzlieferungen etc. angeordnet wersowie zum Be- und Entlüften bestimmt sind, Haushaltsgeräte, Sport-, freizeit- und Bastelgeräte sowie Spielzeug. 131 §2 Abs.5 GSG. 132 §3 Abs. 1 GSG. 133 S. zur Praxis Falke, VuR 1987, 3 - 9 mit Beispielen. 134 §5 Abs. 1 GSG. 135 §6 Abs. 1 GSG. Hoheitliche Warnungen sind danach nur gestattet, wenn bei Gefahr im Verzug andere ebenso wirksame Maßnahmen nicht getroffen werden können.
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den können. 1 3 6 Untersagungsverfügungen, Rückrufanordnungen und Sicherstellungen unterliegen generell dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; sie stehen ferner unter dem Vorbehalt, daß die B e h ö r d e von solchen Maßnahmen absehen muß, wenn die A b w e h r der von einem technischen Arbeitsmittel ausgehenden Gefahr durch eigene Maßnahmen der Verantwortlichen sichergestellt wird. 1 3 7 Dies ist einerseits eine Beschränkung der Behörden, eröffnet ihnen andererseits aber auch Verhandlungsspielräume. So können sie mit den betroffenen U n t e r n e h m e n über die Vornahme eines Rückrufs von Unternehmensseite und dessen Bedingungen reden, um eine möglichst wirksame Gefahrenabwehr sicherzustellen. D i e U S amerikanische Praxis der nicht ganz so freiwilligen „voluntary recalls" könnte hier ihre deutsche Parallele finden. Zweifel bestehen jedoch, o b die zuständigen Ä m t e r diesen Spielraum werden nutzen können. 1 3 8 Insgesamt war damit das G S G in der Fassung von 1992 den Vorschriften der P S R L nähergekommen; eine richtlinienkonforme U m s e t z u n g war es jedoch in vielerlei Hinsicht nicht. 1 3 9
II. Das
Produktsicherheitsgesetz
Dies wurde auch von der Bundesregierung erkannt. So wurde am 12.11. 1993 v o m Bundeswirtschaftsministerium der E n t w u r f eines Gesetzes zur U m s e t z u n g der Richtlinie 9 2 / 5 9 / E W G des Rates v o m 29. J u n i 1992 über die allgemeine P r o duktsicherheit (Produktsicherheitsgesetz - P r o d S G ) vorgelegt. Dieser E n t w u r f wurde äußerst kontrovers diskutiert. E r enthielt einen § 2 E - P r o d S G , der den sachlichen Anwendungsbereich definierte und in seinem 2. Absatz nicht weniger als zwölf Produktkategorien aufzählte, auf die das Gesetz keine Anwendung finden sollte. D a z u gehörten u.a. alle Produkte, die den folgenden Gesetzen unterliegen: Bauproduktengesetz, Arzneimittelgesetz, Gentechnikgesetz, Energiewirtschaftsgesetz, Chemikaliengesetz, Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, Gerätesicherheitsgesetz, Pflanzenschutzgesetz, Straßenverkehrsgesetz. D a mit wurden nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände „al-
136 Inhalt der behördlichen Anordnung soll nach Jeiter, § 6 Rdnr. 3 sein, daß dem Verpflichteten aufgegeben wird, „allen Empfängern (Händlern und Verwendern) anzubieten, das mangelhafte technische Arbeitsmittel ihm oder bestimmten Werkstätten (z.B. Vertragswerkstätten) zu übergeben, damit dort der Mangel beseitigt wird". Die Kostentragung ist jedoch nicht geregelt. Nach Jeiter, sei dies nach Zivilrecht zu beurteilen, „d.h., soweit noch Gewährleistungsansprüche bestehen, hat der zur Gewährleistung Verpflichtete (Händler) die Kosten zu tragen". Da er gleichzeitig die Ansicht vertritt, daß der Besitzer des gefährlichen Produktes nicht zur Annahme des Rückrufangebots verpflichtet werden kann, fragt sich allerdings, ob ein Rückruf außerhalb der Gewährleistungspflicht jemals erfolgreich sein kann, wenn dann die Kosten vom Besitzer getragen werden sollen. 137 §6 Abs. 1 S.3 GSG. 138 Falke, VuR 1987,3-9 berichtet, daß die Gewerbeaufsichtsämter nur 2,2% ihrer Arbeitszeit der Durchführung des GSG widmen. 139 S. zu den noch vorhandenen Defiziten Keßler, EuZW 1993, 751; Micklitz, VuR 1992, 261.
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le relevanten Fragen der Sicherheit von Produkten, die die Verbraucher regelmäßig b e n u t z e n , . . . in den Anwendungsbereich von Spezialgesetzen verschoben." 1 4 0 D e r am 8 . 6 . 1995 vorgelegte geänderte Entwurf sorgte zwar dafür, daß zumindest die Rückrufbestimmungen auch auf die ansonsten ausgeklammerten P r o d u k te wie Kraftfahrzeuge etc. anwendbar sind, doch enthält er an anderen Stellen weiterhin Einschränkungen, die in der P S R L nicht enthalten sind. So wird z. B . bei den in unserem Zusammenhang besonders interessierenden Rückrufanordnungen auf die Beschränkung in § 6 Abs. 1 S. 3 G S G verwiesen, wonach sie nur dann zulässig sind, wenn die Gefahrabwendung durch eigene M a ß n a h m e n des Verantwortlichen nicht sichergestellt wird. Eine solche Einschränkung enthält die P S R L nicht. Sie ließe sich allenfalls als Konkretisierung des auch im Rahmen der P S R L geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzips richtlinienkonform interpretieren. Das am 1.8. 1997 in Kraft getretene Produktsicherheitsgesetz entspricht in allen wesentlichen Punkten dem Entwurf. Die Länder haben im Vermittlungsausschuß nur zusätzlich durchgesetzt, daß weitergehende Vorschriften in einigen Landesgesetzen, die insbesondere auch Rückrufe und Warnungen betreffen, weitergelten können, da davon nach Ansicht der Länder auch Fälle erfaßt werden können, die nicht v o m P r o d S G erfaßt sind. Insgesamt ist das P r o d S G als Auffangregelung ausgestaltet. Dies zeigt sich an der unterschiedlichen Intensität, in der das P r o d S G in die vorbestehenden Sicherheitsvorschriften für bestimmte Produktgruppen eingreift. Soweit nämlich in bestimmten Bereichen, wie etwa für Arzneimittel, Gentechnikprodukte, B a u p r o dukte etc. Spezialgesetze vorliegen, die bereits (der P S R L entsprechende oder darüber hinausgehende) Sicherheitsstandards für die betroffenen Produkte aufstellen und die Möglichkeit behördlicher R ü c k r u f - u n d Warnmaßnahmen enthalten, gehen diese dem P r o d S G vor; es ist darauf nicht anwendbar. 1 4 1 Stellen bereits gestehende Spezialgesetze hingegen nur Sicherheitsstandards auf, sehen sie aber keine behördlichen R ü c k r u f - und Warnmaßnahmen vor, findet das P r o d S G nur im H i n b l i c k auf die Sicherheitsstandards keine Anwendung; 1 4 2 seine Regelungen über Warnungen und Rückrufe gelten nun jedoch auch für diese Produkte. Zu diesen Produkten gehören u.a. die im Zusammenhang mit tatsächlichen R ü c k r u f maßnahmen besonders bedeutsamen Automobile. Das P r o d S G räumt dem Kraftfahrtbundesamt somit erstmals die Möglichkeit ein, R ü c k r u f e und Warnaktionen anzuordnen. In seinem vollen U m f a n g ist das P r o d S G schließlich auf solche Produkte anwendbar, die einerseits von seinem allgemein definierten A n w e n dungsbereich erfaßt sind 1 4 3 , die andererseits aber nicht durch eines der vielfältigen Spezialgesetze nach § 2 I I I Nr. 1 und 2 geregelt werden. Stellungnahme der AgV zum Entwurf eines Produktsicherheitsgesetzes vom 3.12. 1993. S. die Auflistung in §2 III Nr. 1 ProdSG. 142 S. die Liste in §2 III Nr. 2 ProdSG. 143 §2 1 ProdSG: „...alle Produkte, die 1. zur privaten Nutzung durch den Verbraucherbestimmt sind oder die er nach allgemeiner Verkehrsanschauung dafür benutzt und 2. gewerbsoder geschäftsmäßig in Verkehr gebracht wurden." §2 II dehnt den Anwendungsbereich auch auf bestimmte gebrauchte Produkte aus. 140 141
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Die den Herstellern und Händlern auferlegten Sicherheitspflichten 144 entsprechen denen der P S R L . Hersteller dürfen nach § 4 ProdSG nur sichere Produkte im Sinne von § 6 ProdSG in Verkehr bringen. 145 Sie müssen den Verbraucher auf Produktgefahren in ausreichender Weise beim ersten Inverkehrbringem hinweisen und müssen auch nach dem Inverkehrbringen angemessene Maßnahmen ergreifen, um Produktgefahren zu erkennen (Produktbeobachtungspflicht) und diese abzuwehren. Zu den Abwehrpflichtenn können Warn-und Rückrufpflichten gehören. Für Händler sieht § 5 ProdSG solche Pflichten nach dem Inverkehrbringen nicht ausdrücklich vor, doch können sie nach § 7 III Nr. 2 ProdSG von der zuständigen Sicherheitsbehörde bei Warn- und Rückrufaktionen mit eingebunden werden. Bei diesen Sicherheitspflichten der Hersteller und Händler handelt es sich um öffentlich-rechtliche Pflichten, die nicht unmittelbar zivilrechtlich binden. Zivilrechtliche Wirkung können sie allerdings dann entfalten, wenn man in diesen öffentlich-rechtlichen Vorgaben eine Konkretisierung der Verkehrspflichten sieht und soweit sie über §823 II B G B als Schutzgesetz zu betrachten sind. Zur Durchsetzung sind unmittelbare öffentlich-rechtliche Sanktionen für die Verletzung der Sicherheitspflichten nach ProdSG vorgesehen. Nach § 15 ProdSG stellt es eine mit Bußgeld bewehrte Ordnungswidrigkeit dar, ein im Sinne des Gesetzes „unsicheres" Produkt in Verkehr zu bringen, vorsätzlich oder fahrlässig notwendige Angaben nicht zu machen oder Maßnahmen (auch Rückruf- oder Warnmaßnahmen) nicht zu ergreifen oder behördlichen (Warn- oder Rückruf-) Anordnungen zuwiderzuhandeln. Außerdem kann eine solche Verletzung das Eingreifen der Sicherheitsbehörden und entsprechende Rückrufanordnungen auslösen. Die behördlichen Maßnahmen nach Inverkehrbringen der Produkte stehen aber unter Vorbehalten: So darf die Behörde selbst die Öffentlichkeit nur warnen, wenn bei Gefahr im Verzug andere ebenso wirksame Maßnahmen, insbesondere Warnungen durch den Hersteller, nicht getroffen werden können. 1 4 6 Einen Rückruf des unsicheren Produktes, seine Sicherstellung oder Vernichtung darf die Behörde nur anordnen, wenn die Abwehr der von dem Produkt ausgehenden Gefahr durch eigene Maßnahmen des Herstellers oder Händlers nicht sichergestellt ist. 147 Das P r o d S G setzt also in erster Linie auf Maßnahmen der Hersteller und Händler selbst. N u r subsidiär, falls diese nicht oder nicht in ausreichender Weise Da z.B. das in § 2 III Nr. 2 erwähnte Gerätesicherheitsgesetz nicht nur die Sicherheit von Produkten zur privaten Nutzung, sondern auch zur gewerblichen Nutzung regelt, ist sein Anwendungsbereich weiter als der des ProdSG. Dies gilt offenbar in Zukunft auch für die Rückrufvorschriften, da insofern das ProdSG ohne Differenzierung nach privater oder gewerblicher Verwendung auf alle vom G S G erfaßten Produkte erstreckt wird. 144 §§3 bis 6 ProdSG. 145 Für die Händler sind diese Sicherheitspflichten bei erstem Inverkehrbringen nach §5 ProdSG etwas abgeschwächt, da auch auf deren Kenntnis oder Kennenmüssen der Sicherheitsmängel abgestellt wird. 146 § 8 ProdSG. 147 § 9 ProdSG.
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tätig werden, kann die Behörde eingreifen. Auch dann führt die Behörde allenfalls Warn-, nicht aber Rückrufmaßnahmen selbst durch; sie kann nur den Herstellern oder Händlern deren Durchführung auferlegen. 148 Anders als in den U S A obliegen den Herstellern und Händlern nach dem ProdSG keine Pflichten, der Behörde von sich aus sicherheitsrelevante Tatsachen über ihre Produkte oder geplante oder durchgeführte Sicherheitsmaßnahmen mitzuteilen. Auskunftspflichten bestehen nur auf Verlangen der Behörde. 1 4 9 Das ProdSG bleibt also nach der Vorgabe der P S R L bei einem rein öffentlichrechtlichen Sicherheitsinstrumentarium. Zwar ist es gegenwärtig noch zu früh, die praktischen Auswirkungen des ProdSG auf die Rückrufpraxis der Hersteller und Händler und die Rolle der Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang zu beurteilen. Bei der Grundkonzeption der strengen Subsidiarität behördlicher Maßnahmen, darf jedoch bezweifelt werden, daß die Sicherheitsbehörden in naher Zukunft eine viel aktivere Rolle spielen werden als in der Vergangenheit. „Amerikanische Verhältnisse" sind jedenfalls nicht zu erwarten. Mit Sicherheit läßt sich auch sagen, daß die Umsetzung auf der verwaltungsrechtlichen Ebene erfolgen wird und zivilrechtliche Warn- und Rückrufpflichten oder -anspräche davon allenfalls indirekt berührt sein werden. 150
III.
Wirkung der nicht rechtzeitig umgesetzten Pro duk tsich erh eitsrich tlin ie
D a die Richtlinie über allgemeine Produktsicherheit nicht rechtzeitig zum 1.7. 1994, sondern erst am 1 . 8 . 1 9 9 7 in deutsches nationales Recht umgesetzt worden ist, besteht Anlaß zu der Frage, ob sie bereits vorher Wirkungen entfalten konnte. Dies könnte dann eine Rolle spielen, wenn in der fraglichen Zeit unsichere Produkte in Verkehr gebracht wurden und Schäden verursachten. Solche Wirkungen von Richtlinien vor ihrer Umsetzung sind in jüngster Zeit insbesondere im Zusammenhang mit Konkursfällen deutscher Reiseveranstalter und der nicht recht148 Interessanterweise enthält das ProdSG keine Vorschrift über die Kostentragung bei Rückrufmaßnahmen. Soweit die Hersteller aus eigenem Antrieb solche Maßnahmen vornehmen, bleibt es offensichtlich ihnen überlassen, ob sie die Kosten selber tragen oder die Kunden ganz oder zum Teil damit belasten. Allerdings dürfte die Kostenregelung ein wesentliches Element für die Wirksamkeit eines Rückrufes sein. Daher bleibt es wohl der Behörde überlassen zu prüfen, ob ein Rückruf mit Kostenbeteiligung der Kunden als sicherheitspolitisch ausreichend angesehen werden kann. Wäre dies nicht der Fall, könnte subsidiär ein Rückruf mit Kostentragung durch den Hersteller angeordnet werden. Dies gilt selbstverständlich erst recht, wenn der Hersteller gebotene Rückrufmaßnahmen gänzlich unterläßt. Nach Wagner, B B 1997, 2489, 2495 ist eine ausdrückliche Kostenregelung bei behördlicher Rückrufanordnung nicht notwendig, da sich die Kostentragungspflicht des Herstellers daraus ergebe, daß er als Störer gilt, und deshalb bereits aus den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts die Gefahr auf eigene Kosten zu beseitigen habe. 149 §10 ProdSG. 150 Z.B. über eine Konkretisierung der Verkehrspflichten oder über §823 Abs. 2 B G B .
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zeitigen U m s e t z u n g der Richtlinie über Pauschalreisen 151 in einer breiteren Ö f fentlichkeit diskutiert worden. 1 5 2 Sie k o m m e n im Zusammenhang mit der P S R L in verschiedener Hinsicht in Betracht. Z u m einen ist zu prüfen, ob auch eine nicht umgesetzte Richtlinie von den nationalen Gerichten in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten berücksichtigt werden muß, o b sie also auch ohne Umsetzung Privatpersonen Verpflichtungen auferlegen kann, auf die sich Dritte berufen können (horizontale Direktwirkung). D i e entsprechende Frage stellt sich auch für in der Richtlinie aufgestellte Verpflichtungen des Staates. Z u m anderen geht es auch darum, ob zugunsten von Bürgern, die durch die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie Schaden erleiden, Ersatzansprüche gegen den Vertragsbrüchigen Staat entstehen können. Schließlich ist n o c h an die Pflicht nationaler Behörden und Gerichte zu einer richtlinienkonformen Auslegung nationaler Vorschriften auch bei einer nicht rechtzeitig umgesetzten Richtlinie zu denken.
1. Horizontale Direktwirkung
zwischen
Privaten
Richtlinien sind an die Mitgliedstaaten gerichtet und verpflichten diese zur U m s e t z u n g in nationales Recht. 1 5 3 D i e Rechtsetzung entsprechend dem Inhalt der Richtlinie erfolgt deshalb in zwei Stufen 1 5 4 : der Verabschiedung der Richtlinie auf europäischer Ebene und der Überführung ihres Regelungsprogramms in nationales R e c h t durch die Umsetzung. Erst durch den zweiten Schritt werden die von der Richtlinie intendierten und vorgeschriebenen Gestaltungen der betroffenen Rechtsverhältnisse wirksam in Kraft gesetzt. Richtlinien unterscheiden sich insofern grundlegend von Verordnungen, die direkt die Rechtsverhältnisse der E U - B ü r g e r gestalten. So elegant (und vielleicht sogar wünschenswert) die M ö g lichkeit der horizontalen Direktwirkung einer nicht umgesetzten Richtlinie zwischen Privaten auf den ersten Blick als Ausgleich mitgliedstaatlicher U m s e t zungsdefizite erscheinen mag, wird sie doch vom E u G H in ständiger Rechtsprechung zu R e c h t abgelehnt. 1 5 5
2. Direkte Wirkung gegen den Staat I m Gegensatz zur horizontalen Direktwirkung hat der E u G H die Möglichkeit einer Direktwirkung von Verpflichtungen gegen den säumigen Mitgliedsstaat
Richtlinie des Rates 90/314/EWG vom 13.6. 1990, ABl. Nr. L 158, S.59ff. S. z.B. von Danwitz, JZ 1994,335; Ewert, RIW 1993, 881; Schimke, EuZW 1993,698; Taupitz, BB 1993, 2169; Tonner, ZIP 1993, 1205; Graf von Westphalen, EWS 1993, 269. 153 Art. 189 EWG-Vertrag . 154 Scherzberg, JURA 1992, 572. 155 EuGH, Slg. 1986, 723 = NJW 1986,2178 - Marschall; EuGH, Slg. 1987, 2141 - Traen; EuGH, Slg. 1987, 3969 - Kolpinghuis Nijmegen; EuGH, Slg. I 1990, 4135 -Marleasing; EuGH, Slg. 11990,495 = EuZW 1991,26 = NJW 19911409 - Busseni; EuGH, EuZW 1991,604 - Karella. S. zuletzt EuGH, EuZW 1994, 498 - Faccini Dori. Dazu Turnbull, 1994 Eur. Bus. L. Rev. 230. Zustimmend auch statt vieler, Oppermann, Europarecht, Rdnr. 466. 151
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und seine Behörden anerkannt. 1 5 6 Soweit es sich um in der Richtlinie aufgestellte Verpflichtungen
des Staates handelt, stehen nach Ansicht des E u G H Art. 189
Abs. 3 i.V.m. Art. 5 E W G - V e r t r a g als Rechtsgrundlage zur Verfügung, die Verpflichtungen des Staates zulassen und sein gemeinschaftsfreundliches Verhalten verlangen. Gerechtfertigt wird die Direktwirkung gegen den Staat ferner mit der Notwendigkeit zur Sicherung der Wirkung der Richtlinie und dem Argument, daß man es dem Staat nicht gestatten könne, die Richtlinie entgegen seiner gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zuerst nicht umzusetzen und sich dann auf eben diese Tatsache zur A b w e h r von Ansprüchen seiner Bürger, die die Richtlinie begünstigen wollte, zu berufen. 1 5 7 E s ist deshalb zu prüfen, ob die P S R L Verpflichtungen des Staates enthält, welche zur direkten Anwendbarkeit und der Möglichkeit der Betroffenen führen, sich gegenüber dem Staat auf ihre Nichteinhaltung zu berufen. Diese Verpflichtungen müßten dem G e b o t der Unbedingtheit und Genauigkeit genügen. Diese Voraussetzung ist allerdings bei den Verpflichtungen des Staates nach Art. 5 ff. P S R L nicht gegeben. D i e Vorschriften der Richtlinie enthalten zahlreiche B e u r teilungs- und Ermessensspielräume, die erst durch die nationale Umsetzung und die konkrete Verwaltungspraxis ausgefüllt werden müssen. 1 5 8 H i n z u k o m m t , daß die Verpflichtungen des Staates nach Art. 8ff. P S R L , dafür zu sorgen, daß nur sichere Produkte in Verkehr k o m m e n und unsichere aus dem Verkehr gezogen werden, zwar eine Begünstigung des Verbrauchers, andererseits aber bei U m s e t zung durch den Staat gleichzeitig eine Belastung für die Hersteller und Händler darstellen. D i e v o m E u G H abgelehnte direkte Wirkung von Richtlinien zu Lasten von Bürgern
würde über die Verpflichtung des Staates zur Durchsetzung
eben dieser Belastungen bereits vor U m s e t z u n g dennoch erreicht. D i e unmittelbare Anwendung einer Richtlinie zu Lasten des Einzelnen ist aber vom E W G Vertrag nicht intendiert. 1 5 9 Dies gilt auch, wenn in Fällen „ambivalenten Richtlinieninhalts" die Begünstigungen bestimmter Personenkreise mit den Belastungen anderer korrespondieren. 1 6 0
156 S. die Grundlagenentscheidung EuGH, Slg. 1991, 5357 - Francovich. Aus der Literatur s. Scherzberg, JURA 1993, 225, 227ff.; Carranta, 52 Cambridge L. J. 272 (1993); Craig, 109 L. Q. Rev. 595 (1993); Ross, 56 Mod. L. Rev. 55 (1993); Steiner, ELR 1993, 3; Streinz, JURA 1995, 6. 157 Scherzberg, JURA 1993, 225, 226 mit Nachweisen. 158 Im übrigen würde die Anerkennung einer Direktwirkung gegen den Staat nur zu Ansprüchen gegen diesen im verwaltungsrechtlichen Verfahren, nicht jedoch zu privatrechtlichen Ansprüchen gegen Hersteller und Händler führen, die Gegenstand dieser Arbeit sind. 159 So auch mit überzeugender Begründung Scherzberg, JURA 1993,225,227f.; ebenso Classen, EuZW 1993, 83. 160 Strittig; wie hier unter Berufung auf den EuGH und mit Nachweisen zum Meinungsstand Classen, EuZW 1993, 83, 84f., der als Beispiel die Gentechnik-System-Richtlinie erwähnt, welche durch ihre Sicherheitsstandards für gentechnische Labors für die Betreiber belastende, für die Nachbarn aber begünstigende Funktion habe.
132 3. Staatshaftung
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wegen fehlerhafter
oder versäumter
Umsetzung
In Fällen fehlender Direktwirkung hat der E u G H dem durch die fehlerhafte oder versäumte Umsetzung einer Richtlinie geschädigten Bürger dennoch durch die Anerkennung der grundsätzlichen Möglichkeit von Staatshaftungsklagen zu helfen versucht. 1 6 1 Fraglich ist, ob nach den in dieser Entscheidung aufgestellten Voraussetzungen ein Mitgliedsstaat auch wegen der Nichtumsetzung der P S R L haftbar gemacht werden könnte, wenn etwa ein Verbraucher durch ein Produkt geschädigt wurde, welches nach den einschlägigen Vorschriften der P S R L hätte aus dem Verkehr gezogen werden müssen. D i e Francovich-Entscheidung stellt als „europarechtliche" Voraussetzungen für eine Staatshaftung (neben den weiteren Voraussetzungen nach nationalem R e c h t ) folgende Bedingungen auf: D i e Richtlinie muß zum Ziel haben, Einzelnen R e c h t e zu verleihen, der Inhalt dieser R e c h t e muß auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können und die Vertragsverletzung des Staates muß kausal für den entstandenen Schaden geworden sein. Während das Vorliegen der letzteren Voraussetzung v o m Einzelfall abhängt, bestehen bei den beiden ersteren grundsätzliche Bedenken. D i e Produktsicherheitsrichtlinie dient zwar neben der Beseitigung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen dem Schutze der Verbraucher. 1 6 2 Sie läßt aber nicht erkennen, daß sie einzelnen Verbraucher Rechte verleihen möchte. Dagegen spricht, daß sie ausdrücklich nur Verpflichtungen der Hersteller und Händler sowie der Mitgliedstaaten enthält, diese durchzusetzen und die allgemeine Produktsicherheit zu gewährleisten. Ziel der Richtlinie ist deshalb nur der Schutz der Verbraucher im allgemeinen. D e r Inhalt etwaiger individueller Rechte ließe sich ferner auch nicht allein auf der Grundlage der P S R L bestimmen. D i e Verpflichtungen der Hersteller und Händler bzw. der Mitgliedstaaten sind keineswegs so unbedingt und genau in der Richtlinie beschrieben, daß sie ohne weiteres und zur zweifelsfreien Anwendung geeignet wären. Gleiches muß dann aber auch für die eventuellen, spiegelbildlich aus diesen Verpflichtungen abzuleitenden R e c h t e der Begünstigten gelten, soweit man sie anerkennen wollte. I m Ergebnis wird man deshalb eine Staatshaftung wegen der nicht oder nur fehlerhaft erfolgten U m s e t z u n g der P S R L europarechtlich nicht begründen k ö n nen, ohne daß hier auf die weiteren Hürden für einen solchen Anspruch, die das nationale R e c h t dem Geschädigten zusätzlich in den Weg legt, noch eingegangen werden müßte. 1 6 3
S. auch hier grundlegende die Francovich-Entscheidung, EuGH, Slg. 1991, 5357. Begründungserwägungen zur PSRL, ABl. Nr. L 228 v. 11.8. 1992, S.24. 163 S. für die einschlägige Anspruchsgrundlage im deutschen Recht nach Art. 34 GG i. V. mit §839 BGB Schimke, EuZW 1993, 698, 700ff. 161
162
Zusammenfassung
4. Die richtlinienkonforme
133
Auslegung des nationalen Rechts164
Eine letzte Möglichkeit, nicht umgesetzten Richtlinien zumindest in einem gewissen Umfang Geltung im nationalen Recht zu verschaffen, fließt aus der vom E u G H hervorgehobenen Verpflichtung der Gerichte, nationales Recht in K o n formität mit einschlägigen Richtlinien auszulegen. 165 Gleiches gilt für Verwaltungsbehörden. 166 Allerdings sind viele der mit den Voraussetzungen und der möglichen Reichweite einer solchen Auslegung verbundenen Probleme noch ungelöst. Diese Probleme könnten auch im Zusammenhang mit der P S R L und ihren Auswirkungen z.B. auf die Auslegung des deutschen Gerätesicherheitsgesetzes in der jetzigen Fassung in der Fassung zwischen dem Tag der Umsetzungspflicht für die P S R L und ihrer tatsächlichen Umsetzung drei Jahre später virulent werden. 167 Allerdings lassen sich ansonsten nach nationalem Recht nicht bestehende Warnund Rückrufpflichten auch durch eine der P S R L konforme Auslegung nationaler Produktsicherheitsgesetze nicht begründen. Die Anordnung von Rückrufaktionen im konkreten Fall steht im Rahmen der in der P S R L aufgestellten flexiblen Kriterien im Ermessen der nationalen Behörden; soweit jedoch das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht Spielräume einräumt, können diese nicht durch richtlinienkonforme Auslegung konkretisiert und damit beschnitten werden. 168
4. Kapitel Zusammenfassung Insgesamt läßt sich somit feststellen, daß weder die Produkthaftungsrichtlinie noch die Produktsicherheitsrichtlinie die privatrechtliche Verpflichtung für Hersteller oder Händler begründen, Rückrufaktionen bis hin zur kostenlosen Reparatur defekter Produkte, ihren Austausch gegen fehlerfreie oder zur Rückzahlung des Kaufpreises begründen können. Auch das Produkthaftungsgesetz begründet solche Verhaltenspflichten nicht. D e r „dynamisierte" Fehlerbegriff führt jedoch dazu, daß die Hersteller, wollen sie eine Haftung vermeiden, ihre Produktion ständig der jeweils geltenden Fehlerdefinition, die vom jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik abhängt, anpassen müssen. Wenn auch P H R L und P H G keine Rückrufpflichten begründen, so stehen sie doch auch nicht deren Anerken-
164 S. dazu Classen, EuZW 1993, 83, 86f. Zusammenfassend zur Auslegung im Europäischen Recht Meyer, J U R A 1994, 455. 165 Nach h.M. ist der Inhalt von Richtlinien auch ohne Umsetzung - unmittelbar - zu berücksichtigen, wenn und soweit er eindeutig ist und die Umsetzungsfrist abgelaufen ist. S. B G H G R U R 1993, 825, 826 - „Dos" m.w.N. 166 Classen, EuZW 1993, 83, 86 mit Nachweisen. 167 Zu denken wäre etwa an den Versuch einer richtlinienkonformen Auslegung des in der PSRL strikter als im G S G definierten Begriffs des „sicheren Produkts". 168 Classen, EuZW 1993, 83, 86; Lutter, J Z 1992, 593, 606.
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Europäische
Union
nung und Ausbau im Rahmen der verschuldensabhängigen Produkthaftung entgegen. Die PSRL und das (verspätet erlassene) ProdSG sehen zwar den Rückruf (Rücknahme) unsicherer Produkte vor, doch nicht aufgrund einer privatrechtlichen, sondern einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung bzw. aufgrund hoheitlicher Anordnung durch die nationalen Sicherheitsbehörden (und u.U. der Europäischen Kommission). Ebenso wenig lassen sich aus der PSRL oder dem ProdSG direkt privatrechtliche Haftungs-, Beseitigungs-oder Unterlassungsansprüche ableiten. Für die Problematik des Rückrufs fehlerhafter Produkte und die damit zusammenhängenden zivilrechtlichen Rechtsfolgen ist das europäische Recht deshalb weitgehend unergiebig.
Vierter Teil Rückrufpflichten und Rückrufansprüche im deutschen Zivilrecht 1.
Kapitel
Fehlen gesetzlicher Regelungen im Zivilrecht Eine ausdrückliche, generelle Regelung des Rückrufs fehlerhafter oder gefährlicher Produkte sucht man, obgleich teilweise in der Literatur gefordert1, im deutschen Zivilrecht bisher vergebens. Weder das vertragliche Leistungsstörungsrecht noch das Deliktsrecht als Basis des richterrechtlich entwickelten allgemeinen Produkthaftungsrechts kennen eine entsprechende gesetzlich geregelte Pflicht oder einen entsprechenden Anspruch. Die wichtigste Sanktion, mit der das Deliktsrecht Rechtsgutverletzungen im Zusammenhang mit fehlerhaften Produkten nach dem Wortlaut der Gesetze belegt, ist der Schadensersatzanspruch, d.h. die Kompensation post factum. Das vertragliche Leistungsstörungsrecht sieht allgemein den Erfüllungsanspruch, Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Rücktritt vor, im Kaufrecht statt dessen (bei einem Sachmangel) Wandelung, Minderung oder (beim Gattungskauf) Nachlieferung sowie (bei einer zugesicherten Eigenschaft oder arglistigem Verschweigen eines Mangels) Schadensersatz. Obwohl Rücktritt, Wandelung und Nachlieferung vom Ergebnis her Rückrufansprüchen äquivalent sein können, bleibt es dabei, daß der präventiv wirkende Rückruf nicht zum ausdrücklich vorgesehenen gesetzlichen Sanktionskanon gehört. An dieser Situation hat auch das Produkthaftungsgesetz (PHG), das in Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie der EG 2 am 1. Januar 1990 in Kraft trat, nichts geändert. Auch hier ist der Rückruf nicht ausdrücklich vorgesehen.3 Um1 S. z.B. Löwe, DAR 1978, 288; Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320; Pauli, PHI 1985, 180, 181 ff.; Mebnle, PHI 1986, 63, 65f. 2 Richtlinie 85/374 EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. EG v. 7.8. 1985 Nr. L 210, 29ff. 3 Das PHG folgt damit der Richtlinie, die den Rückruf ebenfalls nicht vorsieht; s. Taschner/ Frietsch, Art. 1 Richtl., Rdnr 8. Zwar hatte, der Rechtsausschuß des Europäischen Parlaments noch einen Art. 1 a vorgeschlagen, der eine Haftungsbefreiung des Herstellers vorsah, wenn er bei späterem Kennen oder Kennenmüssen des Produktfehlers alle zur Schadensverhütung geeigneten Maßnahmen ergriff, wie z.B. Information der Öffentlichkeit, Rückruf usw. Die Beweislast für die Erfüllung dieser Verpflichtung sollte dem Hersteller obliegen. (S. dazu den Bericht im
Deutschland
136
g e k e h r t h a t das P H G a b e r a u c h e i n e r m ö g l i c h e n d e l i k t s r e c h t l i c h e n H a f t u n g w e g e n d e r V e r n a c h l ä s s i g u n g v o n v e r k e h r s s i c h e r n d e n R ü c k r u f p f l i c h t e n w e d e r die G r u n d l a g e e n t z o g e n n o c h s t e h t die P r o d u k t h a f t u n g s r i c h t l i n i e e i n e m A u s b a u d i e ser Pflichten entgegen.4 E t w a s a n d e r s s i e h t es i m d e u t s c h e n V e r w a l t u n g s r e c h t aus. Z w a r f e h l t e a u c h d o r t bis z u m I n k r a f t t r e t e n des P r o d u k t s i c h e r h e i t s g e s e t z e s a m 1 . 8 . 1 9 9 7 e i n e g e n e r e l l e R e g e l u n g des R ü c k r u f s g e f ä h r l i c h e r P r o d u k t e z u m S c h u t z d e r A l l g e m e i n h e i t 5 , d o c h e n t h i e l t § 6 9 A b s . 1 A M G b e r e i t s seit g e r a u m e r Z e i t eine S p e z i a l v o r s c h r i f t , die d e r z u s t ä n d i g e n B e h ö r d e i m b e s o n d e r s g e f a h r e n t r ä c h t i g e n A r z n e i m i t t e l b e r e i c h M ö g l i c h k e i t e n e i n r ä u m t , g e f ä h r l i c h e P r o d u k t e aus d e m V e r k e h r z u ziehen, also verwaltungsrechtliche R ü c k r u f m a ß n a h m e n einzuleiten und d u r c h z u s e t z e n 6 . D e m K r a f t f a h r t b u n d e s a m t , das f ü r die P r o d u k t e d e r I n d u s t r i e z u s t ä n d i g ist, m i t d e r die Ö f f e n t l i c h k e i t die R ü c k r u f p r o b l e m a t i k a m e h e s t e n v e r b i n d e t , standen solche Mittel jedoch bisher nicht zur Verfügung.7 § 2 0 A b s . 5 S t V Z O gab z w a r die M ö g l i c h k e i t , e i n e A l l g e m e i n e B e t r i e b s e r l a u b n i s z u w i d e r r u f e n , eine R ü c k r u f m ö g l i c h k e i t bereits im Verkehr befindlicher Kraftfahrzeuge ließ sich daraus j e d o c h n i c h t a b l e i t e n . 8 D i e v o m R a t der Europäischen Gemeinschaften am 2 9 . 6 . 1992 verabschiedete Richtlinie 9 2 / 5 9 / E W G
ü b e r die a l l g e m e i n e P r o d u k t s i c h e r h e i t 9 h a t
allerdings
Namen des Rechtsausschusses von Willy G. J. Calewaert über den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat (Dok.351/76) für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechts-und Verwaltungsvorschiften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1979-1980 Dok 71/79 vom 17.4. 1979 auf S. 6. Das Parlament konnte sich damit jedoch im Rat nicht durchsetzen. 4 Art. 13 P H R L und § 15 Abs. 2 P H G lassen konkurrierende und weitergehende Ansprüche aus Deliktsrecht ebenso zu wie die Kumulation mit vertragsrechtlichen Ansprüchen. Zum Verhältnis der Richtlinie bzw. des P H G zum allgemeinen deutschen Produkthaftungsrecht vgl. Deutsch, J Z 1989, 465; Brüggemeier/Reich, W M 1986, 149; Sack, VersR 1988, 439. 5 Das wird sich erst ändern, wenn das geplante Produktsicherheitsgesetz (PSG), durch welches die Produktsicherheitsrichtlinie (PSRL) der E U umgesetz werden soll, in Kraft getreten ist. Obwohl die Umsetzungsfrist bereits am 29.6.1994 verstrichen ist, liegt bislang nur der Entwurf des Wirtschaftsministeriums vom 8.6. 1995 vor. 6 Was konkret „Rückruf" in diesem Zusammenhang bedeutet, ist nicht ganz klar. Pieper, BB 1991, 985, 986 geht davon aus, daß damit Warnaktionen, Vermarktungsverbote und Sicherstellungen gemeint sind. Indirekt ist ferner für pharmazeutische Unternehmen in § 11 Abs. 1 Nr. 7 und § 1 la Abs. 1 Nr. 7 A M G und für Hersteller medizinisch-technischer Geräte in §4 Abs MedGV eine gewisse Produktbeobachtungspflicht angeordnet, da diese Vorschriften die Unternehmen verpflichten, schriftliche Informationen über die Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln bzw. über die Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Geräten zu geben. S. Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 86. 7 Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320, 323; Krutein, D A R 1985, 33. 8 O V G Lüneburg vom 7.12. 1977 (unveröffentlicht), zitiert bei Kögler/Krämer, Z R P 1982, 320, 323; Wegener, in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.229ff, 233. 9 ABl. Nr. L 228 v. 11.8. 1992, S.24. Außerdem werden den Herstellern in den Erwägungsgründen Informationspflichten auferlegt, „so daß der Verbraucher über etwaige Risiken dieser Produkte unterrichtet ist." Zu den Vorarbeiten zu dieser Richtlinie und ihrem Zusammenhang mit Produktzulassungskontrolle und Produkthaftung s. Brüggemeier, Z H R 152 (1988) 511, 523.
Fehlen gesetzlicher
Regelungen
137
auch Deutschland verpflichtet, ein auf alle Endverbraucherprodukte anwendbares Rückrufsystem zu etablieren. Dies ist in der Zwischenzeit durch den Erlaß des Produktsicherheitsgesetzes geschehen. Entsprechend der Richtlinie hat sich der Gesetzgeber dabei für ein verwaltungsrechtlich ausgestaltetes Instrumentarium entschieden, wobei hoheitliche Warnungen gegenüber der Öffentlichkeit (§8 ProdSG) ebenso vorgesehen sind wie die Untersagung und die Rückrufanordnung (§ 9 ProdSG). Die durch das ProdSG den Unternehmen auferlegten Warnund Rückrufpflichten sowie die Kompetenz der jeweiligen Sicherheitsbehörden, entsprechende Anordnungen zu erlassen, gelten nunmehr auch für die Produkte, die weiter durch Spezialgesetze geregelt bleiben. Das Kraftfarhtbundesamt hat somit heute ebenfalls die Möglichkeit, Rückrufe anzuordnen. Allerdings gilt dabei das Subsidiaritätsprinzip in dem Sinne, daß die Behörde erst dann eingreifen kann, wenn die Unternehmen gebotene Rückrufmaßnahmen unterlassen. In dieser allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelung des Rückrufs durch das ProdSG und die produktspezifischen Sicherheitsgesetze sind zivilrechtliche Rückrufpflichten und -anspräche nicht geregelt, so daß Auswirkungen darauf nur indirekt sein können. 10 Auch die Produktsicherheitsrichtlinie der E G verlangt kein zivilrechtlich verankertes Rückrufsystem. Gleichfalls nur indirekt sind auch die zivilrechtlichen Auswirkungen strafrechtlich begründeter Rückrufpflichten. 11 Zwar gibt es auch hier keine ausdrückliche Strafvorschrift, die den Rückruf gefährlicher Produkte anordnen würde, doch hat der B G H in einer kürzlich ergangenen Entscheidung das Unterlassen einer Rückrufaktion als die Verwirklichung des Tatbestandes eines Körperverletzungsdelikts durch Unterlassen bewertet 12 . Welche Auswirkungen diese strafrechtliche Bewertung der Unterlassung eines Rückrufs auf ihre zivilrechtliche Beurteilung haben wird, erscheint bisher wenig geklärt. Bei der Begründung zivilrechtlicher Rückrufpflichten und Rückrufanspräche ist also de lege lata auf allgemeine Rechtsgrundsätze und -institute zurückzugreifen. Im folgenden soll nun untersucht werden, wie Rechtsprechung und Literatur sich mit der Rückrufproblematik bislang auseinandergesetzt haben. Für die zahlreichen dabei auftretenden Probleme sollen Lösungsvorschläge erarbeitet wer10 Grundsätzlich zum Verhältnis öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Bewältigung von Problemen der Produktsicherheit bei Entscheidungen unter Unsicherheit s. Ladern, B B 1993, 1303. 11 Allgemein zur strafrechtlichen Verantwortung bei Produkthaftpflichtfällen Veltins, in: Kullmann/Pfister, K z a 4310, S.37ff. 12 B G H S t 37, 106 = N J W 1990, 2560 = M D R 1990, 1025 = J R 1992, 27 = N S t Z 1990, 588 = StrVert 1990, 446 - „Lederspray". S. dazu Meier, N J W 1992, 3193. Vorher hatte bereits das O L G Karlsruhe, N J W 1981,1054 ein Unterlassungsdelikt eines Einzelhändlers angenommen, weil er es beim Einkauf versäumt hatte, durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, daß er von künftigen Rückrufaktionen des Herstellers Kenntnis erlangte. Kritisch dazu Scholl, N J W 1981, 2737. S. auch L G München II, in: Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung, Bd. IV, Nr. IV.28 - „Metzeler" Zur strafrechtlichen Produktverantwortung ausführlich Produkthaftungshandbuch/ßd. 1/ Goll/Wnkelbauer, §§46ff.
138
Deutschland
den. Dabei geht es zunächst um den dogmatischen O r t im Zivilrecht, an dem Rückrufpflichten und -anspräche „festgemacht" werden können. Konkret handelt es sich um Möglichkeiten einer vertragsrechtlichen, einer deliktsrechtlichen 13 und einer wettbewerbsrechtlichen Begründung. Sodann wird jeweils zu klären sein, welchen Inhalt Rückrufpflichten nach der bisherigen Diskussion haben und wovon ihre inhaltliche Ausgestaltung als z.B. Warn- oder Nachbesserungspflicht abhängt. Es ist ferner der Personenkreis der Pflichtigen ebenso zu bestimmen wie derer, gegenüber denen die Pflicht besteht. Schließlich ist darzustellen, ob nach bisherigem Stand den Pflichten auch entsprechende Ansprüche gegenüberstehen und welche persönliche und inhaltliche Reichweite diese haben.
2. Kapitel
Vertragsrechtliche Rückrufpflichten
und -ansprüche
Die vertragsrechtliche Produkthaftung spielt allgemein nur eine untergeordnete Rolle. 1 Das gilt entsprechend für vertragsrechtlich begründete Rückrufpflichten und Rückrufansprüche bzw. deren vertragsrechtliche Äquivalente, auf die diese Untersuchung beschränkt ist. D a jedoch vertragliche Ansprüche, insbes. Gewährleistungsansprüche nach allgemeiner Meinung deliktische und wettbewerbsrechtliche Ansprüche zumindest zum Teil auszuschließen vermögen, erscheint es unumgänglich, auch auf erstere einzugehen. Als vertragsrechtliche Grundlage für Rückrufpflichten bzw. Rückrufansprüche im oben definierten Sinn, d.h. als Warn-, Informations-, Rücknahme-, Nachbesserungs- oder Austauschpflichten oder -ansprüche, kommen namentlich die Gewährleistungshaftung nach §§ 459ff. B G B sowie die positive Vertragsverletzung oder die Verletzung nachvertraglicher Sorgfaltspflichten in Betracht.
A. Anwendungsbereich
vertraglicher
Rückrufhaftung
Die geringe Rolle, die vertragliche Pflichten und Ansprüche im Rahmen der typischen Produkthaftungsfälle spielen, gründet hauptsächlich darin, daß der Her13 Bereits oben (Dritter Teil 2. Kap. B) ist festgestellt worden, daß Rückrufpflichten sich im Rahmen der verschuldensabhängigen Haftung des P H G nicht begründen lassen, so daß es hier nur noch um die verschuldensabhängige Produkthaftung nach §823ff. B G B gehen kann. 1 Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, S.2. S. zu älteren vertragsrechtlichen Begründungsversuchen einer allgemeinen Produkthaftung und ihrer Ablehnung B G H Z 51, 91 = N J W 1969, 269 = BB 1969, 12 - „Hühnerpest". S. a. Pfister, in: Kullmann/Pfister, Kza 1330; Diederichsen, N J W 1978, 1281. Die heutige vertragsrechtliche Produkthaftung ist dargestellt bei Graf v. Westphalen, J U R A 1983, 348; Produkthaftungshandbuch/Bd. i/Graf v. Westphalen, §§ 1-17; Messer, in: Kullmann/ Pfister, Kza 1400ff.
Vertragsrecht
139
steller des Produktes in den wenigsten Fällen mit dem Geschädigten in direkten vertraglichen Beziehungen steht. In aller Regel verkauft der Hersteller seine Produkte nicht über eine eigene Absatzorganisation, sondern bedient sich dabei selbständiger Groß-, Zwischen- und Einzelhändler. Letztere sind dann die Vertragspartner des Käufers, gegen welche vertragliche Ansprüche geltend zu machen wären. Seit der „Hühnerpest"-Entscheidung des B G H 2 ist klargestellt, daß die allgemeine Produkthaftung nicht im Vertragsrecht, sondern im Deliktsrecht verankert ist. 3 D e r Geschädigte muß sich für vertragsrechtliche Ansprüche an seinen direkten Vertragspartner halten, der in aller Regel ein Händler sein wird. Der Hersteller bleibt daher meist außer Reichweite eventueller vertraglicher Ansprüche. 4 Zusätzlich zu dieser Beschränkung der vertragsrechtlichen Haftungsgegner wird eine stärkere Indienstnahme des Vertragsrechts für die Produkt- und damit auch für die Rückrufhaftung durch die Tatsache gehindert, daß einerseits Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung Verschulden voraussetzen, welches dem Vertragspartner, soweit er nicht im Ausnahmefall doch gleichzeitig der Hersteller ist, kaum vorzuwerfen sein wird, und dadurch, daß andererseits die verschuldensunabhängigen Gewährleistungsansprüche auf Wandelung, Minderung und gegebenenfalls Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Nachlieferung nach Art und Inhalt und -wegen der kurzen Verjährungsfrist - praktisch nur zeitlich beschränkt aussichtsreich sind. 5 Hinzu kommt, daß Schmerzensgeldansprüche auf vertragsrechtlichem Wege nicht durchsetzbar sind. Welche einem Rückruf äquivalenten Rechte die Käufer gegen Händler oder Hersteller als Verkäufer haben können, soll im folgenden kurz untersucht werden. Dabei geht es um Verpflichtungen und Ansprüche, die zum selben Ergebnis wie Rückrufe führen, also um Pflichten zu und Ansprüche auf Informationen in Form der Warnung oder Auskunft, um Reparaturen oder Nachbesserungen, um den Austausch des defekten Produktes gegen ein einwandfreies oder um seine Rücknahme gegen Kaufpreiserstattung.
B G H Z 51, 91 = N J W 1969, 269 = VersR 1969, 155. Für frühere Versuche einer vertragsrechtlichen Begründung der Produkthaftung s. statt vieler Canaris, J Z 1968, 494; Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 1967. 4 Ausnahme ist allerdings die Herstellergarantie, die einen selbständigen Vertrag zwischen dem Hersteller und dem Abnehmer darstellt; s. grundsätzlich zur Garantie Larenz/Canaris, § 64; ferner zur Herstellergarantie Littbarski, JuS 1983, 345. 5 Eine Verlängerung durch Vertrag ist möglich, § 477 Abs. 1 S. 2 B G B , in einigen Branchen sogar üblich. Bei den meisten Rückrufaktionen der Automobilindustrie wäre die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen trotz der üblicherweise vereinbarten längeren Garantiefristen wegen Verjährung ausgeschlossen gewesen; Pauli, PHI 1985, 134, 143. In Fällen des arglistigen Verschweigens eines Fehlers gilt allerdings die Frist des § 195 B G B . 2
3
140
Deutschland
B. Äquivalente
zu Rückrufpflichten und -anspriichen aus Gewährleistung
I. Der Zweck des Gewährleistungs- und des Produkthaftungsrechts Untersucht man die Möglichkeiten, die das Gewährleistungsrecht bietet, den Bedrohungen entgegenzuwirken, die von in den Verkehr gelangten gefährlichen Produkten ausgehen, muß man sich der Tatsache bewußt sein, daß es damit in gewissem Sinne „zweckentfremdet" wird. Die Zielsetzungen des Gewährleistungsrechts einerseits und des Produkthaftungsrechts andererseits, in dessen Bereich die Rückrufproblematik naturgemäß gehört, sind unterschiedlich. Das Produkthaftungsrecht schützt das Integritätsinteresse des Käufers und aller Dritter, die mit dem Produkt in Berührung kommen. Das Gewährleistungsrecht schützt dagegen das Äquivalenz- und Nutzungsinteresse des Käufers an der Sache. 6 Wegen dieser unterschiedlichen Zielsetzung ist die Gefahrenabwehr durch die Auferlegung von Gewährleistungspflichten und ihre Durchsetzung immer nur ein N e beneffekt. Soweit bei einem gefährlich fehlerhaften Produkt aufgrund eines gewährleistungsrechtlichen Nachbesserungsrechts dessen Gebrauchsfähigkeit (wieder)hergestellt wird, werden dadurch auch die drohenden Gefahren beseitigt, jedoch ist letzteres nicht das Ziel der Maßnahme, sondern nur eine ihrer Wirkungen. Der Einsatz des Gewährleistungsrechts für Zwecke der Abwendung von Gefahren, die von in den Verkehr gelangten Produkten ausgehen, ist deshalb zwar möglich 7 , kann jedoch nur indirekt und soweit, wie die Parallelität mit dem gewährleistungsrechtlichen Zweck reicht, erfolgen; sein Erfolg in dieser Hinsicht hängt von der mehr oder weniger zufälligen Koinzidenz der Voraussetzungen und der Reichweite der Gewährleistungsansprüche mit den Erfordernissen einer wirksamen Gefahrenabwehr ab. 8 Allerdings steht die Tatsache, daß mit der Gewährleistung in bestimmten Fällen reflexartig auch Sicherheitsinteressen befriedigt werden, der Anwendung der 6 Paulusch, W M 1995, Sonderbeilage Nr. 1, S.49 mit Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des B G H . G. Hager, B B 1987, 1748. 7 S. umgekehrt zur Dienstbarmachung des auf Integritätsschutz gerichteten Produkthaftungsrechts zur Sicherung des Nutzungs- und Aquivalenzinteresses des Käufers durch die Rechtsprechung bei Weiterfresserschäden und wirkungslosen Produkten G. Hager, B B 1987, 1748. 8 Integritätsinteresse und Nutzungsinteresse des Käufers können zusammenfallen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Zweckbestimmung des Produkts gerade die Sicherung anderer Rechtsgüter des Käufers ist. Dies gilt z.B. für Rauch- und Feuermelder. Diese Fallgestaltung lag auch bei den auf deliktsrechtlicher Grundlage entschiedenen Apfelschorffällen des B G H vor, in denen es um chemische Mittel zur Bekämpfung dieser namengebenden Krankheit ging ( B G H , N J W 1981, 1603 = B B 1981, 1045 - „Derosal" und B G H , B B 1981, 1048 - „Benomyl"). Für eine rein vertragsrechtliche Lösung dieser Fälle treten z.B. G. Hager, AcP 184 (1984) 413, 416 und Schwenzer,\Z 1988, 525, 528f. ein. In diesen Fällen dient die Beseitigung des Produktfehlers gleichzeitig dem Sicherheitsinteresse des Käufers. Dies gilt auch für Fälle, in denen eine sicherheitsrelevante Eigenschaft zum Gegenstand einer rechtlich bindenden Zusicherung nach §459 Abs. 2 B G B gemacht worden ist.
Vertragsrecht
141
§§459ff. B G B nicht entgegen. Umgekehrt jedoch soll das Gewährleistungsrecht nach verbreiteter Meinung produkthaftungs- und wettbewerbsrechtliche Ansprüche ausschließen, wenn die danach erforderlichen Gefahrabwendungsmaßnahmen auch zu einer Befriedigung des Äquivalenz- und Nutzungsinteresses des Käufers führen würden, welches gewährleistungsrechtlich nicht mehr durchsetzbar wäre. O b ein solcher Vorrang des Gewährleistungsrechts absolut gelten kann, wird weiter unten noch zu untersuchen sein. Zweifel an einem generellen Vorrang erscheinen insoweit angebracht. Die im Gewährleistungsrecht vorgenommene Interessenabwägung ist auf das Nutzungs- und Aquivalenzinteresse des Käufers einerseits und das Interesse des Verkäufers an Planungssicherheit ausgerichtet. Das im Deliktsrecht geschützte Integritätsinteresse des Käufers und Dritter sowie die der wettbewerbsrechtlichen Wertung zugrundeliegenden Interessen der Konkurrenten, Endabnehmer oder der Allgemeinheit sind dabei nicht notwendigerweise berücksichtigt.
II. Der Fehlerbegriff im GewährleistungsProdukthaftungsrecht
und im
Zu beachten ist ferner, daß zwar einerseits zentraler Begriff sowohl des G e währleistungsrechts wie auch des Produkthaftungsrechts der des Fehlers bzw. Mangels 9 ist, daß andererseits dieser Begriff, wie er in dem jeweiligen Zusammenhang verwendet wird, durchaus unterschiedlichen Inhalts sein kann. Nicht jedes mangelhafte Produkt ist gefährlich und ein gefährliches Produkt ist nicht notwendigerweise mangelhaft. So ist zum Beispiel zweifelhaft, inwieweit das, was produkthaftungsrechtlich als Instruktionsfehler bezeichnet wird, auch gewährleistungsrechtlich ein Mangel genannt werden kann. 10 Die Abgrenzung erfolgt üblicherweise danach, ob die Information notwendig ist, die bestimmungsgemäße Nutzung der Sache zu ermöglichen (wie etwa die Gebrauchsanweisung bei technisch komplizierten Geräten) oder ob dadurch der Käufer vor Schaden bewahrt werden soll. 11 Vielfach wird z.B. ein Instruktionsfehler deshalb vertragsrechtlich keinen Sachmangel, sondern eine positive Vertragsverletzung darstellen. 12
9 Der Begriff des Mangels soll im folgenden den gewährleistungsrechtlichen Fehler kennzeichnen, während im Zusammenhang des Produkthaftungsrechts von Fehler gesprochen wird. 10 Streng genommen ist bei einem Instruktionsfehler nicht das Produkt selbst fehlerhaft, sondern die Information, die dem Benutzer im Hinblick auf eine sichere Nutzung des Produktes übermittelt wird. " Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 13. 12 Beispielsfälle sind die Lieferung von Wasser in einwandfreier Trinkwasserqualität an eine Gurkenfabrik, was dennoch zum Schadensersatz verpflichtete, weil auf den Zusatz von Chlor, der das Wasser für die Verarbeitung der Gurken ungeeignet machte, nicht hingewiesen worden war ( B G H Z 17,191), oder der Verkauf eines Haartonikums, das gewährleistungsrechtlich nicht zu beanstanden war, jedoch ohne den Hinweis auf mögliche allergische Reaktionen in den Ver-
142
Deutschland.
A u c h die subjektiv-objektive Bestimmung des Mangels i.S.d. § 4 5 9 Abs. 1 B G B nach dem von den Parteien besonders vorgestellten Gebrauchszweck und -ohne diesen - im Rahmen der Parteivorstellungen nach den objektiven Merkmalen, die der Gattung der Kaufsache im allgemeinen eigen sind 13 , weicht vom objektiv bestimmten produkthaftungsrechtlichen Fehlerbegriff ab. 14 So ist ein Produkt ohne besondere Vereinbarung nur dann mangelhaft, wenn es nicht die Tauglichkeit zum gewöhnlichen Gebrauch aufweist. Produkthaftungsrechtlich kann ein Fehler jedoch auch dann vorliegen, wenn sich die Gefahren bei vorhersehbaren Mißbräuchen verwirklichen. 1 5 Auch aus diesem Grund ist der Anwendungsbereich von Gewährleistungshaftung und Produkthaftung also nicht deckungsgleich. 16 Selbst kehr gebracht worden war und einen betroffenen Friseur zur Berufsaufgabe gezwungen hatte (BGHZ 64, 46). Ausführlich zum Streitstand bei der Abgrenzung solche Fälle, Schreiber, S. 40ff. 13 Fikentscher, Rdnr. 704. 14 Z.T. werden diese Unterschiede aber auch überinterpretiert. So vertritt Messer (in: Kullmann/Pfister, Kza 1400, S. 2), daß wegen des subjektiv-objektiven Fehlerbegriffs ein Produkt wegen der Durchführung eines Rückrufs aufgrund eines vermuteten Fehlers für den Händler als fehlerhaft, für den Endabnehmer aber als fehlerfrei angesehen werden könne. Dies sei dann der Fall, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Produktions- oder Konstruktionsfehlers vorlägen, der Fehler tatsächlich aber nur bei einem Teil der daraufhin vom Hersteller zurückgerufenen Serie tatsächlich auftrete. Für den Endabnehmer, der aufgrund der Rückrufmaßnahme bei der Untersuchung in der Werkstatt erfahre, daß sein Produktionsexemplar den Fehler nicht aufweise, liege somit ein Fehler nicht vor (so auch der BGH NJW 1989, 218 für Wein, bei dem der Verdacht auf Versetzung mit Glykol ausgeräumt wurde.). Anders liege es jedoch für den Händler, der aufgrund der Rückrufaktion und der damit verbundenen negativen Reaktionen potentieller Käufer auf seinen Lagerbeständen sitzen bleibe; für ihn könnten die von ihm erworbenen Produktexemplare unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen des rückrufauslösenden Fehlers im Einzelfall als mit Sachmängeln behaftet gelten. Unabhängig davon, daß der Händler in dieser Situation möglicherweise tatsächlich schutzwürdig ist, erscheint jedoch das Gewährleistungsrecht nicht der richtige Ansatzpunkt. Die Fehlerhaftigkeit des Produktes läge in einem solchen Fall, wollte man sie bejahen, nicht in dem vermutlichen Konstruktions-oder Produktionsfehler (der nur bei einem Teil der Serie gegeben ist), nicht einmal im Risiko des Vorhandenseins eines solchen Fehlers (da nicht dies allein, sondern erst der Rückruf die Verbraucherreaktionen auslösen kann), auch nicht im Risiko negativer Abnehmerreaktionen (denn ohne dessen Verwirklichung sind die Verkaufsmöglichkeiten des Händlers nicht beeinträchtigt), sondern erst im tatsächlichen Auftreten der negativen Verbraucherreaktionen bei Durchführung eines Rückrufs aufgrund eines solchen Fehlers. Damit aber kann man nicht mehr von einem Fehler sprechen, der dem Produkt anhaftet. Der von Messer unterstützend zitierte Fall der Mängelgewähr bei Verdacht auf Salmonellen-Verseuchung von Fleisch (BGHZ 52, 51 und BGH NJW 1972,1462) lag anders, da Fleisch bei Vorliegen eines solchen Verdachts nicht mehr verkauft werden darf. Dieser Sonderfall kann jedoch nicht bei jedem Rückruf unterstellt werden. Der BGH hat auch im Glykol-Fall (NJW 1989, 218, S.219f.) zu erkennen gegeben, daß er diese Rechtsprechung nicht unnötig auf andere Fallgestaltungen ausdehnen will. Anders läge es möglicherweise dann, wenn der Händler sich selbst wegen des vermutlichen Fehlers schwerwiegender Gewährleistungsansprüche ausgesetzt sähe. 15 Insofern erscheint die hinsichtlich Kraftfahrzeugen geäußerte Ansicht bei Produkthaftungshandbuch /Bd. 1 /Graf v. Westphalen, § 1, Rdnr. 37: „Selbstverständlich sind Konstruktionsund Fabrikationsfehler des Fahrzeugs Mängel im Sinn von § 459 Abs. 1 BGB." nur für den Regelfall als zutreffend, insgesamt aber als zu undifferenziert.
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Vertragsrecht
wenn das Gewährleistungsrecht rückrufäquivalente Pflichten auferlegt und Rechte einräumt, bedeutet dies somit noch nicht, daß sie auch bei jedem gefährlichen Produktfehler im Sinne des Produkthaftungsrechts geltend gemacht werden können. III. Rückruf äquivalente Pflichten und Ansprüche des Gewährleistungsrechts
aufgrund
Nach den §§459ff. BGB haftet der Verkäufer dem Käufer für (gewährleistungsrechtliche) Mängel der Kaufsache. Dem Käufer steht in diesem Fall gesetzlich ein Minderungs- oder Wandelungsrecht zu sowie im Fall des Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft bereits beim Kauf und bei arglistigem Verschweigen des Fehlers als Alternative Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Hinzu kommt bei einem Gattungskauf das Nachlieferungsrecht des §480 BGB. In der Praxis sind jedoch die Rechte auf Wandelung oder Minderung weitgehend durch ein vertraglich vereinbartes Nachbesserungsrecht ersetzt worden 17 , z.T. ergänzt durch die Wahlmöglichkeit des Verkäufers, statt dessen eine gleichartige mangelfreie Ersatzsache zu liefern.18 1. Warn- und Informationspflichten
und -ansprüche
Von Ausnahmefällen abgesehen bedeutet dies, daß Warn- und Informationspflichten oder entsprechende Ansprüche sich gewährleistungsrechtlich nicht begründen lassen. Sie lassen sich weder aus dem Minderungs-, dem Wandelungsnoch dem Schadensersatzanspruch ableiten. In einigen besonders gelagerten Fällen bieten allenfalls der Nachlieferungs- oder der Nachbesserungsanspruch dafür eine Grundlage. Ein solcher Ausnahmefall läge nur dann vor, wenn der gewährleistungsrechtliche Mangel gerade in mangelhafter oder fehlender Information besteht, wie etwa beim Fehlen einer schriftlichen Bedienungsanleitung für eine EDV-Anlage. 19 Längst nicht jeder Instruktionsfehler nach Produkthaftungsrecht macht jedoch das Produkt als solches mangelhaft. 20 16 Der Unterschied ist besonders deutlich beim „sniffing"-Fall, bei dem Jugendliche technische Lösungsmittel zur Hervorrufung von Rauschzuständen benutzten. Der B G H (NJW 1981, 2514 = BB 1981,1966) hatte dort eine Warnung vor solchen Mißbräuchen durchaus für erforderlich gehalten, wenn dieser Mißbrauch vorhersehbar gewesen wäre. Ein gewährleistungsrechtlicher Mangel dieser Lösungsmittel lag dagegen nicht vor, da ihre Eignung für den vorgesehenen Zweck nicht infrage stand. 17 S. dazu §11 N r . l O b A G B G . 18 B G H W M 1992,2018. 19 O L G Frankfurt/M. N J W 1987, 3206; Schneider, CR 1989, 193. Ahnlich, wenn man ein Buch als solches wegen darin enthaltener falscher Informationen als fehlerhaft ansehen würde. So für die inhaltliche Richtigkeit eines Anleitungsbuches als Eigenschaft des Buches B G H N J W 1973, 843 - „Nottestamentsmappe". S. umfassend zu dieser Problematik zuletzt Höckelmann, Die Produkthaftung für Verlagserzeugnisse, 1994. 20 Allerdings kann in der mangelnden Aufklärung über gefährliche Eigenschaften eines Pro-
144 2. Reparatur-,
Deutschland
Austausch-
und Rücknahmepflichten
und
-ansprüche
Demgegenüber besteht eine Pflicht zur Rücknahme des Produktes und zur Rückzahlung des Kaufpreises dann, wenn wirksam die Wandelung vollzogen wurde und der Kauf rückgängig gemacht werden muß.21 Macht der Käufer Schadensersatz wegen Nichterfüllung aufgrund des Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft oder wegen arglistigen Verschweigens des Mangels geltend, ist dieser Anspruch stets auf einen Geldbetrag gerichtet, nicht jedoch auf Mängelbeseitigung in natura oder Herstellung der fehlenden Eigenschaft. 22 Das Äquivalent eines Rückrufs mit Nachbesserungsrecht scheidet insofern also aus. Allerdings kann der Käufer hier im Rahmen des großen Schadensersatzes die Sache dem Verkäufer zur Verfügung stellen und das volle Erfüllungsinteresse in Geld beanspruchen. 23 Soweit es sich um einen Gattungskauf handelt, steht es dem Käufer ferner frei, den ursprünglichen Erfüllungsanspruch geltend zu machen und gem. §480 B G B die Nachlieferung eines fehlerfreien Gegenstandes zu verlangen. Im Ergebnis würde dies, da der fehlerhafte Gegenstand zurückgegeben werden muß, einem allerdings nicht vom Verkäufer angebotenen, sondern vom Käufer initiierten Rückruf mit Austausch gegen ein fehlerfreies Produkt entsprechen. In der modernen vertraglichen Praxis werden freilich die dispositiven Regeln der Gewährleistung meist durch Einzelabsprache oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch den Verweis auf ein Nachbesserungsrecht des Verkäufers ersetzt, z.T. verbunden mit einem alternativen Nachlieferungsrecht nach seiner Wahl. Auch hier liegt eine Parallele zum Rückruf vor, wenn bei derartigen Aktionen die kostenlose Reparatur angeboten wird oder sogar angeboten werden muß. 24 Mit §§ 476a B G B , 11 Nr. 10 c A G B G enthält das Gewährleistungsrecht die Regelung einer Problematik, die sich auch im Zusammenhang mit Rückrufen gefährlicher Produkte stellt. Es geht um die Frage, wer die Nebenkosten einer Nachbesserung (bzw. einer Rückrufaktion) zu tragen hat. Danach hat, soweit die Voraussetzungen vorliegen, der Verkäufer die zum Zweck der Nachbesserung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung auch, wenn zum Nachbesserungsanspruch alternativ ein Nachlieferungsanspruch vereinbart wurde.25 Unter die zu ersetzenden Kosten fallen dabei auch die Aufwendungen, die zur Auffindung der Schadensursache notwendig waren und zwar auch dann, wenn der Käufer sie selbst aufgewendet hat. 26 duktes und Möglichkeiten der Gefahrvermeidung eine positive Vertragsverletzung liegen. S. dazu B G H Z 47, 312 für unvollständige Gebrauchsanweisungen und Einweisung des Käufers bzw. dessen Personal in die Bedienung einer Betonbereitungsanlage. 21 §§346, 467, 462, 459 B G B . 22 Fikentscher, Rdnr. 717. 23 Fikentscher, Rdnr. 719. 24 S. § 11 Nr. 10c A G B G , § 476a B G B . 25 Paulusch, WM 1995, Sonderbeilage N r . l , S.48. 26 B G H Z 113, 251 = WM 1991, 854.
Vertragsrecht
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Es ist allerdings zweifelhaft, ob sich die hinter dieser Regelung stehende Wertung auf die deliktsrechtliche Rückrufsituation übertragen läßt. Sinn der §§476a BGB, 11 Nr. 10 c AGBG ist es, das Äquivalenzinteresse des Käufers zu sichern und sein Nachbesserungsrecht nicht wegen einer ihn belastenden Kostenregelung leerlaufen zu lassen. Würden ihm die Nebenkosten der Nachbesserung und deren direkte Kosten (teilweise, z.B. in Form der Materialkosten) aufgebürdet, könnte die Durchsetzung des Anspruchs wirtschaftlich unattraktiv oder gar unsinnig werden. Die Nachbesserung unterbliebe oder der Käufer müßte über den vereinbarten Kaufpreis hinaus Mittel aufwenden, um das versprochene mangelfreie Produkt zu erhalten. Sein Nutzungs- und Äquivalenzinteresse bliebe unberücksichtigt. Bei der deliktischen Produkthaftung geht es jedoch nicht um die Sicherung des Äquivalenzinteresses des Käufers, sondern um sein Integritätsinteresse und das dritter Personen. Die Ableitung einer Kostentragungspflicht in diesem Zusammenhang verlangt deshalb eine eigene Interessenabwägung; die Regelung des §476a BGB kann nicht ohne weiteres übernommen werden. Soweit der Verkäufer mit seiner Nachbesserungspflicht in Verzug ist, billigt die ständige Rechtsprechung des B G H dem Käufer ferner in Analogie zu § 633 Abs. 3 BGB das Recht zu, den Mangel selbst zu beseitigen und Ersatz der Kosten zu verlangen. Der Käufer kann dabei vom Verkäufer die Zahlung eines Vorschusses in Höhe der voraussichtlichen Kosten verlangen und mit diesem Anspruch gegen restliche Kaufpreisforderungen aufrechnen. 27 Auch hier besteht eine parallele Konfliktsituation bei deliktischen Rückrufpflichten. Soweit sich dort der Pflichtige weigert, den Rückruf durchzuführen, kann der Betroffenen ein Interesse daran haben, die Gefahrbeseitigungsmaßnahmen selbst durchführen zu lassen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zu verlangen oder einen Vorschuß zu beanspruchen. Wiederum aber läßt sich die werk- bzw. kaufvertragliche Lösung nicht ohne weiteres auf das Deliktsrecht übertragen. Jedenfalls teilweise kann somit der Käufer im Rahmen der Gewährleistungshaftung ähnliche Ergebnisse erreichen wie bei einem Rückruf: Rücknahme des fehlerhaften Produktes gegen Kaufpreiserstattung oder Austausch gegen ein fehlerfreies Produkt bzw. die Beseitigung des Fehlers. Allerdings - und dies wird bedeutsam, wenn man diese gewährleistungsrechtlichen Ansprüche in Beziehung zu der der Rückrufproblematik zugrundeliegenden Interessenlage setzt - wird dabei vorrangig nur das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Käufers befriedigt, allenfalls indirekt auch sein Integritätsinteresse oder das Dritter. Soweit auf gewährleistungsrechtlicher Grundlage Verpflichtungen zur Mangel- bzw. Gefahrbeseitigung entstehen, sind Dritte und auch der Käufer nur geschützt, soweit sich sein Äquivalenzinteresse mit seinen bzw. ihren Integritätsinteressen deckt und die Ansprüche vom Käufer auch tatsächlich geltend gemacht (und durchgesetzt) werden.
27 Paulusch, W M 1995, Sonderbeilage Nr. 1, S. 48 unter Hinweis auf B G H W M 1990, 640 und B G H W M 1992, 2018.
146 3. Gewährleistungshaftung Entwicklungsrisiken
Deutschland bei der Verwirklichung
von
Aus der Sicht des Käufers bietet das Gewährleistungsrecht den Vorteil, daß eine Haftung auf Wandelung oder Minderung und wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft kein Verschulden voraussetzt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß dieser Vorteil, jedenfalls soweit es dem Käufer gerade auf die Durchsetzung rückrufäquivalenter Pflichten des Verkäufers, d.h. insbesondere auf Rücknahme, Austausch (Nachlieferung) oder Nachbesserung des Produktes ankommt, nur gering ist. Die Haftung nach §§ 459ff. B G B setzt voraus, daß der Produktmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden war; nicht gefordert ist dagegen, daß der Mangel vom Verkäufer nach dem Stand der Technik und Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt auch erkannt werden konnte. 28 Die Gewährleistungshaftung besteht somit grundsätzlich auch für Entwicklungsrisiken, d.h. für unerkennbare gefährliche Produktfehler, die sich erst nach dem Inverkehrbringen herausstellen. 29 Etwas anderes könnte nach dem subjektiv-objektiven Fehlerbegriff nur dann gelten, wenn die Ubereinstimmung des Produktes mit dem Stand der Technik zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder des Gefahrübergangs als vertraglich vereinbarter Sicherheitsmaßstab anzusehen wäre in dem Sinne, daß das Produkt auch bloß diesem zu entsprechen hätte. Allerdings kann ein entsprechender Parteiwille ohne ausdrückliche Anhaltspunkte im Vertrag nicht generell unterstellt werden. Grundsätzlich greift somit die Gewährleistungshaftung auch bei der Verwirklichung von Entwicklungsgefahren. Die Natur der Entwicklungsgefahren setzt hier jedoch Grenzen in mehrfacher Hinsicht. Zumindest wenn es sich bei dem erst nachträglich erkennbaren Fehler um einen Konstruktionsfehler handelt, was die Regel sein dürfte, wird der Nachlieferungsanspruch des §480 B G B leerlaufen, da die gesamte Gattung diesen Fehler aufweist. 30 Problematisch ist bei Entwicklungsrisiken auch die Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach §§ 463,459 Abs. 2 B G B wegen anfänglichen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft, der als „großer Schadensersatz" einen Anspruch auf Rücknahme gegen Kaufpreisrückzahlung begründen könnte. Diese Haftung kann nur eingreifen, wenn der Verkäufer das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft des Produktes zugesichert hat. Dies würde aber bei Entwicklungsrisiken voraussetzen, daß die Abwesenheit eines zum Zeitpunkt der Zusicherung noch nicht erkennbaren Mangels zugesichert worden wäre. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß der Verkäufer eine so weitgehende rechtliche Bindung eingeht 31 , doch setzt normalerweise die Zusicherung einer Eigenschaft zu-
Fikentscher, Rdnr. 698. B G H BB 1972, 1069; Graf v. Westphalen, J U R A 1983, 348, 351. 30 Anders nur, wenn die Gattung nicht auf die Produkte eines Herstellers beschränkt ist. 31 So könnte etwa der Apotheker eines rezeptfrei verkäuflichen Hustenmittels nach eindringlichem Nachfragen zusichern und „garantieren, daß das Mittel absolut ohne Nebenwirkungen" ist, was sich nachträglich als falsch herausstellt. 28
29
Vertragsrecht
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mindest eine gewisse Vorstellung von deren konkreten Inhalt voraus. Gerade diese ist jedoch definitionsgemäß bei einem Entwicklungsrisiko nicht vorhanden. Selbst wenn aber eine Haftung für Entwicklungsrisiken besteht, schränkt die kurze Verjährungsfrist ihre Bedeutung wiederum sehr ein. Erforderlich wäre danach, daß der Fehler gem. § 4 7 7 B G B innerhalb der Verjährungsfrist von sechs Monaten nach der Ablieferung entdeckt und angezeigt wird. 32 Später entdeckte Mängel, gleich ob vorher erkennbar oder nicht, können Gewährleistungsansprüche nicht mehr auslösen. 33 Eine Verlängerung kann sich allenfalls bei vertraglich vereinbarten längeren Garantiefristen ergeben.
C. Rückruf äquivalente Pflichten und Ansprüche bei Nichterfüllung der Hauptleistungspflicht Soweit der „Fehler" des Produktes so schwerwiegend war, daß nicht nur eine Schlechterfüllung, sondern eine Nichterfüllung vorlag 34 , bleibt der Erfüllungsanspruch bestehen. Der Käufer hat dann einen weiterbestehenden Anspruch auf Lieferung einer vertragskonformen Sache, § 433 Abs. 1 B G B , und auf Rücknahme der gelieferten Kaufsache. Dies gilt auch im Fall des Sachmangels bei einem Gattungskauf, §480 Abs. 1 B G B . 3 5 Diese Rechtsfolge entspricht dem Umtausch der mit der gefährlichen Eigenschaft behafteten Sache gegen eine ordnungsgemäße. Allerdings muß auch hier die Initiative vom Käufer ausgehen. Ohne Geltendmachung des Anspruchs besteht für den Verkäufer keine Verpflichtung, die gelieferte Sache umzutauschen. Liegt jedoch ein Konstruktionsfehler vor, der so schwerwiegend ist, daß die betroffenen Produkte als aliud zu betrachten sind, ist die ganze Serie davon betroffen. Anders als bei einem Fabrikations- oder Instruktionsfehler kann der Verkäufer dann nicht ohne weiteres ein vertragsgemäßes Produkt liefern. Geht man davon aus, daß vertragsgemäße Produkte anderer Hersteller auf dem Markt sind bzw. nach Beseitigung des Konstruktionsfehlers hergestellt werden können, liegt 32 Eine Aufhebung der kurzen Verjährungsfrist des §477 B G B wegen arglistigen Verschweigens des Mangels kann es bei Entwicklungsgefahren nicht geben, da sie definitionsgemäß bei dem Inverkehrbringen nicht erkennbar sind, also auch nicht arglistig verschwiegen werden können. 33 So die ständige Rechtsprechung z.B. B G H N J W 1980,1951 = B B 1980,1068. Allerdings ist diese Ansicht in der Literatur nicht unbestritten, s. die dort angegebenen Stimmen, ferner Littbarski, N J W 1981, 2331; K. Mayer, B B 1984, 568, 569. 34 Ein Beispiel eines solch schwerwiegenden „Fehlers" ist mit Glykol versetzter Wein, der vom B G H nicht mehr als mangelhafter Wein, sondern als aliud angesehen wurde, B G H N J W 1989,218. S. dazu Wank, JuS 1990,95. Das Beispiel zeigt aber auch die Schwierigkeit der Abgrenzung; für Annahme eines Fehlers in diesem Fall L G Lübeck N J W - R R 1987, 243; MiinchKomm/ Westermann, §459 Rdnr. 20. 35 Insgesamt ist bei der Abgrenzung von Ansprüchen aus Sachmängelhaftung und solchen aus Nichterfüllung und bei der Unterscheidung zwischen der Lieferung einer mangelhaften Sache oder eines aliud im Einzelfall noch vieles strittig; zum Streitstand, auf den einzugehen hier zu weit führen würde, s. MünckKomm/Westermann, Vor §459 Rdnr. 5; §459 Rdnr. 2 , 1 4 , 19ff.
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Deutschland
ein anfängliches Unvermögen vor, das den Gläubiger berechtigt, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. In diesem Rahmen kann er die gelieferte Sache zurückgeben und den bezahlten Kaufpreis zurückverlangen. Alternativ stehen ihm auch die Rechte aus §§320ff. B G B zu, die zum gleichen Ergebnis führen können. Dies gilt auch für den Fall, daß der Verkäufer seinen Verpflichtungen zur Lieferung einer vertragsgemäßen Sache bei einem Fabrikations- oder Instruktionsfehler nicht nachkommt, § § 4 4 0 Abs. 1, 320ff. B G B . In dieses einfache Raster passen jedoch nur schlecht die Entwicklungsgefahren, welche erst nach dem Inverkehrbringen erkannt werden können. Soweit es sich um eine aliud-Lieferung handelt, greift nicht die kurze Verjährungsfrist des § 477 B G B sondern die dreißigjährige des § 195 B G B . Auch bei einer sehr späten Entdeckung des Fehlers könnten deshalb noch die oben beschriebenen Ansprüche geltend gemacht werden. Allerdings spricht dann, wenn die (angeblich elementare) Abweichung von dem vertraglich vereinbarten Zustand nicht gleich erkannt werden konnte und ein Produkt lange Zeit ohne Probleme benutzt wurde, bis sich seine Gefahrenträchtigkeit herausstellte, vieles dafür, daß die spät entdeckte gefährliche Eigenschaft das Produkt nicht zu einem aliud macht, sondern bloß einen Mangel i.S.d. Gewährleistungsrechts darstellt. 36 Insofern wird man bei einem Entwicklungsrisiko in aller Regel von einem Produktmangel, nicht von einem aliud ausgehen können.
D. Rückruf äquivalente Pflichten und Ansprüche positiver Vertragsverletzung I. Mangelfolgeschäden;
aus
Weiterfresser Schäden
Eine kompensatorische Schadensersatzhaftung für die Verletzung von anderen Rechtsgütern des Käufers aus positiver Vertragsverletzung trifft den Verkäufer im Zusammenhang mit mangelhaften Produkten für die Mangelfolgeschäden, die von dem Fehler verursacht wurden. Dies kann nach der umstrittenen Rechtsprechung des B G H auch für die sog. „Weiterfresserschäden" am Produkt selbst gelten. 37 Eine Verbindung zum verschuldensabhängigen deliktischen Produkthaftungsrecht besteht darin, daß die schuldhafte Verletzung von dort entwickelten Verkehrspflichten auch eine schuldhafte positive Vertragsverletzung gegenüber dem Käufer begründet. 38 Das Inverkehrbringen eines Produktes mit schuldhaft 36 Es sind allerdings Fälle denkbar, in denen die Eigenschaft des gelieferten Produktes als aliud lange Zeit unentdeckt bleibt, wenn z.B. der Bauer erst spät bemerkt, daß ihm Sommer- statt Winterweizen geliefert wurde ( B G H N J W 1968, 640) oder wenn glykolversetzter Wein zuerst gelagert und erst nach mehreren Jahren konsumiert wird ( B G H N J W 1989, 218). 3 7 S. die Rechtsprechung beginnend mit B G H Z 67,359 = J Z 1 9 7 7 , 3 4 3 m. Anm. Lieb und Rengier-„Schwimmschalter" zu B G H Z 86,256 = J Z 1983,499 m. Anm. Stall-„Gaszug" und B G H N J W 1985,2420 - „Kompressor". Zur Verteidigung der Rechtsprechung s. Kulimann, B B 1985, 409. 38 Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S.4ff. S. auch U. Huber, AcP 177 (1977) 281, S.315ff.
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verursachten Konstruktions- oder Produktionsfehlern stellt deshalb eine positive Vertragsverletzung des Kaufvertrages über dieses Produkt dar, die zum Ersatz der Mangelfolgeschäden verpflichtet. Präventive Gefahrabwehransprüche auf Rücknahme, Nachlieferung oder Nachbesserung, die über die soeben beschriebenen gewährleistungsrechtlichen Möglichkeiten hinausgingen, lassen sich gleichwohl unter diesem Aspekt nicht ableiten. Zwar schützt das Institut der positiven Vertragsverletzung auch das Integritätsinteresse des Käufers und nicht nur, wie das Gewährleistungsrecht, sein Nutzungs- und Aquivalenzinteresse. Dieser Schutzzweck zwingt jedoch nicht, über die gewährleistungsrechtlichen Ansprüche inhaltlich hinauszugehen. Soweit ein Sachmangel, von dem eine Gefahr für die Verletzung anderer Rechtsgüter des Käufers ausgeht, vor dem Ablauf der Gewährleistungspflicht entdeckt wird, kann der Käufer mit Geltendmachung und Durchsetzung von - je nach den Umständen -Wandelung, Nachlieferung oder Nachbesserung die Gefahr wirksam abwenden. Nach dem Ablauf der Frist kann er der Gefahr durch Nichtbenutzung des Produktes oder eine Reparatur auf eigene Kosten ausweichen. Dies ist im Rahmen des vertragsrechtlichen Interessenausgleichs zwischen den Parteien, auf den hier allein abzustellen ist, auch zumutbar. Die Berücksichtigung auch des Integritätsinteresses des Käufers im Rahmen der positiven Vertragsverletzung verlangt nicht, daß dessen Schutz im Wege der Gefahrbeseitigung am Produkt selbst durch den Verkäufer oder auf seine Kosten geschieht und daß damit die gewährleistungsrechtliche Interessenabwägung außer Kraft gesetzt wird. Die Möglichkeit des Selbstschutzes durch den Käufer setzt allerdings voraus, daß er über die dazu notwendigen Informationen verfügt. Man wird ihm deshalb einen aus §242 B G B abzuleitenden Auskunftsanspruch gegenüber dem Verkäufer zubilligen und diesem eine entsprechende Auskunftpflicht auferlegen müssen. 39 N u r wenn der Käufer die von dem Fehler ausgehende Gefahr kennt und richtig einschätzen kann, kann man ihm auch eine Selbstverantwortung hinsichtlich seines Umgangs damit aufbürden. Durch die Anerkennung einer Auskunftpflicht wird auch kein Konflikt zu den Wertungen des Gewährleistungsrechts hervorgerufen. In aller Regel erhält der Käufer durch die Informationen über gefährliche Eigenschaften des Produktes nicht etwas, auf das er nach dem Gewährleistungsrecht keinen Anspruch mehr hätte. 40 U m ihm die Möglichkeit eines verantwortlichen Umgangs mit der Gefahr zu geben, reicht vielmehr eine Auskunft über die Art und das Ausmaß der G e fahr; nicht unbedingt erforderlich sind Hinweise zu ihrer Behebung durch den Benutzer oder Verminderung oder gar ihre Beseitigung durch den Vertragspartner.
S. zu Informationspflichten beim Vertragsschluß Breidenbach, 1989. Dies könnte allenfalls in den wenigen Fällen geschehen, in denen die fehlende oder unzureichende Information gleichzeitig einen Produktmangel darstellt. 39
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II. Verletzung von Treue- und Sorgfaltspflichten Die positive Vertragsverletzung spielt jedoch nicht nur im Zusammenhang mit den Folgeschäden eines Sachmangels eine Rolle; es sind vielmehr von Rechtsprechung und Literatur unter dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Reihe von Treue- und Sorgfaltspflichten der Parteien entwickelt worden, welche die Vertragspartner dazu anhalten, Schäden an den Rechtsgütern des jeweils anderen tunlichst zu vermeiden und den Vertragserfolg nicht zu vereiteln. So muß der Verkäufer z.B. mit der verkauften, aber noch nicht gelieferten Sache sorgfältig umgehen, um die Erfüllung des Vertrages nicht zu gefährden.41 Zweck der Auferlegung solcher Pflichten ist nicht allein der Schutz des Aquivalenzinteresses des Vertragspartners, sondern auch und gerade der seines Integritätsinteresses42 (nicht jedoch des Integritätsinteresses unbeteiligter Dritter). Sie umfassen deshalb dem Grundsatz nach auch Gefahrvermeidungs- und -abwendungspflichten. Dazu gehören z.B. die auch im deliktischen Produkthaftungsrecht etablierten Pflichten einer sorgfältigen, dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechenden Konstruktion und Fabrikation der Produkte.43 In diesem Sinne obliegt dem Verkäufer auch die Pflicht, den Käufer über ihm bekannte gefährliche Eigenschaften der Kaufsache aufzuklären und ihm die Informationen zu vermitteln, die für eine möglichst gefahrlose Benutzung erforderlich sind.44 Insofern besteht eine vertragsrechtliche Parallele auch zur Verkehrspflicht der Instruktion des Deliktsrechts.45 Bei Entwicklungsrisiken, d.h. Fehlern der Kaufsache, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht bekannt waren und auch nicht erkannt werden konnten, wird jedoch das Verschulden fehlen. Gerade solche sind aber in vielen Fällen der Grund für Rückrufaktionen. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß es in der vorliegenden Arbeit um die mögliche Ableitung rückrufäqmvalenter Pflichten und damit um Informations-, Rücknahme- und Nachbesserungspflichten geht, die nach dem Inverkehrbringen des Produktes, d.h. also nach der Erfüllung der Hauptleistung (weiter)bestehen. Die vertraglichen Schutz- bzw. Nebenpflichten werden jedoch in der Regel unter dem Gesichtspunkt vorvertraglicher46 bzw. „vertragsbegleitender" Pflichten beBeispiel bei Fikentscher, Rdnr. 31. S. für Hinweispflichten, Schreiber, S. 33. 43 Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S.9ff. 44 BGHZ 64, 46 = BGH NJW 1975, 924 - „Haartonicum". Ausführlich zu Hinweis- und Aufklärungspflichten, Schreiber, S. 30ff. S. auch die Ausführungen unter den Stichworten „Beratungspflichten" und „Aufklärungspflichten" bei Produkthaftungshandbuch/Bd. I/Graf v. Westphalen, §4 Rdnr.23ff. und Rdnr.69ff. Der Verkäufer muß den Käufer zwar nicht über jeden Umstand bzw. jede Eigenschaft der Ware unaufgefordert aufklären, doch besteht eine solche Pflicht hinsichtlich Eigenschaften, die für den Kaufentschluß und die Erreichung des Vertragszwecks von wesentlicher Bedeutung sind. Dies ist bei unerwarteten Gefahren der Ware der Fall. Hier kann der Käufer nach § 242 BGB Aufklärung erwarten. 45 Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 11 ff. Zur Verkehrspflicht der Aufklärung s. die Dissertation von Klees (Freiburg 1976) mit gleichem Titel. 41
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trachtet. Im vorliegenden Zusammenhang aber geht es um die Verletzung möglicher nachwirkender bzw. nachvertraglicher Pflichten. 4 7
E. Rückrufloaftung
aus nachwirkenden
I. Nachwirkende
vertragliche
Schutzpflichten
Schutzpflichten
1. Voraussetzungen a) Grundsätzliche Anerkennung Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung setzen ein schuldhaftes Fehlverhalten vor oder während der Vertragserfüllung voraus. Im Falle fehlerhafter P r o dukte bedeutet dies insbesondere, daß der Fehler dem Schuldner spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannt war oder bekannt sein mußte und daß er die aus seinen Schutzpflichten sich ergebenden Maßnahmen unterließ. In Rückruffällen geht es jedoch häufig um Produkte, deren Fehlerhaftigkeit erst nach der Vertragserfüllung erkannt wurde oder mit zumutbaren Mitteln erkannt werden konnte. D i e Frage, o b den Schuldner des in seinen Hauptpflichten erfüllten Vertrages nachwirkende Verhaltenspflichten treffen können, die ihm etwa die Warnung des Gläubigers oder gar Rücknahme, Nachbesserung oder Austausch des gelieferten Produktes auferlegen, stellt sich somit in zweifacher Hinsicht. Z u m einen m u ß geklärt werden, ob Schutzpflichten, etwa in der F o r m von Aufklärungspflichten, die vor der Erfüllung der Hauptleistung bestanden und schuldhaft vernachlässigt wurden, mit der Erfüllung der Hauptleistung entfallen oder - möglicherweise mit geändertem Inhalt - weiterbestehen, zum anderen, ob solche Schutzpflichten auch die Produktbeobachtung nach Inverkehrbringen des Produktes umfassen und aufgrund später erlangter Erkenntnisse über Gefahren des Produktes Informations- oder weitergehende Pflichten neu entstehen lassen können. 4 8 E b e n s o ist zu prüfen, ob dem Gläubiger entsprechende Ansprüche zustehen. Es entspricht ganz herrschender Meinung, daß auch bei einem abgewickelten Vertrag noch Treue- und Sorgfaltspflichten zwischen den Parteien bestehen k ö n nen, die sie einander nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichten, das durch den Vertrag Erhaltene oder andere Rechtsgüter des Vertragspartners nicht nachträglich zu gefährden. 49 Zu den Anwendungsfällen gehö46 Zur jüngsten Rechtsprechung des BGH zu vorvertraglichen Offenbarungspflichten des Verkäufers s. Paulusch, WM 1995, Sonderbeilage Nr. 1, S.34f. 47 Auch die Frage der Durchsetzbarkeit vertraglicher Schutz- und Nebenpflichten (S. grundlegend dazu Stürner, JZ 1976, 384) stellt sich deshalb nur für nachträgliche Pflichten. 48 In der einschlägigen Literatur wird diese Unterscheidung jedoch oft nicht explizit getroffen. Wie hier, aber für die deliktsrechtlichen Verkehrspflichten nach Inverkehrbringen des Produkts Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; G. Hager, AcP (1984) 412, 424. 49 Fikentscher, Rdnr. 76. Ausführlich auseinandergesetzt haben sich mit der Thematik Strätz, in: FS Bosch, S.999ff, und Chr. v. Bar, AcP 179 (1979) 452.
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ren nachvertragliche Wettbewerbsverbote für Handelsvertreter oder Gesellschafter, nachwirkende Treuepflichten aus dem Arbeitsverhältnis 50 , die Verpflichtung des Herstellers langlebiger Wirtschaftgüter, auch über die Erfüllung der Hauptleistungspflicht und die Gewährleistungsfrist hinaus Ersatzteile vorrätig und lieferbar zu halten 51 und auch nachvertragliche Gefahrabwendungspflichten des Verkäufers oder des Werkherstellers. 52 Die Bezeichnung solcher Pflichten 53 wie ihre rechtliche Einordnung ist streitig. Dabei soll es sich nach der wohl h.M um einen Anwendungsfall der positiven Vertragsverletzung handeln; 54 z.T. werden sie zusammen mit der culpa in contrahendo behandelt; 55 andere sehen für nachwirkende Schutzpflichten die Grundlage nicht im erfüllten Vertrag, sondern in einem gesetzlichen Schuldverhältnis 56 oder sie differenzieren nach weiterbestehenden Nebenleistungspflichten, die im in der Hauptsache erfüllten Vertrag, und begleitenden weiteren Schutz- und Verhaltenspflichten, die in einem gesetzlichen Schuldverhältnis wurzeln. 57
b) Nachwirkende
Schutzpflichten
als Folge früherer
Pflichtverletzung
Trotz der unterschiedlichen dogmatischen Begründung dürfte unstreitig sein, daß Schutzpflichten, die bereits vor der Vertragserfüllung bestanden, aber nicht beachtet wurden, mit Erfüllung der Hauptleistung nicht notwendigerweise unerfüllbar sind und damit unmöglich werden. 58 Eine Unmöglichkeit tritt zwar für einige Pflichten ein, z.B. für die Pflicht, nur ein unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt konstruiertes Produkt in Verkehr zu bringen. Allerdings kann sich bei einem solchen nicht rückgängig zu machenden Fehlverhalten die nachvertragliche Pflicht ergeben, zumindest auf die durch den verschuldeten Fehler geschaffene Gefahr hinzuweisen und über Gefahrabwendungsmöglichkeiten aufzuklären. 59 Monjau, B B 1962, 1439. Wobei aber hinsichtlich des zeitlichen und sachlichen Umfangs dieser Pflicht unterschiedliche Ansichten bestehen. S. zuletzt zu dieser Problematik mit Hinweisen auf die ältere Literatur Ullricb/UIbrich, B B 1995, 371. 52 Schreiber, S. 53 ff. m.w.N. Weitere Beispiele nachwirkender Pflichten bei Strätz, in: FS Bosch, S. 999ff., lOOOf. 53 Als in der Literatur verwendete Synonyme werden von Strätz, in: FS Bosch, S. 999ff„ 1002f. gelistet: nachvertragliche Pflichten, fortwirkende Pflichten, culpa post pactum perfectum, culpa post pactum finitum, culpa post contractum finitum, culpa post contractum solutum oder Verschulden nach Vertragsauflösung. Als Bezeichnung scheint sich jedoch der Begriff „nachwirkende Vertragspflichten" durchzusetzen; s. z.B. die Titel der Aufsätze von Strätz, in: FS Bosch, S.999ff. und Chr. v. Bar, AcP 179 (1979) 452; ferner Erman/Weitnauer, 8. Aufl. Vor §459 Rdnr. 27a; Schreiber, S.53ff. 54 So z.B. Fikentscher, Rdnr. 76. 55 Erman/Weitnauer, Vor §459 Rdnr. 27a. 56 Chr. v. Bar, AcP 179 (1979) 452. 57 Strätz, in: FS Bosch, S.999ff., 1012. 58 Sie werden sogar eher durch das vorangegangene gefährdende Tun verstärkt. 59 Nach dem Ablauf der Gewährleistungsfrist kann sich jedoch nicht die vertragliche Pflicht ergeben, den Fehler durch Nachbesserung oder Nachlieferung zu beseitigen; s. dazu unten 3 a; ferner oben D III. 2 c bb. 50
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Die ursprüngliche, unmöglich gewordene Gefahrvermeidungspflicht zur sorgfältigen Konstruktion des Produktes gestaltet sich um in Warn- und Aufklärungspflichten. 60 Allerdings kann durch die Vornahme der Warnung oder Aufklärung, wenn sich der Schaden aufgrund des Konstruktionsfehlers trotzdem verwirklicht, weil etwa der Betroffene nicht mehr erreicht werden konnte, die Verletzung der ursprünglichen Sorgfaltspflicht nicht geheilt werden. Wenn der Geschädigte eine nachträgliche Warnung nicht beachtete, kann ihn aber möglicherweise ein Mitverschulden (§ 254 B G B ) treffen. Auch dann aber läßt die Warnung eine Haftung des Verkäufers nicht notwendigerweise ganz entfallen. Anderes gilt, wenn der Verkäufer den Käufer bereits vor dem Abschluß des Kaufvertrags oder zumindest bei dessen Erfüllung auf Gefahren und Gefahrbeseitigungs- oder -Vermeidungsmöglichkeiten hätte hinweisen müssen. Diese Verpflichtung erlischt nicht etwa mit der Ubergabe, sondern sie besteht unverändert fort und kann weiter erfüllt werden. 61 Soweit die Gefahr sich noch nicht verwirklicht hat, könnte der Verkäufer die vor oder bei der Erfüllung der Hauptpflichten begangene Verletzung seiner Aufklärungspflicht durch die nachgeholte Information heilen und so einer Haftung entgehen. 62
c) Nachwirkende Schutzpflichten ohne vorherige
Pflichtverletzung
Weniger klar ist jedoch, ob eine solche nachträgliche Schutzpflicht auch im Zusammenhang mit Produkten gilt, deren Fehlerhaftigkeit oder Gefährlichkeit erst nach der Erfüllung der vertraglichen Hauptpflichten entdeckt wird, oder ob es gar grundsätzlich eine vertraglich begründete Produktbeobachtungspflicht mit den entsprechenden Reaktionspflichten gibt. 63 D e r oben zitierte Grundsatz, daß die vertragliche Sonderbeziehung nicht mit der Erfüllung endet und die Parteien nicht gleich wieder zu Fremden werden, die nur noch den Schutz des Deliktsrechts gegeneinander in Anspruch nehmen können, legt den Schluß auf das Beste6 0 So auch Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1061 bei der Verletzung von deliktischen Verkehrspflichten bereits vor dem Inverkehrbringen. 6 1 S. B G H BauR 1970, 177 = Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Bd. II Nr. 1.104 mit Anmerkung - „Tonerdeschmelzzement" und die weiteren bei Schreiber, S.53f. aufgeführten Beispiele aus der Rechtsprechung. 6 2 Dabei ist zu unterscheiden, ob die Haftung bereits durch Erfüllen der nachwirkenden Verhaltenspflicht entfällt oder erst, weil tatsächlich der Gefahrabwendungserfolg eintritt. Ersteres kann nur dann gelten, wenn die nachträglichen Aufklärungsmaßnahmen in einer Weise erfüllt werden, die den ursprünglich gebotenen voll entsprechen, so daß ein mögliches Fortwirken der ursprünglichen Unterlassung vollkommen aufgehoben wird. Dazu kann es wegen der Umstände notwendig sein, daß stärkere Aufklärungsmaßnahmen unternommen werden müssen als ursprünglich erforderlich, weil bereits eingeschliffene Benutzungsgewohnheiten der Käufer durchbrochen werden müssen. (Insofern ungenau Schwenzer, J Z 1 9 8 7 , 1 0 5 9 , 1 0 6 1 , die offensichtlich bei Nachholen der Warnung ohne weiteres ein Entfallen der Haftung annimmt.)
Letzteres, d.h. Haftungsbefreiung durch Gefahrabwendungserfolg wäre sogar bei einem ursprünglichen verschuldeten Konstruktionsfehler denkbar, auf den der Verkäufer noch nachvertraglich hinweist, wenn dadurch das Eintreten von Schadensfällen tatsächlich verhindert wird. 63
Zur deliktsrechtlichen Produktbeobachtungspflicht s. unten 3. Kap. A III 2 a und V i a .
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hen solcher Pflichten nahe. 64 In der Rechtsprechung und Literatur ist dies auch anerkannt, doch lassen sich dafür nur wenige Anwendungsbeispiele finden. 6 5 D e r G r u n d dafür dürfte sein, daß solche Fälle in aller Regel als Verletzung der deliktischen Produktbeobachtungspflicht behandelt werden. 6 6 Allerdings schließt dies eine eigenständige Bedeutung nachwirkender vertraglicher Schutzpflichten nicht aus. So kann auf vertraglichem Weg auch der Ersatz von reinen Vermögensschäden erreicht werden. Ferner können aufgrund der vertraglichen Sonderbeziehung andere „Eingriffsschwellen" gelten als bei Pflichten im deliktischen Verhältnis. So ist denkbar, daß der Verkäufer aufgrund des Vertrags Kenntnis davon hat, daß der Käufer das Produkt in einer völlig ungewöhnlichen A r t verwenden will, die er normalerweise nicht vorhersehen müßte. In anderen Fällen hat der Verkäufer möglicherweise ein so starkes Vertrauensverhältnis zum Käufer aufgebaut, daß dieser eigene Vorsichtsmaßnahmen in einem U m f a n g unterläßt, mit deren Vornahme ein Hersteller bei den ihm unbekannten A b n e h mern seiner Produkte normalerweise rechnen könnte. Schließlich ist auch von Bedeutung, daß je nach den besonderen Gegebenheiten der vertraglichen Beziehung ein Händler als Verkäufer zu Produktbeobachtungs- und Reaktionsmaßnahmen verpflichtet sein könnte, die deliktsrechtlich nicht ihm, sondern allein dem Hersteller obliegen würden.
2. Konkretisierung a) Inhaltliche
nachwirkender
Schutzpflichten
Konkretisierung
Allerdings werden die nachvertraglichen Schutzpflichten nur Informationspflichten sein können. D i e ganz h.M. lehnt wegen des Vorrangs der Gewährlei64 Für Warnpflicht als nachwirkende Vertragspflicht Köck/Meier, JZ 1992, 548, 555. Ähnlich Schreiber, S. 53 ff. Auch Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 15 hält eine vertragliche Produktbeobachtungspflicht für gegeben; ihm folgend auch W. Lorenz, CR 1987, 564, 567. 65 Eine Ausnahme ist BGH JZ 1971,29 = BB 1970,1414 = VersR 1971, 80, in dem das Gericht auch eine vertragliche Pflicht zur Beobachtung der Bewährung des Produktes in der Praxis anerkannte, zu den daraus folgenden Reaktionspflichten jedoch nicht Stellung genommen hat. Im Rahmen des Werkvertragsrechts hat der BGH (BauR 1970, 177 = Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Bd. II Nr. 1.104 mit Anmerkung - „Tonerdeschmelzzement") ebenfalls eine Hinweispflicht bei nachträglichen Erkenntnissen angenommen. Auch das OLG Hamburg (Kullmann/Pfister, Kza 7154/1 = Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Bd. III, Nr. 11.96 - „Automatenumrüstung") hat im Grundsatz eine vertragliche Pflicht des Verkäufers anerkannt, seine Kunden zu benachrichtigen, wenn er nachträglich von gesundheitsgefährlichen Mängeln des Produktes erfährt. 66 Köck/Meier, JZ 548, 555. Auf die Parallelität der (nach)vertraglichen und der deliktischen Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten weist auch Schreiber, S. 53 f. hin. Tatsächlich ist die Anerkennung vertraglicher Produktbeobachtungspflichten durch den VIII. Zivilsenat des BGH im Urteil vom 28. Sept. 1970, VersR 1971, 80, 82 vom VI. Senat in der „Benomyl"-Entscheidung, BB 1981,1048,1049 als Begründung für eine deliktische Produktbeobachtungspflicht herangezogen worden: „Im deliktischen Bereich können keine geringeren Anforderungen gestellt werden."
Vertragsrecht
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stungshaftung weitergehende, im Ergebnis der Erfüllung der Hauptleistungspflicht gleichkommende vertragliche Ansprüche auf Nachbesserung, Austausch etc. strikt ab. 67 Dem ist zuzustimmen. Zu einem Konflikt mit dem Gewährleistungsrecht kann es nur kommen, wenn man nachwirkendende vertragliche Schutzpflichten zeitlich über die Verjährungsfrist des Gewährleistungsrechts von sechs Monaten hinaus ausdehnen würde und als Schutzpflicht nicht nur eine Informationspflicht, sondern eine weitergehende Pflicht zum Schutz der Interessen des Käufers durch Nachbesserung oder Austausch konstatieren würde. Nachvertragliche Schutzpflichten können jedoch weder zeitlich unbegrenzt und noch in immer gleichem Umfang gelten. Die Sonderbeziehung, die durch den Vertrag begründet wird, endet zwar nicht abrupt mit der Erfüllung der Hauptleistung, doch kann sie auch nicht mit gleicher Intensität unbegrenzt weitergelten. Sie wird vielmehr im Laufe der Zeit immer schwächer, die vertragliche Verantwortung des Verkäufers für die Wahrung der Interessen des Käufers immer geringer. 68 Es spricht vieles dafür, daß bereits aus diesem Grund ein halbes Jahr nach der Vertragserfüllung (d.h. nach Ablauf der normalen Gewährleistungspflicht) Schutzpflichten, soweit sie überhaupt noch bestehen, nur noch in Form der weniger belastenden Informationspflichten, nicht jedoch als Nachbesserungs- oder Ersatzlieferungspflichten anerkannt werden können. Darüberhinaus aber bestehen grundsätzliche Bedenken gegen nachwirkende vertragliche Schutzpflichten als Nachbesserungs- oder Nachlieferungspflichten. Die Gewährleistungsregeln stellen eine abschließende Regelung des Interessenausgleichs hinsichtlich des Nutzungs- und Aquivalenzinteresses zwischen den Parteien des Vertrags dar. Nach dieser Entscheidung des Gesetzgebers trägt der Käufer das Risiko dafür, daß sich nach dem Ende der Gewährleistungsfrist eine eingeschränkte Benutzbarkeit oder die völlige Unbenutzbarkeit des Produktes herausstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Nichtbenutzbarkeit auf einen „normalen" Mangel oder einen gefährlichen Fehler zurückgeht. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn der Käufer nach Kenntniserlangung vom gefährlichen Fehler das Produkt zur Gefahrvermeidung gar nicht mehr benutzen oder ver67 Löwe, D A R 1978,288; Sack, D A R 1983, 1•,Pieper, B B 1991,985; Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 15; Schreiber, S. 54. Ferner H. Herrmann, B B 1801, 1802ff., der jedoch unter den von ihm abgelehnten vertraglichen Rückrufansprüchen nur Nachbesserungs- und Nachlieferungsansprüche behandelt und auf Auskunftsansprüche und ihr Gefahrbeseitigungspotential nicht eingeht. H. Herrmann, a.a.O. S. 1802, entnimmt den Ausführungen Stürners (JZ 1976,384), der dies selbst jedoch nicht ausdrücklich sagt, daß er nach seiner Argumentation konsequenterweise vertragliche Rückrufansprüche über das Gewährleistungsrecht hinaus bejahen würde. Diese Schlußfolgerung ist m.E. nicht gerechtfertigt, da bei der hier vorgeschlagenen Lösung der Schutzzweck bereits durch die Zuerkennung von Auskunftsansprüchen erreicht wäre und deshalb auch Stürner keine weitergehenden Ansprüche gewähren würde. 68 Ahnlich Strätz, in: FS Bosch, S. 999ff., 1012 für das von ihm angenommene, auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Schuldverhältnis als Basis der Schutzpflichten: „Es beginnt mit der Aufnahme der Sonderbeziehung zum Zwecke des Vertragsschlusses und vergeht mit der schwindenden Bedeutung des gegenseitig beanspruchten Vertrauens."
156
Deutschland
b r a u c h e n k a n n ( e t w a L e b e n s m i t t e l m i t giftigen Z u s a t z s t o f f e n ) . D i e s e s R i s i k o der B e n u t z b a r k e i t hat die R e c h t s o r d n u n g n a c h A b l a u f der F r i s t des § 4 7 7 B G B d e m K ä u f e r z u g e w i e s e n . D i e S c h u t z p f l i c h t g e g e n ü b e r den s o n s t i g e n ( I n t e g r i t ä t s ) I n t e r e s s e n des K ä u f e r s , die d e m V e r k ä u f e r ( n o c h ) o b l i e g t , hat er d u r c h dessen I n f o r m a t i o n ü b e r die G e f a h r erfüllt. 6 9 E r hat d a m i t d e n K ä u f e r in die L a g e g e s e t z t , die G e f a h r zu e r k e n n e n u n d z u v e r m e i d e n . 7 0 S o w e i t der K ä u f e r das P r o d u k t w e i t e r b e n u t z e n will, w i r d er es w i e bei j e d e m a n d e r e n ( n i c h t g e f ä h r l i c h e n ) M a n g e l auf eigene K o s t e n reparieren, n a c h r ü s t e n o d e r e r s e t z e n m ü s s e n . 7 1 D i e s e s E r g e b n i s ist j e d o c h n i c h t e i n f a c h auf das V e r h ä l t n i s des G e w ä h r l e i stungsrechts zu möglichen deliktischen Rückrufansprüchen übertragbar.72 A n ders als d o r t , w o die I n t e r e s s e n aller G e f ä h r d e t e n zu b e r ü c k s i c h t i g e n sind, geht es h i e r u m d e n A u s g l e i c h der vertragsrechtlich den Vertragsparteien.
geschützten
Interessen nur
zwischen
D a s b e r ü c k s i c h t i g u n g s f ä h i g e N u t z u n g s i n t e r e s s e des K ä u -
fers w i r d dabei d u r c h die G e w ä h r l e i s t u n g s v o r s c h r i f t e n a b s c h l i e ß e n d definiert. 7 3 So auch Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 15 f. Diese Möglichkeit des Selbstschutzes muß dem Käufer aber auch tatsächlich vermittelt worden sein. 71 H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1803f. begründet seine Ablehnung von Rückrufansprüchen auf der Grundlage positiver Vertragsverletzung mit dem Argument, daß der Gesetzgeber nach dem durch § 11 Nr. 10 A G B G konkretisierten Gewährleistungsrecht des B G B eine über die dort kodifizierten Mindestanforderungen hinausgehende Gefahrbekämpfung dem Wettbewerb habe überlassen wollen. Dem widerspreche jedoch eine Klagbarkeit von Schutzpflichten, die zu hoheitlicher Gefahrenabwehr durch Richterspruch führe (S. 1804). Dabei verkennt er jedoch, daß auch § 11 Nr. 10 A G B G , wie die §§ 459ff. BGB, nur das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Käufers schützen will. Er soll davor geschützt werden, daß die Abdingbarkeit der gesetzlichen Gewährleistungsregeln durch den Aufsteller der A G B in einer Weise ausgenutzt wird, daß der Schutzzweck der gesetzlichen Regelung unterlaufen wird {Palandt/Heinrichs, § 11 A G B G Rdnr. 46). Einen darüberhinausgehenden Schutz des Integritätsinteresses bezweckt § 11 Nr. 10 A G B G nicht. Insofern läßt sich auch nicht ohne weiteres folgern, daß die „Präventivzwecke des Gewährleistungsrechts" in jeder Hinsicht abschließend sein sollen. Es läßt sich daraus allenfalls ableiten, daß die Bekämpfung des Verkaufs nicht vertragsgerechter, mangelhafter Produkte insoweit dem Marktgeschehen überlassen bleiben soll, als die kodifizierten Mindestbedingungen der Gewährleistung eingehalten werden, um dem Käufer einen angemessenen Gegenwert für seine Leistung zu sichern. Nicht jedoch folgt daraus notwendigerweise, daß auch die Bekämpfung der von den Produkten ausgehenden Gefahr für andere Rechtsgüter dem Marktgeschehen überlassen bleiben soll. Hier sprechen vielmehr § 11 Nr. 7 A G B G , wonach bei positiver Vertragsverletzung die Haftung für grob fahrlässig verursachte Schäden nicht ausgeschlossen werden kann, und § 11 Nr. 11 A G B G gerade dafür, das die Berücksichtigung des Integritätsinteresses durch die Gewährleistungsregeln nicht präjudiziert ist. 72 S. dazu unten 3. Kap. A VIII und C II 5. 73 Dies gilt auch für den Fall einer schuldhaften Verursachung des gefährlichen Mangels. Das im deliktsrechtlichen Zusammenhang vorgebrachte Argument, bei schuldhafter Verursachung von Konstruktions- oder Fabrikationsfehlern könne eine Warnung als Gefahrenabwendungsmaßnahme nicht ausreichen, weil damit das Risiko für vom Hersteller zu verantwortende Verkehrspflichtverletzungen auf den Abnehmer verlagert würde (Schwenzer, JZ1987,1069,1061)bzw.der Produzent dann seine Verkehrssicherungspflicht auf Kosten der Dispositionsfreiheit des Produkterwerbers erfüllen könne (G. Hager, AcP 184 (1984) 412,424), trägt im Kaufvertragsrecht nicht. Auch bei Verschulden trägt dort der Käufer nach Ablauf der Gewährleistungsfrist des § 477 B G B das Benutzungsrisiko, wenn man vom arglisten Verschweigen eines Mangels absieht. 69
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Vertragsrecht
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Soweit aufgrund bestehender vertragsrechtlicher Schutzpflichten auch sein Integritätsinteresse zu berücksichtigen ist, kann dem in der Regel durch die Information ausreichend Rechnung getragen werden, soweit sie den Käufer in die Lage setzt, durch Nichtbenutzung bzw. Gefahrbeseitigung auf eigene Kosten sich selbst zu schützen. 74 Der Schutz seiner Integrität verlangt dann nicht die reflexartige Befriedigung auch seines Nutzungsinteresses. Dies mag im vertraglichen Zusammenhang allenfalls anders sein, wenn dem Käufer die Möglichkeit und Notwendigkeit, sich selbst zu schützen, durch Information allein nicht vermittelt werden kann. Zu denken ist dabei insbesondere an Kinder als Käufer, die zumindest in jüngeren Jahren zu einer korrekten Aufnahme und Einordnung der Information nicht in der Lage sind und deshalb das Produkt möglicherweise trotz der Gefahr weiterbenutzen. In diesen Fällen ist deren Integritätsinteressen durch bloße Information nicht ausreichend Rechnung getragen. Es erscheint deshalb vertretbar, dem Verkäufer aufzuerlegen, weitergehende Maßnahmen wie Nachbesserung oder Nachlieferung zum Schutz von Leib und Leben der Kinder zu ergreifen, selbst wenn dies über die gewährleistungsrechtlichen Fristen hinaus zu einer Befriedigung auch des Nutzungsinteresses führen würde. 75 Dies erscheint gerechtfertigt, weil zum einen der dem Gewährleistungsrecht zugrundeliegende Interessenausgleich vom „mündigen Verbraucher" ausgeht, der sich selbst schützen kann. Kinder sind jedoch schutzbedürftiger als diese fiktive Person; ihre anders gelagerten Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse sind in die Wertung des Gewährleistungsrechts nicht mit eingeflossen. Zum anderen steht der Schutz von Leib und Leben der Kinder gegen den Schutz des Vermögens und der Planungssicherheit des Verkäufers. In diesem Konflikt muß der Schutz der höherrangigen Rechtsgüter der Kinder vorgehen. Zu berücksichtigen ist ferner auch, daß ein Verkäufer, der Waren an bzw. für Kinder verkauft, deren besondere Schutzbedürftigkeit kennt und sich darauf einstellen kann. 7 6
So im Ergebnis auch Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 15 m.w.H. Man denke etwa an den Fall eines neunjährigen Jungen, der von seinem Taschengeld ein batteriegetriebenes Spielzeugauto mit Ladegerät gekauft hat. Nach sieben Monaten erscheint er wieder im Geschäft und berichtet, mit dem Ladegerät sei etwas nicht in Ordnung; es funktioniere nicht mehr richtig. Der Verkäufer wirft einen Blick darauf und erkennt, daß sich Kabel gelöst haben und bei weiterer Benutzung mit einem elektrischen Schlag zu rechnen sei. Er weist den Jungen auf diese Gefahr hin. Eine Reparatur oder einen Umtausch aber lehnt er unter Hinweis auf den Ablauf der Gewährleistungspflicht ab. Der Junge benutzt das Gerät weiter und erleidet Verletzungen durch einen elektrischen Schlag. Hier hätte m.E. der Verkäufer mindestens die auch vertragliche Pflicht, dafür zu sorgen, daß Erziehungsberechtigte die Gefahrinformation erhalten, notfalls indem er durch die - ebenfalls aus seiner Schutzpflicht zu rechtfertigende - Einbehaltung des Geräts bis zur Abholung durch diese Druck auf den Jungen ausübt. Soweit dies nicht möglich ist, muß er nachbessern oder austauschen. 76 Soweit das Kind nicht selbst Vertragspartner des Kaufvertrags ist, sondern nur in den Schutzbereich eines von Erwachsenen abgeschlossene Vertrages kommt, kann jedoch anderes gelten. S. dazu unten F. 74
75
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Deutschland
Es wird aber, wie die Erfahrung zeigt, auch genügend Erwachsene geben, die eine nachträgliche Warnung des Verkäufers in den Wind schlagen. Ihnen fehlt die besondere Schutzwürdigkeit der Kinder, soweit die ihnen gebotene Information sie in die Lage versetzte, das Risiko korrekt einzuschätzen und der Gefahr in jedem Fall durch Nichtbenutzung auszuweichen. Allerdings muß diese Voraussetzung auch wirklich gegeben sein; anderenfalls, etwa wenn Alte, Kranke, Behinderte zu einem vernünftigen Selbstschutz ebenfalls nicht in der Lage sind, sind auch Erwachsene schutzwürdig. Es sind ferner Fälle denkbar, in denen das betroffene Produkt bzw. dessen Verwendung für den Käufer von existentieller Bedeutung ist und eine Reparatur auf eigene Kosten wegen ihrer Höhe oder Dauer bzw. ein gänzlicher Verzicht auf die Benutzung als nicht zumutbar erscheinen. Für diese extremen Ausnahmefälle wird z.T. vertreten, daß die Sicherheitsinteressen des Käufers höher zu bewerten seien als die Interessen des Verkäufers an einem Vorrang des Gewährleistungsrechts. 77 Dieses Ergebnis erscheint vielleicht auf den ersten Blick „recht und billig", ist jedoch über die angestellten Zumutbarkeitsüberlegungen im vertragsrechtlichen Zusammenhang nicht ableitbar. Die existentielle Notlage des Käufers wird unbestritten nämlich auch dann nicht berücksichtigt, wenn ein Sachmangel die Gebrauchsfähigkeit des Produktes aus anderen Gründen als seiner Gefährlichkeit aufhebt. Es ist gerade die Folge der gewährleistungsrechtlichen Interessenabwägung des Gesetzgebers, daß auch in diesen Fällen Nachbesserungs- oder Nachlieferungsansprüche nicht aufgrund von Billigkeitserwägungen zugesprochen werden können. Es besteht kein überzeugender Grund, dies anders zu beurteilen, wenn die Gebrauchsfähigkeit nicht aus technischen Gründen, sondern aufgrund des damit verbundenen Risikos aufgehoben ist. Zwar besteht hier für den Käufer eine Versuchung, das Produkt trotz der Kenntnis der Gefahr zu benutzen; so wie er aber aufgrund der gewährleistungsrechtlichen Wertung des Gesetzgebers bei einem „normalen", nicht gefährlichen Sachmangel die Nutzungsfähigkeit trotz seiner Zwangslage auf eigene Kosten (durch Reparatur oder Neuanschaffung) wiederherstellen muß, muß ihm dies unter denselben Gesichtspunkten auch bei einem gefährlichen Fehler zugemutet werden können. Die nachwirkenden vertraglichen Schutzpflichten sind somit bis auf wenige Ausnahmefälle, in denen die Information einen Selbstschutz der Käufer nicht ermöglicht, inhaltlich auf Warnungen und Auskünfte zur Abwendung der Gefahren beschränkt.
b) Zeitliche
Konkretisierung
Allerdings dürfen auch die zeitlichen Anforderungen an eine solche vertragsrechtlich begründete Produktbeobachtungs- und Reaktionspflicht nicht überspannt werden. Zwar ist richtig, daß die vertragliche Sonderbeziehung nicht mit
77
H. Herrmann,
BB 1985, 1801, 1806.
Vertragsrecht
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der Erfüllung der Hauptleistungspflichten automatisch erlischt. 7 8 A u f der anderen Seite kann diese Sonderbeziehung aber auch nicht unbegrenzt währen. D i e zeitliche Grenzziehung ist jedoch schwierig; sie wird in der Rechtsprechung nicht behandelt und in der Literatur nicht einheitlich vorgenommen. Während z.T. eine Befristung nachwirkender vertraglicher Pflichten auf ein J a h r befürwortet wird 7 9 , treten andere für die Anwendung der Verjährungsfristen des § 1 9 5 B G B ein. 8 0 Wieder andere wollen vertragliche Produktbeobachtungspflichten nur innerhalb der Verjährungsfristen, die für Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung gelten, anerkennen 8 1 oder stellen auf die gewöhnliche Nutzungsdauer des Produktes ab. 8 2 Bei der Entscheidung für eine dieser Fristen ist zu beachten, daß ein frühes „Auslaufenlassen" der vertraglichen Produktbeobachtungspflicht den Käufer nicht gänzlich schutzlos stellt. E r genießt weiterhin den deliktsrechtlichen Schutz wie jeder Dritte und damit auch den der deliktsrechtlichen Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten. A u f der anderen Seite scheint jedoch auch eine generelle Befristung der vertraglichen Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten auf die Dauer der Gewährleistungsfrist oder auf ein J a h r nicht immer angemessen, insbesondere nicht flexibel genug. E i n e einjährige Frist ist für Produkte des täglichen Verbrauchs zu lang, für andere besonders langlebige und mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben der Vertragspartner belastete Produkte zu kurz. Bei letzteren erscheint es angemessen, die vertragliche Sorgfaltspflicht auch über die Jahresfrist auszudehnen. Wer in diesem Sinn gefährliche langlebige P r o dukte verkauft, muß mit dem Auftauchen neuer Erkenntnisse über Gefahren der Produkte rechnen und sich auf deren Erlangung und mögliche Konsequenzen vorbereiten. Eine für alle Produkte einheitliche Frist wird somit den Interessen von Verkäufer und Käufer nur selten gerecht werden. Besser erscheint eine flexible, mehr an den Umständen des Einzelfalls orientierte Frist, bei der das Gefahrenpotential, die Belastung des Verkäufers durch die Produktbeobachtung etc. berücksichtigt werden können. 8 3 Dieser Flexibilität wird es bei gleichzeitiger Vermeidung einer 78 So z.B. RGZ 161, 340: „Zwischen ihnen war das rechtliche Band des Vertrages geknüpft worden, dessen verpflichtende Kraft ... mit der Vertragsabwicklung nicht ohne weiteres erlischt." 79 Staudinger/Köhler, §433 Rdnr. 55. 80 MünchKomm/Westermann, §477 Rdnr. 28. Erman/Weitnauer, Vor §459 Rdnr. 27 will jedenfalls nicht die kurze Verjährungsfrist der Gewährleistungshaftung anwenden. 81 Schreiber, S.55f. 82 So Messer, in: Kullmann/Pfister, Kza 1426, S. 15 f., der darüber hinaus dem Verkäufer die Möglichkeit einräumen will, diese Frist durch die Angabe vernünftiger Verfalldaten zu begrenzen. 83 Für eine Orientierung am Einzelfall auch Strätz, in: FS Bosch, S. 999ff., 1011 f., der jedoch auch nur unscharfe Kriterien für die Abgrenzung zu geben vermag, deren Anwendbarkeit darüberhinaus auf Fälle des Unterlassens von Schutzmaßnahmen zweifelhaft erscheint: „Seine [des Vertragsverhältnisses, d. Verf.] Dichte und seine Dauer entscheiden auch über das Auslaufen der begleitenden Schutzpflicht, lassen sich jedoch nur aufgrund des Einzelfalls konkretisieren. Als Anhaltspunkt mag dienen: eine Schädigung ist dann nicht mehr als ein mit vertraglicher Haftung
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willkürlichen Grenze am ehesten gerecht, wenn man auf die gewöhnliche Benutzungsdauer des konkreten Produktes abstellt. 84 Soweit diese Frist länger als dreißig Jahre ist, gibt jedoch auf jeden Fall § 195 B G B die absolute Grenze vor. Allerdings muß es auch Durchbrechungen dieser Regel geben. Dies gilt z.B. bei Verbrauchsgütern, deren „Nutzungsdauer" extrem kurz ist, soweit sie erst langfristig sich auswirkende oder versteckte Schädigungen verursachen. Zu denken ist etwa an Lebensmittel mit versteckten Nebenwirkungen aufgrund Vergiftung oder Verderb. Werden diese dem Verkäufer erst nach dem Verkauf etwa durch Mitteilung der Hersteller bekannt, sind sie von nicht unerheblicher Gefährlichkeit, müssen und können möglichst bald Gegenmaßnahmen ergriffen werden und kann der Verkäufer die betroffenen Kunden leicht ermitteln oder erreichen, so besteht eine Informationspflicht (z.B. durch Warnplakate innerhalb der Geschäftsräume) auch auf vertraglicher Grundlage. Es ist grundsätzlich durchaus aus der vertraglichen Sonderbeziehung die Pflicht des Verkäufers abzuleiten, einen Käufer, den er ohne Schwierigkeiten und zu geringen Kosten erreichen kann, über erhebliche Gefahren für Leib und Leben zu informieren, von denen er nach der Vertragserfüllung Kenntnis erlangt. Der Verkäufer eines Baukrans, der zwei Jahre nach der Lieferung vom Hersteller erfährt, daß wegen eines vorher nicht erkennbaren Materialfehlers der Ausleger des Krans durchzurosten beginnt, ist m.E. auch aufgrund der fortbestehenden vertraglichen Schutzpflichten aufgefordert, den Käufer darüber zu informieren. Bei Massenprodukten von geringem Wert und niedrigem Gefährdungspotential würde eine solche nachwirkende Informationspflicht selbst während der üblichen Nutzungsdauer jedoch zu weit gehen. Hier ist auch die vertragliche Sonderbeziehung nicht stark ausgeprägt, so daß für die deliktsrechtlichen Pflichten übersteigende vertragliche Schutzpflichten wenig Veranlassung besteht. Die Erfüllung einer solchen nachvertraglichen Aufklärungspflicht durch den Verkäufer kann, soweit die Gewährleistungsfrist noch nicht abgelaufen ist, dazu führen, daß dieser den Käufer über das Vorhandensein eines Fehlers unterrichtet und so Gewährleistungsansprüche selbst auslöst, die ansonsten wegen der Unkenntnis des Käufers möglicherweise verjähren würden. Diese für ihn unerfreuliche Folge muß jedoch im Interesse des Schutzes der Rechtsgüter des Käufers hingenommen werden. Diese Wertung entspricht auch durchaus dem Sinn und Zweck der Schutzpflichten im Vertragsrecht, denn auch die Erfüllung der Schutzpflichten im Vorfeld des Vertragsabschlusses kann für den Verkäufer das ungewollte Ergebnis haben, daß der potentielle Käufer vom Vertragsschluß absieht, zu kompensierender Vertrauensbruch zu werten, wenn sie nicht mehr wegen der spezifischen, durch das Schuldverhältnis eröffneten erweiterten Zugriffsmöglichkeit, sondern wegen des allgemeinen Ausgeliefertseins des Einzelnen an schädliches Tun des Nächsten geschehen kann. Anders ausgedrückt: die Sanktionen des Vertragsrechts gelten für die Verletzung begleitender Schutzpflichten nur so lange, wie ein aufgrund aller Modalitäten des Einzelfalls festzustellendes, besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien des erfüllten Vertrags als schützenswert anerkannt werden kann." 84 So auch Messer, in: Kullmann/Pfister, K z a 1426, S. 15f.
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Preisnachlässe verlangt o.ä., ohne daß dies seine Aufklärungspflichten schmälern würde.
II. Ansprüche auf Erfüllung nachwirkender
Schutzpflichten
Insgesamt läßt sich somit festhalten, daß aufgrund nachvertraglicher Schutzpflichten dem Verkäufer in der Regel nur Informationspflichten über gefährliche Mängel obliegen, nicht jedoch Nachbesserungs-, Austausch- oder Rücknahmepflichten. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Informationspflicht auch durch einen vertraglichen Aufklärungsanspruch durchgesetzt werden kann. Dabei ist ein solcher Anspruch nicht etwa bereits deshalb ausgeschlossen, weil bei Kennntnis der Gefahr eine Aufklärung nicht mehr erforderlich wäre und bei Unkenntnis eben deswegen auch nicht geltendgemacht werden könnte. 8 5 D e r Käufer kann vielmehr aufgrund seiner Erfahrungen bei der Benutzung des Produktes oder aus anderer Quelle einen begründeten Verdacht haben, den er durch die Auskunft des Verkäufers bestätigt und konkretisiert haben möchte, um wirksame Abwehrmaßnahmen ergreifen zu können. Soweit hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen gefährlichen Fehler des Produktes gegeben sind, der Anspruch seinem Inhalt nach hinreichend konkretisierbar ist und es unzumutbar ist, den Betroffenen auf andere Rechtsbehelfe zu verweisen 86 , sollte ein solcher Auskunftanspruch auch auf vertraglicher Basis durchsetzbar sein. Es wäre m.E. nicht mit den Grundsätzen von Treu und Glauben vereinbar, wenn der Verkäufer eines Produktes sich weigern würde, wichtige ihm vorliegende Informationen dem Käufer zu übermitteln, die dieser zu einer eigenverantwortlichen Gefahrvermeidung benötigt. Eine solche Auskunftspflicht muß auch zeitlich länger, möglicherweise über die übliche Lebensdauer des Produktes hinaus bestehen, solange der Käufer ein berechtigtes Interesse an der Information geltend machen kann, gegenüber welchem die Interessen des Verkäufers zurückzustehen haben. Anders als die oben besprochene Informationspflicht verlangt die Erfüllung eines Anspruchs keine Aktion im Sinne eines Tätigwerdens aus eigenem Antrieb gegenüber möglicherweise einer Vielzahl von Kunden, 85 Von der rechtlichen Frage, ob ein Anspruch auf Information oder Warnung bestehen kann, ist die tatsächliche Frage zu trennen, ob ein solcher Anspruch auch geltend gemacht werden kann. Schwenzer, J Z 1987,1059,1063 ist für deliktische Ansprüche auf Warnung (bzw. Information) der Ansicht, daß die Warnung zwar gerade bei Unkenntnis der Gefahr erforderlich sei, aber eben deswegen der Anspruch vom Bedrohten auch nicht geltend gemacht werden könne. Kenne er aber die Gefahr, bedürfe es keiner Warnung. Diese Argumentation, so plausibel sie scheint, greift aber zu kurz, da einerseits ein Informations- bzw. Auskunftsanspruch auch dann Sinn macht, wenn nur der begründete Verdacht auf eine Gefahr besteht, und andererseits die Informationspflicht sich nicht in der bloßen Warnung vor dem Gebrauch erschöpfen muß, sondern auch Hinweise auf gefahrlose Benutzungsarten, Fehlerbeseitigungsmöglichkeiten etc. umfassen kann. Dies gilt auch für mögliche vertragliche Auskunftsansprüche. 86 S. zu diesen Voraussetzungen allgemein für Ansprüche auf die Erfüllung von Schutzpflichten Stürner, J Z 1976, 384. Dieselben Überlegungen gelten auch für nachwirkende Schutzpflichten.
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sondern nur eine Reaktion auf eine Anfrage bestimmter Kunden. Die Zumutbarkeitsgrenze für eine solche Reaktion ist erheblich später erreicht als bei einer Pflicht zu selbstinitiierter Aktion, insbesondere wenn die Wahrung eventueller Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gesichert ist.
F. Pflichten gegenüber
Dritten; Ansprüche
Dritter
Grundsätzlich bestehen die oben skizzierten vertraglichen Pflichten der Warnung, Information, Rücknahme, Nachbesserung etc. nur gegenüber dem Vertragspartner. Ausnahmen können sich jedoch bei Verträgen zugunsten Dritter und Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergeben. Beim echten Vertrag zugunsten Dritter 8 7 erwirbt der Dritte unmittelbar eigene Rechte gegen den Schuldner. Im Fall von Leistungsstörungen, die vom Versprechenden zu vertreten sind, stehen ihm ebenfalls Ansprüche zu, die aber durch die Rechte des Versprechensempfängers bei vertragsgestaltenden Erklärungen (Rücktritt, Wandelung) sowie auf den zurückgezahlten Kaufpreis bei Rückabwicklung beschränkt sind. 88 Soweit Erfüllungsansprüche auf Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen, können sie auch von dem Dritten geltend gemacht werden, wenn die Pflichten gerade ihm gegenüber bestehen. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 8 9 unterscheidet sich vom echten Vertrag zugunsten Dritter (§328 B G B ) gerade dadurch, daß dem in den Schutzbereich Einbezogenen kein eigener Erfüllungsanspruch auf die Hauptleistung zusteht. Entsprechend sind ihm auch die von der Hauptleistungspflicht abgeleiteten Ansprüche wie Schadensersatz wegen Nichterfüllung, Rücktritt, Wandelung etc. nicht zugänglich. Es bestehen ihm gegenüber jedoch Schutzpflichten, deren Verletzung zum Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung führen kann. 9 0 Dies muß auch für nachwirkende Schutzpflichten gelten. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß der Verkäufer den Kreis der geschützten Dritten mangels Kenntnis meist selbst nicht konkretisieren kann, so daß eine Warnung und Information des Käufers als Erfüllung der Schutzpflicht auch gegenüber dem Dritten ausreichen muß. Es fragt es sich ferner, ob dem geschützten Dritten auch Erfüllungsansprüche hinsichtlich dieser Schutzpflichten zustehen können. Die ist m.E. zu bejahen, jedenfalls soweit solche Ansprüche auch dem Vertragspartner Fikentscher, Rdnr. 246ff. S. H. Lange, N J W 1965, 657. 89 S. dazu Fikentscher, Rdnr. 260ff. Kürzlich hat Steinmeyer, D B 1988, 1049 versucht, dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im Rahmen der Produzentenhaftung wieder mehr Bedeutung zu verschaffen. 90 S. als Beispielsfall B G H v. 15.5. 1959, VI Z R 109/58 -"Rostschutzmittel" in: Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Bd. 1, Nr. 1.37, in dem der B G H auf die Schadensersatzpflicht des Lieferanten eines Rostschutzmittels gegenüber einer durch dessen Explosion verletzte Mitarbeiterin des belieferten Unternehmens erkannte, weil auf die Feuergefährlichkeit nicht hingewiesen worden war, obwohl das Mittel entgegen früherer Praxis in einer anderen, entzündlichen Zusammensetzung geliefert worden war. 87
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zustünden und die einzuklagende Schutzpflicht gerade dem Dritten gegenüber besteht. Das Problem der persönlichen Konkretisierung besteht hier nicht; die Geltendmachung des Anspruchs durch den konkreten Dritten führt sie herbei. Das Problem ist dann nicht, abstrakt zu bestimmen, wer durch den Vertrag geschützt sein könnte, sondern allenfalls, ob dieser Dritte als Anspruchsteller auch tatsächlich in den Schutzbereich des Vertrags gehört. Da, wie oben ausgeführt, dem Vertragspartner in aller Regel nur Auskunftsansprüche zustehen, ist auch der Dritte auf diese beschränkt.
G.
Zusammenfassung
Es zeigt sich somit, daß insgesamt der Schutz Dritter durch vertragliche Rückrufpflichten und -ansprüche nur schwach ausgeprägt ist, da der Anwendungsbereich von Verträgen zugunsten Dritter oder mit Schutzwirkung für Dritte nur gering und auf Sonderfälle beschränkt ist. Aber auch der vertragsrechtliche Schutz des Käufers vor den Risiken gefährlicher Produkte, insbesondere wenn die Fehler erst nach dem Inverkehrbringen entdeckt werden können, geht nur wenig über die Rechte des Gewährleistungsrechts hinaus. Soweit der Verkäufer aufgrund der vertraglichen Sonderbeziehung auch über die Erfüllung der Hauptleistungspflichten hinaus zum Schutz des Integritätsinteresses des Käufers verpflichtet ist, kann dem durch Informationspflichten und Auskunftsansprüche hinreichend Rechnung getragen werden.
3. Kapitel
Rückrufpflichten und -ansprüche im Rahmen der verschuldensabhängigen Produzentenhaftung Wie oben ausgeführt, lassen sich im Rahmen der verschuldensunabhängigen Produkthaftung nach dem P H G keine Rückrufpflichten begründen. Allerdings steht dieses Gesetz entsprechenden Verpflichtungen im Rahmen der verschuldensabhängigen Produkthaftung auch nicht entgegen.
A.
Rückrufpflichten
I. Rückrufpflickten 1. Rückrufe als
als Verkehrspflichten
Gefahrabwendungsmaßnahmen
Zweck der Auferlegung von Rückrufpflichten ist die Beseitigung, Abwendung oder Verminderung von Gefahren, die von in den Verkehr gelangten Produkten
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ausgehen. Sie gehören somit zu den „Gefahrsteuerungsgeboten, welche Gewerbetreibenden...innerhalb ihres professionellen Tätigkeitkreises obliegen"1. Rückrufpflichten im hier zugrundegelegten Sinne stellen somit einen Unterfall der Verkehrspflichten dar, die allgemein als Gefahrvermeidungs- und Gefahrabwendungspflichten verstanden werden.2 Sie stellen Handlungsgebote auf, deren Verletzung zu einer Haftung für Unterlassen führen kann3, und sind von zentraler Bedeutung für die Fallgruppe der mittelbaren Verletzungen.4 Wie die Verkehrspflichten bedürfen deshalb auch die Rückrufpflichten einer besonderen Begründung, aus der sich die Pflicht des Herstellers oder Händlers zum Handeln ergibt. 2. Begründung
von
Verkehrspflichten
Nach v. Bar lassen sich vier Entstehungsgründe für Verkehrspflichten aus dem nahezu uferlosen Fallmaterial herausschälen5: Die Schaffung und Unterhaltung einer Gefahr, der Vertrauensschutz, die Beherrschbarkeit der Gefahr und die private und gemeinschaftliche Nützlichkeit des Gefahrenbereichs. Canaris hat diese „Prinzipien" nach eigenen Worten „zu bestimmten Zurechnungsgründen....verdichtet"6, hinter denen sie als „Gerechtigkeitskriterien" stehen. Diese Zurechnungsgründe sind die Einstandspflicht für die Sicherheit eines bestimmten Bereichs, die Gefahrabwendungspflicht wegen Übernahme einer Aufgabe einerseits sowie wegen vorangegangenen Tuns andererseits.7 In unterschiedlicher Gewichtigkeit und Kombination spielen bei allen diesen Zurechnungsgründen die Gerechtigkeitskriterien der Schaffung einer Gefahr, der Beherrschung einer Gefahr, der Vorteilsziehung aus der Gefahr (bzw. der Zusammengehörigkeit von Vorteil und Risiko) und des Vertrauensschutzes eine Rolle.8 Die Produzentenhaftung hat er dabei als das wichtigste Beispiel der Bereichshaftung bezeichnet.9 V Bar, Verkehrspflichten, S.51f. Larenz/Canaris, § 76 III. 3 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 52. Soweit es sich bei dem Fehler um die Verwirklichung einer Entwicklunsgefahr handelt, kann im Rahmen der verschuldensabhängigen Haftung an dem Inverkehrbringen des Produktes im Sinne einer Handlungshaftung nicht angeknüpft werden. Dieses war rechtmäßig, da der Fehler nicht erkennbar war. War der Fehler vorher bekannt, so war bereits das Inverkehrbringen, jedenfalls in der vorgenommenen Form, rechtswidrig. Somit liegt eine Handlungshaftung vor. Dennoch kann auch hier eine Rückrufpflicht bestehen, deren Verletzung die Haftung (zusätzlich) aus Unterlassen begründen kann. (S. dazu unten 5). 4 Larenz/Canaris, § 76 III. 5 Verkehrspflichten, S.112ff. 6 Larenz! Canaris,%76 III 3 b, S.408, Fn.131. 7 Kindermann, S.13ff., der die Kasuistik der unübersehbaren Vielfalt konkreter Verkehrspflichten zusammengestellt hat, unterscheidet als Fallgruppen: Beherrschung eines Gefahrenbereichs; Eröffnung und Aufrechterhaltung eines Verkehrs; Schaffung einer Gefahrenlage; Amtliche und berufliche Verantwortlichkeit. 8 Larenz!Canaris, § 76 III 3. 9 Larenz!Canaris, §76 III 3. 1
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Rückrufpflichten
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Verkehrspflichten
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Die Zurechnungsgründe Bereichshaftung, Übernahmehaftung und vorangegangenes Tun werden von Canaris jedoch nicht als abgeschlossenes System eindeutig abgegrenzter Fallgruppen verstanden. Es ist insofern ein offenes und bewegliches System im Sinne Wilburgs.10 Die zugrundeliegenden Gerechtigkeitskriterien vermögen auch die Eröffnung weiterer Kategorien zu tragen und spielen in allen Kategorien eine Rolle. Eine klare Abgrenzung wird deshalb manchmal schwierig, aber auch nicht immer notwendig sein. Eine direkte Ableitung einer Gefahrabwendungspflicht aus den Gerechtigkeitskriterien ist, wie Canaris zurecht feststellt, nicht zulässig. So kann allein aus der Tatsache, daß ein unbeteiligter Dritter eine Gefahr beherrschen kann, noch nicht geschlossen werden, daß ihm auch die Pflicht zur Abwendung der Gefahr obliegt. Der Passant, der gerade einen Sack mit Streugut für seinen Gartenweg gekauft hat, ist nicht verpflichtet, glatte Stellen auf seinem Nachhauseweg zu streuen, auch wenn er die davon ausgehende Gefahr beherrschen kann. Er hat weder die Gefahr durch die Freigabe des Weges zum Verkehr verursacht oder aufrechterhalten, noch zieht er einen Vorteil aus dieser Verkehrseröffnung. Dies mag jedoch anders sein für ein Kaufhaus, das von Kunden frequentiert wird, welche mit dem Bus zu einer nahegelegenen Haltestelle kommen, auch wenn diese nicht direkt vor dem Kaufhaus liegt". Die Gefahrabwendungspflicht ist somit in der Regel das Ergebnis einer Kombination bzw. des Zusammenwirkens aller oder mehrerer der Gerechtigkeitskriterien. Diese haben in den von Canaris herausgestellten Zurechnungsgründen der Bereichshaftung, der Ubernahmehaftung und der Haftung für vorangegangenes besonders gefährliches Tun eine typisierende „Verdichtung" erfahren, welche das bisherige Fallmaterial nahezu lückenlos abdeckt. Angeknüpft werden sollte deshalb an diese etablierten Zurechnungsgründe. 3. Begründung
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Rückrufpflichten
a) Produktverantwortung
über Vermarktung
hinaus
Deliktsrechtliche Rückrufpflichten in der Form von Warn-, Rücknahme-, Ausbesserungs- oder Austauschpflichten kann es nur geben, wenn die deliktsrechtliche Produktverantwortung des Herstellers nicht mit dem Zeitpunkt endet, an dem das Produkt seine Sphäre verläßt bzw. in Verkehr gebracht wird. Die Fortdauer der Verantwortung des Herstellers ist selbstverständlich für Schäden, die sich erst nach dem Inverkehrbringen realisieren, deren Ursache jedoch in Fehlverhalten vor diesem Zeitpunkt liegt (etwa in der zurechenbaren NichtVermeidung von Konstruktions-, Produktions- oder Instruktionsfehlern). Dies ist die normale Konstellation des verschuldensabhängigen Produkthaftungsrechts. Der Hersteller hat die haftungsrechtlichen Konsequenzen des Fehlverhaltens zu tragen. 10 11
Larenz/Canaris, Larenz/Canaris,
§ 7 6 I I I 3 c. § 7 6 I I I 4 a.
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Verschuldenshaftung
D a v o n zu trennen ist jedoch die hier im Vordergrund stehende Frage nach einer Produktverantwortung des Herstellers, die auch nach dem Inverkehrbringen Sorgfalts- und Handlungspflichten begründet, sei es im H i n b l i c k auf Gefahren durch schuldhaft verursachte Fehler, sei es im H i n b l i c k auf Fehler und Gefahren, die erst nach dem Inverkehrbringen erkannt, erkennbar, beherrschbar oder behebbar werden. 1 2 Eine solche fortdauernde Produktverantwortung - selbst wenn im Zeitpunkt des Inverkehrbringens n o c h kein Fehlverhalten vorlag - ist bereits vom Reichsgericht im Grundsatz anerkannt 1 3 und vom B G H bestätigt und weiter ausgebaut worden; 1 4 auch die Literatur hat sich dieser Ansicht einhellig angeschlossen. 1 5 D e r Grundsatz der nachträglichen Produktverantwortung ist K o n s e quenz der Pflicht, nur sichere Produkte in den Verkehr zu bringen, d.h. eine besondere Erscheinungsform der allgemeinen Gefahrvermeidungs- und Gefahrabwendungspflicht und die Haftung wegen ihrer Verletzung ist nur eine Fallgruppe oder ein typischer Bereich der Verkehrspflichtdelikte bzw. eine Spielart der D e liktshaftung, die in den „Bahnen der Verkehrspflichten und Verkehrssicherungspflichten" verläuft. 16 Weitgehend ungeklärt ist hingegen immer noch, wieweit diese Produktverantwortung reicht und welche konkreten Einzelpflichten sich daraus ableiten lassen. D i e Einhelligkeit der Meinung über das grundsätzliche Bestehen einer andauernden Produktverantwortung auch nach dem Inverkehrbringen läßt die Frage nach den Grundlagen ihrer Verankerung im Deliktsrecht auf den ersten Blick zweitrangig erscheinen. Gleichwohl muß dieser Frage nachgegangen werden. D i e fortbestehende Unsicherheit über die konkreten Konsequenzen aus dieser Verantwortung 1 7 ist auch ein Indiz dafür, daß die Begründungen für diese Weigerung, den Hersteller mit dem Verkauf aus seiner Pflicht zu entlassen, nicht einheitlich und nicht durchwegs in gleicher Weise akzeptiert sind. J e nach Begründung lassen sich möglicherweise unterschiedliche Pflichten des Herstellers ableiten. So kann der Gesichtspunkt der Gefahrerhöhung andere Konsequenzen stützen als der des Vertrauensschutzes oder der ökonomischen Effizienz. 12 So für die Produktbeobachtungspflicht und daraus abzuleitende Reaktionspflichten auch Hager, VersR 1984, 799, 801; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061. 13 RGZ 163,21 - „Bremsen I"; RG, DR 1940,1293 - „Bremsen II" zur Produktbeobachtungsund Warnpflicht. 14 BGH BB 1970,1414 = VersR 1971, 81 - „Bremsen"; BGHZ 80,186 = NJW 1981,1603 = BB 1981, 1045 - „Derosal"; BGHZ 80,199 = NJW 1981,1606 = BB 1981,1048 - „Benomyl"; BGH NJW 1987, 1 0 9 - „Honda". 15 Wenn auch erst Anfang der siebziger Jahre, wie Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 82 feststellen unter Hinweis auf BGH VersR 1971, 80 - „Mercedes" für die vertragliche Haftung und dem folgend V. Westphalen, BB 1971,156; Schmidt-Salzer, BB 1972,1435; Kullmann, BB 1976,1088 und Löwe, DAR 1978,288. S. dazu auch die zahlreichen weiteren Nachweise bei Sack, BB 1985, 813, 815, Fn.22. 16 So Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. lf. m.w.N. für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht bei der Warenherstellung. " S. z.B. den Aufsatz von Schwenzer, JZ 1987,1059 und die Kritik von Pieper, BB 1991, 985 und Brüggemeier, ZHR 152 (1988) 511. Auch die Dissertation von Rettenbeck hat keine endgültige Klärung herbeiführen können.
Rückrufpflichten -
b) Gründe nachträglicher
Verkehrspflichten
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Gefahrabwendungspflichten
In der Produkthaftung spielen wie allgemein bei den Verkehrspflichten der G e danke der Schaffung und Unterhaltung einer G e f a h r ebenso eine Rolle wie deren Beherschbarkeit und die Tatsache, daß Vorteile aus dem Risiko gezogen werden. D e r Vertrauensschutz steht dahinter in der Regel zurück 1 8 .
aa) Setzung und Aufrechterhaltung
einer Gefahr
Das Reichsgericht hat bereits relativ früh den Grundsatz entwickelt, daß derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die erforderlichen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen zum Schutze der Rechtsgüter Dritter treffen muß. 1 9 D a m i t wurde einer allgemeinen deliktsrechtlichen Gefahrabwendungspflicht Ausdruck verliehen und die Grundlage zur modernen Rechtsprechung zu den Verkehrspflichten gelegt. 20 Eine Gefahrenquelle zumindest abstrakter N a t u r wird im Grunde jedoch durch jedes Inverkehrbringen eines Produktes eröffnet. N i e läßt sich mit letzter Sicherheit sagen, daß ein bestimmtes Produkt völlig fehlerfrei ist; selbst wenn es so wäre, lassen sich zumindest unsachgemäße Benutzung und B e handlung, Mißbräuche etc. nicht völlig ausschließen, so daß letztlich jedes P r o dukt potentiell eine Gefahrenquelle für die Rechtsgüter der Benutzer oder Dritter darstellt. Diese Allgegenwärtigkeit der Gefahr kann zwar nicht einer generellen Gefahrabwendungs- bzw. Verkehrspflicht die Grundlage entziehen mit dem A r gument, die Gefahr lasse sich sowieso niemals völlig bannen, doch führt sie dazu, daß einer solchen Pflicht - wie es das Reichsgericht getan hat - durch die B e r ü c k sichtigung von Zumutbarkeitskriterien G r e n z e n gesetzt werden. D i e Zumutbarkeitsgrenze variiert dabei mit der Qualität (Verletzung der Rechtsgüter Leben oder Eigentum) und der Quantität (Einzelanfertigung oder Massenprodukt, Zahl möglicher O p f e r ) der möglichen Schäden sowie mit der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung und dem nötigen Vermeidungsaufwand. 2 1 Bei einem seit Jahrzehnten hergestellten und vertriebenen Standardprodukt, das bisher zu keinerlei Bedenken Anlaß gab, kann die Verkehrssicherungspflicht des Herstellers nach Ansicht eines Teils der Literatur im Einzelfall sogar „auf N u l l sinken". 2 2 D i e stetige technische Veränderung der Herstellungsverfahren, die Verwendung neuer Rohstoffe und Materialien, die Entwicklung neuer oder verbesserter Produkte sowie die latente Gefahrenträchtigkeit vieler Produkte der modernen Welt wer-
18 Larenz/Canaris, § 76 III 3 nennt diese Prinzipien auch die hinter den Zurechnungsgründen stehenden Gerechtigkeitskriterien. 19 So Sack, BB 1985, 813, 815 unter Bezugnahme auf RGZ 52, 373; RGZ 54, 53. 20 Chr. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 15 ff., S.32ff. 21 Chr. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 114, nennt als wichtigsten Grundsatz der Verkehrspflichten: „ Die Sicherungspflichten werden je nach dem Grad der Gefahr und der Schadensneigung intensiviert." S. auch BGHZ 80, 186 - „Derosal". 22 Pauli, PHI 1985, 134, 139; Anhalt, Teil 09/4.6 S.5; LG Frankfurt NJW 1977, 1108 - „Arzneimittel".
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Verschuldenshaftung
den jedoch ein Mindestmaß an Vorsorge zur Gefahrenabwehr zur Regel machen.23 Das Reichsgericht hat 1940 entschieden, daß der Hersteller eines Fahrzeuges mit dessen Inverkehrbringen „eine Gefahr für den allgemeinen Verkehr gesetzt hat" und deshalb verpflichtet ist, dieser Gefahr nach Kräften zu steuern24. Dies gilt selbst dann, wenn er den Fehler einer ungenügenden Bremsanlage zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. „Wer, wenn auch vielleicht unwissend, eine Gefahr für den allgemeinen Verkehr gesetzt hat, muß, sobald er die Gefahr erkennt, alles tun, was ihm nach den Umständen zugemutet werden kann, um sie abzuwenden." 25 Die Schaffung einer Gefahrenlage durch das Inverkehrbringen eines Produktes ist auch vom B G H immer wieder zur Rechtfertigung der nachträglichen Produktverantwortung des Herstellers herangezogen worden.26 P. Ulmer sieht in diesem Aspekt sogar den einzig tragfähigen Haftungsgrund. Die übrigen vorgetragenen Gesichtspunkte wie Sachnähe des Herstellers, seine Beobachtungsmöglichkeiten aufgrund des Vertriebs- und Kundendienstnetzes oder die Versicherbarkeit der Haftungsrisiken reichten für sich genommen nicht aus, um den Hersteller für eine von ihm nicht hervorgerufene Gefahr verantwortlich zu machen. Sie seien allenfalls Abwägungskriterien für die Zumutbarkeit der Risikoverteilung.27
bb) Beherrschung der Gefahr Soweit die Risiken und Gefahren zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens erkennbar und vermeidbar sind, sind sie für den Hersteller auch grundsätzlich beherrschbar. Er kann seine Planung und Herstellung, seine produktbegleitenden Instruktionen so ausgestalten, daß die verbleibenden Risiken minimiert werden. Allerdings lassen sich nicht alle Produktrisiken ausschließen. Es gibt unvermeidlich gefährliche Produkte (wie Messer), die nicht sicherer gemacht werden können, ohne ihre Gebrauchsfähigkeit zu verlieren. Es wird auch immer Ausreißer geben, weil Produktions- und Kontrollabläufe nicht so gestaltet werden können, daß Produktionsfehler mit Sicherheit vermieden werden. Außerdem hängt die Risikoverwirklichung vom Verhalten Dritter ab, das der Herstellern nur begrenzt vorhersehen oder beeinflussen kann. Eine völlige Beherrschbarkeit des Risikos wird es also nicht geben. Möglich ist jedoch eine graduelle Beherrschbarkeit, die allerdings von Produkt zu Produkt variiert. Statt von Beherrschbarkeit der Ge-
So auch Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 84. RGZ 163, 21,26. 25 Ebd. In dieser Entscheidung werden somit die ersten Ansätze einer Produktbeobachtungsund Rückrufpflicht sichtbar. 26 BGH BB 1970, 1414 = VersR 1971, 80 - „Bremsen"; BGHZ 80, 186 = NJW 1981, 1603 „Derosal" ; BGHZ 80,199 = NJW 1981,1606 - „Benomyl"; BGHZ 99,167 = NJW 1987,1009 = BB 1987, 716 mit Anm. Schmidt-Salzer - „Honda". S. auch P. Ulmer, ZHR 151 (1988) 564, 571; Chr. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 51 f. 27 P. Ulmer, ZHR 151 (1988) 564, 571. 23
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Rückrufpflichten
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Verkehrspflichten
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fahr bzw. des Risikos könnte man deshalb auch von deren Beeinflußbarkeit sprechen. Beim Kriterium der Beherrschbarkeit oder der Beeinflußbarkeit der Gefahr darf man nicht allein an die Verfügungsmöglichkeit über das Produkt anknüpfen. Es ist sicher richtig, daß die Produktrisiken am besten beherrscht oder beeinflußt werden können, solange sich die Produkte noch in der Verfügungsmacht des Herstellers befinden. Dies bedeutet aber nicht, daß mit dem Zeitpunkt, in dem die Produkte seinen Verfügungsbereich verlassen haben, sie also in Verkehr gelangt sind, auch die Möglichkeiten des Herstellers, das Produktrisiko zu beeinflussen, verschwunden sind.28 Das Produktrisiko kann nämlich nicht nur durch die direkte Einwirkung auf das noch beim Hersteller vorhandene Produkt beeinflußt werden, sondern auch durch die Vermittlung sicherheitsrelevanter Informationen für die Besitzer oder Benutzer oder durch die Veranlassung der Besitzer, das Produkt dem Hersteller zur Gefahrbeseitigung zu überlassen. Auch die Veranstaltung von Rückrufaktionen ist deshalb als Handlungspflicht mit dem Gedanken der Beherrschbarkeit bzw. der Beeinflußbarkeit des Risikos grundsätzlich begründbar. Die Beeinflußbarkeit des Risikos ist - wenn auch in einem weniger starken Maße - auch nach dem Inverkehrbringen des Produktes gegeben. Allerdings wird man den Grad der Beeinflußbarkeit bei der Dimensionierung der konkret aufzuerlegenden Handlungspflichten ebenso zu berücksichtigen haben wie bei der rechtlichen Bewertung des Erfolgs solcher Maßnahmen. cc) Vorteilsziehung
aus der
Gefahrenquelle
Die nachträgliche Produktverantwortung wird ferner mit einem gewissen Kompensationsbedürfnis begründet29. Die Rechtsordnung verlangt vom Hersteller nicht, daß er ein Produkt erst dann in den Verkehr entläßt, wenn er Fehler und Gefahren völlig ausgeschlossen hat. Sack beschreibt diese aus ökonomischen Gründen notwendige Entlastung des Herstellers, ohne die viele Produkte nie produziert und den Verbraucher erreichen würden und technischer Fortschritt weitgehend verhindert würde, wie folgt: „Wer ein neues Produkt konstruiert bzw. entwickelt, muß es nicht so lange testen, bis jede mögliche Schadensgefahr - auch jede Langzeitgefahr - nachweislich ausgeschlossen ist; es genügt, daß Konstruktionsfehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik mit 28 Im Rahmen des Beseitigungsanspruchs nach dem UWG ist allgemein die Möglichkeit einer Verpflichtung zu einem Rückruf von Produkten oder Werbematerialien anerkannt. (S. allgemein zum Rückruf im gewerblichen Rechtsschutz Ernst-Moll, in: FS Klaka, S. 16ff.) Dabei geht es um Fälle, in denen der Schuldner einer Unterlassungsverpflichtung Ware oder Gegenstände bereits an die Händler ausgeliefert hat. In diesem Zusammenhang wird von der h.M. (BGH GRUR, 1974, 666, 669 - „Reparaturversicherung" m.w.N.) vertreten, die Anordnung eines Rückrufs sei nur möglich, wenn sich die Gegenstände noch in der Verfügungsgewalt des Schuldners befinden, da sonst in Rechte Dritter eingegriffen werde. Dabei wird jedoch verkannt, daß es sich bei einem Rückruf nur um ein Angebot handelt, dem der Adressat aber nicht folgen muß. 29 S. dazu Sack, BB 1985, 813, 815 m.w.N.
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größter Wahrscheinlichkeit nicht bestehen. Zur Vermeidung von Fabrikationsfehlern wird vom Hersteller keine umfassende Produktkontrolle verlangt, durch die jeder gefährliche Fabrikationsmangel ausgeschlossen wird; es genügt eine Produktkontrolle, die in den Grenzen des ökonomisch Vertretbaren Schadensgefahren mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließt, d. h. ein gewisser - niedriger - Prozentsatz an Fabrikationsfehlern muß in Kauf genommen werden, ohne daß daran der Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung geknüpft werden kann. Um Instruktionsfehler zu verhindern, muß der Hersteller sein Produkt nicht so lange testen, bis er alle unerwünschten Nebenwirkungen und Fehlanwendungen kennt; auch insoweit genügen zeitlich und kostenmäßig beschränkte Tests." 30
Die Entlastung des Herstellers vom „Restrisiko" und dessen Überbürdung auf die Abnehmer, die Benutzer bzw. die Allgemeinheit, welche es dem Produzenten und Vertreiber ermöglicht, den ökonomischen Nutzen aus Herstellung und Vertrieb zu ziehen, stellt danach die Rechtfertigung dafür dar, ihn nicht mit dem Inverkehrbringen völlig aus seiner Produktverantwortung zu entlassen. Der Hersteller darf nach dieser Überlegung trotz unvermeidbarer oder noch unbekannter Risiken produzieren und vermarkten, allerdings unter dem Vorbehalt, daß er geeignete und zumutbare Gegenmaßnahmen ergreift, wenn die Risiken später erkennbar und/oder vermeidbar werden. Der Gedanke, daß derjenige, der Vorteile aus einem (von ihm geschaffenen und beherrschbaren) Risiko zieht, die (Handlungs)Pflicht hat, es so klein wie möglich zu halten und zur Abwendung von Gefahren tätig zu werden, läßt sich auf Rückrufpflichten im Rahmen der verschuldensabhängigen Produkthaftung anwenden. Der Hersteller eines Produktes zieht aus dem Verkauf der Produkte nicht nur den offensichtlichen Vorteil, damit einen Gewinn machen zu können. Vielmehr ist die ihm von der Rechtsordnung eingeräumte Möglichkeit, rechtmäßig Produkte in Verkehr zu bringen, die noch Restrisiken aufweisen, die Grundlage seiner gesamten Tätigkeit. Würde es ihm nämlich zur Pflicht gemacht, nur völlig sichere Produkte in Verkehr zu bringen (bzw. würde man ihn für alle Schäden durch seine Produkte im Sinnen einer reinen Kausalhaftung haftbar machen), könnte er wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen seine Tätigkeit kaum aufrechterhalten. 31 Das Korrelat zu dem Vorteil aber, einen Teil des Produktrisikos abwälzen zu können, stellt die Verpflichtung dar, das Restrisiko so gering wie möglich zu halten. Der Verweis auf den ökonomischen Vorteil, der dem Hersteller durch eine Herabsetzung der Sorgfaltspflichten und das „Risikoopfer" der Allgemeinheit ermöglicht werde, ist jedoch einseitig. Auch Abnehmer und Allgemeinheit profitieren davon, weil bei zu hohen Ansprüchen an die Sorgfaltspflichten der Hersteller die Produktion möglicherweise ganz unterbleibt oder erheblich verteuert wird. Es besteht ein gesamtwirtschaftliches Interesse an technischen Innovationen. 32 Der wirtschaftliche Vorteil fällt also nicht allein dem Hersteller zu; nicht wegen eines einseitigen Vorteils, der nur durch einen ebenso einseitigen Nachteil
30 31 32
Sack, BB 1985, 813, 815. Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. III/l: Deliktsrecht, Rdnr. 4.1114 m.w.N. Brüggemeier, W M 1982, 1294, 1301.
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Verkehrspflichten
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der Allgemeinheit wegen der Verlagerung des Risikos ermöglicht wurde, kann die den Hersteller treffende kompensierende Pflicht in F o r m nachträglicher P r o duktverantwortung gerechtfertigt werden. 3 3 Allerdings kommt es auf die Einseitigkeit des Vorteils auch nicht an. Zwar steht dem Vorteil des Herstellers aufgrund des erlaubten Restrisikos auch ein entsprechender Vorteil der Allgemeinheit und der Verbraucher gegenüber, die so in den Genuß vieler Produkte kommen, die sonst nicht hergestellt worden wären 3 4 , doch vermindert das nicht den die Verkehrspflicht begründenden Vorteil des Herstellers. Die Handlungspflicht erwächst aus dem Gedanken, daß Vorteil und Verantwortung zusammengehören 3 5 . Die Verantwortung des einen Teils entfällt aber nicht etwa deshalb, weil auch der andere Teil Vorteile genießt. Allerdings ist dieser Umstand der beiderseitigen Vorteilhaftigkeit (und der relativen Größe der Vorteile) bei der Interessenabwägung im Einzelfall, mit deren Hilfe die konkret vorzunehmende Sicherungs- oder Rückrufmaßnahme ermittelt werden soll, zu berücksichtigen. So wird man einem Hersteller von Scherzartikeln bei gleichem Gefahrenpotential möglicherweise andere Maßnahmen der Gefahrenabwehr zumuten können als dem Hersteller von Produkten, deren Nutzen für die Allgemeinheit höher eingeschätzt wird. dd)
Vertrauensschutz
Ein weiterer Grund für eine fortdauernde Produktverantwortung des Herstellers ist in der Notwendigkeit eines Schutzes des Vertrauens der Verbraucher oder Benutzer des Produktes in dessen Fehlerfreiheit gesehen worden. 3 6 Soweit diese 33 Ladeur, BB 1993,1303,1310 weist ferner darauf hin, daß in vielen Bereichen neuerer Technologien die Risikobeherrschung nicht allein theoretisch (etwa durch Simulation) zu bewältigen sei, sondern nur in einem Lernprozeß durch die praktische Anwendung, d.h. durch die Inkaufnahme des Risikos. Da das dabei gewonnene neue Sicherheitswissen in weitem Umfang aber ein öffentliches Gut sei, also auch allen anderen Unternehmen nach seiner Generierung frei zur Verfügung stehe, sei der Innovator zusätzlich haftungsrechtlich gegenüber dem Imitator benachteiligt. Der Innovator hat das haftungsrechtliche Risiko der noch neuen, sicherheitstechnisch nicht vollentwickelten Technologie getragen und unter der Drohung dieses Risikos die Sicherheitstechnik verfeinert. Damit verringert sich auch das Haftungsrisiko. Allerdings profitiert davon auch der Imitator. 34 S. dazu auch Ladeur, BB 1993, 1303, 1310. Bereits Wilburg hat im Rahmen der Kriterien für die Schadenszuweisung gesehen, daß der Unternehmer nicht nur im eigenen Interesse tätig wird. Deshalb sei es angebracht, daß der durch das Unternehmen zugefügte Schaden (durch Zuweisung an den Unternehmer und dessen Weitergabe des Risikos über die Preise an alle Abnehmer) „alle treffen soll, deren Interessen das Unternehmen dient" (Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941, S.29). 35 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 125 : „Wer den Nutzen aus der Gefahr hat, muß sie auch unter Kontrolle halten." Kritisch zur Begründung einer - hier allerdings nicht infrage stehenden - Gefährdungshaftung mit dem Argument der „Interessiertheit des Schädigers an der als gefährlich erkannten Gefahrenquelle" äußert sich Blaschczok, S.60ff. 36 S. grundlegend zur Vertrauenshaftung Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971.
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Verschuldenshaftung
wegen der Schaffung eines Vertrauenstatbestandes rechtmäßig auf die Fehlerfreiheit oder Gefahrlosigkeit des Produktes vertrauen und ihre eigenen Vorsichtsmaßnahmen herabsetzen, führe dies zu einer „sozialethischen Gebundenheit" 37 des Herstellers, der diese Vorsichtsminderung hervorgerufen hat.38 Daraus lassen sich dann zwanglos Verkehrspflichten ableiten, die dieses schutzwürdige Vertrauen vor Enttäuschung bewahren sollen.39 Fraglich ist jedoch, wann ein solcher Vertrauenstatbestand gesetzt wurde. Chr. v. Bar zitiert im Zusammenhang mit dem Vertrauensgedanken bei Verkehrspflichten allgemein keine Produkthaftungsfälle, konstatiert jedoch, daß derjenige, der einen Verkehr eröffnet, Risikofreiheit vorspiegelt.40 Die Öffnung einer Rodelbahn, einer Skipiste oder eines Autoscooters für das allgemeine Publikum verleite dieses zu der - schutzwürdigen - Annahme, die erforderlichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen seien getroffen worden, und damit zu entsprechend sorgloserem eigenen Verhalten. Die gleiche Argumentation ließe sich auch auf das Inverkehrbringen von Produkten übertragen41. Auch hier geht der Käufer oder Benutzer in der Regel davon aus, daß der Hersteller alles Zumutbare unternommen hat, um Schädigungen Dritter zu verhindern. Dies dürfte zumindest für die Zeit bis zum Inverkehrbringen gelten. Ein gewisses Vertrauen besteht jedoch fort auch dahingehend, daß der Hersteller, sollte er später Kenntnis von Fehlern erhalten, zumindest bei besonderen Gefahren zumutbare Maßnahmen ergreift, diese von den Besitzern oder Benutzern abzuwenden. Auch dieses Vertrauen erscheint schutzwürdig.42 So wie der Autobesitzer darauf vertrauen kann, daß ihn der Werkstattinhaber warnt, wenn dieser nachträglich entdeckt, daß ein falsches und deshalb lebensgefährliches Ersatzteil eingebaut wurde, verläßt er sich auch darauf, daß der Hersteller ihn warnt, wenn der gefährliche Fehler bereits im Produktionsstadium verursacht wurde. Verstärkt wird dieses Vertrauen durch eine verbreitete Praxis der Industrie, tatsächlich Rückrufaktionen durchzuführen43. Auch hier allerdings zieht die Zumutbarkeit Grenzen für die Reichweite des Vertrauensschutzes.
Die Verbrauchererwartungen spielen nicht nur eine Rolle bei der Begründung einer nachträglichen Produktverantwortung, sondern allgemein bei der Festlegung des notwendigen Umfangs der Sicherungspflichten im Rahmen der Warenherstellung und Warenverteilung. Diese bestimmen sich danach, was der durchschnittliche Benutzer oder Verbraucher von der entsprechenden Ware objektiv an Sicherheit erwartet bzw. erwarten kann, Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S. 6; Ficker, in: FS Duden, 1977, S. 93ff., 107; Produkthaftungshandbuch/Bd. 1/Foerste, §24 Rdnr. 3 ff. 37 O L G Celle NJW 1961, 1939, 1940; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 117, Fn 114. 38 Diederichsen, Haftung des Warenherstellers, S.297ff., 375ff. 39 Chr. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 118. 40 Chr. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 118 41 S. dazu Diederichsen, Haftung des Warenherstellers, S. 297ff. 42 Ficker, in: FS Duden, 1977, S.93ff., 107. 43 Insofern kann die Honorierung des Vertrauens durch die Hersteller und Vertreiber eine Selbstverstärkung auslösen. Das Vertrauen wird umso größer (und gerechtfertigter) sein, je häufiger und umfassender über nachträglich entdeckte Fehler informiert wird.
Rückrufpflichten -
Verkehrspflichten
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D e r B G H hat den Vertrauensschutzgedanken zur Begründung der Haftung des Quasi-Herstellers herangezogen, welcher nicht selbst der Produzent ist, sondern fremdhergestellte Produkte mit seinem N a m e n oder Warenzeichen versieht und sich dadurch als deren Hersteller geriert. I m R a h m e n der verschuldensabhängigen Produkthaftung könnten zwar die Grundsätze der Haftung des H e r stellers und der Bestimmung seiner Sorgfaltspflichten nicht ohne weiteres auf den Quasi-Hersteller übertragen werden, doch könne dies anders sein, wenn der Quasi-Hersteller sich in besonderer Weise mit der Ware identifiziere und damit rechnen müsse, daß der Benutzer im H i n b l i c k auf das seinem N a m e n entgegengebrachte Vertrauen Vorsichtsmaßnahmen unterläßt, die er anderenfalls vorgenommen hätte 44 . Insgesamt spielt aber der Gedanke des Vertrauensschutzes als Begründung für die Auferlegung von Rückrufpflichten eine relativ untergeordnete Rolle; er kann jedoch in bestimmten Fällen stärker in den Vordergrund treten. Dies ist dann der Fall, wenn der Verbraucher etwa aufgrund branchenweiter Praxis oder gesetzlicher Anordnung mit einer umfassenden Risikoaufklärung beim Kauf oder durch spätere Benachrichtigung rechnen kann und im Vertrauen darauf eigene Vorkehrungen zur Informationsgewinnung über mögliche Risiken unterläßt. Aus der Nichtvornahme einer Warnung wird der Verbraucher deshalb auf die Abwesenheit der Gefahr schließen und das Produkt weiter verwenden. 4 5 Ein anderer Anwendungsfall wären Produkte, die selbst der Sicherheit dienen. So wird der Käufer einer Alarmanlage für sein Haus im Vertrauen auf deren Funktionsfähigkeit andere Sicherungsmaßnahmen für sein Eigentum unterlassen. Dieser Gedanke lag auch den Apfelschorf-Entscheidungen des B G H zugrunde, in denen es um Schäden aufgrund der Verwendung nur eines Pflanzenschutzmittels und daraus folgender Wirkungslosigkeit ging 46 . Das Gericht stellte ausdrücklich darauf ab, daß die Benutzer des Mittels im Vertrauen auf seine W i r k samkeit auf die Anwendung eines anderen, die Resistenzbildung verhindernden Mittels verzichtet hätten.
ee) Ökonomische
Gründe
O b w o h l ausdrückliche Stellungnahmen zur hier behandelten Rückrufproblematik bei den Vertretern der Ö k o n o m i s c h e n Analyse des Rechts fehlen, läßt sich eine nachträgliche Produktverantwortung auch mit Argumenten aus deren G e dankengut begründen. N a c h dem ökonomischen Prinzip sollten notwendige Maßnahmen zur Gefahrvermeidung und -abwendung von dem ergriffen werden, der dies unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten mit dem geringsten A u f wand bewerkstelligen kann. Dieses Prinzip, das von der Ö k o n o m i s c h e n Analyse 44 B G H VersR 1980, 30 - „Klappfahrrad"; B G H B B 1977, 1177 = VersR 1977, 839 - „Autokran". 45 S. zu der parallelen Problematik der Irreführung durch Unterlassen im Rahmen der §§ 1 und 3 U W G unten 4. Kap. C I 2 b. 46 B G H N J W 1 9 8 1 , 1 6 0 3 = B B 1 9 8 1 , 1 0 4 5 - „ D e r o s a l " u n d B G H B B 1 9 8 1 , 1 0 4 8 - „ B e n o m y l " .
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
des Rechts 47 bei der Regelungsfindung im Haftungsrecht in den Vordergrund geschoben wird, hat seinen anerkannten und berechtigten Platz bei der Pflichtenzuweisung im Produkthaftungsrecht, auch wenn dies nicht immer verbalisiert wird. 4 8 Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt, ob nachträglich entdeckte Fehler und Gefahren v o m Hersteller oder v o m Benutzer am kostengünstigsten beseitigt oder vermieden werden können, so w i r d dies in der Regel der Hersteller sein. Wollten sich die Benutzer eines Produktes auf eigene Faust über mögliche nachträglich entdeckte Risiken und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder Verringerung informieren, so wäre ihnen dies meist aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unmöglich. Selbst wenn dies jedem Einzelnen gelingen könnte, wäre damit eine Vervielfachung des Suchaufwands verbunden, da v o n einem Benutzer eruierte Informationen den anderen nicht notwendigerweise ebenfalls zugänglich sind. 49 Demgegenüber hat der Hersteller erhebliche Kostenvorteile bei der „Nachsorge" f ü r sein Produkt. Er kennt dessen Herstellung, Zusammensetzung und Funktions- und Wirkungsweise am besten. Er hat im Zusammenwirken mit seinen A b satzmittlern den besten Uberblick über den Markt und Zugang zu Informationen über die Bewährung des Produktes in der Praxis. Informationen aus Fachzeitschriften liegen f ü r ihn schon im eigenen Interesse. 50 Er kann die Bedeutung der eingehenden Informationen über das Gefährdungspotential des Produktes am besten einschätzen. Er kennt die Vertriebswege und deren Organisation und hat 47 S. aligemein P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986; Schafer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2. Aufl. 1995. Für das Haftungsrecht s. insb. Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, 1993, Kötz, in: FS Steindorff, S. 643 ff., 646ff. und Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungsund Verschuldenshaftung, 1985, S. 17ff. m.w.N. zur - problematischen - Theorie des „cheapest cost avoider". Dazu wiederum unter dem Aspekt der Rückrufpflicht Rettenheck, S. 84ff. 48 S. z.B. Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1299, der konstatiert, daß „seit den 60er Jahren die Rechtsprechung in den entwickelten Industrienationen den billigsten und effektivsten Weg der Reduktion von Produktfolgeschäden darin gesehen [hat], den Hersteller „weitgehend strikt" für diese Schäden haften zu lassen." Der individuell Betroffene sei dagegen schutzlos und weitestgehend unfähig zur Schadensverhinderung. 49 Hier kann natürlich eine wichtige Aufgabe von Verbänden oder auch des Staates liegen, indem sie solche Informationen zentral sammeln und verteilen. Wie das Beispiel des ADAC und anderer Verbraucherverbände zeigt, die häufig über Sicherheitsmängel von Produkten berichten, werden diese Funktionen auch wahrgenommen, wenn die anderweitige Gefahrenabwehr durch Hersteller und Händler als mangelhaft empfunden wird. Allerdings sind solche Aufklärungskampagnen nicht ohne rechtliches Risiko, wie die Verfahren gegen den ADAC bei einem Bericht über unsichere Reifen (OLG Düsseldorf BB 1982, 62 m. Anm. Lachmann - „Sicherheitsrisiko") und gegen den Staat wegen amtlicher Warnungen vor angeblich verschmutzten Nudeln zeigen (OLG Stuttgart NJW 1990, 2690 - „Birkel"). 50 Dies ist nicht nur ein wirtschaftlich begründetes Interesse an Informationen, die der Verbesserung der angewandten Verfahren und der Produkte und damit der Stärkung der Wettbewerbsposition dienen können, sondern auch ein rechtlich begründetes, weil eine Nichtbeachtung von Informationen über nachträglich entdeckte Fehler oder Gefahren zu einer Haftung für Produkte aus der laufenden Produktion führen kann.
Rückrufpflichten
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Verkehrspflichten
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damit die Möglichkeiten, die Abnehmer effizient zu informieren. Der Hersteller ist aber nicht nur am besten in der Lage, Informationen über nachträglich entdeckte Gefährdungen zu sammeln, zu bewerten und zu verteilen, er kann auch am ehesten beurteilen, welche Maßnahmen zur Beherrschung des Risikos möglich und erforderlich sind.51 Vieles spricht deshalb auch unter den von der Ökonomischen Analyse des Rechts in den Vordergrund gestellten Effizienzgesichtspunkten dafür, dem Hersteller nachträgliche Sicherungspflichten für die in Verkehr gebrachten Produkte aufzubürden und nicht den einzelnen Abnehmer allein mit diesem „Restrisiko" zu belasten52. Allerdings steht der Hersteller in einem Interessenkonflikt, der dazu führt, daß er diese Aufgabe möglicherweise nur mangelhaft wahrnimmt, weil die Gefahr von Absatzverlusten aufgrund negativer Informationen über seine Produkte besteht.53 Dies wiederum macht auf Verbraucherseite eigene Kontroll- und Vorsorgemaßnahmen selbst dann erforderlich, wenn rechtlich die Produktverantwortung beim Hersteller bleibt. Insgesamt aber können diese ökonomischen Überlegungen allein nicht die Haftung begründen. Sie spielen allerdings im Rahmen der Interesssenabwägung und der Zumutbarkeitsprüfung eine Rolle. Ähnliche Überlegungen liegen nach Kullmann54 auch dem Honda-Urteil des BGH 5 5 zugrunde, in dem der Hersteller eines Motorrades verpflichtet wurde, in seine Produktbeobachtung auch von Dritten unabhängig vom Hersteller produziertes Zubehör einzubeziehen. Zwar sei für deren Sicherheit in erster Linie der Zubehörhersteller verantwortlich, doch sei der Zubehörmarkt weitgehend mittelständisch strukturiert. Die dort tätigen Unternehmen hätten deshalb nicht die gleichen unmfassenden Möglichkeiten der Produktbeobachtung und Gefahrabwendung wie die Fahrzeughersteller. Dies rechtfertige es, auch letzteren eine Produktbeobachtungspflicht aufzuerlegen. Die Effizienzvorteile des Fahrzeugherstellers allein tragen jedoch die Begründung seiner (Mit)Verantwortung nicht.56 ff)
Zusammenwirken
Von den vorstehend besprochenen Prinzipien, die einer nachträgliche Produktverantwortung zugrunde liegen, ist nicht eines allein das entscheidende, das die Pflicht des Herstellers zum Handeln begründet. Letztlich ausschlaggebend ist Insofern decken sich diese Überlegungen z.T. mit dem Kriterium der Gefahrbeherrschung. So auch Rettenbeck, S. 89. 53 Allgemein zu betriebswirtschaftlichen Konsequenzen der Produkthaftung s. Wischermann, Produzentenhaftung und Risikobewältigung, 1991 mit vielen weiterführenden Nachweisen zur betriebswirtschaftlichen Literatur. 54 BB 1987, 1957, 1959. 55 BGHZ 99,167 = NJW 1987,1009 = BB 1987, 716 mit Anm. Schmidt-Salzer = VersR 1987, 312 = DAR 1987, 78. 56 Der BGH hat die Produktverantwortung für fremdes Zubehör auf dessen Kombinationsgefahren beschränt, so daß den Hersteller des Fahrzeuges die Verantwortung nicht schlechthin, sondern nur insoweit trifft, als er durch das Inverkehrbringen seines Produktes die Gefahr mitverursacht hat. 51
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Deutschland -
Verschuldenshaftung
ihr „kombinatorisches Zusammenwirken" 57 . Damit aber läßt sich allein aus dem Vorliegen eines oder mehrerer dieser Gründe im Einzelfall nicht ohne weiteres eine Handlungspflicht ableiten. Dazu ist eine Wertung erforderlich. Canaris hat aus den von der Rechtsprechung und Literatur dazu entschiedenen und entwickelten Fällen drei Zurechnungsgründe herausgearbeitet, welche es gestatten, Fallgruppen zu erkennen, in denen typischerweise Verkehrspflichten auf der Basis der vorstehenden Überlegungen, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, in der Begründung anerkannt wurden. Zurechnungsgründe>s
c) aa)
Bereichshaftung
Zurechnungsgrund für Fälle der Haftung für Unterlassen (mit denen die Fälle von Verkehrspflichtverletzungen viele Ähnlichkeiten aufweisen) ist u.a. die Einstandspflicht für die Sicherheit eines bestimmten Bereichs; das Gerechtigkeitskriterium dahinter ist der Gedanke der Zusammengehörigkeit von Verantwortung und Bestimmungsgewalt. Grund dafür ist im wesentlichen, daß der Inhaber dieser Gewalt in der Lage ist, die Gefahr zu beherrschen, und Vorteile aus der Gefahrenquelle zu ziehen vermag. Das gilt nicht nur bei Grundstücken als Gefahrenquellen sondern auch für bewegliche Sachen und Unternehmen; wichtigstes Beispiel der Bereichshaftung ist die deliktsrechtliche Produzentenhaftung, bei der sowohl bewegliche Sachen als auch das Unternehmen die maßgebliche Gefahrenquelle bilden.59 Daraus leitet sich eine Gefahrabwendungspflicht ab. Die gesetzliche Stütze der Bereichshaftung findet sich in den §§ 831 I, 833, 836f. BGB, aus denen sich ein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke entnehmen läßt.60 Die zugrundeliegenden Gerechtigkeitskriterien der Gefahrsetzung, der Gefahrbeherrschung, der Zusammengehörigkeit von Risikotragung und Vorteilsziehung sowie des Vertrauenschutzes wirken dabei in der bereits erwähnten „kombinatorischen" Weise zusammen. Der Hersteller eines Produktes schafft die von diesem Produkt ausgehenden Risiken und, indem er es in Verkehr bringt, setzt er dessen Besitzer, Benutzer oder damit in Berührung kommende Dritte diesen Gefahren aus. Er beherrscht das Risiko ursprünglich, weil er es durch ordnungsgemäße Konstruktion, Fabrikation und Instruktion vermeiden kann, und nachträglich, weil er die Mittel zur Erkennung von Gefahren hat, das Wissen, wie sie vermieden werden können, und weil er dieses Wissen durch Vermittlung an die Betroffenen oder durch das Angebot der Fehlerbeseitigung zur Abwendung der Gefahr einsetzen kann. Schließlich hat der Hersteller aus Produktion und Vertrieb seine Vorteile gezogen. 57 58 59 60
Latenz/Canaris, §76 III 3 e. S. dazu Latenz!Canaris, §76 III 3. Ebd., S.408. Ebd., §76 III 3 e.
Rückrufpflichten -
bb)
Verkehrspflichten
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Übernahmehaftung
D e r Zurechnungsgrund der Ü b e r n a h m e einer Aufgabe wird im Zusammenhang der Produkthaftung keine große Rolle spielen können. Es geht hier um Fälle der Haftung von Architekten, Ärzten, Spediteuren etc., die häufig unter dem B e griff der Berufshaftung zusammengefaßt wird 6 1 , jedoch über eine Haftung für beruflich übernommene Aufgaben hinausgeht. 6 2 Es geht also in aller Regel u m eine Dienstleistungshaftung. N u r im Einzelfall, etwa bei einer Auftragsproduktion eines bestimmten Produktes können dabei auch gefährliche Produkte involviert sein.
cc) Vorangegangenes besonders gefährliches Tun D e r Zurechnungsgrund des vorangegangenen besonders gefährdenden Tuns ist als Auslöser von Handlungspflichten unbestritten. Allerdings kann dazu nicht jede durch ein Tun ausgelöste Gefährdung ausreichen, da sonst die übrigen Zurechnungsgründe der Bereichshaftung und der Ubernahmehaftung aufgesogen werden und ihre Selbständigkeit verlieren. Indem nämlich der Hersteller ein P r o dukt in den Verkehr entläßt, setzt er immer eine Gefahr, ebenso wie derjenige, der eine Aufgabe übernimmt und dadurch bewirkt, daß der Begünstigte seine A c h t samkeit herabsetzt. Bei einer solchen Sichtweise würde der Zurechnungsgrund des vorangegangenen gefährdenden Tuns konturenlos und im Grunde nichtssagend 6 3 . M a n wird deshalb verlangen müssen, daß das vorangegangene Tun eine besondere Gefahr gesetzt hat, welche über das M a ß hinausgeht, welches „mit der Teilnahme am zwischenmenschlichen Verkehr normalerweise verbunden ist" 6 4 . D a b e i spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob das die Gefahr auslösende Verhalten rechtswidrig war oder nicht. A u c h wer in rechtmäßiger Weise eine besondere Gefahr setzt, ist eben wegen dieser Gefährlichkeit zu Vorsichtsmaßnahmen verpflichtet. D e r Hersteller eines allen Vorschriften entsprechenden Geländefahrzeuges, der durch die A r t seiner Werbung den Eindruck erweckt, auch unerfahrene L e n k e r könnten damit jede Situation meistern, muß dafür Sorge tragen, daß solche Fahrer bei den zu erwartenden Unfällen besonders geschützt sind 65 . Wenn auch die Rechtswidrigkeit des vorangegangenen Tuns nicht Voraussetzung für diesen Zurechnungsgrund ist, so kann sie doch eine Rolle für die E i n schätzung der hervorgerufenen Gefahr spielen. Ein Hersteller, der ein alltägliches Produkt auf den Markt bringt und dabei alle Sorgfaltspflichten im R a h m e n der Konstruktion, Fabrikation und Instruktion beachtet, so daß gefährliche Fehler 61 S. allgemein zur Berufshaftung Hopt, AcP 183 (1983) 608; Grunewald, AcP 190 (1990), 609; H. Herrmann, JZ 1983, 422; Schiemann, in: FS Gernhuber, S.387ff. 62 Larenz/Canaris, § 76 III 3 b. 63 So zurecht Larenz/Canaris, § 76 III 3 c. 64 Ebd. 65 S. die Problematik der „All Terrain Vehicies" in den USA; dazu Joerges, in: Post Market Control of Consumer Goods, S. 155ff., 196ff. und Blum, Critics: Thumbs Down to ATV Action, Nat'l L. J. 9 (Jan. 18, 1988).
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Verschuldenshaftung
soweit möglich vermieden werden, handelt nicht nur rechtmäßig, sondern setzt mit dem Inverkehrbringen eines solchen Produktes auch kein über das übliche Maß hinausgehendes Risiko; ein besonders gefährliches Tun liegt darin nicht66. Für ihn gilt somit der Zurechnungsgrund der Bereichshaftung. Läßt der Hersteller jedoch die erforderliche Sorgfalt außer acht und bringt ein mit einem gefährlichen Fehler behaftetes Produkt auf den Markt, handelte er im Schadensfall nicht nur rechtswidrig, sondern setzte die Abnehmer oder Dritte auch eher einer über das Übliche hinausgehenden Gefahr aus. Zwar sind die Risiken, die von einem bestimmten Fehler ausgehen, unabhängig davon, ob dieser Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens unerkennbar und unvermeidbar war oder ob er fahrlässig verursacht oder gar bewußt inkauf genommen wurde. Entscheidend ist jedoch, daß ein unvermeidlicher Fehler zum gewöhnlichen Risiko eines Produktkaufs gehört, ein verschuldeter aber eine darüber hinausgehende Gefahr begründet. Canaris verlangt für die Begründung einer Handlungspflicht aus vorangegangenem Tun allerdings, daß die „Gefahr besonders groß ist, also deutlich oberhalb der Schwelle liegt, deren Überschreitung mit der Teilnahme am zwischenmenschlichen Verkehr normalerweise verbunden ist." 67 Unter diesem Gesichtspunkt könnte man argumentieren, daß leicht fahrlässig verursachte Fehler noch zum üblichen Risiko gehören, da mit ihrem Vorkommen nach der Lebenserfahrung gerechnet werden muß. Sie wären also der Bereichshaftung zuzuschlagen. Allerdings kann dies nur ein Indiz sein. Letztlich wird es auf die Größe der Gefahr und nicht auf die Art ihrer Verursachung ankommen. Die soeben angestellten Überlegungen sind nur ein Beispiel dafür, daß die Abgrenzung zwischen den einzelnen Zurechnungsgründen nicht immer klar möglich ist. Allerdings hat eine solche Zuordnung auch keine wesentlichen materiellen Folgen. Sie beruhen alle, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, auf denselben Gerechtigkeitskriterien, die in ihrem kombinatorischen Zusammenwirken zu einer Gefahrabwendungspflicht führen68. Demgemäß erhält beim Zurechnungsgrund des vorangegangenen besonders gefährlichen Tuns der Aspekt der Begründung und Aufrechterhaltung des Risikos besonderes Gewicht. Eine Gegensteuerungspflicht wird deshalb auch bei nur relativ geringen Vorteilen des Herstellers aus seiner gefährlichen Tätigkeit und nur schwierig beherrschbaren bzw. beeinflußbaren Gefahren abgeleitet werden können. Im Rahmen der Bereichshaftung, die bereits bei einem üblichen Risiko ausgelöst werden kann, wird man dagegen an die Beherrschbarkeit des Risikos und die Vorteile für den Hersteller höhere Anforderungen stellen müssen. Dies bedeutet z.B. daß bei einer vermeidbaren und bewußt inkauf genommenen Gefährdung der Verbraucher eine Gefahrabwendungspflicht des Herstellers unter sonst gleichen Umständen
66 Anders jedoch, wenn das Produkt auch bei Anwendung aller Sorgfalt durch den Hersteller besonders gefährlich ist. 67 Larenz/Canaris, § 76 III 3 c. 68 Larenz/Canaris, § 76 III 4 a.
Rückrufpflichten
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Verkehrspflichten
eher begründet werden kann, als wenn der gefährliche Fehler trotz aller Sorgfalt aufgetreten ist. d) Nachträgliche Einzelfall
Produktverantwortung
und Handlungspflicht
im
Die Tatsache, daß ein Zurechnungsgrund gegeben ist, besagt jedoch nur, daß grundsätzlich eine Handlungspflicht bestehen kann; sie reicht aber noch nicht aus, um daraus ohne weiteres auch für den Einzelfall eine konkrete Gefahrabwendungspflicht abzuleiten69. Ob und welche Maßnahmen abverlangt werden können, hängt von einer Einzelfallbewertung ab, in der die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit solcher Maßnahmen zu prüfen sind. Dabei kann sich im Einzelfall durchaus ergeben, daß eine Gefahrabwendungspflicht nicht besteht70, weil etwa keine geeignete Maßnahme zur Verfügung steht oder weil erforderliche Maßnahmen die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten würden. So ist etwa denkbar, daß der infrage stehende Produktfehler seiner Art nach nur geringfügige Schäden an anderen Gegenständen des Benutzers verursacht, daß aber im Verhältnis zu den möglichen Schäden die Kosten einer Warnaktion unverhältnismäßig wären, so daß im konkreten Einzelfall eine Gefahrabwendungsmaßnahme nicht in Betracht kommt 71 , obwohl grundsätzlich eine Handlungspflicht besteht. 4. Verhältnis der Rückrufhaftung a)
zur allgemeinen
Produkthaftung
Fehlerkategorien
Von Rechtsprechung und Literatur wird also, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten bei der Begründung, eine nachträgliche Produktverantwortung grundsätzlich bejaht. Dies gilt für alle Fehlerkategorien, die hier noch einmal kurz rekapituliert werden sollen72. Man unterscheidet zunächst zwischen Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehlern. Beim Konstruktionsfehler handelt es sich um einen Fehler, der jedem Produkt der Serie anhaftet, weil bereits bei der Konstruktion des Produktes die erforderliche Sorgfalt nicht aufgewendet wurde. Es wurde z.B. ein nicht ausreichend belastungsfähiges Material verwendet, eine nicht (mehr) dem Stand der Technik entsprechende Konstruktionsvariante wurde gewählt, eine eigentlich erforderliche Sicherheitsvorrichtung wie etwa ein Schutzgitter wurde nicht eingeplant. Fabrikationsfehler dagegen finden sich nur bei einzelnen Produktexemplaren einer Serie. Sie entstehen, weil in der Produktion (von Mensch oder Maschine) nicht mit ausreichender Präzision und Sorgfalt Larenz/Canaris, § 76 III 4 b. Zu den Kriterien und Bewertungsmaßstäben s. unten IV 3. 71 Mit ähnlichen Argumenten verneint Rettenheck, S. 96 über Warnpflichten hinausgehende Rückrufpflichten bei geringwertigen Gütern. 71 S. ausführlich Borer, Produktehaftung: Der Fehlerbegriff nach deutschem, amerikanischem und europäischem Recht, 1986. 69
70
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Verschuldenshaftung
gearbeitet wurde und der Fehler bei der Qualitätskontrolle nicht entdeckt wurde73. Die berühmten „Montagsautos" sind ein Beispiel. Unter dem Gesichtspunkt des Rückrufs sind solche Fehler problematisch, weil nicht vorhergesagt werden kann, welches konkrete Produkt den Fehler aufweist. Der Rückruf muß deshalb möglicherweise alle Produkte einer Serie umfassen, obwohl nur ein geringer Prozentsatz den Fehler tatsächlich haben wird. Instruktionsfehler liegen vor, wenn das Produkt selbst zwar fehlerfrei ist, die für die Benutzung des Produktes zur Verfügung gestellten Informationen aber keine sichere Handhabung gewährleisten oder ermöglichen. Bei Entwicklungsfehlern schließlich handelt es sich streng genommen nicht um eine eigene Fehlerkategorie, sondern um Entwicklungsrisiken oder -gefahren. Es geht dabei um gefährliche Eigenschaften eines Produktes, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkannt werden konnten. Zu diesem Zeitpunkt war das Produkt also rechtlich fehlerfrei. Die spätere Entdeckung der gefährlichen Eigenschaft erfordert jedoch Gefahrabwendungsmaßnahmen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Rechtsprechung und Literatur eine nachträgliche Produktverantwortung für alle Fehlerkategorien einhellig bejahen.74 b) Verletzung
von Rückrufpflichten
und
Haftungsbegriindung
Der gefährliche Produktfehler kann als Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler bereits beim Inverkehrbringen des Produktes erkennbar und vermeidbar gewesen sein oder es kann eine Entwicklungsgefahr vorliegen, die erst später erkannt wird. Kommt es zu einer Rechtsgutverletzung i.S.v. §823 Abs. 1 BGB aufgrund des Fehlers, kann das (dem Hersteller zuzurechenende) schadenstiftende Verhalten rechtswidrig und schuldhaft gewesen sein oder nicht. In beiden Fällen wird grundsätzlich eine nachträgliche Produktverantwortung anerkannt, in beiden Fällen können Rückrufmaßnahmen geboten sein. Allerdings sind die Wirkungen der Rückrufpflicht und ihrer Erfüllung für den Hersteller unterschiedlich danach, ob der Produktfehler auf ein dem Hersteller zuzurechnendes Fehlverhalten zurückgeht oder nicht75.
S. für Erfahrungen aus der Autoindustrie Heim, ADAC-Motorwelt, Nr. 9/1978, 12. Dies konnte Löwe unter Berufung auf dort zunächst unspezifizierte Rückrufpflichten bereits 1978 feststellen, DAR 1978, 288, 288: „Der Warenhersteller bleibt.... deliktisch auch nach Auslieferung der Ware in der Pflicht." 75 S. dazu auch Rettenbeck, S.96ff. 73
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Rückrufpflichten -
Verkehrspflichten
aa) Ursprünglicher, auf zurechenbares Produktfehler
Fehlverhalten
(1) Die Bedeutung der Rückrufpflicht gebotenen Rückrufs
und der Vornahme
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zurückgehender
eines
I m Fall einer Rechtsgutverletzung durch ein rechtswidrig und schuldhaft in Verkehr gebrachtes gefährlich fehlerhaftes Produkt ist die Haftung des Herstellers bereits aufgrund dieses Tatbestandes begründet. Verletzt der Hersteller zusätzlich seine nach dem Inverkehrbringen ihm obliegende Rückrufpflicht, stellt sich diese weitere Verkehrspflichtverletzung als ein zusätzlicher Haftungsgrund dar. 76 D e r Verletzte kann sich entweder auf beide oder auf bloß einen der H a f tungsgründe berufen, wenn seine Beweissituation nur den Nachweis dieses einen gestattet. Soweit eine Rückrufpflicht besteht, hat deren Verletzung zusätzlich zum ursprünglichen Fehlverhalten keine Verschärfung der Haftung zur Folge, weil etwa der ersten Pflichtverletzung eine zweite folgte. D e n k b a r ist zwar auch, daß der Fehler ursprünglich bloß fahrlässig verursacht wurde, der R ü c k r u f aber nach E r k e n n e n der Gefahr vorsätzlich in sittenwidriger Weise unterlassen wurde. D a n n könnte neben § 823 Abs. 1 B G B auch § 826 B G B anwendbar werden. 7 7 U n terschiedliche Haftungsfolgen ergeben sich aus dieser konkurrierenden A n w e n dung aber i.d.R. nicht. 7 8 U m g e k e h r t hat die Vornahme einer gebotenen Rückrufmaßnahme nur begrenzt „befreiende" Wirkung. D e r Hersteller wird dadurch nicht automatisch von seiner Haftung für den schuldhaft verursachten Fehler frei. D i e R ü c k r u f m a ß nahme „heilt" nicht die vorher liegende Pflichtverletzung. Soweit allerdings der R ü c k r u f erfolgreich ist und die Gefahr tatsächlich abgewendet wird, wird eine Rechtsgutverletzung vermieden; somit kann es auch nicht zu Schadensersatzpflichten k o m m e n . D i e Vornahme selbst eines nach allen Regeln der Kunst vorgenommenen Rückrufs befreit jedoch nicht bei dennoch eintretenden Schäden 7 9 . Dies gilt unbeschränkt für die Schäden der Produktbesitzer oder -benutzer, die trotz aller erdenklichen Mühen des zurückrufenden Herstellers nicht erreicht 76 Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr 83. Mißverständlich P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564, 569f., soweit er darin ein Problem der Haftungsvermeidung, nicht der Haftungsbegründung sieht. 77 Die Unterlassung eines Rückrufs kann für die Verantwortlichen auch strafrechtliche Konsequenzen haben. S. BGHSt 37,106 = NJW 1990,2560 = BB 1990,1856 = JuS 1991,253 m. Anm. Hassemer = EWiR §223a StGB 1/90,1017 m. Anm. Marxen = MDR 1990,1025 = JR 1992, 27 = NStZ 1990,588 = StrVert 1990,446 - „Lederspray". Zur Behandlung der strafrechtlichen Verantwortung für Fehlverhalten im Produktbeobachtungs und Rückrufbereich in der Literatur s. Produkthaftungshandbuch/Hd.\/Goll/Wnkelbauer,$46i{.; Schmidt-Salzer, NJW 1988,1937; ders., Produkthaftung, Bd. I: Strafrecht, Rdnr. 1093ff.; ders., PHI 1990, 234; Hamm, PHI 1985, 15; Kuhlen, NStZ 1990, 566; ders., JZ 1994,1142; B.-D. Meier, NJW 1992, 3193; E. Samson, StrVert 1991, 182. 78 Praktische Bedeutung erlangt § 826 BGB nur bei reinen Vermögensschäden, gegen die wiederum § 823 Abs. 1 BGB nicht schützt. 79 So schon Dunz/Kraus, S. 88.
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wurden, sowie für die Schäden unbeteiligter Dritter, an die der R ü c k r u f nicht gerichtet ist und die auch der Gefahr nicht ausweichen können. In diesem Fall war zwar der R ü c k r u f „fehlerfrei", doch schlägt die Pflichtverletzung in der Herstellungs- und der Vermarktungsphase, welche das Produkt fehlerhaft machte, durch. Sie kann nicht rechtlich durch den R ü c k r u f ungeschehen gemacht werden 8 0 . D e r Hersteller kann nur tatsächlich in den von ihm ingang gesetzten K a u salverlauf eingreifen. N u r durch Verhinderung des Schadenseintritts kann er auch seine bereits durch das ursprüngliche Fehlverhalten begründete Haftung vermeiden. 81
(2) Nichtbeachtung durch Geschädigten D e r ordnungsgemäß ausgeführte R ü c k r u f kann den Hersteller bei einem verschuldeten Produktfehler aber auch bei den Personen, die v o m R ü c k r u f erreicht wurden, nicht völlig entlasten. Dies gilt selbstverständlich dann, wenn diese Personen trotz der Befolgung des Rückrufs geschädigt werden, weil auch ein nach den Regeln der Kunst durchgeführter R ü c k r u f nicht immer die Gefahr gänzlich beseitigt. Wenn die Adressaten den R ü c k r u f hingegen gar nicht oder nur unvollkommen befolgen, wird man dies zwar als Mitverschulden i.S.d. § 2 5 4 B G B berücksichtigen müssen; ebenso aber kann man v o m ursprünglichen Fehlverhalten des H e r stellers nicht völlig absehen. 8 2 J e nach dem G r a d des Mitverschuldens des Geschädigten wird den Hersteller deshalb auch dann eine mehr oder weniger große Schadensersatzpflicht treffen. Bei der Bewertung der Schwere des beiderseitigen Verschuldens mag es dann auch Fälle geben, in denen der Hersteller mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einen leicht fahrlässig verursachten Fehler durch nachträgliche M a ß n a h m e n wiedergutzumachen versucht hat, während der 80 Dies wäre allenfalls bei einem Instruktionsfehler denkbar, wenn das darin liegende Informationsdefizit des Benutzers durch eine nachträgliche Warnung und Instruktion vollständig kompensiert wird. Lag etwa der Instruktionsfehler darin, daß auf die Giftigkeit eines Produktes nicht hingewiesen wurde, so kann ein nachträglicher Hinweis auf diese Tatsache, der für den Benutzer den gleichen Aufmerksamkeits- und Erkenntniswert erreicht wie eine ursprüngliche Warnung, den Fehler ausgleichen. Da der Hersteller nunmehr ihm gegenüber seiner Informationspflicht genügt hat, würde er für dennoch eintretende Schäden nicht haften müssen. Dies gilt jedoch nicht, wenn der nachträgliche Hinweis einen Benutzer nicht erreicht. 81 Wenn P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564, 570f. meint, daß Produktbeobachtung und Rückruf in diesen Fällen eine Frage der Haftungsvermeidung, nicht der Haftungsbegründung seien, so ist dies allenfalls aus der wirtschaftlichen Sicht des Herstellers so. Rechtlich stellt die Verletzung der Produktbeobachtungs-oder Rückrufpflicht einen zusätzlichen Haftungsgrund dar. 82 So auch Dunz/Kraus, S. 88 unter Hinweis auf den Karusselfall des BGH (VersR 1956, 625), in denen ein Karusselhersteller ein Mitverschulden nach §254 BGB traf, weil er schuldhaft gefährliche Mängel verursacht hatte, obwohl das Karussel vom Betreiber entgegen behördlicher Anordnung nach Entdeckung des Fehlers und trotz vorgesehener Nachbesserung weiterbetrieben worden war, wodurch ein Fahrgast verletzt wurde. Eine Unterbrechung des Kausal- oder Zurechnungszusammenhangs liegt darin nicht, s. Rettenbeck, S. 73ff.; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1805.
Rückrufpflichten -
Verkehrspflichten
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Geschädigte im vollen Bewußtsein der Gefahr das Risiko der Schädigung inkauf genommen hat. Bei einem derartigen Uberwiegen des Schadensbeitrags des G e schädigten selbst k o m m t dann auch eine völlige Haftungsfreistellung in B e tracht. 8 3
bb)
Entwicklungsfehler
Anders sieht es dagegen aus, wenn es sich bei dem schadenstiftenden Fehler um die Verwirklichung eines Entwicklungsrisikos handelt. H i e r ist dem Hersteller bei oder vor dem Inverkehrbringen des Produktes kein Fehlverhalten vorzuwerfen, da der Fehler für ihn zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar und nicht vermeidbar war. Das Produkt wurde fehlerfrei in Verkehr gebracht. Eventuelle Schäden durch schadenstiftende Eigenschaften des Produktes hat der Hersteller nicht zu ersetzen. Eine Haftung kann somit im R a h m e n der verschuldensabhängigen Haftung nur durch ein nachträgliches Fehlverhalten des Herstellers begründet werden. K o m m t der Hersteller schuldhaft seinen allfälligen P r o d u k t b e o b a c h tungs- und Rückrufpflichten nicht nach, und wird dieses Unterlassen kausal für eine Rechtsgutverletzung und einen Schaden, so hat er diesen zu ersetzen. D i e pflichtwidrige Unterlassung des Rückrufs begründet also originär die Haftung. Kann der Hersteller allerdings nachweisen, daß auch bei ordnungsgemäßem R ü c k r u f der Schaden eingetreten wäre, entfällt seine Haftung mangels Kausalität der Unterlassung 8 4 . D i e ordnungsgemäße Durchführung einer Rückrufaktion befreit den Hersteller bei Entwicklungsgefahren völlig von der Haftung, da ihn dann ein Verschulden nicht mehr trifft. Das Risiko des Mißerfolgs eines ordnungsgemäß durchgeführten Rückrufs liegt also bei den Geschädigten. Das gilt erst recht, wenn sie den Rückrufmaßnahmen nicht Folge leisten, indem sie die Warnungen in den Wind schlagen oder Reparatur- und Austauschangebote nicht annehmen.
cc) Folgerungen für die Bedeutung von
Rückrufpflichten
D i e vorstehenden Überlegungen und ihr Ergebnis könnten Anlaß dazu gegeben, Rückrufpflichten nur Bedeutung in Fällen von Entwicklungsfehlern einzuräumen, welche wegen des hohen Sorgfaltsmaßstabs, den die Rechtsprechung an die Verkehrspflichten bei der Konstruktion, Fabrikation und Vermarktung von Produkten stellt, nur selten vorliegen und noch seltener zu beweisen sind. 8 5 Richtig ist, daß dann, wenn feststeht, daß das schadenstiftende fehlerhafte P r o dukt schuldhaft in Verkehr gebracht wurde, die Feststellung der Unterlassung oder der nicht ordnungsgemäßen Durchführung eines Rückrufs im Ergebnis
So auch Rettenheck, S.98. Der Geschädigte war z.B. zur der Zeit, in der der Rückruf hätte durchgeführt werden müssen, im Ausland und wäre deshalb mit Sicherheit nicht erreicht worden. 85 So Rettenbeck, S. 97. 83
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
überflüssig ist, da der Hersteller für die deswegen eingetretenen (oder besser: nicht verhinderten) Schäden bereits wegen seines früheren Fehlverhaltens haftet. Selbst wenn das Gericht dem Hersteller hinsichtlich der Durchführung eines Rückrufs kein Verschulden vorwerfen könnte, hätte dies keinen Einfluß auf die Haftung. Bei rechtwidrigem und schuldhaftem Inverkehrbringen gefährlicher Produkte könnte deshalb der Anreiz für den Hersteller, einen Rückruf vorzunehmen, wegen des verbleibenden Haftungsrisikos geringer sein, als dann, wenn ein pflichtgemäßer Rückruf eine Haftung völlig vermeiden kann. Die Auferlegung einer Rechtspflicht zum Rückruf vermag in diesen Fällen auf den Hersteller keinen zusätzlichen Druck auszuüben. 86 D e r bereits aus wirtschaftlichem Eigeninteresse bestehende Anreiz 87 , die Haftungsrisiken durch einen wohlgeplanten und -durchgeführten Rückruf zumindest in den Fällen zu verringern, in denen durch die Aktion die Gefahr erfolgreich beseitigt wird, wird durch die Anerkennung einer entsprechenden Pflicht nicht verstärkt. D a der Hersteller schuldhaft den haftungauslösenden Fehler verursacht hat, trägt er das Risiko des Mißerfolgs seiner Rückrufaktion allerdings zurecht. Die Aussicht bei einem Entwicklungsfehler, durch einen sachgemäß durchgeführten Rückruf einer Haftung völlig zu entgehen, stellt dagegen einen größeren Anreiz für dessen Durchführung dar. Allerdings dürfte dieser Unterschied in der „haftungsbefreienden" Wirkung eines Rückrufs in der Praxis nur selten eine Rolle spielen. Selbst wenn diese Gedanken in die Entscheidungsfindung des Unternehmens über die Vornahme eines Rückrufs einfließen sollten, ist doch gerade dann, wenn eine fahrlässige Fehlerverursachung infrage steht, oft unklar, ob das Gericht die Erkennbarkeit des Fehlers vor dem Inverkehrbringen feststellen wird oder das Vorliegen einer Entwicklungsgefahr. Wie sich ein Rückruf auf die Haftung auswirkt, wer das Risiko seines Mißerfolgs letztlich zu tragen hat, ist daher in dem Augenblick, in dem über seine Durchführung entschieden wird, häufig unklar. Von größerer Bedeutung aber ist, daß der Schluß, die Auferlegung einer Rückrufpflicht spiele nur bei Entwicklungsfehlern eine Rolle unter praktischen Gesichtspunkten nur dann richtig ist, wenn die Gerichte im Fall einer Rechtsgutverletzung eine klare Trennung zwischen rechtswidrigem und schuldhaftem Inverkehrbringen auf der einen Seite und rechtmäßigem auf der anderen vornehmen müßten oder würden. Gerade die Auferlegung von Produktbeobachtungs- und Rückrufpflichten in beiden Fällen enthebt jedoch bei deren schuldhafter Unterlassung die Gerichte der Notwendigkeit, eine solche oft schwierige Unterscheidung zutreffen. Insbesondere wenn Produkte einer bestimmten Serie lange Zeit unverändert weitergebaut werden, könnte je nachdem, ob das streitgegenständliche Exemplar 86 Dies mag der Grund gewesen sein, weshalb das Europäische Parlament für die P H R L einen Art. la vorgeschlagen hatte, wonach der Hersteller durch Ergreifung aller zur Schadensverhütung geeigneten Maßnahmen wie z.B. Information der Öffentlichkeit, Rückruf etc. seiner Haftung hätte entgehen können. S. ABl. Nr. C 127 v. 25.5. 1979, S.61. 87 Auch P. Ulmer, Z H R 152 (1988) 564, sieht bei schuldhafter Fehlerverursachung darin den Hauptanreiz zur Vornahme von Gefahrabwendungsmaßnahmen.
Rückrufpflichten - Persönliche
Reichweite
185
qvor oder nach Kenntniserlangung v o m Fehler in Verkehr gebracht wurde, schuldloses Verhalten oder nicht vorliegen. Wenn dann aber jedenfalls die P r o duktbeobachtungs- oder die Rückrufpflicht verletzt wurde, nachdem Kenntnis vorlag oder hätte vorliegen müssen, m u ß das Gericht diese schwierige Feststellung nicht mehr treffen, da es darauf nicht mehr ankommt. Gleiches gilt dann, wenn dem Hersteller zwar die Kenntnis des Fehlers vor dem Inverkehrbringen und damit ein Verschulden zu diesem Zeitpunkt schlecht nachgewiesen werden kann, aber feststeht, daß er zumindest ab einem bestimmten späteren Zeitpunkt nach dem Inverkehrbringen (etwa aufgrund von Veröffentlichungen, Verbraucherbeschwerden etc.) bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte Kenntnis erlangen müssen 8 8 . In diesen Fällen kann das Gericht die Begründung der H a f tung auf das zeitlich letzte Fehlverhalten des Herstellers stützen, ohne entscheiden zu müssen, o b ein solches auch schon beim Inverkehrbringen vorlag. In der Praxis ist es also eher so, daß die Auferlegung der Produktbeobachtungs- und Rückrufpflicht die Feststellung eines haftungsbegründenden Fehlverhaltens vor dem Inverkehrbringen erübrigt und nicht umgekehrt. Aus praktischen Gründen hat deshalb die Auferlegung einer Rückrufpflicht (einschließlich der Produktbeobachtungspflicht) nicht nur bei Entwicklungsfehlern Bedeutung.
II. Persönliche Reichweite der Rückrufpflichten Bisher ist meist vom Hersteller die Rede gewesen, wenn es darum ging, das B e stehen von nachträglichen Gefahrabwendungspflichten zu ermitteln. Dies ist aber nur als Kurzformel für den Kreis der Verkehrspflichtigen zu verstehen. D e r E i n fachheit halber wird deshalb auch weiterhin meist nur vom Hersteller die Rede sein, wenn eigentlich alle Kategorien von Gefahrabwendungspflichtigen gemeint sind. D e n Hersteller treffen zwar die umfangreichsten Verkehrspflichten, da er bis zum Zeitpunkt, da das Produkt seinen Bereich verläßt, Konstruktion, Fabrikation und Instruktion direkt steuern kann und zu verantworten hat und da er auch nach dem Inverkehrbringen den besten Zugang zu neuen Entwicklungen des Standes der Technik oder der Auswertung von Praxiserfahrungen mit dem Produkt hat. Die Pflicht zur Vornahme von Gefahrabwendungsmaßnahmen trifft aber auch die Hersteller von Vorprodukten und, insbesondere wenn es sich um ausländische Hersteller handelt, auch Importeure, Händler und Vertriebgesellschaften 8 9 , wobei Inhalt und U m f a n g der Pflichten jedoch modifiziert sein können. 9 0 88 Es liegt gerade in der Natur eines sich ständig vorwärtsentwickelnden Standes der Wissenschaft und der Technik und seiner Verbreitung, daß die Kenntnis bestimmter Zusammenhänge oder das Kennen-Müssen desto leichter nachzuweisen sein werden, je später sie vorgelegen haben sollen. 89 S. z.B. B G H Z 99, 167 = BB 1987, 717 = WM 1987, 176 - „Honda". 90 S. dazu die umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zur Produkthaftung des Importeurs. Beispielhaft B G H , N J W 1980, 1219 - „Klappfahrrad"; B G H Z 99, 167 = BB 1987, 717 = WM 1987, 1 7 6 - „Honda".
186 1. Hersteller
Deutschland -
von
Verschuldenshaftung
Vorprodukten
Produktbeobachtungs- und andere Rückrufpflichten können auch die Zulieferer treffen. 91 Auch sie sind Hersteller im Sinne des Produkthaftungsrechts; 9 2 es treffen sie die typischen Verkehrspflichten des Herstellers. 9 3 Dies entbindet den Endhersteller jedoch nicht von seiner eigenen Verpflichtung 9 4 , ebenso wenig wie der Hersteller nach der Honda-Entscheidung von Produktbeobachtungspflichten hinsichtlich fremdproduzierten Zubehörs dadurch entlastet wird, daß auch dessen Hersteller Gefahrabwendungspflichten treffen. 95 D e r Endhersteller haftet jedoch für Pflichtverletzungen des Zulieferers nicht nach § 8 3 1 B G B . 9 6 Zulieferer und Endhersteller haben eigene, zum Teil sich überlappende Verantwortungsbereiche. Deshalb können je nach der Lage im Einzelfall abhängig v o m eigenen Verschulden sowohl Endhersteller als auch Zulieferer oder jeder von ihnen einzeln haftbar sein. Allerdings sind die Verantwortlichkeiten bei vertikaler Arbeitsteilung anders verteilt als bei horizontaler. 9 7 Bei vertikaler Arbeitsteilung kauft der Hersteller des Endprodukts Vorprodukte, die er bei der Produktion seines Produkts verwendet. Deren Konstruktion und Fabrikation erfolgt durch den Zulieferer, wenn dabei auch z.T. Vorgaben des Endprodukteherstellers berücksichtigt werden. D i e Produktverantwortung des Zulieferers geht deshalb relativ weit. Lagert dagegen der Hersteller des Endprodukts normalerweise von ihm selbst ü b e r n o m m e n Funktionen im Bereich der Konstruktion, Fabrikation, Qualitätskontrolle etc. zu anderen, selbständigen U n t e r n e h m e n aus, liegt horizontale Arbeitsteilung vor 9 8 . Wird z . B . der Zulieferer als Hersteller eines Vor- oder Teilproduktes nur nach den genauen Konstruktionsplänen des Endprodukteherstellers tätig, trifft ihn in der Regel auch keine Verantwortung für die Konstruktion. 9 9 D i e Grenzen zwischen vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung sind aber nicht immer klar zu ziehen. D e n Zulieferer bei vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung treffen somit grundsätzlich eigene Gefahrabwendungspflichten, wenn gefährliche Fehler aus 91 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 288; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3250; Produkthaftungshandbuch /Bd. 1 /Foerste, §25 Rdnr. 36ff.; Lemppenau, DB 1980, 1679; Nagel, DB 1993, 2469; Schilling, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 63-73. 92 Für die verschuldensunabhängige Produkthaftung sieht dies §4 Abs. 1 S. 1 PHG ausdrücklich vor. 93 Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3250, S.4. 94 Löwe, DAR 1978, 288, 291. 95 BGH BB 1987, 717 = WM 1987, 176 96 Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §25 Rdnr. 39. 97 S. zu den Begriffen Produkthaftungshandbuch/TidA/Foerste, §25 Rdnr. 37 und 38; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3250, S.2f. 98 Beispiele hierfür ist die Einschaltung von Konstruktionsbüros bei der Entwicklung des Endproduktes oder die Durchführung von Belastungstests durch darauf spezialisierte Institutionen. 99 Wenn er aber im Laufe der Herstellung Gefahren der Konstruktion erkennt und Anlaß für die Annahme hat, daß der für die Konstruktion Verantwortliche diesem Umstand nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkt, muß er etwa durch dessen Information zur Gefahrenabwehr beitragen; BGH BB 1990, 306 - „Expander".
Rückrufpflichten - Persönliche
Reichweite
187
seinem Verantwortungsbereich nach der Auslieferung des Produkts an den E n d hersteller erkannt werden. 1 0 0 E r m u ß dann u . U . ebenfalls Warnungen aussprechen,
Sicherheitsinformationen
liefern,
Reparaturen,
Nachlieferungen
und
R ü c k n a h m e n anbieten. Adressatenkreis und A r t der Maßnahme müssen so gewählt werden, daß die Gefahr dadurch in hinreichendem M a ß e abgewendet wird. So ist es bei einer frühzeitigen Entdeckung des Fehlers denkbar, daß nur die E n d hersteller darauf hingewiesen werden müssen, wenn sichergestellt ist, daß das E n d p r o d u k t noch nicht in die Hände der Verbraucher gelangt ist. In diesen Fällen könnte auch eine Warnung ausreichen, soweit davon ausgegangen werden kann, daß die Endhersteller diese beachten werden. 1 0 1 Soweit das E n d p r o d u k t bereits in den Händen der Endabnehmer ist, müssen sowohl diesen wie auch den Endherstellern gegenüber Gefahrabwehrmaßnahmen ergriffen werden. Dies kann auch ein unmittelbar v o m Zulieferer ausgehendes A n gebot einer Reparatur oder eines Austauschs sein, wenn das Produkt des Zulieferers von seiner Serviceorganisation getrennt v o m Hauptprodukt repariert oder ersetzt werden kann. Dies ist z . B . bei Autoreifen der Fall. 1 0 2 In vielen Fällen wird jedoch eine solche direkte Gefahrbeseitigung ohne Einschaltung des Endherstellers und seiner Organisation nicht möglich sein. Dies ist etwa dann gegeben, wenn der Zulieferer die A b n e h m e r des Endprodukts nicht kennt, nicht über eine eigene Serviceorganisation verfügt oder der Fehler dort nicht behoben werden kann. 1 0 3 In diesem Fall wird er alle Anstalten machen müssen, den Endhersteller zu den erforderlichen und zumutbaren Gefahrabwendungsmaßnahmen zu bewegen. 1 0 4
2.
Händlerm
Händler sind grundsätzlich nicht zu einer Sicherheitsüberprüfung der von ihnen verkauften Waren verpflichtet; sie wird v o m Verkehr auch nicht erwartet. 1 0 6 100 Fuchs, JZ 1994,533. Nickel, Produzentenhaftung beim Verkauf mangelhafter Halbfabrikate, 1985. 101 So das OLG Frankfurt/M. BB 1991, 2248. (Die Entscheidung wurde später aus anderen Gründen aufgehoben, BGHZ 117, 183 = ZIP 1992, 485.) 102 S. als Beispiel die Austauschaktion für Lastwagenreifen im Jahre 1981 der Fa. Michelin; DER SPIEGEL, Nr.34/1981, 72, 73. 103 So hätte der Hersteller der fehlerhaften Kondensatoren, die den Rechtsstreit in BGHZ 117, 183 = ZIP 1992,485 verursachten, kaum selbst einen Rückruf der Automobile erfolgreich durchführen können, in deren ABS-Bremssysteme sie schließlich über mehrere Zwischenstufen von weiteren Zulieferern gelangten, zumal eine Reparatur nicht ohne Zerstörung anderer Teile der Aggregate, in die die Kondensatoren eingebaut worden waren, möglich war. 104 Zu möglichen Regreßansprüchen gegen den Zulieferer wegen durch seine Produkte verursachte Rückrufe s. Link, BB 1985, 1424. 105 S. allgemein zur Produkthaftung des Händlers Kossmann, NJW 1984, 1664. 106 Produkthaftungshandbuch/ßdA/Foerste, §26 Rdnr. 2, 19ff. In der Regel kann sich der Händler mit einer Sichtkontrolle begnügen. Auch § 377 HGB begründet keine Verpflichtung gegenüber dem eigenen Abnehmer, sondern stellt eine Obliegenheit dar. In Ausnahmefällen kann jedoch der Verkehr berechtigterweise eine Prüfung des Produkts durch den Händler erwarten. Dies ist z.B. bei Neuwagen der Fall (Ablieferungsinspektion) und
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
Allerdings können sich auch aus ihrem eigenen Verantwortungsbereich Gefahren ergeben, für die er im Rahmen der verschuldensabhängigen Haftung einzustehen hat, bzw. die er nach Kenntniserlangung abzuwenden hat. 107 Eine der typischen Gefahrenquellen ist die Käuferberatung durch den Händler, soweit sie pflichtwidrig versäumt wird oder fehlerhaft ist. Kennt der Händler z.B. den Verwendungszweck, zu dem der Käufer das Produkt benutzen will, muß er diesen über die spezifisch damit verbundenen Gefahren informieren, auch bzw. gerade wenn dieser Zweck ungewöhnlich und vom Hersteller nicht vorhergesehen wurde. 108 Soweit der Händler über Risiken des Produkts berät, muß er dies richtig und vollständig tun. 109 Entsprechend muß auch der Händler im Rahmen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit nachträgliche Gefahrabwendungsmaßnahmen ergreifen, wenn er nach dem Inverkehrbringen von der Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit seiner Instruktionen Kenntnis erlangt. Eigenständige Instruktions- und Warnpflichten ergeben sich z.B. auch dann, wenn der Händler ein Produkt, das vom Hersteller für Fachleute bestimmt ist und deshalb weniger ausführliche Benutzungs- und Warnhinweise enthält, auf dem Markt für Amateure anbietet. E r muß dann für eine angemessene Gebrauchsanleitung sorgen. 110 Andere Fehlerquellen aus dem Bereich des Händlers 111 sind (unsachgemäße) Lagerhaltung, Verpackung und Transport oder die Beachtung von Haltbarkeitsdaten oder von Abgabebeschränkungen des Herstellers. 112 Soweit der gefahrbegründende Fehler aus dem Verantwortungsbereich des Händlers stammt, ist er grundsätzlich zu denselben Gefahrabwendungsmaßnahmen verpflichtet wie ein Hersteller. Allerdings wird man bei deren Konkretisierung zu berücksichtigen haben, daß die Möglichkeiten zur Produktbeobachtung, zur Reparatur und zum Austausch bei Händlern je nach Einzelfall anders zu beurteilen sein können als beim Hersteller. Die Händler müssen aber auch im Rahmen von Warn- und Rückrufaktionen der Hersteller tätig werden. So müssen sie zunächst sicherheitsrelevante Kundenbeschwerden, Wissen über Schadensfälle und sonstige Erkenntnisse an den Hersteller weiterleiten, auch wenn dieser sie nicht dazu anhält. 113 In die andere Richtung müssen sie bei Warn- und Rückrufaktionen des Herstellers die entsprechenden Informationen an die Abnehmer weitergeben 114 , denn häufig sind nur die Händler, nicht aber die Hersteller in der Lage, die Abnehmer anhand von Kundendateien, Rechnungsunterlagen etc. zu identifizieren und zu erreichen. bei Gebrauchtwagen dann, wenn für den Händler konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Mangelfreiheit vorliegen (ebd. §4 Rdnr. 17ff.). 107 Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, S.61; ders., in: Kullmann/Pfister, Kza 1524, S.5f. 108 Insofern kann die Haftung des Händlers weiter gehen als die Herstellerhaftung. 109 Produktbaftungsbandbuch/Bd.l/Foerste, §26 Rdnr. 7. 110 Meyer, ZIP 1995, 716, 718. 111 S. für eine umfangreiche Liste Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1524, S. 5f. 112 Etwa wenn der Hersteller die Abgabe an Personen unter 18 Jahren untersagt. 113 Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, § 2 6 Rdnr. 29. 114 Meyer, ZIP 716, 718; ProdukthaftungshandbuchfBd. MFoerste, §26 Rdnr. 39ff.
Rückrufpflichten
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Unklar ist, inwieweit ein Händler bei sicherheitsrelevanten Fehlern, die aus der Sphäre des Herstellers herrühren, selbst die Initiative zur Einhaltung nachträglicher Gefahrabwendungspflichten ergreifen muß. In diesem Fall müßte in erster Linie der Hersteller tätig werden. Z.T. wird aber angenommen, daß der Händler verpflichtet sei, dafür Sorge zu tragen, daß er von Rückrufmaßnahmen des Herstellers Kenntnis erlangt.115 Außerdem kann den Händler eine subsidiäre Pflicht zur Vornahme von Gefahrabwendungsmaßnahmen treffen, wenn er einen gravierenden Sicherheitsfehler des von ihm vertriebenen Produkts erkannt hat und der Hersteller pflichtwidrig selbst solche Maßnahmen nicht durchführt. 116 Allerdings wird man dies dem Händler nur in eindeutigen Fällen und bei erheblichen Gefahren für Leib und Leben zumuten können. In Zweifelsfällen würde sich der Händler der Gefahr wettbewerbsrechtlicher Verfahren wegen Anschwärzung ausgesetzt sehen.117 In der Regel wird der Händler auch nur in der Form von Warnungen tätig werden müssen. Eine Reparatur- oder eine Austauschaktion wird ihm bei einem Fehler aus der Sphäre des Herstellers kaum je zuzumuten sein.118 Da der Händler in all diesen Fällen zwar im Rahmen einer eigenen Verpflichtung, aber nur subsidiär zum Hersteller tätig wird, könnte er möglicherweise unter vertraglichen Gesichtspunkten oder wegen Geschäftsführung ohne Auftrag Ersatz vom Hersteller verlangen.
3. Importeure, Vertragshändler, Vertriebsgesellschaften Q uasi-Hersteller
und
Gefahrabwendungspflichten, die über diejenigen des einfachen Händlers hinausgehen, treffen Importeure, Vertragshändler, Vertriebsgesellschaften des Herstellers und Quasi-Hersteller. Die erhöhte Verantwortlichkeit von Importeuren rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß in ihrem Fall die Produktsicherheit nicht in erster Linie von Herstellern gewährleistet wird, welche mit den heimischen technischen und rechtlichen Sicherheitsanforderungen, mit den Verbrauchergewohnheiten und -erwartungen vertraut sind und die Bewährung der Produkte in der inländischen Praxis hinreichend beobachten können. 119 Importierte Produkte stellen deshalb ein höheres Sicherheitsrisiko dar als inländische. Den Importeur treffen deshalb 115 O L G Karlsruhe NJW 1981, 1054. A.A. Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §26 Rdnr. 41. 116 Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §26 Rdnr. 31. A.A. Pauli, PHI 1985, 134, 145, der meint, den Händler treffe nur die Pflicht, im Rahmen seiner Möglichkeiten darauf hinzuwirken, daß der Hersteller seinen Pflichten nachkommt. Dabei wird jedoch übersehen, daß der Händler durch das Inverkehrbringen die Gefährdung des Benutzers oder Dritter mitverursacht hat. 117 Vgl. P. Ulmer, 152 (1988) 564, 586ff. für Warnungen des Herstellers vor bestimmten, fremdproduzierten Zubehörteilen. 118 Jedenfalls wenn die Gewährleistungspflicht abgelaufen ist. 119 So bereits RG DR 1940,1293,1294; s. auch BGH NJW 1980,1219,1220-„Klappfahrrad"; BGH NJW 1987, 1009, 1010 -"Honda". Ferner kann der Geschädigte Ansprüche gegen einen ausländischen Hersteller oft nur schwer durchsetzen; Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1524, S. 13.
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Verschuldenshaftung
zwar nicht dieselben weitgehenden Pflichten wie einen Hersteller, doch muß er sich stärker als ein Händler für einheimische Produkte darüber vergewissern, daß die typischen Risikofaktoren ausländischer Produkte soweit wie möglich erkannt und ausgeschaltet werden.120 Dazu gehört z.B., daß Gebrauchsanweisungen den inländischen Sicherheitsanforderungen angepaßt werden. Im Bereich der nachträglichen Gefahrabwendungspflichten trifft den Importeur zumindest eine passive Produktbeobachtungspflicht 121 , d.h. eine Pflicht zur Uberprüfung von Beanstandungen, die ihm zugeleitet werden. Selbstverständlich muß er diese auch an den Hersteller weiterleiten und auf Abhilfe dringen. Notfalls darf er das Produkt nicht mehr in den Verkehr bringen. Ist der Importeur gleichzeitig wegen seiner Ausschließlichkeitsstellung im Inland das alleinige Verbindungsglied zum ausländischen Hersteller, so kann er auch zu aktiver Produktbeobachtung verpflichtet sein, d.h. zur aktiven Informationsgewinnung, zur Überprüfung der Berechtigung von Beanstandungen und Verifizierung von Verdachtsäußerungen durch eigene Untersuchungen und Tests.122 Soweit der Hersteller auf die Ergebnisse der Produktbeobachtung nicht angemessen reagiert, hat der Importeur die erforderlichen und zumutbaren Gefahrabwendungsmaßnahmen wie Warnungen zu unternehmen. 123 Vertragshändler stehen in einer engeren Beziehung zum Hersteller als gewöhnliche Händler 124 ; sie werden auch vom Abnehmer so gesehen und stark mit dem Hersteller identifiziert. Außerdem verfügen sie über besonderes know how und Erfahrungen mit den Produkten des Herstellers 125 . Sie sind deshalb besser in der Lage und verpflichtet, Gefahrabwendungsmaßnahmen des Herstellers zu initiieren, zu unterstützen und durchzuführen. Letzteres ist besonders bei Rückrufen mit Reparatur- und Austauschangeboten der Fall, die die Hersteller in aller Regel über ihre Vertragshändler und Vertragswerkstätten abwickeln lassen. Vielfach wird der Hersteller auch auf die beim Vertragshändler vorhandenen Informationen über die Abnehmer angewiesen sein, um erfolgreiche Rückrufaktionen durchführen zu können. Sollte der Hersteller eindeutig gebotene Gefahrabwendungsmaßnahmen unterlassen, kann auch ein Vertragshändler zu eigenen Warnungen126 oder - in Extremfällen - zu weitergehenden Maßnahmen verpflichtet sein Bei ausgegliederten Vertriebsgesellschaften des Herstellers besteht eine noch engere wirtschaftliche und darüber hinaus gesellschaftsrechtliche und oft auch 120 Bei Importen aus Mitgliedstaaten der EU dürfen den Importeuren jedoch keine höheren Anforderungen an eine Uberprüfung der Sicherheit dort rechtmäßig in Verkehr gebrachter Produkte abverlangt werden, als Händlern für inländische Produkte; s. BGH NJW 1980,1219,1220 - „Klappfahrrad"; ausführlich Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §26 Rdnr. 74ff. 121 BGH CR 1994, 205 - „Gewindeschneidemittel I". 122 BGH NJW 1987,1009,1010 -"Honda"; differenzierend und eher abnehmend Produkthaftungshandbuch /Bd. 1/Foerste, §26 Rdnr. 69. 123 Produkthaftungshandbuch/Bd. \/Foerste, §26 Rdnr. 67. 124 Grundlegend zum Vertragshändlervertrag P. Ulmer, Der Vertragshändler, 1969. 125 Produkthaftungshandbuch/Bd. MFoerste, §26 Rdnr. 42ff. 126 ProdukthaftungshandbuchiBAA/Foerste, §26 Rdnr. 44.
Rückrufpflichten - Persönliche
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personelle Verbindung als bei Vertragshändler. D e n n o c h wird man deren Pflichten nicht ohne weiteres mit denen des Herstellers gleichsetzen können, da zu ihrer Erfüllung oft die technischen, personellen oder organisatorischen M ö g l i c h keiten fehlen werden 1 2 7 . D e r Pflichtenkreis wird deshalb zumindest dem der Vertragshändler bzw. bei ausländischen Herstellern dem der Importeure entsprechen müssen. A u c h Quasi-Hersteller,
die sich durch Anbringen ihres N a m e n s oder ihrer
Marke auf fremdproduzierten Produkten als Hersteller gerieren 1 2 8 , obliegt eine Produktbeobachtungspflicht, da sie über den direkten K o n t a k t zum Kunden verfügen, die Vertriebswege besser kennen und den Hersteller hinsichtlich aufgetretener Probleme mit dem Produkt beraten können. I m R a h m e n der verschuldensunabhängigen Produkthaftung k ö n n e n sie jedoch nicht pauschal mit den Herstellern gleichgestellt werden 1 2 9 . U . U . sind sie aber in erster Linie berufen, Warn- und Rückrufaktionen zu veranlassen 1 3 0 . Das L G Freiburg hat jedenfalls bereits 1959 einen Quasi-Hersteller neben dem Hersteller eines Mopeds wegen seiner U n t ä tigkeit trotz der Kenntnis von zahlreichen Gabelbrüchen für haftbar gehalten und zum Schadensersatz verurteilt 1 3 1
4. Einschaltung
Dritter
a) Haftung bei Einschaltung
Dritter
Fraglich ist noch, inwieweit sich der pflichtige Hersteller oder Vertreiber durch die Einschaltung von Dritten entlasten kann. D a b e i ist zu berücksichtigen, daß modernes Wirtschaften ohne Maßnahmen vertikaler oder horizontaler Arbeitsteilung 1 3 2 nicht denkbar ist. So sind praktisch alle Hersteller auf die Lieferung fremdproduzierter Vor- und Zwischenprodukte angewiesen oder verlagern bestimmte Aufgaben ihres eigenen Bereichs wie der Konstruktion oder der Qualitätskontrolle auf andere, selbständige Unternehmen. A u c h die Delegation von Aufgaben im Zusammenhang mit der Gefahrabwendung durch bereits in Verkehr gelangte Produkte muß deshalb möglich sein. So wird der Hersteller z . B . die aufgrund von Schadensmeldungen notwendigen chemischen Untersuchungen seiner Produkte Speziallabors übertragen. Geradezu typisch ist die Ausführung von Reparaturmaßnahmen im R a h m e n von Rückrufaktionen durch Vertrags127 Produkthaftungshandbuch/Bd. 1/Foerste, §26 Rdnr. 46; Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1524, S.6. 128 S. zum Begriff §4 Abs. 1 S.2 PHG. Man hat dabei als typisches Beispiel Warenhauskonzerne und Versandunternehmen im Auge. 129 BGH BB 1977, 1117 = VersR 1977, 839 - „Autokran"; BGH NJW 1980, 1219 = VersR 1980, 30 - „Klappfahrrad". 130 Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, S.67f. Die Tatsache, daß auch dem Quasi-Hersteller Verkehrspflichten obliegen, entlasten aber nicht den tatsächlichen Hersteller von den seinen; BGH VersR 1987, 102, 104 - „Verzinkungsspray". 131 LG Freiburg v. 17.2. 1959, Schmidt-Salzer, Entscheidungs Sammlung Bd. I, Nr. III.3 = Kullmann/Pfister, Kza 7508/1. 132 Zu den Begriffen s. ProdukthaftungshandbuchiBd. 1/Foerste, §25 Rdnr. 37f.
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Verschuldenshaftung
Werkstätten. Wenn auch der Hersteller für Fehlverhalten der Vorlieferanten und der von ihm eingeschalteten Unternehmen grundsätzlich nicht haftet, so befreit ihn die Arbeitsteilung doch nicht generell von eigenen Verkehrspflichten 1 3 3 . So wird er die zugelieferten Produkte einer eigenen Sicherheitsprüfung unterziehen müssen und auf deren Herstellung Einfluß nehmen müssen 1 3 4 . D i e Ergebnisse der ausgelagerten chemischen Untersuchungen wird er - soweit er dazu in der Lage ist - zumindest einer Plausibilitätskontrolle unterwerfen und bei Zweifeln an der Korrektheit Klarheit suchen müssen. Die Sorgfalt seiner Vertragswerkstätten wird er überwachen müssen. F ü r schuldhaftes Fehlverhalten in diesem ihm in jedem Fall verbleibenden Verantwortungsbereich hat er einzustehen. Soweit eine Verletzung der eigenen Verkehrspflichten oder der Organisationspflicht nach § 8 2 3 Abs. 1 B G B 1 3 5 vorliegt oder soweit (ausnahmsweise) die Voraussetzungen einer Haftung nach § 831 B G B gegeben sind, bleibt es bei einer Haftung des H e r stellers. Insbesondere kann sich der Hersteller durch die Einschaltung Dritter nicht von Warn- oder Rückrufpflichten befreien. A u c h wenn er nachträglich Kenntnis von gefährlichen Fehlern der von ihm verwendeten Vorprodukte erfährt, ist er nach den allgemeinen Grundsätzen zumindest zu Warnaktionen verpflichtet 1 3 6 . A u c h ist er verpflichtet, auf den Zulieferer einzuwirken, damit dieser die erforderlichen Rückrufmaßnahmen ergreift, und sich an diesen nach Kräften zu beteiligen, soweit dies für deren Erfolg notwendig ist 1 3 7 . Strittig ist jedoch, o b der H e r steller auch dann, wenn ihm selbst kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist, Reparatur- und Austauschaktionen wegen fehlerhafter Vorprodukte einzuleiten hat 1 3 8 . A u c h in diesem Fall hat der Hersteller, wenn auch ohne eigenes Verschulden, zur Gefährdung der Betroffenen beigetragen und die Gefahr kann von ihm beherrscht werden, soweit er in der Lage ist, den Fehler tatsächlich zu beseitigen. Dies rechtfertigt es m.E., den Hersteller in Ausnahmefällen, wenn erhebliche G e fahren für Leib und Leben drohen, zu eigenen Rückrufmaßnahmen zu verpflichten, falls der in erster Linie verpflichtete Zulieferer dies versäumt.
b) Pflicht zur Einschaltung
Dritter
Eine andere Frage ist, o b der Pflichtige bestimmte Teilbereiche der erforderlichen Maßnahmen nicht durch Dritte erledigen lassen muß, wenn er selbst dazu nicht in der Lage ist 1 3 9 . Zu denken ist etwa an die Einschaltung von ForschungslaProdukthaftungshandbuch/Bd. MFoerste, §25 Rdnr. 48ff. BGH NJW 1994, 3349 = ZIP 1994, 1960 - „Atemüberwachungsgerät". 135 Zu den Organisationspflichten ausführlich Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. 51 ff.; Hauschka, AG 1988, 29. 136 S. für fremdproduziertes Zubehör BGHZ 99, 167 = NJW 1987, 1009 - „Honda". 137 Produkthaftungshandbuch'/Bd. MFoerste, §25 Rdnr. 47. 138 Dafür Niehusen, S. 22, weil der Fehler des Vorproduktes im Endprodukt wirksam werde; dagegen Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §25 Rdnr. 47, weil ohne eigene Pflichtverletzung solche Maßnahmen kaum mehr zumutbar wären. 139 S. dazu Hauschka, AG 1988, 29, 36. 133
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Rückrufpflichten
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Typologie
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bors, um den aufgekommenen Verdacht einer Gesundheitsschädigung durch in Verkehr gebrachte Produkte zu bestätigen oder auszuschließen. Auch hier ist eine generelle Antwort nicht möglich 140 . Soweit die Sachkompetenz im eigenen U n ternehmen vorhanden ist, wird sich der Hersteller auf diese verlassen können, wenn sichergestellt ist, daß eine wirklich objektive, nicht an den einseitigen Interessen des Herstellers ausgerichtete Beurteilung möglich ist. Soweit die notwendigen Uberprüfungen jedoch nicht im eigenen Unternehmen durchführbar sind, müssen Dritte eingeschaltet werden. Dies ist auch zu überlegen, wenn es um die Planung einer Warn- oder Rückrufaktion geht. Wie bereits mehrfach hervorgehoben, hängt der Erfolg einer solchen Aktion wesentlich von der Gestaltung der Warnung oder des Rückrufangebots ab. Es kommt darauf an, die psychologische Situation der Adressaten richtig einzuschätzen und adäquate Ansprechmethoden zu entwickeln 141 . Für die meisten Unternehmen ist es selbstverständlich, daß sie sich für die Lösung der ähnlichen Probleme bei Public Relations und Werbung des Sachverstandes anderer spezialisierter Unternehmen bedienen. Dann liegt es nahe, ihnen ein selbständiges „Herumstümpern" im sensiblen Bereich der Produktsicherheit nicht nachzusehen. Allerdings kann dies bei Maßnahmen auf adhoc-Basis bei dringlichen Notsituationen schwierig sein, da dadurch nicht hinnehmbare Verzögerungen auftreten können. Umso wichtiger ist es, daß die U n ternehmen entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen, um schnell reagieren zu können.
III. Typologie der Rückrufpflichten 1. Allgemeines Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß sich unter dem Begriff der Rückrufpflichten, wie er hier verwendet wird, ein ganzes Bündel von Pflichten verbirgt. Gemeinsam ist ihnen, daß sie sich auf die Verhinderung oder Beseitigung von Rechtsgutverletzungen richten, die bevorstehen oder noch andauern. Die Gefahr einer solchen Rechtsgutverletzung kann von einem dem Hersteller zurechenbaren früheren Fehlverhalten bei der Konstruktion, Fabrikation oder Instruktion ausgehen oder von einem bislang nicht erkennbaren Entwicklungsrisiko. Die Rückrufmaßnahmen sollen in die durch das Inverkehrbringen des Produktes in Gang gesetze Kausalkette eingreifen, indem sie den Verletzungserfolg verhindern oder (bei Dauerstörung) beenden. J e nach den Umständen des Einzelfalls sind zur Abwendung der Gefahr bzw. zur Beseitigung der Störung unterschiedliche Maßnahmen geeignet, erforderlich und zumutbar. Aus diesen möglichen Maßnahmen ist dann nach einer umfassenden Interessenabwägung die kon-
140 Das L G Freiburg, Urt. v. 17.2.1959, in•. Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Bd. I N r . III.3 hat die Einholung eines neutralen Gutachtens darüber, ob Benutzungs- oder Produktfehler die aufgetretenen Schäden verursachten, für notwendig erachtet. 141 S. ausführlich dazu Meyer, Instruktionshaftung, S.289ff.
Deutschland -
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Verschuldensbaftung
kret vorzuschreibende auszuwählen. 1 4 2 Entsprechend der Vielfalt der möglichen Fehler, gefährdeten Rechtsgüter und Gefahrensituationen ist auch die Liste der möglichen Gefahrabwendungsmaßnahmen lang. 143 Diese sollen im folgenden kurz charakterisiert werden. 1 4 4 Zunächst lassen sich Pflichten unterscheiden, die unmittelbar der Abwendung der Gefahr dienen, sei es durch Einwirkung auf den Gefahrenherd selbst, sei es durch Ermöglichung eines verantwortungsbewußten Umgangs mit der Gefahr. E s sind dies die eigentlichen Rückrufpflichten der Warnung, Rücknahme, N a c h besserung etc. Daneben treten Pflichten, welche die Voraussetzungen für die wirkungsvolle Vornahme solcher M a ß n a h m e n schaffen. Zu den letzteren gehören die Produktbeobachtungspflichten und die Organisationspflichten. 1 4 5
2. Vorbereitende a)
und begleitende
Pflichten
Produktbeobachtung
aa) Haftungsrechtliche
Relevanz
der
Produktbeobachtungspflicht
O h n e eine systematische P r o d u k t - und Marktbeobachtung, welche die B e w ä h rung des Produktes in der Praxis und die Aufdeckung eventueller K o n s t r u k tions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler zum Gegenstand hat, ist nach dem Inverkehrbringen eine gezielte Gefahrenabwehr durch den Hersteller nicht möglich. Es würde v o m Zufall abhängen, ob der Hersteller von später entdeckten Mängeln des Produktes oder Problemen bei seiner Handhabung oder bei der K o m b i n a t i o n mit anderen Produkten erfährt. A u f den Zufall darf sich der H e r steller aber nach allgemeiner Auffassung nicht allein verlassen. 1 4 6 Die erste Pflicht, die sich aus der nachträglichen Produktverantwortung des Herstellers (oder des Vertreibers) ergibt, ist deshalb die der Produktbeobachtung. Sie ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt und bereits relativ breit behandelt worden; 1 4 7 in der jüngeren Rechtsprechung zur nachträglichen
142 Unter Umständen kommt - trotz grundsätzlich bestehender Gefahrabwendungspflicht wegen allgemeiner Ungeeignetheit oder Unzumutbarkeit auch gar keine dieser Maßnahmen in Betracht. 143 S. H. Ulmer, PHI1992,188 für eine umfassende Liste von Maßnahmen, die ein Unternehmen zur Vermeidung von Haftungsrisiken von der Entwicklung des Produktes bis zur Produktbeobachtung und zu Rückrufmaßnahmen treffen kann. 144 Die hier behandelten Typen von Rückrufpflichten entsprechen in vielem den von v. Bar (Verkehrspflichten, S. 83 ff.) dargestellten Typen von Verkehrspflichten. 145 So auch P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564, 570f. 146 Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. III/l: Deliktsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 4.1093; BGHZ 80, 199 = BB 1981, 1048 - „Benomyl". 147 Z.B. BGH NJW 1988, 2611 - „Sprudelflasche" und aus der jüngeren Literatur Hauschka, AG 1988,29; Sack, BB 1985, 813; Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 82ff.; P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564; Anhalt, Teil 09/4.6; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. III/l: Deliktsrecht, 1990, Rdnr. 4.1092ff.; Kullmann/Pf ister, Produzentenhaftung, Kza 1520, S.41ff und Kza 4310, S. 18ff.; Pro-
Rückmfpflichten
- Typologie
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Produktverantwortung von Herstellern oder Händlern steht sie häufig im Vordergrund. 1 4 8 Die Produktbeobachtung hat Bedeutung als Vorstufe zur Erlangung der Kenntnisse, die eine Entscheidung erlauben und notwendig machen, o b und wann nachträglich konkrete Gefahrabwendungsmaßnahmen erforderlich werden. E s geht somit nicht allein um die Produktbeobachtung als solche, sondern um die aus deren Ergebnissen zu ziehenden Konsequenzen, um die „Reaktionspflichten". 1 4 9 Eine Verletzung der Produktbeobachtungspflicht kann eine Schadensersatzhaftung nur dann begründen, wenn bei ihrer Beachtung Erkenntnisse zutage gefördert worden wären, welche den Hersteller zu konkreten Gefahrabwendungsmaßnahmen hätten veranlassen müssen, die er jedoch unterließ. O h n e das Bestehen solcher Reaktionspflichten bliebe auch das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Produktbeobachtung haftungsrechtlich folgenlos.
bb) Konsequenzen
aus der
(1) für die zukünftige
Produktbeobachtung
Produktion
Die Produktbeobachtung dient der Sammlung von Informationen über die B e währung des Produktes in der Praxis und über mögliche Probleme bei seiner Handhabung. Dabei haben die Produktbeobachtungspflichten - oder besser: die Konsequenzen aus den bei ihrer Erfüllung gewonnenen Erkenntnissen - in doppelter Hinsicht Bedeutung. 1 5 0 Z u m einen werden diese Erfahrungen ausgewertet, um in der laufenden Produktion notwendige Verbesserungen der Herstellungsverfahren, des Produktes und der Informationen über das Produkt für den A n wender durchführen zu können. D a b e i handelt es sich um eine Ausprägung der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Herstellers, der nicht nur bei der E r s t k o n struktion und Markteinführung eines Produktes den Stand der Technik und das Gefahrenpotential berücksichtigen muß, sondern fortlaufend auch zur Verbesserung der Produktsicherheit nach dieser Maßgabe verpflichtet ist. Das nachträgliche Erkennen des Fehlers kann zu Vertriebsstopp- und Umkonstruktionspflichten führen. 1 5 1 dukthaftungshandbuch/Bd. 1/Foerste, §24 Rdnr. 290ff.; Kunz, BB 1994, 450; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060 m.w.N. 148 S. nur BGHZ 99,167 = NJW 1987,1009 = BB 1987, 716 mit Anm. Schmidt-Salzer = VersR 1987, 312 = JR 1988, 241 m. Anm. Schmitz = WM 1987, 176 = DAR 1987, 78 - „Honda". 149 Rettenbeck, S.36; Brüggemeier, WM 1982, 1294. „Daß der ... Produktbeobachtungspflicht in der Erfüllung daraus resultierender Gefahrabwendungspflichten Begriffe wie „Warnhinweis" und „Rückrufaktion" zuzuordnen sind, versteht sich von selbst"; Birkmann, DAR 1990, 124,126. 150 Sack, BB 1985,813, 813. Birkmann, Richter am BGH, wehrt sich (DAR 1990,124,125) gegen die „eingeschränkte Sicht" Brüggemeiers (ZHR 1988,51 lf.), der BGH habe mit der Auferlegung von Produktbeobachtungspflichten nur das Problem der Entwicklungsrisiken in den Griff bekommen wollen. 151 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 299 m.w.N.; Schmidt-Salzer, BB 1987, 721.
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Deutschland -
Verschuldenshaftung
Solche M a ß n a h m e n sind nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch rechtlich geboten. 1 5 2 Zeigen sich Fehler und besondere Gefahren des Produktes erst nach seiner Markteinführung, kann der Hersteller sich, auch wenn alle ursprünglichen Sicherheitsmaßnahmen und Tests ausreichend waren, nicht mehr auf deren haftungsbefreiende Wirkung berufen. F ü r neu produzierte Produkte, die den gleichen - nunmehr erkennbaren und vermeidbaren - Fehler enthalten, wird der H e r steller deshalb in Zukunft haften müssen. D e r Verstoß gegen die Produktbeobachtungspflicht stellt sich somit als eine Nichtbeachtung der erforderlichen Sorgfalt eines Warenherstellers, der die konkreten Erfahrungen mit seinen Produkten nach Verlassen seiner Sphäre ermitteln, auswerten und berücksichtigen wird, dar. 153 Wurden die aufgrund einer ordnungsgemäßen Produktbeobachtung als notwendig erkennbaren Änderungen 1 5 4 nicht vorgenommen, werden die später produzierten Produkte fehlerhaft; je nach Art des Fehlers handelt es sich um einen K o n struktionsfehler, einen Fabrikationsfehler oder einen Instruktionsfehler 1 5 5 .
(2) für bereits in Verkehr gebrachte Produkte Besteht aber eine solche Produktbeobachtungspflicht bereits im H i n b l i c k auf die laufende Produktion, so liegt es nahe zu fordern, daß die bei ihrer Erfüllung gewonnenen Erkenntnisse auch für bereits auf dem M a r k t und in der A n w e n dung befindliche Produkte nicht folgenlos bleiben dürfen. Es wäre in der Tat kaum einsehbar, wenn ein Hersteller zwar aufgrund von internen, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Erfahrungsberichten lebensgefährliche Mängel durch Konstruktionsänderung bei neu hergestellten Produkten abstellen muß, man ihm aber gleichzeitig gestatten würde, dieses Wissen geheim zu halten und die Gefährdung früherer Käufer zu übergehen. Die Rechtsprechung hat deshalb festgestellt, daß auch im H i n b l i c k auf bereits im Verkehr befindliche Produkte eine Produktbeobachtungspflicht besteht, um die informationellen Grundlagen für erforderliche - auch nachträgliche - Gefahrabwendungsmaßnahmen zu legen. 1 5 6 Diese R e aktionspflichten sind die hier zu behandelnden Rückrufpflichten in F o r m der In152
299.
BGH VersR 1954,100,101; BGH BB 1970,1414,1415; MünchKomm/Mertens,
§823 Rdnr.
Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. III/l: Deliktsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 4.1093ff. Soweit der erkannte Fehler jedoch nicht beseitigt werden kann und von einer Schwere ist, welche dazu führt, daß das Produkt bereits ursprünglich gar nicht in Verkehr hätte gebracht werden dürfen, muß der Vertrieb ab Kenntniserlangung eingestellt werden, Dimz/Kraus, S. 90. 155 S. als Beispiel BGH NJW 1995, 1286 = BB 1995, 943 = ZIP 1995, 747 - „Kindertee III" Hier ging es um die Notwendigkeit und das Ausreichen einer Warnung auf Kindertee, Obstsäften und Plastiksaugflaschen, die nach dem Kennen bzw. Kennen-Müssen der Gefahr der Entstehung von Karies bei Kleinkindern durch „Dauernuckeln" hätten vorgenommen werden müssen. Offensichtlich ging es um Warnungen auf nach dem Kennen-Müssen in Verkehr gebrachten Produkten, nicht um die nachträgliche Warnung von Käufern im Hinblick auf die bereits gekauften Produktexemplare. Angesichts der geringen Verbrauchszeit für den Kindertee hätte dies auch allenfalls für den Hersteller der Plastikflaschen von Bedeutung sein können. 156 BGHZ 80, 186 = NJW 1981, 1603 - „Derosal"; BGHZ 80,199 = NJW 1981,1606 - „Benomyl". 153
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Rückrufpflichten - Typologie
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formations-, Warn-, Reparatur-, Austausch-, R ü c k n a h m e - und Rückzahlungspflichten. D e r B G H geht von Reaktionspflichten in beiderlei Hinsicht aus. 157 Dies zeigt besonders deutlich die jüngst ergangene
„Atemüberwachungsgerät"-Entschei-
dung. 158 D o r t hatte eine Krankenschwester die Buchse für das Kabel, welches zu den am Patienten befestigten Elektroden führte, mit der Buchse für das N e t z k a bel verwechselt und dadurch dem angeschlossenen einjährigen Kind einen Stromstoß zugefügt, welcher zu einer schweren Gehirnschädigung führte. D e r B G H geht von einer Verpflichtung des Herstellers des fraglichen Gerätes aus, nach Erkennen der Verwechslungsgefahr andere Steckerverbindungen zu verwenden bzw. die Zulieferer zur Entwicklung derselben zu veranlassen, falls sie noch nicht auf dem M a r k t waren. Sobald die Gefahr erkannt und vermeidbar geworden ist, muß somit - im R a h m e n des Zumutbaren - eine Kostruktionsänderung vorgenommen werden. Dies hatte die beklagte Herstellerin auch mit dem erforderlichen N a c h d r u c k getan, so daß ihr insofern kein Verschulden vorzuwerfen war. D e r B G H bejaht auch grundsätzlich das Bestehen einer Warnpflicht der H e r stellerin hinsichtlich bereits ausgelieferter Geräte. Allerdings reichen nach seiner Ansicht die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht aus, um zu entscheiden, ob der Schaden durch eine Warnung auch hätte verhindert werden können. 1 5 9 157 Eine Beschränkung der Reaktionspflicht auf die künftige Produktion wäre auch nicht sinnvoll. Es müßte dann für das konkrete schadenstiftende Produkt entschieden werden, ob der ursächliche Fehler bereits bei seinem Inverkehrbringen durch eine ordnungsgemäße Produktbeobachtung hätte erkannt und durch entsprechende Maßnahmen hätte vermieden werden k ö n nen. Diese Entscheidung ist ex post schwer zu treffen. N i m m t man aber als Reaktionpflicht auch Warn- und Rückrufpflichten an, k o m m t es auf die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit zum Zeitpunkt des Schadenseintritts (bzw. kurz vorher, da die Einleitung und Durchführung von R ü c k rufmaßnahmen eine gewisse Zeit beansprucht) an; dies ist in der Regel leichter feststellbar.
H i n z u k o m m t , daß schwer einzusehen ist, daß die Käufer bzw. Benutzer von Produkten, die durch sie in gleicher Weise geschädigt wurden, danach unterschiedlich behandelt werden sollten, ob das Produkt vor oder nach der Erkennbarkeit des Fehlers in Verkehr gebracht wurde, obwohl auch im letzteren Fall zumutbare Maßnahmen des Herstellers die Schädigung vermieden hätten. Die Tatsache, daß im einen Fall das Produkt ohne Sorgfaltspflichtverstoß in Verkehr gebracht wurde, im anderen nicht, reicht m.E. nicht dazu aus, dem Hersteller zu gestatten, sein nachträglich erworbenes Gefahrenwissen nur intern zur Produktverbesserung zu verwenden, den durch sein Produkt Gefährdeten jedoch vorzuenthalten. 158 B G H Z I P 1994, 1960. 159 E r sieht vielmehr Hinweise in den Feststellungen, daß die Anbringung eines wirksamen Warnhinweises, bei dem man von einer tatsächlichen Vermutung dafür, daß er auch beachtet worden wäre, ausgehen könnte, nicht möglich war. Diese Passage der Entscheidung ist nicht unproblematisch. Man könnte herauslesen, daß eine Warnpflicht nur dann besteht, wenn eine Warnung mit einer Deutlichkeit möglich ist, daß die Vermutung für ihre Beachtung ausgelöst wird. Damit aber würden die Benutzer nicht geschützt, die auch eine weniger deutliche Warnung beachtet hätten und dies nachweisen können. D i e eigentlich zugunsten der Geschädigten eingeführte Vermutung würde sich so zu ihrem Nachteil auswirken. Möglicherweise hat der B G H aber auch nur darauf hinweisen wollen, daß der Geschädigte nachweisen muß, daß eine Warnung, die er (vermutbar oder nachweisbar) beachtet hätte, möglich war.
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Deutschland - Verschuldenshaftung
Der B G H lehnt ferner eine Gefahrabwendungspflicht der Herstellerin der Art nicht grundsätzlich ab, daß sie den Eltern des geschädigten Kindes andere Elektrodenzuleitungen hätten zur Verfügung stellen sollen. 160 Im konkreten Fall jedoch lag eine solche Pflicht nach Ansicht des B G H nicht vor, weil solche anderen Zuleitungen zum entsprechenden Zeitpunkt nicht auf dem Markt waren (bzw. die Eignung der auf dem Markt befindlichen für diesen Zweck nicht bekannt war) und die Beklagte als Medizingeräteherstellerin auch nicht dazu verpflichtet war, selbst solche Zuleitungen zu entwickeln. Die Produktbeobachtungspflicht im Hinblick auf bereits im Verkehr befindliche Produkte ist nicht nur ein Nebeneffekt der entsprechenden Pflicht für die laufende Produktion. Sie kann vielmehr auch selbständige Bedeutung haben. Dies ist dann gegeben, wenn die Produktion eingestellt oder der gefahrbegründende Fehler vor seinem Erkennen aus anderen Gründen beseitigt wurde. 161 cc) Arten von
Produktbeobachtungsmaßnahmen
Unter Produktbeobachtungsmaßnahmen sollen hier Maßnahmen verstanden werden, die der Ermittlung und Auswertung von Informationen über im Verkehr befindliche Produkte im Hinblick auf mögliche Gefahren für Besitzer, Benutzer und Dritte oder die Allgemeinheit verstanden werden. Diese Gefahren sind so vielfältig wie die Welt der Waren. Jedes Produkt, auch das technisch völlig fehlerfreie, ist potentiell gefährlich, sei es, weil sich Schädigungen auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch einstellen werden (Messer, Autos), sei es, weil es falsch eingesetzt oder mißbraucht werden kann. Hinzu kommen die Gefahren durch fehlerhafte Produkte. Es ist unmöglich, das gesamte Gefahrenpotential eines Produktes vor seinem Inverkehrbringen auszuloten und entsprechende optimale Schadensvermeidungsmaßnahmen zu ergreifen. Das immer verbleibende Restrisiko zu erkennen und einzuschätzen, ist Ziel der Produktbeobachtung. 162 Der Hersteller kann zunächst versuchen, durch fortdauernde Langzeittests das Verhalten seiner Produkte im Dauerbetrieb herauszufinden. Dies kann auch nach der Markteinführung des Produktes sinnvoll sein, weil es in der Regel unzumutbar ist, mit dem Inverkehrbringen eines neuen Produktes so lange zu warten, bis es zumindest einmal über seinen gesamten Lebenszyklus hin getestet ist. Neue 160 Unklar bleibt, ob sie kostenlos hätten zur Verfügung gestellt werden müssen oder ob sie nur hätten angeboten werden müssen. 161 Z.B. wenn der Autohersteiler den Zulieferer von Batterien wechselte, bevor die Fehlerhaftigkeit der alten Batterien entdeckt wurde. 162 Von diesen Maßnahmen der Gefahrerkennung sollen hier die Maßnahmen der Gefahrabwendung als Konsequenz aus der neuen Kenntnis und die der Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen einer effizienten Gefahrabwendung geschieden werden. In Rechtsprechung und Literatur werden jedoch Produktbeobachtung zur Gefahrerkennung und Warnung zur Gefahrabwendung nicht immer klar getrennt. Dies ist aber deshalb notwendig, weil die Warnung nur eine mögliche Vermeidungsmaßnahme ist und über das, was erforderlich und zumutbar ist, erst auf der Grundlage der in der Produktbeobachtung gewonnenen Erkenntnisse entschieden werden kann.
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- Typologie
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Automodelle könnten dann z.B. erst sieben bis acht Jahre oder noch später nach dem Abschluß der Entwicklungsmaßnahmen auf den Markt gebracht werden. Der Hersteller kann sich ferner die Erfahrungen der Benutzer oder Dritter zugänglich und zunutze machen. Dazu gehört eine Auswertung wissenschaftlicher Fachzeitschriften und Forschungsarbeiten ebenso wie die von anderen, an Laien gerichteten Fachzeitschriften, Verbrauchertests etc. Weiter gehört dazu die Auswertung von Werkstattberichten und Händler- und Kundenbefragungen sowie von Informationen von Vorlieferanten und Weiterverarbeitern. Auch für die Auswertung von Kundenbeschwerden beim Hersteller direkt, bei Verbraucherverbänden und Medien können Vorkehrungen getroffen werden.163 Alle diese Maßnahmen müssen durch eine geeignete interne Organisation abgestützt sein, die sicherstellt, daß die eingehenden Informationen in angemessener Frist an die korrekte Stelle weitergeleitet werden, welche zu einer sachgerechten Bewertung in der Lage und zur Anordnung der notwendigen Maßnahmen befugt ist. Dazu können auch sachkundige Dritte wie Labors oder andere Forschungs- und Prüfungseinrichtungen eingeschaltet werden.164 b)
Organisation
Dem Hersteller obliegt ferner die Pflicht, die organisatorischen Voraussetzungen für Produktüberwachung und Rückruf zu schaffen.165 Zur Organisationspflicht werden hier die Maßnahmen gezählt, welche die effiziente Durchführung der Gefahrabwendungsmaßnahmen garantieren sollen, die als Konsequenz der Fehlerentdeckung im Rahmen der Produktbeobachtung vorzunehmen sind. Diese Pflicht hat somit wie die Produktbeobachtungspflicht nur Hilfscharakter. Sie soll die Voraussetzungen dafür schaffen, daß notwendige Warnungen rechtzeitig und umfassend ihre Adressaten erreichen und daß Rücknahme-, Austausch- und Nachbesserungsaktionen nicht an organisatorischen Mängeln scheitern und deshalb die Gefahr nicht wirksam beseitigt wird.166 Welche organisatorischen Maßnahmen, die sich z.T. mit den Organisationsmaßnahmen im Bereich der Produktbeobachtung überschneiden, dabei zu beachten sein können, ist kürzlich von Hauschka ausführlich dargestellt worden;167 163 Zu den möglichen Maßnahmen der Informationssammlung statt vieler Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. III/l: Deliktsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 4.1130; Produkthaftungshandbuch/ Bd. MFoerste, §24 Rdnr. 294ff. Zur Praxis der Automobilindustrie Hollmann, PHI 1990, 38, 39ff. 164 S. dazu Hauschka, AG 1988, 29, 36. 165 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 299; BGH BB 1970,1414,1415; BGH BB 1989, 2429, 2431 - „Pferdebox". 166 Diese Organisationspflicht im Hinblick auf nach Inverkehrbringen entdeckte Fehler und die daraus zu ziehenden Konsequenzen ist somit Teil bzw. Ergänzung der allgemeinen Organisationspflicht. Diese beinhaltet die Pflicht des Herstellers, den Betrieb in gegenständlicher und persönlicher Hinsicht so einzurichten, daß Konstruktions- und Planungsmängel sowie Fabrikationsfehler ausgeschaltet, hinreichende Information und Beratung vorgesehen und Produktbeobachtung und angemessene Reaktion gewährleistet sind. Brüggemeier, WM 1982,1294, 1302.
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
darauf kann hier verwiesen werden. Beispielhaft soll nur erwähnt werden, daß gefordert wird, daß leitende Mitarbeiter des Unternehmens in Notsituationen erreichbar sind, um wirksame Maßnahmen zur Vorbereitung einer Rückrufaktion ergreifen und Feststellungen über die betroffenen Produkte treffen zu können. 168 Die Organisation muß insgesamt dergestalt sein, daß alle notwendigen Maßnahmen prompt und reibungslos getroffen werden können. Andere Forderungen richten sich auf die Kennzeichnung verschiedener Produktionslose und die Führung von Kundenlisten, um fehlerhafte Produkte genauer lokalisieren zu können. Der Katalog der hier nur sehr verkürzt wiedergegebenen Maßnahmen, die zu einer optimalen Organisation eines Unternehmens zur Vorbereitung auf mögliche Rückruffälle notwendig sind, kann nicht für alle Produkte, für alle Unternehmen und für alle Produktgefahren Gültigkeit haben. Welche Anforderungen allerdings im Einzelfall zu stellen sind, ist bislang nicht völlig geklärt. Die Rechtsprechung hat sich bisher kaum mit den Organisationspflichten zur Vorbereitung von Rückrufmaßnahmen befaßt. Man wird jedoch davon ausgehen können, daß es auch hier auf die konkreten Umstände jedes Einzelfalles ankommt, wobei die maßgeblichen Kriterien - ähnlich wie bei der Produktbeobachtungspflicht - die Art des Produktes, Art und Ausmaß der Gefahr und die Belastung des Herstellers sein werden. J e potentiell gefährlicher die hergestellten Produkte sind, desto umfangreicher werden jedenfalls auch die organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung effektiver Rückrufmaßnahmen sein müssen.
3.
Rückrufmaßnahmen
Bei den eigentlichen Rückrufpflichten bzw. -maßnahmen lassen sich zwei Arten unterscheiden. 169 Die einen, die man als Informationsmaßnahmen bezeichnen kann, sind darauf gerichtet, dem durch die Produktgefahr Bedrohten oder Dritten Informationen über die Gefahr zur Verfügung zu stellen, die ihnen einen selbstverantwortlichen Umgang damit ermöglichen sollen. Diese Information kann in einer bloßen Warnung vor der Benutzung bzw. dem Verbrauch oder auch in Hinweisen zur Gefahrbeseitigung durch die Informierten bestehen. Der Hersteller oder Händler, der die Information zur Verfügung stellt, wirkt jedoch nicht selbst auf den Gefahrenherd ein. 170 Es bleibt dem Adressaten der Information überlassen, ob und wie er sich und Dritte gegen die Gefahr schützt. O b die Gefahr aufgrund der Infor167 A G 1988,29, wobei er allerdings eine optimale Organisation darstellt, die jedes rechtliche Risiko einer Sorgfaltspflichtverletzung ausschließen soll, in dieser Vollkommenheit aber aus rechtlichen Gründen nicht für jedes Unternehmen und nicht für jedes Produkt gefordert werden kann. S. auch Veltins, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza 4310, S.20ff. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht s. Wischermann, S. 63 ff.; ferner Abbott, Managing Product Recall, 1991, S. 53ff. 168 Hauschka, A G 1988, 29, 34. 169 So auch allgemein für Verkehrspflichten v. Bar, Verkehrspflichten, S. 84ff. und ihm folgend für Rückrufmaßnahmen Rettenbeck, S. 36f. 170 Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Gefahrenherd in vorhergehender falscher oder unvollständiger Information besteht, also ein Instruktionsfehler vorlag.
Rückrufpflichten - Typologie
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mationsmaßnahme tatsächlich beseitigt oder vermieden wird, ist deshalb unsicher. Sicherer in dieser Hinsicht ist die zweite Art von Rückrufmaßnahmen. Dabei beseitigt der Hersteller oder Händler den Gefahrenherd direkt, indem er dem Besitzer die Rücknahme des fehlerhaften Produktes (evtl. gegen Rückzahlung des gesamten oder eines Teils des Kaufpreises), die (ganz oder teilweise kostenlose) Reparatur oder den Umtausch gegen ein einwandfreies Produkt (u.U. gegen Zahlung eines Ausgleichs „neu für alt") anbietet. 171 Durch eine solche Maßnahme werden auch Dritte zuverlässig geschützt. Allerdings ist auch hier der rückrufende Hersteller auf die Mitwirkung des Besitzers angewiesen. N i m m t dieser das Rückrufangebot nicht an, bleibt die Wirkung der Maßnahme auf den damit verbundenen Informationseffekt beschränkt. 1 7 2 Die Zuverlässigkeit der Gefahrbeseitigung ist also geringer als in den üblichen Fällen der Verkehrspflichten, bei denen die Gefahrenquelle sich im Besitz oder Kompetenzbereich des Pflichtigen befindet. 173
a)
Informationsmaßnahmen
Im folgenden sollen die wichtigsten Informationsmaßnahmen, die zur Gefahrabwendung eingesetzt werden können, kurz skizziert werden. 1 7 4 Dabei ist zu beachten, daß die Übergänge fließend sind und je nach Informationsgehalt der Mitteilung die Maßnahmen zusammenfallen können.
aa) Warnungen Bei Warnungen handelt es sich um die Information des Adressaten über das Vorliegen einer Gefahr. Sie ist die schwächste F o r m der Sicherung. 175 Konkrete 171 Z.T. werden allein diese direkten Maßnahmen als Rückrufe bezeichnet; so etwa Schwenzer, JZ 1987, 1059; Rettenbeck, S. 15. 172 In der Regel ist mit dem Angebot der direkten Gefahrbeseitigung auch die Information zumindest über deren Vorhandensein, manchmal auch über die möglichen Gefahrbeseitigungsmaßnahmen verbunden. Das ist jedoch nicht notwendigerweise so. Bei der Praxis der „stillen Rückrufe", die in der Automobilindustrie zumindest der USA lange vorherrschten (s. Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981), S. 303, Fn. 9 m.w.N.), werden die Produktbesitzer nicht über den gefährlichen Fehler informiert, er wird vielmehr bei einer aus anderen Gründen durchgeführten Inspektion beseitigt. Für solche „stillen Rückrufe" bieten sich Produkte an, die regelmäßig und in kurzen Abständen gewartet werden (müssen), wie eben Automobile, aber auch Feuerlöscher oder Feuerungsanlagen. Allerdings sind solche Rückrufe mit dem erhöhten Risiko belastet, daß nicht alle Gefahrenherde beseitigt werden können. 173 Insofern besteht ein Unterschied zu den bei v. Bar, Verkehrspflichten, S. 84ff. zugrundegelegten Maßnahmen der direkten Gefahrbeseitigung. 174 Die Darstellung lehnt sich an v. Bar, Verkehrspflichten, S. 84ff. an, weicht jedoch auch in mehrfacher Hinsicht davon ab. So kommen die von v. Bar behandelten Verbotspflichten, die z.B. dem Verkehrssicherungspflichtigen Grundbesitzer auferlegen, privatrechtlich durchsetzbare Zutrittsverbote zur Sicherung Dritter wegen der vom Grundstück ausgehenden Gefahren auszusprechen, im Zusammenhang von Produkten, die bereits in Verkehr gebracht worden und damit der Verfügungsgewalt des Herstellers entzogen sind, nicht in Betracht. Der Hersteller kann dem Benutzer nicht die Benutzung verbieten oder bestimmte Benutzungsmodalitäten vorschreiben. 175 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 85.
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Verschuldenshaftung
Abwehrmaßnahmen werden völlig dem Adressaten überlassen. D a m i t eine Warnung überhaupt Aussicht auf Beachtung hat, muß sie Informationen nicht nur über das Vorhandensein einer unspezifizierten Gefahr enthalten, sondern auch über den Charakter der Gefahr, die drohenden Schäden und die Eintrittswahrscheinlichkeit aufklären. 1 7 6 N u r so kann die Warnung den Adressaten zu eigenverantwortlichem Handeln in die Lage setzen und nur wenn dies gegeben ist, kann sie überhaupt als Erfüllung der Verkehrspflicht des Herstellers angesehen werden. 1 7 7 J e nach den Umständen kann die Warnung gegenüber dem Besitzer bzw. B e nutzer des Produktes und/oder gegenüber Dritten ausgesprochen werden. 1 7 8 Letzteres ist z . B . dann notwendig, wenn Mittelspersonen die Benutzung veranlassen und die Benutzer sich auf deren Urteil verlassen. Dies ist z . B . bei von Ä r z ten verschriebenen Arzneimitteln der Fall. U . U . reicht eine solche Warnung D r i t ter aus, wenn z . B . der Vertrieb des Produktes noch durch Warnungen an den Handel oder Reparaturwerkstätten vor Auslieferung an die Kunden gestoppt werden kann. Eine Warnmaßnahme kann auch die Information der Behörden über den gefährlichen Fehler sein, damit diese staatliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen können. 1 7 9
bb)
Instruktionsmaßnahmen
Instruktionsmaßnahmen bieten den Adressaten über die reine Gefahrinformation hinausgehende Auskünfte. Diese k ö n n e n sich z . B . auf geeignete Methoden der Gefahrvermeidung durch Einhaltung bestimmter Benutzungsmodalitäten richten oder auf Möglichkeiten der Gefahrbeseitigung „in eigener Regie". 1 8 0 So kann etwa darauf hingewiesen werden, daß die Gefahr vermieden werden kann, wenn bestimmte Drehzahlen eines M o t o r s nicht überschritten werden, oder daß sie durch einfache, auch v o m Laien nachvollziehbare Handgriffe zuverlässig gebannt werden kann oder daß es empfehlenswert ist, das Gerät mit einer Schutz176 S. als Beispiel die Entscheidung des BGH NJW 1972, 2217 m. Anm. Franz und SchmidtSalzer = VersR 1972,1075 - „Estil", in der u.a. dem Hersteller vorgeworfen wurde, daß er nicht ausreichend auf die zu erwartenden schwerwiegenden Folgen einer falschen Anwendung hingewiesen habe. 177 Unter welchen Umständen eine Warnung als Gefahrabwendungsmaßnahme des Herstellers ausreicht, wird später zu untersuchen sein. 178 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 97ff. spricht für den Fall, daß die Gefahrinformation sich nicht an das potentielle Opfer, sondern an Dritte richtet und diese zu Gefahrabwendungsmaßnahmen veranlassen soll, von Benachrichtigungspflichten, die er der zweiten Kategorie von Rückrufmaßnahmen mit direkter Einwirkung auf den Gefahrenherd zurechnet. 179 Rettenbeck, S.69f. 180 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 89ff. faßt unter diesem Begriff Informationen über „Applikationsgefahren" und „Nebenwirkungsgefahren" zusammen. Dies weicht vom hier zugrundegelegten Verständnis ab. Die Information über Nebenwirkungen stellt eine Warnung dar, welche eine Gefahrvermeidunmg durch Nichtbenutzung ermöglicht. Die Information über Anwendungsgefahren kann dagegen auch Auskünfte über gefahrlose Verwendungsarten geben.
Rückrufpflichten - Typologie
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Vorrichtung nachrüsten zu lassen. Instruktionsmaßnahmen setzen den Betroffenen also in die Lage, die Gefahr nicht bloß durch Nichtbenutzung zu vermeiden, sondern den Gefahrenherd zu beseitigen bzw. beseitigen zu lassen oder die B e nutzung so zu gestalten, daß ein relativ gefahrloser U m g a n g möglich wird. Instruktionsmaßnahmen bieten sich insbesondere dann an, wenn ein ursprünglicher oder nachträglich erkannter Instruktionsfehler vorlag, der ausgeglichen werden soll, oder die zusätzliche Information der Benutzer hinreichende Sicherheit bietet, daß ihr entsprechend gehandelt und die Gefahr dadurch vermieden wird.
b) Direkte
Beseitigungsmaßnahmen
U n t e r direkten Beseitigungsmaßnahmen sollen hier diejenigen verstanden werden, bei denen der gefährliche Fehler v o m rückrufenden Hersteller oder Händler korrigiert wird. D i e davon ausgehende Gefahr wird somit direkt ausgeräumt. M a n c h e Autoren bezeichnen nur diese Maßnahmen als Rückrufe. D a der hier verwendete Begriff weiter gefaßt ist, könnte man auch von Rückrufmaßnahmen im engeren Sinne sprechen.
aa)
Reparaturmaßnahmen
D i e häufigste M a ß n a h m e zur direkten Beseitigung des Fehlers ist die Reparatur des defekten Produktes. Sie ist bekannt aus den Rückrufaktionen der A u t o m o b i l industrie, bei denen den Autobesitzern die Reparatur des fehlerhaften Fahrzeuges angeboten wird. Statt der Reparatur kann es sich auch um eine Nachrüstung handeln, wenn etwa nachträglich Uberrollbügel zum Schutz der Insassen bei U n fällen mit Uberschlagen eingebaut werden. D i e Abgrenzung der Reparatur zum Austausch kann fließend sein, da sie von der Produktdefinition abhängt. So kann man die Montage neuer statt der alten, gefährlichen Reifen als Reparatur des A u tos oder als Austausch der Reifen ansehen. Rechtliche Folgen hat diese U n t e r scheidung im Zusammenhang mit der Produkthaftung für „Weiterfresserschäden". 1 8 1 Eine der wichtigsten Frage bei der Gefahrbeseitigung durch Reparatur ist die R e gelung der Kostentragung, da sie wesentlich zur Akzeptanz durch die Kunden beiträgt. Eine Rückrufaktion, bei der nur die Bereitschaft erklärt wird, den Produktfehler zu beseitigen, dem Kunden aber die vollen Kosten dafür aufgebürdet werden, wäre wenig wirksamer als eine bloße Informationsmaßnahme, da der Kunde auch ohne dieses A n g e b o t wenig Schwierigkeiten haben dürfte, das Produkt auf eigene K o s t e n reparieren zu lassen. D e n k b a r ist auch eine Aufteilung der Kosten 181 S. grundlegend dazu die Entscheidungen BGHZ 67, 359 = NJW 1977, 379 = JZ 1977, 342 m. Anm. Lieb und Rengier = BB 1977, 162 = DB 1977, 299 = WM 1977, 79 = VersR 1977, 79 „Schwimmschalter"; BGH NJW 1978,2241 = BB 1978,1491 = DB 1978,1878 = WM 1978,1172 - „Hinterreifen"; BGHZ 86,256 = NJW 1983, 810 = BB 1983,462 = DB 1983,649 = JZ 1983,499 m. Anm. Stoll = VersR 1983, 344 = WM 1983, 178 - „Gaszug".
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Verschuldenshaftung
zwischen Kunden und Hersteller bzw. Händler nach Material- und Arbeitskosten. Dies könnte sich in Fällen anbieten, in denen bereits ältere Produkte durch den E i n bau wichtiger neuer Bestandteile ( z . B . eines neuen M o t o r s ) wesentlich an Wert gewinnen. In aller Regel wird jedoch schon aus Gründen der Bewahrung eines guten Rufs die kostenlose Reparatur angeboten. A b e r selbst hier darf nicht außer acht bleiben, daß die Befolgung auch eines in diesem Sinne kostenlosen Rückrufs dem Kunden nicht unerheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand abfordern kann (Zeitverlust und Kosten durch Fahrten zur Werkstatt, Entgang der N u t z u n g für die Dauer der Reparatur, Zeitaufwand und Kosten für Versendung). Dieser Aufwand des Kunden wird durch eine kostenlose Reparatur vor O r t minimiert.
bb)
Austauschmaßnahmen
Bei Austauschmaßnahmen wird das alte, fehlerhafte Produkt gegen ein neues, einwandfreies ausgetauscht. Eine solche A k t i o n bietet sich an, wenn eine Reparatur aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich oder sinnvoll ist. A u c h hier stellt sich die Kostenfrage. Ein Anreiz für den Kunden, das Rückrufangebot des Austausches anzunehmen, besteht nur dann, wenn er nicht die (vollen) Kosten tragen muß. Handelt es sich bei dem neuen Gerät um eine technisch und qualitativ verbesserte Version, könnte eine Kostenbeteiligung infrage kommen. Aus Gründen der Imagewahrung und der E r h ö h u n g der Erfolgsquote wird jedoch bei Umtauschaktionen häufig auf eine Kostenbeteiligung der Kunden verzichtet.
cc)
Rücknahmemaßnahmen
D i e R ü c k n a h m e des gefährlichen Produktes durch den Hersteller bzw. H ä n d ler ist theoretisch eine geeignete Maßnahme der Gefahrbeseitigung, da das P r o dukt dadurch aus dem Verkehr gezogen wird. Allerdings kann das rückrufende U n t e r n e h m e n die Kunden zur Rückgabe nicht zwingen. D i e bloße Erklärung der Bereitschaft des Herstellers bzw. Händlers, das gefährlich fehlerhafte Produkt zurückzunehmen, ohne gleichzeitig seine Reparatur oder einen Austausch anzubieten, ist deshalb sicherlich die Maßnahme, die den Kunden am wenigsten A n reize zur Befolgung bietet. Allerdings sind auch Fälle denkbar, in denen eine solche Maßnahme Sinn machen kann. Dies ist dann der Fall, wenn z . B . bereits der Besitz und nicht bloß die Benutzung des Produktes gefährlich ist. In diesem Fall (etwa bei strahlendem M a terial) könnte der Besitzer der Gefahr selbst durch Nichtbenutzung nicht ausweichen; er hätte ein Interesse daran, das Produkt loszuwerden, insbesondere wenn die Entsorgung schwierig und teuer ist. In anderen Fällen könnte die Beseitigung des gefährlichen Produktes durch den Kunden sehr aufwendig sein (etwa bei korrisionsgefährdeten Öltanks), so daß ihm ein A n g e b o t des Herstellers, das Produkt auf eigene Kosten zü beseitigen, willkommen ist. Ein anderes Beispiel sind asbestverseuchte Gebäude. Hier kann der Eigentümer ein seine Gefahrbeseitigungs- und Neubauabsichten förderndes Interesse daran haben, daß der Lieferant des ver-
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Konkretisierung
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seuchten Baumaterials den A b b r u c h und die Entsorgung des Bauschutts anbietet. Wesentlich für den Erfolg der Gefahrbeseitigung sind also auch hier die finanziellen Anreize, die dem Besitzer des gefährlichen Produktes geboten werden. Das Rücknameangebot wird umso erfolgreicher sein, je größer diese Anreize sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn man das Angebot der R ü c k n a h m e in ein Angebot des „ R ü c k k a u f s " umwandelt, dem Kunden also die Rückerstattung des Kaufpreises bei Rückgabe des gefährlichen Produktes anbietet. Bei älteren M o dellen sind dabei Abzüge für die gezogenen Nutzungsvorteile möglich.
dd)
Zuzahlungen
Alle bisher dargestellten direkten Beseitigungsmaßnahmen verlangen eine mehr oder weniger intensive Kooperation der betroffenen Kunden. Sie müssen entweder einen Teil der Kosten selber tragen, sie müssen sich auf den Weg in die Werkstatt machen, sie müssen das Gerät verpacken und zur Post bringen etc. Selbst bei einer Reparatur vor O r t sind sie Unannehmlichkeiten ausgesetzt. D i e Erfahrung insbesondere in den U S A zeigt deshalb, daß viele Kunden von R ü c k rufangeboten keinen Gebrauch machen. 1 8 2 Als Folge davon bleiben viele potentiell gefährliche Produkte im Verkehr und werden weiter benutzt. U m die E r folgsquote ihrer Rückrufmaßnahmen zu steigern, werden in den U S A deshalb manchmal Kunden, die dem R ü c k r u f folgen, freiwillig oder nach Vereinbarung mit den Sicherheitsbehörden mit Prämien oder B o n i belohnt. Bei defekten K a f feemaschinen, die vom Hersteller zurückgerufen wurden, zahlte z . B . der Hersteller U S $ 10 als Prämie und kam für die Kosten von Verpackung und Versand auf, um die Rücklaufquote zu erhöhen. 1 8 3 Bei defekten Gashähnen und -leitungen an Gasgrills schickte der Hersteller allen Kunden, die die fehlerhaften Teile einsandten, kostenlos fehlerfreie Ersatzteile und ein Geschenk. 1 8 4 So sehr solche B e l o h nungsmaßnahmen auch die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Rückrufaktion verbessern mögen, so schwierig wird es sein, sie zivilrechtlich den Unternehmen als Pflichten aufzuerlegen.
IV. Kriterien für die Konkretisierung 1. Situationen, die eine Konkretisierung
der Rückruf
pflichten
erfordern
a) Konkretisierung durch Hersteller D i e Konkretisierung der vorzunehmenden Rückrufmaßnahme findet auf zwei E b e n e n statt. Zunächst muß der rechtstreue Hersteller oder Händler, der nach dem Inverkehrbringen Kenntnis von einem gefährlichen Fehler eines seiner P r o dukte erlangt hat und nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände zu der U b e r 182 183 184
Zu statistischen Zahlen und Gründen s. oben Zweiter Teil3. Kap. B. CPSC, 1991 Annual Report, S. F-35. CPSC, 1991 Annual Report, S. F-38.
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Zeugung gekommen ist, daß Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahr geboten sind, entscheiden, welche der möglichen Maßnahmen der Warnung, der Instruktion, der Reparatur, des Austauschs oder der Rücknahme er ergreifen will. Dabei wird er nicht nur rechtliche Kriterien, sondern auch und in erster Linie wirtschaftliche Kriterien anwenden. Die rechtlichen Kriterien geben bei dieser Entscheidung die Untergrenze an, die der Rückrufpflichtige bei der Auswahl seiner Maßnahme nicht unterschreiten darf, will er eine Pflichtverletzung vermeiden. Ansonsten steht ihm die Wahl des Mittels grundsätzlich frei. Allerdings muß das gewählte Mittel nach den rechtlichen Mindestanforderungen zur Gefahrenabwehr geeignet und den Betroffenen zumutbar sein.185 Soweit dies aber gewährleistet ist, sind die Interessen der Betroffenen in ausreichenderWeise geschützt. Wäre z.B. eine Reparatur des Fehlers zur Beseitigung der Gefahr geeignet, kann der Hersteller den Kunden auch einen Austausch des Produktes gegen ein neues anbieten, wenn davon auszugehen ist, daß diese Maßnahme einen mindestens gleich hohen Erfolgsgrad haben wird und für die Kunden günstiger ist. Andererseits ist die Zusendung von Ersatzteilen mit Anweisungen zur Selbstreparatur bei leicht zu behebenden Fehlern möglicherweise zwar grundsätzlich geeignet, die Gefahr zuverlässig zu beseitigen, doch könnte diese Maßnahme angesichts der Umstände des Einzelfalls für die Betroffenen unzumutbar sein. b) Konkretisierung
im gerichtlichen
aa) Kompensatorischer
Verfahren
Rechtsschutz
Anders stellt sich die Frage der Konkretisierung im gerichtlichen Schadensersatzverfahren. Hat der Hersteller trotz eines nachträglich erkennbaren Fehlers keinerlei Rückrufmaßnahmen eingeleitet oder sind trotz vorgenommener Maßnahmen Rechtsgutverletzungen und Schäden eingetreten, muß das Gericht entscheiden, ob dem Unternehmen eine Maßnahme zur Verfügung gestanden hätte, welche geeignet gewesen wäre, den Erfolg zu verhindern, und den Geschädigten hätte zugemutet werden können; allerdings sind dies dann nicht die einzigen Kriterien der Konkretisierung, sondern die Maßnahme muß darüber hinaus auch erforderlich und dem Unternehmen zumutbar gewesen sein. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann dem Hersteller die Unterlassung einer konkreten Maßnahme nur dann vorgeworfen werden, wenn gerade sie zur Gefahrenabwehr nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich war und wenn sie nicht nur den Betroffenen, sondern auch ihm nach einer Interessenabwägung hätte zugemutet werden können.186 Allerdings muß das Gericht im Fall der nachträglichen Feststellung einer Verletzung der Gefahrabwendungspflicht durch Unterlassen einer gebotenen Maßnahme nicht notwendigerweise genau feststellen, welche konkrete Maßnahme 185 186
So auch O L G Frankfurt BB 1991, 2248, 2249 - „ABS Bremssystem". BGHZ 40, 379, 382.
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Konkretisierung
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der Hersteller hätte ergreifen müssen. Es genügt die Feststellung, daß geeignete, erforderliche und zumutbare Maßnahmen zur Verfügung standen, aber nicht ergriffen wurden.
bb) Vorbeugender
Rechtsschutz
Dies ist jedoch anders, wenn das Gericht im Rahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes den Hersteller zur Vornahme von Gefahrabwendungsmaßnahmen verpflichten soll. 187 Der Kläger muß in diesem Fall die Auferlegung einer konkreten Maßnahme beantragen, welche bestimmt genug beschrieben ist, damit die Erfüllung der richterlichen Anordnung im Vollstreckungsverfahren nachgeprüft werden kann. 188 Bei der Entscheidung, ob der Hersteller zu der beantragten Maßnahme verpflichtet werden kann, muß das Gericht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen, ob sie einerseits als grundsätzlich geeignet und dem Kläger zumutbar angesehen werden kann und ob sie andererseits diejenige ist, welche zur Gefahrenabwehr auch erforderlich ist und dem Hersteller am ehesten zugemutet werden kann. N u r dazu kann er rechtlich verpflichtet werden. Die Anordnung darüber hinausgehender Maßnahmen würde eine nicht gebotene Belastung darstellen. Das Gericht kann also nur die Mindestanforderungen aufstellen, mit denen der Hersteller seiner Gefahrabwendungspflicht nachzukommen hat. Reicht in diesem Sinne ein Rückruf mit dem Angebot einer kostenlosen Reparatur aus, um die Gefahr in ausreichendem Umfang zu eliminieren, kann das Gericht nicht einem (weitergehenden) Antrag auf Austausch der fehlerhaften Produkte gegen neue stattgeben.
c) Konkretisierung im Verhältnis zum Benutzer, zu Dritten oder zur Allgemeinheit Das Problem der Konkretisierung von Rückrufmaßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt sich noch einmal anders abhängig davon, im Verhältnis zu wem sie vorzunehmen sind. Die Problematik entsteht aus dem auf die Dualität von Verletzer und Verletzten, Kläger und Beklagten ausgerichteten D e likts- und Zivilprozeßrecht. N u r in diesem Verhältnis ist im Prozeß zu beurteilen, ob die Maßnahme geeignet, erforderlich und zumutbar war oder nicht. O b sie da187 Unterschiede bei der Konkretisierung im Rahmen des vorbeugenden oder kompensatorischen Rechtsschutzes können sich nicht nur auf die „Genauigkeit" der Pflichtenspezifikation, sondern auch auf deren Niveau beziehen. So konstatiert Steffen, VersR 1980, 409, 410, daß die Gerichte die Bedeutung der Verkehrspflichten eher in der Zuweisung von Schadenslasten sähen als im negatorischen Rechtsschutz. Sie setzten daher „die Sicherheitsstandards normativ höher an, als wir es wahrscheinlich tun würden, wenn wir es mit Erfüllungsansprüchen zu tun hätten." 188 Eine Umschreibung der Gefahrabwendungspflicht in der Weise, daß der Hersteller, „sobald er die Gefahr erkennt, alles tun [muß], was ihm den Umständen nach zugemutet werden kann, um sie abzuwenden", wie sie das R G in R G Z 163, 2 1 , 2 6 in der Begründung seines Bremsen-Urteils, in dem es um die Feststellung einer Verkehrspflichtverletzung durch einen untätigen Hersteller ging, formulierte, würde dem Bestimmtheitserfordernis jedenfalls nicht genügen.
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Verschuldenshaftung
gegen im Verhältnis zu anderen Parteien oder insgesamt gesehen sich als ungeeignet erweisen könnte, spielt keine Rolle. 1 8 9 Es geht um die Beurteilung von Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden in dieser konkreten Zweierbeziehung. Der Gesamtkomplex der Abwendung der Gefahren des infrage stehenden fehlerhaften Produktes, die in den meisten Fällen ein Massenphänomen darstellen, bleibt dabei ausgeblendet; 190 zur Beurteilung steht der auf die Beziehungen zwischen dem Kläger und Beklagten des konkreten Verfahrens beschränkte Ausschnitt aus dem Gesamtkomplex. Dabei können sich jedoch unterschiedliche Blickwinkel und Beurteilungsmaßstäbe ergeben, je nachdem, ob der Produktbenutzer oder ein Dritter geschädigt wurde. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Es soll angenommen werden, daß der Hersteller einen schwerwiegenden Produktfehler nach dessen Inverkehrbringen entdeckt, der bei Nichtbeseitigung oder Nichtbeachtung von Vorsichtsmaßnahmen zu Körperverletzungen bei dem Benutzer und/oder bei Dritten führen kann, die jedoch nicht lebensgefährlich sind. D e r Hersteller startet daraufhin eine Warn- und Aufklärungsaktion, die die Kunden in allgemeinverständlicher und umfassender Weise über die Gefahren, die möglichen Verletzungsfolgen und zuverlässige, wenn auch lästige, aber nicht unzumutbare Schutzmaßnahmen unterrichtet. 191 Von dieser Aktion werden 8 0 % der Produktbenutzer erreicht, von denen aber nur 6 0 % die Vorsichtsmaßnahmen beachten. 192 D e r Hersteller hätte auch eine, allerdings erheblich teurere Reparaturaktion durchführen können. Auch dabei wären 8 0 % erreicht worden, jedoch hätten diese zu 9 0 % das Reparaturangebot angenommen. Wie ist die Geeignetheit der beiden Maßnahmen zu beurteilen? Ist die Warnung zur Gefahrenabwehr geeignet? Ist die Reparaturaktion erforderlich und zumutbar? Man mag im Hinblick auf die Erfolgsquoten von 4 8 % gegenüber 7 2 % bei Berücksichtigung der 189 Ausdrücklich B G H W M 1994, 466, 469 - „Kindertee II", wonach es für die Beurteilung des Einzelfalls unerheblich ist, daß eine Warnung in anderen Fällen nicht ausgereicht hätte, solange sie nur den Kläger in die Lage versetzte, selbstverantwortliche Entscheidungen zu treffen. 190 Der Gesamtkomplex könnte allenfalls bei Verbandsklagen berücksichtigt werden, wo die Geeignetheit der Maßnahme nach ihrem Erfolg insgesamt beurteilt werden müßte. Wie unten im 4. Kap. ausgeführt bietet das Wettbewerbsrecht auf der Grundlage der §1, 13 U W G in engen Grenzen eine solche Möglichkeit. Zu den Problemen, die diese individualistische Ausrichtung unseres Zivilprozeßrechts in einem anderen Zusammenhang des Produkthaftungsrechts bei Massenschäden verursacht s. Bodewig, AcP 185 (1985) 505. 191 S. eingehend zum Umfang der Aufklärungspflicht in Warnhinweisen B G H Z 116, 60, 68 „Kindertee I"; B G H , W M 1994, 466, 468 - „Kindertee II". 192 Man könnte hier einwenden, daß eine Warnung, welche nicht in der Lage ist, bei 4 0 % der Erreichten deren Tendenz zu leichtsinniger Risikoeinschätzung zu überwinden, in ihrer Gestaltung Mängel aufweisen muß. Dies ist jedoch ein Aspekt der Gesamtbetrachtung des Problems. Der einzelne Adressat wird sehr wohl ausreichend informiert, um eine selbstverantwortliche Entscheidung zu treffen. Er wird dem Hersteller seine eigene Fahrlässigkeit oder seinen Leichtsinn schlecht vorwerfen können. M.E. muß aber der Hersteller auch gewisse Unvollkommenheiten der menschlischen Natur mit einkalkulieren und seine Warnung entsprechend drastischer gestalten, um auch die natürliche Trägheit der Verbraucher zu durchbrechen.
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„Gesamtgefahr" nur die Reparaturaktion für geeignet und erforderlich halten. Wie aber wirkt sich das im Produkthaftungsverfahren aus ? In einer ersten Fallvariante soll einer der Gewarnten die Vorsichtsmaßnahmen nicht beachtet haben und deshalb verletzt worden sein. In seiner Klage gegen den Hersteller ist zu prüfen, o b dieser seiner Verkehrspflicht zur Gefahrabwendung nach Entdeckung des Fehlers nachgekommen ist. D a b e i ist im konkreten Fall davon auszugehen, daß der Kläger rechtzeitig gewarnt wurde und aufgrund der ihm zur Verfügung gestellten Informationen den Schaden in zumutbarer Weise hätte vermeiden können. D e r Hersteller ist gegenüber dem Verletzten seiner Gefahrabwendungspflicht nachgekommen. D a ß insgesamt 4 0 % der Gewarnten wie der Geschädigte die Warnung aus verschiedensten Gründen mißachteten, spielt dabei keine entscheidende Rolle, ebensowenig wie die Tatsache, daß die Erfolgsquote durch das A n g e b o t einer Reparatur hätte gesteigert werden können und evtl. auch den Geschädigten zur Fehlerbeseitigung veranlaßt hätte. I m Verhältnis zum Verletzten war die Warnung eine geeignete und ihm zumutbare Gefahrabwendungsmaßnahme. 1 9 3 D i e Nichtbefolgung begründet eigenes Verschulden. Wird, u m den Fall mit einer Variante fortzuführen, jemand geschädigt, der von der Warnung nicht erreicht wurde, ist das Ergebnis kaum anders. Voraussetzungsgemäß traf den Hersteller beim Inverkehrbringen des gefährlichen P r o d u k tes kein Verschulden. Dieses könnte sich nur auf das Unterlassen einer gebotenen Gefahrabwendungsmaßnahme beziehen. Es kann jedoch unterstellt werden, daß auch das A n g e b o t der Reparatur nicht andere Personen erreicht hätte als die, welche auch die Warnung erhielten. A u c h mit einer Reparaturmaßnahme wäre also die Schädigung des nicht gewarnten Benutzers nicht vermieden worden. D e r Blickwinkel wandelt sich jedoch, wenn ein Dritter durch das gefährliche Produkt verletzt wurde, weil der den Schaden verursachende Benutzer zwar v o m Hersteller gewarnt wurde, die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen aber mißachtete. Es fragt sich dann, ob im Verhältnis zu diesem Dritten eine Gefahrabwendungsmaßnahme, die nur 8 0 % der Produktbenutzer erreicht, von denen wiederum nur 6 0 % sie befolgen, bei der also die Erfolgsquote bei 4 8 % liegt, noch als geeignet angesehen werden kann, wenn gleichzeitig eine andere Maßnahme in 7 2 %
193 S. der B G H in der Entscheidung WM 1994,466,469 - „Kindertee II", in der er hervorhebt, daß zwar der Hersteller die Gestaltung seiner Warnhinweise nach der am wenigsten informierten und damit gefährdetsten Benutzergruppe ausrichten muß, daß es bei der Beurteilung des Einzelfalls aber darauf ankomme, ob gerade dem Verletzten gegenüber eine Aufklärungspflicht verletzt wurde. Wird diesem die „selbstverantwortliche Gefahrensteuerung" ermöglicht, ist der Instruktionspflicht ihm gegenüber genügt. Der Hersteller hat also durch die Vornahme der - wenn auch nicht in allen Fällen ausreichenden -Warnung sein Haftungsrisiko eingeschränkt auf die Geschädigten, denen gegenüber die Warnung nicht umfassend oder nicht eindringlich genug war. Ähnlich das O L G Düsseldorf NJW-RR 1991, 288, hinsichtlich der Notwendigkeit der Warnung eines Herstellers von Fertigverputz vor der ätzenden Wirkung frischen Betons gegenüber Laien, die zwar im konkreten Fall wegen Kenntnis des Geschädigten verneint, anderen Benutzergruppen gegenüber jedoch bejaht wurde.
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der Fälle zur Beseitigung der Gefahr führen würde 194 , oder ob nun nicht die letztere Maßnahme als die geeignete und erforderliche anzusehen ist. 195 Der Wechsel der Perspektive führt also dazu, daß je nach Konstellation eine Maßnahme als geeignet angesehen werden könnte oder nicht. Dabei sind im Fall der Schädigung des Benutzers, je nach dessen kognitiven und sonstigen Fähigkeiten, die Anforderungen möglicherweise geringer als bei einer Schädigung Dritter. Das Problem stellt sich noch schärfer, wenn es um die Durchsetzung von Rückrufansprüchen geht, deren Möglichkeit weiter unten genauer zu untersuchen sein wird 196 , die hier aber zunächst unterstellt werden soll. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß unbeteiligten Dritten, wegen ihrer allenfalls abstrakten Gefährdung in der Regel kein Rückrufanspruch zustehen wird. Dieser wird nur den konkret gefährdeten Benutzern 197 zur Verfügung stehen können. Der Anspruch muß dann aber auch im Verhältnis zu dem Benutzer konkretisiert werden, der den Anspruch geltend macht. E r hat nur einen Anspruch auf die Maßnahme, die einerseits zwar geeignet ist, die Gefahr für ihn zu beseitigen, andererseits aber nicht über die Grenzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit hinausgeht. Im Beispielsfall wäre dies ein Anspruch auf Information über den Fehler und die Vermeidungsmöglichkeiten, nicht aber auf Reparatur. Erneut spielt die Tatsache, daß andere, insgesamt wirkungsvollere Maßnahmen zur Verfügung stehen, keine Rolle. Der Kläger hat nur einen individuellen Anspruch auf vorbeugenden Schutz seiner Rechte, nicht jedoch auf Vorbeugungsmaßnahmen zum Schutz anderer Benutzer oder Dritter. E r kann deshalb den Hersteller weder zu einer Warnung dieser Personen verpflichten noch ihm die Ungeeignetheit der Warnung mit dem Argument vorhalten, daß 4 0 % der Gewarnten diese nicht befolgen werden. E r jedenfalls wird durch die eingeforderte Information in die Lage versetzt, die Gefahr zu vermeiden. O b ihm dieses Ausweichen auch zumutbar ist, wäre noch zu prüfen. Damit erscheint bereits unter diesem Gesichtspunkt der Schutz unbeteiligter Dritter als ein Schwachpunkt zivilrechtlicher Schutzpflichten und -anspräche.
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch im Zivilrecht steht heute außer Zweifel. 198 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) wird üblicherweise in drei Teilgrundsätze aufgegliedert: den Grundsatz der Geeignetheit, den Grundsatz der Erforderlichkeit (bzw. des mil194 Weil 9 0 % der erreichten 8 0 % der Produktbesitzer die angebotene Reparatur durchführen lassen. 195 Insbesondere, wenn davon ausgegangen werden kann, daß der Produktbenutzer ein Reparaturangebot angenommen hätte. 196 S. unten B. 197 Bzw. bei wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen Wettbewerbern oder Verbraucherverbänden. 198 Grundlegend Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981. Für seine Anwendung im Hinblick auf die Ausgestaltung von Rückrufpflichten s. Rettenbeck, S. 66ff.
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desten Mittels oder des geringstmöglichen Eingriffs) und den Grundsatz der Zumutbarkeit (auch Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne). 199 a) Schutz des Integritätsinteresses
als Maßstab der
Beurteilung
Die Konkretisierung von Maßnahmen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Herstellern oder Händlern zur Pflicht gemacht werden sollen, kann nicht abstrakt vorgenommen werden. Maßnahmen sind geeignet, erforderlich und zumutbar nur im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel, das mit ihnen erreicht werden soll und Maßstab der Beurteilung ist. In der deliktischen Produzentenhaftung ist dieses Ziel der Schutz des Integritätsinteresses der Benutzer des Produktes und aller Dritter, die mit ihm in Berührung kommen oder dadurch geschädigt werden können. Ziel der hier zu beurteilenden Gefahrabwendungsmaßnahmen ist also der Schutz der im Rahmen der §§ 823 ff. B G B geschützten Rechtsgüter dieser Personen. Aufgabe des Deliktsrechts ist es hingegen nicht, das Nutzungs- und Äquivalenzinteresse des Käufers bzw. Benutzers zu schützen. Dies ist Zweck des Vertrags- und insbesondere des Gewährleistungsrechts. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme sind also im Hinblick auf die Vermeidung von Verletzungen von außerhalb des gefährlichen Produktes selbst liegenden Rechtsgütern zu beurteilen, wobei die Rechtsprechung zu den „weiterfressenden Mängeln" zu gewissen Abgrenzungsproblemen führt. Die Benutzbarkeit des Produktes ist kein hier zu beachtendes Kriterium. 200 Die Tatsache, daß eine Warnung vor der Produktgefahr die aus Sicherheitsgründen bestehende Unbenutzbarkeit des Produktes nicht aufhebt, während eine Reparatur die Benutzbarkeit wiederherstellt, ist für die Beurteilung der beiden Maßnahmen nicht von Bedeutung. Es kommt allein auf die Sicherung der Integritätsinteressen der Betroffenen an. Allerdings werden sich Integritäts- und Nutzungsinteresse manchmal decken, so daß eine Maßnahme, die zur Erreichung des Integritätszieles ergriffen werden muß, auch dem Nutzungsinteresse dient. Dies ist jedoch nur ein Nebeneffekt, der für sich unter deliktsrechtlichen Aspekten kein (positiv zu berücksichtigendes) Beurteilungskriterium darstellt. Ein anderes Problem ist, ob etwa wegen eines generellen Vorranges des Gewährleistungsrechts dieser Nebeneffekt negativ zu berücksichtigen ist, weil die gewährleistungsrechtliche Wertung vorgehen soll und die Zulässigkeit der deliktsrechtlich gebotenen Sicherheitsmaßnahme von der gewährleistungsrechtlichen Wertung abhängig gemacht wird. Im folgenden soll jedoch zunächst allein die deliktsrechtliche Betrachtung im Vordergrund stehen. Erst wenn deren Ergebnisse festgestellt sind, soll nach möglichen Konflikten mit gewährleistungsrechtlichen Wertungen gefragt und eine Lösung versucht werden. 201
199
Hirschberg, S. 2.
Allenfalls, soweit die Beeinträchtigung der Benutzbarkeit gleichzeitig als Eigentumsverletzung, Besitzstörung oder Eingriff in den Gewerbebetrieb angesehen werden könnte. 201 S. dazu unten 5. Kapitel. 200
212 b) Die Kriterien
Deutschland
zur Bestimmung
-
Verschuldenshaftung
der
Verhältnismäßigkeit
Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht besagt, daß jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern läßt, diejenigen ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen muß, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren für die in § 823 Abs. 1 B G B bezeichneten Rechtsgüter notwendig sind.202 Die Frage nach der konkreten Rückrufpflicht im Einzelfall ist somit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beantworten;203 es ist die Frage nach dem Mittel, welches geeignet und erforderlich ist und dem Hersteller zugemutet werden kann, ohne die Interessen der Betroffenen ungebührlich zu beeinträchtigen. Es ist die Frage danach, was der Hersteller mindestens tun muß bzw. hätte tun müssen, um seiner Gefahrabwendungspflicht zu genügen. Während die Kriterien der Geeignetheit (als Untergrenze für die Pflicht) und der Erforderlichkeit (als Obergrenze für die Pflicht) objektiv bestimmt werden können, ist bei dem Kriterium der Zumutbarkeit eine Interessenabwägung erforderlich. Dabei kommt es nicht nur auf die Interessen des Herstellers bzw. des Pflichtigen, sondern auch auf die der Betroffenen an.204 Da nämlich das gefährliche Produkt sich bereits in den Händen der Benutzer befindet, berührt jede Gefahrabwendungsmaßnahme deren Interessen, nicht nur weil die Maßnahme ihrem Schutz dient, sondern auch weil für den Erfolg der Maßnahme ihre Kooperation erforderlich ist.205 Die Wahl der konkreten Rückrufmaßnahme führt dabei zu unterschiedlichen Graden der Beteiligung und damit der Belastung der Betroffenen. Was ihnen zur Abwendung oder Verringerung der vom Hersteller gesetzten Gefahr zugemutet werden kann, darf deshalb nicht unberücksichtigt bleiben. Ei202 So Kunz, BB 1994, 450,451 (Hervorhebungen v. Verf.). S. auch B G H Z 40,379, 382: „Auszugehen ist von dem für die Bestimmung von Maß und Umfang der Verkehrssicherungspflicht allgemein geltenden Grundsatz, daß der Träger der Verkehrssicherungspflicht gehalten ist, zur Abwendung der Verkehrsgefahren diejenigen Maßnahmen zu treffen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind..." 203 B G H Z 80, 186, 192; Löwe, D A R 1978, 288, 291; Schmidt-Salzer, BB 1981, 1041, 1042; Sack, DAR 1983, 1, 2; Pauli, PHI 1985, 134, 140; Hollmann, PHI 1990, 38, 40. Ausführlich zum Verhältnismäßigkeitsprinzip Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981. Die Anwendung des aus dem öffentlichen Recht stammenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch im Zivilrecht entspricht der herrschenden Meinung; s. Rettenheck, S. 66ff. m.w.N. Kritisch Steffen, VersR 1980, 409, 410f., der wegen der unterschiedlichen Zielrichtung im öffentlichen Recht eine unreflektierte Übernahme bei der Bewertung von Interessen zwischen Privaten ablehnt. 204 S. Hirschberg, S. 97ff. Die (Un)Zumutbarkeit bezieht sich auf die Zweck-Mittel-Relation. Ein Mittel kann, selbst wenn es geeignet ist und das mildeste Mittel darstellt, unzumutbar sein, wenn der dafür notwendige Aufwand in keinem akzeptablen Verhältnis zu dem erreichbaren Zweck steht. Daraus könnte man schließen, daß es nur um eine Berücksichtigung der Interessen des Pflichtigen gehe. Da aber bei den Verkehrspflichten allgemein und bei den Rückrufpflichten im besonderen der Zweck der Schutz der Integrität der Rechtsgüter des Gefährdeten ist, muß eine Interessenabwägung zwischen dessen Interessen und denen des Pflichtigen erfolgen. 205 Beim stillen Rückruf immerhin noch ihre unbewußte Kooperation.
Rückrufpflichten - Konkretisierung
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ne bloße Warnung verlangt von ihnen mehr Initiative und Aufwand zur Gefahrabwendung als das A n g e b o t eines Haushaltsgeräteherstellers, durch den K u n dendienst kostenlos eine Reparatur vor O r t vorzunehmen. Es ist auch zu berücksichtigen, daß die Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit nicht unabhängig voneinander sind. Ist z . B . die G e fahr durch die einzig geeignete Rückrufmaßnahme nur bei 5 % der Betroffenen abzuwenden, wird aufgrund dieser geringen Erfolgsquote die Zumutbarkeitsgrenze möglicherweise anders liegen als bei einer 8 0 % i g e n Erfolgswahrscheinlichkeit. Erfüllt dagegen in einem anderen Fall eine M a ß n a h m e zwar das Kriterium der Erforderlichkeit, so daß sie objektiv zur Gefahrabwendung ausreichend ist und das mildeste Mittel aus der Sicht des Pflichtigen darstellt, kann sie dennoch für die Gefährdeten unzumutbar sein, weil sie ihnen einen zu hohen G r a d an Mitwirkung und Aufwand aufbürden würde. Das Zumutbarkeitskriterium könnte dann eine weitergehende Maßnahme erforderlich machen. Gerade bei der Gefahrenabwendung durch R ü c k r u f e ist ferner die Geeignetheit einer Maßnahme nicht mit einem klaren J a oder N e i n zu bestimmen, sondern nur abgestuft. Dies gilt zumindest, soweit man nicht auf die Geeignetheit im E i n zelfall, sondern auf die Beseitigung der Gefahr insgesamt, d.h. bei allen Betroffenen abstellt. 206 In letzterem Sinne wird eine hundertprozentige Gefahrenabwehr praktisch nie zu erreichen sein; möglich ist immer nur eine mehr oder weniger erfolgreiche Verminderung der Gesamtgefahr. 2 0 7 D i e Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme lassen sich aber immer nur für einen bestimmten vorgegebenen Grad der Gefahrverminderung eindeutig bestimmen. Typischerweise sind jedoch die zur Verfügung stehenden Abwendungsmaßnahmen unterschiedlich erfolgversprechend, wobei die für den Hersteller aufwendigeren und belastenderen in aller Regel auch zu einem höheren Grad der Gefahrverringerung führen. D i e relativ kostengünstige Warnung der Verbraucher könnte z . B . nur 3 0 % der Unfälle vermeiden, weil sie häufig die Adressaten nicht erreicht oder nicht beachtet wird, eine kostenlose Reparatur jedoch 5 0 % , da hier die Anreize zur Kooperation größer sind. J e nach der angestrebten Erfolgsquote einer M a ß nahme verschiebt sich dann die Grenze der Geeignetheit bzw. der Erforderlichkeit. Dabei hängt der G r a d der angestrebten Geeignetheit wiederum von der Zumutbarkeit des Ergebnisses für Hersteller und Betroffene ab. D i e Maßnahme mit dem höchsten Erfolgsgrad mag z . B . nur mit für den Hersteller unzumutbaren Aufwand erreichbar sein.
2 0 6 A u f den Einzelfall bezogen ist eine Warnung, die den Betroffenen erreicht und so gestaltet ist, daß sie von ihm wahrgenommen, korrekt eingeordnet und befolgt werden kann, geeignet, die Gefahr abzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn aufgrund praktischer Erfahrungen damit zu rechnen ist, daß ein nicht unerheblicher Teil der Angesprochenen die Warnung mißachten wird. D e r Geeignetheit im Einzelfall tut dies keinen Abbruch. 207
Kap.
Schlagender Beweis dafür sind die Erfahrungen in den U S A . S. dazu oben Zweiter Teil 3.
Deutschland -
214
Verschuldenshaftung
Diese Überlegungen zeigen, daß die Entscheidung für eine konkrete R ü c k r u f maßnahme, die dem Hersteller im Sinne einer Mindestmaßnahme zur Pflicht gemacht werden soll, nur in einer Gesamtbewertung aller Umstände und Interessen getroffen werden kann. D e r e n Vielzahl und die Unterschiedlichkeit ihrer gegenseitigen Beziehungen und Verflechtungen führen dazu, daß nicht alle möglichen Fallkonstellationen vorhergesehen werden k ö n n e n und daß für die Bewertung im Einzelfall oft große Spielräume bestehen. 2 0 8 Klare und eindeutige Aussagen sind dabei allenfalls für Extremsituationen möglich. 2 0 9 I m vorliegenden Zusammenhang sind deshalb nur Hinweise möglich, die die Intensität der vorzunehmenden Gefahrabwendungsmaßnahmen den einzelnen Kriterien nach dem J e - D e s t o Prinzip zuordnen. 2 1 0 c)
Geeignetheit
D a es hier um gefährliche Produkte geht, die die Kontrolle des Herstellers bereits verlassen haben und in aller Regel bereits beim Letztkäufer angelangt sind, gibt es aus praktischer Sicht keine Maßnahme, die generell geeignet wäre, die P r o duktgefahr hundertprozentig, d.h. bei allen Betroffenen auszuschließen. E s wird immer Produktbesitzer geben, die von einer Warnung nicht erreicht werden, sie fehlinterpretieren oder sie mißachten. A u c h Reparatur- oder Austauschangebote erreichen nicht alle Adressaten, werden nicht angenommen oder fehlerhaft ausgeführt. D i e Geeignetheit einer Rückrufmaßnahme zur Gefahrabwendung insgesamt läßt sich somit nur graduell bestimmen. Betrachtet man jedoch den Einzelfall, werden jeweils eine Reihe von Maßnahmen in Betracht k o m m e n , die geeignet sind, (die Mitwirkung des Betroffenen vorausgesetzt) diese Einzelgefahr zu beseitigen. Eine solche Einzelfallbetrachtung, die durch die individualistische Ausrichtung des Zivil- und Zivilprozeßrechts vorgegeben ist, ist bei einer Problematik wie der Vermeidung von Gefahren aufgrund gefährlicher Produkte, die gerade darin liegt, daß es sich um ein Massenphänomen handelt, nicht immer angemessen. M a n kann sinnvollerweise bei der Konkretisierung der geeigneten Gefahrabwendungsmaßnahme nicht völlig außer Betracht lassen, daß eine M a ß n a h m e für jeden Einzelfall isoliert betrachtet zwar als geeignet anzusehen sein mag, daß sie insgesamt jedoch nur zu einer unzureichenden Erfolgsquote führen wird. Von Bedeutung ist dieser U m s t a n d besonders, wenn das Produkt nicht nur seine B e nutzer, sondern auch Dritte gefährdet. D i e Berücksichtigung dieses Umstandes
208 Diese Unsicherheit wird bei der Feststellung des Verschuldens eines Herstellers, der eine Rückrufmaßnahme unterließ oder eine unzureichende Aktion durchführte, zu berücksichtigen sein. 209 Etwa in diesem Sinne: Wenn von einem Produkt nur geringfügige Sachschäden drohen, seine Lebensdauer nur kurz ist, die Gefahr nach einer Warnung von den Verbrauchern ohne Umstände vermieden werden kann, wird der Hersteller zu einer kostenlosen Reparatur nicht verpflichtet sein. 210 S. zu solchen „komparativen Sätzen im Recht" Otte, Jb. f. Rechtssoz. u. Rechtstheorie 2 (1972) 301.
Rückrufpflichten -
Konkretisierung
215
im Verhältnis zwischen dem Hersteller und einem einzelnen Geschädigten bereitet jedoch Schwierigkeiten. Generell wird man auf die Gesamtsituation bezogen sagen können, daß M a ß nahmen, die nur auf die Information der Verbraucher ausgerichtet sind, den F e h ler selbst also nicht beseitigen, sondern die tatsächliche Abwendung der Gefahr letzlich den Betroffenen überlassen (Warnung, Instruktion), eine geringere E r folgswahrscheinlichkeit aufweisen werden als Maßnahmen, die direkt bei der Fehlerbeseitigung ansetzen (Reparatur, Austausch, R ü c k n a h m e mit Kaufpreisrückzahlung). A m erfolgversprechendsten dürften (aus den U S A bekannte) A k tionen sein, welche die Fehlerbeseitigung mit einer Prämie belohnen, das fehlerhafte Produkt gegen ein verbessertes neueres austauschen oder eine kostenlose Reparatur am Standort des Gerätes anbieten. Allerdings darf man das Kriterium der Geeignetheit in einer solchen Gesamtbetrachtung nicht überspannen und grundsätzlich nur die Rückrufmaßnahme als geeignet ansehen, welche die Gefahr hundertprozentig beseitigt oder die größten Erfolgsaussichten bietet. D a n n gäbe es immer nur eine geeignete Maßnahme, nämlich nur die Aktion, welche die Gefahr am umfassendsten beseitigt. Warnungen wären dann grundsätzlich ungeeignet 2 1 1 , umfassende Umtauschaktionen dagegen in der Regel geboten. Das Kriterium der Geeignetheit bezieht sich nicht auf völlige Gefahrbeseitigung, sondern auf Gefahrverringerung. 2 1 2 D i e Geeignetheit einer Rückrufaktion bzw. deren als Mindestmaß der Gefahrabwendung angesehene Erfolgsquote m u ß im Zusammenhang mit den übrigen Kriterien bestimmt werden. So wird man bei geringen Eigentumsverletzungen eine geringere Erfolgsquote tolerieren können als bei Lebensgefahr. 2 1 3 Kann der allein gefährdete Benutzer der Gefahr leicht ausweichen, wird man ebenfalls trotz der Wahrscheinlichkeit der Nichtbefolgung eher eine Warnung ausreichen lassen als im Fall der erheblichen Gefährdung unbeteiligter Dritter, die keine Ausweichmöglichkeit haben.
d)
Erforderlichkeit
Das Kriterium der Erforderlichkeit besagt, daß von den Maßnahmen, die grundsätzlich zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind, nur diejenige als Pflicht auferlegt werden kann, welche das mildeste Mittel, den geringstmöglichen Eingriff aus Sicht des Pflichtigen darstellt. J e niedriger der Maßstab für die Geeignetheit der Gefahrabwendungsmaßnahmen gesetzt wird, desto größer wird der Spielraum für das Kriterium der Erforderlichkeit. Wird als geeignet nur die Maßnahme angesehen, die die Gefahr am sichersten vermeidet, weil ein niedrigerer Zielerreichungsgrad als nicht tolerierbar erscheint, so ist diese M a ß n a h m e
So aber v. Bar, Verkehrspflichten, S. 85. So auch Rettenbeck, S. 68 unter Verweis auf BVerfGE 30, 316; 33, 187; 39, 230; 40, 222. 213 So auch Steffen, VersR 1980, 409, 411, für den bei mittelbaren Eingriffen der Schutz von Leib und Leben stärkere Schutzmaßnahmen verlangt als der vor Sachschäden. 211
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Verschuldenshaftung
auch erforderlich, da dieser Zielerreichungsgrad mit anderen, weniger einschneidenden M a ß n a h m e n nicht zu erzielen ist. Läßt man jedoch auch Maßnahmen mit weniger großen Erfolgsaussichten als geeignet zu, stehen möglicherweise mehrere M a ß n a h m e n zur Verfügung, von denen nach dem Kriterium der Erforderlichkeit nur die am wenigsten belastende dem Hersteller zur Pflicht gemacht werden kann. Reicht in diesem Sinne eine Warnung aus, kann man den Hersteller nicht zur kostenlosen Reparatur verpflichten. 2 1 4 Allerdings kann er die weitergehende Maßnahme freiwillig ergreifen, da sie definitionsgemäß ebenfalls zur Erzielung des angestrebten Erfolges geeignet ist.
e)
Zumutbarkeit
I m R a h m e n des Zumutbarkeitskriteriums wird geprüft, o b eine Maßnahme, die zur Abwendung der Gefahr geeignet und erforderlich ist, dem Pflichtigen tatsächlich abverlangt werden kann. Es m u ß bestimmt werden, ob diese nach o b j e k tiven Maßstäben zur Erreichung des angestrebten Grades an Gefahrvermeidung mindestens notwendige M a ß n a h m e den Hersteller in einem M a ß e belasten würde, welches durch die damit verbundenen Vorteile nicht gerechtfertigt werden kann. Das Kriterium der Zumutbarkeit verlangt somit eine Abwägung der Interessen der Betroffenen, zu deren Gunsten die Rückrufmaßnahme erfolgen soll, gegen die des Herstellers, der die Maßnahme durchführen muß. 2 1 5 D i e Gesichtspunkte, die dabei berücksichtigt werden müssen, sind äußerst vielfältig. 2 1 6 Sie lassen sich grob in vier Kategorien einteilen: Art und Ausmaß der Gefahr, Umstände im Bereich des Herstellers, Umstände in der Person des Betroffenen und A r t des Produktes und seines Vertriebs. 2 1 7
3. Kriterien bei der
Interessenabwägung
a) Art und Ausmaß der
Gefahr
Bei der Interessenabwägung sind zunächst A r t und Ausmaß der Gefahr zu berücksichtigen. 2 1 8 Diese werden wiederum von mehreren Elementen bestimmt: In der deliktsrechtlichen Produkthaftung steht vor allem der Schutz der von § 823 Abs. 1 B G B erfaßten Rechtsgüter, insbesondere von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und anderer absoluter Rechte zur Debatte. Vermögensschutz 214 Das dürfte die Regel bei der Beseitigung von Instruktionsfehlern sein; so auch Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; K. Mayer, DB 1985, 319, 324; Löwe, DAR 1978, 288, 291; Rettenbeck, S. 70ff. 215 „Die zu ergreifenden Maßnahmen ... müssen die Abwägung der beteiligten Interessen widerspiegeln." Pauli, PHI 1985, 134, 140. 216 Für eine allerdings immer noch unvollständige Liste s. Hollmann, PHI 1990,38,40; ferner Pauli, PHI 1985, 134, 138. 217 Diese Einteilung soll nicht viel mehr sein als ein Gliederungsschema; sie beansprucht nicht, immer klare Zuordnungen und Abgrenzungen zu ermöglichen. 218 B G H N J W 1966,40,41.
Rückrufpflichten
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Konkretisierung
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kommt nur im Zusammenhang mit §§823 Abs. 2, 826 B G B in Betracht. Den Rechtsgütern kommt allerdings nicht die gleiche Wertigkeit zu. Der Schutz von Leben, Körper und Gesundheit nimmt eine Sonderstellung ein.219 Sachgüter wiederum werden stärker als bloße Vermögensinteressen geschützt. 220 Umfang und Intensität der gebotenen Schutzmaßnahmen sind abhängig von der Wertigkeit des gefährdeten Rechtsgutes: Je höher das Rechtsgut, desto umfänglichere und intensivere Maßnahmen wird man ergreifen müssen. Lebensgefahr erfordert andere Schutzmaßnahmen als Gefährdung von Eigentum oder Vermögen. 221 Die Rechtsprechung formuliert hier oft, daß bei Gefahr für Leib und Leben jede nur erdenkliche Schutzmöglichkeit ergriffen werden muß, daß insbesondere Kostenüberlegungen und Bedenken wegen Imagebeeinträchtigungen des Herstellers hintanzustehen haben. 222 Dies ist in der Tendenz richtig, kann aber nicht verabsolutiert werden. Bei einer leichten Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens wird man die Kosten für den Hersteller sehr wohl berücksichtigen können. Richtig ist jedoch, daß bei einer Gefahr für Leib und Leben die Bemühungen zur Erreichung der Gefährdeten intensiver sein müssen, daß eine Reparatur- oder Austauschaktion eher geboten sein wird, als bei einer bloßen Gefährdung von Hab und Gut. Die Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, aber auch die Zeitspanne, innerhalb derer mit der Verwirklichung zu rechnen ist, beeinflußt ebenfalls die Auswahl der Gefahrbeseitigungsmittel. Tendenziell sind bei hoher Wahrscheinlichkeit intensivere Vermeidungsanstrengungen notwendig als bei geringer Wahrscheinlichkeit. Auch wenn mit einer unmittelbar bevorstehenden Verwirklichung zu rechnen ist, wird man schneller und massiver eingreifen müssen als dann, wenn die zu erwartenden Schadensfälle sich gleichmäßig über eine Nutzungsdauer des Produktes von zehn Jahren erstrecken oder erst am Ende des Lebenszyklus' eintreten werden. Allerdings wird bei der Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung auch die Art des gefährdeten Rechtsgutes eine Rolle spielen in dem Sinne, daß bei Lebensgefahr bereits eine geringe Wahrscheinlichkeit umfassende Aktivitäten auslösen muß, Sachgefahren aber erst bei einer höheren. Die Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung ist ein wichtiger Faktor in der versicherungstechnischen Bewertung von Risiken, bei der die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos mit der zu erwartenden Schadenshöhe multipliziert wird. 223 Sie spielt auch in der berühmten Formel des US-amerikanischen Richters Learned Hand eine Rolle, wonach eine Haftung wegen negligence dann begründet ist, wenn der Schaden durch einen Aufwand zu verhindern gewesen wäre, der 219 Dies dokumentiert sich auch in der Beschränkung der verschuldensunabhängigen Haftung der Produkthaftungsrichtlinie und des P H G beim Schutz von Sacheigentum. S. Art. 9 b) P H R L . 220 Zur Differenzierung des Schutzumfangs nach Art und Ranghöhe des verletzten Rechtsgutes s. Canaris, FS Larenz II, S.27ff., 31 ff. 221 Steffen, VersR 1980, 409, 411. 222 Z.B. B G H N J W 1972, 2217, 2220 - „Estil". 223 Köck, KJ 1993, 125, 126.
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Verschuldenshaftung
geringer war als das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und dem zu erwartenden Schaden, tatsächlich aber weniger aufgewendet wurde. 2 2 4 Diese F o r m e l kann allerdings nur einen Anhaltspunkt für das gebotene M a ß an Gefahrabwendungsmaßnahmen abgeben. Tendenziell wird sie von den G e richten auch beachtet, wenn auch nicht ö k o n o m i s c h begründet. 2 2 5 E i n e strikte Entscheidungregel, wie die Darstellung in einer mathematischen Formel 2 2 6 suggeriert, kann sie nicht sein. 227 A u c h die Zahl der Betroffenen spielt eine Rolle. Eine große Zahl von Betroffenen wird intensivere Anstrengungen auslösen müssen als eine kleine Zahl. D i e Zahl der Betroffenen hängt aber auch v o m Zeitpunkt der Entdeckung des Fehlers und dem Lebenszyklus des Produktes ab. Wird der Fehler erst spät entdeckt, könnten trotz massenhaften Absatzes nur n o c h relativ wenige Produkte in G e brauch und damit potentiell schädlich sein. D e n Hersteller sehr belastende M a ß nahmen werden dann weniger berechtigt sein, wenn nicht andere Faktoren wie Lebensgefahr etc. hinzukommen. So werden z . B . Aufklärungsaktionen über die Massenmedien bei einer geringen Zahl von Betroffenen nur in extremen Ausnahmesituationen geboten sein, wenn sie z . B . anders nicht erreicht werden können und höchste Lebensgefahr besteht. 2 2 8 Bei Massenprodukten dagegen könnte dies von vornherein die einzige Möglichkeit sein, möglichst viele der Betroffenen zu informieren.
United States v. Caroll Towing Co., 159 F.2d 169 (2d Cir. 1947). S. Kötz, in: FS Steindorff, S.643ff., 646ff. mit Beispielen aus der deutschen Rechtsprechung. Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 122, der jedoch die Unvollständigkeit der von den Gerichten berücksichtigten Umstände rügt. Zu den Schwierigkeiten der Gerichte bei der Festlegung eines optimalen Sorgfaltsniveaus s. Schäfer, KritV 75 (1992) 374. 226 Diese mathematisch gefaßte Formel wurde bereits von Judge Learned Hand verwendet. In deutscher Fassung lautet sie nach Schäfer/Ott, S. 128: Jemand handelt dann „fahrlässig, wenn sein Vorsorgeaufwand (V) kleiner als der erwartete Schaden (S) multipliziert mit der Schadenswahrscheinlichkeit (q) ist. Verschulden ist gegeben, wenn die Bedingung V < Sq erfüllt ist." 227 Die Formel stellt auf die gesamtwirtschaftlich sinnvolle Höhe der Schadens Vermeidungskosten ab. Danach wäre es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht erstrebenswert, wenn die Kosten der Schadensvermeidung höher wären als die Verluste (Schäden), die durch die Maßnahmen verhindert werden. Für den Einzelfall käme es darauf an, ob durch zusätzlichen Schadensvermeidungsaufwand der Schaden um mehr oder weniger als diese zusätzliche Summe verhindert worden wäre. Wäre ersteres der Fall gewesen, hätten die zusätzlichen Kosten aufgewendet werden müssen; s. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 128. Problematisch und in der Praxis meist kaum lösbar ist schon die Bezifferung der für eine solche Berechnung notwendigen Kosten- und Schadenssummen. Der in dieser Hinsicht von Adams (S. 120ff.) geäußerte Optimismus erscheint als nicht gerechtfertigt. Praktikabel erscheint allenfalls, die Relation zwischen Abwendungskosten und möglichem Schaden zu berücksichtigen und bei einem krassen Mißverhältnis u.U. die Unzumutbarkeit der Abwehr der Gefahr festzustellen, wie es auch hier vorgeschlagen wird. So auch Rettenbeck, S. 84 f. 228 Bekannt sind z.B. Aufrufe über den Rundfunk, um den Betroffenen selbst zu warnen oder Dritte aufzufordern, den Fahrer zu stoppen, wenn eyie Autoreparaturwerkstatt feststellt, daß ihr ein lebensgefährlicher Fehler unterlaufen ist und der Betroffene irgendwo mit dem Fahrzeug unterwegs ist. 224
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Konkretisierung
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A u c h die H ö h e des zu erwartenden Schadens (im Einzelfall wie insgesamt) bzw. die Schwere der Rechtsgutverletzung wird die Bestimmung der notwendigen Gefahrabwendungsmaßnahmen beeinflussen. Bei leichten Beeinträchtigungen und geringen Schadenshöhen wird man dem Hersteller nur geringere Belastungen zumuten können als umgekehrt. A u c h aus volkswirtschaftlichen Ü b e r l e gungen ergibt sich, daß es nicht effizient wäre, Schäden mit M a ß n a h m e n zu verhindern, die mehr Koste verursachen würden als durch Schäden entstehen k ö n n ten. 2 2 9 Dieser Aspekt muß bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden, wenn ihm auch nicht allein entscheidende Bedeutung z u k o m m e n kann.
b) Umstände im Bereich des Herstellers aa) Kosten der Maßnahme Von zwei gleich geeigneten und den Betroffenen zumutbaren Maßnahmen kann man dem Hersteller nur diejenige auferlegen, welche die geringeren Kosten verursacht. Diese Gleichwertigkeit von Maßnahmen wird man aber nur selten vorfinden. In der Regel wird ein höherer Wirkungsgrad auch mit höheren Kosten einhergehen, so daß eine Abwägung zwischen Kostenhöhe und U m f a n g des Rechtsgüterschutzes vorzunehmen sein wird. Dabei wird das Kostenargument, zumindest soweit eine Gefährdung von Leben, K ö r p e r oder Gesundheit infrage steht, meist beseite geschoben. 2 3 0 D i e Abwägung „Kosten gegen L e b e n " ist tabuisiert, zumindest wenn sie explizit gemacht wird. 2 3 1 I m praktischen Leben und in der Politik m u ß sie jedoch ständig vorgenommen werden, wenn z . B . über die Z u teilung der Mittel für die Sicherheit auf Autobahnen zu entscheiden ist oder die Produktsicherheitsbehörden wegen ihrer begrenzten Ressourcen zwischen verschiedenen Sicherheitsaktivitäten auswählen müssen. 2 3 2 S. dazu die bereits zitierte Learned Hand-Formel. Nach Steffen, VersR 1980,409,411 sollen die Kosten einer Verkehrssicherungsmaßnahme erst dann eine pflichtausschließende Rolle spielen, wenn sie ganz außer Verhältnis stehen. 231 S. etwa die empörte Reaktion der Öffentlichkeit auf bekannt gewordene Berechnungen des Autohersteilers Ford, in der die Kosten zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen den Kosteneinsparungen durch verhinderte Todesfälle, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen gegenübergestellt worden waren; G. T. Schwartz, 43 Rutgers L. Rev. 1013 (1991). 232 Calabresi hat dieses ständige Dilemma, zwischen verschiedenen Schutzmaßnahmen auswählen zu müssen und damit auch aus Kostengründen Unfälle mit Toten und Verletzten nicht verhindern zu können, in einem Buchtitel treffend „Tragic Choices" genannt, s. Calabresi/Bobbit, Tragic Choices. The Conflicts Society Confronts in the Allocation of Tragically Scarce Resources, New York 1978. Es gibt mittlerweile eine umfangreiche volkswirtschaftlich ausgerichtete Literatur, die sich mit der optimalen Allokation von Ressourcen auf Sicherheitsmaßnahmen befaßt und in diesem Zusammenhang auch Leben und Gesundheit der Menschen bewertet und mit den Kosten lebensrettender Maßnahmen in Beziehung setzt. S. z.B. Asch, Consumer Safety Regulation - Putting a Price on Life and Limb, 1988; Viscusi, Fatal Tradeoffs, 1992; ders., The Value of Risks to Life and Health, 31 J. Econ. Lit. 1912 (1993). Auch aus rechtspolitischer Sicht hat sich kürzlich der jetzige Richter am US Supreme Court Stephen Breyer mit der Problematik befaßt und seiner Ansicht 229 230
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Verschuldenshaftung
Ein Beispiel, welches die Problematik besonders deutlich macht, wurde kürzlich aus den U S A bekannt. D o r t war es zwischen der N H T S A und dem Autohersteller General Motors (G.M.) zu einem Vergleich gekommen, der die Gemüter der Öffentlichkeit erhitzte. 233 Die Behörde hatte gegen den Widerstand von G . M . den Rückruf von sog. „pickup trucks" erreichen wollen, weil diese nach ihrer Ansicht aufgrund eines Konstruktionsfehlers bei Unfällen Feuer fangen konnten. Sie rechnete für die verbleibende Nutzungszeit der sechs Millionen noch im Verkehr befindlichen Fahrzeuge mit zusätzlichen 32 Toten durch Feuer; 150 waren schon gestorben. Dennoch wurde mit G . M . ein Vergleich geschlossen. Es war u.a. die Begründung, die Empörung hervorrief. 234 G . M . erklärte sich in dem Vergleich nämlich bereit, 51,3 Mio. U S $ zu zahlen; auf den Rückruf, bei dem mit Kosten in H ö h e von Milliarden US-Dollar gerechnet worden war, wurde verzichtet. Die Behörde rechnete vor, daß sie durch den sinnvollen Einsatz dieses Geldes etwa zum Kauf von Kindersicherheitssitzen für arme Familien 50 Leben und 6000 sonstige Verletzungen verhindern könne, während die 32 Leben, die durch den Rückruf gerettet werden sollten, wegen der langen Verfahrensdauer bis zur endgültigen Durchsetzung und des unsicheren Prozeßausgangs dennoch verloren gehen könnten. Manchmal werden auch Gerichte audrücklich mit dieser Problematik befaßt. So hatte z.B. ein Gericht der U S A über die Rechtmäßigkeit einer von der Umweltschutzbehörde angeordneten Schutzmaßnahme gegen Asbestgefahren zu entscheiden. Es sprach sich gegen diese Maßnahme aus, da sie angeblich einen Kostenaufwand in den betroffenen Industrien erfordert hätte, der 200 bis 300 Millionen U S $ pro vermiedenes Todesopfer bedeutet hätte. 235 Aber auch bei der deliktsrechtlichen Produkthaftung kann es nicht um Gefahrabwendung um jeden Preis gehen. 236 Jedenfalls wird man es - nicht zuletzt auch im Interesse der Geschädigten - kaum rechtfertigen können, wenn der Hersteller aufgrund der ihm auferlegten umfassenden Rückrufmaßnahmen zahlungsunfähig wird. Soweit es um Sachgüterschutz geht, wird man den Kostenüberlegungen bei der Zumutbarkeitsprüfung bereitwilliger Raum geben. Allerdings sind die Kostenargumente des Herstellers wegen ihrer nur beschränkten Nachprüfbarkeit immer mit der gebotenen Vorsicht zu bewerten. Zu leicht wird er möglicherweise
nach schwerwiegende Mängel der Produktsicherheitspolitik festgestellt, welche unter dem Aspekt der Vermeidung von Todesfällen häufig falsche Entscheidungen treffe, indem sie kostspielige Maßnahmen zur Rettung von Leben durchsetze, die an anderer Stelle viel mehr Leben retten könnten; s. Breaking the Vicious Circle. Toward Effective Risk Regulation, 1993. Kritisch dazu jedoch die Buchbesprechung von Heinzerling, Political Science, 62 U. Chi. L. Rev. 449 (1995). 233 S. die Berichte von Bennett in der New York Times vom 3. Dezember 1994, S. 1, 7 und vom 5. Dezember 1994, S. A16. 234 Bennett, New York Times v. 5. 121994, AI 6 sprach von „the brutal mathematics of safety, the inevitable weighing of money and lives". 235 Corrosion Proof Fittings v. EPA, 947 F.2d 1201 (5th Cir. 1991). Die Korrektheit dieser Zahlen sowohl bezüglich der Kosten als auch der vermiedenen Todesfälle wird allerdings bestritten, s. Heinzerling, Political Science, 62 U. Chi. L. Rev. 449 (1995), S.463f. 236 S. auch Kötz, in: FS Steindorff, S. 643ff., 646ff.
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Konkretisierung
das Gespenst des Bankrotts beschwören, um schmerzhaften Rückrufmaßnahmen zu entgehen. 2 3 7
bb) Nachteilige Auswirkungen die Wettbewerbsstellung
der Maßnahme
auf den goodwill
bzw.
F ü r den Hersteller, der sich vor der Entscheidung sieht, eine Rückrufaktion durchzuführen, wird oft die Befürchtung im Vordergrund stehen, daß eine solche Maßnahme seinen guten R u f bzw. den seiner Produkte und damit seine zukünftigen Wettbewerbschancen erheblich beeinträchtigen könnte. Es erscheint allerdings zweifelhaft, o b dieser Überlegung auch bei der Zumutbarkeitsprüfung ein entsprechend großes Gewicht z u k o m m e n sollte. Zweifel ergeben sich schon deshalb, weil die Auswirkungen von Rückrufmaßnahmen auf den R u f eines U n t e r nehmens höchst spekulativ sind. 238 Es steht nicht einmal fest, daß diese W i r k u n gen negativ sein müssen. Gerade die Vornahme des Rückrufes kann das Verantwortungsgefühl des Herstellers für die Sicherheit des Verbrauchers demonstrieren und deshalb positiv wirken. 2 3 9 Außerdem liegt es zumindest z.T. in der H a n d des Herstellers, eventuelle negative Wirkungen durch die A r t der Durchführung des Rückrufes und begleitende Maßnahmen auszugleichen oder zu minimieren. 2 4 0 Schließlich kann der Hersteller auch kaum ein Interesse an der Aufrechterhaltung eines guten Rufes bei den Verbrauchern geltend machen, der auf deren Unkenntnis der Gefährlichkeit seiner Produkte beruht. Erst recht ist der Hersteller nicht schutzwürdig, wenn der nachträglich entdeckte Fehler schuldhaft verursacht wurde. Allenfalls Fehleinschätzungen der Verbraucher und Uberreaktionen stellen Beeinträchtigungen dar, gegen die der Hersteller, soweit unter der B e rücksichtigung aller Umstände möglich, zu schützen ist. Allerdings wird man 237 Aus den USA wird z.B. berichtet, daß die tatsächlichen Kosten des durch staatliche Regulierung angeordneten Ubergangs auf bleifreies Benzin, der im Jahre 1990 zu 99% erreicht war, nur bei jährlich 150 bis 500 Millionen US$ statt der ursprünglich von der Mineralölindustrie geschätzten jährlich 7 Milliarden US$ lagen; s. den Leserbrief von William G. Rosenberg, eines leitenden Mitarbeiters der Environmental Protection Agency, in: 251 Science 1546 (29. März 1991), S. 1547. 238 Zu den Schwierigkeiten einer Kosten-Nutzen-Analyse für die Durchführung oder Vermeidung eines Rückrufs s. Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S.23. 239 So hat z.B. die Fa. Vaillant bei defekten Heißwasserboilern großzügig den Umtausch der betroffenen Modelle gegen neue und daher oft sogar qualitativ bessere angeboten, weil sich nach Einschätzung des Unternehmens die Imageschäden aufgrund einer bloßen Warnung vor den Fehlern durch die gezeigte Generosität wieder wettmachen ließen; s. Wischermann, S. 181 f. Löwe war bereits 1978 der Ansicht, daß es einem Hersteller weniger schadet, wenn er in Wahrnehmung seiner Verantwortung eine Rückrufaktion durchführt als wenn er aus Rücksicht auf die Kosten und den guten Ruf nichts tut; s. D A R 1978,288,289. So auch der Praktiker Diercks, Absatzwirtschaft, Heft 10/1977, 80. 2 4 0 S. etwa die Anzeigenkampagnen, mit denen der Autohersteller Opel Anfang 1995 den Rückruf seines Modells „Astra" wegen der Gefahr von Verpuffungen beim Tanken ankündigte und erläuterte, sein Vorgehen rechtfertigte und sich für Fehlverhalten entschuldigte. S. Süddeutsche Zeitung v. 27.2. 1995, 9 und v. 8.3. 1995, 9.
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
dem Hersteller die „rufschonendere" Maßnahme etwa eines stillen Rückrufes zugestehen müssen, wenn dieser - ausnahmsweise -mit gleicher Sicherheit die G e fahr abwendet wie andere offene Maßnahmen. 241
cc) Verschuldeter Fehler oder
Entwicklungsgefahr
Die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Maßnahme wird auch davon beeinflußt werden, ob es sich bei dem Fehler, dessen Gefährlichkeit begegnet werden soll, um einen vom Hersteller in zurechenbarer Weise verschuldeten Konstruktions-, Fabrikations- bzw. Instruktionsfehler oder um einen „Entwicklungsfehler" handelt. 242 Hat der Hersteller den Fehler vor Inverkehrbringen zumindest fahrlässig verursacht bzw. nicht erkannt, hätte er also das Produkt so nicht in Verkehr bringen dürfen, wird man ihm größere Anstrengungen der Gefahrbeseitigung aufbürden dürfen als bei einer vorher nicht erkennbaren Entwicklungsgefahr. 243 Entsprechend wird man einen Hersteller, der sich aus wirtschaftlichem Kalkül bewußt zum Inverkehrbringen eines gefährlich fehlerhaften Produktes entschieden hat, zu intensiveren Gefahrbeseitigungsmaßnahmen verpflichten können als einen bloß fahrlässigen. 244
dd) Verhältnis des individuellen Vorteils des Herstellers zum sozialen Nutzen des Produktes bzw. der Tätigkeit Dieses Kriterium zur Festlegung der Zumutbarkeitsgrenze ist nicht unproblematisch, da es dazu verleiten könnte, die Produkte nach ihrer sozialen Nützlichkeit zu gliedern und entsprechend die zumutbaren Rückrufaktionen abzustufen. Das ist nicht gemeint. Es soll damit auch nicht nahegelegt werden, daß ein Hersteller mit hoher Gewinnspanne regelmäßig intensivere Rückrufmaßnahmen treffen müßte als sein weniger erfolgreicher Kollege. 245 Die soziale Nützlichkeit eines Produktes kann das Gericht nicht quantitativ bewerten. Den Nutzen eines Produktes bestimmt jeder Käufer für sich, der aus den Einzelnutzen resultierende
241 Das ist z.B. dann denkbar, wenn staatlich eine regelmäßige Inspektion vorgeschrieben ist, die auch tatsächlich alle betroffenen Geräte erfaßt, wie etwa bei der Kontrolle von Feuerstellen durch Kaminkehrer, und wenn kurz nach der Auslieferung entdeckt wird, daß durch die Korrosion eines Teils nach mehreren Jahren gefährliche Schäden auftreten können, die Gefahr jedoch vor ihrer Verwirklichung im Laufe des Inspektionszyklus beseitigt werden kann. 242 Der Gerechtigkeitsgrund der Setzung einer besonderen Gefahr (s. dazu oben) tritt hier mehr in den Vordergrund. 243 Es wird sogar vertreten, daß bei einer Entwicklungsgefahr grundsätzlich nur Warnaktionen, nicht jedoch Reparatur- oder Austauschmaßnahmen gerechtfertigt werden könnten (Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1061; Rettenbeck, S. 79), während bei schuldhafter Fehlerverursachung der Hersteller „seine Verantwortung nicht durch eine bloße Warnung auf den Benutzer abwälzen" könne (Rettenheck, S. 80). 244 Außerdem wäre in diesem Fall an eine Haftung nach § 826 B G B zu denken; s. Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3000, S.2. 245 Allerdings beeinflußt der Gewinn die Tragbarkeit der Rückrufkosten.
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Konkretisierung
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Gesamtnutzen definiert sich in einer Marktwirtschaft über den Marktmechanismus. Soweit dieser funtioniert, kann die sich im Marktergebnis ausdrückende Bewertung durch die Käufer vom Gericht nicht autonom anders festgelegt werden. Die Gerichte können deshalb nicht nach selbst aufgestellten Kriterien eine Nützlichkeitsskala erstellen und für deren Stufen entsprechende Mindestmaßnahmen der Gefahrabwendung definieren. Auf der anderen Seite aber kann das tolerierbare Risiko eines Produktes nicht ohne Bezug zu seinem Nutzen festgesetzt werden. So wird man bei dem einzigen zur Zeit verfügbaren Medikament gegen eine schwere Krankheit erhebliche Nebenwirkungen u.U. inkauf nehmen 246 , während eine gleich hohe Fehlerquote bei Scherzartikeln nicht hingenommen werden wird. Gedacht ist ferner an Fälle, in denen beispielsweise ein Bekleidungshersteller Stücke seiner Produktion zu Selbstkosten an karitative Vereinigungen zur Verteilung an Bedürftige abgibt. Wenn sich später herausstellt, daß diese Bekleidungsstücke Hautreizungen verursachen, wird man ihm nicht dieselben umfassenden Rückrufmaßnahmen zumuten können, die man ihm auferlegen würde, wenn er die Produkte mit Gewinn über den Handel vertrieben hat.
c) Umstände in der Person des
Betroffenen
aa) Vorhandensein von Ausweichmöglichkeiten
und deren
Zumutbarkeit
Bei der Auswahl der konkreten Maßnahme zur Erfüllung der Gefahrabwendungspflicht nach dem Zumutbarkeitskriterium ist ein Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen und des Herstellers zu suchen. Je mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit, je mehr eigenen Sicherheitsaufwand man vom Betroffenen erwarten kann, desto geringer ist der Aufwand, den man dem Hersteller auferlegen muß und darf. Die Möglichkeiten des Betroffenen, der Produktgefahr auszuweichen, sind deshalb zu berücksichtigen. Der Betroffene kann in diesem Sinne der Gefahr ausweichen, indem er sich aus dem Gefahrenbereich begibt oder dafür sorgt, daß sie sich nicht verwirklicht. So kann z.B. ein Schiffspassagier die Benutzung von Fähren vermeiden, die in dem Ruf stehen, nicht sicher zu sein, und der Fahrer eines Kurierdienstes kann seinen Fahrstil auf ihm bekannte Mängel seines Fahrrads einrichten. Solche Ausweichmöglichkeiten hat jedoch nur der Eigentümer oder Benutzer. In aller Regel steht Dritten, die durch gefährliche Produkte bedroht werden, keine dieser Ausweichstrategien in zumutbarer Weise zur Verfügung. Sie können weder die Tatsache noch die Art der Benutzung potentiell gefährlicher Produkte durch deren Benutzer beeinflussen. Soweit Dritte von einem Produkt bedroht werden, sind Gefahrabwendungsmaßnahmen, die dem bedrohten Dritten die Möglichkeit geben sollen, der Gefahr auszuweichen, nicht möglich. Es fragt sich
246
So etwa der Contergan-Beschluß des L G Aachen, J Z 1971, 507, 516.
224
Deutschland
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Verschuldenshaftung
allerdings, ob der Dritte durch entsprechende Maßnahmen gegenüber den Benutzern ausreichend geschützt werden kann. Soweit der Benutzer durch den gefährlichen Produktfehler bedroht ist, kann er die Verwirklichung der Gefahr auf jeden Fall durch die Nichtbenutzung des Produktes verhindern. 247 U . U . kann die Gefahr auch dadurch ausgeschlossen oder zumindest wesentlich verringert werden, daß das Produkt nur in einer bestimmten Weise benutzt wird, indem etwa der Motor eine bestimmte Drehzahl nicht überschreitet oder indem immer Schutzhandschuhe benutzt werden. Alle diese Ausweichmaßnahmen des Benutzers setzen allerdings voraus, daß er die entsprechenden Informationen über die Gefahr und mögliche Ausweichstrategien hat. Hat der Benutzer keine Kenntnis von der Gefährdung, kann er ihr nicht einmal durch Nichtbenutzung ausweichen. Selbst wenn man also die beschriebenen Ausweichmaßnahmen für dem Produktbenutzer zumutbar hält, bleibt als Mindestmaßnahme des Herstellers immer die Warnung und Information erforderlich. Sie kann nur dann entfallen, wenn sie ihrerseits wiederum dem Hersteller in Anbetracht der Geringfügigkeit der Gefährdung des Benutzers oder Dritter oder aus anderen Gründen unzumutbar sein sollte. 248 Allerdings muß die dem Benutzer durch die Gefahrinformation theoretisch eingeräumte Möglichkeit, deren Verwirklichung auszuweichen, ihm auch tatsächlich gegeben und zumutbar sein. Wann letzteres vorliegt, ist in der Literatur heftig umstritten. Z.T. wird vertreten, daß ein Ausweichen immer zumutbar ist bzw. daß die Nichtbeachtung von Gefahrwissen oder einer Warnung zu einer Unterbrechung des Kausal- bzw. Zurechungszusammenhangs und damit zur Haftungsbefreiung des Herstellers führt 249 , z.T. daß die Zumutbarkeit des Ausweichens zumindest bei Entwicklungsgefahren gegeben ist; 250 andere wiederum halten einen Verzicht auf die Benutzung für unzumutbar, wenn der Benutzer darauf existentiell angewiesen ist. 251 Einige Grundgedanken zur Beurteilung der Zumutbarkeit eines Ausweichens als Selbstschutzmaßnahme des Benutzers sollen kurz angeschnitten werden. Im Grunde entfällt nicht erst die Zumutbarkeit, sondern bereits die Geeignetheit einer Informationsmaßnahme dann, wenn ein Ausweichen tatsächlich nicht möglich ist. Dies sollte auch dann gelten, wenn ein Ausweichen nur theoretisch, aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. So kann ein Grundstücksinhaber der vom Nachbargrundstück ausgehenden Gefahr schon aus tatsächlichen Gründen nicht ausweichen; er könnte nur sein Eigentum daran aufgeben, um der Be247
Dies wäre allenfalls dann nicht gegeben, wenn bereits der Besitz des Produktes gefährlich
ist. 2 4 8 Dies könnte z.B. dann gegeben sein, wenn bei Lebensmitteln, die zum sofortigen Verzehr bestimmt sind, die Gefahr nur gering ist (leichte Übelkeit), die Zeitspanne, innerhalb derer die Gefährdung besteht, nur kurz ist, die Betroffenen nicht mit hinreichender Sicherheit erreicht werden können und dies nur unter Kosten möglich wäre, die in keinem Verhältnis zu der Gefahr stehen. 2 4 9 S. etwa Pauli, P H I 1985, 134, 146. 250 Rettenbeck, S.79i. 251 H. Herrmann, B B 1985, 1801, 1806.
Rückrufpflichten - Konkretisierung
225
drohung zu entgehen, er kann aber nicht das bedrohte Eigentum durch Ausweichen aus der Gefahrenzone bringen. Diesem Fall ist gleichzustellen, wenn das Ausweichen wirtschaftlich unmöglich ist. So wird auch der Bauunternehmer, der schuldhaft durch Verwendung asbestverseuchter Materialien die Gesundheit des Bauherrn und seiner Angehörigen oder auch von Mietern gefährdet, diesen gegenüber seiner Gefahrabwendungspflicht nicht allein deshalb durch eine Warnung n a c h k o m m e n können, weil diese durch einen U m z u g der Gefahr ausweichen könnten. Ein solches Ausweichen ist nur theoretisch möglich. 2 5 2 Allerdings weisen die zuletzt angesprochenen Fälle der wirtschaftlichen Unmöglichkeit fließende Ubergänge zu solchen „bloßer" Unzumutbarkeit auf. 2 5 3 D i e Unterscheidung ist nicht ganz irrelevant, weil u.U. der zur Gefahrabwendung Verpflichtete nachweisen muß, daß die von ihm durchgeführte Warnaktion es dem Geschädigten ermöglichte, der Gefahr auszuweichen, während der Geschädigte nachweisen muß, daß ihm ein Ausweichen nicht zuzumuten war. M a n wird auch die Regel aufstellen können, daß bei einer schuldhaften Verursachung des gefährlichen Fehlers Warnungen des Herstellers nicht ausreichen werden, da ein Ausweichen des Benutzers durch Verzicht auf die Benutzung nicht zumutbar wäre. 2 5 4 Diesem Ergebnis könnte entgegengehalten werden, daß damit über das Deliktsrecht nicht nur das Integritätsinteresse des Benutzers, sondern auch sein Nutzungsinteresse geschützt werde. D a m i t aber überschreite man den Schutzzweck der deliktischen Produkthaftung. 2 5 5 Dies ist jedoch nicht richtig. Alleiniges Ziel der dem Hersteller auferlegten Gefahrabwendungsmaßnahme, auch wenn sie im Einzelfall über eine Warnung hinausgehen muß, bleibt das Sicherheitsinteresse des Benutzers (und Dritter). Dies zeigt das Vorgehen bei der Auswahl der Maßnahme nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zunächst werden die geeigneten Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Integritätsinteresses des Benutzers eruiert; aus diesen wird dann die erforderliche Maßnahme - ebenfalls nach Sicherheitsgesichtspunkten - konkretisiert. Das Nutzungsinteresse spielt für Geeignetheit und Erforderlichkeit keine Rolle. Erst dann wird diese Maßnahme dem Zumutbarkeitstest in beide Richtungen unterworfen.
252 Allerdings sind Fälle aus der Rechtsprechung bekannt, in denen die Belastung einer Wohnung oder eines Hauses mit Giftstoffen Kündigungsgrund war; so z.B. LG München INJW-RR 1990, 975. In anderen Fällen wurden mit der Begründung der Giftbelastung Mietminderungen geltend gemacht; z.B. AG Köln NJW-RR 1987, 972; LG Hannover NJW-RR 1990, 972. Um die Verweigerung der Arbeitsleistung bei Asbestgefahren ging es in der Entscheidung des BAG NZA 1994, 610. 253 Auch H. Herrmann hält in Fällen existentieller Angewiesenheit des Besitzers auf die Benutzung des gefährlichen Produkts ein Ausweichen durch Nichtbenutzung für nicht zumutbar; BB 1985, 1801, 1802. 254 Insbesondere auch im Hinblick auf die im Notwehrrecht, §§ 227ff. BGB, sich ausdrückende Wertung, daß man einem rechtswidrigen Angriff nicht ausweichen muß. Dieser Gedanke kann im Zusammenhang mit der Rückrufproblematik nicht unberücksichtigt bleiben, auch wenn die Unterlassung eines Rückrufs nicht als „Angriff" angesehen wird. 255 So etwa H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1803; Stiebler, S. 149; Pieper, BB 1991, 985, 988f.
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Deutschland.
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Verschuldenshaftung
Bei der Interessenabwägung im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung werden die Interessen des Herstellers in umfassender Weise berücksichtigt, wenn auch unter Berücksichtigung seines etwaigen Verschuldens bei der Verursachung des Konflikts mit unterschiedlichen Gewichten belegt.256 Dabei ist auch zu beachten, daß die Gefahrabwendungspflicht originär dem Hersteller obliegt. Bei einer Warnung mehr noch als bei anderen Maßnahmen will er sich ihrer unter Verpflichtung des Benutzers zu Selbstschutzmaßnahmen entledigen. Dann muß er dabei aber auch alle legitimen Interessen des Benutzers, nicht nur dessen Sicherheitsinteressen berücksichtigen. Zu diesen legitimen Interessen gehört auch das Nutzungsinteresse. Es ist kein Grund ersichtlich, warum aus Gründen deliktsrechtlicher Schutzzwecküberlegungen hier nur die Sicherheitsinteressen des Benutzers eine Rolle spielen sollten. Die Zumutbarkeitsprüfung hat gerade die Funktion, die nach deliktsrechtlichen Sicherheitsgesichtpunkten als geeignet und erforderlich erkannte Maßnahme aufgrund der Interessenabwägung noch korrigieren zu können. Kommt man dabei zu dem Ergebnis, daß nach Lage der Dinge dem Benutzer der Verzicht auf die Benutzung nicht zugemutet werden kann, liegt darin kein Verstoß gegen deliktsrechtliche Wertungen.257 Allerdings ist damit auch noch nicht die Wertung unter gewährleistungsrechtlichen Gesichtspunkten präjudiziert, auf die noch einzugehen sein wird.258 Die vorstehenden Bedenken und Überlegungen spielen jedoch nur dann eine entscheidende Rolle, wenn allein Rechtsgüter des Benutzers durch das Produkt gefährdet werden. Besteht hingegen Gefahr auch für unbeteiligte Dritte, dürfte in der Regel eine Warnung der Benutzer nicht ausreichen, da die Integritätsinteressen dieser Dritten dadurch nicht ausreichend geschützt werden können. bb) Umfang
und Kosten der erforderlichen
Mitwirkung
Bei der bisher besprochenen Selbstschutzmöglichkeit beschränkte sich die „Kooperation" des Benutzers auf den Verzicht auf die Benutzung bzw. auf gewisse Beschränkungen der Benutzung. Möglich ist jedoch auch, daß der Hersteller dem Benutzer durch seine Informationen nicht nur ermöglicht, der Gefahr auszuweichen, sondern daß er ihm auch Instruktionen gibt, wie er die Gefahr selbst beseitigen kann.259 Der Hersteller kann z.B. dem Benutzer eine Anleitung zur Reparatur des Gerätes übersenden, in der er die Handgriffe erläutert, die zur Beseitigung der Gefahr notwendig sind; soweit erforderlich kann er auch die zur Reparatur notwendigen Ersatzteile mitschicken. Solche Maßnahmen werden jedoch nur in Ausnahmefällen zu einer ausreichenden Beseitigung der Gefahr auch nur geeignet sein; und selbst dann sind sie den Benutzern kaum zumutbar. Es entfällt bereits die Geeignetheit in allen Fällen, Hubmann, AcP 155 (1955), 85, 117. Sie wird allerdings auch nicht vom deliktsrechtlichen Schutzzweck gefordert. 258 S. ausführlich dazu unten 5. Kapitel. 259 Der Benutzer kann freilich auch im ersteren Fall die Gefahr beseitigen oder beseitigen lassen, indem er das Gerät zur Reparatur auf eigene Kosten gibt. 256
257
Rückrufpflichten - Konkretisierung
227
in denen nicht bereits „blutige" Laien die v o m Hersteller empfohlenen Beseitigungsmaßnahmen vollziehen können. Ist dazu ein technisches Mindestverständnis erforderlich oder gar Fachwissen, wird ein nicht unerheblicher Teil der Adressaten die M a ß n a h m e gar nicht mit der notwendigen Aussicht auf Erfolg durchführen können. 2 6 0 Selbst wenn dies aber der Fall wäre, sind die psychologischen Widerstände möglicherweise noch größer als bei bloßen Warnungen, da ein größerer Eigenbeitrag erforderlich ist. A u f der anderen Seite werden aber dem B e nutzer konkrete Gefahrbeseitigungsmaßnahmen aufgezeigt, die ihm - anders als bei einem Verzicht auf die Benutzung nach einer Warnung - Schutzmöglichkeiten unter Beibehaltung der Benutzungsmöglichkeit eröffnen. Dies dürfte die K o o p e rationsbereitschaft der Benutzer wiederum erhöhen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Schutzwirkung einer Reparaturanleitung tatsächlich hinter der einer Warnung zurückbleiben kann. Eine drastische Warnung mag vielleicht die Benutzer zur Einstellung der Verwendung des Produktes und damit zum sicheren Ausschluß der Gefahr veranlassen. Eine Reparaturanleitung gibt ihnen dagegen möglicherweise ein unberechtigtes Sicherheitsgefühl, selbst wenn sie mit einer entsprechenden Warnung verknüpft ist. Sie wird die B e nutzer nicht zur Benutzungseinstellung, sondern zu einem Reparaturversuch veranlassen. Ist dessen Erfolg wegen mangelnder technischer Kenntnisse oder nicht sorgfältiger Durchführung jedoch nicht gesichert und wird ein falsches Sicherheitsgefühl geweckt, könnte der Fall eintreten, daß eine Warnung insgesamt die Gefahr wirksamer beseitigt hätte. Allerdings sind Fallgestaltungen denkbar, in denen Hinweise auf Selbstschutzmöglichkeiten ausreichen, damit der Hersteller seinen Schutzpflichten gegenüber den Benutzern genügt. Dies ist dann der Fall, wenn die bekannte (oder auch erst nach Inverkehrbringen erkannte) Gefahr eines Produktes nachträglich durch Nachrüstung von Schutzmaßnahmen beherrschbar wird oder ausgeschlossen werden kann. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen aufgrund der Entwicklung des Standes der Technik Schutzmechanismen zur Verfügung gelangen, die beim Inverkehrbringen n o c h nicht bestanden. Beispiele sind die Entwicklung von Sicherheitsgurten oder A B S im Automobilbau. Wenn man in einem solchen Fall eine nachträgliche Schutzpflicht des Herstellers bejaht, was allerdings sehr zweifelhaft ist, könnte er sich dieser in aller Regel durch einen Hinweis für die Benutzer auf diese neuen Schutzmöglichkeiten entledigen und deren Wahrnehmung ihnen überlassen. Eine Pflicht zur (kostenlosen) Nachrüstung läßt sich jedenfalls nicht begründen. 2 6 1
2 6 0 Allerdings würde bei der Beurteilung eines konkreten Einzelfalls, in dem der Benutzer zweifellos über die notwendigen Kenntnisse verfügt, nach der Rechtsprechung des B G H etwas anderes gelten. 261 S. dazu unten V 2 d cc (5).
228
cc) Schutzbedürftigkeit
Deutschland
des
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Verschuldenshaftung
Betroffenen
Bestimmte Bevölkerungsgruppen sind besonders schutzbedürftig, da sie von Gefahrabwendungsmaßnahmen, die üblicherweise ausreichen würden, nicht erreicht werden bzw. erforderliche eigene Schutzanstrengungen nicht unternehmen können. Die größte dieser Gruppen dürften Kinder sein. 262 Hier sind Warnungen oder Hinweise darauf, wie die Gefahr vermieden werden kann, oft nicht ausreichend. Kleinkinder können diese Warnungen nicht verstehen, weil sie noch nicht lesen können oder Warnsymbole in ihrer Bedeutung nicht erfassen; selbst wenn Kinder eine Warnung vordergründig verstehen, fällt ihnen die Umsetzung in vorsichtiges Handeln schwer. Hinzu kommt, daß Hersteller von Produkten, die für Kinder bestimmt sind oder in die Hände von Kindern kommen können, deren natürliche Neugier und Experimentierfreude in Betracht ziehen müssen. Gefahrabwehrmaßnahmen müssen deshalb in einem größeren Umfang auch Mißbräuche oder Fehlgebräuche erfassen, als dies bei Erwachsenen der Fall wäre. Selbstschutzmaßnahmen, die Erwachsenen zugemutet werden können, sind bei Kindern möglicherweise unzumutbar. Dies führt dazu, daß Warnungen bei Produkten für Kinder häufig nicht ausreichen werden. 263 Der Hersteller wird deshalb im Vorfeld eher konstruktive Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen und nach dem Inverkehrbringen eher die Gefahr direkt durch Reparatur oder Austausch beseitigen müssen. Ahnlich erhöhte Schutzbedürfnisse können auch für Alte und Kranke bestehen. So wird man einen Rollstuhl für junge Unfallopfer möglicherweise anders konstruieren können als für gebrechliche Alte. Auch nachträgliche Gefahrabwendungsmaßnahmen müssen deshalb die Schutzmöglichkeiten und -bedürfnisse dieser Gruppen mit in Betracht ziehen. Warnungen und Informationen müssen z.B. auch in anderen Sprachen abgefaßt sein, wenn damit zu rechnen ist, daß die betroffenen Produkte von gar nicht oder nur wenig der deutschen Sprache mächtigen Personen benutzt werden. Nicht umsonst sind deshalb Beipackzettel der Arzneimittelindustrie auch in den Sprachen abgefaßt, die von den größeren Gruppen ausländischer Mitbürger gesprochen werden. 264 Dieselbe Notwendigkeit besteht auch bei Warnungen und Schutzhinweisen auf Arbeitsgeräten und Maschinen, soweit allgemeinverständliche Piktogramme nicht ausreichen.
d) Art des Produktes
und seines
Vertriebs
Die Auswahl der zu treffenden Gefahrabwendungsmaßnahmen hängt schließlich noch von der Vertriebsart des betroffenen Produktes ab. Wird das Produkt 262 Allgemein zur Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern bei der Konkretisierung von Verkehrspflichten Münch Komm/Mertens, §823 Rdnr. 219. 2 6 3 Das macht jedoch Warnungen an Eltern oder Aufsichtspersonen nicht überflüssig, sondern eher noch notwendiger. 2 6 4 Dies dient allerdings auch der Verkehrsfähigkeit der Arzneimittel in den Mitgliedstaaten der E U .
Rückrufpflichten
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Konkretisierung
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über Großhändler, Einzelhändler oder andere Mittelspersonen vertrieben und wird der Fehler entdeckt, bevor es in die Hände der Endverbraucher gelangt, reichen Rückrufmaßnahmen gegenüber diesen Mittelspersonen, wenn dadurch hinreichend gesichert ist, daß der endgültige Vertrieb verhindert werden wird. In diesem Fall werden sich konkret Warnungen und Rücknahmeangebote gegen Rückzahlung des Kaufpreises anbieten, weniger jedoch Reparaturen. 265 Rückrufaktionen gegenüber dem Handel können auch dann ausreichend sein, wenn das Produkt extrem kurzlebig bzw. für den sofortigen Verzehr bestimmt ist und nur leichte Beeinträchtigungen der Verbraucher zu befürchten sind. In diesen Fällen würde eine Warnung die Verbraucher wegen der notwendigen Vorlaufzeit meist zu spät erreichen; eine schnelle Reaktion über den Handel, der das Produkt aus dem Regal nimmt, schützt sie deshalb möglicherweise besser und schneller. Sind jedoch schwere Beeinträchtigungen von Leib und Leben zu befürchten, so wird man auch die Verbraucher unterrichten müssen, um auch die wenigen zu erreichen, die das Produkt noch nicht verwendet haben. Auch in anderen Fällen, in denen die Verbraucher die Produkte nicht oder nicht nur aufgrund eigener Entscheidung kaufen und benutzen, sondern in denen sie ihnen - wie Arzneimittel - von Ärzten verschrieben oder in Krankenhäusern verabreicht werden, ist eine Information der Verbraucher allein über Gefahren des Produktes nicht ausreichend. Hier müssen vielmehr auch und in erster Linie die Personen informiert werden, die die Verbraucher zur Benutzung veranlassen, d.h. also niedergelassene Arzte, Krankenhausärzte, Apotheker etc. Dies ist bei Medikamenten auch deshalb notwendig, weil den Verbrauchern meist das Fachwissen fehlt, um die Gefahrinformationen verstehen, korrekt einordnen und die notwendigen Schlüsse für ihr Verhalten ziehen zu können. Eine andere Frage ist, ob in diesen Fällen eine Information der Mittelspersonen ausreicht, um die Gefahr mit hinreichender Sicherheit abwenden zu können. 266 Der Hersteller kann an einer Beschränkung der Gefahrinformationen auf Mittelspersonen ein starkes Interesse haben, da dies in der Regel billiger sein wird und er dadurch die Information einer breiten Öffentlichkeit mit negativen Auswirkungen auf Absatz und goodwill sowie Uberreaktionen aufgrund fehlender Fachkenntnis vermeiden kann. 267 Eine generelle Antwort ist hier jedoch nicht möglich. Ist das Medikament rezeptfrei zu haben, muß auf jeden Fall auch der Patient informiert werden. Das gilt aber auch für Dosierungshinweise, Hinweise auf das gebotene Verhalten bei Auftreten von Nebenwirkungen etc. Hier kann man nicht darauf vertrauen, daß die entsprechenden Informationen durch den verschreibenden Arzt in der konkreten Situation, die möglicherweise zusätzlich durch Panik gekennzeichnet ist, dem Patienten noch gegenwärtig sind. Möglicherweise ist er selbst zu Reaktionen nicht mehr fähig, so daß die notwendigen S. z.B. O L G Frankfurt/M., BB 1991, 2248 - „Kondensatoren". Zur „learned intermediate"-Doktrin des US-amerikanischen Rechts s. oben Zweiter Teil 4. Kap B I 2 b dd. 267 Die Interessenlage ist die gleiche, die zu den „stillen Rückrufen" der Automobilindustrie führte. 265
266
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Verschuldenshaftung
Verhaltensinformationen Dritten zugänglich sein müssen. Allenfalls bei Medikamenten (oder Geräten), die nur unter strenger Aufsicht von Fachpersonal eingesetzt werden, könnte deren Information ausreichen. 268
V. Die Konkretisierung
der Rückrufpflichten
im
einzelnen
I m folgenden soll nun untersucht werden, wie die soeben dargestellten A b w ä gungsgrundsätze angewandt werden können und wie sich daraus ein konsistentes „Anforderungsprofil" ableiten läßt, aus welchem die Hersteller und Händler mit ausreichender Sicherheit ihre konkreten Verpflichtungen im Einzelfall ableiten können.
1. Konkretisierung
der vorbereitenden
und begleitenden
Pflichten
a) Kriterien zur Bestimmung der Art und Intensität von Produktbeobachtungsmaßnahmen Bei der Produktbeobachtungspflicht geht es nach der hier vorgenommenen Abgrenzung um die Verpflichtung, die organisatorischen und sonstigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbare gefährliche Fehler des Produktes später vom zur Produktbeobachtung verpflichteten Hersteller oder Händler (Importeur) erkannt werden können, sobald dies durch die Entwicklung des Standes der Technik möglich oder im R a h men der praktischen Bewährung des Produktes offenbar wird. Außerdem wird davon die Verpflichtung erfaßt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die so gewonnenen Informationen in angemessener Zeit kompetent verarbeitet und die richtigen Schlüsse hinsichtlich vorzunehmender Gefahrabwendungsmaßnahmen daraus gezogen werden können und werden. D i e Rechtsprechung und Literatur zur Produktbeobachtungspflicht sind in der Zwischenzeit recht reichhaltig. Diese Pflicht steht geradezu als S y n o m y m für die Rückrufproblematik, o b w o h l es sich - wie oben ausgeführt - bei der P r o d u k t beobachtungspflicht nicht um eine selbständige Pflicht handelt, sondern nur um eine Pflicht im Vorfeld der eigentlichen Rückrufpflichten. Manchmal wird sie jedoch - begrifflich ungenau - mit der Warnpflicht zusammen behandelt. 2 6 9
aa) Maßgeblicher
Zeitpunkt
Welche Maßnahmen in welcher Intensität und wie lange konkret ergriffen werden müssen, um der Produktbeobachtungspflicht nachzukommen, läßt sich nicht 268 D a ß auch dies keine ausreichende Gewähr für die Sicherheit des Patienten bieten muß, zeigt die Atemüberwachungsgerät-Entscheidung des B G H Z I P 1994, 1960, in der es u.a. um mangelhafte Vorsichtsmaßnahmen und Fehlbedienungen durch das Krankenhauspersonal ging. 269
S. etwa B G H Z 8 0 , 1 8 6 , 190, w o sie als Teil der Instruktionspflicht behandelt wird.
Produktbeobachtung
231
generell sagen. 270 Das hängt einerseits von dem Aufwand für die Informationsgewinnung und -Verarbeitung bis zur „Entscheidungsreife" über erforderliche Folgemaßnahmen ab, andererseits von der Art des Produkts und von der Eintrittswahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzungen, dem Umfang und der Qualität der drohenden Gefahr. 271 Durch Abwägung dieser Kriterien ist zu ermitteln, welche Maßnahmen im Einzelfall geeignet, erforderlich und zumutbar sind. Was zumutbar ist, darf nicht auf dem Hintergrund der später tatsächlich aufgetretenen Gefahr oder Schädigung entschieden werden, sondern nur unter Berücksichtigung des Vorwissens über Art und Gefährlichkeit des Produktes. 2 7 2 Entscheidender Zeitpunkt ist dabei weder der des Inverkehrbringens des Produktes noch der der letzten mündlichen Verhandlung, sondern der, zu dem die Verletzung der Produktbeobachtungspflicht angeblich stattgefunden hat. Zu diesem Zeitpunkt steht oft noch nicht fest, worin die eigentliche Schadensursache besteht, unter welchen konkreten Voraussetzungen welche Schäden eintreten können, wieviele Personen und/oder Sachen einen Schaden erleiden können. 2 7 3 So wird man den Herstellern von Asbest kaum vorwerfen können, nicht jede erdenkliche Produktbeobachtungsmaßnahme von Anfang an ergriffen zu haben, weil sich später die lebensbedrohende Gefahr ihres Produktes herausstellte, sondern man wird sie nach dem Kenntnisstand über das Produkt und seine Gefahren zum jeweils infrage stehenden Zeitpunkt beurteilen müssen. 274 Es ist mit dem Verschuldensprinzip nicht vereinbar, dem verantwortlichen Unternehmen die Unterlassung von Produktbeobachtungsmaßnahmen vorzuwerfen, die zwar im Nachhinein als objektiv geboten, zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Vornahme solcher Maßnahmen aber als unnötig erscheinen mußten, soweit überhaupt Veranlassung bestand, sie in Betracht zu ziehen. 275 Man würde sonst auf den Kenntnisstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen, der dem Beklagten jedoch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht zur Verfügung stand. Dies würde zu einer Gefährdungshaftung für Entwicklungsgefahren führen 2 7 6 , die im deutschen Recht nur in § 84 A M G für Arzneimittel und in
Hollmann, P H I 1990, 38, 39. Sack, B B 1985, 813, 815; Löwe, D A R 1978,288,290; Schmidt-Salzer, B B 1972,1430,1435; Kulimann, B B 1976, 1085, 1089. 272 So ausdrücklich auch B G H Z 80,186 = B B 1981,1045 - „Derosal" in Nr. II. 2a, wonach auf die Erkenntnisse abzustellen ist, die zu der Zeit bestanden, als eine Schadensabwendung in Betracht kam. 2 7 3 S. Schmidt-Salzer, B B 1981,1041,1043f., der die Schwierigkeit der Entscheidungssituation des Unternehmens deutlich herausarbeitet. 2 7 4 Andere Beispiele bei Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. I I I / l : Deliktsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 4.1107 2 7 5 So auch Blaschczok, S. 128. 2 7 6 So etwa der New Jersey Supreme Court in der Entscheidung Beshada v. Johns-Manville Prods. Corp., 90 N.J. 191, 447 A.2d 539 (1982), welche dem Hersteller im Rahmen einer „strict liability" die Haftung auch für unterlassene Warnungen und Instruktionen auferlegte, wenn der Fehler, vor dem hätte gewarnt werden sollen, nicht erkennbar war. Allerdings wurde die Präzedenzwirkung dieser heftig kritisierten Entscheidung später erheblich eingeschränkt; s. dazu 270 271
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Verschuldenshaftung
§ 3 7 Abs. 2 G e n T G für Produkte, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, vorgesehen, sonst aber nicht nur im R a h m e n des § 823 B G B , sondern gerade auch durch das P H G ausgeschlossen ist. 277
bb) Intensität der
Produktbeobachtung
Einige Beispiele aus der Rechtsprechung und der Literatur sollen die hier vorzunehmende Abwägung hinsichtlich der Intensität der Produktbeobachtung verdeutlichen. 2 7 8 D i e Produktbeobachtung darf sich nicht nur auf N e u k o n s t r u k t i o nen und -entwicklungen beschränken. 2 7 9 Sie mag allerdings dort besonders veranlaßt sein. 280 D i e nachträgliche Entdeckung von Fehlern ist ein Phänomen, das bei allen Produkten auftreten kann. Es betrifft auch alle Fehlerkategorien. 2 8 1 Instruktions- und Fabrikationsfehler können genauso lange Zeit unentdeckt bleiben wie Konstruktionsfehler. N a c h einer in der Literatur vertretenen 2 8 2 , jedoch nicht unbestrittenen 2 8 3 Meinung soll allerdings für Produkte, die seit Jahrzehnten ohne größere Beanstandungen in der gleichen Qualität hergestellt wurden, eine Produktbeobachtungspflicht völlig entfallen können. Eine solche generelle Reduzierung der Produktbeobachtungspflicht auf N u l l wird man aber auch bei diesen Produkten nicht annehmen können. Zwar wird man dem Hersteller eines lange Zeit beanstandungslos hergestellten und benutzten Produktes eine graduelle Abschwächung der Produktbeobachtungspflicht zubilligen können 2 8 4 , doch wird er nicht völlig davon entbunden werden können. Ein Mindestmaß an Wachsamkeit in F o r m der Lektüre branchenüblicher Fachzeitschriften, der Beachtung von Kundenbeschwerden, von Berichten in den allgemein zugänglichen Medien etc. wird man über die gesamte D a u e r der Produktion (und möglicherweise darüberhinaus 2 8 5 ) erwarten k ö n nen. 286 Dafür spricht die zur Lebenserfahrung gehörende Tatsache, daß auch bei „bewährten" Produkten Langzeitschäden auftreten können, die sich erst sehr spät verwirklichen 2 8 7 , oder daß Kausalzusammenhänge zwischen Eigenschaften des ebenfalls der Supreme Court von New Jersey in Feldman v. Lederle Laboratories, 97 N.J. 429, 479 A.2d 374 (1984). 277 §1 Abs.2Nr.5PHG. 278 S. umfassend Veltins, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza 4310, S. 18ff. 279 So ober Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdnr. 106. 280 Sack, BB 1985, 813, 815f. m.w.N. 281 Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 83; Sack, BB 1985, 813, 816. 282 Löwe, DAR 1978, 288, 290 und ihm folgend Sack, BB 1985, 813, 815; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1435. 283 Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 84. 284 So auch Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. 44, der u.U. eine Abschwächung der aktiven zur passiven Produktbeobachtungspflicht annimmt. 285 S. dazu unten (5). 286 Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S. 19. 287 S. BGH VersR 1961, 810 - „Thorotrast". Bei Arzneimitteln zeigen sich die Schädigungen z.T. erst in der nächsten Generation; s. das Beispiel von DES, welches Schwangeren über zwanzig Jahre lang zur Verhütung von Fehlgeburten verabreicht wurde, bevor man entdeckte, daß das
Produktbeobachtung
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Produktes und aufgetretenen Schädigungen aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts erst später aufgeklärt werden können. 2 8 8 Werden nachträglich schadenverursachende Wirkungen des Produkts entdeckt, muß sich aufgrund dieses Alarmzeichens die Produktbeobachtungspflicht wieder intensivieren. 289 Anders als bei langerprobten Produkten ist neuen und komplexen technischen Produkten oder auch chemischen und pharmazeutischen Produkten ein erhöhtes Gefahrenpotential immanent. Sie verlangen deshalb auch nach einer intensiveren Produktbeobachtung. 2 9 0 Es reicht zur Erfüllung der Produktbeobachtungspflicht nicht aus, wenn der Hersteller sich mehr oder weniger auf den Zufall verläßt. 291 Er muß vielmehr eine Betriebsorganisation zur Beschaffung v o n Informationen über die Bewährung des Produkts und deren Auswertung aufbauen, die Ergebnisse wissenschaftlichtechnischer Kongresse, andere Fachveranstaltungen und Testberichte über die Produktverwendung und die dabei gemachten Erfahrungen verfolgen sowie Fachzeitschriften sammeln und auswerten. 292 In der Regel wird also v o m Hersteller verlangt, daß er den Fortgang v o n Wissenschaft und Technik auf seinem G e biet verfolgt. 2 9 3 Allerdings werden hier an internationale Großunternehmen mit eigenen Forschungsabteilungen höhere Anforderungen gestellt als an Klein- und Mittelbetriebe. 294 Eine zumindest passive Produktbeobachtungspflicht trifft auch den Importeur 295 , d.h. eine Pflicht zur Uberprüfung von Beanstandungen, die ihm zugeleitet
Mittel Krebs bei den Töchtern auslösen konnte; s. ausführlich zu den dadurch aufgeworfenen Haftungsproblemen Bodewig, AcP 185 (1985) 505. 288 Pauli, PHI 1985, 134, 139. 289 BGH VersR 1954,100,101; BGH BB 1970,1414,1415 - „Bremsen"; Pauli, PHI 1985,134, 139. In dem von Löwe und Sack gewählten Beispiel von Wolldecken könnte dies z.B. der Fall sein, wenn entdeckt wird, daß die seit Jahrzehnten verwendeten Fasern oder Farbstoffe Allergien verursachen. 290 Sack, BB 1985, 813, 815; MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 289; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1301; Löwe, DAR 1978, 288, 290; Pauli, PHI 1985, 134, 138. 291 BGHZ80,199,202 = BB 1981,1048,1049 - „ßenomyl"; Kulimann, WM 1981,1322,1324. Der Verantwortliche hat systematisch zu überwachen , wie sich seine Produkte in der Praxis bewähren , und er hat Anhaltspunkten für etwaige Gefahrenquellen selbständig und eigenverantwortlich nachzugehen, Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 85. 292 Kulimann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, S. 54 m.N. 293 BGHZ 80,199,203 = BB 1981,1048,1049 - „Benomyl"; Sack, BB 1985, 813, 816 m. w.N.; Löwe, DAR 1978, 280, 290; Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S.50. 294 Großunternehmen bürdet der BGH die Verfolgung der Ergebnisse wissenschaftlicher Kongresse und Fachveranstaltungen sowie die Auswertung des gesamten internationalen Fachschrifttums auf, BGHZ 80, 199, 202 = NJW 1981, 1606 - „Benymol". Allgemein zu den unterschiedlichen Anforderungen an Organisationsformen der Qualitätssicherung bei Großunternehmen und Klein- und Mittelbetrieben, Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S.29ff.; Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §24 Rdnr. 56. Zu Organisationspflichten bei der Produktbeobachtungspflicht H. Herrmann, HR 1985,1801, 1805. 295 BGH NJW 1994, 517 = JZ 1994, 574 = VersR 1994, 319 = DB 1944, 420 = BB 1994, 242 = ZIP 1994, 213 = WM 1994462 = CR 1994, 205 - „Gewindeschneidemittel I".
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
werden. Auch Quasi-Hersteller, die sich durch Anbringen ihres Namens oder ihrer Marke auf fremdproduzierten Produkten als Hersteller gerieren, obliegt eine Produktbeobachtungspflicht, da sie über den direkten Kontakt zum Kunden verfügen, die Vertriebswege besser kennen und den Hersteller hinsichtlich aufgetretener Probleme mit dem Produkt beraten können. U.U. seien sie in erster Linie berufen, Warn- und Rückrufaktionen zu veranlassen.296 Dem reinen Vertriebshändler obliegen jedoch keine Produktbeobachtungspflichten hinsichtlich gefährlicher Eigenschaften der von ihm verkauften Produkte. Soweit ihm Tatsachen über solche Eigenschaften bekannt werden, wird er aber zumindest bei schwerwiegenden Gefährdungen den Hersteller informieren müssen. Darüber hinaus ist er verpflichtet, Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich der aus seinem Bereich stammenden Gefährdungen297 der Kunden zu treffen.298 Die Verfolgung des jeweiligen Standes von Wissenschaft und Technik, die Sammlung von Informationen über Erfahrungen Dritter in Verbraucherbeschwerden, Werkstattberichten, Testberichten etc. muß u.U. durch eigene Tests und Untersuchungen des Produktes bzw. seines Verhaltens im Zusammenwirken mit anderen Produkten ergänzt werden, um gesicherte Erkenntnisse über das Gefährdungspotential als Grundlage der Entscheidung über sinnvolle Gefahrabwendungsmaßnahmen zu erhalten.299 Die Pflicht zur Beobachtung kann sich zu einer Pflicht zur eigenen Überprüfung steigern, wenn konkreter Anlaß zu der Befürchtung besteht, daß z.B. Motorradzubehör anderer Firmen seiner Art nach in Verbindung mit dem eigenen Produkt dem Benutzer gefährlich werden kann.300 Der Hersteller wird auch nicht von der Produktbeobachtungspflicht frei, weil sein Produkt bei Inverkehrbringen den relevanten DIN- oder VDE-Normen entsprach301 oder behördlich zugelassen ist.302 Die Produktbeobachtungspflicht dient gerade dazu, Fehler aufzudecken, die nach dem Stand der Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht erkennbar waren. Außerdem dienen 296 297
Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, S. 67f. Etwa a u f g r u n d mangelhafter Lagerung, fehlerhafter Beratung durch das Verkaufspersonal
etc. 298 Kullmann, A k t u e l l e Rechtsfragen der Produkthaftpflicht, S.61; ders., in: Kullmann/Pfister, Kza 1524, S.5f. 299 Vor der P r o d u k t e i n f ü h r u n g vorgenommene Test- und Prüfverfahren müssen u . U . wiederholt werden; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1430, 1435. 300 B G H BB 1987, 717, 719 - " H o n d a " . U m g e k e h r t liegt bei einem deutschen Hersteller von Kindertee eine Verletzung seiner ursprünglichen Sorgfaltspflichten nicht erst darin, daß er frühe Berichte über das „Baby-BottleS y n d r o m " in der Schweizerischen Arztezeitung nicht beachtete, sondern bereits darin, daß er eigene Tests und U n t e r s u c h u n g e n über die Gefährlichkeit seines Produktes unterließ, o b w o h l es i h m nicht verborgen sein konnte, daß der Strahl bei modernen Saugern an die Rückseite der Oberkieferfrontzähne gerät und er eine Verwendung seines Produkts in der „kleinen Teeflasche" empfohlen hatte; B G H VersR 1996, 96, 99 - „Kindertee I". 301 Kullmann, BB 1976, 1085, 1089. S. allgemein zur haftungsrechtlichen Bedeutung technischer Regeln Köhler, BB Beilage 4/1985, 10. 302 RGRK/Steffen, § 8 2 3 B G B Rdnr. 278. S. für A u t o s Löwe, D A R 1 9 7 8 , 2 8 8 , 2 9 0 ; Diederichsen, D A R 1976, 312, 315; Pauli, P H I 1985, 134, 139.
Produktbeobachtung
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behördliche Zulassungen nicht der Vermeidung von Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehlern, sondern stellen allenfalls sicher, daß bestimmte (Mindest)-Sicherheitsstandards erfüllt sind. 303 U m f a n g und Intensität der Produktbeobachtungspflichten hängen von der Art des gefährdeten Rechtsgutes ab. Besteht Gefahr für Leib und Leben, sind die B e obachtungspflichten am umfangreichsten. 3 0 4 D r o h e n hingegen nur Eigentumsverletzungen in nicht erheblichem U m f a n g , wird man nur eine weniger intensive Produktbeobachtung erwarten können. 3 0 5 Allerdings ist es häufig schwierig, im voraus festzulegen, daß ein bestimmtes Produkt nur Sach- aber keine Gesundheitsschäden verursachen kann und deshalb nur einer weniger aufwendigen P r o duktbeobachtung bedarf. D i e in der Literatur als Beispiel genannten Textilien 3 0 6 können z . B . aufgrund der enthaltenen Farbstoffe oder Fasern schwere Allergien auslösen oder sie können wegen ihrer chemischen Behandlung in Verdacht geraten, K r e b s zu verursachen. 3 0 7
cc) Einbeziehung (1)
von
Drittprodukten
Kombinationsprodukte
In aller Regel m u ß der Hersteller bzw. Importeur nur die Entwicklung seines eigenen Produktes am M a r k t beobachten. D a z u gehört aber auch, daß er auf solche Gefahren achtet, die sich aus der Kombination seines Produktes mit P r o d u k ten anderer Hersteller ergeben. Dies ist für Hersteller von Arzneimitteln und medizinischen Geräten bereits deshalb erforderlich, weil sie auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Geräten hinweisen müssen. 3 0 8 D e r B G H hat eine solche Pflicht jedoch auch auf die Hersteller anderer Produkte wie Motorräder oder andere maschinell betriebene Geräte ausgedehnt. 309 Das O L G Saarbrücken hat kürzlich eine P r o Löwe, DAR 1978, 288, 290; Produkthaftungshandbuch/Bd. MFoerste, §24 Rdnr. 93ff. Eine Betriebserlaubnis nach §22 StVZO sagt nur aus, daß der Kontrollbeamte nichts Vorschriftswidriges gefunden hat.; BGH, BB 1987, 717, 719 - „Honda". 304 Und z.B. umfangreicher als bei potentiellen Eigentums- und Vermögensschäden, BGH, BB 1987, 717, 719 -"Honda"; Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S.50f.; Produkthaftungshandbuch/MA/Foerste, §24, Rdnr. 296; Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1301; Sack, BB 1985, 813, 816; Kunz, BB 1994, 450. 305 Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S. 19. Kulimann, BB 1987, 1957, 1958 spricht davon, daß bei Produkten, welche mit Sicherheit gar keine Gefahren hervorrufen können, wie Aufkleber für Kraftfahrzeuge, überhaupt keine Produktbeobachtungspflicht bestehe. 306 Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S. 19. 307 Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320, 321 und Sack, DAR 1983, 1, 2, Fn. 13 unter Hinweis auf den Fall „TRIS" (Kunstfaser-Pyjamas) in den USA. 308 §11 Abs. 1 Nr.7, § IIa Abs. 1 Nr.7 AMG bzw. §4 Abs. 1 MedGV. 309 BGHZ 99,167 = BB 1987,717,719 = NJW 1987,1009 = VersR 1987,312 = DAR 1987, 78 „Honda" und die ausführliche Auseinandersetzungen mit dieser Entscheidung bei P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564, Lorenz, CR 1987,564, Kullmann, BB 1987,1957, Hollmann, PHI 1990,38, 41 ff; Birkmann, DAR 1990, 124, 127ff. 303
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Verschuldenshaftung
duktbeobachtungspflicht von Pistolenherstellern hinsichtlich der Verwendung von drittproduzierten Holstern grundsätzlich bejaht, im konkreten Fall allerdings keine Verletzung dieser Pflicht gefunden.310 In den Kindertee-Fällen trat die Kariesgefahr nicht beim Trinken aus Bechern, sondern beim „Dauernuckeln" an Teeflaschen mit Saugern (also nur in Kombination mit bestimmten anderen Produkten) auch deshalb auf, weil bei modernen Saugern der Strahl auf die Rückseite der Oberkieferfrontzähne gerichtet ist, was nach Ansicht des B G H den Teeherstellern bekannt sein mußte, auch wenn sie selbst nicht die Sauger herstellten.311 Hersteller müssen also generell ein Auge auf das Verhalten ihres Produktes in Kombination mit Produkten anderer Hersteller, wie etwa Zubehör haben. Zumindest bei notwendigem Zubehör, das für die Funktionstüchtigkeit des eigenen Produktes erforderlich ist (Reifen bei Kraftfahrzeugen)312, bei eingeplantem Zubehör, dessen Verwendung der Hersteller durch Anbringung von Bohrlöchern, Ösen, Halterungen etc. vorgesehen hat (Dachgepäckträger), sowie bei allgemein gebräuchlichem Zubehör muß sich der Hersteller des Hauptproduktes nach Ansicht des B G H mit der erforderlichen Sorgfalt aus Unfallberichten, Werkstattberichten, Kundenbeschwerden, Testberichten etc. über mögliche negative Wechselwirkungen, die zu gefährlichen Eigenschaften der kombinierten Produkte führen können, aktiv unterrichten. Bei anderem Zubehör, das z.B. nicht allgemein gebräuchlich ist oder nur bei bestimmten Gebrauchsgewohnheiten Gefahren erzeugen kann, soll eine passive Produktbeobachtung, d. h. die Sammlung und Auswertung von Informationen über negative Produkteigenschaften aus der Händlerorganisation oder aus Testberichten ausreichen.313 Diese Pflicht zur Sammlung von Informationen Dritter besteht allgemein, d.h. auch ohne einen besonderen Anlaß.314 Darüber hinaus muß ein Motorradhersteller bzw. -importeur „dann, wenn speziell für sein Fahrzeug entwickelte oder als geeignet angepriesene Zubehörteile anderer Hersteller in größerem Umfang auf den Markt kommen, und er konkreten Anlaß zu der Annahme hat, daß diese Art von Zubehör (Hervorhebung d. Gerichts) einen Einfluß auf die Fahrsicherheit seiner Motorräder haben kann, jedenfalls die Erzeugnisse der Marktführer einer diesbezüglichen Prüfung unterziehen." 315 Der Hersteller muß dann also auch aktiv Ursachenforschung betreiben. Dies gilt unabhängig davon, daß in erster Linie der Hersteller des Zubehörs für die Sicherheit seiner Produkte verantwortlich ist. Auch die Honda-Entscheidung316 fordert aber nicht, daß diese Pflicht sich auf 310 O L G Saarbrücken NJW-RR 1993, 990. Der BGH hat in seinem Beschluß über die Nichtannahme der Revision in diesem Fall (ebd. S. 992) dies nicht bemängelt, sondern nur Zweifel daran geäußert, daß es sich bei dem Holster um „notwendiges Zubehör einer Dienstpistole" handelt. 311 BGH, VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". 312 Vgl. für Beispiele zu den einzelnen Zubehörkategorien P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564, 573 f. 313 So die Interpretation der Honda-Entscheidung durch Kullmann, BB 1987, 1957, 1958. 314 BGH BB 1987, 717, 719. Kullmann, BB 1987, 1957, 1958. 315 BB 1987, 717, 719 -"Honda". Kullmann, BB 1987, 1957, 1958f. 316 BGHZ 99,167 = NJW 1987,1009 = BB 1987, 717 mit Anm. Schmidt-Salzer = VersR 1987, 312 = DAR 1987, 78.
Produktbeobachtung
237
diese Drittprodukte schlechthin oder in anderen Verwendungen und Kombinationen erstrecken soll. Die Gefährlichkeit muß sich vielmehr gerade aus der K o m bination mit den Produkten des (Motorrad)Herstellers ergeben. 317 Die Produktbeobachtungspflicht bleibt somit auf Gefahren begrenzt, die zumindest auch vom Produkt des Pflichtigen herrühren und von ihm durch dessen Inverkehrbringen gesetzt worden sind. 318
(2)
Konkurrenzprodukte
Der Hersteller muß aber auch Konkurrenzprodukte beobachten, um feststellen zu können, wie diese versuchen, die Produktgefahren zu verringern oder zu vermeiden, und dies bei der eigenen Konstruktion berücksichtigen. 319 Er kann sich nicht darauf berufen, daß auch eine Reihe seiner Konkurrenten Produkte mit denselben gefährlichen Eigenschaften in Verkehr gebracht haben, wenn ihm hätte bekannt sein müssen, daß Hersteller mit längerer Erfahrung ihre Konstruktion längst verbessert hatten. 320 Eine Verantwortung des Warenherstellers für Gefahren von Substitutionsprodukten hat der B G H jedoch ausdrücklich abgelehnt. Ein Hersteller von Kindertee sei verantwortlich nur für Gefahren, die von seinem Produkt ausgehen; soweit der Schaden auf Substitutionsprodukte zurückzuführen sei, die etwa abwechselnd mit seinem Produkt verwendet wurden, sei ihm dies nicht zuzurechnen. 321
dd) Organisation der
Produktbeobachtung
Auf der organisatorischen Ebene 322 wird verlangt, daß der Hersteller dafür Sorge trägt, daß Schadensinformationen, die bei Händlern oder Werkstätten eingehen, in effizienter Weise an ihn weitergeleitet und ausgewertet werden. 323 Der Hersteller ist daher verpflichtet, eine Organisation zu schaffen, um Daten aus Gewährleistungs-, Beanstandungs- und Schadensfällen erfassen und systematisch auswerten zu können und gegebenenfalls die sich aus der Analyse ergebenden
Kunz, B B 1994, 450, 451; Birkmann, D A R 1990, 124, 128. Kunz, B B 1 9 9 4 , 4 5 0 , 4 5 1 . 319 Veltins, in: K u l l m a n n / P f i s t e r , K z a 4310, S. 19. 320 B G H N J W 1 9 9 0 , 9 0 6 , 9 0 8 = B B 1989,2429,2431 = VersR 1989,1307,1308 - „ P f e r d e b o x " . D a s O L G S a a r b r ü c k e n , N J W - R R 1993, 990, 991 hat j e d o c h aus der Tatsache, „ d a ß zahlreiche u n d n a m h a f t e Waffenhersteller erwiesenermaßen bei ihren W a f f e n das gleiche S i c h e r u n g s s y s t e m v e r w e n d e n wie die B e k l a g t e bei der U n f a l l w a f f e " , g e s c h l o s s e n , daß kein K o n s t r u k t i o n s f e h l e r vorliege, weil es d e n G e s e t z e n des M a r k t e s w i d e r s p r e c h e n w ü r d e u n d nicht nachvollziehbar w ä re, w e n n in einem solchen U m f a n g gegen eine a b w e i c h e n d e B e n u t z e r e r w a r t u n g p r o d u z i e r t w ü r de. 3 2 1 B G H Z I P 1994, 374, 378 - „ K i n d e r t e e I I " . 3 2 2 A u s f ü h r l i c h z u r o p t i m a l e n O r g a n i s a t i o n der P r o d u k t b e o b a c h t u n g Hauschka, A G 1988, 29. 3 2 3 B G H B B 1 9 7 0 , 1 4 1 4 , 1 4 1 5 - „ B r e m s e n " ; Sack, B B 1985, 813, 816 m . w . N . ; Anhalt, Teil09/ 4.6 S. 3(5). 317 318
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
Maßnahmen zu veranlassen. 324 Diese Informationen müssen zusammengeführt, koordiniert und schnell und kompetent verarbeitet werden, um daraus unverzüglich die richtigen Konsequenzen für eventuell notwendige Gefahrabwendungsmaßnahmen ziehen und diese durchsetzen zu können. Insgesamt sind die Darstellungen in der Literatur zur Organisation der Produktbeobachtung eher Beschreibungen eines Idealzustands, der - wenn überhaupt - nur von wenigen Großkonzernen erreicht werden könnte. 3 2 5 Die Rechtsprechung hat noch nicht detailliert zu den Anforderungen an die Organisation der Produktbeobachtung und der Bewertung ihrer Ergebnisse Stellung beziehen müssen. Allerdings läßt sich aus der Benomyl-Entscheidung 3 2 6 ablesen, daß nicht nur der Umfang der Produktbeobachtungsmaßnahmen, sondern wohl auch die organisatorischen Anforderungen bei weltumspannenden Konzernen andere und höhere sein werden als bei Klein- und Mittelbetrieben. 3 2 7
ee) Zeitliche Grenze der
Produktbeobachtung
Bei den zeitlichen Grenzen der Produktbeobachtungspflicht ist ebenfalls auf den Einzelfall abzustellen. 328 Dabei dürfte sich bei den meisten Produkten mit der Dauer ihrer Marktpräsenz und ihrer problemlosen Benutzung eine Verringerung der Intensität der Produktbeobachtungsmaßnahmen ergeben. 329 Andere Produkte jedoch, bei denen typischerweise mit möglichen Spätschäden zu rechnen ist, wie z.B. Arzneimittel oder Asbestprodukte 3 3 0 , bedürfen nichtnachlassender Aufmerksamkeit. 331 Auch ist der Hersteller stets verpflichtet, ein Auge auf Risiken 324 Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S. 6; B G H B B 1970,1414 - „Bremsen"; B G H Z 80, 199 - „Benomyl"; B G H BB 1987, 717, 719 m. Anm. Schmidt-Saher, S.721 = W M 1987, 176, 177f. - „Honda". Hollmann, P H I 1990, 38, 39f., gibt für die Praxis der Automobilindustrie als regelmäßig genutzte Informationsquellen an: Kundenberichte und -beschwerden, Händlerberichte, Berichte des herstellereigenen Kundendienstes, Erkenntnisse aus der Gewährleistungsabwicklung, Beobachtung des Ersatzteileumsatzes, Erkenntnisse aus der Produktentwicklung (z.B. Tests an laufenden Modellreihen), Erkenntnisse aus der Produktion, Informationen von dritter Seite (Kraftfahrtbundesamt, A D A C ) , Informationen von Zulieferern, Erkenntnisse aus der Auswertung von Fachliteratur sowie der Beobachtung des Wettbewerbs. 3 2 5 S. vor allem Hauschka, A G 1988, 29. 3 2 6 B G H Z 80, 199 = N J W 1981, 1606 = BB 1981, 1040 = VersR 1981, 636 = M D R 1981, 744. 3 2 7 So auch Birkmann, D A R 1990, 124, 127. 3 2 8 S. dazu Borer, S.65f.; Brüggemeier, W M 1982, 1294, 1301; Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S. 19. 3 2 9 Jedoch nicht eine Reduzierung auf Null. So auch Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 84. A.A. Pauli, P H I 1985, 134, 139; L G Frankfurt N J W 1977, 1108 - „Arzneimittel"; Teil09/4.6 S.5. 330 Kulimann, BauR 1993, 153, 156. 331 Solche Langzeitschäden wurden z.B. bei dem Röntgen-Kontrastmittel „Thorotrast" erst nach 12 bis 15 Jahren entdeckt, B G H , VersR 1961, 810; Vgl. auch den extremen Fall des Mittels DES, welches Schwangeren zur Vermeidung von Fehlgeburten verabreicht wurde, bei deren Töchtern jedoch nach 18 bis 20 Jahren zu einer bestimmten Krebsart führte. Zu den sich aus solchen Langzeitschäden ergebenden Haftungsproblemen s. Bodewig, AcP 185 (1985) 555.
Produktbeobachtung
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der Dauerbenutzung durch Verschleißerscheinungen und auf Gefahren, die nach dem neuesten Stand der Technik vermeidbar sind, zu haben. 3 3 2 D i e P r o d u k t b e o b achtungspflicht kann unter diesen Umständen auch nicht mit der Produktionseinstellung enden; sie besteht vielmehr zumindest weiter, solange die in Verkehr gebrachten Produkte noch benutzt werden. D a sich Langzeitwirkungen typischerweise gerade erst nach Benutzungseinstellung zeigen können, kann auch dies keine absolute G r e n z e darstellen. Bei Produkten, bei denen mit solchen W i r kungen allein oder in der Kumulation mit anderen Produkten nach der Erfahrung zu rechnen ist (Arzneimittel, chemische Holzschutzmittel, Lacke, Reinigungsmittel, Pflanzenschutzmittel etc.) m u ß die Produktbeobachtung durch Auswertung von Kundenbeschwerden, wissenschaftlicher Literatur etc. auch über die Benutzungsdauer hinaus fortgesetzt werden, um den Betroffenen bei Entdekkung einer Gefahr oder Schädigung rechtzeitige Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.
b) Kriterien
zur Bestimmung
der Art und Intensität
von
Organisationspflichten U n t e r Organisationspflichten sollen hier die Pflichten verstanden werden, die - zeitlich an die Produktbeobachtungspflichten anknüpfend - sicherstellen sollen, daß die als notwendig oder sinnvoll erkannten Gefahrabwendungsmaßnahmen der Warnung, Reparatur, des Austauschs in möglichst wirksamer Weise umgesetzt werden können. 3 3 3 D a z u gehört es also, Vorkehrungen zu treffen, daß die konkret betroffenen Produktexemplare identifiziert und lokalisiert werden k ö n nen, daß die gefährdeten Benutzer von Warnungen oder Rückrufaufrufen tatsächlich und prompt erreicht werden können 3 3 4 und daß die logistischen Voraussetzungen für die Durchführung einer Reparatur- oder Austauschaktion (Information der Händler und Vertragswerkstätten; Sicherstellung, daß diese die versprochene Rückrufleistung erbringen; Bereitstellung von Ersatzteilen oder Austauschprodukten etc.) geschaffen wurden. A u c h hierzu hat die Rechtsprechung noch nicht detailliert Stellung genommen, doch werden an Großunternehmen andere Anforderungen gestellt werden als an Klein- und Mittelbetriebe. 3 3 5 A u f die Darstellung der wünschenswerten Organisation in dieser Hinsicht darf verwiesen werden. 3 3 6
332
333
MünchKomm/Mertens,
§ 823 Rdnr. 289.
Pauli, PHI 1985, 134, 140.
3 3 4 Der Automobilindustrie kommt hier das Registriersystem des Kraftfahrtbundesamtes entgegen, aus dem Namen und Anschriften der Halter erfragt werden können, um sie direkt anzu-
sprechen; Hollmann, PHI 1990, 38, 40. 335 Birkmann, DAR 1990, 124, 127. 336 S. Hauschka, AG 1988, 29.
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2. Konkretisierung
Deutschland
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der eigentlichen
a) Verhältnis der Pflichten
Verschuldenshaftung
Rückrufpflichten
zueinander
Die hier zu besprechenden Maßnahmen sind die „eigentlichen" Gefahrbeseitigungsmaßnahmen, d.h. die Maßnahmen in Erfüllung der Reaktionspflichten, die der Hersteller ergreifen muß, wenn im Rahmen der Produktbeobachtung ein gefahrbegründender Fehler entdeckt worden ist. 337 Allerdings löst nicht jede noch so kleine Gefahr eine Pflicht zur Warnung der Verbraucher oder zu sonstigen Rückrufmaßnahmen aus. Führt der Fehler nur zu kleinen Unannehmlichkeiten für den Benutzer, so kann eine pflichtgemäße Bewertung durchaus ergeben, daß die Zumutbarkeitsgrenze für den Hersteller nicht erreicht wird und Maßnahmen völlig unterbleiben können. 3 3 8 Kriterien für die Entscheidung, ob eine Rückrufmaßnahme zu ergreifen ist und wie sie konkret auszusehen hat, sind - wie oben ausführlich dargestellt - die Größe der Gefahr, d.h. die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung und die Häufigkeit und Schwere der resultierenden Rechtsgutverletzungen auf der einen Seite sowie die Kosten und Nachteile einer solchen Aktion für den Hersteller wie auch die Wahrscheinlichkeit der Gefahrbeseitigung auf der anderen Seite. 339 Diese Kriterien sind obj ektiv, d.h. unabhängig von der Einschätzung durch den j eweiligen Hersteller. 340 Das gilt insbesondere für Image- und Kosten-Gesichtspunkte, die vom Hersteller leicht für ausschlaggebend gehalten werden. Solche finanziellen Überlegungen und Nachteile für den guten Ruf des Herstellers dürfen j edoch die Abwendung von Gefahren für Leib und Leben der Benutzer nicht verhindern. 341 Sie können allenfalls dann eine entscheidende Rolle spielen, wenn der Hersteller zwischen zwei gleichermaßen geeigneten Gefahrabwendungsmaßnahmen wählen kann. Wie unterschiedlich die Ergebnisse einer unternehmerischen Kosten-NutzenAbwägung ausfallen können, zeigen Beispiele aus der Praxis. Während z.B. die Fa. Vaillant bei defekten Heißwasserboilern großzügig den Umtausch der betroffenen Modelle gegen neue und daher oft sogar qualitativ bessere anbot, weil sich nach Einschätzung des Unternehmens die Imageschäden aufgrund einer bloßen Warnung vor den Fehlern durch die gezeigte Generosität wieder wettmachen ließen 3 4 2 , hat sich der amerikanische Autohersteller Ford bei seinem Modell Ford 3 3 7 Insofern ungenau Herrmann/Fingerhut, B B 1990, 725,726, für die sich die Pflicht zu schadensverhütenden Maßnahmen aus der Produktbeobachtungspflicht ergibt. 3 3 8 Auch ein vager Verdacht einer Fehlerhaftigkeit oder Gefährlichkeit soll noch nicht ausreichen, wohl aber, wenn er durch konkrete Tatsachen erhärtet ist. Anhalt, Teil 09/4.6 S. 6. 3 3 9 Zur Verhältnismäßigkeit von Gefahren und Aufwand s. Schmidt-Salzer, B B 1981, 1041, 1044; Löwe, D A R 1978, 288, 291; Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 87; Anhalt, Teil 09/4.6, S. 7f. 340 Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1515, S.8. 341 B G H N J W 1972, 2217 - „Estil"; Sack, D A R 1983, 1. Gegen die Berücksichtigung finanzieller Erwägungen bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Durchführung erforderlicher Gefahrabwendungsmaßnahmen Hollmann, P H I 1990, 38, 41. 342 Der Fall wird geschildert bei Wischermann, Produzentenhaftung und Risikobewältigung, 1991, S. 181 f. Löwe war bereits 1978 der Ansicht, daß es einem Hersteller weniger schadet, wenn er in Wahrnehmung seiner Verantwortung eine Rückrufaktion durchführt als wenn er aus Rück-
Rückrufpflichten - Allgemein
241
Pinto zunächst gegen Rückrufe entschieden, nachdem er errechnet hatte, daß die Durchführung einer Rückrufaktion weitaus teurer werden würde als die zu erwartenden Schadensersatzzahlungen für Todes- und Verletzungsfälle. 343 N a c h allgemeinen Erfahrungssätzen kann man jedoch davon ausgehen, daß bloße Informations- oder Warnaktionen zwar mit den geringsten Kosten verbunden sind, aber auch die Gefahr mit geringerer W a h r s c h e i n l i c h k e i t beseitigen. Es gilt deshalb der Grundsatz, daß Warnungen nur dann zur Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten ausreichen, wenn eine andere F o r m der Sicherung in Anbetracht der Umstände unmöglich oder unzumutbar ist, wenn die Warnung mit der gebotenen Deutlichkeit erfolgt und auf die konkrete Gefahrenlage in einer Weise aufmerksam macht, daß sich der Adressat der Warnung darauf einstellen kann, und wenn trotz des allgemeinen Erfahrungssatzes, daß warnende H i n weise vielfach mißachtet werden, nach Lage der Dinge zu erwarten ist, daß sie ihren Z w e c k nicht verfehlen. 344 Die mögliche Nichtbeachtung der Warnung kann insbesondere dann eine Rolle spielen, wenn von dem Produkt auch erhebliche Gefahren für unbeteiligte Dritte ausgehen; dann können weitergehende R ü c k r u f maßnahmen erforderlich sein. Nachbesserung und Austausch defekter Produkte beseitigen zwar die Gefahr am sichersten 3 4 5 , sind aber auch am aufwendigsten für Hersteller und Besitzer. D a auch hierbei der Erfolg der A k t i o n wesentlich von der Beteiligung der Besitzer oder Benutzer abhängt, kann die Regelung der Kostentragung eine wesentliche Rolle spielen. 346 Ein für den Eigentümer kostenloser Austausch - womöglich gegen ein neueres Modell - ist wahrscheinlich erfolgreicher als eine Reparatur auf seine Kosten. In der Praxis haben solche direkten Aktionen auch Warnfunktion, weil in der Folge auch diejenigen, die sich letztlich an der A k t i o n nicht beteiligen, über den Fehler informiert werden und eigene Gefahrvermeidungsmaßnahmen treffen können. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise so. Insbesondere aus der A u t o mobilindustrie sind sogenannte „stille R ü c k r u f e " bekannt, bei denen die Werkstätten aufgefordert werden, die Fehler stillschweigend bei einem sonstigen Werkstattbesuch zu beseitigen. A u f diese Weise hofft man, die Gefahr ohne Imageverlust beseitigen zu können. 3 4 7
sieht auf die Kosten und den guten Ruf nichts tut. DAR 1978, 288, 289. So auch der Praktiker Diercks, Produktrückruf: Planen statt zittern, Absatzwirtschaft 1977, Heft 10, 80. 343 Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320, 323. 344 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 203. 345 Aus der deutschen Automobilindustrie werden Rücklaufquoten von in der Regel über 80% berichtet, die aufgrund der intensiven Nachfaßmaßnahmen nicht selten gegen 100% tendieren; s. Hollmann, in: 28. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1990, S.222ff., 242. 346 In den USA hat in einem Fall General Motors 625000 Autos des Modells „Corvair" wegen einer defekten Heizung zurückgerufen, sich aber geweigert, die Reparaturkosten von 200 $ zu übernehmen. Nur 7,6% der Eigentümer ließen daraufhin ihr Fahrzeug reparieren. (Angaben bei T. Schwanz/Adler, 34 Case Western Reserve L. Rev. 401 (1984), S.405) 347 Pieper, BB 1991, 985, 986.
242
Deutschland -
b) Schwelle für die Notwendigkeit
Verschuldenshaftung
von
Gefahrabwendungsmaßnahmen
Eines der häufigsten Probleme bei der rechtlichen Einordnung des Unterlassens von Gefahrabwendungsmaßnahmen ist die Frage, von welchem Zeitpunkt an bzw. von welchem Grad der Sicherheit der Gefahrkenntnis an der Hersteller solche Maßnahmen ergreifen muß. In der Regel ist die nachträgliche Kenntniserlangung von dem gefährlichen Produktfehler und seinen möglichen Auswirkungen auf die Rechtsgüter der Benutzer und Dritter kein schlagartiger Erkenntnisblitz 3 4 8 , in dem sich mit einem Mal Klarheit über die bisher unbekannten Tatsachen einstellt, sondern ein stufenweiser Vorgang, bei dem zunächst vage und vereinzelte Verdachtsmomente aus möglicherweise wenig zuverlässiger Quelle auftauchen und gleichzeitig häufig widersprüchliche Ansichten in der Wissenschaft bestehen; die Verdachtsmomente verdichten sich langsam, die Tatsachen beginnen sich zu einem Bild zu fügen, ihre wissenschaftliche Einordnung und Erklärung wird deutlicher und überzeugender, bis sich im Idealfall alle Zweifel lichten und eine eindeutige Kausalkette von der Produktgefahr zu bestimmten R e c h t s gutverletzungen nachgewiesen werden kann. Diese letzte Klarheit wird sich jedoch in vielen Fällen nie einstellen bzw. man wird sie nicht abwarten können, so daß die Entscheidung über die Vornahme von Gefahrabwendungsmaßnahmen immer im Angesicht von Unsicherheit über die tatsächlichen Zusammenhänge und Geschehensabläufe getroffen werden muß. E s fragt sich dann, bei welchem G r a d von relativer Erkenntnissicherheit, bei welchem Grad der Verdichtung des ursprünglichen Verdachts die Schwelle hegt, von der ab dem Hersteller eine Handlungspflicht zur Abwendung der Produktgefahren auferlegt werden kann. Es leuchtet unmittelbar ein, daß nicht jeder einzelne Schadensfall mit noch weitgehend ungeklärter Ursache, nicht jeder in den Medien oder einer wissenschaftlichen Zeitschrift geäußerte Verdacht dazu ausreichen kann. 3 4 9 D e r Hersteller m u ß zwar nicht jeder denkbaren Gefahr vorbeugen, aber bei ernstzunehmenden H i n weisen auf vorliegende Produktfehler und die Gefahr von Personen- oder Sachschäden kann auch nicht immer abgewartet werden, ob solche Schäden tatsächlich eintreten und bekannt werden. 3 5 0 A u c h diese Schwelle kann nicht abstrakt und für alle Fälle gleich bestimmt werden. 351 Eine allgemeingültige Festlegung ist unmöglich. 3 5 2 Eine Warnung oder anSchmidt-Salzer, in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.219ff., 222. Sehr illustrativ dazu die von Kullmann, BauR 1993, 153, S. 156 zusammengestellten Entscheidungen zum Fall des Holzschutzmittels Lindan, das bereits Ende der siebziger Jahre verdächtigt wurde, Krebs und aplastische Anämie zu verursachen. 1982 berichtete die Illustrierte „Stern" darüber, aber erst 1984 wurde die Verwendung von Lindan für unzulässig erklärt, nachdem kurz vorher das Bundesgesundheitsamt noch der Ansicht war, der Verdacht sei nicht begründet. So haben denn das L G Traunstein für die Situation in 1979 (VuR 1988,168) und das L G Siegen für 1982 (VuR 1988,162) die Verwendung von Lindan nicht beanstandet, das L G Ansbach für 1984 dem Hersteller jedoch vorgeworfen, daß er die Gefährlichkeit von Lindan hätte kennen müssen (VuR 1990, 35). 350 B G H , B B 1981, 1045, 1046 - „Derosal". 351 B G H BB 1981, 1045, 1046 - „Derosal". 352 Der B G H hat dies auch nicht versucht. Schmidt-Salzer, BB 1981,1041,1042 versucht des348
349
Rückrufpflichten
-
Allgemein
243
dere R ü c k r u f a k t i o n e n w e r d e n u m s o e h e r n o t w e n d i g sein, j e h ö h e r w e r t i g e r das g e f ä h r d e t e R e c h t s g u t ist, j e s c h w e r e r die zu b e f ü r c h t e n d e n S c h ä d i g u n g e n sind, j e h ö h e r die E i n t r i t t s w a h r s c h e i n l i c h k e i t u n d j e g r ö ß e r die Z a h l der b e t r o f f e n e n P e r s o n e n ist, i n s g e s a m t also j e k a t a s t r o p h a l e r die m ö g l i c h e n F o l g e n sind 3 5 3 . B e i d r o h e n d e r L e b e n s g e f a h r , bei m ö g l i c h e n G e s u n d h e i t s - u n d K ö r p e r s c h ä d e n m ü s s e n die V e r b r a u c h e r u . U . bereits bei e i n e m e r n s t z u n e h m e n d e n V e r d a c h t i n f o r m i e r t w e r d e n , w ä h r e n d m a n bei S a c h s c h ä d e n e h e r z u w a r t e n k a n n , bis sich der V e r d a c h t a u f g r u n d v o n U n t e r s u c h u n g e n k o n k r e t i s i e r t hat. 3 5 4 E s ist d e s h a l b d u r c h a u s d e n k bar, d a ß ein H e r s t e l l e r in e i n e m relativ f r ü h e n Z e i t p u n k t die V e r b r a u c h e r ü b e r die G e f a h r a u f k l ä r e n m u ß u n d d a n n n a c h e n t s p r e c h e n d e r K l ä r u n g der S a c h l a g e w e i tere R ü c k r u f m a ß n a h m e n v o r n e h m e n m u ß . D i e s e L a g e k a n n sich a u c h dann e r g e b e n , w e n n eine W a r n u n g relativ schnell als v o r l ä u f i g e M a ß n a h m e v o r g e n o m m e n w e r d e n k a n n , u m d e n V e r b r a u c h e r n s c h o n f r ü h e i n e n gewissen S e l b s t s c h u t z z u e r m ö g l i c h e n 3 5 5 , bis die t a t s ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h ä n g e b e s s e r geklärt w u r d e n o d e r die l o g i s t i s c h e n V o r a u s s e t z u n g e n f ü r eine R e p a r a t u r m a ß n a h m e g e s c h a f f e n w u r den. 3 5 6
halb seine eigene, allerdings nur wenig genauere Konkretisierung: „Im Rahmen der Produktbeobachtungshaftung entstehen Gefahrabwendungspflichten dann, wenn nach Lage der Dinge ernsthaft zu befürchten ist, daß Personen und/oder Sachschäden eintreten können. Im Rahmen der Produktbeobachtungshaftung setzen Gefahrabwendungspflichten des Herstellers also eine ausreichende sachliche Konkretisierung der Gefahr und weiterhin eine ausreichende sachliche Konkretisierung der nach Art, Umfang, Zeit, Ort usw. erforderlichen Abwendungsmaßnahmen voraus." Dem kann ohne weiteres zugestimmt werden, doch wird gerade nicht festgelegt, wann eine „ausreichende sachliche Konkretisierung der Gefahr" vorliegt. Diese Konkretisierung der Gefahr und der Abwendungsmaßnahmen kann im übrigen gerade durch Maßnahmen des Herstellers selbst gefördert werden, weshalb der B G H im Honda-Fall, B G H B B 1987, 717, 719 dem Hersteller Prüfungspflichten auferlegte, um zu dieser Klärung beizutragen. 353 Birkmann, D A R 1990, 124, 127. 354 B G H Z 80,186,192 - „Derosal"; Sack, BB 1985, 813, 817; ders., D A R 1983,1; Produkthaftungshandbuch/Bd. UFoerste, §24 Rdnr. 247; Pauli, PHI 1985, 134, 141; Kulimann, BauR 1993, 153, 156. In den Gewindeschneidemittel-Fällen B G H , ZIP 1994,213 (I) und B G H , VersR 1995,348 (II) reichte ein Verdacht auf Sachschäden aus, um eine Warnpflicht auszulösen. 355 Produkthaftungshandbuch/Bd. UFoerste, §24 Rdnr. 250, wonach eine Warnung bei Kraftfahrzeugen auch dann schon erforderlich sein kann, wenn 20 bis 30 Gefahrsituationen bekannt wurden, die auf die gleiche Gefahrenquelle hinweisen, der Fehler jedoch noch nicht genau lokalisierbar, technisch erklärbar oder behebbar ist. 3 5 6 S. die Begründung des Autohersteilers Opel für den angeblich verspäteten Rückrufaufruf wegen der Möglichkeit von Verpuffungen bei seinem Automodell „Astra". Die Entdeckung der genauen Fehlerursache, die Entwicklung einer Abhilfemöglichkeit und die Herstellung, Beschaffung und der Vertrieb der dazu notwendigen Ersatzteile an die Werkstätten hätten soviel Zeit in Anspruch genommen, daß der Rückruf früher nicht möglich gewesen wäre; (s. Anzeige in der Süddeutsche Zeitung v. 27. Feb. 1995, S. 9). Wahrscheinlich hätte es dem Image des Herstellers weniger geschadet, wenn bereits frühzeitig eine Warnung ausgesprochen und auf diese Zusammenhänge hingewiesen worden wäre.
244
c) Informations-
Deutschland
und
-
Verschuldenshaftung
Warnpflichten3,7
Im folgenden soll untersucht werden, wann dem Hersteller, Quasi-Hersteller, Importeur, Vertriebshändler etc. gegenüber ihren Abnehmern, den Benutzern des Produktes oder Dritten eine Warnpflicht oder darüber hinausgehende Informationspflicht obliegt und unter welchen Umständen sie es bei solchen Maßnahmen, welche die direkte Abwendung der Gefahr den Betroffenen überlassen, bewenden lassen können. Dabei ist eine Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit der Maßnahmen vorzunehmen. Ferner kann davon ausgegangen werden, daß Warnungen in der Regel die den Pflichtigen am wenigsten belastende Maßnahme und somit den geringstmöglichen Eingriff darstellen. Außerdem haben die weitergehenden Rückrufpflichten zur Reparatur, zum Austausch etc. in der Regel auch Warnwirkung. Wenn somit ein Uberschreiten der Schwelle, von der ab überhaupt nachträgliche Gefahrabwendungsmaßnahmen getroffen werden müssen, konstatiert wird, ist zumindest eine Warnung erforderlich. 358
aa) Gründe für Nichtbestehen (1) Unmöglichkeit
von
'Warnpflichten
einer Warnung
Es bedarf keiner näheren Begründung, daß eine Warnaktion vom Hersteller dann nicht verlangt werden kann, wenn die Betroffenen gar nicht erreicht werden könnten. Allerdings ist eine solche Situation in der heutigen Informationsgesellschaft mit ihren allgegenwärtigen Informationsmedien kaum vorstellbar. 359 Selbst wenn dem Hersteller die Namen und Adressen der Betroffenen nicht zugänglich sein sollten, um sie direkt ansprechen zu können, steht ihm immer der Weg einer Warnung über die Massenmedien zur Verfügung. Dadurch wird er zwar kaum jemals alle, bei sachgemäßer Streuung aber regelmäßig einen ganz erheblichen Teil der Adressaten erreichen können. Tatsächlich unmöglich wird eine Warnung deshalb wohl nie sein. Allerdings ist denkbar, daß unter den besonderen Umständen des Einzelfalls trotz aller Bemühungen nur relativ wenige der Betroffenen über die Gefahr informiert werden können. Ob auch in diesem Fall, insbesondere wenn die Kosten sehr hoch sind, dem Hersteller eine solche Warnaktion aufgege357 S. ausführlich zu nachträglichen Hinweis- und Warnpflichten, Produkthaftungshandhuch/BdA/Foerste, §24 Rdnr. 242ff. Insbesondere zur Beweisproblematik s. Tiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff. 358 Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 87 bezeichnen die Warnung als die geringste Reaktion, die notwendig ist, wenn der Hersteller im Rahmen seiner Produktbeobachtung entdeckt, daß das Produkt nicht nur unerhebliche Risiken für Leib und Leben anderer oder für Sachen von nicht unerheblichem Wert birgt. 359 Außerdem hat der Hersteller im Rahmen seiner Organisations- und Produktbeobachtungspflichten im Rahmen des Zumutbaren Sorge dafür zu tragen, daß er seine Endabnehmer in Fällen des Rückrufs erreichen kann.
Rückrufpflichten
-
Warnpflichten
245
ben werden kann, ist aber nicht eine Frage der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, sondern der Zumutbarkeit. 360
(2) Fehlende
Geeignetheit
Aus dem Ziel von Warnungen als Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren ergibt sich, daß sie nur dann notwendig sein können, wenn eine Gefahr (noch) besteht. Warnungen sind deshalb nicht mehr zur Gefahrabwendung geeignet, wenn die Gefahr sich bereits verwirklicht hat und eine Wiederholung nicht droht. Der Hersteller von Milchprodukten mit einer Haltbarkeit von einer Woche, der nach zwei Wochen erfährt, daß eine bestimmte Charge durch die Fehlfunktion eines bereits reparierten Gerätes verunreinigt wurde und zu Unwohlsein nach dem Verzehr führte, muß vor dem Genuß nicht mehr warnen, da auch eine Wiederholung nicht droht. Allerdings kann dies nur gelten, wenn die durch das betreffende Produkt ausgelösten Schadensereignisse völlig abgeschlossen sind. Es geht nämlich bei der Pflicht zur Abwendung einer Gefahr nicht nur um die Verhinderung der Gefahrverwirklichung, d.h. des Eintritts des schädigenden Ereignisses, sondern auch um die Beendigung einer Dauerstörung und die Verringerung oder Verhinderung von Schadensfolgen. Hat deshalb z.B. das Tragen von Kleidung durch darin enthaltene, Allergien auslösende Fasern zu Gesundheitsbeeinträchtigungen geführt, die noch andauern oder wegen fehlender Ursachenkenntnis noch nicht behandelt werden können, ist eine Warnung weiterhin zur Gefahrabwendung geeignet, selbst wenn der Hersteller Produktion und Vertrieb der Kleidungsstücke bereits eingestellt haben sollte. Zwar kann der Eintritt der bereits vorliegenden Schädigungen dadurch nicht rückgängig gemacht werden und neue (Erst)Schädigungen sind auch ohne Warnung nicht zu befürchten. Die weiterbestehende Störung kann jedoch beendet, die Heilung beschleunigt werden. Gleiches gilt bei abgeschlossenen Eingriffen in Rechtsgüter, deren Folgen jedoch durch eine Warnung verringert werden könnten. Dies ist z.B. bei strahlenverseuchten oder schadstoffhaltigen Lebensmitteln oder anderen Produkten der Fall, die für sich genommen nur geringfügige Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorrufen, im Zusammenwirken mit anderen jedoch zu ernsthaften Schädigungen führen können. Hier kann die Gefahr einer gefährlichen Kumulation der Kontaminierung durch nachträgliche Hinweise auf den Schadstoffgehalt der ersteren Produkte verringert werden, da der Verbraucher dadurch in die Lage versetzt wird, eine Uberbelastung durch bewußte Konsumentscheidungen in der Zukunft zu vermeiden. Zweifel an der Eignung einer Warnung als Mittel zur Abwendung der Gefahr können auch darin begründet sein, daß Warnungen, selbst wenn sie ihre Adressaten erreichen, nicht immer befolgt werden. Eine zu erwartende niedrige Erfolgsquote einer Warnung kann aber nicht dazu führen, daß dann jede Gefahrabwendungsmaßnahme (als ungeeignet) unterbleiben kann, 360
S. dazu unten (6).
246
Deutschland,
-
Verschuldenshaftung
sondern nur dazu, daß dann weitergehende Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Gleiches gilt, wenn eine Warnung vor dem Bestehen einer Gefahr deshalb nicht erfolgreich sein kann, weil der Verbraucher keine Möglichkeit hat, sich vor ihrer Verwirklichung zu schützen. So wäre eine Warnung der Verbraucher davor, daß defekte Limonadenflaschen nicht immer zuverlässig ausgesondert werden (können) und deshalb die Gefahr von Explosionen besteht, sinnlos, da der Verbraucher die gefährlichen Flaschen nicht erkennen könnte. 3 6 1 Auch hier ist aus der Unmöglichkeit einer erfolgreichen Warnung nicht auf die Überflüssigkeit anderweitiger Gefahrabwendungsmaßnahmen zu schließen.
(3) Kenntnis der Betroffenen Im Zusammenhang mit der Haftung für Instruktionsfehler ist allgemein anerkannt, daß beim Inverkehrbringen eines Produkts auf offensichtliche oder dem zu erwartenden Benutzerkreis bekannte Gefahren eines Produktes nicht hingewiesen werden muß. 3 6 2 Fraglich ist jedoch, welche Folgerungen man daraus für die Notwendigkeit bzw. die Nicht-Erforderlichkeit nachträglicher Warnungen ziehen kann. Dabei wird man zwischen den zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens bereits bekannten Gefahren (und damit möglicherweise ursprünglichen Instruktionsfehlern) und den zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Gefahren (Entwicklungsrisiken) unterscheiden müssen. Soweit eine Gefahr vorliegt, auf die der Hersteller wegen ihrer allgemeinen Bekanntheit vor oder bei Inverkehrbringen nicht hinweisen mußte, kann ihm diesbezüglich auch keine nachträgliche Warnpflicht obliegen. 363 Allenfalls neue Erkenntnisse über den Grad der Gefährlichkeit der Eigenschaft könnten zum Ausgleich eines Wissensrückstandes des Verbrauchers und zur Ermöglichung eines selbstverantwortlichen Umgangs mit der Gefahr unter Berücksichtigung dieser neuen Kenntnisse Informationsmaßnahmen erfordern. 364 B G H Z 104, 323, 328f. - „Mehrweg-Limonadenflasche". Der Verbraucher könnte allerdings bereits erworbene Flaschen vorsichtshalber entsorgen und keine neuen kaufen. 362 S. statt aller Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3604, S. 10. Ferner B G H VersR 1986,653 - „Überrollbügel"; B G H VersR 1957, 584 - „Gelenkwellenschutz"; O L G Karlsruhe N J W - R R 1994, 798, 799 - „Kabelstrümpfe". In B G H N J W 1981, 2514, 2515 - „sniffing" differenziert der B G H die Aufklärungspflichten für ein bestimmtes Produkt nach Benutzerkreisen. Wird es nur als Kälte-oder Reinigungsmittel für den gewerblichen Gebrauch verkauft, gelten geringere Anforderungen an die Instruktionspflichten, weil die Benutzer mit entsprechender Sachkunde ausgestattet sind, als bei einer Zweckbestimmung als Haushaltsreinigungsmittel, mit dem Nichtfachleute und Kinder in Berührung kommen können. Dem Einwand, daß mit Lehrlingen auch im gewerblichen Bereich Unkundige mit dem Produkt in Berührung kommen, tritt das Gericht mit dem Argument entgegen, daß deren Warnung Sache der Ausbilder sei. 3 6 3 Da der Fehlerbegriff auf die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verbraucher abstellt, wären diese hier erfüllt; die Instruktionspflicht wurde nicht verletzt; Kullmann, in: Kullmann/ Pfister Kza 1520, S.39. 364 So ist z.B. anerkannt, daß der Verbraucher nur vor ihm bekannten Gefahren nicht gewarnt 361
Rückrufpflichten - Warnpflichten
247
Soweit ein ursprünglicher Instruktionsfehler vorlag, der Hersteller also auf eine Gefahr pflichtwidrig nicht hinwies, bleibt die Instruktionspflicht des Herstellers auch nach Inverkehrbringen bestehen. D i e nachträgliche Warnpflicht könnte nur dann entfallen, wenn die Betroffenen bereits auf andere Weise ein ausreichendes Wissen erlangten. Eine solche nach dem Inverkehrbringen einsetzende allgemeine Erweiterung der Gefahrkenntnis der Verbraucher, welche die Gefahr nachträglich allgemein bekannt und offensichtlich macht, ist allenfalls theoretisch denkbar. Selbst ausgedehnte Informationskampagnen des Staates, der Verbraucherverbände oder der Medien führen nicht zu einer so vollkommenen Verbreitung der Kenntnisse und zu einem so umfassenden Kenntnisstand der Betroffenen, daß deshalb eine einmal bestehende Warnpflicht des Herstellers als überflüssig wieder entfallen könnte. 3 6 5 Allerdings wendet der B G H hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kenntnis des Betroffenen einen individuellen Maßstab an. Zwar konstatiert er, daß zur B e urteilung des grundsätzlichen Bestehens einer Warnpflicht und der notwendigen Ausgestaltung der Warnung auf die am wenigsten informierte und damit gefährdetste Benutzergruppe abzustellen ist, doch „ k o m m t es für die Frage der Haftung gegenüber einem einzelnen Produktgeschädigten immer auf dessen spezielles G e fahrwissen an, also darauf, ob der Hersteller ihm gegenüber zu Warnhinweisen verpflichtet war." 3 6 6 Soweit der Einzelne also die Gefahr kannte, k o m m t er nicht mehr in den Schutzbereich der Instruktions- bzw. Warnpflicht, da er auch ohnedies die Möglichkeit eines selbstverantwortlichen Umgangs mit der Gefahr hatte. 367 Entwicklungsrisiken sind hingegen gerade dadurch gekennzeichnet, daß die Gefahr für Hersteller und Benutzer erst nach Inverkehrbringen des Produktes erkennbar wird. D a ferner in aller Regel die neue Kenntnis dem Hersteller eher zur Verfügung stehen wird (oder müßte) als dem Verbraucher, k o m m t ein Verzicht auf eine Warnpflicht wegen offensichtlicher Gefahrkenntnis der Verbraucher bei Entwicklungsrisiken nicht in Betracht.
werden muß. Bestehen daneben weitere, ihm unbekannte Gefahren, ist eine diesbezügliche Warnpflicht nicht ausgeschlossen; O L G Celle NJW-RR 1986, 5 - „Reinigungsmittel". Dies muß auch dann gelten, wenn nachträglich bisher unbekannte Gefahren entdeckt werden. 365 S. die Aufklärungskampagnen über die Gefahr der Kariesbildung bei Kleinkindern durch „Dauernuckeln", die dennoch eine Hinweispflicht der Hersteller des zuckerhaltigen Tees nicht entfallen ließen; B G H WM 1994, 466, 468 - „Kindertee II". 366 B G H WM 1994,466,469 - „Kindertee II" unter Hinweis auch auf B G H WM 1986,1563 „Verzinkungsspray" und B G H WM 1992, 1413 - „Silokipper". Ähnlich das O L G Düsseldorf NJW-RR 1991, 288, hinsichtlich der Notwendigkeit der Warnung eines Herstellers von Fertigverputz vor der ätzenden Wirkung frischen Betons gegenüber Laien, die zwar im konkreten Fall wegen Kenntnis des Geschädigten verneint, anderen Benutzergruppen gegenüber jedoch bejaht wurde. 367 Allerdings sind noch viele Probleme bei der Frage, wer die Beweislast für die einzelnen Komponenten der Frage trägt, ob eine Warnung in Anbetracht der Kenntnisse des Geschädigten als ausreichend anzusehen war oder nicht, noch nicht endgültig geklärt. Zu Beweisfragen s. unten IX.
248
(4)
Deutschland -
Verschuldenshaftung
Mißbräuche
Auch vor Gefahren, die aus einer mißbräuchlichen Benutzung des Produktes resultieren, welche mit dem eigentlichen Verwendungszweck des Produktes nichts mehr zu tun hat, m u ß nicht gewarnt werden 3 6 8 , anders jedoch bei einem naheliegenden Mißbrauch. 3 6 9 D a sich die Gebrauchsgewohnheiten der Verbraucher ändern, können aber neue Mißbräuche bekannt oder ehemals vereinzelte M i ß bräuche zur üblichen Praxis werden. So verhielt es sich bei der Benutzung technischer Lösungsmitteln durch Jugendliche zur Erreichung von Rauschzuständen, welches zur Modeerscheinung wurde. D e r B G H hat anerkannt, daß durch das Bekanntwerden einer solche Wandlung der Verbraucherpraxis Warnpflichten entstehen können 3 7 0 , wenn dies im zu entscheidenden Fall auch noch nicht gegeben war.
(5) Kein geschütztes Rechtsgut
bedroht
Gefahrabwendungsmaßnahmen und damit auch Warnungen als deren geringstbelastende Ausprägung sind dann nicht geboten, wenn der Produktfehler keines der durch § 8 2 3 Abs. 1 B G B geschützten Rechtsgüter bedroht. In diesen Fällen hat die Rechtsordnung das Risiko dem Gefährdeten zugeordnet; der Schädiger würde auch bei einer Verwirklichung des Risikos nicht haften. D i e wichtigsten hier zu behandelnden Fallgruppen sind die der Gefährdung bloß des P r o duktes selbst und die des D r o h e n s reiner Vermögensschäden.
(a) Nur Schäden am Produkt
selbst
Eine Gefährdung bloß des Produkts selbst liegt dann vor, wenn der Fehler zwar weitere Schäden verursachen kann, diese aber auf das Produkt selbst begrenzt sind. Man denke etwa an ein Schlauchboot, dessen G u m m i an einer K a m mer porös ist und das deshalb dem Eigentümer unwiederbringlich verloren geht. 371 In diesen Fällen liegt nach allgemeiner Meinung keine Eigentumsverletzung durch den Hersteller vor, da der Käufer ein von vornherein fehlerhaftes P r o dukt erwarb und ein deliktischer Anspruch auf fehlerfreie Produktion eines zu erwerbenden Gegenstandes nicht besteht. 3 7 2 Allgemein verneint wird deshalb auch eine deliktsrechtlich begründete nachträgliche Warn- oder gar Rückrufpflicht. H i e r soll die gewährleistungsrechtliche Wertung vorrangig sein. 373 D e m ist im Ergebnis zuzustimmen; doch ist gleichzeiBGH NJW 1981, 2514 = BB 1981, 1966 = VersR 1981, 957 - „sniffing". BGHZ 106, 273, 283 - „Asthma-Spray". 370 BGH NJW 1981, 2514, 2516 = BB 1981, 1966 = VersR 1981, 957 - „sniffing". 371 Beispiel von Kulimann, BB 1985, 409. 372 S. statt aller Kulimann, ebd.; Tiedtke, PHI 1990, 64. 373 So jedenfalls für einen Rückruf zur Beseitigung des Fehlers BGH VersR 1986,1125,1128„Milchkühlanlage"; Produkthaftungshandbuch/Hd. MFoerste, §24 Rdnr. 284 m.w.N. Allerdings bedarf es zur Begründung dieses Ergebnisses nicht der Berufung auf einen Konflikt 368
369
Rückrufpflichten - Warnpflichten
249
tig darauf hinzuweisen, daß diese Argumentation im Zusammenhang nachträglicher Warn- und Rückrufpflichten nur dann uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann, wenn die drohende Gefahr tatsächlich auf das Produkt selbst beschränkt ist. Im Fall des porösen Schlauchbootes etwa ist es nur ein glücklicher Zufall, wenn der Benutzer nur das B o o t , nicht jedoch auch andere Eigentumsgegenstände oder gar sein Leben verliert. Soweit aber diese weitergehende Gefahr besteht, kann auch eine Warn- oder weitergehende Pflicht nicht ausgeschlossen werden. H i n z u k o m m t , daß diese fest gefügte Ansicht zur fehlenden Eigentumsverletzung bei Schäden am fehlerhaften Produkt selbst durch die Rechtsprechung des B G H zu den „Weiterfresserschäden" eine bedeutsame Aufweichung erfahren hat. 374 Das Gericht stellt dabei entscheidend auf die „Stoffgleichheit" zwischen dem Schaden und dem von Anfang an bestehenden Mangel ab. N u r bei Stoffgleichheit liege keine Eigentumsverletzung vor. Diese soll aber dann nicht gegeben sein, „wenn ein Einzelteil einer aus mehreren Teilen bestehenden, wieder relativ einfach trennbaren Sache einen Fehler oder Mangel aufweist, und durch diesen Mangel andere Teile oder die Gesamtsache beschädigt werden, vor allem, wenn das fehlerhafte Teil auch als Ersatzteil hätte bezogen werden können." 3 7 5 In einem solchen Fall, wenn etwa durch die Fehlfunktion eines Schwimmschalters in einer Reinigungs- und Entfettungsanlage für Blechteile ein Brand die gesamte Anlage erheblich beschädigt 3 7 6 , liegt hinsichtlich der beschädigten, nicht fehlerhaften Teile des Produktes eine Eigentumsverletzung vor. Eine Warnpflicht in dieser Hinsicht scheidet deshalb auch hier nicht von vornherein aus 377 .
mit dem Gewährleistungsrecht. Wenn nämlich in einem solchen Fall mangels Verletzung eines geschützten Rechtsgutes (Eigentum an der bereits fehlerhaft erworbenen Sache) keine deliktsrechtlichen Ansprüche entstehen können, besteht bereits aus diesem Grund auch keine Pflicht zur Gefahrabwendung durch Warnung oder andere Rückrufmaßnahmen. 374 Ausgehend von der Entscheidung BGHZ 67,359 = NJW 1977, 379 - „Schwimmschalter". S. ausführlich zur Entwicklung, Begründung und Kritik wie Verteidigung dieser Rechtsprechung Kulimann, BB1985,409 mit den entsprechenden Hinweisen. Zustimmend auch K. Mayer, BB 1984, 568. Ablehnend Tiedtke, PHI 1990, 64 m.w.N. der ebenfalls kritischen Literatur. Diederichsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 31 glaubt, daß nach dem Inkrafttreten des PHG die Rechtsprechung zu den weiterfressenden Mängeln nicht aufrecht erhalten werden kann. 375 Kulimann, BB 1985, 409, 413. 376 BGHZ 67, 359 = NJW 1977, 379 - „Schwimmschalter"; oder wenn durch die Montage nicht geeigneter Hinterreifen ein Auto bei einem Unfall erheblich beschädigt wird (BGH NJW 1978, 2241 - „Hinterreifen") oder wenn der Gaszug eines Autos nicht einwandfrei funktioniert und dadurch das Fahrzeug bei zwei Gelegenheiten an Vorder- und Rückseite beschädigt wird (BGHZ 86, 256 - „Gaszug"). 377 So ausdrücklich für die weitergehende Rückrufpflicht zur Nachbesserung etc. K. Mayer, DB 1985, 319, 322. Ferner Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062, die aber unter Hinweis auf diese Rechtsprechung des BGH beim Drohen bloßer Sachschäden auch nur eine Warnpflicht, nicht jedoch weitergehende Rückrufpflichten für angemessen hält.
250
Deutschland -
(b) Nur
Verschuldenshaftung
Vermögensschäden
Eine Pflicht zum Rückruf soll auch dann von vornherein ausscheiden, wenn das durch den Fehler gefährdete Rechtsgut nur das Vermögen ist, da die Verkehrspflichten nur auf den Schutz der Rechtgüter des § 823 Abs. 1 BGB378 gerichtet seien und es deshalb bereits an der Verletzung einer Pflicht beim Inverkehrbringen fehle.379 Allerdings sind die Fälle von Produktfehlern, bei denen von vornherein nur Vermögensschäden zu erwarten sind, eher selten. Meist sind gleichzeitig auch andere, von § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgüter bedroht, so daß die Auferlegung einer Warnpflicht darauf gestützt werden könnte.380 Sind tatsächlich nur reine Vermögensschäden entstanden, kann sich der Geschädigte aber nicht auf die Verletzung einer zum Schutze anderer Rechtsgüter bestehenden Warnpflicht berufen, da sein Schaden vom Schutzzweck der Norm nicht abgedeckt ist. (6)
Unzumutbarkeit
Eine nachträgliche Warn- oder Informationspflicht kann auch dann entfallen, wenn sie zwar zur Gefahrabwendung geeignet und erforderlich wäre, dem Hersteller oder sonstigen Verpflichteten aber nicht zugemutet werden könnte. Wie oben ausgeführt, kommt es dabei auf eine Abwägung der Interessen des Pflichtigen und der Betroffenen an, bei der die wichtigsten Kriterien die der Art der gefährdeten Rechtsgüter und des Umfangs und der Intensität der Gefährdung sind. Die finanziellen und sonstigen Belastungen des Herstellers spielen demgegenüber nur eine nachgeordnete Rolle. Dies bedeutet, daß bei der Gefährdung hoher Rechtsgüter wie Leib und Leben, bei einer besonders starken Bedrohung von Körper und Gesundheit eine Warnpflicht nicht am Zumutbarkeitskriterium scheitern kann.381 Es wird zurecht ein genereller Verzicht auf Verkehrssiche378
Zum Schutz des Vermögens nach §§823 Abs. 2, 826 BGB s. unten. Schwenzer, JZ 1987,1059, 1062; ob nach ihrer Meinung deshalb nur eine Reparatur- oder auch eine Warnpflicht ausscheidet, wird nicht deutlich. 380 Denkbar sind Produktfehler, die bloß Vermögensschäden auslösen, aber z.B. bei Computersoftware, die auf die Anwendung im Bereich der Vermögensberatung oder der Bearbeitung „vermögenswirksamer" Aufgaben im Bank- oder Versicherungsbereich gerichtet ist oder welche die Verbraucher z. B. bei der Auswahl der für sie günstigsten Lebensversicherung oder Baufinanzierung unterstützen soll. Fehlerhafte Computer-Software ist jedoch nicht nur für Vermögensschäden verantwortlich, sondern die größeren Gefahren dürften im klassischen Schutzbereich der Produkthaftung liegen. Man muß sich nur vergegenwärtigen, wie viele Funktionen im Auto, in Flugzeugen, in der Flugsicherung, in der Medizin mittlerweile bereits von Computerprogrammen durchgeführt oder unterstützt werden. Die Anwendbarkeit des Produkthaftungsrechts zumindest auf Standardsoftware dürfte inzwischen der herrschenden Meinung in der Literatur entsprechen; s. nur Lehmann, N J W 1992, 1721 m.w.N. Ein anderes Beispiel für Vermögensschäden lag B G H N J W 1978, 997 - „Börsendienst" zugrunde, in dem ein periodisch erscheinender Börsendienst bei einer Anlageempfehlung einen Hinweis auf erhebliche Bürgschaftsverpflichtungen des Unternehmens unterlassen hatte. 381 Kulimann: in Kullmann/Pfister, Kza 1520, S.50; Löwe, D A R 1978, 288, 292; B G H , N J W 1972, 2217, 2220 = BB 1972, 1161 = VersR 1972, 1075 - „Estil". 379
Rückrufpflichten
-
Warnpflichten
251
rungsmaßnahmen etwa bei nur geringfügigen Beeinträchtigungen der Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 B G B abgelehnt. 382 Vielmehr soll es auf die Verkehrsauffassung ankommen, wonach der Verkehrssicherungspflicht genügt ist, „wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die im entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich erachtet." 383 Eine sichere, allgemeingültige Grenze für die Unzumutbarkeit von Warnpflichten kann deshalb nicht festgestellt werden. Eine Warnpflicht könnte danach - bei entsprechender Verkehrsauffassung dann als unzumutbar eingeschätzt werden, wenn nur geringfügige Beeinträchtigungen des Eigentums oder Besitzes zu befürchten sind, vor denen nur mit im Verhältnis dazu übermäßigen Kosten gewarnt werden könnte. Eine Rolle kann auch spielen, daß durch eine Warnung nur eine geringe Zahl der Betroffenen erreicht werden kann, die Kosten dafür aber im Verhältnis zu dieser Zahl, zu der Qualität des bedrohten Rechtsgutes und zu der Höhe der Gefahr, d.h. zum möglichen Erfolg der Schadensverhütung als außer Verhältnis stehend angesehen werden müssen. Insgesamt wird eine Warnpflicht bei Gesundheitsgefahren regelmäßig zumutbar sein und auch bei drohenden Sachschäden dann, wenn die Kosten der Warnung nicht außer Verhältnis zu den zu vermeidenden Schäden stehen. (7) Abstumpfungs-,
Abschreckung5-
und
Anlockeffekte
Allerdings wird auch vor einer Übersteigerung der vorbeugenden Warn- und Rückrufpflichten gewarnt, weil dadurch ein Abstumpfungseffekt beim Verbraucher eintreten könne. 384 Diese Wirkung dürfte insbesondere dann zu befürchten sein, wenn bereits bei unsicheren Verdachtssituationen oder geringfügigen Bedrohungen gewarnt werden müßte 385 und die Verbraucher später erfahren, daß die Gefahren tatsächlich sich häufig gar nicht oder jedenfalls nicht bei ihnen oder in ihrem Umkreis verwirklichen. Diese Gefahr der Abstumpfung ist im Hinblick auf die Erfahrungen in den USA, wo Warnungen und Rückrufe weitaus häufiger sind als in Deutschland und vielfach nur sehr geringe Erfolgsquoten vorweisen können 386 , nicht von der Hand zu weisen. 387 Warnungen aber, die nicht ernstgenommen werden, verfehlen ihren Zweck. Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1515, S.7f. B G H VersR 1972,559 - „Förderkorb", wobei es auf die Sicherheitserwartungen vernünftiger Angehöriger der Verkehrskreise, nicht auf übersteigerte Erwartungen ankommt, Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1515, S.8. 384 Schmidt-Salzer, B B 1981, 1042, 1042; ders., in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.219ff., 221; v. Hülsen, in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S. 223ff, 227. S. aus der jüngsten US-amerikanischen Rechtsprechung Todd v. Societe B I C , S.A., 9 F.3d 1216 (7th Cir. 1993), S.1218f. 385 Oder aus Vorsicht von Unternehmen (auch ohne rechtliche Verpflichtung), Verbraucherverbänden oder Behörden gewarnt wird. 386 S. dazu ausführlich oben Zweiter Teil3. Kap B. 387 S. zu den Problemen übertriebener Warnungen Todd v. Societe B I C , S.A., 9 F.3d 1216 (7th Cir. 1993), 1218f. 382
383
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Deutschland. -
Verschuldenshaftung
D i e Lösung dieser Problematik kann nicht darin bestehen, den Warnungen durch immer auffälligere Gestaltung und immer plakativere Darstellung der G e fahren die ihnen gebührende Aufmerksamkeit verschaffen zu wollen. Dies dürfte nur kurzfristig wirken bis sich die Aufmerksamkeitsschwelle der Verbraucher auf diesem höheren Niveau eingependelt hat. M a n wird vielmehr bei den Kriterien ansetzen müssen, nach denen die Warnpflicht beurteilt wird, und eine solche nur dann aussprechen dürfen, wenn die Art der Bedrohung auch in den Augen der Adressaten eine glaubwürdige und ernsthafte Gefahr darstellt. Dieser Gesichtspunkt unterstützt somit den B G H , der bei der Bemessung der Verkehrssicherungspflicht auf die herrschende Verkehrsauffassung abstellt. 388 Allerdings ist dies eine Überlegung, die vielleicht eher abstrakt überzeugt, als daß sie im R a h m e n des konkreten Einzelfalls wirksam wird. Soweit ein Hersteller Warnungen gänzlich unterlassen hat und in der Folge Schädigungen durch sein Produkt eingetreten sind, wird er kaum mit dem Verteidigungsvorbringen gehört werden, daß eine Warnung im konkreten Fall nicht geboten gewesen war, weil sie die Verbraucher allgemein und damit auch den Geschädigten nur unnötig verunsichert hätte und langfristig die Bereitschaft der Verbraucher zur Befolgung solcher Warnungen herabgesetzt hätte. D e n k b a r ist auch, daß Warnhinweise, wenn sie entsprechend ausführlich und plakativ sind, eine abschreckende Wirkung auf den Verbraucher ausüben können, welche über den gewünschten Informationseffekt hinausgeht, weil sie die Risiken nicht in ein angemessenes Verhältnis zum Produktnutzen setzen können. So sind viele Patienten nach der Lektüre der Informationen über mögliche N e b e n w i r kungen und Kontraindikationen in Beipackzetteln von Arzneimitteln versucht, auf das Medikament und damit auch auf dessen Heilwirkung entgegen ärztlichem Rat lieber ganz zu verzichten. 3 8 9 U m g e k e h r t ist es in Extremfällen möglich, daß eine Warnung auf bestimmte Personenkreise eine anlockende Wirkung ausübt. So zitiert der B G H zustimmend die Ansicht des Berufungsgerichts, daß eine Warnung vor den rauschfördernden Wirkungen eines Kältemittels und den daraus sich ergebenden Gesundheitsschäden bei Jugendlichen einen entsprechenden Mißbrauch erst hervorrufen und damit mehr Schaden als N u t z e n verursachen könne. 3 9 0 Solche ungewollten Nebenwirkungen von Warnungen können jedoch nur im Einzelfall bei den Anforderungen an deren Gestaltung berücksichtigt werden; sie werden nicht ohne weiteres einen Verzicht auf die Warnung überhaupt auslösen können.
BGH VersR 1972, 559 - „Förderkorb". S. zu den negativen Wirkungen zu detaillierter Gefahrinformationen Meyer, Instruktionshaftung, S.275f. 390 BGH NJW 1981, 2514, 2516 - „sniffing". 388
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Rückrufpflichten
(8)
-
Warnpflichten
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Zusammenfassung
N a c h diesen Überlegungen kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, daß bei der nachträglichen Erkenntnis von Produktgefahren auf Warnungen als die den Hersteller am geringsten belastende Gefahrabwendungsmaßnahmen nur in folgenden Fällen verzichtet werden kann: - Eine Warnung ist nicht möglich, da die Betroffenen nicht erreichbar sind. - Die Gefahr kann durch eine Warnung nicht mehr abgewendet werden, da sie sich bereits realisiert hat und eine Wiederholung nicht zu befürchten ist. - Eine Warnung unbeteiligter Dritter w ü r d e diese nicht in die Lage versetzen, der Gefahr w i r k s a m auszuweichen; die Warnpflicht gegenüber den Benutzern ist davon nicht berührt. - Die gefährdeten Abnehmer kannten die Gefahr. - Die Gefahr besteht nur bei entfernten Mißbräuchen, mit denen nicht gerechnet werden muß. - Von der Gefahr ist kein durch §823 Abs. 1 B G B geschütztes Rechtsgut bedroht, sondern allenfalls das Produkt selbst (soweit keine Weiterfresserschäden drohen) oder das Vermögen. - Eine Warnaktion wäre unzumutbar; dies könnte nur der Fall sein, w e n n allenfalls geringfügige Beeinträchtigungen des Eigentums oder des Besitzes drohen und die Warnkosten in einem groben Mißverhältnis zu den möglichen Schäden stehen.
bb) Ausgestaltung
und Adressatenkreis
der
Warnung
A u s den obigen Ausführungen ergibt sich im Umkehrschluß, wann zumindest eine Warnung der Betroffenen als Gefahrabwendungsmaßnahme geboten ist, w o bei je nach den Umständen nicht nur auf die Gefahr hingewiesen werden muß, sondern den Adressaten die zu einer erfolgreichen A b w e n d u n g der Gefahr notwendigen zusätzlichen Informationen vermittelt werden müssen. Dies ist dann der Fall, w e n n eine Warnung möglich ist, die Gefahr durch die Warnung noch abgewendet werden kann (d.h. das Schadensereignis noch nicht abgeschlossen ist), die Betroffenen die Gefahr nicht (ausreichend) kennen und sie auch nicht nur bei fernliegenden Mißbräuchen auftaucht, ein durch §823 A b s . l B G B geschütztes Rechtsgut bedroht ist und die Warnung unter Berücksichtigung der Interessen des Herstellers und der Betroffenen als zumutbar erscheint. Ist nach diesen Grundsätzen (zumindest) eine Warnpflicht gegeben, so muß die Warnung so gestaltet sein, daß sie ihre Adressaten auch tatsächlich in die Lage versetzt, die Gefahr w i r k s a m abzuwenden. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß eine Warnung, w e n n sie nur optimal gestaltet ist, in jedem Fall als Gefahrabwendungsmaßnahme ausreicht. Wann dies der Fall sein kann, w i r d im Anschluß zu untersuchen sein. Zunächst soll jedoch auf die Anforderungen an gebotene Warnungen eingegangen werden. Der Adressatenkreis der Warnung m u ß so gewählt sein, daß die Gefahrabwendung in ausreichendem M a ß e gesichert ist. In der Regel muß deshalb der tatsäch-
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Deutschland, -
Verschuldenshaftung
liehe Besitzer oder Benutzer erreicht werden. Eine Information der Großhändler reicht nicht. 391 Wenn jedoch der Hersteller berechtigterweise davon ausgehen kann, daß seine Händler die Information rechtzeitig an die Endabnehmer weiterleiten werden, kann deren Information ausreichen. 392 U n t e r Umständen ist es erforderlich, nicht nur die Besitzer oder Benutzer zu informieren, sondern auch Dritte; dies ist z . B . bei Arzneimitteln der Fall, vor deren Gefahren in erster Linie auch Arzte oder A p o t h e k e r gewarnt werden müssen. 393 Selbst wenn die Warnung nicht nur dem Schutz der Produktbenutzer, sondern auch dem unbeteiligter Dritter gilt, bedeutet dies nicht, daß die Warnung auch an letztere gerichtet sein muß. In der Regel werden unbeteiligte Dritte keine M ö g lichkeit haben, sich aufgrund der Warnung selbst zu schützen. So sind zwar auch Fußgänger durch die defekten Bremsen eines bestimmten Automodells gefährdet und der Hersteller ist auch ihnen gegenüber zu Gefahrabwendungsmaßnahmen verpflichtet, dennoch wird man deshalb ergehende Warnungen gegenüber den Besitzern solcher Fahrzeuge ausreichen lassen (soweit nicht weitergehende Rückrufmaßnahmen geboten sind). Die Information der allgemeinen Öffentlichkeit wird keinen G e w i n n an Sicherheit bringen. Die gefährdeten Dritten bleiben weiterhin für ihren Schutz auf die Gewissenhaftigkeit der Autobesitzer angewiesen. D i e Warnung ist weiter so zu streuen, daß sie den anzusprechenden Adressatenkreis auch erreicht. Sind Kundenlisten vorhanden, mag eine direkte Ansprache möglich und ausreichend sein. 395 Eine Beilage in Kundendienst- oder Firmenzeitschriften reicht dagegen meist nicht. 3 9 6 Sind die Besitzer und Benutzer durch solche selektiven Maßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit erreichbar, kann es erforderlich sein, die Warnungen auch über die allgemeine Presse und den Rundfunk zu verbreiten. 3 9 7 D e r Hersteller m u ß ferner sicherstellen, daß die Warnung vom Verbraucher auch wahrgenommen und richtig eingeschätzt wird. 398 A u c h wenn ein verständliBGH NJW 1981, 1606; Schmidt-Salzer, BB 1981, 1042. Borer, S. 69; Schmidt-Salzer, BB 1972, 1435. Dies kann auch genügen, wenn die Produkte den Verbraucher noch nicht erreicht haben. 393 Löwe, DAR 1978,288,292 hält z.B. für den Fall, daß ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel lediglich gewisse Unverträglichkeiten hervorruft, die Information der Ärzte für ausreichend. Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. 49 nennt als andere für die Produktverwendung durch Dritte verantwortliche Berufsgruppen Architekten, Baustoffhändler, Bauunternehmer. S. auch die Auferlegung einer Warnpflicht gegenüber den Eltern bei Kindertee, der bei deren Kindern Karies auslösen kann, BGHZ 116, 60 = ZIP 1992, 38 - „Kindertee I"; BGH ZIP 1994, 374 - „Kindertee II". 394 Eine Ausnahme sind möglicherweise Mitfahrer, die eines der gefährlichen Fahrzeuge vermeiden könnten. 395 BGH GRUR 1978, 364; Pauli, PHI 1985, 134, 141. 396 LG-Urteil zitiert bei Schmidt-Salzer, Entscheidungen II, S. 516,518 — „Ventil" und die Anmerkung S.521. 397 Borer, S.70; Sack, BB 1985, 813, 817; Pauli, PHI 1985, 134, 141. 398 S. grundlegend zu den Anforderungen an eine sicherheitsfördernde Gestaltung von Ver391 3,2
Rückrufpflichten - Warnpflichten
255
ches Interesse des Herstellers daran besteht, die Gefahr „herunterzuspielen", m u ß der besondere Warncharakter deutlich zutage treten. 399 N e u e Warnhinweise müssen für den mit dem Produkt vertrauten Verbraucher besonders hervorgehoben werden. 4 0 0 Es reicht deshalb nicht aus, wenn die Warnung in Werbeaussagen eingebettet ist, die wegen dieses Charakters von den Adressaten gar nicht oder nicht gründlich gelesen werden 4 0 1 , oder wenn sie zwischen Informationen über Darreichungsformen, Kundendienststellen usw. versteckt werden. 4 0 2 Auch eine angeblich aus den Garantiebestimmungen eines Kaufvertrags über ein M o t o r r a d abzuleitende Warnung vor der Verwendung bestimmten Zubehörs wurde als nicht ausreichend angesehen. 403 Besonders deutlich m u ß der Warncharakter dann hervortreten, wenn die Werbung für das Produkt dem Gefahrbewußtsein der B e nutzer entgegenwirkt. 4 0 4 D i e Warnung m u ß detailliert genug sein, um dem Adressaten ihre korrekte Einordnung und entsprechende Vermeidungsmaßnahmen zu ermöglichen. 4 0 5 D e r Hinweis auf die Feuergefährlichkeit eines Produktes reicht dann nicht aus, wenn es explosionsgefährlich ist. 406 Es muß auch auf gefährliche Eigenschaften hingewiesen werden, die sich - wie Allergien - nur bei wenigen Benutzern auswirken werden. 4 0 7 Erforderlich ist ein eindringlicher, sinnfälliger und unmißverständlicher Hinweis auf den vollen U m f a n g des Risikos unter klarer Bezeichnung der drohenden Folgen bzw. spezifischen Gefahren. 4 0 8 D i e Gefahr muß dem A n gesprochenen unmittelbar plausibel werden, sie darf nicht erst durch eigenes Nachdenken, möglicherweise erst aufgrund von Rückschlüssen voll erfaßbar sein. 409 D e r Hersteller darf sich auch nicht allein auf die Feststellung der Gefahr beschränken, sondern muß jedenfalls in den Fällen, in denen erhebliche Körperbraucherinformationen aus rechts-, wirtschafts- und verhaltenswissenschaftlicher Sicht Meyer, Instruktionshaftung. Dort wird u.a. herausgearbeitet, welche Bedingungen eine optimale Instruktion erfüllen muß, damit sie von den Verbrauchern verarbeitet werden kann und beachtet wird. Unter diesem Gesichtspunkt schlägt er z.B. eine Beschränkung auf Basisinformationen vor (S.353) vor, da dadurch eine verbesserte Instruktionswirkung erreicht werden könne. Zu den Grundsätzen der Ausgestaltung von Warnhinweisen im Lebensmittelbereich, insbesondere anhand der wegweisenden Kindertee-Fälle I-III (BGHZ 116, 61 (I); BGH NJW 1994, 932 (II); BGH NJW 1995, 1286 (III) die Aufsätze von Graf v. Westphalen, BB 1994, Beilage 18 und Meyer, ZIP 1995, 716. Kritisch zu diesen Entscheidungen Littbarski, NJW 1995, 217. 399 BGH VersR 1960, 342, 343 - „Fußboden-Klebemittel". 400 BGH VersR 1992, 96, 98 - „Kindertee I". 401 Urteil des - nicht benannten - LG, Schmidt-Salzer, Entscheidungen Bd. II, Nr. III. 17, S.518-„Ventil". 402 BGH BB 1987, 717, 720 - „Honda". 403 BGH BB 1987, 717, 720f. 404 BGH VersR 1992, 96, 98 - „Kindertee I". 405 BGH BB 1959,1186 - „Klebemittel"; BGH NJW 1972,2217- „Estil"; Sack, BB 1985,813, 817. 406 BGH VersR 1960, 342, 343 - „Fußboden-Klebemittel". 407 BGHZ 64, 46, 48 - „Haartonicum". 408 Kulimann, BauR 1993, 153, 155. 409 BGH VersR 1992, 96, 98 - „Kindertee I".
256
Deutschland -
Verschuldenshaftung
und Gesundheitsschäden durch eine Fehlanwendung des Produkts entstehen können, auch die Funktionszusammenhänge klarmachen, so daß erkennbar wird, warum das Produkt gefährlich ist.410 Die Information darf sich auch nicht nur auf den Gefahrenhinweis beschränken, sondern muß zusätzlich Handhabungsinformationen über den sachgerechten, gefahrmindernden Umgang mit dem Produkt beschreiben.411 Die verwendeten Begriffe müssen für den angesprochenen Personenkreis allgemein verständlich sein.412 Insgesamt hat der Warenhersteller Inhalt und Umfang seiner Instruktionen über die Verwendung des Produkts nach der am wenigsten informierten und damit der am gefährdetsten Benutzergruppe auszurichten.413 Allerdings ist im Einzelfall zu prüfen, ob der vom Schadensfall betroffene Produktverwender persönlich die Gefahr kannte und sich etwa deshalb ihm gegenüber eine Warnung erübrigte. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob anderen Benutzern gegenüber wegen deren Unkenntnis der Gefahr eine Warnpflicht bestand und möglicherweise verletzt wurde.414 Umgekehrt spielt es für die Beurteilung im Einzelfall auch keine Rolle, ob der angebrachte Warnhinweis für Erstverbraucher ausreichend gewesen wäre, wenn es sich bei dem Geschädigten um jemanden handelte, der mit dem Produkt bereits vertraut war und deshalb deutlicher erkennbarer Gefahrhinweise bedurfte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.415
er) Warnung und Information als ausreichende Gefahrabwendungsmaßnahme Im folgenden soll untersucht werden, wann Warnungen vor der Gefahr und Informationen über den verantwortlichen Umgang damit als Maßnahmen zur Erfüllung der Gefahrabwendungspflicht des Herstellers ausreichen, wann also weitergehende Rückrufmaßnahmen nicht erforderlich oder zumutbar sind.
BGH, VersR 1992, 96, 98 - „Kindertee I" und Zinkann, S.97. Meyer, ZIP 1995, 716, 719. 412 So war im dritten Kindertee-Fall des BGH BB 1995,943 zwischen der Vorinstanz und dem BGH streitig, ob zur besseren Verständlichkeit und Verdeutlichung der Gefahr der Begriff „Zahnfäule" hätte verwendet werden müssen oder der Begriff „Karies" ausreichte. Der BGH schloß sich letzterer Ansicht an. 413 BGH ZIP 1994, 374, 377 - „Kindertee II". Die gleiche Forderung hat der BGH auch für den Konstruktionsbereich aufgestellt, wenn er verlangt, daß dabei berücksichtigt wird, daß das infrage stehende Produkt von einfachen, technisch wenig geschulten Arbeitern bedient wird; BGH LM BGB §823 C Nr. 5. 414 BGH ZIP 1994, 374, 377 - „Kindertee II"; BGH VersR 1987, 102, 104 - „Verzinkungsspray"; BGH ZIP 1992, 934 = VersR 1992, 1010, 1012. 415 BGH VersR 1992,96,98 - „Kindertee I". Daß die streitgegenständlichen Warnhinweise für Erstverbraucher ausreichend waren, hat der BGH kürzlich festgestellt, BB 1995, 943 - „Kindertee III". 410 4,1
Rückrufpflichten
-
Warnpflichten
(1) Warnung als Sicherung der Integrität oder der
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Entscheidungsfreiheit
Bei der Behandlung dieser Problematik muß man im Auge behalten, daß es hier um die Konkretisierung von Gefahrabwendungspfliehten zum Schutze der von §823 Abs. 1 B G B erfaßten Rechtsgüter der Produktbenutzer oder Dritter geht. O b Warnungen oder Informationsmaßnahmen ausreichend sind, ist somit im Hinblick auf diesen Schutzzweck zu beurteilen. Warnungen und Informationen sind deshalb nicht ohne weiteres bereits deshalb ausreichend, weil und soweit sie es den Betroffenen ermöglichen, selbstverantwortlich mit der Gefahr umzugehen. Es kommt im produkthaftungsrechtlichen Zusammenhang nicht allein darauf an, daß die Entscheidungsfreiheit des Gefährdeten gewahrt bleibt, ob er sich der Gefahr aussetzen will oder nicht. 416 Geschützt ist sein Interesse an der Integrität seiner Rechtsgüter. 417 Entscheidend ist somit, ob durch die Warnung oder Information die Gefahr für diese Rechtsgüter in einem ausreichenden Maße tatsächlich abgewendet wird. Dabei ist selbstverständlich die Möglichkeit des Betroffenen zu eigenverantwortlichem Handeln als Mindestvoraussetzung zu berücksichtigen. 418 Soweit es Warn- oder Informationsmaßnahmen nicht einmal leisten können, die Betroffenen in die Lage zu versetzen, selbst die Gefahr (zumindest durch Nichtbenutzung) abzuwenden oder bewußt und wohlinformiert zu entscheiden, daß sie sich ihr aussetzen wollen, verfehlen sie schon deshalb ihren Zweck des Schutzes der Rechtsgüter der Betroffenen. Selbst wenn aber die vom Hersteller bereitgestellte Information ausreichend ist, damit die Betroffenen grundsätzlich die Gefahr selbst abwenden können, reicht dies nicht notwendigerweise für den Rechtsgüterschutz aus. Zwar besagt die Pflicht zur Abwendung der Gefahr nicht, daß der Hersteller den Benutzer von jeder, im vollen Bewußtsein seiner Gefährdung vorgenommenen Verwendung des Produkts abhalten muß. E r ist aber auch nicht bloß zur Sicherstellung dieser Entscheidungsmöglichkeit, sondern darüber hinaus zur Gefahrenabwehr verpflichtet. Die Pflicht zur Gefahrabwendung bedeutet, daß er seine Maßnahmen so gestalten muß, daß auch unter Berücksichtigung des zu erwartenden Verhaltens der Betroffenen die Gefahr in einem ausreichenden Maße verringert wird. Kann er davon ausgehen, daß seine Warnungen befolgt werden, wird er es dabei bewenden lassen können; spricht jedoch die Erfahrung dafür, daß sie weitgehend mißachtet werden, muß er mehr tun, um die von ihm gesetzte Gefahr tatsächlich abzuwenden.
416 Dies ist anders bei Aufklärungspflichten im Vertragsrecht oder im Wettbewerbsrecht. Dort sollen sie in der Regel dem Adressaten ausreichende Informationen vermitteln, damit er eine informierte Entscheidung treffen kann; geschützt ist seine Entscheidungsfreiheit. S. etwa B G H Z 61, 118, 122 für vertragliche Aufklärungspflichten über Sicherheitsaspekte, die einen selbstverantwortlichen Umgang mit der Gefahr ermöglichen sollen. 417 S. die ähnliche Problematik bei der Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten. Auch dort geht die h.M. nicht bloß von einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts, sondern auch und in erster Linie von einer Körperverletzung aus; Deutsch, N J W 1989, 2313. 418 Diese Überlegungen spielen z.B. eine Rolle bei der Feststellung der Kausalität oder eines eventuellen Mitverschuldens.
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Deutschland.
-
Verschuldenshaftung
Man muß sich ferner vor Augen halten, daß es sich um Gefahrabwendungspflichten des Herstellers, Importeurs, Händlers handelt. Die Auferlegung einer nachträglichen Gefahrabwendungspflicht für diese Personenkreise bedeutet, daß die Verwirklichung der Gefahr nicht (mehr) zum allgemeinen Lebensrisiko der Betroffenen gehört, dessen Verwirklichung sie allein zu tragen hätten, sondern daß der Hersteller, Importeur etc. sie aktiv abwenden muß.419 Es hat sich das allgemeine Rücksichtsgebot zu einer deliktischen Verantwortlichkeit für die Bewahrung der Rechtsgüter anderer verdichtet.420 Es bedarf deshalb einer besonderen Begründung, wenn es den Pflichtigen gestattet sein soll, die tatsächliche Abwendung der Gefahr den Betroffenen aufzubürden, wie es bei bloßen Warnaktionen geschieht. Dies kann nur dann zulässig sein, wenn ausnahmsweise die Bereitstellung der Information über die Gefahr bereits mit hinreichender Sicherheit zu ihrer Beseitigung führt (z.B. bei Instruktionsfehlern) und der Selbstschutz den Betroffenen zumutbar ist oder wenn im Rahmen einer Interessenabwägung festgestellt wird, daß weitergehende Maßnahmen dem Hersteller nicht zumutbar sind. (2) Grundsatz Warnungen
des Vorrangs direkter
(a) Vorrang direkter
Gefahrbeseitigung
Gefahrbeseitigung
vor
gegenüber
Inverkehrbringen
Die Rechtsprechung hat sich mit der Problematik, wann Warnungen und Informationen als Gefahrabwendungsmaßnahmen ausreichend sein können, noch nicht eingehend befaßt. Auch die Literatur beschränkt sich meist auf die lapidare Feststellung, daß dann, wenn eine Warnung nicht ausreicht, weitergehende Rückrufmaßnahmen der Reparatur, des Austauschs etc. ergriffen werden müssen. Allerdings sind die Ausführungen darüber, wann dies konkret gegeben ist, recht allgemein.421 Die Kriterien werden dabei noch am deutlichsten von Mertens im Hinblick auf Warnungen zur Erfüllung von allgemeinen Verkehrspflichten herausgearbeitet. Danach reichen Warnungen grundsätzlich nur dann aus, wenn eine andere Form der Sicherung in Anbetracht der Umstände nicht möglich oder unzumutbar ist, wenn die Warnung mit der gebotenen Deutlichkeit erfolgt und auf die konkrete Gefahrenlage in einer Weise aufmerksam macht, daß sich der Adressat der Warnung darauf einstellen kann, und wenn trotz des allgemeinen Erfahrungssatzes, daß warnende Hinweise vielfach mißachtet werden, nach Lage der Dinge zu erwarten ist, daß sie ihren Zweck nicht verfehlen.422 419 Nicht im Sinne einer Erfolgspflicht, die den Mißerfolg ihm in jedem Fall zur Last legte, sondern als seine Handlungspflicht, die ihm auferlegt, daß er alles ihm Zumutbare zur Gefahrabwendung unternimmt. 420 MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 203 a.E. S. zum Grundsatz des neminem laedere Schiemann, JuS 1989, 345. 421 S. z.B. Veltins, in: Kullmann/Pfister, Kza 4310, S.20ff.; Pauli, P H I 1985, 134, 141 (zu Fn. 66). 422 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 203.
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Rückrufpflichten - Warnpflichten
Aus solchen und ähnlichen Äußerungen 4 2 3 läßt sich ein Vorrang direkter G e fahrbeseitigungsmaßnahmen durch den Pflichtigen vor bloßen Warnungen der Betroffenen ableiten. Ein solcher Vorrang ist allgemein anerkannt für die Verkehrspflichten bei Konstruktion und Herstellung eines sicheren Produktes. D e r Hersteller kann sich bei der Wahl einer billigeren, aber gefährlicheren gegenüber einer sichereren und ebenfalls zumutbaren Konstruktion nicht dadurch seiner Verkehrspflicht entledigen, daß er vor den Gefahren des mangelhaft konstruierten Produkts warnt. 4 2 4 Gefahrvermeidung geht vor Gefahrabwendung. Aufklärung ist keine akzeptable Alternative zu einer sicheren Konstruktion. 4 2 5 Ein Warnhinweis ist zur Gefahrenabwehr somit nur dann ausreichend, wenn die k o n struktive Vermeidung der verbleibenden Produktgefahren dem Hersteller nicht möglich oder nicht zumutbar war; 4 2 6 ein Konstruktionsfehler wird nicht durch eine Instruktion aufgehoben.
(b) Vorrang direkter Gefahrbeseitigung
nach
Inverkehrbringen
D a m i t ist aber n o c h nicht notwendigerweise gesagt, daß dieser vor dem Inverkehrbringen des Produkts geltende Vorrang direkter Gefahrvermeidungsmaßnahmen auch nach diesem Zeitpunkt als Vorrang direkter Gefahrabwendungsmaßnahmen weitergilt. N a c h dem Inverkehrbringen lassen sich zwei Fallgruppen unterscheiden, je nachdem ob ein Produktfehler bei Inverkehrbringen bereits vorlag oder ob ein Entwicklungsrisiko gegeben war.
(aa) bei Produktfehlern
aufgrund Fehlverhalten
des Herstellers
I m Fall eines ursprünglichen Fehlers hat der Hersteller bereits seine vor Inverkehrbringen bestehende Gefahrvermeidungspflicht verletzt. Zusätzlich - und gerade deshalb - obliegen ihm aber auch nachträgliche Schutzpflichten gegenüber den durch das Produkt Gefährdeten. Diese nachträglichen Schutzpflichten sind zwar im Schadensfall nicht unmittelbar haftungsbegründend - dies ist im R a h m e n der Haftung nach § 8 2 3 Abs. 1 B G B die schuldhafte Verursachung des schadenstiftenden ursprünglichen Fehlers 4 2 7 doch sind sie auch nicht bedeutungslos, weil ihre zusätzliche Verletzung möglicherweise leichter nachzuweisen ist und u.U. zu einer konkurrierenden Haftung aus § 826 B G B führen kann. 428 423 S. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 85, wonach Warnungen wegen häufiger Nichtbeachtung grundsätzlich nicht ausreichen. 424 Taschner/Frietsch, § 3 PHG Rdnr. 36; Schmidt-Salzer, in: Schmidt-Salzer/Hollmann, Bd. 1, Art. 6 Rdnr. 167. 425 G. Hager, PHI 1991, 2, 5. 426 Meyer, Instruktionshaftung, S. 112 spricht von der „Subsidiarität der Instruktion". 427 J. Hager, VersR 1984, 799, 801; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063. Daneben kommt eine Haftung im Rahmen der Gefährdungshaftung nach PHG in Betracht, die ebenfalls nicht durch nachträgliche Warnungen ausgeschlossen werden kann; Schmidt-Salzer/ Hollmann, Bd. 1, Art. 6, Rdnr. 260ff.; Produkthaftungshandhuch/Bd. 1 /Foerste, §24 Rdnr. 243. 428 Etwa wenn nur ein fahrlässig verursachter Konstruktionsfehler vorlag, nach Kenntniserlangung aber aus vordergründigen wirtschaftlichen Überlegungen auf nachträgliche Schutzmaß-
260
Deutschland
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Verschuldenshaftung
Allerdings wandeln sich durch das Inverkehrbringen die zur Verfügung stehenden Schutzmöglichkeiten. Konstruktive Änderungen kämen nur Neukäufern zugute. Der Schutz der Besitzer bereits in Verkehr gebrachter Produkte durch direkte Beseitigung der Gefahr kann nur durch Reparatur, Nachrüstung, Austausch oder Rückgabe erfolgen. E r ist zudem von der Kooperation der Eigentümer abhängig. Dabei dürften auf den einzelnen Fall bezogen die Kosten solcher direkter Maßnahmen höher liegen, als es die einer anfänglichen Konstruktionsänderung gewesen wären. Jedoch geben diese Unterschiede zur Situation vor Inverkehrbringen keinen Anlaß, bei ursprünglichen Fehlern vom allgemeinen Vorrang direkter Gefahrbeseitigungsmaßnahmen abzusehen. Sicher ist es schwieriger und teurer, nachträglich einen gefährlichen Fehler zu beseitigen, als ihn von Anfang an zu vermeiden. Aber diese Situation hat der Hersteller selbst in zurechenbarer Weise herbeigeführt. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb der Hersteller nach Inverkehrbringen seiner fortbestehenden Verkehrspflicht eher durch eine Warnung genügen können soll als vor diesem Zeitpunkt. Dies würde bedeuten, daß die schuldhafte Verletzung seiner ursprünglichen Verkehrspflichten zu einer im Vergleich dazu geringeren Intensität der nachträglichen Sicherungspflichten führen würde; wahrlich kein Anreiz, die ursprünglichen Pflichten einzuhalten. 429 Bei schuldhafter Verursachung von Konstruktions - oder Fabrikationsfehlern kann deshalb nach verbreiteter Ansicht eine Warnung als Gefahrabwendungsmaßnahme nicht ausreichen, weil damit das Risiko für vom Hersteller zu verantwortende Verkehrspflichtverletzungen auf den Abnehmer verlagert würde 430 bzw. der Produzent dann seine Verkehrssicherungspflicht auf Kosten der Dispositionsfreiheit des Produkterwerbers erfüllen könne. 431 Hinzu kommt, daß eine nachträgliche Warnung noch weniger effektiv sein wird als eine ursprüngliche, bei Inverkehrbringen gegebene, weil nicht mehr alle Kunden erreicht werden können, Benutzungsgewohnheiten sich bereits eingeschliffen haben usw. Gerade die relative Ineffizienz von Instruktionsmaßnahmen beim Inverkehrbringen im Vergleich zu direkter Gefahrvermeidung durch eine geänderte Konstruktion war jedoch der Grund für den Vorrang der letzteren Maßnahme. Dies müßte bei noch verminderter Effektivität der nachträglichen Warnung erst recht für den Vorrang direkter Gefahrbeseitigung sprechen.
(bb) bei
Entwicklungsrisiken
Soweit allerdings kein ursprünglicher Produktfehler, sondern ein Entwicklungsrisiko vorliegt, kann dem Hersteller insoweit auch kein schuldhaftes Fehlnahmen verzichtet und die Schädigungen bewußt inkauf genommen wurden, kann es neben einer Haftung aus §823 B G B auch zu einer aus §826 B G B kommen. U.U. wird durch die schwere Verletzung der nachträglichen Pflicht auch erstmals eine Strafbarkeit begründet; Produkthaftungshandhuch/Bd. I/Foerste, §24 Rdnr. 243. 429 So auch Rettenbeck, S.86f. 430 Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1061. 431 G. Hager, AcP 184 (1984) 412, 424.
Rückrufpflichten - Warnpflichten
261
verhalten vorgeworfen werden. E s fragt sich, ob auch dann im H i n b l i c k auf seine nachträgliche Verkehrspflicht ein Vorrang direkter Gefahrbeseitigungsmaßnahmen durch Reparatur etc. vor Warn- und Informationsmaßnahmen gerechtfertigt ist. Dabei ist zu beachten, daß die Feststellung eines solchen Vorrangs nicht von der Frage des Verschuldens abhängt. A u c h der Vorrang konstruktiver Lösungen der Sicherheitsproblematik, wie er vor dem Inverkehrbringen gilt, ist unabhängig vom vorherigen Verhalten des Herstellers. E r beruht allein auf der Überlegung, daß der Z w e c k des Schutzes der Rechtsgüter der Benutzer und Dritter durch solche Maßnahmen in zuverlässigerer Weise erreicht werden kann als durch Instruktionen. Dies trifft aber auch auf die nachträgliche direkte Gefahrbeseitigung durch Rückrufmaßnahmen im Verhältnis zu bloßen Warn- oder Aufklärungsaktionen zu. Soweit also bei Entwicklungsrisiken nachträgliche Gefahrabwendungspflichten entstehen, besteht auch dort ein Vorrang für M a ß n a h m e n zur direkten Einwirkung auf den Gefahrenherd. Allerdings bedeutet ein solcher Vorrang nicht, daß direkte M a ß n a h m e n in jedem Fall geboten sind. Will sich der Hersteller aber auf Warnungen beschränken, unterliegt er einem verstärkten Begründungszwang, warum sie in seinem Fall ausreichend oder weitergehende Maßnahmen nicht zumutbar sein sollen. I m Zweifel spricht der Vorrang für die weitergehenden Maßnahmen. Selbst bei Anerkennung eines solchen Vorrangs direkter Gefahrbeseitigungsmaßnahmen kann es Fallgruppen geben, bei denen sich der zur Gefahrabwendung Verpflichtete auf Warnungen beschränken kann. Mögliche Anwendungsfälle dafür sollen im folgenden näher untersucht werden.
(3) Gefahrabwendung
bei Instruktionsfehlern
Sowohl bei ursprünglichen wie bei erst nachträglich erkennbaren Instruktionsfehlern ist das Produkt als solches nicht fehlerhaft; die noch vorhandenen G e f a h ren sind durch konstruktive Eingriffe nicht zu beheben. Allerdings hat der H e r steller in der Gebrauchsanweisung oder in sonstigen Benutzerhinweisen nicht durch eine ausreichende Aufklärung dafür Sorge getragen, daß die Benutzer die Gefahr in vollem U m f a n g erkennen können und alle Informationen zur Verfügung haben, um das Produkt in einer den Umständen entsprechenden, sicheren Weise benutzen zu können. D e r gefährliche Fehler liegt also in mangelhafter I n formation, nicht in der Konstruktion oder Fabrikation. In einem solchen Fall kann es einen Vorrang der oben beschriebenen A r t nicht geben. Dies bedeutet, daß bei ursprünglichen oder erst nachträglich erkennbaren Instruktionsfehlern das Nachreichen der fehlenden Informationen zur Gefahrabwendung ausreicht. 4 3 2 Allerdings ist es wahrscheinlich, daß die nachträgliche Information anders gestaltet sein m u ß als eine solche beim Inverkehrbringen. D i e Verbraucher haben 432 So auch Borer, S.68f.; Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 90; BGH NJW 1986, 1863 - „Überrollbügel".
262
Deutschland. -
Verschuldenshaftung
sich an bestimmte Benutzungsweisen gewöhnt, sie sind mit dem Produkt vertraut. Die nachträglichen Warnungen und Hinweise müssen deshalb besonders auffällig sein, um wirklich die Aufmerksamkeit der Benutzer zu erregen. 433 Die bloße Zusendung neu formulierter Gebrauchsanweisungen würde deshalb nicht reichen, da viele der erfahrenen Benutzer diese nicht beachten würden. Statt dessen m u ß durch die graphische Gestaltung die Aufmerksamkeit erregt werden, die N a t u r der Mitteilung als Sicherheitsinformation (und nicht bloß als Werbung) m u ß klar erkennbar sein 434 , die Gefahr m u ß klar und verständlich beschrieben sein und die Unterschiede zur Handhabung aufgrund der früheren Benutzungshinweise müssen deutlich hervorgehoben sein, damit sofort erkennbar ist, wie das Verhalten möglicherweise zu ändern ist.
(4) Sichere Gefahrabwendung
durch Warnung
D e r Vorrang direkter Eingriffe zur Gefahrbeseitigung kann auch dann nicht gelten, wenn die Informationsmaßnahme die Gefahr mit gleicher Zuverlässigkeit beseitigt wie eine Reparatur etc. N a c h dem Verhältnismäßigkeitsprinzip m u ß es dann dem Hersteller gestattet sein, die ihn am wenigsten belastende Maßnahme zu ergreifen. Allerdings wird dies nur in Ausnahmefällen gegeben sein. 435 N a c h der Lebenserfahrung ist jedenfalls im Verhältnis zu Endverbrauchern davon auszugehen, daß ein A n g e b o t des Herstellers, den Fehler durch Reparatur oder Austausch zu beseitigen, eher beachtet wird, als eine Warnung vor, eine Information über den sicheren Umgang mit der Gefahr oder Hinweise zu deren Beseitigung. Es ist auch zurecht festgestellt worden, daß im Verhältnis zu Kindern eine Warnung niemals ausreichend sein kann 436 , jedenfalls wenn andere Maßnahmen zur zuverlässigeren Beseitigung der Gefahr möglich sind. D e n k b a r ist jedoch, daß Warnungen an verschreibende A r z t e und A p o t h e k e r im Arzneimittelbereich ausreichend sein können, wenn es um verschreibungspflichtige Medikamente geht, die nur bei sehr langfristiger Einnahme oder bei größeren Mengen schädlich sind, d.h. wenn davon ausgegangen werden kann, daß die bei den Patienten sich bereits befindenden Mengen die Gefahr noch nicht hervorrufen. In diesem Fall würde die Einstellung des Vertriebs und der Verschreibung die Gefahr bannen, da man von der Befolgung der Warnung durch die Arzte und A p o t h e k e r ausgehen kann.
433 Daraufweist z.B. der BGH in den Kindertee-Fäilen hin, BGHZ 116,60 = NJW 1992,560 „Kindertee I". 434 Die Zusendung der Nachricht in einem einfachen Brief würde leicht als Werbebrief angesehen, der ungelesen in den Papierkorb wandert. Deshalb sollte bereits auf dem Brief ein Hinweis auf den sicherheitsrelevanten Inhalt vorhanden sein. 435 S. jedoch OLG Frankfurt/M. BB 1991,2248, in dem bei noch nicht an die Endverbraucher gelangten Produkten eine Warnung der nachfolgenden Produktions- und Absatzstufen für ausreichend gehalten wurde; diese Entscheidung wurde jedoch von BGHZ 117,183 = ZIP 1992,485 - „Kondensatoren" aus anderen Gründen aufgehoben. 436 Münch Komm/Mertens, §823 Rdnr. 203.
Rückrufpflickten
(5) Gefahrabwendung
bei
-
Warnpflichten
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Kombinationsgefahren
Im Honda-Fall hat der B G H Hersteller (und auch Vertriebshändler und Importeure) verpflichtet, auch fremdproduziertes Zubehör unter bestimmten Bedingungen auf Gefahren hin zu beobachten, die sich gerade aus der Kombination mit ihrem Produkt ergeben können. 4 3 7 Sollte sich bei dieser Produktbeobachtung eine Gefährdung der Benutzer zeigen, hat das Gericht die Fahrzeughersteller für verpflichtet gehalten, die Benutzer vor dem Einbau solchen Zubehörs zu warnen oder später auf die Gefahren hinzuweisen. Diese Warnpflicht soll u.U. auch dahin gehen, daß sie generell vor der Verwendung fremden oder nicht empfohlenen Zubehörs warnen sollen. 438 Daß auch weitergehende Rückrufmaßnahmen erforderlich sein könnten, hat das Gericht nicht gesagt; der Fall gab auch keinen Anlaß dafür. Es fragt sich allerdings, ob einem Hersteller Gefahrabwendungsmaßnahmen über Warnungen hinaus zugemutet werden können, wenn sich die Gefährdung der Benutzer und Dritter nur aus der Kombination seines Produktes mit denen anderer Hersteller ergibt. Dabei ist zu beachten, daß diese - wie auch der B G H anerkennt - zu allererst selbst für die Defekte ihrer Produkte verantwortlich sind. Tatsächlich wird man dem Hersteller des Automobils oder Motorrads nicht einen Rückruf der defekten fremden Zubehörteile und sogar deren Reparatur oder ihren Austausch zumuten können. 4 3 9 Dies gilt zumindest dann, wenn der gefährliche Fehler sich zwar in der Kombination verwirklicht, aber allein in dem Fremdprodukt zu lokalisieren ist. Allerdings wird der Hersteller dann dem Zubehörhersteller zumindest Mitteilung von der im Rahmen der Produktbeobachtung erkannten Gefahr machen müssen, damit dieser dann die notwendigen Maßnahmen ergreifen kann. 4 4 0 B G H Z 99, 167. P. Ulmer (ZHR 152 (1988) 564, 582ff.) hat auf die wettbewerbsrechtlichen und kartellrechtlichen Bedenken gegen solche Warnungen hingewiesen, weil damit möglicherweise Produkte von Wettbewerbern „schlecht gemacht" werden und diesen der Zutritt zum Markt erschwert wird. Der Richter am B G H Birkmann (DAR 1990,124,128.) vertritt demgegenüber jedoch, daß „die aus der deliktischen Gefahrenabwehr folgenden Verpflichtungen zu Warnhinweisen und gar Rückruf des schadensträchtigen Produkts dann gegenüber wettbewerbs-und kartellrechtlichen Rücksichtnahmen vorrangig [seien], wenn Gefahr für Leib und Leben von Personen besteht". 4 3 9 Der B G H hat in der Atemüberwachungsgerät-Entscheidung (ZIP 1994, 1960) von dem Hersteller des Geräts - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - nicht verlangt, daß er selbst verwechslungssichere Buchsen und Kabelanschlüsse konstruiert, wenn diese auf dem Markt nicht zu bekommen sind, weil dies völlig betriebsfremd für einen Hersteller medizinischer Geräte sei. Allerdings mußte er auf die Entwicklung solchen sichereren Zubehörs hinwirken. 4 4 0 Anders als im Fall des Atemüberwachungsgeräts, in dem dessen Hersteller die Kabel als Vorprodukte für sein eigenes kaufte und deshalb im Rahmen der Kaufverhandlungen durch die von ihm aufgestellten Anforderungen Einfluß auf die Konstruktion des Vorproduktes nehmen konnte, hat der Autohersteiler bei fremdproduziertem Zubehör eine solche Einwirkungsmöglichkeit nicht, wenn das Zubehör nicht werksseitig eingebaut, sondern später vom Besitzer hinzuerworben wird. Mehr als einen Gefahrenhinweis an den Zubehörhersteller kann man deshalb in dieser Situation nicht verlangen. 437 438
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Verschuldenshaftung
In vielen Fällen wird die Verursachung der Kombinationsgefahr sich aber nicht eindeutig dem Z u b e h ö r zuordnen lassen. A u c h im H o n d a - F a l l trat die lebensgfährliche Verschlechterung der Fahreigenschaften durch den nachträglichen Einbau der Lenkerverkleidung auch deshalb ein, weil das M o t o r r a d auf eine H ö c h s t geschwindigkeit ausgelegt war, bei welcher die Fahrsicherheit zwar noch gewährleistet war, aber auch keine Reserven mehr bestanden. Andere Fälle sind denkbar, bei denen die Gefahrenursache im Z u b e h ö r und im Fahrzeug gleichermaßen gesucht werden kann. 4 4 1 Soweit die Ursache der Kombinationsgefahr nicht eindeutig in einem Mangel des Zubehörs liegt, kann auch der Hersteller des Fahrzeugs sich nicht ohne weiteres auf eine Warnung der Benutzer beschränken.
(6) Gefahrabwendung
bei Entwicklungsrisiken
D i e Verpflichtung zu einem R ü c k r u f in F o r m von Nachbesserung oder Austausch ist umstritten bei Entwicklungsrisiken. Ein großer Teil der Literatur lehnt sie hier gänzlich ab, weil der Hersteller den Sicherheitsmangel nicht zu verantworten habe. 4 4 2 Deshalb soll in jedem Fall eine Warnpflicht ausreichen; nur sie sei ohne vorausgegangene Pflichtverletzung dem Hersteller zuzumuten. Dieser Ansicht kann so pauschal nicht gefolgt werden. N i c h t nur würden danach Dritte, die von dem gefährlichen Produkt ebenfalls bedroht sind und deren Integritätsinteressen gleichermaßen von § 8 2 3 B G B geschützt werden, weitgehend schutzlos gestellt, weil sie von der Beachtung der Warnung durch die Benutzer abhängig wären. Auch Kinder, Alte, Kranke, die von Warnungen nicht erreicht werden oder sie nicht in ein adäquates Sicherheitsverhalten umsetzen k ö n nen, würden nicht geschützt. Darüberhinaus spricht folgende Überlegung gegen diese Ansicht: D a ß die Rechtsordnung eine Entwicklungsgefahr als v o m Geschädigten zu tragendes L e bensrisiko behandelt, ist im R a h m e n der verschuldensabhängigen Produkthaftung nur richtig, solange der Fehler unerkannt bleibt. 4 4 3 Diese Risikozuordnung 441 Dies ist etwa gegeben, wenn die werksseitig vorgesehenen Halterungen für Dachgepäckträger zwar aerodynamisch optimal geformten und nicht überdimensionierten Modellen standhalten, nicht jedoch den auf sie bei Höchstgeschwindigkeit einwirkenden Kräften bei anderen, diesen Anforderungen nicht genügenden Modellen. VW und Audi führten 1989 eine Rückrufaktion für Votex-Dachgepäckträger durch, weil deren Stützfuß brechen konnte. Die Modelle wurden in VAG-Werkstätten umgetauscht; ADACMotorwelt, Heft 7/1989, S. 10. Im selben Heft (S. 12) weist der ADAC auf Gefahren durch eine mangelhaft montierte Dachreling bei Modellen von Ford hin; man habe an den Hersteller appelliert, die Besitzer zu informieren und eine Lösung anzubieten. 442 So Rettenbeck, S.79f.; Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §24 Rdnr. 261; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; P. Ulmer, ZHR 152 (1988) 564, 572; K. Mayer, DB 1985, 319, 324; G. Hager, AcP 184 (1984), 413,424; wohl auch MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 289, der formuliert, daß es mit einer Warnung dann nicht getan sei, wenn das Produkt, dessen Fehler dem Hersteller anzulasten sei, andere Rechtsgüter des Abnehmers gefährdet und eine Warnung diese Gefährdung nicht aufhebt. (Hervorhebung v. Verf.) 443 Anders bei einer reinen Gefährdungshaftung, bei der auch für die Verwirklichung von Entwicklungsgefahren gehaftet wird. Das PHG weicht insofern von der Gefährdungshaftung ab, da
Rückrufpflichten
-
Warnpflichten
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ist nicht endgültig. Das zeigt die Tatsache der Anordnung von Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten. Dies wäre unverständlich, wenn das Risiko von Entwicklungsgefahren in jedem Fall vom Käufer getragen werden sollte. Diese Risikozuordnung gilt so vielmehr nur, solange der Fehler nicht entdeckt ist. Der Gefährdete trägt das Risiko der Unentdeckbarkeit und Nichtbeherrschbarkeit des Fehlers. Wenn die Gefahr aber durch die Entwicklung der Technik im Rahmen der Produktbeobachtung erkennbar und beherrschbar wird, fällt dieser Zuweisungsgrund für die Risikotragung weg. Der Hersteller tritt wieder in die Produktverantwortung ein. Dann ist aber nicht einzusehen, daß diese Verantwortung grundsätzlich auf eine Warnung 444 beschränkt werden soll. Hier müssen vielmehr die allgemeinen Abwägungskriterien gelten. Ist danach die Warnung ausreichend (d.h. geeignet und für den Käufer zumutbar), genügt sie; ist sie nicht ausreichend, müssen andere Maßnahmen hinzukommen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß in den meisten Fällen dem Benutzer die Abwendung der Gefahr durch Nichtbenutzung oder andere Maßnahmen möglich ist. Letztlich kommt es daher auch bei Entwicklungsgefahren auf eine Interessenabwägung zwischen Hersteller und Benutzer an. Dabei kann dann das pflichtgemäße Handeln bei Inverkehrbringen zugunsten des Herstellers berücksichtigt werden. Es ist aber nur ein Abwägungskriterium und schließt nicht automatisch Maßnahmen, die über Warnungen hinausgehen, aus. Auch hier muß gelten, daß dann, wenn eine Warnung die Gefahr nicht beseitigen kann (wie bei der Gefährdung Dritter oder von Kindern) oder wenn ein Ausweichen des Bedrohten durch Nichtbenutzung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, weitergehende Maßnahmen ergriffen werden müssen, soweit diese wiederum dem Hersteller - auch in Anbetracht des pflichtgemäßen Verhaltens bei Inverkehrbringen des Produktes - zugemutet werden können. 445
(7) Gefahrabwendung
bei Selbstschutzmöglichkeit
Fraglich ist jedoch, ob der Vorrang direkter Gefahrabwendungsmaßnahmen auch dann gelten kann, wenn die Nichtbeachtung der Warnung nur den gewarnten Eigentümer/Benutzer selbst, nicht jedoch unbeteiligte Dritte gefährden es bei Entwicklungsgefahren die Haftung ausschließt, allerdings wegen der Beweisregel für deren Vorliegen zuläßt, daß Hersteller unter Umständen doch dafür haften, § 1 Abs. 2 Nr. 5, Abs 4 S.2 P H G . 444 Nach Rettenbeck, S. 79 ist offensichtlich eine bloße Warnung erforderlich, nicht einmal weitergehende Informationen über Gefahrabwendungsmöglichkeiten des Käufers selbst. 445 Pieper, B B 1991,985,988, hält der restriktiven Ansicht entgegen, daß bei einem grundsätzlichen Ausschluß von über die Warnpflicht hinausgehenden Rückrufpflichten für den Fall von Entwicklungsrisiken die Bedeutung der Produktbeobachtungspflicht, deren Hauptbedeutung bei eben diesen Risiken liege, erheblich geschmälert wäre. Damit bejaht er zwar auch bei Entwicklungsrisiken grundsätzlich eine Pflicht zur Rücknahme etc., sieht in der Praxis dafür wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber nur wenig Raum. Außerdem lehnt er eine Nachbesserungs- oder Umtauschpflicht aus anderen Gründen (ein „unauflöslicher Widerspruch zum Vertragsrecht") ab.
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
kann. 446 Der Benutzer wird durch eine sorgfältige Warnung in die Lage versetzt, die Verwirklichung der Gefahr für seine außerhalb des Produkts selbst liegenden Rechtsgüter 447 durch Nichtbenutzung oder durch Reparatur oder Neuanschaffung auf eigene Kosten zu verhindern. Sein Integritätsinteresse ist also insoweit geschützt. Ein über die Warnung hinausgehender Anspruch auf Nachbesserung oder Austausch würde dann nur noch dazu dienen, ihm die eigene Gefahrabwendung nicht durch den Verzicht auf die Nutzung des defekten Produkts oder durch die Aufwendung von zusätzlichen Kosten zu erschweren. Dies aber würde - so wird dagegen zu bedenken gegeben - vorrangig und nicht nur als unvermeidlicher Nebeneffekt des Integritätsschutzes allein dem Nutzungs- und Aquivalenzinteresse des Eigentümers dienen, für das jedoch das Gewährleistungsrecht eine abschließende Regelung bereithalte. 448 Den Bedingungen, unter denen den Gefährdeten ein Selbstschutz möglich und zumutbar ist, soll deshalb im folgenden nachgegangen werden. Dabei ist festzuhalten, daß bei den meisten gefährlichen Produkten, anhand derer die Rückrufproblematik diskutiert wird, nicht nur Rechtsgüter der Eigentümer oder Benutzer gefährdet sind, sondern auch die Dritter. Typisches Beispiel sind Kraftfahrzeuge. Die hier zu prüfende Möglichkeit einer Beschränkung der Gefahrabwendungsmaßnahmen auf Warnungen wegen der Möglichkeit des Selbstschutzes hat deshalb nur einen begrenzten Anwendungsbereich.
(a) Möglichkeit des Selbstschutzes (aa) Keine Selbstschutzmöglichkeit
unbeteiligter
Dritter
Voraussetzung der soeben skizzierten Schlußfolgerungen ist, daß die Warnung oder darüber hinausgehende Gefahrinformationen den Bedrohten auch tatsächlich den Weg eigener Gefahrenabwehr eröffnen. Dies ist in aller Regel nicht der Fall, wenn unbeteiligte Dritte durch das Produkt ebenfalls gefährdet sind. Die Warnung ist meist an die Eigentümer gerichtet. 449 Unbeteiligte Dritte werden nur in Ausnahmefällen von einer Warnung erreicht werden und haben selbst dann meist keinen Einfluß auf Tatsache und Art der Benutzung des Produkts oder eine Möglichkeit, der Gefahr mit ausreichender Sicherheit auszuweichen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß alle Adressaten der Warnung die entsprechenden Verhaltensmaßregeln befolgen werden 450 oder daß eine WarZum Meinungsstand Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §24 Rdnr. 272ff. Bzw. die durch Weiterfresserschäden bedrohten Teile des Produkts. 448 So im Grundsatz Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §24 Rdnr. 273ff.; H. Stoll,JZ 1983, 501, 503f.; Stiebler, S. 149. 449 S. etwa die Praxis der Automobilindustrie, über die Vertragshändler die Käufer bzw. Eigentümer anzuschreiben; s. dazu die jeweiligen kurzen Nachrichten über laufende Rückrufaktionen der Autohersteiler in der Mitgliederzeitschrift des A D A C : ADAC-Motorwelt, Nr. 5/1995, S.38; Nr. 8/1995, S.22. 450 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 177•, Pauli, P H I 1985,134,141 f.; Sack, D A R 1983, 1,2, der dann eine Pflicht sieht, unmittelbar auf den Gefahrenherd einzuwirken. 446 447
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'Warnpflichten
nung an den Eigentümer auch an die tatsächlichen Benutzer weitergegeben wird.451 Die Warnung des Autohersteilers vor defekten Bremsen in bestimmten seiner Modelle wird wahrscheinlich nur einen gewissen Teil der Besitzer dazu veranlassen, das Auto in der Garage oder sofort auf eigene Kosten reparieren zu lassen.452 Da es hier um eine Gefahrabwendungspflicht des Herstellers gegenüber dem Dritten geht, kann er die tatsächliche Beseitigung der Gefahr nicht ohne weiteres durch die Warnung auf die Eigentümer/Benutzer der gefährlichen Produkte delegieren; er kann auch den Dritten nicht darauf verweisen, daß dieser möglicherweise einen Schadensersatzanspruch gegen den Eigentümer/Benutzer bei Mißachtung der Warnung hat. Die Mitverantwortung des Eigentümers/Benutzers kann den Hersteller gegenüber dem Dritten nicht entlasten. Ziel der Gefahrabwendungspflicht ist es gerade, den Eintritt der Schädigung zu verhindern, und es ist die Pflicht des Herstellers, dafür Sorge zu tragen. (bb) Selbstschutzmöglichkeiten
der tatsächlichen
Benutzer
Bei einer Gefährdung nur der Benutzer könnte eine Warnung ausreichen, wenn der zur Warnung Verpflichtete davon ausgehen kann, daß die Warnung vom Eigentümer an eventuell gefährdete Dritte, d.h. die tatsächlichen Benutzer, weitergegeben werden wird und diese sich dann in ausreichender Weise selbst schützen können. Dies kann etwa eine Rolle spielen in Arbeitsverhältnissen, wenn dem Arbeitgeber eine Warnung über gefährliche Eigenschaften des seinen Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Arbeitsgeräts zugeht, oder in Mietverhältnissen, wenn eine entsprechende Information dem Vermieter übermittelt wird. Ob in diesen Fällen aber mit der Weitergabe der Information in angemessener Form zu rechnen ist453 und ob dann dem Benutzer tatsächlich die Vermeidung der Gefahr möglich und zumutbar ist454, kann nur im Einzelfall entschieden werden.455
Nach Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 89 soll dann auch in Kauf genommen werden, daß damit die gewährleistungsrechtliche Haftung zwischen Gläubiger und Schuldner unterlaufen oder umgangen werden kann. 451 Pauli, P H I 1985, 134, 141. Dies dürfte häufig bei Arbeitsgeräten der Fall sein. 4 5 2 Diese Gefahr sieht auch]. Hager, VersR 1984, 799, 800. 4 5 3 So ist durchaus denkbar, daß an die Warnung der Arbeitgeber als Eigentümer bei Arbeitsgerätschaften oder -maschinen andere Anforderungen zu stellen sind als an Warnungen der Arbeitnehmer als unmittelbare Benutzer. O b die Warnung vom Arbeitgeber dann korrekt umgesetzt wird, mag zweifelhaft sein. 4 5 4 Möglicherweise machen es die übrigen Arbeitsbedingungen einem Arbeitnehmer unmöglich, die ihm übermittelte Warnung zu beachten, da er sonst die Abläufe stören würde. 455 Rettenbeck, S. 115f. geht in diesen Fällen von einem zumutbaren Selbstschutz aus, da der Mieter vom Eigentümer eine einwandfreie Sache, der Arbeitnehmer gem. § 618 B G B Schutzmaßnahmen verlangen kann.
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(cc) Selbstschutzmöglichkeit
des
Verschuldenshaftung Eigentümers/Benutzers
Eine Warnung kann auch bei Gefährdung bloß des Eigentümers/Benutzers selbst nur dann ausreichen, wenn sie ihm tatsächlich zugeht 4 5 6 und er sie den U m ständen nach auch beachten kann. Davon kann aber, wenn z . B . Kinder die Benutzer sind, nicht die Rede sein. 4 5 7 Gleiches gilt für alle Personenkreise, denen die konkrete Gefahrensituation nicht in einer Weise nahegebracht werden kann, daß sie sie verstehen können und daß man von ihnen ein selbstverantwortliches H a n deln auf der Grundlage dieser Information erwarten kann. So wird man bei nachträglich entdeckten gefährlichen Eigenschaften von elektrischen Rollstühlen, die vorwiegend von älteren Menschen mit möglicherweise schon verminderter A u f nahme- und Reaktionsfähigkeit benutzt werden (müssen), Warnungen weniger leicht als ausreichend ansehen können als bei Fitneßgeräten, die von sportlichen Erwachsenen benutzt werden. D i e Beachtung der Warnung, d.h. ein Verzicht auf die Benutzung des Produkts oder seine Reparatur bzw. sein Austausch auf eigene Kosten müssen dem B e t r o f fenen aber auch in einer Weise nahegebracht werden, daß man von einer bewußten, selbstverantwortlichen Entscheidung ausgehen kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Warnung mit der gebotenen Deutlichkeit erfolgt und auf die k o n krete Gefahrenlage in einer Weise aufmerksam macht, daß sich der Adressat der Warnung darauf einstellen kann, und wenn trotz des allgemeinen Erfahrungssatzes, daß warnende Hinweise vielfach mißachtet werden, nach Lage der Dinge zu erwarten ist, daß sie ihren Z w e c k nicht verfehlen. 4 5 8 Ist vorherzusehen, daß eine Warnung von einer erheblichen Zahl der Adressaten nicht ernst genug genommen wird, muß der Hersteller diese „natürlichen" Reaktionen bei der Gestaltung der Warnung in Betracht ziehen; möglicherweise m u ß er auch weitergehende M a ß nahmen ergreifen 4 5 9 . Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen fragt es sich, o b und wie die Tatsache, daß Warnungen nach der Erfahrung in erheblichem M a ß e mißachtet werden, bei der Konkretisierung der dem Hersteller aufzuerlegenden Gefahrabwendungsmaßnahmen berücksichtigt werden können.
456 produkthaftungshandbuch/Bd. I/Foerste, §24 Rdnr.251ff. für die Anforderungen an Art und Umfang der Warnungen. Problematisch ist die Warnung insb. dann, wenn Eigentümer und Benutzer nicht identisch sind wie etwa im Verhältnis Vermieter - Mieter oder Arbeitgeber - Arbeitnehmer. 457 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 203. 458 MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 203. 459 Ausführlich dazu Produkthaftungshandbuch /Bd. 1 /Foerste, §24 Rdnr. 265ff.
Rückrufpflichten
(b) Breite Nichtbeachtung (aa) Ursprüngliche
und
-
Warnpflichten
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Selbstschutzmöglichkeit
Produktfehler
Die Erfahrung zeigt, daß Warnungen selbst bei erheblichen und klar erkennbaren Risiken in einem großen Umfang mißachtet werden. Es fragt sich, ob diese Erfahrung eine Rolle spielt, wenn zu beurteilen ist, ob eine Warnung ausreichend sein kann oder ob weitergehende Gefahrabwendungsmaßnahmen erforderlich sind, um eine stärkere Beachtung sicherzustellen. Man wird hier differenzieren müssen. Soweit der Fehler, vor dem der Hersteller warnt, in einem ursprünglichen, schuldhaft verursachten Konstruktionsfehler oder Fabrikationsfehler besteht, kann er sich durch eine nachträgliche Warnung nicht gänzlich von der Haftung befreien. Er hätte den Fehler schon vorher gar nicht entstehen lassen dürfen, also wird er ihn, um eine völlige Haftungsbefreiung zu erreichen, auch nachträglich tatsächlich beseitigen müssen. 460 Eine nachträgliche Instruktion kann den Konstruktionsfehler nicht aufheben. 4 6 ' Es besteht weiterhin der Vorrang direkter Gefahrbeseitigung. Die weite Nichtbeachtung von Warnungen zeigt gerade, daß die Warnung eine geringere Wirksamkeit als weitergehende Maßnahmen aufweist, deren Vorrang also nicht aufgrund gleicher Effektivität aufgehoben ist. Im übrigen bestehen Zweifel daran, ob bei einem ursprünglichen, auf Fehlverhalten des Herstellers zurückgehenden Fehler den Betroffenen ein Selbstschutz zumutbar ist. 462
(bb)
Entwicklungsrisiken
Die Situation ist anders im Fall eines Entwicklungsrisikos, das erst nach dem Inverkehrbringen erkannt wurde. Hält man hier eine Warnung der Benutzer für ausreichend, so hat der Hersteller mit Vornahme einer inhaltlich und formal den Regeln der Kunst entsprechenden Warnung seine Verkehrspflichten erfüllt. E r haftet nicht für dennoch eintretende Schäden. Im Fall von Entwicklungsrisiken hängt somit von der Konkretisierung der Gefahrabwendungsmaßnahme, die zur Erfüllung der zugrundeliegenden Verkehrspflicht ausreichen soll, ab, mit welchem Aufwand der Hersteller das Haftungsrisiko vermeiden kann. Dabei fragt es 4 6 0 Der Hersteller kann seine Pflichten nicht auf Kosten der Dispositionsfreiheit der Benutzer erfüllen; G. Hager, AcP 184 (1984), 413,424; Schwenzer, J Z 1987,1059,1061. A.A. Produkthaftungshandbuch IBA. 1/Foerste, §24 Rdnr. 277. 461 Der Hersteller einer Treppenleiter, die aufgrund eines Konstruktionsfehlers der Belastung nicht gewachsen ist und zusammenbricht, wenn der Benutzer auf die oberste Stufe steigt, kann sich nicht wirksam seiner Verkehrspflicht gegenüber früheren Abnehmern entledigen, indem er ihnen einen warnenden Brief und einen Aufkleber für die Leiter zusendet, der davor warnt, die oberste Stufe zu betreten. Hier ist schon vorher absehbar, daß ein ganz erheblicher Teil der Benutzer diese Warnung mißachten wird. Sie kann deshalb den Hersteller nicht völlig von der Haftung befreien. Allerdings käme ein Mitverschulden der gewarnten Benutzer in Betracht. 4 6 2 In der Regel werden die Interessen desjenigen, der die Gefährdung des Benutzers durch eigenes Fehlverhalten verursacht hat, geringer bewertet als die des sich pflichtgemäß verhaltenden „Opfers". Rettenbeck, S.79.
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Deutschland -
Verschuldenshaftung
sich nun, o b man eine Warnung dann noch ausreichen lassen kann, wenn die E r fahrung lehrt, daß sie in erheblichem U m f a n g mißachtet wird, während das Angebot einer Reparatur oder eines Austauschs in jedem Fall stärker beachtet würde. Grundsätzlich m u ß der Hersteller den Betroffenen unter den gegebenen U m ständen den notwendigen Entscheidungsspielraum eröffnen, der es rechtfertigt, sie auf die ihnen damit gebotenen Selbstschutzmöglichkeiten zu verweisen und den Hersteller aus seiner Produktverantwortung zu entlassen. Dafür muß tatsächlich sichergestellt sein, daß die Betroffenen ihre Entscheidung in bewußter Abwägung des Risikos bzw. unter bewußtem Verzicht auf eine solche Abwägung trafen und der Selbstschutz eine zumutbare Alternative zur unveränderten Weiterbenutzung war. 463 M a n wird dabei die typischen Verbraucherreaktionen bei Risikoentscheidungen berücksichtigen müssen. Ist z . B . erwiesen, daß Verbraucher bestimmte Risiken regelmäßig unterbewerten und deshalb außer acht lassen 464 , muß der Hersteller diese Begrenzungen der menschlichen N a t u r in B e tracht ziehen und dies entweder durch die Gestaltung der Warnung ausgleichen oder, soweit das nicht möglich ist, weitergehende Maßnahmen ergreifen. 465 E s ist allgemein anerkannt, daß der Hersteller bei der graphischen und sprachlichen Gestaltung seiner Mitteilungen an die Gefährdeten deren „menschliche Schwächen", wie etwa die Abneigung gegen lange Texte, schnelles Erlahmen der Aufmerksamkeit etc. berücksichtigen muß. 4 6 6 D a n n ist es aber auch gerechtfertigt, von ihm den Ubergang zu (ihm zumutbaren) weitergehenden Schutzmaßnahmen zu verlangen, wenn aufgrund dieser bekannten menschlichen Verhaltensweisen (wie einer systematischen Unterschätzung bestimmter Risiken) eine Warnung, die diese Defizite überwindet, nicht möglich ist. Dafür spricht auch, daß der Hersteller bei der Konstruktion eines Produktes vorhersehbares menschliches Fehlverhalten einkalkulieren und seine Sicherheitsvorkehrungen darauf einstellen muß; auch dort darf er sich nicht auf warnende Hinweise beschränken, wenn konstruktive Schutzmaßnahmen möglich und zumutbar sind. 467 463 In etwas anderem Zusammenhang, nämlich hinsichtlich des Einwandes eines Schädigers, der Schaden wäre vermieden worden, falls der Kunde von der Benutzung abgesehen hätte, hat Diederichsen, Haftung des Warenherstellers, S. 302 geäußert, daß Warenkauf und Warenverzicht keine echten „Wahlmöglichkeiten darstellten. 464 Zur Wahrnehmung von Risiken und ihrer Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung gibt es mittlerweile eine umfassende Literatur; s. z.B. die Uberblicke bei Slovic, 236 Science 280 (April 1987) und Saffron, 3 Consumer Policy Rev. 213 (1993). 465 Wird z.B. vor einem Fabrikationsfehler gewarnt, der nur bei einem Bruchteil der Serie wirklich vorhanden ist, kann man dem Eigentümer/Benutzer schlecht den Verzicht auf die Benutzung auf Verdacht zumuten. Der Hersteller wird dann zumindest konkrete Hinweise geben müssen, wie der Fehler entdeckt und behoben werden kann. 466 S. die ausführliche Darstellung dieser Probleme auch aus der Sicht der Verhaltenswissenschaften und der Notwendigkeit, diese bei der Gestaltung von Instruktionen zu berücksichtigen, bei J. Meyer, Instruktionshaftung, 1992. 467 Selbstverständlich ist es z.B. fahrlässig, wenn ein Autofahrer bei einem Fahrzeug mit automatischem Getriebe den Wahlhebel auf Vor- oder Rückwärtsfahrt stellt, ohne gleichzeitig die Bremse zu betätigen. Dennoch kann es einen Konstruktionsfehler darstellen, wenn das Umlegen des Wahlhebels bei nicht betätigter Bremse überhaupt möglich ist. Jedenfalls sind entsprechende
Rückrufpflichten
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Warnpflichten
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Deshalb muß der zur Gefahrabwendung Verpflichtete den Betroffenen nicht nur abstrakt durch Hinweis auf die Gefahr die (theoretische) Möglichkeit eigener Gefahrabwendung durch Nichtbenutzung oder Reparatur auf eigene Kosten ermöglichen, sondern er muß eine in den Augen normal verständiger Verbraucher zumutbare und akzeptable Handlungsalternative anbieten.468 Dies bedeutet z.B. daß er jemandem, der existentiell auf die Benutzung des Produktes angewiesen ist, nicht nur die Alternative „Inkaufnahme des Risikos" oder „Nichtbenutzung" anbieten darf. Andere Verbraucher sind nur unvollkommen in der Lage, Entscheidungen wirklich unter korrekter Würdigung aller Umstände zu treffen. So werden die Risiken gefährlicher Produkte oft unterschätzt. Die kurzfristig und unmittelbar erfahrbaren Gebrauchsvorteile beeinflussen die Entscheidung auch ansonsten umsichtiger Verbraucher stärker als entfernte, statistisch nur seltene Risiken, auch wenn sie im Fall der Verwirklichung zu schwerwiegenden Schäden führen würden.469 In einer unter diesen Bedingungen getroffenen Entscheidung liegt somit nicht ohne weiteres die bewußte Inkaufnahme des Risikos oder ein Zeichen für uninteressierte Sorglosigkeit. So sind wohl auch Taschner/Frietsch zu verstehen, wenn sie schreiben, daß ein Produktrückruf zugunsten des Produktbenutzers neben einer Warnung ausnahmsweise zumutbar sei, wenn u.a. ein großes Schadenspotential (z.B. die Gefahr schwerer Gesundheitsschäden) gegeben ist und damit zu rechnen ist, daß die Warnung nicht ernst genommen wird.470 Ist die Entscheidung der Verbraucher gegen einen Selbstschutz durch Nichtbenutzung in diesem Sinne nicht in klarem Bewußtsein der objektiven Gegebenheiten getroffen worden und/oder haben sie sie nicht angemessen einordnen können, muß der Hersteller über die Warnung hinaus zumutbare Alternativen anbieten. In diesem Zusammenhang wird manchmal dagegen gehalten, daß der Hersteller nicht verpflichtet sei, den Benutzer vor seiner eigenen Entscheidung, ein ihm bekanntes Risiko bewußt inkauf zu nehmen, zu schützen.471 Diese Verpflichtung hat er tatsächlich nicht; sie soll ihm auch nicht auferlegt werden. Es geht vielmehr darum, eine solche bewußte Entscheidung möglich zu machen. Im übrigen würde konstruktive Änderungen in den USA vorgenommen worden, nachdem eine Reihe von Unfällen durch angeblich „spontanes" Losfahren von Autos bekannt und in den Medien breit diskutiert wurde. 468 Dabei spielt durchaus auch die Erwartung der Verbraucher, die sie hinsichtlich der Sicherungspflichten der Hersteller haben, eine Rolle. Diese Erwartungen sind auch von der Praxis der betroffenen Industrie beeinflußt. So werden die Verbraucher bei gefährlichen Fehlern an Automobilen eher mit einem Rückruf in die Werkstätten zur Behebung rechnen als bei anderen Produkten. Entsprechend werden sie bei einer bloßen Warnung die Gefahr geringer einschätzen. 469 Das gilt aber offensichtlich nicht für alle Risiken. Insbesondere bei nuklearen und Umweltrisiken besteht ein starkes Gefährdungsgefühl auch bei äußerst geringen Wahrscheinlichkeiten der Verwirklichung. 470 Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 89. 471 S. z.B. Sack, D A R 1983, 1. 2. Ferner Produkthaftungshandbuch/Bd. UFoerste, §24 Rdnr. 274.
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Verschuldenshaftung
dem Hersteller auch keineswegs die Verpflichtung auferlegt, den Verbraucher entgegen dessen erklärten Willen vor Gefahren zu schützen, wenn er unter bestimmten Bedingungen auch bei Gefährdung bloß des Benutzers die Gefahr durch das Angebot einer Reparatur oder eines Austauschs abwenden müßte. Die Anordnung weitergehender Gefahrabwendungsmaßnahmen (im Rahmen der Zumutbarkeit) stellt kein unerwünschtes, paternalistisches Eingreifen in die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen dar, um sie vor ihrer eigenen Ignoranz oder ihrem Leichtsinn zu schützen. 472 Die Entscheidungsfreiheit nimmt sogar zu, weil ihnen statt der Alternative: „Inkaufnahme des Risikos" oder „Nutzungsverzicht bzw. Reparatur auf eigene Kosten" nun als zusätzliche Möglichkeit die Reparatur durch den Hersteller angeboten wird. Dennoch bedeutet die soeben abgeleitete Pflicht des Herstellers, auch bei Entwicklungsrisiken im Rahmen des Zumutbaren den Betroffenen eine Reparatur o.ä. anzubieten, wenn eine Warnung, welche in der Lage ist, die Verbraucher zu sicherheitsbewußtem Verhalten zu veranlassen, nicht möglich ist, nicht notwendigerweise, daß er in jedem Fall einer Schadensverwirklichung haftet, wenn er sich entgegen dieser Verpflichtung auf eine Warnung beschränkte. Der B G H stellt im Einzelfall darauf ab, ob der konkret Geschädigte durch die Warnung des Herstellers in die Lage versetzt worden war, die Gefahr zu vermeiden. Zwar stellt das Gericht gleichzeitig fest, daß die Gestaltung der Warnung grundsätzlich an der am stärksten gefährdeten Benutzergruppe ausgerichtet sein soll. Jedoch nutzt eine Verletzung dieser weitergehenden Pflicht dem im Einzelfall Geschädigten nichts, solange nur sichergestellt war, daß er durch die vorgenommene Warnung in die Lage versetzt wurde, die Gefahr zu erkennen und korrekt einzuordnen. 473 Uberträgt man dies in den vorliegenden Zusammenhang, würde eine Warnung im Einzelfall ausreichen, solange sie den konkreten Benutzer tatsächlich in die Lage versetzt, die Gefahr selbstverantwortlich zu steuern. 474 Setzt man voraus, 472 Anders möglicherweise, wenn man vom Hersteller für einen solchen Fall konkrete Maßnahmen verlangen würde, den Betroffenen an der Nutzung zu hindern; Produkthaftungshandbuch/Bd. UFoerste, §24 Rdnr. 257. Ein solches Eingreifen verlangte der B G H , VersR i960, 856 „Siloanlage" für einen Fall von gleichzeitiger Gefährdung Dritter. 473 B G H N J W 1994, 932 = VersR 1994,439 = D B 1994, 526 = B B 1994, 597 = ZIP 1994, 374 = W M 1994, 466 - „Kindertee II". 474 Der B G H nimmt, wenn er die Bemessung der Warnpflicht an der gefährdetsten Gruppe der Adressaten ausrichtet, inkauf, daß die Verständigeren der Betroffenen, für die z.B. eine weniger plakative oder weniger aufwendig gestaltete Warnung ausgereicht hätte, „übermäßig" geschützt werden. Für sie hätte es nur geringerer Anstrengungen des Herstellers bedurft. Ahnlich ist es inkauf zu nehmen, wenn im Interesse eines möglichst breiten Erfolgs der Gefahrabwendungsmaßnahme insgesamt vom Hersteller verlangt wird, wegen der unvermeidlichen Mängel von Warnungen weitergehende Maßnahmen anzubieten. Auch hier besteht - und insofern ist den oben zitierten Stimmen recht zugeben, die von einem zu weit gehenden Schutz der Bedrohten sprechen - für einen Teil der Betroffenen ein „Ubermaß" an Schutz. Es wird die Reparatur Verbrauchern angeboten, gegenüber denen eine Warnung ausgereicht hätte. Allerdings können diese sich im Einzelfall gegenüber dem Hersteller nicht auf das Fehlen dieses „überschießenden" Schutzes berufen, soweit nachgewiesen werden kann, daß er über ihr persönliches Schutzbedürfnis hinausging.
Rückrufpflichten - Warnpflichten
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daß die Warnung inhaltlich und formal korrekt war, befreit sie den Hersteller von der Haftung gegenüber solchen Geschädigten, obwohl möglicherweise mit weitgehender Mißachtung zu rechnen war, die Gefahr also tatsächlich weitgehend nicht abgewendet wurde. Selbst eine völlige Mißachtung durch alle Gewarnten würde in der Theorie nicht schaden, solange sich dies in jedem Einzelfall als eine bewußte Entscheidung des Betroffenen für den Verzicht auf zumutbare Selbstschutzmaßnahmen darstellen läßt. Es fragt sich aber, ob man eine Warnung, wenn sie in einem nicht unerheblichen Umfang mißachtet wird, im Einzelfall noch ohne weiteres als eine hinreichende Warnung ansehen kann. So bejahen einige Stimmen dann eine über Warnungen hinausgehende Rückrufpflicht, wenn ein großes Personenschadenspotential vorhanden ist, davon ausgegangen werden muß, daß eine Warnung nicht ernst genommen wird, und ein Rückruf zuzumuten ist.475 In diesem Fall könnte eine Vermutung dafür sprechen, daß die Warnung graphisch nicht auffallend genug gestaltet, sprachlich nicht hinreichend klar formuliert, inhaltlich nicht deutlich genug oder grundsätzlich ungeeignet war, den Adressaten eine selbstverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen. Liegt eine weitgehende Nichtbeachtung vor, hätte die Mißachtung der Warnung auch im Einzelfall die Vermutung für sich, daß sie auf Mängel in der Warnung zurückgeht, da ein selbstverantwortlich handelnder, vernünftiger Mensch sie sonst angesichts des Risikos beachtet hätte. Der Hersteller müßte dann nachweisen, daß der konkret Geschädigte sich trotzdem in voller Kenntnis des Risikos und in zumutbarer Weise zur Mißachtung der Warnung entschied. Das Risiko, daß seine Warnung dem Adressaten eine dermaßen „freie" Entscheidung nicht ermöglicht, hat somit der Hersteller zu tragen, soweit er sich von seiner Gefahrabwendungspflicht durch die ihn weniger belastende Maßnahme der Warnung befreien will. Wegen des grundsätzlichen Vorrangs direkter Eingriffe in den Gefahrenherd und weil der Hersteller der zur Gefahrabwendung Verpflichtete ist, wird man ihm die Beweislast dafür aufbürden müssen, daß diese Voraussetzungen einer Verschiebung der Verantwortung auf die Betroffenen erfüllt waren. (c) Zumutbarkeit
des
Selbstschutzes
Mit der Frage, ob dem Gefährdeten ausreichende Informationen und Handlungsalternativen angeboten wurden, so daß man ihm seine Entscheidung, das Produkt trotz der Gefahr weiter zu benutzen, zurechnen kann, ist eng verbunden das Problem, ob ihm ein möglicher Selbstschutz auch zugemutet werden kann. Allerdings kann die Frage, welche Selbstschutzmaßnahmen dem Gefährdeten zugemutet werden können nur im Rahmen einer Abwägung seiner Interessen und derer des Herstellers beantwortet werden. Dieser Frage soll deshalb weiter unten
475
S. Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 89.
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Verschuldenshaftung
nachgegangen werden, wenn auch die Zumutbarkeit von direkten Gefahrbeseitigungsmaßnahmen für den Hersteller diskutiert wird. (8) Gefahrabwendung
bei
Sachschäden
Oben ist bereits herausgearbeitet worden, daß für den Fall, daß der gefährliche Fehler nur weitere Schäden am Produkt selbst verursachen kann, Gefahrabwendungspflichten ausscheiden.476 Allerdings sind diese Fälle selten. Außerdem wurde festgestellt, daß infolge der Rechtsprechung des B G H zu den „Weiterfresserschäden" auch bei Schäden am Produkt selbst Integritätsinteressen hinsichtlich des Sacheigentums berührt sein können.477 Es wurde ebenfalls festgestellt, daß dann, wenn Sachschäden über das Produkt hinaus drohen, nicht generell auf Gefahrabwendungsmaßnahmen verzichtet werden kann, so daß zumindest eine Warnpflicht besteht. Z.T. wird jedoch vertreten, daß eine Warnpflicht in solchen Fällen auch ausreichen soll, wenn darüber hinaus keine weiteren Schäden, also insbesondere keine Körper- oder Gesundheitsschäden drohen.478 Dem wird man zustimmen können. Allerdings muß dann sichergestellt sein, daß auch wirklich nur Sachschäden drohen. In den meisten Fällen gefährlicher Produkte werden jedoch neben Sachgefahren auch Gefahren für Leib und Leben der Benutzer oder Unbeteiligter drohen. Als Beispiele werden defekte Hochgeschwindigkeitsreifen und explosionsgefährdete Schnellkochtöpfe genannt.479 Hier sind die Gefahrabwendungsmaßnahmen an den schwerstmöglichen Unfallfolgen auszurichten.480 Beispiele für gefährliche Produkte, die gleichwohl nur Sachschäden verursachen können, drängen sich dagegen weniger auf, sind aber durchaus relevant. Aus der Rechtsprechung lassen sich die Apfelschorffälle zitieren, bei denen Resistenzbildungen gegen die verwendeten Pflanzenschutzmittel eintraten, vor denen deren Hersteller hätten warnen sollen.481 Gefährdet waren hier nur die Apfelbäume bzw. die Apfelernte. Ein anderes Beispiel wäre eine defekte Waschmaschine, die aufgrund eines Fehlers die Wäsche ruiniert.482
476 BGH VersR 1986, 1125, 1128 - „Milchkühlanlage", Produkthaftungshandbuch/Bd. I/Foerste, §24 Rdnr. 284 m.w.N. Vgl. hierzu jedoch die Rechtsprechung und Literatur zu den „Weiterfresserschäden", ausgehend von der Entscheidung BGHZ 67, 359 = NJW 1977, 379 „Schwimmschalter". Dazu Löwe, DAR 1978, 288. 477 S. dazu auch K. Mayer, BB 1984, 568. 478 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062. 479 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062 Fn.43. 480 Ein Prinzip, das aus den verwaltungsrechtlichen Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke, die sich am GAU (größter anzunehmender Unfall) orientieren, bekannt ist. 481 BGHZ 80, 186 = NJW 1981,1603 = BB 1981,1045 = JZ 1981, 480 = VersR 1981, 639 = JuS 1981,685 - „Derosal" und BGHZ 80,199 = NJW 1981,1606 = BB 1981,1048 = VersR 1981,636 = MDR 1981, 744 - „Benomyl". 482 Schwenzer erwähnt Ledergürtel, die auf Kleider abfärben, und Maschinen, die das zu bearbeitende Material beschädigen, JZ 1987, 1059, 1062.
Rückrufpflichten - Warnpflichten
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D e r B G H hat in den Apfelschorffällen den Beklagten vorgeworfen, daß sie nicht vor der Resistenzbildung gewarnt und auf die Notwendigkeit hingewiesen hatten, daß zu deren Vermeidung verschiedene Mittel abwechselnd gespritzt werden mußten. A u c h in den anderen Fällen reiner Sachgefahren wird man sich auf Warnpflichten beschränken können. Dafür sprechen verschiedene Gründe. Z u m einen sind Eigentum und Besitz in der Wertehierarchie niedriger angesiedelt als Leben, K ö r p e r und Gesundheit. Dies erhellt bereits aus der Reihenfolge der geschützten Rechtsgüter in § 8 2 3 Abs. 1 B G B . 4 8 3 A b e r auch im Produkthaftungsrecht differenzieren die EG-Produkthaftungsrichtlinie und das P H G den Rechtsschutz gegen Schäden an L e b e n und Gesundheit einerseits und gegen Sachschäden andererseits, indem letzteren nur eine beschränkte Ersatzfähigkeit zuerkannt wird. 4 8 4 Bei der Interessenabwägung m u ß man deshalb berücksichtigen, daß dem Hersteller zum Schutz von Sachen nicht die gleichen intensiven Gefahrabwendungsmaßnahmen zugemutet werden können wie zum Schutz von Leben und Gesundheit. Selbst für den Fall, daß der Fehler v o m Hersteller mit nur geringem Aufwand beseitigt werden könnte, spricht dies nicht unbedingt dafür, daß ihm dies, etwa wenn besonders schwerwiegende Sachschäden drohen, auch zugemutet werden kann. In diesem Fall dürfte es nämlich auch dem Betroffenen ähnlich leicht möglich sein, den Fehler selbst beseitigen zu lassen, so daß sich daraus kein eindeutiger G r u n d für eine entsprechende Pflicht des Herstellers ableiten läßt. Ferner spielt eine Rolle, daß unbeteiligte Dritte bei Fehlern, die bloß Sachschäden verursachen können, weniger oft und auch weniger schwer gefährdet sind als bei Produkten mit Gefahren für L e b e n und Gesundheit. 4 8 5 Fehlerhafte Produkte, die nur Sachschäden herbeiführen können, verursachen meist Schäden nur an G e genständen, die mehr oder weniger gezielt mit ihnen in Verbindung gebracht wurden (die Wäsche und die Waschmaschine, das Spritzmittel und die Apfelbäume des Obstbauern, das Kleid und der Gürtel etc.), weniger jedoch - wie etwa bei Unfällen von A u t o m o b i l e n - an Rechtsgütern, die zufällig und unvorhersehbar mit ihnen in K o n t a k t geraten. Unbeteiligte Dritte werden somit seltener und w e niger schwer betroffen. D i e Nichtbeachtung einer Warnung durch die Eigentümer hat somit weniger gravierende Folgen für Dritte. Zu berücksichtigen ist auch, daß Sachschäden ihrer Art nach eher durch einen Schadensersatz wirksam kompensiert werden können als Personenschäden. D i e Effizienz der präventiv wirkenden Schadensabwendungsmaßnahmen hat deshalb bei der Vermeidung von Sachschäden nicht die gleiche Priorität wie bei Personenschäden. M a n wird deshalb Sachschäden, die trotz einer Warnung auftreten, eher inkauf nehmen können, auch wenn sie mit einer Reparatur durch den Hersteller wirksamer vermieden worden wären. 4 8 6 Canaris, in: FS Larenz II, S.27ff., 31; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062. Art. 9 b) PHRL und §§ 1 Abs. 1 S. 2, 11 PHG, wonach Sachschäden nur bei privat genutzten Sachen ersetzt werden, soweit sie die vorgeschriebene Selbstbeteiligung überschreiten. 485 Darauf weist Schwenzer hin, JZ 1987, 1059, 1062. 486 Allerdings trifft dieses Argument voll nur bei verschuldeten Produktfehlern zu. Bei Entwicklungsfehlern kommt es nicht zu Schadensersatzansprüchen gegen den Hersteller, wenn er 483
484
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Deutschland - Verschuldenshaftung
Selbst in den Fällen, in denen Dritte durch solche Warnungen nicht wirksam geschützt sind, weil sie von einem Teil der Eigentümer mißachtet werden, oder in denen z.B. Kinder, Alte, Kranke die Warnung nicht in erfolgreiches Gefahrabwendungsverhalten umsetzen können, ist zu berücksichtigen, daß es „nur" um den Schutz des Eigentums dieser Betroffenen geht. Im übrigen würde ihnen bei einer - aufgrund eines pflichtwidrig herbeigeführten Fehlers - schuldhaft verursachten Eigentumsverletzung weiterhin ein Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller zustehen, da in diesem Fall eine nachträgliche Warnung die Haftung nur bei erfolgreicher Gefahrabwendung vermeiden kann. Dritte wären schließlich auch bei Entwicklungsrisiken nicht völlig schutzlos, da ihnen möglicherweise ein Schadensersatzanspruch gegen den Eigentümer zusteht, wenn der die Warnung schuldhaft mißachtet. (9) Zumutbarkeit
des Selbstschutzes
bzw. weitergehender
Maßnahmen
Nach den vorstehenden Überlegungen sind Gefahrabwendungsmaßnahmen, die über Warn- oder Informationsaktionen hinausgehen, dann nicht geboten, wenn nur das Produkt selbst geschädigt werden kann oder wenn nur Sach- oder Vermögenschäden drohen, wenn ein Instruktionsfehler vorliegt, wenn die Gefahr nur bei einem entfernten Mißbrauch auftritt, mit dem man nicht rechnen muß, wenn die Gefahr durch eine Warnung mit Sicherheit abgewendet werden kann, wenn bei Kombinationsgefahren der Fehler eindeutig im fremdproduzierten Produkt liegt und schließlich - bei bloßer Gefährdung des Benutzers im Fall von Entwicklungsrisiken - wenn dem Betroffenen eine selbstverantwortliche Entscheidung über Selbstschutzmaßnahmen ermöglicht wird. 487 Umgekehrt läßt sich daraus schlußfolgern, daß Rückrufmaßnahmen in Form der Reparatur, der Nachbesserung, des Austauschs oder der Rücknahme dann erforderlich sind, wenn Gefahren für Leib und Leben drohen und insbesondere wenn unbeteiligte Dritte sowie solche Personen bedroht sind, die mit einer Warnung nicht zu einem selbstverantwortlichen, gefahradäquaten Verhalten gebracht werden können, weil dies ihnen aus den verschiedensten Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar wäre. Soweit nach dem soeben Gesagten über bloße Warn- oder Informationsaktionen hinausgehende Gefahrabwendungsmaßnahmen wie Reparaturen, Nachbesserungen oder Austausch ergriffen werden müssen, können sie den Pflichtigen aber nur auferlegt werden, wenn sie ihnen auch zumutbar sind. Dabei ist danach zu differenzieren, ob ein pflichtwidrig verursachter Fehler oder ein Entwicklungsrisiko vorliegt.
seinen Gefahrabwendungspflichten genügt. Soweit man ihm nur eine Warnpflicht auferlegt und er sie erfüllt, entfällt seine Haftung für dennoch eintretende Schäden. 4 8 7 Wobei diese Möglichkeit vom Hersteller zu beweisen ist.
Rückrufpflichten - Warnpflichten
(a) Zumutbarkeit
bei pflichtwidrig
verursachten
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Fehlern
Soweit der Fehler, den der Hersteller beseitigen soll, durch ihm zurechenbares Fehlverhalten verursacht wurde, haben seine Interessen regelmäßig hinter denen der Betroffenen zurückzustehen. Dabei ist auch zu beachten, daß nach der hier vertretenen Lösung direkte Gefahrbeseitigungsmaßnahmen v o m Hersteller nur gefordert werden, wenn Gefahren für Leib und L e b e n des Benutzers oder Dritter bestehen. A u f der Seite des Herstellers stehen diesen Rechtsgütern nur seine Vermögensinteressen an der Vermeidung zu hoher Kosten oder zu großer G e w i n n einbußen gegenüber. Außerdem hat der Hersteller den Konstruktions- oder F a brikationsfehler durch ihm zurechenbares Fehlverhalten verursacht. D e r Fehler als Bedrohung der Rechtsgüter des Gefährdeten stellt sich dann ähnlich einem rechtswidrigen Angriff auf diese dar. Ebensowenig, wie der Gefährdete einem solchen Angriff ausweichen müßte 4 8 8 , m u ß er einer durch die Vernachlässigung der Verkehrspflichten v o m Hersteller verursachten Gefährdung ausweichen. U n t e r diesen Umständen erscheint es nicht als interessengerecht, den pflichtwidrig handelnden Hersteller aus Zumutbarkeitsgründen von seinen direkten Gefahrabwendungspflichten zu entbinden und den Gefährdeten die Gefahrverantwortung durch die Aufbürdung von Selbstschutzmaßnahmen zu übertragen 4 8 9 .
(b) Zumutbarkeit
bei
Entwicklungsrisiken
A u c h im Falle von Entwicklungsrisiken ist zu prüfen, ob die Bedrohung und mögliche Schädigung der Betroffenen inkauf genommen werden kann, weil eine Abwendung der Gefahr für den Pflichtigen zu unverhältnismäßigen Belastungen führen würde. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, daß dem Hersteller hier kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann, andererseits aber auch, daß es sich - soweit direkte Gefahrabwendungspflichten im Grundsatz bestehen - bei den Schäden der Betroffenen um solche an Leben, K ö r p e r oder Gesundheit handelt 4 9 0 , während dem Pflichtigen wiederum allenfalls Vermögenseinbußen durch die aufzuwendenden Kosten oder zukünftige Gewinneinbußen durch mögliche Imageverluste drohen. Bei einer Abwägung dieser beiden Rechtsgüter gegeneinander wird in aller Regel die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen höher zu bewerten sein. N a c h allgemeiner Meinung sollen Kostenerwägungen und mögliche Imageschäden des Herstellers bei der Bestimmung der Zumutbarkeit ihm o b liegender Maßnahmen kein G e w i c h t beanspruchen können, wenn Leben und Gesundheit der Benutzer auf dem Spiel stehen. 4 9 1 §§227ff. BGB. „Wirtschaftliche Erwägungen haben, wenn Leben und Gesundheit einzelner oder der Allgemeinheit in Gefahr sind, grundsätzlich keinen Einfluß auf die Gefahrabwendungspflicht des Warenherstellers." Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. 50 m.w.N. 490 Soweit bloß Sachschäden drohen, bestehen nur Warnpflichten. 491 BGH NJW1972,2217,2220 - „Estil"; MünchKomm/Mertens, § 823 BGB Rdnr. 283; Sack, BB 1985, 813, 815; Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. 50. 488
489
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Verschuldenshaftung
Diese Regel kann nur dann uneingeschränkt gelten, wenn der Gefährdete sich nicht selbst schützen kann, auf die Gefahrabwendungsmaßnahmen des Herstellers also angewiesen ist. Man wird sie aber - gerade im H i n b l i c k auf das pflichtgemäße Verhalten des Herstellers - relativieren müssen, wenn dem Gefährdeten ein Selbstschutz ohne große Aufwendungen möglich ist 4 9 2 , wenn die Schadensabwendungskosten des Herstellers in keinem Verhältnis zu den Kosten eines Selbstschutzes der Gefährdeten stünden, wenn die Gesundheitsbeeinträchtigung des Benutzers im Verhältnis zu den Vermeidungskosten nur sehr gering ist etc. So könnte z . B . bei verdorbenen Lebensmitteln von geringem Wert, deren Verzehr keine ernsthaften Gesundheitsschäden verursacht, die Warnung vor dem G e n u ß die geeignete, erforderliche und allein zumutbare Maßnahme sein, da Rückrufaktionen, zumindest wenn die Produkte schon in den Händen der Verbraucher sind, nur zu unverhältnismäßigen Kosten möglich sind. 493 Das gleiche k ö n n t e für geringwertige, in Massen verkaufte Gegenstände gelten, soweit ihr Gefahrpotential gering ist. In einem solchen Fall kann eine Reparatur- oder Austauschaktion pro Stück leicht das Vielfache des Wertes kosten, so daß es den Verbrauchern eher zuzumuten ist, nach einer eindringlichen Warnung auf die Benutzung zu verzichten oder die geringe Belastung einer Neuanschaffung zu tragen 4 9 4 . In Extremfällen, in denen das U n t e r n e h m e n durch die Durchführung einer gebotenen R ü c k r u f m a ß n a h m e in den K o n k u r s getrieben würde, wird man möglicherweise auch bei ernsteren Gefahren und auch von einem pflichtwidrig handelnden Hersteller weniger effektive Maßnahmen tolerieren können, da sonst die Basis für eine mögliche, wenn auch weniger erfolgreiche Gefahrabwendung und die Kompensation dennoch auftretender Schäden zerstört würde. Allerdings würde dies nicht aus Rücksicht auf die Interessen des Herstellers, sondern auf die der möglichen Geschädigten erfolgen. 4 9 5
(c) Zumutbarkeit des Selbstschutzes bei existentieller Gefährdung In der Literatur wird zum Teil vertreten, daß ein Selbstschutz durch N i c h t b e nutzung oder Ersatzbeschaffung auf eigene Kosten dem Gefährdeten dann nicht zumutbar sei, wenn die betroffenen Produkte „für den Lebensunterhalt oder für die Erhaltung der betrieblichen Existenz von Unternehmern unabdingbar notwendig sind und deren Ersatzbeschaffung wegen extrem hohen Kostenaufwandes nicht in angemessener Zeit finanzierbar erscheint". 4 9 6 Gleiches soll gelten, Z.B. durch Verzicht darauf, eine Flasche verseuchter Milch zu trinken. Dies mag anders sein für Produkte, die noch in den Regalen der Groß- oder Einzelhändler liegen und durch einen Rückruf gegenüber diesen aus dem Verkehr gezogen werden können. 494 Noch enger]. Hager, VersR 1984, 799, S. 804f., der eine Warnpflicht nur dann ausreichen lassen will, wenn das Produkt gänzlich wertlos ist. 495 S. jedoch Canaris, der unter gewissen Umständen in der Belastung des Schädigers mit einer ruinösen Ersatzpflicht einen überaus schweren Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sieht; JZ 1987, 993, 1001. Kritisch dazu Medicus, AcP 192 (1992) 35, 65ff. 496 H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1806. 492 493
Rückrufpflichten
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Warnpflichten
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wenn Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern zur Benutzung gefährlicher Fahrzeuge, Arbeitsgeräte etc. gezwungen werden. 497 Zunächst ist zuzugeben, daß die Interessenabwägung im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung durchaus Platz f ü r die Berücksichtigung solcher Extremfälle hat. 498 Aber es muß auch klar sein, daß es sich wirklich nur um Extremfälle handeln kann. Welches Produkt ist schon wirklich so existentiell notwendig, wie Herrmann es als Voraussetzung f ü r die Unzumutbarkeit des Selbstschutzes formuliert? Außerdem ist zu berücksichtigen, daß das Problem nur dann auftritt, wenn die obige Lösung Warnpflichten des Herstellers genügen läßt. Dies ist im wesentlichen nur dann der Fall, wenn bloß Sachschäden drohen oder wenn im Fall von Entwicklungsrisiken bei Gefahren für Leib und Leben bloß der Benutzer gefährdet ist und durch die Warnung (unter Berücksichtigung möglicher Zwangslagen) in die Lage versetzt wird, eine freie, selbstverantwortliche Entscheidung zu treffen. 499 Sind dagegen auch Dritte an Leib und Leben gefährdet, besteht (im Rahmen der Zumutbarkeit) immer eine Pflicht zur direkten Gefahrabwendung; ebenso wenn nur der Benutzer an diesen Rechtsgütern gefährdet ist, der Fehler aber auf ein zurechenbares Fehlverhalten des Herstellers zurückgeht. Die praktische Bedeutung einer solchen Ausnahme kann also nur verschwindend gering sein. Im Beispielsfall des Arbeitnehmers bestehen aber auch ansonsten Bedenken. Der Arbeitnehmer, dem wegen der Unzumutbarkeit des Ausweichens aufgrund der Uneinsichtigkeit des Arbeitgebers ein Anspruch auf Fehlerbeseitigung gegen den Hersteller zustehen soll500, wird zunächst vom Arbeitgeber nach §618 BGB die Vornahme von Schutzmaßnahmen fordern können. Das schließt zwar nicht aus, daß auch der Hersteller, insbesondere wenn er den Fehler in zurechenbarer Weise verursacht hat, zur Beseitigung verpflichtet ist501, doch wird der Arbeitnehmer einen solchen eigenen Anspruch ohne den Arbeitgeber nicht durchsetzen können, da er dazu auf ihn als Eigentümer angewiesen ist, damit dem Hersteller eine Reparatur überhaupt gestattet wird.
497
Ebd. Man muß nur den Fall des Atemüberwachungsgeräts (BGH ZIP 1994,1960) so abändern, daß bei einer gefährlichen Fehlfunktion ohne eine Nachbesserungspflicht des Herstellers dem Patienten nur die Alternative „Inkaufnahme des Risikos" oder „Nichtbenutzung des Geräts" bliebe. 499 Da der Hersteller dies zu beweisen hat und eine diesen Anforderungen genügende Aufklärung aller Gefährdeten oft nicht möglich ist, wird der Hersteller auch in diesen Fällen nicht selten eine Reparatur anbieten, insbesondere, wenn er sich davon eine geringere Beschädigung seines Image verspricht. 500 H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1806. 501 A.A. Rettenheck, S. 115f., der es eigenartig findet, daß ein Anspruch nur deshalb gegeben sein soll, weil ein Dritter den Produktbenutzer zu dem gefährdenden Handeln zwingt. Die Haftung des Herstellers, bestünde sie denn, wäre aber nicht in dem Fehlverhalten des Arbeitgebers begründet, sondern darin, daß er selbst den Fehler in zurechenbarer Weise verursacht hat. 498
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Verschuldenshaftung
Zusammenfassung
Nach den vorstehenden Überlegungen besteht ein Vorrang direkter Gefahrbeseitigung durch Reparatur, Austausch etc. vor indirekten Maßnahmen wie Warnung und Instruktion. Deshalb kann sich der zur Gefahrabwendung Verpflichtete nur nach folgenden Grundsätzen auf bloße Informationsmaßnahmen beschränken und die tatsächliche Beseitigung der Gefahr bzw. das Ausweichen dem Betroffenen überlassen: - Bei ursprünglichen oder nachträglichen Instruktionsfehlern reicht das Nachreichen der Informationen aus. - Grundsätzlich ist eine Warnung nur ausreichend, wenn dadurch die Gefahr mit hinreichender Sicherheit beseitigt werden kann. Sind Kinder betroffen, dürfte eine Warnung kaum jemals ausreichen. - Bei Kombinationsgefahren durch fremdgefertigtes Zubehör reicht in der Regel eine Warnung aus. - Bei Entwicklungsgefahren ist eine Warnung nicht immer ausreichend; auch dort kommt es auf eine Interessenabwägung an, bei der jedoch das pflichtgemäße Handeln des Herstellers zu berücksichtigen ist. - Eine Warnung ist ausreichend, wenn nur Rechtsgüter des Adressaten selbst gefährdet werden und ihm durch die Information ausreichende Entscheidungsgrundlagen und eine zumutbare Möglichkeit des Selbstschutzes eröffnet werden. Ob die Warnung in diesem Sinne ausreichend ist, hat der Pflichtige zu beweisen. - Ist der gefährliche Fehler durch ein dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten verursacht worden, hat er bei Gefahren für Leib und Leben des Eigentümers/Benutzers den Gefahrenherd zu beseitigen. Nur ausnahmsweise kann letzterem zugemutet werden, der Gefahr durch Nichtbenutzung, Reparatur oder Ersatzbeschaffung auszuweichen. - Eine Warnung reicht aus, wenn nur Sachschäden drohen. - Eine Warnung muß ausreichen, wenn weitergehende Maßnahmen dem Pflichtigen ausnahmsweise unzumutbar sind. Dies wird bei Gefahren für Leib und Leben kaum je der Fall sein. d) Direkte
Beseitigung
des
Gefahrenherds
Im Umkehrschluß aus dieser Zusammenfassung läßt sich ableiten, daß Rückrufmaßnahmen zur direkten Beseitigung des Gefahrenherds dann erforderlich und in der Regel auch zumutbar sein werden, wenn (zumindest auch) Leib und Leben unbeteiligter Dritter und besonders schutzwürdiger Produktbenutzer, die zu einem verantwortlichen und zumutbaren Selbstschutz nicht in der Lage sind, bedroht sind. Sind nur Leib und Leben der Eigentümer/Benutzer gefährdet, kann eine direkte Gefahrbeseitigungsmaßnahme dann geboten sein, wenn in Anbetracht der bekannten Verhaltensmuster die Warnung ihr Sicherheitsziel tatsächlich verfehlen wird, weil z.B. das Risiko von einer erhebliche Zahl der Verbrau-
Rückrufpflichten - Beseitigung
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eher unterschätzt und das Produkt unverändert weiterbenutzt wird. D i e Beweislast dafür, daß eine Warnung ausreichend ist, sollte beim Pflichtigen liegen.
aa) Allgemeines Ist in dem soeben herausgearbeiteten Sinne eine Gefahrbeseitigung durch die indirekte Maßnahme der Warnung oder Instruktion nicht ausreichend sichergestellt, bestehen Pflichten zu direkten Rückrufmaßnahmen 5 0 2 , denn wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann eine solche Verpflichtung nur dann in Frage k o m m e n , wenn Warnungen nicht genügen, u m der Produktgefahr zu begegnen. 5 0 3
Diese
direkten
Gefahrabwendungspflichten
können
Reparatur-,
Nachbesserungs-, Austausch-, R ü c k n a h m e oder Nachrüstpflichten sein. D e r Hersteller (bzw. allgemein: der Pflichtige) beseitigt dabei direkt den Gefahrenherd. Allerdings ist er dabei von der Kooperation des Eigentümers oder Besitzers des defekten Produkts abhängig. E r kann die Gefahr nur dann wirklich aus der Welt schaffen, wenn dieser sein entsprechendes A n g e b o t annimmt. Bei der K o n kretisierung der v o m Hersteller zu ergreifenden Maßnahme, insbesondere bei der Festlegung der Kostentragung ist deren Zielrichtung zu beachten. Wie oben festgestellt, würde z u m Schutz des Benutzers selbst oft eine Warnung oder Instruktion ausreichen, soweit ihm damit die Möglichkeit einer umfassenden, selbstverantwortlichen Entscheidung gegeben wird. D i e hier zu diskutierenden, darüber hinausgehenden Maßnahmen werden aber deshalb notwendig, weil die Warnung nicht allen Benutzern und vor allem nicht unbeteiligten Dritten einen Selbstschutz ermöglicht. D e r wirksame Schutz der besonders gefährdeten Benutzerkreise und unbeteiligter Dritter ist deshalb die Maßschnur für die Auswahl der konkreten Maßnahme. 5 0 4 Dies rechtfertigt den in diesem Fall unvermeidlich überschießenden Schutz der Eigentümer/Benutzer. D i e Reparatur oder der Austausch des defekten Produkts dient auch nicht der Kompensation eines Schadens des Eigentümers, sondern der Abwendung der Gefahren von schutzbedürftigen und -würdigen Benutzern und Dritten. In diesem Sinne ist zu prüfen, ob nicht unter engen Voraussetzungen der Hersteller 502 RGZ 163, 21, 26 - „Bremsen I"; BGH VersR 1956, 625 - „Karussell"; Sack, BB 1985, 813, 817 und die zahlreichen Nachweise S. 816 Fn. 52; ebenso mit Nachweisen Pauli, PHI 1985, 134, 141 Fn. 62. 503 Sack, BB 1985, 813, 817; ProdukthaftungshandbuchIBd. 1 /Foerste, §24 Rdnr. 262; Pauli, PHI 1985, 134, 141; Pieper, BB 1991, 985, 988, der glaubt, daß oft eine Warnung genügt. Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 88 sprechen davon, daß solche Maßnahmen nur die „ultima ratio" sein können. Allerdings muß man dies im Zusammenhang mit dem oben aufgestellten Prinzip des Vorrangs direkter Gefahrbeseitigungsmaßnahmen relativieren. Reparatur-und ähnliche Maßnahmen sind richtigerweise nur dann zu verlangen, wenn Warnungen nicht ausreichend sind; insofern sind sie ultima ratio. Umgekehrt reichen Warnungen nur dann aus, wenn sie die Gefahr mindestens ebenso zuverlässig wie direkte Maßnahmen beseitigen. Bestehen daran jedoch Zweifel, muß zum Schutz der Rechtsgüter von Leib und Leben der Vorrang direkter Maßnahmen gelten. 504 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1064.
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Deutschland
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auch zu Leistungen verpflichtet sein kann, welche über eine Kompensation der fehlerbedingten Nachteile des Eigentümers hinausgehen, um ihm stärkere Anreize zur Beachtung des Rückrufs zu bieten und damit die Dritten besser zu schützen. Die Ansicht, daß Pflichten, die auf Nachbesserung oder Ersatzlieferung hinauslaufen würden, durch das Ziel, eine Gefahr zu beseitigen, nicht mehr gedeckt wären 505 , bedarf jedenfalls der Relativierung. Es kann in solchen Fällen zur erfolgreichen Gefahrvermeidung durchaus notwendig sein, zusätzliche Anreize zur Gefahrbeseitigung durch das Angebot einer kostenlosen Nachbesserung zu geben 5 0 6 und dem Hersteller die Pflicht aufzuerlegen, mit zumutbarem Aufwand dafür zu sorgen, daß das von seinem Produkt ausgehende Gefahrenpotential unmittelbar beseitigt wird. 507 Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann dem Hersteller bei gleicher Wirksamkeit nur die Maßnahme auferlegt werden, welche ihn am wenigsten belastet. Soweit also bei einem komplizierten technischen Geräts mit erheblichem Wert eine kleinere Reparatur die Gefahr wirksam beseitigen kann 5 0 8 , kann vom Hersteller nicht der Austausch gegen ein neues Gerät verlangt werden. Umgekehrt kann man ihm keine Reparatur vorschreiben, wenn deren Kosten den Wert des Produkts bei weitem übersteigen würden und ein Austausch deshalb billiger wäre. Soweit die Wirksamkeit der Maßnahme gesichert ist, steht dem Hersteller die Wahl frei. 509 E r kann also auch „überobligationsmäßige" Maßnahmen ergreifen, wenn er dies aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen für sinnvoll hält. Der Hersteller möchte sich möglicherweise seinen Kunden und der Öffentlichkeit gegenüber großzügig und verantwortungsbewußt zeigen, um mögliche Beschädigungen seines Images so klein wie möglich zu halten. Insgesamt wird man dem Hersteller bei der Auswahl der konkreten Abwendungsmaßnahme einen gewissen Spielraum lassen müssen, da die betriebswirtschaftlichen Grundlagen seiner 5 0 5 So aber Pieper, B B 1985, 985, 988f.; G. Hager, J Z 1990, 397, 406. Pieper sieht auch den Schutz Dritter nicht als ausreichenden Grund für die Auferlegung einer Nachbesserungspflicht an. 506 S. die von Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320,322 erwähnte Rückrufaktion der französischen Firma Moulinex für Schnellkochtöpfe, bei der zuerst die Kunden für den Austausch der Deckel zahlen sollten, die dann aber erst erfolgreich war, als nach Einschaltung staatlicher Stellen die Reparaturkosten übernommen wurden. Sack, D A R 1983, 1,2 sieht ebenfalls eine Warnpflicht etwa für defekte Autoreifen wegen der Gefährdung für Dritte nicht als ausreichend an und verweist auf B G H , VersR 1956, 625 - „Karussell". Allerdings wird auch dann ein Rückruf nicht durchgängig beachtet, Krutein, D A R 1985, 33, 35. 5 0 7 B G H VersR 1956, 625 - „Karussell"; MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 203; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 92. 5 0 8 Dies ist häufig bei den bekanntgewordenen Rückrufaktionen der Automobilindustrie der Fall. S. z.B. die kürzliche Rückrufaktion der Fa. Opel für ihr Modell Astra, bei der durch eine geringfügige Maßnahme die Verpuffungsgefahr am Benzineinfüllstutzen beseitigt wurde. S. ADAC-Motorwelt, Heft 4/95, S.44. 509 K. Mayer, D B 1985,319,524-, Schwenzer, J Z 1987,1059,1064. S. auch MünchKomm/Medicus, § 1004 Rdnr. 63 für den (quasi)negatorischen Beseitigungsanspruch.
Rückrufpflichten
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Beseitigung
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Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Maßnahme im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mit Sicherheit feststehen und vom Gericht auch nur begrenzt nachgeprüft werden können. Man wird jedenfalls vorsichtig sein müssen, ihm nicht aufgrund nachträglicher Kenntnisse eine Entscheidung vorzuwerfen, die er viel früher und ohne den Vorteil dieser Kenntnisse hat treffen müssen. bb)
Kostentragung
Die Frage, wer die Kosten einer Reparatur-, Austausch- oder Rücknahmeaktion zu tragen hat, ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Gefahrbeseitigung, da nicht zuletzt davon die Anreize für eine Beteiligung des Eigentümers/Benutzers an der Aktion abhängen. Würde der Hersteller eine Reparatur ohne gleichzeitige Übernahme (eines Teils) der Kosten anbieten, hätte dies nur die Wirkung einer Warnung. Deshalb ist nach allgemeiner Meinung dann, wenn eine Pflicht zur direkten Einwirkung auf den Gefahrenherd besteht, der Hersteller verpflichtet, zumindest einen Teil der Kosten zu tragen. 510 Man muß dabei beachten, daß es sich bei der Kostentragung des Herstellers für die Rückrufmaßnahme nicht um einen Schadensersatz handelt, der dem Eigentümer nach §823 A b s . l BGB wegen der Verletzung seiner Rechtgüter zustehen würde 511 , sondern um den Aufwand, den der Verkehrspflichtige treiben muß, um seiner Maßnahme zur Abwendung der Gefahr von unbeteiligten Dritten oder besonders schutzbedürftigen Benutzern zum Erfolg zu verhelfen. Schadensrechtliche Kriterien der Ersatzfähigkeit sind daher nicht notwendigerweise entscheidend, wenn es um die Grenzen der Kostentragung geht. Möglicherweise muß der Hersteller auch solche Aufwendungen machen, auf die der Eigentümer/Benutzer im Schadensfall keinen Anspruch hätte, wenn diese zur Abwendung der Gefahr für Dritte notwendig und zumutbar sind. 512 Im allgemeinen geht man davon aus, daß der Hersteller, soweit er zu diesen Maßnahmen verpflichtet ist, die direkten Kosten der Gefahrbeseitigung, also der Reparatur, des Austauschs oder der Rücknahme, selbst zu tragen hat. 513 Dazu gehören die Arbeits- und Materialkosten. Ausnahmsweise soll der Hersteller aber auch berechtigt sein, einen bedingten Rückruf vorzunehmen, d.h. die Rückrufmaßnahme von einer (Kosten)Beteiligung des Interessenten abhängig zu machen. 514 Tatsächlich sind Fälle bekannt, in denen der Hersteller im Rahmen eines Rückrufs die Produkte auf das Vorhandensein des Mangels untersuchte, dessen Beseitigung aber von einer Kostenbeteiligung der Verbraucher 510 Löwe, DAR 1978,288,292;/. Hager, VersR 1984, 799, 807 (außer, wenn die fehlerhafte Sache völlig wertlos ist); MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 289; ProdukthaftungshandbuchI Bd.l/Foerste, §24 Rdnr. 285; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063. 511 Der Minderwert der Sache selbst ist kein Eigentumsschaden, da sie fehlerbehaftet erworben wurde, ein Folgeschaden ist noch nicht eingetreten und soll gerade verhindert werden. 512 Anders, wenn es um die Abwendung einer Gefahr ginge, die bloß dem Eigentümer droht. 513 S. die Fundstellen in der vorigen Fußnote. 514 Produkthaftungshandbuch/Bd.l/Foerste, §24 Rdnr. 285; Dabei kann man z.B. an eine Aufteilung nach Arbeits- und Materialkosten denken, K. Mayer, DB 1985, 319, 325, oder an einen Ausgleich „neu für alt", Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1064.
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abhängig machte. 5 1 5 D e r Reifenhersteller Michelin etwa tauschte 1981 fast 100000 Lastwagenreifen aus, vergütete aber nur den Schätzpreis der gebrauchten Reifen; die Differenz mußte der Eigentümer zahlen. 5 1 6 Solche Kostenteilungen nach dem Prinzip „neu für alt" 5 1 7 können dann berechtigt sein, wenn die Reparatur das bereits alte und abgenutzte Produkt erheblich in seinem Wert steigert oder bei einem Austausch ein altes gegen ein neues, möglicherweise besseres Produkt eingetauscht wird. Entscheidend sollte dabei jedoch sein, o b trotz der Kostenteilung das Ziel der Gefahrabwendung noch in einem hinreichenden Maße erreicht werden kann. D e n k b a r ist auch, daß der Hersteller bei einem Fabrikationsfehler, der nur wenigen, aber im voraus nicht identifizierbaren Exemplaren anhaftet, eine kostenlose Überprüfung anbietet, ob der Fehler vorhanden ist, und, sollte dies der Fall sein, die Reparatur nur auf Kosten des Kunden vornimmt. A u c h hier wird man, insbesondere bei erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit D r i t ter, darauf achten müssen, o b dann die Anreize für die tatsächliche Beseitigung der Gefahr n o c h ausreichen. Regelmäßig nicht zu ersetzen ist jedoch der Aufwand des Eigentümers für den Transport zu einer Werkstatt, für Verpackungsmaterial, für P o r t o sowie L o h n oder Nutzungsausfall etc. 5 1 8 D i e Lösung des § 4 7 6 a B G B kann hier nicht analog herangezogen werden. D o r t soll das Aquivalenzinteresse des Käufers geschützt werden, damit nicht die vertragliche Beschränkung auf eine Nachbesserung durch die damit verbundenen Kosten zu einer völligen Aushöhlung seines Schutzes führt. U m das Aquivalenzinteresse geht es jedoch hier gerade nicht.
cc) Die einzelnen (1)
Gefahrabwendungsmaßnahmen
Reparaturmaßnahmen
Wenn dem Hersteller Pflichten zur unmittelbaren Abwendung der von seinem Produkt ausgehenden Gefahr obliegen, k o m m t in erster Linie die Reparatur in Betracht. Von vielen Autoren wird die Rückrufpflicht sogar mit einer Pflicht zur Nachbesserung oder zum Austausch des gefährlichen Produktes gleichgesetzt. 5 1 9 Dabei kann der Pflichtige die Reparatur selbst vornehmen, wenn er über einen eigenen Kundendienst und Servicemöglichkeiten verfügt. Häufig wird jedoch, wie in der Automobilindustrie, der Kunde an Vertragswerkstätten 5 2 0 verwiesen, die G. O. Ulmer, ADAC Motorwelt, Heft 5/75, 47, 51. DER SPIEGEL, Nr.34/1981, 72, 73. 517 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063 5,8 Produkthaftungshandbuch/Bd. I/Foerste, §24 Rdnr. 285; Schwenzer, JZ 1987,1059, 1064; MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 289; K. Mayer, DB 1985, 319, 325. 519 So z.B. Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 88ff. 520 Da der Hersteller bei einem Fehlschlagen der Reparaturmaßnahme u.U. haften muß, hat er ein berechtigtes Interesse daran, daß sie in Vertragswerkstätten vorgenommen werden, die mit seinen Produkten vertraut sind, deren Qualität er beeinflussen kann, die er gezielt informieren 515
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Rückrufpflichten
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statt des Pflichtigen den Fehler beseitigen. Je nach Sachlage müssen die Kunden dann das defekte Gerät einschicken oder zu den Kundendienststellen bringen. U . U . kann die Reparatur auch am Standplatz des Geräts vorgenommen werden.521 Dies ist wahrscheinlich die erfolgversprechendste Methode, da sie für den Kunden mit dem geringsten Aufwand verbunden ist. Soweit der Hersteller über ein eigenes oder ein Vertragswerkstättennetz verfügt und das Produkt regelmäßiger Inspektionen bedarf, könnte er versuchen, den Fehler durch einen „stillen Rückruf" zu beseitigen. 522 Beim in der Autoindustrie praktizierten „stillen Rückruf" werden die Vertragswerkstätten benachrichtigt und angewiesen, beim nächsten Besuch des Kunden den Fehler unauffällig zu beheben. Ein „stiller Rückruf" hat für den Hersteller den Vorteil, daß der Fehler ohne öffentliches Aufsehen oder eine Information der Kunden beseitigt werden kann. Eine solche verdeckte Maßnahme wird jedoch nur in den seltensten Fällen ausreichend sein, da sie eine geringere Erfolgsquote als ein offener Rückruf haben wird. Ein stiller Rückruf erreicht nur die Fahrer, welche das Fahrzeug aus anderen Gründen zur Werkstatt bringen. Außerdem verzichtet man auf den Warneffekt. Auch wenn der Adressat eines offenen Rückrufs ihm nicht folgt, weiß er nun um die Gefahr. Je nach den Umständen hat er die Möglichkeit, zumindest sein Fahrverhalten darauf einzustellen, eventuell die Reparatur selbst vorzunehmen bzw. bei einer Nicht-Vertragswerkstatt auf eigene Kosten vornehmen zu lassen oder auf die Benutzung zu verzichten, indem er sich z.B. zum Kauf eines neuen Wagens entschließt. 523 (2)
Austauschpflichten
Ist eine Reparatur technisch oder wirtschaftlich unmöglich oder für den Hersteller mit einem höheren Aufwand verbunden, muß statt der Reparatur zur sicheren Gefahrbeseitigung ein Austausch des fehlerhaften gegen ein fehlerfreies Produkt vorgenommen werden. 524 Dies kann auch bei einzelnen Aggregaten eines komplexen Produktes, wie beim Motor eines Autos geschehen. Selbstver-
und beliefern kann und mit denen er die Kostentragung leichter regeln kann. 521 S. z.B. das Rückrufangebot der Fa. Quelle für Nähmaschinen, Süddeutsche Zeitung v. 6.6. 1994, 15. 522 Allein in den Jahren 1959 bis 1965 waren in den USA ca. 8,7 Millionen Autos von solchen „stillen Rückrufen" betroffen; Note, 33 Stan. L. Rev. 301 (1981), S. 303, Fn. 9 m. w.N. Diese Tatsache war einer der Gründe dafür, daß die N H T S A geschaffen und ihr die Kompetenz eingeräumt wurde, Rückrufe anzuordnen. 523 Nach Heisler/Bernstein war bei knapp 5 % der Autobesitzer, die dem Rückrufaufruf eines Herstellers gefolgt waren, nach eigenen Angaben der Defekt bereits vor dem Rückruf behoben worden (S. 14, Tab. 1), bei den Besitzern, die auf den Aufruf nach Herstellerunterlagen nicht reagiert hatten, hatten 2 1 % den Fehler angeblich dennoch reparieren lassen (S. 24, Tab. 6). 524 Hier muß der Hersteller ein neues, mangelfreies Produkt zur Verfügung stellen, Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §24 Rdnr. 286. Kommt ein Umtausch nicht in Betracht, soll der Hersteller zum Ersatz des Kaufpreises „neu für alt" verpflichtet sein, ebd. Rdnr. 250. So auch Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1063.
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ständlich kann sich der Hersteller auch freiwillig zu einer Austausch- statt einer Reparaturaktion entscheiden, wenn er glaubt, daß dies aus betriebswirtschaftlichen Gründen vorteilhafter ist. In der Regel wird man annehmen können, daß eine solche Austauschaktion bei den Eigentümern mit einer höheren Akzeptanz rechnen kann als eine Reparatur. J e nach Alter und Zustand der Altprodukte wird der Hersteller auch einen Austausch nur gegen Selbstbeteiligung anbieten können. 525 Dann ist jedoch, insbesondere bei einer erheblichen Gefährdung unbeteiligter Dritter, darauf zu achten, daß dadurch nicht die Kooperationsbereitschaft der Eigentümer zu sehr herabgesetzt wird.
(3)
Rücknahmepflichten
Mit der Rücknahmepflicht ist die Verpflichtung des Herstellers (oder des Vertreibers) gemeint, ein Produkt nach der Entdeckung eines Fehlers zurückzunehmen. Eine solche Verpflichtung kann dann Bedeutung erlangen, wenn bereits der Besitz des fehlerhaften Produktes gefährlich ist und eine Nachbesserung oder ein Austausch aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht durchgeführt wird oder wenn dem Verbraucher eine Entsorgung des Produktes nicht möglich oder nicht zumutbar ist. 526 Die Rücknahme dient also dazu, ein gefährliches Produkt gänzlich aus dem Verkehr zu ziehen. O b w o h l die Rücknahme somit ein wirksames Mittel der Gefahrbeseitigung darstellt, ist die privatrechtliche Begründung einer solchen Verpflichtung bisher in Rechtsprechung und Literatur nur wenig behandelt worden. 527 Dies mag darauf zurückzuführen sein, daß in der betrieblichen Praxis das Angebot der bloßen Rücknahme eine geringere Rolle als das Angebot der Nachbesserung oder des Austausches spielt. Offensichtlich werden letztere trotz möglicherweise höherer Kosten als mit geringeren Imageverlusten verbunden und deshalb als aus betrieblicher Sicht vorteilhafter angesehen. Wenig problematisch erscheint es, wenn der Hersteller sich entscheidet, dem Eigentümer die Wahl anzubieten, statt eines Austausches gegen ein fehlerfreies Produkt oder einer Nachbesserung das Produkt gegen Rückzahlung des KaufSchwenzer, J Z 1987, 1059, 1064. Eine solche zivilrechtliche Verpflichtung ist allerdings zu trennen von einer verwaltungsrechtlichen, die gegenwärtig für einige Produktkategorien geplant ist. S. zu beiden Aspekten F. A. Koch, P H I 1992, 20; zum Verwaltungsrecht Giesberts, B B 1993, 1376. 527 S. aber F. A. Koch, P H I 1992, 20, 26ff.; Schwenzer, J Z 1987, 1059. Nach Pieper, BB 1991, 985,988f. trifft den Hersteller „äußerstenfalls die Pflicht, einen gefährlichen Gegenstand und damit eine Gefahrenquelle wegzunehmen bzw. zu beseitigen". Nachbesserungs- oder Ersatzlieferungspflichten seien von dem Ziel, die Gefahr zu beseitigen, nicht mehr gedeckt. Dieser Ansicht widerspricht bereits die Tatsache, daß die Nachbesserung für den Hersteller wirtschaftlich günstiger sein kann als die Beseitigung. Wie soll im übrigen die Wegnahme zivilrechtlich durchgesetzt werden? Die Ansicht von F. A. Koch (PHI, 1992, 20, 27), daß der Hersteller, der die Gefahrenquelle gesetzt habe, u.U. deren Realisierung durch Wegnahme des Produktes vorzubeugen habe, dann aber wegen Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 B G B Schadensersatz zu leisten habe, würde einen Wertungswiderspruch begründen, da dann eine Pflicht zur Vornahme einer unerlaubten Handlung bestünde. Ohne das Problem hier vertiefen zu wollen, kommt wohl eher die Anwendung der Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag oder der §§227ff. B G B infrage. 525
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preises (evtl. „neu für alt") zurückzunehmen.528 Dies dürfte nur die Wahrscheinlichkeit der Gefahrabwendung erhöhen, da dem Eigentümer dadurch eine zusätzliche Option eingeräumt wird. Problematisch ist hingegen, ob der Hersteller seiner Rückrufpflicht allein durch das Angebot der Rücknahme, gegebenenfalls mit Entschädigung, genügen kann. Ausdrücklich für eine Rücknahmepflicht gegen Ersatz des Kaufpreises „neu für alt", zumindest wenn ein Umtausch nicht infrage kommt, spricht sich Foerste aus. Dem soll auch nicht entgegenstehen, daß dabei dann auch das Äquivalenzinteresse des Eigentümers befriedigt wird.529 Auch nach Pieper kommt wegen des Prinzips der Verhältnismäßigkeit und wegen eines „unauflöslichen Widerspruchs zum Vertragsrecht" bei Nachbesserung oder Austausch als direkte Gefahrabwendungspflicht nur die Rücknahme des Produktes in Betracht. 530 Das O L G Stuttgart hat sich ebenfalls für eine Beschränkung auf eine Rücknahmepflicht ausgesprochen.531 Dem ist zuzustimmen, wenn die Rücknahme des Produktes (gegen Entschädigung)532 ebenso wirksam ist wie es Reparatur oder Austausch sind, den Hersteller aber weniger belastet. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann er dann nur dazu verpflichtet werden. Zur Rücknahme ist er auch dann verpflichtet, wenn dies die einzig mögliche direkte Gefahrabwendungsmaßnahme ist, weil etwa eine Reparatur technisch ausscheidet und ein Austausch deshalb, weil das Produkt nicht mehr hergestellt wird. In aller Regel wird es für den Erfolg der Maßnahme notwendig sein, daß der Hersteller den Eigentümer für den Verlust des Produktes entschädigt.533 Wie dies zu geschehen hat, hängt vom Einzelfall ab. Häufig wird er jedoch die Rückzahlung mit dem Vorbehalt des „Abzugs neu für alt" verbinden können. 534 Nur in Ausnahmefällen könnte die bloße Rücknahme ausreichen, nämlich dann, wenn z.B. der Eigentümer das Produkt nicht mehr nutzt und der Besitz oder die Beseitigung mit Schwierigkeiten verbunden sind.
(4)
Zuzahlungen
Aus den USA ist bekannt, daß manche Unternehmen zur Förderung des Erfolgs ihrer Rückrufmaßnahmen den Verbrauchern Belohnungen oder Zuzahlungen für die Befolgung des Rückrufs angeboten haben. Es fragt sich, ob Rückrufpflichtige auch nach deutschem Produkthaftungsrecht dazu verpflichtet sein könnten. 528 Produkthaftungshandbuch/Bd. I/Foerste, §24 Rdnr. 286; Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1059 schildert als Einführungsbeispiel ihres Aufsatzes einen solchen praktischen Fall, in dem der Hersteller eines mit Athylenglykol verseuchten Sektes den Käufern Umtausch oder Rücknahme gegen Kaufpreiserstattung anbot. 529 Produkthaftungshandbuch/Bd. I/Foerste, §24 Rdnr. 288. 530 Pieper, B B 1991, 985, 988. Da eine Rücknahme gegen Kaufpreiserstattung im Ergebnis einer Wandelung entspricht, besteht dieser Konflikt aber auch dort. 531 N J W 1967, 572. 532 In der amerikanischen Literatur und Praxis wird oft von „Rückkauf" gesprochen. 533 Davon geht offensichtlich auch Löwe, D A R 1978, 288, 292 aus. 534 Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1064.
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Diese Zuzahlungen können zweierlei Funktion haben. Da dem Verbraucher nicht jeder Aufwand, der mit der Befolgung des Rückrufaufrufs zusammenhängt, ersetzt wird oder werden kann (z.B. Zeitaufwand für Verpackung und Versendung bzw. Besuch der Werkstatt; Verpackungsmaterial; Kosten (Benzin) des Werkstattbesuchs; Nutzungsentgang etc.), könnte die Zuzahlung eine freiwillige pauschalierte Abgeltung für diesen Aufwand sein. In diesem Sinne könnte sie eine Kompensationsfunktion haben. Die Zuzahlung könnte jedoch auch darüber hinausgehen und allein als Anreiz für die Befolgung des Rückrufs gedacht sein. Sie ist dann eine Art Belohnung dafür, daß der Eigentümer den Hersteller bei der Beseitigung von Gefahren (für Dritte) unterstützt, für deren Verwirklichung der Hersteller sonst haftbar wäre. Es wurde oben gesagt, daß die Kostentragung für die Rückrufaktion nicht als Schadensersatzregelung zu verstehen ist, sondern als ein Gestaltungselement der Gefahrabwendungsmaßnahme, welches die Wirksamkeit des Rückrufs beeinflußt. So verstanden, kann es m.E. durchaus möglich sein, daß der zum Rückruf Verpflichtete je nach den Umständen auch solche Zuzahlungen leisten muß. 535 Allerdings kann dies nur in extremen Ausnahmefällen der Fall sein, wenn anders der Erfolg nicht sichergestellt werden kann, unbeteiligte Dritte mit ganz erheblichen Schäden an Leib und Leben bedroht sind und die Zumutbarkeitsgrenze des Pflichtigen nicht überschritten wird. Insbesondere wird man dem Pflichtigen auch zubilligen müssen, daß er die Benutzung des für Dritte gefährlichen Produktes durch Meldungen an die Behörden zu unterbinden versucht. 536 Soweit nur der Schutz des Eigentümers/Benutzers infrage steht, wird die Verpflichtung zu einer Zuzahlung nicht zu rechtfertigen sein.
(5) Hinweise auf Verbesserungen,
Nachrüstungen
Es bleibt noch zu prüfen, ob den Hersteller auch dann Gefahrabwendungspflichten treffen, wenn dem Produkt zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eine damals unvermeidliche gefährliche Eigenschaft anhaftete, welche jedoch nachträglich durch den Fortschritt von Wissenschaft und Technik vermieden werden kann. Es fragt sich, ob dann den Hersteller eine Pflicht zur Nachrüstung oder wenigstens eine Informationspflicht treffen kann. Die US-amerikanische Rechtsprechung hat in diesen Fällen in einigen, allerdings auch heftig kritisierten Entscheidungen eine solche Verpflichtung in Grenzen anerkannt. 537 535 Sie wären vergleichbar der Aussetzung einer Belohnung für die Wiederbeschaffung oder den Nachweis des Verbleibs, die durchaus von einem Spediteur als eine der gebotenen Gefahrabwendungsmaßnahmen verlangt werden könnte, wenn Diebe von seinem ungenügend gesicherten Gelände in Unkenntnis der Umstände hochgiftige, die Allgemeinheit gefährdende Materialien entwendet haben. 536 B G H VersR 1960, 856 - „Siloanlage" hält sogar eine Verpflichtung zu solchen Meldungen für möglich. 537 Bell Helicopter Co. v. Bradshaw, 594 S.W.2d 519 (Tex.Civ.App. 1979); Braniff Airways, Inc. v. Curtiss-Wright Corp., 411 F.2d 451 (2d Cir. 1969), cert. denied 396 U.S. 959, 90 S.Ct. 431, 24 L.Ed.2d 423 (1969)S. 453; Noel v. United Aircraft Corp., 342 F.2d 232 (3d Cir. 1964); Balido v.
Rückrufpflichten - Beseitigung
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Bei der Beurteilung dieser Fälle ist zu berücksichtigen, daß es hier nicht um die nachträgliche Aufdeckung eines Entwicklungsrisikos geht. 538 D i e Gefahr war bei Inverkehrbringen bekannt, wenn auch nicht vermeidbar; der Käufer war ausreichend darüber informiert und hat das Produkt in dieser Kenntnis erworben. 5 3 9 Es lag somit zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens kein Fehler vor. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes ist jedoch auch klargestellt, daß ein solches Produkt nicht nachträglich dadurch fehlerhaft wird, daß Verbesserangen möglich und auf den Markt gebracht werden. 5 4 0 F ü r den Eigentümer wird nicht nachträglich ein bisher unbekanntes Risiko aufgedeckt, sondern ein bekanntes wird beherrschbar. U n t e r diesen Umständen erscheint eine Pflicht des Herstellers zur N a c h r ü stung der Altprodukte, möglicherweise noch auf eigene Kosten, nicht ableitbar. Dies kann erst recht nicht sein, wenn die nachträgliche Verbesserung der Sicherheit nicht von dem Hersteller, sondern von seinen Konkurrenten entwickelt und auf den M a r k t gebracht wurde. Allenfalls könnte eine Pflicht in Betracht k o m men, die Besitzer der Altgeräte über die neuen Schutzvorrichtungen zu informieren. Dies wird man allerdings nur bei gravierenden Gefahren für Leib und Leben und gleichzeitig revolutionären Neuerungen der Sicherheitstechnik vertreten können. Außerdem ist vor der Auferlegung einer Verpflichtung zu überlegen, o b es ihrer bedarf, weil für die Hersteller auch ohne dies ein Anreiz besteht, eigene Neuentwicklungen werblich bekannt zu machen. Schließlich gehört es auch in den Pflichtenkreis des Eigentümers/Benutzers selbst, sich bei derart gefährlichen Produkten über Neuentwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Deshalb wird man zustimmen können, daß der Hersteller in dieser Situation jedenfalls dann seine Gefahrabwendungspflichten erfüllt, wenn er die neuen Schutzeinrichtungen den Abnehmern gegen Bezahlung anbietet 541 . Improved Machines, Inc., 29 Cal.App.3d 633, 104 Cal.Rptr. 890 (1973); Gracyalny v. Westinghouse Elec. Corp., 723 F.2d 1311 (7th Cir. 1983); Rekab, Inc. v. Frank Hrubetz & Co., Inc., 261 Md. 141, 274 A.2d 107 (1971) S. 110-112. Anders jedoch: Dion v. Ford Motor Co., 804 S.W.2d 302 (Tex.Ct.App. 1991). Kritisch zu den Auswirkungen solch weitgehender Rückrufpflichten V. Schwartz, 58 N. Y. U. L. Rev. 892 (1983), S. 597ff. Gegen das Bestehen einer solchen Verpflichtung der Nachrüstung bei Fortschreiten der Technik auch Note, 33 Stan. L. Rev. 1087 (1981), S. 1087, unter anderem mit dem Beispiel, daß Autohersteiler nach der Erfindung und allgemeinen Einführung des Airbag nicht verpflichtet seien, noch mit Sicherheitsgurten ausgestattete ältere Modelle nachzurüsten. Einen knappen Vergleich der Rückrufpflichten nach US-common-law zum deutschen Recht zieht Schulenberg, PHI 1989, 162, 166ff. 538 G. Hager, PHI 1991, 1, 6. 539 Diese Situation wird nicht zu den Entwicklungsfehlern gerechnet (s. z.B. G. Hager PHI 1991,1,6), sondern teilweise zur Abgrenzung von Entwicklungsgefahr oder -risiko als Entwicklungslücke bezeichnet; s. Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 97. 540 §3 Abs. 2 PHG. Das gilt selbst dann, wenn das Produkt nach der Neuentwicklung fehlerhaft wäre, würde es unverändert auf den Markt gebracht. 541 Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1520, S. 49, wobei allerdings nicht deutlich wird, ob der Autor den hier diskutierten Fall oder auch den eines Entwicklungsrisikos oder gar eines ursprünglich fehlerhaften Produktes im Auge hat.
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Deutschland,
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Verschuldenshaftung
Der B G H hat zu dieser Frage noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. In der jüngst ergangenen Atemüberwachungsgerät-Entscheidung lehnt er aber nicht grundsätzlich eine Gefahrabwendungspflicht der Herstellerin der Art ab, daß sie den Eltern des geschädigten Kindes andere Elektrodenzuleitungen statt der verwechlungsfähigen vorhandenen hätte zur Verfügung stellen sollen. 542
VI. Rückrufpflichten
nach §823 Abs. 2 BGB
1. "Wesen der Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB; mögliche Bedeutung § 823 Abs. 2 B G B begründet die deliktische Haftung desjenigen, der schuldhaft gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. 543 Als Schutzgesetze kommen hier insbesondere solche Regelungen in Betracht, die Sicherheitsvorschiften für Produkte enthalten und Warn- und Rückrufpflichten vorsehen. Dies sind insbesondere das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), das Arzneimittelgesetz ( A M G ) , das Gerätesicherheitsgesetz ( G S G ) , Lebensmittelgesetze etc., die von der Rechtsprechung auch als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 B G B anerkannt werden. 544 Gegenüber § 823 Abs. 1 B G B besteht der Vorteil, daß sich das Verschulden nur auf die Verletzung der Schutznorm zu beziehen braucht und daß auch reine Vermögensschäden erfaßt werden, gegenüber § 826 B G B , daß die Schutznormverletzung i.d.R. leichter als ein Verstoß gegen die „guten Sitten" nachzuweisen ist und sich der Vorsatz jedenfalls nicht auf die Schadenszufügung erstrecken muß. Was den Schadensersatzanspruch betrifft, so ist §823 Abs. 2 B G B i.V.m. spezifisch produktbezogenen Sicherheitsnormen jedenfalls theoretisch durchaus geeignet, einen Teil der Produkthaftungsfälle befriedigend zu lösen. 545 Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber nicht um Schadensersatzansprüche aufgrund fehlerhafter oder unsicherer Produkte allgemein, sondern allein um Ansprüche aufgrund verletzter Warn- oder Rückrufpflichten. O b durch
542 Auf die Tatsache, daß das betreffende Gerät von der Herstellerin an den Krankenversicherer der Eltern des geschädigten Kindes geleast worden war, hat das Gericht dabei nicht ausdrücklich abgestellt. Insofern bestand möglicherweise auch eine vertragliche Pflicht, dafür zu sorgen, daß das Gerät gefahrlos genutzt werden konnte. 5 4 3 Zu §823 Abs. 2 B G B s. statt aller Larenz/Canaris, §77; Canaris, in: FS Larenz II, S.29ff.; MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 160ff.; Fikentscher, § 104 Rdnr. 1263ff. 544 Für das ProdSG liegt noch keine Entscheidung vor, wohl aber für das GSG. Am Schutzgesetzcharakter des ProdSG kann aber wohl kaum Zweifel bestehen. 5 4 5 Darauf weist insb. Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, S. 78 hin. In der jüngeren Literatur ist eine zu extensive Auslegung des § 823 Abs. 2 B G B jedoch auch auf Kritik gestoßen; s. insb. Canaris, in: FS Larenz II, 1983,29ff.; Larenz/Canaris, § 77 III 2. Danach sollen Vermögensschäden nur dann ersetzt werden, wenn das Vermögen primäres und unmittelbares Schutzgut der verletzten Norm ist. Auch in der Rechtsprechung werden Einschränkungen, insb. bei zu Vermögensschäden führenden fahrlässigen Ordnungswidrigkeiten gemacht; vgl. etwa B G H N J W 1980, 1792; B G H N J W 1982, 2780.
Rückrufpflichten nach j 823 Abs. 2 BGB
291
§ 823 Abs. 2 B G B aber eine Erweiterung der Rückrufpflichten über das nach § 823 Abs. 1 B G B vorgegebene M a ß hinaus und die präventive Durchsetzung entsprechender Ansprüche erreicht werden kann, erscheint zweifelhaft. N a c h der hier vertretenen Ansicht gehören die Verkehrspflichten, zu denen die Rückrufpflicht zählt, systematisch primär zu § 8 2 3 A b s . l B G B . 5 4 6 § 8 2 3 Abs. 2 B G B dagegen verpflichtet denjenigen, der eine sich aus einem Schutzgesetz ergebende Pflicht verletzt, zum Schadensersatz. Eine
außerdeliktischen deliktsrecbtli-
che Verpflichtung zum R ü c k r u f als Verkehrspflicht zur Gefahrabwendung kann sich aber bei allen Deliktstatbeständen, also auch bei § 823 Abs. 2 B G B ergeben. 5 4 7 Schutzgesetze und Verkehrspflichten können dabei in unterschiedlicher B e z i e hung zueinander stehen.
2. Schutzgesetzverstoß
als
Verkehrspflicbtverletzung
D e r Verstoß gegen ein Schutzgesetz kann gleichzeitig eine Verkehrspflichtverletzung darstellen. Soweit eine solche Parallelität von Schutzgesetzverstoß und Verkehrspflichtverletzung besteht, ist die praktische Bedeutung dieser doppelten Tatbestandsverwirklichung nur gering. Meist, zumindest wenn es um Schutzgesetze zum Schutz der in § 8 2 3 A b s . l B G B erfaßten Rechtsgüter geht, wird der Tatbestand der Verletzung des Schutzgesetzes auch unmittelbar eine Verkehrspflicht verletzen. Dies wird deutlich bei den Körperverletzungstatbeständen 5 4 8 , die Grundlage der strafrechtlichen Verurteilungen wegen unterlassener Rückrufe gewesen sind. 5 4 9 In diesen Fällen bedarf es zivilrechtlich nämlich nicht des U m weges über die strafrechtlichen Vorschriften als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 B G B , um eine Verkehrspflichtverletzung zu begründen. 5 5 0 D i e verurteilten M a nager haben durch die Unterlassung des strafrechtlich gebotenen Rückrufs direkt auch die deliktsrechtliche Verkehrspflicht zum R ü c k r u f nach § 823 Abs. 1 B G B verletzt. D i e strafrechtliche Handlungspflicht stützt sich auf Ingerenz, welche auch die deliktsrechtliche Handlungspflicht begründet. In weniger eindeutigen Fällen der Parallelität von Schutzgesetzverstoß und Verkehrspflichtverletzung können die Schutzgesetze eine Verdeutlichung und Präzisierung der Verkehrspflichten darstellen. 5 5 1 Das ist z . B . dann der Fall, wenn Rückrufe durch ein Schutzgesetz direkt oder in der F o r m der Einzelanordnung, etwa aufgrund § 6 9 Abs. 1 A M G , § 5 Abs. 1 i. V. m. § 6 Abs. 1 S. 1 G S G oder § 4 bzw. 9 P r o d S G , vorgeschrieben werden. Diese schutzgesetzliche Rückrufverpflichtung kann man aus deliktsrechtlicher Sicht als eine Verdeutlichung und PräEbenso Larenz! Canaris, § 76 III 2 b. A.A. v. Bar, S. 157ff. Larenz/Canaris, § 76 III 2 c. 548 §§223, 230 StGB. 549 S. beispielhaft BGHSt 37,106 = NJW 1990,2560 = BB 1990,1856 = JuS 1991,253 m. Anm. Hassemer = EWiR §223a StGB 1/90,1017 m. Anm. Marxen = MDR 1990, 1025 = JR 1992,27 = NStZ 1990, 588 = StrVert 1990, 446 - „Lederspray". 550 So auch Larenz/Canaris, § 77 I 1 a. 551 Larenz/Canaris, §77 I 1 a. 546 547
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Deutschland - Verschuldenshaftung
zisierung der Verkehrspflicht in diesem Bereich ansehen, so daß der Hersteller (bzw. derjenige, gegenüber dem die Anordnung erging) auch die deliktsrechtliche Verpflichtung hat, das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen bzw. eine Rückrufaktion vorzunehmen. Der Verstoß gegen eine schutzgesetzliche Rückrufvorschrift bzw. eine auf ihrer Grundlage ergehenden Rückrufanordnung wäre dann gleichzeitig eine Verkehrspflichtverletzung nach § 823 Abs. 1 B G B und hätte -das Vorliegen der sonstigen Tatbestandsmerkmale vorausgesetzt - konkurrierende Schadensersatzansprüche nach beiden Absätzen des §823 B G B zur Folge. Eigenständige Bedeutung würde der Schutzgesetzverstoß nur in den Fällen erlangen, in denen das Schutzgesetz dem Schutz von Rechtsgütern dient, die nicht von § 823 Abs 1 B G B erfaßt werden. 3. Schutzgesetzverstoß
als Auslöser für Verkehrspflicht
zum
Rückruf
Weiter gibt es Fälle, in denen nicht das Schutzgesetz durch direkten Befehl oder indirekt durch behördliche Anordnung einen Rückruf anordnet, sondern in denen die Verletzung des Schutzgesetzes eine Tatbestandsvoraussetzung erfüllt, welche zusammen mit anderen eine deliktische Rückrufpflicht auslöst. So kann eine Verkehrspflicht zum Rückruf nur dann vorliegen, wenn ein gefährlicher Produktfehler gegeben ist. Ein Schutzgesetz, welches den Schutz der Verbraucher vor gefährlichen Produkten zum Ziel hat, indem es etwa Höchstgrenzen für Giftstoffe in Lebensmitteln festlegt, kann diesen Begriff präzisieren mit der Folge, daß bei einer Verletzung des Schutzgesetzes ein gefährlicher Fehler angenommen wird und aufgrund dieser Tatsachen eine deliktsrechtliche Rückrufpflicht entsteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn das sicherheitsrechtliche Schutzgesetz, etwa das ProdSG in § 6, nur einen Mindeststandard für sichere Produkte aufstellt, deren Unterschreiten in aller Regel eine Verkehrspflichtverletzung darstellt. Allerdings führt nicht jede Verletzung eines der Produktsicherheit dienenden Schutzgesetzes zu einer Verkehrspflicht zum Rückruf. Der Verstoß gegen Hygienebestimmungen bei der Lebensmittelproduktion begründet zunächst nur eine abstrakte Gefahr für die Verbraucher. Solange nicht wenigstens ein hinreichender Verdacht besteht, daß die unter Verstoß gegen das Schutzgesetz hergestellten Produkte tatsächlich gefährlich sind, kann auch keine deliktsrechtliche Rückrufpflicht bestehen. 552 Die Art und Schwere des Verstoßes kann jedoch einen solchen Verdacht begründen. Die Tatsache, daß eine Vorschrift, welche die Vermeidung abstrakter Gefährdungen bezweckt, als Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 B G B anzusehen ist, erweitert also nicht ohne weiteres den Anwendungsbereich der Rückrufpflichten als Verkehrspflichten nach § 823 Abs. 1 B G B auch auf abstrakte Gefährdungssituationen. Es ist vielmehr auch dann grundsätzlich zu prüfen, ob eine hinreichende Konkretisierung der Gefahr vorliegt, um entsprechend den all-
5 5 2 Wohl allerdings könnte bei der entsprechenden Gesetzeslage eine verwaltungsrechtliche Rückrufanordnung ergehen oder ein Verkehrsverbot zur Abwendung der abstrakten Gefahr auferlegt werden.
Rückrufpflichten
nach § 823 Abs. 2
BGB
293
gemeinen Abwägungen im Einzelfall eine Rückrufpflicht gegenüber dem G e schädigten auszulösen. Der Verstoß gegen ein Schutzgesetz, das abstrakten G e fährdungen vorbeugen soll, kann somit zwar - bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen - einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 B G B auslösen. Dies bedeutet aber nicht, daß dann immer auch ein konkurrierender Anspruch aus § 823 Abs. 1 B G B wegen Verletzung einer deliktischen Rückrufpflicht gegeben sein muß.
4. Verkehrspflicht
zur Abwendung
von
Schutzgesetzverstößen
Schließlich kann auch eine Rückrufpflicht bestehen, um die Verletzung eines Schutzgesetzes zu verhindern. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn ein Hersteller erfährt, daß sein Produkt zur Verletzung von Schutzgesetzen mißbraucht wird. Man denke daran, daß ein Hersteller Spielautomaten in Verkehr gebracht hat, die aufgrund eines Fehlers die Spieler massiv benachteiligen. E r erfährt davon, daß Spielhallenbesitzer gezielt solche defekten Geräte erwerben, um ihre Gewinne zu erhöhen. 553 In einem solchen Fall könnte der Hersteller aufgrund einer Verkehrspflicht gegenüber den Opfern dieser Praktiken verpflichtet sein, die Reparatur anzubieten (welche die gegenwärtigen Besitzer kaum annnehmen werden), die Geräte durch Benachrichtigung der Behörden aus dem Verkehr zu ziehen und eine Warnung vor den Geräten und den betrügerischen Praktiken auszusprechen. 554
5. Selbständige
Bedeutung
eines
Schutzgesetzverstoßes
In den Fällen, in denen das Schutzgesetz eine Rückrufpflicht aufstellt, die gleichzeitig deliktsrechtlich als Verkehrspflicht begründet ist, entstehen bei Verletzung dieser Pflichten zwei konkurrierende Ansprüche. Welcher davon die praktisch gößere Bedeutung erlangt, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von der Beweislage. So wird im Fall einer Schädigung der Nachweis einer Straftat durch Unterlassung eines Rückrufs schwerer zu führen sein als der der Verletzung einer deliktischen Rückrufpflicht. Wurde jedoch eine behördliche Rückrufanordnung nach § 6 Abs. 1 G S G oder § 9 ProdSG nicht beachtet und dadurch ein Schaden verursacht, ist dieser Verstoß leichter nachzuweisen als eine Verkehrspflichtverletzung. Ein ähnliches Konkurrenzverhältnis zwischen Ansprüchen aus § 8 2 3 Abs. 2 B G B und § 8 2 3 Abs. 1 B G B besteht auch dann, wenn die Verletzung eines Schutzgesetzes Auslöser für die mißachtete deliktische Rückrufpflicht war. In diesem Fall ist sowohl der Schutzgesetzverstoß (etwa das gegen das Lebensmittelrecht verstoßende Inverkehrbringen eines gefährlichen Produktes) als
553
Darin könnte ein Betrug nach § 263 S t G B liegen, der Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 B G B
ist. 5 5 4 Eine Verpflichtung, die Reparatur anzubieten, würde bei den betrügerischen Absichten der gegenwärtigen Besitzer leerlaufen.
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
auch die Unterlassung des gebotenen Rückrufs kausal geworden. Es hängt wiederum vom konkreten Fall ab, was eher zu beweisen sein wird. Eigenständige Bedeutung erlangt dagegen § 8 2 3 Abs. 2 B G B als Schadensersatznorm dann, wenn das Schutzgesetz vor allgemeinen oder primären Vermögenschäden schützt. 5 5 5 Allerdings steht damit noch nicht fest, daß zum Schutze dieser Vermögensinteressen auch eine Rückrufpflicht besteht. 556 Grundsätzlich wird zwar in der neueren Literatur die Möglichkeit von Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens bejaht. 557 Die obigen Überlegungen zur Ableitung von Rückrufpflichten, wenn nur Sachschäden drohen, haben jedoch gezeigt, daß in einem solchen Fall in der Regel eine Warnung ausreichen wird, nicht jedoch Reparatur oder Austausch der das Sacheigentum gefährdenden Produkte geboten sind. Dies dürfte ebenfalls gelten, wenn nur Vermögensschäden drohen. Allerdings kann dieses auf einer Interessenabwägung fußende Ergebnis mit dem Gewicht der jeweiligen Interessen variieren. So wird z.B. jemand, der vorsätzlich in betrügerischer Absicht Computerprogramme zur Finanzkalkulation verkauft, welche bewußt falsch und objektiv unbegründet die von ihm vertretenen Anlagemöglichkeiten begünstigen, kaum berücksichtungswürdige Interessen geltend machen können und deshalb nicht nur zu einer Warnung verpflichtet sein, sondern auch zu einer Rücknahme gegen Kaufpreiserstattung, wenn eine Nachbesserung nicht möglich ist. In einem solch schwerwiegenden Fall wird aber auch der Tatbestand des § 826 B G B verwirklicht sein und es wird ein arglistiges Verschweigen eines Mangels vorliegen, so daß die kurze Verjährungsfrist des § 4 7 7 B G B nicht eingreift. Insgesamt kann man deshalb sagen, daß dann, wenn man Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens aufgrund eines Schutzgesetzverstoßes bejaht, die entsprechenden Gefahrabwendungspflichten in der Regel nicht über Warnpflichten hinausgehen werden. Dies bedeutet, daß eine Pflicht zur Reparatur oder zum Austausch eines fehlerhaften Produktes, um reine Vermögensschäden von den Betroffenen abzuwenden, keine Rolle spielen wird. Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 B G B dürften deshalb bei der Begründung von deliktischen Rückrufpflichten nur wenig Bedeutung erlangen. Daran hat auch der Erlaß des ProdSG nicht viel geändert. Die dort angeordneten öffentlich-rechtlichen Produktbeobachtungs-, Warn- und Rückrufpflichten werden in aller Regel auch aus den deliktischen Verkehrspflichten abzuleiten sein. Allerdings hat die ausdrückliche Erwähnung dieser Verpflichtungen im ProdSG die nachträgliche Produktverantwortung des Herstellers und Händlers für das öffentliche Recht festgeschrieben und damit deren Anerkennung auch im Zivilrecht verfestigt und ihr mehr Kontur gegeben. Dabei kommt dem ProdSG möglicherweise Bedeutung über seinen eigentlichen Anwendungsbereich zu. Seinem Larenz/Canaris, § 77 I 1 c. Das Produktsicherheitsgesetz und die speziellen Gesetze für bestimmte Produktgruppen wie A M G , G S G etc. dienen jedenfalls nicht dem Schutz reiner Vermögensinteressen. 557 Larenz/Canaris, § 76 III 2 c mit Hinweisen auf den Streitstand; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 204ff.; MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 466. 555
556
Rückrufpflichten
nach § 823 Abs. 2 BGB
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Wortlaut nach ist das ProdSG nur auf Produkte anwendbar, die für die private Nutzung bestimmt sind. Gefährliche Produkte, die gewerblich eingesetzt werden, wie etwa Arbeitsgeräte, sind nicht erfaßt. Allerdings sind diese nach dem G S G geregelt, in dessen Bereich die Warn- und Rückrufvorschriften des ProdSG hineinwirken. 558 Es spricht nichts dagegen, die Konkretisierung der Verkehrspflichten im zivilrechtlichen Bereich, die das ProdSG für „private Produkte" vornimmt, auch auf „gewerbliche Produkte" zu übertragen. Eine Ausweitung hat allerdings der Kreis der Verpflichteten durch das ProdSG auch im Bereich der deliktischen Haftung erfahren. Es geht um die Rückrufhaftung der Händler. Die Verkehrspflichten der Händler nach Inverkehrbringen des Produktes sind in der deliktischen Produkthaftung relativ schwach ausgebildet. Das ProdSG jedoch geht von einem sehr weiten Begriff des Herstellers aus. Nach § 3 Abs. 1 ProdSG gehört dazu auch derjenige, der ein Produkt in Verkehr bringt, soweit seine Tätigkeit die Sicherheitseigenschaften des Produktes beeinflußt. Umgekehrt ist ein Händler derjenige, dessen Tätigkeit die Sicherheitseigenschaften des Produktes nicht beeinflußt. 559 Ferner ist (Quasi-)Hersteller auch derjenige, der im Rahmen eines Gewerbes oder Geschäftsbetriebes seinen Namen, seine Marke, oder ein anderes unterscheidungskräftiges Kennzeichen anbringt und sich dadurch als Hersteller ausgibt oder das Produkt wiederaufarbeitet. 560 Als Hersteller werden im ProdSG also auch Personenkreise betrachtet, die traditionell in der deliktsrechtlichen Produkthaftung 5 6 1 eher als Händler angesehen würden. Herstellern obliegen nach dem ProdSG aber Produktbeobachtungs, Warnund Rückrufpflichten, während Händler nur bei Kenntnis oder Kennen-Müssen der Sicherheitsmängel die Produkte nicht in Verkehr bringen dürfen. 562 Es kann sich damit die Situation ergeben, daß ein Händler im Rahmen der verschuldensabhängigen Produkthaftung nach § 8 3 2 Abs. 1 B G B keine Verkehrspflichtverletzung begeht, da ihm keine eigene Rückrufpflicht obliegt, daß er aber als QuasiHersteller oder aus anderen Gründen nach dem P r o d S G als Hersteller zu qualifizieren ist, dem Rückrufpflichten obliegen. 563 Ein Verstoß dagegen könnte dann eine Haftung nach § 8 2 3 Abs. 2 B G B i.V.m. dem P r o d S G begründen. Dies ist sogar für jemanden möglich, der selbst nach dem P r o d S G als Händler zu qualifizieren ist, wenn er einer Rückrufanordnung der Sicherheitsbehörde nicht Folge leistet. Nach § 7 Abs. 3 P r o d S G kann die Behörde nämlich nicht nur Hersteller zur Vornahme von Warn- oder Rückrufaktionen verpflichten, sondern auch die Mitwirkung der Händler anordnen. D a die Behörde dann, wenn eine gegenwärtige erhebliche Gefahr nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann,
§2 Abs. 3 Nr. 2 ProdSG. §3 Abs. 3 ProdSG. 5 6 0 §3 Abs. 1 S. 2 ProdSG. 561 Anders nach dem ProdHG, das auch den weiten Herstellerbegriff unter Einbeziehung der Quasi-Hersteller kennt. 562 §5 ProdSG (Händler) im Vergleich mit § 4 ProdSG (Hersteller). 563 S. dazu auch Wagner, B B 1997, 2541, 2542f. 558
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
auch jede andere Person zu Gefahrabwendungsmaßnahmen verpflichten kann 564 , kann auch etwa der Besitzer eines gefährlichen Produktes (also ein Verbraucher), der einer Vernichtungsanordnung der Behörde nicht folgt, nach § 823 Abs. 2 B G B i.V.m. dem ProdSG haftbar werden. Trotz dieser graduellen Ausweitung der Rückrufverpflichtung gegenüber den Verkehrspflichten nach § 823 Abs. 1 B G B dürfte aber auch das ProdSG kaum größere Bedeutung als Schutzgesetz für eine eigenständige Haftungsgrundlage nach §823 Abs. 2 B G B erlangen. Dies ist am ehesten noch dann zu erwarten, wenn nach der Beweislage ein Verstoß gegen das Schutzgesetz leichter nachzuweisen ist als ein Verstoß gegen die Verkehrspflichten, etwa wenn der Hersteller einer Rückrufanordnung der Behörde keine Folge leistete. Da solche Rückrufanordnungen wegen der Subsidiarität behördlicher Maßnahmen aber nur selten vorkommen dürften, wird auch diese komfortable Beweislage für den Geschädigten kaum je gegeben sein.
VII. Rückrufpflichten 1. Stellung im Deliktsrecht;
nach §826
BGB
Haftungsvoraussetzungen
Nach § 8 2 6 B G B ist derjenige schadensersatzpflichtig, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt 565 ; ersetzt werden auch reine Vermögensschäden. Wie im U W G 5 6 6 sind die Kriterien zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit nicht unumstritten. Ubereinstimmung besteht jedoch insofern, als auch hier die Gleichsetzung von Sittenwidrigkeit und Rechtswidrigkeit abgelehnt wird 567 . Überwiegend wird an das - an der Sozialethik 568 orientierte - Anstandsgefühl „aller billig und gerecht Denkenden" angeknüpft, wobei zunehmend auf die Bedeutung von rechtlichen Wertungen und auf die Wechselwirkung zwischen außerrechtlichen und rechtsimmanenten Grundsätzen i.S. eines beweglichen Systems (nach Wilburg) hingewiesen wird 569 . Der Vorsatz i.S.v. § 826 B G B muß sich auf die Nachteilszufügung, nicht hingegen auf die Sittenwidrigkeit oder Rechtswidrigkeit beziehen. Zwischen beiden Sittenwidrigkeit und Vorsatz - besteht nach allgemeiner Auffassung eine Wechselwirkung 570 . Da bedingter Vorsatz ausreicht, genügt der Nachweis, daß der
§ 7 Abs. 3 Nr. 3 ProdSG. Zur Stellung von § 826 B G B im System des Deliktsrechts s. etwa Larenz/Canaris, § 78 I 2. 5 6 6 S. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel C.III.l.b. 567 Statt aller MünchKomm/Mertens, §826 Rdnr. 5; Larenz/Canaris, §78 II. 5 6 8 Vgl. MünchKomm/Mertens, §826 Rdnr. 9. 5 6 9 Ausführlich zu den Bewertungskriterien MünchKomm/Mertens, §826 Rdnr. 15ff.; Larenz/Canaris, § 78 II. 5 7 0 Aus Art und Weise der sittenwidrigen Handlung kann also auf dem Vorsatz geschlossen werden; vgl. MünchKomm/Mertens, §826 Rdnr. 60, Fn.77; B G H W M 1986, 904. 564
565
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Rückrufpflichten nach $ 826 BGB
Schädiger so leichtfertig gehandelt hat, daß er eine Schädigung in Kauf genommen haben muß. 5 7 1 Unverzichtbare Voraussetzung des Vorsatzes ist allerdings das B e wußtsein, daß das Handeln einen schädlichen Erfolg haben wird. 5 7 2
2. Anwendung des §826 BGB im Bereich des Schutzes gefährlichen Produkten
vor
§ 8 2 6 B G B ist von der Rechtsprechung von Anfang an auch im Bereich der Schädigung von A b n e h m e r n durch gefährliche Produkte angewandt worden; bis zur Entwicklung spezifisch produkthaftungsrechtlicher Grundsätze lag hier sogar der Schwerpunkt des deliktischen Schutzes. Anknüpfungspunkt war dabei zum einen der Aspekt der leichtsinnigen Gefährdung von A b n e h m e r n durch das bewußte Inverkehrbringen (oder Inverkehrlassen) gefährlicher Produkte, zum andern die arglistige Täuschung (auch durch Unterlassen).
a) Inverkehrbringen
gefährlicher
aa) Grobe Leichtfertigkeit;
Produkte
Gewissenlosigkeit
Bereits das Reichsgericht hat es im „Bremsen I " - U r t e i l 5 7 3 als sittenwidrig angesehen, wenn der Hersteller eines K f z dieses in Kenntnis eines Konstruktionsfehlers (hier: defekte Bremsen) in den Verkehr bringt, und damit bewußt den Fahrer des Wagens und die „Allgemeinheit" der Gefahr schwerer Schädigungen aussetzt. I m einzelnen führte das R G aus 574 : „Jedenfalls handelt er [der Hersteller, d. Verf.] rechts- und sittenwidrig, wenn er das Fahrzeug in den Verkehr gibt, obwohl ihm ein seine Verkehrssicherheit in der angegebenen Weise erheblich beeinträchtigender Fehler und zugleich auch die darauf beruhende Gefahr für die Allgemeinheit bekannt ist".
In späteren Entscheidungen hat der B G H auch die Gefahr eines erheblichen Vermögensschadens 5 7 5 und in subjektiver Hinsicht die leichtfertige Unkenntnis genügen lassen. Wer den gefahrbringenden Mangel und die Möglichkeit der E n t stehung von schweren Schäden zwar nicht positiv gekannt habe, diese jedoch für nicht ausgeschlossen gehalten und in Kauf genommen habe, handle leichtfertig und habe die daraus sich möglicherweise ergebenden Folgen für Dritte bewußt in Kauf genommen. A u c h dies begründe den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. B G H VersR 1958, 672 = Handbuch Produzentenhaftung, Kza 8075/2 - „Backsteine". Die nur allgemeine Vorstellung, es könne möglicherweise zu einer Schädigung kommen, reicht nicht aus, vielmehr muß der Täter die mögliche Gefährdung bestimmter Personen oder Personengruppen in seinen Willen aufgenommen haben. Nicht erforderlich ist demgegenüber eine Schädigungsabsicht oder die Zielrichtung der Schädigung auf eine konkrete Person; vgl. B G H N J W 1963, 579. 573 R G Z 163,21. 574 Ebd. S.26. 575 B G H VersR 1958, 672 - „Backsteine"; B G H WM 1975, 559 - „Heizungsanlage". 571
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Verschuldenshaftung
bb) Arglistige Täuschung In einer weiteren Fallgruppe begründet die Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit mit dem Aspekt der arglistigen Täuschung. Verschweigt der Hersteller trotz positiver Kenntnis die Ungeeignetheit seines Produktes für einen bestimmten Verwendungszweck oder fördert er sogar positiv die Weiterverwendung zu dem fraglichen Z w e c k , so liegt hierin gleichfalls ein Verstoß gegen die guten Sitten. Ein Hersteller, dem z . B . bekannt ist, daß die von ihm vertriebene Fugendichtungsmasse nicht für Fensterscheiben geeignet ist, diese jedoch gleichwohl weiterhin für diesen Z w e c k verkauft, handelt sittenwidrig 5 7 6 . E r hat den Schaden zu ersetzen, der seinem A b n e h m e r wegen Nachbesserungsarbeiten aufgrund der U n g e eignetheit des Produktes entstand. 5 7 7 Von besonderem Interesse erscheint, daß die Rechtsprechung nicht nur die p o sitive Täuschung, sondern auch das Verschweigen von Umständen gegenüber dem Vertragspartner (als arglistige Täuschung) für sittenwidrig erklärt, wenn dieser nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eine Mitteilung erwarten durfte 5 7 8 . Diese Äußerungen der Rechtsprechung zu ungeeigneten Produkten sind zwanglos und erst recht auf gefährliche Produkte anwendbar. Danach handelt ein Hersteller auch sittenwidrig, der den gefährlichen Mangel seines Produktes kennt, es aber dennoch, etwa weil ihm eine Änderung der Konstruktion unwirtschaftlich erscheint, weitervertreibt und in arglistiger Weise seinen A b n e h m e r n ausdrücklich oder konkludent dessen Fehlerfreiheit vorspiegelt. 5 7 9 Diese Fallgruppen des sittenwidrigen Inverkehrbringens gefährlicher P r o d u k te haben freilich deliktsrechtlich nur praktische Bedeutung, wenn dadurch vorsätzlich reine Vermögensschäden verursacht werden, da ansonsten auch § 8 2 3 Abs. 1 B G B mit seinen leichter nachzuweisenden Tatbestandsvoraussetzungen eingreift. 5 8 0 So kann der Handwerker Schadensersatz verlangen, wenn er aufgrund der Ungeeignetheit eines sittenwidrig in Verkehr gebrachten Produkts wegen notwendiger Nachbesserungsarbeiten einen Schaden erleidet. 5 8 1 A u c h der Anwender eines ihm auf Diskette verkauften Computerprogramms, welches ihm helfen soll, die für ihn günstigste Lebensversicherung oder Geldanlage herauszufinden, wegen eines Programmfehlers aber zum Verlust seiner Ersparnisse führt, könnte bei sittenwidrigem Inverkehrbringen des Programms und Vorsatz des Herstellers und Vertreibers Schadensersatz verlangen.
BGH BB 1989, 20 - „Fugendichtungsmasse". Der Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB steht dabei nicht entgegen, daß dem Getäuschten u.U. zugleich die sich aus der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§§ 123, 124 BGB) ergebenden Rechte zustehen; RGZ 59, 156. 578 OLG Köln NJW 1972, 497, S.498 - „Omega Uhren". 579 Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 3000, S.2. 580 Beim arglistigen Verschweigen eines Fehlers könnten nach §463 S. 2 BGB außerdem gewährleistungsrechtliche Ansprüche auch über die Frist des §477 BGB hinaus bestehen. 581 BGH BB 1989, 20 - „Fugendichtungsmasse"; BGH WM 1975, 559 - „Heizungsanlage". 576 577
Rückrufpflichten
nach 5 826 BGB
299
Bereits oben wurde festgestellt, daß die Produktverantwortung eines Herstellers nicht mit dem Inverkehrbringen des Produktes endet. Insbesondere, wenn er den gefährlichen Fehler in zurechenbarer Weise verursacht hat, treffen ihn nachträgliche Gefahrabwendungspflichten. Dies muß erst recht gelten, wenn er das Produkt in sittenwidriger Weise mit Schädigungsvorsatz in Verkehr gebracht hat. Es fragt sich dann, ob die obige Interessenabwägung im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung aufrechterhalten werden kann, vor allen Dingen, ob man es, wenn bloß Sachschäden drohen, dabei bewenden lassen kann, daß nur eine Warnpflicht bestehen soll, weil dem Gefährdeten der Selbstschutz zugemutet werden kann. Die Sittenwidrigkeit des Verhaltens des Herstellers könnte es m.E. rechtfertigen, in diesen Fällen extremen Fehlverhaltens seine Interessen völlig gegenüber denen seiner (potentiellen) Opfer hintanstehen zu lassen und ihm auch die direkte Beseitigung der Gefahr aufzubürden. Die Sittenwidrigkeit des Inverkehrbringens würde dann die Rückrufpflichten intensivieren. Soweit durch das sittenwidrig in Verkehr gebrachte Produkt nur Vermögensschäden drohen, würde sich die Rückrufpflicht auf die Abwendung dieser Schäden beziehen. Der Hersteller müßte also auch Gefahrabwendungsmaßnahmen zugunsten der Vermögensinteressen der Gefährdeten durchführen. Diese Rückrufpflicht würde nur im Rahmen des § 826 B G B bestehen. Nach dem soeben G e sagten ist es m.E. vertretbar, ähnlich wie bei drohenden Sachschäden, angesichts der Schwere des Fehlverhaltens des Herstellers grundsätzlich eine Warnung nicht für ausreichend zu halten, da es den Gefährdeten nicht zugemutet werden kann, dem sittenwidrigen Angriff des Herstellers auf ihre Rechtspositionen durch Selbstschutz auszuweichen.
b) Inverkehrlassen gefährlicher Produkte Bereits in der „Bremsen-I"-Entscheidung hat das R G dem bewußten Inverkehrbringen gefährlicher Produkte das bewußte Inverkehrlassen gefährlicher Produkte gleichgestellt 582 : „Aber auch dann, wenn er von einem Fehler dieser Art, den das Fahrzeug zur Zeit des Inverkehrbringens gehabt hat, nachträglich erfährt, ist er verpflichtet, der dadurch von ihm gesetzten Gefahr nach Kräften zu steuern. Wer, wenn auch vielleicht unwissend, eine G e fahr für den allgemeinen Verkehr gesetzt hat, muß, sobald er die Gefahr erkennt, alles tun, was ihm den Umständen nach zugemutet werden kann, um sie abzuwenden. Entzieht er sich dem und läßt er einer solchen Gefahr, nachdem er sie erkannt hat, freien Lauf, so verstößt sein Verhalten ebenfalls gegen die der Allgemeinheit gegenüber bestehenden Pflichten und damit auch gegen die guten Sitten".
D e m Hersteller, der in gutem Glauben an die Ungefährlichkeit seines Produktes dieses in Verkehr gebracht hat, obliegt also eine Gefahrabwendungspflicht, sobald er die Gefahr erkannt hat. E r muß alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um Schäden von den Abnehmern abzuwenden, d.h. also sie - soweit dies zur 582
RGZ 163, 21, 25f.
300
Deutschland -
Verschuldenshaftung
Gefahrabwendung ausreicht - vor der erkannten Gefahr warnen und - anderenfalls - das Produkt zurückrufen und die Gefahr direkt beseitigen. 5 8 3 Genügt der Hersteller dieser Pflicht nicht, so handelt er sittenwidrig i.S.v. § 826 B G B 5 8 4 , sofern diese Unterlassung als in gewissenloser Weise leichtfertig 5 8 5 anzusehen ist. D e r (bedingte) Vorsatz der Schädigung wird bei einem Hersteller, der den gefährlichen Fehler nach Ursache, A r t und U m f a n g erkannt hat, der aufgrund seiner Fachkenntnisse dessen Gefahrenpotential am besten einschätzen kann und dem zumutbare Gefahrabwendungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und bekannt sind, vorliegen. Besteht die verletzte Rückrufpflicht nur zum Schutz von Rechtsgütern, die bereits nach § 8 2 3 Abs. 1 B G B geschützt sind, führt die Sittenwidrigkeit ihrer Verletzung allenfalls zu konkurrierenden Ansprüchen nach § 8 2 6 B G B , die jedoch wegen der engeren Tatbestandsvoraussetzungen kaum praktische Bedeutung haben werden. Eine eigenständige praktische Rolle könnte die sittenwidrige Verletzung einer Rückrufpflicht i.S.d. § 8 2 6 B G B deshalb nur dann haben, wenn diese zur Vermeidung von Schäden an Rechtsgütern besteht, die nicht bereits durch § 8 2 3 Abs. 1 B G B geschützt sind, d.h. also im wesentlichen bei (reinen) Vermögensinteressen. Das Vermögen als solches ist jedoch, wenn man von Schutzgesetzen i.S.v. § 823 Abs. 2 B G B absieht, nur nach § 826 B G B geschützt. Daraus folgt, daß die sittenwidrige Verletzung von Rückrufpflichten
zum Schutze des
Vermö-
gens nur dann möglich ist, wenn das schadenträchtige Produkt bereits in sittenwidriger Weise in Verkehr gebracht wurde. 5 8 6 D a n n aber ist bereits deshalb die Haftung für Vermögensschäden begründet, die hinzukommende sittenwidrige Verletzung der Rückrufpflicht kann nur noch einen zusätzlichen Haftungsgrund darstellen. 3.
Zusammenfassung
Aus diesen Überlegungen folgt, daß auch das sittenwidrige Inverkehrbringen von gefährlichen Produkten Rückrufpflichten entstehen läßt. Sie haben jedoch nur praktische Bedeutung, soweit aufgrund der Verletzung von § 826 B G B reine Vermögensschäden drohen. Das sittenwidrige Inverkehrbringen mit (bedingtem) Schädigungsvorsatz löst dann eine nachträgliche Produktverantwortung und G e fahrabwendungspflichten auch zum Schutz vor Vermögenschäden aus. Inhaltlich besteht die nachträgliche Gefahrabwendungspflicht grundsätzlich in einer Pflicht
583 584
Kulimann,
in: Kullmann/Pfister, Kza 3000, S.2f.
Vgl. Niehusen, S.2.
B G H VersR 1991, 1413 - „Sachverständigenhaftung". Trifft den Hersteller nur der Vorwurf Fahrlässigkeit, kann bei einer Schädigung durch das fehlerhafte Produkt nur § 823 Abs. 1 B G B verwirklicht sein, der nicht gegen reine Vermögensschäden schützt. Eine Rückrufpflicht zum Schutze des Vermögens kann dann nicht bestehen. Handelte der Hersteller aber sittenwidrig und mit Schädigungsvorsatz, sollen durch die Rückrufpflicht auch die dann in den Schutzbereich gehörenden Vermögensinteressen geschützt werden. 585 586
Rückrufpflichten -
Beweisfragen
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zu direkter Beseitigung der Gefahr, da den Gefährdeten angesichts des schweren Fehlverhaltens des Herstellers und der sittenwidrig ausgelösten Bedrohung ihrer Rechtspositionen nicht zugemutet werden kann, nur durch eigene M a ß n a h m e n für die Abwendung der Gefahr zu sorgen. Grundsätzlich ist auch die sittenwidrige Unterlassung eines Rückrufs denkbar. Sie erlangt jedoch weder bei der Gefährdung der durch § 8 2 3 Abs. 1 B G B geschützten Rechtsgüter n o c h des im R a h m e n des § 8 2 6 B G B geschützten Vermögens eigenständige praktische Bedeutung.
VIII. 1. Beweisregeln
Beweisfragen
bei der
bei ursprünglichem.
Rückrufliaftung
Fehlverhalten
Beweisfragen spielen allgemein in der P r o d u k t - und Produzentenhaftung eine zentrale Rolle; seit der grundlegenden Hühnerpest-Entscheidung des B G H 5 8 7 wird die sachgerechte Lösung der Haftung für gefährliche Produkte u.a. durch eine entsprechende Ausgestaltung der Beweisregeln angestrebt und erreicht. N a c h den allgemeinen Grundsätzen müßte der Geschädigte beweisen, daß das schadenstiftende Produkt von dem beklagten Hersteller gefertigt wurde, daß dieses P r o dukt einen Fehler aufwies, der auf eine vorwerfbare Pflichtverletzung des H e r stellers zurückgeht, daß dieser Fehler die Rechtsgutverletzung verursachte und diese Verletzung zu dem geltend gemachten Schaden führte. 5 8 8 Viele der zu beweisenden Tatsachen liegen jedoch in der Sphäre des Herstellers und sind für den Geschädigten als Außenstehenden kaum zugänglich. D i e R e c h t sprechung hat deshalb durch Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr die Situation des Geschädigten verbessert. Dabei haben sich folgende Grundsätze herausgebildet: D e r Geschädigte muß beweisen, daß das infrage stehende P r o dukt objektiv einen Sicherheitsmangel aufwies, der Fehler also hätte vermieden werden können. 5 8 9 Bereits dabei kann der Geschädigte in Schwierigkeiten geraten, wenn z . B . das Produkt bei dem schadensverursachenden Unfall selbst zerstört wurde oder - wie etwa Lebensmittel - verbraucht wurde. Deshalb sind auch Anscheinsbeweis und Indizienbeweis möglich 5 9 0 . D a r ü b e r hinaus m u ß der Geschädigte beweisen, daß das fehlerhafte Produkt aus dem Verantwortungsbereich des Beklagten stammt. Dies ist bei E n d p r o d u k ten in der Regel unproblematisch. 5 9 1 D e r Kläger m u ß auch beweisen, daß nicht
587 BGHZ 51, 91 = NJW 1969, 269 m. Anm. Diederichsen = VersR 1969,155 = BB 1969,12 = JZ 1969, 387 m. Anm. Deutsch = Jus 1969, 187, 208 Anm. Rehbinder. 588 Produkthaftungshandbuch/Bd.\IFoerste, §30 Rdnr. 12. 589 BGH, NJW 1969, 269, 274 - „Hühnerpest". 590 Produkthaftungshandbuch/Bd.l/Foerste, §30 Rdnr. 24ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1526, S.5. 591 Ausnahmen sind allerdings u.U. importierte Produkte und Produkte, die von Quasi-Herstellern vertrieben werden. Soweit der Kläger wegen Beweisschwierigkeiten im Rahmen der ver-
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Verschuldenshaftung
nur das Produkt, sondern auch der Fehler aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers stammt und nicht etwa erst später durch unsachgemäßen Transport oder Lagerung bzw. Fehlverhalten seiner selbst entstand. Dabei hilft die R e c h t sprechung dem Geschädigten seit einiger Zeit durch die Auferlegung einer B e fundsicherungspflicht für den Hersteller 5 9 2 , die von diesem verlangt, daß er die Befunde seiner Kontrollmaßnahmen zur Sicherung der Fehlerfreiheit des P r o dukts
sichert,
um
Beweisschwierigkeiten
des
Geschädigten
vorzubeugen.
K o m m t er dieser Pflicht nicht nach, so m u ß der Hersteller nachweisen, daß der Fehler erst entstand, als das Produkt seine Sphäre bereits verlassen hatte. 593 D i e größte H ü r d e wird für den Geschädigten oft der Beweis sein, daß der H e r steller eine ihm obliegende Verkehrspflicht schuldhaft verletzt hat, daß er also den festgestellten Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler schuldhaft verursacht hat. Dies setzt in der Regel Kenntnisse über die interne Organisation und Abläufe im Bereich des Herstellers voraus, die der Geschädigte kaum je haben wird. D i e Rechtsprechung hat ihm in dieser Beweisnot durch eine U m k e h r der Beweislast zunächst für Konstruktions- 5 9 4 und Fabrikationsfehler 5 9 5 geholfen. Danach m u ß der Hersteller beweisen, daß er für solche Fehler nicht einzustehen hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei Konstruktion und H e r stellung des Produktes beachtete. 5 9 6 Umstritten ist jedoch, o b diese Beweislastumkehr auch für solche Umstände gelten soll, die außerhalb des Betriebs des Herstellers liegen. 597 Z u denken ist etwa an den Nachweis des relevanten Standes der Technik für die Abgrenzung von Konstruktionsfehlern und Entwicklungsgefahren, soweit er sich in allgemein zugänglichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und auf dem Markt befindlichen Produkten manifestiert oder von Sachverständigen ermitteln läßt. 598 In dieser Hinsicht ist eine den Geschädigten entscheidend behindernde Beweisnot nicht gegeben, so daß der G r u n d für die Beweislastumkehr eigentlich entfällt. Deshalb wird von anderer Seite vertreten, daß bei der Beweislast zu differenzieren sei danach, o b es sich um innerbetriebliche Voraussetzungen der Verkehrspflichtverletzung oder um außerbetriebliche handelt. 599 D e r B G H nimmt diese
schuldensabhängigen Haftung mit Ansprüchen gegen den Hersteller scheitern sollte, ist jedoch über §4 PHG ein Zugriff auf Quasi-Hersteller oder Vertreiber möglich. 592 S. dazu Kunz, BB 1994, 450. 593 BGHZ 104, 323, 333 - „Mehrweg-Limonadenflasche". 594 BGHZ 67, 359, 361 - „Schwimmschalter". 595 BGH NJW 1969, 269, 274f. - „Hühnerpest". 596 Vgl. auch die Beweisregel in § 1 Abs. 4 PHG, die dem Geschädigten zwar die Beweislast für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang auferlegt, vom Hersteller aber verlangt, daß er das Vorliegen von Haftungsausschließungsgründen wie etwa Entwicklungsgefahren nachweist. 597 So aber der BGH, der bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern keine Differenzierung vornimmt. 598 Für eine Beweislastumkehr auch in dieser Hinsicht Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1526, S. 16; RGRK/Steffen, §823 Rdnr 534. 599 Produkthaftungshandbuch/HA A/Foerste, §30 Rdnr. 54ff., auch unter Hinweis auf den
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Differenzierung aber nicht vor. Tatsächlich dürfte der Schwerpunkt der U m s t ä n de, die für die Feststellung einer Pflichtverletzung relevant sind, im Bereich des Herstellers liegen und häufig kaum trennbar mit außerbetrieblichen Umständen verbunden sein. I m übrigen sind auch die außerbetrieblichen Umstände dem Hersteller mindestens genauso gut zugänglich wie dem Geschädigten. Dies rechtfertigt die pauschale Beweislastumkehr der Rechtsprechung. Seit neuestem nimmt der B G H auch bei ursprünglichen Instruktionsfehlern eine Beweislastumkehr vor. 600 Bezüglich der bei Inverkehrbringen vorliegenden Instruktionsfehler k ö n n e nichts anderes gelten als bezüglich der Fabrikations- oder Konstruktionsfehler. 6 0 1 Auch insofern habe der Geschädigte nur den Beweis zu führen, daß die Instruktion notwendig war. Bei allen Kategorien ursprünglicher Produktfehler bestand bereits vor der K i n dertee I-Entscheidung für das Verschulden des Herstellers eine Vermutung, wenn der objektive Verstoß gegen eine Verkehrspflicht bewiesen war. 602 Ferner muß der Geschädigte die Ursächlichkeit des Produktfehlers bzw. der Verkehrspflichtverletzung für die eingetretene Rechtsgutverletzung nachweisen 603 . Dies ist jedoch auch im Wege des Anscheinsbeweises möglich 6 0 4 . Besondere Bedeutung haben solche Beweiserleichterungen bei Instruktionsfehlern, weil dort der Geschädigte beweisen muß, daß er die unterlassene Instruktion oder Warnung beachtet hätte, da anderenfalls die Rechtsgutverletzung trotz der Erfüllung der Instruktionspflicht eingetreten, deren Unterlassung also nicht kausal gewesen wäre. H i e r hilft der B G H mit der Vermutung, daß eine ordnungsgemäß vorgenommene Instruktion auch befolgt worden wäre. 605 Eine Beweislastumkehr, die vom B G H im Zusammenhang mit der Verletzung vertraglicher Aufklärungspflichten anerkannt wurde 6 0 6 , ist im deliktsrechtlichen Zusammenhang jedoch (noch) nicht eingeführt worden. In einem Teil der Literatur wird sie zurecht gefordert. 6 0 7 Schließlich m u ß der Geschädigte auch die Kausalität der Rechtsverletzung für seinen geltend gemachten Schaden beweisen.
Wertungswiderspruch, der sich aus der unterschiedlichen Behandlung derselben Problematik bei Instruktionsfehlern ergibt (dazu sogleich). S. auch Sack, BB 1985, 813, 815. 600 BGH VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". Anders jedoch (noch) bei nachträglichen Instruktionsfehlern, BGH NJW 1981, 1603, 1605 - „Derosal". 601 Zustimmend Tiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 476ff. 602 Allgemeine Meinung; s. BGH NJW 1969, 269, 274f. - „Hühnerpest"; Produkthaftungshandbuch/iidA/Foerste, §30 Rdnr. 77; Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1526, S. 17. Ausdrücklich auch für den Instruktionsfehler BGH VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". 603 BGH, NJW 1969, 269, 274 - „Hühnerpest". 604 Produkthaftungshandbuch/üdA/Foerste, §30 Rdnr. 99ff. 605 BGH ZIP 1994, 374 - „Kindertee II". 606 BGHZ 64, 46 - „Haartonicum". 607 Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §30 Rdnr. 107f.
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2. Beweisregeln bei nachträglichen a) Pflichtverletzung;
Verschuldenshaftung
Verkehrspflichtverletzungen
Verschulden
Die Anwendung dieser für den Fall von ursprünglichen, d.h. vor dem Inverkehrbringen liegenden Verletzungen der Verkehrspflichten zur sorgfältigen Konstruktion, Fabrikation und Instruktion entwickelten Beweisregeln auf die Verletzung nachträglicher Gefahrabwendungspflichten durch Warnung oder weitergehende Rückrufmaßnahmen ist nicht immer ohne weiteres möglich. Auszugehen ist bei der Rückrufhaftung von dem typischen Fall, daß der Benutzer eines Produktes oder ein Dritter durch dieses geschädigt wurde und seinen Anspruch darauf gründet, daß der Hersteller mögliche, erforderliche und zumutbare nachträgliche Gefahrabwendungsmaßnahmen, welche die Schädigung verhindert hätten, unterlassen (oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt) habe. Der Geschädigte hat somit zunächst zu beweisen, daß das Produkt eine gefährliche Eigenschaft aufweist, die grundsätzlich als Ursache für die Rechtsgutverletzung infrage kommt. Die Frage, ob es sich bei der schadenstiftenden Eigenschaft um einen bereits vor dem Inverkehrbringen erkennbaren und vermeidbaren Fehler handelt oder um die Verwirklichung einer Entwicklungsgefahr, die zu jenem Zeitpunkt noch nicht erkennbar war, ist zunächst zweitrangig. 608 Nachträgliche Gefahrabwendungspflichten in den Grenzen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit bestehen nämlich in beiden Fällen, einmal als Folge des ursprünglichen Fehlverhaltens bei Konstruktion, Fabrikation oder Instruktion, einmal aus nachträglicher Produktverantwortung zur Beobachtung des Produktes und angemessener Reaktion bei Aufdeckung eventueller Fehler. Die schuldhafte Verletzung daraus hergeleiteter Gefahrabwendungspflichten führt in beiden Fällen zur Haftung. 609 D e r Geschädigte muß deshalb nicht notwendigerweise nachweisen, daß der Hersteller Sorgfaltspflichten bei der Konstruktion, Fabrikation und Instruktion verletzte, sondern nur daß die gefährliche Eigenschaft zu dem Zeitpunkt im Rahmen einer ordnungsgemäßen Produktbeobachtung erkennbar war, als der Hersteller erfolgreiche und zumutbare Gefahrabwendungsmaßnahmen hätte vornehmen können. 610 O b ein Fehler spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennbar war, ist nur z.T. aufgrund von außerbetrieblichen Informationen zu erkennen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn auf den Fehler (bzw. auf den Verdacht eines Fehlers) in der wissenschaftlichen, technischen, berufsspezifischen oder allgemeinen Literatur hinge608 Allerdings kann das Vorliegen einer ursprünglichen Pflichtverletzung bei der Bemessung der Zumutbarkeit einer Gefahrabwendungsmaßnahme eine Rolle spielen. Hat nämlich der Hersteller den schadenstiftenden Fehler schuldhaft verursacht, werden ihm weitergehende Maßnahmen zumutbar sein als dann, wenn es um die Verwirklichung einer zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens unerkennbare Entwicklungsgefahr geht. 609 Allerdings wird die Haftung nur im Fall der Entwicklungsgefahren durch Fehlverhalten hinsichtlich der Gefahrabwendungspflichten originär begründet; bei ursprünglichen Produktfehlern ist die Haftung schon wegen des früheren schuldhaften Fehlverhaltens begründet. 610 Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1526, S.17.
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wiesen wurde; 6 1 1 die Gefahr war dann in aller Regel erkennbar. Dieser Nachweis kann insoweit v o m Geschädigten ohne Kenntnisse der innerbetrieblichen O r g a nisation oder anderer Umstände aus der Sphäre des Herstellers geführt werden. 6 1 2 Insbesondere bei G r o ß u n t e r n e h m e n mit eigener Forschung, aber nicht nur dort, wird jedoch ein Teil des technischen Fortschritts gerade im H i n b l i c k auf die eigene Produktpalette intern hervorgebracht. Bei diesen und bei anderen U n t e r n e h men, die im Laufe eines langen Lebenszyklus' ihres Produktes Erfahrungen mit seiner Bewährung in der Praxis durch eigene Tests, Verbraucherbeschwerden, Werkstattberichte etc. sammeln, wird der Fehler häufig zuerst intern erkennbar. 613 A n das relevante Material, das in diesen Fällen die Erkennbarkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt beweisen könnte, k o m m t der außenstehende Geschädigte meist nicht heran. Vielfach werden außerbetriebliche und innerbetriebliche Informationen gleichermaßen für die Erkennbarkeit des Fehlers relevant sein. Dabei ist nicht im vorhinein absehbar, auf welche es im jeweiligen Einzelfall entscheidend ankommen wird. Außerdem ist häufig eine Grenzziehung kaum möglich, da inner- und außerbetrieblich Vorgänge eng zusammenhängen. 6 1 4 D a ferner auch die außerbetrieblichen Informationen über mögliche Produktfehler dem Hersteller im R a h men einer ordnungsgemäßen Produktbeobachtung eher leichter zugänglich sind als dem Geschädigten, erscheint es gerechtfertigt, dem Hersteller die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß der schadenstiftende Fehler zu dem Zeitpunkt, als noch erfolgreiche
Gefahrabwehrmaßnahmen
möglich
waren 6 1 5 ,
nicht
erkennbar
war. 6 1 6 Demgegenüber kann es dem Geschädigten nicht zugemutet werden nachzuweisen, daß der Hersteller mit intensiveren Produktbeobachtungsmaßnahmen die mangelhafte Bewährung seines Produktes in der Praxis hätte erkennen k ö n nen, wenn gerade die Insuffizienz dieser M a ß n a h m e n die Hervorbringung des notwendigen Wissens verhindert hat. 6 1 7 Dies entspricht im übrigen der Beweis611 S. z.B. die bereits 1971 veröffentlichten Berichte über das „Baby-Bottle-Syndrom" in der Schweizerischen Ärztezeitung, BGH VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". 612 BGH NJW 1981, 1603, 1605 - „Derosal". 613 Tiedtke, in: FS Gernhuber, S.471 ff., 482; ProdukthaftungsbandbuchfBdA/Foerste, §30, Rdnr. 80. Der BGH hat z.B. den Kindertee-Herstellern vorgeworfen, daß sie nicht - unabhängig von Veröffentlichungen über die Gefahren des Dauernuckeins - selbst geprüft haben, welche Gefahren der Teegenuß für das Gebiß der Kleinkinder hatte, BGH VersR 1992,96, 99 - „Kindertee I". 614 Tiedtke, in: FS Gernhuber, S.471 ff., 483. 615 Dies wird nicht der Zeitpunkt des Schadenseintritts selbst sein können, sondern ein vorher liegender, der eine angemessene Frist zur Beurteilung der (unterstellten) Gefahrkenntnisse durch den Hersteller sowie für die Einleitung und Durchführung der erforderlichen Abwendungsmaßnahmen berücksichtigt. 616 e ; n e Differenzierung der Beweislast nach außer- und innerbetrieblichen Umständen tritt ein Produkthaftungshandbuch/'Bd. I/Foerste, §30 Rdnr. 57. 617 Es muß deshalb nicht der Geschädigte nachweisen, daß der Hersteller seine Produktbeobachtung fehlerhaft organisiert hat, da er darin keinen Einblick hat, sondern der Hersteller, daß der Fehler trotz ordnungsgemäßer Produktbeobachtung nicht erkennbar war. So auch Produkthaftungshandbuch/Rd.\/Foerste, §30 Rdnr. 89.
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lastverteilung für die Nichterkennbarkeit eines Fehlers, d.h. für das die Haftung ausschließende Vorliegen einer Entwicklungsgefahr nach dem PHG. 618 Der B G H hat jedoch in den Apfelschorf-Fällen eine Umkehr der Beweislast für die objektive Verletzung nachträglicher Warn- und Hinweispflichten abgelehnt.619 Im kürzlich entschiedenen ersten Kindertee-Fall620 hat er zwar für ursprüngliche Instruktionsfehler anders entschieden, doch dies ausdrücklich auf die dort vorliegende Konstellation beschränkt. Dennoch wird dadurch indirekt auch das Ergebnis der Apfelschorf-Fälle infrage gestellt.621 Der B G H hat dort die Umkehr der Beweislast für Fabrikations- und Konstruktionsfehler mit der Schwierigkeit des Geschädigten begründet, Vorgänge aufklären zu müssen, die sich im Betrieb des Herstellers abgespielt haben; diese Schwierigkeiten bestünden aber beim Nachweis der Verletzung nachträglicher Instruktionspflichten nicht, da dazu allgemein zugängliche Publikationen und Benutzererfahrungen herangezogen werden könnten. Wenn dem bei nachträglichen Instruktionsfehlern tatsächlich so wäre, dann bestünden diese Schwierigkeiten aber auch bei ursprünglichen Instruktionsfehlern nicht.622 Es ist nicht erkennbar, warum der Zeitpunkt, für den die Erkennbarkeit der Notwendigkeit einer Instruktion oder Warnung festgestellt werden soll, d.h. ob dies vor oder nach dem Inverkehrbringen erkennbar war, auf die Beweisnot des Geschädigten einen entscheidenden Einfluß haben soll.623 Würde der B G H diese Begründung wirklich für die entscheidende halten, hätte er die Beweislast auch im Kindertee-I-Fall nicht umkehren dürfen.624 Das dort erzielte Ergebnis ist jedoch aus den oben genannten Gründen sachgerecht; es sollte deshalb auch auf die nachträglichen Gefahrabwendungspflichten übertragen werden. Tiedtke weist zurecht darauf hin, daß bei einer unterschiedlichen Behandlung für Schäden durch verschiedene Exemplare desselben Produktes unterschiedliche Beweisregeln gelten würden, je nachdem ob beim Inverkehrbringen des betroffenen Exemplars der Instruktionsfehler erkennbar war oder erst später;625 im ersteren Fall würde die Beweislast umgekehrt, im zweiten nicht, obwohl in beiden Fäl§1 Abs. 4, Abs. 2 Nr. 5 P H G . B G H Z 80,186 - „Derosal"; B G H Z 80, 199 - „Benomyl". Auch danach hat allerdings der Hersteller zu beweisen, daß ihm im Einzelfall aus subjektiven Gründen die objektive Pflichtverletzung nicht vorgeworfen werden könne. 6 2 0 B G H , VersR 1992, 96 - „Kindertee I". 621 S. dazu auch Tiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 480ff.; ders., P H I 1992,138,142ff., der in einer unterschiedlichen Behandlung einen Wertungswiderspruch sieht. 622 Die Literatur ist nach den Apfelschorf-Fällen denn auch vielfach davon ausgegangen, daß deren Ergebnis auch für ursprüngliche Instruktionsfehler Geltung haben werde; s. z.B. Baumgärtel, J A 1984, 660, 668; Soergel/Zöllner, §823 Rdnr. 147. 6 2 3 So auch Produkthaftungshandhuch!Bd. 1 /Foerste, §30 Rdnr. 85; Tiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 481. 624 Das gleiche gilt für Konstruktions- und Fabrikationsfehler. Auch dort manifestiert sich der vom Hersteller zu beachtende Stand der Technik in nicht unerheblichem Umfang in außerbetrieblichen Kenntnissen, was den B G H jedoch von einer Umkehr der Beweislast nicht abhielt. Für eine Differenzierung Produkthaftungshandhuch/Bd. 1 /Foerste, §30 Rdnr. 57. 625 Tiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 482. 618
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len dieselben Umstände für die Erkennbarkeit maßgeblich sein können. Ähnlich unterschiedlich würde die Beweislast in ein und demselben Schadensfall je nach Vorbringen des Geschädigten verteilt. Beruft er sich auf einen ursprünglichen I n struktionsfehler, träfe nach der ersten Kindertee-Entscheidung die Beweislast für die Beachtung der „äußeren und inneren" Sorgfalt den Hersteller, beruft er sich auf eine Verletzung der nachträglichen Warnpflicht, müßte der Geschädigte die Mißachtung der „äußeren" Sorgfalt durch den Hersteller beweisen. In beiden Fällen kQmmt es aber auf die gleichen Umstände an; es ist jedenfalls nicht erkennbar, daß im letzteren Fall die Beweissituation des Geschädigten so viel besser wäre, daß es einer Beweislastumkehr nicht bedürfte. D e r B G H hat allerdings einer Beweislastumkehr auch für die Verletzung nachträglicher Instruktions- und Warnpflichten bereits in den Apfelschorf-Fällen den Weg insofern geebnet, als er dort anerkennt, daß Fallkonstellationen denkbar sind, in denen der Geschädigte auch bei nachträglichen Instruktionsfehlern in einer Beweisnot steckt, die eine Beweislastumkehr im Einzelfall rechtfertigen könnte. 6 2 6 E r k e n n t man aber, daß diese Situation, wie ausgeführt, gar nicht so selten ist, weil die Erkennbarkeit der Notwendigkeit nachträglicher Gefahrabwendungsmaßnahmen sowohl von innerbetrieblichen Umständen abhängt wie von außerbetrieblichen, welche dem Hersteller zudem ebenfalls leichter zugänglich sind als dem Geschädigten, so k ö n n t e man das v o m B G H angenommene RegelAusnahme-Verhältnis umkehren und wie bei den übrigen Fehlerkategorien eine Beweislastumkehr vornehmen. 6 2 7 War der Fehler grundsätzlich erkennbar, muß ferner nachgewiesen werden, daß nach dem relevanten Kenntnisstand zum Zeitpunkt des angeblichen Fehlverhaltens der Fehler von einer A r t war, daß Gefahrabwehrmaßnahmen hätten getroffen werden müssen, und welche der denkbaren Maßnahmen unter diesen Umständen als möglich, erforderlich und zumutbar zu gelten hatten. Schließlich ist festzustellen, ob das tatsächliche Verhalten in objektiver Hinsicht den in dieser Weise definierten Verhaltensanforderungen entsprach oder nicht. D e r Geschädigte m u ß dabei beweisen, daß der Fehler und die von ihm ausgehende Gefahr von einer Schwere waren, daß Gefahrabwendungsmaßnahmen zumindest als Warnung erforderlich wurden. O b diese Maßnahmen dem Hersteller aber unzumutbar waren, wird dieser selbst beweisen müssen. D i e Kriterien für die Zumut-
626 „Es mag zwar Fälle geben, in denen sich ein derart Geschädigter in ähnlicher Beweisnot befindet wie bei einer Schädigung durch Konstruktions- oder Fabrikationsfehler; zuweilen kann dieser Grund, der den Senat... zur Uberbürdung der Beweislast veranlaßt hat, auch bei der Schädigung durch einen Instruktionsfehler gegeben sein." BGH, NJW 1981,1603,1605 - „Derosal". 627 Auch bei den anderen Fehlerkategorien hat der BGH bei der Beweislast nicht danach differenziert, ob die zu beweisenden Umstände außerbetrieblicher oder innerbetrieblicher Art waren. Die relative Bedeutung innerbetrieblicher Umstände für das Entstehen von Konstruktions- und Fabrikationsfehlern hat ihn vielmehr dazu geführt, die Beweislast nicht nur diesbezüglich, sondern insgesamt umzukehren. Dies sollte dann auch bei Verletzungen nachträglicher Warn- oder Rückrufpflichten geschehen. A.A. jedoch Produkthaftungshandbuch/hA. I/Foerste, §30 Rdnr. 57.
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barkeit ( z . B . unverhältnismäßige Kosten) liegen im Bereich des Herstellers, in den der Geschädigte keinen zureichenden Einblick hat. 6 2 8 D a m i t ist die Beweisregelung für eine objektive Pflichtverletzung durch völliges Unterlassung der gebotenen Gefahrabwendungsmaßnahme geklärt. Fraglich ist jedoch noch, wer beweisen muß, daß eine vorgenommene Maßnahme nicht ausreichend war. Dies betrifft besonders die Fragen, ob eine Warnaktion sachgerecht durchgeführt wurde, so daß eine möglichst große Zahl der Betroffenen hinreichend deutlich über die Gefahr informiert wurde, bzw. o b weitergehende M a ß n a h m e n wie Reparaturen hätten durchgeführt werden müssen. Soweit der Mangel der Gefahrabwehrmaßnahme im organisatorischen Bereich liegt, etwa weil der Geschädigte von der Warnung gar nicht oder zu spät erreicht wurde, m u ß der Hersteller beweisen, daß er alle organisatorischen Voraussetzungen getroffen hatte, um eine optimale Durchführung von Gefahrabwendungsmaßnahmen zu gewährleisten. Dies sind typisch innerbetriebliche Angelegenheiten, in die der Geschädigte keinen Einblick hat. Anders ist es jedoch, wenn der Geschädigte vorträgt, die Warnung sei nicht hinreichend deutlich, inhaltlich nicht umfassend genug gewesen oder statt einer Warnung wäre ein Reparatur- oder Austauschangebot erforderlich gewesen. D i e Beweislast dafür wird grundsätzlich der Geschädigte zu tragen haben. Dies ist ihm in der Regel auch zumutbar, da es sich bei der Frage, ob eine Maßnahme zur Abwendung der Gefahr geeignet und erforderlich war, um Umstände außerhalb der betrieblichen Organisation des Herstellers handelt. Allerdings wird der H e r steller beweisen müssen, daß eine solche weitergehende Maßnahme ihm nicht zumutbar war. Fraglich ist ferner, ob dem Geschädigten für den Beweis der Insuffizienz der vorgenommenen Maßnahme Beweiserleichterungen zugute k o m m e n können. D e r B G H hat im Zusammenhang mit dem Kausalitätsnachweis zugunsten des Geschädigten angenommen, daß eine ordnungsgemäß durchgeführte Warnaktion auch befolgt werden würde. 6 2 9 Danach trägt der Hersteller die Beweislast dafür, daß diese Vermutung falsch ist, daß also der Geschädigte auch eine ausreichende Warnung mißachtet hätte. Ein U m k e h r s c h l u ß dergestalt, daß eine Warnung, die nicht befolgt wurde, mit der Vermutung der Mangelhaftigkeit belastet ist, läßt sich daraus aber keineswegs ableiten. Es bleibt somit bei der Beweispflicht des Geschädigten für das Nicht-Ausreichen der Warnung. D e n k b a r ist es allerdings, zumindest überzeugende Indizien für das Nicht-Ausreichen der Warnung darin zu sehen, daß sie von einer Mehrzahl der Adressaten nicht beachtet wurde. Es läge dann am Hersteller darzutun, daß dies aus anderen Gründen als einer Mangelhaftigkeit seiner Gefahrabwendungsmaßnahme geschah. I m H i n b l i c k auf die Frage, ob der Hersteller nachträgliche Gefahrabwendungsmaßnahmen ergreifen muß (und welche) hat der B G H kürzlich AusfühTiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 482. BGH VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". S. zu Beweisproblemen bei der Kausalität sogleich. 628
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Beweisfragen
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rangen gemacht, die zu Bedenken Anlaß geben. In der AtemüberwachungsgerätEntscheidung hat er sich nämlich außerstande gesehen, eine Verletzung der Warnpflicht durch den Hersteller festzustellen, weil die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts kein Urteil darüber erlaubten, „ob es überhaupt eine Möglichkeit gab, auf einem Aufkleber für das Gerät und/oder einem Warnschild für das Kabel eine so deutliche und plausible Gefahrenwarnung unterzubringen, daß man für den Fall der Nichtbeachtung davon ausgehen könnte, es spreche, wie in dem vom erkennenden Senat entschiedenen Kindertee-Fall, eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Warnung beachtet worden wäre." 630 Die Kausalitätsvermutung wird somit mit der Frage der Möglichkeit einer Warnung verknüpft. Eine Warnung wäre - nimmt man den Satz wörtlich - danach nur dann vom Hersteller vorzunehmen, wenn sie mit einer so hinreichenden Deutlichkeit vorgenommen werden könnte, daß die Kausalitätsvermutung ausgelöst wird. Abgesehen davon, daß dadurch diejenigen schutzlos gestellt würden, die auch eine weniger deutliche Warnung beachtet hätten, bringt dies den Geschädigten in das Dilemma, daß er nicht nur beweisen muß, daß eine Warnung grundsätzlich möglich war, sondern darüber hinaus, daß sie in einer solch „qualifizierten" Form möglich war. E r hätte nicht mehr die Möglichkeit, unabhängig von der Kausalitätsvermutung zu beweisen, daß er die - in mancher Hinsicht vielleicht nicht hinreichende - Warnung als besonders vorsichtiger Mensch doch beachtet hätte. Möglicherweise wird damit aber die Äußerung des B G H überinterpretiert, weil er mit seiner mißverständlichen Formulierung nicht die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Warnpflicht definieren wollte, sondern nur darauf hinweisen wollte, daß wegen der Schwierigkeiten des direkten Beweises der Kausalität in der Regel der Nachweis für die Voraussetzungen der Kausalititätsvermutung erforderlich sein wird. Eine zukünftige Klarstellung wäre wünschenswert.
b) Kausalitätsprobleme Damit sind bereits die Probleme des Nachweises der Kausalität der Unterlassung einer Gefahrabwendungsmaßnahme für die Verletzung des geschützten Rechtsgutes angesprochen. 631 Dieser Nachweis wird in der Regel erhebliche Probleme aufwerfen. Der Geschädigte muß nämlich nach den üblichen Regeln der Beweislastverteilung nachweisen, daß die Erfüllung der Gefahrabwendungspflicht durch den Hersteller die Rechtsgutverletzung abgewendet hätte. Bestand diese Pflicht in einer Warnpflicht, muß er nachweisen, daß er die Warnung auch befolgt hätte, bei einer weitergehenden Rückrufpflicht, daß er das Reparaturoder Austauschangebot angenommen hätte. Der B G H hält zwar bisher an dieser
630 B G H ZIP 1994,1960,1962 - „Atemüberwachungsgerät". In dem Fall ging es um schwere Gehirnschädigungen eines Kindes, die durch die Verwechslung von Buchsen bzw. Kabeln bei der Bedienung eines Atemüberwachungsgerätes durch Krankenhauspersonal ausgelöst worden waren. 631 S. allgemein dazu Deutsch, in: FS Lange, S.433ff.
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ständigen Rechtsprechung fest 632 , hat jedoch - wie soeben erwähnt - die Beweissituation des Geschädigten mittlerweile zurecht dadurch erleichtert, daß er zugunsten des Geschädigten eine Vermutung dahingehend anerkennt, daß eine als nach Art und Inhalt ausreichend beurteilte Warnmaßnahme auch beachtet w o r den wäre. 633 D e r B G H nähert sich damit seiner Rechtsprechung für die Beweislage bei vertraglichen Aufklärungspflichten an, bei denen er eine Beweislastumkehr vorgen o m m e n hat 634 , die er bisher im deliktsrechtlichen Zusammenhang aber noch nicht hat nachvollziehen wollen. 6 3 5 Das dort aber gleichermaßen auftretende D i lemma des Geschädigten hat das Gericht bei der vertraglichen Aufklärungspflicht mit trefflichen Worten beschrieben: „ D e m Ersatzberechtigten wäre wenig damit gedient, wenn er seinen Vertragspartner zwar an sich aus schuldhafter Verletzung einer solchen Hinweispflicht in Anspruch nehmen könnte, aber regelmäßig daran scheitern würde, daß er den meist schwer zu erbringenden Beweis nicht erbringen könnte, wie er auf den Hinweis reagiert hätte, wenn er gegeben worden wäre. D e r Aufklärungspflichtige hätte dagegen nicht viel zu befürchten, wenn er bei Verletzung seiner Hinweispflicht sich darauf zurückziehen dürfte, daß kaum zu beweisen sei, was der andere auf den Hinweis hin getan hätte. D a m i t würde der mit der Aufklärungspflicht verfolgte Schutzzweck verfehlt. D i e besondere Interessenlage der beteiligten Vertragspartner erfordert deshalb, daß in diesen Fällen derjenige, der die vertragliche Hinweispflicht verletzt, auch das Risiko der Aufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs zumindest insoweit trägt, als in Frage steht, wie der andere Teil gehandelt hätte, wenn er pflichtgemäß ins Bild gesetzt worden wäre." 6 3 6 Diese Erwägungen gelten genauso für den deliktsrechtlichen Zusammenhang. Eine Differenzierung in dieser Hinsicht gegenüber dem Vertragsrecht erscheint jedenfalls nicht als gerechtfertigt. 6 3 7 Eine Vermutung der Kausalität der BGHZ 106, 273, 284 = VersR 1989, 399, 401 - „Asthma-Spray" BGH VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". Andere Fragen bleiben aber noch ungeklärt: Wenn eine Warnaktion vom Hersteller durchgeführt wurde, gilt dann ebenfalls eine Vermutung dafür, daß sie beachtet werden wird bzw. beachtet wurde, so daß der Geschädigte die Beweislast dafür trüge, daß die Warnung nicht ausreichend war? Oder gilt dann - zumindest für den Fall, daß die Warnung von einem nicht unerheblichen Teil der Adressaten mißachtet wurde - auch eine umgekehrte Vermutung, daß die Warnung nicht ausreichend war, da sie sonst beachtet worden wäre? M.E. muß letzteres gelten, um zu einer sinnvollen Berücksichtigung des Gesamtkomplexes zu kommen. 634 BGHZ 61, 118, 120; BGHZ 64, 46, 51 - „Haartonicum". S. dazu auch Tiedtke, PHI 1992, 138, 141f.; ders., in: FS Gernhuber, S.471 ff., 485ff. Für eine Beweislastumkehr nur, wenn die Wahrung der Aufklärung als Rechtfertigung für ein bestimmtes Verhalten dient (Arzthaftung) oder feststeht, daß vorsätzlich gegen eine Aufklärunspflicht verstoßen wurde, Grunewald, ZIP 1994, 1162. 635 BGH BB 1987, 717, 721 - „Honda"; auch noch BGH VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I". 636 BGHZ 61, 118, 122, zitiert bei Tiedtke, in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 486. 637 So auch Tiedtke, PHI 1992,138,146; ders., in: FS Gernhuber, S. 471 ff., 487; Baumgärtel,]K 1984, 660, 668. A.A. allerdings der BGH, BB 1987, 717, 721 - „Honda"; auch noch in BGH, VersR 1992, 96, 99 - „Kindertee I": Dieser Gedanke könne nicht ohne weiteres auf die deliktsrechtliche Haftung übertragen werden. 632
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Verletzung einer Informationspflicht wird in anderem Zusammenhang ferner dann anerkannt, wenn die Aufklärung über ein R i s i k o dazu dienen soll, den G e schützten entscheiden zu lassen, ob er das Risiko - etwa bei einer ärztlichen A u f klärung - eingehen soll. 6 3 8 Dies ist auch bei nachträglichen Warn- und R ü c k r u f pflichten hinsichtlich des Risikos der Produktbenutzung der Fall. 6 3 9 Soweit die daraufhin ergriffenen Gefahrabwendungsmaßnahmen die Bedrohten nicht mindestens in die Lage versetzen, eine selbstverantwortliche Entscheidung über die Weiterbenutzung des Produkts zu treffen, können sie nicht ausreichend sein. D a eine wirksame Gefahrenabwehr nicht ohne die Betroffenen möglich, sondern von ihrer Kooperation abhängig ist, ist der Schutz der Dispositionsfreiheit zwar nicht eigentliches Ziel 6 4 0 , aber notwendige Voraussetzung eines wirksamen Schutzes ihrer Integrität. Insofern würde ein voller Kausalitätsnachweis durch die G e s c h ä digten bedeuten, daß sie einen Sachverhalt ausschließen müßten, der sich als ihr Entschluß zur Aufgabe ihres Integritätsanspruchs darstellen würde. 6 4 1 Ein weiteres Argument spricht für eine Beweislastumkehr statt der bloßen A n erkennung eines Anscheinsbeweises. D i e Erfahrungen aus den U S A zeigen, daß trotz wohlüberlegter Warn- und Rückrufaktionen viele Verbraucher die Warnungen mißachten oder Rückrufangebote ausschlagen. Es wird sich deshalb ein allgemeiner Erfahrungssatz, daß allen Anforderungen entsprechende Warn- und Rückrufaktionen auch beachtet werden, nicht ohne weiteres bestehen können. J e nach Produktkategorie (geringwertige Produkte), der Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos, der A r t des gefährdeten Rechtsgutes etc. könnte vielmehr erfahrungsgemäß eine überwiegende Zahl der Verbraucher das Produkt unverändert weiterbenutzen. 6 4 2 Wenn aber ein solcher Erfahrungssatz nicht besteht, könnte der Geschädigte kaum jemals beweisen, daß er zur Minderheit derjenigen gehört hätte, welche die erforderlichen Selbstschutzmaßnahmen getroffen hätten. Dies würde aber bedeuten, daß der Hersteller Klagen solcher Verbraucher beruhigt entgegensehen könnte, da sie die Kausalität seines Fehlverhaltens nie beweisen könnten. Sein Hinweis auf die weitgehende Erfolglosigkeit von Warn- oder Rückrufaktionen könnte kaum widerlegt werden. Deshalb würde auf ihn keinerlei D r u c k durch Haftungsrisiken ausgeübt, Warnungen auszusprechen oder R ü c k r u f e vorzunehmen. Verstöße gegen die Warn- und Rückrufpflicht blieben sanktionslos. Als K o n s e q u e n z daraus würden auch diejenigen nicht gewarnt, welche eine solche Warnung befolgt hätten. D i e Auferlegung von Gefahrabwendungspflichten würde leerlaufen. 6 4 3 RGRK/Steffen, §823 Rdnr. 527. S. auch Deutsch, in: FS Lange, S. 433 ff., 442. S. Baumgärtel, JA 1984, 660, 668. 640 So z.B. bei den Aufklärungspflichten des Arztes über Behandlungsrisiken; BGHZ 29,176, 187; BGHZ 61, 118, 123. 641 Kulimann, in: Kullmann/Pfister, Kza 1526, S. 11. 642 Dies muß nicht aus Sorglosigkeit geschehen, sondern kann auch Ausdruck einer bewußten Abwägung sein, die unvermeidlichen Nachteile des Produktes - etwa eines Arzneimittels - inkauf zu nehmen, um auch in den Genuß der überwiegenden Vorteile zu gelangen; Produkthaftungshandhuch/BdA/Foerste, §30 Rdnr. 107. 643 So auch Produkthaftungshandbuch/Bd. MFoerste, §30 Rdnr. 107. 638
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Es würde dem präventiven Charakter der Gefahrabwendungspflichten deshalb eher entsprechen, dem Hersteller die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß eine nach den Grundsätzen seiner nachträglichen Produktverantwortung erforderliche und zumutbare Gefahrabwendungsmaßnahme v o m Betroffenen nicht beachtet worden und deshalb ihre Unterlassung für die Rechtsgutverletzung nicht kausal geworden wäre. 6 4 4 A u c h sollte es dem Geschädigten nicht deshalb, weil das weniger vorsichtige Verhalten der Mehrheit eine Vermutung auch gegen ihn auslöst, zum prozessualen Nachteil gereichen, daß er sich abweichend von der N o r m gegen die Benutzung des gefährlichen Produktes entschieden hätte. 6 4 5
IX. Folgen der Nichtbeachtung von Warnungen und Rückruf auf rufen Wie bereits mehrfach angesprochen ist damit zu rechnen, daß Warnungen oder Fehlerbeseitigungshinweise der Hersteller nicht beachtet, Reparatur- und Austauschangebote nicht angenommen werden. Es fragt sich dann, wie diese Tatsache zu berücksichtigen ist, wenn es zum Eintritt des schadenstiftenden Ereignisses k o m m t , das die Rückrufaktion eigentlich verhindern wollte. Das Problem stellt sich als eine Frage der Berücksichtigung des Mitverschuldens des Produktbenutzers bei eigener Schädigung 6 4 6 bzw. als eine der Allein-oder Nebentäterschaft bei Schädigung Dritter 6 4 7 dar.
1. Schädigung des Benutzers Wird das fehlerhafte Produkt trotz einer Warnung oder eines Reparatur- oder Austauschangebots unverändert weiterbenutzt, m u ß bei der Haftung für eine Rechtsgutverletzung des Benutzers unterschieden werden. Lag ein ursprünglich v o m Hersteller schuldhaft verursachter Produktfehler vor, konnte er sich durch eine nachträgliche Warn- oder Rückrufaktion nicht gänzlich von seiner Haftung befreien. D e r haftungsbegründende Tatbestand ist rechtswidrig und schuldhaft erfüllt, die von dem Produktfehler ausgehende Gefahr hat sich verwirklicht. A l lerdings m u ß man die dem Benutzer zwischenzeitlich vermittelte Gefahrenkenntnis berücksichtigen. D e r Benutzer 6 4 8 hat durch die Warnung bzw. die mit dem Reparaturangebot verbundenen Informationen Kenntnis von der Gefahr
644 Dies entspricht im übrigen der Rechtsprechung zur Unterlassung von Offenbarungspflichten des Verkäufers als culpa in contrahendo. Dort ist nach feststehender Rechtsprechung des BGH der Verkäufer dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß es auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zum Vertragsabschluß gekommen wäre, der Geschädigte also den Hinweis nicht beachtet hätte (BGH WM 1990, 1210; BGH WM 1994, 149). 645 Produkthaftungshandbuch/RdA/Foerste, §30 Rdnr. 107. 646 §254 BGB. 647 §§823, 840, 426 BGB. 648 Es wird hier davon ausgegangen, daß Adressat der Rückrufaktion und Benutzer identisch sind.
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Nichtbeachtung
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und u.U. auch von Abwendungsmöglichkeiten erlangt. Soweit diese Informationen nach Art, Gestaltung und Inhalt hinreichend deutlich waren, hat er die Benutzung des Produktes in Kenntnis des Risikos fortgesetzt. Dabei ist allerdings nur in Ausnahmefällen davon auszugehen, daß dadurch die Verantwortlichkeit des Herstellers gänzlich zurücktritt, weil der Verletzte sie quasi übernommen hat.649 Auch das Handeln auf eigene Gefahr fällt als schuldhafte Selbstgefährdung unter §254 BGB650, entlastet den Hersteller also nicht automatisch gänzlich. Den Benutzer wird in der Regel ein Mitverschulden an der Schädigung treffen. 651 Wie hoch das Mitverschulden und damit die Herabsetzung des Schadensersatzes zu veranschlagen ist, ist durch Abwägung zu ermitteln, wobei es vor allem auf den beiderseitigen Anteil an der Verursachung und am Verschulden ankommt. Dabei ist es durchaus denkbar, daß der Anteil des Herstellers als so gering bemessen wird, daß seine Schadensersatzpflicht völlig entfällt. Ein Mitverschulden des Herstellers kommt auch dann nicht in Betracht, wenn es sich um einen ursprünglichen Instruktionsfehler handelte, den der Hersteller durch seine nachträglichen Informationen völlig beseitigt hat. Die fehlende oder ungenügende Information wurde rechtzeitig vor Schadenseintritt nachgeholt. Der Benutzer muß sich dann so behandeln lassen, als habe er die Schädigung durch ein fehlerfreies Produkt erlitten, das er in Kenntnis der Risiken benutzte. Gleiches gilt bei der Verwirklichung von Entwicklungsrisiken, die bei Inverkehrbringen nicht erkennbar waren, soweit der Hersteller seine Produktbeobachtungs- und Gefahrabwendungspflichten penibel erfüllt hat. Den Hersteller trifft dann für die schadenstiftende gefährliche Eigenschaft keine Verantwortung und seiner nachträglichen Produktverantwortung ist er nachgekommen. Beachtet der Benutzer in diesen Fällen eine Warnung nicht oder nimmt er ein Reparaturangebot nicht an, so liegt im Schädigungsfall Alleinverschulden vor. Anders liegt es allerdings, wenn der Hersteller nur eine ungenügende Warnung versandte oder auf die eigentlich gebotene Reparatur zugunsten der billigeren Warnung verzichtete. In diesem Fall hat er seine Gefahrabwendungspflicht verletzt und es liegt ein Mitverschulden vor. Bei der Berücksichtigung des Mitverschuldens des Herstellers ist ferner der Schutzzweck der von ihm verletzten Verkehrspflicht zu berücksichtigen. Wie oben dargelegt, ist es denkbar, daß die Vornahme einer Reparatur- oder Austauschaktion nur zum Schutze unbeteiligter Dritter gefordert wird; gegenüber dem Benutzer wäre eine Warnung ausreichend gewesen, um seinen Integritätsinteressen gerecht zu werden. Beachtet nunmehr der Benutzer eine Warnung nicht, kann er sich nicht später darauf berufen, daß der Hersteller statt der bloßen War649
Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §22 Rdnr. 25. Palandt/Heinrichs, §254 Rdnr. 76. Die Verletzung der Obliegenheit des Geschädigten durch die Versäumung eigener Maßnahmen der Gefahrabwendung gehört auch zum Schutzzweck der Norm; sie soll den Geschädigten gerade an denjenigen Schäden beteiligen (bzw. den Schädiger von denjenigen Schäden entlasten), die durch die verletzte Pflicht oder Obliegenheit vermieden oder gemindert werden sollten; vgl. Medicus, in: FS Niederländer, S.329ff., 336. 650
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nung ein A n g e b o t auf kostenlose Reparatur hätte machen müssen. E s fehlt am Rechtswidrigkeitszusammenhang. D i e Pflicht des Herstellers, eine Reparatur anzubieten sollte unbeteiligte D r i t t e vor der Nichtbeachtung einer Warnung durch den Benutzer schützen, nicht jedoch diesen selbst vor seiner eigenen Entscheidung, sich der Gefahr auszusetzen. 6 5 2 Ein Mitverschulden des Herstellers k o m m t in diesem Fall nicht in Betracht. Schließlich ist zu beachten, daß die Berücksichtigung des Mitverschuldens des Geschädigten, dessen Deliktsfähigkeit voraussetzt. 6 5 3 Insbesondere bei Minderjährigen als Benutzern kann trotz Nichtbeachtung einer Warnung deshalb ein Mitverschulden entfallen.
2. Schädigungen
Dritter
Werden durch das fehlerhafte Produkt Dritte geschädigt, kann der Benutzer als Nebentäter oder als Alleintäter haftbar sein. Handelt es sich bei der schadenstiftenden Eigenschaft des Produktes um einen ursprünglichen, v o m Hersteller schuldhaft verursachten Fehler, ist dieser für den Schaden verantwortlich. H a t der Hersteller jedoch den Benutzer vor der Gefahr gewarnt oder ihm gar eine kostenlose Reparatur oder einen Austausch angeboten, den dieser aber ausschlug, um das Produkt dann unverändert weiter zu benutzen, hat der Benutzer die Schädigung schuldhaft mitverursacht. Hersteller und Benutzer haften in diesem Fall nach § 840 B G B als Gesamtschuldner. D e r Innenausgleich findet nach §§ 426, 254 B G B statt. Zu einer gesamtschuldnerischen Haftung von Hersteller und Benutzer k o m m t es auch dann, wenn der Hersteller bei einem Entwicklungsfehler nur ungenügende Gefahrabwendungsmaßnahmen vornahm, indem er z . B . statt einer Reparaturaktion nur eine Warnaktion durchführte. D e r Hersteller hat dann seine Gefahrabwendungspflichten verletzt und der Benutzer hat in Kenntnis der G e fahr für Dritte das Produkt weiterbenutzt. 6 5 4 Soweit der Hersteller seiner nachträglichen Produktverantwortung jedoch vollkommen gerecht wurde, scheidet seine Haftung mangels Pflichtverletzung aus; bei Nichtbeachtung der Warnung haftet allein der Benutzer. Daraus ergibt sich, daß für den Hersteller R ü c k r u f maßnahmen nicht nur deshalb wirtschaftlich sinnvoll sein können, weil sie bei erfolgreicher Durchführung das Haftungsrisiko eliminieren oder wenigstens erheblich beschränken, sondern auch, weil bei einem Eintritt der Schädigung aufgrund der Nichtbeachtung durch die Benutzer deren Mithaftung das Risiko senken kann.
Produkthaftungshandhuch/Bd.l/Foerste, §24 Rdnr. 282. §§827ff. BGB. 654 Allerdings wäre hier noch zu berücksichtigen, inwieweit der Tatbeitrag des Herstellers, d.h. die Mangelhaftigkeit seiner Rückrufmaßnahme kausal für die Schädigung des Dritten wurde. So wäre leicht denkbar, daß der Benutzer auch eine ordnungsgemäße Rückrufmaßnahme nicht beachtet hätte. Die Pflichtverletzung des Herstellers wäre dann nicht kausal geworden. 652
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Beseitigung durch Dritte
3. Pflicht des Herstellers zur Unterbindung der Benutzung In aller Regel hat der Hersteller keinerlei Verbotsgewalt, um die Benutzung wirksam zu verhindern, oder rechtliche Möglichkeiten, die angebotene Reparatur oder den Austausch zu erzwingen. In besonderen Fällen mit großem Schadenspotential für unbeteiligte Dritte mag es jedoch gerechtfertigt sein, vom Hersteller die Information der zuständigen Behörden zu verlangen, damit diese die B e n u t zung verhindern. 6 5 5 D i e Verletzung dieser Pflicht könnte dann eine Solidarhaftung des Herstellers mit dem das Risiko inkauf nehmenden Benutzer des Produktes begründen.
B. Beseitigung
der Produktgefahr
I. Erstattungsansprüche Eigentümer,
durch
Dritte
bei Beseitigung der Gefahr Dritte oder Verbände
durch
In Fällen, in denen der Hersteller sich weigert, eine rechtlich gebotene Reparatur-, Austausch- oder Rücknahmeaktion zur Beseitigung der von seinem Produkt ausgehenden Gefahren durchzuführen, oder in denen der Benutzer deren Vornahme nicht abwarten kann oder will und die Gefahr auf eigene Kosten beseitigen läßt, stellt sich die Frage, ob er v o m Hersteller die Erstattung der dabei anfallenden K o s t e n verlangen kann. Diese Konfliktsituation kann auch eintreten, wenn der Hersteller des Endproduktes wegen des Fehlers eines Zuliefererproduktes eine Rückrufaktion durchführt 6 5 6 , die eigentlich der Zulieferer hätte veranlassen müssen. 657 D e n k b a r ist auch, daß ein gefährdeter D r i t t e r den Eigentümer des defekten Produktes veranlaßt, den Fehler auf seine, des Dritten Kosten beseitigen zu lassen, oder daß ein Verbraucherverband die Rückrufaktion in eigener Regie durchführt. Als Anspruchgrundlagen für einen Erstattungsanspruch k o m m e n die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag ( § § 6 7 7 f f . B G B ) , ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 B G B oder ein Bereicherungsanspruch nach § § 8 1 2 f f . B G B in Betracht.
1. Geschäftsführung ohne Auftrag N a c h den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag 6 5 8 kann der Geschäftsführer wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn die Ü b e r n a h m e der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutBGH, VersR 1960, 856 - „Siloanlage". S. dazu Produktbaftungshandbuch/ßd.\/Foerste, §24 Rdnr. 256. 656 S. den Sachverhalt von BGHZ 117, 183 - „Kondensatoren" und der Vorinstanz OLG Frankfurt/M. BB 1991, 2248. 657 S. dazu Herrmann/Fingerhut, BB 1990,725; Link, BB 1985,1424. Allgemein zur Produkthaftung in diesem Verhältnis Kreifels, ZIP 1990, 489; Nagel, DB 1993, 2469. 658 §§677ff. BGB. S. Wollschläger,1979, 57. 655
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Verschuldenshaftung
maßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprach. 6 5 9 Diese Vorschrift könnte somit dem Eigentümer, der das defekte oder zumindest verdächtige Produkt untersuchen und den Fehler beheben läßt, dem gefährdeten Dritten, der den Eigentümer dazu überredet, das Produkt auf seine, des Dritten, Kosten reparieren zu lassen 6 6 0 , oder dem Verbraucherverband, der eine v o m Hersteller verweigerte, aber für erforderlich gehaltene Warnaktion in eigener Regie durchführt 6 6 1 , einen Anspruch auf Erstattung der dabei entstandenen Kosten einräumen. 6 6 2
a)
Fremdgeschäftsführungswille
D i e Tatsache, daß die Geschäftsführer dabei auch eigene Interessen verfolgen, steht der A n n a h m e einer Geschäftsführung (auch) für den Hersteller nicht entgegen. 6 6 3 So verfolgt der Eigentümer eigene N u t z u n g s - und Sicherheitsinteressen, der Dritte will eine Gefahr von sich selbst abwenden und der Verbraucherverband dient seinen satzungsgemäßen Zielen. Entscheidend ist jedoch, ob der E i gentümer, der Dritte oder der Verbraucherverband mit dem Bewußtsein, der E r kenntnis und dem Willen handeln, (auch) im Interesse des Herstellers tätig zu werden, kurz: o b sie Fremdgeschäftsführungswillen haben. 6 6 4 Dies gilt selbst dann, wenn der Geschäftsführer zur Vornahme des Geschäfts Dritten gegenüber verpflichtet ist 6 6 5 , wie dies etwa bei dem Eigentümer der Fall ist, der nach K e n n t niserlangung von einer Dritte bedrohenden Produktgefahr eigene Verkehrspflichten zur Untersuchung und Beseitigung hat. Handelt es sich aber objektiv zumindest auch um ein Fremdgeschäft, wird der entsprechende Fremdgeschäftsführungswille vermutet. 6 6 6 Läßt allerdings der Eigentümer eines Produktes dieses auf technische Mängel untersuchen und reparieren, liegt in aller Regel objektiv ein eigenes Geschäft vor, weil sowohl Aufwendungen als auch N u t z e n der Reparatur des eigenen P r o d u k tes den Eigentümer selbst treffen. 6 6 7 In den Fällen, in denen auch den Hersteller aufgrund seiner nachträglichen Produktverantwortung eine Verkehrspflicht zur Vornahme eben dieser Handlungen trifft, wahrt der Eigentümer aber gleichzeitig §683 S.l BGB. Diese Möglichkeit erwähnt Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §39 Rdnr. 26. 661 Aus praktischen Gründen kommen aus der Sicht eines Verbraucherverbandes nur Warnaktionen oder Aufforderungen an die Verbraucher in Betracht, eine Reparatur oder einen Austausch beim Hersteller einzufordern. Eigene Reparaturaktionen des Verbraucherverbandes dürften ausscheiden. Denkbar sind auch Boy kottauf rufe, doch sind dies keine Aktionen im Sinne einer „Ersatzvornahme" von eigentlich dem Hersteller obliegenden Gefahrabwendungsmaßnahmen. Sie bleiben deshalb hier außer Betracht. 662 Zur Erstattung von Schadensverhütungskosten nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag s. Steiner, S. 191 ff. 663 MünchKomm/Seiler, §677 Rdnr. 8 ff. 664 Schwark, JuS 1984, 321. 665 BGHZ 16, 12; MünchKomm/Seiler, §677 Rdnr. 9 m. zahlr. Nachweisen. 666 BGHZ 98, 235. Strittig, s. Schwark, JuS 1984, 321. 667 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 610. 659 660
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die Interessen des Herstellers, der zur Gefahrabwendung verpflichtet wäre; die Reparatur wird dadurch zu einem objektiv auch fremden Geschäft, da „die Rechtsordnung eine andere Zuständigkeit begründet als die des Geschäftsführers". 6 6 8 Soweit ein absolutes Recht des potentiell Geschädigten geschützt ist und der Schädiger im Fall der Verletzung Schadensersatz leisten müßte, wäre es eigentlich Aufgabe des letzteren, die Schadensverhütungsmaßnahme zu ergreifen. 6 6 9 Gegen ein objektives Fremdgeschäft spricht auch nicht, daß der Eigentümer als Geschäftsführer Dritten gegenüber die eigene privatrechtliche Verpflichtung hat, das Produkt, soweit es Dritte gefährdet, zu reparieren 6 7 0 , denn es reicht aus, wenn auch ein objektiv fremdes Geschäft geführt wird. Das bedeutet, daß der Fremdgeschäftsführungswille des Eigentümers vermutet werden kann. 6 7 1 Selbst wenn man annehmen würde, daß ein objektives Fremdgeschäft nicht vorliegt, weil es seiner äußeren Erscheinung nach nicht in einen anderen R e c h t s und Interessenkreis als den des Handelnden eingreift 6 7 2 , die Reparatur vielmehr typischerweise zum Rechts- und Interessenkreis des Eigentümers gehört, ist der Fremdgeschäftsführungswille nicht ausgeschlossen; er kann nur nicht vermutet werden. E r muß deshalb nach außen erkennbar gemacht worden sein. 673 D i e E r kennbarkeit des Fremdgeschäftsführungswillens kann der Eigentümer z . B . dadurch herbeigeführt haben, daß er entsprechende Äußerungen gegenüber der Werkstatt tat oder dem Hersteller die Reparatur samt Aufwendungsersatzansprüchen ankündigte. Veranlaßt ein gefährdeter Dritter den Eigentümer, die Reparatur auf seine, des Dritten, Kosten vornehmen zu lassen, liegt trotz des Eigeninteresses ein fremdes Geschäft vor. N i c h t nur werden auch die Interessen des Eigentümers und des rückrufverpflichteten Herstellers gewahrt, sondern die Reparatur gehört auch nicht ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in den Rechts- und Interessenkreis des Dritten. D e r Fremdgeschäftsführungswille des Dritten kann also vermutet werden. F ü r den Fall, daß ein Verbraucherverband eine Warnaktion vor einem gefährlich fehlerhaften Produkt durchführt, handelt auch er im eigenen Interesse, da solche Aktionen in der Regel der Erfüllung seiner satzungsmäßigen Ziele dienen. Allerdings werden dadurch auch die Interessen des Herstellers (und der gewarnten Verbraucher) wahrgenommen, da sich dessen Warnaktion möglicherweise erübrigt und bei Beachtung der Warnung durch die Verbraucher sein Haftungsrisiko verringert wird. 6 7 4 Somit liegt ein objektiv fremdes Geschäft vor, da die WarSteiner, S. 199. Steiner, S.203. 670 Fikentscber, Rdnr. 930, der in diesen Fällen meist ein objektiv neutrales Geschäft sieht. 671 Steiner, S.212. 672 BGHZ 40,28. Gegen Fremdgeschäft bei Verwendungen auf eigene Sachen, die Drittem nur „Reflexvorteil" bringen, MünchKomm/Seiler, $677, Rdnr. 33. 673 Fikentscher, Rdnr. 930. 674 Der Fall liegt etwas anders als die üblichen Fälle, in denen in der Warnung vor einer Gefahr eine Geschäftsführung ohne Auftrag gesehen wird. Dort geht es meist um eine Geschäftsführung im Verhältnis zu den Gewarnten. Beispielhaft ist BGHZ 43, 188, wo ein Autofahrer den Fahrer eines unbeleuchteten landwirtschaftlichen Fahrzeugs auf diesen Umstand hinwies und dabei 668 669
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nung vor der Gefährlichkeit des eigenen Produktes dem R e c h t s - und Interessenkreis des Herstellers zugeordnet ist. 675 D e r Fremdgeschäftsführungswille des Verbraucherverbands kann deshalb vermutet werden.
b) Wirklicher oder mutmaßlicher Willen des Herstellers N a c h § 683 S. 1 B G B liegt ein Aufwendungsersatzanspruch wegen berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag nur dann vor, wenn die Ü b e r n a h m e der G e schäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. G e h t man davon aus, daß der Hersteller zur D u r c h führung von Rückrufmaßnahmen verpflichtet ist, dient deren „Ersatzvornahme" durch den Eigentümer, Dritte oder Verbraucherverbände objektiv seinen Interessen. 676 Fraglich ist jedoch, o b sie auch seinem wirklichen oder mutmaßlichen Willen entspricht. In den meisten Fällen wird nämlich der Geschäftsführer erst dann tätig werden, wenn er sich vorher mit dem Hersteller in Verbindung gesetzt hat, um von ihm zu erfahren, ob er eine Rückrufaktion vornehmen werde, o b er die Reparaturkosten übernehmen oder eine Verbraucherwarnung durchführen werde. 677 Erst wenn die A n t w o r t negativ ist oder wenn der Geschäftsführer aus anderer Quelle erfährt, daß der Hersteller untätig bleiben wird, wird es zur Reparatur bzw. Warnung durch den Eigentümer, D r i t t e oder Verbraucherverbände k o m men. D a n n handelt der Geschäftsführer aber gegen den ausdrücklichen Willen des Herstellers. Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz k o m m t dann nur unter den Bedingungen des § 6 7 9 B G B in Betracht 6 7 8 , d.h. wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht 6 7 9 des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfüllt worden wäre. 6 8 0
durch ein auffahrendes weiteres Auto verletzt wurde. Hier lag Geschäftsführung zugunsten des Traktorfahrers und des nachfolgenden Autofahrers vor. Vorliegend geht es aber nicht um das Verhältnis zu den Gewarnten, sondern zu einem anderen Warnpflichtigen. 675 S. dazu auch die h.M., welche die Abmahnung von Wettbewerbsverstößen durch Verbände als Geschäftsführung ohne Auftrag qualifiziert. S. eingehend Ahrens, Wettbewerbsverfahrensrecht, S. 105. 676 Zu beachten ist jedoch, daß die Durchführung einer Warnaktion durch Dritte, wie z.B. einen Verbraucherverband, den goodwill des Herstellers stärker beeinträchtigen kann als wenn er sie selbst durchführt, weil diese Tatsache in den Augen der Verbraucher möglicherweise ein negatives Licht auf sein Verantwortungsbewußtsein wirft. 677 Nach K. Mayer, DB 1985, 319, 324 soll ein Anspruch auf Aufwendungsersatz in Anwendung der Grundsätze von § 633 BGB nur dann bestehen, wenn der Hersteller vorher vergeblich zur Gefahrbeseitigung aufgefordert wurde, es sei denn, daß ihm eine Nachbesserung durch den Hersteller nicht zugemutet werden kann. Dem ist zuzustimmen. 678 §683 S. 2 BGB. 679 Nach Stiebler, S. 173ff. kann es sich dabei nur um eine klagbare Pflicht handeln, d.h. im vorliegenden Zusammenhang um eine Gefahrabwendungspflicht, der ein entsprechender klagbarer Anspruch auf Erfüllung gegenübersteht. 680 Liegen die Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 683 BGB nicht vor, hat der Geschäftsführer keinen Aufwendungsersatzanspruch, sondern nur einen
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Die Erfüllung einer dem Hersteller als Verkehrspflicht obliegenden Rückrufpflicht liegt zumindest dann im öffentlichen Interesse, wenn Dritte durch das gefährlich fehlerhafte Produkt geschädigt werden können.681 Wenn also der Eigentümer sein Produkt repariert und damit auch die Gefahrabwendungspflicht des Herstellers gegenüber Dritten erfüllt, kann ihm auch bei entgegenstehendem Willen des Herstellers ein Aufwendungsersatzanspruch zustehen. Da der Eigentümer aber gleichzeitig neben den Sicherheitsinteressen der Dritten seine eigenen Nutzungsinteressen und Gefahrabwendungspflichten verfolgt, muß dies beim Umfang des Anspruchs berücksichtigt werden. Die Kosten müssen dann nach dem Maß der Verantwortlichkeit und dem Gewicht der Interessen der Beteiligten verteilt werden.682 Auch einem Gefährdeten Dritten, der die Reparaturkosten übernommen hat, steht ein Aufwendungsersatzanspruch zu. Gleiches gilt für einen Verbraucherverband, der eine eigentlich dem Hersteller obliegende Warnaktion durchführt. Fraglich ist jedoch, ob eine Rückrufverpflichtung des Herstellers im öffentlichen Interesse vorliegt, wenn nur die Eigentümer bzw. Benutzer des Produktes gefährdet sind. Hier muß man m.E. differenzieren zwischen der Rückruf- bzw. Warnpflicht generell und der Pflicht gegenüber einem bestimmten Eigentümer. Generell liegt die Abwendung der Produktgefahr von allen Eigentümern bzw. Benutzern auch im öffentlichen Interesse. Ein Verbraucherverband, der die Eigentümer anstelle des säumigen Herstellers warnt, erfüllt damit eine diesem im öffentlichen Interesse obliegende Pflicht. Nimmt der Eigentümer jedoch selbst die Reparatur seines nur ihn bedrohenden gefährlich fehlerhaften Produktes vor, steht nicht das öffentliche Interesse im Vordergrund; der Eigentümer erfüllt damit nicht eine Verpflichtung des Herstellers im öffentlichen Interesse, sondern eine in seinem Interesse.683 Während dem Verbraucherverband somit ein Aufwendungsersatzanspruch zustehen kann, ist er beim Eigentümer ausgeschlossen, wenn nur er selbst gefährdet ist. Insbesondere bei Fällen, in denen Gefahr im Verzug ist und schnell auf die Bedrohung durch ein gefährliches Produkt reagiert werden muß, kann es vorkommen, daß ein Eigentümer, Dritter oder Verbraucherverband die eigentlich dem Hersteller obliegende Gefahrabwendungspflicht erfüllt, ohne diesen vorher kontaktiert zu haben. Soweit der Hersteller auch ansonsten keine Äußerungen über seinen Willen zur Vornahme dieser Maßnahmen getan hat, muß man mangels Erkennbarkeit des wirklichen Willens auf den mutmaßlichen abstellen. Fehlen anAnspruch auf Herausgabe der durch die Geschäftsführung erlangten Bereicherung, § 684 S. 1 BGB. 681 Für öffentliches Interesse bei Verkehrssicherungspflichten Fikentscher, Rdnr. 935. Öffentliches Interesse liegt dann vor, wenn durch die Nichtbeachtung der Pflicht Leben, Körper, Gesundheit oder auch wichtige Sachgüter eines Beteiligten, häufig aber auch einer unbestimmten Zahl von Menschen unmittelbar gefährdet werden, MünchKomm/Seiler, § 679 Rdnr. 5. 682 BGHZ 98, 235, 242. MünchKomm/Seiler, §683 Rdnr. 26. 683 Anders mag es in Fällen sein, in denen ein Dritter zugunsten eines Einzelnen eingreift; s. für Beispielsfälle MünchKomm/Seiler, §679 Rdnr. 8.
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dere Anhaltspunkte, ist als mutmaßlicher der dem Interesse des Geschäftsherrn entsprechende Wille anzunehmen. 6 8 4 D a die rechtzeitige Erfüllung der Gefahrabwendungspflichten im objektiven, wohlverstandenen Interesse 6 8 5 des Herstellers liegt, wären die Aktionen des Eigentümers, Dritten oder Verbraucherverbands im Einklang mit dessen mutmaßlichen Willen. Sie hätten einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Hersteller nach § 6 8 3 S. 1 B G B . Besteht somit eine Warn- oder Rückrufpflicht des Herstellers und wird eine entsprechende Maßnahme v o m Eigentümer, einem Dritten oder einem Verbraucherverband an dessen Stelle mit Fremdgeschäftsführungswillen vorgenommen, können Aufwendungsersatzansprüche bestehen, soweit dies im Interesse des Herstellers ist oder - im Fall eines entgegenstehenden Willens des Herstellers dem öffentlichen Interesse dient. 6 8 6
2. Bereicherungsrechtlicbe
Ansprüche
Bei berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag greift nach allgemeiner A n sicht § 812 B G B nicht ein, da sie als rechtlicher G r u n d für Leistungen und Eingriffe wirkt. 6 8 7 Soweit eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag nicht vorliegt, k o m m t die Verpflichtung des Geschäftsherrn zur Herausgabe der Bereicherung nach § 684 B G B in Betracht. D a aber in aller Regel dann, wenn der Hersteller zur Vornahme einer Warn- oder Rückrufaktion verpflichtet war, bei deren Vornahme durch Eigentümer, Dritte oder Verbände eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen wird 6 8 8 und da in den übrigen Fällen eine Bereicherung durch die „Ersatzvornahme" mangels eigener Verpflichtung des Herstellers und damit mangels Befreiung von einer Verbindlichkeit oder mangels Kosteneinsparungen nicht vorliegen wird, k o m m t den §§ 812ff. B G B im vorliegenden Zusammenhang kaum Bedeutung zu.
3. Deliktsrechtliche Ansprüche Zwischen den Ansprüchen nach § § 6 7 7 f f . B G B und denjenigen aus § § 8 2 3 f f . B G B besteht nach allgemeinen Regeln Anspruchskonkurrenz. 6 8 9 Allerdings stellt die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag nach h.M. einen Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in fremde Rechtsgüter dar, so daß Schadensersatzansprü-
BGHZ 47, 370, 374. Fikentscher, Rdnr. 931. 686 So auch Sack, DAR 1983, 1, 3. 687 H.M. MünchKomm/Seiler, Vor §677 Rdnr. 15; Palandt/Heinrichs, Einf. v. §677 Rdnr. 10; Larenz/Canaris, §74 III; Fikentscher, Rdnr. 947. 688 Ausnahmen sind die Fälle, in denen es am Fremdgeschäftsführungswillen des Eigentümers, des Dritten oder des Verbandes fehlt. 689 MünchKomm/Seiler, Vor §677 Rdnr. 16. 684 685
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che insofern ausgeschlossen sind. 6 9 0 Diese Argumentation betrifft aber ihrem Sachzusammenhang nach mögliche Schadensersatzansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer soweit dieser im R a h m e n der Geschäftsführung Rechtsgüter des Geschäftsherrn verletzt. 6 9 1 H i e r geht es jedoch darum, ob die K o sten des Geschäftsführers als Schaden nach § 823 B G B ersatzfähig sein können. Insofern besteht weiterhin Anspruchskonkurrenz zu §§ 677ff. B G B , insbesondere zu § 6 8 3 B G B . D a b e i ist der Anspruch aus § 823 B G B nicht an die engen Voraussetzungen des § 683 B G B geknüpft, so daß es auf den mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn, den Fremdgeschäftsführungswillen des Geschäftsführers etc. nicht ankommt. 6 9 2 Bei den Kosten des Eigentümers für die Reparatur des defekten Produktes handelt es sich um Abwehr- bzw. Vorsorgeaufwendungen zum Schutze seiner R e c h t güter oder auch Dritter. Deren Ersatzfähigkeit nach Deliktsrecht ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. 6 9 3 Allgemein setzt die Schadensersatzpflicht nach § 823 B G B voraus, daß tatsächlich eine Rechtsgutverletzung erfolgt ist. Dies wird jedoch gerade verhindert, wenn der Gefährdete erfolgreich Maßnahmen ergreift, die den Eintritt der Verletzung abwenden. 6 9 4 Andererseits gibt es auch Vorsorgeaufwendungen, die nicht den Eintritt des Schadensereignisses verhindern, wohl aber den daraus folgenden Schaden mindern. T r o t z der noch ungeklärten Fragen kann man von folgenden Grundsätzen ausgehen: Vorsorgeaufwendungen, welche die Rechtsgüter des Eigentümers allgemein gegen Verletzung schützen sollen, wie etwa Diebstahlschutzeinrichtungen (Alarmanlagen, Schlösser) oder die üblichen Kontrolleinrichtungen zur A b w e h r von Ladendiebstählen, sind nicht ersatzfähig. 6 9 5 Anders ist es jedoch bei Vorsorgeaufwendungen, die für den Fall des Schadenseintritts den Schaden möglichst gering halten sollen (Vorhaltung von Reservefahrzeugen der Verkehrsbetriebe 6 9 6 ). Darüber hinaus sollen nach einem Teil der Literatur auch die Kosten solcher A b w e h r m a ß n a h m e n erstattungsfähig sein, die sich gegen den Eingriff in ein Schutzgut richten, sofern dieses so konkret gefährdet ist, daß ohne die G e g e n -
690 S. dazu die zahlreichen Nachweise bei MünchKomm/Seiler, Vor § 677 Rdnr. 17, Fn. 25, der selbst dieser Ansicht kritisch gegenübersteht. 691 Hier kommen dann Ansprüche wegen der Verletzung der in §§677ff. BGB normierten Sorgfaltspflichten des Geschäftsführers in Betracht. S. dazu sogleich. 692 So auch H. Stoll, in: FS Lange, S. 729ff., 733. 693 S. allgemein zu der Problematik Thiele, in: FS Felgenträger, S. 391 ff.;/. Schmidt, JZ 1974, 73. 694 S. zu diesem Problem Steiner, S. 189f., der deshalb das Schadensersatzrecht zur Lösung für ungeeignet hält, weil rein hypothetische Schäden nicht ersetzt und die Kosten der Schadensverhütung nicht ohne weiteres mit dem Schaden gleichgesetzt werden könnten. 695 RGRK/Steffen, §823 Rdnr. 455; H. Stoll, in: FS Lange, S.729. S. jedoch die Rechtsprechung zur Ersatzpauschale in Form der doppelten Lizenzgebühr für die GEMA (BGHZ 17, 283; BGHZ 59, 286), zur Fangprämie für Ladendiebe (BGHZ 75, 230) und zu den Vorhaltekosten von Verkehrsbetrieben für Ersatzfahrzeuge (BGHZ 32, 280; BGHZ 41, 123; BGHZ 70, 199). Ausführlich zur Problematik dieser Fälle Steiner, S. 167ff. 696 S. dazu Steiner, S. 180ff.
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maßnahme der Verletzungstatbestand alsbald verwirklicht worden wäre. 6 9 7 D e r Geschädigte, so wird argumentiert, müsse nicht sehenden Auges auf A b w e h r maßnahmen verzichten, bis der Tatbestand verwirklicht wurde. Allerdings müsse der Eingriff unmittelbar bevorstehen, u m den erforderlichen Zurechnungszusammenhang herzustellen. Dieser Ansicht ist zuzustimmen, denn letztlich liegt die A b w e h r der Gefahr auch im Interesse desjenigen, von dem die Bedrohung ausgeht, weil er ohne die Aufwendungen des Gefährdeten (Verschulden vorausgesetzt) für den dann eintretenden Schaden aufkommen müßte. Diese Abwehrmaßnahmen können deshalb im Grunde als eine vorgezogene F o r m der Schadensminderung (auf Null, soweit sie erfolgreich sind) angesehen werden; Kosten der Schadensminderung können bereits nach heutiger Rechtsprechung - auch wenn sie vor dem Eingriff aufgewendet werden - etwa als Vorhaltekosten erstattungsfähig sein. 6 9 8 Es wäre nicht recht einsichtig, wenn Kosten, die den Schaden nach erfolgtem Eingriff mindern helfen, ersatzfähig sein sollen, Kosten, die erfolgreich zur gänzlichen Verhinderung des Eintritts der Schädigung aufgewendet werden, aber nicht. 6 9 9 D e r B G H hat im Zusammenhang mit seiner Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen der Verkehrsbetriebe ferner zu bedenken gegeben, daß der Geschädigte sich u . U . ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse, wenn er zumutbare Maßnahmen der Gefahrminderung oder -abwendung unterlassen habe. Solche Maßnahmen seien aber nur dann zumutbar, wenn dem Schädiger gleichzeitig die Kosten der Gefahrminderung oder -abwendung auferlegt werden könnten. D a b e i sei es unerheblich, ob die Aufwendungen vor oder nach dem schädigenden Ereignis gemacht wurden. 7 0 0 D e n n o c h bleibt das Problem, daß ein Schadensersatzanspruch nach § 823 B G B eigentlich eine (erfolgte) Rechtsgutverletzung voraussetzt. 7 0 1 Es wird deshalb vertreten, daß unter engen Voraussetzungen die Bedrohung eines Rechtsgutes dessen tatsächlicher Verletzung gleichzusetzen sei. 702 Allerdings kann dazu nicht jede noch so vage Bedrohung ausreichen, da sonst der, von dem die Bedrohung ausgeht, mit unabsehbaren Ansprüchen wegen Vorsorgeaufwendungen potentiell Geschädigter rechnen müßte. D i e Kosten der kumulierten GefahrabwehrSo RGRK/Steffen, § 823 Rdnr. 454. RGRK/Steffen, §823 Rdnr. 453, 456. Für Erstattungsfähigkeit auch G. Hager, AcP 184 (1984) 413,422ff. mit rechtsvergleichenden Hinweisen auf das Recht Kanadas und der USA. Die Schadensabwehrkosten seien gleichsam Surrogat für Sach-und Körperschäden (S. 437). 699 H. Stoll, in: FS Lange, S. 729ff., 732, formuliert dies so: „Zwischen der Schadensabwehr nach Eintritt des Schadensereignisses und der vorbeugenden Abwehr dieses Ereignisses besteht kein prinzipieller Unterschied, sofern eben die abgewehrte Rechtsgutverletzung wegen der unmittelbaren Bedrohung des Berechtigten bereits einer Rechtsstörung gleichkommt." 700 BGHZ 32, 280, 285f. 701 Sowohl in den Ladendiebstahlfällen (Fangprämie) und den Reservefahrzeugfällen ist eine Rechtsgutverletzung durch den - wenn auch entdeckten - Diebstahl bzw. den Unfall erfolgt. 702 Bereits das RG hat eine solche Gleichsetzung für möglich und interessengerecht gehalten; RG, JW 1931, 1191, 1192. Ebenso H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 731; MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 63 ff. 697 698
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maßnahmen könnten dann leicht die möglichen Schadensersatzsummen übersteigen, mit denen er bei Verwirklichung der Gefahr rechnen müßte. Dieses Risiko würde seine Handlungsmöglichkeiten unerträglich einschränken, da er nicht nur für die Vorsorgeaufwendungen gegen sonst tatsächlich eintretende Schädigungen haftbar wäre, sondern bereits für die Kosten der Vorsorge gegen bloß entfernt mögliche Verletzungen und Schäden, von denen nur ein Bruchteil sich auch verwirklichen wird. Die Bedrohung mit einem haftungsbegründenden Ereignis muß deshalb so konkret sein, daß sie „einer aktuellen Störung des Rechtsgutes gleich geachtet werden muß". 703 Allerdings macht die Festlegung dieses Intensitätsgrades der Bedrohung Schwierigkeiten. Hier hilft vielleicht die folgende Überlegung: Eine Ähnlichkeit der Situation mit Notwehrfällen ist unverkennbar. 704 Zwar stellt ein Unterlassen nach h.M. keinen Angriff dar 705 , so daß eine Notwehrlage nicht gegeben ist. Notwehrsituationen sind jedoch dadurch gekennzeichnet, daß der Angegriffene den unmittelbar bevorstehenden, rechtswidrigen Angriff dadurch abwehren darf, daß er das (dem Angreifer geltende Unterlassungsgebot) in Selbsthilfe, nämlich durch Brechung des Angriffs durchsetzt. Geht die Gefahr von einem Unterlassen aus, müßte somit der Bedrohte „in letzter Minute" die rechtswidrige Verwirklichung der Gefahr durch Vornahme der dem Pflichtigen obliegenden Handlung abwenden dürfen. Ähnlich der Notwehrsituation wären die Kosten der „Selbsthilfe" dann erstattungspflichtig, wenn die Verwirklichung der Gefahr ohne Gegenmaßnahmen sicher ist und ein Eingreifen des eigentlich Pflichtigen nicht mehr erwartet oder abgewartet werden kann, die Rechtsgutverletzung also „in letzter Minute" verhindert wird. Das von v. Caemmerer706 gewählte Beispiel gibt einen guten Anhaltspunkt. Danach soll Ersatz geleistet werden für Impf- und Desinfektionskosten, die der Käufer von verseuchten Lebensmitteln oder erkranktem Vieh aufwendet, um seine bereits vorhandenen Bestände vor Ansteckung zu schützen. Hier läge eine hinreichend konkrete Gefährdung vor; hätte der Eigentümer nicht geimpft, wäre der Schaden mit Sicherheit eingetreten; ein Tätigwerden des Verkäufers konnte nicht abgewartet werden. 707 Solange die Gefahrverwirklichung jedoch noch nicht derart nahe bevorsteht, muß man dem zur Gefahrabwendung Verpflichteten die Möglichkeit lassen, selbst tätig zu werden, insbesondere auch deshalb, weil ihm die Wahl der Mittel der Gefahrabwendung freisteht, solange diese zu diesem Zweck geeignet sind. Diese Wahlfreiheit darf ihm nicht durch voreilige „Ersatzvornahme" genommen werden. Bei der Festsetzung des Umfangs der Erstattungspflicht wird aber der
H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 731. RG, JW 1931, 1191, 1192. So auch K. Mayer, DB 1985, 319, 322 f. 705 Palandt/Heinrichs, §227 Rdnr. 2. 706 in: FS Hakulinen, S. 83 bzw. Ges. Schriften, Bd. III, S. 234f. S. weitere Beispiele bei H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 734ff. 707 Hätte der Eigentümer trotz Gefahrkenntnis nicht geimpft, wäre ihm möglicherweise sogar ein Mitverschulden nach §254 BGB vorzuwerfen. 703
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Nutzungsausfall, der während der Reparaturzeit eintritt, nicht berücksichtigt.708 Ferner ist sicherzustellen, daß nur die Kosten erstattet werden können, die der Schadensabwehr dienen.709 Soweit darüber hinaus noch Kosten angefallen sind, die allein der Wiederherstellung der Nutzbarkeit des Produktes dienten, sind sie von der Reichweite des deliktischen Schadensersatzanspruchs für Vorsorgeaufwendungen nicht mehr erfaßt.710 Der Eigentümer ist als Benutzer des gefährlichen Produktes am ehesten unmittelbar bedroht. Dies gilt auch bei sonstigen Benutzern wie etwa Mietern oder Arbeitnehmern. Bei unbeteiligten Dritten müssen jedoch besondere Umstände vorliegen, damit eine derart konkrete Bedrohung vorliegt. So liegt eine konkrete Bedrohung des Benutzers eines gemeinsamen Zufahrtsweges wegen defekter Bremsen am Auto seines Nachbarn nicht vor; anders mag es jedoch sein, wenn er mit seinem Nachbarn eine regelmäßige Fahrgemeinschaft bildet.711 Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist in jedem Fall, daß ein rechtswidriger Eingriff droht.712 Beseitigt der Eigentümer z.B. einen Entwicklungsfehler, vor dem der Hersteller in rechtlich nicht zu beanstandender Weise bloß gewarnt hat, da er zu weitergehenden Maßnahmen nicht verpflichtet war, so kann der Eigentümer die Kosten der Reparatur nicht ersetzt verlangen. Der Hersteller hatte dann alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Abwendung der Gefahr unternommen; dennoch eintretende Schädigungen gehen nicht zu seinen Lasten. Ein Verschulden des Herstellers soll jedoch wie allgemein bei Beseitigungsund Unterlassungsansprüchen nicht erforderlich sein.713
II. Exkurs: Schadensersatzansprüche des Herstellers Warnaktionen Dritter
bei
Ging es bisher um die Frage, wann und welche Aufwendungen der Hersteller erstatten muß, wenn Dritte eigentlich ihm obliegende Maßnahmen zur Abwendung einer Produktgefahr treffen, so soll im folgenden untersucht werden, welche Schadensersatzansprüche der Hersteller bei einem solch ungebetenen Tätigwerden in seinem Bereich haben kann, wenn der Dritte seine Interessen verletzt. Schadensersatzansprüche des Herstellers sind vor allem dann denkbar, wenn Dritte öffentlich auf die von seinen Produkten ausgehenden Gefahren hinweisen. Unter praktischen Gesichtspunkten wird es sich dabei meist um Äußerungen der 708 G. Hager, AcP 184 (1984) 413,425; MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 289; Schwenzer,]Z 1987, 1059, 1063 f. 709 Dabei werden nur angemessene Kosten ersetzt; s. BGH, NJW 1990, 2060. 710 S. MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 103, 110 für den Beseitigungsanspruch. 711 Allerdings könnte ihm dann ein Ausweichen der Gefahr durch Vermeidung von Fahrten mit dem gefährlichen Auto zuzumuten sein. 712 H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 732. 713 H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 732.
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durch
Dritte
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Sicherheitsbehörden oder von Verbraucherverbänden handeln. Allerdings sind auch warnende Veröffentlichungen einzelner Journalisten denkbar. Der Einfluß solcher Äußerungen auf das Kaufverhalten der Verbraucher kann ganz erheblich sein. 714 Soweit Warnaktionen zu Schadensersatzansprüchen wegen solcher negativer Auswirkungen auf den Gewerbebetrieb des Herstellers führen können, sehen sich deshalb auch die warnenden Stellen einem ganz erheblichen Prozeßrisiko ausgesetzt. 715 Dieses Risiko wird noch dadurch erhöht, daß es bei der Warnung nicht auf den reinen Wortlaut ankommt, sondern auf den Eindruck, den eine Veröffentlichung bei den Kreisen erweckt, an den sie gerichtet ist. 716 Insbesondere Verbraucherverbände, die kaum über finanzielle Reserven verfügen, könnten ein solches Risiko nicht tragen. 717 Es besteht deshalb die Gefahr, daß sie in vorsichtiger Einschätzung des Risikos Warnaktionen gänzlich unterlassen. 718 U m dies zu verhindern ist eine sorgfältige Interessenabwägung zwischen den berechtigten Interessen des Herstellers daran, nicht unnötig wegen (des Verdachts) der von ihm ausgehenden Produktgefahren ins Zwielicht gestellt zu werden, und der Verbraucherverbände sowie der Öffentlichkeit daran, rechtzeitig und umfassend auf solche Gefahren hinzuweisen bzw. hingewiesen zu werden, erforderlich. 719 1. Berechtigte
Geschäftsführung
ohne
Auftrag
Soweit die Verbraucherverbände in berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag handeln, stellt diese nach h.M. einen Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in fremde Rechtsgüter dar, so daß Schadensersatzansprüche insofern ausgeschlossen sind. 720 Allerdings kann sich der Verbraucherverband als Geschäftsführer wegen fehlerhafter Ausführung des Geschäfts oder dessen unberechtigter Übernahme schadensersatzpflichtig machen, §§677ff. B G B . Eine fehlerhafte 714 Die Klägerin im Birkel-Prozeß, bei dem es um Warnungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vor angeblich mikrobiell verdorbenen Teigwaren ging, machte einen durch Umsatzeinbußen verursachten Schaden in Höhe von 43,2 Millionen D M geltend; s. L G Stuttgart, N J W 1989, 2257, 2258; O L G Stuttgart, N J W 1990, 2690, 2691. 7 1 5 S. die soeben erwähnten Entscheidungen im Birkel-Fall, in denen die Schadensersatzansprüche des Teigwarenherstellers wegen Amtspflichtverletzung dem Grunde nach anerkannt wurden. Die Parteien einigten sich schließlich vergleichsweise auf eine Schadensersatzsumme von 12,75 Millionen DM; s. dazu Köck, VuR 1991, 181, 183, Fn.9. 716 O L G Stuttgart, N J W 1990, 2690, 2694. 7 1 7 Auf behördliche Warnungen soll im folgenden nicht eingegangen werden. S. dazu Ossenbühl, Z H R 155 (1991) 329; Paschke, AfP 1990, 89; Brandt, in: Rechtliche Regulierung von Gesundheitsrisiken, 1993, S. 187ff. 7 1 8 Dazu, daß auch Behörden nach den Birkel-Urteilen Warnungen vor gefährlichen Produkten, insbesondere mit Namensnennung der Hersteller verzögern, wenn nicht gar ganz unterlassen, s. den Bericht über giftige Lösungsmittel in Olivenöl in D E R S P I E G E L , Nr. 16/1994, S. 220. 7 1 9 Vgl. den Versuch des O L G Düsseldorf, B B 1982, 62, die Interessen des Reifenherstellers Kleber und die des A D A C an einer Berichterstattung über Umfragergebnisse im Hinblick auf die Sicherheit der Reifen dieses Herstellers insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des Rechts der freien Meinungsäußerung zum Ausgleich zu bringen. 7 2 0 S. dazu die zahlreichen Nachweise bei MünchKomm/Seiler, Vor § 677 Rdnr. 17, Fn. 25, der selbst jedoch dieser Ansicht kritisch gegenübersteht.
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Verschuldenshaftung
Ausführung des Geschäfts kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Warnaktion „über das Ziel hinausschießt", indem z . B . zusätzlich zum Gefahrenhinweis durch dessen Gestaltung übermäßige Ängste der Verbraucher geweckt werden oder eine pauschale Abwertung der Produkte des Herstellers erfolgt. 7 2 1 E i n Schaden aufgrund eines Ubernahmeverschuldens (bei ansonsten nicht zu beanstandender Ausführung des Geschäfts) kann vorliegen, wenn durch die unberechtigte Ü b e r n a h m e der gute R u f und der U m s a t z des Herstellers bereits dadurch beeinträchtigt wird, daß der E i n d r u c k entsteht, er verhalte sich verantwortungslos, weil er sich unberechtigterweise weigere, eine notwendige Warnaktion selbst durchzuführen.
2.
Unberechtigte
Geschäftsführung
ohne
Auftrag
Liegt keine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vor, k o m m t eine H a f tung der Warnenden nach § § 8 2 4 , 823 Abs. 1 B G B in Betracht. 7 2 2 § 8 2 4 B G B schützt den Hersteller gegen wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen und deren Verbreitung, welche seinen Kredit gefährden oder sonstige Nachteile für seinen E r w e r b oder F o r t k o m m e n herbeiführen. D a v o n sind auch negative Tatsachenbehauptungen über den Hersteller oder seine Produkte erfaßt. D e r Verbraucherverband (bzw. die Zeitung, der Fernsehsender, der Journalist) kann bei Verschulden, w o z u auch die schuldhafte Nichtkenntnis der Unwahrheit gehört, auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. 7 2 3 D e r Schadensersatz entfällt jedoch, wenn die Unwahrheit dem Verbraucherverband unbekannt ist und entweder er oder der Empfänger an der Mitteilung ein berechtigtes Interesse hat. 7 2 4 Letzteres ist im H i n b l i c k auf das Recht der freien Meinungsäußerung und die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Verbraucher bei Warnungen vor gefährlichen Produkten regelmäßig anzunehmen. 7 2 5 I m übrigen ist der A n w e n dungsbereich von § 824 B G B auch dadurch begrenzt, daß nur (dem Wahrheitsbeweis zugängliche) Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch Werturteile erfaßt sind, und daß sich die unwahre Behauptung nicht bloß allgemein auf eine Produktkategorie 7 2 6 oder auf Praktiken einer gesamten Branche 7 2 7 beziehen muß, sondern eine
721 S. z.B. - allerdings in einem nach § 823 BGB zu beurteilenden Fall - die Bezeichnung von Autoreifen der Fa. Kleber als „Sicherheitsrisiko" in der Mitgliederzeitschrift des ADAC, OLG Düsseldorf BB 1982, 62. 722 Denkbar sind weitere Ansprüche des Herstellers nach §823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§186,197 StGB und nach § 826 BGB, auf die hier aber nicht eingegangen werden soll. Auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche nach §§14 (Anschwärzung), 1 UWG sollen hier nicht behandelt werden. 723 Daneben kommen verschuldensunabhängige Unterlassungs- und Widerrufsansprüche in Betracht. 724 §824 Abs. 2 BGB. 725 Köck, VuR 1991, 181, 187. 726 Dies war etwa bei einer Verbraucheraufklärung über die Gesundheitsgefahren bei zu hohem Zuckerkonsum der Fall; OLG Hamburg NJW 1988, 3211. 727 AG Köln, AfP 1988, 390.
Beseitigung
durch
Dritte
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enge Beziehung zum geschädigten Gewerbebetrieb aufweisen muß.728 Daraus folgt, daß die mit § 824 BGB verbundenen Schadensersatzrisiken für Verbraucherverbände keineswegs prohibitiv auf deren Aufklärungsarbeit wirken sollten. Die Warnung vor Produktgefahren durch einen Verbraucherverband (oder durch Presse, Rundfunk und Fernsehen) kann jedoch auch nach den Grundsätzen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu beurteilen sein.729 Auch kritische Äußerungen über Unternehmen, ihre Produkte und Herstellungs- und Vertriebsmethoden können einen Eingriff darstellen, wie sich an den zahlreichen Gerichtsentscheidungen zu Testberichten730, Äußerungen über umweltschädliches Verhalten731, Film-732 und Restaurantkritiken 733 ablesen läßt. Auch Warnungen vor gefährlichen Eigenschaften eines Produktes können deshalb einen Eingriff in den Gewerbebetrieb darstellen. Von §823 Abs. 1 BGB erfaßt werden dabei sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile. An der notwendigen „Betriebsbezogenheit" des Eingriffs fehlt es jedoch dann, wenn die Kritik sich auf eine gesamte Branche oder auf eine ganze Produktkategorie bezieht.734 Die Rechtswidrigkeit auch betriebsbezogener kritischer Äußerungen ist jedoch nicht indiziert; sie sind nicht allein deshalb unzulässig, weil sie für das betroffene Unternehmen ungünstig und nachteilig sind.735 Jeder Gewerbetreibende, der sich mit seinen Produkten auf dem Markt der Öffentlichkeit stellt, muß sich auch die öffentliche Kritik seiner Leistungen gefallen lassen.736 Dabei muß er eine der Wahrheit entsprechende Kritik grundsätzlich hinnehmen.737 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das Produkt oder das Unternehmen „ohne jeden sachlichen Anlaß" angeprangert wird. 738 Insgesamt ist die Rechtswidrigkeit einer Warnaktion Dritter nach einer umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln, bei der die Interessen des Herstellers an einer eingriffsfreien Ausübung seines Gewerbebetriebes einerseits und die Interessen der Verbände (der Presse), der Allgemeinheit und der Verbraucher an der freien Meinungsäußerung, der Förderung der Markttransparenz 739 und der Sicherheit andererseits ab-
728
Köck, VuR 1991, 181, 186. S. dazu Köck, VuR 1991, 181, 187ff. 730 S. z.B. BGH G R U R 1 9 6 7 , 1 1 3 (Warentest I); B G H Z 65, 325 = G R U R 1976,268 m. Anm. Schricker = N J W 1976, 620 m. Anm. Tilmann = J Z 1976, 446 m. Anm. Deutsch (Warentest II); B G H G R U R 1986, 330 = N J W 1986, 981 (Warentest III); B G H G R U R 1987, 468 = N J W 1987, 2222 (Warentest IV); B G H BB 1989, 937 (Warentest V). 731 O L G Frankfurt/M. A f P 1990, 228. 732 B G H NJW-RR 1989, 924. 733 B G H N J W 1987, 1082; O L G Frankfurt/M. W R P 1974, 212. 734 B G H G R U R 1964, 162. 735 B G H G R U R 1966, 963 - „Höllenfeuer"; B G H G R U R 1969, 304 „Kredithaie"; B G H G R U R 1969, 624 - „Hormoncreme". 736 Baumbach/Hefermehl, § 1 U W G Rdnr. 407. 737 B G H N J W 1987, 2746. 738 B G H N J W 1987, 2746, 2747. S. zur Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Punkt Paschke, A f P 1990, 89, 91. 739 S. insbesondere zur Bedeutung des letzteren Köck, VuR 1991, 181, 184. 729
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
gewogen werden müssen 740 . Bereits wegen des hohen, verfassungsrechtlich geschützten Gutes der freien Meinungsäußerung besteht eine Vermutung für die Zulässigkeit, wenn die kritische Äußerung als ein Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gewertet werden kann. 741 Ein solches die Öffentlichkeit berührendes Problem stellt zweifellos auch die Produktsicherheit dar. Die Waagschale neigt sich noch stärker in Richtung auf die Zulässigkeit kritischer Äußerungen über Produkte, weil und soweit Gefahren für Leib und Leben der Verbraucher drohen und deshalb weitere hohe Rechsgüter in die Abwägung mit einbezogen werden müssen. Verbraucherverbände (aber auch die Presse) müssen hier das Recht haben, schnell zu reagieren, ohne gleich Gefahr zu laufen, schadensersatzpflichtig zu werden. 742 Allerdings ist zu berücksichtigen, daß Verbraucherverbände (Presse und Rundfunk) in den Augen der Öffentlichkeit - im Gegensatz zu Konkurrenten als objektive Sachwalter der von ihnen vertretenen (Allgemein)Interessen angesehen werden, deren Äußerungen ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird. Dem korrespondiert dann ihre Verpflichtung, besonders sorgfältig zu prüfen, daß mit der infrage stehenden Äußerung der Boden sachlich gerechtfertigter Kritik nicht verlassen wird. 743 Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten der Situation der Verbraucherverbände und der besonderen Interessenlage bei Sicherheitsinformationen wird man sagen können, daß „lediglich grobe Verstöße gegen Neutralitäts-, Objektivitäts- und Sachkundeerfordernisse" 744 die Schadensersatzhaftung von Verbraucherverbänden begründen können, wobei die jeweilige Entscheidungssituation und die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der Äußerung, insbesondere bei einer unmittelbar drohenden Gefahr berücksichtigt werden müssen. Nach diesen Grundsätzen haften Verbraucherverbände deliktsrechtlich auf Schadensersatz wegen Umsatzeinbußen von Herstellern und Händlern aufgrund ihrer kritischen Äußerungen über und Warnungen vor Produkte(n) nur dann, wenn diese Kritik ohne einen begründeten Verdacht vorgebracht wird, jeder sachlichen Grundlage entbehrt oder völlig einseitig ist. Die Einhaltung dieser Grundsätze
740 Eines Rückgriffs auf den Rechtfertigungsgrund der Nothilfe, § 227 B G B , der einen rechtswidrigen Angriff des Herstellers voraussetzen würde, bedarf es daher nicht. Die im Zusammenhang mit dem P H G angestellte Überlegung Diederichsens (in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 13), daß das Inverkehrbringen von Waren als solches nicht rechtswidrig sei, es deshalb dagegen keine Notwehrrechte geben könne und somit „Verbraucher und deren Schutzverbände ... nicht generell von sich aus Maßnahmen zur Abwehr von angeblich von bestimmten Produkten ausgehenden Gefahren ergreifen und etwa durch entsprechende Hinweise an die Bevölkerung, Boykottaufrufe u. ä. nach ihrer Meinung von den Produzenten zu Unrecht unterlassene Warnungen oder Rückrufaktionen ihrerseits organisieren bzw. erzwingen" dürften, trifft deshalb nur einen Teilaspekt des Problems. 741 B G H Z 65, 325, 331 - „Warentest II". 742 So zurecht Köck, VuR 1991, 181, 189. 743 B G H Z 65, 325, S. 3 3 4 - „Warentest II"; O L G Karlsruhe G R U R 1989, 681,682 - „Wasserenthärter". 744 Köck, VuR 1991, 181, 189.
Rückrufansprüche
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stellt keine übertriebenen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Verbraucherverbände. D a m i t ist ihnen ein genügend breiter Spielraum eröffnet, damit sie ihre satzungsmäßigen sicherheitspolitischen Ziele ohne
existenzbedrohende
Schadensersatzrisiken verfolgen können. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß es bei Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüchen auf die Erkenntnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt. Soweit eine Wiederholungsgefahr bejaht wird, kann ein U n terlassungsbegehren gegen die auf unsicherer Entscheidungsgrundlage getätigten früheren Äußerungen auch ohne Verschulden erfolgreich sein. Gegen das mit solchen Verfahren verbundene Prozeßkostenrisiko, welches für die finanziell chronisch schlecht ausgestatteten Verbraucherverbände existenzbedrohend sein kann, bietet die Möglichkeit der Streitwertminderung wegen einer untragbaren Belastung einer Partei angesichts ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse nach § 23a U W G oder der Streitwertbegünstigung nach § 23b U W G 7 4 5 einen begrenzten Schutz, soweit wettbewerbsrechtliche Ansprüche infrage stehen; 7 4 6 bei Unterlassungsverfahren allein nach §§ 1004, 823 B G B stehen diese Erleichterungen allerdings nicht zur Verfügung. In Anbetracht der wichtigen Funktionen der Verbraucherverbände im Allgemeininteresse und der ähnlichen Interessenlage bei Unterlassungsklagen gegen Warnhinweise sei es im R a h m e n des U W G oder des B G B wäre jedoch de lege ferenda eine Ausdehnung der Möglichkeit der Streitwertminderung oder -begünstigung 7 4 7 oder die Festlegung einer Streitwerthöchstgrenze nach dem Muster des § 2 2 A G B G zu überlegen.
C. Rückrufansprüche als vorbeugender Rechtsschutz gegen Verletzung von Rückrufpflichten I m folgenden soll untersucht werden, o b und inwieweit den Pflichten des H e r stellers eines gefährlichen Produkts zu nachträglichen Gefahrabwendungsmaßnahmen in F o r m der Warnung, der Reparatur, des Austauschs, der R ü c k n a h m e etc. ein deliktsrechtlich 7 4 8 begründeter, durch Klage durchsetzbarer Anspruch des durch die Gefahr Bedrohten auf Vornahme dieser Maßnahmen gegenübersteht.
745 Dabei ist §23b UWG nicht nur bei Unterlassungs-, sondern auch bei Beseitigungs-, Schadensersatz- und Feststellungsklagen anwendbar. 746 Allerdings kommt eine Streitwertminderung oder -begünstigung nur in Betracht, wenn der Verband grundsätzlich in der Lage ist, seinen Aufgaben im öffentlichen Interesse gerecht zu werden und auch revisionsfähige Streitwerte durchzuhalten. Es soll ihm dadurch nicht erst die Prozeßführung allgemein ermöglicht werden; OLG Frankfurt/M. WRP 1989, 173. 747 Eine Streitwertherabsetzung über den Wortlaut des §23b UWG hinaus soll bereits nach geltendem Recht möglich sein, wenn zur Ergänzung von Lücken des UWG ein Anspruch auf §§ 12, 823 BGB gestützt wird; Baumbach/Hefermehl, §23b UWG Rdnr. 2; s. dazu noch unten 4. Kapitel. 748 Zu vertragsrechtlich begründeten Rückruf- bzw. äquivalenten Ansprüchen s. oben 2. Kapitel dieses Teils. Zu möglichen wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen s. unten 4. Kapitel.
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Deutschland -
Verschuldenshaftung
I. Verhältnis von Ansprüchen auf Rückrufmaßnahmen Aufwendungs- bzw. Schadensersatzansprüchen
zu
D i e oben diskutierten Aufwendungs- und Schadensersatzansprüche stehen in einem engen Verhältnis zu den Rückrufpflichten und Rückrufansprüchen. B e steht eine Rückrufpflicht und billigt man dem Eigentümer bei Selbstvornahme der gebotenen Reparatur einen Aufwendungsersatzanspruch nach Geschäftsführung ohne Auftrag oder auf anderer Rechtsgrundlage zu, k o m m t dies im wirtschaftlichen Ergebnis weitgehend der Anerkennung eines Rückrufanspruchs gleich. Zwar bestehen zwischen einem Aufwendungsersatz- und einem R ü c k r u f anspruch durchaus gewichtige Unterschiede nicht nur in rechtlicher, sondern auch in praktischer Hinsicht, da sich ersterer nur auf Geldersatz für die Kosten der Reparatur, letzterer jedoch auf Vornahme der Reparatur richtet. Deshalb m u ß der Eigentümer beim Aufwendungsersatzanspruch in aller Regel vorleisten, indem er die Reparaturrechnung zunächst aus eigener Tasche begleicht 7 4 9 , und trägt somit des Risiko der Zahlungsfähigkeit des Herstellers. Trotz dieser Unterschiede könnte jedoch bei Anerkennung von Aufwendungsersatzansprüchen die gleichzeitige Verweigerung eines mit einer Rückrufpflicht korrespondierenden Rückrufanspruchs leerlaufen, weil es in der H a n d des Eigentümers stünde, statt einen Rückrufanspruch (Anspruch auf Vornahme der Reparatur durch den Hersteller) geltend zu machen die Reparatur selbst durchzuführen und Aufwendungs- oder Schadensersatz (Ersatz der Kosten einer v o m Eigentümer veranlaßten Reparatur) zu verlangen. 7 5 0 U m g e k e h r t ist im Fall der Bejahung eines individuellen Rückrufanspruchs (in F o r m des Beseitigungs- oder U n terlassungsanspruchs) „nicht daran vorbeizukommen, daß der Berechtigte, der die gefährlichen Mängel selbst behebt, von dem Produzenten grundsätzlich auch Erstattung der Nachbesserungskosten verlangen k a n n " . 7 5 ' Daraus folgt, daß zur Vermeidung von Friktionen die Ansprüche auf R ü c k r u f nicht wesentlich unterschiedlich von den Aufwendungsersatzansprüchen beurteilt werden dürfen, da sonst die Betroffenen die aus ihrer Sicht bestehenden Schutzdefizite des einen durch Ausweichen auf den anderen ausgleichen könnten. 749 Die Reparaturwerkstatt wird sich kaum mit einer Abtretung von möglichen Aufwendungs- oder Schadensersatzansprüchen gegen den Hersteller zufrieden geben. Im vertragsrechtlichen Zusammenhang billigt die ständige Rechtsprechung des BGH dem Käufer in Analogie zu § 633 Abs. 3 BGB das Recht zu, den Mangel selbst zu beseitigen und Ersatz der Kosten zu verlangen. Der Käufer kann dabei vom Verkäufer die Zahlung eines Vorschusses in Höhe der voraussichtlichen Kosten verlangen und mit diesem Anspruch gegen restliche Kaufpreisforderungen aufrechnen; s. BGH, WM 1990, 640 und BGH, WM 1992, 2018. 750 Auf diesen Zusammenhang weist auch Stiehler hin (S. 172ff.): „Die ... grundsätzliche Dispositionsfreiheit des Pflichtigen bezüglich der Vernachlässigung oder Erfüllung der Pflicht könnte durch Eigenvornahme und Aufwendungsersatzanspruch unterlaufen werden." Von der Möglichkeit, daß ein Aufwendungsersatzanspruch entsteht, obwohl kein Rückrufanspruch gegeben war, geht Produkthaftungshandhuch/BdA/Foerste, §39 Rdnr. 24 aus. 751 H. Stoll, in: FS Lange, S. 729ff., 738. Für parallele Behandlung auch G. Hager, JZ 1990,397, 406.
Rückrufansprüche
II. 1.
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Rückrufansprüche
Vorbemerkungen
I m folgenden soll der Frage nachgegangen werden, o b nach dem gegenwärtigen Stand der Meinungen in Rechtsprechung und Literatur den oben beschriebenen Rückrufpflichten entsprechende Ansprüche gegenüberstehen, die eine präventive Durchsetzung der Pflichtenerfüllung gestatten würden, oder ob die R ü c k r u f pflichten in Wirklichkeit bloß unselbständige Pflichten sind, die nur durch die negativen Rechtsfolgen für den Pflichtigen bei ihrer Nichterfüllung sanktioniert sind. 7 5 2 Es ist zu dieser Problematik gesagt worden, daß es genauso wenig infrage stehe, daß solche Ansprüche schadenspräventionspolitisch zu befürworten seien, wie die konstruktive Begründung eines derartigen Anspruchs auf Produktrückruf oder Ausdemverkehrziehen eines gefährlichen Produktes umstritten sei. 753 Diese Einschätzung trifft weiterhin zu. Entscheidungen in Verfahren, in denen konkret Rückrufansprüche geltend gemacht und bejaht worden wären, sind nicht ersichtlich; aber das gilt auch für eine ausdrückliche Ablehnung solcher Ansprüche. 7 5 4 D e r Meinungsstand in der Literatur, der von einigen Autoren bereits als überwiegend positiv gegenüber Rückrufansprüchen bezeichnet wurde 7 5 5 , ist bei näherem Hinsehen deutlich weniger einheitlich als dort angenommen. 7 5 6 Rückrufmaßnahmen der Warnung, der Reparatur und des Austausches sind ihrem Wesen nach präventive Maßnahmen, welche die Verwirklichung drohender Gefahren oder die Fortdauer eines Störungszustandes abwenden sollen. Sie dienen - abgesehen von Ausnahmefällen, in denen sie als Naturalrestitution eine F o r m des Schadensersatzes sein können - nicht der Kompensation eingetretener Schäden bzw. der Beseitigung fortbestehender Störungen, sondern deren Verhinderung. N a c h dem alten Erfahrungssatz, daß „Vorbeugen besser als H e i l e n " ist und entsprechend Schadensverhütung besser als Schadensvergütung 7 5 7 , müßte ei752 Zu dieser Problematik bei Verkehrspflichten allgemein v. Bar, Beilage VersR 1983, 80; Stiebler, Vorbeugender Rechtsschutz vor Verkehrspflichtverletzungen, 1986. 753 Brüggemeier, ZHR 152 (1988), 511, 524. 754 S. BGH VersR 1986, 1125, 1127 - „Elektrolytkondensator oder Milchkühlanlage"; OLG Karlsruhe VersR 1986,1125,1126 - „Milchkühlanlage"; OLG Stuttgart NJW1967,572 - „Dachplatten". 755 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060 m. N.; Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 91. 756 S. etwa die dezidierte Ablehnung bei Pieper, BB 1991, 985, 991. 757 So etwa J. Hager, VersR 1984, 799, 802; s. auch Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, 14. Aufl. 1954, S. 976; Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501, 502. Allerdings kann dieser Grundsatz, worauf insbesondere Calabresi in seiner Schrift „The Costs of Accidents" zuerst hingewiesen hat, nicht zum Dogma erklärt werden, da absolute Schadensverhinderung, falls überhaupt möglich, nur zu immensen (und prohibitiven) Kosten zu haben sein wird. Tatsächlich steht die Gesellschaft permanent „Tragic Choices" (so der Titel eines anderen Buches von Calabresi) gegenüber, da mit den knappen Mitteln nicht alle Sicherheitsbedürfnisse befriedigt werden können. Es kann also nicht um Schadensminimierung, d.h. um Schadensverhütung um jeden Preis, sondern nur um Schadensoptimierung gehen. (So richtig P. Behrens,
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
ne Präferenz f ü r Ansprüche auf solche Rückrufmaßnahmen gegenüber A n s p r ü chen auf Schadenskompensation bestehen, zumal die Unvollkommenheit kompensatorischer Maßnahmen aus der Sicht des Geschädigten offensichtlich ist, weil dadurch nie alle erlittenen Nachteile ausgeglichen werden können. 7 5 8 Dieser Gedanke findet sich auch in der Literatur zum Rückruf 7 5 9 und in einigen Gerichtsentscheidungen. 760 Allerdings bleiben diese Aussagen häufig bei der bloßen Statuierung dieses Grundsatzes stehen 761 Eine dogmatische Begründung von Ansprüchen auf Rückrufmaßnahmen versuchen nur wenige Autoren; 7 6 2 sie k o m men dabei zu höchst unterschiedlichen Resultaten.
2. Der Präventionsgedanke
im Deliktsrecht
Die Frage, inwieweit der Gedanke der Prävention und damit ein vorbeugender Rechtsschutz im Deliktsrecht des B G B verankert sind, ist so alt wie das Gesetz selbst. 763 Leitmotivisch kann man die Eröffnungssätze der Studie Eitzbachers aus dem Jahre 1906 zitieren: „Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß die Rechtswissenschaft, wo es sich um den Schutz des Einzelnen gegen Rechtsverletzungen handelt, fast immer nur den Ausgleich der erfolgten Rechtsverletzung, fast nie die Verhütung der drohenden im Auge hat Das zeigt sich namentlich bei dem wichtigsten Mittel des Rechtsschutzes, der Klage, d.h. dem Anspruch des Berechtigten gegen den Staat auf ein günstiges Urteil. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist überall, wo die Verletzung eines Privatrechts bereits erfolgt ist, zu deren Ausgleichung eine Klage gegeben, der Berechtigte kann verlangen, daß das Gericht die Handlungen gebietet, die zur Beseitigung der Verletzung erforderlich sind. Dagegen eine allgemeine vorbeugende Klage, die Privatrechten aller Art, solchen auf ein Tun wie auf ein Unterlassen, gegen drohende Verletzung Schutz verliehe, und kraft derer der Berechtigte S. 175) Allerdings ist dieser Satz trivial und als normative Aussage leer. Das Problem ist die Wertung, die bei der Bestimmung des Optimums vorgenommen werden muß und für welche die ökonomische Analyse des Rechts zwar Hinweise, aber nicht die alleinige Lösung zu bieten hat. Zum Problem der Schadensoptimierung s. Brüggemeier, ZHR 152 (1988) 511, 515ff. 758 Steiner, S. 5 ff. Hier darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß auch Kompensationsansprüche präventive Wirkungen haben (können), weil die Aussicht auf schwer kalkulierbare Schadensersatzansprüche die möglichen Schädiger zu erhöhten Vorsichtsmaßnahmen veranlaßen bzw. von kalkulierten Rechtsverletzungen abhalten kann. Diesen Gesichtspunkt wieder bewußter gemacht zu haben, ist u.a. ein Verdienst der ökonomischen Analyse des Rechts. S. dazu Adams, Ökonomische Analyse, S.17ff.; Brüggemeier, ZHR 152 (1988) 511, 514ff. 759 S. statt vielerJ. Hager, VersR 1984, 799, 800, 802; Pauli, PHI 1985, 134, 145. 760 S. z.B. RGZ 60, 6, 7. 761 Das bemängelt auch Stiebler, S. 147f. 762 Zu nennen sind J. Hager, VersR 1984, 799; H. Herrmann, BB 1985, 1801; K. Mayer, DB 1985, 319; Schwenzer, JZ 1987, 1059; Rettenbeck, a.a.O. Zu negativen Ergebnissen kommen dabei Pauli, PHI 1985, 134; Stiebler, S. 145ff. und Pieper, BB 1991, 985; 763 Aus heutiger Sicht kann es auch dahinstehen, ob die Verhütung von Schäden bereits bei Schaffung des BGB erklärtes Ziel des historischen Gesetzgebers war; entscheidend ist, daß dieser Gedanke an zahlreichen Stellen und in vielfacher Weise sich niedergeschlagen hat; Steiner, S. 145.
Rückrufansprüche
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ein gerichtliches Verbot der Verletzung... verlangen könnte, ist unserer Rechtsordnung unbekannt." 764
a) Kompensation und Prävention als Zwecke des Deliktsrechts Rückrufpflichten sind Gefahrabwendungspflichten; Rückrufansprüche sind Ansprüche auf die Durchführung von Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren. D a m i t erhebt sich die Frage, inwieweit das Deliktsrecht präventive Ansprüche zu tragen vermag. 765 N a c h der herrschenden Meinung dient das deliktische Schadensrecht allein oder zumindest in erster Linie dem Ausgleich des Schadens, der durch rechtswidrige und schuldhafte Handlungen verursacht wurde. 7 6 6 Soweit von der Sanktion des Schadensersatzes eine präventive Wirkung ausgehe, sei dies eine Reflexwirkung; 7 6 7 auf Prävention ausgerichtete Verhaltenssteuerung sei jedenfalls nicht Ziel und Z w e c k des Deliktsrechts. 7 6 8 Diese Funktion von Haftungsregeln wird im Gegensatz dazu besonders von den Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts in den Vordergrund gestellt. Danach dient die Ausgestaltung der Haftungsregeln etwa als Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung der Verhaltenssteuerung, weil davon unterschiedliche Anreize für das Sicherheitsverhalten der Beteiligten ausgehen. 769 Ziel sei die Erreichung eines gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsmaximums durch einen dem Effizienzkriterium gerecht werdenden Einsatz knapper Ressourcen. 7 7 0 Eine Fixierung auf die Effizienz als allein normsetzendes Kriterium ist mit R e c h t heftig kritisiert worden; 7 7 1 dennoch läßt sich nicht von der H a n d weisen, daß jede Haftungsregelung, auch wenn dies nicht ihr Ziel sein sollte, faktisch Anreize für bestimmte Verhaltensweisen gibt. 772 Diese Wirkung darf dann bei der rechtlichen Beurteilung auch nicht außer Betracht bleiben. Tatsächlich läßt sich seit einiger Zeit auch außerhalb der ökonomischen AnalyEitzbacher, SA. S. allgemein zu den Zielen des Haftungsrechts Kötz, in: FS Steindorff, S. 643 ff. und aus rechtsvergleichender Sicht dazu ders., AcP 174 (1974) 145. 766 S. MünchKomm/Grunsky, Vor §249 Rdnr. 3; Lange, Schadensersatz, S.9ff. statt vieler. 767 Larenz, Schuldrecht I, §27 I spricht von einem erwünschten Nebenprodukt. 768 Marburger, AcP 192 (1992) 1, 30. 769 S. P. Behrens, S. 173 ff. für das Haftungsrecht. 770 S. exemplarisch das von Adams, Ökonomische Analyse, S. 44 bereits zu Beginn seiner Studie festgehaltene Ergebnis, „daß eine Gesellschaft zur Erreichung des Wohlfahrtsmaximums nicht nur einen effizienten Anreiz für die Höhe der von Verletzer und Opfer aufzubringenden Sorgfaltsvorkehrungen festlegen muß, sondern zugleich auch ein effizientes Internalisierungsverfahren für die vom Aktivitätsumfang des Verletzers und Opfers ausgehenden externen unfallverursachenden Effekte vorzugeben hat." S. auch Kötz, in: FS Steindorff, S. 643 ff., 646ff. 771 Z.B. vonFezer, JZ 1986, 817, 819. S. auch die ausführliche Darstellung kritischer Stimmen innerhalb und außerhalb der Schule der ökonomischen Analyse des Rechts bei Blaschczok, S.248ff. 772 MünchKomm!Mertens, Vor §§823-853 Rdnr. 41. Wie die Steuerungswirkung der Haftungsregeln bzw. wie groß ihr Abschreckungseffekt ist, ist strittig. S. die bei Kötz, in: FS Steindorff, S. 643 ff., 652 ff. zusammengefaßten Argumente sowie die kürzlichen Studien von G. T. Schwanz, 42 UCLA L. Rev. 377 (1994) und Dewees/Trebilcock, 30 Osgoode L. J. 57 (1992). 764 765
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se des Rechts eine verstärkte Bewegung hin zur Anerkennung präventiver Zwekke des deliktischen Haftungsrechts konstatieren, welche den Kompensationszwecken der Haftungsregelungen zumindest gleichwertige, wenn nicht gar vorrangige vorbeugende Zwecke an die Seite stellen will. 773 Dieser Trend manifestiert sich auf zwei Ebenen: Zum einen werden die Verkehrspflichten, die zu Recht als Gefahrsteuerungsgebote bezeichnet werden 774 , immer mehr ausgebaut und ausdifferenziert. Verkehrspflichten stellen Verhaltensregeln im Vorfeld von Verletzungshandlungen auf; sie dienen damit wesentlich der Verhinderung von Rechtsverletzungen und Schädigungen. 775 Zum anderen wird ein verstärkter vorbeugender Rechtsschutz durch Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen drohende bzw. andauernde Rechtsgutverletzungen propagiert. 776 Es läßt sich solchen Versuchen nicht entgegenhalten, daß das Deliktsrecht und seine Haftungsregeln bloß eine Ausgleichsfunktion hätten, daß es nur ihre Aufgabe sei, Kriterien dafür aufzustellen, wann der Verletzte nach dem Prinzip casum sentit dominus und wann in Abweichung von diesem Prinzip der Verletzer den Schaden, der durch eine Rechtsgutverletzung entsteht, zu tragen hat, daß somit der Eintritt des Schadensfalles als gegeben und unbeeinflußbar hingenommen und nur die Verteilung der unvermeidbaren Folgen geregelt werde. 777 Dies würde nicht nur bedeuten, daß man den unbestreitbaren Einfluß der Gestaltung von Haftungsregeln auf das Sicherheitsverhalten der betroffenen Akteure negiert 778 , sondern auch, daß das Deliktsrecht sich der Rechtsverletzung gegenüber „neutral" verhält; zumindest würde sie resigniert hingenommen. Damit aber würde das Haftungsrecht die Einhaltung der aufgestellten Verhaltensregeln der Dispositionsfreiheit des Pflichtigen überlassen und sich darauf beschränken, dem Verletzten einen (mehr oder weniger vollständigen) Ausgleich zu verschaffen. 779 773 Ein solcher Trend wurde zuletzt von Marburger, AcP 192 (1992) 1, 30 konstatiert. S. auch Brüggemeier, J Z 1986, 969, 970f.; Kotz, in: FS Steindorff, S. 643ff. Exemplarisch ist die Arbeit von Steiner, Schadensverhütung als Alternative zum Schadensersatz, 1983. 774 S. den Untertitel der Habilitationsschrift von v. Bar, Verkehrspflichten. Richterliche Gefahrsteuerungsgebote im deutschen Deliktsrecht, 1980. 775 Steiner, S. 133f. Im Produkthaftungsrecht genießt z.B. die Pflicht, eine Gefahr durch sorgfältige Konstruktion und Fabrikation zu vermeiden, Vorrang vor einer Gefahrenabwehr durch den Benutzer aufgrund von Instruktionen durch den Hersteller; G. Hager, J Z 1990, 397, 403. 776 S. etwa für den Bereich der Rückrufhaftung/. Hager, VersR 1984,799; K. Mayer, D B 1985, 319. 777 In diese Richtung etwa Steffen, VersR 1980, 409, der die Konkretisierung von Verkehrspflichten nur als Mittel der Haftungszuweisung begreift, nicht jedoch als Vorgabe für ein von der Rechtsordnung erwartetes Verhalten des Pflichtigen. Deshalb stelle der B G H z.T. unmöglich zu erfüllende Anforderungen an die Sorgfalt der Beteiligten auf, was er nicht tun würde, wenn es (auch) um die Durchsetzung der Befolgung solcher Verhakensmaßregeln durch klagbare Ansprüche gehe. 778 Allerdings mag dieser Einfluß oft hinter dem zurückbleiben, was als wünschenswert der Aufstellung der Haftungsregel zugrundelag; s. dazu Steiner, S. 138f. 779 So ausdrücklich Stiehler, S. 172ff. für unselbständige, d.h. nicht klagbare Verkehrspflichten.
Rückruf anspräche
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Beschränkte man den Zweck des Deliktsrecht allein auf den Ausgleich von Schäden, würde bei Lichte betrachtet die rechtswidrige Handlung nicht mißbilligt, sondern toleriert, wenn nur der „Preis" dafür in Form von Schadensersatz gezahlt wird. 780 Dies wäre nicht nur deshalb bedenklich, weil damit der Zugriff auf Rechtsgüter Dritter jedem freistehen würde, soweit der Schädiger den dann fälligen Schadensersatz als Preis einkalkuliert und zu leisten bereit ist781, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, daß dann partiell der Allokationsmechanismus des Marktes mit seiner Lenkung über frei gebildete Preise durch den des Eingriffs mit gerichtlich festgesetztem Schadensersatz als „Gegenleistung" ersetzt würde. 782 780 Zur Äquivalenz von Preisen und Sanktionen s. Cooter, 84 Colum. L. Rev. 1523 (1984). Vgl. auch P. Behrens, S. 175: „Die Funktionsweise von Haftungsregeln ist hier keine prinzipiell andere als im vertragsrechtlichen Schuldner-Gläubiger-Verhältnis: Sie überlassen dem potentiellen Schädiger die Entscheidung über die Nutzung einer bestimmten Ressource (...), konfrontieren ihn aber über die Pflicht der Entschädigung mit dem Wert, den die potentiell Geschädigten dieser Ressource beimessen." ( O b das, was der letzte Teil dieser Aussage beschreibt, bei der Schadensbemessung durch das Gericht geschieht, darf bezweifelt werden.) Ein ähnlicher Gedanke liegt auch dem Konzept des „efficient breach of contract" in der ökonomischen Analyse des Rechts zugrunde, wonach eine Vertragsverletzung dann zu tolerieren ist, wenn der Gläubiger entsprechend entschädigt wird. Zur Kritik an diesem Konzept s. MacNeil, 68 Virginia L. Rev. 947 (1982). Wenn MünchKomm/Mertens, Vor §§823-853 Rdnr. 21 ebenfalls davon spricht, daß sowohl bei der Gefährdungs- wie bei der Deliktshaftung bestimmte Aktivitäten „nur um den Preis des Ausgleichs erlaubt" werden, so ist damit allerdings wohl nur gemeint, daß bestimmte, mit Risiken für die Rechtsgüter Dritter belastete Handlungen gleichwohl gestattet werden, wenn im Fall der Risikoverwirklichung ein Ausgleich zu ihren Gunsten stattfindet. Es bedeutet jedoch nicht, daß die Rechtsordnung dem Eintritt der Rechtsverletzung indifferent gegenübersteht. So fährt Mertens denn auch fort, daß „bei der Deliktshaftung der Akzent in erster Linie auf der Gefahrabwendung und erst in zweiter Linie auf dem Einstehenmüssen für den Erfolg" liege. 781 So aber und noch weiter gehend für die Verletzung wirtschaftsregulierender Vorschriften Easterbrook/Fischel, 80 Mich. L.Rev. 1155 (1982) S. 1177, Fn.57: „Managers do nothave an ethical duty to obey economic regulatory laws just because the laws exist. They must determine the importance of these laws. The penalties Congress names for disobedience are a measure of how much it wants firms to sacrifice in Order to adhere to the rules; the idea of optimal sanctions is based on the supposition that managers not only may but should violate the rules when it is profitable to do so." 782 MünchKomm/Mertens, Vor §§823-853 Rdnr. 44; Assmann, BB 1985, 15, 21f. Unserer Wirtschafts- und Rechtsordnung liegt das Prinzip zugrunde, daß Gütertausch auf freiwilliger Basis erfolgen soll, weil nur dadurch die Richtigkeitsgewähr für die Gegenleistungen und die Voraussetzungen für eine allgemeine Wohlfahrtssteigerung aufgrund des Tauschs gegeben sind und weil staatlich fixierte Preise im Sinne von Schadensersatz die Lenkungsfunktionen der Preise in einer Marktwirtschaft nur höchst unvollkommen erfüllen oder simulieren können. Bestünde der Zweck des Deliktsrechts aber alleine in der Kompensation, würde dies bedeuten, daß für die Verletzung eines Rechtsgutes nur ein staatlich (gerichtlich) fixierter Preis bzw. ein Preis gemäß staatlich fixierter Preisbestandteile oder Berechnungsgrundlagen zu zahlen wäre. Wird dieser gezahlt, stünde die Rechtsordnung der Verletzungshandlung jedoch neutral gegenüber. Es wäre kein Unwerturteil damit verbunden. Der Rechtsordnung wäre es gleichgültig, ob das Auto gekauft oder gestohlen wurde, solange der Dieb schließlich nur den Wert (Preis) bezahlt. Neben den freiwilligen Tausch träte gleichwertig der Eingriff mit nachträglicher Schadensersatzzahlung. Das Selbstbestimmungrecht des Einzelnen über seine Rechtsgüter würde ausgehöhlt.
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Diese Position ist jedoch nicht die des deutschen Deliktsrechts. Der Anknüpfungspunkt für die Schadensabwälzung im Wege der Haftbarmachung eines anderen ist nach wie vor die Mißbilligung der von diesem begangenen schadensstiftenden Handlung. 7 8 3 Hinter der Schadensersatzdrohung steht die Wertung, daß die haftungsbegründende Handlung als vermeidbares Unrecht von der Rechtsordnung als unerwünscht angesehen wird.. Insofern ist mit der Aufstellung haftungsbegründender deliktischer Tatbestände impliziert, daß deren Verwirklichung und die daraus resultierende Rechtsgutverletzung und Schädigung nicht gewollt sind und verhindert werden sollen. Dies wird besonders deutlich bei den Verkehrspflichten, deren Verletzung gerade deshalb mit Schadensersatz bedroht ist, weil Schadensverhütungsmaßnahmen nicht getroffen wurden. Die Androhung des Schadensersatzes hat also zwei Funktionen: Vor der Verwirklichung des Tatbestandes soll sie den potentiellen Schädiger durch die D r o hung damit, daß er den Geschädigten für den rechtswidrigen Eingriff entschädigen muß, von seiner Tat abhalten. Nach geschehenem Eingriff soll sie sicherstellen, daß der Geschädigte vom Täter volle Kompensation für den erlittenen Schaden erhält. 784 Diese Doppelfunktion zeigt sich übrigens in der Regelung des Schadensersatzes in § 249 B G B selbst. Wenn dort nämlich als Regel die Naturalrestitution angeordnet wird 785 , so zeigt dies, daß dem Geschädigten in erster Linie nicht nur Kompensation gewährt werden soll, indem seine durch den Eingriff verminderten Vermögenspositionen „wieder aufgefüllt" werden 786 , sondern daß der Eingriff selbst, weil er gar nicht hätte geschehen dürfen, rückgängig gemacht werden soll. 787 Unbestreitbar ist, daß die Schadensersatzregelung nach geschehenem Eingriff der Kompensation dient; dieser Gesichtspunkt hat bisher im Vordergrund der Diskussion gestanden. 788 D e m widerspricht jedoch nicht, wenn man ihre prävenSteiner, S. 131; Esser, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, §40 II 1, 2. Aufgrund der Ausrichtung des Schadensersatzes an der Ausgleichsfunktion kann es jedoch sein, daß die Präventionsfunktion nur unvollkommen erfüllt wird, nämlich dann, wenn der Verletzergewinn höher ist als die notwendige Kompensation für den Verletzten (einschließlich zu tragender Verfahrens- und anderer mit einer Verurteilung zusammenhängender Kosten). Der Präventionsfunktion würde hier besser die Abschöpfung des Verletzergewinns entsprechen. S. zu ähnlichen Probleme auch Assmann, BB 1985, 15. 785 Auch wenn in der Realität das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt und der Geldersatz die Regel ist; s. Staudinger/Werner, Vor §249 Rdnr. 78. 786 Allerdings stellt eine geglückte Naturalrestitution auch die ideale, weil wirklich vollständige Kompensation dar. Nur wird es diesen Idealfall in der Realität nie geben können. 787 Deshalb muß der Dieb das Auto zurückgeben und kann nicht nach seiner Wahl Geldersatz leisten. Die Ausnahmen in § 251 B G B greifen hier jedenfalls nicht ein, soweit das Fahrzeug noch im wesentlichen unbeschädigt vorhanden ist. 788 Steiner (S.28f. m.N. zu dieser Diskussion) hat herausgearbeitet, daß der vorgebliche Konflikt zwischen dem Ausgleichs- und dem Präventionsprinzip weitgehend auf einem Mißverständnis beruht. Bei dieser Diskussion werde häufig der Begriff „Prävention" nicht im Sinne von Schadensverhütung, sondern von Sanktion verstanden, wie etwa im Strafrecht als Zweck der Strafe. Aus der Sicht post factum ergebe sich der Konflikt dann aus der Frage, ob man mit der Sanktion des Schadensersatzes nur die Kompensation des Schadens anstrebe oder ihr auch eine Büß- oder Sühnefunktion zubillige. 783
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tiven Wirkungen, die sie vor dem Eingriff entfaltet, nicht nur als einen der Ausgleichsfunktion bloß untergeordneten, wenn auch willkommenen Nebeneffekt ansieht, sondern ihr selbständige Bedeutung zumißt. 7 8 9 Jedenfalls kann man aus der angeblich allein im Vordergrund stehenden Kompensationsfunktion des Schadensersatzes nicht ableiten, daß das Deliktsrecht darüber hinaus keine (selbständigen) Präventionszwecke verfolge. 7 9 0 D i e Prävention ist neben der K o m p e n sation ein legitimer Z w e c k des Deliktsrechts 7 9 1 .
b) Mittel der Prävention Allerdings ist mit der Feststellung von Präventivzwecken des Deliktsrechts noch nicht vorgegeben, mit welchen Mitteln der Gesetzgeber diese Zwecke erreichen will. Das Deliktsrecht statuiert insbesondere in F o r m der Verkehrspflichten Verhaltensnormen. Diese Pflichten dienen dazu, Dritte als Individuen oder die Allgemeinheit zu schützen. O b sich aus einer solchen deliktischen Handlungspflicht auch immer ein Handlungsanspruch, aus einer Unterlassungspflicht immer ein Unterlassungsanspruch ableiten läßt, ist aber keine Frage, die sich aus dem Wesen der Pflicht als solcher allein beantworten läßt. Das Problem liegt auf der E b e n e der Durchsetzung der Pflichten, d.h. der Maßnahmen, mit denen der Gesetzgeber die Einhaltung der Pflicht garantieren will. Dies m u ß nicht durch im Klagewege durchsetzbare „Pflichterfüllungsansprüche" Dritter geschehen, sondern kann auch oder alleine auf der E b e n e der Rechtsfolgen, die eine Pflichtverletzung nach sich zieht, erfolgen. H i e r sind verschiedene Stufen der Intensität der Verhaltenssteuerung denkbar. So könnte der Gesetzgeber sich bei bestimmten Pflichten damit begnügen, sie bloß zu statuieren, ihre Verletzung aber rechtlich folgenlos zu lassen, etwa weil er darauf vertraut, daß die Mißbilligung des pflichtwidrigen Verhaltens durch die Rechtsordnung ausreichende Präventionswirkung entfaltet. D e r Gesetzgeber kann die Pflichtverletzung auch dadurch sanktionieren, daß der Verletzer bestimmte negative Folgen zu tragen hat wie z . B . den Verlust oder die Minderung von Ansprüchen (Verletzung der Schadensminderungspflicht) oder die Zahlung Letzteres ist allerdings dem deutsche Deliktsrecht (im Unterschied etwa zum US-amerikanischen, das die Sanktion der „punitive damages" kennt) fremd, wenn man einmal von der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes absieht (Palandt/Thomas, §847 Rdnr. 4). Soweit es aber um Prävention als Schadensverhütung geht, d.h. aus der Sicht der Zwecke des Deliktsrechts ante factum, sagt diese Diskussion wenig aus. 789 S. insbesondere Kötz, in: FS Steindorff, S. 643ff., 646ff. 790 Ein Konflikt zwischen beiden Zwecken kann insofern auftreten, wenn man die Gestaltung des Schadensersatzanspruchs nicht an seiner Ausgleichsfunktion, sondern seiner Präventionsfunktion ausrichten wollte. So etwa Ott/Schäfer, JZ 1990,563 für den Schmerzensgeldanspruch. Maßstab wäre dann nicht die Kompensation des Geschädigten, sondern die Auferlegung von Lasten für den potentiellen Schädiger, die den Präventionserfolg sichern (etwa durch Gewinnabschöpfung statt Schadensersatz). Eine solche Abkehr vom Ausgleichsprinzip ist jedoch nach dem geltenden Schadensersatzrecht nicht zulässig. 791 Hager, PHI 1991, 1, 10.
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von Schadensersatz (Vertragsverletzung, Delikt). In diesen Fällen vertraut der Gesetzgeber auf die präventive Wirkung der Sanktionierung, gibt aber nicht notwendigerweise die Möglichkeit, die Pflichterfüllung zu erzwingen. Schließlich kann der Gesetzgeber auch diese Erzwingungsmöglichkeit durch die Einräumung eines durchsetzbaren Anspruchs auf Pflichterfüllung (vertraglicher Erfüllungsanspruch, vorbeugender Unterlassungsanspruch) vorsehen. D i e verschiedenen Reaktionen der Rechtsordnung auf Pflichtverletzungen können somit als verschiedene Mittel aus dem gesamten Arsenal, das dem Gesetzgeber zur D u r c h setzung der von ihm aufgestellten verhaltenslenkenden N o r m e n zur Verfügung steht, angesehen werden. Schadensersatzansprüche haben unter diesem Gesichtspunkt betrachtet nicht nur den Z w e c k der Sicherung des Ausgleichs für den G e schädigten, sondern sie dienen daneben dem gleichen Ziel, vertragsgerechtes Verhalten zu fördern bzw. unerlaubte Handlungen zu verhindern, wie Erfüllungs-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche. Betrachtet man nun das Deliktsrecht daraufhin, welche Mittel der Gesetzgeber zur Schadensverhütung gewählt hat, fällt auf, daß Beseitigungs- und vorbeugende Unterlassungsansprüche dort nicht ausdrücklich geregelt sind. D e r Gesetzgeber hat anscheinend allein auf die Präventionswirkung des Schadensersatzanspruchs als Folge von rechtwidrigen und schuldhaften Rechtsverletzungen vertraut. S o weit Ansprüche auf die Erfüllung von Verhaltenspflichten vorgesehen sind, finden sie sich außerhalb des engeren Rechts der unerlaubten Handlung. 7 9 2 Selbst wenn man darin eine bewußte Beschränkung des Gesetzgebers für das Deliktsrecht sehen wollte und nicht bereit wäre, aus den übrigen Vorschriften einen allgemeinen, auch für den vorbeugenden Rechtsschutz im Deliktsrecht gültigen Rechtsgedanken abzuleiten 7 9 3 , ist doch nicht zu übersehen, daß die Schadensersatzsanktion nicht nur ihren präventiven 7 9 4 , sondern auch ihren kompensatorischen Z w e c k in vielen Fällen nur höchst unvollkommen erfüllt. 7 9 5 A u c h bei einer solch engen Sichtweise sollte deshalb ein vorbeugender Rechtsschutz dann ins Auge gefaßt werden können, wenn feststeht, daß einerseits eine Prävention der Rechtsverletzung allein aufgrund der Schadensersatzdrohung nicht erreicht werden kann, d.h. wenn eine rechtswidrige Rechtsgutverletzung 792 S. etwa den vertraglichen Erfüllungsanspruch oder die Unterlassungsansprüche nach §§12, 862, 1027, 1029, 1065, 1090 Abs.2, 1134, 1192 Abs. 1 und 1227 BGB oder §§37 Abs.2 HGB, 139 Abs. 1 PatG, 97 UrhG, 15 Abs. 1 GebrMG, 14a GeschmMG und 14 Abs. 5,15 Abs. 4, 128 Abs. 1 MarkenG. 793 So jedoch die überwiegende Rechtsprechung und Literatur; s. bereits RGZ 60, 6; Staudinger/Schäfer, §823 Rdnr. 277 für Reichweite der geschützten Interessen. 794 Eine durchgreifende Beeinflussung von Verhaltensweisen durch Haftungsnormen wird von Steiner bezweifelt (S. 138f.). Dies hänge letztlich von der Erwartung ab, haftungsrechtlich tatsächlich (und in welcher Höhe) in Anspruch genommen zu werden. Außerdem führe die Kenntnis von Haftungstatbeständen nicht notwendigerweise zur Verhaltenskorrektur, sondern oft nur zu Vorkehrungen (etwa durch Versicherung), für die Erfüllung eines Haftpflichtanspruchs nicht selbst einstehen zu müssen. 795 Ausführlich zu den Grenzen kompensatorischen zivilrechtlichen Schadensausgleichs Steiner, S. 5 ff.
Rückrufansprüche
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unmittelbar bevorsteht, und daß andererseits der Schadensersatz seiner Ausgleichsfunktion nicht gerecht werden kann. Dieses ist am ehesten bei Verletzungen von Leben, Körper und Gesundheit der Fall, welche durch finanzielle K o m pensation nie wiedergutgemacht werden können. 7 9 6 Schon nach diesen nur kursorischen Überlegungen zur Prävention im Deliktsrecht ist also ein vorbeugender Rechtsschutz gegen Rechtsgutverletzungen durch gefährliche Produkte im Wege klagbarer Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche dann zu rechtfertigen, wenn Personenschäden drohen und diese Gefahr so konkret ist, daß ihre Verwirklichung mit einiger Sicherheit und unmittelbar bevorsteht. Grundsätzlich sind Rückrufansprüche als Beseitigungs- oder als Unterlassungsansprüche denkbar. Als Anspruchsgrundlagen für erstere kommen § 8 2 3 B G B und § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B in Betracht, für letztere § 1004 Abs. 1 S.2 B G B .
3. Rückrufansprüche
als
Beseitigungsansprüche
a) Rückrufansprüche
aus §823 Abs. 1 BGB797
D e r deliktische Beseitigungsanspruch nach § 823 Abs. 1 B G B ist eine besondere Ausprägung des Schadensersatzanspruchs auf Naturalrestitution, § 2 4 9 B G B . E r ist insofern ein Anspruch, der nach rückwärts gerichtet ist: E r soll durch Herstellung des gleichen wirtschaftlichen Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde 798 , die Folgen eines schuldhaft und rechtswidrig geschehenen Eingriffs beseitigen. 799 Typische Beispiele sind Ansprüche auf Widerruf ehrverletzender oder geschäftsschädigender Tatsachenbehauptungen oder auf berichtigende Werbung.
S. Kötz, in: FS Steindorff, S. 643ff., 655f. ]. Hager, VersR 1984, 799, 802; Münch Komm/Mertens,^ 823 Rdnr. 110; Sack, D A R 1983, 1, 2f.; Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1061 ff. Ablehnend: Produkthaftungshandbuc/Bd. i/Foerste, § 39 Rdnr. 2; Krutein, D A R 1985, 33, 34; Link, B B 1985, 1424, 1426; Pieper, B B 1991, 985, 989; Rettenheck, S. 121f. 7 9 8 B G H N J W 1985, 793. 7 9 9 Anders der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B , der insofern in die Zukunft gerichtet ist, als es ihm um die Beseitigung der fortdauernden Wirkung der Beeinträchtigung geht. Diese Abgrenzung ist aber nur scheinbar deutlich. Tatsächlich stellt „das Auffinden der Grenze zwischen Beseitigung und Schadensersatz ... das am wenigsten gelöste Problem des § 1004" dar. (MünchKomm/Medicus, § 1004 Rdnr. 59). Gerade diese Abgrenzungsprobleme sind für Pikker, in: FS Gernhuber, 1993, S. 315-368; ders. Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972 und ihm folgend Staudinger/Gursky, § 1004 Anlaß für eine Rückbesinnung auf die Ursprünge der actio negatoria und eine gegenüber der h.M. stark einschränkende Anwendung des § 1004 B G B . / . Hager dagegen möchte diese Abgrenzungsprobleme offensichtlich dadurch lösen, daß er den deliktischen Beseitigungsanspruch bereits bei bloßer Gefährdung durch einen durch Fehlverhalten verursachten Produktfehler entstehen läßt, VersR 1984, 799, 802. 796 797
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aa) Rechtsgutverletzung
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Verschuldenshaftung
aufgrund der
Produktgefahr
Der Beseitigungsanspruch setzt also zunächst voraus, daß ein Eingriff nicht bloß droht, sondern daß er bereits erfolgt ist. Dies ist aber in Situationen, in denen der Rückruf eines gefährlichen Produktes verlangt werden soll, in aller Regel nicht der Fall. Allerdings sind Ausnahmen denkbar und zwar dann, wenn nicht erst die Verwirklichung der Gefahr, sondern bereits die von dem Produkt ausgehende Gefahr eine Rechtsgutverletzung beim Betroffenen hervorruft. Zu denken ist etwa an die kürzlich zu internationaler Aufmerksamkeit gelangten SilikonBrustimplantate, die im Verdacht stehen, bei den betroffenen Frauen Gelenkerkrankungen, Muskelschmerzen, Erschöpfungszustände etc. zu verursachen. 800 Andere Beispiele sind Herzschrittmacher oder Herzklappen, die eine weit über dem Durchschnitt liegende Versagensquote aufweisen, oder Produkte, die in den Verdacht geraten, Krebs auszulösen, und dadurch zu Krebsphobien bei manchen Betroffenen führen. 801 In solchen Fällen ist es denkbar, daß bei labilen Betroffenen das Bewußtsein der Gefährdung zu solch starken Angstgefühlen (Angstneurosen) führt, daß dadurch eine Gesundheitsverletzung verursacht wird. 802 Soweit diese als vom Hersteller der Produkte rechtswidrig und schuldhaft verursacht angesehen werden kann, ist er zum Schadensersatz verpflichtet. Dieser könnte in solchen Fällen grundsätzlich auch auf die Beseitigung der die Gesundheitsverletzung verursachenden Quelle, d.h. auf die Entfernung des Implantats bzw. des Herzschrittmachers gehen. Allerdings sind Klagen dieser Art (und erst recht erfolgreiche), wie die Erfahrungen aus den U S A zeigen, höchst unwahrscheinlich. 803 800 Nach Berichten in der Presse konnten sich im Rahmen eines in einer class action gegen Hersteller von Silikon-Brustimplantaten vor dem U.S. District Court in Birmingham, Alabama erstrittenen Vergleichs betroffene Frauen - nicht nur aus den USA, sondern weltweit - bis zum 1.12. 1994 registrieren lassen. Sollte eine Frau innerhalb der nächsten 30 Jahre aufgrund der Implantate gesundheitliche Schäden erleiden, kann sie dann Schadensersatzansprüche gegen einen von den Herstellern eingerichteten Fonds geltend machen. S. Süddeutsche Zeitung v. 16. Juni 1994, S. X X I I ; D E R S P I E G E L , Nr.26/1994, S.187f.; Brigitte, Nr. 18 v. 24.8. 1994, S.70; V P K Nr.26v. 28. Juni 1994, S.6f. Der Verdacht der Gesundheitsgefährdung gegen die Silikonimplantate konnte zwar zwischenzeitlich z.T. ausgeräumt werden (s. D E R S P I E G E L , Nr. 26/1994,187, S. 188), doch wollen es die Hersteller nach demselben Pressebericht nicht auf einen Prozeß ankommen lassen. Zur Problematik der Brustimplantationsfälle und ihrer regulativen Aufarbeitung in den USA s. Weisman, 23 Golden Gate U. L. Rev. 973 (1993). 801 Zur Rechtsprechung der USA in diesen Fällen s. Lindensmith, P H I 1987, 62. 802 Entscheidend ist, ob aus ärztlicher Sicht eine Behandlung der psychischen Störung geboten ist; MünchKomm/Mertens, §823 Rdnr. 75. Die bloße Hervorrufung von Angstgefühlen (ohne Gesundheitsschädigung), auch wenn sie Todesangst darstellen, berechtigt jedoch nicht zu Schadensersatz. S. dazu die zitierte Äußerung des Vorsitzenden Richters der 25. Zivilkammer des L G München I, vor der die („Muster")Klage einer Passagierin des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro" anhängig ist, welches 1994 während einer Reise der Klägerin ausbrannte. Die Kl. macht neben Schadensersatz für verlorenen Schmuck und verlorene Urlaubszeit auch Schmerzensgeld in Höhe von D M 5000 für erlittene Todesangst geltend; s. Süddeutsche Zeitung v. 3.8. 1995, S. 33. 803 Dies liegt insbesondere daran, daß die Risiken weiterer Schäden aufgrund der Beseiti-
Rückrufansprüche
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bb) Produktgefahr als Rechtsgutverletzung In allen anderen Fällen gefährlicher Produkte kann man § 823 Abs. 1 B G B für die Ableitung eines Beseitigungsanspruchs nur nutzbar machen, wenn man die Verletzungshandlung vorverlegt, d.h. die drohende Gefahr einer Verletzung mit der Verletzung selbst gleichsetzt. 8 0 4 Dies wird - wie weiter oben dargelegt - im Zusammenhang mit Aufwendungsersatzansprüchen für die Schadensabwehr durch den Betroffenen durchaus vertreten. 8 0 5 D e r Geschädigte müsse nicht sehenden Auges auf Abwehrmaßnahmen verzichten, bis der Tatbestand verwirklicht wurde. 8 0 6 D i e Vernünftigkeit dieses Standpunkts ist unmittelbar einsichtig, zumal die Abwendung der Gefahr auch im Interesse des Verletzers liegen kann, weil dadurch größere Schäden verhindert werden, und weil der Betroffene möglicherweise sogar aufgrund seiner Schadensminderungspflicht 8 0 7
Vorsorgemaß-
nahmen ergreifen muß, die ihm aber nur zumutbar sind, wenn er deren Kosten v o m Verletzer erstattet bekommt. 8 0 8 Dieselben Überlegungen müßten auch dann gelten, wenn nicht ein Schadensersatz des Betroffenen wegen Vorsorgeaufwendungen infrage steht, sondern ein Anspruch auf Durchführung von Vorsorgemaßnahmen durch den potentiellen Verletzer (zu denen er aufgrund seiner fortdauernden Produktverantwortung ohnehin verpflichtet ist). D e m steht jedoch entgegen, daß tragendes Prinzip der deliktsrechtlichen Schadenshaftung weiterhin das Ausgleichsprinzip ist, welches Schadensersatz nur bei einer bereits eingetretenen Verletzung gewährt. 8 0 9 Zwar entfaltet diese Sanktionierung von rechtswidrigen und schuldhaften Rechtsgutverletzungen auch eine präventive (Abschreckungs)Wirkung, doch liegt darin nach h.M. nur ein N e b e n effekt, der „aber für das Schadensersatzrecht keine eigenständige Bedeutung" gungsmaßnahmen (schwerwiegende Operation) häufig größer sind als die Risiken aufgrund des Produktfehlers. Hinzu käme, daß im Sinne der Schadensminderung eine psychotherapeutische Behandlung der Neurose geboten sein könnte. Außerdem haben die Gerichte der USA bisher den Nachweis dafür verlangt, daß gerade das implantierte Gerät des Klägers defekt ist. S. O'Brien v. Medtronic, Inc., 149 Wis.2d 615,439 N.W.2d 151 (1989); Khan v. Shiley, Inc., 217 Cal.3d 848, 266 Cal.Rptr. 106 (Ct.App. 1990). Im letzteren Fall drang die Klägerin jedoch mit dem Vorbringen durch, daß die Beklagte in betrügerischer Weise die Eigenschaften und die Sicherheit der mechanischen Herzklappe falsch dargestellt hatte, (ebd. S. 112). 804 Im Patentrecht wird eine solche Vorverlegung bereits durch das Gesetz vorgenommen, indem dem Rechtsinhaber nicht nur das ausschließliche Recht eingeräumt wird, ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen oder zu gebrauchen, sondern auch es anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu diesen Zwecken einzuführen oder zu besitzen; §9 Nr. 1 PatG. Bereits der Besitz eines patentierten Gegenstandes, um ihn in patentverletzender Weise zu gebrauchen, stellt somit eine Verletzung des Patents dar. 805 Bereits das RG hat eine solche Gleichsetzung für möglich und interessengerecht gehalten: RG, JW 1931, 1191, 1192. Ebenso H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 731; MünchKomm/Mertens, §823, Rdnr. 63ff. Genauer dazu oben B. I. 806 RGRK/Steffen, §823 Rdnr. 454. 807 §254 BGB. 808 BGHZ 32, 280, 285f. 809 Pieper, BB 1991,985,989: Daß der Schadenseintritt nur möglich bzw. abstrakt denkbar ist, reicht nicht aus.
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hat.810 Dem entspricht auch, daß Regelungen eines vorbeugenden Rechtsschutzes im BGB wie in den §§ 12, 862, 1004 nicht innerhalb, sondern außerhalb des Deliktsrechts angesiedelt sind.811 Vorbeugender Rechtsschutz gegen unerlaubte Handlungen ist deshalb auch folgerichtig bisher weniger im Rahmen des § 823 BGB direkt, als vielmehr durch Ausdehnung des Anwendungsbereiches von § 1004 BGB forciert worden. Diesen Grundlinien würde es widersprechen, wollte man weitgehend die drohende Rechtsgutverletzung der tatsächlichen gleichstellen und damit entsprechend großzügig deliktische Beseitigungsansprüche auf der Grundlage von §823 Abs. 1 BGB einräumen. 812 Andererseits gibt es Fälle, in denen die Verletzung so unmittelbar bevor steht und mit einer so großen Sicherheit tatsächlich erfolgen wird, daß es unzumutbar erscheint, vom Bedrohten zu verlangen, nach dem Grundsatz „Dulde und liquidiere" auf den Eintritt des Ereignisses zu warten und dann Schadensersatz geltend zu machen. 813 Für Foerste ist dies nur dann gegeben, wenn die aus einem vorwerfbaren Produktmangel resultierende Gefahr andere dem Produktbenutzer gehörende Rechtsgüter unmittelbar bedroht. 814 Dazu müsse die Gefahr hinreichend konkret sein und der Anspruch könne sich nur auf die Gefahrenabwehr beziehen, so daß eine Nachbesserung nur dann in Betracht komme, wenn andere, weniger belastende Maßnahmen nicht zur Verfügung stünden. Dieser Analyse, die im wesentlichen mit den Voraussetzungen für deliktische Ersatzansprüche für Vorsorgeaufwendungen übereinstimmt 815 , kann zugestimmt werden. Den Anwendungsbereich des §823 Abs. 1 BGB für Rückrufansprüche zieht /. Hager*16 wesentlich weiter. Er setzt die Gefährdung eines Rechtsgutes, ohne dabei nach Konkretisierungsgraden zu differenzieren, praktisch mit seiner Verletzung gleich, wenn dies auch nach seiner Ansicht „nicht ganz unproblematisch zu sein" scheint.817 Seine Begründung für diesen kühnen Schritt bezieht sich im wesentlichen auf den Nachweis des Bestehens von Gefahrbeseitigungsß/ZzcÄte«; sie ist insofern nicht zu beanstanden. Warum diesen Pflichten aber im gleichen Umfang Beseitigungsansprüche gegenüberstehen müssen, wird nicht eingehend erörtert. Dies folgt allenfalls aus der pauschalen Berufung auf den Satz, daß Scha810
Palandt/Heinrichs, Vorbem. v. §249 Rdnr. 4. Rettenheck, S. 122. 812 Zu vergeblichen Versuchen in der älteren Literatur, eine solche Gleichsetzung zur Begründung eines vorbeugenden deliktischen Rechtsschutzes durchzusetzen, s. die Fundstellen bei Stiehler, S. 55, Fn. 2. Neuerdings ist dies für Rückrufansprüche von ]. Hager, VersR 1984, 799, 802ff. vertreten worden. 813 Produkthaftungshandbuch!Bd. 1 /Foerste, § 39 Rdnr. 2; Pauli, PHI1985,134,145, der allerdings de lege lata wegen des Vorrangs des Gewährleistungsrechts die Gültigkeit dieses Grundsatzes widerwillig anerkennt. Zur Erstattungsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen nach Deliktsrecht s. oben B I 2 b. 814 Produkthaftungshandbuch/Bd. 1 /Foerste, §39 Rdnr. 3ff., unter Hinweis auf O L G Karlsruhe VersR 1986, 1125, 1126 - „Milchkühlanlage" und RGRK/Steffen, §823 Rdnr. 453f. 815 S. oben B I 2 b. 816 J. Hager, VersR 1984, 799, 802ff. 817 Ebd. S. 802. 811
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densverhütung der Schadensregulierung vorzugehen habe, und der Befürchtung, daß sonst Rechtsgüter ungeschützt blieben.818 Auch angesichts der Überlegungen J. Hagers ist deshalb weiterhin zu fordern, daß ein deliktischer Beseitigungsanspruch - entsprechend dem deliktischen Anspruch auf Erstattung von Vorsorgekosten - nur dann möglich ist, wenn die Bedrohung mit einem haftungsbegründenden Ereignis so konkret ist, daß sie „einer aktuellen Störung des Rechtsgutes gleich geachtet werden muß"819, also eine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung beim Anspruchsteller und ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Auch Schweitzer trennt nicht scharf zwischen Rückrufpflichten und Ansprüchen auf Aufwendungsersatz bzw. Rückrufansprüchen. 820 Dabei werden dann wiederum die verschiedenen Anspruchsgrundlagen nicht getrennt behandelt. Den Hersteller trifft nach ihrer Ansicht jedoch die präventive Pflicht, den gefahrbringenden Produktfehler durch Reparatur zu beseitigen. Komme der Hersteller einer entsprechenden Aufforderung durch den Abnehmer nicht nach, so könne der „nach der schadensrechtlichen Lösung unmittelbar, nach der Lösung über 1004 BGB als Geschäftsführer ohne Auftrag oder nach Bereicherungsgrundsätzen Ersatz der von ihm aufgewendeten Reparaturkosten verlangen". 821 Soweit in dem hier vertretenen engen Rahmen ein deliktischer Beseitigungsanspruch gegeben ist, kann er sich in Fällen, in denen dies zur Beseitigung der Gefahr ausreicht oder eine Reparatur ohnehin nicht infrage kommt, nur auf Warnhinweise und Auskunft richten. Allerdings muß die mögliche Gefahrvermeidung durch den Bedrohten aufgrund der Warnung diesem auch zumutbar sein. Liegt ein vom Hersteller nicht verschuldeter Entwicklungsfehler vor, kann dem Bedrohten ein Ausweichen durch Nichtbenutzung oder Fehlerbeseitigung auf eigene Kosten in der Regel zugemutet werden. Bei einem verschuldeten Fehler werden dagegen die Interessen des Benutzers stärker zu bewerten sein.822
818 Ebd., S. 802. Aus dem Vergleich mit den negatorischen und quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen zieht ]. Hager die Schlußfolgerung, daß auch beim deliktischen Beseitigungsanspruch nicht die tatsächliche Verletzung eines Rechtsgutes erforderlich sei, sondern daß die Gefährdung eines Rechtsgutes ausreichen solle. Gerade die Möglichkeit vorbeugenden Rechtsschutzes im Rahmen des § 1004 BGB läßt jedoch die Notwendigkeit eines parallelen deliktischen Beseitigungsanspruchs mit gleicher Reichweite, der nur unter völliger Preisgabe des Erfordernisses des Vorliegens einer Verletzung möglich ist, überflüssig erscheinen. Die dogmatischen Schwierigkeiten, den negatorischen oder quasinegatorischen Beseitigungsanspruch vom deliktischen Schadensersatzanspruch abzugrenzen, können einen solchen Schritt nicht rechtfertigen. 819 H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 731. RG, J W 1931, 1191, 1192. 820 Sie behandelt letztere explizit nur unter der Uberschrift „Rechtsfolgen der Warn- und Rückrufpflichten"; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063 f.
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Schwenzer,
JZ 1987, 1059, 1063.
Nach Ansicht J. Hagers kann ihm allenfalls dann ein Nutzungsverzicht zugemutet werden, wenn die Sache aufgrund ihrer Fehlerhaftigkeit praktisch wertlos ist, weil er dann nicht gezwungen wäre, Werte aus der Hand zu geben und damit dem Produzenten die Beseitigungspflicht unter Aufwendung eigenen Vermögens abzunehmen. S./. Hager, VersR 1984, 799, 804f. 822
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Verschuldenshaftung
Ist der bedrohliche Zustand jedoch nur durch Reparatur zu beseitigen, so ist der Produzent verpflichtet, diese auf seine Kosten durchzuführen. 8 2 3 Kann der Produktfehler nicht beseitigt werden (wie z . B . bei einem vergifteten Lebensmittel), so kann auch eine Pflicht zur Rückzahlung des Kaufpreises bzw. zum U m tausch gegen ein fehlerfreies Produkt bestehen, da nur so der Gefahr der Weiterbenutzung durch den Besitzer und der Gefährdung Dritter Einhalt geboten werden kann. Dies rechtfertigt die Inkaufnahme der Befriedigung des eigentlich nur vertragsrechtlich abgesicherten Aquivalenzinteresses des Abnehmers. 8 2 4
Der
Hersteller hat dabei aber ein Wahlrecht hinsichtlich der konkreten Beseitigungsmaßnahme und kann einen „ A b z u g neu für alt" vornehmen. Vom Beseitigungszweck ist ferner ein Ersatz von Vermögensfolgeschäden aufgrund der Reparatur zum Beispiel für Nutzungsausfall nicht gedeckt. 8 2 5
b) Rückrufansprücbe nach §1004 Abs. 1 S. 1 BGB Setzt § 8 2 3 Abs. 1 B G B eine Rechtsgutverletzung voraus, so verlangt § 1 0 0 4 Abs. 1 S. 1 B G B das Vorliegen einer Beeinträchtigung. U b e r den Begriff der von § 1 0 0 4 B G B erfaßten Beeinträchtigung und ihre Abgrenzung v o m Schaden besteht Streit. 8 2 6 N a c h beiden Ansichten jedoch m u ß eine Beeinträchtigung bereits vorliegen; sie darf nicht in der Vergangenheit abgeschlossen sein, sondern muß noch fortdauern. 8 2 7 Das bloße Vorliegen eines Produktfehlers stellt n o c h keine Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter des Eigentümers, des Benutzers oder D r i t ter dar; 8 2 8 erst die Verwirklichung der im Produktfehler schlummernden Gefahr führt zu einer Beeinträchtigung. Soweit diese dann über das Schadensereignis hinausgehende, fortdauernde Wirkungen aufzeigt, kann ein Beseitigungsanspruch hinsichtlich dieser Quelle der Beeinträchtigungen 8 2 9 bestehen. Ahnlich der Beurteilung nach § 823 Abs. 1 B G B wäre ein Beseitigungsanspruch bei noch nicht verwirklichter Produktgefahr nur dann möglich, wenn die Gefahr als solche bereits Beeinträchtigungen, d.h. Rechtsverletzungen bei den BetroffeJ. Hager, VersR 1984, 799, 804. S. ausführlich zu dem Konflikt mit dem Gewährleistungsrecht oben A VIII und unten 5. 825 Schwenzer, JZ 1987,1059, 1063f. 826 S. für die h.M. MünchKomm/Medicus, § 1004 Rdnr. 20ff. einerseits und für die Mindermeinung Picker, in: FS Gernhuber, 1993, S. 315-368; ders., Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972 und ihm folgend Staudinger/Gursky, § 1004 andererseits. 827 MünchKomm/Medicus, § 1004 Rdnr. 22. 828 So auch Rettenbeck, S. 103, für den Erwerb einer mangelhaften Ware. Pieper, BB 1991,985, 990. A.A. Pauli, PHI 1985,134,148, der eine Beeinträchtigung bereits dann annimmt, wenn das latente Risiko eines Schadenseintritts den Verbraucher in der Nutzung des Produktes hemmt, letztlich allerdings einen Beseitigungsanspruch wegen des Vorrangs des Gewährleistungsrechts ablehnt. Auch J. Hager, VersR 1984, 799, 806f. sieht bereits in der Gefährdung der Rechtsgüter des Verbrauchers eine Beeinträchtigung und leitet daraus umfassende Beseitigungsansprüche ab, ohne daß sie durch das Gewährleistungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt würden. 829 Und nur hinsichtlich dieser Quellen, nicht auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands; das wäre Schadensersatz;/ Hager, VersR 1984, 799, 806. 823
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Rückrufansprüche
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nen ausgelöst hätte. D i e Beispiele der implantierten Herzschrittmacher und Brustkissen oder krebsverdächtiger Erzeugnisse wären auch hier einschlägig. D e r Anspruch ginge jedoch nur auf die Beseitigung dieser fortdauernden Wirkungen, nicht notwendigerweise auf die Wiederherstellung des status quo ante im Sinne der Naturalrestitution. Allerdings liefen beide Ansprüche aus tatsächlichen Gründen wohl oft auf diesselben Maßnahmen hinaus. Anders als bei § 8 2 3 B G B besteht im R a h m e n des Beseitigungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B kein Bedürfnis, den Zeitpunkt der Beeinträchtigung vorzuverlegen auf die bloße Gefahr einer Beeinträchtigung, da dieser Fall in § 1004 Abs. 1 S . 2 B G B ausdrücklich geregelt ist und einen Unterlassungsanspruch hervorrufen kann. Zur Begründung eines Rückrufanspruchs kann § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B deshalb kaum eine praktische Rolle spielen. 8 3 0 4.
Unterlassungsansprüche
Vorbeugende Unterlassungsansprüche lassen sich aus § 1 0 0 4 A b s . l S . 2 B G B (analog) ableiten. I m Gegensatz zu § 823 Abs. 1 B G B und § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B setzt § 1004 Abs. 1 S . 2 B G B das Vorliegen einer Rechtsgutverletzung oder einer Beeinträchtigung nicht voraus. E s genügt die Besorgnis einer Beeinträchtigung.
a) Beeinträchtigung;
geschützte
Rechtsgüter
Seinem Wortlaut nach richtet sich der Unterlassungsanspruch des § 1004 Abs. 1 S . 2 B G B gegen eine Beeinträchtigung des Eigentums (negatorischer R e c h t s schutz); er ergänzt insofern dessen Schutz durch § § 9 8 5 , 1005 B G B . 8 3 1 Vorbeugender Rechtsschutz wird jedoch auch in zahlreichen anderen Vorschriften innerhalb 8 3 2 und außerhalb 8 3 3 des B G B gewährt. I m Wege einer Gesamtanalogie hat daraus die Rechtsprechung schon früh geschlossen 8 3 4 , daß alle absoluten R e c h t e geschützt sein sollen, und später den Schutz auf alle deliktisch geschützten Rechtsgüter und die durch Schutzgesetz nach §§ 826, 823 Abs. 2 B G B abgesicherten Interessensphären ausgedehnt 8 3 5 (quasi-negatorischer Rechtsschutz). Anders 830 A.A./. Hager, VersR 1984, 799, 806f., der einen weitreichenden vorbeugenden Rechtsschutz durch Beseitigungsansprüche nach dieser Vorschrift geben will. 831 Palandt/Bassenge, §1004 Rdnr. 1. 832 §§12, 862, 1027, 1029, 1065, 1090 Abs. 2, 1134, 1192 Abs. 1 und 1227 BGB. 833 §§37 Abs. 2 HGB, 139 Abs. 1 PatG, 97 UrhG, 15 Abs. 1 GebrMG, 14a GeschmMG und 14 Abs. 5, 15 Abs. 4, 128 Abs. 1 MarkenG. 834 RGZ 60,6. Zuvor (RGZ 48,114) bereits war der Versuch unternommen worden, einen deliktischen Unterlassungsanspruch aus §823 BGB abzuleiten, der jedoch unter dem später erkannten und den Ubergang zur Analogie zu § 1004 BGB auslösenden Mangel litt, daß die vollständige Verwirklichung des Tatbestandes des § 823 BGB einschließlich des Verschuldens Voraussetzung war. 835 Staudinger/Schäfer, § 823 Rdnr. 277; s. auch Staudinger/Gursky, § 1004 Rdnr. 16 m.N., der diese Entwicklung im Anschluß an Picker, Der negatorische Beseitigungsanspruch, 1972; ders., in: FS Gernhuber, 1993, S.315ff.; ders., in: FS Lange, 1992, S. 625ff. jedoch für verfehlt hält.
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Verschuldenshaftung
sieht dies jedoch die von Picker begründete Mindermeinung, die über § 1004 B G B nur einen Schutz gegen „drohendes oder gegenwärtiges fremdes Handeln wie gegen den drohenden oder bestehenden Zustand von fremden Sachen, wenn und weil diese Tatbestände die Ausübung der Eigentümerbefugnisse schon rechtlich behindern, und weil sie deshalb auch im realen Effekt eine Inanspruchnahme des geschützten Rechts durch einen Dritten bedeuten", annimmt. 8 3 6 Das Inverkehrbringen (oder auch das „Imverkehrlassen" durch Nichtdurchführung einer Rückrufmaßnahme) eines gefährlichen Produktes stellt jedoch keine solche faktische Usurpation von dem Eigentümer zustehenden Rechten dar. Das Eigentum am gefährlichen Produkt wird durch den Fehler nicht beeinträchtigt, da es bereits mit dem Fehler erworben wurde; die Bedrohung anderer Eigentumsgegenstände des Produkteigentümers oder Dritter stellt keine Rechtsusurpation durch den Hersteller dar. 837 Gursky, der sich der Meinung Pickers angeschlossen hat, verneint denn auch konsequenterweise dezidiert die Möglichkeit, Rückrufansprüche auf § 1004 B G B zu gründen. 8 3 8 Diese verengende Sicht des Anwendungsbereichs von § 1004 B G B hat sich jedoch bisher (noch) nicht durchsetzen können. 8 3 9 Sie ermöglicht zwar eine klarere Abgrenzung von Schadensersatz- und Beseitigungsanspruch, welche der h.M. erhebliches Kopfzerbrechen bereitet 8 4 0 , jedoch um den Preis, daß weite Bereiche des bisher dort angesiedelten, als notwendig erachteten verschuldensunabhängigen vorbeugenden Rechtsschutzes ausgegrenzt und dem Schadensersatzrecht zugewiesen werden, ohne daß gleichzeitig gezeigt würde, wie sie dort zuverlässig dogmatisch verankert werden könnten. 8 4 1 I m übrigen führt auch die Mindermeinung in dem von ihr noch übrig gelassenen Anwendungsbereich von § 1004 B G B nicht immer zu befriedigenden und überzeugenden Ergebnissen. 8 4 2 Mit der h.M. wird hier deshalb der Bereich der durch § 1004 B G B (analog) geschützten Rechtsgüter und der Begriff ihrer Beeinträchtigung weit gefaßt. N a c h seinem Wortlaut setzt § 1004 Abs. 1 S. 2 B G B voraus, daß bereits eine B e einträchtigung erfolgt ist, da zur Tatbestandsvoraussetzung die Besorgnis „weiterer Beeinträchtigungen" gemacht wird. A u c h diese Voraussetzung der Wiederholungsgefahr ist jedoch von der Rechtsprechung 8 4 3 unter kritischer Begleitung Picker, in: FS Gernhuber, S.315ff., 332. Rettenheck, S. 112. 838 Staudinger/Gursky, §1004 Rdnr. 13 a.E. 839 Nach Larenz! Canaris, §86 V 2 ist sie jedoch deutlich im Vordringen. 840 MünchKomm/Medicus, §1004 Rdnr. 59ff. 841 S. z.B. den Versuch Kohls (AK/Kohl, §1004 Rdnr. 64), den Folgenbeseitigungsanspruch statt über § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB aus einer „negatorischen Gefährdungshaftung" zu begründen; ein Versuch, der von Picker (FS Gernhuber, §. 315ff., 359ff.) als sachlich unhaltbar bezeichnet wird. AuchJ. Hagers (VersR 1984, 799, 802) Lösungsvorschlag, einen breiten deliktischen Beseitigungsanspruch durch den Verzicht auf das Vorliegen einer Rechtsgutverletzung zugunsten einer bloßen Gefährdung zu schaffen, ist nicht gangbar. 842 S. die zusammenfassende Kritik bei MünchKomm/Medicus, §1004 Rdnr. 23 ff.; ferner E. Herrmann, JuS 1994, 273, 276. 843 RGZ 101, 335; BGHZ 2, 394 = NJW 1951, 843. 836 837
Rückrufansprüche
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durch die Literatur 8 4 4 durch die der Erstbegehungsgefahr ergänzt worden, da sonst der präventive Z w e c k nicht voll erreicht werden könne. 8 4 5
b) Kein Verschulden erforderlich Wie allgemein bei Unterlassungsansprüchen ist der Nachweis des Verschuldens nicht erforderlich. I m Zusammenhang mit Unterlassungsansprüchen wegen bevorstehender Verstöße gegen § 8 2 6 B G B bedeutet dies, daß der Anspruch der A b w e h r eines bestimmten sittenwidrigen Verhaltens dient, welches einen (Vermögens)Schaden auszulösen droht, ohne daß der Kläger einen auf die Schädigung gerichteten Vorsatz zu beweisen bräuchte; es genügt die begründete Besorgnis eines in seine Interessen eingreifenden sittenwidrigen Verhaltens. Selbst der gute Glaube des Inanspruchgenommenen, er sei zu dem Tun berechtigt, soll bei einem objektiv als sittenwidrig anzusehendem Verhalten irrelevant sein. 8 4 6
c) Unterlassungspflicht als Pflicht zum Tun Ein weiteres im Wortlaut des § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B liegendes Hindernis für die Ableitung von Rückrufansprüchen ist die Tatsache, daß dort ein Anspruch auf ein Unterlassen gewährt wird, während die Vornahme eines Rückrufs ein Handeln des Herstellers verlangt. A u c h hier ist der Anwendungsbereich der Vorschrift zwischenzeitlich weitergezogen und auf Handlungsansprüche erweitert w o r den. 8 4 7 D i e Unterlassungspflicht kann sich nämlich nicht nur auf die Vermeidung eines bestimmten Tuns, sondern auch auf die Vermeidung eines bestimmten E r folgs beziehen. Dient der Unterlassungsanspruch - wie bei der Verpflichtung des Herstellers, eine Produktgefahr v o m Benutzer oder Dritten abzuwenden - dem Schutz bestimmter R e c h t e oder rechtlich geschützter Interessen vor Beeinträchtigung, ist im Zweifel von einem erfolgsbezogenen Unterlassungsanspruch auszugehen. D a n n m u ß der Schuldner auch tätig werden, um den Eintritt des Erfolgs S. als Beispiel nur Münzberg, JZ 1967, 689. MünchKomm/Medicus, §1004, Rdnr. 80. Besonders plastisch das Bild von Duvigneau, S. 48, bei Festhalten am Erfordernis des Ersteingriffs bilde der Unterlassungsanspruch einen Schild, der erst dem bereits Verwundeten in die Hand gegeben werde, um weitere Angriffe abzuwehren. Sei der erste Stoß tödlich, gebe es nichts mehr zu verteidigen. 846 So auch Staudinger/Schäfer, § 823 Rdnr. 70. 847 Zur Begründung wird insbesondere darauf hingewiesen, daß zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB und der ersten reichsgerichtlichen Entscheidungen deliktische Eingriffe grundsätzlich als Tun verstanden wurden, die deshalb durch einen Unterlassungsanspruch abgewehrt werden mußten. Erst später setzte sich die Erkenntnis durch, daß der deliktsrechtliche Tatbestand auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden kann. Entsprechend wurde dann auch postuliert, daß ein vorbeugender Schutz auch gegen rechtswidrige Rechtsgutverletzungen durch Unterlassen möglich sein müsse. S. die Nachzeichnung dieser Entwicklung bei Stiebler, S. 54, Fn.3, 71 ff. S. aus der gegenwärtigen zivilrechtlichen Literatur nur Staudinger/Gursky, § 1004 Rdnr. 194 m.w.N. und UWG-Großkomm/Köhler, Vor § 13 Rdnr. 10 für das Wettbewerbsrecht. 844 845
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zu verhindern. 8 4 8 D e r Unterlassungsanspruch gerät dadurch in die N ä h e eines (vorbeugenden) Beseitigungsanspruchs bzw. eines „Verhinderungsanspruchs" 8 4 9 , der auch ein Tätigwerden des Störers verlangt, mit dem Unterschied allerdings, daß nicht die Beseitigung einer Störung, sondern die Beseitigung der Gefahr einer Störung gefordert bzw. der Eintritt der Gefahr verhindert werden soll. Es läßt sich einem „Unterlassungs" ansprach auf Beseitigung einer Gefahr nicht entgegenhalten, daß dadurch notwendigerweise stärker in die Handlungsfreiheit des Störers eingegriffen werde als bei der A b w e h r eines gezielten Angriffs durch Tun oder Aufrechterhaltung eines Zustandes. Richtig ist, daß bei einem solchen Angriff durch das erkennbare Tun die zu unterlassende Handlung und durch die erkennbare Stoßrichtung das bedrohte Rechtsgut und sein Inhaber ausreichend konkretisiert sind, um auch den Unterlassungsanspruch nach Inhalt und Berechtigtem so präzise markieren zu können, damit der Störer nicht mehr als durch seinen rechtswidrigen Angriff erforderlich in seiner Handlungsfreiheit beschränkt wird. 8 5 0 Richtig ist auch, daß bei einem Unterlassen ein solch zielgerichteter A n griff nicht vorliegt und daß deshalb weder die gebotenen Handlungen noch die durch das Unterlassen bedrohten Rechtsgüter und deren Inhaber klar vorgegeben sind. Eine Verkehrspflicht, deren Erfüllung eingefordert werden soll, besteht gegenüber jedermann. 8 5 1 Unterläßt z . B . ein U n t e r n e h m e r eine sorgfältige E n d kontrolle seiner Produkte, so daß mit gefährlichen Fehlern behaftete Waren unbemerkt in den Verkehr gelangen können, ist zu diesem Zeitpunkt n o c h völlig offen, wer und welche Rechtsgüter dadurch gefährdet sind. Wollte man hier allen potentiellen Käufern und damit allen potentiell Gefährdeten einen Individualanspruch auf Vornahme einer vorschriftsmäßigen Endkontrolle zubilligen, würde man die Möglichkeit einer Popularklage eröffnen 8 5 2 und der U n t e r n e h m e r sähe sich möglicherweise mit einem unabsehbaren Prozeßrisiko belastet, das seine G e schäftstätigkeit völlig lahmlegen könnte. Diese Unschärfe einer drohenden Beeinträchtigung durch Unterlassen ist jedoch nicht in allen Fällen gegeben. Auch die Bedrohung durch unterlassene Sicherheitsmaßnahmen kann sich so sehr konkretisieren, daß sie in dieser Hinsicht einer drohenden Beeinträchtigung durch Handeln vergleichbar ist. Wenn das aber geschieht, sollte wie gegen letztere auch ein vorbeugender Schutz möglich sein. Soweit deshalb eine hinreichende Konkretisierung der Gefahr, die abzuwenden ist, nach der A r t des gefährdeten Rechtsgutes, nach der Person des Betroffenen und nach den der Handlungspflicht genügenden Handlungsalternativen möglich
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UWG-Großkomm/Köhler,
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Larenz/Canaris,
Vor § 13 Rdnr. 10.
§ 87 III 2 b.
850 Zu dieser „Selektionsfunktion", die der Angriff durch ein Tun ausübt, ein Unterlassen jedoch nicht, s. Rettenbeck, S. 108ff.
851
Rettenbeck, S. 108.
Stiebler, S. 78. V. Bar stellt in diesem Zusammenhang die pointierte Frage, ob „sich gar ein Verbraucher zum Produktsicherheitspolizisten aufspielen" könne. (Beilage zu VersR 1983, S. 80). 852
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ist, steht unter diesem Gesichtspunkt einem Individualanspruch auch nichts entgegen. 8 5 3 Soweit sich die Literatur mit dem Umschlagen unselbständiger Verkehrspflichten in selbständig klagbare Pflichten beschäftigt hat, stehen die Kriterien, nach denen diese notwendige Konkretisierung festgestellt werden soll, im Mittelpunkt des Interesses. 8 5 4 Dabei kristallisieren sich als Merkmale, welche die Situation einer Bedrohung durch Unterlassen einem Angriff durch Tun vergleichbar machen sollen 8 5 5 , das Vorliegen einer konkreten Gefährdung und das Fehlen oder die U n zumutbarkeit einer Ausweichmöglichkeit heraus. 8 5 6 B e v o r jedoch auf den notwendigen G r a d der Konkretisierung näher eingegangen werden soll, ist darauf hinzuweisen, daß bereits § 1004 B G B in seinem Abs. 2 eine Einschränkung der Beseitigungs- und Unterlassungspflichten vornimmt. Danach m u ß der Störer den Angriff nur dann unterlassen bzw. den Störungszustand nur dann beendigen oder die Störungsquelle beseitigen, wenn der Betroffene nicht zur Duldung der Störung verpflichtet ist. N a c h allgemeiner Meinung steht der in § 1004 Abs. 2 B G B genannten Duldungspflicht die Rechtswidrigkeit des drohenden Eingriffs gleich. 8 5 7 Dies bedeutet, daß ein Unterlassungsanspruch nicht besteht, wenn die den Betroffenen aufgrund des infrage stehenden Tuns oder Unterlassens
treffende
Rechtsgutverletzung
nicht
rechtswidrig
wäre.
Rechtswidrig kann ein Unterlassen bzw. die Nichtbefolgung einer Verkehrspflicht nur sein, wenn eine Gefahrabwendungspflicht des Herstellers gefährlicher Produkte, um die es im vorliegenden Zusammenhang geht, im konkreten Fall gegeben ist. Daraus folgt, daß jeder Rückrufanspruch - bzw. allgemeiner - jeder Anspruch auf Durchführung von Gefahrabwendungsmaßnahmen den Bestand einer entsprechenden Pflicht voraussetzt. Besteht schon keine Verpflichtung des Herstellers, die infrage stehenden Maßnahmen vorzunehmen, muß der Betroffene die daraus folgenden Beeinträchtigungen dulden und kann keinen Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz haben. 8 5 8 853 S. auch v. Bar, der es grundsätzlich für möglich hält, daß jede Verkehrspflicht von einer unselbständigen in eine einklagbare Pflicht umschlagen kann (Beilage zu VersR 1983, 80, 84). 854 S.v. Bar, Beilage zu VersR 1983,80; Stiebler, 1986; Rettenbeck, 1994; für vertragliche Sorgfaltspflichten Stümer, JZ 1976, 384. 855 V. Bar, Beilage zu VersR 1983, 80, 85. 856 Rettenbeck, S. 108ff.; Stiebler, 101 ff.; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1805f.; v. Bar, Beilage zu VersR 1983, 80, 84f. 857 MünchKomm/Medicus, § 1004 Rdnr. 49; Rettenbeck, S. 113. 858 Die Argumentationskette ]. Hagers, der zu vertreten scheint, daß nach § 1004 Abs. 1 S. 1 B G B auch die Beseitigung eines Enrwicklungsfehlers gefordert werden kann, da es nur von untergeordneter Bedeutung sei, wie die Gefahr entstanden sei, und der Träger des Rechtsgutes die Gefährdung nur hinnehmen müsse, wenn er zur Duldung aus einem besonderen Grund verpflichtet sei, bleibt unklar. Soweit daraus zu folgern sein soll, daß Beseitigung oder Unterlassung sogar ohne rechtswidrige Verletzung einer Verkehrspflicht gefordert werden können (so die Interpretation durch Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §39 Rdnr. 12), ist dem zu widersprechen. Gerade weil dem Hersteller bei einem Entwicklungsfehler kein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, hat der Benutzer darauf beruhende Beeinträchtigungen zu dulden. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Entwicklungsfehler im Rahmen der Produktbe-
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Bereits bei der Ableitung einer Rückrufpflicht ist auch eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen des Herstellers und denen der Betroffenen vorzunehmen. Ein Kriterium dabei ist das Bestehen zumutbarer Ausweichmöglichkeiten für die Gefährdeten. Soweit also eine Gefahrabwendungspflicht in F o r m einer Warnung, einer Reparatur etc. vorliegt, ist damit auch das Bestehen zumutbarer Ausweichmöglichkeiten des Gefährdeten bereits verneint worden. Dieses Merkmal spielt deshalb als Konkretisierungskriterium nur noch eine beschränkte Rolle; es kann weitgehend als gegeben unterstellt werden. 859 Insofern kann es für das Bejahen von klagbaren Ansprüchen auf Beachtung der Rückrufpflicht nur noch auf das Bestehen einer hinreichend konkreten Gefährdung ankommen. Im folgenden sollen deshalb zunächst für die verschiedenen Kategorien der Gefahrabwendungsmaßnahmen rekapituliert werden, inwieweit sie zu Verkehrspflichten verdichtet sind, deren Verletzung als rechtswidrig anzusehen ist. Dann soll geprüft werden, ob diesen Pflichten klagbare Ansprüche der Betroffenen gegenüber stehen, insbesondere ob dafür eine noch stärkere Konkretisierung nach Gefährdungsgrad und berechtigten Personen erforderlich ist, als dies bereits bei der Pflichtenbestimmung notwendig war. Es sind oben drei Pflichtenkategorien unterschieden worden: die vorbereitenden und begleitenden Organisations- und Produktbeobachtungspflichten, die Rückrufpflichten, die nur indirekt auf den Gefahrenherd einwirkende Maßnahmen wie Warnungen und Instruktionen erforden, sowie die weitergehenden Rückrufpflichten der Reparatur, des Austauschs, der Rücknahme etc., die direkt auf den Gefahrenherd einwirken.
d) Ansprüche auf Erfüllung von Organisations- und Produktbeobachtungspflichten Organisations- und Produktbeobachtungspflichten sollen einerseits sicherstellen, daß gefährliche Eigenschaften von Produkten durch sorgfältige Planung, Herstellung, Kontrolle und Vermarktung gar nicht erst entstehen, und andererseits, daß dennoch nicht verhinderte Produktgefahren rechtzeitig erkannt und abgewendet werden können. Sie obliegen grundsätzlich allen Herstellern (Importeuren, Händlern) von Produkten, wenn auch je nach ihrer Stellung im Distributionskanal, der Art des Produkts und der davon ausgehenden Gefahr in unterschiedlicher Intensität. Ihre Verletzung begründet jedoch in aller Regel eine bloß obachtung bekannt wird und der Hersteller deshalb aufgrund seiner fortbestehenden Produktverantwortung einen Rückruf vornehmen müßte. Dann könnte auf dieser Grundlage möglicherweise eine Beseitigungspflicht und ein Beseitigungsanspruch bestehen (S. dazu unten). Aber dieser Anspruch hätte wieder zur Voraussetzung, daß die Nichtvornahme des Rückrufs, d.h. die Verletzung der entsprechenden Verkehrspflicht rechtswidrig war. Ist der Verzicht auf den Rückruf rechtmäßig, hat der Betroffene die Rechtsgutverletzung zu dulden. 859 Allerdings mag sich die Bewertung der Interessen von Hersteller und Bedrohtem, die sich in der Zumutbarkeitsentscheidung spiegelt, etwas verschieben, wenn es statt um die Auferlegung von Pflichten, die nur mit einer Schadensersatzsanktion belegt sind, um die Durchsetzung der Erfüllung solcher Pflichten geht, welche den Hersteller zu tatsächlichem Handeln zwingt.
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abstrakte Gefährdung der späteren oder gegenwärtigen Produktbenutzer. E i n e mangelhafte Produktbeobachtung begründet die Möglichkeit, daß Mängel des Produktes v o m Hersteller nicht erkannt werden und er in der Folge weder seine zukünftige Produktion entsprechend umstellt noch die Käufer seiner bereits in Verkehr gebrachten Produkte warnt. Fehlende organisatorische Voraussetzungen für einen effizient durchgeführten R ü c k r u f führen zu der Möglichkeit, daß bestimmte oder gar alle Produktbesitzer von einer Rückrufaktion gar nicht oder zu spät erreicht werden. D i e Gefährdung, die von einem solchen Fehlverhalten des Herstellers für einen einzelnen Produktkäufer bzw. -benutzer oder für Dritte ausgeht, ist jedoch nicht mehr als ein vages Risiko. Bis zu einer konkreten Gefährdung müssen noch viele Gabelungen möglicher Entwicklungen des Kausalverlaufs passiert werden, bis er deutlich auf bestimmte Individuen hindeutet und sich gerade deren Gefährdung nach A r t und Schwere hinreichend konkretisiert hat. Produktbeobachtungs- und Organisationspflichten sind deshalb nicht durch zivilrechtliche Individualansprüche bewehrt, die eingeklagt werden könnten. 8 6 0 H i n z u k o m m t , daß der einzelne Verbraucher oder mittelbar Betroffene, wenn er die Verletzung einer Organisations- oder Produktbeobachtungspflicht feststellt, vielfache und zumutbare Möglichkeiten hat, der davon möglicherweise zukünftig ausgehenden Gefahr auszuweichen. Liegt die Entdeckung vor dem Kauf des Produktes, so braucht er nur auf den E r w e r b von diesem U n t e r n e h m e n zu verzichten. H a t er das Produkt bereits erworben und erfährt davon nachträglich, kann die zukünftige Einhaltung dieser Verhaltensanforderungen ihn nicht mehr schützen.
e) Ansprüche auf Erfüllung von Warnpflichten aa) Sinn von „ Warnansprüchen" Entsprechend dem Begriff der Warnpflichten soll im folgenden von „Warnansprüchen" die Rede sein. Dabei ist jedoch zu beachten, daß hier der Begriff der Warnung nicht nur im engen Wortsinn, sondern als Kürzel für alle Informationen benutzt wird, die der Hersteller dem Benutzer des gefährlichen Produktes zur Verfügung zu stellen hat, damit dieser es gefahrlos benutzen oder zumindest eine selbstverantwortliche Entscheidung über die Inkaufnahme des damit verbundenen Risikos treffen kann. 860 Es handelt sich vielmehr um Verhaltenspflichten, deren Einhaltung - etwa den Hygienevorschriften des Lebensmittelrechts oder den Sicherheitsvorschriften des Atomrechts vergleichbar - typischerweise von den öffentlichen Sicherheitsbehörden überwacht wird, nicht jedoch von Verbrauchern als „privaten Produktsicherheitspolizisten", wie v. Bar - jedenfalls im Hinblick auf Produktbeobachtungs- und Organisationspflichten korrekt - bemerkt. V. Bar, Beilage zuVersR 1983, S. 80. In Zukunft - nach Inkrafttreten des geplanten Produktsicherheitsgesetzes - könnte der Verbraucher die zuständigen Behörden informieren, um sie zu entsprechenden Durchsetzungsmaßnahmen zu veranlassen.
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Gelegentlich ist - möglicherweise von einem engeren Begriff ausgehend - vorgebracht worden, daß „Warnansprüche" bereits aus praktischen Gründen nicht relevant werden könnten. 861 Die Begründung ist auf den ersten Blick ebenso einleuchtend wie auf den zweiten Blick undifferenziert: Kenne der Betroffene die Gefahr, brauche er nicht mehr gewarnt zu werden, wisse er aber nichts von ihr, könne er auch keinen Anspruch geltend machen. Diese Argumentation geht in verschiedener Hinsicht fehl. 862 Zum einen unterstellt sie, daß die Kenntnis, welche die Warnung vermitteln soll, beim Betroffenen entweder vollständig vorhanden ist oder vollständig fehlt. In der Realität wird der betroffene Besitzer eines potentiell gefährlichen Produktes aus eigener Benutzungserfahrung oder von dritter Seite oft jedoch nur mehr oder weniger deutliche Hinweise auf die Gefahr haben, die es ihm aber nicht erlauben, hinreichend klar festzustellen, ob und in welchem Umfang er selbst oder Dritte gefährdet sind. In diesem Fall kann ein „Warnanspruch" in der Form eines Anspruchs auf Auskunft über den wahren Charakter und Umfang der Gefahr sehr wohl sinnvoll sein. Zum anderen übersieht die Argumentation, daß es bei der Gefahrabwendung durch Information meist nicht nur um Warnungen im Wortsinne gehen wird. Zum Inhalt der Warnpflicht gehören vielmehr auch Informationen darüber, wie der Benutzer die Gefahr vermeiden kann (z.B. indem er einen Motor, der bei längerem Laufen auf Hochtouren gefährlich werden kann, nur geringer beansprucht) oder wie er die Gefahr durch eine kleine Reparatur selber beseitigen kann. Warn- bzw. Auskunftsansprüche der beschriebenen Art sind somit nicht von vornherein als praktisch irrelevant abzutun. 863
bb) Natur des
Warnanspruchs
Ein solcher „Warnanspruch" als Auskunftsanspruch 864 ist im übrigen von den Auskunftsansprüchen im Schadensersatzrecht, die im Vorfeld des Schadensersatzes z . B . der Ermittlung der Schadenshöhe dienen sollen und somit nur Hilfsfunktion haben 865 , zu unterscheiden. Hier geht es nicht darum, durch die begehrte Information einen Schadensersatzanspruch durchsetzbar zu machen, sondern die Information wird „um ihrer selbst willen" angestrebt. Das Fehlverhalten liegt in dem Vorenthalten der Information (z.B. bei einem Instruktionsfehler), welches durch die Durchsetzung des Anspruchs auf Erteilung der Information unmittel-
861 862 863 864
Schwenzer, J Z 1987, 1059, 1063; Stiehler, S.150. Kritisch auch Brüggemeier, Z H R 152 (1988) 511, 525. Wie hier K. Mayer, D B 1985, 319, 324. S. allgemein zu Auskunftsansprüchen im Bürgerlichen Recht zuletzt St. Lorenz, JuS 1995,
569. 865 Ausnahmsweise soll auch ein Auskunftsanspruch als Ergänzung des Beseitigungsanspruchs gegeben sein, wenn der Gestörte über den Umfang der Beeinträchtigung im Unklaren ist und der Störer ohne Mühe darüber Auskunft geben kann; Münch Komm/Medicus, § 1004 Rdnr. 62; R G Z 158, 377, 379f.
Rückrufansprüche
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bar korrigiert werden soll.866 Im Zusammenhang mit § 1004 BGB kann somit das Fehlen der Information als solches die (drohende) Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Betroffenen hervorrufen (da ohne sie eine Gefahrenabwehr nicht möglich ist), die Zurverfügungstellung der Information beseitigt dann die Beeinträchtigung direkt oder führt sie auf ein vom Betroffenen zu duldendes Maß zurück. cc) Besteben eines
Warnanspruchs
Grundsätzlich setzt ein möglicher Warnanspruch eine entsprechende Warnpflicht voraus. Nach den obigen Überlegungen besteht eine Warnpflicht (oder weitergehende Instruktionspflicht) dann, wenn eine Warnung möglich ist, die Gefahr durch die Warnung (noch) abgewendet werden kann, die Betroffenen die Gefahr nicht (ausreichend) kennen und sie auch nicht nur bei fernliegenden Mißbräuchen auftaucht, ein durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut bedroht ist und die Warnung unter Berücksichtigung der Interessen des Herstellers und der Betroffenen als zumutbar erscheint. In einigen der damit erfaßten Fallgruppen wird über die Warnpflicht hinaus eine weitergehende Rückrufpflicht zur Reparatur, zum Austausch etc. bestehen. Da aber auch von einer solchen Rückrufmaßnahme immer eine Warnung der Adressaten ausgeht867, kann die Warnung als ein darin enthaltenes Minus angesehen werden. (1) Kein Warnanspruch mangels
Warnpflicht
Mangels zugrundeliegender Warnpflicht kann ein „Warnanspruch" bzw. Auskunftsanspruch dann nicht bestehen, wenn die Gefahr dem Betroffenen bereits bekannt ist oder sich nur bei entfernten Mißbräuchen verwirklichen kann; die nachgefragten Informationen würden dem Betroffenen den Umgang mit der Gefahr nicht verbessern helfen. Ein Informationsanspruch kann auch nicht bestehen, wenn von dem Produktfehler nur Gefahren für das Produkt selbst (mit Ausnahme der Weiterfresserschäden) oder für das Vermögen868 ausgehen können. Solche Schäden müßte der Hersteller nicht ersetzen; der Betroffene müßte sie dulden; ein vorbeugender Rechtsschutz kann dagegen nicht bestehen.869
866 Die Durchsetzung erfolgt deshalb in Form der Leistungsklage, während für vorbereitende Auskunftsansprüche die Stufenklage vorzuziehen ist; St. Lorenz, JuS 1995, 569, 575. 867 Ausnahmen sind „stille Rückrufe", bei denen der Fehler ohne Mitteilung an den Eigentümer beseitigt wird. 868 Anders möglicherweise, wenn die Voraussetzungen des § 826 BGB oder die Verletzung eines das Vermögen schützenden Schutzgesetzes nach §823 Abs. 2 BGB vorliegen. 869 Produktbaftungshandbuch/Hd. 1/Foerste, §39 Rdnr. 1. Der Verkehrsteilnehmer, der gehört hat, daß bei einem bestimmten Automodell die Bremsen versagen können, gewönne durch genauere Informationen über Art und Umfang des Fehlers sowie über Beseitigungsmöglichkeiten kein Mehr an Sicherheit, da er auf die Benutzung der betroffenen Autos keinen Einfluß hat.
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(2) Warnanspruch trotz fehlender Warnpflicht Soweit eine Warnpflicht jedoch nur deshalb nicht besteht, weil die Warnung dem Hersteller aufgrund der hohen Kosten, die das Erreichen von nur geringfügig bedrohten Personen verursachen würde 8 7 0 , unzumutbar ist, kann ein Auskunftsanspruch dennoch bestehen. Wenn nämlich der Betroffene seinen Auskunftsanspruch - zunächst außergerichtlich - geltend macht, fällt dieses Argument für die U n z u m u t b a r k e i t weg. Es geht nur noch um einen bekannten, nicht mehr um ungezählte unbekannte Adressaten. Somit fallen für den Hersteller nur noch die Kosten der (Einzel)Auskunft selbst (und eventuell der Ermittlung der nachgefragten Informationen) an; diese dürften aber in aller Regel nicht die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Soweit die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, könnte auch in diesem Fall ein Auskunftsanspruch bestehen.
(3) Warnanspruch bei bestehender Warnpflicht Fraglich ist jedoch, ob auch immer dann, wenn eine Pflicht zur Warnung besteht, ihr ein Anspruch auf entsprechende Auskunft gegenüberstehen muß. Eine Warnpflicht besteht in den Fällen, in denen die Gefährdeten nicht über die notwendigen Informationen verfügen, sich selbst in zumutbarer Weise vor der Gefahr zu schützen. Die Bedrohung geht davon aus, daß der Hersteller den B e troffenen wesentliche Gefahrinformationen vorenthält, sie „blind in ihr U n g l ü c k rennen" läßt. D e r Anspruch ginge entsprechend auf Beseitigung dieses Informationsdefizits. 8 7 1 Anspruchsberechtigte können nur die sein, deren in den Schutzbereich der Warnpflicht fallende Rechtsgüter durch die Vorenthaltung der Informationen gefährdet werden. Infrage k o m m e n dabei unbeteiligte Dritte und E i gentümer/Benutzer. Unbeteiligte Dritte können in zweierlei Weise durch die Nichterfüllung der Warnpflicht gefährdet sein. Z u m einen führt diese Pflichtverletzung des Herstellers dazu, daß die gefährlichen Produkte aus Unkenntnis der Gefahr weiterbenutzt werden. W ü r d e n die Benutzer informiert, könnten und würden sie mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit Vorsichtmaßnahmen treffen, welche auch die Sicherheit der unbeteiligten Dritten erhöhen würden. Selbst wenn der Dritte, würde ihm die Information zur Verfügung gestellt, sich nicht unmittelbar schützen könnte, könnte er somit ein Interesse daran haben, daß der H e r steller die B e n u t z e r warnt. E s ist deshalb zu prüfen, o b ein unbeteiligter Dritter einen Anspruch gegen den warnpflichtigen Hersteller haben könnte, daß dieser seiner Pflicht gegenüber den Benutzern nachkommt oder daß er dem Dritten die
870 Etwa wegen der Notwendigkeit mehrerer breitgestreuter, landesweiter Anzeigenkampagnen in den Medien. 871 Dies ist zu unterscheiden von der Bedrohung durch die gefährliche Produkteigenschaft selbst. Einer darauf zurückzuführenden drohenden Beeinträchtigung müßte durch Beseitigung des Fehlers begegnet werden. S. dazu sogleich.
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Informationen zur Verfügung stellt, damit dieser sie (z.B. über einen Verbraucherverband) an die Benutzer weiterreichen kann. In einem solchen Fall liegt jedoch allenfalls eine abstrakte Gefährdung des Dritten vor. 872 Zwar besteht die Möglichkeit, daß er in Zukunft einmal - um das bereits verwendete Beispiel weiterzuspielen - von einem der Fahrzeuge mit den für ihre Benutzer unerkannt defekten Bremsen verletzt wird. Diese Gefahr ist jedoch nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit; sie ist nicht hinreichend konkret, um dem Dritten „Warnansprüche" gegen den Hersteller zu geben. Zum anderen können Dritte aber auch wesentlich direkter gefährdet sein; insbesondere ist es möglich, daß die ihnen vorenthaltene Information sie in die Lage versetzen würde, sich selbst vor einer Gefährdung durch das Produkt zu schützen. Allerdings muß auch hier eine konkrete Gefährdung und die Unzumutbarkeit eines Ausweichens vorliegen. So wird man einem Geschäftsmann, der häufig Taxis benutzt, nicht einen Anspruch gegen den Hersteller des wegen der Bremsen in Verdacht geratenen Automodells auf Auskunft geben können, damit er in Zukunft das gefährliche Fahrzeug meiden kann; man wird ihm den Verzicht darauf, mit diesem Modell zu fahren, auch auf den bloßen, ihm bekannten Verdacht hin zumuten können. Andererseits gibt es Fälle, in denen Dritte einer Gefährdung durch ein Produkt so direkt ausgesetzt sind, daß sie auf mögliche Schutzmaßnahmen hingewiesen werden müssen. Dies kann z.B. für Arbeitnehmer gelten, die gezwungen sind, in der Nähe einer Anlage zu arbeiten, von welcher giftige Emissionen ausgehen, vor denen der Hersteller warnen müßte, damit sie eigenständige Schutzvorkehrungen treffen können. Hier liegt eine konkrete Gefährdung der Arbeitnehmer vor, auch wenn sie nicht Benutzer sind. Die Gefährdung von Eigentümern oder Benutzern der fehlerhaften Produkte ist in der Regel konkreter. Dies gilt zumindest soweit (auch) ihre Rechtsgüter gefährdet sind. Es sind allerdings Fälle denkbar, in denen die vom Eigentümer benutzten gefährlichen Produkte (zumindest unmittelbar) nur die Rechtsgüter Dritter gefährden. Dies ist z.B. im Dienstleistungsgewerbe der Fall, wenn die Produkte nur zur Anwendung am Kunden eingesetzt werden. Hier wäre es m.E. in keiner Weise interessengerecht, dem Eigentümer einen Auskunftsanspruch allein mit dem Argument zu versagen, daß ihm durch die Unterlassung der Information kein (unmittelbarer) Schaden droht 8 7 3 und die Warnpflicht deshalb nicht seinem Schutz, sondern dem der Dritten dient. 874 In aller Regel werden jedoch zuvörderst die Rechtsgüter des Eigentümers/Benutzers gefährdet sein. Dessen Gefährdung ist auch hinreichend konkret, soweit sie sich bei jeder Benutzungshandlung mit einiger Wahrscheinlichkeit verwirklichen könnte und dann notwendigerweise seine Rechtsgüter verletzt. 875 Die G e 872 Zur - schwierigen - Abgrenzung abstrakter und konkreter Gefahr s. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 115ff. 8 7 3 Sein Schaden könnte aber zumindest ein - allerdings durch §823 A b s . l B G B nicht geschützter - Vermögensschaden sein, wenn er selbst haftbar gemacht wird oder Kunden verliert. 874 Selbstverständlich sind auch vertragliche Auskunftsansprüche gegen den Lieferanten möglich.
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fährdung ist sogar besonders groß, wenn und weil dem Betroffenen die notwendigen Informationen fehlen, da er aufgrund dieses Defizits geeignete und zumutbare Gegenmaßnahmen selbst nicht treffen kann. Soweit ihm gegenüber eine Warnpflicht besteht, hat somit der Eigentümer/Benutzer bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Informationen, die ihm einen selbstverantwortlichen Umgang mit der Gefahr und eigene Schutzmaßnahmen ermöglichen. dd) Konkretheit
und Inhalt des Anspruchs
Allgemein stellt sich bei Auskunftsansprüchen das Problem, daß der Anspruchsteller wegen seines Informationsdefizits, das gerade den Grund für den Anspruch bildet, Schwierigkeiten hat, den Inhalt der geforderten Informationen genau zu beschreiben. Je schlechter die Informationslage, desto größer sind diese Schwierigkeiten. Dennoch kommt man im Interesse bestimmter Klageanträge, durchsetzbarer Urteile und der Vermeidung der Belastung der Anspruchsgegner mit unspezifizierten und uferlosen Auskunftersuchen nicht umhin, vom Kläger eine hinreichende Eingrenzung und Individualisierung der Informationen zu verlangen, deren Herausgabe angestrebt wird. In diesem Sinne kann nicht bereits der in einer Publikumszeitschrift vorgefundene vage Hinweis darauf, daß „mit dem Modell X Y des Autohersteliers Z etwas nicht in Ordnung" sei, den Auskunftsanspruch eines besorgten Besitzers gegen den Hersteller begründen. Es wird vielmehr vorauszusetzen sein, daß er sich zunächst aus anderen Quellen in zumutbarer Weise kundig macht, um möglicherweise bereits aufgrund der dabei zutage geförderten Informationen seine Sicherheitsbedürfnisse befriedigen zu können. Erst wenn sich dabei Hinweise auf ernste, nur vom Hersteller auszufüllende Informationsdefizite ergeben, kann ein entsprechender Anspruch entstehen. Bei seiner Geltendmachung müssen dann die begehrten Informationen nach Art und Zweck so eingegrenzt werden, daß der Hersteller mit vertretbarem Aufwand und ausreichender Sicherheit das Material eruieren und vermitteln kann. Der Anspruch kann sich dem Zweck des vorbeugenden Rechtsschutzes entsprechend nur auf Informationen richten, welche die drohende Beeinträchtigung abwehren können, welche also den Berechtigten den verantwortlichen Umgang mit der Gefahr ermöglichen sollen. Dazu gehören Informationen über die Art und Schwere der Gefahr, über mögliche Beseitigungs- oder Verminderungsmaßnahmen, über die Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung und die Schwere möglicher Schäden. Auskünfte über die Ursache, weshalb der Fehler nicht vorher entdeckt wurde, über die Gründe für das bisherige Unterlassen einer Warnung u.ä. können nicht verlangt werden, da sie vom Schutzzweck nicht gedeckt sind. Deshalb ist besondere Vorsorge bei der Zulassung solcher „Warn"- oder Aus875 So auch Rettenbeck, dungsmaßnahmen.
S. 115, bei der Diskussion von Ansprüchen auf direkte Gefahrabwen-
Rückrufansprüche
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kunftsansprüche zu treffen, daß sie vom Kläger nicht als Mittel der Ausforschung über Umstände mißbraucht werden, welche allein der Vorbereitung einer Schadensersatzklage dienen würden. Ferner ist bei der Anerkennung solcher Auskunftsansprüche zu beachten, daß die im Klagewege begehrten Informationen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen können, an deren Geheimhaltung der Hersteller ein berechtigtes Interesse geltend machen kann. Soweit dies im Einzelfall gegeben ist, kann dem jedoch durch eine sorgsame Abwägung der Sicherheitsinteressen des Klägers und der Geheimschutzinteressen des Herstellers hinsichtlich des Umfangs der zur Verfügung zu stellenden Informationen oder durch Veröffentlichungsverbote Rechnung getragen werden.
ee) Unbegründetheit
möglicher
Bedenken
Bedenken, daß die Zulassung der soeben beschriebenen „Warn"- oder Auskunftsansprüche zu einer Prozeßlawine führen und die Unternehmen in einer Flut von unberechtigten Auskunftsverlangen ersticken könnten, sind unbegründet. Man wird von den Auskunftsberechtigten verlangen müssen, daß sie vor einer Klage versuchen, die benötigten Informationen außergerichtlich von dem Hersteller zu erlangen. Erst wenn dieser sich endgültig weigert oder nur unzureichende Auskünfte erteilt, kann eine Klage geboten sein. Ansonsten können auch die Hersteller bei einer Klage durch sofortige Anerkennung das Kostenrisiko umgehen. Die Unternehmen haben also die Möglichkeit, ihren Warnpflichten noch vor einer Klage nachzukommen. Ferner ist bei der Beurteilung von Auskunftsansprüchen die Eigenschaft der Information als immaterielles, ubiquitäres Gut zu beachten. Hat ein Betroffener seinen Auskunftsanspruch durchgesetzt, kann er, soweit nicht Gründe des Geheimnisschutzes oder Rufschutzes entgegenstehen, die Information verbreiten und den übrigen Betroffenen zur Verfügung stellen. Diese brauchen dann nicht mehr selbst auf Auskunft zu klagen. In gewisser Weise vermag unter praktischen Gesichtspunkten eine solche Musterklage das Fehlen einer Verbandsklagemöglichkeit für die Verbraucherverbände zu ersetzen. Man denke etwa an den Bericht über die im Klagewege erstrittenen Auskünfte eines Autohersteliers über gefährliche Mängel und Mängelbeseitigungsmöglichkeiten bei einem seiner Fahrzeugmodelle in der Verbandszeitschrift des A D A C . Für die Verbraucher und ihre Verbände könnte sich weiter der Vorteil ergeben, daß sich Hersteller, die durch die Auskunftersuchen zur Einhaltung ihrer Warnund Instruktionspflichten veranlaßt werden, wegen der Publizität der dabei offengelegten Produktprobleme zur Durchführung von weitergehenden Rückrufmaßnahmen veranlaßt sehen, um Schädigungen ihres guten Rufs zu verhindern. Dieser Druck erleichtert so möglicherweise die Durchsetzung von Rückrufaktionen. Dabei haben Auskunftsklagen den weiteren Vorteil, daß der Streitwert niedriger liegt als bei einem Versuch, eine erheblich teurere Reparatur- oder Austauschaktion direkt durchzusetzen. Schließlich entsteht bei der Durchsetzung von Auskunftsansprüchen auch kein
Deutschland - Verschuldenshaftung
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Konflikt mit dem Gewährleistungsrecht. 8 7 6 D i e vom Hersteller bereitzustellenden Informationen dienen dem Integritätsinteresse des Produktbenutzers und Dritter; dies gilt auch für Hinweise auf die Behebung der Fehler, die möglicherweise ebenfalls gegeben werden. D a m i t wird zwar auch das Nutzungsinteresse befriedigt, doch ist dies nur ein Nebeneffekt der Pflicht, eine sichere Handhabung des Produkts zu gewährleisten.
f ) Ansprüche auf Erfüllung direkter aa) Allgemeine
Gefabrabwendungspflichten
Voraussetzungen
Rückrufansprüche können allenfalls in dem U m f a n g bestehen, in dem auch Rückrufpflichten gegeben sind. Das Ergebnis der obigen Ausführungen über Pflichten des Herstellers zur Durchführung direkter Gefahrabwendungsmaßnahmen läßt sich wie folgt zusammenfassen: - Rückrufmaßnahmen zur direkten Beseitigung des Gefahrenherds sind dann erforderlich und in der Regel auch zumutbar, wenn Leib und Leben unbeteiligter Dritter oder besonders schutzwürdiger Produktbenutzer, die zu einem Selbstschutz nicht in der Lage sind, bedroht sind. - Sind nur „normale" Produktbenutzer an Leib und L e b e n gefährdet, besteht eine Pflicht zur direkten Gefahrabwendung dann, wenn der Produktfehler durch ein dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten verursacht wurde. N u r in seltenen Ausnahmefällen der Unzumutbarkeit kann sich der Hersteller dann auf Warnungen beschränken. - G e h t die Gefahr für Leib und Leben der Produktbenutzer von einem nachträglich entdeckten Entwicklungsrisiko aus, sind direkte Gefahrabwendungsmaßnahmen dann geboten, wenn durch Warnungen die Gefahr nicht in gleichem M a ß e beseitigt werden kann. Dabei ist das zu erwartende Entscheidungsverhalten der Adressaten gegenüber Warnungen zu beachten. D e m Hersteller o b liegt im Einzelfall der Nachweis, daß eine Warnung ausreichend bzw. eine weitergehende Maßnahme nicht zumutbar war. N e b e n dem Bestehen einer Pflicht zu direkter Gefahrenabwehr haben sich bei der Beantwortung der Frage, wann unselbständige Verkehrspflichten in selbständige, klagbare Pflichten umschlagen können, als entscheidende Kriterien das Vorliegen einer konkreten Gefährdung und das Fehlen bzw. die Unzumutbarkeit einer Ausweichmöglichkeit herauskristallisiert. 877
bb) Bestehen eines Anspruchs Grundsätzlich k o m m e n als Inhaber eines Anspruchs auf direkte Gefahrabwendungsmaßnahmen diejenigen in Betracht, deren Rechtsgüter durch die entsprechende Pflicht geschützt werden sollen. Dabei lassen sich drei Gruppen unter876 877
Zu diesem Konflikt s. unten 5. Rettenbeck, S. 108ff.; Stiehler, S. 101 ff.; v. Bar, Beilage zu VersR 1983, 80, 84f.
Rückrufansprüche
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scheiden: unbeteiligte Dritte, Benutzer und (soweit nicht damit identisch) Eigentümer.
(1) Mögliche Ansprüche von unbeteiligten Dritten Wie oben dargelegt, bestehen direkte Gefahrabwendungspflichten des Herstellers vor allen Dingen zum Schutz unbeteiligter Dritter. Diese können in aller R e gel die Gefahr weder selbst abwenden noch ihr ausweichen. Allerdings befinden sich unbeteiligte Dritte ebenfalls in aller Regel in einer bloß abstrakten Gefährdungssituation. Wann, wie und bei w e m sich die Gefahr verwirklichen wird, ist kaum jemals mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar; meist hängt es v o m Z u fall ab. Wollte man unbeteiligten Dritten deshalb einen Anspruch gegen den H e r steller auf direkte Beseitigung einräumen, käme dies einer Popularklage gleich. 8 7 8 Gerade in Produkthaftungsfällen, die nicht durch das Auftreten einzelner fehlerhafter Produkte, sondern durch deren massenhaftes Auftreten gekennzeichnet sind, würde ein Anspruch auf Fehlerbeseitigung für nur potentiell Betroffene zu einer Ausweitung der Zahl der Klageberechtigten führen, die ein Vielfaches der Zahl der statistisch zu erwartenden tatsächlichen O p f e r betragen würde. 8 7 9 Bei w e m sich die Gefahr letztlich verwirklicht, hängt weitgehend v o m Zufall ab. Eine großzügige Einräumung von Beseitigungsansprüchen würde deshalb nicht der A b w e h r konkreter Gefährdungen des Einzelnen, sondern der allgemeinen Sicherheit dienen. Dies ist jedoch nicht die Aufgabe der Individualansprüche des Zivilrechts. 8 8 0 Bei bloß abstrakter Gefährdung kann unbeteiligten Dritten deshalb kein eigener Anspruch auf direkte Gefahrabwendungsmaßnahmen eingeräumt werden. 8 8 1 Allerdings kann sich auch für unbeteiligte Dritte die Gefahr stärker konkretisieren. So ist der Arbeitnehmer, der sich von seinem Kollegen regelmäßig zur A r beitsstelle gegen Beteiligung am Benzingeld mitnehmen läßt, durchaus konkret gefährdet, wenn das dabei benutzte Fahrzeug über Bremsen verfügt, die aufgrund eines Materialfehlers jeden M o m e n t ihren Dienst versagen können. Allerdings ist zu beachten, daß mit der stärkeren Konkretisierung der Gefahr in der Regel auch verbesserte Möglichkeiten bestehen, der Gefahr auszuweichen. So kann der abstrakt gefährdete Verkehrsteilnehmer seiner diffusen Gefährdung nur dadurch entgehen, daß er, was ihm nicht zugemutet werden könnte, am Straßenverkehr nicht mehr teilnimmt. 8 8 2 D e r Arbeitnehmer im obigen Beispiel könnte jedoch auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, eine Mitfahrgemeinschaft mit einem anderen gründen, den Kollegen zu einer Reparatur bewegen oder diese sogar 878
Die Zulassung einer solchen Klage aber „kann nicht zur Diskussion stehen", K. Mayer, D B
1985, 319, 320. Pieper, BB 1991, 985, 990; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1805. 879 Pieper, BB 1991, 985, 990.
8 8 0 So auch H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 746. Brüggemeier, J Z 1986, 969, 973, der jedoch zu weit geht, wenn er deshalb Rückrufansprüche grundsätzlich ablehnt. 881 Ebenso v. Bar, Beilage zu VersR 1983, 80, 84; Rettenbeck, S. 115; Sack, D A R 1983, 1, 3.
882
H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1806.
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selbst bezahlen. Jedenfalls eröffnen sich ihm eine Reihe von zumutbaren Ausweichmöglichkeiten.883 Nur ausnahmsweise, wenn eine solch zumutbare Ausweichmöglichkeit für den unbeteiligten Dritten nicht besteht, kann ihm ein Anspruch gegen den Hersteller auf Beseitigung der Gefahr eingeräumt werden. Beispiele dafür aus dem Produkthaftungsbereich zu finden ist jedoch schwer. Allgemein bei der Frage der Klagbarkeit von Verkehrspflichten hat v. Bar einige Beispiele gebildet, so das des morschen Baumes, der vom Nachbargrundstück herüberzufallen droht, des bissigen Nachbarhundes, dessen Bedrohung man sich nicht entziehen kann, und der Erzwingung der Einhaltung der Streupflicht des Nachbarn, wenn man den betreffenden Weg aufgrund der Lage der Grundstücke benutzen muß.884 Diese Beispiele zeigen, daß eine Übertragung in den produkthaftungsrechtlichen Zusammenhang nur höchst selten möglich ist; völlig ausgeschlossen ist dies allerdings auch nicht. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit eines Ausweichens des hinreichend konkret gefährdeten Dritten ist zu berücksichtigen, ob der gefährliche Produktfehler auf ein dem Hersteller zurechenbares pflichtwidriges Verhalten zurückgeht oder ob es sich um ein Entwicklungsrisiko handelt.885 Im ersteren Fall geht von dem Produkt ein rechtswidriger „Angriff" auf den Bedrohten aus; er ist deshalb zu einem Ausweichen nicht ohne weiteres verpflichtet; vielmehr ist es vorrangige Pflicht des Herstellers, die Gefahr zu beseitigen und nicht bloß zu warnen. Ein Ausweichen wird man dem Bedrohten nur dann zumuten können, wenn es ihm ohne Schwierigkeiten möglich ist. Liegt jedoch ein Entwicklungsrisiko vor, hat der Hersteller die Pflicht direkter Gefahrbeseitigung nur, wenn Informationsmaßnahmen den Bedrohten nicht in die Lage versetzen, der Gefahr in zumutbarer Weise auszuweichen. In diesem Fall kann auch ein Anspruch nur dann bestehen, wenn ein Ausweichen unmöglich oder gänzlich unzumutbar ist. (2) Mögliche Ansprüche (a) Konkretheit
der
von
Benutzern
Gefährdung
Ob bei den Benutzern des gefährlichen Produkts eine konkrete Gefährdung gegeben ist, kann nur für den Einzelfall festgestellt werden. Es läßt sich jedenfalls nicht sagen, daß in der Regel eine konkrete Gefährdung ihrer bedrohten Rechts883 Anders möglicherweise bei einem Berufskraftfahrer, wenn er sich der von dem ihm vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Fahrzeug ausgehenden Gefahr nur durch Arbeitsverweigerung entziehen könnte (Beispiel von H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1806). 884 v. Bar, Beilage zu VersR 1983, 80, 85. Im letzten Beispiel ist mittlerweile das LG Gießen der Ansicht v. Bars gefolgt und hat einen Anspruch auf Einhaltung der Streupflicht bei fehlender Ausweichmöglichkeit bejaht (NJW-RR 1995, 543). 885 Diese Berücksichtigung ist unabhängig davon, daß bei der (quasi)negatorischen Haftung nach § 1004 BGB ein Verschulden nicht vorausgesetzt ist.
Rückrufanspriiche
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güter gegeben sei. 886 A u f der anderen Seite kann man aber auch nicht verallgemeinern, daß die Gefahr für L e i b und L e b e n bei gefährlichen Produkten in der Regel nicht konkret wäre, weil die Bedrohung nur im Fall der Benutzung besteht und deshalb allenfalls die Handlungsfreiheit der Benutzer konkret beeinträchtigt wäre. 8 8 7 Dies würde bedeuten, daß immer dann, wenn die Gefahr sich letztlich erst im Zusammenhang mit einem Handeln des Gefährdeten verwirklicht, ein k o n krete Gefährdung nicht gegeben sein könnte. E i n e solche Sichtweise verwechselt das P r o b l e m der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Ausweichens mit dem der Konkretheit der Gefahr. D i e Gefahr, die von bestimmten Eigenschaften eines Produkts ausgeht, k o m m t in vielerlei Gestalt daher. Sie kann auf einen Fabrikationsfehler zurückgehen, der je nach der Eingrenzbarkeit auf bestimmte Produktionslose bei weniger als einem Prozent der betroffenen Produkte 8 8 8 oder bei über 5 0 % anzutreffen ist. 8 8 9 D i e Gefahr kann aber auch in einem Konstruktionsfehler liegen und sich erst nach langer Benutzungsdauer, dann aber mit Sicherheit verwirklichen. D i e gefährliche Eigenschaft kann schließlich auch, wie etwa bei Feuerwerkskörpern, ihre Unheil bringende Wirkung bereits bei der erst- und einmaligen Benutzung entfalten. Ein generelles Urteil über die Konkretheit der Gefährdung von Benutzern fehlerhafter Produkte ist deshalb nicht möglich. D i e Abgrenzung bereitet jedoch Schwierigkeiten. N i c h t viel mehr als eine Tautologie ist es, wenn formuliert wird, konkret gefährlich sei ein Verhalten, wenn im Einzelfall - in concreto - ein Recht oder Rechtsgut wirklich bedroht ist. 8 9 0 A n d e re stellen auf die erhebliche Wahrscheinlichkeit ab, mit welcher der Schaden zu erwarten ist. 891 I m Zusammenhang mit der deliktsrechtlichen Ersatzfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen zur Vermeidung drohender Schädigungen wird verlangt, daß die Bedrohung so konkret sein soll, daß sie „einer aktuellen Störung des Rechtsgutes gleich geachtet werden muß". 8 9 2 Dieser durch das Deliktsrecht und sein Erfordernis der Rechtsgutverletzung vorgegebene Maßstab ist für den vorSo aber Rettenbeck, S. 115. So aber wohl H. Stall, in: FS Lange, S. 729ff., 745f. 888 Das O L G Karlsruhe hat einen Rückrufanspruch bei einer Fehlerquote von 310:40000 verneint; O L G Karlsruhe VersR 1986, 1125 - „Milchkühlanlage". 889 Läßt sich feststellen, daß der Fehler nur an einem bestimmten Tag an einer bestimmten Fertigungsstraße des Herstellers auftrat und lassen sich die dort an diesem Tag gefertigten Produkte und ihre Abnehmer anhand der Seriennummern o.ä. identifizieren, läßt sich die Zahl der Bedrohten eng eingrenzen. Ist eine solche räumliche und zeitliche Lokalisierung des Fehlers nicht möglich, muß man von einer größeren Zahl der Gefährdeten mit einem entsprechend geringeren statistischen Risiko ausgehen. Im ersteren Fall ist die Bedrohung der ermittelten Abnehmer weitaus konkreter als im letzteren. Wegen dieser Unterschiedlichkeit der Fallgestaltungen geht m.E. Produkthaftungshandbuch /Bd. 1 /Foerste, § 39 Rdnr. 4, zu Unrecht davon aus, daß bei Fabrikationsfehlern immer die Konkretheit der Gefährdung fehle. 890 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 116, unter Berufung u.a. auf H. Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, S. 23; Deutsch, in: FS Larenz II, S. 885ff., 894. Ebenso v. Bar, Beilage zu VersR 1983, 80, 84. 891 Produkthaftungshandbuch MFoerste, §39 Rdnr. 4. 892 H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff„ 731. R G , J W 1931, 1191, 1192. 886 887
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
beugenden Rechtsschutz nach § 1004 Abs. 1 S.2 B G B etwas zu eng, da dort nur von der Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen (nicht deren Vorliegen) die Rede ist. Dennoch sollte man sich nicht zu weit von diesem Maßstab entfernen, damit nicht vorbeugende Abwehransprüche und Kostenerstattungsansprüche zu weit auseinanderklaffen. Die Konkretheit der Gefährdung wird also relativ eng zu definieren sein und einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit und eine gewisse zeitliche Nähe der Verwirklichung voraussetzen müssen. Rückrufpflichten sind somit nicht in jedem Fall einklagbar. Diese Abweichung in der Anwendungsbreite ist gerechtfertigt, weil Rückrufpflichten als Verkehrspflichten bereits bei größerer Abstraktheit der Gefahren einsetzen und alle schützen wollen, die mit dem Produkt in Berührung kommen können. Rückrufansprüche dienen jedoch der Abwehr unmittelbar bevorstehender Gefahren und verlangen deshalb ein relativ hohes Maß an Konkretisierung der Gefahr im Einzelfall.
(b) Ansprüche des Benutzers wegen Gefährdung
Dritter
In den meisten Fällen, in denen von einem Produkt Gefahren für Leib und Leben ausgehen, ist nicht nur der Benutzer gefährdet, sondern auch Dritte. D a diese Dritten außerdem geringere Möglichkeiten der Gefahrkenntnis und -Vermeidung haben, bestehen Rückrufpflichten entweder auch oder sogar nur zu deren Gunsten. Es fragt sich dann, ob der Benutzer einen entsprechenden Rückrufanspruch durchsetzen können soll. Dies ist m.E. nicht der Fall, soweit er mit einem solchen Anspruch sich nicht auf ein eigenes Schutzbedürfnis, sondern nur auf das Dritter stützen könnte. Dies wird deutlich an dem hypothetischen Fall, daß das gefährliche Produkt nicht gleichzeitig den Benutzer, sondern nur Dritte gefährdet. Zwar ist der Benutzer hier ebenfalls dadurch beeinträchtigt, daß er selbst neben dem Hersteller verpflichtet ist, die Gefahr durch Nichtbenutzung oder Reparatur zu beseitigen und sich bei Schädigungen Dritter Haftungsrisiken ausgesetzt sieht. Diese Interessen des Benutzers befinden sich jedoch nicht im Schutzbereich der vom Hersteller verlangten Maßnahmen; der Benutzer ist nicht gefährdet. Wollte man ihm dennoch einen Anspruch geben, würde man ihm damit die Durchsetzung fremder Interessen ermöglichen. 893 Gleiches muß gelten, wenn der Benutzer ebenso wie unbeteiligte Dritte gefährdet ist. Auch dann geht es nicht an, ihm einen Anspruch deshalb zuzubilligen, weil dieser (auch) der Durchsetzung der berechtigten Sicherheitsinteressen dieser Dritten dienen könnte.
(c) Ansprüche des Benutzers wegen eigener
Gefährdung
Man wird vielmehr bei der Beurteilung der Frage, ob dem Benutzer ein Anspruch auf direkte Beseitigung der Gefahr zustehen kann, allein darauf abstellen müssen, inwieweit ihm selbst gegenüber eine Rückrufpflicht besteht, inwieweit er 893
Er würde zum „Produktsicherheitspolizisten"; v. Bar, Beilage zu VersR 1983, S. 80.
Rückrufanspriiche
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selbst konkret bedroht ist und inwieweit ein Ausweichen für ihn selbst nicht zumutbar erscheint. Nach den obigen Ausführungen besteht gegenüber dem Benutzer keine Pflicht zur direkten Beseitigung des Gefahrenherdes, wenn nur Sachschäden drohen. Entsprechend kann es dann auch keinen Anspruch geben. Anders ist es jedoch, wenn ihm Gefahren für Leib und Leben drohen.
(aa) bei
Entwicklungsgefabren
Stellt der gefährliche Fehler nur eine nachträglich erkannte Entwicklungsgefahr dar, hat der Hersteller im allgemeinen nur die Pflicht, den Benutzer in einer Weise aufzuklären, daß dieser aufgrund einer selbstverantwortlichen Entscheidung mögliche Selbstschutzmaßnahmen ergreifen kann. N u r soweit eine derart qualifizierte Aufklärung nicht möglich ist oder soweit Selbstschutzmaßnahmen unmöglich oder unzumutbar sind, hat der Hersteller den Gefahrenherd direkt zu beseitigen. 894 Rückrufansprüche können also bereits wegen dieser nur beschränkten Pflichten des Herstellers bei Entwicklungsfehlern ebenfalls nur eine geringe Rolle spielen. Hinzu kommt, daß dann, wenn der Benutzer in der Lage ist, einen Gefahrbeseitigungsanspruch ausreichend konkret zu formulieren und zu begründen, seine Gefahrkenntnisse meist ausreichen werden, um Selbstschutzmaßnahmen durchzuführen. Dies gilt mit Einschränkung auch für die Fälle, in denen Kindern, Kranken, Alten etc. durch Informationsmaßnahmen allein kein Selbstschutz ermöglicht würde, da sie zu einer selbstverantwortlichen Umsetzung dieser Informationen nicht in der Lage wären. 895 Allerdings bleibt auch in diesen Fällen eine unselbständige Pflicht des Herstellers zur Abwendung der Gefahr bestehen, da er sich nicht darauf verlassen kann, daß die Erziehungsberechtigten immer nach diesen Kenntnissen handeln werden. Andererseits kann man Personen, die aufgrund Alters oder Krankheit nicht zu einem selbstverantwortlichen Umgang mit der Gefahr in der Lage sind, nicht in gleicher Weise die Gefahrkenntnis ihrer Prozeßvertreter, die diese sich zur Durchsetzung des Anspruchs aneignen, zurechnen. D a bei entsprechender zurechenbarer Gefahrkenntnis und Umsetzungsmöglichkeit ein Selbstschutz bereits durch die bloße Nichtbenutzung möglich ist, können Ansprüche nur bestehen, wenn ein solcher Verzicht oder eine Gefahrbeseitigung auf eigene Kosten unzumutbar wären, weil der Benutzer sonst existentiell gefährdet wäre oder weil der Hersteller den Fehler mit erheblich weniger K o 894 H. Stoll, J Z 1983, 501,503f. spricht dem Produkterwerber nur ein Recht darauf zu, daß ihn der Hersteller in die Lage versetze, die Gefahr zu vermeiden. Dies könne regelmäßig durch eine Warnung und Benutzungsverzicht geschehen. So auch Stiebler, S. 149. 8 9 5 Bei Kindern wird diese Kenntnis dann bei ihren gesetzlichen Vertretern vorliegen; diese können das Kind durch Entzug des gefährlichen Produktes schützen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann dieser Mangel an Durchsetzungskraft nicht zu einem Anspruch des Kindes auf direkte Beseitigung der Gefahr gegen den Hersteller führen.
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Deutschland
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Verschuldenshaftung
sten beseitigen kann, als dies dem Benutzer möglich wäre. Allerdings wäre im letzteren Fall eine Kostenbeteiligung des Benutzers zu überlegen. Insgesamt können deshalb Rückrufansprüche auf Reparatur oder Austausch im Fall von Entwicklungsgefahren nur in seltenen Ausnahmefällen bestehen.
(bb) bei durch zurechenbares Fehlverhalten verursachten Fehlern Beruht der gefährliche Fehler auf einem dem Hersteller zurechenbaren pflichtwidrigen Verhalten, hat der Hersteller auch gegenüber dem Benutzer grundsätzlich die Pflicht, den Fehler zu beseitigen. Das gilt nicht nur, wenn auch Dritte gefährdet sind, sondern auch bei einer Gefährdung des Benutzers allein. N u r in Fällen, in denen aufgrund außergewöhnlicher Umstände die direkte Gefahrbeseitigung dem Hersteller wegen der damit verbundenen unverhältnismäßigen Belastung unzumutbar ist, kann darauf ausnahmsweise verzichtet werden. Allerdings kann eine Pflicht zu direkter Gefahrbeseitigung - wie oben ausgeführt -auch nur dann bestehen, wenn eine Gefährdung für Leib und Leben von hinreichender Konkretheit vorliegt. Notwendig ist ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit, daß die Gefahr sich beim Kläger verwirklicht, und eine gewisse zeitliche Nähe dieses Ereignisses. Man muß ferner berücksichtigen, ob dem Benutzer ein Ausweichen der Gefahr zumutbar ist. 896 Dabei wird man unterscheiden müssen, ob der Benutzer mit dem Eigentümer identisch ist oder nicht. Ist ersteres der Fall, sind in der Regel die Interessen des Eigentümers/Benutzers wegen der schuldhaften Herbeiführung des Fehlers durch den Hersteller höher zu bewerten als dessen Interessen. Der Eigentümer muß der rechtswidrig und schuldhaft verursachten Gefahr nicht ausweichen. 897 Soweit eine Gefahrabwendungspflicht des Herstellers besteht und der Eigentümer als Benutzer hinreichend konkret und in unmittelbarer Zukunft an Leib und Leben gefährdet ist, besteht auch ein Anspruch. Ist der Benutzer jedoch nicht der Eigentümer, wird in der Regel zwischen ihm und dem Eigentümer eine Vereinbarung bestehen, aufgrund derer er zum Besitz und zur Nutzung berechtigt oder gar verpflichtet ist. Dies kann ein Mietverhältnis, ein Arbeitsvertrag etc. sein. In diesen Fällen hat der Benutzer gegenüber dem Vermieter oder Arbeitgeber einen Anspruch darauf, daß ihm ein Gegenstand zur Verfügung gestellt wird, der von dem gefährlichen Fehler frei ist. Es würde deshalb zu weit gehen, dem Kunden einer Autovermietung, dem ein defekter Wagen 896 Die Frage der Zumutbarkeit des Ausweichens ist bereits bei der Ableitung einer direkten Gefahrbeseitigungspflicht berücksichtigt worden. Dort ging es darum, ob der Hersteller erwarten kann, daß der Benutzer der Gefahr ausweicht, so daß ihn nur eine Warn-, nicht jedoch eine Reparatur- oder Austauschpflicht trifft. Rückrufansprüche können nur relevant werden, wenn die Zumutbarkeit in diesem Sinne verneint wurde. Dennoch kann die Zumutbarkeit bei der Ableitung solcher Ansprüche erneut zu berücksichtigen sein. Die Problemstellung verschiebt sich dabei insofern, als es nunmehr darum geht, ob der Gefährdete den Hersteller zur Vornahme einer Reparatur oder eines Austauschs zwingen kann, obwohl er der Gefahr möglicherweise leicht ausweichen kann. 8 9 7 So der hinter den §§227ff. B G B stehende Gedanke.
Rückrufansprüche
365
zur Verfügung gestellt wurde, einen Reparaturanspruch gegen den Hersteller einzuräumen, auch wenn alle sonstigen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs erfüllt wären. Der Kunde kann sich leicht der Gefährdung entziehen, indem er ein anderes Fahrzeug verlangt oder eine andere Autovermietung aufsucht. Gleiches gilt grundsätzlich auch für einen Arbeitnehmer, dem defektes Arbeitsgerät zur Verfügung gestellt wird. Auch hier besteht ein Anspruch auf entsprechende Sicherheitsmaßnahmen des Arbeitgebers. Ist dem Benutzer die Durchsetzung eines solchen Anspruchs nicht möglich oder nicht zumutbar und kann ihm auch nicht zugemutet werden, auf die Benutzung des Produktes zu verzichten, weil dies z.B. ernsthafte Konsequenzen für sein Arbeitsverhältnis hätte, wird man ihm jedoch einen Anspruch zubilligen müssen, soweit er auch dem Eigentümer zustehen würde, wenn der in gleicher Weise gefährdet wäre. 898 Es ist nicht einzusehen, daß der Hersteller von der Tatsache, daß zufälligerweise Eigentümer und Benutzer personenverschieden sind, profitieren sollte. 899 Gegen einen solchen Anspruch spricht auch nicht, daß die Gefährdung des Benutzers nur deshalb (weiter)besteht, weil der Eigentümer vertragswidrig die Beseitigung des Fehlers verweigert. 900 Die erste Ursache für diese Gefährdung hat der Hersteller durch die ihm zuzurechnende Verursachung des Fehlers gesetzt. Dieser Kausalbeitrag wirkt sich weiterhin aus. Der Kausalzusammenhang wird auch nicht dadurch unterbrochen, daß ein Dritter (der Eigentümer) die vom Hersteller gesetzte Gefahr - wenn auch pflichtwidrig - nicht beseitigt; dadurch wird nicht dem Kausalverlauf eine andere Richtung gegeben; 901 es droht dadurch nicht eine andere, sondern gerade die vom Hersteller verursachte Produktgefahr sich zu verwirklichen. 902 Bei realistischer Betrachtungsweise wird jedoch die praktische Relevanz dieser Fallkonstellation nur äußerst gering sein. 903
(3) Mögliche Ansprüche von Eigentümern Soweit die Eigentümer nicht auch die Benutzer sind, fragt sich, ob ihre Sicherheitsinteressen auch über Ansprüche geschützt sein können. Dabei ist zu beachten, daß in diesem Fall den Eigentümern allenfalls Sach- oder Vermögensschäden drohen. 904 Nach den obigen Ausführungen bestehen dann jedoch regelmäßig keiSo H. Herrmann, B B 1985, 1801, 1806. Sein Vorteil läge darin, daß dann nicht bloß dem Benutzer kein Anspruch zustünde, sondern auch dem Eigentümer nicht, da der nicht an Leib und Leben gefährdet ist; s. dazu sogleich. 900 A.A. Rettenbeck, S. 115f. 901 S. H. Herrmann, B B 1985, 1801, 1805. 902 Dies übersieht Rettenbeck (a.a.O.), wenn er mit der Begründung einen Anspruch gegen den Hersteller ablehnt, daß dieser dann nur deshalb gegeben würde, weil ein Dritter den Benutzer zu dem gefährlichen Verhalten zwingt. (Hervorhebung v. Verf.) 903 Außerdem ist zu beachten, daß der Benutzer für die Durchführung der Reparatur oder des Austauschs durch den Hersteller die Genehmigung des Eigentümers braucht. 904 Allerdings können die Eigentümer auch wie unbeteiligte Dritte an Leib und Leben gefährdet sein, wenn sie die Benutzung des Produktes anderen überlassen haben. Insofern könnten ih898
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Verschuldenshaftung
ne Pflichten zur direkten Gefahrbeseitigung; deshalb kommen auch entsprechende Ansprüche nicht infrage.
cc) Inhalt der Ansprüche Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB kann nur auf Unterlassung der drohenden Rechtsgutverletzung bzw. auf Beseitigung der Gefahr einer solchen Verletzung gehen. Es geht nicht um Schadensersatz. Deshalb können nur Maßnahmen verlangt werden, welche die Gefahr beseitigen. Die Benutzbarkeit des Produkts ist nicht unmittelbares Ziel des vorbeugenden Rechtsschutzes, sondern die Produktsicherheit. Soweit der Anspruch von anderen Personen als dem Eigentümer geltend gemacht werden kann, kann der Hersteller nicht verpflichtet werden, die Reparatur oder den Austausch ohne Genehmigung des Eigentümers vorzunehmen. Man kann ihm deshalb nur aufgeben, dem Eigentümer ein entsprechendes Angebot zu machen und die Maßnahme bei Annahme desselben durchzuführen. Grundsätzlich steht dem Hersteller die Wahl der Mittel zur Beseitigung der Gefahr frei. Es muß dem Ermessen des Herstellers überlassen bleiben, welche der grundsätzlich zur Gefahrenabwehr geeigneten Maßnahmen er wählt. Seine betriebswirtschaftlichen Entscheidungskriterien sind vielfältiger als diejenigen, welche die Auswahl der mindestens erforderlichen Maßnahme nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmen. So mag es sein, daß dem Hersteller wegen der geringeren Kosten nur die Reparatur der tatsächlich betroffenen Produktexemplare aufgegeben werden kann, er sich jedoch zu einer umfassenden Austauschaktion der ganzen Serie entschließt, weil er glaubt, die unvermeidlichen Imageeinbußen so geringer halten zu können. Die untere Grenze wird jedoch von der Geeignetheit der Maßnahme definiert.
dd)
Zusammenfassung
Nach den vorstehenden Überlegungen bestehen im allgemeinen keine Ansprüche Dritter auf die Vornahme direkter Gefahrabwendungsmaßnahmen durch den Hersteller. Allenfalls in besonders gelagerten Fällen, in denen die Gefährdung von Leib und Leben der unbeteiligten Dritten nicht bloß abstrakt, sondern hinreichend konkret und ein Ausweichen ihnen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, könnte ein solcher Anspruch bestehen. Der Inhalt eines solchen Anspruchs gegen den Hersteller könnte allerdings nur darauf gehen, dem Eigentümer die Beseitigung des Fehlers anzubieten, und sie bei Annahme dieses Angebots vorzunehmen. Eine Fehlerbeseitigung gegen den Willen des Eigentümers kann dem Hersteller nicht aufgegeben werden. 905 Welche Maßnahme der Fehlerbeseitigung nen die diesem Personenkreis zustehenden Ansprüche haben. Dabei wäre aber zu berücksichtigen, daß sie als Eigentümer ganz andere Möglichkeiten des Selbstschutzes haben. 905 Allerdings kann auch gegen den Eigentümer ein Gefahrbeseitigungsanspruch des Dritten
Rückrufansprüche
36 7
der Hersteller wählt, steht ihm frei; sie muß jedoch zur Erreichung dieses Ziels geeignet sein. Benutzer eines gefährlichen Produkts können einen Gefahrbeseitigungsanspruch haben, wenn der zugrundeliegende Produktfehler durch ein dem Hersteller zuzurechnendes Fehlverhalten verursacht wurde, eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben des Benutzers vorliegt und die M a ß n a h m e n dem Hersteller zugemutet werden können. Letzteres wird jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen nicht gegeben sein, da in der Regel die Interessen des Benutzers denen des pflichtwidrig handelnden Herstellers vorgehen werden. H a t der Benutzer aufgrund seines B e nutzungsverhältnisses mit dem Eigentümer diesem gegenüber einen Anspruch auf Fehlerbeseitigung oder Austausch, kann ihm ein Ausweichen zuzumuten sein. I m Fall von Entwicklungsgefahren können Ansprüche nur dann bestehen, wenn der Selbstschutz den Benutzern nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Betrachtet man diese Fälle möglicher Ansprüche auf direkte Gefahrbeseitigung durch Reparatur oder Austausch, zeigt sich, daß sie wohl nur in engen G r e n z e n praktische Relevanz erlangen werden. Insbesondere sind sie nicht tauglich, das allgemeine Interesse an nachträglichen Sicherungsmaßnahmen bei gefährlichen Produkten zu befriedigen. N u r das Individualinteresse an der Integrität der eigenen Rechtsgüter vermag einen Anspruch zu begründen, nicht das, wenn auch berechtigte, Interesse unbeteiligter Dritter oder der Allgemeinheit. 9 0 6 I m übrigen wäre es, selbst wenn man großzügiger als hier Rückrufansprüche den Benutzern einräumen würde, zweifelhaft, ob das Allgemeininteresse durch Individualklagen der Benutzer ausreichend geschützt werden könnte. Dieser Schutz wäre nur akzidentiell; er hinge von der zufälligen Ubereinstimmung mit den Interessen eines Benutzers und seinem Willen zu ihrer Durchsetzung ab. 9 0 7 Darüber hinaus ist zu beachten, daß ein individueller Anspruch auf direkte Beseitigung der Gefahr immer nur auf dieses eine Produktexemplar bezogen wäre, welches der anspruchsberechtigte Benutzer repariert oder ausgetauscht haben möchte. D i e Gefahr wird also nicht generell, sondern nur punktuell beseitigt. Insofern sind individuelle Rückrufansprüche der Benutzer nur ein höchst unvollkommenes Mittel, präventiv allgemeine Sicherheitsinteressen durchzusetzen. D i e Sicherheitsinteressen der Verbraucher oder anderer Gruppen Gefährdeter wären eher durch Verbandsklagen, die sich dann auch gegen das sicherheitswidrige Verhalten des Herstellers generell richten könnten, zu gewährleisten. D e lege lata stehen sie jedoch bisher nur im R a h m e n des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zur Verfügung. 9 0 8
bestehen, so daß dieser verpflichtet werden könnte, das Produkt nur in einer den Dritten nicht gefährdenden Weise zu benutzen oder die Gefahr auf eigene Kosten oder durch den Hersteller beseitigen zu lassen. 906 So auch H. Stoll, in: FS Lange, S. 729ff., 746f., der es mißlich findet, wenn öffentliche Interessen bei der Ausgestaltung des privatrechtlichen Abwehrschutzes gegen drohendes Unrecht den Ausschlag geben. S. auch Brüggemeier, JZ 1986, 969, 973. 907 Pieper, BB 1991, 985, 990. 908 § 13 UWG; s. dazu unten 4. Kapitel. Die Verbandsklage nach § 13 Abs.2 ABGB spielt im hier vorliegenden Zusammenhang keine Rolle.
368
g) Rückrufansprüche
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Verschuldenshaftung
aufgrund §§1004 analog i. V.m. 826 BGB
Grundsätzlich sind auch die über § 826 B G B geschützten Rechtsgüter im R a h men des vorbeugenden Rechtsschutzes nach § 1004 B G B analog geschützt. D a der Unterlassungsanspruch nach dieser Vorschrift nicht v o m Verschulden abhängig ist, entfällt dabei die für den Gläubiger oft unübersteigbare H ü r d e des Nachweises der (bedingten) Schädigungsabsicht. Allerdings muß der in seinen Rechtsgütern Bedrohte nachweisen, daß ein solch sittenwidriger Eingriff konkret bevorsteht. 9 0 9 D i e Bedeutung des § 826 B G B ist aber auch in diesem Zusammenhang nur gering. Soweit nämlich ein unmittelbar bevorstehender konkreter Eingriff in die nach § 823 Abs. 1 B G B geschützten Rechtsgüter, insbesondere in die körperliche Unversehrtheit nachgewiesen werden kann, wird es in der Regel auf die objektive Sittenwidrigkeit des bevorstehenden Eingriffs nicht ankommen, weil schon der bevorstehende Verstoß gegen § 8 2 3 B G B die Basis für einen Unterlassungsanspruch bieten kann. In zweierlei Hinsicht könnte jedoch aufgrund § 826 B G B der vorbeugende Rechtsschutz erweitert werden. Z u m einen wird durch die objektive Sittenwidrigkeit des drohenden Eingriffs die Interessenabwägung zwischen Inanspruchgen o m m e n e m und Bedrohten beeinflußt. U n t e r diesen Umständen scheint es weit weniger gerechtfertigt, den Gefährdeten auf eigene Ausweichmöglichkeiten zu verweisen. D i e Interessen desjenigen, von dem die Gefahr der sittenwidrigen Schädigung ausgeht, können demgegenüber kaum Schutz beanspruchen. E s erscheint deshalb gerechtfertigt, den vorbeugenden Schutz über den von Leib und L e b e n auch auf das Eigentum (und Vermögen) auszudehnen. Z u m anderen dehnt § 8 2 6 B G B die geschützten Rechtgüter auf das Vermögen aus. Es können deshalb jemandem, der Produkte in Verkehr gebracht hat, die in sittenwidriger Weise das Vermögen ihrer Benutzer oder Dritter gefährden, R ü c k rufpflichten obliegen. D i e Sittenwidrigkeit des drohenden Eingriffs läßt auch hier die Interessen der Gefährdeten überwiegen. Deshalb könnten sie auch einen vorbeugenden Anspruch auf Durchführung des Rückrufs zur Abwendung der sittenwidrigen Schädigung haben.
h) Rückruf anspräche aufgrund §§ 1004 analog i.V.m. 823 Abs. 2 BGB N a c h der Rechtsprechung und der h . M sind (quasi)negatorische Ansprüche grundsätzlich auch zum Schutz der durch Schutzgesetze i.S.d. § 8 2 3 Abs. 2 B G B abgesicherten Interessensphären möglich. 9 1 0 D e n k b a r sind deshalb auch vorbeugende Unterlassungsansprüche 9 1 1 zur Durchsetzung von Rückrufpflichten, die sich aus Schutzgesetzen i.S.d. § 8 2 3 A b s . 2 B G B ergeben. In den Fällen, in denen sich jedoch die schutzgesetzliche Rückrufpflicht mit einer entsprechenden VerStaudinger/Schäfer, §823 Rdnr. 70. S. statt aller MünchKomm/Mertens, § 823 Rdnr. 160; Staudinger/Schäfer, § 823 Rdnr. 277. 911 Bzw. Verhinderungsansprüche oder vorbeugende Beseitigungsansprüche; zur Terminologie s. Larenz/Canaris, § 87 II 2 a, b. 909
910
Rückrufanspriiche
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kehrspflicht zum Rückruf gegenüber demjenigen, der den vorbeugenden Anspruch geltend machen will, deckt, führt dieser zusätzliche Anknüpfungspunkt nicht weiter als der auf die drohende Verletzung der Rechtsgüter des §823 Abs. 1 BGB gestützte. 912 Allenfalls könnte das Bestehen der schutzgesetzlichen Rückrufpflicht leichter nachzuweisen sein als das der deliktischen, insbesondere wenn sie sich aus einer behördlichen Anordnung ergibt. Auf den ersten Blick könnte die Möglichkeit vorbeugenden Rechtsschutzes gegen Schutzgesetzverletzungen im Fall abstrakter Gefährdungsdelikte eine Vorverlegung des präventiven Schutzes bedeuten, sofern man nämlich bereits die Gefahr einer Verletzung des abstrakten Gefährdungsdeliktes für einen Anspruch genügen ließe. Die Rückrufanordnung für ein gefährliches Arzneimittel nach § 69 Abs. 1 AMG, die Untersagung des Inverkehrbringens oder die Anordnung des Rückrufs eines gefährlichen Gegenstandes nach §§5, 6 GSG ließen sich dann durch eine vorbeugende zivilrechtliche Unterlassungsklage (Beseitigungs-, Verhinderungsklage) durchsetzen. Bei näherem Hinsehen verflüchtigen sich jedoch diese scheinbaren Vorteile. So sind vorbeugende Ansprüche auf der Grundlage des §823 Abs. 2 BGB im Grundsatz an dieselben Voraussetzungen wie bei §823 Abs. 1 BGB geknüpft. Auch hier setzt ein Rückrufanspruch eine konkret drohende Gefahr für den Anspruchsinhaber und ein (gegenüber den Interessen des Herstellers) überwiegendes Interesse gerade an der begehrten Maßnahme des Rückrufs, d.h. das Fehlen zumutbarer Ausweichmöglichkeiten voraus. Die Tatsache, das der aufgrund des Schutzgesetzes angeordnete Rückruf der Abwendung abstrakter Gefahren dient, die auch demjenigen drohen, der den Anspruch geltend macht, führt nicht dazu, daß diese abstrakte Bedrohung bereits ausreicht, ihm einen vorbeugenden Anspruch zu geben.913 Eine zweite mögliche Erweiterung des vorbeugenden Rechtsschutzes ist dann zu bedenken, wenn das Schutzgesetz reine Vermögensinteressen schützt. Es könnten dann Rückrufpflichten zum Schutze des Vermögens bestehen, deren Verletzung durch einen vorbeugenden Rechtsschutz verhindert werden könnte. Inhaltlich werden sich Gefahrabwendungspflichten zum Schutze des Vermögens jedoch meist auf Warn- und Informationspflichten beschränken. 914 Droht z.B. die Verwirklichung des Tatbestandes des Betrugs, §263 StGB, wird es zum Schutz der Gefährdeten ausreichen, sie aufzuklären. Entsprechend könnte sich auch ein vorbeugender Schutz nur als Auskunftsanspruch darstellen. 912 So gereicht es dem Bedrohten wohl kaum zum Vorteil, wenn er einen vorbeugenden U n terlassungsanspruch nicht nur auf eine Verkehrspflicht zum Rückruf stützen kann, sondern auch darauf, daß die Verwirklichung eines Körperverletzungstatbestandes durch das Unterlassen eines gebotenen Rückrufs droht. 913 So kann nicht derjenige den behördlich angeordneten Rückruf eines Medikaments zivilrechtlich durchsetzen, der befürchtet, daß ihm bei Mißachtung des Rückrufs während eines Krankenhausaufenthalts gerade dieses Medikament verabreicht werden könnte, selbst wenn er bereits an der entsprechenden Krankheit leidet; hier handelt es sich nur um eine abstrakte Bedrohung. 914 Oben wurde bereits begründet, daß auch dann, wenn nur Sachschäden drohen, Warn- und Informationspflichten zum Schutze der Gefährdeten regelmäßig ausreichen. Dieselbe Interessenabwägung dürfte auch bei der Gefahr reiner Vermögensschäden gelten.
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Deutschland -
Wettbewerbsrecht
4. Kapitel
Rückrufpflichten und -anspräche aufgrund des UWG A.
Vorbemerkungen
I. Vorteile des wettbewerbsrechtlichen
Ansatzes
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ( U W G ) von 1909 beurteilt Wettbewerbshandlungen unter dem Gesichtspunkt des „fair play" im Wettbewerb. Gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht weist es für die hier interessierenden Fragen drei Vorteile auf: - D i e weite Ausgestaltung der Aktivlegitimation. N a c h § 1 3 Abs. 2 U W G sind für den Unterlassungsanspruch u.a. auch die Verbraucherverbände klagebefugt. Die Geltendmachung von Rückrufansprüchen durch diese könnte entscheidend dazu beitragen, einige der größten Probleme beim Rückruf, nämlich die Vermeidung einer Fülle von Einzelklagen zur Durchsetzung und die B e rücksichtigung der Interessen Dritter, zu lösen. I m R a h m e n einer Verbraucherverbandsklage könnten auch Gefährdungen der Verbraucher in ihrer G e s a m t heit berücksichtigt werden, die bei einer Einzelklage wegen mangelnder K o n kretheit der Gefährdung scheitern müßten. Außerdem könnten die Anforderungen an die Ausgestaltung der Rückrufmaßnahmen höher liegen als bei einer Einzelfallbeurteilung im allgemeinen Zivilrecht. D o r t mag eine Maßnahme, z . B . eine Warnung, zwar im konkreten Fall als ausreichend erscheinen, weil der Gewarnte der Gefahr durch Nichtbenutzung des Produktes ausweichen kann. Insgesamt gesehen kann eine Warnung dagegen eine nur ungenügende M a ß nahme darstellen, weil erfahrungsgemäß ein hoher Prozentsatz der Gewarnten sie mißachtet und eine wirksame Gefahrabwendung deshalb weitergehende M a ß n a h m e n erfordert. - Anders als im Zivilrecht allgemein geht es im R e c h t des unlauteren Wettbewerbs vor allem u m einen vorbeugenden Rechtsschutz, der auch den Beseitigungsanspruch umfaßt; ausdrücklich vorgesehen ist weiter ein Anspruch auf Urteilsveröffentlichung. - Gegenstand der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung ist die Gesamtaktivität des Herstellers und nicht eine Rechtsgutverletzung im Einzelfall. Stellt sich das Verhalten des Inanspruchgenommenen als wettbewerbswidrig heraus, so kann Unterlassung (oder Beseitigung) der fraglichen Aktivität (bzw. ihrer W i r k u n gen) verlangt werden, ohne daß man auf den jeweiligen Einzelfall mit allen prozessualen Erschwernissen abstellen muß; in tatsächlicher Hinsicht zwingt eine Verurteilung zur Unterlassung oder Beseitigung generell, nicht nur gegenüber dem Klagegegner. In Anbetracht dieser offenkundigen Vorteile m u ß erstaunen, daß eine breit gefächerte Auseinandersetzung mit der wettbewerbsrechtlichen Lösung der R ü c k rufproblematik bisher nicht erfolgt ist.
371
Vorbemerkungen
II. Bisherige Auseinandersetzungen
in der
Literatur
In der Literatur hat vor allem Sack1 versucht, das Wettbewerbsrecht für die Begründung von Warn- und Rückrufpflichten und ihre Durchsetzung durch Rückrufansprüche nutzbar zu machen. Sack sieht dabei nicht nur das Anbieten fehlerhafter und/oder gefährlicher Produkte, sondern auch das Unterlassen gebotener Warn- und Rückrufaktionen als Wettbewerbsverstoß an; dies führe im Wege des Beseitigungsanspruchs zu einer - von den Verbraucherverbänden durchsetzbaren - Verpflichtung, die Erwerber der fraglichen Produkte zu warnen und/oder die potentiell gefährlichen Produkte zurückzurufen. Die Rechtsprechung hat diesen Ansatz - wohl auch mangels Versuchen, die Gangbarkeit des Weges zu testen - bislang nicht aufgegriffen. In der Literatur2 wird eine wettbewerbsrechtliche Lösung der Rückrufproblematik im Ergebnis eher ablehnend beurteilt. Allerdings ist bislang eine eingehende Auseinandersetzung mit dem von Sack vertretenen Ansatz nicht erfolgt; die relativ wenigen Stellungnahmen hierzu greifen nur Teilaspekte heraus.3 Zudem fallen die Begründungen für die Ablehnung höchst unterschiedlich aus: Teils wird aus systematischen Gründen (genereller Vorrang des Gewährleistungsrechts) eine Anwendung des Wettbewerbsrechts generell verneint4, teils wird der wettbewerbsrechtliche Anwendungsbereich auf das Vorliegen von sicherheitstechnischem Qualitätswettbewerb mit überwiegender Abnehmergefährdung beschränkt5, teils wird das Wettbewerbsrecht als nur für Warnaktionen nutzbar angesehen.6 Diese auffallende Divergenz der Begründungen dürfte u.a. auf die unterschiedlichen, nicht immer offengelegten Ansatzpunkte der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung zurückzuführen sein. Nicht nur für die materiellrechtliche Beurteilung, sondern auch und gerade für die daran geknüpften Rechtsfolgen macht es jedoch einen erheblichen Unterschied, ob man z.B. auf das Anbieten mangelhafter Produkte oder auf das pflichtwidrige Unterlassen gebotener Rückrufaktionen abstellt. Erst wenn jedoch der genaue Ansatzpunkt der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung offenliegt, läßt sich abschätzen, ob bei der jeweiligen Konstellation
Sack, DAR 1983, 1; ders., GRUR Int. 1983, 565. Befaßt haben sich mit dem von Sack vertretenen Ansatz bisher H. Herrmann, BB 1985,1801; Pauli, PHI 1985, 149; Produkthaftungshandbuch/BdA/Foerste, §39 Rdnr. 17ff.; Rettenbeck, S. 123 ff.; Keyßner, S.51ff. 3 So behandeln Foerste, Herrmann und Rettenbeck ausschließlich den Fall der Verweigerung eines rechtlich gebotenen Rückrufs, ohne auf das Problem des Anbietens gefährlicher und auch nur mangelhafter Produkte, das Sack bereits für wettbewerbswidrig hält, einzugehen. Ausschließlich hierauf stellt wiederum, vom gewählten Ansatzpunkt der Irreführung verständlich, Keyßner ab. 4 Pauli, PHI 1985, 149. 5 H. Herrmann, BB 1985, 1801; Produkthaftungshandbuch/Bd. MFoerste, §39 Rdnr. 19. 6 Rettenbeck, S.129. 1
2
372
Deutschland -
Wettbewerbsrecht
durchsetzbare Rückrufansprüche im weitgefaßten Sinne 7 überhaupt erreicht werden können. 8
III. Mögliche Ansatzpunkte
für eine wettbewerbsrecbtliche
Beurteilung
Es geht im folgenden also nicht um eine umfassende wettbewerbsrechtliche B e urteilung eines bestimmten sicherheitsrelevanten Verhaltens im Wettbewerb, sondern allein um die Frage, inwieweit dieses Verhalten Rechtsfolgen auslösen kann, die zumindest indirekt oder reflexartig zu einer Abwendung der P r o d u k t gefahr führen können. D e r Gang der Untersuchung - nicht jedoch ihre Schlußfolgerung - ist insofern von den möglichen Ergebnissen, den Rechtsfolgen her bestimmt. F ü r die wettbewerbsrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts, der möglicherweise Rückrufansprüche auslösen könnte, k o m m e n die §§ 1 und 3 U W G in B e tracht. Beide Bestimmungen dienen - wie das Wettbewerbsrecht insgesamt - dem Schutz der Mitbewerber, der Abnehmer, d.h. insbesondere der Letztverbraucher, und der Allgemeinheit. 9 N a c h § 1 U W G , der „großen" Generalklausel, ist jedes Verhalten im Geschäftsverkehr, das gegen die „guten Sitten" verstößt, mit U n t e r lassung und Schadensersatz sanktioniert. § 3 U W G , die „kleine" Generalklausel, verbietet irreführende Angaben, die im geschäftlichen Verkehr erfolgen. Beide Vorschriften setzen ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs voraus, das nach herrschender Meinung eine objektive und eine subjektive K o m p o n e n t e aufweist: D i e Handlung m u ß objektiv geeignet sein, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern, und sie muß subjektiv in eben dieser Absicht erfolgen. Dabei wird die Absicht bei objektiv zur Absatzförderung geeigneten Handlungen von G e w e r betreibenden regelmäßig unterstellt. 1 0 Zu beiden Vorschriften hat es seit Inkrafttreten des U W G im Jahre 1909 eine Fülle von Rechtsprechung gegeben. Dies hat es ermöglicht, insbesondere zu § 1 U W G ein fein ziseliertes System von wettbewerbsrechtlichen Fallgruppen her-
7 Rückrufmaßnahmen werden hier, wie auch sonst in dieser Untersuchung, im umfassenden Sinne als alle Maßnahmen zur Abwendung der Produktgefahr verstanden: Sowohl als Warnung, das Produkt überhaupt oder in einer bestimmten Weise zu benutzen, als auch als „eigentlicher" Rückruf, der dem Austausch, der Reparatur oder auch der Rückforderung potentiell gefährlicher Produkte dient. Vgl. auch die Definition des wettbewerbsrechtlichen Rückrufs bei Ernst-Moll, in: FS Klaka, S. 16ff. 8 Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage unterbleibt in der in Fn. 2 genannten Literatur; es wird mehr oder minder unterstellt, daß das Wettbewerbsrecht die Sanktion des Rückrufs ermöglicht. 9 Zum Schutzzweck des UWG s. die ausführlichen Darstellungen bei Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 40ff.; Emmerich, §3; UWG-Großkomm/Schünemann, Einl. UWG C; Hdb WettbewerbsR/Greuner, §2 Rdnr. 12 ff. 10 Ausführlich zum Merkmal der Wettbewerbshandlung Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 214ff.; UWG-Großkomm/Schünemann, Einl. UWG D Rdnr. 193ff.; Emmerich, §4 Rdnr. 23 ff.
Vorbemerkungen
373
auszuarbeiten. 11 Das Wettbewerbsrecht ist daher in weiten Bereichen Richterrecht, und es erscheint geboten, primär an diese von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Fallgruppen anzuknüpfen. Für die Beurteilung der Rückrufproblematik kommen vor allem drei Ansatzpunkte in Betracht: Die Abnehmertäuschung, die Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Normen (Vorsprung durch Rechtsbruch) und die gravierende Gefährdung von Abnehmern. Der erste Ansatzpunkt beruht auf dem das Wettbewerbsrecht beherrschenden Irreführungsverbot, das Verbraucher wie Mitbewerber gleichermaßen schützt und das sowohl in § 3 U W G (Verbot von irreführenden Angaben) als auch in § 1 U W G (Verstoß gegen die guten Sitten) verankert ist. Der zweite Ansatzpunkt, der sog. „Vorsprung durch Rechtsbruch" ist primär aus dem Blickwinkel des Mitbewerberschutzes zu sehen. Er beruht auf der Überlegung, daß die Verletzung von alle Mitbewerber gleichermaßen bindenden Rechtsvorschriften zu einem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil und damit zu einer Wettbewerbsverzerrung führen kann. Der dritte Ansatzpunkt, der hier mit „gravierende Gefährdung der Abnehmer" umrissen wird, ist im Gegensatz zu den ersten beiden Ansatzpunkten bislang nicht als eigene Fallgruppe herausgebildet worden; insofern bedarf es eines unmittelbaren Rückgriffs auf den Begriff der „guten Sitten" in § 1 U W G . Es ist zu prüfen, ob es mit den guten Sitten im Wettbewerbsleben vereinbar ist, zu Absatzzwecken bewußt eine gravierende Gefährdung der Verbraucher in Kauf zu nehmen. Maßgeblich ist hier wiederum primär die Perspektive des Abnehmerschutzes. Von dem jeweiligen Ansatzpunkt der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung hängen auch die in Betracht kommenden Sanktionen ab. Die Sanktion kann sich immer nur auf die Unterlassung dieser Handlung bzw. die Beseitigung der Wirkungen dieser Handlung beziehen. So kann bei einer Täuschung der Verbraucher nur eine Unterlassung und möglicherweise eine Beseitigung der Irreführungswirkung in Betracht kommen, nicht jedoch ein Rückruf von Produkten zum Zwecke der Reparatur, da dies über die Aufhebung der wettbewerbswidrigen Wirkungen hinausgehen würde. Dieses Zusammenspiel von wettbewerbsrechtlichem Ansatzpunkt und konkret möglicher Sanktion läßt es geboten erscheinen, die wettbewerbsrechtliche Erörterung nach dem Schwerpunkt des unter Wettbewerbsgesichtspunkten bedenklichen Verhaltens zu gliedern. Zu erörtern sind deshalb folgende Problemkreise: (1) Irreführung ( § 3 und 1 U W G ) - in der Werbung; - durch sonstiges Verhalten, insb. durch Anbieten unerwartet gefährlicher Produkte. (2) Rechtsbruch (§1 U W G ) - durch das Anbieten unerwartet gefährlicher Produkte; - durch das Unterlassen rechtlich gebotener Warn- oder Rückrufaktionen. (3) Sittenwidrigkeit wegen Gefährdung der Abnehmer (§ 1 U W G )
11 Vgl. nur die Übersicht zu § 1 U W G in dem führenden Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Baumbach/Hefermehl.
374
Deutschland -
B. Warn- und Rückrufaktionen I. Überblick
Wettbewerbsrecht
im Sanktionssystem
über die Sanktionen
des
des
UWG
UWG
Auf den ersten Blick scheint die hier interessierende Sanktion, die Verpflichtung zu Rückrufmaßnahmen, nicht im Arsenal des UWG vorgesehen zu sein. Das U W G nennt ausdrücklich nur Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz und Urteilsveröffentlichung; daneben besteht seit 1986 ein Rücktrittsrecht getäuschter Verbraucher vom Vertrag.12 Von zentraler Bedeutung ist im Wettbewerbsrecht der verschuldensunabhängige Unterlassungsanspruch, für den die weite Aktivlegitimation des §13 Abs. 2 U W G gilt (u.a. Klagebefugnis der Verbraucherverbände). Schadensersatzansprüche sind wegen der Schwierigkeiten des Nachweises von Verschulden, Schadenseintritt und -bezifferung im Wettbewerbsrecht von untergeordneter Bedeutung; für sie ist nach h.M. zudem ausschließlich der geschädigte Mitbewerber, nicht jedoch der einzelne Verbraucher 13 oder ein Verbraucherverband aktivlegitimiert. Das 1986 eingeführte Rücktrittsrecht vom Vertrag bei bestimmten Formen der irreführenden Werbung in § 13 a U W G hat bislang kaum praktische Bedeutung erlangt. Gleiches gilt für den Anspruch auf Urteilsveröffentlichung in §23 Abs. 2 UWG. II. Der 1.
Beseitigungsanspruch
Allgemeines
Andauernde wettbewerbswidrige Folgen einer Wettbewerbshandlung können nicht über den Unterlassungsanspruch, sondern nur über einen Beseitigungsanspruch ausgeräumt werden. 14 Dieser ist im U W G zwar nicht ausdrücklich genannt, er wird jedoch von der ganz h.M. in Rechtsprechung und Literatur als gleichberechtigt und selbständig neben dem Unterlassungsanspruch stehend anerkannt. Die rechtliche Grundlage hierfür wurde anfänglich in einer Analogie zu § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gesehen. Mittlerweile wird der wettbewerbsrechtli12 Zu den wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen s. etwa UWG-Großkomm/Köhler, Vor §13 U W G B. 13 In der Literatur (s. etwa Schricker, G R U R 1975, 111,120, Sack, BB 1974,1369,1371; ders., G R U R 1983, 565, 571) wird zwar vertreten, daß §3 U W G Schutzgesetzcharakter für den Verbraucher i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB habe; diese Auffassung hat sich jedoch in der Rechtsprechung nicht durchsetzen können; vgl. B G H G R U R 1975,150- „Prüfzeichen"; B G H G R U R 1978,364 - „Golfrasenmäher", zusammenfassend für die h.M. Baumbach/Hefermehl § 3 U W G Rdnr. 440; im Ergebnis gleichfalls ablehnend UWG-Großkommentar/Köhler, § 13a U W G Rdnr. 87ff. 14 Zwar kann eine Unterlassungsanordnung im Einzelfall auch eine Pflicht zum Tätigwerden beinhalten (z.B. kann das Verbot einer irreführenden Werbung positive Maßnahmen - Anweisung an die Werbeagentur oder die Medien, die Werbung zu stoppen - erfordern). Entscheidend ist jedoch die Ausrichtung in die Zukunft. Zur Abgrenzung der einzelnen Ansprüche voneinander s. etwa UWG-Großkomm/Köhler, Vor § 13 U W G B Rdnr. 127f.; speziell zum Verhältnis Unterlassungsanspruch/Beseitigungsanspruch Teplitzky, WRP 1984, 368.
Sanktionssystem
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che Beseitigungsanspruch jedoch unmittelbar den wettbewerbsrechtlichen Verbotsnormen entnommen bzw. gilt als gewohnheitsrechtlich anerkannt. 1 5 Sofern der Inanspruchgenommene also durch den Wettbewerbsverstoß einen Zustand fortdauernder Störungen herbeigeführt hat oder als Zustandstörer 1 6 für diesen verantwortlich ist - wobei irrelevant ist, o b sein Verhalten ursprünglich rechtmäßig war und ob eine Wiederholungsgefahr besteht - und soweit den Gläubiger keine Duldungspflicht trifft 1 7 , ist auch ein Anspruch auf Beseitigung gegeben. Allerdings können nur solche M a ß n a h m e n verlangt werden, die o b j e k tiv geeignet und erforderlich sind, die Störung zu beseitigen. Sie müssen dem Schuldner zudem zumutbar sein; insgesamt müssen sie also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies erfordert eine sorgfältige Interessenabwägung im Einzelfall. 1 8 N i c h t ganz klar herausgearbeitet ist dabei, wie die einzelnen Grundsätze - Geeignetheit, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit, Verhältnismäßigkeit - zueinander stehen; richtigerweise werden die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne zusammengefaßt. 1 9 A u c h ansonsten sind einige Fragen umstritten. So ist unklar, ob stets eine k o n krete Verletzungshandlung erforderlich ist 2 0 oder o b unter bestimmten Voraussetzungen 2 1 auch ein erweiterter Beseitigungsanspruch (entsprechend dem vorbeugenden Unterlassungsanspruch) gegeben ist und ob das Gericht die A r t und Weise, in der der Schuldner seiner Beseitigungspflicht n a c h z u k o m m e n hat, vorschreiben darf oder nicht. 2 2 Zur Vorbereitung des Beseitigungsanspruches ist nach h.M. ein Auskunftsanspruch zulässig 2 3 , der gleichfalls eine eingehende I n teressenabwägung voraussetzt.
2. Anwendungsfälle des wettbewerbsrechtlichen
Beseitigungsanspruchs
D i e A r t der Beseitigung hängt von der Art der Beeinträchtigung ab; entscheidend sind die konkreten Umständen des Einzelfalles. E s bestehen daher aus wett15 UWG-Großkomm/Köhler, Vor § 13 UWG B Rdnr. 125. Vgl. auch BGH GRUR 1974, 99 „Brünova". 16 Zum Störerbegriff des UWG s. Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 325ff.; UWGGroßkomm/Köhler, Vor § 13 UWG B Rdnr. 200ff.. 17 Gedanke des §1004 Abs.2 BGB. 18 Im Wettbewerbsrecht beruht z.B. die Einräumung der sog. Aufbrauchfrist auf einer solchen Interessenabwägung, vgl. etwa BGH GRUR 1957,278,279 - „Evidur"; GRUR 1970,254,256 „Remington". 19 So auch Hirschherg, S.2. 20 Bejahend etwa Teplitzky, WRP 1984,365,366; verneinend etwa UWG-Großkomm/Köhler, Vor §13 UWG B Rdnr. 130. 21 Sofern der vorbeugende Unterlassungsanspruch als der mildere Rechtsbehelf zur Ausschaltung der Störungsgefahr nicht ausreicht. 22 Zu dieser Streitfrage vgl. etwa UWG-Großkomm/Köhler, Vor § 13 UWG B Rdnr. 133; Teplitzky, GRUR 1989, 461, 464. 23 Vgl. z.B. BGH GRUR 1978, 647 - „Briefentwürfe"; BGH GRUR 1972, 558, 560 - „Teerspritzmaschine"; zusammenfassend Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 401.
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Wettbewerbsrecht
bewerbsrechtlicher Sicht grundsätzlich keine Bedenken, auch eine Beseitigung in F o r m der Auskunftserteilung oder Information, die insbesondere bei Instruktionsfehlern von Bedeutung haben könnte, zu gewähren. Entscheidend ist lediglich, daß der fortdauernde Störungszustand durch die erforderliche und für den Verurteilten zumutbare M a ß n a h m e beendet werden kann. Von den bisherigen Fällen im Wettbewerbsrecht, bei denen eine Beseitigung angeordnet wurde, sind für die hier interessierenden Fragen der Widerruf bzw. die Berichtigung, die U r teilsveröffentlichung sowie der R ü c k r u f wettbewerbswidriger Produkte oder Werbematerialien von besonderem Interesse. a)
Berichtigungswerbung
Anders als das französische R e c h t , das ausdrücklich die Berichtigung falscher und irreführender Werbung vorsieht 2 4 , und das amerikanische Recht 2 5 , in dem „corrective advertising" zu den anerkannten Sanktionsmöglichkeiten der Federal Trade C o m m i s s i o n zählt, kennt das deutsche Wettbewerbsrecht keine ausdrückliche Sanktion der Berichtigungswerbung. Sie ist daher nur im Rahmen der Beseitigungsklage möglich. So ist anerkannt, daß bei einem durch wettbewerbswidrige Behauptungen entstandenen Störungszustand der Widerruf dieser Behauptungen bzw., als mildere F o r m , ihre Richtigstellung verlangt werden kann. 2 6 Bislang ist der Beseitigungsanspruch vor allem bei Individualrechtsverletzungen, z . B . durch rufschädigende Äußerungen gewährt worden. Dies schließt jedoch eine Anwendung auf anderen Gebieten, vor allem dem Gebiet der Werbung und hier wiederum der irreführenden Werbung nicht aus. 27 Eine Verpflichtung zu berichtigender Werbung k o m m t dann in Betracht, wenn eine bestimmte, durch eine Werbemaßnahme hervorgerufene, falsche Vorstellung der Verbraucher sich nicht durch das bloße Einstellen einer Werbemaßnahme ausräumen läßt, weil sie in dem Bewußtsein der Werbeadressaten fortbesteht und fortwirkt. Ziel des B e seitigungsanspruchs ist es dann, eventuellen auf den alten Informationen oder Vorstellungen basierenden Entscheidungen bei erneuten Vertragsabschlüssen und einem durch Fehlinformation entstehenden „Marktverwirrungsschaden" vorzubeugen.
24 Gemäß Art. L. 121/1 des Code de la Consommation von 1993 (Art. 44 der ehemaligen „Loi Royer") kann im Strafverfahren, dem allerdings weitaus größere Bedeutung als im deutschen Wettbewerbsrecht zukommt, bei falscher und irreführender Werbung eine Berichtigung angeordnet werden. 2 5 Die Federal Trade Commission hat (auf der Grundlage von See. 5 FTC-Act) die Sanktion des „corrective advertising" erstmalig im berühmten „Listerine"-Fall ( G R U R Int. 1974, 301) eingesetzt. Ein rechtsvergleichender Uberblick über die Berichtigungswerbung findet sich bei Schricker, G R U R Int. 1975, 191; ders. RabelsZ 1976, 535, 566. 26 Vgl. z.B. B G H G R U R 1958, 30 - „Außenleuchte". 27 Schricker, G R U R Int. 1975, 191, 195.
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b)
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Urteilsveröffentlichung
Die in § 23 Abs. 2 U W G geregelte Urteilsveröffentlichung 28 ist wegen ihrer tatbestandlichen Beschränkungen, insbesondere der Beschränkung auf die Veröffentlichung des i.d.R. wenig aussagekräftigen Urteilstenors, praktisch ohne große Bedeutung. 29 Die Rechtsprechung ist daher dazu übergegangen, den Veröffentlichungsanspruch unmittelbar aus dem Beseitigungs- oder Schadensersatzanspruch abzuleiten. 30 Danach kann der obsiegenden Partei die Veröffentlichung des Urteils auch in seinen wichtigsten Passagen gestattet werden, wenn und soweit dies erforderlich und geeignet ist, eine eingetretene Störung zu beseitigen und weitere Schäden zu verhindern. In der Praxis ist eine derartige Gestattung in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Zum einen verhindert sie, daß die Bekanntmachung des Urteils die obsiegende Partei dem Risiko Wettbewerbs- und allgemein zivilrechtlicher Ansprüche aussetzt 31 , zum anderen kann der veröffentlichenden Partei die Erstattung der Kosten der entsprechenden Anzeigenaktionen etc. gewährt werden. 32 c)
Rückruf
Geht der Störungszustand nicht von einer Fehlinformation, sondern von einer Sache aus, so kommt auch der Rückruf dieser Sache als geeignetes Mittel des Beseitigungsanspruchs in Betracht 33 . Praktische Bedeutung gewinnt ein solcher Anspruch dann, wenn die fragliche Sache sich nicht mehr im Besitz des Inanspruchgenommenen, sondern bereits bei Dritten befindet. In den bisher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen eines solchen wettbewerbsrechtlichen „Rückrufanspruchs" handelte es sich bei diesen Dritten allerdings nicht um Endabnehmer, sondern meist um Händler, denen der Hersteller unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht hergestellte Waren (z.B. bei sklavischer Nachahmung) oder 28 Zur Urteilsveröffentlichung s. statt aller UWG Großkomm/Teplitzky, §23 U W G ; UWGGroßkomm/Köhler, Vor §13 U W G B Rdnr. 189ff.; Schricker, RabelsZ 1976, 535, 567f.; ders., G R U R Int. 1975, 191, 193f.. 29 Die Anordnung steht weiter im Ermessen des Gerichts und kann dem Wortlaut nach nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren ergehen. Hinzu kommt die Neigung der Gerichte, die Veröffentlichung auf wenig effiziente Weise (durch Anschläge etc.) vorzuschreiben, obgleich grundsätzlich auch die Möglichkeit einer Publikation in den Massenmedien bestünde. 30 Ausführlich hierzu etwa UWG-Großkomm/Köhler, Vor § 13 U W G B Rdnr. 189; Ahrens, S.79f.; B G H G R U R 1966, 272, 274 - „Arztschreiber"; B G H G R U R 1967, 362 - „Spezialsalz". Eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 2 U W G scheidet in Anbetracht des klaren Wortlauts aus; so zu Recht UWG-Großkomm/Teplitzky, §23 U W G Rdnr. 4; a.A. Baumbach/Hefermehl, §23 U W G Rdnr. 8ff.. 31 Dazu Baumbach/Hefermehl, §23 U W G Rdnr. 1; UWG-Großkomm/Köhler, Vor §13 B Rdnr. 189. 32 UWG-Großkomm/Köhler, Vor §13 U W G B Rdnr. 193ff. 33 Ausführlich UWG-Großkomm/Köhler, Vor §13 U W G B Rdnr. 137; Ernst-Moll, in: FS Klaka, S. 16 unter Hinweis auf entsprechende Möglichkeiten im Marken- und Geschmacksmusterrecht.
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Wettbewerbsrecht
wettbewerbswidriges Werbematerial ausgeliefert hatte. D e r Lieferant der Sache oder des Werbematerials gilt dann nach dem weitgefaßten Störerbegriff des Wettbewerbsrechts als Störer, da er durch seine Vertriebshandlung die Gefahr neuer Rechtsverletzungen, die nach der Zweckbestimmung der ausgelieferten Gegenstände ohne sein weiteres Zutun zu erwarten sind, geschaffen hat. D i e h.M. 3 4 macht dabei freilich eine wichtige Einschränkung: Die Anordnung eines Rückrufs soll nur dann in Betracht k o m m e n , wenn der Inanspruchgenommene noch Verfügungsgewalt über die fraglichen Gegenstände hat, da andernfalls in die Rechte unbeteiligter Dritter eingegriffen werde. „Verfügungsgewalt" in diesem Sinne hat sicher derjenige, der gegen den unmittelbaren Besitzer einen rechtlich durchsetzbaren Herausgabeanspruch hat. Trifft dies nicht (mehr) zu, so soll der R ü c k r u f scheitern: Z u m Beispiel hat der B G H 3 5 eine gegen den werbenden Hersteller gerichtete Klage auf Durchführung einer Rückrufaktion, bei der es um bereits an Händler ausgelieferte Werbeprospekte ging, als unbegründet angesehen, da der Hersteller nicht mehr die „Verfügungsgewalt" innehabe. Dieser Ansatz ist jedoch zu eng. 36 E r scheint auf einem Mißverständnis des B e griffs „ R ü c k r u f " zu beruhen. „ R ü c k r u f " bedeutet nicht die notfalls zwangsweise Zurücknahme (Wegnahme) des Gegenstandes, die in der Tat einen Eingriff in fremde Rechtspositionen darstellen würde, sondern die Aufforderung an Dritte zur freiwilligen Rückgabe, sei es endgültig gegen Erstattung des Kaufpreises, sei es zeitweilig zum Zwecke der Reparatur. Entsprechend beinhaltet die gerichtliche Anordnung einer Rückrufaktion nur die Verpflichtung des Verurteilten, seine A b n e h m e r zur Rückgabe aufzufordern, nicht jedoch deren Verpflichtung, dem auch nachzukommen. E n g t man hingegen den Begriff R ü c k r u f nicht von vornherein ein auf die zwangsweise Einziehung, womöglich zum Zwecke der Vernichtung, sondern versteht hierunter die Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten, so besteht kein G r u n d , den Beseitigungsanspruch nicht auch in F o r m des Anspruchs auf R ü c k r u f von Gegenständen, die sich bei Dritten befinden, zuzulassen 37 , zumal seine Gewährung ohnehin von einer umfassenden Interessenabwägung abhängt. D a ß der R ü c k r u f dabei nicht so formuliert sein darf, daß er dem Dritten gegenüber den falschen Eindruck einer gerichtlichen Aufforderung der Rückgabe erweckt, bedarf keiner näheren Begründung. D i e Tatsache, daß ein dem Inanspruchgenommenen auferlegtes Rückrufangebot gegenüber dem Dritten nicht durchgesetzt werden kann, macht es auch nicht automatisch wirkungslos und deshalb zur Gefahrbeseitigung ungeeignet. So be34 BGH GRUR 1954, 337, 342 - „Radschutz"; BGH GRUR 1974, 666, 669 - „Reparaturversicherung"; Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 312. 35 GRUR 1974, 666 - „Reparaturversicherung". 36 Ebenso Ernst-Moll, in: FS Klaka, S.20f.; UWG-Großkomm/Köhler, Vor §13 UWG B Rdnr. 137. 37 So hat das LG München, AfP 1975, 88 es richtigerweise als unerheblich angesehen, ob der tatsächliche Besitzer (im konkreten Fall der Buchhändler, an den ein eine ehrenrührige Behauptung enthaltendes Buch bereits ausgeliefert worden war) rechtlich zur Rückgabe an den Beklagten (hier: Verlag) verpflichtet sei; der Rückruf solle lediglich den Eintritt eines tatsächlichen Erfolges verhindern und habe keinen rechtsgeschäftlichen Charakter.
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steht für die Abnehmer, soweit sie nicht Endabnehmer sind, ein Anreiz, der Aufforderung nachzukommen, da sie bei einem Weitervertrieb selbst wettbewerbswidrig handeln würden und sich nicht mehr auf Unkenntnis berufen könnten, so daß auch Schadensersatzansprüche denkbar wären. Außerdem könnte u.U. der Inanspruchgenommene verpflichtet werden, zur Sicherung des Beseitigungserfolgs Anreize zur Rückgabe wie etwa Kostenerstattung, Kaufpreisrückerstattung etc. zu bieten. Beim Angebot der Rücknahme des wettbewerbswidrigen Produktes erscheint die Auferlegung der Kaufpreisrückzahlung dabei nicht nur als notwendiger Anreiz für die Abnehmer, sondern auch deshalb geboten, weil der Inanspruchgenommene sonst möglicherweise die Vorteile aus dem wettbewerbswidrigen Inverkehrbringen behalten kann.
III. Ansprüche auf Warn- und Rückrufaktionen bei gefährlichen Produkten Die Rechtsprechung hat eine Pflicht zum Rückruf von potentiell gefährlichen Gegenständen bislang, wie erwähnt, nicht auf den wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch gestützt. Dies schließt jedoch eine Anwendbarkeit der vorstehend geschilderten Grundsätze auf den Fall der Produktgefährdung nicht aus; sie liegt vielmehr sogar nahe, wenn man die hinter der Berichtigungswerbung und dem Rückruf wettbewerbswidriger Gegenstände stehenden Überlegungen bedenkt. Besondere Bedeutung kommt dabei freilich dem jeweiligen Ansatzpunkt der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung zu. Ein Beseitigungsanspruch in Form des Rückrufs im engeren Sinne, d.h. als Angebot zur Reparatur oder zum Austausch, wird nur bei wenigen Konstellationen in Betracht kommen. Zumeist wird es um eine Warnung oder auch nur um eine in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanordnung gehen. So wird dann, wenn der Wettbewerbsverstoß in der Irreführung der Verbraucher über die Ungefährlichkeit des Produktes liegt, in erster Linie nur die Unterlassung zukünftiger Irreführungen verlangt werden können. N u r wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalles feststeht, daß trotz Einstellung der Werbung der irreführende Eindruck fortbesteht, kann eine Ausräumung im Wege der Aufklärung über die fehlerhafte Vorstellung von der Gefährlichkeit des Produktes, etwa durch eine Berichtigungswerbung, erfolgen. Dabei geht es jedoch entsprechend dem Schutzzweck des § 3 U W G allein um die Beseitigung der Irreführung, welche die Grundlage für einen erneuten Kaufentschluß sein kann, nicht um die Beseitigung der Gefahr als solcher. Die Möglichkeiten der Fehlerbeseitigung an bereits ausgelieferten Produkten brauchen deshalb nicht Inhalt der Berichtigung zu sein. Entsprechend können Rückrufaktionen in F o r m des Angebots einer Reparatur oder eines Austausches nicht verlangt werden. Soweit der Wettbewerbsverstoß im Anbieten von Produkten unter Verletzung von Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht gesehen wird (Aspekt des Vorteils durch Rechtsbruch), genügt eine Unterlassung des künftigen Angebots der-
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Wettbewerbsrecht
artiger Produkte ohne Aufklärung hingegen möglicherweise nicht, den eventuell erreichten Wettbewerbsvorsprung zu eliminieren. U m künftige Fehlentscheidungen der Verbraucher auszuschließen, müßten sowohl diejenigen Verbraucher, die das Produkt bereits erworben haben, als auch zukünftige Käufer über die P r o duktgefahr aufgeklärt werden. E i n R ü c k r u f im engeren Sinne als Reparatur- oder Umtauschangebot erscheint demgegenüber in der Regel nicht geboten, um unberechtigte Wettbewerbsvorteile des „Rechtsbrechers" auszugleichen. Anders sieht es dann aus, wenn der Wettbewerbsverstoß unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs in der Unterlassung eines gebotenen Rückrufs besteht. H i e r fallen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch zusammen; es genügt die Unterlassung dieses Verstoßes, um zugleich die Folgen zu beseitigen: D i e Pflicht zur Vornahme des Rückrufs ergibt sich aus der Anordnung der Unterlassung des wettbewerbswidrigen Verhaltens. Soweit der Wettbewerbsverstoß in der sittenwidrigen Gefährdung der Verbraucher gesehen wird, reicht eine Unterlassung des Angebots der gefährlichen Produkte wiederum nicht aus, um den Wettbewerbsverstoß bezüglich derjenigen Verbraucher, die bereits das fragliche Produkt gekauft haben, zu beseitigen. D a Ziel die Abwendung der Gefahr ist, sind sowohl Warn- als auch Rückrufaktionen hierzu grundsätzlich geeignet und geboten. Eine andere Beurteilung wäre allenfalls dann angebracht, wenn die in Frage stehenden Produkte extrem kurzlebig sind, so daß eine Gefährdung durch in Verkehr gelangte Produkte sich bereits verwirklicht haben müßte und nicht mehr verhindert werden könnte und somit die Unterlassung des Verkaufs neuer Produkte zur Verhinderung der wettbewerbswidrigen Gefährdung ausreicht.
C. Die Tatbestände I. Irreführung
der
im
einzelnen
Verbraucher
1. Allgemeines zum wettbewerbsrechtlichen
Irreführungsverbot
§ 3 U W G verbietet zu Wettbewerbszwecken erfolgende Angaben über geschäftliche Verhältnisse, die geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise über das A n g e b o t irrezuführen. Als Beispiel für die geschäftlichen Verhältnisse wird u.a. die Beschaffenheit eines Produktes genannt. Sicherheitsaspekte eines Produktes können also zweifellos Gegenstand einer wettbewerbswidrigen Irreführung i.S.d. § 3 U W G sein. Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot des § 3 U W G wird zudem ergänzt durch § 1 U W G , da nach ganz h . M . eine T ä u schung der A b n e h m e r zu Absatzzwecken grundsätzlich mit den „guten Sitten" im Wettbewerbsleben nicht vereinbar ist. 38 38 Nach h.M. besteht zwischen § 1 und 3 UWG Anspruchskonkurrenz, s. statt aller Baumbach/Hefermehl, % 1 UWG Rdnr. 9; a.A. jedoch UWG Großkomm/Lindacher, §3 UWG Rdnr. 33ff. Praktische Auswirkungen der unterschiedlichen Auffassungen sind jedoch nicht ersieht-
Irreführung
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F ü r die Beurteilung der Irreführung ist die Verkehrsauffassung maßgeblich. Die irreführende Angabe braucht dabei nicht den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen; es genügt, daß Käufer „angelockt" werden k ö n nen. Das Irreführungsverbot will Marktentscheidungen der Verbraucher auf der Basis von Fehlinformationen verhindern. Schutzzweck ist zum einen die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, zum anderen die Wettbewerbsposition der Mitbewerber, denen durch irreführende Angaben potentielle Kunden entzogen werden könnten. Daneben finden die Interessen der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb Berücksichtigung. D i e Rechtsprechung hat das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot bislang außerordentlich streng gehandhabt. 3 9 So wird zur Begründung der anlockenden Wirkung für ausreichend gehalten, daß sich die Verbraucher näher mit einem Kaufangebot befassen könnten, welches sie sonst möglicherweise nicht beachtet hätten, und der maßgebliche Prozentsatz Irregeführter wird sehr niedrig mit 10 1 5 % angesetzt. 4 0 Diese Strenge ist allerdings in den letzten Jahren auf Kritik gestoßen. 4 1 Auslöser war dabei vor allem die neuere Rechtsprechung des E u G H 4 2 , die aus der E G - R i c h t l i n i e von 1984 über irreführende Werbung 4 3 offenbar nicht nur Mindest-, sondern auch Höchstgrenzen des nationalen Schutzes ableitet. So stellt sich z . B . die Frage, ob der Prozentsatz der potentiell Irregeführten höher angesetzt und statt der bloß anlockenden Wirkung die tatsächliche Beeinflussung von Kaufentscheidungen gefordert bzw. ob nicht generell auf den „verständigen Verbraucher" abgestellt werden müßte. A u f diese neueren Entwicklungen, die sich n o c h im Flusse befinden, kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Sollten sich bei der Erörterung der einzelnen Aspekte des § 3 U W G gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen die Interpretation des Irreführungsverbots durch die deutschen Gerichte ergeben, so wird hierauf in dem jeweiligen Zusammenhang eingegangen. lieh, da auch die Mindermeinung bei Zweifeln über den Angabecharakter ein Eingreifen von § 1 UWG befürwortet. 39 Jedenfalls strenger als in den meisten europäischen Staaten, s. den rechtsvergleichenden Überblick bei Schricker, GRUR Int. 1990, 112. 40 Vgl. Baumbach/Hefermehl, § 3 UWG Rdnr. 89ff., 27f.; v. Gamm, 36. Kap. Rdnr. 24; Schrikker, GRUR Int. 1990, 112, 116. 41 S. insb. Schricker, GRUR Int. 1990, 112; ders., GRUR Int. 1994, 586. 42 Vgl. insb. die Nissan-Entscheidung vom 16.1. 1992, WRP 1993,233, in welcher der EuGH auf die Täuschung einer „erheblichen Anzahl" von Verbrauchern und auf die Beeinflussung der Kaufentscheidung (im Gegensatz zu der nur anlockenden Wirkung) abstellt und die Mars-Entscheidung vom 6.7.1995, WRP 1995,804, in der vom „verständigen" (und nicht vom flüchtigen) Verbraucher ausgegangen wird. Zum Einfluß der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung auf das deutsche Wettbewerbsrechts s. insb. Schricker, Recht der Werbung in Europa, Einführung, Rdnr. 118ff.; Köhler, GRUR Int. 1994,396; Schricker, GRUR Int. 1994,586,592f.; allgemein zur Kontrolle nationaler Wettbewerbsbestimmungen durch den EuGH Joliet, GRUR Int. 1994,979. 43 Richtlinie des Rates vom 10.9. 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (84/450/EWG), abgedruckt GRUR Int. 1984, 688; zur Auslegung UWG-Großkomm/Schricker, Einl. UWG Rdnr. 332f.; zu den Auswirkungen auf das deutsche Recht Köhler, GRUR Int. 1994, 396.
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2. Irreführung durch a) Positive
Wettbewerbsrecht
Werbeangaben
Angaben
D i e Anwendung von § 3 U W G begegnet keinen Schwierigkeiten, wenn die Sicherheitseigenschaften eines Produktes Gegenstand expliziter oder konkludenter Angaben in der Werbung, im Verkaufsgespräch, auf dem Produkt, auf seiner Verpackung oder in Gebrauchsanweisungen 4 4 sind. Wird z . B . in der Werbung behauptet, die Reifen eines A u t o s seien „bei jeder Geschwindigkeit sicher", so erfolgt diese Angabe stets im geschäftlichen Verkehr und dient objektiv und subjektiv der Absatzförderung, also Wettbewerbszwecken. Trifft die Aussage objektiv nicht zu - platzen die Reifen also bei einer bestimmten, nicht unüblichen G e schwindigkeit - oder versteht ein nicht unerheblicher Teil (nach der neueren Rechtsprechung des E u G H ein „erheblicher Teil") der Werbeadressaten sie in einem unzutreffenden Sinne, so liegt eine Irreführung i.S.v. § 3 U W G vor. D e r Begriff der „Angabe" ist dabei nicht auf explizite Aussagen zu dem fraglichen Sicherheitsaspekt beschränkt, es genügt ein konkludentes Verhalten, das als Angabe verstanden wird. D e r Inhalt der Werbeangabe bestimmt sich objektiv nach dem Sinn, den ihr die Werbeadressaten bei unbefangener Betrachtungsweise beimessen. D a b e i kann die Sorgfalt der Betrachtungsweise mit dem Adressatenkreis variieren. Eine Reifenwerbung mit dem Slogan „Unsere Reifen sind Weltklasse" dürfte - da bei Reifen der Aspekt der Sicherheit vorherrschend ist - auch von einem „verständigen Verbraucher" in dem Sinne verstanden werden, daß von den Reifen bei jeder für den Normalautofahrer nicht unüblichen Geschwindigkeit keine Gefahren ausgehen. D i e allgemeine Lebenserfahrung bestimmt hier die Verbrauchererwartung. Derartigen Sicherheitsangaben in der Werbung wird in aller Regel auch die anlockende Wirkung nicht fehlen; sie sind - auch i.S.d. höheren Standards in der neueren Rechtsprechung des E u G H - zur Beeinflussung der Kaufentscheidung geeignet.
b) Verschweigen spezifischer Produktgefahren Irreführung durch Unterlassen
in der Werbung;
K o n k r e t e Aussagen zur Produktsicherheit sind freilich selten. Häufig wird der Sicherheitsaspekt in der Werbung zwar angesprochen, nicht jedoch präzise zu den die Gefahr begründenden Eigenschaften und den daraus sich ergebenden R i siken Stellung genommen. N o c h häufiger erfolgt gar keine irgendwie geartete Aussage zur Sicherheit, sondern die Werbung beschränkt sich vielmehr auf allgemeine Anpreisungen, auf die Hervorhebung der guten Gebrauchseigenschaften, 44 Nach dem Kauf zugängliche Gebrauchsanweisungen vermögen zwar nicht zum Kauf dieses Produktes anlocken. Wohl jedoch können sie für künftige Käufe des Produktes eine Rolle spielen, so daß auch ihnen letzlich die anlockende Wirkung nicht abgesprochen werden kann. Ebenso UWG-Großkomm/Lindacher, §3 UWG Rdnr. 97; vgl. auch BGH GRUR 1990, 609 - „Monatlicher Ratenzuschlag" (Angabe auf Rechnung oder Lieferschein).
Irreführung
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des schönen Designs etc. oder sie vermittelt ganz allgemein im irrationalen B e reich liegende Eindrücke. 4 5 Eine Irreführung hinsichtlich der Sicherheit des beworbenen Produktes kann hier nur dann vorliegen, wenn die Nichterwähnung der spezifischen Gefahren die Werbung etc. insgesamt täuschend machte. In derartigen Fällen kollidieren zwei Grundsätze des Wettbewerbsrechts: D e r G r u n d satz, daß die sich mit der eigenen Ware befassende Werbung nicht unbedingt vollständig zu sein hat, da der Verkehr in ihr keine neutrale Stellungnahme erwartet 4 6 , und der Grundsatz, daß dem Verbraucher nicht eine durch Irreführungen verfälschte Entscheidungsgrundlage gegeben werden darf. Ein Vorrang dieses zweiten Grundsatzes wird nach allgemeiner Auffassung jedenfalls dann bejaht, wenn der Verkehr der verschwiegenen Angabe besondere Bedeutung beimißt. D a n n trifft den Werbenden auch ohne Nachfragen eine Aufklärungspflicht. 4 7 F ü r einen Kaufentschluß können zahlreiche Aspekte eine Rolle spielen. Welche von ihnen so bedeutsam sind, daß der Verkehr hierüber auch unaufgefordert eine Erklärung erwartet, läßt sich nicht allgemein sagen. D e n Fällen, in denen die Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht bejaht hat, lagen höchst unterschiedliche Konstellationen zugrunde; sie reichen von der Aufklärungspflicht über den Auslaufcharakter von Sportgeräten und Modeartikeln 4 8 bis hin zu der hier thematisch am nächsten liegenden Kennzeichnungspflicht eines Desinfektionsmittels als „Gift". 4 9 A u c h in der Lehre 5 0 ist es bislang nicht gelungen, die Irreführung durch Verschweigen in völlig überzeugender Weise systematisch zu erfassen. So wird von einem Teil der Literatur 5 1 darauf hingewiesen, daß richtiger Anknüpfungspunkt i.d.R. nicht das von der Rechtsprechung in den Vordergrund gestellte Unterlassen sei, sondern die Unvollständigkeit der positiven Angaben. Ungeklärt ist auch, ob an die „Wesentlichkeit" der verschwiegenen Angaben im R a h m e n des Unterlassens strengere Anforderungen zu stellen sind als bei einer Irreführung durch einen unzutreffenden Gesamteindruck 5 2 , o b zusätzlich zu der Verkehrsbedeutung bzw. der Wesentlichkeit des verschwiegenen Umstandes noch die Üblichkeit ei-
45 Zur sog. Suggestivwerbung s. insb. Loewenheim, GRUR 1975, 99; Baudenbacher, Suggestivwerbung und Lauterkeitsrecht, 1978; Schricker, RabelsZ 1976, 535, 551 ff.. 46 Baumbach/Hefermehl, § 3 UWG Rdnr. 47; anders bei der vergleichenden Werbung, s. statt aller Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 390. 47 Zu den Grundsätzen der Irreführung durch Unterlassen s. insb. Keyßner, Täuschung durch Unterlassen - Informationspflichten in der Werbung; Loewenheim, GRUR 1980, 14. 48 S. etwa BGH GRUR 1982, 374 - „Auslaufmodelle"; eine Zusammenstellung der Fälle findet sich bei Baumbach/Hefermehl, §3 UWG Rdnr. 49 a) ff. . 49 BGH GRUR 1964, 269 - „Grobdesin". 50 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den in der Lehre vertretenen Auffassungen findet sich bei Keyßner, S. 13ff.. 51 Schricker, in: FS Zweigert, S. 537; kritisch zur Rechtsprechung auch Tilmann, GRUR 1976, 544; kritisch hierzu wiederum Ahrens, WRP 1977, 15. 52 Nach Schricker, in: FS Zweigert, S. 566 ist dies abzulehnen; entscheidend sei nur die Irreführungsgefahr, die bei bestimmten Begehungsformen von den Gerichten allerdings besonders sorgfältig geprüft werde.
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ner entsprechenden Aufklärung im Geschäftsverkehr h i n z u k o m m e n muß 5 3 , und welcher inhaltliche Zusammenhang zwischen der positiven Angabe und dem Verschwiegenen bestehen muß. 5 4 D e r Gesetzeswortlaut ( § 3 U W G : „Angabe"; § 1 U W G : „ H a n d l u n g " ) und systematische Überlegungen sprechen dafür, primär an ein positives Verhalten anzuknüpfen. D a die „Wesentlichkeit" des verschwiegenen Umstandes nicht losgelöst v o m übrigen Aussageinhalt der Werbebotschaft gesehen werden kann, muß in der Werbung weiter zumindest eine gedankliche Verbindung zur Sicherheit hergestellt werden, so daß der Verbraucher aus der Nichterwähnung bestimmte Schlüsse ziehen kann. Bedenken bestehen gegen eine selbständige Bedeutung des Merkmals der U b lichkeit. Zwar werden meist diejenigen Umstände als wesentlich anzusehen sein, über die üblicherweise eine Aufklärung stattfindet. U m g e k e h r t ist ein Umstand, über den üblicherweise nicht aufgeklärt wird, für den Verbraucher nicht zwangsläufig ohne Bedeutung. Dies zeigt gerade das Beispiel der gefährlichen Produkteigenschaften. D e r Umstand, daß von einem Produkt keine unerwarteten, schwerwiegenden Gefahren ausgehen, wird für den Verbraucher regelmäßig sogar von großer Bedeutung sein 5 5 , auch wenn die Lebenserfahrung zeigt, daß eine Aufklärung darüber nicht als üblich gelten kann. D i e Bedeutung der Sicherheitseigenschaften für den Kaufentschluß ist im übrigen auch dann gegeben, wenn sich die Schäden auch oder primär bei Dritten realisieren. D i e teilweise vertretene Auffassung 5 6 , daß die Verbraucher derartige Schäden tendenziell „unterbewerten", ist - selbst ihre Richtigkeit unterstellt - wenig aussagekräftig, da auch eine Unterbewertung nicht bedeutet, daß dieser Aspekt für den Kauf entscheid keine Rolle spielt. Außerdem läßt sich selten von vornherein sagen, bei w e m die Schäden entstehen werden. Meist wird das gefährliche P r o dukt, etwa ein defekter Autoreifen, sowohl den Benutzer als auch Dritte gefährden. Schließlich hat der Verbraucher selbst bei einer reinen Drittgefährdung zumindest ein Interesse daran, Regreßansprüche zu vermeiden, wenn er die Gefährdung nicht bereits aus moralischen Gründen bei der Kaufentscheidung mitberücksichtigt. Obgleich der Sicherheitsaspekt für den Verbraucher von überragender Bedeutung ist, folgt daraus nicht zwangsläufig, daß ein Nichtaufklären über Sicherheitsrisiken zu einer wettbewerbsrechtlich relevanten Irreführung führen muß, denn entscheidend sind stets die konkreten Erwartungen der Verbraucher bezüglich einer Aufklärung in der Werbung, auf dem Produkt etc. Insofern ergeben sich für die Aufklärungspflicht folgende Einschränkungen: Zunächst m u ß es sich um eine unerwartete Gefahr handeln. 5 7 U b e r offenkundiDazu Loewenheim, GRUR 1980, 14, 16f. . Dazu Schricker, in: FS Zweigert, S. 566; Loewenheim, GRUR 1980, 14, 16f.. 55 Zutreffend Sack, GRUR Int. 1983, 565, 566f.; Keyßner, S.51. 56 H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1811; ihm folgend Produkthaftungshandbuch/Bd. §39 Rdnr. 19; zu Recht kritisch Rettenbeck, S. 128. 57 So auch Sack, GRUR Int. 1983, 565, 569. 53
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ge Gefahren, die der Verbraucher aufgrund eigener Erfahrung, allgemeiner Aufklärung in den Medien etc. kennt oder unschwer erkennen kann, braucht selbst dann nicht aufgeklärt zu werden, wenn sie erheblich sein sollten. So sind dem Verbraucher die Gesundheitsgefahren übermäßigen Alkohol- und Tabakkonsums bekannt. Unter dem Gesichtspunkt der Täuschung aus § 3 U W G oder § 1 U W G läßt sich deshalb eine Aufklärungspflicht nicht ohne weiteres herleiten. Erst wenn eine tatsächliche Übung besteht, auf bestimmte Gefahren hinzuweisen, könnte der Verkehr aus dem Fehlen eines derartigen Hinweises im Einzelfall auf die (relative) Ungefährlichkeit schließen. 58 Weiter darf man nicht aus den Augen verlieren, daß es bei den Irreführungstatbeständen des U W G nicht um den Schutz der Erwartung der Verbraucher geht, die Produkte seien ungefährlich, sondern um den Schutz der Erwartung, über nicht naheliegende gefährliche Eigenschaften aufgeklärt zu werden. Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot dient dem Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher. Diese wird nicht erst durch die tatsächliche Gefahrenfreiheit der ohne entsprechenden Hinweis beworbenen Produkte, sondern bereits durch die Gefahrinformation hergestellt. Eine Aufklärung wird der Verbraucher ferner nur dann erwarten, wenn diese dem Hersteller bzw. Werbenden überhaupt möglich ist. Damit scheidet der große Bereich der „Ausreißer" aus, selbst wenn ihr Auftreten und die Art des Fehlers generell bekannt sind. Der Verbraucher weiß aufgrund eigener Erfahrung, daß auch „an sich" ungefährliche Produkte durch Fabrikationsfehler im Einzelfall gefährliche Eigenschaften entwickeln können. Er ist sich aber auch darüber im klaren, daß schon aus tatsächlichen Gründen keine Aufklärung hierüber erfolgen kann 59 , weil die Art des konkret vorhandenen Fehlers unbekannt ist oder weil die damit behafteten Produkte nicht identifizierbar sind. Eine Warnung liefe in diesen Fällen auch oft leer, da Gefahrvermeidungsmaßnahmen - außer dem völligen Verzicht auf die Benutzung - häufig nicht möglich wären. 60 Auch bei Entwicklungsgefahren, die (nicht nur dem Hersteller) definitionsgemäß beim Inverkehrbringen unbekannt sind, weiß der Verbraucher, daß er von dem Werbenden mangels Kenntnis des Fehlers nicht aufgeklärt werden kann. Möglicherweise hat der Verbraucher zwar Sicherheitserwartungen, die von der Abwesenheit gewisser Entwicklungsgefahren, z.B. noch unbekannter Nebenwirkungen von Medikamenten, ausgehen. Ihm ist jedoch bekannt, daß selbst 58 Zutreffend B G H G R U R 1964,269 - „Grobdesin", wo der fehlende Hinweis „Gift" bei einem normalerweise so bezeichneten Desinfektionsmittel als Irreführung bewertet wurde. 59 UWG-Großkomm/Lindacher, §3 U W G Rdnr. 536: („Der Verkehr stellt indes echte Ausreißerfälle in Rechnung"). 60 Anders sieht es aus, wenn bekanntermaßen größere, identifizierbare Teile einer Produktionsserie fehlerhaft sind, die betreffenden Waren also als zweite Wahl hätten angeboten werden müssen. Handelt es sich dabei um sicherheitsrelevante Fehler, so wird speziell hierauf hingewiesen werden müssen, da der Verbraucher bei Produkten 2. Wahl nur von geringen Beeinträchtigungen der Gebrauchsfähigkeit oder ästhetischer Eigenschaften ausgeht. Vgl. L G München W R P 1962,172; O L G Karlsruhe W R P 1968,36 (Irreführung durch fehlende Auszeichnung von Strümpfen mit Fehlern als „2. Wahl"); dazu Keyßner, S.43.
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dann, wenn solche Gefahren entgegen seiner Erwartung vorliegen, Aufklärung schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. I m übrigen wäre vor B e kanntwerden des Fehlers das Vorliegen einer Fehlvorstellung des Verbrauchers noch gar nicht festeilbar. Erst recht kann ihn der Werbende vorher auch nicht in die Irre „geführt" oder getäuscht haben. D i e Erwartung bezüglich der Aufklärungspflicht beschränkt sich also auf bekannte Konstruktions- und Instruktionsfehler, bzw. auf das bekannte Vorliegen einer größeren Anzahl von Ausreißern bei identifizierbaren Produkten, die diese Teile der Serie zu Waren zweiter Wahl machen. Bezüglich nicht erkennbarer F e h ler besteht zunächst jedenfalls meist keine Verbrauchererwartung und damit auch keine Aufklärungspflicht. Anders sieht es nach Bekanntwerden des Fehlers aus. Von diesem Zeitpunkt an kann eine Aufklärungspflicht bestehen, die in erster L i nie für die Entscheidungsfindung zukünftiger Kunden von Bedeutung ist. Soweit aufgrund der neuen Erkenntnisse die Werbung geändert wird, entfaltet sie jedoch Informationseffekte auch für frühere Käufer hinsichtlich möglicher Folgekäufe und auch für die Verwendung früher angeschaffter Produkte. Möglicherweise werden diese Käufer jedoch, da sie das Produkt bereits kennen, die übliche Werbung dafür weniger beachten, so daß wirkungsvollere Maßnahmen erforderlich sind, um ihre verfestigten Vorstellungen zu durchbrechen.
3. Irreführung durch sonstiges Verhalten, insbesondere durch das Anbieten unerwartet gefährlicher Produkte In Fällen, in denen für ein Produkt gar nicht oder ohne jeden Zusammenhang mit seinen gefährlichen Eigenschaften geworben wird, läßt sich nur an dem A n bieten des gefährlichen Produktes anknüpfen, genauer an der Irreführung über die Sicherheit des Produktes, die möglicherweise durch ein Produktangebot ohne Aufklärung über die Gefahren entstehen kann. Auszugehen ist davon, daß auch das bloße A n g e b o t zum Verkauf Wettbewerbszwecken dient 6 1 und daß in diesem
61 Der BGH hat zwar in den „Eichstrich I und II"-Entscheidungen (GRUR1983,451; GRUR 1986,180) das auf eine vertragswidrige Minder- oder Schlechterfüllung gerichtete Angebot nicht als Wettbewerbshandlung angesehen, da es sich lediglich um Folgen aus der Abwicklung eines Vertragsverhältnisses handele, die „als solche keinen Bezug auf die Mitbewerber und keine Außenwirkung auf den Wettbewerb habe". Dem BGH ging es jedoch vor allem darum, daß nicht jede Vertragsverletzung einen Wettbewerbsverstoß darstellen könne. Diese berechtigten Bedenken (s. hierzu auch UWG-Großkomm/Köhler, § 13a UWG Rdnr. 77ff.; Hdb WettbwerbsR/Jacobs, §47 Rdnr. 26) lassen sich jedoch nicht über das Merkmal „Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs", sondern nur über die Irreführungsgefahr ausräumen, denn das Angebot eines Produktes, das eine vertragswidrige Minder- oder Schlechtlieferung zum Gegenstand hat, ist, wie auch vom BGH anerkannt, durchaus geeignet, Auswirkungen auf die Mitbewerber zu haben. Da die subjektive Komponente der Wettbewerbshandlung nach allgemeinen Grundsätzen (s. statt aller Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 235) hier unterstellt wird, liegt damit eine Wettbewerbshandlung vor. Sack, BB 1987, 1048,1051 hat zudem in anderem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, daß es wenig konsequent ist, wenn der BGH bei Hinzutreten der „besonderen Umstände" plötzlich eine Wettbewerbshandlung bejaht.
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Angebot, ebenso wie in jedem Realakt, konkludent eine „Angabe" liegen kann. 6 2 Fraglich ist nur, welchen Aussagegehalt diese Angabe hat und o b die von ihr geweckten Vorstellungen konkret genug sind, um zu wettbewerbsrelevanten Fehlvorstellungen zu führen. Auszugehen ist v o m Schutzzweck des U W G , insbesondere von dem mit dem Täuschungsverbot verfolgten Z w e c k . Geschützt ist, was den Verbraucher betrifft, die Entscheidungsfreiheit. 6 3 Dies ist allerdings nicht in dem Sinne zu verstehen, daß es Aufgabe des U W G wäre, die Anbieter dazu zu bringen, den Verbrauchern von sich aus sämtliche für eine sachgerechte Entscheidung erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Geschützt ist auch nicht generell das Vertrauen des Verbrauchers in das Vorhandensein bestimmter Produkteigenschaften. D e r Verbraucher kann von sich aus alle möglichen Fehlvorstellungen über Produkte haben, z . B . über deren Preiswürdigkeit, ihren Prestigewert, ihre Gebrauchsfähigkeit, ihre Sicherheit. Diese Fehlvorstellungen können dem H e r steller jedoch nur dann zugerechnet werden, wenn er sie hervorgerufen hat, o b wohl er sie nicht hätte hervorrufen dürfen, oder wenn er bestehende Fehlvorstellungen hätte ausräumen müssen. Selbst wenn man also im A n g e b o t eines fehlerhaften oder gefährlichen P r o d u k tes das Hervorrufen einer Fehlvorstellung sehen würde 6 4 , was m . E . jedenfalls dann zweifelhaft ist, wenn kein konkreter Anlaß für Sicherheitsvorstellungen der Verbraucher gegeben ist, so dürfte der Hersteller ein derartiges A n g e b o t nur dann nicht „kommentarlos" machen, wenn ihn eine Pflicht zum Ausräumen eventueller Fehlvorstellungen trifft. D e r Verbraucher ist also nur dann geschützt in seiner Entscheidungsfreiheit, wenn der Hersteller ihm Informationen vorenthält, die er ihm eigentlich hätte geben müssen. Geschützt ist nicht das Vertrauen, „das P r o dukt werde schon sicher sein", sondern das Vertrauen darin, daß der Hersteller seiner Informationspflicht nachkommt. Informationspflichten müssen jedoch immer konkret sein, sich auf einen bestimmten Aspekt, eine bestimmte Gefahr beziehen. Allgemein über alle denkbaren Gefahren kann und muß - unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten - nicht aufgeklärt werden. Spiegelbildlich dazu gilt, daß von einer Irreführung nur da die Rede sein kann, w o der Verbraucher sich zu einem bestimmten Aspekt, insbesondere zu den in § 3 U W G beispielhaft genannten Aspekten, Gedanken macht, m.a.W. w o konkrete Vorstellungen bezüglich des Punktes, aus dem sich die Irreführungsgefahr letztlich ergibt, bestehen. D i e vage Vorstellung der Verbraucher, ein ohne irgendwelche Warnhinweise angebotenes Produkt werde schon sicher sein, kann keine konkreten Informationspflichten der Anbieter auslösen. Zu fragen ist vielmehr danach, o b über die konkret in Frage stehende Gefahr der Verbrauchererwartung entsprechend Aufklärung hätte gegeben werden müssen. 62 S. etwa B G H G R U R 1988,461 - „Radio-Rekorder"; O L G Köln G R U R 1 9 8 8 , 9 2 0 - „Mindesthaltbarkeit". 63 Dies gilt auch für § 1 UWG, wo der Täuschungsaspekt i.d.R. unter dem Gesichtspunkt des Kundenfangs durch unzulässige Beeinflussung im Vorfeld von Vertragsschlüssen gesehen wird. 64 Empirische Untersuchungen zu dieser Frage sind nicht bekannt.
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Im Einzelfall mag es durchaus sein, daß bereits das Anbieten eines Produktes konkludent konkrete Vorstellungen bezüglich dessen Sicherheit auslöst. So kann etwa die Art des Produktes (Medikament, Feuerwerkskörper, Imprägniersprays etc.) dergestalt sein, daß der Verbraucher sich bestimmter Sicherheitsrisiken bewußt ist und deshalb, insbesondere wenn eine Aufklärung üblich ist 65 , aus dem Fehlen aufklärender Hinweise auf die Abwesenheit der Gefahren schließt. In anderen Fällen steht das Produkt mit anderen in einem mit Sicherheitsargumenten ausgetragenen Wettbewerb 6 6 , der die Gedanken der Verbraucher in eine bestimmte Richtung lenkt. Dies sind jedoch Ausnahmefälle. In aller Regel erwartet der Verbraucher, sofern keine zusätzlichen Hinweise in diese Richtung erfolgen, nicht in jedem Fall ein absolut fehlerfreies Produkt. E r kennt vielmehr das Problem der Ausreißer; er weiß, daß es Bandbreiten der Qualität gibt und daß durch Fahrlässigkeit gefährliche Fehler verursacht werden können. Die Fehlerhaftigkeit des ihm angebotenen Produktes führt also jedenfalls dann nicht notwendigerweise zu einer Täuschung, wenn sich der Fehler im Rahmen des im normalen Wirtschaftsleben zu Erwartenden hält. Insofern handelt es sich um ein Risiko, das jeder Verbraucher kennt und mit dem er rechnet. 67 Anders sieht es hingegen aus, wenn die Fehlerhaftigkeit vom Anbietenden bewußt verursacht oder in Kauf genommen wird, um hierdurch Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn systematisch gefährliche Produkte (ohne Aufklärung) angeboten werden, weil diese billiger herstellbar sind, und der Anbietende sich dadurch oder die Nichtaufklärung Wettbewerbsvorteile verspricht. In diesem Fall wird die berechtigte Erwartung des Verbrauchers enttäuscht, nur dem „normalen" Fehler-"und Sicherheitsrisiko ausgesetzt zu werden. Der Verbraucher hat in Wirklichkeit gar keine (oder jedenfalls keine nach den Umständen zu erwartende) Chance, ein einwandfreies Produkt zu erwerben. Ihm wird vielmehr ein Angebot mit üblichen Risiken vorgespiegelt, während er in Wahrheit ein Produkt mit nach den Umständen außergewöhnlichen Risiken erhält. Folglich wird er irregeführt.
65 Wobei es, wie der B G H G R U R 1964,269 - „Grobdesin" zu Recht betont, nicht auf gesetzliche Kennzeichnungspflichten, sondern auf die tatsächliche Üblichkeit ankommt. 6 6 Diesen Aspekt betonen in einem anderen (m.E. unzutreffenden) Zusammenhang H. Herrmann, B B 1985, 1801, 1811; Produkthaftungshandbuch/Rà.UFoerste, §39Rdnr. 19; s. dazu die Ausführungen unten. 6 7 Vgl. auch die ständige Rechtsprechung des B G H zur Irreführung über die Vorratsmenge oder die Lieferbarkeit, z.B. B G H G R U R 1982, 681 - „Skistiefel", G R U R 1984, 593 - „adidasSportartikel"; G R U R 1984, 990 - „Tennisschuhe"; G R U R 1987, 52 - „Tomatenmark", G R U R 1988,629 - „Konfitüre"; G R U R 1989,609 - „Fotoapparate"; zusammenfassend Baumbach/Hefermehl, §3 U W G Rdnr. 360ff. Auch hier wird davon ausgegangen, daß das Publikum zwar erwartet, daß eine als Sonderangebot etc. hervorgehobene Ware vorrätig ist, sich jedoch zugleich darüber bewußt ist, daß dies nur für einen üblichen und die zu erwartende Nachfrage deckenden Zeitraum gelten kann und daß sich die Ankündigung nicht auf den Fall beziehen kann, daß die Vorratshaltung dem Werbenden durch höhere Gewalt oder durch einen von ihm nicht verschuldeten Umstand unmöglich wird.
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II.
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D e n zweiten Ansatzpunkt neben der Irreführung für ein Eingreifen des U W G bietet der Gedanke des „Rechtsbruchs". Dabei k o m m e n zwei Fallgestaltungen im Zusammenhang mit der Schadensprävention bei gefährlichen Produkten in Betracht: Das Anbieten (der Verkauf, das Inverkehrbringen) unerwartet gefährlicher Produkte unter Verstoß gegen die § § 4 5 9 f f . B G B , § 8 2 3 B G B oder neuerdings das P r o d S G und das Unterlassen rechtlich gebotener Warn- und R ü c k r u f aktionen.
1. Allgemeines zum Tatbestand D i e tatsächlichen Chancen im Wettbewerb sind ungleich verteilt; w o günstige Umstände dem einen Wettbewerbserfolge bescheren, bedeuten ungünstige U m stände für den anderen den geschäftlichen Ruin. F ü r alle gleich sind jedoch die rechtlichen Schranken, innnerhalb derer sich die Tätigkeiten der Mitbewerber abspielen. Wer diese par condicio concurrentium mißachtet, vermag sich vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern u.U. einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, der nicht auf eigener Leistung beruht. E s ist diese Ausnutzung der Rechtstreue der Mitbewerber - nicht der Rechtsbruch als solcher - , die nach allgemeiner Auffassung 68 als sittenwidrig i.S.v. § 1 U W G gilt, da sie unter Mißachtung des Leitbildes des Leistungswettbewerbs zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Allerdings ist nicht jede Verletzung einer alle Wettbewerber bindenden rechtlichen Rahmenbedingung automatisch wettbewerbswidrig; der Gesetzesverstoß m u ß vielmehr wettbewerbsrechtliche Relevanz aufweisen und zudem gegen die „guten Sitten" i.S.v. § 1 U W G verstoßen. Gesetzeswidrig ist nicht gleich sittenwidrig 6 9 . Vielmehr vermag § 1 U W G nur da einzugreifen, w o der Gesetzesverstoß spezifisch wettbewerbsrelevante Züge aufweist. Trotz dieser ganz überwiegend akzeptierten Aussage ist in der Rechtspraxis häufig ein gewisser Automatismus - Gesetzesverstoß gleich Wettbewerbsverstoß - festzustellen. E r hängt zusammen mit der in der Rechtsprechung vorgenommenen Unterscheidung zwischen „sittlich fundierten" und „wertneutralen" N o r men. 7 0 D i e Sittenwidrigkeit einer Verletzung von N o r m e n , die lediglich „Ausdruck ordnender Zweckmäßigkeit" - oder auch: „wertneutral" - sind, wird nur bei Hinzutreten besonderer Umstände bejaht. Demgegenüber soll die Verletzung von „sittlich fundierten" N o r m e n ohne weiteres den Vorwurf der Unlauterkeit
S. statt aller Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 608ff.. So die h.M. in Rechtsprechung und Literatur, s. statt aller Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 610; a.A. vor allem Sack, z.B. in WRP 1985, 1. 70 Eine Darstellung der h.M. findet sich etwa bei Hdb WettbewerbsR/Jacobs, §46 Rdnr. 1 ff.; Schricker, Gesetzesverletzung, S.29ff.. 68 69
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auslösen. Gleiches gilt für die unmittelbar wettbewerbsregelnden Normen 71 , die offenbar als Unterfall der sittlich-fundierten Normen aufgefaßt werden.72 Die von der h.M. vorgenommenen Differenzierung zwischen sittlich-fundierten und/oder wettbewerbsregelnden Normen einerseits und wertneutralen Normen andererseits dient im wesentlichen dazu, bei der ersten Gruppe den Nachweis zusätzlicher wettbewerbsrelevanter Umstände überflüssig zu machen. In der Tat stößt dieser Nachweis häufig auf Schwierigkeiten, da die Rechtsprechung die Ungebührlichkeit vor allem in der subjektiven Zielsetzung des Normverstoßes sieht: Der Rechtsbrecher muß sich „bewußt und planmäßig" über die fragliche Norm hinweggesetzt haben, so daß die Gefahr73 besteht, daß er hierdurch einen Vorteil vor gesetzestreuen Konkurrenten erlangt. An das Merkmal der Planmäßigkeit werden allerdings keine großen Anforderungen gestellt. Im Ergebnis kommt es daher auf die vorsätzliche Verwirklichung des den Verbotstatbestand erfüllenden Sachverhalts an.74 In der Literatur75 ist die vorstehend skizzierte Auffassung der h.M. als dogmatisch unhaltbar und praktisch unbefriedigend, da häufig willkürlich76, kritisiert worden. Entscheidend sei nicht die sittlich-rechtliche Fundiertheit, sondern die Konkordanz der Schutzzwecke. § 1 U W G sei dann erfüllt, wenn der Schutzzweck der verletzten Norm jedenfalls teilweise mit dem von § 1 UWG übereinstimmt77. Da § 1 U W G nur die „wettbewerbsrelevanten" Abnehmerinteressen schützt78, kommen dabei vor allem (auch) dem Wettbewerberschutz dienende Normen in Betracht. Fehlt es an der Konkordanz der Schutzzwecke, dann ist auch nach dieser neueren Auffassung ein Normverstoß nur dann unlauter, wenn andere wettbewerbsrelevante Kriterien hinzutreten. Abgestellt wird dabei insbesondere auf den auf Lobe und E. Ulmer zurückgehenden Vorsprungsgedanken, der eine Ausprägung des Leistungswettbewerbs ist. Verletzt ein Konkurrent außerwettbewerbsrechtliche Normen, um hierdurch seine Anbieterposition günstiger zu gestalten, so besteht die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung. Dies gilt 71 S. z.B. BGH GRUR 1978, 445, 446 - „Vier zum Preis von Drei"; BGH GRUR 1990, 611, 615 - „Werbung im Programm". 72 Obgleich in der neueren Literatur (Hdb WettbewerbsR/Jacobs, §46 Rdnr. 4) und Rechtsprechung (BGH GRUR 1990,610- „Werbung im Programm") beide Varianten als selbständige Alternativen einer per se-Sittenwidrigkeit genannt werden, gibt es nur wenige Fälle, in denen allein wegen des wettbewerbsregelnden Charakters der Norm die Unlauterkeit bejaht wurde; Schricker, Gesetzesverletzung, S. 39. 73 Ein tatsächlicher Vorteil braucht nicht erlangt zu werden, s. Schricker, Gesetzesverletzung, S. 44 f. 74 BGH GRUR 1974, 281, 282 - „Clipper" mit Anm. Hefermehl; BGH GRUR 1979, 553 „Luxus-Ferienhäuser" mit Anm. Gaedertz;v. Gamm, Kap. 31 Rdnr. 4. 75 Grundlegend Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970. 76 In der Tat ist nicht einsichtig, warum z.B. das Betreiben von Bankgeschäften ohne die erforderliche Genehmigung „wertneutral", der Verstoß gegen die Vorschriften der Berufsbezeichnung von Steuerberatern hingegen werthaltig sein soll, weitere Beispiele bei Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 614ff.; Schricker, Gesetzesverletzung, S.40f. 77 Schricker, Gesetzesverletzung, S.239ff.. 78 Schricker, Gesetzesverletzung, S.245, 254.
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vor allem dann, wenn durch den Gesetzesverstoß eine Preisunterbietung ermöglicht wird.79 Diesem neueren Ansatz, der auf die Konkordanz der Schutzzwecke abstellt, ist zuzustimmen, da er die letztlich nicht beantwortbare Frage, wann eine Norm „sittlich fundiert" ist, überflüssig macht und dem spezifischen Schutzzweck des U W G Rechnung trägt. Er hat auch in der Literatur zunehmend Anhänger gefunden80 und auf die Rechtsprechung insofern Auswirkungen gehabt, als in jüngeren Entscheidungen81 neben der sittlichen Fundiertheit verstärkt die wettbewerbsregelnde Natur der Norm berücksichtigt wird. Zudem zeigen einige neuere Urteile82, daß trotz formalen Festhaltens an der Einteilung in sittlich fundierte/wettbewerbsneutrale Normen andere Kriterien - z.B. eine Interessenabwägung - hinzugekommen sind.
2. Anbieten (Verkauf, Inverkehrbringen) Produkte
unerwartet
gefährlicher
Nach Sackn verschafft sich derjenige, der unter Verstoß gegen die §§459ff. B G B oder die sich aus § 823 B G B ergebenden Verkehrssicherungspflichten mangelhafte oder gefährliche Produkte in den Verkehr bringt, jedenfalls kurzfristig einen Wettbewerbsvorsprung. Zu diesen zivilrechtlichen Vorschriften kann man noch die öffentlich-rechtlichen zur Produktsicherheit im ProdSG oder in Spezialgesetzen rechnen. Da diese Vorschriften zur par condicio concurrentium zählten, deren Einhaltung die guten Sitten erforderten, liege in beiden Fallvarianten ein Wettbewerbsverstoß vor, der Rückrufansprüche nach sich ziehe. Gegen diese Auffassung bestehen jedoch Bedenken. Was die §§459ff. B G B betrifft, so zählen diese nicht zur par condicio im wettbewerbsrechtlichen Sinne. Ausgangspunkt der Überlegung, daß die Verletzung außerwettbewerbsrechticher Normen gegen § 1 U W G verstoßen kann, ist der Gedanke, daß sich ein Wettbewerber über Normen hinwegsetzt, die auch seine Mitbewerber binden und die diese respektieren. Es muß sich also um rechtliche Rahmenbedingungen handeln, die für alle Wettbewerber gleichermaßen gelten. Dies trifft auf alle Rechtsnormen Schricker., Gesetzesverletzung, S.268f.. Vgl. z.B. Schnieders, Jb. Junger Zivilrechtswiss. 1993, S. 103. 81 S. etwa B G H G R U R 1990, 611 - „Werbung im Programm". 82 B G H G R U R 1994,222 - „Flaschenpfand"; G R U R 1994,200 - „PS WErbung II". Obgleich in beiden Fällen die „bewußte und planmäßige" Übertretung einer wertneutralen Norm feststand, hat der B G H das Unlauterkeitsurteil von einer Gesamtwürdigung des betreffenden Verhaltens abhängig gemacht. Der B G H hat damit auf die Kritik (s. z.B. Schricker, G R U R Int. 1994, 586, 593) an der Tendenz, Bagatellverstöße gegen außerwettbewerbrechtlichliche Gesetze über das U W G zu sanktioneren, reagiert. Vgl. auch § 2 des 1994 diskutierten Entwurfs eines U W G Anderungsgesetzes, wonach „wettbewerbsrechtlich erheblich" nur noch ein wesentlicher Wettbewerbsvorsprung bzw. die „wesentliche Beeinträchtigung" des Wettbewerbs sein sollte; vgl. hierzu Schricker, ZRP 1994,430,432; ders., G R U R Int. 1994, 586, 593; Loschelder, G R U R 1990, 535. 79
80
83
Sack, G R U R Int. 1983, 565, 569ff..
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im materiellen Sinne zu 8 4 , nicht hingegen auf Verträge, deren obligatorische W i r kungen sich auf den jeweiligen Vertragspartner beschränken. 8 5 Die §§ 459ff. B G B begründen jedoch keine Rechtspflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache 8 6 , sondern statuieren nur Sekundäransprüche für den Fall, daß dieser Rechtspflicht nicht nachgekommen wird. D i e Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache folgt unmittelbar aus dem Kaufvertrag, § 4 3 3 B G B . Eine andere Beurteilung ist auch nicht bei § 4 8 0 B G B geboten, da es sich insofern zwar um den ursprünglichen Erfüllungsanspruch handelt, dieser jedoch an die Voraussetzung geknüpft ist, daß zunächst eine nicht vertragsgemäße Sache geliefert wurde. D i e aus § § 4 5 9 f f . B G B folgende Rechtspflicht, die alle Mitbewerber binden könnte, besteht daher allenfalls in der Pflicht, bei Lieferung einer mangelhaften Sache die gesetzlich vorgesehene Wandelung, Minderung oder Nachlieferung, bzw. den Schadensersatz nach § 4 6 2 B G B nicht zu verweigern; die Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache gründet sich demgegenüber auf Vertrag. Allein die Verletzung einer Vertragspflicht kann jedoch nicht als Wettbewerbsverstoß angesehen werden. Dies ist nur möglich, wenn besondere unlauterkeitsbegründende Umstände hinzutreten. 8 7 Zuzustimmen ist Sack demgegenüber, soweit es um die Einbeziehung des § 823 B G B in die par condicio geht. Diese Vorschrift bindet alle Wettbewerber gleichermaßen und umreißt daher ihren Handlungsspielraum im Wettbewerb. Folgte man der oben geschilderten Auffassung der h.M., die von einer Einteilung in sittlich fundierte und wertneutrale N o r m e n ausgeht, so liegt die Annahme einer per se-Sittenwidrigkeit nach § 1 U W G in der Tat nahe, wenn das A n g e b o t eines gefährlichen Produktes sich gleichzeitig als Verletzung des § 8 2 3 B G B darstellt. D e n n § 823 B G B beinhaltet nicht nur Sekundäransprüche in F o r m des Schadensersatzes, die „wertneutral" eingreifen, wenn die durch § 8 2 3 Abs. 1 B G B geschützten R e c h t e oder Rechtsgüter verletzt werden, sondern enthält zugleich die Pflicht, derartige Rechtsverletzungen zu unterlassen. 8 8 Soweit die auf § 823 Abs. 1 B G B gestützte Gefahrabwendungspflicht den Schutz von Leben, K ö r p e r und Gesundheit 8 9 bezweckt, m u ß sie als „sittlich fundiert" angesehen werden, dient jedenfalls nicht nur der „ordnenden Zweckmäßigkeit". D a n a c h müßte das A n bieten (Inverkehrbringen) gefährlicher Produkte, das unter Verstoß gegen § 823 Abs. 1 B G B erfolgt, in der Tat ohne Hinzutreten weiterer Umstände als sittenwidrig i.S.d. § 1 U W G gelten, sofern die von der h.M. 9 0 geforderten subjektiven Merkmale der Sittenwidrigkeit - Kenntnis der den Vorwurf der Sittenwidrigkeit
S. statt aller Hdb WettbewerbsR/Jacobs, §46 Rdnr. 3. Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 694 f. mit weiteren Nachweisen. 86 A.A. Sack, GRUR Int. 1983, 565, 569, wonach hinter §459 BGB die Rechtspflicht des Verkäufers steht, dem Käufer eine mangelfreie Sache zu verschaffen. 87 S. statt aller Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr. 696ff. 88 S. dazu oben 3. Kap. C II 2. 89 Weitergehend Sack, GRUR Int. 1983, 565, 571, der auch „Vekehrssicherungspflichten, die dem Schutz des Eigentums oder sonstiger Vermögenswerte dienen" einbezieht. 90 S. statt aller Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 125ff. 84 85
Rechtsbruch
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begründenden Umstände oder bewußtes Verschließen vor dieser Kenntnis - vorliegen. 91 Gegen diese Lösung 9 2 bestehen jedoch Bedenken, die sich im wesentlichen auf die Ungeeignetheit des Ansatzes der h.M. gründen. 93 Das Wettbewerbsrecht dient nicht allgemein der Sanktionierung der Rechtsverletzung irgendwelcher Normen, so sittlich fundiert diese auch sein mögen, sondern erfaßt die jeweiligen Sachverhalte unter einem ganz spezifischen Blickwinkel, nämlich dem des Wettbewerbs. N u r dann, wenn es um die Verletzung von Normen geht, die gleichfalls aus der Perspektive des Wettbewerbs zu sehen sind, erscheint die Annahme einer per se-Sittenwidrigkeit gerechtfertigt. Ansonsten müssen besondere „wettbewerbsspezifische" Umstände hinzutreten. Abzustellen ist also mit der neueren Meinung auf die „Konkordanz der Schutzzwecke". Diese scheint hier auf den ersten Blick gegeben zu sein, da sowohl § 823 Abs. 1 B G B als auch das U W G die Abnehmer, insb. auch die Verbraucher, schützen. Gleichwohl decken sich die Schutzzwecke nicht. § 1 U W G erfaßt nur die „wettbewerbsrelevanten" Abnehmerinteressen, die i.d.R. eng mit den Interessen der Mitbewerber verbunden sind. 94 In § 823 Abs. 1 B G B geht es hingegen nicht um Interessen der Verbraucher, die in der Wettbewerbssphäre angesiedelt wären, sondern um das Integritätsinteresse jedermanns. Für diese Vorschrift ist irrelevant, in welcher Stellung und Funktion der Geschädigte den Schaden erlitten hat, ob als Fußgänger, als Arbeitnehmer oder eben als Käufer gefährlicher Produkte. Erst recht läßt sich nicht sagen, daß § 8 2 3 Abs. 1 B G B in irgendeiner Weise (auch) den Belangen der Wettbewerber dient. Aus dem gleichen Grunde deckt sich der Schutzzweck des U W G auch nicht mit dem des Produkthaftungsgesetzes oder dem des Produktsicherheitsgesetzes, obgleich diese an das Inverkehrbringen, also an einen auch im Wettbewerbsrecht relevanten Sachverhalt anknüpfen. In beiden Gesetzen geht es ausschließlich um die Sicherheit des Verbrauchers, die wiederum nicht zu den „spezifisch wettbewerbsrelevanten Inter91 Weitergehend Sack, G R U R Int. 1983,565,571: Auch wenn dem Anbietenden keinerlei Vorwurf gemacht werden kann, dieser die Verletzung der Gefahrabwendungspflicht nicht kennen konnte, liege eine per se-Sittenwidrigkeit vor. 92 Und gegen die weitergehende Lösung von Sack. 93 S. dazu die Ausführungen oben. 94 Besonders deutlich Schricker, Gesetzesverletzung, S.254, wonach „das U W G keineswegs die Interessen der Abnehmer in vollem Umfang und in jeder Hinsicht zu wahren bestimmt ist. Nur die in die Wettbewerbssphäre hineinreichenden Abnehmerinteressen genießen Schutz, z.B. das Interesse, beim Geschäftsabschluß nicht getäuscht zu werden. Für § 1 U W G können nur die „wettbewerbsrelevanten" Abnehmerinteressen berücksichtigt werden. (...) In der Praxis sind aber die wettbewerbsrelevanten Abnehmerinteressen eng mit den Interessen der Wettbewerber verflochten; regelmäßig sind neben ersteren auch letztere geschützt. Der Fall, daß nur wettbewerbserhebliche Abnehmerinteressen, nicht auch die Belange der Konkurrenten erfaßt werden, ist vorwiegend theoretischer Natur. Das für die Normzwecktheorie praktisch entscheidende Moment ist der Schutz der Interessen der Wettbewerber. Wird eine diesen Belangen dienende Norm verletzt, so ist „ohne weiteres" unlauterer Wettbewerb anzunehmen"; s. weiter die Ausführungen von Schricker auf S.245. Vgl. auch Schnieders, Jb. Junger Zivilrechtswiss. 1993, S. 103, die diese Wertung weitgehend übernimmt.
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essen" der Verbraucher zählt. Auch lassen sie sich keinesfalls als (auch) dem Konkurrentenschutz dienend bezeichnen. Das Wettbewerbsrecht erfaßt also, was den Verbraucherschutz betrifft, nur einen Teil des großen Gebietes des Verbraucherschutzes.95 Seiner Zielsetzung nach ist es jedenfalls nicht originäres Sicherheitsrecht. Dies schließt nicht aus, daß es Berührungspunkte mit anderen der Sicherheit der Verbraucher dienenden Gesetzen gibt. So kann insbesondere das wettbewerbsbezogene Täuschungsverbot dazu führen, daß der Verbraucher vor dem Erwerb gefährlicher Produkte geschützt wird. Auch kann die bewußte Inkaufnahme schwerer Schäden an Leben, Körper und Gesundheit der Verbraucher gegen die „guten Sitten" verstoßen.96 Unmittelbarer wettbewerbsrechtlicher Ansatzpunkt ist dann jedoch das Irreführungsverbot, das auf die Verhinderung der Beeinträchtigung der für einen Vertragsschluß erforderlichen Entscheidungsgrundlagen abzielt, bzw. der Vorwurf, daß ein bestimmtes, die Sicherheitsinteressen der Verbraucher schädigendes Verhalten entgegen den Vorstellungen der im Wirtschaftsleben herrschenden Sozialmoral und entgegen der Verkehrssitte zum Mittel des Wettbewerbs gemacht wird. Es müssen also zusätzliche Umstände hinzukommen, die Auswirkungen auf der Ebene der Wettbewerber zumindest befürchten lassen97, damit ein Gesetzesverstoß auch wettbewerbsrechtliche Folgen zeitigen kann. Nach Sack9s sollen diese nun darin liegen, daß derjenige, der mangelhafte oder gefährliche Ware anbietet, sich zumindest kurzfristig einen Wettbewerbsvorsprung verschafft. Zwangsläufig ist diese Annahme jedoch nicht.99 Sofern es wegen des Angebots mangelhafter Produkte tatsächlich zu einer Kostenersparnis kommt, wird diese in aller Regel auf eine bewußte betriebswirtschaftliche Entscheidung zurückgehen, Produkte auf bestimmte, vor allem kostengünstigere Weise zu entwickeln, herzustellen oder anzubieten. Die Gefahr eines Wettbewerbsvorsprungs ist daher vor allem durch die Entscheidung, unter Mißachtung der Sicherheitsinteressen der Abnehmer durch die Herstellung bzw. den Vertrieb mangelhafter und/oder unerwartet gefährlicher Produkte billiger produzieren und anbieten zu können, indiziert. Hierin - und nicht im Anbieten eines mangelhaften oder gefährlichen Produktes - liegt das spezifisch Unlautere, der Verstoß gegen die guten Sitten.
95 S. auch Schricker, RabelsZ 1976,535, 537 sowie die Einteilung verbraucherrelevanter Materien bei von Hippel, Verbraucherschutz; dazu wiederum Schricker, G R U R Int. 1976, 315. 96 S. dazu die Ausführungen unten III. 97 In diesem Sinne auch B G H G R U R 1987, 451 - „Eichstrich II". 98 G R U R Int. 1983,565,571. 99 So ist eine Kostenersparnis bei echten Fabrikationsfehlern (Ausreißern) kaum denkbar, jedenfalls die Herstellung nicht notwendigerweise kostengünstiger. Auch bei Instruktionsfehlern kann nicht billiger produziert werden; auf Konstruktionsfehler zurückzuführende mangelhafte Produkte können, müssen jedoch nicht zwangsläufig billiger als mangelfreie sein; zum Aspekt der Kostenersparnis Schricker, Gesetzesverletzung, S.269.
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3. Unterlassen gebotener Warn- und a) Voraussetzung: Rechtlich gebotene
Rückrufaktionen Rückrufpflichten
Als möglicher Anknüpfungspunkt für eine wettbewerbsrechtliche Beurteilung k o m m t schließlich auch das Unterlassen von Warn- und Rückrufpflichten in B e tracht. Diese müssen allerdings „rechtlich geboten", d.h. zivil-, straf- oder verwaltungsrechtlich vorgeschrieben sein. In zivilrechtlicher Hinsicht können sich die Warn- und Rückrufpflichten insbesondere aus den Verkehrspflichten nach § 8 2 3 B G B ergeben. Öffentlich-rechtlich können sich die Rückrufpflichten aus § 9 P r o d S G oder entsprechenden Vorschriften anderer produktspezifischer Sicherheitsgesetze bzw. aus darauf fußenden behördlichen Anordnungen ergeben. Voraussetzung für einen Verstoß gegen § 1 U W G wäre zum einen, daß derartige Verkehrspflichten bzw. öffentlich-rechtlichen Pflichten zur par condicio zählen und daß sie zum anderen tatsächlich eine Rückrufpflicht begründen, wobei wiederum auf die konkret vorgeschriebenen Maßnahmen abzustellen ist: Wenn lediglich eine Warnpflicht besteht, stellt nur deren Unterlassung und nicht etwa auch die N i c h t v o r n a h m e einer kostenlosen Reparatur etc. eine Verletzung des rechtlichen G e b o t s dar.
b) Anknüpfungspunkt
Unterlassen
Anders als in den bislang beurteilten Fallkonstellationen ist es beim Unterlassen gebotener Warn- und Rückrufaktionen nicht möglich, an eine positive H a n d lung anzuknüpfen. Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung steht hier ausschließlich ein passives Verhalten, nämlich das Untätigbleiben des Herstellers. Obgleich § 1 U W G von „Handlungen" zum Zwecke des Wettbewerbs spricht, kann nach ganz h.M. 1 0 0 Anknüpfungspunkt grundsätzlich auch ein Unterlassen sein; es genügt jedes den Sittenverstoß begründende „Verhalten". Wegen der N ä he von § 1 U W G zu § 823 Abs. 1 B G B wird das Unterlassen dabei dem positiven Tun gleichgestellt, wenn eine Pflicht zur Handlung besteht, die sich u.a. aus vorangegangenem - auch schuldlosem - Tun ergeben kann. 101 I m vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, daß der Vorsprungsgedanke voraussetzungsgemäß nur dann eingreift, wenn bereits eine Pflicht zur Handlung nach § 823 B G B feststeht. D i e Wertung, die zu diesem Ergebnis geführt hat, kann auch für § 1 U W G übernommen werden, da darüber hinaus gehende typisch wettbewerbsrechtliche Kriterien für eine Gleichstellung des Unterlassens mit der Handlung nicht ersichtlich sind. Dies bedeutet nicht, daß die Gleichstellung posi100 Statt aller v. Gamm, Kap. 17 Rdnr. 18. Fälle „echten" Unterlassens kommen bei § 1 U W G häufiger als bei §3 vor, z.B. wenn eine Handlung, die mangels Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände zunächst nicht mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit belegt werden kann, durch den späteren Kenntniserwerb unlauter wird, der Beklagte jedoch gleichwohl untätig bleibt; s. z.B. B G H G R U R 1977, 614 - „Gebäudefassade". 101 UWG-Großkomm/Schünemann, Einl. U W G D Rdnr. 193ff. .
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tives Tun/Unterlassen mit dem Sittenverstoß, den es erst zu prüfen gilt, begründet wird. 102 „Sittenwidrigkeit" i.S.v. § 1 U W G verlangt mehr als eine Handlungspflicht. D i e Kriterien, die für die Gleichstellung von Bedeutung sind, können zwar auch für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 1 U W G eine Rolle spielen, müssen letztlich jedoch nicht ausschlaggebend sein; sie sind nur Teilaspekte einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung.
c) Handeln zu
'Wettbewerbszwecken
Nach soll das Unterlassen rechtlich gebotener Warn- und R ü c k r u f a k tionen deshalb eine Wettbewerbshandlung darstellen, weil die Kosten derartiger Aktionen entfallen und eine mögliche Beeinträchtigung des goodwill des U n t e r nehmens vermieden wird. D e m ist zuzustimmen. 1 0 4 Zwar müssen Kosteneinsparungen nicht zwangsläufig in einen Wettbewerbsvorsprung umgemünzt werden, sie können es jedoch. 1 0 5 Vor allem vermag jedoch die Vermeidung eventueller goodwill-Einbußen zu einer Aufrechterhaltung einer Wettbewerbsposition, die bei Vornahme des gebotenen Rückrufs möglicherweise geschwächt worden wäre, zu führen. D e m steht nicht entgegen, daß nicht unumstritten ist, ob Rückrufaktionen tatsächlich goodwill-Schäden nach sich ziehen 1 0 6 oder o b ihre Nichtdurchführung bei Bekanntwerden wiederum größere Imageschäden hervorruft als es die Rückrufaktion selbst getan hätte. E s genügt, daß das Unterbleiben von R ü c k rufaktionen Auswirkungen auf den goodwill haben kann. Diese sind auch durch die Unterlassung des Rückrufs vermeidbar, nämlich dann, wenn der Hersteller hoffen kann, daß sich nicht alle Produktgefahren realisieren und er die wenigen entstehenden Schadensfälle diskret erledigen kann. D a die subjektive Absicht bei einem objektiv zur Absatzförderung geeigneten Verhalten, das dem Handelnden oder Unterlassenden selbst zugute k o m m t , vermutet wird, liegt also eine Wettbewerbshandlung vor. Sack10i
d) Verkehrspflicht als „par condicio " Anknüpfungspunkt ist die Verletzung von Verkehrspflichten, die sich nur zu einem kleinen Teil aus produktspezifischen Regelungen, überwiegend jedoch aus dem Deliktsrecht ( § 8 2 3 B G B ) ergeben. U n t e r dem Gesichtspunkt des „Rechtsb r u c h s " ist daher zu fragen, o b derartige Verkehrspflichten zur par condicio im Wettbewerbsleben zählen. Wie an anderer Stelle ausgeführt 107 , enthält § 8 2 3 Abs. 1 B G B nicht nur sekundäre Rechtsfolgen (Schadensersatz), sondern begrün102 Mißverständlich daher v. Gamm, Kap. 17 Rdnr. 18: „Handeln umfaßt das positive Tun sowie das Unterlassen, sofern die guten Sitten ein Handeln erfordern." 103 Sack, DAR 1983, 1. 104 Ebenso Rettenbeck, S. 126f.; H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1810. 105 S. dazu Schricker, Gesetzesverletzung, S.269f. 106 S. oben Zweiter Teil 3. Kap. C _. 107 S. oben II 2.
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det auch die Pflicht zur Schadensvermeidung, deren Respektierung allen Wettbewerbern gleichermaßen obliegt. Bedenken könnten sich also allenfalls daraus ergeben, daß die „allgemeinen Verkehrspflichten" nicht unmittelbar in der N o r m genannt sind, sondern im Wege der Normauslegung entwickelt wurden. Sie könnten daher möglicherweise zu vage sein, um den wettbewerbsrechtlichen Handlungsspielraum, der allen Marktteilnehmer gleichermaßen offensteht, hinreichend präzise zu begrenzen. Zweifellos besteht, was die Vorhersehbarkeit des rechtlich erlaubten oder verbotenen Verhaltens betrifft, ein Unterschied zwischen einer einen klaren Gesetzesbefehl enthaltenen N o r m , die ein bestimmtes Verhalten präzise vorschreibt oder verbietet, und den relativ flexiblen Grundsätzen, auf denen die allgemeine Verkehrspflicht aufbaut. Andererseits sind diese von der Rechtsprechung entwikkelten Grundsätze durch eine reiche Judikatur so hinreichend bestimmt und vorhersehbar geworden, daß sie eine gewisse Prognose des gestatteten Verhaltens erlauben. Sie sind damit gewiß nicht unbestimmter als beispielsweise bestehende Verpflichtungen aus Vertriebsbindungen oder Handelsbräuchen, die von der h.M. als par condicio anerkannt worden sind. 108 Insbesondere im Vergleich zu letzteren erschiene es nicht gerechtfertigt, die auf der Grundlage von § 823 B G B entwickelten allgemeinen Verkehrspflichten als ungeeignet anzusehen, den rechtlich zulässigen Verhaltensspielraum aller Gewerbetreibenden im Wettbewerb zu umreißen. 1 0 9 Das gleiche gilt für die Rückrufpflichten nach den Produktsicherheitsgesetzen. e) Per
se-Sittenwidrigkeit?
V o m Standpunkt der h.M., die von einer Trennung zwischen sittlich fundierten und wertneutralen N o r m e n ausgeht, erscheint es konsequent, die Verletzung von Verkehrspflichten, soweit sie dem Schutz von Leben, Gesundheit und K ö r p e r dienen, als per se sittenwidrig nach § 1 U W G anzusehen. 1 1 0 Sofern die von der h.M. geforderte subjektive Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände vorliegt oder der Inanspruchgenommene sich dieser Kenntnis bewußt entzieht, liegt daher ein Verstoß gegen § 1 U W G vor. V o m Standpunkt der neueren Lehre, der aus den oben erörterten Gründen der Vorzug zu geben ist, käme es demgegenüber auf eine K o n k o r d a n z der Schutz-
Dazu Hdh WetthewerhsR/Jacohs, §47 Rdnr. 14 ff. Ebenso Sack, GRUR Int. 1983, 569; Rettenheck, S. 123; im Ergebnis wohl auch H. Herrmann, BB 1985, 1801. 110 So auch Sack, DAR 1983, 1; GRUR Int. 1983, 565; H. Hermann, BB 1985, 1801. A.A. offenbar Rettenheck, S. 126f., da die Rückrufverpflichtung nicht „sozusagen eine ethische Grundforderung", sondern „nur das Ergebnis bürgerlich-rechtlicher Zurechungsgesichtspunkte" sei. Vom Standpunkt der h.M. kommt es jedoch nur darauf an, daß die Norm, auf die die Rückrufverpflichtung gestützt wird, dem Schutz bestimmter wichtiger Rechtsgüter dient. Im übrigen sind auch die Warnpflichten, für die Rettenbeck den Anspruch aus § 1 UWG letztlich bejaht, das Ergebnis bürgerlich-rechtlicher Zurechnungsgesichtspunkte. 108
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zwecke an. Diese besteht hier nicht. Bei den Verkehrspflichten sowohl aufgrund § 8 2 3 B G B als auch aufgrund der Produktsicherheitsgesetze geht es, wie oben ausgeführt, um das Integritätsinteresse aller Personen und nicht um das fair play im Wettbewerb. Das U W G schützt hingegen nur die eine Wettbewerbsrelevanz aufweisenden Abnehmerinteressen, was i.d.R. dann zu bejahen ist, wenn sie mit den Interessen der Mitbewerber verwoben sind. Es müssen also besondere Umstände hinzukommen, die einen Bezug zur Wettbewerbssphäre herstellen und die es nahelegen, daß die Ausnutzung des Rechtsbruchs zu einem Vorteil im Wettbewerb führt oder doch führen kann. Diese besonderen Umstände sind entgegen der von H. Herrmannul vertretenen Auffassung nicht darin zu sehen, daß ein „sicherheitstechnischer Qualitätswettbewerb" 1 1 2 vorliegt. Sie sind vor allem in der Zielsetzung des Gesetzesverstoßes, in der gezielten Erlangung eines Wettbewerbsvorteils zu sehen. In Anbetracht des komplexen Charakters des hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalts wird zudem eine „Gesamtwürdigung" des Gesamtcharakters der Gesetzesverletzung 1 1 3 erforderlich sein. Danach wird die Verweigerung eines Rückrufs dann gegen § 1 U W G verstoßen, wenn die tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Rückrufpflicht ergibt, eindeutig sind, also insbesondere die Gefahr schwerer Schäden positiv bekannt ist, wenn ein R ü c k r u f zur Gefahrabwendung geeignet und auch zumutbar ist und wenn die Entscheidung, diesen nicht vorzunehmen, auf der betriebswirtschaftlichen Überlegung beruht, durch das Unterlassen des Rückrufs die Wettbewerbsstellung zu verbessern oder zumindest Einbußen zu verhindern. In einem derartigen Fall ist auch unschädlich, daß die Weigerung, einen R ü c k r u f vorzunehmen, regelmäßig auch andere Gründe hat. So kann der Hersteller den Organisationsaufwand des Rückrufs scheuen oder befürchten, durch diesen seine Verteidigungsposition gegen eventuelle Schadensersatzansprüche zu schwächen. Beides wäre zunächst ohne direkte Auswirkungen auf den Wettbewerb. Soweit die Verweigerung des Rückrufs jedoch auch dazu dient, Imageschäden zu vermeiden, w o v o n regelmäßig auszugehen sein wird, ist die wettbewerbsrechtliche Relevanz
111 H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1811; ähnlich wohl auch Produkthaftungshandbuch/ Bd. 1 /Foerste, §39 Rdnr. 19; ablehnend Rettenbeck, S. 128. 112 Wann dies der Fall ist, wird von H. Herrmann nicht klar herausgearbeitet. Es liegt nahe, daß er damit einen offen über Sicherheitsaspekte ausgetragenen Wettbewerb meint. Werden jedoch Sicherheitsargumente in der Werbung nicht in den Vordergrund gestellt, folgt daraus weder, daß die Hersteller sich auf diesem Gebiet keine Konkurrenz lieferten, noch, daß die Verbraucher diesem Aspekt keine Bedeutung gemessen. Beide gehen möglicherweise davon aus, daß alle konkurrierenden Produkte eine ausreichende Grundsicherheit gewährleisten, so daß entscheidende Wettbewerbsvorteile durch deren Herausstellung nicht zu erlangen sind. Gerade diese Annahme könnte jedoch durch den Rückruf eines Herstellers für dessen Produkte untergraben werden und deshalb für ihn zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil führen. Negative Sicherheitsinformationen über ein Produkt können durchaus eine stärkere Wirkung haben als positive. 113 Im Sinne der Entscheidungen „PS-Werbung II" und „Flaschenpfand", G R U R 1994, 220, 222, s. dazu die Ausführungen oben C H I .
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des (möglichen) Wettbewerbsvorsprungs zu bejahen, sofern es sich nicht u m ein gegenüber den anderen Gründen völlig untergeordnetes Motiv handelt. 1 1 4 Sind die vorstehend erörterten Voraussetzungen erfüllt und würde die R ü c k rufpflicht, deren Unterlassen als wettbewerbswidrig angesehen wird, eine Reparatur- oder Austauschpflicht begründen, so lassen sich die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche nicht auf eine Warnaktion beschränken. D i e von
Rettenbeck115
vertretene Auffassung, daß nach Durchführung der Warnaktion der Verbraucher nunmehr den wahren Wert des Produktes kenne und der Hersteller deshalb keine weiteren Imagevorteile und auch keinen Wettbewerbsvorsprung haben könne, kann nicht geteilt werden. Die Überlegungen Rettenbecks
spielen ohnehin nur
dann eine Rolle, wenn die nach § 823 B G B rechtlich gebotene Rückrufaktion über die Warnung hinaus eine Reparatur, einen Austausch etc. verlangen würde. In diesem Fall ist aber auch die wettbewerbsrechtliche Unterlassungssanktion auf die Vornahme eben dieser rechtswidrig unterlassenen Handlung gerichtet. Dabei ist es nicht von Bedeutung, daß der durch den Rechtsbruch erlangte Wettbewerbsvorsprung auch durch eine weniger eingreifende Maßnahme, etwa eine bloße Warnung ausgeglichen werden könnte. 1 1 6 D e r Tatbestand des Vorsprungs durch Rechtsbruch berührt nämlich nicht nur das Interesse der Konkurrenten an der Verhinderung bzw. dem Ausgleich rechtswidrig erlangter Wettbewerbsvorteile, sondern auch das Allgemeininteresse, da diese Verstöße die Gefahr der N a c h a h mung durch Konkurrenten in sich bergen, u m den Wettbewerbsvorsprung des „Rechtsbrechers" auszugleichen. 1 1 7 E s geht nicht nur um den Erfolg des wettbewerbswidrigen Verhaltens, der rückgängig zu machen wäre, sondern um die U n terlassung dieses Verhaltens, das wegen der Ausnutzung der Rechtstreue der Konkurrenten mißbilligt wird.
III.
Sittenwidrigkeit wegen Gefährdung
der
Verbraucher
D i e bisherigen Ausführungen zu § 1 U W G konnten sich auf von Rechtsprechung und Literatur im Laufe der Jahrzehnte herausgearbeitete wettbewerbsrechtliche Grundsätze zur Fallgruppe des „Rechtsbruchs" stützen. Ein Verstoß gegen die „guten Sitten" kann jedoch auch in einem neuen, keine der bisherigen Fallgruppen zuzuordenden Wettbewerbsverhalten liegen, also auch darin, daß zu Zwecken des Wettbewerbs A b n e h m e r der Gefahr von schweren Schäden, die v o m Hersteller vermieden werden könnten, ausgesetzt werden. Anders als bei dem Tatbestand des „Rechtsbruchs" ist dabei die Verletzung einer sich aus § 8 2 3 114 Insofern gelten dieselben Grundsätze wie zur Bestimmung der Wettbewerbsabsicht im Rahmen der Wettbewerbshandlung, s. statt aller Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr. 234. 115 Rettenbeck, S.129. 116 Was im übrigen äußerst zweifelhaft ist. Voraussetzung hierfür wäre nämlich, daß die Warnung alle potentiellen Käufer erreichte und daß diese zudem die Warnung im Zeitpunkt des Kaufentschlusses im Gedächtnis haben und berücksichtigen. 117 Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG Rdnr 608.
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Wettbewerbsrecht
B G B oder anderen Vorschriften ergebenden Verkehrspflicht nicht erforderlich. A u c h ein rechtlich ansonsten nicht sanktioniertes Verhalten kann grundsätzlich nach § 1 U W G beurteilt werden. Tatsächlich wird bei der sittenwidrigen A b n e h mergefährdung meist jedoch eine Parallelität vorliegen. 1.
Wettbewerbshandlung
D i e Wettbewerbshandlung kann sowohl in dem Anbieten bzw. Inverkehrbringen gefährlicher Produkte als auch in dem Unterlassen eines Rückrufs liegen. N a c h dem weiten Handlungsbegriff des § 1 U W G ist bei letzterem eine Gleichstellung mit der Handlung nur dann möglich, wenn eine Handlungspflicht besteht. Diese kann sich, wie oben erläutert, aus den für die Gefahrabwendungspflichten im R a h m e n des § 823 B G B entwickelten Grundsätzen (Schaffung einer Gefahrenquelle, vorangegangenes gefährdendes Tun, Beherrschung der Gefahr etc.) bzw. aus den Produktsicherheitsgesetzen ergeben.
2.
Sittenwidrigkeit
a)
Allgemeines
D i e Frage, anhand welcher Kriterien die „guten Sitten" nach § 1 U W G zu bestimmen ist, hat Rechtsprechung und Literatur seit Inkrafttreten des Gesetzes beschäftigt. 1 1 8 Als sprachlich am nächsten liegend boten sich die tatsächlichen G e schäftsgepflogenheiten („Sitte") an. Eine Anknüpfung an die Konventionalsnormen hat zwar den Vorteil der Rechtssicherheit, versagt jedoch in den Fällen, in denen sich noch keine Verkehrsübung herausgebildet hat, was bei den sich ständig wandelnden Sachverhalten des Wettbewerbslebens relativ leicht v o r k o m m e n kann, oder in denen sich die „Sitte" als Unsitte herausstellt, da sie die Interessen der v o m Wettbewerbsrecht gleichermaßen geschützten A b n e h m e r und der Allgemeinheit verletzt. D i e überwiegende Meinung in Lehre und Rechtsprechung will den Begriff der guten Sitten daher auf die Regeln der E t h i k zurückführen, dies allerdings nicht im Sinne einer „ M o r a l " im christlich-ethischen Sinne, sondern im Sinne der der herrschenden Wirtschafts- und Sozialordnung immanenten Rechtsethik (Sozialmoral). 1 1 9 D a m i t ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, wie die Bewertung, was dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht D e n k e n d e n " 1 2 0 entspricht, letztlich zustandekommt. In der Literatur hat diese Unbestimmtheit von Anfang an Kritik ausgelöst. Es fehlt daher nicht an Versuchen einer Präzisierung. Sie reichen von dem Vorschlag, ausschließlich auf das tatsächliche Verhalten der beteiligten Ver-
S. den ausführlichen Überblick bei Schricker, Gesetzesverletzung, S. I85ff. . Vgl. Schricker, Gesetzesverletzung, S. 197. 120 Diese vom RG 1901 erstmals benutzte Formel wird regelmäßig in der Rechtsprechung, auch der neueren, verwendet. 118
119
Sittenwidrige
Gefährdung
401
kehrskreise abzustellen, um jede Gefühlsjurisprudenz zu vermeiden, bis zu der diametral entgegengesetzten Auffassung, § 1 U W G stelle eine „Blankettnorm" dar, deren Ausfüllung dem Rechtsgefühl und der praktischen Vernunft des R i c h ters überlassen bleiben müsse. In jüngerer Zeit wurde auch der Gedanke des „ordre public" herangezogen bzw. eine Lösung in einer Interessenabwägung gesehen 1 2 1 oder die Gleichsetzung von gesetzwidrig und sittenwidrig erneut vertreten. 1 2 2 D e r Umstand, daß keiner dieser Ansätze die Frage nach der wettbewerbsrechtlichen Lauterkeit erschöpfend und völlig überzeugend zu beantworten vermag 1 2 3 , läßt vermuten, daß ein derartiges Unterfangen in Anbetracht der Gegebenheiten im Wettbewerbsleben letztlich nicht erfolgreich sein kann. In der Tat sind die zur Beurteilung stehenden Sachverhalte hierzu zu unterschiedlich. F ü r jedes Wettbewerbsproblem muß daher die passende Betrachtungsweise oder Kombination einschlägiger Gesichtspunkte gefunden werden. Bei Sachverhalten, bei denen eine allgemeine „moralische" Mißbilligung nicht auf der H a n d liegt, müssen zusätzliche Kriterien herangezogen werden. Wertungsdirektiven lassen sich dabei aus anderen Gesetzen entnehmen, vor allem aus dem Grundgesetz oder - bei gewissen Sachverhalten, wie z . B . der sklavischen Nachahmung - auch den Regelungen des gewerblichen Rechtsschutzes und Urheberrechts. Von besonderer B e deutung ist auch die Verbindung mit dem Kartellrecht. Dieses hat zwar einen anderen Schwerpunkt als das U W G , jedoch sind die Berührungspunkte bei bestimmten Sachverhalten wie etwa der Preisunterbietung unverkennbar. Ein unverzichtbares Hilfsmittel gerade bei komplexeren Sachverhalten ist schießlich die M e t h o d e der Interessenabwägung. Sie vermag zwar nicht die Frage, welche Interessen im Konfliktfall vorgehen, zu beantworten, ermöglicht jedoch die Offenlegung und Analyse gegenläufiger Interessen, ohne die eine Entscheidung vieler Sachverhalte im heutigen Wettbewerbsleben nicht denkbar ist.
b) Anwendung auf den Fall D i e K o m b i n a t i o n aller vorgenannten Umstände führt zu dem Ergebnis, daß jedenfalls bei bestimmten Konstellationen sowohl das A n g e b o t bzw. Inverkehrbringen gefährlicher Produkte als auch die Unterlassung eines Rückrufs sittenwidrig nach § 1 U W G sein können. D i e Sittenwidrigkeit ergibt sich n o c h nicht daraus, daß ein derartiger Sachverhalt möglicherweise gegen § 8 2 6 B G B verstößt. 1 2 4 Entscheidend ist vielmehr, daß es der allgemeinen ethischen (moralischen) Uberzeugung zuwiderläuft, aus rein wirtschaftlichen Gründe schwere Schäden an Leib und Leben Dritter in Kauf zu nehmen, wenn diese durch zumutbare M a ß n a h m e n vermieden werden könnten, Zurückzuführen auf Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerb, 1963. So insb. Sack, z.B. in GRUR 1970, 493. 123 So die eingehende Kritik von Schricker, Gesetzesverletzung, S.210ff. 124 Vgl. die „Bremsen I"-Entscheidung des RG, RGZ 163,21, 26 zu §826 BGB. Dies schließt nicht aus, daß in den Fällen, in denen ein gegen § 826 BGB verstoßender Sachverhalt wirtschaftliche Züge aufweist, ein übereinstimmendes Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung naheliegt. 121
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Wettbewerbsrecht
und daß diese ethische Überzeugung auch im Wirtschaftsleben gilt. D e n n der Wettbewerb soll sich dadurch auszeichnen, daß zwischen allen Marktteilnehmern ein faires und vertrauensvolles Verhältnis besteht. D e m „fair play" im Wettbewerb widerspricht es jedoch nicht nur, wenn ein Marktteilnehmer seine „Partner" in Vermögensdingen (etwa durch Täuschungen) schädigt, sondern auch und erst recht, wenn er sie schweren Körperschäden oder gar Lebensgefahren aussetzt, um damit seinen Absatz zu erhöhen oder zu halten. Ein bewußtes Inkaufnehmen einer Schädigung der A b n e h m e r durch gefährliche Produkte, die - wenn auch möglicherweise unter Umsatzeinbußen - vermieden werden könnte, verstößt daher gegen die herrschende Sozialethik im Wirtschaftsleben. Sie entspricht im übrigen auch nicht der herrschenden Geschäftsmoral als Konventionalnorm, da es sich eingebürgert hat, jedenfalls in bestimmten Fällen Rückrufaktionen vorzunehmen. E s ist ferner nicht mit der aus dem Grundgesetz folgenden Wertung, w o nach das Interesse der A b n e h m e r an körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 II G G ) dem Geschäftsinteresse der Herstellerseite vorgeht, zu vereinbaren. U m ein Beispiel zu nennen: Das Inverkehrbringen eines Herzschrittmachers, von dem bekannt ist, daß er zu lebensgefährlichen Komplikationen führt, obgleich diese durch eine (wenn auch kostspieligere) Abwandlung des Produktes vermieden werden könnten, verstößt ebenso gegen die „Sitte" und die „ M o r a l " , wie die bewußte Weigerung des Herstellers, bei derartigen nachträglich erkannten Gefahren die A b n e h m e r zu warnen. D i e Betonung des Aspekts, daß das Verhalten des Herstellers bewußt und zur Absatzförderung erfolgen muß, zeigt bereits, daß das Sittenwidrigkeitsurteil hier nicht ohne eine umfassende, an den Funktionen von § 1 U W G orientierte Interessenabwägung gefällt werden kann. Im R a h m e n dieser Interessenabwägung ist insbesondere danach zu fragen, wie schwer die drohenden Schäden sind, wie k o n kret die Gefahr ihrer Verwirklichung ist, wie groß der betroffene Personenkreis ist, wie zumutbar Warn- oder Rückrufaktionen sind. Auch der Umstand, daß der Hersteller bereits bei Inverkehrbringen positive Kenntnis von der gefahrbringenden Eigenschaft gehabt hat, kann eine Rolle spielen. In der Regel wird es sich also um eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit oder das Leben handeln müssen. J e größer und je konkreter diese Gefahr für die A b n e h m e r ist, je mehr dem Hersteller ein Vorwurf gemacht werden kann, je leichter Rückrufaktionen durchführbar sind, desto eher wird auch ein Sittenverstoß angenommen werden können. Auch hier finden die Interessen des Herstellers also Berücksichtigung. Sie sind jedoch als reine Vermögensinteressen grundsätzlich geringer zu bewerten als das Integritätsinteresse der A b n e h m e r (Art. 2 II G G ) . Eine K o s t e n - N u t z e n - A n a l y s e , wie sie in dem berühmten „Pinto"-Fall 1 2 5 125 S. dazu das bei Keeton/Owen/Montgomery/Green, S. 840f., Note 1 teilweise abgedruckte firmeninterne Memorandum, das zu dem Ergebnis kam, daß dem Nutzen zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen von US$ 49,5 Millionen Kosten in Höhen von US$ 137 Millionen gegenüberstünden; der geplante Sicherheitsstandard verursache deshalb dreimal soviel Kosten wie Nutzen. Kritisch zu der Bedeutung, die diesem Memorandum zugemessen wurde, G. Schwartz, 43 Rutgers L. Rev. 1013 (1991).
Ergebnis
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von dem amerikanischen Hersteller Ford mit dem Ergebnis angestellt wurde, daß es günstiger sei, Schäden sich realisieren zu lassen und Schadensersatz zu zahlen, als einen Rückruf vorzunehmen, würde daher in Anbetracht der Schwere der drohenden Schäden für Leben und Gesundheit der Autofahrer und unbeteiligter Dritter nicht an einer Annahme der Sittenwidrigkeit hindern.
D.
Ergebnis
Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, daß das U W G grundsätzlich für die Anordnung von Gefahrabwendungsmaßnahmen und grundsätzlich auch für den Rückruf nutzbar gemacht werden kann. D e r Anwendungsbereich ist freilich sehr begrenzt. Soweit eine Irreführung über Sicherheitsaspekte des Produktes durch Werbung oder sonstiges Verhalten bzw. Unterlassen im Sinne von § 3 U W G vorliegt, kommt als Sanktion primär die Unterlassung in Betracht. Durch sie werden allerdings nur zukünftige Täuschungen verhindert. Eine Information früherer Käufer durch eine eventuelle Änderung der Werbung über die Gefahren des Produktes ist nur in beschränktem Umfang möglich. Ansonsten kann eine Information der Käufer bereits in Verkehr gebrachter gefährlicher Produkte nur im Rahmen eines Beseitigungsanspruchs erreicht werden. Dieser setzt voraus, daß die Täuschungswirkung noch anhält und zu befürchten ist, daß sie die Kaufentscheidungen der angesprochenen Verkehrskreise weiterhin beeinflußt. Selbst dann kann der Beseitigungsanspruch jedoch nur auf die Ausräumung der hervorgerufenen Irrtümer, d.h. auf Information über die Gefahr gehen. Da Schutzzweck allein die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ist, sind weitergehende Informationen, etwa über Möglichkeiten der Gefahrvermeidung oder der Fehlerbeseitigung, nicht begründbar. Dies gilt erst recht für Reparatur- oder Austauschansprüche. Eine Unlauterkeit gemäß § 1 U W G unter dem Gesichtspunkt des „Rechtsbruchs", die an das Inverkehrbringen fehlerhafter oder gefährlicher Produkte anknüpft, kommt nur in Betracht, wenn das Angebot gefährlicher Produkte zum Mittel des Wettbewerbs gemacht wird, d.h. wenn bewußt hierdurch wettbewerbliche Vorteile erlangt werden sollen. Auch dann wird es im wesentlichen nur um die Unterlassung des Inverkehrbringens der gefährlichen Produkte ohne ausreichende Aufklärung der Verbraucher gehen. Die Gefahren bereits in Verkehr gelangter Produkte können damit nicht abgewendet werden. Allenfalls soweit der auf der nicht ausreichenden Information über die Produktgefahren beruhende Wettbewerbsvorsprung weiterbesteht, kann im Wege des Beseitigungsanspruchs eine nachträgliche Information der Käufer verlangt werden, damit diese in Zukunft ihre Kaufentscheidungen auf der Grundlage korrekter Informationen treffen können. Dies liegt anders, wenn der Wettbewerbsvorsprung auf dem Unterlassen eines rechtlich gebotenen Rückrufs beruht. In diesem Fall ist der Unterlassungsanspruch mit dem Beseitigungsanspruch identisch. E r richtet sich auf die Vornahme
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der unterlassenen rechtlich gebotenen Rückrufaktion. Allerdings ist auch hier Voraussetzung, daß die Unterlassung bewußt und planmäßig als Mittel des Wettbewerbs eingesetzt wird. N i c h t alle unterlassenen Rückrufaktionen, die nach den Regeln des Produkthaftungsrechts oder anderer gesetzlicher Vorschriften geboten waren, sind also erfaßt. D e r Inhalt des Unterlassungsanspruchs richtet sich dabei nach der Rückrufhandlung, die geboten gewesen wäre. Soweit also das P r o dukthaftungsrecht nur eine Warnung der Verbraucher vorschrieb, kann auch wettbewerbsrechtlich nicht mehr gefordert werden. War allerdings nach der im Produkthaftungsrecht erforderlichen umfassenden Interessenabwägung eine R e paratur- oder Austauschaktion geboten, kann diese auch mit dem Unterlassungsanspruch nach § 1 U W G durchgesetzt werden. U n t e r der Voraussetzung, daß ein Hersteller bzw. Verkäufer aufgrund einer bewußten betriebswirtschaftlichen Entscheidung rechtlich gebotene Reparatur- oder Austauschmaßnahmen unterläßt, um hierdurch wettbewerbliche Vorteile zu erlangen - was insbesondere dann anzunehmen ist, wenn hinreichend klar ist, daß das Produkt gravierende Schäden verursacht, ein R ü c k r u f jedoch nicht erfolgt, um Imageschäden zu vermeiden - , kann also auf der Grundlage von § 1 U W G die Vornahme solcher M a ß nahmen erreicht werden. Schließlich können sich Rückrufpflichten und -anspräche unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Abnehmergefährdung ergeben. O b eine solche vorliegt, ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu bestimmen; hierbei k o m m t besondere Bedeutung dem Umstand zu, daß die Gefährdung der A b n e h mer als Mittel des Wettbewerbs in Kauf genommen wird. In der Regel wird die Interessenabwägung nur dann zu einer Unlauterkeit führen, wenn von dem P r o dukt erhebliche Gefahren für Leib und Leben ausgehen, die der Hersteller oder Verkäufer bewußt in Kauf genommen hat, obgleich er sie hätte vermeiden k ö n nen. Als Sanktionen k o m m e n das Unterlassen dieser Handlungen für die Zukunft und, da die Sittenwidrigkeit in der Gefährdung der A b n e h m e r und/oder Dritter liegt, die Beseitigung dieser Gefährdung in Betracht. I m R a h m e n dieser Beseitigung können als Ergebnis der Interessenabwägung auch Ansprüche auf Warnung oder Reparatur und Austausch entstehen. A u c h hier beschränken die Tatbestandsvoraussetzungen solch weitgehende Rückrufansprüche jedoch auf eine eklatante Verletzungen der herrschenden Sozialethik und der im Verkehr bestehenden Bräuche, die schon deshalb die in Anspruch genommenen Hersteller und Verkäufer als nicht besonders schutzwürdig erscheinen läßt. In den Fällen, in denen wettbewerbsrechtliche Rückrufansprüche in F o r m von Informations- oder auch Reparatur- und Austauschansprüchen bestehen, k ö n nen diese nicht nur von den Mitbewerbern und deren Verbänden, sondern auch von den Verbraucherverbänden geltend gemacht werden. Dies gilt sowohl für die auf § 3 U W G als auch für die auf § 1 U W G gestützten Ansprüche 1 2 6 und sowohl 126 Die Aktivlegitimation der Verbraucherverbände besteht im Rahmen von § 1 U W G zwar nur, soweit wesentliche Belange berührt sind. Dies ist jedoch beim Rückruf gefährlicher Produkte stets der Fall.
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für den Unterlassungs- als auch für den Beseitigungsanspruch. 1 2 7 D i e Klagebefugnis setzt lediglich voraus, daß der rechtsfähige klagende Verein den Schutz der Verbraucher nicht nur satzungsgemäß anstrebt, sondern auch tatsächlich verwirklicht. 1 2 8 In der Praxis sind Verbraucherverbände wegen ihrer schwachen finanziellen Ausstattung allerdings nur zögernd bereit, komplexe Sachverhalte, zu denen die Rückrufsproblematik zweifelsohne zählt, aufzugreifen. 1 2 9
5. Kapitel
Gefahrabwendungspflichten und -ansprüche und Gewährleistungsrecht A. Deliktsrecht
und
Gewährleistungsrecht
Die vorstehend abgeleiteten Ergebnisse hinsichtlich des Bestehens von R ü c k rufpflichten und -ansprüchen, können in Konflikt mit den Lösungen des G e währleistungsrechts geraten. D i e deliktische Verkehrspflicht zur direkten G e fahrbeseitigung besteht nämlich zunächst einmal unabhängig davon, ob die G e währleistungsfrist des § 4 7 7 B G B bereits überschritten ist; der Hersteller könnte deshalb deliktsrechtlich zu Reparatur (Nachbesserung) oder Austausch ( N a c h lieferung) verpflichtet sein, auch wenn eine entsprechende Pflicht nach G e w ä h r leistungsrecht nicht mehr besteht. 1 F ü r diesen Konfliktfall stellt sich die Frage, o b das Gewährleistungsrecht dem Deliktsrecht vorgeht.
I. Übereinstimmung
mit dem
Gewährleistungsrecht
Allerdings ist nicht in jedem Fall der Auferlegung von deliktischen Gefahrabwendungspflichten eine solche Abgrenzung erforderlich. Zwei Fallgruppen lassen sich bereits im vorhinein herauslösen, weil der unterstellte Wertungskonflikt dort nicht auftreten kann. Dabei handelt es sich um die Fälle, in denen die deliktsrechtliche Wertung dem Hersteller eine Gefahrenabwehr nur durch Warnung bzw. Instruktion aufgibt, und um Fälle des arglistigen Verschweigens eines P r o duktmangels.
Teplitzky, WRP 1984, S. 368. BGH GRUR 1973, 78 - „Verbraucherverband". Ausführlich zur Verbraucherverbandsklage UWG-Großkomm/Erdmann, §13 UWG Rdnr. 837. 129 Das von den Verbraucherverbänden gescheute Prozeßrisiko könnte theoretisch zwar durch eine Streitwertbegünstigung bzw. -minderung gemäß §§ 23b, a UWG abgemildert werden. Uberwiegend (s. z.B. Hdb WettbewerbsR/Seibt, §69 Rdnr. 4) wird jedoch vertreten, daß diese Vorschriften nicht dazu da seien, den Verbraucherverbänden die Ausübung der Aktivlegitimation erst zu ermöglichen; dies setze eine entsprechende finanzielle Ausstattung voraus. 1 Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1064. 127
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Bei der Auferlegung deliktsrechtlicher Warn- und Instruktionspflichten entsteht ein K o n f l i k t mit dem Gewährleistungsrecht in aller Regel nicht, weil dadurch dem Berechtigten nicht etwas gewährt wird, auf das er nach den gewährleistungsrechtlichen Vorschriften wegen § 4 7 7 B G B keinen Anspruch mehr hätte. Instruktionsfehler stellen nur in seltenen Fällen einen Sachmangel dar. 2 U n t e r vertragsrechtlichen Gesichtspunkten handelt es sich dabei meist um die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten. 3 D e r K o n f l i k t kann ferner selbst bei Vorliegen eines Sachmangels nur hinsichtlich sicherheitsrelevanter Informationen in der Bedienungsanleitung eintreten. Soweit die Bedienungsanleitung nur Instruktionen zur Ermöglichung einer sachgerechten Benutzung enthält, nicht jedoch solche, durch die Gefahren für deliktsrechtlich geschützte andere Rechtsgüter des Benutzers oder Dritter vermieden werden sollen, ist das Integritätsinteresse nicht berührt und eine deliktsrechtliche Verkehrspflicht zur Information nicht abzuleiten. I m konkreten Fall der E D V - A n l a g e würde ein Konflikt deshalb nur bei einem Bruchteil der im H a n d b u c h enthaltenen Informationen auftreten können, etwa soweit es um die Beachtung von Sicherheitsvorschriften hinsichtlich der elektrischen Anschlüsse geht. 4 Das Gewährleistungsrecht kann Reparatur- und Austauschansprüche ferner nur insofern ausschließen, als sie seinen Wertungen zuwiderlaufen würden. In den Fällen jedoch, in denen ein Sachmangel arglistig verschwiegen wurde, greift die kurze Verjährungsfrist des § 477 B G B nicht ein. 5 Daraus ergibt sich, daß in einem solchen Fall eine deliktsrechtlich begründete Pflicht des Herstellers zu Reparatur oder Austausch nicht mit gewährleistungsrechtlichen Wertungen kollidieren würde. Arglistiges Verschweigen eines Produktmangels liegt vor, wenn der Verkäufer oder sein Erfüllungsgehilfe zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs weiß oder damit rechnet, daß die Ware fehlerhaft ist, wenn er ferner weiß oder damit rechnet, daß dem Käufer der Fehler nicht bekannt ist, und wenn der Verkäufer schließlich weiß oder damit rechnet, der Käufer würde in Kenntnis des Fehlers die Ware nicht als Erfüllung annehmen. 6 Weist das infrage stehende Produkt einen Sicherheitsmangel auf, welcher Leib und L e b e n des Benutzers und Dritter gefährdet, kann man i.d.R. davon ausgehen, daß der Mangel dem Käufer unbekannt war und er das Produkt in Kenntnis des Mangels nicht akzeptiert hätte. Entscheidend für das Vorliegen von Arglist ist dann die Kenntnis v o m Vorliegen 2 S. jedoch das Fehlen einer schriftlichen Bedienungsanleitung für eine EDV-Anlage, O L G Frankfurt/M. NJW 1987, 3206. 3 S. dazu BGHZ 47,312 für unvollständige Gebrauchsanweisungen und Einweisung des Käufers bzw. von dessen Personal in die Bedienung einer Betonbereitungsanlage. 4 Ein anderes Beispiel ist ein Buch, das wegen der darin enthaltenen fehlerhaften Informationen als mangelhaft i.S.d. Gewährleistungsrechts angesehen werden kann. So kann in dem der Entscheidung BGH NJW 1973, 843 - „Nottestamentsmappe" zugrunde liegenden Fall kein Konflikt mit dem Deliktsrecht entstehen, weil durch den Fehler keine von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter bedroht sind. Anders jedoch, wenn sicherheitsrelevante Fehlinformationen ein Buch in diesem Sinne mangelhaft machen sollten. 5 §§ 463 S. 2, 477 Abs. 1 BGB. 6 BGH v. 12.2. 1 9 9 2 - V I I I ZR 276/90, in: Pleitner, Teil 12/7.29, S.4f.
Rückruf und Gewährleistung
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des Sicherheitsfehlers bei dem konkreten Produkt. Diese kann in der Regel nur bei Konstruktionsfehlern vorliegen, weil nur bei diesen jedes Produktexemplar mit dem Fehler behaftet ist. Bei Fabrikationsfehlern wird auch der Hersteller allenfalls die Mängel im Herstellungs- oder Kontrollprozeß kennen, nicht jedoch wissen, welche konkreten Produktexemplare die dadurch verursachten Fehler aufweisen. 7 Von einem arglistigen Verschweigen des Herstellers kann man deshalb bei zurechenbarer Kenntnis eines für die Sicherheit von Leib und Leben relevanten Konstruktionsmangels zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs an dem konkreten Produktexemplar ausgehen. D a in diesen Fällen die kurze Verjährungsfrist des § 4 7 7 B G B nicht eingreift, entsteht weder bei der deliktsrechtlichen Anerkennung von Verkehrspflichten zur nachträglichen Beseitigung des Fehlers noch bei Ansprüchen darauf ein Konflikt mit dem Gewährleistungsrecht.
II. Mögliche Konflikte mit dem Gewährleistungsrecht und ihre Lösung Gegen die Einräumung von Rückrufpflichten und Rückrufansprüchen, die zu einer direkten Beseitigung der Gefahr führen, ist vielfach vorgebracht worden, daß dadurch Ergebnisse ermöglicht würden, die den Wertungen des Gewährleistungsrechts widersprächen, weil damit quasi deliktsrechtliche Gewährleistungspflichten 8 und -anspräche geschaffen würden. 9 D e m Gewährleistungsrecht sei in solchen Fällen Vorrang einzuräumen, damit Ergebnisse verhindert würden, die in einem „unauflöslichen Widerspruch zum Vertragsrecht" stünden. 1 0 Ein genereller Vorrang vertragsrechtlicher Regelungen vor deliktsrechtlichen besteht im deutschen Recht jedoch nicht. N a c h allgemeiner Meinung besteht vielmehr zwischen Vertrags- und deliktsrechtlichen Ansprüchen ein Konkurrenzverhältnis. 11 Will man einen Konflikt zwischen den Ergebnissen der Anwendung der jeweiligen Grundsätze des Vertrags-und Deliktsrechts lösen, kann deshalb nicht das Gewährleistungsrecht ohne weiteres und generell Vorrang vor dem Produkthaftungsrecht beanspruchen. M a n muß vielmehr auf die Zwecke und Wertungen zurückgehen, die zu diesen unterschiedlichen Ergebnissen führen, und versuchen, auf dieser E b e n e den G r u n d für den Konflikt und eine Lösung zu finden. 7 Er wird auch nicht damit rechnen, daß gerade das dem Verkäufer übereignete Produkt von dem Mangel betroffen ist. In Ausnahmefällen ist jedoch möglich, daß der Hersteller auch Produkte in Verkehr gibt, deren Fehlerhaftigkeit bei der Endkontrolle erkannt wurde. Denkbar ist auch, daß die Tatsache der Kontrolle der Produkte eine ihrer verkehrswesentlichen Eigenschaften darstellt. So sind nichtgetestete Blutkonserven wegen des damit verbundenen Risikos möglicherweise bereits deshalb fehlerhaft, weil sie nicht getestet sind, auch wenn im konkreten Fall eine Verseuchung nicht vorliegen sollte. 8 Ausdruck von K. Mayer, DB 1985, 319, 325; ders., BB 1984, 568, 571, der ihn allerdings in Anführungszeichen setzt. 9 Pauli, PHI 1985,134,147ff.; Löwe, DAR 1978, 288, 293; ders., ZVR 1979, 225, 230; Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1286. 10 H. Herrmann, BB 1985, 1801, 1803; Pieper, BB 1991, 985, 988. 11 S. K. Mayer, BB 1984, 568, 569 m.N.
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1. Unterschiede zwischen Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht Versucht man die Zwecke und Wertungsgrundlagen des Gewährleistungsrechts und des Produkthaftungsrechts herauszuarbeiten, stellen sich gravierende Unterschiede heraus. Das (kaufvertragliche) Gewährleistungsrecht stellt einen Interessenausgleich zwischen dem Käufer und dem Verkäufer einer Ware her. D a bei geht es um das N u t z u n g s - und Aquivalenzinteresse des Käufers einerseits und das Interesse des Verkäufers an Planungssicherheit andererseits. D e m Käufer sollen die rechtlichen Mittel in die H a n d gegeben werden, sein Interesse daran durchzusetzen, daß er den vereinbarten Gegenwert, nämlich den Kaufgegenstand in vereinbarter Qualität erhält und ihn in der nach dem Vertrag vorausgesetzten Weise benutzen kann. Gleichzeitig soll der Verkäufer bald über mögliche A n sprüche wegen eventueller Mängel des Produkts unterrichtet sein, um seine Planung nicht mit unabsehbaren Risiken zu belasten. I m Produkthaftungsrecht geht es dagegen u m das Integritätsinteresse des rechtswidrig und schuldhaft in seinen Rechtsgütern Verletzten. D a b e i k o m m t die gesamte Bandbreite der in § 8 2 3 Abs. 1 B G B geschützten Rechtsgüter in Betracht. Während also die der gewährleistungsrechtlichen Lösung zugrundeliegende Wertung nur den Schutz der Vertragserwartungen (also Vermögensinteressen) und der Handlungsfreiheit von Käufer und Verkäufer in ihre Abwägung einbezieht, müssen über diese hinaus bei der produkthaftungsrechtlichen Wertung Leben, K ö r p e r und Gesundheit der B e troffenen berücksichtigt werden. Zwischen den einzelnen Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 B G B besteht jedoch ein Stufenverhältnis. 1 2 Danach sind Leib und Leben eindeutig höher zu bewerten als H a b und Gut. 1 3 Eine Interessenabwägung wie die gewährleistungsrechtliche, die nur die eher materiellen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigt, kann deshalb nicht ohne weiteres Vorrang beanspruchen, wenn die nicht berücksichtigten höheren Rechtsgüter Leben, K ö r p e r und Gesundheit auf dem Spiel stehen. 1 4 Diese unterschiedliche Bewertungsgrundlage zeigt sich auch in den unterschiedlichen Fehlerbegriffen des Gewährleistungs- und des Produkthaftungsrechts. Ein Sachmangel liegt - grob gesagt - dann vor, wenn die Sache zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch nicht oder nur eingeschränkt tauglich ist. I m Mittelpunkt des produkthaftungsrechtlichen F e h lerbegriffs steht hingegen die (unerwartete) Gefährlichkeit des Produkts. 1 5 Die Sicherheitseigenschaften des Produktes spielen also im Gewährleistungsrecht nur Canaris, in: FS Larenz II, S.27ff., 31; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062. S. auch die Annahme einer mißbräuchlichen Ausübung des Notwehrrechts, wenn zwischen dem angegriffenen und verletzten Rechtsgut ein krasses Mißverhältnis besteht, OLG Hamm, NJW 1972, 1827; OLGZ 78, 73. 14 Ähnlich der Richter am BGH Birkmann, der im Hinblick auf Konkurrenzverhältnisse von Warn- und Rückrufpflichten zu anderen Rechtsmaterien vertritt, daß „die aus der deliktischen Gefahrenabwehr folgenden Verpflichtungen zu Warnhinweisen und gar Rückruf des schadensträchtigen Produkts dann gegenüber Wettbewerbs- und kartellrechtlichen Rücksichtnahmen vorrangig [seien], wenn Gefahr für Leib und Leben von Personen besteht". DAR 1990,124,128. 15 /. Hager, VersR 1984, 799, 803. 12 13
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indirekt eine Rolle, nämlich soweit sie die Tauglichkeit des Produktes beeinflussen. Letztere steht im Vordergrund und die Rechtsbehelfe des Gewährleistungsrechts sind vor dem Hintergrund der Untauglichkeit des Produkts entwickelt worden; sie differenzieren nicht danach, o b der Mangel bloß die Tauglichkeit aufhebt oder vermindert, so daß dem Käufer allenfalls ein finanzieller Verlust droht, oder o b der Fehler gleichzeitig auch gefährlich für Leib und Leben ist. Wenn es aber „nur" um die Tauglichkeit des Produktes geht, kann man dem Käufer eher einen Verweis auf die kurze Verjährungsfrist zumuten. Im Fehlerbegriff des P r o dukthaftungsrechts werden also Auswirkungen der Fehler berücksichtigt, die im Gewährleistungsrecht keine Rolle spielen. Diese Gesichtspunkte können nicht ohne weiteres der gewährleistungsrechtlichen Wertung untergeordnet werden. Das Gewährleistungsrecht geht ferner, wie allgemein das Vertragsrecht des B G B , davon aus, daß sich die Vertragsparteien als ebenbürtig gegenüberstehen und grundsätzlich in der Lage sind, ihre Interessen selbst zu vertreten. Zwar ist längst erkannt, daß die Realität diesem Idealbild nicht entspricht; diesem U m stand ist auch in den gewährleistungsrechtlichen Vorschriften des A G B G und des B G B Rechnung getragen worden. D e r verstärkte Schutz durch diese Regelungen ist aber wiederum allein durch die Sicherung des Nutzungs- und Aquivalenzinteresses auch zwischen ungleichen Vertragspartnern motiviert. E r soll dem in den Schutzbereich fallenden Personenkreis ein Mindestmaß an gewährleistungsrechtlichem Schutz sichern. D a b e i bleibt unberücksichtigt, daß auch im H i n b l i c k auf die Integritätsinteressen von Käufern bestimmte Personenkreise schutzbedürftiger sind als der normale „mündige Verbraucher". D a b e i handelt es sich insbesondere um Kinder, Alte, Kranke etc., soweit sie nicht in der Lage sind, gefahrrelevante Informationen zu verarbeiten und in selbstverantwortliches Verhalten im Anblick der Gefahr umzusetzen. D e r besonderen Schutzbedürftigkeit dieser Personen hinsichtlich der Verletzung ihrer außerhalb des fehlerhaften Produktes liegenden Rechtsgüter kann nur im R a h m e n der Produkthaftung durch eine entsprechende Ausgestaltung der Gefahrabwendungspflichten Rechnung getragen werden. Ein Vorrang gewährleistungsrechtlicher Wertungen auch in diesen Fällen würde dies ignorieren. H i n z u k o m m t , daß das Gewährleistungsrecht nur die Interessen der Vertragsparteien zum Ausgleich bringen kann. In den Schutzbereich des Produkthaftungsrechts fällt jedoch jedermann, der in K o n t a k t mit dem gefährlichen Produkt k o m m t . Bei der gewährleistungsrechtlichen Abwägung mit den Verkäuferinteressen finden die Interessen anderer Personen als der des Käufers dagegen keine Berücksichtigung. E s erscheint deshalb als nicht zulässig, diese Personen wie den Käufer allein auf die (vom Käufer wahrzunehmenden) Schutzmöglichkeiten des Gewährleistungsrechts zu verweisen, welche ohne die Einbeziehung ihrer Interessen gestaltet wurden. 1 6 D e r Schutz ihrer Sicherheitsinteressen würde damit
16 So auchH. Herrmann, BB 1985,1801,1807. S. ferner//. Stoll, JZ 1983, 501, 503, der „umweltschützende", also Dritte schützende Verkehrspflichten allein der Produzentenhaftung zuordnet.
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gänzlich von dem Willen und den Möglichkeiten des Käufers abhängig, gewährleistungsrechtliche Ansprüche durchzusetzen. Zu berücksichtigen ist schließlich auch, daß die Gewährleistungshaftung eine Haftung ohne Verschulden ist. Die Ergebnisse der dabei vorgenommenen Wertungen sind also vor dem Hintergrund zu sehen, daß sie auch in den Fällen tragbar sein sollen, in denen den Verkäufer kein Verschulden an dem Mangel trifft. Es leuchtet unmittelbar ein, daß die Rechtsfolgen unter dieser Bedingung weniger drückend sein müssen, als ginge es um eine verschuldensabhängige Haftung. 17 Das Gewährleistungsrecht selbst hält für den Fall des arglistigen Verschweigens eines Mangels eine Verschärfung der Haftung bereit. Eine weitergehende Differenzierung der Rechtsfolgen nach dem Grad des Verschuldens wird jedoch nicht vorgenommen. Die fahrlässige Verursachung des Mangels hat dieselben Konsequenzen wie die Mangelhaftigkeit trotz Beachtung aller erdenklichen Sorgfaltsmaßstäbe. Die Rechtsfolgen sind jedoch an letzterem Fall orientiert. Die obigen Untersuchungen haben aber gezeigt, daß es sich dann, wenn nachträgliche Verkehrspflichten zur direkten Beseitigung der Gefahr im Wege der Reparatur oder des Austauschs bestehen, in den meisten Fällen um schuldhaft verursachte Fehler handelt. Dieser höhere Grad des Fehlverhaltens des Herstellers findet bei der rein gewährleistungsrechtlichen Betrachtung keine Berücksichtigung. Wie jedoch die Sonderregelung für Arglistfälle zeigt, ist eine Abstufung der Rechtsfolgen nach dem Grad des Verschuldens auch dem Gewährleistungsrecht nicht völlig fremd. Es erscheint deshalb als gerechtfertigt, die Wertung des verschuldensabhängigen Produkthaftungsrechts nicht durch die Anerkennung eines generellen Vorrangs des am Fall unverschuldeter Mängel orientierten Gewährleistungsrechts ins Leere laufen zulassen, sondern auch diesen Aspekt zugunsten einer konkurrierenden Geltung der produkthaftungsrechtlichen Lösungen zu berücksichtigen. Recht vordergründiger Art ist dagegen das Argument, daß die deliktsrechtliche Pflicht zur direkten Beseitigung der Gefahr zwar einer Nachbesserung gleichkomme, die gewährleistungsrechtliche Wertung demgegenüber aber keinen Vorrang beanspruchen könne, weil das Nachbesserungsrecht kein gesetzliches, sondern nur ein vertraglich eingeräumtes Recht sei, die gesetzlichen Gewährleistungsrechte deshalb nicht deliktsrechtlich umgangen würden. Durch das Recht auf Minderung werde die Gefährdung anderer Rechtsgüter des Käufers nicht gebannt. 18 Tatsächlich hat das Nachbesserungsrecht in der Vertragspraxis die gesetzlichen Rechte des Käufers jedoch weitgehend verdrängt und ist durch das A G B G nunmehr auch selbst gesetzlich abgesichert. 19 17 Nach dem gleichen Grundsatz enthält die verschuldensunabhängige Haftung nach dem P H G wesentliche Haftungsbeschränkungen gegenüber der verschuldensabhängigen deliktischen Produkthaftung. 18 ]. Hager, VersR 1984, 799, 802. 19 Ebenso wenig überzeugt die Überlegung, daß produkthaftungsrechtliche Reparatur- oder Austauschpflichten dem Hersteller, gewährleistungsrechtliche Pflichten jedoch dem Verkäufer, d.h. in der Regel einem Händler, obliegen, die Belastung des Herstellers also nicht den Interessenausgleich mit dem Händler berühre. Die Tatsache der Personenverschiedenheit zwischen
Rückruf und
2. Anwendung auf direkte
Gewährleistung
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Gefahrabwendungspflichten
D i e soeben herausgearbeiteten Unterschiede zwischen den Schutzzwecken und Wertungsgrundlagen des vertraglichen Gewährleistungs- und des deliktischen Produkthaftungsrecht rechtfertigen es, in den eng umgrenzten Fällen, in denen nach den hier entwickelten Vorschlägen direkte Gefahrabwendungspflichten des Herstellers und -ansprüche der Gefährdeten auch nach dem Inverkehrbringen bestehen, einen Vorrang des Gewährleistungsrechts abzulehnen. R ü c k rufpflichten zur direkten Beseitigung des Gefahrenherds bestehen danach dann, wenn (zumindest auch) Leib und Leben unbeteiligter Dritter und besonders schutzwürdiger Produktbenutzer, die zu einem verantwortlichen und zumutba ren Selbstschutz nicht in der Lage sind, bedroht sind. In diesen Fällen sind bei den Betroffenen Rechtsgüter bedroht, die höher einzuschätzen sind als die Interessen des Herstellers bzw. Verkäufers an Planungssicherheit und Freiheit von Pflichten. Außerdem sind Personenkreise betroffen, deren Interessen im gewährleistungsrechtlichen Zusammenhang gar nicht oder zumindest nicht im H i n b l i c k auf die Integrität ihrer außerhalb des fehlerhaften Produktes liegenden Rechtsgüter berücksichtigt wurden. Ein angemessener Schutz dieser Interessen und Personen kann durch das Gewährleistungsrecht nicht erreicht werden. Entsprechend werden direkte Gefahrabwendungspflichten
dann verneint,
wenn nur Sachschäden drohen. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die B e r ü c k sichtigung der gewährleistungsrechtlichen Wertung. Sie steht einer Warnung bzw. zusätzlichen Hinweisen auf Möglichkeiten der Gefahrabwendung oder Fehlerbeseitigung durch den Eigentümer selbst nicht entgegen, so daß er sich gegen die Verwirklichung der Sachschäden ausreichend schützen kann. F ü r den Fall, daß der Eintritt von Schäden dadurch nicht verhindert werden kann, erscheinen die Sicherheitsinteressen der Eigentümer oder Dritter an der Verhinderung materieller Einbußen nicht eindeutig stärker als die der Hersteller und Verkäufer daran, daß sie nicht mit Pflichten und Kosten belastet werden, mit denen sie nach der gewährleistungsrechtlichen Wertung nicht mehr zu rechnen hatten. D e r Eigentümer einer fehlerhaften Waschmaschine, welche bei Benutzung die Wäsche ruiniert, bekäme sonst zur Verhinderung der Schäden an seiner Wäsche eine wieder funktionsfähige Waschmaschine. In diesem Fall kann der deliktsrechtliche Schutz der Integritätsinteresses den Wertungen des Gewährleistungsrecht zum Schutz des N u t z u n g s - und Aquivalenzinteresses nicht vorgehen. D e liktsrechtlich geschützt ist in diesem Fall nur das Eigentum. Dieses wird jedoch durch die Ablehnung einer Pflicht des Herstellers zu Reparatur oder Austausch
dem gewährleistungsrechtlich und dem produkthaftungsrechtlich Verpflichteten beruht jedoch auf den Zufälligkeiten der Gestaltung des Absatzes des betroffenen Produktes. Sie kann deshalb nicht entscheidendes Kriterium dafür sein, ob dem Eigentümer deliktsrechtlich etwas zustehen soll, auf das er nach Gewährleistungsrecht keinen Anspruch mehr hätte. Es wäre kaum einzusehen, warum z.B. der Eigentümer, der direkt beim Hersteller gekauft hat, wegen des Vorrangs des Gewährleistungsrechts keine Ansprüche mehr haben soll, derjenige, der das gleiche gefährliche Produkt bei einem Händler kaufte, aber doch. Ahnlich Larenz/Canaris, § 76 III 6 b.
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nicht schutzlos gestellt, da durch eine Warnung ein zumutbarer Selbstschutz ermöglicht wird. Ein Vorrang vertragsrechtlicher Wertungen würde somit nicht zur Versagung des Schutzes für höherrangige Rechtsgüter führen. 20 Folglich kann sich der Hersteller bei nachträglich erkannten Produktfehlern, die nur Sachschäden verursachen können, regelmäßig mit einer Warnung bzw. Hinweisen auf Möglichkeiten der Fehlerbeseitigung oder Gefahrabwendung durch den Eigentümer beschränken. Sind im Fall von Entwicklungsrisiken nur Leib und Leben der Eigentümer/Benutzer gefährdet, kann eine direkte Gefahrbeseitigungsmaßnahme dann erforderlich sein, wenn in Anbetracht der bekannten Verhaltensmuster eine Warnung ihr Sicherheitsziel verfehlen wird, weil z.B. das Risiko von einer erheblichen Zahl der Verbraucher unterschätzt und das Produkt unverändert weiterbenutzt wird. In diesen Fällen hätte eine bloße Warnung nur eine sehr begrenzte Gefahrabwendungswirkung. Das vorhersehbare Auftreten von Schäden an Leib und Leben rechtfertigt es dann, der Gefahr durch direkte Eingriffe zu steuern, obwohl damit - reflexartig - die Nutzungsinteressen am Produkt mitbefriedigt werden. Im Fall eines durch ein dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten verursachten Fehlers, der Leib und Leben des Eigentümers/Benutzers gefährdet, ist darüber hinaus der Hersteller zur Gefahrbeseitigung verpflichtet, weil Selbstschutzmaßnahmen angesichts des Verschuldens des Herstellers nicht zumutbar sind. Hier wirken die in der Wertehierarchie hochstehenden Rechtsgüter des Eigentümers/Benutzers zusammen mit der Tatsache des Verschuldens des Herstellers dahin, daß gewährleistungsrechtlich bestehende Schranken der Haftung deliktsrechtlich begründeten Pflichten nicht entgegengehalten werden können. In der Tat führt diese Ansicht dazu, daß in den geschilderten Fällen dem Käufer bzw. Eigentümer bei Erfüllung der Pflicht zur direkten Gefahrbeseitigung durch den Hersteller Vorteile zufließen, die er - nach Ablauf der entsprechenden Fristen - gewährleistungsrechtlich nicht mehr durchsetzen könnte. Dieser Konflikt ist jedoch im Interesse des Schutzes von Leib und Leben insbesondere auch unbeteiligter Dritter inkauf zu nehmen, soweit die Erfüllung des Nutzungsinteresses unabdingbar für die Erfüllung des Integritätsinteresses von Rechtsgütern ist, welche höher einzuordnen sind als die durch das Gewährleistungsrecht geschützten Interessen des Herstellers bzw. Verkäufers. 21 Bei diesen Konflikten mit dem Gewährleistungsrecht ist stets zu beachten, daß die Anerkennung deliktsrechtlicher direkter Gefahrbeseitigungspflichten immer nur aus dem Integritätsinteresse zu rechtfertigen ist. N u r wenn und soweit solche Maßnahmen zur Sicherung von Leib und Leben Dritter oder des Benutzers notwendig sind, können sie sich ge2 0 S. auch Larenz/Canaris, § 76 III 6 b, der es bei Sachschäden für nicht zulässig hält, daß der Verletzte den Ersatz eines Schadens nach Deliktsrecht verlangen kann, den er unter den Voraussetzungen des Vertragsrechts nicht liquidieren könnte, sofern der Anspruchsgegener sein Vertragspartner wäre. 21 So auch Taschner/Frietsch, Einf. Rdnr. 89. Ahnlich Produkthaftungshandbuch/iidA/Foerste, § 24, Rdnr. 288 für die reflexartige Befriedigung des Äquivalenzinteresses bei einer Verpflichtung des Herstellers zur Rücknahme des Produktes gegen Rückzahlung des Kaufpreises.
Rückruf
und
Gewiihrleistung
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gen die gewährleistungsrechtliche Wertung durchsetzen.22 Ist dieser Schutz jedoch z.B. durch eine Warnung in ausreichendem Maße sichergestellt, gilt der Vorrang des Gewährleistungsrecht. Die Befriedigung des Nutzungsinteresses des Eigentümers darf nicht mehr sein als die unvermeidliche Folge der erforderlichen Maßnahmen zum Schutz von Leib und Leben der durch den Fehler Bedrohten. Das Reparatur- oder Austauschangebot muß unterbreitet werden, weil nur so den Eigentümern der Produkte genügend Anreize geboten werden, den gefährlichen Fehler beseitigen zu lassen, und nur so ein ausreichender Schutz unbeteiligter Dritter oder ihrer selbst gewährleistet werden kann. 3.
Rückrufansprüche
Es fragt sich nun, ob diese Lösung auch auf das Verhältnis des Gewährleistungsrechts zu Gefahrbeseitigungsansprüchen des Eigentümers oder anderer Personen übertragbar ist.23 Soweit die hier zu behandelnden Rückrufansprüche „Warnansprüche" sind, besteht in der Regel kein Problem, da ein solcher Auskunftsanspruch normalerweise ebenso wenig mit dem Gewährleistungsrecht kollidiert wie die korrespondierenden Warnpflichten. Ebenso wie bei den Pflichten zur direkten Abwendung der Gefahr kann ein Konflikt zwischen entsprechenden Ansprüchen auf Erfüllung dieser Pflichten und dem Gewährleistungsrecht dann nicht auftreten, wenn der zugrundeliegende gefährliche Produktmangel vom Verkäufer arglistig verschwiegen wurde. Es ist ferner zu beachten, daß nach der hier vertretenen Lösung Rückrufpflichten nicht in jedem Fall Rückrufansprüche gegenüber stehen. Soweit Dritte gefährdet sind, wird es meist an einer ausreichenden Konkretisierung der Gefährdung fehlen. Liegt im Einzelfall ausnahmsweise eine ausreichend konkrete Gefährdung von Leib und Leben Dritter vor, kann ein vorbeugender Anspruch auf Gefahrbeseitigung nicht durch die damit unvermeidlich verbundene Befriedigung des Nutzungs- und Aquivalenzinteresses des Eigentümers ausgeschlossen werden, weil die Interessen des Dritten in der gewährleistungsrechtlichen Wertung nicht berücksichtigt wurden und seine bedrohten Rechtsgüter (Leib und Leben) höher einzuschätzen sind als die gewährleistungsrechtlich geschützten des Herstellers oder Verkäufers. Selbst wenn der Dritte vorbeugende Maßnahmen auch gegen den Eigentümer des gefährlichen Produktes geltend machen könnte, geht es nicht an, ihm diesen Weg vorzuschreiben. Der Hersteller ist seiner Produktverantwortung durch den Verkauf nicht ledig geworden; er haftet Dritten gegenüber auch nach Inverkehrbringen nach den allgemeinen Grundsätzen des 22 Dabei von einer „deliktischen Gewährleistung" zu sprechen, ist wegen der unterschiedlichen Zwecke verfehlt. So jedoch K. Mayer, D B 1985, 319, 325, der trotz dieses Begriffs daran festhält, daß das Gewährleistungsrecht Gefahrbeseitigungsansprüche nicht generell ausschließt. 23 Gegen Rückrufansprüche aus rechtsdogmatischen Gründen, da dies mit den gesetzgeberischen Wertungen des Gewährleistungsrechts nicht vereinbar sei, Pauli, P H I 1 9 8 5 , 1 3 4 , 1 4 7 f . , 149, obwohl er die rechtspolitische Problematik dieses Ergebnisses erkennt. Ebenso Pieper, B B 1991, 985, 991.
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Deutschland.
Produkthaftungsrechts; dies gilt nicht nur für den kompensatorischen, sondern auch für den vorbeugenden Rechtsschutz. Soweit Benutzer des Produktes, die nicht die Eigentümer sind, so hinreichend konkret gefährdet sind, daß ihnen ein Anspruch auf direkte Gefahrbeseitigung zustehen kann, gehen auch ihre Integritätsinteressen an Leben, Körper und Gesundheit den gewährleistungsrechtlich geschützten Interessen des Hersteller oder Verkäufers vor, insbesondere auch deshalb, weil sie im vertraglichen Interessenabgleich nicht berücksichtigt wurden. Soweit andere Personen als der Eigentümer direkte Beseitigungsansprüche auf der Grundlage ihrer Integritätsinteressen geltend machen können, ist die damit verbundene Befriedigung des Nutzungs- und Aquivalenzinteresses des Eigentümers eine unvermeidliche, hinzunehmende Nebenfolge. Dies ist durch die Personenverschiedenheit der Träger des anspruchsbegründenden Integritätsinteresses und des reflexartig befriedigten Nutzungsinteresses sichergestellt. Dies ist anders, wenn dem Eigentümer selbst Rückrufansprüche zustehen. Ansprüche des Eigentümers auf Gefahrbeseitigung können im wesentlichen nur gegeben sein, wenn dieser als Benutzer konkret an Leib und Leben gefährdet ist, und der Hersteller den gefährlichen Fehler in zurechenbarer Weise verursacht hat; außerdem muß dem Eigentümer ein Ausweichen unzumutbar sein. Dabei ist in der Interessenabwägung das Verschulden des Herstellers zugunsten des Eigentümers zu berücksichtigen. Besteht ein solcher Anspruch, sind Träger des Integritätsinteresses und Träger des Nutzungsinteresses identisch. In diesem Fall ist nicht mehr sichergestellt, daß die Durchsetzung des Anspruchs wirklich nur durch das Integritätsinteresse des Gefährdeten/Eigentümers motiviert ist und nicht eher als Vehikel zur Befriedigung von Nutzungsinteressen mißbraucht wird. 24 Andererseits muß der Eigentümer aber auch in diesem Fall ein genuines, schutzwürdiges Sicherheitsinteresse zur Begründung seines Anspruchs nachweisen. Dies wird im Falle seiner Kenntnis der Gefahr und zumutbarer Selbstschutzmöglichkeiten fehlen. Besteht es aber tatsächlich, ist nicht recht einzusehen, warum ihm dann dessen Befriedigung verweigert werden sollte, weil er möglicherweise daneben oder gar hauptsächlich auch andere nicht geschützte Interessen verfolgt. 25 Er sollte hinsichtlich seines nachgewiesenen Sicherheitsbedürfnisses nicht schlechter gestellt werden, als wenn er nicht als Eigentümer sondern als bloßer Benutzer oder Dritter bedroht wäre. Auch seine Integritätsinteressen hinsichtlich seiner hochrangigen Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit sind bei der gewährleistungsrechtlichen Wertung, die auf die Tauglichkeit des Produktes abstellt, nicht berücksichtigt worden. In vielen Fällen ist im übrigen nicht nur der Eigentümer von der Produktgefahr bedroht, sondern auch Dritte sind es. Es wäre sonderbar, wenn der Eigentümer in solchen Fällen für seinen eigenen Inte2 4 So bereits sprachlich abwertend Stiebler, S. 149, der raeint, daß bei Gefahrenkenntnis „unter dem Deckmantel des vorbeugenden Rechtsschutzes vertragsrechtliche Gewährleistung betrieben" werde. 2 5 Eine unzulässige Rechtsausübung (Palandt/Heinrichs, §242 Rdnr. 38ff.) kann man wegen solcher zusätzlicher Motive nicht annehmen.
Rückruf
und
Gewährleistung
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gritätsschutz von der Durchsetzung möglicher Ansprüche durch Dritte abhängig sein sollte, obwohl er in gleicher Weise bzw. noch direkter gefährdet ist. In dem Umfang, in dem Ansprüche auf die Durchführung direkter nachträglicher Gefahrbeseitigungsmaßnahmen aufgrund Leib und Leben gefährdender Produktfehler bestehen, steht somit das Gewährleistungsrecht nicht entgegen, da sonst der deliktsrechtliche Schutz höherrangiger Rechtsgüter unterlaufen würde.26
B. Wettbewerbsrecht
und
Gewährleistungsrecht
Soweit die auf das Wettbewerbsrecht gestützten Rückrufmaßnahmen die Information der Käufer gefährlicher Produkte betreffen, liegt wie bei den deliktsrechtlichen Warnpflichten ein Konflikt mit dem Gewährleistungsrecht in der Regel nicht vor. Ein Konflikt könnte daher nur dann entstehen, sofern das Wettbewerbsrecht einen Reparatur- oder Austauschanspruch gewährt. Das ist nach der hier vertretenen Lösung nur in engen Konstellationen der Fall, bei denen zudem teilweise bereits voraussetzungsgemäß 27 das Verhältnis zum Gewährleistungsrecht berücksichtigt wurde. Für die übrigen Konstellationen ist zu bedenken, daß das Wettbewerbsrecht nicht nur die Interessen Einzelner, hier der Rückrufadressaten, schützt, sondern auch die Interessen der betroffenen Verbraucher allgemein, der Konkurrenten und der Allgemeinheit. Dieser unterschiedliche Schutzzweck rechtfertigt es, im Einzelfall eine evtl. den Wertungen des Gewährleistungsrechts zuwiderlaufende reflexartige Erfüllung des Nutzungsinteresses des Käufers inkauf zu nehmen.
26 A.A. dezidiert Pieper, BB 1991, 985, 991, der in jedem Fall dem Vertragsrecht Vorrang gewähren möchte. 27 Soweit der wettbewerbliche Rückrufanspruch auf einem Unterlassungsanspruch wegen Vorsprungs durch Rechtsbruch durch Unterlassen einer rechtlich gebotenen Rückrufmaßnahme beruht, wurde voraussetzungsgemäß bereits die rechtliche Verpflichtung zu der Rückrufmaßnahme nach einer umfassenden Interessenabwägung, welche auch das Verhältnis zu den Gewährleistungsvorschriften berücksichtigt, festgestellt.
Fünfter Teil
Rechtsbeziehungen nach erfolgtem Rückruf 1. Kapitel
Das
Problem
Auch wenn der Hersteller - freiwillig oder „erzwungen" - einen R ü c k r u f vornimmt, können rechtliche Probleme entstehen, die mit der Feststellung, daß eine Rechtspflicht zum R ü c k r u f besteht, nicht gelöst sind. Vielmehr handelt es sich um einen nachgeordneten Sachverhalt: Es geht um die Frage, welche Rechtsbeziehungen ein R ü c k r u f zwischen Rückrufendem und Rückrufadressaten entstehen läßt und wie in diesem Verhältnis 1 auftretende Konflikte zu lösen sind. Diese Konflikte können unterschiedlicher Art sein: So kann der Rückrufende sich, aus welchen Gründen auch immer, weigern, eine zunächst angebotene Reparatur durchzuführen oder es kann Streit um die Frage entstehen, wer die Kosten der Reparatur, der Einsendung etc. zu tragen hat, o b dem Rückrufadressaten die durch die Reparatur erlangten Vorteile in Rechnung gestellt werden können, welche Rechte dieser hat, wenn die Reparatur verspätet oder mangelhaft erfolgt, etc. Soweit ersichtlich, haben die vorgenannten Fragen bislang in Rechtsprechung und Literatur keine Rolle gespielt. 2 Dies mag u.a. darauf zurückzuführen sein, daß Unternehmen, die sich einmal zu dem einschneidenden Schritt des Rückrufs entschlossen haben, eine erneute öffentliche Diskussion wegen rechtlicher Auseinandersetzungen um die Durchführung des Rückrufs zu vermeiden trachten. In dem Maße, in dem Rückrufaktionen jedoch Teil einer normalen Geschäftspolitik werden, gewinnen auch die infolge des Rückrufs entstehenden Rechtsfragen an praktischer Bedeutung.
1 Nicht eingegangen werden soll hier auf die möglichen Probleme, die im Falle eines Rückrufs zwischen Hersteller und Zulieferer bzw. Hersteller und Händler oder Vertragswerkstatt entstehen können; zu ersterem s. Kreifels, ZIP 1990, 489; Lemppenau, D B 1980, 1679; Link, BB 1985, 1424; Nagel, DB 1993, 2469; Schreiber, Produkthaftung bei arbeitsteiliger Produktion - Prüfungs- und Hinweispflichten von Endherstellern und Zulieferern, 1990. 2 Sie werden z.B. nicht erörtert bei Rettenbeck, und bei Produkthaftungshandbuch/JidA/ Foerste, die sich ansonsten am eingehendsten mit der Rückrufproblematik befaßt haben. Jeiter, S. 70f. verweist lediglich darauf, daß die Folgen eines behördlich (aufgrund des GSG) angeordneten Rückrufs sich nach Zivilrecht bestimmen und daß „soweit noch Gewährleistungsansprüche bestehen, der zur Gewährleistung Verpflichtete (Händler) die Kosten zu tragen" hat.
Rechtsbeziehungen
nach Rückruf
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Diese Fragen können im R a h m e n dieser Arbeit nicht erschöpfend erörtert werden, dazu sind sie zu vielschichtig und umfangreich. Dies gilt um so mehr, als der R ü c k r u f in dem hier verstandenen (weiten) Sinne in sehr unterschiedlichen F o r men erfolgen kann. J e nach konkreter Ausgestaltung können daher auch sehr unterschiedliche Rechtsfragen im Vordergrund stehen.
2. Kapitel
Rückruf in Form der Instruktion oder Warnung D i e Aufforderung, ein Produkt nicht oder nicht in einer bestimmten Weise zu benutzen, bzw. der Hinweis auf bestimmte mit der Benutzung verbundene Risiken stellt regelmäßig eine Erklärung ohne rechtsgeschäftlichen Bindungswillen dar 3 . Aus der Sicht eines objektiven Empfängers 4 ist ihr jedenfalls nicht zu entnehmen, daß der Hersteller in irgendeiner Weise den fraglichen Mangel zu beheben oder das Produkt zurückzunehmen bzw. umzutauschen gedenkt. D e r Verbraucher hat daher aufgrund einer Warnung oder sonstigen Information über Produktgefahren 5 keinerlei Leistungs- oder Erstattungsansprüche 6 gegen den Warnenden. Gleichwohl kann auch ein derartiger tatsächlicher Hinweis rechtliche Auswirkungen, insbesondere in beweisrechtlicher Hinsicht, haben 7 . So wird etwa in späteren Produkthaftungsfällen eine Vermutung dafür sprechen, daß das Produkt tatsächlich den v o m Hersteller in der Warnung genannten Mangel aufwies und daß ein für einen derartigen Mangel naheliegender Schadenseintritt hierdurch verursacht wurde. U m g e k e h r t kann die Warnung jedoch auch zugunsten des Herstellers sprechen, da die Weiterbenutzung dann als Mitverschulden des Geschädigten 3 Für eine Äußerung ohne Vertragscharakter (Wissenserklärung) spricht weiter, daß die Warnung, Instruktion sich auf tatsächliche Fragen bezieht; vgl. dazu Gehrlein, JA 1995, 598, 599. 4 §§133,147 BGB. 5 Wohl jedoch kann der Verbraucher die Warnung zum Anlaß nehmen, um evtl. gegen den Warnenden bestehende Gewährleistungs- oder Garantieansprüche geltend zu machen, s. dazu sogleich. Weiter können sich in den Fällen, in denen der warnende Hersteller zum Rückruf in Form der Reparatur oder des Austausches verpflichtet gewesen wäre, weitergehende Ansprüche aus §§823 Abs. 1, 826 BGB, u.U. auch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag, §677 BGB, ergeben, s. dazu die Ausführungen oben Vierter Teil 3. Kap. B. 6 Denkbar sind demgegenüber Schadensersatzansprüche, wenn die fragliche Information objektiv falsch oder mißverständlich war, und der Rückrufadressat deshalb etwa ein in Wahrheit einwandfreies Produkt wegwirft oder sich aufgrund einer fehlerhaften Reparaturanleitung verletzt. Durch die Warnung tritt der Hersteller mit dem Verbraucher in eine Sonderbeziehung; hierdurch ergeben sich Sorgfaltspflichten, deren schuldhafte Verletzung zu einer Schadensersatzpflicht (unter Weiterentwicklung der Grundsätze der culpa in contrahendo) zu führen vermag; vgl. hierzu etwa Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Larenz/ Canaris, § 61 II 2 b; kritisch H. Stoll, in: FS Flume, S. 741 ff., 748 ff. 7 Zu der (ähnlichen) Lage beim sog. Tatsachenanerkenntnis vgl. etwa MünchKomm/Hiiffer, §781 Rdnr. 29ff.; Larenz!Canaris, §61 II; Lindacher, JuS 1973, 79.
418
Deutschland
i.S.d. § 2 5 4 B G B angesehen werden kann. Bei möglicherweise bestehenden G e währleistungs- und Garantieansprüchen gegen den Hersteller wird das in der Warnung liegende „Eingeständnis" regelmäßig genügen, den Eintritt des Garantiefalles nachzuweisen. A u c h bei entsprechenden Ansprüchen des Verbrauchers gegen Dritte (Händler) bildet die Warnung des Herstellers ein kaum zu entkräftendes Indiz dafür, daß das Produkt im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses fehlerhaft war.
3. Kapitel
Rückruf in Form von Reparatur oder Austausch des Produktes Wie erwähnt, kann der R ü c k r u f in höchst unterschiedlichen F o r m e n erfolgen. D a dem Rückrufenden regelmäßig an möglichst wenig Publizität gelegen ist, wird er primär versuchen, die Rückrufadressaten individuell zu ermitteln und anzuschreiben; insb. Autohersteller bevorzugen diese A r t des Rückrufs. 8 Ist eine individuelle Erfassung nicht möglich, so erfolgt der R ü c k r u f regelmäßig über die Massenmedien. D a b e i werden die Besitzer des fraglichen Gegenstandes häufig gebeten, sich zwecks Reparatur oder Austausch mit einer bestimmten Stelle in Verbindung zu setzen.
A. Rückruf mittels individueller Anschreiben I. Bindendes
Vertragsangebot?
Werden im Wege eines individuellen Anschreibens die Reparatur oder der U m tausch eines genau bezeichneten Gegenstandes angeboten, so ist dies regelmäßig als bindendes Vertragsangebot i.S.v. § 145 B G B zu werten. U n t e r Berücksichtigung aller Umstände (der i.d.R. präzisen Formulierung der Rückrufbedingungen, der persönlichen Ansprache des Empfängers, des Umstands, daß es sich beim Rückrufenden um ein seriöses Markenartikelunternehmen handeln wird) kann ein objektiver Empfänger eines derartigen Schreibens nur davon ausgehen, daß ihm „verbindlich" die Behebung des bezeichneten Mangels zusagt wird, daß es sich also u m mehr als eine rein tatsächliche Mitteilung oder eine bloße invitatio ad offerendum 9 handelt. Dies gilt auch dann, wenn die Frage der Kostentragung im Rückrufschreiben offenbleibt. In der Regel wird der Rückrufende ohnehin ausdrücklich eine „kostenlose Reparatur" oder den „Umtausch gegen ein neues P r o d u k t " zusagen. 1 0 8 Möglich ist dies dadurch, daß beim Kraftfahrtbundesamt ein zentrales Register besteht und die Autohersteller und -händler umfangreiche Kundendokumentationen unterhalten. 9 Zur Abgrenzung verbindliche Willenserklärung/unverbindliche Aufforderung zur Abgabe von Offerten s. statt aller Staudinger/Dilcher, § 145 Rdnr. 3ff. Zur Abgrenzung „Anerkenntnis ohne Vertragscharakter"/"verbindliches Schuldanerkenntnis" s. insb. Gehrlein, JA 1995, 598. 10 Theoretisch möglich ist natürlich auch, daß im Rückruf eine Kostenbeteiligung des Ver-
Rechtsbeziehungen
nach Rückruf
419
Aber auch dann, wenn keinerlei Angaben erfolgen, bestehen unter Bestimmheitsgesichtspunkten keine Bedenken, da die regelmäßig verwendete Formulierung „Rückruf" in dem Sinne auszulegen ist, daß dem Rückrufadressaten die im Rückruf genannten Leistungen nicht zur Last fallen. Eine „Rücknahme" ohne Kaufpreiserstattung liefe auf einen entschädigungslosen Entzug, ein „Umtausch" gegen Bezahlung auf einen Neukauf hinaus, was wohl kaum gemeint sein kann. Ein „Angebot zur Reparatur" stellt aus der Sicht des Rückrufadressaten, insbesondere wenn es durch ein individuelles Anschreiben erfolgt, „etwas Besonderes" dar und erfolgt erkennbar auch im Interesse des Rückrufenden. Dem würde nicht gerecht, hierin eine bloße Aufforderung zur Behebung des Mangels auf eigene Kosten zu sehen." Zumindest bei Reparaturleistungen spricht gegen die Entgeltlichkeit weiter die Vermutung des § 632 Abs. 1 BGB 12 , da die bisherigen Rückrufe, soweit ersichtlich, für den Verbraucher kostenlos erfolgt sind. Sofern keine ausdrückliche Regelung erfolgt, ist der Rückrufende weiter nicht berechtigt, dem Rückrufadressaten die durch den Rückruf möglicherweise eintretenden Vorteile („neu für alt") in Rechnung zu stellen. Auch hier spricht die durch die bisherige Rückrufpraxis geprägte Verbrauchererwartung dafür, daß derartige Vorteile nur einen zusätzlichen Anreiz zur Befolgung des Rückrufs darstellen. Demgegenüber kann der Rückrufadressat nicht verlangen, daß der Rückrufende (ohne entsprechende ausdrückliche Erklärung) die Kosten der Einsendung, des Hinbringens oder eines Nutzungsentgangs übernimmt. Auch eine analoge Anwendung der §§476a, 633 Abs. 2 S.2 BGB kommt nicht in Betracht 13 .
II.
Vertragsschluß
Aus dem Rückrufschreiben allein würde eine verbindliche Verpflichtung nur dann folgen, wenn der Rückruf als Auslobung zu qualifizieren wäre. Da dies mangels Bekanntgabe an die Öffentlichkeit nicht möglich ist (s.u.), bedarf es einer Annahme durch den Rückrufadressaten. Diese wird regelmäßig gem. §130 BGB durch konkludentes Verhalten 14 erfolgen, z.B. indem der Verbraucher den Gegenstand einschickt, ihn zum Zwecke der Reparatur zur Vertragswerkstatt brauchers explizit angesprochen wird. In der deutschen Rückrufpraxis scheint dies, soweit ersichtlich, jedoch nicht üblich zu sein. 11 Auch die Verweisung auf eine Vertragswerkstatt wäre überflüssig, da der Verbraucher ohnehin eine von ihm bezahlten Reparatur durch jeden beliebigen Dritten vornehmen lassen kann. 12 Vgl. auch B G H NJW1982,2235: Die Auskunft eines Herstellers, er werde die Reparatur als „Garantieleistung" erbringen, ist im Sinne einer kostenlosen Reparatur zu verstehen. 13 Grund des §476a BGB ist die im Interesse des Verkäufers erfolgte Reduzierung der Gewährleistungsansprüche auf die Nachbesserung; das Aquivalenzinteresse des Käufers soll nicht durch Zusatzkosten bei der Nachbesserung ausgehöhlt werden; § 633 Abs. 2 S. 2 BGB knüpft die Kostentragung an die Voraussetzung, daß die durchgeführte Reparatur mangelhaft war. Beide Vorschriften sind als Ausnahmevorschriften eng auszulegen. 14 Anders als bei der Herstellergarantie (s. B G H N J W 1981, 275,276) bedarf es hier nicht der Konstruktion der Willensbetätigung, §151 BGB.
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Deutschland.
bringt, die insofern als Empfangsbote handelt, etc. Der aus dem Vertragsschluß folgende Anspruch auf die im Rückruf genannten Leistungen steht dem Rückrufadressaten zu. Dieser muß nicht notwendigerweise Eigentümer der fraglichen Sache sein. Da es dem Rückrufenden um die Beseitigung der Gefahr geht, richtet sich der Rückruf regelmäßig an ihren „Besitzer".15 Schuldner des Erfüllungsanspruchs ist der Rückrufende, in der Regel also der Hersteller.16 Dies gilt auch dann, wenn dieser einen Dritten, z.B. eine Vertragswerkstatt, als mit der Durchführung des Rückrufs beauftragt benennt. Eine eigene Leistungspflicht des Dritten ließe sich nur aus einem Vertrag zwischen Hersteller und Werkstatt etc. zugunsten des Rückrufadressaten begründen (§328 BGB). Damit würde letzterer allerdings mit allen Risiken und Unsicherheiten dieses Vertrages, der nicht zwangsläufig sämtliche Rückruffälle umfassen muß17, belastet. Ebenso wie bei der Herstellergarantie 18 erscheint dies jedoch weder interessengerecht noch dem Vorstellungsbild des Verbrauchers als Erklärungsempfänger entsprechend. Dieser kann und wird die regelmäßig verwendete Formulierung „X ruft zurück" nicht anders interpretieren, als daß der für den Mangel letztlich Verantwortliche (nämlich „X") selbst die Verpflichtung eingeht. Die Vertragswerkstatt ist daher lediglich Erfüllungsgehilfe des Rückrufenden i.S.v. §278 BGB. Der Hersteller mag zur Durchführung der versprochenen Leistung auf die Vertragswerkstatt verweisen. Weigert sich diese jedoch, z.B. weil ihr Vertrag mit dem Hersteller derartige Fälle nicht abdeckt oder sie „zahlende" Kunden vorrangig bedienen will, so hat der Rückrufadressat den Erfüllungsanspruch gegen den rückrufenden Hersteller, nicht gegen die Werkstatt durchzusetzen.
III. Rechtliche
Qualifikation
des
Vertrages
Die Einordnung der durch den Rückruf entstehenden Vertragsbeziehungen bereitet keine Schwierigkeiten, wenn in dem Rückrufangebot eine Reparatur gegen ein, wenn auch ermäßigtes, Entgelt angeboten wird. Hier ist von einem Werkvertrag auszugehen, § 631 BGB. In aller Regel verspricht der Rückrufende jedoch eine unentgeltliche Leistung. Da nach überwiegender Auffassung 19 die Entgeltlichkeit ein unverzichtbares Element des Werkvertrags ausmacht, käme daher allenfalls ein Auftragsverhältnis, §662 BGB20, in Betracht. Dieses wird jedoch weder den tatsächlichen Gegebenheiten noch der besonderen Interessenlage beim 15
Anders wenn es um den Anspruch auf Rückruf geht, der nicht jedem Gefährdeten zustehen kann, s. hierzu die Ausführungen oben Vierter Teil3. Kap. C II 4f bb. 16 Die wenigen Rückrufe, die bislang vom Einzelhandel ausgegangen sind, betrafen offenbar Händlermarken, s. z.B. den 1994 erfolgten Rückruf von Olivenöl durch Tengelmann und Kaiser, Süddeutsche Zeitung v. 29.4. 1994, S.6. 17 Zum Vertragshändlervertrag vgl. insb. P. Ulmer, Der Vertragshändler, 1969. 18 B G H N J W 1981, 257; dazu MünchKomm/Westermann, §459 Rdnr. 88. 19 B G H N J W 1983, 1782; a.A. Fikentscher, Rdnr. 888. 20 Zum Auftrag s. statt aller Fikentscher, Rdnr. 915ff.; MünchKomm/Seiler, §662.
Rechtsbeziehungen
nach Rückruf
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R ü c k r u f gerecht. So würde die Beauftragung hier vom Beauftragten selbst, dem Rückrufenden, ausgehen; der Rückrufadressat als „Auftraggeber" ist wohl kaum „weisungsbefugt"; auch fehlt die beim Auftrag regelmäßig gegebene persönliche Beziehung. D i e Besonderheit des Rückrufs besteht demgegenüber darin, daß der Hersteller sich aus der Sicht des Rückrufadressaten „von sich aus" und „einseitig" zu einer Leistung verpflichtet, deren Erfüllung erkennbar auch in seinem eigenen Interesse liegt, und daß es sich nicht um eine Einzelfallregelung, sondern (meist) um einen „Massenakt" handelt. D e n Aspekten der „Einseitigkeit" und der massenhaften Abwicklung am ehesten gerecht würde gewiß die Auslobung, § 6 5 7 B G B . Die Auslobung erfordert jedoch eine öffentliche Bekanntgabe, an der es bei einem individuellem Anschreiben fehlt. 21 D i e sog. belohnende Schenkung, § § 5 1 6 , 518 B G B 2 2 , hingegen würde zwar dem Gedanken der Unentgeltlichkeit und der E i n seitigkeit Rechnung tragen, entspricht durch das Erfordernis der notariellen Beurkundung des Schenkungsversprechens jedoch weder der objektiven Interessenlage n o c h dem Vorstellungsbild der Beteiligten. D e n bei der Schenkung typischerweise im Vordergrund stehenden Gedanken der „ B e l o h n u n g " darauf zu beziehen, daß der Rückrufadressat dem Hersteller die Möglichkeit zur Gefahrausschaltung einräumt, erscheint jedenfalls dann gekünstelt, wenn der R ü c k r u f nicht aus Kulanz, sondern unter rechtlichem D r u c k erfolgt. Aus der Sicht des Rückrufadressaten am nächsten liegen dürfte der Gedanke an eine A r t Garantie 2 3 , insbesondere für denjenigen Adressaten, der noch über G e währleistungs- und Garantieansprüche verfügt. M i t dem Produkt ist „etwas nicht in O r d n u n g " und der Hersteller will dafür einstehen. In der Tat ist eine Parallele zur Herstellergarantie 2 4 unübersehbar. Gleichwohl liegt hier kein Garantievertrag vor. Dieser bezieht sich stets auf ein künftiges Ereignis, dessen Eintritt nach der Vorstellung der Parteien ungewiß ist 25 , während hier der konkrete Fehler bereits feststeht, der Erfolg (der Garantiefall) also bereits eingetreten ist. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn der R ü c k r u f der Inspektion einer bestimmten Serie von Gegenständen dient, von denen der Rückrufende nicht weiß, welche von ihnen fehlerhaft sind. Auch dann ginge es jedoch nicht ausschließlich um eine (nachträgliche) Garantiegewährung, sondern zugleich um das A n e r kenntnis, daß der Garantiefall eingetreten ist, falls ein Fehler entdeckt wird. E n t sprechend werden diejenigen Rückrufadressaten, die tatsächlich noch über G a rantieansprüche verfügen, im R ü c k r u f nicht nur den Hinweis auf die Möglichkeit 21
S. statt aller MünchKomm/Seiler,
§657 Rdnr. 13f.; vgl. auch OLG München NJW 1983,
759. Zur belohnenden Schenkung s. insb. BGH NJW 1982, 436. Dem entspricht, daß in den USA die Federal Trade Commission den Magnusson-Moss Warranty Act, der vertragliche Garantieerklärungen regelt, auch auf Rückrufe anwendet. 24 Zu der im Gesetz nicht geregelten Herstellergarantie s. etwa BGH NJW 1979, 2036; BGH NJW 1981, 275; Graf v. Westphalen, NJW 1980, 2227ff.; Littbarski, JuS 1983, 345ff.; MünchKomm/'Westermann, §459 Rdnr. 88ff., Larenz/Canaris, §64 II. 25 Staudinger/Horn, Vorbem. zu §§ 765-778, Rdnr. 73; MünchKomm/Pecher, Vor § 765 Rdnr. 22
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der Geltendmachung dieser Ansprüche sehen, sondern vor allem die Bestätigung, daß es sich um einen unter die Garantie fallenden Mangel handelt, dessen Beseitigung unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen der Garantie zugesagt wird. Schwerpunkt des Rückrufs ist also nicht das A n g e b o t einer Garantie (und auch nicht die Verlängerung von Gewährleistungsfristen, § 4 7 7 B G B 2 6 ) , sondern das Anerkenntnis der Reparatur- oder Rücknahmepflicht, verbunden mit dem Versprechen, diese kostenlos vorzunehmen. D a m i t liegt die Annahme eines Schuldanerkenntnisses gem. § 7 8 0 B G B bzw. eines Schuldversprechens gem. § 7 8 1 B G B nahe. Diese sind im B G B lediglich insofern geregelt, als sie der Schriftform bedürfen. Als charakteristisch für beide gilt jedoch, daß sie zwar faktisch im Zusammenhang mit einem anderen Schuldverhältnis stehen, die fragliche Verpflichtung jedoch losgelöst von diesem anderen Schuldverhältnis begründet wird. Soll die Ungewißheit oder der Streit über eine Verpflichtung hingegen dadurch ausgeräumt werden, daß durch das Anerkenntnis das alte Schuldverhältnis auf eine neue Grundlage gestellt wird, so handelt es sich um ein gesetzlich nicht geregeltes, im R a h m e n der Vertragsfreiheit jedoch zulässiges sog. kausales Schuldanerkenntnis. 27 In der Praxis bereitet die Abgrenzung häufig Schwierigkeiten, zumal auch das kausale Schuldanerkenntnis eine nur vermeintliche Forderung entstehen lassen, also „konstitutiv" wirken kann. 28 Auszugehen ist davon, daß aus der Sicht der Rückrufadressaten jedenfalls nicht etwa das Schuldverhältnis, durch das diese an den fraglichen Gegenstand gelangt sind, etwa der Kaufvertrag, auf eine andere Grundlage gestellt werden soll. Dieses ist vielmehr, wie schon seine regelmäßig fehlende Erwähnung im Rückrufschreiben 2 9 und die Bezugnahme auf die Besitzer 3 0 (statt Käufer oder Eigentümer) zeigt, irrelevant. Von Bedeutung ist vielmehr, daß der Rückrufende erkennbar auch im eigenen Interesse Gefahren vermeiden will, die dem Rückrufadressaten oder einem mit der Sache in Berührung kommenden Dritten entstehen können. „Außer Streit gestellt" werden könnte daher allenfalls die Frage, o b eine Rückrufpflicht besteht. A u c h wenn dafür sprechen könnte, daß das Bestehen einer solchen Pflicht in einigen Fällen zuvor in den Medien kontrovers diskutiert wurde, handelt es sich jedenfalls in der Regel aus der Sicht der Rückrufadressaten bei der A n 26 Die Verlängerung kann sich zwar auch auf einen bestimmten Mangel beziehen und sie kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. Abgesehen davon, daß sich die Ansprüche aus §459ff. BGB gegen den (mit dem Rückrufenden regelmäßig nicht identischen) Verkäufer richten, für den der Rückrufende nicht einfach Fristen verlängern kann, besteht auch hier die Besonderheit, daß der den Gewährleistungsfall auslösende Umstand bereits eingetreten ist. 27 Ausführlich zu Schuldanerkenntnis und -versprechen Larenz! Canaris, §61; Fikentscher, Rdnr. 1023 ff.; Coester, JA 1982, 579; Lindach er, JuS 1973, 79; Gehrlein, JA 1995, 598. 28 Vgl. hierzu etwa Wilckens, AcP 163 (1963), 137; Coester, JA 1982, 579, 580. 29 Zur Indizwirkung der fehlenden Erwähnung des Schuldgrundes vgl. MünchKomm/Hüffer, §780 Rdnr. 18; Gehrlein, JA 1995, 598, 599. 30 So ist es i.d.R. gleichgültig, auf welche Weise der Gegenstand erlangt wurde. Daß in einigen Fällen (z.B. bei den Rückrufen der Autoindustrie) an die Eigentumslage (Haltereigenschaft) angeknüpft wird (s. Fn. 7), hat organisatorische Gründe.
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kündigung eines Rückrufs nicht um ein „ N a c h g e b e n " des Rückrufenden im Streit u m eine (angebliche) Verpflichtung, sondern u m die Begründung einer neuen selbständigen Forderung, wofür die (mögliche) Rückrufpflicht lediglich das M o t i v bildet, mag sie dem Rückrufadressaten bekannt sein oder nicht. Auszugehen ist daher von einem abstrakten Schuldanerkenntnis, das eine neue A n spruchgsgrundlage hervorbringt. 3 1 Diese Einordnung ist auch objektiv interessengerecht. 3 2 D i e für das abstrakte Schuldanerkenntnis bzw. -versprechen in § § 7 8 0 , 781 B G B vorgeschriebene Schriftform 3 3 scheint nur auf den ersten Blick unnötig erschwerend. Abgesehen davon, daß die Schriftform bei einem individuellen Anschreiben gewahrt ist, dürfte der Rückrufende wohl stets Vollkaufmann sein, für den das Schrifterfordernis gemäß § 3 5 0 , 3 5 1 H G B entfällt. Gleiches gilt für die 30jährige Verjährungsfrist des § 1 9 5 B G B . Sie garantiert, daß während der normalen Lebenszeit eines Produktes der gefahrbringende Mangel behoben wird (und entspricht damit dem Aspekt der Gefahrabwendung). Interessengerecht ist auch, daß Einwendungen aus anderen gesetzlichen oder vertraglichen Rechtsbeziehungen, mit denen der R ü c k r u f in Verbindung steht, nur beschränkt möglich sind. 3 4 So kann die Durchsetzung der im R ü c k r u f versprochenen Leistungen weder mit der Begründung verweigert werden, es bestünden Mängel im Rechtsgeschäft, durch das der Rückrufadressat an den G e g e n stand gelangt ist, n o c h mit der Begründung, es handele sich in Wahrheit um keinen „Garantiefall". Jedenfalls dann, wenn, wie bisher, der R ü c k r u f „freiwillig" erfolgt, die Rückrufpflicht also zumindest nicht eindeutig feststeht - teilweise wird ihr Nichtbestehen v o m Rückrufenden sogar ausdrücklich betont - , und wenn der Rückrufende trotz der Zweifel an seiner rechtlichen Verpflichtung das Versprechen abgibt, sind gleichfalls alle Einwendungen abgeschnitten, die damit begründet werden, man habe zu U n r e c h t die gegebenen Tatsachen als eine R ü c k r u f pflicht begründend angesehen. 3 5 Anders sieht es mit Einwendungen aus, die im tatsächlichen Bereich liegen. Stellt sich später heraus, daß etwa die als gegeben unterstellte Ursächlichkeit zwi-
31 Auch das Anerkenntnis des Ladendiebs zur Zahlung einer bestimmten Summe gilt als abstraktes Schuldanerkenntnis; Musielak, NJW1977,561, a.A. LG Braunschweig NJW1976,1640. 32 Daß gerade bei der Abgrenzung abstraktes/kausales Schuldanerkenntnis in der Praxis neben den Parteiwillen eine objektive Interessenabwägung tritt, hat insb. Coester, JA 1982,579,583 überzeugend herausgearbeitet. 33 Das kausale Schuldversprechen ist demgegenüber nach h.M. formfrei gültig. 34 Zu den Einreden und Einwendungen gegen das abstrakte Schuldanerkenntnis etwaRGRK/ Steffen, §780 Rdnr. 49; Wilckens, AcP 163 (1963), 137, 148. 35 Zwar kann auch ein abstraktes Schuldversprechen grundsätzlich als rechtsgrundlose Leistung kondiziert werden. Dies gilt allerdings nicht, wenn das Versprechen erkennbar auch für den Fall des NichtVorliegens bestimmter Voraussetzungen gegeben, der Verlust der diesbezüglichen Einwendungen also bewußt in Kauf genommen wurde. Der Rückforderungsanspruch ist dann unabhängig von §814 BGB nach Treu und Glauben ausgeschlossen, s. Wilckens, a.a.O., S. 148; Palandt/Thomas, § 780 Rdnr. 13; BGH NJW 1991, 2140.
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sehen rückrufbegründender Eigenschaft und Gefahr fehlt 3 6 , so könnte der R ü c k rufende die versprochene Leistung verweigern, weil der bezweckte Erfolg mit dem R ü c k r u f nicht eintreten kann 3 7 . H i e r erschiene es auch objektiv nicht gerechtfertigt, den Hersteller z . B . mit einer Reparaturpflicht zu belasten, die den Gegenstand zwar möglicherweise besser und gebrauchstüchtiger macht, die G e fahr jedoch definitiv nicht auszuschließen vermag. Aus dem infolge des Rückrufs zustande kommenden Vertrag ergibt sich die Verpflichtung des Rückrufenden zur Vornahme der versprochenen Leistungen. Daraus folgt, daß grundsätzlich auch die allgemeinen Vorschriften über Leistungsstörungen, § 2 7 5 f f . B G B , Anwendung finden. Bei einem Umtausch der gefährlichen Sache (oder ihrer Teile) k o m m t weiter die analoge Anwendung der kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften, § 4 5 9 f f . B G B , in Betracht. Dabei wird es wegen der Besonderheiten des Rückrufs allerdings nicht um Minderung, sondern nur um Wandelung bzw. Lieferung einer neuen Sache analog § 4 8 0 B G B gehen. Ist eine versprochene Reparatur mangelhaft ausgefallen, so erscheint eine analoge Anwendung der § § 6 3 3 ff. B G B interessengerecht. D e r Rückrufadressat kann also die Nachbesserung verlangen, wobei der Rückrufende die Transport-, Versendungs- und Abschleppkosten und wohl auch für die Kosten eines eventuell erforderlichen Gutachtens zur Feststellung der Mängel 3 8 zu übernehmen hat.
B. Rückruf über Massenmedien Erfolgt der R ü c k r u f nicht durch Einzelanschreiben, sondern unter Einschaltung der Massenmedien, z . B . durch eine Anzeige des Rückrufenden, durch eine Pressemitteilung, einen Bericht in den Medien o.ä., so bestehen Zweifel daran, ob bereits hierin eine den Rückrufenden bindende Willenserklärung liegt. Offenbleiben kann diese Frage nicht: Zwar ist im allgemeinen die Abgrenzung zwischen einer verbindlichen Offerte und einer unverbindlichen Aufforderung zur Abgabe von Offerten ohne große Konsequenz 3 9 , da die in der irrigen Annahme eines bindenden Antrags erklärte Annahme als erneuter Antrag gilt, der stillschweigend angenommen werden kann. H i e r besteht jedoch die Besonderheit, daß es sich zum einen um eine sog. Auslobung, § 657 B G B , handeln könnte, bei der allein die (nicht empfangsbedürftige) Willenserklärung die Leistungsverpflichtung
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gründet, und daß zum anderen gerade beim R ü c k r u f rasch Meinungsverschiedenheiten, z . B . über die Kostentragungspflicht, auftreten können, die es dem rückrufenden Hersteller geboten erscheinen lassen können, ein A n g e b o t des Verbrauchers eben nicht anzunehmen. 36 S. z.B. den Bericht in D E R S P I E G E L Nr.26/1994, S. 187, wonach Silikonbrustimplantate die ihnen zugeschriebenen Beschwerden doch nicht verursachen sollen. 37 Vgl. B G H W M 1970, 1459. 38 Nicht hingegen die Kosten eines mangelbedingten Nutzungsausfalls, die bereits als Schadensersatzanspruch gemäß §635 B G B umstritten sind; vgl. Palandt/Thomas, §635 Rdnr. 7. 39 Palandt/Heinrichs, § 145 Rdnr. 1; zustimmend MünchKomm/Kramer, § 145 Rdnr. 8 Fn. 30.
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Eine verbindliche Erklärung des Rückrufenden wird sich einer Zeitungsanzeige nur dann entnehmen lassen, wenn das darin enthaltene Leistungsversprechen aus der Sicht eines durchschnittlich verständigen Lesers hinreichend bestimmt und von einem Rechtsbindungswillen getragen ist. D e m steht nicht zwangsläufig entgegen, daß sich die Anzeige zunächst an einen unbestimmten Adressatenkreis richtet und daß Aussagen in Anzeigen häufig nur als tatsächliche Mitteilungen oder Äußerungen im vorvertraglichen Stadium (invitatio ad offerendum) gelten. 4 0 Entscheidend ist also nicht die gewählte F o r m der Anzeige, sondern ihr Inhalt. Danach ist ein Rechtsbindungswille erkennbar nicht gegeben, wenn die Anzeige unmißverständlich den R ü c k r u f nur ankündigt, z . B . wenn darauf hingewiesen wird, daß die v o m R ü c k r u f erfaßten Verbraucher gesondert, z . B . über die Vertragshändler, benachrichtigt würden 4 1 , oder wenn sie aufgefordert werden, sich mit dem Rückrufenden zwecks Absprache der Einzelheiten in Verbindung zu setzen. 4 2 Fehlen derartige, die Vorläufigkeit betonende Hinweise, so k o m m t es entscheidend auf die Konkretheit des Anzeigentextes an. Sind alle relevanten Punkte klar und unmißverständlich angesprochen, so kann der Leser dies nur in dem Sinne auffassen, daß der Rückrufende sich unmittelbar zur Vornahme der versprochenen Leistung verpflichten will. J e weniger konkret allerdings die Anzeige ausfällt, desto größer werden auch die Bedenken gegen die A n n a h m e einer Willenserklärung. Wie oben dargestellt, spricht zwar allein das Fehlen der Kostentragungsregelung noch nicht gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillens, da der Begriff R ü c k ruf als A n g e b o t einer kostenlosen Reparatur auszulegen ist. Bleiben jedoch weitere Punkte offen, z . B . welche Produkte konkret betroffen sind, was genau von w e m repariert oder ausgetauscht werden soll, so spricht dies dafür, daß die Rückrufanzeige primär der Information der Betroffenen dient und diese dazu bewegen sollen, sich ihrerseits an den Hersteller zu wenden. Allein die Formulierung „ X ruft alle Autos der Marke Y z u r ü c k " enthält somit kein bindendes Angebot. Erst recht kein bindendes Angebot i.S.v. § 145 B G B liegt vor, wenn in den M e dien über eine Rückrufaktion berichtet wird. 4 3 Selbst wenn hierbei sämtliche we-
40 Zur Abgrenzung s. statt aller MünchKomm/Krämer, § 145 Rdnr. 8. Der Rechtsbindungswille wird insb. bei Werbeanzeigen i.d.R. verneint; vgl. hierzu auch Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981. Daß dies jedoch nicht zwingend ist, zeigt sich bereits daran, daß die Ausstellung von Waren in Automaten oder im Selbstbedienungshandel überwiegend als Willenserklärung gilt und daß die Auslobung, § 657 BGB, häufig in Anzeigen erfolgt, ohne daß Zweifel an dem rechtsverbindlichen Charakter bestünden. 41 Dies ist i.d.R. der Fall bei den Rückrufen der Automobilindustrie. 42 Als Beispiel sei hier der 1994 erfolgte Rückruf bestimmter Tauchmotorpumpen der Marke „Gardena" genannt, in dem es unter der dickgedruckten Uberschrift „Rückruf für Tauchmotorpumpen" (im Anschluß an eine Schilderung der möglichen Gefahr und die Bitte um Nichtbenutzung) heißt: „Wenn Sie in Besitz einer solchen Tauchmotorpumpe sind, nehmen Sie diese nicht in Betrieb und rufen uns bitte unter der Telefonnummer ... an. Das weitere Vorgehen werden wir dabei mit Ihnen abstimmen."; Süddeutsche Zeitung vom 21.7. 1994, S.39. 43 Vgl. MünchKomm/Seiler, §657 Rdnr. 12: Bericht in der Presse über eine intern beschlossene Auslobung stellt keine bindende Willenserklärung dar.
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sentlichen Informationen gegeben werden, handelt es sich doch erkennbar nicht um eine Erklärung des Rückrufenden, sondern um einen Bericht der Presse. Dies gilt auch dann, wenn die redaktionelle Stellungnahme, wie häufig, auf einer Pressemitteilung des Rückrufenden beruht. Anders als bei Zeitungsanzeigen vermag der Hersteller in der Regel nicht die Korrektheit jeder einzelnen Wiedergabe zu überprüfen. D a ß er sich jedoch ohne weiteres alle mißverständlichen Wendungen oder alle Übertreibungen in den Berichten der Medien zurechnen lassen will, kann nicht unterstellt werden. 4 4 A u c h hier sind freilich Grenzfälle denkbar. K o m m t in dem redaktionellen Bericht der zurückrufende Hersteller erkennbar selbst zu Wort, wird z . B . ein Interview 4 5 mit ihm wörtlich wiedergegeben oder wird eine Pressemitteilung des Rückrufenden in ihren wesentlichen Teilen w ö r t lich abgedruckt, so daß es sich trotz Einkleidung in einen redaktionellen Bericht für den Leser erkennbar um eine an die Öffentlichkeit gerichtete Mitteilung des Rückrufenden selbst handelt, so ist die Situation vergleichbar mit dem R ü c k r u f mittels einer Anzeige. D i e Frage, ob R ü c k r u f e über die Massenmedien eine verbindliche Erklärung i.S.v. § 145 B G B enthalten, ist daher eine Frage des Einzelfalles. Sofern man sie bejaht, stellt sich die weitere Frage, ob wegen der Verbreitung durch die Massenmedien eine andere rechtliche Qualifizierung angebracht ist als bei einem durch individuelle Anschreiben erfolgenden Rückruf. A u f den ersten Blick scheint hier eine Auslobung, § 6 5 7 B G B 4 6 , bei der eine B e lohnung für die Vornahme einer Handlung ausgesetzt wird, nahezuliegen. D e r R ü c k r u f richtet sich nicht an einen individuell bestimmten Personenkreis 4 7 , sondern zunächst an den unbestimmten Kreis aller Leser. A u c h genügt als „Belohn u n g " jeder Vermögenswerte Vorteil. Zweifel k o m m e n jedoch auf, wenn man das mit der Auslobung verfolgte Ziel bedenkt. D i e Belohnung wird für eine „Handlung" des Belohnungsempfängers ausgesetzt, welche nach der gesetzlichen Definition des § 6 5 7 B G B „insbesondere" in der Herbeiführung eines Erfolgs bestehen
44 Die Situation ist nicht vergleichbar mit der im Wettbewerbsrecht, wo eine weitgehende Zurechnung auch mißverständlicher Formulierungen erfolgt, vgl. Baumbach/Hefermehl, Einl. U W G Rdnr. 338. Im Wettbewerbsrecht geht es i.d.R um die zukünftige Unterlassung weiterer (wettbewerbswidriger) Aussagen, hier hingegen um eine u.U. sehr weitreichende vertragliche Bindung (z.B. wenn in dem redaktionellen Bericht irrtümlich falsche Produkte genannt werden). Den Rückrufenden insofern auf die Möglichkeit einer Anfechtung zu verweisen, erscheint daher nicht gerechtfertigt. Eine andere Frage ist, ob auch rechtlich „unverbindliche" Erklärungen Rechtswirkungen entfalten können, z.B. wenn in der Pressemitteilung, auf der der redaktionelle Artikel beruht, schuldhaft falsche Produkte benannt werden, so daß ein sich zu Unrecht angesprochen fühlender Verbraucher umsonst Aufwendungen macht. Hier kann u.U. eine Haftung entsprechend den Grundsätzen der culpa in contrahendo eingreifen. 45 Bei dem der Rückrufende sich die Uberprüfung vor Veröffentlichung vorbehalten kann. 46 Zur Auslobung s. statt aller MünchKomm/Seiler, §657. 47 Anders der der Entscheidung des O L G München N J W 1983, 759 zugrundeliegende Sachverhalt (Belohnung für alle Sportler eines Vereins) und auch anders die Situation bei einem Rückruf im Wege individueller Anschreiben, s. dazu die Ausführungen oben I 3.
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soll. Als Handlung käme hier jedoch nur das „Hinbringen des Gegenstandes zum Zwecke der Reparatur" bzw., wenn diese beim Verbraucher stattfinden soll, das Einräumen der Möglichkeit zur Gefahrabwendung in Betracht. Auch wenn die Ausschaltung der Gefahrenquelle im Interesse des rückrufenden Herstellers liegt, erscheint eine derartige Annahme jedenfalls für den Regelfall des Rückrufs zu weitgehend. Sieht man jedoch in der Einräumung der Möglichkeit zur Gefahrabwendung keine Handlung i.S.d. § 657 B G B , dann erfüllen alle Besitzer eines vom R ü c k r u f erfaßten Produkts automatisch die zur Belohnung berechtigende Voraussetzung. Tatsachen, die sich zufällig ergeben und auf die der Auslobungsempfänger keinen Einfluß hat, können jedoch nicht Gegenstand einer Auslobung sein. 48 Allerdings gibt es auch bei der Auslobung Grenzfälle, bei denen an die H a n d lung nur geringe Anforderungen gestellt werden. 4 9 U n d auch beim R ü c k r u f sind Fälle denkbar, in denen die Anreizfunktion so ausgeprägt ist, z . B . wenn die Verbraucher durch „ G e s c h e n k e " bewegt werden sollen, dem R ü c k r u f Folge zu leisten 50 , daß die Einräumung der Möglichkeit zur Gefahrbeseitigung in der Tat die mit der Auslobung angestrebte „Handlung" darstellen könnte. Gleichwohl bestehen auch dann gegen eine analoge Anwendung der § 6 5 7 f f . B G B Bedenken. Z u m einen k o m m e n mit solch starken Anreizen versehene R ü c k r u f e in der deutschen Rückrufpraxis offenbar kaum vor; der Anreiz beschränkt sich i.d.R. darauf, daß dem Verbraucher eventuell entstehende Vorteile („neu für alt") verbleiben. Z u m anderen kann es rechtlich keinen Unterschied machen, o b der R ü c k r u f im Wege des individuellen Anschreibens oder einer Anzeige erfolgt, bzw. ob, was nicht selten der Fall ist, der Rückrufende beide Wege beschreitet. Auch beim R ü c k r u f über Massenmedien ist daher im Regelfall von einem abstrakten Schuldversprechen nach § 7 8 1 B G B auszugehen 5 1 , das wegen der regelmäßig vorliegenden Vollkaufmannseigenschaft des Rückrufenden gemäß § 3 5 0 , 351 H G B f o r m frei abgegeben werden kann. Voraussetzung sind allerdings hinreichende K o n kretheit und Bindungswille.
C. Weitere Formen des Rückrufs I. Behördlich angeordneter Rückruf Bei behördlich angeordneten Rückrufen etwa nach § 9 P r o d S G oder § 69 Abs. 1 A M G erfolgt die Anordnung des Rückrufs durch Verwaltungsakt gegenüber dem MünchKomm/Seiler, §657 Rdnr. 8. MünchKomm/Seiler, §657 Rdnr. 8 nennt als Beispiele die Teilnahme an Schönheitskonkurrenzen, die Auslobung für Hinterbliebene von Kriegsopfern; hier soll eine analoge Anwendung der §§657ff. in Betracht kommen. 50 S. dazu die Ausführungen im Vierten Teil, 4,V.III.3.c.dd. 51 Dem steht auch nicht entgegen, daß bei einer Einordnung der Anzeige etc. als bloße invitatio ad offerendum das „Angebot" vom Rückrufadressaten ausginge; entscheidend ist nur, daß aufgrund der im Anschluß an die Anzeige geführten Verhandlungen die Leistungspflicht des Rückrufenden bzgl. der Reparatur abstrakt begründet wird. 48 49
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Verantwortlichen, i.d.R. dem Hersteller. Aus der Sicht der Verbraucher ist dies jedoch nicht erkennbar; sofern der in Anspruch genommene Hersteller der R ü c k rufanordnung nachkommt, unterscheidet sich der behördlich
„erzwungene"
R ü c k r u f nach außen nicht von dem freiwilligen Rückruf. 5 2 A u c h die sich aus dem R ü c k r u f ergebenden Rechtsfolgen sind daher gleich, d.h. ausschließlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen 5 3
II. Urteilsveröffentlichung bei Rückruf Wird eine Rückrufverpflichtung auf der Grundlage des U W G erstritten, so k o m m t u.U. eine Urteilsveröffentlichung in Betracht. 5 4 Dabei handelt es sich jedoch für den Verbraucher klar erkennbar u m keine rechtsgeschäftliche Erklärung des zum R ü c k r u f Verurteilten, sondern u m eine Information der Öffentlichkeit über das erstrittene Urteil. Unmittelbare Ansprüche aus der Urteilsveröffentlichung können daher nicht geltend gemacht werden.
III. Stiller Rückruf Kennzeichnend für den stillen R ü c k r u f ist, daß der Verbraucher möglichst nicht auf den gefährlichen Mangel aufmerksam gemacht werden soll, sondern daß dieser bei nächster Gelegenheit so unauffällig wie möglich - i.d.R. durch die Vertragswerkstätten - beseitigt wird. Keine besonderen Probleme entstehen dann, wenn eine Auftragserteilung zu einer Generalüberholung vorliegt, z . B . eine G e neralinspektion eines P K W , bei der der fragliche Mangel dann kosten- und k o m mentarlos beseitigt wird. Gleiches gilt bei einem auf eine bestimmte Verrichtung bezogenen Werkvertrag, sofern über die kostenlose Behebung des fraglichen Mangels informiert wird. D a die Reparatur im Interesse des Kunden liegt, wird dieser gegen eine derartige, im R a h m e n der Vertragsfreiheit stets zulässige Vertragserweiterung kaum etwas einzuwenden haben. Problematisch könnte allenfalls sein, wenn bei einem auf eine bestimmte Durchführung begrenzten Werkvertrag keine Information des Kunden erfolgt oder ihm die Kosten in Rechnung gestellt werden. I m ersten Fall liegt streng gen o m m e n eine Eigentumsverletzung vor, § 823 Abs. 1 B G B . Allerdings erfolgt die Reparatur im objektiven Interesse des Kunden, so daß bei Vorliegen der Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag, § 6 7 7 f f . B G B , die Rechtswidrigkeit des Eingriffs entfallen dürfte. 5 5 D i e Frage einer Eigentumsverletzung stellt 52 Dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt gemäß § 11 ff. VwVfG durch Zwangsgeld und unmittelbarem Zwang durchgesetzt wird; auch dann handelt es sich erkennbar um eine (unvertretbare) Handlung des Rückrufenden, nicht um einen Rückruf der Behörde. 53 So ausdrücklich (für das GSG) Jeiter, S. 70. 54 S. dazu die Ausführungen oben Vierter Teil, 4. Kapitel B II 2 b. 55 Vgl. statt aller Palandt/Thomas, Einf. v. §677 Rdnr. 11.
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sich daher nur dann, w e n n die Reparatur mangelhaft ausgeführt wurde. Hier w ä r e der Verbraucher in der Tat - je nachdem, ob die Geschäftsführung ohne Auftrag berechtigt oder unberechtigt w a r - wegen positiver Vertragsverletzung i.V.m. § 677, 678 BGB oder nach § 823 Abs. 1 z u m Schadenersatz berechtigt. Werden dem Kunden die Kosten der zusätzlichen Reparatur heimlich, z.B. als Posten einer fälligen Inspektion, in Rechnung gestellt, so kann er, da insofern keine A u f tragserteilung vorliegt, ihre Bezahlung verweigern bzw. einen einmal gezahlten Geldbetrag nach §812 B G B zurückfordern.
Sechster Teil
Zusammenfassung und rechtspolitische Wertung A.
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit hatte es sich zur Aufgabe gestellt, den Rückruf fehlerhafter Produkte nach dem Recht der U S A und Deutschlands zu untersuchen. Mit in die Betrachtung einbezogen wurde das europäische Recht, soweit es über die Produkthaftungs- und die Produktsicherheitsrichtlinie das deutsche Recht beeinflußt. Die Bemerkungen zum deutschen Recht haben - der zivilrechtlichen Ausrichtung der Arbeit entsprechend - die verwaltungs- und strafrechtliche Seite der Rückrufproblematik nur kurz gestreift, soweit dies für die Behandlung der zivilrechtlichen Aspekte erforderlich schien. Eine solche Beschränkung war für das Recht der U S A nicht möglich, da dort der Schwerpunkt der Rückrufpraxis eindeutig im Verwaltungsrecht liegt. Die zivilrechtliche Verpflichtung zu und Durchsetzung von Rückrufen hat in dieser Rechtsordnung erheblich weniger Gewicht. Dennoch war der Blick in die U S A lehrreich, insbesondere hinsichtlich der praktischen Erfahrungen mit der effizienten Vorbereitung und Durchführung von Rückrufen, der Reaktionen der Verbraucher und der rechtlichen Probleme, die sich bei Warn- und Rückrufpflichten ergeben. Bevor jedoch Schlußfolgerungen aus den gewonnenen Erkenntnissen gezogen werden, sollen zunächst die Ergebnisse der Untersuchung kurz zusammengefaßt werden.
I. Das US-amerikanische Recht Rückrufe von gefährlichen Produkten sind in den U S A seit Beginn des Jahrhunderts bekannt; den Anfang machte die Automobilindustrie. Viele dieser Rückrufe wurden jedoch als „stille Rückrufe" durchgeführt, bei denen der Fehler ohne Aufhebens und oft ohne Kenntnis der Eigentümer anläßlich eines Werkstattbesuchs behoben wird. In den Jahren 1959 bis 1965 wurden so bei ca. 8,7 Millionen Autos gefährliche Fehler behoben. Überraschung und eine gewisse Empörung über diese Heimlichkeit angesichts schwerwiegender Gefahren und der Beginn der Verbraucherschutzbewegung führten dazu, daß in der Folge ausgedehnte Untersuchungen über die Sicherheit von auf den Markt gelangten Produkten angestellt wurden, deren z.T. schockierende Ergebnisse zur Errichtung neuer Produktsicherheitsbehörden und der
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Kompetenzausweitung bestehender führten. Teil dieser Kompetenzen war und ist die Möglichkeit, Rückrufe gegenüber den Herstellern anzuordnen. Es sind im wesentlichen drei Behörden, die für die überwiegende Zahl der Rückrufe in den U S A verantwortlich zeichnen, die National Highway Traffic Safety Administration ( N H T S A ) , die Consumer Product Safety Commission ( C P S C ) und die F o o d and Drug Administration (FDA). 1
1. Rückrufe als Mittel öffentlich-rechtlicher
Produktsicherheitspolitik
Die Zahl der Rückrufaktionen in den U S A liegt bei weit über eintausend pro Jahr. Kaum eine Branche, kaum ein Produkt bleibt von der Produktsicherheitspolitik ausgespart. Kaum ein Verbraucher ist noch nicht in der einen oder anderen Weise mit einem Rückruf konfrontiert gewesen. Der Bereich der Kraftfahrzeuge und deren Zubebör wird von der N H T S A abgedeckt, über die Sicherheit der Arzneimittel, medizinischen Geräte, Lebensmittel und Kosmetika wacht die F D A , eine weit definierte Bandbreite weist der Zuständigkeitsbereich der C P S C auf, in den 10000 bis 15000 Produkte für den Endverbraucher vom Streichholzheftchen bis zu Fahrgeschäften in Vergnügungsparks fallen. Die Sicherheit des Flugverkehrs einschließlich der Flugzeuge und ihrer Teile steht unter dem Patronat der FAA, Boote werden von der Coast Guard reguliert, für die Sicherheit von Pestiziden zeichnet die E P A verantwortlich. Ergänzt werden die Sicherheitsmaßnahmen dieser Behörden durch Zuständigkeiten des Landwirtschaftsministeriums ( U S D A ) , des Wohnungsbauministeriums ( D H U D ) , der Behörde für die Sicherheit am Arbeitsplatz ( O S H A ) . Sollte dann immer noch eine Lücke bestehen, wird diese unter Umständen durch das Eingreifen der F T C als Verbraucherschutzbehörde geschlossen. Es ergibt sich somit der Eindruck eines allumspannenden Netzes von Sicherheitsbehörden und -Vorschriften. Die bevorzugten Regelungsinstrumente sind dabei einerseits die Aufstellung von Sicherheitsstandards und Zulassungsverfahren, um zu verhindern, daß übermäßig gefährliche Produkte auf den Markt kommen, und andererseits der Rückruf solcher Produkte, falls sie dennoch vermarktet wurden. Unabhänging von dem Vorhandensein und der Art der gesetzlichen Grundlage für die Anordnung oder gerichtliche Durchsetzung von Rückrufen werden sie überwiegend als „voluntary recalls" durchgeführt, d.h. nicht auf (formelle) Anordnung einer Behörde oder eines Gerichts. Dazu gehören zunächst die Rückrufe, die von den Unternehmen aus Verantwortungsgefühl oder auch aus wirtschaftlichem Kalkül selbst veranlaßt werden. O f t geht aber der Anstoß auch von der Behörde aus, die nach der Auswertung ihrer vielfältigen Informationsquellen über gefährliche Sicherheitsverstöße oder Mängel von Produkten dem 1 Daneben gibt es noch zahlreiche andere Behörden, die auf ihrem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet Rückrufe anordnen oder anstoßen können: die Environmental Protection Agency (EPA), die U.S. Cost Guard, die Fédéral Aviation Agency (FAA), das Department of Housing and Urban Development ( D H U D ) , das Department of Agriculture (USDA) und schließlich die Fédéral Trade Commission (FTC), um nur einige zu nennen.
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Zusammenfassung
Hersteller einen R ü c k r u f empfiehlt und diesen mitgestaltet und überwacht, ohne daß es einer förmlichen Anordnung bedarf.
2. Rechtstatsachen
zum Rückruf in den USA
Insgesamt drängt sich aufgrund der vorliegenden Studien der E i n d r u c k auf, daß die U n t e r n e h m e n in den U S A auf die besonderen Anforderungen, welche die erfolgreiche Durchführung eines Rückrufs stellt, nur in sehr beschränktem Umfang vorbereitet sind. D i e Regel dürften ad hoc gefällte Entscheidungen und wenig vorausgeplante Maßnahmen sein. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf den Erfolg der Rückrufaktionen bleiben, da man damit rechnen muß, daß B e t r o f fene gar nicht erreicht oder in einer Weise angesprochen werden, welche ihre K o operationsbereitschaft nur unvollkommen weckt. U n t e r diesem Gesichtspunkt ist die Einbindung der Sicherheitsbehörden, bei denen sich im Laufe der Zeit erhebliches Erfahrungswissen über die Durchführung von Rückrufen angesammelt hat, in die Durchführung der von den Unternehmen selbst initiierten oder von den Behörden angeregten R ü c k r u f - und Warnaktionen begrüßenswert. Dies gilt auch für den Erlaß von detaillierten Rückrufrichtlinien, welche den U n t e r n e h men Anhaltspunkte für die erforderlichen Voraussetzungen erfolgreicher A k t i o nen geben. Die empirischen Untersuchungen zur 'Wirksamkeit von Rückrufen als Mittel zur Gefahrbeseitigung haben gezeigt, daß auch sie nur unvollkommene Instrumente sind. E s gelingt auch mit ihrer Hilfe in aller Regel nicht, gefährliche P r o dukte völlig aus dem Verkehr zu ziehen. D i e Erfolgsquote ist vielmehr - selbst unter Berücksichtigung systematischer Unterschätzungen aufgrund der Berechnungsmethode - in vielen Fällen enttäuschend gering. Das liegt nicht nur an M ä n geln bei der Vorbereitung und Durchführung von Rückrufen, sondern auch am Desinteresse und fehlenden Risikobewußtsein der Verbraucher. Letzteres ist gerade bei Defekten, die auch Dritte gefährden, bedenklich. Entsprechende veröffentlichte Untersuchungen über die Erfolgsquoten von Rückrufaktionen in Deutschland sind nicht ersichtlich. Gelegentlich wird jedoch berichtet, daß sie zumindest in der Automobilindustrie meist höher als in den U S A sind und in der Regel über 8 0 % , nach intensiven Nachfaßaktionen sogar nicht selten bis zu 1 0 0 % erreichen. 2 Es wäre schon wegen der unterschiedlichen deutschen Erfahrungen falsch, aus den schlechteren Ergebnissen in den U S A auf die Uberflüssigkeit der Rückrufe als Mittel der Produktsicherheitspolitik zu schließen. Z u m einen sind die M e t h o den, um den Konsumenten zu erreichen und aus seiner Reserve zu locken, noch erheblich verbesserungsfähig. Z u m anderen ist nicht nachgewiesen, daß andere Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahren, die von bereits in den Verkehr gelangten Produkten ausgehen, effektiver wären. 3 Insbesondere ist eine bloße Warnung 2 3
S. Hollmann, in: 28. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1990, S.222ff., 242. Dies gilt nicht für Maßnahmen, welche die Sicherheit der Produkte vor dem
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USA
der Konsumenten weniger wirksam, da sie einerseits auf die gleichen Schwierigkeiten der Kommunikation und Überzeugung stößt4, andererseits durch das Fehlen kostenloser Beseitigungsangebote noch weniger Anreize zur Beachtung bietet. Versucht man die empirischen Untersuchungen über die Auswirkungen von Produktrückrufen auf die Marktstellung des rückrufenden Unternehmens zu bewerten, so ergibt sich zumindest für den Bereich der Automobilindustrie in den USA, daß Rückrufe von den Verbrauchern nicht als negativ sondern als normaler Bestandteil des wirtschaftlichen Lebens angesehen werden. Entsprechend beeinflußt ein Rückruf ihre Kaufentscheidung nur wenig; allenfalls kurzfristig und bei schwerwiegenden Defekten wird danach der Absatz der betroffenen Modelle signifikant betroffen. Unklar ist jedoch, inwieweit diese Ergebnisse in den Besonderheiten der Automobilmarktes und der Automobilkäufer begründet liegen. Bei Produkten mit geringerer Markentreue der Verbraucher könnten sich durchaus andere Verhaltensweisen zeigen. Außerdem hat sich möglicherweise das Sicherheitsbewußtsein der Verbraucher seit der Durchführung der Untersuchungen verändert, so daß heute solche Aspekte den Kaufentschluß stärker beeinflußen. Eine Verallgemeinerung der dargestellten empirischen Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses von Rückrufen auf den Absatz der betroffenen Automodelle auf andere Produkte ist deshalb höchst problematisch.5 3. Rückrufpfliehten Zivilrecht
und Rückruf anspräche
im
US-amerikanischen
Die Verletzung von ursprünglichen oder nachträglichen Warnpflichten gehört mittlerweile zu den am häufigsten in Produkthaftungsklagen vorgebrachten Anspruchsgrundlagen6, weil dafür der oft schwierige Nachweis eines Fabrikationsoder Konstruktionsfehlers nicht unbedingt erforderlich ist und insbesondere bei nachträglich erkannten Gefahren eben diese Kenntnis (oder das Kennenmüssen) des Risikos bereits ausreicht, um die Warnpflicht auszulösen. Über die Warnung hinausgehende Verpflichtungen bei nachträglich erkannten Fehlern (etwa zur Reparatur, zur Rücknahme, zum Austausch oder zur Rückzahlung des Kaufpreises) sind dagegen auf der Grundlage des common law weit weniger häufig geltend gemacht und von den Gerichten anerkannt worden. gen erhöhen. So kam zum Beispiel eine Studie zum Rückruf des Ford Pinto zu dem Ergebnis, daß eine rechtzeitige Konstruktionsänderung nach einer Kosten-Nutzen-Analyse günstiger gewesen wäre als der Rückruf, Dardis/Zent, 16 J. Cons. Äff. 261 (1982). 4 Stewart/Martin, 13 J. Publ. Policy & Marketing 1 (Spring 1994). 5 Erst recht eine Übertragung auf die Situation in anderen Ländern wie Deutschland. S. aus deutscher Sicht bisher nur Standop, Die Nebenwirkungen von Produktrückrufen -Ansätze der empirischen Analyse, Beiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der Universität Osnabrück Nr. 9416 6 Madden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988); den., Products Liability, Bd.l, §10.1, S.358.
434
Zusammenfassung
Allerdings sind entsprechende Äußerungen der Gerichte auch nicht völlig unbekannt, so daß in der Literatur häufig recht unspezifiziert referiert wird, daß es über die Warnpflichten hinausgehende zusätzliche Pflichten geben könne. 7 In einigen wenigen Entscheidungen wird denn auch nicht nur eine nachträgliche Warnpflicht anerkannt, sondern auch die Pflicht, fehlerhafte Produkte zu reparieren oder nachzurüsten bzw. auf die Reparatur oder Nachrüstung zu dringen.8 Eine genaue Analyse dieser Entscheidungen zeigt jedoch, daß sie alle auf sehr spezielle Sachverhalte zugeschnitten sind. Außerdem sind die Gerichte in der Formulierung der konkreten Pflichten recht unpräzise und weisen auch deshalb kaum über den konkreten Sachverhalt hinaus. Daneben stehen andere Entscheidungen, welche die Möglichkeit auf einzelstaatliches Produkthaftungsrecht gegründeter Rückrufansprüche klar ablehnen. Insgesamt kann man deshalb wohl sagen, daß eine allgemeine, im common law begründete Reparatur- und Austauschpflicht für Produkte, die nach dem Inverkehrbringen als gefährlich fehlerhaft erkannt werden oder sich im Lichte neuen Standes der Technik als fehlerhaft darstellen, nicht gegeben ist. Die geringe Zahl der Entscheidungen, die sich explizit mit diesen Problemen befaßt haben, deutet aber auch darauf hin, daß ein dringendes Schutzbedürfnis nicht besteht. Anscheinend wird dieses durch die starke verwaltungsrechtlich geregelte Rückruf- und Warntätigkeit der zahlreichen Sicherheitsbehörden in erheblichem Maße abgedeckt. Entsprechend diesem weitgehend negativen Ergebnis für deliktsrechtliche Rückru{pflichten finden sich auch keine Entscheidungen, die ausdrücklich einen Anspruch auf Rückruf bejaht hätten. Auch in den zahlreicheren Verfahren wegen Verletzung von Warnpflichten sind mögliche durchsetzbare Ansprüche auf Warnungen nicht behandelt worden. Es bleibt deshalb nur zu konstatieren, daß nach gegenwärtiger Rechtslage gültige Aussagen zu Rückrufansprüchen nach common law nicht gemacht werden können.
7 S. z.B. Phillips, Products Liability, S. 233: „The post-sale duty may be greater than one of just warning." mit dem Hinweis auf zwei Entscheidungen. Madden, 11 J. Prod. Liability 103 (1988) und ders. in seiner zweibändigen Darstellung geht auf diese Ansprüche gar nicht ein. Sein Kapitel über Rückrufpflichten behandelt allein solche nach dem Consumer Product Safety Act, dem UCC und einzelstaatlicher „lemon laws" zum Schutz von Gebrauchtwagenkäufern. Keeton/ Owen/Montgomery/Green, Products Liability and Safety, S. 843: „Under some circumstances, there may be even a common-law duty to recall." mit Hinweis auf eine Entscheidung. 8 Bell Helicopter Co. v. Bradshaw, 594 S.W.2d 519 (Tex. Civ. App. 1979); Braniff Airways, Inc. V. Curtiss-Wright Corp., 411 F.2d 451 (2d Cir. 1969), cert, denied 396 U.S. 959, 90 S.Ct. 431, 24 L.Ed.2d 423 (1969) S.453; Noel v. United Aircraft Corp., 342 F.2d 232 (3d Cir. 1964); Balido v. Improved Machines, Inc., 29 Cal.App.3d 633, 104 Cal.Rptr. 890 (1973); Gracyalny v. Westinghouse Elec. Corp., 723 F.2d 1311 (7th Cir. 1983); Rekab, Inc. v. Frank Hrubetz & Co., Inc., 261 Md. 141, 274 A.2d 107 (1971) S. 110-112. Anders jedoch: Dion v. Ford Motor Co., 804 S.W.2d 302 (Tex.Ct.App. 1991). Kritisch zu den Auswirkungen solch weitgehender Rückrufpflichten V. Schwartz, 58 N. Y. U. L. Rev. 892 (1983), 597ff.
435
Deutschland
II. Europäisches
Recht
Das europäische Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht (PHRL und PSRL) sowie die zu ihrer Umsetzung erfolgten (PHG und ProdSG) Regelungen des deutschen Rechts haben sich im Hinblick auf die Begründung zivilrechtlicher Rückrufpflichten oder -anspräche als unergiebig erwiesen. Nachträgliche Warn- und Rückrufpflichten bzw. Schadensersatzpflichten bei deren Nichtbefolgung bestehen weder nach der PHRL noch nach dem PHG. Andererseits werden solche nachträglichen Pflichten von der Richtlinie auch nicht ausgeschlossen, soweit die daneben bestehende nationale verschuldensabhängige Haftung entsprechende Regelungen vorsehen sollte. 9 Die Richtlinie läßt die Rechtsprechung der deutschen Gerichte zur Produktbeobachtungspflicht und zu daraus sich ergebenden Warn- und Rückrufpflichten unberührt. Auch einer Weiterentwicklung des nationalen Rechts durch die Gerichte oder den Gesetzgeber in Richtung auf eine Stärkung präventiver Elemente des nationalen Produkthaftungsrechts steht die Richtlinie nicht im Wege. Entsprechend der Richtlinie lassen sich auch aus dem PHG keine Produktbeobachtungs- oder Rückrufpflichten ableiten. Die PSRL sieht zwar den Rückruf (Rücknahme) unsicherer Produkte vor, doch nicht aufgrund einer privatrechtlichen Verpflichtung, sondern aufgrund hoheitlicher Anordnung durch die nationalen Sicherheitsbehörden (und u.U. der Kommission). Ebensowenig lassen sich aus der PSRL direkt privatrechtliche Haftungs-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche ableiten. Gleiches gilt für das ProdSG. Allenfalls über § 823 Abs. 2 BGB könnten die öffentlich-rechtlichen Sicherheitspflichten in das Zivilrecht ausstrahlen. Für die Problematik des Rückrufs fehlerhafter Produkte und die damit zusammenhängenden zivilrechtlichen Rechtsfolgen ist das europäische und das zu dessen Umsetzung geschaffene deutsche Recht deshalb weitgehend unergiebig.
III. Deutsches 1. Verschuldensabhängige a)
Recht
Produkthaftung
Grundlagen
Die Überlegungen zum deutschen Recht haben gezeigt, daß Rückrufpflichten zur Warnung vor Gefahren durch fehlerhafte Produkte, zu Instruktionen über Gefahrvermeidungsmöglichkeiten, zur direkten Beseitigung der Gefahr durch Reparatur, Austausch oder Rücknahme im Recht der verschuldensabhängigen Produkthaftung wohl verankert sind. Sie stellen Verkehrspflichten dar, die sich 9 Art. 13 PHRL. Ferner Diedericbsen, in: Probleme der Produkthaftung unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, S. 9ff., 13f.
436
Zusammenfassung
aus der auch über den Zeitpunkt des Inverkehrbringens hinausgehenden Produktverantwortung des Herstellers, aber auch des Quasi-Herstellers, Importeurs oder Händlers ableiten. Sie haben ihren Grund darin, daß der Hersteller eine Gefahr geschaffen hat und/oder aufrechterhält, die Gefahr beherrschen kann, Vorteile aus der Gefahrenquelle zieht und das Vertrauen des Gefährdeten in A n spruch genommen hat. Dabei spielen diese Gründe je nach Einzelfall in unterschiedlicher Kombination und Gewichtung eine Rolle. Die grundsätzlich gegebene nachträgliche Produktverantwortung des Herstellers m u ß jedoch zu Gefahrabwendungspflichten im Einzelfall konkretisiert werden. Diese Pflichten sind einerseits vorbereitende und begleitende Produktbeobachtungs- und Organisationspflichten, andererseits indirekte und direkte Gefahrbeseitigungspflichten. Zu den ersteren gehören nachträgliche Warnungen und Instruktionen, welche die tatsächliche Beseitigung der Gefahr dem Gefährdeten oder Dritten überlassen, zu den letzteren Reparaturen, Nachlieferungen, Rücknahme der gefährlichen Produkte, bei denen der Pflichtige direkt auf den Gefahrenherd einwirkt. Auch bei direkten Gefahrbeseitigungsmaßnahmen ist jedoch die Kooperation des Produkteigentümers oder -besitzers erforderlich. Welche dieser M a ß n a h m e n im Einzelfall zu ergreifen ist, muß nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmt werden. Danach können dem Pflichtigen nur Maßnahmen auferlegt werden, welche zur A b w e n d u n g der Gefahr geeignet und erforderlich sind. Schließlich m u ß die Maßnahme auch zumutbar sein, und zwar sowohl für den Pflichtigen als auch für den Gefährdeten. Die Zumutbarkeit für den Gefährdeten ist deshalb zu berücksichtigen, weil von ihm eine mehr oder w e niger große Kooperationsbereitschaft zur Beseitigung der Gefahr verlangt wird. Im Rahmen der Zumutbarkeit ist deshalb eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Interessen des Pflichtigen und denen der Gefährdeten vorzunehmen. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen: die Art des gefährdeten Rechtsgutes; die Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung; die Zahl der Betroffenen; die Schwere der Rechtsgutverletzung und die H ö h e des zu erwartenden Schadens; die Kosten der Maßnahme; mögliche nachteilige A u s w i r k u n g e n der Maßnahme auf den Goodwill bzw. die Wettbewerbsstellung; Vorliegen eines durch Fehlverhalten verursachten Fehlers oder einer Entwicklungsgefahr; das Verhältnis des individuellen Vorteils des Herstellers z u m sozialen N u t z e n des Produktes bzw. der Tätigkeit; das Vorhandensein von Ausweichmöglichkeiten u n d deren Zumutbarkeit für den Gefährdeten; der U m f a n g und die Kosten seiner erforderlichen M i t w i r k u n g ; die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen; die Art des Produktes und seines Vertriebs.
b) Konkretisierung
der
Rückrufpflichten
Produktbeobachtungs- und Organisationspflichten als Grundlagen der Erkennbarkeit u n d Durchführbarkeit der eigentlichen Rückrufpflichten bestehen grundsätzlich bei allen Produkten. Ihre Intensität und zeitliche Dauer kann je-
437
Deutschland
doch je nach Art und U m f a n g der Gefahr, der bisherigen Erfahrungen mit dem Produkt, der Lebensdauer des Produkts, der G r ö ß e des Herstellerunternehmens etc. variieren. Besteht ein ursprünglicher, durch dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten verursachter Produktfehler oder wird ein „Entwicklungsfehler"
nachträglich
entdeckt, obliegen dem Hersteller (bzw. Händler, Importeur etc.) Gefahrabwendungspflichten. D i e Konkretisierung der gebotenen Gefahrabwendungsmaßnahmen für verschiedene Fallgruppen bei Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen führte zu folgenden Ergebnissen:
aa) Verzicht auf
Gefahrabwendungsmaßnahmen
O b w o h l nachträgliche Erkenntnisse über Produktgefahren vorliegen, kann auf Warnungen als die den Hersteller am geringsten belastenden Maßnahmen (und damit auf Gefahrabwendungsmaßnahmen überhaupt) in folgenden Fällen verzichtet werden: - Eine Warnung (oder ein Rückrufangebot) ist nicht möglich, da die Betroffenen nicht erreichbar sind. - D i e Gefahr kann durch eine Warnung nicht mehr abgewendet werden, da sie sich bereits realisiert hat und eine Wiederholung nicht zu befürchten ist. A n sonsten führt fehlende Geeignetheit der Warnung zur Notwendigkeit weitergehender, ihrerseits geeigneter und zumutbarer Maßnahmen. - Eine Warnung unbeteiligter Dritter würde diese nicht in die Lage versetzen, der Gefahr wirksam auszuweichen; die Warnpflicht gegenüber den Benutzern ist davon nicht berührt. - D i e gefährdeten A b n e h m e r kannten die Gefahr. - D i e Gefahr besteht nur bei entfernten Mißbräuchen, mit denen nicht gerechnet werden muß. - Von der Gefahr ist kein durch § 8 2 3 A b s . l B G B geschütztes Rechtsgut bedroht, sondern allenfalls das Produkt selbst (soweit keine Weiterfresserschäden drohen) oder das Vermögen (Ausnahme bei Vorliegen von § 8 2 6 B G B ) . - Eine Warnaktion wäre unzumutbar; dies könnte nur bei Entwicklungsfehlern der Fall sein, wenn allenfalls geringfügige Beeinträchtigungen des Eigentums oder des Besitzes drohen und die Warnkosten in einem groben Mißverhältnis zu den möglichen Schäden stehen.
bb) Warnungen als ausreichende
Gefahrabwendungsmaßnahmen
Es besteht ein Vorrang direkter Gefahrbeseitigung (durch Reparatur, Austausch etc.) vor indirekten Maßnahmen wie Warnung und Instruktion. Deshalb kann sich der zur Gefahrabwendung Verpflichtete nur nach folgenden Grundsätzen auf bloße Informationsmaßnahmen beschränken und die tatsächliche Beseitigung der Gefahr bzw. das Ausweichen dem Betroffenen überlassen:
438
Zusammenfassung
- Bei ursprünglichen oder nachträglichen entdeckten Instruktionsfehlern ist das Nachreichen der Informationen ausreichend. - Grundsätzlich ist eine Warnung nur ausreichend, wenn dadurch die Gefahr mit hinreichender Sicherheit beseitigt werden kann. Sind Kinder betroffen, dürfte eine Warnung kaum jemals ausreichen. - Bei Kombinationsgefahren durch fremdgefertigtes Zubehör reicht in der Regel eine Warnung aus. - Auch bei Entwicklungsgefahren ist eine Warnung nicht immer ausreichend; dort kommt es ebenfalls auf eine Interessenabwägung an, bei der jedoch das pflichtgemäße Handeln des Herstellers zu berücksichtigen ist. - Eine Warnung ist ausreichend, wenn nur Rechtsgüter des Adressaten selbst gefährdet werden und ihm durch die Information ausreichende Entscheidungsgrundlagen und zumutbare Möglichkeiten des Selbstschutzes eröffnet werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob damit gerechnet werden muß, daß die Gewarnten z.B. wegen systematischer Unterschätzung des Risikos die Warnung mißachten werden. Ob die Warnung in diesem Sinne ausreichend ist, hat der Pflichtige zu beweisen. - Ist der gefährliche Fehler durch ein dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten verursacht worden, kann dem Gefährdeten nur ausnahmsweise zugemutet werden, der Gefahr durch Nichtbenutzung, Reparatur oder Ersatzbeschaffung auszuweichen. - Eine Warnung reicht aus, wenn nur Sachschäden drohen. - Eine Warnung muß ausreichen, wenn weitergehende Maßnahmen dem Pflichtigen ausnahmsweise unzumutbar sind. Dies wird bei Gefahren für Leib und Leben kaum je der Fall sein. cc) Direkte Gefahrbeseitigung Gefahrabwendungsmaßnahme
als
erforderliche
Rückrufmaßnahmen zur direkten Beseitigung des Gefahrenherds sind dann erforderlich und in der Regel auch zumutbar, wenn - (zumindest auch) Leib und Leben unbeteiligter Dritter und besonders schutzwürdiger Produktbenutzer (wie Kinder, Alte, Kranke etc.), die zu einem verantwortlichen und zumutbaren Selbstschutz nicht in der Lage sind, bedroht sind. - wenn Leib und Leben (ausschließlich) von Eigentümern/Benutzern, die nicht bereits zum Kreis der besonders schutzwürdigen Personen gehören, gefährdet sind, unter der Voraussetzung, daß in Anbetracht der bekannten Verhaltensmuster die Warnung ihr Sicherheitsziel tatsächlich verfehlen wird, weil z.B. das Risiko von einer erheblichen Zahl der Verbraucher unterschätzt und das Produkt unverändert weiterbenutzt werden wird. Die Beweislast dafür, daß im konkreten Einzelfall eine Warnung ausreichend war, sollte beim Pflichtigen liegen.
439
Deutschland
cid) Arten direkter Maßnahmen und
Kostentragung
Soweit die Pflicht zu direkten Gefahrabwendungsmaßnahmen besteht, ist wiederum nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu bestimmen, welche konkrete Verpflichtung dem Hersteller auferlegt werden kann, ob er z.B. die Reparatur des Produktes anbieten muß, seinen Austausch gegen ein fehlerfreies, seine Rücknahme gegen Kaufpreiserstattung. Pflichten zur Nachrüstung von Produkten mit Gefahrvermeidungsvorrichtungen, die erst nach dem Inverkehrbringen des Produktes entwickelt wurden, kommen jedoch nicht in Betracht, allenfalls Hinweise auf diese Neuentwickungen. Grundsätzlich ist der Hersteller in der Wahl seiner Gefahrabwendungsmittel frei, solange sie geeignet und dem Betroffenen zumutbar sind. Die Kostenregelung für die gebotenen Maßnahmen ist insbesondere abhängig von ihrem Einfluß auf den Erfolg der Gefahrabwendungsmaßnahme zum Schutze Dritter. In der Regel wird der Hersteller die Kosten der Reparatur oder des Austausches tragen müssen, da nur so genügend Anreize für den Eigentümer/Besitzer geschaffen werden, dem Rückrufangebot zu folgen. Allerdings sind auch Regelungen der Kostenbeteiligung ( etwa nach der Regel „neu für alt") möglich, soweit der Erfolg dadurch nicht vereitelt wird. Die Nebenkosten des Rückrufadressaten wie Transportkosten, Verpackungskosten, Nutzungsausfall, Verdienstausfall etc. sind in der Regel nicht zu erstatten.
c)
Rückrufansprüche
Erfüllungsansprüche hinsichtlich der Produktbeobachtungs- und Organisationspflichten sind ausgeschlossen, da ihre Verletzung nicht zu einer hinreichend konkreten Gefährdung der Benutzer von gefährlichen Produkten oder Dritter führt. Soweit dem Eigentümer/Benutzer gegenüber eine Warnpflicht besteht, hat er bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen, insbesondere bei hinreichend konkreter Gefährdung, einen Auskunftanspruch hinsichtlich der Informationen, die ihm vorenthalten werden und einen selbstverantwortlichen Umgang mit der Gefahr und eigene Schutzmaßnahmen ermöglichen würden. Als Ergebnis ist darüber hinaus festzuhalten, daß im allgemeinen keine Ansprüche Dritter auf die Vornahme direkter Gefahrabwendungsmaßnahmen durch den Hersteller bestehen. Allenfalls in besonders gelagerten Fällen, in denen die Gefährdung von Leib und Leben der unbeteiligten Dritten nicht bloß abstrakt, sondern hinreichend konkret und ein Ausweichen ihnen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, könnte ein solcher Anspruch bestehen. Der Inhalt eines solchen Anspruchs gegen den Hersteller könnte allerdings nur darauf gehen, dem Eigentümer die Beseitigung des Fehlers anzubieten und sie bei Annahme dieses Angebots vorzunehmen. Welche Maßnahme der Fehlerbeseitigung der Hersteller wählt, steht ihm frei; sie muß jedoch zur Erreichung dieses Ziels geeignet sein.
440
Zusammenfassung
Benutzer eines gefährlichen Produkts können einen Gefahrbeseitigungsanspruch haben, wenn der zugrundeliegende Produktfehler durch ein dem Hersteller zuzurechnendes Fehlverhalten verursacht wurde, eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben des Benutzers vorliegt und die Maßnahmen dem Hersteller zugemutet werden können. Letzteres wird jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen nicht gegeben sein, da in der Regel die Interessen des Benutzers denen des pflichtwidrig handelnden Herstellers vorgehen werden. Hat der Benutzer aufgrund seines Benutzungsverhältnisses mit dem Eigentümer diesem gegenüber einen Anspruch auf Fehlerbeseitigung oder Austausch, ist ihm in der Regel ein Ausweichen zuzumuten. Rückrufansprüche wegen Beeinträchtigung des Eigentums bestehen nicht. Im Fall von Entwicklungsgefahren können Ansprüche nur dann bestehen, wenn der Selbstschutz den Benutzern nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Statt Rückrufansprüchen können Eigentümer, Benutzer, Dritte oder Verbraucherverbände auch Ansprüche nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag haben, wenn sie die Gefahr für den Hersteller beseitigen. In engen Grenzen denkbar sind auch Schadensersatzansprüche wegen Vorsorgeaufwendungen nach § 823 Abs. 1 B G B . Unter praktischen Gesichtspunkten weichen die Anspruchsvoraussetzungen jedoch nicht gravierend von denen der Rückrufansprüche ab.
d) Verhältnis zum
Gewährleistungsrecht
Die vorstehend abgeleiteten Ergebnisse hinsichtlich des Bestehens von Rückrufpflichten können in Konflikt mit den Lösungen des Gewährleistungsrechts geraten. Die deliktische Verkehrspflicht zur direkten Gefahrbeseitigung besteht nämlich unabhängig davon, ob die Gewährleistungsfrist des § 4 7 7 B G B bereits überschritten ist; der Hersteller kann deshalb deliktsrechtlich zu Reparatur (Nachbesserung) oder Austausch (Nachlieferung) verpflichtet sein, auch wenn eine entsprechende Pflicht nach Gewährleistungsrecht nicht mehr besteht. Ein solcher Konflikt entsteht in der Regel jedoch nicht bei Warn- und Instruktionspflichten und in Fällen arglistigen Verschweigens des Mangels. Nach der hier vertretenen Lösung kann das Gewährleistungrecht jedoch auch bei direkten Gefahrabwendungspflichten nicht generell Vorrang vor der deliktsrechtlichen Wertung beanspruchen. Die gewährleistungsrechtliche Lösung beruht auf einem Ausgleich der Interessen der Vertragsparteien und berücksichtigt deren Äquivalenz- und Nutzungsinteressen bzw. ihr Interesse an Planungssicherheit. Die Interessen unbeteiligter Dritter und die Integritätsinteressen der Betroffenen finden keine Berücksichtigung. Soweit deshalb die Interessen Dritter und der Benutzer am Schutz ihrer hoch einzuschätzenden Rechtgüter Leib und Leben nur dadurch geschützt werden können, daß gleichzeitig als unvermeidbarer Nebeneffekt das Nutzungsinteresse des Eigentümers/Benutzers befriedigt wird, ist dies in Kauf zu nehmen. Allerdings ist dabei sorgfältig darauf zu achten, daß diese Unvermeidbarkeit wirklich vorliegt.
Deutschland
441
Auch in dem engen Rahmen, in dem deliktsrechtliche Rückrufansprüche gegeben sind, geht aus den genannten Gründen das Gewährleistungsrecht nicht vor. 2.
Vertragsrecht
Die Tatsache, daß der mögliche Vorrang des Gewährleistungsrechts gegenüber deliktsrechtlich begründeten Pflichten und Ansprüchen geprüft werden mußte, zeigt bereits, daß die vertragsrechtlichen Möglichkeiten zur Begründung rückrufäquivalenter Pflichten und Ansprüche nur sehr begrenzt sind. Insbesondere die kurze Verjährungsfrist des §477 BGB und die fehlende Möglichkeit der Berücksichtigung der Interessen Dritter verhindern, daß das Vertragsrecht eine größere Rolle bei der Abwendung der Gefahren, die von in den Verkehr gelangten gefährlichen Produkten ausgehen, spielen kann. 3.
Wettbewerbsrecht
Das Wettbewerbsrecht bietet gegenüber dem Delikts- und dem Vertragsrecht u.a. den Vorteil, daß Wettbewerber und Verbraucherverbände - soweit die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen - nicht nur Auskunft- und Rückrufpflichten hinsichtlich einzelner Produktexemplare, sondern aller durchsetzen können. Die eingehende Uberprüfung der Anspruchsgrundlagen des U W G hat gezeigt, daß das U W G grundsätzlich für die Anordnung von Gefahrabwendungsmaßnahmen nutzbar gemacht werden kann. Allerdings sind diese Einsatzmöglichkeiten nur sehr begrenzt. Soweit eine Irreführung über Sicherheitsaspekte des Produktes durch Werbung oder sonstiges Verhalten bzw. Unterlassen vorliegt, kommt als Sanktion die Unterlassung in Betracht. Allerdings werden dadurch nur zukünftige Täuschungen verhindert. N u r in beschränktem Umfang werden durch eine eventuelle Änderung der Werbung auch frühere Käufer über die Gefahren des Produktes informiert, soweit sie dieser geänderten Werbung ausgesetzt sind. Ansonsten kann eine Information der Käufer bereits in Verkehr gebrachter gefährlicher Produkte nur im Rahmen eines Beseitigungsanspruchs erreicht werden. Selbst dann kann dieser Anspruch nur auf die Ausräumung der hervorgerufenen Irrtümer, d.h. auf Information über die Gefahr gehen. Der Tatbestand des Vorsprungs durch Rechtsbruch wegen des Inverkehrbringens fehlerhafter Ware i.S.d. §§ 459ff. BGB oder gefährlicher Produkte im Widerspruch zum Produkthaftungsrecht des §823 BGB kommt nicht bei Entwicklungsgefahren in Betracht, sondern nur bei Produkten, deren Fehlerhaftigkeit i.S.d. Gewährleistungs- bzw. Produkthaftungsrechts bei Inverkehrbringen bekannt war. Es kann im wesentlichen nur die Unterlassung des Inverkehrbringens der gefährlichen Produkte ohne ausreichende Aufklärung der Verbraucher gefordert werden kann. Die Gefahren bereits in Verkehr gelangter Produkte können damit nicht abgewendet werden. Dies liegt anders, wenn der Wettbewerbsvorsprung auf dem Unterlassen eines rechtlich gebotenen Rückrufs beruht. In diesem Fall ist der Unterlassungsan-
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Zusammenfassung
sprach mit dem Beseitigungsanspruch identisch. Er richtet sich auf die Vornahme der unterlassenen rechtlich gebotenen Rückrufaktion. Allerdings ist hier Voraussetzung, daß die Unterlassung bewußt und planmäßig als Mittel des Wettbewerbs eingesetzt wurde. Schließlich können sich Rückrufpflichten und -anspräche der Konkurrenten und Verbraucherverbände ergeben, wenn in sittenwidriger Weise gefährliche Produkte in Verkehr gebracht werden. Dies kann etwa dann gegeben sein, wenn von dem Produkt erhebliche Gefahren für Leib und Leben einer großen Anzahl von Personen ausgehen, die der Hersteller oder Verkäufer bewußt in Kauf genommen hat und unschwer hätte verhindern können. Als Sanktionen kommen das Unterlassen dieser Handlungen für die Zukunft und - da die Sittenwidrigkeit in der Gefährdung der Abnehmer und/oder Dritter liegt - die Beseitigung dieser Gefährdung in Betracht. Insgesamt läßt sich somit feststellen, daß das U W G zwar grundsätzlich geeignet ist, Rückrufansprüche in Form von Informations- oder auch Reparatur- und Austauschansprüchen zugunsten von Käufern gefährlicher Produkte zu begründen. Die Voraussetzungen sind jedoch sehr eng, so daß sie nur in seltenen Fällen anwendbar sein dürften.
B. Rechtspolitische Wertung und Ausblick 1. Kompensatorischer
Rechtsschutz
Läßt man diese Ergebnisse Revue passieren und versucht sie unter rechtspolitischen, insbesondere sicherheitspolitischen Gesichtspunkten zu werten, so zeigt sich, daß die rechtliche Verpflichtung zur Vornahme von Rückrufmaßnahmen, insbesondere auf der Grundlage der verschuldensabhängigen Produkthaftung recht umfassend ist. Sie besteht nicht nur dann, wenn der infrage stehende Fehler vom Hersteller oder in ihm zurechenbarer Weise verursacht wurde, sondern auch, wenn der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar war. Die Gefahrabwendungspflicht des Herstellers besteht also grundsätzlich auch bei Entwicklungsgefahren. Zwar setzt die Pflicht, aktiv zum Schutz der Gefährdeten tätig zu werden, bei Entwicklungsgefahren erst dann ein, wenn der Hersteller von dem Fehler ausreichende Kenntnis haben muß. Das Risiko der Verwirklichung der Produktgefahr trägt bis zu diesem Zeitpunkt der Gefährdete, da die verschuldensunabhängige Haftung des P H G für Entwicklungsgefahren nicht gilt. Insofern besteht aus der Sicht des Gefährdeten eine Schutzlücke. Die Rechtsprechung hat jedoch durch die Auferlegung der Produktbeobachtungs- und Organisationspflichten und der bei ihrer Verletzung drohenden Schadensersatzpflichten dafür Sorge getragen, daß die Spanne zwischen dem Erkennbar-Werden und der tatsächlichen Kenntnis des Fehlers und der Durchführung von rechtlich gebotenen Gefahrabwendungsmaßnahmen so kurz wie möglich ist. Das Risiko des Mißerfolgs rechtlich
Wertung und
Ausblick
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ausreichender Gefahrabwendungsmaßnahmen trägt jedoch weiterhin der Betroffene. Ist der Fehler hingegen durch ein dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten verursacht worden, hätte er das Produkt also so nicht in Verkehr geben dürfen, bestehen die nachträglichen Gefahrabwendungsmaßnahmen vom Zeitpunkt des Inverkehrbringens an. Die ursprüngliche Gefahrvermeidungspflicht schlägt um in eine Gefahrabwendungspflicht, die dem Hersteller auferlegt, in den ingang gesetzten Kausalverlauf, der zu der Verletzung der Rechtsgüter von Eigentümern, Benutzern oder Dritten führen kann, einzugreifen und die Gefahr zu „entschärfen". In diesem Fall trägt das Risiko des Mißerfolgs der Gefahrabwendungsmaßnahme der Hersteller, weil auch deren rechtlich nicht zu beanstandende Durchführung das ursprüngliche, haftungsbegründende Fehlverhalten nicht rückgängig zu machen, zu heilen vermag. Die Pflicht des Herstellers zu Gefahrabwendungsmaßnahmen aufgrund seiner nachträglichen Produktverantwortung ist also sehr weit gespannt. Eine zu große „Verbraucherfreundlichkeit" auf Kosten der Hersteller kann gegen die hier vertretene Lösung für nachträgliche Gefahrabwendungspflichten nicht eingewandt werden. Soweit es sich bei dem gefährlichen Produktfehler um eine Entwicklungsgefahr handelt, bestehen i.d.R. selbst bei Gefahren für Leib und Leben nur Warnpflichten vom Zeitpunkt der Erkennbarkeit des Fehlers an, wenn dadurch den Gefährdeten die Möglichkeit zu zumutbarem Selbstschutz gegeben wird. N u r zum Schutz unbeteiligter Dritter, die der Gefahr nicht ausweichen können, und solcher Personengruppen, die zu einem selbstverantwortlichen Umgang mit der Gefahr in zumutbarer Weise nicht in der Lage sind, sind weitergehende Rückrufmaßnahmen wie Reparatur oder Austausch erforderlich, angesichts der schweren, anders nicht abzuwendenden Gefahren aber auch vertretbar. Es soll durchaus nicht verkannt werden, daß Warnungen, die hier als die den Hersteller in der Regel weniger belastende Maßnahme bezeichnet wurden, nicht nur die direkten Kosten der Durchführung einer solchen Aktion verursachen können. Viele Hersteller fürchten vielmehr, daß dadurch ihr goodwill Schaden nimmt, daß die Verbraucher ihre Produkte in Zukunft meiden werden. 10 Nach den Erfahrungen in den U S A scheint diese Furcht jedoch aus einer Unterschätzung des Urteilsvermögens der Verbraucher geboren zu sein. Die Verbraucher wissen sehr wohl, daß moderne, technisch komplizierte und komplexe Produkte fehleranfällig sind und daß nicht alle Fehler bereits beim ersten Inverkehrbringen bekannt und ausgemerzt sein können 1 1 . Warnungen und Rückrufe werden des10 Diese Befürchtung liegt vielleicht besonders nahe, wenn der goodwill und das Image eines Herstellers durch eine Werbung bestimmt werden, welche die Sicherheitsaspekte seines Produktes hervorhebt und das Unternehmen als besonders sicherheitsbewußt darstellt. Andererseits wird das Image eines solchen Unternehmens durch den Eindruck verantwortungslosen Zuwartens bei verspätetem Reagieren noch größeren Schaden nehmen. 11 Aus der Computerindustrie ist sogar bekannt, daß neue Programme zunächst einer großen Zahl ausgewählter Benutzer zu Testzwecken überlassen werden, um auf diese Weise vor der allgemeinen Markteinführung möglichst viele Fehlerquellen, die erst in der praktischen Anwen-
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Zusammenfassung
halb nicht notwendigerweise als Zeichen geringerer Sicherheit, sondern als B e weis für Verantwortungsbewußtsein interpretiert. 1 2 Dies gilt umso mehr, wenn der R ü c k r u f von fehlerhaften Produkten branchenweit praktiziert wird und deshalb keinen unterdurchschnittlichen Sicherheitsstandard signalisiert. Jedenfalls konnten in der Automobilindustrie der U S A nach Rückrufaktionen keine nachhaltigen Marktanteilsverschiebungen festgestellt werden. 1 3 Dies dürfte eher der Fall sein, wenn ein Hersteller hinhaltend taktiert und erst unter dem D r u c k der öffentlichen Meinung Gefahrabwendungsmaßnahmen ergreift. 1 4 Bei Gefahren für Leib und Leben der Betroffenen durch ursprüngliche, auf dem Hersteller zurechenbares Fehlverhalten zurückgehende Produktfehler, besteht allerdings i.d.R. die Pflicht zu direkter Gefahrbeseitigung. In diesen Fällen ist eine Verletzung dieser nachträglichen Gefahrabwendungspflicht aber nicht allein haftungsbegründend. D i e Gefahrabwendungspflicht schafft also für den Hersteller nur begrenzt ein neues Haftungsrisiko. Die Haftung wird vielmehr bereits durch das ursprüngliche Fehlverhalten ausgelöst, wenn es zu einer Schädigung k o m m t . D i e zusätzliche Auferlegung einer Gefahrabwendungspflicht stellt insofern keine zusätzliche Belastung dar, sie macht nur die Verhütung des Schadens mit zumutbaren Mitteln zur Pflicht, eine Maßnahme, die der Hersteller bereits im eigenen Interesse zur Vermeidung der Haftung ergreifen sollte. Allerdings hat diese zusätzliche Pflicht rechtliche Bedeutung insofern, als ihre schuldhafte Verletzung möglicherweise leichter nachzuweisen ist als das Vorliegen eines schuldhaft verursachten ursprünglichen Produktfehlers. 1 5 U b e r b l i c k t man die Reichweite der nachträglichen Gefahrabwendungspflichten eines Herstellers, erscheint ein ausreichender kompensatorischer Rechtsschutz der Geschädigten als gewährleistet. Allerdings soll auf einige Aspekte hingewiesen werden, die diesen Eindruck etwas relativieren. Z u m einen - und das ist dung zutage treten, beseitigen zu können. Bei der Einführung des neuen „Windows 95"-Programms wurde vielfach davor gewarnt, bereits die Erstversion zu kaufen, da erfahrungsgemäß mit vielen Fehlern zu rechnen sei, die erst nach und nach in den Folgeversionen beseitigt würden. 12 Dies wird durch Erfahrungen des ADAC mit Automobilrückrufen in Deutschland bestätigt, s. G. O. Ulmer, ADAC-Motorwelt, Nr. 8/75, S. 11. 13 Page/Wilson, in: Marketing: 1776-1976 and Beyond, 1976, S.417-421; Wynne/Hoffer, 8 Applied Econ. 157 (1976), 161ff.; Hoffer/Wynne, 9 J. Cons. Äff. 212 (1975), 217. 14 In einem kaum aufzulösenden Dilemma befindet sich jedoch ein Hersteller, der von seinen Kunden und voreilig urteilenden Medien der Verschleierung eines Konstruktionsfehlers verdächtigt wird, obwohl in Wirklichkeit ein Fehlverhalten der Benutzer vorliegt. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das angeblich unmotivierte Beschleunigen bzw. Losfahren von Kraftfahrzeugen mit Automatik der Firma Audi, welches in den USA erhebliche Aufmerksamkeit der Medien erregte. Auch die in langen Tests gewonnene Feststellung der Sicherheitsbehörden, daß ein technisches Versagen oder eine Fehlkonstruktion nicht vorlagen, haben erhebliche Absatzeinbußen nicht verhindern können. S. für eine Schilderung des Falles Mackay, in: The Liability Maze, 1991, S. 191-223, 210f. 15 Wegen der Anspruchskonkurrenz mit den verschuldensunabhängigen Ansprühen nach dem PHG muß die schuldhafte Verursachung des ursprünglichen Fehlers nicht notwendigerweise nachgewiesen werden. Allerdings sind dann die Nachteile der Haftung nach PHG, etwa das Fehlen eines Schmerzensgeldanspruchs (Taschner/Frietsch, § 8 PHG Rdnr. 2), inkauf zu nehmen.
Wertung und
Ausblick
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kein besonderes Problem der Rückrufproblematik - ist der kompensatorische Rechtsschutz, insbesondere wenn es um den Ersatz von Schäden an Leib und Leben geht, höchst unbefriedigend. Gerade Verletzungen dieser Rechtsgüter drohen aber bei gefährlichen Produkten und sollen durch die Gefahrabwendungspflichten verhindert werden. Der Satz, daß „Vorbeugen besser als Heilen" ist, stammt nicht umsonst aus dem Bereich der Medizin. Der Ausgleich des Schadens bei Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit kann, auch wenn man die Möglichkeit der Zuerkennung von Schmerzensgeld berücksichtigt, nur höchst unvollkommen sein. U m s o schwerer wiegen dann Defizite bei der präventiven Wirkung der Schadensersatzdrohung. Ein anderes Problem stellt die Beweissituation des Geschädigten bei der Verletzung einer Gefahrabwendungspflicht dar. Nach den normalen Regeln hätte der Geschädigte zu beweisen, daß er die Warnung oder den Rückruf, wären sie ordnungsgemäß durchgeführt worden, beachtet hätte. Dies ist ein Beweis, der praktisch nie geführt werden kann, da er die hypothetische Reaktion des Geschädigten auf eine hypothetische Gefahrabwendungsaktion des Herstellers betrifft. Der B G H hält bisher jedoch an diesem Grundsatz fest und fordert, daß der Geschädigte die Kausalität zwischen dem Unterlassen der Warnung (oder des Rückrufs) und dem Schadenseintritt zu beweisen habe; 16 allerdings hat er die Beweissituation des Geschädigten mittlerweile zurecht dadurch erleichtert, daß er zu seinen Gunsten eine Vermutung dahingehend anerkennt, daß eine als nach Art und Inhalt ausreichend beurteilte Warnmaßnahme auch beachtet worden wäre. 17 Es bestehen aber Zweifel, ob eine solche Vermutung immer gerechtfertigt ist, wenn man berücksichtigt, daß nach den Erfahrungen in den U S A bei vielen Warn- und Rückrufaktionen, obwohl sie von den Sicherheitsbehörden überwacht wurden, also sachgerecht gewesen sein sollten, Erfolgsquoten von weit unter 5 0 % festgestellt wurden. Wenn auch diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die Verbraucherreaktionen in Deutschland übertragen werden können, ist doch nicht auszuschließen, daß ähnliche Ergebnisse zu befürchten sind. O b man dann aber noch von einem allgemeinen Erfahrungssatz sprechen kann, daß ordnungsgemäße Warnungen auch beachtet werden, erscheint fraglich. Ist jedoch eine Vermutung der Beachtung von Warnungen nicht zu rechtfertigen, so kann der G e schädigte kaum beweisen, daß er entgegen dem Verhalten der Mehrheit Selbstschutzmaßnahmen ergriffen hätte. Für den Hersteller bestünde dann kein Anreiz mehr zur Durchführung von Warnungen, da ihm die Kausalität seiner Unterlassung nicht nachzuweisen wäre. Die Warnung unterbliebe völlig, und auch diejenigen, die sie beachtet hätten, würden nicht mehr geschützt. Unter diesen U m ständen erscheint es an der Zeit, daß der B G H auch im Deliktsrecht den Schritt zu einer Beweislastumkehr für den Nachweis der Kausalität des Unterlassens von Aufklärungsaktionen für die Rechtsgutverletzung vollzieht, den er mit beachtli-
16 17
BGHZ, 106, 273, S.284 = VersR 1989, 399, S.401 - „Asthma-Spray" BGH, VersR 1992, 96, S. 99 - „Kindertee I".
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Zusammenfassung
chen Gründen für vertragliche Aufklärungspflichten längst getan hat. 18 Damit wäre es Sache des Herstellers nachzuweisen, daß der Geschädigte auch eine ordnungsgemäße Warnung unbeachtet gelassen hätte. Über diese Beweisfragen hinaus stellt sich noch ein weiteres Problem, welches eng damit zusammenhängt und in der individualistischen Konzeption des Deliktsrechts, in seiner Konzentration auf die Zweierbeziehung zwischen Verletzer und Verletztem begründet ist. In dieser Beziehung ist für die Haftung des Herstellers allein entscheidend, ob eine von ihm durchgeführte Warn- oder Rückrufaktion im Verhältnis zum konkreten Geschädigten ausreichend war oder nicht. Wurde dieser Geschädigte in die Lage versetzt, zumutbare Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen, entfällt ihm gegenüber die Haftung. 1 9 Der B G H verlangt zwar, daß die Gestaltung der Gefahrabwendungsmaßnahme an der am stärksten gefährdeten Gruppe ausgerichtet werden soll, doch werden die Folgen einer Untererfüllung dieses Gebots für den Hersteller auch nur in Schadensersatzverfahren durch Mitgieder eben dieser Gruppe relevant. Die in der Einzelfallbetrachtung gebotene und ausreichende Maßnahme ist also nicht notwendigerweise diejenige, welche auch unter Berücksichtigung der Gesamtbetrachtung die Gefahr am sichersten und umfassendsten abwenden würde. Trotz dieses Problems unterschiedlicher Beurteilungsmaßstäbe bei Einzelfalloder Gesamtbetrachtung, wird in der Literatur die Konkretisierung der Warnund Rückrufmaßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fast nur unter dem Aspekt der Gesamtsituation diskutiert. 20 Dies zeigt sich etwa in Äußerungen, daß Warnungen, weil sie in den Wind geschlagen werden, prinzipiell nicht ausreichen. 21 Dies kann, wie oben gezeigt, zumindest im Hinblick auf den Einzelfall nicht so pauschal gelten. 22 Selbst eine Gefahrabwendungsmaßnahme, die unter Berücksichtigung des Gesamtkomplexes als nicht genügend angesehen werden muß, kann im Einzelfall dennoch die Haftung vermeiden helfen. Unter diesem Gesichtspunkt begünstigen die Anreize des Haftungsrechts nicht notwendigerweise die wirksamste Lösung, sondern lassen Raum für Abwägungen des Herstellers bei der Wahl der Art und Dimensionierung der Maßnahme. Eine Schlechterfüllung der Verpflichtung durch eine in diesem Sinne nicht ausreichende Warnung führt nicht in jedem Fall zur Haftung für alle Schäden, sondern nur für solche eben der schwächsten Gruppe. Das Haftungsrisiko und der Anreiz zu einer optimalen Gefahrabwendungsmaßnahme sind also deutlich verringert. Die Möglichkeiten des gegenwärtigen Rechts, den Gesamtkomplex stärker zu berücksichtigen sind allerdings nur begrenzt. Dies wäre, insbesondere vorbeugend, in umfassender Weise nur im Rahmen einer de lege lata im Produkthaf18 BGHZ 61, 118, 120; BGHZ 64, 46, 51 - „Haartonicum". S. dazu auch Tiedtke, PHI 1992, 138, 141 f.; ders., FS Gernhuber, S.485ff. 19 BGH, WM 1994, 466, S.469 - „Kindertee II". 20 S. etwa v. Bar, Verkehrspflichten, S. 84ff. allgemein für Verkehrspflichten und Rettenbeck, S.66ff. für Rückrufpflichten. 21 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 85. 22 BGH, WM 1994, 466, 469 - „Kindertee II".
Wertung und Ausblick
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tungsrecht nicht vorgesehenen Verbandsklage möglich. Im Zusammenhang der Einzelfallbetrachtung könnte man überlegen, die Geeignetheit einer Warnung enger zu definieren. Eine Warnung wäre danach erst dann als geeignet zur Gefahrabwendung anzusehen, wenn sie die Adressaten nicht nur objektiv das notwendige Wissen zur vernünftigen Beurteilung der Lage und zu geeigneten Selbstschutzmaßnahmen vermittelt, sondern auch deren „natürliche Trägheit", ihre psychologischen Widerstände und Unvollkommenheiten bei der Umsetzung des Wissens mitberücksichtigt. Eine solche Berücksichtigung von im Einzelfall vorwerfbaren, in der Gesamtheit aber offensichtlich unvermeidbaren Fehlverhaltens der Betroffenen bei der Konkretisierung von Verhaltenspflichten des Herstellers ist nicht ungewöhnlich. Die Problematik hat eine Parallele bei der Bestimmung der Fehlerhaftigkeit eines Produktes. So ist eine Aufklärung der Besitzer von Geländewagen durch einen Sticker am Armaturenbrett, der davor warnt, das Fahrzeug in eine zu steile Schräglage zu bringen oder Kurven zu scharf zu nehmen, da es sonst zu Uberschlägen kommen kann, zwar grundsätzlich geeignet, bei Beachtung entsprechende Unfälle und Schädigungen zu vermeiden. Dennoch ist zu fragen, ob ein solches Fahrzeug angesichts der Tatsache, daß erfahrungsgemäß viele Fahrer die eindeutigen Warnungen aus Unachtsamkeit oder Leichtsinn mißachten, nicht vom Werk her mit Überrollbügeln ausgestattet werden muß, um auch konstruktiv möglichen Schäden vorzubeugen.23 Eine entsprechende Überlegung kann auch auf das Verhältnis von nachträglichen Warn- und Rückrufpflichten angewandt werden. Sonst könnten sich Hersteller durch Warnungen, die zwar jeden individuellen Benutzer für sich betrachtet in die Lage versetzen, der Gefahr selbstverantwortlich zu begegnen, die aber erfahrungsgemäß wenig beachtet werden, die belastendere, aber auch erfolgversprechendere Gefahrabwendung durch Reparatur oder Austausch umgehen. G. Hager hat - allerdings bei ursprünglich fehlerhaften Produkten, nicht bei Entwicklungsgefahren - davon gesprochen, daß dann der Hersteller „seine Verkehrssicherungspflicht auf Kosten der Dispositionsfreiheit des Produkterwerbers erfüllen" könne 24 . Setzt man aber die Pflicht des Herstellers, mögliches Fehlverhalten seiner Abnehmer bei der Konstruktion seiner Produkte und bei nachträglichen Gefahrabwendungsmaßnahmen zu berücksichtigen, zu hoch an, überträgt man ihm das volle Risiko der Unwirksamkeit seiner Maßnahmen unabhängig von den Gründen der Nichtbeachtung. Er haftete auch bei grobem Mißbrauch und Leichtsinn. 23 Auf diesen problematischen Zusammenhang zwischen Instruktions- und Konstruktionsfehlern weist in der US-amerikanischen Literatur Latin hin, 41 UCLA L. Rev. 1193 (1994). Das Problem bestehe darin, daß rechtlich als ausreichend angesehene Warnungen aus tatsächlichen Gründen ihre Wirkung verfehlen können, weil die Gerichte von falschen Vorstellungen über das tatsächliche (Verbraucher-)Verhalten ausgehen. Die Auferlegung solcher an der Realität vorbeigehender, ungenügender Warnpflichten könnte dann die Hersteller von der Konstruktion sicherer Produkte abhalten. 24 AcP 184 (1984) 413, 424.
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Zusammenfassung
Die Geeignetheit der Maßnahme würde durch ihren Erfolg definiert, Nichtbeachtung, gleich aus welchem Grund, indizierte die Ungeeignetheit. Dies wiederum geht zu weit in die andere Richtung. Ein Mitverschulden des Geschädigten würde dann nicht berücksichtigt. Die Anreize für ihn, Vorsichtsmaßnahmen für sich selbst oder Dritte zu treffen wären nur ungenügend. Die Kluft zwischen Gesamtbetrachtung und Einzelfallentscheidung kann aber nicht nur dadurch überbrückt werden, daß man bei weitgehender Nichtbeachtung die Warnung generell und unabhängig vom Einzelfall als ungeeignete Gefahrabwendungsmaßnahme ansieht. Es ist auch daran zu denken, dem Hersteller die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß die Warnung geeignet war. Dabei könnte eine widerlegliche Vermutung für die Geeignetheit sprechen, wenn sie weitgehend beachtet wurde, im umgekehrten Fall eine widerlegliche Vermutung für die Ungeeignetheit. Im Ergebnis würde dies ebenfalls dazu führen, daß das Risiko der Nichtbefolgung einer Warnung, die weitgehend unbeachtet bleibt 25 , beim Hersteller liegt. Eine Regelung der Beweislast in dieser Weise kann mit dem Gedanken gerechtfertigt werden, daß der Hersteller, wenn er sich - angesichts des generellen Vorrangs direkter Gefahrbeseitigungsmaßnahmen - für die ihn am wenigsten belastende Maßnahme an der unteren Grenze der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit entscheidet, auch die damit verbundenen Unwägbarkeiten zu tragen hat. Eine weitere Möglichkeit, die Erfolgsquote einer Maßnahme im Einzelfall zu berücksichtigen, stellt die Feststellung des Umfangs eines Mitverschuldens des Geschädigten nach § 2 5 4 B G B dar. 26 Handelt es sich um einen schuldhaft verursachten Produktfehler, wird der Hersteller auch durch eine geeignete und zumutbare nachträgliche Schutzmaßnahme nicht völlig von der Haftung befreit; sein vorheriges haftungsbegründendes Fehlverhalten wird dadurch nicht ungeschehen gemacht. 27 Allerdings ist ein Eigenverschulden des Geschädigten nach § 2 5 4 B G B zu berücksichtigen. Dabei erscheint es nicht als abwegig, als Indikator für den Grad des Eigenverschuldens auch den Erfolg der Maßnahme insgesamt zu berücksichtigen. Läßt sich z.B. nachweisen, daß 5 0 % der Gewarnten sich nicht daran gehalten haben, könnte man überlegen, auch das Verschulden des Benutzers im Einzelfall ohne anderweitige Hinweise nicht als überwiegend anzusehen. Trotz der geschilderten Probleme der Berücksichtigung des Gesamtkomplexes der von einem fehlerhaften Produkt ausgehenden Gefahren bei der Lösung von Einzelfällen ist der kompensatorische Rechtsschutz weitgehend in zufriedenstellender Weise zu bewältigen. Die dargestellten Probleme liegen weniger in der 25 Diese Tatsache hätte der Geschädigte zu beweisen, wobei allerdings Auskunftansprüche gegenüber dem Hersteller hinsichtlich Informationen aus seinem Bereich bestehen könnten, die der Geschädigte braucht, um den Erfolg der Warnung abschätzen zu können. 2 6 Allerdings ist dies nicht bei Entwicklungsgefahren möglich, da sich dort der Hersteller mit der Vornahme einer geeigneten und zumutbaren Gefahrabwendungsmaßnahme exkulpiert hat, deren Nichtbeachtung also allein zulasten des Benutzers geht. 2 7 Auch der Kausal- oder Zurechnungszusammenhang zwischen seiner schuldhaften Fehlerverursachung und der trotz der Warnung eintretenden Rechtsverletzung und dem Schaden wird durch deren Nichtbeachtung durch den Benutzer nicht unterbrochen. So auch Rettenbeck, S. 73 ff.
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Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, nachdem Schädigungen eingetreten sind, sondern eher in der mangelnden präventiven Wirkung, die von den Schadensersatzdrohungen ausgeht.
2. Vorbeugender
Rechtsschutz
D i e rechtspolitische Brisanz der Rückrufproblematik liegt deshalb weniger im kompensatorischen als vielmehr im präventiven Rechtsschutz. Es besteht die B e fürchtung, daß weder die abschreckende Wirkung der Schadensersatzdrohung noch wirtschaftliche oder moralische Gründe in ausreichender Weise sicherstellen, daß die rechtlich gebotenen Rückrufmaßnahmen auch tatsächlich rechtzeitig und mit dem nötigen N a c h d r u c k durchgeführt werden. 2 8 Z.T. sind in der A u t o mobilindustrie auch noch „stille R ü c k r u f e " , bei denen der Fehler während eines aus anderen Gründen veranlaßten Werkstattaufenthalts beseitigt wird, üblich. 2 9 Auch die D r o h u n g strafrechtlicher Sanktionen gegen die Verantwortlichen in den U n t e r n e h m e n wegen unterlassener Rückrufe hat trotz einiger spektakulärer Verfahren 30 wohl keine ausreichende abschreckende Wirkung. 3 1 E s ist kein G r u n d ersichtlich, warum dies im Zusammenhang mit Rückrufen anders sein sollte als bei sonstigen Straftaten. Gerade wenn von den gefährlichen Produkten Gefahren für Leib und Leben ausgehen, ist aber eine unzulängliche präventive Wirkung umso weniger hinzunehmen. Im übrigen schließt auch sonst die Tatsache, daß ein strafrechtlich sanktionierter Tatbestand gegeben ist, einen zusätzlichen deliktsrechtlichen Schutz der geschützten Rechtsgüter durch vorbeugende Unterlassungsansprüche nicht aus. 32 Außerdem bedeutet das Eintreten für einen vorbeugenden Rechtsschutz nicht, daß den Herstellern notwendigerweise niederträchtige Profitgier auf Kosten der
28 Der ADAC hat auf dem 21. Deutschen Verkehrsgerichtstag 1983 in Goslar, bei dem die Rückrufproblematik auf dem Programm stand, eine Liste von Fahrzeugmängeln verteilt, die nach seiner Ansicht einen Rückruf erfordert hätten, der von den Herstellern aber nicht vorgenommen wurde. Nach Angaben aus der Physikalisch Technischen Bundesanstalt, Braunschweig, war die Gefahr von Verpuffungen beim Tanken, die später zum Rückruf des Modells Opel Astra führte, seit über zwei Jahren bekannt, bevor der Hersteller unter dem Druck der öffentlichen Meinung eine Rückrufaktion startete, s. Bläske, Autohersteiler sparen auf Kosten der Sicherheit, Süddeutsche Zeitung v. 17.3. 1995,30. 29 S. den Bericht „Immer peinlich, häufig heimlich", Auto Bild v. 4.5. 1992, S. 8ff. 30 S. etwa BGHSt 37,106 = NJW 1990,2560 = BB 1990,1856 = JuS 1991, 253 m. Anm. Hassemer = EWiR §223a StGB 1/90,1017 m. Anm. Marxen = MDR 1990,1025 = JR 1992,27 = NStZ 1990,588 = StrVert 1990, 446 - „Lederspray" und das Verfahren wegen der gesundheitsgefährlichen Holzschutzmittel Xylamon und Xyladecor, in welchem der BGH kürzlich der Revision der Verteidigung stattgab, s. den Bericht in der Süddeutschen Zeitung v. 3.8. 1995, S. 1. 31 So Löwe, S.240; Wegener, S.235; ders., DAR 1990, 130, 131. Anders jedoch v. Hülsen, S.227: Schmidt-Salzer, S.220; alle in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983. 32 Löwe, 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.239ff, 241. Nach Kötz, in: FS Steindorff, S. 643 ff., 657f. muß die Präventionswirkung des Haftungsrechts durch die straf- und verwaltungsrechtlicher Regelungen ergänzt werden.
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Zusammenfassung
Gesundheit oder gar des Lebens Dritter unterstellt wird. Insofern geht der Vorw u r f , man dürfe nicht wegen des Fehlverhaltens einiger weniger schwarzer Schafe gleich schwerwiegende Sanktionen gegen alle verhängen 33 , fehl. Abgesehen davon, daß auch nur einige wenige gefährliche Produkte nicht tolerierbare Schäden verursachen können, geht es auch darum, im besten Glauben getroffenen Fehlentscheidungen und verständlichem Fehlverhalten in Unternehmen zu begegnen. Gespeist werden Befürchtungen unzureichender Gefahrabwendungsmaßnahmen auch aus der Erfahrung, daß die meisten Unternehmen weder auf eine ordnungsgemäße Produktbeobachtung noch auf die zügige und sachgerechte Durchführung von Rückrufmaßnahmen vorbereitet sind 34 und daß ein offener Umgang mit Sicherheitsproblemen der eigenen Produkte bei vielen Herstellern nicht stattfindet, sondern zumindest anfänglich hinhaltend taktiert wird. 3 5 Besorgnis erregt auch, wenn Produkte in einem Land zurückgerufen werden, in einem anderen aufgrund einer unterschiedlichen Rechtslage jedoch nicht. 36 Die insbesondere von Stimmen aus der Industrie beschworene Interessenidentität zwischen Hersteller und Verbraucher, die darin gründe, daß ersterer sich das Inverkehrbringen und erst recht das Inverkehrlassen gefährlicher Produkte w e gen rechtlicher und wirtschaftlicher Sanktionen nicht leisten könne 37 , besteht so So aber in der Tendenz Hollmann, PHI 1986, 37. S. die empirischen Untersuchungen aus den USA von denen Harrington/Kamlet, in: Product Liability 1989, 1989, S.2ff. (Westlaw-Ausdruck) berichten; ferner v. Werder, ZfB Bd. 58, 1988, 1010. Diese Ergebnisse sind zwar nicht einfach auf Deutschland übertragbar, doch dürfte auch hier für die Masse der Unternehmen ähnliches gelten. Die Automobilindustrie (aus der Hollmann und v. Hülsen kommen) mag eine Ausnahme sein. S. dazu die Ausführungen über die Umsetzung der Produktbeobachtungspflicht in der Automobilindustrie bei Hollmann, in: 28. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1990, S. 222ff. Man wird aber nicht behaupten wollen, daß dies die Situation generell in der deutschen Industrie beschreibt und daß dort etwa die von Hauschka, AG 1988, 29 idealtypisch beschriebenen Maßnahmen überall verwirklicht und fehlerfrei durchgeführt würden. 35 S. Wegener, in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.229ff., 234 über seine Erfahrungen mit der Automobilindustrie. S. auch die Entschuldigung der Fa. Opel in einer Anzeige, Süddeutsche Zeitung v. 8.3. 1995, S. 9 wegen unrichtiger Auskünfte; s. zum gleichen Fall (Rückruf hätte früher erfolgen müssen) AgV, VPK Nr. 12 v. 21.3. 1995, 2; ebenso Bläske, Autohersteiler sparen auf Kosten der Sicherheit, Süddeutsche Zeitung v. 17.3.1995,30 (Mängel, die zum Rückruf führten, waren seit über zwei Jahren bekannt). Auch allgemein in der Sicherheitstechnik hat oft erst staatlicher Druck zur flächendeckenden Einführung von Sicherheitsvorrichtungen geführt. Man denke etwa an die langanhaltende Diskussion über die Einführung von Sicherheitsgurten für Autos. 36 Beispiele bei Krämer, EWG-Verbraucherrecht, S. 226: Der - unter erheblichem staatlichen Druck zustandegekommene (Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320, 322) - Rückruf von MoulinexSchnellkochtöpfen war auf Frankreich, der von Michelin-LKW-Reifen auf Deutschland und die Niederlande beschränkt (mit der Begründung, in anderen Ländern sei die Beanspruchung der Reifen weniger groß), obwohl beide Produkte auch in zahlreichen anderen Ländern auf den Markt gebracht worden waren. 37 Hollmann, PHI 1986,37,39; ders., in: 28. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1990, S. 222ff., 241; v. Hülsen, in: 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.223ff., 227f. Die Argumentation, daß eine Industrie, die von sich aus alle Rückrufe durchführe, die durch ei33 34
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n i c h t . 3 8 N o c h l ä n g s t n i c h t alle E n t s c h e i d u n g s t r ä g e r i n U n t e r n e h m e n s i n d b e r e i t s so a u f g e k l ä r t , d a ß sie e i n e n R ü c k r u f als C h a n c e f ü r d i e I m a g e p f l e g e b e g r e i f e n , u n d l ä n g s t n i c h t alle s i n d i m m e r in d e r L a g e , d i e v o n i h r e n P r o d u k t e n a u s g e h e n d e n G e f a h r e n f ü r die Verbraucher u n d die A u s w i r k u n g e n der daraus z u z i e h e n d e n K o n s e q u e n z e n f ü r den Erfolg ihres U n t e r n e h m e n s k o r r e k t einzuschätzen u n d die rechtlich g e b o t e n e n K o n s e q u e n z e n z u ziehen.39 N e b e n die m a n g e l n d e P r ä v e n t i o n s w i r k u n g zivil- u n d strafrechtlicher S a n k t i o n e n treten die M ä n g e l bei d e r präventiven D u r c h s e t z u n g v o n R ü c k r u f a n s p r ü c h e n . W i e o b e n gezeigt, steht u n b e t e i l i g t e n D r i t t e n k e i n R ü c k r u f a n s p r u c h z u , d a sie i n aller R e g e l n i c h t k o n k r e t gefährdet sind. A u c h d e n k o n k r e t gefährdeten B e n u t z e r n stehen n u r in e n g e m R a h m e n A n s p r ü c h e zu. D i e Anspruchsvorraussetzung der hinreichenden K o n kretheit d e r G e f ä h r d u n g b e d e u t e t ferner, d a ß v o r b e u g e n d e A n s p r ü c h e erst relativ s p ä t d u r c h g e s e t z t w e r d e n k ö n n e n . D i e s e d i e n e n z u d e m allein d e m I n d i v i d u a l schutz u n d ihre D u r c h s e t z u n g h ä n g t v o n der individuellen Interessenlage des Berechtigten ab. E i n S c h u t z der A l l g e m e i n h e i t k a n n d a d u r c h n u r bei zufälliger K o n k o r d a n z der Interessen des Einzelnen u n d der Allgemeinheit erreicht werden. Selbst w e n n diese besteht, k a n n d u r c h I n d i v i d u a l a n s p r ü c h e i m m e r n u r die Beseit i g u n g d e r G e f a h r d u r c h e i n einzelnes
Produkt
erreicht werden. D e r einzelne Be-
r e c h t i g t e k a n n n i c h t d e n R ü c k r u f aller b e t r o f f e n e n P r o d u k t e d u r c h s e t z e n . 4 0 D i e s k ö n n t e zivilrechtlich n u r d u r c h eine Verbandsklage erreicht w e r d e n , w e l c h e jed o c h bisher n u r i m e n g e n R a h m e n des U W G z u r V e r f ü g u n g steht.41 ne gesetzliche Regelung gefordert werden könnten, eben dieses Gesetz nicht zu fürchten brauche (so Mehnle, PHI1986,63) ist allerdings vordergründig, da selbst bei einer korrekten Erfüllung der gesetzlichen Auflagen Rechtsstreitigkeiten und bürokratischer Aufwand drohen (insofern zutreffend der Einwand Hollmanns, in: 28. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1990, S.222ff., 242f.). 38 Die Tatsache, daß gefährliche Produkte mit vermeidbaren Fehlern in Verkehr gelangen, die später einen Rückruf notwendig machen, spricht bereits gegen die generelle Gültigkeit dieser Ansicht. Würde das Argument zutreffen, müßte die Intressenübereinstimmung bereits das Inverkehrbringen nur sicherer Produkte garantieren. Die Argumentation mit der Interessenidentität zwischen Verbraucher und Hersteller erinnert im übrigen an ähnliche Positionen im Recht des unlauteren Wettbewerbs. Dennoch hat sich der Gesetzgeber dort zur Zulassung der Verbandsklage auch zugunsten der Verbraucher entschieden. S. auch Mehnle, P H I 1986, 63,64, der zurecht darauf hinweist, daß die vielfach beschworenen, präventiv wirkenden Sanktionen im Schadensfall von den Verbrauchern gar nicht so leicht durchgesetzt werden können. 39 Die Hersteller wären „Richter in eigener Sache" (Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320, 321), wollte man ihnen allein die Entscheidung über die Vornahme eines Rückrufs überlassen. 40 Allerdings kann durch Berichte in den Medien über die erfolgreiche Durchsetzung von Rückrufansprüchen eines einzelnen der Druck auf den Hersteller so groß werden, daß er sich dadurch zu einer allgemeinen Rückrufaktion veranlaßt sieht. Z.T. versuchen Hersteller solche „Präzedenzwirkungen" von Einzelfällen dadurch zu verhindern, daß sie sich vergleichsweise einigen und Stillschweigen vereinbaren; s. Wegener, 21. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1983, S.229ff., 234. 41 Eine beschränkte Ersatzfunktion können allerdings Musterprozesse haben, insbesondere wenn es um sicherheitsrelevante Auskünfte geht, da die so gewonnenen Informationen weiterverbreitet und auch anderen Betroffenen zur Verfügung gestellt werden können. Allerdings darf dabei nicht gegen Vorschriften zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder zum Schutze des guten Rufes des Herstellers verstoßen werden.
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Zusammenfassung
Diese Lücken im präventiven Rechtsgüterschutz gegen die Gefahren gefährlicher Produkte sind seit langem bekannt und stehen hinter dem seit nunmehr zwanzig Jahren ertönenden und vielfach wiederholten R u f nach einem „Rückrufgesetz", das sie schließen soll. 4 2 Stimmt man darin überein, daß diese Lücken im präventiven Rechtsgüterschutz geschlossen werden sollen, so stellt sich die Frage, wie dies erreicht werden kann. Das umfassend geschilderte Beispiel der U S A legt es nahe, zunächst zu prüfen, ob eine verwaltungsrechtliche Lösung durch die Ausstattung bestehender Sicherheitsbehörden mit K o m p e t e n z e n zur Anordnung von Rückrufen 4 3 oder die Errichtung neuer Behörden zufriedenstellende Ergebnisse bringen wird. Dies ist umso naheliegender, weil die E U mit der P S R L und Deutschland bei der U m s e t zung dieser Richtlinie durch das P r o d S G sich an diesem Modell orientieren. D i e US-amerikanischen Erfahrungen zeigen jedenfalls, daß staatliche Sicherheitsbehörden in der Lage sind, durch den gezielten Einsatz ihrer R ü c k r u f k o m petenzen vierstellige Rückrufzahlen pro J a h r zu erreichen. D e r Sicherheitserfolg der Behörden dokumentiert sich aber nicht nur in der großen Zahl der Rückrufe, die wegen möglicher Abstumpfungseffekte nicht durchwegs als positiv gesehen werden kann, sondern auch darin, daß sich neben den verwaltungsrechtlich begründeten Rückrufen ein zivilrechtliches Instrumentarium zu ihrer Durchsetzung kaum entwickelt hat. 4 4 In Anbetracht der allgemeinen Verschärfung, die das Produkthaftungsrecht seit der Aufnahme der Rückrufaktivitäten der Sicherheitsbehörden Mitte der siebziger Jahre erfahren hat, spricht dies dafür, daß die R ü c k rufpraxis in den U S A keine entscheidenden L ü c k e n aufweist, jedenfalls keine, die durch das Zivilrecht ausgefüllt werden müßten. 4 5 Tatsächlich bietet die verwaltungsrechtliche Regelung der Rückrufproblematik einige Vorteile gegenüber der durch zivilrechtliche individuelle Ansprüche. Einer der größten liegt wohl darin, daß die für einen bestimmten Produktbereich 42 S. etwa Löwe, DAR 1978, 288, 294f.; ders., ZVR 1979, 225, 233f.; Krämer, DAR 1982, 37; Kögler/Krämer, ZRP 1982, 320. S. auch die langjährigen Forderungen der Verbraucherverbände: AgV, Rückrufzwang erforderlich, VPK Nr. 41 v. 10.10. 1978, 4f.; AgV, Gefährliche Produkte müssen entschärft werden. Rückrufregelung als Verbraucherschutz unerläßlich, VPK Nr. 6 v. 5.2. 1985, 2 und zuletzt AgV, Rückrufpflichten müssen gesetzlich verankert werden, VPK Nr. 12 v. 21. März 1995,1 sowie des ADAC, DAR 1976, 309, 311 (für Einfügung einer Rückrufpflicht in die damals diskutierte Produkthaftungs-Richtlinie der EG), Schnitzer, Wir brauchen ein Rückruf-Gesetz!, ADAC-Motorwelt 5/82, 54; Mehnle, PHI 1986, 63 und wiederum ADAC-Motorwelt 4/95, 46. 43 Etwa die Gewerbeaufsichtsämter, das Kraftfahrtbundesamt etc. 44 Von erheblicher und wachsender Bedeutung sind nur die „duty to warn"-Fälle, bei denen Schadensersatzansprüche auf fehlende Warnhinweise gestützt werden. 45 Man kan dies als eine Bestätigung der These von Kotz, in: FS Steindorff, S. 443ff., 457 ansehen, „daß eine Rechtsordnung sich um so eher einen Verzicht auf die Anreizfunktionen des Haftungsrechts leisten kann, je besser in ihr die Gefahrenprävention durch das Verwaltungs- und Strafreht entwickelt ist und je weniger es dabei zu Vollzugsdefiziten kommt. Umgekehrt ist Haftungsrecht - etwa auf dem Gebiet der Haftung für fehlerhafte Produkte - um so wichtiger, je weniger die gewünschten Präventionswirkungen vom Verwaltungs-oder Strafrecht generiert werden."
Wertung und Ausblick
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zuständige Behörde eine umfassende, in sich konsistente Sicherheitspolitik betreiben kann. D i e Sicherheitsbehörden in den U S A stellen (je nach ihren K o m p e tenzen) Sicherheitsstandards auf, überwachen deren Einhaltung, sammeln I n f o r mationen über Produktgefahren, prüfen Produkte auf ihre Sicherheit, sprechen Marktzulassungen aus, klären Verbraucher über Gefahren und Vermeidungsmöglichkeiten auf und veranlassen die Unternehmen, Warn- und Rückrufaktionen durchzuführen. D i e Präventionsmöglichkeiten der Behörden setzen also bereits vor dem Inverkehrbringen ein, der R ü c k r u f ist in diesem Sinne wirklich ultima ratio. Zivilrechtliche Rückrufanordnungen sind dagegen sporadisch, punktuell und v o m Individualinteresse ohne Rücksicht auf größere sicherheitspolitische Zusammenhänge motiviert. Wegen ihrer umfassenden Zuständigkeit können die Behörden flexiblere M a ß nahmen anordnen und durchsetzen. D e r einzelne Zivilkläger auf Durchführung einer Rückrufmaßnahme hingegen hat gegenüber dem Hersteller in der Regel keine starke Position, aufgrund derer er anderen als rechtlichen D r u c k ausüben könnte. Dies gilt selbst für Verbraucherverbände. Viele Verfahren werden deshalb mit Vergleichen enden, die hinter dem rechtlich Durchsetzbaren zurückbleiben. D i e Sicherheitsbehörde hat dagegen Verhandlungsmacht. Sie kann selbst Gestaltungen von Rückrufen durchsetzen, die rechtlich nicht verbindlich angeordnet werden könnten, weil der Hersteller in vielfacher Hinsicht (Aufstellung von Sicherheitsstandards, Marktzulassungen etc.) von ihr abhängig ist. Außerdem k o m m t es bei den Behörden zu einer Konzentration von Erfahrung und Sachverstand im H i n b l i c k auf die erfolgreiche Durchführung von R ü c k r u fen. Allerdings ist der Erfolg der Behörden schwer meßbar. 4 6 N o c h schwieriger ist eine K o s t e n - N u t z e n - A n a l y s e , in der eine Bewertung der vermiedenen Todesfälle, Körperschäden, etc. erfolgen und den Kosten gegenübergestellt werden müßte. 4 7 D i e Kosten liegen in den Budgetzahlen der Behörde und den mehr oder weniger überzeugenden Zahlen der betroffenen U n t e r n e h m e n auf der Hand, der N u t z e n ist weitgehend spekulativ. Diese Unsicherheit macht Behörden leicht zum Spielball politischer Schwankungen, wie sich an den Wellenbewegungen der Produktsicherheitspolitik in den U S A je nach der politischen Ausrichtung des Präsidenten und der jeweiligen Amtsleitung zeigt. 4 8 Unabhängig von dem unbestreitbaren N u t z e n der Sicherheitsbehörden, ist allerdings die US-amerikanische Lösung eine sehr teure, wenn man nur die zusätz46 Immerhin scheint z.B. für den Bereich der CPSC festzustehen, daß die Zahl häuslicher Unfälle aufgrund ihrer Tätigkeit erheblich gesunken ist. S. die Ergebnisse der Studie von Zick/Mayer/Snow, 6 J. Cons. Policy 25 (1986) und die der dort erwähnten übrigen Untersuchungen. 47 S. die überaus harsche Kritik von Breyer, Breaking the Vicious Circle: Toward Effective Risk Regulation, 1993, an der Sicherheitspolitik der NHTSA in den USA und die nicht weniger heftige Gegenkritik, Rechtfertigung und Richtigstellung von Ditlow/ Clay brook, Breyer on Public Regulation: Criticism Run Amok, 25 Antitrust L. & Econ. Rev. 91 (No. 3, 1994). 48 S. das Beispiel der Consumer Products Safety Commission, deren Entwicklung Adler, 41 Adm. L. Rev. 61 (1989) nachzeichnet.
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liehen Staatsausgaben berücksichtigt, welche die Übernahme der Produktsicherheitskontrolle durch neue oder bestehende Behörden erfordert. Der Aufbau eines solch umfassenden Systems war wohl nur Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre auf dem Höhepunkt der Verbraucherschutzbewegung möglich. Heute wäre ein gleicher Kraftakt angesichts leerer Kassen und des Rückgangs der politischen Bedeutung des Verbraucherschutzes kaum denkbar. Die Vorbildfunktion des U S amerikanischen Systems, die sich an der Produktsicherheits-Richtlinie der E U ablesen läßt, ist vor diesem Hintergrund zu relativieren. Bei realistischer Einschätzung wird man konstatieren müssen, daß sich eine exakte Kopie in Europa heute nicht durchsetzen läßt. Zu dem Hindernis der zusätzlichen finanziellen Belastungen kommen nämlich noch die genuin europäischen Probleme hinzu, die eine zentrale Produktsicherheitspolitik auf europäischer Ebene utopisch erscheinen lassen. 49 Auch auf nationaler Ebene scheint der politische Wille zur Durchsetzung einer umfassenden staatlichen Rückrufpolitik zu fehlen. Nicht umsonst ist die Umsetzungsfrist der P S R L am 29. Juni 1994 ergebnislos abgelaufen 50 , das ProdSG trat erst mehr als drei Jahre später am 1 . 8 . 1 9 9 7 in Kraft. Dieses Gesetz liest sich als ein Minimalprogramm der Umsetzung der Rückrufvorschriften der Richtlinie. Neue Behörden werden dadurch nicht geschaffen; die Rückrufkompetenzen werden auf die bestehenden, für die betroffenen Produkte zuständigen Behörden verteilt. Zwar können die zuständigen Produktsicherheitsbehörden Rückrufe eines unsicheren Produktes anordnen, dies aber nur subsidiär, wenn die Abwehr der vom Produkt ausgehenden Gefahr durch eigene Maßnahmen des Herstellers oder Händlers nicht sichergestellt ist. 51 Von Bedeutung ist auch, daß die Unternehmen der zuständigen Behörde nur auf Verlangen Auskünfte geben müssen 52 , nicht jedoch verpflichtet sind, von sich aus über Sicherheitsprobleme mit ihren Produkten zu informieren. Die Behörde ist also auf Informationen durch Dritte und eigene Nachforschungen angewiesen, um in den Besitz der für eine Rückrufentscheidung erforderlichen Kenntnisse zu gelangen. Unter diesen Umständen ist es nicht allzu gewagt vorherzusagen, daß die Bedeutung staatlicher Sicherheitsbehörden für die Durchführung von Rückrufen in Deutschland auch nach der U m setzung der P S R L auf absehbare Zeit nicht allzu groß sein wird und auf keinen Fall mit der Situation in den U S A vergleichbar werden wird.
4 9 Nicht umsonst war einer der Hauptstreitpunkte bei der Ausarbeitung und Verabschiedung der P S R L die Kompetenz der Kommission zu grenzüberschreitenden Produktsicherheitsmaßnahmen. S. die abgewiesene Klage Deutschlands gegen die PSRL vor dem E u G H ; E u G H , Bundesrepublik Deutschland gegen Rat der Europäischen Union (Rs. C-359/92), EWS 1994, 312. 5 0 Zum Vorwurf des mangelnden Umsetzungswillen bei der Behandlung des Entwurfs eines PSG s. die Berichte derylgV, Regierung will Produktsicherheit unter EG-Niveau, V P K Nr. 2 v. 11.1. 1994, 1 ff.; Bundesregierung verzögert Produktsicherheit, V P K Nr.13 v. 29.3. 1994, lf.; Bundesregierung verweigert Umsetzung der EU-Richtlinie, V P K Nr. 26 v. 28.6. 1994, 5f.; Bundesregierung verweigert mehr Produktsicherheit, V P K Nr. 35 v. 30.8. 1994, 2f. 51 § 9 ProdSG. 52 § 1 0 ProdSG.
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Ausblick
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Unter diesen Umständen ist aber auch die Rolle der zivilrechtlichen Durchsetzung von Rückrufen in Deutschland anders zu sehen als in den USA. 5 3 Die institutionellen Voraussetzungen in Deutschland sind mit denen in den U S A allenfalls im Hinblck auf Sicherheitsmaßnahmen, die vor dem Inverkehrbringen von Produkten liegen, vergleichbar, nicht jedoch bei der „Nachmarktkontrolle". In Verkehr gelangte Produkte zurückzurufen, gehört nicht zu den traditionellen Aufgaben der deutschen Sicherheitsbehörden und ihre Neigung, Verbraucher vor Gefahren zu warnen, hat kürzlich einen empfindlichen Dämpfer erfahren, als einem Unternehmen, vor dessen Nudeln ungerechtfertigter Weise gewarnt worden war, Schadensersatz zugesprochen wurde 54 . Wegen dieser Lücken im Bereich der behördlichen Nachmarktkontrolle kann der zivilrechtlichen Verpflichtung zu und der Durchsetzung von Rückrufmaßnahmen in Deutschland eine größere Bedeutung zukommen als in den U S A . Die Schutzlücken, die durch den (zukünftigen) administrativen Schutz und die unzureichende Präventivwirkung straf-, deliktsund wettbewerbsrechtlicher Sanktionen gelassen werden, sind größer als in den U S A , das Bedürfnis für zusätzliche zivilrechtliche Instrumente damit ebenfalls. 55 Das ProdSG wird daran so bald kaum etwas ändern. Es wurde jedoch bereits aufgezeigt, daß die gegenwärtigen Möglichkeiten des Zivil- und Wettbewerbsrechts, Rückrufpflichten vorbeugend durchzusetzen, nur gering sind und insbesondere den Aspekt der Sicherheit unbeteiligter Dritter bzw. der Allgemeinheit nur unbefriedigend berücksichtigen. Es ist zwar richtig, daß die Sicherung der Allgemeininteressen nicht vorrangiges Ziel des Zivilrechts sein kann; dies ist das Gebiet öffentlich-rechtlicher Sicherheitspolitik, insbesondere wenn es um die Abwehr abstrakter Gefahren geht. Es wäre deshalb auch mißlich, wenn öffentliche Interessen bei der Ausgestaltung des privatrechtlichen Abwehrschutzes gegen drohendes Unrecht den Ausschlag gäben 56 . Allerdings trifft dies m.E. nur dann zu, wenn der deliktsrechtliche Individualschutz für die
53 Wegen dieses vorgegebenen institutionellen Rahmens richten sich die Bemühungen Privater und ihrer Verbände in den U S A eher darauf, die Arbeit der Behörden zu kontrollieren und zu beeinflussen als auf direkte Maßnahmen zivilrechtlicher Art im Klagewege gegen die Hersteller oder Vertreiber gefährlicher Produkte. Dabei spielt nicht zuletzt eine Rolle, daß letzteres mit einem hohen (Prozeß)Kostenrisiko belastet wäre, während dies für die Einflußnahme auf die Behörden nicht gilt. Bedeutsam ist aber auch, daß die Sicherheitsmaßnahmen der Behörden weit vor dem Inverkehrbringen der Produkte ansetzen können (Aufstellung von Sicherheitsstandards, Marktzulassungskontrolle) während zivilrechtliche Maßnahmen (auch präventive) erst zu einem viel späteren Zeitpunkt eingesetzt werden können, nämlich wenn eine konkrete Gefährdung nachgewiesen werden kann oder gar Schädigungen bereits aufgetreten sind. 54 S. O L G Stuttgart, N J W 1990, 2690 - „Birkel". Dieses Urteil hat durchaus auch einen Abschreckungseffekt auf Verbraucherverbände, die ebenfalls Schadensersatzforderungen befürchten, wenn sie Produktwarnungen aussprechen, die sich im Nachhinein als nicht voll gerechtfertigt erweisen könnten; s. etwa die Entscheidung gegen den A D A C des O L G Düsseldorf, B B 1982, 62 m. Anm. Lachmann - „Sicherheitsrisiko". 55 S. Kötz, in: FS Steindorff, S. 443 ff., 457 zu den Wechselwirkungen zwischen den Präventionswirkungen des Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechts. 56 So zurecht H. Stoll, in: FS Lange, S.729ff., 747.
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Durchsetzung von Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit instrumentalisiert werden soll; dies würde in der Tat zu Popularklagen Einzelner führen. Statt dessen könnte jedoch auch die offene Möglichkeit der Durchsetzung von Allgemein- oder Gruppeninteressen durch die Einführung einer Verbandsklage ins Auge gefaßt werden. 57 Die Verbandsklage ist dem deutschen Zivil- und Wirtschaftrecht nicht mehr fremd; nach § 13 Abs. 2 U W G und § 13 Abs. 2 A G B G steht Verbraucherverbänden bereits ein Klagerecht zu 58 und hat sich in der Praxis bewährt. Die Funktion einer Verbandsklage im Rückrufrecht könnte dieselbe sein wie im Recht der Allgemeinen Geschäftbedingungen: Der punktuelle Ansatz der Individualklage, der immer nur den Schutz eines einzelnen Verbrauchers herbeiführen kann, soll durch einen generellen Angriff auf eine bestimmte Unternehmenspraxis zum Schutze aller in gleicher Weise Betroffenen ergänzt werden. So wie der Unterlassungsanspruch gegen den Verwender unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen alle potentiell dadurch bedrohten Verbraucher schützt, könnte der Anspruch auf Durchführung von Warn- und Rückrufaktionen ebenfalls alle durch das Produkt Gefährdeten schützen. In beiden Fällen kann durch zivilrechtliche Individualansprüche ein Massenproblem nur unvollkommen gelöst werden. Außerdem könnte durch die Verbandsklage ein höheres Schutzniveau erreicht werden, weil die Ausrichtung der durchzusetzenden Maßnahme an den Schutzbedürfnissen der schwächsten Gruppe der Betroffenen erreicht werden könnte, da schon aus wirtschaftlichen Gründen der Rückrufverpflichtete die Maßnahmen nicht nach verschiedenen Verbrauchergruppen differenzieren wird. Dadurch würde zwar für weniger schutzbedürftige Verbraucher ein „Schutzüberhang" bereitgestellt, doch erscheint dies eher hinnehmbar als die Schutzlosstellung gerade der Schwächsten bei Maßnahmen mit niedrigerem Schutzniveau. Auf der Ebene der Verbandsklage läßt sich auch eher der Gesamtkomplex berücksichtigen als im Einzelfall. So wird man bei der Dimensionierung der durchzuführenden Gefahrabwendungsmaßnahmen die zu erwartende Kooperationsbereitschaft der Eigentümer/Benutzer berücksichtigen können, um den Schutz unbeteiligter Dritter besser zu gewährleisten. Die Möglichkeit einer solchen Verbandsklage kann hier nur zur Diskussion gestellt werden; es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, ihre konkrete Ausge57 So bereits die Forderung der Verbraucherverbände, vorgetragen anläßlich einer Anhörung der SPD-Fraktion des Bundestages am 21.1. 1985, s. AgV, VPK Nr. 6 v. 5.2. 1985, 3 und zuletzt im Zusammenhang mit der Umsetzung der PSRL, AgV, VPK Nr. 12 v. 21.3.1995,2. Pauli, P H I 1985,134ff. und 180ff., 183f. hat statt des „Behörden-" und des „Verbandsmodells" als eigenen Lösungsvorschlag ein „Kommissionsmodell" vorgeschlagen, wonach eine mit Vertretern der Industrie, der Verbraucher und des Staates besetzte Kommission relativ unbürokratisch über verbindliche Maßnahmen gegenüber Warenherstellern entscheiden soll. Kritisch dazu Hollmann, P H I 1986, 37; Rettenbeck, S. 173 f. Dieser Ansatz erscheint durch die Umsetzung der PSRL im ProdSG als überholt und soll hier nicht weiter verfolgt werden. Die durch die PSRL vorgegebene und im ProdSG umgesetzte „Behördenlösung" kann rechtspolitisch allenfalls durch eine „Verbandslösung", nicht jedoch nach Paulis Vorschlägen ergänzt werden. 58 S. dazu ausführlich, mit rechtsverghleichenden Hinweisen, Kemper, S. 464ff. Zu diesen Regelungen als Modell beim Schutz gegen fehlerhafte Produkte s. auch Rettenbeck, S. 186ff.
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staltung in den Einzelheiten zu entwickeln. 5 9 Ähnlich wie individuelle R ü c k r u f ansprüche sollte sie jedoch auf Fälle der Gefährdung von Leib und Leben der B e nutzer oder Dritter beschränkt sein. Soweit nur Sachschäden drohen, reicht, wie oben ausgeführt, der Vertrags- und deliktsrechtliche Individualschutz aus. D e r Rückrufanspruch dürfte ferner nicht an das Vorliegen einer konkreten Gefährdung einzelner Verbraucher gebunden sein; es müßte die hinreichende Wahrscheinlichkeit von Rechtsgüterverletzungen dargetan werden 6 0 , wobei der G r a d der erforderlichen Wahrscheinlichkeit mit der G e f a h r und der Belastung des H e r stellers durch die Maßnahme variieren könnte. E s müßte auch Sorge dafür getragen werden, daß die Verbände nicht durch zu hohe Prozeßkosten- und Schadensersatzrisiken von Klagen überhaupt abgehalten werden. Wege dazu sind durch Streitwertminderungen oder -begünstigungen in Anlehnung an § § 2 3 a , 2 3 b U W G oder Streitwertbegrenzung nach § 2 2 A G B G vorgezeichnet. D e n k b a r ist auch in Anlehnung an § 22 A G B G die Zuerkennung der Befugnis zur Veröffentlichung des Urteils. Soweit die Verbandsklage auch im H i n b l i c k auf die finanzielle Ausstattung und das prozessuale „Stehvermögen" der Verbände eine realistische D r o h u n g für die Hersteller gefährlicher Produkte darstellt 6 1 , könnte davon ein starker D r u c k auf die Vornahme freiwilliger Rückrufmaßnahmen und die Einschaltung der Verbände bei deren Planung ausgehen. M a n könnte sich damit der Situation in den U S A annähern, w o die tatsächliche Anwendung der Zwangsmittel der Sicherheitsbehörden wegen der unter deren Eindruck regelmäßig zustande kommenden „voluntary recalls" nur selten notwendig ist.
S. Rettenbeck, S. 186ff. mit beherzigenswerten Überlegungen und Vorschlägen. So auch Rettenbeck, S. 188. 61 Nicht zu unterschätzen ist auch die Offentlichkeitswirkung von Verfahren gegen bestimmte Unternehmen. 59
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Sachverzeichnis Abnehmer 372 (s. auch Verbraucher) Absatz 97ff. Abschreckung 251 f. Abstumpfung 251 f. Aquivalenzinteresse (s. Nutzungsinteresse) Allergiker 70 Allgemeine Geschäftsbedingungen 144, 456 Anbieten (von Produkten) 386, 391, 403 Angaben - irreführende 38, 373, 382ff. - widersprüchliche 68 Angebot (s. Vertrags-) Anlockung 251 f., 381 Anscheinsbeweis 301,303,311 Anspruch - auf Urteilsveröffentlichung 370,377 - A u f w e n d u n g s e r s a t z - 315ff., 330 - Aufklärungs- 161 - Beseitigungs- (s. dort) - Erstattungs- 315,417 - Rückruf- (s. dort) - (quasi) negatorischer 368f. - Schadensersatz- (s. dort) - Unterlassungs- (s. dort) - Warn- (s. dort) Ansprüche - der Benutzer, Eigentümer 360, 365 - Dritter 162, 359 Arbeitsmittel, technische 124f. Arbeitsteilung 186,191 Arglist 406 (s. auch Täuschung/Verschweigen) Arzneimittel 66ff., 115, 228, 235 Aufklärungspflicht 151f., 383ff. Aufwendungen 144, 283 - Vorsorge- 321ff., 341, 361, 440 Auslobung 419, 421, 424ff. Ausreißer 105, 168, 386, 388 Austausch 11, 139, 155, 204, 418 (des fehlerhaften Produkts) Austauschpflicht
- im US-amerikanischen Recht 77 - aufgrund Gewährleistungsrecht 144 - i.R.d. Produzentenhaftung 285 Ausweichmöglichkeit 223, 349ff., 368 Automobilindustrie 21, 90ff., 203, 284, 430ff. Benutzer 67 - Selbstschutz der 267 - Schädigung der 312 - Ansprüche der 360 Bereichshaftung (s. Haftung) Berichtigungswerbung 376f. Berichtspflicht 25, 36 Beseitigungs- maßnahmen, direkte 203 - ansprach 329, 339, 374, 441 Betroffener 216,223ff. Berufshaftung (s. Haftung) Beweis(e) 76,110,281,438 - lastenumkehr 301,445 - erleichterung 308 culpa in contrahendo, cic 152 class action 14, 83 common law 46, 63, 71, 82, 433f. Consumer Product Safety Act 17, 34ff., 84 Consumer Product Safety Commission 33, 43, 90f., 431 corrective advertising 376 Deliktsrecht - Zwecke 332 - und Gewährleistungsrecht 405 design defects 51, 79f. Direktwirkung von Richtlinien - horizontale 130 - gegen den Staat 130f. Dritte - Einschaltung 191 - Ansprüche 162, 359 - Schutz 223 f.,266
482
Sachverzeichnis
- Schädigung 314 - Beseitigung der Produktgefahr durch 315 - Gefährdung 362 duty to warn 64, 66 Eigentümer 364ff., 414f. Eigentum(s) 274f., 346, 411 - Verletzung 248 f. Entscheidungsfreiheit 257, 272, 403 Entwicklungsfehler (s. Fehler) Entwicklungsgefahr bzw - risiko 51, 59, 107, 111, 146, 148,260, 264,280,363 - im dt. Recht 269, 277 Erforderlichkeit 215 express warranty 52 Fabrikationsfehler - im US-amerikanischen Recht 4 9 , 5 1 , 6 1 - im europäischen Recht 105 - i.R.d. Vertragsrecht 147 - i.R.d. Produzentenhaftung 1 7 9 , 1 9 6 , 3 0 2 Federal Food, Drug and Cosmetics Act 38, 83 Federal Trade Commission 376, 431 Fehler 222,277 - Begriff im US-amerikanischen Recht 23, 3 3 , 5 1 im europäischen Recht 105 im deutschen Recht 141, 179, 408 - Produkt- 1 7 9 , 2 5 9 , 2 6 9 - Entwicklungs- 113, 183 - Kategorien 179 - Instruktions- (s. dort) - Fabrikations- (s. dort) - Konstruktion- (s. dort) Fehlgebrauch 105,228 Fehlverhalten 25, 301, 364, 410 Fehlvorstellung 386ff. Food and Drug Administration ( F D A ) 18, 38ff., 85, 431 fraudulent misrepresentation 48 Fremdgeschäftsführungswille 316 Garantie - haftung 47 - Hersteller- 420ff. Gebrauchsanweisung 68, 188, 261, 382, 406 Geeignetheit 214, 245, 375 Gefährdung - konkrete 323, 349ff., 360, 451 - abstrakte 351, 355,369 - Dritter 266, 354, 362
- der Verbraucher 399 Gefährdungshaftung s. Haftung Gefahr - abwendungsanspruch 405, 440 - abwendungsmaßnahmen 163,242,256, 284, 437ff. - abwendungspflicht 2 6 7 , 3 5 8 , 4 0 5 , 4 4 2 - direkte 258,280 - beseitigung - durch Dritte 325 (s. auch Beseitigung) - beherrschung 1 6 8 , 1 7 6 , 4 0 0 - beseitigungsmaßnahme 240, 258, 280, 438 - offensichtliche 69, 74 - Entwicklungs- (s. dort) - Kombinations- 2 3 , 2 8 0 , 4 3 8 - Produkt 341 - Schaffung 167, 176, 400 - Vermeidungspflicht 150, 164ff., 176, 443 General Accounting Office 93 Gerätesicherheitsgesetz 124, 133, 290ff., 369 (s. auch GSG) Geschäftsführung ohne Auftrag 315, 325f., 428, 440 Gewährleistungsrecht 140, 371, 405, 440 goodwill 2 2 1 , 2 2 9 , 3 9 6 , 4 4 3 Händler 1 0 9 , 1 8 7 , 2 9 5 - Vertrags- 189 Haftung - bei Einschaltung Dritter 191 - Bereichs- 164, 176 - Berufs- 177 - deliktische 48, 50, 104,122, 163 - Gefährungs- 104,231 - negligence- (s. dort) - Produkt- (s. dort) - Produzenten- (s. dort) - Staats- (s. dort) - Übernahme- 177 - verschuldensunabhängige 50, 52,103, 410 - verschuldensabhängige 48,113, 163,410 - warranty- (s. dort) Haftungsadressat 109 Hauptleistungspflicht - Nichterfüllung des - 147 Hersteller 1 0 9 , 1 8 6 , 2 1 9 , 2 9 5 - Quasi - 173, 189 - -garantie 420 implied warranty 52 f. - of merchantability 53, 60 - of fitness for a particular purpose 53
Sachverzeichnis Importeur 189 Information 154ff., 254, 256 Informations - anspräche 143 - pflicht 143, 153ff., 244, 288f. - maßnahmen 201 - quellen- 24f., 36, 40 - Verarbeitung 25 f., 40 Ingerenz 291 (s. auch Tun, vorangegangenes) instruction and warning defects 51 Instruktion 4 0 5 , 4 1 7 , 4 3 6 Instruktions - maßnahmen 202 - fehler - aufgrund Gewährleistungsrecht 143 - im US-amerikanischen Recht 4 8 , 5 1 , 5 4 , 61 - im europäischen Recht 105 - i.R.d. Produzentenhaftung 1 8 0 , 1 9 6 , 2 6 1 , 303 - pflicht 5 4 , 7 7 , 1 1 9 , 3 5 3 , 4 0 7 Integritätsinteresse 140ff., 155, 211, 406ff., 415, 440 Interesse - Äquivalzenz- (s. dort) - Integritäts- (s. dort) - Nutzungs- (s. dort) - Sicherheits- (s. dort) Interessenabwägung 212, 216, 250, 401, 408, 436 Inverkehrbringen 107, 258f., 297, 391 Inverkehrlassen 299 Irreführungsverbot 373, 380 Irreführung 379, 403, 441 Kausalität 75, 3 0 3 , 3 0 9 (s. auch proximate cause) Kenntnis 406 - der Betroffenen 246, 312, 363 Klage 83 f. - Verbands- (s. dort) Kompensation 122, 333 Konkordanz - der Schutzzwecke 390ff., 397 Konstruktionsfehler - im US-amerikanischen Recht 4 8 , 5 1 , 8 1 - i.R.d. Vertragsrechts 146 - i.R.d. Produzentenhaftung 1 7 9 , 1 9 6 , 3 0 2 Kosten (-Nutzen-Analyse) 86, 240, 402, 453 - s. auch Rückruf- Nebenkosten 144f., 439 - tragung 219, 283, 439
483
- Vorhalte- 322 Kulanz 7 , 4 2 1 Learned-Hand-Formel 29f., 217 learned intermediate doctrine 73 Mangel 1 4 1 , 4 0 6 , 4 0 8 - folgeschäden (s. Schaden) manufacturing defects 51 Maßnahmen - Austausch- (s. dort) - Beseitigungs- (s. dort) - Gefahrabwendungs- (s. dort) - Gefahrbeseitigungs- (s. dort) - Informations- (s. dort) - Instruktions- (s. dort) - Produktsbeobachtungs- (s. dort) - Reparatur- (s. dort) - Rücknahme- (s. dort) - Rückruf- (s. dort) Medical Device Amendments 41 misrepresentation (s. Angaben, irreführende) Mißbrauch 6 8 , 2 4 8 , 4 4 8 Mitverschulden 182, 31 f., 322 Mitwirkung 226 (der Hersteller) Nachbesserung 7 7 , 1 4 3 , 1 5 5 , 4 1 0 Nachlieferung 143, 155, 241 Nachmarktkontrolle 7f., 115, 455 Nachrüstung 288f. National Commission on Product Safety 33 National Highway Traffic and Safety Administration ( N H T S A ) 20, 43, 90, 220, 431 negligence 30, 48, 55, 64 National Traffic and M o t o r Vehicle Saftey Act 16, 2 I f f . »neu für alt« 283ff., 287, 344, 419, 427, 439 Normen - sittlich fundierte 389ff., 397 - wertneutrale 389f., 392 397 Nutzungsinteresse 140ff., 145, 149, 225, 266, 287, 408ff., 440 ökonomische Analyse des Rechts 173 ff., 333 f. Organisationspflicht 119, 199, 239, 350, 436 parcondicio 391, 396f. Pflicht - Aufklärungs- (s. dort) - Austausch- (s. dort) - gegenüber Dritten 162
484
Sachverzeichnis
- Hauptleistungs- 147 - Informations- (s. dort) - Instruktions- (s. dort) - Organisation.- (s. dort) - Produktionsbeobachtungs- (s. dort) - Rückruf- (s. dort) - Schutz- 151 - Sorgfalts- (s. dort) - Umkonstruktions- 195 - Unterlassungs- (s. dort) - Verletzung 301, 304 - Vertriebsstop- 195 - Verkehrs- (s. dort) - Warn- (s. dort) positive Forderungsverletzung 138, 148, 429 Prävention 332, 49ff. privity 47 product hazard 35 (s. Produkgefahr) Produkthaftungsrecht - deutsches 113, 140, 163, 179, 407, 435 - europäisches 102,435 - US-amerikanisches 45ff., 85, 430 Produktbeobachtung 194, 232ff., 263 Produktbeobachtungs - maßnahmen 198,230 - pflicht - im US-amerikanischen Recht 60, 63 - europ. Recht 111, 119 - i.R.d. Produzentenhaftung 194,230,350, 436 Produkt - fehler (s. Fehler) - gefahr -
Verbesserungen 7 2 , 2 8 8
- Dritt- 235 - Kombinations- 235 - Konkurrenz- 237 Produkthaftungsgesetz 113, 133, 163, 435 Produkthaftungsrichtlinie 103, 122, 435 Produktsicherheitsbehörden 20, 42, 430 (s. auch Sicherheitsbehörden) Produktsicherheitsgesetz(e) - amerikanische 17ff. - deutsches ProdSG 126, 290ff., 389ff., 452ff. Produktsicherheitsrichtlinie 114, 435, 452ff. Produktsicherheitspolitik 42,102, 431, 453 f. Produktverantwortung 165, 299, 436 Produzentenhaftung (s. Produkthaftung) proximate cause 49, 51, 55
Rechtsbruch 373,379,389 (s. auch Vorsprung) Rechtsgut 248, 345, 408 Rechtsgutverletzung 340f. Rechtsschutz - vorbeugender 15, 207, 329, 449 - kompensatorischer 206, 442 - (quasi-)negatorischer 345 Reparatur 11,418,436 - maßnahmen 203, 284 Reparaturpflicht - aufgrund Gewährleistungsrecht 144 - im US-amerikanischen Recht 77 - i.R.d. Produzentenhaftung 284 Richtlinie - (Nicht-)Umsetzung 129 - Produkthaftungs- (s. dort) - Produktsicherheits- (s. dort) - über irreführende Werbung 381 risk - unreasonable r. 23, 29, 57 Risiko - Entwicklungs- (s. dort) Rücklaufquote 22, 90ff., 205 Rücknahme 11, 139, 204, 436 Rücknahmepflicht - aufgrund Gewährleistungsrecht 144 - im US-amerikanischen Recht 77 - i.R.d. Produzentenhaftung 286 Rückruf - adressat 416ff. - anordnung 19,127,291,427 - anspruch - aufgrund U W G 370 - im US-amerikanischen Recht 45, 82, 433 - i.R.d. Produzentenhaftung 163, 329, 439 - nach der P H R L 111 - vertragsrechtliche 138 - auswirkungen 97, 221, 432 - bedingter 283 - durchführung 3 0 , 4 1 , 8 8 - freiwilliger 40ff., 126, 423 (s. auch voluntary recalls) - gefährlicher Produkte/Begriff 9 - Kosten 144, 203f., 219, 278 (s. auch dort) - maßnahmen 200 -
Organisation 8 5 , 9 2 , 1 9 9
- praxis 20, 42, 88 - »stiller« 22ff., 222, 241,285, 428pflicht(en) - im US-amerikanischen Recht 18,45,433
Sachverzeichnis - nach der P H R L 111 - nach der PSRL 122 - vertragsrechtlicher 138 - i.R.d. Produzentenhaftung 163-315 - als Verkehrspflicht 163 - persönliche Reichweite 185 - Typologie 193 - Konkretisierungskriterien 205 - Konkretisierung 230 - nach §823 I 290 - nach §823 II 296 - Beweisfragen 301 - aufgrund U W G 370 Rückzahlung 205, 286, 379 Rückzahlungspflicht 281 - im US-amerikanischen Recht 77 Sachmangel (s. Mangel) Schaden - ersatzfähiger 110 - Mangelfolge 148 - Sach- 274, 411 f. - Vermögens- 250, 290, 296 - Weiterfresser- (s. dort) Schadensersatz - ansprach 136, 290ff., 320 - des Herstellers 324 - pflicht 112,182 - wegen Nichterfüllung 143 ff. Schädigung - des Benutzers 312f. - Dritter 314 Schuldanerkenntnis 422 Schuldversprechen 422f. - abstraktes 427 Schutzgesetz 290, 368 Selbstschutz 224, 265, 276 Sicherheitsbehörden 95, 120, 452ff. Sicherheitserwartungen 105, 108, 385 Sicherheitsinteresse 158, 226, 409ff. Sicherheitsmaßstab 118,146,183 Sicherheitsvorschriften 114 Silikonimplantat 83, 340, 345 Sitten - gute 290, 296, 372f., 400 - Widrigkeit 296, 368, 397, 399 Sorgfaltspflicht 47f., 150, 177 Staatshaftung 132 statutes of repose 70 statutory law 46 Störer 348f., 378 - Zustands- 375
485
Strafschadensersatz 27, 61, 83 strict liability 47, 50, 58, 65 Täuschung - arglistige 297 - sverbot 394 Tatsachenbehauptung 326f., 339 Treuepflicht 150 Tun - vorangegangenes 165, 177ff., 400 (s. auch Ingerenz) Ubernahmehaftung (s. Haftung) Unmöglichkeit 152, 244 Unterlassen 395 (Gebotener Rückrufaktionen) Unterlassungsanspruch 329, 338, 345, 403 Unterlassungspflicht 347 Untersagungsverfügung 102, 125 Unzumutbarkeit s. Zumutbarkeit Urteilsveröffentlichung 377, 428 - sanspruch (s. Anspruch) Verbandsklage 367, 447, 456ff. Verbesserungen 72, 288 Hinweis auf Verbraucher 381,409 - gefährdung 373, 399 - irreführung 380 - reaktion 90, 445 - täuschung 373 - verband 315ff., 325ff., 404 Vergleich 27, 85, 220 Verhältnismäßigkeit 126, 210, 282, 297, 375 Verjährung 70,147f., 158ff., 409 Verkehrspflicht 148, 163, 302, 396 - Verletzung 291, 304 Verkehrspflichtige 185 ff.,295 Verschulden 304, 347, 410 - Mit- (s. dort) - s. auch negligence Verschweigen - in der Werbung 382 - arglistiges 143, 294, 298, 405ff. Vertragsangebot 418, 424f. Vertragshändler (s. Händler) Vertrauensschutz 164, 171 ff. Vertrieb (des Produkts) 228 Vertriebsgesellschaft 189 voluntary recall 18, 35ff., 431, 457
486
Sachverzeichnis
Vorsatz 290, 296f., 300 Vorsprung 390ff., 403, 441 (s. auch Rechtsbruch) Warn- anspruch 143, 351, 379,413 - aktion 324, 374, 395 Warnpflicht - im US-amerikanischen Recht 54f., 60 - europ. Recht 112,119,122 - aufgrund Gewährleistungsrecht 143 - i.R.d. Produzentenhaftung 244,351,604 Warnung 417 - im US-amerikanischen Recht 66, 72 - i.R.d. Produzentenhaftung 201,244,253, 256, 437 - Nichtbeachtung warranty 47, 52, 60, 66 Weiterfresserschäden 148, 211, 249, 253
Werbung - irreführende 374, 382 Wettbewerbs- handlung 370,400 - recht 370, 415, 441 - vorteil 373, 389 - vorsprung (s. Vorsprung) Widerruf 376 Willenserklärung 424f. Zeitablauf 70 Zubehör 236, 263 Zulieferer 186f., 192 Zumutbarkeit 216, 250, 273, 276 Zurechnungsgründe 176 Zusicherung von Eigenschaften 52, 143 ff. Zuzahlungen 205, 287
Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht - Alphabetische Ubersicht Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Bayer, 'Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20 Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und >sonstiges< Recht. 1996. Band 17. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Möllers, Thomas M.J.: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht. 1996. Band 18. Muscheler, Karlheinz: Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung. 1994. Band 5. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung. 1994. Band 9. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Band 3. Peters, Frank: Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Bandi. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996.Band 19. Rohe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Saengerjngo: Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Taeger, Jürgen: Außervertragliche Haftung für fehlerhafte Computerprogramme. 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band 28. Wagner, Gerhard: Prozeßverträge. 1998. Band 33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Einen Gesamtkatalog erhalten Sie gern von Mohr Siebeck, Postfach 2040, D-72010 Aktuelle Informationen im Internet unter http://www.mohr.de
Mohr Siebeck
Tübingen.