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German Pages XXXIII, 253 [274] Year 2020
Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik
Benjamin Thiede
Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben Eine Interventionsstudie zu Visualisierungen in der Prozentrechnung
Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik Reihe herausgegeben von Lars Holzäpfel, Fakultät III, Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg, Deutschland Timo Leuders, Institut für Mathematische Bildung, Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg, Deutschland Katja Maaß, Kollegiengebäude IV, Raum 310, Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg, Deutschland Gerald Wittmann, Institut für Mathematische Bildung, University of Education Freiburg, Freiburg, Deutschland Andreas Eichler, Institut für Mathematik, Universität Kassel, Kassel, Hessen, Deutschland
Die Freiburger Arbeitsgruppe am Institut für Mathematische Bildung (IMBF) verfolgt in ihrem Forschungsprogramm das Ziel, zur empirischen Fundierung der Mathematikdidaktik als Wissenschaft des Lernens und Lehrens von Mathematik beizutragen. In enger Vernetzung innerhalb der Disziplin und mit Bezugsdisziplinen wie der Pädagogischen Psychologie oder den Erziehungswissenschaften sowie charakterisiert durch eine integrative Forschungsmethodik sehen wir Forschung und Entwicklung stets im Zusammenhang mit der Qualifizierung von wissenschaftlichem Nachwuchs. Die vorliegende Reihe soll regelmäßig über die hierbei entstehenden Forschungsergebnisse berichten. Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Lars Holzäpfel Prof. Dr. Timo Leuders Prof. Dr. Katja Maaß Prof. Dr. Gerald Wittmann Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland Prof. Dr. Andreas Eichler Universität Kassel
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/10531
Benjamin Thiede
Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben Eine Interventionsstudie zu Visualisierungen in der Prozentrechnung
Benjamin Thiede Institut für Mathematische Bildung Pädagogische Hochschule Freiburg Freiburg im Breisgau, Deutschland
ISSN 2193-8164 ISSN 2193-8172 (electronic) Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik ISBN 978-3-658-31812-3 ISBN 978-3-658-31813-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Carina Reibold Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
„Wir setzten den Fuß in die Luft / und sie trug.“ (Hilde Domin)
Für Claudia und Tin und in Gedenken an Willi Paul Otto Thiede
Geleitwort
Die Prozentrechnung gehört zu den mathematischen Themengebieten, mit denen Schülerinnen und Schüler auch weit über die Schulzeit hinaus regelmäßig in Kontakt kommen. Dabei existieren zahlreiche Alltagssituationen, in denen sie mit Prozenten konfrontiert werden. Zugleich gehört die Prozentrechnung zu den sehr fehleranfälligen Gebieten der Schulmathematik. So ist es aus schulpraktischer Sicht besonders wichtig, sich mit diesem bedeutsamen Themengebiet zu befassen, um beispielsweise geeignete didaktische Konzepte zu entwickeln, die der genannten Fehleranfälligkeit begegnen können. Aber auch aus mathematikdidaktischer Sicht ist die Prozentrechnung von hoher Relevanz: Aufgaben aus der Prozentrechnung stehen beispielhaft für die Anforderung, Realsituationen mit mathematischen Mitteln zu beschreiben, und die dazu nötigen Grundvorstellungen, etwa durch visuell gestützte Instruktionen zu aktivieren oder aufzubauen. Beide Bereiche, die Anforderungen der Prozentrechnung und die Möglichkeiten der Visualisierung bilden das Fundament dieser Arbeit: Benjamin Thiede befasst sich in seiner Arbeit unter anderem mit typischen Fehlern der Prozentrechnung und gibt dabei einen differenzierten Einblick in die aus der Literatur bereits bekannten Fehlermuster. Diese Analyse bildet den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen, insbesondere wie Lernende auch langfristig unterstützt werden können, um typische Fehler wie Zuordnungs- und Verständnisfehler zu vermeiden. Im Fokus steht dabei der Aufbau adäquater Grundvorstellungen. Dass grafische Repräsentationen bei diesem Vorstellungsaufbau unterstützen können, ist bereits aus anderen Bereichen wie beispielsweise der Bruchrechnung bekannt. Mit den Zielen und Fragestellungen der vorliegenden Interventionsstudie reiht sich die Arbeit in aktuelle Forschungsanstrengungen zum Prozentstreifen ein und gibt Aufschluss über den Einfluss und die Wirksamkeit des Prozentstreifens mit
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Geleitwort
einem speziellen Fokus auf das Aufgabenformat „Textaufgabe“. Basierend auf verschiedenen Analysen präsentiert die Arbeit die Ergebnisse zahlreicher qualitativer und quantitativer empirischer Studien zur Prozentrechnung, die unter anderem auf eine vertiefte Analyse der Nutzung des Prozentstreifens durch die Schülerinnen und Schüler sowie dessen Auswirkungen auf die Leistungen bzw. die Reduktion der genannten typischen Fehler abzielen. In diesem Rahmen werden auch verschiedene Funktionen des Prozentstreifens deutlich, die wiederum Einfluss auf die Nutzung und den daraus resultierenden Mehrwert für die Lernenden haben. Mit Blick auf die Wirksamkeit des Prozentstreifens zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie ein differenziertes Bild. So profitieren sowohl leistungsschwächere als auch leistungsstärkere Lernende, wenngleich diese den Prozentstreifen unterschiedlich nutzen. Dabei sind nicht nur unmittelbare, sondern auch signifikant nachhaltige Effekte festzustellen. Es zeigt sich, dass der Prozentstreifen ein vielversprechendes, leicht in die Praxis zu transferierendes Hilfsmittel darstellt, welches bei der Bewältigung verschiedener Hürden im Zuge der Bearbeitung von Prozentaufgaben unterstützen kann. Insgesamt liefert diese Arbeit deshalb sowohl für die Praxis als auch für die Forschung wichtige Impulse zur Weiterarbeit, weswegen wir ihr viele Leserinnen und Leser aus beiden Bereichen wünschen. Prof. Dr. Lars Holzäpfel Prof. Dr. Timo Leuders
Danksagung
Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des interdisziplinär ausgerichteten Promotionskollegs „Visualisierungen im Deutsch- und Mathematikunterricht“ (VisDeM) an der Pädagogischen Hochschule Freiburg entstanden. Das Kolleg wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. Daher möchte ich mich als Lehrkraft des Landes Baden-Württemberg an dieser Stelle zunächst für diese besondere Möglichkeit der Weiterqualifizierung ausdrücklich bedanken! Darüber hinaus möchte ich bestimmten Personen meinen persönlichen Dank aussprechen. Als Erstes möchte ich mich bei meinen Doktorvätern Prof. Dr. Lars Holzäpfel und Prof. Dr. Timo Leuders bedanken. Ich habe es immer sehr geschätzt, dass ich Euch neben all der profunden Expertise und den immer konstruktiven und zum Teil herausfordernden Anregungen auch als „Menschen“ kennenlernen konnte. Ihr wisst, dies war mir persönlich immer besonders wichtig. Danke! Daneben gilt ein von Herzen kommender Dank Prof. Dr. Andreas Obersteiner und Prof. Dr. Katharina Loibl. Eure fachliche und vor allem persönliche Unterstützung hat auf dem Weg zur Fertigstellung dieser Arbeit ganz entscheidend beigetragen. Danke! Darüber hinaus möchte ich auch meinem treuen Weggefährten Wolfgang Bay danken, der mir nicht nur aus interdisziplinärer Sicht immer wieder zur Reflexion und Multiperspektive verholfen hat. Mit Dir hatten Kaffee und Kuchentrilogie immer einen ganz besonderen Geschmack – es mögen noch viele Tassen und Teller folgen. Danke! Ein weiterer persönlicher Dank geht an meine Mutter Gabriele, die mich unzählige Autofahrten von Stuttgart nach Freiburg (und zurück) telefonisch begleitet und somit immer zuverlässig für die absolut notwendige „Zerstreuung“ über all die Jahre gesorgt hat. Danke! Über all die Jahre hat mich auch eine andere
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Danksagung
Person - in allen Bereichen meines Lebens - treu begleitet: Rayk, Dir danke ich für Deine Freundschaft, Deinen Antrieb, Deine Motivation und so vieles mehr! Was bleibt, ist Freundschaft! Selbstverständlich möchte ich auch allen Lehrerinnen und Lehrern sowie Schülerinnen und Schüler aufrichtig danken, die meine Datenerhebungen überhaupt erst möglich gemacht haben sowie allen anderen Unterstützerinnen und Unterstützern, die mit Ihrem Zutun einen wichtigen Teil zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Danke! Schließlich und ganz besonders möchte ich meiner Frau Claudia danken: Ohne Dich hätte ich diesen Weg nicht bestreiten können. Du hast mich über all die Jahre in so vielen Bereichen immer wieder herausgefordert und ausnahmslos unterstützt. Dafür kann ich Dir nicht oft genug danken! In dieser Arbeit steckt auch viel Deines Herzbluts. Volim te od srce! Dieser Dank richtet sich auch an meinem Sohn Tin, der mir zwar unbewusst, aber immer wieder die Augen für das Wesentliche geöffnet und eine nie gewesene Kraft verliehen hat. Hvala puno! Stuttgart Juli 2020
Benjamin Thiede
Einleitung
„Wanderer, es gibt keinen Weg, der Weg entsteht im Gehen.“ (frei übersetzt nach Antonio Machado, 1912)
Wissenschaftliche Untersuchungen zu Prozentaufgaben zeigen, dass deren Bearbeitung einer hohen Fehleranfälligkeit unterliegt (Cummins, Kintsch, Reusser & Weimer, 1988; Fujimura, 2001; Jitendra & Star, 2012). Werden entsprechende Aufgaben, etwa die Frage nach 30 % von 1200 e in einer Textaufgabe kontextualisiert, sinkt die Lösungshäufigkeit weiter (Lembke & Reys, 1994; Pöhler, 2018; Thiede, Holzäpfel & Leuders, 2015). Doch woran liegt das? Jahrzehntelange Forschungen in diesem Bereich haben sich diesen Sachverhalten sowohl von theoretischer als auch praktischer Seite genähert, einerseits etwa durch theoriegeleitete Analysen möglicher Ursachen, andererseits durch das Generieren zahlreicher didaktischer Empfehlungen zur Implementierung verständnisfördernder Ansätze für den Unterricht (Berger, 1991; Meißner, 1982; Sander & Berger, 1985). Und auch gegenwärtig existieren diverse Forschungsprojekte, die sich partiell oder vollständig mit der Prozentrechnung auseinandersetzen wie: VisDeM II (Pädagogische Hochschule Freiburg), ViPro (Ludwig-Maximilians-Universität München) und MuM-Prozente (Technische Universität Dortmund), um nur einige zu nennen. Die Fülle gewonnener Erkenntnisse sowie die Vielzahl didaktischer Implikationen in diesem Kontext, auch aus den Bereichen der Sprach- und Visualisierungsforschung belegen einerseits die Wichtigkeit, andererseits die hohe Brisanz der Thematik, zumal hier zwei zentrale Themenbereiche der Mathematik, die Prozentrechnung und das Aufgabenformat Textaufgaben, aufeinandertreffen. Es mag vor diesem Hintergrund erstaunlich klingen, dass die eingangs geschilderten Phänomene auch nach jahrzehntelangen Forschungen noch existieren, es also offensichtlich an (langfristig) erprobten, tragfähigen und einheitlichen Konzepten
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XIV
Einleitung
mangelt, was nicht zuletzt an einem unzureichenden Transfer in die Schulpraxis liegt. Ziel des vorliegenden Dissertationsprojektes ist es vordergründig aber nicht diesen Mangel zu beleuchten, sondern ein vielversprechendes, leicht in die Praxis zu transferierendes, visuelles Hilfsmittel einzubringen. Die Rede ist vom Prozentstreifen als Hilfsmittel beim Lösen von Prozentaufgaben1 . Der Prozentstreifen kann den Lösungs- und Übersetzungsprozessen von Schülerinnen und Schülern unter anderem als wichtiges und hilfreiches Strukturierungswerkzeug dienen. Die Verknüpfung mathematischer Inhalte und Visualisierungen ist in diesem Sinne als verständnisfördernd anzusehen (Arcavi, 2003; Duval, 1999). Auch in Lehrbüchern sind aus diesem Grund verschiedene Arten von Visualisierungen, zum Beispiel Streifendiagramme, zur Einführung der Prozentrechnung abgebildet. Ein Blick in aktuelle Lehrwerke macht aber deutlich, dass die Dichte an visuellen Elementen (dekorative Bilder, verschiedene Diagrammarten etc.) sehr hoch ist und oftmals konzeptuelle Stringenz vermissen lässt (eigene Schulbuchanalyse). Eine im Zusammenhang mit der Dissertation durchgeführte Zulassungsarbeit zeigt, dass Visualisierungen in Mathematikschulbüchern der Klassen 7/8 (BadenWürttemberg) häufig eine dekorative Funktion einnehmen und für das Lösen der Aufgaben nicht zwingend erforderlich wären (Zipfler, 2015). Der Verweis auf hilfreiche Lösungsstrategien wie das Anfertigen von Skizzen, oder die Aufforderung sich visuell mit Aufgaben auseinanderzusetzen findet oftmals nur marginal Beachtung. Eine diesbezüglich durchgeführte Analyse von elf Lehrwerken lässt zudem einen eher inkonsequenten Umgang von Visualisierungen erkennen, da ihre speziellen Funktionen wie Mengendarstellung oder Strukturierungshilfe nicht adäquat thematisiert werden (ebd.). Dieser Aspekt erscheint vor dem Hintergrund der Studie von Fey (2015) besonders interessant, wonach das Schulbuch im Mathematikunterricht das zentrale Medium ist, welches von über 80 % der Lehrpersonen häufig bis jede Stunde eingesetzt wird. Insofern ließe sich das Zitat Seegers im Hinblick auf den damaligen Zustand der Mathematikdidaktik auch noch auf die heutige Verwendung von Visualisierungen beziehen: „In der Mathematik-Didaktik wird in letzter Zeit wieder verstärkt über die Frage nachgedacht, wie das didaktische Potential von Veranschaulichungen besser genutzt werden kann“ (1990, S. 35). In Anbetracht der unumstrittenen Alltagsrelevanz der Prozentrechnung (Hafner, 2012; Sill, 2010) sind die existierenden Defizite ein schmerzender Dorn im mathematischen Auge, den es zu entfernen gilt. Interessanterweise gibt es in diesem Zusammenhang Erkenntnisse, die zeigen, dass Schülerinnen und Schüler die Prozentrechnung partiell bereits, ohne eine spezielle 1 Die in der vorliegenden Dissertation empirisch untersuchten Aufgaben sind Prozentaufgaben
in Textform.
Einleitung
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Behandlung im Unterricht, quasi intuitiv beherrschen (Parker & Leinhardt, 1995). Es existiert demnach ein Fundament, welches mit geeigneten Mitteln zu festigen ist. Das Zeichnen von Diagrammen und Skizzen, hierunter fällt auch das Zeichnen des Prozentstreifens als bildhaft-analoges Abbild der sprachlich dargebotenen Textaufgabe, kann als dieses Mittel fungieren. Zwar sind Visualisierungen selbst kein Allheilmittel, sie besitzen jedoch diverse Funktionen und Eigenschaften, die zur Erkenntnisentwicklung beitragen können (Dörfler, 2006). Viele Faktoren entscheiden über den Erfolg beim Lösen von Prozentaufgaben. Diese Gegebenheit gründet unter anderem auf der bereits skizzierten, inhaltlichen Komplexität des Themas und der damit einhergehenden Überschneidung diverser Themenbereiche. Verschiedene Disziplinen und Forschungsbereiche setzten sich in der Vergangenheit mit Textaufgaben und Prozentrechnung auseinander und auch aktuelle Forschungsvorhaben illustrieren diese Tatsache. So untersuchte beispielsweise Rasch (2015) problemhaltige Textaufgaben im Grundschulsektor. Im Zentrum standen dabei die Fragen nach guten Aufgaben sowie das Zeichnen von Skizzen. Den Aspekt Sprache fokussierten beispielsweise Niederhaus, Pöhler & Prediger (2015) sowie Wessel (2015). Sie untersuchten dabei unter anderem kommunikative und kognitive Funktionen von Sprache und Förderungsprozesse durch Darstellungsvernetzung. Zwetschler (2015) und Pöhler (2018) eruierten weiterführend die Auswirkungen verschiedener Scaffolding-Prozesse beim Lösen von Prozentaufgaben. Einen Überblick über die Vielzahl unterschiedlicher Lösungsverfahren beim Lösen von Prozentaufgaben bietet Hafner (2012) in seiner Dissertation zur Proportionalität und Prozentrechnung in der Sekundarstufe I. Es ist zu konstatieren, dass der Weg von der Textaufgabe zum Ergebnis aufgrund dieser thematischen Vielfalt weder linear noch einbahnstraßenförmig verläuft. Lernende bewegen sich in einem komplexen Spannungsfeld, welches durch verschiedene Aspekte unterschiedlicher Themenbereiche bestimmt wird. Das vorliegende Forschungsprojekt ist in das interdisziplinär ausgerichtete Promotionskolleg Visualisierungen im Deutsch- und Mathematikunterricht (VisDeM, Förderphase I, Pädagogische Hochschule Freiburg) eingebettet. Im Fokus der verschiedenen Projekte stehen Untersuchungen zu Visualisierungen, schwerpunktmäßig in den Fächern Deutsch und Mathematik, welche Lernende dabei unterstützen sollen, Inhalte und Fachsymbolik zu verstehen und anzuwenden. Das Ziel ist die Beantwortung von Forschungsfragen, die auf die Wirkungen von Visualisierungen hinsichtlich der individuellen Lernprozesse sowie den Wissens- und Kompetenzerwerb von Schülerinnen und Schülern abzielen.2 Das 2 Das
Forschungs- und Nachwuchskolleg wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. Eine erste dreijährige Förderphase begann
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hier vorgestellte Teilprojekt (C2) bezieht sich auf das Lösen und Verstehen von Prozentaufgaben im Textaufgabenformat unter der Verwendung des visuellen Hilfsmittels Prozentstreifen. Lernenden wird eine Unterstützung angeboten, mit der sowohl das Bearbeiten als auch das Lösen von Textaufgaben vereinfacht werden soll. Der Prozentstreifen kann dieses Hilfsmittel darstellen, da das Zeichnen und Beschriften des Prozentstreifens als erster Schritt nach dem Lesen der Aufgabe sowie seine weitere Verwendung im Bearbeitungsprozess einerseits zur Verminderung von typischen Fehlern wie Zuordnungsfehlern und andererseits zu höheren Lösungshäufigkeiten führen kann, indem seine Anwendung beispielsweise die Bildung eines adäquaten Situationsmodells unterstützt. In diesem Zuge werden spezielle Funktionen des Prozentstreifens beim Bearbeiten von Prozentaufgaben herausgearbeitet und sein Einfluss auf die Lösungshäufigkeiten untersucht. Dies geschieht sowohl aus didaktischer als auch kognitionspsychologischer Perspektive. Die Betrachtung von Modellierungsprozessen, speziell die Phase der Bildung eines geeigneten Situationsmodells im Verständnis von Verschaffel, Greer & de Corte (2000) steht dabei im Mittelpunkt. Die hier vorliegende Studie reiht sich in die Erkenntnisse anderer Studien ein und bedient auf diesem Wege gleich mehrere Desiderata. So reiht sie sich beispielsweise in die Schilderungen Hafners (2012) ein, der ein breites, schulartunabhängiges Leistungsspektrum im Bereich der Prozentrechnung beschreibt, was wiederum vielfältige Einsatzmöglichkeiten des Prozentstreifens zulässt. Die Analyse der von ihm untersuchten Schülerinnen- und Schülerleistungen ergab überdies, dass die Ursachen für Fehlstrategien häufig in fehlerhaften oder unvollständig ausgebildeten Grundvorstellungen zu suchen sind, die in zeitlich weit zurück liegenden Lernphasen liegen können. Dabei handelt es sich vermutlich um Vorstellungen, die von den Schülern als erfolgreich wahrgenommen werden und sich deshalb in dominanten und über einen längeren Zeitraum sehr stabilen mentalen Modellen mathematischer Inhalte manifestieren. (Hafner, 2012, S. 181)
Der Prozentstreifen kann in diesem Zusammenhang den Aufbau von tragfähigen Grundvorstellungen sowie eines geeigneten Situationsmodells unterstützen und auf diese Weise verständnisfördernd wirken. Ähnliche Erkenntnisse generiert Pöhler (2018, S. 375), die
2013, eine zweite, abermals mit zwölf Teilprojekten startende, schloss sich 2016 an. Sprecher der beiden Förderphasen sind Prof. Dr. Petra Gretsch (Fachdidaktik Deutsch) und Prof. Dr. Lars Holzäpfel (Fachdidaktik Mathematik) sowie Prof. Dr. Josef Nerb (Institut für Psychologie, 2. Förderphase) und Prof. Dr. Markus Wirtz (Institut für Psychologie, 1. Förderphase). Nähere Informationen unter http://www.kebu-freiburg.de/visdem.
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zu dem zentralen Ergebnis [kommt], dass Textaufgaben für alle Lernenden schwierigkeitsgenerierend wirken können, es sprachlich schwachen Lernenden aber insbesondere an konzeptuellem Prozentverständnis fehlt. Angesicht dieser (…) festgehaltenen Resultate sollte eine Förderung zu Prozenten also beim konzeptuellen Verständnis ansetzen und erst nachrangig Lesehürden in Textaufgaben thematisieren.
Der Prozentrechnung wird durch ihre gesellschaftliche Relevanz eine wichtige Rolle zuteil. In Kombination mit dem Aufgabentyp Textaufgabe, bildet dieses Gespann ein Schwergewicht der Mathematik und darüber hinaus die Grundlage der vorliegenden Arbeit. Aufbau der Arbeit Die Arbeit umfasst zwei Hauptbestandteile: die theoretischen Grundlagen (A) und den empirischen Teil (B). Die theoretischen Grundlagen sollen die Komplexität der Gesamtthematik näher beleuchten und einen Einblick in involvierte Einflussfaktoren geben. Dabei werden die zentralen Themengebiete Prozentrechnung, Textaufgaben und Visualisierungen näher erläutert, um deren Stellenwert für das Dissertationsprojekt herauszuarbeiten. In diesem Rahmen werden die Bedeutungen der Themen, formale Verortungen sowie auftretende Schwierigkeiten, aktuelle Forschungserkenntnisse und didaktische Implikationen abgebildet. Die spezielle Betrachtung des Prozentstreifens als Protagonist dieser Arbeit beschließt diesen ersten Teil und leitet die Darstellung der Empirie ein. Der empirische Teil besteht aus einem qualitativen und einem quantitativen Abschnitt. Beide Teile werden jeweils mit der Herleitung und der Begründung der Forschungsfragen entriert. Der qualitative Studienteil umfasst die hier angewandte Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) und stellt den ersten empirischen Kontaktpunkt zwischen dem Prozentstreifen als potenzielles Hilfsmittel bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben und seinen wenig untersuchten Funktionen bei diesen Prozessen dar. Ziel dieser ersten Betrachtungen ist das Generieren einer Grundlage, die eine weitere Auseinandersetzung mit dem Prozentstreifen in einem quantitativen Setting legitimiert. Der sich daran anschließende quantitative Studienteil fokussiert den Einfluss des Prozentstreifens auf das Lösen entsprechender Aufgaben, auch im Vergleich zu nicht zusätzlich visuell gestützten Verfahren wie dem Dreisatz. Dabei stehen Lösungshäufigkeiten und Fehleranalysen aus deskriptiver sowie varianzanalytischer Perspektive im Vordergrund. Zwei ergänzende Betrachtungen schließen die empirischen Untersuchungen ab. Dort werden vertiefend quantitative Analysen vorgenommen, die unter anderem den Einfluss des Prozentstreifens, aufgeteilt nach Leistungsgruppen sowie speziell seinen Einsatz durch die Schülerinnen und Schüler (Leitfrage: Wird der Prozentstreifen gezeichnet oder nicht?) in den Blick nehmen. Zu diesen Ausführungen
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Einleitung
werden qualitative Aussagen von Lehrkräften ausgewertet, die einerseits global auf die Lösungsprozesse aus unterrichtspraktischer Sicht Bezug nehmen und andererseits die Chancen von Visualisierungen, speziell den Einsatz des Prozentstreifens bewerten und die geschilderten Ergebnisse somit erweitern. Die vorliegende Dissertation abschließend, werden die Ergebnisse in ihrer Gesamtheit interpretiert sowie Chancen und Limitationen der Arbeit diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
Teil I 1
2
Theoretische Grundlagen
Die Prozentrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Relevanz der Prozentrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Formale Einordnung und stoffdidaktische Analyse . . . . . . . . . . 1.3 Aufgabentypen beim Lösen von Prozentaufgaben . . . . . . . . . . . 1.4 Überblick zu (typischen) Lösungsverfahren bei Prozentaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung . . . . . . . 1.5.1 Empirische Befunde zu Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . 1.5.2 Empirische Befunde zu Lösungshäufigkeiten . . . . . . . . . 1.5.3 Empirische Befunde zu Fehlerkategorien . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Empirische Befunde zu Schwierigkeiten und Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4.1 Grundvorstellungen in der Prozentrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4.2 Multiple Bedeutungen oder die eigene „Sprache“ der Prozentrechnung . . . . . . . . . . . . 1.5.4.3 Schriftsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4.4 Ein kritischer Blick auf Lösungsverfahren: „Ist weniger mehr?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Didaktische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textaufgaben im Mathematikunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Relevanz von Textaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 3 6 8 10 14 14 16 20 22 24 26 28
30 32 37 39 39
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Inhaltsverzeichnis
2.2 2.3
2.4 2.5
2.6 3
Formale Einordnung und stoffdidaktische Analyse . . . . . . . . . . Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben . . . . . . . . . . . 2.3.1 Empirische Befunde zu einer allgemeinen Kritik an Textaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Empirische Befunde zu Lösungshäufigkeiten . . . . . . . . . 2.3.3 Ursachen für Bearbeitungsschwierigkeiten bei Textaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2 Grundvorstellungen bei Textaufgaben . . . . . . . 2.3.3.3 Fehlende Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.4 Sprach- und Lesekompetenz . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Lösen von Textaufgaben aus der Sicht von Modellierungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Diagnostischer Modellierungskreislauf nach Blum & Leiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Modellierungskreislauf als Basis für die Rekonstruktion des Situationsmodells bei der Verwendung von Textaufgaben nach Verschaffel, Greer & deCorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Teilkompetenzen des Modellierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Aufgaben und Ziele von Modellierungsaktivitäten . . . . 2.5.5 Kritik am Modellierungskreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Verschiedene Perspektiven auf Visualisierungen – Definitionen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Psychologische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Mathematikdidaktische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Allgemeindidaktische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Ausgewählte empirische Befunde zu Visualisierungen . . . . . . . 3.2.1 Gründe für die Nutzung von Visualisierungen . . . . . . . . 3.2.2 Didaktische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Zur Verwendung von Visualisierungen . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Schwierigkeiten im Umgang mit Visualisierungen . . . . 3.3 Visualisierungen im Kontext der Cognitive Load Theory (CLT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 43 43 44 44 44 47 48 50 53 53 55
56 59 61 61 62 65 66 66 67 68 70 70 72 73 75 76
Inhaltsverzeichnis
3.4 4
5
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
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Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext von Textaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Zum Verständnis des Prozentstreifens in der vorliegenden Arbeit und seiner Verortung im Modellierungsprozess . . . . . . . 4.3 Der Prozentstreifen als (vorteilhafter) Bestandteil einer Lösungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Zur methodischen Einbettung des Prozentstreifens . . . . 4.3.2 Lernen mit Lösungsbeispielen und instruktionalen Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Conclusio A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil II
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Empirischer Teil
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Herleitung und Begründung der Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . .
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens durch Schülerinnen und Schüler – qualitative Analysen des Lösungsprozesses . . . . . . . . 7.1 Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Qualitative Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Vorstellung und Festlegung des (Ausgangs-) Beispielmaterials (Bemerkungen zur Durchführung, Beschreibung der Stichprobe) . . . . . . . . 7.3.2 Analyse der Entstehungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Formale Charakteristika des Materials . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Ablaufmodell der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Kategorie 1: Funktionen des Prozentstreifens . . . . . . . . 7.5.2 Kategorie 2: Phasen im Lösungsprozess . . . . . . . . . . . . . 7.5.3 Kategorie 3: Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.4 Kategorie 4: Fehlertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . 7.6.1 Funktionen des Prozentstreifens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.2 Phasen im Lösungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.3 Schwierigkeiten im Lösungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 107 107 109 110
110 112 113 113 119 119 121 123 124 124 127 130 131
XXII
Inhaltsverzeichnis
7.7
7.8 8
9
7.6.4 Lösungsverfahren bei der Bearbeitung von Textaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6.5 Typische Fehler bei der Bearbeitung der Aufgaben . . . Vertiefung der Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.1 Kontrollfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.2 Versuchsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Qualitativen Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . .
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen von Lösungshäufigkeiten und Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Beschreibung der Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Bemerkungen zur Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen . . . . . . . . . 8.4.1 Skalenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Zu den Lösungshäufigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Zu den Fehlerhäufigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.4 Zum Integrationspotenzial des Prozentstreifens . . . . . . . 8.4.5 Zum Einfluss des Prozentstreifens auf die Lösungshäufigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.6 Zum Einfluss des Prozentstreifens auf die Fehlerhäufigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Zusammenfassung der statistischen Auswertungen . . . . . . . . . .
131 132 134 135 139 145 147 148 151 154 158 158 159 164 175 182 192 200
Ergänzende Analysen zum Prozentstreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Ergänzende Analyse I: Wirksamkeit der Treatments auf Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Leistungsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Kurzfristige Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Langfristige Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Ergänzende Analyse II: Prozentstreifen-Zeichner . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Prozentstreifen-Zeichner (Post-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Prozentstreifen-Zeichner (Follow-up-Test) . . . . . . . . . . . 9.3.3 Prozentstreifen-Zeichner Fokus: Leistungsniveaus (Post-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Prozentstreifen-Zeichner Fokus: Leistungsniveaus (Follow-up-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203 203
204 205 208 211 212 213
10 Conclusio B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217
214 214
Inhaltsverzeichnis
XXIII
11 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Ziele und Fragestellungen der Interventionsstudie . . . . . . . . . . . 11.2 Zentrale Erkenntnisse der Studie und Implikationen für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Diskussion des methodischen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Abschluss und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223 223 227 230 234
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.1
Abbildung 1.2
Abbildung 1.3
Abbildung 1.4 Abbildung 1.5 Abbildung 1.6 Abbildung 1.7 Abbildung 1.8 Abbildung 1.9 Abbildung 1.10
Zusammenhang zwischen prozessbezogenen Kompetenzen, Leitideen (inhaltsbezogenen Kompetenzen) und Anforderungsbereichen (Bildungsplan 2016, Baden-Württemberg – Sekundarstufe I, S. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsstrategien Dreisatz und Operator für Beispielaufgabe (Kirsch, 2002, zitiert nach Kleine & Jordan, 2007, S. 212) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht möglicher Lösungsverfahren für die Berechnung des Prozentwerts (Hafner, 2012, S. 38 ff.) (Weitere Beispiele sind bei Krauter (2005), S. 8 ff. zu finden.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundvorstellungen zum Prozentrechnen nach Malle et al. (2004, S. 73) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Problemkreis der Prozentrechnung (Meißner, 1982, S. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz von Sprachmitteln, hier am Beispiel Präpositionen (Niederhaus et al., 2015, S. 6) . . . . . . . . . Über eine Leiter zu den Prozenten – Beispielaufgabe (Wiese, 2013, S. 32) . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichsskala zur Darstellung von Prozentaufgaben (Dewar, 1984, S. 48) . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der Vorteile Doppelskala (Doppelleistendarstellung) (Grässle, 1989, S. 26) . . . . . Veranschaulichung der drei Grundaufgaben durch die Doppelskala (Grässle, 1989, S. 25) . . . . . . . . . . . . .
5
11
12 25 28 29 33 34 35 35
XXV
XXVI
Abbildung 2.1
Abbildung 2.2 Abbildung 2.3 Abbildung 2.4 Abbildung 2.5
Abbildung 2.6
Abbildung 2.7 Abbildung 3.1
Abbildung 4.1
Abbildung 4.2
Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5 Abbildung 6.1 Abbildung 7.1 Abbildung 7.2
Abbildungsverzeichnis
Schematisches Diagramm von Faktoren, die das Lösen von Textaufgaben beeinflussen (Greer, 1997, S. 301) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oberflächliches Lösen von Textaufgaben (Greer, 1997, S. 295) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Busaufgabe mit Auswertungsanleitung und Lösungshäufigkeiten (Prediger, 2010b, S. 175) . . . . . . . Diagnostischer Modellierungskreislauf nach Blum & Leiß (Blum & Leiß, 2005b, S. 19) . . . . . . . . . . . . . . . Schematisches Diagramm vom Modellierungsprozess (Verschaffel, Greer & deCorte, 2000, S. XI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine einfache Textaufgabe als Modellierungsaufgabe (Verschaffel, Greer & deCorte, 2000, S. 134) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oberflächliche Bearbeitung einer Textaufgabe (ebd., S. 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die verschiedenen Arten von Belastung im Sinne der Cognitive load theory (Bay & Thiede, 2016, S. 127 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verständnis des Prozentstreifens (eigene Darstellung) im schematischen Diagramm vom Modellierungsprozess (nach Verschaffel, Greer & deCorte, 2000) am konkreten Aufgabenbeispiel . . . . . . Vergleichsskala zum vereinfachten Verständnis des Aufbaus von Prozentaufgaben (Haubner, 1992, S. 232) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theorien als Mittler der Bereiche (Prediger, 2010b, S. 173) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenstransfer durch Vergleich mit einer prototypischen Situation (Malle et al., 2004, S. 76) . . . Wissenstransfer durch einen gemeinsamen Überbau (Malle et al., 2004, S. 76) . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Studienteile und Erkenntnisinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungsniveaus am Beispiel der Prozentrechnung (Hafner, 2012, S. 69) . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a ohne Kenntnis des Prozentstreifens (S1&S2) . . . . . . . . . . . . .
46 46 48 56
58
58 59
78
84
89 91 93 94 104 128 136
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 7.3 Abbildung 7.4 Abbildung 7.5 Abbildung 7.6 Abbildung 7.7 Abbildung 7.8 Abbildung 7.9 Abbildung 7.10 Abbildung 8.1 Abbildung 8.2 Abbildung 8.3
Abbildung 8.4
Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a ohne Kenntnis des Prozentstreifens (S3&S4) . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a ohne Kenntnis des Prozentstreifens S5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richtiger Lösungsweg nach Kennenlernen des Prozentstreifens (S5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S6&S7) . . . . . . . . . . . . . . Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S6&S7) . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifen (S8&S9) . . . . . . . . . . . . . . Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S8&S9) . . . . . . . . . . . . . . Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S10&S11) . . . . . . . . . . . Mittelwertentwicklung Pre- und Post-Test (kurzfristiger Lernzuwachs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertentwicklung Pre- und Follow-up-Test (langfristiger Lernzuwachs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleiche Post-Test (Ancova). (Die Kovariaten im Modell werden anhand des Pre-Test Wertes,4511 berechnet.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleiche Follow-up-Test (Ancova). (Die Kovariaten im Modell werden anhand des Pre-Test Wertes,4664 berechnet.) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXVII
137 137 138 139 140 141 141 143 187 189
191
192
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1.1
Tabelle 1.2 Tabelle 1.3 Tabelle 1.4 Tabelle 1.5 Tabelle 1.6 Tabelle 1.7
Tabelle 1.8
Tabelle 2.1 Tabelle 2.2
Grundaufgabentypen (I–III) sowie ausgewählte erweiterte Aufgabentypen zu Prozenten (IV–XI) (Pöhler, 2018, S. 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsstrategien von Grundaufgaben im Vergleich (Hafner, 2012, S. 177) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bearbeitungs- und Lösungsraten der Grundaufgaben im Vergleich (Hafner, 2012, S. 176) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungshäufigkeiten bei TIMSS 2003 (Long, 2015, S. 153) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . NAEP Items on percentage and their scores (Van den Heuvel-Panhuizen, 1994, S. 353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Zuordnungsfehler an drei Beispielaufgaben (Hafner, 2012, S. 128) . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht möglicher Fehlerkategorien beim Bearbeiten von Prozentaufgaben. (Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von allgemeiner Sprache („common language“) zur Prozentsprache (Long, 2015, S. 115, in Anlehnung an Parker & Leinhardt, 1995) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traditionelle Einteilung von Aufgaben beim Sachrechnen (Franke, 2003, S. 32 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verankerung der Sprachkompetenz am Beispiel der prozessbezogenen Kompetenz des Kommunizierens (Bildungsplan Baden-Württemberg, 2016, S. 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 16 17 18 19 21
22
27 42
51
XXIX
XXX
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2.3 Tabelle 3.1 Tabelle 4.1
Tabelle 7.1 Tabelle 7.2 Tabelle 7.3
Tabelle 7.4
Tabelle 7.5 Tabelle 7.6 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
Tabelle 8.7 Tabelle 8.8 Tabelle 8.9 Tabelle 8.10 Tabelle 8.11
Teilkompetenzen des Modellierens (Greefrath et al., 2013, S. 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bearbeitungsschritte beim Lösen von Textaufgaben (Klassenstufe 7/8, Werkrealschule/Realschule) . . . . . . . . . . Übersicht zu den Vorteilen des Prozentstreifens aus der Perspektive von Lehrkräften (N = 11, Werkrealschule/Realschule) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Samplebeschreibung der qualitativen Interviews . . . . . . . . . Vereinfachtes Transkriptionssystem (Dresing & Pehl, 2015, S.21 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analyse der Versuchsfälle: Kategorienableitung nach Reduktionsdurchlauf am Beispiel: Funktionen des Prozentstreifens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwendete Testaufgaben für die Interviewsituation in Anlehnung an Hafner, 2012 (Anforderungsniveau) und Pöhler, 2018 (Situationsmuster) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerübersicht Kontroll- und Versuchsfälle (eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der Kategorien Verfahren, Fehler, Validierung und Skizzen über alle Fallbeispiele . . . . . . . . . Stichprobenzusammensetzung: Ausgangssample . . . . . . . . Bereinigtes Sample (Pre-Post-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bereinigtes Sample (Pre-Follow-up-Test) . . . . . . . . . . . . . . Studiendurchführung: Tag 1 (Stunde 1/2) . . . . . . . . . . . . . . Studiendurchführung: Tag 2 (Stunde 3/4) . . . . . . . . . . . . . . Reliabilitäten der verschiedenen Testteile (Cronbachs-α) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungshäufigkeiten Mittelwerte Pre-Test (N = 266) . . . . Lösungshäufigkeiten auf der Aufgabenebene (N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bearbeitungshäufigkeiten auf der Aufgabenebene (N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfolgreiche Aufgabenbearbeitungen im Studienvergleich Thiede (2016) und Hafner (2012) . . . . . . Lösungshäufigkeiten in Abhängigkeit des Lösungsverfahrens auf der Aufgabenebene (Gesamtstichprobe N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60 75
90 112 114
117
125 133 144 152 153 153 156 156 158 160 160 161 161
163
Tabellenverzeichnis
Tabelle 8.12
Tabelle 8.13 Tabelle 8.14 Tabelle 8.15
Tabelle 8.16 Tabelle 8.17 Tabelle 8.18 Tabelle 8.19 Tabelle 8.20 Tabelle 8.21 Tabelle 8.22
Tabelle 8.23
Tabelle 8.24
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
8.25 8.26 8.27 8.28 8.29 8.30 8.31
Tabelle 8.32
Lösungshäufigkeiten in Abhängigkeit des Lösungsverfahrens auf der Aufgabenebene, Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau (N = 99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronologische Übersicht über Fehlerkategorien ausgewählter Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenlegung der Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronologische Übersicht über Fehlerkategorien ausgewählter Studien, erweitert um eigene qualitative und quantitative Studienteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhäufigkeit auf der Aufgabenebene, Mittelwertvergleich (N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhäufigkeit auf Aufgabenebene in Prozent . . . . . . . . . Fehlerhäufigkeit auf kategorialer Ebene (N = 266) . . . . . . Kategorienzusammenlegung der Studien von Thiede (2019) und Hafner (2012) auf Fehlerebene . . . . . . . . . . . . . Pre-Test Fehleranalyse der Vergleichsitems der Studien von Hafner (2012) und Thiede (2019) . . . . . . . . . . Lösungsverfahren auf der Aufgabenebene (N = 266) . . . . Lösungsverfahren Pre-Test auf der Aufgabenebene, Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau (N = 99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test auf der Aufgabenebene, Lernende mit mittlerem mathematischen Leistungsniveau (N = 92) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test auf Aufgabenebene, Lernende mit hohem mathematischen Leistungsniveau (N = 75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 3 . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 4 . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 5 . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren über alle MZP hinweg (PSG) . . . . . . . . . Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXI
163 165 169
171 172 172 173 173 174 176
176
177
177 178 178 178 179 179 179 180 180
XXXII
Tabelle 8.33 Tabelle 8.34 Tabelle 8.35 Tabelle 8.36 Tabelle 8.37 Tabelle 8.38 Tabelle 8.39 Tabelle 8.40
Tabelle 8.41 Tabelle 8.42 Tabelle 8.43 Tabelle 8.44 Tabelle 8.45 Tabelle 9.1 Tabelle 9.2 Tabelle 9.3 Tabelle 9.4
Tabelle 9.5
Tabellenverzeichnis
Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuell errechnete Werte zur Überprüfung der Normalverteilung (N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene, Mittelwertvergleich, N = 266 (Pre-Post-Test) . . . . . . . . . . . Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene, Mittelwertvergleich, N = 214 (Pre-Follow-up-Test) . . . . . . Betrachtung von Schiefe und Kurtosis zur Überprüfung der Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhäufigkeit auf kategorialer Ebene (Mittelwertvergleich) im Pre-Post- Test- Vergleich (N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ranganalyse auf kategorialer Ebene Pre-Post-Test-Vergleich (N = 266) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht zu der Testanalyse (Pre-Post-Test-Vergleich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhäufigkeit auf kategorialer Ebene, Pre-Follow-up (N = 214) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rangbeschreibung auf kategorialer Ebene, Pre-Follow-up (N = 214) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht zu der Testanalyse (Pre-Follow-up-Test-Vergleich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 92) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsgruppe 1 (geringes mathematisches Leistungsniveau) Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 75) . . . . . Leistungsgruppe 2 (mittleres mathematisches Leistungsniveau) Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 76) . . . . .
181 181 181 184 185 188 193
195 196 197 198 199 200 206 207 208
209
209
Tabellenverzeichnis
Tabelle 9.6
Tabelle 9.7 Tabelle 9.8 Tabelle 9.9 Tabelle 9.10 Tabelle 11.1 Tabelle 11.2
Leistungsgruppe 3 (hohes mathematisches Leistungsniveau) Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 63) . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten (Post-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten (Follow-up-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten (Post-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten (Follow-up-Test) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht zu den verschiedenen Forschungsansätzen und Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturgleiche Beispielitems aus dem Pre-Post und Follow-up-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXIII
210 212 213 214 215 226 233
Teil I Theoretische Grundlagen
In diesem Teil der Arbeit erfolgt die theoretische Rahmung des Projekts. Es werden die einzelnen Themengebiete der Prozentrechnung (Kapitel 1), des Aufgabenformates Textaufgaben (Kapitel 2) sowie der Visualisierung im allgemeinen (Kapitel 3) und des Prozentstreifens im speziellen Sinne (Kapitel 4) aufgegriffen und hinsichtlich ihrer Relevanz und Komplexität sowie formalen Einordnungen beleuchtet. Dazu werden jeweils entsprechende empirische Befunde aufgegriffen und Querverweise zum eigenen Forschungsschwerpunkt vorgenommen. Die daraus resultierenden Ableitungen legitimieren in einer Zusammenschau (Kapitel 5) die empirische Ausrichtung der Arbeit und fokussieren den Prozentstreifen in seiner Rolle als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben. Dabei stehen Fragen nach seinen Funktionen, seiner praktischen Handhabung sowie seines Mehrwerts hinsichtlich verbesserter Lösungshäufigkeiten und eines reduzierten Fehleraufkommens im Vordergrund. Zentral ist hier die Forderung nach der Rückgewinnung inhaltlichen Denkens anstelle einer unverstandenen, kalkülhaften Vorgehensweise.
1
Die Prozentrechnung
„Die Entwicklung eines inhaltlichen Verständnisses zum Prozentbegriff sowie auch eines sicheren Könnens im Lösen von einfachen Prozentaufgaben scheint eines der größten Defizite der mathematischen Allgemeinbildung in unserer Gesellschaft zu sein.“ (Sill, 2010, S. 4)
1.1
Relevanz der Prozentrechnung
Sill zeichnet in seinem Abriss zu den Problemen im Umgang mit Prozenten (2010) ein eindeutiges Bild, das die Frage aufwirft, welchen Stellenwert der Prozentrechnung im schulischen und außerschulischen Kontext tatsächlich eingeräumt wird. Die Prozentrechnung gilt aufgrund ihrer tragenden Bedeutung im Alltag und in der Berufswelt als eines der wichtigsten Stoffgebiete der Schulmathematik (Berger, 1991; Hafner, 2009; Sill, 2010). Darüber hinaus sei sie integraler Bestandteil unserer Gesellschaft und ihr Verständnis von sozialer Notwendigkeit (Dole, Cooper, Baturo & Conoplia, 1997; Hawera & Taylor, 2011; Jordan, Wynands & Flade, 2004; Rosenthal, Ilany & Almog, 2009). So ist die Prozentrechnung bei der Bewältigung elementarer Tätigkeiten wie dem Analysieren und Interpretieren von Zeitungsausschnitten, dem Verstehen von Diagrammen sowie der Kalkulation von Preisreduktionen und Preissteigerungen unverzichtbar und kann daher kurzum als unumstrittener Inhalt mathematischer Grundbildung betrachtet werden (Friedl, 2008; Hafner, 2009; Parker & Leinhardt, 1995; Römer, 2008). Etwas salopper formuliert es Jahnke (2002, S. 4), der die Prozentrechnung „zum Schwarzbrot des Mathematikunterrichts [zählt]. In welches didaktische Lager man
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_1
3
4
1
Die Prozentrechnung
auch schaut – niemand wird die Bedeutung und die Notwendigkeit ihrer sorgfältigen Behandlung im Mathematikunterricht in Zweifel ziehen“. Die Verankerung in nationalen Bildungsplänen, die Forderungen nach internationalen Standards sowie diverse large-scale-Befunde in diesem Bereich (u. a. NAEP, 2004; PISA, 2010; TIMSS, 2015) unterstreichen den Stellenwert der Prozentrechnung. Am Beispiel des gemeinsamen Bildungsplans Baden-Württemberg (2016) soll die beschriebene Relevanz für den Schulkontext aufgezeigt werden. Schließlich ist der Bildungsplan zentrales Instrument für Lehrerinnen und Lehrer bei der Konzeption des Unterrichts. Die Prozentrechnung nimmt dort, nicht erst in der aktuellen Fassung, eine zentrale Position im Lehrplan der Sekundarstufe I ein. Schülerinnen und Schüler bearbeiten Fragen innermathematischer und anwendungsbezogener Natur, wobei auch proportionale Zusammenhänge genutzt werden (Bildungsplan Baden-Württemberg, 2016). Die Standards verschiedener inhaltsbezogener Kompetenzen sehen bereits für die Klassenstufen 5/6 auf allen drei Niveaustufen (grundlegendes, mittleres und erweitertes Niveau) die Auseinandersetzung mit prozentualen oder proportionalen Angaben vor, wie die folgenden Auszüge verdeutlichen. So werden unter der Leitidee Zahl-VariableOperation tragfähige Grundvorstellungen durch die Schülerinnen und Schüler entwickelt und diverse Zahlbereiche erkundet. So werden Brüche, Dezimalzahlen und Prozentangaben in einfachen Fällen ineinander umgewandelt (ebd.). Des Weiteren erkennen und beschreiben die Schülerinnen und Schüler Zusammenhänge zwischen Zahlen und Größen (Leitidee Funktionaler Zusammenhang). Bei der Beschreibung von Zusammenhängen sollen proportionale Zusammenhänge in konkreten Situationen erkannt und Sachprobleme durch proportionales Rechnen gelöst werden (ebd.). Die Leitidee Daten und Zufall veranlasst Schülerinnen und Schüler ferner zum Vergleichen und Beurteilen von Daten. Im Abschnitt Daten erfassen, darstellen und auswerten wird daher unter anderem gefordert, absolute und relative Häufigkeiten in Prozent zu bestimmen (ebd.). In den darauffolgenden Klassenstufen 7/8/9 wird die Prozentrechnung dann vertieft aufgegriffen. So wird unter der Leitidee Zahl-Variable-Operation mit Prozenten umgegangen. Dabei stehen typische Aufgaben der Identifizierung und Berechnung von Prozentwert, Grundwert und Prozentsatz im Vordergrund (ebd.). Darüber hinaus wird die mit dem Prozentrechnen in Zusammenhang stehende Proportionalität unter der Leitidee Funktionaler Zusammenhang wiederholt behandelt. Schülerinnen und Schüler erfassen in diesem Bereich, unter anderem durch die Anwendung verschiedener Darstellungen wie Tabellen und Graphen, funktionale Zusammenhänge. Konkret bedeutet dies das Erkennen von Proportionalität (und Antiproportionalität) und das Nutzen dieser für verschiedene Berechnungen (ebd.). Wie ersichtlich ist, beziehen sich die inhaltsbezogenen Kompetenzen auf
1.1 Relevanz der Prozentrechnung
5
verschiedene Leitideen und stellen die übergreifende Perspektive dieser heraus. Die prozessbezogenen Kompetenzen (Argumentieren und Beweisen, Probleme lösen, Modellieren, Mit symbolischen, formalen und technischen Elementen der Mathematik umgehen, Kommunizieren) ergänzen das Bild zu einer Matrix und tragen zur Spezifizierung der inhaltlichen Kompetenzen bei. Insbesondere das Modellieren spielt in Verbindung mit dem Aufgabenformat Textaufgabe eine gewichtige Rolle. Abbildung (1.1) veranschaulicht die Interaktion genannter Kompetenzen und unterstreicht die Rolle der Prozentrechnung im schulischmathematischen Handlungsfeld. Die fokussierten Aspekte sind dabei durch einen Rahmen hervorgehoben.
Abbildung 1.1 Zusammenhang zwischen prozessbezogenen Kompetenzen, Leitideen (inhaltsbezogenen Kompetenzen) und Anforderungsbereichen (Bildungsplan 2016, BadenWürttemberg – Sekundarstufe I, S. 6)
6
1
1.2
Die Prozentrechnung
Formale Einordnung und stoffdidaktische Analyse
Auf Grund der beschriebenen Relevanz kann die Prozentrechnung als eigenständiges mathematisches Thema bezeichnet werden, wobei sie aber, je nach bemühter Quelle, auch als Teil- oder Spezialgebiet der Bruchrechnung oder Proportionalität angesehen wird (Appell, 2004; Hafner, 2012; Hawera & Taylor, 2011; Long, 2015; Scherer, 1996a,b; Van de Walle, Karp, Lovin & Bay-Williams, 2014a). Folgendes Zitat verdeutlicht diese Pluralität: One mathematical perspective about percentages is fractional where the percent can be used to describe part of a whole. This means that the whole will be 100% and any percentage a part of that whole. Another idea that illustrates percentages describes a proportional relationship between two quantities. Percentages that compare two quantities in a ratio sense can describe a change in a set or object. If an object costs $120 and has a rise in cost of 25%, the new price will be $150. (Hawera & Taylor, 2011, S. 4)
Dole (2000) ordnet die Prozentrechnung grundsätzlich der Proportionalität zu, Römer hingegen (2008) zeichnet Verbindungen zu vorangegangenen Themengebieten wie der Bruchrechnung. Baireuther (1983) wiederum konstatiert eine überschätzte Bedeutung eben jener Bruchrechnung für die Prozentrechnung. Deutlicher wird Wildt (2013), der einen Zugang zur Prozentrechnung über das intuitive ganzzahlige Zahlverständnis auch ohne Bruchzahlverständnis für möglich hält. Ungeachtet der kontroversen Auffassungen und einer damit einhergehenden möglichen konkret-formalen Einordnung sind bestehende Parallelen zu anderen Themengebieten der Mathematik zu vermuten. Doch selbst dann, wenn eine mehr oder weniger sinnvolle Verortung gelänge, ist es ferner der Prozentbegriff selbst, der sich als mehrdeutig gestaltet. Sill (2010, S. 6) unterscheidet demnach drei grundlegende Situationen: 1. Es wird der Anteil oder ein Vielfaches einer Bezugsgröße betrachtet (prozentualer Anteil, Quote, Rate). 2. Es werden Vergleiche von Anteilen vorgenommen, die sich auf verschiedene Bezugsgrößen beziehen. 3. Es werden Veränderungen einer Bezugsgröße betrachtet (Steigerung, Senkung um … auf …, prozentuale Veränderung, Wachstumsrate). Inhaltlich kommen in diesen drei Situationen zwei maßgebliche Aspekte zum Tragen: Zum einen beinhaltet das Wort Prozent „eine Aufforderung zum Rechnen (Rechenvorschrift) und ist dabei meist mit dem Wort ‘von’ verbunden (z. B.
1.2 Formale Einordnung und stoffdidaktische Analyse
7
10 % von 180 e)“, zum anderen stellt es „die Angabe eines Rechenergebnisses bzw. die Beschreibung einer Situation (Prozentangabe) unter Angabe einer Bezugsgröße dar (z. B. 20 % der Schüler)“ (ebd.). Das Prozentrechnen ist also überall dort zu finden, wo Vergleiche auf Grundlage verschiedener Bezugsgrößen angestellt werden und erst ein relativer Vergleich Aufschluss gibt (Meierhöfer, 2000). Darüber hinaus kann der Prozentbegriff als Proportionalitätsfaktor (auch: Operator) agieren, wenn unterschiedliche Referenzgrößen entsprechend erhöht oder vermindert werden (ebd.). Im Rahmen des Prozentrechnens fungieren drei wesentliche Termini als zentrale Informationsträger: Grundwert, Prozentwert und Prozentsatz. Diese werden üblicherweise durch die Buchstaben G, P und p (%) symbolisiert und nachstehend prägnant beschrieben. • Grundwert. „Der Grundwert bezeichnet ‘das Ganze’ und entspricht somit 100 Hundertsteln beziehungsweise 100 %.“ • Prozentwert. „Der Prozentwert bezeichnet ‘einen Teil des Ganzen’ oder ‘ein Vielfaches des Ganzen’ und entspricht somit weniger oder mehr als 100 Hundertsteln beziehungsweise 100 %.“ • Prozentsatz. „Der Prozentsatz bezeichnet ebenfalls ‘einen Teil des Ganzen’ oder ‘ein Vielfaches des Ganzen’ und entspricht somit weniger oder mehr als 100 Hundertsteln beziehungsweise 100 %. Der Prozentsatz wird stets in Bezug auf 100 angegeben und sagt aus um welchen Teil bzw. welches Vielfache des Grundwerts als Hundertstel bzw. in Prozenten es sich handelt“ (ebd., S. 10). Die 100 spielt demnach eine entscheidende Rolle in diesem Themengebiet1 . Van de Walle et al. (2014a) vertreten in diesem Sinne die Auffassung, dass Prozent einfach ein anderer Name für Hundertstel, genauer ein standardisiertes Verhältnis mit dem Nenner 100 ist und damit lediglich eine neue Notation und Terminologie, kein neues Konzept im Vergleich zu den Brüchen, einhergeht. Diese Ansicht vertritt auch Krauter (2005): „Die Prozentrechnung ist eigentlich nichts anderes als ‘Bruchrechnung in dezimaler Form’ (genauer in ‘Hundertstelform’)“ (S. 2).
1 Diese
Übervereinfachung (Fokussierung auf die 100) wird jedoch auch kritisch gesehen, da eine solche Auffassung des Prozentbegriffes zum limitierten Verständnis bei Schülerinnen und Schülern führen kann (Long, 2015).
8
1
1.3
Die Prozentrechnung
Aufgabentypen beim Lösen von Prozentaufgaben
Die beschriebenen Grundbegriffe stellen zugleich das Gerüst für typische ProzentGrundaufgaben dar. Ein Aufgabentyp definiert sich als entsprechende operative Aufgabenstellung, bei denen eine fehlende Größe (Prozentwert, Grundwert oder Prozentsatz) zu ermitteln ist (Pöhler, 2018). Charakteristisch für jene Grundaufgaben ist, dass oftmals zwei dieser drei Begriffe numerisch gegeben sind, so dass der dritte fehlende Wert berechnet werden kann. Als Erweiterung dieser basalen Aufgaben fungieren Aufgaben zum erhöhten und verminderten Grundwert, die eine (prozentuale) Erhöhung (G plus P) oder Verminderung (G minus P) abbilden. Diese werden üblicherweise als G+ und G− gekennzeichnet (Meierhofer, 2000). Darüber hinaus existieren im Kontext der Prozentrechnung weitere Aufgabentypen, beispielsweise • • • •
das Zuordnen richtiger prozentualer Aussagen zu einem Diagramm, das Ablesen von Prozentangaben aus verschiedenen Diagrammen, das Einzeichnen von Prozentangaben in verschiedene Diagramme oder die Umwandlung von Prozenten in Bruch- oder Dezimalzahlen.
Bezogen auf die Grundaufgaben ergänzt Pöhler (2018, S. 22) in Anlehnung an das zuvor beschriebene Pluralitätsverständnis von Parker & Leinhardt (1995), dass sich diese „zumeist auf das Situationsmuster ‘Teil vom Ganzen’“ beziehen. Daraus generiert sie, unter Beachtung der Erkenntnisse von Berger (1989), Parker & Leinhardt (1995) und Sill (2010), eine Aufgabenübersicht zu den Grundaufgaben sowie ausgewählten erweiterten Aufgabentypen zu Prozenten (Tabelle 1.1). Ergänzend führt sie an, dass je „nach kontextueller Einbettung (…) aber auch eine Referenz auf ein Situationsmuster möglich [ist], das auf einer Grundvorstellung von Prozenten als Verhältnisse basiert“ (ebd., S. 22).
1.3 Aufgabentypen beim Lösen von Prozentaufgaben
9
Tabelle 1.1 Grundaufgabentypen (I–III) sowie ausgewählte erweiterte Aufgabentypen zu Prozenten (IV–XI) (Pöhler, 2018, S. 23)
10
1.4
1
Die Prozentrechnung
Überblick zu (typischen) Lösungsverfahren bei Prozentaufgaben
Aus mathematikdidaktischer Sicht sind insbesondere die Lösungswege von Schülerinnen und Schülern interessant, stellen sie doch die Basis der Aussagen über deren Fähigkeiten dar. Beim Bearbeiten von Prozentaufgaben nutzen Schülerinnen und Schüler bestimmte Verfahren. Der Begriff Lösungsverfahren bezieht sich hier auf die gewählte Methode, welche Lernende zielgerichtet beim Lösen einer Aufgabe anwenden. In Anlehnung an Kleine & Jordans Begriff der Lösungsstrategie2 , handelt es sich dabei um die „kognitive Dimension des mathematischen Lösungsprozesses (…), [die] sich in dem verschriftlichten Lösungsweg konkretisiert“ (2007, S. 210). Folglich wird ihnen eine große Beachtung zuteil. Hinsichtlich der Prozentrechnung und Proportionalität sprechen sie, bezugnehmend auf Kirsch (2002), von einer stoffdidaktischen Analogie der entsprechenden Lösungsverfahren (ebd.). Proportionalität wird als „strukturerhaltende Abbildung zwischen zwei Größenbereichen“ verstanden, was zu folgender Definition führt: Eine Abbildung f zwischen zwei Größenbereichen G1 und G2 heißt dann proportional, „wenn für jedes n ∈ N und jedes a ∈ G1 gilt: f (n × a) = n × f (a)" (ebd., S. 211). Daraus abzuleitende Eigenschaften sind • Vervielfachungseigenschaft: Wenn man die Ausgangsgröße ver-n-facht, dann ver-n-facht sich auch die zugeordnete Größe. • Additivität: Addiert man zwei Ausgangsgrößen, so addieren sich auch die entsprechenden zugeordneten Größen. • Proportionalität: Man erhält die zugeordnete Größe, indem man die Ausgangsgröße mit einem festen Faktor (Proportionalitätsfaktor) multipliziert. • Quotientengleichheit: Der Quotient aus zugeordneter Größe und zugehöriger Ausgangsgröße ist stets identisch. • Verhältnisgleichheit: Das Verhältnis der zugeordneten Größen ist gleich dem Verhältnis der zugehörigen Ausgangsgrößen (ebd., S. 211)3
2 Im
Originaltext heißt es: „Zu Beginn bzw. während des Verlaufs des Verschriftlichungsprozesses wird dann ein mehr oder weniger effektiver Plan entwickelt, der das Vorgehen leitet. Ein solches planerisches Vorgehen, welches sich in dem Lösungsweg manifestiert, bezeichnen wir im Folgenden als Lösungsstrategie.“ (Kleine & Jordan, 2007, S. 210). Diese Definition wird hier auf das gewählte Lösungsverfahren übertragen, da dieses maßgeblicher Bestandteil einer möglichen Lösungsstrategie ist. 3 Konkrete Beispiele bei Hafner, 2012, S. 33 ff. oder Vollrath, 1993, S. 222 f.
1.4 Überblick zu (typischen) Lösungsverfahren bei Prozentaufgaben
11
Die genannten Eigenschaften haben Einfluss auf die Lösungsverfahren, welche sich im Bereich der Proportionalität im Wesentlichen auf den Proportionalitätsschluss (auch: Schlusssatz oder Dreisatz) oder den Proportionalitätsfaktor (Operator) beziehen, wie folgende Beispielaufgabe von Kirsch (2002, zitiert nach Kleine & Jordan, 2007) verdeutlicht (Abbildung 1.2).
Abbildung 1.2 Lösungsstrategien Dreisatz und Operator für Beispielaufgabe (Kirsch, 2002, zitiert nach Kleine & Jordan, 2007, S. 212)
Diese Beispiele bilden die Basis für weitere Lösungsverfahren. Im Folgenden werden typische Lösungsverfahren erläutert und jeweils an einem Beispiel aufgezeigt (Abbildung 1.3). Die Beispiele zeigen verschiedene Wege auf, um eine Grundaufgabe der Prozentrechnung (hier: Prozentwert gesucht) zu lösen. Die Lösungen beziehen sich auf die gegebenen Größen G = 210 e und p % = 15. Die Lösungsverfahren sind zwar formell verschieden, jedoch eng miteinander verknüpft, da Teiloperationen partiell nur in unterschiedlicher Reihenfolge durchgeführt werden müssten (Hafner, 2012).
12
1
Die Prozentrechnung
Abbildung 1.3 Übersicht möglicher Lösungsverfahren für die Berechnung des Prozentwerts (Hafner, 2012, S. 38 ff.) (Weitere Beispiele sind bei Krauter (2005), S. 8 ff. zu finden.)
1.4 Überblick zu (typischen) Lösungsverfahren bei Prozentaufgaben
Abbildung 1.3 (Fortsetzung)
13
14
1
1.5
Die Prozentrechnung
Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
“If knowing percent means knowing how to solve problems, complete exercises, and perform conversions, then the literature provides ample evidence that students do not know percent.” (Parker & Leinhardt, 1995, S. 428 f.)
Die eingangs beschriebene Relevanz sowie die zahlreichen lösungsverfahrenstechnischen Zugänge beim Bearbeiten von Prozentaufgaben lassen vermuten, dass insbesondere dieser wichtige Themenbereich sowohl schulisch als auch wissenschaftlich intensiv bearbeitet und gefördert wird und damit konsequenterweise zufriedenstellende Leistungen von Schülerinnen und Schülern einhergehen. Entgegen dieser Vermutungen bestehen im Bereich der Prozentrechnung jedoch seit Jahrzehnten Missstände. Diese spiegeln sich hauptsächlich in mangelnden prozentrechnerischen Fertigkeiten, ergo unterdurchschnittlichen Lösungshäufigkeiten, unter anderem hervorgerufen durch Verständnisprobleme wider. Dieser Ausgangslage soll an dieser Stelle durch eine differenziertere Betrachtung einschlägiger empirischer Forschungsbefunde aus den letzten Jahrzehnten entsprochen werden. Neben den tatsächlich von Schülerinnen und Schülern angewandten Lösungsverfahren stehen Lösungshäufigkeiten und damit zusammenhängende typische Fehler im Fokus. Darüber hinaus werden Schwierigkeiten und Ursachen betrachtet, die weiteren Aufschluss über einen aktuellen Ist-Zustand geben. Das Kapitel schließt mit wichtigen didaktischen Implikationen, die auf den vorgestellten Studien basieren und gleichwohl die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit der Thematik unterstreichen. (Es ist zu erwähnen, dass die Literatur trotz der Relevanz des Themas nicht besonders vielfältig ausfällt und viele Befunde aus den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stammen.)
1.5.1
Empirische Befunde zu Lösungsverfahren
Die Vielzahl der im letzten Kapitel aufgezählten Lösungsverfahren wirft die Frage auf, welche Lösungsverfahren Schülerinnen und Schüler tatsächlich anwenden und welche dabei möglicherweise besonders erfolgversprechend sind. Dabei ergeben sich über verschiedene Studien hinweg deutliche Kongruenzen. So zeigt Meißner bereits 1982 auf der Basis von 500 Tests aus vier Haupt- und einer Realschule (nicht repräsentative Stichprobe) auf, dass eine klare Tendenz für die Lösungsverfahren Operator und Dreisatz besteht. Des Weiteren finden Verfahren über proportionale Zuordnungen und formale Verfahren (Prozentformel und
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
15
Verhältnisgleichungen) Anwendung. Am erfolgreichsten zeigte sich in mehrfacher Hinsicht das Dreisatzverfahren, so war es einerseits am häufigsten vertreten und verzeichnete andererseits den höchsten Prozentsatz an richtigen Ansätzen und Lösungen. Dieses Bild bestätigt Berger zu Beginn der 1990er Jahre. Auch hier war der Dreisatz das prävalente Verfahren, gefolgt von der Formel- und Operatoranwendung. Hinsichtlich des Lösungserfolges unterscheiden sich diese Strategien jedoch signifikant (p < .001) voneinander. Der Dreisatz schneidet auch in seinen Untersuchungen am besten ab (Lösungshäufigkeit: 68 %). Schulz (2017) arbeitet im Rahmen einer Zulassungsarbeit ähnliche Aussagen heraus. Die Durchführung von Expertinnen- und Experteninterviews4 (N = 6) expliziert dabei die Ansichten der befragten Lehrkräfte in ihrer Rolle als Funktionsträger_innen und Expert_innen für den Sachbereich. Demnach gelten Dreisatz und Prozentformel als die zentralen Lösungsverfahren, wobei der Dreisatz im komparativen Sinn eher als verständnisfördernd und alltagstauglicher angesehen wird. Die Formelnutzung hingegen sei abstrakt und evoziere oft unreflektiertes, unverstandenes Einsetzen. Sogar von einer Formel-Aversion sprechen die interviewten Lehrkräfte. Dennoch wird ihr Einsatz im Verlauf des Unterrichts forciert. Weitere Studienergebnisse liefert Hafner (2012). Dieser identifiziert vielfältige Lösungsverfahren, wobei Dreisatz- und Operatormethode am häufigsten Anwendung finden und zu den höchsten Lösungsquoten führen. Tabelle 1.2 bietet für drei exemplarische Grundaufgaben, aufgeteilt nach Schultyp, einen Überblick zu den prävalenten Lösungsverfahren und bestätigt die vorherigen Ausführungen. Der Schultyp ist bei der Rezeption der Tabelle nicht entscheidend, vielmehr geht es an dieser Stelle um die Lösungsverfahren selbst.
4 Die
Interviews wurden als halbstrukturierte Leitfadeninterviews (vgl. Döring & Bortz, 2016) vorgenommen.
16
1
Die Prozentrechnung
Tabelle 1.2 Lösungsstrategien von Grundaufgaben im Vergleich (Hafner, 2012, S. 177)
1.5.2
Empirische Befunde zu Lösungshäufigkeiten
“A problem is not necessarily ‘solved’ just because the correct response has been made. A problem is not truly solved unless the learner understands what he/she has done and knows why his/her actions were appropriate” (Brownell, W.A., 1942).
Ein entscheidender Aspekt, der maßgeblich die Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Themenkomplex motiviert hat, sind die offensichtlichen Defizite im Bereich der Prozentrechnung, ferner ihrer Lösungshäufigkeiten. Das brownellsche Zitat hebt dabei die wichtige Dimension hinter der richtigen Lösung hervor und betont, dass Lernende ihre Rechenschritte verstehen und überprüfen können müssen und es eben nicht ausreicht eine bloße Lösung zu generieren. Einen umfassenden Einblick über Erkenntnisse zu den Lösungshäufigkeiten der Prozentrechnung geben Parker & Leinhardt (1995) in ihrer Forschungszusammenschau, die bis in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht. „[S]tudents
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
17
have not performed well on problems and exercises involving percent in research studies or on national examinations“ (ebd., S. 423). Es zeigt sich in einer unmissverständlichen Deutlichkeit, dass die Performanz der Lernenden im Schulkontext nicht zufriedenstellend ist. Diese Essenz ist ebenso Hafners längsschnittlichen Untersuchung (N ≥ 2000, Klasse 5–10, PALMA-Studie5 ) zu entnehmen. Die Analyse der Leistungsentwicklung von Lernenden über die Sekundarstufe I hinweg führt zu einem differenzierten und komplexen Gesamtbild. Tabelle 1.3 schlüsselt die Lösungsraten beispielhaft für die drei untersuchten Schultypen auf und zeigt nachdrücklich, dass Lernende aller Schularten flächendeckend zwar relativ viele Aufgaben bearbeiten, dabei jedoch flächendeckend weniger als 50 % richtige Lösungen erzielen. Tabelle 1.3 Bearbeitungs- und Lösungsraten der Grundaufgaben im Vergleich (Hafner, 2012, S. 176)
Darüber hinaus nahmen (und nehmen) sich außerdem diverse large-scaleUntersuchungen diesem Forschungsgebiet, zumindest als Bestandteil ihrer Analysen an. Zwei Befunde sollen an dieser Stelle exemplarisch skizziert werden: So berichten beispielsweise sowohl der NAEP-Report 6 als auch die TIMSS-Studie7 5 PALMA,
ein Projekt zur Analyse der Leistungsentwicklung in Mathematik der LudwigMaximilians-Universität München, begann im Jahr 2001 und ist eine prospektivlängsschnittliche Erweiterung der OECD-Studien (PISA) an einer deutschen Schülerstichprobe mit dem Ziel die Entwicklung und Bedingungen von Leistungen im Fach Mathematik in der Sekundarstufe I zu analysieren (Vom Hofe, R., Pekrun, R., Kleine, M., & Götz, T., 2002). 6 “The National Assessment of Educational Progress (NAEP) is the largest nationally representative and continuing assessment of what America’s students know and can do in various subject areas.” (https://nces.ed.gov/nationsreportcard/about/) 7 „Die Trends in International Mathematics and Science Study (TIMSS) ist eine international-vergleichende Schulleistungsuntersuchung, die von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) verantwortet und alle vier
18
1
Die Prozentrechnung
seit vielen Jahren niedrige Lösungshäufigkeiten (Tabelle 1.4). Im internationalen Vergleich liegen die Lösungsraten bei TIMSS für das Item 8 (G-/P gesucht) bei 32 % und für das Item 7 (p % gesucht) bei 50 %.
Tabelle 1.4 Lösungshäufigkeiten bei TIMSS 2003 (Long, 2015, S. 153)
Ähnlich niedrige Lösungshäufigkeiten berichtet der NAEP-Report und zeigt bei den calculation items Lösungshäufigkeiten von zum Teil deutlich unter 50 % auf (Tabelle 1.5). Das bestätigen auch spätere Untersuchungen (NAEP, 2005), hier exemplarisch für die Grundaufgabe Prozentsatz gesucht: „The results (…) reveal that only 30 percent of the eight graders could accurately calculate the percent of the tip when given the cost of the meal and the amount of the tip left by the diners“ (Van de Walle et al., 2014a, S. 274).
Jahre durchgeführt wird. Im Fokus stehen mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Jahrgangsstufen, die unter Berücksichtigung zentraler Rahmenbedingungen schulischer Lernumgebungen betrachtet werden. Die Erhebung findet in Deutschland in allen 16 Bundesländern statt. Untersucht wird eine für Deutschland repräsentative Stichprobe von ca. 4000 Kindern der vierten Jahrgangsstufe an 200 Grund- und Förderschulen, die nach dem Zufallsprinzip bestimmt wurden.“ http://www.ifs.tu-dortmund.de/cms/de/Forschung/Gesamtliste-Laufende-Projekte/ TIMSS-2015.html (Abgerufen am 21.04.2016).
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
19
Tabelle 1.5 NAEP Items on percentage and their scores (Van den Heuvel-Panhuizen, 1994, S. 353)
Anmerkung. * Items und Angaben basieren auf Kouba, Brown, Carpenter, Lindquist, Silver & Swafford (1988). ** Items und Angaben basieren auf NAEP (1990).
Einen etwas höheren Lösungserfolg bei Prozentaufgaben stellt Berger in seiner breit angelegten Studie zum Prozentrechnen (N = 3150) Ende der 1980er Jahre vor. So konstatiert er, dass 72 % der Aufgaben über einen richtigen Ansatz verfügten und insgesamt 60 % vollständig richtig gelöst wurden. Lediglich bei Nicht-Grundaufgaben, wie der Suche nach dem verminderten Grundwert sanken die Lösungshäufigkeiten rapide (36 %). Die genannten Studien illustrieren
20
1
Die Prozentrechnung
den niedrigen Leistungsstand im Bereich der Prozentrechnung. Damit gehen entsprechende Fehler einher, die im Lösungsprozess auftreten. Diese werden im folgenden Kapitel beleuchtet.
1.5.3
Empirische Befunde zu Fehlerkategorien
Sander & Berger untersuchten 1985 im Rahmen zweier Erkundungsstudien zur Hypothesengenerierung die Leistungen von 293 Schülerinnen und Schülern der Klassen 7/8 aus Haupt- und Realschule sowie Gymnasien. Der eingesetzte Leistungstest fokussierte Sachaufgaben zur Prozentrechnung. In diesem quantitativen Design erfolgte die Analyse auftretender Fehlerstrategien in den Aufgabenlösungen. Dabei waren 4447 von insgesamt 14064, also etwa 32 % fehlerhaft. Die häufigsten Fehler resultieren aus mangelnden Vorkenntnissen (fehlende Begriffe und Regeln) und unvollständigen Aufgabenbearbeitungen. Eine qualitative Ergänzung mit Hilfe von Tonbandprotokollen (N = 40, Klasse 7, Hauptschule/Gymnasium) und der Methode des Lauten Denkens, basierte auf den Grundaufgaben der Prozentrechnung. Fehlerhafte Aufgabenteile fanden sich hier in hoher Zahl von 73 % (Hauptschüler) und 65 % (Gymnasiasten) wieder. Schon Meißner (1982)8 und Wagemann (1983), aber auch Van Galen & Van Eerde (2013) bestätigten mangelndes Verständnis- und Rechenfehler als Hauptfehlerquellen. Besonders interessant ist die Aussage, dass gerade schwächeren Lernenden die Einsicht in die Problemstruktur fehlt (Sander & Berger, S. 261). Ausgehend von einer weiteren Studie (Berger, 1991) ergab sich ein Fehlerkategoriensystem, aus welchem hervorging, dass die häufigsten Fehler Ansatzfehler sind (fast 25 %), also Fehler, die bereits im ersten Schritt des Lösungsprozesses auftreten. Besonders auffällig sind außerdem die hohe Nichtbearbeitungsquote bei unbekannten Aufgabentypen sowie Fehler bei mehrschrittigen Aufgaben. Meißners Studie (1982), bei der mehr als 60 % der 1655 Aufgaben nicht oder nicht ausreichend bearbeitet wurden, zeichnet ein ähnliches Bild. Maßgeblich dafür verantwortlich sind falsch zugeordnete Zahlen. „Die Identifizierung der Variablen bereitete am meisten Schwierigkeiten“ (Meißner, S. 19). Auch Hafner zufolge sind auftretende Fehler hauptsächlich auf falsche Zuordnungen zurückzuführen. Er differenziert dabei jedoch zwischen Zuordnungsfehlern bei Größen und mathematischen Operationen (Tabelle 1.6). 8 Wagemann
(1983) nahm zu diesen Ausführungen kritisch Stellung, verwies unter anderem auf die fehlende statistische Auswertung und die damit verbundenen, vorsichtig zu interpretierenden Essenzen.
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
21
Tabelle 1.6 Zusammenfassung der Zuordnungsfehler an drei Beispielaufgaben (Hafner, 2012, S. 128)
Weiterhin identifiziert er, wie auch Parker & Leinhardt (1995), Rechenfehler als größte Fehlerquellen. Zudem werden weitere Problemfelder wie eine sehr anfällige Prozentformel und ein fehlerhafter Umgang mit Größen und Größeneinheiten sowie Anpassungsstrategien (Stellenwertfehler) beschrieben. Auch bei Schulz (2017) werden Zuordnungsfehler als typische Fehler benannt. Diese entstehen beim Identifizieren der relevanten Daten für die korrekte Bearbeitung der Textaufgabe. Hauptgrund dafür ist abermals mangelndes Verständnis. Daneben sind häufig Rechenfehler anzutreffen, aber auch sprachliche Hürden, bedingt durch Komplexität und Grammatik der Textaufgabe sind in ihren Interviews klar benannt worden. Hafer (2012) erweitert seine Studie um einen qualitativen Teil in Form halbstandardisierter Interviews, um „aufschlussreiche Informationen über die Vorstellungen von Schülern zu bekommen“ (S. 131). Die daraus resultierenden Befunde bestätigen die zuvor quantitativ gewonnenen Erkenntnisse in ihrer Essenz. Es zeigt sich beispielsweise, dass Zuordnungsfehler bei Größen entstehen, da absolute Zahlenwerte als relative Angaben verwendet werden. Zudem entstehen Probleme im Identifizieren der Grundwerte bei mehrschrittigen Aufgaben. Darüber hinaus wenden Schülerinnen und Schüler unverstandene Regeln und Formeln an und neigen zu individuellen Anpassungsstrategien, wie dem eigenmächtigen Ändern von Stellen- oder ihnen unbequemen Zahlenwerten. Die folgende Übersicht (Tabelle 1.7) fasst die hier berichteten Fehlerkategorien zusammen. Diese werden im qualitativen Teil der Arbeit (Kapitel 6), im Kontext des Generierens einer eigenen Fehlertaxonomie nochmal ausführlich behandelt.
22
1
Die Prozentrechnung
Tabelle 1.7 Übersicht möglicher Fehlerkategorien beim Bearbeiten von Prozentaufgaben. (Eigene Darstellung) Kategorie
Aspekte
Autor_innen, Jahr
Verständnis
Mangelnde Vorkenntnisse
Sander & Berger, 1985
Einsicht in die Problemstruktur
Wagemann, 1983
Mangelndes Verständnis
Hafner, 2012; Wagemann, 1983
Nichtbearbeitungen Unvollständige Aufgabenbearbeitungen
Sander & Berger, 1985
hohe Nichtbearbeitungsquote bei Berger, 1991 „unbekannten“ Aufgabentypen Ansatzfehler
Berger, 1991
Zuordnungsfehler
Falsche Zuordnungen
Hafner, 2012; Meißner,1982; Willms & Ufer, 2017
Rechenfehler
z. B. Fehler bei den Grundrechenarten
Hafner, 2012; Meißner, 1982; Parker & Leinhardt, 1995; Pöhler, 2018; Wagemann, 1983
Sonstige Fehler
z. B. das Ignorieren des Prozentzeichens oder Fehler bei mehrschrittigen Aufgaben
Berger, 1991; Hafner, 2012; Parker & Leinhardt, 1995; Pöhler, 2018
1.5.4
Empirische Befunde zu Schwierigkeiten und Ursachen
Nach der Beschreibung empirisch gesicherter Fehlerkategorien steht an dieser Stelle folglich die Frage nach möglichen Ursachen im Vordergrund. Parker & Leinhardt (1995) nehmen zur Aufklärung dieser Fehler auf die multiplen Bedeutungen des Prozentbegriffs Bezug. Sie identifizieren, ebenso wie Lembke & Reys (1994) und Hawera & Taylor (2011), diese (Bedeutungs-) Dimensionen als Ursache für auftretende Schwierigkeiten und schlussfolgern: “Percent is an alternative language used to describe proportional relationships – a language that is unique, concise and provides a privileged notation system“ (Parker & Leinhardt, S. 444; auch Long, 2015). Lernende müssen zunächst verstehen, dass das Prozentrechnen in Zusammenhang zum vorliegenden (Aufgaben-) Kontext betrachtet werden muss (White & Mitchelmore, 2005). Viel zu oft erfolgt ein kontextfreies DaraufLosrechnen. Überdies kann die spezielle und zusätzlich knappe Notationsform für Lernende problematisch werden, wenn nicht alle relevanten Eigenheiten einer Aufgabe identifiziert wurden (Hawera & Taylor, 2011). Schülerinnen und Schüler hadern demnach häufig mit dem Prozentrechnen (Fujimura, 2001), was es in der Summe zu einem besonders problematischen Thema der Schulmathematik macht
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
23
(Jitendra & Star, 2012; Reinup, 2010). Mit der Prozentrechnung korrelierende Ängste und Unsicherheiten stellt Wiese (2013) auch noch bei Erwachsenen fest, was möglicherweise abermals auf die verschiedenen (berufsspezifischen) Verwendungen von Prozentangaben zurückzuführen ist (Kaiser, 2011: für eine Übersicht siehe S. 39; auch Eisenberg, 1976; Parker, 1994). Hafner (2009) bezeichnet diese Zustände gar als besorgniserregend, da viele Schülerinnen und Schüler am Ende der Schulzeit erhebliche Leistungsdefizite aufweisen. Und das, obwohl die Wurzeln der Prozentrechnung bereits in vielen alltäglichen so-many-out-ofso-many-Situationen liegen, weit bevor der Prozentbegriff als solcher überhaupt verwendet wurde (Van den Heuvel-Panhuizen, 1994). Malle, Ramharter, Ulovec & Kandl (2004, S. 73) zufolge, sind die speziellen Vokabeln ohnehin nicht nötig, da sie nur „verwirren und (…) Fehler [erzeugen].“ Wie bereits erwähnt, sind solche Befunde in ihrer Aussage nicht neu. Bereits 1988 konstatieren Kouba et al. Schwierigkeiten beim Verstehen basaler Konzepte, was sich folglich auf die Performanz bei Prozentaufgaben niederschlägt. Zwar können Lernende Routinen für das Lösen entwickeln, das Verständnis zugrundeliegender Konzepte geht damit jedoch nicht einher. So entstehen in der Konsequenz wachsende Defizite bei der Interpretation von Prozentangaben (Sill, 2010). Ähnlich schlussfolgern Parker & Leinhardt (1995, S. 428) in ihrer Zusammenschau verschiedener Forschungsanstrengungen zurückliegender Dekaden: Werden Schülerinnen und Schüler mit Prozentaufgaben konfrontiert, zeigen sie auf Grund des mangelnden Verständnisses und dem Anwenden unverstandener Algorithmen unzureichende Leistungen, in einigen Fällen sogar vollkommene Konfusion. „[There is] a tendency of students to abandon their more natural sense-making strategies and to sometimes compute ridiculous answers indicates more than a misunderstanding of the percent sign“ (ebd.). Scherer (1996a,b) berichtet darüber hinaus aus ihren Ergebnissen eines Tests zum Prozentrechnen I/II und konstatiert Ursachen in Lesefehlern oder Konzentrationsmängeln. In Einzelfällen traten Probleme auch durch sprachliche Schwierigkeiten auf. Das Sample setzte sich aus Lehramtsstudentinnen (N = 12) der Sekundarstufe I und Siebtklässlern (Gesamt- und Realschule, N = 80) zusammen. Treffenderweise resümieren Jitendra & Star (2012, S. 157): „Percent problem solving can be characterized as a complex cognitive skill that would require considerably more time to achieve an adequate level of competence.“ Es wird deutlich, dass verschiedene Faktoren die Leistungen der Lernenden beeinflussen. Es sollen daher einige dieser Faktoren in den Fokus rücken, die zur Beantwortung der Frage nach dem Warum im ursächlichen Sinne von hoher Bedeutung sind. Solche Faktoren sind vor allem in den Grundvorstellungen, aber
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1
Die Prozentrechnung
auch im Bereich Sprache ansässig, wie Scherer andeutete. Diese werden folgend näher beschrieben, um einen konzentrierten Einblick zu gewinnen und zur weiteren Aufklärung der Missstände im Bereich der Prozentrechnung beizutragen.
1.5.4.1 Grundvorstellungen in der Prozentrechnung Ein Hauptgrund für die sich immer wieder bestätigenden (und ernüchternden) Befunde der Leistungswerte von Schülerinnen und Schülern sind laut Malle (2004) fehlende Grundvorstellungen. Um die Übergänge zwischen realer Welt und Mathematik erfolgreich zu gestalten, sind Grundvorstellungen zu mathematischen Inhalten und Verfahren notwendig. Eine theoretische Einordnung nimmt Vom Hofe (1995) in seinem Grundvorstellungskonzept vor. Demnach müssen Schülerinnen und Schüler Grundvorstellungen generieren, was den Aufbau adäquater und robuster mentaler Objekte beinhaltet. Grundvorstellungen sind „fundamentale mathematische Begriffe oder Verfahren und deren Deutungsmöglichkeiten in realen Situationen“ und beschreiben „damit Beziehungen zwischen mathematischen Strukturen, individuell-psychologischen Prozessen und realen Sachzusammenhängen oder kurz: Beziehungen zwischen Mathematik, Individuum und Realität“ (ebd., S. 347). Drei Dimensionen, die gleichwohl als elementare didaktische Überlegungen verstanden werden können, kennzeichnen diese Beziehungen: 1. Die Sinnkonstituierung eines Begriffs durch Anknüpfung an bekannte Sachoder Handlungszusammenhänge (…), 2. [den] Aufbau entsprechender [mentaler] Repräsentationen (…), die operatives Handeln auf der Vorstellungsebene (…) ermöglichen [und] 3. [die] Fähigkeit zur Anwendung eines Begriffs (…) durch Erkennen der entsprechenden Struktur in Sachzusammenhängen oder durch Modellieren des Sachproblems mit Hilfe der mathematischen Struktur. (Vom Hofe, 1995, S.347) Weiterhin wird zwischen primären und sekundären Grundvorstellungen unterschieden, also jenen, die sich entweder ganz natürlich durch konkrete Handlungen, zumeist im Vorschulalter ausbilden und jenen, die im Schulkontext etwa durch mathematische Darstellungen entstehen (Hafner, 2012). Für die Prozentrechnung stellen Blum & vom Hofe drei unterschiedliche Grundvorstellungen heraus: a. Von-Hundert-Vorstellung: Eine Menge G bestehe aus lauter Teilen zu je 100 Einheiten. Unter p % von G versteht man von jedem 100er-Paket p Einheiten.
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
25
b. Hundertstel-Vorstellung: p % wird als Bruch bzw. Bruchoperator aufgefasst. c. Bedarfseinheiten-Vorstellung: Einer Grundmenge wird der Prozentsatz 100 % zugeordnet. Die Grundmenge wird damit in 100 gleich große Teile zerlegt (ebd., 2003, zitiert nach Hafner, 2009, S. 570 f.). Malle et al. (2004, S. 73) zufolge benötigen Lernende lediglich zwei Grundvorstellungen (a und b bei Blum & Vom Hofe) zum Lösen aller im Schulbuch üblichen Prozentaufgaben, da diesen dieselbe Beziehung der Form „x % von y sind z“ zugrunde liegt (Abbildung 1.4).
Abbildung 1.4 Grundvorstellungen zum Prozentrechnen nach Malle et al. (2004, S. 73)
Die Relevanz von Grundvorstellungen als Bedeutungsträgern und unverzichtbaren Bestandteilen bei den genannten Übersetzungsprozessen zwischen Realität und Mathematik wird dadurch deutlich, dass mangelnde Grund- oder Fehlvorstellungen häufig Ursache für Fehler sind. So kann es beispielsweise passieren, dass Schülerinnen und Schüler versuchen, nicht adäquat aufgebaute Vorstellungen durch eine zunehmende Orientierung an (unverstandenen) Regeln und Verfahren zu kompensieren (Wartha, 2007) und daraufhin systematische Fehlstrategien ausbilden (Fischbein, Tirosh, Stavy & Oster, 1990, zitiert nach Hafner, 2012), was nicht nur negativen Einfluss auf den Lösungsprozess, sondern auch auf den Lernfortschritt selbst hat (Mandl, Gruber & Renkl, 1993, zitiert nach Hafner, 2012). „[Students] are not connecting understanding with the procedure“ (Van de Walle et al., 2014a, S. 276). In Anlehnung an Wittmanns Ausführungen zur Bruchrechnung (2006) darf sich auch die Behandlung der Prozentrechnung nicht auf automatisierte Verfahren beschränken, vielmehr muss ein flexibles Verständnis hergestellt werden. Darauf verweist auch Van den Heuvel-Panhuizen: „Many of these problems indicate that education is primarily focused on procedures and recall instead of getting a real understanding of percentage“ (1994, S. 350). Sie greift damit den Grundgedanken der Realistic Mathematics Education, kurz RME, zurückgehend auf Freudenthal auf, der die Natürlichkeit mathematischer Prozesse als human activity in den Mittelpunkt seiner Anschauung rückte (ebd.). Und auch Van der Walle et al. (2014a) sehen den Grund für schlechte Leistungen im fehlerhaften Aufbau eines adäquaten Prozentkonzeptes. Entsprechende
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1
Die Prozentrechnung
Forderungen nach dem „Aufbau tragfähiger und vielfältiger Grundvorstellungen, beispielsweise durch geeignete Mustersituationen und Darstellungen als Basis inhaltlichen Denkens“ (Prediger, 2009, S. 230) sind somit verständlich, angebracht und zwingend notwendig. Die Bedeutung eines adäquaten Grundvorstellungsaufbaus zeigt sich überdies in den damit verbundenen Funktionen der Grundvorstellungen. So agieren diese zum einen normativ, als unterrichtliche Grundlage, zum anderen deskriptiv (-vergleichend), indem sie Aussagen über individuelle Schülervorstellungen ermöglichen (Wittmann, 2006). Hafner & Vom Hofe (2008) ergänzen einen dritten konstruktiven Aspekt, der in Verbindung der beiden zuvor genannten Ebenen entsteht und durch den Vergleich normativ-deskriptiv konstruktive Ansätze zur Behebung von Verständnisschwierigkeiten bereitstellt. Die Relevanz adäquater Grundvorstellungen (GVs) zeigt sich in den entsprechenden Übersetzungsprozessen: (…) translating between the real world and mathematics is a main mathematical activity, for example finding mathematical concepts or procedures which represent a given real life context on the mathematical level or interpreting what a mathematical solution means for the real world situation. Therefore GVs are needed which carry the meaning of mathematical notions and procedures and so enable the student to move mentally between mathematics and reality (Vom Hofe, Kleine, Blum & Pekrun, 2006, S. 145 f.).
Der Aufbau vielfältiger Grundvorstellungen sollte also in jedem mathematischen Themengebiet Berücksichtigung finden (Prediger, 2009). Weiterhin sollten, das konnte in zahlreichen quantitative und qualitativen Untersuchungen gezeigt werden, zur Aufgabe passende Grundvorstellungen aktiviert werden (Prediger, 2010a,b).
1.5.4.2 Multiple Bedeutungen oder die eigene „Sprache“ der Prozentrechnung Die Prozentrechnung selbst weist, wie unter Punkt 1.2 schon angedeutet wurde, eine eigene Sprache auf. Schwierigkeiten können sich beim Interpretieren dieser Sprache zeigen, was, in Anlehnung an Kinney (1958) zu drei kritischen Betrachtungen führt: 1) A number is both an additive component of another larger number and a fractional proportion of another number, for example, 10 is both an additive component of 30, (10 + 20 = 30), and a multiplicative component, 10 is a 1/3 of 30.
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
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2) A number is both an additive holder of other smaller numbers and a scalar multiple of other numbers, for example 15 is both the additive holder of 10 + 5, and a scalar multiple of 10; 3/2 × 10 or 1 1/2 × 10, or 1.5 × 10, are all equal to 15. 3) A number differs from another number both additively (15 is 5 more than 10, and 10 is 5 less than 15) and proportionally (15 is ½ [of 10] more than 10 and 10 is a 1/3 [of 15] less than 15) (Parker & Leinhardt, 1995, S. 447 f.). Schülerinnen und Schüler müssen diese multiplen Dimensionen verstehen, um erfolgreich operieren zu können. Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft verschiedene Dimensionen der Unterschiede Bruch oder Verhältnis zu Prozent auf (Tabelle 1.8). Tabelle 1.8 Von allgemeiner Sprache („common language“) zur Prozentsprache (Long, 2015, S. 115, in Anlehnung an Parker & Leinhardt, 1995)
Meißner (1982) unterscheidet darüber hinaus zwischen grundsätzlich verschiedenen Anteils- und Zuordnungs-Situationen, die jeweils durch den Grad der Allgemeinheit und die Art der Gesetzmäßigkeit determiniert sind. So wird im Fall der Inklusion von einer konkreten Menge ausgegangen, während im Operatorfall abstrakte Größen vorliegen. Die daraus entstehenden (drei) Gruppen und die Verwendung des Wortbausteins von als Anteil führt dazu, dass inhaltlich unterschiedliche Aussagen getroffen werden (müssen), was bei Lernenden zu Schwierigkeiten führen kann (multiple Dimensionen). Er konstruiert einen Problemkreis der Prozentrechnung, der in der Abbildung 1.5 dargestellt ist. Auch Scherer (1996a,b) führt diesen relativen Charakter der Prozentrechnung als einen Grund für auftretende Schwierigkeiten an.
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Die Prozentrechnung
Abbildung 1.5 Der Problemkreis der Prozentrechnung (Meißner, 1982, S. 2)
1.5.4.3 Schriftsprache Neben der prozenteigenen Sprache ist auch die Schriftsprache ein Faktor in dem zu beleuchtenden Ursachenkonstrukt, insbesondere bei Aufgaben im Textformat. Auch wenn der Fokus der vorliegenden Studien nicht im sprachlichen Bereich zu verorten ist, so spielt dieser eine wichtige Rolle und soll daher Erwähnung finden. Textbausteine gehören zu den schwierigkeitsgenerierenden Merkmalen und haben einen großen Einfluss auf die erfolgreiche Bearbeitung von Aufgaben.9 Mathematisches Lernen, also auch das Bearbeiten und Lösen von originär sprachintensiven (Text-) Aufgaben, bedingt sprachliches Lernen. Sprachliche Hürden sind auf der Wortebene (wie Fachwörter, Nominalisierungen, Komposita, trennbare Verben, Präpositionen, Partikel, Adverben), der Satzebene (Nebensatzkonstruktionen, Passivkonstruktionen, Imperativformen) und auf der Textebene 9 Einen
beispielhaften Überblick bieten Gürsoy, Benholz, Renk, Prediger & Büchter, 2013 sowie Prediger, Wilhelm, Büchter, Gürsoy & Benholz, 2015, die sprachliche bedingte Hürden am Beispiel von Prüfungsaufgaben untersuchten.
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
29
(Pronomen, Adverbien, Synonyme) zu verorten und stellen eine große Herausforderung dar, was den Prozess des Mathematisierens negativ beeinflussen kann (Weis, 2013). Präpositionen gelten beispielsweise als “the small words often ignored by readers but which have significant value in mathematics” (Jorgensen, 2011, S. 324). Auch Niederhaus et al. (2015) formulieren die Relevanz der Sprachmittel, mit denen mathematische Relationen ausgedrückt werden. An einem konkreten Beispiel soll dieses aufgezeigt werden. So unterscheiden sich die zwei in Abbildung 1.6 dargestellten Textaufgaben lediglich in den Formulierungen reduzieren auf und reduzieren um. Die mathematische Relation ist aber jeweils eine andere. Die abweichenden Präpositionen werden durch den Lernenden augenscheinlich übergangen, so dass zwei identische Lösungswege auftreten (Niederhaus et al., 2015).
Abbildung 1.6 Relevanz von Sprachmitteln, hier am Beispiel Präpositionen (Niederhaus et al., 2015, S. 6)
Verstärkt werden die existenten Hürden durch die multidimensionalen Anwendungsebenen von Sprache (Unterrichtssprache, Bildungssprache, Symbolsprache, Fachsprache und Textsorten). Einen besonderen Stellenwert im Segment Textsorten nehmen dabei Text- und Sachaufgaben ein, die in der Regel eine hohe sprachliche Verdichtung aufweisen. Die beschriebenen (Sach-) Situationen müssen demnach zunächst identifiziert und analysiert, sowie relational decodiert werden (Weis, 2013). Insgesamt verhindern Sprachdefizite das inhaltliche Lernen (Lorenz, 2003). Dass also die Mathematikleistungen in hohem Maße durch die Sprachkompetenz beeinflusst werden, ist offensichtlich und wird bereits seit vielen Jahrzehnten international diskutiert. „Mathematisches Lernen im Sinne des Aufbaus mathematischer Konzepte ist somit ohne Sprache undenkbar“ (Weis, 2013, S. 3). Exemplarisch auf die Prozentrechnung bezogen, reduziert sich der Fachwortschatz (Grundwert, Prozentwert, Prozentsatz) nicht nur auf die formalbezogene Mathematik.
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Die Prozentrechnung
Für einen verständigen Umgang mit diesen Fachbegriffen und für die Bearbeitung von Textaufgaben sind jedoch auch die Bereiche der Fachsprache bzw. alltäglichen Wissenschaftssprache (…) notwendig, die die Bedeutungen vermitteln, entweder als kontextbezogene oder – zwischen beiden Ebenen vermittelnd, aber kontextunabhängige – bedeutungsbezogene Sprachmittel (Niederhaus et al., 2015, S. 10).10
Prämisse ist in jedem Fall aber das inhaltliche Verständnis der Begrifflichkeiten durch die Lernenden. Solange dies nicht gegeben ist, kann auf Fachbegriffe verzichtet werden (Berger, 1991; Römer, 2008). Zwar sei das Beherrschen der essentiellen Begrifflichkeiten wünschenswert, jedoch kein Wert an sich (Berger, 1991). Wie zu erkennen ist, beziehen sich sprachliche Schwierigkeiten primär auf das Format der Textaufgaben, auch wenn sie partiell auf entkleidete Aufgaben übertragbar sind.
1.5.4.4 Ein kritischer Blick auf Lösungsverfahren: „Ist weniger mehr?“ Der Aspekt Lösungsverfahren wurde in Abschnitt 1.5.1 bereits beleuchtet. Dabei wurden aus theoretischer und praktischer Perspektive Lösungsverfahren und schülerseitige Anwendungspräferenzen erläutert. An dieser Stelle soll dieser Aspekt abermals kurz aufgegriffen und seine möglicherweise den Lösungserfolg beeinflussende Rolle kritisch reflektiert werden. So fällt vor allem die Vielzahl entsprechender Lösungsverfahren auf. Berger bestätigt (1991, S. 34), dass in „kaum einem anderen Gebiet der Schulmathematik (…) so viele unterschiedliche Lösungsverfahren zur Verfügung [stehen] wie beim Prozentrechnen.“ Extrem viele Lösungsverfahren berichtet auch Sill (2010, S. 2): Bei einer selbst durchgeführten Analyse von 10 Schullehrbüchern für die Jahrgangsstufe 7 (6 Gymnasialbücher und 4 Realschulbücher) habe ich 14 unterschiedliche Darstellungen zum Lösen von Aufgaben zur Berechnung von Prozentwerten, 20 zur Berechnung von Prozentsätzen und 13 zur Berechnung von Grundwerten gefunden.
Dies schlägt sich konsequenterweise auch auf Schülerinnen- und Schülerebene nieder. Sill beruft sich in diesem Rahmen zunächst auf Erkenntnisse von Seeger (1990), der zwölf unterschiedliche Strategien ermittelte, die Schülerinnen 10 Werden genannte Sachverhalte konkret im Unterrichtskontext beäugt, so sind Befunde interessant, die eine hohe Varianz „zwischen Schulbüchern und eine Diskrepanz zwischen Lerngelegenheiten in Schulbüchern und Anforderungen in Prüfungen“ feststellen. Dieser Aspekt ist insofern interessant, als das zu vermuten ist, dass Schulbücher „nicht adäquat auf die sprachlichen Prüfungsanforderungen vorbereiten“, was in der Konsequenz dazu führen kann, dass Lernenden gewisse sprachliche Formulierungen erstmalig in der Prüfungssituation begegnen (Niederhaus et al., 2015, o. S.).
1.5 Ausgewählte empirische Studien zur Prozentrechnung
31
und Schüler in einer empirischen Untersuchung anwendeten. Darüber hinaus verweist er abermals auf seine eigene Untersuchung an einer Berufsschule, in der beim Lösen von vier Prozentaufgaben jeweils 12 bis 15 verschiedene Methoden zu finden waren (Sill, 2010). Diese Vielzahl an Lösungsverfahren kann einen problematischen Aspekt darstellen, wobei es weniger die Anzahl per se, sondern vielmehr ein nicht angemessener Umgang mit ihr ist. In der Literatur ergibt sich dahingehend aber ein durchaus widersprüchliches Bild: So analysiert Berger in seiner Untersuchung auf Klassenebene, dass mehrheitlich einheitliche Lösungsverfahren verwendet wurden, „was sich hinsichtlich des Lösungserfolges allerdings weder als Vor- noch als Nachteil herausstellte“ (1991, S. 36). Auf Schülerebene hingegen, gibt es Vorteile für diejenigen, die konsequent dasselbe Lösungsverfahren genutzt haben. Das trifft in etwa auf 80 % aller Schülerinnen und Schüler zu. „Sie erzielten eine zwar nur geringfügig, aber statistisch signifikant höhere Lösungsquote (…) als die Schüler, die zwischen mehreren Lösungsverfahren hin und her pendelten“ (ebd.). So resümiert Berger, dass eine Lehrkraft auf Klassenebene, ohne Nachteile in der Klassenleistung befürchten zu müssen, diverse Lösungsverfahren unterrichten kann. Für einzelne Schülerinnen und Schüler scheint aber die Fokussierung auf ein Lösungsverfahren vorteilhaft. Dies steht in Widerspruch zu Erkenntnissen von Appell, nach denen sich ein striktes Notationsschema, „welches mit dem Lernen des Proportionalitätsschlusses oftmals verwendet wird (…) negativ auf die Flexibilität innerhalb der Strategiewahl auswirken kann“ (2004, S. 221). Demnach scheinen starre und unverstandene Schemata die erfolgreiche Anwendung im unteren Leistungsbereich zu verhindern (ebd.). Auf solche rezeptartigen Abläufe referenziert auch Krauter, der in zugegeben plakativer Form äußert, dass „Formeln und Rezepte (…) oft der sicherste Weg [sind], das Nachdenken über einen Sachverhalt wirksam zu verhindern“ (2005, S. 21). Und schon Lietzmann formulierte 1916, dass es „weit wichtiger [ist], daß [sic] der Schüler überlegend zum Ziel kommt, als daß [sic] er mechanisch nach eingeübten Regeln operiert“ (Lietzmann, 1916, S. 60, zitiert nach Hafner, 2012, S. 37). Der eigenen Erfahrung nach ist das allerdings noch häufig Realität. So ist der Dreisatz bei der Er- und Bearbeitung des Prozentrechnens das einschlägig verwendete Lösungsverfahren in der Sekundarstufe I und bleibt es oft auch bis in die oberen Klassenstufen. Die getätigten Ausführungen lassen Unterschiede erkennen, die vor allem das Beherrschen verschiedener Lösungswege betreffen. Einigkeit hingegen besteht darin, dass dem Verstehen ein besonderer Wert zukommt. Im nächsten Kapitel werden zahlreiche didaktische Empfehlungen expliziert, nicht zuletzt, um Ableitungen für die spätere methodische Umsetzung des Prozentstreifens im Unterricht zu generieren.
32
1.6
1
Die Prozentrechnung
Didaktische Implikationen
Es wurde deutlich, dass eine dogmatische Anwendung der Lösungsverfahren weder zeitgemäß noch pädagogisch sinnvoll erscheint (Vollrath, 1993). Das unterstreichen aktuelle didaktische Forderungen nach der Beherrschung einer gewissen Methodenvielfalt als zentralem Aspekt der Fachdidaktiken (Leisen, 2005). Es gilt die Maxime: „Inhaltliches Denken vor Kalkül“ (Prediger, 2009, S. 213). An elementaralgebraischen Beispielen zeigt Prediger auf, dass die langfristige Bearbeitung von Kalkülschwierigkeiten mit einer inhaltlichen Interpretation des Lerngegenstandes einhergehen muss. „Wer nur die Regeln des Kalküls kennt, hat keine vorstellungsbasierte Kontrollmöglichkeit“ (ebd., S. 226). Somit müssen zunächst die Zusammenhänge zwischen inhaltlichem Denken und Kalkül aufgebaut werden. Historisch betrachtet scheint es dennoch so, als dass bestimmte Lösungsverfahren gewissermaßen eher en vogue waren als andere. In diesem Zusammenhang beschreibt zum Beispiel Grässle (1989) die Modernität des Operatorkonzepts in den 1970er und 80er-Jahren, zu einer Zeit als der Dreisatz „altmodisch geworden [war]“ (S. 23). Er kritisiert den Umgang mit Operatoren und wirft vor, dass diese nur limitiert eingesetzt worden sind und somit „weg von den eigentlichen Sachverhalten“ gearbeitet wurde (ebd., S. 24). Das skizzierte Gesamtbild wird durch eine Reihe von Beiträgen aus der Aktionsforschung (Appell, 2004; Baireuther, 1983; Friedl, 2008; Grässle, 1989; Kaiser, 2011; Meierhöfer, 2000; Römer, 2008; Wiese, 2013; Wildt, 2013) um eine sehr praxisnahe Komponente ergänzt, generieren diese doch wertvolle Erkenntnisse aus der konkret-unterrichtlichen Behandlung der Prozentrechnung. In der Untersuchung von Appell (2004) zeigte sich der Dreisatz unter den gewählten Lösungsverfahren als sehr beliebt, jedoch blieb seine Anwendung ohne Berücksichtigung von Vereinfachungsmöglichkeiten immer gleich. Lernende bevorzugen demnach relativ starre Schemata, die sie zum einen einst selbst so gelernt haben und die zum anderen so auch in Schulbüchern zu finden sind, was wiederum für die Tragweite des thematischen Erstkontakts und die Wichtigkeit einer adäquaten Einführung spricht. Insbesondere da die Prozentrechnung vielfältige Lösungsstrategien erlaubt. Weiterhin übt Appell Kritik an der Verwendung der Formel (mangelnde Alltagstauglichkeit) und dem Dreisatzverfahren (starres Notationsschema). Typische Fehler sind nach Appell auf fehlende inhaltliche Vorstellungen zu Prozentangaben zurückzuführen. So empfiehlt sie grafische Beispiele zur konkreten Vorstellungsschulung. Diese Forderung stellt in ähnlicher Form bereits Baireuter (1983) und schlägt zur Bearbeitung von Prozentaufgaben visuelle Hilfen, beispielsweise Streifendiagramme, deren Maße je nach Aufgabenstellung angepasst werden können, zur Veranschaulichung vor (auch Van de Walle et al.,
1.6 Didaktische Implikationen
33
2014a). Ein Aspekt, der ebenso auf die Verwendung des Prozentstreifens zutrifft, nicht zuletzt da sich mit seiner Hilfe gut überschlagen lässt. Wiese (2013) beispielsweise setzt diese Forderung mit Hilfe der Prozentleiter um, welche unter anderem das Verständnis für Rechenschritte erleichtern soll (Abbildung 1.7). Dieser Grundgedanke ist bereits bei Dewar (1984) zu finden, die dafür eine so genannte Vergleichsskala verwendet (Abbildung 1.8).11
Abbildung 1.7 Über eine Leiter zu den Prozenten – Beispielaufgabe (Wiese, 2013, S. 32)
11 Eine
ähnliche Darstellung double-line (strip) comparison, allerdings mit dem Fokus Teil eines Ganzen ist bei Van der Walle, Bay-Williams, Karp & Lovin, 2014b zu finden.
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1
Die Prozentrechnung
Abbildung 1.8 Vergleichsskala zur Darstellung von Prozentaufgaben (Dewar, 1984, S. 48)
Schulz (2017) leitet aus ihren geführten Interviews ab, dass Grundvorstellungen aufgebaut, geschult und somit nachhaltig nutzbar werden müssen. Es gilt ein Situationsverständnis zu schaffen, welches dazu befähigt, die Textaufgabe sowie geforderte Rechenschritte nachzuvollziehen. In diesem Kontext werden Darstellungswechsel und -vielfalt als Optionen zur Verbesserung aufgezählt. Demnach sollen mehrere Lösungswege, auch im Sinne Bruners E-I-S-Prinzips (1971), angeboten werden. Das Nutzen verschiedener Visualisierungen (Skizzen, Zeichnungen) gilt dabei als besonders erfolgversprechend. Friedl (2008) resümiert, dass Schülerinnen und Schüler den Prozentbegriff nicht verstehen, da die Einführung des Prozentbegriffes und der Grundaufgaben zu abstrakt erfolgen. Daraus folgen beispielsweise Probleme beim Verstehen der einschlägigen Begrifflichkeiten wie Grund- oder Prozentwert. Er spricht sich daher ebenfalls für eine handlungsorientierte, anschaulich ausgerichtete Hinführung zum Prozentbegriff als wichtige Verstehensvoraussetzung aus. Ein immenser Mehrwert entsteht demnach aus der Kenntnis über verschiedene Lösungswege, welche die Flexibilität im Umgang mit mathematischen Problemen langfristig sichert (Römer, 2008). „Denn nur wenn die Darstellungsarten (…) den Lernenden einleuchten und zwischen ihnen ohne Probleme hin- und hergewechselt werden kann, werden sie in die Lage versetzt, sich selbst Möglichkeiten zu suchen, Prozentrechnung zu betreiben“ (ebd., S. 38). Grässle (1989) erweitert dieses Bild, indem er unabhängig vom Anwenden bestimmter Lösungsverfahren bestimmte Hilfsmittel empfiehlt, die seiner Auffassung nach einen immanenten Mehrwert besitzen. Als überaus erstrebenswert stellt er dabei die Nutzung einer Doppelskala (Abbildungen 1.9 & 1.10) und die Wichtigkeit eines vernünftigen Überschlags heraus. Die Doppelskala führe unter
1.6 Didaktische Implikationen
35
anderem zur gelungenen Veranschaulichung des Sachverhaltes, insbesondere bei Aufgaben in Textform und weist weitere vorteilhafte Argumente im Vergleich zu anderen Darstellungsformen und Lösungsverfahren auf.
Abbildung 1.9 Übersicht der Vorteile Doppelskala (Doppelleistendarstellung) (Grässle, 1989, S. 26)
Abbildung 1.10 Veranschaulichung der drei Grundaufgaben durch die Doppelskala (Grässle, 1989, S. 25)
36
1
Die Prozentrechnung
Der erwähnte Überschlag findet durch eine für die Lernenden deutlich werdende Aufgabenstruktur besondere Bedeutung. Zudem zeigen sich weitere vorteilhafte Aspekte für den Bereich der Zahl- und Größenvorstellung sowie einer klaren Unterstützungsfunktion für die Analyse der Textaufgaben zugrundliegenden Sachverhalte und Beziehungen (ebd. S. 25). Grässle resümiert: „Überschlägiges Rechnen fordert und fördert Rechengewandtheit und Zahlengefühl“ (ebd.). Dabei kommt es in erster Instanz nicht auf den exakten Wert an, sondern auf eine iterative Näherung. Diese Methode bezeichnet Krauter (2005) als „Methode des scharfen Hinsehens“ (S. 3). Die geschilderten Vorteile zeigen sich auch beim Prozentstreifen und wurden daher bei der Konzeption der Interventions-Unterrichtseinheit berücksichtigt. Berger (1991) indes leitet didaktische Empfehlungen ab, die darauf abzielen, formale Verfahren nicht zu früh einzuführen, um persönliche Erfahrungen und Einsichten in prozentuale Zusammenhänge nicht zu be- oder gar verhindern.12 Des Weiteren sei es notwendig diese Grundeinsichten durch Übungen zum Schätzen und Überschlagrechnen immer wieder zu trainieren (ebd.). Darüber hinaus spricht er explizit notwendige Hilfen bei der Analyse der Aufgabe sowie ihrer Strukturierung an, um richtige Zuordnungen vornehmen zu können. Dazu hält auch Berger visuell gestützte Verfahren (diagrammatische Darstellungen, Situationsskizzen) für sinnvoll. Bezugnehmend auf Radatz (1986) warnt er aber davor, dass insbesondere schwächere Lernende mit dieser Hilfe zunächst überfordert sein können.13 Die Aussage Bergers, dass gerade diese Schülerinnen und Schüler ein festes Lösungsschema brauchen14 ist heutzutage sicher nicht mehr zwingend haltbar, wenn bedacht wird, dass es das ausgewiesene Ziel ist, zwischen verschiedenen Darstellungs- und Lösungsformen kontext- und anforderungsbezogen wählen zu können. Nach Bruner manifestierte sich diese Ansicht in den 1970er Jahren und ist ebenso in der heutigen Didaktik präsent, wie Leisen (2005), dessen Fokus auf Sprachförderung im Fachunterricht angelegt ist, bestätigt: „Der Wechsel der Darstellungsformen erweist sich als der didaktische Schlüssel zum fachlichen Verstehen und ist ein Anlass zur fachlichen Kommunikation. Es ist didaktisch klug, ja sogar zwingend, diesen Wechsel der Darstellungsformen in das Zentrum der Didaktik […] zu stellen“ 12 Nach Kraus (1987, S. 427, zitiert nach Berger, 1991, S. 39) sei es sogar besser, „ein Schüler beherrscht den Dreisatz sicher, als dass er unverstandene Formeln vorgesetzt erhält, mit denen er nicht zurechtkommt.“ 13 Ainsworth spricht 2006 davon, dass diese Art von visuellen Hilfen zunächst einmal Lerngegenstände sind, bevor sie Lernhilfen werden. 14 Die Forderung Bergers stützt sich speziell auf seine Analysen, die den Schülerinnen und Schülerinnen mit einem durchgängig angewendeten Lösungsverfahren höhere Lösungsquoten attestierten.
1.7 Zusammenfassung
37
(S. 9). Bezugnehmend auf den hohen Anteil richtiger Lösungen, sobald grafisches Lösen möglich war, verweist auch Scherer (1996b) mit Nachdruck auf die Notwendigkeit „eine Vielfalt von Lösungswegen zu ermöglichen“ (S. 542). Inhaltlich besteht also in diesem Forschungssektor Konsens über die Ursachen (mangelnde Grundvorstellungen, unverstandene Anwendung von Lösungsverfahren) sowie über mögliche Wege diese Missstände zu beheben (Darstellungswechsel, Einsatz geeigneter Visualisierungen). Die Erweiterung des Handlungsrepertoires durch den Prozentstreifen in der vorliegenden Studie greift genannte didaktische Empfehlungen auf, womit er als flexibles Instrument im Lösungsprozess dienen soll und bereits erlernte Lösungsverfahren unterstützen kann.
1.7
Zusammenfassung
Die Ausführungen zur Prozentrechnung haben bedeutsame Aspekte erkennen lassen. So ist ihr Stellenwert sowohl für die Schulmathematik als auch für den Alltag unbestritten hoch. Das belegen diverse empirische Studien, die vielschichtigen Verankerungen im Bildungsplan sowie ihre unverzichtbare Rolle für gesellschaftliche Partizipation. Formal betrachtet kann die Prozentrechnung, auch aufgrund ihrer Relevanz als eigenes mathematisches Thema angesehen werden, wobei dazu kontroverse Auffassungen existieren. Schülerinnen und Schüler werden zu Beginn der Prozentrechnung mit drei typischen Grundaufgaben konfrontiert. Diese folgen klassischerweise dem Schema zweier gegebener und einer gesuchten Größe. Die gesuchte Größe (Grundwert, Prozentwert oder Prozentsatz) klassifiziert überdies den Aufgabentyp. Zur Lösung der Grundaufgaben existieren zahlreiche Lösungsverfahren, die Lernenden verschiedene Zugänge zur Prozentrechnung ermöglichen. Dabei setzen sie jedoch nicht zwingend ein tiefergehendes Verständnis voraus, da sie auch ohne ein solches, zumindest ansatzweise, erfolgreich (schematisch) angewendet werden können. Nicht nur aus den genannten Gründen, ist die Prozentrechnung ein traditionell fehleranfälliges Thema. Die angedeutete Verständnisproblematik manifestiert sich in Zuordnungs- und Rechenfehlern sowie in partiell hohen Nichtbearbeitungsquoten, insbesondere, wenn sich die zunächst erlernte schematische Struktur der Aufgabe ändert. Ursachen dafür finden sich in mangelnden Grundvorstellungen, den multiplen Bedeutungen des Prozentbegriffes oder eben auch der Vielzahl der Lösungsverfahren selbst. Dieser Umstand führt in der Konsequenz zu niedrigen Lösungshäufigkeiten, die bereits seit Jahrzehnten berichtet werden und die offensichtlich profunden Lücken zwischen dem Ist- und Soll-Zustand hinsichtlich des Leistungsvermögens von Schülerinnen und Schülern explizieren. Erschwerend kommt die in ihrer Quantität
38
1
Die Prozentrechnung
überschaubare Literaturlage hinzu. Treffend, wenn auch recht resolut, formuliert Sill (2010, S. 4 f.) in diesem Kontext: „Es gibt zu Problemen der Behandlung der Prozentrechnung extrem wenig Literatur. […] Die mit der Prozentrechnung verbundenen Probleme werden von vielen Autoren offensichtlich als gering eingeschätzt.“ Dieser Tatsache stehen dennoch empirisch fundierte Erkenntnisse gegenüber, die didaktische Implikationen zum Umgang mit Prozenten bereitstellen. In den Mittelpunkt des Interesses werden dabei verständnisfördernde Maßnahmen gestellt, die das inhaltliche Verstehen und die Strukturierung des Sachverhalts fokussieren. Ferner gilt methodische Vielfalt im Sinne unterschiedlicher lernerzentrierter Zugänge als ein gewinnbringender methodischer Ansatz. Zwingend notwendig sind weiterhin empirisch gestützte, didaktische Implikationen, genauer die Ableitung konkret-praktischer Handlungsmöglichkeiten, um der beschriebenen Ausgangslage entgegenzuwirken. Insbesondere Lernenden und Lehrenden im schulischen Bereich müssen dafür wirksame Instrumente zur Verfügung gestellt werden. Diesem Forschungsdesiderat soll mit der Erforschung des Prozentstreifens entsprochen werden. Dazu werden unter anderem seine Handhabung in der Anwendungssituation, seine Funktionen sowie sein Einfluss auf die Lösungshäufigkeiten und die Reduktion typischer Fehler untersucht.
2
Textaufgaben im Mathematikunterricht
„Textaufgaben sind halt schwer.“ (Prediger, 2010b, S. 176)
Textaufgaben erhalten seit vielen Jahrzehnten die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Bereiche wie der Mathematikdidaktik oder der Kognitionspsychologie. Zum einen, um Einsicht darüber zu erhalten, wie Schülerinnen und Schüler tatsächlich lernen, zum anderen, um Lernenden und Lehrenden wichtige Hilfen für den Unterricht anzubieten (Reed, 1998). Ein konzentrierter Blick in den Bereich der Textaufgaben verdeutlicht nicht nur den Stellenwert dieses mathematisch wichtigen Stoffgebietes (Reusser & Stebler, 1997), sondern offenbart komplexe Spannungsfelder sowie diverse Missstände, die eine Auseinandersetzung mit der Problematik rechtfertigen. Bevor der Fokus jedoch auf diese gerichtet wird, sollen zunächst die Relevanz von Textaufgaben sowie ihre formale Verortung beschrieben werden. Diesen Ausführungen folgen die Darstellung von Studien zu Textaufgaben und die Erläuterung spezifischer Lösungshäufigkeiten sowie die Ableitung didaktischer Implikationen. In diesem Kontext werden ebenso für das Lösen von Textaufgaben essentielle Modellierungsprozesse sowie Aufgaben und Ziele von Modellierungsaktivitäten betrachtet.
2.1
Relevanz von Textaufgaben
Das Bearbeiten und Lösen von Textaufgaben (word problems, story problems) ist ein essentieller Bestandteil mathematischer Bildung. Sie sind vom Kindergarten
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_2
39
40
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
über allgemeinbildende Schulen bis hin zu den Hochschulen omnipräsent und gehören zum häufigsten Aufgabenformat in diesen Bereichen (Jonassen, 2003). Word problems not only provide an opportunity to study the interplay among and between language processes, mathematical processes, and situational reasoning and inferencing – between text comprehension, situation comprehension and mathematical problem solving (Reusser, 1985, 1989), they also provide pupils and students with a basic sense and experience in mathematization, especially mathematical modeling. (Reusser & Stebler, 1997, S. 309)
Sie fördern und erleichtern einerseits also das Verstehen mathematischer Phänomene und befähigen andererseits dazu (alltägliche) Phänomene mithilfe der Mathematik zu erschließen (Hohn, 2012). Durch das Lösen von Textaufgaben werden auch Kompetenzen bezüglich der Darstellung von Gedanken und Lösungen trainiert. „Diese lassen die Aufgabenbearbeitung bewusster werden und ermöglichen den Lösenden und ihren Lernpartnern das Nachvollziehen der Lösung“ (Rasch, 2015, S. 203). Diese Relevanz spiegelt sich bei der praktischen Umsetzung im Schulalltag der Sekundarstufe I wieder. Diesbezüglich sind Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) (2004) basal, die als Grundlage der Unterrichtsgestaltung fungieren. In den entsprechenden Bildungsplänen der Bundesländer sind diese Empfehlungen verankert. Auf Grund der Vergleichbarkeit zwischen den KMK-Bildungsstandards und den Bildungsplänen soll die erwähnte praktische Umsetzung nun speziell am Bildungsplan BadenWürttemberg (2016) erläutert werden. Zwar erfährt die Vokabel Textaufgabe dort selbst keine Nennung, dennoch steht ihre zugrundeliegende Struktur mit einer Vielzahl verschiedener Bereiche in Verbindung. So finden sich Textaufgaben als mögliches Aufgabenformat faktisch in jeder Leitidee in allen Klassenstufen wieder. Explizit wird das Textformat beispielsweise in der Leitidee Funktionaler Zusammenhang, bei der Schülerinnen und Schüler funktionale Zusammenhänge erfassen und verschiedene Darstellungsformen situationsgerecht ineinander überführen können (ebd.). So sollen sie Zusammenhänge durch Tabellen, Gleichungen, Graphen oder Text darstellen und zwischen diesen „situationsgerecht wechseln“ (ebd., S. 39). Auch in der Leitidee Daten und Zufall wird explizit auf das Beherrschen unterschiedlicher Darstellungen verwiesen, „um aus ihnen die für eine Fragestellung relevanten Daten zu entnehmen oder um selbst Daten auf verschiedene Arten zu visualisieren“ (ebd., S. 41). Der beschriebene Stellenwert textlicher Darstellungen wird ebenso im Bereich der prozessbezogenen Kompetenzen ausgewiesen. Demnach können die Schülerinnen und Schüler Probleme analysieren, unter anderem „Informationen aus den gegebenen Texten, Bildern und Diagrammen entnehmen und auf ihre Bedeutung für die Problemlösung bewerten“ (ebd.,
2.2 Formale Einordnung und stoffdidaktische Analyse
41
S. 13). Im Bereich Modellieren steht dann das Aufgabenformat Textaufgabe deutlicher im Fokus. Die Schülerinnen und Schüler können sowohl Realsituationen analysieren und aufbereiten, ergo „wesentliche Informationen entnehmen und strukturieren [sowie] ergänzende Informationen beschaffen und dazu Informationsquellen nutzen“ als auch interpretieren und validieren, das heißt „die Ergebnisse aus einer mathematischen Modellierung in die Realität übersetzen [und] die aus dem mathematischen Modell gewonnene Lösung in der jeweiligen Realsituation überprüfen“ (ebd., S. 14). Darüber hinaus bieten Textaufgaben auch immer Anlässe zur Kommunikation. „Sie setzen sich mit Texten und mündlichen Äußerungen anderer zu mathematischen Themen kritisch und sachbezogen auseinander“ (ebd., S. 16). So sind Schülerinnen und Schüler in der Lage „mathematische Aussagen [zu] interpretieren und ein[zu]ordnen und aus Quellen (Texten, Bildern und Tabellen) (…) mathematische Informationen [zu] entnehmen“ (ebd., S. 16). Die exemplarisch gewählten Ausführungen unterstreichen die Rolle der Textaufgaben im schulisch-mathematischen Handlungsfeld und veranschaulichen ihre übergreifende Verortung im Bildungsplan.
2.2
Formale Einordnung und stoffdidaktische Analyse
Textaufgaben gehören originär zum Bereich des Sachrechnens. Diese Einordnung ist wichtig, da beim Definieren Begrifflichkeiten anzutreffen sind, die inhaltliche Ähnlichkeiten aufweisen. Es herrscht eine gewisse Uneinigkeit darüber, was der Bereich des Sachrechnens genau beinhaltet (Franke & Ruwisch, 2010; Schneeberger, 2009). So treten Vokabeln wie Problemaufgaben, Sachaufgaben, Sachprobleme, Modellierungsaufgaben, Anwendungsaufgaben, eingekleidete Aufgaben, problemhaltige Textaufgaben und weitere auf, die partiell synonym genutzt werden.1 Um die benannte Komplexität übersichtlich aufzuschlüsseln, wird folgend auf die Darstellung von Franke (2003) Bezug genommen, die eine Einteilung von Aufgaben beim Sachrechnen vorgenommen hat (Tabelle 2.1). Sie unterscheidet dabei zwischen traditionellem und neuem Sachrechnen.
1 Eine
ausführliche Begriffsklärung findet sich bei Schneeberger, M. (2009). Verstehen und Lösen von mathematischen Textaufgaben im Dialog. Waxmann Verlag, S. 37 ff.
42
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
Tabelle 2.1 Traditionelle Einteilung von Aufgaben beim Sachrechnen (Franke, 2003, S. 32 ff.)
Das Verständnis der vorliegenden Arbeit erfolgte an der Orientierung typischer Schulbuchaufgaben. Somit liegt der Fokus auf Textaufgaben mit dem Schema Übersetzen einer Textstruktur in eine mathematische Struktur, da es bei den verwendeten Aufgaben darum geht eine Gleichung aufzustellen und zu lösen. Das Zahlenmaterial lässt in der Regel eine richtige Lösung zu, der Kontext ist sinnvoll, aber austauschbar. Das folgende Zitat verdeutlicht diese Beschreibung: In their most typical form, word problems take the form of brief texts describing the essentials of some situation wherein some quantities are explicitly given and others are not, and wherein the solver … is required to give a numerical answer to a specific question by making explicit and exclusive use of the quantities given in the text and mathematical relationships between those quantities inferred from the text (Verschaffel et al., 2000, S. ix).
2.3 Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben
43
Dieses Verständnis von Verschaffel et al. wird in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt. In ähnlicher Weise formulieren Franke & Ruwisch, wonach Textaufgaben Aufgaben sind, „die außer einem mathematischen Problem – meist einer Rechnung – auch die Verarbeitung von Sachinformationen verlangen“ (2010, S. 31).
2.3
Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben
2.3.1
Empirische Befunde zu einer allgemeinen Kritik an Textaufgaben
In den zahlreichen empirischen Erkenntnissen zu Textaufgaben finden sich häufig auch kritische Anmerkungen, die oft praxisbasiert sind und auf eine lange Historie zurückblicken. So bilanzierten bereits Radatz & Schipper (1983), Textaufgaben seien in „Textform dargestellte Aufgaben [bei denen] die Sache weitgehend bedeutungslos und austauschbar ist“ (S. 130). Ebenso formuliert es Gravemeijer, der Textaufgaben als stereotype Probleme (decorated exercises) betrachtet. Most text-book word problems are nothing more than poorly disguised exercises in one of the four basic operations. In general, these problems seldom ask for more than one operation. So, for the students, the name of the game becomes finding the proper operation and executing it (1997, S. 390).
Nach Kirsch (1991) sind Textaufgaben zu bewältigen, ohne dass der Sachverhalt gedanklich voll erfasst wurde. In der Folge kann es zu drastischen Leistungseinbrüchen kommen, sobald sich die Aufgabenstruktur ändert (Staub & Reusser, 1995, zitiert nach Reusser & Stebler, 1997). Auch Baireuter bemängelt, dass sich Textaufgaben allgemeinüblich nicht sehr nah an der Lebenswelt der Lernenden orientieren, was zur Folge hat, dass Aufgaben ohne diesen wirklichen Anwendungsbezug nur flüchtig durch und von Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden (1983). Die natürliche Neigung individuelles Alltagswissen zu nutzen, wird somit behindert. Stattdessen prägt sich bei der Bearbeitung die Tendenz aus, „to apply one (or more) arithmetical operation(s) to the assigned data without a realistic consideration about the context“ (Novotná, 2000, S. 2; auch: Ensign, 1996; Greer, 1997; Radatz, 1983; Reusser; 1984; Reusser & Stebler, 1997, Stern, 1992). Dieser stark prozedurale Ansatz, den Inhalt direkt in (kalkulierbare) Werte zu übersetzen, führt zu einem Mangel an konzeptuellem Verstehen (Jonassen, 2003). Hegarty, Mayer & Monk (1995) bezeichnen dies als „direct-translation
44
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
strategy“ (S. 18).2 Lernende hinterfragen nicht die Sinnhaftigkeit der Aufgabe, was dazu führt, dass auch unlösbare, teils absurde Problemstellungen bearbeitet und gelöst werden (Baruk, 1989; Reusser, 1988; Schoenfeld, 1989, zitiert nach Reusser & Stebler, 1997; Lechleitner, 2002). Diese kritischen Anmerkungen spielen in der Forschung zu Textaufgaben eine zentrale Rolle, werden sie doch schon seit vielen Jahrzehnten immer wieder berichtet. Sie finden daher auch in den folgenden empirischen Betrachtungen zu Lösungshäufigkeiten und Ursachen für die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung von Textaufgaben Beachtung.
2.3.2
Empirische Befunde zu Lösungshäufigkeiten
„Children have been reported to perform up to 30 % worse on word problems than on corresponding algebraic equations“ (Carpenter, Corbitt, Kepner, Linquist & Reys, 1980, zitiert nach Polozov, O’Rourke, Smith, Zettlemoyer, Gulwani & Popovic, 2015). Dieser Befund wurde wiederholt repliziert, zum Beispiel bei Van Galen & Van Eerde (2013): “[O]nly four out of the 14 students we tested were able to give a correct answer on the following problem: ‘On a bike that normally costs e 600 you get a discount of 15%. What do you have to pay?’” (S. 1). Auch im Rahmen der eigenen Studien konnten niedrige Lösungshäufigkeiten belegt werden (Thiede et al., 2015). So lösten 53 % der Lernenden die Aufgabe „30 % von 1200 e“ richtig. Wird diese in strukturgleicher, Form als Textaufgabe dargeboten, liegt die Lösungshäufigkeit nur noch bei 22 % (N = 59, Klasse 8, Werkrealschule). Ähnliche Befunde wurden mehrfach repliziert, was zu der Schlussfolgerung führt, dass Textaufgaben seit jeher in unterschiedlichen Altersklassen (notorisch) schwer zu lösen sind (Cummins et al., 1988; Daroczy, Wolska, Meurers & Nuerk, 2015; Pöhler, Prediger & Weinert, 2015; Verschaffel, 1994).
2.3.3
Ursachen für Bearbeitungsschwierigkeiten bei Textaufgaben
2.3.3.1 Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren Möglicherweise ist die Interaktion verschiedener Faktoren der Grund für die berichteten Lösungsraten, denn das erfolgreiche Lösen von Textaufgaben erfordert in erster Linie konzeptuelles Wissen (Briars & Larkin, 1984; Riley, Greeno 2 Das
Gegenteil, also die Strategie erfolgreicher Lernender ist die problem model strategy.
2.3 Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben
45
& Heller, 1983, zitiert nach Pavlin-Bernadic et al., 2008), welches sich wiederum durch ein Zusammenspiel mehrerer Komponenten wie Textverständnis, mathematischem Verständnis und Grundvorstellungen auszeichnet. Die folgenden Abbildungen 2.1 & 2.2 verdeutlichen einerseits das beschriebene Zusammenspiel zwischen den Faktoren (2.1) und skizzieren andererseits den oftmals oberflächlichen Zugang zu Textaufgaben (2.2). Diese sollen an dieser Stelle nur kurz beschrieben werden, da den ihnen zugrundeliegenden Modellierungsprozessen in Abschnitt 2.5 nochmals eingehender Beachtung geschenkt wird. Abbildung 2.1 bildet einen vereinfachten schematischen Ablauf für das Lösen von Textaufgaben und einflussnehmende Faktoren ab. Diese Faktoren beinhalten unter anderem ein generelles Verständnis für das Thema Textaufgaben sowie das Einbeziehen realistischer Überlegungen, was auch als Weltwissen (real world knowledge) bezeichnet wird. Dieses Weltwissen beinhaltet beispielsweise Stützpunktvorstellungen, also realistische Vorstellungen zu Größen und Maßeinheiten, beispielsweise das Kennen und Einschätzenkönnen von Längen und Größen bestimmter Objekte oder Zeitspannen. Stützpunktvorstellungen spielen insbesondere beim Sachrechnen eine zentrale Rolle (Grund, 1992; Peter-Koop, 2001). Ausgehend vom Zugriff auf das Weltwissen sowie dem Verständnis der Aufgabe selbst bilden die Lernenden ein vereinfachtes Modell der Situation, welches anschließend in ein mathematisches Modell überführt wird (Greer, 1997). In diesen Übersetzungsprozessen spielen auch Ziele, Kontexte und Ressourcen, wie mathematische Fertigkeiten oder das Wissen um Lösungshilfen eine Rolle (ebd.). In engem Zusammenhang zu den skizzierten Prozessen stehen Probleme, die durch oberflächliches Lösen entstehen können (Abbildung 2.2.). Grundlegend wird angenommen, dass Lernende im Lösungsprozess entlang der dargestellten Pfeile operieren. Ausgehend vom Aufgabentext besteht also auch die Gefahr, dass sie solche Aufgaben oftmals nach Oberflächenmerkmalen wie Signalwörtern bearbeiten, die wiederum die Auswahl einer der vier Grundrechenoperationen triggern (Sowder, 1988, zitiert nach Greer, 1997). Die daraus resultierenden Kalkulationen werden oft nach dem Schema feed in two numbers from text durchgeführt, die letztlich entweder gar nicht (typically) oder nur unzureichend validiert werden. Ein solches oberflächliches Vorgehen wird durch die Natur der Textaufgaben forciert (Nesher, 1980; Reusser, 1988, zitiert nach Green, 1997). Der Aspekt der fehlenden Validierung wird in Abschnitt 2.3.3.3 vertiefend aufgegriffen.
46
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
Abbildung 2.1 Schematisches Diagramm von Faktoren, die das Lösen von Textaufgaben beeinflussen (Greer, 1997, S. 301)
Abbildung 2.2 Oberflächliches Lösen von Textaufgaben (Greer, 1997, S. 295)
Das Zusammenspiel der beschriebenen Faktoren kann den Lösungsprozess maßgeblich erschweren. Reusser (1990, S. 3) identifiziert darüber hinaus weitere Quellen, wie
2.3 Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben
47
• the verbal formulation of the problem text, • the structure of the underlying episodic problem situation, • the conceptual logico-mathematical or arithmetical knowledge about set relations; and • the arithmetic problem solving skills that are required to perform counting operations or to resolve equations. Verschiedene Studienergebnisse verweisen darauf, dass es „jedoch nicht nur semantische Aspekte [sind], die das Textaufgabenlösen einfacher oder schwieriger machen. Sowohl strukturelle Gesichtspunkte (…) als auch die Anzahl der Operationen und die Art ihrer Verknüpfungen erhöhen den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben“ (Fricke, 1987). Dazu gesellen sich weitere, das Gelingen beeinflussende Faktoren wie die Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler zum Inhalt und der sprachliche Anspruch des Textes (Franke & Ruwisch, 2010; Rasch, 2006; Scherer, Moser & Opitz, 2010, zitiert nach Rasch, 2015). Diesem Faktorenkonglomerat wird demnach eine tragende Rolle zuteil. Dieser Umstand erfordert „ein umfassendes Unterrichtskonzept (…), um der Komplexität des Unterrichtsgeschehens gerecht werden zu können“ (Prediger, 2009, S. 4).
2.3.3.2 Grundvorstellungen bei Textaufgaben Weitere Ursachen wurden bereits in Abschnitt 1.5.4.1 für den Bereich der Prozentrechnung beschrieben: die Notwendigkeit zum Aufbau vielfältiger Grundvorstellungen als auch die sich daran anschließende Aktivierung dieser in den entsprechenden Aufgaben. Für den Bereich der Textaufgaben seien folgende, wenige Aspekte ergänzt. Prediger (2010b) widmet sich in ihren Ausführungen Über das Verhältnis von Theorien und wissenschaftlichen Praktiken aus verschiedenen Perspektiven dem Zusammenspiel der wissenschaftlichen Praxis zugrundliegenden Theorien. Exemplifizierend am Themengebiet der Textaufgaben und dem Problem der bekannten Busaufgabe (Abbildung 2.3.) benennt sie verschiedene Zugänge, die für die Schwierigkeiten im Bearbeitungsprozess ursächlich sind, wie die eingangs erwähnte fehlende Aktivierung von Grundvorstellungen. „Sobald inhaltliches Denken gefragt ist, wird es für viele schwer“ (ebd., S. 177). Das lassen auch die niedrigen Lösungsraten vermuten. Den fehlerhaften Lösungen liegen aus kognitiver und stoffdidaktischer Perspektive hauptsächlich Rechenfehler und falsche Operationswahlen zugrunde, was dazu führt, dass Lernende oft zu einer falschen oder nur sehr umständlichen Lösung gelangen (ebd.). Adäquate Grundvorstellungen gelten in diesem Kontext „als relativ guter Prädiktor für die Lösungshäufigkeit [und sind somit] ein wichtiges schwierigkeitsgenerierendes Aufgabenmerkmal“ (Blum et al., 2004, zitiert nach
48
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
Prediger, ebd.). Die sich daraus ergebenen Forderungen für den Unterricht nach einem konsequenten Aufbau von Grundvorstellungen als wichtige Lerninhalte sind daher nur allzu luzide (ebd.). Weiterhin stellt die Nicht-Aktivierung von zur Aufgabe passenden Grundvorstellungen ein Haupthindernis für die erfolgreiche Bearbeitung von Textaufgaben dar (Prediger, 2010a,b).
Abbildung 2.3 Busaufgabe mit Auswertungsanleitung und Lösungshäufigkeiten (Prediger, 2010b, S. 175)
2.3.3.3 Fehlende Validierung Insbesondere das bereits angesprochene Phänomen, „dass viele Lernende nach Mathematisierung und innermathematischer Bearbeitung keine Validierung mehr vollziehen, dass sie ihr Ergebnis also nicht auf Plausibilität im Hinblick auf die Ausgangssituation überprüfen“ fokussieren zahlreiche empirische Studien (Prediger, 2010b, S. 179, auch Prediger 2010a). Diese Ergebnisse zeigen, dass Lernende
2.3 Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben
49
den Schritt des Validierens auslassen oder kein adäquates Situationsmodell bilden, um ihr Ergebnis am Ende der Aufgabenbearbeitung sinnvoll zu validieren (Reusser, 1989; Verschaffel et al., 2000, zitiert nach Prediger, 2010b). Auch die explizite Aufforderung zur Ergebnisvalidierung vor einem Test verändert die Vorgehensweise der Lernenden kaum (Verschaffel et al. 2010, zitiert nach Prediger, 2010b). Prediger spricht von einer „antrainierten Ausblendung realistischer Überlegungen“ (2010b, S. 180). Schoenfeld benennt diesen Sachverhalt „suspension of sense-making“ (1991, S. 318). Dies ist bei den im vorangegangenen Kritikteil aufgeführten Kapitänsaufgaben nach Baruk (1989) gut zu beobachten. Zwar geben Schülerinnen und Schüler auf Nachfrage an ihr Ergebnis regelmäßig zu überprüfen (Thiede, Holzäpfel & Leuders, 2016, Tabelle 3.1), in Anbetracht der Lösungsraten sowie den genannten Studienerkenntnissen, scheint das dennoch (zu) selten der Fall zu sein. Es kann daher postuliert werden, dass Lernenden möglicherweise ein geeignetes Validierungsinstrument fehlt. Der Prozentstreifen3 kann dieses Instrument darstellen. Qualitative Analysen (Interviewstudien) zu den Hintergründen der Ausblendung realistischer Überlegungen weisen auf einen erlernten Umgang mit eingekleideten Textaufgaben im Unterricht hin (Selter, 1994; Verschaffel et al., 2000, zitiert nach Prediger, 2010b).4 So nutzen Schülerinnen und Schüler im Lösungsprozess trotz offensichtlich falscher Ergebnisse erlernte, meist starre Heuristiken, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: „Sara hatte zwar ihr Ergebnis regelgerecht abgerundet, die Validität dieser Operation jedoch selbst angezweifelt. Dennoch blieb sie bei ihrer Lösung mit Verweis auf die im Unterricht etablierten Herangehensweisen: ‘Eigentlich Blödsinn, aber im Matheunterricht sollen wir hier immer abrunden’“ (ebd., S. 180). Dies konnte auch in der eigenen qualitativen Studie bei Proband S5 beobachtet werden (Abschnitt 7.7.1 Kontrollfall 3). Die sich daraus ergebenen unterrichtlichen Forderungen bestehen zum einen auf authentischere, realitätsbezogene statt eingekleidete Aufgaben sowie dem Ruf nach einem handhabbaren Validierungsinstrument.
3 In
der hier vorliegenden Studie ist der Prozentstreifen als Ergänzung zu den bestehenden Lösungsverfahren in einem bestimmten Verständnis eingesetzt worden. Dies wird in Abschnitt 4.2 genauer erläutert. 4 Renkl (1999, zitiert nach Prediger, 2010b) hat mit einer Interventionsstudie zur Behebung des Defizits, in der Viertklässler in 3 × 45 Minuten für die möglichen Fallen solcher Aufgaben sensibilisiert wurden, signifikant bessere Leistungssteigerungen der Experimentalgruppe gegenüber der Kontrollgruppe nachgewiesen.
50
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
2.3.3.4 Sprach- und Lesekompetenz „Die können eben nicht lesen, also können die keine Textaufgaben“ (Prediger, 2010b, S. 176).
Bei der Betrachtung von Textaufgaben sind Lese- und Sprachkompetenzen nicht außer Acht zu lassen. Diese beiden vielfältigen Themengebiete werden folgend in knapper Form umrissen, da sie nicht im Fokus der Arbeit stehen. Dennoch soll ihrem Stellenwert für die mathematische Leistung, auch als Einflussfaktor auf den Bearbeitungserfolg von Textaufgaben entsprochen werden. Sprachkompetenz Sprachkompetenz kann im Sinne der alltagssprachlichen Kompetenz, aber auch als weiter gefasstes Konstrukt höherer Komplexität verstanden werden (Wilhelm, 2016). Internationale sowie nationale empirische Studienergebnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass Sprachkompetenz essentiellen Einfluss auf die Mathematikleistung hat (Abedi, 2006; Heinze, Herwartz-Emden & Reiss, 2007; Secada, 1992, zitiert nach Wilhelm, 2016; auch: Ufer, Reiss & Mehringer, 2013).5 Pöhler & Prediger (2017) plädieren für die Verzahnung von Verstehensförderung und sprachfördernden Maßnahmen, da Verstehenshürden oft mit geringer Sprachkompetenz einhergehen. Die Wichtigkeit der Sprachkompetenz zeigt sich zudem in der Verankerung in nationalen Bildungsplänen, beispielsweise unter der prozessbezogenen Kompetenz des Kommunizierens (Tabelle 2.2). Überdies werden die sprachlichen Anforderungen in den Bereichen der Sprachproduktion und Sprachrezeption sichtbar. Sprache spielt demnach eine bedeutsame Rolle beim Mathematiklernen, nicht nur in ihrer kognitiven Funktion im Sinne eines Denkwerkzeugs, sondern auch in ihrer kommunikativen Rolle als Medium von Wissenstransfer (Pöhler, 2018). Dies wurde auch in den Untersuchungen von Schulz (2017, S. 66) sichtbar: „Ein Lehrer fasste es so zusammen, dass das Denken Sprache sei, und nur, wer sich gut ausdrücken könne, verstehe auch.“ Lesekompetenz Die Lesekompetenz wird als Teilbereich der Sprachkompetenz angesehen und ist entscheidend für die erfolgreiche Partizipation am Mathematikunterricht (Wilhelm, 2016).
5 Eine
ausführliche und übersichtliche Darstellung zu diversen Forschungsprojekten findet sich bei Pöhler (2018).
2.3 Ausgewählte empirische Studien zu Textaufgaben
51
Tabelle 2.2 Die Verankerung der Sprachkompetenz am Beispiel der prozessbezogenen Kompetenz des Kommunizierens (Bildungsplan Baden-Württemberg, 2016, S. 16)
In der Leseforschung findet man zwei verschiedene Positionen zu der Frage, welche Fähigkeit unter ‘Lesekompetenz’ verstanden wird. Im engeren Sinne ist Lesekompetenz die Fähigkeit, schriftliche Texte zu verstehen, die nur verbale Informationen enthalten. Hingegen umfasst Lesekompetenz im weiteren Sinne die Fähigkeit, schriftliche Texte zu verstehen, in denen sowohl verbale als auch piktorielle Informationen wie Bilder, Diagramme, Tabellen, Graphiken u. s. w. enthalten sind. (Schnotz & Dutke, 2004, zitiert nach Schukajlow & Leiß, 2008, S. 95)
Die OECD weist darauf hin, dass diese Kompetenz notwendig ist, „um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (OECD, 2010, S. 41). Das Lesen als elementare Kulturtechnik wird dabei immer häufiger nötig, um die zitierten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies betrifft vor allem die Weiterentwicklung des Potenzials im schulischen Kontext aber auch den erwähnten sozialen Sektor (ebd.). Bezogen auf Textaufgaben verweisen Kintsch & Greeno bereits 1985 darauf, dass das Lösen einer Textaufgabe mit dem Textverstehen beginnt, was mehrfach bestätigt wurde. Results confirmed the assumptions of theories which emphasize the importance of linguistic factors in solving mathematical word problems. (…) Major difficulties
52
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht in solving mathematical word problems are result of insufficient understanding of linguistic structures and situations given in the problem. (Pavlin-Bernadic et al., 2008, S. 35 f.)
Demnach ist das Leseverstehen als Bestandteil der Lesekompetenz von grundlegender Bedeutung und somit Prämisse für den Wissenserwerb. Schukajlow & Leiß (2008) sehen Textverstehen als Voraussetzung für erfolgreiches mathematisches Modellieren an. „Schon in der Grundschule sind Fortschritte der Kinder in Mathematik davon abhängig, wie gut sie lesen können“ (S. 95). Die Relevanz der Lesekompetenz ist unbestritten und mehrfach repliziert worden.6 So werden Studien wie IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) und PIRLS (Progress in International Reading Literacy Study) regelmäßig auf international-vergleichender Ebene mit Kindern der Grundschule durchgeführt. Für die Bewertung wurden Kompetenzstufen oder Kompetenzmodelle generiert (Wilhelm, 2016). Den Sekundarstufenbereich deckt die PISA-Studie ab. All diese Studien zeigen in ihren Aussagen zwar kein einheitliches Bild, verdeutlichen aber, je nach Untersuchungskonzeption „schwache, mittlere oder große Korrelationen zwischen Lesekompetenz und mathematischer Kompetenz“ (Schukajlow & Leiß, 2008, S. 95).7 Damit geht die Forderung einher, der Lesekompetenz als Bestandteil des fachlichen Lernens mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sich nicht in Vermeidungsstrategien wie Textreduktion zu flüchten (Leisen, 2009).
6 Weiterführende
Informationen unter: https://www.bmbf.de/de/iglu-internationale-grunds chul-lese-untersuchung-82.html. 7 Es sei auf drei umfassende, deutschsprachige Dissertationen verwiesen, die aus unterschiedlichen Perspektiven sehr komplex auf die Bereiche Sprachkompetenz und Sprachförderung eingehen: (1) Wessel (2015): „Fach- und sprachintegrierte Förderung für das spezifische Thema „Anteile verstehen und vergleichen“: In ihrem Forschungsprojekt wird die Förderung sprachlich schwacher Lernender im Fachunterricht, im Sinne der Förderung sowohl sprachlicher Kompetenzen als auch des fachlichen Verstehens fokussiert. (2) Wilhelm (2016): „Zusammenhänge zwischen Sprachkompetenz und Bearbeitung mathematischer Textaufgaben“: Wilhelms Schwerpunkt liegt in der Beantwortung der Frage, „welche spezifischen Hürden für sprachlich schwache Lernende in Textaufgaben vorliegen und wie diese in Bearbeitungsprozessen als Schwierigkeiten sichtbar werden“ (S. 2). (3) Pöhler (2018). Konzeptuelle und lexikalische Lernpfade und Lernwege zu Prozenten: Pöhlers zentrales Anliegen ist die Entwicklung eines fach- und sprachintegrierten Lehr-Lern-Arrangements zur Untersuchung dadurch initiierter Lernwege, am Beispiel der Prozentrechnung.
2.5 Das Lösen von Textaufgaben …
2.4
53
Didaktische Implikationen
„Das Verhältnis des Schülerdaseins ist, dass er viel zu rasch die einzig richtige glatte Antwort erfährt.“ (Roth, 1983, S. 165)
Als Antwort auf die zahlreichen Befunde wurde für den Mathematikunterricht eine andere Aufgabenkultur gefordert, die der Pseudo-Realität der eingekleideten Textaufgaben eine andere Qualität realitätsbezogener Aufgaben mit Authentizitätsanspruch entgegensetzen sollte (Verschaffel et al., 2000; Winter, 1985). Diese Forderung an die Unterrichtsentwicklung stützt sich auf entsprechende empirische Untersuchungen, nach denen eine höhere Authentizität der Aufgabenformulierung zu realistischeren Lösungen bei Lernenden führt (Palm, 2007, zitiert nach Prediger, 2010b, S. 180). Dass diese Forderung notwendig ist, verdeutlicht das folgende Zitat: Für die überwältigende Mehrheit der Schüler hat eine mathematische Fragestellung – ganz egal welche – keinerlei Sinn. Und das betrifft nicht etwa nur ihre ‘Lösung’ – falls sie jemals gelöst wird – nein, bevor sie überhaupt formuliert wird, ist die Frage bereits allen Sinns beraubt. (Baruk, 1989, S. 31)
In diesem Rahmen ist ebenso eine intensivere Grundvorstellungsaktivierung notwendig, um Schülerinnen und Schülern Einsicht in (Problem-) Strukturen zu ermöglichen. Das betrifft auch die offensichtlich bestehende Lücke bei Validierungsprozessen, die es mit geeigneten Hilfsmitteln zu schließen gilt.
2.5
Das Lösen von Textaufgaben aus der Sicht von Modellierungsprozessen
Textaufgaben, das ist ersichtlich geworden, beinhalten mehr als das Formulieren eines adäquaten Antwortsatzes. Das Bearbeiten und Lösen von Textaufgaben ist als komplexer Gesamtprozess zu verstehen, der sich aus einzelnen Phasen zusammensetzt. So sind das Lesen und Verstehen einer Textaufgabe ebenso Teilprozesse wie das Mathematisieren selbst. Um die kognitiven Prozesse abbilden und einordnen zu können, bedient sich die Mathematikdidaktik so genannter Modellierungskreisläufe (Wilhelm, 2016). Der Prozess des Mathematischen Modellierens bezeichnet das Übersetzen zwischen Realität und Mathematik (Blum, 2007) und ist somit zentrales Element bei der Bearbeitung von Textaufgaben. Polya benennt
54
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
einzelne Schritte und betont die Wichtigkeit der untereinander bestehenden Relationen: In solving a word problem by setting up equations, the student translates a real situation into mathematical terms: he has an opportunity to experience that mathematical concepts may be related to realities, but such relations must be carefully worked out. (Polya, 1962, S. 59, zitiert nach Reusser & Stebler, 1997, S. 310)
Dabei fungiert ein Modellierungskreislauf als prototypisches, strukturierendes Modell der Aufgabenbearbeitung, muss in seinen einzelnen Phasen aber nicht zwingend chronologisch ablaufen: A characteristic is that the modeling process is not a straightforwardly sequential activity consisting of several clearly distinguishable phases. Modellers do not move sequentially through the different phases of the modeling process, but rather run through several modeling cycles wherein they gradually refine, revise or even reject the original model. (Panaoura, Demetriou & Gagatsis, 2009, S. 96)
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Lernende zunächst ein kontext-spezifisches Modell der Situation erstellen, welches sich mit wechselnden Aufgaben zu einem allgemeinen Modell entwickelt. In Anlehnung an den bereits erwähnten Kerngedanken der Realistic Mathematical Education vollzieht sich ein Wandel von a model of zu a model for (Gravemeijer, 1997; Prediger & Pöhler, 2015; Pöhler & Prediger, 2015; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003). Diesen Prozess beschreibt bereits Gagne (1983): [He] suggested, in the process of mathematical word problem solving, student [sic] should be able to translate the concrete to the abstract and the abstract to the concrete. Therefore the mathematical word problem exam is more unique and challenging task than the ordinary mathematics task. (zitiert nach Ahmad, Tarmizi & Nawawi, 2010, S. 357)
Die Literaturlage zu Modellierungskreisläufen ist vielfältig. Im deutschsprachigen Raum beschäftigen sich beispielsweise Blum, Kaiser, Borromeo Ferri, Leiß, Schukajlow oder Maaß mit dieser Thematik. Entsprechende Übersichtsartikel finden sich um die Forschergruppe Greefrath, Kaiser, Blum & Ferri (2013), die verschiedene Modellierungskreisläufe sowie damit zusammenhängende Schritte des Mathematisierens beschreiben und analysieren. Borromeo Ferri (2011) zeigt in aller Ausführlichkeit verschiedene nationale und internationale Ansätze des Modellierens auf (z. B. Sherill, 1983; Jonassen, 2003; Gravemeijer, 1997).
2.5 Das Lösen von Textaufgaben …
55
Um den bereits skizzierten Modellierungsprozess zu erläutern, sollen folgend zwei ausgewählte Modellierungskreisläufe ins Zentrum der Betrachtungen rücken. Das ist zum einen der Diagnostische Modellierungskreislauf nach Blum & Leiß (2005a,b), um einen ersten Einblick in die verschiedenen Modellierungsphasen zu erhalten und zum anderen der Modellierungskreislauf als Basis für die Rekonstruktion des Situationsmodells bei der Verwendung von Textaufgaben nach Verschaffel et al. (2000), der spezifisch die Bearbeitung von Textaufgaben fokussiert.
2.5.1
Diagnostischer Modellierungskreislauf nach Blum & Leiß
Die erste Darstellung (Abbildung 2.4) basiert auf Blums ursprünglichem Modell aus den 1980er-Jahren und fokussiert den Umgang von Lernenden mit Modellierungsaufgaben unter kognitiven Gesichtspunkten. Blum & Leiß gehen von folgenden Phasen im Modellierungsprozess aus. Zunächst einmal muss die Ausgangssituation verstanden werden. Ein entsprechendes Situationsmodell resultiert daraus. Daraufhin wird die Situation vereinfacht was zu einem realen Modell führt. Der Prozess des Mathematisierens überführt dieses reale Modell dann in ein mathematisches Modell. Aus den jeweiligen Berechnungen entstehen reale Ergebnisse, die schließlich in der realen Welt interpretiert werden. Eine sich daran anschließende Validierung kann in diesem Verständnis des Modellierungskreislaufes durch ein abermaliges überprüfendes Durchlaufen des Kreislaufs erfolgen (Blum & Leiß, 2005a,b). Der Kreislauf umfasst also „vor allem das Verstehen und Vereinfachen einer gegebenen, realen Problemsituation, das hiermit einhergehende Herausbilden eines vereinfachten realen Modells und eine Übersetzung dieses in die Mathematik, das Finden einer innermathematischen Lösung sowie eine Interpretation und Validierung mathematischer Ergebnisse“ (Besser, Hagena & Leiß, 2015, S. 50). Im Gegensatz zu früheren Versionen wurde das Situationsmodell ergänzt, welches den ersten Bearbeitungsschritt der Lernenden darstellt. Das theoretische Konstrukt eines Situationsmodells gründet auf textlinguistischen Arbeiten von Kintsch & Greeno aus dem Jahr 1985. Demzufolge erstellt das Individuum eine mentale Repräsentation zur Ausgangssituation (Greefrath et al., 2013). Das Situationsmodell wird explizit vorangestellt und verdeutlicht, dass erst aus diesem ein reales Modell entsteht, wodurch wiederum „eine vereinfachte, aber zentrale Strukturelemente erhaltende Beschreibung der realen Situation“ erfolgt (Borromeo Ferri, 2011, S. 20). Das Situationsmodell ist hier als bedeutendste Station im Modellierungsprozess zu verstehen, da es die beschriebene Übersetzung
56
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
von der realen Welt in die Welt der Mathematik darstellt und somit wesentlich zum Verstehen der Aufgabenstellung beiträgt. Der Modellierungskreislauf von Blum & Leiß „eignet sich in hervorragender Weise zur Analyse tatsächlicher ModelIierungsprozesse beziehungsweise zur Aufschlüsselung der Bearbeitung von Textaufgaben“ (Borromeo Ferri, 2011, S. 21). Für Lehrer ist er dahingehend „ein hervorragendes Instrument, um vor allem kognitive Hürden beim Modellieren zu diagnostizieren“ (ebd.). Die Unterscheidung der einzelnen Phasen gelingt dabei jedoch nicht ohne hohes Interpretationsvermögen, ist de facto also keine triviale Tätigkeit (ebd.).
Abbildung 2.4 Diagnostischer Modellierungskreislauf nach Blum & Leiß (Blum & Leiß, 2005b, S. 19)
2.5.2
Modellierungskreislauf als Basis für die Rekonstruktion des Situationsmodells bei der Verwendung von Textaufgaben nach Verschaffel, Greer & deCorte
Der zweite ausgewählte Modellierungskreislauf (Abbildung 2.5) referenziert auf den von Blum & Leiß, postuliert aber, dass die Textaufgabe bereits die vereinfachte reale Situation vorgibt. Daher wird in diesem kognitionspsychologischem Ansatz das reale Modell nicht explizit vom Situationsmodell unterschieden (Borromeo Ferri, 2011).
2.5 Das Lösen von Textaufgaben …
57
The situation model includes inferences that are made using knowledge about the domain of the text information. It is a representation of the content of a text, independent of how the text was formulated and integrated with other relevant experiences. Its structure is adapted to the demands of whatever tasks the reader expects to perform. (Kintsch & Greeno 1985, S. 110)
Die fehlende Differenzierung zwischen Situationsmodell und realem Modell begründet sich durch die geringe Komplexität der verwendeten Textaufgaben (ebd., S. 18). Blum & Niss (1991) vertreten die Auffassung, dass in solchen Aufgaben bereits durch die Aufgabe selbst ein reales Modell existiert, ergo von einem eingeschränkten Modellierungskreislauf auszugehen ist. Der Phase Situationsmodellbildung wird in diesen Modellierungsprozessen demzufolge eine besondere Bedeutung zuteil. Diese Sichtweise spiegelt den Stellenwert des Situationsmodells als zentrale Phase wieder und liefert ein weiteres Argument dafür, das Forschungsinteresse an dieser Stelle anzusetzen, da der Prozentstreifen explizit an dieser Stelle im Modellierungskreislauf verortet wird (Abschnitt 4.2). Im weiteren Verlauf betonen Verschaffel et al. insbesondere die Phase der finalen Validierung mit Hilfe des Situationsmodells (Rückkopplung), dem so genannten „check for reasonableness“ (Verschaffel et al., 2000, S. 13). Erst danach erfolgen communication und report. Diesen wichtigen Validierungsaspekt beschreibt auch Greer: „A mathematical model is then derived, the solution is worked out, and, ideally, checked for sense with the situation model“ (1997, S. 301). Der Modellierungskreislauf im Sinne Verschaffels et al. fungiert als Grundlage der vorliegenden Arbeit. Die folgenden Abbildungen 2.6 & 2.7 dienen der thematischen Ergänzung, zum einen indem der Modelllierungskreislauf an einem konkreten Beispiel aufgezeigt wird, zum anderen durch einen vertiefenden Querverweis zur Problematik der oberflächlichen Bearbeitung von Textaufgaben im Kontext des Modellierens. Es sei darauf hingewiesen, dass kognitive Hürden dabei zwar in jedem der Teilprozesse entstehen können, erkennbare Schwierigkeiten aber oftmals im ersten Bearbeitungsschritt auftreten. Statt der Konstruktion eines adäquaten Situationsmodells weichen die Schülerinnen und Schüler dann auf Ersatzstrategien aus und übersetzen die zugrundliegende Aufgabe direkt in ein mathematisches Modell. Aus diesem wiederum leiten sie oft unreflektiert einen Antwortsatz (report) ab. Auch bei anderen Schritten des Modellierens sind Schwierigkeiten identifizierbar, so sind beispielsweise eigenständige Validierungsaktivitäten von Lernenden nur selten zu beobachten (Blum, 2007; Thiede et al., 2015). Ein Aspekt, der mit der
58
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
Abbildung 2.5 Schematisches Diagramm vom Modellierungsprozess (Verschaffel, Greer & deCorte, 2000, S. XI)
fehlenden Konstruktion des Situationsmodells einhergehen kann, da das Situationsmodell am Ende des Lösungsprozesses nicht oder nur in unzureichender Form als Rückbezugsoption (Validierungsmöglichkeit) zur Verfügung steht.
Abbildung 2.6 Eine einfache Textaufgabe als Modellierungsaufgabe (Verschaffel, Greer & deCorte, 2000, S. 134)
2.5 Das Lösen von Textaufgaben …
59
Abbildung 2.7 Oberflächliche Bearbeitung einer Textaufgabe (ebd., S. 13)
2.5.3
Teilkompetenzen des Modellierens
Der vorangegangene Einblick verdeutlicht einschlägige Auffassungen im Rahmen des Lösens von Textaufgaben als Modellierungstätigkeit. In der Fachwelt besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass sich der Akt des Modellierens aus Teilkompetenzen zusammensetzt (Besser et al., 2015; Borromeo Ferri, 2011). Das Verbessern dieser Teilkompetenzen sollte kontinuierlich erfolgen, da sie „die Basis für das Verstehen und Bearbeiten von realitätsbezogenen Aufgaben im Mathematikunterricht [stellen]. Insbesondere im Bereich der Sekundarstufe, in der Modellierung einen zentralen Bestandteil des Mathematikunterrichts darstellt, sind diese Teilkompetenzen unabdingbar, „um eine globale Modellierungskompetenz zu erwerben“ (Borromeo Ferri, 2011, S. 23). Diese Teilkompetenzen werden in folgender Tabelle mit dazugehörigen Indikatoren dargestellt (Tabelle 2.3). Die
60
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht
Nutzung des Prozentstreifens zielt schwerpunktmäßig auf die Teilkompetenzen Vereinfachen, Interpretieren und Validieren ab, ist also besonders zu Beginn und zum Ende der Aufgabenbearbeitung von besonderer Bedeutung.
Tabelle 2.3 Teilkompetenzen des Modellierens (Greefrath et al., 2013, S. 18)
2.5 Das Lösen von Textaufgaben …
2.5.4
61
Aufgaben und Ziele von Modellierungsaktivitäten
Modellierungsprozesse und entsprechende Teilkompetenzen dienen natürlich nicht dem Selbstzweck, sondern verfolgen konkrete Aufgaben und Ziele. Diese sind folgend angeführt. Nach Prediger gelten Modellierungskreisläufe als breit akzeptierte strukturelle Grundlage für vielfältige didaktische Aufgaben und Zwecke: • präskriptiv für Kompetenzformulierungen in Bildungsstandards und Lehrplänen, • konstruktiv zur Aufgabenformulierung und Lernumgebungskonstruktion, • diagnostisch zum Erfassen von generellen Hürden und individuellen • Teilkompetenzen, • als Lerninhalt, denn Bewusstheit über den Modellierungskreislauf kann Entwicklung von Mathematisierungskompetenz fördern. (2010a, S. 7) Die Ziele des Modellierens treten in verschiedenen pädagogischen, psychologischen, stoffbezogenen und wissenschaftsorientierten Dimensionen auf (Borromeo Ferri, 2011). Auszugsweise sollen einige dieser Ziele dargestellt werden (ebd., S. 12): • • • •
Übung mathematischer Methoden nachhaltiges Memorieren fördern Fähigkeiten zur Umwelterschließung Nutzungsmöglichkeiten der Mathematik für eigene Lebenswelt nutzbar machen • Anwendung von Mathematik kritisch reflektieren • allgemeine Einstellung zur Mathematik verbessern
2.5.5
Kritik am Modellierungskreislauf
Bei aller Nachvollziehbarkeit und Plausibilität der theoretischen und praktischen Rahmung des Modellierens existiert vor allem eine kritische Anmerkung, die hauptsächlich die Fassbarkeit des Modellierungsprozesses als Konstrukt fokussiert und in folgendem Zitat deutlich wird: [Der] Modellierungskreislauf hat aber die Tücke, dass gerade der Prozess der Modellierung von der Sachebene auf die Ebene der Mathematik weiterhin unklar
62
2 Textaufgaben im Mathematikunterricht bleibt. Damit hat man aber didaktisch wenige Möglichkeiten, den „modellierenden Schülern“ Hilfestellungen zukommen zu lassen. […] Die Mathematikdidaktik belässt die kognitive Modellierung von Sachkontexten als Blackbox und unterstellt eine kognitive Fähigkeit des Modellierens. Die Funktionsweise, d.h. die Transformation und damit der Lösungsprozess bleiben unklar. (Lorenz, 2009, S. 289 f.)
2.6
Zusammenfassung
Es zeigt sich, dass trotz der Komplexität des Themas Textaufgaben und der vielfältigen Literaturlage ein gewisser Konsens in den Grundaussagen anzutreffen ist. Dieser beginnt bei der Beschreibung der Relevanz des Aufgabenformates Textaufgaben, die sowohl für den schulischen als auch den außerschulischen Sektor als sehr hoch zu bezeichnen ist. Formal lassen sich Textaufgaben im Sinn der hier vorliegenden Arbeit dem traditionellen Sachrechnen nach Franke (2003) zuordnen. Sie definieren sich durch das Ziel, eine Gleichung aufzustellen und diese zu lösen. Der Sachkontext selbst ist wenig relevant und fast beliebig austauschbar. Infolgedessen werden Textaufgaben durchaus als kritisches Aufgabenformat betrachtet, es sei denn ihnen wird transparenterweise ein Übungscharakter zugeschreiben. Dies geschieht im Unterricht jedoch selten, was bei den Lernenden zu einer gewissen Abneigung gegenüber dem Aufgabenformat führt und somit in der Folge lernhinderlich wirken kann. Der fehlende lebensweltlich orientierte Bezug verstärkt diese Aversion und trägt dazu bei, dass wenig realistische Antworten generiert werden, was wiederum zu Reduktionen der Lösungshäufigkeiten führt. Faktoren, die dieses Konstrukt beeinflussen liegen in der mangelnden Aktivierung von Grundvorstellungen, bereits erwähnten unzulänglichen oder fehlenden Validierungsprozessen sowie im Bereich der Sprach- und Lesekompetenz (Prediger, 2010a). Bei der Bearbeitung von Textaufgaben spielen Modellierungsprozesse eine gewichtige Rolle, die sowohl zu Beginn der Aufgabenbearbeitung durch die Bildung eines aufgabenadäquaten Situationsmodells, aber auch am Ende der Aufgabe durch das Validieren in Erscheinung treten. Durch die diagnostische Funktion können Modellierungskreisläufe einzelne Bearbeitungsphasen im Lösungsprozess sichtbar machen und zur gezielten Unterstützung dieser Phasen beitragen. Solche kognitiven Modellierungsprozesse finden jedoch in Blackboxes statt, was bei der Interpretation der ablaufenden Modellierungsphasen zu beachten ist. Übergeordnetes Ziel der internationalen und nationalen Befunde ist es, den vorherrschenden (konzeptuellen) Verständnisschwierigkeiten entgegen- und lernförderlich auf den Bearbeitungsprozess einzuwirken. Visualisierungen können dabei als wichtiges Instrument dienen (u. a. Arcavi, 2003; siehe Kapitel 3
2.6 Zusammenfassung
63
ff.). Lernenden in diesem komplexen Geflecht ein leicht erlernbares Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, welches die beschriebenen Verständnisschwierigkeiten beseitigen kann, ist das Ziel dieser Arbeit.
3
Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
„So fängt denn alle menschliche Erkenntniß [sic] mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen und endigt mit Ideen.“ (Kant, I., 1781, zitiert nach Höffe, 2007, S. 171)
Die vorangestellten Kapitel zur Prozentrechnung und zu Textaufgaben verwiesen jeweils auf den didaktischen Mehrwert von Visualisierungen und forderten gleichermaßen einen sinnvollen, zielgerichteten Einsatz dieser. Bevor sich dieser Forderung in der speziellen Auseinandersetzung mit dem Prozentstreifen angenommen wird, stehen jedoch allgemeine theoretische Annahmen bezüglich Visualisierungen im Vordergrund. Diese nähern sich dem Konstrukt von definitorischer Seite aus drei Perspektiven. So wird zugleich eine Begriffsklärung als auch theoretische Verortung im Kontext der verschiedenen Perspektiven vorgenommen. Dieser Systematisierungsansatz stellt konkrete Visualisierungsfunktionen dar, bevor anschließend aktuelle Forschungsergebnisse abgebildet werden. Diese geben einen Einblick in die Relevanz von Visualisierungen, aus dem sich abschließend didaktische Implikationen ableiten. Darüber hinaus werden sowohl Zurückhaltung als auch Schwierigkeiten und Anforderungen im Umgang mit Visualisierungen berichtet. Dem Prozentstreifen als besondere Visualisierung und Protagonist der vorliegenden Dissertation wird daran anschließend ein eigenes Kapitel gewidmet, welches vorrangig mit dem Einsatz des Prozentstreifens verbundene „Hintergrundtheorien“ fokussiert.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_3
65
66
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
3.1
Verschiedene Perspektiven auf Visualisierungen – Definitionen und Funktionen
3.1.1
Psychologische Perspektive
Unter Visualisierungen werden im Allgemeinen „alle möglichen Formen von Bildern im weitesten Sinne verstanden, die aus ikonischen, im Gegensatz zu symbolischen, Zeichen bestehen“ (Schnotz, 2005, S. 52). Die Bedeutung solcher Visualisierungen gründet auf „ihrer (physikalischen oder strukturellen) Ähnlichkeit zum dargestellten Objekt“ (ebd.). In der vorliegenden Arbeit bezeichnet eine Visualisierung „die bildhaft-analoge Darstellung von Informationen, zum Beispiel in Form von Fotografien, Zeichnungen, Diagrammen, Videos oder Animationen“ (Scheiter, 2017, o. S.). Eine Visualisierung ist der Definition Scheiters zufolge etwas, das für etwas anderes steht. So beschreibt es auch Palmer (1978, S. 262): The job of the representing world is to reflect some aspects of the represented world in some fashion. Not all aspects of the represented world need to be modeled; not all aspects of the representing world need to model an aspect of the represented world.
Bezogen auf den Prozentstreifen [=repräsentierende Welt] besteht seine Aufgabe darin, relevante Aspekte aus der dargestellten Welt [=Textaufgabe] zu reflektieren. Dabei müssen nicht alle Aspekte der repräsentierenden Welt modelliert werden und nicht alle Aspekte der repräsentierenden Welt müssen einen Aspekt der dargestellten modellieren. Folgende Funktionen werden Visualisierungen in diesem Sinne zugewiesen: • „Abbildungsfunktion (einen verbal beschriebenen Sachverhalt konkretisieren) • Interpretationsfunktion (eine Beschreibung verständlicher machen) • Organisationsfunktion (einen Überblick über Sachverhalte geben; weitere Infos bereitstellen) • Transformationsfunktion (zur Verankerung von Lerninhalten beitragen)“ (Schnotz, 2010, in Anlehnung an Levin, Anglin & Carney, 1987). Werden Visualisierungen dabei „begleitend zu Text eingesetzt, können sie den Wissenserwerb unterstützen, indem sie den Textinhalt konkreter, besser verständlich und leichter erinnerbar machen sowie die Struktur des Textes verdeutlichen“ (Levin, 1987, zitiert nach Scheiter, 2017, o. S.). Ein für das eigene Forschungsprojekt sehr wichtiger Aspekt.
3.1 Verschiedene Perspektiven auf Visualisierungen …
67
Schnotz (2005, auch Schnotz & Bannert, 2003) unterscheidet grundlegend interne (mentale) und externe Repräsentationen. Darüber hinaus differenziert er, in Anlehnung an Peirce (1906), Depiktionen (ikonische Repräsentationen) und Deskriptionen (symbolische Repräsentationen). Diese beiden unterschiedlichen Repräsentationsformen basieren auf unterschiedlichen Symbolsystemen: Visualisierungen als Depiktionen sind somit alle Repräsentationen, die aus ikonischen Zeichen bestehen. Es lassen sich weitere Differenzierungen zwischen zwei- und dreidimensionalen Bildern finden oder auch zwischen statischen und dynamischen Bildern. Etwas handlicher ist die Differenzierung verschiedener Formen von Depiktionen: • Realistische Bilder: Sie haben Ähnlichkeit mit dem gemeinten Sachverhalt, wie zum Beispiel Strichzeichnungen, Gemälde, Fotos, Cartoons, Piktogramme, und Landkarten. • Analogiebilder: Das sind realistische Abbildungen eines Sachverhaltes, die in Analogie zum Gemeinten stehen und helfen sollen, vorhandenes Wissen aus der Abbildung in den neu zu lernenden Zielbereich zu übertragen. • Logische Bilder: Diese haben keine Ähnlichkeit zum Gemeinten und dienen der Veranschaulichung abstrakter Sachverhalte, wie zum Beispiel Struktur- und Flussdiagramme, Kreis-, Säulen-, oder Liniendiagramme (Schnotz, 2010). Der Prozentstreifen, der relevante Informationen der Aufgabe abbildet, steht er in seiner Struktur in Analogie zur Textaufgabe und kann sowohl als mentale als auch externe Repräsentation fungieren, wobei er in der späteren Umsetzung hauptsächlich als externe Repräsentation verstanden wird. Dies gründet auf der Tatsache, dass externe Repräsentationen stabiler sind als mentale (Kürschner & Schnotz, 2008; Lorenz, 2005; Schnotz et al., 2011, zitiert nach Sturm, 2018). Der Vorteil des Prozentstreifens besteht daher in seiner flexiblen Anwendbarkeit sowie der Möglichkeit ihn bei Bedarf mental oder zeichnerisch situativ zu verändern.
3.1.2
Mathematikdidaktische Perspektive
Diese psychologischen Definitionsansätze sollen durch eine, das mathematische Denken betrachtende Definition erweitert werden, die neben dem Ergebnis des Visualisierens (Produkt oder reine Repräsentation) ebenso den Akt des Visualisierens (Prozess) benennt:
68
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung Visualization is the ability, the process and the product of creation, interpretation, use of reflection upon pictures, images, diagrams, in our minds, on paper or with technical tools with the purpose of depicting and communicating information, thinking about and developing previously unknown ideas and advancing understandings. (Arcavi, 2003, S. 217)
Arcavis Definition, in Anlehnung an Zimmermann & Cunningham (1991) sowie Hershkowitz (1989) trifft gleichermaßen Aussagen über die Verwendung und den Zweck von Visualisierungen. Weiterhin identifiziert Arcavi verschiedene Funktionen von mathematischen Visualisierungen: • Strukturen in Daten erkennen, • mathematische Konzepte verstehen, • Probleme durch Darstellungswahl lösen (heuristische Funktion im Sinne im Gestalttheorie) sowie • Zusammenhänge begründen (visuelle Beweise).1 Hinsichtlich der, in den psychologischen Definitionen genannten Analogiebildung soll deren Wichtigkeit für das (mathematische) Denken betont werden: „Thinking by analogy has long been recognized by educators as an effective technique for facilitating mathematical problem solving. The famous mathematics educator George Polya (1945/1957) observed that ‘analogy pervades all our thinking’“ (zitiert nach Quilici & Mayer, 1996, S. 145).
3.1.3
Allgemeindidaktische Perspektive
Eine gewisse Gleichartigkeit zur mathematikdidaktischen Perspektive lässt sich bei der Betrachtung allgemeindidaktischer Funktionen feststellen. So gelten Visualisierungen, hier am Beispiel der Grundschuldidaktik: • als Lösungshilfe, (zum Beispiel der Rechenstrahl zur Organisation mehrschrittiger Rechenprobleme), • als Lernhilfe (zum Beispiel der Tausenderwürfel für das Stellenwertsystem) oder
1 Weitere
Ausführungen zu den Funktionen nach Arcavi sowie unterrichtsnahe (Umsetzungs-) Beispiele bieten beispielsweise Holzäpfel, Eichler & Thiede (2016, S. 90–104) an.
3.1 Verschiedene Perspektiven auf Visualisierungen …
69
• als Kommunikationshilfe (Niegemann, Domagk, Hessel, Hein, Hupfer & Zobel, 2008). Ihnen werden dabei kognitive, motivationale, dekorative oder auch kompensatorische Funktionen zugeschrieben (z. B. bei leseschwachen Schülern) (ebd.). In diesem Sinne können Visualisierungen insbesondere die Menge der zu verarbeitenden Informationen, die Strukturierung und die konzeptuelle Anschlussfähigkeit unterstützen, so wie es auch dem Prozentstreifen unterstellt wird. Auch aus mediendidaktischer Perspektive wird die Bedeutung von Visualisierungen hervorgehoben. So identifiziert beispielsweise Ainsworth (1999) verschiedene lernförderliche Mechanismen. Ihr Erkenntnisinteresse liegt dabei auf multiplen, externen Repräsentationen (zumeist Texte, die durch Visualisierungen begleitet werden). Demnach wirken sie in ihrer Hauptfunktion • als Ergänzung untereinander (complementary roles), • als Einschränkung untereinander (constrain interpretation) und • im Sinne der Förderung von Abstraktionen, Verallgemeinerungen oder dem Erkennen von Relationen (construct deeper understanding). Folgende Kategorisierungen von Repräsentationen in Lehr-Lern-Prozessen sind an die bisherigen Perspektiven der Psychologie und Mathematikdidaktik durchaus anschlussfähig. So fungieren Visualisierungen nach Ainsworth gleichermaßen • als Lerngegenstand, • als Lernhilfe und • als Strategie beim Problemlösen. Diese Aspekte sind bei der Nutzung von Visualisierungen im Unterricht zwingend zu berücksichtigen, da sich die vermeintliche Lernhilfe zunächst angeeignet werden muss, was zusätzliche Kapazitäten der Lernenden vereinnahmt. „Es ist also unbedingt darauf zu achten, dass die Auswahl und der Einsatz (…) auf einer gut reflektierten Begründung fußt“ (Holzäpfel, Eichler & Thiede, 2016, S. 93). Dazu bieten Holzäpfel, Eichler & Thiede entsprechende Leitfragen, die solche Vorüberlegungen sinnvoll unterstützen können. Diese fokussieren angestrebte Lernziele, vorhandene Grundkonzepte, die Problemdiagnose sowie die Auswahl geeigneter Visualisierungen (ebd.). Darüber hinaus werden Visualisierungen veranschaulichende und heuristische Funktionen zugeschrieben, die zur Lösung eines Problems beitragen (können), worunter beispielsweise das Zeichnen von Diagrammen zu verstehen ist (Stylianou, 2002). Fazit: Argumente für Nutzen
70
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
von Visualisierungen haben sich, unter anderem durch die genannten Funktionen bereits angedeutet. Die daraus resultierende (praktische) Relevanz soll nun mit aktuellen Forschungserkenntnissen untermauert werden.
3.2
Ausgewählte empirische Befunde zu Visualisierungen
„Wer weder Worte noch Bilder hat, um den Unterschied zu erklären, kann die Konzepte auch nicht klar und präzise denken.“ (Selter & Rodatz, o. J.)
3.2.1
Gründe für die Nutzung von Visualisierungen
Sowohl weit zurückreichende als auch neuere Untersuchungen belegen den zentralen Stellenwert von Visualisierungen für den Lösungserfolg (Duncker, 1935; Uesaka, Manalo & Ichikawa, 2010). Aktuelle Forschungsergebnisse bestätigen dies und zeigen, dass Visualisierungen die Leistungen auch beim Lösen von Textaufgaben verbessern (Gärtner & Ludwig, 2015; McNeil, Uttal, Jarvin & Sternberg, 2009; Poch, Van Garderen & Scheuermann, 2015; Rasch, 2001, 2009, 2015; Sturm, 2013, 2014; Van Essen & Hamaker, 1990; Walkington, Cooper & Howell, 2013; Wiese, 2013). Die Frage nach den Gründen für diesen positiven Zusammenhang beantworten Franke & Ruwisch wie folgt: Die Beziehung zwischen den Daten zu verdeutlichen, in einer Skizze oder auch formalisiert in einer mathematischen Zeichenreihe auszudrücken, liefert entsprechend der zweiten Phase einen Lösungsplan. Der Problemlöser oder die Problemlöserin stellt […] eine Verbindung zwischen Gegebenem und Gesuchtem her. Dazu wird das Problem strukturiert, mögliche Teilziele werden festgehalten und der Suchraum damit eingeschränkt. Es werden Hilfsmittel einbezogen oder auch Analogien zu bereits gelösten Problemen hergestellt. (2010, S. 66)
Vorteile in der Anwendung von Visualisierungen bestehen also darin, dass sie als kognitive Werkzeuge dabei unterstützen eine Aufgabe besser zu verstehen und folglich dazu befähigen sie zu lösen (Diezmann & English, 2001). Diese Mehrwerte sind nur allzu sinnvoll, verlangt beispielsweise eine Textaufgabe, dass ein Modell der Aufgabe erstellt wird, welches ebenso die Situation, ergo den Kontext abbildet und somit an die beschriebenen Modellierungsprozesse (Abschnitt 2.5) anknüpft. Nach Borromeo Ferri (2011) unterstützen Visualisierungen alle Phasen der Modellierung. Daran anknüpfend halten Blomberg & Schukajlow (2017, S. 1094) fest:
3.2 Ausgewählte empirische Befunde zu Visualisierungen
71
Während des mathematischen Arbeitens können sie helfen, Fortschritte im Lösungsprozess zu verfolgen. Beim anschließenden Übergang vom mathematischen zum Situationsmodell kann die Visualisierung genutzt werden, um die gewonnenen Resultate im Sachzusammenhang zu interpretieren und kritisch zu überprüfen. Auch bei der Dokumentation und Präsentation der Ergebnisse werden Visualisierungen von den Lernenden herangezogen.
Diese Modellkonstruktion ermöglicht es Lernenden auch, die Aufgabe nach ihren Merkmalen einzuschätzen und Vor- sowie Transferwissen zu aktivieren, bevor sie überhaupt mit dem Lösen selbst beginnen (Jonassen, 2003). Insbesondere im Kontext des Sachrechnens sind Visualisierungen von besonderer Bedeutung: „The uses of visual representations in mathematical word problem [sic] are very useful“ (Ahmad, 2010, S. 357). Die in Textaufgaben verbal dargestellten mathematischen Strukturen können von den Schülerinnen und Schülern grafisch repräsentiert und so zur Bearbeitung der Aufgaben verwendet werden (Ott, 2016). Das Anwenden von Visualisierungen kann beim Bearbeiten unterstützen, indem Informationen von einer Darstellungsart in die andere übertragen und Informationen dadurch sinnvoll reorganisiert werden. Diese Tätigkeiten lenken die Aufmerksamkeit zudem auf ungelöste Teile der Aufgabe (Cox, 1999). Eine ausführliche Synopse von 44 Studien zu Textaufgaben (Schimizzi, 1988) hat dazu „major findings“ ergeben2 . In diesem Rahmen stellt Schimizzi mit dem Erfolg von Visualisierungen zusammenhängende Faktoren vor. Die Darstellung ausgewählter Befunde verdeutlicht die lange Forschungshistorie und ist als Ergänzung zu den bisherigen Erkenntnissen zu verstehen, die auf den Nutzen von Visualisierungen reüssieren (Schimizzi, S. 11–16). • The use of drawings to organize the data in word problems was most helpful to students scoring low on cognitive ability tests (Threadgill-Sowder and others, 1985). • The use of diagrams, the appropriate reordering of number sequences, and the removal of extraneous information can improve the success rate in solving word problems (Cohen, 1981). • The problem structure and the overall pattern of relations between the quantities in the problem had an effect on problem solving success (Shilin and others, 1985). • Presenting word problems by way of drawings was clearly more effective than the standard words-only presentation (Threadgill-Sowder, 1982).
2 Für
einen Überblick Schimizzi, Ned V. (1988). Word problem solving, S. 9–17
72
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
• Students who generated their own diagrams to represent word problems were more successful in solving them than students who did not (Yancy, 1981). • Teaching children to represent problem situations through the use of various models increased their ability to solve word problems (Rathnell, 1981). Eine praktische Unterteilung, die auf das Potenzial von Visualisierungen (externer Repräsentationen3 ) abzielt, nimmt Sturm vor. Sie gliedert verschiedene Bedeutungsebenen auf, wobei sie unter anderem weitere Argumente für die Verwendung von Visualisierungen in ihrer kommunikativen Funktion hervorhebt. • Bedeutung für den Produzenten • Visualisierung als Gedächtnisstütze • Entlastung des Arbeitsgedächtnisses • Bedeutung für die Interaktion unter Gleichaltrigen • kommunikative Funktion von Sprache • Visualisierung als Argumentationsgrundlage • Bedeutung für Kommunikations- und Reflexionsphasen im Mathematikunterricht • Denkwerkzeuge der Lernenden als Kommunikationsanlass auf Klassenebene (2018, S. 39 f.)
3.2.2
Didaktische Implikationen
Die Forderung zur Entwicklung elaborierter Darstellungskompetenzen ist aufgrund der Relevanz und Vielzahl von Anwendungsvorteilen mehr als verständlich: „Ein Unterricht, der grafische Darstellungen als Gegenstände ins Zentrum rückt und mit Reflexionsgesprächen arbeitet, erscheint hilfreich für die Entwicklung“ (Ott, 2016, S. 726; auch Woolner, 2004). Das belegt desgleichen Seeger im Rahmen seiner Untersuchung: „Diejenigen Schüler zeigen schlechtere Ergebnisse, die nach Lehrbüchern unterrichtet werden, die sich stärker auf die OperatorDarstellung bei der Einführung der Prozentrechnung konzentrieren, weniger den Vergleich verschiedener Verfahren explizit problematisieren und weniger geometrische Visualisierungen und grafische Darstellungen benutzen“ (1990, S. 77). Wenn sich Lernende den Gründen für die Zeichnung einer wie auch immer gearteten Darstellung bewusst werden, können sie den Nutzen und die Absicht der
3 Der
Prozentstreifen ist als solche externe Repräsentation zu verstehen.
3.2 Ausgewählte empirische Befunde zu Visualisierungen
73
Anwendung auch kommunizieren (Poch et al., 2015). Den genannten Forderungen können vergleichbare Ansätze und Erkenntnisse aus der Aktionsforschung zugeordnet werden. Diese sind unter anderem zu finden bei: Baum & Klein, 2010: „Lösungsstrategien für Textaufgaben“; Huinker, 1993: „‘Sechs Übersetzungsvorgänge’ zwischen den Darstellungsebenen“; Lechleitner, 2002: „Leitfaden Textaufgaben“; Ronhovde, 2009: „step-by-step method of solving word problems“ und Schulteis, Witte & Gawlick, 2013: „Individuelle Interventionsstrategien bei der Bearbeitung von problemhaltigen Textaufgaben“. Das Integrieren von Visualisierungen wird konsequenterweise auch im Bildungsplan Baden-Württemberg (2016), auf Grundlage der KMK-Bildungsstandards (2004), in allen prozessbezogenen Kompetenzen hervorgehoben. So wird dem Darstellen entsprechend seiner Bedeutung für die Mathematik, auch im Mathematikunterricht ein hoher Stellenwert eingeräumt. Ein guter Mathematikunterricht sollte demnach kognitiv aktivierend, reichhaltig und motivierend sein. Darstellungen zu interpretieren, zu bewerten, zu entwickeln und zwischen ihnen wechseln zu können ist dabei wesentlich für mathematische Erkenntnisprozesse (ebd.).
3.2.3
Zur Verwendung von Visualisierungen
Trotz der angeführten Aspekte im vorangegangen Kapitel, scheint es, als seien Lernende gegenüber der Verwendung von Visualisierungen im Mathematikunterricht offensichtlich zurückhaltend (Presmeg, 2006). Diese Aussage geht auf Eisenberg & Dreyfus (1991) zurück, die als Ursache anführen, dass Lehrende selbst kaum Visualisierungen verwenden. Ein Verhalten, welches sich offenbar auf die Lernenden überträgt: „Difficulties and errors in generating accurate and effective diagrams are generally associated with students’ lack of expertise in diagrammatic representation“ (zitiert nach Diezmann, 2000, S. 233). Ähnliche Schlussfolgerungen können aus einer Studie mit Lernenden der Sekundarstufe I gezogen werden, aus der folgendes bezeichnendes Zitat stammt: “No students spontaneously drew diagrams in solving (…) percent problems“ (Dole et al., 1997, o. S.). Ahmad et al. (2010, S. 356) bestätigen dies in ihrer Untersuchung mit 381 Achtklässlern: „Results indicated that less than two percent of the problems were solved using pictorial representation and most of the students preferred to use schematics solutions“ (auch Peters, B., Holzäpfel, L., Leuders, T. & Schulz, A., 2017; Uesaka et al., 2010 oder Van Galen & Van Eerde, 2013). Rianaseri, Budayasa & Patahuddin (2012) schlussfolgern: „[S]tudents struggle to figure out or make a drawing of situations including percentage“ (S. 37), woraus Van Galen & Van Eerde (2013) ableiten, dass Lernende keine systematische Vorgehensweise
74
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
zum Umgang mit Prozenten haben. Dass selbst bei Erwachsenen, hier angehende Lehrkräfte sowie Studentinnen und Studenten, Lösungsmöglichkeiten zu Prozentaufgaben über alle Untersuchungsgruppen hinweg höchst selten ikonisch waren, konnten Obenland, Wörn & Wagner (2011) nachweisen. Auch in der vorliegenden Studie, kann sowohl für den qualitativen als auch den quantitativen Teil festgehalten werden, dass Schülerinnen und Schüler, bis auf eine Ausnahme, keine Visualisierungen im Verständnis dieser Arbeit in ihren Lösungsprozess integrierten (Thiede et al., 2015, 2016)4 . Aus den Befragungen der Lehrerinnen und Lehrer (N = 11) im Vorfeld des quantitativen Studienteils lässt sich zwar ableiten, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht die üblichen diagrammatischen, mengenveranschaulichenden Darstellungen (Kreis-, Streifen-, Balken- und Säulendiagramme) kennenlernen, im Kontext der Prozentrechnung finden dann aber, wenn überhaupt, nur allgemeine (Situations-) Skizzen oder Zeichnungen Anwendung. Spezielle Visualisierungen wie der Prozentstreifen kommen nicht zum Einsatz (ebd.). Dieser Umstand spiegelt sich in der Frage nach den Bearbeitungsschritten beim Lösen von Textaufgaben durch Schülerinnen und Schülern wider. Diese waren angehalten ihre Lösungsschritte auf einer fünfstufigen Likert-Skala (von 1 „trifft gar nicht zu“ bis 5 „trifft genau zu“) zu verorten (Tabelle 3.1). Die aus den Mittelwerten abzuleitenden Erkenntnisse offenbaren ein interessantes Bild. So scheinen Arbeitsschritte, die auf das Verstehen der Aufgabe (Bearbeitungsschritte a & b) abzielen, zwar einen besonderen Stellenwert im Lösungsprozess der Schülerinnen und Schüler einzunehmen, das Anwenden von Skizzen oder Zeichnungen (Bearbeitungsschritt h) spielt dabei jedoch eine untergeordnete Rolle.
4 Diese
studie.
Aussagen beziehen sich auf Erkenntnisse vor der Durchführung der Interventions-
3.2 Ausgewählte empirische Befunde zu Visualisierungen
75
Tabelle 3.1 Bearbeitungsschritte beim Lösen von Textaufgaben (Klassenstufe 7/8, Werkrealschule/Realschule) Wenn ich eine Textaufgabe bearbeite, dann
N
M
SD
a. …versuche ich den Inhalt zu verstehen.
265
4,30
1,24
b. …lese ich sie mehrmals durch.
266
4,20
,98
c. …kontrolliere ich am Ende mein Ergebnis.
265
3,71
1,32
d. …schreibe ich mir auf, was gegeben und gesucht ist.
265
3,60
1,31
e. …stelle ich mir die beschriebene Situation genau vor.
264
3,47
1,24
f. …konzentriere ich mich nur auf die Zahlen im Text.
266
3,36
1,07
g. …zerlege ich sie in Teilschritte und bearbeite sie dann.
266
2,83
1,20
h …mache ich eine Skizze oder Zeichnung.
265
2,36
1,15
Anmerkung. Die Tabelle wurde nach absteigenden Zustimmungswerten sortiert. N = Stichprobengröße; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung. (Diese Abkürzungen gelten für den nachstehenden Text und die nachstehenden Tabellen.)
3.2.4
Schwierigkeiten im Umgang mit Visualisierungen
“However, the complexity of using representations both as a tool to solve mathematical word problems and as a means of instructing students how to use representations in this process is often underestimated.” (Poch et al., 2015, S. 153)
Vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes offensichtlicher Vorteile von Visualisierungen sowie der bestehenden Zurückhaltung beim Nutzen solcher, sind nicht zuletzt vor der Perspektive der praktischen Umsetzung potenzielle Hürden in deren Handhabung zu beachten. Das bestätigten beispielsweise die folgenden Aussagen a) und b), wonach Bilder nur dann eine lernfördernde Funktion besitzen, wenn die Lernenden a) eher geringere Lernvoraussetzungen haben und b) Bilder die Sachverhalte in anforderungsadäquater Form wiedergeben. So kann sich das Hinzufügen von Bildern (beispielsweise das Zeichnen des Prozentstreifens) zu einem Text (beispielsweise eine Textaufgabe) im Umkehrschluss auf Lernende mit höheren Lernvoraussetzungen negativ auswirken, wenn die Form der Visualisierung nicht aufgabenadäquat ist (Schnotz & Bannert, 2003). Geiger, Stradtmann, Vogel & Seufert (2012) benennen überdies problematische Transformationsprozesse, die bei der Übersetzung von Informationen unterschiedlicher Repräsentationsebenen auftreten können. Der Tatsache, dass also in einigen Untersuchungen, auch über die Mathematikdidaktik hinaus, auf mögliche Interferenzen
76
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
hingewiesen wird, muss Beachtung geschenkt werden. Visuelle Strukturierungshilfen, wie der Prozentstreifen, aber auch andere Diagramme und Skizzen können demnach eine Lernhürde darstellen, da sie, wie bereits erwähnt, nicht nur als Lernhilfe, sondern parallel zunächst erst einmal als zusätzlicher Lerngegenstand auftreten (Ainsworth, 1999; Berger, 1991; Sweller, 2005). Gleichermaßen konstatierte Schipper (1982), dass „Veranschaulichungshilfen […] für die Mehrzahl der Kinder keine aus sich heraus ‘sprechenden Bilder’ sondern Unterrichtsstoff, wie jeder andere [sind]“ (zitiert nach Seeger, 1990, S. 37). Daher haben Lernende immer wieder Schwierigkeiten, Grafiken als Bearbeitungshilfen zu nutzen (Franke & Ruwisch, 2010, zitiert nach Ott, 2016, S. 723). Schwierigkeiten bei der effektiven und effizienten Anwendung, beispielsweise von Diagrammen, haben nach Poch et al. (2015) insbesondere Lernende mit Lernschwierigkeiten. Darüber hinaus zeigen Studien weitere negative Effekte auf, die fehlerhafte Lösungen bedingen. “Findings from several studies (e.g., Van Garderen & Montague, 2003; Van Garderen, Scheuermann, & Jackson, 2013) clearly demonstrate that if students experience difficulty when using a diagram to solve mathematical word problems, they are more likely to get the problem incorrect” (Poch et al., 2015, S. 154). Auch De Bock, Verschaffel, Janssens, Van Dooren & Claes (2003) weisen signifikante, negative Effekte auf die Performanz der Schülerinnen und Schüler bei der Anwendung einer selbst generierten Darstellung zu einer Textaufgabe nach. Schlussfolgernd resümiert Ahmad: „Much has to be done in this area of how visualization can be integrated in teaching and learning of mathematics in the classrooms“ (2010, S. 361). Um dies zu unterstützen ist die Kenntnis der beschriebenen und weiterer Hürden hilfreich. Eine Visualisierung kann demnach • • • •
an irrelevante Details geknüpft sein, falsche Informationen einführen, unflexibles Denken induzieren und andere, möglicherweise sinnvollere Denkwege verhindern (Presmeg, 2006).
3.3
Visualisierungen im Kontext der Cognitive Load Theory (CLT)
Ein relevanter Zusammenhang besteht zwischen Vorteilen des Externalisierens von Gedankengängen (=Zeichnen einer Visualisierung) und den Kapazitäten des für die Bearbeitungsprozesse mitverantwortlichen Arbeitsgedächtnisses. “Mathematical word problem solving includes monitoring and coordinating multiple processes, such as reading, language comprehension, problem representation,
3.3 Visualisierungen im Kontext der Cognitive Load Theory (CLT)
77
selection and execution of calculation operations” (Pavlic-Bernardic, 2008). Es ist luzide, dass diese Vielzahl an Aktivitäten eine Menge an Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses (engl.: working memory) beansprucht. Doch welchen konkreten Einfluss hat das auf den Lösungsprozess? Forschende auf diesem Gebiet gehen konform in der Annahme, dass das Arbeitsgedächtnis besonders bei Aktivitäten um komplexe kognitive Prozesse, wie Textverstehen und dem Lösen unterschiedlicher mathematischer Aufgaben wichtig ist (Pavlic-Bernardic, 2008). Bei der Planung des Lösungsweges müssen Aufgabenbedingungen im Arbeitsgedächtnis präsent gehalten werden, was eine beträchtliche kognitive Belastung darstellt (Schnotz, Baadte, Müller & Rasch, 2011). Eine zur Aufgabe passende externe Visualisierung kann die ablaufenden Prozesse stützen und somit zur Reduktion der kognitiven Belastung (cognitive load) beitragen. Generell erscheint „das Aufschreiben von Gegebenheiten einer Aufgabe oder von Zwischenergebnissen und anderen Notizen während des Denkprozesses eine nützliche Unterstützung des Lösungsprozesses“ zu sein (Mourtos, DeJong Okomato & Ree, 2004, zitiert nach Rasch, 2015, S. 210). Lernende sollten angehalten werden, diese externen Gedächtnissysteme zu nutzen (Rasch, 2009), denn die psychologische Forschung unterstellt eine bestehende Korrelation von mathematischen Schwierigkeiten und dem Arbeitsgedächtnis. „Passolunghi and Siegel (2001) have found that poor mathematical problem solvers do worse on verbal and numerical measures of working memory and have difficulties in inhibiting irrelevant information“ (Pavlin-Bernadic, 2008, S. 36). Grundlegend lassen sich mit den allgemeinen Erkenntnissen rund um die so genannte Theorie der kognitiven Belastung Prinzipien (design principles) zur Gestaltung von effektiven Lehr-Lernprozessen und -materialien ableiten. Diese Prinzipien tragen somit zur Klärung der Frage bei, warum bestimmte Instruktionen wirken oder nicht wirken (Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011). Exemplarisch sei der Effekt ausgearbeiteter Lösungsbeispiele (The Worked Example Effect) genannt, der die Erhöhung der lernförderlichen Belastung und bessere Lernleistungen postuliert. So können einmal erlernte Lösungsbeispiele immer wieder zur Problemlösung herangezogen werden (Bay & Thiede, 2016). Die CLT basiert auf den Erkenntnissen von John Sweller (1988) und geht von der Annahme dreier unterschiedlicher Belastungsarten aus: intrinsische Belastung (intrinsic load), extrinsische Belastung (extraneous load) und lernförderliche Ressourcen/Belastung (germane resources/load) (Renkl & Atkinson, 2003; Rey, 2009; Sweller et al., 2011). Diese werden nachfolgend zusammenfassend skizziert (Abbildung 3.1).
78
3 Visualisierungen in der (mathematischen) Bildung
Die intrinsische Belastung (Intrinsic Load) Die intrinsische Belastung steht im Zusammenhang mit der grundlegenden Struktur von Informationen, die sich Lernende, ungeachtet instruktionaler Prozesse, zur Erreichung der Lernziele aneignen müssen (Sweller et al., 2011). Entscheidende Faktoren sind hier die Elementinteraktivität (element interactivity) und das Vorwissen (prior knowledge) der Lernenden. Interaktive Elemente sind Elemente, die simultan im Arbeitsgedächtnis verarbeitet werden müssen, um einen Inhalt zu erschließen. Dieses betrifft ebenso die Verbindungen zwischen ihnen. Das Vorwissen ist insofern von entscheidendem Belang, als dass hohes, in Schemata organisiertes Vorwissen, trotz der möglichen Komplexität des Sachverhalts als ein einzelnes Element repräsentiert, abgerufen und behandelt werden kann (…). Ein geringes Vorwissen hingegen bedeutet eine parallele Verarbeitung der einzelnen Elemente und ihrer Substrukturen (Scheiter, 2015). Die extrinsische Belastung (Extraneous Load) Diese zweite, Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses in Anspruch nehmende Kategorie zielt auf die konkrete Darbietung der Informationen ab. Deren Beschaffenheit kann sich unter gewissen Umständen ebenso als Quelle unnötiger Belastung erweisen und somit den Wissenserwerb und Lernprozess beeinträchtigen (Sweller et al., 2011). Gemeint sind entsprechende mentale Aktivitäten, die nicht lernförderlich sind. Ein Beispiel ist die Darbietung von Informationen, die sowohl in visueller Text- als auch in Bildform dargestellt sind und somit von Lernenden eine hohe Konzentration, ergo kognitive Kapazität bei der Kohärenzherstellung erfordern können, ohne ihnen zusätzliche Informationen
zur
Verfügung
zu
stellen.
Konsekutiv
bleibt
hinsichtlich
des
eigentlichen
Lerngegenstandes wenig bis kein Raum für den tatsächlichen Prozess des Lernens (Renkl & Atkinson, 2003). Die lernförderlichen Ressourcen (Germane Resources) Die lernförderlichen Ressourcen korrelieren mit der Wesensart von Informationen (siehe intrinsic load). Ressourcen, die sich der intrinsischen Struktur von Informationen und der daraus resultierenden Belastung widmen, werden als lernförderlich oder auch als lernbezogen oder lernrelevant bezeichnet (Sweller et al., 2011). Üblicherweise wird zwar der Terminus „lernförderliche Belastung“
angestrengt,
Sweller
selbst
aber
verweist
auf
die
passendere
Bezeichnung
„lernförderliche Ressourcen“, da diese Belastung nicht durch das Material selbst hervorgerufen wird (Sweller et al., 2011). Inhaltlich werden konkrete Kapazitäten betrachtet, die das Arbeitsgedächtnis im Sinne der Lernförderlichkeit erübrigen kann. Daraus werden unter anderem das Lernen aus Lösungsbeispielen (worked-examples) und Selbsterklärungen (self-explanations) abgeleitet. Die Auseinandersetzung mit Selbsterklärungen beispielsweise führt zwar zu einer erhöhten kognitiven Belastung, diese jedoch trägt explizit zur Schemakonstruktion bei (Renkl & Atkinson, 2003).
Abbildung 3.1 Überblick über die verschiedenen Arten von Belastung im Sinne der Cognitive load theory (Bay & Thiede, 2016, S. 127 f.)
3.4 Zusammenfassung
79
Insbesondere für die Ausgestaltung von „Lehr- und Lernmaterialien ist die Kenntnis und Beachtung der Kategorien der kognitiven Belastung äußerst sinnvoll“ (Bay & Thiede, 2016, S. 123). „Die Gestaltungshinweise der CLT stellen (…) einen wichtigen Bezugsrahmen für die konkrete Organisation der Lernumgebung dar“ (ebd., S. 134). Das Primärziel ist die Erhöhung der Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses. Die freiwerdenden Kapazitäten wiederum, können für eine lernförderliche Auseinandersetzung mit intrinsischen Belastungen genutzt werden (Sweller et al., 2011). Parallelen zum Prozentstreifen als flexibel einsetzbare Visualisierung werden deutlich, denn dieser kann die kognitive Belastung reduzieren und somit lernförderliche Kapazitäten schaffen.
3.4
Zusammenfassung
Visualisierungen als bildhaft-analoge Darstellungen von Informationen besitzen eine Fülle von Funktionen, die zentrale Mehrwerte des Anwendens etwa in Problemlöse-, Argumentations- oder Modellierungsprozessen wiederspiegeln. Ihnen wird demnach ein allgemeiner Nutzen im (Mathematik-) Unterricht zugeschrieben, da sie unter anderem Strukturierungs- und Verstehensprozesse fördern (Arcavi, 2003; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003). Zudem weisen sie heuristische Funktionen auf, die gleichermaßen zur Problemlösung beitragen können (Fehse, 2001; Jonassen, 2003; Verschaffel, 2000). Das belegt eine Vielzahl von Studien, deren Erkenntnisse in wichtigen didaktischen Implikationen, auch für das eigene Forschungsprojekt, münden. Ein Unterricht, der passende Visualisierungen lernförderlich integriert ist das gemeinsame Anliegen dieser Ableitungen. Zu beachten ist dabei, dass Visualisierungen zum einen nicht per se lernförderlich sind, da auch sie zunächst erlernt werden müssen und zum anderen, dass es offenbar eine gewisse „Zurückhaltung“ beim Verwenden von Visualisierungen gibt. Dafür sind neben Aspekten wie der mangelnden lehrerseitigen Präsenz auch „interne“ Schwierigkeiten von Visualisierungen verantwortlich. Diese sind eng mit Lehrund Lernprozessen im Kontext der CLT verknüpft, wonach die Ausgestaltung von Lehr- und Lernmaterialien (Visualisierungen) bestimmten Gestaltungsprinzipien unterliegt, die es zu beachten gilt.
4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext von Textaufgaben
„Hilf mir, es selbst zu tun.“ (Montessori, M., o. J.)
Im nun folgenden, letzten Theoriekapitel rückt der Prozentstreifen als spezielle Visualisierung im Kontext der Bearbeitung von Textaufgaben in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Ein kompakter Problemaufriss skizziert zunächst spezielle Anforderungen, die sowohl an Textaufgaben als auch an die Nutzung von Visualisierungen gestellt werden. Im darauffolgenden Kapitel wird das Verständnis des Prozentstreifens als Hilfsmittel bei Textaufgaben erläutert sowie seine Verortung in damit einhergehenden Modellierungsprozessen vorgenommen. Die Benennung unterschiedlicher Funktionen vertieft diese Erläuterung. Abschließend werden theoretische, prozentstreifenrelevante Aspekte ausgeführt, um das methodische Fundament inhaltlich weiter zu festigen.
4.1
Problemaufriss
Die zahlreichen empirischen Befunde zu defizitären Übersetzungsfähigkeiten und beschränkten Grundvorstellungsrepertoires von Lernenden bekräftigen, dass „die Förderung eines kompetenten Umgangs mit Textaufgaben nur über eine Rückgewinnung inhaltlicher Bedeutsamkeit gelingen wird“ (Schütte, 1993, S. 25). Diese Forderung nach Stärkung des inhaltlichen Denkens und des gezielten Aufbaus von Grundvorstellungen findet sich bei vielen Autoren und Autorinnen über alle Schulstufen hinweg (Prediger, 2009). „Gleichwohl ist das Prinzip ‘Inhaltliches Denken vor Kalkül’ in der Praxis des Unterrichtens und vor allem Prüfens bisher nur teilweise umgesetzt“ (ebd., S. 233). Dahingehend sind auch die Ergebnisse © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_4
81
82
4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
von Hegarty et al. (1995) zu verstehen, die darauf verweisen, dass erfolglose Lernende ihre Lösung auf Zahlen und Schlüsselwörtern aufbauen (zitiert nach Jonassen, 2003). Zu komplex ist eben das Lösen einer Textaufgabe, als dass ein simples „Reizwort/Reizzahl“-Verfahren ausreichend wäre. „Rather, successful problem solving requires • • • • •
the comprehension of relevant textual information, the capacity to visualize the data, the capacity to recognize the deep structure of the problem, the capacity to correctly sequence their solution activities, and the capacity and willingness to evaluate the procedure used to solve the problem. (Lucangeli, Tressoldi & Cendron, 1998, zitiert nach Jonassen, 2003, S. 269)
Ein entscheidender Schritt ist also die Fähigkeit Daten zu visualisieren. Wie bereits deutlich wurde, stellt das Verstehen und effektive Nutzen von Visualisierungen wie Diagrammen, multiple Anforderungen an die Konzept- und Fähigkeitsebene der Lernenden. Diesbezüglich formulieren Diezmann & English (2001) bestimmte Schritte, die Lernende beim Anwenden einer Visualisierung durchlaufen und konkretisieren damit einhergehende Anforderungen. Ihre Ausführungen erweitern die zuvor genannten Bedingungen erfolgreicher Aufgabenbearbeitungen. Das Lösen einer Textaufgabe beinhaltet demnach diverse Übersetzungstätigkeiten, wie • das Identifizieren relevanter und irrelevanter Informationen, • die Erkenntnis, dass ein Diagramm beim Lösen helfen kann, • eine angemessene Abbildung der relevanten Informationen mit Hilfe eines entsprechenden Diagramms, • den Zugriff auf Vorwissen in Zusammenhang mit der logischen Kombination des neuen Lerngegenstandes und • das Modifizieren oder Neukonstruieren des Diagramms, wenn nötig.“ (Diezmann & English, 2001) Eine entscheidende Fähigkeit liegt demzufolge in dem Arbeitsschritt, die relevanten Daten der Aufgabe in einem Diagramm abzubilden („visualize the data“) und dieses als Lösungshilfe zu nutzen.
4.2 Zum Verständnis des Prozentstreifens …
4.2
83
Zum Verständnis des Prozentstreifens in der vorliegenden Arbeit und seiner Verortung im Modellierungsprozess
Konzeptuelle (mentale) Modelle können einen erfolgreichen Lösungsprozess unterstützen, da sie Informationsmuster und Aufgabenstruktur abbilden (Riley & Greeno, 1988, zitiert nach Jonassen, 2003). Reusser (1993) weist das Ziel aus, ein solches konzeptuelles Modell konstruieren zu können, eines, welches die Situation der Aufgabe, die Struktur und eine Rechenhilfe widerspiegelt (zitiert nach Jonassen, 2003) und folglich zu einem verbesserten Verständnis führen soll. Eine aktuelle Studie bekräftigt diese Forderung. So wurden im Projekt „Mathematiklernen unter Bedingungen der Mehrsprachigkeit (MuM-Prozente)“ der Technischen Universität Dortmund Förderbausteine für sprachlich schwache Lernende zur Prozentrechnung entwickelt und erforscht. Zentrales Anliegen war die Entwicklung eines fach- und sprachintegrierten Lehr-Lern-Arrangements zu Prozenten, welches es überdies ermöglichen sollte die initiierten Lernwege von Schülerinnen und Schülern zu untersuchen (Pöhler, 2018). Eine für die eigene Arbeit relevante Erkenntnis stützt sich auf die Quintessenz, „dass sprachlich schwache Lernende nicht nur an Lesehürden scheitern, sondern es ihnen insbesondere an konzeptuellem Verständnis mangelt (…)“ und verweist „insbesondere auf die Notwendigkeit, beim Aufbau des konzeptuellen Verständnisses anzusetzen“ (ebd., S. 385). Ein Anliegen, welches durch den Einsatz des Prozentstreifens umgesetzt werden soll. Um die Verwendung des Prozentstreifens beim Lösen von Prozentaufgaben zu konkretisieren und somit handhabbar und erlebbar zu machen, wird dessen Einsatz an einem Beispiel im Kontext des Referenz-Modellierungskreislaufes nach Verschaffel (Abschnitt 2.5.2) dargestellt (Abbildung 4.1). Es handelt sich dabei um eine Interventionsaufgabe aus dem quantitativen Studienteil. Der Prozentstreifen wird im Modellierungsprozess nach Verschaffel et al. bei der Bildung des Situationsmodells verortet. Dort fungiert er als reduziertes Situationsmodell in diagrammatischer Form, da durch ihn relevante Teile der Textaufgabe komprimiert dargestellt werden. Er unterstützt also den kognitiven Mechanismus des Lösungsprozesses (Jonasson, 2003), indem er in dieser ersten Phase der Aufgabenbearbeitung Lernende dabei unterstützt zu entscheiden, welche Elemente für das Situationsmodell essentiell und welche weniger wichtig sind. Der Prozentstreifen könnte in Teilen auch dem mathematischen Modell zugeordnet werden, da er Zahlbeziehungen deutlich macht, allerdings spricht insbesondere die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler mit dem Prozentstreifen (allein) nicht rechnen können, dagegen. Es bedarf immer einer sich anschließenden Rechenprozedur in Form von Formel, Dreisatz, Verhältnisgleichung oder
84
4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
Abbildung 4.1 Verständnis des Prozentstreifens (eigene Darstellung) im schematischen Diagramm vom Modellierungsprozess (nach Verschaffel, Greer & deCorte, 2000) am konkreten Aufgabenbeispiel
sonstigen Lösungsverfahren. In einem weiteren Schritt hilft der Prozentstreifen dabei das Situationsmodell in ein mathematisches Modell zu überführen. Nach dem Berechnen und Interpretieren des Ergebnisses sollte dieses bezüglich des Aufgabenkontextes validiert werden. Auch dabei kann der Prozentstreifen unterstützen, da er die relevanten Verhältnisse abbildet und somit Zusammenhänge derer untereinander aufzeigt. Der Prozentstreifen ist methodisch in einem sechsschrittigen Lösungsprozess eingebettet. Dieser Prozess entspricht inhaltlich der Intervention aus dem quantitativen Studienteil und ist an die Theorie zum Lernen mit Lösungsbeispielen und instruktionalen Erklärungen angelehnt (Abschnitt 4.3.2). Diese sechs Lösungs-, respektive Instruktionsschritte heißen (eigene Darstellung):
4.2 Zum Verständnis des Prozentstreifens …
85
1. Lies die Textaufgabe sorgfältig durch. 2. Zeichne einen Prozentstreifen und schreibe die relevanten Zahlen der Textaufgabe an die entsprechende Stelle des Prozentstreifens. 3. Erstelle eine Dreisatztabelle und schreibe die wichtigen Zahlen der Textaufgabe in die Dreisatztabelle. (Natürlich sind prinzipiell auch andere Lösungsverfahren möglich.) 4. Berechne. 5. Schreibe das Ergebnis an den Prozentstreifen und kontrolliere. 6. Formuliere einen Antwortsatz.
Funktion(en) des Prozentstreifens Nach Prediger (2009, 2010a) lassen sich zentrale Hürden in den Übersetzungsprozessen von der realen Situation zur Mathematik und zurück ausmachen: Schwierigkeiten im Erfassen der Situation, bei der Operationsauswahl und der Validierung. Der Prozentstreifen als Hilfsmittel beim Lösen von Prozentaufgaben fokussiert vor allem die Aspekte Schwierigkeiten im Erfassen der Situation und Validierung. Verschiedene Faktoren haben dabei Einfluss auf das Erfassen der Situation bezüglich des Leseverständnisses: die sprachliche Decodierung, das erforderliche (fehlende) Weltwissen, die notwendige Situationsstrukturierung oder spezifische Sprachprobleme. Die Folge sind strukturelle Schwierigkeiten im Erfassen der Aufgabenstellung, die über einzelne fehlende Vokabeln hinausgehen. Schwierigkeiten mit der Validierung und der Authentizität des Kontextes wurden bereits in Abschnitt 2.3.3.3 beschrieben.1 Der Prozentstreifen (engl. percentage bar oder bar model) kann den beschriebenen Hürden und Schwierigkeiten im Übersetzungsprozess entgegenwirken, da er essentielle Aspekte sowie die Struktur der Aufgabe wiedergibt und somit ein klares und konkretes Bild der Verhältnisse (der gegebenen Zahlen) darstellt (Hoven & Garelick, 2007; Prediger & Pöhler, 2015; Pöhler, 2018; Pöhler & Prediger, 2015; Van de Walle et al., 2014a; Van Galen & Van Eerde, 2013; Van den Heuvel-Panhuizen, 1994, 2003). „A key feature of percentage, that one has to understand in order to have insight, is that a percentage is a relation between two numbers or magnitudes that is expressed by means of a ratio“ (Van den Heuvel-Panhuizen, 1994, S. 356). Das Zeichnen des Prozentstreifens ist dabei eine spezifische Variante der Strategie „draw a picture“ (Hoven & Garelick, 2007).2 Van Meter & Garner (2005) verstehen darunter 1 Prediger
(2009) führt weiterhin Schwierigkeiten bei der Operationswahl an, denn gerade wenn die Situation nicht vollständig erfasst wurde, fällt gerade rechenschwächeren Lernenden die Entscheidung für eine Operation schwer. 2 Diese Strategie findet sich beispielsweise auch in so genannten Strategieschlüsseln wieder (Herold-Blasius, 2016).
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4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
konstruktives Zeichnen, also eine gezielte Strategie. Van den Heuvel-Panhuizen (2003) und Rianasari et al. (2012) zufolge, entsteht so ein besserer Zugriff auf problemhaltige Situationen. Erkenntnisse diesbezüglich gehen unter anderem zurück auf die Untersuchungen von Van den Heuvel-Panhuizen. In ihren Ausführungen „An example from a longitudinal trajectory“ stellt sie gewissermaßen eine methodische Hinführung zur Prozentrechnung dar, die aus verschiedenen, einfachen Situationen heraus über die Verwendung bei komplexen Aufgaben dazu führt, dass sich ein Wandel von a model of zu a model for vollzieht. „[This] implies that a model, which on a context-connected level symbolized an informal solution, in the end becomes a model for formal solutions on a more general level“ (Van den Heuvel-Panhuizen, 2003, S. 30). Van Galen & Van Eerde (2013, S. 3) schlussfolgern daraus: [The percentage] bar offers scrap paper for the intermediate steps in the calculation process. (…) [The] students can keep track of their thinking processes, can see what they are doing, decide what to do next after every step, and make corrections if necessary.
Darüber hinaus hilft er beim Abschätzen, Kalkulieren und Denken (ebd.; Rianaseri et al., 2012; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003). Neben strukturellen Problemen wissen Lernende oft nicht einmal genau, “was durch was” geteilt werden muss. Zudem wird erwartet, „dass sie mit mehr oder weniger Unterstützung die relevanten, situationsunabhängigen Strukturen abstrahieren und diese Strukturen dann in der neuen Situation wiedererkennen“ (Kaiser, 2011, S. 41). Der Prozentstreifen ist vielseitig und kann dabei in verschiedenen komplexen Situationen angewendet werden, insbesondere bei Problemen, die Vergleiche oder Anteil-Ganzes-Berechnungen erfordern (Hoven & Garelick, 2007). Ziel sollte sein, dass das Beherrschen einer bekannten Situation Schülerinnen und Schülern beim Erlernen einer neuen Situation unterstützt (Kaiser, 2011). Die Nutzung des Prozentstreifens soll unter anderem dazu führen diese Transferaktivitäten herzustellen, zumal zwischen den Grundaufgaben der Prozentrechnung strukturelle Gleichheiten bestehen und so eine gewisse Kontextunabhängigkeit besteht. „[F]or learning to solve all kind of problems, understanding is needed and the percentage bar helps to build that understanding“ (Van Galen & Van Eerde, 2013, S. 8). An dieser Stelle zeigt sich bereits ein großer Vorteil der Streifendarstellung im Vergleich zu anderen, typischen Darstellungen, die in der Prozentrechnung verwendet werden, wie zum Beispiel der bekannten Kreisdarstellung (Tortendiagramm), die bei der Darstellung von Prozentangaben über 100 limitiert ist (Parker, 2004; Van
4.2 Zum Verständnis des Prozentstreifens …
87
der Walle et al. 2014a,b). Oft haben Grafiken in diesem Kontext eine dekorative Funktion, sind also für das Lösen der Aufgabe verzichtbar. Ihre Funktion beschränkt sich rein auf die Veranschaulichung von Mengen (Zipfler, 2015).3 In Anlehnung an Kaiser (2011) ist der Prozentstreifen ein so genanntes boundary object, welches flexibel von mehreren Seiten zugänglich ist. Die grafische Veranschaulichung im Streifendiagramm, auch in Hinblick auf das überschlägige Arbeiten, empfiehlt ebenso Krauter (2005) im Rahmen einer methodischen Stufenfolge im Unterricht. Viele Aufgaben können so „ohne Rechnen, aber mit viel Verständnis gelöst werden“ (S. 7). Der Prozentstreifen fungiert als metakognitives Element im Bearbeitungs- und Lösungsprozess. “It communicates graphically and instantly the information that the learner already knows, and it shows the student how to use that information to solve the problem“ (Hoven & Garelick, 2007, S. 28). Dieser Aspekt ist wichtig, da das Wissen über die Verwendung kognitiver Strategien („Das Wann und Wie“) ein Prädiktor für den Lösungserfolg ist.4 Den beschriebenen Bedenken, hinsichtlich einer potenziellen Nicht-Adäquatheit von Visualisierungen (Schnotz & Bannert, 2003, Abschnitt 3.2.4) sowie der Vermutung, dass möglicherweise nur einige Lernende unterstützt werden, kann begegnet werden, da der Prozentstreifen a) als bildhaft-analoge Darstellung zu betrachten ist und b) Untersuchungsergebnisse zeigten, dass auch prozedural und konzeptuell gefestigte Lerner den Prozentstreifen als unterstützendes Element anerkennen und in ihren Lösungsprozess integrieren, beispielsweise zur Validierung des Ergebnisses (Thiede et al., 2015)5 . Dies bestätigte sich gegenwärtig im Rahmen des Projekts „Visualisierungen und Arbeitsmittel in der Prozentrechnung (ViPro)“ der Ludwig-Maximilians-Universität München am Beispiel des Hilfsmittels Prozentband. In diesem Projekt werden Voraussetzungen, Prozesse und Wirkungen für den Einsatz des Prozentbandes im Unterricht der Sekundarstufe I und damit korrelierende Moderatoren für seine Wirksamkeit untersucht. Das Prozentband weist in seiner Nutzung Parallelen zum Prozentstreifen auf, indem es beispielsweise die Zuordnung von Wertepaaren erleichtert und Lernende ersten Untersuchungen zufolge ihre Ergebnisse mit Hilfe des Instruments kontrollieren (Willms & Ufer, 2017). Passend zur empirisch belegten Rahmung lässt sich festhalten, dass das Zeichnen, also das Erstellen und Nutzen selbst generierter Zeichnungen einen immanenten Mehrwert besitzen (Nunokawa, 2006; Van Essen & Hamaker, 1990; 3 Diese
Befunde wurden im Rahmen einer begleitenden Zulassungsarbeit, auf der Basis einer umfassenden Schulbuchanalyse expliziert. 4 Der Einfluss von Metakognition kann unter anderem bei Teong, S. (2003). The effect of metacognitive training on mathematical word-problem solving nachgelesen werden. 5 Siehe qualitative Studie, Versuchsfall 3, S10&S11.
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4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
Van Meter & Garner, 2005, Van der Walle et al., 2014a,b). Bezogen auf das Zeichnen des Prozentstreifens sprechen Hoven & Garelick von sichtbaren Vorteilen: „[T]he students immediately understood its purpose and most of them could solve problems that they probably could not have done otherwise“ (2007, S. 6). Ältere Befunde, diezeigen, dass der Umgang mit Visualisierungen, insbesondere für schwache Lernende schwierig sind Radatz (1986), können in diesem Sinne vernachlässigt werden, da Anzeichen dafür im eigenen qualitativen Studienteil nicht erkennbar waren.
4.3
Der Prozentstreifen als (vorteilhafter) Bestandteil einer Lösungsstrategie
Der Prozentstreifen fungiert als strukturierendes und korrektives Hilfsmittel und kann dem unverstandenen Extrahieren und Zuordnen von Zahlen beim Lösen von Textaufgaben entgegenwirken, auch dadurch begünstigt, dass er an die Vorerfahrungen der Lernenden (beispielsweise dem Anteil-Ganzes-Prinzip der Bruchrechnung) anknüpft. Skizzen wie der Prozentstreifen führen Lernende dann „zur Lösung, wenn es gelingt, lösungsrelevante Merkmale zu repräsentieren und irrelevante zu selektieren (Franke & Ruwisch, 2010; Norman, 1993) sowie auf dieser Basis das erforderliche Vorwissen zu aktivieren“ (Steiner, 1988, zitiert nach Sturm, 2018, S. 40). Das Lösungsstrategierepertoire von Schülerinnen und Schülern zu erweitern ist hinsichtlich der Flexibilität im Umgang mit mathematischen Problemen notwendig und sinnvoll, da Kenntnisse über verschiedene Lösungswege eben jene Flexibilität langfristig sichern (Römer, 2008). So formulierte bereits Baireuther (1983), dass schematisches Lernen zwar kurzfristig erfolgreich sei, jedoch schnelles Vergessen fördere und zusätzlich eine Fehlerwahrscheinlichkeit in sich berge, die dann auftritt, sobald sich die Struktur der Aufgabe ändert. Auch Vollrath fordert: „Schüler sind zu einem beweglichen Arbeiten mit unterschiedlichen Verfahren anzuhalten, bei dem sie sich an die Sachsituation und an die Daten der Aufgaben anpassen“ (1993, S. 220). Spannenderweise stehen diesen Erkenntnissen die offensichtlich bevorzugte Verwendung einmal gelernter, starrer Lösungswege gegenüber. Appell (2004) verweist beispielsweise auf die Beliebtheit des Dreisatzes. Auch wenn ein Großteil der Probanden ihrer Untersuchung (N = 92, Lehramt Gymnasium) die Aufgabe: „In einem Laden werden alle Preise um 20 % reduziert. Wie viel kostet jetzt eine Hose, die vorher 72 e gekostet hat?“, richtig löste, sei es verwunderlich, dass eben jenes vertraute Verfahren samt strikter Notation immer gleich angewendet wird. Und das, obwohl gerade das Prozentrechnen für eine Vielzahl von unterschiedlichen
4.3 Der Prozentstreifen als (vorteilhafter) Bestandteil …
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Verfahren prädestiniert sei und es ebenso leichtere Strategien gäbe. Appell vermutet weiterhin, dass der Dreisatz schwächeren Lernenden, denen es schwerfällt Zusammenhänge zu durchdringen, als Stütze dient. Dies kann aber dazu führen, dass Lernende die Textaufgabe direkt übersetzen, also zunächst 20 % berechnen, anstatt umgehend den Endpreis in Höhe von 80 %. Das Benutzen des Prozentstreifens kann an dieser Stelle einen positiven Nutzen haben, da sinnvolle (Zahlen-)Beziehungen sichtbar werden: So wird in diesem Fall deutlich, dass es sinnvoller ist unmittelbar das finale Ergebnis zu berechnen und somit sogar einen späteren Rechenschritt (Subtraktion des Prozentwertes vom Grundwert) einzusparen. Die intuitive Anwendung des Prozentstreifens offenbart demnach Vorteile, die auch andere Lösungsverfahren positiv beeinflussen können, wie beispielsweise die Formel, die für Lernende oft eine gewisse Verkomplizierung assoziiert und in vielen Fällen umgeformt werden muss. Ebenso kann der Prozentstreifen ohne Umwege eine Verhältnisgleichung anbahnen, die leicht aus der Darstellung abgeleitet werden kann.6 Dieser Gedanke lässt sich bereits bei Haubner (1992) finden, die diesen Aspekt in ihrer Vergleichsskala (comparison scale) verdeutlicht (Abbildung 4.2).
Abbildung 4.2 Vergleichsskala zum vereinfachten Verständnis des Aufbaus von Prozentaufgaben (Haubner, 1992, S. 232)
Die Vorteile des Prozentstreifens als Bestandteil einer Lösungsstrategie werden an dieser Stelle durch Erkenntnisse eines entsprechenden Fragebogens erweitert. Im Rahmen der eigenen Erhebungen erhielten die teilnehmenden Lehrerinnen 6 Die
Flexibilität des Prozentstreifens hinsichtlich seiner Kompatibilität zu anderen Lösungsverfahren deutet sein weiteres Potenzial an. Dieser Aspekt wird im Diskussionsteil noch einmal vertiefend aufgegriffen.
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4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
und Lehrer einen kurzen Fragebogen, der dazu dienen sollte die Vor- und Nachteile des Prozentstreifens aus Praxissicht zu beurteilen. Von den insgesamt 18 Lehrerinnen und Lehrern (9w/9m) wurden 11 Fragebögen zurückgesandt. Diese elf Lehrkräfte haben das Fach Mathematik studiert und verfügen über eine Unterrichtserfahrung von durchschnittlich 11–20 Jahren. Das Item 5 „Würden Sie den Prozentstreifen in dieser Form auch zukünftig im Unterricht einsetzen, bzw. haben Sie ihn schon eingesetzt?“ wurde von zehn Lehrkräften bejaht (eine Nichtbeantwortung). Davon ausgehend ist lehrerseitig also eine hundertprozentige Zustimmung gegeben, die durch die Anschlussfrage: „Worin sehen Sie konkret den Mehrwert dieser Visualisierung, ggf. auch aus Schülersicht?“ durch erfahrungsbasierte Aussagen ergänzt wird. Aus diesen wurde folgende Übersicht generiert (Tabelle 4.1). Die häufigsten Nennungen sind der Kategorie „Anschaulichkeit im Sinne des Verständnisses, respektive der Verständnisförderung“ zuzuordnen, gefolgt von der Kategorie „Validierung“. In der Summe bekräftigen diese Aussagen den Mehrwert des Prozentstreifens im Umgang mit dem Prozentrechnen und stellen eine praxiserfahrungsbasierte Erweiterung der bisherigen Studienergebnisse dar. Tabelle 4.1 Übersicht zu den Vorteilen des Prozentstreifens aus der Perspektive von Lehrkräften (N = 11, Werkrealschule/Realschule) Mehrwert
Anzahl der Nennungen
Kategorie
Zusammenfassung Kategorie
Häufigkeit (gesamt)
zeigt Verhältnisse
1
A
6
A
Förderung des math. Verständnisses
1
A
Anschaulichkeit im Sinne des Verständnisses (Verständnisförderung)
9
Anschaulichkeit (fördert Einsicht)
Zuordnung der Werte 1
A
Ergebnisüberprü3 fung/Kontrollfunktion
B
Validierung
3
Verfahrenssicherheit
1
C
Prozedurales Verständnis
1
weiterer Zugangsweg 1
D
weiterer Zugang
1
4.3 Der Prozentstreifen als (vorteilhafter) Bestandteil …
4.3.1
91
Zur methodischen Einbettung des Prozentstreifens
„If you want to get ahead, get a theory.“ (Karmiloff-Smith & Inhelder, 1975, zitiert nach Prediger, 2010b, S. 176)
Nachdem nun prozentstreifenspezifische Vorteile und konkrete Anwendungscharakteristika beschrieben worden sind, soll abschließend die Einbettung des Prozentstreifens unter methodischen Gesichtspunkten erfolgen. Dazu gehört im Speziellen das Wissen um die Theorien zum „Lernen mit Lösungsbeispielen“ und „Instruktionalen Erklärungen“. Solche (mathematik-) didaktischen Theorien agieren nach Silver & Herbst (2007) als Mittler zwischen den Phänomenen selbst und ihrer Beforschung. Sie fungieren als „means to transform a commonsensical problem into a researchable problem“ sowie als „lens to analyze data and produce results of research on a problem“ (Silver & Herbst 2007, S. 50). Auf diesem Wege vermitteln sie zwischen dem empirischen Problem und der Unterrichtspraxis und können so konkrete Lösungsprobleme und Konzepte generieren und anbieten (ebd.). Ein entsprechendes Modell, zurückgehend auf Silver & Herbst, hier modifiziert von Prediger bildet diese Mediatorrolle ab (Abbildung 4.3).7
Abbildung 4.3 Theorien als Mittler der Bereiche (Prediger, 2010b, S. 173)
7 Während
Silver & Herbst (2007) einzelne Theorien auf den unterschiedlichen Achsen des Diagramms verorteten, vertritt Prediger die Ansicht, dass jede wissenschaftliche Praxis implizit alle drei Achsen tangiert.
92
4
4.3.2
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
Lernen mit Lösungsbeispielen und instruktionalen Erklärungen
„Können Sie uns da noch ein Beispiel zeigen?“ (Typische Schülerfrage im Unterricht)
Der konkret-praktische (methodische) Einsatz des Prozentstreifens im vorliegenden Studienkontext basiert auf Theorien zum Lernen mit Lösungsbeispielen (engl. worked-out examples). Beispiele genießen in der Lehr- Lernpraxis einen hohen Stellenwert, sie dienen unter anderem der Einführung neuer Themen und sollen auch motivational aktivierend wirken. Ausgearbeitete Lösungsbeispiele sind als Spezialform zu verstehen, die dem Lösungsprozess zugrundeliegenden Prinzipien hervorheben und Transferprozesse erleichtern sollen (Schnotz, 2001). Die didaktische Rolle des Lernens mit Lösungsbeispielen wurde in der Vergangenheit vielfach intensiv beforscht (Chi, Bassok, Lewis, Reimann & Glaser, 1989; Pirolli & Recker, 1994; Reimann, 1997, zitiert nach Schnotz, 2001; Renkl, 2001). Und auch gegenwärtig erhält dieses Forschungssujet große Aufmerksamkeit, wie aktuelle Arbeiten von Renkl (2017)8 oder Scherrmann (2016)9 im Kontext des Mathematikunterrichts belegen, um hier nur zwei Studien anzuführen. Die positive Rolle des Lernens mit Lösungsbeispielen im Bereich der Textaufgaben haben unter anderem Quilici & Mayer (1996) herausgearbeitet. Sie zeigten, dass Schülerinnen und Schüler Textaufgaben besser nach strukturellen als nach oberflächlichen Merkmalen analysieren konnten. Ein Grund: According to theories of analogical reasoning, when people are confronted with a new problem, they search their memory for a similar problem to guide their solution of the new problem. (Gentner, 1983; Mayer, 1992; Novick & Holyoak, 1991; Reed, 1987; Vosniadou & Ortony, 1989, zitiert nach Quilici & Mayer, 1996, S. 144)
Nach Große (2005) ist das Lernen aus Lösungsbeispielen eine sehr effektive und effiziente Lernmethode, besonders bei wenig Vorwissen. Zudem wird der Weg vom rein deklarativen Wissen hin zum prozeduralen und konzeptuellen Wissen unterstützt. Schon Zhu und Simon (1987) konnten darlegen, dass das Lernen auf Basis von Beispielen effizient ist und weniger Lernzeit in Anspruch nimmt als Lernen im konventionellen Unterrichten (zitiert nach Schworm, 2004). Durch die 8 Renkl,
A. (2017). Learning from worked-examples in mathematics: students relate procedures to principles. ZDM, 49(4), 571–584. 9 Scherrmann, A. (2016). Lernen mit Lösungsbeispielen. In Lernen mit Lösungsbeispielen im Mathematikunterricht (pp. 37–104). Wiesbaden: Springer Spektrum.
4.3 Der Prozentstreifen als (vorteilhafter) Bestandteil …
93
bereits ausgearbeiteten und instruktional präsentierten Lösungsbeispiele stehen für den „Lernprozess zudem ausreichend kognitive Ressourcen zur Verfügung“ (Renkl, Gruber, Weber, Lerche & Schweizer, 2003, zitiert nach Schworm, S. 59). So kann final ein „Verständnis der Lösungslogik erreicht werden, was [wiederum] Transferleistungen fördert“ (ebd.). Dies wurde im Rahmen der eigenen Studie durch das Anwenden mehrerer, strukturbetonender Lösungsbeispiele in den Interventionen unterstützt. Das führt zu folgenden Schlussfolgerungen: „(1) Das Lernen aus Lösungsbeispielen ist empirisch sehr gut untersucht und seine Effektivität wurde vielfach belegt.10 (2) Lernen aus Lösungsbeispielen ist relativ einfach im Unterricht zu implementieren“ (Renkl & Schworm, 2002, S. 260). Lösungsbeispiele bestehen aus der Problemstellung, den Lösungsschritten und der/den Lösung/en und gelten als präferierte Informationsquelle von Lernenden (Renkl, 2001). Der Aspekt des Wissenstransfers steht hierbei im Fokus. Aus kognitionspsychologischer Sicht existieren unter anderem zwei Ansätze, die diesen Wissenstransfer erklären. Zum einen wird mit Hilfe einer prototypischen Situation eine neue Situation (Aufgabe) mit einer alten verglichen, um die neue Situation (Aufgabe) beispielsweise unter Anwendung von Similaritäten zu lösen (Abbildung 4.4). Zum anderen wird postuliert, dass für verschiedene Situationen ein gemeinsamer, abstrakter Überbau gebildet wird (Malle et al., 2004) (Abbildung 4.4). Eine Koexistenz oder Interaktion beider Ansätze wird dabei keineswegs ausgeschlossen (Abbildung 4.5).
Abbildung 4.4 Wissenstransfer durch Vergleich mit einer prototypischen Situation (Malle et al., 2004, S. 76)
10 Einen Überblick geben: Atkinson, Derry, Renkl & Wortham, D.W. (2000): Learning from examples: Instructional principles from the worked examples research. In: Review of Educational Research 70, S. 181–214.
94
4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
Abbildung 4.5 Wissenstransfer durch einen gemeinsamen Überbau (Malle et al., 2004, S. 76)
Das Anwenden des Prozentstreifens funktioniert auf beiden Ebenen. Einerseits dienen die methodischen Lösungsschritte (Abschnitt 4.2) als prototypischer Ablaufplan, andererseits kann der Prozentstreifen als abstrakter Überbau für mehrere, struktur- oder inhaltsgleiche Situationen stehen. Aus konstruktivistischer Sicht gibt es mehrere Facetten, die einen Wissenszuwachs fokussieren. Ein Experte bringt einem Lernenden durch Vormachen einer Handlung etwas bei (Modelling) und verweist weiter auf relevante Situations- und Handlungsbedingungen (Scaffolding) (Schnotz, 2001). Modelling durch einen Experten ist eine instruktionale Erklärung, deren Bewältigung als kognitives Handeln zu verstehen ist (ebd.), welche die Lernenden bei der Strukturierung und Ausführung des Lösungsprozesses unterstützen. Dieses Vorgehen wurde in der eigenen Studie aufgegriffen. Besonderes Augenmerk ist bei diesen Tätigkeiten auf Aspekte zu richten, die wesentlich mit dem Erfolg des Lösungsbeispiels und der instruktionalen Erklärung zusammenhängen. Ein moderierender Faktor ist beispielsweise die Frage nach der kognitiven Ökonomie, also der Einschätzung der Lernenden, ob der instruktionale Input einen Vorteil für die eigene Handlung darstellt. Ist dies nicht oder nur partiell der Fall, so kann ein relevanter Bedeutungs- oder Wissenszuwachs ausbleiben (ebd.). Zu beachten ist ebenfalls, dass diese Lernmethode auf aktives Lernen abzielt und nicht als rezeptiver Vorgang zu verstehen ist (Scherrmann, 2016), denn diese Lernmethode lädt „viele Versuchspersonen dazu ein, die präsentierte Information passiv und oberflächlich zu verarbeiten, was sich in der Regel negativ auf den Lernerfolg auswirkt“ (Renkl, 1997, zitiert nach Stark et al., 2000). Sie muss also entsprechend konstruktiv eingesetzt werden, beispielsweise indem die Lösungsbeispiele, hier der Prozentstreifen, selbst generiert werden und die einzelnen Lösungsschritte im Bearbeitungsprozess reflektiert werden. Weiterhin ist der Verstehensprozess auch davon abhängig, wie gut Lernende das Rationale des Lösungsbeispiels nachvollziehen können (Renkl, 2001). In diesem Rahmen spielt auch das Sprachverstehen eine Rolle (Schnotz, 2001).
4.3 Der Prozentstreifen als (vorteilhafter) Bestandteil …
95
In Anlehnung an Maier & Schweiger (1999) betrifft das neben der kommunikativen Form von Sprache, insbesondere ihre kognitive Form, die entscheidend für die Entwicklung von Kompetenzen und Vorstellungen und damit den Erkenntnisgewinn sowie dem Durchdringen mathematischer Zusammenhänge ist (Prediger, 2017). Instruktionalen Erklärungen werden in diesem Kontext ebenso prinzipielllernfördernde Potenziale zugesprochen (Renkl & Schworm, 2002). Dabei gilt es jedoch instruktionale Erklärungen so zu gestalten, dass sie die kognitive Belastung beim Verarbeiten reduzieren und das Herstellen von Bezügen zwischen Elementen des Prinzips und des aktuellen Lösungsbeispiels erleichtern (Renkl, 2001). Diesen Empfehlungen wurde in der Planung der eigenen Interventionen entsprochen. So führt das Arbeiten mit Lösungsbeispielen zur Erhöhung der lernförderlichen Belastung und folglich auch zu besseren Lernleistungen. Lösungsbeispiele liefern spezifische Schemata, die [vom Lernenden] ‘ausgeliehen’ werden (Prinzip des Entlehnens), zur Problemlösung herangezogen (Informationsspeicher-Prinzip) und bei ähnlichen Aufgaben wieder akquiriert werden können (Environmental Organising and Linking Principle) (Sweller et al., 2011). Die extrinsische Belastung ist hier als sehr gering zu erachten, da die Darbietung der Problemstellung, der Lösungsschritte und der Lösung sich auf die lernförderlichen Ressourcen konzentriert (Renkl, 2005; dazu kritisch Koedinger & Aleven, 2007).11 (Bay & Thiede, 2016, S. 119)
Dies führt zur Reduzierung der kognitiven Belastung und hilft den Lernenden im Lösungsprozess (Cooper & Sweller, 1987; Sweller & Cooper, 1985, zitiert nach Jonassen, 2003). Eine solche lernförderliche Wirkung zeigt beispielsweise die Untersuchung „Cognitive Load beim Lernen aus Lösungsbeispielen“ am Beispiel der Wahrscheinlichkeitsrechnung von Renkl & Atkinson (2003). Der methodische Einsatz des Prozentstreifens in der vorliegenden Studie weist darüber hinaus Ähnlichkeiten zu der schema-based instruction (SBI) auf , welche Jitendra & Star (2012) beim Lösen von Textaufgaben anwenden. SBI ist eine vierschrittige Lösungsheuristik, die nach dem FOPS-Prinzip (Find problem; Organize information, Plan to solve; Solve) abläuft und einen hohen signifikanten Effekt auf die Leistung (leistungsstarker) Schülerinnen und Schüler hat. Jitendra & Star sprechen von einem wachsenden Beweis für die Wirksamkeit solcher Instruktionen beim Lernen und Lösen von Textaufgaben (ebd.).
11 Solche
Studien beziehen sich nicht nur auf den naturwissenschaftlichen Zweig, sondern weisen auf die Wirksamkeit dieses Effektes auch bei Zweitsprachenlerner_innen (Diao, Chandler & Sweller, 2007) und in den Bereichen Literatur und Kunst (Kyun, Kalyuga & Sweller, 2013).
96
4.4
4
Der Prozentstreifen als besondere Visualisierung im Kontext …
Zusammenfassung
Der theoretische Bezugsrahmen hat den Stellenwert des Prozentstreifens, den Van den Heuvel-Panhuizen (1994) als wichtiges Werkzeug beim Prozentrechnen bezeichnet, verdeutlicht. Vor dem Hintergrund diverser Forderungen nach der Rückgewinnung inhaltlichen Denkens (Prediger, 2009; Schütte, 1993) sowie der Komplexität des Lösens einer Textaufgabe ist besonders die Fähigkeit zur Visualisierung und Strukturierung von Sachverhalten wichtig. Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben fungiert in diesem Geflecht unter anderem als Übersetzungshilfe zwischen der realen Welt und der Welt der Mathematik. Im Verständnis der vorliegenden Dissertation wird er im Modellierungskreislauf nach Verschaffel et al. (2000) als Unterstützer bei der Bildung eines adäquaten Situationsmodells verortet. In der konkret-praktischen Umsetzung ist er in einem sechsschrittigen Lösungsprozess integriert und erfüllt dabei als selbst generierte externe Repräsentation wichtige Aufgaben der Strukturierung und Validierung. Darüber hinaus fungiert er als lernförderlicher Prozessbegleiter, was Lernenden nach Auffassung der Theorie der kognitiven Belastung höhere, lernförderliche Kapazitäten ermöglicht. Die Vorteile für die Integration des Prozentstreifens in die Lösungsprozesse sind evident, da er einerseits an Vorerfahrungen, beispielsweise aus der Bruchrechnung anknüpft und somit der didaktisch wichtigen Aktivierung von Vorwissen entspricht und andererseits das Handlungs- und Lösungsrepertoire von Schülerinnen und Schülern erweitert. Dafür spricht auch seine theoretische Einbettung nach dem Gestaltungsprinzip „Lernen mit Lösungsbeispielen“, welches in der Literatur mehrfach empirisch abgesichert wurde. So können im vorliegenden Fall strukturelle Gegebenheiten einer Textaufgabe besser erfasst werden. Darüber hinaus bietet das Erlernen einer exemplarischen Lösung transfertechnisches Potenzial für andere gleichartige, aber auch differierende Aufgaben, da der Prozentstreifen nicht nur einen Teil einer bestimmten Aufgabe, zum Beispiel Prozentwert gesucht abbildet, sondern für sämtliche Aufgabentypen geeignet ist.
5
Conclusio A
Die scheinbar traditionelle Fehleranfälligkeit von Prozentaufgaben (Fujimura, 2001; Jitendra & Star, 2012) sowie diverse Studien über sinkende Lösungsraten in Kombination mit Textaufgaben (zum Beispiel Thiede et al., 2015) wurden im Theorieteil ausführlich dargestellt. Die damit zusammenhängenden Themengebiete der Prozentrechnung, der Textaufgaben, der Visualisierungen und des Prozentstreifens als spezielle Visualisierung im Kontext der Bearbeitung von Textaufgaben haben gezeigt, dass der Weg von der Textaufgabe zum Ergebnis mit einer Vielzahl Faktoren korreliert. Es wurde herausgearbeitet, welche zentrale Rolle der Prozentrechnung zuteilwird. So ist sie elementarer Bestandteil schulischer wie außerschulischer Bildung und von hoher Relevanz für die gesellschaftliche Teilhabe. Dennoch wird seit Jahrzehnten von zahlreichen Hürden beim Bearbeiten typischer Prozentaufgaben berichtet, die den Lösungsprozess erschweren und folglich zu mangelhaften Lösungshäufigkeiten führen. Solche Hürden liegen beispielsweise in unzureichenden oder fehlenden Grundvorstellungen sowie den multiplen Bedeutungen des Prozentbegriffs und den damit einhergehenden konzeptuellen Verständnisschwierigkeiten. Die Vielzahl der, oft nur algorithmisch angewandten, Lösungsverfahren führt dazu, dass Lernende Aufgabeninhalte als solche nicht mehr oder nur noch begrenzt nachvollziehen und somit keine oder nur wenig (Aufgaben-) Einsicht zu erhalten. In der Folge entstehen typische Fehler, die sich unter anderem in falschen Zuordnungen von Größen manifestieren und somit bestehende Lücken im Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schülern vergrößern. Da Lernende häufig auf oberflächliche Bearbeitungsstrukturen zurückgreifen, die weder fundiert noch angemessen repräsentiert werden, sinken die Lösungshäufigkeiten weiter. Auf diesen Missständen basieren Forderungen nach verständnisfördernden Maßnahmen und methodisch © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_5
97
98
5
Conclusio A
sinnvollen, lernerzentrierten Zugängen für den Unterricht. Einen ebenso hohen Stellenwert wie die Prozentrechnung verzeichnen Textaufgaben. Dennoch werden sie als kritisches Aufgabenformat betrachtet, da ihr Inhalt oft irrelevant und austauschbar ist und sie im Unterricht oft als reine Übungsaufgaben eingesetzt werden, was ihrem eigentlichen Potenzial nicht gerecht wird. Lernende generieren in diesem Kontext oftmals wenig realistische Antworten, die ihrerseits wiederum nicht angemessen, respektive nicht validiert werden. Bei der Bearbeitung von Textaufgaben spielen Modellierungsprozesse eine entscheidende Rolle. Aus idealtypischer Perspektive erfolgt dabei in einem ersten Lösungsschritt zunächst die Bildung eines aufgabenadäquaten Situationsmodells, welches im späteren Bearbeitungsprozess auch für das Validieren des Ergebnisses wichtig ist. Insbesondere in der Phase der Bildung eines solchen aufgabenadäquaten Situationsmodells, gibt es Defizite. An dieser, für den erfolgreichen Lösungsprozess neuralgischen Stelle, setzt die Bearbeitung von Textaufgaben mit Hilfe von Visualisierungen an. Visualisierungen, hier verstanden als bildhaft-analoge Darstellungen von Informationen, besitzen eine Fülle von Funktionen, die die genannten Modellierungsprozesse unterstützen können. Dabei können sie einen Mehrwert generieren, indem sie beispielsweise helfen Strukturen sichtbar(er) zu machen oder zum Verstehen mathematischer Konzepte beitragen (Arcavi, 2003; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003). Ein Ziel sollte es daher sein, Visualisierungen angemessen in den Unterricht zu integrieren. Der Prozentstreifen stellt eine solche verständnisfördernde Visualisierung dar. Dieses besondere Streifendiagramm bietet Lernenden eine einfache und intuitive anzuwendende Unterstützung an. Dabei zeigt er Lernenden eine holistische Sicht auf die Prozentrechnung, da er anders als üblicherweise in Schulbüchern dargestellt, keine Dreiteilung im Sinne der drei Grundaufgabentypen vornimmt, sondern ganzheitlich-flexibel auf alle Aufgaben anzuwenden ist. „It allows modeling of not only part-whole scenarios but also increase-decrease situations, and those in which there is a comparison between two distinct quantities“ (Van der Walle et al., 2014b, S. 217). Der Prozentstreifen greift die vorgestellten Befunde zu defizitären Übersetzungsfähigkeiten und beschränkten Grundvorstellungsrepertoires auf, fungiert beim Bearbeiten von Textaufgaben als schematisch-analoge Darstellung der Ausgangssituation und unterstützt folglich die Konstruktion eines geeigneten Situationsmodells. Die stattfindenden Übersetzungsprozesse auf dem Weg von der Textaufgabe zum Ergebnis, also von realer Situation zum realen Resultat werden dadurch unterstützt. Gleichwohl entspricht diese Unterstützung den Forderungen nach der Rückgewinnung inhaltlichen Denkens (Schütte, 1993; Prediger, 2009). Der Prozentstreifen in seiner Funktion als lernförderlicher Prozessbegleiter
5
Conclusio A
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im Sinne der Theorie der kognitiven Belastung, ermöglicht überdies die Bereitstellung höherer kognitiver Kapazitäten für die Lernenden. Vielversprechende theoretisch und empirisch fundierte Studien legitimieren aus genannten Gründen die Auseinandersetzung mit dem Prozentstreifen als Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Dissertationsprojektes.
Teil II Empirischer Teil
Die in der Einleitung skizzierten Erläuterungen zur Fehleranfälligkeit von Prozent- und Textaufgaben, die Möglichkeit dieser Fehleranfälligkeit mit Hilfe von Visualisierungen gezielt entgegenzuwirken sowie die sich daran anschließende Beschreibung der theoretischen Grundlagen und Forschungsdesiderata dienen als Basis für den nachfolgenden empirischen Teil der Dissertation. Das übergeordnete Forschungsinteresse erstreckt sich, wie bereits angedeutet wurde, auf die Untersuchung des Prozentstreifens und seiner (möglichen) verständnisfördernden Rolle bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben in Textform1 durch Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 7/8. Kapitel 6 dient der Herleitung und Begründung der Forschungsfragen. Dabei werden in verschiedenen, aufeinander aufbauenden Studienteilen unterschiedliche Aspekte des Prozentstreifen-Einsatzes im Mathematikunterricht fokussiert. Im ersten Studienteil stehen zunächst die Lösungsprozesse der Lernenden, insbesondere unter Verwendung des Prozentstreifens als Hilfsmittel beim Lösen von Prozentaufgaben im Vordergrund (Kapitel 7). Auf Basis der in Kapitel 7 dargestellten Ergebnisse hinsichtlich seiner Funktionen und Anwendung, schließen sich im zweiten Studienteil Wirksamkeitsanalysen zum Prozentstreifen hinsichtlich seines Einflusses auf die Lösungshäufigkeiten und Fehlerreduktionen bei der Bearbeitung typischer Aufgabenstellungen an (Kapitel 8). Ergänzend dazu werden diese Wirksamkeitsanalysen im dritten Studienteil vertiefend unter den Aspekten Leistungsniveaus sowie durch einen Blick auf den speziellen Einsatz des Prozentstreifens durchgeführt (Kapitel 9). Die jeweiligen Kapitel beinhalten Beschreibungen zum methodischen Vorgehen sowie zur Durchführung und stellen die jeweiligen Ergebnisse ausführlich dar. Kapitel 10 fasst diese Ergebnisse konklusiv zusammen, bevor die Arbeit final durch die Diskussion beschlossen wird (Kapitel 11).
1 Im
Sinne einer verbesserten Lesbarkeit wird im empirischen Teil von Prozentaufgaben gesprochen.
6
Herleitung und Begründung der Forschungsfragen
Das Haupterkenntnisinteresse im ersten Studienteil konzentriert sich auf die Frage nach den Funktionen des Prozentstreifens in der Anwendungssituation, also der Bearbeitung von Prozentaufgaben durch Lernende (Abschnitt 7.5 & 7.6). Dabei sollen einerseits konkrete Phasen im Lösungsprozess identifiziert, andererseits untersucht werden, ob Schwierigkeiten bei der Nutzung des Prozentstreifens entstehen, wie bereits in Abschnitt 3.2.4 (Visualisierungen als Lerngegenstand) angedeutet wurde. Ferner besteht ein erweitertes Erkenntnisinteresse hinsichtlich der Bereiche Lösungsverfahren und Fehler, deren Analyse einen tieferen Einblick in die Lösungsprozesse der Lernenden ermöglichen soll. Zur Beantwortung der Forschungsfragen und somit zur Theoriebildung dieses Untersuchungsgegenstandes wurde ein qualitatives Setting in Interviewform gewählt. Basierend auf den qualitativen Erkenntnissen erfolgt die quantitative Untersuchung verschiedener Lösungsverfahren in einem quasi-experimentellen Design (Kapitel 8). In diesem zweiten Studienteil werden visuell und nicht-visuell gestützte Lösungsverfahren kontrastiert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Wirksamkeit der verschiedenen Interventionen, insbesondere dem Einfluss des Prozentstreifens auf die Lösungshäufigkeiten und die Reduktion typischer Fehler, die bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben entstehen. Die damit einhergehenden Auswertungen erfolgen aus der Perspektive eines kurz- und langfristigen Lernzuwachses und tragen somit zur Klärung bei, über welchen Zeitraum die Interventionen wirken. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Integrationspotenzial des Prozentstreifens, also die Frage, ob er in bestehende Lösungsstrategien der Lernenden integriert wird und der daraus resultierenden Aussage über seine grundsätzliche Verwendung. Ergänzend dazu werden aus den
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_6
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104
6
Herleitung und Begründung der Forschungsfragen
gewonnenen Daten Aussagen zum Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 7/8 im Bereich der Prozentrechnung getroffen. Damit sollen die Studienergebnisse im Rahmen aktueller Befunde verortet werden. Die Auswertungen erfolgen quantitativ in einem Pre-Post-Follow-Up-Test-Design. Auf Grundlage der quantitativen Daten werden im dritten Studienteil zusätzlich zwei ergänzende Analysen vorgenommen (Kapitel 9). Diese spezifizieren die zuvor durchgeführten Analysen, indem sie zum einen die Variable Leistungsniveau hinzuziehen, um den Interventionserfolg in Abhängigkeit vom mathematischen Leistungsniveaus der Lernenden, aufgeteilt nach gering, mittel und hoch zu untersuchen und somit dezidiertere Aussagen über die Wirksamkeit des Treatments Prozentstreifen zuzulassen. Zum anderen prüft eine zweite Analyse, welchen Einfluss das tatsächliche Zeichnen des Prozentstreifens auf die Lösungshäufigkeiten ausübt. Ziel ist es auch hier einen tieferen Einblick in die Wirkungsweise des Prozentstreifens zu erhalten und daraus didaktische Implikationen für den Unterricht abzuleiten. Abbildung 6.1 bildet die essentiellen Forschungsinteressen des Dissertationsprojektes übersichtlich ab.
Abbildung 6.1 Übersicht über die Studienteile und Erkenntnisinteressen
Die Beantwortung der nachfolgenden Forschungsfragen wird, wie bereits skizziert, unter verschiedenen methodischen Gesichtspunkten vorgenommen, mit
6
Herleitung und Begründung der Forschungsfragen
105
dem Ziel sich den Erkenntnisinteressen der einzelnen Studienteile adäquat zu nähern. Dieser so genannte mixed-methods-approach verzahnt die jeweiligen Forschungsfragen reflektiert miteinander. „Dies kann z. B. in einzelnen Phasen des Forschungsprozesses oder in Teilstudien einer größeren Studie erfolgen, wenn qualitative sowie quantitative Methoden (…) kombiniert eingesetzt werden und bezüglich der Fragestellungen, Untersuchungsdesigns (Forschungsdesign), Datenerhebungen und/oder Datenauswertungen (…) direkt verknüpft werden“ (Döring, 2017, o. S.). Die nachfolgenden Kapitel 7–9 beschreiben die gewählten qualitativen und quantitativen Zugänge. Die Teilstudien werden dabei hinsichtlich ihrer Forschungsfragen nacheinander, da diese aufeinander aufbauen, expliziert.
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens durch Schülerinnen und Schüler – qualitative Analysen des Lösungsprozesses
Das Haupterkenntnisinteresse gilt der konkreten Anwendung des Prozentstreifens durch Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 7/8. Untersucht werden sollen mögliche Funktionen des Prozentstreifens (1a) und die Zuordnung damit zusammenhängender Phasen im Lösungsprozess (1b). Darüber hinaus sollen mögliche Schwierigkeiten bei der Handhabung des Prozentstreifens als Lerngegenstand (1c) beleuchtet werden. Folgende Forschungsfragen und Hypothesen gehen mit diesem Erkenntnisinteresse einher.
7.1
Forschungsfragen
Zum Einsatz des Prozentstreifens 1a.
Welche Funktionen des Prozentstreifens werden bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben sichtbar?
In der Vergangenheit wurden bereits Funktionen des Prozentstreifens beschrieben (Hoven & Garelick, 2007; Prediger & Pöhler, 2015; Pöhler & Prediger, 2015; Rianaseri et al., 2012; Van Galen & Van Eerde, 2013; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003)1 . Nach Van den Heuvel-Panhuizen (2003) beispielsweise fungiert er als estimation model, calculation model und thought model. Trotz der bestehenden Befunde ist die Datenlage hinsichtlich der in diesem Forschungsprojekt 1 Pöhler
(2018) bestätigte dies in späteren empirischen Untersuchungen und wies dem Prozentstreifen folgende Funktionen zu: structure the relations, reference structure und thought model. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_7
107
108
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
vorgenommenen theoretischen Rahmung jedoch nicht ganz passgenau, da sich die genannten Studien nicht alle explizit dem Forschungsgegenstand der Prozentaufgaben in Textform zuordnen lassen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle speziell untersucht werden, inwieweit sich die in Abschnitt 4.2 theoretisch explizierten Funktionen beim Bearbeiten von Prozentaufgaben durch Lernende empirisch nachweisen lassen? 1b.
Welchen Phasen im Lösungsprozess lassen sich die festgestellten Funktionen des Prozentstreifens zuordnen?
Van Galen & Van Eerde (2013, S. 3) schlussfolgern in ihren Untersuchungen, dass der Prozentstreifen als Grundlage für verschiedene Schritte im Lösungsprozess dienen kann: „[The] students can keep track of their thinking processes, can see what they are doing, decide what to do next after every step, and make corrections if necessary.“ Ziel ist es entsprechende Phasen im Lösungsprozess von Prozentaufgaben zu identifizieren, zu benennen und äquivalent zur Forschungsfrage 1a, den Wirkungsradius des Prozentstreifens auf diese Weise zu konkretisieren. 1c.
Welche Schwierigkeiten entstehen bei der Anwendung des Prozentstreifens im Sinne des Prozentstreifens als Lerngegenstand?
Diese Frage stützt sich auf Befunde von Ainsworth (1999), Radatz (1983) und Schipper (1982), die herausstellen, dass eine Visualisierung zunächst immer einmal ein Lerngegenstand ist, bevor sie eine Lernhilfe darstellt. Dies gilt insbesondere für schwächere Lernende, da diese mit visuellen Hilfen überfordert sein könnten. Damit einhergehende Schwierigkeiten hängen beispielsweise damit zusammen, Visualisierungen überhaupt angemessen nutzen zu können (Franke & Ruwisch, 2010). Das erweiterte Erkenntnisinteresse fokussiert auf einer allgemeineren Ebene den Lösungsprozess, indem zum einen die bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben angewandten und prävalenten Lösungsverfahren von Lernenden (1d) und zum anderen die dabei auftretenden Fehler (1e) analysiert werden. Zum Lösen und Bearbeiten von Prozentaufgaben 1d.
Welche (visuellen) Lösungsverfahren wenden Lernende beim Lösen von Prozentaufgaben an? H 1d: Lernende der Klassenstufen 7/8 wenden bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben die für diese Klassenstufen typischerweise erlernten
7.2 Methode
109
Lösungsverfahren Dreisatz, Operatorverfahren und Prozentformel an. Die Anwendung von Visualisierungen wie dem Prozentstreifen oder anderen, den Lösungsprozess unterstützenden Skizzen werden nicht erwartet. Die Hypothese gründet auf den Befunden zu prävalenten Lösungsverfahren von Schülerinnen und Schülern sowie der berichteten zurückhaltenden Verwendung von Visualisierungen (u.a. Dole et al., 1997; Presmeg, 2006; Schulz, 2017; Abschnitt 3.2.3). Dabei dominieren Dreisatz, Operatorverfahren und Prozentformel die Lösungsverfahren (Berger, 1989; Berger & Sander, 1985; Hafner, 2012; Meißner, 1982; Scherer, 1996a,b). Ziel ist es, die Literaturlage hinsichtlich der Verwendung von (visuellen) Lösungsverfahren durch aktuelle Befunde zu erweitern. 1e.
Welche Fehler treten bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben durch die Lernenden auf? H 1e: Die Hauptfehlerquelle bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben sind Zuordnungs- und Rechenfehler. Durch den in der vorliegenden Studie zugelassenen Taschenrechnereinsatz ist anzunehmen, dass Rechenfehler in geringer Form auftreten.
Typische Fehler, die aus der Bearbeitung entsprechender Aufgaben zur Prozentrechnung resultieren (Abschnitt 1.5.3), waren in der Vergangenheit bereits mehrfach Gegenstand von Untersuchungen. Dabei wurden hauptsächlich Zuordnungsfehler identifiziert (Meißner, 1982). Hafner (2012) unterteilt diese Zuordnungsfehler in Zuordnungsfehler bei Größen und Zuordnungsfehler bei mathematischen Operationen. Darüber hinaus stellen Rechenfehler eine bedeutsame Fehlerquelle dar (Berger, 1989; Hafner, 2012; Parker & Leinhardt, 1995). Auch für diesen Aspekt soll die Datenlage um eine aktuelle Studie erweitert werden. In diesem Rahmen soll eine spezifische Taxonomie zu den auftretenden Fehlern beim Bearbeiten von Prozentaufgaben generiert werden.
7.2
Methode
Zur Untersuchung und Beantwortung der beschriebenen Forschungsfragen wurde im qualitativen Teil der Studie der methodische Ansatz der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (auch: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell) gewählt. Die Qualitative Inhaltsanalyse zielt darauf ab, die Bedeutungsgehalte
110
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
von Dokumenten (hier: Videos und Schülerinnen- und Schülermaterial) mittels schrittweiser Codierung und einem daraus resultierendem Kategoriensystem herauszuarbeiten. Dabei ist nicht nur datengesteuert-induktives, sondern auch theoriebasiert-deduktives Vorgehen möglich (Döring & Bortz, 2016). Als Vorgehensweise bei der Qualitativen Inhaltsanalyse wurde die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse gewählt, die „Dokumente bzw. qualitatives Datenmaterial schrittweise induktiv auf die manifesten Hauptinhalte [reduziert] (ebd., S. 542). Diese Reduktion erfolgt in vier Schritten2 : 1. Paraphrasierung (Inhaltstragende Textstellen werden identifiziert und jeweils in eine Kurzform (Paraphrase) umformuliert.) 2. Generalisierung auf das Abstraktionsniveau (Die Paraphrasen werden alle auf dasselbe, vorher definierte Abstraktionsniveau gebracht.) 3. Erste Reduktion (Die relevanten Paraphrasen werden selektiert, indem man bedeutungsgleiche oder unwichtige Paraphrasen streicht.) 4. Zweite Reduktion (Die verbliebenen Paraphrasen werden fallbezogen gebündelt und integriert, es entstehen somit abschließend neue und komplexere Paraphrasen, die die Hauptinhalte des Falls zusammenfassen (ebd.). Auf Basis des vorliegenden Datenmaterials und den daraus resultierenden Erkenntnissen sollen die Forschungsfragen beantwortet werden und in der Folge als Grundlage für den zweiten, quantitativen Studienteil dienen. In diesem erfolgt die Untersuchung des kurz- und langfristigen Einflusses des Prozentstreifens auf Basis von Lösungshäufigkeiten und Fehlervorkommen (Kapitel 8).
7.3
Qualitative Inhaltsanalyse
7.3.1
Vorstellung und Festlegung des (Ausgangs-) Beispielmaterials (Bemerkungen zur Durchführung, Beschreibung der Stichprobe)
Die im Rahmen der Qualitativen Inhaltsanalyse durchgeführten aufgabenbasierten Interviews dienen dem Generieren von Kategorien, um einerseits Aussagen zur speziellen Anwendung des Prozentstreifens zu generieren (induktive Kategorienbildung) und dem Überprüfen vorhandener Kategorien zu angewandten 2 Damit gehen bestimmte Interpretationsregeln einher, die bei Mayring (2015, S. 72) aufgeführt werden.
7.3 Qualitative Inhaltsanalyse
111
Lösungsverfahren und auftretenden Fehlern andererseits (deduktive Kategorienanwendung). Die elf Schülerinnen und Schüler einer 8. Klasse (Werkrealschule im Raum Freiburg) bearbeiteten dazu verschiedene Aufgaben zur Prozentrechnung (u. a. G, P, p%) und wurden sowohl während als auch nach der Aufgabenbearbeitung zu den Aufgaben, respektive zu einzelnen Aspekten der Aufgaben befragt. Zur Anwendung kam dabei die Methode des gleichzeitigen und retrospektiven lauten Denkens (think-aloud-method). Die Methode des lauten Denkens ist ein Verfahren zur Analyse von Problemlöseprozessen, bei der die Probandinnen und Probanden auch flüchtige Einfälle äußern. Das Denken als solches wird reflektiert und soll die ablaufenden Prozesse des Problemlösens oder Entscheidens nicht verändern. Man unterscheidet dabei zwischen dem gleichzeitigen und dem weniger verlässlichen retrospektiven lauten Denken. (Huber, 1982, zitiert nach Wirtz, 2017)
Diese Methode soll die Probandinnen und Probanden dazu anregen, ihre Gedankengänge bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben zu verbalisieren, um Einblicke in ihre Bearbeitungsprozesse zu erhalten. Ein Fokus richtete sich speziell auf das Potenzial des Prozentstreifens als selbst generiertes Hilfsmittel bei der Bearbeitung der Aufgaben sowie möglichen Schwierigkeiten bei seiner Handhabung. Die Schülerinnen und Schüler verteilten sich auf fünf Dyaden und ein Einzelinterview3 . So entstanden insgesamt sechs Fallbeispiele, die zwei Kohorten (Kohorte 1 = Kontrollfälle, Kohorte 2 = Versuchsfälle) zugeordnet wurden (Tabelle 7.1). Ferner wurden die Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Kohorten in drei mathematische Leistungsniveaus (gering, mittel, hoch), basierend auf der vorangegangen Zeugnisnote des Schuljahrs 2013/14 im Fach Mathematik sowie der aktuellen Leistungseinschätzung der unterrichtenden Klassen- und Mathematiklehrerin eingeteilt. Kohorte 1 (n = 5) fungierte als Vergleichsgruppe zu Kohorte 2 (n = 6), um Unterschiede in der Bearbeitung des Aufgabenmaterials analysieren zu können. Kohorte 2 erhielt im Vorfeld eine fünfzehnminütige Kurzintervention, in der Lösungsbeispiele unter Anwendung des Prozentstreifens nachvollzogen, Übungsaufgaben bearbeitet und einzelne Lösungswege besprochen wurden. Die Prozentrechnung wurde in Klassenstufe 7 im Unterricht eingeführt, ist hinsichtlich der Grundaufgaben also vollständig bearbeitet worden. Die Interviews fanden Mitte Dezember 2014, etwa drei Monate nach Schuljahresbeginn statt.
3 Vorgesehen
waren 6 Dyaden, welche sich krankheitsbedingt aber nicht realisieren ließen.
112
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Tabelle 7.1 Samplebeschreibung der qualitativen Interviews Fallgruppe, Nr.
Schüler (mathematisches Leistungsniveau)
Intervention
Kontrollfall, 1
S1/S2 (gering)
nein
Kontrollfall, 2
S3/S4 (mittel)
nein
Kontrollfall, 3
S5 (hoch)
nein
Versuchsfall, 1
S6/S7 (gering)
ja
Versuchsfall, 2
S8/S9 (mittel)
ja
Versuchsfall, 3
S10/S11 (hoch)
ja
7.3.2
Analyse der Entstehungssituation
Die Interviews wurden im halbstrukturierten Format durchgeführt, so dass sich die Befragten mündlich und in eigenen Worten äußern konnten (Döring & Bortz, 2016). Es lagen Leitfragen vor, um die Schülerinnen und Schüler zur Verbalisierung ihrer Gedankengänge und Beschreibungen ihrer Arbeitsschritte anzuregen. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich während der Bearbeitungsphase frei äußern. Die minimale Strukturierung begünstigt in einem solchen Setting eine detaillierte und vertiefte Erschließung der individuellen Sichtweisen der Befragten (ebd.). Dieser Gestaltungsspielraum birgt jedoch auch Risiken. Diese können beispielsweise durch die kommunikativen Eigenheiten der Teilnehmenden entstehen, die einerseits entweder lakonisch oder andererseits besonders redselig agieren (ebd.). Das gezielt-situative Nachfragen (direktiverer Stil zur Förderung einer halbstrukturierten Interviewsituation, ebd., S. 366) unterstützte das Aufdecken gedanklicher Prozesse sowie das Erfassen von Unverstandenem. Zudem begegnet diese Vorgehensweise den möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern, ihre Gedanken adäquat auszudrücken (vgl. kognitive und kommunikative Funktion von Sprache). Bei keiner Interviewgruppe waren jedoch tiefgreifende direktive Eingriffe notwendig. Die Interviews wurden durch den Autor der vorliegenden Dissertation durchgeführt und fanden in einem separaten Raum der Schule, parallel zum Unterricht statt. Dabei wurde auf eine angenehme Nähe-Distanz-Regulation sowie eine dienliche Gesprächsatmosphäre geachtet (ebd.). Die notwendige Durchführungsgenehmigung wurde über den Schulleiter der Werkrealschule sowie die Eltern der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler eingeholt.
7.4 Ablaufmodell der Analyse
7.3.3
113
Formale Charakteristika des Materials
Die Aufnahme der Interviews wurde mit einer Dokumentenkamera realisiert. Mimik wurde dabei nicht, Gestik nur dann erfasst, wenn sie sich im Erfassungswinkel der Kamera befanden und sich auf die jeweils vorliegende Aufgabe, zum Beispiel auf durchzuführende Lösungsschritte, wie das Zeichnen von Skizzen oder das Nutzen des Taschenrechners bezogen. Die Transkription des so entstehenden Datenmaterials erfolgte mit dem Programm F4 durch eine diesbezüglich geschulte studentische Hilfskraft. Die daraus resultierenden Protokolle haben einen Umfang von insgesamt 119 DIN A4-Seiten. Alle relevanten Transkriptionsanweisungen wurden dem Vereinfachten Transkriptionssystem nach Dresing & Pehl, 2015 entlehnt (Tabelle 7.2). Die mit diesem System verbundenen einfachen Transkriptionsregeln haben sich in der qualitativen Forschung durchgesetzt (ebd.). Die Entscheidung für ein einfaches Transkript, anstelle eines detaillierten Feintranskriptes, begründete sich in der einfachen Lesbarkeit und dem daraus resultierenden schnellen Zugang zu den Gesprächsinhalten. Anders als beim Feintranskript, bei dem durch das Ausbringen von Lautstärke, Sprechtempo, Akzentsetzungen und anderen Sprachaspekten ein besserer und genauerer Eindruck der Sprechenden erzielt werden soll (ebd.), verfolgte die Analyse des hier vorliegenden qualitativen Studienteils hauptsächlich die Besonderheiten, die bei der Aufgabenbearbeitung durch die Schülerinnen und Schüler auftraten. Für ein besseres Verständnis erhielten die angefertigten Beobachtungsprotokolle ergänzende Bemerkungen hinsichtlich der Aktivitäten der Schülerinnen und Schülern, etwa in Form von „S1 zeichnet einen Prozentstreifen“ oder „S2 zeigt auf die Dreisatztabelle“.
7.4
Ablaufmodell der Analyse
Die Grundlage für die Analysearbeit stellen alle getätigten Äußerungen der Schülerinnen und Schüler aus den jeweiligen Interviewsituationen. Nach der vollständigen Transkription wurden in einem ersten Reduktionsdurchlauf alle aufgabenbearbeitungsspezifischen Textbausteine der einzelnen Fälle zusammengetragen. Anschließend wurden für die vier im Vorfeld festgelegten Auswertungsbereiche relevante Textbausteine im Datenmaterial markiert und zugeordnet. Diese
114
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Tabelle 7.2 Vereinfachtes Transkriptionssystem (Dresing & Pehl, 2015, S.21 ff.) Transkriptionsregeln 1.
Es wird wörtlich transkribiert, also nicht lautsprachlich oder zusammenfassend. Vorhandene Dialekte werden möglichst wortgenau ins Hochdeutsche übersetzt. Wenn keine eindeutige Übersetzung möglich ist, wird der Dialekt beibehalten, zum Beispiel: Ich gehe heuer auf das Oktoberfest.
2.
Wortabbrüche sowie Stottern werden geglättet bzw. ausgelassen, Wortdoppelungen nur erfasst, wenn sie als Stilmittel zur Betonung genutzt werden: „Das ist mir sehr, sehr wichtig.“ Deutliche Versprecher werden hingegen transkribiert.
3.
Wortverschleifungen werden nicht transkribiert, sondern an das Schriftdeutsch angenähert. Beispielsweise wird aus „Er hatte noch so‘n Buch genannt“ wird zu „Er hatte noch so ein Buch genannt“ und „hamma“ wird zu „haben wir“. Die Satzform wird beibehalten, auch wenn sie syntaktische Fehler beinhaltet, beispielsweise: „bin ich nach Kaufhaus gegangen.“
4.
Interpunktion wird zu Gunsten der Lesbarkeit geglättet, das heißt bei kurzem Senken der Stimme oder uneindeutiger Betonung, wird eher ein Punkt als ein Komma gesetzt. Dabei sollen Sinneinheiten beibehalten werden. [Die grammatikalische Kommasetzung kann in einem zweiten Durchgang erfolgen. Dies erhöht die Schnelligkeit.]
5.
Pausen ab drei Sekunden werden durch Klammern mit der Länge der Pause in Sekunden „(5)“ markiert.
6.
Verständnissignale des gerade nicht Sprechenden wie „mhm, aha, ja, genau, ähm“ etc. werden nicht transkribiert. AUSNAHME: Eine Antwort besteht NUR aus „mhm“ ohne jegliche weitere Ausführung. Dies wird als „mhm (bejahend)“, oder „mhm (verneinend)“ erfasst, je nach Interpretation.
7.
Besonders betonte Wörter oder Äußerungen werden durch GROSSSCHREIBUNG gekennzeichnet.
8.
Jeder Sprecherbeitrag erhält eigene Absätze. Zwischen den Sprechern gibt es eine freie, leere Zeile. Auch kurze Einwürfe werden in einem separaten Absatz transkribiert. Mindestens am Ende eines Absatzes werden Zeitmarken eingefügt. Beispielsweise: B: Ich habe es dort#00:02:05-3# I: Wo genau?#00:02:05-9# B: gekauft. Im Kaufhaus um die Ecke. … (Fortsetzung)
7.4 Ablaufmodell der Analyse
115
Tabelle 7.2 (Fortsetzung) Transkriptionsregeln 9.
Emotionale nonverbale Äußerungen der befragten Person und des Interviewers, die die Aussage unterstützen oder verdeutlichen (etwa wie lachen oder seufzen), werden beim Einsatz in Klammern notiert.
10.
Unverständliche Wörter werden mit (unv.) gekennzeichnet. Längere unverständliche Passagen sollen möglichst mit der Ursache versehen werden (unv., Handystörgeräusch) oder (unv., Mikrofon rauscht). Vermutet man einen Wortlaut, ist sich aber nicht sicher, wird das Wort bzw. der Satzteil mit einem Fragezeichen in Klammern gesetzt. Zum Beispiel: (Xylomethanolin?) Generell werden alle unverständlichen Stellen mit einer Zeitmarke versehen, wenn innerhalb von einer Minute keine Zeitmarke gesetzt ist.
11.
Die interviewende Person wird durch ein „I:“, die befragte Person durch ein „B:“ gekennzeichnet. Bei mehreren Interviewpartnern (z. B. Gruppendiskussion) wird dem Kürzel „B“ eine entsprechende Kennnummer oder Name zugeordnet (z. B. „B1:“, „Peter:“).
Auswertungsbereiche fokussieren für alle Fälle die angewandten Lösungsverfahren sowie die dabei auftretenden Fehler. Die Versuchsfälle wurden zusätzlich hinsichtlich möglicher Funktionen des Prozentstreifens und damit zusammenhängenden Phasen im Lösungsprozess analysiert. Die einzelnen Textbausteine wurden paraphrasiert und anschließend generalisiert. Aus den daraus resultierenden Reduktionen wurden dann spezielle Kategorien abgeleitet. Um die Präzision der Inhaltsanalyse zu erhöhen wurden Analyseeinheiten festgelegt (Mayring, 2015). a) Die Kodiereinheit legt fest, welches der kleinste Materialbestandteil ist, der ausgewertet werden darf, was der minimale Textteil ist, der unter eine Kategorie fallen kann. b) Die Kontexteinheit legt den größten Textbestandteil fest, der unter eine Kategorie fallen kann. c) Die Auswertungseinheit legt fest, welche Textteile jeweils nacheinander ausgewertet werden (ebd., S. 61). Die Kodiereinheit umfasst die für die Auswertung relevanten Propositionen aller Aussagen der Schülerinnen und Schüler, die bei der Bearbeitung der Prozentaufgaben geäußert wurden und schließlich den vier genannten Untersuchungsbereichen zugeordnet werden konnten. Dabei werden Fallnummer und
116
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Nummerierung sowie der jeweilige Aufgabentyp festgehalten und aus Gründen der Übersichtlichkeit tabellarisch dargestellt. In den folgenden Spalten sind die konkreten Textbausteine sowie Zeitmarken aus der Transkription zu finden. Es folgen die jeweiligen Paraphrasierungen oder Generalisierungen der durchgeführten Reduktion. In der letzten Spalte sind schließlich die aus dem beschriebenen Analyseprozess entstandenen Äußerungen durch so genannte Makrooperatoren der Reduktion wie Bündelung, Integration und Konstruktion zu bestimmten Kategorien abgeleitet worden. Tabelle 7.3 soll dieses Vorgehen exemplarisch abbilden. Unter die Kontexteinheit fallen alle Materialien der jeweiligen Fälle. Die Auswertungseinheit wird durch die natürliche Form der Interviews selbst bestimmt. Das Ziel der beschriebenen inhaltsanalytischen Prozesse ist die Textinterpretation, also das Herausarbeiten und Benennen von Kategorien, um Aussagen zu den genannten Auswertungsbereichen zu generieren. Nach Mayring (2015, S. 67) existieren dabei drei Grundformen des Interpretierens, die je nach Forschungsfrage auszuwählen sind. a) Zusammenfassung: Ziel der Analyse ist es, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben [und] durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist. b) Explikation: Ziel der Analyse ist es, zu einzelnen fraglichen Textteilen (Begriffen, Sätzen,…) zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert, das die Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet. c) Strukturierung: Ziel der Analyse ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen. Zur Beantwortung der Forschungsfragen 1a–1c werden die zusammenfassende Inhaltsanalyse und eine induktive Kategorienbildung gewählt. Ebenso wird auf Explikationen (weite Kontextanalyse) zurückgegriffen, um entsprechende Textstellen mit Hilfe von verständniserweiternden Informationsquellen besser zu deuten. Dazu zählen die, während der Interviews entstandenen Schülerinnen- und Schüleraufzeichnungen. „Eine induktive Kategoriendefinition (…) leitet die Kategorien direkt aus dem Material in einem Verallgemeinerungsprozess ab, ohne sich auf vorab formulierte Theorienkonzepte zu beziehen. (…) [Ziel ist eine] möglichst naturalistische (…), gegenstandsnahe (…) Abbildung des Materials ohne Verzerrungen durch Vorannahmen des Forschers“ (Mayring, 2015, S. 85).
Nr.
1
2
3
4
5
Fall
1
1
1
1
1
1b
1b
1a
1a
1a
Aufg.
S1: Ja, weil manchmal hilfts, aber bei mir jetzt nicht so unbedingt, weil mit dem Dreisatz oder ich denke halt, ich denke, mit dem Prozentstreifen quasi im Kopf. Dann brauche ich ihn nicht auf ein Blatt schreiben und dann denke ich mir einfach, wie viel es noch ist und dann mache ich halt die Dreisatztabelle weiter.#00:16:41-2#
S2: Ja.#00:13:38-5# [Beschriftet Prozentstreifen] S1: Ja. Ja, hier haben wir, doch die hundert. (unv.) Hundert Prozent, ne? Das sind die neunundsiebzig. [Beschriftet Prozentstreifen]#00:13:49-7#
S1: Wir wissen jetzt im Moment, dass neun-, also hundert Prozent die neunundzwanzig Euro sind. [Erklärt an Prozentstreifen] Und dann acht, also wir haben jetzt dann die fünfzehn Prozent abgezogen, dann sind wir bei fünfundachtzig.#00:09:42-7#
S1: Ja, weil es leichter dann ist, so.#00:04:11-0#
S1: [Fängt an, Prozentstreifen zu malen]#00:00:30#
Textbaustein/Zeitmarke
F 2: Übersicht F 3: Validierung
S1 hilft das Imaginieren des Prozentstreifens bei der Auswahl der Zahlen für die Dreisatztabelle, bereitet Kalkulation vor
F 2: Übersicht
(Fortsetzung)
F4: allg. Unter-stützung
F 1: Zuordnung
Kategorie
S2 beschriftet den Prozentstreifen mit F 1: Zuordnung relevanten Daten aus der TA, S1 ordnet dabei zu
S1 argumentiert mit Hilfe des Prozentstreifens/validiert das bisherige Vorgehen
S1 meint, es erleichtert die Handhabe/Zuordnung
S zeichnet und ordnet Zahlen der Textaufgabe an den Prozentstreifen
Paraphrase/Generalisierung
Tabelle 7.3 Analyse der Versuchsfälle: Kategorienableitung nach Reduktionsdurchlauf am Beispiel: Funktionen des Prozentstreifens
7.4 Ablaufmodell der Analyse 117
Nr.
5
6
7
8
10
Fall
1
1
1
1
1
Paraphrase/Generalisierung
S1 zeichnet und beschriftet den Prozentstreifen
S2 meint, er hilft bei der Zuordnung
Kategorie
F 1: Zuordnung
F 1: Zuordnung
F4: allgemeine Unter-stützung
S2: Weil, achtzig (1) [zeigt an Prozentstreifen] und 2400 ist das gleiche, also vierundzwanzigtausend.#00:25:58-5#
S2 argumentiert mit dem Prozentstreifen
F 3: Validierung
S2: Weil die hundert Prozent, [Deutet S2 argumentiert nach dem Lösen mit F 3: Validierung auf ersten Prozentstreifen] also die Hilfe des Prozentstreifens sind hier nicht, ähm, die zweitausendvierhundert, das sind ja die achtzig Prozent.#00:24:56-1#
S1: [Zeichnet neuen Prozentstreifen] (5) Also hier sind die hundert.#00:19:34-2#
S2: Ja, weil du, weil da direkt weiß, wo man´s einordnen muss. Quasi.#00:17:20-9#
S2: Ja, klar. Große Hilfe.#00:17:14-0# S2 profitiert vom Prozentstreifen
Textbaustein/Zeitmarke
7
2a
2a
2a
1b
1b
Aufg.
Tabelle 7.3 (Fortsetzung)
118 Zur Verwendung des Prozentstreifens …
7.5 Kategorienbildung
119
Eine konträre Herangehensweise (deduktive Kategorienanwendung) und die Anwendung inhaltlicher und typisierender Strukturierungen wurde im Rahmen der Forschungsfragen 1d und 1e bemüht, um einerseits Aussagen für die Auswertungsbereiche zu gewinnen und zusammenzufassen (inhaltlich) und andererseits, um markante Ausprägungen im Material zu suchen und genauer zu beschreiben (typisierend).
7.5
Kategorienbildung
Die durch das erhobene Datenmaterial und das konkrete Ablaufmodell generierten Kategorien werden nachstehend unter Beachtung der Forschungsfragen (Abschnitt 7.1) erläutert. Die vier Kategorien werden jeweils definiert und durch Beispielzitate aus den Interviews (Kategorie 1 und 2) ergänzt. Die konkreten Analyseeinheiten sind dabei wie folgt festgelegt: Kodiereinheit: Klare bedeutungstragende Elemente im Satz. Kontexteinheit: Das gesamte Interview einer Person inklusive des produzierten Materials bei der Aufgabenbearbeitung sowie zusätzliche Protokollnotizen des Interviewers. Auswertungseinheit: Das gesamte Material aller sechs Interviews. Abstraktionsniveau: Äußerungen und Handlungen werden jeweilige Funktionen zugeordnet.
7.5.1
Kategorie 1: Funktionen des Prozentstreifens
Fragestellung und Kategoriendefinition: In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, welche Funktion(en) der Prozentstreifen im Lösungsprozess übernimmt. Es werden dabei alle durch die Interviewten geäußerten Aussagen einbezogen, die auf einen Mehrwert des Prozentstreifens im Lösungsprozess hindeuten. Folgende Funktionen können aus dem Material abgeleitet werden: 1. 2. 3. 4.
Zuordnungsfunktion Übersichtsfunktion Validierungsfunktion allgemeine Unterstützungsfunktion
120
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Beschreibung der Funktionen: 1. Zuordnungsfunktion: Diese Funktion unterstützt Schülerinnen und Schüler beim Zuordnen des in der Textaufgabe enthaltenen Zahlenmaterials. Die Funktion zeigt sich insbesondere beim Beschriften des Prozentstreifens zu Beginn des Lösungsprozesses und nach Abschluss der Berechnungen durch das Beschriften des Prozentstreifens mit dem Ergebnis.
Beispiel 1: Versuchsfall 1, Aufgabe 1b „S1: Ja. Ja, hier haben wir, doch die hundert. (unv.) Hundert Prozent, ne? Das sind die neunundsiebzig.“ [Zeigt die Zahlen jeweils am Prozentstreifen] #00:13:49-7# Beispiel 2: Versuchsfall 1, Aufgabe 1b „S2: Ja, weil du, weil da direkt weiß, wo man’s einordnen muss. Quasi.“ #00:17:20-9# 2. Übersichtsfunktion: Diese Funktion bezeichnet Äußerungen, die darauf verweisen, dass der Einsatz des Prozentstreifens dabei unterstützt ein besseres Verständnis (Übersicht) zu dem in der Aufgabe beschriebenen Sachverhalt zu erhalten. Diese Übersicht kann während der Aufgabenbearbeitung immer wieder als Referenz (Ankerpunkt) genutzt werden. Der Lösungsprozess wird demnach zu verschiedenen Zeitpunkten durch den Prozentstreifen unterstützt.
Beispiel 1: Versuchsfall 2, Aufgabe 2a: „S2: Welche Zahl wir brauchen, um die Textaufgabe zu lösen.“ #00:23:47-1# Beispiel 2: Versuchsfall 3, Aufgabe 3a: „S2: Das, ehm, dass es halt so übersichtlich ist, dass man jetzt, wegen, dass es dann schneller, wenn man da hinguckt [Deutet auf PS]. Deswegen.“ #00:12:58-3# 3. Validierungsfunktion: Die Aufgaben können unter Rückbezug auf den Prozentstreifen überprüft werden. Dazu gehört das Validieren von (Teil-) Ergebnissen. So wird beispielsweise ein Ergebnis an der gesuchten Stelle am Prozentstreifen vermerkt. Die Lernenden erhalten so eine Rückmeldung, da auf diese Weise (un-)
7.5 Kategorienbildung
121
sinnige Relationen deutlich werden. Eine validierende Funktion kann auch während des Lösungsprozesses auftreten, beispielsweise durch das Korrigieren von Daten am Prozentstreifen.
Beispiel 1: Versuchsfall 3, Aufgabe 5a: „S1: (1) Gibt es was so zu Absicherung oder so, dann halt. Dass man es halt sieht.“ #00:22:40-9# Beispiel 2: Versuchsfall 1, Aufgabe 2a: „S1: Dass wir die zweitausend, also die vierundzwanzigtausend unter die achtzig Prozent geschrieben haben. Weil hundert Prozent sind ja die dreißigtausend.“ #00:25:10-1# 4. allgemeine Unterstützungsfunktion: Diese Funktion wurde in den auftretenden Interviews zweimal identifiziert (siehe Beispiele) und kennzeichnet einen nicht näher definierten, jedoch positiven Zweck des Prozentstreifens.
Beispiel 1: Versuchsfall 1, Aufgabe 1a: „S1: Ja, weil es leichter dann ist, so. Also (unv.: wenn es richtig wäre)“ #00:04:11-0#„S1: Ja, weil es leichter dann ist, so. Also (unv.: wenn es richtig wäre)“ #00:04:11-0# Beispiel 2: Versuchsfall 3, Aufgabe 7a: „S1: Also ich habe sie jetzt neu in der achten mal kennengelernt. Die, den Ding. (1) Prozentstreifen. Und, also ich finde ihn nützlich, also mir würde er helfen.“ #00:33:39-8#
7.5.2
Kategorie 2: Phasen im Lösungsprozess
Fragestellung und Kategoriendefinition: In Anlehnung an die identifizierten Funktionen des Prozentstreifens werden hier speziell die Phasen im Lösungsprozess betrachtet, in denen der Prozentstreifen als Hilfsmittel fungiert. Daraus soll geschlussfolgert werden, wann sein Einsatz für die Lernenden einen Mehrwert darzustellen scheint. Folgende Phasen können aus dem Material abgeleitet werden: • Phase 1: Bilden des Situationsmodells • Phase 2: Bearbeiten des Mathematischen Modells • Phase 3: Validierung
122
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Beschreibung der Phasen: Phase 1 – Bilden des Situationsmodells: Nach dem Lesen der Textaufgabe erfolgt das Zeichnen (das Skizzieren) und Beschriften des Prozentstreifens mit dem relevanten Zahlenmaterial. Dieses Vorgehen unterstützt das Erfassen der Situation, also das Bilden des entsprechenden Situationsmodells und die sich daran anschließende Übersetzung in das mathematische Modell, indem die ursprüngliche Textaufgabe in einer übersichtlichen Skizze vereinfacht dargestellt wird.
Beispiel 1: Versuchsfall 1, Aufgabe 1b: „S1: Ja. Ja, hier haben wir doch die hundert. (unv.) Hundert Prozent, ne? Das sind die neunundsiebzig.“ [Beschriftet Prozentstreifen] #00:13:49-7# Beispiel 2: Versuchsfall 1, Aufgabe 2a: „S1: [Beschriftet Prozentstreifen] So, das sind ja achtzig, und jetzt machen wir den Dreisatz halt wieder, oder?“ #00:19:51-8# Phase 2 – Bearbeiten des Mathematischen Modells: Nach dem Bilden des Situationsmodells erfolgt in der hier zugrunde gelegten, prototypischen Darstellung des Modellierungskreislaufes nach Verschaffel das Bearbeiten des Mathematischen Modells. Dies betrifft im Wesentlichen alle Tätigkeiten rund um das Aufstellen des mathematischen Modells bis hin zum Ergebnis. In dieser Phase erfolgen Rückbezüge auf den Prozentstreifen, beispielsweise beim Erklären der Situation oder dem Erläutern der eigenen Vorgehensweise. Der Aufgabeninhalt wird dadurch immer wieder vergegenständlicht, sei es im Gespräch oder durch das Korrigieren und Ergänzen von Zahlen am Prozentstreifen. Das zu Beginn aufgestellte Situationsmodell dient hier als unterstützende Grundlage für die weitere Aufgabenbearbeitung.
Beispiel 1: Versuchsfall 3, Aufgabe 7a: „S1: was die hundert sind. Doch hundert Prozent ist der Neupreis.“ [Verbessert PS] #00:29:39-6# Phase 3 – Validierung: Ein wichtiger Aspekt der Arbeit mit dem Prozentstreifen im Rahmen des Modellierungskreislaufes ist die Validierung der Teil- und Endergebnisse. Insbesondere diese Phase der finalen Validierung mit Hilfe des Situationsmodells (Rückkopplung), dem so genannten „check for reasonableness“
7.5 Kategorienbildung
123
ist wichtig, da die Lernenden eine unmittelbare Rückmeldung darüber erhalten, ob ihr Ergebnis sinnvoll erscheint (Verschaffel et al., 2000). Dies wird durch das Vermerken des Endergebnisses am Prozentstreifen unterstützt. Erst danach erfolgen communication und report (siehe Abschnitt 2.5.2).
Beispiel 1: Versuchsfall 2, Aufgabe 1a: S2: Ja, weil man dann eben sieht, dass die neunundzwanzig [Zeigt auf PS] noch da ist. Dass man die vier auch von dreißig noch minus machen muss. #00:03:57-5# Beispiel 2: Versuchsfall 3, Aufgabe 2a: „S1: Ich schreib hier dreißigtausend hin.“ #00:07:34-6# und „S2: [Schreibt Ergebnis an PS] (unv.)“ #00:07:40-8#
7.5.3
Kategorie 3: Lösungsverfahren
Fragestellung und Kategoriendefinition: An dieser Stelle stehen die (visuellen) Lösungsverfahren der Lernenden beim Lösen von Prozentaufgaben im Fokus. Dabei werden alle Verfahren, die im Rahmen der Aufgabenbearbeitungen angewendet wurden, betrachtet. Die Beschreibung typischer Lösungsverfahren wurde bereits in Kapitel 1.4 vorgenommen. Diese gilt als Grundlage und wird durch weitere, in den Interviews auftretende Lösungsverfahren ergänzt. Folgende sechs Lösungsverfahren können aus dem Material abgeleitet werden: • • • • • •
Lösungsverfahren Lösungsverfahren Lösungsverfahren Lösungsverfahren Lösungsverfahren Lösungsverfahren
4 Der
1: 2: 3: 4: 5: 6:
Operator Dreisatz Bruch-und Verhältnisgleichung Prozentformel Prozentstreifen4 Sonstige (unstrukturierte Verfahren)
Prozentstreifen agiert dabei nicht als eigenständiges Lösungsverfahren, sondern immer in Verbindung mit einem anderen. Er ist somit als integrativer Bestandteil des angewendeten Lösungsverfahrens zu verstehen.
124
7.5.4
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Kategorie 4: Fehlertypen
Fragestellung und Kategoriendefinition: Es wird abschließend, äquivalent zur Kategorie 3, der Frage nachgegangen, welche Fehler bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben auftreten. Folgende fünf Fehlertypen können nach der Auswertung des Materials abgeleitet werden: • • • • •
Fehlertyp Fehlertyp Fehlertyp Fehlertyp Fehlertyp
1: 2: 3: 4: 5:
Rechenfehler Zuordnungsfehler bei Größen Zuordnungsfehler bei mathematischen Operationen Formelfehler Sonstige
Beschreibung der Fehlertypen: Die aufgeführten Fehlertypen decken sich mit den in Abschnitt 1.5.3 beschriebenen Kategorien und werden an dieser Stelle daher in komprimierter, stichpunkartiger Form dargestellt. • Fehlertyp 1: Rechenfehler (zum Beispiel Stellenwertfehler, Multiplikationsfehler) • Fehlertyp 2: Zuordnungsfehler bei Größen (zum Beispiel gesuchte Größen als gegebene Größen verwendet, absolute Zahlenwerte als relative Angaben in Form von Prozentsätzen) • Fehlertyp 3: Zuordnungsfehler bei mathematischen Operationen (zum Beispiel Wahl falscher Rechenoperationen: Multiplikation statt Division) • Fehlertyp 4: Formelfehler (zum Beispiel Nutzen einer falschen Formel, Umstellungsfehler) • Fehlertyp 5: Sonstige (lassen sich den genannten Kategorien nicht zuordnen)
7.6
Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
Abschließend werden die Ergebnisse der Qualitativen Inhaltsanalyse zusammengefasst und einer Interpretation unterzogen. Betrachtet werden dabei die einzelnen Kategorien und die daraus resultierenden Erkenntnisse. Zum besseren Verständnis werden zunächst die eingesetzten Testfragen in Tabelle 7.4 aufgeführt.
7.6 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
125
Tabelle 7.4 Verwendete Testaufgaben für die Interviewsituation in Anlehnung an Hafner, 2012 (Anforderungsniveau) und Pöhler, 2018 (Situationsmuster) Nr.
Aufgabe
Anforderungsniveau (nach Hafner, 2012)
1a
Ein T-Shirt kostet in einem Grundstruktur Sportgeschäft 29 e. An der (Erweiterte Struktur) Kasse wird der Preis um 15 % reduziert. Wie teuer ist es nun noch?
Teil eines Ganzen (Verminderung um %)
1b
„32 % Rabatt – nur diesen Samstag!“ So wird eine Hose in einem Kaufhaus angeboten. 79,90 e kostet sie eigentlich. Wie teuer ist sie nun noch?
Teil eines Ganzen (Verminderung um %)
2a
Ein Autohaus feiert Grundstruktur Geburtstag. Beim Kauf eines Neuwagens gibt es deswegen 20 % Rabatt. Ein Kunde nutzt dieses Angebot, entscheidet sich für einen Sportwagen und zahlt an der Kasse noch 24000 e. Wie teuer war der Wagen ursprünglich?
Teil eines Ganzen
3a
In einer Flasche befinden Grundstruktur sich 250 ml Saft. Daraus trinkt Juliane einen Schluck. Nun befinden sich noch 190 ml Saft in der Flasche. Wieviel Prozent sind das?
Teil eines Ganzen
4a
Im letzten Jahr besuchten Erweiterte Struktur 356 Schülerinnen und Schüler eine Grundschule in Freiburg. In diesem Jahr sind es 4,5 % mehr. Wie viele Schülerinnen und Schüler gehen in diesem Schuljahr insgesamt an die Schule?
Vermehrung um %
Grundstruktur (Erweiterte Struktur)
Situationsmuster (nach Pöhler, 2018)
(Fortsetzung)
126
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Tabelle 7.4 (Fortsetzung) Nr.
Aufgabe
Anforderungsniveau (nach Hafner, 2012)
Situationsmuster (nach Pöhler, 2018)
5a
In einem Freibad befinden Erweiterte Struktur sich verschieden große Schwimmbecken, darunter auch ein Babybecken. Nachdem es tagelang stark geregnet hat, sind 4115 Liter in dem Babybecken. Das sind 15 % mehr als normalerweise. Wieviel Liter Wasser waren eigentlich in dem Becken?
Vermehrung um %
6a
Anne hat sich einen Laptop Erweiterte Struktur für 479 e gekauft. Der Händler gab an, dass dieser Preis um 20 % reduziert sei. Annes Freundin Melanie hat sich vor wenigen Tagen den gleichen Laptop gekauft – zum alten Preis von 549 e. Nun ärgert sie sich und überlegt: Stimmt das überhaupt, was der Händler gesagt hat? Begründe!
Teil eines Ganzen
7a
Autos verlieren an Wert: Im Komplexe Struktur 1.Jahr 20 %, im 2.Jahr 15 % und im 3.Jahr 10 %. Familie Neumann kauft sich ein zwei Jahre altes Auto für 18360 e. Wie groß war der Werteverlust gegenüber dem Neupreis?
Teil eines Ganzen (Verminderung um %)
Die gesuchte Größe ist nur für den Testleiter sichtbar gewesen. Alle Probandinnen und Probanden erhielten ein separates Aufgabenblatt. Die Auswahl der verwendeten Aufgaben basiert auf vergleichbaren Textaufgaben aus Schulbüchern der Zielgruppe (zum Beispiel „denkstark 3 Mathematik, Werkrealschule“ und „Mathematik konkret 3, Realschule“). Die Aufgaben wurden so gewählt, dass einerseits die Grundaufgaben der Prozentrechnung abgedeckt wurden (Aufgaben 1a–3a) sowie darüber hinaus mehrschrittige Aufgaben (Aufgabe 4a–6a) und eine
7.6 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
127
Aufgabe noch komplexerer Struktur (Aufgabe 7a) zur Bearbeitung vorlagen. Zu jeder Kategorie existierten jeweils zwei strukturgleiche Aufgaben, bei denen nur der Kontext geändert wurde (siehe exemplarisches Beispiel: Aufgabe 1a/1b). Die Konzeption der Aufgaben erfolgte in Anlehnung an die Klassifikation der Aufgabenschwierigkeit (Aufgabenkomplexität) nach Hafner (2012). Danach wurden alle Testaufgaben hinsichtlich ihres kognitiven Anforderungsniveaus eingeordnet. Dem Niveau (1) gehören Aufgaben an, in denen Beziehungen zwischen Größen hergestellt werden müssen. Hierzu zählen beispielsweise die drei Grundaufgaben der Prozentrechnung. Aufgaben zu Niveau (2) (…) werden um eine einfache Operation (Addition bzw. Subtraktion) ergänzt. Werden in Aufgaben wiederum Ansprüche aus Niveau (2) miteinander verknüpft, so werden diese dem Anforderungsniveau (3) zugeordnet (ebd., S. 68).
Aufgaben auf Anforderungsniveau (1) erfordern die Aktivierung einer entsprechenden Grundvorstellung, (2) erfordern zusätzlich weitere Grundvorstellungen, zum Beispiel zu Addition und Subtraktion, (3) erfordern die mehrfache Aktivierung von Grundvorstellungen (Hafner, 2012) (Abbildung 7.1).5 Während der Intervention gab es für die Schülerinnen und Schüler keine Vorgaben darüber, wie viele Aufgaben bearbeitet werden sollten. Dies ergab sich aus den entsprechenden Arbeitstempi und entspricht somit der Grundidee der qualitativen Untersuchung individuell auf die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Bearbeitungs- und Denkprozesse einzugehen. Die Aufgabenbearbeitung erfolgte in chronologischer Reihenfolge.
7.6.1
Funktionen des Prozentstreifens
In den konkreten Interviewsituationen traten über alle Versuchsfälle hinweg betrachtet, folgende Funktionen auf:
5 Zusätzlich
wurde das entsprechende Situationsmuster in dieser Tabelle, in Anlehnung an Pöhler (2018) ergänzt. Dies dient der Einordnung der Aufgabe in den Kontext der Prozentrechnung.
128
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Abbildung 7.1 Anforderungsniveaus am Beispiel der Prozentrechnung (Hafner, 2012, S. 69)
1. 2. 3. 4.
Zuordnungsfunktion Übersichtsfunktion Validierungsfunktion allgemeine Unterstützungsfunktion
Wird ergänzend eine Schablone auf die in der Literatur beschriebenen Funktionen des Prozentstreifens gelegt, lassen sich Kongruenzen erkennen. So können die Übersichts- (F2) und Validierungsfunktion (F3) mit dem thought model (Van den Heuvel-Panhuizen, 2003) verglichen werden, da sie durch reflexive und ergebnisprüfende Elemente als eine Art Denkmodell fungieren (auch Van Galen & Van Eerde, 2013). Ebenso sollen die Befunde von Pöhler (2018) hier in Betracht gezogen werden. Demnach können die Funktionen structure the relations sowie reference structure mit den Funktionen Zuordnung (F1) und Übersicht (F2) der vorliegenden Untersuchung verglichen werden. Die im Literaturteil beschriebenen Funktionen werden somit durch eine weitere Untersuchung bestätigt und sind somit auch auf den Bereich der Prozentaufgaben im Textformat transferierbar. Es soll sich an dieser Stelle eine ergänzende Analyse anschließen. Diese bezieht sich auf die Verteilung und Häufigkeit der genannten Funktionen auf die Aufgaben. Dabei werden die einzelnen Versuchsfälle separat betrachtet. Ziel ist es, Aufschluss darüber zu erhalten, wie sich die Verteilung auf die einzelnen Fälle gestaltet. Möglicherweise lässt sich daraus ableiten, ob sich die identifizierten
7.6 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
129
Funktionen einem bestimmten Aufgabentyp oder einer speziellen Schülerin oder einem Schüler, gemäß der Einteilung nach dem mathematischen Leistungsniveau (gering, mittel, hoch) zuordnen lässt. Dazu werden die einzelnen Versuchsfälle betrachtet. Versuchsfall 1 (geringes mathematisches Leistungsniveau) Bei der Bearbeitung von vier Aufgaben zum verminderten Grundwert und gesuchten Grundwert zeigt sich, dass die Zuordnungsfunktion (F1) in allen Aufgaben zur Anwendung kommt. Bei den Aufgaben 1a und 1b kommt des Weiteren die Übersichtsfunktion (F2) zum Tragen. Dieser Versuchsfall deutet darüber hinaus bei beiden Aufgaben eine Unterstützung durch den Prozentstreifen an (F4). Nach dem Wechsel der gesuchten Größe beim Übergang zur Aufgabe 2a findet sich neben der Zuordnungsfunktion (F1) im Verlauf des Interviews gleich drei Mal eine Validierung (F3) wieder. Scheinbar ist diese beim Wechsel der gesuchten Größe zwischen den Aufgaben 1a/1b und 2a eine hilfreiche Unterstützung und bietet den Lernenden Orientierung. Versuchsfall 2 (mittleres mathematisches Leistungsniveau) Bei der Bearbeitung von insgesamt fünf Aufgaben zum erhöhten/verminderten Grundwert sowie gesuchten Grundwert/Prozentsatz werden bei allen Aufgaben zum Grundwert Zuordnungsfunktionen (F1) sichtbar. Lediglich beim gesuchten Prozentsatz, Aufgabe 3a, ist dies nicht der Fall, hier zeigt sich dafür zwei Mal die Übersichtsfunktion (F2). Diese ist, bis auf Ausnahme der Aufgabe 4a (erhöhter Grundwert) auch bei allen anderen Aufgaben zu finden. Auffällig ist die Häufung bei der Aufgabe 2a, also nach dem Wechsel der Aufgaben vom gesuchten verminderten Grundwert zum gesuchten Grundwert. Hier gibt es gleich sechs Hinweise auf diese Funktion. Scheinbar, wie es schon bei Versuchsfall 1 zu erkennen war, bietet der Prozentstreifen hilfreiche Unterstützung und Orientierung an. Die Validierung spielt bei zwei Aufgaben (1a/4a) eine Rolle. Versuchsfall 3 (hohes mathematisches Leistungsniveau) Bei der Bearbeitung von insgesamt sieben Aufgaben zum erhöhten/verminderten Grundwert, zum gesuchten Grundwert/Prozentsatz sowie bei den anspruchsvolleren Aufgaben (6a/7a) zeigt sich, dass der Aspekt Zuordnungsfunktion (F1) keine übergeordnete Rolle spielt, denn lediglich bei einer Aufgabe finden sich Hinweise darauf wieder. Das Gegenteil gilt für die Übersichtsfunktion (F3), die abgesehen von Aufgabe 4a (hier wird der Prozentstreifen gar nicht verwendet) in den anderen Aufgaben gleich mehrfach auftritt. Werden die Aufgaben anspruchsvoller (Aufgabe 5a, 6a, 7a), das heißt komplexer, tritt die Validierungsfunktion in
130
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
den Vordergrund (F3). Das könnte als Indiz dafür gelten, dass der Prozentstreifen für Lernende mit höherem mathematischen Leistungsniveau bei komplexeren Aufgaben ein probates, intuitiv zu nutzendes Hilfsmittel zur Validierung darstellt. Ein gebündelter Vergleich, das heißt über alle Versuchsfälle hinweg, soll nicht vorgenommen werden, da die einzelnen Fallgruppen weder durchgängig die gleichen noch gleichviele Testaufgaben bearbeiteten. Im Vordergrund stand explizit die individuelle Betrachtung der Fallgruppen und somit die tiefere Analyse und das Verständnis der Aufgabenbearbeitungen. Dennoch ergeben sich in der ganzheitlichen Betrachtung Indizien dafür, dass Lernende eines geringen oder mittleren mathematischen Leistungsniveaus eher im zuordnenden Sinne auf den Prozentstreifen zurückgreifen, während Lernende eines höheren mathematischen Leistungsniveaus ihn als validierendes Instrument einsetzen.
7.6.2
Phasen im Lösungsprozess
Der Prozentstreifen fand während der Aufgabenbearbeitungen, über alle Versuchsfälle hinweg betrachtet, in folgenden Phasen Anwendung: • Phase 1: Bilden des Situationsmodells • Phase 2: Bearbeiten des Mathematischen Modells • Phase 3: Validierung Die Verteilungsanalyse ergibt ein klares Bild. Wird der Prozentstreifen nach dem Rezipieren der Textaufgabe durch die Lernenden skizziert, unterstützt dieser reflexive Vorgang das Erfassen der Situation und die Bildung eines geeigneten Situationsmodells, da er eine wiederholende Auseinandersetzung mit der Textaufgabe verlangt. Diese Phase (1) ist bei allen Versuchsfällen, mit einer Ausnahme (Fall 3, Aufgabe 4a: hier wird der Prozentstreifen nicht benutzt), bei jeder Aufgabe zu erkennen gewesen. In Phase 2 hingegen ist die Zuhilfenahme des Prozentstreifens weniger deutlich zu beobachten. Sie zeigt sich lediglich bei Fall 3 (Aufgabe 7a) in konkreten Äußerungen. Hinsichtlich der Augenaktivitäten, die auf das Nutzen (Beobachten) des Prozentstreifens hinweisen, sind keine Aussagen möglich. Dies ist der Aufnahmetechnik geschuldet, da hier mit einer Dokumentenkamera gearbeitet wurde. Um Augenbewegungen gezielt zu erfassen und somit Rückschlüsse auf die Rolle des Prozentstreifens im Lösungsprozess zuzulassen, böte sich das so genannte
7.6 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
131
Eye-Tracking-Verfahren an, welches Hinweise liefert, wie oft Lernende den Prozentstreifen tatsächlich fokussieren. Die Eindrücke der Interviews geben dennoch berechtigten Grund zu der Annahme, dass der Prozentstreifen im Lösungsprozess immer wieder verwendet wurde, ohne dass er explizite Nennung erfuhr. Anders verhält es sich mit der Phase 3, einer Phase, die sich tendenziell eher zum Ende des Lösungsprozesses zeigt. Wird beispielsweise ein errechnetes Endergebnis final am Prozentstreifen notiert, erhalten Lernende eine Rückmeldung (Validierung) über die Sinnhaftigkeit ihres Ergebnisses. Die rechteckige Darstellung des Prozentstreifens kann diesen Effekt verstärken, da das richtige Einzeichnen der Größen zu Beginn der Aufgabenbearbeitung ein gutes Einteilungsvermögen (Schätzen) erfordert (vgl. Rianaseri et al., 2012; Van Galen & Van Eerde, 2013; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003). Hinsichtlich der Verteilung ist diese Phase in jedem Fall vorzufinden, jedoch nur einmal in den Fällen 1 und 2 (Aufgabe 2a und 1a). Anders verhält es sich bei Versuchsfall 3, in dem fast jede Aufgabe (außer 4a und 6a) validiert wird. Es scheint, als erkennen insbesondere Lernende mit einem hohen mathematischen Leistungsniveau den Nutzen dieses Validierungsvorgangs, zumindest aber führen sie diesen finalen Schritt durch, um eine bessere Übersicht über die gesamte Aufgabe zu erlangen.
7.6.3
Schwierigkeiten im Lösungsprozess
Nach Analyse der Transkripte kann konstatiert werden, dass keine Schwierigkeiten beim Erlernen und Anwenden des Prozentstreifens als zu diesem Zeitpunkt unbekannten Lerngegenstand auftreten. Demzufolge ist die Handhabung des Prozentstreifens auf allen Leistungsniveaus als intuitiv, einfach und problemlos zu bezeichnen.
7.6.4
Lösungsverfahren bei der Bearbeitung von Textaufgaben
Bei der Frage nach den durch die Lernenden angewandten Lösungsverfahren zeigt sich ein sehr einheitliches Bild, was die folgende, knappe Darstellung der Ergebnisse in diesem Bereich begründet. So ist die Nutzung des Dreisatzes, inklusive des Aufstellens der dazugehörigen Tabelle (Dreisatztabelle, Minitabelle) über alle Fallgruppen hinweg festzustellen. Gravierender Unterschied zwischen Versuchs-
132
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
und Kontrollfällen ist die konsequente Nutzung des Prozentstreifens durch die Lernenden der Versuchsfälle.6 Darüber hinaus konnte eine weitere Lösungsstrategie identifiziert werden. So verwendeten die Kontrollfälle 1 und 3 konsequent den Taschenrechner. Dabei muss jedoch unterschieden werden, ob dieser als rechnerisches Hilfsmittel beim Lösen oder als Methode des Probierens verwendet wurde. Letztere zeichnet sich durch ein scheinbar „wahlloses“ Ausführen von Rechenoperationen auf dem Taschenrechner aus, bis ein subjektiv passendes Ergebnis kalkuliert wurde. In Versuchsfall 1 schlug eine Probandin ein probierendes Vorgehen als Lösungsmöglichkeit in einem Teilschritt vor. Bei Kontrollfall 3 zeigten sich beide Varianten, es ist jedoch zu vermuten, dass die probierende Methode dominierte.
7.6.5
Typische Fehler bei der Bearbeitung der Aufgaben
Kontrollfälle Es dominieren, quantitativ betrachtet, Zuordnungsfehler bei mathematischen Operationen, gefolgt von sonstigen Fehlern. Zuordnungsfehler werden von allen Kontrollfällen begangen und sind nahezu bei jeder Aufgabe sichtbar. Insbesondere bei Aufgabe 2a, nach dem Wechsel der gesuchten Größe erscheinen sie gehäuft. Die sonstigen Fehler zeigen sich vor allem in Folgefehlern, falschen Ansätzen zur Bearbeitung der Aufgabe oder dem Darstellen von Teillösungen als Endergebnis und treten bei jedem Fall mindestens einmal auf. Dadurch wird die Frage nach dem richtigen Aufgabenverständnis aufgeworfen. Erst an dritter Stelle sind Zuordnungsfehler bei Größen zu nennen, die bei jedem Fall mindestens einmal auftreten. Des Weiteren sind Rechenfehler anzuführen, die jedoch nur in Fall 3 bei zwei Aufgaben auftreten. Versuchsfälle Anders stellt sich die Situation bei den Versuchsfällen dar. Die Fehler sind hauptsächlich bei den Aufgaben 1a (verminderter Grundwert gesucht) und 2a (Grundwert gesucht) aufgetreten. Dabei begehen alle Versuchsfälle bei Aufgabe 2a Zuordnungsfehler bei Größen (trotz unterstützender Visualisierung). Der Wechsel der gesuchten Größen (von 1a zu 2a) scheint wie bei den Kontrollfällen 6 Die
Probandinnen und Probanden der Versuchsfälle agierten bei der Bearbeitung der Aufgaben frei, das heißt sie erhielten durch den Versuchsleiter keine Instruktionen zur Anwendung des Prozentstreifens. Ein gewisser Einfluss ist diesbezüglich im Sinne der Erwünschtheit anzunehmen, da der Interviewvorgang sowie die vorangegangene Intervention durch dieselbe Person erfolgten.
7.6 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
133
besonders fehleranfällig zu sein. Des Weiteren treten Zuordnungsfehler bei mathematischen Operationen auf, jedoch nur bei Fall 1 (Aufgabe 1a). Sonstige Fehler, wie Flüchtigkeitsfehler oder die Darstellung eines Teilergebnisses als Endergebnis treten pro Fall einmal auf. Formelfehler wurden nicht begangen, was auf der Tatsache beruht, dass dieses Lösungsverfahren in keinem der Fälle Anwendung fand. Tabelle 7.5 schlüsselt die Fehlerverteilung für beide Gruppen übersichtlich auf. Tabelle 7.5 Fehlerübersicht Kontroll- und Versuchsfälle (eigene Darstellung) Kontrollfälle
Versuchsfälle
Fehlerkategorie
Anzahl
Aufgabe (Fall)
Anzahl
Aufgabe (Fall)
Rechenfehler
2
1a (3) 3a (3)
–
–
Zuordnungsfehler bei Größen
7
1a (2) 1b (3) 2a (1,2,2) 5a (1,2)
5
2a (1,1,2,3) 4a (5)
Zuordnungsfehler bei mathematischen Operationen
21
1a (3,3,3,3,2) 1b (1,3) 2a (1,1,1,2,2,3) 3a (1,2,3) 4a (2,2) 5a (1,1,2)
2
1a (1,1)
Sonstige Fehler (Flüchtigkeitsfehler u. a.)
11
1a (3) 1b (3,3,3) 2a (2,3) 3a (3) 4a (2) 5a (1,2,2)
3
1a (1) 2a (2) 7a (3)
Werden die Ergebnisse der Kategorie Fehlertypen komparativ betrachtet, zeigen sich kategorisch zwar gleiche Fehlermuster, die jedoch bei den Versuchsfällen in deutlich geringerem Umfang auftreten. Ebenso ist die Streuung der Fehler hier niedriger, da sich bei den Kontrollfällen in jeder Aufgabe Fehler feststellen lassen. Besonders auffällig ist das Auftreten von Zuordnungsfehlern bei mathematischen Operationen, also der Anwendung einer Operation (eines Rechenschrittes), die der Sachsituation nicht angemessen ist.
134
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Es kann vermutet werden, dass die Anwendung des Prozentstreifens zur Reduktion von Fehlern beiträgt, wohlwissend, dass die Probandinnen und Probanden der Versuchsgruppe eine Übungsphase erhielten und die Prozentrechnung im Vergleich zu den Kontrollfällen somit wiederholen konnten. Dabei ist anzumerken, dass die Intervention auf das Kennenlernen und die konkrete Anwendung des Prozentstreifens abzielte, daran anschließende Lösungsverfahren wie der Dreisatz wurden nicht explizit besprochen. Weiterhin ist zu klären, ob die Anwendung des Prozentstreifes Aussagen hinsichtlich verbesserter Lösungshäufigkeiten zulässt. Dazu werden folgende Zahlenwerte betrachtet. So bearbeiteten • die Kontrollfälle insgesamt 15 Aufgaben in 120 Minuten Interviewzeit (11 richtige Lösungen, 73 %) und • die Versuchsfälle insgesamt 15 Aufgaben in 105 Minuten Interviewzeit (14 richtige Lösungen, 93 %). Eine weitere Aufschlüsselung nach Leistungsaspekten ist nicht sinnvoll, da die Interviews den Fokus auf die individuellen Lösungsprozesse richteten. Eine oberflächliche, rein quantitative Betrachtung legt tendenziell aber nahe, dass die Versuchsfälle gleich viele Aufgaben in weniger Zeit bearbeiteten und dabei mehr richtige Lösungen produzierten.
7.7
Vertiefung der Fallbeispiele
Die Interviews enthalten zahlreiche Aussagen, die einen vertiefenden Einblick in die Lösungsprozesse der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Um diesen Einblick zu verdeutlichen und so ein klareres Bild der Vorgehensweisen zu generieren, werden folgend einzelne Interviewausschnitte, getrennt nach Kontroll- und Versuchsfällen dargestellt. Auf diese Weise werden insbesondere die Unterschiede der Aufgabenbearbeitung mit und ohne Prozentstreifen sichtbar. Abschließend erfolgt jeweils ein kurzes Fazit. Die Ausschnitte konzentrieren sich auf die Bearbeitungen der Aufgaben 1a und 2a. Diese wurden ausgewählt, da sie die bereits geschilderten Probleme, die beim Wechsel zwischen zwei Aufgabentypen (hier Prozent- und Grundwert gesucht), also Schwierigkeiten, die durch veränderte Referenzgrößen entstehen können, besonders deutlich abbilden. Die konkreten Aufgabenstellungen lauten:
7.7 Vertiefung der Fallbeispiele
Aufgabe 1a: Aufgabe 2a:
7.7.1
135
„Ein T-Shirt kostet in einem Sportgeschäft 29 e. An der Kasse wird der Preis um 15 % reduziert. Wie teuer ist es nun noch?“ „Ein Autohaus feiert Geburtstag. Beim Kauf eines Neuwagens gibt es deswegen 20 % Rabatt. Ein Kunde nutzt dieses Angebot, entscheidet sich für einen Sportwagen und zahlt an der Kasse noch 24.000 e. Wie teuer war der Wagen ursprünglich?“
Kontrollfälle
Kontrollfall 1, S1 & S2 (geringes mathematisches Leistungsniveau; keine Kurzintervention) Schülerin 1 und Schüler 2 gelangen zu einem ersten Teilergebnis von 1200 e und das, obwohl die ursprüngliche Zuordnung richtig gewesen ist (24.000 e entsprechen 80 %). Anwendung findet in einem nächsten Schritt das ihnen vertraute Lösungsverfahren Dreisatz. Die Rechnung selbst erscheint ihnen jedoch unklar, was den Rechenschritt 24.000/20, um 20 % zu ermitteln, erklärt. Die erlernte, starre Notationsweise lässt keinen hinterfragenden Spielraum zu. Final addieren sie zu den ursprünglichen 80 %, methodisch richtig, den falschen Prozentwert und ermitteln so den falschen Grundwert (Abbildung 7.2). Das Ergebnis wird nicht validiert, es erscheint ihnen plausibel, so dass in einem letzten Schritt noch der obligatorische Antwortsatz verschriftlicht wird. Das Nutzen von Visualisierungen spielt in ihren Lösungskonzepten keine nennenswerte Rolle. Lediglich Schülerin 1 macht sich „manchmal an der Seite im Heft“ eine (nicht näher definierte) Skizze.
136
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Abbildung 7.2 Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a ohne Kenntnis des Prozentstreifens (S1&S2)
Kontrollfall 2, S3 & S4 (mittleres mathematisches Leistungsniveau; keine Kurzintervention) Konträr zu Kontrollfall 1 findet sich in diesem Fall eine andere Vorgehensweise wieder. Neben dem bereits beschriebenen Rechenfehler (Quotient: 1.200 e), zeigt sich diese Gruppe prozedural und konzeptuell gefestigter. Der erste Ansatz, festgehalten in der linken Tabelle, wird schnell verworfen und nochmal nachgerechnet. Dabei wird eine komparative Darstellung gewählt, die während dieser Validierungsphase auch zum Erfolg führt (Abbildung 7.3). Der Weg über das Berechnen von zunächst 20 % und der sich anschließenden Addition ist für die Klassenstufe offensichtlich typisch und konnte in den Untersuchungen, bis auf wenige Ausnahmen, beobachtet werden. Dieses Vorgehen sollte aber sukzessive zugunsten effizienterer Lösungswege (direktes Berechnen von 100 %) abgelöst werden. Kontrollfall 3, S5 (hohes mathematisches Leistungsniveau; keine Kurzintervention) Schüler 5 begeht einen typischen Fehler und versucht sein fest verankertes Lösungsschema, welches bei Aufgabe 1a noch zur richtigen Lösung führte, auf Aufgabe 2a zu übertragen. Dabei geht er von 24.000 e als falscher Bezugsgröße (100 %, anstatt 80 %) aus. Dieser Ansatz ist auf Grund der Zuordnung falsch. In einem zweiten Schritt revidiert er diesen ersten Gedanken und dividiert dann durch 20. Der ermittelte Quotient dient als Grundlage für die weitere
7.7 Vertiefung der Fallbeispiele
137
Abbildung 7.3 Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a ohne Kenntnis des Prozentstreifens (S3&S4)
Rechnung. Zwar verwundert ihn das hohe Ergebnis, aber auch das auf Nachfrage initiierte Validieren seines Ergebnisses schlägt fehl. Als Konsequenz lässt er die viel zu hoch erscheinende Lösung (144.000 e) stehen (Abbildung 7.4). Konkret verstünde er die Aufgabe nicht.
Abbildung 7.4 Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a ohne Kenntnis des Prozentstreifens S5)
138
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Nachtrag: Ergänzung Prozentstreifen Obwohl Schüler 5 den Prozentstreifen erst nach den Interviewaufgaben durch den Versuchsleiter kennenlernte (eine einfache Blanko-Darstellung wurde vorgezeichnet), verstand er die Aufgabe besser und konnte nach Aufforderung eine sinnvolle Beschriftung vornehmen und in der Folge die Aufgabe 2a richtig lösen (Abbildung 7.5).
Abbildung 7.5 Richtiger Lösungsweg nach Kennenlernen des Prozentstreifens (S5)
Fazit Kontrollfälle Kontrollfall 1 bekräftigt die in der Literatur getroffenen Aussagen über den Nachteil starrer Schemata (u. a. Appell, 2004; Baireuther, 1983; Prediger, 2009) und die damit zusammenhängende Unklarheit über die Wahl der richtigen Rechenschritte (Hafner, 2012). Weiterhin erfolgten, trotz der offensichtlichen Unsicherheiten im Lösungsprozess, keine Validierungsaktivitäten (Prediger, 2009). Das falsche Ergebnis von 25.200 e bleibt bestehen. Auch in Kontrollfall 2 tritt der bereits aus Kontrollfall 1 bekannte Fehler (1.200 e) auf und bestätigt die vielen fehlerbezogenen Studien (u. a. Meißner, 1982; Scherer, 1996a,b, Hafner, 2012). Im Gegensatz zu Kontrollfall 1 jedoch erfolgt eine Validierung, die zum richtigen Endergebnis führt. Der Mehrwert solcher Validierungsaktivitäten wird hier deutlich und entspricht den Forderungen für die Stärkung dieser Aktivität. Zusätzlich zeigt sich, dass hier effizientere Lösungsschritte möglich wären. S3 und S4 halten jedoch an starren Schemata fest, da diese im unterrichtlichen Kontext erlernt wurden und oftmals erfolgreich sind (vgl. Appell, 2004). Das Festhalten an solchen starren, erlernten Schemata äußert sich im Besonderen beim leistungsstarken Schüler in Kontrollfall 3 und zeigt die Gefahren solch unflexibler Lösungsverfahren auf. Dadurch entstehen in diesem Fall Zuordnungsfehler, die ebenso wenig durch eine Überprüfung des Ergebnisses revidiert werden. Zudem arbeitet dieser Schüler aus
7.7 Vertiefung der Fallbeispiele
139
seiner Unsicherheit heraus so lange probierend mit dem Taschenrechner bis er ein ihm geeignet erscheinendes Ergebnis notiert.
7.7.2
Versuchsfälle
Versuchsfall 1, S6 & S7 (geringes mathematisches Leistungsniveau; mit Kurzintervention) Bei allen Aufgaben nutzen die Schülerinnen ohne Aufforderung den Prozentstreifen, abgesehen davon, dass Schülerin 7 bei der ersten Aufgabe zunächst sofort das Anwenden des Dreisatzes vorschlägt. Schülerin 6 hingegen präferiert eine Kombination mit dem Prozentstreifen. Auch in Aufgabe 2a wird dieser Lösungsweg beibehalten. Interessanterweise kommentieren beide Probandinnen die Textfülle der Aufgabe („Oh Gott!“) sowie die Zahlengröße 24.000 e („Da sind mir zu viele Nullen hinten dran.“). Die Anzahl der Nullen sorgt im weiteren Verlauf immer wieder für Irritationen. Das Verwenden des Prozentstreifens verhindert anfangs nicht die falsche Zuordnung (Abbildung 7.6).
Abbildung 7.6 Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S6&S7)
Nachdem die erste (falsche) Lösung, nach dem Hinweis des Interviewers die Aufgabe nochmal zu lesen, verworfen wird, erfolgt eine neue, richtige Lösung. Das starre Notationsschema: „Die 100 % müssen immer oben stehen.“ wird beibehalten und führt dazu, dass die richtige tabellarische Notation verworfen wird, bevor schließlich das Endergebnis ermittelt wird (Abbildung 7.7). Ein positiver Transfer von der Textaufgabe zur Lösung mit Hilfe der Visualisierung kann dennoch vermutet werden, was unter anderem durch die final leichte Zuordnung der
140
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Zahlen an den Prozentstreifen erkannt werden kann. Diese Vermutung wird durch Schülerin 6 bestätigt, die angibt der Prozentstreifen hat „beim Lösen“ geholfen.
Abbildung 7.7 Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S6&S7)
Versuchsfall 2, S8 & S9 (mittleres mathematisches Leistungsniveau; mit Kurzintervention) Schülerin 8 und Schüler 9 erhielten vor Beginn der Aufzeichnungen ebenso den Hinweis, dass sie die Aufgaben eigenständig lösen sollen und sie den Lösungsweg selbst festlegen. Nachdem der Prozentstreifen bei der Bearbeitung der ersten Aufgaben Anwendung fand, äußern sich die Probanden widersprüchlich. So nutzt ihn Schüler 9 intuitiv, obwohl er ihn vorher nicht kannte. Allerdings fällt es ihm in dieser Situation schwer den Mehrwert zu benennen: „Er hat geholfen, ich weiß aber nicht wie.“ Später ergänzt er seine Aussage: Der Prozentstreifen hilft, „weil man da direkt weiß, wie man es einordnen muss.“ Anders verhält es sich bei Schülerin 8, die ihn zwar konsequent zeichnet, aber keinen Mehrwert darin sieht, da für sie die reine Anwendung des Dreisatzes „übersichtlicher“ sei. Im Verlauf des Gespräches fügt sie aber hinzu, dass der Prozentstreifen „manchmal hilft“. Da sie diesen, eigenen Angaben zufolge, in anderer Form aber schon durch ihren älteren Bruder kennt, braucht sie ihn nicht zeichnen, sondern sich nur „im Kopf vorzustellen“. Schließlich veranlasst der Prozentstreifen Schülerin 8 und Schüler 9 dazu, nochmal über die Aufgabe nachzudenken, was als Mehrwert des Prozentstreifens interpretiert werden kann. Er fungiert als ein reflexives Instrument, welches genutzt werden sollte, bevor eine Lösung formuliert wird. In diesem Sinne erfolgt gleich zu Beginn der Aufgabe 2a die Korrektur des ersten und das Zeichnen des zweiten Prozentstreifens. Daraufhin entwerfen sie aber eine falsche Dreisatztabelle. Ausschlaggebend dafür ist offensichtlich das memorierte Schema: „Die
7.7 Vertiefung der Fallbeispiele
141
100 muss immer oben sein.“7 Zudem sind Unklarheiten bei der Operationswahl zu konstatieren. Erst beim Validieren des ersten Ergebnisses (19.200 e), fällt ihnen auf, dass dies nicht stimmen kann, da der Preis nicht kleiner sein dürfte als zuvor (Abbildung 7.8). „Dann können wir ja nochmal eine Dreisatztabelle machen. Unten kommt die 100 hin.“ Sie brechen das alte Schema auf und gelangen in der Folge zur richtigen Lösung, die im anschließenden Gespräch abermals reflektiert und bestätigt wird (Abbildung 7.9).
Abbildung 7.8 Fehlerhafter Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifen (S8&S9)
Abbildung 7.9 Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S8&S9)
7 Den
eigenen Erfahrungen nach handelt es sich hierbei um ein oft bemühtes Schema, welches den Schülerinnen und Schülern vermittelt wird, um die Struktur der Notation zu vereinfachen. Allerdings verengt dies, wie unter anderem in diesem Beispiel zu sehen ist, den Zugang zu einer solchen Aufgabe und führt zu den beschriebenen Konsequenzen.
142
7
Zur Verwendung des Prozentstreifens …
Versuchsfall 3, S 10 & S 11 (hohes mathematisches Leistungsniveau; mit Kurzintervention) Schülerin 10 ist hinsichtlich der Prozentrechnung sowohl prozedural als auch konzeptuell gefestigt. Sofort möchte sie die Lösung der Aufgaben mit dem Dreisatz herbeiführen. Schüler 11 allerdings insistiert und fordert zum Zeichnen des Prozentstreifens auf. Beide sind sich in der Folge einig, dass das Beschriften des Prozentstreifens mit den errechneten Lösungen eine nützliche Übersichtlich darstellt. Auch bei Aufgabe 2a zeichnet Schüler 11 zunächst den Prozentstreifen, stockt aber schnell, als er erkennt, dass hier eine andere Vorgehensweise als bei der Aufgabe zuvor angewendet werden muss. Schülerin 10 hilft, beschriftet den Prozentstreifen mit den gegebenen Größen und geht dann zur Dreisatztabelle über. Dort aber macht sie einen Fehler (24.000 e entsprechen 100 %), was besonders interessant erscheint, da sie den Prozentstreifen vorher richtig beschriftet hat. Dies wiederum korrigiert Schüler 11 mit Hilfe der Rückmeldung durch den Prozentstreifen: 24.000 e entsprechen 80 %. Für ihn ist das Ablesen dieser Information mit der Visualisierung wesentlich effektiver, einfacher und schneller, als wenn er nochmal die „komplette Aufgabe“ lesen muss. So fällt ihm auch die Zuordnung leichter. Für Schülerin 10 hingegen stellt der Prozentstreifen, eigenen Angaben zufolge, keine unmittelbare Lösungshilfe dar. Der Prozentstreifen birgt aber eine Übersichtsfunktion, deutlich erkennbar durch das Beschriften des Prozentstreifens mit dem Ergebnis am Ende der Aufgabe (Abbildung 7.10). Erwähnt sei, dass beide Schüler, nach eigenen Auskunft Skizzen wenig bis gar nicht nutzen, nur „bei schwierigen Aufgaben“. Fazit Versuchsfälle Versuchsfall 1 agiert im Rückbezug auf die Literatur auf mehreren Ebenen. So fällt zunächst die Einbindung des Prozentstreifens nach der Kurzintervention auf, was für dessen einfache und intuitive Anwendung spricht. Im Verlauf zeigt der Prozentstreifen seine strukturierende und verständnisfördernde Funktion (u. a. Pöhler, 2018; Van den Heuvel-Panhuizen, 2003). Dennoch sind auch hier vereinzelt Zuordnungsfehler zu konstatieren. Ebenso sind die beiden Schülerinnen an ein enges Lösungsschema gewohnt, was die richtige Lösung der Aufgabe zunächst behindert. Der Prozentstreifen trägt dazu bei, diese Hürden zu bewältigen. Ein solcher Mehrwert zeigt sich auch im Versuchsfall 2, wobei diese Mehrwerte unterschiedlich artikuliert werden. Eindeutig zugeordnet werden kann jedoch seine validierende Funktion. Dennoch entsteht aus einem richtig beschrifteten Prozentstreifen zunächst eine falsche Dreisatztabelle, was als Unachtsamkeit im Sinne eines Flüchtigkeitsfehlers interpretiert werden kann oder als Hürde bei der Anwendung einer neu erlernten Skizze, im Sinne der Cognitive load theory
7.7 Vertiefung der Fallbeispiele
143
Abbildung 7.10 Richtiger Lösungsweg zur Aufgabe 2a unter Nutzung des Prozentstreifens (S10&S11)
(Bindung von Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses, Abschnitt 3.3). Dass das Anwenden des Prozentstreifens auf verschiedene Schülerinnen und Schüler, auch innerhalb eines mathematischen Leistungsniveaus unterschiedlich wirken kann, zeigt sich in Versuchsfall 3. So spricht sich Schüler 11 eindeutig dafür aus, den Prozentstreifen in einem ersten Schritt anzuwenden (Zuordnung), während Schülerin 10 den Prozentstreifen eher am Ende der Aufgabenbearbeitung (Validierung) verortet und nutzt. Ebenso wie im Versuchsfall zuvor, geschieht hier ein Übertragungsfehler beim Übertragen der Werte vom Prozentstreifen in die Dreisatztabelle. Eine die Schwerpunkte Lösungsverfahren, Fehler, Validierung und Anwenden von Skizzen fokussierende Zusammenfassung der Fallbeispiele ist in Tabelle 7.6 übersichtlich dargestellt.
Zuordnungsfehler, Verständnisfehler
falscher Ansatz, Zuordnungsfehler
Zuordnungsfehler, Operationsfehler (starres Notationsschema) Flüchtigkeitsfehler, nach richtigem Ansatz, falsche Vorgehensweise
Dreisatz
Probierende Taschenrechner-methode
Dreisatz + Prozentstreifen
Dreisatz + Prozentstreifen
Dreisatz + Prozentstreifen
Kontrollfall 2 S3 & S4, (mittel)
Kontrollfall 3 S5, (hoch)
Versuchsfall 1 S6 & S7, (gering)
Versuchsfall 2 S8 & S9, (mittel)
Versuchsfall 3 S10 & S11, (hoch)
Rechenfehler, Flüchtigkeitsfehler
Rechenfehler, Zuordnungsfehler, Operationsfehler (starres Notationsschema)
Dreisatz
Kontrollfall 1 S1 & S2, (gering)
Fehler
Verfahren
Fallbeispiel (Leistungsniveau)
Ja, durch Nachrechnen und Prozent-streifen
Ja, durch Nachrechnen und Prozent-streifen
Prozentstreifen ohne Aufforderung (intuitiver Einsatz; nach Aufforderung modifizierbar → erweitern auf 150 %; bessere Zuordnung; hilft bei Validierung)
Prozentstreifen nach Hinweis (intuitive Nutzung; fordert Reflektion der Aufgabe)
Prozentstreifen ohne Aufforderung (hilft beim Zuordnen, optimiert Lösungsschritte)
nein (Prozentstreifen erst nach angeleiteter Instruktion, dann richtiges Ergebnis)
Nur bei Aufgabe 5 → hilft beim Lösen
nein
Skizzen
7
nein
nur auf Nachfrage bei Aufgabe 1 (schlägt fehl)
ja
nein
Validierung
Tabelle 7.6 Übersicht der Kategorien Verfahren, Fehler, Validierung und Skizzen über alle Fallbeispiele
144 Zur Verwendung des Prozentstreifens …
7.8 Zusammenfassung der Qualitativen Inhaltsanalyse
7.8
145
Zusammenfassung der Qualitativen Inhaltsanalyse
Die Qualitative Inhaltsanalyse hat dazu beigetragen, wichtige Aspekte zur Verwendung des Prozentstreifens im Kontext der Bearbeitung von Prozentaufgaben in Textform herauszuarbeiten. So konnten in einem ersten Schritt unterschiedliche Funktionen des Prozentstreifens identifiziert werden: eine Zuordnungsfunktion, eine Übersichtsfunktion, eine Validierungsfunktion und eine allgemeine Unterstützungsfunktion. Dabei bestehen Kongruenzen zu den in Abschnitt 4.2 explizierten Funktionen (siehe auch Abschnitt 7.6.1). Die genannten Funktionen wiederum können in verschiedenen Phasen der Aufgabenbearbeitung auftreten: beim Bilden des Situationsmodells, beim Aufstellen und Bearbeiten des Mathematischen Modells und bei der Validierung. Der Prozentstreifen kann in diesem Kontext bei der Übersetzung der Realsituation in das mathematische Modell und folglich beim Verstehen und Lösen von Textaufgaben sowie beim Validieren von Ergebnissen unterstützen. Diese Erkenntnisse werden durch einen allgemeinen Blick auf die Herangehensweise der Lernenden bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben ergänzt. So konnten prävalente Lösungsverfahren beobachtet werden, die einem klaren Ranking folgen. Demnach ist das Dreisatzverfahren das dominierende Lösungsverfahren. Damit werden unter anderem die Befunde Hafners (2012) bestätigt, der den Dreisatz, neben dem Operatorverfahren, als das am häufigsten angewandte Lösungsverfahren herausstellte. Das konsequente Verwenden des Prozentstreifens in den Versuchsfällen spricht für die einfache, intuitive und augenscheinlich problemlose Handhabung dieses Hilfsmittels. Das bestätigt vorangegangene Befunde zu seiner Handhabung: „7th grade students’ who obviously were not familiar with the percentage bar, immediately understood how the bar could be used“ (Van Galen & Van Eerde, 2013, S. 2). Darüber hinaus stand die Analyse auftretender Fehler im Fokus, wobei sich sehr deutlich zeigte, dass Fehler hauptsächlich bei der Auswahl korrekter mathematischer Operationen sowie bei der Zuordnung von Größen entstehen. Des Weiteren wurden sonstige Fehler, wie Flüchtigkeitsfehler identifiziert. Wird abschließend der Einfluss des Prozentstreifens im Vergleich zum Lösen ohne diese visuelle Hilfe betrachtet, scheint das Lösen mit dem Prozentstreifen eine Erleichterung im Sinne eines verbesserten Aufgaben- und Situationsverständnisses darzustellen, so dass zwingend Modelle zur Veranschaulichung der Prozentrechnung im Unterricht berücksichtigt werden sollten.
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen von Lösungshäufigkeiten und Fehlern
Die qualitativen Analysen der Lösungsprozesse haben Argumente offengelegt, die für die Anwendung des Prozentstreifens als unterstützendes Instrument bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben und folglich bei der Bildung eines adäquaten Situationsmodells sprechen. Auf Grundlage der beschriebenen Ergebnisse wurde eine Unterrichtseinheit konzipiert, die diese Funktionen und geschilderten Vorteile des Prozentstreifens integriert und bei der Schülerinnen und Schüler angehalten wurden, diesen zusätzlich zu den bereits erlernten Lösungsverfahren, als ergänzenden Bestandteil ihrer Lösungsverfahren anzuwenden. Im Fokus stehen in diesem Zusammenhang zwei zentrale Anliegen, welche einerseits die Integration des Prozentstreifens durch die Lernenden sowie andererseits seinen Einfluss hinsichtlich kurz- und langfristiger Lösungshäufigkeiten fokussieren. Darüber hinaus soll im Rahmen des Datenmaterials eine aktuelle Einschätzung des allgemeinen Leistungsniveaus von Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 7/8 bei der Bearbeitung von Textaufgaben erfolgen und damit zur Erweiterung der spezifischen Literatur in diesem Gebiet beitragen. In diesem Kontext werden auch die angewandten Lösungsverfahren bezüglich ihres Einflusses auf die Lösungshäufigkeiten analysiert. Überdies wird ein direkter Vergleich mit ausgewählten Untersuchungsergebnissen Hafners (2012) erfolgen, da drei der von ihm verwendeten Items in identischer Form für die eigenen Untersuchungen übernommen wurden. Des Weiteren werden Fehleranalysen durchgeführt. Insgesamt werden also vier unterschiedliche Aspekte (Integration des Prozentstreifens, Einfluss des Prozentstreifens, allgemeines Leistungsniveau, Fehlermuster) aufgegriffen und untersucht. Es ergeben sich folgende Forschungsfragen und Hypothesen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_8
147
148
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
8.1
Forschungsfragen
Das erweiterte Erkenntnisinteresse fokussiert auf einer allgemeinen Ebene die Quantifizierung der Lösungs- (2a) und der Fehlerhäufigkeiten (2b) im Kontext der Prozentrechnung sowie die daraus resultierenden Aussagen über die gegenwärtige Leistungssituation von Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 7/8. Zu den Lösungshäufigkeiten
2a.
Welche Leistungen zeigen Lernende der Klassenstufen 7/8 bei der Bearbeitung typischer Aufgaben zur Prozentrechnung? H 2a: Es ist zu erwarten, dass sich bei der Bearbeitung entsprechender Aufgaben durch Lernende der Klassenstufen 7/8 eher geringe Lösungshäufigkeiten zeigen. Einschrittige Grundaufgaben werden dabei häufiger gelöst als zweischrittige.
Die Beantwortung dieser Forschungsfrage dient der Ergänzung der Befunde zu mangelhaften Lösungshäufigkeiten (beispielsweise bei Berger, 1989; Hafner, 2012; Meißner, 1982, Van Galen & Van Eerde, 2013). Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der traditionell niedrigen Lösungshäufigkeiten bei Prozentaufgaben (Fujimura, 2001; Jitendra & Star, 2012) von Relevanz, da auf diesem Wege die Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich legitimiert und ihre Dringlichkeit aufgezeigt wird. Hinsichtlich der eingesetzten Aufgaben werden Aufgabentypen, die die Aktivierung einer Grundvorstellung erfordern, wie beispielsweise das Lösen der Grundaufgaben der Prozentrechnung, höhere Lösungshäufigkeiten verzeichnen als Aufgaben, die zusätzlich weitere Grundvorstellungen in Anspruch nehmen und komplexer sind (Hafner, 2012, Abbildung 7.1). Zu den Fehlerhäufigkeiten
2b.
Welche Fehlerkategorien lassen sich bei der Bearbeitung typischer Aufgaben zur Prozentrechnung in den Klassenstufen 7/8 feststellen? H 2b: Als Hauptfehlerquelle bei der Bearbeitung typischer Aufgaben durch Lernende der Klassenstufen 7/8 sind Zuordnungs- und Rechenfehler zu erwarten.
8.1 Forschungsfragen
149
Ergänzend zur Forschungsfrage 2a soll auch hier eine zusätzliche Datengrundlage generiert werden, um Aussagen zu Fehlertypen im Kontext bestehender Erkenntnisse (Berger, 1989; Hafner, 2012; Meißner, 1982) treffen zu können. Daraus können spezielle, prozentaufgabenrelevante Implikationen abgeleitet werden, die sich beispielsweise mit der Konkretisierung geeigneter, verständnisfördernder Maßnahmen befassen. Das Haupterkenntnisinteresse gilt dem Einfluss des Prozentstreifens auf mehreren Ebenen. Zunächst soll sein Integrationspotenzial in den Blickpunkt rücken und zur Klärung der Frage beitragen, inwieweit Lernende des geringen mathematischen Leistungsniveaus1 ihn in ihre Lösungsstrategien integrieren (2c). Zwei weitere zentrale Fragen untersuchen den Einfluss des Prozentstreifens hinsichtlich der Lösungshäufigkeiten (2d) sowie seinen Einfluss auf Fehlerreduktionen (2e). Alle Fragen in diesem Rahmen werden sowohl unter kurz- als auch langfristiger Perspektive beantwortet. Zum Integrationspotenzial des Prozentstreifens
2c.
Inwieweit integrieren Lernende, insbesondere Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau den Prozentstreifen bei der Bearbeitung von Textaufgaben in ihre Lösungsstrategien? H 2c: Die Schülerinnen und Schüler integrieren den Prozentstreifen in ihre bereits bestehenden Lösungsstrategien und nutzen ihn als visuelles Hilfsmittel. Für Lernende mit geringem mathematischen Niveau könnte die zusätzliche Anwendung des Prozentstreifens zunächst eine kognitive Hürde darstellen.
Forschungsfrage 2c befindet sich im Spannungsfeld der einerseits positiven Befunde zum strukturierenden und verständnisfördernden Nutzen von Visualisierungen (beispielsweise Diezmann & English, 2001; Franke & Ruwisch, 2010; Ott, 2016) sowie der andererseits zurückhaltenden Verwendung (reluctance) dieser durch Lernende (beispielsweise Ahmad, 2010; Dole et al., 1997; Obenland et al., 2011; Presmeg, 2006). Es soll geprüft werden, wie häufig der Prozentstreifen durch die Schülerinnen und Schüler bei den jeweiligen Aufgaben eingesetzt wird. Die Ergebnisse der eigenen qualitativen Studie zeigen, dass Lernende den Prozentstreifen intuitiv nutzen und in ihre Lösungsprozesse integrieren 1 Die
Einteilung wurde anders als im qualitativen Teil (Abschnitt 7.3.1) an den erbrachten Leistungen des Pre-Tests (Testteil I: Textaufgaben) vorgenommen (Abschnitt 8.4.1).
150
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
(Thiede et al., 2016; auch Pöhler, 2018). Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveaus tun dies anders als Lernende des höheren mathematischen Leistungsniveaus. Im Sinne der Cognitive load theory (Abschnitt 3.3) wird die Nutzung des Prozentstreifens dabei als lernförderliche Belastung verstanden. Zum Einfluss des Prozentstreifens hinsichtlich der Lösungshäufigkeiten
2d.
Inwieweit hat die Anwendung des Prozentstreifens in Kombination mit dem Lösungsverfahren Dreisatz einen positiven Einfluss auf die kurzund langfristigen Lösungshäufigkeiten im Vergleich zum nicht-visuell gestützten Lösungsverfahren Dreisatz? H 2d: Die Hinzunahme des Prozentstreifens zum Lösungsverfahren Dreisatz wirkt sich im Vergleich zum nicht-visuellen Vorgehen sowohl kurz- als auch langfristig positiv auf die Lösungshäufigkeiten aus.
Die Frage nach dem Einfluss des Prozentstreifens steht im Mittelpunkt der quantitativen Untersuchungen. Vereinzelte Studien berichten eine Erhöhung der Lösungshäufigkeiten bei Prozentaufgaben unter Verwendung des Prozentstreifens (Pöhler, 2018; Van Galen & Van Eerde, 2013; Walkington et al., 2013). Die Erkenntnisse der eigenen qualitativen Untersuchungen deuteten ebenso Vorteile für das Lösen von Prozentaufgaben mit dem Prozentstreifen an (Thiede et al., 2016). Im Vergleich zum qualitativen Vorgehen werden in diesem Schritt sowohl eine Warte-Kontrollgruppe als auch eine reine Dreisatzgruppe zur Kontrastierung der Ergebnisse herangezogen (siehe Abschnitt 8.3). Die angeführte Hypothese stützt sich überdies auf Studienerkenntnisse zum (begrenzten) Nutzen schematisch erlernter, rein algorithmischer Verfahren wie dem Dreisatz (Appell, 2004; Berger, 1989; Krauter, 2005; Sill, 2010). Zum Einfluss des Prozentstreifens hinsichtlich der Fehlerreduktion
2e.
Inwieweit hat die Anwendung des Prozentstreifens in Kombination mit dem Lösungsverfahren Dreisatz einen positiven Einfluss auf die kurzund langfristige Reduktion bestimmter Fehlerkategorien im Vergleich zum nicht-visuell gestützten Lösungsverfahren Dreisatz?
8.2 Beschreibung der Stichprobe
151
H 2e: Die Hinzunahme des Prozentstreifens zum Lösungsverfahren Dreisatz wirkt sich im Vergleich zum nicht-visuellen Vorgehen sowohl kurz- als auch langfristig positiv auf die Reduktion typischer Fehlerkategorien aus. Zum Einfluss des Prozentstreifens hinsichtlich der Reduktion typischer Fehler bei der Bearbeitung von Prozentaufgaben existieren bisher nur wenig Befunde. Aus diesem Grund resultiert die Forschungsfrage auf Studien zum positiven Einfluss von Visualisierungen allgemein sowie zu den explizierten Funktionen des Prozentstreifens. Diese lassen vermuten, dass sich vor allem typische Fehler wie Zuordnungsfehler zu Beginn des Lösungsprozesses in ihrer Häufigkeit reduzieren.
8.2
Beschreibung der Stichprobe
Für die Untersuchung konnten 15 Klassen (Klassenstufe 7/8) aus zehn Schulen der Schularten Werkrealschule und Realschule der Regierungsbezirke Stuttgart und Freiburg rekrutiert werden. Die teilnehmenden Klassen wurden in zufälliger Weise den drei Bedingungen Kontrollgruppe (KG), Prozentstreifengruppe (PSG) und Dreisatzgruppe (DSG) zugeordnet. Es wurde darauf geachtet die Anzahl der Teilnehmenden pro Bedingung in etwa identisch zu gestalten. Nahmen mehrere Klassen derselben Schule teil, wurden diese klassenweise unterschiedlichen Bedingungen zugeordnet, um potenzielle Schuleffekte aufzufangen. Darüber hinaus wurden die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer erst am Tag der Untersuchungen über die Bedingungszugehörigkeit informiert, um den Grad der potenziellen Einflussnahme zu minimieren. Schülerinnen und Schüler wiederum hatten diesbezüglich über alle Bedingungen hinweg im Vorfeld lediglich die Information, dass es sich um eine Wiederholung des Prozentrechens handelt. Die Studie wurde zu drei Messzeitpunkten (MZP), im Pre-, Post- und Follow-upTest-Design, im zweiten Schulhalbjahr 2015/2016 zwischen Mai und Juli 2016 durchgeführt. Ausgangssample Zum ersten MZP nahmen 292 Schülerinnen und Schüler teil (132 weiblich, 158 männlich, 2 ohne Angabe). Tabelle 8.1 schlüsselt die Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die drei Gruppen auf. Die dabei entstehende Abweichung zwischen den Gruppen ist statistisch nicht signifikant (χ2 = 1,425; df = 2;
152
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
p = ,491). Das durchschnittliche Alter der Schülerinnen und Schüler betrug zum ersten MZP 13,99 Jahre (SD = ,85) und weist in der Verteilung der Altersstufen (12–17 Jahre) signifikante Unterschiede auf (χ2 = 323,353; df = 5; p < ,001). Das Durchschnittsalter zwischen den Gruppen unterscheidet sich ebenso signifikant (F = 9,587; p < ,001; η2 = ,063). Die PSG weist einen niedrigeren Durchschnittswert auf und unterscheidet sich so von den anderen Gruppen. Die Geschlechterverteilung hingegen ist nicht signifikant (χ2 = 2,331; df = 1; p = ,127). Tabelle 8.1 Stichprobenzusammensetzung: Ausgangssample Geschlecht
Alter (in Jahren)
Gruppe
n
w (%)
m (%)
M
SD
KG
88
41 (47)
47 (53)
14,15
.80
PSG
104
41 (39)
61 (59)
13,70
.84
DSG
100
50 (50)
50 (50)
14,15
.83
Gesamt
292
132 (45 %)
158 (55 %)
13,99
.85
Anmerkung. Die Abweichungen der Prozentangaben in der PSG resultieren aus den zwei fehlenden Angaben zur Geschlechterzugehörigkeit. Legende: w = weiblich; m = männlich. Das gilt gleichwohl für die folgenden Tabellen
Aufgrund krankheitsbedingter, nicht systematischer Dropouts variieren die Teilnehmerzahlen im Pre-Post-Test-Vergleich (N = 266) zum Pre-Follow-up-TestVergleich (N = 214). Bereinigtes Sample: Pre-Post-Test Die erwähnte Dropout-Rate führt zu einer zahlenmäßigen Reduzierung des beschriebenen Ausgangssamples. Das bereinigte Sample soll ergänzend in gleicher Weise beschrieben werden. Berücksichtigt wurden für diesen Vergleich nur die Schülerinnen und Schüler, die zu den ersten beiden MZP anwesend waren (N = 266; 125 weiblich, 139 männlich, 2 ohne Angabe). Davon entstammen 71 Schülerinnen und Schüler den Werkrealschulen und 195 Schülerinnen und Schüler den teilnehmenden Realschulen (Klasse 7, n = 67; Klasse 8, n = 199). Tabelle 8.2 schlüsselt die Verteilung der Schülerinnen und Schüler abermals auf. Es entsteht eine statistisch nicht signifikante Abweichung zwischen den Gruppen (χ2 = 1,564; df = 2; p = ,458). Das durchschnittliche Alter der Schülerinnen und Schüler betrug 13,95 Jahre (SD = ,85). Signifikante Unterschiede in der Verteilung der Altersstufen bleiben bestehen (χ2 = 295,591; df = 5; p < ,001). Das
8.2 Beschreibung der Stichprobe
153
Durchschnittsalter zwischen den Gruppen unterscheidet sich ebenso signifikant (F = 8,047; p < ,001; η2 = ,058). Die PSG weist weiterhin einen deutlich niedrigeren Durchschnittswert auf. Die Geschlechterverteilung hingegen bleibt nicht signifikant (χ2 = ,742; df = 1; p = ,389). Tabelle 8.2 Bereinigtes Sample (Pre-Post-Test) Geschlecht
Alter (in Jahren)
Gruppe
n
w (%)
m (%)
M
SD
KG
82
39 (48)
43 (52)
14,15
,80
PSG
98
41 (42)
55 (56)
13,69
,85
DSG
86
45 (52)
41 (48)
14,07
,82
Gesamt
266
125 (47)
139 (53)
13,95
,85
Anmerkung. Die Abweichungen der Prozentangaben in der PSG resultieren aus den zwei fehlenden Angaben zur Geschlechterzugehörigkeit
Bereinigtes Sample: Pre-Follow-up-Test Auch zum dritten MZP gab es erneut einen nicht systematischen Dropout, der zum einen krankheitsbedingt, zum anderen durch den lehrerbedingten Wegfall einer ganzen 7. Klasse (n = 23) zu erklären ist. Für den Pre-Follow-up-Test-Vergleich wurden also die Schülerinnen und Schüler in die Berechnungen einbezogen, die zum ersten und dritten MZP anwesend waren (N = 214; 98 weiblich, 115 männlich, 1 ohne Angabe, Tabelle 8.3). Das durchschnittliche Alter der Schülerinnen und Schüler betrug 14,00 Jahre (SD = ,83). Signifikante Unterschiede in der Verteilung der Altersstufen bleiben auch hier bestehen (χ2 = 267,873; df = 5; p < ,001). Das Durchschnittsalter zwischen den Gruppen unterscheidet sich hingegen nicht signifikant (F = 2,533; p = ,082; η2 = ,024). Die PSG weist weiterhin einen niedrigeren Durchschnittswert auf. Die Geschlechterverteilung ist nicht signifikant (χ2 = 1,357; df = 1; p = ,244). Tabelle 8.3 Bereinigtes Sample (Pre-Follow-up-Test) Geschlecht
Alter (in Jahren)
Gruppe
n
w (%)
m (%)
M
SD
KG
76
35 (46)
41 (54)
14,12
,82
PSG
65
26 (40)
38 (58)
13,81
,79
DSG
73
37 (51)
36 (49)
14,04
,86 (Fortsetzung)
154
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.3 (Fortsetzung) Geschlecht
Alter (in Jahren)
Gruppe
n
w (%)
m (%)
M
SD
Gesamt
214
98 (46)
115 (54)
14,00
,83
Anmerkung. Die Abweichungen der Prozentangaben in der PSG resultieren aus der fehlenden Angabe zur Geschlechterzugehörigkeit
8.3
Bemerkungen zur Durchführung
Genehmigt wurde die Studie durch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. Darüber hinaus erteilten die Schulleiterinnen und Schulleiter sowie die Lehrerinnen und Lehrer der partizipierenden Schulen ihr Einverständnis. Auf Schülerinnen- und Schülerebene wurde die Erlaubnis durch die Erziehungsberechtigten ausgestellt. Alle involvierten Personen wurden im Vorfeld durch ein personalisiertes Anschreiben zu den Inhalten und dem formalen Ablauf der Studie informiert. Zum Einsatz kam vor Beginn der Studie ein Lehrerinnen- und Lehrerfragebogen, dessen Ziel es war, geeignete Klassen zu rekrutieren. Teilnahmeprämisse war die bereits abgeschlossene Einführung der Prozentrechnung.2 Die Studie fand vom 13.06.2016 bis zum 22.07.2016 statt. In enger Kooperation mit den teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrern wurden Besuchstermine vereinbart, die sich auf zwei, in der Regel aufeinanderfolgende Schultage erstreckten. Die reine Aktionszeit in den Klassen konzentrierte sich auf zwei Doppelstunden, also einem zeitlichen Umfang von jeweils 90 Minuten. Der entsprechende Ablauf ist den Tabellen 8.4 und 8.5 zu entnehmen. Alle dort aufgeführten Phasen wurden gemeinsam im Klassenverband, in den jeweiligen Klassenzimmern durchgeführt. In der ersten Stunde füllten die Schülerinnen und Schüler zunächst einen zweiteiligen Fragebogen aus. Teil I erfragte, neben persönlichen Einstellungen wie dem eigenen schulischen Befinden, Ansichten zu Selbstwirksamkeit und Lernverhalten im Mathematikunterricht sowie gezielt Arbeitsschritte, die beim Lösen von Textaufgaben praktiziert werden. Teil II fokussierte das Vorwissen zum Bruchrechnen 2 Hinweise
zur Pilotierung: Um den zeitlichen Ablauf sowie die entsprechenden Testinstrumente (Schülerinnen- und Schülerfragebogen, Pre- und Post-Test) zu testen und zu optimieren, wurde die Hauptstudie innerhalb zweier 8.Klassen pilotiert (Gemeinschaftsschule im Raum Stuttgart, N = 48, 21 weiblich, 27 männlich, ∅ 13,92 Jahre). Daraus resultierende Veränderungen betrafen den Fragebogen (hier wurden wenige, inhaltlich ähnliche Items entfernt) sowie die Ablaufoptimierung. Der Durchführungszeitraum erstreckte sich jeweils auf zwei Tage zu Beginn der Monate Mai und Juni 2016.
8.3 Bemerkungen zur Durchführung
155
(sechs Aufgaben) und zum Prozentrechnen (eine Aufgabe) und erfasste darüber hinaus persönliche Merkmale und den sozioökonomischen Status, um die Stichprobe genauer beschreiben zu können. Im Anschluss erfolgte eine zehnminütige Wiederholung (drei einfache Aufgaben zur Proportionalität), um sicherzustellen, dass das bereits eingeführte und grundlegende Verfahren des Dreisatzes beherrscht wird und etwaige Defizite in diesem Bereich keinen Einfluss auf die Treatments haben. Dieses Vorgehen erfolgte unter der begründeten Annahme, dass der Dreisatz das prävalente Verfahren in diesen Klassenstufen ist. Im Anschluss an diese schülerzentrierte Plenumsphase erfolgte der Pre-Test, der sich aus drei Teilen (Text-, Verständnis- und Visualisierungsaufgaben) zusammensetzte. Gleichzeitig bildete der Pre-Test das Ende des ersten Tages. Tag 2 startete mit der jeweiligen Intervention (PSG/DSG). Die KG fungierte als Wartekontrollgruppe und erhielt kein Treatment.3 Die 30-minütige Intervention bestand aus der Bearbeitung von vier Textaufgaben nach dem Prinzip Lernen mit Lösungsbeispielen unter Zuhilfenahme des entsprechenden Lösungsverfahrens (DSG: Dreisatz; PSG: Prozentstreifen und Dreisatz). Diese Phase wurde im Plenum durch den Testleiter realisiert. Die Schülerinnen und Schüler vollzogen die einzelnen Arbeitsschritte parallel zu den Lösungsbeispielen an der Tafel. Unmittelbar danach schloss sich eine 15-minütige Übungsphase (Einzelarbeit) an, in der Schülerinnen und Schüler vier weitere Aufgaben unter Beachtung des zuvor geübten Lösungsverfahrens bearbeiteten. Den Abschluss des zweiten Tages bildete der Post-Test, der abgesehen von modifizierten kontextuellen Unterschieden der einzelnen Aufgaben, identisch zum Pre-Test war. Die Testzeit betrug jeweils 30 Minuten und wurde so gewählt, dass die Bearbeitung sämtlicher Aufgaben möglich war.
3 Den
Schülerinnen und Schülern der KG wurde, nicht zuletzt aus Gründen der Fairness, nach dem Post-Test ebenso der Prozentstreifen als Hilfsmittel, äquivalent zu der Prozentstreifengruppe, präsentiert. Diese Interaktion ist nicht der Intervention in der PSG gleichzusetzen, da die Schülerinnen und Schüler dort eine Lernmöglichkeit mehr hatten (Post-Test), was bei der KG nicht der Fall war. Dies ist bei den Analysen im Pre-Followup-Test-Vergleich zu berücksichtigen. Für die KG ist den parametrischen Analysen nach kein Lernzuwachs zu verzeichnen.
156
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.4 Studiendurchführung: Tag 1 (Stunde 1/2) Phase
Methode
Inhalt
Zeit (Minuten)
Schülerfragebogen I/II
Paper-pencil
I Skalen (Nutzen von Visualisierungen und Einstellungen) II Vorwissenstest Bruchrechnen
30
Inputphase zur Proportionalität
Plenum (schülerzentriert)
Wiederholung basaler Kenntnisse (drei Aufgaben) unter Verwendung des Dreisatzverfahrens
10
Pre-Test I/II
Paper-pencil
I fünf Textaufgaben II eine Verständnisaufgabe III drei Visualisierungsaufgaben
30
Tabelle 8.5 Studiendurchführung: Tag 2 (Stunde 3/4) Phase
Methode
Inhalt
Zeit (Minuten)
Intervention DSG/PSG
Plenum (lehrerzentriert)
Vier Textaufgaben (je nach Intervention mit den Lösungsverfahren Dreisatz oder Dreisatz und Prozentstreifen)
30
Übung
Einzelarbeit
Anwendung des jeweiligen Lösungsverfahrens an vier Beispielaufgaben
15
Post-Test I/II
Paper-pencil
I fünf Textaufgaben II eine Verständnisaufgabe III drei Visualisierungsaufgaben
30
Die Durchführung der bisher aufgeführten Schritte erfolgte durch den Autor. Dies hatte einerseits organisatorische Gründe, da der zeitliche Aufwand für die Lehrerinnen und Lehrer auf diesem Wege bedeutend geringer war, da sie während der vier Stunden nicht zwingend anwesend sein mussten, andererseits wurden mögliche individuelle Verzerrungen durch die unterschiedlichen Lehrerinnen und Lehrer (als potenzielle Testleiterinnen und Testleiter und somit Einflussnehmerinnen und Einflussnehmer) unterbunden. Eine unbewusste Einflussnahme durch
8.3 Bemerkungen zur Durchführung
157
den Autor, wurde durch die strenge Verwendung der Ablaufprotokolle auf ein Minimum reduzieren. Ebenso standardisiert waren sämtliche Instruktionen, die im Rahmen des gesamten Erhebungszeitraums verbalisiert wurden. Ein solches Ablaufprotokoll gewährleistet ein hohes Maß an Durchführungsobjektivität (vgl. Döring & Bortz, 2016). Die Möglichkeit Fragen zu stellen, um Unsicherheiten oder Unklarheiten zu beseitigen war schülerseitig gegeben. Fragen oder Auffälligkeiten wurden auf einem separaten Testprotokoll vermerkt. Mit der Realisierung des Follow-up-Tests wurden, anders als zu den ersten beiden MZP, die Lehrerinnen und Lehrer betraut. Der Hauptgrund dafür war, dass der Follow-up-Test keine Plenumsphase, sondern ausschließlich die reine Durchführung (Austeilen und Einsammeln der Tests) erforderte. Der 15-minütige Follow-up-Test behandelte lediglich den 1.Testteil (fünf Textaufgaben). Die Teile II (Verständnis) und III (Visualisierung) wurden herausgelöst. Der Hintergrund dafür ist, dass sich im Rahmen der Auswertungen des Pre-Post-Test-Vergleichs in diesen zwei Bereichen keine Veränderungen zeigten und der Fokus in der Folge auf die Untersuchung der Textaufgaben konzentriert wurde. Der Follow-up-Test wurde zwei bis sechs Wochen nach dem Post-Test durchgeführt. Diese variierende Zeitspanne hatte vor allem zeitliche und organisatorische Gründe in den teilnehmenden Schulklassen. Die Auswertungen der Testbögen erfolgte durch zwei Personen: den Autor und eine geschulte studentische Hilfskraft. Ein entsprechender Codierleitfaden, der die jeweiligen Auswertungskriterien beinhaltete, diente dafür als Grundlage. In diesem Codierleitfaden wurden Auswertungscharakteristika für die einzelnen Auswertungsbereiche (Bearbeitung, Lösung, Lösungsverfahren, Fehler) festgehalten. Die Codierungskriterien sind, teilweise auch durch ihre Dichotomie, als eindeutig zu bezeichnen und für die Codierpersonen klar erkennbar, wie folgende Beispiele verdeutlichen sollen: • Bearbeitung (nicht bearbeitet = 0; bearbeitet = 1) • Lösung (falsch = 0; richtig = 1) • Lösungsverfahren (kein Lösungsverfahren = 0; Dreisatz = 1; Formel und Operatormethode = 2; Prozentstreifen und Dreisatz = 3;….) • Fehler (Falsche Zuordnung = 1; Anwendung unverstandener Regeln und Formeln = 2; Rechen-, Rundungs- und Kommafehler = 3;…) Beide Codierpersonen erreichten in den Auswertungen, bis auf wenige Ausnahmen, vollständige Übereinstimmung. In den wenigen Fällen, die sich hauptsächlich auf den Auswertungsbereich Fehler bezogen, wurde in einem anschließenden Konsensverfahren eine hundertprozentige Übereinstimmung erreicht. Somit kann
158
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
von einer reliablen Codierung ausgegangen werden. Es wurden etwa 30 % des gesamten Materials doppelt codiert.
8.4
Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
Zunächst erfolgt die Analyse eingesetzter Skalen sowie deskriptiver Statistiken. Es folgen die Darstellung der quantitativen Ergebnisse und die Beantwortung der Forschungsfragen.
8.4.1
Skalenanalyse
Die Skalenanalyse verfolgt das Ziel der Reliabilitätsprüfung. Dazu werden die einzelnen Items im Gesamten betrachtet, um deren Eignung für den Gesamttest zu prüfen (Bühl, 2014). Als Kennwert fungiert Cronbachs-α, der die innere Konsistenz angibt. Eine zufriedenstellende Reliabilität liegt im Bereich von .70, Werte unter .50 sind nicht akzeptabel. Allerdings gilt eine isolierte Betrachtung nur als bedingt sinnvoll, da das Cronbachs-α durch viele, inhaltlich identische Items künstlich heraufgesetzt werden kann (Reliabilitäts-Validitätsdilemma, Hossiep, 2017). Der inhaltliche Bezug sollte demnach berücksichtigt werden. Für die vorliegenden Daten schlüsseln sich die Reliabilitäten wie folgt auf (Tabelle 8.6). Tabelle 8.6 Reliabilitäten der verschiedenen Testteile (Cronbachs-α) Skala (Itemanzahl)
Pre-Test (N = 266)
Post-Test (N = 266)
Follow-up-Test (N = 214)
Gesamt (15)
.70
.67
.65
Textaufgaben (5)
.68
.64
.65
Schätzen (4)
.41
.40
–
Verständnis (6)
.52
.36
–
Anmerkung. Im Follow-up-Test entfielen die Testteile Schätzen und Verständnis
Für den Gesamttest sowie die hier fokussierte Subskala Textaufgaben zeigen sich akzeptable Reliabilitäten um .70. Für die Subskalen Schätzen und Verständnis gilt dies nicht. Zwar besteht die Subskala Schätzen aus vier inhaltlich eng verknüpften Items (Prozentsätze schätzen/einzeichnen), diese scheinen aber unterschiedliche Kompetenzen zu erfordern und sind daher nicht als homogen zu betrachten. Dies kann mit der Tatsache erklärt werden, dass einerseits zwei verschiedene Diagrammarten (Kreis- und Streifendiagramm) sowie andererseits
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
159
beschriftete und unbeschriftete Diagramme Anwendung fanden. Zusätzlich ergibt die Analyse der Lösungshäufigkeiten im Pre-Post-Vergleich keine signifikanten Ergebnisse. So wurden im Post-Test zwar höhere Werte (M = 2,17; SD = 1,18) als im Pre-Test (M = 2,09; SD = 1,19) erzielt, dieser Unterschied konnte aber nicht als signifikant nachgewiesen werden (t(265) = –1,192, p = ,234). Zwar ergeben sich vereinzelt signifikante Effekte, sobald die Differenzierung in Leistungsgruppen, ausgehend von den Lösungshäufigkeiten der jeweiligen Subskala im Pre-Test erfolgt, jedoch sind diese nicht zwangsläufig auf die Bedingungen zurückführbar, sondern deuten auf das typische Phänomen der Regression zur Mitte hin. Demnach nehmen tiefe Ausgangswerte zu, höhere hingegen ab (Zwingmann & Wirtz, 2005). Der Effekt der Regression zur Mitte kann ebenso für die Subskala Verständnis berichtet werden. Über alle Bedingungen hinweg betrachtet, ergibt sich kein signifikanter Unterschied: (M Pre = 3,59; SD = 1,57; M Post = 3,73; SD = 1,39; (t(265) = –1,569, p = ,118). Erfolgt die Differenzierung nach Leistungsgruppen, so weisen jeweils die Lernenden mit geringem mathematischen Leistungsniveau (0–2 von 6 Lösungen richtig) sowie die starken Lernenden (5–6 richtige Lösungen) in allen drei Bedingungen eine signifikante Tendenz zur Mitte auf. Aus den genannten Gründen wurden diese Subskalen nicht weiter untersucht und die Untersuchungen auf den Hauptgegenstand der Textaufgaben konzentriert.4
8.4.2 2a.
Zu den Lösungshäufigkeiten Welches Leistungsniveau zeigen Lernende der Klassenstufen 7/8 bei der Bearbeitung typischer Aufgaben zur Prozentrechnung? H 2a: Es ist zu erwarten, dass sich bei der Bearbeitung entsprechender Aufgaben durch Lernende der Klassenstufen 7/8 eher geringe Lösungshäufigkeiten zeigen. Einschrittige Grundaufgaben werden dabei häufiger gelöst als zweischrittige.
Lösungshäufigkeiten auf der Testebene Studien aus dem Bereich der Prozentrechnung haben mangelhafte Leistungen berichtet (beispielsweise Berger, 1989; Hafner, 2012; Meißner, 1982, Van
4 Gegebenenfalls
sind diese Tendenzen auch auf Deckeneffekte zurückzuführen. Dies wird in Abschnitt 9.2.1 näher erläutert.
160
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Galen & Van Eerde, 2013). Die deskriptiven Daten der vorliegenden Studie bestätigen dies.5 Der Mittelwert liegt für den Pre-Test bei 0,456 , weist also eine Lösungshäufigkeit von unter 50 % aus (Tabelle 8.7). Wird weiter nach Grundaufgaben und erweiterten Aufgaben differenziert, gestalten sich die Mittelwerte wie folgt: Grundaufgaben 0,49, erweiterte Aufgaben 0,39. Auffällig dabei ist die hohe Quote der Schülerinnen und Schüler von 20 %, die keine der fünf Aufgaben lösen können. Tabelle 8.7 Lösungshäufigkeiten Mittelwerte Pre-Test (N = 266) M
SD
Gesamt
,45
,33
Grundaufgaben
,49
,36
Erweiterte Aufgaben
,39
,41
Lösungshäufigkeiten auf der Aufgabenebene Auf der Aufgabenebene zeigt sich, dass richtige Lösungen zwischen 30 % und 56 % auftreten (Tabelle 8.8). Entgegen der Annahme, dass die erweiterten Aufgaben A4 und A5 schwieriger zu lösen sind, da sie mehrstufiges Arbeiten verlangen, trifft dies nur bedingt zu. Aufgabe 5 stellt die schwierigste Aufgabe dar, gefolgt von der Aufgabe zum gesuchten Prozentsatz (A1), die die zweitniedrigsten Lösungsquoten aufweist. An dritter Stelle folgt dann Aufgabe A4. Tabelle 8.8 Lösungshäufigkeiten auf der Aufgabenebene (N = 266) A1 (p %)
A2 (P)
Antwort
n
%
n
%
A3 (G) n
%
A4 (G−) n
%
A5 (G+) n
%
falsch
157
59
116
44
134
50
137
52
186
70
richtig
109
41
150
56
132
50
129
48
80
30
Aussagen basieren auf dem bereinigten Datensatz (N = 266). Spanne liegt hier zwischen keiner richtigen Lösung (mit 0 codiert) und fünf richtigen Lösungen (mit 1 codiert).
5 Diese 6 Die
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
161
Bearbeitungsquoten Ein ergänzender Blick auf die Bearbeitungsquoten deckt auf, dass diese im Gesamten bei etwa 75 % vollständig bearbeiteten Aufgaben liegen (Tabelle 8.9). Aufgabe 5, mit nur 65 % vollständig und 26 % Nicht-Bearbeitungen, weist erneut auf die Schwierigkeitsstufe dieser Aufgaben hin. Global betrachtet zeichnen etwa 25 % Nicht- oder Ansatzbearbeitungen ein ebenso schwaches Leistungsbild der Lernenden. Tabelle 8.9 Bearbeitungshäufigkeiten auf der Aufgabenebene (N = 266) Bearbeitung
A1 (p %)
A2 (P)
n
n
%
A3 (G) %
n
%
A4 (G−)
A5 (G+)
n
n
%
%
nicht
40
15
42
16
46
17
40
15
68
26
ansatzweise
31
12
25
9
11
4
24
9
25
9
vollständig
195
73
199
75
209
79
202
76
173
65
Vergleich von Beispielitems der Studien von Thiede (2019) und Hafner (2012) Auch wenn Hafner in seiner längsschnittlich angelegten Studie in einem deutlich größeren Sample agiert und Schulformunterschiede untersucht, sind Vergleiche innerhalb der jeweils ersten MZP auf globaler Ebene, also über die Schulformen der jeweiligen Studien hinweg möglich7 . Diesbezüglich wurden drei Items in identischer Form gewählt und in die vorliegende Studie integriert. Dies betrifft die Grundaufgaben Aktion Mensch, Frau Fuchs und Erbsen. Eine vergleichende Analyse der Lösungshäufigkeiten ergibt folgende prozentuale Verteilung (Tabelle 8.10). Im Vergleich zur eigenen Untersuchung können bei Hafner insgesamt geringere Lösungsraten konstatiert werden. Das gilt auch, wenn man nur sein Realschulsample als Referenzgröße betrachtet. Besonders auffällig ist bei diesen Datensätzen der Tabelle 8.10 Erfolgreiche Aufgabenbearbeitungen im Studienvergleich Thiede (2016) und Hafner (2012) Aufgabe
Erbsen (p %)
Aktion Mensch (P)
Frau Fuchs (G)
Studie
Hafner
Hafner
Hafner
Thiede
Thiede
Thiede
n
1233
266
1233
266
1162
266
richtig gelöst (%)
38
41
27
56
41
50
7 Hauptschule,
Realschule, Gymnasium (Hafner) und Werkrealschule, Realschule (Thiede)
162
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Unterschied bei der Aufgabe Aktion Mensch (Prozentwert gesucht), bei der Hafners Stichprobe (global und schulformspezifisch) deutlich schlechter abschneidet. Als Gründe für diese Leistungen führt er an, dass die unterrichtliche Behandlung der Prozentrechnung partiell schon zu lange zurückliegt (Gymnasium) oder schlichtweg nicht verstanden wurde (Hauptschule) (Hafner, 2012)8 . Ein Faktor liegt vermutlich auch in der Tatsache, dass bei Hafner kein Taschenrechner zugelassen wurde, wenngleich das zu berechnende Zahlenmaterial in dieser Klassenstufe auch ohne Taschenrechner zu bewältigen sein sollte. Die kognitive Belastung könnte diesen Umstand möglicherweise erklären. „Tendenziell lässt sich sagen, dass die Schüler, die den Taschenrechner gebrauchen, stärker auf den Aufgabenkontext achten, dass sie sozusagen ,den Kopf frei haben‘ für ein Aufgabenverständnis“ (Seeger, 1990, S. 70). Quintessenz beider Untersuchungen ist jedoch das tendenziell als schlecht zu betrachtende Abschneiden der Lernenden bei der Lösung basaler Prozentaufgaben. Die Bearbeitungsquoten sind in beiden Studien in etwa vergleichbar. Lösungshäufigkeiten in Abhängigkeit der gewählten Lösungsverfahren Ein letzter Aspekt soll unter Verwendung von Kreuztabellen analysiert werden. Nachdem die bisherigen Statistiken univariater Natur sind, sollen bivariate Analysen hinzugezogen werden, die dazu dienen Zusammenhänge zwischen zwei Variablen aufzuzeigen. Ziel ist es, eine Aussage über den möglichen Einfluss der gewählten Lösungsverfahren auf den Lösungserfolg abzuleiten. Mit Chi-QuadratTests kann geprüft werden, ob die beobachteten Häufigkeiten von den erwarteten abweichen und somit auf einen Zusammenhang hindeuten (Bühl, 2014). Daraus ergeben sich für die fünf Textaufgaben des Pre-Tests statistisch signifikante Zusammenhänge (Korrelation nach Spearman), mit einer jeweils geringen Korrelation. Deskriptive Ergänzungen für den Lösungserfolg in Abhängigkeit des gewählten Lösungsverfahrens finden sich in Tabelle 8.11. Sie zeigen, dass Lernende, die Verfahren wie den Dreisatz oder multiplikative Verfahren nutzen, mit einer Ausnahme (A3), immer auch höhere Lösungsquoten erzielen. Die multiplikativen Verfahren agieren dabei überlegen (Ausnahme A3). Sonstige, oft unstrukturierte Lösungswege führen in der Regel zu (sehr) geringen Lösungsraten. Es kann konstatiert werden, dass die Auswahl der Lösungsverfahren die Lösungshäufigkeiten beeinflussen.
8 Auch Pöhler (2018) hat Lösungsraten zu dieser Aufgabe in ihren Untersuchungen (N = 308)
berichtet. Bezogen auf die Gesamtstichprobe ergibt sich eine Lösungshäufigkeit von 23 %. Sie liegt also noch unterhalb der von Hafner, obwohl Pöhlers Variation der Zahlenwerte hin zu bequemeren Zahlenwerten (gerade, runde Zahlen) erfolgt ist.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
163
Tabelle 8.11 Lösungshäufigkeiten in Abhängigkeit des Lösungsverfahrens auf der Aufgabenebene (Gesamtstichprobe N = 266) Aufgaben
A1 (p %)
A2 (P)
A3 (G)
A4 (G−)
A5 (G+)
Verfahren
n
%
n
%
n
keines
57
5
47
2
50
%
n
%
n
%
2
50
4
81
1
Dreisatz
71
58
83
7
89
72
F&O
70
75
113
76
100
51
86
57
71
30
110
71
97
Sonstige
68
18
23
17
27
59
20
59
0
17
6
Anmerkung. F&O = Formel & Operator. Die prozentuale Darstellung zeigt jeweils die Höhe der richtigen Lösungen an
Ergänzung: Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau Der Fokus auf Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau (Tabelle 8.12.), also Schülerinnen und Schüler, die im Pre-Test lediglich eine oder keine Textaufgabe lösen konnten, zeigt einerseits die sinkenden Quoten bei der Verwendung multiplikativer Formen, was möglicherweise auf ein unverstandenes Nutzen dieser hinweist sowie andererseits, dass zuletzt genannte Tatsache offensichtlich auch für das grundlegende Verfahren des Dreisatzes gilt. Diese Tatsache kann mit den Erkenntnissen Bergers (1991) in Zusammenhang gebracht werden, der äußerte, das insbesondere schwächeren Lernenden strukturelle Einsicht fehlt. Tabelle 8.12 Lösungshäufigkeiten in Abhängigkeit des Lösungsverfahrens auf der Aufgabenebene, Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau (N = 99) A1 (p %)
A2 (P)
A4 (G−)
A5 (G+)
Verfahren
n
%
n
%
n
A3 (G) %
n
%
n
%
keines
44
2
41
0
47
2
43
0
60
0
Dreisatz
14
21
21
33
17
35
21
10
15
0
F&O
10
50
20
35
20
25
17
18
17
10
Sonstige
31
3
17
0
15
27
18
0
18
0
Anmerkung. F&O = Formel & Operator. Die prozentuale Darstellung zeigt jeweils die Höhe der richtigen Lösungen an
164
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Fazit Die Datenanalyse hinsichtlich der Lösungshäufigkeiten bestätigt das zuvor im theoretischen Teil explizierte Bild durchwachsener, unzureichender Leistungen der Lernenden beim Bearbeiten basaler Prozentaufgaben. Mit weniger als 50 % richtig gelösten Aufgaben reiht sich die vorliegende Studie in die beschriebenen Befunde (Abschnitt 2.3.2) ein. Zweischrittige Aufgaben erfahren geringere Lösungshäufigkeiten von zum Teil lediglich 30 %. Zwanzig Prozent der Lernenden können überhaupt keine Aufgabe lösen. Dabei besteht ein Zusammenhang zu den gewählten Lösungsverfahren. Die Anwenderinnen und Anwender multiplikativer Verfahren wie der Prozentformel oder dem Operatorverfahren aggregieren höhere Lösungshäufigkeiten als Lernende, die das Dreisatzverfahren anwenden. Diese Erkenntnis gilt auch für Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau. Unstrukturierte Lösungswege führen global betrachtet zu noch geringeren Lösungshäufigkeiten.
8.4.3 2b.
Zu den Fehlerhäufigkeiten Welche Fehlerkategorien lassen sich bei der der Bearbeitung typischer Aufgaben zur Prozentrechnung in den Klassenstufen 7/8 feststellen? H 2b: Als Hauptfehlerquelle bei der Bearbeitung typischer Aufgaben durch Lernende der Klassenstufen 7/8 sind Zuordnungs- und Rechenfehler zu erwarten.
Im Rahmen der quantitativen Hauptstudie wurden Fehleranalysen durchgeführt. Durch die Generierung eines Kategoriensystems sollten zunächst Aussagen über typische Fehler beim Bearbeiten der Prozentaufgaben getroffen werden. Dieses Vorgehen verfolgte übergeordnet zwei Ziele: Zum einen die Literaturlage in diesem Themenbereich, um eine aktuelle Bestandsaufnahme zu erweitern, zum anderen eine speziell kontextbezogene Datenbasis für die vorliegende Studie zu generieren, um entsprechende Analysen durchführen zu können.9
9 Eine
Zulassungsarbeit wurde in diesem Rahmen integriert. Schulz, L. (2017). Die Prozentrechnung in der SEK I am Beispiel von Textaufgaben. Zulassungsarbeit an der Pädagogischen Hochschule Freiburg am Institut für Mathematische Bildung.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
165
Tabelle 8.13 Chronologische Übersicht über Fehlerkategorien ausgewählter Studien Autor_in (Jahr):Studie
Fehlerkategorien (Gründe und Schwierigkeiten)
1. Meißner, H. (1982): Eine Analyse zur Prozentrechnung
Ansatz richtig • Hauptfehlerquelle Rechenfehler bei den GRA • ohne Ergebnis abgebrochen • eigentliche Frage nicht beantwortet • Fehler durch falsche Zahlen, bspw. durch Runden, Abschreibfehler, Ablesefehler, etc. • Interpretationsfehler Ansatz falsch • falsche Zuordnung • wildes Drauflosrechnen mit richtigen Zahlen • Fehler beim algorithmischen Abarbeiten • Bedeutung „p% von“ nicht verstanden • wahllose Verknüpfung von Zahlen
2. Sander, E. & Berger, M. (1985): Fehleranalysen bei Sachaufgaben zur Prozentrechnung (basierend auf Radatz, 1980)
• Sprach- und Instruktionsverständnis • Falsche Assoziationen und Einstellungen • Gebundensein von Begrifflichkeiten an spezielle Repräsentationen • Nichtberücksichtigung relevanter Bedingungen • Nichtabschließende Aufgabenbearbeitung/unvollständige Regelanwendung • Verlieren von Zwischenschritten im Lösungsprozess • Nicht ausreichende Kenntnisse, Fertigkeiten/Unzureichendes Begriffsverständnis • Rechen- und Flüchtigkeitsfehler • Nicht zu analysierende Fehler • Fehlende Aufgabenbearbeitung • mangelnde Vorkenntnisse • Rechen- und Flüchtigkeitsfehler • unvollständige Aufgabenbearbeitung • mangelndes Instruktionsverständnis • kein Verständnis für Prozentrechnung • Falsches Zwischenergebnis • Begriffe werden falsch zugeordnet • Rechenfehler in den GRA (Fortsetzung)
166
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.13 (Fortsetzung) Autor_in (Jahr):Studie
Fehlerkategorien (Gründe und Schwierigkeiten)
3. Berger, R. (1991): Leistungen von Schülern im Prozentund Zinsrechnen am Ende der Hauptschulzeit
• Aufgabe nicht bearbeitet • Falscher Ansatz (Unterkategorie: Zuordnungs- u. Operationsfehler) • Unvollständiger Ansatz • Rechenfehler (Unterkategorie: Stellenwert- u. Multiplikationsfehler) • Bagatellfehler (Abschreibfehler, Fehler beim Ergebnisaufschrieb) • hohe Nichtbearbeitungsquote bei „unbekannten“ Aufgabentypen (Kalkül versagt) • Schwierigkeiten bei der richtigen Zuordnung (insb. bei Berechnung des Prozentwertes und verm. G) • bei „Prozentsatz gesucht“- Aufgaben: weniger Zuordnungs-, dafür mehr Operationsfehler (richtige Zuordnung, aber falsche Operation) • hohe Rechenfehlerquoten bei großen Zahlen, gem. Zahlen oder Dezimalzahlen
4. Scherer, P. (1996a,b): Ergebnisse eines Tests zum Prozentrechnen (Schüler/Studenten)
• Rechenfehler, wenn dann z. T. bedingt durch Lesefehler oder Konzentrationsmängel • in Einzelfällen Probleme durch sprachliche Schwierigkeiten • Zahlenwerte (hohe oder Brüche)
5. Hafner, T. (2012): Proportionalität und Prozentrechnung in der SEK I
• Rechenfehler • Zuordnungsfehler bei Größen und mathematischen Operationen • Formelfehler • Umgang mit Größen und Größeneinheiten und Anpassungsstrategien (Stellenwertfehler) • Anwendung unverstandener Regeln und Formeln
Studienübersicht zu Fehlerkategorien In einem ersten Schritt wurden unter Verwendung einschlägiger Literatur (Berger & Sander, 1985; Berger, 1991; Hafner, 2012; Meißner, 1982; Scherer, 1996a,b) Fehlerkategorien zusammengetragen. Diese galten als kategoriale Basis und weisen, partiell sehr ausführlich, entsprechende Fehlerkategorien der einzelnen Studien aus (Tabelle 8.13.).
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
167
Fehlertaxonomie: Da die Untersuchungsgegenstände der zitierten Studien jedoch nicht kongruent zu den eigenen Forschungsinhalten sind, wurde auf Basis der erhobenen Daten eine eigene Taxonomie entwickelt. Diese gestaltete sich in einem ersten Schritt sehr fein, um eine dezidierte Fehlerdarstellung vorzunehmen. Aus diesem ersten Schritt resultierten zwölf Fehlerkategorien, die nachfolgend ausgeführt sind. Eine Fehlerkategorie entstand, wenn einzelne Fehlertypen über die Gesamtstichprobe hinweg mehrfach auftraten. Pro Aufgabe wurden alle Fehler erfasst und entsprechend codiert. Fehlerkategorien (F): • • • • • • • • • • • •
F1 keine Lösung F2 falsche Zuordnung der Größen F3 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln F4 Rundungsfehler F5 Rechenfehler F6 Kommafehler F7 Flüchtigkeitsfehler F8 Teilergebnis als Endergebnis ausgewiesen F9 Verständnis der Prozentangabe als reelle Zahl F10 Unverständnis mehrfacher Erhöhungen („Zinseszins“) F11 Unverstandenes Rechnen F12 Lesefehler
In einer zweiten Phase wurden die zwölf Kategorien zusammengefasst und in sechs neuen Kategorien subsumiert. Die Zusammenlegung erfolgte nach inhaltlichen Kriterien (Verständnisfehler, technische Fehler, kognitive Fehler und aufgabenspezifische Fehler). Die ursprüngliche Kategorie kein Ergebnis entfiel bei dieser Reduktion. Kategorie F3 beinhaltet drei Untertypen, maßgeblich sind dort jedoch Rechenfehler anzutreffen. Die Kategorien F1–F4 sind dabei als allgemein anzusehen, die Kategorien F5 und F6 als aufgabenspezifisch. Tabelle 8.14 schlüsselt die beschriebene Zusammenlegung der Kategorien übersichtlich auf. Die reduzierten Kategorien (F1–F6) lauten: • • • • • •
F1 F2 F3 F4 F5 F6
Falsche Zuordnung Anwendung unverstandener Regeln und Formeln Rechen-, Rundungs- und Kommafehler Flüchtigkeitsfehler Teilergebnis als Endergebnis Verständnis Prozentrechnen fehlt
168
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Über die in Tabelle 8.13 dargestellten Studien hinweg kristallisieren sich Rechenund Zuordnungsfehler als häufigste Fehlerquelle heraus. Aber auch abgebrochene Bearbeitungen sowie Flüchtigkeitsfehler werden häufig berichtet. Die eigenen qualitativen und quantitativen Studienergebnisse bestätigen dies. Eine entsprechende Übersicht zu den vorherrschenden Fehlerkategorien findet sich in Tabelle 8.15. Fehleranalyse In einem nächsten Schritt soll die Verteilung der explizierten Fehlerkategorien berichtet werden. Die Darstellung erfolgt zunächst deskriptiv auf drei verschiedenen Ebenen: a) der globalen Ebene (Testebene), b) der Aufgabenebene und c) der kategorialen Ebene. Diese Unterteilung wurde gewählt, um einen ersten Eindruck für die gewonnenen Daten zu erhalten. Das Hauptaugenmerk liegt auf der kategorialen Verteilung.10 a) Testebene Die Mittelwertanalyse macht deutlich, dass im Durchschnitt zwei Fehler begangen werden (M = 2,04). Die hohe Standardabweichung (SD = 1,53) mindert die Repräsentativität des Mittelwertes und verdeutlicht die hohe Streuung der Werte. Das kann damit erklärt werden, dass bei den einzelnen Aufgaben alle auftretenden (gegebenenfalls auch mehrere) Fehler codiert wurden. Somit ist die Mittelwertanalyse auf der Testebene noch nicht sehr aussagekräftig. b) Aufgabenebene Der zweite Blick richtet sich auf die aufgabenspezifische Verteilung der Fehler. Es entsteht ein recht homogenes Bild, welches über alle Aufgaben hinweg eine hohe Fehlerhäufigkeit aufzeigt (Tabelle 8.16). Dabei sind die Fehlerwerte für die erweiterten Aufgaben (A4/A5) deutlich höher als die der Grundaufgaben (A1–A3). Bei diesen wiederum ist die Aufgabe A2 (Prozentwert gesucht) am fehleranfälligsten. Diese allgemeine aufgabenspezifische Perspektive soll genauer aufgeschlüsselt werden. Es wurden daher alle Fälle in den Blick genommen, bei denen eine Aufgabe bearbeitet, aber keine richtige Lösung generiert wurde (Tabelle 8.17). 10 Allgemein galt bei der Auswertung, dass ein Flüchtigkeitsfehler, beispielsweise ein Abschreibfehler als solcher bei der Fehleranalyse erfasst, die Bewertung der Lösung (richtig oder falsch) aber richtig sein konnte, da hier maßgeblich das Verständnis für die Aufgabe, respektive die Prozentrechnung im Vordergrund stand.
Bezeichnung
Falsche Zuordnung
Anwendung unverstandener Regeln und Formeln
Rundungs-/Rechen- und Kommafehler
Flüchtigkeitsfehler (auch Lesefehler)
Kategorie neu
F1
F2
F3
F4
Überbegriff Mangelndes konzeptuelles u. inhaltliches Verständnis
technische/prozedurale Fehler
Aus Versehen wurde kognitive Fehler ein Fehler gemacht (kein Rundungs-, Rechen- oder Kommafehler!), z. B. eine Ziffer falsch hingeschrieben. Lernende entnehmen der Aufgabe falsche Werte oder beantwortet eine „andere“ Aufgabe/Frage.
Werte wurden falsch gerundet. Eine Rechnung wurde falsch ausgeführt. Das Komma wurde an der falschen Stelle gesetzt.
Der Lösungsweg wurde technische/prozedurale Fehler falsch angewendet, d. h. es wurde z. B. der DS (F, OP) benutzt, aber nicht verstanden, wie dieser „funktioniert“, z. B. Werte vertauscht.
Lernende ordnen die angegebenen Werte falsch zu.
Erläuterung
Tabelle 8.14 Zusammenlegung der Kategorien Kategorie alt
(Fortsetzung)
F7 Flüchtigkeitsfehler F12 Lesefehler
F4 Rundungsfehler F5 Rechenfehler F6 Kommafehler
F3 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln
F2 falsche Zuordnung der Größen
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen 169
Verständnis PR fehlt (elementar und speziell: mehrfache Erhöhung („Zinseszins“)
F5
F6
Erläuterung
Die Lernenden wenden keine mehrfache Erhöhung an. Sie addieren Prozentsätze fälschlicherweise (z. B. bei A 5: 7 % + 12 % = 19 %) und nehmen dabei stets denselben Grundwert an. Oder: SuS rechnen mit Prozentwerten weiter.
Zwischenergebnis: Lernende haben ein Zwischenergebnis (und dieses eventuell auch als Endergebnis) angegeben d. h. sie rechnen z. B. den Prozentsatz richtig aus, beenden die Aufgabenbearbeitung aber nicht, weil sie vergessen, dies noch vom Grundwert abzuziehen oder deklarieren den Prozentwert als Endergebnis. (Ein letzter Bearbeitungsschritt fehlt.)
Überbegriff
Mangelndes konzeptuelles und inhaltliches Verständnis -> aufgabenspezifische Fehler (hier hauptsächlich Aufgabe 5 (G++)
Mangelndes konzeptuelles und inhaltliches Verständnis -> aufgabenspezifische Fehler (hier hauptsächlich: Aufgabe 4 (G−)
Kategorie alt
F9 Verständnis der Prozentangabe als reelle Zahl F11 Unverstandenes Rechnen
F8 Teilergebnis als Endergebnis ausgewiesen
8
Anmerkung. SuS = Schülerinnen und Schüler
Bezeichnung
Teilergebnis als Endergebnis
Kategorie neu
Tabelle 8.14 (Fortsetzung)
170 Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
–
–
X
Verständnis für Prozentrechnen fehlt
Kommafehler
X
unverstandenes Rechnen
Rundungsfehler
–
Operationsfehler
–
X
Zuordnungsfehler
mangelndes Aufgabenverständnis
X
Flüchtigkeitsfehler
–
X
andere Frage beantwortet
–
X
kein Ergebnis (abgebrochen, nicht bearbeitet)
Zahlenmaterial
X
Rechenfehler
Sprache
Meißner1982
Fehlerkategorien
–
–
X
–
X
X
–
–
X
–
X
X
X
Sander & Berger 1985
–
–
–
X
–
–
–
X
X
X
–
X
X
Berger 1991
–
–
–
X
X
–
–
–
–
X
–
–
X
Scherer 1996a,b
–
–
–
X
–
–
X
X
X
–
–
–
X
Hafner 2012
–
X
–
–
–
–
–
–
X
X
–
X
X
Thiede 2015
X
X
–
–
–
X
X
–
X
X
X
X
X
Thiede 2016
Tabelle 8.15 Chronologische Übersicht über Fehlerkategorien ausgewählter Studien, erweitert um eigene qualitative und quantitative Studienteile
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen 171
172
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.16 Fehlerhäufigkeit auf der Aufgabenebene, Mittelwertvergleich (N = 266)
Pre-Test
A1 (SD)
A2 (SD)
A3 (SD)
A4 (SD)
A5 (SD)
,35 (,50)
,41 (,54)
,31 (,47)
,50 (,64)
,48 (,59)
Die bestimmenden Fehler bei den Grundaufgaben sind Fehler, die durch die Anwendung unverstandener Regeln und Formeln (F2, Verfahrensfehler) sowie durch eine falsche Zuordnung (F1) entstehen. Bei Aufgabe A2 (Grundwert gesucht) fallen zudem die Fehlerkategorien Rechen-, Rundungs- und Kommafehler (F3) und Verständnis Prozentrechnen fehlt (F6) auf. Diese Fehlerstreuung ist ebenso bei der Aufgabe A4 zu erkennen. Zudem sind für beide erweiterten Aufgaben spezifische Fehler festzustellen. So ist zum einen die Kategorie Teilergebnis als Endergebnis (F5) der Aufgabenstellung A4 geschuldet (Berechnung des verminderten Grundwertes und damit zusammenhängende Darstellung des Teilergebnisses, Prozentwert als Endergebnis), zum anderen fehlt bei A5 ein generelles Verständnis für die Prozentrechnung (zweifache Erhöhung des Grundwertes). Fehleranalyse Aufgabenebene (Pre-Test) Tabelle 8.17 Fehlerhäufigkeit auf Aufgabenebene in Prozent Kategorie
Aufgabe (Gesamtanzahl der Fehler) A1 (87)
A2 (66)
A3 (77)
A4 (99)
A5 (112)
F1
8
33
53
8
4
F2
61
27
34
15
14
F3
9
17
1
23
6
F4
–
3
1
–
–
F5
2
–
–
37
4
F6
20
20
10
16
71
Anmerkung. F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis, F6 Verständnis Prozentrechnen fehlt
c) kategoriale Ebene Die Verteilung der sechs Fehlerkategorien, bezogen auf das Ausgangssample und über alle Aufgaben hinweg, zeigt, dass insbesondere ein generelles Unverständnis für das Prozentrechnen (F6) besteht (Tabelle 8.18). Ähnlich häufig treten rechentechnische Fehler (F3) und Verfahrensfehler (F2) auf. Die falschen Zuordnungen
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
173
(F1) schließen sich daran an, was die im Theorieteil beschriebenen Fehlermuster bestätigt. Tabelle 8.18 Fehlerhäufigkeit auf kategorialer Ebene (N = 266) Kategorie
Angabe in %
F1
29
F2
32
F3
35
F4
10
F5
16
F6
38
Anmerkung. F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis, F6 Verständnis Prozentrechnen fehlt
Vergleich der Beispielitems Erbsen, Frau Fuchs und Aktion Mensch der Studien von Thiede (2019) und Hafner (2012) Zusätzlich sollen ergänzende Betrachtungen der Aufgaben A1–A3 erfolgen, mit dem Ziel die eigenen Daten mit den bestehenden der Hafner-Studie zu vergleichen. Für die Vergleiche der Items aus beiden Studien, wurden die absoluten Häufigkeiten der vier Fehlerkategorien von Hafner verwendet. Die von ihm verwendete Rubrik nur Ergebnis notiert fällt aus dieser Betrachtung heraus, da sich daraus keine Fehlertypen ableiten lassen. Zudem erfolgte eine Kategorienzusammenlegung der Kategorien Hafners, um eine inhaltliche Vergleichbarkeit zur eigenen Studie zu gewährleisten (Tabelle 8.19). Tabelle 8.19 Kategorienzusammenlegung der Studien von Thiede (2019) und Hafner (2012) auf Fehlerebene Hafner
Thiede
Zuordnungsfehler Größen
F1 Zuordnungsfehler
Zuordnungsfehler Operationen & Formelfehler
F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln (Verfahrensfehler)
Rechenfehler
F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler
Die Vergleiche der ausgewählten Aufgaben beider Studien untermauern basale Probleme, die durch Verfahrens- und Zuordnungsfehler bei den Aufgaben Erbsen
174
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
und Frau Fuchs entstehen (Tabelle 8.20). Insbesondere das Berechnen des Grundwertes bei Frau Fuchs scheint eine Hürde für die Lernenden zu sein, die durch den Wechsel der gesuchten Größe von A2 zu A3 forciert wird. Die Lösungsquoten bilden zudem das geringe Verständnis für die Aufgabe ab. Hafner erklärt in seiner Dissertation dazu: „Obwohl die Zuordnung 720 e ≙ 40 % durch den Aufgabentext nahe gelegt wird, treffen sehr viele Schüler fehlerhafte Zuordnungen zu 720 e. In den meisten Fällen wird dieser Größe der Prozentsatz 100 % im Sinne des Grundwerts zugeordnet“ (2012, S. 128). Die leichteste Aufgabe Aktion Mensch (höchste Lösungsquote) birgt auf der anderen Seite eine hohe Fehleranfälligkeit, wie die prozentuale Fehlerverteilung aufzeigt. Der grundlegende Unterschied besteht, trotz der prinzipiell voraussetzbaren Fähigkeit des Rechnen-Könnens in der Altersstufe der Schülerschaft, bei allen Aufgaben in der Kategorie Rechenfehler. Dies ist vermutlich durch die Taschenrechnernutzung in der eigenen Studie zu erklären. Generell zeigen sich die angewandten Lösungsverfahren in beiden Studien als sehr fehleranfällig, welches durch das unverstandene Anwenden von Lösungsverfahren (auch fehlerhaftes Memorieren der Prozentformel) evoziert wird. Tabelle 8.20 Pre-Test Fehleranalyse der Vergleichsitems der Studien von Hafner (2012) und Thiede (2019) Aufgabe
Erbsen (p %)
Aktion Mensch (P)
Frau Fuchs (G)
Studie
Hafner
Thiede
Hafner
Thiede
Hafner
Thiede
N
353
117
505
74
327
88
Zuordnungsfehler (%)
5
6
10
30
40
47
Verfahrensfehler (%)
78
45
37
24
24
30
Rechenfehler (%)
16
7
53
15
36
1
Fazit Die deskriptiven Fehleranalysen der eigenen Studie zeigen auf, dass • bei allen Aufgaben, zum Teil sehr deutlich, verschiedene Fehler auftreten. Das ist besonders bei den erweiterten Aufgaben festzustellen. • hauptsächlich ein generelles Unverständnis für die Prozentrechnung sowie formale, verfahrens- und zuordnungstechnische Fehler zu verzeichnen sind.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
175
• bei den Grundaufgaben Fehler durch die Anwendung unverstandener Regeln und Formeln (Verfahrensfehler) sowie durch eine falsche Zuordnung zentral sind. • bei den erweiterten Aufgaben Fehler maßgeblich Verständnisfehler auftreten. • der Wechsel der gesuchten Größen eine große Hürde für die Lernenden darstellt. Die deskriptiven Fehleranalysen der Vergleichsitems der Studien von Hafner (2012) und Thiede (2019) zeigen auf, dass • die Hauptfehlermuster, abgesehen von der Aufgabe Aktion Mensch, identisch sind. • die angewandten Lösungsverfahren sehr fehleranfällig sind. • Verfahrensfehler über alle Items hinweg besonders häufig auftreten (unverstandenes Anwenden von Lösungsverfahren). • Rechenfehler durch den Einsatz des Taschenrechners deutlich reduziert werden können. Diese Befunde bestätigen und erweitern bereits in der Vergangenheit durchgeführte Studien der Grundlagen- und Aktionsforschung. Zudem wird in der Summe abermals die Dringlichkeit für eine echte, lernförderliche Auseinandersetzung mit der Thematik der Prozentrechnung deutlich.
8.4.4 2c.
Zum Integrationspotenzial des Prozentstreifens Inwieweit integrieren Lernende, insbesondere Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau den Prozentstreifen bei der Bearbeitung von Textaufgaben in ihre Lösungsstrategien? H 2c: Die Schülerinnen und Schüler integrieren den Prozentstreifen in ihre bereits bestehenden Lösungsstrategien und nutzen ihn als visuelles Hilfsmittel. Für Lernende mit geringem mathematischen Niveau könnte die zusätzliche Anwendung des Prozentstreifens zunächst eine kognitive Hürde darstellen.
Allgemeine Lösungsverfahren (Pre-Test) Zunächst soll ein allgemeiner Blick auf die angewandten Lösungsverfahren erfolgen. Dieser zeigt eine deutliche Prävalenz des Dreisatzes und der Prozentformel (Tabelle 8.21). Visuell gestützte Verfahren finden keine Anwendung.
176
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Diese Erkenntnisse stützen die im theoretischen Teil explizierten Aussagen zu favorisierten Lösungsverfahren und geringen Nutzungsquoten visueller Hilfen. Tabelle 8.21 Lösungsverfahren auf der Aufgabenebene (N = 266) A1 (p %)
A2 (P)
A3 (G)
A4 (G−)
A5 (G+)
Verfahren
n
%
n
%
n
%
n
%
n
%
keines
57
21
47
18
50
19
50
19
81
31
Dreisatz
71
27
83
31
89
34
86
32
71
27
F&O
70
26
113
43
100
38
110
41
97
37
Sonstige
68
26
23
89
27
10
20
8
17
6
Anmerkung. F&O = Formel & Operator. „Keine“ Lösungsverfahren resultieren fast ausschließlich aus Nicht-Bearbeitungen, unter „Sonstige“ sind hauptsächlich unverstandene Rechenwege, zum Beispiel die Nichtbeachtung des Prozentzeichens, zu verstehen. Dies gilt gleichwohl für die folgenden Tabellen
Wird dieser allgemeine Blick hinsichtlich der Unterteilung in Leistungsniveaus (ausgehend von der Anzahl richtiger Lösungen im Pre-Test: 0/1 = gering, 2/3 = mittel und 4/5 = hoch) vorgenommen, sind differenziertere Aussagen möglich (Tabellen 8.22, 8.23 und 8.24). Diese lassen deutliche Tendenzen bei der Wahl der Lösungsverfahren erkennen. So sind auf dem untersten Leistungsniveau neben dem Dreisatz- und den multiplikativen Verfahren Operator und Prozentformel, bei jeder Aufgabe, vor allem sonstige Lösungsverfahren präsent. Umso höher das Leistungsniveau, desto niedriger wird jedoch der Anteil der sonstigen, oft unstrukturierten und unverstandenen Lösungsstrategien. Im Gegensatz dazu steigt die Anwendung der multiplikativen Verfahren, die auf dem höchsten Leistungsniveau das prävalente Lösungsverfahren darstellen. Tabelle 8.22 Lösungsverfahren Pre-Test auf der Aufgabenebene, Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau (N = 99) A1 (p %)
A2 (P)
A3 (G)
A4 (G−)
A5 (G+)
Verfahren
n
%
n
%
n
%
n
%
n
%
keines
44
44
41
41
47
48
43
43
60
61
Dreisatz
14
14
21
21
17
17
21
21
15
15
F&O
10
10
20
20
20
20
17
17
17
17
Sonstige
31
31
17
17
15
15
18
18
18
18
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
177
Tabelle 8.23 Lösungsverfahren Pre-Test auf der Aufgabenebene, Lernende mit mittlerem mathematischen Leistungsniveau (N = 92) A1 (p %)
A2 (P)
A3 (G)
A4 (G−)
A5 (G+)
Verfahren
n
%
n
keines
9
10
5
%
n
%
n
%
n
%
5
3
3
4
4
19
21
Dreisatz
32
35
F&O
25
27
38
41
43
47
38
41
28
30
44
48
38
41
48
52
43
Sonstige
26
28
47
5
5
8
9
2
2
2
2
Tabelle 8.24 Lösungsverfahren Pre-Test auf Aufgabenebene, Lernende mit hohem mathematischen Leistungsniveau (N = 75) A1 (p %)
A2 (P)
A3 (G)
A4 (G−)
A5 (G+)
Verfahren
n
%
n
%
n
%
n
%
n
keines
4
5
1
1
–
–
3
4
2
% 3
Dreisatz
25
33
24
32
29
39
27
36
28
37
F&O
35
47
49
65
42
56
45
6
44
59
Sonstige
11
15
1
1
4
5
–
–
1
1
Lösungsverfahren der Prozentstreifengruppe Im Folgenden wird gezielt das Integrationspotenzial des Prozentstreifens betrachtet. Aus den deskriptiven Werten ist zumindest eine Tendenz erkennbar, in welchem Umfang der Prozentstreifen Anwendung findet. Dazu wird der Blick jeweils aufgabenweise auf die Lösungsverfahren zu den drei MZP gerichtet. Der Prozentstreifen wurde hier als integriert betrachtet und als Bestandteil der Lösungsstrategie codiert, wenn er im Lösungsprozess gezeichnet wurde. Das schließt nicht aus, dass er als Unterstützung auch rein mental genutzt worden ist (Vergleich Schülerin 8, Abschnitt 7.7.2). Die rein deskriptive Analyse sagt dabei nichts über den tatsächlichen Erfolg dieser Lösungsstrategie hinsichtlich erhöhter Lösungshäufigkeiten aus. Die Schülerinnen und Schüler erhielten bewusst zu keinem Zeitpunkt die Anweisung, den Prozentstreifen nutzen zu müssen. Das Anwenden des Prozentstreifens ist additiv zu den bereits im Lösungsrepertoire der Lernenden vorhandenen Verfahren zu verstehen. Die Analyse auf Aufgabenebene spiegelt wider, dass der Prozentstreifen (immer in Kombination mit dem Dreisatz) bei jedem der verwendeten Aufgabentypen zum Einsatz kommt (Tabellen 8.25, 8.26, 8.27, 8.28 und 8.29). Tabelle 8.30 zeigt schließlich die verwendeten Lösungsverfahren über alle Aufgaben hinweg an.
178
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.25 Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 1 Pre-Test (N = 98) Post-Test (N = 98) Follow-up-Test (N = 65) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
18
18
5
5
5
8
Dreisatz
30
31
18
18
24
37
F&O
31
32
10
10
12
19
Prozentstreifen
–
–
65
66
23
35
Sonstige
19
19
–
–
1
2
Tabelle 8.26 Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 2 Pre-Test (N = 98) Post-Test (N = 98) Follow-up-Test (N = 65) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
21
21
1
1
4
6
Dreisatz
29
30
19
19
23
35
F&O
41
42
11
11
15
23
–
–
67
68
23
35
7
–
–
–
–
Prozentstreifen Sonstige
7
Tabelle 8.27 Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 3 Pre-Test (N = 98) Post-Test (N = 98) Follow-up-Test (N = 65) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
20
20
5
5
6
9
Dreisatz
35
36
23
24
20
31
F&O
38
39
9
9
15
23
Prozentstreifen
–
–
61
62
23
35
Sonstige
5
5
–
–
1
2
Die deskriptiven Daten lassen auf dieser allgemeinen Ebene im Gesamten zwei Interpretationen zu: (1) Zum einen zeigt der Pre-Post-Test-Vergleich deutlich, dass Lernende der Interventionsgruppe den Prozentstreifen unmittelbar in ihr Lösungsverfahren integrieren, was die Vermutung zulässt, dass Schülerinnen und Schüler einen Mehrwert im Prozentstreifen sehen. Die Werte liegen, abgesehen von Aufgabe 5 (45 %), bei allen anderen Aufgaben bei über 60 % und bestätigen
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
179
Tabelle 8.28 Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 4 Pre-Test (N = 98) Post-Test (N = 98) Follow-up-Test (N = 65) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
19
19
6
6
5
8
Dreisatz
35
36
20
20
22
34
F&O
39
40
13
13
15
23
Prozentstreifen
–
–
59
60
23
35
Sonstige
5
5
–
–
–
–
Tabelle 8.29 Lösungsverfahren Pre-Test (PSG), Aufgabe 5 Pre-Test (N = 98) Post-Test (N = 98) Follow-up-Test (N = 65) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
27
28
18
18
20
31
Dreisatz
31
32
22
22
20
31
F&O
2
33
14
14
8
12
Prozentstreifen
–
–
44
45
17
26
Sonstige
8
8
–
–
–
–
Tabelle 8.30 Lösungsverfahren über alle MZP hinweg (PSG) Pre-Test (N = 98)
Post-Test (N = 98)
Follow-up-Test (N = 65)
Verfahren
%
%
%
keines
21
7
12
Dreisatz
33
21
34
F&O
37
12
20
Prozentstreifen
–
60
34
Sonstige
9
0
1
auf diese Weise abermals die intuitive, leicht zu erlernende Handhabung und Anwendung des Prozentstreifens. (2) Im Pre-Follow-up-Test-Vergleich zeigen sich erwartungsgemäß niedrigere Anwendungszahlen, die unter anderem auf die fehlende Wiederholung im Unterricht nach der Intervention zurückzuführen ist (vgl. Lehrerprotokolle: „Der Prozentstreifen wurde danach im Unterricht nicht mehr behandelt.“). Dennoch liegen die Zahlen bei allen Aufgaben, außer Aufgabe 5 (26 %), bei über 35 %, was durchaus als ein nachhaltiger Effekt bezeichnet werden kann.
180
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Dieser Einblick soll vertieft werden, indem eine Unterteilung nach Leistungsniveaus vorgenommen stattfindet. Im Fokus stehen hier die Lernenden mit geringem mathematischen Leistungsniveau, denen unterstellt wird, dass die zusätzliche Anwendung einer visuellen Lösungsstrategie zunächst eine kognitive Hürde darstellt (u. a. Ainsworth, 1999; Berger, 1991; Sweller, 2005). Das spräche möglicherweise für niedrigere Anwenderzahlen des Prozentstreifens. Lösungsverfahren der Lernenden mit Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau (Tabellen 8.31, 8.32, 8.33, 8.34 und 8.35) Tabelle 8.31 Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 1 Pre-Test (N = 99) Post-Test (N = 35) Follow-up-Test (N = 18) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
44
44
2
6
2
11
Dreisatz
14
14
4
11
4
22
F&O
10
10
1
3
2
11
–
–
28
80
10
56
31
31
–
–
–
–
Prozentstreifen Sonstige
Tabelle 8.32 Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 2 Pre-Test (N = 99) Post-Test (N = 35) Follow-up-Test (N = 18) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
41
41
–
–
1
3
Dreisatz
21
21
5
14
3
17
F&O
20
20
1
3
3
17
–
–
29
83
11
61
17
17
–
–
–
–
Prozentstreifen Sonstige
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
181
Tabelle 8.33 Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 3 Pre-Test (N = 99) Post-Test (N = 35) Follow-up-Test (N = 18) Verfahren
n
%
n
%
keines
47
48
3
Dreisatz
17
17
4
F&O
20
20
– 18
Prozentstreifen Sonstige
n
%
9
3
17
11
2
11
1
3
2
11
–
27
77
11
31
18
–
–
–
–
Tabelle 8.34 Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 4 Pre-Test (N = 99) Post-Test (N = 35) Follow-up-Test (N = 18) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
43
43
3
9
1
6
Dreisatz
21
21
6
17
3
17
F&O
17
17
1
3
3
17
Prozentstreifen
–
–
25
71
11
61
Sonstige
18
18
–
–
–
–
Tabelle 8.35 Lösungsverfahren PSG Pre-Post-Follow-up, Aufgabe 5 Pre-Test (N = 99) Post-Test (N = 35) Follow-up-Test (N = 18) Verfahren
n
%
n
%
n
%
keines
60
61
10
29
6
33
Dreisatz
15
15
6
17
2
11
F&O
10
10
1
3
2
11
Prozentstreifen
–
–
18
51
8
44
Sonstige
14
14
–
–
–
–
Fazit Es zeigt sich, dass schwächere Lernende den Prozentstreifen bei allen Aufgaben häufig anwenden. Für den Post-Test liegen die Anwenderzahlen, abgesehen von Aufgabe 5 (51 %), konstant zwischen 70 % und 80 %. Im Follow-up-Test reduzieren sich diese Quoten aus bereits genannten Gründen, dennoch stellen sie das häufigste Lösungsverfahren bei allen Aufgaben dar (31 %–61 %).
182
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Diese Raten sinken mit zunehmendem Leistungsniveau. Allerdings ist der Prozentstreifen auf mittlerem Niveau ebenso das prävalente Verfahren im Post-Test (n = 31, je nach Aufgabe 35 %–65 %) und auch im Follow-up-Test (n = 21) nutzen ihn noch 23 %–35 %. Jedoch tritt dort das Dreisatzverfahren ohne Zuhilfenahme des Prozentstreifens in den Vordergrund. Ähnlich verhält es sich auf dem höchsten Leistungsniveau. Im Post-Test (n = 32) wird der Prozentstreifen in 47 %–59 % der Fälle eingesetzt, im Follow-up-Test sind es noch 15 %–27 %. Prävalente Lösungsverfahren sind wieder der Dreisatz ohne Zuhilfenahme des Prozentstreifens und die multiplikativen Verfahren. Ausgehend von diesen Daten kann vermutet werden, dass (1) insbesondere Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau den Prozentstreifen als nützliches Instrument für die Bearbeitung von Textaufgaben ansehen, aber auch 2) Lernende der beiden anderen Leistungsniveaus dem visuellen Verfahren einen immanenten Mehrwert zuschreiben. Durch diese Betrachtungen wird ebenso das hohe Integrationspotenzial des Prozentstreifens deutlich, vor allem unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Interventionszeit mit 45 Minuten eher kurz war und postuliert werden kann, dass sich die volle Kraft des Prozentstreifens erst durch konsequentes, mehrmaliges Nutzen über einen längeren Zeitraum entfaltet. Dies wird durch die folgende Aussage bestätigt: “In our opinion teachers should promote drawing the percentage bar for quite a long period, because the students need time to learn to appreciate the bar as a mathematical tool that can be applied in all situations” (Van Galen & Van Eerde, 2013, S. 7).
8.4.5
2d.
Zum Einfluss des Prozentstreifens auf die Lösungshäufigkeiten Inwieweit hat die Anwendung des Prozentstreifens in Kombination mit dem Lösungsverfahren Dreisatz einen positiven Einfluss auf die kurzund langfristigen Lösungshäufigkeiten im Vergleich zum nicht-visuell gestützten Lösungsverfahren Dreisatz? H 2d: Die Hinzunahme des Prozentstreifens zum Lösungsverfahren Dreisatz wirkt sich im Vergleich zum nicht-visuellen Vorgehen sowohl kurz- als auch langfristig positiv auf die Lösungshäufigkeiten aus.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
183
Im Folgenden sollen die zentralen Forschungsfragen zur Wirksamkeit der Interventionen Beantwortung finden. In diesem Kontext werden zwei Vergleiche angestellt. Zum einen gilt es den kurzfristigen Lernzuwachs im Pre-PostTest-Vergleich zu erfassen, zum anderen den langfristigen Lerneffekt im PreFollow-up-Test-Vergleich abzubilden. Dazu werden deskriptive Statistiken und varianzanalytische Verfahren bemüht. Für die Durchführung varianzanalytischer Verfahren11 gelten dabei zwei Prämissen: die Annahme der Normalverteilung sowie Varianzhomogenität. Diese sollen folgend erläutert werden. Prämisse 1: Normalverteilung Für die Berechnung der Normalverteilung lässt sich der KolmogorovAnpassungstest nutzen. Eine signifikante Abweichung von der Normalverteilung besteht bei einem p < ,05 (Bühl, 2014). Sollte dieser Fall eintreten, sind nichtparametrische Tests anzuwenden. Generell ist jedoch zu konstatieren, dass der Kolmogorov-Anpassungstest sehr anfällig gegenüber Ausreißern ist, so dass die Signifikanzen hier genauer zu betrachten sind. Dies wird auch in der Literatur kritisch reflektiert und kann daher relativiert werden. So gelten nach Bortz (2005, S. 286 f.) folgende Aspekte zur Bewertung der Voraussetzungen. Er stützt sich dabei unter anderem auf Glass, Peckham & Sanders (1972) und konstatiert, dass „die Voraussetzungen […] mit wachsendem Umfang der untersuchten Stichproben an Bedeutung verlieren.“ Das ist in den vorliegenden Samples (N = 266/214) der Fall. Dennoch sollen zwei wichtige Kennwerte zur Bestimmung der Normalverteilung betrachtet werden: Schiefe und Kurtosis (Tabelle 8.36). Liegen beide bei 0, so kann Normalverteilung angenommen werden. Umso weiter sich diese Werte von der 0 entfernen, umso größer ist die Abweichung von der anzunehmenden Normalverteilung. Es ist zu erkennen, dass die Werte von 0 abweichen. In diesem Kontext existieren zwei Optionen zu prüfen, ob dennoch Normalverteilung vorliegt. Zum einen kann der entsprechende Schiefe- und Kurtosiswert durch seinen Standardfehler dividiert werden. Der Betrag des Ergebnisses ist dann maßgeblich. Ist dieser größer als 1.96 12 , so liegt eine signifikante Schiefe bzw. ein signifikante Kurtosis vor (Signifikanzniveau von 5 %).
11 Analysis
of Variance, kurz Anova. können die Normalverteilung ausschließen, wenn der Quotient unter −2 oder über +2 liegt. Allerdings weisen Miles & Shevlin (2001, S. 74) darauf hin, dass es zunächst auf den absoluten Wert von Schiefe oder Excess ankommt, ob man sich über Abweichung von der Normalverteilung ernsthafte Sorgen machen muss. Sie geben folgende „Faustregeln“ an: Wenn der absolute Wert von Schiefe oder Excess unter 1 liegt, dann besteht kein Anlass zur Sorge; wenn er zwischen 1 und 2 liegt, dann kann die Abweichung von der
12 Sie
184
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.36 Manuell errechnete Werte zur Überprüfung der Normalverteilung (N = 266)
Pre-Test_TA
Schiefe
SF
Quotient
Kurtosis
SF
Quotient
,099
,149
,664
−,1214
,298
−,407
Anmerkung. SF = Standardfehler
Die Quotientenberechnungen zeigen ein einheitliches Bild, wonach eine Normalverteilung angenommen werden kann. Zusätzlich wird die Betrachtung der absoluten Werte von Schiefe und Kurtosis empfohlen. Miles & Shevlin führen eine Faustregel an, die besagt, dass absolute Werte von ≤ 1 „keinen Anlass zur Sorge“ bieten (Miles & Shevlin, 2001, S. 74). Für den Pre-Test wird diese Faustregel angewendet. Zusammenfassend und für die vorliegende Studie geltend, sollen die Aussagen von Bortz und Miles & Shevlin maßgeblich sein, nach denen der Faktor Normalverteilung bis zu einem gewissen Grad aufgeweicht werden kann, was die Durchführung parametrischer Tests legitimiert. Prämisse 2: Varianzhomogenität Varianzhomogenität ist, neben der Normalverteilung, die zweite Prämisse zur Durchführung der Anova. Die Annahme für die Gleichheit der Varianzen wird verworfen, wenn der entsprechende Levene-Test ein p < ,05 ausgibt. Dieser Test prüft die Gleichheit der Fehlervarianzen, also, ob die Varianzen der abhängigen Variablen in allen Bedingungen gleich sind. Die Varianzanalyse ist jedoch robust gegenüber leichten Verletzungen dieser Annahme (Field, 2009). Aufweichungen sind möglich, da heterogene Varianzen den F-Test nur unerheblich beeinflussen, wenn die untersuchten Stichproben gleichgroß sind (ebd., S. 287). Die Varianzanalyse ist in Summe vor allem bei kleineren Stichproben anfällig, zeigt sich bei (gleich-) großen aber relativ robust (ebd.). Die Anwendung der parametrischen Testverfahren für die vorliegende Studie hat demnach Bestand. Mögliche Verletzungen werden im Ergebnisteil und deren Auswirkungen im Interpretationsteil beachtet.
Normalverteilung bedenklich sein – rein praktisch aber eigentlich doch nicht und bei Werten über 2 sollte man sich wirklich ernsthaft Sorgen machen. Demnach ist also zunächst der absolute Wert zu beurteilen, dann das Verhältnis des Standardfehlers zum absoluten Wert von Schiefe/Excess.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
185
Vergleich 1: Pre-Post-Test-Vergleich (kurzfristiger Lernzuwachs) Deskriptive Statistiken Für die einzelnen Bedingungen schlüsseln sich die Lösungshäufigkeiten wie folgt auf (Tabelle 8.37). Es zeigt sich, dass die Interventionsbedingungen im Pre-PostTest-Vergleich hohe Zuwächse verzeichnen. Für die Wartekontrollgruppe trifft dies erwartungsgemäß nicht zu. Lösungshäufigkeiten Textaufgaben auf der Bedingungsebene Tabelle 8.37 Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene, Mittelwertvergleich, N = 266 (Pre-Post-Test)
Pre-Test
Kontrollgruppe (n = 82)
Prozentstreifengruppe (n = 98)
Dreisatzgruppe (n = 86)
M
M
SD
M
SD
SD
,50
,31
,47
,33
,38
,33
Post-Test ,54
,31
,68
,27
,64
,29
Unterschiede beim ersten Messzeitpunkt Auffällig ist bei Betrachtung der Pre-Test Mittelwerte, dass diese zwischen den Bedingungen partiell stärker divergieren. Mit Hilfe einer einfaktoriellen Varianzanalyse soll daher bestimmt werden, ob sich die verschiedenen Bedingungen in ihrer Leistungsausprägung zum ersten MZP hin möglicherweise signifikant unterscheiden. Sollte das zutreffen, müsste diese Tatsache in die weiteren Berechnungen sowie in die daraus folgenden Interpretationen einfließen. Die Varianzhomogenität, als Prämisse für die Durchführung der Anova, ist gegeben. Der entsprechende Levene-Test ist nicht signifikant (p = ,393). Der KolmogorovSmirnov-Test zur Überprüfung der Normalverteilung hingegen ist signifikant p < ,001. Ebenso signifikant, wenn auch knapp, ist die Bedingungszugehörigkeit F(2,263) = 3,047, p = ,049. Um diese Unterschiede zwischen den drei Bedingungen zu spezifizieren, werden Post-hoc-Tests angewendet. Solche Post-hoc-Tests bestehen aus paarweisen Vergleichen, die sämtliche Vergleiche unter den Bedingungen anstellen. Field (2013) empfiehlt folgende drei Aspekte bei der Auswahl der Post-hoc-Tests zu betrachten: 1. Wie streng kontrolliert der Test den Fehler 1.Art? 2. Wie streng kontrolliert der Test den Fehler 2.Art? 3. Ist der Test robust gegenüber Verletzungen von Annahmen der Anova?
186
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Es existieren zwei Arten von Fehlern beim statistischen Testen: Der Fehler 1. Art (auch: alpha-Fehler) und der Fehler 2. Art (auch: beta-Fehler). Ist die Nullhypothese richtig, wird aber vom Test abgelehnt, so handelt es sich um Typ 1. Das heißt, es gibt keine signifikanten Zusammenhänge, obwohl der Test sie anzeigt. Das Gegenteil passiert beim Typ 2, einer falschen Nullhypothese, die jedoch nicht abgelehnt wird. Es besteht also kein signifikanter Zusammenhang, dennoch wird ein solcher errechnet (Field, 2009). Es existieren in diesem Rahmen diverse Post-hoc-Tests. Hier soll besonders der dritten Frage entsprochen werden, da die Annahme der Normalverteilung verletzt wird. Field schlägt daher die Anwendung mehrerer geeigneter Tests vor. In der vorliegenden Studie sind das der konservative und gut für wenige Vergleiche geeignete Bonferroni-Test und ergänzend der Games-Howell-Test, der hinsichtlich möglicher Varianzheterogenitäten absichern soll.13 Die Testverfahren zeigen, dass die erwähnten Gruppenunterschiede auf die knappe Signifikanz zwischen der KG und der DSG zurückzuführen ist (p = ,05). Zwischen den Interventionsgruppen besteht kein signifikanter Zusammenhang (p = ,274), was für die spätere Auswertung essentiell ist. Parametrische Tests Die eingangs ausgewiesenen deskriptiven Werte deuten bereits auf die Wirksamkeit der Interventionen hin, da sich die Mittelwerte auffällig erhöhen. Im Folgenden werden diese Tendenzen mit Hilfe varianzanalytischer Verfahren untersucht, um fundierte Aussagen über den Einfluss der Interventionen auf die Lösungshäufigkeiten zu treffen. Zunächst einmal soll der Fokus auf die allgemeine Frage nach dem Lernzuwachs gerichtet sein, das heißt statistisch zu prüfen, ob sich dieser über die verschiedenen MZP hinweg überhaupt nachweisen lässt. Weiterhin soll der Einfluss des Faktors Bedingungszugehörigkeit (KG, PSG, DSG) berücksichtigt werden. Es liegen also zwei Faktoren vor, von denen der Faktor MZP ein Faktor mit Messwiederholungen ist. Unter Anwendung einer Anova (zwei MZP) zeigen sich dabei folgende Haupteffekte. So wird der Faktor MZP, im Test der reinen Veränderung, signifikant. Die Anova mit Messwiederholung zeigt, dass sich die durchschnittliche Performanz statistisch signifikant unterschied, F
13 „Bei einem Signifikanztest wird eine Testentscheidung getroffen: signifikanter p-Wert: Nullhypothese wird abgelehnt oder nicht signifikanter p-Wert: Nullhypothese wird nicht abgelehnt. Diese Entscheidung kann falsch sein. Der Fehler 1. Art wird mit dem Signifikanzniveau (5 %) kontrolliert (Field, 2009, S. 374).“ Es werden hier immer die Testresultate des Bonferroni-Tests dargestellt, es sei denn es gibt gravierende Abweichungen zu den Ergebnissen des Games-Howell-Tests.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
187
(1,263) = 108,525, p < ,001, partielles η2 = ,292, was deutlich auf einen Lernzuwachs schließen lässt. Weiterhin gibt es, wenn auch schwache, Interaktionseffekte zwischen den Faktoren MZP und Bedingung, die ebenfalls signifikant sind: F (2,263) = 16,525, p < ,001, partielles η2 = ,112. Schülerinnen und Schüler lernen demnach unterschiedlich in den Gruppen dazu. Genannte Aspekte zeigen sich deutlich in Abbildung 8.1. Der Levene-Test auf Gleichheit der Fehlervarianzen ist weder für den Pre-Test (p = 393), noch für den Post-Test (p = ,365) signifikant.
Abbildung 8.1 Mittelwertentwicklung Pre- und Post-Test (kurzfristiger Lernzuwachs)
Vergleich 2: Pre-Follow-up-Test (langfristiger Lernzuwachs) Deskriptive Statistiken Für die einzelnen Bedingungen schlüsseln sich die Lösungshäufigkeiten wie folgt auf (Tabelle 8.38). Es zeigt sich, dass auch hier die Interventionsbedingungen im Pre-Post-Vergleich Zuwächse verzeichnen, wobei diese für die PSG höher
188
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
ausfallen. Für die Kontrollgruppe sind keine Zuwächse zu verzeichnen. Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass sich das Ausgangssample in diesem Vergleich verändert hat, da hier nur die Schülerinnen und Schüler in die Betrachtungen einbezogen wurden, die an diesen beiden Messzeitpunkten zugegen waren. Tabelle 8.38 Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene, Mittelwertvergleich, N = 214 (Pre-Follow-up-Test) Kontrollgruppe (n = 76)
Prozentstreifengruppe (n = 65)
Dreisatzgruppe (n = 73)
M
M
M
SD
SD
SD
Pre-Test
,48
,30
,54
,32
,39
,34
Follow-up-Test
,49
,32
,69
,24
,48
,32
Lösungshäufigkeiten Textaufgaben auf der Bedingungsebene Auch hier wird der Faktor MZP, im Test der reinen Veränderung, signifikant. Die Anova mit Messwiederholung zeigt, dass sich die durchschnittliche Performanz statistisch signifikant unterschied, F (1,211) = 14,700, p < ,001, partielles η2 = ,065. Weiterhin gibt es, wenn auch schwächere, Interaktionseffekte zwischen den Faktoren MZP und Bedingung, die ebenfalls signifikant sind, F (2,211) = 3,646, p < ,028, partielles η2 = ,033. Schülerinnen und Schüler der drei Gruppen lernen demnach auch in diesem Vergleich unterschiedlich dazu. Dies wird in Abbildung 8.2 sichtbar. Der Levene-Test auf Gleichheit der Fehlervarianzen ist für den Pre-Test (p = ,275) nicht signifikant, was nicht auf den Follow-up-Test zutrifft (p < ,001).
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
189
Abbildung 8.2 Mittelwertentwicklung Pre- und Follow-up-Test (langfristiger Lernzuwachs)
Fazit Die Betrachtungen zeigen eines deutlich auf: Schülerinnen und Schüler lernen über die verschiedenen MZP betrachtet unterschiedlich stark. Dabei entstehen signifikante Unterschiede, die jedoch nicht näher spezifiziert werden. Zwar deuten deskriptive Statistiken und entsprechende Profildiagramme diese Unterschiede an, jedoch bedarf es weiterer Analysen. Darüber hinaus werden insbesondere die unterschiedlichen Ausgangs-voraussetzungen (Mittelwerte der einzelnen Gruppen zu MZP 1) deutlich. Die Anova beachtet diesen Umstand jedoch nicht, was dazu führt, dass die Unterschiede zwischen den Gruppen nur bedingt interpretierbar sind. So liegen die Mittelwerte für KG und PSG höher als für die DSG. Aus diesem Grund könnte zum einen die Chance für die Steigerung der Lösungshäufigkeiten für diese Gruppen per se geringer sein, zum anderen könnte der Faktor Bedingung unterschiedlich stark wirken. Um die erwähnten Unterschiede auffangen zu können oder anders formuliert herauszurechnen, werden Kovariaten in die
190
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
statistischen Berechnungen integriert (auch Kovarianzanalyse, kurz: Ancova14 ), denn mit Hilfe „der Kovarianzanalyse wird der Einfluss einer Kontrollvariablen auf die abhängige Variable ,neutralisiert‘“ (Bortz, 2006, S. 362). Im vorliegenden Fall wird die Pre-Test-Leistung diese Kovariate darstellen. Ausgehend von dieser, werden nun entsprechende Berechnungen angestellt. Für die (inhaltlichen) Darstellungen bedeutet dies, dass nun nicht mehr prozesshafte Veränderungen abgebildet werden, sondern der Vergleich auf einer punktuellen Ebene, unter Beachtung des Einflusses der Pre-Test-Leistung stattfindet. Kurzfristiger Lernzuwachs Die Mittelwerte bleiben unverändert (Tabelle 8.38). Für die statistischen Berechnungen fungiert der Post-Test als abhängige Variable (AV), die Bedingungszugehörigkeit als fester Faktor. Die Kovariate bildet die Pre-Test-Leistung. Der Levene-Test auf Gleichheit der Fehlervarianzen ist nicht signifikant (p = ,332). Die Ancova zeigt, dass sich die durchschnittliche Performanz auf der Bedingungsebene statistisch signifikant unterschied, F (2,262) = 15,127, p < ,001, partielles η2 = ,104. Die Kovariate Pre-Test-Leistung als AV hat einen signifikanten Effekt auf die Post-Test-Leistung, F(1,262) = 178,213, p < ,001, partielles η2 = ,405. Von besonderem Interesse sind die paarweisen Vergleiche. Diese zeigen einen signifikanten Unterschied (p < ,001) in der Performanz zwischen der Prozentstreifengruppe und der Kontrollgruppe (0,16, 95 %-CI[0,078; 0,238]) sowie einen signifikanten Unterschied (p < ,001) zwischen der Dreisatzgruppe und der Kontrollgruppe (0,17, 95 %-CI[0,085; 0,252]). Diese Werte zeigen die Wirksamkeit beider Interventionen gegenüber der Wartekontrollgruppe. Untereinander unterscheiden sich die Interventionsgruppen nicht signifikant in ihrer Performanz (p = 1), (−0,01, 95 %-CI[−0,09; 0,069]). Grafisch spiegeln sich diese Ergebnisse wie folgt wider (Abbildung 8.3). Langfristiger Lernzuwachs Auch hier bleiben die Mittelwerte unverändert (Tabelle 8.38). Für die statistischen Berechnungen fungiert der Follow-up-Test als abhängige Variable (AV), die Bedingungszugehörigkeit als fester Faktor. Die Kovariate bildet weiterhin der Pre-Test. Der Levene-Test auf Gleichheit der Fehlervarianzen ist nicht signifikant (p = ,077). Die Ancova zeigt, dass sich die durchschnittliche Performanz auf der Bedingungsebene statistisch signifikant unterscheidet, F (2,210) = 8,283, p < ,001, partielles η2 = ,073. Die Kovariate Pre-Test-Leistung als AV hat einen signifikanten Effekt auf die Follow-up-Test-Leistung, F(1,210) = 63,493, p < ,001, partielles η2 = ,232.
14 Analysis
of Covariance
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
191
Abbildung 8.3 Mittelwertvergleiche Post-Test (Ancova). (Die Kovariaten im Modell werden anhand des Pre-Test Wertes,4511 berechnet.)
Ein Blick auf die paarweisen Vergleiche zeigt einen signifikanten Unterschied (p < ,001) in der Performanz zwischen der Prozentstreifengruppe und der Kontrollgruppe (0.17, 95 %-CI[0,065; 0,280]) sowie einen signifikanten Unterschied (p = ,007) zwischen der Prozentstreifengruppe und der Dreisatzgruppe (0,14, 95 %-CI[0,031; 0,251]). Die Dreisatzgruppe als zweite Interventionsgruppe hingegen zeigt gegenüber der Kontrollgruppe keine signifikanten Unterschiede (p = 1) in der nachhaltigen Performanz (0,03, 95 %-CI [−0,073; 0,136]). Diese Werte deuten die Unterschiede in der langfristigen Wirksamkeit der Interventionen an, wie die Abbildung 8.4 verdeutlicht.
192
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Abbildung 8.4 Mittelwertvergleiche Follow-up-Test (Ancova). (Die Kovariaten im Modell werden anhand des Pre-Test Wertes,4664 berechnet.)
Fazit Die Varianzanalysen für die Pre-Post- und Follow-up-Test-Vergleiche zeigen, dass Schülerinnen und Schüler im Vergleich des kurzfristigen Lernzuwachses von beiden Interventionsgruppen gleichermaßen profitieren. Diese Annahme ist für die Untersuchung der langfristigen Lernzuwächse (Pre-Follow-up-Test-Vergleich) differenzierter zu betrachten. Es zeigen sich zwar auf der Prozessebene Verbesserungen in beiden Gruppen (Anova ohne Kovariate: PSG p < ,001; DSG p = ,021), diese unterscheiden sich aber punktuell deutlich voneinander, wie bereits die Wahrscheinlichkeiten andeuten. Eindeutiger wird dies durch die Ergebnisse der Kovarianzanalyse, die einen signifikanten Mehrwert für die Prozentstreifengruppe abbildet.
8.4.6
2e.
Zum Einfluss des Prozentstreifens auf die Fehlerhäufigkeiten Inwieweit hat die Anwendung des Prozentstreifens in Kombination mit dem Lösungsverfahren Dreisatz einen positiven Einfluss auf die kurzund langfristige Reduktion bestimmter Fehlerkategorien im Vergleich zum nicht-visuell gestützten Lösungsverfahren Dreisatz?
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
193
H 2d: Die Hinzunahme des Prozentstreifens zum Lösungsverfahren Dreisatz wirkt sich im Vergleich zum nicht-visuellen Vorgehen sowohl kurz- als auch langfristig positiv auf die Reduktion typischer Fehlerkategorien aus. Die in Abschnitt 8.4.3 angeführten deskriptiven Fehleranalysen werden nun durch statistische Berechnungen ergänzt. Der Fokus liegt hierbei auf möglichen Häufigkeitsveränderungen in der kategorialen Ebene. Das gewählte Verfahren ist ein T-Test bei verbundenen Stichproben, mit dem im Pre-Post-Test- und Pre-Follow-up-Test-Vergleich die einzelnen Fehlerkategorien auf ihre Veränderungen untersucht werden. Dazu erfolgt zunächst ein deskriptiver gruppenspezifischer Blick auf die Verteilung der Fehlerkategorien zum ersten MZP. Mit dem Kolmogorov-Smirnov-Test soll die Verteilungsform bestimmt werden. Die Ergebnisse sind eindeutig und belegen für die Gesamtstichprobe eine für jede Fehlerkategorie signifikante Abweichung (p < ,001) von der Normalverteilung. Auch die alternative Betrachtung von Schiefe und Kurtosis (Tabelle 8.39) sowie die Quotientenberechnungen der entsprechenden Schiefe- und Kurtosiswerte bestätigen dies. Da die absoluten Werte größer als Null sind und auch die Quotienten deutlich über dem Grenzwert von 1,96 liegen wird auf die Anwendung des TTests verzichtet. Stattdessen werden für die Analysen nichtparametrische Tests angewendet.
Tabelle 8.39 Betrachtung von Schiefe und Kurtosis zur Überprüfung der Normalverteilung Fehlerkategorie
Schiefe
Quotient
F1
1,593
10,69
Kurtosis 2,215
Quotient 7,43
F2
2,081
13,97
4,948
16,60
F3
1,512
10,15
1,734
5,82
F4
3,196
21,45
10,193
34,20
F5
2,183
14,65
3,869
12,98
F6
2,359
15,83
7,395
24,82
SF
0,149
0,298
Nichtparametrische, auch verteilungsfreie, Tests werden überall da angewendet, „wo die Annahme der Normalverteilung nicht aufrechterhalten werden kann.
194
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
(…) Sie haben im Allgemeinen eine Effizienz von 95 % der entsprechend parametrischen Tests“ (Bühl, 2014, S. 359). Ihr Vorteil liegt in der Verarbeitung von Rangplätzen, im Gegensatz zu der Verarbeitung der Messwerte selbst. Dieses Rangverfahren ist daher unempfindlicher gegenüber Ausreißern. Verglichen werden folgend die Häufigkeitsveränderungen in den einzelnen Fehlerkategorien im Pre-Post-Test-Vergleich und Pre-Follow-up-Test-Vergleich. Es werden demnach zwei abhängige Stichproben miteinander verglichen. Diese heißen voneinander abhängig, wenn jedem Wert der einen Stichprobe, hier bezogen auf die Messzeitpunkte (Messwiederholung), sinnvoll und eindeutig ein Wert einer anderen Stichprobe zugeordnet werden kann (Bühl, 2014). Das gewählte nichtparametrische Testverfahren ist der Wilcoxon-Test, auch Wilcoxon signed-rank test. Er „ist der übliche Test zum nichtparametrischen Vergleich [und] er basiert auf einer Rangreihe der absoluten Wertepaardifferenzen“ (Bühl, 2014, S. 366). Der Wilcoxon-Test ist damit der “non-parametric counterpart of the dependent t-test” (Field, 2009, S. 345). Dabei soll die Frage beantwortet werden, ob sich die zentralen Tendenzen der Stichproben unterscheiden. Ausgewiesen werden im Rahmen der Analysen a) negative Differenzen (Negative Ränge) das heißt, dass der Mittelwert (MW Post – MW Pre), also die Fehlerhäufigkeit niedriger wird (Lernende begehen weniger Fehler), b) positive Differenzen (Positive Ränge), denen zu entnehmen ist, dass die Fehlerhäufigkeit (der Mittelwert) steigt (Lernende machen mehr Fehler) und c) Bindungen (Nulldifferenzen), die für keine Veränderungen stehen (Lernende machen gleich viele Fehler). Für eine bessere Verständlichkeit werden zunächst die deskriptiven Statistiken und anschließend die Ranganalysen des Wilcoxon-Tests tabellarisch dargestellt. Daran schließen sich jeweils die Testanalysen für die einzelnen Gruppen an, bevor abschließend ein Fazit formuliert wird. Pre-Post-Test-Vergleich Ein Blick auf die deskriptiven Statistiken (Tabelle 8.40) lässt die Vermutung zu, dass sich • in der KG nur marginale Veränderungen ergeben. • die Fehlerhäufigkeiten vor allem in der PSG in den Kategorien F1, F2 und F5 deutlich verringern und in der Kategorie F4 deutlich erhöhen.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
195
• in der DSG in den Kategorien F2 (Verringerung) und F3 (Erhöhung) größere Änderungen ergeben.
Tabelle 8.40 Fehlerhäufigkeit auf kategorialer Ebene (Mittelwertvergleich) im Pre-PostTest- Vergleich (N = 266) KG (n = 82)
PSG (n = 98)
DSG (n = 86)
Pre (SD)
Post (SD)
Pre (SD)
Post (SD)
Pre (SD)
Post (SD)
F1
,30 (,60)
,27 (,59)
,37 (,60)
,18 (,51)
,34 (,50)
,33 (,69)
F2
,50 (,81)
,59 (,82)
,32 (,67)
,12 (,33)
,67 (1,0)
,17 (,69)
F3
,50 (,63)
,57 (,70)
,50 (,82)
,56 (,69)
,40 (,69)
,65 (,81)
F4
,12 (,33)
,12 (,33)
,12 (,39)
,27 (,55)
,07 (,26)
,15 (,39)
F5
,16 (,40)
,12 (,33)
,20 (,43)
,04 (,20)
,13 (,34)
,10 (,31)
F6
,54 (,92)
,49 (,72)
,45 (,72)
,52 (,56)
,53 (,82)
,49 (,61)
Anmerkung. F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis, F6 Verständnis Prozentrechnen fehlt
Die dazugehörigen Ranganalysen sollen dieses Bild auf der Testebene verdeutlichen und bestätigen die bereits deskriptiv geäußerten Vermutungen, wonach sich lediglich für die Interventionsgruppen bedeutsame Veränderungen ergeben (Tabelle 8.41). Testanalyse Die Vermutungen zur Ranganalyse bestätigen sich in der Teststatistik (z)15 und den daraus resultierenden Testaussagen. Die Auswertungen beziehen sich für die Interventionsgruppen folgend ausschließlich auf signifikante Veränderungen in den Fehlerkategorien.16 Um die Bedeutsamkeit der signifikanten Veränderungen zu beurteilen, ist die Berechnung der Effektstärke unerlässlich. Es existieren verschiedene Wege Effektstärken zu bestimmen, unter anderem in Abhängigkeit von der Stichprobengröße. Liegen beispielsweise sich stark unterscheidende Samplegrößen vor, so ist Cohens d auszuwählen (Bühl, 2014). Da dies im vorliegenden Datensatz nicht der Fall ist, wird die geschätzte Effektgröße r nach Rosenthal 15 „SPSS 16 In
rien.
converts the test statistics into a z-score“ (Field, 2009, S. 550). der Kontrollgruppe existieren keine signifikanten Änderungen für die Fehlerkatego-
196
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.41 Ranganalyse auf kategorialer Ebene Pre-Post-Test-Vergleich (N = 266) KG (n = 82)
PSG (n = 98)
DSG (n = 86)
Neg.
Pos.
Bind.
Neg.
Pos.
Bind.
Neg.
Pos.
Bind.
F1
13
11
58
26
10
62
17
10
59
F2
14
22
46
20
7
71
32
6
48
F3
20
21
41
20
28
50
11
28
47
F4
8
8
66
7
18
73
6
12
68
F5
9
7
66
17
2
79
9
7
70
F6
15
14
53
13
24
61
17
16
53
Anmerkung. positive Ränge (Verschlechterungen), negative Ränge (Verbesserungen). F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis, F6 Verständnis Prozentrechnen fehlt
angewendet (Field, 2009). Für die Interpretation der Effekte gilt folgende Einteilung: r = ,10 entspricht einem kleinen Effekt; r = ,30 entspricht einem mittleren Effekt und r = ,50 entspricht einem starken Effekt (Döring & Bortz, 2016, S. 820). Die Ergebnisse werden durch eine abschließende Tabelle (8.42) übersichtlich dargestellt. Prozentstreifengruppe F1 Falsche Zuordnung: Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −2,19, p = ,028, n = 98). Die Effektstärke liegt bei r = ,22 und entspricht einem kleinen bis mittleren Effekt. F2 Anwendung unverstandener Regeln: Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −2,72, p = ,006, n = 98). Die Effektstärke liegt bei r = ,28 und entspricht einem mittleren Effekt. F4 Flüchtigkeitsfehler: Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant höher als davor (z = −2,01, p = ,045, n = 98). Die Effektstärke liegt bei r = ,20 und entspricht einem kleinen bis mittleren Effekt. F5 Teilergebnis als Endergebnis: Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −3,41, p = ,001, n = 98). Die Effektstärke liegt bei r = ,34 und entspricht einem mittleren Effekt.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
197
Tabelle 8.42 Übersicht zu der Testanalyse (Pre-Post-Test-Vergleich) Kategorie
PSG (n = 98)
DSG (n = 86)
z
p
r
z
p
r
F1
−2,19
,028
,22
–
–
F2
−2,73
,006
,28
−3,89
,001
,42
F3
–
–
–
−2,52
,001
,27
F4
−2,01
,045
,20
–
–
–
F5
−3,41
,001
,34
–
–
–
Anmerkung. F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis
Dreisatzgruppe F2 Anwendung unverstandener Regeln: Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −3,89, p < ,001, n = 86). Die Effektstärke liegt bei r = ,42 und entspricht einem mittleren bis starken Effekt. F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler: Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant höher als davor (z = −2,52, p < ,001, n = 86). Die Effektstärke liegt bei r = ,27 und entspricht einem mittleren Effekt. Fazit Pre-Post-Test-Vergleich Die Ergebnisse des nichtparametrischen Testverfahrens Wilcoxon-Test zeigen für den Pre-Post-Test-Vergleich statistisch bedeutsame Veränderungen für die Interventionsgruppen. Gleichermaßen erfahren Lernende dieser Gruppen eine signifikante Reduktion der Fehlerkategorie Anwendung unverstandener Regeln und Formeln (F2). Dies lässt sich jeweils auf die Wiederholung des Dreisatzes zurückführen. Dem gegenüber stehen für die Dreisatzgruppe signifikante Erhöhungen für die Fehlerkategorie Rechen-, Rundungs- und Kommafehler (F3). Ob ein Zusammenhang im Sinne der CLT (Lernende konzentrieren sich auf die Verfahren) zur Reduktion der Verfahrensfehler besteht, ist eine Vermutung, soll hier aber nicht bewiesen werden. Die Lernenden der Prozentstreifengruppe hingegen erfahren eine solche Erhöhung auf der Ebene der Flüchtigkeitsfehler (F4). Hier könnte womöglich ein ähnlicher Zusammenhang hergestellt werden. Signifikante Reduktionen zeigen sich für die PSG neben der Fehlerkategorie Teilergebnis als Endergebnis (F5) auch für die Zuordnungsfehler (F1). Das Anwenden des Prozentstreifens wirkt also auf drei Fehlerkategorien im Sinne eines besseren (Aufgaben-)Verständnisses ein. Alle Effektstärken deuten tendenziell auf mittlere Effekte hin.
198
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.43 Fehlerhäufigkeit auf kategorialer Ebene, Pre-Follow-up (N = 214) KG (n = 76)
PSG (n = 65)
DSG (n = 73)
Pre (SD)
FU (SD)
Pre (SD)
FU (SD)
Pre (SD)
FU (SD)
F1
,33 (,62)
,20 (,43)
,38 (,65)
,17 (,38)
,30 (,49)
,33 (,53)
F2
,51 (,81)
,21 (,44)
,28 (,57)
,08 (,27)
,64 (1,0)
,25 (,52)
F3
,49 (,62)
,66 (,81)
,51 (,81)
,52 (,69)
,36 (,63)
,49 (,78)
F4
,12 (,33)
,11 (,35)
,08 (,27)
,14 (,39)
,08 (,28)
,07 (,25)
F5
,16 (,40)
,26 (,50)
,14 (,35)
,22 (,41)
,14 (,35)
,27 (,51)
F6
,55 (,94)
,54 (,77)
,37 (,52)
,32 (,47)
,55 (,80)
,55 (,69)
Kategorie
Anmerkung. F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis, F6 Verständnis Prozentrechnen fehlt
Pre-Follow-up-Test-Vergleich Ein Blick auf die deskriptiven Statistiken (Tabelle 8.43) lässt die Vermutung zu, dass sich • in der KG, abgesehen von Kategorie F2, abermals keine signifikanten Veränderungen ergeben. • die Fehlerhäufigkeiten in der PSG in den Kategorien F1 und F2 deutlich verringern. • in der DSG in den Kategorien F2 (Verringerung) und F5 (Erhöhung) Änderungen ergeben. Die entsprechenden Ranganalysen (Tabelle 8.44) verdeutlichen die auf Basis der deskriptiven Daten entstandenen Aussagen auf der Testebene und bestätigen die Vermutungen, wonach sich in allen drei Bedingungen bedeutsame Veränderungen ergeben. Testanalyse Die Auswertungen beziehen sich wie im Vergleich zuvor ausschließlich auf signifikante Veränderungen in den Fehlerkategorien. Kontrollgruppe F2 Anwendung unverstandener Regeln Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −3,35, p = ,001, n = 76). Die Effektstärke liegt bei r = ,38 und entspricht einem mittleren Effekt.
8.4 Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
199
Tabelle 8.44 Rangbeschreibung auf kategorialer Ebene, Pre-Follow-up (N = 214) KG (n = 76)
PSG (n = 65)
DSG (n = 73)
Kategorie
Neg.
Pos.
Bind.
Neg.
Pos.
Bind.
Neg.
Pos.
Bind.
F1
15
7
54
17
7
41
14
14
45
F2
22
5
49
14
4
47
26
7
40
F3
18
26
32
14
17
34
12
18
43
F4
7
5
64
3
6
56
6
5
62
F5
6
13
57
6
11
48
6
14
53
F6
17
17
42
13
10
42
17
17
39
Anmerkung. positive Ränge (Verschlechterungen), negative Ränge (Verbesserungen). F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F3 Rechen-, Rundungs- und Kommafehler, F4 Flüchtigkeitsfehler, F5 Teilergebnis als Endergebnis, F6 Verständnis Prozentrechnen fehlt
Prozentstreifengruppe F1 Falsche Zuordnung Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −2,27, p = ,023, n = 65) Die Effektstärke liegt bei r = ,28 und entspricht einem mittleren Effekt. F2 Anwendung unverstandener Regeln Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −2,45, p = ,014, n = 65). Die Effektstärke liegt bei r = ,30 und entspricht einem mittleren Effekt. Dreisatzgruppe F2 Anwendung unverstandener Regeln Die Fehlerhäufigkeiten sind signifikant geringer als davor (z = −3,14, p = ,002, n = 73). Die Effektstärke liegt bei r = ,37 und entspricht einem mittleren Effekt. F5 Teilergebnis als Endergebnis Die Fehlerhäufigkeiten sind (knapp) signifikant höher als davor (z = −1,97, p = ,049, n = 73). Die Effektstärke liegt bei r = ,23 und entspricht einem mittleren Effekt (Tabelle 8.45). Fazit Pre-Follow-up-Test-Vergleich Die Ergebnisse liefern für den Pre-Follow-up-Test-Vergleich statistisch bedeutsame Befunde in allen drei Gruppen. Gemeinsam ist, dass sie Fehlerreduktionen der Kategorie Anwendung unverstandener Regeln und Formeln (F2), jeweils
200
8
Zum Einfluss des Prozentstreifens – quantitative Analysen …
Tabelle 8.45 Übersicht zu der Testanalyse (Pre-Follow-up-Test-Vergleich) PSG (n = 65)
DSG (n = 73) z
p
KG (n = 76)
Kategorie
z
p
r
r
z
p
r
F1
−2,27
,023
,28
–
–
–
–
–
–
F2
−2,45
,014
,30
−3,14
,002
,37
−3,35
,001
,38
F5
–
–
–
−1,97
,049
,23
–
–
–
Anmerkung. F1 Falsche Zuordnung, F2 Anwendung unverstandener Regeln und Formeln, F5 Teilergebnis als Endergebnis
mit mittleren bis starken Effekten, aufweisen. Während dies in den Interventionsbedingungen auf die Interventionen zurückzuführen ist, könnten Lernende der Kontrollgruppe Lernzuwächse über die Zeit verzeichnet haben. Für die Dreisatzgruppe zeigen sich indes signifikante Fehlererhöhungen auf der Verständnisebene (F5 Teilergebnis als Endergebnis), während für Lernende der Prozentstreifengruppe, wie schon im Pre-Post-Test-Vergleich, ein Verständniszuwachs im Bereich der Zuordnungen (F1) konstatiert werden kann. Das Anwenden des Prozentstreifens begünstigt also auch im langfristigen Vergleich ein besseres (Aufgaben-) Verständnis.
8.5
Zusammenfassung der statistischen Auswertungen
Die statistischen Analysen tragen in ihrer Summe dazu bei ein holistisches Bild zur Prozentrechnung auf verschiedenen Ebenen abzubilden. Dieses soll folgend zusammenfassend festgehalten werden. So bestätigten sich zunächst die bereits in der Theorie verankerten Annahmen zu den durchwachsenen Lösungshäufigkeiten von Schülerinnen und Schülern beim Bearbeiten von Prozentaufgaben. Besonders auffällig sind dabei die 20 % der Schülerinnen und Schüler, die keine einzige Aufgabe lösen konnten. Außerdem deutete sich ein Zusammenhang zwischen den Lösungshäufigkeiten und den gewählten Lösungsverfahren an, der darauf hinweist, dass geringe Lösungshäufigkeiten mit unstrukturierten Lösungswegen einhergehen. Beim Bearbeiten der Prozentaufgaben entstehen außerdem typische Fehler, die hauptsächlich auf ein generelles Unverständnis für die Prozentrechnung sowie formale, verfahrens- und zuordnungstechnische Fehler zurückzuführen sind. Daraus ist ein dringender Bedarf an weiteren, lernund verständnisfördernden Maßnahmen abzuleiten, wie es beispielsweise die
8.5 Zusammenfassung der statistischen Auswertungen
201
Integration des Prozentstreifens in die Lösungsprozesse vorsieht. Das hohe Integrationspotenzial des Prozentstreifens, also die hohe Prozentzahl an Lernenden, die den Prozentstreifen sowohl im Post- als auch im Follow-up-Test in ihre Lösungsverfahren integrieren, unterstreicht einerseits seine intuitive und flexible Handhabung und andererseits seinen immanenten Mehrwert. Sein Potenzial zeigt sich darin, dass ihn insbesondere schwächere Lernende als nützliches Instrument für die Bearbeitung von Textaufgaben ansehen, ihm aber auch Lernende höherer Leistungsniveaus einen Mehrwert zusprechen. Hinsichtlich der Leistungsentwicklung, also auf der Ebene der Wirksamkeit der Interventionen ist ein differenzierender Blick notwendig. Die durchgeführten Varianzanalysen zeigen im Pre-Post-Test-Vergleich signifikante Verbesserungen in beiden Gruppen. Hier besitzt die Einbindung des Prozentstreifens als Hilfsmittel im Vergleich zur Dreisatzgruppe noch keinen sichtbaren Vorteil. Dies ändert sich jedoch im Pre-Follow-up-Test-Vergleich, der einen signifikanten Mehrwert für die Prozentstreifengruppe abbildet. Einen Einfluss auf die Lösungshäufigkeiten übt in diesem Rahmen das entsprechende Fehlervorkommen auf. Im Gegensatz zur Dreisatzgruppe reduzieren sich bereits im Post-Test Fehler in den Kategorien Zuordnung (F1) und Teilschritte berechnet (F5) und tragen somit zu einem besseren (Aufgaben-) Verständnis bei. Noch deutlicher fällt der Unterschied im Follow-up-Test aus, bei dem die Prozentstreifengruppe abermals einen statistisch signifikanten Verständniszuwachs (Fehlerreduktion) im Bereich der Zuordnungen (F1) verzeichnen kann und somit einem der Hauptfehler der Prozentrechnung entgegenwirkt (Abschnitt 1.5.3). Für die Dreisatzgruppe sind dagegen Fehlererhöhungen im Bereich der Verständnisebene (F5 Teilschritte berechnet) zu konstatieren.
9
Ergänzende Analysen zum Prozentstreifen
Die bisherigen Ausführungen haben die Forschungsfragen zum Einfluss des Prozentstreifens (Abschnitt 8.1) in ihren Ergebnissen vollständig dargestellt. Im Verlauf der Studie haben sich jedoch weitere Erkenntnisfelder aufgetan, die ergänzende Aussagen zu den Interventionen zulassen. Diese vertiefenden Betrachtungen fokussieren zwei ausgewählte Aspekte: die Wirksamkeit der Interventionen unter dem Aspekt der Einteilung der Lernenden nach drei mathematischen Leistungsniveaus gering, mittel und hoch (Abschnitt 9.2 Ergänzende Analyse I) und b) die Frage, ob das Zeichnen des Prozentstreifens innerhalb der Prozentstreifengruppe im Vergleich zum Nicht-Zeichnen einen Einfluss auf die Lösungshäufigkeiten hat (Abschnitt 9.3 Ergänzende Analyse II). Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen und Hypothesen.
9.1 3a.
Forschungsfragen Welche Wirksamkeit haben die Treatments, insbesondere das der Prozentstreifengruppe, auf Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher mathematischer Leistungsniveaus? H 3a: Hinweise zur unterschiedlichen Nutzung des Prozentstreifens lassen vermuten, dass das Treatment bei Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher mathematischer Leistungsniveaus, gemäß der Aptitude-Treatment-Interaktion andersartig wirkt. Insbesondere Lernende mit geringem mathematischen Leistungsniveau profitieren von der strukturierten Interventionsgestaltung.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Thiede, Der Prozentstreifen als Hilfsmittel bei Prozentaufgaben, Freiburger Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31813-0_9
203
204
3b.
9
Ergänzende Analysen zum Prozentstreifen
Zeigen sich auf Basis der quantitativen Daten höhere Lösungshäufigkeiten für Schülerinnen und Schüler, die den Prozentstreifen zeichnen?
Diese Fragen erweitern die bisher berichteten eigenen Forschungsergebnisse. In den folgenden Kapiteln werden sie jeweils hergeleitet und im Kontext der Studie verortet.
9.2
Ergänzende Analyse I: Wirksamkeit der Treatments auf Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Leistungsniveaus
Es haben sich im Rahmen der qualitativen und quantitativen Untersuchungen Indizien ergeben, die auf Unterschiede in der Wirksamkeit des Treatments Prozentstreifen hinsichtlich der Lernenden unterschiedlicher mathematischer Leistungsniveaus hindeuten. So haben insbesondere Schülerinnen und Schüler des geringen mathematischen Leistungsniveaus einen Mehrwert der Prozentstreifenanwendung bei der Bearbeitung von Textaufgaben artikuliert. Diesen Mehrwert sehen zwar auch Schülerinnen und Schüler des hohen mathematischen Leistungsniveaus, jedoch nutzen sie den Prozentstreifen in anderer Art und Weise, da sie ihn auf Grund ihrer fortgeschrittenen prozeduralen und konzeptuellen Sicherheit für den Lösungsprozess selbst kaum benötigen. Dieser Sachverhalt kann der so genannten Aptitude-Treatment-Interaktion (ATI) zugeordnet werden, ein Begriff aus der Pädagogischen Psychologie, der die Tatsache bezeichnet, dass die Effektivität bestimmter instruktionaler Maßnahmen (hier das Prozentstreifen-Treatment) von bestimmten Merkmalen der Lernenden (aptitude) abhängt. Diese Aussage gründet auf der Annahme, dass es kein Treatment gibt, welches gleichermaßen für alle Lernenden erfolgversprechend ist. Etwaige Forschungsanstrengungen zur ATI haben in der Vergangenheit zwar heterogene Ergebnisse hervorgebracht, dennoch existieren abgesicherte Generalisierungen bezüglich der Wirksamkeit von Lernarrangements (Snow, 1989). Eine dieser Annahmen ist dabei von eminenter Bedeutung für die vorliegende Studie. Demnach sind stark strukturierte und lehrergesteuerte Lernarrangements besonders für Lernende mit ungünstigen Lernvoraussetzungen wie niedriger Intelligenz oder geringem domänenspezifisches Vorwissen wirksam (ebd.). Um das gezeichnete Bild detaillierter zu gestalten, werden die bereits durchgeführten statistischen Betrachtungen zur Forschungsfrage 3d zum Einfluss des Prozentstreifens um eine weitere Komponente ergänzt. Dazu wird die Einteilung
9.2 Ergänzende Analyse I: Wirksamkeit der Treatments…
205
der Schülerinnen und Schüler in mathematische Leistungsniveaus (Leistungsgruppen), gemäß ihrer Leistung im Pre-Test, beibehalten: • gering (keine/eine Aufgabe richtig gelöst) • mittel (zwei/drei Aufgaben richtig gelöst) und • hoch (vier/fünf Aufgaben richtig gelöst). Ziel ist es, genauere Aussagen darüber treffen zu können, welchen kurz- und langfristigen Wirkungsgrad die Interventionen für die Schülerinnen und Schüler der unterschiedlichen Leistungsniveaus erzielen. Es sei darauf hingewiesen, dass die Einteilung der Schülerinnen und Schüler in Leistungsniveaus auf Grundlage der Pre-Test-Leistung einer gewissen Zufallsanfälligkeit unterliegt, da diese auf Basis einer einmaligen Leistungsmessung erfolgte. Diese methodische Limitation muss daher bei der späteren Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Ebenso können die aus der Einteilung entstehenden Teilgruppengrößen aussagelimitierend sein, da sie partiell relativ klein und daher nur vorsichtig interpretierbar sind, auch wenn die Ancova als varianzanalytisches Verfahren auch bei kleineren Fallzahlen als recht robust gilt. Die Ergebnisse der Kovarianzanalyse werden nun in der Reihenfolge der drei Leistungsniveaus dargestellt. Dabei werden zunächst die deskriptiven Statistiken angeführt, bevor die Ergebnisse der Kovarianzanalyse beschrieben werden. Für die statistischen Berechnungen fungieren der Post-Test für die Untersuchung des kurzfristigen Lernzuwachses und der Follow-up-Test für die Untersuchung des langfristigen Lernzuwachses als abhängige Variablen (AV), die Bedingungszugehörigkeit als fester Faktor. Die Kovariate bildet der Pre-Test.
9.2.1
Kurzfristige Wirksamkeit
Leistungsgruppe 1 (geringes mathematisches Leistungsniveau) Ein Blick auf die deskriptiven Statistiken zeigt ein differenziertes Bild, welches zwar für alle drei Bedingungen Zuwächse verzeichnet, jedoch deutliche Unterschiede aufzeigt. So sind die Zuwächse für die Kontrollgruppe gering und können damit erklärt werden, dass möglicherweise schon die Partizipation an den Tests, also die reine Wiederholung (Erinnerungseffekte) der Aufgaben zu einer Verbesserung führt (alternativ Regressionseffekt). Die Lernenden in den Interventionsbedingungen hingegen erfahren hohe Zuwächse, was auf die Wirksamkeit der Bedingungen schließen lässt (Tabelle 9.1).
206
9
Ergänzende Analysen zum Prozentstreifen
Tabelle 9.1 Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 99) Pre-Test n
Post-Test M
SD
n
M
SD
Kontrollgruppe
23
,11
,10
23
,21
,19
Prozentstreifengruppe
35
,09
,10
35
,51
,28
Dreisatzgruppe
41
,08
,10
41
,48
,30
Der Levene-Test auf Gleichheit der Fehlervarianzen ist nicht signifikant (p = ,057). Die Ancova zeigt, dass sich die durchschnittliche Performanz auf der Bedingungsebene statistisch signifikant unterschied, F (2,95) = 11,643, p < ,001, partielles η2 = ,197. Die Kovariate Pre-Test-Leistung hat einen signifikanten Effekt auf die Post-Test-Leistung als AV, F(1,95) = 5,805, p = ,018, partielles η2 = ,058. Ein Blick auf die paarweisen Vergleiche zeigt einen signifikanten Unterschied (p < ,001) in der Performanz zwischen der Prozentstreifengruppe und der Kontrollgruppe (0,32, 95 %-CI[0,179; 0,461]). Die Dreisatzgruppe als zweite Interventionsgruppe zeigt gegenüber der Kontrollgruppe ebenfalls signifikante Unterschiede (p < ,001) in der Performanz (0,289, 95 %-CI[0,151; 0,426]). Diese Werte zeigen die Wirksamkeit der Interventionen für Schülerinnen und Schüler mit geringem mathematischen Leistungsniveau. Die beiden Interventionsgruppen selbst weisen untereinander jedoch keine signifikanten Unterschiede auf (p = ,614), (0,03, 95 %-CI[−0,090; 0,151]). Leistungsgruppe 2 (mittleres mathematisches Leistungsniveau) Die Betrachtung der deskriptiven Statistiken für Leistungsgruppe 2 ergibt ein ähnliches Bild. So gibt es in jeder Gruppe Zuwächse, die bei der Kontrollgruppe am geringsten ausfallen. Die Lernenden in den Interventionsbedingungen hingegen erfahren höhere Zuwächse, was auf die Wirksamkeit der Bedingungen schließen lässt (Tabelle 9.2).1
1 Ähnliche
Tendenzen lassen sich auch für die Zuwächse in der Leistungsgruppe 2 (mittleres mathematisches Leistungsniveau) erfassen. Bei den leistungsstärksten Lernenden aller drei Bedingungen hingegen, sinken die Lösungshäufigkeiten leicht, was mit einer möglichen Regression zur Mitte zu erklären ist. Diese Verluste sind jedoch deutlich geringer als die Zuwächse bei Lernenden mit geringem mathematischen Leistungsniveau.
9.2 Ergänzende Analyse I: Wirksamkeit der Treatments…
207
Tabelle 9.2 Mittelwertvergleich der Lösungshäufigkeiten auf Bedingungsebene (N = 92) Pre-Test n
Post-Test M
SD
n
M
SD
Kontrollgruppe
37
,51
,10
37
,57
,21
Prozentstreifengruppe
31
,47
,10
31
,67
,23
Dreisatzgruppe
24
,49
,10
24
,75
,21
Der Levene-Test auf Gleichheit der Fehlervarianzen ist nicht signifikant (p = .715). Die Ancova zeigt, dass sich die durchschnittliche Performanz auf der Bedingungsebene statistisch signifikant unterscheidet, F (2,88) = 6,254, p = ,003, partielles η2 =,124. Die Kovariate Pre-Test-Leistung hat einen signifikanten Effekt auf die Post-Test-Leistung als AV, F(1,88) = 4,606, p = ,035, partielles η2 = ,05. Der Blick auf die paarweisen Vergleiche zeigt einen signifikanten Unterschied (p = ,025) in der Performanz zwischen der Prozentstreifengruppe und der Kontrollgruppe (0,12, 95 %-CI[0,016; 0,226]). Die Dreisatzgruppe als zweite Interventionsgruppe zeigt gegenüber der Kontrollgruppe ebenfalls signifikante Unterschiede (p