Die Bedeutungslehre als Hilfsmittel bei der altsprachlichen Lektüre [Reprint 2022 ed.] 9783112640685


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Die Bedeutungslehre als Hilfsmittel bei der altsprachlichen Lektüre [Reprint 2022 ed.]
 9783112640685

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D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT 19

DIE BEDEUTUNGSLEHRE ALS HILFSMITTEL BEI DER ALTSPRACHLICHEN LEKTÜRE VON ERDMANN

STRUCK

AKADEMIE-VERLAG• 1959

BERLIN

Gutachter dieses Bandes: Wilhelm Hartke und Max Lambertz

Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Redaktor dieses Bandes: Charlotte Bisschopinck

Alle Rechte vorbehalten Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 1, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1959 by Akademie -Verlag GmbH, Berlin W 1 Lizenz-Nr.: 202. 100/101/59 Satz, Druck und Einband: Druckhaus „Maxim Gorki'1, Altenburg Bestellnummer: 2067/19 Printed in Germany ES 7 M

Zwei Vorträge auf dem IV. Altsprachlichen Förderlehrgang des Instituts für Lehrerfortbildung Hamburg in Walsrode 27.—30. September 1955 mit Beispielen aus Homer und Sophokles' Antigone und auf der Schleswig-Holsteiner Altphilologentagung in Rendsburg 2.—-5. November 1955 mit Beispielen aus Caesar, Vergil, Ovid, Sophokles' Antigone und mit deutschen und neusprachlichen Parallelen.

A. Semasiologie und Onomasiologie — Grundbedeutung Im fremdsprachlichen Unterricht, beim Vokabelerklären und bei der Interpretation der Schriften können uns die Bedeutungslehre und die Bezeichnungslehre wertvolle Hilfe bieten. Dabei ist im einzelnen die Frage der Onomasiologie (övofia = Bezeichnung), der B e z e i c h n u n g s l e h r e : Wie kommt es zu dieser Bezeichnung eines Begriffs, eines im Denken des Sprechers mehr oder weniger scharf abgegrenzten Vorstellungsinhalts? Die Onomasiologie sieht das Psychische als das Gegebene an und fragt nun: Welcher sprachlichen Mittel bedient sich der Sprechende, um dieses Psychische so darzustellen, daß es mitteilbar ist? Wie drückt der Sprecher einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes den gegebenen Begriff aus, aus welchen Gründen findet ein Wechsel der Ausdrucksweise statt, oder ist es nicht mehr derselbe Begriff, weil er anders ausgedrückt wurde?1) Diese Fragestellung ist im wesentlichen synchronisch, geht auch in weitere Sprachräume, kann diachronisch den Wechsel der Bezeichnungen zur Aufgabe haben. — Daneben steht die Semasiologie (arjfiaaia = Bedeutung), die B e d e u t u n g s l e h r e im engeren Sinne: Was bedeutet das Wort, was meint der Sprecher mit diesem Wort in diesem Augenblick, an dieser Stelle? Die Semasiologie geht von der sprachlichen Form aus und fragt: Welche psychischen Inhalte sind mit diesem Sprachlichen verknüpft? Vom verschiedenen Standpunkt beider Bereiche aus: Das Wort b e z e i c h n e t etwas, das Wort b e d e u t e t etwas; je nachdem ich von der Lautform ausgehe, um deren verschiedene Bedeutungen zu ermitteln, oder vom Begriff ausgehe, seine Bezeichnungsmöglichkeiten zu beachten. Die Semasiologie ist im wesentlichen eine Schöpfung altphilologischer, die Onomasiologie romanischer Sprachforschung. Beide Fragestellungen durchdringen sich, und selbst in der Fachliteratur wird die Bedeutungslehre häufig nicht von der Bezeichnungslehre ganz scharf geschieden; es werden Erscheinungen der Bezeichnungslehre bei Semasiologie mitgemeint. Ernst OTTO sagt 2 ): „Grundlage aller Sprachbetrachtung ist die aktuelle Sprechhandlung, die einzige *) B. QUADRI, Aufgaben und Methoden der onomasiologischen Forschung, Romanica Helvetica 37, 1952. 2 ) E. OTTO, Stand und Aufgabe der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1954, 141 und Anm. 39.

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A. Semasiologie und Onomasiologie — Grundbedeutung

Wirklichkeit. Ihre Erforschung bietet die sicherste Grundlage für die wissenschaftliche Betrachtung ihres geschichtlichen Wandels." Auch hier sind Onomasiologie und Semasiologie gleicherweise von OTTO gemeint 1 ). Die neue Linguistik geht aus vom sprechenden Menschen, der sich in einer bestimmten Lage mitteilen und verständigen will, sich von Affekten befreien will, sich und andere zu einem bestimmten Handeln oder einer Haltung veranlassen will. Und noch ein Weiteres, Grundsätzliches: Nur in einem sinnvollen Satz, in einem bestimmten Zusammenhang, Kontext, hat ein Wort Bedeutung, d. h., dasselbe Wort weckt in verschiedenen Sätzen und Satzzusammenhängen verschiedene Vorstellungen, Gefühle und Willensrichtungen, hat verschiedene Bedeutungen. „Kein Wort hat in zwei verschiedenen Sätzen jemals genau die gleiche Bedeutung", sagt Ludwig KLAGES2). Diese Einzelbedeutung versuchen wir auf eine Grundbedeutung zurückzuführen und die Gründe beim Sprechenden zu erklären, die von der Grundbedeutung 3 ) aus weitere „okkasionelle" oder „usuelle" Bedeutungen erwirken. Wie kommt der sprechende Mensch dazu, diesen Vorgang, diesen Gegenstand, diese Erscheinung gerade so zu bezeichnen, daß das von ihm gebrauchte Wort jeweils diese Bedeutung erhält; wie kommt es, daß der Sprecher dieses Wort feststehender Bedeutung wählt und anscheinend neuartig verwendet ; warum liegt ein Bedeutungswandel vor von dem ersten, ursprünglichen Meinen bei diesem Wort, eben der Grundbedeutung? Die Grundbedeutung ersehen wir aus den etymologischen Wörterbüchern 4 ); aber bei der Forderung, von der Grundbedeutung auszugehen, S. a. a. 0., Anm. 39. — Selbst einem Verfechter der Onomasiologie von erstem Bang gelingt die Trennung von der Semasiologie nicht. Das zeigt eine Neubearbeitung des Buches von A. WAAG, Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes, Lahr i. B. 1921 in F. DORNSEIFF, Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, Lahr i. B. 1955. Ein Beispiel für viele, rein semasiologisch 69 (es wird gesprochen von einem allgemeinen sprachpsychologischen Entwicklungsgesetz, das Bedeutungsdifierenzierung genannt zu werden pflegt) : „Es ist nämlich durch vielfache Beobachtung festgestellt, daß gleichbedeutende Wörter auf längere Dauer nicht nebeneinander von Bestand sind, sondern daß sie entweder in der Bedeutung auseinandergehen oder durch gründliche Lösung bis auf eines absterben . . ." 2 ) L. KLAGES, Die Sprache als Quell der Seelenkunde, Zürich 1948, 15. 3 ) „Ein zentraler Kern . . . im Bereich des Wortsinns die logische Zentralbedeutung, die gegenüber den mehr unwägbaren, und daher variableren Wirkungskräften des Gefühlstones, des Wortethos, der Sphäre, der Bedeutungsabschattungen und Nebenbedeutungen die Hauptsache bildet" — „eine Art Durchschnittswert für jedes sprachliche Zeichen' ', F. KAINZ, Einführung in die Sprachpsychologie, Wien 1946,19. 4 ) Etymologische Wörterbücher: E. BOISACQ,Dictionnaire étymologique de lalangue grecque, 4. Ausg..Heidelberg 1950. I. B. HOFMANN, Etymologisches Wörterbuch des Griechischen, München 1949/50. H.FRISK, Griechisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1954FI., 8. Lief. 1959 bis xaÀVKTûj.

A. Semasiologie und Onomasiologie — Grundbedeutung

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schränke ich ein: von der im lebendigen Sprachgebrauch noch faßbaren Grundbedeutung; d. h. also für das Griechische z. B. auf das, was es für die Griechen bedeutet hat, auf den Sprachgebrauch Homers als Anfang der uns greifbaren literarischen Sprachentwicklung zurückzugehen. Ich nehme aus dem Lexikon des frühgriechischen Epos 1 ) zwei Beispiele für die Homer-Lektüre: aajixog ist nach neuerer deutscher und französischer Gelehrtenforschung aus *afenrog unaussprechlich groß oder stark etymologisch zu erklären. In dem bei Homer faßbaren Gebrauch findet sich nur %elQeg aoanoi, die nicht anfaßbaren, nicht fassenden Hände; es ist dabei von Homer und seinen Hörern an aTirofiai gedacht, und das mag für die Interpretation im allgemeinen genügen. — Ebenso beiayxvXo/irjTrjg. Es wird von modernen Etymologen gedeutet: äyxvXog krumm und ¡xr\xr\ Sichel, aber Hesiod verbindet äyxvXog und /j,rjxig, krumm und List, so dyxvXo/i^rrjg von Kronos und Prometheus sicher „verschlagen", und so auch bei Homer. Für die Erklärung genügt: Antikes Empfinden verband äyxvXog mit firjng. Ebenso gehört nach lateinischem Sprachgebrauch humanus zu homo (und damit zu hümus, Suffix wie urbanus), so faßte es bewußt Terenz, Haut. 700: homo sum: humani nihil a me alienum puto. Daß moderne Etymologie anders deutet, sei nur für uns bemerkt. Oft kann die bei Homer noch faßbare Grundbedeutung, der „Grundaspekt" Luthers, sprachliche Erscheinungen deuten. Ein Beispiel aus der Antigone: Antigone zu Kreon (500): rt öfjra fj.eX2.eig (mit der Todesstrafe) ; ojg ifiol TÜJV awv Xoycov / ägearov ovdev /J.rjd' ägeafteirj noxe. Wie ist bei ägeoxsiv placere das Passiv möglich? ägsoxeiv heißt bei Homer wiedergutmachen, ersetzen, besänftigen, versöhnen = placare. Ii. / 120 = T 138: ätp S'&eXco ägeaai 86[ievai rcutegsiai' cbioiva ich will es wiedergutmachen und unermeßliche Entschädigung geben. aQeoai durch do/ievai Tcuiegeioi änowa gedeutet, wie so oft Homer sozusagen Selbsterläuterungen im Doppelausdruck bietet. Somit ist bei Sophokles das Passiv bei ägsaxeiv aus der ursprünglichen Bedeutung erklärbar: Für mich gibt mir keins Deiner Worte Versöhnung und mein Wunsch: möchte nie VersöhA. W A L D E — I . B. H O F M A N N , Lateinisches Etymologisches Wörterbuch, 3. Aufl., Heidelberg 1938 (A—L 1954; M—Z, Registerbd. v. E. B E R G E R 1956). A. W A L D E — I. P O K O R N Y , Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen 1, 1930; 2, 1927. Neubearb. v. I. POKORNY, Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, Bern-Wien 1948ff., 12. Lief. 1958 bis uel sehen. A. E R N O U T — A. M E I L L E T , Dictionnaire étymologique de la langue Latine, 2 . Aufl., Paris 1951 („Schwerpunkt auf Wortgeschichte und Ableitungen"; „indogermanische Vergleichungen und Entsprechungen nur in sorgfältig geübter Auswahl, aber mit kulturgeschichtlicher Kommentierung", M. L E U M A N N , Lateinische Laut- und Formenlehre 1939-1953, Glotta 34, 1955, 223/4). 1 ) B. S N E L L — U. F L E I S C H E R , Lexikon des frühgriechischen Epos, in Zusammen» arbeit mit dem Thesaurus Linguae Graecae, Göttingen 1955ff., abgek. LfgrE.

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A. Semasiologie und Onomasiologie — Grundbedeutung

nung finden! Und diese noch lebendige Grundbedeutung stützt bei Sophokles die Aiax-Stelle 584: ov yäq f/aQeaxei yAcorra aov refirjyfievrj, wo auch durch die Nebenüberlieferung der Akkusativ gesichert ist. Auf die Grundbedeutung müssen wir z. B. bei der Antigone-Interpretation in der Erklärung von xegdog Gewinn zurückgehen. Dieses Wort wird bei Sophokles in der Antigone oft im Munde verschiedener Personen mit ganz verschiedener Bedeutung angetroffen: So sprechen Kreon, Antigone, der Chor und Teiresias von xegdog in folgender Abstufung des damit Bezeichneten, charakteristisch für ihre innere Gegensätzlichkeit: Kreon spricht stets von Geldgewinn an fünf Stellen: zum Wächter (222): äXX' vn ehtiöcov / ävdgag ro xegdog noXXaxig öuoXeaev zum Chor (310): Iv eidoreg ro xegdog ev&ev oloreov / ro Xoinov agnä^rjre xai fia&ij&', ort / ovx e£ änavxog del ro xegdaiveiv Myco. / oang yäg ev noXXolaiv, ä>g eyo>, xaxolg / Cfj, nä>g öd' ov%l xar&avcav xegdog v är', ovx ag'e/isAAeg / . . . krj^siv ojiaxacav / FIV'&cov TS xXoTiimv, so schilt Athena den Odysseus, — „das Odysseusbild einer Odyssee".1) Auch das Wort xeQÖoavvrj hat einen Bedeutungswandel erfahren: Schlauheit > Verschlagenheit, List, Gewinn, ebenso xaTirjAeveiv Handel treiben > viel Wesens machen, im Neuen Testament betrügen und sfA.TtoQevsa&ai zur See Handel treiben > überlisten, betrügen im Neuen Testament— „bezeichnend", ich zitiere P. WENDLAND 2 ), „für die echt griechische Lust am Truge". Wie scheinbar ganz verschiedene Bedeutungen durch die Grundbedeutung ihre Erklärung finden, dafür ein altes Schulbeispiel: secundus günstig und der zweite, Grundbedeutung „folgend", Partizip zu sequi: sequndus wie oriundus. Bei Caesar, Gall. 1,25,7: prima et secunda acies, ut victis resisteret, tertia, ut venientes sustineret das erste und das folgende ( > zweite) Treffen sollte sich den bereits Geschlagenen entgegenstellen, das dritte sollte ... aufhalten. — Gall. 4,23,6: et ventum et aesturn uno tempore nactus secundum den Schiffen folgend, also günstiger Fahrwind und Strömung, Ggs. adversus, wie auch (7,58,5) secundo flumine ... iter facere coepit mit der Strömung, also günstig heißen kann. Das führt dann weiter zum folgenden Beispiel (7,29,3): errare, si qui in hello omnes secundos rerurn proventus exspectent; > res secundae — res adversae, nun auch über günstig > Glück und Unglück, von dem nun sogar der Komparativ — in der Grundbedeutung kaum möglich —gebildet werden kann (2,9,2): secundioreequitumnostrorumproelio. Die alte Grundbedeutung zeigt noch secundum folgend, entlang: secundum eas terras längs der Küste dort; örtlich > zeitlich > der Rangfolge nach (1,33,2): secundum ea multae res eum adhortabantur. Periculum gehört zu Tieigäcr&cu experiri und heißt ursprünglich, auch bei Caesar noch, Versuch. Caesar vor der ersten Fahrt nach Britannien (Gall. 4,25,1): priusquam periculum faceret bevor er den Versuch machte, so auch 1,40,5: factum eius hostis periculum, man hat schon mit diesem Feinde einen Versuch gemacht, hat sich mit diesem Feinde gemessen, wie auch schon bei Plautus und Terenz periculum facere einen Versuch machen heißt. In den Wortkunden steht vielfach nur Gefahr. Weitere Grundbedeutungen zur onomasiologischen Erklärung: Collum ursprünglich der Dreher, der den Kopf zu drehen weiß, der Hals, es gehört also zur etymologischen Reihe unter colere. > wird zu, geworden zu; < wird aus, geworden aus. *) L A S E R , LfgrE s. v. äarog. 2 ) P. W E N D L A N D in A. G E R C K E — E. N O R D E N , Einleitung in die Altertumswissenschaft 1, Leipzig-Berlin 1910, 347.

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A. Semasiologie und Onomasiologie — Grundbedeutung

dens Zahn, was ist das Bezeichnende? Es ist edens, wir erinnern an die Beißerchen der Kindersprache. emere in der Grundbedeutung nehmen > kaufen, auch dtsch. im Laden: das nehme ich; sonst ist das Verständnis von adimere, dirimere, eximere, demere, sumere, verbaut, nur coemere, redimere zusammenkaufen, zurückkaufen. necessarius zu necesse unausweichlich, bellum necessarium ein unausweichlicher Krieg; necessarii die Verwandten, die man täglich treffen muß. Aber oi âvayxaïoi griech. darf nicht verglichen werden, es bezeichnet nur die enge Verbindung und Hilfe durch Blut und Freundschaft, der man schlecht entrât, r à âvayxaïa die notwendigen Lebensmittel. Die Nüchternheit des Römers erscheint in der Bezeichnung der Verwandtschaften auch sonst: femina die säugende Frau > Frau, Gattin;. filius der Säugling, Band — vgl. Kind in Stadtkind, nepos der Enkel, Großväter verziehen die Kinder > verzogener, mißratener Enkel, Verschwender. Nach spanischer und italienischer Forschung soll allerdings nepös Verschwender mit nepös Enkel nichts zu tun haben, sondern wird gedeutet als nepös sich nicht beherrschend, im Gegensatz zu compös. Dagegen spricht aber außer der Schwierigkeit ö statt ö1) auch, daß compos in der Bedeutung sparsam, haushälterisch nicht nachweisbar ist.. 1

) s. M. L E U M A N N , Glotta 34, 1955, 228.

B. Faustregeln (onomasiologisch gefaßt) für die Worterklärung I.

Gruppenbedeutungen

Je mehr das Denken eines Kreises auf gleiche Interessen eingestellt ist, je größer die soziale Bereitschaft zur gleichen, besonderen Vorstellung aus einem möglichen Ganzen ist, um so mehr genügt für den Sprecher solcher Gruppe für ihm selbstverständliche oder nahe Dinge ein allgemeines Sprachzeichen, ein allgemeines Bezeichnen, um den Blickpunkt in die gewollte gruppenbedingte Richtung zu lenken. Dieses Bezeichnen ist durch „Situationshilfen" gestützt. Es ist ein Zug der Bequemlichkeit des Sprechenden; DORNSEIFF spricht 1 ) von Gruppensprachbequemlichkeit, er nennt den Vorgang auch „Pointierende Bezeichnung" durch Umfassenderes 2 ). Der Sprecher einer Gruppe, deren Glieder eine Berufs- oder Gesinnungsgemeinschaft bilden, wählt für ihm Selbstverständliches, Umweltnahes eine allgemeine Bezeichnung. Diese Gruppenselbstverständlichkeiten gehen um so mehr in die Gemeinsprache ein, je größer die Bedeutung dieser Gruppen, namentlich der verschiedenen Berufsklassen, für das Volksleben im ganzen ist 3 ). Lateinisch tabula Brett zeigt entsprechend die verschiedenen Gruppenbedeutungen: Bank, Spielbrett, Gemälde, Schreibtafel, Gesetzestafel, Auktionstafel, Proskriptionsliste, geographische Tafel (tabula Peutingeriana), Staatsdokument, Archiv (vgl. tabularius), Schuldbuch, Wechslerbank (z. B. das Spiel mit verschiedenen Bedeutungen: Cic. Sest. 72). Das deutsche Wort Brett ist in seiner Bedeutung umweltlich verschieden: auf ein Brett gemaltes Bild, mit Brettern gedeckt, die Welt mit Brettern vernagelt, er rettet sich auf ein Brett (SchifFsplanke), im Brett die Dame ziehen, aufs Brett zahlen,'auf dem schwarzen Brett stehen (im Wirtshaus), aber am „Schwarzen Brett" stehen die Vorlesungsankündigungen, auf dem Brett liegen (Leichen-, Totenbett, sechs Bretter und zwei Brettchen sind der Sarg), die „Bretter auf*) F. DORNSEIFF, Rez. zu E. STRUCK, Bedeutungslehre, Leipzig 1940, Gnomonl8, 1942, 144. 2 ) Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, 11 ff. S ) H. PAUL, Principien der Sprachgeschichte, unveränd. Abdr. d. 5. Aufl., Halle 1937, 89.

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B. Faustregeln für die Worterklärung

geschlagen" (Faust) ist gesagt von den „Brettern, die die Welt bedeuten" (Schiller) > Überbrettl; der Wintersportler hat seine Bretter-, leg das aufs Brett kann sein auf das Fensterbrett, Wandbrett, Bücherbrett, Küchenbrett. — Das deutsche Lehnwort,,Frucht" (fructus) benutzten die Mönche für die Bezeichnung der Erzeugnisse ihrer Felder und Gärten. Fruchthalle in Süddeutschland, wie Fruchtmarkt und Fruchthandel bedeuten noch heute Getreidehandel; Fruchtzins ist ein in Getreide zu errichtender Zins. — Mit lateinisch fructus konnten bequem bezeichnet werden olea, ficus, prunica, vitis, frumentum und legumina (Plin. Nat. hist. 18, 189). Ähnlich werden allgemeine Begriffsfelder sprachlich benannt und damit die besondere Umwelt des Landmannes bezeichnet: bei locus (vgl. locuples), campus, fundus, Sectio, semen > Spelt, herba Un,,kraut", caulis Stengel > Kohlstengel. Deutsch Korn, ursprünglich das einzelne Samenkorn, bedeutet das jeweils landesübliche Brotgetreide (ursprünglich Erträgnis), besonders Roggen, im Süden Dinkel oder Spelt, in Westfalen Hafer; es kann auch das Getreidefeld bezeichnen: das Korn steht gut, die Flinte ins Korn werfen; so auch frumentum (< *frug-smentum) Nahrungsmittel > Getreidekörner, Verg. Aen. 4,406: frumenta grandia > Weizen, im besonderen Tac. Germ. 23,1: humor ex hordeo aut frumento, vgl. frz. fromant, ital. frumento. Frz. corroyer allgemein zurichten, versorgen ( < lat. corroborare) hat sich nur in Zunftsprachen erhalten: corroyer le fer das Eisen ausschweißen, corroyer le mortier den Mörtel anrühren, corroyer un canal einen Kanal mit Tonerde ausschmieren, nfrz. corroi Gerben, Schiffsschmiere. Afrz. confire < conficere anfertigen hat sich bis heute in der Zuckerbäckerei erhalten als Früchte einlegen, dazu confiseur Zuckerbäcker, confit „Kleienbeize" als Zunftausdruck aus „Zubereitetes"1). Wir sagen Altbekanntes, aber für die Interpretation immer gleich Wichtiges und Herauszustellendes2): Die lateinische Sprache ist eine Bauern und Kriegersprache. Die Wertschätzung und Bedeutung der Landarbeit zeigen Bezeichnungen mit ops Arbeit > Landarbeit, officium < *opifacium Arbeitsverrichtung, opulentus arbeitsam > reich, mächtig, inops nicht arbeitend > arm, optimus < *opitumos am tätigsten > am reichsten, am besten, opes Reichtum an Feldfrüchten aus Arbeit > Machtmittel, Vermögen, Reichtum, pauper < *pavo-pars wenig erwerbend > ärmlich, copia (< *cofopia mit Fülle) bezeichnet im Plural mit der „Pointierung" x

) E. GAMILLSCHEG, Französische Bedeutungslehre, Tübingen 1951, 49. Material bei E. STRUCK, Bedeutungslehre. Grundzüge einer lateinischen und griechischen Semasiologie mit deutschen, französischen und englischen Parallelen, 2. Aufl., Stuttgart 1954, 15fi. — Gruppenbedeutungen der seefahrenden Kaufleute und Gewerbetreibenden ebd., 24—26. 2)

I. Gruppenbedeutungen

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des Bauernkriegers die Truppen. Opus Arbeit > Schanzarbeit, commeatus ab und zu Gehen, Gehen und Kommen > Zufuhr, labores Mühen > Kampf mühen (vgl. mhd. arebeit), fortis gut, kräftig, gesund > „tapfer", ahd. gravis wiedergebend > gewichtig, tüchtig (tapfer schmälen — Goethe, Faust). Die in den Vokabularen erstrebte Ausrichtung auf die Anfangslektüre von Caesars Gallischem Krieg gibt oft nur einseitig die sogenannten Krieger- und Gruppenbedeutungen. Man beachte daraufhin die Verben der Bewegung, des Vorrückens, Sitzens usw.: petere — impetus; rumpere — erumpere, eruptio, irrumpere, perrumpere, prorumpere; gradi — aggredi, congredi, praetergredi, progredi, transgredi; die Komposita von currere und sedere (praesidium, subsidium sind ursprünglich militärische Termini nach P. K R E T S C H M E R 1 ) , ähnlich desertor, statio, excubare). Diese militärischen Gruppenbedeutungen (wie dtsch. Urlauber, Zeughaus, Geschütz, Gefangener, Hauptmann, Gewehr, Pulver und Blei) ließen sich häufen: cohors, legio, Signum, sacramentum, evocati, vacatio, missio, emeritus, sarcina, classis, und sie werden meistens einseitig nur als solche Gruppenbedeutungen gelernt. Durch diese Einseitigkeit entstehen Schwierigkeiten und ein Stocken in der Lektüre. — Caes. Gall. 3,8,1: in magno impetu maris — impetus erscheint in unseren Wortkunden nur als Angriff, Verlangen; die Grundbedeutung Andrang wäre ohne Schwierigkeit > Andrang, Ungestüm des Meeres. Aen. 2,782: leni fiuit agmine Thybris — agmen wird in den Vokabelkunden mit Heereszug übersetzt, weil es bei Caesar nur im militärischen Sektor gebraucht wird: Heer auf dem Marsch, Marschkolonne; aber die Grundbedeutung ist Zug > Strömung, wie noch in dieser Vergil-Stelle nach Ennius. Aen. 3,388: signa tibi dicam, tu condita mente teneto — in den Vokabelkunden signum Zeichen, Feldzeichen, Fähnlein; hier und sonst bei Vergil Kennzeichen für die Gründung der Stadt, Aen. 10,265: Strymoniae dant signa grues vom Rufen der Kraniche, ebenso von den Göttern gegebene Vorzeichen, Merkmale und Wunder zeichen sind gemeint Aen. 8,523: ni signum caelo Cytherea dedisset aperto. — Eine weitere Entwicklung des lat. signum durch griech. afjfia und arjfieiov in Rhetorik und Philosophie s. u. 43. Ebenso dürfen die Gruppenbedeutungen des Römers als Staatsmann und rechtskundigen Menschen nicht zu eng gefaßt werden: moenia Stadtmauer, urspr. Umpfahlung > munire schützen, befestigen, sichern, so in den Wortkunden. Munire viam bedeutet urspr. einen Weg mit Knüppel*) P. KRETSCHMER, Zwei lateinische militärische Termini, Glotta 6, 1915, 33.

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B. Faustregeln für die Worterklärung

dämm bauen, munire urbem eine Stadt durch Mauerbau befestigen, also auch bei der Gründung, wie castra munire ein Lager anlegen und befestigen heißt. Honor Ehre, Ehrenamt in den Wortkunden. Tac. Germ. 5,2: ne armentis quidern suus honor aut gloria frontis — ihr stattliches Aussehen steht neben gloria frontis der gerühmte Stirnschmuck. Tac. Germ. 13, 1: haec apud illos toga, hic primus iuventae honos — Schmuck, Ehrenkleid; dem utile steht bei Cicero das honestum in de off. „vom rechten Handeln", wie BÜCHNER übersetzt 1 ), gegenüber, und entsprechend honor, wie wir die Tacitus-Stelle verstanden, übersetzt BÜCHNER gelegentlich honestas mit Stattlichkeit, auch bei honestum hört BÜCHNER das Mitschwingen der Abhängigkeit von der Anerkennung der Gemeinschaft noch mit. Umgekehrt müssen die Gruppenbedeutungen des Landmannes auch aus ganz bekannten Vokabeln gedeutet werden. Tac. Germ. 14,4: nec arare terram aut exspectare annum tarn facile persuaseris — annum Jahresertrag, Ernte, wie dtsch. Herbst in der Winzersprache. Anniculus Jährling > Jährling von Pflanzen und Tieren entspricht unserem Jährling der Bauern. Auch sonstige allgemeine Bezeichnungen sind charakteristisch für das Interesse des Römers am Staat, der res publica, und dem Dienst am Staat: munus, negotium, ablehnend motus und tumultus, sich betätigend in comitium ( < Zusammenkommen), contio (< *coventio) und curia ( < *coviria Männerversammlung) mit petitio Amtsbewerbung und ambitus Amtserschleichung ( < Umlauf). Das Rechtsinteresse schuf eine Formelsprache, allgemeinste Bezeichnungen mit Rechtsinhalten füllend: res Prozeß < Sache, causa Rechtsstreit < „Sache" (vgl. dtsch. in Sachen X gegen Y), causam agere, causam dicere, lex Gesetz < Zusammenfassung bindender Bestimmungen, ignoscere verzeihen < nicht davon wissen wollen, auf Strafe verzichten 2 ), arbiter (

quidquid

delirant

reges,

plectuntur

Achivi (Hör. Epist. 1,2,14). Auch den v i e h z ü c h t e n d e n Landmann sehen wir in der Lektüreinterpretation : Für den Viehzüchter ist der Winter die Marke des Jahresablaufs, Horaz spricht von ultima hiems (Carm. 1,11,4), post certas Mernes in dem Sinne von Jahr, dem entspricht bimus < *bihimos zweiwintrig, trimus ebenso > zwei-, dreijährig. Griech. yijiaiQa zu ^et/iaiv Jährling > Ziege. — grex Herde > Schar > Haufen, miles gregarius, gregalis, egregius. — laetus fett, üppig > fröhlich — laetae segetes fröhliche, lachende S a a t e n ; laetare urspr. düngen, ager laetus — Ggs. ager

siccus.

Naheliegend dem ländlichen Sprecher sind Metaphern aus der Viehhaltung, überhaupt aus der T i e r w e l t . Gall. 2,32: Caesar will Gnade walten lassen si priusquam murum aries attigisset, se dedissent — aries heißt Widder, hier metaphorisch Sturmbalken wie xqiog, mit dem man Stadtmauern zum Wanken brachte. Beim Brückenbau Gall. 4,17,9: sublicae ad inferiorem partem fluminis oblique agebantur,

quae pro ariete subiectae et cum omni opere

coniunctae

vim fluminis exciperent, außerdem wurden Unterstrompfähle schräg einW. SCHULZE, Kleine Schriften, Göttingen 1933, 196.

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II. Metaphern

gerammt, sie sollten als Wellenbrecher (pro ariete) untergesetzt werden und in enger Verbindung mit dem Brückenwerk den Wasserdruck auffangen. Ferner bei Caesar: scorpio Maschine zum Schleudern von Pfeilen (Gall. 7,25,2); musculus (Gall. 7,84,1) Minierhütte; testudo Schutzdach (Gall. 5,42,5; 5,52,2), Sturmdach (Gall. 2,6,2; 5,9,6; 7,85,5) 1 ). Weitere Tiermetaphern, die nicht bei Caesar vorkommen: ericius, corvus, lupus, muli Mariani, papilio Schmetterling > Zelt, frz. pavillon; im griech. xogaxeg

eiserne Haken, ysQavog der Kran (Kranich), frz. grue Kran, und övoi bei den Schiffen. Wie der römische Soldat hatte auch der deutsche sehr viele Metaphern aus der Tierwelt. Spitalwachtel

für Krankenschwester, Kettenhund

für

Feldgendarm, Küchenbulle bringt ein Kasernenroman. 1914—1918 kannt e n die „ L a n d s e r " : Affe, Esel, Qefechtsesel, Gefechtsziege u s w .

Kuhschwanz,

Hammel,

Mops,

Heimatlöwe,

Bei den Parallelen von Tiermetaphern ist das Ausgangsbeispiel aries als Sprachschöpfung das Primäre; die Metapher führte dazu, den Sturmbalken als Widderkopf zu arbeiten und in Darstellungen so zu zeichnen. Das Bildhafte der Sprache kehrt bei werklichen Künstlern oft wieder, z. B. Christus, der gute Hirte 2 ). Auch für den Griechen bestätigt sich unsere Faustregel der Bevorzugung von Metaphern aus den Hauptlebens- und Interessenssphären. Das sind in Parallele zum Römer zunächst Ackerbau und Viehzucht, insbesondere dann Gartenbau. Spezifisch griechisch sind die Bilder aus J a g d u n d S c h i f f a h r t : Soph. Ant. 1264: ehtiaiv

de ßoaxo/iai

der Bote spricht (BUSCHOR):

„doch wieg ich mich im Trost". BUSCHOR übersetzt „wieg ich mich" zu Recht; denn es handelt sich um eine völlig verblaßte Metapher, wie solche aus der Viehzucht griechisch ganz gewöhnlich sind. Den Griechen als Viehzüchter erkennen wir schon aus der mythischen Ausdrucksweise des Fürsten als noifiijv Aawv, äyoq avöq&v urspr. „der Treiber" rechnet KRONASSER3) hierher, anders das LfgrE s. v. — vo/xsvg Hirt < Verteiler, vo/xrj, vo/ids Verteilung von Weideland — KQfjvai... vo/uaöeg QEE&QOJV (Soph. OC 687) — gehören zu vefico teile Weideland zu, weide, disponiere; vo/xog ist das Eigene, das jedem zugeteilt ist: Ordnung, Brauch, Sitte, Grundsatz. S o p h . A n t . 2 9 5 ( K r e o n ) : ovdev yäg äv&gmnoiaiv olov äqyvQoq / xaxov vöfiLcrfia sßXaaTe" rovro . . . — vofiia/xa B r a u c h , S i t t e > gebräuchA. SCHÄFER, Testudo, Gymn. 57, 1950, 71 ff. ) Den vielen sonstigen lateinischen Rriegsmetaphern stehen die Metaphern seit dem ersten Weltkrieg vergleichbar zur Seite: Tragweite, Einsatz, Großkampftag, Vorstoß, Blindgänger. 3 ) KRONASSER, Handbuch der Semasiologie, 89. 2

B . Faustregeln für die Worterklärung

26

liehe Geldwährung, was vo/ii&xai „gilt", Geltung hat; das metaphorische Wuchern ist bei der Wurzel ve/j, besonders deutlich. Gartenbau: vöfiog steht im Gegensatz zu q>vaig. Der Grieche hat Wilddiebstahl betreiben > als Don Juan in fremden Revieren jagen; piper auf der Pfeife anlocken > täuschen, fälschen 1 ). Voler im Sinne von stehlen ist auch eine im 16. Jahrhundert entstandene Jagdmetapher 2 ). „Schiffahrt ist ein beherrschendes Sprachfeld gerade der griechischen Sprache, ein Eckpfeiler der tragenden Bedeutungen", sagt P O R Z I G 3 ) . — Ich kann mich dafür allein auf Beispiele der Antigone beschränken. Schiffahrtsmetaphern: Soph. Ant. 259 (Wächter): Xöyoi Ô' sv àXXr/Xoiaiv EQQO&OVV xaxoi. Und böse Worte wurden da gewechselt; géfîoç heißt Wogenrauschen, QO&eiv von den rauschenden Wogen. Ant. 413 (Wächter) : sysqxl xivœv ävöq avijQ sntQQÔ&oiç / xaxoïoiv, Ant. 536 (Ismene) : ôéôoaxa rovgyov, EÎJIEQ rjô' ¿¡¿OQQO&SÏ. Ant. 290 (Kreon) : avôgeç ¡lôXiç qisQovreç EQQO&OVV êfioi. Ant. 158 (Kreon kommt, Choranapäste) : %v, Iv tfv fioi Tiavxoç oimvov Xi/xrjv. Ant. 1284 (Kreon, lyr.) : îà> ôvoxâftaQXoç "Aiôov Xifirjv. Aischylos und Euripides sprechen von nXovxov Xiyjr\v, Soph. Aj. 683: èxaiqstaç Xifir/v ; Soph. OR 1208 (Chor) : a u f : „So haben denn die Götter diesem Staat / Der schwer erbebte neuen Stand verliehen." Deutlich die Metapher des Staatsschiffes: Ant. 190 (Kreon): rjö' earlv rj ad/Qovaa xai ravTrjg eni / nteovreg oQ{Mjq rovg (pikovq 7toiovfie'&a. BUSCHOR: „Denn ich weiß, der Staat ist unser Rettungsschiff . . ." Ant. 994 (Teiresias): roiyäg 8i OQ&fjq Tiqvd' evavxÄrjQeig noXiv. BUSCHOR: „So gabst d u dieser Stadt den guten K u r s . " oq>£eiv (190) wird gesagt von einem K a p i t ä n oder Schiff, es bedeutet: jemanden wohlbehalten ans Ziel bringen. — Plat. Gorg. 511 d : eäv fisv Alyivqt; ÖEVQO amar\ — rj ocpCovcra hieß eins von den athenischen Staatsschiffen. Den griechischen Schiffsmetaphern ist im Englischen der starke, Einfluß aus dem Sachgebiet der Seefahrt zu vergleichen, besonders im Slang. Agonmetaphern: Eine reiche Fülle von bevorzugten Wesen erfüllte das Ideal des griechischen Lebens, es war „dasjenige agonale Wesen, derjenige Wettstreit unter Gleichen, welcher dann in zahllosen Gestaltungen das ganze Tun und Denken der Hellenen durchzieht", sagt J a k o b BURCKHARDT1); „wetteifernde Tatenlust" ist nach E. CURTIUS „ein Grundzug des arischen Volkscharakters" 2 ). Bei solchem Tun und Denken gebraucht der Grieche weit über unseren Sprachgebrauch Metaphern aus Wettkampf und Sportleben. Das können wieder einige Antigone-Beispiele zeigen. Soph. Ant. 241 (Kreon): sv ys aTO%d£si xanoffgaywaai xvxXcp / ro Jigäyfia — GTO'/Og ist eine als Ziel aufgestellte Stange > Ziel, GToxdCecrfyai zielen, ins Auge fassen > erkennen, beurteilen, hier die Gedanken des Mitsprechers ahnen, in dieser Bedeutung öfters vorkommend. Ant. 1262 (Kreon): rs xXfj&q avo.ana.axov nvÄrjg / %aX&aa — yaläv nachlassen, lüften: xä VEvqa%aXäv — Ggs. avvxeiveiv, xo£ov yakäv eine Spannung lösen, z. B. auch %akäv noöa beim Schiff. Die nach außen hin sich öffnenden und Hang zeigenden Doppeltüren waren durch Schieb-Riegel innen verschlossen. Den Druck der Tür auf diese Riegel mußte man „lüften", indem man die Tür ävaanä, in die Höhe an sich zog, um den Druck der Tür gegen die Riegel zu lockern und damit zurückzuziehen. Das erklärt der Scholiast richtig, manche Kommentare unsinnig. H. SCHUCHARDT, Zur Methodik der Wortgeschichte, ZRPh. 24, 1900, 569f., 27, 1903, 609f., 28, 1904, 318f. 2 ) B. QUADRI, Aufgaben und Methoden der onomasiologischenForschung, 66.Ähnliche Richtung: F. KRÜGERS Zeitschrift „Volkstum und Kultur der Romanen", 1928 in Hamburg gegründet.

32

B. Faustregeln für die Worterklärung

Ant. 1204/05 (Botenbericht): nQog XI&OOTQCÜTOV xogrjg / wfi(pelov "Atdov xoi&ov sioeßaivofiev kann uns die Archäologie deuten durch XI&OOTQWTOV — Xi&og + arQwvvvfu steingeschichtet; xolXog ist das unterirdische Grabgewölbe mit einem tief eingeschnittenen Gang dahin (naaxag Pfosten, Vorhalle — Ant. 1207). Das Thesaurophylakion in Orchomenos kann eine Vorstellung geben mit dem dgo/iog und der ftdXog. Schon die Etymologie läßt uns einen Blick in einen solchen Bezeichnungsstillstand tun: Dtsch. Hammer ist ursprünglich ein Steinwerkzeug, wie anord. hamar Felswand, Klippe bezeugt, und noch im Ortsnamen Hammerfest erhalten; und nun das Gegenbild aus dem Lateinischen: saxum gehört zu secare schneiden, sacena die Haue des Pontifex, in die Steinzeit zurückreichend. — oxoneXog zur Ysqep schneidend scharfer Fels, xomg Messer zu xdnxeiv schlagen; rupes zu rumpere; laedere schneiden, verletzen gehört zu Xi-dog scharfer Stein; fidgvafxai ich kämpfe zu fiagfiagog Stein, Felsblock; pugnare mit der Faust kämpfen > kämpfen. %a.Xxog und %aXxsvg urspr. Kupferbronze, Erzarbeiter > Schmied, auch von Gold und Eisen: Od. y 435: %aXxEvg . . . olaiv re %ovaov ¿QydCero; Od. < 391: a>g ö' 8T avr}Q %aXxevg neXexvv [ieyav rje axenaqvov / elv vdan ipvxQcö ßdmr] (härtet durch glühend Eintauchen). Es handelt sich um Eisen, denn t 393 wird erklärt: ro yäq avxs aiörjQov ye xgdrog ¿ariv, Arist. Pol. p. 1461a 29: %aXxsag rovg rov aidrjgov egyaCofievovg. Das griechische Wort für Schreiben ist ygacpsiv ritzen (dtsch. kerben, Kerbholz) > schreiben, vgl. dtsch. Biß, Beißbrett, engl, to write; im Ggs. zu engl, to write schreiben unterbricht scribere die Entwicklung von dtsch. ritzen. — yqacpeiv ritzen noch bei Homer P 599: . . . yqdtpev de oi öarsov äxQig I alyjxr), cf. eniyQayxii (II. N 553), auch II. Z 169: ygaipag ev mvaxi TtxvxTÜ) •dv/uoqj'&oQa rcoXXd — arj/xara sind nicht Buchstaben, sondern Bilder; ar\iiaxa Xvyga, •&v/j,o am Hungertuche nagen. —Eräugnis (Goethe) > Ereignis.—Tolpatsch durch Tölpel beeinflußt, ursprünglich eine Art ungarischer Fußtruppen. 1

) J. L. W E I S G E R B E R , Das Gesetz der Sprache, 82ff., spricht von diesem Trieb „etymologisch bestimmter Verhaltungsweisen".

VI. Bedeutungsbeeinflussung durch klangähnliche Wörter der Muttersprache 47

Bei do (ôiôcofii, ÔWQOV) und Komposita von do (abdo, edo, condo, perdo, credo u. a.) spielt die Wurzel do in die Wurzel dhe legen, setzen, stellen hinein. — Aus dem Lateinischen und Griechischen eine Auswahl der von mir gesammelten Beispiele 1 ) : lanterna (griech. Xa/im^Q) durch lateo, latebra > laterna ; calamitas (zu *calamo zusammenschlagen, incolumis unversehrt) Schaden, durch calamus Halm > Halmschaden, Hagelschlag; innoxius (Ggs. obnoxius gebunden) unabhängig, frei, durch innocens > unschuldig ; pernix (zu perna Ferse) mit leistungsfähiger Ferse, hurtig, durch perniti > ausdauernd; acipenser < acupenser der Spitzflossige (Stör) durch aqua > aquipenser; auriga eig. origa, durch Anlehnung an auris; axâbiov (lat. spatium), urspr. anâôiov (zu andm), durch Einfluß von oxàôioç; TZQOOXVVELV zu xveiv küssen, an xvcov angelehnt > anhündeln; â%ûoç, äyßeodai Fracht, beladen sein, durch Mitwirkung von a.%o[iai, ä%vv/xai > unmutig sein, sich kränken. Aus dem Franz ösischen ähnliche Beispiele der B edeutungsbeeinflussung2 ) : So konnte durch verschiedene Anlehnungen das Wort esclevis (14. Jhdt.) Schellfisch > aigrefin „Industrieritter" werden, esclevis durch fin, finaud Schlauberger > esclefin, eglefin; eglefin (-\-aigre) > aigrefin3), béat < beatus glückselig, scheinheilig, gleisnerisch (une béate eine Betschwester), durch die Nähe von Wendungen wie demeurer bouche béante, alt bouche baee, bouche bée mit offenem Munde dastehen (bayer gaffen) > dumm, verwundert dreinschauend 4 ). danger Gefahr, urspr. Herrschaft, Gewalt, gehört zu vulgärlat. dominarium Herrschaftsbereich, durch afrz. dam < damnum Schaden beeinflußt > Gefahr, forestier Waldhüter zu forêt gehörig, auch Fremdling durch Hineindeutung von foris außerhalb. forain zu foire gehörig Verkäufer auf dem Markt, auch Ortsfremder mit Anlehnung an vulgärlat. for anus. frayeur < fragor Krachen, durch Nähe von effrayer in Schrecken setzen > Bestürzung. plantureux fruchtbar, eigentlich zu afrz. plenté (< plenus) gehörig, hat durch Beeinflussung von plante, planter Schreibung und Bedeutung erhalten 5 ). 1 ) STRUCK, Bedeutungslehre, 73FF. — U L L M A N N , Précis de sémantique française, Kap. L'étymologie „populaire", 121—125, Ressemblances formelles entre mots, 288f. mit Hinweis auf A. ERNOUT, Philologica, Paris 1946. 2 ) GAMILLSCHEG, Französische Bedeutungslehre, Volksetymologie als Ausgang der Bedeutungsänderung, 1 8 5 — 1 8 7 .

• 3 ) GAMILLSCHEG, a . a . 0 . , 1 8 5 . 4 5

) GAMILLSCHEG, a . a . 0 . , 1 8 6 . ) U L L M A N N , a . a . 0 . , 2 8 8 ; GAMILLSCHEG, a . a . 0 . , 1 8 7 .

B. Faustregeln für diè Worterklärung

48

Afrz. ouvrable zu ouvrer (< operare) gehörig „zur Arbeit bestimmt" wird mit ouvrir zusammengebracht und jours ouvrables dadurch die Tage, an denen die Geschäfte geöffnet sind 1 ). Vielfache gegenseitige Beeinflussung bis zur Verwechslung zeigen recouvrir < recooperire < recouvrer und recuperare, namentlich recouvert oft im Sinne von re ouvré, ebenso consommer < consummare und consumer < consumere2). peuplier, zu populus Pappel gehörend, wurde an peuple Volk angelehnt und so in der französischen Revolution zum Volksbaum, Freiheitsbaum. Eis. sürkrüt (Sauerkraut) durch chou Kohl und croute Rinde, Borke > choucroute. Einige Beispiele aus dem Englischen : cucumber > cowcumber; beakiron („Schnabeleisen") Amboß < bicornis Zweispitz; bully beef ist fälschlich auf bull statt auf frz. bouilly bezogen worden; crayfish < écrevisse (ahd. krebitz Krebs); sandblind halbblind nach sand für aengl. samblind; bridegroom Bräutigam nach groom für aengl. bryd-zuma. Wir schließen dieses Kapitel der Beeinflussung, deren Beispiele oft unglücklich unter Volksetymologie rangieren, mit einem Wort des romanischen Sprachforschers U L L M A N N 3 ) : , , 1 1 y a dans le langage une tendance très répandue à réunir les mots, à les grouper, à rattacher les éléments isolés à des racines connues." Damit können wir als 6. Faustregel geben: Der e t y m o l o g i s c h e Trieb veranlaßt den Sprecher, ein ihm als b e k a n n t e r s c h e i n e n d e s W o r t e i n e m a n d e r e n bei K l a n g ä h n l i c h k e i t f a l s c h z u z u o r d n e n u n d es in e i n e r d a d u r c h a b g e w a n d e l t e n B e d e u t u n g zu g e b r a u c h e n . VII.

Volksetymologie

Verg. Aen. 8,345 : nec non et sacri monstrat nemus Argileti testaturque locum et letum docet hospitis Argi. Argiletum gehört zu argilla Ton, ist Tongrube, gebildet nach olivetum ölgarten, vinetum Weinberg, dumetum Hecke. — Argiletum als Genitiv von Argus zu Argi letum umgedeutet mit erklärender Sage dazu. Aen. 6,844: vel te sulco, Serrarte, serentem, urspr. Saranus > Serranus und durch Anlehnung an serere Sage erklärend dazu. L

) U L L M A N N , a. a. 0 . , 1 2 2 ; G A M I L L S C H E G , a. a. 0 . , 187. ) U L L M A N N , a. a. O., 2 8 9 ; G A M I L L S C H E G , a. a. 0 . , 187.

A 3

) U L L M A N N , a. a. 0 . , 121.

VII. Volksetymologie

49

Aen.6,27: (Minotaurus inest...) hic labor ille domusetinextricabiliserror — labor „soll an Labyrinth im Zusammenhange mit Minotaurus anklingen" (NORDEN) X ) :

Aen. 6,893:

Sunt geminae Somni portae, quarurn altera fertur Cornea, qua veris facilis datur exitus umbris; altera candenti perfecta nitens elephanto, sed falsa ad caelum mittunt insomnia manes. Der Schlüssel liegt in der volksetymologischen Deutung der griechischen Vorlage — Od. x 563: ai fiev yäg xeqdeaai xexsv%axai, ai d' eXecpavxi (nämlich doiai nvXai); Wahrträume kommen aus dem Tor von xegag, gedeutet mit xQaivco verwirkliche; Trugträume aus dem Tor von ¿Xe Blinde Kuh. Deutsch aus dem Lateinischen und Griechischen: arcuballista > mlat. arbaliste Armbrust; ygcupelov lat. graphium, durch greif an, greifen > Griffel; ligusticum Liebstöckel über libusticum; nETQoaeXivov Steineppich > Petersilie; radikal > rattenkahl, ratzenkahl; Xanthippe > Zanktippe. 7. Faustregel: Der S p r e c h e r d e u t e t sich ein u n b e k a n n t e s W o r t der M u t t e r s p r a c h e oder der F r e m d s p r a c h e durch ein oft nur e n t f e r n t ähnlich k l i n g e n d e s , aber ihm v e r s t ä n d l i c h e s W o r t in der sogenannt e n V o l k s e t y m o l o g i e . D a b e i werden oft auch n i c h t geringe Änderungen im L a u t l i c h e n in Annäherung an das ä h n l i c h e W o r t und ein w e s e n t l i c h e r W a n d e l der B e d e u t u n g e n h i n genommen. Oft wird das e t y m o l o g i s c h dunkel e r s c h e i n e n d e W o r t durch eine h i n e i n g e d e u t e t e Sage oder G e s c h i c h t e sinnvoll g e m a c h t . VIII.

Räumliches > Zeitliches

Soph. Ant. 807 (Antigone lyr.): räv vearav ödov / GTUyovaav den letzten Gang gehend, A n t . 8 0 8 : vearov 8e Zeitliches. Caes. Gall. 5,44,3: Quid dubitas, Vorene? aut quem locum probandae virtutis tuae exspectas? hic dies de nostris controversiis iudicdbit! locus heißt Ort, Stelle, Platz, Posten, Stellung; aber beim Wettstreit der beiden Centurionen Püllio und Vorenus müssen wir übersetzen: Warum so zaghaft, Vorenus? Welche „Gelegenheit" erwartest Du, Deine Tapferkeit zu beweisen? Mit dem Wort „Gelegenheit" geben wir Zeitliches durch

V I I I . Räumliches >

Zeitliches

51

örtliches wieder, wir könnten hier auch übersetzen: Welchen Zeitpunkt erwartest Du? Denn das ist gemeint, fährt Pullio doch f o r t : hic dies . . . iudicabit der heutige Tag soll unseren Wettstreit entscheiden. So auch locus bei Plautus und Terenz oft „ Z e i t " , das wiederholt Sallust. Statt ilico hatten wir bei Vergil, Aen. 2,424, ilicet (s. o.); ilico < in loco auf der Stelle! „ A u f der Stelle gestehst d u " kann örtlich gemeint, aber zeitlich verstanden werden; denn ich kann auch sagen: auf der Stelle verläßt du das Zimmer. — in vestigio auf der Stelle, augenblicklich; Caes. Gall. 4,5,3: saepe de summis rebus consilia ineunt, quorum eos in vestigio paenitere necesse est. ~ lat. statim (zu stare), Gall. 1,53,7: consultum . . . utrum igni statim necaretur an in aliud tempus reservaretur ob man ihn sofort Feuertodes sterben lassen oder ob man das auf später verschieben solle; in aliud tempus heißt ursprünglich auf eine andere „Spanne". Griech. ädivog dicht aufeinander steht bei Homer lokal oder temporal: 1. sich drängen von Schafen, Bienen, Fliegen, 2. wiederholt, anhaltend von Weinen und Brüllen. Weitere Einzelheiten im Artikel ädivog von Vittore PLSANI des L f g r E . Jedenfalls ist die Reihenfolge immer Raum > Zeit. Das wird verkannt im Artikel äftgoog des L f g r E , wo es richtiger: 1. örtlich, 2. zeitlich heißen müßte und nicht umgekehrt. Die unter 1. zeitlich gebrachten Beispiele zeigen öfter das Umspringen von Raum > Zeit, a&Qoi£u) (nicht bei Homer) nur örtlich sammeln, aufhäufen, xaiQog z. B. kommt bei Homer und den Lyrikern noch nicht in zeitlicher Bedeutung vor 1 ). Das beobachten wir öfter: (äöivög) av%vog gedrängt voll, zahlreich > o f t ; ä&QOog zusammengedrängt > o f t ; ayy_i(xolov nahe > bald; omaco nach hinten > hinterher; fiaxgog, ßga^vg lang und kurz von Raum und Zeit; vßTEQog der „folgende", spätere, räumlich und zeitlich; ~ araßfiög, anädiov > araöiov; > lat. tempus, protenus, spatium, intervallum, ubi wo > sobald als. B. SNELL sagt 2 ): „in bestimmten Satzzusammenhängen können solche lokalen Beziehungen nun auch vom Sprechenden auf Zeitliches übertragen oder vom Hörenden auf Zeitliches bezogen werden." Vom Bedeutungswandel allgemein sagt S N E L L 3 ) : „Jedenfalls aber kann ein Bedeutungswandel nur als verstanden und erklärt gelten, wenn solch ein Satz aufgewiesen ist, in dem die Bedeutung von der alten in die neue Bedeutung umspringt." Diese Forderung scheint mir durch obige Caesar-Beispiele für dieses Kapitel Raum > Zeit erfüllt zu sein. Aber keinesfalls darf man in dem Beispiel Raum > Zeit von einer „Übertragung" sprechen, wie

M. TREU, Von Homer zur Lyrik, 224. SNELL, Der A u f b a u der Sprache, 176. 3 ) a. a. 0., 171.

S)

4*

52

B. Faustregeln für die Worterklärung

SNELL es tut und auch noch DORNSEIFF1) : „Wie uns die Vorstellung des in der unmittelbaren Anschauung liegenden Raumes weit näher steht als die der Zeit, so ergibt sich aus der Betrachtung unserer Bezeichnungen für zeitliche Verhältnisse, daß sie großenteils von solchen für räumliche hergenommen sind und somit eine Gruppe von Metaphern bilden, die allerdings nicht mehr immer als solche empfunden werden." Die heutige Sprachwissenschaft widerspricht mit ihrer Auffassung des psychischen Vorgangs Baum > Zeit solcher Metaphernerklärung, wo kein Vergleich vorliegt. Alle psychischen Gestalten sind Raum- und Zeitgestalten zugleich, die untrennbar sind, sondern sich nebeneinander einfinden. Wie das Zeitliche unzertrennlich in unserer Erinnerung verbunden ist mit dem räumlich Konkreten, so gibt es auch keine Zeit ohne Raum. Dieselben Ausdrücke können örtliches und Zeitliches bedeuten : Zeitraum, Zeitspanne, Zeitpunkt, vorderhand, straks, lang, kurz, in, an, auf, zu, über, unter, um. KLAGES erklärt, wie „alle Erscheinungscharaktere gewissermaßen eingebettet sind in Charaktere des Raums, denen sogleich sich zugesellen Charaktere der Zeit; daher die sprachliche Raumsymbolik" 2 ). Gaston ESNAULT3) sagt: „L'espace exprime métaphoriquement le temps, sans réciprocité", also nur Räumliches > Zeitliches, das spricht gegen métaphoriquement. Ein alter räumlich-zeitlicher Spaß: Die Wagen halten hinfort vor der Kirche hinter der Kirche, nach der Kirche vor der Kirche. Hinterher wurde diese kurze Anweisung häufig nicht befolgt. Und betr. Raum > Zeit noch einen Schritt weiter : Der Zeitmesser ist fj,rjv, mensis Monat. An den regelmäßigen Vorgängen z. B. im Himmelsraum kann man vom Geschehen im örtlichen zum Bezeichnen des Zeitgeschehens kommen: negm^ofiévcov êviavrœv im Kreislauf der Jahrespunkte (annus < *at-nos Läufer). Ein Wort für Jahr ist auch Xvxdßag < *h)x(?.evx6g) und äßa, nach Hesychglosse rQoypq, urspr. Lichtkreislauf, Lichtgang, aber bei Homer noch die ältere, auch später sich wiederfindende Bedeutung Monat. Od. | 161 = Od. r 306: rovd' avrov Xvxdßavrog ÈÀEVOETCU êv&àô' 'Oôvaaevç rov fièv qr&ivovTOÇ firjvoç, rov ô' iara/iévoio. Die Homerstelle besagt: Noch im Laufe dieses Monats, und zwar bei diesem Neumond — an dem auch zu Ehren Apollons das Fest ist —, d. h. 1)

Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, 137 — Zeitbezeichnungen. L. KLAGES, Die Sprache als Quell der Seelenkunde, 165. B. RUSSELL, Human Knowledge, London 1948, übers, v. W. BLOCH, Das menschliche Wissen, Darmstadt 1952, 223: „Als Letztes sollte noch beachtet werden, daß der zwiefältige Baum, in dem die Wahrnehmungen lokalisiert werden, in enger Analogie zur zwiefältigen Zeit der Erinnerungen steht." 3 ) Zitiert bei ULLMANN, Précis de sémantique française unter Lois sémantiques, 295. 2)

VIII. Räumliches > Zeitliches

53

heute nacht oder morgen früh wird Odysseus kommen. Der zweite Vers: rov ¡iev (pdivovxog firjvog . . . determiniert und gibt in Form der auch sonst zu beobachtenden Selbsterläuterungen bei Homer die Erklärung zu dem orakelhaft dunklen Xvxdßag1). Die vergleichende Erinnerung der Umstände durch ein wiederholtes Geschehen im Raum macht räumliche Eindrücke auch zu zeitlichen. I n der Wortbildung und Syntax (oben Genetiv des Bereichs) gehen Raumund Zeitbestimmungen parallele Wege. Z. B. auf v, ßovßibv. Auch alle attischen Monatsnamen enden auf a>v und bezeichnen ein wiederkehrendes räumliches Festgeschehen, bedeuten dann zeitlich den Monat: 'Exarofißaicov, in dem das große Festopfer dargebracht wird; Msrayeirviwv „because people changed their neighbours" 2 ), als Nachbarfest wahrscheinlich; BorjÖQO/iubv der Monat des Festes des zu Hilfe eilenden Apollon; IJvaveipuov der Monat des Bohnengerichts, wo Bohnen zu Ehren Apollons gekocht und dargeboten wurden; auch Mai/iaxrrjQubv ist nach einem Fest ebenso wie Iloaeiöed\v benannt; rafirjXubv ist Hochzeitsmonat mit Segensriten des Hieros Gamos,'Av&earrjQuov das Fest der Anthesteria; 'EkaqrrjßoXubv bringt Festzüge der Göttin Artemis, der Erlegerin der Hirsche, wie auch Movvv%ul>v mit besonderen Festprozessionen f ü r Artemis; 0aQyrjXubv hat Reinigungsumzüge, ZxiqocpoQimv Kultfeiern wohl besonderer Art für Demeter undKore. Jedenfalls, das immer wiederkehrende räumliche Geschehen dieser Festfeiern dient zur Bezeichnung des Monats, der Zeit. Ähnliches haben wir in der Kindersprache: Wenn noch dreimal ausgeschlafen, dann ist Weihnachten! Es ergibt sich die 8. Faustregel: Alles Zeitliche d r ü c k e n wir d u r c h R ä u m l i c h e s , weil d a v o n u n t r e n n b a r , oder in der v e r g l e i c h e n d e n E r i n n e r u n g d u r c h ein w i e d e r h o l t e s Geschehen g e g e n w ä r t i g e r U m s t ä n d e im R a u m aus. X

) M. LEUMANN, Homerische Wörter, 212 Anm. 4, 264, 273. — Ders., Glotta 34, 1955, 225: „Monat ist eine der antiken Deutungen". 2 ) LIDDELL-SCOTT-JONES, Greek-English Lexikon, Oxford, At the Clarendon Press 1953, s. v.

54

B. Faustregeln für die Worterklärung

IX. Kontextbedeutungen der W a h r n e h m u n g s - u n d V o r s t e l l u n g s e r l e b n i s s e a) Ort und Bewohner, Ort und Begebenheit: Verg. Aen. 9,183: tum quoque communi portam statione tenebant — statio Wache und Wachposten, ähnlich vigilia Nachtwache, Wachposten. ~ frz. aviser aufmerksam machen, avise Wachposten. Deutsch kann ich sagen: Die Wache (der Wachposten) meldet sich nach der Wache (Postenstehen) in der Wache (Gebäude) zurück, theatrum — theatra tota exclamant von den Besuchern (Cicero), êç ôâxova STIEGE TO êéaxQOV (Herodot 6,21) — toute la ville était sur pied1) die ganze Stadt war auf den Beinen. Wie Ort und Zeit immer, so sind Begebenheit und Ort, Gegenstand und Ort, Tätigkeit und Ort der Tätigkeit, Bewohner und Ort Bewußtseinsinhalte, die sich zu einem Vorstellungsganzen durchdringen können, die einen festen „Kontext" bilden. Um den Bedeutungskern lagert sich eine Schale, die zum umschlossenen Kern gehört. Von diesen „Kontextbedeutungen" gilt vornehmlich, was KLAGES2) sagt: „Bedeutungen werden erlebt und sind deshalb nie definierbar; (Begriffe, grundsätzlich stets definierbar, werden gedacht)". Griech. âyoQij, nomen actionis zu àyeÎQEiv, ist das Versammeln; eîç ayogrjv

levai,

xaXéaai,

xrjQvtzeiv

(Horn.)

zur

Versammlung

gehen

kann auch örtlich verstanden werden > zum Versammlungsplatz, Markt. âyoQrj bezeichnet dann auch alles, was dabei geschieht : Beratung, Reden âyogrjTrjç,

ayoQEVEiv, âyogrj ßovXrjipÖQog, âyogfj vixäv

— Ggs.

TtôXsfioç,

Tiovoç; später âyoqâ auch Markt mit verkäuflichen Waren, âyoqai Lebensmittel, âyogàv naç>é%eiv Handel gewähren. ~ dtsch. Markt, Messe, Amt, Steueramt, Zollamt; das Amtsgericht, Landgericht ladet vor. Engl, the House das Abgeordnetenhaus > die Abgeordneten, the house das Schauspielhaus > die Zuschauer, the house die Firma > Chef, Mitarbeiter der Firma. Frz. parquet der abgegrenzte Raum im Gerichtssaal > Gerichtspersonal, Staatsanwaltschaft; caveau kleiner Keller > Dichter und Literaten in Paris, die dort ihre Sitzungen abhielten; barreau Gitterstange, Platz der Advokaten > Sachwalterschaft3). 1 2 3

) GAMILLSCHEG, Französische Bedeutungslehre, 53. ) KLAGES, Die Sprache als Quell der Seelenkunde, 21. ) GAMILLSCHEG, a. a. O., 54.

IX. Kontextbedeutungen der Wahrnehmungs- und Vorstellungserlebnisse

55

~ Xeayj], äy Verletzung = vulnus. Caes. Gall. 3,31,3: Alias eruptione templata, alias cuniculis ad aggerem vineasque actis . . . mittunt die Feinde versuchten bald einen Ausfall, bald trieben sie Minengänge gegen den Damm und die Sturmlauben vor, vgl. Gall. 7, 24, 2: cuniculus Kaninchen > unterirdischer -Gang, Mine. Verg. Aen. 2,686: . . . et sanctos restinguere fontibus ignes die heiligen Gluten mit Wasser zu löschen. Aen. 12,119: . . . alii fontemque ignemque ferebant und trugen das Wasser herbei und das Feuer, also fons Quelle > Wasser. Aen. 10,140: Te . . . viderunt . . . vulnera dirigere (= calamos). Soph. Ant. 30: die Leiche des Polyneikes liegen zu lassen oioovolg yXvxvv •drjoavgov elaoQÜtai jcqdg %aQiv ßogäg den Vögeln zum Fressen. Ant. 1017: die Altäre sind nXrjQsig vn olcovwv re xal xvvmv ßogäg — hier ßoqä das Gefressene, daher vnö wie beim Passiv. Ursache und Wirkung stehen in wechselseitiger Kontextbedeutung, altes Beispiel: Wau-Wau für Hund, xoxxv£, cuculus Kuckuck, yQvXog Ferkel zu ygv£eiv grunzen, xoga£ — kra, ulula, turtur, grus. ßdgßaQog der Mensch mit unverständlicher Sprache („Rhabarber" der Bühnentechnik). Mit Recht spricht man oft vom Zeichencharakter der Sprache. Ein Warnzeichen an einer schlüpfrigen Straße ist eine Schlangenlinie und ein schiefliegendes Auto; auch hier wird das effectum dargestellt, gemeint ist das efficiens! Das Schild bedeutet: Durch Rutschgefahr gefährliche Straße. Das Zusammenmeinen von Ursache und Wirkung haben wir auch bei den Wörtern für brechen, schlagen und ähnlichen, wo der damit verursachte Schall sprachlich mitgemeint ist, oder auch umgekehrt dann: Das kracht zusammen bedeutet „bricht zusammen".

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B. Faustregeln für die Worterklärung

Soph. Ant. 592 (im Chorlied): orovq> ßge/iovai ö' dvrmXrjysg axrai und mit Gestöhn ächzen die sturmgepeitschten Küsten. Ebenso Ant. 952: ov% äMxxvnoi xeXaival väeg ixcpvyoiev nicht meerumrauschte dunkle Schilfe könnten entrinnen. Ant. 336 (Chor): TteQißgvyioiaiv / TIBQCÖV in oid/iaoiv unter ringsum brausenden Wogensch wällen. Verg. Aen. 7,677: ... et magno cedunt virgulta fragore „es weicht das Gebüsch mit prasselndem Krachen" (GÖTTE). Aen. 5,228/29: tum vero ingeminat clamor, cunctique sequentem / instigant studiis, resonatque fragoribus aether „Jetzt aber schwillt das Geschrei, den Verfolgenden stacheln durch Zuruf / alle nun an, laut hallt von donnerndem Beifall der Äther" (GÖTTE). Die antike Rhetorik hat weitere „Kontextbedeutungen", wie wir sie benannten, unter dem Tropus der Metonymie, denominatio, behandelt; wenn sie auch von Hause aus nur okkasionelle Verwendungen mit dieser Wortfigur stilistisch meinte, so sind viele doch auch usuell geworden 1 ). Weitere Beispiele für Ursache und Wirkung, Erzeuger statt des Erzeugnisses, Erzeugnis statt des Erzeugers: dtsch. Lieferung, Bau, Druck, Stich, Arbeit (~ opera Buch, Werk); griech. e^erjfioavvrj Barmherzigkeit'> Almosen; frz. faveur Gunst > Geschenk; engl, bounty Freigebigkeit > Geschenk, flirt > Geck, Kurschneider, tramp > Handwerksbursche, Landstreicher. Autoren und Künstler statt ihrer Werke: Tu vero pervulga „Hirtium" ( d e . Att. 12,45,3); Hirtii librum, ut facis, divulga (Cic. Att. 12,47,3). — Dtsch.: ein Rembrandt, Dürer usw. Erfinder für ihre Erfindungen oder Erstherstellungen: Gobelin (frz., engl, und dtsch.). Engl, browning, havelock (Mantel mit Kragen), spencer (Wams), shrapnel, macadam, maudlin (sentimental), hansom, mackintosh, a Bendix, a Hoover (Staubsauger). So steht auch der Gott für seine Gabe oder Funktion: Soph. Ant. 122 (Chor): are gladius ~ dtsch. Eisen, engl, iron, frz. fer. — Bronze, engl. bronze, frz. bronze. — Absinth, engl, absinth, frz. absinth. — Aloe, Kirsch, Kümmel, Korn. Frz.: carton (aus Ital. entlehnt) Pappe > Karton aus Pappe, castor, biber > Pelz aus Fischotter, Biber, — blaireau Dachs > Rasierpinsel1). — Afrz.: bonnet Stoff zur Kopfbedeckung > Mütze. — galai Ginsterreisig > Besen. Engl.: glass Trinkglas, Linse (Opernglas, Augenglas, Vergrößerungsglas), jegliches Glasgeschirr. d) Eigentümer für Eigentum: Verg. Aen. 2,311: iam proximus ardet / Ucalegon (das Haus des U.) — Samnites devastare das Land der Samniten. e) Kollektives Abstraktum statt eines Konkretums: Caes. Gall. 6,34,3: haec loca vicinitatibus erant nota; Ov. Met. 2,688: Bottum vicinia tota vocabant (Plural! = vicini), ~ dtsch. Nachbarschaft > Nachbarn; dtsch. Anlage, frz. u. engl, construction; — Pflanzung, frz. und engl. plantation-, — Sammlung, frz. u. engl, collection. f) Gefäß statt des Inhalts: mortiferum poculum (Cic.), dtsch. ein Glas trinken, engl, to drink up a glass, frz. boire un verre; eine kalte Platte essen. g) Individuum pro specie: Chiron für Erzieher, Roscius für Schauspieler, frz. automedon, engl. Automedon für Kutscher, vgl. ein Apoll, ein Krösus (engl. Croesus), ein Mäcenas (engl. Maecenas), eine Chimäre, frz. chimere, engl, chimera Schreckbild, Hirngespinst. h) Bekleideter Körperteil für das Kleidungsstück: $u>Qa£ Rumpf > Panzer; — dtsch. Kragen < mhd. Hals, Nacken, vgl. um Kopf und Kragen; Ärmel Deminutiv zu Arm; Leibchen. i) Ellipse: Bei Wörtern, die in einem ständigen synsemantischen Umfeld stehen, also kontextgetragen sind, kann in der häufig wiederkehrenden Verbindung etwas weggelassen werden, das Adjektiv ohne Substantiv, das Verb ohne Objekt stehen, überhaupt in syntaktischen Verbindungen etwas fehlen. Der regelmäßige Begleiter des Bedeutungsträgers hilft zunächst die Bedeutung tragen, schließlich übernimmt er sie ganz und macht den ursprünglichen Bedeutungsträger überflüssig. Persicum (malurn)Pfirsich; brundisinum (aes) > frz. und engl, bronze, dtsch. Bronze-, prosa (oratio) > frz. und engl, prose, dtsch. Prosa-, o äxQarog X

) GAMILLSCHEG, a . a. O . , 5 5 .

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B. Faustregeln für die Worterklärung

(olvog); appellere (navem), ivievai (vfja); conserere (manus); universitas (magistrorum et discipulorum); aiqeiv (äyxvQav); ravrrj (xfj odä>). Dtsch. Zoologischer, Holländer, Rüdesheimer. Frz. cognac, engl, cognac; — Champagne ; roquefort. Engl, bluchers, nämlich boots Stiefel (nach Feldmarschall Blücher); good bye, nämlich with you; brandy < brandywine (niederl. brandendjn); hock < hockamore Hochheimer. 9. Faustregel: Der S p r e c h e r b e z e i c h n e t durch Nennen einer V o r s t e l l u n g die mit dieser V o r s t e l l u n g in gewissen K o n t e x t e n des W a h r n e h mungs- und V o r s t e l l u n g s e r l e b n i s s e s s t e h e n d e n B e g l e i t v o r s t e l l u n g e n ; dazu gehören auch die E l l i p s e n . X . A n f a n g s t ä t i g k e i t zur B e z e i c h n u n g des G a n z e n Soph. Ant. 4 3 (Antigone): el rov VSXQOV £VV rfjds xovtpielg %£Qi. P I L C H übersetzt richtig: „Ob Du ihn heben wirst mit dieser Hand?" Das fragt Antigone, aber Ismene versteht ftanreiv1): fj ya.Q voelg ftanxEiv acp', aTtoQQrjrov noXei;

Caes. Gall. 4 , 1 7 , 3 : animalia capta immolant — immolare ist ursprünglich mit mola Opfermehl (so noch Cato) bestreuen > opfern, > töten, ~ griech. iegeveiv weihen des Opfertiers durch den iegevg > opfern, schlachten. Diese weitgehende Ausdrucksweise eines Ganzen, z. B. des Begrabens, durch die Anfangstätigkeit, das Aufheben des Toten, erklärt sich aus einem Kontext; der Abschnitt, der als erster in Erscheinung tritt, die kraftgeladene, bedeutungsvolle Anfangstätigkeit umfaßt bei verwickeiteren Handlungen das Ganze mit. Das ist besonders bei Kulthandlungen und bei Zeitausdrücken zu beobachten, aber auch sonst. B R Ü G M A N N hat das eine „Sinnesstreckung" genannt2), und der Ausdruck ist in der Sprachwissenschaft üblich geworden. Bei verwickeiteren Handlungen wird so der Anfang genannt bei: proficisci sich vorwärts machen, aufbrechen > marschieren, tres dies profecti sunt; dtsch. losziehen, sie zogen mit ihren Rucksäcken drei Tage los; pugnam committere > kämpfen, mittere nefinsiv schicken, auch geleiten (vgl. nofinri); consulere senatum urspr. den Senat versammeln > sich mit ihm beraten (consul zu gr. ¿ÄeZv hat auch urspr. das Zusammennehmen des Senats in einem heiligen Kreis bedeutet); contio Versammlung, avveÖQia, äyoQrj, die Versammlung dauerte bis 2 Uhr nachts. E. STRUCK, Der zweimalige Gang der Antigone zur Leiche des Polyneikes, Gymn. 60, 1953, 327 f. 2 ) K . B R U G M A N N , Z U den Wörtern für „heute", „gestern", „morgen" in den indogermanischen Sprachen, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss., phil.hist. Kl. 69,1917, H. 1, 28.

X. Anfangstätigkeit zur Bezeichnung des Ganzen

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Kirchweihe meint nach dem Gottesdienst das ganze Fest, Messe den ganzen Tag nach der kirchlichen Messe; metere mähen > ernten; nuptiae die Hochzeit ist fast synonym mit matrimonium; cmovöai die Anfangstätigkeit beim Vertrag, der Opferguß > Vertrag; %orj Flüssigkeitsguß > Totenopfer mit allem Ritus; âvaigeïv weissagen aus den aufgehobenen Losen; rikvve.iv, lavare waschen; die Anfangstätigkeit beim Walken bezeichnet das Ganze > walken. Dtsch.: Anfangstun und Erfolg zusammenfallend: auspfeifen, vertrinken, loskaufen, aufessen1). Anfangstätigkeit für Ganzes: versinken, ersticken, anspornen, anstacheln, nahelegen, einsetzen, entgleisen. Der griech. Aorist und das lat. Perfekt zeigen den Anfang und Erfolg der Tätigkeit an. Frz.: Afrz. soi retorner sich umkehren wird zum Ausdruck der sich anschließenden Bewegung und kann auch den Endpunkt der Bewegung ausdrücken: ils retournaient sie waren auf der Rückkehr begriffen; me voici retourné nun bin ich wieder da, angekommen; so auch attendre, arriver à, accéder à ein Ziel erreichen; ebenso gagner un endroit „lenkt die Aufmerksamkeit ausschließlich auf das Endziel der Bewegung" 2 ). Afrz. portraire vorwärts ziehen, in Gerichtssprache vor Gericht ziehen > quiconques sera portrait par la loi . . . de meurtre wenn einer vor Gericht des Mordes überwiesen ist 3 ) ; — secourir hinzulaufen > helfen ~ griech. ßorj•&eïv auf Alarm loslaufen > helfen. Wie mit dem Anfang der kraftgeladenste Teil des Ganzen gemeint wird, so auch mit dem Teil, der besonders „bezeichnend" ist. Ein charakteristischer Teil ist sinngebend für das Ganze 4 ). Zum Beispiel die Tracht: Caligula Stiefelchen, Lump, Blaujacke. „Der Page drängt sich zur Königin groß, / Durch alle die Degen und Fächer " (Goethe); frz.: pantalon rouge Soldat, grisette grauer Stoff > Putzmacherin; — afrz. haire härenes Gewand > pauvre hère armer Schlucker, drille Lumpen > Fußsoldat, colletin Lederwams der Lastträger > Lastträger, coltiner Lasten tragen, oder ein Körperteil: Lockenkopf, Großmaul, Geizkragen, Rotkehlchen, Vierzehnender, Spießer ~ subulo, barbus, corvus, Xaydiç, Ttâyovgoç, oder das mitgeführte Gerät oder Gewaffen : calo, (pdkayi, Besen, Knieriem, Pennäler-, frz. le trompette der Trompeter ~ clairon, clarinette5). Es ergibt sich also die

!) L. WEISGERBER, Vom Weltbild der deutschen Sprache, Düsseldorf 1950, 209. 2 3

) GAMILLSCHEG, a . a . O . , 4 6 . ) GAMILLSCHEG, a . a . O . , 4 7 .

4

) DORNSEIFF, Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, 88.

5

) GAMILLSCHEG, a . a . 0 . , 5 6 .

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B. Faustregeln für die Worterklärung

10. Faustregel: Mit der A n f a n g s t ä t i g k e i t , ü b e r h a u p t mit einem c h a r a k t e r i s t i s c h e n T e i l , einer a u f f ä l l i g e n E i g e n s c h a f t wird das Ganze bezeichnet. XI.

Bedeutungsverdunkelung

Soph. Ant. 871 (Antigone lyr.): ßavcbv er' ovaav xarrfvageg fie. evaqa (Horn.) Sieges- und Kriegsbeute, die Rüstung, xarevagi£eiv eigentlich einem toten Feinde die Kriegsrüstung ausziehen > töten. Verg. Aen. 40,892: tollit se arrectum quadrupes et calcibus auras / verberat, VEZIN : „und es bäumt sich empor und schlägt die Luft mit den Hufen". verberare (denom. verber) mit der Rute schlagen > schlagen. Aen. 4,72: illa (cerva) fuga silvas saltusque peragrat — peragrare eigtl. per agros sc. ire. Der Vorgang ist schon aus Homer bekannt: ßovxoXog aiy&v, ßovxoheiv htnovq, olvo%oeiv vexrag, äxovriCeiv -da/ueias alyjxag. Wie soeben die Anfangstätigkeit und besonders Auffallendes das Ganze bezeichnete, so gilt nun auch umgekehrt: Aus einem Kontext von Vorstellungen werden einzelne Bestandteile so stark vom Interesse, vom Blickpunkt aus dem Ganzen herausgenommen, daß andere Bestandteile im Dunkeln bleiben. Der Sprecher umfaßt nicht den ganzen Komplex zusammengesetzter Vorstellungen, sondern nur einen Teil daraus: ßovxoXelv nur „weiden". WUNDT1) nannte diesen Bedeutungswandel Bedeutungsverdunkelung, K Ä I N Z 2 ) weniger glücklieh Bedeutungsentleerung; keinesfalls darf man von einer Abschwächung sprechen. Dieser psychologisch erklärbare Vorgang der Bedeutungsverdunkelung geht so weit, daß Verbindungen mit einem widersprechenden oder das Nämliche besagenden Wort möglich werden: eine alte Jungfer, Frauenmannschaft, Wochenjournal, ein herrenloser Damenschirm, Wachsstreichhölzchen, Silbergulden usw. Der Vorgang kann ebensogut in nicht zusammengesetzten Wörtern statthaben : wir sind hier in 1000 m Höhe glücklich gelandet, er war in der Gefangenschaft mein Gefährte, beim Wandern ein fröhlicher Geselle. Frz. panier etym. Brotkorb > Korb; lat. affibulare mit einer Spange (fibula) zusammenheften > zusammenheften, afrz. affibler anziehen > nfrz. s'affübler sich herausputzen, afrz. desfibler die Kleidung loshaken > sich ausziehen, nfrz. defubler (das Gesicht) enthüllen; afrz. gemmer mit W. WUNDT, Grundriß der Psychologie, 15. Aufl., Leipzig 1922, 382. F . KAINZ, Psychologie der Sprache 1, Grundlegung der allgemeinen Sprachpsychologie, Stuttgart 1941, 134. 2)

61

XII. Polare Ausdrucksweise

Edelsteinen besetzen > verbrämen, schmücken1). — An französischen Restaurants: five o clock tea ä toute heure; Irish stew ä l'irlandaise. Engl.: dismal (dies mati) Unglückstag > düster, gräßlich; alibi Entlastungsbeweis > Entschuldigung; courtship höfisches Betragen, Huldigung bei Hofe > Huldigung, Iiebeswerben. 11. Faustregel: Der S p r e c h e r u m f a ß t n i c h t den ganzen K o m p l e x zusammeng e s e t z t e r V o r s t e l l u n g e n , sondern aus dem Ganzen nur einen b e z e i c h n e n d e n T e i l , während das übrige im D u n k e l n b l e i b t . X I I . Polare Ausdrucksweise Soph. Ant. 1108 ( K r e o n ) : IV ix' onaoveg / olx'

ovxeg olx

cmövxeg.

BUSCHOR übersetzt: „Sammelt Euch / Von nah und fern!" und verdeckt die Schwierigkeit, gemeint ist — alle Diener. Zwar spricht Kreon hier in höchster Erregung, aber damit allein ist die Unlogik nicht erklärt, ebensowenig Soph. El. 305 vom fernen Bruder: ¡liXkiav yaQ alei öoäv xi xäg ovoag xe ¡xov / xai xäg amovaag dieqr&OQSV.

efaiidag

KAIBEL2) bemüht sich zur Stelle um eine Erklärung solcher Ausdrucksweise, für die „Beispiele öfters gesammelt sind, aber eine zusammenfassende Behandlung scheint zu fehlen". Die Semasiologie hat diese „polare Ausdrucksweise", die Darstellung eines Ganzen durch gegensätzliche Teile inzwischen beobachtet und der Interpretation solcher Stellen geholfen mit der Erklärung, daß der Sprecher im Trieb nach Deutlichkeit, nach Drastik das Ganze erfassen möchte und es darum in polare Teile zerlegt. Solche polare Ausdrucksweise ist auch Ant. 40 (Ismene spricht): Xvova' äv rj \ipdnxovaa, ein Bild vom Webstuhl „lösend und knüpfend", ebenso Eur. Bakch. 801: ovxe jcda%A>v ovxe ÖQCÜV, ähnlich der Ausdruck für „jegliche Zeit" Soph. Ant. 611 (Chor): TO x ETteixa xai xo /JLBXXOV xai xo JIQIV ¿TtaQxeaet (so auch D. 18.31 xai xoxs xai vvv xai

asi...)

Das Gebiet der Stilistik und der Onomasiologie scheinen sich hier zu berühren. Aber dieser stilistische Trieb der Deutlichkeit ist auch sonst onomasiologisch wirksam. Der Trieb zur Deutlichkeit erklärt uns ebenso das Entstehen und den Gebrauch der Doppelform der tautologischen Komposita: Damhirsch (lat. dama), Auerochse (lat. urus), Kichererbse (lat. GAMILLSCHEG, a . a . O., 4 4 .

a

) Sophokles, Elektra. Erkl. v. G. KAIBEL, 2. Aufl., Leipzig-Berlin 1911.

62

B. Faustregeln für die Worterklärung

cicer), Turteltaube (lat. turtur), Buchsbaum (lat. buxus); Engl.: courtyard Hofraum, greyhound (isl. grey Hund); Frz.: Doncourt (< dunum Stadt, Dorf), Bourgville, wie auch das Entstehen der Reim- und Klangwörter: Haus und Mann und Maus, durch dick und dünn.

Hof,

12. Faustregel: G a n z h e i t l i c h e E r f a s s u n g e r s c h e i n t d e m b e z e i c h n e n d e n Mens c h e n w i c h t i g , d a r u m z e r l e g t er i m S t r e b e n n a c h D e u t l i c h k e i t d a s G a n z e i n T e i l e , die o f t z w e i g e g e n s ä t z l i c h e P o l e s i n d o d e r d u r c h A l l i t e r a t i o n oder R e i m z u s a m m e n g e h a l t e n w e r d e n , u n d b e z e i c h n e t so das G a n z e . XIII.

B e d e u t u n g s v e r d u n k e l u n g in G e g e n s ä t z e n , in R e i m - und K l a n g w ö r t e r n , in s p r i c h w ö r t l i c h e n V e r b i n d u n g e n durch M i ß v e r s t ä n d n i s s e Verg. Georg. 1,269: fas et iura sinunt, Servius erklärt: id est divina humanaque iura sinunt. — Plautus unterscheidet noch entsprechend Cist. 20: idque decet iusque fasque est das ziemt sich und ist menschliches und göttliches Recht; aber fas verblaßt in dieser Verbindung: id fas armorum (ist Waffenbrauch) et ius hostium (Tac.); in qua praetura iste ius, fas, leges, iudicia violavit (Cic.) > ultra modum fasque est, per omne fas et nefas, fas piumque — fas wird zu einem ethischen Wert: fas est = licet. Oft bedeuten diese vererbten stehenden Verbindungen, Reim- und Klangwörter etwas ganz anderes, als ursprüngliche Bezeichnung und pedantische Wortdeutung ergeben. DORNSEIFF stellt s e m a s i o l o g i s c h fest 1 ): „daß manche von den in fest überlieferter Form wiederkehrenden verschwisterten Wortpaaren, die vielfach durch Alliteration oder Reim zusammengehalten werden, in der Entwicklung ihrer Bedeutung bemerkenswerte Verschiebungen durchgemacht haben". . . . „Bei anderen Formeln verbinden wir zwar mit beiden Gliedern jetzt noch einen bestimmten Wortsinn, lehnen aber das eine Glied, in dem eigentlich ein vereinzelter Rest einer früheren Bedeutung erhalten ist, mehr oder weniger an die gegenwärtig übliche Wortbedeutung an." So z . B . : schlecht und recht (schlecht ursprünglich gerade wie schlechtweg, schlicht); Handel und Wandel (Verkehr); leben und weben (sich hin und her bewegen); auf Treu und Glauben — Wechselverhältnis der Treue: Treue auf Seiten dessen, dem etwas anvertraut wird, Glaube auf Seiten des Anerkennenden; auf Schrot und Korn, wobei Schrot — ursprünglich ein ausgeschnittenes, !) a. a. O., 186.

XIV. Körperliche Begleittätigkeit > geistige Tätigkeit

63

zum Prägen bestimmtes Stück — auf das Gewicht geht, Korn auf Feingehalt des Metalls > ein Mann von altem Schrot und Korn. 13. Faustregel: Der S p r e c h e r meint bei s p r i c h w ö r t l i c h e n W o r t p a a r e n , bei S t a b - und K l a n g w ö r t e r n oft nur bei dem einen von beiden etwas D e u t l i c h e s , b e z e i c h n e t also nur mit einem der b e i d e n , wobei er eine gewisse A b s c h a t t u n g des anderen h i n n i m m t , oder er b e z e i c h n e t auch durch s c h e i n b a r e s Zerlegen der urs p r ü n g l i c h e n W o r t b e d e u t u n g einen der V e r b i n d u n g n i c h t e n t s p r e c h e n d e n K o m p l e x einer Ganzheit. X I V . L e i b - und S e e l e e i n h e i t . Geistige Tätigkeit durch körperliche Begleithandlung bezeichnet Verg. Aen. 6,377 : sed cape dicta memor. Aen. 4,501 (Anna) : . . . nec tantos mente furores / concipit. Soph. Ant. 9 (Antigone) : ë%eiç xi XBiarjxovaaç ; weißt Du's, vernahmst Du es? Ant. 270: ov yàg £t%ofj,ev ovt àvTupwveïv ovd' Ô7MOÇ Ôqojvjeç xahmç nQâÇaifjiev. Die Entwicklung von £%siv haben > wissen liegt in der psychophysischen Anlage des sprechenden Menschen. Die Bezeichnung von geistiger Tätigkeit kann nur über die körperliche Begleittätigkeit, über Geste und Mimik erfolgen. Körperliches Tun wie „Erfassen" und „Begreifen" meinen das Geistige mit, das ist keine Metapher — es liegt kein Vergleich vor —, sondern ein psychophysischer Parallelismus. Dabei hat der Tastsinn in erkenntnispsychologischer Hinsicht das Primat vor allen anderen Sinnen, dabei erleben wir fast die geistige Bedeutung mit : Lat. : capere, concipere, conceptio, concludere, sentire, taxare, imprimere, impressio; mit der tastenden, fassenden, nehmenden, ordnenden Hand: rogare, déÇa zu ôé%eaûai, praecipere, discipulus, disserere, transferre, statuere, conicere, avfißdUeiv, colligere, intelligere, scrutari, explicare, limare, scire. Dtsch. : Abhandlung, Verhandlung, hinweisen, zeigen, zergliedern, behalten, auslegen, überlegen, stellen, feststellen, vorstellen, fähig, festhalten. Engl.: to conceive, perceive, receive, reflect (frz. réfléchir), présumé, refer, confer, transfer.

B. Faustregeln für die Worterklärung

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Ludwig KLAGES sagt 1 ): Das Wiedererleben des „Charakters" der handgreiflichen Vorgänge anläßlich der seelischen Vorgänge, die dem Auffassungsakt zugrunde liegen, erklärt den Doppelsinn körperlich-geistig. Neben dem Fassen in der Nähe steht das Zeigen in die Weite. Ohne das Zeigen ist ursprünglich kein „Bedeutungserlebnis" möglich, zur fdic gehören dsixvv/M dico zeigen > sagen. Aussagbares ist als Aufzeigbares gefaßt, wie auch cpaoxu> auf die rfbha zurückgeht, die Sprechen und Leuchten enthält (vgl. tpaoig die Anzeige, cpaafia die Erscheinung). Das Zeigen wendet sich vornehmlich an das Wahrnehmen und Wissen durch das Auge: olda ich habe gesehen > ich weiß, video ich sehe > gewinne die Erkenntnis. Genau wie im Griechischen Idelv bei Piaton innewerden, wissen, verstehen, ßXeneiv erkennen > einsehen sind Arten der Kenntnisnahme, geistiger Tätigkeit und geistigen Verhaltens dem Bedeutungserlebnis des Sehens entnommen: dtsch. Ansicht, Absicht, Umsicht, Aussicht, Hinsicht, Weitsicht, Voraussicht, Zuversicht, Rücksicht. „Im Übergewicht des Empfindens über das Schauen, des Zugreifens über das richtungbestimmte Blicken wurzelt jede materiologische Weltauslegung; im Übergewicht des Schauens und Blickens über das Empfinden und Greifen jede ideologische Weltauslegung 2 )". Auch durch die körperlichenFunktionserlebnisse des Stehens, Gehens und der Rumpf bewegungen wird Geistiges ausgedrückt: \ men, tenor, contendere, intendere, instare, emaraa&ai, versari, invenire; dtsch.: stutzen, einen Standpunkt vertreten. DORNSEIFF sagt 3 ): „Wie die . . . Ausdrücke für Vorgänge geistiger Aufnahme, so lassen sich auch diejenigen für geistige Äußerungen noch großenteils in ihrem Entwicklungsgang auf ihre räumliche Grundbedeutung zurückverfolgen." Wir fassen noch allgemeiner die 14. Faustregel: Der S p r e c h e r k a n n g e i s t i g e T ä t i g k e i t u r s p r ü n g l i c h nur d u r c h k ö r p e r l i c h e B e g l e i t t ä t i g k e i t , d u r c h r ä u m l i c h - s i n n l i c h e Begleithandlung ausdrücken. XV.

Körperlicher Zustand > geistiger Zustand

Hör. Sat. 2,6,14: pingue pecus domino facias et cetera praeter / ingenium. Friedrich SCHULTESS übersetzt, und SCHÖNE bringt diese Übersetzung in der Heimeranschen Ausgabe: „Mach fett und schwer sein Vieh, mach Die Sprache als Quell der Seelenkunde, Kap. „Das Auffassen nach dem Zeugnis der Sprache", 35f. — „Bildungserlebnis", ebd. 26, 96. 2

3

) K L A G E S , a. a. O . , 7 4 .

) Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, 167.

XVI. Körperliche Ausdrucksbewegungen > seelische Gefühle

65

ihm Kisten und Kasten schwer, nur nicht die Schwingen seines Geistes"; pinguis fett > geistig dumm: grobe, fette, dicke Gedanken (Luther). Verg. Aen. 4 , 8 : cum sie unanimam adloquitur male sana sororem, VEZIN : „Hub — o du töricht Herz! — zur Schwester sie an der Vertrauten"; male sanus > geistesgestört. Aen. 10,648: atque animo spem turbidus hausit inanem, VEZIN: „Schwillt hoch auf ihm der Mut, und er spottet in eitlem Vertrauen." Wir haben hier Beispiele dafür, daß geistige Zustände durch körperliche Zustände bezeichnet werden — eine Parallele zur eben gegebenen Beobachtung : Körperhöhe Tätigkeit bezeichnet gleichgeschaltete geistige Tätigkeit. Geistige Zustände werden gemeint bei: ol-vg, ßgadvq, vyirjQ, oxÄrjQog, nvxivoQ (jivxivocpQüJv) — acer, acutus, acerbus, asper, trux, inanis, gravis, robustus, levis, tardus, stolidus; dtsch. empfindlich, scharfsinnig, hart, leer, leicht, langsam-, frz. aigu, clair geistig deutlich, klar, faßlich 1 ). Wie der Sprecher geistige Tätigkeit nur durch die körperliche Begleittätigkeit bezeichnen konnte, so bezeichnen körperliche Zustände oft die begleitenden geistigen Eigenschaften. 15. Faustregel: Der S p r e c h e r b e z e i c h n e t G e i s t e s e i g e n s c h a f t e n durch körperliche Zustände ähnlichen Charakters. X V I . Körperliche Ausdrucksbewegungen und V e r h a l t u n g s w e i s e n zur B e z e i c h n u n g s e e l i s c h e r G e f ü h l e Caes. Gall. 5,29,4: ardere Galliam tot contumeliis aeeeptis in Gallien herrsche große Erbitterung (sei große Gärung) nach so vielen Demütigungen. Verg. Aen. 12,64: aeeepit vocem lacrimis Lavinia matris flagrantis perfusa genas, cui plurimus ignem subiecit rubor et calefacta per ora cucurrit (Forts, oben S. 44). Aen. 12,687: fertur in abruptum magno mons imprdbus actu / exsultatque solo „Krachend entgleitet und saust zutal der entsetzliche Bergtrumm, / Springt vom Boden empor" (VEZIN). Aen. 2,386: atque hic successu exsultans animisque Coroebus „Hell rief da im Rausch des Erfolgs aufjubelnd Koroebus" (VEZIN) ( ~ 10,550). Aen. 2,170: aversa deae mens „da Feind ihm fürder die Göttin" (VEZIN). Analog der Bezeichnung von geistiger Tätigkeit durch körperliche BeGAMILLSCHEG, a. a. 0 . , 66. 5

Struck

B. Faustregeln für die Worterklärung

66

gleittätigkeit über Geste und Mimik steht in diesen Beispielen die sprachliche Darstellung der Gefühle durch die Körperäußerungen der Gefühle, durch den Blutkreislauf — z. B. erubescere erröten, schamrot werden > sich schämen, rubor Schamröte > Schamgefühl, das Aen. 2,542 (iura fidemque / supplicis erubuit) die Rechte und das Vertrauen des Bittflehenden achten läßt — sowie durch unwillkürliche Ausdrucksbewegungen der Skelettmuskulatur, des Antlitzes und namentlich des Auges. Dementsprechend bei Sophokles: Ant. 88: •&SQfirjv enl ipvxQolai xagdiav e%eig. BUSCHOR: „Heiß glüht dein Herz zum kalten Totenwerk." Ant. 1307: Alal alal, avenxav . Ant. 653 (Kreon spricht): äXla. nxvaaq cbaei xe dvo/ievfj fj,e§eg Tfjv nald' sv "Aidov xrjvöe vv/itpeveiv xivi. BUSCHOR: „0, spei sie aus wie bösen Feind! Sie soll sich Freier suchen in der Unterwelt!" Ant. 1232: xov d' äygioig öaaoiai nanxr'ivaq o nalg nxvaag TiQoaomqj xovdev ävxemcbv l-icpovg eXxei ömXovg xvcaöovxag, BUSCHOR: „Mit wilden Blicken starrt der Sohn ihn an / S p e i t ihm ins Antlitz, spricht kein Wort und zieht / Des Schwertes Griff." MUFF in seinem Sophokles-Kommentar1) sagt: Kann nichts anderes heißen als „er spie ihm ins Gesicht", und so übersetzt auch BusCHOR. Aber neben dem xov äygioig öaaoiai nanxr/vag o nah;, neben dem ängstlichen, verwirrten Ausdruck durch die Augen steht hier der instrumentale Dativ 7iQOO7iq> zu nxvaag, und nxvco heißt wie auch Ant. 653 verabscheue, verachte. Das hat schon der Scholiast erkannt: „sich abwendend und finster blickend und vom Antlitz her seinen Unwillen ausdrückend", nicht wörtlich: den Vater anspeiend, wie auch wir in der Umgangssprache sagen: xaxenxvaev avxov, 6 eaxi xaxecpQovrjoe xwv Aoycov avxov. Diese Auffassung vertritt auch Paul MAZON2) : nxvaag nqoawnco „kann nur im figürlichen Sinne genommen werden." SVENNUNG macht auf die Parallele despuere — anonxvsiv aufmerksam3). Dtsch.: entflammt sein, sich für etwas erwärmen, feuriger und frostiger, warmer und kalter Empfang, geschwollen, starr sein, stark bewegt, Angst (zu Enge), erschrecken (vgl. Heuschreck), erzittern, erschauern, unruhig, geneigt, aufgebracht, aufatmen, finster blickend, scheel sehen, über etwas hinweg sehen, achtgeben, beobachten, herabblicken. Lat.: fiagrare, fervere, inßammare, incendere—torpere, rigidus — tumere, aeger, sollicitus — angere, gemere, pallere — sperare, horrere — plorare, plangere, amSophokles, Antigone. Komment, v. C. MUFF, Bielefeld-Leipzig 1909, 61. P. MAZON, Notes sur Sophocle, Revue de philologie 25, 1951, 14. S ) SVENNUNG, Catulls Bildersprache, 120. 2)

X V I I . Räumlich-sinnliche Wahrnehmungen >

Gefühlsausdrücke

67

plecti — temnere, spernere, trepidus — Clemens, pronus, propitius, turpis — convertere, vitare — respuere, comis, atrox, ferox,torvus — invidere, providus, vereritueri, optare, despicere, suspicere. Griech.: -Dvjiog, cpMyeiv, iaiveiv, (pAsyeo&ai, äanaigeiv, Trjxeaftai, egcog, &AHT(OQIJ, Cfftoq — axvyelv, XQVEQÖQ, giyiov, äXyeiv — yefieiv, CPQIXR) — xonrea'&ai, ajtöxQOTtog, Tirrjooeiv, fieidtäv, ncgiogäv, omq, (pvXomg. Frz.: dur hart > schroff; afrz. destreindre < destringere zusammenschnüren > destreinte Bedrängnis, dazu auch detresse Besorgnis, frapper schlagen > Eindruck machen, überraschen; afrz. fuster prügeln > entehren; afrz. navrer schädigen, verwunden > nfrz. navre bekümmert; afrz. jais Last, Bürde ( < lat. fascis Last) > Kummer; afrz. grevance Last und Unglück. Wir können hier oft mit der Grundbedeutung aus Fremdsprachen übersetzen: angor Angst, BÜCHNER in den Tusculanen übersetzt mit „Beklemmung" und packt so das Wort an der Wurzel, auch häufig V E Z I N in seiner Vergilübersetzung. 16. Faustregel: Durch die L e i b - S e e l e - E i n h e i t werden seelische durch körperliche Verhaltungsweisen bezeichnet.

Gefühle

Zusammenfassend für die Faustregeln 14—16 können wir KLÄGES anführen1): „Zahllose Namen für etwas Anschauliches bedeuten zugleich etwas Wesenhaftes, und in vielen wird die sinnliche Bedeutung von der seelischen so sehr verschattet, daß es eigens darauf gerichteter Besinnung bedarf, um sie wiederzufinden. Damit haben wir vorbereitet, worauf es uns letzthin ankommt: daß es in keiner heutigen, keiner gewesenen Sprache Namen für innere Zustände, Vorgänge, Anlagen, für geistige Tätigkeiten und Eigenschaften gibt, die nicht Namen für Anschaubares (eingerechnet die Sinnes Vorgänge) entweder wären oder gewesen wären." X V I I . Ausdruck der Gefühle durch r ä u m l i c h - s i n n l i c h e W a h r n e h m u n g e n mit s t a r k e n B e g l e i t g e f ü h l e n Soph. Aj. 394: im oxozog, iftov tpaeworarov. Soph. El. 1384: cö (fihcaxov (pwg, g der Rhetorik, kein metaphorisches Tauschen oder eine metaphorische Bedeutungsentwicklung, auch genügt nicht eine Erklärung des physiologischen Nebeneinanders von Riechen und Schmecken, Hören und Sehen, sondern es ist ein allgemeines und synästhetisches Erlebnis; ein und dieselbe seelische Gegebenheit kann in verschiedenem Sinnesmaterial zur Darstellung kommen, man spricht mit genetischer Erklärung von „Ursynästhesien" aller Sinnesorgane, nicht nur von Riechen und Schmecken, Hören und Sehen. DORNSEIFF2) hat trotz der Auffassung als metaphorischer Bedeutungsentwicklung eine unserer Erklärung nahekommende: „Jenseits der sog. spezifischen Qualität der Sinnesempfindungen gibt es unmittelbare Bewußtseinsreihen, kraft derer Farbe, Temperatur, Tonart, Geschmack Seiten derselben Sache sind." Weitgehende Synästhesien haben wir bei Goethe: „Der Ton von Waldhörnern, der auf einmal wie Balsamduft die ruhige Atmosphäre belebte"; Goethe: „der Töne süßes Licht"; Tieck: „Da singen alle Frühlingslüfte / Da duften und klingen die Blumendüfte"-, W. Heinse: „Das tiefe, breite Meer glänzt vom süßen Strahlengewölk des Abends umlagert."3) „In frostiger Lichter Glosen (St. George); Dort zieht wie ein weicher Flötenlaut / Der sanfte Fjord / Blau im Schilfgrün eingeschnitten (Dauthendey); Die Amseln haben Sonne getrunken j Aus allen 2 3

B. SNELL, Die Entdeckung des Geistes, Heidelberg 1946, 15ff. ) a. a. O., 144. ) D i e Beispiele, z . T . v o n S N E L L g e s a m m e l t , bei E . STRUCK, B e d e u t u n g s l e h r e , 111 f.

X I X . Reine Gefühlswörter

71

Gärten strahlen die Lieder (Dauthendey); Daß alle Düfte über Feld und Gärten / Die Liebeslieder all der Blumen sind (Dauthendey). Die objektiven Empfindungsgehalte sind unvergleichbar, aber die subjektiven, jetzt differenzierten Gefühle, die sie begleiten, können aus einem ursprünglichen Gesamtgefühl, den Ursynästhesien, erklärt werden, die in den Einzelfällen verschieden differenziert, aber noch nicht scharf getrennt intermodal ausgedrückt werden: Qualität, Intensität, Sättigung, Lebhaftigkeit, Eindringlichkeit, prägnant, aufreizend, beruhigend, scharf — mild, satt — dürftig, lockend — abstoßend zeigen vielfachen Gebrauch in allen Sinnessphären. Einige Beispiele für solche Synästhesien: o£vg und asper sind auf alle Sinne bezogen, wie „die Rauhigkeit als intermodale Erscheinung" von der Psychologie experimentell erwiesen ist 1 ). Dasselbe gilt auch von rjdvq: oöfif] rjdela (Horn.), r/dvßoag, r/dvnoTog, rjdviivoog, rjdvcparjq und dulcis: dulcia mella, dulcis Bacchi, dulces aquae, dulces undae, dulcibus in stagnis Geschmack (Ggs. amarus) — thymo dulcior (cantharum dulciferum, fici dulciferae) Geruch — dulcimodus, dulciloquus, dulcisonus (mlat.) Gehör. Dtsch.: honigsüß, — „der süße Duft von Brot" (A. Miegel), — „ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch" (Mörike), süezer schal (schon mhd.), — „Die süße Stimme hebend" (St. George), — „Wie find ich des Mondes / Herrlichen Schein so süß" (Goethe), — „o süßer Sinn der allgemein / In welchem Riechen, Hören, Sehen / Und Schmecken eigentlich bestehen ¡Und recht darin vereinet sein" (B. H. Brockes, Irdisches Vergnügen in Gott, 9, Hamburg 1748). 18. Faustregel: Die B e z e i c h n u n g e n der f ü n f Sinneswahrnehmungen n i c h t s c h a r f g e t r e n n t und vielfach i n t e r m o d a l . XIX.

sind

Reine Gefühlswörter

Wir gehen von rjdvg aus noch einen Schritt weiter: rjdvg steht nicht nur für die fünf Sinneswahrnehmungen: Ant. 12 (Ismene): sfiol fiev ovdelg juv&og, 'AvTiyövrj, (piXmv / ov§' rjdvg ovr' äkyeivog IXET . . .; Ggs. zu rjdvg — äXyeivog; ebenso Ant. 438 (Wächter): ro ¡XEV yäq avrov ex xaxäv Jietpevyevai fjdiciTov, eg xaxov de xovg (piXovg äyeiv f äkyeivov, erklärt 436: aXX fjdeoyg Sfiotye xalyew&g äjia. 1 ) P. von SCHILLER, Die Rauhigkeit als intermodale Erscheinung, Ztschr. f. Psychologie u. Physiologie der Sinnesorgane 1. Abt. 127, 1932, 265. — Zu scharfund spitz s. KLAGES, Die Sprache als Quell der Seelenkunde, 284.

72

B. Faustregeln für die Worterklärung

Vgl. lat. dulce et decorurnst pro patria mori (Horaz), ähnlich yXvxvg (Ant. 29), mxgog (Ant. 423), bei Homer nur „spitz", aber schon Sol. 1,5: elvai de yXvxvv wde (piXoiq, ex&goloi de mxgöv, rolai fiev alöolov, rolai de deivov idelv. amarus bei Vergil neben hostis, dicta, rumor; dulcis wird bei Vergil entsprechend gebraucht, die eigentliche Bedeutung fast vergessen > angenehm, lieblich; es steht bei Vergil neben: terrae, nidi (die Jungen), umbra, caput, somnus, quies, sonst noch neben: amor, sopor, cibus, esca, furtum, Urnen, osculum, carmen, Musae, Vari dulcissime, dulce ridentem: i/uegoev. Aen. 12,801: . . . et mihi curae / saepe tuo dulci tristes ex ore recursent, wie auch dtsch: „süßerFriede, holde Eintracht" (Schiller); süße Worte; „Damen mit den süßen / Himmlisch hohen Prachtpopös" (Busch), süße Kinderchen, ein süßes Mädel, süßer Schlummer (Zachariae), süßes Heimweh (Hesse); „0 Lieb, wie bist Du so bitter, / 0 Lieb, wie bist Du so süß!" (Scheffel). Vgl. Sapph. 137: "Egog . . . yXvxvmxgov ä/j,rj%avov ögnerov das bittersüße, unüberwindliche Wesen; Sie schweigen so süß (Dauthendey); Rache ist süß. — Schon im Ausgang des 18. Jahrhunderts war süß Modewort mit reiner Gefühlsbedeutung. Nach dem Gefühlswort rjdvg, yXvxvg, dulcis, süß noch ein zweites Beispiel: Ant. 103 (Chor): ¿(pdv&rjg nox , afrz. devier sterben und töten; trépasser ins Jenseits hinüberschreiten, trépas Tod, ~ decedere > décéder. — Dtsch. ca. 400 Wörter für sterben: entschlafen, hinscheiden, verscheiden, abieben, entschlummern, den Geist aufgeben, das Zeitliche segnen, zu den Ahnen versammelt werden, die Augen schließen (für immer), einschlummern, ~ Frz.: s'endormir du dernier sommeil2); fermer les yeux, disparaître3). Statt morbus: valetudo, infirmitas, afrz. enferté, enfermeté Krankheit > enfermer, enferm krank; les mois = menses, menstrua, indisposition, flueur < menstrui flores > fleurs unpäßliche, schlechte Tage ; enceinte geschürzt > schwanger; gravida > gravide in anderen Umständen, guter Hoffnung = état interessant4) ; accoucher sich zu Bett legen > gebären ~ plattdtsch. tau lingen kamen; hospitale Gastzimmer > hospital Herberge, > hospital Spital; cela, ça für Syphilis; Gloset, Kabinett, W. C., les lieux, les cabinets, les commodités, afrz. privée, chambre cortoise, basse, aisiée5). 1 ) Euphemismus: GAMILLSCHEG, Französische Bedeutungslehre, 125 — 133. — Tabou et euphémisme s. ULLMANN, Précis de sémantique française, 2 5 9 — 2 6 4 . 2

) ) *) 5 )

3

ULLMANN, a . a . 0 . , 1 9 6 / 9 7 . ULLMANN,a.a.O., 259.—L.WEISGERBER,VomWeltbild der d e u t s c h e n Sprache,74. GAMILLSCHEG, a. a . O . , 1 2 8 . GAMILLSCHEG, a. a . O., 1 2 9 .

X X . Euphemismus

75

Lavabo der Beginn des Gebets, das der Priester spricht, wenn er nach dem Offertorium die Hände trocknet (lavabo inter innocentes manus meas) > Tuch zum Trocknen der Hände > Platz, an dem dieses Tuch aufbewahrt wird > Waschtisch > Toilette 1 ). — baiser urspr. „küssen" im maison de tolérance; détourner, subtiliser, escamoter für stehlen; achever, assommer, supprimer für töten; traitement, appointements für paye „Lohn", wie dtsch. Gehalt, Honorar, Vergütung, Besoldung-, potio > poison Gift, afrz. enerber (zu herba Kraut) vergiften; la mécanique = la guillotine, dafür auch potence (afrz.) Krücke < potentia Macht, Träger der Macht. Engl.: emergency Auftauchen > Notfall; shirt ersetzt durch smock, shift, chemise-, to take hereinnehmen > betrügen; activities Umtriebe < Tätigkeit, Wirksamkeit; to bless statt to damn. Besonders englische Euphemismen im Slang : he has had it ist gefallen, gestorben, hat Pech gehabt ~ he got it. Tabu Teufel: afrz. aversier Gegner, malfaé > maufé > mau fait eig. der unter einem fatum Geborene, das zu mal faire bezogen wurde. — Dtsch. : der Böse, der Gottseibeiuns, Deixel statt Teufel, Potz statt Gott, Herr Jemine statt Herr Jesus domine. — Frz.: corbleu statt corps Dieu, morgleu statt mort Dieu, palsambleu statt par le sang Dieu. — Engl. : God rot it > drot it ; God's blood > 'sblood, god > gog, cock, gossl, gough, gad. Das unangenehme Begleitgefühl kann auch durch „Schnodderigkeit" oder Spott abreagiert werden : in die Grube fahren, um die Ecke gehen, ins Gras beißen, verrecken, krepieren, abschnappen, die Radieschen von unten besehen. I n der Royal Air Force: bus für Flugzeug; hot seat der Schleudersitz, der den Piloten im Gefahrsfalle hinauswirft ; Mac West aufblasbare Schwimmweste nach engl, korpulenter Filmschauspielerin; roller states Tanks. — Allgemein : tight, auch blind für betrunken ; dotty, crackers, nuts verrückt ; to pop off plötzlich verschwinden, sterben ; to push up daisies ; jane Mädchen. Auch die Ellipse kann verschweigen : er ist geblieben (zur See, im Felde) ; er hat Schluß gemacht (mit seinem Leben). — Frz. : aeger ab oculis > ab oculis > aveugle. — Engl.: mob < mobile vulgus\ pub < public house. 20. Faustregel: D e r S p r e c h e r w ä h l t f ü r V o r s t e l l u n g e n u n a n g e n e h m e n Gefühlstones aus „Euphemismus" harmlosere Bezeichnungen, V e r q u a t s c h u n g e n , A n d e u t u n g e n oder Fremdwörter. *) G A M I L L S C H E G , a . a . 0 . ,

145.

C. Gesetze und Regeln der Semasiologie Die Hauptgebiete — nicht alle — der Bedeutungslehre sind in Vergilund Antigone-Stellen behandelt worden. Ich wollte an diesen praktischen Beispielen zeigen, wie man die Bezeichnungslehre mit psychologischen, aus der Bedeutungslehre gewonnenen Erklärungen heranziehen kann bei der Textinterpretation. Um des Himmels willen kein neuer Lernstoff mit einer terminologischen Erfassung der Sprach Vorgänge, wie sie die Rhetorik bieten kann, wie sie heute noch eine lateinische Wortkunde unter der Rubrik „Bedeutungswandel" hat! Hier ist von Bedeutungserweiterung, Bedeutungsverengung mit wunderlichen Unterabteilungen die Rede, von Aufwertung und Abwertung; Determinationen, mit denen die Sprachwissenschaft seit einer Menschengeneration und länger aufgeräumt hat, „schiefe Kategorien" nennt sie Wilhelm LUTHER1). So etwas muß schon aus den Schulbüchern und jeder Art Lexikon verschwinden, darf in keinem Unterricht mehr Platz haben. Zur Warnung diene uns Altphilologen die Mahnung von Moriz HAUPT betreffs der termini technici2): „Ellipse, Pleonasmus, Enallage etc. sind Phrasen, welche den Verstand aushöhlen; das Abtun der Erklärung mit solchen Kunstausdrücken ist nur für den, der die Sache nicht ergründet hat. Die Sprache ist ein Lebendiges und hat zu ihrer Basis Vorgänge in der lebendigen Menschenseele; diese zu erfassen, darauf kommt es an; wer sich mit dem Kunstausdrucke begnügt, ist dem zu vergleichen, der nur den Titel eines Buches kennt, ohne es selbst gelesen zu haben; er begnügt sich mit einem Worte, welches ungefähr das Resultat eines psychologischen Vorganges zusammenfaßt, und läßt den Vorgang selbst außer acht." Wir gingen davon aus: Grundlage aller Sprachforschung ist die aktuelle Sprechhandlung; diese soll bei der Interpretation gedeutet und nicht mit umstrittenen termini abgetan werden. Aber für die Sprechhandlung Regeln geben zu wollen, könnte als ein Wagnis erscheinen. Zwar lesen wir in der Einleitung des LfgrE, IV: „eine vergleichende Bedeutungslehre versucht, die Bedeutungsentwicklung und den Bedeutungswandel unter Regeln zu fassen." Das ist nicht unbestritten, und gerade SNELL hat sich gegen diese Möglichkeit von Regeln eigentlich sehr scharf ausge2

Weltansicht und Geistesleben, 31. ) C. BELGER, Moriz Haupt als academischer Lehrer, Berlin 1879, 151.

C. Gesetze und Regeln der Semasiologie

77

spr ochen 1 ):, ,Der Bedeutungswandel vollzieht sich im wesentlichen dadurch, daß der Hörende in einem gegebenen Satzzusammenhang nicht notwendig jedes einzelne Wort genau so auffassen muß, wie es gemeint ist." Dann gibt es keine Regeln der Semasiologie, von Gesetzen ganz zu schweigen. O T T O setzt an die Stelle von Gesetzen der Semasiologie den Ausdruck „Gesetzlichkeiten", S N E L L spricht gelegentlich von „Tendenzen" und „Richtungen" der Bedeutungsentwicklung. Gegen den Ausdruck Regel, die eine Fülle von Möglichkeiten der Bedeutungsvorgänge zusammenfassen und durch psychologische Erklärungen zum Verständnis bringen will, wird man so lange ernstlich nichts einwenden, als man von Genus-Regeln und Casus-Regeln sprechen darf. Es ist auch kein großer Unterschied, ob man von Richtungen oder Tendenzen der Bedeutungslehre spricht oder von etymologisch gleichermaßen stimmigen Regeln, war doch ahd. rehtunga die erste Verdeutschung vom Klosterwort regula. Um dieser Problematik Rechnung zu tragen, habe ich nur von Faustregeln für die Erklärung von Wortbedeutungen bei der Interpretation gesprochen, und ich habe diese vornehmlich in onomasiologischer Form geboten. Vor fast hundert Jahren sagte Ü O E D E R L E I N : „Für die wohltätigste Geistesübung halte ich es, den Schüler erraten zu lassen, auf welchem Weg eine Bedeutung aus der andern hervorgeht, und dabei die Ideenassoziation einzusehen." 2 ) Anstelle des Erratenlassens und anstelle des damit verbundenen in die Irre Gehens geben wir Faustregeln als die Richtungsweiser, Wegweiser im Gestrüpp der von der Sprachwissenschaft inzwischen gedeuteten Vorgänge d e s B e z e i c h n u n g s - u n d B e d e u t u n g s wandels. Aber überall handelt es sich nur um Möglichkeiten, nicht abstrakte Wirklichkeiten. Wir wollen uns darüber klar sein, viele Bedeutungsentwicklungen fallen diachronisch unter mehrere Faustregeln, sehr viele spotten dieses heuristischen Prinzips, wenn nämlich der Zufall, ein accidens, herrschte, wozu auch das Mißverständnis gehört. Für den irrtümlichen Gebrauch der englischen Hard Works verwendet das Oxford English Dictionary (OED) in seinen Artikeln ein besonderes Zeichen für erroneous use. Im heutigen Englisch haben durch individuellen oder irrtümlichen Gebrauch viele aus dem Lateinischen stammende Wörter eine überraschende usuelle Bedeutung: sensible fühlend > einsichtig > vernünftig; pathetic leidenschaftlich > rührend; antic alt > seltsam > possenhaft; superior überlegen > arrogant. Für Mißverständnis und Zufall löst nur eine besondere Erklärung das Rätsel. Beide Fälle bringt S N E L L als Beispiele 3 ): Das Kind, das beim !) a. a. 0., 170f. 2 ) L. DOEDERLEIN, Erläuterungen zum Vocabularium für den lateinischen Elementarunterricht, Leipzig 1862, 56 zitiert von F. DORNSEIFF, Bezeichnungswandel unseres Wortschatzes, VII. 3 ) Der Aufbau der Sprache, 170.

78

C. Gesetze und Regeln der Semasiologie

schönen Sonnenuntergang, auf den die Mutter zeigt, den Kirchturm meint, und für das nun — ein Einzelfall geblieben — Sonnenuntergang = Kirchturm wurde; und das Karnickel, das den Schuldigen bezeichnet, der angefangen hat, ist fast Regelfall geworden, was nur anekdotisch zu erklären ist durch den Berliner Schusterjungen, der einem Herrn, dessen Hund auf dem Markte ein Kaninchen totgebissen hatte, sich anbot: „Jeben se mir en Jroschen un ick sage, det Karnickel hat anjefangen." Für Mißverständnis, das in mehreren Sprachen usuell geworden sich findet, gebe ich nach KAINZ ein Beispiel 1 ): Das mhd. W o r t für den Friedenskuß heißt petze, ebenso bedeutet afrz. pais, aspan. paz, air. poc Kuß. W i e ist es zu dieser neuen und eigenartigen Bedeutungserfüllung des zugrundehegenden lateinischen Wortes für pax Friede gekommen? A n einer bestimmten Stelle des lateinischen Hochamtes umarmt der zelebrierende Priester den Diakon mit den Worten: Do tibi pacem. Da dieser Umarmung ein Friedenskuß folgte, wurde von dem nicht genügend lateinkundigen Volk die Wendung im Sinn: „ I c h gebe Dir einen K u ß " verstanden, wodurch das lateinische pax und seine Lehnwortentsprechungen die Bedeutung Kuß erhielten. Und wie mehrere Faustregeln bei der Bedeutungsentwicklung und Bedeutungsentfaltung heranzuziehen sind, dafür zum Schluß noch zwei Beispiele : Griech. rvfiTiavov eine Handpauke, zunächst beim Dienst der Rhea und des Bakchos > übertragen (Faustregel 2) auf eine runde Scheibe, z. B. beim Wagen das Scheibenrad, dann auch > jede runde Scheibe (Faustregel 11, Verdunkelung), ebenso auch benutzt als Marterwerkzeug wie bei uns das Rad zum Rädern (Faustregel 3). Das W o r t übernahmen die Römer nur in den Bedeutungen Handpauke, Tamburin und als Tellerrad, Wagenrad. — Zu griech. rvfinavov, lat. tympanum gehört afrz. timbre mit der Hand geschlagenes Schallinstrument > Hammerglocke (Faustregel 3); timbre > Helmdecke (Faustregel 2) mit Initialen, wie sie Helmdecken immer haben (Faustregel 3); diese Initialen finden sich auch auf anderen Gegenständen und werden timbre genannt (Faustregel 9) > Wappeninitialen des Besitzers an wertvollen Gegenständen, auch Waffen > (18. Jahrhundert) staatlicher Stempel (Faustregel 11 und 3) > timbre — post staatlicher Poststempel > timbre Briefmarke (Faustregel 9). Es ist ohne historische Erklärung die Bedeutungsentwicklung von tympanum Handpauke > timbre Briefmarke nicht aufzeigbar. Oder das Nacheinander von verschiedenen Faustregeln möge in Bedeutungsentwicklung und Bedeutungsentfaltung das Beispiel xavmv zeigen 2 ). F. KAINZ, Einführung in die Sprachpsychologie, 45. H . OPPEL, KANQN. Zur Bedeutungsgeschichte des Wortes und seiner lateinischen Entsprechungen (regula, normo), Philol. Suppl. 30, 1937. 2)

C. Gesetze und Regeln der Semasiologie

79

xavcov gehört zu xavva, canna Rohr, also ein Rohrstab > Stab (Bedeutungsverdunkelung, Faustregel 11) > Maßstab bei den Zimmerleuten und werklichen Künstlern (Faustregel 1, Gruppenbedeutung) und Maßband (Faustregel 2). xavoveg Handhaben (Querhölzer) am Schild (Horn.) (Faustregel 9), xavcov Spule am Webstuhl > Webstuhl (Faustregel 10). xavcov Regel, Norm — ein Spiegel der Kulturgeschichte (Faustregel 4): Drei Kreise heben sich heraus, von denen jeder bei xavcov sich unter einen besonderen Gesichtspunkt bringen läßt: äxgißeia, [LIFIRJOIQ und OQOQ. — xavcov als Schlagwort des Exaktheitsstrebens (äxgißeia) des 5. und 4. Jahrhunderts, seine Entwicklung in Kunst, Musik, Wissenschaft und Ethik als Ausdruck für den hellenistischen /xi/xrjaig - Gedanken und im Zusammenhang der OQOQ-Vorstellung in Recht und Philosophie (Richtschnur, Schranke). In den xejyai: der Rhetorik: xavövet; Flexionsschemata (Richtschnüre) für Substantiv, Adjektiv und Verb; in der Astronomie und Astrologie: Regeln und Tabellen (Faustregeln 1 u. 8), xavcov kirchliches Gesetz (Faustregel 1), xavcov Steuer als Staatseuphemismus (Faustregel 20); dtsch. unter aller Kanone (Volksetymologie, Faustregel 7). Alle Bedeutungen von xavcov sind von regula übernommen (Faustregel 5). Engl, rule (< regula) hat noch alle Bedeutungen von xavcov. Die Fälle des accidentiellen Bedeutungswandels entziehen sich allen gebrachten Faustregeln, sofern man nicht Regel 4 als Gummiregel fassen und dort einordnen will. Manche der Faustregeln ließen sich zusammenziehen, z. B. 3 + 4, 6 + 7, 16 + 12, 11 + 13, 1 4 + 16, so daß es eine Kleinigkeit wäre, die Zahl der 20 Regeln zu verringern. Aber die Deutlichkeit litte darunter, und es sind keine Regeln mit dem Schrecken des Auswendiglernens, sondern mit dem Ziel der Freude am Erklären des gesprochenen und geschriebenen Wortes. Moriz HAUPT, den wir schon einmal zitierten, mahnt: „Man soll einen Schriftsteller nicht logisch meistern, sondern psychologisch verstehen" 1 ). C. B E L G E R , a . a . 0 . , 1 5 4 .

Autoren- StellenVerzeichnis (Griechisch) S 7 732 45 Od. «264 y 435 t 353 ARISTOTELES 391/3 17 E N I 6 p. 1098a 7 v 291 Poet. 21 p. 1457 b 20 1161 = T 306 1461 a 29 32 a 100 Rhet. A 13 p. 1373b 4 36 T 519 B 20 p. 1394a 5 17 563 r 8 p. 1408b 21 17 y> 195 10 p. 1411a 20 H Y M N . M E R C . 38 23 DEMOSTHENES 168 23 18,31 61 AISCHYLOS

Ag.

209 1668 Suppl. 1007

45 38 24

EPIGRAMMATA G R A E C A (KAIBEL)

713, 9

45

EURIPIDES

Backch. 801 Hik. 479

Sc. 1 9 0

HOMER

II.

A 159

235 . & 141 Z 148 169

H175

I N O n P

191 120 443 315 412 702 795 439 599

17 17 17 17 17

Alex. 215 Demon. 383

54

HESIOD

3.6 3.7 4,47 4,146 15,254

lUKIAN

HERODOT

6,21

61 39

ISOKRATES

42 33 26 45 26 32 32 32 7 16 21 37 22 45 45 32

39 39

PINDAR

Pyth. 3, 21

38

PLATON

Krat. 435 31 Gorg. 511 d 28 SAPPHO

137

72

SEMONIDES

Jamb. 1, 6

38

SIMONIDES

fr. 5,16

38

SOLON

1,5

72

SOPHOKLES

Aj. 394 584

67 8

72 32 72 32 8 52 72 21 49 19

683 813 Ant. 4 9 11 12 29 30 38 40 43 56 62 79 88 92 95 103 122 125 131 140 158 162 176 185 190 191 221 222 241 242 259 270 290 295 308 310 320 326 330 345

27 16 35 63 16 71 72 55 26 61 58 73 26 26 66 26 36 72 56 29 28 29 27 27 36 35, 36 28 37 38 8 28 16, 73 16, 27 63 27 8, 23, 25 56 8 23 8 38 23

Autoren-Stellenverzeichnis (Griechisch) 356 359 360 364 371 391 413 419 423 438 440 455 463 499 500 501 523 533 536 541 543 556 562 569 584 592 600 603 611 614 615 621 622 625 631 648 653 688 691 699

Struck

56 38 38 37 38 27 27 19 72 71 26 28 8 15 7 26 26 35 27 27 16 16 26 22 35 56 23 16 61 36 39 70 35 35 39 36 66 26 16 72

748 781 807 862 871 875 903 905 912 952 956 979 981 991 994 1000 1017 1032 1046 1047 1052 1061 1097 1108 1164 1165 1174 1175 1183 1186 1190 1195 1200 1204 1232 1245 1260 1262 1264 1284

16 36 50 35 60 36 73 73 23 56 36 73 23 16, 73 28 27 55 8 15 8 26 8 35 61 23 36 73 73 16 31 16 36 36 32 66 15 36 28 25 27

1287 1288 1289 1307 1326 1350 El. 59 305 357 1224 OC 687 782 OT 354 545 1208 1374

15 73 16 66 8 15 16 61 16 67 25 16 27 16 27 45

THUKYDIDES

1, 68, 2 1, 69, 5 1, 73, 2 1, 78, 3 1, 140, 2 1, 144, 2 2, 40, 1 2, 42, 2 2, 43, 2 2, 51, 6 2, 62, 5 3, 38, 4 3, 45, 5 3, 67, 6 4, 78, 1 5, 55, 1 5, 103, 1 5, 108/9 6, 17, 4 6, 38, 2 6, 40, 2

16 16 16 16 16 16 16 16 16 38 38 16 39 16 16 16 38 16 16 16 16

Autoren-Stellenverzeichnis (Lateinisch) 3,10,14 4, 7, 2 Epist. 1, 2,14 1, 4, 10 Sat. 2,6,14

CAESAR

Gall. 1, 25,7 1, 33, 2 1, 40, 5

9 9 9 51 25 9 24 13 55 51 58 24 9 9 25 65 25 50 25 57 55 25

1, 53, 7 2, 6 , 2 2, 9 , 2 2, 32,1 3, 8 , 1 3, 31, 3 4, 5 , 3 4,17, 3 4, 17, 9 4, 23, 6 4, 25, 1 5, 9, 6 5, 29, 4 5, 42, 5 5, 44, 3 5, 52, 2 6, 34, 3 7, 24, 2 7, 25, 2 7, 29, 3 9 7, 58, 5 9 7, 84, 1 25 7, 85, 5 25

46 19 24 39 64

OVID

Am. Ars Met.

2, 5, 39 2, 118 1,548 10, 647 11,46 Trist. 3, 12, 36

46 24 18 19 19 23

PETRONIUS

93

23

PLAUTUS

Asin. 874 23 Truc. 149 23 PLINIUS

Mat. 18, 189

12

PLINIUS

Epist. 5, 6,19 6,16, 17

19 46

SENECA

Epist. 114,5

23

CICERO

De off. 1 ,52 Nat. deor. 3, 25 Sest. 72

24 24 11

HORAZ

Carm. 1, 11, 4 1, 21, 5

24 19

TACITUS

Germ.

5,2 13,1 14,4 23, 1

14 14 14 i2

TERENZ

Haut. 700

7

VERGIL

Aen.

1, 49 1,177 1, 637 1, 678 2, 122 2,170 2,311 2, 386 2, 424 2, 542 2, 686 2, 705 2, 780 2, 782 3, 191 3, 339 3, 388 4,8 4, 72 4, 247 4,406 4,502 4, 694 5, 228 5, 519 6, 282 6, 320 6, 377 6, 623 6, 792 6, 844

42 56 67 42 33 65 57 65 44, 51 66 55 69 23 13 42 44 13 65 60 20 12 63 74

56 44 19 68 63 73 72 48 6, 893 49 7, 417 24

Autoren-Stellenverzeichnis (Lateinisch) 7, 677 8, 91 8, 346 8, 523 9,183 9, 681 10,16 10,140 10, 265

56 42 48 19 54 13 72 55 13

10, 467 10, 550 10, 648 10, 892 10, 895 11, 147 11. 186 11, 667 12, 61

73 65 65 60 69 69 67 42 74

12,64 12, 64ff. 12,119 12,206 12,218 12,594 12,687 12,801 Georg. 1, 269

83 65 44 55 18 24 73 65 72 62

Inhaltsübersicht A. Semasiologie / Onomasiologie / Grundbedeutung

5—10

B. Faustregeln (onomasiologisch gefaßt) für die Worterklärung I. Gruppenbedeutungen Die Angehörigen einer sozialen, religiösen oder geisteswissenschaftlichen Gemeinschaft bezeichnen mit allgemeinen Begriffen etwas Besonderes, das ursprünglich nur für sie im eigentlichen Wortkern Enthaltenes bedeutet. Solche Bezeichnungen werden leicht usuell, besonders, wenn sie aus einer Gruppenbequemlichkeit im Sprechen entstanden sind 11—17 II. Metaphern Der Sprecher bezeichnet aus Namensnot oder äußert sich zur Affektsteigerung im abgekürzten Vergleich durch Übertragung aus einem Bedeutungsbereich in einen anderen, und er zieht den Vergleich aus den Vorstellungskreisen, die seinen Interessen und seiner Umwelt am nächsten liegen (STRUCK, Bedeutungslehre, 31) . . 18—30 III. Kontextbedeutungen der äußeren Kultur Der in eine sich ändernde Umwelt dinglicher Art hineingestellte Mensch gebraucht weiter bei Bezeichnungsstillstand seiner muttersprachlichen Zwischenwelt die ursprünglich passenden Bezeichnungen, auch wenn sie durch die Kulturänderung überholt sind (a. O., 55) 30-34 IV. Kontextbedeutungen der Geisteskultur Die aus einem Wortfeld gewählten außerraumzeitlichen Bezeichnungen sind mit ihren Begriffswerten ein Spiegel der Geistesgeschichte, ein Spiegel der sprechgewaltigen Persönlichkeiten in der Geistesgeschichte (a. 0., 65) 34—42 V. Bedeutungsbeeinflussung durch sinnähnliche Wörter von Fremdsprachen Der einer Fremdsprache Kundige erfüllt durch Übersetzen aus der fremden in seine Muttersprache Wörter mit Lehnbedeutungen, die in der Fremdsprache vorhanden, seinem Wortschatz eine neue Bedeutung geben (a. 0., 69) 42 —44 VI. Bedeutungsbeeinflussung durch klangähnliche Wörter der Muttersprache Der etymologische Trieb veranlaßt den Sprecher, ein ihm als bekannt erscheinendes Wort einem anderen bei Klangähnlichkeit oder durch Analogie falsch zuzuordnen und es in einer dadurch abgewandelten Bedeutung zu gebrauchen (a. 0., 71) 44—48

Inhaltsübersicht

85

VII. Volksetymologie Der Sprecher deutet sich ein u n b e k a n n t e s (Unterschied zu VI) Wort der Muttersprache oder der Fremdsprache durch ein oft nur entfernt ähnlich klingendes, aber ihm verständliches Wort in der sogenannten Volksetymologie. Dabei werden oft auch nicht geringe Änderungen im Lautlichen in Annäherung an das ähnliche Wort und ein wesentlicher Wandel der Bedeutungen hingenommen. Oft wird das etymologisch dunkle Wort durch eine hineingedeutete Sage oder Geschichte sinnvoll gemacht (a. 0., 75) 48—50 VIII. Räumliches > Zeitliches Alles Zeitliche drücken wir durch Bäumliches, weil davon untrennbar, oder in der vergleichenden Erinnerung durch ein wiederholtes Geschehen gegenwärtiger Umstände im Baum aus (a. O., 85) 50—53 IX. Kontextbedeutungen der Wahrnehmungs- und Vorstellungserlebnisse > Begleitvorstellungen Der Sprecher bezeichnet durch Nennen einer Vorstellung die mit dieser Vorstellung in gewissen Kontexten des Wahrnehmungs- oder Vorstellungserlebnisses stehenden Begleitvorstellungen (dazu gehören auch die Ellipsen) (a. 0., 84) . . 54 —58 X. Anfangstätigkeit, charakteristischer Teil > Bezeichnung des Ganzen Mit der Anfangstätigkeit, überhaupt mit einem charakteristischen Teil, einer auffälligen Eigenschaft, wird das Ganze bezeichnet (a. O., 87) 58-60 XI. BedeutungsVerdunkelung Der Sprecher umfaßt nicht den ganzen Komplex zusammengesetzter Vorstellungen, sondern aus dem Ganzen nur einen „bezeichnenden" Teil, während das übrige im Dunkeln bleibt (Bedeutungsverdunkelung) (a. 0., 102) 60—61 X I I . Polare Ausdrucksweise Ganzheitliche Erfassung erscheint dem bezeichnenden Menschen wichtig, darum zerlegt er im Streben nach Deutlichkeit das Ganze in zwei Teile, die oft zwei gegensätzliche Pole sind oder durch Alliteration oder Beim zusammengehalten werden, und bezeichnet so das Ganze (a. 0., 80) 61 —62 X I I I . Bedeutungsabschattung in Wortpaaren Der Sprecher meint bei sprichwörtlichen Wortpaaren, bei Stabreimund Klangwörtern oft nur bei dem einen von beiden etwas Deutliches, bezeichnet also mit dem einen der beiden, wobei er eine gewisse Abschattung des anderen hinnimmt (a. O., 80) 62—63 XIV. Körperliche Begleittätigkeit > geistige Tätigkeit Der Sprecher kann geistige Tätigkeit ursprünglich nur durch die körperliche Begleittätigkeit, durch räumlich-sinnliche Begleithandlung bezeichnen (a. 0., 96, 99) 63 —64 XV. Körperlicher Zustand > geistiger Zustand Der Sprecher bezeichnet auch geistige Eigenschaften durch körperliche Zustände (a. 0., 100) 64-65

86

Inhaltsübersicht XVI. Körperliche Ausdrucksbewegungen > seelische Gefühle Durch die Leib-Seele-Einheit, die Polarität von Seele und Leib, werden seelische Gemütsbewegungen und Stimmungen durch körperliche Verhaltungsweisen und zuständliche Handlungen bezeichnet (a. O., 119) 65-67 XVII. Räumlich-sinnliche Wahrnehmungen mit starken Begleitgefühlen > Gefühlsausdrücke Wir drücken Gefühle vielfach aus durch ursprünglich räumlichsinnliche Wahrnehmungen, die mit starken oder übermächtigen Begleitgefühlen verbunden sind, besonders die Raumsymbolik ist ein „deutliches" Beispiel (a. 0., 123) 67 —69 XVIII. Synästhesien Die Bezeichnungen der fünf Sinneswahrnehmungen sind entsprechend den Gefühlen der Ursynästhesien nicht scharf getrennt und vielfach intermodal (a. 0., 109) 69—71 XIX. Reine Gefühlswörter Zur Bezeichnung eines starken Affekts, namentlich Steigerungen, Schelten, Liebkosungen, wählt man drastische, affektgeladene Gefühlswörter, bei denen die eigentlich mit diesen Wörtern verbundene Sinnesvorstellung nicht mehr ins Bewußtsein tritt (a. O., 136) 71-73 XX. Euphemismus Der Sprechende wählt für Vorstellungen unangenehmen Gefühlstons aus „Euphemismus" harmlosere Bezeichnungen, Verquatschungen, Andeutungen oder Fremdwörter (a. 0., 148) 73—75

C. Gesetze und Regeln der Semasiologie? Diachronisch sind mehrere Faustregeln auf dasselbe Wort möglich, aber es gibt keine Regeln für Mißverständnisse und Zufälligkeiten 76—79 Autoren-Stellenverzeichnis

80—83

SCHRIFTEN DER SEKTION FÜR ALTERTÜMSWISSENSCHAFT BEI DER DEUTSCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN Heft i

WOLFGANG K U L L M A N N : Das Wirken der Götter in der Jlias Untersuchungen zur Frage der Entstehung des homerischen „Götterapparates" 1956. 161 Seiten - gr. 8° - DM 18,—

Heft 2

H A N S LEBERECHT ZERNIAL:

Heft 3

FRIEDRICH

Heft 4

: Stand und Aufgaben der klassischen Philologie in Ungarn 1955. 74 Seiten - gr. 8° - DM 6,80

Heft

5

E L I S A B E T H CHARLOTTE W E L S K O P F : Die Produktionsverhältnisse im Alten Orient und in der griechisch-römischen Antike Ein Diskussionsbeitrag 1957. 510 Seiten - gr. 8° - DM 28,—

Heft 6

W I L H E L M H A R T K E : Über Jahrespunkte und Feste, Insbesondere das Weihnachtsfest 1956. 106 Seiten - gr. 8° - DM 15,—

Heft 7

K U R T A L A N D : Die Handschriftenbestände der polnischen Bibliotheken, insbesondere an griechischen und lateinischen Handschriften von Autoren und Werken der klassischen bis zum Ende der patristischen Zeit 1956. 66 Seiten - gr. 8° - DM 7,50

Über den Satzschluß in der HMorla Augusta 1956. VIII, 166 Seiten - gr. 8° - DM 16 —

P F I S T E R : Alexander der Große in den Offenbarungen der Griechen, Juden, Mohammedaner und Christen 1956. 55 Seiten - gr. 8° - DM 5,— G Y U L A MORAVCSIK

Heft 8 Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin: Das Institut für griechisch-römische Altertumskunde. Protokoll der Eröffnungstagung vom 23.-26.10.1955 1957. 166 Seiten gr. 8° - DM 19,50 Heft 9

GERHARD P E R L : Kritische Untersuchungen zu Diodors römischer Jahrzäli1957. VII, 174 Seiten -1 Tabelle - gr. 8° - DM 23,— [lung

Heft 10

Phidiasische Reliefs und Parthenonfries 1957. 33 Seiten - 30 Abbüdungen - 1 Titelbild - gr. 8° - Broschiert DM 7,80 Halbleinen DM 9,50 CARL B L Ü M E L :

Heft 11 Altertumskundllche Publikationen, erschienen in der Deutschen Demokratischen Republik 1945—1955 Zusammengestellt von

HELGA KÖPSTEIN

1957. 194 Seiten - gr. 8° DM 22,— Heft 12

Heft

E R N S T GRUMACH : Minoica. Festschrift zum 80. Geburtstag Ton Johannes Sundwall 1958. VIII, 465 Seiten - 69 Abbildungen, davon 2 als Ausschlagtafeln 31 Tafeln, davon 6 als Ausschlagtafeln - 3 Landkarten - gr. 8° - Broschiert DM 84,— - Ganzleinen DM 89,—

13 JOHANNES IRMSCHER/KAZIMIERZ KUMANIECKI

: Aus der altertumswissen-

schaftlichen Arbeit Volkspolens 1959. 154 Seiten - 17 Abbildungen auf XV Kunstdrucktafeln - gr. 8° DM 23,— Heft

14 HELLMUT FLASHAR:

Der Dialog Ion als Zeugnis Platonischer Philosophie

1958. VI, 144 Seiten - gr. 8° - DM 18,— Heft

15 HANS JOACHIM M E T T E :

Die Fragmente des Aischylos

In Vorbereitung Heft

16 DIMITER ZONTSCHEW:

Der Goldschatz von Panagjurischte

In Vorbereitung Heft

17 D E T L E F L O T Z E : M E T A S Y E A E Y 0 E P D N K A I

AOYAÍ1N

Studien zur Rechtsstellung unfreier Landbevölkerungen in Griechenland bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. 1959. VIII, 86 Seiten - gr. 8° - DM 1 0 , Heft 18

E M I L U T I T Z : Bemerkungen zur altgriechischen Kunsttheorie 1959. IV, 45 Seiten • 12 Kunstdrucktafeln - gr. 8° - Engl. Broschur DM6,-

Heft 19 Vorliegendes Heft

Bestellungen durch eine Buchhandlung erbeten

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