Der Pastor in Kartoffelfeld oder der Mann mit zwey Grillen: Teil 1 9783111569826, 9783111198279


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Der Pastor in Kartoffelfeld. Erster Theil
Erstes Buch
Zweytes Buch
Drittes Buch
Der Pastor in Kartoffelfeld. Zweyter Theil
Erstes Buch
Zweytes Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
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Der Pastor in Kartoffelfeld oder der Mann mit zwey Grillen: Teil 1
 9783111569826, 9783111198279

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Der

Pastor in Kartoffelfeld, oder

Der Mann mit zwey Grillen.

Ein Roman in 2 Theilen.

Mit einem Kupfer.

Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, xgoi.

S r. Hochwürden dem Herrn Äonsistorialrath und Inspektor

Z e rr e n n e r in Derenburg und

Sr. Hoch würden dem Herrn Inspektor und ersten Prediger

Müller

in

Kalbe

seinen

hochachtungswürdigen Freunden

widmet diese Schrift ergebenst

der Verfasser.

Der Pastor in Kartoffelfeld. Erster

Theil.

Erstes B u ch.

stillen von Buchenwäldern umgebenen Thale,

an einem durch Anger und Wiesen sich schlängelndey Dache lag mit seinen netttp nicht prächtigen Gebäuden und artigen Gärten ein mäßiges Land­

gut, von einer eben so stillen und friedlichen

Familie bewohnt; von der Familie des biedern Pachters Herrmann. Dieser hatte es von dem

Herrn von Schönfeld, einem bejahrten, würdi­

gen, rühmlichst verabschiedeten General, gepachtet, der sich gewöhnlich in den Sommermonaten hier

aufhielt, und seinen von Kriegsunruhen geschwäch­ ten Körper durch eine Brunnenkur, manchmal auch nur durch reine Lebenslust und den Anblick der grünenden und blühenden Felder und Gärten,

zu stärken pflegte.

Zn solcher Zeit schien er ganz

zur Herrmannschen Familie zu gehören, »nd war

4

Der Pastor in Kartoffelfeld.

derselben

der interessanteste Gesellschafter,

der

weiseste Nathgeber und der beste Freund.

Pachter Herrmann,

ehemals

der

treue

Verwalter des Generals, war glücklich durch die

beste Frau, die hoffnungsvollsten Kinder und den

rechtschaffensten Hauslehrer. Der Kandidat Ernst erzog ihm seine zwey Söhne und seine einzige

Tochter so gesittet, so häuslich und mit so vieler

Einsicht, daß er ihn innig liebte und ehrte, und

den Lehrer seiner Kinder als Mitglied seines Hau­ ses ansah, den er keine von jenen stolzen Demü­ thigungen erfahren ließ/denen oft die geschickte­

sten Lehrer in reichen und großen Häusern ausge­ setzt sind.

Zn den wichtigsten und geheimsten

Angelegenheiten zog man auch ihn zu Rathe, und insgemein war sei» Nath, im Fall der verehrte

Gutsherr, welcher Ernst empfohlen hatte, nicht

gegenwärtig war, der geltende.

Pachter, oder

Amtmann, Herrmann, in seiner Zugend

der

bravste Soldat unter der Leibkompagnie des Gene­ rals, und nachher, wie gesagt, der Verwalter desselben, hatte das beste Herz und den geradesten

Sinn, aber nicht mehr Kultur als ihm die Um­ stände unter denen er ausgewachsen war, und nach-

Erster Theil.

5

inals fein« feinere Frau, die Tochter eines ver­ dienten Landgeistlichen, hatten geben können, und wußte sich, zumahl da einer seiner Finger in einer Schlacht verstümmelt war, nicht wohl mit der Feder zu behelfen. Ernst war daher auch Korre­ spondent des Hauses. . Jede Gelegenheit wurde sorgfältig aufgesucht und benutzt diesen treuen Freund und Lehrer aufzumuntern und sein Amt ihm zu versüßen. Man machte ihm Weihnachtsgeschenke von Bedeutung, feierte seinen Geburtstag, nahm ihn zu jeder Lust­ partie mit u. s. w. War der Gutsherr gegenwär­ tig, so besuchte er ihn oft, wenn er von der Mor­ genpromenade zurück kam, ohne alle Ceremonie in seinen Schulstunden, hörte ihm zu und fragte und forschte nach diesem ober jenem wissenschaftlichen Gegenstände. War die Lektion eine geographische, so stellte er sich vor die Landkart«, und die Kinder mußten ihm die Oerter zeigen; besonders bey der Geographie von Böhmen, Schlesien uiid Sachsen, wo er.Jjn siebenjährigen 'Kriege den. meisten Schlachten beygewohnt hatte. Fast bey jeden Stadt erzählte er dann die Thaten der Preußi­ schen Armee und ihres Königs, Friedrich bett’

6

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Großen; und beschrieb die Schlachten, Gefechte

und Scharmützel, da ihm dann die Kinder -fo wie

ihr Lehrer mit größter Aufmerksamkeit zuhirten'.' Oft nahm er die Bleyfedcr und bezeichnete alle

Märsche mit Linien, oft forderte er Papier und bildete die Schlachten ab. Ging er nach Tische — welches fast täglich geschah — in den schönen von

ihm selbst angelegten Alleen spazieren, so mußte ihn Ernst begleiten, und die Jugend folgte und

pflückte Blumen oder suchte Vogelnester.

Kurz es

war jedem bemerkbar, daß der General für den

Hauslehrer eine ungewöhnliche Liebe und Achtung hatte. Ernst brachte mehrere Zahre in diesem Hause so froh und vergnügt hin, daß er die Hofmeister

in größern Häusern bey ihren höheren Gehalten und prächtigern Tafeln gar nicht beneidere. „Wo

finde ichs besser, als hier in meinem Elysium unter meinen lieben Kindern?" dachte er oft, und

sehnte sich ssach keinem größern Glücke, besonders wen» er mit dem Unterricht seiner schönen jetzt etwa dreyzehnjährigen Schülerin beschäftigt war.

,

Edle Frcymüthigkeit wohnte auf dem Gesicht

dieses sanften wackern Mädchens; sprechend war

E r st e r

T h e i-L

7

der Blick ihres schwarzen Anges; ihr Verstand

warchell, ihre Seele rein und gut ' Louise glich einer Rose, welche aufzublühen im Begriff ist. Ernst sah sie täglich, und mit jedem Tage kam sie dem Zeitpunkt näher, wo die Schönheit in voller Blüthe prangt, jedes Auge entzückt und ohne

Kampf die herrlichsten Triumphe hält.

Schon

vorher, als-sie kaum elf Sommer zählte, fühlte

er sein Inneres bewegt, wenn er ihr zur Beloh­ nung des Fleißes die weiße weiche Hand drückte,

und sie sein gutes liebes Kind nannte;

Ja schon

in frühern Jahren seines Lehramtes fühlte er oft bey der Erziehung des kleinen unschuldig muntern

Mädchens ein lebhaftes Interesse und eine gewisse

Begeisterung. Nach und nach entstanden folgende Gedanken bey ihm: wie wenig Mädchen beglük-

ken ihre Männer; wie wenig werden gute Haus­

wirthinnen und Mütter l Bey einer zweckwidri­ gen Erziehung bringen sie, ohne auf ihre Bestim­

mung aufmerksam gemacht zu werden, ihre mehrste

Zeit unter Launen, Liebesgedanken, Romanleftreyen und am Putztisch hin; glauben ihre Bildung vollendet und ihre Bestimmung erreicht zu haben,

wenn sich auf Bällen und Assembleen ein eitler

8

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Geck oder ein unerfahrner leichtsinniger junger

Mann in sie verliebt; dem die Augen dann erst aufgchen, wenn der heilige Bund geschlossen ist.

0 glücklich, dreymal glücklich, must der Mann seyn, dem sein Schicksal vergönnt, sich seine Gat­ tin selbst zu erziehen.

Vielleicht gehör' auch ich

zu diesen Glücklichen.

Aber ein so schönes, gewiß

auch reiches Mädchen, ist das nicht zu gut für

mich? Für mich, der ich kein besseres Loos als

eine Landvfaxre zu erwarten habe?

Und wer

weiß wenn? Für mich, der ich ganz ohne Ver­

wandte bin, und meinen Vater so wenig als meine Mutter zu nennen weiß? Je mehr er sich aber durch feine Erziehungs-

kunst empfohlen hatte und noch empfahl, desto näher lag auch dem Pachter Herrmann und sei­

ner Frau der Gedanke, ihre still und ländlich

erzogene Tochter einem biedern und bewährten

Manne zu geben; und der war Ernst gewiß. Sein Aeußeres war zwar nicht schön, aber die

sittliche Grazie ersetzte den Mangel eines glatten

Gesichtes.

Er war ein Mann von gutem Herzen

und hellem Verstände; jeder Vernünftige befand sich in seiner Nähe und in seinem Umgänge wohl.

Erster

Theil.

9

Einst als der alte General auf seinem Sofa

saß, «nd znm Zeitvertreibe mit seinem Stocke geometrische Figuren auf die Erde schrieb, fiel

das Gespräch auf ihn und #«f Louisen.

Gleich

legte er seinen Stock bey Seite und hub also an:

„ Ihr treuer Hauslehrer versteht fich gut auf die Erziehung der Töchter;

das beweist Zhr

Louischen, . Man sollte denken das Mädchen

habe in drey und mehreren Pensionen studiert, und hat doch weiter keine Bildung genossen als die fällige. Wahrlich, sie macht ihm alle Ehre!"

„ Wir können es ihm auch nicht genug ver­ danken, was er an unser» Kindern gethan hat und noch thut.

die Mutter.

Gott mags ihm vergelten, sagte Zsts doch als ob es seine eigenen

wären." „Etwas müssen wir ihn: scheqken wenn er

dereinst Pastor wird, versetzte Pachter Herrmann. Ein Andenken muß er mitnehmen.

Ew. Excel­

lenz haben meine geringen Dienste mit dieser

guten Pachtung belohnt, und mich, Gott s.y

Dank! in den Stand gesetzt, daß ich andere wie­ der belohnen kann.

Ob ich ihm eine Kutsche

io

Der Pastor in Kartoffelfeld.

machen lasse?

denn die muß er doch haben;

lind das eine recht schöne."

„Nein, ein gutes Bett und eine möbliertö

Stube wollen wir ihm mitgcben; das ist nöthi­ ger, sagte Frau Herrmann."

„Zch weiß es noch besser, hub der General

lächelnd an, ich weiß es noch besser!" „Wie so, Ew. Excellenz? besser?"

„Noch viel besser; geben Sie ihm Louischen."

„ Louischen? " „Za, Louischen. versorgt wird.

So bald er nämlich gut

Mich dünkt die Liebe begeistert

schon in den Lehrstunden den Patron. gestern einer bcygewohnt.

Zch habe

Das ist eine Herz­

lichkeit, ja, ich möchte sagen eine Zärtlichkeit!

Und das liebe gute Louischen svricht. auch aus einem andern Ton, als Schülerinnen zu sprechen pflegen.

Sie flattert um den freundlichen Hof­

meister herum wie ein zahmes Kanarienvögelchen,

und geht die Gesellschaft im Garten spazieren, so

trägt sie ihm die schönsten Blumen zu.

Macht

mich nur zum Freywerber; Zhr sollt sehen, ich

mache meine Sache gut.

Erster

Theil.

ir

„ Es ist Nur heutiges Tagcs mit der Beför­

derung eine eigene und schwere Sache, und de«

Mann ist eigensinnig.

Er will sich nirgends

melden, sagte Herr Herrmann.

„Ein braver Mann wird von selbst gesucht, und must sich suchen lassen.

Zch hab's in mei­

ner Jugend nicht gedacht, daß-ich mach General werden würde, habe mich aber in Batajllen brav

gehalten, und der König hat mich, ohüe daß

ich mich meldete, dazu gemacht. „Das ist ganz was anders, Ew. Excellenz!"

„ Nichts anders.

Sorgen' Sie nicht; Gott

wird sorgen, und ich will, auch sorgen.

Hab'

ich auch keine Pfarre zu besetzen, so hab' ich doch Freunde."

„Nun wie Gott will, sagte die Mutter."

So verstrich etwa noch ein Jahr, als Loui­

sens hoffnungsvolle zwey Brüder auf ein berühm­ tes Gymnasium gingen,

und Ernst nun im

Hause, die Korrespondenz abgerechnet, gewisser­ maßen eine überflüssige Person ward.

Dessen

IS

Der Pastor in Kartoffelfeld.

ungeachtet wollte man sich von beiden Seiten nicht gery. trennen.

Er setzte daher einige Lehrstunden mit sei­ ner erwachsenen immer mehr und mehr von

ihm geliebten Schülerin, jedoch mehrentheils in Gegenwart der Aeltern fort,

und suchte seine

Zärtlichkeit.so viel als möglich zu verbergen, und

den Ernst des Lehrers zu behaupten.

Er übte

seine Louise int Driefstyl, in wirthschaftlichen Rechnungen, las mit. ihr die schönsten und lehr­

reichsten Bücher, entfernte aber sorgfältig jede

Schrift, mochte der Verfasser auch noch so be­ rühmt seyn, welche, der Unschuld gefährlich wer­

den, und hie Phantasie, durch üppige Bilder ver­ derben konnte.

Einst, als er den zweyten Band

von Bürgers Gedichten auf ihrer Toilette fand, sagte er mit einer sehr ernsten Miene: „Es sind

gute Gedichte, aber ich wünsche, Sie lesen sie jetzt noch nicht.

Fürs erste sollen Gellert, Weisse,

Utz, Engel, Spalding und Klopstock unsere Unter­ haltung seyn."

Bisher hatte Louise noch nicht tanzen ge-, lernt, weil der schlichte Herrmann die Tanz­ kunst ganz für überflüssig hielt, und, wie er sich

Erster

i;

Theil.

äusdrückte, für das Hüppeln kein Geld ausge­

ben wollte; ihr Lehrer aber brachte es doch da­ hin, daß ihr ein Tanzmcister aus einer nahen Stadt wöchentlich einigen Unterricht gab. Zeder-

zeit aber war er selbst zugegen,

wenn sie mit

ihrer einzigen Freundin, der Tochter des nahen Predigers Walther, der das Landgut als Filial besorgte, im Tanzen sich übte; freute sich über

den richtigen Takt, über die Besonnenheit, den Anstand und die Gewandtheit seiner Schülerin,

machte es aber dem Tanzmeister zur unverbrüch­ lichen Pflicht, sie den Walzertanz nicht zu leh­

ren, ja nicht einmal davon zu sprechen. Auf seinen Vorschlag wurde bald'Louisen di«

Führung der wirthschaftlichen Rechnung übertra­ gen ; er selbst sah sie mit der Mutter nach jedem

Monat genau durch, und machte die nöthigen

Anmerkungen dazu.

Ze richtiger und sorgfälti­

ger Louise alles aufschrieb und berechnete, die

Ausgaben mit den nöthigen Quittungen belegte,

und dabey Immer auf Verminderung derselben und auf Sparsamkeit bedacht war, desto mehr

Freude machte sie ihm; sich recht oft den

denn er wiederholte

süßen Gedanken,

„ es ist

i4

Der Pastor in Kartoffelfeld.

meine Braut, und was sie lernt,, das- lernt

sie sich und mir."

Bald aber hätte

sich

diese erst keimende

Freude in Leiden verwandelt.

Herr Meffert, ein sehr wohlgewachsener und wohlgek'leideter Amtmann aus der Nachbarschaft,

kam auf seinem raschen Engländer, für den er vierzig Pistolen gegeben hatte, zum Besuch ange­

ritten, und bat sich gleich nach der Ankunft die Erlaubniß aus., einige Tage verweilen zu dür­ fen.

Die Absicht dieses langen Besuchs war

lercht zu errathen.

Am ersten ahnete sie, wel­

ches aus Gründen der Seelenkunde sehr natür­ lich ist, der verliebte Ernst.

Beym Essen sprach der Fremde fast von nichts a,ls seiner weitlüuftigen Wirthschaft.

Er

rühmte die guten Aecker, die vorige reiche Ernte,

den Viehstand, die Schaferey, die. Zugochsen, die Pferde./ die-Garten, die Wiesen, die Woh­ nung n. s. w. berechnete vorläufig seinen dießjäh­

rigen Gewinn, und setzte hinzu: „ich bin ein glücklicher Mann, Nur Eins ist noch -noth."

Erster Hr. Herrmann.

Meffert.

Theil.

15

„Gewiß die Frau."

Ganz recht.

Es lebt sich

nicht gut ohne Weib." Nach Tische als Ernst und Louise nicht zuge­

gen waren, erklärte er sich deutlicher.

Meffert.

„Man hat mir, sagte er, von

Ihrer Mamsell Tochter viel gutes erzählt, daß sie so ordentlich und wirlhschastlich sey."

Fr. Herrmann.

„Sie läßt sich ganz

gut an."

„Wahrhaftig! Das wär'eine

Meffert.

Frau für unser Einen.

ich sie tragen.

Fr. Herrmann. zen.

Auf den Händen wollt'

Sie entzückt mich." „Sie belieben zu scher­

Louise ist noch viel zu jung. H r. H e r r m a n n.

dckauf.

„ Freyen ist kein Pfer-

So was verdient lange überlegt zu

werden."

Meffert.

„Ich scherze weiß Gott nicht.

Das Madel gefällt mir außerordentlich.

Zch

kann ja auch noch warten und mich mit meiner grämlichen Hausverwalterin noch ein Jahr und

drüber behelfen."

i4

Der Pasivr in Äarrvsselfeld.

Fr. Herrmann.

„Darauf laßt sich nicht

Die Ehe ist zwar eine Sache des

antworten.

Verstandes, aber auch des Herzens.

Das meiste

kommt darauf an, daß ein Mädchen wahre Nei­

gung für den Liebhaber fühlt. fallen.

Zwang must weg

Wir haben unsere Tochter freylich zum

strengsten Gehorsam gewöhnt; aber nach meiner wenigen Einsicht geht unser Recht nicht so weit,

daß wir auch Gehorsam in einer so wichti­ gen Herzenssache, als die Ehe ist, verlangen

könnten.

Hier muß Neigung entscheiden.

Sie

werden zugeben, bester Herr Amtmann, daß die

Ehe das Glück, oft auch das Unglück, des ganzen

Das erfährt man ja täglich."

Lebens bestimmt. Meffert.

„NunSie erlauben wenigstens,

wie ich schon gebeten habe,

daß ich Ihnen

noch ein paar Tage auf dem Halse liege." Eben trat Louise in die Thür und brachte

den Kaffee. Dmge.

Das Gespräch fiel also auf andere

Der Fremde ließ sie keinen Augenblick

aus den Augen,

gefiel sie ihm,

und

in allen Kleinigkeiten

besonders wenn sie ihm mit

ihrer runden weißen Hand höflich eine Tasse präsentierte. Nach-

Erster

Theil.

i?

Nachher trat sie ihrer Gewohnheit nach vor

ihr schönes silbertönendes Lemmisches Klavier,

und spielte mit Fertigkeit und Ausdruck eine Sonate von Mozart.

Gleich sprang der Fremde

herbey und bat dringend, daß sie doch dazu singen

möchte.

„Singen Sie doch auch eins dazu,

dann- wirds »och besser gehn, Mamsellchen,"

sagte er ihr mehr als einmal.

Da sich aber

bekanntlich zu einer Sonate eben so wenig singen

läßt als zu einer Symphonie, so brach Louise gleich ab, spielte und sang mit vieler Empfin­

dung das schöne Lied von Müchler und Hurka:

Zartes Weiß! die Feier meiner Lieder will ich dir mit ganzer Seele wcihn, u. s. w.,

und machte dadurch auf den Liebhaber einen so gewaltigen Eindruck, daß er ganz entzückt vor Freuden dazu pfiff.

Verloren, verloren! dieser Pfiff entscheidet! dachte Ernst, der eben.in einem Buche las, und

nun in feiner Seele triumphierte.

'Noch herrlicher ward dieser Triumph, als Amtmann Meffert die Frage anfwarf: hat das Stückchen gemacht?" Müchler mit Vetter Micheln

„ Wer

den Professor

zu

verwechseln

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i8

schien, recht zärtlich darauf antrug, die Schine möchte

doch

auch

die

lustige

Arie

spielen:

„Gestern Abend war Vetter Michel bft,z/ und

abermals pfiff, um den Ton dazu anzugeben. Das.ist mir zu gelehrt, antwortete Louise.

Beleidigt und an solche Plattheiten gar nicht gewohnt, verließ sie unter irgend-einem Vor­

wande das Zimmer, und ließ sich in einigen Ernst folgte ihr.

Stunden nicht wieder sehen.

Gegen^Abend, als Louise am Nähetisch saß, trat der Fremde zu ihr heran, kniff ihr zärtlich

die Wange mit

der noch

zärtlicheren Frage:

„Wir machen doch heute Abend Eins?

nicht

wahr, wir machen Eins?"

Louise erröthete, einer sah den andern an,

und kein Mensch wußte, was er meinte.

End­

lich hub Ernst ziemlich unwillig an: „Was soll

denn gemacht werden, Herr Amtmann?" „Ein Spielchen.

Ein Lomberchen, oder be­

lieben Sie zu grobäußern?" „Das wollen wir Ihnen überlassen.

Zch

spiele nicht," antwortete Louise. „Nun auf dem Klavier spielen Sie uns doch

wenigstens noch Eins! Hören Sie, Mamsellchen!"

Erster Theil.

19

„Zch weiß nichts mehr. Zch dächte, Sie pfiffen uns Eins; Sie pfeiffen vortrefflich!" Erst wollte sich Herr Meffert wirklich noch einmal hören lassen, und fing schon an „Blühe liebes Veilchen" anzustimmen, als er an Ernst und Louisen ein satirisches Lächeln bemerkte. Dieß brachte ihn zum Schweigen. Herr Herrmann lenkte das Gespräch auf die Kornpreise, auf die Ausfuhr des Getreides, wor­ über Herr Meffert so vieles zu sagen wußte, daß er Louiftn vergaß, wenigstens sie diesen Abend mit seinen Zärtlichkeiten verschonte. Nach manchen ähnlichen Versuchen auf das Herz der Schönen, der er mit Gewalt gefallen wollte, reifete Herr Meffert wieder ab, ließ sich aber den Gegenbesuch mit Hand und Mund versprechen. Glückliche Steife! dachte Ernst. Glückliche Steife! dachte Louise, und freyer schlug beide» das Herz.

20

Der Pastor in Kartoffelfeld. Wort zu halten und auch aus Neugierde,

doch zu

sehen,

ob Herr Meffert wohl nicht

geprahlt habe, entschloß sich der alte Herrmann

den versprochenen Gegenbesuch in den nächsten Tagen gbzustatlcn.

Louise aber war nicht zu

bewegen Gesellschaft zu machen, so gern sie der Vater mitgenommen hätte. „Der Mann ist ohne Erziehung, sagte sie,

und voll Plattheiten.

Für mich ist er nicht, und

wär' er noch einmal so schön und reich.

Hätte

»ch die Frau dieses oder eines ähnlichen Mannes

werden sollen, so müßte man mich ganz anders gewöhnt und erzogen haben."

Das Mädchen hatte Recht.

Wer frcncte sich

mehr über diese vernünftige Reflexion als ihr Lehrer.

Ein gutes Herz mag er haben, sagte

dieser,

auch ein guter Wirch seyn; aber nm

Geschmack und Bildung steht es übel.

ein Kontrast zwischen ihm und Ihnen!

Welch Der

ltmgang kann das Leben versüßen, aber nur

dann, wenn gebildete oder der Bildung fähige Menschen in Gesellschaft treten. • Frau Amtmän­

nin Herrmann war, ohne es sich nrerken zu las­

sen, gleicher Meinung, und das um so mehr,

Erster

weil

sie

in

den

Theil.

erstem

21

Zähren mit ihrem

damals ziemlich unpolierten Gemahl nicht immer

harmoniert hatte.

Herr Herrmann wußte nach seiner Zurück­

kunft die Oekonomie des Herrn Meffert nicht genug zu rühmen, und wo er ging und stand sprach er bald von den vollen Kornböden, bald

von den schönen Pferden, fetten Ochsen u. s. w.

Nur die vier runden, geputzten und bebänderten Mägde, die er gesehen haben wollte, hatten

seinen Beyfall nicht, weil zwey ungeputzte, sei­

ner Meinung nach, auch genug wären.

Auch

hatte er zwey kleine Knaben mit gelben Halb­ stiefeln und feinen grünen Zacken im Hause

herum laufen sehen, aus deren Ab - und Her­ kunft er nicht klug werden konnte.

Bedenklich

war es ihm, daß sie Herr Meffert, ob er sie gleich für des Gärtners Söhne ausgab, so oft

mit Rosinen und Mandelkernen fütterte. Dennoch war er im Herzen als Oekonom nicht so abgeneigt seine Tochter an Herrn Mef­ fert zu geben.

23

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„Der Mann versteht freylich die Komplimente nicht, sagte er zu seiner Frau, aber sag' einmal, Mutter, wie könnten wir die Louise besser anbrin­ gen? Laß ihn immer ein wenig geradezu seyn, das wird sich wohl geben, wo nicht, so muß sich Louise an seine Manövers gewöhnen. Wahr­ lich es sitzt mir zwischen Haut und Fleisch." „ Aber, Kind, die vier bebänderten Mägde — die zwey kleinen Zungen —" „I nun! Es ist der Weltlauf. Aber die Wirthschaft hättest du sehen sollen! Die unsrigekommt nicht dagegen." „Kind, du merkst ja wohl, wo Louise hin­ neigt; weißt ja auch, was der General neulich' sagte. Gieb einmal Acht darauf. Zch wette, Ernst ist sterblich in sie verliebt, wenn ers sich auch nicht so merken läßt. Wir Weiber sehen so was eher als ihr Männer." „ Ich glaube noch nicht daß der Informator so schrecklich in das Mädchen verliebt ist, und bey der Excellenz will ichs schon ausmachen." „Kind! sie lieben sich beide; das ist aus­ gemacht. Daß aber Louise Herr Mefferten lie­ ben wird, wenn sie ihn auch heirathen müßte.

Erster glaube ich nicht.

Theil.

Und ob es Ernst in diesem

Punkt auch treu und redlich meint, wollen wir bald mit Gewißheit erfahren."

„Und wie?"

„Wir wollen ihn in der Heirathssache um Nath fragen."

„Laß es

seyn, daß

sie

sich

nur daß sie sich nicht vcrquackcln. ich nicht leiden.

lieben, sorge

Das kann

Der Mann hat noch kein Brot,

und von der Liebe lebt keiner."

Der alte Herrmann willigte ein, daß mit

dem Erzieher seiner Tochter über diese Heiraths-

angelegenheit

eine Konferenz

gehalten wurde.

Hier ist sie der Hauptsache nach: Fr. Herrmann.

„Guter, alter Haus­

freund, wir haben eine höchst wichtige Sache auf dem Herzen, und müssen auch Ihren Rath darüber hören.

Wir haben Zhnen jederzeit die

kleinen und großen Angelegenheiten unsers Hau­ ses entdeckt, und wollen Ihnen auch aus dieser

kein Geheimniß machen."

24

DerPastor in Kartoffelfeld. Dem Hofmeister ward bey dieser Vorrede so

wann ums Herz, daß er alle Fassung verloren haben würde, wenn er nicht praktischer Erzieher Doch überlief eine schwache

gewesen wäre.

Röche sein Gesicht, und verrieth die Bewegung seiner Seele.

„Lassen Sie mich hören, gute

Mutter!" Fr. Herrmann.

„Wie gefallt Ihnen

der junge Amtmann, der neulich bey uns war?" Ernst.

„Gerade so wie er Ihrer Tochter,

meiner lieben Schülerin, gefallt;

und wie er

auch Ihnen gefallen würde." Fr. Herrmann.

„ Zu den feinen Leuten

gehört er nicht." Hr. Herrmann.

„Aber ein tüchtiger

Wirth! Ein Matador!"

Fr. Herrmann.

„Wird sich der Mann

wohl noch verfeinern, wenn er eine gute gebil­ dete Frau bekommt?"

Ernst.

„Es ist in seiner ersten Erziehung

zu sehr versehn.

Etwas besser könnte er durch

guten Umgang wohl werden, aber ein völlig gebil­ deter, gesitteter, seiner Mann und angenehmer Ge­

sellschafter, wird er nach meiner Meinung nie."

Erster Fr. Herrmann.

Theil. „Ich wills nur gerade

heraus sagen, meinem Mann gefällt er, wenig­ stens /rls Oekonom, gar sehr, und er ist nicht ganz abgeneigt seine Wünsche zu erfüllen."

Ernst betreten.

„Welche Wünsche?"

Fr. Herrmann.

längst errathen haben.

„0, Sie werden sie Unter uns

gesagt, er

hat um Louisen angehaltcn." Ernst.

„Um Louise»? Ich hab' es be­

fürchtet." Hr. Herrmann.

Sie denn dazu? seyn.

„Nun, was meinen

Es kann nicht alles beysammen

Was ist besser, ein reicher Landwirth,

der ein wenig platt ist, oder einer der sich auf Komplimente versteht, und (ein Vermögen oder wohl gar kein Amt hat.?"

Ernst.

„Ich kann hierin nicht rathen.

So viel ich weist ist gegenseitige Liebe

und

Achtung die Grundlage zu einer glücklichen Ehe.

Man müsste Louisen fragen, ob sie Neigung zu ...ihm habe?"

Hr. Herrmann.

„Sie kann sie noch

bekommen."

Ernst.

„Sie wird sie nie bekommen." .

26

Der Pastor in Kartoffelfeld. -

Hr. Herrmann.

„Woher wissen Sie

das? " „Dieß sagt mir mein Herz.

Ernst.

Sie

liebt ihn nicht und kann ihn nicht lieben."

Bey diesen Worten entfernte er sich und hielt

sein Schnupftuch vor das Gesicht.

Welche

Allmacht hast du

nicht,

leidiges

Geld! schimmerndes Metall! auch oft über die Gemüther der

besten Menschen!

Wo

Weise der deinen Reihen widersteht?

ist der

Bemäch­

tige dich aller Künste, ersteige den Gipfel der

Wissenschaften, was bist du? Ein unbedeuten­ des Wesen ohne Silber und Gold.

Und doch

kann weder Silber noch Gold den Werth eines Menschen erhöhen, eben so wenig als der Stein der vor meinen Füßen liegt.

So dachte Ernst, und ging seinen Harm zu verbergen in dem nahen von Alleen durchschnit­

tenen Walde einsam spazieren.

Ein paar Wald­

tauben auf einer hohen Eiche erregten seine Auf­ merksamkeit.

Erster

Theil.

27

„Haben es die Thiere nicht besser als die „Menschen? Sie dürfen sich lieben, und Liebe • „ beglückt sie.

Und der Mensch, fähig der süße-

„sten, heiligsten Empfindungen, wird ein Opfer „des kalten Reichthums, oder der eingebildeten „ Ehre."

„Irre ich nicht, so liebt mich Louise; und

schmeichle ich mir nicht zu viel, so hab' ich ihre Liebe verdient! Aber der rohe, reiche Mann

wird von dem Vater begünstigt.

0 könnt' ich,

was vielleicht noch nie ein Mensch gekonnt hat,

könnt' ich meinem Herzen gebieten, und eine

Leidenschaft daraus auf immer verbannen, die ich

verschlossen in diesem Busen mit mir herumtrage, und die vielleicht nie befriedigt werden wird.

Wach' auf meine zu sorglose Vernunft, besiege

und beherrsche das Herz! Besser ists, tausend­ mal besser, gar nicht zu lieben, als mit Qual

zu lieben."

„Aber wenn ich sie nur nicht täglich sähe,

täglich spräche, das sanfte, holde, edle, aufblü­ hende, entzückende Mädchen!

Wird es nicht

immer wieder auflodern das gedämpfte Feuer, wenn sie mich in ihrer Unschuld so frepmüthig

Der Pastor in Kartoffelfeld.

18

anlächelt?

Nicht zur Hellen Flamme werde»,

wenn sie mir, wie sie als Kind so oft that, zutraulich die Hand

drückt, und mich guter,

lieber Ernst nennt ? '*

„ Welche Nolle soll ich nun spielen? Soll ich auf einmal Kälte affektieren?

Das wird mir

nicht gelingen und Louisen kränken — Wird es Louisen wirklich kränken? Zch muß erst abwar­ ten, wie sie sich benimmt.

Kann sie, weils der

Vater will, Herrn Meffert ihre Hand geben, so ist sie nicht für mich.

Doch sie kann es nicht,

und zum erstenmal wird sie ihrem guten Vater

den Gehorsam versagen, wen» er in Herzens­ sachen Gehorsam fordern sollte." Voll solcher Gedanken kam er aus dem Walde

zurück.

Eine Brücke führte ihn in den nahen

Garten, wo er sich in einer an dieser Drücke stehenden dichten grünen Lindenlaube niedersehte,

mit dem Vorsatz, sich allen Gram aus dem Sinn zu schlagen.

Aber alles, was er im Walde

gedacht und gegrübelt hatte, fand sich, wie ein Traum, nach der Reihe in seiner Seele wieder

ein.

Endlich schlief er hingelehnt in die Ecke

der Laube darüber ein.

Seine Miene blieb

Erster

29

Theil.

aber so denkend und so trübe, daß sie leicht'

die ganze Stimmung 'der Seele verrieth.

Nach einem warmen Ta^e'eilte Louise mir der Gießkanne in der Hand in den Garten, ihre

an der Laube blühenden Nelken zu tränken.

Sie

sah den schlafenden Lehrer, und bemerkte bald die ungewöhnlich

trübe und umwölkte Stirn.

Lange stand sie betrachtend und denkend vor ihm. „Ein

unglücklicher

Traum

betrübet ihn.

Kommt mir es doch vor als hätt' er geweint.

Ach! er will wirklich weinen! — Soll ich ihn wecken und seine Leiden unterbrechen? — Sie

nahm seine Hand und schloß sie in die ihrige;

ihr Herz wurde unaussprechlich bewegt.

Zhr

Herz sagte ihr: vielleicht bist du die Ursache sei­

nes Kummers.

Mefferts Antrag! gewiß er

liebt mich, wie ich ihn liebe.

flog von ihren Lippen.

Das Gesiändniß

Sie erschrak als sie

hörte, drückte auf die Hand des Geliebten einen

Kuß und entfernte sich schnell."

Leiser aber als

Schlaf.

sie

dachte

war ErnstenS

Er hörte sie kommen — hörte wie sie

fröhlich hüpfend und singend die Blumen begoß,

hörte ihre theilnehmenden Klagen, ihr Geständ-

3o

Der Pastor in Kartoffelfeld.

niß, und fühlte sein Inneres froh erschüttert

durch den Kuß, welchen sie ans seine Hand drückte. Kaum halte sich die Schöne entfernt als er

aufstand, fröhlicher als er sich niedergeseht hatte.

Sie liebt mich! Sie liebt mich! dachte er, und der gütige Himmel wird es fügen, daß dieß gute

Mädchen die Meine wird.

Herr Herrmann blieb immer noch für Amtmann Meffert eingenommen, und sagte sei­

ner Frau noch oft: „Eine so gute Gelegenheit, unsere einzige Tochter zu versorgen, kommt ge­

wiß so bald nicht wieder.

Ernst, hat viel an ihr

und ihren Brüdern gethan, aber noch ist er weiter nichts^ als ein guter Mann.

wo ihn das Schicksal

Wer weiß

noch einmal hinführt.

Belohnen wollen wir ihn; aber —" Gan; dieser Meinung war eine zum Besuch eben angekommene Frau Tante.

„Wenns «ine Frau nur recht anzufangen weip, sagte diese, f» kann sie aus dem Mann

Erster'Theil. machen was sie will.

31

Ich weiß wie mein seliger

Mann beschaffen war als wir uns heirakhcten.

Er war ein Trotzkopf und ward zahm und kirre

wie ein Lamm.

Er spielte gern, und ich brachte

ihn bald dahin, daß er keine Karte mehr ansah.

Er fluchte,vhne.Unterlaß, beten.

und ich

lehrte ihn

Kurz ich zog ihn ganz nach meiner Hand.

Wollt'ich.ausfahren, gleich ließ er anspannen; wollt' ich Besuch haben, so sagte er, ja, mein

Kind! So, liebes Louischen, so müssen Sie es auch machen; das

muß bald ein ganz anderer

Herr Meffert werden." „Zch kann aber Herrn Meffert.nicht lieben;

kann ihm nicht gut seyn."

„Ey die Liebe findet sich sobald man den Ätann liebenswürdig gemacht hat.

Kind, nach gerade.

Alles, mein

Auf einmal fällt kein Baum.

Wenn, Gott sey bey uns, der Mann ein Teufel ist, so muß er ein Engel werden.

ren manchmal

Weiber regie­

nicht nur den Mann, sondern

durch den Mann eine ganze Stadt, wie z. E. die

Frau

Bürgermeisterin

Geschlecht, vermag viel, kennt."

zu

G .. .

Unser

sobald es seine Waffen

zr

Der Pastor «»'Kartoffelfeld.

„Welche Waffen?" versetzte Louise. „Ich merke, Sie sind noch etwas unwissend,

liebes Mädchen.

Bald einmal gezankt und ge­

trotzt ; dann gemault; wenn das nicht helfen

will, haben wir Krämpfe, Nervenzufälle; hilft

das auch nicht, so muß man freylich zu gelin­ der» Mitteln greifen, den Mann um den Dart gehn, ihn küssen, bitten, und der Fuchs muß zum Loche hinaus."

„Solche Lehren, antwortete Louise empfind­

lich, gab mir Herr Ernst nie'; auch las ich sie weder im Kampe noch in einem andern guten Schriftsteller."

„Sieh, liebe Schwester, welche Weisheit! sprach Frau Tante zur Mutter,

ich

bewun­

dere sie." „Kann ich die Ihrige bewundern,

liebe

Tante?"

„Naseweises Ding! was hast du denn gegen ihn?"

„Daß ich ihn nicht leiden kann." „Und warum, Närrin! kannst du ihn nicht

leiden?"

„Er

Erster

33

Theil.

,,Er pfeift für mich zu vortrefflich,^ sagte

Louise.

Um ein unwiderstehltches Lachen zu ver­

bergen, sprang sie hinaus ins Freye. „Das ist ein trotziges Ding, sagte Frau Tante, das macht, weil sie noch jung ist.

ist Noch nichts mit iHv anzufangen.

Es

Lassen Sie

sie, lieber Herr Bruder, noch einige Zahre älter werden, so wird ihr ein solcher Herr Meffert

schon willkommen seyn.

Gott, wo ein Mann

zu haben ist, da muß sich in heutigen Zeiten, wo die jungen Herren so selten heirathcn, ein

Mädchen nicht lange bedenken." „Nun ich will sie nicht zwingen, fing der

alte Herrmann an. Gründe.

Zch habe auch noch andere

Zm Vertrauen gesagt, Herr Meffert

halt mir zu viel junge,

rasche und geputzte

Mägde, und man sieht da Zungen in gelben

Stiefeln herum laufen." „Das taugt nicht, sagte die Tante.

Solche

Fehler gewöhnen sich die Männer selten ab, da mag 'eine Fran machen was sie will.

Das sind

häßliche Fehler."

Fran Tante hub an das Hauskreuz solcher Frauen sehr umständlich zu schildern, deren Män-

Der Pastor in Kartoffelfeld.

34

11 er auf verbotenen Wegen gehen, und es aus allen Erfahrungen, recht umständlich zu beweisen,

daß solche Manner sich nie bessern, und wie sie glaubte, auch, nicht bessern können. Von nun an .ließ der ji(tc Herrmann den

Gedanken,

sich

den Amtmann Meffert

Schwiegersohn zu ivählen,

gleich

dieser

in

zum

ganz fahren j ob

einem Briefe,

ganz

seines

Geschmacks, nochmals recht dringend und zärt­ lich um Louisens Hand angehalten hatte.

Ernst,

mußte ihn beantworten, und schrieb dem Herrn,

auf eine solche Art, daß er alle Hoffnung auf Er kam nie wieder; schrieb.auch

einmal aufgab. nicht wieder.

Wie man sagt, hat er. sich aus

Verzweiflung kurz nachher mit seiner schönsten Magd vermählt.

Bey der Stille uUd Eingezogenheit, in der man zu Nosenhain zu leben gewohnt war, ward

die schöne wohl erzogene

jetzt

siebzehnjährige

Louise wenig bekannt; da es ihr in einer großen

Stadt,.wo der öffentlichen und. häuslichen Feste

Erster

Theil.

3)

fast eben so viel sind, als Tage im Zahr, an Verehrern

würde.

und Anbetern

nicht gefehlt haben

Sie glich einer schönen Blume im

Schatten, nicht der Prunkrose am Wege. Einst als man über Tische die Zeitungen las, kündigten diese große Festlichkeiten, Schauspiel,

Ball und Nedoute an, womit in künftiger Woche

der Geburtstag des Fürsten, in der etwa vier Meilen entfernten Residenz gesepcrt werden sollte. Noch hatte Louise den Fürsten nicht gesehen, aber viel Gutes von ihm gehört; noch kein

Schauspiel gesehen, einige der besten gelesen; nnd noch weniger hatte sie auf einem Dalle getanzt.

„Liebes Väterchen, fing sie daher an,

lassen Sie uns doch Hinreisen, damit auch ich vusern Landeshcrrn, eine

den guten Fürsten,

Komödie, einen Ball und was es mehr ist, ein­

mal zu sehen

bekomme.

Hören Sie,- liebes

Väterchen! schlagen Sie mir diese kleine Ditre doch ja nicht ab —"

„ Liebes Kind,

hub Ernst an,

noch ehe

Herr Herrmann seiner Tochter antworten konnte,

liebes Kind, der Fürst ist ein Mensch wie andere,

nur der Stern vor der Brust unterscheidet ihn;

Der Pastor in Kartoffelfeld»

z6

und wie ein solcher Stern beschaffen ist will ich Zhnen beschreiben.

Komödien haben Sie gele­

sen, und man sieht dergleichen täglich in der Welt.

Der Ball ist eine große Tanzübung, wo

aber nach heutiger Mode recht viel gewalzt und gehopst wird, und wo manches Mädchen die

Gesundheit apf immer verliert.

Cie verlieren

nichts, wenn Sie dieß alles nicht sehen.

Ein

Spaziergang in der schönen Natur, ei» gutes

Buch, ein gutes Klavier ergötzen weit mehr." „Es wird auch sehr voll seyn," sagte der Vater.

„Wenns recht voll ist, desto besser! sagte die Mutter.

Mache mir und der Tochter das

Vergnügen, Väterchen, laß uns Hinreisen I"

„Es ist wahr, liebe Schwester, hub Frau Tante an, deine Tochter lebt hier wie im Kloster, und eine Nonne soll doch Louischen nicht werden.

Auf dem Lande mag es «och so schön seyn, so

ermüdet doch

das ewige Einerley.

Zuweilen

muß man auch die große Welt sehen. kann immer Bäume,

Wer

Korn,. Pferde, Kühe

und dergleichen vor Augen haben? Sagen Sie

ja

nicht

nein,

lieber

Herr Bruder!

Sie

Erster

Theil.

haben ja Pferde und Wagen.

37

Zch reise auch

mit."

Ernst warf dem alten Herrmann einen Blick zu, der etwa so viel sagte: „ Sagen Sie nein;

die Sache ist bedenklich."

Dieser machte auch

anfänglich Schwierigkeiten genug, und schützte ein wirthschaftliches Geschäft nach dem andern

vor; allein die wiederholten zärtlichen Bitten der Tochter und ihrer Mutter, und die Deredt-

samkeit der vergnügungssüchtigen Tante preßten ihm endlich das Za aus, und die Neise wurde beschlossen.

Zn der Hauptstadt rüstete sich alles zu den

angekündigten Freuden.

Ueberall gab es leb­

hafte Auftritte und Familienscenen.

Zn einem

Hause maulte und muffte die Mutter sammt den Töchtern mit dem fleißigen Vater, weil er nicht

gleich wollte.

herausrücken

und

Modekleider

kaufen

Zn einem andern stieß, kniff und puffte

die heftige, cholerische, schlecht erzogene Fra«

den gutmüthigen, geduldigen Mann, der sich nicht entschließen wollte, den langsam ersparten

38

Der Pastor in Äartoffeifeid.

Nothpfennig auf Masken im Range zu verwen­

den.

Zn einem dritten sveisele die ganze Familie

Mittags und Abends Kartoffeln mit Salz, und

trank statt des gewohnten Kaffees ein Glas Was­ ser, um die Komidienbillets bezahlen zu können. Zn einem vierten wurde ernsthaft überlegt, was

inan dießmal von den Mobilien am füglichsten entbehren könne.

Zn einem fünften gingen viel

Zuden aus und ein.

Dagegen blühcten in den

Trödclbudcn und Leihhäusern Handel und Wan­ del wie auf der Börse in Hamburg.

Die Fri­

seurs waren eifrigst beschäftigt so viel falsche Haaraufsähe für Damen zu verfertigen als be­

stellt waren, und Dagegen den Herren Schwe­ denköpfe zu scheren.

Die Zahnärzte putzten alte

Zähne und setzten neue ein.

Die Galanterie-

händler hatten starken Absatz an Schminke und

wohlriechende» Oelen.

Schuster und Schneider

arbeiteten Tag und Nacht, um die bestellten Modeschuhe und Moderöcke zu liefern.

Zn vie­

len Betten gab es sehr unruhige Nächte.

Zn

manchen konnten die Gemahlinnen vor lauter

Freude, in andern vor lauter Uebcrlegungen, was sie anziehen und wie sie sich heranspuhcn wollten.

Erste r nicht schlafen.

Theil.

39

Zn manchen wurde disputiert,

pdcr man sprach wohl gar von einem Schei­

dungsprozeß. Zin stillen Herrmannschen Hause aber herrschte

Friede und Ruhe; und über das neue hellrothe

seidene Kleid, das Louischen bekam, nnd ihr so schön stand, daß ihr der entzückte Ernst kaum ins Gesicht sehen konnte, wurde weder gestritten noch gezankt.

Dc> Alte,

der einmal das Za

gesprochen hatte, gab auch willig das nöthige Geld her.

„Macht was ihr wollt, sagt' er,

nur macht es nicht zu bunt." Ze näher der Tag

der Reise heran kam,

desto fröhlicher waren die Damen,

besonders

die Tante, desto gedankenschwerer uno niederge­ schlagener der gute Ernst.

Der redselige Mnnd

der Tante floß über von lauter Verhaltungö­ regeln auf dem bevorstehenden Feste.

lehrte Louisen wie sie sich

Sie be­

zu benehmen habe

gegen den Fürsten, die Prinzen, die Minister, die Geheimenräthe, die Hofmarschälle, die Kam­ merherren, die Kammerjunker.

„Keinem bcr

Herren, sagte sie, mußt du einen Tanz verweigery.

Du mußt es dir um des Himmels willen

40

Der Pastor in Kartoffelfeld.

nicht merken lassen,

daß du vom Lande bist;

denn über die Landmädchen pflegt man gern zu

spotten.

Recht vornehm, gravitätisch und delikat

mußt du Auftreten, und thun als ob du nächst dem Hofe die vornehmste Person in der Gesell­

schaft seyst.

Gerade so hab' ichs gemacht, als

ich noch jünger war."

Ganz anders! sprach Ernst zu seiner Schü­

lerin, dem Engel im neuen Kleide.

Sie

sich

vor

dem Walzen

und

„Hüten

Hopsen —

trinken Sie wenig, noch besser gar keinen Wein

oder Punsch —

bleiben Sie Ihren 2leltern

stets nahe — seyn Sie sparsam mit Ihrem

Lächeln und Blicken — küssen Sie niemand — ich beschwöre Sie bey Ihrer und Ihrer Aeltern Ehre, weichen Sie den Zudringlichkeiten der

jungen Herren aus;

seyn Sie ernsthaft und

empfindlich bey jeder zweydeutigen oder unge­ sitteten Witzeley, und sagte sie ein Prinz — benutzen Sie,

diese Reise,

weil Sie einmal

geschehen soll, zu Ihrer Aufheiterung, und zur

Erweiterung

Ihrer jetzt

Weltkenntniß — "

noch

eingeschränkten

E r st e r „Wollen Sie

den»

T h x i l.

41

nicht auch mitreisen,

guter Herr Ernst?" antwortete Louise.

„Ich bin nicht dazu anfgefordcrt." „0 ganz gewiß wirh man Sie noch ein­ laden." Dieß geschah aber nicht, weil Frau Tante

versicherte, Lehrer, Hofmeister, Geistliche und

ähnliche Leute genierten nur bey solchen Gele­ genheiten; die müsse man zu Hause bey den

Büchern lassen.

Ernst blieb also, nachdem er das geschmückte Louischen mit klopfendem Herzen zu dem Wagen geführt und eine tiefe Abschiedsverbeuguug ge­

macht hatte, allein zu Hanse seinen Büchern und Grillen überlassen.

Er las was er lesen konnte, bald Geschichte, bald Philosophie, bald Reisebeschreibungcn, bald

Romane; aber nur mit halber Seele.

Immer

sah er die geputzte, reihende, für ihn blendend­ schöne Louise in den Wagen steigen und abfahren.

Imme< sprach er in Gedanken mit ihr.

42

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Er fühlte seine Seele getheilt, und selbst das

abstrakte Studium der Kritik der reinen Ver­

nunft vermochte nicht sie zur Einheit zurück zu

bringen, und jene reihenden Bilder aus der Einbildungskraft zu verdrängen.

Es war ihm

als ob er zwcyfach existiere.

Oft wenn er eine Seite gelesen hatte, war

ihm kein Wort von dem Gelesenen mehr gegen­ wärtig; er legte, ohne es zu wissen, das Buch

auf den Tisch, ging in der Stube einsam auf und ab, und philosophierte etwa also:

„Für ein reines, unschuldiges, mit keiner

„Versuchung bekanntes Herz, ist ein solches Fest „ein gefährlicher Kampfplatz. „es unverwundet zurück.

Selten kommt

Sollte Louise ohne

„alle Eitelkeit, ohne allen Leichtsinn zurück kom-

„ men? Ganz die reine Denkungsart, die Unbe„fangenheit wieder mit zurück bringen, mit der „sie abreisete?

Sie wird viele schöne Männer

„sehen, wird sie mich noch licbm könne»? —

„mich schlichten ehrlichen Mann?" Diese und ähnliche Betrachtungen wollten nicht aus seiner Seele weichen; und hätte er ein halbes Zahrhundert früher gelebt, so würde

E r si c r

T h c i i.

43

er sie dem Muthwillen eines bösen Engels zuge­ schrieben haben, dergleichen cs aber doch nach

Aussage des -Hermetischen Katechismus auch in neuern Zeiten wieder geben soll.

Zn Gesell­

schaft seiner angenehmen Schülerin waren ihm die Tage wie Stunden, die Woche wie Tage

hingeschwunden; jcbt dünkten ihn die Stunden

Tage, die Taae Wochen zu seyn.

„ Was isi das? wohnt eine doppelte Seele

in mir? Zch fühle daß meine Einbildungskraft ganz aus der Bahn tritt.

Zsts nicht der Anfang

einer Krankheit, die ich bisher nicht kannte, jener

Krankheit, die den Klügsten und Weisesten ent­ stellt, und ihn völlig unbrauchbar für die Welt

machen kann? Isis nicht der Anfang der Hypo­

chondrie?

Eile weg von den Büchern, suche

Gesellschaft, um dich aufzuheitern, ehe dich diese

Feindin der Freude und der Liebe ergreift." Schnell nahm er seinen Stab, und raschen Schrittes ging er über Feld zu seinem Freünd,

dem Prediger Walther.

Diesem beschrieb er

44

Der Pastor in Kartoffelfeld.

feine Seclenleiden umständlich, verschwieg aber die Quelle derselben,

die Liebe,

welche aber

dem Prediger Walcher, der einst auch geliebt hatte, nicht unbemerkt blieb; so wenig unbe­

merkt blieb, als dem klugen erfahrnen Richter

ein böses Gewissen.

Hr. P. Walther. len! heirathen müssen Sie.

„Fort mit den Gril­ Ein artiges junges

Weib kuriert den Milzsüchtigen sicherer und bes­ ser, als ein ganzes Kollegium Medicum, besser

als alle Apotheken."

Fr. P. Walther.

„Das können Sie

glauben, ich habe meinen Mann auch kuriert. Als Bräutigam war ep einem Narren so ähn­

lich, wie ein Ey dem andern; wie Zoseph der Träumer war er beschaffen, und konnte, wie ein Mensch, der kein gutes Gewissen hat, keinem ins Gesicht sehen, klagte und lamentierte vom

Morgen bis zum Abend.

an.

Sehen Sie ihn jetzt

Er ist vergnügt, dick, rund und fett; es

fehlt ihm nichts."

Ernst.

„Heiraten? ich heirathen? wel­

ches Machen wird so leichtsinnig seyn und einen

Erster

Theil.

45

Kandidaten nehmen, der weder Amt, noch Brot, noch Geld hat."

Hr. P. Walther.

„Legen Sie doch

gleich eine weibliche Erziehungsanstalt an, wie

schon so manche heirathslustige Kandidaten gethan

haben, oft auch solche, welche Väter wurden,

ehe sie Beruf dazu hatten."

Ernst fd)uttelto ben .Steps. „Wissen Sie was?

Fr. P. Walther.

lassen Sie Sich adMngieren.

Jetzt eben sucht

der uralte Pastor Seifert einen Zldjunkt, nur

ist ein kleines Aber dabey; er soll die Tochter

nehmen." Ernst.

„Um Verzeihung, das kleine Zlbcr

ist für mich doch zu groß!"

„So! so! ich merke

Fr. P. Walther.

was.

Ich habe schon

ein Vögelchen

singen

gehört."

Ernst etwas freundlicher aber qlcich wieder ernftbaft.

„Welches Vögelchen denn?

Ich muß Ihnen

bekennen, Frau Pastorin, daß ich auf keinem Schleifwege in ■ ein Amt gelangen will.

ist mein fester Vorsatz und - Entschluß.",

Das

46

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Hr. P. Walther. . „Was sagen Sie da vom Schlcifwege.

Das ist ja kein Schleifweg.

Es geschieht ja nicht heimlich." Ernst.

„Zch halte allerdings eine solche

Adjlinktlir für einen Schleifweg.

Ich will ein

wirklich berufener Volkslehrer seyn, und weder ein Amt erheirathen, noch kaufen, noch erklagcn."

Hr. P. Walther.

„Hoho l-der Herr

versteht noch keine Grammatik."

Er lacht- ne ihm

dcr dicke Beuch fcbuttcvte.

(Ernst.

„Wie so?"

Hr. P. Walther.

„)ch benenne die

verschiedenen Arten, wie man zu einem Amte gelangen kann:

den Kasum Genitivum,

den

Kasum Dativum, Akkusativnm und Vokativum. Der Dokativuö kommt aus der Mode; wenit).

stens geht', roie in der Grammatik, der Genitivus oder Dativus. gemeiniglich voran.

Mair

muß dem Lauf der Welt nachgeben, oder haben

Sie sich vorgenommen die Welt zu andern? Nach unsern Phantasien gehts nicht allemal."

Ernst.

„Phantasien?"

H r. P. W a l t h e r.

„ Za, ein solches Prin­

cip, das auf die Welt gar nicht mehr paßt.

Erster

Theil.

47

nenstk ich eine Phantasie, oder ans gut deutsch,

eine Grille.

Haben Sie nicht dergleichen noch

mehr? " Ernst.

„Es kann wohl seyn."

Hr. P. Walther.

Ernst.

„Und welche?"

„Bloß nach Vernunft und Nei­

gung zu heirathen.

Gelingt mir beides, so ist

der feste Grund zu meinem Glück gelegt.

Wo

nicht, so bleib' ich wie ich bin."

„Sie sind also

Hr. P. Walther

eiu Mann mit zwey Grillen; wir wollen sehen

wie weit Sie damit kommen." Fr. P. Wa lth er.

„Das wird sich alles

finden, wenn Sie nur erst älter werden."

Ernst.

„Es wird sich nicht finden.

diesen beiden Grundsätzen,

die ich nach

Bey

der

neuesten Philosophie' meine zwey kathegorifchen

Imperative nenne,

lebe und sterbe ich, und

sollte ich weder Amt noch Weib bekommen." Fr. P.

Walther.

„Starrkopf!

mit

Fleiß wollen Sie hypochondrisch werden."

Hr. P. Walther.

„Kind, laß ihn, er

will die Welt verbessern; ist ein neuer Philo­ soph, und die neue Philosophie versteh ich nicht//

48

Der Pastor in Kartoffelfeld.-

Fr.P.Walther. mit sch-lthast-r Miene. „Nun/ wie stehts denn im Herrmannsthen Hause? Sie

sind ja wohl verreiset? Ist Louischeir auch mit

zum Ball gefahren?" Ernst etwas betreten und verlegen.

, die



Aeltcrn haben Sie mitgenommen." Fr. P. Walther.

„Sie war za wohl

recht geputzt, das kann ich mir vorstellen.

Es

ist ein wahrer Engel von Mädchen j — nicht

wahr, lieber Herr Ernst?" (Gleich lenkte Ernst mit sichtbarer Verlegen­ heit das Gespräch auf das heutige schine Wetter, sprach mit der Mamsell Walther noch einige Kleinigkeiten, über dieses ynd jenes, nahm aber bald seinen Stab, und wandelte nicht mit gan­ zer sondern getheilter Seele nach Noseuhain.

Das Walthersche Haus wortwechsclte noch lange über den sonderbaren Mann, der schlech­

terdings auf dem geradesten Wege in ein Zimt kommen, und ganz nach Neigung sich vermäh­

len wollte. „Zeh möcht' ihn nicht haben," sagte Mam­ sell Walther.

„ Du

Erster Theil.

49

„Du wirst ihn auch nicht bekommen, sprach Frau Pastorin Walther.

Merkst du wohl, der

rechnet auf Louise Herrmann.

Aber er wird

sich verrechnen, und gebt Acht, dann schnappt

er über."

Nicht viel heiterer als er ausgegangen war kam der Verliebte auf seine Stube zurück.

Hier

kam er mit sich selbst in Kampf, „ ob er seine Liebe den Aeltern geradezu und ehrlich entdecken,

auf ein Za oder Nein antragen, oder sich fer­

ner in der Stille mit Zweifeln quälen wolle? " Nach manchem oft lauten Selbstgespräch blieb sein Vorsatz: die quälenden doch aber auch süßen Gefühle so gut als möglich immer noch zu ver­

bergen.

Denn,

dachte er, erfolgt ein schreckliches

Nein, so ist es mit deiner schönen Hoffnung, Louisens Gatte zu werden, auf einmal vorbey.

Seys auch nur Wahn oder Täuschung, so bleibt

doch Gellerts Ausspruch immer wahr: Sollt' aller Irrthum ganz verschwinden,

So wär' es schwer ein Mensch zu seyn.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

5o

Auch mir würde rS schwer fallen ein erträg­ licher Mensch zu seyn, wenn mir der beseligende Wahn „ Louise doch noch einst zu besitzenauf

einmal geraubt würde.

Nein, ich lasse ihn nicht!

Ich will fort hoffen, wie ein Spieler, und das

größte Loos erwarten; meiner Louise Hand und Herz. Eben kam der Wagen angedonnert, wie pochte und klopfte ihm das Herz.

Flügelsehnell herbey

geeilt hob er die Schöne ans dem Wagen.

Sie

war freundlich Und heiter, weiter aber auch nichts, kein Händedruck, kein Kuß.

Ihr freyer,

dreister Blick verrieth, daß ihr die große Welt sehr wohl gefallen habe, und sie jetzt mit höherm

Sinn über das stille ländliche Leben weit hinweg schaue.

War es auch wohl möglich, daß ein

junges siebzehnjähriges, bis dahin nur im väter­

lichen Hause, Gärten und Feldern, sonst nir­ gends bekanntes und dazu empfindsames Mäd­

chen, aus einem solchen Freudentaumel völlig mit der

bescheidenen Miene

edler

einfältiger

ländlicher Unschuld wieder zurück kommen konnte?

Sie hatte auf einmal zu viel gesehen, und alles war ihr neu, alles schön und manches entzückend.

Erster

51

Theil.

Zn ihrem nur zum Klavier gewohnten Ohre tön­ ten noch,die Symphonien, Angloisen und Wal­

zer' des großen fürstlichen Orchesters.

Vor ihren

Augen hüpften und kräuselten noch hundert Paar

strahlender Tänzer und Tänzerinnen. Die Phan­

tasie repetierte einmal nach dem andern das gese­ hene erste Schauspiel.

Der fürstliche Stern und

das bebänderte Hofgefolge schwebte noch vor ihr. Mit Wohlgefallen dachte sie an die Schmeicheleycn, Liebkosungen und kleinen Dienste liebeln­

der junger Tänzer zurück, und wußte nun daß sie schön war, schöner als andere; da sie sogar

die Augen eines Prinzen auf sich gezogen, uud was noch mehr sagt, mit ihm getanzt hatte. Ein junger Kaufmann

war- ihr wie der

Schatten immer nachgefolgt, und hatte ihr bey

jeder Gelegenheit einige Zärtlichkeiten zugcflüstert.

Diesen konnte sie nicht vergessen.

Sein

mit Silber beschlagener, in London gearbeiteter

Wagen, mit raschen Schimmeln bespannt, fuhr sie nach geendigtem Ball mit ihren Aeltern ins

Hotel zurück, und Er.selbst holte sie mit der nämlichen Equipage den folgenden Tag wieder

ab.

Würde hier wohl eine sieben und zwanzig-

Der Pastor in Kartoffelfeld.

;r

jährige Philosophin —

wenn

es

dergleichen

giebt — dieselbe bleiben? Ueber Tische ergoß sich Frau Tante ihrer Natur nach in lauter Lobreden auf die gesehenen und genossenen Freudenfeste.

Sie kritisierte jede

Scene, da dann manches nach ihrem Urtheil

doch noch besser und geschmackvoller hätte seyn können.

Am wenigsten war sie damit zufrieden,

daß sie nicht auch hervorgelcuchtet und die Auf­

merksamkeit der Großen auf sich gezogen hatte; wiewohl zwey falsche Zähne und das in Silber­ farbe verschießende schwarze Haar ihr die Lehre

geben konnten, daß sie unter der Menge blühen­ der Schönen eben so sehr reihe, als im prächtigen Blumengarten die welke sich entblätternde Tulpe.

„Nun, wie gefiel dirs denn, Louise, als der Prinz dich aufführte und mit dir walzte, hub

sie an.

Gelt, das kommt anders als deine alt­

fränkische Menuet?"

Louise.

„Zch wußte erst nicht wie mir

geschah, als er auf mich zukam, mich auffordrrt« und zum Walzen mit fortriß."

Tante.

„Das glaub ich, junges Ding.

Dom Prinzen aber kann dir weiter nichts werden.

Erster

Theil.

53

Was aber deitkst du zu dem jungen Kaufmann?

Rasend verliebt war er, als er mit dir tanzte. Wie gefiel dir seine Equipage? Der Fürst hat

sie kaum so schön.

Der Mann muß Tonnen

Goldes, wo nicht Millionen besitzen." „Cs ist nur einKorn-

Hr. Herrmann.

hLndler.

Künftige Woche wird er uns besuchen

und einen Handel mit mir machen." Tante.

„0 schön!

schön!

also er wird

kommen."

Louise.

„Wird er kommen, der hübsche

Mann, lieber Vater? in seinem Wagen.

0 herrlich fuhr es sich

Wenn er kommt soll er uns

einmal ins Feld spazieren fahren lassen.

Herr

Ernst muß auch in dem schönen Wagen fahren."

Oder hinten aufstehen, murmelte dieser, und

finster sahe er auf den Teller vor sich hin.

Zhm

war zu Muthe als stände er vor dem peinlichen Halsgericht, und als wenn in diesem Augenblick der Stab über ihn gebrochen würde.

Alle Reden

der weisheitschwangern Frau Base waren für

ihn Torturen.

Ein Pfeil traf jedesmal sein

Herz, wenn von Walzen gesprochen wurde, und Louise versicherte, daß ihr dieser Tanz gefallen

Der Pastor in Kartoffelfeld.

54

habe.

Er hielt die Beschreibung der drey fröhli­

chen Tage nickt lange aus, wandte Kopfschmer;

vor und stand von Tische auf.

Frau Tante fuhr fort: „Ich habe viel Kauf­ leute gekannt, aber ein so reicher und schöner ist

mir »och nicht vorgekommen.

Mit Silber be­

schlagene Wagen hat man sonst kaum an Höfen gesehen." Hr. Herrmann.

„Das macht alles der

Der zieht Geld ins Land und

Kornhandel.

macht in kurzer Zeit reich." Fr. Herrmann.

„Wenn nur nicht die

größten Kaufleute so oft bankerott würden. Heute

sind sie reich, morgen haben sie nichts."

Tante. ster !

„ Glaube das nicht, liebe Schwe­

Das muß ich besser wissen.

Ein banke­

rotter großer Kaufmann hat immer noch zehnmal

mehr, als der, welcher dort saß — Sie zeigt« auf Crnficnä Stuhl, selbst wenn er die beste Pfarre

bekommt.

Mit den Kaufleuten nimmt mans so

genau nicht.

Wenns mit ihrer Kaffe nicht recht

richtig ist, so akkordieren sie, und geben dreyßig

für hundert.

Manche werden daher nachher noch

reichet als sie zuvor waren."

Erster

Hr. Herrmann. unbegreiflich gewesen.

Theil.

55

„Das ist mir immer

Unser einer und wenn

er auch sichtbares Unglück, und nicht einen räsonabeln Principal hat, muß nach dem Kontrakt

den letzten Heller bezahlen."

Fr. Herrmann.

„Es scheint bloß ein

Privilegium der Handelsherren zu seyn, daß sie ganz höflich schreiben und sagen dürfen „wir

hören auf zu zahlen."

Mit uns ist das anders,

mein Kind! Wir wollen das weiter nicht unter­ suchen."

Tante.

„Nein, Louischen! halt einst ein

Kaufmann um dich an, fürchte du keinen Ban­

kerott.

Die Kaufleute fürchten ihn selbst nicht.

Neulich gab einer den Tag zuvor noch eine herr­

liche Fete, und den Morgen ließ er seinen Gläu­

bigern schreiben,

„ich höre auf zu zahlen."

Freylich krachte er sich unsichtbar, kam aber bald

wieder und handelte von neuem.

Hätte er den

Bankerott gefürchtet, so würde er den großen

Schmaus, der wenigstens zoo Thlr. kostete, weggelassen haben."

Der Pastor in Kartoffelfeld.

;6

Abermals gedankenschwer hatte sich Ernst in

seine Lieblingslaube gesetzt, wo er einst Vas tröstende, erquickende Geständniß seiner Louise

vernahm.

„Noch so ein2lugenblick, dacht' er,

könnte mein verwundetes Herz heilen, und den Trübsinn verscheuchen."

Zn dem angenehmen

Wahn, die Schöne könnte, wenn sie noch einen

Nest von Liebe, wenigstens von Neigung, gegen ihn hätte, vielleicht noch einmal hierher kommen, und dem schlafenden Lehrer eine» zweyten Kuß

auf die Lippen drücken, machte er den Schlafen­

den so natürlich als er konnte.

Und. Louise kam

wirklich mit der gelben Gießkanne in der Hand, um zur gewohnten Zeit ihre Blumen zu tränken.

Kaum war sie damit fertig so-------- walzte sie

solo die Gange auf und ab, streckte, als hätte

sie den reitzendsten Tänzer wnschlungen,

die

weißen Arine aus, und trillerte mit ihrer Sil­ berstimme die Musik dazu.

Deo schlafende»

Lehrer und Anbeter schien sie nicht zu bemerken^

Mit halbem Blick sah dieser dem Tanze zu, und

wie «in Blitzstrahl fuhrs

ihm

durchs Herz,-

Freude und Hoffnung, dacht' er, haben nun ein

Ende.

Nicht mir, dem Kaufmann ist ihr Herz

Erster

geweiht.

Theil.

57

Von nun an würde meine Hoffnung

eine unverzeihliche Thorheit seyn.

Ein Mensch

ohne Geld, ohne Amt, ohne äußerliche Reihe, der wie Diogenes seinen Reichthum bloß im

Kopfe trägt, was ist der gegen einen jungen,

schönen,

begüterten Kaufmann

im

silbernen

Wagen? wie Sirach sagt, ein irdener Tops

gegen den ehernen.

Ich rechnete auf des Mäd­

chens Neigung, bedachte aber nicht, daß di«

Herzen der Schönen so veränderlich sind als daWetter.

Fort soll aus dem Herzen die Thorheit

der Liebe, die grausame Feindin meiner Ruhe.

Walze du, Louise, unterdessen fort, bis ans Ende der Welt, was kümmerts mich!

Und Louise walzte und trillerte fort durch

alle Gänge des Gartens bis in das Haus. Hätte unser liebekranker Ernst nur etwas

von jener Dreistigkeit gehabt, die manchen Lieb­ haber so schnell beAlückt; hätte er nicht nach sei­ ner etwas sonderbaren Gemüths - und Denkungs­

art eine offne Erklärung für Zudringlichkeit ge­

halten, so würde er feine Schülerin über den Zustand ihres Gemüths befragt, und ihr die Pein seines Herzens wehmüthig geklagt habe:?.

;8

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Dreist hält mancher Mensch, trotz aller seiner

Mängel, um jedes 2(mt und jedes Mädchen an, imb die Erfahrung lehrt, daß er das Ziel seiner

Solche Zmpertinen) aber

Wünsche erreicht.

muß schon angeboren seyn.

Unser gute Ernst

hatte dagegen eine starke Dosis Bescheidenheit

zu viel zum Erbtheil erhalten.

Er konnte sich

in solche Menschen gar nicht finden, die, ohne Talent und Geschick bey sich abzuwägen, im

dreisten Lauf auf jedes Lebensglück los rennen, und es, wo nicht allemal, doch zuweilen erjagen und erhaschen;

und

das,

was

Gellert

von

Jürgen sagt, hatte er nie recht begriffen. Der erwartete reiche Kaufmann, der Mann

im silbernen Wagen

war ihm ein Gespenst,

das er noch schrecklicher fürchtete als die Kinder den Popanz. Den krankenden Anblick desselben

zu vermeiden beschloß er eine Reise. Am folgenden Tage fand man auf seinem

Äsche folgendes Billet: Werthester Herr Amtmannl

„Ihr Haus, sonst mein Himmel, scheint mir eine Hölle zu werden.

Die fürchterliche

Erster Krankheit

Theil.

der Hypochondrie,

59

welche

manche

Dinge verkehrt, andere zu groß und andere zu

klein darstellt, die des Menschen Empfindungen verbittert, und seine Denkkraft lähmt, scheint

sich meiner bemächtigen zu wollen.

Ich bin ent­

schlossen ihr durch eine Reise zu entgehen, und setze nicht nur Ihre gütige Einwilligung voraus,

sondern schmeichle mir auch, daß ich in der Abwesenheit Ihre mir so theure Freundschaft

und Gewogenheit nicht verlieren werde.

Der

ehemals gesunde und muntere Lehrer und Erzie« her Ihrer Kinder G. E."

Es war in der Gegend ein alter Seelsorger, der Pastor Meyer, welcher sich durch Recht­

schaffenheit und Gelehrsamkeit eine allgemeine Von diesem hatte

Achtung erworben hatte.

Ernst

gehört,

daß

er

in

jünger»

Zähren

äußerst kränklich und hypochondrisch gewesen sey,

und durch guten Rath schon manchen Milzsüch­

tigen wieder zur Gesundheit geholfen habe.

Er

sehnte sich also ihn kennen zu lernen, und schmei­ chelte sich in dem Greise einen Mann zu treffen.

6o

Der Pastor in Kartoffelfeld.

gegen den er fein volles jetzt überladenes Hetz ausschütten könne, da er in Rosenhain einen

solchen Freund nicht zu finden glaubte. Unterwegs besuchte er auch den Prediger

Schwarz zu Kartoffelberg, von dessen äußerst schlechten Pfarrstelle alle Leute zu reden wußten,

und allgemein behauptet wurde, daß sie nicht

volle anderthalb hundert Thaler eintrage.

Ernst

wollte diese frappante Sage an Ort und Stelle

untersuchen, und nahm daher seinen Weg auf Kartoffelberg.

Es war grade gegen Mittag,

als er ins Pfarrhaus trat.

mand antwortete.

Haus und Zimmer

Er pochte an und nie­

waren unverschlossen.

Er öffnete eine Thür nach

der andern, und sah keinen Menschen.

Die

Zimmer waren leer, nur in einem stand ein Tisch und zwey Stühle, und auf dem Tisch lag Bibel und Gesangbuch; der einzige Denz,eis daß er in einem Pfarrhause war.

wortete.

Er rief; niemand ant­

Endlich erscholl eine Stimme: Wer

ist da? Er ging der Stimme nach, und fand

den Wirth des Hauses in der Küche am Herde stehend, wo er sich in eigner Person Bohnen mit Essig kochte.

Erster Theil.

61

„Sind Sie der Herr Pastor Schwarz?" „Leider! Ich bereite mir das Mittagsbrot."

„Darf fich der Kandidat Ernst zu Gaste

bitten? " „Wenn Sie vorlieb nehmen wollen—" Beide speiseten ihre Bohnen mit grobem

Brote, und tranken Wasser. „So muß ichs machen, sagte Herr Schwarz,

so lange ich es nicht lernen kann ganze Wochen oder Monate zu fasten.

So reicht es zu.

Zeh

koche selbst, ich bediene mich selbst; nur des

Sonntags geht mir eine alte Frau zur Hand."

„Habew Sie denn wirklich nur 150 Thlr. Einnahme? " „Nicht rillig.

Nur 139 Thlr. ir Gr. und

6 Pf."

„ Die Pfarre muß einen sehr armen Patron haben?"

„ Eine sehr reiche Patronin.

Eine nahe

Abtey, katholischer Religion, die Sie unterwegs

gesehn haben werden, besoldet mich —" „ Und legt in heutigen Zeiten nicht zu? "

„Nicht einen Pfennig. meinem Elend selbst Schuld.

Ich bin aber an Warum war ich

Der Pastor in Kartoffelfeld.

6r

so verblendet eine solche Stelle anzunehmen?

Geschehene Dinge sind nun einmal andern.

nicht zu

Zch Fröste mich mit Lem Schulmeister,

der hat auf das ganze Zahr nur achtzehn Thaler. Das tragt auf. den Tag einen Groschen uud einige Pfennige." „Der Tagelöhner nimmt ja doch vier oder

fünf Groschen ein .. wie kann der arme Mann von. vierzehn Pfennigen leben?"

„Er würde natürlicher Weise vor Hunger sterben, wenn nicht, die Gemeinde ihm so mit

durchhülfe.

Im Sommer läßt sie ihn die.Kühe-

hüten, und besoldet ihn als Hirten ziemlich gut. .Jedes Haus giebt ihm als Hirten jährlich ein

Brot und eine Wurst, und am Neujahrsfeste

gratuliert er einen Tag singend als Schulmeister, und den andern blasend als Hirte mit seinem

Horn." .

Ernst wollte diese Erzählung

bezweifeln;

allein der herbeygerufene Schulmeister bezeugte,

daß es sich wirklich so verhalte. Unbegreiflich

reiche wollte.

Abtey

bliebs

beide

ihm

Stellen

aber,

nicht

daß die verbessern

Erster

Theil»

63

„ Unsere Stellen, sagte Herr Schwarz, sind gleich nach der Nesorrnation gestiftet, und damals

konnte ein Mensch von 140 Thlr. leben.

Wenn

das Kloster um Verbesserung gebeten wird, beruft

es sich jedesmal auf die Stiftungsakten, und so ist nichts zu machen.

Schicksal ergeben.

Zch habe mich in mein

Das bitterste ist, daß ich

als Einsiedler leben, tuib allen Umgang ver­ meiden muß, weil ich niemand anständig auf­

nehmen und bewirthen kann." Ernst empfahl sich und wünschte dem armen Manne bald eine bessere Stelle.

Zm Meyerschen Hause sah es besser aus. Eine

wohleingerichtete

vieljahrige

Wirthschaft

hatte alle Ecken und Winkel des Hauses gefüllet,

und es mangelte bey den weit reichern Einkünf­

ten der' Pfarre an nichts.

Der alte Meyer

freute sich herzlich über die Ankunft seines Gastes, und noch vergnügter ward er, da er ihn aus

seinen Gesprächen näher

kennen lernte.

Er

erzählte ihm seinen ganzen acht und siebzigjäh-

64

Der Pastor in Kartoffelfeld.

rigen Lebenslauf ganz ausführlich, verglich die ältern Zeiten mit den neuern, und schüttelte dabey zuweilen den Kopf.

Als Ernst über sein volles gesegnetes Haus seine Verwunderung blicken ließ, sagte er:

„ Alle den Segen habe ich Gott und meiner seligen Frau zu verdanken.

Zch empfinde es

noch, wie viel ich an ihr verlor, und würde es

mehr fühle», wenn nicht meine Tochter ihre Stelle erseht hätte.

Sie ist aber Braut eine-

Negierungsraths zu W...

Nach ihrer Hochzeit

wird mein Sohn mir Gesellschaft leisten.

Zch

erwarte ihn nächstens von der Universität zurück, und dann soll meiner Tochter Hochzeit und mein

fünfzigjähriges Amtsjubelfest an Einem Tage ge­ feiert werden, und mein Sohn wird mir zum erstenmal was predigen.

Lebte meine selige,

gute, brave, fleißige Frau noch; so würde dieß der allervergnügteste Tag Leben seyn.

in meinem

ganzen

Nun der Herr hals nicht so fügen

wollen."

Volle drey Wochen leistete Ernst dem Alten Gesellschaft, und predigte auch einmal für ihn.

Bald wurde erzählt, bald disputiert; besonder-

Erst « e Theil.

65

wenn die Rede auf die Wölfische und Kantische Philosophie kam.

Der 2((te war noch mit gan­

zer Seele seinen Lehrern, Wolf und Daumgarten ergeben, und der Kandidat sprach lieber von Kant und den neuern Theologen.

Konnten sie

über diesen oder jenen Punkt nicht einig werden,

so pflegte der 2llte insgemein zu sagen: „Nun die Ewigkeit wirds ausilärcn, und Gott Lob! ich

bin ihr nahe." Endlich lenkte Ernst das Gespräch auf die

Leiden der Hypochondrie, und wie sehr wurde

er getröstet, da ihn der Pastor Meyer versicherte,

daß er in jüngern Zähren eben so sehr, ja noch mehr gelitten habe, aber durch Bewegung de-

Körpers,

Zlufhciterung

und Zerstreuung nach

und nach wieder hergestellt, und völlig gesund geworden sey.

Entweder Stolz oder Liebe, oder

übertriebener gelehrter Fleiß, sagte er, sind ins­

gemein die Ltuellen dieses Uebels. die Liebe als der Stolz,

Denn sowohl

und der überspannte

Fleiß, beschäftigen die Seele immer mit einerley Gegenständen, welches ihr eben so nachtheilig ist als es dem Körper ist, wenn er immer auf der

nämlichen Stelle bleibt.

Abwechselung ist das

66

Dec Pastor in Kartoffelfeld.

große Gesetz der Natur, welches sie alle Augen­

blicke rastlos befolgt; Bewegung der Seele in freyen Räumen und des Körpers in freyer Luft

wird Sie, lieber Herr Kandidat, gewiß gesund machen. Ich hoffe es, sagte Ernst, und empfahl sich

dem ehrwürdigen Alten, der ihm noch manche gute Lehre mitgab.

Viel heiterer wanderte er

nun nach Rosenhain zurück, und dachte wenig

an den Kaufmann mit dem silbernen Wagen. Selbst die reihende Louise war ihm lange nicht

so wichtig mehr als zuvor.

Der alte Herrmann hatte seinen geheimen Sekretär am meisten vermißt, und hieß ihn recht freundschaftlich willkommen.

Frau Herr­

mann gleichfalls, und Louise, die, wie Ernst,

befürchtete, jetzt wohl eine Verlobte des reichen Kaufmanns seyn könnte, schickte ihm bey der

Ankunft einen recht holden Blick entgegen.

Alle

waren gleich fröhlich, daß der vieljährige Freund und Vertraute des Hauses wieder da war.

Von

Erstxr

Theil.

67

dem reichen Kaufmann Lempe lins wurde kein

Wort gesprochen.

Desto mehr mußte Ernst von

seiner Reise, von dem Pastor Schwarz und dem Pastor Meyer erzählen.

abgereist.

Die Frau Tante war

Langer würde sie wahrscheinlich geblie­

ben seyn, wenn sie nicht der Kaufmann in sei­ nem Prachtwagen mit nach der Hauptstadt ge­

nommen hätte.

Das Glück in einem solchen

Wagen und mit solcher Equipage zu fahren,

konnte sie nicht auSschlageu.

Ernst war neugierig, ob der Kaufmann wirk­ lich in Nosenhain gewesen, und wie er anfge-

nommen sey; aber wie sollte er dieß erfahren? Bey den Bedienten des Hauses sich zu erkundi­

gen , hielt er für unanständig; die Familie selbst zu fragen eben so unschicklich. Folgender Zufall entdeckte ihm alles was er

zu wissen begehrte.

Zn den Gängen des Gar­

tens, nicht weit von seiner Lieblingslaube, sah

er einige Papierstückchen liegen.

Unwillkührlich

hob er eins davon auf, und erblickte die Züge

von Louisens ihm sehr bekannter Hand.

Das

Herz klopfte ihm als er auf dem ersten Fragment

die Worte las:

Der Pastor in Kartoffelfeld.

68

— auch wieder abgefahren — Ob er um mich angchallen hat? Versteht sich ! Ob ich ihn

angenommen habe? — Gleich gab er sich alle Mühe hie Bruchstücke zu sammeln, und zu seiner Freude gelang es ihm den ganzen Brief daraus

setzen.

zusammen zn

Hier ist er. Liebes Dorchen!

Za, er ist hier gewesen, der schöne reiche

Kaufmann, nicht allein hier'gewescn, sondern—

auch wieder abgefahren — Ob er um mich ange­ halten hat? Das versteht sich! Ob ich ihn ange­

nommen habe? Still! wer wollte so neugierig seyn! Laß dich lieber von mir einige Augenblicke

in unsern Garten führen.

Der Herr, welchen

du dort siehest, das ist der Kaufmann;

die

Dame, die er führt, bin ich; der alte eisgraue

Kriegsmann, welcher sich auf seine Krücke lehnt, und nur noch einen traurigen Rest von einem

Mensche» vorstellt, ist ein alter braver, mxiyem

Vater längst bekannter invalider Husar, dem

«ine Kanonenkugel einen Fuß

weggeschmettert

hat — Du siehst den alten Helden mit zitternder

Erster

Theil.

Hand seinen Hut Hinhalten.

Almosen.

69

Er bettelt um- ein

Großmüthig wirft der Kaufmann

einen Sechser in den Hut; der Alte dankt herz­

lich — Fünf Pfennige gebt mir zurück, sagte Herr Lempelius.

Der Greis kann in seinem

alten ledernen Deutel nur drey Pfennige zusam­

men finden.

Gebt mir den Sechser zurück, und

bettelt euch erst noch zwey Psennige zusammen;

dann sollt ihr ihn wieder haben.

Sv sagt der

Reiche zu dem Armen. Das ist unerhört, rtifst du -aus.

Du mußt

aber wissen, daß bey einem solchen Herrn Lempe­

lius, in seinem Wohl gestalten Körper, an dem

Ort, wo bey uns Akädchen das liebe Herzchen

befindlich ist, anstatt desselben ein -voller Geld­ beutel hängt. Mein Vater giebt dem alten Kriegsknechl, dev

dem Vaterlande in der Schlacht ein Vein geopfert hat, sobald-er angehinkt kommt, jedesmal zwey

Groschen, und dann muß er sich erst recht satt

esse», ehe er weiter geht.

Oft muß er -ihm auch

was erzählen, und bekommt noch mehr. gebe ihm allemal

Auch ich

wenigstens einen- Groschen.

O wie vergnügt ist er alsdann!

er vergißt,

Der Pastor in Kartoffelfeld.

70

daß ihm ein ganzes Dein fehlt.

Nun höre

weiter! Kaum hatte der Kaufmann sein Sechserchen

wieder erobert, als ich in dem Augenblick in die Tasche griff, und dem Alten ein blankes Acht­

groschenstück in den Hut warf.

Ein fröhlicher

Dank belebte den Blick des Alten. — Das Ge­ sicht des Geitzhalses zieht sich zu einen Straf­

blick und zur Wehmuth über die verlornen acht Groschen zusammen, die seine Hand, indem sie krampfhaft zuckt, noch vom Verderben erretten

will.

Sein Auge blieb noch eine Zeitlang auf

dem Beutel haften, der das Kapital verschlang. Er schien einen verächtlichen Blick von mir

zu bemerken.

„Der Kerl ist lahm, sagte er

ganz kalt, der sollte daheim bleiben, und seinen Gnadenthaler in Ruhe verzehren."

„Der reicht aber nicht auf vier Wochen."

„ Er muß sich darnach einrichten, gut wirth­ schaften und keinen Drantwein trinken.

säuft er aber gewiß.

Den

Zch seh' es ihm an."

Aber der Alte antwortete nicht; Thränen

liefen auf seinen Schnurbart herab. „Wir haben ihn nie betrunken gesehen," sagte ich.

Erster

Theil.

„ Und ich kann ihm nicht helfen.

71

Wer in

der Welt fort will, kann sich nicht um alle Leute bekümmern.

Da hätte man viel zu thun."

Meine guten Acltern haben eine ganz andre Denkungsart, lieber Herr Lempelius! Sie erspa­ ren und werfen nichts weg, aber wo es auf

Ehre und Wohlthun ankommt, verabscheuen sie

den Geitz so wie ich. Ich empfehle mich Ihnen!

Damit verlief; ich ihn, und ich hörte deutlich

das Wort, Verschwenderin! mir nachbrummen. Herr Lempelius fuhr bald darauf ab, und meine lieben Aeltern denken jetzt über ihn so wie du es von ihren Herzen erwarten kannst.

Unser guter Ernst,

den ich immer noch

wohl leiden mag, oder vielmehr schätze, oder, was weis; ichs! — ist nicht reich.

Aber wie

gern giebt er nicht wo Noth ist!

Er bleibt

der braveste Mann, und hätt' er nur ein 2lmt,

und hielte um mich an — er würde nicht wie­ der abfahren, wie Lempelius — hör ich dich

sagen.

Freylich würde er nicht, meine vorwitzige

Mamsell!

Denn er kam ja nicht angefahren,

sondern schlich sich unvermerkt in mein Herz.

72

Der Pastor in Kartoffelfeld. Sage um des Himmels

willen

etwas von dieser Schreiberey.

niemand

Bey der Treue

unserer Freundschaft bitte ich dich.

Besuche bald deine Freundin, die dich so herzlich liebt, und gieb jedem Kriegsmann, der

dem Aaterlande

Gesundheit

seine

aufopferte,

wenigstens einen Sechser, dem alten beleidigten Husaren acht Groschen, und einem braven juiv gen Manne dein Herz, wie Deine Freundin

Louise Herrmann. Heiter und jugendlich froh-.ward Ernst, als

er diesen aus Papierstückchen zusammengesetzten Brief nicht nur gelesen, sondern beynahe aus­

wendig gelernt hatte.

Die Reise zum Ball,

bisher die Quelle seiner Leiden, schien nun ganz zu seinem Vortheil unternommen worden zu seyn. Nur der Umstand, daß der Brief von der Ver­ fasserin zerrissen, und also nicht abgeschickl war,

machte ihm noch •einige Unruhe, die er sich aber

zu unterdrücken bemühte.

Von nun an konnte

er seiner gutdenkcnden Louise wieder unbefangen in die schwarzen Augen blicken.

Von nun an

Erster

Theil.

73

begann die Vertraulichkeit und Herzlichkeit der Herrmannschen Familie aufs neue gegen ihn. Auch sein Herz schloß sich wieder auf, zumal

da die rathgebende Frau Tante abgereist war, die

seine Freundin nicht seyn konnte, weil sie sich ganz die Grundsätze der großen Welt zu eigen

gemacht hatte, und jeden verachtete, wenigstens tadelte, der nicht gerade so wie sie dachte, oder sich wohl gar herausnahm ihr zu widersprechen.

Eine Sünde, die Ernst in seiner Ehrlichkeit nur gar zu oft begangen hatte.

Frau Herrmann bemerkte gar bald die ver­ änderte Seelenstimmung des bis dahin so miß-

müthigcn und übellaunischen Kandidaten, so wie auch das heitere aufgewecktere Betragen ihrer

Tochter gegen ihn.

„Die Sache ist noch nicht ganz vorbey, sagte sie zu ihrem Eheherrn.

Ernst fangt wieder an

zu lieben, und wie es scheint, hat er auch immer noch ein Plätzchen in Louisens Herzen.

Was soll man nun thun?" „Nichts, versetzte der Alts, wer noch kein

Amt hat, muß ans herrathen nicht denken." ■

DerPastor in Kartoffelfeld.

74

„Aber Kind, wenn er nun bald eine Pfarre bekäme.

Wie gut würden sich die Leutchen nicht

vertragen!

Wie glücklich würden sie nicht mit

einander leben!"

„Er hat aber noch keine —, Setze dem

Mädchen nichts, in den Kopf — Aus dem Hause

können wir ihn freylich nicht weisen.

Er meint

es gut mit uns, und ich habe ihn nöthig.

Wir

wollen auch immer recht freundschafilich gegen ihn seyn — .Weiter aber must es vor der Hand

nicht kommen.

Bekommt er ein Amt, nun so

kann man überlegen was ju thun ist.

Aber er

sucht keins, und wer wird ihm eins bringen? Wir leben nicht im Schlaraffenland." „Wenn doch nur der alte General einmal käme.

Dem könnten wir unser Her; ausschüt­

ten, und die ganze Sache offenbaren.

wird sie nach gerade bedenklich.

Mir

Liebe ist Liebe,

und wie man sagt, ist ihr nicht zu trauen.

Er

bleibt auch dieses Zahr so lange aus!"

„Zch erwarte ihn nächstens,

Herrmann. Sache meint. wissen wir."

sagte Herr

Wir wollen hören, was er zu der Er ist ihnen beiden gut.

Das

Theil.

Erster

7;

So oft der Alte nur von seinem General Hirte, war er jedesmal ganz Respekt, und es

würde seinem alten Chef und jetzigen Gutsherrn «in leichtes gewesen seyn, ihn zu jedem Entschluß zu vermögen; so starrsinnig er auch bisweilen

war.

Jedoch machte

der würdige Chef nie

Mißbrauch von dieser Ergebenheit seines alten Dieners.

Zn der schönsten Sommerzeit, gerade mit

Anfang der Ernte, kam der Wagen des Gene­

rals angerollt, der so wenig paradierte, als der verdienstvolle Herr, der darin saß, und also sehr gegen

die

elegante Karosse des verdienstlosen

Handelsmannes abstach.

Schnell sprang

die

ganze Familie und vorzüglich Ernst herbey, und ehrerbietig

hob

sie wetteifernd den. würdigen

Greis unter tausend Erkundigungen nach seinem

Wohlbefinden aus dem Wagen, und führte ihn frohlockend in seine am Garten Lelegene Zim­

mer, die er bey seinem hiesigen Aufenthalt ge­ wöhnlich bewohnte.

diese Achtung!

Wie sehr verdiente er auch

Er sand Vergnügen daran diest

76

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Familie immer machen.

glücklicher

und glücklicher zu

-Freylich gehörte er nicht zu den reich­

sten Edelleuten in der Provinz; allein bey seiner mäßigen stillen Lebensart, bey völliger Verläug-

nung alles überflüssigen.Gepränges und Lurus,

reichten drey tausend Thaler ehrenvoller Prn-

sionsgelder, die er in einer kleinen Stadt ver­ zehrte, schon zu, alles Nöthige anständig zu

bestreiten.

Die Pacht des Gutes Nosenhain

wurde daher nie erhöht, obgleich andere benach­

barte Gutsbesitzer

ihren

bey den

Pächtern,

stcigeNdeck Getreideprcism, fast doppelte Zah­

lungen auferlegtcn.

Sein Wunsch war, sein

alter Herrmann sollte eine bemittelte und wohl­

habende Familie hinterlassen, und recht viel auf feinem Gute gewinnen.

Einst als dieser nach

Verlauf der Pachtjahre ehrerbietigst anfragte:

„Ob Se. Excellenz die Pachtgelder zu erhöhen

beliebten?" gab er lächelnd zur Antwort: „Wo­ zu das, lieber Herrmann? ich bin siebzig Zahr alt, hinterlasse keine Erben und habe zu leben.

Sorgt nur für Frau und Kinder. brauche, hab' ich schon.

Was ich

So lange ich noch

Me, bleibks mit uns bey dem Alten."

Erster

77.

Theil.

Bey einer solchen Denkungsart, und bey sei­ nem so leutseligen Betragen im Umgänge, waren

ihm alle Herzen geweiht; jeder ehrte ihn, jeder liebte ihn.

Er war auf Nosenhain geboren, und unter Leitung eines braven Hofmeisters erzogen.

Oft

verglich er den damaligen Zustand des Gutes,

so

wie er dasselbe alü Knabe und Jüngling

gekannt hatte, mit dem jetzigen, und freute sich herzlich über jede Verbesserung, die unter seiner Zfufsicht zu Stande gekommen war.

Ging er

in Herrmanns oder Ernstens Gesellschaft spazie­ ren, so pflegte er wohl die Gegend zu zeigen, wo er in der Zugend gespielt und sich vergnügt

hatte, iinfr ihre damalige Beschaffenheit umständ­

lich zu beschreiben.

„ Diese schöne Wiese war ehemals ein .unge­ sunder Sumpf.

Dort,

wo

der Tannenwald

steht, sah man nur traurigen Sand — Jene Ackerbreite war ein öder mit Dornen bewachsener

Fleck — Die Mühle am Bache hab' ich erbauen

lassen — Statt jener grünen Hecken, die den

Garten umkleiden, sah. man einen verfallenen dürren. Zaun — Die Obstallee an der Straße

Der Pafcor in Lartoffelfeld.

y8

hab' ich vor vierzig Jahren anlegcn lassen — auch die Alleen im Walde.

Diese vier Linden

aber, worunter wir jetzt ausruhen, pflanzte mein Vater am Tage meiner Geburt."

So sprach er oft, und setzte sich gern in die -frühern Jahre seines zu Ende eilenden Lebens zurück. Wenigstens einmal im Jahre ließ er sich das

in einer einsamen Gegend des großen Gartens

von ihm erbaute, und mit hohen Linden und Pappeln dicht umpflanzte Erbbegräbniß öffnen. Es war ganz prachtlos, aber heiter gebaut, und

über der Thür las man die Gcllcrtschcn Verse: Denk an den Tod in frohen Tagen; Kann deine Lust sein Bild ertragen,

So ist sie rein und unschuldsvoll. Hier standen die Särge seiner Vorfahren, Acltern und

Geschwister.

Mit stillem tiefem

Nachdenken pflegte er sie jedesmal zu betrachten, und eine Thräne rollte aus seinen heitern Augen,

wenn er die Stelle anwies, wo man seinen Sarg einst hinsetzen sollte.

Dieser Tag war

ihm allemal ein heiliger, feierlicher Tag, und

Erster

Theil.

??

zugleich der Tag, an welchem er in der von ihm

neu erbauten Kapelle andachtsvoll das Abend­ mahl nahm, und sich insgemein schwarz zu klei­ den pflegte.

Ehemals war er ihm auch ein Fast­

tag, in dem hohen Alter aber mußte er Schwachheits halber diesem religiösen Gelübde entsagen. Nach einer solchen Feier wurde zu Abend in einer Laube des Gartens gespeist.

Nach

einem heißen Erntetage ging am heitern Himmel

der Feuerball der Sonne unter, und spiegelte

sich noch zuletzt in dem Ordensstern des würdigen

Mannes, der ihre letzten Strahlen durch das

Helldunkle der Laube auf die Gesellschaft zurück warf, und einen heiligen Schein um ihn bildete, so daß er jedem vorkam wie eine verklärte Gestalt.

Noch voll Andacht und heiligen Ernstes sah er schweigend die untergehcnde Sonne an, und ließ, ganz wider seine Gewohnheit, die Gesell­

schaft einige Zeit ohne alle Unterhaltung, welche . ihn ehrerbietig betrachtete.

Auf die Frage, in

welche Gedanken er sich jetzt vertieft habe, war

die Antwort:

„Zch kann mich nicht satt schert

an der untergehenden Sonne. dabey eine Lehre ein."

Es fällt mir

go

Der Pastor tn Kartoffelfeld.

„Und welche?" fragte bescheiden Louise. „ Wir sollten alle der Sonne ähnlich seyn." Louise.

„Darf ich fragen, wie? Herr

General!"

„Dadurch, daß wir Gute-

General.

thun und Gutes stiften, bis das Licht des Lebcns

erlischt."

„ Den ganzen Tag hat sie uns wohl gethan, die gute Sonne.

Vom frühen Morgen an spen­

dete sie Licht und Wärme aus.

Was nur lebt

oder wächst, lebt und gedeihet durch sie.

Jetzt,

da sie Abschied nimmt, um unsere Antipoden

zu beglücken, und ihr Auge gleichsam für uns schließt, ergeht sie uns noch, wenn sie uns auch nicht mehr segnet.

Wie sie dort die lichten

Wolken särbt — hier die Blätter vergoldet! —

Auch wenn sie nicht mehr da ist, läßt sie doch noch ein schwaches Licht zurück, das noch man­

chem Wanderer den rechten Weg zeigt, und ihn

vor Gefahren bewahrt.

Ja, jeder Mensch sollte

ihr ähnlich seyn." Ernst., „0 Herr General, Sie waren ihr

von jeher ähnlich."

Gene-

Erster

General.

Theil.

gi

„Nicht allezeit. Meine Zugend-

jahre waren das nicht was sie seyn sollten.

Zch'

habe lange das Gute nicht gethan was ich doch hätte thun können.

Ich Wills aber zu ersetzen

suchen, und noch beym Untergange meiner Lebens­

sonne Gutes stiften, das noch nach meinem Tode fortdauert." „Ew. Excellenz denken vortreff­

Louise.

lich ; edler und schöner als ein reicher Kaufmann, der uns neulich besuchte."

General.

„ Er warf dem alten Ihnen

Louise. bekannten

„Und wie dachte der Herr? "

lahmen Husaren

einen Sechser in

den Hut." General.

„Zu wenig für einen Kauf­

mann ; zu wenig für eine» lahmen Kriegsknecht." „Und forderte —"

Louise. General.

L o u i fe.

„Was forderte er?"

„ Fünf Pfennige, mit kränkenden

Vermahnungen, zurück."

General,

„Was! meinem alten Ber­

tram so zu begegnen! Zch sollte 'nur hier ge­ wesen seyn.

Schafft mir den Kerl her!, Einen

einzigen Pfennig dem alten lahmen grauköpfigen L

82

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Bertram zu Zeben, und dabey noch auszuhunzen! Ey du ehrvergeßner, von Gott verlaßner Lump, du!"

Er ward hitziger und hitziger.

Ernst aber

gab stch Mühe ihn wieder zu besänftigen und

auf gute Laune zu bringen.

Herr Herrmann

und Frau Herrmann unterstützten ihn.

Erst

nach Verlauf einiger Minuten, nachdem er aber vorher noch Krummschließen und ^andere militäri­ sche Strafgerichte über den Kaufmann hatte erge­

hen lassen, fand sich die ruhige Stimmung der Seele nach und nach wieder ein.

Louise bekam

von der Mutter einen strafenden Blick, daß sie

eine Sache berührt hatte, die ihm nach seiner be­ kannten Denkungsart höchst zuwider seyn mußte.

Nach ejner kleinen Pause hub der Greis an über die Schwächen der menschlichen Natur zu sprechen.

„Gott'lasse seine Sonne aufgehen

über Böse und Gute, sagte er, und der Mensch wird gleich.in den Harnisch, gejagt.

Hoffentlich

werden Wirtin jener Welt auch der^ übertriebenen

Hitze los, und immer besser werden." „Als ich, noch. Fähndrich war, und keine

Schlacht gesehen hatte, sagte er zu Ernst, wollte

Erster

Theil.

83

es mir und andern meines Gleichen gar nicht in den Sinn, daß der Mensch eine unsterbliche

Seele habe, so sehr mich auch mein Hofmeister davon zu überzeugen gesucht hatte.

Hauptmann ward,

Als ich

Feldzüge mitmachte, und

Schlachten beywvhnte, fing ich an zu glauben. Zch sah auf dem Schlachtfelde einen jungen

Menschen, der niemand Leides, und bloß seine

Pflicht zur Vertheidigung des Vaterlandes gethan Helte, die schrecklichsten Qualen leiden.

Warum

müssen gerade Sie so fürchterlich leiden? rief

ich aus. — Es ist geendet, sagte der Sterbende. Zch that meine Pflicht — Meine Seele eilt —

zu Gott.

Seine Augen schlossen.

Zch flog von

ihm weg wieder in den Kampf, sah nach erfoch­

tenem Sieg die besten Menschen in fürchterlicher Todesangst.

Da erhob sich'die leise Stimme

in meinem Herzen:

ihren Lohn

in

Diese Leidenden müssen

einer

andern Welt erwarten.

Nach und nach erhielt der Glaube an die Unsterb­

lichkeit bey mir immer mehr und mehr Kraft. Hab' ich Böses vermieden, und Gutes gethan,

ging ich muthig in die Schlacht, so verdank' ich es diesem Glauben.

Zch wollte, ich könnte alle

84

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Menschen davon überzeugen.'

Dazu

gehören

aber deutliche und richtige Beweise, und wir Soldaten können besser mit dem Degen als mit

Beweisen umgehen.

Der Lehrer meiner Jugend

sagte.mir zwar viel von der Einfachheit der

Seele; ich muß Ihnen aber ehrlich gestehen, ich verstand ihn nicht. lieber Ernst?

Welche Beweise haben Sie,

Wer so nahe vor der großen

Pforte steht, durch die keiner zurückkehrt, als

ich davor stehe, möchte gern recht deutlich wissen, wo sie hinführt." Ernst erwiederte.

„Niemand kann die

Unsterblichkeit der Seele läugnen, eben so wenig

als die Raupe, die auf jenem Blatte mühsam

ihren Hunger stillt, würde sagen können, ich werde kein Schmetterling, weil ich nichts davon

in meinem jetzigen Zustande weiß oder empfinde. Und doch erhebt sich aus der kriechenden arm­

seligen Raupe in einigen Wochen wirklich ein

schöner Schmetterling frey in die Luft, genießt

Blumen.

den

köstlichen

Honig

der

und

reihenden

Aber eben so wenig als läugnen läßt

sich auch die Unsterblichkeit der Seele mathe­ matisch beweisen.

Wir sind Menschen. Könnten

Erster

Theil.

85

wir unser künftiges Schicksal deutlich wissen, so wären wir keine in unserm Wissen beschränkte

Zlber, und dafür sey Gott

Menschen mehr. gedankt! Thiere.

wir sind Menschen und

nicht bloß

Ein Funke der Gottheit schimmert in

uns; dieser göttliche Funke wird endlich, wenn

er treu genährt, und nicht durch Sinnlichkeit oder Grübeley mnlhwillig erstickt wird, zu einer

heiligen Flamme des Glaubens, welcher das Herz

erwärmt, das Herz erhebt über das Grab, und

den zerstörenden Wechsel dieser Welt." General.

„Das ist ein schöner Beweis

aus der Natur des Menschen. Den versteh ich —

den kann ich behalten, und damit glaub' ich umge­ hen zu können, wenn, welches nicht wahrschein­

lich ist, ich noch einmal auf eine Batterie von Zweifeln losgehen müßte."

Ernst.

„Die Philosophen haben noch

manche andre Beweise.

Der Eine sagt:

Die

Seele ist unsterblich, weil sie als einfaches Wesen

nicht zerstörbar ist.

Der Andere, weil es eine

Pflicht und ein Gewissen giebt; der Dritte —

General.

„Hören Sie nur auf, ich ver­

stehe weder den ersten noch den andern.

Aber

86

Der Pastor in Kartoffelfeld.

daß die Herren Philosophen die Unsterblichkeit zu beweisen suchen, und große Köpfe sich mit der Lehre von der Unsterblichkeit beschäftigen, ist mir ein Beweis, daß es mit dem Funken, den Sie

vorhin nannten, seine Richtigkeit hat, daß er auch in ihren Seelen sich regt, daß sie gern

unsterblich seyn möchten, und daß es nicht so ausgemacht ist, wie wir'Herren Fahndriche glaub­ ten , mit unserm Tode höre unser Daseyn auf."

Ernst.

„ Wenn ich die Sache von einer

andern Seite betrachte, denk' ich : liegt der Keim

zur Fortdauer in mir, und soll, nach der Anlage des Schöpfers, eine weitere Entwicklung meines Wesens erfolgen, so wird sie kein Philosoph

wegdemonstrieren, kein Religionsfeind wegspotten können.

Liegt aber umgekehrt der Keim zur Unsterb­ lichkeit nicht in mir, so hat er nach dem Plan

meines Schöpfers nicht in mir liegen sollen, und alsdann werden ihn alle Sekten der Weltweisen

vergeblich hinein demonstrieren." General.

„Dieser Schluß ist für mich^

nicht so beruhigend als die Ansicht der mensch­

lichen Natur."

Erster

Theil.

87

„Er führt mich eben dahin.

Ernst.

Ich

glaube von beiden Sätzen gerade den, dessen

Wahrheit ich wünsche; eben weil der Wunsch einer Unsterblichkeit innig mit der menschlichen Natur verwebt ist.

Unsterblichkeit ist das Prin­

cip meiner Handlungen.

Gesetzt, ich hätte mich'

auch getäuscht, so erfolgt für mich auch weiter

kein Unglück, als die Rückkehr in das Nichtseyn.

So wenig ich vor meiner Geburt unglücklich war, so wenig werde ich es alsdann auch nach dem

Din ich aber, wie ich mit Wonne

Tode seyn.

hoffe und ahne, wirklich unsterblich, 0 dann

wohl mir, daß ich diesen Glauben hatte."

General.

„Wir wollen darauf leben

f

und sterben."

Ernst.

General!

„Wir beide sind Christen, Herr

Wer der Lehre Christi glaubt, wozu

hat der vollends einen umständlichen Beweis

von seiner Fortdauer nöthig?" Hiermit endigte sich das Gespräch. Schwache

Blitze am Horizont ließen d.ie Annäherung eines Gewitters nach einem so heißen Tage befürchten.

Die Gesellschaft stand vom Tische auf.

Herr

Herrmann begab sich in seine Wirthschaft, und

Der Pastor in Kartoffelfeld.

88

untersuchte, ob alles in Ordnung war, und, wie

er es nannte, nach dem Takt ginge; der General aber, Frau Herrmann, Louise und Ernst gingen,

weil der Abend so kühl und anmuthig war, ins nahe Kornfeld noch spazieren, wo man die dich­ ten Kornhaufen mit Vergnügen erblickte.

„Der Herr General beliebten vorhin zu sagen, hub Louise ganz freymüthig an. Sie wollten noch nach Ihrem Tode Gutes thun. Wie ist das möglich?"

„Welch eine Frage, liebes

General.

Kind!

Es ist sehr wohl möglich.

Sieh hier

dieses reiche Getreide - Feld, das hat dein Vater

gebaut.

Er hat eine schöne Ernte Nach der

andern, spart davon und sammelt davon für dich

und deine Brüder.

Stirbt er nun, so erbt ihr,

und im Grabe ist er noch euer Wohlthäter.

Er

hat euch gut erziehen lassen, und das Glück einer guten Erziehung verbreitet sich über eure ganze Lebenszeit, ja, ich hoffe, noch über eure Nach­

kommen. " Louise.

„Ew. Excellenz haben ja aber

keine Kinder —"

Erster

Theil.

89

General lachend. „Wenn ich mir nun Noch

welche anschaffe —"

Louise.

„Das versteh ich denn nicht."

Häufige immer starker werdende Blitze unter­

brachen das Gespräch ein wenig.

Die Gesell­

schaft stand still und beobachtete sie. „ Za, ja, hub der Alte wieder an, ich kann

mir ja noch Kinder anschaffen. Sinds auch keine

kleinen, so können es große seyn." Louise.

„Große?"

General.

Louise.

„Za, große."

„0 so wünscht' ich Zhr Kind

zu seyn." General.

„Närrchen, hast ja noch Ael-

tern, und so gute Aeltern.

ich thue.

Aber wer weiß, was

Wenn ich dir nun einen rechten bra­

ven edlen Mann, wenn er auch nicht reich ist, etwa einen solchen Mann, wie Herr Ernst ist,

verschaffte, mit dem du dich Zeitlebens recht

herzlich vertrügest — würdest du nicht mein Grab noch segnen, und mich für deinen Wohl­

thäter auch dann noch erkennen, wenn ich nicht

mehr da bin?"

90

Der Pastor in Kartoffelfeld. Beide Louise und-Ernst geriethen in Verle­

Frau

genheit, und wußten nicht zu reden.

Herrmann aber ersetzte die Lücke in der Unter­

haltung durch ein sehr vernünftiges Räsonnement über das Glück einer wohlgerathencn Ehe.

Sie

setzte hinzu, daß sie dieses Glück allen ihren

Kindern, und eben so sehr deren Hofmeister

wünsche. General.

„Za, an Herrn Ernst kann ich

auch im Grabe Wohlthäter seyn, wenn ich ihm

eilt einträgliches Amt, und dann eine recht gute, schöne, junge, angenehme Frau verschaffe. Gerade

so eine, Louise, wie du bist ... So eine wünsch' ich ihm."

Abermals eine Verlegenheit. — ward Ernst, stumm Louise.

Stumm

Der erste dumpfe

Donner des heransteigenden Gewitters gewährte

aber bald einen andern Stoff zum Gespräch; und weil sich der Donner zu verstärken begann, auch in der Entfernnng schon Stürme sauseten, so begab sich die Gesellschaft in ihre Zimmer.

Hatte es auch diese Nacht nicht so fürchter­ lich gedonnert und so schrecklich geblitzt, so würde

Ernst doch keine ruhige Stunde gehabt haben.

Die feurige Liebe zu Louisen war nach des Gene­ rals Gespräche in ihrer ganzen Macht in ihm Eben so ging es der Ge­

wieder aufgelodert. liebten.

Auch sie fühlte von neuem den Reitz,

der in ihres Lehrers und Erziehers Umgang lag, und empfand ihre vorige Neigung zu ihn.

Herr

und Frau Herrmann, welche aus Vorsicht nicht

zu Bette gingen, sprachen bis zum Morgen fast über nichts, als

über

die

Aeußerung

ihres

Gutsherrn.

„Laß uns ja, liebes Kind, mit der Verheirathung unserer Tochter nicht eilen.

Wir sehen

es nun ganz deutlich, was Zhro Excellenz Gesin­

nung ist.

Und wer weiß, was der General

fbn(i noch Willens ist.

Nahe Erben hat er

nicht —" „Du hast Recht, liebes Kind; übereilen

wollen wir uns nicht.

Ihre Excellenz hat immer

für mich gesorgt, schon als ich noch Soldat war." „Der Herr ist unserm Hause einmal zuge­ than; wir können ihm nicht entgegen handeln.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

92

Das würde wider die Klugheit seyn.

Der

Bediente hat mir übe^dieß im Vertrauen gesagtdaß er vor kurzem sein Testament gemacht habe."

„ Nun gut! Wird auch Louise zwanzig Zahr alt, ehe sie heirathet, was thut das zur Sache. Bekommt sie den Ernst, so bekommt sie einen guten Mann.

Mit Leuten die man nicht kennt,

ist es immer eine eigene Sache." „Ja wohl.

Und wenn sie auch zwey bis

vier und zwanzig Jahr alt wird, und bekommt

ihren Ernst, und dieser eine gute Pfarre, was will sie mehr? Nur verloben muß sie sich noch

nicht."

Zwiefach sehnte sich nun Ernst nach einer

guten und baldigen Beförderung, zumal da sein

hoher Gönner die gestrigen Aeußerungen einige­

mal wiederholte.

Einst lenkte er das Gespräch

auf die Freywerberey.

Der Prediger Walther,

der zugegen war, nannte sie ein gefährliches und-

elendes Handwerk, und spottete laut über solche Leute, die sich aus Eigennutz demselben unter­

ziehen.

Erster

Theil.

93

// Ihrer Meinung bin ich nicht', sagte der

General, ich möchte vielmehr die Freywerberey, wenn

schmutziger Eigennutz dabep zum

nicht

Grunde liegt, ein edles Geschäft nennen.

Za,

ich wünschte, daß man im Staate eigene privi­ legierte Freywerber hätte."

Alle stutzten bey diesem frappanten Gedan­ ken; er aber fuhr fort:

„Za eigene privilegierte Freywerber— Dieß

müßten aber Manner seyn von'großer Menschen­ kenntniß und von strenger Gewissenhaftigkeit.

Diese würden unstreitig die schönsten Ehen ver­ anlassen.

Sie würden gewiß nicht Menscher

verheirathen, die sich in den ersten vier Wochen

vor lauter Liebkosungen nicht lassen können, uni> sich hernach Zahre lang hadern, streiten und

Sie würden nicht Menschen zusammen

zanken.

bringen, die sich im Brautstände einander für reich halten, und hernach zu ihrem Erstaunen

entdecken, daß sie beiderseits arm sind.

Sie

würden nicht Leute paaren, die an Alter so verschieden sind, daß der eine Theil invalide

wird,

wenn

beginnt."

der. andere erst recht zu leben

94

Der Pastor in Kartoffelfeld Recht,

mein Herr

General, versetzte Pastor Walther.

Eine wohl­

„Sie haben wirklich

gerathene Ehe, wo die Herzen sympathisieren wie Magnet und Eisen, macht das Glück des

Lebens."

General.

„Und würde es nicht eine edle

Beschäftigung seyn solche Ehen zu veranlassen

und zu stiften? Man wird zugeben, daß ver­ nünftige Aeltern auch vernünftig ihre Kinder erziehen, und also pflanzt sich der Segen fort,

und derjenige, der eine wohlgerathene Ehe stif­ tet, macht sich in der That um die Nachwelt verdient.

Ich kann nicht läugnen, daß ich mir

noch ein solches Verdienst wünsche; denn auf

andere Art kann ich dem Staate nicht mehr

nützlich seyn." Pastor Walther gab zwar nach, behauptete

aber noch, daß ein solches Geschäft ein delikatcs und bedenkliches Geschäft sey,

weil sich ein

Freywerber bey dem besten Willen dennoch irren könne, und die Verstellungskunst in unsern Zei­ ten eine große Vollkommenheit erreicht habe. „Ganz recht, sagte der General! aber wer sich zum Ehestifter aufwirft, muß seine Leute

Theil.

Erster

95

ganz kennen, muß sie nicht vier Wochen, .son­

dern Jahre lang beobachtet haben."

Diese und ähnliche Unterhaltungen setzten des Greises Zlbsicht

immer

mehr

und mehr

außer Zweifel.

Ernst lebte von nun an in einem fortdauern­

den Wechsel von Sehnsucht nach Beförderung und von Beruhigung; jene erweckte die Liebe, diese verdankte er dem Bewußtseyn seiner Kennt­

nisse und seiner Sitten, und dem Glauben an

eine gütige Vorsehung.

Louise erregte

seine

Wunsche, und die Blumenbeete vor seinem Fen­

ster

erinnerten

Worte:

ihn

täglich an die biblischen

„ Schauet die Lilien auf dem Felde"

u. f. w. und diese erhoben ihn wieder, wenn

ihn

zuweilen

die

Schwermuth

niederdrücken

wollte.

Als er nach einigen Tagen von einem Spa­ ziergange auf sein Zimmer zurückkam, fand er

auf dem Tische folgenden durch einen Expressen

angekommenen Brief vorrx alten Pastor Meyer:

-6

Der Pastor in Kartoffelfeld. Achtungswerther Herr Kandidat!

Alles ist ganz anders gekommen, als ich

vor einem Zahre bey Ihrem Hierseyn gedachte.

Mein Sohn — meine Tochter sind nicht mehr, und mein Jubelfest hat sich in ein tiefes Trauer­ und Degräbnrsifest verwandelt.

Mit Thränen

schreib' ich dieses, und sage mit Hiob:

„Der

Herr gab sie, der Herr nahm sie; der Name

des Herrn sey dennoch gelobet.

Denen die Gott

lieben müssen ja alle Dinge zum Besten dienen." Nun aber bin ich auch fest entschlossen meinen

fünfzig Jahr geführten Hirtenstab nicdcrzulegen, und ihn in die Hände eines Mannes zu geben, von

dem ich versichert zu seyn glaube, er werde das

Gute, das ich angefangen habe, weiter ausfüh­

ren, und kein Miethling, sondern ein getreuer Hirt der Herde des Heilandes seyn.

In meinem hohen Alter hab' ich nur den einzigen Wunsch noch aus meinem Herzen, daß

meine gute liebe Gemeinde nach meinem Tode, der nicht mehr fern seyn kann, mit einem recht­

schaffenen Seelsorger versehen werde, der mit Paulo sagen kann:

„Seyd meine Nachfolger, gleich

Erster

Theil.

gleich wie ich Christi."

97

Hierum bitte ich täglich

Meinen Gott.

Und hierju hab' ich Sie ausersehm.

Wollen

Sie, so können Sie bald mein Adjunktus seyn, und ich bitte darum recht herzlich.

Erschrecken

Sie nur nicht vor dem Namen Adjunktus, denn ich bin schwach, und trete in wenig Wochen mein neun und siebzigstes Zahr an, und behalte mir

von meiner einträglichen Stelle nichts bevor, als

den freyen Tisch in ihrer werthen Gesellschaft, und das Stübchen wo ich wohne.

Sie können

daher auch heirathen sobald Sie wollen, und dann wird sich die Hypochondrie, wenn Sie mit

diesem Dämon noch geplagt seyn sollten, bald verlieren.

Nehmen Sie nur eine recht muntere

aufgeweckte Frau, so wie meine selige im Herm

ruhende Gattin war;

aber ja eine solche, die

Sie lieben,-und die Sie wieder liebt.

Freylich hab' ich meine Stelle nicht aus freyer Hand zu vergeben, sondern muß erst den Kon-

sensum meines gnädigen und hochwürdigen Herrn

Patroni, des Domherrn von Selten, dazu nach­ suchen und einziehen.

Dieß aber, hoffe ich, soll

keine Diffikultäten haben.

Der Herr haben sich

98

Der Pastor in Kartoffelfeld.

bis jeht eben so wenig um mich als um die Schullehrer bekümmert, sollen von eigenem Cha­

rakter seyn, und sich aus solchen Kleinigkeiten,

weil sie sehr reich sind, wenig oder gar nichts

machen.

Sie werden also meinen Vorschlag mit

der Adjunktur leichtlich und gnädig bewilligen. Im Herrn werd' ich mich freuen, und mei­

nem Gott auf den Knieen danken,, wenn mein Wunsch erfüllet wird.

Erfreuen Sie mich bald

mit einem Za; dann will ich mich gleich an

Patronum wenden.

Mit aller Werthschahung

bin ich Ähr

N enh a u sen :c. Gebet - und dienstwilliger

Zs. Meyer. N. S.

Noch eine kleine Ditte.,. Ich sähe

gern, wenn Successor es sich gefallen ließe, sich nicht nach neuer Mode,> sondern nach alter zu

kleiden, und einen mvdesten Nock nebst der Perückq trüge; damit man cs ihm gleich ansehen könne,

wer er ist.

Es sind mir neulich ein paar junge

Prediger rorgckommen, die ich der Kleidung

Erster

Theil.

nach für Kaufdiener hielt.

meinen Beyfall.

99

So was hat nicht

Man muß sich nicht verkleiden.

Entzückt über diese gcsnz unerwartete sich zu

rechter Zeit eröffnende frohe Aussicht eilte Ernst

mit diesem Brief zum General. Dieser, eben so vergnügt hierüber, nahm

ihn, und begab sich damit zur Herrmannschen Familie, welche eben am Kaffeetische saß.

Louise

las eben ihrer Mutter einen Abschnitt aus Spal­ dings Bestimmung des Menschen vor.

„Gut, sagte der Alte, gut Louischen, daß

ich dich beym Lesen antreffe, du wirst auch so gefällig seyn, uns diesen Brief vorzulesen."

Sie las deutlich und mit gutem Accent, aber immer langsamer und langsamer/ je bedenklicher ihr der Inhalt ward.

Als sie an die Worte

kam, „nehmen sie eine recht muntere aufge­ weckte Frau" u. s. w. fing sie an zu stottern,

und warf ihn mit einem kleinen Muthwillen

erröthend auf den Tisch. „Es hilft nichts, sagte der General ziemlich

ernsthaft, du mußt auslesen, ich gebe Ordre dazu. Er gab ihr den Brief wieder in die Hand."

Der Pastor in Kartoffelfeld.

100

Sie las also weiter, ward aber immer betre­ tener, bis endlich die Nachschrift von der Perücke sie aus der Verlegenheit zog, -»veil sie Gelegen­

heit zum Lachen gab, und von der Hauptsache

etwas ablenktc.

„Nun in der Perücke da wird Herr Ernst schöne Parade machen, und seine Brant, das muntere aufgeweckte Mädchen, wird sich freuen,

sagte sie mit einem salprtschcn Lächeln, und ging zur Thür hinaus."

General.

„Was sagt Ihr dazu nun,

lieber Herrmann?"

H r. H e rrin a n n.

„Was wollt' ich sagen,

Ew. Excellenz! Was Sie befehlen." General.

„Das Befehlen hat unter uns

langst aufgehirt, guter Alter; ich will nur wis­ sen, was Zhr zu dem Briefe meint, denkt und

sagt?"

H r. H e r r m a n it.

„Alles Gute, Ew. Excel­

lenz! Die Pfarre in Neuhausen ist eine kapitale Pfarre.

Zch kenne sie."

Erster

General.

Theil.

ioi

„Und Frau Herrmann, liebe

Mutter, wie ists mit Ihnen?"

Fr. Herrmann.

„Die Pfarre mag gut

seyn, ich. habe nichts dagegen; aber der Herr

Pastor Meyer, so gut er es auch meint, hat sie doch nicht zu vergeben.

Die Sachen kommen

manchmal wunderlich."

General.

„Ey was.

Es ist ein Glück,

daß sie Domherr von Selten zu vergeben hat;

den Patron kenne ich. Hause aus.

Der ist ein Narr von.

Ich weiß ihm beyzukommen, und

es wird mir nur einige Worte kosten, so wird er sein Ja geben." Fr. Herrmann.

„Wenn er nun aber

doch so unhöflich wäre, und nicht wollte?"

General.

„ Das wird er nicht seyn; und

gesetzt auch er wäre es, so schriebe ich rckta an den König.

Der König schlägt mir nichts ab.

Sorgen Sie nicht, liebe Mama! Das ist meine Sorget Ich habe ja schon so manchesmal gesorgt." Fr. Herrmann.

„Und noch Eins, Ew.

Excellenz!"

General.

„Nun welches Eins denn?

Gewiß die Perücke —"

103

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Fr. Herrmann.

„Nein, die nicht. Da

ich des Herrn Generals gnädige Absicht längst kenne, so rede- ich frey heraus."

„So hab' ichs gern." -

General.

Fr. Herrmann.

„Wir haben freylich

zu manchen Zeiten einige Neigung unserer ein­

zigen Tochter zu ihrem Lehrer bemerkt; allein

ob diese so weit geht, daß sie sich Zeitlebens ihm hingiebt, das ist eine Frage, die ich nicht beant­

worten kann.

Wer kann den jungen Mädchen

ins Herz sehen? Sie sind auch veränderlich."

General.

„Nun ich wills versuchen ihr

ins Herz zu schauen.

Lassen Sie sie rufen.

Das

lose Ding hat sich mit Fleiß entfernt."

- Sie wurde gerufen, und erschien, aber eben' so betreten als sie weggegangcn war.

„Nicht so schüchtern, sagte der General; was fürchtest du? Sieh mir gerade ins Auge,

starr ins Zluge! Nach einigen Versuchen gelangs.

. „Beantworte mir alle Fragen ohne Verstel­

lung, gerade so wie du es meinst.

Zch nehme

nichts übel — nichts übel — Wahrheit geht

bey mir über alles.

Sieh, ich habe dich manch-

Erstee

103

T h e i l.

mal als Kind a«f meinem steifen blessirtön Arm

getragen, habe mit dir gespielt, habe dich", als dtt noch in der Wiege lagst, geherzt und geküßt. 'Du kannst also sicher glauben, daß ichs gut meine.

Sag' mir aufrichtig, fühlst 'du mohl nicht zuwei­ len Lust zu heirathen ? Keine Alltwort aber ein verschämter gesenkter Vlick.

„Rede doch, gutfs.Kind! Sie schwieg nbernialS. „ Nun ich will dich mit dieser Gpwissens-

frage verschonen und eine andere thun.

Was

hältst du von deinem Lehrer? Bist du ihm gut?

Kannst du ihn leidqn?"

L 0 u i se.

4, Zeh schätze ihn sehr, Ew. Excel­

lenz!"

General.

„Liebst du ihn auch wohl?

Hast du Neigung zu ihm, und daß ichs kurz mache, wolltest du ihm wohl deine Hand schen­

ken und ihn zum Manne nehmen? Sieh nun

wird er'bald versorgt, und bald kannst du Frau Pastorin seyn."

General.

„Antworte nur eine von den

zwey Sylben, Ja oder Nein.

Gezwungen

io*

Der Pastor in Kartoffelfeld.

sollst du nicht werden, gutes Kind! Davor ^ehHtt Gott! Nicht meinen Bediente» möchte ich hierin Zwang quflegen. entscheiden.

Dein Herz muß

Sprich dreist heraus,

nur eine

Sylbe, Ja oder Nein?" Louise. General.

verschonen.

„Nein, 'kann ich nicht fagdn."'

„Nun mit Za wollen wir dich Werbe

nur

nicht

so

roth- im

Gesichte."

Wie gerufen trat Ernst eben in die Thür, und das Herzensexamen hatte ein Ende.

Er

konnte leicht vermuthen, worüber gesprochen war,

merkte auch seiner Louise die Verlegenheit gleich an, worin sie gewesen war, trat daher jur Unter­

haltung der Gesellschaft ans Klavier, und spielte wie von ungefähr das damals ganz neue Lied:

Ich grüß dich Mädchen hübsch und, fein. Gar herrlich anzuschaucn.

Wer wollte doch, so schüchtern seyn?

Laß dir vor mir nicht graue,». Denn nur vor Wonne wallt mein Blut, Zch bin dir gar zu- herzlich

Du. holder- Mädchen, du!

E st e r Theil.

io;

Lyuise stellte'sich neben ihn, und sang die Worte mit: „Zch bin dir gar zu herz lich gut," Ein schalkhafter Wink von der Mutter machte den blöden Ernst so beherzt, daß er der Schönen einen zLttlichen.Kuß geben wollte, .upd diese — zog sich nicht zurück. „Dravo, bravissimo, rief der General, die Bataille ist gewonnen. Nun wirst du nicht wei­ ter examiniert, liebes Mädchen!" „Ew. Excellenz haben mich auch examiniert, wie eine arme Sünderin, erwiederte Louise, und ließ es gern geschehen, daß sie der Liebhaber in seine Arme schloß.^ „.So was, sggte der General, seh ich für mein Leben gern. Zch habe nichts zu lieben, freue mich aber herzlich, wenn sich die Unschuld liebt ttttb küßt." „ Machts nur nicht zu arg, junges Volk, sagte Herr Herryiann, es ist noch ein Bissel zu früh." „.Laß Sie doch, Vater, versetzte Frau Herr­ mann, es geschieht ja vor unsern Augen."

Der Pa stör in Kartoffelfeld.

io6

Hr. Herrmann.

„Nun umarmt euch.

Jhr^seyd ja unschuldig und gut."

„Das sind sie," sagte der Generals

Zwey freudige. Gedanken bemächtigten sich also schnell und auf einmal "der vor einiger Zeit so trübsinnigen Seele unsers Ernst..

Sichere

Hoffnung balh versorgt zu seyn, und sichexe.Hoff­ nung Louisen zu besitzen.

Zhm war zu Muthe,

wie — ja, wer beschreibt dieses? Eben so vergnügt war sein Gönner, der

General. er.

Wieder was Gutes gestiftet, dachte

Es heißt ja -in der Bibel, „ man soll wir­

ken weils Tag ist."

Herrmanns

Enkelchen

werden einst um mein Grab tanzen, und meine

alten Knochen werden sich darüber ipr Sarge

regen. Herr und Frau Herrmann hingegen konnten sich der Bedenklichkeiten nicht'ganz entschlagen, und hielten diesen Schritt, nachdem die erste

Freude vorüber war, für übereilt.

„Der Dom­

herr, sagte Frau Herrmann, kann uns den gan­ zen Spaß verderben.'^

'Erster

Theil.

„ Das soll er nicht,

107

sagte der General.

Morgen reise ich zu ihm.

Wer im Kriege so

manche Batterie erobert hat, wird ja auch einen

Domherrn gewinnen können.

Will er sich nicht

ergeben, so wird Sturm gelaufen. - Kleinigkei­

ten! Nur gctkost, meine Liebe!" Morgens in aller Frühe reifete der alte gnä­

dige Herr ganz vergnügt ab.

„Wenn ich zurück-

komme, hab' ich die unlersiegelte Vokativ» in

Lebt wohl unterdessen."

der Tasche.

Diesi

waren seine letzten Worte, und nun rollte schnell der Wagen vom Hofe herab.

Aber welch Erstaunen! Kaum waren zwey

Stunden verflossen, als die Equipage wieder

zurückkam.

Blaß und bestürzt zitterte der treue

Kammerdiener an Händen und Füßen, und dem

alten Kutscher rollten helle Thränen über den grauen Bart.

Pfeilschnell sprang die Herrmann-

sche Familie herbey.

„Kommt der Herr schon

wieder?" .„Nein, er kommt nicht wieder! schauen Sie in den Wagen hinein," sagte der

Kutscher.

log

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Starr und blaß lag hier bie Leiche des wür­

digsten der Greise.

Gebrochen waren die holden

Herzensgüte verkündenden Augen, erblaßt und verzogen der Mund, aus dem noch vor wenig

Augenhlichen die Fxeude sprach — Der schnell herbeygeholte Hausarzt Sppecher versuchte ver­

geblich ihn ins Leben zurückzurufen.

Vergeblich

war der Aderlaß; vergeblich alles Reiben mit warznen Tüchern.

Er blieb todt, und mit ihm

waren alle Hoffnungen des Herrmannscheu Hau­ ses auf einmal gestorben.

Alle und besonders

Ernstküßten seine Leiche mit namenlosem Schmerz. Der Arzt urtheilte, daß vielleicht ein zu starker

Affekt, oder eine plötzliche Erkältung diesen schnel­ len Tod veranlaßt haben könnten.

Beide Ursa­

chen schienen vorhanden zu seyn. Mit wenigem Gepränge aber unter vielen

Thränen brachte man den geliebten Todten zur

Ruh«, und setzte den Sarg genau auf die Stelle, die er noch vor einigen Tagen selbst angewiesen

hatte.

Das gesammte Hofgesinde bestreute die

Allee,

die zum Grabmal führte, und durch

welche der Leichenzng ging, mit den schönsten Blumen.

Bloß Herr Herrmann, die beiden

Erster

Theil.

109

Bedienten, Kutscher und Kammerdiener, die ältesten Freunde deS Verstorbenen folgten dem Sarge, der Abends nach Untergang der Sonne, iintpr Abstngnng des Klopstockschen Liedes „ Auf-

rrstehn, ja auferstehn wirst du " eingesenkt wurde. Ernsts Kräfte waren gesunken, er war nicht ver­

mögend den Sarg zu begleiten.

Seine so ge­

rechte Betrübniß schien in finstere Schwermuth

auszuarten.

In dieser vergaß er den rühmlichen

Antrag des alten Pastor Meyer — vergaß den

Domherrn von Selten, den wir bald näher

kennen lernen werden.

Vergaß alles, nur nicht

seinen alten lieben General.

XIO

Zweytes

V u ch.

.^29ir verließen das Trauerhaus, und verschwie­ gen zur Schonung, unseres eigenen Gefühls noch manche rührende Scene; am wenigsten konnten wir uns darauf einlassen, die Seelenstimmung

der zärtlichen und empfindsamen Louise zu schil­

dern.

Dagegen wollen wir uns jetzt mit dem

Doktor Svrecher bekannt machen. Herr Doktor Sprecher, ein äußerst thätiger

und auf alle auch die kleinsten Umstände auf­ merksamer Mann, wußte mit seiner medicini-

schen Praxis noch mancherley Nebengeschafte zu verbinden, wobey er selten leer ausging.

Alle

diese Nebengeschäfte gründeten sich auf eine Art

von Kenntnissen, worin die meisten Gelehrten

und wissenschaftlichen Männer sonst ganz fremd

Erster

Theil.

ui

zu seyn pflegen, ich meine die Kenntniß der

Umstände und Verhältnisse, nicht etwa der vor

Jahrhunderten oder Jahrtausenden gestorbenen, sondern der noch lebenden Menschen.

Hörte er

einen ihm noch Unbekannten nennen, so forschte er gleich nach allen Verwandten, und nach allen

speciellen Umständen, z. 55. dem Vermögenszu­ stande eines jeden Fanliliengliedes, und dessen Privatintercsse. Er war in diesem Stuck ein

Universal-Lexikon, und die lebendige Zeitung

seiner Stadt. *) *)

Welcher Stadt? Mit diesen und ähnlichen

Fragen wünscht sich der Verfasser verschont. Wohl 'wissend, daß die Geographie das eine Auge der Geschichte ist,

muß

er hier ganz

ehrlich seine

Unwissenheit in der Erd - Lander - und Provinzenkünde, so wie auch in der Topographie bekennen.

Nur von einigen Oertern

weiß er den Namen,

nicht von allen: und die Lage ist ihm mehrenrhcils

unbekannt.

Er liefert bloß Geschichte, und üben

laßt es dem eben so geneigten als geehrten Lesern, und,

nicht zu vergessen,

auch Leserinnen, den

Schauplatz dazu nach Maßgabe ihrer Welt - unb*

Menschenkunde selbst auszusuchen, oder per hypo* thesin anzunehmen/ wo und wie-sie wollen..

112

Der Pastor rn Kartoffelfeld. Unter seinen Nebenbeschäftigungen war die

unterhaltendste für seine leeren Stunden -;nd die

einträglichste für seinen Beutel die Freywerberey; nach den Principien des alten seligen Generals

ein wichtiges, edles, und nach den seinigen, ein leichtes und einträgliches Geschäft.

Fast immer

war er mit Stiftung neuer Ehen sehr emsig beschäftigt, um das Gerathen oder Nichtgera-

then ganz unbekümmert.

Vertrug sich das neue

durch ihn kombinierte Paar nur am Hochzeit­

feste und noch einige Tage nachher, und waren die Geldangelegenheiten abgethan, so war er zufrieden.

Nächst diesem beschäftigten ihn Testamente und Erbschaften fast eben so sehr, und seine

medicinische Würde machte es ihm leicht sich in

die Angelegenheiten und letzten Beschlüsse der auskurierten Kranken zu mischen.

Bedachte er

sich auch dabey nicht immer direkte selbst, so

wirkte er doch für diesen oder jenen Freund oder Verwandten des Abgeschiedenen, und machte sich

denselben verbindlich. Ueberdieß war er der.allgemeine Patron aller Amtssucher oder Kandidaten. Mit einem Strom

ihm

Erster ' TH eil.

113

ihm ganz eigner DeredtsaMkeit oder hiflicher Geschwätzigkeit, und einer liebenswürdigen Un­ verschämtheit wußte er jeden zu empfehlen, den er empfehlen wollte. Abschlägige Antworten ermüdeten ihn nicht. Manchem Ignoranten kam dieses Rrkommcndationslalcnt sehr zu Statten, besonders den Nepvten des. Doktors; manchem ehrlichen Mann aber war es gefährlich und schäd­ lich. Und da- war der Fall mit unserm bra­ ven Ernst.

Dem Doktor Sprecher entging es nicht, daß Pastor Meyer sich Ernsten zum Adjunkt aüsgebeten hatte. Kaum aber war er halb davon unterrichtet, als er gleich in der Stille ein Pro­ jekt für einen feiner Nepvten' oder Vettern ent­ warf, für einen jungen Kandidaten, auch Meyer genannt. Dieses und nicht Ernst sollte nach sei­ ner Zdee der Nachfolger des alten Meyers wer­ den. Freylich sagte ihm, wiewohl sehr leise, sein Herz, daß eS unrecht sey die unschuldigen Wünsche zweyer liebenden, jetzt, so betrübten Seelen, hinterlistig und grausam zn vereiteln;

H4

Der Pastst in Kart^ffelfeld.

alleiy- sein - Verstand tröstete ’ das Her; mit dem

Svrichwort: „Zeder ist sich selbst der nächste."

Noch hatte der zerstreutes betrübte und ver­

liebte Ernst den wichtigen Dries nicht beantwor­ tet,

als 'Doktor

Sprecher

dem Emeritus

'Meyer schon die Visite machte, den er weiter nicht als dem Namen nach kannte.

Wir thei­

len hier ein Bruchstück aus der ersten Unter­ redung mit.

Doktor.

„Nun wie gehts denn noch,

alter, guter, bester Herr Vetter?

Längst hab'

ichs für meine Schuldigkeit gehalten, Ihnen mein Kompliment zu machen.

Ich bin der

Doktor Sprecher." P. Meyer.

„Wie wollt's gehen, Herr

.Doktor, nicht sonderlich;, ich bin alt und schwach, und bald werd' ich in Frieden fahren."

Doktor.

„Ey,-eyl Das noch nicht. Sie

sehen noch zu munter und gesund aus. /ich mir Ihren Puls ausbitten? Der Alte hält die Hapd hin.

Dürst'

Er fter

115

Theil.

„0 hier ist noch viel Lebenskraft konceiltricrt. Sie haben ja auch noch "alle Zahne — wahrhaf­ tig noch alle Zähne! Nun wer güte Zahne hak, beißt gut; wer gut beißt, verdauet gut; wer gut

verdauet, befindet sich wohl und lebt lange.

Zch

stehe für hundert Zahr, wenigstens für neunzig.

Wie alt sind der Herr Vetter?" P. Meyer.

„Acht und siebzig!

Und

M o se s sagt: „ Unser Leben währt siebzig, und

wenns hoch kommt sindö achtzig Zahr." Doktor.

„Das sagt Moses.

war kein Arzt.

Moses

Unsere neuen Aerzte behaupten,

daß der Mensch, wenn er nur die Lebenskraft

zu konservieren versteht, hundert, hundert und fünfzig, 'ja zwey hundert Zahr leben könne." P. Meyer.

„Zwey hundert Zahr? Der

Mensch? Zn meiner fnnfzigjährigen Amtsfüh­ rung mag ich wohl ein paar taufend Menschen

begraben haben; aber keinen einzigen von hun­ dert , geschweige zwey hundert Jahren.

Daß

doch die Menschen klüger seyn wollen als die

Schrift — „ Der Mensch, sagt der Kreuzträgcr Hiob, hat seine bestimmte Zeit; die Zahl sei­

ner Monden steht bey Gott."

ii6

Der P.astor in Kartoffelfeld.

DoktSr lächelnd. „Der Herr Vetter müßten

den Hufe land von Verlängerung des menschliehen Lebens lesen.

Da würden Sie Exempel

von vielen alten über hundert Zahr altgewordcnen Leuten finden.

Haben Sie nicht von dem

berühmten alten Engländer Zenkins gehört?"

„ Zch kenne weder den H u fe-

P. M e p e r.

land '»och den Zenkins, aber meine Bibel kenne ich.

Und was weiß man von'Zenkins? "

Doktor.

„Daß er volle hundert und sieb­

zig Zahr gelebt, hat, bester Herr Vetter!"

„So! so! Zch höre, Herr

P. Meyer.

Doktor, Sie nennen mich Herr Vetter.

Hab'

ich die Ehre mit Zhney verwandt zu seyn?"

„ Die Ehre ist mein."

Doktor. P. Meyer.

„Wie nahe oder fern habe

ich dieShre mit Zhnen verwandt zu seyn?" Doktor.

„ Meine vor kurzem gestorbene

neunzigjährige selige Großmutter war eine. geborne Meyern." P. Meyer.

„ Das kann wohl seyn; aber

es giebt bekanntlich bet Meyer sehe viel." Doktor.

„Das wohl.

Aber Zhr Herr

Vater, lieber Herr Vetter,.war ein Halbbruder des

E r st e r

117

Theil.

weiland Kammerrath Meyer, eines nahen Ver­ wandten meiner seligen Großinuttcr."

P. Meyer.

„Nehmen Sie nur nicht

übel, wenn ich es nicht gleich behalten kann,

daß ich Zhr Herr Vetter bin, und zuweilen

Herr Doktor, nicht Herr Vetter sage."

„Hat nichts zu bedeuten, bester

Doktor.

Herr Vetter.

Sie glauben doch, daß ich wirk­

lich Ihr Herr Vetter bin? "

P. Meyer.

„Warum nicht? Zm Grunde

sind wir Menschen ja alle Vettern und Muhmen. Aber

an

die Verlängerung

des

Lebens kann, ich nicht glanhcn.

menschlichen Bibel bleibt

Bibel, Herr Doktor!" Dyktor.

„tzkanz recht,

Herr Vetter!

Aber Sie sind doch so gütig, dieß Buch auch

ein Mal zu lesen."

Cr Ubetrcid)t t>cn J^nfclanb.

P. Meyer.

„Meine Augen sind schwach.

.Ich lese schlecht, und weil ich die Abnahme mei■net Kräfte täglich verspüre, wünsche ich Mir nicht

einmal ein hundertjähriges Alter.

Was ist dex

Mensch, und was nützt er, wenn er nicht .mehr

lesen kann?"

Der Pastor in Kartoffelfeld.

ns

Doktor.

„O sorgen Sie nicht, bester

Herr Vetter! Wo noch so viel Lebenskraft bey­ sammen ist, da kann dem Auge bald geholfen

werden.

Nächstens bringe ich Ihnen ein stär­

kendes Augenwasser." Der

Herr

Doktor

empfahl

sich

hiermit

bestens mit Zurücklassung des freywilligcn Ver­ sprechens bald wieder zu kommen, und-bat sehr

den Herrn Vettet das Lcbensbuch nicht unge­ lesen zu lassen.

Mehr aus Neugierde und um die Lange­ weile zu vertreiben, als im Vertrauen auf die ihm bisher ganz unbekannte Kunst der Lebens­

verlängerung, ließ Pastor Meyer seinen Gevat­ ter Schulmeister kommen, ihm das Wunderbuch

von Anfang bis zu Ende vorzulesen.

Dieser,

freylich auch schon über drey Viertel eines Seku-

lums alt, war von der gütigen Natur mit einer

so starken Sehkraft begabt, daß er die kleine Bibel ohne Brille noch bey Lichte lesen, und

wie er sich zuweilen rühmte, die Spinnen und

Erster

Theil.

119

Fliegen oben an der Thurmfahne bey heiterm Wetter erblicken konnte.

Der Gevatter Schulmeister ias, und las mit

großem Vergnügen'. . daß mlte Manner von hundert Zähren und drüber:mtt jungen raschen Weibern noch Söhne und Töchter gezeugt hatten.

Denn er war nicht abgeneigt, "seine junge ihm sehr gefallende Haushälterin noch in feinem soli­

den Alter zu hrirathen.

„Herr Gevatter, sagte

er zum Pastor Meyer, das Buch enthält Weis­ heit; die Welt wird immer klüger, das sicht man

schon an dem Blanchard. "

Der Alte, so gewiß ersuch seines biblischen

Glaubens war, und-so heterodox ihm auch an­ fänglich alles borkam, wurde denkoch durch den schönen reihenden Styl, wyrei» Hufeiand

Wahrheit und Lehre einkleidet, nach und nach ««gezogen, ging unvermerkt in die Ideen des

Verfassers mit hinein, und wurde endlich sogar, wenigstens in manchen Augenblicken, wie.von

ihm bezaubert.

Fast fing er an den Brief an

Ernst zu bereuen, und fands manchmal gar nicht

unwahrscheinlich,

daß. er wenigstens dreymal

dreyßig Jahre voll machen, und also noch zwö'f

Der Pastor in Kartoffelfeld.

120

Jahre leben und wirken könne.

In solchen

Intervallen schätzte er sich glücklich, die Bekannt­

schaft mit bem Herrn Vetter gemacht zu haben. Der Schulmeister rechnete ohne Zlnstand auf rin ganzes Jahrhundert, und so oft ihm das Buch

erbaute und entzückte,, pflegte er zu sagen: „Nun der. Herr Gevatter trauen mich noch Ein Mal mit

einer jungin Braut."

Nach einigen Tagen kam der Herr Vetter

wieder, und herzlich freuete er sich, daß sein

Buch f» wohl gefallen hatte. „Nicht wahr, sagte er, man fühlt sich durch

«ine solche Lektüre ganz, gestärkt, und der Popanz, Tod genannt, kommt einem wie ein Irrwisch

vor."

„ Wenns nur mit mir nicht zu spät ist!" „Wie gesagt, ich stehe, wo nicht für hun­ dert, doch für neunzig.

Nur recht viel atmosphä­

rische Luft genossen, und den Körper durch kälteS

Wasser,'doch gradatim, gestärkt.

Der.älteste

Mann, den wir.kenne», war ein Fischer-. ' Mich'

Erst e^r

Theil.

121

dünkt, der Herr Vetter sehen', heut viel munterer

«ms als voriges Mal.

Nun ich gratuliere!"

Der Alte lächelte, schob die Perücke, und sah itt den,Spiegel. „ Bloß durch atmosphärische Luft und reines^ kaltes Wasser hab' ich neulich, fuhr det Doktor

fort, einen Hypochondristcn kuriert,

nachdem

Aderläße, Vomitive, Essenzen, Laxanzen und Dekokte, vergeblich gebraucht

waren.

Mein

Patient ging täglich bey jeder Witterung, es mochte donnem oder blitzen, schneyen oder reg­

nen, zwey volle Stunden, Haß auch nicht ejne

Minute

fehlte ,, in, der atmosphärischen Luft

spazieren, wusch sich Morgens und Abends mit

kaltem Wasser den ganzen Leib, oder rieb sich

im Winter mit Schneebällen, und siehe — die ganze Lebenskraft kam zurück, und jeder Nerve

hatte seine Spannung wieder. wöllten

ihn

bloß

mit Arzney

Andere Aerzte

und

Wärme

kurieren." Ueber Tische — der Herr Vetter invitierte

sich selbst — wurden diese und ähnliche Gespräche fortgesetzt.

Da Pastor Meyer, von altem

Schrot mnd Korn, keinen Weinkeller, wenig-

122

Der Pastor in Kartoffelfeld.

fiens keinen beträchtlichen hielt, sondern mit deutschem Draunbier zufrieden war, so hatte der Herr Vetter aus Vorsicht einige Flaschen alten Rheinweins und Champagners eingelegt und mitgebracht, und gab sie zum Besten, so wenig auch der Wirth mit dieser zuvorkommenden Frey­ gebigkeit zufrieden zu sey«, schien. Der einzige Gesellschafter des Pastor Meyer, der Herr Ge­ vatter Schulmeister, wurde auch geladen, und erschien sehr gern. ■ „ Eins, sagte unter andern Pastor Meyer, Eins werd' ich webet befolgen können noch wol­ len, was aber doch das Lcbcnsbuch sehr anrath und' empfiehlt."

„Und zum Exempel?" „Es heißt, darin, auch der Ehestand verlän­ gere das Leben. Ich aber chabe bey dem Sarge meiner seligen Frau das Gelübde gethan, nie wieder zu freyen."

„ Das thut nichts. Sie werden auch gelesen haben, bester Herr Vetter, daß Klostergeistliche auch lange gelebt höben; man kann außer der Ehe auch alt werden."

Erste r Theil.

ir;

>/2ch will diese Regel üicht unöefolgt lassen, vexsehte der Gevatter Schulmeister, und bald wird der Herr Pastcr so gütig seyn, mich aufzubieten. Sie gefällt mir besser als die vom kalten Wasser, der mosphärischen Luft und dem ewigen Spazierengehen." Der Genuß des alten Rheinweins, dessen der Greis bey seiner simpel» frugalen Lebens­ weise gar nicht gewohnt war, stärkte und erhöhte gemach die Lebenskräfte der drey Gesellschafter. Der Doktor ergoß sich in eine lange Lobrede auf die heutigen erfindungsreichen Zeiten, und pro­ phezeite vom kommenden neunzehnten Zahrhundert Wunderdinge; sprach von noch zu erfin­ denden Medicinen, die den Menschen völlig unsterblich machen, ihn wenigstens von. Zeit zu Zeit verjüngen müßten. „p möcht' ich das noch erleben, hub der Schulmeister an; es ist doch gar zu schön auf der Welt, besser als im Reich der Todten, wo man gewiß solchen schönen Wein nicht trinkt." Rasch sprang er vor des alten Pastors altes Klavier hin, und sang mit jauchzender Chorstimme:

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i24

SchLn ist das Leben,

Schön ists auf der Welt; Wer zählt die Freuden die sie enthält u. s. rv.

Noch rascher stofsierte der Doktor von seinem^

Champagner und akkompagnkerte so gnt er konnte. Der Alle,

sich selbst und alle Kümmernisse

vergessend, ward so heiterer Laune, daß er das'

angestimmte. Lied nach Vermögen auch mitmurmelre.

. Voll jugendlichen Gefühls fing er an

eine Universitätsgeschichte nach der andern zu

erzählen, die sich unter dem Prorektorat des wei­ land Doktor Joachim Lange und Daumgarten

begeben hatte.

Vergnügt wär Der cherr Vetter, der seinem Ziele immer näher qhb naher zu kommen glaubte,

und noch vergnügter würde er gewesen seyn,

wenn nicht der Alte auf einmal und ganz uner­ wartet einen recht ehrwürdigen Ernst im Gesicht'

gezeigt und «ine tiefdenkende imponierende Miene'

gemacht hätte.

„Was ist Zhnen, Herr Vetter?" „.Ich kanns nicht läugnen, der schöne Wein

hat mich gestärkt und gelabt,

und ich fühle"

Mich gleichsam neu geboren. Ein einziger Ge­ danke aber stört mein Vergnügen." „Welcher Gedanke? Das muß ein schreck­ licher Gedanke seyn." „ Kein schrecklicher. Ich habe vor einiger Zeit einem braven Kandidaten, den ich kenne und liebe, dir Adjunktur angeboten." „Himmel waS hör' ich? ?tllerdings ein schrecklicher Gedanke! Zn welche Noth wollen sich der Herr Vetter bey der schönsten Lebenshoffnung stürzen? Lieber wünschte ich. Sie hätten das Fieber als den Einfall bekommen, einen Adjunkt zu wählen. Das Fieber läßt sich kurie­ ren; aber ein solches Uebel, wie ein Adjunkt, ist völlig inkurabel." „ Was man von ungerathenen Söhnen sagt, sie seyn Nägel zum Sarge des Vaters, läßt sich auch von den Adjunctis ratione emeritorum sagen," versetzte der halbstudierre Schulmeister. P. M e y e r. „ Hätte mich der Herr Vetter früher beehrt, so geschah' es nicht. Nun aber ist der Schritt gethan, den ich als ehrlicher Mann nicht zurück thun darf."

126

Der Pastor tn Kartoffelfeld.

Doktor.

„Und der Schritt wird Reue

nach sich ziehen.

Nun steh' ich nicht für achtzig.

Aerger schwächt die Lebenskraft, imb wo ein Adjunkt ist, giebts Aerger." Schulmeister.

„Wir singen auch den

passenden Vers aus ihn: „Den alten Menschen kränke, daß der neue leben mag."

Doktor..

„Lieber wieder eine Frau ge­

nommen als einen Adjunkt, und sollte es auch

die böse Sieben seyn, die Sirach beschreibt.

genau was

Wissen Sie

den»

Adjunkt ist?

Sehen Sie, das ist ein Mann,

eigentlich ein

der da wünscht was Sie nicht wünschen — sich freut, wenn Sie sich betrüben — fröhlich ist,

wenn Ihnen der Kopf weh thut — das Maul hängt, wenn Sie gesund sind — alle Ihre kör­ perlichen Schwäckcn ausspioniert — Ihr Lebens­

ende tagtäglich berechnet — und wenns denn so

weit kommt, daß Sie verscheiden, seinen Gott auf den Knieen dankt, und Ihnen die schönste

Leichenpredigt hält.

Sehen Sie das ist in der

Regel ein Adjunkt; ich möchte solchen Spion

nicht im Hause haben, und wenn er den Stein der Weisen besäße."

Erster The i l.

i-7

P. Meyer. „Wenn man sich einen bra­ ven Mann selbst aussucht, ist die Gefahr so sehr groß nicht." Doktor. „Nun Sie werdens bereuen, bester Herr Vetter. Ich will kein. Prophet seyn. Sie werdens bereuen. Liebtr einen Kobold im Hause — lieber bey LLwen und.Drache».ge­ wohnt. " P. Meyer. „Ey, ey! Herr Vetter, Sie machen mich gar zu bange! Der Kandidat, den ich gewählt habe, gehört unter die edlere Klasse von Menschen, und wird mir weder Kobold, noch Löwe, noch Drache seyn. Zch habe vielleicht, mir darin gefehlt, daß ich ihn zu früh wählte; aber ich halte ihm Wort, als ehrlicher Mann." Doktor. „Um Verzeihung, wenn soll er anzichen?" P. Meyer. „Das ist-noch unbestimmt." Doktor. „ Nun so werden Sie an Ihrer Ehrlichkeit nichts verlieren, wenn Sie ihn noch zehn Zahre warten lassen. Will er dann so lange warten, und sehne Braut — denn eine Braut wird er doch wohl haben — mit ihm, so mag er es thun."

128

Der Pastor itt Kartoffelfeld. „Ner. im- Gnurde, lieber

P. Meyer.

Herr Vetter, Lin ich doch alt und schwach.

-Ich

Die Augen!

Die

merk' cS nur gar zu sehr.

2(ugcn! “

Doktor.

„Trauen Sir meinem Augen-

wasscr etwa nicht? ES hilft freylich erst nach ein

paar Zähren."

„Wie aber wirds mit mir

P. Meyer.

in diesen paar Zähren, da ich in der -Bibel

auch mit der Drille nicht wohl lesen kann? "

Doktor.

„Gott sey-Dank! mir fällt ein

vortrefflicher Gedanke für Sie ein. .'es gut mit Zhnen.

Zch meine

Zch habe einen« nahen Vet­

ter, es ist auch ein Meyer, der erst vor kurzen Studia theologica absolviert Hat. ' Der soll Sie

sublevieren bis die Augen-völlig hergestellt sind.

Sie geben ihm nichts als das Stückchen Dxot, das er ißt, und er muß es- sich gefallen- lassen

wieder abzuziehen, sobald es Zhnen beliebt. Das ist dann ein Adjunkt und kein Adjunkt; und

da er Zhr Detter ist, so wie der meinige, st wird er sich über dir Wiederherstellung Zhrer

Zlugen herzlich freuen. Sie als einen Vater lie­

ben und ehren." P. Meyer

Erster

Theil.

tag

„Das stände reiflich zu über­

P. Meyer.

legen .. recht reiflich . ."

„Bedenken Sie nur, unser jun­

Doktor.

ger Vetter Meyer besitzt Gelehrsamkeit, hat einen

schönen

Stimme.

Körperwuchs

und

eine

schöne

Er trägt sein eigenes blondes Haar

zierlich in Locken geschlagen." P. Meyer.

„Also keine Perücke?" sagte

Pastor Meyer, und schüttelte den Kopf.

Noch

mehr schüttelte er ihn, als Herr Doktor Spre­

cher versicherte, daß sein junger Herr Vetterganz im neuen Geschmack predige, und die frap­ pantesten Themata zu erfinden wisse. Der Doktor schlug einen Spaziergang zm

Kirche vor, um sich im Geist seines halb zu

adjungierenden Vetters darin umzuschen, und

gern wurde er genehmiget.

Mit. Falkenaugen betrachtete er die schöne Kanzel, und entzückt war er bey dem Ton der

vortrefflichen Orgel, auf welcher sich der alte Gevatter-Schulmeister mit einer Fuge aus Fis

Moll vom Kapellmeister Telemann hören ließ.

Alles hatte seinen vollkommenen Beyfall, alleS wurde bewundert.

i3o

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Dagegen nahm das Flämmchen froher Laune,

das der Herr Doktor

anzuzünden verstanden

hatte, bey dem alten.Pastor Meyer immer mehr

und mehr ab, als er zu dem Altar hintrat, an .dem er fünfzig Zahre gedient, und wo er so man.cheif Segen an seine gute Gemeinde ausgespendet

hatte.

Wie vergänglich, dacht' er, sind doch

.alle Freuden^ dieses Lebens! Salomo hat Recht:

Es ist alles eitel!" Er ward wehmüthig und

Helle Thränen rollten die Wangen herab. Auf der Rückkehr zur Pfarre zogen ein paar in Urnenform aufgerichtete neue Leichensteine die

?lufmerksamkeit des Doktors auf sich.

Er wollte

die Inschriften lesen, allein der Alte zog ihn

zurück.

Verschonen Sie mich, sagte er, wenn

,Sie nicht heiße Thränen sehen wollen — Diese

Steine decken die Meinen.

Oumes seposui.

Ganz umgestimmt kam man im Pfarrhause

wieder ane .Der Doktor getraute sich nicht das

neunzigjährige Alter sammt dem halben Adjunkt wieder aufs Tapet zu bringen, und äußerte jeht

Erster

Theil.

131

bloß den Wunsch sich in den Zimmern des Pfarr­

hauses, und im nahen Garten besehen zu dürfen. Gleich nahm der Hauspapa den Schlüssel, und führte ihn herum.

Die überall herrschende Ord­

nung und Reinlichkeit, die in der reichen Vor-

rathskammer eben so gut anzutreffen war, als in der Visitenstube, hatte des Doktors lauten

Beyfall, und willig öffnete der Alte jede Thür;

nur vor zweyen ging er ernsthaft und denkend

vorüber.

„ Wollen der Herr Vetter nicht auch diese öffnen? "

„ Nicht recht gern.

Ich selbst pflege diese

Zimmer jährlich nur einmal, und zwar am Duß-

und Bettage zu besuchen.

Sie erinnern mich

zu sehr an eine Gott sey Dank überstandene starke Prüfung meines Glaubens." Der neugierige Arzt ruhte indessen nicht, und ließ mit Zureden und Bitten nicht eher nach, al«

bis eins dieser Heiligthümer geöffnet wurde.

Zwey geschmückte Betten mit weißen Umhän­

gen standen neben einander, und über dem einen hing eine verwelkte Myrtenkrone.

Daneben sah

man zwey große eichne glanzende mit Messing

izr

Der Pastor in Kartoffelfeld.

beschlagene Koffer: an der Wand hingen zwey schöne Gemälde, und unter diesen stand eine Harfe. „Dieß, hub der 2llte stammelnd an, dieß sollte das Brautzimmer meiner selige» Tochter, meiner lieben unvergeßlichen Henriette seyn. Hier stehn die Draulbetten noch von mütterlicher Hand gepolstert — Dort hängt die von ihr selbst gemachte Brautkrone — in diesem Koffer befindet sich die Ausstattung — in jenem Schranke hängt das weiße atlassene Brautkleid — in die­ sen Gemälden ist sie mit ihrem vortrefflichen Bräutigam, einem jungen Nechtsgelehrten, ganz nach dem Leben getroffen." „ Das muß ein schönes Frauenzimmer gewe­ sen seyn! schon das Bild entzückt."

-,Za, das war sie. Schöner noch war ihre Seele. Sie wird auch jetzt ein schöner Engel seyn. Bald werd' ich sie wieder sehen. Am hitzige» Fieber starb sie kurz vor der Hochzeit, da ich zugleich mein Amtsjubelfest feiern wollte." Und hiermit schloß der Greis die Thür. „Und das andere Zimmer?"

Erster

Theil.

„ Auch das sollen Sie sehen.

133 Mein Herz

blutet einmal, es mag ausblutcn."

Hier stand das Sterbebette seines einzigen Sohnes noch in eben der Form, wie er darin verschieden war.

Kein Kissen war verrückt.

Nahe dabey sahe man seinen Schreibtisch, auf

demselben ein Heft, und daneben eine Schreib­

feder; die Dinte war vertrocknet. „Hier verschied, hub der Alte abermals stammelnd an, hier verschied einige Tage nach

dem Tode seiner Schwester mein einziger hoff­

nungsvoller Sohn.

Hier liegt die angefangene

Predigt, die er zur Erhöhung meiner Vaterfreuden, gerade am Tage meines Jubelfestes

imb der Hochzeit

seiner Schwester zu, halten

gedachte — Auch ihn sehen Sie hier abgebildet

in wahrer Gestalt bis zum Sprechen." Das Porträt hing über dem Schreibtisch,

und stellte ein blühendes kraft - und seelenvolles Gesicht eines jungen Mannes dar.

Der Alte

konnte nicht unterlassen es von der Wand zu nehmen, und es väterlich zu küssen. , „Ja, sagt' er, mein Jubelfest ward zum

Tranerfest.

Meine beiden Kinder, die ich f»

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i34

sorgfältig erzog, die einzige Stütze meines hohen

Alters, riß der Tod schnell hinter einander weg. Nun bin ich Einsiedler. Bloß der schöne Spruch: „Welchen der Herr lieb hat, den züchtiget er,"

kann mich trösten, sonst würd' ich umkommen in meinem Elende."

Wider seine Gewohnheit

äußerst gerührt,

verließ der Arzt auch dieses Zimmer, und eilte nach dem Garten, wo er eben die Einfalt und

Ordnung fand,

welche er im 'Hause so sehr

bewundert hatte.

Als man die Gänge auf und ab ging heiterte sich die Seele des Greises nach und nach wieder

auf.

Er erzählte die Geschichte jedes von ihm

gepflanzten, gepfropften und erzogenen Baumö, und sprach zur Freude des Doktors recht viel von einer neuen Baumschule, die er übers Zahr,

«ills Gott, anlegen wolle.

Schnell aber ward er wieder ernsthaft, als sein Blick auf zwey nahe schlanke Bäume fiel.

„Wieder so ernsthaft, Herr Vetter?" „Hier noch ein Andenken meiner geliebten

Kinder.

Diesen schönen Apfelbaum pflanzt« ich

im Geburtsjahre meines Sohnes, und jenen

Erster

Theil.

135

muntern Birnbaum gerade an dem Tage als

Henriette zur Welt kam.

Seyd, dacht' ich,

ein Bild meiner Kinder! Sie waren es auch, schön und schnell wuchsen sie empor.

sie es nicht mehr.

Jetzt sind

Mit Flor möcht' ich sie um­

winden." Der Herr Vetter brachte ihn wieder ans die

neu anzulcgende Baumschule, und seine Stirn entwölkte sich wieder. „Sie müssen Gesellschaft haben, bester Herr Vetter, und Sie haben

sie gleich und ohne

Kosten, sobald Sie meinen Kandidaten, den

jungen Meyer, zum halben Adjunkt anneh­ men.

Der ist immer munter und lustig, und

wird Ihnen die Grillen bald verplaudern. werden nicht wissen, wo die Zeit bleibt.

Sie

Er kann

auch an der neuen Baumschule mit arbeiten."

„Verschonen Sie mich heut mit diesem gutge­

meinten Vorschlag. Ich kann nichts dazu sagen." Da es also nicht gelingen wollte, den alten

Herrn Meyer für den jungen Herrn Meyer zu gewinnen; so setzte sich der Herr Doktor in sei­

nen Wagen, und fuhr von dannen.

iz6

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Wir überlasse» den Greis seiner Einsamkeit, und erjählen was der Herr Vetter, Doktor Spre­ cher, ferner begann, ym seine» einmal gemach­ ten Plan durchzusetzcn. Die Zusicherung eines neunzigjährigen Lebens war bey dem alten Dreyer fruchtlos gewesen, und die durch den alten Rhein­ wein erregte neue Lebenskraft war mit dem Spi­ ritus gar bald wieder verflogen. Der Alte blieb seinem Grundsatz getreu, seiner lieben Gemeinde an seiner Stelle einen exemplarischen gesetzten Mann zu verschaffen, der erbaulich predigte, und sich priesterlich kleidete. Er konnte es nicht vergessen, daß er einst auf einer Reise im Wirthshause einen Amtsbruder für einen Ver­ walter angesehen hatte. Schon auf der Rückreise machte der Doktor Sprecher mancherley Projekte, wie er seinen Ncpoten leicht und schnell in die Pfarre von Seedorf einschiebe» w.olle. Bald wollte er die .-Gemeinde, Haus sür Haus apgehen, bald eine .'Kabinetsordre auswirken, bald. , . doch keiner dieser und anderer Einfälle wollte ihm so recht gefallen. Endlich erinnerte er sich im Herrmannschen Hause gehört zu haben, daß Domherr

Erster

Theil.

137

von Selten Pfarrpatron sey, der sich jetzt in einer nahen Stadt aufhielt.

Wenn dieser

gewonnen ist, dacht' er, so ist des alten eigen­ sinnigen MeyerS Einwilligung nicht nöthig.

Domherr von Selten, ein zwiefach stiftsfä-

higer Edelmann, der seinen Stammbaum bis

auf Kaiser Karl den

Großen

zurückzuführen

wußte, war seines außerordentlichen Reichthums wegen sehr berühmt, und in sofern Geld und

reiche Pfründen glücklich machen, der glücklichste Mensch in der ganzen Provinz.

Bey mehrery

Präbenden, die er theils als Domherr, theils

als Präpofltus, theils als stummer, theils als

lauter Vikarius *) zu heben hatte, verzehrte er,

oder konnte verzehren, den Ertrag von mehrer» Rittergütern,

Erbzinscn, Lehnsgefäflen, und

überdieß eine Menge von Rauchhühnern, Zehntgänsen u. s. w., so daß er ohne Furcht vor Nahrungssörgen, den Zahrgehalt eines Präsi­

denten , Generals oder Ministers, Monat verprassen konnte.

*)

in einem

So wie er sich aber

Man könnte auch sagen: schreyender oder

blarrender Dikarius.

iz8

Der Pastor in Kartoffelfeld.

durch Reichthum und Stiftskreuje, womit der schwarze seidene Nock ganz kehangen war, in der

Provinz auszeichnete: so unterschied er sich in der Menschheit durch ganz besondere Grillen,

von denen man nicht wußte, ob sie mehr die Folge eines verdorbenen Magens, eingeschrumpften Gekröses und der verstopften Milz, oder

eines auf Ahnen, Güter und Kreuze sich grün­

denden Stolzes waren.

Genug der Herr hatte

seine Grillen, und wer von seiner Gnade und Hochwürdigkeit Gebrauch machen wollte, mußte

sich in diese zu finden wissen.

So ausgebreitet auch die Häuser - und Familienkenntniß des Doktor Sprecher war; so war

er doch mit dem Leben und den Meinungen die­

ses Herrn nur wenig bekannt.

Zm vollen Ver­

trauen auf seine Deredtsamkeit und sein Znsinua-

tionstalent, wodurch er Berge versetzen zu kön­

nen wähnte, erschien er im glänzenden Hausflur des Domherrn.

Mit Verbeugungen ohne Ende trat er in das geschmückte Zimmer der .. . zwölf Diener,

die ihm in ihrer reichen Kleidung wie zwölf

Kammerherren vorkamen.

Auf die ■ ergebenste

Erster Theil.

139

Frage an den schlanken Kammerdiener: „Ob er die Gnade haben könne Sr. Hochw. Gnaden aufzuwarten?" erfolgte keine Antwort. Der Doktor wiederholte sie, und machte aus der ergebensten eine gehorsamste, aber wieder keine Antwort; er verwandelte sie in eine unterthänigste, und zuletzt in eine allerunterthänigste, und es half nichts. Zn der Ver­ muthung, cs könne vielleicht das Trommelfell dieses Herrn verletzt seyn, verstärkte Herr Spre­ cher seine Stimme von Grad zu Grad, bis er zuletzt wie ein Stentor schrie, und — «S half nichts; wenigstens nur so viel, daß der wohlfri­ sierte Kammerdiener durch eine Zeichensprache zu erkennen gab, der Herr Doktor habe sich schrift­ lich an den gnädig - hochwürdigen Principal zu wenden. So wie jenseit des Aeqüators M Kaisers von Matäram Majestät es seinen getreuen Unter­ thanen— wenn die Reisebeschreiber nicht lügen— zur -Pflicht macht, ihm in ?lllem nachzuahmen, zu lachen, wenn er lacht, zu niesen, wenn er niest, zu Hüsten, wenn er hustet, z« schwitzen, wenn er schwitzt; so hatte es auch Herr von

140

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Selten seiner reich gekleideten und feist genährten Dienerschaft zur Pflicht gemacht, in Zlllcrn nach Verhältniß seinem Beyspiel zu folgen.

Zwar

nicht mit Androhung jener Mataramschen Strafe, ihnen das Fell über jb.ie Ohren streifen zu lassen,

.welches nicht die angenehmste Emvsindnng seyn soll, wohl aber bey Strafe der Kassation.

Er

wies im Uebertrctungsfalle dem Ungehorsamen bloß die Thür; aber keiner folgte diesem Winke

gern, weil er eine Ehre darin setzte, eine zahlreiche Dienerschaft prächtig zu kleiden, herrlich zu füt­ tern, und reichlich zu besolden. Schwieg Herr »on Selten des Morgens

beym Ankleiden, oder sprach er bloß durch Winke und Zeichen, so war es eine Anzeige, daß diesen

Tag im ganzen Hause nicht gesprochen, sondern

alles durch Zeichen und Geberden verhandelt Ler­ chen sollte.

Sprach er, so durfte, jedoch nur

sparsam, gesprochen werden, weil er mehr Freund

vom Denken als vom Sprechen war.

Ließ er

sich den Dart abnehmen, so war allgemeiner Balbiertag.

Nahm er das Hallische Digestiv-

Pulver, das' die schöne Eigenschaft hat, nicht

zu schaden, wenn es auch nicht nützt, so nahm

Erster

Theil.

die ganze Dienerschaft Digestivpulver.

141 Kurz er

ahmte in der gemäßigten Zone dem Herrn Kai­

ser von Mataram auf Zava nach. Zum Unglück kam der Herr Doktor gerade an einem Tage, wo aller Zungen gefesselt waren. Bald aber übersandte er eine unterthänigste Bitt­

schrift, worin er seinen Nepoten zur Pfarre von Seedorf recht kräftig empfahl, und cs erfolgte —

keine Antwort.

Er liest «ine zweyte in französi­

scher Sprache überreichen, und es erfolgte — weder Za noch Nein.

Nun entstand bey ihm

die wichtige Frager „Wie einem solchen Wesen, das weder mit, sich noch seinen Dienern sprechen,

und bey trüber Laune die ehrfurchtsvollesten Ditkschristen unbeantwortet laßt, das man außer sei­

nem Zimmer weder hört noch sieht, wohl bey­ zukommen sey ?" Manche, die in die Geheim­

nisse dieses Hauses tiefer eingedrungc» zu seyn glaubten, riechest ihm, sich an zwey Frauen­

zimmer zu wenden, die der Herr, stran wisse nicht warum, vermuthlich aber zur Rarität im

Hause hege und pflege; andere hingegen behaup­ teten, daß die/Existenz'dieser Nymphen eben s» ungewiß sey, chls die Existenz des Teufels, und

142

Der Pastor in Kartoffelfeld.

wenn sie ja existierten, so seyen es gleichfalls

Wesen, die kein Auge sähe, kein Ohr hörte, als höchstens des Patrons.

bedenklich

sich

solchen

Ueberdieß sey. eS

Raritäten

zu

nähern.

Dagegen riechen sie ihm sich an den Herrn Sekretär, einen höchst artigen und dienstfertigen

Mann zu wenden, welcher leicht mit sich spre­ chen ließe, und viel Einfluß auf die Entschließun­

gen seines Principals habe.

Mit einer ganz originellen für uns unbe­ schreiblichen Leutseligkeit und Freundlichkeit em­

pfing der korpulente Geheimschreiber den Arzt, und machte der- Verbeugungen so viel, daß es

schien, als wolle er ihm die Schuhxiemen lösen.

„Was steht zu Befehl?

Worin zu dienen

kann ich die Ehre haben?" „Sr. Hochwürden E5nadev, der Domherr

von. Selten..."

Schnell griff der Schreiber den Arzt bey der

Hand, und führte ihn Treppe ay in ein unter­ irdisches Gewölbe.

Erster

Theil.

143

„Hier, sagte er, nach verschlossener Thür, biet können Sie reden,

darf, nur leise.

doch wenn ich bitten

Der gnädige Herr nimmt-

ungnädig, wenn man von ihm und über ihn

spricht, und der Horcher und Verräther ist oft

nicht weit." Der Doktor flüsterte also dem Geheimschrei­

ber sein Anliegen ins Ohr, und dieser zischelte

ihm zu, „dasi er in allen möglichen Angelegen­ heiten zu dienen bereit sey, nur direkte in dieser nicht.

Der Herr folgen nur ihren eigenen Ge­

danken, zureden muß man ihm nicht, aber ihn unvermerkt auf den Entschluß leiten, den man

wünscht, und ihm gleichsam die Gedanken einge­

ben.

Wer das kann, hat alles gewonnen." „ Laxanzen,

Latwergen, Brechpulver und

Essenzen verstehe ich zu mischen und einzugeben,

aber nicht Gedanken, so wenig als ich sie abzm

führen vermag," flüsterte der Doktor lächelnd. „Es Fiebt doch ein Mittel."

„Und welches?" „Man muß sich dem Herrn bemerkbar machen." „ Und wie? man bekommt ihn ja gar nicht

zu sehen."

Der 'paftor in Kartoffelfeld.

144

„Sie pflegen täglich vor Tische ans Fenster

zu treten, um die Vorübergehenden zu beobach­

Wer dann gerade die Gnade hat bey Zhm

ten.

zu seyn, der hat ein weites Feld jemand zu empfehlen und Entschlüsse

lassen. in

einer

ihm zu veran­

bey

Z. E. wenn Sie es sich gefallen ließen

auffallenden Kleidertracht

etwas

in

genannter Tageszeit vor dem Fenster des Herrn-

mit Ihrem Herrn Vetter auf linb ab zu spazie­

ren, und ich wäre bey dem Herrn, so könnte eS seyn, daß er mich fragte: Wer sind die? . Was suchen sie hier?

Dann könnte ich reden und

Ihren Wunsch entdecken, und ich wette, er fiele von selbst darauf, Ihren Herrn Vetter mit der Seedorfer Pfarre zu beglücken — Sehen Sie,

so muß es gemacht werden.

Der Herr sind

eigen, und man muß sich in Ihre Eigenheit zu finden wissen."

Doktor mit oen Achseln juckend.

,, Dieß ist lei­

der oft der Fall." Sekretär.

„ Noch eins.

Sie müssen ja

dem Herrn nicht gerade ins Gesicht sehen, da«

können Sie nicht leiden, und wollen sich, wie Sie oft sagen, nicht von jedem begaffen laffen.

Auch

müs-

Theil.

Erster

145

müssen Sie ihn nicht grüßen; er nimmt keinen

Gruß an, erwiedert auch keinen.

Dieß ist mein

wohlgemeinter Rath; weiter vermag ich nicht zu dienen."

Und nun führte

der

höfliche freundliche

Schreiber den Doktor aus dem Gewölbe wieder

an das Helle Licht des Tages, nachdem er ihm heilig versichern müssen, daß er im ganzen Leben,

und würde er hundert Zahr alt, von dieser über

den Domherrn von Selten gehaltenen unterirdi­ schen Konferenz keinem Sterblichen ein Wort, ja

keine Sylbe sagen wolle.

Treulich befolgte Herr Sprecher den weisen psychologischen Nath des Geheimschreibers.

Er

revidierte seine. Garderobe, und um recht bald bemerkt, wiewohl auch auSgelacht zu werden,

kleidete er sich in einen modischen gestreiften sei­

denen Nock, zog große Kourierstiefeln an, trug feinen Znauguraldegen, und setzte eine Beutel­ perücke auf das Haupt.

So ging er begleitet

von dem jungen Herrn Vetter, der eine reich-

Der Pastor in Kartoffelfeld.

»46

Lelöckte weiße Knotenperücke trug, vor den Fen­

stern des Patrons zur bestimmten Zeit auf und ab.

Anfänglich umsonst.

Endlich aber visierte

der Patron einmal mit dem. Taschcnperspcktiv

durch daS halb geöffnete Fenster.

„Das gilt

getviß unS, sagte dtr Doktor zum jungen Herrn

Vetter; Ast nur der Sekretär da, so ist Euer

Glück gemacht."

Wer aber nicht ganz blind

war, konnte leicht sehen, daß daS Perspektiv nicht auf beide Ambulanten, sondern auf eine rasche körnige Dauerdirne geriet;

"'ar, die der

Herr mit eben der Wonne zu be

.chten schien,

als

Astronom

Herschel

den

neuen

Planeten

Uranus betrachtet haben mag. Natürlich mußte diese Promenade der gan­

zen Stadt bald auffallend werden, und in allen gelehrten und ungelehrten Klubs wurde darüber

gelacht und gespottet.

Niemand wußte daraus

klug zu werden, und zu bestimmen, ob die Ambu­

lanten sich wollten.

oder den Patron lächerlich machen Manche meinten indessen doch, der

Doktor müsse als ein sonst vernünftiger Mann

seine geheimen und verborgenen Absichten dabep haben.

E r st e e

Theil.

147

Umsonst, waren indessen diese seltsamen.Pro­

menaden, »ind es gelang ihnen nicht, die.Auf? mcrksamkcit des Patrons quf sich zu ziehen, ob

es gleich vor kurzem einem Inden gelungen war,

durch ein ähnliches Manöver

einen

schlechten

Gaul theuren Preises zu verkaufen.

. WaS aber geschehen soll, geschieht dennoch,

wie wir gleich sehen werden. Ein starker handfester Husarenoffieier, mit

einem schrecklichen Bart und einer noch schreckli­ chern Baßstimme, logierte in demselben Wirthshause wo Herr Sprecher logierte. Das Gespräch

fiel bald auf die possierlichen Ambulationcn, wo­ von der Officier in der Stadt so

hatte.

viel gehört

Freylich rrröthete Herr Sprecher nicht

wenig, faßte sich aber bald, und erzählte dem Officier ehrlich und aufrichtig die ganze Lage der Dinge.

„Man muß, sagte er, die Menschen, neh­

men wie sie sind, seyn sollten.

und nicht wie sie eigentlich

Hielte der Patron ehrlichen Leuten

Der Pastor in Kartoffelfeld.

148

Stand,

und wär' er ein Mensch wie wir, so

hätte es

mich nach

solcher Sonderbarkeiten,

äuf die ich

dem Nath seines Sekretärs einließ,

Ich selbst bin

gar nicht bedurft.

in seinem

Hause gewesen, aber weder Herr noch Diener haben mir Rede und Antwort gegeben."

„Nun gut, sagte der Officier, ich will die Zungen lösen, rüttelte sich, schnallte seinen Säbel an und ging." Sporn und Säbel des Husaren klirrten auf der glänzenden Flur des Patrons, seine Stimme

donnerte:

„Hollah! Hollah!

ich schieße."

Macht auf oder

Zitternd öffnete die Dienerschaft

die Thür. „ Wo ist Euer Herr? ich will ihn sprechen." „ Heut lassen sie sich nicht sprechen," flüsterte

der Kammerdiener. „Zch will ihn sprechen."

„Zch

darf Sie

nicht melden,

der Herr

sind eigen." „Zch auch.

Deßwegen will ich ihn spre­

chen. " Tiit den Achseln juckend.

nicht."

„Zch kann, ich darf

Erster

Theil.

„ Maulaffe! So melde ich mich selbst.

145

Wo

Gleich gezeigt, oder es gilt

ist das Zimmer?

Seiten Kopf. " Mit jämmerlicher Miene und kaum halben

Winken

zeigte

der

angstvolle

Kammerdiener

Treppe und Thür, zog sich aber gleich wieder zurück. Lärmend und stampfend nahte sich schnell der

Officier der

Thür

dcü hochwürdig - gnädigen

Herrn, und klopfte an, als wollte er ein Loch hinein schlagen.

Schneller noch riß er sie auf,

und in Lebensgröße mit Schnurrbart und Säbel und schrecklichem Blickes stand er wie ein Schreck­

bild vor dem Angesicht des eigensinnigen und milzsüchtigen Mannes, der sich eben, ich weiß

nicht womit, wahrscheinlich mit Nichts, beschäf­ tigte.

„Was ist zu Befehl? Womit kann ich die­ nen?" stammelte dieser ihm ängstlich entgegen,

und ein Schauder durchlief ihm von der Fußsohle bis zum Gehirn alle Nerven und Adern.

„ Nur ein Za oder Nein auf ein paar Ihnen vorzulegende Fragen.

Seedorf? "

„Sind Sie Patron von

150

Der Pastor in Kartoffelfeld. „Ich weiß nicht, mein Sekretär aber wird

Auskunft geben können."

„Nun gesetzt Sie wären es, wollen Sie

wohl einem meiner Freunde, dem Kandidaten Meyer, die Adjunktur auf die dortige Psarr-

stelle ertheilen?"

„ Warum nicht! Wenn ich mit einer solchen Kleinigkeit aufwarten kann.

Mein Sekrctä«?soll

Nachsehen" — Gleich wurde dieser gerufen.

Nun sprach der Officier in einem gelinder» Tone, nahm ein artiges Betragen an, und wußte

Herrn von Selten nach und nach ganz gesprächig zu machen.

Dieser freue« sich, als er hörte,

daß der Rittmeister auch von uraltem Adel war,

und unter seinen Ahnen verschiedene Generale zählte, da er in seinem großen Stammbaum fast

nichts als majores und minores fand.

„ Sie sollten und könnten Domherr werden, Herr Rittmeister!" „Und Sie sollten und könnten iyienstii neh­

men, mein Herr von Selten! Wer mich zum Domherrn machen will, kanns thun, ich habe nichts dawider; aber meine brave Schwädron

muß man mir lassen.

Mit dieser streite ich für

Erster

Theil.

151

König und Vaterland; aber was hätte ich als Domherr zu thun?" „ Mancherley? "

Herr von Selten erzählte hier einige dcmherrliche Geschäfte, die er als Gustos Capituli

auf sich habe, ließ Wein und Obst serviren.

Beide wurden vergnügt, und noch vergnügter ward der Ofsicier, .als der Geheimschreiber mit der Nachricht kam, daß Herr von Selten die

Seedorfer Pfarrstelle wirklich zu besetzen habe. Nun ging er nicht eher von dannen, als bis er

die unterzeichnete und unterßegelte Vokation für den jungen Herrn Meyer in der Tasche hatte.

.

Beide schieden freundschaftlich von einander.

Die Erzählung des Officiers von seinen Feldzü­ gen halfen dem Herrn von Selten auf eine so

heitere Laune, dergleichen er seit Zähren bey sich nicht verspürt hatte, worüber sich vorzüglich

seine Dienerschaft herzlich freute, die so glücklich war) acht Svrechtage hinter einander zu genießen.

i;r

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Das hat Gott gethan,- sagte Herr Sprecher, und säumte nicht den alten Emeritus Meyer gleich wieder zu besuchen, und ihm den jungen Herrn Vetter in einer großen schneeweißen Perücke bestens zu präsentieren. Dieser stutzte nicht wenig, als der neue zu­ dringliche Herr Vetter schon wieder kam; aber größer noch war sein Erstaunen, als er ihm nach einigen, äußerst höflichen Umschweifen ganz ehr­ lich eröffnete, daß er für seinen Herrn Vetter die förmliche Vokation zur Seedorfer Pfarre be­ reits in der Tasche habe. „Erst, hub er langsam und ernsthaft an, erst wollte man mich neunzig, und wenn Gott will, wohl hundert Zahre alt machen, und nun soll ich vor der Zeit begraben werden. Zch liege ja noch nicht in Agone. Es fehlt mir ja Gott Lob nichts, als daß meine Augen etwas blöde werden." Herr Vetter Sprecher hielt einen langen Sermon, des Inhalts, daß alles bloß aus Liebe für den Emeritus geschehen sey, und die ganze Operation immer noch den heilsamen Zweck habe, den alten Herrn Vetter durch den Beystand und die Gesellschaft des jungen Herrn Vetters wieder

Erster

Theil.

zu starken und zu verjüngen.

153

„Billig, sagte er,

lieber Herr Vetter, haben wir Zhre Einwilli­

gung, da wir es so gut meinten, vorausgesetzt." „Nun Sie wollen mir denn zwey Wohltha­ ten zugleich aufdringen.

Einen Successor, den

ich weder kenne noch wünsche, und ein hundert­ jähriges Alter, das vielleicht das größte Uebel für mich seyn könnte.

Wie alt ist denn der neue

Herr Adjunkt, von dem es heißt, er sey mein Vetter?"

„Zwey und zwanzig —

nein, drey und

zwanzig — nein, vier und zwanzig Zahre —" erwiederte derselbe.

„So, so! sagte der Alte, sah ihn von unten bis oben an, fand aber nichts das ihm gefallen konnte als die weiße Perücke.

Es scheint noch

ein windiger Gast zu seyn, dacht' er bey sich

selbst. „Hat der Herr Vetter schon gepredigt, und wie oft?" „ Auf der Akademie fast alle vier Wochen."

„Und nach welcher Methode, nach der alten, mittlern oder- neuen? " „Nach der allerneuesten."

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i54

„Wie ist die beschaffen? ich kenne sie nicht."

„ Ich bekümmere mich um den gewöhnlichen Text ganz und gar nicht, sondern, wähle mir irgend ein feines moralisches Problem zum Ge­

genstände, oder auch einen Satz aus der Natur­ geschichte. "

„So, so! — So, so!"

'

Fast gingen dem Alten die Augen über, daß

seine bisher so treulich geweidete Herde mit fei­

nen moralischen Problemen gefüttert werden, und nicht Mit Gottes'kräftigem Wort, sondern mit

der Naturgeschichte unterhalten werden sollte. Er sann aüf Mittel sich den adjungierten Herrn wie­

der vom Halse zu schaffen, allein er fand keine, weil gegen eine unterschriebene und untersiegelte

Vvkation des Domherrn von Selten nichts auszurichlen war; und mußte sich in sein Schicksal

ergeben.

Dennoch war er begierig die allerneueste Methode der Predigtkunst noch vor seinem Ende kennen zu lernen, und gab dem jungen Herrn

E r st e r

Theil.

155

Vetter auf, ihm über den Spruch: „Der du „machest deine Engel zu Winden und deine Die„ner zu Feucrflammcn." Psalm 104. kommen­

den Sonntag eine Predigt zu halten. Mit größter Freude übernahm Herr Heinrich Meyer diesen Auftrag, und sey es uns erlaubt, ein Bruchstück aus seiner Kanzclrede neueste»

Geschmacks hier cinzurücken.

Meine zu

ändächtigen

belehrenden

künftig näher

und

heller auf­

zuklärenden Freunde!

. Zn jenen Zeiten, wo der menschliche Geist sich der Fessel der Sinnlichkeit noch nicht entledigen,

und das Zoch der Vornrtheile noch nicht abwer­ fen — soll ich sagen konnte, oder wollte? —

es mag' beides seyn; in jenen Zeiten herrschte

ein Afterglaube an Geister, Gespenster, Dämo­ nen und'Engel.

Ein Buch, das ihr alle kennen

werdet, das die Bibel heißt, svricht gerade in

dem Geschmack des damaligen sinnlich finstern

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i;6

Zeitalters, und redet bey jeder auffallenden jetzt

leicht zu erklärenden Naturbegebenheit von einer Ein - und Mitwirkung der Geister, Engel und

Dämonen.

Wie es denn auch in unserm Texte

heißt: „Der du machest deine Engel zu Winden, und deine Diener zu Feuerflammen."

Was sind

Winde? Luftstrime, aber keine Engel.

Was

sind Blitze oder Feuerflammcn? Elektrische Ent­ ladungen und keine Diener.

Ginnt mir also

das Glück, Zhr, die ich bald in die Geheim­ nisse ächter Christus - und Vernunftreligion näher

einzuweihen gewürdiget werden soll. Eure Be­

griffe zu berichtigen, und Euch unserm denkenden

Zeitalter gemäß mit wahrer Aufklärung zu bese­ ligen.

Allvater, gieb hierzu Segen und Ge­

deihen ! Der Gegenstand unserer Erbauung sey heute

der Wind und der Blitz.

Erst der Wind; dann der Blitz. Mags auch seyn, daß die größten Männer unserer Zeit in der Erklärungsweise jener Natur­

erscheinung , die wir Wind und im höher» Grad«

Sturm nennen, noch nicht ganz einig sind; mags auch seyn, daß ihn einige durch Zersetzung

Erster Theil.

157

und Entwicklung der Naturstoffe, andere hinge­

gen durch einen durch Aufhebung des Gleichge-.

Wichts entstandenen Luftstrom erklären: so bleibt es doch allemal gewiß, daß der Wind nach der weisesten Einrichtung des Allvaters uns nöthig

und nützlich ist.

Er ist uns nöthig als Arzt.

ja ich kenne ihn den

Zch kenne ihn,

größten der Aerzte; ich

kenne ihn, und er heißt Wind.

Wer ist es,

der das Leben stärkende Wesen der alles umge­

benden Luft in dem Zustande der Unverdorben­ heit und Reinigkeit erhält, wer ist es anders als der Wind?

Zhm haben wir es zu verdanken,

daß wir noch da sind, und, wie der nicht ganz

unaufgeklärte Paulus sagt, in ihm oder in der Luft, nämlich in der Lebenslust, leben, weben

und sind wir.

Er ist uns nöthig als Naturkraft.

Wer zer­

malmet denn das nährende Getreide, damit es Mehl und Vrot werde, und die Abgänge unsers

noch nicht ätherischen Körpers ersetze, wer zer­ malmet es auf künstlichen unserer Denk - und Erfindungskraft

zur

Ehre gereichenden Werk-

158

Der Pastor in Karioffelfeld.

zeugen anders als der Wind.,

und

das mit

ihm verschwisterte Element,des Wassers? . .. Er ist uns nützlich für alle Gewerbe des menschlichen Lebens.

Die Schätze fremder von

uns nie gesehener Weltthcile führt er zu uns, und er ist cs, der den weißen Menschen mit dem

schwarzen in Verbindung erhält.

Ungeheure

sonst nie zu bewegende Lasten, führt er über den Ocean hinweg... Ja, wohlthätiger Wind, nur der Weise

unserer Zeit kennet dich ganz, sieht und erblickt in dir, was der Aberglaube nicht sahe, Kraft und Weisheit des höchsten der Wesen n. s. w.

Staunen erregte diese Windpredigt bey der

ganzen christlichen Gemeinde, und man schloß,

rin Mann, der schon so viel vom Winde zu sagen verstehe, müsse alle Schätze der Gelehrsamkeit in sich vereinen. Pastor Meyer Senior, dermaßen gerührt, daß er in ziemlich laute Seufzer ausbrach, dachte

bey sich selbst: „ Ach welcher Wind der Lehre!

Wer von meiner lieben Gemeinde versteht das?

Erster

Theil.

fS9

Und wem dients zur Lehre, Strafe- Und Besse­

rung? Mein Gott, wie wird das werden! Zch habe die heiligen zehn Gebote, und den Glau­

ben an Christum den Leuten wohl einzupragen

gesucht, und der — Nun Gott sey uns armen Sündern gnädig r—."



So dachte Pastor Meyer Senior, war aber

diskret genug, sein Urtheil, über diese Windpre­

digt zurückzuhalten, und würde bcjn aufgedrun­

genen Adjunkt entweder gar nichts, oder ein klei­

nes unbedeutendes Kompliment über diese Pre­

digt gesagt haben, wenn letzterer eben so beschei­ den und nicht so unbesonnen gewesen wäre, über

Tische sein eigner Lobredner zu seyn, und nach­

her den Emeritus in eine Ecke zu drängen, und ihm die ganze sogenannte Predigt noch einmal

zu halten.

Hierdurch gereitzt rückte Herr Meyer

Senior mit seiner Recension heraus, welche dem

Redner so unerwartet und empfindlich war, daß er kein Wort

mehr von seinen Kanzelthaten

sprach. „Die erste und größte Pflicht eines öffent­

lichen Lehrers, sagte Herr Meyer Senior, bleibt

allemaf die,

daß er,

gleich dem erleuchteten

Der Pascor in Kartoffelfeld.

i6o

Apostel Paulus, Rücksicht auf seine Zuhörer nehme, und ihnen nichts vorsage, was sie nicht verstehen, oder was ihnen wohl gar anstößig ist.

Den Kindern giebt man Milch, und keine harte

Speisen.

Ein Arjt muß sich nach seinen Kran­

ken, ein Koch nach den Gästen richten. Glauben Sie, junger Herr, es ist eine große Kunst einer

Landgemeinde verständlich und zugleich erbaulich zu predigen; nicht jederzeit gelingt sie.

Der

Bauer kann nicht viel wissen, und braucht auch nicht viel zu wissen, und es ist genug daß man

thn aufmuntert, dasjenige was er weiß und lernt, auch wirklich auf sein Leben anzuwenden."

So etwa sprach der Emeritus Ateyer zum Adjunkt Meyer, der sich aber dadurch in seiner hohen Meinung von sich selbst nicht irre machen

ließ, zumal da sein Vetter und Gönner, der Doktor

Sprecher

meinte,

man müsse solche

Urtheile einem alten Manne zu Gute halten.

161

Drittes

B u ch.

Der junge Herr Meyer war also so glücklich,

zufälliger Weise, oder vielmehr durch die Talente seines Herrn Detters, durch die Hypochondrie des

Domherrn von Selten, und durch die Entschlos­

senheit deS Officiers frühzeitig in ein Amt versetzt

zu werden, das nach dem Urtheil sachkundiger Männer eines der wichtigsten im Staate seyn

soll; dessen Wichtigkeit er aber eben so wenig kannte, als er sich durch Uebungen im L'ehrstande

dazu vorbereitet hatte.

N^chr so glücklich war der im Lehren und Erziehen schon längst erfahrne Kandidat Ernst.

Sein einziger Gönner, der brave General, war

todt.

Amtmann Herrmann, sein Principal und

Der Pastor in Kartoffelfeld.

162

künftiger Schwiegervater, war zwar ehrlich und bieder, aber gar nicht Nekommandieren taugte.

der Mann,

der zum

Ueberdieß hatte er

nur wenig Bekanntschaft, weil er sehr einfach und eingezogen lebte. Endlich nachdem sich Ernst aus seinen Träu­

men ein wenig herausgerissen hatte, beantwor­

tete

er den Brief des Emeritus Meyer.

Er

schrieb, daß er diesen Ruf zu einem Pfarramte

seinem Gefühl nach

für rein

und rechtmäßig

halte, und daher mit Vergnügerr erst sein Ge­ hülfe,

Gesellschafter und Pfleger, hernach sein

Nachfolger werden

wolle; nur möchte er die

Güte haben, zuvor die Vokalion bey dem Dom­ herrn von Selten selbst nachzusuchen, weil er

diesem Herrn ganz und gar nicht bekannt sey, und daher keine Hoffnung habe, sogleich begün-

.stiget zu, werden.

Mancher Kandidat würde gleich gesattelt, und seine Person auf gut Glück dem Domherrn

präsentiert haben; allein dieß war der Denkungs­

art unseres Ernst so sehr zuwider, daß er sich, ungeachtet es ihm sehr gerathen wurde, nicht dazu entschließen konnte.

Ueberdieß hielt er seine

Erster

163

Theil.

eigene Bemühung hierin für überflüssig, weil sie nicht verlangt wurde.

Indessen sahe er doch, so wie seine Louise

und das ganze Herrmannsche Haus, einem zwey­ ten Briefe vom Pastor Meyer mit heißer Sehn­

sucht entgegen.

Ein Posttag nach dem andern

verstrich, und man hoffte vergebens.

Endlich,

erhielt Ernst

folgenden

einigen Wochen

nach

Brief:

a cu Achtbarer Herr Kandidat!

Liebster Freund! Der Mensch denkt, Gott lenkt.

Wie der

Lateiner sagt: homo proponit, Deus disponit. Es scheint, ich soll noch vieles leiden, ehe ich zu den Meinigen in der Ewigkeit versammelt

werde.

Es ist mir schon ein Adjunktus gesetzt wor­

den, von dem der Doktor Sprecher heilig ver­

sichert, ob ich gleich nichts davon weiß, er sey mein Vetter.

Wie dieß zugegangen, weiß ich

nicht so genau, daß ich es ausführlich erzählen

164

Der Pastorin Kartoffelfeld,

könnte;

genug

daß

imberbis

ein

juvenis,

Namens Heinrich Meyer, die förmliche Vokation,

vom Patron untersiegelt und unterschrieben, auf meine Pfarre hat,

den ich nun zum Adjunkt

nehmen muß, weil meine Auge» täglich schwä­ cher 'werden.

Er hat auch schon einmal auf unserer Kanzel

gepredigt; wie aber? das weiß Golt.

lich einmal mehr darüber.

Münd­

Er traktierte die

Gemeinde Christi mit einzelnen Brocken aus der

Physik, gab aber vor, er predige nach der aller­ neuesten Methode.

Bald wird er «»ziehen, und, wie die Leute

sprechen, sich mit der ältesten Tochter des Doktor Sprecher verheirathen.

0 weh mir, dreymal

wehe mir, wenn dieses Konjugium gleich mit

Kindern gesegnet wird.

Dann werd' ich wohl

in einen Winkel des Hauses hingedrängt wer­

den.

Nun der bis hierher geholfen hat wird

ferner helfen. Sein Wille geschehe. Zch bedaure

nur meine liebe christliche Gemeinde, daß ich sie selbst nicht mit einem geistreichen exemplarischen

Mann versorgen konnte.

Der Herr sey mit

Ihnen, und zeige bald andere Wege zu Ihrem

Erster

so verdienten Glück.

165

Theil.

So lange ich etwa noch

lebe bin ich Ihr

S e e d 0 r f. ergebenster Freund und Fürbitter 2(. Meyer.

Viel

Bestürzung erregte dieser Brief im

Herrmannschen Hause, und für die. Liebender»

war er ei» Donnerschlag.

Schüchtern ging

Ernst seiner Louise mehrentheils aus dem Wege,

und wo

seine Gegenwart unvermeidlich war,

konnte er ihr nicht ins Auge sehen. wars mit Louisen.

Eben so

Sie dachte lieber an den

geliebten Gegenstand, als daß sie ihn vor Zlugen

hatte.

Nur der Wechsel halber und verstohlner

Blicke verrieth es, daß beide Herzen noch für

einander schlugen, und das tückische Schicksal in

in der Hauptsache noch nichts geändert habe. Vater Herrmann und seine Frau, mißmüthig und voller Verdruß, schlugen sich mit

Gedanken Tag und Nacht,.und disputierten ohne

Der Pastor in Kartoffelfeld.

166

Unterlast, bald in bald außer dem Heiligthum der Ehe, wie man sich in dieser seltsamen Lage am klügsten zu verhalten habe. Bald sollte Ernsten gerathen werden ein

anderes Haus bis zur Beförderung zum Aufent­ halt zu wählen; bald trug man Bedenken, einen so guten und immer noch nöthigen Mann zu

verstosten, und ihm nach allem bewiesenen Fleiße

die Thür zu weisen.

„Das kann ich nicht, sagte

der alte Herrmann, lieber will ich alles anwen­

den ihn anzubringen, und sollte ich auch einige hundert Thaler in die Hand nehmen, und ihm

eine Stelle erkaufen.

Nur wissen muß er eS

nicht, sonst ists wieder nichts." „Recht, mein Kind, versetzte Frau Herr­ mann, sieh ein Kapital nicht an, und kauf ihm

eine Pfarre, und das je eher je lieber.

Die

Sache ist mir bedenklich; junge Leute sind junge

Leute.

Welch ein Unglück für uns, wenn Louis-

chen ... ich will weiter nichts sagen."

„3ch versteh dich, und will alle Leute fra­ gen, ob und wo ich ihn anbringen kann. - Mit

Geld ist viel auszurichten; wissen muß ers nicht."

nur, wie gesagt

Erster

Theil.

167

Vater Herrmann fragte auch einen jeden sei­ ner wenigen Bekannten und Freunde, ob nicht

irgendwo eine Stelle erledigt sey,

allein die

Antworten fielen nicht nach Wunsch aus. Es fügte sich, daß die schon erwähnte Frau

Tante in dieser Zeit, nachdem sie die Fremden der

größeren Welt eine Zeitlang genossen hatte, wie­ der zum Besuch erschien. Haarklein wußte diese schon den Vorgang mit

dem alten Pastor Meyer und seinem Adjunkt, dem jungen Meyer, zu erzählen, weil sie die

Gabe hatte, jede große und kleine Begebenheit des Tages, rein bis auf den Grund, und recht sokratisch auszuforschen. „Da haben wirs!

da haben wirs!

Frau

«Schwester, sagte sie/das hätt' ich vorhersagen

wollen. geworden.

Wie schön ist Herr Ernst Adjunktus

Zch kenne Herrn von Selten! So

leicht gehts bey ihm nicht — besonders wenn sich die Leute keine Mühe geben wollen, und

prätendieren, daß ihnen die gebratenen Tauben ins Mäulchen fliegen sollen. Sie verstehen mich—

'Zsts denn andem, daß Louischen schon verhan­ delt ist, ich hab' ein Vögelchen singen hören —"

i6g

Der P'astör in Kartoffelfeld.

»Za, ste ist versprochen," erwiederte Herr

Herrmann. „Da haben wirs, und was nun?"

„Wort halten und weiter nichts." „Sie lieben sich zärtlich," versetzte Frau

Herrmann.

„Können sie aber auch von der Liebe leben?

Ich nähme mein Wort zurück, rieche Herrn Ernst sich zu empfehlen, und gäbe meine Tochter einem Manne, der Brot schon hat, und nicht auf Drot

zu hoffen genöthiget ist." „Zch hab's dem seligen General, meinem

Wohlthäter versprochen, und ich würd' ihn ily

Grabe beleidigen, wenn ich nicht Wort hielte." „Ey was! der alte General ist todt und begraben.

Folgen Sie meinem Rath."

„ Das werd' ich nicht.

Ein ehrlicher Manü'

hält Wort, auch den Todten/ besonders wenn sie seine Freunde und Wohlthäter waren."

Kurz Frau Tante vermochte nichts über den

festen, braven, deutschen Mann, und noch gerin­ ger wardlihr Einfluß, als ein Gerücht lief, der General habe in seinem schon vorher gemachten

Erster

Testamente

Theil.

169

auch den Kandidaten Ernst nicht

vergessen.

Ganz niedergeschlagen über die nnvermuthete

Vereitlung seiner Hoffnung dachte Ernst auf eine

anhaltende Beschäftigung, die seinen Geist zer­ streuen, wenigstens von den immerwährenden

Gedanken an Liebe und Beförderung etwas abziehcn könnte.

Er gerieth auf einen Einfall,

auf den in heutigen Zeiten schon Schüler unangehende Studenten, auch, wie man sagt, die

Kaufdiener zu gerathen pflegen, nämlich sich an

das große unüberschaubare Heer der Schriftsteller oder Düchermacher anzuschließen, um zugleich

seine ziemlich unbekannte Person aus eine ehr­ same Art, nicht einem einzelnen Patron, son­

dern dem ganzen Publikum in allen zehn Kreisen Deutschlands zu empfehlen.

schreiben, wußte aber nicht was.

Er wollte also Bald sollte es

ein Roman, bald ein Geschichte, bald ein Buch

für ganz kleine, bald für große Kinder, bald für den gemeinen, bald für den gelehrten Mann

seyn.

Endlich that er was viele thun, die gern

i7o

Der Pastor in Kartoffelfeld.

schreiben wollen, und nicht- zu schreiben wissen, er sammelte seine gehaltenen Predigten, sah sie nochmals durch, und übersandte sie auf gut Glück an einen ihm nur dem Namen nach bekannten Buchhändler, schrieb auch eine Vorrede dazu, worin er aber die gemtine und bekannte Lüge, daß er um Herausgabe dieser Kanzelreden gebeten worden sey, allzubescheiden ausließ. Diese gelehrte Arbeit heilte gewissermaßen die zerrissene Seele, und gab ihr Gleichgewicht und Ruhe wieder. Denn Autorschaft hat man­ cherley Nutzen; sie vertreibt die Langeweile, macht bekannt, auch wohl berühmt, füllt den Geist mit Kenntnissen, und, wenns Glück gut ist, den Deutel mit Dukaten. Das Beste an ihr ist, daß sie zu den freyen Künsten gehört, und daß der angehende Autor nicht verpflichtet ist, erst eine Probe oder Meisterstück zu machen, sondern auch ein Pfuscherstück ausstellen darf. Giebts indessen bey der Autorschaft, weil kein Glück vollkommen ist, eine Plage, so sind es muthwillige und gallsüchtige Urtheile versteckter Recen­ senten, welche ihrem Vorgeben nach den Parnaß vor Kontrebaude zu bewahren suchen, die aber

Erster

Theil.

171

ein Autor, der sich selbst zu gefallen versteht, ungelesen läßt.

Der alte Herrmann war kein Freund von Gerichtshändeln und Processen, sondern ließ, wo es nur irgend anging, immer fünfe gerade seyn, um sich vor Aerger zu bewahren, und die ihm so theure Gemüthsruhe zu erhalten. Ein Proceß, den er nach seiner Ehrlichkeit schlech­ terdings gewinnen zu müssen behauptete, ihn Jahre lang führte, und dennoch nicht gewann, hatte ihn in dieser Gesinnung bestätiget. Indes­ sen hielt er sich doch einen Haus - und Familien­ advokaten, um im Fall der Noth zu erfahren, was Rechtens sey, auch die sichere Ausleihung seiner Kapitalien zu besorgen. Dieß war der nicht ganz alte aber auch nicht ganz junge Hof­ fiskal Zsebart, welcher ihn gewöhnlich im Zahre einmal zu besuchen und sich zu erkundigen pflegte, ob für seine Praxis nichts vorgefallen sey. Dieser Mann nährte sich gewissermaßen wie die Quacksalber oder die herumstreichenden Musikanten. Seinem Titel nach sollte man das

r/r

Der Pastor in Kartoffelfeld.

nicht vermuthen, allein es war so.

Auf einem

dürren magern Schimmel ritt er von Dorf ju Dorf, und diente für eine Kleinigkeit, bestand

sie auch nur in Viktualien, allen und jeden, bald mit Memorialen, bald mit Protokollen, Testa­

menten und andern juristischen Geschäften.

Da­

bey verstand er auch die Kunst durch lustige Schwänke und allerley Mährchen sich angenehm

und beliebt zu machen.

Freylich stach diese

Lebensweise sehr gegen seine vorige ab, da er

in einer bedeutenden Stadt ein großes Haus machte; allein da er hingegriffen, wo er nicht

hingrcifen sollte, und einen Handel mit falschen Wechseln getrieben hatte, so war er billig seines

Amtes entsetzt, und mußte sich eben so billig in sein jetzige- Schicksal finden. Dieser Hoffiskal Zsebart überbrachte auch

die vorläufige Nachricht:

er wisse von guter

Hand, daß der General von Schönfeld kurz vor

seinem Tode ein Testament gemacht, und darin auch des Kandidaten Ernst gedacht sey.

Es solle

aber erst zu einer bestimmten Zeit geöffnet werden. Dieser Umstand erneuerte nicht nur das An­

denken an den verstorbenen so würdigen Guts-

Erster

Theil.

173

Herrn, sondern erweckte auch im ganzen Hause eine außerordentliche Neubegierde, und den sehn­ lichsten Wunsch, daß der Kandidat so bald als

möglich versorgt werden möge.

„Meines Wissens, sagte Fran Herrmann, hat der alte Herr eben keine Kapitalien gesam­

melt, auch nicht sammeln können; denn er war

zu wohlthätig, und hatte bloß seine Pension und

die wenigen Pachtgelder zu verzehren, die wir jetzt an die Gerichte ablicfcrn müssen; er hat ihm doch wohl nicht das Gut selbst vermacht? "

„Das wird er wohl gelassen haben!" ver­ hetzte Frau Tante.

„ Man kann nicht wissen, versetzte Herr

Herrmann, er war immer dem Ernst so gut, als obs sein Kind wäre, hat ihn mir auch ins Haus gebracht; und wenn er so in den vorigen

Zeiten angefahren kam, war immer seine erste Frage: „ Was macht Euer Ernst? halt er sich auch gut?"

Man kann nicht wissen.

Unver­

hofft kommt oft. " „ Nun so machen Sie nur, daß der Mensch

irgendwo unterkommt," sagte Frau Tante.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i74

Der Ex - Hoffiskal J sebart wurde also

gebeten, seinen Schimmel nicht zu schonen, und

irgendwo, es sey wo es sey eine Pfarrstelle für Ernst ausfündig zu machen.

„Reiten Sie, sagte

Herr Herrmann, die ganze Provinz dnrch, ich bezahle alle Kosten, und wenns wahr ist, daß man heutiges Tages Pfarren kaufen kann, so

will ich ihm eine kaufen; nur muß ers nicht

wissen, denn er ist in diesem Punkte sehr eigen­ sinnig , er will schlechterdings gerufen seyn." „Possen, sagte Hvffiskal Zsebart, Pos­

sen mit

dem

mehr Mode.

Rufen,

das

ist

längst

nicht

Es heißt zwar in der Bibel,

daß unser Herr Gott auch die Raben füttert,

aber die Naben müssen sich hübsch ihr Futte.r suchen,

stehlen eS auch wohl--------- Unser

Herr Gott hat die Aemter geschaffen, und wer eins haben will, mnß sich eins suchen.

Pfarren

sind weiter nichts als Pfründen, und Pfründen kann man mit gutem Gewissen kaufen.

Wenn

Sie kein Geld sparen, und meine Wenigkeit da­

bey auch nicht vergessen wollen, so seh' ich mich auf meinen Schimmel, und dann solls nicht lange währen, so heißt Zhr Ernst Herr Pastor."

Erster Theil.

*75

Der Hoffiskal Zsebart setzte also seinen dür­

ren Schimmel in Bewegung, ritt von Stadt zn Stadt, von Dorf zu Dorf, ob er nicht irgend

eine Todtenglocke läuten, oder von einem todt­ kranken Priester sprechen

höre;

aber

Wochen und Monate ganz umsonst.

erfuhr er, daß

einige

Endlich

der achtzigiährige Prediger zu

Wurmsdorf Todes verblichen, und ein gewisser

stockblinder Kanonikus der Patron oder Schuhgott dieser Parochie sey, welcher nach Stand

und Würden der Gemeinde drey Subjekte zn präsentieren habe. Gleich bekam der Schimmel, den man in der Provinz insgemein den Kommissions-Schim­

mel nannte,

eine

Metze Hafer

mehr,

und

raschern Schrittes trug er willig seinen Herrn

und Besitzer hin vor die Thür

des

blinden

Patrons. *)

*)

Mo dieser wohnet Auch mit dieser Frage

verschone der geneigte Herr Leser und jeder Herr Kandidat den Verfaffer, weil er, wie schon erin­

nert, sich auf geographische Umstände weder einlasien kqnn noch will.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

176

Seltsam war hier Willkommen und Auf-,

nähme.

Zn einem schmutzigen, geflickten, von

großer Sparsamkeit zeugenden Schlafrock, und

mit eigensinniger Selbstgenügsamkeit, saß der Kanonikus in seinem Lehnstnhl, schlürfte Kaffee,

und rauchte Tabak.

Gleichgültig ohne sich zu

rühren, hörte er den langen Antrag des Fiskals

an, obgleich manche Stelle vom vollen und reellcsten Danke darin vorkam. Endlich hub er in einem feinen, eigensin­

nigen, gissenden Tone an:

„ Das ist ein Gelaufe und Gerenne — Tag und Nacht läßt man mir alten Mann keine

Nuh.

Man weiß, daß ich nicht lesen kann, und

doch kujoniert man mich mit Briefen. Dort auf

dem Tisch liegen einige hundert, ich werde sie

aber so wenig öffnen als. lesen.

Was in einem

sieht, steht in allen." Der Hoffiskal, eben so ehrlich als entschlossen, rückte gerade heraus mit der Sprache des Her­

zens.

Ohne seinen Vortrag weiter mit Kompli­

menten zu schmücken^ hub er an:

„ Wollen Sie hundert Pistolen? " „Die Präsentation ist schon vergeben." „Hun-

Erster

177

Theil.

„Hundert und zwanzig?" „Sie ist vergeben."

„Hundert und fünfzig?" „Kann nicht dienen?"

„Zwey hundert?" Patron M> 6te Stirn« ttf»en6. „Zch bedaure.

Kann nicht dienen."

Da er nun weiter keine Sylbe sprach, dem Zuristen auch nicht einmal einen Stuhl bot, so blieb diesem nichts übrig, als den Patron in

seinem Stuhle sitzen zu lassen, und sich unver­

richteter Sache wieder zu empfehlen. Weil der Hoffiskal aber nicht gern ganz umsonst umhergeritten seyn, und sein eigenes

Honorar,- sintemal er Frau und Kinder hatte, nicht gern im Stich lassen wollte, so gab er

dennoch nicht alle Hoffnung auf.

Nach langer

Erkundigung,, was es., mit der Wurmsdorfer

Pfgrre für eine Bewandtnisi habe, brachte er heraus, daß die Präsentationen, schon vor zehn Zahreft, als Pastor Lüder noch frisch und

gesund gewesen, an drey Kandidaten, 3E, Q), 3,

bestens verhandelt worden waren, und daß jeder

hundert Pistolen Versicherung hatte geben müssen.

178

Der Pastow in Kartoffelfeld.

Gleich wandte er sich und zwar glücklicher

Weise an den Herrn 'S., und bot ihm ein ansehn­ liches Plus, wenn er seinen Platz seinem Freunde,

dem Kandidaten Eknst überlassen wollte.

Mit

Freuden nahm Herr S den Vorschlag an, und brachte es gegen ein Honorar von zwanzig Pisto­

len dahin, daß Herr Ernst an seine Stelle trat.

Mancher wird sich über die Bereitwilligkeit des Herrn T, der für eine Kleinigkeit, von hun­

dert Thalern eine schon zehn Zahre gehegte Hoff­ nung auf einmal aufopferte, wundern, weil sonst

die Kandidaten in dergleichen Handel so wohl­ feil nicht-zu seyn pflege»; allein man beliebe weiter zu lesen.

,

, .

Sobald der. alte Lüder den von. den drey

.Kompetenten sehnlichst''gewünschtem Tod. endlich gestorben und . feierlich beläutet war, fand sich

Herr T inkognito in Wurmsdorf ein , mn die Beschaffenh.eit der'Pfarre, der Gemeinde, des

Dorfes, und beyläufig auch des doktsgen Zagd..revicrs vorläufig kennen zu lernen. ■

.Gekleidet

wse ein Zäger, mit Zagdtasche und Fllnte, ging

.er im Dürfe ungekannt herum, und etkündigte .sichnach allem, was'er wissen wollte

Zwey volle

E rster

T h ri l.

179

Tatze blieb er da, und verweilte titn den Charak­

ter der Dauern vorläufig kennen zu lernen im Wirthshauses

Hier gerieth er, ich weiß nicht

wie, man sagt bey dem Spiel, mit einem gro­

ben, cholerischen, stolzen, reichen, und überdieß betrunkenem Bauer in einen sehr heftigen Wort­

wechsel, der einen für ihn eben nicht ehrenvollen Ausgang nahm.

Der Dauer, der mit Worten

nicht mehr disputieren konnte, entschied auf ein­ mal die. Sache mit der Faust. Da nun nach einem uralten noch durch keine

Philosophie umgestoßenen Grundsätze gesche­ hene Dinge nicht zu ändern sind, und

ei» empfangener Streich ein empfangener bleibt;

so eilte Herr X zum Dorfe hinaus, und in der nicht üngrgründeten Meinung, er dürfte einst im schwarzen Rocke wenig oder -gar keine Achtung

finden, da es ihm im grünen so übel ergangen

war, faßte' $r den weisen Entschluß seine Hoff­ nung «inem.andern zu überlassen, und wo mög­

lich zu verkaufen.

Hoffiskal Zsebart war ihm

daher mit seinem Vorschlag sehr willkommen.

Dieß war nun

freylich

«in. Schritt zu

Ernsts Glück; aber auch nur einer und nicht

Der Pqstor in Kartoffelfeld.

180 mrhr.

Es war noch nöthig sich vorläufig der

Wahlstimmen, wenigstens der mehrsten der acht­

zig Gemeindeglieder zu versichern, um dem Werke die Krone aufzusetzen.

Man muß das Eisen/

schmieden, wenns noch heiß ist, dachte der Hof­

fiskal, und der Kommissions-Schimmel mußte ihn

unverzüglich nach Wurms.dorf tragen, wo er überdieß mit diesem seinen Rosinanten schon bekannt war, und' in Rechtshändeln, besonders in Abfin­ dung entehrter Mädchen, manchem reichen Bauer oder dessen Söhnen treulich gedient hatte.

Als ein alter Bekannter, und was mehr sagen will, als der ehemalige.Gerichtshalter des Orts, erlaubte er es. sich die christliche Gemeinde

bey dem Schulzen, seinem einstweiligen. Gevatter zu versammeln, und ihr den Kandidaten Ernst

auf das dringendste und angelegentlichste anzu-

«mpfehlen. „Kinder, sagt' er, ich bin Hit ehrlicher Mann.

Zn weltlichen. Dingen hab' ich manchen

unter Euch, so oft gerathen^ nicht wahr? /Folgt

auch nun meinem Rath in einer Sache, die Cure

Seele betrifft. Wählt keinen andenr. Priester als

den ich. Euch vorschlage; das ist der Kandidat

Erster Theil.

igi

Ernst, dein ich gestern die Präsentation ausgegetvirkt habe. 0 das ist ein herrlicher Mann, ein zweyter Doktor Luther, ja ein zweyter Apostel Paulus. Der hat noch den alten reinen Glau-, ben bewahrt, und, was das beste' ist, er kann seine Predigt, ja die ganze Bibel auswendig, und liest kein Wort. Die andern beiden Herren will ich freylich nicht verachten; denn ich kenne sie nicht; aber der Mann, den ich Euch empfehle, übertrifft sie gewiß." Nicht viel wirkte dieser Vortrag. Nur wenige bezeugten sich nicht abgeneigt, viele sagten gar nichts, einige schrieen, „wir lassen uns nichts vorschreiben," und die meisten hatten sich gar nicht eingefunden. Den Vernünftigen schien es auffallend, daß der Hoffiskal, der in den Zeiten des Glücks so laut und frech über die Priester gespottet hatte, jetzt auf dem' Kommissions­ Schimmel angeritten kam, um ihnen einen guten Seelsorger nachzuweisen. Nicht gewohnt sich gleich abschrecken zu las­ sen verweilte der Fiskal bey dem Gevatter Schul­ zen einige Tage, ließ sich und seinen Schimmel bestens füttern, besuchte jeden Hauswirth, sprach

Der Pastor in Kartoffelfeld.

i8i

mit ihm unter vier, oder, wenn die Frau dabey

war, unter sechs Augen, und als er zum Dorfe

wieder heraus ritt, war die.Sache gemacht,, und der Preis verdient.

fiskal Zsebart.,

So dachte wenigsteys Hof­ Pergnügt map er, und über

den genossenen reichlichen Hafer eben so vergnügt sein Schimmel.

Gleich li.eß.er an HerrnHerrmann zwey Briefe ergehen.

Der t.iite enthielt alle Geheimnisse,

unh stellte Yen-Kostenbetrag dar, ^>en man in

solcher Lage nicht scheue.» müsse.

Am.Schlüsse

stand die Bitte um. ein fettes Schwein, UM einen Puterhahn, um. einige Schock Eyer u. s. w.

aber alles für Geld und gute Worte. Der andere war ächt moralisch-theologischen

Inhalts.

„Er habe es, hiess es darin, für

Gewissenspflicht gehalten, einen so., rechtschaffe­ nen Mann, wie Kandidat Ernst sey, seinen

alten Freunden und Bekannten zur Wurmsdorfer Pfarre rn empfehlen, und der Gnade und dem Segen deF grundgütigen Gottes sey es zu ver-

Erste r -T hei f.

danken,

daß alles so ' hcrrttch

gelungen ;

183 es

bedürfe weiter,'nichtS. als eurer' guten Probe­ predigt. "

Ernst wußte nicht,-ob er seinen Augen trauest sollte, als'ihm Herr He'rrwann -diesen zweyte«

Brief zü lesen gab. „Ein Mann, der so oft als ein Netigions-

spötter gesprochen, und mit dem ich manchmal vergebens über die wi«otigsten Religionswahrheiten disputiert habe, sagte er, spricht ja auf ein­ mal eine ganz andere Sprache, und wirft sich

auf einer Gemeinde einen Prediger zu empfeh­ len; wie geht das zu?" „Wie wolltS .zugehen, erwiederte die gegen­

wärtige Frau Tante, der Mann hat sich, bekehrt.

Das sieht man wohl.

Kreuz, und Leiden machen

den Menschen mürbe.

DaS, dächt' ich, müßten

Sie als Theologe besser verstehen." „Es ist ein dienstfertiger Mann/'versetzte der alte Herrmann; er hats mit unserm Hause

immer gut gemeint.

trauen.

Zch glaube man kann ihm

Wir wollen ihm zur Dankbarkeit.auch

einige Viktualien schicken."

184

Der Pastor in Kartoffelfeld. Der Kandidat Ernst,

hierdurch beruhigt,

glaubte bald die deutlichsten Spuren göttlicher Vorsehung zu erblicken, und war diesen Abend so vergnügt als jemals. Mit weit offenem Augen

blickte, er nun Louisen an.,

Ganz war sie wieder

sein, und je höher die Hoffnung zu einem Amte

stieg, desto näher war er einer Glückseligkeit, die

er sich nicht größer denken konnte.

Beide drück­

ten sich zärtlichst die Hand, und ein Kuß ohne

Worte, halb gegeben, halb genommen, sagte:

„Du bist mein, und ich bin dein."

Nach etwa acht Tagen erschien die förmliche

Präsentation zur Würmsdorfer Pfarre für Herrn

Ernst, und bald nachher übersandte der Superin­ tendent den Text zur Probepredigt. Der Hoffiskal sich bedankend für das Schwein,

den Puterhahn und dir Eyer, schrieb noch ein­

mal, und versicherte bey aller seiner Ehrlichkeit,

daß die Wahl des Kandidaten ganz unumstößlich gewiß sey, und er Tausend gegen Eins ver­ wetten wolle, daß derselbe nach einigen Wochen

Prediger von Wurmsdorf seyn werde.

Theil.

ig)

Nun was wollen wir mehr?

sagte Herr

Erster

Herrmann.

Es ist auch «ach gerade Zeit.

Nur

getrost, und eine recht erbauliche und auch gelehrte Probepredlgt gemacht, und^ sie in vollem Eifer

gehalten,

so

werden

wir

bald

gratulieren

kinnen. Der Kandidat ermangelte nicht die PrüfungS-

Predigt mit grißtem Fleiße )U elabobicren. Lange gefiel sie ihm nicht, und erst die dritte oder vierte

Abschrift wurde Von ihm einigermaßen gebilligetr Mit gleichem Fleiß wurde die schöne Predigt über den Text: „ Prüfet ülles, und bas beste

behaltet," von Wort zu Wort memoriert.

Bald

vor dem belehrenden Spiegel bey verschlossener

Thür, bald im freyen Felde, bald in einsamen

Gegenden des Waldes Stimme deklamiert.

wurde

sie Mit lauter

„ Kurz er ließ es, da er

Zeit genug hatte, an keiner Vorbereitung fehlen. Kam er im Deklamieren auf starke Stellen und schöne Perioden, und gelang ihm- die Deklama­

tion, so fühlte er sich ganz überzeugt, daß nur er und kein anderer den Sieg davon tragen werde, und sahe dem kritischen Tage mit großer Zuversicht entgegen.

»86

Der Pastor in.Kartoffelfeld.

Die flute Louise besorgte unterdessen den Anzug .und' die.Wäsche,

Der Schneider, brachte

ein feines, neues, schwarzes Kleid,

Neue

Schuhe, neue seidene Strümpfe, neue Schnal­

len lagen in Bereitschaft.

Kurz es. fehlte nichts

zur Sache, und mit einiger Ungeduld erwartete man den nächsten Sonntage

V.ater-Herrmann

war gesonnen anspannen zu lasse», unk sammt seiner Familie mitzureisen, allein dieß war nicht ngch hes Kandidaten Grundsätzen und Geschmack,

ßr verbat höflichst die Begleitung, und bat sie sich bey der Anzugspredigt aus.

Schon rückte der entscheidende.Tag näher. Ernst stand deklamierend vor seinem. Spiegel, als

ziemlich unsanft an die verschlossene Thür gepocht

wurde.

Er erschrak nicht wenig, .weil er eben

mit dem Vortrage einer Lieblingsstesie beschäfti­

get war, von der er sich die größte Wirkung

versprach. Kaum hatte er bestürzt die Thüre geöffnet,

als zwey kurze, dicke, krausköpfige Männer, mit,

Erster

187

Theil.

wie es schien, sehr aufgebrachter Mciie - schort vor ihm standen.

Es waren die Kostate»-» Dal^

thasar Stemps nnd Pasche PemP.s^.auS

Wurmsdörf;. Männer, die im Charakter sich so ähnlich waren als ihre Namen.

Mit Alühender Wange, funkelndem Auge und

trotziger Stimme, hub Stemps an:

„Wir wollen denn' doch anfragen,

Hetr

Kandidat, was das für eine Dewandtniß hak,

und wie das jugeht?"

„Welche Dewandtniß, lieber Mann.?" „Wir.sind beide aus Wurmsdörf."

„Nun gut, ich kenne aber keine Dewandtniß."

„Hoho! schrie Pasche Pemps, stell' Er-sich man nicht so weit hinwir lassen uns nicht dumm machen.

Sollen wir denn gar nichts

haben? wir gehören auch jur Gemeinde." „Was wollt ZHr denn h)ben, liehen Leute ? "

Stemps höhnisch lächelnd. „Geld.wollen wir

habeü." „Geld? Zch bin niemand etwas schuldig."

„Za, Geld und ein paar Morgen.Acker in Pacht oben drein, sonst wird aus der Sache

nichts, gar nichts.

Wir wählen einen, andern.

i,9o

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Gedanken gefaßt, mich dem Lchrstande zu wid­ men !

Noch immer bin ich hintergangen und

getäuscht.

Zch will gern der Welt dienen, und

rin hartes Schicksal, oder Betrug und Arglist, verbieten es mir.

Zeder andere Stand konnte

mich glücklicher machen..

Ward ich

Hand­

werker, so kams auf Ordnung, Treue und Fleiß

wu- und ich nährte mich mit Ehren.

Widmete

ich mich 'der Nechtsgelahrtheit — o Meine als­ dann erworbene Geschicklichkeit würde gewiß ge­

sucht seyn, wenn ich sie-mit Wahrheit und^Rechtschaffenhcit verband.

Als Arzt würde ich nicht

„umsonst studiert haben.,,Nahm, ich Kriegsdienste;

Tapserkeit würde mich von einer Staffel zur andern empor gehoben haben.

Aber jetzt —

wer sucht mich? wer denkt an mich ? Dey den

reinsten Grundsätzen, kein. Amt zu erschleichen, Ley den lautersten,Triebe brauchbar und wirkend

zu seyn, bin ich ein Spiel des Schicksals, hasche

wie Tantalus nach einem Apfel, den ich vielleicht

nie erhasche. .Soll ich rin Lehramt kaufen,? Welche^ Niederträchtigkeit,!

Nein,, so:theuer

erkaufte Seelen mag ich nicht."

Erster

T heil.

191

So dachte er, oder sprach vielmehr in und

zu sich selbst, machte auch allerley Entwürfe sich einem andern Stande zu widmen, fand aber,

da er schon dreyßig und einige Zahre zahlte) alle ziemlich unausführbar, ob er sich gleich eines Kandidaten

erinnerte,

der

nach

zehnmaligen

Pfarr-Mißgeschick ein Schneider geworden war, und sich jetzt ehrlich und reichlich nährte.

Seiner Gewohnheit nach griff er zum Stabe, und wandelte unter Gottes blauen Himmel, iw sich selbst gerehrt, tief ins weite offne Feld hinein,

um endlich bey sich auszumachen, was in der

mißlichen und nun hoffnungslosen Lage für ihn

zu thun fei;., „Ich muß doch noch fort — auf gut Glück

in die Welt gehen — Branchen Schiffer führt

der Sturmwind am Ende in einen guten Hafen, nachdem er sich ins weite Äeer wagte.

Ein

anderer Standpunkt eröffnet gemeiniglich eine neue Aussicht.

Mancher Baum wächst gleich

besser, wenn er in einen andern Boden ver-

vfianzt wird.

Vielleicht gedeih auch ich und

'meine Theologie, die Hier verkümmern muß, jn einer andern Provinz, wo kein^Aemter verkauft

i9?

Der Pastor in Kartoffelfeld.

und vergeudet werden. Aber Louise! Louise! Dieser Magnet reißt das Herz zurück, läßt den Fuß nicht vorwärts." Solche Grillen begleiteten ihn ins Feld, solche Grillen brachte er wieder ins Zimmer zurück. Doch entwölkte sich die Seele nach und nach. Mit etwas erheitertem Sinn setzte er sich, den Pemps und den Stemps vergessend, ans Klavier, das ihn schon so oft getröstet hatte, und spielte und sang mit Matthison: So schlendr' ich in die Welt hinan. Und weiß doch selbst nicht wie; Es geh wies geht, ist wohlgethan; Dem Schöpfer murr' ich nie.

Hab' immer noch der Freuden viel, Manch Blümchen steht am Weg u. s. w. Bey der Strophe: Es sieht es mir dann keiner an. Wie viel ich Leiden trug: Dann bin ich ganz ein andrer Mann/ Dem's bang ums Herz hier schlug — entrollten dem biedern Manne heiße Thränen über die Wangen, .und all^Kraft der. Seele war nicht

Erster Theil.

193

nicht vermögend das tiefe Gefühl der Wehmuth zu unterdrücken, als er auf einmal den sanften Druck einer zarten Hand auf der linken Achsel emvfand, die wie elektrisch auf ihn wirkte. ' Ganz leise hatte sich Louise heran geschli­ chen, und den schwer - und wehmüthigen Sänger behorcht. „So traurig, guter ErnstI und wir sind unserm Glücke so nahe I Sie weinen? Woher diese Thränen? Ich will Sie trösten." Gleich drückte sie einen Herjenskuß' auf die nassen Wangen. „O wüßten Sie, was vor zwey Stunden hier in dieser Stube vvrfiel. Sie würden nichtvom nahen Glücke reden. Alle- vorbey, guteMädchen, alles vorbey. Das Land, das wir zu sehen glaubten, war eine Wolke." „Noch nicht alles vorbey. Keine Wolke. Der Vater hat alles wieder gut gemacht. Nur zu Tische! Zu Tische!" Sie zog ihn mit sich fort.

194

Der Pa.stor in Kartoffelfeld.

Die Erscheinung desDalthasarStemps und Pasche Pemps war dem alten Herrmann nicht verborgen geblieben, und er hatte fid) genau

nach, der Veranlassung ihres Besuchs erkundigt.

Das rathsamste schien ihm daher, die Hinder­

nisse auf die kürzeste Art aus dem Wege zu räu­

men.

Ein paar glänzende Goldstücke, die Ver­

heißung. einiger Morgen Pachtacker, und einige

Glaser des allerbesten Bramweins, hatten die Kraft, die entrüsteten rohen Gemüther zu besänf­ tigen

PcmpS und Stemps versprachen mit

Hand und Mund, von nun an, da sie nicht

verschmäht und hintergangen wären, für den Kandidaten alles mögliche zu thun, ihm nicht

nur ihre Stimmen..zu geben, sondern ihn auch der. ganzen Gemeinde alleröestens zu rakkumman-

dieren; und froher, vielleicht auch bctrunkner, als sie gekommen waren, gingen sie von dannen.

Ueber Tische machte der alte Herrmann man­

cherley Spaß, um den schwcrmülhigen Kandi­ daten wieder aufznheitern.

Es wollte aber nicht

-Erster T hei l.

!95

gelingen. ' Endlich mußte er ihm den heut erleb­

ten Auftritt nach allen Umständen erzählen.

„Hum! sagte der Wirth, was ist das mehr?

Die Kerle waren besoffen; Sie haben wohl Noch keinen

besoffenen Menschen gesehen?

Desoffenen halt' ich alles zu Gute.

Einem

Zch habe

mit ihnen auch gesprochen, als sie wieder nüch­

tern waren; da waren sie ganz anders gesinnt,

haben alles mögliche für Sie versprochen, und sind ruhig und vergnügt wieder abgewandcrt."

Ernst antwortete wenig, dachte aber viel;

that, als ob er dem Ztlten glaube, ahnete über schon und ganz richtig das was geschehen war.

Zu seinem Glück, oder svlls heißen zu seinem Unglück, entdeckte ihm def alte Bediente Peter, nachdem er ihm recht ins Gewissen gegriffen,

und Himmel und Hölle vorgestellt hatte, wie esich mit der Sinnesänderung und Bekehrung der

Herren Pemps und Stemps eigentlich ver­

halte, und nun beschloß er mit aller Kraft der

Seele, seinem immer befolgten Grundsatz getreu, keine Probepredigt in Würmsdorf zu halten, sondern die Sache mit edler Großmuth von sich

abzulehnen.

ig6

Der Pastor in Kartoffelfeld. Zch reise nicht nach Wnrmsdorf, sagte er

freundlich und entschlossen' seiner Louise, und ich habe dazu meine Gründe.

Die Sache ist nicht

so rein wie sie vorgestellt wird."

Um nicht in diesem Vorsah wankend zu wer­ den, schrieb er, ohne Louisen etwas davon zu sagen, an den Superintendenten folgenden Brief:

„Gute Freunde, und ich danke e8. ihnen, haben mir ohne mein Vyrwissen die Präsentation zur vakanten Wurmsdorfer Pfarrstelle, und wie

man mir versichert hat, auch die nöthigen Wahl­

stimmen ausgewirkt.

Vergnügt war ich, in mei­

nem zwölften Kandidaten - und vier und dreyßigsten Lebensjahre, und.--— was ich mich hinzuzusetzcn nicht schäme — als zweijähriger Bräu­ tigam eines holden edeln Mädchens, meiner ehe­

maligen Schülerin, über diese sich mir so unge­ zwungen eröffnende frohe Aussicht. Freude war, von kurzer Dauer.

Aber meine

Bloß, ein Son­

nenblick durch ein trübes vorüberziehendes Ge­

wölk, und gut daß sie es war.

Der Grobheit

und Habsucht zweyer Gemeindeglieder, welche mir für ihre Stimmen Geld abforderten, und

Erster T heil.

197

laut sagten, daß ihre Nachbarn dergleichen empfangen hätten, hab' ichs zu verdanken, daß mein Gewissen frey und meine Ehre ungeschän­ det bleibt. Nicht vier Groschen opfere ich auf dies« entehrende Art auf. Man nenne es wie man will, Schwachheit oder Eigensinn, oder Stolz, oder Grille, oder Edelmuth, so ist und bleibt es bey mir fest­ stehendes Princip, nie auf Schleifwegen eine Beförderung zu suchen oder zu erjagen; weil ich, so viel es Menschen können, gern auch durch mein Beyspiel lehren möchte, wenn mich die Vorsehung zum Lehrer ausersehen hat. Liebe und Rechtschaffenheit kämpfen zwar einen harten Kampf in mir, aber wer gönnt letzterer nicht den Sieg? Zch schreibe dieses, damit mich Ew... ent­ schuldigen, wenn ich mich zur angesehten.Probe­ predigt nicht einfinde. Vielleicht sind Sie auch so geneigt von dieser Privatneuigkeit, die zu­ nächst nur mich betrifft, bestens Gebrauch zu machen. Zch bin :c. Ernst."

198

Der Pastor in Kartoffelfeld. Dieser Brief wurde gleich abgeschickt, und

so machte es sich der Kandidat selbst unmöglich,

seine Grundsätze auf Vorstellung und Zureden seiner Freunde zu verläugnen. Man sah es ihm im Hause an der Miene schon an, was er beschlossen hatte; doch wagte es weder der alte Herrmann noch seine Frau in

gerader Linie einen Versuch auf ihn zu machen, um ihn von dem thörichten Vorsatz, sein nahes Glück um so kleiner Ursachen willen abermals zu verscherzen, abzubringen.

Hierzu war auf diese

Art wenig Aussicht.

Frau Tante gab aus der Fülle ihrer Weis­ heit, Menschen - und Lebenskenntniß einen Rath,

der vielen Beyfall fand.

Sie philosophierte folgendermaßen:

„Liebt

der Mann Zhre Tochter im Ernst, so wird er dieser Liebe ein Opfer bringen, und von seinem

albernen Eigensinn ablassen können.

Thut er

das nicht, so ist seine Liebe nur erdichtet, und

nicht rechter Art.

Wissen Sie was, Herr Vet­

ter ? wir machen eine Reife auf eilt paar Tage, und lassen die Verliebten ganz allein.

Versteht

dann Louise die Kunst fein Herz zu besiegen, so

Erster

ist die Sache gemacht.

199

Theil.

Gelingt es ihr nicht,

nun so ist, ich sage es dreist, der Querkopf ihrer nicht werth.

Dann nur Anstalt gemacht,

daß er aus dem Hause kommt, und der Noman

ein Ende nimmt." „Das, liebe Frau Schwester, geht nicht.

Das Mädchen ist verliebt — wir können sie nicht in der Gefahr allein lassen."

„Hat nichts zu bedeuten, Herrmann.

erwiederte Frau

Zch kenne Ernst, ich kenne meine

Tochter zu genau.

Wir können uns ganz auf

sie verlassen." „Nun gut, so verreisen wir denn;

Louise

mag sehen, wie weit sie mit ihm kommt."

„Spare, gutes Louischen! sagt« die Tante beym Einsteigen in den Wagen, keine Schmei­

cheley, keine Thräne, keinen Kuß, mitunter thu ein Bißchen böse, um den Mann, den du doch gern haben willst, von seinem Eigensinn zu kurie­

ren. weit.

Geh aber in deinen Gefälligkeiten nicht zu

Wirst mich verstehen."

SCO

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Ernst stutzte als er Mittags ins Speise­ zimmer trat, den Tisch nur für Zwey gedeckt sah, und niemand weiter gewahr ward als kouisen, die ihm äußerst hold und freundlich zuwinkte: „ Setzen Sie sich." „So allein?" „ Die Aelterm sammt dir Tante machen eine kleine Lustreise." „Und Sie nicht mit?" „Zst Ihnen etwa meine Gesellschaft heute unangenehm? " „Nicht so, meine Liebe!" „Sind Sie mir noch gut, lieber Ernst?" „Von ganzem Herzen!" „Dann gewähren Sie mir eine Ditte." „Welche, liebe Louises" „Vergessen Sie den Stemps und den Pemps." „Ich habe sie bereits bergessen." „Und doch noch immer so sinster!" „Wer so am Scheidewege stand, wie ich, dem sind wohl einige kleine Runzeln zu verzeihen." „Ey was Runzeln! wollen Sie vor der Zett alt werden?"

„ Ach! wo zwey mächtige Affekte, Liebe und

Ehre, mit einander ringen, da ist die Ruhe

verloren." „Gehen Sie mir mit der ewigen Ehre! Mich dünkt. Sie übertreibens, guter Ernst!

Recht' ist!

Mein Vater sagt das auch.

WaS Kann

man nicht lieben und zugleich auf Ehre halten?"

„ Glücklich, wer durch Umstände so begün­

stiget ist!

Zch binS nicht."

„Keine Grillen! Der Vater hat mir gebo­ ten, sie Ihnen zu vertreiben.

Er läßt Sie durch

mich bitten, ein Glas von seinem besten Rhein­

wein auf meine und der Aeltern Gesundheit zu

trinken.

Und nun verbitte ich mir alle Melan­

cholie. "

Er gab nach, pnt» berührte die mißtönende

Saite nicht weiter.

Der edle Wein that seine

Pflicht, stimmte der Liebenden Seelen zu schö­

nen Gefühlen.

Es währte nicht lange, so war

die Mißlaune besiegt, und beide überließen sich bald den süßesten Empfindungen der Zärtlichkeit und den Scherzen, hje sich jeder der verliebt war, oder es heute noch ist, selbst denken und beschrei­

ben mag.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

202

„Za, die Liebe ist doch schön, sie ist der Himmel auf Erden," sagte Ernst.

„Das ist sie,

guter Ernst,"

erwiederte

Louise mit einem zärtlichen Kuß.

Ernst stand auf, und bat Louisen um ein Lied.

Sie sprang ans Klavier, ■ sang und spielte tief aus der Seele das schöne Lied aus der Zau-

berflöte: „Für Männer welche Liebe fühlen,"

u. s. w.

Ernst trat zu ihr hin und begleitete den Gesang mit seiner zarten und reinen Tenor­

stimme.

Viele Lieder der nämlichen Stimmung

wurden unter dieser Begleitung gesungen.

Die Liebe hatte sie an das Klavier geführt;

die Liebe verließ sie nicht, und die Unschuld be­ gleitete sie, als Louise sich auf das Sofa setzte.

Ernst, ohne zu wissen was er that, schlang sie in seinen Arm.

Beider Herzen pochten —

Louischens Hündchen, das

auf ihrem Schoße

saß, fing an zu bellen — Zn diesem wonnevollen aber auch bedenkli­

chen Zeitpunkte hub Louise an: „So gut, lieber

Ernst, und noch besser, können wir es bald

Immer haben, wenn —"

Erster

Theil.

>03

„ Welches Wenn? —" „ Wenn Sie etwas nachgeben, hübsch in

Wurmsdorf predigen, und es mit der Ehre nicht so genau nehmen wollten.

0 thun Sie es doch

um meiner Liebe willen."

„Nein, beste Louise, ich kann nicht.

Ich

will in meinem künftigen Amte vergnügt und

unbefangen leben, und keine Vorwürfe im Dusen

tragen; sonst kann ich nicht vergnügt seyn, auch

in Ihrem Arm nicht."

„ Aber der Vater meint ja doch ..." „Der Vater ist nicht in meiner, und ich nicht in seiner Lage.

Ueberdieß ist die Sache

schon abgethan und nicht mehr zu ändern."

„Sie sind ein strenger Mann." „Je strenger ich nach Pflicht und Gewissen handle, desto mehr muß ich Ihrer Liebe werth

seyn.

Sie sind noch jung und ich nicht alt.

Gott ujjrd für uns sorgen."

Louise gab ihm einen Blick der innigsten

Liebe, und sagte: „Ich wollte Sie tadeln, aber ich fühle es, daß Sie edel handeln. " Hier siegte also die Liebe nicht.

i88

Der Pastdt in Kartoffelfeld.

Das'soll Er sehen," sagte StempS, und stampfte mit dem Stocke. ■

„ Mein Gott! was hir^ ich, was- seh' ich!'! „0, Er soll noch mehr hören.

Der -e pem rechtmäßigen Ruf

hoffend und

harrend, und vielleicht, vergeblich

entgegen sehen, einem andern zu Theil werden könnte?

Sie können ihr doch nicht zumuthcy,

ihrer Grundsätze wegen zu werden, was noch

nie ein Frauenzimmer gern ward, nämlich eine

wohlbetagte Jungfer.

Jedermann würde es dem

Mädchen,verdenken, wmn sie Ihnen unter sol­

chen Umständen getreu bliebe.

Und dann, mein

Bester, npch mehr; woher wissen Sie, daß der Amtmann.Herrmann Ihnen Haus und Tisch und was Sie nöthig haben noch viele Jahre

lang wie bisher gewähren-wird? Und wo dann gleich hin? Ich bitte Sie,> greifen Sie mit bei­

den Händen zu;

occasio po»tica calva."

Der Pastor in Kartoffelfeld.

2i4

Noch viel mehr proponierte Magister Andreas, und wurde am Ende heftig, und beynahe belei­

digend.

Ernst blieb auch nicht güN^ kalt,-und

versicherte, daß er nun einmal fest-entschlossen sey, in seinem Beyspiele zu zeigen, wk; eirt

gewissenhafter Mann handeln müsse, daßr der

Staat dieß gewiß nicht unbelohnt lassen werde, und schloß also: „Sorgen Sie nur für sich und Ihre Familie, lieber Herr Magister, und'beküm«

mern sich um mich und meine Grillen weiter ganz

und gar nicht." Es fehlte nicht viel, so hätf er ihm die

Thür gewiesen.

„Das ist nichts, sprach Magister Andreas zur Herrmannschen mit der seinigen am Kaffee­ tisch noch versammelten Familie.

Ernst ist ein

verstockter Sünder- ich hab' ihn weder erleuchten noch bekehren kinnen.

Strafamt, Lehramt,

Ermahnungsamt, Trostamt, alles ist aw ihm ver­

geblich. Sinn."

Der Starrkopf besteht aüf seinem

„ Habe ichs nicht vorher gesagt? sprach Frau Tante; richtig vorher gesagt.

Das wird mir

einst ein braver Ehemann seyn, Louischen.

I-h

möcht' ihn nicht, und wenn er Konsistorialrath

wäre.

Seine Frau wird die Hölle bey ihm

haben.

O mein seliger Mann, was das für ein

Mann war, denn konnte man um den Fingerwickeln. "

„ Mein Herr Magister ist auch zuweilen ein Bißchen eigensinnig, aber so arg macht ers doch

nicht, sprach die Frau Magisterin; das geht zu weit."

„ Nun wem nicht zu rathen steht, dem steht auch nicht zu helfen.

Man lasse ihm seinen

Witten, und wir wollen den unsrigen dann auch haben, erwiederte der alte Herrmann.

Jeder

ist seines Glückes Schmidt, und wie man es treibt so gehts.^

Gan; nachdenkend mit einem halben Seufzer sagte Frau Herrmann:

„Man weiß nicht wie

man eigentlich drüber urtheilen, ob man diesen

Eigensinn

loben oder tadeln soll.

Ernst eine so gute Seele.

Sonst ist

Für mich und meinen

Der Pa ft2r in Kartoffelfeld.

2i6

Mann ginge er durchs Feuer, und für Louisen

ließe er das Leben." „Za, das Leben, da kommen Sie schön an,

davor würd' er sich hüten, da er ihr zu Gefallen nicht einmal eine Grille fahren lassen will.

Nur

Anstalt gemacht dast der alberne Roman ein Ende nimmt.

Zch verschaffe der Louise einen ganz

andern Mann.

Laß den Staketenflicker laufen,

sagte die Tante." So deliberierte man eine Stunde lang, ohne

eigentlich zum Schluß zu kommen.

Dem Herr-

mannschen Ehepaar wollte cs gar nicht m den

Sinn, den treuen Ernst zu verabschieden, und ihr Versprechen zurück zu nehmen.

„Er sämappt über, sagte Frau Herrmann,

wenn wir ihm unsere Tochter verweigern." „Er hat langst übergeschnappt, antwortete Frau Tante.

Er ist wahnsinnig, liebes Schwc--

siercken.! " Ueber Tcsche sprcra) fast niemand mit Ernst,

und eben so wenig hatte er Lust an der bunten Unterhaltung, wo Magister Andreas und Frau

Tante das Wort führten/ Theil zu nehmen. Denkend, still und bescheiden saß er da.

Theil.

E r st e r

21 7

Der Herr Magister vitt sein Steckenpferd,

die Runkelrüben,

und Frau Magisterin

ritt

Er erzählte, die El-sindung Sirup daraus

mit.

zu ziehen, habe er zuerst gemacht, und dem Hof

eine Probe davon übersandt, und versicherte, daß

er den Runkelrübenzucker auch erfunden haben würde,

wenn er nicht schon erfunden. wäre;

berechnete auch den Ertrag seiner Pfarracker,

wenn er sie

einst ganz mit Runkelrüben be­

pflanzte, und brachte heraus, das; er in Kurzem

Tausende dabey gewinnen werde. Frau Magisterin bekräftigte alle diese Sahe

mit dem Spruch:

Mein

Mann

„Das ist wahrhaftig wahr.

lügt

nicht,

Sie

können

es

glauben."

Der Dein machte ihn immer redseliger, und

er begann ganz ehrlich die Art und Weise zu detaillieren, wie er zur Pfarre gelangt sey.

„Hab' auch, sagte er, dem Patron opfern müssen für die Präsentation, und den Bauern,

die mich wählten, versprach ich die Psarracker

zur wohlfeilsten Pacht.

Allein wie ich introdu-

eiert war, fand ich Mtttcl mit gurer Virrnier aus der Sache zu kommen, und es ging. Freylich

2i8

Der Pastor in Kartoffelfeld.

haben sie einige Jahre mit mir gemault,, und manche maulen heute noch, einige kommen sogar aus Tücke wenig oder gar nicht in die Kirche,

aber was schadet mir das? Ich vredige Gottes

Wort lauter und rein; bleibt zu Hause.

wer nicht kommt, der

Hatt' ich den Acker so wohl­

feil verpachtet, als sie ihn haben wollten; so hatt' ich jährlich über hundert Thaler verloren. Man muß nur dreist seyn, und sich nicht über

jede Kleinigkeit Skrupel und Gedanken machen. Dabey kommt nichts heraus.^

„Sehr wahr, Herr Magister! versetzte Frau Tante; gut, wenn ein ehrlicher Mann sein Wort halt, aber manchmal kann er es ohne Schaden

nicht halten, und dann erfordert es die Klug­ heit, daß ers wieder zurück nimmt.

sich selbst der nächste, und mancher einen demüthigenden Blick nuf den Kandidaten,

Jeder ist w ronvf sie

ist selbst

Schuld daran, wenn ihm nicht Wort gehalten

wird." Ernst, tief fühlend, was dieß sagen sollte,

stand vom Tische auf, empfahl sich der Gesell­ schaft und ging auf sein Zimmer.

Der Magister

Erste r

Theil.

-i)

sprach noch einige Stunden fort, bis er gegen Abend cum familia recht fröhlich wieder abfuhr.

Auf seiner Stube fand Ernst die langst erwan Ute Antwort des Superintendenten. Hier ist sie-

Edler, braver Mann!

Ein Kandidat, wie Sie, ist mir in meiner

ganzen Amtsführung noch nicht vorgekommen.

Sie verdienen das gerechteste Lob und die beste Beförderung.

Beharren Sie fest in Ihrer Den­

kungsart, die Ihnen so sehr zur Ehre gereicht.

Uebrigens, guter Mann!

nichts Neues.

sagen Sie mir

Fast bey jeder Predigerwahl die­

ser Art, besonders auf dem Lande, giebt es, wie bey Friedensschlüssen, gewisse, geheime Artikel

und Bedingungen oft ganz eigner Art, die man freylich wohl erfahrt, aber nicht beweisen kann,

wozu gar viel gehört. Ich thue jederzeit an den Wahltagen ti.ieme

Pflicht, und ermahne aus allen Gründen und

2,20

mit

©er Pastor in Kartoffelfeld.

großer

Theilnahme

zur

Unparteylichkeit»

Allein meine Reden haben .da noch nie gewirkt, wo das Geld oder die Psarracker ihre Wirkung schon gethan hatten.

Man hört aildachtig zu,

lobt mich, und thut was man will.

Indessen will ich doch die Regierung auf

gegenwärtigen Fall aufmerksam machen, und das um so mehr, weil der Patron, ein stocrblinder

Kanonikus, außer dem Lande lebt, in seinem Pfarrhandel immer dreister wird, und da er

katholischer Konfession ist, sich um die Pfarrsiel^ len selbst eben so wenig bekümmert, als der Pabst. Billig sollten wir keinen Patron fremder Reli­ gion haben, ein Umstand, den man unstreitig

im Wcsiphalischen Frieden übersehen hat; und es würde gewiß keine Revolution nach sich ziehen,

wenn die Regierung ohne Umstände solchen ge-

wüansuchtigen Leuten, besonders wenn sie Aus­ länder sind, die für das Wohl des Staats gar

kein Interesse haben, das bisher so frey getrie­ bene Handwerk legte, und ihnen das Patronat abnahme.

Der Staat thäte wohl, die Kandi­

daten, die ihre Zeit und ihre Kräfte angewandt babr n, sich zu seinem Dienst geschickt zu machen,

Erster- Theil.

2 2.1

nach Verdienst, und wo möglich nach der Reihe, selbst zu versorgen, so hätte aller Unfug auf eirr-

mgl.ein Ende.

, Die Wurmsdorfer Pfarre, ist freylich eine der

einträglichsten, aber Sie haben dennoch nicht viel verloren, wenn Sie darauf nach Gewissen Ver­

zicht thun; denn daö alte halb mit Stroh, halb

mit Ziegeln gedeckte zwey oder drey hundertjäh­

rige Pfarrhaus drohet, trotz der vielen Stützen, bey jedem Wiltde den Einsturz. *) Die Kirche

Da« Wursnsdorfsche Pfarrhaus/ AltershNm«

und seiner Baufälligkeit wegen

seine«

sehr

berübmt, bestand eigentlich au« fünf Theilen oder A»lhang-eN/ die in vorigen Zeilen theil« vor theil«

nach

der

Deformation nach Diasigabe der jedes­

maligen zahlreichen Familie angcftickt waren, indein einst im vorigen

Jahrhundert ein

gcivtjjcv

Prediger nur seiner Fran vier und zwar'ckg leben­

dige (ro^rgevorne nicht gerechnet) Zunder gehabt

haben soll. Da« sonderbarste an diesem Hause war ein

kleiner Altan von Lehmarbeir, den der Tradition nach

einst

ein Prediger auf eigene Kosten hatte

erbauen lassen/ und auf welchem bey der Hochzeit

Der Pasror in Kartoffelfeld.

222

ist arm, und der ausländische Patron will durch­ aus nicht bauen. .

Besuchen Sie nächstens einen Mann der

Sie liebt und schätzt,

und gern nach Möglich­

keit für Sie sorgen wird; er heißt

der S^rperintendent

Faber.

seiner einzigen Tochter die Mnsuatrten trompetet

haben.

Neben diesem hingen zu beiden Seiten

zwey kleine Häuschen,

deren Namen man nicht

gern nennt, beide ohne D^ch.

Die eine Seile

des Hauses war mit Stroh, die andere mit Zie­

geln gedeckt, oder eigentlich gedeckt gewesen, denn man konnte an manchen Stellen durch und durch

sehen.

Der angebrachten Stützen waren fünfe an

der Zahl. Jur Deutlichkeit könnten wir ein Kupfer (eigentlich sollte eö wohl ein Holzschnitt seyn)

hitlzufügen, das manchen Architekten eben so will­ kommen seyn lvürde, als vor kurzem den Antiqua­

rien die gecrelie Abbildung „einer im Herkulanum

aufgegrabenen Wand von einer rönuschen Wach­

stube mir griechischen Zoten beschrieben."

Erster N. S.

rrz

Theil.

So eben erhalte ich einen Brief

vom Grafen M., der für seinen einzigen jetzt achtjährigen Sohn

einen

und Hauslehrer sucht.

geschickten

Erzieher

Er ist ein reicher Mann,

und hat viele Pfarrstellen zu besetzen.

Ihre

Einwilligung vorausgesetzt werde ich Sie Heftens empfehlen.

Nach ein paar Zähren kann Ihr

Glück gemacht seyn, und das auf dem gerade­

sten Wege.

Die Wahl zu Wurmsdorf ging bald nach­ her von Statten, und der Kandidat Sing­

sang,

eigentlich

hieß

er wohl Gin gang,

trug, nachdem er Abends vorher im Gemeinde­ kruge vorläufig, aus was für Gründen weiß man nicht, gewählt worden war, den Preis

davon.

Pemps und Stemps mußte sich frey­ lich nachher

zur Verantwortling

stellen,

ent­

schuldigten sich aber mit der Unwissenheit in

den Landesgesetzen,

und

auf den Hofüskal Zsebe >,

sckoben

alle Schuld

der die Gemeinde

224

Del' H a fiD r in Xstttcffclfelb.

verführt habe. Auch dieser sollte sich stellen, da er aber bereits Lunde gerochen hatte, und auf seinem Kommisswirs - Schimmel rief ins Land hinein geritten war, wo er der Sage nach abermals einen Pfarrhandel stiftete, so kam die Sache bald in Vergessenheit, und wurde ihrer forthin nicht weiter gedacht.

Der