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German Pages 257 [260] Year 1801
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Zweyter
Theil.
Erstes
Buch.
Der alte Herrmann, welchen wir beym Schluß de« ersten Theils unserer Geschichte etwas unzu frieden mit Ernst gesehen haben, war nach und nach kalt gegen ihn geworden. Za er überließ sich sogar dem Zorn, als der alte Hoffiskal angeritten kam, einige Tage aß und trank, sich mancherley Kleinigkeiten aus der Wirthschaft höflichst ausbat, nnd am Ende für feine Mühe und mancherley Auslagen eine Liquidation von hundert Thalern «inreichte. „Sapperment! sagte Herr Herrmann, das ist zu arg, um Nichts und wieder Nicht- eine solche Summe wegzuwerfen." „Das ist nun der Dank für Ihren guten Willen, entgegnete die Tante. Auf solche Art
Der Pastor in Kartoffelfeld.
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könneA.Sie viel los werden, wenn der Roman nicht bald ein Ende nimmt."
„Nun er soll ein Ende nehmen.
Zch halte
mir künftig einen Schreiber, und der Herr Kan didat mag sehen wo er bleibt. nicht besser haben.
Will ers doch
Sauer aber wird mirs doch
ihm den Kauf aufzusagen."
„ Zch wills über mich nehmen, und es ihm mit guter Manier beybringen, daß seines Blei bens hier nicht länger seyn kann.
Hat Gutes
genug, ja zu viel genossen, und seht Sie am
Ende noch in Kosten, der undankbare Mensch!"
Etwas anders dachte die gute Louise.
Zhr
Herz billigte insgeheim den sogenannten Starr sinn ihres Liebhabers, und.es ging
ihr sehr
nahe, die Tante ohne Unterlaß sagen zu hiren: „Der Mensch muß aus dem Hause, und der
Roman ausgespielt seyn."
Noch mehr vergab
sie Ernsten seines Herzens Härte, als sie von
dem elenden trübseligen Pfarrhaus« hörte, weil sie sehr zur Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt
war.
Merken aber durfte sie sich diese Gesin
nung nicht lassen, denn Vater und Mutter gebo
ten ihr ernstlich, glle Liebe und Neigung gegen
Zweyter
Theil.
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einen Mann.aufzugeben, dem es, wie mak gese hen habe, mit der Heirath kein rechter Ernst sey. Sie aber wußte nur zu gut, daß sie der einzige Gegenstand seiner zärtlich und treu liebenden Seele war. Sie weinte im Verborgenen, wenn sie daran gedachte, daß man ihn entfernen' wollte, ihn, der nichts verbrochen hatte, als daß er ehrlich und redlich handelte. Ernst müsste blidsinntg gewesen seyn, wenn er die schleunige Veränderung der Gemüther nicht bemerkt, und seinen bevorstehenden nahen Ab schied nicht geahnet hätte. Er that daher, was jeder kluge Mann gethan haben würde. Er kam zuvor, und schrieb dem alten Herrmann folgen den Brief:
Bester und hochgeschätzter Herr Amtmannl Zehn glückliche, mir auf ewig unvergeßliche Jahre hübe -ich in Ihrem Hause durchlebt. Es waren schöne Tage für mich, schöner war noch die Hoffnung, Ihnen einst ganz und auf immer anzugehören. Das unerbittliche Schicksal scheint
23o
Der Pastor in Kartoffelfeld.
es anders beschlossen zu haben.
Ich gehorche,
und will lieber unglücklich werden, als wider Grundsätze handeln, die mir Vernunft und Reli
gion täglich vor Augen halten. Der Thränen kann ich mich nicht enthalten,
»denn ich das viele Gute, die herzliche Freundfchaft und den angenehmen Umgang
den ich bisher genossen habe.
bedenke,
Das Perhäng-
niß — ruft mich von hinnen, und nach wenig
Tagen werde ich Abschied von Ihnen nehmen. Ich bin aufgefordert Hofmeister bey dem Graferi
von M. zu werden, und nehme diesen Antrag aus Gründen der Vernunft an, so viel auch mein Herz dagegen rinzuwenden chat. x
Der Himmel vergelte Ihnen die väterliche Güte, womit Sie einen Mann behandelt haben,
der weder Vater noch-Mutter kennt.
Möchte
es doch meinem zweyten Ich, meiner bisher so geliebten, ja angebeteten Louise, immer recht wohl ergehen i
Das Glück, sie zu besitzen, ist
wahrscheinlich für mich, zu groß, und ich habe vielleicht unrecht gethan, wenn ich mir mit sol chen Hoffnungen schmeichelte.
Zweyter
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Theil.
Zch habe meine neue Stelle der Vorsorge des würdigen Superintendenten Faber zu ver
danken, und lege zum Beweise den Brief bey,
den ich vor einigen Tagen von ihm erhalten habe.
Wie es mir auch ergehen, wo ich auch
seyn mag, ich werde immer mit Treue und Dank barkeit seyn
der Freund und Verehrer Ihres Hauses
Fr. Ernst.
An Louisen schrieb er folgendes kurze Billet: Theuerste meines Herzens;
Wenn Alich von allen, von Ihnen fürcht' ich
nicht Mkannt zu werden.
Mein Herz fesselt
mich an Nosenhain. Die Vernunft und die Ehre
wollen diese Bande zerreden. mich entfernen.
Za!
ich muß
Mein Her; blutet — Leben
Sie — ach ich kann eS ilicht aussprechen — —
Zch habe mich endlich ermannt. durch Ausdauer verdienen.
Zch will Sie
-Sie sehen mich wie
der, aber erst, dgnn, wenn ich Zhnen die ent zückende Botschaft bringen kann: Zch habe ein
r;r
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Amt. Zch verspreche Ihnen ewige Treue, und bleibe mit ganzer Seele Zhr
Fr. Ernst. Groß war die Wirkung beider Briefe. Als der alte Herrmann den seinigen las, ward sein Herz wie Wachs, und geneigt, sich völlig mit dem alten Hauslehrer wieder auszusöhnen/ und alles auf den alten Fuß zu sehen. Der Gedanke aber, daß er ihm, wenn er ihn hier-behielte, am Glücke hinderlich seyn könnte, und daß ihn aus seinem Hause nicht so leicht jemand hervor ziehen möchte, hielt ihn zurück. Eben so dachte seine brave Frau. Der Tante Urtheil kann man sich leicht vorstellen. Sie rieth, den Kandidaten, den man jetzt mit 's» guter Manier los werden könne, nm des Himmels willen -nicht aufzuhal len; renn eine so günstige Gelegenheit komme so leicht nicht wieder. Ohne es sich merken zu lassen, empfand Louise, was das heißt, von einem Geliebten getrennt werden. Daß sie wirklich Ernst so
Zweyter
Theil.
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sehr liebe, hatte sie bisher selbst nicht geglaubt. Auf ihrem einsamen Zimmer, ungesehen und unbelauscht unter seufjenden Thränen, schrieb
sie noch denselben Tag folgende Antwort:
Guter, einziger Ernst;
Ach bleiben Sie.
Ich fühle mich zu schwach,
ganz von Ihnen, meinem Lehrer, meinem Freund, meinem Geliebten, getrennt zu werden.
Und
doch — 0 gäbe es der Himmel! — wenn diest
bittere Trennung die Veranlassung wäre, daß wir bald auf immer mit einander verbunden'werden!
Nein, ich kann e's nicht verlangen, daß
Sie bleiben.
Aber wie langsam werden mir
ohne Sie die' künftigen Tage hiüschleichen —
0 lieber Ernst, könnten Sie doch bey mir bleiben!
Wie öde wird es mir ohne Sie im ganzen Hause, in unsern Alleen, Lauben, Gärten und
Feldern, wie traurig in der ganzen Natur seyn! Wenn sich alles freut, wird Louise im Stillen
weinen.
Loos seyn.
Gram und Sehnsucht werden tnein Doch ich darf Ihr Herz durch meine
Klagen nicht noch mehr beschweren.
Rechnen
Der Pastor in Kartoffelfeld.
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Sie auf meine Beständigkeit und Treue.
Die
Hand, welche dieses schreibt, soll keinem andern
als Ihnen zu Theil werden.
Ich lebe und sterbe
als die Ihrige.
Louise Herrmann.
Der traurige Scheidungstag rückte heran —
Ein Schreiben des Superintendenten kündigte ihn in nächster Woche an.
Ernst machte sich
also jur nahen Abreise gefaßt, so gerührt, wie ein
geliebter Sohn, der das väterliche HauS, worin er erzogen und geboren war, plötzlich verlassen,
und auf weite Reisen gehen soll.
Gleich, als
wäre sie schon sein ihm geschenktes Weib, besorgte
Louise treulich die Ausbesserung und das Ein
packen der Kleidung und der Wäsche.
Vater und
Mutter selbst hatten ihr den Auftrag dazu gege ben, und der alte Herrmann dachte recht drüber nach, wie er seinem braven Ernst in den letzten
Tagen noch recht gütlich, thun, ihm den Abschied erleichtern, »md die kleine noch zuletzt vorgefallene
Muckerry wieder gut machen wollt«.' - ^Vergeßt
Zweyter
Theil.
rz;
ja nichts, sagte et,, was er irgend nöthig hat; gebt ihm alles mit, auch was zu leben untere
wegs." Die Herzlichkeit im Umgänge war völlig wie
der da.
Wan erinnerte /ich oft der dahin ge
schwundenen fröhlichen Zahre, sprach von baldi
gem Wiedersehen, fleißigem Briefwechsel u. s. w. und stellte sich das hofmeistcrliche Glück im gräf
lichen Hause und die damit verbundene baldige
Beförderung von
der
besten
und reitzendsten
Seite vor. Alles war zur nahen Abreise in Ordnung gebracht, und Ernst recht mütterlich ausgestattet.
Nur ein kleiner Umstand machte noch Bedenken.
Da standen im Hausflur zwey vollgepackte Koffer,
und niemand wußte anzugeben, wie und wo
diese auf der herrschaftlichen Karosse Platz finden
würden; selbst der alte Bediente Peter nicht, so sehr er sich auch den Kopf darüber zerbrach.
Doch hätte man diese Ueberlegung sparen können, weil sie ganz überflüssig war.
rz6
Der Pastor in Kartoffelfeld. Ein alter abgezehrter vott Reif inkrustier
ter Dauer kam mit vier dürren langbehaarten abgehungerten Pferden und einem langen Leiter-
tvagen langsam langsam angefahren, und hielt vor dem Hanse still.
Man glaubte, er habe sich
verirrt, ward aber anderer Meinung, als er ein
Kompliment i)om Herrn Verwalter brachte, und
versicherte, daß er Befehl habe, den Informator Les Herrn Grafen M. hier abzuholen. Jeder bekam vorläufig eine ganz sonderbare Vorstellung von dem Charakter des reichen Gra
fen, jedoch war man geneigt das elende Fuhr werk lieber aus dem Gehirn eines rohen Verwal
ters ausgehen zu lassen,
der seinen Principal
nicht recht verstanden haben müsse, weil der Dauer bald von einem Hofmeister, bald vom
Schulmeister, bald vom Informator sprach.
Herzlich freute sich der armselige Bauer der hiesigen nie gesehenen Gegend, wo man so freund
lich gegen ihn war, ihn erwärmte, erfrischte und pflegte,-und gern würde er Louisens Ditte,
ein paar Tage zu verweilen,
wenn er nur gedurft hätte.
erfüllt
haben,
Zeit und Stunde
der Rückkunft waren ihm zu genau bestimmt.
Zweyter Theil.
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Ernst wollte ihn ausforschen, um Ton unk Sitte des hohen Hauses vorläufig kennen zu ler nen ; allein der trockene einfältige Mann wußte auf Tausend nicht Eins zu antworten. , Seine Aussage enthielt njit dieß: „ Er sey Leibeigner, und müsse, wöchentlich drey Tage auf dem gräf lichen Hofe mit seinem Gespann halte»: uyd Befehle erwarten. Manchmal würden welche gegeben, manchmal nicht. Den Glafew und seine Gemahlin säh' er selten, und habe es bloß mit dem Vermalter zu thun." Weiter war nichts heraus zu bringen. Gegen Abend wurde aufgepackt, und die zwey Koffer hatten auf dem langen Leiterwagen des Naums die Fülle. Zwischen beiden wurde ein Strohfitz bereitet. Wir sagen nichts von diesem letzten vertratp lichen,,halb wehmüthigen, halb fröhlichen Abend, der noch herzlicher gewesen seyn würde, wenn die von Weisheit triefende Frau Tante nrcht zugegen gewesen wäre, die dem guten Ernst noch so viel Leh ren und Regeln für die große Welt aufpackte, daß die Pfexde des Bauers, wenn selbige einiges Gewicht gehabt hätten, die Last nicht würden gezogen haben.
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D»r Pastor in Kartoffelfeld.
Am folgenden Morgen sollte Abschied genom
men werden.
Allein
wohlbedächtig
vermied
Ernst diese ihw zu sehr rührende Scene.
Ehe
!d»e -Herrn»annfche Familie aufstand, hatte Ernst seine Neise schon angetreten. Gegen Abend fand Louise in ihrem Klavier
'folgendes Dillet:
' Lieber dieses Blatt als Ihre Wangen sollten
meine Thränen benetzen.
Zch zähle auf Zhre
Treut, und in der süßen Hoffnung, Sie einst ganz zu besitzen, unterziehe ich mich jeder Prü
fung, so hark sie auch sey.
Ein Mädchen wie
Eie, verdient Aufopferung.
Se») der Mann,
dem ich von nun an dienen soll, wer er sei), Menschenfreund oder Menschenfeind, ich werde
mich in alle seine Launen schicken, seht" er mich -nur einst in den Sta»»d, der Gatte einer Louise Herrmanir zu seyn.
Sagen Sie Ihren Aeltern aus meiner Seele den besten Dank.
Nie, nie werd' ich das Hau-
vergessen, das mir zehn Jahre ein Paradies auf Erden war.
Aber ich versichere noch einmal,
Rosenhain nicht eher wieder zu sehen, als .bis
Zweyter
Theil..
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ich versorgt bin.
Lassen Sie keine meiner Briefe
unbeantwortet.
Ruhen und leben Sie wohl.
Morgen sehen Sie den Mann nicht wieder,, der Welten für Sie hingäbe,
Zhren
ewig getreuen Ernst.
Am letzten Abend um 11 Uhr, als der Mond aufging.
Namenloser Schmerz ergriff Louisen, nach dem sie diesen Brief gelesen hatte — Lange trug sie denselben im Dusen, küßte und las ihn wo sie allein war. Wollte sie der wehmüthigen Rück
erinnerung-völlig Raum geben, so besuchte sie
Ernstens Zimmer, schloß sich ein, setzte sich auf
den Stuhl, worauf er als Lehrer zu sitzen pflegte, und erinnerte sich seiner Scherze, aller seiner Warnungen und Lehren.
Dieß waren die Stun
den einer wehmüthig - schwärmerischen Wonne.
Das Bild des braven Mannes, aufrichtigen Freundes, treuen Lehrers und zärtlichsten Lieb-
-4 leben! hoch
Zweyter
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Lheil.
leben!" und stieß mit Et Listen an, der ihm
•
gegenüber saß.
•
„Soll hoch leben! hüch^ hoch!" rief der
ganze Magistrat in einem anhaltenden lieblichen
Geläute der von Champagner duftenden Gläser. Ernst erröthete bey dieser seiner Geliebte«
unbekannter Weise erzeigten Ehre, und stam melte ein Gegenkompliment.
Nun ertönte eine Gesundheit nach der andern.
„ Es lebe die Frau Bürgermeisterin!
Es lebe
die Frau Rathmannin A, die Frau Mathmanni«
B, dis Frau Kämmererin C, .bie Mamsell die Mamsell G, u. s. w.
Es leben alle hübsche
Mädchen!"
So oft aber Ernst von hübschen Mädchen hörte, ward ihm bange, und je lustiger die
Gesellschaft ward, desto beklommener fühlte er sich.
Kein Freund von rauschender Freude liebte
er eine muntere
und
gewürzte Uyterhaltung,
mußte sich aber jetzt in seine.Lage finden, da er
es mit lauter Gönnern zu thun hatte, und gerade
mit denselben Herren, denen er ehrerbietigst die Erstlingsfrucht feiner homiletischen Diuse gewid met hatte.
Mitmachen aber konnte er schlechter-
3io
Der Pastor in Kartoffelfeld.
dings nicht.
Endlich fing er an bescheidentlich
von seiner Rückreise zu sprechen.
„0, so weit find wir noch nicht, hub der Wirth an.
Zch weiß, Sie haben keine drin
gende Geschäfte.
Sie bleiben einige Tage bey
uns, damit Sie doch unsere Stadt und Ein wohner vorläufig kennen lernen."
Er mußte fich also bequemen und eine halbe Woche in lauter Gesellschäften und Zerstreuungen
Erst nach vier Tagen durfte er wie
zubringen.
der abreisen.
In folgendem Briefe giebt er
Nachricht, wie es ihm ergangen sey und gefal
len habe. Süßes
Mädchen!
Vielleicht werden unsere heißen Wünsche bald erfüllt.
Am verwichenen Sonntage habe ich in
der Stadt Quebeck, wo die erste Predigerstelle
erledigt ist, unter uns geredt, mit recht großem Beyfall gepredigt, und die Glieder des Raths
haben mich schon bey einem prächtigen Gastmahl
ihren Herrn Oberprediger genannt.
Nicht nur
meine Predigt, sondern auch die Dedikation mei
ner nun Gott Lob! gedruckten Predigten, und
Zweyter Theil.
zu
die Empfehlung des würdigen Superintendenten
haben mir dje eben so sichern als fröhlichen Aus sichten eröffnet.
Den Sonntag
Mittag war
große Gesellschaft beym Bürgermeister, meinem Wirthe, und wir waren über Tische sehr ver
Man trank sogar die Gesundheit der
gnügt.
Frau Oberpredigerin.
Wie ist Zhnen hicrbey zu
Muthe? Bis dahin bestand die Gesellschaft aus
lauter Herren.
Nach Tische wurden wir zum Kaffee in ein
anderes Zimmer geführt.
Wie stutzte ich hier
bey dem Anblick einer zahlreichen Gesellschaft geputzter Damen.
Denn Sie wissen, wie ängst
lich ich zu seyn pflege, wenns darauf ankommt, eine Menge mir unbekannter Schönen gehörig zu
komplimentieren, besonders wenn ich überrascht
werde.
Dießmal mag mir auch manches Kom
pliment verunglückt seyn; zu meinem Trost ist mir die Predigt, die doch wohl ungleich wichti ger ist als ein Kompliment, desto besser geglückt.
Als ich ins Zimmer trat — und ich mußte der erste seyn — schritt mir eine Dame mit
imposanter
Miene recht gravitätisch entgegen,
und sah mir starr ins Gesicht.
zir
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„ Dieß ist meine Frau," sagte der Bürger meister in einem ganj eigenen, und wie es mir
vorkam, belehrenden Tone.
Gleich machte ich Verbeugung nach Verbeu gung, vergaß aber was kein ächter Weltmann
vergessen haben würde, ich vergaß den Handkuß.
Noch heute ärgere ich mich über diesen Schnitzer, zumal da mir die Hand so gütig dargebote» wurde.
Gott wird ihn mir vergeben, das weiß ich, ob
aber die Frau Bürgermeisterin Wohlgeboren auch so geneigt seyn werden, weiß ich nicht.
Mein Wirth machte mich nun mit dem
übrigen Frauenzimmer namentlich bekannt:
Es
waren Gemahlinnen und Töchter der Rathsher
ren , meiner Gönner.
Zuletzt zeigte er auf eine
ziemlich hagere und wie eS schien etwas bejahrte Mamsell, und sagte mit einem, wie es mir vor kam, bittern wenigstens empfindlichen Accent:
„ Hier sehen Sie auch die Kousine meiner Frau." Ich machte mein Kompliment mit vielem Re
spekt, aber wenigem Behagen.
Unter allen in
der 'Gesellschaft hatte diese Phyllis die wenigsten
natürlichen, aber die mehrsten künstlichen Reitze. Zhr Mund prangte mit Meisterstücken
eines
Zweyter
Theil.
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großen Zahnkünstlers; ihre Wangen waren mit
dem frischesten Kolorit erst heute belegt. Ich wüt eiskalt, so freundltchhölb sie mir auch lächelte. Besser schien
sie dem jungen Kandidaten
Petermann zu gefallen,
der sie wie eine
Diene umschwärmte, und ihr in einer Minute mehr Süßigkeiten zu sagen wußte, als ich deut
scher Mann in einer Stunde ausstudiert haben
würde.
Sein Mund floß über von zuckersüßen
poetischen Phrasen, er sprach von leisem Engellispel, und Gott weiß wovon noch mehr; sein
Haupt verbreitete eine Atmosphäre des lieblich sten Geruchs um sich.
Ein blinder Jäger hätte
ihn in der großen Gesellschaft eben so sicher aufgcfunden, als ein Hund im Felde den Hasen, Sein Anzug war allerliebst'.
Lange Strumpf
beinkleider und spitze Schuhe mit Bändern.
Dey dem Kaffee leitete die Frau Bürger meisterin das Gespräch.
Sie winkte, und die
Bedienten brachten die Spieltische. Mein Wirth war so artig mir die erste,
seiner Frau die zweyte, und der Kousine- die
dritte Karte zu einer Spielparti« anzubieten.
3i4
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Höflichst entschuldigte.ich, mich mit meiner, weni
gen Geschicklichkeit im Spiel. „Zch beklage Sie," sagte Frau Bürgermei
sterin ziemlich höhnisch, und gleich gab sie meine
Karte an Petermann, der sie mit einem zier lichen. Handkuß freudig in Empfang nahm, und
seinen Damen die Stühle hinrückte. Zch sehnte mich, weil nun die ganze Gesell
schaft im Spiel begriffen war, nach einem andern Vergnügen; nach einem soliden Gespräch und einer lieblichen Pfeife Tabak.
Allein ich wurde
freundschaftlich durch einen der Nathshcrrn ge warnt, der Frau vom Hause keine Krämpfe zu
verursachen.
Um mich einigermaßen zu beschäf
tigen, stellte ich. mich bald hinter diesen bald hinter jenen Stuhl der Spielenden.
Zuletzt
führte mich ein böser Genius auch hinter den Stuhl des Herrn Petermann,
der,
wie ich
sah, ein Spiel nach dem andern verlor, und
immer baar bezahlte.
Alle Augenblicke vergriff
er sich und warf einen Matador zu.
,Wars
Dummheit, oder Uebereilung, oder angeerbte
Ehrlichkeit, ich weiß es nicht, genug ich war so indiskret ihm die begangenen Fehler zu entdecken.
•
Theil.
Zweyter
zi;
Aber welch ein strafender Blick von der Frau
Bürgermeisterin! welche züchtigende hochfahrende Miene von.derKousine! Nur Chodowiecki könnte sie zeichnen.
Pctertnann behauptete mit vielen
Worten, ganz aus Gründen.gespielt zu haben.
Unserm aufmerksamen Wirth entging diese
Scene nicht.
Gleich stand er auf und übergab
Karte und Kasse einem sogenannten Zluskultator. „Ey, sagte er, ich habe mich müde gespielt;
kommen Sie, Herr Ernst, zu mir auf das Sofa,
lassen Sie uns Eins plaudern."
Bald geriethen
wir auch in ein ernstes Gespräch über mancherley gelehrte und ungelehrte Dinge, mit dessen Inhalt ich Sie billig verschone.
Nach etwa einer halben Stunde kam ein
Bedienter
und meldete,
es sey alles bereit.
Gleich öffneten sich die Flügelthüren des Zimmers. „Nehmen die Herren jeder eine Dame," rief der Bürgermeister, und mir gab er einen Wink
seine Frau zu führen.
Wie ich denn aber in
solchen Dingen immer unglücklich bin, so war
ichs auch dieses Mal.
Zn dem Gewimmel von
Menschen vergriff ich mich, gerieth an die verwittwete Frau Kämmererin Langhals, welche eben
Der Pastor in Kartoffelfeld.
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so wie die Frau vom Hause gekleidet war, küßte
ihr ehrerbietigst die Haud, und führte sie voran in einen großen illuminierten Sahl, , wo in dem
Augenblick, als ich hinein trat, eine vollstimmige Musik ertönte.
Nun merkte ich daß ein
Balk gegeben werden sollte. „ Führen Sie gleich die Wirthin auf, rasch
den Augenblick," raunte mir ein alter Nathsherr yrr Ohr, und gab mir einen freuudlichkn Rip
penstoß. >,Ich tanze nicht, versteh auch nicht zu tanzen."
„Das ist Schade'."
„Theologm tanzen nicht." „Possen! wir leben in aufgeklärten Zeiten.
Warum soll ein TheologuL nicht ein Tänzel mit machen? König David, so fromm er war, hat
ja auch getanzt." „Nun so sehen sich der Herr Oberprediger
hier zu mir, und sehen zu.
Es sieht recht
hübsch aus,
so
besonders
Mädchen dabey sind.
wenn
viel junge
Recht niedliche Kinder.
Die da im grünen Kleids ist meine Tochter."
Ljch sah also dem Jubel mit zu. Tänze, Walzer und Hovser wechselten.
Englische Vorzüg-
Zweyter
Theil.
3i?
lich nahm sich Petermann mit seinen Vän-
derschuhen aus.
Er wirbelt« sich mit der Kousine
stundenlang herum, und machte zuweilen ganz seltsame Sprünge, die man in gemeiner Sprache
Dockssprünge nennen würde. gehörten, weiß ich nicht.
Ob sie zur Sache
Zch habe einmal einen
Vallettanz gesehen, und so etwas war es.
Er
schwamm zuweilen in der Luft.
Bald hatte sich Auge und Ohr gesättigt, und weil fast alle Herren eifrigst im Tanz begriffen waren, fand ich so wenig Unterhaltung, daß die
Langeweile mich zu plagen begann.
Endlich
wurde eine Pause gemacht, und man ließ Erfri schungen reichen.
Zch benutzte diese Zeit der
Stille, und fing an mich dem ganzen Magistrat gehorsamst zu empfehlen, weil ich gesonnen sey, morgen in aller Frühe abzureisen. „So weit sind wir noch nicht, hub dek-
Senior des Magistrats an; morgen wird die Gesellschaft bey mir vorlieb nehmen."
„Und Ucbermorgen bey mir, hub der zweyte Rathsherr an. Sie reisen noch nicht, Herr Ernst."
Alle meine Einwendungen und Entschuldi gungen waren fruchtlos, ich erhielt weiter nichts
zi8
Der Pa stör in Kartoffelfeld.
als die Erlaubniß, für dieses Mal die Gesell
schaft zu verlassen,
und mich
zur Ruhe zu
begeben. Die folgenden drey Tage waren lauter Freu dentage, und sich ziemlich alle gleich.
Mädchen,
oder, wie ihr lieber hört, Schönen ohne Zahl,
hab' ich kennen gelernt, oder eigentlich nur gese
hen.
Sie kennen meine natürliche Blödigkeit
und Zurückhaltung, die mich nicht leicht mit
einer Schönen bekannt werden läßt.
Keine hat
mich gefesselt; denn das Bild meiner Louise stand vor meiner Seele. Ähr
treuer Fr.
N. S.
Ernst.
Die Frau Bürgermeisterin wird
mir doch keinen Possen spielen; denn ich habe sie
ja nicht beleidigt.
Beym Abschiede hab' ich ihr
die Hand drey Mal geküßt.
Dieß wird ja zurei-
chen die vorigen Fehler wieder gut zu machen. Der Bürgermeister ist ein rechtschaffener und
gesetzter Mann, auf den man sich verlassen kann.
Zweyter
Theil.
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Nnn sey es dem Autor erlaubt in der Erzäh
lung weiter fortzufahren.
Die Frau Bürgermeisterin war zwar nur ein Weib, aber ein
stolzes, eigensinniges, böses
Weib, die ihre heimlich entworfenen Plane nicht
leicht aufgab, und wenn sie nicht einen so festen gesetzten Gemahl gehabt hätte, leicht durch ihn die ganze Stadt regiert haben würde.
Indessen
haben böse Weiber, wie jedes andere Uebel, auch
gewisi ihren Nutzen, und scheinen in der unüber
sehbaren Reihe der Dinge eben so nöthig zu seyn, üls Mücken, Wespen, und das ganze Heer der
sunimenden und stechenden Znseklen im Reiche der Natur.
Sokrates, seit Jahrtausenden als das Muster
eines moralisch guten Mannes verehrt, wäre vielleicht das nicht geworden was er war, wenn
er nicht das Glück genossen hätte mit der berüch tigten T a n t i p p e vermählt zu seyn.
Die An
fälle und Stürme dieses wüthenden Weibes ver halfen ihm zu derjenigen Gelassenheit und See
lenruhe, mit welcher er den Giftbecher trank.
So wird jeder starrsinnige Mann, mit einem bösen Weibe gepaart, bald ein sanfter und im
320
Dex Pastor in Kartoffelfeld.
eigentlichen Verstände geriebener mürber Mann,
der in Stille und Demuth mit dem Kreuz auf dem Rücken einher wandelt.
Der Leichtsinnige
wird in solcher Schule bald ernsthaft und nach
Manchen
denkend.
guten
duldsamen Mann
würde die Welt weniger haben, wenn es keine
bösen Weiber gähe.
Ueberdteß sind böse Weiber
nicht ohne Tugend; sie haben auch ihre gute aber oft verkannte Seite.
Gemeiniglich 'sind sie von
beharrlicher Treue gegen dpn Mann, den sie quälen.
Auch Häuslichkeit und Ordnung ist
ihnen nicht abzusprechen.
Was wolst Zhr lieber
haben, eine halb — nicht ganz — häßliche, empfindliche, böse, bald zürnende, jedoch getreue
und redliche Frau, oder einen verschwenderischen Engel, der Euch liebkoset, Euch tausend Schmei-
cheleyen vorsagt, aber wenn Ihr den Geschäften nachgeht, oder nach getragener Tageslast und
Hitze Euch
dem
erquickenden Schlaf überlaßt,
einem guten Freunde leise die Thür oder das Fenster öffnet? Wählt! Nur der mag den geprie
senen Gott Hymnen anklagen, dem er eine böse und zugleich untreue Frau beschert hat, die ihm
eine drückende Krone aufsetzt. Oft
Oft stiften böse Weiber auch nach ihrem Tode noch Gutes. Wer kennt nicht jene römische Dame, die Gemahlin Tarquins des Stolzen, die durch ihre Herrschsucht die Freyheit des römi schen Volks begründete, und die Organisation eines Frevstaats veranlaßte, der viele Jahrhun derte hindurch die Bewunderung der Welt auf sich zog. Tullia, hieß sie, und muß mit der ver storbenen Tochter des nachherigen Konsuls Cicero nicht verwechselt werden. Livius hat sie Und ihre Thaten in seiner Geschichte verewigt, und hält diesem wohlthätigen Uebel die gebührende Lobrede. Auch mir sollte es so schwer nicht werden, hier auf die gesammte Zunft der Xan tippen, so wie der unsterbliche Rabener auf den Esel, eine Lobrede zu verfertigen, nicht halb so schwer als eine Leichenpredigt auf ein todtgebornes oder in den ersten sechs Wochen verstorbenes Kind, wenn ich dieses Buch bloß für böse Weiber schriebe. Da dieß aber nicht ist, so behalte ich es mir vor, ihnen zu Gunsten zur andern Zeit «in eigenes Buch ausgehen zu lassen, welches alles Gute enthalten soll, was sich von den bösen
322
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Weibern nur denken und sagen läßt.
So lange,
meine geehrten bösen Damen, beliebe» Sie Sich
zu gedulden.
Lieb würde es indessen mir dem
Autor seyn, wenn Sie es Sich gefallen ließen, auf diese Schrift, welche den Titel führen wird:
„ Philosophische Untersuchungen über den Werth böser Schönen," bey Zeilen einen Thaler Kon-
ventionsmünze zu pränumcriere»,. wenigstens zu
subscribieren, damit die Menge, der abzudruckenben Exemplare bestimmt, und das jedem Schrift steller so anstößige, den Krämern aber ange
nehme Makulatur vermieden werden könne.
Auf
sanftes zartes Velinpapier das Buch zu drucken,
lyäre unschicklich; es soll auf rauhes Koncept papier gedruckt, und mit dauerhaften Holzschnit ten statt glatter und feiner Kupferstiche geziert
werden.
Zur Erweiterung statistischer.Kenntnisse
wird man es gerne sehen, wenn nur böse Frauen
subscribieren, damit man ihre Anzahl im Scaate bestimmen könne.
druckt.
Die Namen werden vorge
Zweyter
Theil.
zrz
Fragmente einer vertraulichen Unter redung
der
Frau
Bürgermeisterin
mit ihrem Gemahl:
Bürgermeisterin.
Aber sag mir, Kind!
warum soll es denn gerade der plumpe Mensch, der Ernst, seyn? Sag mirs.
Bürgermeister.
Sprich!
Weil er sich durch Talent,
Kenntnisse und Sitten zu einer solchen Stelle empfiehlt! Der ganze Magistrat ist ihm gewogen.
Bürgermeisterin.
Sitten! Sitten! hab'
ich je einen plumpen indiskreten unmanierlichen
Menschen gesehen, so ist es Ernst. Bürgermeister.
Zch finde das nicht.
Was hat er Plumpes und Indiskretes an sich? Bürgermeisterin.
Was das für eine
Frage ist! Von einem Menschen der Lebensart besitzt, kann man mit Recht verlangen, daß er
wenigstens einer Dame die Hand küßt.
War
er wohl so galant eine Lhombcrpartie mit mir anzunchmen? und doch konnte der Mensch spie len, da er erst keine Karte kennen wollte? Hat
er wohl der Kousine oder einem andern Frauen zimmer eine Artigkeit gesagt? Hast du gesehen
324
Der Pastor in Kartoffelfeld.
als er das alte Weib, die Langhals, in den Er konnte nicht ein
Tanzsahl vorauschleppte?
mal tanzen, oder wollte aus Eigensinn auch nicht, saß da in der Ecke wie ein Aufpasser, hatte
Und der Mensch soll
Langeweile und gähnte.
Sitten haben?
Er hat gerade die Sit
Bürgermeister.
ten die zu seinem künftigen Stande erforderlich
sind. Bürgermeisterin.
Das versteh' ich nicht.
Bürgermeister.
Das glaub' ich gern,
-mein Kind! Du verstehst manches nicht.
Bürgermeisterin.
Zst das Ernst oder
Scherz? was verständ' ich denn nicht? So bin
ich wohl gar dumm, Herr Oberbürgermeister! Zch bedaure Sie- von Herzen, daß Sie Sich
eine Frau ohne Verstand genommen haben. Dürgermeiste'r.
Du hast Verstand, mein
Kind, für die Küche und für das Hauswesen,
aber auf die Wahl öffentlicher Lehrer verstehff du dich nicht.
Du weißt nicht worauf es ankommt.
Bürgermeisterin. Worauf denn? Sprich!
Bürgermeister.
Hauptsächlich auf einen
ernsten gesetzten Charakter.
Der. Prediger muß
Theil.
Zweyter kein Wildfang seyn.
325
Das hat Ernst gift ge
macht, daß er nicht spielte;
das hat er gut
gemacht, daß er nicht tanzte;
das hat er gut
gemacht, daß er um die Mädchen nicht herumhüpfte und ausgelassen schäkerte.
Sag waS du willst;
Bürgermeisterin.
genug der Pedant gefällt mir nicht.
Er hat
keine Welt; ist gegen jedes Frauenzimmer gleich gültig wie ein Stock.
Entweder er ist einfältig,
oder er hat sich schon vcrquackelt.
Bürgermeister.
Schimpfe doch nicht,
mein Kind! Gelassen! Gelassen! Da mag eine andere
Bürgermeisterin.
gelassen bleiben. gelten?
Soll ich denn gar nichts mehr
Gar nichts mehr?
Sprich, was soll
aus unserer Kousine endlich werden? Du weißt
doch, daß sie sechs und dreyßig Zahr alt ist. Die muß einen Mann haben und soll ihn haben.
Bürgermeister. Bürgermeisterin. soll!
soll!
Soll?
Za, soll ihn haben —
Gott verzeih mirs, was für ein
alberner Mann! Hat eine schöne Stelle zu be
sehen, und denkt an seine eigenen Verwandten
nicht.
Das Mädchen wird doch keinen Küster
3?6
Der Pastsr in Kartoffelfeld.
Du weißt ja, daß sie gern
heirachen sollen!
einen Geistlichen haben will.
Bürgermeister.
Nun ich will sie Herr
Ernsten an bieten. Das fehlte noch. Der
Bürgermeisterin. ist keine Partie für Sie.
Bürgermeister.
Was soll ich denn thun?
Bürgermeisterin.
Willst du deine Frau
nicht todt ärgern, so gieb Ernsten die Stelle nicht.
Nein! Gieb sie dem Mann, den ich
haben will. Bürgermeister.
Bürgermeisterin.
Du haben willst? Du? Ja, ich haben will.
So viel kann der Herr Gemahl seiner Frau wohl zu Gefallen thun, oder er ist meiner Familie
nicht gewogen.
Mein Gott, wo denkst du hin?
Hast du denn bey aller deiner bürgermristerlichen
Weisheit schoij vergessen, was jeder Junge weiß, daß sich jeder selbst der nächste ist?
Bürgermeister. weiß ich noch.
Gut, mein Kind; bas
Hier muß ich aber nicht als
Hausvater oder Verwandter, sondern als öffent licher Mann handeln, und das Beste der Stadt nach Pflicht und Gewissen besorgen.
Theil.
Zweyter
327
Sie predigen wohl
Bürgermeisterin. gar, Herr Bürgermeister!
Gesetzt ich sollte und
Bürgermeister.
wollte auch mehr für die Kousine als für die
Bürger sorgen; welchem Mann unter den Sieb zigen oder Achtzigen, die sich gemeldet haben,
soll ich sie
denn nun antragcn?
Es ist eine
eigene delikate Sache . . .
Laß diese eigene deli
Bürgermeisterin.
kate Sache meine Sache seyn.
Hat sich nicht
Petermann auch gemeldet? Sprich!
Bürgermeister.
zielst.
Ich merke wohin du
Daraus wird nichts.
mich scheiden und absehen. noch nicht
Lieber lasse ich
Petermann kann
öffentlicher Lehrer werden.
Er ist
noch viel zu juflg, hat nichts gesehen^ nichts
gehört,
nichts erfahren,
also
keine
Lebcns-
klugheit.
Bürgermeisterin.
Lebenöklugheit? Die
kann der Tuckmäuser, .dein Ernst, noch von ihm lernen.
Wie weiß sich der junge Mann so schön
in Gesellschaft zu benehmen! Wie herrlich tanzt er nicht!
Und hast du denn keine von seinen
Der Pastor in Kartoffelfeld.
318
allerliebsten niedlichen Versen gelesen?
lies!
Hier
©le zog ein Papier aus der Tasche.
Bürgermeister.
Ein guter Gesellschafter,
ein guter Spieler, ein geschickter Tänzer und ein
Poet, mag dein Petermann seyn, aber zu
einem öffentlichen Lehrer von Zungen und Alten
nicht.
Aus Zhrem Projekt,
Madam, wird nichts.
Nichts! so wahr ich
taugt er noch
Mann und ehrlich bin. Bürgermeisterin.
Nun so sollst du denn
auch........................................ ................................. ........................................
Das kommt davon!
So weit das Fragment.
Gern theilten wir
das Ganze mit, wenn man mehr sagen könnte, als man weiß, und mehr geben könnte, als man
hat.
Die Autoren pflegen sonst gern zu geben,
auch manchmal das, was sie nicht haben, und
bewirthen den Leser mit geraubtem Gut.
Zhr
aber, geliebten Freundt, welche das Schicksal
mit bösen Weibern gesegnet hat, seyd so gütig, die »Lücke zu ergänzen.
Zhr werdet weniger
Zweyte r Theil.
zr-
Mühe damit haben, als die Kritiker des vorigen und jetzigen Jahrhunderts mit den römischen und griechischen Autoren. Der brave, unter allen häuslichen Stürmen seiner Pflicht getreue Mann, ließ sich indessen in den nächsten acht Tagen weder in Gesellschaft noch auf dem Rathhause sehen. Als er wieder erschien, trug er auf seinen Backen Spuren der Verletzung, worüber das Publikum mancherley Urtheile fällte. Einige behaupteten, die Gemah lin habe mit unterdrückter Wuth dem sanften Gemahl einen Versöhnungskuß angeboten, und ihm bey dieser Gelegenheit eine etwas zu derbe Zärtlichkeit erwiesen. Andere gaben vor, bet' Streit habe sich bey Tische erhoben, und mit einem unvorsichtigen Wurf geendet, nach welcher Explosion di« Frau Bürgermeisterin in eine Art von Ohnmacht gesunken sey. Vielleicht erfährt erst die Nachwelt, wie von so manchen Dingen, die reine lautere Wahr heit. Den Leser schadlos zu halten, welches alle mal Pflicht ist, theilen wir hier das Gedicht von Petermann mit. Hier ist es:
33o
Der Pastor in Kartoffelfeld. Schmerzen hast du mir gemacht, Karoline, in der Nacht, Ohne es zu wissen. Tausendmal hab' ich geächzt, Seufzer aus der Brust gekrächzt, Un.ter Zährenflüssen.
Schmerzen hast du mir gemacht, Aus dem Morgen Mitternacht, Ohne es zu wollen. Klagen hab' ich ausgestöhnt. Mich beynah ins Grab gesehnt, Von der Bühne Nollen.
Schmerzen hast du mir gemacht, Frost mit Schweiße mir gebracht. Ohne es zu wähnen. Hart ertönt des Mundes Hauch, Wie rin Donnerwetterschlavch, In den Lebens Scenen.
Zweyter Theil.
331
Schmerzen hast du mir gemacht. Und zerstört der Holden Pracht Ohne Wohlgefallen. Harter Tritte wilder Rausch, Kündet einen trüben Tausch: Trauer muß ich lallen.
Schmerzen hast du mir gemacht, Wo mir sonst die Wollust lacht, Zn der Tage Reihen. Doch ich schließe diesen Schmerz, Zn mein fühlend traurig Herz, Und du wirst verzeihen. *) *") Herr Petermann hat sich hier doch wie jene Krähe mit fremden Federn geschmückt. Man sehe „Sprößlinge meiner Gefühle^ von G. Heise. Magdeburg 1799.
zzr
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Sich nach dem Ehestandsgewitter wieder auf
zuheitern, verreisete der Bürgermeister auf ein paar Wochen, und die feierliche Predigerwahl
wurde bis zu seiner Rückkunft verschoben.
Rei
sen sind in solchen Fällen die besten Kuren, und
helfen mehr als alle Recepte der immer noch
mit einander streitenden Aerzte.
Diese unschul
dige Gesundheitsreise zog indessen viel Neue nach sich, und gebar einen neuen Verdruß, der weit
ärger war als der erzählte.
Dem kleinen Kriege
folgte bald ein größerer, den man eben so wenig
ähnele, als vor einigen Jahren der Großsultan
den Einfall der Neuftanken in Aegypten.
So
fehlt oft der beste Mann am meisten, wo er am wenigsten zu fehlen befürchtet.
Es gab in Quebeck einen alten auf Pension gesetzten fünf und siebzigjährigen Stadtschreiber, Namens Jakob Dussenius, um den sich
seit zehn Jahren kein Mensch bekümmert hatte, und der seinen Gnadengehalt ruhig und unge
sehen im Großvaterstuhl verzehrte, und weiter
nichts that, als daß er Tabak rauchte und Zahn
stocher schnitzelte.
Gott weiß wie die Frau
Bürgermeisterin auf den Einfall gerieth, diesen
Zweyter Theil.
333
alten stumpfen Mann zum Abendessen einzuladen; genug sie that es.
Er wunderte sich frey
lich über diese so unerwartete ihm nie wieder-
fahrrne Ehre, erschien aber doch bald in seinem
stadtbekannten gelben Nock, und einer hagelweiß gepuderten ehrwürdigen Schwanzperücke, mit seiner elfenbeinernen Krücke in der Hand.
Auf der halben Treppe empfing ihn Peter mann, und führte ihn, mit HLflichkeiten über
schüttet, gleich ins Zimmer der Frau Bürger
meisterin, wo dieselbe noch von Krämpfen ge
plagt auf dem Sofa ruhte.
Tanzend sprang
Petermann herbey, und nahm dem Nestor des Magistrats Hut und Krücke ab, und die
Kousine rückte ihm den Stuhl vor das Sofa hin. „Setzen Sie Sich neben mir, lieber Herr
Stadlsekretär; ich bin heut etwas unpaß.
Wis
sen Sie ans denn nichts Neues zu erzählen?" sagte
mit
schwacher Stimme
die Frau
des
Hauses. „Neues wohl eben nicht, denn ich bin alt,
und bekümmere mich um die Welt nicht mehr." „Nun so erzählen Sie uns was Altes.
Sie
haben wohl viel erlebt, bester Mann; viel erlebt."
Der Pastor in Kartoffelfeld.
334
Der Alte liest sich nicht lange nöthigen, und
fing an -von Feuersbrünsten, Wassersgefahren
und Kriegrsnithen zu sprechen, und was er sonst
erlebt habe, wie oft dieses oder jenes Haus zu seiner Zeit schon ausgestorben sey «. s. w.
„ Der Herr Sekretär haben auch wohl recht viel Prediger hier erlebt?" „Der neue Oberprediger wird der sechste seyn,
den ich kenne.
Heißt er nicht Herr
.Ernst?"
„So soll er ja heißen.
Sind Sie am
Sonntage in der Kirche gewesen? Was denken
Sie zu dem Manne?"
„ Ze nun nach der neuen Art mag er immer gut genug seyn.
Den Leuten hat er ja gefallen.
Vor fünfzig Zähren hörte man andere Predigten.
„ Der erste Oberprediger, den ich hier kannte, war der selige Herr Magister Olearius.
Er
ist in der Kirche abgemahlt, und hinter dem
Altar liegt sein Leichenstein'.
Er wurde Abends
mit Stocklaternen begraben,. und ich habe ein
Leichenkarmen auf ihn gemacht. so an:
Es fing sich
Zweyter
335
Theil.
So bist du denn so bald hinüber!
0 weh der Stadt! dar böse Fieber Stürzt dich in finstre Todesgruft. Klagt über ihn, ihr Blutsverwandte; Betrauert ihn, die ihr Bekannte
Vom seligen Magister seyd.
„Vortrefflich! vortrefflich! ganz wie Gellert!" -riefPetermann, und bat sich^von dem schö
nen Gedicht noch eine einzige Strophe aus. 'Der Alte erwiederte sogleich folgende:
So starb Herr Olearius, Den Tod, den jeder sterben must;
Denn Mors verschonet keinen.
Ein jeder ist ihm Unterthan, Er sieht auch gar kein Alter an,
Und wenn wir alle weinen. „Niedlich! niedlich! sagte Frau Bürgermei sterin ;
war er denn ein
guter Mann,
der
Olearius? "
„Ein Mann von vieler Salbung.
Ein rech
ter Strafprediger, der einem Himmel und Hölle
336
Der Pastor in Kartoffelfeld.
abmahlen formte, als wäre er drin gewesen. Doktor BeicriuS rühmte ihn auch recht in der Leichenpredigt. Das war eine Leichenpredigt, in meinem Leben vergeß ich sie nicht. Sie währte volle zwey Stunden." Bey Tische wurde das Gespräch nach und nach dahin gelenkt, wohin es gelangen sollte; nämlich auf die Wahlgeschichten in alten Zeiten. „Vor Zeiten, hub der Alte an, ist es damit, wie mir mein Vater seliger — er war hier Käm merer —: so oft erzählt hat, ganz anders be schaffen gewesen." „ Und wie denn, mein werthester Herr Sekretär? " „ Da hatten Magistrat, Viertelsherren und Bürgerschaft, jeder eine Stimme. Erst vor siebzig Zähren, als der wohlselige Magister Schvtterius gewählt werden sollte, hat sich Mägistratus das Wahlrecht alleitr angemaßt, und weil niemand widersprochen hat, so ists denn so geblieben. Zn den alten Akten stehts anders geschrieben, meine hochzuverehrende Frau Bürgermeisterin l" Zch
Zweyter
Theil.
337
„ Ich bin eine große Freundin der allen Geschichte. men ?
Könnten wir die Akten nicht bekom
Herr Petermann soll sie mir vorlesen.
Es ist doch ein kleiner Zeitvertreib.
Gott! ich
leide so an Krämpfen!"
„Die 2lkten stehen zu Befehl.
Sie liegen
im Repösitoriurn C unter Littera D.
Mor
gen werd' ich sie übersenden." Nachdem sich der alte Stadtschreiber recht
satt gegessen und getrunken, und noch viel erzählt hatte, empfahl er sich.
Man füllte ihm beide
Taschen mit Aepfeln und Kuchen, und das Haus
mädchen mußte ihn nach Hause leuchten.
Ohne Mühe wird der geneigte Leser schließen, wie froh die Gesellschaft über diese archivarische
Nachricht war, zumal Bussenius beym Weggehn
noch hinzufügte, daß eigentlich nur ein Stadt kind befördert werden dürste, wenn nämlich ein
vorhanden sey.
Zum Glück war Petermann
jetzt da- einzige theologische Kind der Stadt, da dieselbe in vorigen Zeiten wohl fünfzehn solche
Kinder gezählt haben mochte.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
338
Petermann war der einzige Sohn eines
wohlbemittelten und eben so wohlbeliebten Vier Sobald er examiniert war, hielt er
brauers.
das Studieren für eine überflüssige Sache. Sein Vater halte Vrot und Bier für ihn, und er fühlte daher keinen Trieb,
Schullehrer
zu werden,
Kenntnisse zu bereichern.
Hauslehrer
oder
und seine dürftigen
Sine Predigt halten
zu können war von jeher sein höchstes Ziel; dieß Hatte er erreicht, nun war er zufrieden.
Nur
die Poesie ergötzte ihn noch in den vielen müßi
gen Stunden.
Er besang jeden Baum, jede
Nasenbank, jede Zillee, jede Laube, und die Reime flossen ihm zu wie Wasser.
Er war nicht
nur der einzige Stadtkandidat, sondern auch der
einzige Stadtpoet, ob er gleich oft nur aus schrieb.
Wer was g e — oder b esungen haben
wollte, wandte sich an Petermann, und er sang gern und gleich;
sein Pegasus war wie ein
Pikrtpferd immer gesattelt.
Er war daher so
beliebt, daß ohne ihn nicht leicht ein Kränzchen, Picknick oder Ball gegeben, oder ein Sylvester tag gefeiert wurde, da er zumal ein Günstling der Frau Bürgermeisterin war.
Dusfeni« s übersandte am folgenden Mor Petermann
gen die Akten ganj richtig. mußte kommen und sie vorlesrn.
Willkommen
war ihm das obsolet gewordene Stadtgesetz, daß nur Stadtkinder gewählt werden sollten, weil es ihm
in
der
Stille
schon
zum Oberprediger
uyd er unterließ nicht auf diesen
ernannte,
diplomatischen Fund sogleich ein Gedicht zu ver
fertigen , das uns aber nicht zu Händen gekom
men ist. Nach kaum vier und zwanzig Stunden sprach
man schon in allen öffentlichen Häusern von nichts, als von den aufgefundenen alten Akten.
Zeder Bürger, besonders jeder reiche, begann sein werthes Zch in der zweyten Potenz zu füh
len.
Politisch Aufgeklärte murmelten schon vom
Despotismus des Magistrats, und in specie des um die Stadt so sehr verdienten Bürger
meisters.
Ernstens schöne Predigt war so bald
vergessen, als ein Zeitungsavertissement des vori
gen Tages.
Einige Gemeindeglieder herrnhuti-
schen Sinnes, fingen schon an zu tadeln, und man hörte Kritiken und wieder Kritiken, weil
des Sündenelends nicht gedacht war.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
34°
Petermann wurde von allin Seiten her
angelrieben, sich unverzüglich in einer Wochcnpredigt hören zu lassen, und er weigerte sich
nicht.
Er wollte etwas' Wirgewöhnliches leisten,
und studierte auf eine Predigt in Versen, die Zeit war aber leider zu kurz, Und er begnügte
sich das Anfangs - und Schlußgebet in gebun dener Rede auszuarbeiten.
Das erste enthielt
eine trübselige Schilderung des Sündenfalles;
das zweyte die prächtige Vorstellung des Him mels in Alexandrinern.
Er hielt seine Predigt
am nächsten Donnerstage, und hatte ein zahlrei
ches Auditorium, obs gleich in der Woche war. Es versteht sich daß die Frau Bürgermeisterin mit ihrem ganzen Hause auch zugegen war. Die Predigt, besonders die Gebete, erhiel ten bey der Bürgerschaft großen Beyfall.
Die
Rathsherren waren nicht zugegen, weil sie schon
von der Absicht dieser geistlichen Rede unterrich tet waren. Feuersbrünste machen arme Bürger und reiche
Baumeister; theure Zeiten reiche Kornjuden; Epidemien wohlhabende Aerzte;
Kommissarien.
Kriege reiche
Die Erholungsreise des Bürger-
Zweyter
Theil.
341
Meisters von Quebeck machte Erlistens Unglück und Petermanns Glück.
Die böse Frau Bür
germeisterin hatte während der Abwesenheit ihres
Gemahls gehörige Zekt ihre Plane sicher durch
zusetzen.
Sie kannte den Ehrenmann Kusian,
einen der Viertelshcrren der Stadt. Kusian hatte von Natur ein großes Talent zum Widerspruch und zum Tadel.
ihm recht.
Nichts war
Keine bisherige Einrichtung und
Verfassung stand ihm mehr an.
Die Worte:
Freiheit und Gleichheit, die so oft unrecht erklärt werden,
setzten ihn jedes Mal in Entzückung,
und in allen Anordnungen seiner Obern witterte er Despotismus und Kränkung der Menschen
rechte.
Gern hätte er die Geldbeutel der Nei
chen arithmetisch dividiert, weil der Seinige oft nicht gefüllt war; gern Domainen - und Ritter
güter für Gemeingut erklärt,
wenn er Macht
und Gewalt genug gehabt hätte.
Leider mußte
er es bey dem Räsonieren bewenden lassen, das
ihm aber sehr gut vom Maule ging, besonders wenn sich sein Geist mit dem Geist der Liköre vermählte.
Oft wollte er, wie Trenk, nach
Frankreich gehen, nm seine Revolutionstalente
342
Der Pastor in Kartoffelfeld.
im vollen Glanze zu zeigen, und — wie wohl
der Fall gewesen seyn möchte — seinen Kopf
dort abzuliefern.
Diesen Mann ließ die Frau Bürgermeisterin zu sich rufen, sprach viel von den in alten Zei ten gekränkten und eingeschläferten Rechten der
Bürger, und empfahl sie seiner Fürsorge, mit der Versicherung, daß es ihrem Gerechtigkeit
liebenden Mann nicht unangenehm seyn werde.
Sie händigte ihm die alten Aktenstücke
ein,
sprach viel zu Petermanns Lobe, und rügte
besonders den Umstand, daß er das einzige theo logische Stadtkind sey.
Zhr Mann sey freylich
noch nicht für ihn, sondern für den Fremdling
Ernst gestimmt, allein er habe ein weiches
Herz, und lasse sich zu leicht für oder gegen jemand einnehmen. Der dicke Kusian schleppte diese Akten
gleich in all« Häuser, und deklamierte entsetzlich
gegen den Magistrat.
Bald war die ganze
Stadt in Gährung gebracht- wiewohl äußerlich noch Ruhe und Stille herrschte, wozu Kusian auch sehr rieth, damit alles, was er im Sinn
hatte, desto unerwarteter und plötzlicher käme.
Zweyter
343
Theil.
Der Wahltag erschien. 'Schon saßen Mor gens um zehn Uhr die Herren des Raths am
elliptischen blau behangenen Tische auf ihren ge polsterten Stühlen. Ohne viele Disputation wur
den sie bald einig, keinen andern zu wählen, als den Mann, der ihnen die schönen Predigten dcdi-
ciert, eine noch schönere gehalten, und sich in Gesellschaft so gesetzt und sittsam betragen halte.
Die kleinen Auftritte und Unruhen kamen in
keine sonderliche Betrachtung, und dem Sekretär wurde das Protokoll diktiert. Plötzlich aber änderte.sich alles.
Kusian,
mit den alten Akten unter dem Arm, an der
Spitze von zehn Viertelsmännern, trat mit ziem lichem Geräusch in den Sahl.
Seine Augen
funkelten, seine Miene war flämisch, und in
einer quäkenden eifernden Tenorstimme schrie er
den Herren stotternd lauter Grobheiten entgegen. „Wir! wir! wir! protestieren, protestieren?
Hier, hier! sind Akten! sind Akten! rief er, und warf diese mit Ungestüm auf den Tisch. Der Despotismus soll ein Ende haben.
Wir
und die Bürger müssen auch gefragt werden, sonst passiert «ine Revolution. .Dieß sagt Kusian,
344
Der Pastor in Kartoffelfeld.
der Magistrat soll an Kusian gedenken —"
Mit geballter Faust schlug er zur Bekräftigung
des Gesagten auf. den Tisch, und fügte noch
hinzu: „ Ein Stadtkind muß es seyn!" Die übrigen zehn Viertelsherren murmelten
dieß wie ein Echo getreulich nach, und man hörte oft die Worte Potismus und Volution ertönen.
Mit entfärbten Gesichtern sahen sich die Her ren einander an, und dem Protokollführer fiel
die Feder aus der Hand.
Nach einer nicht gar
langen Pause stand der Bürgermeister auf, bat
um Stille, und hielt in sanftem aber gesetztem Tone folgende kleine Rede:
„Seyn Sie ruhig, meine Herren! Nicht so
stürmisch! wir thun Zhne» nicht Unrecht.
Ich
kenne dieses alte Aktenstück, weiß was es ent
hält, und Sie wissen es mit mir.
Allein vor
achtzig Zähren ist, einem andern Aktenstück zu
Folge, das Wahlrecht dem Magistrat mit Aus schließung der Bürgerschaft und Viertelsherren,
vom Hose aus allein übertragen. lassung war diese.
Die Veran
Einst.entstand bey. der Pre
digerwahl, die gewöhnlich in. .der Kirche nach
Zweyter
gehaltenem Gottesdienst
Theil.
vorgcnomMen wurde,
ein entsetzlicher Lärm und Tumult.
Parteien,
345
Es gab
die erst in lebhaften Wortwechsel,
dann in Gezänke, und endlich ■— was schrecklich
ist — in der Kirche auf dem Platz vor dem
Altar in eine heftige Schlagerey geriethen.
floß Blut, wo nie Blut fließen sollte. schreckliche Scene bewog den Hof,
Diese
uns
Wahlrecht ausschließlich zu übertragen.
werden
Es
das
Wir
uns dessen nach besten Gewissen be
dienen. " „Wo sind die Akten? wir müsset» sie sehen!" rief Kusian, der mit hämischer Miene und klei nen flammenden Augen den redenden Bürgermei ster angesehen hatte.
Gleich suchte der Registrator — aber er
konnte sie in allen Schränken nicht finden.
Wo
er ihre Stelle vermuthete war eine Lücke — Nun begann das Protestieren und der Lärm von Neuem.
Man wollte gegen den Nevolu-
tionsgeist Strenge gebrauchen, bedachte sich aber, als sich die ganze Bürgerschaft mit Weib und
Kind lärmend unten vor dem Nathhause zeigte, und schon dasselbe, gleich der Dastille, zu dcmo-
34
Der Pastor in Kartoffelfeld.
fieren drohte, wenn sich der Magistrat ihrer ge rechten Sache im Geringsten widersetzen würde. „ Ein Stadtkind! Ein Stadtkind! sollt Zhr uns geben, schrie tobend der Haufe, warf die Hüte in die Höhe, und rief: Peter mann ist Pastor! Petermann solls seyn! Vivat, iuvat, Petermann! Der übertäubte Magistrat sah sich genöthigt die Sitzung aufzuheben, und war froh, als et durch die Menge, ohne thätlich beleidigt zu seyn, hindurch geschlüpft war. Ihre- Sieges eben so sehr froh als ihres Verstandes, schante die Frau Bürgermeisterin in einer großen neuen Haube den ganzen Tag mit triumphierender Miene, jedem vorübergehenden Bürger Huld zulachend,-zum Fenster heraus, und es bedurfte keiner physiognomischen tiefen Weis heit, in ihrer ganzen Positur den Gedanken zu lesen: „Das war mein Werk!^ Desto niedergeschlagener war ihr edeldenken der Gemahl. Zn tiefsten Gedanken ging er in seinem verschlossenen Studierzimmer auf und ab. -Erst nach einigen Tagen schrieb er dem Superin tendenten folgende» Brief:
Zweyter
347
Theil.
„ Mit einer sonst nie empfundenen Wehmuth muß ich Zhäen die betrübte Nachricht schreiben, daß ich nur mit Mühe Ihrem aufblühenden
Redner zur hiesigen Pfarrstelle werde verhelfen können.
Alles ist ganz anders gekommen, als
wir dachten.
Nach meiner Rückkunft von einer
Erholungsreise, auf welcher ich mich näch einem
häuslichen Verdruß zerstreuen und stärken wollte, machte mir ein völliger ?lusruhr der hiesigen
Bürger einen noch größern.
Aus der Traufe
kam ich in einen Platzregen.
Die ganze Bür
gerschaft fand ich im Aufruhr, wozu ein altes Aktenstück Gelegenheit gegeben hat.
Diesem zu
Folge hat der Magistrat nur Eine Stimme bey der Wahl, und zwey die Bürgerschaft.
Zch
weiß daß diese Verfassung längst aufgehoben ist,
es sind davon auch Akten vorhanden, aber zu meinem Erstaunen fehlten sie im Archive; ich konnte also die unruhigen Köpfe nicht rechtlich
widerlegen.
Wo sie hingekommen sind, weiß
ich nicht, vielleicht find' ich sie einst in meinem
eigenen Hause — Meine Frau--------------doch
Nichts davon — es zittert sonst gleich die schrei
bende Hand.
348
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Den alten Akten gemäß verlangt die Bür gerschaft mit Ungestüm daß ein Si7dtkind, und zwar der närrische Kandidat Petermann gewählt
werde. Traurig für mich! traurig für Sie selbst. Noch aber ist alle Hoffnung nicht verschwun
den.
Ein auf die neuen Akten — wenn wir
sie nur erst finden — gegründeter Proceß, kann diese tumultuarische Wahl leicht wieder umstoßen.
Hiermit trösten Sie
meinen und Ihren
Freund, den braven Ernst.
Wie doch die Schick
sale der Menschen sobald eine ganz andere Rich
tung nehmen können!
Sie verzeihen
daß ich nicht ausführlicher
schreibe. Kopf und Brust sind mir zu voll.
Nur
das noch, daß ich lebenslang bleibe
Ihr Freund, der Bürgermeister N.."
349
Drittes
B u ch.
93 on Zeit zu Zeit hatte der Superinteüdent den Nachrichten von Quebeck entgegen gesehen, und Ernst alle Stunden gezählt.
Endlich
brachte
denn der Postbote obigen Brief. • „ Ich gratuliere! ich gratuliere! sagte der
Superintendent, der eben zu Tische saß; wir
wollen
aber den
Brief erst bey einer Flasche
Wein eröffnen, um ihn desto fröhlicher zu lesen. Es ist des Dürgermeesters Hand und Siegel. Nur ein Viertelsiündchen,
öffnen.
dann will
ich ihn
Gute Nachrichten enthält er gewiß."
DaS Herz pochte Ernsten bey diesem Scherz seines Freundes, der sich das Vergnügen machen
wollte, seine Geduld zu prüfen.
35ö
Der Pastor in Kartoffelfelds
„Sie haben so lange auf Beförderung ge wartet, das Viertelstündchen können Sie mei nem Manne zu Gefallen noch zugeben, sagte die
Superintendentin; es soll gleich Wein kommen." Der Bediente erschien auch bald mit der Fla
sche.
Es wurde getrunken, bald, diese bald jene
Gesundheit; bald des Bürgermeisters, bald des alten Herrmanns, bald dieses bald jenen Freun des, zuletzt auch Louisens.
„Nun ists Zeit, sagte der Superintendent,
daß wir den Brief lesen;" er erbrach ihn, las, ward still, rieb sich die Stirne, und sprach kein
Wort. Schauerlich ward Ernsten in allen Gebeinen, starr war sein Blick auf seinen schweigenden Gönner geheftet.
Endlich überreichte ihm dieser
den Brief, er las und konnte sich der Thränen nicht enthalten.
Der Superintendent bestrebte sich ihn so
gut zu beruhigen als er nur konnte — aber
umsonst — „Der Proceß wird gewiß gewonnen, nur
Geduld! «erden."
Hoffnung
läßt
nicht zu Schanden
T he t l.
Zweyt e.r
351
„Unmöglich kann ich mich durch einen Pro-
eeß
den
Leuten aufdringen,
oder aufdringen
lassen." „ Schön gedacht!
vielleicht aber auch zu
schön!"
„Nicht zu schön. Mein ganzes Gefühl sträubt
sich dagegen.
Die Vorsehung muß mich eines
Lehramtes nicht würdig finden! Gern wollte ich ein anderes Fach ergreifen, wenn ich nur nicht
zu alt dazu wäre.
Immer kein Glück! wie will
es endlich werden!" „Unverhofft kommt oft! ich rechne noch auf
den Grafen von M ...
Er ist ein eigner, aber
auch großmüthiger Herr.
Der Pfarren sind ja
viel in der Welt," u. s. w. So bemühte sich der Superintendent den tief bekümmerten Mann zu trösten; allein ohne son
derlichen Erfolg.
Er gerieth abermals in eine
melancholisch - hypochondrische Grübeley , hatte schlaflose Nächte und schwermüthige Tage.
Sich
selbst eine Last quälte er sich mit dem Gedanken,
daß er auch nun seinem Wirth eine Last seyn werde.
35»
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Ziel ihm sein Mädchen ein, so war er zuwei len in der Einsamkeit dem Wahnsinn nahe, und wünschte seinem Leben ein Ende.
Wo man ihn sah ging er in tiefen Gedan ken.
Die erquickende Schönheit des alles bele
benden Frühlings sah und empfand er nicht. Zuletzt, gerieth er auf den verzweifelten Gedan
ken, auf gut Glück tief in die Welt hinein zu gehen, den er schon einige Mal gehabt hatte, und empfahl sich seinem Wirth unter dem Vor wande, daß er auf einige Wochen verreisen, und
zur Aufheiterung gute Freunde besuchen wolle;
und dieser empfahl ihm zunächst die Prediger seiner Diöces, welche der Unglückliche seit seinem
Hierseyn fast alle hatte kennen lernen.
Mit den vier Pistolen, die er als H'onorar empfangen hatte, und noch einigen Thalern in' der Tasche, wanderte her ehrliche Mann nach einem rührenden Abschied unter Gottes blauem
Himmel zwischen reichen Kornfeldern in die Welt
hinein, und sang sich nicht ohne Wehmuth das Lied:
Zweyter
Theil.
353
Lied: „Weine nicht, Gott lebet noch!" das ihm
in gegenwärtiger Lage recht erbauend und tröst lich war.
Sein Genius gab ihm ein, den muntern, aufgeweckten Pastor Hein zu besuchen, den er
einige Mal in des Superintendenten Hause ge sprochen halte.
Es war zwey Tage vor dem
feierlichen Bus; - und Dettage, als er in das Er fand den Wirth so
Haus desselben trat.
betreten, so zerstreut, mißvergnügt und verdrieß
lich, daß er ihn ganz verkannte.
Kaum hieß
er ihn willkommen, und wenn er drey Worte
gesprochen
hatte,
war
er
wieder
in tiefen
Gedanken.
Ernst wollte seinen Wanderstab weiter setzen, erhielt aber durchaus keine Erlaubniß.
und mußte bleiben.
Er sollte
Uebrigens blieb der Herr
Pastor, Kopfschmerzen vorwendend, gleich distrait, gleich verdrießlich.
Desto freundlicher war sein« Frau.
Sie
führte den Fremden in ihrem schönen Pfarrhause herum, und erklärte ihm bey dieser Gelegenheit
die gegenwärtige üble Laune ihres Eheherrrz. „Nehmen Sie es doch ja nicht übel, mein
»3
Der Pastor in Kartoffelfeld.
354
guter Mann kann nicht dafür.
Bußtage sind
für ihn wahre Bußtage." „Wie das?"
„ Er braucht drey Tage Zeit zu der Predigt, muß sie Tag und Nacht von Wort zu Wort aus
wendig lernen, und dann — will sie ihm auf der Kanzel doch nicht gerathen, wenn er nicht
liest.
Des Sonntags gehts noch an, da hat
er seinen Jahrgang, den er einmal auswendig
weiß. *)
Ich habe oft meine Noth mit ihm,
denn er ist entsetzlich eigensinnig, wenn er studiert.
Gott weiß aber er kann nicht dafür." Gleich erbot sich Ernst die schwere Dußtags-
predigt zu übernehmen, und das war für den
*)
Dieser soll aus 57 gelben Oktavheften
bestanden haben, wovon sonntäglich eins an die
Reihe kam, halb deklamiert, halb abgetesen zu
werden.
So ähnlich sie sich an Farbe und Format
waren, so waren sie es auch im Innern.
Eine
aus dem Stande der Unschuld,- Sünde, Gnade und ^Herrlichkeit zusammengesetzte Masse war bald
so bald so geformt und zubereitet.
Vieles war
auch entlehnt, und manches dieser 57 Hefte würde
halb leer gewesen seyn, wenn jede Postille das Ihrige hatte viydicieren können.
Zweyter Herm
Pastor
eine
sehr
Theil.
355
fröhliche
Botschaft.
Gleich enirunzelte sich seine Stirn, und fröhliche
Laune füllte sogleich seine ganze Seele; er ward so lustig daß er hätte springen und tanzen mögen, so froh und aufgeräumt als ihn Ernst in des
Superintendenten Hause des Montags immer gesehen hatte und zu sehen gewohnt war.
Ernst predigte in der geistlich - hungernden nnd dürstenden Gemeinde mit großem Beyfall. Da er kein Heft mit auf die Kanzel nahm, und
sogar nach Ablesung des Textes seine Bibel bey Seite legte, und alle Sprüche aus dem Gedächt
niß anführte;
so urtheilte man, er sey der
Gelehrteste aller Gelehrten, und wisse die heilige
Schrift vom ersten Buch Mosis bis zur Apoka lypse auswendig.
Der Pastor, hieß es, müsse
bey ihm in die Schule gehen.
Eifersüchtig auf fremdes Lob war Hein eben nicht.
Er sah es gern, wenn seine Vika-
rien Beyfall hatten, und hörte ihnen andächtig zu.
Er dachte nicht wie einer seiner Amtsbrü-
dcr, der Pastor Wunderling, der seine Kanzel
vor fremdem Zutritt gleichsam bewachte, weil er
befürchtete übertroffen zu werden.
Zur Demän»
356
Der Pastor in Kartoffelfeld.
telung dieser homiletischen Eifersucht gab er vor, er predige, die Reinigkeit der Lehre zu erhalten, jederzeit selbst. „Sie sind recht zum Orator geboren, sagte Herr Pastor Hein zu Ernsten über Tische. Aber ich — Landwirth hatte ich werden sollen, so könnte ich froh und vergnügt leben, reich und groß werden. Allein das Schicksal hat einen Theologen aus mir machen wollen, und ich muß bekennen, daß die Theologie eben meine Sache nicht ist. Zch scherze nicht. Wir reiten nach Tische spazieren, und dann will ich Ihnen mehr erzählen." Es währte kaum eine Stunde, so führte der Bediente zwey gesattelte rasche braune Engländer vor, und beide Herren trabten durchs große Dorf ins grüne Feld.
Mit wahrer Wonne zeigte Hein seinem Freunde das dichte wallende Getreide auf den Pfarräckern, daß sich jederzeit von der Saat der Nachbarn merklich unterschied. Dey jedem Acker stück wurde angehalten, eine zehn - oder mehr jährige Meliorationsgeschichte erzählt, auch Grund
Zweyter
Theil.
357
und Boden fast mit Germcrshausischer Einsicht recensiert.
„Zst das nicht eine Freude, hub Hein an, als sie vor einer sanftwallenden großen Weitzen breite langsam vorüber ritten, Gottes Segen
und die Früchte seine- Fleißes so vor sich zu sehen! Vor fünfzehn Zähren sollten Sie diese
Breite gesehen haben. Dornen und Disteln trug sie, und daS Getreide galt nichts.
Jetzt kann
ein fleißiger Oekouom was verdienen; ich bin auch heute seelenvergnügt, aber morgen---------
oder höchstens übermorgen —------- "
„Und was denn morgen?"
„Morgen geht mein Leiden wieder an."
„Was für Leiden?" „ Es kann Zhnen schon bekannt seyn.
Mor
gen ist Donnerstag, ich muß von allen wirthschaftlichen Freuden abstrahieren, und auf eine Predigt sinnen, wenigstens ein» memorieren."
„Erlauben Sie, so will ich auch den Sonn tag Zhre Stelle vertreten? "
„Von Herzen gern, Wenns Zhnen nur nicht zu sauer wird, liebster Freund!"
358
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„Nicht zu sauer; ich benutze die Frühstun den, und diese sind für mich genug."
"
„ Nun so kann ich dann in den nächsten acht Tagen sorgenfrey, froh und vergnügt seyn; wir wollen auch ausreiten, ausfahren und uns alle
mögliche Zerstreuung machen." Ernst bewunderte auf diesem Spazierritt nicht nur die Fruchtbarkeit, sondern auch die Menge
der Pfarräcker, Wiesen und Holzung, und konnte nicht unterlassen zu fragen, wer diese herrliche
Stelle zu besetzen habe. „Ich selbst," sagte Pastor Hein.
„Sie selbst?" „Za, ich selbst.
Zch habe mich selbst beru
fen und verordnet, und. wenn ich mir als Pastor
nicht mehr gefalle, kann ich mich auch wieder absehen und einen andern wählen.
Sie ist ganz
mein, nur daß ich sie nicht verkaufen und säku larisieren kann." „Ein Räthsel för michl" „Zch will es auflösen — Mein Vater war
ein begüterter Pachter eines durch Spiel und Mätressen verarmten Edelmanns, und ich sein einziger schon in der Wiege der Kanzel geheiligter
Theil.
. Zweyter Dohn.
359
Der Edelmann hatte am Ende nichts
mehr übrig, als das Patronatrecht über meine
Pfarre.
Er verkaufte es meinem Vater für fünf
hundert Thaler, und ging in die weite Welt,
wie man glaubt, nach Frankreich; ob er noch lebt, weiß man nicht.
Man kann sich vorsicl-
len, daß der neue Pfarrpatron diese Stelle nie
mand anders zugcdacht hatte, als seinem einzigen lieben Heinrich, der damals auf der Schule
zu P... siudicrte, oder eigentlich seine Zeit
hinbrachte.
So viel weiß ich noch, daß ich zu
den Büchern gar nicht Lust hatte, und von jedem Monat wenigstens zehn Tage zu Hause zubrachte.
Hier trieb ich mich in der Oekonomie herum, und
fand an Pferden, Fohlen, Ziegen und Truthüh nern weit mehr Vergnügen als Grammatik.
an Langen-
.Endlich mußt' ich denn doch die
Universität Halle beziehen.
Hier hielt ich mir
ein eignes Reitpferd, und frequentierte mehr die
öffentlichen Häuser von Passcndorf, Schlettau, Reudeburg, Lauchstädt u. s. w. als die Collegia
Theologica, hatte auch einen großen Hühner
hund, und ging fleißig auf die Zagd.
Dee Pästvr in Kartoffelfeld.
z6o
„So lebte ich als Mufenfohn zwey Zahre
herrlich und in Freuden.
Nach Verlauf dersel
ben hielt ich mich im väterlichen Hause und auf dem väterlichen Hofe, mitunter in den Ställen und Scheuern so lange auf, bis mein Vorgän ger, der steinalte Pastor Lempe, oder wie er
sich lieber schrieb, Lempelius, starb.
Und nun
wurde der Herr Sohn ohne Umstände zur Pfarre präsentiert.
„Zm Examen wurde ich freylich zwey Mal abgewiesen, guten Freunden verdanke ichs, daß
ich das dritte Mal bestand.
Meine Probepre
digt fiel nicht zum Besten aus; Männer und Weiber protestierten unter vielem Lärm gegen den
Kandidaten, der nur gelesen aber nicht gepredigt
hatte, gelesen.
und zwar ängstlich und unverständlich Da sich aber gegen mein Leben und
Wandel weiter nichts «inwenden ließ, als daß
ich Pferde und Hunde mehr geliebt hatte, als die theologischen Musen; so wurden keine Kompli mente gemacht, und trotz allem Unwillen b£t
Dauern und Bäuerinnen wurde ich eingeführt.
„So ward ich vor neunzehn Zähren was ich heute noch bin.
Gott weiß aber wie herzlich
Zweyter Theil.
z6i
sauer mir in dieser Zeit mein Amt geworden ist, und heute noch wird. Sie predigen doch gewiß kommenden Sonntag? Zst ein Wort? " „ Ganz gewiß. Haben der Herr Prediger keinen Sohn, dem Sie diese schöne Stelle hin terlassen könnten?" „Leider nicht, so sehr ich ihn wünschte. Zch habe aber ein anderes Projekt." „Haben Sie auch keine Tochter?" „Ja, eine einzige. Sie ist in Pension." Unter diesen und andern Gesprächen ver schwanden einige Stunden, und beide kamen nach Beschauung der Aecker vergnügt im Pfarr hause wieder an, wo die Frau Pastorin ein schö nes Abendessen bereitet hatte.
Ernst hielt seine zweyte Predigt mit noch grißerm Beyfall als die erste, und mußte ver sprechen auch noch die dritte zu halten, weil.ihn nicht nur sein Wirth, sondern der Schulze im Namen der Gemeinde darum bat. An eben diesem Sonntage erschien Hedwig, die Tochter des Herrn Pastor Hein, bey ihren
z6r
DerPastor in Kartoffelfeld.
Aeltern zum Besuch.
Sie, das einzige Kind
des begüterten Vaters, genoß der besten, wenig stens der kostbarsten Erziehung, die nicht jeder Landgeistkiche seinen Kindern zu geben vermag.
Zn allen schönen das weibliche Geschlecht zieren den Künsten hatte sie Unterricht, und faßte ihn
vortrefflich.
Sie spielte fertig das Klavier, und
sang mit vieler Empfindung, sie tanzte, stickte
lind zeichnete vortrefflich.
Sie las am liebsten
einen Roman mit Geschmack, schrieb einen schö
nen Brief, und wußte recht artig, fein und wihig zü unterhalten.
Kurz sie war ein gebil
detes Frauenzimmer, und übcrdieß äußerst schön und reihend von Wuchs und Gestalt.
Zeder
Züngling fühlte sich in ihrer Nähe glücklich und bezaubert.
Kein Wunder, wenn diese blühende
sechzehnjährige oder siebzehnjährige Schöne auch auf unsern ehrlichen Kandidaten einigen Eindruck machte, und er in ihrer Nähe nicht ganz kalt
blieb.
Sie gefiel ihm, ja sie reihte ihn, nur
Eins hatte seinen Beyfall nicht.
Der Blick
ihres Auges war ihm nicht hold, nicht sanft,
nicht bescheiden, genug, sondern kam ihm ein
wenig zu frey und eroberungssüchtig vor.
Zweyter
Theil.
363
Indessen war die Schöne mit der Haupt
grund, warum er sich erbitten ließ einen ganzen
Monat und drüber bey Herrn Hein zu bleiben, und in dieser Zeit, wie sich schon halb und halb
versteht, jedesmal für ihn zu predigen.
Bald
war eS auch als gehörte er ganz zur Familie,
und es entstand unvermerkt zwischen ihm und der schönen Hedwig diejenige Art von Liebe, welche
man die platonische zu nennen pflegt; eine Liebe,
wo sich nur die Seelen genießen; wenigstens war es bey dem Kandidaten, wie wir auf Treue und Glauben versichern können, diese Seelen
liebe allein, was er für die schöne Hedwig empfand.
Sie waren fast immer bey einander,
fast immer in scherzhaften und witzigen Gesprä chen begriffen.
Hedwig ward ganz zutraulich.
Niemand war über diese übersinnliche Liebe, wo bey aber doch wohl zuweilen ein geistiger sittsa
mer Kuß gegeben wurde, vergnügter, als Hed wigs Aeltern, und vorzüglich die Mutter; wie
sich denn manche Mütter über die anhebenden Liebesgeschichten
ihrer Töchter
herzlich freuen
sollen; ob sie ganz recht daran thun,'wollen wir
nicht untersuchen.
Am Tische mußte Hedwig
364
Der Pastor in Kartoffelfeld.
jederzeit ihren Platz neben Ernst haben; sie sprach ihn aufgeräumt, und schenkte ihm den Wein ein. Auf Spaziergängen hing sie zärtlich an seinem Arm. Eigentlich hätte sie wieder abreisen sollen, aber auf ihre, vielleicht auch auf des Kandidaten Bitte, erhielt sie bald Erlaub niß einige Sommermonate zu Hause zu bleiben. Ernst ward bey dieser geistigen Liebe ganz verjüngt. Er vergaß sein ganzes Mißgeschick, ja er vergaß fast seine geliebte Louise, welche das ehrlichste Herz, aber nicht ganz den feinen Witz und die Aufgewecktheit der schönen Hedwig hatte. Stundenlang saß er bey ihr am Nähe rahmen, sah ihren Zeichnungen und Stickereyen zu, und stundenlang wurde über Kleinigkeiten gesprochen und gescherzt. Manchmal war das Gespräch auch ernsthaft, besonders wenn Ernst auf seine Pfarrgeschichten kam. Hedwig bedauerte ihn, nahm an seinen Schicksalen den sichtbarsten Antheil, und tröstete ihn mit den schönsten Hoff nungen. Einst fragte sie ihn in einer vertraulichen Stunde, von welchen Aeltern er entsprossen sey, ob, und welche Verivandte er habe, u. f. w.
„Das ist eine Frage, versetzte Ernst, di« mir schon oft ist vorgelegt worden, die ich aber nie beantworten konnte, und wer weiß, ob ich sie je werde beantworten können. Aeltern habe ich gewiß gehabt, sonst wäre ich nicht da, aber gesehen uud gekannt hab' ich sie nie. Mein Vater soll ein Gärtner gewesen und früh gestor ben seyn; meine Mutter noch früher." „Wie sind Sie aber als Waise durch die Welt gekommen?" „Recht gut; wie und wodurch aber, weiß ich selbst nicht. Zch bin auf einer öffentlichen Anstalt sehr anständig erzogen worden. Einer meiner Lehrer besorgte Kleidung, Bücher, und was ich nöthig hatte, ohne mir zu sagen, woher er das Geld dazu bekam. Auf der Universität bekam ich meinen vierteljährigen Wechsel ganz richtig; wer ihn aber schickte, weiß ich nicht. Er war jederzeit mit einem lehrreichen Ermahnungöbriefe begleitet, aber ohne Namen. Zn de» ersten fünf und zwanzig Zähren meines Lebens ging alles gut Aber jetzt ist «ine trau rige Windstille. Mein Glücksfchiff kann keinen ^>afen erreichen, und wenn ich einen vor mir
g66
Der Pastor in Kartoffelfeld.
sehe, erheben sich plötzlich Stürme, treiben er zurück, und geben es den Wellen Preis." Bald hätte ihm Hedwig auch die delikate Frage vorgelegt: Ob er schon eine Geliebte habe? sie besann sich aber. Frau Pastorin Hein gerieth in dieser Zeit auf den Gedanken, einige ihrer Zimmer neu mahlen zu lassen, weil eben eine neue Mode aufgekommen war. Diese Hausreform, welche .wohl noch halte aufgcschoben werden können, verursachte eine Versetzung der Schränke, Tische, Stühle, upd unter andern auch der Gastbetten. Ernst, der bisher in einer Kammer hinter der Visitenstube geschlafen hatte, bekam sein Nacht quartier, weils nicht zu ändern war, in der Kammer hinter dem Zimmer wo Hedwig schlief. Hedwig war gewohnt früh zu Bette zu gehen, und Pastor Hein, ihr Vater, pflegte gern mit seinen Gästen bis. tief in die Nacht hinein zu plaudern und zu discurieren. Unser ehrliche Kan didat gerieth daher in eine nie erlebte Lage, die ihm halb wonniglich, halb schauerlich war. Er mußte jeden Abend das Zimmer der schönen oft schlafenden, oft auch wachenden Hedwig passieren,
Zweyter
Theil.
367
rott deren Bettstelle, bey gegenwärtigen Unruhen
im -Hause, da alles verbessert, gemahlt und
gewaschen wurde, auch die Umhänge abgenom men waren.
Die erste Zeit zog er sich die
Schlafmütze tief über die Augen, nahm seine Pantoffeln unter den Arm, und schlüpfte schnell und leise durch das Zimmer, und war froh, wenn der kritische Augenblick vorüber, und er in seiner
Kammer angckommen war.
Unruhig aber schlief
er, wenn seine nur durch eine unverschlossene
Thür von ihm geschiedene schöne Nachbarin sich im Dette regte, oder zuweilen zu husten anfing.
Oft gerieth sein ganzes negatives Ich in Empö rung und Aufruhr.
Zn seiner Brust glimmte
ein Feuer, das jeden Augenblick Flamme zu fas sen drohte, und nur mit Mühe gedämpft wer den konnte, aber immer noch gedampft wurde.
Pastor Hein, ein Liebhaber von Scherz, besonders wenn er das schöne Geschlecht betraf,
und der is, ich weiß nicht wie, erfahren hatte,
daß Ernst jedes Mal mit der Schlafmütze vor
den Augen, pfeilschnell seinen Gang that, de» mancher süße junge Herr ganz langsam gethan habey würde, unterließ nicht über seinen Gast
»68
Der Pastor in Kartoffelfeld.
zu spötteln, und ihn mit feiner übertriebenen Behutsamkeit und Schüchternheit freundschaftlich
jum Besten zu haben.
Fast jedes Mal über
Tische mußte die keusche Nachtmütze hcrhalten.
„ Sonderbarer Mann!
sagte er.
Können
Sie denn.kein schlafendes Mädchen sehen? Zm Schlaf sind ja die Mädchen gerade am schönsten. Zch, als junger Mensch, war so einfältig nicht.
Hübsch dreist.
Ein Kuß auf einen schlafenden
Mund schmeckt wie Ambrosia." Auf eine ähnliche Art sprach Frau Pastorin. Manchmal war sie noch muthwilliger als der
Herr Gemahl.
„Line Nachtmütze, sagte sie
einst, trägt die andere."
Auch Hedwig scherzte zuweilen, versteht sich, jüngferlich.
Sie nannte sich ein Gespenst, und
sprach von Aberglauben.
Der Schäkereyen müde, beschloß der Kan
didat, künftig die Nachtmütze vor den Augen wegzulassen, und Herz zu fassen. Einst disputierte Herr Hein mit seinem Gast
des Abends länger als gewöhnlich.
Aeußerst
aufgeräumt, weil Ernst bereits die vierte Pre digt übernahm, siel es ihm ein, noch eine Flasche
Rhein-
Zweyter Theil.
369
Rheinwein au< dem Keller holen zu lassen. Ewurde gesprochen, gescherzt, gelacht, bis in die tieft Nacht. Nun hatte Ernst endlich die Dreistigkeit, die dazu gehörte, mit natürlich offnen Augen durch das Schlafzimmer eines siebzehnjährigen Mäd chens zu gehen. Er ging auch dieses Mal lang sam, und warf einen neugierigen Blick auf das weiße Bette. Noch weißer als das Dette, weiß wie Lilien, fiel ihm der gewölbte, sich sanft hebende und sen kende Dusen bet schlafenden Schönen ins Auge, ohne Schleier ganz ins Auge. Leise trat er mit dem Licht heran, und stand da, wie versteinert und verstärkt, konnte sich aber nicht satt sehen. Heiß ward sein Dlut als wollt' es kochen. End lich ............. gerieth er aitf die Desorgniß, die holde sanft schlafende Venus möchte sich erkälten, griff nach dem nächsten leichten Tuch, deckte bescheiden aber zitternd alle Schönheit zu, und — schlich sich davon. Ob er diese Nacht geschlafen oder nicht ge schlafen habe, wird der Leser selbst bestimmen; so viel können wir sagen, daß er am folgenden
Der Pastor in Kartoffelfeld.
570
Morgen sehr trübe und düster aüssah, und über
Kopfschmerjen klagte.
Ze öfter Ernst hier den geistlichen Redner stuhl betrat, desto höher stieg sein Beyfall, desto zaghafter aber ward zugleich der gute Pastor
Hein.
Einstmals verlor er an heiliger Statte
schnell alle Besinnungskraft, weil er im Heft eine
Seite überschlagen hatte, begann zu zittern und zu stottern, und mußte seine Zuflucht zum Vater
unser nehmen. Dieser traurige Vorfall erregte allgemeines
Aufsehen, und bey Vernünftigen Mitleid.
Man
trug sich mit der Sage, er habe die Predigtkunst nun völlig verlernt, und werde einen Gehülfen bekommen;
und dieser müsse kein anderer seyn
als Kandidat "Ernst.
Die Gemeinde werde ihn
sich ausbitten.
Dieß mag die Veranlassung seyn, daß Ernst
auf seinem Tische kurz darauf folgenden Brief fand, neben welchem noch ein zweyter lag, der
dein Zeichen nach mit der Post angekommen war.
Zweyter Theil.
371
Erster Brief.
Geschätzter Freund!
Manche Dinge sind von der Art, daß man darüber lieber schreibt als spricht. Sie kennen meine Kanzelleiden, und ich habe Zhnen kein Geheimniß daraus gemacht. Alle Mittel dage gen sind fruchtlos, und werden eS auch wohl bleiben; das hat der letzte Sonntag bewiesen, den ich Zeitlebens nicht vergessen werde. 0 welch ein warnende- Beyspiel bin ich für Aeltern, welche ihre Kinder eigensinnig zu einem gewissen Stand« bestimmen, ja ich möchte sagen, ver dammen ehe sie ihre Fähigkeiten hinlänglich geprüst haben. Unmöglich kann ich bleiben wer ich bin; denn was nütze ich? was kann ich nützen? Genau betrachtet, mag ich durch meine stümperh^flen Vorträge der guten Sache der Religion mehr schaden als beförderlich seyn. Gotp Lob! daß ich Vermögen genug „erbte und erwarb, und km Stande bin, auch ohne Amt zu leben. 2ch biete Ihnen hiermit meine ganze Stelle an. Niemand kann dagegen protestieren,, weil
372
Der Pastor in Kartoffelfeld.
ich mein eigener Patron bin, und mich ein - und absetzen kann. Aber . . . welches Aber werden Sie sagen — doch Sie rathen es und können es rathen — aber ich bin nicht allein Patron, sondern wie Sie wissen, auch Vater einer mir werthen Tochter, meiner lieben Hedwige Nehmen Sie gütigst die Pfarre vom Patron, und das Mädchen aus der Hand des Vaters an. Nur der Neid kann «S mir verargen, wenn ich auf ihre Versorgung bey dieser günstigen Gele genheit bedacht bin, welche vielleicht die einzige in ihrer Art ist. Meine Tochter schätzt und liebt Sie, und meine Gattin wünscht nichts so sehr, als Zhr j a. Ich überlasse Ihnen alsdann sogleich die ganze Stelle mit der ganzen, wie sie sehen, wohl eingerichteten Wirthschaft, und verlang? für alle« nicht einen Heller, bleibe etwa noch ein Viertel jahr bey Ihnen, und ziehe alsdann in die Stadt. Ich weiß wie Sie das neidische Schicksal geäfft hat. Lehmen Sie meinen Antrag an, so kann es Sie nicht weiter verfolgen. Alle Stürme haben.ein Ende.
Zweyter Theil.
373
Ich verlange keinen übereilten schleunigen Entschluß, sondern gebe Ihnen volle vierzehn Tage Frist. Ueberlegen Sie rtiflich, und wenn Sie Freunde haben, ziehen Sie .auch diese zn Rathe. Wir sprechen mit einander kein Wort hier über. Nur Ihre schriftliche Antwort wird ent scheiden, ob Sie entschlossen sind glücklich zu werden oder nicht. Sie predigen wohl noch-ein mal für Ihren aufrichtigen Freund G. Hein.
Zweyter. Brief. Theuerster Ernst.
Kennen Sie den Kanonikus * * *? Ich zweifele, und will Ihnen also ein treues Dildniß von ihm fn Lebensgröße entwerfen. Seine Beine sind zwar etwas krumm, aber doch sehr dünne und zierlich gebogen; der Leib, den sie tragen , ist desto völliger, und ein augenscheinli cher Beweis, daß der Eigenthümer desselben iin
374
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Kapitalist ist,
der das große Geschäft,
die
Bedürfnisse der Natur zu befriedigen, treulich vollbringet mitHintenänsetzung aller übrigen Zeit
lichen Dinge.
DaS Metall seiner Stimme hat
sich in Kupfer verwandelt, und von seiner Nase
Besitz genommen; unterdessen einige Silberlinge aus seinem Dart und von feinem Haupte glänzen.
Dieser stattliche Mann will sich adeln lassen,.
und, denken Sie, er will mich zur gnädigen Frau machen.
Eine gnädige Frau, da» wäre nicht übel! Aber an der Seite eines beynahe abgelebten
Mannes?
Weg damit!
Die Tante räth mir
zwar eifrig zu; eine kluge Frau, sagt sie, weiß
sich schadlos zu halten.
Was das heißen soll,
weiß ich nicht, und mag es nicht wissen, da ich nun einmal Frau Ernst oder gar keine Frau wer
den will.
Aus allem diesen ersehen Sie, Laß ich Ihnen
'kein großes Opfer gebracht habe.
Ein anderer
Vorfall war etwas bedenklicher. Ein junger reicher Mann meldete sich folgen der Gestalt.
Zch weiß, sagte er, daß Mamsell
Herrmann in einem zärtlichen Verhältniß mit
Z w « y r e r Theil.
375
dem Herm Kandidaten Ernst gestanden hat; da diesem aber die Pfarrstelle in Quebeck fehlge schlagen, und er (darüber verrückt geworden) in die weite Welt gegangen ist; (dem Himmel sey Dank daß Zhr Brief mich anders belehrt hatte) so wag' ich es um ihre Hand zu bitten. ES heißt, sprach er zu meinem Vater, daß wann die Pachtjahre verflossen sind, das Gut verkauft werden soll. Bin ich so glücklich, daß meine. Ditte angenommen wird, so kauf' ich es, und Sie bleiben dann bey mir auf dem Gute. Der Gedanke zur Ruhe meiner guten Aeltern etwas beyzutragen, und sie. in ihrem späten Alter verpflegen zu können, der Gedanke hatte etwas sehr süßes für mich. Es versteht sich daß ich demungeachtet auch diesen Antrag abgewiesen habe. Alles was ich mir dafür von Ihnen aus bitte, ist: Seyn Sie nicht über die Gebühr ängstlich und gewissenhaft, wenn Sie ein Amt erhalten können. Ewig treu
Ihre Sie innig liebende Louise.
376
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Ernst stand wie Herkules am Scheidewege.
Dort winkte ihm die schöne Hedwig mit der vortrefflichen Pfarre;
^ier stand bescheiden die
freundliche Louise mit ihrer Liebe und Treue. Zhm war dabey zu Muthe wie — einem M e ri schen.
Anfänglich wurde er hin und her gezo
gen ; endlich siegte seine veredelte Natur; er blieb
bey Louisen.
Nachdem der innere Kampf vor
über war, mußte sein Betragen eine andere Ge stalt annehmen.
Er war zerstreut und kalt. Um
aus der Verlegenheit zu kommen klagte er über
dieses und jenes, und sprach von einer Kur.
„Ey was, sagte Pastor Hein, werfen Sie Ihr Geld nicht für Pillen und Tropfen weg;
wir verreisen auf ein paar Tage,
besser seyn.
das wird
Wir wollen den Pastor Hoffmann
besuchen."
Gleich wurde auch angespannt,
und ein
moderner mit zwey wüthigen schwarzen Kutsch
pferden bespannter Wagen
rollte an
vor der
Thür des Hauses; Kutscher und Diener zeigten sich in tittft neuen blauen Livree mit schwar
zem Kragen, und als jeder seinen Platz ein genommen
hatte,
Ernst
den
seinigen
neben
Zweyte r
Theil. '
377
Hedwig, gings raschen Trabes zum Dorfe hinaus.
„ Wie gefällt Ihnen, fragte Pastor Hein, Meine Equipage?" „ Kein Edelmann hat sie besser, versetzt«
Ernst.
Pferde und Wagen haben meinen voll
kommenen Beyfall."
„Gott Lob! das kann man bey der-hiesigen Stelle haben.
Sie ist so gut als drey andere."
„Als vier andere," setzte Frau Pastorin
Heln hinzu. Pastor Hoffmann empfing die Gesellschaft
mit großem Vergnügen, und ließ es an NichtS mangeln.
Alle waren fröhlich bey Tische, wo
er jeden zu unterhalten und aufzuheitern wußte. Als ein bekannter Freund des schönen Geschlechts machte er sich vorzüglich mit den Damen, und
besonders mit Hedwig zu thun,
der er neben
Ernst ihren Platz angewiesen hatte.
Als man nach Tische im Garten den Kaffee
einnahm, ließ sich noch ein Fremder melden, der
378
Drr Pastor in Kartoffelfeld.
eben'zu Pferde angekommen, aber nicht sonder lich angenehm war.
Herr Hoffmann schüttelte
mit dem Kopf, als ihm der Bediente den Namen desselben ins Ohr raunte.
Es war der alte rei
tende Hoffiskal Zsebart, der ehe er sich ein mal melden ließ, den Kymmisfions - Schimmel schon in den Stall gezogen hatte, und sich sogleich
bey der Gesellschaft mit vieler Zudringlichkeit
einfand.
Er hatte Geschäfte in der Schenke
gehabt, und den Bauern in einer Klage gegen ihre Obrigkeit einigen guten Nath ertheilt.
Gleich umarmte er unsern Ernst, und seine erste Frage war: „Ob er denn noch keine Pfarre
habe?" Cr zog ihn bey Seite, ging mit ihm allein spazieren, sehr zutraulich und theilneh-
mend, und that dem Kandidaten einen Vorschlag nach dem andern.
„Zch muß Ihnen, sagte er,
eine Pfarre verschaffen, sie mag Herkommen wo
sie will; ich weiß daß Sie Bräutigam sind von. meiner lieben Mamsell Louise.
Vor einigen
Tagen hab' ich den Amtmann Herrmann besucht und bey ihm gegessen; wir waren recht ver
gnügt,
Ich kann Ihnen viel erzählen — Ich
tveiß alles —"
Zweyter
T h r i l.
379
Gleich begann Ernst nach dem ganzen ihm so werthen Hause sich umständlich zu erkundigen.
Fragte nach allen Kleinigkeiten- und sogar Loui
sens Schoßhündchen wurde nicht vergessen. Der aufmerksame Zsebart witterte irgend.ei«
Verhältniß besonderer Art zwischen Ernst, und der Heinischen Familie, ans dein Betragen der
selben gegen einander, und war schlau genug
durch einige Fragen dem ehrlichen Kandidaten alles abzulocken, was er wissen wollte.
Endlich
fing er an die Schönheit der Demoiselle Hedwig
zu loben, wobey er Ernsten scharf ins Gesicht sah. „Schade, setzte er hinzu, daß Sie schon ver plempert sind."
immer beherzter.
Ernstens Schweigen machte ihn „Wissen Sie was, fuhr er
fort, ich bin ein ehrlicher Mann und Zhr Freund,
ich zeige Zhnen den Weg zu Zhrem Glück." „Welchen Weg?" fragte Ernst.
>
„Sie müssen von dem Grundsatz ausgehen: Zeder ist ihm selbst der nächste.
Und
was wird daraus anders folgen, als daß Sie Sich so bald als möglich glücklich zu machen
suchen, und also nicht Louise Herrmann,
sondern Hedwig Hein heirathen?"
Der Pastor kn Kartoffelfeld.
38o
Ernst mit r«n Achseln julkend. „Unmöglich sann
Ich mein heilig gegebenes Wort zurück nehmen.
Ich liebe Louisen zu sehr, und sie verdient es." „Doch wohl nicht mehr als sich selbst? Wie
haben Sie das Wort gegeben? Zst ein gericht
liches Instrument, eine Ehestiftung, ausgenom
men ? " „Nein, das nicht."
„ Was wollen Sie mehr? Kein Richter kann Sie zwingen, Louise Herrmann zu heirathen,wettn Sie nicht wollen.
Junge Herren verspre
chen oft viel, das nicht gehalten wird.
Das ist
der Weltlauf.
Man muß hart und sich selbst der
nächste seyn.
DaS Mädchen bekoinmt doch noch
einen Mann ohne Sie.
Schreiben Sie ihr, daß
Gie als ein ehrlicher Mann Ihr gegebenes Wort zurück nehmen müßten."
„Was?
als ein ehrlicher Mann?
mein
Wort zurück nehmen?" „Ja, als ehrlicher Mann.
Sind Sie denn
rin Betrüger, wenn Sie endlich Ihr Glück zu machen suchen? Das ist ja der Selbstliebe ganz
gemäß.
Die erste Pflicht ist wohl die, daß ich
mich selbst nicht betrüge, und das würden Sie
ja offenbar thun, wenn Sie die schöne Pfarre mit dem schönen reichen Mädchen so von der Hand wiesen. Solche Gelegenheit kommt nicht wieder. Kein Mensch wird Ihnen das verden ken, Louise Herrmann und ihre Aeltern selbst nicht. Bedenken Sie doch das große Glück. Stirbt einst Pastor Hein, so sind Sie auf ein mal ein reicher Mann, und Geld bleibt immer das fünfte Clement." „Meine Louise, meine mehr als zehnjäh rige Geliebte, wie wäre es möglich dich zu ver gessen! Dich, mein zweytes Ich!" „Ich fthk wohl, Ihnen ist ein Vormund nöthig, und. ich will es seyn, wenn Sie einige Pistolen nicht achten. Hören Sie meinen Vor schlag. Ich reise nach Rosenhain und mache der. Pauk« ein Loch. Es wird mir leicht seyn den alten Herrmann und seine. Tochter so weit zu bringen, daß sie nicht böse werden noch weniger einen Proceß erheben, wenn Sie..." „Ich zweifle." „Ich nicht. Ich schlage gleich andere bessere; Partien vor, und Sie nehmen es dann , nicht übel, wenn ich ein wenig.auf. Sie schelte und
Der Pastor in Kartoffelfeld.
381
lästere, Zhre Gesündheit verdächtig mache, und
was dergleichen mehr ist.
Ich wette in zwey
Stunden ist die Sache gemacht.". „Unmöglich kann ich diesen Vorschlag billi
Zeitlebens würde ich nicht ruhig, das böse
gen.
Gewissen würde mich auf jedem Schritte ver folgen —"
„ Mit Ihrer Theologie müssen Sie mir vom Leibe bleiben — wenn von- juristischen- Sachen
die Rede ist.
Thtologie und Jurisprudenz stim
men in den meisten Fällen, besonders wenn sie
etwas intrikat sind,
wie Feuer und
Wasser.
Was die eine gut macht, verdirbt insgemein die
andere.
Noch ein anderer Vorschlag.
Gut, Sie
sollen Louisen getreu bleiben, und bald so glück
lich seyn. Sie zu besitzen.
Nur folgen Sie
Ihrem Vormund." „Zwey Frauen darf und kann ich ja doch
nicht nehmen."
„Sollen Sie auch nicht.
Versprechen Sie
der Hedwig Hein die Ehe, aber äußerst vorstch-
tig.
Setzen Sie alles auf Schrauben.
das will ich Ihnen schon sagens
Wie?
Dann lassen
Sie sich in Gottes Namen die Pfarre geben.
Zrvtpter Theis.
683
und zigern von Zeit zu Zeit mit Erfüllung. ZhreS
Versprechens.
Unterdessen will ich schon wir»
ken — dann will ich in des alten Herrmann-
Namen eine Klage gegen Sie erheben, und Sie sollen scheinbar gezwungen werden Ihr Verspre
chen zu halten.
Hedwig ist reich, und ein Mann,
wird ihr nicht entgehen.
Unglücklich wird sie
dadurch nicht." „ Da- wäre ja doch offenbar ein schändlicher Streich.
Was würde das Dorf, was würde die
Welt dazu sagen?"
„Diele würden Sie Ihrer Klugheit wegen loben, und die übrigen Gerüchte würden nach einigen Wochen einschlafen.
Zch kann Ihnen
viele Exempel dieser Art erzählen.
Der Pastor
M .. zu N .. hats gerade so gemacht, und die
Sache ist vergessen.
Man spricht allenfalls nur
davon, wo man sonst nichts zu sprechen weiß. Nur Entschließung gehört dazu, und die theolo
gische ängstliche Moral muß hier nicht mitspre« chcn.
Zeder ist sich selbst der nächste.
Sie meinem Nath.
Folgen
Zch bin Zhr Vormund.
Solcher^ Pfarren -iebts nicht viel."
384
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„Ich Wills überlegen," sagte Ernst in der Zerstreuung, und war froh daß er seiner los ward. Es fügte sich, daß er, weil Mangel an Raum war> mit diesem Manne in einer Kam mer schlafen mußte. Dieser benutzte diese Gele genheit, ihm die halbe Nacht zuzureden, einen von seinen beiden Vorschlägen anzunehmen, wor auf Ernst aber nicht weiter antwortete, als, „ ich werde mein Gewissen zu Rathe ziehen." „Von gutem Gewissen lebt keiner, sagte der Hoffiskal, und im Grunde ists Gewissen ja nur eine Schimäre. Wenn man ein Wagestück zu machen genöthigt ist, muß man sich bemühen alles zu vergessen; dann wird das Gewissen nicht beißen können. Lassen Sie Sich nur die gute Pfarre geben, und dann denken. Sie weiter nicht an die Art, wie sie dieselbe bekomPen haben, so ist die Eewissensplage gehoben. So mach' ichs. Wenn ich nur habe was.ich haben will, bin ich vergnügt, Quisque sibi proximus." Als der, Hoffiskal, um sich auszukleiden, Abends seinen. Mantelsack aufschnürte, entstand plötz-
Zweyter Theil.
385
plötzlich ein häßlicher Gestank. Es kam ein Dutzend alter Käse pim Vorschein, die er mit einer aufgesetzten Bittschrift verdient haben mochte. Ernst hat diese Nacht nie vergessen können, und pflegte zu sagen: „ Der Gestank der Zsebartschen Moral sey ärger gewesen als der Gestank der alten Käse." Demungeachtet hatten die Reden des Herrn Hoffiskals doch einige schwache Eindrücke in Ernsten« Seele zurückgelassen.
Nach einigen vergnügten Tagen empfahl sich Pastor Hein seinem Freunde, und die Gesell, schäft fuhr zurück. Ernst that sich, wider seine Art, einigen Zwang an, und spielte auf der Rückreise eine recht frohe und lustige Rolle. Nachher überließ er sich einsamen Betrach tungen über seinen kritischen Zustand, deren Resultat dieses war, „Louisen offenherzig zu schreiben, wie es mit ihm stehe, und sich ihren, wie auch ihrer Aeltern Nath auszubitten." Dieß war auch in der That das klügste, wozu er sich 1$
386
Der Pastor in Kartoffelfeld.
nach allen Spekulationen
entschließen
konnte.
Pastor HeinS Brief blieb daher noch unbeant
wortet.
Gut wärs gewesen, wenn der ehrliche
Mann auch diesem aus seiner Liebe ju L o u i se n kein Geheimniß gemacht hätte; er war aber, was
diesen Punkt betraf, in diesem Hause- sehr ver
schwiegen, weil es hier eine schöne Hedwig gab, deren Gunst er doch nicht ganz und gar, und
auf einmal verscherzen wollte, und die er durch solche Offenbarungen gleich zu verscherzen glaubte.
Klug wär- auch gewesen, wenn er sich an seinen bewährten Freund und Gönner, den Superinten
denten, gewandt, und ihn um Nath gebeten
hätte..
Allein er that es nicht, ob aus Verges
senheit oder aus andern Gründen, wissen wir Nicht;, so viel wissen wir aus anderweitigen eige
nen Erfahrungen, daß der Mensch, in, Verle genheiten verwickelt, das nächste und sicherste
Hülfs r und Nettungsmittel insgemein nicht gleich
auffi.udet, und erst hinterdrein zu seinem Erstau
nen bemerkt, was er sogleich hätte thun sollen und müssen.
Die Bürger von Abdepa fuhren
einst einen großen Eichbaum von einem steilen Berge unter großer Gefahr und mit vielen Kosten
Zweyter T h
l.
387
herab, und als sie im Thal matt und müde damit angekommen waren, fiel es ihnen erst ein, daß sie die Last auch hätten mit leichterer Mühe herab wälzen können. Die aufgeweckte schöne Hedwig gefiel un serm Kandidaten wieder etwas mehr, und fast war sein der treuen Louise so sehr ergebenes Herz von ihr erobert. Man nehme es ihm nicht übel, er konnte ja nicht dafür. Wer kann seiner Seele so strenge gebieten, daß ihr das Schönere nicht besser gefalle als das Schöne, besonders wenn wir das Schönere immer vor Augen, und das Schönt lange nlcht gesehen haben. Eins nur konnte und wollte ihm nicht an ihr gefallen. Sie verlegte ohn' Unterlaß die ihr anvertrauten Schlüssel, und veranlaßte ein allgemeines Suchen im Hause, und die eigentlichen wirthschaftlichen Kenntnisse und Geschäfte schienen ihr bey ihrer Belesenheit und weiblichen feinern Geschicklichkei ten nur geringfügige Dinge zu seyn. Einst als der Vater, da es schon läutete, zur Kirche gehen wollte, fehlte der Schlüssel zur Kommode, worin die Kragen lagen, und da er nirgends zu finden war — musste der Schulmeister lesen. Die ein-
388
Der P-stor in Kartoffelfeld.
zige Tochter bekam bey solchen Fehlern nur sanfte Verweise, und machte auf solche komisch - tragi
sche Vorfälle in ihrem Leichtsinn kleine Gedichte. Louise war dagegen die Ordnung selbst, und bey allen ihren andern Geschicklichkeiten blieb ihr
Wirthschaft
und Häuslichkeit die Hauptsache.
Indessen glaubte Ernst, daß dieser Fehler nicht
zu den unverbesserlichen gehöre, und sich mit de» Jahren wohl verlieren werde. Mehr verlor Hedwig bey einer andern Gele
genheit , bey einer großen Bauernhochzeit im Dorfe.
Der Sohn des reichen Schulzen ver
mählte sich mit der Tochter des noch reichern Schöppen.
Der mit Tuch und Dändem ge
schmückte Schullehrer invitierte im Namen des
verlobten Paares so lange, -bis sich auch Ernst entschließen mußte, dem dreytägigen Freudenfeste in Gesellschaft
der Heinschen Familie
beyzu
wohnen. Als abgespeist und der Tanz mit der Braut
angesangen war, stellten sich unverhofft zwey junge ungebetene Gaste ein. Zwey allem Anschein nach relegierte Studenten, die im Wirthshause
von dem hochzeitlichen großen Feste gehört hat-
Zweyter
Theil.
389
tcn, mischten sich mit akademischer oder vielmehr renomistischer Dreistigkeit in die Gesellschaft; und thaten als wären sie die Hauptpersonen. Man sagt, daß der ausgelassene, dreiste, freche,
wagende Züngling mancher Schönen besser gefalle
als der zurückhaltende und bescheidene; und in der Regel die Schönen an den vorhergegangenen Ausschweifungen des männlichen Geschlechts kei nen so großen Anstoß zu nehmen pflegen, al-
wir an ihren Jugendsünden, und diese Sage mag wohl nicht ganz ungegründet seyn. Man sah es den jungen Herren an, daß sie der Venus Urania eben nicht gehuldigt hatten.
Ihr ganzes Wesen verrieth es, und besonders ihre Scherze mit den vollen Bauerdirnen, welche
mit Kränzen geschmückt da saßen, oder sich auf
dem engen Tanzplatz mit ihren Liebhabern her um tummelten. Hedwig, die bisher neben Ernsten saß, und ihre Hand in die seinige gelegt hatte, ent riß sie ihm plötzlich, und ward wie entzückt bey
dem Anblick der freyen Musensöhne, besonders des einen, der ziemlich groß war, eine Habichts
nase hatte, und fleischfarbene Beinkleider trug.
390
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Zhr Blick begleitete ihn auf allen Schritten, als er sich unter die Tänzer mischte, und sich mit der jenigen Dorfschinen, die ihm am besten gefiel,
herumschwang.
Nie verlor sie ihn aus den
Augen, und schien ganz vergessen zu haben dasi
Ernst bey ihr saß und ihre Aeltern nahe waren. Ganz entzückt, sich selbst vergessend, rief sie einige Mal ziemlich laut: ,.Ach, wie schön der junge Man» tanzt I
Es
ist ein allerliebster
Mensch!"
Bald geschah was
sie
heimlich wünschte.
Eben dieser junge Herr forderte sie zum Tanz auf.
Mit sichtbarer Freude sprang sie auf, und
walzte mit ihm so leidenschaftlich und heftig,
daß ein Schwindel sie überraschte, und sie eben nicht in der sittsamsten Lage auf dem Tanzplatz
zu Boden fiel.
Zn ein Gespräch vertieft hatte
der Vater den feurigen Tanz seiner Tochter nicht bemerkt, und wie erschrak er, alö er die Scene
erblickte.
Gleich, nachdem sich ihr Schwindel
verloren hatte, ging er mit seiner Gesellschaft voll Verdrusses nach Haufe. Ernst führte zwar die erhitzte von Tanzluft noch begeisterte Hedwig, allein Liebe und Achtung
Zweyter
Theil.
391
für sie waren verschwunden, und arteten bald in
Kälte, ja Verachtung aus, als sie den Wunsch äußerte: „ daß doch die jungen Herren auch die
Pfarrx besuchen und nicht vorbeygehen möchten."
Der Brief an Louisen lag schon versiegelt da, allein nun verbrannte er ihn Abends vor Schla
fengehen, und schlief etwa mit folgenden Gedan ken ein: „Nein, du sittsame bescheidene Louise, dir
gebührt der Preis.
Kaun sich Hedwig in jedes
glatte Mannsgesicht verlieben, und fängt ihr
Herz gleich Feuer in der Atmosphäre eines lusti
gen Studenten, so ist sie nicht für mich.
Nein,
Louise, Louise! Du hast gesiegt!" Ein Besuch, den die Herren Studenten am
folgenden Morgen auf der Pfarre abstatteten, oder abstatten wollten, drückte Ernsts Entschluß
das Siegel auf. Hedwig sah sie zuerst durchs Fenster ankom
men, als sie eben in einem Roman las.
Der
vorhergegangenen väterlichen Verweise ungeach
tet, rief sie entzückt: „Ach, die Studenten! sie kommen! sie kommen!" warf schnell da« Buch aus der Hand, eilte in ihr Zimmer, zog in der
zyr
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Verwirrung ihr gestriges seidnes Kleid an, sucht«
die schimmernden Tanzschuhe hervor, fragte den
Spiegel, ob sie nun schön genug sey, und begab sich mit funkelnd - gaffenden Augen in die Gesell^
schäft zurück.
Doch war ihre Freude nur kurz,
und verwandelte sich in heimlichen Aerger, al
ber klügere Vater den schönen liebliche!» Herren sehr kalt begegnete, und so bald sie sich, um
etwas zu sprechen, nach dem weitern Weg ihrer fortzusetzenden Reise
erkundigten,
gleich dem
Bedienten anbefohl, ihnen den Weg zu zeigen. Sie empfahlen sich
also
bald wieder.
Voll
Unmuth zog Hedwig ihr neues Kleid wieder aus, und schleuderte die schönen blitzenden Schuhe im
weiblichen Grimm weit unter das Dette hin.
An Strafpredigten liest es der Vater nicht fehlen, die Mutter aber nahm sie einigermaßen
in Schutz, und entschuldigte das Geschehene mit
jugendlicher Leichtsinnigkeit. wohl daß
eine
„Es koürmt ja
wohlgewachsene
einem jungen Mädchen gefällt.
Mannsperson Sie ist kaum
siebzehn Zahre alt, und nicht wie die Häuser,
von Holz und Stein.
Zweyter
Theil.
393
Nun erst beantwortete Ernst den Brief des
Pastor Hein.
Bester
Herr
Prediger!
Eine Ehrlichkeit ist der andern werth.
Zhr
Entschluß mir Ihre einzige Tochter zu schenken, und mich Verlassenen auf einmal glücklich zu machen, verdient Zeitlebens meinen verbindlich
sten Dank.
Allein in Hoffnung besitze ich schon
was Sie mir gütigst schenken wollen.
Seit
einigen Jahren bin ich der Verlobte eines braven
wirklich mir treuen und durch Prüfung bewähr ten Mädchens.
Es ist Louise Herrmann
zu Rosenhain, die ich zu erziehen einst das Glück hatte.
Ich kann nicht läugnen, Ihr Brief hat
mein Herz in eine gepreßte Lage gesetzt.
Lange
haben zwey Neigungen in mir gekämpft; seit gestern ist er überstanden der saure Kampf.
Ich
kann nicht anders, ich muß einem Mädchen getreu
bleiben, das meinetwegen schon Aufopferungen gemacht Und gelitten hat, sollte auch erst nach zehn Jahren der glückliche Zeitpunkt eintreten,
sie ganz zu besitzen.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
394
Dank aber Ihnen, bester Mann, eben so
sehr für das Gute das Sie mir erzeigen woll ten, als für das was Sie mir bisher erzeigt haben.
Dank für alle Güte und Freundschaft
die ich irrender geistlicher Ritter wochenlang in
Ihrem Hause genoß. Steht bey Ihnen der Entschluß fest, Ihr Amt einem Andern zu übertragen;
so wird
Ihrer schönen einzigen Tochter gewiß der Mann
nicht fehlen, der mich an Jugend, Geist und ^körper weit übertrifft.
Sie erlauben daß ich
morgen abreise, wohin? das weiß Gott. Beklom menheit hindert mich länger zu bleiben.
Bleiben
Sie gewogen
Ihrem Freunde und Diener Fr. Ernst.
Nicht ohne Wehmuth empfahl sich Ernst dem Hause, worin er so manche frohe und vergnügte
Stunde genossen hatte.
Hedwig blickte ihm
mit nassem Auge lange nach, wunderte sich über
die so schnell erfolgte Abreise, und fragte ganz traulich ihre Mutter:
Zweyter Theil.
395
„Er ist doch wohl nicht darüber böse gewor den, daß ich gegen die Studenten, weil sie so hübsch aussahen, ein Dißchen freundlich war. Das ist ja doch keine Sünde?" „ Mannspersonen find eigen, antwortete diese, ich wünschte, daß du auf der Hochzeit nicht so rasend getanzt hättest. Zch zitterte an Händen und Füßen, als ich dich fallen sah." „Und ich wünschte, setzte der Vater hinzu, daß ich die jungen Herren nie gesehen, hätte. Ernst ist ein braver, geschickter und vernünfti ger Mann; ob diese Knaben das werden, ist sehr ungewiß. Der Himmel sorge für ihn! Morgen, Hedwig, wirst auch du wieder ab reisen. "
39
Viertes
B u ch.
Nachdem Ernst seinen W(g etwa eine halbe Stunde fortgesetzt hatte, lies; er sich auf einen Hüge; unter einer vielleicht tausendjährigen, ihre Aeste weit von sich streckenden Eiche, im kühlen Schatten nieder, um bey sich auszumachen, wo hin er nun seinen Gang richten wolle. Hier genosi er die reitzendste Aussicht auf weite Korn felder und reiche Dörfer. Sein Djick aber weilte gar zu gern-bey dem hohen massiven prächtigen Pfarrhause, das ihm mit seinen großen Scheu ren und Ställen noch deutlich ins Auge strahlte. Durch ein Taschenpcrspektiv besah er noch einmfll die Fenster seines Zimmers, und konnte sich nicht fast daran sehen. Thränen entrollten sei nen Au^en, wenn er Len verwickelten labyrinthi-
schen Gang seines Lebens betrachtete, da er immer dem Glücke nur nahe war. Immer zu Selbstbetrachtungen und Selbst gesprächen geneigt vertiefte er sich auch hier bald in mancherley melancholische Gedanken. „Halte ich doch "nur Verwandte, nahe oder ferne, so wüßte ich. doch wohin ich meinen Wan derstab sehen könnte. So aber bin ich ein isolierter Mensch, de» die Natur vielleicht.nicht werth achtele ihn mit andern Menschen zu ver binde».' Zch kann, wie.andere, nicht sagen, ich will meinen Vater, meine Mutter, meinen Bru der, meine Schwester, meine Verwandten besu chen. Zch gehöre niemand an, nur dann erst/ wenn mir Louise ihre Hand am Altar geben wird-, werde ich der Menschheit angereihet'seyn. Wohin nun? Zn Herrmanns Hause könnte ich vielleicht willkommen seyndoch ich habe mein Wort gegeben, nicht eher wieder zu kommenals bis ich sagen kann, nicht ich hoffe, sondern ich habe ein Amt. Wer würde mich.auch.dort aufsuchen und befördern wollen ? und zum Super intendenten? die Gütigkeit dieses Gönners darf ich nicht mißbrauchen; dieser kann meine letzte
398
D»r Paft»r in Kartoffelfeld.
Zuflucht, seyn.
Gut daß ich nicht ganz ohne
Geld bin, ich will von Dorf zu Dorf, von
Stadt zu Stadt reisen, vielleicht eröffnet sich
hier oder La eine Aussicht für mich." Er richtete also seinen Weg auf ein vor ihm
dessen massive stolze
liegendes grosses Dorf,
Gebäude jedem Wanderer den Reichthum seiner
Einwohner schon von weitem verkündeten. Mich
dünkt, es hieß Weitzendorf.
Eine Menge feister
Hunde, großer und kleiner, hießen ihn durch
ihr Gebell bey dem Eintritt ins Dorf auf eine eben nicht angenehme Art willkommen. Er richtete
seinen Weg zunächst auf die Pfarre, da er aber
bald hörte der Pastor Wilberg sey verreiset, und werde erst an» spätesten Abend zurück erwar
tet, ;fo sah er sich genöthigt zum ersten Mal in
einer Dorfschenke zu übernachten.
Hier fand er an drey großen Tischen eine zahlreiche Gesellschaft von Dauern, die es sich recht wohl seyn ließen.
Manchen schmeckte der
Drantewein, andern das Dier bis zum Rausche
gut.
Noch andere waren eifrig im Kartenspiel
begriffen.
Er grüßte höflichst die. Gesellschaft,
bekam aber von niemand einen Gegengruß. Alle
Gesichter verriethen Stolz.
Ein ziemlich wohl
gekleideter, in der Ecke an einem kleinen Tisch fitzender Mann war desto höflicher, stand gleich
vym Stuhl auf, und machte eine Verbeugung nach der andern.
Es war der Balbier des Orts,
welcher bis dahin in einem Zntclligenzblatt gele sen hatte.
Ernst, dessen Dart etwas lang war,
machte gleich Gebrauch von dem Kunstfleiße des
selben, honorierte ihn gut, und erwarb sich in «in paar Minuten die Freundschaft, wenigstens
die Gesprächigkeit dieses Mannes.
Er unter
hielt sich nicht nur mit ihm, sondern war auch so artig, die nöthigen Bedürfnisse an Tabak,
Dier und Butterbrot bey der korpulenten Wir thin zu bestellen und zu besorgen. An den andern Tischen ward es unterdessen
immer lanter Md lauter.
Trumpf aus! Trumpf
auSl schrie bald hier bald da einer, und warf mit Ungestüm die Karte auf den Tisch, wo man
nicht nur große Geldhaufen, sondern auch Gold
stücke und zehn Thalerrollen erblickte. die nicht spielten,
Andere-,
räsonierten und lamentier
ten über die niedrigen Kornpreise,
weil der
Weihen jetzt nur fünfzig gelte, da er doch vor
40Q
Der Pastor in Kartoffelfeld.
rin paar Zähren mit sechzig bis siebzig bezahlt worden sey. Noch andere machten Plane, wie sie durch Aufschüttung die Preise steigern wollten. Wieder andere, die im Spiel verloren, langten unter Lärmen, Toben und Fluchen eine G^drolle nach der andern aus der Tasche. Ernst gab gegen den Balbier seine Verwun derung über den Reichthum der Leute zu erken nen, und beschrieb ihm die Armseligkeit jenes Bauers, der ihn einst aus Rosenhai» auf einem Leiterwagen abgeholt und zum Grafen gefahren hatte. „Mit Erlaubniß wenn Sie erlauben, ent gegnete dieser, der Geometrus pflegt zu sagen, wie ich einmal auf der Schule hörte: gleiche Dinge können für-einander gesetzt werden; aber hier gehts nicht nach geometriam, sondern nach historiam naturalem. •• „ Wie ist das zu verstehen? " „Mit Erlaubniß wenn Sie erlauben, DüffoninS handelt von mancherley Pferdearten, aber find sie wohl alle gleich groß, gleich fiark und schön? Es giebt elende, hagere, kleine Gauls, aber auch große, wohl gemästete Paradörs. Man
Zweyter
Theil.
401
Man kann also nicht sagen, ein Pferd ist ein Pfery, und, eben so wenig ein Ackermann ist eiy
Ackermann.
Wo ich zu Haus gehöre ists auch
so nicht wie hier. . Die Dauern meines Geburts
orts binden die Schuhe mit Bast zu; hier tra
gen sie silberne Schnallen, und reden schon vyn goldenen.
Das Korn gilt gar zu viel, und die
Leute haben dem König wenig zu geben.
Die
Herren Pachter müssen ganz anders bezahlen. I nun,.man kann- ihnen gönnen.
Zst uns
ohne Schaden."
Nicht ganz, warf ein fremder, langer, hage rer Mann ein, der eben zu Pferde angekommen
war,-und sich an die Gesellschaft freundlichst
«»schloß.,
Nicht ganz."
„Mit Erlaubniß wenn Sie erlauben, daß ich fragen darf, warum.nicht?" Fremder.
„Ich bin der hiesige Zollbe-
reiter, und bekomme monatlich meine 12 Thaler richtig; aber wie weit reichen sie; da ich das
Drotkorn so theuer bezahlen, und überdieß ein Pferd füttern, und Frau und Kinder ernähren muß? Gott weiß, wie mir zuweilen zu Muthe
ist.
Zm Winde und Wetter muß ich fort und
Der Pastor in Kartoffelfeld.
402
mein Amt verrichten, sonst, werd' ich.abgeseht, und wenn der Monat halb vorbey ist, hab' ich
mit dem Pferde und der Familie mein Salär verzehrt.
Sehen Sie hier, meine Herren, das
ist mein letztes Viergroschenstück, und nun noch vier Tage ehe wieder Löhnung gereicht wird.
Ernsten ging das sehr nahe.
Er sahe es dem
Mann an daß er sich nicht satt aß, Und ließ für
ihn eine Portion Abendbrot bestellen.
Er that
noch mehr, er schlich sich leise von hinten'an
einen spielenden Dauer heran, den er nach "Maß
gabe des vor ihm aufgethürmten Meldhaufenö für den reichsten halten mußte, und bat ganz leise um einen Beytrag für die Familie des Fremden. „Das fehlte noch, sagte dieser in einer sehr
rohen Sprache. Als ob der Betteley nicht genug schon wäre.
Da ist alle Augenblick zu geben.
Bald will der Priester ins Kollektenbecken waö
haben, bald plagen einen die Bettelleute, die
Emigranten
und
andere
Landstreicher.
Der
Mann hat seinen Dienst, kann er keine Butter bezahlen, so muß er das Brot eitel essen."
Ernst stutzte, und schlich sich eben so leise davon als er gekommen war.
Doch hatte sein
Zweyte?
Theil.
403
Geflüster, in der Gesellschaft einige Aufmerksam
keit erregt.
Einer fragte den andern, wer er
wohl seyn möge, und keiner wußte es. Endlich rief der allerdickste Spieler, der eine
seidene Zacke mit silbernen Knöpfen trug, ganz laut im gebieterischen Tone:
„Gregorius,
kommt einmal her!" Pfeilschnell sprang der Balbier zu ihm hin, und fragte sehr submiß: „ Was steht zu Befehl,
Herr Schmidt?" „ Was ist da- für ein Mensche da, der mit
dem Zollbereiter spricht?"
„Mit Erlaubniß Sie erlauben, ich glaube ein Kandidat."
„ Also eiu-Pricstergesell? " „Sie haben Recht, Herr Schmidt!"
Herr Schmidt stellte sich mit seiner Zacke dicht hin vor Ernst, sah ihn von unten bis oben an, und ließ aus seinem von Spiritus erhitzten Gehirn einigen Afterwitz über die Bibel ent springen.
Simsons bekannte drey hundert
Füchse, die schon manchem armseligen Kopf Stoff zum Spott gegeben haben, mußten auch jetzt
ihre Dienste thun.
Herr S^midt fragte mit
Der Pastor in Kartoffelfeld.
404
der weisesten Miene,
die er machen konnte:
„Wie der Kerl, der Simson, habe auf einmal
drey
hundert Füchse einfangen
müsse ihm
wohl der Teufel
können? dabey
Etz
geholfen
haben." Ernst lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich merke wohl, he weiß es nicht.
Nun
so sage Lr mir, sind die Mauern von Jericho
nicht von Papier gewesen?"
Es entstand ein lautes Gelächter.
„Ja von Papier müssen sie wohl gewesen seyn, fuhr Herr Schmidt fort; den» sie wurde» ja umgeblasen; he he he! Cr lacht«, daß ihm der Vicke Btiuch fd)uttevtt.
Ernst ließ sich auf nichts ein, obgleich der Spötter fortsuhr noch mehr von seinem Witz
mitjutheilen, und sich dabey immer nach Bey
fall umsah, und wenn andere nicht lachen woll ten, sich selbst triumphierend belachte. Eben als er sich in seinem Witz am beste»
gefiel, Ernsten in seinem Sinn für einen 'Igno ranten hielt, und sich behaglich den dicken Wanst
streichelte, entstand ein großer Lärm.
Z w e y t e r
Theil.
40$
Zwey Spieler geriethen in Streit, der sich
bald in einen so heftigen Zank verwandelte, daß der eine dem andern die Karte mit Ungestüm an
den Kopf warf.
Aus Rache that dieser einen
Griff in den vor ihm liegenden Geldhaufen, und warf dem Gegner eine Handvoll Zweygroschen-
stücke gerade ins Gesicht, bekam aber im Augen
blick eine gleiche Ladung wieder.
Nun ging es
Wurf ans Wurf bis Parteyen entstanden, und der Handel bey ausgehlaseuen Lichtern in eine fürchterliche Schlägerey ausbrach.
Langsam schlich sich Ernst aus der Stube, und der hagere Zollbereiter folgte.
O wie gern
hätte dieser aufgelesen was fene von sich warfen!
Beide schliefen auf Einem Zimmer über der Gaststube, und hatten das schaudrige Vergnügen
dem tobenden Lärm noch eine Viertelstunde zuzu hören. Als die aufgehende Sonne den
fleißigen
Tagelöhner zur Arbeit rief, und den Zollbereiter
erinnerte sein dürres Pferd zu besteigen, und sei nen Weg fortzusehen, saßen die Herren des
Dorfs, nachdem sie sich ausgesöhnt hatten, noch
am Tisch und spielten.
4o6
, Der Pastor in Kartoffelfeld.
Dieß Mal in einer Dorfschenke übernachtet und nie wieder, dachte Ernst, und schob in
Gedanken alle Schuld auf den Prediger des
OrtS, als welcher den Leuten nicht genug Uon der Bescheidenheit
und Sittsamkeit gepredigt
haben müsse, oder wohl gar mit einem üblen Beyspiel vorangehe, weil man im Sprichwort
sage: „Sö wie der Hirt, so die Herde."
AuS
Verdruß gab er den Vorsatz auf diesen Volks lehrer zu besuchen, und-war eben im Begriff das kleine Sodom zu verlassen, als zur Kirche
geläutet wurde.
Aus Neugierde, bey dieser
Gelegenheit den Volkslehrer doch wenigstens zu sehen, fand auch er sich zur Betstunde ein, uno hörte in Gesellschaft von etwa vier oder fünf
bejahrten alten Frauen dem Vortrage über einige Verse aus dem Sirach andächtig zu, der seinen ganzen Beyfall hatte.
Nun entschloß er sich
dennoch diesen Mann, zu besuchen und näher ken
nen zu lernen.
Er ging hin und wurde sehr
freundschaftlich ausgenommen.
Zweyter
Fragment
Pastor.
aus
Theil.
407
Tischgespräch.
dem
Sie haben in der Schenke logiert?
Wie hals Ihnen da gefallen? Ernst.
Leider schlecht; die Lenke sind hie
siger Orts nicht die gesittetsten, und'werden, wie ich heute in der Kirche gehört habe, so vortreff
lich unterrichtet. Pastor.
Ich weis; nicht ob ich das Kompli
ment verdiene; so viel weiß ich, das; ich mir
alle erstnnliche Mühe gebe, Sittsamkeit und Tugend aufrecht zu erhalten.
Aber es will nicht
Der gute Same fallt entweder an
gelingen.
den Weg oder unter die Dornen. keinen Weg zum Herzen.
Zch finde
Zlls ich vor fünf und
zwanzig Jahren mein Amt antrat wars ganz
anders.
Die Leute gingen ordentlich zur Kirche,
und achteten auf gute Lehren.
Strafpredigt zu
halten
Wenn ich eine
mich genöthiget sah,
merkte ich auch bald den guten Erfolg davon. Jetzt ists anders. Ernst.
Wie geht das zu?
Pastor. Darüber ließe sich sehr vieles sagen. Eine Ursache wirkt hier nicht allein.
4^3
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Belehren Sie mich gütigst.
Ernst. Pastor.
Ein Grundübel in meiner Ge
meinde ist der übermäßige Reichthum.
Schön
ists wenn der Landmann wohlhabend und nicht arm ist, aber zu großer Reichthum verdirbt ihn
insgemein sichtbarlich.
Wenigstens glaub' ich
bemerkt zu haben, daß die Sitten in meiner Gemeinde in dem Maße gesunken sind, als der Reichthum stieg.
Man glaubt keinen Menschen,
ja den lieben Gott nicht mehr nöthig zu haben,
bloß weil man Geld genug hat.
Der Reichthum
setzt sie in den Stand Nächte lang zu spielen,
weit auesehende Processe über Kleinigkeiten zu
muthig
keine Geldstrafe zu
erheben,
macht
fürchten,
und gegen die Obrigkeit grob und
widerspenstig zu seyn, wovon wir traurige Bey spiele erlebt haben.
Man würdigt hier jeden
nach dem Gelde, und wenn man jemand etwas recht bitteres sagen will, so heißt es, „er hat nichts."
Unsre Schullehrer sind gute fleißige
Leute, werden aber von niemand geachtet, weil sie schlechte Stellen haben und arm sind.
Kurz
ungebildete Leute vertragen es selten reich zu seyn.
Das ist meine Erfahrung.
Ich habe nur
Zweyter
Theil.
409
zwey Glieder in der Gemeinde, welche bey ihrem Reichthum noch sittsam und bescheiden sind. Ernst.
Pastor.
Aber woher der große Reichthum?
Von den vielen Einnahmen und Vor hundert Zähren,
wenigen Ausgaben —
wie unsere Kirchrechnungen besagen, galt ein
Mispel Weihen höchstens
12 Thaler, jetzt 50
Thaler, und jetzt giebt, dünkt mich, der Land
mann noch eben die Abgaben, die er vor hundert Zähren gab.
Wider Willen muß er reich wer
den, wenigstens in solchen Dörfern, wo große
fruchtbare Felder sind.
Dazu kommt in meiner
Gemeinde noch ein besonderer Umstand, der in vielen Gemeinden nicht ist.
Ernst. Pastor.
Und welcher?
Zn den ersten Zähren meiner
Amtsführung gab eS hier noch drey Edelhöfe, die von Pach'tcrn bewirthschaftet wurden, mit
denen ich recht guten Umgang hielt. Einen davon
haben die Leute gekauft, und zwey haben sie für ein Spottgeld in Erbpacht.
-Die Pachter, die
sich bisher mit ihren Familien redlich darauf
genährt, und dem Dorfe einiges Ansehen gege
ben hatten, müßten abziehen, und wußten nicht
4io
Der Pastor in Kartoffelfeld.
wohin? Nun gehört das ganze weite Feld der
Gemeinde allein, und der Gewinn, wovon sich sonst drey honetke Familien nährten, fließt in
ihren Deutel.
Ernst.
Aber haben Sie in Ihrem Amte
jetzt nicht mehr Einnahme,
da die Leute so
reich sind? Pastor.
Nicht einen Pfennig.
Die klei
nen Geschenke, die ich sonst noch aus diesem und jenem Hause erhielt,
sind nicht mehr Mode.
Kein Huhn, keine GanS, kein Kalbsbraten pas siert mehr.
Denn je mehr der Mensch hat, desto
mehr will er haben.
Der geistliche Stand wird
auch nicht mehr geachtet.
Ernst.
ren.
Das hab' ich gestern Zlbend erfah
Ein gewisser Mann, Namens Schmidt,
wollte mich insultieren, so bald er hörte, daß ich
geistlichen Standes war. Pastor.
Das macht der Verfall der Reli
gion.
Epnst.
Und viele behaupten, die Religion
sey empor gekommen. Pastor.
Hier bey uns gewiß nicht.
Das
beweisen unsre Sitten, das beweisen die leeren
Zweyter Stühle in der Kirche.
Theil.
411
Gott! es ist eine trau
rige Empfindung! Ernst.
Woher rührt aber der Verfall der
Religion', da sie doch Zahr aus Zahr^ ein in
der Kirche und Schule gelehrt wird, und gewiß
gründlicher als vor fünfzig und mehrern Aahren?
Pastor.
Hiesigen Orts könnte ich einiger
maßen selbst Schuld daran seyn.
Ernst.
Pastor.
Sie selbst? Unschuldiger Weise ich selbst.
Zn
bester Meinung wollte ich als junger Prediger eine allgemeine Aufklärung in meiner Gemeinde bewirken, und weil man damals von nichts als
lauter Aufklärung schrieb und sprach, hielt ich
es für Pflicht auch mein Scherflein beyzutragen. Ich erklärte verschiedene biblische Stellen ganz
frey, griff manche Wunder an, bestritt die Drey einigkeit, verjagte den Teufel mit allen seinen Wesen und Werken, und was ich weiter that.
Den besten Segen versprach ich mir davon, weil
die neue Lehre
viel
Aufmerksamkeit
allein ich habe mich geirrt.
erregte;
Meine Aufklärung
blendete den schwachen Seelen die blöden Augen; und bey andern kam nach und nach die Autorität
4U
Der Pastor in Kartoffelfeld.
der Vibel.fehr in Verfall. sollen,
Ich hätte bedenken
daß ich nicht Studenten, sondern bel-
orthodoxen Ideen
aufgewachsene uub größten-
Iheils unwissende Laien vor mir hatte.
Ich
wünschte sehr meine Fehler wieder gut machen zu
können, aber es scheim mir unmöglich.
Ich
habe einmal gesagt und gelehrt, „Gott hat nie
weder mit Adam, noch Noa, noch Moses gespro chen"
und kann nicht öffentlich
wicderrufen.
Aber ich wollte viel drum geben, ich. hätte diese
Aeußerung nicht gewagt, denn die zehn Gebote haben leider ihre ganze Kraft darüber verloren.
Ich sage Ihnen dieses zur Warnung.
Jeder
junge Prediger bedenke, daß seine eigene durch
vieles Lesen und Nachdenken erworbene Einsicht pnd Ueberzeugung
nie die Ueberzeugung
und
Einsicht des gemeinen Mannes werden kann. Die Religion muß für diesen jederzeit eine posi
tive Gestalt behalten; eine reine, destillierte und
geläuterte Vernunflreligion wirkt auf ihn eben so wenig als die philosovhische Moral.
wenigstens meine Erfahrungen. put früher gehabt.
Dieß sind
Hätte ich sie
Doch ich tröste mich damit,
daß. ich. nicht allein Schuld bin, und die wenigste
3 w « H t t :T H e i L
Schuld mir beyziimessen habe.
41.3
Größer ist die
Sünde der neuern Schriftsteller und Zournallsten, welche, wie es scheint, recht darauf ausge
hen, den geistlichen Stand und mit ihn» die
Religion herabzuwürdigen und für überflüssig zu erklären.
Mit vielem Verdruß habe ich erst
neuerlich einen Aufsatz in einem, berühmten Zour-
nal gelesen, des Inhalts, , Laß die Predigtr- im Staate halbe Müßiggänger sind.
Wollte Goft
ich könnte mehr thun! Ernst.
Aber sollte es nicht möglich seyn
dem Landmann durch guten Schulunterricht «ach und nach mehr Kultur zu geben?
Der reiche
Bürger ist doch im Umgänge erträglich und oft angenehm —" Pastor.
Ein richtiger Gedanke; Schade
daß er sich nicht so gut und leicht ansführen läßt als er gedacht ist.
Ich vergleiche die Erzie
hung der Landjugend mit dem Dau eines Hau ses.
Die untere Etage wird gut ausgebauet, di«
zweyte nur angefangen, und das Dach fehlt ganz.
Oft hab' ich das Vergnügen gehabt recht
gute in ihrer Art geschickte Kinder zu erziehen
aber was wird daraus, wenn sie der Schule ent-
414
Der Pastor in &avt.offelfelb.
jassest sind?
Sie verwildern
wieder wie die
Darlme die nicht gepflegt unb. gewartet tperden.
Böse Erempel verderben Zute Silken,
Ä^ichtssonLerlich aufgeheitert durchchiefe.Nnter-
rrdmig, und voll Mißvergnügen, kiuem Stande tzervidmet zu seyn, der viel Nutzen, stiften soll,
oft aber nicht kann, und dessen Ansehen immer mehr und - mehr herab-.zu sinken scheint, 'setzte
Ernst seimn Wanderstab weiter, und dachte drü
ber nach, wie er sich dereinst in Ansehung der Aufklärung verhalten wolle. Wider eigene Ueber
zeugung zu reden, schien ihm sündlich, und
schwache Augen durch ein zu starkes Licht zu. blen dest, gefährlich; und die Mittelstrasie sah er
jetzt nicht gleich. Er richtete, um eine bessere Nacht zu haben
als die vorige, seinen Weg nicht auf das nächste
Dorf,, sondern auf das nächste Städtchen, dessen Name uns entfallen ist.
Auf die Frage, wel
ches das beste Wirthshaus sey, wies man ihn
in daS Lämmlein mit der Siegesfahne.
Z w e y t« r
Er
Theil.
415
itzte bey diesem Namen, und machte den
voreiligen Schluß, daß bie positiv» orthodoxe
Religion hieselbst noch die herrschende seyn müsse;
doch'fand er im Lammlein mit der Sie-
grefahne fast eben so.wenig Vergnügen 6(8 im Dar; so hieß di« Dorfschenke, wo er über
nachtet hatte.
Einige Bürger dt'e tim Tische saßen,recen sierten bey einer Flasche-Wein die Negierüngs-
sonuen von Europa, uüd keine gefiel ihnen. Alle hatten den Hauptfehlel'/daß die Menschen Zoch nicht zur Gleichheit und Freiheit empor gehoben;
sondern wie die Hausthiere gehalten würden..!. „Zch denke aber, sägte Ernst, meine Her
ren, daß es wohl genährte und gefütterte Hausthiere weit -besser haben, als andere,, die im Zustande völliger Gleichheit und Freiheit in den Wäldern umherirren, oft Hunger und Durst
leiden, sich mit einander raufen, beißen, uyd ihres Lebens vor dem Jäger nicht sicher sind.
Da sehen Sie unter dem Ofen den feisten Pudel
und den dicken Kater neben einander schlafen;
haben sie es nicht beide gut, und würden sie es im. Stande der Gleichheit und Freiheit besser haben ?
4i6
De.e Pastor in Kartoffelfeld.
Dle kannengießernde Gesellschaft stutzte, und einer von ihnen flüsterte seinem Nachbav ins Ohr, „ der Herr ist kein Jakobiner."
Ein- anderer
hub an, „ich bleibe dabey, ehe nicht.'der Ober-
Eonsul Donapart ein Universalreich errichtet, undKönig aller Könige wird, «her wirds nicht besser." Ernst schwieg und ließ die Männer reden
was sie wollten.
Eine hyperbolische Zdee von
Äyeltverbesserung kam nach der andern zum Vor schein^ die Herren wmden sehr lebhaft, und jwey von ihnen, die fleißigsten Trinker, stritten
sich heftig über den Fragepunktr „Ob die Reli gion.- in einem Staate nöthig oder überflüssig,
nützlich oder schädlich sey?"
Der eine erklärte
sie- für-überflüssig, und berief sich auf das Bey
spiel von Frankreich; der andere hielt sie für nöthig und nützlich, und bewies es gleichfalls
mit der neuern Geschichte Frankreichs.
Der
Der Schulze hatte zwey recht wohl gezo
gene und wohl gewachsene Söhne von ziemlicher Dem jüngsten, Heinrich, war der
Größe.
väterliche Hof zugcdacht, und der älteste, An dreas, war der Bräutigam von des Schöppen einziger Tochter.
Des Vaters Herz hing ganz
an diesen beiden Kindern.
Ach, wie wimmerte,
wie jammerte er! „Bey Gott! Hochgebietender Herr Sekretär!
ich bitte um die Wunden Christi, verschonen Sie mich.
Erbarmen Sie Sich! Meinen Andres
soll ich missen! lieber will ich sterben, und er ist noch dazu Bräutigam von Richters Fiekchen." „Das schützt nicht, .lieber Mann; so wür
den bald alle junge Bursche Bräutigame seyn. Hier heißt es: Marsch vor den Feind! streite
für König und Vaterland! Ich muß meine trau,
rige Pflicht thun; Sein Andres ist nicht zu retten; sieht Er, hier steht Er auf der Liste
eben an.
Tr ,og «In Blatt Papier hervor.
Les' Er,
hier steht Andreas Grimpe, und dann folgen noch mehrere junge Bursche.
mit dem andern trösten."
Es muß sich einer
450
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„ Daß Gott sich erbarme! Hochgebietender Herr Sekretär! daß sich Gott erbarme! Gnade! Gnade!" „Er weiß ja doch daß Krieg wird. Krieg ist Krieg! Friede ist Friede!" „ Leider han wirs gehört, das Kriegsgeschrey. Aber dieß Mal,' Lieber Herr, erbarmen Sie Sich noch. Sehen Sie meinen grauen Kopf. Zch habe ja der Gemeinde dreyßig Zahr getreu gedient." „Mit seinem ewigen Erbarmen, ich darf mich ja nicht erbarmen. Alles was ich thun kann ist, daß ich Ihm seine Pferde lasse." „ Dey Gott, lieber vier Pferde als ein Kind, das ich so sauer erzog. Ich habe auch gedient, als ich jung war, und weiß wie es im Kriege hergehet, Menschenblut fließt da wie Wasser. Nein, lieber vier Pferde als ein Kind!" „Nun ich kann Zhm nicht helfen, lieber Man»! Sein Andreas steht auf der Liste." „Ach, hochgebietender Herr Sekretär! ist denn mit Gelde nichts auszurichten. Zch bin zwar nicht reich, aber bey Gott! sollt'ichs von den Silben borgen..."
Zweyter
Theil.
451
„Der KLnig braucht Leute und kein Geld. Find' Er sich in sein Schicksal.
chem nicht besser gehn.
Es wird man
Zwanzig junge Bursche
aus Hirsedorf hab' ich auf der Liste, und über-
dieß fünfzehn Pferde." „DaS ist hart; man möchte weinen.
Und
kein Erbarmen! Kein Erbarlnkn! Mein Andres!
Mein Andres!" „Wie gesagt, ich darf mich nicht erbarmen. Zch bin nicht die Hauptperson.
Will sich mein
Principal, der Herr Provincial - Intendant, erbar
men, so hab' ich nichts dagegen.
Ich muß mei
ner Ordre nachleben."
„O bitten Sie doch vor! Sagen Sie dem gnädigen Herrn doch, daß das kleine Dorf so
viel Bursche und Pferde
nicht
stellen kann.
Lassen Sie doch nicht eher nach, als bis Sie meinen Andres retten, ich will ja gern erkennt
lich seyn."
„Versuchen will ichs, aber Ihr guten Leute müßt auch was thun." „Und was denn, hochgebictender Herr Sekre
tär, was sollen wir denn thun? doch! Sagen Sie doch!"
Sagen Sie
Der Pastor in Kartoffelfeld.
45-
„ Ihr müßt Euch meinem Principal gefällig erzeigen." „Können wir da§,
hochgebictendcr Herr
Sekretär?"
„Seßt habt Ihr dazu die schönste Gelegen heit.
Zch weiß daß er seinem vorigen Infor
mator dem Kandidaten Weber sehr gut ist, und
ihm gern ein 2lmt verschaffen will.
Wählt die
sen zum Pastor, und er wird Euch verschonen, der gnädige Herr." Nach langem Schweigen mit merklicher Verlegenheit.
,/ Er stottert ja, lieber Herr, er kann Gottes Wort nicht deutlich vortragen."
„Zhr versteht das nicht, das kommt Euch
nur so vor.
Nein, lieber Schulze, bedenke Er
sich nicht einen Augenblick, wenn Er Seinen Andres und die Gemeinde manche ihrer Kin
der behalten will.
det Ihr wähleil. Eure Sache gut."
Ich weiß, übermorgen wer Adieu, ich muß weiter. Macht
Z w eyte r
Theil.
'
453
Noth hat kein Gebot, dachte der Schulze, und ließ sogleich die ganze Gemeinde fordern.
Alle erstaunten und murreten über die For derung des hochgebietenden Herrn Sekretärs, und wehklagten/ daß sie ihrem Ernst nicht Wort hal^
ten sollten. Sobald aber diejenigen, welche Söhne und Pferde hatten, ihre Gefahr vernah men, entstand eine traurige Stille mit Seufzen untermischt, bis einer den andern zu fragen
begann: „Gott! was machen wir? wir haben uns ja schon unterschrieben. Hier ist guter Nath .theuer." Der Schöppe erfand diesen guten Nath. „Hört, Nachbarn, sprach er, es giebt doch noch
ein Mittel den Intendanten zu befriedigen und auch unsern Ernst zum Pastor zu wählen.
Fo/gt mir nur. „Alle diejenigen, welche erwachsene zum Sol datendienst fähige Söhne und Pferde haben, Leben übermorgen, weils so seyn soll, dem Kan
didaten Weber ihre Stimme, die andern aber alle dem Kandidaten Ernst.
Ich habe ausge
rechnet, daß dieser dann gerade Eine Stimme
mehr haben ^vird, als Weber, und dieß ist
454
Der Pastor in Kartoffelfeld.
' genug; die andern helfen ihm doch nichts. nach können wirs ihm
Her
deutlich machen, und
sagen, warum wirs so und nicht anders gemacht habe», und daß er dennoch die Stimmen aller
Herzen habe." „Gut! getroffen! rief die ganze Gemeinde. So wollen wirs machen, alsdann behalten wir unsere Kinder, und bekommen den braven Mann,
den wir haben wellen."
Der feierliche Wahltag erschien.
Die »er«
ordrreten Koinmissarien, der Zuftizrath und der
Superintendent, fanden sich bey guter Zeit auf
der Pfarre ein, und nach ihnen noch ein Mann, der nicht zur Sache gehörte, nämlich der hoch
gebietende und lang gewachsene Herr Sekretär. Höflichst bat dieser um Erlaubniß an den Freu
den dieses Tages Theil nehmen, und dem Wahlgeschäft zuschen zu dürfen, weil er dergleichen
wichtigem Aktus noch nie zugesehen habe.
Er
war auch hier dreist genug von einem bevorste henden wichtigen Kriege zu plaudern, und sprach
Zweyter
Theil.
455
beym Kaffee viel von gan; geheimen Nachrichten,
die er unter der Hand aus dem Kabinet erhalten
haben wollte. Nun ging unter vollem Geläute — so gut
man es nämlich in Hirsedorf hatte — der Zug zur Kirche. Nach abgesungenem Liede „Es woll'
uns Gott genädig seyn" trat der Suverintendent auf, und ermahnte in einer so vortrefflichen
als rührenden Rede zur strengsten Gewissenhaf
tigkeit bey der vorzunehmendcn Wahl.
Nach
dieser wurden der Observanz gemäß drey Urnen
auf den Altar gesetzt.
An der ersten stand der
Name Ernst, an der zweyten Müller, und an der dritten Weber. „Ähr geht, so
wie Zhr folgt, hub der
Iustizrath an, alle um den Altar, und jeder
wirft, wie Ihr schon wißt, einen mit seinem
Vor - und Zunamen beschriebenen Zettel in die Urne desjenigen der drey Herren Kandidaten,
den er nach Ueberzeugung und Gewissen sich zum künftigen Seelsorger wünscht.
Tretet heran!"
Mit.langsamen Schritt, bescheidener andäch tiger Miene und halb niedergeschlagenem Blick
ging die Procession nm den Altar herum, und
4Z6
Der Pastor in Kartoffelfeld.
jeder opferte seinen Zettel. Der hochgebietende lange Sekretär hatte 'sich so gestellt, das; er mit seinen Falkenaugen jedem auf die Hande sehen konnte. Seine Miene schien bisweilen zu sagen: „Seht, hier steh' ich, ihr wißt was ich vermag, nehmt euch in Acht."
Nachdem die 5 5 Vota in die Urnen abgeliesert und das Te Deum gesungen war, wurden die Stimmen gezahlt und protokolliert. Nach der genauesten Zählung fand es sich daß Weber 33, Ernst 32 , und der lesende Müller gar keine hatte. Der Justizrath trat auf: „ Ich habe anzu zeigen, daß kraft der Stimmen - Mehrheit der Herr Kandidat Weber Euer Prediger sepn wird, .und als ein solcher zu respektieren ist."
'Es entstand eine allgemeine Bestürzung. Jeder hatte die Worte auf der Zunge, „es muß ein Fehler vorgefallen seyn, der soll es ja nicht seyn; " keiner aber sprach. Der Superintendent war. ganz betäubt und außer Fassung. Gern hätte er laut und von Herzen gesprochen, sah .sich aber.zu schweigen genöthigt, weil alle For-
Zweyter
Theil.
matten ordentlich beobachtet waren.
457
Die Sache
war ihm ein Räthsel. erklärte der
Erst nachher auf der Pfarre
Schulze den ganzen Zusammenhang der mißra--
thenen Wahl.
Der Zusiizrath schüttelte den
Kopf dazu und gab seinen Unwillen zu erkennen.
„Ich bedaure Euch, guten Leute, hub er an; aber weil alles, heute wenigstens, nach der Ord nung zngegangen ist, Ihr auch Eure Namen selbst ausgeschrieben
und
in die Urnen gelegt
habt,, so kann ich Euch als Rechtsgelehrter wei ter nicht helfen.
Warum wäret Ihr so thöricht
dem falschen Kriegesgerücht sogleich zu glauben,
ohne mich und andere zu fragen."
Wie es mit den Wahlzettcln, deren Ernst
nach
der Schöppen Plan 33, und Weber 32
eigentlich
haben sollte, zugegangen seyn mag,
darüber hat man nichts gewisses. ein alter halb blinder
Einige sagen,
Mann habe die Urne
nicht gehörig unterscheiden können, und daher seinen Zettel aus Versehen
geworfen.
in Webers Urne
Andere wollen behaupten, det hoch
gebietende Sekretär, der tun Altar stehen blieb, habe während des
Liedes,
„Herr Gott dich
458
Der Pastor in Kartoffelfeld.
loben wir," da rille Augen andächtig auf die
Gesangbücher geheftet waren, mit der Geschwin digkeit eines geschickten Taschenspielrrs einen Zet
tel aus der Ernestinischen Urne in die Webersche
geworfen.
Aeußerst mißvergnügt, ja schwermüthig fuhr
der Superintendent nach Haus, und faßte unterweges den Vorsatz dem hochgebietenden Sekretär
sogleich bey dem Provincial-Intendanten anzu
klagen.
Er thats auch, und schickte diesem
Herrn einen langen Brief, worin er ihm alle
Kabalen und Intriguen ausführlich meldete und beschrieb.
Die Antwort war folgende:
Zu spat bitten Sie um die Bestrafung mei nes listigen und intriguanten Schreibers; denn
er ist schon bestraft.
Schon vor einigen Tagen
hab' ich ihn seiner treulosen Dienste entlassen; imb was er zu guter^etzt in Hirsedorf gethan, hat
er nicht als mein Schreiber, sondern als Land
streicher
vollführt.
Eben
diese
Hirsedorfsche
Pfarrstelle war die Hanptursache seiner Verab-
Zweyter Theil.
459
schiedung. Ich entdeckte nämlich vor kurzem einen mir höchst mißfälligen Briefwechsel zwi schen ihm und dem abgesehten herumreitenden weltbekannten Hoffiökal Isebart und noch eiiligen mir unbekannten Leuten dieser Art, der lauter Betrug und Geldschneiderei) zur Absicht hatte; denn der Kandidat Weber soll einiges Vermögen haben. Ich vermuthe daß alles, was zu Hirsedvrf vorgefallen ist, die Ausführung eines vom alten Isebart entworfenen Plans war, zu der sich niemand besser schickte, als mein abgedankter Schreiber. Sollte, wie ich fast fürchte, mein ehrlicher Name bey dieser skandalösen Geschichte gemiß braucht seyn, so versichern Sie jedem auf Ehre, daß ich solche boshafte Ranke in der Tiefe mei ner Seele verabscheue. Den Kandidaten Weber kenne ich kaum dem Namen nach, und habe ihn nie in Protektion genommen. Jeder muß durch eigene Geschicklichkeit sein Glück machen. So sollte cs wenigstens seyn und könnte es seyn, wenn alles im Staate nach Ordnung und Gerech tigkeit zuginge.
Der Pasror in Kartoffelfeld.
46o
Zch befinde mich nun in der Übeln Lage kei
nen Schreiber zu haben, und die Geschäfte Hau fen sich.
Kennen Sie ein Subjekt, das nicht
nur geschickt zu solchem Posten, sondern auch ehr lich ist, so bitte ich um Nachricht. Von dem Kriegesgerücht haben wir hiesiges
Orts nichts vernommen.
Es ist in Hirsedorf
entstanden, und mag sich von dort aus weiter
verbreitet haben.
Ich bin mit aller Hochschätzung n. s. w.
Nun ist Trost nöthig für den guten Ernst
und sein liebes Mädchen, dachte der Superin tendent, und beschloß nächster Tage selbst nach
Nosenhain zu reisen, und seine ganze Moral und Deredtsamkeit aufzubieten, um die Trauri
gen über die abermals so plötzlich zertrümmerte Hoffnung nur einigermaßen zn beruhigen. Allein ganz unerwartete Amtsgeschäfte hielten ihn für
dieses Mal von einer Reise ab, die er jetzt frey lich für Pflicht aber auch für traurige Pflicht
hielt.
Der Schulmeister, zugleich Kuhhirte, von
Kartoffelfeld, Ruprecht, ließ sich allerunter-
thanigst melden, weit er Zhro Hochwürden ein großes Geheimniß zu eröffnen haöe, und sah so
verdüstert und verstört aus, als ob er Mord und Todtschlag begangen hatte,
ankam ganz außer Athem.
war auch als er
Er hatte auch wirk
lich eine Neuigkeit von eigner Act auf dem Her zen, von der sich kaum sagen läßt, ob sie mehr
zu den traurigen oder zu den lächerlichen gehört. Als er vorgelassen wurde, trug er folgen
des vor: „Ew. Hochwürden vergeben, daß wir vori
gen Sonntag keine Kirche gehalten haben, denn wir haben nicht gekonnt.
Denn ich habe den
Glauben drey Mal durchgesungen, und es kam
kein Herr Pastor.
Als ich ihn zum vierten Mal
anstimmte, wollte keiner mehr mitsingen.
Nun
dachte ich, es müsse unsern Herrn Pastor der
Schlag gerührt haben, und lief eiligst zur Pfarre. Allein was fand ich? Keinen Herrn Pastor, ob
ich gleich, alle Winkel durchsuchte.
Fort waren
sie, über alle Berge, und ich hörte, daß sie mit' Hut und Stock schon Morgens früh zum Dorfe
461
Der $>aftor in Kartoffelfeld.
raus gewandert wären.
Weil es nun heißt, ich
werde den Hirte» schlagen, und die Schafe wer
den sich zerstreuen, so lief ich sogleich zur Kirche zurück, und ließ
die Leute nach Hause gehen,
welches nicht übel zu nehmen bitte.
Ob ich
nun gleich den Herrn Pastor nicht habe finden
können, so habe doch diesen Brief gefunden, der an Ew. Hochwürden addrcßirt ist.
Er lag auf
dem Tische über der Bibel. Der Superintendent, auch ganz bestürzt über
diesen sonderbaren Vorfall, erbrach ihn sogleich, und las darin folgendes:
Hochzuehrender Herr Superin tendent u. s. w.
Zehn Zähre hab' ich zur Ehre Gottes und
meines Amtes mit dem Apostel Paulus Hunger und Durst, Frost und Blöße erlitten; .aber im elften reißt der Faden der Geduld.
Gott weiß,
ich kann nicht mehr.
Zn den ersten fünf Zähren, als die Zielten noch besser waren, ich auch noch zuzusetzen hatte,
konnte ich mit meinen 140 Thälerchen noch s»
Zweyter
Theil.
463
ziemlich dnrchkommen, auch hat mir die Gemeinde
mit durchgeholfen, und manches Brot ins Haugeschickt.
Jetzt aber bekomme ich keinen Dissen
mehr, weil ich es mit einer Strafpredigt über
die einreißende Hurerey verdorben habe. Es ist alles übermäßig theuer, und ich habe in den letzten Wochen dermaßen Noth gelitten
daß ich mich schäme viel davon zu sagen. Die dringendste Noth brachte mich auf den desperaten Entschluß mein Pfärrchen zu verlas«
sen, ohne meinem Patron, dem Prälaten, «in Wort davon zu'sagen, weil ers nicht verdient,
und mir auf wiederholtes Supplicieren bloß eine
Zulage von fünf Thalern aus der klösterlichen 2trmenkasse bewilligt hat; aber Ew. Hochwürden
muß ich pflichtmäßig von meiner Flucht Bericht abstatten.
Man wird diese tadeln und belachen, dawerden aber nur unvernünftige Menschen thun;
vernünftige werden bedenken, daß ein Arbeiter seines Lohns werth ist, und wer das Evange
lium treibt, sich auch vom Evangelium nähren
soll.
Alles Leiden hat seine Grenzen.
Der
matte hungrige Ochse schüttelt das Zoch ab.
464
Der Pasc0r in Kartoffelfeld.
Zch trete als Schreiber in die Dienste des braven Provincial - Intendanten, und finde da freylich viel 2lrbeit> aber doch das tägliche Brot, um welches ich so oft in meiner vorigen Stelle mit lauter Stimme *) vergeblich gebetet habe. Mein weniges Hausgeräts), bestehend in einem schlechten Bette, zwey Schemeln, einem Tisch, wie auch meine Bücher, nämlich Bibel, Gesangbuch, Katechismus nebst der Thränenund Trostquelle, nicht minder meinen wenigen Vorrath von Kartoffeln und Mohrrüben, ver wache ich dem armen Schulmeister Ruprecht. Gott stehe ihm bey. Ich verbleibe Dero
gehorsamster Diener,
P. Schwarz, ehemals Pastor zu Kartoffelfeld.
*) Herr Pastor Schwarz hatte die Gewohn heit auf die vierte Bitte jedes Mal einen ganz außerordentlich starken Accent zu legen. N. S.
Zweyter
Theil.
465
N! S. Noch Eins. Meine Perücken bekommt der arme Perückenmacher, der sie immer frisiert hat.
Es sind deren drey.
Der Perückenstock
aber ist ein Inventarium.
So sehr der Superintendent über diesen Brief
auch erschrak, so billigte er doch den Entschluß des guten Mannes, für den er sich so oft, aber vergeblich bey dem Prälaten verwendet hatte. Seine Frau gerieth auf den Gedanken, daß diese schlechte Stelle dem Kandidaten Ernst in jetziger bedrängten Lage dennoch willkommen seyn
dürfte,
und
ihr
Genrahl
war bald gleicher
Meinung.
Gleich schrieb er einen sehr harten Straftrief an den Prälaten, und drohete die Sache unverzüglich bey Hofe zu melden, wenn er nicht
die Pfarr - Einkünfte zu Kartoffelfeld ansehnlich erhöhen, und den Kandidaten Ernst ungesäumt
berufen wolle. „Schämen Sie Sich, sagte er darin, Leute
Ihres Standes darben zu lassen.
Haben Sie 3Q
466
Der Pastor in Kartoffelfeld.
vergessen, daß der erste Zweck der Klöster Unter
richt der Zungen und Alten war? Wissen Sie
nicht, daß der Staat eher zehn Klöster als
einen öffentlichen Lehrer entbehren kann? Ver kaufen Sie nicht Zhr Getreide zu einem sechs
Mal höher» Preise als vor zwey hundert Zäh ren? Warum lassen Sie einen Mann darben, der Sie so nahe angeht, und dessen Patron oder
Gönner Sie doch zu seyn vergeben? u. s. w." Dieser nachdrückliche Brief halte die beste
Wirkung, zumal sich kein einziger Kandidat zur
erledigten Stelle meldete, und man schon im
Begriff war dieselbe in den Zeitungen, und wenn das nicht hülfe, im Ncichsanzeiger aus zubieten.
Etwa nach vierzehn Tagen übersandte der
Prälat die förmliche Vokativ» für den Kandi daten Ernst, nebst Zusicherung eines künftigen Gehaltes von vier hundert Thalern, entschuldigte
sich bestens mit der Versicherung, daß eS ihn,
ein wahres Vergnügen seyn werde einen vom
Superintendenten empfohlnen Mann anständig zu besolden.
Zweyter
Theil.
467
Mit der Vokativ» in der Tasche fuhr der
Superintendent
fröhlich nach Nosenhain, unb
' die Superintendent«!:, welche den
Ein
fall zuerst gehabt hatte, machte Gesellschaft. Hier war die Hiobspost längst angekommen. Eben als das Drautbett geschmückt und aufgcputzt wurde, hatte der Schulmeister von Hirse
dorf gemeldet, Kandidat Weber fei; gewählt. Zum ersten Mal in ihrem Leben sank Louise in
Ohnmacht, und ihr Geliebter bekam eine An
wandlung von Wahnsinn.
Vater Herrmann
schien die Sprache verloren zu haben, und nur seine Frau und die Tante hatten noch einige Fas
sung übrig.
Den schönen grünen aus Myrten
geflochtenen Brautkranz zerriß Louise mit eben der Hand, mit der sie ihn so froh geflochten hatte, und trat die Trümmer mit Füßen.
Bleiche, abgezehrte, verdüsterte Gesichter mit trüben Augen kamen daher dem Superintenden ten am Wagen entgegen.
„Trost! Trost! Trosts Vater, Trost!" rief Louise und rang die Hände.
468
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„ Ich bringe ihnantwortete der Superin tendent, stieg freundlich aus dem Wagen, und
küßte herzlich die ganze Gesellschaft.
So auch seine Fran.
„Za, mein Mann,
setzte diese hinzu, bringt Trost, er hat ihn in der Tasche."
Superintendent «uf Ne Tasche flogfen».
„Zch bringe ihn —"
Louise.
„Jsts möglich, lieber Vater?
Zsts möglich?
doch bey Gott ist kein Ding
unmöglich."
Superintendent.
„Zch bringe Trost
Hirsedorf sey vergessen."
auf immer.
Louise.
„0 welchen denn, lieber Vater? "
Superintendent. „Rathen Sie! Rathen Sie, gutes Kind!"
Louise.
„0 lieber Bester, nicht lange
rathen, nicht lange rathen."
„Superintendent. bringe Trost.
Nun genug, ich
Bey Tische sollen Sie mehr
hören, gutes Mädchen, eher nicht."
Die trauernde Gesellschaft mußte sich also gedulden.
Man führte die Fremden in den
Zweyter
469
Theil.
Garten, trank Kaffee, und der Superintendent sprach absichtlich von gleichgültigen Dingen. Alle
waren voll Erwartung. Ernst und seine Geliebte betrieben es, daß man heute eine ganze Stunde
früher speiste, auch die Tante war in der Küche äußerst geschäftig, und öffnete die Karpfen mit
eigner Hand. Mit
dem
ersten
Glase Wein
trank
der
Superintelldent mit der zuversichtlichsten Miene
die Gesundheit des neuen Herrn Pastors.
Dar
auf zog er die Vokation aus der Tasche, und las der von lauter Erwartung gespannten Gesell
schaft vor:
„Wir berufen kraft dieses den uns bestens empfohlnen Herrn Kandidaten Ernst zum Prc' diger zu............... und soll derselbe bey treuer
Amtsführung alle Rechte und Einkünfte seines Vorgängers genießen, und da letzterer so schnell vom Amte abgegangen ist, so kann genannter
Herr Ernst nach vorhergegangener Ordination
und Einführung sogleich anziehen. „Aber wo denn anziehen?" fragte Vater
Herrmann und alle andern.
470
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„Geduld?
Geduld!" sagte der Superin
tendent.
Mit dem zweyten Glase Wein trank er die Gesundheit des berufenen Predigers zu Kar
toffelfeld, und stieß mit Ernsten an. Ernst entfärbte fich und konnte sich der
Thränen kaum enthalten.
„Kartoffelfeld —
dacht' er — ist das der nun errungene Preis ? "
Louise seufzte.
Es entstand eine traurige Stille.
Nun will ich weiter lesen, hub der Superin
tendent an. „Auch haben wir aus triftigen Gründen
beschlossen, daß der künftige Gehalt des neuen Predigers zu Kartoffelfeld, nicht wie bisher in
140 Thalern, sondern von nun an in 400 Tha lern bestehen soll."
Gleich erheiterten sich alle Gesichter.
Der
Superintendent gab die Vokativ» herum.
Ernst
und Louise lasen sie gemeinschaftlich, und Fröh lichkeit begann zu herrschen.
Es entstand ein
langes Gespräch über die künftige Einrichtung, über den Anbau des öden Pfarrgartens, über
die Ausmahlung der Zimmer,
und Louise
Zweyter Theil.
471
bedauerte herzlich, daß (te ihre schöne Braut krone in der Verzweiflung zerrissen hatte. „Hierin will ich Trösterin seyn, sagte die Superintendentin, winkte ihrem Bedienten, der ein Schächtelchen herbeyhvlte, worin ein schö ner Äcyrtenkranz lag. Das ist meine Arbeit und für Sie bestimmt, daß ich doll) auch etwas zu dem bevorstehenden fröhlichen Tage beytrage." Höflichst bedankte sich das Brautpaar. Selbst der alte Herrmann ward immer lebendiger, zog seine Drille heraus, und betrachtete den so künst lich gxwundenen Kranz.
„Zch muß ja denn auch wohl was thun, hub er an. Außer den zwey tausend Thälern Aussteuer soll der Pastor von Kartoffelfeld noch vier schöne Kühe und ein Dutzend Schafe haben. Frau, was giebst denn du?" „Ich besetze den Hof mit Putern, Gänsen, Hühnern und Enten —" „ Morgen, sagte Herr Herrmann, machen wir eine Reise nach Kartoffelfeld, und bese hen es uns."
47t
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„Bravo, rief der Superintendent.
Alle
Fehde mit dem Mißgeschick hat nun ein Ende."
Doch dieser Grad der Freude war von kur zer Dauer, noch an diesem Tage erfolgte bald —
ein — »och weit größerer. Ein Bote brachte ein dickes Packet von der
Die Aufschrift war an Ernst gerichtet.
Post.
Ein Mißgeschick ahnend, erbrach ers mit zittern der Hand, und fand darin einen versiegelten
Brief, und neben diesem einige mit Seide gehef tete Dogen.
Die Aufschrift des Briefe- war
von einer ihm bekannten Hand, doch konnte er sich nicht gleich erinnern von welcher.
Sie lau
tete so:
.
An meinen Sohn
Friedrich
Ernst,
ihm zur bestimmten Zeit einzuhändigen.
Als er auch diesen erbrach, wußte er nicht
wie
ihm geschah.
Dem Datum nach war
der Brief vor drey Jahren geschrieben,
und
Zweyter
Theil.
473
Hand und Unterschrift nach vom verstorbenen
Ernst zitterte vor Alte
General von Schönfeld.
ration am ganzen Leibe, er wollte lesen und
konnte nicht.
Erst nach einigen Minute» kam
er- wieder zur Fassung, und durchlief das Schrei ben nur flüchtig. Die Augen voll Thränen wollte
er es der Gesellschaft laut verlesen; dieß aber
wollte nicht gelingen.
Der Superintendent ver
trat seine Stelle, und las folgende Schrift vor:
Guter
Sohn!
Erschrick nicht über diese Anrgde; denn du
bist es.
Kriegesunruhen wollten mir nie das
Glück einer ordentlichen Ehe verstatten, und doch
war ich Mensch.
Ein unschuldiges bildschönes
Mädchen, die Tochter meines Gärtners, willigte
in meine Wünsche und
du
wurdest geboren.
Mein Herz blutete, als deine gute Mutter schon
starb, ehe sie dich an ihre Drust drücken konnte; und noch heute ist mir der Gedanke, daß sie ihr
junges Leben meinen Wünschen aufopferte, höchst traurig.
Du wärest also in der Welt ohne Mutter,
aber, danke eS lebenslang dem Himmel, nicht
474
Der Pastor in Kartoffelfeld.
ohne Vater.
Vielleicht hab' ich mehr an dir
gethan al- manche andere Väter an ehelichen Kindern thun.
Zch sorgte für deine Pflege und
Erhaltung, und weil ich einige meiner Züge in deinem Gesicht anzutrcffen glaubte, gab ich dir
wenigstens einen meiner Vornamen, und ließ dich Ernst nennen.
Zm siebenten Zahre übergab ich dich einem Manne, den du wahrscheinlich für deinen Vater gehalten haben wirst, meinem damaligen Gärt
ner, deinem Großvater mütterlicher Seite, und
war gesonnen dich der Gärtnerkunst, die ich von jeher liebte, zu bestimmen.
Oft hab' ich damals
mit, dir im Garten zu Rosenhain getändelt und"
gespielt, und dir manches Steckenpferd, man-,
chen bunten Ball gekauft.
*
Zu meiner Vaterfreude entwickelten sich deine'
Fähigkeiten weit vortheilhafter als ich gedachte. Zch brachte dich daher in eine berühmte öffent liche Schulanstalt, und bezahlte für dich.
Zch
ließ dich die Akademie beziehen, und.du wirst
auf derselben nie Mangel gehabt haben.
Nach
her empfahl ich dich zum Hauslehrer bey mei nem alten braven Kriegskameraden, dem Pachter
Zweyter
Herrmann.
Theil.
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Hier hast du mich zum zweyten
Mal persönlich kennen gelernt, ohne zu wissen, wie nahe du mir angehörtest. Dein Fleiß machte
mir Vergnügen, und als bir reihende Louise, die du erzogst, kaum zehn Zahre alt war, hatte
ich schon den Plan, daß sie einst die Deine werden sollte.
Nachher hab' ich meine Absicht
ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, und werde
sie, wenn ich noch fortlebe, immer naher blicken lassen.
Für deine Defördernng hab' ich bis
heute in der Stille gewirkt, noch aber hat die
günstige Gelegenheit dazu gefehlt, dir wirklich
ein Amt zu verschaffen.
Vielleicht kommt sie
bald.
Indessen, lieber Sohn! dürfte meine Stunde bald schlagen, wahrscheinlich früher schlagen, ehe
ich dich ganz glücklich sehe.
Eine Anwandlung
von Schlagfluß, die ich vorgestern hatte, läßt mich keine Jahre mehr hoffen, und selbst mein so gefälliger Arzt schüttelt den Kopf.
Ich bin
alt und zum Tode gefaßt, und die Welt verliert an mir jetzt weiter nichts, als höchstens einen
guten Mann, wenn ich mich so nennen darf.
Im Bewußtseyn so wenig als möglich gefehlt zu
476
Der Pastor in Kartoffelfeld.
haben, erwarte ich getrost den letzten Schlag,
nnd sehe der Ewigkeit ohne Zittern entgegen.
Du.wirst diesen Brief nebst dem Testamente,
das ich heute früh habe aussetzen lassen, erst dann erhalten, wenn die Hand, die ihn schrieb, schon im Grabe liegt und verweset.
Meiner den
hiesigen Gerichten gegebenen Znstruktion gemäß sollst du ihn nicht eher erbrechen, als bis dir
die Vorsehung ein Amt anvertraut hat, und du
alsdann, Gott gebe es, Verlobter oder Gatte der guten Louise bist. Zm Testament wirft du lesen, daß ich dich
zum Erben meines kleinen Gutes Rosenhain ein
setze.
Von dem Augenblick an, da du bas Testa
ment erhältst, ist es dein, mit Recht dein, denn du bist mein Sohn.
Meine weitlänftigen Sei
tenverwandten sollen keinen Theil daran haben, denn sie sind schon reich, und es würde Sünde seyn, sie noch reicher zu machen. Vor deiner Be
förderung solltest du nach meinem ausdrücklichen
Befehl von dieser Erbschaft nicht das Geringste erfahren, weil ich dich nicht zu einem frohen
lachenden Erben, sondern zum brauchbaren Mann für die Welt habe erziehen lassen.
Du sollst
nicht
Zweyter Theil.
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nicht bloß leben um zu genießen, sondern auch mit deinen Lehrtalenten Nutzen z« stiften. Freuden, guter Sohn, sind dir also
Zwey zugleich
beschieden: die Freude der Beförderung, und die Freude über eine freylich nicht sehr große, doch auch nicht ganz unbeträchtliche Erbschaft.
Hat
sich dein so ehrlicher Charakter nicht geändert, so verdienst du beide.
Können abgeschiedene Seelen unter Lebenden sich vergegenwärtigen, so ist die meine, wenn
du diesen Brief erhältst, gewiß bey dir, und nimmt Theil an deiner Freude.
Denke wenig
stens alsdann, daß ich um dich schwebe, und
erinnere dich dankbarlich deines jetzt dem Lebens ende nahen Vaters.
Die Pachtgelder nach meinem Tode, bis du
diesen Brief erhältst, werden die Gerichte geho ben haben.
Meiner Bestimmung nach sollen sie
Louisens Brüder haben, um damit auf Reisen zu
gehen.
Der Mensch kann sich nur völlig aus-
bilden, wenn er das Glück hat
die Welt zu
sehen, und dieses Glück habe ich den jungen bei den Herrmann zugedacht.
Was ich sonst hinter
lasse , bekonzmt das hiesige Arbeitshaus, diese
478
z Der Pastor in Kartoffelfeld.
vortreffliche Stiftung, welche nicht nur Arme ernährt, sondern auch das Land von müßiggehenden Bettlern reinigt.
Lebt der alte einbeinige Husar Bertram noch,
so gieb ihm das nächste Mal, wenn er wieder kommt, eine Zehnthalerrolle, damit er sich mit
dir freue, und hernach alle Monat was zu sei ner Nahrung und Erquickung nöthig ist.
Nimm also hin, lieber Ernst, was ich dir
hinterlasse, aber gebrauche es
weislich.
Der
alte Herrmann bleibt auf dem Gute bis er stirbt. Nachher kannst du es an andere verpachten; aber
bewirthschaften sollst du es nicht, sondern deiner
Bestimmung getreu bleiben und für die Welt
arbeiten. Es stirbt sich weit süßer, wenn man für die Welt etwas gethan, als wenn man genossen hat.
sie bloß
Ich wollte meine geringen Ver
dienste, die ich mir als Kriegsmann um das
Vaterland erwarb, heute nicht für drey Ritter güter hingeben.
Laß dich ja durch diese Erb
schaft nicht zur Unthätigkeit verleiten.
Da ich dich dem geistlichen Stande bestimmt habe, so sey du immer ein treuer und fleißiger
Zweyter
Theil. -
kehrcr der Zugend und Ler Men.
47,
Suche ein
höheres Glück in deinem Beruf, die Religisn,
die mir so oft auf dem Schlachtfclde, wo der Tod mir entgegen blitzte, Muth eingab, deinen Mitmenschen so liebenswürdig vorzulragen, als
du nur kannst; die Natur ertheilte dir Gaben
dazu.
Dieß Verdienst wird das meinige noch
überwiegen.
Wenn du das Vater unser betest, so
lege auf die Ditte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch aufErden,"^einen großen Nach
druck, denn damit bin ich allemal dem Feinde unter die Augen gerückt ohne Furcht und Zittern.
Mangel und Sorgen der Nahrung kannst du
von nun an nie haben.
Bleib dir aber gleich.
Sey sparsam um Gutes thun zu können, meide
aber den Geitz eben so sehr als die Verschwen dung.
Am wenigsten sey stolz.
Nur der elende
von allen Talenten und Verdiensten entblößte
Mensch brüstet sich wenn er Vermögen hat. Findest du deine Beförderung an einem weit
entlegenen Ort, so besuche wenigstens jährlich ein Mal das angenehme Nosenhain, und sich
nach, ob auch alles ini guten Stande erhalten
wird.
Giebt dir Gott Kinder, so nimm sie mit,
48o
Der Pastor itt Aartoffelfelb.
zeige ihnen das Gewilbe, worin ich rnhe, und sage ihnen dreist: „Hier schläft mein Vater." Noch ein Geheimniß muß ich dir entdecken. Du wirst mich oft auf dem Nofenhügel nahe an der Todtengruft am frühen Morgen, wenn ich
den Brunnen trank, sitzend und denkend ange troffen haben.
Wisse, unter diesem Hügel schläft
deine Mutter.
Zur Erinnerung an ihre blühende
Schönheit hab' ich ihn mit Rosen bepflanzen las
Ztuch diesen zeige deinen Kindern, und laß
sen.
die Rosen nicht ausgehen. Ich wünsche dir das Leben eines braven und
glücklichen Mannes.
Zch habe alles gethan dir
dasselbe vorzubereiten, und sterbe nun — wahr scheinlich bald — mit dem süßen Gedanken, dich
und Louisen glücklich gemacht zu haben.
Leb'
wohl.
Dein Vater Heinrich Ernst von Schönfeld.
Als der Superintendent den Brief gelesen
hatte, sah er alle, selbst die alte Tante, sich die Thränen abtrocknen.
Er selbst war so ge
rührt, daß er nicht sprechen konnte. ■
Zweyter
Theil.
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Ernst und Louise blickten sich mit Erstaunen
und Wonne an, und stürzten sich in die Arme. War Ernst oft mit seinem Schicksal nicht zufrie
den gewesen, und halte ihm sein Glück oft zu
klein gebäucht, so schienS ihm jetzt viel zu groß zu seyn. Der alte Herrmann und seine Frau wußten
sich auch nicht gleich vor Freude zu fassen. Die Tante erholte sich am ersten.
Sie fiel
zum ersten Mal enthusiaslisch dem Pastor Ernst
um den Hals, cherzte und küßte ihn, und nannte
ihn in einer Minute mehr als zehn Mal, „lie ber Herr Vetter, bester Herr Vetter, Allerlieb
ster Herr Vetter!" gebraucht hatte.
Titulaturen, di? sie nie
Za sie bat recht "Höflich'-um
Verzeihung, wenn sie den Herrn Vetter beleidigt
haben sollte.
Daß er ein Sohn des Generals
sey, meinte sie, habe sie längst vermuthet, aber nur nichts sagen wollen. Endlich gings ans Gratulieren.
„ Genießen
Sie beide lange das Glück, das Ihnen die Vor
sehung so unvermuthet beschieden hat, sagte der Superintendent; es ist nicht zu groß für Sie.
Wie mancher Schurke thut noch weit reichere
Der Pastor in Kartoffelfeld.
4$2
Erbschaften, und ist wohl kaum zufrieden damit; der ehrliche brave Mann kann solche Glücksfälle als den verdienten Lohn seiner Rechtschaffenheit
betrachten. Herr und
Frau Herrmann
küßten
ihren
Schwiegersohn recht herzlich, und wünschten ihm
und sich Glück.
Fast stand es ihnen nun nicht
an, daß er Prediger in Kartoffelfeld werden
sollte.
„Jein, lassen Sie es dabey, sagte der
Superintendent.
Es ist immer gut, wenn ein
Prediger Vermögen sann.
hat und gnständig leben
Armuth macht ihn bey schlecht denkenden
Menschen leicht verächtlich,, wenn er auch der
beste Mann ist.
Zst er arm, so muß er auf
Geschenke und Gaben warten; ist er reich, so
kann er sie austheilen.
Der verstorbene General
muß ein vortrefflicher Herr gewesen seyn."
„Za, das war er, antwortete der alte Herr mann mit nassen Augen.
Sie hätten ihn sehen
sollen." Es wurden nun in Ansehung der Vermäh
lung der Verlobten mancherley Entwürfe gemacht, uyd es kam dieser und jener Vorschlag zum
Vorschein.
Zweyter
Theil.
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Die Tante riech, man solle nun ins Große gehen und der ganzen Nachbarschaft eine glän
zende Fete geben; dem General zu Ehren müsse
doch etwas geschehen; allein dieser Vorschlag fand nicht sonderlich Gehör, zumal da sie auch von
einem Feuerwerk und Abbrennung zweyer alter
kleiner rostiger Kanonen sprach,
die auf dem
Gute standen.
„Daraus wird nichts, sagte Vater Herrmann. Solchen Lärm konnte der alte Herr nicht leiden."
Sie war auch der Meinung, der glückliche Erbe solle sich adeln lassen, wurde aber mit die sem Einfall laut ausgelacht.
„Er ist schon von Adel, gab ihr der Suverin-
tendent zur Antwort, sein Herz und seine Den kungsart haben ihn langst geädelt.
Zu Kartoffel
feld verlangt man keinen gnädigen Herrn Pastor, da ist man mit einem gnädigen Gott zufrieden." Tante.
„Aber einen Titel würd' ich mir
kaufen, wenn ich wie Sie wäre, Herr Vetter!" Ernst.
Tante. Schulraths.
„Und welchen?" „Den Tttel eines Kirchen - und
Frau Kirchen - und Schulräthin
klingt doch weit schöner als Frau Pastorin."
Der Pastor in Kartoffelfeld.
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Ernst hitzig. „Nie hab' ich ein Amt kaufen wollen, und nun sollt' ich leere Titel bezahlen? Wozu das? Weg mit dem Adel, weg mit dem Titelprunk.
Ein Herr mit einem gekauften Titel
kommt mir vor wie ein Zahlpftnnig, dem man
den Stempel eines Dukatens aufgedrückt hat. Ich bin glücklich genug, glücklicher als ichs ver diene.
Zm Unglück war ich mir gleich, und im
Glück will ich fcCLt'uße bleiben."
„ Bravo!h rief der Superintendent.
Stille und ohne alles Geräusch wurde die Hochzeit nach einigen Wochen vollzogen. In eben
der Laube, wo Ernst ehemals von seiner Louise
das Eeständniß ihrer Liebe vernahm, .verrichtete der Superintendent nach einer recht herzlichen,
rührenden Rede die Trauung,- und vereinte nach so vielem Mißgeschick zwey.Liebende, die der
Himmel für einander geschaffen hatte. Kurz darauf bezog Ernst mit seiner Gattin das Pfarrhaus zu Kartoffelfeld, lebte froh und vergnügt, gah dem Schulmeister Ruprecht aus
seinen Mitteln eine hinlängliche Zulage, und war Vater guter Kinder.