Der Pastor in Kartoffelfeld oder der Mann mit zwey Grillen: Teil 2 9783111685021, 9783111297880


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Der Pastor in Kartoffelfeld oder der Mann mit zwey Grillen: Teil 2
 9783111685021, 9783111297880

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Der Pastor in Kartoffelfeld.

Zweyter

Theil.

Erstes

Buch.

Der alte Herrmann, welchen wir beym Schluß de« ersten Theils unserer Geschichte etwas unzu­ frieden mit Ernst gesehen haben, war nach und nach kalt gegen ihn geworden. Za er überließ sich sogar dem Zorn, als der alte Hoffiskal angeritten kam, einige Tage aß und trank, sich mancherley Kleinigkeiten aus der Wirthschaft höflichst ausbat, nnd am Ende für feine Mühe und mancherley Auslagen eine Liquidation von hundert Thalern «inreichte. „Sapperment! sagte Herr Herrmann, das ist zu arg, um Nichts und wieder Nicht- eine solche Summe wegzuwerfen." „Das ist nun der Dank für Ihren guten Willen, entgegnete die Tante. Auf solche Art

Der Pastor in Kartoffelfeld.

258

könneA.Sie viel los werden, wenn der Roman nicht bald ein Ende nimmt."

„Nun er soll ein Ende nehmen.

Zch halte

mir künftig einen Schreiber, und der Herr Kan­ didat mag sehen wo er bleibt. nicht besser haben.

Will ers doch

Sauer aber wird mirs doch

ihm den Kauf aufzusagen."

„ Zch wills über mich nehmen, und es ihm mit guter Manier beybringen, daß seines Blei­ bens hier nicht länger seyn kann.

Hat Gutes

genug, ja zu viel genossen, und seht Sie am

Ende noch in Kosten, der undankbare Mensch!"

Etwas anders dachte die gute Louise.

Zhr

Herz billigte insgeheim den sogenannten Starr­ sinn ihres Liebhabers, und.es ging

ihr sehr

nahe, die Tante ohne Unterlaß sagen zu hiren: „Der Mensch muß aus dem Hause, und der

Roman ausgespielt seyn."

Noch mehr vergab

sie Ernsten seines Herzens Härte, als sie von

dem elenden trübseligen Pfarrhaus« hörte, weil sie sehr zur Reinlichkeit und Ordnung gewöhnt

war.

Merken aber durfte sie sich diese Gesin­

nung nicht lassen, denn Vater und Mutter gebo­

ten ihr ernstlich, glle Liebe und Neigung gegen

Zweyter

Theil.

229

einen Mann.aufzugeben, dem es, wie mak gese­ hen habe, mit der Heirath kein rechter Ernst sey. Sie aber wußte nur zu gut, daß sie der einzige Gegenstand seiner zärtlich und treu liebenden Seele war. Sie weinte im Verborgenen, wenn sie daran gedachte, daß man ihn entfernen' wollte, ihn, der nichts verbrochen hatte, als daß er ehrlich und redlich handelte. Ernst müsste blidsinntg gewesen seyn, wenn er die schleunige Veränderung der Gemüther nicht bemerkt, und seinen bevorstehenden nahen Ab­ schied nicht geahnet hätte. Er that daher, was jeder kluge Mann gethan haben würde. Er kam zuvor, und schrieb dem alten Herrmann folgen­ den Brief:

Bester und hochgeschätzter Herr Amtmannl Zehn glückliche, mir auf ewig unvergeßliche Jahre hübe -ich in Ihrem Hause durchlebt. Es waren schöne Tage für mich, schöner war noch die Hoffnung, Ihnen einst ganz und auf immer anzugehören. Das unerbittliche Schicksal scheint

23o

Der Pastor in Kartoffelfeld.

es anders beschlossen zu haben.

Ich gehorche,

und will lieber unglücklich werden, als wider Grundsätze handeln, die mir Vernunft und Reli­

gion täglich vor Augen halten. Der Thränen kann ich mich nicht enthalten,

»denn ich das viele Gute, die herzliche Freundfchaft und den angenehmen Umgang

den ich bisher genossen habe.

bedenke,

Das Perhäng-

niß — ruft mich von hinnen, und nach wenig

Tagen werde ich Abschied von Ihnen nehmen. Ich bin aufgefordert Hofmeister bey dem Graferi

von M. zu werden, und nehme diesen Antrag aus Gründen der Vernunft an, so viel auch mein Herz dagegen rinzuwenden chat. x

Der Himmel vergelte Ihnen die väterliche Güte, womit Sie einen Mann behandelt haben,

der weder Vater noch-Mutter kennt.

Möchte

es doch meinem zweyten Ich, meiner bisher so geliebten, ja angebeteten Louise, immer recht wohl ergehen i

Das Glück, sie zu besitzen, ist

wahrscheinlich für mich, zu groß, und ich habe vielleicht unrecht gethan, wenn ich mir mit sol­ chen Hoffnungen schmeichelte.

Zweyter

231

Theil.

Zch habe meine neue Stelle der Vorsorge des würdigen Superintendenten Faber zu ver­

danken, und lege zum Beweise den Brief bey,

den ich vor einigen Tagen von ihm erhalten habe.

Wie es mir auch ergehen, wo ich auch

seyn mag, ich werde immer mit Treue und Dank­ barkeit seyn

der Freund und Verehrer Ihres Hauses

Fr. Ernst.

An Louisen schrieb er folgendes kurze Billet: Theuerste meines Herzens;

Wenn Alich von allen, von Ihnen fürcht' ich

nicht Mkannt zu werden.

Mein Herz fesselt

mich an Nosenhain. Die Vernunft und die Ehre

wollen diese Bande zerreden. mich entfernen.

Za!

ich muß

Mein Her; blutet — Leben

Sie — ach ich kann eS ilicht aussprechen — —

Zch habe mich endlich ermannt. durch Ausdauer verdienen.

Zch will Sie

-Sie sehen mich wie­

der, aber erst, dgnn, wenn ich Zhnen die ent­ zückende Botschaft bringen kann: Zch habe ein

r;r

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Amt. Zch verspreche Ihnen ewige Treue, und bleibe mit ganzer Seele Zhr

Fr. Ernst. Groß war die Wirkung beider Briefe. Als der alte Herrmann den seinigen las, ward sein Herz wie Wachs, und geneigt, sich völlig mit dem alten Hauslehrer wieder auszusöhnen/ und alles auf den alten Fuß zu sehen. Der Gedanke aber, daß er ihm, wenn er ihn hier-behielte, am Glücke hinderlich seyn könnte, und daß ihn aus seinem Hause nicht so leicht jemand hervor­ ziehen möchte, hielt ihn zurück. Eben so dachte seine brave Frau. Der Tante Urtheil kann man sich leicht vorstellen. Sie rieth, den Kandidaten, den man jetzt mit 's» guter Manier los werden könne, nm des Himmels willen -nicht aufzuhal­ len; renn eine so günstige Gelegenheit komme so leicht nicht wieder. Ohne es sich merken zu lassen, empfand Louise, was das heißt, von einem Geliebten getrennt werden. Daß sie wirklich Ernst so

Zweyter

Theil.

233

sehr liebe, hatte sie bisher selbst nicht geglaubt. Auf ihrem einsamen Zimmer, ungesehen und unbelauscht unter seufjenden Thränen, schrieb

sie noch denselben Tag folgende Antwort:

Guter, einziger Ernst;

Ach bleiben Sie.

Ich fühle mich zu schwach,

ganz von Ihnen, meinem Lehrer, meinem Freund, meinem Geliebten, getrennt zu werden.

Und

doch — 0 gäbe es der Himmel! — wenn diest

bittere Trennung die Veranlassung wäre, daß wir bald auf immer mit einander verbunden'werden!

Nein, ich kann e's nicht verlangen, daß

Sie bleiben.

Aber wie langsam werden mir

ohne Sie die' künftigen Tage hiüschleichen —

0 lieber Ernst, könnten Sie doch bey mir bleiben!

Wie öde wird es mir ohne Sie im ganzen Hause, in unsern Alleen, Lauben, Gärten und

Feldern, wie traurig in der ganzen Natur seyn! Wenn sich alles freut, wird Louise im Stillen

weinen.

Loos seyn.

Gram und Sehnsucht werden tnein Doch ich darf Ihr Herz durch meine

Klagen nicht noch mehr beschweren.

Rechnen

Der Pastor in Kartoffelfeld.

234

Sie auf meine Beständigkeit und Treue.

Die

Hand, welche dieses schreibt, soll keinem andern

als Ihnen zu Theil werden.

Ich lebe und sterbe

als die Ihrige.

Louise Herrmann.

Der traurige Scheidungstag rückte heran —

Ein Schreiben des Superintendenten kündigte ihn in nächster Woche an.

Ernst machte sich

also jur nahen Abreise gefaßt, so gerührt, wie ein

geliebter Sohn, der das väterliche HauS, worin er erzogen und geboren war, plötzlich verlassen,

und auf weite Reisen gehen soll.

Gleich, als

wäre sie schon sein ihm geschenktes Weib, besorgte

Louise treulich die Ausbesserung und das Ein­

packen der Kleidung und der Wäsche.

Vater und

Mutter selbst hatten ihr den Auftrag dazu gege­ ben, und der alte Herrmann dachte recht drüber nach, wie er seinem braven Ernst in den letzten

Tagen noch recht gütlich, thun, ihm den Abschied erleichtern, »md die kleine noch zuletzt vorgefallene

Muckerry wieder gut machen wollt«.' - ^Vergeßt

Zweyter

Theil.

rz;

ja nichts, sagte et,, was er irgend nöthig hat; gebt ihm alles mit, auch was zu leben untere

wegs." Die Herzlichkeit im Umgänge war völlig wie­

der da.

Wan erinnerte /ich oft der dahin ge­

schwundenen fröhlichen Zahre, sprach von baldi­

gem Wiedersehen, fleißigem Briefwechsel u. s. w. und stellte sich das hofmeistcrliche Glück im gräf­

lichen Hause und die damit verbundene baldige

Beförderung von

der

besten

und reitzendsten

Seite vor. Alles war zur nahen Abreise in Ordnung gebracht, und Ernst recht mütterlich ausgestattet.

Nur ein kleiner Umstand machte noch Bedenken.

Da standen im Hausflur zwey vollgepackte Koffer,

und niemand wußte anzugeben, wie und wo

diese auf der herrschaftlichen Karosse Platz finden

würden; selbst der alte Bediente Peter nicht, so sehr er sich auch den Kopf darüber zerbrach.

Doch hätte man diese Ueberlegung sparen können, weil sie ganz überflüssig war.

rz6

Der Pastor in Kartoffelfeld. Ein alter abgezehrter vott Reif inkrustier­

ter Dauer kam mit vier dürren langbehaarten abgehungerten Pferden und einem langen Leiter-

tvagen langsam langsam angefahren, und hielt vor dem Hanse still.

Man glaubte, er habe sich

verirrt, ward aber anderer Meinung, als er ein

Kompliment i)om Herrn Verwalter brachte, und

versicherte, daß er Befehl habe, den Informator Les Herrn Grafen M. hier abzuholen. Jeder bekam vorläufig eine ganz sonderbare Vorstellung von dem Charakter des reichen Gra­

fen, jedoch war man geneigt das elende Fuhr­ werk lieber aus dem Gehirn eines rohen Verwal­

ters ausgehen zu lassen,

der seinen Principal

nicht recht verstanden haben müsse, weil der Dauer bald von einem Hofmeister, bald vom

Schulmeister, bald vom Informator sprach.

Herzlich freute sich der armselige Bauer der hiesigen nie gesehenen Gegend, wo man so freund­

lich gegen ihn war, ihn erwärmte, erfrischte und pflegte,-und gern würde er Louisens Ditte,

ein paar Tage zu verweilen,

wenn er nur gedurft hätte.

erfüllt

haben,

Zeit und Stunde

der Rückkunft waren ihm zu genau bestimmt.

Zweyter Theil.

.237

Ernst wollte ihn ausforschen, um Ton unk Sitte des hohen Hauses vorläufig kennen zu ler­ nen ; allein der trockene einfältige Mann wußte auf Tausend nicht Eins zu antworten. , Seine Aussage enthielt njit dieß: „ Er sey Leibeigner, und müsse, wöchentlich drey Tage auf dem gräf­ lichen Hofe mit seinem Gespann halte»: uyd Befehle erwarten. Manchmal würden welche gegeben, manchmal nicht. Den Glafew und seine Gemahlin säh' er selten, und habe es bloß mit dem Vermalter zu thun." Weiter war nichts heraus zu bringen. Gegen Abend wurde aufgepackt, und die zwey Koffer hatten auf dem langen Leiterwagen des Naums die Fülle. Zwischen beiden wurde ein Strohfitz bereitet. Wir sagen nichts von diesem letzten vertratp lichen,,halb wehmüthigen, halb fröhlichen Abend, der noch herzlicher gewesen seyn würde, wenn die von Weisheit triefende Frau Tante nrcht zugegen gewesen wäre, die dem guten Ernst noch so viel Leh­ ren und Regeln für die große Welt aufpackte, daß die Pfexde des Bauers, wenn selbige einiges Gewicht gehabt hätten, die Last nicht würden gezogen haben.

338

D»r Pastor in Kartoffelfeld.

Am folgenden Morgen sollte Abschied genom­

men werden.

Allein

wohlbedächtig

vermied

Ernst diese ihw zu sehr rührende Scene.

Ehe

!d»e -Herrn»annfche Familie aufstand, hatte Ernst seine Neise schon angetreten. Gegen Abend fand Louise in ihrem Klavier

'folgendes Dillet:

' Lieber dieses Blatt als Ihre Wangen sollten

meine Thränen benetzen.

Zch zähle auf Zhre

Treut, und in der süßen Hoffnung, Sie einst ganz zu besitzen, unterziehe ich mich jeder Prü­

fung, so hark sie auch sey.

Ein Mädchen wie

Eie, verdient Aufopferung.

Se») der Mann,

dem ich von nun an dienen soll, wer er sei), Menschenfreund oder Menschenfeind, ich werde

mich in alle seine Launen schicken, seht" er mich -nur einst in den Sta»»d, der Gatte einer Louise Herrmanir zu seyn.

Sagen Sie Ihren Aeltern aus meiner Seele den besten Dank.

Nie, nie werd' ich das Hau-

vergessen, das mir zehn Jahre ein Paradies auf Erden war.

Aber ich versichere noch einmal,

Rosenhain nicht eher wieder zu sehen, als .bis

Zweyter

Theil..

239

ich versorgt bin.

Lassen Sie keine meiner Briefe

unbeantwortet.

Ruhen und leben Sie wohl.

Morgen sehen Sie den Mann nicht wieder,, der Welten für Sie hingäbe,

Zhren

ewig getreuen Ernst.

Am letzten Abend um 11 Uhr, als der Mond aufging.

Namenloser Schmerz ergriff Louisen, nach­ dem sie diesen Brief gelesen hatte — Lange trug sie denselben im Dusen, küßte und las ihn wo sie allein war. Wollte sie der wehmüthigen Rück­

erinnerung-völlig Raum geben, so besuchte sie

Ernstens Zimmer, schloß sich ein, setzte sich auf

den Stuhl, worauf er als Lehrer zu sitzen pflegte, und erinnerte sich seiner Scherze, aller seiner Warnungen und Lehren.

Dieß waren die Stun­

den einer wehmüthig - schwärmerischen Wonne.

Das Bild des braven Mannes, aufrichtigen Freundes, treuen Lehrers und zärtlichsten Lieb-

-4 leben! hoch

Zweyter

509

Lheil.

leben!" und stieß mit Et Listen an, der ihm



gegenüber saß.



„Soll hoch leben! hüch^ hoch!" rief der

ganze Magistrat in einem anhaltenden lieblichen

Geläute der von Champagner duftenden Gläser. Ernst erröthete bey dieser seiner Geliebte«

unbekannter Weise erzeigten Ehre, und stam­ melte ein Gegenkompliment.

Nun ertönte eine Gesundheit nach der andern.

„ Es lebe die Frau Bürgermeisterin!

Es lebe

die Frau Rathmannin A, die Frau Mathmanni«

B, dis Frau Kämmererin C, .bie Mamsell die Mamsell G, u. s. w.

Es leben alle hübsche

Mädchen!"

So oft aber Ernst von hübschen Mädchen hörte, ward ihm bange, und je lustiger die

Gesellschaft ward, desto beklommener fühlte er sich.

Kein Freund von rauschender Freude liebte

er eine muntere

und

gewürzte Uyterhaltung,

mußte sich aber jetzt in seine.Lage finden, da er

es mit lauter Gönnern zu thun hatte, und gerade

mit denselben Herren, denen er ehrerbietigst die Erstlingsfrucht feiner homiletischen Diuse gewid­ met hatte.

Mitmachen aber konnte er schlechter-

3io

Der Pastor in Kartoffelfeld.

dings nicht.

Endlich fing er an bescheidentlich

von seiner Rückreise zu sprechen.

„0, so weit find wir noch nicht, hub der Wirth an.

Zch weiß, Sie haben keine drin­

gende Geschäfte.

Sie bleiben einige Tage bey

uns, damit Sie doch unsere Stadt und Ein­ wohner vorläufig kennen lernen."

Er mußte fich also bequemen und eine halbe Woche in lauter Gesellschäften und Zerstreuungen

Erst nach vier Tagen durfte er wie­

zubringen.

der abreisen.

In folgendem Briefe giebt er

Nachricht, wie es ihm ergangen sey und gefal­

len habe. Süßes

Mädchen!

Vielleicht werden unsere heißen Wünsche bald erfüllt.

Am verwichenen Sonntage habe ich in

der Stadt Quebeck, wo die erste Predigerstelle

erledigt ist, unter uns geredt, mit recht großem Beyfall gepredigt, und die Glieder des Raths

haben mich schon bey einem prächtigen Gastmahl

ihren Herrn Oberprediger genannt.

Nicht nur

meine Predigt, sondern auch die Dedikation mei­

ner nun Gott Lob! gedruckten Predigten, und

Zweyter Theil.

zu

die Empfehlung des würdigen Superintendenten

haben mir dje eben so sichern als fröhlichen Aus­ sichten eröffnet.

Den Sonntag

Mittag war

große Gesellschaft beym Bürgermeister, meinem Wirthe, und wir waren über Tische sehr ver­

Man trank sogar die Gesundheit der

gnügt.

Frau Oberpredigerin.

Wie ist Zhnen hicrbey zu

Muthe? Bis dahin bestand die Gesellschaft aus

lauter Herren.

Nach Tische wurden wir zum Kaffee in ein

anderes Zimmer geführt.

Wie stutzte ich hier

bey dem Anblick einer zahlreichen Gesellschaft geputzter Damen.

Denn Sie wissen, wie ängst­

lich ich zu seyn pflege, wenns darauf ankommt, eine Menge mir unbekannter Schönen gehörig zu

komplimentieren, besonders wenn ich überrascht

werde.

Dießmal mag mir auch manches Kom­

pliment verunglückt seyn; zu meinem Trost ist mir die Predigt, die doch wohl ungleich wichti­ ger ist als ein Kompliment, desto besser geglückt.

Als ich ins Zimmer trat — und ich mußte der erste seyn — schritt mir eine Dame mit

imposanter

Miene recht gravitätisch entgegen,

und sah mir starr ins Gesicht.

zir

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„ Dieß ist meine Frau," sagte der Bürger­ meister in einem ganj eigenen, und wie es mir

vorkam, belehrenden Tone.

Gleich machte ich Verbeugung nach Verbeu­ gung, vergaß aber was kein ächter Weltmann

vergessen haben würde, ich vergaß den Handkuß.

Noch heute ärgere ich mich über diesen Schnitzer, zumal da mir die Hand so gütig dargebote» wurde.

Gott wird ihn mir vergeben, das weiß ich, ob

aber die Frau Bürgermeisterin Wohlgeboren auch so geneigt seyn werden, weiß ich nicht.

Mein Wirth machte mich nun mit dem

übrigen Frauenzimmer namentlich bekannt:

Es

waren Gemahlinnen und Töchter der Rathsher­

ren , meiner Gönner.

Zuletzt zeigte er auf eine

ziemlich hagere und wie eS schien etwas bejahrte Mamsell, und sagte mit einem, wie es mir vor­ kam, bittern wenigstens empfindlichen Accent:

„ Hier sehen Sie auch die Kousine meiner Frau." Ich machte mein Kompliment mit vielem Re­

spekt, aber wenigem Behagen.

Unter allen in

der 'Gesellschaft hatte diese Phyllis die wenigsten

natürlichen, aber die mehrsten künstlichen Reitze. Zhr Mund prangte mit Meisterstücken

eines

Zweyter

Theil.

313

großen Zahnkünstlers; ihre Wangen waren mit

dem frischesten Kolorit erst heute belegt. Ich wüt eiskalt, so freundltchhölb sie mir auch lächelte. Besser schien

sie dem jungen Kandidaten

Petermann zu gefallen,

der sie wie eine

Diene umschwärmte, und ihr in einer Minute mehr Süßigkeiten zu sagen wußte, als ich deut­

scher Mann in einer Stunde ausstudiert haben

würde.

Sein Mund floß über von zuckersüßen

poetischen Phrasen, er sprach von leisem Engellispel, und Gott weiß wovon noch mehr; sein

Haupt verbreitete eine Atmosphäre des lieblich­ sten Geruchs um sich.

Ein blinder Jäger hätte

ihn in der großen Gesellschaft eben so sicher aufgcfunden, als ein Hund im Felde den Hasen, Sein Anzug war allerliebst'.

Lange Strumpf­

beinkleider und spitze Schuhe mit Bändern.

Dey dem Kaffee leitete die Frau Bürger­ meisterin das Gespräch.

Sie winkte, und die

Bedienten brachten die Spieltische. Mein Wirth war so artig mir die erste,

seiner Frau die zweyte, und der Kousine- die

dritte Karte zu einer Spielparti« anzubieten.

3i4

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Höflichst entschuldigte.ich, mich mit meiner, weni­

gen Geschicklichkeit im Spiel. „Zch beklage Sie," sagte Frau Bürgermei­

sterin ziemlich höhnisch, und gleich gab sie meine

Karte an Petermann, der sie mit einem zier­ lichen. Handkuß freudig in Empfang nahm, und

seinen Damen die Stühle hinrückte. Zch sehnte mich, weil nun die ganze Gesell­

schaft im Spiel begriffen war, nach einem andern Vergnügen; nach einem soliden Gespräch und einer lieblichen Pfeife Tabak.

Allein ich wurde

freundschaftlich durch einen der Nathshcrrn ge­ warnt, der Frau vom Hause keine Krämpfe zu

verursachen.

Um mich einigermaßen zu beschäf­

tigen, stellte ich. mich bald hinter diesen bald hinter jenen Stuhl der Spielenden.

Zuletzt

führte mich ein böser Genius auch hinter den Stuhl des Herrn Petermann,

der,

wie ich

sah, ein Spiel nach dem andern verlor, und

immer baar bezahlte.

Alle Augenblicke vergriff

er sich und warf einen Matador zu.

,Wars

Dummheit, oder Uebereilung, oder angeerbte

Ehrlichkeit, ich weiß es nicht, genug ich war so indiskret ihm die begangenen Fehler zu entdecken.



Theil.

Zweyter

zi;

Aber welch ein strafender Blick von der Frau

Bürgermeisterin! welche züchtigende hochfahrende Miene von.derKousine! Nur Chodowiecki könnte sie zeichnen.

Pctertnann behauptete mit vielen

Worten, ganz aus Gründen.gespielt zu haben.

Unserm aufmerksamen Wirth entging diese

Scene nicht.

Gleich stand er auf und übergab

Karte und Kasse einem sogenannten Zluskultator. „Ey, sagte er, ich habe mich müde gespielt;

kommen Sie, Herr Ernst, zu mir auf das Sofa,

lassen Sie uns Eins plaudern."

Bald geriethen

wir auch in ein ernstes Gespräch über mancherley gelehrte und ungelehrte Dinge, mit dessen Inhalt ich Sie billig verschone.

Nach etwa einer halben Stunde kam ein

Bedienter

und meldete,

es sey alles bereit.

Gleich öffneten sich die Flügelthüren des Zimmers. „Nehmen die Herren jeder eine Dame," rief der Bürgermeister, und mir gab er einen Wink

seine Frau zu führen.

Wie ich denn aber in

solchen Dingen immer unglücklich bin, so war

ichs auch dieses Mal.

Zn dem Gewimmel von

Menschen vergriff ich mich, gerieth an die verwittwete Frau Kämmererin Langhals, welche eben

Der Pastor in Kartoffelfeld.

316

so wie die Frau vom Hause gekleidet war, küßte

ihr ehrerbietigst die Haud, und führte sie voran in einen großen illuminierten Sahl, , wo in dem

Augenblick, als ich hinein trat, eine vollstimmige Musik ertönte.

Nun merkte ich daß ein

Balk gegeben werden sollte. „ Führen Sie gleich die Wirthin auf, rasch

den Augenblick," raunte mir ein alter Nathsherr yrr Ohr, und gab mir einen freuudlichkn Rip­

penstoß. >,Ich tanze nicht, versteh auch nicht zu tanzen."

„Das ist Schade'."

„Theologm tanzen nicht." „Possen! wir leben in aufgeklärten Zeiten.

Warum soll ein TheologuL nicht ein Tänzel mit­ machen? König David, so fromm er war, hat

ja auch getanzt." „Nun so sehen sich der Herr Oberprediger

hier zu mir, und sehen zu.

Es sieht recht

hübsch aus,

so

besonders

Mädchen dabey sind.

wenn

viel junge

Recht niedliche Kinder.

Die da im grünen Kleids ist meine Tochter."

Ljch sah also dem Jubel mit zu. Tänze, Walzer und Hovser wechselten.

Englische Vorzüg-

Zweyter

Theil.

3i?

lich nahm sich Petermann mit seinen Vän-

derschuhen aus.

Er wirbelt« sich mit der Kousine

stundenlang herum, und machte zuweilen ganz seltsame Sprünge, die man in gemeiner Sprache

Dockssprünge nennen würde. gehörten, weiß ich nicht.

Ob sie zur Sache

Zch habe einmal einen

Vallettanz gesehen, und so etwas war es.

Er

schwamm zuweilen in der Luft.

Bald hatte sich Auge und Ohr gesättigt, und weil fast alle Herren eifrigst im Tanz begriffen waren, fand ich so wenig Unterhaltung, daß die

Langeweile mich zu plagen begann.

Endlich

wurde eine Pause gemacht, und man ließ Erfri­ schungen reichen.

Zch benutzte diese Zeit der

Stille, und fing an mich dem ganzen Magistrat gehorsamst zu empfehlen, weil ich gesonnen sey, morgen in aller Frühe abzureisen. „So weit sind wir noch nicht, hub dek-

Senior des Magistrats an; morgen wird die Gesellschaft bey mir vorlieb nehmen."

„Und Ucbermorgen bey mir, hub der zweyte Rathsherr an. Sie reisen noch nicht, Herr Ernst."

Alle meine Einwendungen und Entschuldi­ gungen waren fruchtlos, ich erhielt weiter nichts

zi8

Der Pa stör in Kartoffelfeld.

als die Erlaubniß, für dieses Mal die Gesell­

schaft zu verlassen,

und mich

zur Ruhe zu

begeben. Die folgenden drey Tage waren lauter Freu­ dentage, und sich ziemlich alle gleich.

Mädchen,

oder, wie ihr lieber hört, Schönen ohne Zahl,

hab' ich kennen gelernt, oder eigentlich nur gese­

hen.

Sie kennen meine natürliche Blödigkeit

und Zurückhaltung, die mich nicht leicht mit

einer Schönen bekannt werden läßt.

Keine hat

mich gefesselt; denn das Bild meiner Louise stand vor meiner Seele. Ähr

treuer Fr.

N. S.

Ernst.

Die Frau Bürgermeisterin wird

mir doch keinen Possen spielen; denn ich habe sie

ja nicht beleidigt.

Beym Abschiede hab' ich ihr

die Hand drey Mal geküßt.

Dieß wird ja zurei-

chen die vorigen Fehler wieder gut zu machen. Der Bürgermeister ist ein rechtschaffener und

gesetzter Mann, auf den man sich verlassen kann.

Zweyter

Theil.

319

Nnn sey es dem Autor erlaubt in der Erzäh­

lung weiter fortzufahren.

Die Frau Bürgermeisterin war zwar nur ein Weib, aber ein

stolzes, eigensinniges, böses

Weib, die ihre heimlich entworfenen Plane nicht

leicht aufgab, und wenn sie nicht einen so festen gesetzten Gemahl gehabt hätte, leicht durch ihn die ganze Stadt regiert haben würde.

Indessen

haben böse Weiber, wie jedes andere Uebel, auch

gewisi ihren Nutzen, und scheinen in der unüber­

sehbaren Reihe der Dinge eben so nöthig zu seyn, üls Mücken, Wespen, und das ganze Heer der

sunimenden und stechenden Znseklen im Reiche der Natur.

Sokrates, seit Jahrtausenden als das Muster

eines moralisch guten Mannes verehrt, wäre vielleicht das nicht geworden was er war, wenn

er nicht das Glück genossen hätte mit der berüch­ tigten T a n t i p p e vermählt zu seyn.

Die An­

fälle und Stürme dieses wüthenden Weibes ver­ halfen ihm zu derjenigen Gelassenheit und See­

lenruhe, mit welcher er den Giftbecher trank.

So wird jeder starrsinnige Mann, mit einem bösen Weibe gepaart, bald ein sanfter und im

320

Dex Pastor in Kartoffelfeld.

eigentlichen Verstände geriebener mürber Mann,

der in Stille und Demuth mit dem Kreuz auf dem Rücken einher wandelt.

Der Leichtsinnige

wird in solcher Schule bald ernsthaft und nach­

Manchen

denkend.

guten

duldsamen Mann

würde die Welt weniger haben, wenn es keine

bösen Weiber gähe.

Ueberdteß sind böse Weiber

nicht ohne Tugend; sie haben auch ihre gute aber oft verkannte Seite.

Gemeiniglich 'sind sie von

beharrlicher Treue gegen dpn Mann, den sie quälen.

Auch Häuslichkeit und Ordnung ist

ihnen nicht abzusprechen.

Was wolst Zhr lieber

haben, eine halb — nicht ganz — häßliche, empfindliche, böse, bald zürnende, jedoch getreue

und redliche Frau, oder einen verschwenderischen Engel, der Euch liebkoset, Euch tausend Schmei-

cheleyen vorsagt, aber wenn Ihr den Geschäften nachgeht, oder nach getragener Tageslast und

Hitze Euch

dem

erquickenden Schlaf überlaßt,

einem guten Freunde leise die Thür oder das Fenster öffnet? Wählt! Nur der mag den geprie­

senen Gott Hymnen anklagen, dem er eine böse und zugleich untreue Frau beschert hat, die ihm

eine drückende Krone aufsetzt. Oft

Oft stiften böse Weiber auch nach ihrem Tode noch Gutes. Wer kennt nicht jene römische Dame, die Gemahlin Tarquins des Stolzen, die durch ihre Herrschsucht die Freyheit des römi­ schen Volks begründete, und die Organisation eines Frevstaats veranlaßte, der viele Jahrhun­ derte hindurch die Bewunderung der Welt auf sich zog. Tullia, hieß sie, und muß mit der ver­ storbenen Tochter des nachherigen Konsuls Cicero nicht verwechselt werden. Livius hat sie Und ihre Thaten in seiner Geschichte verewigt, und hält diesem wohlthätigen Uebel die gebührende Lobrede. Auch mir sollte es so schwer nicht werden, hier auf die gesammte Zunft der Xan tippen, so wie der unsterbliche Rabener auf den Esel, eine Lobrede zu verfertigen, nicht halb so schwer als eine Leichenpredigt auf ein todtgebornes oder in den ersten sechs Wochen verstorbenes Kind, wenn ich dieses Buch bloß für böse Weiber schriebe. Da dieß aber nicht ist, so behalte ich es mir vor, ihnen zu Gunsten zur andern Zeit «in eigenes Buch ausgehen zu lassen, welches alles Gute enthalten soll, was sich von den bösen

322

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Weibern nur denken und sagen läßt.

So lange,

meine geehrten bösen Damen, beliebe» Sie Sich

zu gedulden.

Lieb würde es indessen mir dem

Autor seyn, wenn Sie es Sich gefallen ließen, auf diese Schrift, welche den Titel führen wird:

„ Philosophische Untersuchungen über den Werth böser Schönen," bey Zeilen einen Thaler Kon-

ventionsmünze zu pränumcriere»,. wenigstens zu

subscribieren, damit die Menge, der abzudruckenben Exemplare bestimmt, und das jedem Schrift­ steller so anstößige, den Krämern aber ange­

nehme Makulatur vermieden werden könne.

Auf

sanftes zartes Velinpapier das Buch zu drucken,

lyäre unschicklich; es soll auf rauhes Koncept­ papier gedruckt, und mit dauerhaften Holzschnit­ ten statt glatter und feiner Kupferstiche geziert

werden.

Zur Erweiterung statistischer.Kenntnisse

wird man es gerne sehen, wenn nur böse Frauen

subscribieren, damit man ihre Anzahl im Scaate bestimmen könne.

druckt.

Die Namen werden vorge­

Zweyter

Theil.

zrz

Fragmente einer vertraulichen Unter­ redung

der

Frau

Bürgermeisterin

mit ihrem Gemahl:

Bürgermeisterin.

Aber sag mir, Kind!

warum soll es denn gerade der plumpe Mensch, der Ernst, seyn? Sag mirs.

Bürgermeister.

Sprich!

Weil er sich durch Talent,

Kenntnisse und Sitten zu einer solchen Stelle empfiehlt! Der ganze Magistrat ist ihm gewogen.

Bürgermeisterin.

Sitten! Sitten! hab'

ich je einen plumpen indiskreten unmanierlichen

Menschen gesehen, so ist es Ernst. Bürgermeister.

Zch finde das nicht.

Was hat er Plumpes und Indiskretes an sich? Bürgermeisterin.

Was das für eine

Frage ist! Von einem Menschen der Lebensart besitzt, kann man mit Recht verlangen, daß er

wenigstens einer Dame die Hand küßt.

War

er wohl so galant eine Lhombcrpartie mit mir anzunchmen? und doch konnte der Mensch spie­ len, da er erst keine Karte kennen wollte? Hat

er wohl der Kousine oder einem andern Frauen­ zimmer eine Artigkeit gesagt? Hast du gesehen

324

Der Pastor in Kartoffelfeld.

als er das alte Weib, die Langhals, in den Er konnte nicht ein­

Tanzsahl vorauschleppte?

mal tanzen, oder wollte aus Eigensinn auch nicht, saß da in der Ecke wie ein Aufpasser, hatte

Und der Mensch soll

Langeweile und gähnte.

Sitten haben?

Er hat gerade die Sit­

Bürgermeister.

ten die zu seinem künftigen Stande erforderlich

sind. Bürgermeisterin.

Das versteh' ich nicht.

Bürgermeister.

Das glaub' ich gern,

-mein Kind! Du verstehst manches nicht.

Bürgermeisterin.

Zst das Ernst oder

Scherz? was verständ' ich denn nicht? So bin

ich wohl gar dumm, Herr Oberbürgermeister! Zch bedaure Sie- von Herzen, daß Sie Sich

eine Frau ohne Verstand genommen haben. Dürgermeiste'r.

Du hast Verstand, mein

Kind, für die Küche und für das Hauswesen,

aber auf die Wahl öffentlicher Lehrer verstehff du dich nicht.

Du weißt nicht worauf es ankommt.

Bürgermeisterin. Worauf denn? Sprich!

Bürgermeister.

Hauptsächlich auf einen

ernsten gesetzten Charakter.

Der. Prediger muß

Theil.

Zweyter kein Wildfang seyn.

325

Das hat Ernst gift ge­

macht, daß er nicht spielte;

das hat er gut

gemacht, daß er nicht tanzte;

das hat er gut

gemacht, daß er um die Mädchen nicht herumhüpfte und ausgelassen schäkerte.

Sag waS du willst;

Bürgermeisterin.

genug der Pedant gefällt mir nicht.

Er hat

keine Welt; ist gegen jedes Frauenzimmer gleich­ gültig wie ein Stock.

Entweder er ist einfältig,

oder er hat sich schon vcrquackelt.

Bürgermeister.

Schimpfe doch nicht,

mein Kind! Gelassen! Gelassen! Da mag eine andere

Bürgermeisterin.

gelassen bleiben. gelten?

Soll ich denn gar nichts mehr

Gar nichts mehr?

Sprich, was soll

aus unserer Kousine endlich werden? Du weißt

doch, daß sie sechs und dreyßig Zahr alt ist. Die muß einen Mann haben und soll ihn haben.

Bürgermeister. Bürgermeisterin. soll!

soll!

Soll?

Za, soll ihn haben —

Gott verzeih mirs, was für ein

alberner Mann! Hat eine schöne Stelle zu be­

sehen, und denkt an seine eigenen Verwandten

nicht.

Das Mädchen wird doch keinen Küster

3?6

Der Pastsr in Kartoffelfeld.

Du weißt ja, daß sie gern

heirachen sollen!

einen Geistlichen haben will.

Bürgermeister.

Nun ich will sie Herr

Ernsten an bieten. Das fehlte noch. Der

Bürgermeisterin. ist keine Partie für Sie.

Bürgermeister.

Was soll ich denn thun?

Bürgermeisterin.

Willst du deine Frau

nicht todt ärgern, so gieb Ernsten die Stelle nicht.

Nein! Gieb sie dem Mann, den ich

haben will. Bürgermeister.

Bürgermeisterin.

Du haben willst? Du? Ja, ich haben will.

So viel kann der Herr Gemahl seiner Frau wohl zu Gefallen thun, oder er ist meiner Familie

nicht gewogen.

Mein Gott, wo denkst du hin?

Hast du denn bey aller deiner bürgermristerlichen

Weisheit schoij vergessen, was jeder Junge weiß, daß sich jeder selbst der nächste ist?

Bürgermeister. weiß ich noch.

Gut, mein Kind; bas

Hier muß ich aber nicht als

Hausvater oder Verwandter, sondern als öffent­ licher Mann handeln, und das Beste der Stadt nach Pflicht und Gewissen besorgen.

Theil.

Zweyter

327

Sie predigen wohl

Bürgermeisterin. gar, Herr Bürgermeister!

Gesetzt ich sollte und

Bürgermeister.

wollte auch mehr für die Kousine als für die

Bürger sorgen; welchem Mann unter den Sieb­ zigen oder Achtzigen, die sich gemeldet haben,

soll ich sie

denn nun antragcn?

Es ist eine

eigene delikate Sache . . .

Laß diese eigene deli­

Bürgermeisterin.

kate Sache meine Sache seyn.

Hat sich nicht

Petermann auch gemeldet? Sprich!

Bürgermeister.

zielst.

Ich merke wohin du

Daraus wird nichts.

mich scheiden und absehen. noch nicht

Lieber lasse ich

Petermann kann

öffentlicher Lehrer werden.

Er ist

noch viel zu juflg, hat nichts gesehen^ nichts

gehört,

nichts erfahren,

also

keine

Lebcns-

klugheit.

Bürgermeisterin.

Lebenöklugheit? Die

kann der Tuckmäuser, .dein Ernst, noch von ihm lernen.

Wie weiß sich der junge Mann so schön

in Gesellschaft zu benehmen! Wie herrlich tanzt er nicht!

Und hast du denn keine von seinen

Der Pastor in Kartoffelfeld.

318

allerliebsten niedlichen Versen gelesen?

lies!

Hier

©le zog ein Papier aus der Tasche.

Bürgermeister.

Ein guter Gesellschafter,

ein guter Spieler, ein geschickter Tänzer und ein

Poet, mag dein Petermann seyn, aber zu

einem öffentlichen Lehrer von Zungen und Alten

nicht.

Aus Zhrem Projekt,

Madam, wird nichts.

Nichts! so wahr ich

taugt er noch

Mann und ehrlich bin. Bürgermeisterin.

Nun so sollst du denn

auch........................................ ................................. ........................................

Das kommt davon!

So weit das Fragment.

Gern theilten wir

das Ganze mit, wenn man mehr sagen könnte, als man weiß, und mehr geben könnte, als man

hat.

Die Autoren pflegen sonst gern zu geben,

auch manchmal das, was sie nicht haben, und

bewirthen den Leser mit geraubtem Gut.

Zhr

aber, geliebten Freundt, welche das Schicksal

mit bösen Weibern gesegnet hat, seyd so gütig, die »Lücke zu ergänzen.

Zhr werdet weniger

Zweyte r Theil.

zr-

Mühe damit haben, als die Kritiker des vorigen und jetzigen Jahrhunderts mit den römischen und griechischen Autoren. Der brave, unter allen häuslichen Stürmen seiner Pflicht getreue Mann, ließ sich indessen in den nächsten acht Tagen weder in Gesellschaft noch auf dem Rathhause sehen. Als er wieder erschien, trug er auf seinen Backen Spuren der Verletzung, worüber das Publikum mancherley Urtheile fällte. Einige behaupteten, die Gemah­ lin habe mit unterdrückter Wuth dem sanften Gemahl einen Versöhnungskuß angeboten, und ihm bey dieser Gelegenheit eine etwas zu derbe Zärtlichkeit erwiesen. Andere gaben vor, bet' Streit habe sich bey Tische erhoben, und mit einem unvorsichtigen Wurf geendet, nach welcher Explosion di« Frau Bürgermeisterin in eine Art von Ohnmacht gesunken sey. Vielleicht erfährt erst die Nachwelt, wie von so manchen Dingen, die reine lautere Wahr­ heit. Den Leser schadlos zu halten, welches alle­ mal Pflicht ist, theilen wir hier das Gedicht von Petermann mit. Hier ist es:

33o

Der Pastor in Kartoffelfeld. Schmerzen hast du mir gemacht, Karoline, in der Nacht, Ohne es zu wissen. Tausendmal hab' ich geächzt, Seufzer aus der Brust gekrächzt, Un.ter Zährenflüssen.

Schmerzen hast du mir gemacht, Aus dem Morgen Mitternacht, Ohne es zu wollen. Klagen hab' ich ausgestöhnt. Mich beynah ins Grab gesehnt, Von der Bühne Nollen.

Schmerzen hast du mir gemacht, Frost mit Schweiße mir gebracht. Ohne es zu wähnen. Hart ertönt des Mundes Hauch, Wie rin Donnerwetterschlavch, In den Lebens Scenen.

Zweyter Theil.

331

Schmerzen hast du mir gemacht. Und zerstört der Holden Pracht Ohne Wohlgefallen. Harter Tritte wilder Rausch, Kündet einen trüben Tausch: Trauer muß ich lallen.

Schmerzen hast du mir gemacht, Wo mir sonst die Wollust lacht, Zn der Tage Reihen. Doch ich schließe diesen Schmerz, Zn mein fühlend traurig Herz, Und du wirst verzeihen. *) *") Herr Petermann hat sich hier doch wie jene Krähe mit fremden Federn geschmückt. Man sehe „Sprößlinge meiner Gefühle^ von G. Heise. Magdeburg 1799.

zzr

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Sich nach dem Ehestandsgewitter wieder auf­

zuheitern, verreisete der Bürgermeister auf ein paar Wochen, und die feierliche Predigerwahl

wurde bis zu seiner Rückkunft verschoben.

Rei­

sen sind in solchen Fällen die besten Kuren, und

helfen mehr als alle Recepte der immer noch

mit einander streitenden Aerzte.

Diese unschul­

dige Gesundheitsreise zog indessen viel Neue nach sich, und gebar einen neuen Verdruß, der weit

ärger war als der erzählte.

Dem kleinen Kriege

folgte bald ein größerer, den man eben so wenig

ähnele, als vor einigen Jahren der Großsultan

den Einfall der Neuftanken in Aegypten.

So

fehlt oft der beste Mann am meisten, wo er am wenigsten zu fehlen befürchtet.

Es gab in Quebeck einen alten auf Pension gesetzten fünf und siebzigjährigen Stadtschreiber, Namens Jakob Dussenius, um den sich

seit zehn Jahren kein Mensch bekümmert hatte, und der seinen Gnadengehalt ruhig und unge­

sehen im Großvaterstuhl verzehrte, und weiter

nichts that, als daß er Tabak rauchte und Zahn­

stocher schnitzelte.

Gott weiß wie die Frau

Bürgermeisterin auf den Einfall gerieth, diesen

Zweyter Theil.

333

alten stumpfen Mann zum Abendessen einzuladen; genug sie that es.

Er wunderte sich frey­

lich über diese so unerwartete ihm nie wieder-

fahrrne Ehre, erschien aber doch bald in seinem

stadtbekannten gelben Nock, und einer hagelweiß gepuderten ehrwürdigen Schwanzperücke, mit seiner elfenbeinernen Krücke in der Hand.

Auf der halben Treppe empfing ihn Peter­ mann, und führte ihn, mit HLflichkeiten über­

schüttet, gleich ins Zimmer der Frau Bürger­

meisterin, wo dieselbe noch von Krämpfen ge­

plagt auf dem Sofa ruhte.

Tanzend sprang

Petermann herbey, und nahm dem Nestor des Magistrats Hut und Krücke ab, und die

Kousine rückte ihm den Stuhl vor das Sofa hin. „Setzen Sie Sich neben mir, lieber Herr

Stadlsekretär; ich bin heut etwas unpaß.

Wis­

sen Sie ans denn nichts Neues zu erzählen?" sagte

mit

schwacher Stimme

die Frau

des

Hauses. „Neues wohl eben nicht, denn ich bin alt,

und bekümmere mich um die Welt nicht mehr." „Nun so erzählen Sie uns was Altes.

Sie

haben wohl viel erlebt, bester Mann; viel erlebt."

Der Pastor in Kartoffelfeld.

334

Der Alte liest sich nicht lange nöthigen, und

fing an -von Feuersbrünsten, Wassersgefahren

und Kriegrsnithen zu sprechen, und was er sonst

erlebt habe, wie oft dieses oder jenes Haus zu seiner Zeit schon ausgestorben sey «. s. w.

„ Der Herr Sekretär haben auch wohl recht viel Prediger hier erlebt?" „Der neue Oberprediger wird der sechste seyn,

den ich kenne.

Heißt er nicht Herr

.Ernst?"

„So soll er ja heißen.

Sind Sie am

Sonntage in der Kirche gewesen? Was denken

Sie zu dem Manne?"

„ Ze nun nach der neuen Art mag er immer gut genug seyn.

Den Leuten hat er ja gefallen.

Vor fünfzig Zähren hörte man andere Predigten.

„ Der erste Oberprediger, den ich hier kannte, war der selige Herr Magister Olearius.

Er

ist in der Kirche abgemahlt, und hinter dem

Altar liegt sein Leichenstein'.

Er wurde Abends

mit Stocklaternen begraben,. und ich habe ein

Leichenkarmen auf ihn gemacht. so an:

Es fing sich

Zweyter

335

Theil.

So bist du denn so bald hinüber!

0 weh der Stadt! dar böse Fieber Stürzt dich in finstre Todesgruft. Klagt über ihn, ihr Blutsverwandte; Betrauert ihn, die ihr Bekannte

Vom seligen Magister seyd.

„Vortrefflich! vortrefflich! ganz wie Gellert!" -riefPetermann, und bat sich^von dem schö­

nen Gedicht noch eine einzige Strophe aus. 'Der Alte erwiederte sogleich folgende:

So starb Herr Olearius, Den Tod, den jeder sterben must;

Denn Mors verschonet keinen.

Ein jeder ist ihm Unterthan, Er sieht auch gar kein Alter an,

Und wenn wir alle weinen. „Niedlich! niedlich! sagte Frau Bürgermei­ sterin ;

war er denn ein

guter Mann,

der

Olearius? "

„Ein Mann von vieler Salbung.

Ein rech­

ter Strafprediger, der einem Himmel und Hölle

336

Der Pastor in Kartoffelfeld.

abmahlen formte, als wäre er drin gewesen. Doktor BeicriuS rühmte ihn auch recht in der Leichenpredigt. Das war eine Leichenpredigt, in meinem Leben vergeß ich sie nicht. Sie währte volle zwey Stunden." Bey Tische wurde das Gespräch nach und nach dahin gelenkt, wohin es gelangen sollte; nämlich auf die Wahlgeschichten in alten Zeiten. „Vor Zeiten, hub der Alte an, ist es damit, wie mir mein Vater seliger — er war hier Käm­ merer —: so oft erzählt hat, ganz anders be­ schaffen gewesen." „ Und wie denn, mein werthester Herr Sekretär? " „ Da hatten Magistrat, Viertelsherren und Bürgerschaft, jeder eine Stimme. Erst vor siebzig Zähren, als der wohlselige Magister Schvtterius gewählt werden sollte, hat sich Mägistratus das Wahlrecht alleitr angemaßt, und weil niemand widersprochen hat, so ists denn so geblieben. Zn den alten Akten stehts anders geschrieben, meine hochzuverehrende Frau Bürgermeisterin l" Zch

Zweyter

Theil.

337

„ Ich bin eine große Freundin der allen Geschichte. men ?

Könnten wir die Akten nicht bekom­

Herr Petermann soll sie mir vorlesen.

Es ist doch ein kleiner Zeitvertreib.

Gott! ich

leide so an Krämpfen!"

„Die 2lkten stehen zu Befehl.

Sie liegen

im Repösitoriurn C unter Littera D.

Mor­

gen werd' ich sie übersenden." Nachdem sich der alte Stadtschreiber recht

satt gegessen und getrunken, und noch viel erzählt hatte, empfahl er sich.

Man füllte ihm beide

Taschen mit Aepfeln und Kuchen, und das Haus­

mädchen mußte ihn nach Hause leuchten.

Ohne Mühe wird der geneigte Leser schließen, wie froh die Gesellschaft über diese archivarische

Nachricht war, zumal Bussenius beym Weggehn

noch hinzufügte, daß eigentlich nur ein Stadt­ kind befördert werden dürste, wenn nämlich ein­

vorhanden sey.

Zum Glück war Petermann

jetzt da- einzige theologische Kind der Stadt, da dieselbe in vorigen Zeiten wohl fünfzehn solche

Kinder gezählt haben mochte.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

338

Petermann war der einzige Sohn eines

wohlbemittelten und eben so wohlbeliebten Vier­ Sobald er examiniert war, hielt er

brauers.

das Studieren für eine überflüssige Sache. Sein Vater halte Vrot und Bier für ihn, und er fühlte daher keinen Trieb,

Schullehrer

zu werden,

Kenntnisse zu bereichern.

Hauslehrer

oder

und seine dürftigen

Sine Predigt halten

zu können war von jeher sein höchstes Ziel; dieß Hatte er erreicht, nun war er zufrieden.

Nur

die Poesie ergötzte ihn noch in den vielen müßi­

gen Stunden.

Er besang jeden Baum, jede

Nasenbank, jede Zillee, jede Laube, und die Reime flossen ihm zu wie Wasser.

Er war nicht

nur der einzige Stadtkandidat, sondern auch der

einzige Stadtpoet, ob er gleich oft nur aus­ schrieb.

Wer was g e — oder b esungen haben

wollte, wandte sich an Petermann, und er sang gern und gleich;

sein Pegasus war wie ein

Pikrtpferd immer gesattelt.

Er war daher so

beliebt, daß ohne ihn nicht leicht ein Kränzchen, Picknick oder Ball gegeben, oder ein Sylvester­ tag gefeiert wurde, da er zumal ein Günstling der Frau Bürgermeisterin war.

Dusfeni« s übersandte am folgenden Mor­ Petermann

gen die Akten ganj richtig. mußte kommen und sie vorlesrn.

Willkommen

war ihm das obsolet gewordene Stadtgesetz, daß nur Stadtkinder gewählt werden sollten, weil es ihm

in

der

Stille

schon

zum Oberprediger

uyd er unterließ nicht auf diesen

ernannte,

diplomatischen Fund sogleich ein Gedicht zu ver­

fertigen , das uns aber nicht zu Händen gekom­

men ist. Nach kaum vier und zwanzig Stunden sprach

man schon in allen öffentlichen Häusern von nichts, als von den aufgefundenen alten Akten.

Zeder Bürger, besonders jeder reiche, begann sein werthes Zch in der zweyten Potenz zu füh­

len.

Politisch Aufgeklärte murmelten schon vom

Despotismus des Magistrats, und in specie des um die Stadt so sehr verdienten Bürger­

meisters.

Ernstens schöne Predigt war so bald

vergessen, als ein Zeitungsavertissement des vori­

gen Tages.

Einige Gemeindeglieder herrnhuti-

schen Sinnes, fingen schon an zu tadeln, und man hörte Kritiken und wieder Kritiken, weil

des Sündenelends nicht gedacht war.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

34°

Petermann wurde von allin Seiten her

angelrieben, sich unverzüglich in einer Wochcnpredigt hören zu lassen, und er weigerte sich

nicht.

Er wollte etwas' Wirgewöhnliches leisten,

und studierte auf eine Predigt in Versen, die Zeit war aber leider zu kurz, Und er begnügte

sich das Anfangs - und Schlußgebet in gebun­ dener Rede auszuarbeiten.

Das erste enthielt

eine trübselige Schilderung des Sündenfalles;

das zweyte die prächtige Vorstellung des Him­ mels in Alexandrinern.

Er hielt seine Predigt

am nächsten Donnerstage, und hatte ein zahlrei­

ches Auditorium, obs gleich in der Woche war. Es versteht sich daß die Frau Bürgermeisterin mit ihrem ganzen Hause auch zugegen war. Die Predigt, besonders die Gebete, erhiel­ ten bey der Bürgerschaft großen Beyfall.

Die

Rathsherren waren nicht zugegen, weil sie schon

von der Absicht dieser geistlichen Rede unterrich­ tet waren. Feuersbrünste machen arme Bürger und reiche

Baumeister; theure Zeiten reiche Kornjuden; Epidemien wohlhabende Aerzte;

Kommissarien.

Kriege reiche

Die Erholungsreise des Bürger-

Zweyter

Theil.

341

Meisters von Quebeck machte Erlistens Unglück und Petermanns Glück.

Die böse Frau Bür­

germeisterin hatte während der Abwesenheit ihres

Gemahls gehörige Zekt ihre Plane sicher durch­

zusetzen.

Sie kannte den Ehrenmann Kusian,

einen der Viertelshcrren der Stadt. Kusian hatte von Natur ein großes Talent zum Widerspruch und zum Tadel.

ihm recht.

Nichts war

Keine bisherige Einrichtung und

Verfassung stand ihm mehr an.

Die Worte:

Freiheit und Gleichheit, die so oft unrecht erklärt werden,

setzten ihn jedes Mal in Entzückung,

und in allen Anordnungen seiner Obern witterte er Despotismus und Kränkung der Menschen­

rechte.

Gern hätte er die Geldbeutel der Nei­

chen arithmetisch dividiert, weil der Seinige oft nicht gefüllt war; gern Domainen - und Ritter­

güter für Gemeingut erklärt,

wenn er Macht

und Gewalt genug gehabt hätte.

Leider mußte

er es bey dem Räsonieren bewenden lassen, das

ihm aber sehr gut vom Maule ging, besonders wenn sich sein Geist mit dem Geist der Liköre vermählte.

Oft wollte er, wie Trenk, nach

Frankreich gehen, nm seine Revolutionstalente

342

Der Pastor in Kartoffelfeld.

im vollen Glanze zu zeigen, und — wie wohl

der Fall gewesen seyn möchte — seinen Kopf

dort abzuliefern.

Diesen Mann ließ die Frau Bürgermeisterin zu sich rufen, sprach viel von den in alten Zei­ ten gekränkten und eingeschläferten Rechten der

Bürger, und empfahl sie seiner Fürsorge, mit der Versicherung, daß es ihrem Gerechtigkeit

liebenden Mann nicht unangenehm seyn werde.

Sie händigte ihm die alten Aktenstücke

ein,

sprach viel zu Petermanns Lobe, und rügte

besonders den Umstand, daß er das einzige theo­ logische Stadtkind sey.

Zhr Mann sey freylich

noch nicht für ihn, sondern für den Fremdling

Ernst gestimmt, allein er habe ein weiches

Herz, und lasse sich zu leicht für oder gegen jemand einnehmen. Der dicke Kusian schleppte diese Akten

gleich in all« Häuser, und deklamierte entsetzlich

gegen den Magistrat.

Bald war die ganze

Stadt in Gährung gebracht- wiewohl äußerlich noch Ruhe und Stille herrschte, wozu Kusian auch sehr rieth, damit alles, was er im Sinn

hatte, desto unerwarteter und plötzlicher käme.

Zweyter

343

Theil.

Der Wahltag erschien. 'Schon saßen Mor­ gens um zehn Uhr die Herren des Raths am

elliptischen blau behangenen Tische auf ihren ge­ polsterten Stühlen. Ohne viele Disputation wur­

den sie bald einig, keinen andern zu wählen, als den Mann, der ihnen die schönen Predigten dcdi-

ciert, eine noch schönere gehalten, und sich in Gesellschaft so gesetzt und sittsam betragen halte.

Die kleinen Auftritte und Unruhen kamen in

keine sonderliche Betrachtung, und dem Sekretär wurde das Protokoll diktiert. Plötzlich aber änderte.sich alles.

Kusian,

mit den alten Akten unter dem Arm, an der

Spitze von zehn Viertelsmännern, trat mit ziem­ lichem Geräusch in den Sahl.

Seine Augen

funkelten, seine Miene war flämisch, und in

einer quäkenden eifernden Tenorstimme schrie er

den Herren stotternd lauter Grobheiten entgegen. „Wir! wir! wir! protestieren, protestieren?

Hier, hier! sind Akten! sind Akten! rief er, und warf diese mit Ungestüm auf den Tisch. Der Despotismus soll ein Ende haben.

Wir

und die Bürger müssen auch gefragt werden, sonst passiert «ine Revolution. .Dieß sagt Kusian,

344

Der Pastor in Kartoffelfeld.

der Magistrat soll an Kusian gedenken —"

Mit geballter Faust schlug er zur Bekräftigung

des Gesagten auf. den Tisch, und fügte noch

hinzu: „ Ein Stadtkind muß es seyn!" Die übrigen zehn Viertelsherren murmelten

dieß wie ein Echo getreulich nach, und man hörte oft die Worte Potismus und Volution ertönen.

Mit entfärbten Gesichtern sahen sich die Her­ ren einander an, und dem Protokollführer fiel

die Feder aus der Hand.

Nach einer nicht gar

langen Pause stand der Bürgermeister auf, bat

um Stille, und hielt in sanftem aber gesetztem Tone folgende kleine Rede:

„Seyn Sie ruhig, meine Herren! Nicht so

stürmisch! wir thun Zhne» nicht Unrecht.

Ich

kenne dieses alte Aktenstück, weiß was es ent­

hält, und Sie wissen es mit mir.

Allein vor

achtzig Zähren ist, einem andern Aktenstück zu

Folge, das Wahlrecht dem Magistrat mit Aus­ schließung der Bürgerschaft und Viertelsherren,

vom Hose aus allein übertragen. lassung war diese.

Die Veran­

Einst.entstand bey. der Pre­

digerwahl, die gewöhnlich in. .der Kirche nach

Zweyter

gehaltenem Gottesdienst

Theil.

vorgcnomMen wurde,

ein entsetzlicher Lärm und Tumult.

Parteien,

345

Es gab

die erst in lebhaften Wortwechsel,

dann in Gezänke, und endlich ■— was schrecklich

ist — in der Kirche auf dem Platz vor dem

Altar in eine heftige Schlagerey geriethen.

floß Blut, wo nie Blut fließen sollte. schreckliche Scene bewog den Hof,

Diese

uns

Wahlrecht ausschließlich zu übertragen.

werden

Es

das

Wir

uns dessen nach besten Gewissen be­

dienen. " „Wo sind die Akten? wir müsset» sie sehen!" rief Kusian, der mit hämischer Miene und klei­ nen flammenden Augen den redenden Bürgermei­ ster angesehen hatte.

Gleich suchte der Registrator — aber er

konnte sie in allen Schränken nicht finden.

Wo

er ihre Stelle vermuthete war eine Lücke — Nun begann das Protestieren und der Lärm von Neuem.

Man wollte gegen den Nevolu-

tionsgeist Strenge gebrauchen, bedachte sich aber, als sich die ganze Bürgerschaft mit Weib und

Kind lärmend unten vor dem Nathhause zeigte, und schon dasselbe, gleich der Dastille, zu dcmo-

34

Der Pastor in Kartoffelfeld.

fieren drohte, wenn sich der Magistrat ihrer ge­ rechten Sache im Geringsten widersetzen würde. „ Ein Stadtkind! Ein Stadtkind! sollt Zhr uns geben, schrie tobend der Haufe, warf die Hüte in die Höhe, und rief: Peter­ mann ist Pastor! Petermann solls seyn! Vivat, iuvat, Petermann! Der übertäubte Magistrat sah sich genöthigt die Sitzung aufzuheben, und war froh, als et durch die Menge, ohne thätlich beleidigt zu seyn, hindurch geschlüpft war. Ihre- Sieges eben so sehr froh als ihres Verstandes, schante die Frau Bürgermeisterin in einer großen neuen Haube den ganzen Tag mit triumphierender Miene, jedem vorübergehenden Bürger Huld zulachend,-zum Fenster heraus, und es bedurfte keiner physiognomischen tiefen Weis­ heit, in ihrer ganzen Positur den Gedanken zu lesen: „Das war mein Werk!^ Desto niedergeschlagener war ihr edeldenken­ der Gemahl. Zn tiefsten Gedanken ging er in seinem verschlossenen Studierzimmer auf und ab. -Erst nach einigen Tagen schrieb er dem Superin­ tendenten folgende» Brief:

Zweyter

347

Theil.

„ Mit einer sonst nie empfundenen Wehmuth muß ich Zhäen die betrübte Nachricht schreiben, daß ich nur mit Mühe Ihrem aufblühenden

Redner zur hiesigen Pfarrstelle werde verhelfen können.

Alles ist ganz anders gekommen, als

wir dachten.

Nach meiner Rückkunft von einer

Erholungsreise, auf welcher ich mich näch einem

häuslichen Verdruß zerstreuen und stärken wollte, machte mir ein völliger ?lusruhr der hiesigen

Bürger einen noch größern.

Aus der Traufe

kam ich in einen Platzregen.

Die ganze Bür­

gerschaft fand ich im Aufruhr, wozu ein altes Aktenstück Gelegenheit gegeben hat.

Diesem zu

Folge hat der Magistrat nur Eine Stimme bey der Wahl, und zwey die Bürgerschaft.

Zch

weiß daß diese Verfassung längst aufgehoben ist,

es sind davon auch Akten vorhanden, aber zu meinem Erstaunen fehlten sie im Archive; ich konnte also die unruhigen Köpfe nicht rechtlich

widerlegen.

Wo sie hingekommen sind, weiß

ich nicht, vielleicht find' ich sie einst in meinem

eigenen Hause — Meine Frau--------------doch

Nichts davon — es zittert sonst gleich die schrei­

bende Hand.

348

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Den alten Akten gemäß verlangt die Bür­ gerschaft mit Ungestüm daß ein Si7dtkind, und zwar der närrische Kandidat Petermann gewählt

werde. Traurig für mich! traurig für Sie selbst. Noch aber ist alle Hoffnung nicht verschwun­

den.

Ein auf die neuen Akten — wenn wir

sie nur erst finden — gegründeter Proceß, kann diese tumultuarische Wahl leicht wieder umstoßen.

Hiermit trösten Sie

meinen und Ihren

Freund, den braven Ernst.

Wie doch die Schick­

sale der Menschen sobald eine ganz andere Rich­

tung nehmen können!

Sie verzeihen

daß ich nicht ausführlicher

schreibe. Kopf und Brust sind mir zu voll.

Nur

das noch, daß ich lebenslang bleibe

Ihr Freund, der Bürgermeister N.."

349

Drittes

B u ch.

93 on Zeit zu Zeit hatte der Superinteüdent den Nachrichten von Quebeck entgegen gesehen, und Ernst alle Stunden gezählt.

Endlich

brachte

denn der Postbote obigen Brief. • „ Ich gratuliere! ich gratuliere! sagte der

Superintendent, der eben zu Tische saß; wir

wollen

aber den

Brief erst bey einer Flasche

Wein eröffnen, um ihn desto fröhlicher zu lesen. Es ist des Dürgermeesters Hand und Siegel. Nur ein Viertelsiündchen,

öffnen.

dann will

ich ihn

Gute Nachrichten enthält er gewiß."

DaS Herz pochte Ernsten bey diesem Scherz seines Freundes, der sich das Vergnügen machen

wollte, seine Geduld zu prüfen.

35ö

Der Pastor in Kartoffelfelds

„Sie haben so lange auf Beförderung ge­ wartet, das Viertelstündchen können Sie mei­ nem Manne zu Gefallen noch zugeben, sagte die

Superintendentin; es soll gleich Wein kommen." Der Bediente erschien auch bald mit der Fla­

sche.

Es wurde getrunken, bald, diese bald jene

Gesundheit; bald des Bürgermeisters, bald des alten Herrmanns, bald dieses bald jenen Freun­ des, zuletzt auch Louisens.

„Nun ists Zeit, sagte der Superintendent,

daß wir den Brief lesen;" er erbrach ihn, las, ward still, rieb sich die Stirne, und sprach kein

Wort. Schauerlich ward Ernsten in allen Gebeinen, starr war sein Blick auf seinen schweigenden Gönner geheftet.

Endlich überreichte ihm dieser

den Brief, er las und konnte sich der Thränen nicht enthalten.

Der Superintendent bestrebte sich ihn so

gut zu beruhigen als er nur konnte — aber

umsonst — „Der Proceß wird gewiß gewonnen, nur

Geduld! «erden."

Hoffnung

läßt

nicht zu Schanden

T he t l.

Zweyt e.r

351

„Unmöglich kann ich mich durch einen Pro-

eeß

den

Leuten aufdringen,

oder aufdringen

lassen." „ Schön gedacht!

vielleicht aber auch zu

schön!"

„Nicht zu schön. Mein ganzes Gefühl sträubt

sich dagegen.

Die Vorsehung muß mich eines

Lehramtes nicht würdig finden! Gern wollte ich ein anderes Fach ergreifen, wenn ich nur nicht

zu alt dazu wäre.

Immer kein Glück! wie will

es endlich werden!" „Unverhofft kommt oft! ich rechne noch auf

den Grafen von M ...

Er ist ein eigner, aber

auch großmüthiger Herr.

Der Pfarren sind ja

viel in der Welt," u. s. w. So bemühte sich der Superintendent den tief bekümmerten Mann zu trösten; allein ohne son­

derlichen Erfolg.

Er gerieth abermals in eine

melancholisch - hypochondrische Grübeley , hatte schlaflose Nächte und schwermüthige Tage.

Sich

selbst eine Last quälte er sich mit dem Gedanken,

daß er auch nun seinem Wirth eine Last seyn werde.

35»

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Ziel ihm sein Mädchen ein, so war er zuwei­ len in der Einsamkeit dem Wahnsinn nahe, und wünschte seinem Leben ein Ende.

Wo man ihn sah ging er in tiefen Gedan­ ken.

Die erquickende Schönheit des alles bele­

benden Frühlings sah und empfand er nicht. Zuletzt, gerieth er auf den verzweifelten Gedan­

ken, auf gut Glück tief in die Welt hinein zu gehen, den er schon einige Mal gehabt hatte, und empfahl sich seinem Wirth unter dem Vor­ wande, daß er auf einige Wochen verreisen, und

zur Aufheiterung gute Freunde besuchen wolle;

und dieser empfahl ihm zunächst die Prediger seiner Diöces, welche der Unglückliche seit seinem

Hierseyn fast alle hatte kennen lernen.

Mit den vier Pistolen, die er als H'onorar empfangen hatte, und noch einigen Thalern in' der Tasche, wanderte her ehrliche Mann nach einem rührenden Abschied unter Gottes blauem

Himmel zwischen reichen Kornfeldern in die Welt

hinein, und sang sich nicht ohne Wehmuth das Lied:

Zweyter

Theil.

353

Lied: „Weine nicht, Gott lebet noch!" das ihm

in gegenwärtiger Lage recht erbauend und tröst­ lich war.

Sein Genius gab ihm ein, den muntern, aufgeweckten Pastor Hein zu besuchen, den er

einige Mal in des Superintendenten Hause ge­ sprochen halte.

Es war zwey Tage vor dem

feierlichen Bus; - und Dettage, als er in das Er fand den Wirth so

Haus desselben trat.

betreten, so zerstreut, mißvergnügt und verdrieß­

lich, daß er ihn ganz verkannte.

Kaum hieß

er ihn willkommen, und wenn er drey Worte

gesprochen

hatte,

war

er

wieder

in tiefen

Gedanken.

Ernst wollte seinen Wanderstab weiter setzen, erhielt aber durchaus keine Erlaubniß.

und mußte bleiben.

Er sollte

Uebrigens blieb der Herr

Pastor, Kopfschmerzen vorwendend, gleich distrait, gleich verdrießlich.

Desto freundlicher war sein« Frau.

Sie

führte den Fremden in ihrem schönen Pfarrhause herum, und erklärte ihm bey dieser Gelegenheit

die gegenwärtige üble Laune ihres Eheherrrz. „Nehmen Sie es doch ja nicht übel, mein

»3

Der Pastor in Kartoffelfeld.

354

guter Mann kann nicht dafür.

Bußtage sind

für ihn wahre Bußtage." „Wie das?"

„ Er braucht drey Tage Zeit zu der Predigt, muß sie Tag und Nacht von Wort zu Wort aus­

wendig lernen, und dann — will sie ihm auf der Kanzel doch nicht gerathen, wenn er nicht

liest.

Des Sonntags gehts noch an, da hat

er seinen Jahrgang, den er einmal auswendig

weiß. *)

Ich habe oft meine Noth mit ihm,

denn er ist entsetzlich eigensinnig, wenn er studiert.

Gott weiß aber er kann nicht dafür." Gleich erbot sich Ernst die schwere Dußtags-

predigt zu übernehmen, und das war für den

*)

Dieser soll aus 57 gelben Oktavheften

bestanden haben, wovon sonntäglich eins an die

Reihe kam, halb deklamiert, halb abgetesen zu

werden.

So ähnlich sie sich an Farbe und Format

waren, so waren sie es auch im Innern.

Eine

aus dem Stande der Unschuld,- Sünde, Gnade und ^Herrlichkeit zusammengesetzte Masse war bald

so bald so geformt und zubereitet.

Vieles war

auch entlehnt, und manches dieser 57 Hefte würde

halb leer gewesen seyn, wenn jede Postille das Ihrige hatte viydicieren können.

Zweyter Herm

Pastor

eine

sehr

Theil.

355

fröhliche

Botschaft.

Gleich enirunzelte sich seine Stirn, und fröhliche

Laune füllte sogleich seine ganze Seele; er ward so lustig daß er hätte springen und tanzen mögen, so froh und aufgeräumt als ihn Ernst in des

Superintendenten Hause des Montags immer gesehen hatte und zu sehen gewohnt war.

Ernst predigte in der geistlich - hungernden nnd dürstenden Gemeinde mit großem Beyfall. Da er kein Heft mit auf die Kanzel nahm, und

sogar nach Ablesung des Textes seine Bibel bey Seite legte, und alle Sprüche aus dem Gedächt­

niß anführte;

so urtheilte man, er sey der

Gelehrteste aller Gelehrten, und wisse die heilige

Schrift vom ersten Buch Mosis bis zur Apoka­ lypse auswendig.

Der Pastor, hieß es, müsse

bey ihm in die Schule gehen.

Eifersüchtig auf fremdes Lob war Hein eben nicht.

Er sah es gern, wenn seine Vika-

rien Beyfall hatten, und hörte ihnen andächtig zu.

Er dachte nicht wie einer seiner Amtsbrü-

dcr, der Pastor Wunderling, der seine Kanzel

vor fremdem Zutritt gleichsam bewachte, weil er

befürchtete übertroffen zu werden.

Zur Demän»

356

Der Pastor in Kartoffelfeld.

telung dieser homiletischen Eifersucht gab er vor, er predige, die Reinigkeit der Lehre zu erhalten, jederzeit selbst. „Sie sind recht zum Orator geboren, sagte Herr Pastor Hein zu Ernsten über Tische. Aber ich — Landwirth hatte ich werden sollen, so könnte ich froh und vergnügt leben, reich und groß werden. Allein das Schicksal hat einen Theologen aus mir machen wollen, und ich muß bekennen, daß die Theologie eben meine Sache nicht ist. Zch scherze nicht. Wir reiten nach Tische spazieren, und dann will ich Ihnen mehr erzählen." Es währte kaum eine Stunde, so führte der Bediente zwey gesattelte rasche braune Engländer vor, und beide Herren trabten durchs große Dorf ins grüne Feld.

Mit wahrer Wonne zeigte Hein seinem Freunde das dichte wallende Getreide auf den Pfarräckern, daß sich jederzeit von der Saat der Nachbarn merklich unterschied. Dey jedem Acker­ stück wurde angehalten, eine zehn - oder mehr­ jährige Meliorationsgeschichte erzählt, auch Grund

Zweyter

Theil.

357

und Boden fast mit Germcrshausischer Einsicht recensiert.

„Zst das nicht eine Freude, hub Hein an, als sie vor einer sanftwallenden großen Weitzen­ breite langsam vorüber ritten, Gottes Segen

und die Früchte seine- Fleißes so vor sich zu sehen! Vor fünfzehn Zähren sollten Sie diese

Breite gesehen haben. Dornen und Disteln trug sie, und daS Getreide galt nichts.

Jetzt kann

ein fleißiger Oekouom was verdienen; ich bin auch heute seelenvergnügt, aber morgen---------

oder höchstens übermorgen —------- "

„Und was denn morgen?"

„Morgen geht mein Leiden wieder an."

„Was für Leiden?" „ Es kann Zhnen schon bekannt seyn.

Mor­

gen ist Donnerstag, ich muß von allen wirthschaftlichen Freuden abstrahieren, und auf eine Predigt sinnen, wenigstens ein» memorieren."

„Erlauben Sie, so will ich auch den Sonn­ tag Zhre Stelle vertreten? "

„Von Herzen gern, Wenns Zhnen nur nicht zu sauer wird, liebster Freund!"

358

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„Nicht zu sauer; ich benutze die Frühstun­ den, und diese sind für mich genug."

"

„ Nun so kann ich dann in den nächsten acht Tagen sorgenfrey, froh und vergnügt seyn; wir wollen auch ausreiten, ausfahren und uns alle

mögliche Zerstreuung machen." Ernst bewunderte auf diesem Spazierritt nicht nur die Fruchtbarkeit, sondern auch die Menge

der Pfarräcker, Wiesen und Holzung, und konnte nicht unterlassen zu fragen, wer diese herrliche

Stelle zu besetzen habe. „Ich selbst," sagte Pastor Hein.

„Sie selbst?" „Za, ich selbst.

Zch habe mich selbst beru­

fen und verordnet, und. wenn ich mir als Pastor

nicht mehr gefalle, kann ich mich auch wieder absehen und einen andern wählen.

Sie ist ganz

mein, nur daß ich sie nicht verkaufen und säku­ larisieren kann." „Ein Räthsel för michl" „Zch will es auflösen — Mein Vater war

ein begüterter Pachter eines durch Spiel und Mätressen verarmten Edelmanns, und ich sein einziger schon in der Wiege der Kanzel geheiligter

Theil.

. Zweyter Dohn.

359

Der Edelmann hatte am Ende nichts

mehr übrig, als das Patronatrecht über meine

Pfarre.

Er verkaufte es meinem Vater für fünf

hundert Thaler, und ging in die weite Welt,

wie man glaubt, nach Frankreich; ob er noch lebt, weiß man nicht.

Man kann sich vorsicl-

len, daß der neue Pfarrpatron diese Stelle nie­

mand anders zugcdacht hatte, als seinem einzigen lieben Heinrich, der damals auf der Schule

zu P... siudicrte, oder eigentlich seine Zeit

hinbrachte.

So viel weiß ich noch, daß ich zu

den Büchern gar nicht Lust hatte, und von jedem Monat wenigstens zehn Tage zu Hause zubrachte.

Hier trieb ich mich in der Oekonomie herum, und

fand an Pferden, Fohlen, Ziegen und Truthüh­ nern weit mehr Vergnügen als Grammatik.

an Langen-

.Endlich mußt' ich denn doch die

Universität Halle beziehen.

Hier hielt ich mir

ein eignes Reitpferd, und frequentierte mehr die

öffentlichen Häuser von Passcndorf, Schlettau, Reudeburg, Lauchstädt u. s. w. als die Collegia

Theologica, hatte auch einen großen Hühner­

hund, und ging fleißig auf die Zagd.

Dee Pästvr in Kartoffelfeld.

z6o

„So lebte ich als Mufenfohn zwey Zahre

herrlich und in Freuden.

Nach Verlauf dersel­

ben hielt ich mich im väterlichen Hause und auf dem väterlichen Hofe, mitunter in den Ställen und Scheuern so lange auf, bis mein Vorgän­ ger, der steinalte Pastor Lempe, oder wie er

sich lieber schrieb, Lempelius, starb.

Und nun

wurde der Herr Sohn ohne Umstände zur Pfarre präsentiert.

„Zm Examen wurde ich freylich zwey Mal abgewiesen, guten Freunden verdanke ichs, daß

ich das dritte Mal bestand.

Meine Probepre­

digt fiel nicht zum Besten aus; Männer und Weiber protestierten unter vielem Lärm gegen den

Kandidaten, der nur gelesen aber nicht gepredigt

hatte, gelesen.

und zwar ängstlich und unverständlich Da sich aber gegen mein Leben und

Wandel weiter nichts «inwenden ließ, als daß

ich Pferde und Hunde mehr geliebt hatte, als die theologischen Musen; so wurden keine Kompli­ mente gemacht, und trotz allem Unwillen b£t

Dauern und Bäuerinnen wurde ich eingeführt.

„So ward ich vor neunzehn Zähren was ich heute noch bin.

Gott weiß aber wie herzlich

Zweyter Theil.

z6i

sauer mir in dieser Zeit mein Amt geworden ist, und heute noch wird. Sie predigen doch gewiß kommenden Sonntag? Zst ein Wort? " „ Ganz gewiß. Haben der Herr Prediger keinen Sohn, dem Sie diese schöne Stelle hin­ terlassen könnten?" „Leider nicht, so sehr ich ihn wünschte. Zch habe aber ein anderes Projekt." „Haben Sie auch keine Tochter?" „Ja, eine einzige. Sie ist in Pension." Unter diesen und andern Gesprächen ver­ schwanden einige Stunden, und beide kamen nach Beschauung der Aecker vergnügt im Pfarr­ hause wieder an, wo die Frau Pastorin ein schö­ nes Abendessen bereitet hatte.

Ernst hielt seine zweyte Predigt mit noch grißerm Beyfall als die erste, und mußte ver­ sprechen auch noch die dritte zu halten, weil.ihn nicht nur sein Wirth, sondern der Schulze im Namen der Gemeinde darum bat. An eben diesem Sonntage erschien Hedwig, die Tochter des Herrn Pastor Hein, bey ihren

z6r

DerPastor in Kartoffelfeld.

Aeltern zum Besuch.

Sie, das einzige Kind

des begüterten Vaters, genoß der besten, wenig­ stens der kostbarsten Erziehung, die nicht jeder Landgeistkiche seinen Kindern zu geben vermag.

Zn allen schönen das weibliche Geschlecht zieren­ den Künsten hatte sie Unterricht, und faßte ihn

vortrefflich.

Sie spielte fertig das Klavier, und

sang mit vieler Empfindung, sie tanzte, stickte

lind zeichnete vortrefflich.

Sie las am liebsten

einen Roman mit Geschmack, schrieb einen schö­

nen Brief, und wußte recht artig, fein und wihig zü unterhalten.

Kurz sie war ein gebil­

detes Frauenzimmer, und übcrdieß äußerst schön und reihend von Wuchs und Gestalt.

Zeder

Züngling fühlte sich in ihrer Nähe glücklich und bezaubert.

Kein Wunder, wenn diese blühende

sechzehnjährige oder siebzehnjährige Schöne auch auf unsern ehrlichen Kandidaten einigen Eindruck machte, und er in ihrer Nähe nicht ganz kalt

blieb.

Sie gefiel ihm, ja sie reihte ihn, nur

Eins hatte seinen Beyfall nicht.

Der Blick

ihres Auges war ihm nicht hold, nicht sanft,

nicht bescheiden, genug, sondern kam ihm ein

wenig zu frey und eroberungssüchtig vor.

Zweyter

Theil.

363

Indessen war die Schöne mit der Haupt­

grund, warum er sich erbitten ließ einen ganzen

Monat und drüber bey Herrn Hein zu bleiben, und in dieser Zeit, wie sich schon halb und halb

versteht, jedesmal für ihn zu predigen.

Bald

war eS auch als gehörte er ganz zur Familie,

und es entstand unvermerkt zwischen ihm und der schönen Hedwig diejenige Art von Liebe, welche

man die platonische zu nennen pflegt; eine Liebe,

wo sich nur die Seelen genießen; wenigstens war es bey dem Kandidaten, wie wir auf Treue und Glauben versichern können, diese Seelen­

liebe allein, was er für die schöne Hedwig empfand.

Sie waren fast immer bey einander,

fast immer in scherzhaften und witzigen Gesprä­ chen begriffen.

Hedwig ward ganz zutraulich.

Niemand war über diese übersinnliche Liebe, wo­ bey aber doch wohl zuweilen ein geistiger sittsa­

mer Kuß gegeben wurde, vergnügter, als Hed­ wigs Aeltern, und vorzüglich die Mutter; wie

sich denn manche Mütter über die anhebenden Liebesgeschichten

ihrer Töchter

herzlich freuen

sollen; ob sie ganz recht daran thun,'wollen wir

nicht untersuchen.

Am Tische mußte Hedwig

364

Der Pastor in Kartoffelfeld.

jederzeit ihren Platz neben Ernst haben; sie sprach ihn aufgeräumt, und schenkte ihm den Wein ein. Auf Spaziergängen hing sie zärtlich an seinem Arm. Eigentlich hätte sie wieder abreisen sollen, aber auf ihre, vielleicht auch auf des Kandidaten Bitte, erhielt sie bald Erlaub­ niß einige Sommermonate zu Hause zu bleiben. Ernst ward bey dieser geistigen Liebe ganz verjüngt. Er vergaß sein ganzes Mißgeschick, ja er vergaß fast seine geliebte Louise, welche das ehrlichste Herz, aber nicht ganz den feinen Witz und die Aufgewecktheit der schönen Hedwig hatte. Stundenlang saß er bey ihr am Nähe­ rahmen, sah ihren Zeichnungen und Stickereyen zu, und stundenlang wurde über Kleinigkeiten gesprochen und gescherzt. Manchmal war das Gespräch auch ernsthaft, besonders wenn Ernst auf seine Pfarrgeschichten kam. Hedwig bedauerte ihn, nahm an seinen Schicksalen den sichtbarsten Antheil, und tröstete ihn mit den schönsten Hoff­ nungen. Einst fragte sie ihn in einer vertraulichen Stunde, von welchen Aeltern er entsprossen sey, ob, und welche Verivandte er habe, u. f. w.

„Das ist eine Frage, versetzte Ernst, di« mir schon oft ist vorgelegt worden, die ich aber nie beantworten konnte, und wer weiß, ob ich sie je werde beantworten können. Aeltern habe ich gewiß gehabt, sonst wäre ich nicht da, aber gesehen uud gekannt hab' ich sie nie. Mein Vater soll ein Gärtner gewesen und früh gestor­ ben seyn; meine Mutter noch früher." „Wie sind Sie aber als Waise durch die Welt gekommen?" „Recht gut; wie und wodurch aber, weiß ich selbst nicht. Zch bin auf einer öffentlichen Anstalt sehr anständig erzogen worden. Einer meiner Lehrer besorgte Kleidung, Bücher, und was ich nöthig hatte, ohne mir zu sagen, woher er das Geld dazu bekam. Auf der Universität bekam ich meinen vierteljährigen Wechsel ganz richtig; wer ihn aber schickte, weiß ich nicht. Er war jederzeit mit einem lehrreichen Ermahnungöbriefe begleitet, aber ohne Namen. Zn de» ersten fünf und zwanzig Zähren meines Lebens ging alles gut Aber jetzt ist «ine trau­ rige Windstille. Mein Glücksfchiff kann keinen ^>afen erreichen, und wenn ich einen vor mir

g66

Der Pastor in Kartoffelfeld.

sehe, erheben sich plötzlich Stürme, treiben er zurück, und geben es den Wellen Preis." Bald hätte ihm Hedwig auch die delikate Frage vorgelegt: Ob er schon eine Geliebte habe? sie besann sich aber. Frau Pastorin Hein gerieth in dieser Zeit auf den Gedanken, einige ihrer Zimmer neu mahlen zu lassen, weil eben eine neue Mode aufgekommen war. Diese Hausreform, welche .wohl noch halte aufgcschoben werden können, verursachte eine Versetzung der Schränke, Tische, Stühle, upd unter andern auch der Gastbetten. Ernst, der bisher in einer Kammer hinter der Visitenstube geschlafen hatte, bekam sein Nacht­ quartier, weils nicht zu ändern war, in der Kammer hinter dem Zimmer wo Hedwig schlief. Hedwig war gewohnt früh zu Bette zu gehen, und Pastor Hein, ihr Vater, pflegte gern mit seinen Gästen bis. tief in die Nacht hinein zu plaudern und zu discurieren. Unser ehrliche Kan­ didat gerieth daher in eine nie erlebte Lage, die ihm halb wonniglich, halb schauerlich war. Er mußte jeden Abend das Zimmer der schönen oft schlafenden, oft auch wachenden Hedwig passieren,

Zweyter

Theil.

367

rott deren Bettstelle, bey gegenwärtigen Unruhen

im -Hause, da alles verbessert, gemahlt und

gewaschen wurde, auch die Umhänge abgenom­ men waren.

Die erste Zeit zog er sich die

Schlafmütze tief über die Augen, nahm seine Pantoffeln unter den Arm, und schlüpfte schnell und leise durch das Zimmer, und war froh, wenn der kritische Augenblick vorüber, und er in seiner

Kammer angckommen war.

Unruhig aber schlief

er, wenn seine nur durch eine unverschlossene

Thür von ihm geschiedene schöne Nachbarin sich im Dette regte, oder zuweilen zu husten anfing.

Oft gerieth sein ganzes negatives Ich in Empö­ rung und Aufruhr.

Zn seiner Brust glimmte

ein Feuer, das jeden Augenblick Flamme zu fas­ sen drohte, und nur mit Mühe gedämpft wer­ den konnte, aber immer noch gedampft wurde.

Pastor Hein, ein Liebhaber von Scherz, besonders wenn er das schöne Geschlecht betraf,

und der is, ich weiß nicht wie, erfahren hatte,

daß Ernst jedes Mal mit der Schlafmütze vor

den Augen, pfeilschnell seinen Gang that, de» mancher süße junge Herr ganz langsam gethan habey würde, unterließ nicht über seinen Gast

»68

Der Pastor in Kartoffelfeld.

zu spötteln, und ihn mit feiner übertriebenen Behutsamkeit und Schüchternheit freundschaftlich

jum Besten zu haben.

Fast jedes Mal über

Tische mußte die keusche Nachtmütze hcrhalten.

„ Sonderbarer Mann!

sagte er.

Können

Sie denn.kein schlafendes Mädchen sehen? Zm Schlaf sind ja die Mädchen gerade am schönsten. Zch, als junger Mensch, war so einfältig nicht.

Hübsch dreist.

Ein Kuß auf einen schlafenden

Mund schmeckt wie Ambrosia." Auf eine ähnliche Art sprach Frau Pastorin. Manchmal war sie noch muthwilliger als der

Herr Gemahl.

„Line Nachtmütze, sagte sie

einst, trägt die andere."

Auch Hedwig scherzte zuweilen, versteht sich, jüngferlich.

Sie nannte sich ein Gespenst, und

sprach von Aberglauben.

Der Schäkereyen müde, beschloß der Kan­

didat, künftig die Nachtmütze vor den Augen wegzulassen, und Herz zu fassen. Einst disputierte Herr Hein mit seinem Gast

des Abends länger als gewöhnlich.

Aeußerst

aufgeräumt, weil Ernst bereits die vierte Pre­ digt übernahm, siel es ihm ein, noch eine Flasche

Rhein-

Zweyter Theil.

369

Rheinwein au< dem Keller holen zu lassen. Ewurde gesprochen, gescherzt, gelacht, bis in die tieft Nacht. Nun hatte Ernst endlich die Dreistigkeit, die dazu gehörte, mit natürlich offnen Augen durch das Schlafzimmer eines siebzehnjährigen Mäd­ chens zu gehen. Er ging auch dieses Mal lang­ sam, und warf einen neugierigen Blick auf das weiße Bette. Noch weißer als das Dette, weiß wie Lilien, fiel ihm der gewölbte, sich sanft hebende und sen­ kende Dusen bet schlafenden Schönen ins Auge, ohne Schleier ganz ins Auge. Leise trat er mit dem Licht heran, und stand da, wie versteinert und verstärkt, konnte sich aber nicht satt sehen. Heiß ward sein Dlut als wollt' es kochen. End­ lich ............. gerieth er aitf die Desorgniß, die holde sanft schlafende Venus möchte sich erkälten, griff nach dem nächsten leichten Tuch, deckte bescheiden aber zitternd alle Schönheit zu, und — schlich sich davon. Ob er diese Nacht geschlafen oder nicht ge­ schlafen habe, wird der Leser selbst bestimmen; so viel können wir sagen, daß er am folgenden

Der Pastor in Kartoffelfeld.

570

Morgen sehr trübe und düster aüssah, und über

Kopfschmerjen klagte.

Ze öfter Ernst hier den geistlichen Redner­ stuhl betrat, desto höher stieg sein Beyfall, desto zaghafter aber ward zugleich der gute Pastor

Hein.

Einstmals verlor er an heiliger Statte

schnell alle Besinnungskraft, weil er im Heft eine

Seite überschlagen hatte, begann zu zittern und zu stottern, und mußte seine Zuflucht zum Vater

unser nehmen. Dieser traurige Vorfall erregte allgemeines

Aufsehen, und bey Vernünftigen Mitleid.

Man

trug sich mit der Sage, er habe die Predigtkunst nun völlig verlernt, und werde einen Gehülfen bekommen;

und dieser müsse kein anderer seyn

als Kandidat "Ernst.

Die Gemeinde werde ihn

sich ausbitten.

Dieß mag die Veranlassung seyn, daß Ernst

auf seinem Tische kurz darauf folgenden Brief fand, neben welchem noch ein zweyter lag, der

dein Zeichen nach mit der Post angekommen war.

Zweyter Theil.

371

Erster Brief.

Geschätzter Freund!

Manche Dinge sind von der Art, daß man darüber lieber schreibt als spricht. Sie kennen meine Kanzelleiden, und ich habe Zhnen kein Geheimniß daraus gemacht. Alle Mittel dage­ gen sind fruchtlos, und werden eS auch wohl bleiben; das hat der letzte Sonntag bewiesen, den ich Zeitlebens nicht vergessen werde. 0 welch ein warnende- Beyspiel bin ich für Aeltern, welche ihre Kinder eigensinnig zu einem gewissen Stand« bestimmen, ja ich möchte sagen, ver­ dammen ehe sie ihre Fähigkeiten hinlänglich geprüst haben. Unmöglich kann ich bleiben wer ich bin; denn was nütze ich? was kann ich nützen? Genau betrachtet, mag ich durch meine stümperh^flen Vorträge der guten Sache der Religion mehr schaden als beförderlich seyn. Gotp Lob! daß ich Vermögen genug „erbte und erwarb, und km Stande bin, auch ohne Amt zu leben. 2ch biete Ihnen hiermit meine ganze Stelle an. Niemand kann dagegen protestieren,, weil

372

Der Pastor in Kartoffelfeld.

ich mein eigener Patron bin, und mich ein - und absetzen kann. Aber . . . welches Aber werden Sie sagen — doch Sie rathen es und können es rathen — aber ich bin nicht allein Patron, sondern wie Sie wissen, auch Vater einer mir werthen Tochter, meiner lieben Hedwige Nehmen Sie gütigst die Pfarre vom Patron, und das Mädchen aus der Hand des Vaters an. Nur der Neid kann «S mir verargen, wenn ich auf ihre Versorgung bey dieser günstigen Gele­ genheit bedacht bin, welche vielleicht die einzige in ihrer Art ist. Meine Tochter schätzt und liebt Sie, und meine Gattin wünscht nichts so sehr, als Zhr j a. Ich überlasse Ihnen alsdann sogleich die ganze Stelle mit der ganzen, wie sie sehen, wohl eingerichteten Wirthschaft, und verlang? für alle« nicht einen Heller, bleibe etwa noch ein Viertel­ jahr bey Ihnen, und ziehe alsdann in die Stadt. Ich weiß wie Sie das neidische Schicksal geäfft hat. Lehmen Sie meinen Antrag an, so kann es Sie nicht weiter verfolgen. Alle Stürme haben.ein Ende.

Zweyter Theil.

373

Ich verlange keinen übereilten schleunigen Entschluß, sondern gebe Ihnen volle vierzehn Tage Frist. Ueberlegen Sie rtiflich, und wenn Sie Freunde haben, ziehen Sie .auch diese zn Rathe. Wir sprechen mit einander kein Wort hier­ über. Nur Ihre schriftliche Antwort wird ent­ scheiden, ob Sie entschlossen sind glücklich zu werden oder nicht. Sie predigen wohl noch-ein­ mal für Ihren aufrichtigen Freund G. Hein.

Zweyter. Brief. Theuerster Ernst.

Kennen Sie den Kanonikus * * *? Ich zweifele, und will Ihnen also ein treues Dildniß von ihm fn Lebensgröße entwerfen. Seine Beine sind zwar etwas krumm, aber doch sehr dünne und zierlich gebogen; der Leib, den sie tragen , ist desto völliger, und ein augenscheinli­ cher Beweis, daß der Eigenthümer desselben iin

374

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Kapitalist ist,

der das große Geschäft,

die

Bedürfnisse der Natur zu befriedigen, treulich vollbringet mitHintenänsetzung aller übrigen Zeit­

lichen Dinge.

DaS Metall seiner Stimme hat

sich in Kupfer verwandelt, und von seiner Nase

Besitz genommen; unterdessen einige Silberlinge aus seinem Dart und von feinem Haupte glänzen.

Dieser stattliche Mann will sich adeln lassen,.

und, denken Sie, er will mich zur gnädigen Frau machen.

Eine gnädige Frau, da» wäre nicht übel! Aber an der Seite eines beynahe abgelebten

Mannes?

Weg damit!

Die Tante räth mir

zwar eifrig zu; eine kluge Frau, sagt sie, weiß

sich schadlos zu halten.

Was das heißen soll,

weiß ich nicht, und mag es nicht wissen, da ich nun einmal Frau Ernst oder gar keine Frau wer­

den will.

Aus allem diesen ersehen Sie, Laß ich Ihnen

'kein großes Opfer gebracht habe.

Ein anderer

Vorfall war etwas bedenklicher. Ein junger reicher Mann meldete sich folgen­ der Gestalt.

Zch weiß, sagte er, daß Mamsell

Herrmann in einem zärtlichen Verhältniß mit

Z w « y r e r Theil.

375

dem Herm Kandidaten Ernst gestanden hat; da diesem aber die Pfarrstelle in Quebeck fehlge­ schlagen, und er (darüber verrückt geworden) in die weite Welt gegangen ist; (dem Himmel sey Dank daß Zhr Brief mich anders belehrt hatte) so wag' ich es um ihre Hand zu bitten. ES heißt, sprach er zu meinem Vater, daß wann die Pachtjahre verflossen sind, das Gut verkauft werden soll. Bin ich so glücklich, daß meine. Ditte angenommen wird, so kauf' ich es, und Sie bleiben dann bey mir auf dem Gute. Der Gedanke zur Ruhe meiner guten Aeltern etwas beyzutragen, und sie. in ihrem späten Alter verpflegen zu können, der Gedanke hatte etwas sehr süßes für mich. Es versteht sich daß ich demungeachtet auch diesen Antrag abgewiesen habe. Alles was ich mir dafür von Ihnen aus­ bitte, ist: Seyn Sie nicht über die Gebühr ängstlich und gewissenhaft, wenn Sie ein Amt erhalten können. Ewig treu

Ihre Sie innig liebende Louise.

376

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Ernst stand wie Herkules am Scheidewege.

Dort winkte ihm die schöne Hedwig mit der vortrefflichen Pfarre;

^ier stand bescheiden die

freundliche Louise mit ihrer Liebe und Treue. Zhm war dabey zu Muthe wie — einem M e ri­ schen.

Anfänglich wurde er hin und her gezo­

gen ; endlich siegte seine veredelte Natur; er blieb

bey Louisen.

Nachdem der innere Kampf vor­

über war, mußte sein Betragen eine andere Ge­ stalt annehmen.

Er war zerstreut und kalt. Um

aus der Verlegenheit zu kommen klagte er über

dieses und jenes, und sprach von einer Kur.

„Ey was, sagte Pastor Hein, werfen Sie Ihr Geld nicht für Pillen und Tropfen weg;

wir verreisen auf ein paar Tage,

besser seyn.

das wird

Wir wollen den Pastor Hoffmann

besuchen."

Gleich wurde auch angespannt,

und ein

moderner mit zwey wüthigen schwarzen Kutsch­

pferden bespannter Wagen

rollte an

vor der

Thür des Hauses; Kutscher und Diener zeigten sich in tittft neuen blauen Livree mit schwar­

zem Kragen, und als jeder seinen Platz ein­ genommen

hatte,

Ernst

den

seinigen

neben

Zweyte r

Theil. '

377

Hedwig, gings raschen Trabes zum Dorfe hinaus.

„ Wie gefällt Ihnen, fragte Pastor Hein, Meine Equipage?" „ Kein Edelmann hat sie besser, versetzt«

Ernst.

Pferde und Wagen haben meinen voll­

kommenen Beyfall."

„Gott Lob! das kann man bey der-hiesigen Stelle haben.

Sie ist so gut als drey andere."

„Als vier andere," setzte Frau Pastorin

Heln hinzu. Pastor Hoffmann empfing die Gesellschaft

mit großem Vergnügen, und ließ es an NichtS mangeln.

Alle waren fröhlich bey Tische, wo

er jeden zu unterhalten und aufzuheitern wußte. Als ein bekannter Freund des schönen Geschlechts machte er sich vorzüglich mit den Damen, und

besonders mit Hedwig zu thun,

der er neben

Ernst ihren Platz angewiesen hatte.

Als man nach Tische im Garten den Kaffee

einnahm, ließ sich noch ein Fremder melden, der

378

Drr Pastor in Kartoffelfeld.

eben'zu Pferde angekommen, aber nicht sonder­ lich angenehm war.

Herr Hoffmann schüttelte

mit dem Kopf, als ihm der Bediente den Namen desselben ins Ohr raunte.

Es war der alte rei­

tende Hoffiskal Zsebart, der ehe er sich ein­ mal melden ließ, den Kymmisfions - Schimmel schon in den Stall gezogen hatte, und sich sogleich

bey der Gesellschaft mit vieler Zudringlichkeit

einfand.

Er hatte Geschäfte in der Schenke

gehabt, und den Bauern in einer Klage gegen ihre Obrigkeit einigen guten Nath ertheilt.

Gleich umarmte er unsern Ernst, und seine erste Frage war: „Ob er denn noch keine Pfarre

habe?" Cr zog ihn bey Seite, ging mit ihm allein spazieren, sehr zutraulich und theilneh-

mend, und that dem Kandidaten einen Vorschlag nach dem andern.

„Zch muß Ihnen, sagte er,

eine Pfarre verschaffen, sie mag Herkommen wo

sie will; ich weiß daß Sie Bräutigam sind von. meiner lieben Mamsell Louise.

Vor einigen

Tagen hab' ich den Amtmann Herrmann besucht und bey ihm gegessen; wir waren recht ver­

gnügt,

Ich kann Ihnen viel erzählen — Ich

tveiß alles —"

Zweyter

T h r i l.

379

Gleich begann Ernst nach dem ganzen ihm so werthen Hause sich umständlich zu erkundigen.

Fragte nach allen Kleinigkeiten- und sogar Loui­

sens Schoßhündchen wurde nicht vergessen. Der aufmerksame Zsebart witterte irgend.ei«

Verhältniß besonderer Art zwischen Ernst, und der Heinischen Familie, ans dein Betragen der­

selben gegen einander, und war schlau genug

durch einige Fragen dem ehrlichen Kandidaten alles abzulocken, was er wissen wollte.

Endlich

fing er an die Schönheit der Demoiselle Hedwig

zu loben, wobey er Ernsten scharf ins Gesicht sah. „Schade, setzte er hinzu, daß Sie schon ver­ plempert sind."

immer beherzter.

Ernstens Schweigen machte ihn „Wissen Sie was, fuhr er

fort, ich bin ein ehrlicher Mann und Zhr Freund,

ich zeige Zhnen den Weg zu Zhrem Glück." „Welchen Weg?" fragte Ernst.

>

„Sie müssen von dem Grundsatz ausgehen: Zeder ist ihm selbst der nächste.

Und

was wird daraus anders folgen, als daß Sie Sich so bald als möglich glücklich zu machen

suchen, und also nicht Louise Herrmann,

sondern Hedwig Hein heirathen?"

Der Pastor kn Kartoffelfeld.

38o

Ernst mit r«n Achseln julkend. „Unmöglich sann

Ich mein heilig gegebenes Wort zurück nehmen.

Ich liebe Louisen zu sehr, und sie verdient es." „Doch wohl nicht mehr als sich selbst? Wie

haben Sie das Wort gegeben? Zst ein gericht­

liches Instrument, eine Ehestiftung, ausgenom­

men ? " „Nein, das nicht."

„ Was wollen Sie mehr? Kein Richter kann Sie zwingen, Louise Herrmann zu heirathen,wettn Sie nicht wollen.

Junge Herren verspre­

chen oft viel, das nicht gehalten wird.

Das ist

der Weltlauf.

Man muß hart und sich selbst der

nächste seyn.

DaS Mädchen bekoinmt doch noch

einen Mann ohne Sie.

Schreiben Sie ihr, daß

Gie als ein ehrlicher Mann Ihr gegebenes Wort zurück nehmen müßten."

„Was?

als ein ehrlicher Mann?

mein

Wort zurück nehmen?" „Ja, als ehrlicher Mann.

Sind Sie denn

rin Betrüger, wenn Sie endlich Ihr Glück zu machen suchen? Das ist ja der Selbstliebe ganz

gemäß.

Die erste Pflicht ist wohl die, daß ich

mich selbst nicht betrüge, und das würden Sie

ja offenbar thun, wenn Sie die schöne Pfarre mit dem schönen reichen Mädchen so von der Hand wiesen. Solche Gelegenheit kommt nicht wieder. Kein Mensch wird Ihnen das verden­ ken, Louise Herrmann und ihre Aeltern selbst nicht. Bedenken Sie doch das große Glück. Stirbt einst Pastor Hein, so sind Sie auf ein­ mal ein reicher Mann, und Geld bleibt immer das fünfte Clement." „Meine Louise, meine mehr als zehnjäh­ rige Geliebte, wie wäre es möglich dich zu ver­ gessen! Dich, mein zweytes Ich!" „Ich fthk wohl, Ihnen ist ein Vormund nöthig, und. ich will es seyn, wenn Sie einige Pistolen nicht achten. Hören Sie meinen Vor­ schlag. Ich reise nach Rosenhain und mache der. Pauk« ein Loch. Es wird mir leicht seyn den alten Herrmann und seine. Tochter so weit zu bringen, daß sie nicht böse werden noch weniger einen Proceß erheben, wenn Sie..." „Ich zweifle." „Ich nicht. Ich schlage gleich andere bessere; Partien vor, und Sie nehmen es dann , nicht übel, wenn ich ein wenig.auf. Sie schelte und

Der Pastor in Kartoffelfeld.

381

lästere, Zhre Gesündheit verdächtig mache, und

was dergleichen mehr ist.

Ich wette in zwey

Stunden ist die Sache gemacht.". „Unmöglich kann ich diesen Vorschlag billi­

Zeitlebens würde ich nicht ruhig, das böse

gen.

Gewissen würde mich auf jedem Schritte ver­ folgen —"

„ Mit Ihrer Theologie müssen Sie mir vom Leibe bleiben — wenn von- juristischen- Sachen

die Rede ist.

Thtologie und Jurisprudenz stim­

men in den meisten Fällen, besonders wenn sie

etwas intrikat sind,

wie Feuer und

Wasser.

Was die eine gut macht, verdirbt insgemein die

andere.

Noch ein anderer Vorschlag.

Gut, Sie

sollen Louisen getreu bleiben, und bald so glück­

lich seyn. Sie zu besitzen.

Nur folgen Sie

Ihrem Vormund." „Zwey Frauen darf und kann ich ja doch

nicht nehmen."

„Sollen Sie auch nicht.

Versprechen Sie

der Hedwig Hein die Ehe, aber äußerst vorstch-

tig.

Setzen Sie alles auf Schrauben.

das will ich Ihnen schon sagens

Wie?

Dann lassen

Sie sich in Gottes Namen die Pfarre geben.

Zrvtpter Theis.

683

und zigern von Zeit zu Zeit mit Erfüllung. ZhreS

Versprechens.

Unterdessen will ich schon wir»

ken — dann will ich in des alten Herrmann-

Namen eine Klage gegen Sie erheben, und Sie sollen scheinbar gezwungen werden Ihr Verspre­

chen zu halten.

Hedwig ist reich, und ein Mann,

wird ihr nicht entgehen.

Unglücklich wird sie

dadurch nicht." „ Da- wäre ja doch offenbar ein schändlicher Streich.

Was würde das Dorf, was würde die

Welt dazu sagen?"

„Diele würden Sie Ihrer Klugheit wegen loben, und die übrigen Gerüchte würden nach einigen Wochen einschlafen.

Zch kann Ihnen

viele Exempel dieser Art erzählen.

Der Pastor

M .. zu N .. hats gerade so gemacht, und die

Sache ist vergessen.

Man spricht allenfalls nur

davon, wo man sonst nichts zu sprechen weiß. Nur Entschließung gehört dazu, und die theolo­

gische ängstliche Moral muß hier nicht mitspre« chcn.

Zeder ist sich selbst der nächste.

Sie meinem Nath.

Folgen

Zch bin Zhr Vormund.

Solcher^ Pfarren -iebts nicht viel."

384

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„Ich Wills überlegen," sagte Ernst in der Zerstreuung, und war froh daß er seiner los ward. Es fügte sich, daß er, weil Mangel an Raum war> mit diesem Manne in einer Kam­ mer schlafen mußte. Dieser benutzte diese Gele­ genheit, ihm die halbe Nacht zuzureden, einen von seinen beiden Vorschlägen anzunehmen, wor­ auf Ernst aber nicht weiter antwortete, als, „ ich werde mein Gewissen zu Rathe ziehen." „Von gutem Gewissen lebt keiner, sagte der Hoffiskal, und im Grunde ists Gewissen ja nur eine Schimäre. Wenn man ein Wagestück zu machen genöthigt ist, muß man sich bemühen alles zu vergessen; dann wird das Gewissen nicht beißen können. Lassen Sie Sich nur die gute Pfarre geben, und dann denken. Sie weiter nicht an die Art, wie sie dieselbe bekomPen haben, so ist die Eewissensplage gehoben. So mach' ichs. Wenn ich nur habe was.ich haben will, bin ich vergnügt, Quisque sibi proximus." Als der, Hoffiskal, um sich auszukleiden, Abends seinen. Mantelsack aufschnürte, entstand plötz-

Zweyter Theil.

385

plötzlich ein häßlicher Gestank. Es kam ein Dutzend alter Käse pim Vorschein, die er mit einer aufgesetzten Bittschrift verdient haben mochte. Ernst hat diese Nacht nie vergessen können, und pflegte zu sagen: „ Der Gestank der Zsebartschen Moral sey ärger gewesen als der Gestank der alten Käse." Demungeachtet hatten die Reden des Herrn Hoffiskals doch einige schwache Eindrücke in Ernsten« Seele zurückgelassen.

Nach einigen vergnügten Tagen empfahl sich Pastor Hein seinem Freunde, und die Gesell, schäft fuhr zurück. Ernst that sich, wider seine Art, einigen Zwang an, und spielte auf der Rückreise eine recht frohe und lustige Rolle. Nachher überließ er sich einsamen Betrach­ tungen über seinen kritischen Zustand, deren Resultat dieses war, „Louisen offenherzig zu schreiben, wie es mit ihm stehe, und sich ihren, wie auch ihrer Aeltern Nath auszubitten." Dieß war auch in der That das klügste, wozu er sich 1$

386

Der Pastor in Kartoffelfeld.

nach allen Spekulationen

entschließen

konnte.

Pastor HeinS Brief blieb daher noch unbeant­

wortet.

Gut wärs gewesen, wenn der ehrliche

Mann auch diesem aus seiner Liebe ju L o u i se n kein Geheimniß gemacht hätte; er war aber, was

diesen Punkt betraf, in diesem Hause- sehr ver­

schwiegen, weil es hier eine schöne Hedwig gab, deren Gunst er doch nicht ganz und gar, und

auf einmal verscherzen wollte, und die er durch solche Offenbarungen gleich zu verscherzen glaubte.

Klug wär- auch gewesen, wenn er sich an seinen bewährten Freund und Gönner, den Superinten­

denten, gewandt, und ihn um Nath gebeten

hätte..

Allein er that es nicht, ob aus Verges­

senheit oder aus andern Gründen, wissen wir Nicht;, so viel wissen wir aus anderweitigen eige­

nen Erfahrungen, daß der Mensch, in, Verle­ genheiten verwickelt, das nächste und sicherste

Hülfs r und Nettungsmittel insgemein nicht gleich

auffi.udet, und erst hinterdrein zu seinem Erstau­

nen bemerkt, was er sogleich hätte thun sollen und müssen.

Die Bürger von Abdepa fuhren

einst einen großen Eichbaum von einem steilen Berge unter großer Gefahr und mit vielen Kosten

Zweyter T h

l.

387

herab, und als sie im Thal matt und müde damit angekommen waren, fiel es ihnen erst ein, daß sie die Last auch hätten mit leichterer Mühe herab wälzen können. Die aufgeweckte schöne Hedwig gefiel un­ serm Kandidaten wieder etwas mehr, und fast war sein der treuen Louise so sehr ergebenes Herz von ihr erobert. Man nehme es ihm nicht übel, er konnte ja nicht dafür. Wer kann seiner Seele so strenge gebieten, daß ihr das Schönere nicht besser gefalle als das Schöne, besonders wenn wir das Schönere immer vor Augen, und das Schönt lange nlcht gesehen haben. Eins nur konnte und wollte ihm nicht an ihr gefallen. Sie verlegte ohn' Unterlaß die ihr anvertrauten Schlüssel, und veranlaßte ein allgemeines Suchen im Hause, und die eigentlichen wirthschaftlichen Kenntnisse und Geschäfte schienen ihr bey ihrer Belesenheit und weiblichen feinern Geschicklichkei­ ten nur geringfügige Dinge zu seyn. Einst als der Vater, da es schon läutete, zur Kirche gehen wollte, fehlte der Schlüssel zur Kommode, worin die Kragen lagen, und da er nirgends zu finden war — musste der Schulmeister lesen. Die ein-

388

Der P-stor in Kartoffelfeld.

zige Tochter bekam bey solchen Fehlern nur sanfte Verweise, und machte auf solche komisch - tragi­

sche Vorfälle in ihrem Leichtsinn kleine Gedichte. Louise war dagegen die Ordnung selbst, und bey allen ihren andern Geschicklichkeiten blieb ihr

Wirthschaft

und Häuslichkeit die Hauptsache.

Indessen glaubte Ernst, daß dieser Fehler nicht

zu den unverbesserlichen gehöre, und sich mit de» Jahren wohl verlieren werde. Mehr verlor Hedwig bey einer andern Gele­

genheit , bey einer großen Bauernhochzeit im Dorfe.

Der Sohn des reichen Schulzen ver­

mählte sich mit der Tochter des noch reichern Schöppen.

Der mit Tuch und Dändem ge­

schmückte Schullehrer invitierte im Namen des

verlobten Paares so lange, -bis sich auch Ernst entschließen mußte, dem dreytägigen Freudenfeste in Gesellschaft

der Heinschen Familie

beyzu­

wohnen. Als abgespeist und der Tanz mit der Braut

angesangen war, stellten sich unverhofft zwey junge ungebetene Gaste ein. Zwey allem Anschein nach relegierte Studenten, die im Wirthshause

von dem hochzeitlichen großen Feste gehört hat-

Zweyter

Theil.

389

tcn, mischten sich mit akademischer oder vielmehr renomistischer Dreistigkeit in die Gesellschaft; und thaten als wären sie die Hauptpersonen. Man sagt, daß der ausgelassene, dreiste, freche,

wagende Züngling mancher Schönen besser gefalle

als der zurückhaltende und bescheidene; und in der Regel die Schönen an den vorhergegangenen Ausschweifungen des männlichen Geschlechts kei­ nen so großen Anstoß zu nehmen pflegen, al-

wir an ihren Jugendsünden, und diese Sage mag wohl nicht ganz ungegründet seyn. Man sah es den jungen Herren an, daß sie der Venus Urania eben nicht gehuldigt hatten.

Ihr ganzes Wesen verrieth es, und besonders ihre Scherze mit den vollen Bauerdirnen, welche

mit Kränzen geschmückt da saßen, oder sich auf

dem engen Tanzplatz mit ihren Liebhabern her­ um tummelten. Hedwig, die bisher neben Ernsten saß, und ihre Hand in die seinige gelegt hatte, ent­ riß sie ihm plötzlich, und ward wie entzückt bey

dem Anblick der freyen Musensöhne, besonders des einen, der ziemlich groß war, eine Habichts­

nase hatte, und fleischfarbene Beinkleider trug.

390

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Zhr Blick begleitete ihn auf allen Schritten, als er sich unter die Tänzer mischte, und sich mit der­ jenigen Dorfschinen, die ihm am besten gefiel,

herumschwang.

Nie verlor sie ihn aus den

Augen, und schien ganz vergessen zu haben dasi

Ernst bey ihr saß und ihre Aeltern nahe waren. Ganz entzückt, sich selbst vergessend, rief sie einige Mal ziemlich laut: ,.Ach, wie schön der junge Man» tanzt I

Es

ist ein allerliebster

Mensch!"

Bald geschah was

sie

heimlich wünschte.

Eben dieser junge Herr forderte sie zum Tanz auf.

Mit sichtbarer Freude sprang sie auf, und

walzte mit ihm so leidenschaftlich und heftig,

daß ein Schwindel sie überraschte, und sie eben nicht in der sittsamsten Lage auf dem Tanzplatz

zu Boden fiel.

Zn ein Gespräch vertieft hatte

der Vater den feurigen Tanz seiner Tochter nicht bemerkt, und wie erschrak er, alö er die Scene

erblickte.

Gleich, nachdem sich ihr Schwindel

verloren hatte, ging er mit seiner Gesellschaft voll Verdrusses nach Haufe. Ernst führte zwar die erhitzte von Tanzluft noch begeisterte Hedwig, allein Liebe und Achtung

Zweyter

Theil.

391

für sie waren verschwunden, und arteten bald in

Kälte, ja Verachtung aus, als sie den Wunsch äußerte: „ daß doch die jungen Herren auch die

Pfarrx besuchen und nicht vorbeygehen möchten."

Der Brief an Louisen lag schon versiegelt da, allein nun verbrannte er ihn Abends vor Schla­

fengehen, und schlief etwa mit folgenden Gedan­ ken ein: „Nein, du sittsame bescheidene Louise, dir

gebührt der Preis.

Kaun sich Hedwig in jedes

glatte Mannsgesicht verlieben, und fängt ihr

Herz gleich Feuer in der Atmosphäre eines lusti­

gen Studenten, so ist sie nicht für mich.

Nein,

Louise, Louise! Du hast gesiegt!" Ein Besuch, den die Herren Studenten am

folgenden Morgen auf der Pfarre abstatteten, oder abstatten wollten, drückte Ernsts Entschluß

das Siegel auf. Hedwig sah sie zuerst durchs Fenster ankom­

men, als sie eben in einem Roman las.

Der

vorhergegangenen väterlichen Verweise ungeach­

tet, rief sie entzückt: „Ach, die Studenten! sie kommen! sie kommen!" warf schnell da« Buch aus der Hand, eilte in ihr Zimmer, zog in der

zyr

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Verwirrung ihr gestriges seidnes Kleid an, sucht«

die schimmernden Tanzschuhe hervor, fragte den

Spiegel, ob sie nun schön genug sey, und begab sich mit funkelnd - gaffenden Augen in die Gesell^

schäft zurück.

Doch war ihre Freude nur kurz,

und verwandelte sich in heimlichen Aerger, al­

ber klügere Vater den schönen liebliche!» Herren sehr kalt begegnete, und so bald sie sich, um

etwas zu sprechen, nach dem weitern Weg ihrer fortzusetzenden Reise

erkundigten,

gleich dem

Bedienten anbefohl, ihnen den Weg zu zeigen. Sie empfahlen sich

also

bald wieder.

Voll

Unmuth zog Hedwig ihr neues Kleid wieder aus, und schleuderte die schönen blitzenden Schuhe im

weiblichen Grimm weit unter das Dette hin.

An Strafpredigten liest es der Vater nicht fehlen, die Mutter aber nahm sie einigermaßen

in Schutz, und entschuldigte das Geschehene mit

jugendlicher Leichtsinnigkeit. wohl daß

eine

„Es koürmt ja

wohlgewachsene

einem jungen Mädchen gefällt.

Mannsperson Sie ist kaum

siebzehn Zahre alt, und nicht wie die Häuser,

von Holz und Stein.

Zweyter

Theil.

393

Nun erst beantwortete Ernst den Brief des

Pastor Hein.

Bester

Herr

Prediger!

Eine Ehrlichkeit ist der andern werth.

Zhr

Entschluß mir Ihre einzige Tochter zu schenken, und mich Verlassenen auf einmal glücklich zu machen, verdient Zeitlebens meinen verbindlich­

sten Dank.

Allein in Hoffnung besitze ich schon

was Sie mir gütigst schenken wollen.

Seit

einigen Jahren bin ich der Verlobte eines braven

wirklich mir treuen und durch Prüfung bewähr­ ten Mädchens.

Es ist Louise Herrmann

zu Rosenhain, die ich zu erziehen einst das Glück hatte.

Ich kann nicht läugnen, Ihr Brief hat

mein Herz in eine gepreßte Lage gesetzt.

Lange

haben zwey Neigungen in mir gekämpft; seit gestern ist er überstanden der saure Kampf.

Ich

kann nicht anders, ich muß einem Mädchen getreu

bleiben, das meinetwegen schon Aufopferungen gemacht Und gelitten hat, sollte auch erst nach zehn Jahren der glückliche Zeitpunkt eintreten,

sie ganz zu besitzen.

Der Pastor in Kartoffelfeld.

394

Dank aber Ihnen, bester Mann, eben so

sehr für das Gute das Sie mir erzeigen woll­ ten, als für das was Sie mir bisher erzeigt haben.

Dank für alle Güte und Freundschaft

die ich irrender geistlicher Ritter wochenlang in

Ihrem Hause genoß. Steht bey Ihnen der Entschluß fest, Ihr Amt einem Andern zu übertragen;

so wird

Ihrer schönen einzigen Tochter gewiß der Mann

nicht fehlen, der mich an Jugend, Geist und ^körper weit übertrifft.

Sie erlauben daß ich

morgen abreise, wohin? das weiß Gott. Beklom­ menheit hindert mich länger zu bleiben.

Bleiben

Sie gewogen

Ihrem Freunde und Diener Fr. Ernst.

Nicht ohne Wehmuth empfahl sich Ernst dem Hause, worin er so manche frohe und vergnügte

Stunde genossen hatte.

Hedwig blickte ihm

mit nassem Auge lange nach, wunderte sich über

die so schnell erfolgte Abreise, und fragte ganz traulich ihre Mutter:

Zweyter Theil.

395

„Er ist doch wohl nicht darüber böse gewor­ den, daß ich gegen die Studenten, weil sie so hübsch aussahen, ein Dißchen freundlich war. Das ist ja doch keine Sünde?" „ Mannspersonen find eigen, antwortete diese, ich wünschte, daß du auf der Hochzeit nicht so rasend getanzt hättest. Zch zitterte an Händen und Füßen, als ich dich fallen sah." „Und ich wünschte, setzte der Vater hinzu, daß ich die jungen Herren nie gesehen, hätte. Ernst ist ein braver, geschickter und vernünfti­ ger Mann; ob diese Knaben das werden, ist sehr ungewiß. Der Himmel sorge für ihn! Morgen, Hedwig, wirst auch du wieder ab­ reisen. "

39

Viertes

B u ch.

Nachdem Ernst seinen W(g etwa eine halbe Stunde fortgesetzt hatte, lies; er sich auf einen Hüge; unter einer vielleicht tausendjährigen, ihre Aeste weit von sich streckenden Eiche, im kühlen Schatten nieder, um bey sich auszumachen, wo­ hin er nun seinen Gang richten wolle. Hier genosi er die reitzendste Aussicht auf weite Korn­ felder und reiche Dörfer. Sein Djick aber weilte gar zu gern-bey dem hohen massiven prächtigen Pfarrhause, das ihm mit seinen großen Scheu­ ren und Ställen noch deutlich ins Auge strahlte. Durch ein Taschenpcrspektiv besah er noch einmfll die Fenster seines Zimmers, und konnte sich nicht fast daran sehen. Thränen entrollten sei­ nen Au^en, wenn er Len verwickelten labyrinthi-

schen Gang seines Lebens betrachtete, da er immer dem Glücke nur nahe war. Immer zu Selbstbetrachtungen und Selbst­ gesprächen geneigt vertiefte er sich auch hier bald in mancherley melancholische Gedanken. „Halte ich doch "nur Verwandte, nahe oder ferne, so wüßte ich. doch wohin ich meinen Wan­ derstab sehen könnte. So aber bin ich ein isolierter Mensch, de» die Natur vielleicht.nicht werth achtele ihn mit andern Menschen zu ver­ binde».' Zch kann, wie.andere, nicht sagen, ich will meinen Vater, meine Mutter, meinen Bru­ der, meine Schwester, meine Verwandten besu­ chen. Zch gehöre niemand an, nur dann erst/ wenn mir Louise ihre Hand am Altar geben wird-, werde ich der Menschheit angereihet'seyn. Wohin nun? Zn Herrmanns Hause könnte ich vielleicht willkommen seyndoch ich habe mein Wort gegeben, nicht eher wieder zu kommenals bis ich sagen kann, nicht ich hoffe, sondern ich habe ein Amt. Wer würde mich.auch.dort aufsuchen und befördern wollen ? und zum Super­ intendenten? die Gütigkeit dieses Gönners darf ich nicht mißbrauchen; dieser kann meine letzte

398

D»r Paft»r in Kartoffelfeld.

Zuflucht, seyn.

Gut daß ich nicht ganz ohne

Geld bin, ich will von Dorf zu Dorf, von

Stadt zu Stadt reisen, vielleicht eröffnet sich

hier oder La eine Aussicht für mich." Er richtete also seinen Weg auf ein vor ihm

dessen massive stolze

liegendes grosses Dorf,

Gebäude jedem Wanderer den Reichthum seiner

Einwohner schon von weitem verkündeten. Mich

dünkt, es hieß Weitzendorf.

Eine Menge feister

Hunde, großer und kleiner, hießen ihn durch

ihr Gebell bey dem Eintritt ins Dorf auf eine eben nicht angenehme Art willkommen. Er richtete

seinen Weg zunächst auf die Pfarre, da er aber

bald hörte der Pastor Wilberg sey verreiset, und werde erst an» spätesten Abend zurück erwar­

tet, ;fo sah er sich genöthigt zum ersten Mal in

einer Dorfschenke zu übernachten.

Hier fand er an drey großen Tischen eine zahlreiche Gesellschaft von Dauern, die es sich recht wohl seyn ließen.

Manchen schmeckte der

Drantewein, andern das Dier bis zum Rausche

gut.

Noch andere waren eifrig im Kartenspiel

begriffen.

Er grüßte höflichst die. Gesellschaft,

bekam aber von niemand einen Gegengruß. Alle

Gesichter verriethen Stolz.

Ein ziemlich wohl

gekleideter, in der Ecke an einem kleinen Tisch fitzender Mann war desto höflicher, stand gleich

vym Stuhl auf, und machte eine Verbeugung nach der andern.

Es war der Balbier des Orts,

welcher bis dahin in einem Zntclligenzblatt gele­ sen hatte.

Ernst, dessen Dart etwas lang war,

machte gleich Gebrauch von dem Kunstfleiße des­

selben, honorierte ihn gut, und erwarb sich in «in paar Minuten die Freundschaft, wenigstens

die Gesprächigkeit dieses Mannes.

Er unter­

hielt sich nicht nur mit ihm, sondern war auch so artig, die nöthigen Bedürfnisse an Tabak,

Dier und Butterbrot bey der korpulenten Wir­ thin zu bestellen und zu besorgen. An den andern Tischen ward es unterdessen

immer lanter Md lauter.

Trumpf aus! Trumpf

auSl schrie bald hier bald da einer, und warf mit Ungestüm die Karte auf den Tisch, wo man

nicht nur große Geldhaufen, sondern auch Gold­

stücke und zehn Thalerrollen erblickte. die nicht spielten,

Andere-,

räsonierten und lamentier­

ten über die niedrigen Kornpreise,

weil der

Weihen jetzt nur fünfzig gelte, da er doch vor

40Q

Der Pastor in Kartoffelfeld.

rin paar Zähren mit sechzig bis siebzig bezahlt worden sey. Noch andere machten Plane, wie sie durch Aufschüttung die Preise steigern wollten. Wieder andere, die im Spiel verloren, langten unter Lärmen, Toben und Fluchen eine G^drolle nach der andern aus der Tasche. Ernst gab gegen den Balbier seine Verwun­ derung über den Reichthum der Leute zu erken­ nen, und beschrieb ihm die Armseligkeit jenes Bauers, der ihn einst aus Rosenhai» auf einem Leiterwagen abgeholt und zum Grafen gefahren hatte. „Mit Erlaubniß wenn Sie erlauben, ent­ gegnete dieser, der Geometrus pflegt zu sagen, wie ich einmal auf der Schule hörte: gleiche Dinge können für-einander gesetzt werden; aber hier gehts nicht nach geometriam, sondern nach historiam naturalem. •• „ Wie ist das zu verstehen? " „Mit Erlaubniß wenn Sie erlauben, DüffoninS handelt von mancherley Pferdearten, aber find sie wohl alle gleich groß, gleich fiark und schön? Es giebt elende, hagere, kleine Gauls, aber auch große, wohl gemästete Paradörs. Man

Zweyter

Theil.

401

Man kann also nicht sagen, ein Pferd ist ein Pfery, und, eben so wenig ein Ackermann ist eiy

Ackermann.

Wo ich zu Haus gehöre ists auch

so nicht wie hier. . Die Dauern meines Geburts­

orts binden die Schuhe mit Bast zu; hier tra­

gen sie silberne Schnallen, und reden schon vyn goldenen.

Das Korn gilt gar zu viel, und die

Leute haben dem König wenig zu geben.

Die

Herren Pachter müssen ganz anders bezahlen. I nun,.man kann- ihnen gönnen.

Zst uns

ohne Schaden."

Nicht ganz, warf ein fremder, langer, hage­ rer Mann ein, der eben zu Pferde angekommen

war,-und sich an die Gesellschaft freundlichst

«»schloß.,

Nicht ganz."

„Mit Erlaubniß wenn Sie erlauben, daß ich fragen darf, warum.nicht?" Fremder.

„Ich bin der hiesige Zollbe-

reiter, und bekomme monatlich meine 12 Thaler richtig; aber wie weit reichen sie; da ich das

Drotkorn so theuer bezahlen, und überdieß ein Pferd füttern, und Frau und Kinder ernähren muß? Gott weiß, wie mir zuweilen zu Muthe

ist.

Zm Winde und Wetter muß ich fort und

Der Pastor in Kartoffelfeld.

402

mein Amt verrichten, sonst, werd' ich.abgeseht, und wenn der Monat halb vorbey ist, hab' ich

mit dem Pferde und der Familie mein Salär verzehrt.

Sehen Sie hier, meine Herren, das

ist mein letztes Viergroschenstück, und nun noch vier Tage ehe wieder Löhnung gereicht wird.

Ernsten ging das sehr nahe.

Er sahe es dem

Mann an daß er sich nicht satt aß, Und ließ für

ihn eine Portion Abendbrot bestellen.

Er that

noch mehr, er schlich sich leise von hinten'an

einen spielenden Dauer heran, den er nach "Maß­

gabe des vor ihm aufgethürmten Meldhaufenö für den reichsten halten mußte, und bat ganz leise um einen Beytrag für die Familie des Fremden. „Das fehlte noch, sagte dieser in einer sehr

rohen Sprache. Als ob der Betteley nicht genug schon wäre.

Da ist alle Augenblick zu geben.

Bald will der Priester ins Kollektenbecken waö

haben, bald plagen einen die Bettelleute, die

Emigranten

und

andere

Landstreicher.

Der

Mann hat seinen Dienst, kann er keine Butter bezahlen, so muß er das Brot eitel essen."

Ernst stutzte, und schlich sich eben so leise davon als er gekommen war.

Doch hatte sein

Zweyte?

Theil.

403

Geflüster, in der Gesellschaft einige Aufmerksam­

keit erregt.

Einer fragte den andern, wer er

wohl seyn möge, und keiner wußte es. Endlich rief der allerdickste Spieler, der eine

seidene Zacke mit silbernen Knöpfen trug, ganz laut im gebieterischen Tone:

„Gregorius,

kommt einmal her!" Pfeilschnell sprang der Balbier zu ihm hin, und fragte sehr submiß: „ Was steht zu Befehl,

Herr Schmidt?" „ Was ist da- für ein Mensche da, der mit

dem Zollbereiter spricht?"

„Mit Erlaubniß Sie erlauben, ich glaube ein Kandidat."

„ Also eiu-Pricstergesell? " „Sie haben Recht, Herr Schmidt!"

Herr Schmidt stellte sich mit seiner Zacke dicht hin vor Ernst, sah ihn von unten bis oben an, und ließ aus seinem von Spiritus erhitzten Gehirn einigen Afterwitz über die Bibel ent­ springen.

Simsons bekannte drey hundert

Füchse, die schon manchem armseligen Kopf Stoff zum Spott gegeben haben, mußten auch jetzt

ihre Dienste thun.

Herr S^midt fragte mit

Der Pastor in Kartoffelfeld.

404

der weisesten Miene,

die er machen konnte:

„Wie der Kerl, der Simson, habe auf einmal

drey

hundert Füchse einfangen

müsse ihm

wohl der Teufel

können? dabey

Etz

geholfen

haben." Ernst lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich merke wohl, he weiß es nicht.

Nun

so sage Lr mir, sind die Mauern von Jericho

nicht von Papier gewesen?"

Es entstand ein lautes Gelächter.

„Ja von Papier müssen sie wohl gewesen seyn, fuhr Herr Schmidt fort; den» sie wurde» ja umgeblasen; he he he! Cr lacht«, daß ihm der Vicke Btiuch fd)uttevtt.

Ernst ließ sich auf nichts ein, obgleich der Spötter fortsuhr noch mehr von seinem Witz

mitjutheilen, und sich dabey immer nach Bey­

fall umsah, und wenn andere nicht lachen woll­ ten, sich selbst triumphierend belachte. Eben als er sich in seinem Witz am beste»

gefiel, Ernsten in seinem Sinn für einen 'Igno­ ranten hielt, und sich behaglich den dicken Wanst

streichelte, entstand ein großer Lärm.

Z w e y t e r

Theil.

40$

Zwey Spieler geriethen in Streit, der sich

bald in einen so heftigen Zank verwandelte, daß der eine dem andern die Karte mit Ungestüm an

den Kopf warf.

Aus Rache that dieser einen

Griff in den vor ihm liegenden Geldhaufen, und warf dem Gegner eine Handvoll Zweygroschen-

stücke gerade ins Gesicht, bekam aber im Augen­

blick eine gleiche Ladung wieder.

Nun ging es

Wurf ans Wurf bis Parteyen entstanden, und der Handel bey ausgehlaseuen Lichtern in eine fürchterliche Schlägerey ausbrach.

Langsam schlich sich Ernst aus der Stube, und der hagere Zollbereiter folgte.

O wie gern

hätte dieser aufgelesen was fene von sich warfen!

Beide schliefen auf Einem Zimmer über der Gaststube, und hatten das schaudrige Vergnügen

dem tobenden Lärm noch eine Viertelstunde zuzu­ hören. Als die aufgehende Sonne den

fleißigen

Tagelöhner zur Arbeit rief, und den Zollbereiter

erinnerte sein dürres Pferd zu besteigen, und sei­ nen Weg fortzusehen, saßen die Herren des

Dorfs, nachdem sie sich ausgesöhnt hatten, noch

am Tisch und spielten.

4o6

, Der Pastor in Kartoffelfeld.

Dieß Mal in einer Dorfschenke übernachtet und nie wieder, dachte Ernst, und schob in

Gedanken alle Schuld auf den Prediger des

OrtS, als welcher den Leuten nicht genug Uon der Bescheidenheit

und Sittsamkeit gepredigt

haben müsse, oder wohl gar mit einem üblen Beyspiel vorangehe, weil man im Sprichwort

sage: „Sö wie der Hirt, so die Herde."

AuS

Verdruß gab er den Vorsatz auf diesen Volks­ lehrer zu besuchen, und-war eben im Begriff das kleine Sodom zu verlassen, als zur Kirche

geläutet wurde.

Aus Neugierde, bey dieser

Gelegenheit den Volkslehrer doch wenigstens zu sehen, fand auch er sich zur Betstunde ein, uno hörte in Gesellschaft von etwa vier oder fünf

bejahrten alten Frauen dem Vortrage über einige Verse aus dem Sirach andächtig zu, der seinen ganzen Beyfall hatte.

Nun entschloß er sich

dennoch diesen Mann, zu besuchen und näher ken­

nen zu lernen.

Er ging hin und wurde sehr

freundschaftlich ausgenommen.

Zweyter

Fragment

Pastor.

aus

Theil.

407

Tischgespräch.

dem

Sie haben in der Schenke logiert?

Wie hals Ihnen da gefallen? Ernst.

Leider schlecht; die Lenke sind hie­

siger Orts nicht die gesittetsten, und'werden, wie ich heute in der Kirche gehört habe, so vortreff­

lich unterrichtet. Pastor.

Ich weis; nicht ob ich das Kompli­

ment verdiene; so viel weiß ich, das; ich mir

alle erstnnliche Mühe gebe, Sittsamkeit und Tugend aufrecht zu erhalten.

Aber es will nicht

Der gute Same fallt entweder an

gelingen.

den Weg oder unter die Dornen. keinen Weg zum Herzen.

Zch finde

Zlls ich vor fünf und

zwanzig Jahren mein Amt antrat wars ganz

anders.

Die Leute gingen ordentlich zur Kirche,

und achteten auf gute Lehren.

Strafpredigt zu

halten

Wenn ich eine

mich genöthiget sah,

merkte ich auch bald den guten Erfolg davon. Jetzt ists anders. Ernst.

Wie geht das zu?

Pastor. Darüber ließe sich sehr vieles sagen. Eine Ursache wirkt hier nicht allein.

4^3

Der Pastor in Kartoffelfeld.

Belehren Sie mich gütigst.

Ernst. Pastor.

Ein Grundübel in meiner Ge­

meinde ist der übermäßige Reichthum.

Schön

ists wenn der Landmann wohlhabend und nicht arm ist, aber zu großer Reichthum verdirbt ihn

insgemein sichtbarlich.

Wenigstens glaub' ich

bemerkt zu haben, daß die Sitten in meiner Gemeinde in dem Maße gesunken sind, als der Reichthum stieg.

Man glaubt keinen Menschen,

ja den lieben Gott nicht mehr nöthig zu haben,

bloß weil man Geld genug hat.

Der Reichthum

setzt sie in den Stand Nächte lang zu spielen,

weit auesehende Processe über Kleinigkeiten zu

muthig

keine Geldstrafe zu

erheben,

macht

fürchten,

und gegen die Obrigkeit grob und

widerspenstig zu seyn, wovon wir traurige Bey­ spiele erlebt haben.

Man würdigt hier jeden

nach dem Gelde, und wenn man jemand etwas recht bitteres sagen will, so heißt es, „er hat nichts."

Unsre Schullehrer sind gute fleißige

Leute, werden aber von niemand geachtet, weil sie schlechte Stellen haben und arm sind.

Kurz

ungebildete Leute vertragen es selten reich zu seyn.

Das ist meine Erfahrung.

Ich habe nur

Zweyter

Theil.

409

zwey Glieder in der Gemeinde, welche bey ihrem Reichthum noch sittsam und bescheiden sind. Ernst.

Pastor.

Aber woher der große Reichthum?

Von den vielen Einnahmen und Vor hundert Zähren,

wenigen Ausgaben —

wie unsere Kirchrechnungen besagen, galt ein

Mispel Weihen höchstens

12 Thaler, jetzt 50

Thaler, und jetzt giebt, dünkt mich, der Land­

mann noch eben die Abgaben, die er vor hundert Zähren gab.

Wider Willen muß er reich wer­

den, wenigstens in solchen Dörfern, wo große

fruchtbare Felder sind.

Dazu kommt in meiner

Gemeinde noch ein besonderer Umstand, der in vielen Gemeinden nicht ist.

Ernst. Pastor.

Und welcher?

Zn den ersten Zähren meiner

Amtsführung gab eS hier noch drey Edelhöfe, die von Pach'tcrn bewirthschaftet wurden, mit

denen ich recht guten Umgang hielt. Einen davon

haben die Leute gekauft, und zwey haben sie für ein Spottgeld in Erbpacht.

-Die Pachter, die

sich bisher mit ihren Familien redlich darauf

genährt, und dem Dorfe einiges Ansehen gege­

ben hatten, müßten abziehen, und wußten nicht

4io

Der Pastor in Kartoffelfeld.

wohin? Nun gehört das ganze weite Feld der

Gemeinde allein, und der Gewinn, wovon sich sonst drey honetke Familien nährten, fließt in

ihren Deutel.

Ernst.

Aber haben Sie in Ihrem Amte

jetzt nicht mehr Einnahme,

da die Leute so

reich sind? Pastor.

Nicht einen Pfennig.

Die klei­

nen Geschenke, die ich sonst noch aus diesem und jenem Hause erhielt,

sind nicht mehr Mode.

Kein Huhn, keine GanS, kein Kalbsbraten pas­ siert mehr.

Denn je mehr der Mensch hat, desto

mehr will er haben.

Der geistliche Stand wird

auch nicht mehr geachtet.

Ernst.

ren.

Das hab' ich gestern Zlbend erfah­

Ein gewisser Mann, Namens Schmidt,

wollte mich insultieren, so bald er hörte, daß ich

geistlichen Standes war. Pastor.

Das macht der Verfall der Reli­

gion.

Epnst.

Und viele behaupten, die Religion

sey empor gekommen. Pastor.

Hier bey uns gewiß nicht.

Das

beweisen unsre Sitten, das beweisen die leeren

Zweyter Stühle in der Kirche.

Theil.

411

Gott! es ist eine trau­

rige Empfindung! Ernst.

Woher rührt aber der Verfall der

Religion', da sie doch Zahr aus Zahr^ ein in

der Kirche und Schule gelehrt wird, und gewiß

gründlicher als vor fünfzig und mehrern Aahren?

Pastor.

Hiesigen Orts könnte ich einiger­

maßen selbst Schuld daran seyn.

Ernst.

Pastor.

Sie selbst? Unschuldiger Weise ich selbst.

Zn

bester Meinung wollte ich als junger Prediger eine allgemeine Aufklärung in meiner Gemeinde bewirken, und weil man damals von nichts als

lauter Aufklärung schrieb und sprach, hielt ich

es für Pflicht auch mein Scherflein beyzutragen. Ich erklärte verschiedene biblische Stellen ganz

frey, griff manche Wunder an, bestritt die Drey­ einigkeit, verjagte den Teufel mit allen seinen Wesen und Werken, und was ich weiter that.

Den besten Segen versprach ich mir davon, weil

die neue Lehre

viel

Aufmerksamkeit

allein ich habe mich geirrt.

erregte;

Meine Aufklärung

blendete den schwachen Seelen die blöden Augen; und bey andern kam nach und nach die Autorität

4U

Der Pastor in Kartoffelfeld.

der Vibel.fehr in Verfall. sollen,

Ich hätte bedenken

daß ich nicht Studenten, sondern bel-

orthodoxen Ideen

aufgewachsene uub größten-

Iheils unwissende Laien vor mir hatte.

Ich

wünschte sehr meine Fehler wieder gut machen zu

können, aber es scheim mir unmöglich.

Ich

habe einmal gesagt und gelehrt, „Gott hat nie

weder mit Adam, noch Noa, noch Moses gespro­ chen"

und kann nicht öffentlich

wicderrufen.

Aber ich wollte viel drum geben, ich. hätte diese

Aeußerung nicht gewagt, denn die zehn Gebote haben leider ihre ganze Kraft darüber verloren.

Ich sage Ihnen dieses zur Warnung.

Jeder

junge Prediger bedenke, daß seine eigene durch

vieles Lesen und Nachdenken erworbene Einsicht pnd Ueberzeugung

nie die Ueberzeugung

und

Einsicht des gemeinen Mannes werden kann. Die Religion muß für diesen jederzeit eine posi­

tive Gestalt behalten; eine reine, destillierte und

geläuterte Vernunflreligion wirkt auf ihn eben so wenig als die philosovhische Moral.

wenigstens meine Erfahrungen. put früher gehabt.

Dieß sind

Hätte ich sie

Doch ich tröste mich damit,

daß. ich. nicht allein Schuld bin, und die wenigste

3 w « H t t :T H e i L

Schuld mir beyziimessen habe.

41.3

Größer ist die

Sünde der neuern Schriftsteller und Zournallsten, welche, wie es scheint, recht darauf ausge­

hen, den geistlichen Stand und mit ihn» die

Religion herabzuwürdigen und für überflüssig zu erklären.

Mit vielem Verdruß habe ich erst

neuerlich einen Aufsatz in einem, berühmten Zour-

nal gelesen, des Inhalts, , Laß die Predigtr- im Staate halbe Müßiggänger sind.

Wollte Goft

ich könnte mehr thun! Ernst.

Aber sollte es nicht möglich seyn

dem Landmann durch guten Schulunterricht «ach und nach mehr Kultur zu geben?

Der reiche

Bürger ist doch im Umgänge erträglich und oft angenehm —" Pastor.

Ein richtiger Gedanke; Schade

daß er sich nicht so gut und leicht ansführen läßt als er gedacht ist.

Ich vergleiche die Erzie­

hung der Landjugend mit dem Dau eines Hau­ ses.

Die untere Etage wird gut ausgebauet, di«

zweyte nur angefangen, und das Dach fehlt ganz.

Oft hab' ich das Vergnügen gehabt recht

gute in ihrer Art geschickte Kinder zu erziehen

aber was wird daraus, wenn sie der Schule ent-

414

Der Pastor in &avt.offelfelb.

jassest sind?

Sie verwildern

wieder wie die

Darlme die nicht gepflegt unb. gewartet tperden.

Böse Erempel verderben Zute Silken,

Ä^ichtssonLerlich aufgeheitert durchchiefe.Nnter-

rrdmig, und voll Mißvergnügen, kiuem Stande tzervidmet zu seyn, der viel Nutzen, stiften soll,

oft aber nicht kann, und dessen Ansehen immer mehr und - mehr herab-.zu sinken scheint, 'setzte

Ernst seimn Wanderstab weiter, und dachte drü­

ber nach, wie er sich dereinst in Ansehung der Aufklärung verhalten wolle. Wider eigene Ueber­

zeugung zu reden, schien ihm sündlich, und

schwache Augen durch ein zu starkes Licht zu. blen­ dest, gefährlich; und die Mittelstrasie sah er

jetzt nicht gleich. Er richtete, um eine bessere Nacht zu haben

als die vorige, seinen Weg nicht auf das nächste

Dorf,, sondern auf das nächste Städtchen, dessen Name uns entfallen ist.

Auf die Frage, wel­

ches das beste Wirthshaus sey, wies man ihn

in daS Lämmlein mit der Siegesfahne.

Z w e y t« r

Er

Theil.

415

itzte bey diesem Namen, und machte den

voreiligen Schluß, daß bie positiv» orthodoxe

Religion hieselbst noch die herrschende seyn müsse;

doch'fand er im Lammlein mit der Sie-

grefahne fast eben so.wenig Vergnügen 6(8 im Dar; so hieß di« Dorfschenke, wo er über­

nachtet hatte.

Einige Bürger dt'e tim Tische saßen,recen­ sierten bey einer Flasche-Wein die Negierüngs-

sonuen von Europa, uüd keine gefiel ihnen. Alle hatten den Hauptfehlel'/daß die Menschen Zoch nicht zur Gleichheit und Freiheit empor gehoben;

sondern wie die Hausthiere gehalten würden..!. „Zch denke aber, sägte Ernst, meine Her­

ren, daß es wohl genährte und gefütterte Hausthiere weit -besser haben, als andere,, die im Zustande völliger Gleichheit und Freiheit in den Wäldern umherirren, oft Hunger und Durst

leiden, sich mit einander raufen, beißen, uyd ihres Lebens vor dem Jäger nicht sicher sind.

Da sehen Sie unter dem Ofen den feisten Pudel

und den dicken Kater neben einander schlafen;

haben sie es nicht beide gut, und würden sie es im. Stande der Gleichheit und Freiheit besser haben ?

4i6

De.e Pastor in Kartoffelfeld.

Dle kannengießernde Gesellschaft stutzte, und einer von ihnen flüsterte seinem Nachbav ins Ohr, „ der Herr ist kein Jakobiner."

Ein- anderer

hub an, „ich bleibe dabey, ehe nicht.'der Ober-

Eonsul Donapart ein Universalreich errichtet, undKönig aller Könige wird, «her wirds nicht besser." Ernst schwieg und ließ die Männer reden

was sie wollten.

Eine hyperbolische Zdee von

Äyeltverbesserung kam nach der andern zum Vor­ schein^ die Herren wmden sehr lebhaft, und jwey von ihnen, die fleißigsten Trinker, stritten

sich heftig über den Fragepunktr „Ob die Reli­ gion.- in einem Staate nöthig oder überflüssig,

nützlich oder schädlich sey?"

Der eine erklärte

sie- für-überflüssig, und berief sich auf das Bey­

spiel von Frankreich; der andere hielt sie für nöthig und nützlich, und bewies es gleichfalls

mit der neuern Geschichte Frankreichs.

Der

Der Schulze hatte zwey recht wohl gezo­

gene und wohl gewachsene Söhne von ziemlicher Dem jüngsten, Heinrich, war der

Größe.

väterliche Hof zugcdacht, und der älteste, An­ dreas, war der Bräutigam von des Schöppen einziger Tochter.

Des Vaters Herz hing ganz

an diesen beiden Kindern.

Ach, wie wimmerte,

wie jammerte er! „Bey Gott! Hochgebietender Herr Sekretär!

ich bitte um die Wunden Christi, verschonen Sie mich.

Erbarmen Sie Sich! Meinen Andres

soll ich missen! lieber will ich sterben, und er ist noch dazu Bräutigam von Richters Fiekchen." „Das schützt nicht, .lieber Mann; so wür­

den bald alle junge Bursche Bräutigame seyn. Hier heißt es: Marsch vor den Feind! streite

für König und Vaterland! Ich muß meine trau,

rige Pflicht thun; Sein Andres ist nicht zu retten; sieht Er, hier steht Er auf der Liste

eben an.

Tr ,og «In Blatt Papier hervor.

Les' Er,

hier steht Andreas Grimpe, und dann folgen noch mehrere junge Bursche.

mit dem andern trösten."

Es muß sich einer

450

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„ Daß Gott sich erbarme! Hochgebietender Herr Sekretär! daß sich Gott erbarme! Gnade! Gnade!" „Er weiß ja doch daß Krieg wird. Krieg ist Krieg! Friede ist Friede!" „ Leider han wirs gehört, das Kriegsgeschrey. Aber dieß Mal,' Lieber Herr, erbarmen Sie Sich noch. Sehen Sie meinen grauen Kopf. Zch habe ja der Gemeinde dreyßig Zahr getreu gedient." „Mit seinem ewigen Erbarmen, ich darf mich ja nicht erbarmen. Alles was ich thun kann ist, daß ich Ihm seine Pferde lasse." „ Dey Gott, lieber vier Pferde als ein Kind, das ich so sauer erzog. Ich habe auch gedient, als ich jung war, und weiß wie es im Kriege hergehet, Menschenblut fließt da wie Wasser. Nein, lieber vier Pferde als ein Kind!" „Nun ich kann Zhm nicht helfen, lieber Man»! Sein Andreas steht auf der Liste." „Ach, hochgebietender Herr Sekretär! ist denn mit Gelde nichts auszurichten. Zch bin zwar nicht reich, aber bey Gott! sollt'ichs von den Silben borgen..."

Zweyter

Theil.

451

„Der KLnig braucht Leute und kein Geld. Find' Er sich in sein Schicksal.

chem nicht besser gehn.

Es wird man­

Zwanzig junge Bursche

aus Hirsedorf hab' ich auf der Liste, und über-

dieß fünfzehn Pferde." „DaS ist hart; man möchte weinen.

Und

kein Erbarmen! Kein Erbarlnkn! Mein Andres!

Mein Andres!" „Wie gesagt, ich darf mich nicht erbarmen. Zch bin nicht die Hauptperson.

Will sich mein

Principal, der Herr Provincial - Intendant, erbar­

men, so hab' ich nichts dagegen.

Ich muß mei­

ner Ordre nachleben."

„O bitten Sie doch vor! Sagen Sie dem gnädigen Herrn doch, daß das kleine Dorf so

viel Bursche und Pferde

nicht

stellen kann.

Lassen Sie doch nicht eher nach, als bis Sie meinen Andres retten, ich will ja gern erkennt­

lich seyn."

„Versuchen will ichs, aber Ihr guten Leute müßt auch was thun." „Und was denn, hochgebictender Herr Sekre­

tär, was sollen wir denn thun? doch! Sagen Sie doch!"

Sagen Sie

Der Pastor in Kartoffelfeld.

45-

„ Ihr müßt Euch meinem Principal gefällig erzeigen." „Können wir da§,

hochgebictendcr Herr

Sekretär?"

„Seßt habt Ihr dazu die schönste Gelegen­ heit.

Zch weiß daß er seinem vorigen Infor­

mator dem Kandidaten Weber sehr gut ist, und

ihm gern ein 2lmt verschaffen will.

Wählt die­

sen zum Pastor, und er wird Euch verschonen, der gnädige Herr." Nach langem Schweigen mit merklicher Verlegenheit.

,/ Er stottert ja, lieber Herr, er kann Gottes Wort nicht deutlich vortragen."

„Zhr versteht das nicht, das kommt Euch

nur so vor.

Nein, lieber Schulze, bedenke Er

sich nicht einen Augenblick, wenn Er Seinen Andres und die Gemeinde manche ihrer Kin­

der behalten will.

det Ihr wähleil. Eure Sache gut."

Ich weiß, übermorgen wer­ Adieu, ich muß weiter. Macht

Z w eyte r

Theil.

'

453

Noth hat kein Gebot, dachte der Schulze, und ließ sogleich die ganze Gemeinde fordern.

Alle erstaunten und murreten über die For­ derung des hochgebietenden Herrn Sekretärs, und wehklagten/ daß sie ihrem Ernst nicht Wort hal^

ten sollten. Sobald aber diejenigen, welche Söhne und Pferde hatten, ihre Gefahr vernah­ men, entstand eine traurige Stille mit Seufzen untermischt, bis einer den andern zu fragen

begann: „Gott! was machen wir? wir haben uns ja schon unterschrieben. Hier ist guter Nath .theuer." Der Schöppe erfand diesen guten Nath. „Hört, Nachbarn, sprach er, es giebt doch noch

ein Mittel den Intendanten zu befriedigen und auch unsern Ernst zum Pastor zu wählen.

Fo/gt mir nur. „Alle diejenigen, welche erwachsene zum Sol­ datendienst fähige Söhne und Pferde haben, Leben übermorgen, weils so seyn soll, dem Kan­

didaten Weber ihre Stimme, die andern aber alle dem Kandidaten Ernst.

Ich habe ausge­

rechnet, daß dieser dann gerade Eine Stimme

mehr haben ^vird, als Weber, und dieß ist

454

Der Pastor in Kartoffelfeld.

' genug; die andern helfen ihm doch nichts. nach können wirs ihm

Her­

deutlich machen, und

sagen, warum wirs so und nicht anders gemacht habe», und daß er dennoch die Stimmen aller

Herzen habe." „Gut! getroffen! rief die ganze Gemeinde. So wollen wirs machen, alsdann behalten wir unsere Kinder, und bekommen den braven Mann,

den wir haben wellen."

Der feierliche Wahltag erschien.

Die »er«

ordrreten Koinmissarien, der Zuftizrath und der

Superintendent, fanden sich bey guter Zeit auf

der Pfarre ein, und nach ihnen noch ein Mann, der nicht zur Sache gehörte, nämlich der hoch­

gebietende und lang gewachsene Herr Sekretär. Höflichst bat dieser um Erlaubniß an den Freu­

den dieses Tages Theil nehmen, und dem Wahlgeschäft zuschen zu dürfen, weil er dergleichen

wichtigem Aktus noch nie zugesehen habe.

Er

war auch hier dreist genug von einem bevorste­ henden wichtigen Kriege zu plaudern, und sprach

Zweyter

Theil.

455

beym Kaffee viel von gan; geheimen Nachrichten,

die er unter der Hand aus dem Kabinet erhalten

haben wollte. Nun ging unter vollem Geläute — so gut

man es nämlich in Hirsedorf hatte — der Zug zur Kirche. Nach abgesungenem Liede „Es woll'

uns Gott genädig seyn" trat der Suverintendent auf, und ermahnte in einer so vortrefflichen

als rührenden Rede zur strengsten Gewissenhaf­

tigkeit bey der vorzunehmendcn Wahl.

Nach

dieser wurden der Observanz gemäß drey Urnen

auf den Altar gesetzt.

An der ersten stand der

Name Ernst, an der zweyten Müller, und an der dritten Weber. „Ähr geht, so

wie Zhr folgt, hub der

Iustizrath an, alle um den Altar, und jeder

wirft, wie Ihr schon wißt, einen mit seinem

Vor - und Zunamen beschriebenen Zettel in die Urne desjenigen der drey Herren Kandidaten,

den er nach Ueberzeugung und Gewissen sich zum künftigen Seelsorger wünscht.

Tretet heran!"

Mit.langsamen Schritt, bescheidener andäch­ tiger Miene und halb niedergeschlagenem Blick

ging die Procession nm den Altar herum, und

4Z6

Der Pastor in Kartoffelfeld.

jeder opferte seinen Zettel. Der hochgebietende lange Sekretär hatte 'sich so gestellt, das; er mit seinen Falkenaugen jedem auf die Hande sehen konnte. Seine Miene schien bisweilen zu sagen: „Seht, hier steh' ich, ihr wißt was ich vermag, nehmt euch in Acht."

Nachdem die 5 5 Vota in die Urnen abgeliesert und das Te Deum gesungen war, wurden die Stimmen gezahlt und protokolliert. Nach der genauesten Zählung fand es sich daß Weber 33, Ernst 32 , und der lesende Müller gar keine hatte. Der Justizrath trat auf: „ Ich habe anzu­ zeigen, daß kraft der Stimmen - Mehrheit der Herr Kandidat Weber Euer Prediger sepn wird, .und als ein solcher zu respektieren ist."

'Es entstand eine allgemeine Bestürzung. Jeder hatte die Worte auf der Zunge, „es muß ein Fehler vorgefallen seyn, der soll es ja nicht seyn; " keiner aber sprach. Der Superintendent war. ganz betäubt und außer Fassung. Gern hätte er laut und von Herzen gesprochen, sah .sich aber.zu schweigen genöthigt, weil alle For-

Zweyter

Theil.

matten ordentlich beobachtet waren.

457

Die Sache

war ihm ein Räthsel. erklärte der

Erst nachher auf der Pfarre

Schulze den ganzen Zusammenhang der mißra--

thenen Wahl.

Der Zusiizrath schüttelte den

Kopf dazu und gab seinen Unwillen zu erkennen.

„Ich bedaure Euch, guten Leute, hub er an; aber weil alles, heute wenigstens, nach der Ord­ nung zngegangen ist, Ihr auch Eure Namen selbst ausgeschrieben

und

in die Urnen gelegt

habt,, so kann ich Euch als Rechtsgelehrter wei­ ter nicht helfen.

Warum wäret Ihr so thöricht

dem falschen Kriegesgerücht sogleich zu glauben,

ohne mich und andere zu fragen."

Wie es mit den Wahlzettcln, deren Ernst

nach

der Schöppen Plan 33, und Weber 32

eigentlich

haben sollte, zugegangen seyn mag,

darüber hat man nichts gewisses. ein alter halb blinder

Einige sagen,

Mann habe die Urne

nicht gehörig unterscheiden können, und daher seinen Zettel aus Versehen

geworfen.

in Webers Urne

Andere wollen behaupten, det hoch­

gebietende Sekretär, der tun Altar stehen blieb, habe während des

Liedes,

„Herr Gott dich

458

Der Pastor in Kartoffelfeld.

loben wir," da rille Augen andächtig auf die

Gesangbücher geheftet waren, mit der Geschwin­ digkeit eines geschickten Taschenspielrrs einen Zet­

tel aus der Ernestinischen Urne in die Webersche

geworfen.

Aeußerst mißvergnügt, ja schwermüthig fuhr

der Superintendent nach Haus, und faßte unterweges den Vorsatz dem hochgebietenden Sekretär

sogleich bey dem Provincial-Intendanten anzu­

klagen.

Er thats auch, und schickte diesem

Herrn einen langen Brief, worin er ihm alle

Kabalen und Intriguen ausführlich meldete und beschrieb.

Die Antwort war folgende:

Zu spat bitten Sie um die Bestrafung mei­ nes listigen und intriguanten Schreibers; denn

er ist schon bestraft.

Schon vor einigen Tagen

hab' ich ihn seiner treulosen Dienste entlassen; imb was er zu guter^etzt in Hirsedorf gethan, hat

er nicht als mein Schreiber, sondern als Land­

streicher

vollführt.

Eben

diese

Hirsedorfsche

Pfarrstelle war die Hanptursache seiner Verab-

Zweyter Theil.

459

schiedung. Ich entdeckte nämlich vor kurzem einen mir höchst mißfälligen Briefwechsel zwi­ schen ihm und dem abgesehten herumreitenden weltbekannten Hoffiökal Isebart und noch eiiligen mir unbekannten Leuten dieser Art, der lauter Betrug und Geldschneiderei) zur Absicht hatte; denn der Kandidat Weber soll einiges Vermögen haben. Ich vermuthe daß alles, was zu Hirsedvrf vorgefallen ist, die Ausführung eines vom alten Isebart entworfenen Plans war, zu der sich niemand besser schickte, als mein abgedankter Schreiber. Sollte, wie ich fast fürchte, mein ehrlicher Name bey dieser skandalösen Geschichte gemiß­ braucht seyn, so versichern Sie jedem auf Ehre, daß ich solche boshafte Ranke in der Tiefe mei­ ner Seele verabscheue. Den Kandidaten Weber kenne ich kaum dem Namen nach, und habe ihn nie in Protektion genommen. Jeder muß durch eigene Geschicklichkeit sein Glück machen. So sollte cs wenigstens seyn und könnte es seyn, wenn alles im Staate nach Ordnung und Gerech­ tigkeit zuginge.

Der Pasror in Kartoffelfeld.

46o

Zch befinde mich nun in der Übeln Lage kei­

nen Schreiber zu haben, und die Geschäfte Hau­ fen sich.

Kennen Sie ein Subjekt, das nicht

nur geschickt zu solchem Posten, sondern auch ehr­ lich ist, so bitte ich um Nachricht. Von dem Kriegesgerücht haben wir hiesiges

Orts nichts vernommen.

Es ist in Hirsedorf

entstanden, und mag sich von dort aus weiter

verbreitet haben.

Ich bin mit aller Hochschätzung n. s. w.

Nun ist Trost nöthig für den guten Ernst

und sein liebes Mädchen, dachte der Superin­ tendent, und beschloß nächster Tage selbst nach

Nosenhain zu reisen, und seine ganze Moral und Deredtsamkeit aufzubieten, um die Trauri­

gen über die abermals so plötzlich zertrümmerte Hoffnung nur einigermaßen zn beruhigen. Allein ganz unerwartete Amtsgeschäfte hielten ihn für

dieses Mal von einer Reise ab, die er jetzt frey­ lich für Pflicht aber auch für traurige Pflicht

hielt.

Der Schulmeister, zugleich Kuhhirte, von

Kartoffelfeld, Ruprecht, ließ sich allerunter-

thanigst melden, weit er Zhro Hochwürden ein großes Geheimniß zu eröffnen haöe, und sah so

verdüstert und verstört aus, als ob er Mord und Todtschlag begangen hatte,

ankam ganz außer Athem.

war auch als er

Er hatte auch wirk­

lich eine Neuigkeit von eigner Act auf dem Her­ zen, von der sich kaum sagen läßt, ob sie mehr

zu den traurigen oder zu den lächerlichen gehört. Als er vorgelassen wurde, trug er folgen­

des vor: „Ew. Hochwürden vergeben, daß wir vori­

gen Sonntag keine Kirche gehalten haben, denn wir haben nicht gekonnt.

Denn ich habe den

Glauben drey Mal durchgesungen, und es kam

kein Herr Pastor.

Als ich ihn zum vierten Mal

anstimmte, wollte keiner mehr mitsingen.

Nun

dachte ich, es müsse unsern Herrn Pastor der

Schlag gerührt haben, und lief eiligst zur Pfarre. Allein was fand ich? Keinen Herrn Pastor, ob

ich gleich, alle Winkel durchsuchte.

Fort waren

sie, über alle Berge, und ich hörte, daß sie mit' Hut und Stock schon Morgens früh zum Dorfe

461

Der $>aftor in Kartoffelfeld.

raus gewandert wären.

Weil es nun heißt, ich

werde den Hirte» schlagen, und die Schafe wer­

den sich zerstreuen, so lief ich sogleich zur Kirche zurück, und ließ

die Leute nach Hause gehen,

welches nicht übel zu nehmen bitte.

Ob ich

nun gleich den Herrn Pastor nicht habe finden

können, so habe doch diesen Brief gefunden, der an Ew. Hochwürden addrcßirt ist.

Er lag auf

dem Tische über der Bibel. Der Superintendent, auch ganz bestürzt über

diesen sonderbaren Vorfall, erbrach ihn sogleich, und las darin folgendes:

Hochzuehrender Herr Superin­ tendent u. s. w.

Zehn Zähre hab' ich zur Ehre Gottes und

meines Amtes mit dem Apostel Paulus Hunger und Durst, Frost und Blöße erlitten; .aber im elften reißt der Faden der Geduld.

Gott weiß,

ich kann nicht mehr.

Zn den ersten fünf Zähren, als die Zielten noch besser waren, ich auch noch zuzusetzen hatte,

konnte ich mit meinen 140 Thälerchen noch s»

Zweyter

Theil.

463

ziemlich dnrchkommen, auch hat mir die Gemeinde

mit durchgeholfen, und manches Brot ins Haugeschickt.

Jetzt aber bekomme ich keinen Dissen

mehr, weil ich es mit einer Strafpredigt über

die einreißende Hurerey verdorben habe. Es ist alles übermäßig theuer, und ich habe in den letzten Wochen dermaßen Noth gelitten

daß ich mich schäme viel davon zu sagen. Die dringendste Noth brachte mich auf den desperaten Entschluß mein Pfärrchen zu verlas«

sen, ohne meinem Patron, dem Prälaten, «in Wort davon zu'sagen, weil ers nicht verdient,

und mir auf wiederholtes Supplicieren bloß eine

Zulage von fünf Thalern aus der klösterlichen 2trmenkasse bewilligt hat; aber Ew. Hochwürden

muß ich pflichtmäßig von meiner Flucht Bericht abstatten.

Man wird diese tadeln und belachen, dawerden aber nur unvernünftige Menschen thun;

vernünftige werden bedenken, daß ein Arbeiter seines Lohns werth ist, und wer das Evange­

lium treibt, sich auch vom Evangelium nähren

soll.

Alles Leiden hat seine Grenzen.

Der

matte hungrige Ochse schüttelt das Zoch ab.

464

Der Pasc0r in Kartoffelfeld.

Zch trete als Schreiber in die Dienste des braven Provincial - Intendanten, und finde da freylich viel 2lrbeit> aber doch das tägliche Brot, um welches ich so oft in meiner vorigen Stelle mit lauter Stimme *) vergeblich gebetet habe. Mein weniges Hausgeräts), bestehend in einem schlechten Bette, zwey Schemeln, einem Tisch, wie auch meine Bücher, nämlich Bibel, Gesangbuch, Katechismus nebst der Thränenund Trostquelle, nicht minder meinen wenigen Vorrath von Kartoffeln und Mohrrüben, ver­ wache ich dem armen Schulmeister Ruprecht. Gott stehe ihm bey. Ich verbleibe Dero

gehorsamster Diener,

P. Schwarz, ehemals Pastor zu Kartoffelfeld.

*) Herr Pastor Schwarz hatte die Gewohn­ heit auf die vierte Bitte jedes Mal einen ganz außerordentlich starken Accent zu legen. N. S.

Zweyter

Theil.

465

N! S. Noch Eins. Meine Perücken bekommt der arme Perückenmacher, der sie immer frisiert hat.

Es sind deren drey.

Der Perückenstock

aber ist ein Inventarium.

So sehr der Superintendent über diesen Brief

auch erschrak, so billigte er doch den Entschluß des guten Mannes, für den er sich so oft, aber vergeblich bey dem Prälaten verwendet hatte. Seine Frau gerieth auf den Gedanken, daß diese schlechte Stelle dem Kandidaten Ernst in jetziger bedrängten Lage dennoch willkommen seyn

dürfte,

und

ihr

Genrahl

war bald gleicher

Meinung.

Gleich schrieb er einen sehr harten Straftrief an den Prälaten, und drohete die Sache unverzüglich bey Hofe zu melden, wenn er nicht

die Pfarr - Einkünfte zu Kartoffelfeld ansehnlich erhöhen, und den Kandidaten Ernst ungesäumt

berufen wolle. „Schämen Sie Sich, sagte er darin, Leute

Ihres Standes darben zu lassen.

Haben Sie 3Q

466

Der Pastor in Kartoffelfeld.

vergessen, daß der erste Zweck der Klöster Unter­

richt der Zungen und Alten war? Wissen Sie

nicht, daß der Staat eher zehn Klöster als

einen öffentlichen Lehrer entbehren kann? Ver­ kaufen Sie nicht Zhr Getreide zu einem sechs

Mal höher» Preise als vor zwey hundert Zäh­ ren? Warum lassen Sie einen Mann darben, der Sie so nahe angeht, und dessen Patron oder

Gönner Sie doch zu seyn vergeben? u. s. w." Dieser nachdrückliche Brief halte die beste

Wirkung, zumal sich kein einziger Kandidat zur

erledigten Stelle meldete, und man schon im

Begriff war dieselbe in den Zeitungen, und wenn das nicht hülfe, im Ncichsanzeiger aus­ zubieten.

Etwa nach vierzehn Tagen übersandte der

Prälat die förmliche Vokativ» für den Kandi­ daten Ernst, nebst Zusicherung eines künftigen Gehaltes von vier hundert Thalern, entschuldigte

sich bestens mit der Versicherung, daß eS ihn,

ein wahres Vergnügen seyn werde einen vom

Superintendenten empfohlnen Mann anständig zu besolden.

Zweyter

Theil.

467

Mit der Vokativ» in der Tasche fuhr der

Superintendent

fröhlich nach Nosenhain, unb

' die Superintendent«!:, welche den

Ein­

fall zuerst gehabt hatte, machte Gesellschaft. Hier war die Hiobspost längst angekommen. Eben als das Drautbett geschmückt und aufgcputzt wurde, hatte der Schulmeister von Hirse­

dorf gemeldet, Kandidat Weber fei; gewählt. Zum ersten Mal in ihrem Leben sank Louise in

Ohnmacht, und ihr Geliebter bekam eine An­

wandlung von Wahnsinn.

Vater Herrmann

schien die Sprache verloren zu haben, und nur seine Frau und die Tante hatten noch einige Fas­

sung übrig.

Den schönen grünen aus Myrten

geflochtenen Brautkranz zerriß Louise mit eben der Hand, mit der sie ihn so froh geflochten hatte, und trat die Trümmer mit Füßen.

Bleiche, abgezehrte, verdüsterte Gesichter mit trüben Augen kamen daher dem Superintenden­ ten am Wagen entgegen.

„Trost! Trost! Trosts Vater, Trost!" rief Louise und rang die Hände.

468

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„ Ich bringe ihnantwortete der Superin­ tendent, stieg freundlich aus dem Wagen, und

küßte herzlich die ganze Gesellschaft.

So auch seine Fran.

„Za, mein Mann,

setzte diese hinzu, bringt Trost, er hat ihn in der Tasche."

Superintendent «uf Ne Tasche flogfen».

„Zch bringe ihn —"

Louise.

„Jsts möglich, lieber Vater?

Zsts möglich?

doch bey Gott ist kein Ding

unmöglich."

Superintendent.

„Zch bringe Trost

Hirsedorf sey vergessen."

auf immer.

Louise.

„0 welchen denn, lieber Vater? "

Superintendent. „Rathen Sie! Rathen Sie, gutes Kind!"

Louise.

„0 lieber Bester, nicht lange

rathen, nicht lange rathen."

„Superintendent. bringe Trost.

Nun genug, ich

Bey Tische sollen Sie mehr

hören, gutes Mädchen, eher nicht."

Die trauernde Gesellschaft mußte sich also gedulden.

Man führte die Fremden in den

Zweyter

469

Theil.

Garten, trank Kaffee, und der Superintendent sprach absichtlich von gleichgültigen Dingen. Alle

waren voll Erwartung. Ernst und seine Geliebte betrieben es, daß man heute eine ganze Stunde

früher speiste, auch die Tante war in der Küche äußerst geschäftig, und öffnete die Karpfen mit

eigner Hand. Mit

dem

ersten

Glase Wein

trank

der

Superintelldent mit der zuversichtlichsten Miene

die Gesundheit des neuen Herrn Pastors.

Dar­

auf zog er die Vokation aus der Tasche, und las der von lauter Erwartung gespannten Gesell­

schaft vor:

„Wir berufen kraft dieses den uns bestens empfohlnen Herrn Kandidaten Ernst zum Prc' diger zu............... und soll derselbe bey treuer

Amtsführung alle Rechte und Einkünfte seines Vorgängers genießen, und da letzterer so schnell vom Amte abgegangen ist, so kann genannter

Herr Ernst nach vorhergegangener Ordination

und Einführung sogleich anziehen. „Aber wo denn anziehen?" fragte Vater

Herrmann und alle andern.

470

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„Geduld?

Geduld!" sagte der Superin­

tendent.

Mit dem zweyten Glase Wein trank er die Gesundheit des berufenen Predigers zu Kar­

toffelfeld, und stieß mit Ernsten an. Ernst entfärbte fich und konnte sich der

Thränen kaum enthalten.

„Kartoffelfeld —

dacht' er — ist das der nun errungene Preis ? "

Louise seufzte.

Es entstand eine traurige Stille.

Nun will ich weiter lesen, hub der Superin­

tendent an. „Auch haben wir aus triftigen Gründen

beschlossen, daß der künftige Gehalt des neuen Predigers zu Kartoffelfeld, nicht wie bisher in

140 Thalern, sondern von nun an in 400 Tha­ lern bestehen soll."

Gleich erheiterten sich alle Gesichter.

Der

Superintendent gab die Vokativ» herum.

Ernst

und Louise lasen sie gemeinschaftlich, und Fröh­ lichkeit begann zu herrschen.

Es entstand ein

langes Gespräch über die künftige Einrichtung, über den Anbau des öden Pfarrgartens, über

die Ausmahlung der Zimmer,

und Louise

Zweyter Theil.

471

bedauerte herzlich, daß (te ihre schöne Braut­ krone in der Verzweiflung zerrissen hatte. „Hierin will ich Trösterin seyn, sagte die Superintendentin, winkte ihrem Bedienten, der ein Schächtelchen herbeyhvlte, worin ein schö­ ner Äcyrtenkranz lag. Das ist meine Arbeit und für Sie bestimmt, daß ich doll) auch etwas zu dem bevorstehenden fröhlichen Tage beytrage." Höflichst bedankte sich das Brautpaar. Selbst der alte Herrmann ward immer lebendiger, zog seine Drille heraus, und betrachtete den so künst­ lich gxwundenen Kranz.

„Zch muß ja denn auch wohl was thun, hub er an. Außer den zwey tausend Thälern Aussteuer soll der Pastor von Kartoffelfeld noch vier schöne Kühe und ein Dutzend Schafe haben. Frau, was giebst denn du?" „Ich besetze den Hof mit Putern, Gänsen, Hühnern und Enten —" „ Morgen, sagte Herr Herrmann, machen wir eine Reise nach Kartoffelfeld, und bese­ hen es uns."

47t

Der Pastor in Kartoffelfeld.

„Bravo, rief der Superintendent.

Alle

Fehde mit dem Mißgeschick hat nun ein Ende."

Doch dieser Grad der Freude war von kur­ zer Dauer, noch an diesem Tage erfolgte bald —

ein — »och weit größerer. Ein Bote brachte ein dickes Packet von der

Die Aufschrift war an Ernst gerichtet.

Post.

Ein Mißgeschick ahnend, erbrach ers mit zittern­ der Hand, und fand darin einen versiegelten

Brief, und neben diesem einige mit Seide gehef­ tete Dogen.

Die Aufschrift des Briefe- war

von einer ihm bekannten Hand, doch konnte er sich nicht gleich erinnern von welcher.

Sie lau­

tete so:

.

An meinen Sohn

Friedrich

Ernst,

ihm zur bestimmten Zeit einzuhändigen.

Als er auch diesen erbrach, wußte er nicht

wie

ihm geschah.

Dem Datum nach war

der Brief vor drey Jahren geschrieben,

und

Zweyter

Theil.

473

Hand und Unterschrift nach vom verstorbenen

Ernst zitterte vor Alte­

General von Schönfeld.

ration am ganzen Leibe, er wollte lesen und

konnte nicht.

Erst nach einigen Minute» kam

er- wieder zur Fassung, und durchlief das Schrei­ ben nur flüchtig. Die Augen voll Thränen wollte

er es der Gesellschaft laut verlesen; dieß aber

wollte nicht gelingen.

Der Superintendent ver­

trat seine Stelle, und las folgende Schrift vor:

Guter

Sohn!

Erschrick nicht über diese Anrgde; denn du

bist es.

Kriegesunruhen wollten mir nie das

Glück einer ordentlichen Ehe verstatten, und doch

war ich Mensch.

Ein unschuldiges bildschönes

Mädchen, die Tochter meines Gärtners, willigte

in meine Wünsche und

du

wurdest geboren.

Mein Herz blutete, als deine gute Mutter schon

starb, ehe sie dich an ihre Drust drücken konnte; und noch heute ist mir der Gedanke, daß sie ihr

junges Leben meinen Wünschen aufopferte, höchst traurig.

Du wärest also in der Welt ohne Mutter,

aber, danke eS lebenslang dem Himmel, nicht

474

Der Pastor in Kartoffelfeld.

ohne Vater.

Vielleicht hab' ich mehr an dir

gethan al- manche andere Väter an ehelichen Kindern thun.

Zch sorgte für deine Pflege und

Erhaltung, und weil ich einige meiner Züge in deinem Gesicht anzutrcffen glaubte, gab ich dir

wenigstens einen meiner Vornamen, und ließ dich Ernst nennen.

Zm siebenten Zahre übergab ich dich einem Manne, den du wahrscheinlich für deinen Vater gehalten haben wirst, meinem damaligen Gärt­

ner, deinem Großvater mütterlicher Seite, und

war gesonnen dich der Gärtnerkunst, die ich von jeher liebte, zu bestimmen.

Oft hab' ich damals

mit, dir im Garten zu Rosenhain getändelt und"

gespielt, und dir manches Steckenpferd, man-,

chen bunten Ball gekauft.

*

Zu meiner Vaterfreude entwickelten sich deine'

Fähigkeiten weit vortheilhafter als ich gedachte. Zch brachte dich daher in eine berühmte öffent­ liche Schulanstalt, und bezahlte für dich.

Zch

ließ dich die Akademie beziehen, und.du wirst

auf derselben nie Mangel gehabt haben.

Nach­

her empfahl ich dich zum Hauslehrer bey mei­ nem alten braven Kriegskameraden, dem Pachter

Zweyter

Herrmann.

Theil.

475

Hier hast du mich zum zweyten

Mal persönlich kennen gelernt, ohne zu wissen, wie nahe du mir angehörtest. Dein Fleiß machte

mir Vergnügen, und als bir reihende Louise, die du erzogst, kaum zehn Zahre alt war, hatte

ich schon den Plan, daß sie einst die Deine werden sollte.

Nachher hab' ich meine Absicht

ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, und werde

sie, wenn ich noch fortlebe, immer naher blicken lassen.

Für deine Defördernng hab' ich bis

heute in der Stille gewirkt, noch aber hat die

günstige Gelegenheit dazu gefehlt, dir wirklich

ein Amt zu verschaffen.

Vielleicht kommt sie

bald.

Indessen, lieber Sohn! dürfte meine Stunde bald schlagen, wahrscheinlich früher schlagen, ehe

ich dich ganz glücklich sehe.

Eine Anwandlung

von Schlagfluß, die ich vorgestern hatte, läßt mich keine Jahre mehr hoffen, und selbst mein so gefälliger Arzt schüttelt den Kopf.

Ich bin

alt und zum Tode gefaßt, und die Welt verliert an mir jetzt weiter nichts, als höchstens einen

guten Mann, wenn ich mich so nennen darf.

Im Bewußtseyn so wenig als möglich gefehlt zu

476

Der Pastor in Kartoffelfeld.

haben, erwarte ich getrost den letzten Schlag,

nnd sehe der Ewigkeit ohne Zittern entgegen.

Du.wirst diesen Brief nebst dem Testamente,

das ich heute früh habe aussetzen lassen, erst dann erhalten, wenn die Hand, die ihn schrieb, schon im Grabe liegt und verweset.

Meiner den

hiesigen Gerichten gegebenen Znstruktion gemäß sollst du ihn nicht eher erbrechen, als bis dir

die Vorsehung ein Amt anvertraut hat, und du

alsdann, Gott gebe es, Verlobter oder Gatte der guten Louise bist. Zm Testament wirft du lesen, daß ich dich

zum Erben meines kleinen Gutes Rosenhain ein­

setze.

Von dem Augenblick an, da du bas Testa­

ment erhältst, ist es dein, mit Recht dein, denn du bist mein Sohn.

Meine weitlänftigen Sei­

tenverwandten sollen keinen Theil daran haben, denn sie sind schon reich, und es würde Sünde seyn, sie noch reicher zu machen. Vor deiner Be­

förderung solltest du nach meinem ausdrücklichen

Befehl von dieser Erbschaft nicht das Geringste erfahren, weil ich dich nicht zu einem frohen

lachenden Erben, sondern zum brauchbaren Mann für die Welt habe erziehen lassen.

Du sollst

nicht

Zweyter Theil.

477

nicht bloß leben um zu genießen, sondern auch mit deinen Lehrtalenten Nutzen z« stiften. Freuden, guter Sohn, sind dir also

Zwey zugleich

beschieden: die Freude der Beförderung, und die Freude über eine freylich nicht sehr große, doch auch nicht ganz unbeträchtliche Erbschaft.

Hat

sich dein so ehrlicher Charakter nicht geändert, so verdienst du beide.

Können abgeschiedene Seelen unter Lebenden sich vergegenwärtigen, so ist die meine, wenn

du diesen Brief erhältst, gewiß bey dir, und nimmt Theil an deiner Freude.

Denke wenig­

stens alsdann, daß ich um dich schwebe, und

erinnere dich dankbarlich deines jetzt dem Lebens­ ende nahen Vaters.

Die Pachtgelder nach meinem Tode, bis du

diesen Brief erhältst, werden die Gerichte geho­ ben haben.

Meiner Bestimmung nach sollen sie

Louisens Brüder haben, um damit auf Reisen zu

gehen.

Der Mensch kann sich nur völlig aus-

bilden, wenn er das Glück hat

die Welt zu

sehen, und dieses Glück habe ich den jungen bei­ den Herrmann zugedacht.

Was ich sonst hinter­

lasse , bekonzmt das hiesige Arbeitshaus, diese

478

z Der Pastor in Kartoffelfeld.

vortreffliche Stiftung, welche nicht nur Arme ernährt, sondern auch das Land von müßiggehenden Bettlern reinigt.

Lebt der alte einbeinige Husar Bertram noch,

so gieb ihm das nächste Mal, wenn er wieder kommt, eine Zehnthalerrolle, damit er sich mit

dir freue, und hernach alle Monat was zu sei­ ner Nahrung und Erquickung nöthig ist.

Nimm also hin, lieber Ernst, was ich dir

hinterlasse, aber gebrauche es

weislich.

Der

alte Herrmann bleibt auf dem Gute bis er stirbt. Nachher kannst du es an andere verpachten; aber

bewirthschaften sollst du es nicht, sondern deiner

Bestimmung getreu bleiben und für die Welt

arbeiten. Es stirbt sich weit süßer, wenn man für die Welt etwas gethan, als wenn man genossen hat.

sie bloß

Ich wollte meine geringen Ver­

dienste, die ich mir als Kriegsmann um das

Vaterland erwarb, heute nicht für drey Ritter­ güter hingeben.

Laß dich ja durch diese Erb­

schaft nicht zur Unthätigkeit verleiten.

Da ich dich dem geistlichen Stande bestimmt habe, so sey du immer ein treuer und fleißiger

Zweyter

Theil. -

kehrcr der Zugend und Ler Men.

47,

Suche ein

höheres Glück in deinem Beruf, die Religisn,

die mir so oft auf dem Schlachtfclde, wo der Tod mir entgegen blitzte, Muth eingab, deinen Mitmenschen so liebenswürdig vorzulragen, als

du nur kannst; die Natur ertheilte dir Gaben

dazu.

Dieß Verdienst wird das meinige noch

überwiegen.

Wenn du das Vater unser betest, so

lege auf die Ditte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch aufErden,"^einen großen Nach­

druck, denn damit bin ich allemal dem Feinde unter die Augen gerückt ohne Furcht und Zittern.

Mangel und Sorgen der Nahrung kannst du

von nun an nie haben.

Bleib dir aber gleich.

Sey sparsam um Gutes thun zu können, meide

aber den Geitz eben so sehr als die Verschwen­ dung.

Am wenigsten sey stolz.

Nur der elende

von allen Talenten und Verdiensten entblößte

Mensch brüstet sich wenn er Vermögen hat. Findest du deine Beförderung an einem weit

entlegenen Ort, so besuche wenigstens jährlich ein Mal das angenehme Nosenhain, und sich

nach, ob auch alles ini guten Stande erhalten

wird.

Giebt dir Gott Kinder, so nimm sie mit,

48o

Der Pastor itt Aartoffelfelb.

zeige ihnen das Gewilbe, worin ich rnhe, und sage ihnen dreist: „Hier schläft mein Vater." Noch ein Geheimniß muß ich dir entdecken. Du wirst mich oft auf dem Nofenhügel nahe an der Todtengruft am frühen Morgen, wenn ich

den Brunnen trank, sitzend und denkend ange­ troffen haben.

Wisse, unter diesem Hügel schläft

deine Mutter.

Zur Erinnerung an ihre blühende

Schönheit hab' ich ihn mit Rosen bepflanzen las­

Ztuch diesen zeige deinen Kindern, und laß

sen.

die Rosen nicht ausgehen. Ich wünsche dir das Leben eines braven und

glücklichen Mannes.

Zch habe alles gethan dir

dasselbe vorzubereiten, und sterbe nun — wahr­ scheinlich bald — mit dem süßen Gedanken, dich

und Louisen glücklich gemacht zu haben.

Leb'

wohl.

Dein Vater Heinrich Ernst von Schönfeld.

Als der Superintendent den Brief gelesen

hatte, sah er alle, selbst die alte Tante, sich die Thränen abtrocknen.

Er selbst war so ge­

rührt, daß er nicht sprechen konnte. ■

Zweyter

Theil.

481

Ernst und Louise blickten sich mit Erstaunen

und Wonne an, und stürzten sich in die Arme. War Ernst oft mit seinem Schicksal nicht zufrie­

den gewesen, und halte ihm sein Glück oft zu

klein gebäucht, so schienS ihm jetzt viel zu groß zu seyn. Der alte Herrmann und seine Frau wußten

sich auch nicht gleich vor Freude zu fassen. Die Tante erholte sich am ersten.

Sie fiel

zum ersten Mal enthusiaslisch dem Pastor Ernst

um den Hals, cherzte und küßte ihn, und nannte

ihn in einer Minute mehr als zehn Mal, „lie­ ber Herr Vetter, bester Herr Vetter, Allerlieb­

ster Herr Vetter!" gebraucht hatte.

Titulaturen, di? sie nie

Za sie bat recht "Höflich'-um

Verzeihung, wenn sie den Herrn Vetter beleidigt

haben sollte.

Daß er ein Sohn des Generals

sey, meinte sie, habe sie längst vermuthet, aber nur nichts sagen wollen. Endlich gings ans Gratulieren.

„ Genießen

Sie beide lange das Glück, das Ihnen die Vor­

sehung so unvermuthet beschieden hat, sagte der Superintendent; es ist nicht zu groß für Sie.

Wie mancher Schurke thut noch weit reichere

Der Pastor in Kartoffelfeld.

4$2

Erbschaften, und ist wohl kaum zufrieden damit; der ehrliche brave Mann kann solche Glücksfälle als den verdienten Lohn seiner Rechtschaffenheit

betrachten. Herr und

Frau Herrmann

küßten

ihren

Schwiegersohn recht herzlich, und wünschten ihm

und sich Glück.

Fast stand es ihnen nun nicht

an, daß er Prediger in Kartoffelfeld werden

sollte.

„Jein, lassen Sie es dabey, sagte der

Superintendent.

Es ist immer gut, wenn ein

Prediger Vermögen sann.

hat und gnständig leben

Armuth macht ihn bey schlecht denkenden

Menschen leicht verächtlich,, wenn er auch der

beste Mann ist.

Zst er arm, so muß er auf

Geschenke und Gaben warten; ist er reich, so

kann er sie austheilen.

Der verstorbene General

muß ein vortrefflicher Herr gewesen seyn."

„Za, das war er, antwortete der alte Herr­ mann mit nassen Augen.

Sie hätten ihn sehen

sollen." Es wurden nun in Ansehung der Vermäh­

lung der Verlobten mancherley Entwürfe gemacht, uyd es kam dieser und jener Vorschlag zum

Vorschein.

Zweyter

Theil.

483

Die Tante riech, man solle nun ins Große gehen und der ganzen Nachbarschaft eine glän­

zende Fete geben; dem General zu Ehren müsse

doch etwas geschehen; allein dieser Vorschlag fand nicht sonderlich Gehör, zumal da sie auch von

einem Feuerwerk und Abbrennung zweyer alter

kleiner rostiger Kanonen sprach,

die auf dem

Gute standen.

„Daraus wird nichts, sagte Vater Herrmann. Solchen Lärm konnte der alte Herr nicht leiden."

Sie war auch der Meinung, der glückliche Erbe solle sich adeln lassen, wurde aber mit die­ sem Einfall laut ausgelacht.

„Er ist schon von Adel, gab ihr der Suverin-

tendent zur Antwort, sein Herz und seine Den­ kungsart haben ihn langst geädelt.

Zu Kartoffel­

feld verlangt man keinen gnädigen Herrn Pastor, da ist man mit einem gnädigen Gott zufrieden." Tante.

„Aber einen Titel würd' ich mir

kaufen, wenn ich wie Sie wäre, Herr Vetter!" Ernst.

Tante. Schulraths.

„Und welchen?" „Den Tttel eines Kirchen - und

Frau Kirchen - und Schulräthin

klingt doch weit schöner als Frau Pastorin."

Der Pastor in Kartoffelfeld.

484

Ernst hitzig. „Nie hab' ich ein Amt kaufen wollen, und nun sollt' ich leere Titel bezahlen? Wozu das? Weg mit dem Adel, weg mit dem Titelprunk.

Ein Herr mit einem gekauften Titel

kommt mir vor wie ein Zahlpftnnig, dem man

den Stempel eines Dukatens aufgedrückt hat. Ich bin glücklich genug, glücklicher als ichs ver­ diene.

Zm Unglück war ich mir gleich, und im

Glück will ich fcCLt'uße bleiben."

„ Bravo!h rief der Superintendent.

Stille und ohne alles Geräusch wurde die Hochzeit nach einigen Wochen vollzogen. In eben

der Laube, wo Ernst ehemals von seiner Louise

das Eeständniß ihrer Liebe vernahm, .verrichtete der Superintendent nach einer recht herzlichen,

rührenden Rede die Trauung,- und vereinte nach so vielem Mißgeschick zwey.Liebende, die der

Himmel für einander geschaffen hatte. Kurz darauf bezog Ernst mit seiner Gattin das Pfarrhaus zu Kartoffelfeld, lebte froh und vergnügt, gah dem Schulmeister Ruprecht aus

seinen Mitteln eine hinlängliche Zulage, und war Vater guter Kinder.