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German Pages 224 [232] Year 1801
Der
Pastor in Kartoffelfeld, oder
Der Mann mit zwey Grillen.
Ein Roman in 2 Theilen.
Mit einem Kupfer.
Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, xgoi.
S r. Hochwürden dem Herrn Äonsistorialrath und Inspektor
Z e rr e n n e r in Derenburg und
Sr. Hoch würden dem Herrn Inspektor und ersten Prediger
Müller
in
Kalbe
seinen
hochachtungswürdigen Freunden
widmet diese Schrift ergebenst
der Verfasser.
Der Pastor in Kartoffelfeld. Erster
Theil.
Erstes B u ch.
stillen von Buchenwäldern umgebenen Thale,
an einem durch Anger und Wiesen sich schlängelndey Dache lag mit seinen netttp nicht prächtigen Gebäuden und artigen Gärten ein mäßiges Land
gut, von einer eben so stillen und friedlichen
Familie bewohnt; von der Familie des biedern Pachters Herrmann. Dieser hatte es von dem
Herrn von Schönfeld, einem bejahrten, würdi
gen, rühmlichst verabschiedeten General, gepachtet, der sich gewöhnlich in den Sommermonaten hier
aufhielt, und seinen von Kriegsunruhen geschwäch ten Körper durch eine Brunnenkur, manchmal auch nur durch reine Lebenslust und den Anblick der grünenden und blühenden Felder und Gärten,
zu stärken pflegte.
Zn solcher Zeit schien er ganz
zur Herrmannschen Familie zu gehören, »nd war
4
Der Pastor in Kartoffelfeld.
derselben
der interessanteste Gesellschafter,
der
weiseste Nathgeber und der beste Freund.
Pachter Herrmann,
ehemals
der
treue
Verwalter des Generals, war glücklich durch die
beste Frau, die hoffnungsvollsten Kinder und den
rechtschaffensten Hauslehrer. Der Kandidat Ernst erzog ihm seine zwey Söhne und seine einzige
Tochter so gesittet, so häuslich und mit so vieler
Einsicht, daß er ihn innig liebte und ehrte, und
den Lehrer seiner Kinder als Mitglied seines Hau ses ansah, den er keine von jenen stolzen Demü thigungen erfahren ließ/denen oft die geschickte
sten Lehrer in reichen und großen Häusern ausge setzt sind.
Zn den wichtigsten und geheimsten
Angelegenheiten zog man auch ihn zu Rathe, und insgemein war sei» Nath, im Fall der verehrte
Gutsherr, welcher Ernst empfohlen hatte, nicht
gegenwärtig war, der geltende.
Pachter, oder
Amtmann, Herrmann, in seiner Zugend
der
bravste Soldat unter der Leibkompagnie des Gene rals, und nachher, wie gesagt, der Verwalter desselben, hatte das beste Herz und den geradesten
Sinn, aber nicht mehr Kultur als ihm die Um stände unter denen er ausgewachsen war, und nach-
Erster Theil.
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inals fein« feinere Frau, die Tochter eines ver dienten Landgeistlichen, hatten geben können, und wußte sich, zumahl da einer seiner Finger in einer Schlacht verstümmelt war, nicht wohl mit der Feder zu behelfen. Ernst war daher auch Korre spondent des Hauses. . Jede Gelegenheit wurde sorgfältig aufgesucht und benutzt diesen treuen Freund und Lehrer aufzumuntern und sein Amt ihm zu versüßen. Man machte ihm Weihnachtsgeschenke von Bedeutung, feierte seinen Geburtstag, nahm ihn zu jeder Lust partie mit u. s. w. War der Gutsherr gegenwär tig, so besuchte er ihn oft, wenn er von der Mor genpromenade zurück kam, ohne alle Ceremonie in seinen Schulstunden, hörte ihm zu und fragte und forschte nach diesem ober jenem wissenschaftlichen Gegenstände. War die Lektion eine geographische, so stellte er sich vor die Landkart«, und die Kinder mußten ihm die Oerter zeigen; besonders bey der Geographie von Böhmen, Schlesien uiid Sachsen, wo er.Jjn siebenjährigen 'Kriege den. meisten Schlachten beygewohnt hatte. Fast bey jeden Stadt erzählte er dann die Thaten der Preußi schen Armee und ihres Königs, Friedrich bett’
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Der Pastor in Kartoffelfeld.
Großen; und beschrieb die Schlachten, Gefechte
und Scharmützel, da ihm dann die Kinder -fo wie
ihr Lehrer mit größter Aufmerksamkeit zuhirten'.' Oft nahm er die Bleyfedcr und bezeichnete alle
Märsche mit Linien, oft forderte er Papier und bildete die Schlachten ab. Ging er nach Tische — welches fast täglich geschah — in den schönen von
ihm selbst angelegten Alleen spazieren, so mußte ihn Ernst begleiten, und die Jugend folgte und
pflückte Blumen oder suchte Vogelnester.
Kurz es
war jedem bemerkbar, daß der General für den
Hauslehrer eine ungewöhnliche Liebe und Achtung hatte. Ernst brachte mehrere Zahre in diesem Hause so froh und vergnügt hin, daß er die Hofmeister
in größern Häusern bey ihren höheren Gehalten und prächtigern Tafeln gar nicht beneidere. „Wo
finde ichs besser, als hier in meinem Elysium unter meinen lieben Kindern?" dachte er oft, und
sehnte sich ssach keinem größern Glücke, besonders wen» er mit dem Unterricht seiner schönen jetzt etwa dreyzehnjährigen Schülerin beschäftigt war.
,
Edle Frcymüthigkeit wohnte auf dem Gesicht
dieses sanften wackern Mädchens; sprechend war
E r st e r
T h e i-L
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der Blick ihres schwarzen Anges; ihr Verstand
warchell, ihre Seele rein und gut ' Louise glich einer Rose, welche aufzublühen im Begriff ist. Ernst sah sie täglich, und mit jedem Tage kam sie dem Zeitpunkt näher, wo die Schönheit in voller Blüthe prangt, jedes Auge entzückt und ohne
Kampf die herrlichsten Triumphe hält.
Schon
vorher, als-sie kaum elf Sommer zählte, fühlte
er sein Inneres bewegt, wenn er ihr zur Beloh nung des Fleißes die weiße weiche Hand drückte,
und sie sein gutes liebes Kind nannte;
Ja schon
in frühern Jahren seines Lehramtes fühlte er oft bey der Erziehung des kleinen unschuldig muntern
Mädchens ein lebhaftes Interesse und eine gewisse
Begeisterung. Nach und nach entstanden folgende Gedanken bey ihm: wie wenig Mädchen beglük-
ken ihre Männer; wie wenig werden gute Haus
wirthinnen und Mütter l Bey einer zweckwidri gen Erziehung bringen sie, ohne auf ihre Bestim
mung aufmerksam gemacht zu werden, ihre mehrste
Zeit unter Launen, Liebesgedanken, Romanleftreyen und am Putztisch hin; glauben ihre Bildung vollendet und ihre Bestimmung erreicht zu haben,
wenn sich auf Bällen und Assembleen ein eitler
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Der Pastor in Kartoffelfeld.
Geck oder ein unerfahrner leichtsinniger junger
Mann in sie verliebt; dem die Augen dann erst aufgchen, wenn der heilige Bund geschlossen ist.
0 glücklich, dreymal glücklich, must der Mann seyn, dem sein Schicksal vergönnt, sich seine Gat tin selbst zu erziehen.
Vielleicht gehör' auch ich
zu diesen Glücklichen.
Aber ein so schönes, gewiß
auch reiches Mädchen, ist das nicht zu gut für
mich? Für mich, der ich kein besseres Loos als
eine Landvfaxre zu erwarten habe?
Und wer
weiß wenn? Für mich, der ich ganz ohne Ver
wandte bin, und meinen Vater so wenig als meine Mutter zu nennen weiß? Je mehr er sich aber durch feine Erziehungs-
kunst empfohlen hatte und noch empfahl, desto näher lag auch dem Pachter Herrmann und sei
ner Frau der Gedanke, ihre still und ländlich
erzogene Tochter einem biedern und bewährten
Manne zu geben; und der war Ernst gewiß. Sein Aeußeres war zwar nicht schön, aber die
sittliche Grazie ersetzte den Mangel eines glatten
Gesichtes.
Er war ein Mann von gutem Herzen
und hellem Verstände; jeder Vernünftige befand sich in seiner Nähe und in seinem Umgänge wohl.
Erster
Theil.
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Einst als der alte General auf seinem Sofa
saß, «nd znm Zeitvertreibe mit seinem Stocke geometrische Figuren auf die Erde schrieb, fiel
das Gespräch auf ihn und #«f Louisen.
Gleich
legte er seinen Stock bey Seite und hub also an:
„ Ihr treuer Hauslehrer versteht fich gut auf die Erziehung der Töchter;
das beweist Zhr
Louischen, . Man sollte denken das Mädchen
habe in drey und mehreren Pensionen studiert, und hat doch weiter keine Bildung genossen als die fällige. Wahrlich, sie macht ihm alle Ehre!"
„ Wir können es ihm auch nicht genug ver danken, was er an unser» Kindern gethan hat und noch thut.
die Mutter.
Gott mags ihm vergelten, sagte Zsts doch als ob es seine eigenen
wären." „Etwas müssen wir ihn: scheqken wenn er
dereinst Pastor wird, versetzte Pachter Herrmann. Ein Andenken muß er mitnehmen.
Ew. Excel
lenz haben meine geringen Dienste mit dieser
guten Pachtung belohnt, und mich, Gott s.y
Dank! in den Stand gesetzt, daß ich andere wie der belohnen kann.
Ob ich ihm eine Kutsche
io
Der Pastor in Kartoffelfeld.
machen lasse?
denn die muß er doch haben;
lind das eine recht schöne."
„Nein, ein gutes Bett und eine möbliertö
Stube wollen wir ihm mitgcben; das ist nöthi ger, sagte Frau Herrmann."
„Zch weiß es noch besser, hub der General
lächelnd an, ich weiß es noch besser!" „Wie so, Ew. Excellenz? besser?"
„Noch viel besser; geben Sie ihm Louischen."
„ Louischen? " „Za, Louischen. versorgt wird.
So bald er nämlich gut
Mich dünkt die Liebe begeistert
schon in den Lehrstunden den Patron. gestern einer bcygewohnt.
Zch habe
Das ist eine Herz
lichkeit, ja, ich möchte sagen eine Zärtlichkeit!
Und das liebe gute Louischen svricht. auch aus einem andern Ton, als Schülerinnen zu sprechen pflegen.
Sie flattert um den freundlichen Hof
meister herum wie ein zahmes Kanarienvögelchen,
und geht die Gesellschaft im Garten spazieren, so
trägt sie ihm die schönsten Blumen zu.
Macht
mich nur zum Freywerber; Zhr sollt sehen, ich
mache meine Sache gut.
Erster
Theil.
ir
„ Es ist Nur heutiges Tagcs mit der Beför
derung eine eigene und schwere Sache, und de«
Mann ist eigensinnig.
Er will sich nirgends
melden, sagte Herr Herrmann.
„Ein braver Mann wird von selbst gesucht, und must sich suchen lassen.
Zch hab's in mei
ner Jugend nicht gedacht, daß-ich mach General werden würde, habe mich aber in Batajllen brav
gehalten, und der König hat mich, ohüe daß
ich mich meldete, dazu gemacht. „Das ist ganz was anders, Ew. Excellenz!"
„ Nichts anders.
Sorgen' Sie nicht; Gott
wird sorgen, und ich will, auch sorgen.
Hab'
ich auch keine Pfarre zu besetzen, so hab' ich doch Freunde."
„Nun wie Gott will, sagte die Mutter."
So verstrich etwa noch ein Jahr, als Loui
sens hoffnungsvolle zwey Brüder auf ein berühm tes Gymnasium gingen,
und Ernst nun im
Hause, die Korrespondenz abgerechnet, gewisser maßen eine überflüssige Person ward.
Dessen
IS
Der Pastor in Kartoffelfeld.
ungeachtet wollte man sich von beiden Seiten nicht gery. trennen.
Er setzte daher einige Lehrstunden mit sei ner erwachsenen immer mehr und mehr von
ihm geliebten Schülerin, jedoch mehrentheils in Gegenwart der Aeltern fort,
und suchte seine
Zärtlichkeit.so viel als möglich zu verbergen, und
den Ernst des Lehrers zu behaupten.
Er übte
seine Louise int Driefstyl, in wirthschaftlichen Rechnungen, las mit. ihr die schönsten und lehr
reichsten Bücher, entfernte aber sorgfältig jede
Schrift, mochte der Verfasser auch noch so be rühmt seyn, welche, der Unschuld gefährlich wer
den, und hie Phantasie, durch üppige Bilder ver derben konnte.
Einst, als er den zweyten Band
von Bürgers Gedichten auf ihrer Toilette fand, sagte er mit einer sehr ernsten Miene: „Es sind
gute Gedichte, aber ich wünsche, Sie lesen sie jetzt noch nicht.
Fürs erste sollen Gellert, Weisse,
Utz, Engel, Spalding und Klopstock unsere Unter haltung seyn."
Bisher hatte Louise noch nicht tanzen ge-, lernt, weil der schlichte Herrmann die Tanz kunst ganz für überflüssig hielt, und, wie er sich
Erster
i;
Theil.
äusdrückte, für das Hüppeln kein Geld ausge
ben wollte; ihr Lehrer aber brachte es doch da hin, daß ihr ein Tanzmcister aus einer nahen Stadt wöchentlich einigen Unterricht gab. Zeder-
zeit aber war er selbst zugegen,
wenn sie mit
ihrer einzigen Freundin, der Tochter des nahen Predigers Walther, der das Landgut als Filial besorgte, im Tanzen sich übte; freute sich über
den richtigen Takt, über die Besonnenheit, den Anstand und die Gewandtheit seiner Schülerin,
machte es aber dem Tanzmeister zur unverbrüch lichen Pflicht, sie den Walzertanz nicht zu leh
ren, ja nicht einmal davon zu sprechen. Auf seinen Vorschlag wurde bald'Louisen di«
Führung der wirthschaftlichen Rechnung übertra gen ; er selbst sah sie mit der Mutter nach jedem
Monat genau durch, und machte die nöthigen
Anmerkungen dazu.
Ze richtiger und sorgfälti
ger Louise alles aufschrieb und berechnete, die
Ausgaben mit den nöthigen Quittungen belegte,
und dabey Immer auf Verminderung derselben und auf Sparsamkeit bedacht war, desto mehr
Freude machte sie ihm; sich recht oft den
denn er wiederholte
süßen Gedanken,
„ es ist
i4
Der Pastor in Kartoffelfeld.
meine Braut, und was sie lernt,, das- lernt
sie sich und mir."
Bald aber hätte
sich
diese erst keimende
Freude in Leiden verwandelt.
Herr Meffert, ein sehr wohlgewachsener und wohlgek'leideter Amtmann aus der Nachbarschaft,
kam auf seinem raschen Engländer, für den er vierzig Pistolen gegeben hatte, zum Besuch ange
ritten, und bat sich gleich nach der Ankunft die Erlaubniß aus., einige Tage verweilen zu dür fen.
Die Absicht dieses langen Besuchs war
lercht zu errathen.
Am ersten ahnete sie, wel
ches aus Gründen der Seelenkunde sehr natür lich ist, der verliebte Ernst.
Beym Essen sprach der Fremde fast von nichts a,ls seiner weitlüuftigen Wirthschaft.
Er
rühmte die guten Aecker, die vorige reiche Ernte,
den Viehstand, die Schaferey, die. Zugochsen, die Pferde./ die-Garten, die Wiesen, die Woh nung n. s. w. berechnete vorläufig seinen dießjäh
rigen Gewinn, und setzte hinzu: „ich bin ein glücklicher Mann, Nur Eins ist noch -noth."
Erster Hr. Herrmann.
Meffert.
Theil.
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„Gewiß die Frau."
Ganz recht.
Es lebt sich
nicht gut ohne Weib." Nach Tische als Ernst und Louise nicht zuge
gen waren, erklärte er sich deutlicher.
Meffert.
„Man hat mir, sagte er, von
Ihrer Mamsell Tochter viel gutes erzählt, daß sie so ordentlich und wirlhschastlich sey."
Fr. Herrmann.
„Sie läßt sich ganz
gut an."
„Wahrhaftig! Das wär'eine
Meffert.
Frau für unser Einen.
ich sie tragen.
Fr. Herrmann. zen.
Auf den Händen wollt'
Sie entzückt mich." „Sie belieben zu scher
Louise ist noch viel zu jung. H r. H e r r m a n n.
dckauf.
„ Freyen ist kein Pfer-
So was verdient lange überlegt zu
werden."
Meffert.
„Ich scherze weiß Gott nicht.
Das Madel gefällt mir außerordentlich.
Zch
kann ja auch noch warten und mich mit meiner grämlichen Hausverwalterin noch ein Jahr und
drüber behelfen."
i4
Der Pasivr in Äarrvsselfeld.
Fr. Herrmann.
„Darauf laßt sich nicht
Die Ehe ist zwar eine Sache des
antworten.
Verstandes, aber auch des Herzens.
Das meiste
kommt darauf an, daß ein Mädchen wahre Nei
gung für den Liebhaber fühlt. fallen.
Zwang must weg
Wir haben unsere Tochter freylich zum
strengsten Gehorsam gewöhnt; aber nach meiner wenigen Einsicht geht unser Recht nicht so weit,
daß wir auch Gehorsam in einer so wichti gen Herzenssache, als die Ehe ist, verlangen
könnten.
Hier muß Neigung entscheiden.
Sie
werden zugeben, bester Herr Amtmann, daß die
Ehe das Glück, oft auch das Unglück, des ganzen
Das erfährt man ja täglich."
Lebens bestimmt. Meffert.
„NunSie erlauben wenigstens,
wie ich schon gebeten habe,
daß ich Ihnen
noch ein paar Tage auf dem Halse liege." Eben trat Louise in die Thür und brachte
den Kaffee. Dmge.
Das Gespräch fiel also auf andere
Der Fremde ließ sie keinen Augenblick
aus den Augen,
gefiel sie ihm,
und
in allen Kleinigkeiten
besonders wenn sie ihm mit
ihrer runden weißen Hand höflich eine Tasse präsentierte. Nach-
Erster
Theil.
i?
Nachher trat sie ihrer Gewohnheit nach vor
ihr schönes silbertönendes Lemmisches Klavier,
und spielte mit Fertigkeit und Ausdruck eine Sonate von Mozart.
Gleich sprang der Fremde
herbey und bat dringend, daß sie doch dazu singen
möchte.
„Singen Sie doch auch eins dazu,
dann- wirds »och besser gehn, Mamsellchen,"
sagte er ihr mehr als einmal.
Da sich aber
bekanntlich zu einer Sonate eben so wenig singen
läßt als zu einer Symphonie, so brach Louise gleich ab, spielte und sang mit vieler Empfin
dung das schöne Lied von Müchler und Hurka:
Zartes Weiß! die Feier meiner Lieder will ich dir mit ganzer Seele wcihn, u. s. w.,
und machte dadurch auf den Liebhaber einen so gewaltigen Eindruck, daß er ganz entzückt vor Freuden dazu pfiff.
Verloren, verloren! dieser Pfiff entscheidet! dachte Ernst, der eben.in einem Buche las, und
nun in feiner Seele triumphierte.
'Noch herrlicher ward dieser Triumph, als Amtmann Meffert die Frage anfwarf: hat das Stückchen gemacht?" Müchler mit Vetter Micheln
„ Wer
den Professor
zu
verwechseln
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i8
schien, recht zärtlich darauf antrug, die Schine möchte
doch
auch
die
lustige
Arie
spielen:
„Gestern Abend war Vetter Michel bft,z/ und
abermals pfiff, um den Ton dazu anzugeben. Das.ist mir zu gelehrt, antwortete Louise.
Beleidigt und an solche Plattheiten gar nicht gewohnt, verließ sie unter irgend-einem Vor
wande das Zimmer, und ließ sich in einigen Ernst folgte ihr.
Stunden nicht wieder sehen.
Gegen^Abend, als Louise am Nähetisch saß, trat der Fremde zu ihr heran, kniff ihr zärtlich
die Wange mit
der noch
zärtlicheren Frage:
„Wir machen doch heute Abend Eins?
nicht
wahr, wir machen Eins?"
Louise erröthete, einer sah den andern an,
und kein Mensch wußte, was er meinte.
End
lich hub Ernst ziemlich unwillig an: „Was soll
denn gemacht werden, Herr Amtmann?" „Ein Spielchen.
Ein Lomberchen, oder be
lieben Sie zu grobäußern?" „Das wollen wir Ihnen überlassen.
Zch
spiele nicht," antwortete Louise. „Nun auf dem Klavier spielen Sie uns doch
wenigstens noch Eins! Hören Sie, Mamsellchen!"
Erster Theil.
19
„Zch weiß nichts mehr. Zch dächte, Sie pfiffen uns Eins; Sie pfeiffen vortrefflich!" Erst wollte sich Herr Meffert wirklich noch einmal hören lassen, und fing schon an „Blühe liebes Veilchen" anzustimmen, als er an Ernst und Louisen ein satirisches Lächeln bemerkte. Dieß brachte ihn zum Schweigen. Herr Herrmann lenkte das Gespräch auf die Kornpreise, auf die Ausfuhr des Getreides, wor über Herr Meffert so vieles zu sagen wußte, daß er Louiftn vergaß, wenigstens sie diesen Abend mit seinen Zärtlichkeiten verschonte. Nach manchen ähnlichen Versuchen auf das Herz der Schönen, der er mit Gewalt gefallen wollte, reifete Herr Meffert wieder ab, ließ sich aber den Gegenbesuch mit Hand und Mund versprechen. Glückliche Steife! dachte Ernst. Glückliche Steife! dachte Louise, und freyer schlug beide» das Herz.
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Der Pastor in Kartoffelfeld. Wort zu halten und auch aus Neugierde,
doch zu
sehen,
ob Herr Meffert wohl nicht
geprahlt habe, entschloß sich der alte Herrmann
den versprochenen Gegenbesuch in den nächsten Tagen gbzustatlcn.
Louise aber war nicht zu
bewegen Gesellschaft zu machen, so gern sie der Vater mitgenommen hätte. „Der Mann ist ohne Erziehung, sagte sie,
und voll Plattheiten.
Für mich ist er nicht, und
wär' er noch einmal so schön und reich.
Hätte
»ch die Frau dieses oder eines ähnlichen Mannes
werden sollen, so müßte man mich ganz anders gewöhnt und erzogen haben."
Das Mädchen hatte Recht.
Wer frcncte sich
mehr über diese vernünftige Reflexion als ihr Lehrer.
Ein gutes Herz mag er haben, sagte
dieser,
auch ein guter Wirch seyn; aber nm
Geschmack und Bildung steht es übel.
ein Kontrast zwischen ihm und Ihnen!
Welch Der
ltmgang kann das Leben versüßen, aber nur
dann, wenn gebildete oder der Bildung fähige Menschen in Gesellschaft treten. • Frau Amtmän
nin Herrmann war, ohne es sich nrerken zu las
sen, gleicher Meinung, und das um so mehr,
Erster
weil
sie
in
den
Theil.
erstem
21
Zähren mit ihrem
damals ziemlich unpolierten Gemahl nicht immer
harmoniert hatte.
Herr Herrmann wußte nach seiner Zurück
kunft die Oekonomie des Herrn Meffert nicht genug zu rühmen, und wo er ging und stand sprach er bald von den vollen Kornböden, bald
von den schönen Pferden, fetten Ochsen u. s. w.
Nur die vier runden, geputzten und bebänderten Mägde, die er gesehen haben wollte, hatten
seinen Beyfall nicht, weil zwey ungeputzte, sei
ner Meinung nach, auch genug wären.
Auch
hatte er zwey kleine Knaben mit gelben Halb stiefeln und feinen grünen Zacken im Hause
herum laufen sehen, aus deren Ab - und Her kunft er nicht klug werden konnte.
Bedenklich
war es ihm, daß sie Herr Meffert, ob er sie gleich für des Gärtners Söhne ausgab, so oft
mit Rosinen und Mandelkernen fütterte. Dennoch war er im Herzen als Oekonom nicht so abgeneigt seine Tochter an Herrn Mef fert zu geben.
23
Der Pastor in Kartoffelfeld.
„Der Mann versteht freylich die Komplimente nicht, sagte er zu seiner Frau, aber sag' einmal, Mutter, wie könnten wir die Louise besser anbrin gen? Laß ihn immer ein wenig geradezu seyn, das wird sich wohl geben, wo nicht, so muß sich Louise an seine Manövers gewöhnen. Wahr lich es sitzt mir zwischen Haut und Fleisch." „ Aber, Kind, die vier bebänderten Mägde — die zwey kleinen Zungen —" „I nun! Es ist der Weltlauf. Aber die Wirthschaft hättest du sehen sollen! Die unsrigekommt nicht dagegen." „Kind, du merkst ja wohl, wo Louise hin neigt; weißt ja auch, was der General neulich' sagte. Gieb einmal Acht darauf. Zch wette, Ernst ist sterblich in sie verliebt, wenn ers sich auch nicht so merken läßt. Wir Weiber sehen so was eher als ihr Männer." „ Ich glaube noch nicht daß der Informator so schrecklich in das Mädchen verliebt ist, und bey der Excellenz will ichs schon ausmachen." „Kind! sie lieben sich beide; das ist aus gemacht. Daß aber Louise Herr Mefferten lie ben wird, wenn sie ihn auch heirathen müßte.
Erster glaube ich nicht.
Theil.
Und ob es Ernst in diesem
Punkt auch treu und redlich meint, wollen wir bald mit Gewißheit erfahren."
„Und wie?"
„Wir wollen ihn in der Heirathssache um Nath fragen."
„Laß es
seyn, daß
sie
sich
nur daß sie sich nicht vcrquackcln. ich nicht leiden.
lieben, sorge
Das kann
Der Mann hat noch kein Brot,
und von der Liebe lebt keiner."
Der alte Herrmann willigte ein, daß mit
dem Erzieher seiner Tochter über diese Heiraths-
angelegenheit
eine Konferenz
gehalten wurde.
Hier ist sie der Hauptsache nach: Fr. Herrmann.
„Guter, alter Haus
freund, wir haben eine höchst wichtige Sache auf dem Herzen, und müssen auch Ihren Rath darüber hören.
Wir haben Zhnen jederzeit die
kleinen und großen Angelegenheiten unsers Hau ses entdeckt, und wollen Ihnen auch aus dieser
kein Geheimniß machen."
24
DerPastor in Kartoffelfeld. Dem Hofmeister ward bey dieser Vorrede so
wann ums Herz, daß er alle Fassung verloren haben würde, wenn er nicht praktischer Erzieher Doch überlief eine schwache
gewesen wäre.
Röche sein Gesicht, und verrieth die Bewegung seiner Seele.
„Lassen Sie mich hören, gute
Mutter!" Fr. Herrmann.
„Wie gefallt Ihnen
der junge Amtmann, der neulich bey uns war?" Ernst.
„Gerade so wie er Ihrer Tochter,
meiner lieben Schülerin, gefallt;
und wie er
auch Ihnen gefallen würde." Fr. Herrmann.
„ Zu den feinen Leuten
gehört er nicht." Hr. Herrmann.
„Aber ein tüchtiger
Wirth! Ein Matador!"
Fr. Herrmann.
„Wird sich der Mann
wohl noch verfeinern, wenn er eine gute gebil dete Frau bekommt?"
Ernst.
„Es ist in seiner ersten Erziehung
zu sehr versehn.
Etwas besser könnte er durch
guten Umgang wohl werden, aber ein völlig gebil deter, gesitteter, seiner Mann und angenehmer Ge
sellschafter, wird er nach meiner Meinung nie."
Erster Fr. Herrmann.
Theil. „Ich wills nur gerade
heraus sagen, meinem Mann gefällt er, wenig stens /rls Oekonom, gar sehr, und er ist nicht ganz abgeneigt seine Wünsche zu erfüllen."
Ernst betreten.
„Welche Wünsche?"
Fr. Herrmann.
längst errathen haben.
„0, Sie werden sie Unter uns
gesagt, er
hat um Louisen angehaltcn." Ernst.
„Um Louise»? Ich hab' es be
fürchtet." Hr. Herrmann.
Sie denn dazu? seyn.
„Nun, was meinen
Es kann nicht alles beysammen
Was ist besser, ein reicher Landwirth,
der ein wenig platt ist, oder einer der sich auf Komplimente versteht, und (ein Vermögen oder wohl gar kein Amt hat.?"
Ernst.
„Ich kann hierin nicht rathen.
So viel ich weist ist gegenseitige Liebe
und
Achtung die Grundlage zu einer glücklichen Ehe.
Man müsste Louisen fragen, ob sie Neigung zu ...ihm habe?"
Hr. Herrmann.
„Sie kann sie noch
bekommen."
Ernst.
„Sie wird sie nie bekommen." .
26
Der Pastor in Kartoffelfeld. -
Hr. Herrmann.
„Woher wissen Sie
das? " „Dieß sagt mir mein Herz.
Ernst.
Sie
liebt ihn nicht und kann ihn nicht lieben."
Bey diesen Worten entfernte er sich und hielt
sein Schnupftuch vor das Gesicht.
Welche
Allmacht hast du
nicht,
leidiges
Geld! schimmerndes Metall! auch oft über die Gemüther der
besten Menschen!
Wo
Weise der deinen Reihen widersteht?
ist der
Bemäch
tige dich aller Künste, ersteige den Gipfel der
Wissenschaften, was bist du? Ein unbedeuten des Wesen ohne Silber und Gold.
Und doch
kann weder Silber noch Gold den Werth eines Menschen erhöhen, eben so wenig als der Stein der vor meinen Füßen liegt.
So dachte Ernst, und ging seinen Harm zu verbergen in dem nahen von Alleen durchschnit
tenen Walde einsam spazieren.
Ein paar Wald
tauben auf einer hohen Eiche erregten seine Auf merksamkeit.
Erster
Theil.
27
„Haben es die Thiere nicht besser als die „Menschen? Sie dürfen sich lieben, und Liebe • „ beglückt sie.
Und der Mensch, fähig der süße-
„sten, heiligsten Empfindungen, wird ein Opfer „des kalten Reichthums, oder der eingebildeten „ Ehre."
„Irre ich nicht, so liebt mich Louise; und
schmeichle ich mir nicht zu viel, so hab' ich ihre Liebe verdient! Aber der rohe, reiche Mann
wird von dem Vater begünstigt.
0 könnt' ich,
was vielleicht noch nie ein Mensch gekonnt hat,
könnt' ich meinem Herzen gebieten, und eine
Leidenschaft daraus auf immer verbannen, die ich
verschlossen in diesem Busen mit mir herumtrage, und die vielleicht nie befriedigt werden wird.
Wach' auf meine zu sorglose Vernunft, besiege
und beherrsche das Herz! Besser ists, tausend mal besser, gar nicht zu lieben, als mit Qual
zu lieben."
„Aber wenn ich sie nur nicht täglich sähe,
täglich spräche, das sanfte, holde, edle, aufblü hende, entzückende Mädchen!
Wird es nicht
immer wieder auflodern das gedämpfte Feuer, wenn sie mich in ihrer Unschuld so frepmüthig
Der Pastor in Kartoffelfeld.
18
anlächelt?
Nicht zur Hellen Flamme werde»,
wenn sie mir, wie sie als Kind so oft that, zutraulich die Hand
drückt, und mich guter,
lieber Ernst nennt ? '*
„ Welche Nolle soll ich nun spielen? Soll ich auf einmal Kälte affektieren?
Das wird mir
nicht gelingen und Louisen kränken — Wird es Louisen wirklich kränken? Zch muß erst abwar ten, wie sie sich benimmt.
Kann sie, weils der
Vater will, Herrn Meffert ihre Hand geben, so ist sie nicht für mich.
Doch sie kann es nicht,
und zum erstenmal wird sie ihrem guten Vater
den Gehorsam versagen, wen» er in Herzens sachen Gehorsam fordern sollte." Voll solcher Gedanken kam er aus dem Walde
zurück.
Eine Brücke führte ihn in den nahen
Garten, wo er sich in einer an dieser Drücke stehenden dichten grünen Lindenlaube niedersehte,
mit dem Vorsatz, sich allen Gram aus dem Sinn zu schlagen.
Aber alles, was er im Walde
gedacht und gegrübelt hatte, fand sich, wie ein Traum, nach der Reihe in seiner Seele wieder
ein.
Endlich schlief er hingelehnt in die Ecke
der Laube darüber ein.
Seine Miene blieb
Erster
29
Theil.
aber so denkend und so trübe, daß sie leicht'
die ganze Stimmung 'der Seele verrieth.
Nach einem warmen Ta^e'eilte Louise mir der Gießkanne in der Hand in den Garten, ihre
an der Laube blühenden Nelken zu tränken.
Sie
sah den schlafenden Lehrer, und bemerkte bald die ungewöhnlich
trübe und umwölkte Stirn.
Lange stand sie betrachtend und denkend vor ihm. „Ein
unglücklicher
Traum
betrübet ihn.
Kommt mir es doch vor als hätt' er geweint.
Ach! er will wirklich weinen! — Soll ich ihn wecken und seine Leiden unterbrechen? — Sie
nahm seine Hand und schloß sie in die ihrige;
ihr Herz wurde unaussprechlich bewegt.
Zhr
Herz sagte ihr: vielleicht bist du die Ursache sei
nes Kummers.
Mefferts Antrag! gewiß er
liebt mich, wie ich ihn liebe.
flog von ihren Lippen.
Das Gesiändniß
Sie erschrak als sie
hörte, drückte auf die Hand des Geliebten einen
Kuß und entfernte sich schnell."
Leiser aber als
Schlaf.
sie
dachte
war ErnstenS
Er hörte sie kommen — hörte wie sie
fröhlich hüpfend und singend die Blumen begoß,
hörte ihre theilnehmenden Klagen, ihr Geständ-
3o
Der Pastor in Kartoffelfeld.
niß, und fühlte sein Inneres froh erschüttert
durch den Kuß, welchen sie ans seine Hand drückte. Kaum halte sich die Schöne entfernt als er
aufstand, fröhlicher als er sich niedergeseht hatte.
Sie liebt mich! Sie liebt mich! dachte er, und der gütige Himmel wird es fügen, daß dieß gute
Mädchen die Meine wird.
Herr Herrmann blieb immer noch für Amtmann Meffert eingenommen, und sagte sei
ner Frau noch oft: „Eine so gute Gelegenheit, unsere einzige Tochter zu versorgen, kommt ge
wiß so bald nicht wieder.
Ernst, hat viel an ihr
und ihren Brüdern gethan, aber noch ist er weiter nichts^ als ein guter Mann.
wo ihn das Schicksal
Wer weiß
noch einmal hinführt.
Belohnen wollen wir ihn; aber —" Gan; dieser Meinung war eine zum Besuch eben angekommene Frau Tante.
„Wenns «ine Frau nur recht anzufangen weip, sagte diese, f» kann sie aus dem Mann
Erster'Theil. machen was sie will.
31
Ich weiß wie mein seliger
Mann beschaffen war als wir uns heirakhcten.
Er war ein Trotzkopf und ward zahm und kirre
wie ein Lamm.
Er spielte gern, und ich brachte
ihn bald dahin, daß er keine Karte mehr ansah.
Er fluchte,vhne.Unterlaß, beten.
und ich
lehrte ihn
Kurz ich zog ihn ganz nach meiner Hand.
Wollt'ich.ausfahren, gleich ließ er anspannen; wollt' ich Besuch haben, so sagte er, ja, mein
Kind! So, liebes Louischen, so müssen Sie es auch machen; das
muß bald ein ganz anderer
Herr Meffert werden." „Zch kann aber Herrn Meffert.nicht lieben;
kann ihm nicht gut seyn."
„Ey die Liebe findet sich sobald man den Ätann liebenswürdig gemacht hat.
Kind, nach gerade.
Alles, mein
Auf einmal fällt kein Baum.
Wenn, Gott sey bey uns, der Mann ein Teufel ist, so muß er ein Engel werden.
ren manchmal
Weiber regie
nicht nur den Mann, sondern
durch den Mann eine ganze Stadt, wie z. E. die
Frau
Bürgermeisterin
Geschlecht, vermag viel, kennt."
zu
G .. .
Unser
sobald es seine Waffen
zr
Der Pastor «»'Kartoffelfeld.
„Welche Waffen?" versetzte Louise. „Ich merke, Sie sind noch etwas unwissend,
liebes Mädchen.
Bald einmal gezankt und ge
trotzt ; dann gemault; wenn das nicht helfen
will, haben wir Krämpfe, Nervenzufälle; hilft
das auch nicht, so muß man freylich zu gelin der» Mitteln greifen, den Mann um den Dart gehn, ihn küssen, bitten, und der Fuchs muß zum Loche hinaus."
„Solche Lehren, antwortete Louise empfind
lich, gab mir Herr Ernst nie'; auch las ich sie weder im Kampe noch in einem andern guten Schriftsteller."
„Sieh, liebe Schwester, welche Weisheit! sprach Frau Tante zur Mutter,
ich
bewun
dere sie." „Kann ich die Ihrige bewundern,
liebe
Tante?"
„Naseweises Ding! was hast du denn gegen ihn?"
„Daß ich ihn nicht leiden kann." „Und warum, Närrin! kannst du ihn nicht
leiden?"
„Er
Erster
33
Theil.
,,Er pfeift für mich zu vortrefflich,^ sagte
Louise.
Um ein unwiderstehltches Lachen zu ver
bergen, sprang sie hinaus ins Freye. „Das ist ein trotziges Ding, sagte Frau Tante, das macht, weil sie noch jung ist.
ist Noch nichts mit iHv anzufangen.
Es
Lassen Sie
sie, lieber Herr Bruder, noch einige Zahre älter werden, so wird ihr ein solcher Herr Meffert
schon willkommen seyn.
Gott, wo ein Mann
zu haben ist, da muß sich in heutigen Zeiten, wo die jungen Herren so selten heirathcn, ein
Mädchen nicht lange bedenken." „Nun ich will sie nicht zwingen, fing der
alte Herrmann an. Gründe.
Zch habe auch noch andere
Zm Vertrauen gesagt, Herr Meffert
halt mir zu viel junge,
rasche und geputzte
Mägde, und man sieht da Zungen in gelben
Stiefeln herum laufen." „Das taugt nicht, sagte die Tante.
Solche
Fehler gewöhnen sich die Männer selten ab, da mag 'eine Fran machen was sie will.
Das sind
häßliche Fehler."
Fran Tante hub an das Hauskreuz solcher Frauen sehr umständlich zu schildern, deren Män-
Der Pastor in Kartoffelfeld.
34
11 er auf verbotenen Wegen gehen, und es aus allen Erfahrungen, recht umständlich zu beweisen,
daß solche Manner sich nie bessern, und wie sie glaubte, auch, nicht bessern können. Von nun an .ließ der ji(tc Herrmann den
Gedanken,
sich
den Amtmann Meffert
Schwiegersohn zu ivählen,
gleich
dieser
in
zum
ganz fahren j ob
einem Briefe,
ganz
seines
Geschmacks, nochmals recht dringend und zärt lich um Louisens Hand angehalten hatte.
Ernst,
mußte ihn beantworten, und schrieb dem Herrn,
auf eine solche Art, daß er alle Hoffnung auf Er kam nie wieder; schrieb.auch
einmal aufgab. nicht wieder.
Wie man sagt, hat er. sich aus
Verzweiflung kurz nachher mit seiner schönsten Magd vermählt.
Bey der Stille uUd Eingezogenheit, in der man zu Nosenhain zu leben gewohnt war, ward
die schöne wohl erzogene
jetzt
siebzehnjährige
Louise wenig bekannt; da es ihr in einer großen
Stadt,.wo der öffentlichen und. häuslichen Feste
Erster
Theil.
3)
fast eben so viel sind, als Tage im Zahr, an Verehrern
würde.
und Anbetern
nicht gefehlt haben
Sie glich einer schönen Blume im
Schatten, nicht der Prunkrose am Wege. Einst als man über Tische die Zeitungen las, kündigten diese große Festlichkeiten, Schauspiel,
Ball und Nedoute an, womit in künftiger Woche
der Geburtstag des Fürsten, in der etwa vier Meilen entfernten Residenz gesepcrt werden sollte. Noch hatte Louise den Fürsten nicht gesehen, aber viel Gutes von ihm gehört; noch kein
Schauspiel gesehen, einige der besten gelesen; nnd noch weniger hatte sie auf einem Dalle getanzt.
„Liebes Väterchen, fing sie daher an,
lassen Sie uns doch Hinreisen, damit auch ich vusern Landeshcrrn, eine
den guten Fürsten,
Komödie, einen Ball und was es mehr ist, ein
mal zu sehen
bekomme.
Hören Sie,- liebes
Väterchen! schlagen Sie mir diese kleine Ditre doch ja nicht ab —"
„ Liebes Kind,
hub Ernst an,
noch ehe
Herr Herrmann seiner Tochter antworten konnte,
liebes Kind, der Fürst ist ein Mensch wie andere,
nur der Stern vor der Brust unterscheidet ihn;
Der Pastor in Kartoffelfeld»
z6
und wie ein solcher Stern beschaffen ist will ich Zhnen beschreiben.
Komödien haben Sie gele
sen, und man sieht dergleichen täglich in der Welt.
Der Ball ist eine große Tanzübung, wo
aber nach heutiger Mode recht viel gewalzt und gehopst wird, und wo manches Mädchen die
Gesundheit apf immer verliert.
Cie verlieren
nichts, wenn Sie dieß alles nicht sehen.
Ein
Spaziergang in der schönen Natur, ei» gutes
Buch, ein gutes Klavier ergötzen weit mehr." „Es wird auch sehr voll seyn," sagte der Vater.
„Wenns recht voll ist, desto besser! sagte die Mutter.
Mache mir und der Tochter das
Vergnügen, Väterchen, laß uns Hinreisen I"
„Es ist wahr, liebe Schwester, hub Frau Tante an, deine Tochter lebt hier wie im Kloster, und eine Nonne soll doch Louischen nicht werden.
Auf dem Lande mag es «och so schön seyn, so
ermüdet doch
das ewige Einerley.
Zuweilen
muß man auch die große Welt sehen. kann immer Bäume,
Wer
Korn,. Pferde, Kühe
und dergleichen vor Augen haben? Sagen Sie
ja
nicht
nein,
lieber
Herr Bruder!
Sie
Erster
Theil.
haben ja Pferde und Wagen.
37
Zch reise auch
mit."
Ernst warf dem alten Herrmann einen Blick zu, der etwa so viel sagte: „ Sagen Sie nein;
die Sache ist bedenklich."
Dieser machte auch
anfänglich Schwierigkeiten genug, und schützte ein wirthschaftliches Geschäft nach dem andern
vor; allein die wiederholten zärtlichen Bitten der Tochter und ihrer Mutter, und die Deredt-
samkeit der vergnügungssüchtigen Tante preßten ihm endlich das Za aus, und die Neise wurde beschlossen.
Zn der Hauptstadt rüstete sich alles zu den
angekündigten Freuden.
Ueberall gab es leb
hafte Auftritte und Familienscenen.
Zn einem
Hause maulte und muffte die Mutter sammt den Töchtern mit dem fleißigen Vater, weil er nicht
gleich wollte.
herausrücken
und
Modekleider
kaufen
Zn einem andern stieß, kniff und puffte
die heftige, cholerische, schlecht erzogene Fra«
den gutmüthigen, geduldigen Mann, der sich nicht entschließen wollte, den langsam ersparten
38
Der Pastor in Äartoffeifeid.
Nothpfennig auf Masken im Range zu verwen
den.
Zn einem dritten sveisele die ganze Familie
Mittags und Abends Kartoffeln mit Salz, und
trank statt des gewohnten Kaffees ein Glas Was ser, um die Komidienbillets bezahlen zu können. Zn einem vierten wurde ernsthaft überlegt, was
inan dießmal von den Mobilien am füglichsten entbehren könne.
Zn einem fünften gingen viel
Zuden aus und ein.
Dagegen blühcten in den
Trödclbudcn und Leihhäusern Handel und Wan del wie auf der Börse in Hamburg.
Die Fri
seurs waren eifrigst beschäftigt so viel falsche Haaraufsähe für Damen zu verfertigen als be
stellt waren, und Dagegen den Herren Schwe denköpfe zu scheren.
Die Zahnärzte putzten alte
Zähne und setzten neue ein.
Die Galanterie-
händler hatten starken Absatz an Schminke und
wohlriechende» Oelen.
Schuster und Schneider
arbeiteten Tag und Nacht, um die bestellten Modeschuhe und Moderöcke zu liefern.
Zn vie
len Betten gab es sehr unruhige Nächte.
Zn
manchen konnten die Gemahlinnen vor lauter
Freude, in andern vor lauter Uebcrlegungen, was sie anziehen und wie sie sich heranspuhcn wollten.
Erste r nicht schlafen.
Theil.
39
Zn manchen wurde disputiert,
pdcr man sprach wohl gar von einem Schei
dungsprozeß. Zin stillen Herrmannschen Hause aber herrschte
Friede und Ruhe; und über das neue hellrothe
seidene Kleid, das Louischen bekam, nnd ihr so schön stand, daß ihr der entzückte Ernst kaum ins Gesicht sehen konnte, wurde weder gestritten noch gezankt.
Dc> Alte,
der einmal das Za
gesprochen hatte, gab auch willig das nöthige Geld her.
„Macht was ihr wollt, sagt' er,
nur macht es nicht zu bunt." Ze näher der Tag
der Reise heran kam,
desto fröhlicher waren die Damen,
besonders
die Tante, desto gedankenschwerer uno niederge schlagener der gute Ernst.
Der redselige Mnnd
der Tante floß über von lauter Verhaltungö regeln auf dem bevorstehenden Feste.
lehrte Louisen wie sie sich
Sie be
zu benehmen habe
gegen den Fürsten, die Prinzen, die Minister, die Geheimenräthe, die Hofmarschälle, die Kam merherren, die Kammerjunker.
„Keinem bcr
Herren, sagte sie, mußt du einen Tanz verweigery.
Du mußt es dir um des Himmels willen
40
Der Pastor in Kartoffelfeld.
nicht merken lassen,
daß du vom Lande bist;
denn über die Landmädchen pflegt man gern zu
spotten.
Recht vornehm, gravitätisch und delikat
mußt du Auftreten, und thun als ob du nächst dem Hofe die vornehmste Person in der Gesell
schaft seyst.
Gerade so hab' ichs gemacht, als
ich noch jünger war."
Ganz anders! sprach Ernst zu seiner Schü
lerin, dem Engel im neuen Kleide.
Sie
sich
vor
dem Walzen
und
„Hüten
Hopsen —
trinken Sie wenig, noch besser gar keinen Wein
oder Punsch —
bleiben Sie Ihren 2leltern
stets nahe — seyn Sie sparsam mit Ihrem
Lächeln und Blicken — küssen Sie niemand — ich beschwöre Sie bey Ihrer und Ihrer Aeltern Ehre, weichen Sie den Zudringlichkeiten der
jungen Herren aus;
seyn Sie ernsthaft und
empfindlich bey jeder zweydeutigen oder unge sitteten Witzeley, und sagte sie ein Prinz — benutzen Sie,
diese Reise,
weil Sie einmal
geschehen soll, zu Ihrer Aufheiterung, und zur
Erweiterung
Ihrer jetzt
Weltkenntniß — "
noch
eingeschränkten
E r st e r „Wollen Sie
den»
T h x i l.
41
nicht auch mitreisen,
guter Herr Ernst?" antwortete Louise.
„Ich bin nicht dazu anfgefordcrt." „0 ganz gewiß wirh man Sie noch ein laden." Dieß geschah aber nicht, weil Frau Tante
versicherte, Lehrer, Hofmeister, Geistliche und
ähnliche Leute genierten nur bey solchen Gele genheiten; die müsse man zu Hause bey den
Büchern lassen.
Ernst blieb also, nachdem er das geschmückte Louischen mit klopfendem Herzen zu dem Wagen geführt und eine tiefe Abschiedsverbeuguug ge
macht hatte, allein zu Hanse seinen Büchern und Grillen überlassen.
Er las was er lesen konnte, bald Geschichte, bald Philosophie, bald Reisebeschreibungcn, bald
Romane; aber nur mit halber Seele.
Immer
sah er die geputzte, reihende, für ihn blendend schöne Louise in den Wagen steigen und abfahren.
Imme< sprach er in Gedanken mit ihr.
42
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Er fühlte seine Seele getheilt, und selbst das
abstrakte Studium der Kritik der reinen Ver
nunft vermochte nicht sie zur Einheit zurück zu
bringen, und jene reihenden Bilder aus der Einbildungskraft zu verdrängen.
Es war ihm
als ob er zwcyfach existiere.
Oft wenn er eine Seite gelesen hatte, war
ihm kein Wort von dem Gelesenen mehr gegen wärtig; er legte, ohne es zu wissen, das Buch
auf den Tisch, ging in der Stube einsam auf und ab, und philosophierte etwa also:
„Für ein reines, unschuldiges, mit keiner
„Versuchung bekanntes Herz, ist ein solches Fest „ein gefährlicher Kampfplatz. „es unverwundet zurück.
Selten kommt
Sollte Louise ohne
„alle Eitelkeit, ohne allen Leichtsinn zurück kom-
„ men? Ganz die reine Denkungsart, die Unbe„fangenheit wieder mit zurück bringen, mit der „sie abreisete?
Sie wird viele schöne Männer
„sehen, wird sie mich noch licbm könne»? —
„mich schlichten ehrlichen Mann?" Diese und ähnliche Betrachtungen wollten nicht aus seiner Seele weichen; und hätte er ein halbes Zahrhundert früher gelebt, so würde
E r si c r
T h c i i.
43
er sie dem Muthwillen eines bösen Engels zuge schrieben haben, dergleichen cs aber doch nach
Aussage des -Hermetischen Katechismus auch in neuern Zeiten wieder geben soll.
Zn Gesell
schaft seiner angenehmen Schülerin waren ihm die Tage wie Stunden, die Woche wie Tage
hingeschwunden; jcbt dünkten ihn die Stunden
Tage, die Taae Wochen zu seyn.
„ Was isi das? wohnt eine doppelte Seele
in mir? Zch fühle daß meine Einbildungskraft ganz aus der Bahn tritt.
Zsts nicht der Anfang
einer Krankheit, die ich bisher nicht kannte, jener
Krankheit, die den Klügsten und Weisesten ent stellt, und ihn völlig unbrauchbar für die Welt
machen kann? Isis nicht der Anfang der Hypo
chondrie?
Eile weg von den Büchern, suche
Gesellschaft, um dich aufzuheitern, ehe dich diese
Feindin der Freude und der Liebe ergreift." Schnell nahm er seinen Stab, und raschen Schrittes ging er über Feld zu seinem Freünd,
dem Prediger Walther.
Diesem beschrieb er
44
Der Pastor in Kartoffelfeld.
feine Seclenleiden umständlich, verschwieg aber die Quelle derselben,
die Liebe,
welche aber
dem Prediger Walcher, der einst auch geliebt hatte, nicht unbemerkt blieb; so wenig unbe
merkt blieb, als dem klugen erfahrnen Richter
ein böses Gewissen.
Hr. P. Walther. len! heirathen müssen Sie.
„Fort mit den Gril Ein artiges junges
Weib kuriert den Milzsüchtigen sicherer und bes ser, als ein ganzes Kollegium Medicum, besser
als alle Apotheken."
Fr. P. Walther.
„Das können Sie
glauben, ich habe meinen Mann auch kuriert. Als Bräutigam war ep einem Narren so ähn
lich, wie ein Ey dem andern; wie Zoseph der Träumer war er beschaffen, und konnte, wie ein Mensch, der kein gutes Gewissen hat, keinem ins Gesicht sehen, klagte und lamentierte vom
Morgen bis zum Abend.
an.
Sehen Sie ihn jetzt
Er ist vergnügt, dick, rund und fett; es
fehlt ihm nichts."
Ernst.
„Heiraten? ich heirathen? wel
ches Machen wird so leichtsinnig seyn und einen
Erster
Theil.
45
Kandidaten nehmen, der weder Amt, noch Brot, noch Geld hat."
Hr. P. Walther.
„Legen Sie doch
gleich eine weibliche Erziehungsanstalt an, wie
schon so manche heirathslustige Kandidaten gethan
haben, oft auch solche, welche Väter wurden,
ehe sie Beruf dazu hatten."
Ernst fd)uttelto ben .Steps. „Wissen Sie was?
Fr. P. Walther.
lassen Sie Sich adMngieren.
Jetzt eben sucht
der uralte Pastor Seifert einen Zldjunkt, nur
ist ein kleines Aber dabey; er soll die Tochter
nehmen." Ernst.
„Um Verzeihung, das kleine Zlbcr
ist für mich doch zu groß!"
„So! so! ich merke
Fr. P. Walther.
was.
Ich habe schon
ein Vögelchen
singen
gehört."
Ernst etwas freundlicher aber qlcich wieder ernftbaft.
„Welches Vögelchen denn?
Ich muß Ihnen
bekennen, Frau Pastorin, daß ich auf keinem Schleifwege in ■ ein Amt gelangen will.
ist mein fester Vorsatz und - Entschluß.",
Das
46
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Hr. P. Walther. . „Was sagen Sie da vom Schlcifwege.
Das ist ja kein Schleifweg.
Es geschieht ja nicht heimlich." Ernst.
„Zch halte allerdings eine solche
Adjlinktlir für einen Schleifweg.
Ich will ein
wirklich berufener Volkslehrer seyn, und weder ein Amt erheirathen, noch kaufen, noch erklagcn."
Hr. P. Walther.
„Hoho l-der Herr
versteht noch keine Grammatik."
Er lacht- ne ihm
dcr dicke Beuch fcbuttcvte.
(Ernst.
„Wie so?"
Hr. P. Walther.
„)ch benenne die
verschiedenen Arten, wie man zu einem Amte gelangen kann:
den Kasum Genitivum,
den
Kasum Dativum, Akkusativnm und Vokativum. Der Dokativuö kommt aus der Mode; wenit).
stens geht', roie in der Grammatik, der Genitivus oder Dativus. gemeiniglich voran.
Mair
muß dem Lauf der Welt nachgeben, oder haben
Sie sich vorgenommen die Welt zu andern? Nach unsern Phantasien gehts nicht allemal."
Ernst.
„Phantasien?"
H r. P. W a l t h e r.
„ Za, ein solches Prin
cip, das auf die Welt gar nicht mehr paßt.
Erster
Theil.
47
nenstk ich eine Phantasie, oder ans gut deutsch,
eine Grille.
Haben Sie nicht dergleichen noch
mehr? " Ernst.
„Es kann wohl seyn."
Hr. P. Walther.
Ernst.
„Und welche?"
„Bloß nach Vernunft und Nei
gung zu heirathen.
Gelingt mir beides, so ist
der feste Grund zu meinem Glück gelegt.
Wo
nicht, so bleib' ich wie ich bin."
„Sie sind also
Hr. P. Walther
eiu Mann mit zwey Grillen; wir wollen sehen
wie weit Sie damit kommen." Fr. P. Wa lth er.
„Das wird sich alles
finden, wenn Sie nur erst älter werden."
Ernst.
„Es wird sich nicht finden.
diesen beiden Grundsätzen,
die ich nach
Bey
der
neuesten Philosophie' meine zwey kathegorifchen
Imperative nenne,
lebe und sterbe ich, und
sollte ich weder Amt noch Weib bekommen." Fr. P.
Walther.
„Starrkopf!
mit
Fleiß wollen Sie hypochondrisch werden."
Hr. P. Walther.
„Kind, laß ihn, er
will die Welt verbessern; ist ein neuer Philo soph, und die neue Philosophie versteh ich nicht//
48
Der Pastor in Kartoffelfeld.-
Fr.P.Walther. mit sch-lthast-r Miene. „Nun/ wie stehts denn im Herrmannsthen Hause? Sie
sind ja wohl verreiset? Ist Louischeir auch mit
zum Ball gefahren?" Ernst etwas betreten und verlegen.
, die
„
Aeltcrn haben Sie mitgenommen." Fr. P. Walther.
„Sie war za wohl
recht geputzt, das kann ich mir vorstellen.
Es
ist ein wahrer Engel von Mädchen j — nicht
wahr, lieber Herr Ernst?" (Gleich lenkte Ernst mit sichtbarer Verlegen heit das Gespräch auf das heutige schine Wetter, sprach mit der Mamsell Walther noch einige Kleinigkeiten, über dieses ynd jenes, nahm aber bald seinen Stab, und wandelte nicht mit gan zer sondern getheilter Seele nach Noseuhain.
Das Walthersche Haus wortwechsclte noch lange über den sonderbaren Mann, der schlech
terdings auf dem geradesten Wege in ein Zimt kommen, und ganz nach Neigung sich vermäh
len wollte. „Zeh möcht' ihn nicht haben," sagte Mam sell Walther.
„ Du
Erster Theil.
49
„Du wirst ihn auch nicht bekommen, sprach Frau Pastorin Walther.
Merkst du wohl, der
rechnet auf Louise Herrmann.
Aber er wird
sich verrechnen, und gebt Acht, dann schnappt
er über."
Nicht viel heiterer als er ausgegangen war kam der Verliebte auf seine Stube zurück.
Hier
kam er mit sich selbst in Kampf, „ ob er seine Liebe den Aeltern geradezu und ehrlich entdecken,
auf ein Za oder Nein antragen, oder sich fer
ner in der Stille mit Zweifeln quälen wolle? " Nach manchem oft lauten Selbstgespräch blieb sein Vorsatz: die quälenden doch aber auch süßen Gefühle so gut als möglich immer noch zu ver
bergen.
Denn,
dachte er, erfolgt ein schreckliches
Nein, so ist es mit deiner schönen Hoffnung, Louisens Gatte zu werden, auf einmal vorbey.
Seys auch nur Wahn oder Täuschung, so bleibt
doch Gellerts Ausspruch immer wahr: Sollt' aller Irrthum ganz verschwinden,
So wär' es schwer ein Mensch zu seyn.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
5o
Auch mir würde rS schwer fallen ein erträg licher Mensch zu seyn, wenn mir der beseligende Wahn „ Louise doch noch einst zu besitzenauf
einmal geraubt würde.
Nein, ich lasse ihn nicht!
Ich will fort hoffen, wie ein Spieler, und das
größte Loos erwarten; meiner Louise Hand und Herz. Eben kam der Wagen angedonnert, wie pochte und klopfte ihm das Herz.
Flügelsehnell herbey
geeilt hob er die Schöne ans dem Wagen.
Sie
war freundlich Und heiter, weiter aber auch nichts, kein Händedruck, kein Kuß.
Ihr freyer,
dreister Blick verrieth, daß ihr die große Welt sehr wohl gefallen habe, und sie jetzt mit höherm
Sinn über das stille ländliche Leben weit hinweg schaue.
War es auch wohl möglich, daß ein
junges siebzehnjähriges, bis dahin nur im väter
lichen Hause, Gärten und Feldern, sonst nir gends bekanntes und dazu empfindsames Mäd
chen, aus einem solchen Freudentaumel völlig mit der
bescheidenen Miene
edler
einfältiger
ländlicher Unschuld wieder zurück kommen konnte?
Sie hatte auf einmal zu viel gesehen, und alles war ihr neu, alles schön und manches entzückend.
Erster
51
Theil.
Zn ihrem nur zum Klavier gewohnten Ohre tön ten noch,die Symphonien, Angloisen und Wal
zer' des großen fürstlichen Orchesters.
Vor ihren
Augen hüpften und kräuselten noch hundert Paar
strahlender Tänzer und Tänzerinnen. Die Phan
tasie repetierte einmal nach dem andern das gese hene erste Schauspiel.
Der fürstliche Stern und
das bebänderte Hofgefolge schwebte noch vor ihr. Mit Wohlgefallen dachte sie an die Schmeicheleycn, Liebkosungen und kleinen Dienste liebeln
der junger Tänzer zurück, und wußte nun daß sie schön war, schöner als andere; da sie sogar
die Augen eines Prinzen auf sich gezogen, uud was noch mehr sagt, mit ihm getanzt hatte. Ein junger Kaufmann
war- ihr wie der
Schatten immer nachgefolgt, und hatte ihr bey
jeder Gelegenheit einige Zärtlichkeiten zugcflüstert.
Diesen konnte sie nicht vergessen.
Sein
mit Silber beschlagener, in London gearbeiteter
Wagen, mit raschen Schimmeln bespannt, fuhr sie nach geendigtem Ball mit ihren Aeltern ins
Hotel zurück, und Er.selbst holte sie mit der nämlichen Equipage den folgenden Tag wieder
ab.
Würde hier wohl eine sieben und zwanzig-
Der Pastor in Kartoffelfeld.
;r
jährige Philosophin —
wenn
es
dergleichen
giebt — dieselbe bleiben? Ueber Tische ergoß sich Frau Tante ihrer Natur nach in lauter Lobreden auf die gesehenen und genossenen Freudenfeste.
Sie kritisierte jede
Scene, da dann manches nach ihrem Urtheil
doch noch besser und geschmackvoller hätte seyn können.
Am wenigsten war sie damit zufrieden,
daß sie nicht auch hervorgelcuchtet und die Auf
merksamkeit der Großen auf sich gezogen hatte; wiewohl zwey falsche Zähne und das in Silber farbe verschießende schwarze Haar ihr die Lehre
geben konnten, daß sie unter der Menge blühen der Schönen eben so sehr reihe, als im prächtigen Blumengarten die welke sich entblätternde Tulpe.
„Nun, wie gefiel dirs denn, Louise, als der Prinz dich aufführte und mit dir walzte, hub
sie an.
Gelt, das kommt anders als deine alt
fränkische Menuet?"
Louise.
„Zch wußte erst nicht wie mir
geschah, als er auf mich zukam, mich auffordrrt« und zum Walzen mit fortriß."
Tante.
„Das glaub ich, junges Ding.
Dom Prinzen aber kann dir weiter nichts werden.
Erster
Theil.
53
Was aber deitkst du zu dem jungen Kaufmann?
Rasend verliebt war er, als er mit dir tanzte. Wie gefiel dir seine Equipage? Der Fürst hat
sie kaum so schön.
Der Mann muß Tonnen
Goldes, wo nicht Millionen besitzen." „Cs ist nur einKorn-
Hr. Herrmann.
hLndler.
Künftige Woche wird er uns besuchen
und einen Handel mit mir machen." Tante.
„0 schön!
schön!
also er wird
kommen."
Louise.
„Wird er kommen, der hübsche
Mann, lieber Vater? in seinem Wagen.
0 herrlich fuhr es sich
Wenn er kommt soll er uns
einmal ins Feld spazieren fahren lassen.
Herr
Ernst muß auch in dem schönen Wagen fahren."
Oder hinten aufstehen, murmelte dieser, und
finster sahe er auf den Teller vor sich hin.
Zhm
war zu Muthe als stände er vor dem peinlichen Halsgericht, und als wenn in diesem Augenblick der Stab über ihn gebrochen würde.
Alle Reden
der weisheitschwangern Frau Base waren für
ihn Torturen.
Ein Pfeil traf jedesmal sein
Herz, wenn von Walzen gesprochen wurde, und Louise versicherte, daß ihr dieser Tanz gefallen
Der Pastor in Kartoffelfeld.
54
habe.
Er hielt die Beschreibung der drey fröhli
chen Tage nickt lange aus, wandte Kopfschmer;
vor und stand von Tische auf.
Frau Tante fuhr fort: „Ich habe viel Kauf leute gekannt, aber ein so reicher und schöner ist
mir »och nicht vorgekommen.
Mit Silber be
schlagene Wagen hat man sonst kaum an Höfen gesehen." Hr. Herrmann.
„Das macht alles der
Der zieht Geld ins Land und
Kornhandel.
macht in kurzer Zeit reich." Fr. Herrmann.
„Wenn nur nicht die
größten Kaufleute so oft bankerott würden. Heute
sind sie reich, morgen haben sie nichts."
Tante. ster !
„ Glaube das nicht, liebe Schwe
Das muß ich besser wissen.
Ein banke
rotter großer Kaufmann hat immer noch zehnmal
mehr, als der, welcher dort saß — Sie zeigt« auf Crnficnä Stuhl, selbst wenn er die beste Pfarre
bekommt.
Mit den Kaufleuten nimmt mans so
genau nicht.
Wenns mit ihrer Kaffe nicht recht
richtig ist, so akkordieren sie, und geben dreyßig
für hundert.
Manche werden daher nachher noch
reichet als sie zuvor waren."
Erster
Hr. Herrmann. unbegreiflich gewesen.
Theil.
55
„Das ist mir immer
Unser einer und wenn
er auch sichtbares Unglück, und nicht einen räsonabeln Principal hat, muß nach dem Kontrakt
den letzten Heller bezahlen."
Fr. Herrmann.
„Es scheint bloß ein
Privilegium der Handelsherren zu seyn, daß sie ganz höflich schreiben und sagen dürfen „wir
hören auf zu zahlen."
Mit uns ist das anders,
mein Kind! Wir wollen das weiter nicht unter suchen."
Tante.
„Nein, Louischen! halt einst ein
Kaufmann um dich an, fürchte du keinen Ban
kerott.
Die Kaufleute fürchten ihn selbst nicht.
Neulich gab einer den Tag zuvor noch eine herr
liche Fete, und den Morgen ließ er seinen Gläu
bigern schreiben,
„ich höre auf zu zahlen."
Freylich krachte er sich unsichtbar, kam aber bald
wieder und handelte von neuem.
Hätte er den
Bankerott gefürchtet, so würde er den großen
Schmaus, der wenigstens zoo Thlr. kostete, weggelassen haben."
Der Pastor in Kartoffelfeld.
;6
Abermals gedankenschwer hatte sich Ernst in
seine Lieblingslaube gesetzt, wo er einst Vas tröstende, erquickende Geständniß seiner Louise
vernahm.
„Noch so ein2lugenblick, dacht' er,
könnte mein verwundetes Herz heilen, und den Trübsinn verscheuchen."
Zn dem angenehmen
Wahn, die Schöne könnte, wenn sie noch einen
Nest von Liebe, wenigstens von Neigung, gegen ihn hätte, vielleicht noch einmal hierher kommen, und dem schlafenden Lehrer eine» zweyten Kuß
auf die Lippen drücken, machte er den Schlafen
den so natürlich als er konnte.
Und. Louise kam
wirklich mit der gelben Gießkanne in der Hand, um zur gewohnten Zeit ihre Blumen zu tränken.
Kaum war sie damit fertig so-------- walzte sie
solo die Gange auf und ab, streckte, als hätte
sie den reitzendsten Tänzer wnschlungen,
die
weißen Arine aus, und trillerte mit ihrer Sil berstimme die Musik dazu.
Deo schlafende»
Lehrer und Anbeter schien sie nicht zu bemerken^
Mit halbem Blick sah dieser dem Tanze zu, und
wie «in Blitzstrahl fuhrs
ihm
durchs Herz,-
Freude und Hoffnung, dacht' er, haben nun ein
Ende.
Nicht mir, dem Kaufmann ist ihr Herz
Erster
geweiht.
Theil.
57
Von nun an würde meine Hoffnung
eine unverzeihliche Thorheit seyn.
Ein Mensch
ohne Geld, ohne Amt, ohne äußerliche Reihe, der wie Diogenes seinen Reichthum bloß im
Kopfe trägt, was ist der gegen einen jungen,
schönen,
begüterten Kaufmann
im
silbernen
Wagen? wie Sirach sagt, ein irdener Tops
gegen den ehernen.
Ich rechnete auf des Mäd
chens Neigung, bedachte aber nicht, daß di«
Herzen der Schönen so veränderlich sind als daWetter.
Fort soll aus dem Herzen die Thorheit
der Liebe, die grausame Feindin meiner Ruhe.
Walze du, Louise, unterdessen fort, bis ans Ende der Welt, was kümmerts mich!
Und Louise walzte und trillerte fort durch
alle Gänge des Gartens bis in das Haus. Hätte unser liebekranker Ernst nur etwas
von jener Dreistigkeit gehabt, die manchen Lieb haber so schnell beAlückt; hätte er nicht nach sei ner etwas sonderbaren Gemüths - und Denkungs
art eine offne Erklärung für Zudringlichkeit ge
halten, so würde er feine Schülerin über den Zustand ihres Gemüths befragt, und ihr die Pein seines Herzens wehmüthig geklagt habe:?.
;8
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Dreist hält mancher Mensch, trotz aller seiner
Mängel, um jedes 2(mt und jedes Mädchen an, imb die Erfahrung lehrt, daß er das Ziel seiner
Solche Zmpertinen) aber
Wünsche erreicht.
muß schon angeboren seyn.
Unser gute Ernst
hatte dagegen eine starke Dosis Bescheidenheit
zu viel zum Erbtheil erhalten.
Er konnte sich
in solche Menschen gar nicht finden, die, ohne Talent und Geschick bey sich abzuwägen, im
dreisten Lauf auf jedes Lebensglück los rennen, und es, wo nicht allemal, doch zuweilen erjagen und erhaschen;
und
das,
was
Gellert
von
Jürgen sagt, hatte er nie recht begriffen. Der erwartete reiche Kaufmann, der Mann
im silbernen Wagen
war ihm ein Gespenst,
das er noch schrecklicher fürchtete als die Kinder den Popanz. Den krankenden Anblick desselben
zu vermeiden beschloß er eine Reise. Am folgenden Tage fand man auf seinem
Äsche folgendes Billet: Werthester Herr Amtmannl
„Ihr Haus, sonst mein Himmel, scheint mir eine Hölle zu werden.
Die fürchterliche
Erster Krankheit
Theil.
der Hypochondrie,
59
welche
manche
Dinge verkehrt, andere zu groß und andere zu
klein darstellt, die des Menschen Empfindungen verbittert, und seine Denkkraft lähmt, scheint
sich meiner bemächtigen zu wollen.
Ich bin ent
schlossen ihr durch eine Reise zu entgehen, und setze nicht nur Ihre gütige Einwilligung voraus,
sondern schmeichle mir auch, daß ich in der Abwesenheit Ihre mir so theure Freundschaft
und Gewogenheit nicht verlieren werde.
Der
ehemals gesunde und muntere Lehrer und Erzie« her Ihrer Kinder G. E."
Es war in der Gegend ein alter Seelsorger, der Pastor Meyer, welcher sich durch Recht
schaffenheit und Gelehrsamkeit eine allgemeine Von diesem hatte
Achtung erworben hatte.
Ernst
gehört,
daß
er
in
jünger»
Zähren
äußerst kränklich und hypochondrisch gewesen sey,
und durch guten Rath schon manchen Milzsüch
tigen wieder zur Gesundheit geholfen habe.
Er
sehnte sich also ihn kennen zu lernen, und schmei chelte sich in dem Greise einen Mann zu treffen.
6o
Der Pastor in Kartoffelfeld.
gegen den er fein volles jetzt überladenes Hetz ausschütten könne, da er in Rosenhain einen
solchen Freund nicht zu finden glaubte. Unterwegs besuchte er auch den Prediger
Schwarz zu Kartoffelberg, von dessen äußerst schlechten Pfarrstelle alle Leute zu reden wußten,
und allgemein behauptet wurde, daß sie nicht
volle anderthalb hundert Thaler eintrage.
Ernst
wollte diese frappante Sage an Ort und Stelle
untersuchen, und nahm daher seinen Weg auf Kartoffelberg.
Es war grade gegen Mittag,
als er ins Pfarrhaus trat.
mand antwortete.
Haus und Zimmer
Er pochte an und nie
waren unverschlossen.
Er öffnete eine Thür nach
der andern, und sah keinen Menschen.
Die
Zimmer waren leer, nur in einem stand ein Tisch und zwey Stühle, und auf dem Tisch lag Bibel und Gesangbuch; der einzige Denz,eis daß er in einem Pfarrhause war.
wortete.
Er rief; niemand ant
Endlich erscholl eine Stimme: Wer
ist da? Er ging der Stimme nach, und fand
den Wirth des Hauses in der Küche am Herde stehend, wo er sich in eigner Person Bohnen mit Essig kochte.
Erster Theil.
61
„Sind Sie der Herr Pastor Schwarz?" „Leider! Ich bereite mir das Mittagsbrot."
„Darf fich der Kandidat Ernst zu Gaste
bitten? " „Wenn Sie vorlieb nehmen wollen—" Beide speiseten ihre Bohnen mit grobem
Brote, und tranken Wasser. „So muß ichs machen, sagte Herr Schwarz,
so lange ich es nicht lernen kann ganze Wochen oder Monate zu fasten.
So reicht es zu.
Zeh
koche selbst, ich bediene mich selbst; nur des
Sonntags geht mir eine alte Frau zur Hand."
„Habew Sie denn wirklich nur 150 Thlr. Einnahme? " „Nicht rillig.
Nur 139 Thlr. ir Gr. und
6 Pf."
„ Die Pfarre muß einen sehr armen Patron haben?"
„ Eine sehr reiche Patronin.
Eine nahe
Abtey, katholischer Religion, die Sie unterwegs
gesehn haben werden, besoldet mich —" „ Und legt in heutigen Zeiten nicht zu? "
„Nicht einen Pfennig. meinem Elend selbst Schuld.
Ich bin aber an Warum war ich
Der Pastor in Kartoffelfeld.
6r
so verblendet eine solche Stelle anzunehmen?
Geschehene Dinge sind nun einmal andern.
nicht zu
Zch Fröste mich mit Lem Schulmeister,
der hat auf das ganze Zahr nur achtzehn Thaler. Das tragt auf. den Tag einen Groschen uud einige Pfennige." „Der Tagelöhner nimmt ja doch vier oder
fünf Groschen ein .. wie kann der arme Mann von. vierzehn Pfennigen leben?"
„Er würde natürlicher Weise vor Hunger sterben, wenn nicht, die Gemeinde ihm so mit
durchhülfe.
Im Sommer läßt sie ihn die.Kühe-
hüten, und besoldet ihn als Hirten ziemlich gut. .Jedes Haus giebt ihm als Hirten jährlich ein
Brot und eine Wurst, und am Neujahrsfeste
gratuliert er einen Tag singend als Schulmeister, und den andern blasend als Hirte mit seinem
Horn." .
Ernst wollte diese Erzählung
bezweifeln;
allein der herbeygerufene Schulmeister bezeugte,
daß es sich wirklich so verhalte. Unbegreiflich
reiche wollte.
Abtey
bliebs
beide
ihm
Stellen
aber,
nicht
daß die verbessern
Erster
Theil»
63
„ Unsere Stellen, sagte Herr Schwarz, sind gleich nach der Nesorrnation gestiftet, und damals
konnte ein Mensch von 140 Thlr. leben.
Wenn
das Kloster um Verbesserung gebeten wird, beruft
es sich jedesmal auf die Stiftungsakten, und so ist nichts zu machen.
Schicksal ergeben.
Zch habe mich in mein
Das bitterste ist, daß ich
als Einsiedler leben, tuib allen Umgang ver meiden muß, weil ich niemand anständig auf
nehmen und bewirthen kann." Ernst empfahl sich und wünschte dem armen Manne bald eine bessere Stelle.
Zm Meyerschen Hause sah es besser aus. Eine
wohleingerichtete
vieljahrige
Wirthschaft
hatte alle Ecken und Winkel des Hauses gefüllet,
und es mangelte bey den weit reichern Einkünf
ten der' Pfarre an nichts.
Der alte Meyer
freute sich herzlich über die Ankunft seines Gastes, und noch vergnügter ward er, da er ihn aus
seinen Gesprächen näher
kennen lernte.
Er
erzählte ihm seinen ganzen acht und siebzigjäh-
64
Der Pastor in Kartoffelfeld.
rigen Lebenslauf ganz ausführlich, verglich die ältern Zeiten mit den neuern, und schüttelte dabey zuweilen den Kopf.
Als Ernst über sein volles gesegnetes Haus seine Verwunderung blicken ließ, sagte er:
„ Alle den Segen habe ich Gott und meiner seligen Frau zu verdanken.
Zch empfinde es
noch, wie viel ich an ihr verlor, und würde es
mehr fühle», wenn nicht meine Tochter ihre Stelle erseht hätte.
Sie ist aber Braut eine-
Negierungsraths zu W...
Nach ihrer Hochzeit
wird mein Sohn mir Gesellschaft leisten.
Zch
erwarte ihn nächstens von der Universität zurück, und dann soll meiner Tochter Hochzeit und mein
fünfzigjähriges Amtsjubelfest an Einem Tage ge feiert werden, und mein Sohn wird mir zum erstenmal was predigen.
Lebte meine selige,
gute, brave, fleißige Frau noch; so würde dieß der allervergnügteste Tag Leben seyn.
in meinem
ganzen
Nun der Herr hals nicht so fügen
wollen."
Volle drey Wochen leistete Ernst dem Alten Gesellschaft, und predigte auch einmal für ihn.
Bald wurde erzählt, bald disputiert; besonder-
Erst « e Theil.
65
wenn die Rede auf die Wölfische und Kantische Philosophie kam.
Der 2((te war noch mit gan
zer Seele seinen Lehrern, Wolf und Daumgarten ergeben, und der Kandidat sprach lieber von Kant und den neuern Theologen.
Konnten sie
über diesen oder jenen Punkt nicht einig werden,
so pflegte der 2llte insgemein zu sagen: „Nun die Ewigkeit wirds ausilärcn, und Gott Lob! ich
bin ihr nahe." Endlich lenkte Ernst das Gespräch auf die
Leiden der Hypochondrie, und wie sehr wurde
er getröstet, da ihn der Pastor Meyer versicherte,
daß er in jüngern Zähren eben so sehr, ja noch mehr gelitten habe, aber durch Bewegung de-
Körpers,
Zlufhciterung
und Zerstreuung nach
und nach wieder hergestellt, und völlig gesund geworden sey.
Entweder Stolz oder Liebe, oder
übertriebener gelehrter Fleiß, sagte er, sind ins
gemein die Ltuellen dieses Uebels. die Liebe als der Stolz,
Denn sowohl
und der überspannte
Fleiß, beschäftigen die Seele immer mit einerley Gegenständen, welches ihr eben so nachtheilig ist als es dem Körper ist, wenn er immer auf der
nämlichen Stelle bleibt.
Abwechselung ist das
66
Dec Pastor in Kartoffelfeld.
große Gesetz der Natur, welches sie alle Augen
blicke rastlos befolgt; Bewegung der Seele in freyen Räumen und des Körpers in freyer Luft
wird Sie, lieber Herr Kandidat, gewiß gesund machen. Ich hoffe es, sagte Ernst, und empfahl sich
dem ehrwürdigen Alten, der ihm noch manche gute Lehre mitgab.
Viel heiterer wanderte er
nun nach Rosenhain zurück, und dachte wenig
an den Kaufmann mit dem silbernen Wagen. Selbst die reihende Louise war ihm lange nicht
so wichtig mehr als zuvor.
Der alte Herrmann hatte seinen geheimen Sekretär am meisten vermißt, und hieß ihn recht freundschaftlich willkommen.
Frau Herr
mann gleichfalls, und Louise, die, wie Ernst,
befürchtete, jetzt wohl eine Verlobte des reichen Kaufmanns seyn könnte, schickte ihm bey der
Ankunft einen recht holden Blick entgegen.
Alle
waren gleich fröhlich, daß der vieljährige Freund und Vertraute des Hauses wieder da war.
Von
Erstxr
Theil.
67
dem reichen Kaufmann Lempe lins wurde kein
Wort gesprochen.
Desto mehr mußte Ernst von
seiner Reise, von dem Pastor Schwarz und dem Pastor Meyer erzählen.
abgereist.
Die Frau Tante war
Langer würde sie wahrscheinlich geblie
ben seyn, wenn sie nicht der Kaufmann in sei nem Prachtwagen mit nach der Hauptstadt ge
nommen hätte.
Das Glück in einem solchen
Wagen und mit solcher Equipage zu fahren,
konnte sie nicht auSschlageu.
Ernst war neugierig, ob der Kaufmann wirk lich in Nosenhain gewesen, und wie er anfge-
nommen sey; aber wie sollte er dieß erfahren? Bey den Bedienten des Hauses sich zu erkundi
gen , hielt er für unanständig; die Familie selbst zu fragen eben so unschicklich. Folgender Zufall entdeckte ihm alles was er
zu wissen begehrte.
Zn den Gängen des Gar
tens, nicht weit von seiner Lieblingslaube, sah
er einige Papierstückchen liegen.
Unwillkührlich
hob er eins davon auf, und erblickte die Züge
von Louisens ihm sehr bekannter Hand.
Das
Herz klopfte ihm als er auf dem ersten Fragment
die Worte las:
Der Pastor in Kartoffelfeld.
68
— auch wieder abgefahren — Ob er um mich angchallen hat? Versteht sich ! Ob ich ihn
angenommen habe? — Gleich gab er sich alle Mühe hie Bruchstücke zu sammeln, und zu seiner Freude gelang es ihm den ganzen Brief daraus
setzen.
zusammen zn
Hier ist er. Liebes Dorchen!
Za, er ist hier gewesen, der schöne reiche
Kaufmann, nicht allein hier'gewescn, sondern—
auch wieder abgefahren — Ob er um mich ange halten hat? Das versteht sich! Ob ich ihn ange
nommen habe? Still! wer wollte so neugierig seyn! Laß dich lieber von mir einige Augenblicke
in unsern Garten führen.
Der Herr, welchen
du dort siehest, das ist der Kaufmann;
die
Dame, die er führt, bin ich; der alte eisgraue
Kriegsmann, welcher sich auf seine Krücke lehnt, und nur noch einen traurigen Rest von einem
Mensche» vorstellt, ist ein alter braver, mxiyem
Vater längst bekannter invalider Husar, dem
«ine Kanonenkugel einen Fuß
weggeschmettert
hat — Du siehst den alten Helden mit zitternder
Erster
Theil.
Hand seinen Hut Hinhalten.
Almosen.
69
Er bettelt um- ein
Großmüthig wirft der Kaufmann
einen Sechser in den Hut; der Alte dankt herz
lich — Fünf Pfennige gebt mir zurück, sagte Herr Lempelius.
Der Greis kann in seinem
alten ledernen Deutel nur drey Pfennige zusam
men finden.
Gebt mir den Sechser zurück, und
bettelt euch erst noch zwey Psennige zusammen;
dann sollt ihr ihn wieder haben.
Sv sagt der
Reiche zu dem Armen. Das ist unerhört, rtifst du -aus.
Du mußt
aber wissen, daß bey einem solchen Herrn Lempe
lius, in seinem Wohl gestalten Körper, an dem
Ort, wo bey uns Akädchen das liebe Herzchen
befindlich ist, anstatt desselben ein -voller Geld beutel hängt. Mein Vater giebt dem alten Kriegsknechl, dev
dem Vaterlande in der Schlacht ein Vein geopfert hat, sobald-er angehinkt kommt, jedesmal zwey
Groschen, und dann muß er sich erst recht satt
esse», ehe er weiter geht.
Oft muß er -ihm auch
was erzählen, und bekommt noch mehr. gebe ihm allemal
Auch ich
wenigstens einen- Groschen.
O wie vergnügt ist er alsdann!
er vergißt,
Der Pastor in Kartoffelfeld.
70
daß ihm ein ganzes Dein fehlt.
Nun höre
weiter! Kaum hatte der Kaufmann sein Sechserchen
wieder erobert, als ich in dem Augenblick in die Tasche griff, und dem Alten ein blankes Acht
groschenstück in den Hut warf.
Ein fröhlicher
Dank belebte den Blick des Alten. — Das Ge sicht des Geitzhalses zieht sich zu einen Straf
blick und zur Wehmuth über die verlornen acht Groschen zusammen, die seine Hand, indem sie krampfhaft zuckt, noch vom Verderben erretten
will.
Sein Auge blieb noch eine Zeitlang auf
dem Beutel haften, der das Kapital verschlang. Er schien einen verächtlichen Blick von mir
zu bemerken.
„Der Kerl ist lahm, sagte er
ganz kalt, der sollte daheim bleiben, und seinen Gnadenthaler in Ruhe verzehren."
„Der reicht aber nicht auf vier Wochen."
„ Er muß sich darnach einrichten, gut wirth schaften und keinen Drantwein trinken.
säuft er aber gewiß.
Den
Zch seh' es ihm an."
Aber der Alte antwortete nicht; Thränen
liefen auf seinen Schnurbart herab. „Wir haben ihn nie betrunken gesehen," sagte ich.
Erster
Theil.
„ Und ich kann ihm nicht helfen.
71
Wer in
der Welt fort will, kann sich nicht um alle Leute bekümmern.
Da hätte man viel zu thun."
Meine guten Acltern haben eine ganz andre Denkungsart, lieber Herr Lempelius! Sie erspa ren und werfen nichts weg, aber wo es auf
Ehre und Wohlthun ankommt, verabscheuen sie
den Geitz so wie ich. Ich empfehle mich Ihnen!
Damit verlief; ich ihn, und ich hörte deutlich
das Wort, Verschwenderin! mir nachbrummen. Herr Lempelius fuhr bald darauf ab, und meine lieben Aeltern denken jetzt über ihn so wie du es von ihren Herzen erwarten kannst.
Unser guter Ernst,
den ich immer noch
wohl leiden mag, oder vielmehr schätze, oder, was weis; ichs! — ist nicht reich.
Aber wie
gern giebt er nicht wo Noth ist!
Er bleibt
der braveste Mann, und hätt' er nur ein 2lmt,
und hielte um mich an — er würde nicht wie der abfahren, wie Lempelius — hör ich dich
sagen.
Freylich würde er nicht, meine vorwitzige
Mamsell!
Denn er kam ja nicht angefahren,
sondern schlich sich unvermerkt in mein Herz.
72
Der Pastor in Kartoffelfeld. Sage um des Himmels
willen
etwas von dieser Schreiberey.
niemand
Bey der Treue
unserer Freundschaft bitte ich dich.
Besuche bald deine Freundin, die dich so herzlich liebt, und gieb jedem Kriegsmann, der
dem Aaterlande
Gesundheit
seine
aufopferte,
wenigstens einen Sechser, dem alten beleidigten Husaren acht Groschen, und einem braven juiv gen Manne dein Herz, wie Deine Freundin
Louise Herrmann. Heiter und jugendlich froh-.ward Ernst, als
er diesen aus Papierstückchen zusammengesetzten Brief nicht nur gelesen, sondern beynahe aus
wendig gelernt hatte.
Die Reise zum Ball,
bisher die Quelle seiner Leiden, schien nun ganz zu seinem Vortheil unternommen worden zu seyn. Nur der Umstand, daß der Brief von der Ver fasserin zerrissen, und also nicht abgeschickl war,
machte ihm noch •einige Unruhe, die er sich aber
zu unterdrücken bemühte.
Von nun an konnte
er seiner gutdenkcnden Louise wieder unbefangen in die schwarzen Augen blicken.
Von nun an
Erster
Theil.
73
begann die Vertraulichkeit und Herzlichkeit der Herrmannschen Familie aufs neue gegen ihn. Auch sein Herz schloß sich wieder auf, zumal
da die rathgebende Frau Tante abgereist war, die
seine Freundin nicht seyn konnte, weil sie sich ganz die Grundsätze der großen Welt zu eigen
gemacht hatte, und jeden verachtete, wenigstens tadelte, der nicht gerade so wie sie dachte, oder sich wohl gar herausnahm ihr zu widersprechen.
Eine Sünde, die Ernst in seiner Ehrlichkeit nur gar zu oft begangen hatte.
Frau Herrmann bemerkte gar bald die ver änderte Seelenstimmung des bis dahin so miß-
müthigcn und übellaunischen Kandidaten, so wie auch das heitere aufgewecktere Betragen ihrer
Tochter gegen ihn.
„Die Sache ist noch nicht ganz vorbey, sagte sie zu ihrem Eheherrn.
Ernst fangt wieder an
zu lieben, und wie es scheint, hat er auch immer noch ein Plätzchen in Louisens Herzen.
Was soll man nun thun?" „Nichts, versetzte der Alts, wer noch kein
Amt hat, muß ans herrathen nicht denken." ■
DerPastor in Kartoffelfeld.
74
„Aber Kind, wenn er nun bald eine Pfarre bekäme.
Wie gut würden sich die Leutchen nicht
vertragen!
Wie glücklich würden sie nicht mit
einander leben!"
„Er hat aber noch keine —, Setze dem
Mädchen nichts, in den Kopf — Aus dem Hause
können wir ihn freylich nicht weisen.
Er meint
es gut mit uns, und ich habe ihn nöthig.
Wir
wollen auch immer recht freundschafilich gegen ihn seyn — .Weiter aber must es vor der Hand
nicht kommen.
Bekommt er ein Amt, nun so
kann man überlegen was ju thun ist.
Aber er
sucht keins, und wer wird ihm eins bringen? Wir leben nicht im Schlaraffenland." „Wenn doch nur der alte General einmal käme.
Dem könnten wir unser Her; ausschüt
ten, und die ganze Sache offenbaren.
wird sie nach gerade bedenklich.
Mir
Liebe ist Liebe,
und wie man sagt, ist ihr nicht zu trauen.
Er
bleibt auch dieses Zahr so lange aus!"
„Zch erwarte ihn nächstens,
Herrmann. Sache meint. wissen wir."
sagte Herr
Wir wollen hören, was er zu der Er ist ihnen beiden gut.
Das
Theil.
Erster
7;
So oft der Alte nur von seinem General Hirte, war er jedesmal ganz Respekt, und es
würde seinem alten Chef und jetzigen Gutsherrn «in leichtes gewesen seyn, ihn zu jedem Entschluß zu vermögen; so starrsinnig er auch bisweilen
war.
Jedoch machte
der würdige Chef nie
Mißbrauch von dieser Ergebenheit seines alten Dieners.
Zn der schönsten Sommerzeit, gerade mit
Anfang der Ernte, kam der Wagen des Gene
rals angerollt, der so wenig paradierte, als der verdienstvolle Herr, der darin saß, und also sehr gegen
die
elegante Karosse des verdienstlosen
Handelsmannes abstach.
Schnell sprang
die
ganze Familie und vorzüglich Ernst herbey, und ehrerbietig
hob
sie wetteifernd den. würdigen
Greis unter tausend Erkundigungen nach seinem
Wohlbefinden aus dem Wagen, und führte ihn frohlockend in seine am Garten Lelegene Zim
mer, die er bey seinem hiesigen Aufenthalt ge wöhnlich bewohnte.
diese Achtung!
Wie sehr verdiente er auch
Er sand Vergnügen daran diest
76
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Familie immer machen.
glücklicher
und glücklicher zu
-Freylich gehörte er nicht zu den reich
sten Edelleuten in der Provinz; allein bey seiner mäßigen stillen Lebensart, bey völliger Verläug-
nung alles überflüssigen.Gepränges und Lurus,
reichten drey tausend Thaler ehrenvoller Prn-
sionsgelder, die er in einer kleinen Stadt ver zehrte, schon zu, alles Nöthige anständig zu
bestreiten.
Die Pacht des Gutes Nosenhain
wurde daher nie erhöht, obgleich andere benach
barte Gutsbesitzer
ihren
bey den
Pächtern,
stcigeNdeck Getreideprcism, fast doppelte Zah
lungen auferlegtcn.
Sein Wunsch war, sein
alter Herrmann sollte eine bemittelte und wohl
habende Familie hinterlassen, und recht viel auf feinem Gute gewinnen.
Einst als dieser nach
Verlauf der Pachtjahre ehrerbietigst anfragte:
„Ob Se. Excellenz die Pachtgelder zu erhöhen
beliebten?" gab er lächelnd zur Antwort: „Wo zu das, lieber Herrmann? ich bin siebzig Zahr alt, hinterlasse keine Erben und habe zu leben.
Sorgt nur für Frau und Kinder. brauche, hab' ich schon.
Was ich
So lange ich noch
Me, bleibks mit uns bey dem Alten."
Erster
77.
Theil.
Bey einer solchen Denkungsart, und bey sei nem so leutseligen Betragen im Umgänge, waren
ihm alle Herzen geweiht; jeder ehrte ihn, jeder liebte ihn.
Er war auf Nosenhain geboren, und unter Leitung eines braven Hofmeisters erzogen.
Oft
verglich er den damaligen Zustand des Gutes,
so
wie er dasselbe alü Knabe und Jüngling
gekannt hatte, mit dem jetzigen, und freute sich herzlich über jede Verbesserung, die unter seiner Zfufsicht zu Stande gekommen war.
Ging er
in Herrmanns oder Ernstens Gesellschaft spazie ren, so pflegte er wohl die Gegend zu zeigen, wo er in der Zugend gespielt und sich vergnügt
hatte, iinfr ihre damalige Beschaffenheit umständ
lich zu beschreiben.
„ Diese schöne Wiese war ehemals ein .unge sunder Sumpf.
Dort,
wo
der Tannenwald
steht, sah man nur traurigen Sand — Jene Ackerbreite war ein öder mit Dornen bewachsener
Fleck — Die Mühle am Bache hab' ich erbauen
lassen — Statt jener grünen Hecken, die den
Garten umkleiden, sah. man einen verfallenen dürren. Zaun — Die Obstallee an der Straße
Der Pafcor in Lartoffelfeld.
y8
hab' ich vor vierzig Jahren anlegcn lassen — auch die Alleen im Walde.
Diese vier Linden
aber, worunter wir jetzt ausruhen, pflanzte mein Vater am Tage meiner Geburt."
So sprach er oft, und setzte sich gern in die -frühern Jahre seines zu Ende eilenden Lebens zurück. Wenigstens einmal im Jahre ließ er sich das
in einer einsamen Gegend des großen Gartens
von ihm erbaute, und mit hohen Linden und Pappeln dicht umpflanzte Erbbegräbniß öffnen. Es war ganz prachtlos, aber heiter gebaut, und
über der Thür las man die Gcllcrtschcn Verse: Denk an den Tod in frohen Tagen; Kann deine Lust sein Bild ertragen,
So ist sie rein und unschuldsvoll. Hier standen die Särge seiner Vorfahren, Acltern und
Geschwister.
Mit stillem tiefem
Nachdenken pflegte er sie jedesmal zu betrachten, und eine Thräne rollte aus seinen heitern Augen,
wenn er die Stelle anwies, wo man seinen Sarg einst hinsetzen sollte.
Dieser Tag war
ihm allemal ein heiliger, feierlicher Tag, und
Erster
Theil.
??
zugleich der Tag, an welchem er in der von ihm
neu erbauten Kapelle andachtsvoll das Abend mahl nahm, und sich insgemein schwarz zu klei den pflegte.
Ehemals war er ihm auch ein Fast
tag, in dem hohen Alter aber mußte er Schwachheits halber diesem religiösen Gelübde entsagen. Nach einer solchen Feier wurde zu Abend in einer Laube des Gartens gespeist.
Nach
einem heißen Erntetage ging am heitern Himmel
der Feuerball der Sonne unter, und spiegelte
sich noch zuletzt in dem Ordensstern des würdigen
Mannes, der ihre letzten Strahlen durch das
Helldunkle der Laube auf die Gesellschaft zurück warf, und einen heiligen Schein um ihn bildete, so daß er jedem vorkam wie eine verklärte Gestalt.
Noch voll Andacht und heiligen Ernstes sah er schweigend die untergehcnde Sonne an, und ließ, ganz wider seine Gewohnheit, die Gesell
schaft einige Zeit ohne alle Unterhaltung, welche . ihn ehrerbietig betrachtete.
Auf die Frage, in
welche Gedanken er sich jetzt vertieft habe, war
die Antwort:
„Zch kann mich nicht satt schert
an der untergehenden Sonne. dabey eine Lehre ein."
Es fällt mir
go
Der Pastor tn Kartoffelfeld.
„Und welche?" fragte bescheiden Louise. „ Wir sollten alle der Sonne ähnlich seyn." Louise.
„Darf ich fragen, wie? Herr
General!"
„Dadurch, daß wir Gute-
General.
thun und Gutes stiften, bis das Licht des Lebcns
erlischt."
„ Den ganzen Tag hat sie uns wohl gethan, die gute Sonne.
Vom frühen Morgen an spen
dete sie Licht und Wärme aus.
Was nur lebt
oder wächst, lebt und gedeihet durch sie.
Jetzt,
da sie Abschied nimmt, um unsere Antipoden
zu beglücken, und ihr Auge gleichsam für uns schließt, ergeht sie uns noch, wenn sie uns auch nicht mehr segnet.
Wie sie dort die lichten
Wolken särbt — hier die Blätter vergoldet! —
Auch wenn sie nicht mehr da ist, läßt sie doch noch ein schwaches Licht zurück, das noch man
chem Wanderer den rechten Weg zeigt, und ihn
vor Gefahren bewahrt.
Ja, jeder Mensch sollte
ihr ähnlich seyn." Ernst., „0 Herr General, Sie waren ihr
von jeher ähnlich."
Gene-
Erster
General.
Theil.
gi
„Nicht allezeit. Meine Zugend-
jahre waren das nicht was sie seyn sollten.
Zch'
habe lange das Gute nicht gethan was ich doch hätte thun können.
Ich Wills aber zu ersetzen
suchen, und noch beym Untergange meiner Lebens
sonne Gutes stiften, das noch nach meinem Tode fortdauert." „Ew. Excellenz denken vortreff
Louise.
lich ; edler und schöner als ein reicher Kaufmann, der uns neulich besuchte."
General.
„ Er warf dem alten Ihnen
Louise. bekannten
„Und wie dachte der Herr? "
lahmen Husaren
einen Sechser in
den Hut." General.
„Zu wenig für einen Kauf
mann ; zu wenig für eine» lahmen Kriegsknecht." „Und forderte —"
Louise. General.
L o u i fe.
„Was forderte er?"
„ Fünf Pfennige, mit kränkenden
Vermahnungen, zurück."
General,
„Was! meinem alten Ber
tram so zu begegnen! Zch sollte 'nur hier ge wesen seyn.
Schafft mir den Kerl her!, Einen
einzigen Pfennig dem alten lahmen grauköpfigen L
82
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Bertram zu Zeben, und dabey noch auszuhunzen! Ey du ehrvergeßner, von Gott verlaßner Lump, du!"
Er ward hitziger und hitziger.
Ernst aber
gab stch Mühe ihn wieder zu besänftigen und
auf gute Laune zu bringen.
Herr Herrmann
und Frau Herrmann unterstützten ihn.
Erst
nach Verlauf einiger Minuten, nachdem er aber vorher noch Krummschließen und ^andere militäri sche Strafgerichte über den Kaufmann hatte erge
hen lassen, fand sich die ruhige Stimmung der Seele nach und nach wieder ein.
Louise bekam
von der Mutter einen strafenden Blick, daß sie
eine Sache berührt hatte, die ihm nach seiner be kannten Denkungsart höchst zuwider seyn mußte.
Nach ejner kleinen Pause hub der Greis an über die Schwächen der menschlichen Natur zu sprechen.
„Gott'lasse seine Sonne aufgehen
über Böse und Gute, sagte er, und der Mensch wird gleich.in den Harnisch, gejagt.
Hoffentlich
werden Wirtin jener Welt auch der^ übertriebenen
Hitze los, und immer besser werden." „Als ich, noch. Fähndrich war, und keine
Schlacht gesehen hatte, sagte er zu Ernst, wollte
Erster
Theil.
83
es mir und andern meines Gleichen gar nicht in den Sinn, daß der Mensch eine unsterbliche
Seele habe, so sehr mich auch mein Hofmeister davon zu überzeugen gesucht hatte.
Hauptmann ward,
Als ich
Feldzüge mitmachte, und
Schlachten beywvhnte, fing ich an zu glauben. Zch sah auf dem Schlachtfelde einen jungen
Menschen, der niemand Leides, und bloß seine
Pflicht zur Vertheidigung des Vaterlandes gethan Helte, die schrecklichsten Qualen leiden.
Warum
müssen gerade Sie so fürchterlich leiden? rief
ich aus. — Es ist geendet, sagte der Sterbende. Zch that meine Pflicht — Meine Seele eilt —
zu Gott.
Seine Augen schlossen.
Zch flog von
ihm weg wieder in den Kampf, sah nach erfoch
tenem Sieg die besten Menschen in fürchterlicher Todesangst.
Da erhob sich'die leise Stimme
in meinem Herzen:
ihren Lohn
in
Diese Leidenden müssen
einer
andern Welt erwarten.
Nach und nach erhielt der Glaube an die Unsterb
lichkeit bey mir immer mehr und mehr Kraft. Hab' ich Böses vermieden, und Gutes gethan,
ging ich muthig in die Schlacht, so verdank' ich es diesem Glauben.
Zch wollte, ich könnte alle
84
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Menschen davon überzeugen.'
Dazu
gehören
aber deutliche und richtige Beweise, und wir Soldaten können besser mit dem Degen als mit
Beweisen umgehen.
Der Lehrer meiner Jugend
sagte.mir zwar viel von der Einfachheit der
Seele; ich muß Ihnen aber ehrlich gestehen, ich verstand ihn nicht. lieber Ernst?
Welche Beweise haben Sie,
Wer so nahe vor der großen
Pforte steht, durch die keiner zurückkehrt, als
ich davor stehe, möchte gern recht deutlich wissen, wo sie hinführt." Ernst erwiederte.
„Niemand kann die
Unsterblichkeit der Seele läugnen, eben so wenig
als die Raupe, die auf jenem Blatte mühsam
ihren Hunger stillt, würde sagen können, ich werde kein Schmetterling, weil ich nichts davon
in meinem jetzigen Zustande weiß oder empfinde. Und doch erhebt sich aus der kriechenden arm
seligen Raupe in einigen Wochen wirklich ein
schöner Schmetterling frey in die Luft, genießt
Blumen.
den
köstlichen
Honig
der
und
reihenden
Aber eben so wenig als läugnen läßt
sich auch die Unsterblichkeit der Seele mathe matisch beweisen.
Wir sind Menschen. Könnten
Erster
Theil.
85
wir unser künftiges Schicksal deutlich wissen, so wären wir keine in unserm Wissen beschränkte
Zlber, und dafür sey Gott
Menschen mehr. gedankt! Thiere.
wir sind Menschen und
nicht bloß
Ein Funke der Gottheit schimmert in
uns; dieser göttliche Funke wird endlich, wenn
er treu genährt, und nicht durch Sinnlichkeit oder Grübeley mnlhwillig erstickt wird, zu einer
heiligen Flamme des Glaubens, welcher das Herz
erwärmt, das Herz erhebt über das Grab, und
den zerstörenden Wechsel dieser Welt." General.
„Das ist ein schöner Beweis
aus der Natur des Menschen. Den versteh ich —
den kann ich behalten, und damit glaub' ich umge hen zu können, wenn, welches nicht wahrschein
lich ist, ich noch einmal auf eine Batterie von Zweifeln losgehen müßte."
Ernst.
„Die Philosophen haben noch
manche andre Beweise.
Der Eine sagt:
Die
Seele ist unsterblich, weil sie als einfaches Wesen
nicht zerstörbar ist.
Der Andere, weil es eine
Pflicht und ein Gewissen giebt; der Dritte —
General.
„Hören Sie nur auf, ich ver
stehe weder den ersten noch den andern.
Aber
86
Der Pastor in Kartoffelfeld.
daß die Herren Philosophen die Unsterblichkeit zu beweisen suchen, und große Köpfe sich mit der Lehre von der Unsterblichkeit beschäftigen, ist mir ein Beweis, daß es mit dem Funken, den Sie
vorhin nannten, seine Richtigkeit hat, daß er auch in ihren Seelen sich regt, daß sie gern
unsterblich seyn möchten, und daß es nicht so ausgemacht ist, wie wir'Herren Fahndriche glaub ten , mit unserm Tode höre unser Daseyn auf."
Ernst.
„ Wenn ich die Sache von einer
andern Seite betrachte, denk' ich : liegt der Keim
zur Fortdauer in mir, und soll, nach der Anlage des Schöpfers, eine weitere Entwicklung meines Wesens erfolgen, so wird sie kein Philosoph
wegdemonstrieren, kein Religionsfeind wegspotten können.
Liegt aber umgekehrt der Keim zur Unsterb lichkeit nicht in mir, so hat er nach dem Plan
meines Schöpfers nicht in mir liegen sollen, und alsdann werden ihn alle Sekten der Weltweisen
vergeblich hinein demonstrieren." General.
„Dieser Schluß ist für mich^
nicht so beruhigend als die Ansicht der mensch
lichen Natur."
Erster
Theil.
87
„Er führt mich eben dahin.
Ernst.
Ich
glaube von beiden Sätzen gerade den, dessen
Wahrheit ich wünsche; eben weil der Wunsch einer Unsterblichkeit innig mit der menschlichen Natur verwebt ist.
Unsterblichkeit ist das Prin
cip meiner Handlungen.
Gesetzt, ich hätte mich'
auch getäuscht, so erfolgt für mich auch weiter
kein Unglück, als die Rückkehr in das Nichtseyn.
So wenig ich vor meiner Geburt unglücklich war, so wenig werde ich es alsdann auch nach dem
Din ich aber, wie ich mit Wonne
Tode seyn.
hoffe und ahne, wirklich unsterblich, 0 dann
wohl mir, daß ich diesen Glauben hatte."
General.
„Wir wollen darauf leben
f
und sterben."
Ernst.
General!
„Wir beide sind Christen, Herr
Wer der Lehre Christi glaubt, wozu
hat der vollends einen umständlichen Beweis
von seiner Fortdauer nöthig?" Hiermit endigte sich das Gespräch. Schwache
Blitze am Horizont ließen d.ie Annäherung eines Gewitters nach einem so heißen Tage befürchten.
Die Gesellschaft stand vom Tische auf.
Herr
Herrmann begab sich in seine Wirthschaft, und
Der Pastor in Kartoffelfeld.
88
untersuchte, ob alles in Ordnung war, und, wie
er es nannte, nach dem Takt ginge; der General aber, Frau Herrmann, Louise und Ernst gingen,
weil der Abend so kühl und anmuthig war, ins nahe Kornfeld noch spazieren, wo man die dich ten Kornhaufen mit Vergnügen erblickte.
„Der Herr General beliebten vorhin zu sagen, hub Louise ganz freymüthig an. Sie wollten noch nach Ihrem Tode Gutes thun. Wie ist das möglich?"
„Welch eine Frage, liebes
General.
Kind!
Es ist sehr wohl möglich.
Sieh hier
dieses reiche Getreide - Feld, das hat dein Vater
gebaut.
Er hat eine schöne Ernte Nach der
andern, spart davon und sammelt davon für dich
und deine Brüder.
Stirbt er nun, so erbt ihr,
und im Grabe ist er noch euer Wohlthäter.
Er
hat euch gut erziehen lassen, und das Glück einer guten Erziehung verbreitet sich über eure ganze Lebenszeit, ja, ich hoffe, noch über eure Nach
kommen. " Louise.
„Ew. Excellenz haben ja aber
keine Kinder —"
Erster
Theil.
89
General lachend. „Wenn ich mir nun Noch
welche anschaffe —"
Louise.
„Das versteh ich denn nicht."
Häufige immer starker werdende Blitze unter
brachen das Gespräch ein wenig.
Die Gesell
schaft stand still und beobachtete sie. „ Za, ja, hub der Alte wieder an, ich kann
mir ja noch Kinder anschaffen. Sinds auch keine
kleinen, so können es große seyn." Louise.
„Große?"
General.
Louise.
„Za, große."
„0 so wünscht' ich Zhr Kind
zu seyn." General.
„Närrchen, hast ja noch Ael-
tern, und so gute Aeltern.
ich thue.
Aber wer weiß, was
Wenn ich dir nun einen rechten bra
ven edlen Mann, wenn er auch nicht reich ist, etwa einen solchen Mann, wie Herr Ernst ist,
verschaffte, mit dem du dich Zeitlebens recht
herzlich vertrügest — würdest du nicht mein Grab noch segnen, und mich für deinen Wohl
thäter auch dann noch erkennen, wenn ich nicht
mehr da bin?"
90
Der Pastor in Kartoffelfeld. Beide Louise und-Ernst geriethen in Verle
Frau
genheit, und wußten nicht zu reden.
Herrmann aber ersetzte die Lücke in der Unter
haltung durch ein sehr vernünftiges Räsonnement über das Glück einer wohlgerathencn Ehe.
Sie
setzte hinzu, daß sie dieses Glück allen ihren
Kindern, und eben so sehr deren Hofmeister
wünsche. General.
„Za, an Herrn Ernst kann ich
auch im Grabe Wohlthäter seyn, wenn ich ihm
eilt einträgliches Amt, und dann eine recht gute, schöne, junge, angenehme Frau verschaffe. Gerade
so eine, Louise, wie du bist ... So eine wünsch' ich ihm."
Abermals eine Verlegenheit. — ward Ernst, stumm Louise.
Stumm
Der erste dumpfe
Donner des heransteigenden Gewitters gewährte
aber bald einen andern Stoff zum Gespräch; und weil sich der Donner zu verstärken begann, auch in der Entfernnng schon Stürme sauseten, so begab sich die Gesellschaft in ihre Zimmer.
Hatte es auch diese Nacht nicht so fürchter lich gedonnert und so schrecklich geblitzt, so würde
Ernst doch keine ruhige Stunde gehabt haben.
Die feurige Liebe zu Louisen war nach des Gene rals Gespräche in ihrer ganzen Macht in ihm Eben so ging es der Ge
wieder aufgelodert. liebten.
Auch sie fühlte von neuem den Reitz,
der in ihres Lehrers und Erziehers Umgang lag, und empfand ihre vorige Neigung zu ihn.
Herr
und Frau Herrmann, welche aus Vorsicht nicht
zu Bette gingen, sprachen bis zum Morgen fast über nichts, als
über
die
Aeußerung
ihres
Gutsherrn.
„Laß uns ja, liebes Kind, mit der Verheirathung unserer Tochter nicht eilen.
Wir sehen
es nun ganz deutlich, was Zhro Excellenz Gesin
nung ist.
Und wer weiß, was der General
fbn(i noch Willens ist.
Nahe Erben hat er
nicht —" „Du hast Recht, liebes Kind; übereilen
wollen wir uns nicht.
Ihre Excellenz hat immer
für mich gesorgt, schon als ich noch Soldat war." „Der Herr ist unserm Hause einmal zuge than; wir können ihm nicht entgegen handeln.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
92
Das würde wider die Klugheit seyn.
Der
Bediente hat mir übe^dieß im Vertrauen gesagtdaß er vor kurzem sein Testament gemacht habe."
„ Nun gut! Wird auch Louise zwanzig Zahr alt, ehe sie heirathet, was thut das zur Sache. Bekommt sie den Ernst, so bekommt sie einen guten Mann.
Mit Leuten die man nicht kennt,
ist es immer eine eigene Sache." „Ja wohl.
Und wenn sie auch zwey bis
vier und zwanzig Jahr alt wird, und bekommt
ihren Ernst, und dieser eine gute Pfarre, was will sie mehr? Nur verloben muß sie sich noch
nicht."
Zwiefach sehnte sich nun Ernst nach einer
guten und baldigen Beförderung, zumal da sein
hoher Gönner die gestrigen Aeußerungen einige
mal wiederholte.
Einst lenkte er das Gespräch
auf die Freywerberey.
Der Prediger Walther,
der zugegen war, nannte sie ein gefährliches und-
elendes Handwerk, und spottete laut über solche Leute, die sich aus Eigennutz demselben unter
ziehen.
Erster
Theil.
93
// Ihrer Meinung bin ich nicht', sagte der
General, ich möchte vielmehr die Freywerberey, wenn
schmutziger Eigennutz dabep zum
nicht
Grunde liegt, ein edles Geschäft nennen.
Za,
ich wünschte, daß man im Staate eigene privi legierte Freywerber hätte."
Alle stutzten bey diesem frappanten Gedan ken; er aber fuhr fort:
„Za eigene privilegierte Freywerber— Dieß
müßten aber Manner seyn von'großer Menschen kenntniß und von strenger Gewissenhaftigkeit.
Diese würden unstreitig die schönsten Ehen ver anlassen.
Sie würden gewiß nicht Menscher
verheirathen, die sich in den ersten vier Wochen
vor lauter Liebkosungen nicht lassen können, uni> sich hernach Zahre lang hadern, streiten und
Sie würden nicht Menschen zusammen
zanken.
bringen, die sich im Brautstände einander für reich halten, und hernach zu ihrem Erstaunen
entdecken, daß sie beiderseits arm sind.
Sie
würden nicht Leute paaren, die an Alter so verschieden sind, daß der eine Theil invalide
wird,
wenn
beginnt."
der. andere erst recht zu leben
94
Der Pastor in Kartoffelfeld Recht,
mein Herr
General, versetzte Pastor Walther.
Eine wohl
„Sie haben wirklich
gerathene Ehe, wo die Herzen sympathisieren wie Magnet und Eisen, macht das Glück des
Lebens."
General.
„Und würde es nicht eine edle
Beschäftigung seyn solche Ehen zu veranlassen
und zu stiften? Man wird zugeben, daß ver nünftige Aeltern auch vernünftig ihre Kinder erziehen, und also pflanzt sich der Segen fort,
und derjenige, der eine wohlgerathene Ehe stif tet, macht sich in der That um die Nachwelt verdient.
Ich kann nicht läugnen, daß ich mir
noch ein solches Verdienst wünsche; denn auf
andere Art kann ich dem Staate nicht mehr
nützlich seyn." Pastor Walther gab zwar nach, behauptete
aber noch, daß ein solches Geschäft ein delikatcs und bedenkliches Geschäft sey,
weil sich ein
Freywerber bey dem besten Willen dennoch irren könne, und die Verstellungskunst in unsern Zei ten eine große Vollkommenheit erreicht habe. „Ganz recht, sagte der General! aber wer sich zum Ehestifter aufwirft, muß seine Leute
Theil.
Erster
95
ganz kennen, muß sie nicht vier Wochen, .son
dern Jahre lang beobachtet haben."
Diese und ähnliche Unterhaltungen setzten des Greises Zlbsicht
immer
mehr
und mehr
außer Zweifel.
Ernst lebte von nun an in einem fortdauern
den Wechsel von Sehnsucht nach Beförderung und von Beruhigung; jene erweckte die Liebe, diese verdankte er dem Bewußtseyn seiner Kennt
nisse und seiner Sitten, und dem Glauben an
eine gütige Vorsehung.
Louise erregte
seine
Wunsche, und die Blumenbeete vor seinem Fen
ster
erinnerten
Worte:
ihn
täglich an die biblischen
„ Schauet die Lilien auf dem Felde"
u. f. w. und diese erhoben ihn wieder, wenn
ihn
zuweilen
die
Schwermuth
niederdrücken
wollte.
Als er nach einigen Tagen von einem Spa ziergange auf sein Zimmer zurückkam, fand er
auf dem Tische folgenden durch einen Expressen
angekommenen Brief vorrx alten Pastor Meyer:
-6
Der Pastor in Kartoffelfeld. Achtungswerther Herr Kandidat!
Alles ist ganz anders gekommen, als ich
vor einem Zahre bey Ihrem Hierseyn gedachte.
Mein Sohn — meine Tochter sind nicht mehr, und mein Jubelfest hat sich in ein tiefes Trauer und Degräbnrsifest verwandelt.
Mit Thränen
schreib' ich dieses, und sage mit Hiob:
„Der
Herr gab sie, der Herr nahm sie; der Name
des Herrn sey dennoch gelobet.
Denen die Gott
lieben müssen ja alle Dinge zum Besten dienen." Nun aber bin ich auch fest entschlossen meinen
fünfzig Jahr geführten Hirtenstab nicdcrzulegen, und ihn in die Hände eines Mannes zu geben, von
dem ich versichert zu seyn glaube, er werde das
Gute, das ich angefangen habe, weiter ausfüh
ren, und kein Miethling, sondern ein getreuer Hirt der Herde des Heilandes seyn.
In meinem hohen Alter hab' ich nur den einzigen Wunsch noch aus meinem Herzen, daß
meine gute liebe Gemeinde nach meinem Tode, der nicht mehr fern seyn kann, mit einem recht
schaffenen Seelsorger versehen werde, der mit Paulo sagen kann:
„Seyd meine Nachfolger, gleich
Erster
Theil.
gleich wie ich Christi."
97
Hierum bitte ich täglich
Meinen Gott.
Und hierju hab' ich Sie ausersehm.
Wollen
Sie, so können Sie bald mein Adjunktus seyn, und ich bitte darum recht herzlich.
Erschrecken
Sie nur nicht vor dem Namen Adjunktus, denn ich bin schwach, und trete in wenig Wochen mein neun und siebzigstes Zahr an, und behalte mir
von meiner einträglichen Stelle nichts bevor, als
den freyen Tisch in ihrer werthen Gesellschaft, und das Stübchen wo ich wohne.
Sie können
daher auch heirathen sobald Sie wollen, und dann wird sich die Hypochondrie, wenn Sie mit
diesem Dämon noch geplagt seyn sollten, bald verlieren.
Nehmen Sie nur eine recht muntere
aufgeweckte Frau, so wie meine selige im Herm
ruhende Gattin war;
aber ja eine solche, die
Sie lieben,-und die Sie wieder liebt.
Freylich hab' ich meine Stelle nicht aus freyer Hand zu vergeben, sondern muß erst den Kon-
sensum meines gnädigen und hochwürdigen Herrn
Patroni, des Domherrn von Selten, dazu nach suchen und einziehen.
Dieß aber, hoffe ich, soll
keine Diffikultäten haben.
Der Herr haben sich
98
Der Pastor in Kartoffelfeld.
bis jeht eben so wenig um mich als um die Schullehrer bekümmert, sollen von eigenem Cha
rakter seyn, und sich aus solchen Kleinigkeiten,
weil sie sehr reich sind, wenig oder gar nichts
machen.
Sie werden also meinen Vorschlag mit
der Adjunktur leichtlich und gnädig bewilligen. Im Herrn werd' ich mich freuen, und mei
nem Gott auf den Knieen danken,, wenn mein Wunsch erfüllet wird.
Erfreuen Sie mich bald
mit einem Za; dann will ich mich gleich an
Patronum wenden.
Mit aller Werthschahung
bin ich Ähr
N enh a u sen :c. Gebet - und dienstwilliger
Zs. Meyer. N. S.
Noch eine kleine Ditte.,. Ich sähe
gern, wenn Successor es sich gefallen ließe, sich nicht nach neuer Mode,> sondern nach alter zu
kleiden, und einen mvdesten Nock nebst der Perückq trüge; damit man cs ihm gleich ansehen könne,
wer er ist.
Es sind mir neulich ein paar junge
Prediger rorgckommen, die ich der Kleidung
Erster
Theil.
nach für Kaufdiener hielt.
meinen Beyfall.
99
So was hat nicht
Man muß sich nicht verkleiden.
Entzückt über diese gcsnz unerwartete sich zu
rechter Zeit eröffnende frohe Aussicht eilte Ernst
mit diesem Brief zum General. Dieser, eben so vergnügt hierüber, nahm
ihn, und begab sich damit zur Herrmannschen Familie, welche eben am Kaffeetische saß.
Louise
las eben ihrer Mutter einen Abschnitt aus Spal dings Bestimmung des Menschen vor.
„Gut, sagte der Alte, gut Louischen, daß
ich dich beym Lesen antreffe, du wirst auch so gefällig seyn, uns diesen Brief vorzulesen."
Sie las deutlich und mit gutem Accent, aber immer langsamer und langsamer/ je bedenklicher ihr der Inhalt ward.
Als sie an die Worte
kam, „nehmen sie eine recht muntere aufge weckte Frau" u. s. w. fing sie an zu stottern,
und warf ihn mit einem kleinen Muthwillen
erröthend auf den Tisch. „Es hilft nichts, sagte der General ziemlich
ernsthaft, du mußt auslesen, ich gebe Ordre dazu. Er gab ihr den Brief wieder in die Hand."
Der Pastor in Kartoffelfeld.
100
Sie las also weiter, ward aber immer betre tener, bis endlich die Nachschrift von der Perücke sie aus der Verlegenheit zog, -»veil sie Gelegen
heit zum Lachen gab, und von der Hauptsache
etwas ablenktc.
„Nun in der Perücke da wird Herr Ernst schöne Parade machen, und seine Brant, das muntere aufgeweckte Mädchen, wird sich freuen,
sagte sie mit einem salprtschcn Lächeln, und ging zur Thür hinaus."
General.
„Was sagt Ihr dazu nun,
lieber Herrmann?"
H r. H e rrin a n n.
„Was wollt' ich sagen,
Ew. Excellenz! Was Sie befehlen." General.
„Das Befehlen hat unter uns
langst aufgehirt, guter Alter; ich will nur wis sen, was Zhr zu dem Briefe meint, denkt und
sagt?"
H r. H e r r m a n it.
„Alles Gute, Ew. Excel
lenz! Die Pfarre in Neuhausen ist eine kapitale Pfarre.
Zch kenne sie."
Erster
General.
Theil.
ioi
„Und Frau Herrmann, liebe
Mutter, wie ists mit Ihnen?"
Fr. Herrmann.
„Die Pfarre mag gut
seyn, ich. habe nichts dagegen; aber der Herr
Pastor Meyer, so gut er es auch meint, hat sie doch nicht zu vergeben.
Die Sachen kommen
manchmal wunderlich."
General.
„Ey was.
Es ist ein Glück,
daß sie Domherr von Selten zu vergeben hat;
den Patron kenne ich. Hause aus.
Der ist ein Narr von.
Ich weiß ihm beyzukommen, und
es wird mir nur einige Worte kosten, so wird er sein Ja geben." Fr. Herrmann.
„Wenn er nun aber
doch so unhöflich wäre, und nicht wollte?"
General.
„ Das wird er nicht seyn; und
gesetzt auch er wäre es, so schriebe ich rckta an den König.
Der König schlägt mir nichts ab.
Sorgen Sie nicht, liebe Mama! Das ist meine Sorget Ich habe ja schon so manchesmal gesorgt." Fr. Herrmann.
„Und noch Eins, Ew.
Excellenz!"
General.
„Nun welches Eins denn?
Gewiß die Perücke —"
103
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Fr. Herrmann.
„Nein, die nicht. Da
ich des Herrn Generals gnädige Absicht längst kenne, so rede- ich frey heraus."
„So hab' ichs gern." -
General.
Fr. Herrmann.
„Wir haben freylich
zu manchen Zeiten einige Neigung unserer ein
zigen Tochter zu ihrem Lehrer bemerkt; allein
ob diese so weit geht, daß sie sich Zeitlebens ihm hingiebt, das ist eine Frage, die ich nicht beant
worten kann.
Wer kann den jungen Mädchen
ins Herz sehen? Sie sind auch veränderlich."
General.
„Nun ich wills versuchen ihr
ins Herz zu schauen.
Lassen Sie sie rufen.
Das
lose Ding hat sich mit Fleiß entfernt."
- Sie wurde gerufen, und erschien, aber eben' so betreten als sie weggegangcn war.
„Nicht so schüchtern, sagte der General; was fürchtest du? Sieh mir gerade ins Auge,
starr ins Zluge! Nach einigen Versuchen gelangs.
. „Beantworte mir alle Fragen ohne Verstel
lung, gerade so wie du es meinst.
Zch nehme
nichts übel — nichts übel — Wahrheit geht
bey mir über alles.
Sieh, ich habe dich manch-
Erstee
103
T h e i l.
mal als Kind a«f meinem steifen blessirtön Arm
getragen, habe mit dir gespielt, habe dich", als dtt noch in der Wiege lagst, geherzt und geküßt. 'Du kannst also sicher glauben, daß ichs gut meine.
Sag' mir aufrichtig, fühlst 'du mohl nicht zuwei len Lust zu heirathen ? Keine Alltwort aber ein verschämter gesenkter Vlick.
„Rede doch, gutfs.Kind! Sie schwieg nbernialS. „ Nun ich will dich mit dieser Gpwissens-
frage verschonen und eine andere thun.
Was
hältst du von deinem Lehrer? Bist du ihm gut?
Kannst du ihn leidqn?"
L 0 u i se.
4, Zeh schätze ihn sehr, Ew. Excel
lenz!"
General.
„Liebst du ihn auch wohl?
Hast du Neigung zu ihm, und daß ichs kurz mache, wolltest du ihm wohl deine Hand schen
ken und ihn zum Manne nehmen? Sieh nun
wird er'bald versorgt, und bald kannst du Frau Pastorin seyn."
General.
„Antworte nur eine von den
zwey Sylben, Ja oder Nein.
Gezwungen
io*
Der Pastor in Kartoffelfeld.
sollst du nicht werden, gutes Kind! Davor ^ehHtt Gott! Nicht meinen Bediente» möchte ich hierin Zwang quflegen. entscheiden.
Dein Herz muß
Sprich dreist heraus,
nur eine
Sylbe, Ja oder Nein?" Louise. General.
verschonen.
„Nein, 'kann ich nicht fagdn."'
„Nun mit Za wollen wir dich Werbe
nur
nicht
so
roth- im
Gesichte."
Wie gerufen trat Ernst eben in die Thür, und das Herzensexamen hatte ein Ende.
Er
konnte leicht vermuthen, worüber gesprochen war,
merkte auch seiner Louise die Verlegenheit gleich an, worin sie gewesen war, trat daher jur Unter
haltung der Gesellschaft ans Klavier, und spielte wie von ungefähr das damals ganz neue Lied:
Ich grüß dich Mädchen hübsch und, fein. Gar herrlich anzuschaucn.
Wer wollte doch, so schüchtern seyn?
Laß dir vor mir nicht graue,». Denn nur vor Wonne wallt mein Blut, Zch bin dir gar zu- herzlich
Du. holder- Mädchen, du!
E st e r Theil.
io;
Lyuise stellte'sich neben ihn, und sang die Worte mit: „Zch bin dir gar zu herz lich gut," Ein schalkhafter Wink von der Mutter machte den blöden Ernst so beherzt, daß er der Schönen einen zLttlichen.Kuß geben wollte, .upd diese — zog sich nicht zurück. „Dravo, bravissimo, rief der General, die Bataille ist gewonnen. Nun wirst du nicht wei ter examiniert, liebes Mädchen!" „Ew. Excellenz haben mich auch examiniert, wie eine arme Sünderin, erwiederte Louise, und ließ es gern geschehen, daß sie der Liebhaber in seine Arme schloß.^ „.So was, sggte der General, seh ich für mein Leben gern. Zch habe nichts zu lieben, freue mich aber herzlich, wenn sich die Unschuld liebt ttttb küßt." „ Machts nur nicht zu arg, junges Volk, sagte Herr Herryiann, es ist noch ein Bissel zu früh." „.Laß Sie doch, Vater, versetzte Frau Herr mann, es geschieht ja vor unsern Augen."
Der Pa stör in Kartoffelfeld.
io6
Hr. Herrmann.
„Nun umarmt euch.
Jhr^seyd ja unschuldig und gut."
„Das sind sie," sagte der Generals
Zwey freudige. Gedanken bemächtigten sich also schnell und auf einmal "der vor einiger Zeit so trübsinnigen Seele unsers Ernst..
Sichere
Hoffnung balh versorgt zu seyn, und sichexe.Hoff nung Louisen zu besitzen.
Zhm war zu Muthe,
wie — ja, wer beschreibt dieses? Eben so vergnügt war sein Gönner, der
General. er.
Wieder was Gutes gestiftet, dachte
Es heißt ja -in der Bibel, „ man soll wir
ken weils Tag ist."
Herrmanns
Enkelchen
werden einst um mein Grab tanzen, und meine
alten Knochen werden sich darüber ipr Sarge
regen. Herr und Frau Herrmann hingegen konnten sich der Bedenklichkeiten nicht'ganz entschlagen, und hielten diesen Schritt, nachdem die erste
Freude vorüber war, für übereilt.
„Der Dom
herr, sagte Frau Herrmann, kann uns den gan zen Spaß verderben.'^
'Erster
Theil.
„ Das soll er nicht,
107
sagte der General.
Morgen reise ich zu ihm.
Wer im Kriege so
manche Batterie erobert hat, wird ja auch einen
Domherrn gewinnen können.
Will er sich nicht
ergeben, so wird Sturm gelaufen. - Kleinigkei
ten! Nur gctkost, meine Liebe!" Morgens in aller Frühe reifete der alte gnä
dige Herr ganz vergnügt ab.
„Wenn ich zurück-
komme, hab' ich die unlersiegelte Vokativ» in
Lebt wohl unterdessen."
der Tasche.
Diesi
waren seine letzten Worte, und nun rollte schnell der Wagen vom Hofe herab.
Aber welch Erstaunen! Kaum waren zwey
Stunden verflossen, als die Equipage wieder
zurückkam.
Blaß und bestürzt zitterte der treue
Kammerdiener an Händen und Füßen, und dem
alten Kutscher rollten helle Thränen über den grauen Bart.
Pfeilschnell sprang die Herrmann-
sche Familie herbey.
„Kommt der Herr schon
wieder?" .„Nein, er kommt nicht wieder! schauen Sie in den Wagen hinein," sagte der
Kutscher.
log
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Starr und blaß lag hier bie Leiche des wür
digsten der Greise.
Gebrochen waren die holden
Herzensgüte verkündenden Augen, erblaßt und verzogen der Mund, aus dem noch vor wenig
Augenhlichen die Fxeude sprach — Der schnell herbeygeholte Hausarzt Sppecher versuchte ver
geblich ihn ins Leben zurückzurufen.
Vergeblich
war der Aderlaß; vergeblich alles Reiben mit warznen Tüchern.
Er blieb todt, und mit ihm
waren alle Hoffnungen des Herrmannscheu Hau ses auf einmal gestorben.
Alle und besonders
Ernstküßten seine Leiche mit namenlosem Schmerz. Der Arzt urtheilte, daß vielleicht ein zu starker
Affekt, oder eine plötzliche Erkältung diesen schnel len Tod veranlaßt haben könnten.
Beide Ursa
chen schienen vorhanden zu seyn. Mit wenigem Gepränge aber unter vielen
Thränen brachte man den geliebten Todten zur
Ruh«, und setzte den Sarg genau auf die Stelle, die er noch vor einigen Tagen selbst angewiesen
hatte.
Das gesammte Hofgesinde bestreute die
Allee,
die zum Grabmal führte, und durch
welche der Leichenzng ging, mit den schönsten Blumen.
Bloß Herr Herrmann, die beiden
Erster
Theil.
109
Bedienten, Kutscher und Kammerdiener, die ältesten Freunde deS Verstorbenen folgten dem Sarge, der Abends nach Untergang der Sonne, iintpr Abstngnng des Klopstockschen Liedes „ Auf-
rrstehn, ja auferstehn wirst du " eingesenkt wurde. Ernsts Kräfte waren gesunken, er war nicht ver
mögend den Sarg zu begleiten.
Seine so ge
rechte Betrübniß schien in finstere Schwermuth
auszuarten.
In dieser vergaß er den rühmlichen
Antrag des alten Pastor Meyer — vergaß den
Domherrn von Selten, den wir bald näher
kennen lernen werden.
Vergaß alles, nur nicht
seinen alten lieben General.
XIO
Zweytes
V u ch.
.^29ir verließen das Trauerhaus, und verschwie gen zur Schonung, unseres eigenen Gefühls noch manche rührende Scene; am wenigsten konnten wir uns darauf einlassen, die Seelenstimmung
der zärtlichen und empfindsamen Louise zu schil
dern.
Dagegen wollen wir uns jetzt mit dem
Doktor Svrecher bekannt machen. Herr Doktor Sprecher, ein äußerst thätiger
und auf alle auch die kleinsten Umstände auf merksamer Mann, wußte mit seiner medicini-
schen Praxis noch mancherley Nebengeschafte zu verbinden, wobey er selten leer ausging.
Alle
diese Nebengeschäfte gründeten sich auf eine Art
von Kenntnissen, worin die meisten Gelehrten
und wissenschaftlichen Männer sonst ganz fremd
Erster
Theil.
ui
zu seyn pflegen, ich meine die Kenntniß der
Umstände und Verhältnisse, nicht etwa der vor
Jahrhunderten oder Jahrtausenden gestorbenen, sondern der noch lebenden Menschen.
Hörte er
einen ihm noch Unbekannten nennen, so forschte er gleich nach allen Verwandten, und nach allen
speciellen Umständen, z. 55. dem Vermögenszu stande eines jeden Fanliliengliedes, und dessen Privatintercsse. Er war in diesem Stuck ein
Universal-Lexikon, und die lebendige Zeitung
seiner Stadt. *) *)
Welcher Stadt? Mit diesen und ähnlichen
Fragen wünscht sich der Verfasser verschont. Wohl 'wissend, daß die Geographie das eine Auge der Geschichte ist,
muß
er hier ganz
ehrlich seine
Unwissenheit in der Erd - Lander - und Provinzenkünde, so wie auch in der Topographie bekennen.
Nur von einigen Oertern
weiß er den Namen,
nicht von allen: und die Lage ist ihm mehrenrhcils
unbekannt.
Er liefert bloß Geschichte, und üben
laßt es dem eben so geneigten als geehrten Lesern, und,
nicht zu vergessen,
auch Leserinnen, den
Schauplatz dazu nach Maßgabe ihrer Welt - unb*
Menschenkunde selbst auszusuchen, oder per hypo* thesin anzunehmen/ wo und wie-sie wollen..
112
Der Pastor rn Kartoffelfeld. Unter seinen Nebenbeschäftigungen war die
unterhaltendste für seine leeren Stunden -;nd die
einträglichste für seinen Beutel die Freywerberey; nach den Principien des alten seligen Generals
ein wichtiges, edles, und nach den seinigen, ein leichtes und einträgliches Geschäft.
Fast immer
war er mit Stiftung neuer Ehen sehr emsig beschäftigt, um das Gerathen oder Nichtgera-
then ganz unbekümmert.
Vertrug sich das neue
durch ihn kombinierte Paar nur am Hochzeit
feste und noch einige Tage nachher, und waren die Geldangelegenheiten abgethan, so war er zufrieden.
Nächst diesem beschäftigten ihn Testamente und Erbschaften fast eben so sehr, und seine
medicinische Würde machte es ihm leicht sich in
die Angelegenheiten und letzten Beschlüsse der auskurierten Kranken zu mischen.
Bedachte er
sich auch dabey nicht immer direkte selbst, so
wirkte er doch für diesen oder jenen Freund oder Verwandten des Abgeschiedenen, und machte sich
denselben verbindlich. Ueberdieß war er der.allgemeine Patron aller Amtssucher oder Kandidaten. Mit einem Strom
ihm
Erster ' TH eil.
113
ihm ganz eigner DeredtsaMkeit oder hiflicher Geschwätzigkeit, und einer liebenswürdigen Un verschämtheit wußte er jeden zu empfehlen, den er empfehlen wollte. Abschlägige Antworten ermüdeten ihn nicht. Manchem Ignoranten kam dieses Rrkommcndationslalcnt sehr zu Statten, besonders den Nepvten des. Doktors; manchem ehrlichen Mann aber war es gefährlich und schäd lich. Und da- war der Fall mit unserm bra ven Ernst.
Dem Doktor Sprecher entging es nicht, daß Pastor Meyer sich Ernsten zum Adjunkt aüsgebeten hatte. Kaum aber war er halb davon unterrichtet, als er gleich in der Stille ein Pro jekt für einen feiner Nepvten' oder Vettern ent warf, für einen jungen Kandidaten, auch Meyer genannt. Dieses und nicht Ernst sollte nach sei ner Zdee der Nachfolger des alten Meyers wer den. Freylich sagte ihm, wiewohl sehr leise, sein Herz, daß eS unrecht sey die unschuldigen Wünsche zweyer liebenden, jetzt, so betrübten Seelen, hinterlistig und grausam zn vereiteln;
H4
Der Pastst in Kart^ffelfeld.
alleiy- sein - Verstand tröstete ’ das Her; mit dem
Svrichwort: „Zeder ist sich selbst der nächste."
Noch hatte der zerstreutes betrübte und ver
liebte Ernst den wichtigen Dries nicht beantwor tet,
als 'Doktor
Sprecher
dem Emeritus
'Meyer schon die Visite machte, den er weiter nicht als dem Namen nach kannte.
Wir thei
len hier ein Bruchstück aus der ersten Unter redung mit.
Doktor.
„Nun wie gehts denn noch,
alter, guter, bester Herr Vetter?
Längst hab'
ichs für meine Schuldigkeit gehalten, Ihnen mein Kompliment zu machen.
Ich bin der
Doktor Sprecher." P. Meyer.
„Wie wollt's gehen, Herr
.Doktor, nicht sonderlich;, ich bin alt und schwach, und bald werd' ich in Frieden fahren."
Doktor.
„Ey,-eyl Das noch nicht. Sie
sehen noch zu munter und gesund aus. /ich mir Ihren Puls ausbitten? Der Alte hält die Hapd hin.
Dürst'
Er fter
115
Theil.
„0 hier ist noch viel Lebenskraft konceiltricrt. Sie haben ja auch noch "alle Zahne — wahrhaf tig noch alle Zähne! Nun wer güte Zahne hak, beißt gut; wer gut beißt, verdauet gut; wer gut
verdauet, befindet sich wohl und lebt lange.
Zch
stehe für hundert Zahr, wenigstens für neunzig.
Wie alt sind der Herr Vetter?" P. Meyer.
„Acht und siebzig!
Und
M o se s sagt: „ Unser Leben währt siebzig, und
wenns hoch kommt sindö achtzig Zahr." Doktor.
„Das sagt Moses.
war kein Arzt.
Moses
Unsere neuen Aerzte behaupten,
daß der Mensch, wenn er nur die Lebenskraft
zu konservieren versteht, hundert, hundert und fünfzig, 'ja zwey hundert Zahr leben könne." P. Meyer.
„Zwey hundert Zahr? Der
Mensch? Zn meiner fnnfzigjährigen Amtsfüh rung mag ich wohl ein paar taufend Menschen
begraben haben; aber keinen einzigen von hun dert , geschweige zwey hundert Jahren.
Daß
doch die Menschen klüger seyn wollen als die
Schrift — „ Der Mensch, sagt der Kreuzträgcr Hiob, hat seine bestimmte Zeit; die Zahl sei
ner Monden steht bey Gott."
ii6
Der P.astor in Kartoffelfeld.
DoktSr lächelnd. „Der Herr Vetter müßten
den Hufe land von Verlängerung des menschliehen Lebens lesen.
Da würden Sie Exempel
von vielen alten über hundert Zahr altgewordcnen Leuten finden.
Haben Sie nicht von dem
berühmten alten Engländer Zenkins gehört?"
„ Zch kenne weder den H u fe-
P. M e p e r.
land '»och den Zenkins, aber meine Bibel kenne ich.
Und was weiß man von'Zenkins? "
Doktor.
„Daß er volle hundert und sieb
zig Zahr gelebt, hat, bester Herr Vetter!"
„So! so! Zch höre, Herr
P. Meyer.
Doktor, Sie nennen mich Herr Vetter.
Hab'
ich die Ehre mit Zhney verwandt zu seyn?"
„ Die Ehre ist mein."
Doktor. P. Meyer.
„Wie nahe oder fern habe
ich dieShre mit Zhnen verwandt zu seyn?" Doktor.
„ Meine vor kurzem gestorbene
neunzigjährige selige Großmutter war eine. geborne Meyern." P. Meyer.
„ Das kann wohl seyn; aber
es giebt bekanntlich bet Meyer sehe viel." Doktor.
„Das wohl.
Aber Zhr Herr
Vater, lieber Herr Vetter,.war ein Halbbruder des
E r st e r
117
Theil.
weiland Kammerrath Meyer, eines nahen Ver wandten meiner seligen Großinuttcr."
P. Meyer.
„Nehmen Sie nur nicht
übel, wenn ich es nicht gleich behalten kann,
daß ich Zhr Herr Vetter bin, und zuweilen
Herr Doktor, nicht Herr Vetter sage."
„Hat nichts zu bedeuten, bester
Doktor.
Herr Vetter.
Sie glauben doch, daß ich wirk
lich Ihr Herr Vetter bin? "
P. Meyer.
„Warum nicht? Zm Grunde
sind wir Menschen ja alle Vettern und Muhmen. Aber
an
die Verlängerung
des
Lebens kann, ich nicht glanhcn.
menschlichen Bibel bleibt
Bibel, Herr Doktor!" Dyktor.
„tzkanz recht,
Herr Vetter!
Aber Sie sind doch so gütig, dieß Buch auch
ein Mal zu lesen."
Cr Ubetrcid)t t>cn J^nfclanb.
P. Meyer.
„Meine Augen sind schwach.
.Ich lese schlecht, und weil ich die Abnahme mei■net Kräfte täglich verspüre, wünsche ich Mir nicht
einmal ein hundertjähriges Alter.
Was ist dex
Mensch, und was nützt er, wenn er nicht .mehr
lesen kann?"
Der Pastor in Kartoffelfeld.
ns
Doktor.
„O sorgen Sie nicht, bester
Herr Vetter! Wo noch so viel Lebenskraft bey sammen ist, da kann dem Auge bald geholfen
werden.
Nächstens bringe ich Ihnen ein stär
kendes Augenwasser." Der
Herr
Doktor
empfahl
sich
hiermit
bestens mit Zurücklassung des freywilligcn Ver sprechens bald wieder zu kommen, und-bat sehr
den Herrn Vettet das Lcbensbuch nicht unge lesen zu lassen.
Mehr aus Neugierde und um die Lange weile zu vertreiben, als im Vertrauen auf die ihm bisher ganz unbekannte Kunst der Lebens
verlängerung, ließ Pastor Meyer seinen Gevat ter Schulmeister kommen, ihm das Wunderbuch
von Anfang bis zu Ende vorzulesen.
Dieser,
freylich auch schon über drey Viertel eines Seku-
lums alt, war von der gütigen Natur mit einer
so starken Sehkraft begabt, daß er die kleine Bibel ohne Brille noch bey Lichte lesen, und
wie er sich zuweilen rühmte, die Spinnen und
Erster
Theil.
119
Fliegen oben an der Thurmfahne bey heiterm Wetter erblicken konnte.
Der Gevatter Schulmeister ias, und las mit
großem Vergnügen'. . daß mlte Manner von hundert Zähren und drüber:mtt jungen raschen Weibern noch Söhne und Töchter gezeugt hatten.
Denn er war nicht abgeneigt, "seine junge ihm sehr gefallende Haushälterin noch in feinem soli
den Alter zu hrirathen.
„Herr Gevatter, sagte
er zum Pastor Meyer, das Buch enthält Weis heit; die Welt wird immer klüger, das sicht man
schon an dem Blanchard. "
Der Alte, so gewiß ersuch seines biblischen
Glaubens war, und-so heterodox ihm auch an fänglich alles borkam, wurde denkoch durch den schönen reihenden Styl, wyrei» Hufeiand
Wahrheit und Lehre einkleidet, nach und nach ««gezogen, ging unvermerkt in die Ideen des
Verfassers mit hinein, und wurde endlich sogar, wenigstens in manchen Augenblicken, wie.von
ihm bezaubert.
Fast fing er an den Brief an
Ernst zu bereuen, und fands manchmal gar nicht
unwahrscheinlich,
daß. er wenigstens dreymal
dreyßig Jahre voll machen, und also noch zwö'f
Der Pastor in Kartoffelfeld.
120
Jahre leben und wirken könne.
In solchen
Intervallen schätzte er sich glücklich, die Bekannt
schaft mit bem Herrn Vetter gemacht zu haben. Der Schulmeister rechnete ohne Zlnstand auf rin ganzes Jahrhundert, und so oft ihm das Buch
erbaute und entzückte,, pflegte er zu sagen: „Nun der. Herr Gevatter trauen mich noch Ein Mal mit
einer jungin Braut."
Nach einigen Tagen kam der Herr Vetter
wieder, und herzlich freuete er sich, daß sein
Buch f» wohl gefallen hatte. „Nicht wahr, sagte er, man fühlt sich durch
«ine solche Lektüre ganz, gestärkt, und der Popanz, Tod genannt, kommt einem wie ein Irrwisch
vor."
„ Wenns nur mit mir nicht zu spät ist!" „Wie gesagt, ich stehe, wo nicht für hun dert, doch für neunzig.
Nur recht viel atmosphä
rische Luft genossen, und den Körper durch kälteS
Wasser,'doch gradatim, gestärkt.
Der.älteste
Mann, den wir.kenne», war ein Fischer-. ' Mich'
Erst e^r
Theil.
121
dünkt, der Herr Vetter sehen', heut viel munterer
«ms als voriges Mal.
Nun ich gratuliere!"
Der Alte lächelte, schob die Perücke, und sah itt den,Spiegel. „ Bloß durch atmosphärische Luft und reines^ kaltes Wasser hab' ich neulich, fuhr det Doktor
fort, einen Hypochondristcn kuriert,
nachdem
Aderläße, Vomitive, Essenzen, Laxanzen und Dekokte, vergeblich gebraucht
waren.
Mein
Patient ging täglich bey jeder Witterung, es mochte donnem oder blitzen, schneyen oder reg
nen, zwey volle Stunden, Haß auch nicht ejne
Minute
fehlte ,, in, der atmosphärischen Luft
spazieren, wusch sich Morgens und Abends mit
kaltem Wasser den ganzen Leib, oder rieb sich
im Winter mit Schneebällen, und siehe — die ganze Lebenskraft kam zurück, und jeder Nerve
hatte seine Spannung wieder. wöllten
ihn
bloß
mit Arzney
Andere Aerzte
und
Wärme
kurieren." Ueber Tische — der Herr Vetter invitierte
sich selbst — wurden diese und ähnliche Gespräche fortgesetzt.
Da Pastor Meyer, von altem
Schrot mnd Korn, keinen Weinkeller, wenig-
122
Der Pastor in Kartoffelfeld.
fiens keinen beträchtlichen hielt, sondern mit deutschem Draunbier zufrieden war, so hatte der Herr Vetter aus Vorsicht einige Flaschen alten Rheinweins und Champagners eingelegt und mitgebracht, und gab sie zum Besten, so wenig auch der Wirth mit dieser zuvorkommenden Frey gebigkeit zufrieden zu sey«, schien. Der einzige Gesellschafter des Pastor Meyer, der Herr Ge vatter Schulmeister, wurde auch geladen, und erschien sehr gern. ■ „ Eins, sagte unter andern Pastor Meyer, Eins werd' ich webet befolgen können noch wol len, was aber doch das Lcbcnsbuch sehr anrath und' empfiehlt."
„Und zum Exempel?" „Es heißt, darin, auch der Ehestand verlän gere das Leben. Ich aber chabe bey dem Sarge meiner seligen Frau das Gelübde gethan, nie wieder zu freyen."
„ Das thut nichts. Sie werden auch gelesen haben, bester Herr Vetter, daß Klostergeistliche auch lange gelebt höben; man kann außer der Ehe auch alt werden."
Erste r Theil.
ir;
>/2ch will diese Regel üicht unöefolgt lassen, vexsehte der Gevatter Schulmeister, und bald wird der Herr Pastcr so gütig seyn, mich aufzubieten. Sie gefällt mir besser als die vom kalten Wasser, der mosphärischen Luft und dem ewigen Spazierengehen." Der Genuß des alten Rheinweins, dessen der Greis bey seiner simpel» frugalen Lebens weise gar nicht gewohnt war, stärkte und erhöhte gemach die Lebenskräfte der drey Gesellschafter. Der Doktor ergoß sich in eine lange Lobrede auf die heutigen erfindungsreichen Zeiten, und pro phezeite vom kommenden neunzehnten Zahrhundert Wunderdinge; sprach von noch zu erfin denden Medicinen, die den Menschen völlig unsterblich machen, ihn wenigstens von. Zeit zu Zeit verjüngen müßten. „p möcht' ich das noch erleben, hub der Schulmeister an; es ist doch gar zu schön auf der Welt, besser als im Reich der Todten, wo man gewiß solchen schönen Wein nicht trinkt." Rasch sprang er vor des alten Pastors altes Klavier hin, und sang mit jauchzender Chorstimme:
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i24
SchLn ist das Leben,
Schön ists auf der Welt; Wer zählt die Freuden die sie enthält u. s. rv.
Noch rascher stofsierte der Doktor von seinem^
Champagner und akkompagnkerte so gnt er konnte. Der Alle,
sich selbst und alle Kümmernisse
vergessend, ward so heiterer Laune, daß er das'
angestimmte. Lied nach Vermögen auch mitmurmelre.
. Voll jugendlichen Gefühls fing er an
eine Universitätsgeschichte nach der andern zu
erzählen, die sich unter dem Prorektorat des wei land Doktor Joachim Lange und Daumgarten
begeben hatte.
Vergnügt wär Der cherr Vetter, der seinem Ziele immer näher qhb naher zu kommen glaubte,
und noch vergnügter würde er gewesen seyn,
wenn nicht der Alte auf einmal und ganz uner wartet einen recht ehrwürdigen Ernst im Gesicht'
gezeigt und «ine tiefdenkende imponierende Miene'
gemacht hätte.
„Was ist Zhnen, Herr Vetter?" „.Ich kanns nicht läugnen, der schöne Wein
hat mich gestärkt und gelabt,
und ich fühle"
Mich gleichsam neu geboren. Ein einziger Ge danke aber stört mein Vergnügen." „Welcher Gedanke? Das muß ein schreck licher Gedanke seyn." „ Kein schrecklicher. Ich habe vor einiger Zeit einem braven Kandidaten, den ich kenne und liebe, dir Adjunktur angeboten." „Himmel waS hör' ich? ?tllerdings ein schrecklicher Gedanke! Zn welche Noth wollen sich der Herr Vetter bey der schönsten Lebenshoffnung stürzen? Lieber wünschte ich. Sie hätten das Fieber als den Einfall bekommen, einen Adjunkt zu wählen. Das Fieber läßt sich kurie ren; aber ein solches Uebel, wie ein Adjunkt, ist völlig inkurabel." „ Was man von ungerathenen Söhnen sagt, sie seyn Nägel zum Sarge des Vaters, läßt sich auch von den Adjunctis ratione emeritorum sagen," versetzte der halbstudierre Schulmeister. P. M e y e r. „ Hätte mich der Herr Vetter früher beehrt, so geschah' es nicht. Nun aber ist der Schritt gethan, den ich als ehrlicher Mann nicht zurück thun darf."
126
Der Pastor tn Kartoffelfeld.
Doktor.
„Und der Schritt wird Reue
nach sich ziehen.
Nun steh' ich nicht für achtzig.
Aerger schwächt die Lebenskraft, imb wo ein Adjunkt ist, giebts Aerger." Schulmeister.
„Wir singen auch den
passenden Vers aus ihn: „Den alten Menschen kränke, daß der neue leben mag."
Doktor..
„Lieber wieder eine Frau ge
nommen als einen Adjunkt, und sollte es auch
die böse Sieben seyn, die Sirach beschreibt.
genau was
Wissen Sie
den»
Adjunkt ist?
Sehen Sie, das ist ein Mann,
eigentlich ein
der da wünscht was Sie nicht wünschen — sich freut, wenn Sie sich betrüben — fröhlich ist,
wenn Ihnen der Kopf weh thut — das Maul hängt, wenn Sie gesund sind — alle Ihre kör perlichen Schwäckcn ausspioniert — Ihr Lebens
ende tagtäglich berechnet — und wenns denn so
weit kommt, daß Sie verscheiden, seinen Gott auf den Knieen dankt, und Ihnen die schönste
Leichenpredigt hält.
Sehen Sie das ist in der
Regel ein Adjunkt; ich möchte solchen Spion
nicht im Hause haben, und wenn er den Stein der Weisen besäße."
Erster The i l.
i-7
P. Meyer. „Wenn man sich einen bra ven Mann selbst aussucht, ist die Gefahr so sehr groß nicht." Doktor. „Nun Sie werdens bereuen, bester Herr Vetter. Ich will kein. Prophet seyn. Sie werdens bereuen. Liebtr einen Kobold im Hause — lieber bey LLwen und.Drache».ge wohnt. " P. Meyer. „Ey, ey! Herr Vetter, Sie machen mich gar zu bange! Der Kandidat, den ich gewählt habe, gehört unter die edlere Klasse von Menschen, und wird mir weder Kobold, noch Löwe, noch Drache seyn. Zch habe vielleicht, mir darin gefehlt, daß ich ihn zu früh wählte; aber ich halte ihm Wort, als ehrlicher Mann." Doktor. „Um Verzeihung, wenn soll er anzichen?" P. Meyer. „Das ist-noch unbestimmt." Doktor. „ Nun so werden Sie an Ihrer Ehrlichkeit nichts verlieren, wenn Sie ihn noch zehn Zahre warten lassen. Will er dann so lange warten, und sehne Braut — denn eine Braut wird er doch wohl haben — mit ihm, so mag er es thun."
128
Der Pastor itt Kartoffelfeld. „Ner. im- Gnurde, lieber
P. Meyer.
Herr Vetter, Lin ich doch alt und schwach.
-Ich
Die Augen!
Die
merk' cS nur gar zu sehr.
2(ugcn! “
Doktor.
„Trauen Sir meinem Augen-
wasscr etwa nicht? ES hilft freylich erst nach ein
paar Zähren."
„Wie aber wirds mit mir
P. Meyer.
in diesen paar Zähren, da ich in der -Bibel
auch mit der Drille nicht wohl lesen kann? "
Doktor.
„Gott sey-Dank! mir fällt ein
vortrefflicher Gedanke für Sie ein. .'es gut mit Zhnen.
Zch meine
Zch habe einen« nahen Vet
ter, es ist auch ein Meyer, der erst vor kurzen Studia theologica absolviert Hat. ' Der soll Sie
sublevieren bis die Augen-völlig hergestellt sind.
Sie geben ihm nichts als das Stückchen Dxot, das er ißt, und er muß es- sich gefallen- lassen
wieder abzuziehen, sobald es Zhnen beliebt. Das ist dann ein Adjunkt und kein Adjunkt; und
da er Zhr Detter ist, so wie der meinige, st wird er sich über dir Wiederherstellung Zhrer
Zlugen herzlich freuen. Sie als einen Vater lie
ben und ehren." P. Meyer
Erster
Theil.
tag
„Das stände reiflich zu über
P. Meyer.
legen .. recht reiflich . ."
„Bedenken Sie nur, unser jun
Doktor.
ger Vetter Meyer besitzt Gelehrsamkeit, hat einen
schönen
Stimme.
Körperwuchs
und
eine
schöne
Er trägt sein eigenes blondes Haar
zierlich in Locken geschlagen." P. Meyer.
„Also keine Perücke?" sagte
Pastor Meyer, und schüttelte den Kopf.
Noch
mehr schüttelte er ihn, als Herr Doktor Spre
cher versicherte, daß sein junger Herr Vetterganz im neuen Geschmack predige, und die frap pantesten Themata zu erfinden wisse. Der Doktor schlug einen Spaziergang zm
Kirche vor, um sich im Geist seines halb zu
adjungierenden Vetters darin umzuschen, und
gern wurde er genehmiget.
Mit. Falkenaugen betrachtete er die schöne Kanzel, und entzückt war er bey dem Ton der
vortrefflichen Orgel, auf welcher sich der alte Gevatter-Schulmeister mit einer Fuge aus Fis
Moll vom Kapellmeister Telemann hören ließ.
Alles hatte seinen vollkommenen Beyfall, alleS wurde bewundert.
i3o
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Dagegen nahm das Flämmchen froher Laune,
das der Herr Doktor
anzuzünden verstanden
hatte, bey dem alten.Pastor Meyer immer mehr
und mehr ab, als er zu dem Altar hintrat, an .dem er fünfzig Zahre gedient, und wo er so man.cheif Segen an seine gute Gemeinde ausgespendet
hatte.
Wie vergänglich, dacht' er, sind doch
.alle Freuden^ dieses Lebens! Salomo hat Recht:
Es ist alles eitel!" Er ward wehmüthig und
Helle Thränen rollten die Wangen herab. Auf der Rückkehr zur Pfarre zogen ein paar in Urnenform aufgerichtete neue Leichensteine die
?lufmerksamkeit des Doktors auf sich.
Er wollte
die Inschriften lesen, allein der Alte zog ihn
zurück.
Verschonen Sie mich, sagte er, wenn
,Sie nicht heiße Thränen sehen wollen — Diese
Steine decken die Meinen.
Oumes seposui.
Ganz umgestimmt kam man im Pfarrhause
wieder ane .Der Doktor getraute sich nicht das
neunzigjährige Alter sammt dem halben Adjunkt wieder aufs Tapet zu bringen, und äußerte jeht
Erster
Theil.
131
bloß den Wunsch sich in den Zimmern des Pfarr
hauses, und im nahen Garten besehen zu dürfen. Gleich nahm der Hauspapa den Schlüssel, und führte ihn herum.
Die überall herrschende Ord
nung und Reinlichkeit, die in der reichen Vor-
rathskammer eben so gut anzutreffen war, als in der Visitenstube, hatte des Doktors lauten
Beyfall, und willig öffnete der Alte jede Thür;
nur vor zweyen ging er ernsthaft und denkend
vorüber.
„ Wollen der Herr Vetter nicht auch diese öffnen? "
„ Nicht recht gern.
Ich selbst pflege diese
Zimmer jährlich nur einmal, und zwar am Duß-
und Bettage zu besuchen.
Sie erinnern mich
zu sehr an eine Gott sey Dank überstandene starke Prüfung meines Glaubens." Der neugierige Arzt ruhte indessen nicht, und ließ mit Zureden und Bitten nicht eher nach, al«
bis eins dieser Heiligthümer geöffnet wurde.
Zwey geschmückte Betten mit weißen Umhän
gen standen neben einander, und über dem einen hing eine verwelkte Myrtenkrone.
Daneben sah
man zwey große eichne glanzende mit Messing
izr
Der Pastor in Kartoffelfeld.
beschlagene Koffer: an der Wand hingen zwey schöne Gemälde, und unter diesen stand eine Harfe. „Dieß, hub der 2llte stammelnd an, dieß sollte das Brautzimmer meiner selige» Tochter, meiner lieben unvergeßlichen Henriette seyn. Hier stehn die Draulbetten noch von mütterlicher Hand gepolstert — Dort hängt die von ihr selbst gemachte Brautkrone — in diesem Koffer befindet sich die Ausstattung — in jenem Schranke hängt das weiße atlassene Brautkleid — in die sen Gemälden ist sie mit ihrem vortrefflichen Bräutigam, einem jungen Nechtsgelehrten, ganz nach dem Leben getroffen." „ Das muß ein schönes Frauenzimmer gewe sen seyn! schon das Bild entzückt."
-,Za, das war sie. Schöner noch war ihre Seele. Sie wird auch jetzt ein schöner Engel seyn. Bald werd' ich sie wieder sehen. Am hitzige» Fieber starb sie kurz vor der Hochzeit, da ich zugleich mein Amtsjubelfest feiern wollte." Und hiermit schloß der Greis die Thür. „Und das andere Zimmer?"
Erster
Theil.
„ Auch das sollen Sie sehen.
133 Mein Herz
blutet einmal, es mag ausblutcn."
Hier stand das Sterbebette seines einzigen Sohnes noch in eben der Form, wie er darin verschieden war.
Kein Kissen war verrückt.
Nahe dabey sahe man seinen Schreibtisch, auf
demselben ein Heft, und daneben eine Schreib
feder; die Dinte war vertrocknet. „Hier verschied, hub der Alte abermals stammelnd an, hier verschied einige Tage nach
dem Tode seiner Schwester mein einziger hoff
nungsvoller Sohn.
Hier liegt die angefangene
Predigt, die er zur Erhöhung meiner Vaterfreuden, gerade am Tage meines Jubelfestes
imb der Hochzeit
seiner Schwester zu, halten
gedachte — Auch ihn sehen Sie hier abgebildet
in wahrer Gestalt bis zum Sprechen." Das Porträt hing über dem Schreibtisch,
und stellte ein blühendes kraft - und seelenvolles Gesicht eines jungen Mannes dar.
Der Alte
konnte nicht unterlassen es von der Wand zu nehmen, und es väterlich zu küssen. , „Ja, sagt' er, mein Jubelfest ward zum
Tranerfest.
Meine beiden Kinder, die ich f»
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i34
sorgfältig erzog, die einzige Stütze meines hohen
Alters, riß der Tod schnell hinter einander weg. Nun bin ich Einsiedler. Bloß der schöne Spruch: „Welchen der Herr lieb hat, den züchtiget er,"
kann mich trösten, sonst würd' ich umkommen in meinem Elende."
Wider seine Gewohnheit
äußerst gerührt,
verließ der Arzt auch dieses Zimmer, und eilte nach dem Garten, wo er eben die Einfalt und
Ordnung fand,
welche er im 'Hause so sehr
bewundert hatte.
Als man die Gänge auf und ab ging heiterte sich die Seele des Greises nach und nach wieder
auf.
Er erzählte die Geschichte jedes von ihm
gepflanzten, gepfropften und erzogenen Baumö, und sprach zur Freude des Doktors recht viel von einer neuen Baumschule, die er übers Zahr,
«ills Gott, anlegen wolle.
Schnell aber ward er wieder ernsthaft, als sein Blick auf zwey nahe schlanke Bäume fiel.
„Wieder so ernsthaft, Herr Vetter?" „Hier noch ein Andenken meiner geliebten
Kinder.
Diesen schönen Apfelbaum pflanzt« ich
im Geburtsjahre meines Sohnes, und jenen
Erster
Theil.
135
muntern Birnbaum gerade an dem Tage als
Henriette zur Welt kam.
Seyd, dacht' ich,
ein Bild meiner Kinder! Sie waren es auch, schön und schnell wuchsen sie empor.
sie es nicht mehr.
Jetzt sind
Mit Flor möcht' ich sie um
winden." Der Herr Vetter brachte ihn wieder ans die
neu anzulcgende Baumschule, und seine Stirn entwölkte sich wieder. „Sie müssen Gesellschaft haben, bester Herr Vetter, und Sie haben
sie gleich und ohne
Kosten, sobald Sie meinen Kandidaten, den
jungen Meyer, zum halben Adjunkt anneh men.
Der ist immer munter und lustig, und
wird Ihnen die Grillen bald verplaudern. werden nicht wissen, wo die Zeit bleibt.
Sie
Er kann
auch an der neuen Baumschule mit arbeiten."
„Verschonen Sie mich heut mit diesem gutge
meinten Vorschlag. Ich kann nichts dazu sagen." Da es also nicht gelingen wollte, den alten
Herrn Meyer für den jungen Herrn Meyer zu gewinnen; so setzte sich der Herr Doktor in sei
nen Wagen, und fuhr von dannen.
iz6
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Wir überlasse» den Greis seiner Einsamkeit, und erjählen was der Herr Vetter, Doktor Spre cher, ferner begann, ym seine» einmal gemach ten Plan durchzusetzcn. Die Zusicherung eines neunzigjährigen Lebens war bey dem alten Dreyer fruchtlos gewesen, und die durch den alten Rhein wein erregte neue Lebenskraft war mit dem Spi ritus gar bald wieder verflogen. Der Alte blieb seinem Grundsatz getreu, seiner lieben Gemeinde an seiner Stelle einen exemplarischen gesetzten Mann zu verschaffen, der erbaulich predigte, und sich priesterlich kleidete. Er konnte es nicht vergessen, daß er einst auf einer Reise im Wirthshause einen Amtsbruder für einen Ver walter angesehen hatte. Schon auf der Rückreise machte der Doktor Sprecher mancherley Projekte, wie er seinen Ncpoten leicht und schnell in die Pfarre von Seedorf einschiebe» w.olle. Bald wollte er die .-Gemeinde, Haus sür Haus apgehen, bald eine .'Kabinetsordre auswirken, bald. , . doch keiner dieser und anderer Einfälle wollte ihm so recht gefallen. Endlich erinnerte er sich im Herrmannschen Hause gehört zu haben, daß Domherr
Erster
Theil.
137
von Selten Pfarrpatron sey, der sich jetzt in einer nahen Stadt aufhielt.
Wenn dieser
gewonnen ist, dacht' er, so ist des alten eigen sinnigen MeyerS Einwilligung nicht nöthig.
Domherr von Selten, ein zwiefach stiftsfä-
higer Edelmann, der seinen Stammbaum bis
auf Kaiser Karl den
Großen
zurückzuführen
wußte, war seines außerordentlichen Reichthums wegen sehr berühmt, und in sofern Geld und
reiche Pfründen glücklich machen, der glücklichste Mensch in der ganzen Provinz.
Bey mehrery
Präbenden, die er theils als Domherr, theils
als Präpofltus, theils als stummer, theils als
lauter Vikarius *) zu heben hatte, verzehrte er,
oder konnte verzehren, den Ertrag von mehrer» Rittergütern,
Erbzinscn, Lehnsgefäflen, und
überdieß eine Menge von Rauchhühnern, Zehntgänsen u. s. w., so daß er ohne Furcht vor Nahrungssörgen, den Zahrgehalt eines Präsi
denten , Generals oder Ministers, Monat verprassen konnte.
*)
in einem
So wie er sich aber
Man könnte auch sagen: schreyender oder
blarrender Dikarius.
iz8
Der Pastor in Kartoffelfeld.
durch Reichthum und Stiftskreuje, womit der schwarze seidene Nock ganz kehangen war, in der
Provinz auszeichnete: so unterschied er sich in der Menschheit durch ganz besondere Grillen,
von denen man nicht wußte, ob sie mehr die Folge eines verdorbenen Magens, eingeschrumpften Gekröses und der verstopften Milz, oder
eines auf Ahnen, Güter und Kreuze sich grün
denden Stolzes waren.
Genug der Herr hatte
seine Grillen, und wer von seiner Gnade und Hochwürdigkeit Gebrauch machen wollte, mußte
sich in diese zu finden wissen.
So ausgebreitet auch die Häuser - und Familienkenntniß des Doktor Sprecher war; so war
er doch mit dem Leben und den Meinungen die
ses Herrn nur wenig bekannt.
Zm vollen Ver
trauen auf seine Deredtsamkeit und sein Znsinua-
tionstalent, wodurch er Berge versetzen zu kön
nen wähnte, erschien er im glänzenden Hausflur des Domherrn.
Mit Verbeugungen ohne Ende trat er in das geschmückte Zimmer der .. . zwölf Diener,
die ihm in ihrer reichen Kleidung wie zwölf
Kammerherren vorkamen.
Auf die ■ ergebenste
Erster Theil.
139
Frage an den schlanken Kammerdiener: „Ob er die Gnade haben könne Sr. Hochw. Gnaden aufzuwarten?" erfolgte keine Antwort. Der Doktor wiederholte sie, und machte aus der ergebensten eine gehorsamste, aber wieder keine Antwort; er verwandelte sie in eine unterthänigste, und zuletzt in eine allerunterthänigste, und es half nichts. Zn der Ver muthung, cs könne vielleicht das Trommelfell dieses Herrn verletzt seyn, verstärkte Herr Spre cher seine Stimme von Grad zu Grad, bis er zuletzt wie ein Stentor schrie, und — «S half nichts; wenigstens nur so viel, daß der wohlfri sierte Kammerdiener durch eine Zeichensprache zu erkennen gab, der Herr Doktor habe sich schrift lich an den gnädig - hochwürdigen Principal zu wenden. So wie jenseit des Aeqüators M Kaisers von Matäram Majestät es seinen getreuen Unter thanen— wenn die Reisebeschreiber nicht lügen— zur -Pflicht macht, ihm in ?lllem nachzuahmen, zu lachen, wenn er lacht, zu niesen, wenn er niest, zu Hüsten, wenn er hustet, z« schwitzen, wenn er schwitzt; so hatte es auch Herr von
140
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Selten seiner reich gekleideten und feist genährten Dienerschaft zur Pflicht gemacht, in Zlllcrn nach Verhältniß seinem Beyspiel zu folgen.
Zwar
nicht mit Androhung jener Mataramschen Strafe, ihnen das Fell über jb.ie Ohren streifen zu lassen,
.welches nicht die angenehmste Emvsindnng seyn soll, wohl aber bey Strafe der Kassation.
Er
wies im Uebertrctungsfalle dem Ungehorsamen bloß die Thür; aber keiner folgte diesem Winke
gern, weil er eine Ehre darin setzte, eine zahlreiche Dienerschaft prächtig zu kleiden, herrlich zu füt tern, und reichlich zu besolden. Schwieg Herr »on Selten des Morgens
beym Ankleiden, oder sprach er bloß durch Winke und Zeichen, so war es eine Anzeige, daß diesen
Tag im ganzen Hause nicht gesprochen, sondern
alles durch Zeichen und Geberden verhandelt Ler chen sollte.
Sprach er, so durfte, jedoch nur
sparsam, gesprochen werden, weil er mehr Freund
vom Denken als vom Sprechen war.
Ließ er
sich den Dart abnehmen, so war allgemeiner Balbiertag.
Nahm er das Hallische Digestiv-
Pulver, das' die schöne Eigenschaft hat, nicht
zu schaden, wenn es auch nicht nützt, so nahm
Erster
Theil.
die ganze Dienerschaft Digestivpulver.
141 Kurz er
ahmte in der gemäßigten Zone dem Herrn Kai
ser von Mataram auf Zava nach. Zum Unglück kam der Herr Doktor gerade an einem Tage, wo aller Zungen gefesselt waren. Bald aber übersandte er eine unterthänigste Bitt
schrift, worin er seinen Nepoten zur Pfarre von Seedorf recht kräftig empfahl, und cs erfolgte —
keine Antwort.
Er liest «ine zweyte in französi
scher Sprache überreichen, und es erfolgte — weder Za noch Nein.
Nun entstand bey ihm
die wichtige Frager „Wie einem solchen Wesen, das weder mit, sich noch seinen Dienern sprechen,
und bey trüber Laune die ehrfurchtsvollesten Ditkschristen unbeantwortet laßt, das man außer sei
nem Zimmer weder hört noch sieht, wohl bey zukommen sey ?" Manche, die in die Geheim
nisse dieses Hauses tiefer eingedrungc» zu seyn glaubten, riechest ihm, sich an zwey Frauen
zimmer zu wenden, die der Herr, stran wisse nicht warum, vermuthlich aber zur Rarität im
Hause hege und pflege; andere hingegen behaup teten, daß die/Existenz'dieser Nymphen eben s» ungewiß sey, chls die Existenz des Teufels, und
142
Der Pastor in Kartoffelfeld.
wenn sie ja existierten, so seyen es gleichfalls
Wesen, die kein Auge sähe, kein Ohr hörte, als höchstens des Patrons.
bedenklich
sich
solchen
Ueberdieß sey. eS
Raritäten
zu
nähern.
Dagegen riechen sie ihm sich an den Herrn Sekretär, einen höchst artigen und dienstfertigen
Mann zu wenden, welcher leicht mit sich spre chen ließe, und viel Einfluß auf die Entschließun
gen seines Principals habe.
Mit einer ganz originellen für uns unbe schreiblichen Leutseligkeit und Freundlichkeit em
pfing der korpulente Geheimschreiber den Arzt, und machte der- Verbeugungen so viel, daß es
schien, als wolle er ihm die Schuhxiemen lösen.
„Was steht zu Befehl?
Worin zu dienen
kann ich die Ehre haben?" „Sr. Hochwürden E5nadev, der Domherr
von. Selten..."
Schnell griff der Schreiber den Arzt bey der
Hand, und führte ihn Treppe ay in ein unter irdisches Gewölbe.
Erster
Theil.
143
„Hier, sagte er, nach verschlossener Thür, biet können Sie reden,
darf, nur leise.
doch wenn ich bitten
Der gnädige Herr nimmt-
ungnädig, wenn man von ihm und über ihn
spricht, und der Horcher und Verräther ist oft
nicht weit." Der Doktor flüsterte also dem Geheimschrei
ber sein Anliegen ins Ohr, und dieser zischelte
ihm zu, „dasi er in allen möglichen Angelegen heiten zu dienen bereit sey, nur direkte in dieser nicht.
Der Herr folgen nur ihren eigenen Ge
danken, zureden muß man ihm nicht, aber ihn unvermerkt auf den Entschluß leiten, den man
wünscht, und ihm gleichsam die Gedanken einge
ben.
Wer das kann, hat alles gewonnen." „ Laxanzen,
Latwergen, Brechpulver und
Essenzen verstehe ich zu mischen und einzugeben,
aber nicht Gedanken, so wenig als ich sie abzm
führen vermag," flüsterte der Doktor lächelnd. „Es Fiebt doch ein Mittel."
„Und welches?" „Man muß sich dem Herrn bemerkbar machen." „ Und wie? man bekommt ihn ja gar nicht
zu sehen."
Der 'paftor in Kartoffelfeld.
144
„Sie pflegen täglich vor Tische ans Fenster
zu treten, um die Vorübergehenden zu beobach
Wer dann gerade die Gnade hat bey Zhm
ten.
zu seyn, der hat ein weites Feld jemand zu empfehlen und Entschlüsse
lassen. in
einer
ihm zu veran
bey
Z. E. wenn Sie es sich gefallen ließen
auffallenden Kleidertracht
etwas
in
genannter Tageszeit vor dem Fenster des Herrn-
mit Ihrem Herrn Vetter auf linb ab zu spazie
ren, und ich wäre bey dem Herrn, so könnte eS seyn, daß er mich fragte: Wer sind die? . Was suchen sie hier?
Dann könnte ich reden und
Ihren Wunsch entdecken, und ich wette, er fiele von selbst darauf, Ihren Herrn Vetter mit der Seedorfer Pfarre zu beglücken — Sehen Sie,
so muß es gemacht werden.
Der Herr sind
eigen, und man muß sich in Ihre Eigenheit zu finden wissen."
Doktor mit oen Achseln juckend.
,, Dieß ist lei
der oft der Fall." Sekretär.
„ Noch eins.
Sie müssen ja
dem Herrn nicht gerade ins Gesicht sehen, da«
können Sie nicht leiden, und wollen sich, wie Sie oft sagen, nicht von jedem begaffen laffen.
Auch
müs-
Theil.
Erster
145
müssen Sie ihn nicht grüßen; er nimmt keinen
Gruß an, erwiedert auch keinen.
Dieß ist mein
wohlgemeinter Rath; weiter vermag ich nicht zu dienen."
Und nun führte
der
höfliche freundliche
Schreiber den Doktor aus dem Gewölbe wieder
an das Helle Licht des Tages, nachdem er ihm heilig versichern müssen, daß er im ganzen Leben,
und würde er hundert Zahr alt, von dieser über
den Domherrn von Selten gehaltenen unterirdi schen Konferenz keinem Sterblichen ein Wort, ja
keine Sylbe sagen wolle.
Treulich befolgte Herr Sprecher den weisen psychologischen Nath des Geheimschreibers.
Er
revidierte seine. Garderobe, und um recht bald bemerkt, wiewohl auch auSgelacht zu werden,
kleidete er sich in einen modischen gestreiften sei
denen Nock, zog große Kourierstiefeln an, trug feinen Znauguraldegen, und setzte eine Beutel perücke auf das Haupt.
So ging er begleitet
von dem jungen Herrn Vetter, der eine reich-
Der Pastor in Kartoffelfeld.
»46
Lelöckte weiße Knotenperücke trug, vor den Fen
stern des Patrons zur bestimmten Zeit auf und ab.
Anfänglich umsonst.
Endlich aber visierte
der Patron einmal mit dem. Taschcnperspcktiv
durch daS halb geöffnete Fenster.
„Das gilt
getviß unS, sagte dtr Doktor zum jungen Herrn
Vetter; Ast nur der Sekretär da, so ist Euer
Glück gemacht."
Wer aber nicht ganz blind
war, konnte leicht sehen, daß daS Perspektiv nicht auf beide Ambulanten, sondern auf eine rasche körnige Dauerdirne geriet;
"'ar, die der
Herr mit eben der Wonne zu be
.chten schien,
als
Astronom
Herschel
den
neuen
Planeten
Uranus betrachtet haben mag. Natürlich mußte diese Promenade der gan
zen Stadt bald auffallend werden, und in allen gelehrten und ungelehrten Klubs wurde darüber
gelacht und gespottet.
Niemand wußte daraus
klug zu werden, und zu bestimmen, ob die Ambu
lanten sich wollten.
oder den Patron lächerlich machen Manche meinten indessen doch, der
Doktor müsse als ein sonst vernünftiger Mann
seine geheimen und verborgenen Absichten dabep haben.
E r st e e
Theil.
147
Umsonst, waren indessen diese seltsamen.Pro
menaden, »ind es gelang ihnen nicht, die.Auf? mcrksamkcit des Patrons quf sich zu ziehen, ob
es gleich vor kurzem einem Inden gelungen war,
durch ein ähnliches Manöver
einen
schlechten
Gaul theuren Preises zu verkaufen.
. WaS aber geschehen soll, geschieht dennoch,
wie wir gleich sehen werden. Ein starker handfester Husarenoffieier, mit
einem schrecklichen Bart und einer noch schreckli chern Baßstimme, logierte in demselben Wirthshause wo Herr Sprecher logierte. Das Gespräch
fiel bald auf die possierlichen Ambulationcn, wo von der Officier in der Stadt so
hatte.
viel gehört
Freylich rrröthete Herr Sprecher nicht
wenig, faßte sich aber bald, und erzählte dem Officier ehrlich und aufrichtig die ganze Lage der Dinge.
„Man muß, sagte er, die Menschen, neh
men wie sie sind, seyn sollten.
und nicht wie sie eigentlich
Hielte der Patron ehrlichen Leuten
Der Pastor in Kartoffelfeld.
148
Stand,
und wär' er ein Mensch wie wir, so
hätte es
mich nach
solcher Sonderbarkeiten,
äuf die ich
dem Nath seines Sekretärs einließ,
Ich selbst bin
gar nicht bedurft.
in seinem
Hause gewesen, aber weder Herr noch Diener haben mir Rede und Antwort gegeben."
„Nun gut, sagte der Officier, ich will die Zungen lösen, rüttelte sich, schnallte seinen Säbel an und ging." Sporn und Säbel des Husaren klirrten auf der glänzenden Flur des Patrons, seine Stimme
donnerte:
„Hollah! Hollah!
ich schieße."
Macht auf oder
Zitternd öffnete die Dienerschaft
die Thür. „ Wo ist Euer Herr? ich will ihn sprechen." „ Heut lassen sie sich nicht sprechen," flüsterte
der Kammerdiener. „Zch will ihn sprechen."
„Zch
darf Sie
nicht melden,
der Herr
sind eigen." „Zch auch.
Deßwegen will ich ihn spre
chen. " Tiit den Achseln juckend.
nicht."
„Zch kann, ich darf
Erster
Theil.
„ Maulaffe! So melde ich mich selbst.
145
Wo
Gleich gezeigt, oder es gilt
ist das Zimmer?
Seiten Kopf. " Mit jämmerlicher Miene und kaum halben
Winken
zeigte
der
angstvolle
Kammerdiener
Treppe und Thür, zog sich aber gleich wieder zurück. Lärmend und stampfend nahte sich schnell der
Officier der
Thür
dcü hochwürdig - gnädigen
Herrn, und klopfte an, als wollte er ein Loch hinein schlagen.
Schneller noch riß er sie auf,
und in Lebensgröße mit Schnurrbart und Säbel und schrecklichem Blickes stand er wie ein Schreck
bild vor dem Angesicht des eigensinnigen und milzsüchtigen Mannes, der sich eben, ich weiß
nicht womit, wahrscheinlich mit Nichts, beschäf tigte.
„Was ist zu Befehl? Womit kann ich die nen?" stammelte dieser ihm ängstlich entgegen,
und ein Schauder durchlief ihm von der Fußsohle bis zum Gehirn alle Nerven und Adern.
„ Nur ein Za oder Nein auf ein paar Ihnen vorzulegende Fragen.
Seedorf? "
„Sind Sie Patron von
150
Der Pastor in Kartoffelfeld. „Ich weiß nicht, mein Sekretär aber wird
Auskunft geben können."
„Nun gesetzt Sie wären es, wollen Sie
wohl einem meiner Freunde, dem Kandidaten Meyer, die Adjunktur auf die dortige Psarr-
stelle ertheilen?"
„ Warum nicht! Wenn ich mit einer solchen Kleinigkeit aufwarten kann.
Mein Sekrctä«?soll
Nachsehen" — Gleich wurde dieser gerufen.
Nun sprach der Officier in einem gelinder» Tone, nahm ein artiges Betragen an, und wußte
Herrn von Selten nach und nach ganz gesprächig zu machen.
Dieser freue« sich, als er hörte,
daß der Rittmeister auch von uraltem Adel war,
und unter seinen Ahnen verschiedene Generale zählte, da er in seinem großen Stammbaum fast
nichts als majores und minores fand.
„ Sie sollten und könnten Domherr werden, Herr Rittmeister!" „Und Sie sollten und könnten iyienstii neh
men, mein Herr von Selten! Wer mich zum Domherrn machen will, kanns thun, ich habe nichts dawider; aber meine brave Schwädron
muß man mir lassen.
Mit dieser streite ich für
Erster
Theil.
151
König und Vaterland; aber was hätte ich als Domherr zu thun?" „ Mancherley? "
Herr von Selten erzählte hier einige dcmherrliche Geschäfte, die er als Gustos Capituli
auf sich habe, ließ Wein und Obst serviren.
Beide wurden vergnügt, und noch vergnügter ward der Ofsicier, .als der Geheimschreiber mit der Nachricht kam, daß Herr von Selten die
Seedorfer Pfarrstelle wirklich zu besetzen habe. Nun ging er nicht eher von dannen, als bis er
die unterzeichnete und unterßegelte Vokation für den jungen Herrn Meyer in der Tasche hatte.
.
Beide schieden freundschaftlich von einander.
Die Erzählung des Officiers von seinen Feldzü gen halfen dem Herrn von Selten auf eine so
heitere Laune, dergleichen er seit Zähren bey sich nicht verspürt hatte, worüber sich vorzüglich
seine Dienerschaft herzlich freute, die so glücklich war) acht Svrechtage hinter einander zu genießen.
i;r
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Das hat Gott gethan,- sagte Herr Sprecher, und säumte nicht den alten Emeritus Meyer gleich wieder zu besuchen, und ihm den jungen Herrn Vetter in einer großen schneeweißen Perücke bestens zu präsentieren. Dieser stutzte nicht wenig, als der neue zu dringliche Herr Vetter schon wieder kam; aber größer noch war sein Erstaunen, als er ihm nach einigen, äußerst höflichen Umschweifen ganz ehr lich eröffnete, daß er für seinen Herrn Vetter die förmliche Vokation zur Seedorfer Pfarre be reits in der Tasche habe. „Erst, hub er langsam und ernsthaft an, erst wollte man mich neunzig, und wenn Gott will, wohl hundert Zahre alt machen, und nun soll ich vor der Zeit begraben werden. Zch liege ja noch nicht in Agone. Es fehlt mir ja Gott Lob nichts, als daß meine Augen etwas blöde werden." Herr Vetter Sprecher hielt einen langen Sermon, des Inhalts, daß alles bloß aus Liebe für den Emeritus geschehen sey, und die ganze Operation immer noch den heilsamen Zweck habe, den alten Herrn Vetter durch den Beystand und die Gesellschaft des jungen Herrn Vetters wieder
Erster
Theil.
zu starken und zu verjüngen.
153
„Billig, sagte er,
lieber Herr Vetter, haben wir Zhre Einwilli
gung, da wir es so gut meinten, vorausgesetzt." „Nun Sie wollen mir denn zwey Wohltha ten zugleich aufdringen.
Einen Successor, den
ich weder kenne noch wünsche, und ein hundert jähriges Alter, das vielleicht das größte Uebel für mich seyn könnte.
Wie alt ist denn der neue
Herr Adjunkt, von dem es heißt, er sey mein Vetter?"
„Zwey und zwanzig —
nein, drey und
zwanzig — nein, vier und zwanzig Zahre —" erwiederte derselbe.
„So, so! sagte der Alte, sah ihn von unten bis oben an, fand aber nichts das ihm gefallen konnte als die weiße Perücke.
Es scheint noch
ein windiger Gast zu seyn, dacht' er bey sich
selbst. „Hat der Herr Vetter schon gepredigt, und wie oft?" „ Auf der Akademie fast alle vier Wochen."
„Und nach welcher Methode, nach der alten, mittlern oder- neuen? " „Nach der allerneuesten."
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i54
„Wie ist die beschaffen? ich kenne sie nicht."
„ Ich bekümmere mich um den gewöhnlichen Text ganz und gar nicht, sondern, wähle mir irgend ein feines moralisches Problem zum Ge
genstände, oder auch einen Satz aus der Natur geschichte. "
„So, so! — So, so!"
'
Fast gingen dem Alten die Augen über, daß
seine bisher so treulich geweidete Herde mit fei
nen moralischen Problemen gefüttert werden, und nicht Mit Gottes'kräftigem Wort, sondern mit
der Naturgeschichte unterhalten werden sollte. Er sann aüf Mittel sich den adjungierten Herrn wie
der vom Halse zu schaffen, allein er fand keine, weil gegen eine unterschriebene und untersiegelte
Vvkation des Domherrn von Selten nichts auszurichlen war; und mußte sich in sein Schicksal
ergeben.
Dennoch war er begierig die allerneueste Methode der Predigtkunst noch vor seinem Ende kennen zu lernen, und gab dem jungen Herrn
E r st e r
Theil.
155
Vetter auf, ihm über den Spruch: „Der du „machest deine Engel zu Winden und deine Die„ner zu Feucrflammcn." Psalm 104. kommen
den Sonntag eine Predigt zu halten. Mit größter Freude übernahm Herr Heinrich Meyer diesen Auftrag, und sey es uns erlaubt, ein Bruchstück aus seiner Kanzclrede neueste»
Geschmacks hier cinzurücken.
Meine zu
ändächtigen
belehrenden
künftig näher
und
heller auf
zuklärenden Freunde!
. Zn jenen Zeiten, wo der menschliche Geist sich der Fessel der Sinnlichkeit noch nicht entledigen,
und das Zoch der Vornrtheile noch nicht abwer fen — soll ich sagen konnte, oder wollte? —
es mag' beides seyn; in jenen Zeiten herrschte
ein Afterglaube an Geister, Gespenster, Dämo nen und'Engel.
Ein Buch, das ihr alle kennen
werdet, das die Bibel heißt, svricht gerade in
dem Geschmack des damaligen sinnlich finstern
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i;6
Zeitalters, und redet bey jeder auffallenden jetzt
leicht zu erklärenden Naturbegebenheit von einer Ein - und Mitwirkung der Geister, Engel und
Dämonen.
Wie es denn auch in unserm Texte
heißt: „Der du machest deine Engel zu Winden, und deine Diener zu Feuerflammen."
Was sind
Winde? Luftstrime, aber keine Engel.
Was
sind Blitze oder Feuerflammcn? Elektrische Ent ladungen und keine Diener.
Ginnt mir also
das Glück, Zhr, die ich bald in die Geheim nisse ächter Christus - und Vernunftreligion näher
einzuweihen gewürdiget werden soll. Eure Be
griffe zu berichtigen, und Euch unserm denkenden
Zeitalter gemäß mit wahrer Aufklärung zu bese ligen.
Allvater, gieb hierzu Segen und Ge
deihen ! Der Gegenstand unserer Erbauung sey heute
der Wind und der Blitz.
Erst der Wind; dann der Blitz. Mags auch seyn, daß die größten Männer unserer Zeit in der Erklärungsweise jener Natur
erscheinung , die wir Wind und im höher» Grad«
Sturm nennen, noch nicht ganz einig sind; mags auch seyn, daß ihn einige durch Zersetzung
Erster Theil.
157
und Entwicklung der Naturstoffe, andere hinge
gen durch einen durch Aufhebung des Gleichge-.
Wichts entstandenen Luftstrom erklären: so bleibt es doch allemal gewiß, daß der Wind nach der weisesten Einrichtung des Allvaters uns nöthig
und nützlich ist.
Er ist uns nöthig als Arzt.
ja ich kenne ihn den
Zch kenne ihn,
größten der Aerzte; ich
kenne ihn, und er heißt Wind.
Wer ist es,
der das Leben stärkende Wesen der alles umge
benden Luft in dem Zustande der Unverdorben heit und Reinigkeit erhält, wer ist es anders als der Wind?
Zhm haben wir es zu verdanken,
daß wir noch da sind, und, wie der nicht ganz
unaufgeklärte Paulus sagt, in ihm oder in der Luft, nämlich in der Lebenslust, leben, weben
und sind wir.
Er ist uns nöthig als Naturkraft.
Wer zer
malmet denn das nährende Getreide, damit es Mehl und Vrot werde, und die Abgänge unsers
noch nicht ätherischen Körpers ersetze, wer zer malmet es auf künstlichen unserer Denk - und Erfindungskraft
zur
Ehre gereichenden Werk-
158
Der Pastor in Karioffelfeld.
zeugen anders als der Wind.,
und
das mit
ihm verschwisterte Element,des Wassers? . .. Er ist uns nützlich für alle Gewerbe des menschlichen Lebens.
Die Schätze fremder von
uns nie gesehener Weltthcile führt er zu uns, und er ist cs, der den weißen Menschen mit dem
schwarzen in Verbindung erhält.
Ungeheure
sonst nie zu bewegende Lasten, führt er über den Ocean hinweg... Ja, wohlthätiger Wind, nur der Weise
unserer Zeit kennet dich ganz, sieht und erblickt in dir, was der Aberglaube nicht sahe, Kraft und Weisheit des höchsten der Wesen n. s. w.
Staunen erregte diese Windpredigt bey der
ganzen christlichen Gemeinde, und man schloß,
rin Mann, der schon so viel vom Winde zu sagen verstehe, müsse alle Schätze der Gelehrsamkeit in sich vereinen. Pastor Meyer Senior, dermaßen gerührt, daß er in ziemlich laute Seufzer ausbrach, dachte
bey sich selbst: „ Ach welcher Wind der Lehre!
Wer von meiner lieben Gemeinde versteht das?
Erster
Theil.
fS9
Und wem dients zur Lehre, Strafe- Und Besse
rung? Mein Gott, wie wird das werden! Zch habe die heiligen zehn Gebote, und den Glau
ben an Christum den Leuten wohl einzupragen
gesucht, und der — Nun Gott sey uns armen Sündern gnädig r—."
।
So dachte Pastor Meyer Senior, war aber
diskret genug, sein Urtheil, über diese Windpre
digt zurückzuhalten, und würde bcjn aufgedrun
genen Adjunkt entweder gar nichts, oder ein klei
nes unbedeutendes Kompliment über diese Pre
digt gesagt haben, wenn letzterer eben so beschei den und nicht so unbesonnen gewesen wäre, über
Tische sein eigner Lobredner zu seyn, und nach
her den Emeritus in eine Ecke zu drängen, und ihm die ganze sogenannte Predigt noch einmal
zu halten.
Hierdurch gereitzt rückte Herr Meyer
Senior mit seiner Recension heraus, welche dem
Redner so unerwartet und empfindlich war, daß er kein Wort
mehr von seinen Kanzelthaten
sprach. „Die erste und größte Pflicht eines öffent
lichen Lehrers, sagte Herr Meyer Senior, bleibt
allemaf die,
daß er,
gleich dem erleuchteten
Der Pascor in Kartoffelfeld.
i6o
Apostel Paulus, Rücksicht auf seine Zuhörer nehme, und ihnen nichts vorsage, was sie nicht verstehen, oder was ihnen wohl gar anstößig ist.
Den Kindern giebt man Milch, und keine harte
Speisen.
Ein Arjt muß sich nach seinen Kran
ken, ein Koch nach den Gästen richten. Glauben Sie, junger Herr, es ist eine große Kunst einer
Landgemeinde verständlich und zugleich erbaulich zu predigen; nicht jederzeit gelingt sie.
Der
Bauer kann nicht viel wissen, und braucht auch nicht viel zu wissen, und es ist genug daß man
thn aufmuntert, dasjenige was er weiß und lernt, auch wirklich auf sein Leben anzuwenden."
So etwa sprach der Emeritus Ateyer zum Adjunkt Meyer, der sich aber dadurch in seiner hohen Meinung von sich selbst nicht irre machen
ließ, zumal da sein Vetter und Gönner, der Doktor
Sprecher
meinte,
man müsse solche
Urtheile einem alten Manne zu Gute halten.
161
Drittes
B u ch.
Der junge Herr Meyer war also so glücklich,
zufälliger Weise, oder vielmehr durch die Talente seines Herrn Detters, durch die Hypochondrie des
Domherrn von Selten, und durch die Entschlos
senheit deS Officiers frühzeitig in ein Amt versetzt
zu werden, das nach dem Urtheil sachkundiger Männer eines der wichtigsten im Staate seyn
soll; dessen Wichtigkeit er aber eben so wenig kannte, als er sich durch Uebungen im L'ehrstande
dazu vorbereitet hatte.
N^chr so glücklich war der im Lehren und Erziehen schon längst erfahrne Kandidat Ernst.
Sein einziger Gönner, der brave General, war
todt.
Amtmann Herrmann, sein Principal und
Der Pastor in Kartoffelfeld.
162
künftiger Schwiegervater, war zwar ehrlich und bieder, aber gar nicht Nekommandieren taugte.
der Mann,
der zum
Ueberdieß hatte er
nur wenig Bekanntschaft, weil er sehr einfach und eingezogen lebte. Endlich nachdem sich Ernst aus seinen Träu
men ein wenig herausgerissen hatte, beantwor
tete
er den Brief des Emeritus Meyer.
Er
schrieb, daß er diesen Ruf zu einem Pfarramte
seinem Gefühl nach
für rein
und rechtmäßig
halte, und daher mit Vergnügerr erst sein Ge hülfe,
Gesellschafter und Pfleger, hernach sein
Nachfolger werden
wolle; nur möchte er die
Güte haben, zuvor die Vokalion bey dem Dom herrn von Selten selbst nachzusuchen, weil er
diesem Herrn ganz und gar nicht bekannt sey, und daher keine Hoffnung habe, sogleich begün-
.stiget zu, werden.
Mancher Kandidat würde gleich gesattelt, und seine Person auf gut Glück dem Domherrn
präsentiert haben; allein dieß war der Denkungs
art unseres Ernst so sehr zuwider, daß er sich, ungeachtet es ihm sehr gerathen wurde, nicht dazu entschließen konnte.
Ueberdieß hielt er seine
Erster
163
Theil.
eigene Bemühung hierin für überflüssig, weil sie nicht verlangt wurde.
Indessen sahe er doch, so wie seine Louise
und das ganze Herrmannsche Haus, einem zwey ten Briefe vom Pastor Meyer mit heißer Sehn
sucht entgegen.
Ein Posttag nach dem andern
verstrich, und man hoffte vergebens.
Endlich,
erhielt Ernst
folgenden
einigen Wochen
nach
Brief:
a cu Achtbarer Herr Kandidat!
Liebster Freund! Der Mensch denkt, Gott lenkt.
Wie der
Lateiner sagt: homo proponit, Deus disponit. Es scheint, ich soll noch vieles leiden, ehe ich zu den Meinigen in der Ewigkeit versammelt
werde.
Es ist mir schon ein Adjunktus gesetzt wor
den, von dem der Doktor Sprecher heilig ver
sichert, ob ich gleich nichts davon weiß, er sey mein Vetter.
Wie dieß zugegangen, weiß ich
nicht so genau, daß ich es ausführlich erzählen
164
Der Pastorin Kartoffelfeld,
könnte;
genug
daß
imberbis
ein
juvenis,
Namens Heinrich Meyer, die förmliche Vokation,
vom Patron untersiegelt und unterschrieben, auf meine Pfarre hat,
den ich nun zum Adjunkt
nehmen muß, weil meine Auge» täglich schwä cher 'werden.
Er hat auch schon einmal auf unserer Kanzel
gepredigt; wie aber? das weiß Golt.
lich einmal mehr darüber.
Münd
Er traktierte die
Gemeinde Christi mit einzelnen Brocken aus der
Physik, gab aber vor, er predige nach der aller neuesten Methode.
Bald wird er «»ziehen, und, wie die Leute
sprechen, sich mit der ältesten Tochter des Doktor Sprecher verheirathen.
0 weh mir, dreymal
wehe mir, wenn dieses Konjugium gleich mit
Kindern gesegnet wird.
Dann werd' ich wohl
in einen Winkel des Hauses hingedrängt wer
den.
Nun der bis hierher geholfen hat wird
ferner helfen. Sein Wille geschehe. Zch bedaure
nur meine liebe christliche Gemeinde, daß ich sie selbst nicht mit einem geistreichen exemplarischen
Mann versorgen konnte.
Der Herr sey mit
Ihnen, und zeige bald andere Wege zu Ihrem
Erster
so verdienten Glück.
165
Theil.
So lange ich etwa noch
lebe bin ich Ihr
S e e d 0 r f. ergebenster Freund und Fürbitter 2(. Meyer.
Viel
Bestürzung erregte dieser Brief im
Herrmannschen Hause, und für die. Liebender»
war er ei» Donnerschlag.
Schüchtern ging
Ernst seiner Louise mehrentheils aus dem Wege,
und wo
seine Gegenwart unvermeidlich war,
konnte er ihr nicht ins Auge sehen. wars mit Louisen.
Eben so
Sie dachte lieber an den
geliebten Gegenstand, als daß sie ihn vor Zlugen
hatte.
Nur der Wechsel halber und verstohlner
Blicke verrieth es, daß beide Herzen noch für
einander schlugen, und das tückische Schicksal in
in der Hauptsache noch nichts geändert habe. Vater Herrmann und seine Frau, mißmüthig und voller Verdruß, schlugen sich mit
Gedanken Tag und Nacht,.und disputierten ohne
Der Pastor in Kartoffelfeld.
166
Unterlast, bald in bald außer dem Heiligthum der Ehe, wie man sich in dieser seltsamen Lage am klügsten zu verhalten habe. Bald sollte Ernsten gerathen werden ein
anderes Haus bis zur Beförderung zum Aufent halt zu wählen; bald trug man Bedenken, einen so guten und immer noch nöthigen Mann zu
verstosten, und ihm nach allem bewiesenen Fleiße
die Thür zu weisen.
„Das kann ich nicht, sagte
der alte Herrmann, lieber will ich alles anwen
den ihn anzubringen, und sollte ich auch einige hundert Thaler in die Hand nehmen, und ihm
eine Stelle erkaufen.
Nur wissen muß er eS
nicht, sonst ists wieder nichts." „Recht, mein Kind, versetzte Frau Herr mann, sieh ein Kapital nicht an, und kauf ihm
eine Pfarre, und das je eher je lieber.
Die
Sache ist mir bedenklich; junge Leute sind junge
Leute.
Welch ein Unglück für uns, wenn Louis-
chen ... ich will weiter nichts sagen."
„3ch versteh dich, und will alle Leute fra gen, ob und wo ich ihn anbringen kann. - Mit
Geld ist viel auszurichten; wissen muß ers nicht."
nur, wie gesagt
Erster
Theil.
167
Vater Herrmann fragte auch einen jeden sei ner wenigen Bekannten und Freunde, ob nicht
irgendwo eine Stelle erledigt sey,
allein die
Antworten fielen nicht nach Wunsch aus. Es fügte sich, daß die schon erwähnte Frau
Tante in dieser Zeit, nachdem sie die Fremden der
größeren Welt eine Zeitlang genossen hatte, wie der zum Besuch erschien. Haarklein wußte diese schon den Vorgang mit
dem alten Pastor Meyer und seinem Adjunkt, dem jungen Meyer, zu erzählen, weil sie die
Gabe hatte, jede große und kleine Begebenheit des Tages, rein bis auf den Grund, und recht sokratisch auszuforschen. „Da haben wirs!
da haben wirs!
Frau
«Schwester, sagte sie/das hätt' ich vorhersagen
wollen. geworden.
Wie schön ist Herr Ernst Adjunktus
Zch kenne Herrn von Selten! So
leicht gehts bey ihm nicht — besonders wenn sich die Leute keine Mühe geben wollen, und
prätendieren, daß ihnen die gebratenen Tauben ins Mäulchen fliegen sollen. Sie verstehen mich—
'Zsts denn andem, daß Louischen schon verhan delt ist, ich hab' ein Vögelchen singen hören —"
i6g
Der P'astör in Kartoffelfeld.
»Za, ste ist versprochen," erwiederte Herr
Herrmann. „Da haben wirs, und was nun?"
„Wort halten und weiter nichts." „Sie lieben sich zärtlich," versetzte Frau
Herrmann.
„Können sie aber auch von der Liebe leben?
Ich nähme mein Wort zurück, rieche Herrn Ernst sich zu empfehlen, und gäbe meine Tochter einem Manne, der Brot schon hat, und nicht auf Drot
zu hoffen genöthiget ist." „Zch hab's dem seligen General, meinem
Wohlthäter versprochen, und ich würd' ihn ily
Grabe beleidigen, wenn ich nicht Wort hielte." „Ey was! der alte General ist todt und begraben.
Folgen Sie meinem Rath."
„ Das werd' ich nicht.
Ein ehrlicher Manü'
hält Wort, auch den Todten/ besonders wenn sie seine Freunde und Wohlthäter waren."
Kurz Frau Tante vermochte nichts über den
festen, braven, deutschen Mann, und noch gerin ger wardlihr Einfluß, als ein Gerücht lief, der General habe in seinem schon vorher gemachten
Erster
Testamente
Theil.
169
auch den Kandidaten Ernst nicht
vergessen.
Ganz niedergeschlagen über die nnvermuthete
Vereitlung seiner Hoffnung dachte Ernst auf eine
anhaltende Beschäftigung, die seinen Geist zer streuen, wenigstens von den immerwährenden
Gedanken an Liebe und Beförderung etwas abziehcn könnte.
Er gerieth auf einen Einfall,
auf den in heutigen Zeiten schon Schüler unangehende Studenten, auch, wie man sagt, die
Kaufdiener zu gerathen pflegen, nämlich sich an
das große unüberschaubare Heer der Schriftsteller oder Düchermacher anzuschließen, um zugleich
seine ziemlich unbekannte Person aus eine ehr same Art, nicht einem einzelnen Patron, son
dern dem ganzen Publikum in allen zehn Kreisen Deutschlands zu empfehlen.
schreiben, wußte aber nicht was.
Er wollte also Bald sollte es
ein Roman, bald ein Geschichte, bald ein Buch
für ganz kleine, bald für große Kinder, bald für den gemeinen, bald für den gelehrten Mann
seyn.
Endlich that er was viele thun, die gern
i7o
Der Pastor in Kartoffelfeld.
schreiben wollen, und nicht- zu schreiben wissen, er sammelte seine gehaltenen Predigten, sah sie nochmals durch, und übersandte sie auf gut Glück an einen ihm nur dem Namen nach bekannten Buchhändler, schrieb auch eine Vorrede dazu, worin er aber die gemtine und bekannte Lüge, daß er um Herausgabe dieser Kanzelreden gebeten worden sey, allzubescheiden ausließ. Diese gelehrte Arbeit heilte gewissermaßen die zerrissene Seele, und gab ihr Gleichgewicht und Ruhe wieder. Denn Autorschaft hat man cherley Nutzen; sie vertreibt die Langeweile, macht bekannt, auch wohl berühmt, füllt den Geist mit Kenntnissen, und, wenns Glück gut ist, den Deutel mit Dukaten. Das Beste an ihr ist, daß sie zu den freyen Künsten gehört, und daß der angehende Autor nicht verpflichtet ist, erst eine Probe oder Meisterstück zu machen, sondern auch ein Pfuscherstück ausstellen darf. Giebts indessen bey der Autorschaft, weil kein Glück vollkommen ist, eine Plage, so sind es muthwillige und gallsüchtige Urtheile versteckter Recen senten, welche ihrem Vorgeben nach den Parnaß vor Kontrebaude zu bewahren suchen, die aber
Erster
Theil.
171
ein Autor, der sich selbst zu gefallen versteht, ungelesen läßt.
Der alte Herrmann war kein Freund von Gerichtshändeln und Processen, sondern ließ, wo es nur irgend anging, immer fünfe gerade seyn, um sich vor Aerger zu bewahren, und die ihm so theure Gemüthsruhe zu erhalten. Ein Proceß, den er nach seiner Ehrlichkeit schlech terdings gewinnen zu müssen behauptete, ihn Jahre lang führte, und dennoch nicht gewann, hatte ihn in dieser Gesinnung bestätiget. Indes sen hielt er sich doch einen Haus - und Familien advokaten, um im Fall der Noth zu erfahren, was Rechtens sey, auch die sichere Ausleihung seiner Kapitalien zu besorgen. Dieß war der nicht ganz alte aber auch nicht ganz junge Hof fiskal Zsebart, welcher ihn gewöhnlich im Zahre einmal zu besuchen und sich zu erkundigen pflegte, ob für seine Praxis nichts vorgefallen sey. Dieser Mann nährte sich gewissermaßen wie die Quacksalber oder die herumstreichenden Musikanten. Seinem Titel nach sollte man das
r/r
Der Pastor in Kartoffelfeld.
nicht vermuthen, allein es war so.
Auf einem
dürren magern Schimmel ritt er von Dorf ju Dorf, und diente für eine Kleinigkeit, bestand
sie auch nur in Viktualien, allen und jeden, bald mit Memorialen, bald mit Protokollen, Testa
menten und andern juristischen Geschäften.
Da
bey verstand er auch die Kunst durch lustige Schwänke und allerley Mährchen sich angenehm
und beliebt zu machen.
Freylich stach diese
Lebensweise sehr gegen seine vorige ab, da er
in einer bedeutenden Stadt ein großes Haus machte; allein da er hingegriffen, wo er nicht
hingrcifen sollte, und einen Handel mit falschen Wechseln getrieben hatte, so war er billig seines
Amtes entsetzt, und mußte sich eben so billig in sein jetzige- Schicksal finden. Dieser Hoffiskal Zsebart überbrachte auch
die vorläufige Nachricht:
er wisse von guter
Hand, daß der General von Schönfeld kurz vor
seinem Tode ein Testament gemacht, und darin auch des Kandidaten Ernst gedacht sey.
Es solle
aber erst zu einer bestimmten Zeit geöffnet werden. Dieser Umstand erneuerte nicht nur das An
denken an den verstorbenen so würdigen Guts-
Erster
Theil.
173
Herrn, sondern erweckte auch im ganzen Hause eine außerordentliche Neubegierde, und den sehn lichsten Wunsch, daß der Kandidat so bald als
möglich versorgt werden möge.
„Meines Wissens, sagte Fran Herrmann, hat der alte Herr eben keine Kapitalien gesam
melt, auch nicht sammeln können; denn er war
zu wohlthätig, und hatte bloß seine Pension und
die wenigen Pachtgelder zu verzehren, die wir jetzt an die Gerichte ablicfcrn müssen; er hat ihm doch wohl nicht das Gut selbst vermacht? "
„Das wird er wohl gelassen haben!" ver hetzte Frau Tante.
„ Man kann nicht wissen, versetzte Herr
Herrmann, er war immer dem Ernst so gut, als obs sein Kind wäre, hat ihn mir auch ins Haus gebracht; und wenn er so in den vorigen
Zeiten angefahren kam, war immer seine erste Frage: „ Was macht Euer Ernst? halt er sich auch gut?"
Man kann nicht wissen.
Unver
hofft kommt oft. " „ Nun so machen Sie nur, daß der Mensch
irgendwo unterkommt," sagte Frau Tante.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i74
Der Ex - Hoffiskal J sebart wurde also
gebeten, seinen Schimmel nicht zu schonen, und
irgendwo, es sey wo es sey eine Pfarrstelle für Ernst ausfündig zu machen.
„Reiten Sie, sagte
Herr Herrmann, die ganze Provinz dnrch, ich bezahle alle Kosten, und wenns wahr ist, daß man heutiges Tages Pfarren kaufen kann, so
will ich ihm eine kaufen; nur muß ers nicht
wissen, denn er ist in diesem Punkte sehr eigen sinnig , er will schlechterdings gerufen seyn." „Possen, sagte Hvffiskal Zsebart, Pos
sen mit
dem
mehr Mode.
Rufen,
das
ist
längst
nicht
Es heißt zwar in der Bibel,
daß unser Herr Gott auch die Raben füttert,
aber die Naben müssen sich hübsch ihr Futte.r suchen,
stehlen eS auch wohl--------- Unser
Herr Gott hat die Aemter geschaffen, und wer eins haben will, mnß sich eins suchen.
Pfarren
sind weiter nichts als Pfründen, und Pfründen kann man mit gutem Gewissen kaufen.
Wenn
Sie kein Geld sparen, und meine Wenigkeit da
bey auch nicht vergessen wollen, so seh' ich mich auf meinen Schimmel, und dann solls nicht lange währen, so heißt Zhr Ernst Herr Pastor."
Erster Theil.
*75
Der Hoffiskal Zsebart setzte also seinen dür
ren Schimmel in Bewegung, ritt von Stadt zn Stadt, von Dorf zu Dorf, ob er nicht irgend
eine Todtenglocke läuten, oder von einem todt kranken Priester sprechen
höre;
aber
Wochen und Monate ganz umsonst.
erfuhr er, daß
einige
Endlich
der achtzigiährige Prediger zu
Wurmsdorf Todes verblichen, und ein gewisser
stockblinder Kanonikus der Patron oder Schuhgott dieser Parochie sey, welcher nach Stand
und Würden der Gemeinde drey Subjekte zn präsentieren habe. Gleich bekam der Schimmel, den man in der Provinz insgemein den Kommissions-Schim
mel nannte,
eine
Metze Hafer
mehr,
und
raschern Schrittes trug er willig seinen Herrn
und Besitzer hin vor die Thür
des
blinden
Patrons. *)
*)
Mo dieser wohnet Auch mit dieser Frage
verschone der geneigte Herr Leser und jeder Herr Kandidat den Verfaffer, weil er, wie schon erin
nert, sich auf geographische Umstände weder einlasien kqnn noch will.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
176
Seltsam war hier Willkommen und Auf-,
nähme.
Zn einem schmutzigen, geflickten, von
großer Sparsamkeit zeugenden Schlafrock, und
mit eigensinniger Selbstgenügsamkeit, saß der Kanonikus in seinem Lehnstnhl, schlürfte Kaffee,
und rauchte Tabak.
Gleichgültig ohne sich zu
rühren, hörte er den langen Antrag des Fiskals
an, obgleich manche Stelle vom vollen und reellcsten Danke darin vorkam. Endlich hub er in einem feinen, eigensin
nigen, gissenden Tone an:
„ Das ist ein Gelaufe und Gerenne — Tag und Nacht läßt man mir alten Mann keine
Nuh.
Man weiß, daß ich nicht lesen kann, und
doch kujoniert man mich mit Briefen. Dort auf
dem Tisch liegen einige hundert, ich werde sie
aber so wenig öffnen als. lesen.
Was in einem
sieht, steht in allen." Der Hoffiskal, eben so ehrlich als entschlossen, rückte gerade heraus mit der Sprache des Her
zens.
Ohne seinen Vortrag weiter mit Kompli
menten zu schmücken^ hub er an:
„ Wollen Sie hundert Pistolen? " „Die Präsentation ist schon vergeben." „Hun-
Erster
177
Theil.
„Hundert und zwanzig?" „Sie ist vergeben."
„Hundert und fünfzig?" „Kann nicht dienen?"
„Zwey hundert?" Patron M> 6te Stirn« ttf»en6. „Zch bedaure.
Kann nicht dienen."
Da er nun weiter keine Sylbe sprach, dem Zuristen auch nicht einmal einen Stuhl bot, so blieb diesem nichts übrig, als den Patron in
seinem Stuhle sitzen zu lassen, und sich unver
richteter Sache wieder zu empfehlen. Weil der Hoffiskal aber nicht gern ganz umsonst umhergeritten seyn, und sein eigenes
Honorar,- sintemal er Frau und Kinder hatte, nicht gern im Stich lassen wollte, so gab er
dennoch nicht alle Hoffnung auf.
Nach langer
Erkundigung,, was es., mit der Wurmsdorfer
Pfgrre für eine Bewandtnisi habe, brachte er heraus, daß die Präsentationen, schon vor zehn Zahreft, als Pastor Lüder noch frisch und
gesund gewesen, an drey Kandidaten, 3E, Q), 3,
bestens verhandelt worden waren, und daß jeder
hundert Pistolen Versicherung hatte geben müssen.
178
Der Pastow in Kartoffelfeld.
Gleich wandte er sich und zwar glücklicher
Weise an den Herrn 'S., und bot ihm ein ansehn liches Plus, wenn er seinen Platz seinem Freunde,
dem Kandidaten Eknst überlassen wollte.
Mit
Freuden nahm Herr S den Vorschlag an, und brachte es gegen ein Honorar von zwanzig Pisto
len dahin, daß Herr Ernst an seine Stelle trat.
Mancher wird sich über die Bereitwilligkeit des Herrn T, der für eine Kleinigkeit, von hun
dert Thalern eine schon zehn Zahre gehegte Hoff nung auf einmal aufopferte, wundern, weil sonst
die Kandidaten in dergleichen Handel so wohl feil nicht-zu seyn pflege»; allein man beliebe weiter zu lesen.
,
, .
Sobald der. alte Lüder den von. den drey
.Kompetenten sehnlichst''gewünschtem Tod. endlich gestorben und . feierlich beläutet war, fand sich
Herr T inkognito in Wurmsdorf ein , mn die Beschaffenh.eit der'Pfarre, der Gemeinde, des
Dorfes, und beyläufig auch des doktsgen Zagd..revicrs vorläufig kennen zu lernen. ■
.Gekleidet
wse ein Zäger, mit Zagdtasche und Fllnte, ging
.er im Dürfe ungekannt herum, und etkündigte .sichnach allem, was'er wissen wollte
Zwey volle
E rster
T h ri l.
179
Tatze blieb er da, und verweilte titn den Charak
ter der Dauern vorläufig kennen zu lernen im Wirthshauses
Hier gerieth er, ich weiß nicht
wie, man sagt bey dem Spiel, mit einem gro
ben, cholerischen, stolzen, reichen, und überdieß betrunkenem Bauer in einen sehr heftigen Wort
wechsel, der einen für ihn eben nicht ehrenvollen Ausgang nahm.
Der Dauer, der mit Worten
nicht mehr disputieren konnte, entschied auf ein mal die. Sache mit der Faust. Da nun nach einem uralten noch durch keine
Philosophie umgestoßenen Grundsätze gesche hene Dinge nicht zu ändern sind, und
ei» empfangener Streich ein empfangener bleibt;
so eilte Herr X zum Dorfe hinaus, und in der nicht üngrgründeten Meinung, er dürfte einst im schwarzen Rocke wenig oder -gar keine Achtung
finden, da es ihm im grünen so übel ergangen
war, faßte' $r den weisen Entschluß seine Hoff nung «inem.andern zu überlassen, und wo mög
lich zu verkaufen.
Hoffiskal Zsebart war ihm
daher mit seinem Vorschlag sehr willkommen.
Dieß war nun
freylich
«in. Schritt zu
Ernsts Glück; aber auch nur einer und nicht
Der Pqstor in Kartoffelfeld.
180 mrhr.
Es war noch nöthig sich vorläufig der
Wahlstimmen, wenigstens der mehrsten der acht
zig Gemeindeglieder zu versichern, um dem Werke die Krone aufzusetzen.
Man muß das Eisen/
schmieden, wenns noch heiß ist, dachte der Hof
fiskal, und der Kommissions-Schimmel mußte ihn
unverzüglich nach Wurms.dorf tragen, wo er überdieß mit diesem seinen Rosinanten schon bekannt war, und' in Rechtshändeln, besonders in Abfin dung entehrter Mädchen, manchem reichen Bauer oder dessen Söhnen treulich gedient hatte.
Als ein alter Bekannter, und was mehr sagen will, als der ehemalige.Gerichtshalter des Orts, erlaubte er es. sich die christliche Gemeinde
bey dem Schulzen, seinem einstweiligen. Gevatter zu versammeln, und ihr den Kandidaten Ernst
auf das dringendste und angelegentlichste anzu-
«mpfehlen. „Kinder, sagt' er, ich bin Hit ehrlicher Mann.
Zn weltlichen. Dingen hab' ich manchen
unter Euch, so oft gerathen^ nicht wahr? /Folgt
auch nun meinem Rath in einer Sache, die Cure
Seele betrifft. Wählt keinen andenr. Priester als
den ich. Euch vorschlage; das ist der Kandidat
Erster Theil.
igi
Ernst, dein ich gestern die Präsentation ausgegetvirkt habe. 0 das ist ein herrlicher Mann, ein zweyter Doktor Luther, ja ein zweyter Apostel Paulus. Der hat noch den alten reinen Glau-, ben bewahrt, und, was das beste' ist, er kann seine Predigt, ja die ganze Bibel auswendig, und liest kein Wort. Die andern beiden Herren will ich freylich nicht verachten; denn ich kenne sie nicht; aber der Mann, den ich Euch empfehle, übertrifft sie gewiß." Nicht viel wirkte dieser Vortrag. Nur wenige bezeugten sich nicht abgeneigt, viele sagten gar nichts, einige schrieen, „wir lassen uns nichts vorschreiben," und die meisten hatten sich gar nicht eingefunden. Den Vernünftigen schien es auffallend, daß der Hoffiskal, der in den Zeiten des Glücks so laut und frech über die Priester gespottet hatte, jetzt auf dem' Kommissions Schimmel angeritten kam, um ihnen einen guten Seelsorger nachzuweisen. Nicht gewohnt sich gleich abschrecken zu las sen verweilte der Fiskal bey dem Gevatter Schul zen einige Tage, ließ sich und seinen Schimmel bestens füttern, besuchte jeden Hauswirth, sprach
Der Pastor in Kartoffelfeld.
i8i
mit ihm unter vier, oder, wenn die Frau dabey
war, unter sechs Augen, und als er zum Dorfe
wieder heraus ritt, war die.Sache gemacht,, und der Preis verdient.
fiskal Zsebart.,
So dachte wenigsteys Hof Pergnügt map er, und über
den genossenen reichlichen Hafer eben so vergnügt sein Schimmel.
Gleich li.eß.er an HerrnHerrmann zwey Briefe ergehen.
Der t.iite enthielt alle Geheimnisse,
unh stellte Yen-Kostenbetrag dar, ^>en man in
solcher Lage nicht scheue.» müsse.
Am.Schlüsse
stand die Bitte um. ein fettes Schwein, UM einen Puterhahn, um. einige Schock Eyer u. s. w.
aber alles für Geld und gute Worte. Der andere war ächt moralisch-theologischen
Inhalts.
„Er habe es, hiess es darin, für
Gewissenspflicht gehalten, einen so., rechtschaffe nen Mann, wie Kandidat Ernst sey, seinen
alten Freunden und Bekannten zur Wurmsdorfer Pfarre rn empfehlen, und der Gnade und dem Segen deF grundgütigen Gottes sey es zu ver-
Erste r -T hei f.
danken,
daß alles so ' hcrrttch
gelungen ;
183 es
bedürfe weiter,'nichtS. als eurer' guten Probe predigt. "
Ernst wußte nicht,-ob er seinen Augen trauest sollte, als'ihm Herr He'rrwann -diesen zweyte«
Brief zü lesen gab. „Ein Mann, der so oft als ein Netigions-
spötter gesprochen, und mit dem ich manchmal vergebens über die wi«otigsten Religionswahrheiten disputiert habe, sagte er, spricht ja auf ein mal eine ganz andere Sprache, und wirft sich
auf einer Gemeinde einen Prediger zu empfeh len; wie geht das zu?" „Wie wolltS .zugehen, erwiederte die gegen
wärtige Frau Tante, der Mann hat sich, bekehrt.
Das sieht man wohl.
Kreuz, und Leiden machen
den Menschen mürbe.
DaS, dächt' ich, müßten
Sie als Theologe besser verstehen." „Es ist ein dienstfertiger Mann/'versetzte der alte Herrmann; er hats mit unserm Hause
immer gut gemeint.
trauen.
Zch glaube man kann ihm
Wir wollen ihm zur Dankbarkeit.auch
einige Viktualien schicken."
184
Der Pastor in Kartoffelfeld. Der Kandidat Ernst,
hierdurch beruhigt,
glaubte bald die deutlichsten Spuren göttlicher Vorsehung zu erblicken, und war diesen Abend so vergnügt als jemals. Mit weit offenem Augen
blickte, er nun Louisen an.,
Ganz war sie wieder
sein, und je höher die Hoffnung zu einem Amte
stieg, desto näher war er einer Glückseligkeit, die
er sich nicht größer denken konnte.
Beide drück
ten sich zärtlichst die Hand, und ein Kuß ohne
Worte, halb gegeben, halb genommen, sagte:
„Du bist mein, und ich bin dein."
Nach etwa acht Tagen erschien die förmliche
Präsentation zur Würmsdorfer Pfarre für Herrn
Ernst, und bald nachher übersandte der Superin tendent den Text zur Probepredigt. Der Hoffiskal sich bedankend für das Schwein,
den Puterhahn und dir Eyer, schrieb noch ein
mal, und versicherte bey aller seiner Ehrlichkeit,
daß die Wahl des Kandidaten ganz unumstößlich gewiß sey, und er Tausend gegen Eins ver wetten wolle, daß derselbe nach einigen Wochen
Prediger von Wurmsdorf seyn werde.
Theil.
ig)
Nun was wollen wir mehr?
sagte Herr
Erster
Herrmann.
Es ist auch «ach gerade Zeit.
Nur
getrost, und eine recht erbauliche und auch gelehrte Probepredlgt gemacht, und^ sie in vollem Eifer
gehalten,
so
werden
wir
bald
gratulieren
kinnen. Der Kandidat ermangelte nicht die PrüfungS-
Predigt mit grißtem Fleiße )U elabobicren. Lange gefiel sie ihm nicht, und erst die dritte oder vierte
Abschrift wurde Von ihm einigermaßen gebilligetr Mit gleichem Fleiß wurde die schöne Predigt über den Text: „ Prüfet ülles, und bas beste
behaltet," von Wort zu Wort memoriert.
Bald
vor dem belehrenden Spiegel bey verschlossener
Thür, bald im freyen Felde, bald in einsamen
Gegenden des Waldes Stimme deklamiert.
wurde
sie Mit lauter
„ Kurz er ließ es, da er
Zeit genug hatte, an keiner Vorbereitung fehlen. Kam er im Deklamieren auf starke Stellen und schöne Perioden, und gelang ihm- die Deklama
tion, so fühlte er sich ganz überzeugt, daß nur er und kein anderer den Sieg davon tragen werde, und sahe dem kritischen Tage mit großer Zuversicht entgegen.
»86
Der Pastor in.Kartoffelfeld.
Die flute Louise besorgte unterdessen den Anzug .und' die.Wäsche,
Der Schneider, brachte
ein feines, neues, schwarzes Kleid,
Neue
Schuhe, neue seidene Strümpfe, neue Schnal
len lagen in Bereitschaft.
Kurz es. fehlte nichts
zur Sache, und mit einiger Ungeduld erwartete man den nächsten Sonntage
V.ater-Herrmann
war gesonnen anspannen zu lasse», unk sammt seiner Familie mitzureisen, allein dieß war nicht ngch hes Kandidaten Grundsätzen und Geschmack,
ßr verbat höflichst die Begleitung, und bat sie sich bey der Anzugspredigt aus.
Schon rückte der entscheidende.Tag näher. Ernst stand deklamierend vor seinem. Spiegel, als
ziemlich unsanft an die verschlossene Thür gepocht
wurde.
Er erschrak nicht wenig, .weil er eben
mit dem Vortrage einer Lieblingsstesie beschäfti
get war, von der er sich die größte Wirkung
versprach. Kaum hatte er bestürzt die Thüre geöffnet,
als zwey kurze, dicke, krausköpfige Männer, mit,
Erster
187
Theil.
wie es schien, sehr aufgebrachter Mciie - schort vor ihm standen.
Es waren die Kostate»-» Dal^
thasar Stemps nnd Pasche PemP.s^.auS
Wurmsdörf;. Männer, die im Charakter sich so ähnlich waren als ihre Namen.
Mit Alühender Wange, funkelndem Auge und
trotziger Stimme, hub Stemps an:
„Wir wollen denn' doch anfragen,
Hetr
Kandidat, was das für eine Dewandtniß hak,
und wie das jugeht?"
„Welche Dewandtniß, lieber Mann.?" „Wir.sind beide aus Wurmsdörf."
„Nun gut, ich kenne aber keine Dewandtniß."
„Hoho! schrie Pasche Pemps, stell' Er-sich man nicht so weit hinwir lassen uns nicht dumm machen.
Sollen wir denn gar nichts
haben? wir gehören auch jur Gemeinde." „Was wollt ZHr denn h)ben, liehen Leute ? "
Stemps höhnisch lächelnd. „Geld.wollen wir
habeü." „Geld? Zch bin niemand etwas schuldig."
„Za, Geld und ein paar Morgen.Acker in Pacht oben drein, sonst wird aus der Sache
nichts, gar nichts.
Wir wählen einen, andern.
i,9o
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Gedanken gefaßt, mich dem Lchrstande zu wid men !
Noch immer bin ich hintergangen und
getäuscht.
Zch will gern der Welt dienen, und
rin hartes Schicksal, oder Betrug und Arglist, verbieten es mir.
Zeder andere Stand konnte
mich glücklicher machen..
Ward ich
Hand
werker, so kams auf Ordnung, Treue und Fleiß
wu- und ich nährte mich mit Ehren.
Widmete
ich mich 'der Nechtsgelahrtheit — o Meine als dann erworbene Geschicklichkeit würde gewiß ge
sucht seyn, wenn ich sie-mit Wahrheit und^Rechtschaffenhcit verband.
Als Arzt würde ich nicht
„umsonst studiert haben.,,Nahm, ich Kriegsdienste;
Tapserkeit würde mich von einer Staffel zur andern empor gehoben haben.
Aber jetzt —
wer sucht mich? wer denkt an mich ? Dey den
reinsten Grundsätzen, kein. Amt zu erschleichen, Ley den lautersten,Triebe brauchbar und wirkend
zu seyn, bin ich ein Spiel des Schicksals, hasche
wie Tantalus nach einem Apfel, den ich vielleicht
nie erhasche. .Soll ich rin Lehramt kaufen,? Welche^ Niederträchtigkeit,!
Nein,, so:theuer
erkaufte Seelen mag ich nicht."
Erster
T heil.
191
So dachte er, oder sprach vielmehr in und
zu sich selbst, machte auch allerley Entwürfe sich einem andern Stande zu widmen, fand aber,
da er schon dreyßig und einige Zahre zahlte) alle ziemlich unausführbar, ob er sich gleich eines Kandidaten
erinnerte,
der
nach
zehnmaligen
Pfarr-Mißgeschick ein Schneider geworden war, und sich jetzt ehrlich und reichlich nährte.
Seiner Gewohnheit nach griff er zum Stabe, und wandelte unter Gottes blauen Himmel, iw sich selbst gerehrt, tief ins weite offne Feld hinein,
um endlich bey sich auszumachen, was in der
mißlichen und nun hoffnungslosen Lage für ihn
zu thun fei;., „Ich muß doch noch fort — auf gut Glück
in die Welt gehen — Branchen Schiffer führt
der Sturmwind am Ende in einen guten Hafen, nachdem er sich ins weite Äeer wagte.
Ein
anderer Standpunkt eröffnet gemeiniglich eine neue Aussicht.
Mancher Baum wächst gleich
besser, wenn er in einen andern Boden ver-
vfianzt wird.
Vielleicht gedeih auch ich und
'meine Theologie, die Hier verkümmern muß, jn einer andern Provinz, wo kein^Aemter verkauft
i9?
Der Pastor in Kartoffelfeld.
und vergeudet werden. Aber Louise! Louise! Dieser Magnet reißt das Herz zurück, läßt den Fuß nicht vorwärts." Solche Grillen begleiteten ihn ins Feld, solche Grillen brachte er wieder ins Zimmer zurück. Doch entwölkte sich die Seele nach und nach. Mit etwas erheitertem Sinn setzte er sich, den Pemps und den Stemps vergessend, ans Klavier, das ihn schon so oft getröstet hatte, und spielte und sang mit Matthison: So schlendr' ich in die Welt hinan. Und weiß doch selbst nicht wie; Es geh wies geht, ist wohlgethan; Dem Schöpfer murr' ich nie.
Hab' immer noch der Freuden viel, Manch Blümchen steht am Weg u. s. w. Bey der Strophe: Es sieht es mir dann keiner an. Wie viel ich Leiden trug: Dann bin ich ganz ein andrer Mann/ Dem's bang ums Herz hier schlug — entrollten dem biedern Manne heiße Thränen über die Wangen, .und all^Kraft der. Seele war nicht
Erster Theil.
193
nicht vermögend das tiefe Gefühl der Wehmuth zu unterdrücken, als er auf einmal den sanften Druck einer zarten Hand auf der linken Achsel emvfand, die wie elektrisch auf ihn wirkte. ' Ganz leise hatte sich Louise heran geschli chen, und den schwer - und wehmüthigen Sänger behorcht. „So traurig, guter ErnstI und wir sind unserm Glücke so nahe I Sie weinen? Woher diese Thränen? Ich will Sie trösten." Gleich drückte sie einen Herjenskuß' auf die nassen Wangen. „O wüßten Sie, was vor zwey Stunden hier in dieser Stube vvrfiel. Sie würden nichtvom nahen Glücke reden. Alle- vorbey, guteMädchen, alles vorbey. Das Land, das wir zu sehen glaubten, war eine Wolke." „Noch nicht alles vorbey. Keine Wolke. Der Vater hat alles wieder gut gemacht. Nur zu Tische! Zu Tische!" Sie zog ihn mit sich fort.
194
Der Pa.stor in Kartoffelfeld.
Die Erscheinung desDalthasarStemps und Pasche Pemps war dem alten Herrmann nicht verborgen geblieben, und er hatte fid) genau
nach, der Veranlassung ihres Besuchs erkundigt.
Das rathsamste schien ihm daher, die Hinder
nisse auf die kürzeste Art aus dem Wege zu räu
men.
Ein paar glänzende Goldstücke, die Ver
heißung. einiger Morgen Pachtacker, und einige
Glaser des allerbesten Bramweins, hatten die Kraft, die entrüsteten rohen Gemüther zu besänf tigen
PcmpS und Stemps versprachen mit
Hand und Mund, von nun an, da sie nicht
verschmäht und hintergangen wären, für den Kandidaten alles mögliche zu thun, ihm nicht
nur ihre Stimmen..zu geben, sondern ihn auch der. ganzen Gemeinde alleröestens zu rakkumman-
dieren; und froher, vielleicht auch bctrunkner, als sie gekommen waren, gingen sie von dannen.
Ueber Tische machte der alte Herrmann man
cherley Spaß, um den schwcrmülhigen Kandi daten wieder aufznheitern.
Es wollte aber nicht
-Erster T hei l.
!95
gelingen. ' Endlich mußte er ihm den heut erleb
ten Auftritt nach allen Umständen erzählen.
„Hum! sagte der Wirth, was ist das mehr?
Die Kerle waren besoffen; Sie haben wohl Noch keinen
besoffenen Menschen gesehen?
Desoffenen halt' ich alles zu Gute.
Einem
Zch habe
mit ihnen auch gesprochen, als sie wieder nüch
tern waren; da waren sie ganz anders gesinnt,
haben alles mögliche für Sie versprochen, und sind ruhig und vergnügt wieder abgewandcrt."
Ernst antwortete wenig, dachte aber viel;
that, als ob er dem Ztlten glaube, ahnete über schon und ganz richtig das was geschehen war.
Zu seinem Glück, oder svlls heißen zu seinem Unglück, entdeckte ihm def alte Bediente Peter, nachdem er ihm recht ins Gewissen gegriffen,
und Himmel und Hölle vorgestellt hatte, wie esich mit der Sinnesänderung und Bekehrung der
Herren Pemps und Stemps eigentlich ver
halte, und nun beschloß er mit aller Kraft der
Seele, seinem immer befolgten Grundsatz getreu, keine Probepredigt in Würmsdorf zu halten, sondern die Sache mit edler Großmuth von sich
abzulehnen.
ig6
Der Pastor in Kartoffelfeld. Zch reise nicht nach Wnrmsdorf, sagte er
freundlich und entschlossen' seiner Louise, und ich habe dazu meine Gründe.
Die Sache ist nicht
so rein wie sie vorgestellt wird."
Um nicht in diesem Vorsah wankend zu wer den, schrieb er, ohne Louisen etwas davon zu sagen, an den Superintendenten folgenden Brief:
„Gute Freunde, und ich danke e8. ihnen, haben mir ohne mein Vyrwissen die Präsentation zur vakanten Wurmsdorfer Pfarrstelle, und wie
man mir versichert hat, auch die nöthigen Wahl
stimmen ausgewirkt.
Vergnügt war ich, in mei
nem zwölften Kandidaten - und vier und dreyßigsten Lebensjahre, und.--— was ich mich hinzuzusetzcn nicht schäme — als zweijähriger Bräu tigam eines holden edeln Mädchens, meiner ehe
maligen Schülerin, über diese sich mir so unge zwungen eröffnende frohe Aussicht. Freude war, von kurzer Dauer.
Aber meine
Bloß, ein Son
nenblick durch ein trübes vorüberziehendes Ge
wölk, und gut daß sie es war.
Der Grobheit
und Habsucht zweyer Gemeindeglieder, welche mir für ihre Stimmen Geld abforderten, und
Erster T heil.
197
laut sagten, daß ihre Nachbarn dergleichen empfangen hätten, hab' ichs zu verdanken, daß mein Gewissen frey und meine Ehre ungeschän det bleibt. Nicht vier Groschen opfere ich auf dies« entehrende Art auf. Man nenne es wie man will, Schwachheit oder Eigensinn, oder Stolz, oder Grille, oder Edelmuth, so ist und bleibt es bey mir fest stehendes Princip, nie auf Schleifwegen eine Beförderung zu suchen oder zu erjagen; weil ich, so viel es Menschen können, gern auch durch mein Beyspiel lehren möchte, wenn mich die Vorsehung zum Lehrer ausersehen hat. Liebe und Rechtschaffenheit kämpfen zwar einen harten Kampf in mir, aber wer gönnt letzterer nicht den Sieg? Zch schreibe dieses, damit mich Ew... ent schuldigen, wenn ich mich zur angesehten.Probe predigt nicht einfinde. Vielleicht sind Sie auch so geneigt von dieser Privatneuigkeit, die zu nächst nur mich betrifft, bestens Gebrauch zu machen. Zch bin :c. Ernst."
198
Der Pastor in Kartoffelfeld. Dieser Brief wurde gleich abgeschickt, und
so machte es sich der Kandidat selbst unmöglich,
seine Grundsätze auf Vorstellung und Zureden seiner Freunde zu verläugnen. Man sah es ihm im Hause an der Miene schon an, was er beschlossen hatte; doch wagte es weder der alte Herrmann noch seine Frau in
gerader Linie einen Versuch auf ihn zu machen, um ihn von dem thörichten Vorsatz, sein nahes Glück um so kleiner Ursachen willen abermals zu verscherzen, abzubringen.
Hierzu war auf diese
Art wenig Aussicht.
Frau Tante gab aus der Fülle ihrer Weis heit, Menschen - und Lebenskenntniß einen Rath,
der vielen Beyfall fand.
Sie philosophierte folgendermaßen:
„Liebt
der Mann Zhre Tochter im Ernst, so wird er dieser Liebe ein Opfer bringen, und von seinem
albernen Eigensinn ablassen können.
Thut er
das nicht, so ist seine Liebe nur erdichtet, und
nicht rechter Art.
Wissen Sie was, Herr Vet
ter ? wir machen eine Reife auf eilt paar Tage, und lassen die Verliebten ganz allein.
Versteht
dann Louise die Kunst fein Herz zu besiegen, so
Erster
ist die Sache gemacht.
199
Theil.
Gelingt es ihr nicht,
nun so ist, ich sage es dreist, der Querkopf ihrer nicht werth.
Dann nur Anstalt gemacht,
daß er aus dem Hause kommt, und der Noman
ein Ende nimmt." „Das, liebe Frau Schwester, geht nicht.
Das Mädchen ist verliebt — wir können sie nicht in der Gefahr allein lassen."
„Hat nichts zu bedeuten, Herrmann.
erwiederte Frau
Zch kenne Ernst, ich kenne meine
Tochter zu genau.
Wir können uns ganz auf
sie verlassen." „Nun gut, so verreisen wir denn;
Louise
mag sehen, wie weit sie mit ihm kommt."
„Spare, gutes Louischen! sagt« die Tante beym Einsteigen in den Wagen, keine Schmei
cheley, keine Thräne, keinen Kuß, mitunter thu ein Bißchen böse, um den Mann, den du doch gern haben willst, von seinem Eigensinn zu kurie
ren. weit.
Geh aber in deinen Gefälligkeiten nicht zu
Wirst mich verstehen."
SCO
Der Pastor in Kartoffelfeld.
Ernst stutzte als er Mittags ins Speise zimmer trat, den Tisch nur für Zwey gedeckt sah, und niemand weiter gewahr ward als kouisen, die ihm äußerst hold und freundlich zuwinkte: „ Setzen Sie sich." „So allein?" „ Die Aelterm sammt dir Tante machen eine kleine Lustreise." „Und Sie nicht mit?" „Zst Ihnen etwa meine Gesellschaft heute unangenehm? " „Nicht so, meine Liebe!" „Sind Sie mir noch gut, lieber Ernst?" „Von ganzem Herzen!" „Dann gewähren Sie mir eine Ditte." „Welche, liebe Louises" „Vergessen Sie den Stemps und den Pemps." „Ich habe sie bereits bergessen." „Und doch noch immer so sinster!" „Wer so am Scheidewege stand, wie ich, dem sind wohl einige kleine Runzeln zu verzeihen." „Ey was Runzeln! wollen Sie vor der Zett alt werden?"
„ Ach! wo zwey mächtige Affekte, Liebe und
Ehre, mit einander ringen, da ist die Ruhe
verloren." „Gehen Sie mir mit der ewigen Ehre! Mich dünkt. Sie übertreibens, guter Ernst!
Recht' ist!
Mein Vater sagt das auch.
WaS Kann
man nicht lieben und zugleich auf Ehre halten?"
„ Glücklich, wer durch Umstände so begün
stiget ist!
Zch binS nicht."
„Keine Grillen! Der Vater hat mir gebo ten, sie Ihnen zu vertreiben.
Er läßt Sie durch
mich bitten, ein Glas von seinem besten Rhein
wein auf meine und der Aeltern Gesundheit zu
trinken.
Und nun verbitte ich mir alle Melan
cholie. "
Er gab nach, pnt» berührte die mißtönende
Saite nicht weiter.
Der edle Wein that seine
Pflicht, stimmte der Liebenden Seelen zu schö
nen Gefühlen.
Es währte nicht lange, so war
die Mißlaune besiegt, und beide überließen sich bald den süßesten Empfindungen der Zärtlichkeit und den Scherzen, hje sich jeder der verliebt war, oder es heute noch ist, selbst denken und beschrei
ben mag.
Der Pastor in Kartoffelfeld.
202
„Za, die Liebe ist doch schön, sie ist der Himmel auf Erden," sagte Ernst.
„Das ist sie,
guter Ernst,"
erwiederte
Louise mit einem zärtlichen Kuß.
Ernst stand auf, und bat Louisen um ein Lied.
Sie sprang ans Klavier, ■ sang und spielte tief aus der Seele das schöne Lied aus der Zau-
berflöte: „Für Männer welche Liebe fühlen,"
u. s. w.
Ernst trat zu ihr hin und begleitete den Gesang mit seiner zarten und reinen Tenor
stimme.
Viele Lieder der nämlichen Stimmung
wurden unter dieser Begleitung gesungen.
Die Liebe hatte sie an das Klavier geführt;
die Liebe verließ sie nicht, und die Unschuld be gleitete sie, als Louise sich auf das Sofa setzte.
Ernst, ohne zu wissen was er that, schlang sie in seinen Arm.
Beider Herzen pochten —
Louischens Hündchen, das
auf ihrem Schoße
saß, fing an zu bellen — Zn diesem wonnevollen aber auch bedenkli
chen Zeitpunkte hub Louise an: „So gut, lieber
Ernst, und noch besser, können wir es bald
Immer haben, wenn —"
Erster
Theil.
>03
„ Welches Wenn? —" „ Wenn Sie etwas nachgeben, hübsch in
Wurmsdorf predigen, und es mit der Ehre nicht so genau nehmen wollten.
0 thun Sie es doch
um meiner Liebe willen."
„Nein, beste Louise, ich kann nicht.
Ich
will in meinem künftigen Amte vergnügt und
unbefangen leben, und keine Vorwürfe im Dusen
tragen; sonst kann ich nicht vergnügt seyn, auch
in Ihrem Arm nicht."
„ Aber der Vater meint ja doch ..." „Der Vater ist nicht in meiner, und ich nicht in seiner Lage.
Ueberdieß ist die Sache
schon abgethan und nicht mehr zu ändern."
„Sie sind ein strenger Mann." „Je strenger ich nach Pflicht und Gewissen handle, desto mehr muß ich Ihrer Liebe werth
seyn.
Sie sind noch jung und ich nicht alt.
Gott ujjrd für uns sorgen."
Louise gab ihm einen Blick der innigsten
Liebe, und sagte: „Ich wollte Sie tadeln, aber ich fühle es, daß Sie edel handeln. " Hier siegte also die Liebe nicht.
i88
Der Pastdt in Kartoffelfeld.
Das'soll Er sehen," sagte StempS, und stampfte mit dem Stocke. ■
„ Mein Gott! was hir^ ich, was- seh' ich!'! „0, Er soll noch mehr hören.
Der -e pem rechtmäßigen Ruf
hoffend und
harrend, und vielleicht, vergeblich
entgegen sehen, einem andern zu Theil werden könnte?
Sie können ihr doch nicht zumuthcy,
ihrer Grundsätze wegen zu werden, was noch
nie ein Frauenzimmer gern ward, nämlich eine
wohlbetagte Jungfer.
Jedermann würde es dem
Mädchen,verdenken, wmn sie Ihnen unter sol
chen Umständen getreu bliebe.
Und dann, mein
Bester, npch mehr; woher wissen Sie, daß der Amtmann.Herrmann Ihnen Haus und Tisch und was Sie nöthig haben noch viele Jahre
lang wie bisher gewähren-wird? Und wo dann gleich hin? Ich bitte Sie,> greifen Sie mit bei
den Händen zu;
occasio po»tica calva."
Der Pastor in Kartoffelfeld.
2i4
Noch viel mehr proponierte Magister Andreas, und wurde am Ende heftig, und beynahe belei
digend.
Ernst blieb auch nicht güN^ kalt,-und
versicherte, daß er nun einmal fest-entschlossen sey, in seinem Beyspiele zu zeigen, wk; eirt
gewissenhafter Mann handeln müsse, daßr der
Staat dieß gewiß nicht unbelohnt lassen werde, und schloß also: „Sorgen Sie nur für sich und Ihre Familie, lieber Herr Magister, und'beküm«
mern sich um mich und meine Grillen weiter ganz
und gar nicht." Es fehlte nicht viel, so hätf er ihm die
Thür gewiesen.
„Das ist nichts, sprach Magister Andreas zur Herrmannschen mit der seinigen am Kaffee tisch noch versammelten Familie.
Ernst ist ein
verstockter Sünder- ich hab' ihn weder erleuchten noch bekehren kinnen.
Strafamt, Lehramt,
Ermahnungsamt, Trostamt, alles ist aw ihm ver
geblich. Sinn."
Der Starrkopf besteht aüf seinem
„ Habe ichs nicht vorher gesagt? sprach Frau Tante; richtig vorher gesagt.
Das wird mir
einst ein braver Ehemann seyn, Louischen.
I-h
möcht' ihn nicht, und wenn er Konsistorialrath
wäre.
Seine Frau wird die Hölle bey ihm
haben.
O mein seliger Mann, was das für ein
Mann war, denn konnte man um den Fingerwickeln. "
„ Mein Herr Magister ist auch zuweilen ein Bißchen eigensinnig, aber so arg macht ers doch
nicht, sprach die Frau Magisterin; das geht zu weit."
„ Nun wem nicht zu rathen steht, dem steht auch nicht zu helfen.
Man lasse ihm seinen
Witten, und wir wollen den unsrigen dann auch haben, erwiederte der alte Herrmann.
Jeder
ist seines Glückes Schmidt, und wie man es treibt so gehts.^
Gan; nachdenkend mit einem halben Seufzer sagte Frau Herrmann:
„Man weiß nicht wie
man eigentlich drüber urtheilen, ob man diesen
Eigensinn
loben oder tadeln soll.
Ernst eine so gute Seele.
Sonst ist
Für mich und meinen
Der Pa ft2r in Kartoffelfeld.
2i6
Mann ginge er durchs Feuer, und für Louisen
ließe er das Leben." „Za, das Leben, da kommen Sie schön an,
davor würd' er sich hüten, da er ihr zu Gefallen nicht einmal eine Grille fahren lassen will.
Nur
Anstalt gemacht dast der alberne Roman ein Ende nimmt.
Zch verschaffe der Louise einen ganz
andern Mann.
Laß den Staketenflicker laufen,
sagte die Tante." So deliberierte man eine Stunde lang, ohne
eigentlich zum Schluß zu kommen.
Dem Herr-
mannschen Ehepaar wollte cs gar nicht m den
Sinn, den treuen Ernst zu verabschieden, und ihr Versprechen zurück zu nehmen.
„Er sämappt über, sagte Frau Herrmann,
wenn wir ihm unsere Tochter verweigern." „Er hat langst übergeschnappt, antwortete Frau Tante.
Er ist wahnsinnig, liebes Schwc--
siercken.! " Ueber Tcsche sprcra) fast niemand mit Ernst,
und eben so wenig hatte er Lust an der bunten Unterhaltung, wo Magister Andreas und Frau
Tante das Wort führten/ Theil zu nehmen. Denkend, still und bescheiden saß er da.
Theil.
E r st e r
21 7
Der Herr Magister vitt sein Steckenpferd,
die Runkelrüben,
und Frau Magisterin
ritt
Er erzählte, die El-sindung Sirup daraus
mit.
zu ziehen, habe er zuerst gemacht, und dem Hof
eine Probe davon übersandt, und versicherte, daß
er den Runkelrübenzucker auch erfunden haben würde,
wenn er nicht schon erfunden. wäre;
berechnete auch den Ertrag seiner Pfarracker,
wenn er sie
einst ganz mit Runkelrüben be
pflanzte, und brachte heraus, das; er in Kurzem
Tausende dabey gewinnen werde. Frau Magisterin bekräftigte alle diese Sahe
mit dem Spruch:
Mein
Mann
„Das ist wahrhaftig wahr.
lügt
nicht,
Sie
können
es
glauben."
Der Dein machte ihn immer redseliger, und
er begann ganz ehrlich die Art und Weise zu detaillieren, wie er zur Pfarre gelangt sey.
„Hab' auch, sagte er, dem Patron opfern müssen für die Präsentation, und den Bauern,
die mich wählten, versprach ich die Psarracker
zur wohlfeilsten Pacht.
Allein wie ich introdu-
eiert war, fand ich Mtttcl mit gurer Virrnier aus der Sache zu kommen, und es ging. Freylich
2i8
Der Pastor in Kartoffelfeld.
haben sie einige Jahre mit mir gemault,, und manche maulen heute noch, einige kommen sogar aus Tücke wenig oder gar nicht in die Kirche,
aber was schadet mir das? Ich vredige Gottes
Wort lauter und rein; bleibt zu Hause.
wer nicht kommt, der
Hatt' ich den Acker so wohl
feil verpachtet, als sie ihn haben wollten; so hatt' ich jährlich über hundert Thaler verloren. Man muß nur dreist seyn, und sich nicht über
jede Kleinigkeit Skrupel und Gedanken machen. Dabey kommt nichts heraus.^
„Sehr wahr, Herr Magister! versetzte Frau Tante; gut, wenn ein ehrlicher Mann sein Wort halt, aber manchmal kann er es ohne Schaden
nicht halten, und dann erfordert es die Klug heit, daß ers wieder zurück nimmt.
sich selbst der nächste, und mancher einen demüthigenden Blick nuf den Kandidaten,
Jeder ist w ronvf sie
ist selbst
Schuld daran, wenn ihm nicht Wort gehalten
wird." Ernst, tief fühlend, was dieß sagen sollte,
stand vom Tische auf, empfahl sich der Gesell schaft und ging auf sein Zimmer.
Der Magister
Erste r
Theil.
-i)
sprach noch einige Stunden fort, bis er gegen Abend cum familia recht fröhlich wieder abfuhr.
Auf seiner Stube fand Ernst die langst erwan Ute Antwort des Superintendenten. Hier ist sie-
Edler, braver Mann!
Ein Kandidat, wie Sie, ist mir in meiner
ganzen Amtsführung noch nicht vorgekommen.
Sie verdienen das gerechteste Lob und die beste Beförderung.
Beharren Sie fest in Ihrer Den
kungsart, die Ihnen so sehr zur Ehre gereicht.
Uebrigens, guter Mann!
nichts Neues.
sagen Sie mir
Fast bey jeder Predigerwahl die
ser Art, besonders auf dem Lande, giebt es, wie bey Friedensschlüssen, gewisse, geheime Artikel
und Bedingungen oft ganz eigner Art, die man freylich wohl erfahrt, aber nicht beweisen kann,
wozu gar viel gehört. Ich thue jederzeit an den Wahltagen ti.ieme
Pflicht, und ermahne aus allen Gründen und
2,20
mit
©er Pastor in Kartoffelfeld.
großer
Theilnahme
zur
Unparteylichkeit»
Allein meine Reden haben .da noch nie gewirkt, wo das Geld oder die Psarracker ihre Wirkung schon gethan hatten.
Man hört aildachtig zu,
lobt mich, und thut was man will.
Indessen will ich doch die Regierung auf
gegenwärtigen Fall aufmerksam machen, und das um so mehr, weil der Patron, ein stocrblinder
Kanonikus, außer dem Lande lebt, in seinem Pfarrhandel immer dreister wird, und da er
katholischer Konfession ist, sich um die Pfarrsiel^ len selbst eben so wenig bekümmert, als der Pabst. Billig sollten wir keinen Patron fremder Reli gion haben, ein Umstand, den man unstreitig
im Wcsiphalischen Frieden übersehen hat; und es würde gewiß keine Revolution nach sich ziehen,
wenn die Regierung ohne Umstände solchen ge-
wüansuchtigen Leuten, besonders wenn sie Aus länder sind, die für das Wohl des Staats gar
kein Interesse haben, das bisher so frey getrie bene Handwerk legte, und ihnen das Patronat abnahme.
Der Staat thäte wohl, die Kandi
daten, die ihre Zeit und ihre Kräfte angewandt babr n, sich zu seinem Dienst geschickt zu machen,
Erster- Theil.
2 2.1
nach Verdienst, und wo möglich nach der Reihe, selbst zu versorgen, so hätte aller Unfug auf eirr-
mgl.ein Ende.
, Die Wurmsdorfer Pfarre, ist freylich eine der
einträglichsten, aber Sie haben dennoch nicht viel verloren, wenn Sie darauf nach Gewissen Ver
zicht thun; denn daö alte halb mit Stroh, halb
mit Ziegeln gedeckte zwey oder drey hundertjäh
rige Pfarrhaus drohet, trotz der vielen Stützen, bey jedem Wiltde den Einsturz. *) Die Kirche
Da« Wursnsdorfsche Pfarrhaus/ AltershNm«
und seiner Baufälligkeit wegen
seine«
sehr
berübmt, bestand eigentlich au« fünf Theilen oder A»lhang-eN/ die in vorigen Zeilen theil« vor theil«
nach
der
Deformation nach Diasigabe der jedes
maligen zahlreichen Familie angcftickt waren, indein einst im vorigen
Jahrhundert ein
gcivtjjcv
Prediger nur seiner Fran vier und zwar'ckg leben
dige (ro^rgevorne nicht gerechnet) Zunder gehabt
haben soll. Da« sonderbarste an diesem Hause war ein
kleiner Altan von Lehmarbeir, den der Tradition nach
einst
ein Prediger auf eigene Kosten hatte
erbauen lassen/ und auf welchem bey der Hochzeit
Der Pasror in Kartoffelfeld.
222
ist arm, und der ausländische Patron will durch aus nicht bauen. .
Besuchen Sie nächstens einen Mann der
Sie liebt und schätzt,
und gern nach Möglich
keit für Sie sorgen wird; er heißt
der S^rperintendent
Faber.
seiner einzigen Tochter die Mnsuatrten trompetet
haben.
Neben diesem hingen zu beiden Seiten
zwey kleine Häuschen,
deren Namen man nicht
gern nennt, beide ohne D^ch.
Die eine Seile
des Hauses war mit Stroh, die andere mit Zie
geln gedeckt, oder eigentlich gedeckt gewesen, denn man konnte an manchen Stellen durch und durch
sehen.
Der angebrachten Stützen waren fünfe an
der Zahl. Jur Deutlichkeit könnten wir ein Kupfer (eigentlich sollte eö wohl ein Holzschnitt seyn)
hitlzufügen, das manchen Architekten eben so will kommen seyn lvürde, als vor kurzem den Antiqua
rien die gecrelie Abbildung „einer im Herkulanum
aufgegrabenen Wand von einer rönuschen Wach
stube mir griechischen Zoten beschrieben."
Erster N. S.
rrz
Theil.
So eben erhalte ich einen Brief
vom Grafen M., der für seinen einzigen jetzt achtjährigen Sohn
einen
und Hauslehrer sucht.
geschickten
Erzieher
Er ist ein reicher Mann,
und hat viele Pfarrstellen zu besetzen.
Ihre
Einwilligung vorausgesetzt werde ich Sie Heftens empfehlen.
Nach ein paar Zähren kann Ihr
Glück gemacht seyn, und das auf dem gerade
sten Wege.
Die Wahl zu Wurmsdorf ging bald nach her von Statten, und der Kandidat Sing
sang,
eigentlich
hieß
er wohl Gin gang,
trug, nachdem er Abends vorher im Gemeinde kruge vorläufig, aus was für Gründen weiß man nicht, gewählt worden war, den Preis
davon.
Pemps und Stemps mußte sich frey lich nachher
zur Verantwortling
stellen,
ent
schuldigten sich aber mit der Unwissenheit in
den Landesgesetzen,
und
auf den Hofüskal Zsebe >,
sckoben
alle Schuld
der die Gemeinde
224
Del' H a fiD r in Xstttcffclfelb.
verführt habe. Auch dieser sollte sich stellen, da er aber bereits Lunde gerochen hatte, und auf seinem Kommisswirs - Schimmel rief ins Land hinein geritten war, wo er der Sage nach abermals einen Pfarrhandel stiftete, so kam die Sache bald in Vergessenheit, und wurde ihrer forthin nicht weiter gedacht.
Der