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German Pages 413 Year 2002
REGINA BLÜMMEL
Der Opferaspekt bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung
Schriften zum Strafrecht Heft 130
Der Opferaspekt bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung
Von
Regina Blümmel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Blümmel, Regina:
Der Opferaspekt bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung I von Regina Blümmel - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Strafrecht ; H. 130) Zug!.: Heidelberg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10621-0
D 16 Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-10621-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Mit dem Fall der Mauer im Spätjahr 1989, der die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten einläutete, begann zugleich auch die Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des zugrundegehenden Regimes. Die vorliegende Arbeit, die der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg im November 1999 als Dissertation vorlag, soll einen Aspekt der sich in vielfacher Weise und mannigfachen Formen manifestierenden Aufarbeitung beleuchten - nämlich mit dem Bereich der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung. Anders als in einer Vielzahl zu diesem Thema bereits veröffentlichter Stellungnahmen wird es vorliegend primär nicht um die Täter, sondern um die Opfer gehen, wobei zu zeigen sein wird, daß sich dies - trotz aller Forderungen - nicht immer trennen läßt. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich im wesentlichen auf die Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Soweit dies notwendig, angebracht oder sinnvoll erscheint, wird jedoch auf historische wie zeitgenössische Versuche, die Hinterlassenschaften eines Unrechtsregimes zu überwinden, Bezug genommen. In der vorliegenden Arbeit wurde die Rechtsprechung bis Dezember 2000 berücksichtigt. Sofern zu einem großen Teil auf ältere Kommentarliteratur zurückgegriffen wurde, so geschah dies vor dem Hintergrund der zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidungen gültigen Rechtslage. Mein besonderer Dank gilt zunächst Herrn Prof. Dr. Thomas Hillenkamp, der mir sehr viel Freiheit bei der Ausarbeitung meiner Gedanken ließ und der wegen der von mir gewagten Doppelbelastung von Beruf und "berufsbegleitender" Dissertation ein wahrscheinlich nicht unerhebliches Maß an Geduld aufbringen mußte. Von Herzen danken möchte ich auch meinen Eltern, meinem Bruder und vor allem meinem Freund, denen ich diese Arbeit widme. Ohne ihre Geduld, aufbauenden Worte und ihre Großzügigkeit hätte ich diese Arbeit nie erstellen und beenden können. Ladenburg, im Juli 2001
Regina Blümmel
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel
Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung, Opferdermition und Opfertypologie
19
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
§ 2 Der Begriff der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
§ 3 Opferdefinition und -typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
A. Opferdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
I. Der Opferbegriff des Einigungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
II. Opferdefinitionen im kriminologischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
I. Das weite Opferverständnis Mendelsohns und Schneiders . . . . . . . . . . . . . . .
28
2. Konfliktorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
3. Interaktionistische Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
4. Strafrechtsorientierte Opferdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
m. Opferdefinition und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
. ... . .. .. ...
31
IV. Opfer durch strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
I. Primäre Vlktimisierung durch strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung?................ .. ............ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
2. Der Tater als Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
3. Sekundäre Vlktimisierung durch strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung ······ ·· ··· · ····· · · · ············ ·· ·· ·· · ··· · · ······ · ·· ·· · · · ·· ·· ··· ···
40
8
Inhaltsverzeichnis B. Opfertypologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
I. Die Opfertypologien im kriminologischen Schriftturn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
II. Opfertypologien und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . .
46
C. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2. Kapitel
Der Opferaspekt im strafrechtlieben Umgang mit den Tätern und ihren Taten
51
§ 1 Formenfreiheit und Formenbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
§ 2 Die "radikale Lösung" - Die Preisgabe der Täter an die Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
§ 3 Die reagierende Strafgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt im Rahmen der strafrechtlieben Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
A. Strafverfahren im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung eine statistische Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
I. Die Verfolgung von NS-Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
II. Die justizielle Aufarbeitung von Unrecht in der ehemaligen DDR . . . . . . . . . .
62
B. Straftheorien, strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung und Opferaspekt . . . . .
69
I. Straftheorien und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . .
71
1. Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
a) Der Grundgedanke der Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
b) Spezialprävention und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . .
74
aa) Bereits resozialisierte Tater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
bb) Unverbesserliche Tater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
Inhaltsverzeichnis
9
2. Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
a) Der Grundgedanke und Arten der Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . .
78
b) Generalprävention und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . .
80
aa) Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
bb) Empirische Haltbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
3. Vergeltungstheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
a) Vergeltungs-, Gerechtigkeits- und Sühnetheorie in der heutigen Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
b) Vergeltungstheoretische Ansätze und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
4. Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
a) Grundkonzeption und Ausgestaltung der Vereinigungstheorien . . . . . .
92
b) Die sog. ,,Antinomie der Strafzwecke" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
c) Vereinigungstheoretische Ansätze und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
5. Die Wiedergutmachung im System der Strafzwecke ... .. . . . ...... . ... . ..
98
II. Straftheorien und Opferaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Opferaspekte im Rahmen der einzelnen Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Viktimologische Einflüsse auf die Diskussion um die Straftheorien im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 d) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 111. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
C. Legalitätsprinzip und Auswahlverfahren - die Frage der Viktimisierung durch eine Steuerung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Das Legalitätsprinzip (§§ 150 Abs. 2, 170 Abs. 1 StPO) als rechtlicher Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
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Inhaltsverzeichnis II. Schwierigkeiten und Probleme in der Praxis
112
1. Die Strafverfolgung der sogenannten "Kleinen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
2. Anfangsverdacht und Dunkelfeld als Ausgangspunkt für Ungleichbehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Die Spionage als Sonderproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 V. Mangelnde Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Bewältigung der NSVergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
D. Das materielle Recht und seine Umsetzung im Lichte des Opferaspekts . . . . . . . . 126 I. Das Rechtsanwendungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
II. Rückwirkungsproblematik, Radbruchsehe Formel und menschenrechtsfreundliche Auslegung, dargestellt am Beispiel des Schußwaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Die Radbruch'sche Formel vom gesetzlichen Unrecht...... ... ... . ... . .. 131
a) Die Anwendbarkeit der Radbruchsehen Formel auf die Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze, insbesondere auf § 27 des DDRGrenzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Die Formel in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Die kritischen Positionen des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Die Bedeutung der Radbruch'schen Formel im Lichte der Opferaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Die Grundkonzeption der Radbruchsehen Formel im Lichte von Opferaspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Das Verhältnis von Radbruchscher Formel und Rückwirkungsverbot ... . .. . ... . .. . ... . ..... . .... .. .. . ... . . .. .. ... ............. 142 cc) Die Opferaspekte im Lichte des Vorgesagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Die menschenrechtsfreundliche Auslegung von § 27 DDR-GrenzG . . . . . 153 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 III. Strafrechtliche Einzeltatbestände, deren Begründung und der Opferaspekt 161 1. Mord und Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Inhaltsverzeichnis
11
2. Noch einmal: Das Grenzregime und dessen strafrechtliche Bewertung . . 164 a) Das Verhältnis von Indoktrination und Entschuldigung . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Indoktrination, Opferaspekt und Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Talerschaft und Teilnahme.............. .. .................. ...... .. . 173 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Die Behandlung von DDR-Rechtsprechungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Die Behandlung der Rechtsbeugung im Lichte der primären Viktirnisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Die Opfersicht .. . .. . .. .. . .. .. .. .. . .. .. . . .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. 182 c) Ergebnis .. . . .. . .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. . . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . 185 4. Die Spionage-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Die Strafbarkeit der Spionage und deren verfassungsrechtliche Betrachtung im Lichte einer primären Viktirnisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Die Begriindung der Strafbarkeit nach bundesdeutschem Recht 187 bb) Die Janusköpfigkeil der Spionage...................... .. ....... 188 cc) Die verfassungsrechtlichen Konsequenzen im Lichte des Opferaspekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Die Spionageopfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
5. Die Wahlflilschung .. .. . .. .. . .. .. .. .. . .. . . .. . . .. .. .. .. .. . .. .. . .. . . .. . . .. 198 a) Die Frage der primären VJ.k:tirnisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Die Opfersicht .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. . . . .. . . .. . .. . . .. . .. .. . .. . . .. . . .. 202 6. Die Tatigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Exkurs: Die Aufgabe, Organisation und Tatigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Der ,,Postraub" der Stasi . ............. . ... . . . . . . . .. .. . . .. . .. . . . ... . . . 205 aa) Die Postkontrolle durch das MfS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Die Geldentnahme-dieProblematik des Unterschlagungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Der Verwahrungsbruch und sonstige Delikte im Zusammenhang mit den Postkontrollen .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . . .. . . 212 dd) Die Rechtsprechung zu den Postkontrollen und der Geldentnahme im Lichte einer primären VJ.k:timisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 ee) Die Opfersicht .. . . ... . . ... . ...... . .... . ...... .. .. . . ............. 216 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
12
Inhaltsverzeichnis c) Das Abhören von Telefongesprächen durch die Stasi-Mitarbeiter
218
d) Die strafrechtliche Verfolgung der infonnellen Stasi-Mitarbeiter im Lichte der Opferaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Der Tatbestand des § 241 a StGB- Problemstellungen . . . . . . . . . . 222 bb) Die Rechtsprechung zu § 241 a StGB im Lichte der Opferaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 cc) Die strafrechtliche Aufarbeitung sonstiger Repressionsmaßnahmen durch die infonnellen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 e) Die Mißhandlungen in Haftanstalten..... . ... . .................. . ... . 236 t) Sonstige Deliktsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
7. Sonstige Deliktsbereiche im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Sonstige Eigentums- und Vennögensdelikte in der Aufarbeitung des DDR-Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Doping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zugehörigkeit zu gewissen Kategorien von Verbrechervereinigungen oder Organisationen - das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 ........ . .. ..... .......... ... .... 246 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 E. Verjährung und Amnestie unter Opfergesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Die Verjährung der DDR-Aittaten unter Opfergesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . 255 1. Die Grundsätze der Strafverfolgungsverjährung von DDR-Aittaten. . .... 256 2. Die viktimologischen Aspekte des geltenden Verjährungsrechts . . . . . . . . . 259 II. Amnestie und Amnestiedebatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Amnestiebestrebungen im Lichte einer primären Viktimisierung durch eine strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Amnestie, Amnestiedebatten und Opferinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. "Amnestie: ja oder nein?"- Versuch einer Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
F. Ergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 § 5 Die ,,südafrikanische Lösung'' - Tribunale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 § 6 Die strafrechtlichen Aspekte von "personellen Säuberungen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Inhaltsverzeichnis
13
3. Kapitel
Der Umgang mit den Opfern des SED-Regimes: Das strafrechtliche Rehabilitierungs- und Entschädigungsrecht
290
§ 1 Ausgangspunkt und Ausgangslage des geltenden Rehabilitierungs- und Entschädigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
§ 2 Das geltende Rebabilitierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
A. Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
I. Der Weg zum Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 . . . . . . . . . . . . . 295 II. Das Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990 und die Regelungen des Einigungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 III. Vom 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vom 29. Oktober 1992 zu den Neufassungen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) vom 4. Juli 1997 und vom 17. Dezember 1999 ... . ................... . ... . . 299 B. Die Rehabilitierung der SED-Opfer in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 C. Das Rehabilitierungsrecht nach dem StrRehaG vom 17. Dezember 1999 . . . . . . . 303
I. Der Begriff der Rehabilitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 II. Der Begriff des Opfers im StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 III. Vom Antrag zur Entscheidung: Das gerichtliche Rehabilitierungsverfahren 308 1. Der Rehabilitierungsantrag - Grundlagen und Voraussetzungen . . . . . . . . . 308 2. Die Zuständigkeit und Verfahrensgestaltung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . 310 a) Die Zuständigkeit und die Besetzung der Spruchkammern ... . . .... . . 310 b) Die Verfahrensgrundsätze und das Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Die Rehabilitierungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 IV. Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich des StrRehaG . . . . . . . . . . . . 315 l. Strafrechtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
2. Die Entscheidungen staatlicher deutscher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
14
Inhaltsverzeichnis 3. Das Beitrittsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 4. Der zeitliche Bezugsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 V. Die materiellen Voraussetzungen der Rehabilitierung -die Rehabilitierungstatbestände im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
l. Die Generalklausel des§ 1 Abs. 1, 2. Hs. StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Verurteilungen wegen asozialen Verhaltens gemäß § 249 StGB-DDR
322
b) Verurteilungen wegen Beleidigung, Widerstand und Rowdytum . . . . . 323 c) Verurteilungen unter Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . 324 d) Verurteilungen unter Anwendung des Art. 6 Abs. 2 DDR-Verfassung 325 e) Verurteilungen unter Anwendung des Steuerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . 327 f) Verurteilungen wegen Homosexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
g) Verurteilungen unter Verstößen gegen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Der Regelbeispielkatalog des§ 1 Abs. 1, 3. Hs. Nr. 1 StrRehaG . . . . . . . . . 329 a) Die weitgehend unproblematischen Tatbestände des § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit b bis lit e StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 b) Der Rehabilitierungstatbestand des§ 1 Abs. 1 Nr. llit i StrRehaG . . . 331 c) Der Rehabilitierungstatbestand des§ l Abs. 1 Nr. llit g StrRehaG . . 333 3. Der Rehabilitierungstatbestand des§ 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG . . . . . . . . . . 334 D. Die Bewertung des Rehabilitierungsrechts unter Opfergesichtpunkten . . . . . . . . . . 336 I. Die formellen Voraussetzungen des Rehabilitierungsrechts unter Opfergesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
II. Die fehlende Einbeziehung sowjetischer Militärgerichtsentscheidungen . . . . 341 III. Die Rehabilitierungstatbestände unter Opfergesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . 342 § 3 Das geltende Entschädigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
A. Die Vorgeschichte des geltenden Entschädigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 I. Die Entschädigungsregelung unter der Geltung des Kassationsrechts . . . . . . . 347
II. Die Regelung des § 7 Abs. 2 RehaG-DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
Inhaltsverzeichnis
m.
15
Die Entschädigungsregelung des 1. SED-UnBerG vom 29. Oktober 1990 und seiner Nachfolgegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
B. Das Entschädigungsrecht in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 C. Die gesetzlichen Grundlagen des Entschädigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 I. Die Voraussetzungen des Entschädigungsantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 II. Die Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
m.
Die Entschädiungs- und Versorgungsansprüche im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . 357
1. Die Regelung des§ 16 StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 a) Die Rehabilitierungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 b) Die Freiheitsentziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 c) Die Ausschließungsgründe des§ 16 Abs. 2 StrRehaG........ .. ... . .. 360 2. Die Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 a) Die Rechtslage unter dem StrRehaG vom 4. Juli 1997 . . . . . . . . . . . . . . . 363 b) Die Rechtslage unter dem StrRehaG vom 17. Dezember 1999 . . . . . . . 368 3. Die Unterstützungsleistungen nach§ 18 StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 4. Die Versorgungsleistungen wegen haftbedingter Gesundheitsschäden nach § 21 StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 5. Die Hinterbliebenenversorgung nach § 22 StrRehaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 D. Das geltende Entschädigungsrecht unter Opfergesichtspunkten... .. . . .. ... . .... 374 § 4 Mögliche Gründe f"lir die zahlenmäßige Abweichung von positiven Rehabiliüe-
rungsentscheidungen einerseits und der Entschädigungsanträge andererseits . . 377
Zusammenfassung und Schlußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
Sachwortverzeichnis . . . .. . . .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . .. . . .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. 407
Abkürzungen a.A a.a.O. Abs.
anderer Ansicht am angegebenen Ort
AE a.F. AK Alt.
Absatz Alternativentwurf alte Fassung Reihe Alternativkommentar Alternative
Art. AT
Artikel allgemeiner Teil
Aufl. Bd. Bearb.
Auflage Band Bearbeiter
BG
Bezirksgericht
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs frir Strafsachen, amtliche Sammlung
BK
Bonner Kommentar Bundeskriminalamt
BKA BRD Bsp. BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVG bzw. ca. DDR DDR-StGB ders. dies. DRiZ DtZ DuR d.Verf.
Bundesrepublik Deutschland Beispiel besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheiungen des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung Bundesversorgungsgesetz beziehungsweise circa Deutsche Demokratische Republik Strafgesetzbuch der DDR vom derselbe diesselbe(n) Deutsche Richterzeitung Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitung Demokratie und Recht die Verfassetin
Abkürzungen
17
EGStGB
Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. 3. 1974 (BGBI. I 469)
EMRK
Europäische Konvention für Menschenrechte
EuGRZ EV
Europäische Grundrechtezeitschrift
f.
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einiungsvertrag) vom 31. August 1990 folgende (Seite)
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
ff.
folgende (Seiten)
FG Fn. FS
Festgabe Fußnote Festschrift Goldammer's Archiv
GA gern.
gemäß
GG h.M.
herrschende Meinung
Hrsg. i.d.F. i.e.S.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 Herausgeber in der Fassung im engeren Sinne
insb.
insbesondere
IPBPR
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBI. II 1973, 1534
i. S.d. i.V.m.
im Sinne des I der in Verbindung mit
JA
Juristische Arbeitsblätter Journal of Criminal Law and Criminology
JCrim JR
Juristische Rundschau
Jura
Juristische Ausbildung
JuS JZ
Juristische Schulung Juristenzeitung
KG KJ
Kammergericht Kritische Justiz
KK
Karlsruher Kommentar
krit.
kritisch
LG LK
Landgericht Leipziger Kommentar
MDR m.E.
Monatsschrift für Deutsches Recht
MfS
Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR
m.w.N. NJ
mit weiteren Nachweisen Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nationalsozialismus; nationalsozialistisch
NJW NS 2 Blümmel
meines Erachtens
Abkürzungen
18 NSG-Verbrechen
nationalsozialistische Gewaltverbrechen
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
OLG OLGSt
Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (Loseblattsammlung) Protokoll Randnummer Revue international de Crirninologie et de Police Technique
Prot. Rdnr. RevCrimPol Rspr.
Rechtsprechung Seite; Satz
SED s.o.
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands siehe oben Strafgesetzbuch i.d.F. vom ...
s.
StGB StPO
Strafprozeßordnung i.d.F. vom ...
str.
strittig
StrRehaG
Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz im Ersten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz l.SED- UnBerG) vom 29. Okt. 1992 (BGBI. 1992 I, 1814), neu gefaßt durch das vom 4. Juli 1997 (BGBI. 1997 I, S. 1613 ff.)
st.Rspr. StV
ständige Rechtsprechung Strafverteidiger
StVollzG
usw.
Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 (BGBI. 1976 I, 581, 2088 und 1977 I, 436) und andere; unter anderem und so weiter
vgl. VIZ
vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht
z. B.
ZStW
zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
zutr.
zutreffend
u. a.
zit.
ZRP
1. Kapitel
Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung, Opferdefinition und Opfertypologie "Vor allem zeigt sich die ideale Vergangenheitsbewältigung darin, wie den Opfern, den Angehörigen der Opfer und den Helfern der Opfer begegnet wird." Richard Mattbias Müller1
§ 1 Einleitung 40 Jahre SED-Unrecht- zum zweiten Mal innerhalb von nicht einmal 50 Jahren sah sich Deutschland, sahen sich die Deutschen 1990 vor die schwierige Aufgabe gestellt, wie mit den Verantwortlichen, den Handlangern und den Hinterlassenschaften eines totalitären Systems umzugehen, ob und auf welche Weise Vergangenheit zu "bewältigen" ist. Seither sind über 10 Jahre vergangen. Die Diskussionen um eine auf strafrechtlichem Gebiet geführte Vergangenheitsbewältigung - und nur um diese soll es in dieser Arbeit gehen - sind angesichts der ersten Bilanzen noch immer unvermindert im Gange: Strafverfahren gegen Mauerschützen, Parteifunktionäre und SEDRichter, die noch immer nicht abgeschlossen sind, sehen sich teilweise heftiger Kritik ausgesetzt; Amnestie-, Verjährungs- und Schlußstrichdebatten gewinnen mit wachsendem Zeitabstand immer mehr an Gewicht und Beachtung in der Öffentlichkeit; die Ausgestaltung des Rehabiltierungs- und Entschädigungsrecht hinsichtlich der Opfer hat einen vorläufigen Höhe-, aber auch Endpunkt erreicht. "Unser Problem war ja nicht, den westlichen Rechtsstaat zu übernehmen, unser Problem war, daß wir Gerechtigkeit wollten. Und insofern haben wir natürlich dem Westen unsere Probleme vor die Füße gekippt in der Hoffnung, daß mit dem westlichen Rechtsstaat auch Gerechtigkeit in die neuen Länder kommt. Aber es sieht ja so aus, als ließe diese Gerechtigkeit lange auf sich warten." Dieser - wenn auch vielfach verkürzt - zitierte Ausspruch Bärbel Bohleys2 spiegelt sicherlich die Müller: Normal-Null und die Zukunft der deutschen Vergangenheitsbewältigung, S. 76. Aussage B. Bohleys im Rahmen des Ersten Forums des Bundesministers der Justiz am 9. Juli 1991, abgedruckt in: 40 Jahre SED-Unrecht. Eine Herausforderung für den RechtsI
2
2*
20
1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
Empfindungen einiger, vielleicht sogar vieler Ostdeutscher wider. Zu fragen bleibt jedoch, ob und in welchem Maße eine gewisse Resignation der Opfer angesichts der Vorgaben der Strafrechts- und Entschädigungspraxis gerechtfertigt ist. Welche Rolle spielt der Opferaspekt überhaupt im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung, inwieweit beeinflußt er sie sogar? Wie läßt er sich in diesem Zusammenhang eigentlich definieren, wer ist unter den Opferbegriff zu fassen? Und schließlich: Wurde die im Einigungsvertrag, namentlich in Art. 17 EV festgeschriebene staatliche Verpflichtung zur Entschädigung der SED-Opfer ausreichend umgesetzt? Auf diese Fragen versucht die vorliegende Arbeit eine Antwort zu geben. Nicht erwartet werden darf hingegen eine abschließende oder gar allgemein gültige Aussage über die tatsächlichen Wünsche und Bedürfnisse der Opfer. Sie ist aus verschiedenen Gründen nicht zu treffen: zum einen ist die Subjektivität jedes einzelnen Opfers zu berücksichtigen. So sind beispielsweise je nach Art und Schwere der persönlichen Betroffenheit unterschiedliche Reaktionen zu beobachten, was jedoch keinesfalls heißen soll, daß schwereres Unrecht quasi zwingend auch (stärkere) Rache- oder Vergeltungsbedürfnisse hervorruft. Gerade in den ersten Nachkriegsjahren hat sich etwa gezeigt, daß viele der überlebenden Holocaust-Opfer Deutschland mit dem Ziel und Wunsch verließen, das Erlebte möglichst schnell zu vergessen und fern ab von den schrecklichen Geschehnissen ein neues Leben zu beginnen. Andere haben es sich hingegen für den Rest ihres Lebens zur Aufgabe gemacht, das an ihnen verübte Unrecht zu sühnen und jeden potentiellen Tater zur Rechenschaft zu ziehen3 . "Repräsentative" Umfragen oder Befragungen stehen daher aufgrund solcher verschiedenartiger und individueller Ausgangslagen unter dem Vorbehalt mangelnder Reliabilität. Oder um ein Beispiel zu nennen: In einer Ernnid-Umfrage, die im Mai 1992 in Sachsen durchgeführt wurde, äußerten sich 67% der Befragten dahingehend, daß sie die Verfolgung strafbarer Handlungen des SED-Unrechts-Regimes derzeit für richtig halten4 • Im Jahre 1995 ergab eine Umfrage des gleichen Instituts im Auftrag des "SPIEGELS", daß über die Hälfte der Ostdeutschen (54%) einen "Schlußstrich unter die 40 Jahre" befürworten5 . Ist dies auf einen Stimmungsumschwung durch wachsenden Zeitabstand und eine zunehmende Resignation, auf die mögliche Erkenntnis, daß man sich vielleicht zuviel versprochen hatte6 oder allein auf die Art und Weise der Fragestellung bzw. die Auswahl des interviewten Personenkreises zurückzuführen? Die Fragen: "Halten Sie eine strafrechtliche Verfolgung der Tater für notwendig oder richtig" einerseits, "Befürworten Sie einen Schlußstrich" oder "Sollte ein solstaat, Sonderheft der Zeitschrift für Gesetzgebung, München/Frankfurt arn Main 1991, S. 31 f. 3 Vgl. zur unterschiedlichen Haltung von Opferzeugen in den NS-Prozessen: Grabitz: NSProzesse. Psychogramme der Beteiligten, S. 70 f., 80 ff. 4 Weber: GA 140 (1993), 198. 5 Der Spiegel 27 I 1995, 49, zit. auch bei Wolff: DRiZ 1996, 96. 6 Rautenberg: NJ 1995, 617.
§ 1 Einleitung
21
eher gezogen werden" andererseits zielen zwar alle auf das gleiche Kernproblem, sie lassen aber unterschiedliche Antworten zu7 bzw. eine, wenn auch unbewußte, suggestive Steuerung des Befragten nicht unwahrscheinlich erscheinen. Besonders deutlich wurden die unterschiedlichen Opferbedürfnisse in jüngster Zeit auch in den Reaktionen auf die am 21. Januar 1997 unterzeichnete deutschtschechische Versöhnungserklärung, die von einer positiven Resonanz über Skepsis bis hin zu einer Ablehnung reichen 8 • Zum anderen ist - mit dem ersten Punkt korrespondierend - die grundsätzlich nicht gänzlich zu vermeidende "Emotionsgeladenheit" des Themas anzuführen, die den Blick auf die tatsächlichen Befindlichkeiten trübt. Sie wird vor allem anband einer entsprechenden Medienberichterstattung sichtbar: so füllten beispielsweise auch noch lange nach der Wiedervereinigung Reportagen über die Opfer des Staatssicherheitsdienstes und der "Machenschaften" und Vorgehensweisen der informellen Mitarbeiter, sowie regimebedingte Einzelschicksale die deutsche Presse bzw. einschlägige Fernsehmagazine. Jörges kommentierte hierzu: "Die Wahrheitssuche der Opfer und das zynische Enthüllungsgeschäft westlicher Medien sind eine fatale Verbindung eingegangen." 9 Als Gegenpol wird - ähnlich wie bereits in den ersten Nachkriegsjahren- auch heute vielfach der Versuch unternommen, die Täter ihrerseits als Opfer der situativen und ideologischen Umstände oder aber des "Rachedurstes" und der Überlegenheit der politischen und moralischen Sieger darzustellen 10• Der Verweis auf Presse, Funk und Fernsehen kann und soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich diese Emotionalität auch in den täglichen Gesprächen, sei es mit Betroffenen oder unbeteiligten Interessierten widerspiegelt. Und auch das juristische Schrifttum zeigt sich bisweilen, was in Einzelfällen anhand der Diskussionsführung im Rahmen der verschiedenen Problemschwerpunkte spürbar wird, nicht gänzlich unbeeindruckt von persönlichen Empfindungen 11 • Als dritter Faktor ist schließlich die Tatsache zu nennen, daß es sich hier nicht um statische Größen handelt. Wie zum einen die Geschichte der Nachkriegszeit, zum anderen die oben angeführten, wenn auch mit einer gewissen Vorsicht zu genießenden Umfragen zeigen, lassen sich Veränderungen im Stimmungsbild grundsätzlich nicht bestreiten. So spielt vor allem auch die Zeit und somit der wachsende Abstand zu den zu beurteilenden Taten eine bedeutende Rolle. Im Rahmen der 7 So unterscheiden sich beispielsweise gerade die beiden letzten Fragen durch ihren subjektivierten bzw. objektivierten Ansatzpunkt. Das, was objektiv getan werden sollte, und das, was subjektiv befürwortet wird, muß sich und wird sich nicht immer decken. 8 Vgl. hierzu die weiteren Ausführungen im 2. Kapitel,§ 4 BI 5. 9 Jörges: STERN 7/1992, 17 B. 10 Vgl. hierzu ausführlich die Ausführungen unter§ 3 AI 4 dieses Kapitels, sowie die dortigen umfassenden Nachweise. 11 Als ein Beispiel mag hier Bohlander: Hexenjagd- oder: Rechtsbeugung durch Verletzung positiven Rechts? (DRiZ 1991, 445 ff.) dienen.
22
1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ist zudem nicht selten wie an späterer Stelle zu zeigen ist- ein Zusammenhang zwischen der öffentlichen Meinung und den gerade anhängigen oder durchgeführten Strafverfahren bzw. diesbezüglichen politischen Entscheidungen erkennbar. Daher können hier lediglich Tendenzen und Strömungen der verschiedenen Opferbedürfnisse aufgezeigt und analysiert, nicht aber kann ein abschließendes, allen empirischen Erscheinungsformen gerecht werdendes Urteil gefällt werden. Eine persönliche Anmerkung sei am Anfang kurz gestattet: Ich habe mich um größtmögliche Objektivität bemüht. Einer "echten" Westdeutschen wie mir, die ihre ersten Kontakte mit der DDR hauptsächlich dem Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterriebt verdankt, kann eine weitreichende Lektüre und eine entsprechende Medienberichterstattung in den Medien zwar einen Einblick in den politischen und sozialen Alltag der ehemaligen DDR gewähren, persönliche Erfahrungen im Hinblick auf das tägliche Leben in einem totalitären System ersetzen sie jedoch nicht. Aufgrund meines Alters war ich zudem hinsichtlich der NS-Vergangenheit und ihrer Aufarbeitung in den ersten Nachkriegsjahren im wesentlichen auf das Studium von Büchern und die - aus den oben genannten Gründen teilweise allerdings sehr subjektiven und abstrahierten - Berichte der Menschen angewiesen, die diese Zeit selbst miterlebten. Eine solche Distanz zu den Geschehnissen, zu den Opfern, um die es hier vornehmlich geht, aber auch zu den Tätern mag, was die Objektivität betrifft, durchaus von Vorteil sein. Gänzlich zurückdrängen lassen sich subjektive Wertungen und Empfindungen gerade in einem solchen Themenbereich - wie angedeutet - dennoch nicht.
§ 2 Der BegritT der strafrechtlichen
Vergangenheitsbewältigung
Der Begriff der Vergangenheitsbewältigung hat in seiner historischen undjuristischen Ausprägung im wesentlichen erst nach 1945 Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch gehalten. Hier avancierte er - wenn auch teilweise heftiger Kritik ausgesetzt 12 -zu einem Schlagwort für die Aufarbeitung von NS-Unrecht durch die alliierten Siegermächte und vor allem durch die Deutschen selbst. Nach dem 12 Dreier: Rechtsphilophische Aspekte juristischer Vergangenheitsbewältigung in: Zeitschrift für Gesetzgebung 8 (1993), 302 und ders.: Juristische Vergangenheitsbewältigung, S. 11, Wolf!: Geschichtsbewältigung durch Strafrecht? DRiZ 1996, 88 f., Oderslcy: Die Rolle des Strafrechts bei der Bewältigung politischen Unrechts, S. 4, Dencker: Vergangenheitsbewältigung durch Strafrecht? Krit.Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 73 (1990), 310 f., Eser/Amold: Strafrechtsprobleme im geeinten Deutschland in: NI 1993, 249, Müller: Normal-Null und die Zukunft der deutschen Vergangenheitsbewältigung, S. 73.
§ 2 Der Begriff der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung
23
Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung wurde sein Anwendungsbereich schnell auf die anstehende Beschäftigung mit den Hinterlassenschaften der SED-Diktatur ausgedehnt, wodurch heute leicht der Eindruck entsteht, bei Vergangenheitsbewältigung handle es sich vornehmlich um ein typisch deutsches Problem 13 . Die dem Ausdruck zugrundeliegende Idee, der Überwindung eines in der Regel totalitären Regimes mit Hilfe verschiedenartiger Mittel und Mechanismen, ist jedoch bereits recht alt und läßt sich in fast jedem Stadium der Geschichte nachweisen, so z. B. in der Amnestie der siegreichen Athenernach dem Sturz der Oligarchen im Jahr 403 v.Chr., den französischen Massenexekutionen durch die Jakobiner in den Jahren 1793 I 94, in den Enteignungen und Vertreibungen der Großgrundbesitzer, in der Ermordung der russischen Zarenfamilie im Anschluß an die Oktoberrevolution von 1917 oder- um Bespiele aus jüngerer Zeit zu nennen- in der Einrichtung von Kriegsverbrechertribunalen zur Verfolgung von Verbrechen, welche in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien begangen worden waren. Es ließe sich noch eine Reihe weiterer Beispiele anführen, in denen ein Staatsvolk oder eine siegreiche Macht vor der Frage stand, wie mit den Verantwortlichen des ancien regime, ihren Taten und deren Folgen umgegangen werden soH, kann oder gar muß 14• Sie vermögen den Terminus und Inhalt der Vergangenheitsbewältigung zwar in seinen wesentlichen Zügen zu umreißen, definieren ihn aber aufgrund ihrer Vielschichtigkeit noch nicht. Vergangenheitsbewältigung hat etwas mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, regelmäßig infolge eines politischen Umsturzes, zu tun. In der Literatur wird hingegen häufig darauf hingewiesen, daß schon in der Wortwahl selbst ein Widerspruch stecke: Kann Vergangenheit überhaupt - ohne auf die Art und Weise eingehen zu wollen- "bewältigt" werden? Oder bezieht sich "Bewältigung" in ihrer zeitlichen Dimension nicht stets auf etwas Gegenwärtiges mit Blick auf die Zukunft? Bewältigung ist ein psychologischer Vorgang. Während der Begriff selbst im allgemeinen Sprachgebrauch ergebnisorientiert verwendet wird, versteht man in der Psychologie unter dem Stichwort Coping ,,im Deutschen meist die als Bewältigung bezeichnete Auseinandersetzung mit belastenden Ereignissen und Erlebnissen" 15 • Der Ausdruck "Auseinandersetzung", d. h. ein Sich-Befassen mit besonderen Situationen und begrifflich eher tätigkeits- denn erfolgsbe13 Vgl. hierzu z. B. den Titel des von/senseeherausgegebenen Standardwerkes: Vergangenheitsbewältigung durch Recht. Drei Abhandlungen zu einem deutschen Problem. 14 Erwähnt sei lediglich noch ein weiteres Beispiel aus jüngerer Zeit, das ich dem Bereich der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung zuordnen möchte und in dem sich eine mehrere Jahrhunderte überdauerte Sensibilisierung der Opfer widerzuspiegeln scheint: Vertreter von sieben Indiostämmen Honduras' verurteilten den Seefahrer Christoph Kolumbus im Herbst 1998, also 506 Jahre nach der Entdeckung Amerikas, symbolisch zu Tode. Ihm wurde vorgeworfen, "die Ära des Völkermordes, der Grausamkeit und der Sklaverei in größtem Stil eingeleitet" zu haben, "wie sie zuvor in der Geschichte unbekannt waren". Das Todesurteil wurde unmittelbar nach seiner Verkündung durch zwei Bogenschützen vollstreckt, die sechs Pfeile in ein Bild des spanischen Entdeckers schossen (Meldung der Rhein-Neckar-Zeitung vorn 14. 10. 1998, S. 11). 15 Tewes/Wildgrube-Scheer: Psychologie-Lexikon, Stichwort "Coping", S. 61 f., in diesem Sinne auch: Dorsch-Schmidt: Psychologisches Wörterbuch, Stichwort "Coping", S. 138.
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1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
zogen 16, hält nicht nur Kritiken stand, sondern trifft genau das Wesen dessen, was letztlich mit Vergangenheitsbewältigung gemeint ist: die Auseinandersetzung mit zeitlich abgeschlossenen Vorfallen, ihren Ursachen, Folgen, Urhebern und ihren sonstigen Umständen. Sie kann zwar, wie vielfach zurecht vermerkt wird, nicht mehr in den konkreten Geschehensablauf eingreifen oder etwas gar ungeschehen machen; vielfach ist sie jedoch erst nachträglich in ihrer Gesamtheit möglich bzw. sinnvoll. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn alle Umstände, z. B. die zeitliche Einordnung oder die entstandenen Folgen erst ex post überblickt und so richtig bewertet werden können. Grundsätzlich ist eine solche Auseinandersetzung die Voraussetzung für mögliche und notwendige Reaktionen auf die betreffenden Vorkommnisse, für den Umgang mit ihren Folgen, aber auch für das Ergreifen eventueller Präventivmaßnahmen zur Vermeidung einer Wiederholungsgefahr, unabhängig von der Frage, welche Methode hierbei im Einzelfall den Vorzug verdient. Eine als Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verstandene Vergangenheitsbewältigung ist daher per se nicht zu kritisieren. Als strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung kann daher eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit- oder um es mit Brachhagen schlagwortartig ausdrükken zu wollen: die "Beschäftigung mit Relikten des Alten im Neuen" 17 - auf dem Gebiet des Strafrechtes, d. h. mit dessen Instrumentarium, bezeichnet werden. Dreier definiert juristische Vergangenheitsbewältigung als "die Aufarbeitung der Vergangenheit totalitärer Systeme in rechtlich geregelten Verfahren, die auf die Herstellung verbindlicher Entscheidungen gerichtet sind" 18, wobei auch er den gegenüber der Bewältigung neutraleren Terminus der Aufarbeitung zum Gegenstand seiner Definition macht. Das Strafrecht ist hier neben dem Zivil-, Verwaltungs-, aber auch dem Völkerrecht eine mögliche Teildisziplin. Daß Dreier hier den Zusatz der Verbindlichkeit der Entscheidungen anführt, mag im ersten Moment überflüssig erscheinen, ist es doch gerade Ziel und Zweck einer justiziellen Entscheidung, in Rechtskraft zu erwachsen. Diese Tatsache ist jedoch der entscheidende Unterschied zu anderen Formen der Vergangenheitsbewältigung wie z. B. der historischen, mit deren Hilfe lediglich verifizierbare Feststellungen ohne rechtskraftähnliche Wirkung getroffen werden können. Als wesentliches Charaktermerkmal ist es daher durchaus sinnvoll, die Verbindlichkeit in die Definition einzubeziehen. Weit mehr als um den Begriff der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung kreisen die Diskussionen jedoch um die generelle Leistungsfähigkeit des Strafrechts im Hinblick auf die Aufarbeitung der Geschichte bzw. der Vergangenheit. Anknüpfend vor allem an die Erfahrungen im Zusammenhang mit den NS-Prozessen und den bereits abgeschlossenen Verfahren gegen DDR-Funktionäre wird sie 16 Auch Zimbardo (Psychologie S. 490), der Coping als .,Versuch, den Anforderungen unserer Umwelt so zu begegnen, daß negative Konsequenzen vermieden werden", versteht, sieht den Schwerpunkt des Bewältigens in der Tätigkeit ("Versuch"). 17 Brochhagen: Nach Niirnberg, S. 12. 18 Dreier: Juristische Vergangenheitsbewältigung, S. 11, und Zeitschrift für Gesetzgebung 8 (1993), 302.
§ 2 Der Begriff der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung
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teilweise in Frage gestellt 19•20. Im folgenden soll es allerdings nicht darum gehen, die grundsätzliche Leistungsfähigkeit des Strafrechts zu erarbeiten oder aufzuzeigen. Schwerpunkt der Betrachtung ist und bleibt der Opferaspekt, wenngleich die folgenden Ausführungen freilich zumindest implizit einen Beitrag zu der dargestellten Diskussion leisten können. Die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung selbst läßt sich aus Opfersicht in zwei Teilaspekte gliedern. Zum einen stellt sich - auch für die Opfer - die Frage nach dem Umgang mit den Tatern und der Bewertung ihrer Taten. Hier geht es primär um die Problematik von Strafverfahren, ihrer Legitimation und ihrer rechtlichen und praktischen Vorgaben. Des weiteren lassen sich die Diskussionen um Straferlasse und die Verjährung diesem Bereich zuordnen. Schließlich werden in diesem Zusammenhang auch die Fälle der "personellen Säuberungen" diskutiert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein strafrechtliches Problem. Die - zumindest in den Augen der Betroffenen - faktische Verwandtschaft von Strafsanktion und Entlassung aus einem langjährigen Arbeits- und Tätigkeitsbereich "nur" aufgrund der persönlichen Einstellung zu einem herrschenden, wenn auch untergegangenen System oder einer (oft sogar von oben vorgegebenen) ideologisch motivierten Handlungsweise und die vor allem im Zuge der Entnazifizierung praktizierte enge Verknüpfung von "Belastungsgrad" des Betroffenen und Strafverfahren lassen einige kurze Worte notwendig erscheinen, zumal z. B. die Berufung der ehemaligen SED-Rkhterin Rosemarie Will zur Verfassungsrichterin in Brandenburg im September 1996 und der dadurch ausgelöste Unmut zeigen, welche Bedeutung der Frage der personellen Hinterlassenschaften der DDR auch sechs Jahre nach der Wiedervereinigung in der Bevölkerung zukam.
19 Füreine generelle Leistungsfähigkeit des Strafrechts und der Strafverfahren im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung sprechen sich aus: Dreier: Juristische Vergangenheitsbewältigung, S. 37, Fricke: Deutschlandarchiv 28 (1995), 1123 f., Kinkel: Sonderheft der Zeitschrift für Gesetzgebung, S. 6 und JZ 1992, 485 (ff), Limbach: Zeitschrift für Gesetzgebung 1993, 289 ff (299) und anläßlich eines Vortrags in Heidelberg vom 26.Juni 1995 (S. 20), Odersky: Die Rolle des Strafrechts bei der Bewältigung politschen Unrechts, S. 32, Schorlemmer: Freiheit als Einsicht, S. 184, Weber: GA 140 (1993), 229. Fürdie Notwendigkeit von Strafverfahren plädieren auch: Ammer: Deutschlandarchiv 25 (1992), 120, Bohley: Sonderheft der Zeitschrift für Gesetzgebung, S. 34 f., /sensee: Vergangenheitsbewältigung durch Recht S. 108, Lichtenstein: Im Namen des Volkes, S. 17. Die letztgenannten Autoren betonenjedoch deren eingeschränkte Leistungsfähigkeit: das Strafrecht und die Verfahren könnten "nur grobe Dienste" oder "Stückwerk" leisten. Kritisch gegen die Leistungsfähigkeit des Strafrechts äußern sich: Schroeder: DRIZ 1996, 81 ff., Wolf!: DRIZ 1996, 88 ff (95), Burmeister: Sonderheft der Zeitschrift für Gesetzgebung, S. 59, Friedrich: Die kalte Amnestie, S. 177 f., Rohmann: DtZ 1996, 237. 20 In diesem Zusammenhang sei auf eine Aussage des Richters Hofmeyers während der mündlichen Urteilsverkündung im Auschwitz-Prozeß (zitiert nach Werle/Wandres: Auschwitz vor Gericht, S. 88) hingewiesen: Er betonte, daß das Schwurgericht "nicht dazu berufen war, die Vergangenheit zu bewältigen". "Die Länge des Prozesses und die zahlreichen Beweiserhebungen, die durchgeführt wurden, sprechen dafür, daß allein die Erforschung der Wahrheit im Mittelpunkt dieses Verfahrens gestanden hat."
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1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
Neben den Blick auf die Täterseite urnfaßt strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung als zweiten Gesichtspunkt auch den Umgang mit den Opfern des Regimes selbst. Hier geht es vor allem um die Fragen der strafrechtlichen Rehabilitierung und des damit verbundenen Entschädigungsrechts. Kernbereich der Vergangenheitsbewältigung in ihrer letztgenannten Ausprägung ist die Beschäftigung mit justiziellem Unrecht im Hinblick auf die Opfer. Gegenstand der Betrachtung ist allein die angegriffene Entscheidung unter Außerachtlassung einer möglichen Strafbarkeit der an ihr Beteiligten. Beide Aspekte sind daher nicht spiegelbildlich zu verstehen. Zu einer umfassenden Erörterung des Opferaspekts bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung ist somit eine Betrachtung der beiden genannten Komponenten erforderlich.
Zusammenfassung und Ergebnis 1. Unter strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit totalitärer Systeme in rechtlich geregelten Verfahren auf dem Gebiet des Strafrechts zu verstehen, die auf die Herstellung verbindlicher Entscheidungen gerichtet ist. 2. Die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung urnfaßt zwei Teilaspekte, die bei der Erörterung des Opferperspektive zu herlieksichtigen sind: zum einen den Umgang mit den Tätern und ihren Taten, zum andern mit den Opfern selbst im Sinne einer Rehabilitierung und Entschädigung für erlittenes Gustizielles) Unrecht.
§ 3 Opferdefinition und -typologie Neben dem Begriff der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung ist der des Opfers das zweite Schlüsselwort des hier zu erörternden Themenbereiches.
Im täglichen Sprachgebrauch und in den Medien hat er schon lange einen festen Stellenwert gefunden. Man spricht wie selbstverständlich z. B. von Verkehrs- und Unfallopfern, Vergewaltigungsopfern und Opfern anderer Straftaten, den Opfern ihrer Sucht, Selbstrnordopfern, Justizopfern, Opfern der Gesellschaft und der Medien oder, das Thema betreffend, Opfern des Holocaust oder - wie es unter anderem auch der Einigungsvertrag formuliert- den Opfern des SED-Unrechtsregimes.
§ 3 Opferdefinition und -typologie
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A. Opferdefinitionen In der Kriminologie hat der Opferaspekt, obwohl er vom Ansatz her schon sehr lange bekannt ist21 , erst durch die Veröffentlichungen von Hentigs (1948) 22 und Mendelsohns (1956)23 an Bedeutung gewonnen. Seither sind mehrere Versuche unternommen worden, den Begriff des Opfers zu definieren und so für die kriminologische Forschung greifbar zu machen. Zu fragen ist, ob und wie weit diese Definitionen dem Bereich der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung gerecht werden.
I. Der Opferbegriff des Einigungsvertrages Ein erster möglicher Ansatzpunkt zur Definition des Opferbegriffs im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung entstammt jedoch dem Vereinigungsrecht selbst. So sieht Art. 17 des Einigungsvertrages die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur Rehabilitierung solcher Personen vor, "die Opfer einer politisch-motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaatsoder verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung geworden sind". "Diesen Opfern des SED-Unrechts-Systems" soll des weiteren neben der Rehabilitierung eine angemessene Entschädigung zukommen. Im Sinne dieser Norm sind mit anderen Worten unter dem Terminus des SED-Opfers im wesentlichen Justizopfer zu verstehen. Betroffene nicht-gerichtlicher Maßnahmen oder Verfügungen, die sich nicht der Strafverfolgung zuordnen lassen, werden nicht erfaßt. Hier ist vor allem an solche Personen zu denken, die an der innerdeutschen Grenze zu Tode kamen oder unter Denunziation oder der Ausspitzelung durch informelle Stasimitarbeiter zu leiden hatten. Sinn und Zweck des Art. 17 des Einigungsvertrages ist es jedoch nicht, den Begriff des Opfers umfassend definieren zu wollen. Wie aus der Wortwahl, "dieser Opfer des SED-Unrechts-Systems", deutlich wird, gehen auch die Verfasser des Vertrages davon aus, daß es neben der genannten Gruppe weitere Personen gibt, die unter den Begriff des SED-Opfers zu fassen sind. Sie werden lediglich aus dem Kreis der Rehabilitierungs- und Entschädigungsberechtigten herausgenommen. So läßt sich dieser Vorschrift zwar keine erschöpfende Begriffsbestimmung entnehmen, gleichwohl aber ein erstes Beispiel dessen, was unter einem Opfer zu verstehen ist. 21 Parsonage (Perspectives on Victimology, S. 7) spricht im Hinblick auf die Institution der "Blutfehde" und dem Selbsthilferecht des Geschädigten in der Zeit des beginnenden Mittelalters bis hin zum Erstarken der absolutistischen Staatsmacht von einem "goldenen Zeitalter des Opfers". 22 von Hentig: The Criminal and his Victim, vgl. jedoch bereits ders.: Remarks on the Interaction of Perpetrator and Victim, JCrim 31 ( 1940), 303 ff. 23 Mendelsohn: Une nouvelle branche de Ia sciene bio-psycho-sociale: Ia Victimologie, RevCrimPollO (1956), S. 95 ff.
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1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG)24, in dem die in Art. 17 des Einigungsvertrags übernommene Absicht zur Regelung des Rehabilitierungs- und Entschädigungsrechts ihre gesetzliche Umsetzung erfahren hat, erwähnt den Begriff des Opfers lediglich in der Überschrift des 1. Artikels. Ansonsten verwendet es wertneutrale Termini, wie die des Betroffenen (vgl. z. B. §§ 6, 7 Abs. 1, 16 Abs. 1, 21 StrRehaG), des Antragstellers (vgl. z. B. §§ 10 Abs. 2 und 3, 11 Abs. 1 und 4, 14 Abs. 4, 19 StrRehaG), des (Antrags-)Berechtigten (vgl. z. B. §§ 11 Abs. 2, 16 Abs. 2, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 3, 21 Abs. 3, 25 Abs. 1 StrRehaG) oder gar des Leistungsempfängers (vgl. § 21 Abs. 3 StrRehaG)25 .
Im weiteren erweist es sich als sinnvoll, die einzelnen Definitionsansätze des Schrifttums zunächst kurz vorzustellen und zu erläutern. Die Frage ihrer Aussagefähigkeit und Brauchbarkeit im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung soll dann in einem zweiten Schritt erörtert werden.
II. Opferdefinitionen im kriminologischen Schrifttum 1. Das weite Opferverständnis Mendelsohns und Schneiders Mendelsohn 26 geht im Rahmen seines Verständnisses der Viktimologie von einem sehr weiten Opferbegriff aus. So will er grundsätzlich jede Person, die leidet ("Ia victime, c'est-a-dire l'etement qui souffre"27 ), oder- von Eisenberg sehr frei und wohl auch einschränkender übersetzt - ,jede Person, die durch die Verletzung eines Rechtsguts zu Schaden gekommen ist"28 , in seine Betrachtungen einbeziehen, unbeschadet der Frage, wodurch oder durch wen diese Verletzung bedingt wurde. Das Opfer der Straftat wird nach dieser Definition genauso erfaßt wie das Selbstmordopfer29 und das Opfer durch eigene Schuld, wenngleich ihm hier offensichtlich zumindest eine terminologische Unterscheidung ( "Ia grand categorie des autovictimes "30) angebracht erschien. Die von Mendelsohn befürwortete Begriffsbestimmung umschreibt zwar ein wesentliches Element dessen , was das Opferwerden gemeinhin kennzeichnet. In der kriminologischen Forschung ist sie jedoch aufgrund ihrer Weite nicht praktikabel und führt mitunter- wie von vielen Kritikern zu Recht angemahnt wird31 -in The-
24 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) vom 4. Juli 1997, BGBI. 1997 I, 1613 ff. 25 Vgl. hierzu die Ausführungen im 3. Kapitel§ 2 C II. 26 Grundlegend in Mendelsohn: Une nouvelle branche de Ia sciene bio-psycho-sociale: Ia Victimologie, RevCrimPol!O (1956), S. 95 ff. 27 Mendelsohn: a. a. 0., S. 96. 28 Eisenberg: § 1 Rdnr. 15. 29 Mendelsohn: a. a. 0., S. 106. 30 Mendelsohn: a. a. 0., S. 109. 31 Eisenberg: § 1 Rdnr.l5, Kiejl/ Lamnek: Soziologie des Opfers, S. 34.
§ 3 Opferdefinition und -typologie
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menbereiche, die für die Kriminologie entweder von geringem oder keinem Interesse sind. Eine fast identische Formulierung läßt sich jedoch auch bei Schneider finden. Er beruft sich ebenfalls auf den ursprungliehen Sinn des Wortes und definiert das Opfer als "Person, die durch das Verhalten anderer leidet, verletzt oder zerstört wird"32• Der wesentliche Unterschied zu Mendelsohn liegt allerdings in der grundsätzlichen Beschränkung auf eine Fremdschädigung. Mit der (expliziten) Einbeziehung z. B. von Opfern der Gesellschaft in diesen Begriff verliert er hingegen kaum etwas an Weite. Schneider differenziert im folgenden jedoch nach einer Viktimologie in einem engeren und in einem weiteren Sinne. Gegenstand der letzteren sei das Opfer in dem soeben dargestellten Verständnis. Kriminologische Bedeutung habe primär das Opfer einer Straftat als Bezugspunkt der Viktimologie im engeren Sinne. Die Begrenzung der Sichtweise allein auf diesen Bedeutungsinhalt greife jedoch zu kurz, so daß auch im Rahmen der kriminologischen Forschung nicht auf die Beriicksichtigung derjenigen Opfergruppierungen, die (allein) der Viktimologie im weiteren Sinne zuzuordnen sind, verzichtet werden dürfe. 2. Konfliktorientierte Ansätze
Analog zu einer marxistisch, d. h. am Klassenkampf orientierten Kriminalitätstheorie versteht Quinne/3 das Opfer als Produkt eines Definitionsprozesses der herrschenden Klasse. Eine Handlung werde deshalb als kriminell bezeichnet, weil eine bestimmt Person oder Gruppe als Opfer charakterisiert wird. So sei das "Gerede vom Opferwerden" allein eine Waffe der Mächtigen. Dieser Ansatz vermag zwar den Prozeß des "Opferwerdens" zu beschreiben, nicht jedoch die Frage zu klären, welche Kriterien an die Opfereigenschaft im Rahmen einer solchen Zuschreibung anzulegen sind. 3. Interaktionistische Definitionsversuche Von Hentig 34 kennzeichnet die Beziehung zwischen Täter und Opfer als lnteraktionsprozeß, als - wenn auch unbewußte - Wechselbeziehung hinsichtlich kriminalitätsverursachender Elemente. Ähnlich sieht auch Göppinge?5 das Opfer in seiner
32 Sieverts I Schneider-Schneider: Handwörterbuch der Kriminologie, Stichwort: VIktimologie, S. 532. 33 Quinney: Class, State an Crime 1980. 34 von Hentig: JCrim 31 (1940/41), 303 ff. 35 Göppinger: Kriminologie, S. 594.
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1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
Umwelt dem Täter in dessen sozialen Bezügen gegenübergestellt, wobei das jeweilige Gegenüber in das soziale Umfeld des anderen eingebunden sei. Eine solche Beschreibung des Täter-Opfer-Verhältnisses, sicherlich eines der Kernbereiche der viktimologischen Forschung, gehtjedoch über eine bloße Definition des Opfers hinaus; sie setzt sie bereits voraus.
4. Strafrechtsorientierte Opferdefinitionen
Um den Begriff des Opfers im Rahmen der Kriminologie faßbar zu machen, wurde und wird auch heute noch vielfach versucht, den Gegenstand der Viktimologie als Gegenstück zu der täter- und tatbezogenen Forschung mit dem Terminus des Verbrechens in Verbindung zu setzen, d. h. den Opfer- vom Verbrechensbegriff her zu bestimmen bzw. rechtliche Maßstäbe zum Inhalt der Definition zu machen. So will Zip/6 alle von einer Straftat Betroffenen erlaßt wissen, unabhängig davon, ob sie selbst Träger des geschützten und verletzten Rechtsguts oder zum Kreis der Strafantragsberechtigten zu zählen sind. Paasch37 hingegen beschränkt sich auf solche Personen, die in einem von der Rechtsordnung geschützten Rechtsgut verletzt wurden. Diese Definition liegt im wesentlichen auch der Vorstellung von Hentigs zugrunde, der allerdings neben dem objektiven Element der Rechtsgutverletzung ein diesbezügliches subjektives Empfinden von Schmerz und Unlust fordert. Ein enger Opferbegriff wird auch von Kiefl und Lamnek vertreten. Nach ihrer Definition sind all jene Personen, Gruppen oder Organisationen Gegenstand der Viktimologie, "die durch eine strafbare Handlung eines oder mehrerer Täter einen wahrnehmbaren (aber nicht notwendigerweise auch tatsächlich wahrgenommenen) Schaden erleiden"38• Eine entsprechende Formulierung findet sich bei Schneider im Rahmen seiner Viktimologie im engeren Sinne, wobei er nicht allein auf eine Schädigung oder gänzliche Zerstörung, sondern auch auf eine bloße Gefährdung aufgrund einer Straftat abstellt39• Auch Mergen scheint sich der Auffassung Schneiders im wesentlichen anzuschließen, wenn er das Opfer schlagwortartig als "Objekt eines kriminellen Angriffs"40 bezeichnet. Grundsätzlich ist jedoch anzumerken, daß gerade in kriminologischen Lehrbüchern nur selten ein umfassender Versuch unternommen wird, das Opfer zu definieren. Dies mag in einem solchen Rahmen, der sich mit allen wesentlichen Aspekten der Kriminologie auseinanderzusetzen hat, verständlich erscheinen. 36 37
38 39 40
Zipf MschKrim 53 (1970), 3. Paasch: Grundprobleme der Viktimologie, S. 4 f. Kiefl/ Lamnek: a. a. 0., S. 32. Sieverts I Schneider-Schneider: a. a. 0 ., S. 533. Mergen: Kriminologie, S. 136.
§ 3 Opferdefinition und -typologie
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Nicht selten beschränkt man sich, nach einer kurzen Darstellung der hier dargelegten Auffassungen, auf das Opfer der Straftat als essentiellem Gegenstand der kriminologischen Betrachtung. Die Frage, ob ein solches Opferverständnis den kriminologischen Bedürfnissen gerecht wird, wird so zu der Frage, ob die Anlehnung an einen rein formellen Terminus des Verbrechens im Sinne von§ 12 StGB diesen Bedürfnissen Genüge tut. Eine Argumentation pro und contra hinsichtlich dieser formalisierten, d.h an den Normen des Strafrechts orientierten Auffassung deckt sich somit mit der im Schrifttum noch immer nicht ausgestandenen Diskussion um die Berechtigung eines eigenständigen kriminologischen Verbrechensbegriffs41 . Kurz zusammengefaSt geht es hierbei zum einen um die Abhängigkeit der Kriminologie von den Strafrechtsnormen, strafrechtlichen Wertungen und deren Wandel sowie die Nichterfaßbarkeit "bloßen" sozial abweichenden oder sozialschädlichen Verhaltens, zum anderen um die Vermeidung subjektivierter und in vielerlei Hinsicht nicht erfaßbaren Bestimmung dessen, was unter Sozialschädlichkeit und sozialer Abweichung zu verstehen ist, die Vermeidung von "Ad-hoc-Entscheidungen" hinsichtlich "zeitgebundener Ideen"42 , die Feststellung, daß es einen Kernbereich strafbaren Unrechts gibt, der sich im Laufe von Jahrhunderten nicht oder kaum verändert hat, und den Grundsatz, daß auch in der kriminologischen Betrachtung nichts als Verbrechen charakterisiert werden darf, was nicht gesetzlich als solches definiert ist (Art. 103 Abs. 2 GG: "Nullum crimen sine lege").
111. Opferdefinition und strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung Vergegenwärtigt man sich im Hinblick auf eine Opferdefinition die beiden Seiten der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung, den tat- und täterbezogenen Aspekt auf der einen, die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer auf der anderen, so enthält Art. 17 des Einigungsvertrages die Legaldefinition für letztere. Es wurde jedoch bereits angedeutet, daß Art. 17 des Einigungsvertrages lediglich eine rechts- und verfassungswidrige Entscheidung bzw. eine politisch motivierte Strafverfolgungsmaßnahme voraussetzt, nicht hingegen eine Straftat, wenn in Einzelfällen auch der Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt sein mag. Ein rein am Strafrecht orientierter Opferbegriff, wie er z. B. von Kiejl und Lamnek oder Schneider vertreten wird, läßt sich hingegen allenfalls für die erstge41 Grundlegend zum einem natürlichen Verbrechensbegriff: Garofalo: La Criminologie, S. 1 ff., zur Theorie des abweichenden Verhaltens: Mannheim: Vergleichende Kriminologie, S. 34 f., Mergen: Die Kriminologie, S. 20, zur Theorie der Sozialschiidlichkeit: Hurwitz: Criminology, S. 372 m. w. N., zum strafrechtlichen Verbrechensbegriff: Sutherland/Cressey: Principles of Criminolgy, S. 4, Sieverts/Schneider-Hess a. a. 0. S. 310. Zum Streitstand siehe: Eisenberg: § 1 Rdnr. 22 ff, Kaiser§ 26, S. 182 ff. 42 Kaiser: § 26, 5, S. 192.
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1. Kap.: Strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung
nannte Seite heranziehen, dem gesamten Bereich der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung wird er jedoch nicht gerecht. Betrachtet man diesen ersten Teilaspekt jedoch isoliert, so geht es hier allein um die Bewertung einer strafrechtlich relevanten Handlung. Bloße sozialschädliche Verhaltensweisen sind nicht Gegenstand einer strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung, wenngleich sie im Rahmen anderer Formen der Auseinandersetzung mit dem Geschehenen, z. B. auf historischer Grundlage, Bedeutung erlangen können. Man mag nicht abstreiten können, daß auch solche Mitglieder der ehemaligen DDR-Volksgemeinschaft, die nicht unmittelbar oder mittelbar durch eine Straftat betroffen wurden, mitunter ein berechtigtes Interesse am Umgang mit den Tatern des Regimes zeigen. Sie aber nur deswegen in den Kreis der im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung zu berücksichtigenden Opfer einzubeziehen, führt zu weit. Die Anlehnung an den engen Opferbegriff, der sich an den Normen des Strafrechts orientiert, ist daher für diesen Teilbereich gerechtfertigt. Faßt man beide Blickwinkel zusammen, das Opfer einer Straftat auf der einen, das Opfer einer rechts- und verfassungswidrigen Entscheidung bzw. einer politischen Verfolgung auf der anderen Seite, so wohnt beiden das Merkmal des "Unrechts" bzw. - konkreter formuliert - einer erlittenen Unrechtshandlung inne. Als Opfer im Sinne der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung kann man somit als vorläufiges Zwischenergebnis - eine Person, Gruppe oder Organisation definieren, die durch eine Unrechtsmaßnahme in Form eines strafrechtswidrigen Tuns oder Unterlassens, einer rechtsstaats- oder verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung oder unter Verfolgung nicht anerkannter Zwecke gef> sind. Letztlich war ihm das Ergebnis wichtiger als eine rechtsstaatliehen Anforderungen nicht entsprechende Begründung, denn diese Entscheidung hat für alle weiteren Urteile, die sich mit dem in der DDR begangenen Unrecht befassen müssen, präjudizielle Wirkung."368
Angesichts der bereits angesprochenen "zweispurigen" Argumentation des Bundesgerichtshofs (Radbruch 'sehe Formel und menschenrechtsfreundliche Auslegung) und der auch durch die Entscheidung vom 20. März 1995 369 nicht restlos beseitigten Bedenken läßt sich der von Dannecker erhobene Vorwurf nicht vollständig von der Hand weisen. Für den hier interessierenden Zusammenhang ist er auf jeden Fall - ungeachtet seiner tatsächlichen Berechtigung im Hinblick auf die BGH-Rechtsprechung- ein ernstzunehmender Hinweis auf eine mögliche Beeinflussung der Abwägung von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, von gesetzlichem Unrecht und übergesetzlichem Recht durch Opfergesichtspunkte im Rahmen der Radbruch 'sehen Formel. Ein weiterer Anknüpfungspunkt der Radbruch 'sehen Formel an mögliche Opferaspekte, der eine Brücke zu ihrer Anwendung schlägt, ist die Frage ihrer grundsätzlichen rechtlichen und tatsächlichen Notwendigkeit.
367 368 369
Dreier: Kaufmann-FS, S. 66. Dannecker: Jura 1994, 594. BGH NJ 1995,539.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
bb) Das Verhältnis von Radbruch'scher Formel und Rückwirkungsverbot
Eine der wesentlichen Fragen, die sich im Zusanunenhang mit der Radbruch 'sehen Formel stellt, ist die Frage nach der Notwendigkeit einer Konfliktlösung zwischen dem positiven Recht und der Rechtssicherheit einerseits und der Gerechtigkeit, wie sie Radbruch in seiner Formel versteht, andererseits, also letztlich die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis von Radbruch 'scher Formel und Rückwirkungsverbot Wie ist dieses Verhältnis ausgestaltet? Wie läßt sich der nicht selten zunächst augenscheinliche Widerspruch von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit lösen? Welche Konsequenzen zieht die Rechtsprechung hieraus für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts? Und schließlich: Was bedeutet dies im konkreten Fall für einzelne Opferaspekte? Im folgenden sollen zunächst die erstgenannten Fragen einer genaueren Prüfung unterzogen werden, ehe in einem zweiten Schritt auf die einzelnen Opferaspekte eingegangen wird. Die Frage nach der Notwenigkeit einer Konfliktlösung zwischen dem positiven Recht und der Rechtssicherheit einerseits und der Gerechtigkeit andererseits beantwortet Radbruch in seinem grundlegenden Aufsatz selbst: "Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung «Gesetz ist Gesetz>> den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts. ( .. . ) Freilich: einen Wert führt jedes positive Gesetz ohne Rücksicht auf seinen Inhalt mit sich: es ist immer noch besser als kein Gesetz, weil es zum mindesten Rechtssicherheit schafft. Aber Rechtssicherheit ist nicht der einzige und nicht der entscheidende Wert, den das Recht zu verwirklichen hat. Neben die Rechtssicherheit treten vielmehr zwei andere Werte: Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit. ( ... ) Wir haben Gerechtigkeit zu suchen, zugleich die Rechtssicherheit zu betrachten, da sie selber ein Teil der Gerechtigkeit ist, ( ... )." 370
Bereits diese Formulierung Radbruchs zeigt, daß die Rechtssicherheit und Gerechtigkeit zwei sich überschneidende Kreise bilden: Die Rechtssicherheit verkörpert einen Teil der Gerechtigkeit, der (lediglich) im "Ernst-", d. h. im Konfliktfall, hinter diese zurückzutreten hat. Wie bereits mehrfach angesprochen wurde, ist von einem solchen Konfliktfall auszugehen, wenn der Widerspruch zwischen dem geschriebenen Recht und der Gerechtigkeit ein "unerträgliches Maß" erreicht, das geschriebene Recht wegen eines eklatanten Verstoßes insbesondere gegen Menschenrechte nicht mehr hingenommen werden kann. In diesem Fall ist, um es mit den Worten Leichts auszudrücken, der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor der formellen einzuräumen371. Was bedeutet diese noch sehr allgemein gehaltene Aussage nun konkret für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts? Die Antwort scheint zunächst leicht zu sein: 370 371
Radbruch: a. a. 0 ., S. 88, 93. Leicht: Die Zeit vom 15. November 1996, S. 1.
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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Handelte es sich bei den geschriebenen Normen des DDR-Rechts- und hier soll im folgenden im wesentlichen auf § 27 DDR-GrenzG Bezug genommen werden um extremes Unrecht, so haben sie nach dem Vorgesagten der Gerechtigkeit zu weichen; das Vertrauen in die Unrechtsordnung wäre nicht schutzwürdig, die Täter könnten also ohne offenen Bruch mit rechtsstaatliehen Grundsätzen strafrechtlich verfolgt werden. Ganz so einfach ist die Antwort jedoch nicht, wirft sie ihrerseits doch wieder neue Fragen auf. So ist in diesem Zusammenhang zunächst zu prüfen, ob sich das Rückwirkungsverbot überhaupt auf Rechtfertigungsgründe wie § 27 DDR-GrenzG erstreckt. Täte es dies nicht, so wäre eine Kollision von Art. 103 Abs. 2 GG und der Radbruch'schen Formel bei ihrer Anwendung auf Rechtfertigungsgründe wie § 27 DDRGrenzG per se ausgeschlossen, eine Bestrafung der Täter also ohnehin ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG möglich. Während sich der Bundesgerichtshof für eine Einbeziehung der Rechtfertigungsgründe in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG ausspricht, sind die Stimmen im Schrifttum geteile72. Wenngleich das Argument des BGH, das Verhältnis von Tatbestand und Rechtfertigungsgrund sei "unter Umständen nur technischer Natur"373 - wie Kaufmann zu Recht einwendet374 - nicht vollends überzeugt, so ist es letztlich doch das Zusammenspiel von Tatbestand und Rechtfertigung, das die Strafbarkeit des Täters bestimmt: Jede Änderung sowohl des Strafgesetzes, als auch eines gegebenen Rechtfertigungsgrundes nimmt Einfluß auf die konkrete Strafbarkeit, so daß sich im Hinblick auf ihre Auswirkung zwar rechtliche, jedoch keine faktischen Unterschiede für den jeweiligen Täter ergeben. Es sprechen daher durchaus gute Gründe dafür, Art. 103 Abs. 2 GG auf die Rechtfertigungsebene zu erstrecken. Doch selbst wenn man Rechtfertigungstatbestände grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG einbeziehen möchte, so bedeutete dies noch nicht zwingend die Geltung des Rückwirkungsverbotes in dem hier zu betrachtenden Themenbereich. So sieht beispielsweise Lorenz den Schutzgehalt des Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich bereits durch die Absichtserklärung der beiden deutschen Staaten im Einigungsvertrag, das DDR-Unrecht aufzuheben, eingeschränkt375 . 372 BGH NJW 1993, 147. Für eine Erstreckung des Art. 103 Abs. 2 GG auf die Rechtfertigungsgründe sprechen sich insbesondere aus: BK-Rüping: Art. 103 Abs. 2 Rdnr. 50, Maunz/ Dürig-Schmidt-Aßmann: Art. 103 Abs. 2 Rdnr. 255, jeweils mit einer ausführlichen Darstellung des Streitstandes. 373 BGH NJW 1993, 147. 374 Kaufmann: NJW 1995, 83. 375 Lorenz: JZ 1994, 392 ff. Dieser Auffassung kann- in Anlehnung an Dannecker (Jura 1994, 593)- entgegengehalten werden, daß der Einigungsvertrag in erster Linie die Frage des anzuwendenden Rechts regelt. Auf die Nichtgeltung bestimmter rechtsstaatlicher Prinzipien kann hingegen nicht geschlossen werden, zumal der Rekurs auf§ 2 StGB und der dort aufge-
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
Auch Alexy tritt - wenn auch mit einer nicht zu vergleichenden Begründung - für eine restriktive Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG ein. Nach seiner Ansicht sei extremes Unrecht regelmäßig auch evidentes Unrecht. Wo es offen zutage trete, sei ein Vertrauen in die uneingeschränkte Gültigkeit eines Gesetzes und dessen Fortbestand nicht schutzwürdig376• In ähnlicher Weise, vor allem hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Vertrauens, argumentiert auch der BGH, der sich im Verhältnis von Auslegung und fehlender Rechtsgeltung letztlich auf eine Art Umkehrschluß beruft: ,,Das würde sich erst recht zeigen, wenn ein Gesetz so pervertiert war, daß eine menschenrechtsfreundliche Auslegung überhaupt nicht in Betracht kam. In Fällen dieser Art könnte Art. 103 Abs. 2 GG nicht die Bestrafung hindern. Das folgt aus der Erwägung, daß eine Freistellung von Strafbarkeit, die derart gegen die Menschenrechte verstößt, von vornherein unwirksam ist, also überhaupt nicht Recht geworden ist. Auch wäre es unverständlich, wenn der Schutz des Rückwirkungsverbots unter derart extremen Verhältnissen eingreifen würde, während bei noch bestehender Möglichkeit menschenrechtsfreundlicher Gesetzesinterpretation die Schutzvorschrift des Art. 103 Abs. 2 GG nicht anwendbar wäre."377
Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Die Anwendung der Radbruch 'schen Formel, d. h. die "Unwirksarnkeitserklärung" geschriebenen Rechts aufgrund einer Unvereinbarkeit mit der Gerechtigkeit verstößt nach Ansicht des BGH trotz der Geltung des Rückwirkungsverbotes im Rahmen der Rechtfertigungsgründe nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG und ermöglicht so die rechtsstaatskonforme Bestrafung der Täter. Zu einem analogen Ergebnis gelangt auch das Bundesverfassungsgericht, das im Gegensatz zum Bundesgerichtshof deutlich von einer Zurückdrängung des Vertrauensschutzes spricht378• Die oben geschilderten Begründungsansätze der Gegenmeinungen, die sich gegen die grundsätzliche Anwendbarkeit der Radbruch 'sehen Formel wenden bzw. einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG als gegeben ansehen, unterscheiden sichwie dargelegt- im einzelnen erheblich. So begründet z. B. Dannecker die Verletzung des Verfassungsgrundsatzes durch eine Anknüpfung an ungeschriebene bzw. nicht in innerstaatliche Normen transferierte Menschenrechte379• Auch Jakobs hält der Rechtsprechung entgegen, die durch die Unwirksamkeit der Norm entstandene Lücke naturrechtlich zu füllen und eine Strafbarkeit auf diese Weise "ohne positives Gesetz" zu begründen380• Gegenstand der Betrachtung könne darüber hinaus lediglich das Gesetz in seiner empirischen Ausgestaltung, in seiner realen Handhabung sein: ,,Die empirisch wirkliche Macht, die Dauer verspricht, ist zu beachtragenen Beachtung des milderen Rechts bereits auf mögliche Rückwirkungsprobleme Rücksicht genommen wird. 376 Alexy: a. a. 0., S. 33. Gleichwohl hält auch er nur Exzeßtaten für strafbar. m BGH NJ 1995, 541. 378 BVerfG NJW 1996,930 f. 379 Dannecker: Jura 1994, 590. 380 Jakobs: GA 1994, 12.
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ten"381 . Letzteres wird ebenfalls von Schlink aufgegriffen, der die Konzeption des Rechtsphilosophen dem Vorwurf aussetzt, aufgrund der Außerachtlassung der Wirklichkeit von einem falschen Rechtsbegriff auszugehen382. Trotz aller Argumentationsunterschiede sehen eine Reihe der genannten Autoren - ähnlich wie eine Vielzahl von Stimmen, die die grundsätzliche Linie der Rechtsprechung befürworten, in der konkreten Begrundung und Anwendung der Radbruch 'sehen Formel hingegen abweichen- eine Strafbarkeit der Mauerschützen jedoch in den Fällen gegeben, in denen eine Strafbarkeit der Mauerschützen unter dem Aspekt eines Exzesses bereits zur Tatzeit und nach Maßgabe des DDR-Rechts gegeben war, obwohl sie in der Praxis unverfolgt blieb. Für beide Auffassungen, die sich auf die Anwendung der Radbruch 'sehen Formel und die grundsätzliche Betroffenheit, ja sogar mögliche Verletzung des Rückwirkungsverbotes beziehen, lassen sich durchaus gute Argumente anführen. Sie zeigen, daß der vorliegende Themenkomplex zu Recht nicht unumstritten oder gar eindeutig aufzulösen ist. So kann als mögliche Stütze der Rechtsprechung vor allem die Entstehungsgeschichte und die Kernaussage der Radbruch'schen Formel herangezogen werden: Wenn ein Gesetz, das in einem unerträglichen Maße gegen die Gerechtigkeit verstößt, ,jeder Rechtsnatur entbehrt"383, dann ist es von Anfang an und somit auch zur Tatzeit rechtlich unwirksam (gewesen); die Tat war also mangels einer Rechtsgeltung der Rechtfertigungsnorm bereits bei ihrer Begehung strafbares Unrecht. In diesem Sinne besitzt die Anwendung der Formel keinen rechtsgestaltenden, sondern lediglich einen feststellenden Charakter. Eine Rückwirkung bzw. die ruckwirkende Einführung einer Strafbarkeit kann sich demzufolge nur dann ergeben, wenn man auch die tatsächliche Handhabung einer (rechtlich unverbindlichen) Norm in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG einbezieht. Die Rückwirkungsproblematik wird auf diese Weise auf ihren Vertrauensschutzgehalt reduziert. Der BGH bedient sich an dieser Stelle der Argumentation Alexys, in dem er dem Vertrauen in den Fortbestand und die Geltung einer offensichtlich unrechten Norm seine Schutzwürdigkeit abspricht384, mag mit ihrer Eihaltung auch ein Vorteil (z. B. eine Belobigung) verbunden sein. Diese Ansicht wird des weiteren dem Faktum gerecht, daß es den Machthabern des jeweiligen Regimes sonst in die Hand gegeben wäre, die Strafbarkeit ihrer eigenen Handlungen durch entsprechende gesetzliche Haftungsfreistellungen zu regeln. Insofern ist nicht zu verleugnen, daß eine Verneinung des Rückwirkungsverbotes in einem solchen Falle - was auch von den Gegenstimmen bisweilen angemerkt wird385 - dem allgemeinen Gerechtigkeits- oder Jakobs: GA 1994,6. Schlink: NJ 1994, 435 f. 383 Radbruch: a. a. 0., S. 89. 384 BGH NJ 1995, 541. Gleichwohl berücksichtigt der Bundesgerichtshof das individuelle Maß des Vertrauens in die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes im Einzelfall im Rahmen der Irrtumsproblematik auf der Schuldebene. 385 Vgl. z. B. Dannecker: Jura 1994,594. 381
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Rechtsempfinden entspricht. Dies allein kann jedoch nicht ausschlaggebend sein. Daneben kann vor allem Jakobs entgegengehalten werden, daß auch in totalitären Regimen wie der DDR Tötungsdelikte ausnahmslos strafbar, wenn auch im Einzelfall gerechtfertigt waren. Bei einem Wegfall der Rechtfertigung entsteht so -wie der Gerichtshof zu Recht betont- kein "normatives Vakuum", das mit naturrechtliehen Grundsätzen auszufüllen ise86 Auf der anderen Seite bleibt die Frage offen - und dies ist m.E. die Kernfrage im Rahmen der Anwendung der Radbruch 'sehen Formel auf das DDR-Unrecht -, ob der Bundesgerichtshof und letztlich auch das Bundesverfassungsgericht mit ihrer Rechtsprechung dem von ihnen selbst erkannten Vertrauensschutz des Art. 103 Abs. 2 GG tatsächlich Rechnung getragen haben. Jakobs und im Ergebnis auch Schlink verneinen dies: wie dargelegt, kann nach ihrer Auffassung allein die empirische Wirklichkeit der Norm Beachtung finden 387• Dem istjedoch einschränkend zu erwidern, daß Recht zwar in der Tat von seiner tatsächlichen Umsetzung lebt, vielfach durch diese charakterisiert wird und dies auch der BGH durch einen Bezug zu der tatsächlichen Staatspraxis nicht verkenne 88, es ist jedoch nicht vollständig von seinen dogmatischen Vorgaben zu lösen. Wie Kaufmann richtigerweise ausführt, ist somit von entscheidender Bedeutung, ob die Grenzsoldaten damit rechnen oder zumindest vermuten konnten, strafbares Unrecht zu begehen und dafür einmal zur Verantwortung gezogen werden zu können389• Sicherlich ist der Ausgangspunkt des BGH, das Vertrauen in eine offensichtlich menschenrechtswidrige Rechtsordnung verdiene keinen Schutz, auf den ersten Blick einsichtig. Aber: hat § 27 DDR-GrenzG- will man mit dem Gerichtshof einen Verstoß gegen die Menschenrechte bejahen - die Grenze der Offensichtlichkeit erreicht, die eine Aufgabe des Vertrauensschutzes vorliegend rechtfertigt? Hier sind zwei Aspekte anzuführen: Zum einen wird von gewichtigen Stimmen des juristischen Schrifttums - wie dargelegt - geltend gemacht, daß das Grenzregime einerseits nicht an Normen des Internationalen Paktes für Bürgerliche und Politische Rechte gemessen werden könne, andererseits sogar fraglich sei, ob es völkerrechtlich überhaupt beanstandet werden bzw. welche Auswirkungen ein solcher Verstoß in strafrechtlicher Hinsicht überhaupt entfalten könnte. In einer Gesamtschau der diese Themenkomplex betreffenden Literatur bleibt festzuhalten, daß sich gut die Hälfte der Autoren (aus verschiedenen Griinden) gegen eine Qualifikation des § 27 DDR-GrenzG als gesetzliches Unrecht aussprechen. Sind nicht
386 BGH NJ 1995, 541, sowie BVerfG NJW 1996, 931, entgegen Jakobs: GA 1994, 11 f., ders.: Strafrecht, S. 121. 387 Jakobs: GA 1994,9, Schlink: NJ 1994,435 f. 388 Vgl. BGH NJW 1993, 146: "Der im DDR-Recht vorgesehene, in § 27 DDR-GrenzG bezeichnete Rechtfertigungsgrund hat deswegen von Anfang an in der Auslegung, die durch die tatsächlichen Verhältnisse an der Grenze gekennzeichnet war, keine Wirksamkeit gehabt." Vgl. hierzu auch: BGH NJW 1993, 1935. 389 Kaufmann NJW 1995, 84 f.
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schon aus diesem Grund an dessen rechtlich relevanter Offensichtlichkeit390 begründete Zweifel anzumelden? Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Die Frage, ob§ 27 DDR-GrenzG gegen Art. 12 und Art. 6 IPBPR verstößt, wie es der BGH annimmt, ist damit nicht geklärt. Entscheidend ist allein, ob der vom BGH angenommene Verstoß in einer offensichtlichen und "extremen" Art und Weise zutage trag, die eine Anwendung der Radbruch'schen Formel unter einer Aufgabe des Vertrauensschutzes rechtfertigen könnte. Hier ist nochmals auf die völkerrechtlichen Einwände hinzuweisen: Art. 12 IPBPR wird nicht vorbehaltlos gewährt. Wie der Bundesgerichtshof seinerseits anerkennt, ist das Recht auf eine Ausreise auch nach der bundesdeutschen Verfassung nicht als eigenständiges Grundrecht garantiert. Vielmehr sei der Gesetzgeber von der dem sozialistischen Staatsdenken nicht unähnlichen "Besorgnis" geleitet worden, "die arbeitsfähigen Jahrgänge würden in unerwünschten Maße auswandern"391 . Zudem könne ein extensives Paßwesen und eine Beschränkung der Ausreisefreiheit auch in anderen Staaten nachgewiesen werden. In Anlehnung an den BGH wird auch von kritische Völkerrechtlern anerkannt, daß der Ausnahmevorbehalt des Art. 12 Abs. 3 IPBPR durch die Staatspraxis der DDR in sein Gegenteil verkehrt wurde und sich aus diesem Gesichtspunkt eine Verletzung der normierten Garantie begründen läßt. Maßgebend ist jedoch, wie und ob sich diese Verletzung auswirkt. Dies zielt zum einen auf de Frage ab, ob die Staatsführung der DDR tatsächlich an die strengen Vorgaben des Art. 12 Abs. 3 IPBPR trotz einer fehlenden Umsetzung des Paktes gebunden war. Zum anderen bleibt inhaltlich unbeantwortet, ob ein solcher Verstoß, wie er sich in der DDR darstellte, "extremes" Unrecht begründet. Letzteres scheint mir aufgrund der gesetzlich relativ "schwachen" Ausgestaltung der Ausreisefreiheit sowohl im Grundrechtskatalog der BRD, als auch im europäischen Umfeld nicht (zwingend) der Fall zu sein. Meines Erachtens kann jedoch gerade im Hinblick auf die genannte Praxis der übrigen Ostblockstaaten, die eine ähnlich extensive Ausreisebeschränkung vorweisen, sowie die grundsätzliche Auffassung des BGH, das Unrecht ergebe sich letztlich erst aus einer Summierung des Paß- und Ausreisewesens in Verbindung mit dem errichteten Grenzregime, nicht davon ausgegangen werden, daß es sich bei § 27 DDR-GrenzG um offensichtliches, extremes Unrecht handelt, wenngleich ihm ein gewisser Unrechtsgehalt sicherlich nicht abzusprechen ist. Neben den angesprochenen Zweifeln, die sich im Hinblick auf die Offensichtlichkeit und die "Extremität" des Unrechts aus dem juristischen Schrifttum herleiten lassen, sei zum anderen ergänzend auf Stellungnahmen ehemaliger, geflüchteter Grenzsoldaten hingewiesen, die durch die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgit390 Hiervon ist eine moralisch-ethische Dimension zu unterscheiden. Bisweilen drängt sich leise der Eindruck auf, der Wunsch nach Bestrafung der Täter und die zwar ethisch und moralisch, nicht aber zwingend auch rechtlich zu beanstandende Tötung ausreisewilliger Menschen die Frage der Offensichtlichkeit und somit die grundsätzliche Frage des rechtlich bedeutsamen gesetzlichen Unrechts erheblich beeinflußt. 391 BGH NJW 1993, 145m. w. N. 10*
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
ter dokumentiert wurden und die sich mit dem Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze auseinandersetzen 392: "Ich habe mir allerdings hierüber meine Gedanken gemacht, und mir war klar, daß der Befehl rechtlich nicht zu vertreten war. Hierüber hatte ich mir seit meiner Zugehörigkeit zur Grenzpolizei meine Gedanken gemacht. Ich sagte mir innerlich, daß ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, auf einen Menschen unter diesen Umständen zu schießen. Durch diese Überlegung reifte in mir der Entschluß, bei passender Gelegenheit in die Bundesrepublik zu fliehen." 393 "Wir haben alle damit gerechnet, daß derjenige, welcher auf einen Flüchtling schießt, strafrechtlich nicht verfolgt werden könne, weil er ja gesetzlich durch die Regierung dazu verpflichtet wurde. ( ... ) Daß dieser Befehl in einem anderen Land strafrechtlich verfolgt werden könnte, glaubten wir nicht, weil es sich ja bei den verletzten Personen vorwiegend um Angehörige der DDR handelte."394 "Die jüngeren Soldaten haben sich zum größten Teil über diesen Schießbefehl gefreut. Es war aber erkennbar, daß sich diese Freude darauf bezog, einmal schießen zu können. Der tiefere Sinn des Schießbefehls wurde dabei wenig bedacht. Man kann sagen, daß die Reaktion auf diesen Schießbefehl bei den Soldaten völlig verschieden war. Einige waren der Auffassung, daß der Schießbefehl gut sei, und andere waren der Meinung, daß durch die Folgen des Schießbefehls keine Wiedervereinigung erreicht werden könnte. " 395 "Nachdem mir bekannt geworden war, daß in Berlin ein Flüchtling erschossen worden war, habe ich die Meinung vertreten, daß dieses sich einmal rächen und die Schützen eines Tages zur Rechenschaft gezogen würden. Meine Zimmerkameraden gaben mir recht, und ich hatte das Empfinden, daß diese Kumpels die gleiche Meinung vertraten wie ich und nichts von dem Schießbefehl wissen wollen. ( . . . ) Der Schießbefehl war für mich unmenschlich, und dieses sahen auch die meisten anderen ein, aber andererseits werden auch viele zunächst an die Folgen denken, die auf sie zurückkommen." 396 "Unter uns damaligen Kameraden wurde dieser Schießbefehl häufig heiß diskutiert. Die Hälfte der Kameraden war für die Einhaltung des Schießbefehls, die andere war dagegen."397 "In meiner Kompanie, aber auch an meinem Arbeitsplatz habe ich keine Menschen kennengelernt, die noch an eine Wiedervereinigung glauben. Auch Gegner des Regimes rechnen mit der Fortexistenz zweier souveräner, voneinander unabhängiger Staaten.'.J98 ,,Jeder DDR-Bürger, der zu fliehen versuchte, sei als Verbrecher anzusehen. Der Todesschuß für einen Flüchtling sei rechtens, ja sogar menschlich, sei der Grenztruppe von ihren Ausbildern und den Funktionären im Politunterricht «ohne Unter1aß>> eingetrichtert worden. Der Schießbefehl sei aufgrund der drillmäßigen Erziehung zum Haß gegen lmperiali392 Zu der Historie des Schießbefehls vgl. insbesondere: Sauer I Plumeyer: Der Salzgitterreport, S. 49 ff. 393 Klaus/Lisker (1963), zit. in Sauer/Plumeyer: a. a. 0., S. 59 f. 394 Volker K. (1963), zit. in Sauer/Plumeyer: a. a. 0., S. 60 f. 395 Siegfried K. (1963), zit. in Sauer/ Plumeyer: a. a. 0., S. 63 f. 396 Wemer M., zit. in Sauer I Plumeyer: a. a. 0 ., S. 64 f. 397 Eberhard W., zit. in Sauer I Plumeyer: a. a. 0., S. 71. 398 Manfred M. (1970), zit. in Sauer/Plumeyer: a. a. 0 ., S. 72 f.
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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sten, Grenzverletzer und DDR-Feinde für Soldaten und Offiziere >, wenn er seine materiellen Spionagestraftatbestände auf die von ihnen vor der Vereinigung verwirklichten Handlungen anwendet. Eine solchermaßen gespaltene
519
BGH NJW 1991,930 mit umfangreichen Literatumachweisen.
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rechtliche Behandlung erfahren im Gesamtstaat auch nur die Spione des untergegangenen Staates, nicht aber die Agenten, die gegen diesen tätig waren. Für letztere gibt es den im Zeitpunkt ihres Handeins «fremden>> Staat nicht mehr: sie werden uneingeschränkt als Bürger des eigenen Staates behandelt. Den Spionen, die nur im für sie eigenen, untergegangenen Staat gehandelt haben, wird hingegen eine vergleichbare Behandlung versagt. Dies verleiht der Strafverfolgung dieses Täterkreises eine besondere Schärfe."520
cc) Die verfassungsrechtlichen Konsequenzen im Lichte des Opferaspekts
Im Bewußtsein der dargestellten Eigenheiten der Spionage und der damit verbundenen "besonderen Schärfe der Strafverfolgung" hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung zugunsten eines bestimmten und beschränkten Täterkreises ein Verfolgungshindernis konstruiert, welches sich unmittelbar aus der Verfassung und hier namentlich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebe. Dieser letztgenannte Grundsatz werde- wie bereits eingangs dieses Abschnittes angedeutet - in den Fällen verletzt, in denen der infolge der Wiedervereinigung nunmehr durchsetzbare Strafanspruch gegenüber DDR-Spionen geltend gemacht werde, deren Lebensmittelpunkt bis zum 3. 10. 1990 in der ehemaligen DDR lag und die allein vom Boden der DDR oder solcher Staaten aus Spionage betrieben hatten, in denen sie wegen ihrer Taten sowohl vor Auslieferung, als auch vor Bestrafung sicher waren. Diese Täter konnten sich - so die Begrundung der fünf Verfassungseichter - im Gegensatz zu ihren "Kollegen", die auf dem Staatsgebiet des gegnerischen Staates Spionagetätigkeiten ausübten und die dort stets mit einer Entdeckung und der Einleitung entsprechender Strafverfolgungsmaßnahmen rechnen mußten, vor einer strafrechtlichen Verfolgung ihrer Taten sicher fühlen521 , sich gleichzeitig sogar einer Förderung und Belohnung durch die eigene Staatsführung sicher sein. Aus diesem Grund werde dieses Tätergruppe, die ihr Handeln im Gegensatz zu "auswärtig" handelnden Spionen an der fehlenden Strafverfolgungsgefahr ausgerichtet habe, von einer nun einsetzenden Strafverfolgung in besonderem Maße getroffen. Wie bereits angesprochen, ist diese Begründung des höchsten deutschen Gerichts auf erhebliche Kritik gestoßen. Schlagwortartig zusammengefaSt wird dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen - und auch dies klang schon an - , durch den Beschluß kompetenzwidrig eine ganze Tätergruppe amnestiert zu haben. Welche Bedeutung hat diese "Amnestierung" nun für die Frage einer primären Viktimisierung? Hier sind zwei alternative Ausgangspunkte denkbar, die im folgenden zu erörtern sind:
520 521
BVerfG NJ 1995, 367. BVerfG NJ 1995, 367.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
1. Mit der Herleitung eines verfassungsrechtlich begründeten Strafverfolgungshindernisses für die vom Boden der DDR oder eines sicheren Drittstaates aus handelnden DDR-Spione und der damit einhergehenden faktischen Amnestierung dieser Täter überschreitet das Gericht, wie die Kritiker behaupten, die ihm gesteckten Grenzen. Eine Einstellung der Strafverfolgung wegen Spionage dürfte also folglich gegenüber diesen Tätern nicht erfolgen. 2. Der Auffassung des Bundesverfassungsgericht ist zuzustimmen: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet die Strafverfolgung der genannten DDR-Spione. Verdeutlicht man sich die Konsequenz, die für die Täter mit der ersten Alternative einhergeht, so schiißt sich der Kreis mit einem bereits diskutierten Problem522: Wenngleich die Herleitung eines Strafverfolgungshindernisses nach dieser Ansicht nicht mit dem geltenden Recht in Einklang steht, beendet sie in der Praxis gleichwohl die Strafverfolgung der bereits näher charakterisierten DDR-Spione. Eine wie auch immer geartete Belastung dieser Täter ist hierin nicht erkennbar. Im Gegenteil: den Spionen wird durch den Richterspruch Straffreiheit gewährt, was eigentlich nur durch den Gesetzgeber angeordnet werden dürfte. Und dieser hat sich in der Vergangenheit mehrfach gegen ein solches Amnestiegesetz ausgesprochen523. Wollte man also von einer- möglicherweise rechtswidrigen- Benachteiligung bzw. viktimisierenden Behandlung sprechen, so kann sich diese nicht auf die "amnestierten" Spione, sondern zum einen auf die durch ein Verfolgungshindernis nicht begünstigten Agenten, zum anderen auf andere Tätergruppen außerhalb des Spionagetatbestandes beziehen. Die Begründung einer solchen rechtsstaatswidrigen Ungleichbehandlung stößt indessen auf Bedenken: Zum einen setzt die Anwendbarkeit des hier in Frage kommenden Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. I GG) die Vergleichbarkeit der einzelnen Tätergruppen voraus. Betrachtet man zunächst das Verhältnis von Spionen einerseits und Tätern anderer Deliktsbereiches andererseits, so ist eine solche Vergleichbarkeit angesichts der geschilderten Besonderheiten der Spionage mehr als fraglich. Schon der vom Bundesverfassungsgericht angesprochene "Wertungskonflikt"524, der mit der "Doppelgesichtigkeit" der Spionage einhergeht und sich in dieser Deutlichkeit bei keinem anderen Tatbestand finden läßt, rechtfertigt eine differenzierende Betrachtungsweise.
Die von den fünf Verfassungsrichtern getroffene Differenzierung von DDRSpionen, welche ausschließlich vom Boden der DDR oder eines sicheren DrittstaaVgl. hierzu die Ausführungen unter § 4 C II und insbesondere III dieses Kapitels. Kinkel: Sonderheft der Zeitschrift für Gesetzgebung 1991, 4, Leutheusser-Schnarrenberger: ZRP 1995, 308 ff., Herzog (anläßlich einer Sitzung der Enquete-Kommission SEDUnrecht) zit. u. a. in: FAZ vom 27. März 1996, S. 4, Information des Bundesjustizministeriums 7/96 vom 23. Februar 1996. 524 BVerfG NJ 1995, 367. 522 523
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tes aus spionierten und nunmehr in den Genuß des Verfolgungshindernisses kommen, und den "sonstigen" Spionen scheint vor der Frage einer Vergleichbarkeit dieser beiden Tatergruppen auf den ersten Blick nicht widerspruchslos hingenommen werden zu können. Für eine Vergleichbarkeit und somit für eine Ungleichbehandlung durch die erfolgte "Amnestierung" einzelner Tater spricht zunächst, daß es sich eben jeweils um "Spione", also um Tater handelt, deren Tatigkeit jeweils den gleichen Straftatbestand erfüllt. Dies allein ist jedoch für die erkennenden Richter nicht ausschlaggebend. Und so ist - sozusagen auf den zweiten Blick - die Unterscheidung zwischen sicherer, gefahrloser, nach außen gerichteter Spionage unter dem Schutz der eigenen Staatsführung525 und Spionage auf fremdem Territorium im Bewußtsein der Strafbarkeit des eigenen Handeins und unter ständiger Gefahr des Entdecktwerdens durchaus nachvollziehbar, vermag doch gerade das Bewußtsein um die Strafverfolgungsgefahr das Ob und Wie der konkreten Tathandlung in hohem Maße zu bestimmen. Werden diese Tater, die sich bislang im Gegensatz zu ihren "Kollegen" vor einer Strafverfolgung sicher fühlen konnten, nunmehr strafrechtlich für ihr bislang - zumindest faktisch - straffreie Tun zur Verantwortung gezogen, so wird aus ihrer Sicht eine Strafbarkeit "begriindet", derer sie sich im Gegensatz zu den anderen Agenten bislang nicht ausgesetzt sahen. Insofern ist es bei näherer Prüfung durchaus nicht zu beanstanden, wenn innerhalb der Talergruppe der Spione - wie des die fünf Richter taten - weiter differenziert wird. Doch selbst wenn man eine grundsätzliche Vergleichbarkeit annehmen wollte, liegt zum anderen kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, da - hier von der Prämisse einer rechtswidrigen ,,Amnestierung" ausgehend - eine Gleichbehandlung im Unrecht nicht begehrt werden kann. Und auf eine solche würde das Begehren der Tater nach dieser Alternative hinauslaufen, würden auch sie eine analoge richterliche "Amnestierung", mag sie auch nur faktischer Natur sein, fordern. Als Ergebnis dieser ersten Alternative ist daher festzuhalten: Eine kompetenzwidrige, faktische Amnestierung durch die Ableitung eines Strafverfolgungshindernisses aus der Verfassung bedingt keine primäre Viktimisierung der DDRSpione oder anderer Tatergruppen. Geht man hingegen mit dem Bundesverfassungsgericht davon aus, daß sich eine Strafverfolgung der von dem Boden der DDR oder eines sicheren Drittstaates aus handelnden DDR-Spione aus Griinden der Verhältnismäßigkeit zu Recht verbietet, so stellt sich in erster Linie die Frage, ob sich im Rahmen dieser zweiten Alternative an dem soeben hergeleiteten Ergebnis etwas ändert. In einem ersten Schritt ist diesbezüglich festzustellen, daß sich die faktischen Konsequenzen beider Ansichten entsprechen: Aufgrund des ausgeführten Verfol525 Gleiches gilt für die Spionage von einem sicheren Drittstaat aus, da auch hier die Gefahr einer Strafverfolgung oder Auslieferung nicht gegeben ist.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
gungshindernisses werden die Tater strafrechtlich nicht mehr zur Verantwortung gezogen, bereits anhängige Verfahren werden eingestellt, neue Ermittlungsverfahren wegen Spionageverdachts gegen diese Tatergruppe nicht mehr eingeleitet. Eine Belastung der "amnestierten" DDR-Spione geht mit der Annahme eines Verfolgungshindernisses somit auch hier nicht einher. Wie ist die Einstellung der Strafverfolgung jedoch nunmehr im Lichte einer möglicherweise verfassungswidrigen Ungleichbehandlung anderer Tatergruppen (inklusive der nicht "amnestierten" Spione) zu beurteilen? Auf das oben angeführte Argument, es könne keine Gleichbehandlung im Unrecht gefordert werden, kann in diesem Zusammenhang aufgrund der "Rechtmäßigkeit" der Amnestierung nicht zurückgegriffen werden. Im Brennpunkt der Betrachtung steht hier folglich allein die Frage der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Tatergruppen. Auf sie wurde soeben bereits eingegangen. Lediglich ergänzend hierzu ist nochmals auf die bereits mehrfach zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 1991 526 hinzuweisen, in welcher der BGH die Vergleichbarkeit auch der ost- und der westdeutschen Spione ablehnte. So bedinge insbesondere die Einbindung der DDR in den Warschauer Pakt und die damit verbundene Möglichkeit, die durch den Spionageakt gewonnenen Nachrichten auch anderen Ostblockstaaten zugänglich zu machen, eine unterschiedliche Behandlung der östlichen und westlichen Agenten. Wie bereits angedeutet, führen m.E. jedoch insbesondere die angesprochenen Eigenheiten des Spionagetatbestandes gegenüber anderen Strafbeständen, sowie die durchaus nachvollziehbare Differenzierung von Spionen nach dem Ort ihrer Tatigkeit und verbunden dem Wissen um die eigene Sicherheit zu einer fehlenden Vergleichbarkeit der einzelnen Tatergruppen. Eine Verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Spione untereinander und gegenüber Tatern anderer Deliktsbereiche ist daher nicht gegeben, so daß sich auch nach dieser zweiten Alternative keine primäre Viktimisierung der DDR-Spione oder anderer Tatergruppen herleiten läßt. Im Hinblick auf die hier zu erörternden Opferaspekte ist daher eine tiefere Auseinandersetzung mit dem skizzierten Streitstand um die Verfolgbarkelt der Spionage und eine abschließende Stellungnahme über die (Un-)Rechtmäßigkeit der faktischen "Amnestierung" nicht erforderlich, da eine primäre Viktimisierung der Täter in beiden denkbaren Alternativen ausgeschlossen ist.
b) Die Spionageopfer Analog zu den bisherigen Ausführungen ist auch nunmehr in einem zweiten Schritt auf die Frage einzugehen, ob und wie weit mögliche Belange der unmittel-
526 BGH NJW 1991, 929 ff.; vgl. hierzu insbesondere auch die Ausführungen unter§ 4 C III dieses Kapitels.
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bar betroffenen Personen, der Opfer der jeweiligen Tathandlung, in der konkreten Entscheidungstindung Berücksichtigung gefunden haben. Während die Bezeichnungen "Maueropfer" und "Justizopfer" zwischenzeitlich fast selbstverständlich in Korrelation zu den an der innerdeutschen Grenze begangenen Taten und der Rechtsbeugung Verwendung finden, sind die Begriffe "Spionageopfer" und "Spionage" im täglichen Sprachgebrauch nicht - wie sich vermuten ließe - deckungsgleich aufeinander bezogen. So steht der Ausdruck "Spionageopfer" heute nicht selten als Synonym für die durch Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) betroffenen Personen, sowie für die Opfer von Denunziationen527. Nicht jede - oder besser: nur wenige der vom MfS ausgehenden Handlungen unterfallen jedoch dem Spionagetatbestand. Ihnen ist daher an späterer Stelle ein eigener Abschnitt gewidmet. Die Frage, wer als Opfer der Spionage anzusehen ist, beantwortet bereits die systematische Stellung des Tatbestandes im Rahmen der Staatsschutzdelikte: Opfer der Spionage ist derjenige Staat, gegen die sie sich richtet. Wenngleich auch im Hinblick auf den Rechtsbeugungstatbestand der Individualrechtsgüterschutz lediglich eine mittelbare, aber dennoch spürbare Rolle spielt, verliert die Spionage aus viktimologischer Sicht fast gänzlich einen personalen Bezug. Individualinteressen sind allein in solchen Fällen berührt, in denen sich der Täter einzelner Personen als Werkzeug seiner konkreten Spionagehandlung bedient, indem er sie beispielsweise ausforscht, abhört oder als unbewußte Informanten mißbraucht. Doch auch in diesen Fällen ist es nicht der Spionagetatbestand, der die Opfer zu schützen vermag. Vielmehr tritt hier eine Vielzahl anderer Deliktsgruppen - zu denken ist vor allem an Unterschlagungen oder an Verletzungen des persönlichen Lebens- oder Geheimbereichs (§§ 201 ff StGB)- in den Mittelpunkt der Betrachtung, sofern das konkrete Handeln überhaupt strafbewehrt ist. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß sich viele DDR-Bürger, welche über Jahre hinweg den Bespitzelungen des MfS und dessen Mitarbeitern ausgesetzt waren, dennoch als Opfer von Spionageakten betrachten und daher einer unter diesem Titel geführten Strafverfolgung der Täter hohe Aufmerksamkeit zollen. Im Hinblick auf die dogmatische Klarheit der Begründungen ist es jedoch für eine mögliche Berücksichtigung der Opferinteressen wichtig, zwischen der gegen einen fremden Staat gerichteten Spionage und den möglicherweise von anderen Tatbeständen erfaßten Bespitzelungen des einzelnen zu unterscheiden. Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Unmittelbares Opfer der Spionage ist - wie angesprochen - allein derjenige Staat, gegen den sich die Spionage richtet, mithin also nach der Norm des§ 99 StGB die Bundesrepublik Deutschland528.
527
fers".
Die wohl gängigste Bezeichnung dieser Opfergruppe ist allerdings die des "Stasiop-
528 Im Sinne der Opfertypologien von Sellin und Wolfgang (a. a. 0 ., S. 155 f.) handelt es sich hier also um ein tertiäres Opfer; vgl. hierzu die Ausftihrungen im 1. Kapitel § 3 B I.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
Die Konsequenz, die aus dieser Feststellung hinsichtlich der Opferinteressen resultiert, überrascht nicht: Das im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung gegebenenfalls zu beriicksichtigende Opferinteresse ist in diesem Zusammenhang das Interesse der Bundesrepublik an der Strafverfolgung der Spione. Ehe jedoch auf die dogmatisch und tatsächlich relevanten Interessenschwerpunkte eingegangen wird, ist noch kurz auf einen besonderen Punkt hinzuweisen. In der bisherigen Erörterung des Opferaspektes war - wie auch im vorstehenden Absatz - regelmäßig von "gegebenenfalls zu beriicksichtigenden" Interessen der betroffenen Opfer die Rede. Wie ebenfalls schon mehrfach angeklungen ist, lassen sich die Einflüsse der unterschiedlichen Opfergesichtspunkte in der Praxis häufig nur anhand von Indizien nachweisen, so daß im Ergebnis vielfach lediglich von einer "möglicherweise beriicksichtigten" Interessenlage des Opfers gesprochen werden konnte. Gleiches gilt in einem vorweggenommenen Fazit im Grundsatz auch für den an dieser Stelle zu erörternden Tatbestand der Spionage. Die Besonderheit liegt hier jedoch in der Identität von Opfer und Träger der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung. Daher ist eine unmittelbarere und tiefgreifendere Einflußnahme der Opferinteressen auf die Art und Struktur der Strafverfolgung der DDR-Spione nicht undenkbar und - abermals anhand von Indizien -durchaus als gegeben anzunehmen. Welche Interessen können nun in diesem Zusammenhang als relevante Opferinteressen genannt werden und wie weit sind sie - in den aufgezeigten Grenzen - tatsächlich nachzuweisen? Wie man schnell feststellen wird, sind nur wenige der im folgenden aufzuzählenden Gesichtspunkte neu; viele wurden bereits in dem einen oder anderen Kontext ausführlich dargestellt und werden daher nachfolgend lediglich nochmals in der gebotenen Kürze skizziert. Als ein erster Aspekt, der in diesem Rahmen anzuführen ist, ist das grundsätzliche Interesse der Bundesrepublik an einer strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung, unabhängig von einem konkreten Straftatbestand, zu nennen. Es ist - wie geschildert- die primäre Grundvoraussetzung dafür, daß es überhaupt erst zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Täter, inklusive der DDR-Spione kam. Will man dieses Interesse näher charakterisieren, so deckt es sich in wesentlichen Teilen mit der Frage um den Sinn und Zweck der Strafe im Rahmen der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung. Ohne die Problematik nochmals vollständig aufrollen zu wollen und angesichts der friiheren Ausführungen zu müssen, ist hier insbesondere an spezial- und generalpräventive, sowie vergeltungstheoretische Erwägungen zu denken. Des weiteren sei auch die mit den Strafverfahren verbundene und ebenfalls bereits dargestellte Dokumtentationsfunktion als möglicher Gesichtspunkt genannt. Daß die soeben aufgezählten "allgemeinen" Faktoren auch hinsichtlich der Spionage eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, zeigt sich an der Tatsache, daß nicht nur eine Strafverfolgung der DDR-Spione eingeleitet und somit auch die Spionage grundsätzlich in die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung einbezo-
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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gen wurde, sondern diese auch entgegen schon früher, lauter, aber vom Gesetzgeber stets abgelehnter Forderungen nach einer Amnestierung uneingeschränkt fortgesetzt wurde. Ob die Strafverfolgung der DDR-Spione allein aufgrund dieser "allgemeinen" Interessenlage erklärt werden kann, ist hingegen fraglich, zumal sich auch und gerade im Spionagetatbestand die bereits bekannten Schwächen der Straftheorien in deutlichem Maße manifestieren. Angesichts der "Janusköpfigkeit" der Spionage klingen generalpräventive Argumentationen nahezu höhnisch. Und auch die spezialpräventiven Gesichtspunkte stoßen hier auf ihre häufig zitierten Grenzen: Die Spione der ehemaligen DDR "lebten" geradezu von ihrer sozialen Unauffalligkeit. Zudem wurden sie nicht selten von einer tief sitzenden, ideologischen Verblendung getragen, die ihnen den Dienst für ihr Land erst in dem erforderlichen Maße ermöglichte. Eine mögliche Resozialisierung der Tater muß somit auf erhebliche Bedenken stoßen. Entsprechendes gilt auch für eine an den absoluten Lehren orientierte Argumentation: das Vorhandensein eines lediglich tertiären Opfers läßt vergeltungstheoretische Aspekte lange nicht so offen zutage treten. Vielmehr ließe sich leicht der Verdacht begründen, der Staat führe hier einen nunmehr möglichen "Rachefeldzug" gegen die Spionageakte der ehemaligen DDR und des hinter ihr stehenden Ostblocks. Gleichwohl, d. h. trotz aller Begründungsschwierigkeiten ist jedoch auch und vor allem im Rahmen des Spionagetatbestandes nochmals zu betonen, daß die Problematik um den Sinn und Zweck der Strafe losgelöst von einem konkreten Straftatbestand zu bestimmen ist. Die konkrete Ausgestaltung der Strafe und die Notwendigkeit der Strafverfolgung im Einzelfall ist in einem zweiten Schritt deliktsspezifisch zu bestimmen und mittels gesetzgebenscher Mechanismen (z. B. in Form eines Amnestiegesetzes) den Erfordernissen anzupassen. Weit entscheidender als diese allgemeinen, hinsichtlich der Spionage - wie gezeigt - nicht unproblematischen Erwägungen dürften daher die deliktsspezifischen Interessen zu gewichten sein, die sich auf die Besonderheiten des Tatbestandes beziehen, sich aber dennoch nicht gänzlich von den eben angesprochenen Gesichtspunkten trennen lassen. Unter Berücksichtigung der genannten höchstrichterlichen Entscheidungen und der hieraus zitierten Textpassagen ist hierbei in erster Linie an das ebenfalls bereits angesprochene Integrationsinteresse zu denken. Daß dieses Interesse an der Eingliederung der DDR-Bürger die Entscheidungstindung des Bundesverfassungsgerichts in nicht unerheblichem Maße prägte, läßt sich m.E. nur allzu deutlich aus den oben angeführten Zitaten herauslesen. Wenngleich der Begriff der "Integration" in dem genannten Beschluß an keiner Stelle Verwendung findet, so ist er doch durch die die Entscheidung tragenden Ausführungen, insbesondere durch die stete Betonung der "besonderen Schärfe der Strafverfolgung" für die DDR-Spione, basierend auf dem Handeln der Bundesrepublik als für sie weiterhin "fremde Macht"529, mehr als ausreichend umschrieben und konkretisiert. 529
13*
BVerfG NJ 1995, 367.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
So offensichtlich jedoch ein Interesse an Integration in der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zutage zu treten scheint, so wenig schien es sich in der bis dahin gängigen Strafverfolgungspraxis durchsetzen zu können. Ausgangspunkt dieser Feststellung ist die zunächst (unterschiedslose) Durchführung von Strafverfahren gegenüber DDR-Spionen bei einer gleichzeitigen Haftungsfreistellung der West-Spione. Wenn es sich aber - wie das Bundesverfassungsgericht im Mai 1995 zu Recht konstatierte- bei den west-wie ostdeutschen Spionen nach der Wiedervereinigung um "Bürger eines einzigen Staates"530 handelte, so ist anzunehmen, daß die unterschiedliche Behandlung von Spionen aus Ost und West in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung wohl kaum ein breites Integrationsgefühl zu fördern vermochte, mag man diese Feststellung auch nicht näher empirisch absichern können. Die erkennbare Gefahr, durch die Strafverfolgung nur einer beschränkten Tatergruppe, nämlich der Spione der ehemaligen DDR, eine Eingliederung dieser Bürger in das neue Staatengefüge erheblich zu erschweren, wenn nicht sogar unmöglich zu machen, sprach auch angesichts der oben angesprochenen Schwächen der Straftheorien in diesem Bereich in hohem Maße für eine Amnestierung der Tater. Das Interesse, ein Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten und seiner Angehörigen zu fördern, hätte daher - zumindest in der Theorie - das Strafverfolgungsinteresse überwiegen müssen. Gleichwohl hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen eine Amnestierung der DDR-Spione gewandt und für eine Strafverfolgung ausgesprochen. Dieser Haltung des Gesetzgebers ist nicht erst das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Beschluß vom 15. Mai 1995 durch die Herleitung des Verfolgungshindernisses für bestimmte DDR-Spione entgegengetreten. Bereits im Jahre 1991 hatte der Bundesgerichtshof u. a. unter Hinweis auf die Notwendigkeit eines "befriedigenden Interessenausgleichs"531 erhebliche Bedenken an der Strafverfolgungspraxis erkennen lassen, in dem auch er ausdrücklich für eine Amnestie plädierte, sich mit seiner Forderung allerdings nicht durchsetzen konnte. Läßt sich der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Strafverfolgung aller DDR-Spione jedoch entnehmen, daß das Interesse an der Verfolgung der Tater zunächst über das Interesse an ihrer Integration gestellt wurde, so wirft dies im Hinblick auf den Opferaspekt die Frage auf, wonach im vorliegenden Fall der Spionage die Opferinteressen überhaupt zu bestimmen sind. Mit anderen Worten: Entspricht die weitreichende Einstellung der Strafverfahren, wie sie durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bewirkt wurde, den staatlichen und damit den Opferinteressen oder ist für die Bestimmung der Opferinteressen vielmehr die Auffassung des Gesetzgebers maßgeblich, über die sich das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis hinweggesetzt hat?
530 Vgl. hierzu das obige Zitat aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 1995 (NJ 1995, 367). 531 BGH NJW 1991,929 ff. (933).
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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Die Antwort auf diese Frage führt in die Tiefen des Verfassungsrecht und der Rechtsphilosophie. Lediglich verkürzt, jedoch für diesen Zusammenhang ausreichend ist daher die Bezugnahme auf Art. 20 Abs. 2 Satz I GG: Demnach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus; der Zusammenschluß von Bürgern, welche partiell durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung vertreten werden532, bildet den "Staat"533 • Will man also die Staatsinteressen bestimmen, so ist in erster Linie der Wille des Volkes zu ermitteln, zu dem seit der Wiedervereinigung auch die Bürger der ehemaligen DDR zu zählen sind. Wie bereits an früherer Stelle deutlich gemacht wurde, ist ein einheitlicher Wille oder eine eindeutige Interessenlage nicht erkennbar. Es schließt sich hier also der Kreis zu einem allgemeinen Problem der Opferaspekte bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung: ein wirklich einheitlicher Wille ist regelmäßig nicht feststellbar; es lassen sich vielmehr nur die unterschiedlichen Strömungen aufzeigen und gegebenenfalls gewichten. In Anbetracht der breiten Diskussion in der Öffentlichkeit, im juristischen Schrifttum und in den politischen Gremien ist vielmehr von einem Interessenkonflikt auszugehen, den das Bundesverfassungsgericht in einer Art Kompromißlösung zulasten einer "echten" Amnestierung der DDR-Spione entschied. Kommt man nunmehr nochmals zurück auf die Problematik der Integration von DDR-Bürgern durch die Art und Weise der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung, so stößt die faktische Amnestierung der vom Boden der DDR oder eines sicheren Drittstaates aus handelnden, in der DDR lebenden Spione durch die Rechtsprechung im Ergebnis auf eine breite Basis und wird somit zumindest partiellen Opferaspekten gerecht.
c) Ergebnis Die mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einhergehende faktische "Amnestierung" der DDR-Spione, welche zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts in der ehemaligen DDR ihren Lebensmittelpunkt hatten und lediglich vom Boden der DDR oder einem Staat, in dem sie sowohl vor Auslieferung als auch Bestrafung sicher waren, Spionage betrieben, begründet unter keinem möglichen Gesichtspunkt eine primäre Viktimisierung der Täter, wobei es einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der verfassungsrichterlichen Begründung aufgrund einer fehlenden Auswirkung auf das Ergebnis nicht bedarf. Auf der anderen Seite wird in den Entscheidungsgründen des Gerichts in erheblichem Maße das Interesse spürbar, das Zusammenwachsen der beiden Staaten zu fördern. Neben den "allgemeinen" Strafverfolgungsinteressen des Staates als unmittelbarem Spionageopfer beeinflußt dieses Integrationsinteresse als zumindest Vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Vgl. hierzu insbesondere auch die§§ 268 Abs. 1 StPO, 311 Abs. 1 ZPO, 117 Abs. 1 Satz 1 VwGO: ein Urteil ergeht stets "Im Namen des Volkes". 532 533
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
partielles Opferinteresse die konkrete Strafverfolgung der Spione in entscheidender Weise. 5. Die Wahlfälschung Fragt man nach den charakteristischen Werkzeugen eines totalitären Regimes zur Unterdrückung der politischen Gegner, so sind im wesentlichen drei zu nennen: eine abhängige, der staatlichen Ideologie verpflichtete Justiz, eine funktionierende, mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Geheimpolizei und - sofern es sich nicht um eine allein auf das Militär gestützte Diktatur handelt - regelmäßig eine scheinbar rechtsstaatliche Legitimierung aufgrund manipulierter Volkswahlen. Auf die Problematik des staatlich gelenkten Justizunrechts wurde bereits im Rahmen der Rechtsbeugung eingegangen; die Strafrechts- und viktimologisch relevanten Aspekte der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes werden in einem späteren Abschnitt erörtert. Im folgenden sind daher kurz die Wahlfälschung und die mit ihr verbundenen viktimologischen Gesichtspunkte anzusprechen. Im direkten Vergleich mit den beiden vorgenannten Bereichen hat das Delikt der Wahlfälschung im Hinblick auf das öffentliche Interesse ein doch eher beschaulicheres Dasein geführt. Während die Diskussion um die Strafbarkeit der DDR-Richter, der Stasi-Spitzel oder auch der Mauerschützen von den Medien in vielfältiger Art und Weise aufgegriffen und kommentiert wurde, waren es hinsichtlich der Wahlfälschung insbesondere die Verfahren gegen namhafte Politiker der untergehenden DDR, auf die sich das Interesse im wesentlichen konzentrierte. Dies könnte - wie zu zeigen sein wird - durchaus (auch) auf Opferaspekte zuriickzuführen sein. Was die rechtsdogmatische Begrundung der Strafbarkeit betrifft, so wiederholen sich im Rahmen der Wahlfälschung eine ganze Reihe bereits bekannter Problemstellungen. So hatte sich der Bundesgerichtshof unter anderem mit der Frage zu befassen, auf welche der beiden Rechtsordnungen die Strafbarkeit der Wahlfälscher im Hinblick auf Art. 315 EGStGB gestützt werden könne bzw. müsse. Eine Anwendung des ostdeutschen Strafrechts, d. h. insbesondere des§ 211 DDR-StGB, komme nämlich gemäß Art. 315 IV EGStGB nicht in Betracht, wenn für die Tat bereits zur Tatzeit bundesdeutsche Strafvorschriften gegolten hätten. Der Bundesgerichtshof stützt seine diesbezüglichen Erwägungen insbesondere auf die Tatsache, daß die Norm des§ 7 StOB auch die Bürger der ehemaligen DDR erlaßt habe. Gleichwohl könne aus ihm eine Geltung des bundesdeutschen Rechts zur Tatzeit nicht hergeleitet werden, da sich der Tatbestand der Wahlfälschung nicht gegen einen individualisierbaren deutschen Bürger gerichtet habe (§ 7 Abs. 1 StGB) und die einigungsvertragliehen Vorschriften als spezielle Kollisionsnormen einer möglichen Anwendung des § 7 Abs. 2 Nr. 1 StOB vorgingen534• Es liegt daher ein Fall 534
BGH, Urt. vom 26. November 1992, MDR 1993, 361.
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des Art. 315 Abs. 1 EGStGB i.V.m. § 2 StGB vor, in dessen Zusammenhang sich zwei weitere bereits bekannte Fragen stellten: Welche Auswirkungen hat der unterschiedliche räumliche Geltungsbereich des § 211 DDR-StGB einerseits und der §§ 107 a, 108 d StGB andererseits? Und: Ist auch bei der Wahlfälschung nach der Wiedervereinigung die "Kontinuität des Unrechtstypus" gewahrt? Zur Beantwortung der ersten Frage kann hinsichtlich des Ergebnisses und seiner Begründung auf die Ausführungen im Rahmen der Rechtsbeugung verwiesen werden: mit Blick auf den Einigungsvertrag sei die räumliche Beschränkung der Delikte unerheblich. Vielmehr sei allein zu prüfen, ob die bundesdeutsche Regelung ihre Geltung zur Tatzeit unterstellt - die Tathandlung erfasse535 • Was das Problem der Unrechtskontinuität betrifft, so hat der Bundesgerichtshof wie schon bei der Rechtsbeugung in nunmehr ständiger Rechtsprechung eine zumindest partielle und somit ausreichende Vergleichbarkeit der§§ 211 DDR-StGB und 107 a, 108 d StGB mit folgender Argumentation bejaht: zwar hätten die Wahlen, deren Schutz§ 211 StGB-DDR bezweckte, der Aufrechterhaltung des sozialistischen Systems gedient536. Der Schutzbereich der Vorschrift gehe jedoch über dieses Erhaltungs- und Sicherungsinteresse hinaus. Die Norm erfasse "vielmehr auch die damals bestehende Möglichkeit, der von der Nationalen Front aufgestellten Einheitsliste durch eine entsprechende Kennzeichnung des Stimmzettels (Gegenstimmen) oder durch Wahlenthaltung eine Absage zu erteilen."537 Werde das durch ein solches Wahlverhalten beabsichtigte Signal mittels der Verfalschung des Wahlergebnisses unterdrückt, so falle diese Wahlmanipulation unter den Straftatbestand des § 211 StGB-DDR. Des weiteren bestünden trotz aller Unterschiede zu bundesdeutschen Wahlen keine Bedenken, die in der DDR abgehaltenen Abstimmungen zumindest formal als Wahlen im Sinne der§§ 107 a, 108 d StGB anzusehen. Diesbezüglich nimmt der Bundesgerichtshof insbesondere auf das WahlG der DDR Bezug, das die freie, allgemeine, gleiche und geheime Wahl von Volksvertretungen in Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken und Gemeinden statuierte. Nicht zuletzt sei auch in diesem Zusarnrnenhang der bereits im Rahmen der Mauerschützenurteile angesprochene Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 zu berücksichtigen, der in beiden deutschen Staaten in Kraft getreten war und der eine freie Wahlentscheidung garantierte. Die "in Anspruch genommene freie Wahl-Entscheidung des DDR-Bürgers gegen die Einheitsliste der SED-Machthaber"538 werde demnach durch die Wahlfälschung in strafbarer Weise unterdrückt. BGHSt 39, 66 (= NJW 1993, 1019). Letzteres war ausdrücklich in Abs. 1 Satz 1 der Präambel zum 1989 geltenden WahlGDDR niedergelegt. Demnach dienten Wahlen der von der SED gestellten "Aufgabe, in der DDR weiterhin die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und so grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus zu schaffen." 537 BGH MDR 1993, 364. 538 BGH MDR 1993,364. 535
536
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
War die Wahlfälschung demnach bereits nach § 211 DDR-StGB strafbar und deckt sich der Schutzbereich der Vorschrift - wie der Bundesgerichtshof m.E. zu Recht annimmt- zumindest teilweise mit dem der §§ 107 a, 108 d StGB, so ist eine Strafverfolgung der Tater ohne Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot möglich. Welche Konsequenzen lassen sich aus dem Gesagten nunmehr für die verschiedenen Opferaspekte ziehen?
a) Die Frage der primären Viktimisierung Wenngleich die Problematik der Unrechtskontinuität auch im Rahmen der Wahlfalschung von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Lehre unterschiedlich aufgelöst wird, stößt die Auffassung des Bundesgerichtshofes angesichts des jeweils zur Tatzeit geltenden WahlG-DDR m.E. nicht auf verfassungsrechtliche oder rechtsstaatliche Bedenken. Eine Verfolgbarkeil der konkreten Tat setzt nach Art. 315 Abs. 1 EGStGB i.V.m. § 2 StGB voraus, daß die Tathandlung nach beiden Rechtsordnungen mit Strafe bedroht ist bzw. war. Daß die beiden in Frage kommenden Tatbestände bis in alle Einzelheiten deckungsgleich sein müssen, setzt die einigungsvertragliche Regelung hingegen nicht voraus, so daß m.E. zu Recht eine partielle Übereinstimmung des Schutzbereiches - wie sie hier gegeben ist - ausreicht. Eine primäre Viktimisierung der Tater durch die Strafverfolgung der Wahlfälschung läßt sich somit nicht begründen. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 3. November 1994539. In dieser Entscheidung setzt er sich nicht nur ausführlich und kritisch mit denkbaren, von der Vorinstanz anerkannten Strafzumessungserwägungen, sondern letztlich auch mit der grundlegenden Problematik des politischen Umbruchs und seiner Folgen für die Strafzumessung auseinander. So hatte das Landgericht Dresden beispielsweise strafmildernd berücksichtigt, daß sich die Verhältnisse in der ehemaligen DDR seit der in Frage stehenden Tatzeit - Gegenstand der Betrachtung war die Kommunalwahl von 1989 - "tiefgreifend und epochal"540 verändert habe und "Tatwiederholungen nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen seien" 541 . Dieser Auffassung hat der Bundesgerichtshof eine eindeutige Absage erteilt. Der Untergang der DDR und die Beseitigung des SED-Regimes könnten "grundsätzlich kein wesentlicher Grund dafür sein, Täter, deren Straftaten nach dem Willen der Parteien des Einigungsvertrags auch noch nach der Wiedervereinigung geahndet werden sollen, von der Verurteilung freizu-
539 540 541
BGH NJW 1995, 1564 ff. (Fall Modrow) . BGH NJW 1995, 1567 unter Berufung auf die Vorinstanz. BGH NJW 1995, 1567.
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stellen."542 Hinter dieser Aussage verbirgt sich zweierlei: Zum einen stellt sie ein klares Bekenntnis zu einer strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung dar, die trotz und wegen des politischen Umbruchs auf die Verfolgung der in der DDR begangenen Straftaten und nicht auf eine weitreichende Amnestierung der Tater gerichtet ist. Zum anderen läßt sie inzident einen Bezug zu der Diskussion um den Sinn und Zweck der Strafe erkennen. Obwohl eine Wiederholung der konkreten Tat kaum möglich, eine Strafverfolgung zum Zwecke der Vermeidung weiterer entsprechender Taten also nicht geboten erscheint, spricht sich der Gerichtshof ausdrücklich für die strafrechtliche Aufarbeitung der Taten aus, ohne jedoch näher auf die Frage der Generalprävention oder der Straftheorien einzugehen. Sie kann somit als Bestätigung dessen dienen, was oben bereits dargestellt wurde: die Strafe ist - wie auch die strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof nicht allein mit generalpräventiven Argumenten zu begründen. Des weiteren berief sich das Landgericht Dresden strafmildernd auf eine Art "Kausalität der Wahlfälschung". Die unkorrekte Weitergabe der Ergebnisse, insbesondere der abgegebenen Gegenstimmen, sei ohne Einfluß auf die konkrete Zusammensetzung der (Kommunal-)Parlamente gewesen, so daß der Unrechtsgehalt der begangenen Taten nicht so hoch liege. Der Bundesgerichtshof sieht hingegen gerade in der Unterdrückung der Gegenstimmen den Schutzbereich des§ 211 DDRStOB in seiner Übereinstimmung mit den§§ 107 a, 108 d StGB tangiert. Gerade in dieser Manipulation sei daher der Unrechtsgehalt der Wahlfälschung begründet, so daß die fehlende "Kausalität" nicht strafmildernd ins Gewicht fallen könne. Schließlich tritt der Gerichtshof der Auffassung des Landgerichts entgegen, "die zur Beteiligung an der Wahlfälschung führenden Motive" seien "auch aus heutiger Sicht nicht unehrenhaft gewesen"543 . Immerhin sei - wie auch das Landgericht festgestellt habe - ein erheblicher Widerstand von Mitgliedern der Wahlkreiskommissionen und der Parteiführungen an den Fälschungsaufrufen erkennbar gewesen. Wenngleich das Delikt der Wahlfälschung - um es einmal so auszudrücken im Hinblick auf den hier betrachteten Opferaspekt "neutral" ist, halte ich die angesprochenen Ausführungen des Bundesgerichtshofes insgesamt für sehr bedeutsam, da sie eine wesentliche Grundhaltung des Gerichts zu der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung erkennen lassen: das begangene Unrecht bedarf einer Aufarbeitung und einer Strafverfolgung der Tater auch dann, wenn sich die konkrete Tat lediglich auf die Erhaltung des nunmehr untergegangenen Systems bezog und daher die Gefahr einer Wiederholung in zeitlicher und ideologischer Hinsicht nicht ersichtlich ist. Im Rahmen der Wahlfalschung gelingt dies, ohne die Tater in rechtsstaatlicher Weise zu belasten.
542 543
BGH NJW 1995, 1567. BGH NJW 1995, 1568.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tätern
b) Die Opfersicht Wie schon bei der Spionage stellt sich auch hinsichtlich der Wahlfälschung die Frage, wer als Opfer dieses Delikts anzusehen ist. Folgt man den einschlägigen Kommentierungen zu§ 107 a StGB, so dient die genannte Vorschrift dem Interesse der Allgemeinheit an ordnungsgemäßen Wahlen und der Freiheit der demokratischen Willensbildung und Willensäußerung544. Dieser Schutzzweck ist - so der Bundesgerichtshof in der bereits zitierten Entscheidung vom 26. November 1992545 - zumindest dann nicht personenbezogen, wenn lediglich das Wahlergebnis verfälscht, nicht aber konkret auf die Willensbildung des einzelnen Bürgers in unzulässiger Weise Einfluß genommen wurde. Die zu beurteilenden Taten betrafen jedoch regelmäßig allein Manipulationen des Wahlergebnisses, so daß hier nicht von personalen Opfern gesprochen werden kann. In diesem Zusammenhang ist auf einen weiteren Punkt hinzuweisen, der oben bereits angeführt wurde: Die Verfälschungen der Wahlergebnisse dienten in der Regel der Verschleierung der abgegebenen Gegenstimmen, ohne daß sie die konkrete Zusammensetzung der Kommunalparlamente entscheidend beeinflußten. Diese fehlende "Kausalität" mag auch einer der Gründe für das angesprochene, doch recht zurückhaltende öffentliche Interesse an der Strafverfolgung der Wahlfälscher sein. Das Fehlen personaler Opfer46 wirft erneut die Frage nach der Rechtfertigung der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung im Bereich der Wahlfälschung auf, da mangels personaler Opfer- nach der obigen "Absage" an rein generalpräventive Erwägungen - auch vergeltungstheoretische Ansätze keine weitreichende und letztlich überzeugende Erklärungsgrundlage bieten. Dennoch hat sich der Gesetzgeber des Einigungsvertrages, sowie die Rechtsprechung zu Recht für eine Verfolgbarkeit der in der DDR begangenen Wahlfälschungen ausgesprochen. Die Freiheit der Willensbildung und vor allem der Willensäußerung, die sich in den Wahlergebnissen manifestiert, stellt einen wesentlichen Stützpfeiler demokratischer Wahlen dar. Durch die Verfolgung der Täter ist es möglich, die Bedeutung dieses Grundverständnisses deutlich werden zu lassen und in unmißverständlicher Weise aufzuzeigen, daß eine hiergegen gerichtete Handlung aus rechtsstaatlicher Sicht nicht zu dulden ist. Insofern kommen den Strafverfahren, wenn auch nicht hinsichtlich einer konkreten Wiederholungsgefahr, so doch zur Normstabilisierung generalpräventive Wirkungen zu.
544 Tröndle: § 107 a, Rdnr. l; SK-Rudolphi: vor§ 105, Rdnr. l, Schönke/Schröder: § 105, Rdnr. l m. w. N.; vgl. auch BGHSt 29, 386; BGH MDR 1993, 361. 545 BGH MDR 1993, 361 ff. 546 Das Fehlen "echter" Opfer soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Delikt der Wahlfälschung insbesondere die Regimegegner traf, die sich in den Wahlen gegen die Herrschaft der SED gewandt hatten. Gleichwohl ist es nicht angebracht, sie als "Opfer" der Wahlfälschung zu bezeichnen.
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203
6. Die Iiitigkeit des Ministeriumsfür Staatssicherheit (MJS)
Kaum ein anderer Bereich staatlich organisierten und gelenkten Handeins hat die Medien, die Öffentlichkeit und vor allem auch die Opfer nach der Wiedervereinigung mehr bewegt als die Tätigkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR: monatelang füllten Reportagen über die sogenannten Stasi-Opfer die Illustrierten, Nachrichten- und Femsehmagazine, beherrschte die Verfolgung der Stasi-Spitzel den Medienalltag. Doch auch über zehn Jahre später ist das Interesse an den Stasi-Aktivitäten nur wenig verebbt. So geht aus jüngeren Berichten der sogenannten Gauck-Behörde hervor, daß die Zahl der Anträge auf Einsicht in die StasiAkten nahezu ungebrochen ist. Auf der anderen Seite gestaltete sich die strafrechtliche Aufarbeitung der Vergangenheit in keinem anderen Bereich des in der DDR begangenen Unrechts vielschichtiger. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, daß es die Tätigkeit des MfS als solche nicht gibt547 . Es war vielmehr von einem Konglomerat einzelner Handlungen auszugehen, deren Strafbarkeit jeweils einer konkreten Einzelfallbetrachtung bedurfte, die wiederum quer durch die Straftatbestände des StGB und des StGB-DDR führte. Ehe die wichtigsten Delikte und ihr Bezug zu den Opferaspekten jedoch näher dargestellt werden, sei zum besseren Verständnis in einem Exkurs kurz auf den Aufbau und die Tätigkeitsstruktur des MfS eingegangen, sofern dies nicht bereits an anderer Stelle geschehen ist.
a) Exkurs: Die Aufgabe, Organisation und Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit Sucht man nach einer Normierung des Aufgabengebietes und des Tätigkeitsfeldes der 1950 gegründeten und mit repressiven wie präventiven polizeilichen Befugnissen ausgestatteten Behörde, so wird man in § I Abs. 3 des Statuts des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik fündig. Diese innerkorporale Regelung, die wie das gesamte Statut einer strengen Geheimhaltung unterlag, beauftragte die staatliche Stelle mit der "Aufklärung und Abwehr zur Entlarvung und Verhinderung feindlicher Pläne und Absichten der aggressiven imperialistischen Kräfte und ihrer Helfer", welche- so § 2 des Statuts- durch die Zerschlagung und Zersetzung feindlicher Geheimdienste, die Aufdeckung "geheimer subversiver Pläne und Absichten" sowie die Aufdeckung und Vorbeugung von Straftaten gegen die DDR zu erfolgen habe. Zum Maßstab jeglichen Handeins wurden hierbei gemäß § 1 Abs. 2 des Statuts das Programm der SED, die Beschlüsse des Zentralkomitees und des Politbüros, sowie die Verfassung der DDR und die von der Volkskammer erlassenen Gesetze und Beschlüsse erhoben.
547
Zur Anwendbarkeit des § 129 StGB vgl. unten unter e) dieses Abschnitts.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
Konkrete Eingriffsermächtigungen enthielten das Statut oder das Gesetz zur Gründung des Ministeriums vom 8. Februar 1950 hingegen nicht. Sie leiteten sich vielmehr aus der Strafprozeßordnung der DDR und den Volkspolizeigesetzen ab. Das Ministerium, das zum 31. 10. 1989 über 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigte548 und gemäß § 8 Abs. 1 seines Statuts dem "Prinzip der Einzelleitung" folgte 549, war hierarchisch organisiert und in 13 Hauptabteilungen untergliedert, denen wiederum 15 Bezirksverwaltungen und 211 Kreisdienststellen unterstellt waren. Während von führenden Politikern wie Erich Bonecker oder Erich Mielke beispielsweise anläßlich eines Meetings zum 35. Jahrestages des MfS im Jahre 1985550 - noch die Abhängigkeit des Ministeriums von der SED und ihrem Führungsanspruch betont wurde, unternahm Egon Krenz im Jahre 1990 den Versuch, das MfS als eigenverantwortliche Institution, als "nach außen hin abgeschirmter Staat im Staate, der selbst Mitglieder der Partei unter Kontrolle nahm"551 , darzustellen. Die enge personelle Verflochtenheit zwischen SED und MfS, die sich in einer fast regelmäßigen Personalunion von MfS- und Parteiführung bis in die Kreisgremien hinein manifestierte, eine entsprechende Personalpolitik, nach der die MfS-Führungskräfte nach parteipolitischen Maßstäben auszuwählen waren, und unterschiedliche Kontrollmechanismen 552 der Partei gegenüber dem Ministerium sprechen jedoch für dessen Eingliederung in den SED-Machtapparat. Die Mittel, denen sich das MfS zur Verwirklichung seiner Aufgaben "Aufklärung und Abwehr" bediente und die aufgrundeiner entsprechenden Medienberichterstattung zu einem von dessen "Charakterisierungsmerkmalen" avancierten, waren insbesondere durch weitreichende Eingriffe in den Persönlichkeits- und Geheimbereich des Einzelnen gekennzeichnet. Sie reichten von Kontrollen der einund ausgehenden Postsendungen durch die Abteilung M553 , über die Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch die Abteilung 26554 bis hin zu dem weiten Feld der 548 Gieseke: Die Hauptamtlichen. Zur Personalstuktur des Ministeriums für Staatssicherheit, S. 39. 549 Abgesehen von der Tatsache, daß die (vereidigten) Mitarbeiter des MfS militärische Dienstränge führten, war dessen interne Struktur von Befehl und Gehorsam geprägt. Als ein weiteres Merkmal dieser Organisationsform ist ferner das Prinzip der Einzelleitung (§ 8 Abs. 1 des Statuts) zu nennen: Demnach oblag dem jeweiligen Vorgesetzten die persönliche Verantwortung für seinen Zuständigkeitsbereich, was sich in allen Diensteinheiten widerspiegelte. 550 Vgl. hierzu die Berichterstattung in: Neues Deutschland vom 7. Februar 1985, S. 3 f. 55! Aussage Egon Krenz' anläßlich einer Anhörung des Runden Tisches in Ostberlin am 22. Januar 1990, zit. in Fricke: MfS intern, S. 12. 552 Zu nennen sind hier beispielsweise die Zuständigkeit des Sekretärs des Zentralkornmitees für die Kontrolle der bewaffneten Organe, zu denen auch das MfS zählte, oder Rechenschaftspflichtder jeweiligen MfS-Einsatzleiter gegenüber dem Nationalen Verteidigungsrats. Vgl. hierzu auch Fricke: MfS intern, S. 16. m Gemäß den Ausführungen von Fricke (MfS intern, S. 48) waren in der Abteilung M, die an die Hauptabteilung li (Spionageabwehr) angegliedert war, und in ihren Unterabteilungen nahezu 2200 Mitarbeiter beschäftigt.
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Bespitzelungen von Bürgern und deren Denunziation durch offizielle wie vor allem auch inoffizielle Mitarbeiter555 . Nur selten verblieb es aber bei der bloßen Postkontrolle, bei der Telefonüberwachung oder der politischen Verdächtigung. So wurden im Zuge oder infolge der genannten Maßnahmen Gelder oder Wertgegenstände aus Briefen und Päckchen entnommen, Postsendungen vernichtet oder Personen nach ihrer Inhaftierung in den Haftanstalten mißhandelt.
b) Der "Postraub" der Stasi Der Ausdruck des "Postraubs der Stasi" ist zwischenzeitlich zu einem Inbegriff des Tatkomplexes um die Postkontrollen und Geldentnahmen durch die Mitarbeiter des MfS geworden. Wenngleich er auch in das juristische Schrifttum Einzug gefunden hat556, so ist er doch in mehrfacher Hinsicht verfehlt: Zum einen- und hier dürfte Einigkeit bestehen - kann von einem "Raub" im juristischen Sinne, d. h. einem Gewahrsamsbruch unter Gewaltanwendung, keine Rede sein. Zum anderen ist der Begriff zu eng, nimmt er doch in der Hauptsache auf die Entnahme der Gelder und Wertgegenstände Bezug. Ihr sind jedoch regelmäßig weitere strafrechtsrelevante Handlungen vor- oder nachgeschalten. Zu denken ist hier insbesondere an die Öffnung der Briefe und die damit einhergehende Verletzung der Privatsphäre oder die anschließende Vernichtung der Sendungen. Wie jedoch im folgenden zu zeigen sein wird, haben diese "Begleitdelikte" auch in der Rechtsprechung eine lediglich untergeordnete Rolle gespielt. Auf der anderen Seite wird gerade in der Verwendung dieses in der Sache "überspitzten" Schlagwortes die gesamte Emotionalität deutlich, die der Tätigkeit der Stasi-Mitarbeiter entgegengebracht wird. Sie kann daher- sicherlich auch hier mit einer gewissen Vorsicht557 - durchaus als ein Indiz für die Befindlichkeit vieler Opfer gewertet werden. 554 Für diese Abteilung und der ihr nachgeordneten Bezirks- und Kreisverwaltungen arbeiteten- so Fricke (MfS intern, S. 30) - ca. 440 Personen. 555 Zu der "Richtline 1176 zur Entwicklung und Bearbeitung operativer Vorgänge", in der ein Maßnahmenkatalog für die Tätigkeit der informellen Mitarbeiter niedergelegt war, vgl. Fußnote 125. 556 Vgl. Renger/Volze: NJ 1995,467 oder Geppert: JK 94, StOB§ 246/8. 557 Eine gewisse Vorsicht mit scheinbar zwingenden Rückschlüssen ist - wie allgemein bei den Opferinteressen bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung - auch hier geboten. Wie weit die häufig emotionalisierte und durch Schlagworte geprägte Berichterstattung die tatsächlichen Gefühle und Befindlichkeiten der Opfer widerspiegelt, ist nicht immer eindeutig zu klären. So ist unter anderem auch das Interesse der Presse an einer hohen Medienwirksamkeit zu berücksichtigen, die nicht selten mit einer Verwendung derartiger Wendungen einhergeht. Grundsätzlich sind daher mehrerere Wertungen möglich. Denkbar sind beispielsweise: die Berichterstattung spiegelt die Opferinteressen richtig wieder; sie ist bewußt oder unbewußt auf eine Emotionalisierung ausgerichtet und beleuchtet daher nur Teilaspekte, die zu einer Verfälschung des tatsächlichen Meinungsbildes führen.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
Dem konkreten Handlungsmuster folgend ist nunmehr auf die einzelnen Delikte und ihren Bezug zu viktimologischen Aspekten näher einzugehen. aa) Die Postkontrolle durch das MJS
Folgt man den Ausführungen von Schell und Kalinka, so liegt die Zahl der durch die Mitarbeiter der Abteilung M kontrollierten Postsendungen - bezogen auf das gesamte Staatsgebiet der DDR - pro Tag bei ca. 50.000 bis 70.000 Briefen und Päckchen558. Fricke geht hierbei allein für die Stadt Dresden von 4000 bis 5000 Postsendungen aus, die täglich einer Kontrolle unterzogen, d. h. geöffnet, ausgewertet und gegebenenfalls kopiert bzw. deren Inhalte auf sonstige Weise festgehalten wurden; dies entspricht einem Anteil von etwa 4 bis 5 % des gesamten Dresdener Briefverkehrs559. Betroffen war insbesondere Postgut, das entweder aus dem Ausland- insbesondere der Bundesrepublik- kam oder dorthin adressiert war, das von registrierten DDR-Bürgern, welche auf besonderen Listen erfaßt waren, stammte oder an sie gerichtet war oder das sonstige Aufflilligkeiten jedwelcher Art aufwies. Wahrend - wie bereits kurz angedeutet - der Schwerpunkt der strafrechtlichen Auseinandersetzung mit den hier zu betrachtenden Stasi-Aktivitätenangesichts der Veröffentlichungen in den Medien und der Fachpresse bei der Behandlung des "Geldentnahmekomplexes" zu liegen scheint, beschränkt sich die rechtliche Würdigung im Rahmen der Postkontrolle allein auf das - nicht minder problematische - Delikt des Verwahrungsbruches. Gerade im Hinblick auf den Tatbestand des § 202 StGB vermag diese doch recht einseitige Betrachtung auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen 560. Vergegenwärtigt man sich, daß insbesondere Briefe westdeutscher Bürger einer Überpriifung unterzogen wurden, so ist in diesen Fällen eine direkte Anwendung der Norm gemäߧ 7 Abs. I StGB i.V.m. Art. 315 Abs. 4 EGStGB durchaus in Erwägung zu ziehen. Mit § 135 war des weiteren dem StGB-DDR eine dem § 202 StGB vergleichbare Vorschrift bekannt. Sie setzte jedoch eine "unberechtigte Kenntnisnahme" voraus. Nun erkannten zwar Art. 31 DDR-Verfassung wie auch Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1976 grundsätzlich den Schutz des Briefgeheimnisses an, in das gemäß Art. 31 Abs. 2 DDR- Verfassung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes eingegriffen werden durfte. Die beiden Regelungen standen aber unter dem Vorbehalt einer marxistisch-leninistischen Zu den Aspekten der Aufarbeitung dieses Tatkomplexes aus Opfersicht vgl. unten unter ee) dieses Abschnitts. sss Schell/ Kalinka: Stasi und kein Ende, S. 101. 559 Fricke: MfS intern, S. 48. 560 § 354 StGB kommt schon wegen des dort angesprochenen Täterkreises nicht in Betracht, da die MfS-Angehörigen weder Postbedienstete noch sonstige Personen im Sinne des Abs. 2 waren.
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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Auslegung einerseits bzw. einer innerstaatlichen Konkretisierung561 andererseits. Die Aufklärung staatsfeindlicher Bestrebungen mittels einer Postkontrolle tangierte nach diesem in der DDR vorherrschenden Verständnis den Schutzbereich dieser Normen nicht: geschützt war lediglich die Grundrechtsausübung zugunsten der sozialistischen Staatsziele. Wer sie in Frage stellte oder gegen sie arbeitete, dem blieb ein Grundrechtsschutz verwehrt562 . Die Postkontrolle war daher- sofern ein entsprechender Verdacht begründet werden konnte - im Sinne des § 135 StGBDDR nicht "unberechtigt". Die Begründung einer Strafbarkeit müßte sich somit über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals hinwegsetzen. Daß ein solcher Schritt mit Blick auf das Rückwirkungsverbot nicht unproblematisch ist und von den Gerichten nur in extremen Ausnahmefällen praktiziert wird, wurde bereits mehrfach dargestellt. Auch haben sich die Strafgerichte in diesem Zusammenhang nicht weiter mit der Frage beschäftigt, ob und wie weit das Zoll-, Devisen- und Polizeirecht der DDR Eingriffe der Stasi in den Postverkehr zuließ. Wahrend der 5. Senat des Bundesgerichtshofes im Rahmen des Unterschlagungstatbestandes eine Rechtmäßigkeit der Kontrollen aufgrund der genannten Gesetze mit der Begründung verneint, die Öffnung der Postsendungen habe nicht primär der Staatssicherheit, sondern allein der - von zoll-, devisen- oder polizeirechtlichen Regelungen nicht erfaßten staatlichen Bereicherung gedient563 , halten Renger und Volze hingegen zumindest eine Reihe der Überprüfungen aufgrund dieser Rechtsquellen und der in ihnen enthaltenen Ermächtigungen für gerechtfertigt564. Ungeachtet der aufgezeigten dogmatischen Fragen scheiterte die Strafverfolgung jedoch aus tatsächlichen wie rechtlichen Gründen regelmäßig an dem Strafantragserfordernis des § 205 StGB bzw. des entsprechenden § 135 Abs. 2 StGBDDR: Zum einen erfuhr der Betroffene aufgrund der strengen Geheimhaltung in der Regel nichts von der Öffnung der von ihm stammenden oder an ihn gerichteten Post und somit nichts von der Begehung der konkreten Tat. Zum anderen betrug die Frist zur Stellung des Strafantrags in Ansehung des anzuwendenden § 2 Abs. 2 DDR-StGB lediglich drei Monate ab Kenntnis der Tat, jedoch absolut, d. h. unabhängig von einer etwaigen Kenntnis, nur sechs Monate seit der Tatbegehung, wie das OLG Dresden in seinem Urteil vom 24. September 1997 ausdrück561 Art. 17 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1976 schützt den eigenen Schriftverkehr lediglich vor "rechtswidrigen" Eingriffen. Wann ein solcher Eingriff berechtigt oder unberechtigt und damit rechtswidrig ist, bestimmt das innerstaatliche, nationale Recht des jeweiligen Mitgliedsstaates. Ihm obliegt somit Konkretisierung dieses Tatbestandsmerkmals. 562 Abgeleietet wurde diese Auslegung aus Art. 21 Abs. 1 der DDR-Verfassung, der dem Grundrechtskatalog vorangestellt war. Vgl. hierzu: Mampel: Verfassung der DDR, Art. 31 Rdnr. 10. 563 5. Senat des BGH, Vorlagebeschluß vom 7. März 1995: NJ 1995, 492 (493); so im Ergebnis wohl auch: Schroeder: JZ 1995, 95 ff. (96). 564 Renger/Volze: NJ 1995,467 ff. ; offengelassen durch: BGH (GrSen) NJW 1996, 403.
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2. Kap.: Der Opfera~pekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
lieh ausführte565 . Für Taten, die vor Einführung des§ 135 Abs. 2 DDR-StGB durch das 5. StrÄndG vom 14. Dezember 1988566 begangen worden waren, war gemäß § 2 Abs. 2 DDR-StGB- so das OLG Dresden in der zitierten Entscheidung- die Strafantragsfrist mit Ablauf des 2. Januar 1990 und somit bereits vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten abgelaufen. "Gemäß Art. 315 b Satz 4 EGStGB (bleibt es dabei)"567 . Für die hier interessierende Thematik der Opferaspekte kann eine letztverbindliche Entscheidung über die angesprochenen rechtsdogmatischen Fragestellungen welcher der beiden Auffassungen bezüglich des Merkmals "unbefugt" ist zu folgen?568 Und: lassen sich die auf den Tatbestand des § 246 StGB bezogenen Aussagen ohne weiteres auch auf§ 135 StGB-DDR übertragen?- allerdings unterbleiben. Bezüglich der Opfergesichtspunkte, welche nach der Darstellung der rechtlichen Wertungen durch die Rechtsprechung unter dd) und ee) näher betrachtet werden, reicht vorerst die Feststellung aus, daß sich die Gerichte nicht weiter mit der Problematik der§§ 202 StGB, 135 StGB-DDR befaßt haben.
bb) Die Geldentnahme - die Problematik des Unterschlagungstatbestandes Im Gegensatz zu der bloßen Postkontrolle ist eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Tatbestand der Unterschlagung im Hinblick auf die Geldentnahme indessen nicht unterblieben. Wie schon mehrfach angesprochen, hat gerade dieser Tatkomplex eine intensive Betrachtung in der Rechtsprechung und der Öffentlichkeit gefunden. Dies mag zum einen - und auch das klang bereits kurz an - an der konkreten Betroffenheit vieler Ost- wie Westdeutscher liegen569. Zum anderen ist nicht auszuschließen, daß das Medieninteresse auch durch die höchstrichterlichen Meinungsverschiedenheiten, die sich in einer uneinheitlichen Bewertung der Rechtsfragen manifestierten, in besonderem Maße geweckt wurde. So hatte der 4. Senat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 9. Dezember 1993570 eine OLG Dresden: NJ 1997, 654 f. GBL 1988 I, Nr. 29, in Kraft getreten am 01. Juli 1989. 567 OLG Dresden NJ 1997, 654. Nach der Auffassung des Gerichts ist auch § 79 StPODDR nicht anwendbar: Nach dieser Vorschrift war eine verspätete Antragstellung wirksam, wenn der Berechtigte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war. Die bloße Nichtkenntnis von der Tat sei diesbezüglich jedoch kein Befreiungsgrund, was die -ansonsten hinfallige - Regelung des§ 2 Abs. 2 StGB-DDR (absolute Ausschlußfrist von 6 Monaten) beweise. 568 Auch der Große Senat des BGH hat diese Frage in seinem Beschluß vom 25. Juli 1995 (NJW 1996,402 ff. [403]) ausdrücklich offenge1assen. 569 Nach den Feststellungen des BGH (NJ 1995, 492; NJW 1996, 402) flossen dem Staatshaushalt der DDR in den Jahren 1984 bis 1989 durch die Geldentnahmen seitens der Mitarbeiter der Abteilung M Zahlungsmittel im Wert von über 32 Mio. DM zu. Hinzu kamen - so Schroeder: JZ 1995, 95- Schmuck und sonstige Wertgegenstände im Wert von über 10 Mio. DDR-Mark. 565 566
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Strafbarkeit nach § 246 StGB (als der gegenüber § 177 StGB-DDR milderen Vorschrift571) mangels Gewahrsams und Selbst-Zueignung der Stasi-Mitarbeiter abgelehnt572. Zur Begründung führt er insbesondere an, daß nach ständiger Rechtsprechung zwar ein mittelbarer wirtschaftlicher Vorteil zur Annahme einer Selbstzueignungsabsicht ausreiche. Ein solcher sei allerdings nicht feststellbar: ,,Angesichts der Stellung der Angeklagten in der Organisation des MfS, die jedenfalls unterhalb der für die Anweisungen und Befehle verantwortlichen Führungsebene angesiedelt war, liegt die Annahme auch fern, die Angeklagten könnten mit der weisungsgemäß bewirkten Entnahme der Zahlungsmittel und deren Ablieferung an die Finanzabteilung des MfS einen solchen wirtschaftlichen Vorteil erhalten oder erstrebt haben"573
Auch eine strafbare Teilnahme komme in Ermangelung einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat nicht in Betracht. So scheide zum einen die DDR als Haupttäter aus, da § 27 StGB eine "andere", natürliche Person voraussetze; § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei mangels Vorliegens eines besonderen persönlichen Merkmals nicht anwendbar. Schließlich könne den Feststellungen nicht entnommen werden, daß die- nunmehr allein als Täter in Betracht kommenden- "Verantwortlichen in der politischen Führungsebene oder der Leitungsebene der Zentrale des MfS" eine entsprechende Zueignungsahsicht besaßen. Dies liege "im übrigen auch fern", zumal es nicht ausreiche, "wenn es ihnen ein eigenes Anliegen war, durch die Zuführung der aus Briefen entnommenen DM-Devisen in den Staatshaushalt Staat und Gesellschaft der DDR zu stärken und so der «Idee des Sozialismus» im Kampf der politischen Systeme zu dienen. Die Förderung dieses Interesses kann auch bei weitestem Verständnis nicht als Erstreben eines eigenen wirtschaftlichen Vorteils gedeutet werden"574. Schließlich fehle es bei diesen potentiellen Haupttätern an einem Gewahrsamsverhältnis: die bloße Anweisungs- und Kontrolltätigkeit reiche für dessen Begrundung nicht aus, eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit der Abteilungsleiter im Sinne einer tatsächlichen Sachherrschaft hatte regelmäßig nicht bestanden575. Auf den Vorlagebeschluß des 5. Senates vom 7. März 1995576 hin hat der Große Senat des BGH in seiner Entscheidung vom 25. Juli 1995577 die Rechtsprechung des 4. Senates zur Zueignungsahsicht bestätigt. So führt er diesbezüglich analog zu der Auffassung des 4. Senates aus:
=BGH NJW 1994, 1228 ff. =NJ 1994,231. BGH NJW 1994, 1230. 572 Dieses Urteil ist auf eine breite Kritik in der Öffentlichkeit gestoßen, sah man in ihm doch einen Freibrief ftir die Stasi-Tätigkeit, vgl. z. B. Fromme: Unrecht wird Recht, FAZ vom 19. Februar 1994. 573 BGH NJW 1994, 1230. 574 BGH NJW 1994, 1230. 575 BGH NJW 1994, 1231. 576 BGH (5. Senat) NJ 1995, 492 ff. 577 GrSen des BGH, Beschluß vom 25. Juli 1995: NJW 1996, 402 ff. s1o BGHSt 40, 8 ff.
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Blümmel
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
"Daß dem Staat zusätzliche Mittel zufließen, reicht für die Annahme eines eigenen wirtschaftlichen Vorteils des Bediensteten, der diese Einnahmen veranlaßt, grundsätzlich nicht aus ( ... ). Solche Einnahmen kommen dem verantwortlichen Funktionär nicht mehr als , anderen Staatsbürgern zugute. Daß dieser sein Gehalt vom Staat empfängt, vermag nichts zu ändern. Eine andere Beurteilung ist auch nicht für die an der Verwertung von Postsendungen beteiligten Angehörigen der Führungsebene des MfS möglich. Allerdings mögen sie, ( ... ), die Zuwendungen an den Staatshaushalt in besonderem Maße in dem Bewußtsein veranlaßt haben, durch systemkonformes persönliches Verhalten ihre berufliche Existenz und Stellung abzusichern. Auch dieses Anliegen kann aber die Annahme einer tatbestandsmäßigen Unterschlagung nicht rechtfertigen. Die Sicherung des eigenen Einkommens bedeutet zwar einen wirtschaftlichen Vorteil. Im Sinne der Rechtsprechung zur Drittzueignung kann dieser aber für die Annahme eines "Sich-Zueignens" nicht genügen." 578
Im Gegensatz hierzu hat der 5. Senat des Bundesgerichtshof in seinem bereits zitierten Vorlagebeschluß vom 7. März 1995 die grundsätzliche Strafbarkeit der Geldentnahme nach § 246 StGB mit der Begründung annehmen wollen, im konkreten Fall fehle es weder an einem Gewahrsam, noch an einer Selbstzueignung. Für den Gewahrsamsbegriff des § 246 StGB sei - so seine Argumentation - nicht allein eine räumliche Nähe und tatsächliche Verfügungsgewalt erforderlich. Vielmehr reiche die Möglichkeit eines Zugriffs durch eine entsprechende Weisungsbefugnis,wie sie Angehörigen der Leitungsebene jederzeit zustand, zur Gewahrsamsbegründung aus: was mit der jeweiligen Postsendung geschehen sollte, konnte durch den konkreten Angeklagten aufgrund entsprechender Dienstanweisung unmittelbar bestimmt werden. Ein Gewahrsam sei daher - zumindest was die Angehörigen der Leitungsebene angeht - anzunehmen. Eine Strafbarkeit käme selbst dann in Betracht, wenn die betreffenden Gegenstände nicht in den unmittelbaren Einflußbereich des jeweiligen Taters gekommen seien: Durch deren Weiterleitung an die Finanzabteilung des MfS hätten zumindest die Hauptabteilungsleiter, der Minister für Staatssicherheit und dessen Stellvertreter aufgrund der dargestellten Befehlshierarchie und der damit verbundenen Zugriffsmöglichkeit Gewahrsam erlangt, so daß zumindest Beihilfe zur Unterschlagung anzunehmen sei579. Was das Problem der Selbst-Zueignung angeht, so beruft sich der 5. Senat auf die Rechtsprechungslinie des BGH, nach der für die Annahme einer Selbst-Zueignungsabsieht ein nur mittelbarer wirtschaftlicher Nutzen ausreiche. In der entscheidenden Textpassage heißt es hierzu im direkte Vergleich zu den soeben zitierten Ausführungen des Großen Senats: "Im Einklang mit der Selbstzueignung in Fällen des Verschenkens fremder Sachen und der beabsichtigten Förderung von Organisationszielen kann bereits das mit der Zuwendung verbundene Anliegen, der «> und damit den Zielen des Staates, dem die entzogenen Wertgegenstände zugewendet wurden, zu dienen, als für eine Selbstzueignung ausreichendes Erstreben eines wirtschaftlichen Nutzens im weitesten Sinne gelten. BGH (GrSen) NJW 1996,404. Nach dieser Rechtsprechung stellt sich daher nicht (mehr) die Frage: Gewahrsam -ja oder nein? sondern: Talerschaft oder Teilnahme? 578 579
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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Einen in diesem Zusammenhang maßgeblichen Unterschied zwischen einem Staat und einer anderen Organisation vermag der anfragende Senat . . . nicht zu erkennen."580
Nicht vergessen werden darf schließlich - und auch dies wird in dem Vorlagebeschluß des 5. Senats deutlich-, daß große Teile des aus den sogenannten "Irrläufern" entnommenen Geldes in die eigenen Taschen höherer MfS-Mitarbeiter "wanderte". In diesen Fällen ist die Selbst-Zueignungsabsieht regelmäßig nicht weiter problematisch. In einem weiteren Schritt setzt sich der Senat schließlich mit der Frage der Rechtswidrigkeit und Schuld auseinander. Wie bereits oben angedeutet, wird hier eine Rechtfertigung nach zoll-, devisen- und polizeirechtlichen Vorschriften ausdrücklich abgelehnt. Die sich aus diesen Regelungen möglicherweise ergebenden Befugnisse seien dort nicht in Anspruch genommen worden, wo es um die staatliche Bereicherung und nicht um die Wahrung staatssicherheitsrechtlicher Belange ging. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Großen Senats ist die Strafverfolgung der Stasi-Mitarbeiter unter dem Aspekt der Unterschlagung nunmehr weitestgehend eingestellt worden. Daß die Entscheidungen des 4. und des Großen Senates in der Öffentlichkeit auf eine breite Kritik gestoßen sind, wurde bereits kurz angedeutet. Doch auch die Richter der beiden erkennenden Senate waren sich der Problematik des von ihnen erzielten Ergebnisses bewußt. So wird auch in der Entscheidung vom 9. Dezember 1993 folgende Feststellung eingeräumt: "Der Senat verkennt nicht, daß es unbefriedigend erscheint, wenn ein Verhalten, das sich jedenfalls bei Anlegung der Maßstäbe eines Rechtsstaates - als schwerwiegendes Unrecht darstellt, strafrechtlich nicht geahndet werden kann, weil es nicht tatbestandsmäßig ist. Eine solche Strafbarkeitslücke hat die Rechtsprechung aber hinzunehmen."581
Dies ist aus rechtsstaatlicher Sicht gerade im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG richtig. Die aus rechtsdogmatischen Gründen "mißglückte" Aufarbeitung der Geldentnahme durch das MfS hat jedoch dahingehend Früchte getragen; daß der Unterschlagungstatbestanddurch das 6. StrÄndG vom 26. Januar 1998582 nunmehr auch die Drittzueignung erfaßt. Die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung vom 25. September 1997583 nimmt diesbezüglich ausdrücklich auf die "entstehenden Strafbarkeitslücken" und die dargestellte Kontroverse der drei Senate Bezug. Insofern handelt es sich bei der Neufassung des § 246 StGB um ein "Para580 BGH (5. Senat) NJ 1995, 463; vgl. zur Entscheidung des 5. Senats auch: Schroeder: JZ 1995, 96: er stimmt dem 5. Senat hinsichtlich der Gewahrsamsfrage und der Selbstzueignungsabsicht wegen einer beabsichtigten Sicherung des Arbeitsplatzes und der eigenen Privilegien zu, lehnt eine Zueignungsahsicht im Hinblick auf die Förderung der sozialistischen Idee aber ab. 581 BGH (4. Sen.) NJW 1994, 1231. 582 BGBI. 1998 I, S. 164. 583 BT-Drs. 13/8587: zu Nummer 43 (§ 246).
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
debeispiel" einer reagierenden Gesetzgebung im Sinne des § 3 dieses Kapitels, welche auf den Erfahrungen mit der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung beruht, gleichwohl aber nur für zukünftige Fälle Geltung beanspruchen kann. cc) Der Verwahrungsbruch und sonstige Delikte im Zusammenhang mit den Postkontrollen
Der Tatbestand des Verwahrungsbruches (§ 133 StGB) hat in der Rechtsprechung zum "Postraub der Stasi" ein der Unterschlagung durchaus ähnliches Schicksal erlebt. Dies ist insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen, daß beide Tatbestände - Verwahrungsbruch wie Unterschlagung - in den genannten Entscheidungen nebeneinander erörtert wurden und sich gerade hinsichtlich der Gewahrsamsproblematik eine doch vergleichbare Fragestellung eröffnet. Sucht man also nach entsprechenden Fundstellen, so wird man in den bereits zitierten Entscheidungen des 4., 5. und des Großen Senats des Bundesgerichtshofs fündig. Wenngleich der Große Senat mangels Zulässigkeil des genannten Vorlagebeschlusses in dieser Frage nicht näher auf den Verwahrungsbruch einzugehen hatte, so kann man aus der entsprechenden Textpassage dennoch drei Punkte herauslesen: 1) zum Zeitpunkt der Vernichtung der Briefe standen diese nicht mehr im Gewahrsam der Deutschen Post; 2) das MfS hatte keinen dienstlichen Gewahrsam im Sinne des § 133 Abs. 1 StGB und 3) eine Strafbarkeit der MfS-Mitarbeiter wegen Verwahrungsbruches kommt allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Beteiligung in Betracht, sofern eine konkrete Einflußnahme des Agenten auf die Postmitarbeiter überhaupt nachgewiesen werden kann584. Mit dieser Rechtsprechung bestätigt er im wesentlichen die Linie des 4. Senates, der sich in seinem Urteil vom 9. Dezember 1993 insbesondere mit der Gewahrsamsproblematik auseinandergesetzt hatte 585 . Demgegenüber hält der 5. Senat- wie aus der Begründung seines Vorlagebeschlusses hervorgeht- die Frage der Strafbarkeit nach§ 133 Abs. 1 StGB für "noch nicht abschließend geklärt"586. Schon durch die "willentliche Übertragung des Gewahrsams auf das MfS" durch die Mitarbeiter der Deutschen Post und nicht erst durch die nachfolgende Vernichtung der Briefe in den Räumen des MfS sei der Tatbestand des § 133 Abs. I, letzte Variante StGB erfüllt. Zu dieser strafbaren Handlung der Postbediensteten sei eine Anstiftung oder mittelbare Titerschaft der MfS-Mitarbeiter denkbar. Diese Auffassung ist in der Literatur auf positive Resonanz gestoßen587•
BGH (GrSen) NJW 1996,403. BGH (4. Senat) NJW 1994, 1231 f.: neben dem fehlenden Gewahrsam der Deutschen Post und dem fehlenden dienstlichen Gewahrsam des MfS im Sinne des§ 133 StOB fehle es auch an der Rechtswidrigkeit eines möglichen Verwahrungsbruches, da die Vernichtung der Briefe mit dem "Willen der für die Entscheidung über des Fortbestand des dienstlichen Gewahrsams zuständigen Stellen des Ministeriums oder seiner Bezirksverwaltung" erfolgte. 586 BGH (5. Senat) NJ 1995, 493. 584 585
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Aber auch in diesem Zusammenhang gilt: Mit der Rechtsprechung des Großen Senates ist die Strafverfolgung der MfS-Agenten wegen dieses Tatkomplexes eingestellt worden. Weitere Straftatbestände wie beispielsweise die Urkundenunterdrückung oder Sachbeschädigung, die mit der Postkontrolle, der Geldentnahme und der Vernichtung der Briefsendungen einhergehen könnten, haben in der Rechtsprechung wenig Beachtung gefunden588, so daß auch diesbezügliche Folgefragen- z. B. die Rechtmäßigkeit der Vernichtung aufgrund einer möglicherweise berechtigten Öffnung und Geldentnahme nach den genannten verwaltungsrechtlichen Vorschriften589 unbeantwortet blieben. Gerade im Rahmen der Sachbeschädigung ist jedoch auch das Strafantragserfordernis des § 303 c StGB zu berücksichtigen. Wie bereits bei den §§ 202, 205 StGB wird es aber auch hier regelmäßig an einem Strafantrag aus tatsächlichen Gründen fehlen. Geppert macht in diesem Zusammenhang einen recht interessanten Vorschlag: angesichts der auf der Rechtsprechung des 4. und Großen Senats beruhenden, "festgestellten Strafbarkeitslücken" sei zu fragen, "weshalb die Staatsanwaltschaft nicht das «besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung» bejaht und ein Einschreiten von Amts wegen für erforderlich erachtet"590. Im Vorgriff auf die nunmehr zu erörternden Opferaspekte kann ihm auf diese Frage allerdings bereits an dieser Stelle eine mögliche Antwort gegeben werden, die mit dem Schlagwort der "Disproportion der Strafverfolgung"591 umschrieben werden kann. Wie schon der Begriff des "Postraubs der Stasi" vermuten läßt und die vorangehenden Ausführungen zeigen, liegt der Schwerpunkt des begangenen Unrechts auf der Geldentnahme und - wenn man ihn erweitern will - auf der Verletzung des Briefgeheimnisses. Die anschließende Vernichtung der Briefe oder deren Beschädigung infolge einer Öffnung durch das MfS haben als fast zwingend notwendige Begleitdelikte kaum einen eigenen Unwertgehalt Die angesichts der staatlich angeordneten Postkontrollen sicherlich denkbare Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses im Sinne des § 303 c StGB würde zu einer deutlichen Verschiebung der Strafverfolgungsschwerpunkte - weg von den eigentlich drängenden Pro587 Vgl. z. B. Geppert: JK 94, StGB § 246/8, Schroeder: JZ 1995, 97; krit. zu den Ausführungen des 4. Senates vgl. auch Tröndle: § 133 Rdnr. 11. 588 Vgl. hierzu die knappen Ausfrihrungen des BGH (4. Senat) in seinem Urteil vom 9. Dezember 1993: "Eine Ahndung der angeklagten Taten unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 135 a DDR-StGB, § 202 StGB) und der Sachbeschädigung (§ 183 DDR-StGB, § 303 StGB) scheidet schon deswegen aus, weil es insofern an Strafanträgen(§§ 205 Abs. 1, 303 c StGB) fehlt, die bestimmten Einzelakten der angeklagten, fortgesetzten Tat zugeordnet werden könnten; im übrigen hat die StA hinsichtlich der Sachbeschädigung auch nicht das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung erklärt(§ 303 c letzter Halbs. StGB). 589 Vgl. zu diesem Fragenkomplex auch Tröndle: § 133 Rdnr. 11. 590 Geppert: JK 94, StGB § 246/8. 591 Zu diesem Begriff vgl. Renger/Volze: NJ 1995,471.
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2. Kap.: Der Opferaspekt im strafrechtlichen Umgang mit den Tatern
blemen hin zu den Bagatelldelikten- führen. Die Aufarbeitung des SED-Unrechts, zu dem auch die Aktivitäten der Stasi zählen, bedarf zwar einer möglichst umfassenden Perspektive, doch sollte sie sich vor allem auf die wesentlichen Fragen, die Behandlung des Grenzregimes, der Rechtsbeugung, der Spionage, der Bespitzelung und Denunziation, konzentrieren. Oder, um es anders zu formulieren: die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem sogenannten Unrechtsregime der DDR liefe Gefahr, durch eine unverhältnismäßige Überbetonung kleinerer, unproblematischer Randdelikte und einer damit verbundenen Auslastung der Justiz den Blick für die systemtragenden Tatbestände zu verlieren. Eine solche Vergangenheitsbewältigung kann auch den Opferinteressen nicht Genüge tun - mag der einzelne auch konkret von einer solchen Sachbeschädigung betroffen sein -, geht es doch entscheidend darum, systematisch verübtes Unrecht aufzuzeigen, zu dokumentieren und zu werten. Und dieses Unrecht manifestiert sich eben nicht in einer überbetonten Vernichtung von Briefen. Im Gegenteil: die straf- oder "Verfolgungs"- rechtliche Überbetonung dieser Tathandlungen könnte durchaus den Verdacht aufkommen lassen, daß alles doch lange nicht so schlimm war, wie es von vielen Opfern behauptet wird. Gerade im Rahmen solcher "untergeordneter" Randdelikte wie der Sachbeschädigung durch die Vernichtung der Briefsendungen zeigt sich, daß die durch eine strafrechtliche Vergangenheitsbewältigung angestrebte Befriedung nicht zwingend eine allumfassende, jedwede Handlung betrachtende Strafverfolgung voraussetzt. Entscheidend ist vielmehr eine maßvolle Gewichtung der unterschiedlichen Belange, die unter anderem auch eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich einzelner Teilbereiche gebieten kann. dd) Die Rechtsprechung zu den Postkontrollen und der Geldentnahme im Lichte einer primären Viktimisierung
Angesichts der vorstehenden Darstellung ist von zwei Ausgangspunkten auszugehen: 1) die rechtsdogmatischen Fragen zur Strafbarkeit des "Postraubs der Stasi" werden selbst innerhalb des BGH unterschiedlich beantwortet; 2) aufgrund der Entscheidung des Großen Senats wurde die Strafverfolgung der MfS-Mitarbeiter wegen dieses Tatkomplexes eingestellt. Bleibt man bei dem ersten Punkt stehen, so könnte unter zwei Aspekten an eine rechtsstaatlich bedenkliche Strafverfolgung der Täter zu denken sein: Zum einen stellt sich hier - ungeachtet einer gesetzlichen Vorlagepflicht bei abweichender Rechtsauffassung - die Frage nach einer Ungleichbehandlung der einzelnen Tater; die Strafbarkeit wäre von der Auffassung des jeweils angerufenen Gerichts abhängig. Zum anderen wäre gerade im Hinblick auf Art. 103 GG und dessen Analogieverbot eine tiefere Auseinandersetzung mit den divergierenden Rechtsprechungsentscheidungen notwendig. Überdehnt die Auffassung des 5. Senates den Begriff der Selbstzueignung im Sinne des § 246 StGB oder läßt sich eine solche Zueig-
§ 4 Strafverfahren und Opferaspekt
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nungsabsicht entgegen dem 4. und dem Großen Senat doch widerspruchsfrei begründen? Im Falle einer fortgesetzten Strafverfolgung wäre diese somit nur dann rechtsstaatlich unbedenklich, wenn die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten, eine Strafbarkeit der Tater also rechtsstaatlich widerspruchsfrei begründet werden könnten. Bezieht man allerdings nunmehr den zweiten Punkt mit ein, so stellen sich die soeben aufgeworfenen Fragen - zumindest aus viktimologischer Sicht nicht mehr. Wie bereits oben geschildert, führt die Unterlassung einer Strafverfolgung auch dann nicht zu einer berücksichtigungsfähigen Benachteiligung der Tater anderer Deliktsgruppens, wenn sie aus strafrechtsdogmatischer Sicht geboten wäre und sie sich so für einzelne Tatergruppen als faktische Amnestie darstellt. Zur näheren Begründung kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werdender592• Im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der Stasi-Aktivitäten jedoch auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen, der den gesamten Bereich der Auseinandersetzung durchzieht und der daher bereits an dieser Stelle dargestellt werden soll. Die Rede ist hier von der "Verfolgung" von MfS-Angehörigen durch die Medien und die Öffentlichkeit im Zuge der eigentlichen Strafverfolgung. So titelte der "STERN" in seiner Ausgabe vom 6. Februar 1992: "Die Spitzel-Jagd spaltet Deutschland. Der späte Sieg der Stasi" und ,,Enthüllungen, Verdächtigungen, menschliche Tragödien -und die wahren Tater kommen davon"593 • In dem entsprechenden Bericht heißt es weiter: ,)etzt gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung, jetzt gehen wir von der Schuldvermutung aus. Jetzt wird freiheraus verdächtigt. Vorsorgliche Verurteilung. Sollen doch diejenigen, denen das Kainsmal des Stasi-IM aufgedrückt wurde, öffentlich ihre Unschuld beweisen!594 ( ... ) Die Wahrheitssuche der Opfer und das zynische Enthüllungsgeschäft westlicher Medien sind eine fatale Verbindung eingegangen.