Der neue Plan: als Grundlage der deutschen Wirtschaftspolitik. (Veröffentlichungen des Instituts für Finanzwesen an der Handels-Hochschule Berlin I) [1 ed.] 9783428561674, 9783428161676


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Der neue Plan: als Grundlage der deutschen Wirtschaftspolitik. (Veröffentlichungen des Instituts für Finanzwesen an der Handels-Hochschule Berlin I) [1 ed.]
 9783428561674, 9783428161676

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Der Neue Plan als Grundlage der deutschen Wirtschaftspolitik Von Moritz Julius Bonn

Duncker & Humblot reprints

Veröffentlidmngen des Instituts für Finanzwesen an der Handels-Hochschule Berlin Herausgegeben von Professor Dr. M. J. Bonn

I

DER NEUE PLAN Von

M . J. Bonn

M Ü N C H E N U N D L E I P Z I G 1930 VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT

DER NEUE PLAN als Grundlage der deutschen Wirtschaftspolitik Von

M . J. B O N N

M Ü N C H E N U N D L E I P Z I G 1930 V E R L A G V O N DUNCKER & H U M B L O T

Copyright by Dundter & Humblot Verlagsbuchhandlung,Mündien 1930

Λ>

Plerersdie Hofbuchdrudterei Stephan Geibel & Co., Altenburg, Thür.

VORWORT Das Institut für Finanzwesen an der Handels-Hochschule Berlin hat der Öffentlichkeit bis jetzt kein Programm unterbreitet, weil es seine Begründung nicht durch Versprechungen, sondern durch Leistungen zu rechtfertigen wünscht. Erfahrungsgemäß nimmt aber die Fertigstellung solcher Arbeiten, wie sie im Institut vorbereitet werden, lange Zeit in Anspruch. W i r haben uns daher entschlossen, die Reihe der Veröffentlichungen mit der vorliegenden Schrift zu beginnen, gewissermaßen, um unsern Freunden ein erstes literarisches Lebenszeichen zu geben. Es geschieht mit einer gewissen Beklemmung, weil das vorliegende Buch kein Unternehmen des Instituts ist, sondern eine persönliche Arbeit, für die ich allein verantwortlich bin. Einzelne Teile derselben sind denn auch schon im Magazin der Wirtschaft und in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik erschienen. Die Mitglieder des Instituts sind an ihr nur insoweit beteiligt, als sie mich bei der Lesung der Druckbogen und der Herstellung des Sachregisters freundschaftlichst unterstützt haben. Dafür sage ich ihnen meinen besten Dank. Ich habe das Bedenken, mit einer eigenen, umstrittenen Arbeit die Veröffentlichungen des Instituts einzuleiten, überwunden, weil ihr Gegenstand zweifelsohne in das Arbeitsbereich eines Instituts für Finanzwesen gehört; Verleger und Leser hätte es mit Recht befremdet, wenn eine Arbeit seines Leiters ohne jede Beziehung zu dem Institut erschienen wäre. Ich habe dem Büchlein in einem Anhang eine Anzahl Denkschriften aus den Jahren 1Q20—1923 beigefügt, von denen nur einige wenige an heute mehr oder minder schwer zugänglichen Stellen veröffentlicht worden sind. Sie stammen aus einer Zeit, in der ich den Verhandlungen über die Reparationsfrage persönlich sehr nahe stand. Ihre Veröffentlichung hat heute kein direktes politisches Interesse mehr. W o h l aber berührt sie eine nicht unwichtige Frage. Es ist der deutschen Wissenschaft wieder und wieder vorgeworfen worden, sie habe in den entscheidenden Fragen der Stabilisierung und der Reparation untätig beiseite gestanden. Ich bin nicht berechtigt, im Namen meiner Kollegen zu sprechen; ich habe aber allen Grund, anzunehmen, daß viele von ihnen die Erkenntnis geteilt haben, die ich in diesen Denkschriften niedergelegt habe, und daß es höchstens eine Frage des persönlichen Temperaments war, daß sie weniger energisch vorgestoßen sind als ich. ν

Der Leser wird diesen Ausführungen entnehmen können, daß die Frage der Stabilisierung, des Transfers, des Wohlstandsindex und des Aufbaues der Reparationen schon i n den Jahren 1920-1923 für den zünftigen Nationalökonomen kein Buch mit sieben Siegeln war. Er dürfte darüber hinaus feststellen können, daß Voraussagen, die auf theoretische Erkenntnisse aufgebaut waren, sich weit häufiger erfüllt haben, als gemeiniglich angenommen wird, obwohl natürlich zahllose Einzelheiten sich heute als unrichtig erwiesen haben. W e n n ich, als einer von vielen, mit meinen Anschauungen nicht durchgedrungen bin, so hat das vor allem daran gelegen, daß der Sachverständige nicht die Machtmittel besitzt, sich Interessenten gegenüber durchzusetzen. Er kann nur Ratschläge geben, die andere durchführen müssen. Verschließen sie sich ihnen aus praktischen Gründen, so braucht er sich zum mindesten nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, die Wissenschaft habe versagt. Es ist vielleicht zweckmäßig, heute, wo ein gewisser Abschluß der Reparationsfrage erreicht ist, an der Hand ihrer Entwicklung dem Leser den Beweis zu liefern, daß dieser Vorwurf, mit dem man so gern die Ausschaltung der Wissenschaft begründet, unzutreffend ist. Genf, den 16. Juni 1930

VI

M . J. B o n n

INHALTSVERZEICHNIS Seite

Erstes Kapitel: Der Hintergrund

1-26

I. Kriegsschuld und Kriegsschulden IL Die Reparationskommission III. Okkupation und Reparation IV. Die Privatisierung der Schulden V . Der Dawesplan VI. Interalliierte Schulden und Reparationen

Zweites Kapitel: Das Ende des Dawesplans I. II. III. IV.

Die Die Die Die

treibenden Kräfte Finanzlage Pariser Konferenz Haager Konferenzen

1- 5 5 - 8 8-10 10- 17 17-19 19-26 27-55 27- 37 38-44 44- 50 50- 55

Drittes Kapitel : Der finanzielle Aufbau des Neuen Planes 56- 76 I. Die Höhe der Zahlungen II. Die Quellen der Aufbringung III. Die Form der Zahlungen IV. Die Kapitalisierung V. Die Nebenleistungen

Viertes

56-59 59- 63 63-67 67- 73 73- 76

Kapitel : Der Medianismus des Neuen Planes

I. Die Finanzkontrolle II. Die Kontrollen des Dawesplans III. Die Kontrollen des Neuen Planes IV. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Fünftes Kapitel: Transfersdiutz

und Moratorium . . . . 104-162

I. Anleihen und Tribute II. Der Mechanismus der Übertragung III. Budgetgleichgewicht und Transfer IV. Der Zahlungsaufschub V . Das Moratorium V I . Revision

Sechstes Kapitel: Folgerungen und Forderungen I. Steuerreform oder Finanzreform II. Quasibesteuerung III. Steuern und Anleihen IV. Kapitalknappheit V. Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik VI. Finanzpolitische Führung

. . 77-103 77- 79 79- 88 88-93 93-103

IO4-II2 112-124 I24-134 134-146 146-151 15I-162

163-233 I63-I69 I69-I82 182-193 193-207 207-220 220-233 vn

A

N

L

A

G

E

N Seite

/. Indexvorschläge

234-246

1. Aufzeichnungen betreffend ein Indexsdiema 2. Plan eines Indexsdiemas 3. Indexschemata in Verbindung mit Stabilisierungsvorschlägen

IL Reparationen und interalliierte

Schulden

234-243 243-245 245-246

246-251

4. Grundzüge eines Finanzplans 246-247 5. Kritik des Vorschlags zur Übernahme der alliierten Schulden durch Deutschland 248-249 6. Fortsetzung der Kritik . 249-251

III. Stabilisierung 7. Auszug aus einer Denkschrift

IV. Reparationspläne 8. Zwischenlösung und Endlösung 9. Vorschläge für einen Reparationsplan

vin

251-253 251-253

254-262 254-257 257-262

Erstes Kapitel

D e r Hintergrund I. Kriegsschuld und Kriegsschulden Über e l f Jahre sind verstrichen, seit i m W a l d von Compiègne die erste Besprechung über die Entschädigungen stattgefunden hat, die Deutschland nach dem verlorenen K r i e g , den Grundsätzen der W i l s o n - N o t e n gemäß, zahlen sollte. I n d e m Notenwechsel m i t dem Präsidenten der Vereinigten Staaten hatte sich D e u t s c h l a n d verpflichtet, f ü r alle d u r c h seinen A n g r i f f zu Wasser, zu L a n d e u n d i n der L u f t der Z i v i l b e v ö l k e r u n g der A l l i i e r t e n u n d i h r e m E i g e n t u m zugefügten Schäden Ersatz zu leisten. I n dieser F o r m u l i e r u n g w a r e i n m a l die V o r s t e l l u n g

enthalten,

diese Schäden seien der Z i v i l b e v ö l k e r u n g zu U n r e c h t z u g e f ü g t w o r d e n ; es w a r i n i h r aber auch der Verzicht a u f eine eigenthche Kriegsentschädigung eingeschlossen. E i n e solche widersprach

der

W i l s o n s c h e n Ideologie. Sie g i n g überdies über die L e i s t u n g s f ä h i g keit Deutschlands w e i t hinaus, w e i l die Kriegskosten sich i n ganz anderen G r ö ß e n o r d n u n g e n

bewegten1.

D e r zähe W i d e r s t a n d Deutschlands hatte a u f alliierter Seite p h a n tastische Vorstellungen von d e r Stärke des deutschen W i r t s c h a f t s lebens ausgelöst.

Englische Sachverständige haben die E r f ü l l u n g

einer F o r d e r u n g von 4 8 o M i l l i a r d e n R M . f ü r m ö g l i c h

gehalten;

Franzosen haben sogar von 8 0 0 M i l l i a r d e n R M . geredet. M a n hat sich i n der Nachkriegszeit daran g e w ö h n t , der feigen K u r z s i c h t i g k e i t dilettierender P o l i t i k e r die m u t i g e W e i t s i c h t sachverständiger W i r t schaftler gegenüberzustellen ; zu Unrecht. W e n n m a n z. B . d e m e n g 1

Die Höhe der Kriegskosten betrug: Entente 690 Milliarden R M . ; Zentral-

mächte 35o Milliarden R M . (Woytinsky: Die W e l t in Zahlen. Bd. V I , S. i 4 9 · ) B o n n , Der Neue Plan.

1

2

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

lischen P r e m i e r m i n i s t e r L l o y d George den V o r w u r f machen m u ß , er habe i n der H i t z e des W a h l k a m p f e s i m Spätherbst

1 9 1 8 die

Phantasie der öffentlichen M e i n u n g m i t lächerlich hohen Entschädigungsansprüchen genährt, so k a n n er m i t g u t e m Recht d a r a u f hinweisen, daß derjenige, dessen A u t o r i t ä t diesen phantastischen Angaben G l a u b w ü r d i g k e i t verlieh, ein w i r t s c h a f t l i c h e r Sachverständiger, L o r d Cunliffe, der damalige Gouverneur der B a n k v o n E n g land, w a r . T r o t z dieser F e h l g r i f f e h a t der gesunde Menschenverstand a u f der Pariser finanzielle

Konferenz,

die

dem Friedensvertrag

voranging und

die

Ausgestaltung der Grundsätze der W i l s o n - N o t e n b r i n g e n

m u ß t e , n i c h t v ö l l i g gefehlt. So haben die A m e r i k a n e r die Schäden, f ü r die i h r e r M e i n u n g n a c h D e u t s c h l a n d v e r a n t w o r t l i c h w a r , a u f 1 2 0 M i l l i a r d e n R M . geschätzt, u n d unter B e r ü c k s i c h t i g u n g der d e u t schen L e i s t u n g s f ä h i g k e i t

von einer allenfalls m ö g l i c h e n Gesamt-

entschädigung von etwa 6 0 M i l l i a r d e n R M . gesprochen 2 . Sie drangen m i t i h r e n A u s f ü h r u n g e n n i c h t d u r c h . D e n n die französischen V e r suche, über die F o r d e r u n g e n hinauszugehen, die i n d e m Notenwechsel m i t W i l s o n festgestellt waren, — insbesondere die Note v o m 5. November 1 9 1 8 — , hatten bei den Staatsmännern der englischen D o m i n i e n , deren Z i v i l b e v ö l k e r u n g k a u m nennenswerte Schäden erl i t t e n hatte, unerwartete U n t e r s t ü t z u n g g e f u n d e n 3 .

Es w a r i h n e n

geglückt, den Präsidenten W i l s o n von der Gerechtigkeit i h r e r F o r derung a u f Einbeziehung der Pensionen i n die E n t s c h ä d i g u n g zu überzeugen. Das w a r ein glatter B r u c h der Bedingungen, a u f G r u n d deren der W a f f e n s t i l l s t a n d abgeschlossen w u r d e , der n i c h t n u r von deutscher Seite e m p f u n d e n , sondern insbesondere a u c h i n den M e 2

I n den Debatten über die Ratifizierung des Neuen Plans i m französischen

Senat, hat der Senator Béranger Neuen Plan m i t 18

die Gesamtzahlungen Deutschlands vor dem

Milliarden R M . angegeben; den Gegenwartswert des Dawes-

plans bezifferte er auf 45 Milliarden RM., den des Neuen Plans auf 39 M i l liarden R M . Deutschlands Gesamtleistung von 5η Milliarden erreicht also beinahe obige Schätzung. 3

H . W . V . Temperley, A History of the Peace Conference of Paris, Bd. I I ,

S. 43.

3

I . Kriegsschuld und Kriegsschulden

moranden der amerikanischen Sachverständigen als solcher gekennzeichnet wurde. Sie haben damals keine M ü h e gescheut, die G r u n d sätze der W i l s o n - N o t e n als bindendes Recht den

Friedensbedin-

gungen einzufügen. Sie s i n d m i t i h r e n Bestrebungen insoweit d u r c h gedrungen, als der Verzicht a u f Ersatz der Kriegskosten a u f r e c h t erhalten

wurde.

Sie haben aber das sehr erhebliche

Zugeständnis

der

so

Gesamtlast

daß

die

Einbeziehung etwa

der

Pensionen

verdoppelt

praktische

machen

wurde.

Die

müssen, Wieder-

herstellungskosten der eigentlichen Kriegszerstörungen haben

für

F r a n k r e i c h nach den neuesten A u f s t e l l u n g e n 102 M i l l i a r d e n P a p i e r francs betragen. Sie d ü r f t e n also, nach d e m verschiedenen S t a n d des Papierfrancs berechnet, ü b e r 2 0 M i l l i a r d e n R M . n i c h t hinausgegangen sein. M a n h a t i n Deutschland gegen das U n r e c h t , das i n der Einbezieh u n g der Pensionen lag, n i c h t l e b h a f t protestiert, o b w o h l m a n sich gerade h i e r b e i a u f

sachverständige Gutachten der anderen

Seite

hätte berufen können. M a n zog es vor, sich einzureden, die deutsche Reparationsschuld beruhe a u f d e m erzwungenen

Schuldbekenntnis

Deutschlands u n d glaubte, m a n werde d u r c h einen i n t e r n a t i o n a l betriebenen Rechtfertigungsprozeß sich n i c h t n u r von d e m V o r w u r f der

Kriegsschuld

Kriegsschulden

reinigen,

befreien

sondern

können.

auch

Man

hat

von

der

damit

Last

der

sowohl

die

U n t e r s u c h u n g der Frage der alleinigen K r i e g s s c h u l d als auch die der R e g u l i e r u n g der K r i e g s s c h u l d e n erschwert. So w e n i g das erzwungene Zugeständnis, Deutschland habe den K r i e g die

finanzielle

verursacht,

L e i s t u n g s f ä h i g k e i t z u r Bezahlung der aufgezählten

Schadenskategorien h e r b e i f ü h r e n konnte, so w e n i g hätte der Beweis der Schuldlosigkeit einen Verzicht b e w i r k t 4 . D i e

Kriegsent-

schädigungen aller Zeiten beruhten a u f der M a c h t des Siegers, die Kosten a u f die Besiegten abzuwälzen. M a n idealisiert die Gegner, wenn m a n a n n i m m t , sie hätten Deutschland gegenüber a u f dieses Recht verzichtet, w e n n seine Schuldlosigkeit erwiesen sei. U n d es

± Temperley, Bd. I I , S. 73.

\

*

4

Erstes Kapitel.

Der Hintergrund

geht w i r k l i c h ü b e r das erlaubte M a ß l e i c h t f e r t i g e r Spielerei hinaus, dem

deutschen

Spießer

weißzumachen,

man

könne

die

alliierten

V ö l k e r u n d die a l l i i e r t e n S t a a t s m ä n n e r , die a m A u s b r u c h des K r i e g e s ihr

vollgerütteltes

Maß

von

S c h u l d tragen, besonders

leicht

zum

E i n g e s t ä n d n i s d i e s e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t b e w e g e n , w e n n es, d e n V e r zicht a u f Reparationen nach sich ziehend, gleichzeitig i h r e last

erhöhen

vielleicht

würde.

einen

Ein

solchen

überstiegener Glauben

an

Steuer-

idealistischer Pazifist

den

Idealismus

der

darf

Gegner

h a b e n ; w e r s i c h i n Rachegesängen ergeht, k a n n n i c h t e r n s t h a f t diese Meinung

vertreten 5.

D a r ü b e r hinaus h a t m a n indes der g u t e n Sache der A u f über

Kriegsschuld

den

K r i e g s s c h u l d e n einen besonders schlechten D i e n s t erwiesen.

Wer

deutsche

Volk

durch

auffordert,

diese V e r k o p p e l u n g

klärung mit

das

die

seine

moralische

Rechtfertigung

n i c h t n u r seines g u t e n G e w i s s e n s w e g e n z u b e t r e i b e n , s o n d e r n w e g e n 5

Sie ist besonders naiv i m Wortlaut des Gesetzentwurfes enthalten, den der

„Reichsausschuß

für

das deutsche Volksbegehren"

dem deutschen Volke

zur

Abstimmung unterbreitet hat: S ι . Die Reichsregierung hat den auswärtigen Mächten unverzüglich in feierlicher F o r m Kenntnis davon zu geben, daß das erzwungene Kriegsschuldanerkenntnis des Versailler

Vertrages

der geschichtlichen

Wahrheit

widerspricht,

auf

falschen Voraussetzungen beruht und völkerrechtlich unverbindlich ist. § 2. Die

Reichsregierung hat darauf

anerkenntnis des Artikels

hinzuwirken, daß das Kriegsschuld -

231 sowie die Artikel

429 und 43o des Versailler

Vertrages förmlich außer K r a f t gesetzt werden. Sie hat ferner darauf hinzuwirken, daß die besetzten Gebiete nunmehr unverzüglich und bedingungslos sowie unter Ausschluß jeder Kontrolle über deutsches Gebiet geräumt werden, unabhängig von Annahme oder Ablehnung der Beschlüsse der Haager Konferenz. S 3. Auswärtigen Mächten gegenüber dürfen neue Lasten und Verpflichtungen nicht übernommen werden, die auf dem Kriegsschuldanerkenntnis beruhen. Hierunter fallen auch die Lasten und Verpflichtungen, die auf Grund der Vorschläge der Pariser Sachverständigen und nach den daraus hervorgehenden Vereinbarungen von Deutschland übernommen werden sollen. S 4« Reichskanzler und Reichsminister sowie Bevollmächtigte des Deutschen Reiches, die entgegen der Vorschrift des § 3 Verträge m i t auswärtigen Mächten zeichnen, unterliegen den i m § 92,

N r . 3 StGB., vorgesehenen Strafen.

S 5. Dieses Gesetz t r i t t m i t seiner Verkündung i n K r a f t .

5

I I . Die Reparationskommission.

der E i n s p a r u n g von Z a h l u n g e n , e r n i e d r i g t eine R e c h t s f o r d e r u n g zu einem Geldgeschäft. O b w o h l die F r a g e der U n r e c h t m ä ß i g k e i t der Einbeziehung der Pensionen i n die Reparationszahlungen i n Deutschland n i c h t den nötigen

Widerhall

gefunden

hat, h a t

die M a c h t d e r

Tatsachen

hier W a n d e l geschaffen. D e r B e r i c h t der französischen Sachverständigen i n der Y o u n g - K o m m i s s i o n betont ausdrücklich, der f r a n z ö sische A n t e i l aus d e m P l a n werde n u r die W i e d e r a u f b a u k o s t e n

in

H ö h e von 102 M i l l i a r d e n Francs decken. D i e 3 6 M i l l i a r d e n Francs, die darüber hinaus zur V e r f ü g u n g stünden, könne m a n höchstens als Ersatz der

Verzinsung

der Vorauszahlungen betrachten,

die

F r a n k r e i c h habe leisten müssen, ehe es ausreichende Reparationszahlungen erhalten habe. D i e Kosten der Pensionen w ü r d e n n i c h t ersetzt; sie m ü ß t e n zu Lasten des französischen Steuerzahlers gehen. So h a t h i e r eine späte Gerechtigkeit gesiegt, ohne daß

allerdings

das begangene U n r e c h t eingestanden wurde.

II. D i e Reparationskommission Es ist i n Versailles n i c h t m ö g l i c h gewesen, eine Festsetzung der deutschen Gesamtverpflichtungen zu erreichen. N u r die Methoden sind geregelt worden, m i t t e l s

deren die Gesamtschuld errechnet

werden sollte. Das ist e i n m a l d u r c h A u f z ä h l u n g der G r u p p e n von Schäden geschehen, deren W i e d e r h e r s t e l l u n g

Deutschland

oblag.

(Es w a r ein v ö l l i g u n n ö t i g e r A k t sprachlicher Deutschtümelei, an Stelle des r e i n

technischen

Wortes

„Reparation"

das

deutsche

„ W i e d e r g u t m a c h u n g " zu setzen, dem ein moralischer Reigeschmack anhaftet, der ganz überflüssig war.)

Nach erfolgter

Zusammen-

fassung sollte die Gesamtschuld i n n e r h a l b von zwei Jahren festgesetzt werden. Es stand indes Deutschland f r e i , w ä h r e n d einer vier Monate n a c h Ratifizierung

des Friedens

laufenden

Frist

eigene

Vorschläge betreffend die H ö h e der S c h u l d u n d die Methode der A b z a h l u n g zu machen. M a n k a n n n i c h t sagen, daß von dieser M ö g l i c h k e i t t a p f e r u n d w e i t s i c h t i g Gebrauch gemacht w o r d e n ist. I m Unterbewußtsein der deutschen öffentlichen M e i n u n g lebte die V o r -

6

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

Stellung, ein D i k t a t sei einem freien E n t s c h l u ß vorzuziehen, w e i l der freie E n t s c h l u ß moralische B i n d u n g u n d politische V e r a n t w o r t u n g nach sich ziehe, das D i k t a t dagegen u n t e r „ P r o t e s t " angenomm e n werden könne, — dem politischen L i e b l i n g s s p i e l des deutschen Volkes, d e m der Volksentscheid neue F o r m e n hat geben sollen. E i n solcher Protest pflegt zwar an den Tatsachen nichts zu ändern, w o h l aber d e m literarischen D r a n g e Gelegenheit z u m A u s p u f f zu geben. M a n w i l l n u n e i n m a l i n D e u t s c h l a n d n i c h t lernen, daß ein Protest n u r als V o r s p i e l zu einer w o h l vorbereiteten H a n d l u n g S i n n u n d Zweck hat. Proteste als Nachspiel haben den V o r h a n g der W e l t geschichte noch nie a m Niedergehen g e h i n d e r t 6 . D i e Feststellung der deutschen Reparationslast w a r der Reparat i o n s k o m m i s s i o n überlassen worden. Sie sollte a u f der einen Seite die Schäden zusammenzählen, zu deren W i e d e r h e r s t e l l u n g Deutschl a n d verpflichtet w a r ; sie m u ß t e aber a u f der andern Seite bei Bes t i m m u n g der Entschädigungslast die deutsche L e i s t u n g s f ä h i g k e i t berücksichtigen.

Festsetzung

des Entschädigungsbetrags

u n d des

Zahlungsplans waren so zu regeln, daß das soziale Leben Deutschlands n i c h t erschüttert wurde. I n der V e r f o l g u n g dieses Ziels w a r die Reparationskommission e r m ä c h t i g t w o r d e n , nach Festsetzung der Gesamtsumme weitgehende Zahlungsstundungen u n d Zahlungsänderungen selbständig anzuordnen. E i n e V e r m i n d e r u n g der Gesamtschuld konnte sie n i c h t von sich aus verfügen. Z u einer solchen waren v i e l m e h r n u r die a m F r i e d e n beteiligten f e i n d l i c h e n Regierungen b e r e c h t i g t 7 . A u c h wenn keine positive V o r s c h r i f t betreffend die H e r a b m i n d e r u n g der Gesamtreparationsschuld i m Friedensver6

Diese Einstellung hat übrigens ihre Parallele in dem Verhalten Frankreichs

den Vereinigten

Staaten und England gegenüber

gehabt. Sentimentalität

und

juristische Rabulistik in den Kammern haben die französische Regierung jahrelang an der Ratifizierung der Schuldabkommen verhindert. Dabei waren Kammer und Senat durchaus damit einverstanden, daß die Zahlungen, die in den nicht ratifizierten

Schuldabkommen vorgesehen waren, ohne rechtliche Verpflichtung, und

eigentlich auch ohne rechtliche Quittung, geleistet wurden. W o es sich um politische Torheiten handelt, gibt es heute bereits einen „europäischen Geist". 7

§ 234 des Friedensvertrages.

7

I I . Die Reparationskommission

t r a g enthalten wäre, ergibt sich n a t u r g e m ä ß eine solche aus der Gegenüberstellung der einander widersprechenden Grundsätze von H a f t u n g f ü r a l l e S c h ä d e n u n d Z a h l u n g nach der L e i s t u n g s fähigkeit.

D e n n w e n n die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t

zur Z a h l u n g

Maßstab der E n t s c h ä d i g u n g ist u n d dem Wesen der D i n g e

der nadi

sein m u ß , so w a r d a m i t i m p l i z i t e s o w o h l die M ö g l i c h k e i t einer H e r absetzung als a u c h der Schuldenstreichung gegeben, w e n n die A n passung an die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t das n ö t i g machen sollte. D i e Reparationskommission hatte aber i n den beiden Jahren, die d e m Friedensschluß f o l g t e n , i h r ursprüngliches Gesicht eingebüßt. A u f G r u n d amerikanischer A n r e g u n g geschaffen, sollte sie ein i n t e r nationaler Sachverständigenausschuß m i t r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t sein, i n d e m der nüchterne angelsächsische E i n f l u ß vorherrschen sollte. A m e r i k a s Loslösung v o m gesamten Friedensvertrag h a t diese A b s i c h t zunichte gemacht. D i e Reparationskommission w u r d e vielf a c h von französischer Seite als Vollzugsorgan französischer Regierungswünsche behandelt. Sie h a t daher trotz g u t e m W i l l e n das Reparationsproblem n i c h t entpolitisieren können. D e r Glaube, der i n Deutschland zeitweilig recht verbreitet w a r , m a n könne d u r c h Verhandeln m i t der Reparationskommission die verschiedenen K r i s e n lösen, g i n g von der i r r i g e n Voraussetzung aus, die Reparationsfrage sei eine t e c h n i s c h e F r a g e 8 . Sie ist i m m e r eine p o l i t i s c h e Frage gewesen. Das w a r männern

zu

kein Grund,

verzichten

und,

a u f die M i t w i r k u n g von

wie

oft

geschehen

ist,

Fach-

ihre

Re-

h a n d l u n g Interessenten u n d D i l e t t a n t e n zu überlassen. W o h l aber m u ß t e m a n sich darüber k l a r sein, daß die technischen Kenntnisse der Reparationskommission niemals die Entscheidung d e r

politi-

schen Machthaber ersetzen w ü r d e n . Sie k o n n t e den M a c h t h a b e m Kenntnisse v e r m i t t e l n u n d i h r e U r t e i l e vorbereiten u n d begründen. 8

Vgl. Carl Bergmann, Der W e g der Reparationen. Da die Reparationskom-

mission nur Zahlungen stunden, nicht aber herabsetzen konnte, mußte die Entscheidung in dem Augenblick bei den Regierungen liegen, wo eine Ermäßigung nötig wurde. Bei den Debatten in Frankreich über den Neuen Plan ist gerade von Tardieu die Ohnmacht der Reparationskommission betont worden.

8

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

Sie ist stets der Diener, n i e der H e r r d e r P o l i t i k gewesen. Sie ist seit d e m Dawesplan p r a k t i s c h v ö l l i g h i n t e r dem

Generalagenten

zurückgetreten u n d hat n u r n o c h ein formales Dasein gefristet.

III. O k k u p a t i o n u n d Reparation D e r R ü c k t r i t t A m e r i k a s v o m Friedensvertrag hat F o l g e n gehabt, die über die Verschiebung w e i t hinausgingen.

der A u f g a b e

politische

Bedeutung

durch

den

Reparationskommission

E r h a t den u n b e s t i m m t e n phantastischen F o r -

derungen n a c h Reparationsleistungen trag,

der

gegeben.

Mit

die angelsächsischen

eine unerwartete ihm

war

der

konkrete,

Garantiever-

Staaten den Frieden

und

Frankreichs neue Grenzen zu garantieren suchten, zu F a l l gebracht worden, nachdem sie es zuvor z u m Verzicht a u f die Rheingrenze gezwungen hatten. D a d u r c h

erhielten u n b e s t i m m t e ,

unerfüllbare

Reparationsforderungen einen neuen politischen Sinn. M a n konnte — so hofften viele Franzosen — ; den Friedensvertrag dahin i n t e r pretieren, daß die R ä u m u n g der Rheinlande erst nach v ö l l i g e r A b t r a g u n g der Reparationsschuld e r f o l g e n müsse. W a r das der F a l l , d a n n ermöglichte die N i c h t e r f ü l l u n g der Reparationsverpflichtungen eine V e r e w i g u n g der O k k u p a t i o n , die als wesentliche Garantie der Sicherheit Frankreichs galt, w ä h r e n d m a n gleichzeitig ein dauerndes E i n k o m m e n beziehen konnte. M a n h a t von deutscher Seite o f t genug darauf

hingewiesen, die Franzosen w o l l t e n das R h e i n l a n d

nicht

r ä u m e n u n d wünschten aus diesem G r u n d e keine e n d g ü l t i g e B e r e i n i g u n g der Reparationsfrage. M a n h a t aber i n der Zeit v o r der R u h r besetzung nie die r i c h t i g e n F o l g e r u n g e n aus dieser E r k e n n t n i s gezogen. W e n n die Franzosen u n t e r keinen Umständen eine endgültige Reparationslösung w o l l t e n , w e i l sie i m R h e i n l a n d zu bleiben gedachten,

dann m u ß t e D e u t s c h l a n d Reparationsangebote

machen,

deren A n n a h m e die Franzosen locken u n d d a m i t zur A u f g a b e der Rheinlandpolitik

führen

konnte,

deren

Ablehnung

aber

der

ganzen W e l t die wahren Absichten F r a n k r e i c h s enthüllen m u ß t e . D a z u ist es eigentlich nie g e k o m m e n . M a n hatte m i t dieser A u f fassung eine bequeme Ausrede gefunden, m i t der m a n den M a n g e l

9

I I I . O k k u p a t i o n und Reparation

einer m u t i g e n R e p a r a t i o n s p o l i t i k beschönigen konnte, wenn m a n i m I n l a n d v o r den m ä c h t i g e n Interessentengruppen z u r ü c k w i c h , die eine passive P o l i t i k e m p f a h l e n

und, i n egoistischen Überlegungen

be-

fangen, den Schaden n i c h t sahen, den eine als Sabotage verschrieene H a l t u n g der deutschen P o l i t i k b r i n g e n m u ß t e . D i e von Deutschland vorgeschlagenen Endlösungen waren daher meist b l o ß Verzweiflungsvorschläge, die zu spät kamen u n d n i c h t k l u g g e n u g a b g e s t i m m t waren, als daß sie nach einer der beiden Seiten hätten w i r k e n können. Das letzte A n g e b o t z. R., das v o r d e m R u h r e i n b r u c h erfolgte, w a r erheblich n i e d r i g e r u n d unsicherer als der englische Plan, den die Franzosen bereits abgelehnt hatten. E i n T e i l der öffentlichen

M e i n u n g , insbesondere die Schwerindustrie,

stand a u f d e m Roden der K a t a s t r o p h e n p o l i t i k . Sie w a r d u r c h die Enteignungen i n L o t h r i n g e n u n d die K o h l e n l i e f e r u n g e n , m i t denen sie i n Zeiten der K n a p p h e i t die U n t e r n e h m u n g e n i h r e r sie e x p r o p r i ierenden N a c h f o l g e r rentabel machen sollte, schwer gereizt. Sie hatte sich m i t den Entschädigungsgeldern neue W e r k e an R h e i n u n d R u h r aufgebaut,

die v o m

Rezug d e r l o t h r i n g i s c h e n

Erze

unabhängig

waren. Sie w a r sich der w i r t s c h a f t l i c h e n Überlegenheit b e w u ß t , die Resitz von K o h l e u n d Lage z u m Absatzgebiet i h r über die f r a n zösische K o n k u r r e n z gaben. Sie w o l l t e w o h l den zerrissenen

Zu-

sammenhang zwischen L o t h r i n g e n u n d der R u h r wiederherstellen, aber unter Redingungen, bei denen sie dominierte. Sie hoffte der Drohung

einer Resetzung

Machtmitteln

des Ruhrgebiets

mit

begegnen u n d der französischen

wirtschaftlichen politischen M a c h t

P a r o l i bieten zu können. Sie w a r überzeugt, daß F r a n k r e i c h

un-

verrichteter Sache aus d e m R u h r g e b i e t abziehen müsse, u n d daß dann der Z e i t p u n k t z u r E i n i g u n g k o m m e n werde. W e n n die deutsche W ä h r u n g bis d a h i n v ö l l i g zerrüttet w a r , so w u r d e n i h r e W e r k e d a d u r c h n i c h t entwertet, i h r e Schulden aber ausgelöscht. D e r a l l gemeine Rankerott, den das Fortschreiten der I n f l a t i o n n a c h sich ziehen m u ß t e , w a r die geeignete Grundlage, das endgültige Repar a t i o n s a b k o m m e n zu treffen: Es w ü r d e , a u f der G r u n d l a g e v ö l l i g e r M i t t e l l o s i g k e i t abgeschlossen,

eine leichte Relastung bringen,

die

10

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

höchstens d u r c h einen m e h r oder m i n d e r illusorischen Besserungsschein e r h ö h t werden konnte. D a h e r d u r f t e die Stabilisierung erst einsetzen, w e n n die L ö s u n g der Reparationsfrage d u r c h B a n k e r o t t e r f o l g t w a r , n i c h t aber zur A b w e n d u n g dieses Bankerotts. D e r Ausgang des R u h r k a m p f e s h a t den g r ö ß t e n T e i l der deutschen Schwerindustrie, die glaubte, sie könne m i t i h r e n w i r t s c h a f t lichen M i t t e l n die politische M a c h t des französischen Staates ü b e r winden, von i h r e n I r r t ü m e r n b e k e h r t , — A n h ä n g e r der Katastrophenp o l i t i k machen sich allerdings auch heute noch b r e i t u n d suchen dem deutschen V o l k einzureden, es k ö n n e s i c h d u r c h Selbstverstümmel u n g seinen G l ä u b i g e r n entziehen, u n d diesen heldenhaften V o r g a n g ohne dauernde nachteilige F o l g e n überstehen. E r hat aber auch der französischen R e g i e r u n g gezeigt, daß m i l i t ä r i s c h e M a c h t m i t t e l weder ausreichen, u m der neuen französischen I n d u s t r i e die gewünschte W e l t s t e l l u n g zu geben, noch daß sie die so heiß ersehnte Sicherheit gewährleisten. D e r politische R i ß , d u r c h den d e r Friedensvertrag

Lothringen

u n d die R u h r trennte, ist schließlich d u r c h w i r t s c h a f t l i c h e Vereinbarungen, den deutsch-französischen Handelsvertrag u n d die I n t e r nationale Rohstahlgemeinschaft geschlossen worden. D i e W i e d e r vereinigung ist zwar a u f Kosten der heimischen K o n s u m e n t e n erf o l g t , sie m a g aber als w i r t s c h a f t l i c h e Friedensgarantie das O p f e r w e r t sein. Überdies h a t die öffentliche M e i n u n g F r a n k r e i c h s e n d l i c h eingesehen, daß die dauernde Sicherheit Frankreichs ohne w i r k l i c h e n Frieden m i t D e u t s c h l a n d n i c h t m ö g l i c h ist.

I V . D i e Privatisierung der Schulden Solange das R h e i n l a n d besetzt blieb, w a r n a t ü r l i c h der unbedingte m i l i t ä r i s c h e Schutz vorhanden, den nationalistische Kreise F r a n k reichs d u r c h A n n e x i o n , d u r c h Schaffung eines Pufferstaates

oder

d u r c h Ausschlachtung der Reparationspflicht zu verewigen gedachten. Eine Besetzung

kann

aber

n u r eine A r t äußerer R u h e g a r a n -

tieren; sie sichert den Frieden n i c h t , da sie eine dauernde Ursache

I V . Die Privatisierung der Schulden

11

der Feindschaft ist. Je länger sie w ä h r t , desto m e h r gefährdet sie i h n , da m i t dem A b l a u f der F r i s t e n die letzten f o r m a l e n

Grund-

lagen der Besetzung verschwinden. Es w ü r d e den Franzosen n i c h t leicht

gefallen

allem

ihrer

sein, die öffentliche

Alliierten

nach

M e i n u n g der W e l t

und

i g 3 5 von der N o t w e n d i g k e i t

vor einer

weiteren Streckung der F r i s t e n zu überzeugen. Deutsche N a t i o n a listen haben allerdings das Menschenmögliche getan, i h r e n französischen

Gesinnungsgenossen

Vorwände

zur

Verlängerung

ihres

Bleibens zu l i e f ern ; i h r e D r o h u n g m i t einem Revanchekrieg w a r das i m m e r wiederkehrende A r g u m e n t , m i t dem die französischen N a t i o nalisten i h r e n i c h t länger haltbare S t e l l u n g zu verteidigen suchten. Sie zitierten Reden u n d Rüstungen, u n d zuletzt n o c h das V o l k s begehren. Sie verfehlten n u r deswegen i h r e W i r k u n g , w e i l die M e h r zahl i h r e r Landsleute das kriegerische Gehabe n i c h t ernst n a h m . Deutsche Staatsmänner haben die R e f r e i u n g s p o l i t i k

durch Opfer

u n d Lösegeld betrieben, w e i l sie die einzig m ö g l i c h e P o l i t i k

für

Deutschland w a r ; französische Staatsmänner haben sie angenommen, w e i l sie sich vor der Alternative eines Revanchekrieges n i c h t f ü r c h teten. Es ist t i e f beschämend, daß erhebliche Teile des deutschen Volkes eine P o l i t i k vertraten, deren F o l g e n n u r deswegen die Ref r e i u n g n i c h t verzögerten, w e i l i n F r a n k r e i c h k e i n V e r a n t w o r t l i c h e r an i h r e E r n s t h a f t i g k e i t glaubte. Seit L o c a m o , seit Deutschlands E i n t r i t t i n den V ö l k e r b u n d u n d seit d e m K e l l o g g p a k t hatte F r a n k r e i c h andere Sicherungen erhalten. Es w a r i n n e r l i c h schon lange zur R h e i n l a n d r ä u m u n g geneigt, d a es n u r so einen w i r k l i c h e n F r i e d e n erkaufen konnte. D e r Y o u n g p l a n h a t die R ä u m u n g n i c h t geregelt; er setzte sie v o r aus. E r s t die politischen Vereinbarungen, die a u f der ersten Haager Konferenz getroffen w o r d e n sind, haben dieser Voraussetzung feste F o r m e n gegeben: D i e R ä u m u n g der zweiten Zone sollte i n n e r h a l b dreier Monate — gerechnet von i h r e m Reginn i m M o n a t September 1 9 2 9 — bewerkstelligt w e r d e n ; sie ist i n der vorgesehenen Weise d u r c h g e f ü h r t worden. D i e R ä u m i m g der d r i t t e n Zone sollte „ u n m i t t e l b a r nach der R a t i f i k a t i o n des Youngplans d u r c h das deutsche

12

Erstes Kapitel.

Der Hintergrund

u n d das französische P a r l a m e n t u n d der Ingangsetzung dieses Plans b e g i n n e n ' S i e w i r d „ i n j e d e m F a l l spätestens i n einem Z e i t r a u m von acht Monaten, der sich j e d o c h n i c h t über das Ende des Monats J u n i 1 9 3 0 hinaus erstrecken d a r f , beendet w e r d e n " 9 . D i e I n k r a f t setzung des Neuen Plans ist also a u f der einen Seite Voraussetzung der R ä u m u n g , die e r f o l g t e R ä u m u n g ist a u f der andern Seite die politische G r u n d b e d i n g u n g zu seiner D u r c h f ü h r u n g . D i e V e r h i n d e r u n g d e r Ratifizierung des Neuen Plans d u r c h den deutschen Reichstag hätte daher n u r S i n n gehabt, w e n n m a n i m vollen Bewußtsein der

politischen

Verantwortlichkeit

auf

die

Räumung

verzichtet

hätte. Dieser Verzicht w i e d e r u m hätte n u r Sinn, wenn begründete Aussicht

auf

eine

Räumung

in

absehbarer

Zeit

bestünde,

D e u t s c h l a n d geringere Lasten als der Neue P l a n auferlegt. eine solche n i c h t m i t W a f f e n g e w a l t

v o r g e n o m m e n werden

die Daß

kann,

gaben auch die B e f ü r w o r t e r einer A b l e h n u n g zu. Sie hofften d u r c h ein energisches N e i n einen moralischen E i n d r u c k i n der W e l t zu erzielen, der dem deutschen V o l k e später die L ö s u n g der Reparationsfrage gemeinsam m i t d e m amerikanischen V o l k e ermöglichen sollte. Sie vergaßen dabei n i c h t n u r die E i n s t e l l u n g der R h e i n l a n d bevölkerung, von der m a n k a u m verlangen konnte, daß sie die Befreiungsgelegenheit

opfere, d a m i t

die nationale F l a m m e i m

un-

besetzten Gebiet heller brennen könne, sondern die sehr nüchterne Tatsache, daß das N e i n gegenüber dem Neuen P l a n ein Ja f ü r die F o r t f ü h r u n g des Dawesplans w a r , m i t dessen b a l d i g e m a u t o m a t i schem Z u s a m m e n b r u c h sie unberechtigterweise rechneten. M a n k a n n n a t ü r l i c h die Frage a u f werfen, ob es n i c h t zweckmäßiger gewesen wäre, jedes D r ä n g e n i n der Frage der R h e i n l a n d r ä u m u n g zu unterlassen u n d zu warten, bis die Franzosen, der n a t ü r l i c h e n E r kenntnis folgend, die vorzeitige R ä u m u n g ihrerseits

vorschlugen.

Das w a r i n s o f e r n schwierig, als eine deutsche Regierung, die k ü h l abwartend i h r e Zwecke verfolgte, insbesondere von nationalistischen Kreisen der „ S c h l a p p h e i t " 9

bezichtigt w o r d e n wäre. Überdies h a t

Haager Vereinbarungen vom 3o. August 1929,

Anlage 1.

I V . Die Privatisierung der Schulden

13

m a n die r e i n j u r i s t i s c h e Einstellung, die das deutsche politische Leben verseucht, auch i n F r a g e n d e r A u ß e n p o l i t i k

eingenommen.

M a n h a t wieder u n d wieder, sich a u f A r t i k e l 4 3 1 des Friedensvertrags stützend, das Recht der vorzeitigen R ä u m u n g i n A n s p r u c h genommen, o b w o h l m a n wissen m u ß t e , daß die Gegenseite sich a u f A r t i k e l 4 2 9 berufen werde u n d , selbst wenn der deutsche A n s p r u c h ohne sachliche Redenken einem unparteiischen G e r i c h t s h o f

hätte

unterbreitet werden können, ein solcher h i e r f ü r n i c h t vorhanden w a r . D a Deutschland seine e i n m a l angemeldeten Rechtsansprüche a u f dem Rechtsweg n i c h t d u r c h f ü h r e n konnte, blieb n u r der politische W e g offen, der W e g , d u r c h V e r h a n d l u n g zu einer E i n i g u n g zu gelangen. D a ß d a n n f ü r A n e r k e n n u n g des deutschen Rechtsstandpunktes ein Preis gezahlt werden m u ß t e , w a r selbstverständlich. M a n

wahrte

w o h l das Gesicht, wenn m a n bei den G e n f e r Verhandlungen, d i e der Einsetzung der Y o u n g - K o m m i s s i o n vorangingen, jeden Z u s a m m e n h a n g zwischen R h e i n l a n d r ä u m u n g

u n d Reparation abstritt.

konnte d a m i t die deutsche Ö f f e n t l i c h k e i t

b e r u h i g e n ; der

Man

Gegner

w u ß t e von A n f a n g an, w o r a n er war. I n d e m A u g e n b l i c k , w o die R ä u m u n g der Rheinlande f ü r D e u t s c h l a n d m e h r w a r als eine Frage des D a t u m s , w a r der innere Z u s a m m e n h a n g zwischen Reparation u n d R ä u m u n g hergestellt. M a n k o n n t e v o r dieser V e r b i n d u n g w a r nen. M a n m u ß aber die F o l g e n einer P o l i t i k anerkennen, w e n n m a n n i c h t imstande ist, sie zu v e r h i n d e r n 1 0 . 10

I c h habe wiederholt auf diese Bedenken hingewiesen, als es noch Zeit war.

Anfang 1928 habe ich u. a. i n einer Schrift „Befreiungspolitik oder Beleihungsp o l i t i k ? " folgendes geschrieben: „ D i e Franzosen haben sich wohl innerlich mit der Notwendigkeit der endgültigen Räumung des Rheinlandes vertraut gemacht. Sie suchen die Fortdauer der Besetzung als ihr gutes Recht hinzustellen, das ihnen sowohl militärische

Sicherheit als auch Sicherheit pünktlicher

Zahlung

verbürgt. Sie wollen es nur gegen hohe Abfindung preisgeben. N u n ist vom militärischen Standpunkt aus das Deutschland von

1928 zweifelsohne

stark als das Deutschland von 1935. Das liegt in der Natur der

weniger

Dinge, die

niemand ändern kann. E i n Frankreich, das sich vor Deutschland fürchtet

und

dabei doch weiß, daß die Räumung auf jeden Fall 1935 eintreten wird, sichert sich während eines Zeitraumes, i n dem keine Gefahr droht, ohne dadurch irgendwelche zusätzlichen Sicherungen f ü r spätere Zeiten zu erhalten. Wenn die Be-

14

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

Die

öffentliche

Meinung

Frankreichs

war

sich überdies

seit

langem i m klaren darüber, daß n a c h e r f o l g t e r R ä u m u n g des R h e i n landes die t e r r i t o r i a l e n Garantien f ü r E r f ü l l u n g der finanziellen Bedingungen

des

Friedensvertrags

nicht

länger

aufrechterhalten

werden konnten. Politische Schulden von R e g i e r u n g zu R e g i e r u n g können

„ge-

s i c h e r t " erscheinen, w e n n der Gläubigerstaat das Recht hat, eine Okkupationsarmee m o b i l zu machen, u m etwaige rückständige F o r derungen einzutreiben. D e r Friedensvertrag e n t h i e l t solche Sicherungen. Solange n i c h t alle Ansprüche der beteiligten Regierungen, insbesondere der französischen, abgelöst sind, w a r es m ö g l i c h , Z a h l u n g s h e m m u n g e n als vorsätzliche N i c h t e r f ü l l u n g oder absichtliche Erschwerung

der E r f ü l l u n g

zu betrachten. Das

Dawesgutachten

hatte seinen P l a n a u f den V e r z i c h t a u f m i l i t ä r i s c h e Sanktionen a u f gebaut; i h r etwaiges W i e d e r i n k r a f t t r e t e n w a r d u r c h das A b k o m m e n v o m 3o. A u g u s t 1 9 2 4 sehr erschwert worden. W o solche Z w a n g s m a ß n a h m e n m ö g l i c h sind, ist j e d o c h i m m e r politischer Zündstoff vorhanden. Das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu F r a n k r e i c h \väre u n e r t r ä g l i c h , w e n n die geringste G e f a h r bestünde, daß A m e r i k a zu m i l i t ä r i s c h e n Sanktionen g r e i f e n würde. Es ist andererseits aber eine alte E r f a h r u n g , daß der staatliche Gläubiger, der keine G e w a l t -

setzung, wie vorgesehen, i m Jahre

1935 i h r Ende erreicht, hat kein Mensch

i n Deutschland den geringsten Anlaß dazu, den Franzosen f ü r

eine Räumung

Dank zu wissen, zu der sie vertraglich verpflichtet sind. Durch das Beharren auf dem Besetzungsschein kann Frankreich sich weder zusätzliche Sicherungen verschaffen, noch moralische

Eroberungen in Deutschland erringen. Räumt es

dagegen i n der klaren Erkenntnis, daß die militärische Sicherheit nach

1935

durch Festhalten an Besetzungsrechten bis 1935 nicht erhöh 1; werden kann, das Rheinland früher, so ist dadurch eine Politik der Entspannung eingeleitet, die eine Aussöhnung herbeiführen kann. F ü r Deutschland ist die Frage der Räumung der Rheinlande, i m Rahmen der großen Politik gesehen, eine Frage des Datums, f ü r die Franzosen ist sie eine Frage der Zielsetzung. Ob Deutschland f ü r die Verlegung des Datums freiwillig Zusatzzahlungen leisten soll oder nicht, ist eine Sache nüchternster Überlegung. Die deutsche Politik muß

Befreiungs-

politik sein; sie muß bereit sein, Opfer zur Erreichung dieses Zieles zu bringen. Soll sie auch einen Preis f ü r Früchte zahlen, die die Zeit r e i f t ? "

15

I V . Die Privatisierung der Schulden

m i t t e l gegen d e n staatlichen S c h u l d n e r anwenden k a n n , v o m g u t e n W i l l e n des Schuldners a b h ä n g i g ist. D a s Z i e l der französischen P o l i t i k w a r d a h e r die V e r r i n g e r u n g dieser A b h ä n g i g k e i t . Z u r d a u e r n d e n E n t s p a n n u n g des deutsch-französischen Verhältnisses w a r n i c h t n u r die R ä u m u n g des Rheinlandes, sondern a u c h die R e s e i t i g u n g des p o l i t i s c h e n Schuldverhältnisses n ö t i g . A u c h das ist i m Neuen P l a n vorgesehen. D e r französische

Wirk-

l i c h k e i t s s i n n h a t l ä n g s t b e g r i i f e n , d a ß es v o r allen D i n g e n a u f die Z a h l u n g der n ä c h s t e n J a h r e ankomme. Zahlungsversprechungen a u f ferne J a h r e haben w e n i g W e r t , — eine Tatsache, die sich n i c h t n u r p o l i t i s c h , sondern a u c h a r i t h m e t i s c h e r g i b t . D i e 3 η . Rate des Neuen Plans z. R. i m R e t r a g v o n 2 4 2 8 , 8 M i l l i o n e n R M . , h a t n u r einen Gegenwartswert v o n 3 3 4 , 9 M i l l i o n e n R M . , w ä h r e n d die 58. Rate i m Retrage v o n 8 9 7 , 8 M i l l i o n e n R M . g a r n u r einen solchen v o n 3 9 , 1 M i l l i o n e n R M . besitzt. D a s R e c h t a u f i h r e n E i n g a n g h a t also schon z a h l e n m ä ß i g einen g e r i n g e n W e r t , selbst w e n n m a n das p o l i tische R i s i k o v o l l k o m m e n Öffentlichkeit

leider i m m e r

ausschaltet. Dagegen h a t die noch nicht

begriffen,

daß

deutsche entfernte

Z a h l u n g s t e r m i n e gerade d e m S c h u l d n e r n ü t z l i c h sind. D i e gleichen Leute, die m i t d e m g r ö ß t e n L e i c h t s i n n neue A n l e i h e n a u f n e h m e n , deren N u t z e n selbst f ü r die G e g e n w a r t z w e i f e l h a f t ist, deren K o s t e n aber eine e n t f e r n t e

Z u k u n f t z u t r a g e n h a t , geraten b e i d e m Ge-

d a n k e n , z u den L a s t e n der W e l t k a t a s t r o p h e E n k e l u n d E n k e l k i n d e r heranzuziehen, geradezu aus d e m Häuschen. M a n k a n n es als m o ralische P f l i c h t

einer Generation betrachten, i h r e n K i n d e r n

und

K i n d e s k i n d e r n ein E r b e zu hinterlassen, das n i c h t d u r c h p o l i t i s c h e K a t a s t r o p h e n erschüttert ist. N a c h E in t r i t t der K a t a s t r o p h e h a t es keinen S i n n , i h r den W i e d e r a u f b a u der zerstörten W e l t d a d u r c h zu erschweren,

d a ß alle L a s t e n i n k u r z e r

Z e i t abgebürdet

werden.

M o r a l i s c h e V e r a n t w o r t l i c h k e i t g e h ö r t an d e n A n f a n g , n i c h t an den S c h l u ß d e r H a n d l u n g . D a b e i m a g die H o f f n u n g , daß diese B e t e i l i g u n g d i e N a c h k o m m e n v o r ä h n l i c h e n T o r h e i t e n bewahren werde, n i c h t so sehr ins G e w i c h t f a l l e n . E i n e G e n e r a t i o n l e r n t selten aus den I r r t ü m e r n der a n d e r n .

16

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

D e r französische Staat w i l l seine F o r d e r u n g e n m ö g l i c h s t schnell b e f r i e d i g t sehen. Das R i s i k o der Z u k u n f t soll a u f der einen Seite a u f die andern alliierten Gläubiger, a u f der andern Seite a u f das P r i v a t p u b l i k u m abgewälzt werden. E r beansprucht 3 7 Jahre l a n g eine Z a h l u n g von 5 o o M i l l i o n e n R M . Mindestens £ 2 0 M i l l i o n e n R M . h i e r v o n sollen zur Verzinsung u n d T i l g u n g der französischen W i e d e r aufbauschuld verwendet werden. Das h e i ß t , es sollen gegen diese Z a h l u n g von j ä h r l i c h [χ2ο M i l l i o n e n R M . deutsche Obligationen ausgegeben werden. Sie sollen entweder den französischen

Staatsobli-

gationen substituiert oder v e r k a u f t w e r d e n ; der Erlös s o l l zur Bef r i e d i g u n g französischer Gläubiger verwendet werden. D i e u n m i t t e l bare

deutsch-französische

Schuld w i r d

d a d u r c h privatisiert.

Sie

w i r d aus der Sphäre der Z a h l u n g e n von R e g i e r u n g an R e g i e r u n g herausgenommen u n d zu einem reinen Geschäftsabkommen zwischen d e m deutschen Staatsschuldner u n d dem französischen oder i n t e r nationalen Privatgläubiger. Dieser P r i v a t g l ä u b i g e r w i r d sicher k e i n Recht zur E i n t r e i b u n g seiner F o r d e r u n g e n d u r c h eine Besatzungsarmee erhalten. E r k a u f t nach f r e i e m Ermessen u n d m a c h t sich f ü r das R i s i k o durch entsprechende Z i n s f o r d e r u n g e n bezahlt. Es z w i n g t i h n n i e m a n d zur Übernahme der Obligationen. K ä m e D e u t s c h l a n d seinen Verpflichtungen n i c h t nach, so wäre e r i n der gleichen Lage wie j e d e r andere G l ä u b i g e r Deutschlands, d e r i m g u t e n Glauben Deutschland G e l d geliehen h a t D e n n er l e i h t Deutschland, n i c h t F r a n k r e i c h , Geld, i n d e m er, a u f seine A n s p r ü c h e gegen die f r a n zösische Regierung verzichtend, deren A n s p r ü c h e an Deutschland ablöst

u n d d a m i t das Deutsche Reich z u m

Schuldner

gewinnt.

D e u t s c h l a n d w i r d allerdings seinen Verpflichtungen aus dieser bevorrechteten A n l e i h e i m m e r n a c h k o m m e n müssen, da sonst sein K r e d i t i n der ganzen W e l t erschüttert würde. E i n e n internationalen B a n k e r o t t k a n n sich n u r ein L a n d leisten, das als Schuldner n i c h t a u f k ü n f t i g e n auswärtigen K r e d i t angewiesen ist, u n d das als G l ä u biger keine auswärtigen Renten bezieht. D e r letzte Rest der politischen S p a n n u n g

Frankreich-Deutsch-

l a n d soll also d u r c h diese P r i v a t i s i e r u n g beseitigt werden. Es h e i ß t

17

V . Der Dawesplan

aber die D i n g e unter falschem Gesichtswinkel sehen, w e n n m a n die K o m m e r z i a l i s i e r u n g einseitig als Voraussetzung der

Entspannung

betrachtet. D e r Dawesplan, L o c a r n o , Deutschlands E i n t r i t t i n den V ö l k e r b u n d u n d der K e l l o g g - P a k t sind vorausgegangen. D e r Neue P l a n ist ein Zeichen d a f ü r , daß die E n t s p a n n u n g F r a n k r e i c h - D e u t s c h l a n d so w e i t gediehen ist, daß eine P r i v a t i s i e r u n g der deutschen Schulden an F r a n k r e i c h m ö g l i c h ist. Es versteht sich von selbst, daß weder eine Substituierung, n o c h eine P l a c i e r u n g a u f d e m M a r k t d u r c h f ü h r b a r ist, w e n n den deutschen Obligationen, deren Ausgabe geplant ist, irgendwelcher M a k e l politischer Bedenklichkeit anhaftet. D i e bevorstehende P r i v a t i s i e r u n g eines erheblichen Teiles der deutschen Reparationsschuld ist daher, soweit er sich u m das französisch-deutsche Verhältnis handelt, der wichtigste Meilenstein

auf

d e m W e g e von Gompiègne n a c h Paris.

V . D e r Dawesplan D i e endgültige Festsetzung der deutschen Reparationslast ist d u r c h den L o n d o n e r Z a h l u n g s p l a n e r f o l g t , der, nach dem damals üblichen U l t i m a t u m , a m 6. M a i 1 9 2 1 angenommen wurde. D i e Gesamtlast w a r a u f 1S2 M i l l i a r d e n G M . festgesetzt worden, von denen einstweilen

5o Milliarden

abgedeckt werden sollten. D a r ü b e r

hinaus-

gehende Leistungen sollten m i t d e m E r s t a r k e n der deutschen W i r t schaft erfolgen. Es w a r dabei die A b s i c h t der A l l i i e r t e n , die 82 M i l liarden, f ü r die v o r d e r h a n d eine Verzinsung n o c h n i c h t vorgesehen w a r , u. a. zur V e r r e c h n u n g f ü r die interalliierten Schulden heranzuziehen. R e i n f o r m a l betrachtet, b e t r u g die deutsche Reparationsverp f l i c h t u n g bis zur R a t i f i z i e r u n g des Neuen Planes noch 1S2

Mil-

liarden G M . , abzüglich der d a r a u f zu verrechnenden bereits e r f o l g ten Zahlungen. D e r L o n d o n e r Z a h l u n g s p l a n b r a c h i m Jahre 1 9 2 2 Der

Versuch,

ihn

mittels

der

Ruhrbesetzung

zusammen.

durchzuführen,

scheiterte. A l s der R u h r k a m p f ergebnislos zu Ende gegangen w a r , legte das D a w e s - K o m i t e e i n seinen Vorschlägen die G r u n d l a g e n zu einer neuen O r d n u n g . Bonn, Der Neue Plan.

2

18

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

D i e deutschen Z a h l u n g e n w u r d e n b e w u ß t a u f die deutsche L e i stungsfähigkeit

aufgebaut.

D e r politische

Nebengedanke

reichs, etwaige Zahlungseinstellungen z u m V o r w a n d

Frank-

verlängerter

oder erweiterter t e r r i t o r i a l e r Besetzung ( R h e i n u n d R u h r )

auszu-

nutzen, w u r d e a u s d r ü c k l i c h abgelehnt. E i n e Gesamtsumme w u r d e n i c h t festgesetzt. N a c h der I n f l a t i o n konnte die deutsche Leistungsf ä h i g k e i t n o c h weniger geschätzt werden als j e zuvor. wurde

ein System ersonnen,

das b e s t i m m t e

Vielmehr

Zahlungen

vorsah,

deren reibungslose A u f b r i n g u n g u n d Ü b e r t r a g u n g d a n n d i e tatsächliche L e i s t u n g s f ä h i g k e i t

erweisen sollte. Deutschland w u r d e

ein-

m a l m i t einer A n n u i t ä t von 9 6 0 M i l l i o n e n R M . belastet, d i e n a c h vier Übergangs j ä h r e n

3 6 , 7 Jahre l a n g l a u f e n sollte. I h r

Kapitalwert

von 16 M i l l i a r d e n R M . w u r d e i n Schuldobligationen der Reichsbahn ( 1 1 Milliarden)

u n d der deutschen I n d u s t r i e ( 5 M i l l i a r d e n )

ver-

k ö r p e r t . Daneben sollte, nach den Übergangsjahren, eine zweite A n n u i t ä t v o n i 5 4 o M i l l i o n e n R M . gezahlt werden, die aus der V e r kehrssteuer u n d den verpfändeten E i n n a h m e n (Verbrauchsabgaben) gespeist wurde. D i e L a u f z e i t dieser A n n u i t ä t w a r u n b e s t i m m t . A l l e r dings scheinen Verabredungen bestanden zu haben, spätestens nach 2 5 Jahren solle eine neue Besprechung stattfinden, w e n n vorher keine

Neuregelung

vorgenommen

worden

war.

Ihrem

innersten

Wesen nach w a r diese zweite A n n u i t ä t eine — bedingt —

ewige

Rente. Sie w a r e w i g insofern, als k e i n E n d t e r m i n vorgesehen war. Sie w a r bedingt, i n d e m Abänderungen aller A r t m ö g l i c h waren. Z u diesen Abänderungen gehörte einmal die E r h ö h u n g . Sie w a r nach einem W o h l s t a n d s i n d e x geplant, a u f G r u n d dessen v o m Jahre i g 3 o an eine zusätzliche Z a h l u n g i n der errechneten Prozenthöhe i n den ersten

fünf

Jahren

von

der

halben D a w e s - A n n u i t ä t

(i1/*

Mil-

liarden R M . ) , i n den späteren Jahren von der ganzen D a w e s - A n n u i tät, geleistet werden sollte. Sie konnte aber auch erniedrigt werden, w e n n sich Übertragungsschwierigkeiten

unter

dem

hätten. Dieser Transferschutz

Transferschutzparagraphen

ergeben

sah vor, daß zwar die E i n z a h l u n g

der deutschen Normalleistungen e r f o l g e n m u ß t e , daß i h r e

Über-

19

V I . Interalliierte Schulden und Reparationen

t r a g u n g dagegen unterbrochen werden konnte, w e n n d a m i t eine E r schütterung der deutschen W ä h r u n g verbunden war. I n diesem F a l l liefen die E i n z a h l u n g e n des Reiches a u f d e m K o n t o des Reparationsagenten bis z u r H ö h e v o n 2, b z w . 5 M i l l i a r d e n R M . a u f . W a r dieser Stand erreicht —

eventuell auch f r ü h e r , f a l l s das Ü b e r t r a g u n g s -

komitee diesen F a l l f ü r gegeben erachtete — d a n n w u r d e n die Z a h l u n g e n a u f Reparationskonto eingestellt, so daß der Retrag von 5 M i l l i a r d e n R M . n i c h t überschritten wurde. Sie k o n n t e n aber j e d e r zeit wieder a u f g e n o m m e n werden. W e n n m a n a n n i m m t , die Ü b e r t r a g u n g einer M i l l i a r d e R M . i m J a h r sei ohne E r s c h ü t t e r u n g der deutschen W ä h r u n g v o r sich gegangen, darüber hinausgehende Beträge k ö n n t e n aber n i c h t übertragen werden, so wäre der Retrag von 5 M i l l i a r d e n R M . bestenfalls 3 Jahre u n d 4 Monate n a c h A u f tauchen der ersten S c h w i e r i g k e i t erreicht. E i n e steuerliche H e r a b setzung der A n n u i t ä t von i 5 4 o M i l l i o n e n R M . könnte also erst n a c h dieser F r i s t

erfolgen.

D e r Charakter

dieser

i 5 4 o M i l l i o n e n als

ewiger Rente w a r daher u n b e s t i m m t . Es w a r keine M ö g l i c h k e i t gegeben, i h r e n K a p i t a l w e r t zu berechnen, weder als Gegenwartswert noch sonstwie, w e i l es keine Rechenkunst g i b t , die den W e r t einer Rente zu berechnen vermag, bei d e r n i c h t feststeht, o b , wie lange, i n welcher H ö h e u n d unter welchen Umständen sie bezahlt werden w i r d . D e r Dawesplan h a t n u r die erste A n n u i t ä t von 9 6 0

Mil-

lionen R M . kapitalisiert, aber a u c h sie n u r a u f d e m Papier, da i n folge

des Transferschutzes

eine Regebung u n m ö g l i c h w a r .

Der

W e r t der anderen A n n u i t ä t stand n i c h t fest u n d u n d k o n n t e n i c h t feststehen.

V I . Interalliierte Schulden u n d Reparationen Amerikas

Loslösung

vom

Friedensvertrag

hat

aber

noch

in

anderer R i c h t u n g g e w i r k t . Sie hat die gemeinsame R e h a n d l u n g der deutschen Reparationen u n d der i n t e r a l l i i e r t e n Kriegsschulden u n m ö g l i c h gemacht. M a n h a t a u f amerikanischer Seite i m m e r a u f d e m S t a n d p u n k t gestanden, m a n habe m i t j e d e m einzelnen Schuldner

eine selbständige geschäftliche

Abmachung

alliierten getroffen. 2*

20

Erstes Kapitel. Der Hintergrund

K e i n Schuldner habe das Recht, sich einseitig seinen Schuldverpflichtungen zu entziehen. E r habe vollen Gegenwert f ü r seine Z a h l u n g s versprechen erhalten u n d müsse daher seine Verpflichtungen so erf ü l l e n , wie es bei privaten Schuldverhältnissen ü b l i c h sei. Jede V e r q u i c k u n g m i t den F o r d e r u n g e n an andere A l l i i e r t e oder an Deutschl a n d sei unzuJässig. D i e R ü c k z a h l u n g der den einzelnen A l l i i e r t e n gemachten Vorschüsse liege durchaus i m Bereich i h r e r Leistungsf ä h i g k e i t . Sie werde d u r c h die Einbeziehung i h r e r F o r d e r u n g e n an andere Schuldner (Deutschland) zweifelsohne verbessert. D e r

ur-

sprüngliche Vertragsabschluß sei aber n i c h t an den E i n g a n g solcher F o r d e r u n g e n gebunden gewesen. Jeder Z u s a m m e n h a n g sei daher auch bei der E n d r e g e l u n g abzulehnen. Das w u r d e u m so stärker unterstrichen, als F r a n k r e i c h d u r c h ein System neuer Allianzen die Unsicherheit auszugleichen suchte, die das Ausspringen

Amerikas

verursacht hatte, u n d die zweifelsohne gegen die Grundzüge der neuen F r i e d e n s o r d n u n g verstießen, die A m e r i k a wünschte, o b w o h l es sie n i c h t

durch

seinen B e i t r i t t

zum Völkerbund

formal

an-

erkennen wollte. Nach M e i n u n g der Vereinigten Staaten m u ß t e jede Begünstigung der Schuldner zu e i n e m neuen W e t t r ü s t e n

führen;

sie sei daher schon aus ethischen G r ü n d e n abzulehnen. M a n h a t i n Deutschland d e m Atisspringen A m e r i k a s

aus den

Reihen der europäischen Gegner m i t Recht weitgehende Bedeutung beigemessen. M a n h a t aber, i n j e n e r unseligen E i n s t e l l u n g befangen, die i n j e d e m f r e m d e n L a n d e entweder einen F e i n d sieht, der uns vernichten w i l l oder einen F r e u n d , der seine Interessen d e n unsern zu o p f e r n

bereit

ist,

nie

aber den

nüchternen

Neutralen,

der

aus selbstverständlichen egoistischen E r w ä g u n g e n seine eigene P o l i t i k betreibt, f o r t w ä h r e n d falsche Schlüsse gezogen. M a n h a t die Vereinigten Staaten, die von i h r e m S t a n d p u n k t aus m i t v o l l e m Recht d e m Frieden n i c h t beigetreten sind, als k ü n f t i g e Retter betrachtet, o b w o h l gerade i h r Fernbleiben den katastrophalen D r u c k der

finan-

ziellen Friedensbedingungen verursacht hat. M a n hat sie i m Gegensatz zu E n g l a n d über den Schellenkönig gelobt, w e i l sie keinerlei finanzielle

Ansprüche

gestellt

und

das

deutsche E i g e n t u m

frei-

21

V I . Interalliierte Schulden und Reparationen

gegeben hätten. Beides ist n i c h t r i c h t i g . So t ö r i c h t die englische P o l i t i k a u f diesem Gebiet w a r , w e i l sie den K r e d i t Englands als KapitalKreisen

u n d Handelszentrum der

deutschen

der W e l t

untergrub, und in

Liquidationsgeschädigten

berechtigte

den Er-

b i t t e r u n g gegen E n g l a n d auslöste, so k a n n m a n doch k a u m von einem grundsätzlichen Unterschied sprechen 1 1 . A l s die L o n d o n e r K o n f e r e n z , die letzte Gelegenheit, die Periode der u n b e s t i m m t e n Z a h l u n g e n d u r c h deutsche Vorschläge z u beenden, zu einer K a t a s t r o p h e g e f ü h r t hatte, wandte m a n sich i n B e r l i n hilfesuchend an die Vereinigten Staaten. M a n erbot sich zur Übernahme der alliierten Schulden. M a n w a r bereit, den Vereinigten Staaten u n a u f g e f o r d e r t die 4 o M i l l i a r d e n G M . zu zahlen, die ihnen die A l l i i e r t e n

schuldeten,

obwohl Amerika

sicher kein

Interesse

daran hatte, an Stelle der g u t e n Schuldner E n g l a n d u n d F r a n k r e i c h , die d u r c h F o r d e r u n g e n an Deutschland gedeckt waren, den damals schlechten Schuldner Deutschland zu setzen. M a n machte so den ganz überflüssigen

Versuch,

mit

ungeeigneten M i t t e l n

dien

Zu-

sammenhang zwischen Reparationsschuld u n d i n t e r a l l i i e r t e n Schulden herzustellen,

den A m e r i k a

grundsätzlich

ablehnte. E r s t der

Neue P l a n hat i h n gebracht. Es i s t i n i h m zwar keine r e c h t l i c h e Verknüpfung

zwischen i n t e r a l l i i e r t e n

Schulden u n d

Reparations-

zahlungen hergestellt, w o h l aber eine tatsächliche Parallelverbindung12. A l s der Dawesplan i n W i r k s a m k e i t trat, w a r das Z i e l der a m e r i kanischen P o l i t i k , völlige L o s l ö s u n g der Reparationen von den i n t e r -

11

Die Vereinigten Staaten haben den T e i l des Eigentums zurückgegeben, das

sie zur Deckung ihrer eigenen Ansprüche nicht brauchten. Die Engländer haben das gleiche getan; die Summen, deren sie dazu bedürften, waren verhältnismäßig viel größer. Außerdem haben sie törichterweise einen Betrag von i 4 Millionen P f u n d f ü r Reparationszwecke zurückbehalten, auf den ihr Anspruch kaum gerechtfertigt

ist. Die Vereinigten Staaten waren k l u g genug, das

Unverletzlichst

Prinzip

der

des privaten Eigentums anzuerkennen, auch wo sie es durch-

brachen, und damit sich i n Deutschland eine moralische Plattform zu schaffen. 12

Siehe Anlage 5 und 6.

22

Erstes Kapitel.

Der Hintergrund

alliierten Kriegsschulden, erreicht. D e r R u h r k a m p f hatte die E i n h e i t s f r o n t zwischen E n g l a n d u n d F r a n k r e i c h zerrissen. D e r letzte großzügige

Vorschlag

der

englischen R e g i e r u n g

1 9 2 3 ) , m i t d e m sie den R u h r k a m p f

(2./4.

Januar

abwenden wollte, w a r

F r a n k r e i c h abgelehnt worden. D i e englische R e g i e r u n g

von

entschloß

sich, eigene W e g e zu gehen u n d zu einem S c h u l d a b k o m m e n p i i t den Vereinigten Staaten zu schreiten. Sie hatte schon v o r h e r i h r e B e r e i t w i l l i g k e i t e r k l ä r t , a u f alle Z a h l u n g e n i h r e r alliierten Schuldner zu verzichten, f a l l s A m e r i k a einen gleichen Verzicht aussprechen würde. D a das n i c h t geschah, h a t sie sich n u r eine gewisse Beschränk u n g bei i h r e n F o r d e r u n g e n auferlegt. Sie f o r d e r t e von i h r e n A l l i i e r t e n u n d von d e m deutschen Reparationsschuldner die Beträge, die sie an A m e r i k a a b f ü h r e n m u ß t e , u m den britischen Steuerzahler v o r dieser Belastung z u bewahren. Sie h a t d a m i t sowohl i n F r a n k r e i c h als i n A m e r i k a A n s t o ß erregt, — i n F r a n k r e i c h , w e i l sie Reparationsforderungen

u n d i n t e r a l l i i e r t e Schulden gleichstellte;

in

den Vereinigten Staaten, w e i l sie v o r aller W e l t k l a r u n d deutlich z u m A u s d r u c k zu b r i n g e n suchte, daß die mangelnde G r o ß z ü g i g k e i t der Vereinigten Staaten die Schuldenstreichung verhindere. Sie ist t r o t z d e m zu einem A b k o m m e n m i t A m e r i k a gelangt. D i e britische Gesamtschuld w u r d e n i c h t v e r m i n d e r t , i h r e Z a h l u n g w u r d e dagegen über 62 Jahre verteilt, u n d als Z i n s f u ß

der jeweils ausstehenden

Beträge d e r niedrige Satz von 3o/ 0 bzw. 31/2% genommen. M a n h i e l t dies damals n i c h t f ü r ein Geschenk, w e i l m a n glaubte, i n absehbarer Zeit werde E n g l a n d zu diesem Satze G e l d a u f n e h m e n können. Diese M e i n u n g h a t sich n i c h t bestätigt. E n g l a n d h a t dadurch einen e r heblichen Zahlungsnachlaß erfahren. Überdies i s t es seinen V e r tretern g e g l ü c k t , d i e S u b s t i t u i e r u n g englischer O b l i g a t i o n e n , bzw. die P r i v a t i s i e r u n g der S c h u l d zu verhindern. D i e M ö g l i c h k e i t einer Revision d u r c h A b k o m m e n zwischen den Regierungen, bei der insbesondere S u b s t i t u i e r u n g oder P r i v a t i s i e r u n g ins Auge gefaßt w e r den können, besteht also weiter. A l l e r d i n g s n i m m t die Bedeutung der Substituierung m i t der A b n a h m e der amerikanischen S c h u l d ab. Seit Friedensschluß

haben die Vereinigten

Staaten bereits

über

23

V I . Interalliierte Schulden und Reparationen

9 M i l l i a r d e n $ abgetragen. N u r noch i 6 , 4 M i l l i a r d e n $ s i n d ausständig13. Überdies w a r ein M o r a t o r i u m eingebaut worden, das den E n g ländern gestattete, einen erheblichen T e i l der Zahlungen zwei Jahlre lang aufzuschieben, w e n n d e m amerikanischen Gläubiger 9 0 Tage vor der F ä l l i g k e i t der Zahlungsverpflichtung

Mitteilung

gemacht

worden w a r . Dieses M o r a t o r i u m ist das V o r b i l d aller M o r a t o r i e n geworden, die i n den verschiedenen interalliierten A b k o m m e n enthalten sind.

Es ist auch das V o r b i l d des M o r a t o r i u m s ,

das

im

Neuen P l a n vorgesehen ist. Das Vorgehen der Engländer h a t alle anderen Schuldner, m i t zeitweiliger Ausnahme F r a n k r e i c h s , zu einer ähnlichen Regelung gezwungen. D i e Vereinigten Staaten verhielten sich dabei sehr entgegenk o m m e n d . Sie verlangten zwar i n allen F ä l l e n die R ü c k z a h l u n g des vorgeschossenen K a p i t a l s ; sie dehnten aber die Z a h l u n g s f r i s t

auf

62 Jahre aus; sie bauten überall S t u n d u n g s m ö g l i c h k e i t e n e i n : sie verzichteten überall a u f die sofortige Privatisierung. Sie gewährten Zinssätze,

die

in

einzelnen

Fällen,

wie

bei

Italien,

einen bei-

nahe negativen Charakter annahmen ( o , 4 % ) . Sie s i n d auch F r a n k reich gegenüber, d e m einzigen Lande, das Schwierigkeiten machte, g r o ß z ü g i g gewesen. D i e Franzosen selbst geben zu, daß die Z i n s nachlässe die Gesamtverpflichtungen u m 5 3 % e r m ä ß i g t e n . A m e r i kanische A u f s t e l l u n g e n behaupten sogar, daß eine Gesamtzahlung von 6,8 M i l l i a r d e n $ a u f 2 M i l l i a r d e n $ herabgesetzt w o r d e n sei. D i e Franzosen weigerten sich indes, das von i h r e n Vertretern getroffene

A b k o m m e n zu ratifizieren.

Sie betonten, die

Vorschüsse

A m e r i k a s seien Beiträge zu einer gemeinsamen Sache gewesen; da der Erlös überdies zu E i n k ä u f e n innerhalb der Grenzen der V e r einigten Staaten verwendet w o r d e n wäre, seien die A m e r i k a n e r eigentl i c h bereits befriedigt. Sie v e r m i ß t e n vor allen D i n g e n eine ausdrückliche rechtliche V e r b i n d u n g m i t dem E i n g a n g der deutschen Reparationsschuld. Sie verlangten eine Sicherheitsklausel, die i h n e n 13

3 i . Januar 1980.

die

24

Erstes Kapitel.

Der Hintergrund

Aussetzung i h r e r Leistungen gestattete, w e n n D e u t s c h l a n d m i t den seinigen i m R ü c k s t a n d blieb. Sie sind weder i n E n g l a n d n o c h i n den Vereinigten Staaten m i t diesen Gesichtspunkten

durchgedrungen.

D i e Engländer haben sich zwar sehr e n t g e g e n k o m m e n d

gezeigt;

sie betonten aber, daß ein A u s f a l l deutscher Z a h l u n g e n sie bereits u n m i t t e l b a r schädige, so daß n u r beschränkte R ü c k s i c h t n a h m e a u f F r a n k r e i c h m ö g l i c h sei: E i n M o r a t o r i u m , dessen D a u e r a u f höchstens drei Jahre festgesetzt ist, k a n n f ü r die H ä l f t e jeder h a l b j ä h r i g e n Z a h l u n g gewährt werden. E n g l a n d h a t sich überdies d u r c h einen R r i e f des Schatzkanzlers C h u r c h i l l v o m Caillaux-Churchill-Abkommen

begleitete,

12. J u l i zu

einer

1 9 2 6 , der das erneuten Re-

sprechung bereiterklärt, falls Deutschland m i t mindestens der H ä l f t e seiner Daweszahlungen i m R ü c k s t a n d bleibe; die H ä l f t e der A n n u i täten, die F r a n k r e i c h nach d e m Dawesplan empfing, reichte gerade zur E n t r i c h t u n g seiner Z a h l u n g e n an E n g l a n d u n d die Vereinigten Staaten a u s 1 4 . D i e Engländer haben aber a u f der andern Seite dara u f bestanden, daß F r a n k r e i c h an sie i m gleichen A u s m a ß

zahle

w i e an die Vereinigten Staaten. Das geht sogar so w e i t , daß die Z a h l u n g von 4 o o M i l l i o n e n $ f ü r K ä u f e von i n F r a n k r e i c h belassenem K r i e g s m a t e r i a l , die a m 1. A u g u s t 1 9 2 9 f ä l l i g w a r , w e n n bis dahin

das

Mellon-Réranger-Abkommen

nicht

ratifiziert

worden

wäre, A n l a ß zu einer gleich h o h e n F o r d e r u n g Englands an F r a n k reich gegeben hatte. W e n n F r a n k r e i c h bis zu diesem T e r m i n n i c h t ratifiziert hatte, — w e n n es ratifizierte, w u r d e n die 4 o o M i l l i o n e n $ i n die Staffelung des gesamten Zahlungsplans eingerechnet — , hätte es n i c h t n u r 10 M i l l i a r d e n Francs an die Vereinigten Staaten, sondern unter Umständen weitere

10 M i l l i a r d e n Francs an E n g l a n d

zu zahlen gehabt. D i e Staffelung der französischen

Zinszahlungen

u n d R ü c k z a h l u n g e n an E n g l a n d u m f a ß t 62 Jahreszahlungen, die einen Gegenwartswert von 2 2 2 M i l l i o n e n P f u n d besitzen ; da d u r c h sie die A b d e c k u n g einer S c h u l d von 6 5 3 V 2 M i l l i o n e n P f u n d e r f o l g t , 14

S.

J. René Brunet, Les Finances Publiques du Temps Présent, Paris 1929. i5g.

'

25

V I . Interalliierte Schulden und Reparationen

beträgt der Nachlaß Englands über 63o/ 0 . Überdies ist die M ö g l i c h k e i t der P r i v a t i s i e r u n g ausgeschlossen 1 6 . D e r Neue P l a n h a t i n diesen Beziehungen eine entscheidende Ä n d e r u n g h e r b e i g e f ü h r t . E r h a t die v o n D e u t s c h l a n d zu zahlenden A n n u i t ä t e n i n zwei Teile zerlegt. D e r eine T e i l deckt die u n m i t t e l baren F o r d e r u n g e n

der A l l i i e r t e n f ü r

Wiederaufbauzwecke

usw.

D e r andere T e i l w i r d ü b e r die B a n k f ü r Internationalen Z a h l u n g s ausgleich z u r A b d e c k u n g Während

der

erste

Teil

der amerikanischen A n n u i t ä t a b g e f ü h r t . nur

Jahre

läuft,

ist der andere,

i n Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t den A b m a c h u n g e n m i t den

Vereinigten

Staaten, a u f 22 weitere J a h r e gestreckt. E i n etwaiger Nachlaß der Vereinigten Staaten s o l l i n den ersten 3 7 J a h r e n zu zwei D r i t t e l d e r Nettosumme D e u t s c h l a n d u n m i t t e l b a r zugute k o m m e n ; weitere drei Z w ö l f t e l fließen zu seiner E r l e i c h t e r u n g der B a n k f ü r

Internatio-

nalen Zahlungsausgleich z u ; w ä h r e n d der letzten 22 Jahre s o l l der Gesamtbetrag der etwaigen Erleichterungen z u r Herabsetzung der deutschen Verpflichtungen verwendet werden. Errechnet m a n den Gegenwartswert der beiden Annuitätenreihen, so gehen von dem Gesamtbetrag von 3 6 M i l l i a r d e n R M . etwa 2 6 M i l l i a r d e n R M . an die Vereinigten Staaten. F o r m a l ist alles b e i m alten geblieben. M a t e r i e l l ist die V e r k n ü p f u n g der i n t e r a l l i i e r t e n Schulden m i t der Reparationszahlung e r f o l g t . O b diese V e r ä n d e r u n g zur Z e i t den W ü n s c h e n der R e g i e r u n g der Vereinigten Staaten e n t s p r i c h t oder n i c h t , w a r p r a k t i s c h n i c h t das Entscheidende. I h r e M i t w i r k u n g w a r n u r insoweit n ö t i g , als es sich u m die V e r m i n d e r u n g der i h r aus d e m Dawesp l a n zustehenden F o r d e r u n g e n (Ersatz der Besatzungskosten usw.) handelte.

Sie

sind

durch

ein

Sonderabkommen

geregelt,

das

die Überweisung u n m i t t e l b a r an die Vereinigten Staaten v o r s i e h t ; diese Z a h l u n g e n (sie umfassen Ansprüche aus Entscheidungen des deutsch - amerikanischen Schiedsgerichts u n d den Ersatz der Besatzungskosten, deren H ö h e nach d e m Y o u n g p l a n 3 7 Jahre l a n g d u r c h s c h n i t t l i c h j e 6 6 , 1 M i l l i o n e n R M . u n d weitere 17 Jahre l a n g 15 Brunet, S. ι5