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German Pages 73 Year 2012
Der narrative Ansatz in der politischen Bildung
Von
Ingo Juchler
A Duncker & Humblot · Berlin
INGO JUCHLER Der narrative Ansatz in der politischen Bildung
Lectiones Inaugurales Band 3
Der narrative Ansatz in der politischen Bildung
Von
Ingo Juchler
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2194-3257 ISBN 978-3-428-13988-0 (Print) ISBN 978-3-428-53988-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83988-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞
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Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort In den beiden hier erscheinenden Aufsätzen geht es dem Autor darum, den narrativen Ansatz als interdisziplinären Zugang zum vertieften Verständnis des Politischen vorzustellen. In Das Politische verstehen – Zweckbestimmung politischer Bildung werden nach der Darlegung der historischen und aktuellen Rahmenbedingungen politischer Bildung der narrative Ansatz sowie zwei exemplarisch ausgewählte politikdidaktische Lehrstücke präsentiert: Der Melier-Dialog des Thukydides thematisiert das Verhältnis von Macht und Recht in den internationalen Beziehungen, Antigone von Sophokles diskutiert die Fragen um Staatsräson und der Rechtlichkeit des Rechts. Der Text geht auf meine Antrittsvorlesung am 25. April 2012 an der Universität Potsdam zurück. Der zweite Aufsatz sucht den narrativen Ansatz anhand von Fjodor Dostojewskijs kurzer Erzählung Der Großinquisitor aus dem Roman Die Brüder Karamasow zu veranschaulichen. Dostojewskijs Großinquisitor regt dazu an, sich mit den Fundamentalnormen der Demokratie – Freiheit und Gleichheit – sowie der Wiederkehr des Religiösen in die Politik auseinanderzusetzen. Dieser Text fußt auf meiner Antrittsvorlesung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten am 30. Mai 2006.
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Vorwort
Das mit dem narrativen Ansatz verbundene erkenntnisleitende Interesse ist es, durch klassische Lehrstücke anschauliche Zugänge zu zentralen Kategorien des Politischen wie Macht und Recht, Krieg und Frieden, Freiheit und Gleichheit zu eröffnen, deren transepochale Diskursivität für unsere heutigen Auseinandersetzungen über politische Fragen zu nutzen und damit einem nachhaltigen Verstehen des Politischen zu dienen. Ich danke dem Lindenau-Museum Altenburg für die Abdruckgenehmigungen der Radierung von Max Beckmann und der Lithographie von Erich Heckel sowie dem Verleger Dr. Florian R. Simon für die freundliche Aufnahme meiner Beiträge in die Reihe Lectiones Inaugurales des Verlagsprogramms. Potsdam, im Sommer 2012
Ingo Juchler
Inhalt Das Politische verstehen – Zweckbestimmung politischer Bildung I. Indienstnahmen politischer Bildung – einst und heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aspekte der Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der narrative Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Politikdidaktische Lehrstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Thukydides: Der Melier-Dialog . . . . . . . . . . . . . a) Der Irak-Krieg von 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Konflikt um das iranische Atomprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sophokles: Antigone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatsgewalt und Widerstand . . . . . . . . . . . . b) Summum ius, summa iniuria . . . . . . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor als Lehrstück für die politische Bildung
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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dostojewskijs Großinquisitor – die Handlung . . . III. Fundamentalnormen der Demokratie: Freiheit und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Wiederkehr des Religiösen in die Politik . . . V. Ausblick: Interdisziplinäre Zugänge . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Politische verstehen – Zweckbestimmung politischer Bildung I. Indienstnahmen politischer Bildung – einst und heute Die politische Bildung als domänenspezifische Fachdidaktik des Politischen ist eine recht junge wissenschaftliche Disziplin. Allerdings verweist die politische Bildung als politische Erziehung auf eine lange Traditionslinie. Das Charakteristikum dieser Tradition stellt die Indienstnahme der politischen Bildung für die jeweiligen opportunen politischen Zwecke dar, insbesondere den Zweck der Herrschaftssicherung der Machtinhaber. So erfolgte im 17. und 18. Jahrhundert die politische Erziehung im Religionsunterricht, wo es entsprechend eines Katechismus’ aus dem Jahr 1644 beispielsweise zu lernen galt: „Was ist die schuldige Pflicht der Untertanen? 1. Dass sie die Obrigkeit, als von Gott geordnet, gebührlich ehren und sich vor ihr fürchten und scheuen. 2. Dass sie derselbigen aus willigem Herzen untertan und gehorsam sein. 3. Dass sie zu Gott herzlich für ihre Wohlfahrt und friedliche Regierung beten. 4. Dass sie Schoß [eine Art Vermögenssteuer], Zoll und dergleichen Schatzung, die man der Obrigkeit zu geben schuldig ist, gern und willig dargeben.“1
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Das Politische verstehen
Eineinhalb Jahrhunderte später sorgte die Französische Revolution auch in den deutschen Landen für politische Unruhe. Die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, heute die drittälteste deutsche Akademie der Wissenschaften, setzte vor diesem Hintergrund einen Preis für eine populäre Schrift an das deutsche Volk aus, „wodurch dieses von der Güte seiner Verfassung belehrt und vor den Übeln ungemessener Freiheit und Gleichheit gewarnt werden sollte“.2 Die „Übel ungemessener Freiheit und Gleichheit“ verbreiteten sich allerdings weiter, führten zur Revolution von 1848/49 und in der Folge zum Erstarken der sozialistischen Arbeiterbewegung. Kaiser Wilhelm I., der wegen seiner unrühmlichen Rolle bei der Bekämpfung der demokratischen Bewegung von 1848/49 nach der Bezeichnung in einer Rede durch den Potsdamer Revolutionär Max Dortu als „Kartätschenprinz“ bekannt geworden war,3 unterzeichnete deshalb 1878 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, was einem Parteiverbot gleichkam. Dieses Gesetz verfehlte in der Folgezeit jedoch den gewünschten Effekt, weshalb sein Nachfolger Kaiser Wilhelm II. als König von Preußen im Jahre 1889 die „Allerhöchste Ordre“ erließ. Darin heißt es: 1 Zitiert nach Joachim Detjen, Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart in Deutschland, München 2007, S. 18. 2 Zitiert nach Andreas Flitner, Die politische Erziehung in Deutschland. Geschichte und Probleme 1750–1880, Tübingen 1957, S. 52. 3 Karl Gass, Zielt gut, Brüder! Das kurze Leben des Maximilian Dortu, Wilhelmshorst 2000, S. 52.
I. Indienstnahmen politischer Bildung
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„Schon längere Zeit hat Mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzutreten. In erster Linie wird die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterland die Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu legen haben. (. . .) Sie muss bestrebt sein, schon der Jugend die Überzeugung zu verschaffen, dass die Lehren der Sozialdemokratie nicht nur den göttlichen Geboten und der christlichen Sittenlehre widersprechen, sondern in Wirklichkeit unausführbar und in ihren Konsequenzen dem Einzelnen und dem Ganzen gleich verderblich sind.“ 4
Um diesen politischen Zweck zu erreichen, sieht die „Allerhöchste Ordre“ die Instrumentalisierung des Religions- und des Geschichtsunterrichts vor. Die bitteren Früchte dieser „Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterland“ wurden eine Generation später mit dem Ersten Weltkrieg, der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, geerntet. Schließlich lassen sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im geteilten Nachkriegsdeutschland auch unterschiedliche Zweckbestimmungen politischer Bildung ausmachen. In der DDR wurde 1949 das Schulfach Gegenwartskunde eingeführt, das 1957 durch das Fach Staatsbürgerkunde ersetzt wurde. Seit Mitte der 1960er Jahre sollten die Schülerinnen und Schüler zur „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit“ erzogen 4 Zitiert nach Hans-Werner Kuhn/Peter Massing/Werner Skuhr (Hrsg.), Politische Bildung in Deutschland, Opladen 21993, S. 35.
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Das Politische verstehen
werden. In der Aufgabenstellung des Ministeriums für Volksbildung, dem von 1963 bis 1989 Margot Honecker als Ministerin vorstand, wurden die Grundüberzeugungen definiert, an denen sich das Handeln der „sozialistischen Persönlichkeit“ orientiert – „die Überzeugung von der historischen Mission der Arbeiterklasse“, „die Überzeugung von der Gewissheit, dass die Zukunft der ganzen Menschheit der Sozialismus ist“ etc.5 Während im Osten Deutschlands die Staatsbürgerkunde für den vorgeblichen Aufbau des Sozialismus instrumentalisiert wurde, sollte die politische Bildung in der Bundesrepublik entsprechend der politischen Ausrichtung der westlichen Siegermächte für die Staatsform der Demokratie dienstbar gemacht werden. Ihren programmatischen Ausgang nahm diese Ausrichtung politischer Bildung bei der ReeducationPolitik. Maßgeblich wurde hierbei die amerikanische Umerziehungspolitik. Diese war insbesondere durch John Deweys pragmatistische Erziehungstheorie geprägt, namentlich durch seine Schrift Democracy and Education (1916), die auch noch für die heutige Bildungswissenschaften von Relevanz ist.6 Die Amerikaner wollten mit ihrem Programm die mentalen Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung der Demokratie in Westdeutschland schaffen. Zu diesen demokratiefördernden Maßnahmen gehörten die Etablierung der Politikwissenschaft an westdeutschen
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Zitiert nach Detjen, Politische Bildung, S. 203. John Dewey, Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik, Weinheim 32008. 6
I. Indienstnahmen politischer Bildung
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Hochschulen, die Wiedererrichtung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, die sukzessive Einführung des Schulfaches politische Bildung sowie die Gründung der Bundeszentrale für Heimatdienst (später Bundeszentrale für politische Bildung) und der Landeszentralen für politische Bildung. All diese Maßnahmen waren einer Erkenntnis geschuldet, die Theodor Eschenburg, Gründungsdirektor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen, in die griffige Sentenz fasste: „Demokraten fallen nicht vom Himmel!“ Für die Zweckbestimmung politischer Bildung lässt sich somit zunächst festhalten, dass diese historisch immer in einem Dependenzverhältnis zur jeweils bestehenden politischen Ordnung stand, und zwar dergestalt, dass die politische Erziehung die Ordnung legitimieren und zu deren Stabilität beitragen sollte. Gleiches gilt für unser aktuelles politisches System. Demokratie ist eine sehr voraussetzungsvolle Staatsund Regierungsform. Der freiheitliche und säkularisierte Staat lebt, so das bekannte Diktum von ErnstWolfgang Böckenförde, von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.7 Der politischen Bildung kommt deshalb eine demokratiefunktionale Aufgabe zu. Diese Aufgabe ist legitim, da wir in einem demokratischen und rechtsstaatlichen politischen System leben.
7 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ErnstWolfgang Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt/M. 1976, S. 60.
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Das Politische verstehen
II. Aspekte der Bildung Politische Bildung sollte sich aber nicht auf die Zweckbestimmung der Funktionalität für das politische System beschränken. Vielmehr ermöglicht die Demokratie heute – anders als in den vorgenannten historischen Epochen – auch den Bildungsaspekt angemessen zu berücksichtigen. Für unsere heutige Auseinandersetzung anschlussfähig erweist sich ein Verständnis von Bildung, das im Neuhumanismus entwickelt wurde. In Abgrenzung zur philanthropischen Reformbewegung, die eine Erziehung zur Brauchbarkeit der Heranwachsenden für die Gesellschaft intendierte, stellten Vertreter neuhumanistischer Bildungsauffassungen den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Bildungsanstrengungen. So kritisierte etwa Friedrich Immanuel Niethammer die Pädagogik der Philanthropen wegen ihrer Konzeptionen zur schnellen und praxisnahen Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf den Beruf. Die Heranwachsenden sollten durch Schule und Unterricht nicht zu „Maschinenwesen“ präformiert werden. Ähnlich konzipierte Wilhelm von Humboldt die Zweckbestimmung von Bildung – sie sollte von allen Nützlichkeitserwägungen absehen: „Im Mittelpunkt aller besonderen Arten der Thätigkeit nemlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will.“8 8 Wilhelm von Humboldt, Die Bildung des Menschen, in: Franzjörg Baumgart (Hrsg.): Erziehungs- und Bildungstheorien, Bad Heilbrunn 32007, S. 94; Orthographie im Original.
II. Aspekte der Bildung
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Eingedenk neuhumanistischer Bildungskonzepte erscheint die heutige Zweckbestimmung von Bildung unter dem Supremat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als Rückschritt zu einer funktionalistischen Ausbildung. Die OECD fördert durch ihre bildungspolitisch tonangebenden internationalen Schulleistungsuntersuchungen von 15Jährigen zu den vorgeblich wichtigsten Grundbildungsbereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften (Programme for International Student Assessment) eine Erziehung zur Brauchbarkeit der Heranwachsenden. Damit steht nicht der Mensch im Mittelpunkt von Bildungsbemühungen. Vielmehr setzt sich im schulischen Bildungsbereich ein Leitbild durch, das entsprechend wirtschaftlicher Erfordernisse die Schülerinnen und Schüler zu formen sucht. Diese schulische Ausbildung von Heranwachsenden zu Humankapital (Unwort des Jahres 2004) steht in der Folge einer zunehmenden Durchdringung aller Bereiche menschlichen und gesellschaftlichen Handelns durch ökonomische Nützlichkeitskategorien: „Die PISA-Studie sowie ihre Wirkungen auf die nationale Bildungspolitik und der Bologna-Prozess sind Teil und zugleich treibende Kraft einer großen Transformation der Bildung. Das alte Paradigma, in dem Bildung als Kulturgut und Fachwissen verstanden wurde, wird nun vollständig durch ein neues, ökonomistisches Leitbild abgelöst.“ 9
9 Richard Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co., Frankfurt/M. 2009, S. 30.
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Das Politische verstehen
Der OECD ist hierfür kein Vorwurf zu machen – es entspricht der genuinen Aufgabe und dem erkenntnisleitenden Interesse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Wirtschaftswachstum zu fördern. Die einseitige Orientierung schulischer Bildungsbemühungen an ökonomischen Nützlichkeitserwägungen bedingt jedoch eine utilitaristische Schlagseite, die das Leitmotiv pädagogischen Handelns in der Demokratie, die Erziehung zur Mündigkeit, zu konterkarieren droht. Die Idee der Mündigkeit als Ziel von Erziehungsund Bildungsbemühungen nahm ihren Ausgang von Immanuel Kants programmatischen Ausführungen über den Zusammenhang von Aufklärung und Mündigkeit: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“10 Für den pädagogischen Diskurs wird Mündigkeit erst im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Vormärz und der Revolution von 1848/49 von beson10 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Immanuel Kant: Werkausgabe, Bd. XI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt/M. 91991, S. 53.
III. Der narrative Ansatz
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derer Relevanz. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Barbarei wurde in der Bundesrepublik Mündigkeit als wesentliche personale Anforderung der Bürgerinnen und Bürger für die gedeihliche Entwicklung der in statu nascendi befindlichen Demokratie ausgemacht: Mündigkeit avancierte zum erklärten „Erziehungsziel der neuen Schule“.11 In der Bundesrepublik sind die schulischen Bildungsbemühungen auch heute noch auf das normative Leitziel der Erziehung zur Mündigkeit gerichtet, im Fall der politischen Bildung konkretisiert als Befähigung der Schülerinnen und Schüler zu politischer Urteilsbildung und Partizipation. Bei den PISA-Studien bleiben nun bezeichnenderweise die geistes- und gesellschaftswissenschaftlich orientierten Fächer wie Geschichte, Religion bzw. LER, Ethik und Politische Bildung ebenso außen vor wie der gesamte musisch-ästhetische Bereich. Gleichwohl wurde vor dem Hintergrund der Ergebnisse der PISA-Studien im deutschen Schulwesen insgesamt ein Paradigmenwechsel von der Input- auf die Output-Steuerung vorgenommen. Das heißt, den Schulen wird nicht länger vorgeschrieben, was sie zu unterrichten haben, sondern nur noch, was die Schülerinnen und Schüler am Ende können sollen. III. Der narrative Ansatz Doch müssen im Unterricht auch bestimmte Inhalte vermittelt werden, denn „Unterricht geschieht um der Erkenntnis von bestimmten Inhalten willen“. 11 Theo Fruhmann, Mündigkeit als Erziehungsziel der neuen Schule, in: Die Pädagogische Provinz, Heft 2, 1948, S. 257–268.
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Das Politische verstehen
Es bleibt also für jede Domäne die Frage nach den paradigmatischen Sachverhalten zu klären. Was sind die Konzepte und Schlüsselbegriffe, die erlauben, den Blick auf das „Wesentliche“ zu fokussieren?12 Im Brennpunkt schulischer Politischer Bildung steht thematisch stets das Politische, wenngleich dieser Gegenstand auch auf andere Inhaltsfelder ausgreift. Die sozialwissenschaftliche Perspektive der politischen Bildung ist ausgerichtet auf die Regelung von grundlegenden Fragen und Problemen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Politische Bildung bezieht deshalb ökonomische Prozesse, geschichtliche Bedingtheiten sowie rechtliche und gesellschaftliche Themen mit ein. Die Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung brachte dies auf den Begriff des „konzeptuellen Deutungswissens“: „Es handelt sich um Wissen, das sich auf grundlegende Konzepte für das Verstehen von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Recht bezieht.“13 Derzeit werden in der Politikdidaktik unterschiedliche Ansätze zur Beschreibung dieser grundlegenden Konzepte diskutiert. Sie sollen „den Lernenden helfen, das fachliche Wissen zu- und einzuordnen, also systematisch und strukturiert zu erlernen, damit ihr Wissen weiterhin anschlussfähig ist“14 respektive „ei12 Andreas Gruschka, Verstehen lehren. Ein Plädoyer für guten Unterricht, Stuttgart 2011, S. 69 und S. 136. 13 GPJE (Hrsg.), Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen – Ein Entwurf, Schwalbach/Ts. 2004, S. 14. 14 Georg Weißeno/Joachim Detjen/Ingo Juchler/Peter Massing/Dagmar Richter, Konzepte der Politik – ein Kompetenzmodell, Schwalbach/Ts. 2010, S. 48.
III. Der narrative Ansatz
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nerseits den Ansprüchen an Pluralität und Kontingenz gerecht werden und andererseits unter dem Gesichtspunkt von Praktikabilität zugleich auch eine didaktische Fokussierung, Reduktion und Ordnung von Gegenständen ermöglichen“.15 Unabhängig davon, welchem Ansatz man nun näher steht, zeigen Ergebnisse der empirischen Unterrichtsforschung, dass das im politischen und geschichtlichen Unterricht vermittelte Wissen oftmals träge ist. Das heißt, es wurde zwar gelernt, kann aber in konkreten praktischen Lebenszusammenhängen nicht angewandt werden. Um nicht nur politikdidaktisch pro domo zu sprechen, hier ein Beispiel der Geschichtsdidaktikerin Susanne Popp: Im bayerischen Geschichtsunterricht waren die Schülerinnen und Schüler beim Thema „Systemvergleich BRD vs. DDR“ normalerweise in der Lage, bei entsprechenden Leistungstests die „Systemunterschiede auf den Begriff zu bringen und die westliche Bevorzugung des freiheitlichen Systems differenziert zu begründen. Inwieweit dieses Wissen sich in der Anwendung bewährte, zeigte die Erfahrung einer Kollegin. Sie führte den Kurs am Ende der Sequenz in das fiktive Dilemma, dass eine Partei aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse bestimmte Maßnahmen als einzig zukunftsrettend erkannt habe, diese aber bei den Wählerinnen und Wählern nicht durchsetzen könne, weil die komplexen Zusammenhänge der Öffentlich15 Autorengruppe Fachdidaktik: Sozialwissenschaftliche Basiskonzepte als Leitideen der politischen Bildung, in: Autorengruppe Fachdidaktik: Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift, Schwalbach/Ts. 2011, S. 168.
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Das Politische verstehen
Demokratie Europäische Integration Gewaltenteilung Grundrechte Internationale Beziehungen Markt Rechtsstaat Repräsentation Sozialstaat Staat Freiheit Frieden Gerechtigkeit Gleichheit Menschenwürde Nachhaltigkeit öffentliche Güter Sicherheit
Ordnung
Entscheidung
Gemeinwohl
Europäische Akteure Interessengruppen Konflikt Legitimation Macht Massenmedien Öffentlichkeit Opposition Parlament Parteien Regierung Wahlen
Quelle: Georg Weißeno/Joachim Detjen/Ingo Juchler/Peter Massing/Dagmar Richter, Konzepte der Politik. Ein Kompetenzmodell, Schwalbach/Ts. 2010, S. 12.
Abb. 1: Basis- und Fachkonzepte der Politik
keit kaum zu vermitteln (. . .) seien. Mit nur sehr wenigen Ausnahmen überlegte diese scheinbar ,fdGo‘firme Klasse nicht lange und breitete Berechtigung und Vorzüge einer ,Diktatur der Besten‘ aus, wovon sie ebenso rasch und ,schockiert‘ wieder Abstand nahm, als die Lehrerin die Argumentation andeutungsweise in den Kontext des ,Systemvergleichs‘ eingeordnet hatte; das hatten sie ,wirklich‘ nicht gemeint! Im Grunde begann erst jetzt (. . .) die Arbeit am wirklichen Verstehen.“16 – Es sollte also nicht darum gehen, politisches Wissen als Information zu lernen und diese gegebenenfalls in einer Klausur korrekt wiederzugeben. Die Zweckbestimmung politi16 Susanne Popp, Probleme des Verstehens in geschichtsdidaktischer Perspektive, in: Peter Baireuther/Herbert Gerstberger (Hrsg.): Perspektiven des Verstehens, Baltmannsweiler 2002, S. 190.
III. Der narrative Ansatz Recht Lebenswelt
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Staat Politik
Herrschaft
Aggregation Wirtschaft Zukunftsungewissheit
Institution Interesse
System Herrschafts- und ordnungsbildende gesellschaftliche Teilsysteme
(Nicht-intendierte) Handlungsfolgen
Soziale Milieus Anerkennung Kooperation
Historizität Diversität Kontingenz
Wandel Gesellschaftliche Veränderungen als Ausdruck kontingenter Wert- und Machtstrukturen
Akteure Individuen und Gruppen mit unterschiedlichen Partizipationschancen
Konkurrenz Integration Emotion
Gesellschaft Entscheidung Gewalt Strategie
Macht Kontextspezifische Mittel und Verfahren zur Durchsetzung allgemeiner Verbindlichkeit
Bedürfnisse Knappheit als gesellschaftliche Grundbedingung und Auslöser von Kooperations- und Verteilungsproblemen
Ressourcen Knappheit Produktion
Verfahren
Arbeit Grundorientierungen Gemeinsame und unterschiedliche Deutungsmuster und Deutungskontexte
Deutungshoheit Öffentlichkeit Konflikt
Gleichheit
Verteilung Sinn
Werte Sicherheit
Ökologie
Ordnungsideen Legitimation
Konsum
Gemeinwohl Freiheit
Gerechtigkeit
Quelle: Autorengruppe Fachdidaktik: Sozialwissenschaftliche Basiskonzepte als Leitideen der politischen Bildung, in: Autorengruppe Fachdidaktik: Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift, Schwalbach/Ts. 2011, S. 170.
Abb. 2: Sechs Basiskonzepte als Leitideen der politischen Bildung und ausgewählte Teilkonzepte bzw. Teilkategorien
scher Bildung ist vielmehr auf das Verstehen der politischen Gegenstände in Zusammenhängen gerichtet, die im Unterricht behandelt werden. Eine Möglichkeit, dem Verstehen des Politischen nachzukommen, besteht in der Nutzung von literarischen Erzählungen im Politikunterricht. Die Erzähl-
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Das Politische verstehen
theorie erachtet als literarische Erzählungen nicht allein epische Werke wie Romane, Novellen etc. mit einem fiktionalen Erzähler. Auch andere literarische Gattungen wie Dramen, Lyrik sowie (audio)visuelle Werke wie das Hörspiel oder Spielfilme sind darunter zu verstehen.17 Wir können deshalb dieses Unternehmen als den narrativen Ansatz der politischen Bildung bezeichnen. Der narrative Ansatz kommt dem Anliegen nach, Schülerinnen und Schülern durch Erzählungen im Politikunterricht Zugänge zu politischen Sachverhalten zu eröffnen und diese zu verstehen. Diesen politikdidaktischen Ansatz verfolge ich mit meinen Forschungsanliegen an der Universität Potsdam. Der Ansatz rechnet sich der hermeneutischen Ausrichtung der Politikdidaktik zu und ist interdisziplinär angelegt.18 In der Regel finden im Politikunterricht vornehmlich Sachtexte Verwendung. Die beim narrativen Ansatz genutzten Erzählungen unterscheiden sich von Sachtexten, denn sie enthalten oftmals keinen ausdrücklichen politischen Gehalt. Das Politische erscheint in Erzählungen implizit und ist mit anderen Momenten der menschlichen Existenz verwoben. Diese Verflechtung von politischen, historischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, religiösen und anderen Themen ermöglicht beim narrativen Ansatz ein ganz-
17 Vgl. Martin Leubner/Anja Saupe, Erzählungen in Literatur und Medien und ihre Didaktik, Baltmannsweiler 2006, S. 6. 18 Vgl. Carl Deichmann/Ingo Juchler (Hrsg.), Politik verstehen lernen. Zugänge im Politikunterricht, Schwalbach/Ts. 2010.
IV. Politikdidaktische Lehrstücke
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heitliches Lernen und Verstehen. Deshalb ist die unterrichtliche Umsetzung insbesondere im fächerverbindenden Unterricht besonders sinnvoll. Die Bildungs- und Rahmenlehrpläne sehen diese Möglichkeit explizit vor. Allein in der unterrichtlichen Praxis wird sie noch sehr wenig didaktisch genutzt. Der narrative Ansatz in der Politikdidaktik steht in der Tradition der Lehrkunstdidaktik, die ursprünglich von Martin Wagenschein ausging und von Tilman Grammes, Horst Leps und Andreas Petrik politikdidaktisch fortentwickelt wurde. Der Ansatz ist weiterhin anschlussfähig an die Geschichtsdidaktik. Dort wird wie in der Geschichtsphilosophie seit einigen Jahren die „alte Frage, ob Geschichtsschreibung Wissenschaft oder Kunst ist“, vor allem in der „Frage nach dem Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität der Geschichtsschreibung diskutiert“.19 IV. Politikdidaktische Lehrstücke Im Folgenden soll anhand zweier politikdidaktischer Lehrstücke dieser Ansatz verdeutlicht werden. Der Terminus Lehrstücke ist dabei nicht im Brechtschen Sinne zu verstehen. Lehrstücke bezeichnen hier die Möglichkeit, anhand von paradigmatischen Exempeln den Schülerinnen und Schülern Konzepte des Politischen wie Macht und Recht, Freiheit und Gleichheit, Krieg und Frieden verständlich zu machen.
19 Edgar Platen, Perspektiven literarischer Ethik, Tübingen 2001, S. 120.
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Das Politische verstehen
1. Thukydides: Der Melier-Dialog Bei der Wahl des ersten Lehrstücks, einer Geschichtserzählung, war die aktuelle Frage von Krieg und Frieden entscheidend. Diese Frage wird im Melier-Dialog des Thukydides anhand der beispielhaften Erörterung des Verhältnisses von Macht und Recht in den Beziehungen zwischen Staaten behandelt.20 Der Melier-Dialog handelt von den Auseinandersetzungen zwischen Athen und der kleinen Insel Melos im Winter 416 v. Chr., dem sechzehnten Kriegsjahr des Peloponnesischen Krieges zwischen Athen und Sparta. Die Melier stammten von Auswanderern der Spartaner ab und verhielten sich gegenüber den beiden Konfliktparteien neutral. Die Athener wollten die kleine Insel jedoch mit Nachdruck als tributpflichtigen Bundesgenossen werben. Deshalb fuhren sie mit einer militärischen Übermacht zu der kleinen Insel und schickten Gesandte zu Verhandlungen mit dem Rat der Melier. Hier ein kurzer Auszug dieser dialogischen Auseinandersetzung: „Die Athener: Nun gut, wir selbst wollen nun nicht mit schön klingenden Worten – wie etwa, zu Recht bestehe unsere Herrschaft nach unserem Sieg über die Perser (. . .) – eine langatmige und deshalb unglaubwürdige Rede vortragen. (. . .) Nein, im Rahmen des von uns als wahr Erkannten sucht das Mögliche zu erreichen, da ihr ebenso gut wie wir wisst, dass Recht im menschlichen Verkehr nur bei gleichem Kräfteverhältnis zur Geltung kommt, die Stärkeren aber alles in ihrer Macht Stehende durchsetzen und die Schwachen sich fügen. 20 Vgl. Ingo Juchler, Der Melier-Dialog des Thukydides – ein klassisches Lehrstück für Außenpolitik, in: Gesellschaft – Wirtschaft – Politik, Jg. 54, 2005, S. 89–98.
IV. Politikdidaktische Lehrstücke
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Die Melier: Wir glauben aber doch, es wäre nützlich – so müssen wir ja sprechen, da ihr statt des Rechtes den Vorteil unserem Gespräch zugrunde gelegt habt –, wenn ihr nicht etwas aufheben würdet, woraus alle gemeinsam Gewinn ziehen, sondern wenn jedem, der in Gefahr gerät, Gründe der Billigkeit zu Gebote stünden und er daraus (. . .) Nutzen ziehen könne.“ 21
Der Ausgang des Dialogs ist schnell berichtet: Nachdem die Melier die Bundesgenossenschaft weiterhin ablehnten, kehrte die athenische Gesandtschaft zum Heer zurück. Die Stadt wurde in der Folgezeit von den Athenern belagert, und nach einer Verstärkung des Belagerungsdrucks ergaben sich die Melier schließlich bedingungslos. Die Athener töteten alle erwachsenen Männer und verkauften die Frauen und Kinder in die Sklaverei. Was uns Thukydides im Melier-Dialog exemplarisch vor Augen führt, ist der Gegensatz von Macht und Recht. Thukydides lässt die athenischen Gesandten in unverblümter Deutlichkeit aussprechen, dass im Bereich der Beziehungen zwischen den Staaten – im Unterschied zur Isonomie in der Demokratie – kein Recht auf politische Gleichberechtigung bestehe. Ein gerechter Austausch sei nur mit machtpolitisch Ebenbürtigen zu suchen. Die Melier hätten sich als schwacher Staat dem Recht des Stärkeren zu beugen. Die Antinomie von Macht und Recht bildet denn auch eine diskursive Anschlussstelle dieses Textes mit der Gegenwart. Bei diesem klassischen Lehrstück können die Schülerinnen und Schüler das Verhältnis 21 Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Stuttgart 2000, V 89–90.
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Das Politische verstehen
der politischen Konzepte Macht und Recht als ein grundsätzlich prekäres in den internationalen Beziehungen verstehen. Diese gegenstandsbezogene Erfahrung muss allerdings im weiteren Unterricht durch die Behandlung aktueller Konflikte erweitert werden. Die didaktische Herausforderung besteht mithin darin, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, das Spannungsverhältnis zwischen dem klassischen Text und der politischen Gegenwart zu erkennen. Diese didaktische Herausforderung stellt sich als hermeneutische Aufgabe. Das Spannungsverhältnis zwischen antikem Text und Gegenwart ist nicht, so Hans-Georg Gadamer, „in naiver Angleichung zuzudecken, sondern bewusst zu entfalten. Aus diesem Grunde gehört notwendig zum hermeneutischen Verhalten der Entwurf eines historischen Horizontes, der sich von dem Gegenwartshorizont unterscheidet.“ 22 Hält man sich nun aus politikdidaktischer Perspektive den Gegenwartshorizont der internationalen Beziehungen vor Augen, so stellen beispielsweise der Irak-Krieg der Vereinigten Staaten mit ihren Verbündeten im Jahre 2003 oder die aktuelle Möglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Iran Konflikte dar, die für ein Verständnis des Verhältnisses der Konzepte Macht und Recht exemplarisch behandelt werden können.
22 Hans-Georg Gadamer, Hermeneutik I: Wahrheit und Methode, Tübingen 72010, S. 311.
IV. Politikdidaktische Lehrstücke
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a) Der Irak-Krieg von 2003 Zunächst zum Irak-Krieg – zur Erinnerung: Der vormalige amerikanische Präsident George W. Bush erkannte 4 Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im Irak zusammen mit Iran und Nordkorea eine „Achse des Bösen“, die durch Herstellung von Massenvernichtungswaffen die Sicherheit nicht nur der Vereinigten Staaten gefährdete. Gleichzeitig signalisierte Bush die Bereitschaft, gegen diese Staaten gegebenenfalls auch präventiv militärisch vorzugehen. Zur Durchsetzung dieser Politik nahmen die USA und die Koalition der Willigen im März 2003 mit der Intervention im Irak einen Verstoß gegen das Völkerrecht und die Prinzipien der Vereinten Nationen in Kauf. In der UN-Charta gelten das auf die Wahrung des Weltfriedens gerichtete Prinzip des Gewaltverbots sowie das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Ein Waffeneinsatz ist nur auf der Grundlage eines Beschlusses durch den Sicherheitsrat oder gemäß Artikel 51 zur Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs rechtens. Für ein vertieftes Verständnis des Verhältnisses von Macht und Recht am Beispiel des Irak-Krieges kann im Politikunterricht Robert Kagans Essay Macht und Ohnmacht herangezogen werden. Nach Kagans Auffassung bestehen tiefgreifende Unterschiede im Weltbild zwischen den starken USA und einem vergleichsweise schwachen Europa: Während die USA sich gegenüber den „brutalen Gesetze(n) einer anarchischen Hobbesschen Welt“ bewähren müssten, „in der letztlich die jeweilige Machtposition über Sicherheit und Erfolg der Staaten entscheidet“, hätten die
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Das Politische verstehen
Europäer die „Hobbessche Welt der Gesetzlosigkeit verlassen“ und seien in die „Kantische Welt des ewigen Friedens eingetreten“.23 Mit dem überdeutlichen Verweis auf Thomas Hobbes ordnet sich Kagan der realistischen Schule der Theorie von den Internationalen Beziehungen zu, welche wiederum Thukydides als Gründungsvater gilt. Hobbes’ Denken wurde sehr stark von Thukydides geprägt, dessen Werk er ins Englische übersetzte. In der gymnasialen Oberstufe kann dieses Paradigma mit der idealistischen Schule in der Tradition von Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden kontrastiert werden kann. Durch die Auseinandersetzung mit dem Irak-Krieg können die Schülerinnen und Schüler lernen, dass heute anders als zu Zeiten des Thukydides oder Thomas Hobbes auch in den internationalen Beziehungen dem Recht ein Selbststand zukommt. Dem MelierDialog wächst deshalb vor dem Hintergrund unserer heutigen politischen Situation ein neuer Sinn zu. Unsere Gegenwart ist gekennzeichnet durch völkerrechtliche Errungenschaften wie die Charta der Vereinten Nationen, die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen und dem Internationalen Strafgerichtshof. Diese rechtlichen Errungenschaften bieten für das politische Verstehen und die Beurteilung des Irak-Kriegs einen unhintergehbaren Maßstab – auch wenn dieser Maßstab bisweilen von Staaten nicht berücksichtigt wird. 23 Robert Kagan, Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung, Berlin 2003, S. 45 und S. 68.
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b) Der Konflikt um das iranische Atomprogramm Die Frage nach dem heutigen Verhältnis zwischen Macht und Recht, Krieg und Frieden, kann des Weiteren an dem aktuellen Konflikt um das iranische Atomprogramm im Politikunterricht auf unterschiedlichen Ebenen behandelt werden. Auf der Ebene der Problematik eines israelischen Präventivschlags gegen Atomanlagen im Iran gelten auf rechtlicher Seite die gleichen Prinzipien, die im Kontext des Irak-Krieges bereits angeführt wurden. Eine unterrichtliche Abwägung sollte hier jedoch auch die spezifische sicherheitspolitische Lage Israels thematisieren. Daneben wäre nach den rechtlichen Rahmenbedingungen des iranischen Atomprogramms zu fragen. Hier ist der Atomwaffensperrvertrag von 1970 maßgeblich. Die Unterzeichnerstaaten, die keine Atomwaffen besitzen, verpflichten sich darin, Kernenergie nur zu friedlichen Zwecken zu nutzen und keine Atomwaffen herzustellen. Die Unterzeichnerstaaten, die Atomwaffen besitzen – damals namentlich die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – verpflichten sich ihrerseits, ihre Atomwaffen abzuschaffen. Der Iran als Unterzeichnerstaat des Vertrages hat sich also verpflichtet, seinerseits keine Atomwaffen herzustellen. Doch wie ist es um die Einhaltung des Völkerrechts der Atommächte, also das Verhältnis von Macht und Recht bestellt? Als Einstieg in die kontroverse Debatte kann ein Interview mit Helmut Schmidt dienen: „Schmidt: Deutschland ist ein Land, das im Atomwaffensperrvertrag (. . .) ausdrücklich auf atomare Waffen
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Das Politische verstehen verzichtet hat. Es sollte ein Interesse daran haben, dass auch alle übrigen Partner ihren Teil der Verpflichtungen einhalten, denn das tun sie ja nicht: Statt vertragsgemäß ihre Atomwaffen abzurüsten, entwickeln sie neue Waffen, modernisieren ihre Arsenale, ihre Trägersysteme, Raketen, Flugzeuge und U-Boote . . . SPIEGEL: . . . und wecken damit Begehrlichkeiten anderer Staaten. Schmidt: Die Verstöße gegen den Vertrag sind in ihrer Häufung und kontinuierlichen Fortsetzung seit Jahrzehnten einer der Gründe dafür, dass wir inzwischen acht atomare Mächte haben (. . .). Dabei ist hinzuzufügen, dass die Bundesrepublik gegenüber Israel, Indien und Pakistan keinen vertraglichen Rechtsanspruch hat, wohl aber gegenüber Amerika, Russland, China, Frankreich und England. Dieser Umstand ist dem deutschen Publikum wenig bewusst und wird von der deutschen Journalistik kaum behandelt. SPIEGEL: Wollen Sie behaupten, dass wir uns in der Frage des iranischen Atomprogramms nicht einmischen sollten? Schmidt: Genau. Warum sollen wir uns gegenüber Iran, wo wir nicht genau wissen, ob der Staat überhaupt und wie weit er gegen den Vertrag verstoßen hat, engagieren, wenn wir gegenüber den Partnerstaaten, die ihn erwiesenermaßen nicht erfüllen, den Schnabel halten? Fragezeichen meinerseits.“24
Ob der Altbundeskanzler diese Position gegenüber dem iranischen Atomprogramm auch heute noch vertritt, sei dahingestellt. Von der vertraglich geforderten Abrüstung der bestehenden Atomwaffenarsenale 24 Helmut Schmidt, SPIEGEL-Gespräch mit Helmut Schmidt: „Das ist Großmannssucht“, in: Der Spiegel, Nr. 44, 2007, S. 36.
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durch die fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat sind wir jedoch nach wie vor weit entfernt. Und dies trotz der Zuerkennung des Friedensnobelpreises an Barack Obama im Jahre 2009. Schließlich wäre auf einer dritten Ebene die deutsche Position in der Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm unterrichtlich zu thematisieren. Günter Grass hat mit seinem umstrittenen Gedicht, obwohl dies dem Genre der Bekenntnislyrik zuzurechnen ist25, zu einer wesentlichen Belebung dieser Auseinandersetzung in der politischen Öffentlichkeit beigetragen – eine Debatte, die sich insbesondere auch um die Frage der Sicherheit Israels als Bestandteil der deutschen Staatsräson dreht. So erklärte Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Rede vor der Knesset: „Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar – und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“ 26 Diese in der politischen Öffentlichkeit wie im Politikunterricht zu führende kontroverse Debatte kann hier nicht weiter entfaltet werden. Die Thematik der Staatsräson führt uns aber zur Vorstellung eines zweiten Lehrstücks für die Konzepte staatliche Ordnung, 25 Günter Grass, Was gesagt werden muss, in: Süddeutsche Zeitung, 4. April 2012, S. 11. 26 Angela Merkel, Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor der Knesset am 18. März 2008 in Jerusalem, in: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/ Bulletin/2008/03/26-1-bk-knesset.html (letzter Zugriff: 3. Juni 2012).
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Recht, ziviler Ungehorsam und Widerstand: die klassische Tragödie Antigone von Sophokles. 2. Sophokles: Antigone Die Auswahl dieses politischen Lehrstücks ist auch dem genius loci geschuldet. Preußens König Friedrich Wilhelm IV. veranlasste kurz nach seinem Herrschaftsantritt 1840 eine werkgetreue Aufführung der Antigone und schloss damit an eine Aufführungstradition an, die über Jahrhunderte abgerissen war. Dazu wurden die anerkanntesten Fachleute der Zeit zu Rate gezogen: für die philologische Beratung konnte der Altphilologe August Boeckh gewonnen werden, Ludwig Tieck wurde zum verantwortlichen Dramaturgen bestellt und die Komposition der Musik für die Chorpartien übernahm Felix Mendelssohn Bartholdy. Für die Uraufführung im Oktober 1841 entschied man sich für das Hoftheater im Neuen Palais in Potsdam, wo die Sitze im Zuschauerraum amphitheatralisch angeordnet waren.27 Die Handlung der Tragödie lässt sich wie folgt zusammenfassen. Polyneikes und sein Bruder Eteokles, die Söhne des Ödipus, waren im Kampf um die Stadt Theben gefallen – Eteokles als Verteidiger, Polyneikes als Angreifer. Nach dem Willen ihres Onkels Kreon, dem neuen rechtmäßigen Herrscher von Theben, soll Eteokles deshalb ein Staatsbegräbnis bekom27 Erika Fischer-Lichte, Berliner Antikenprojekte – 150 Jahre Theatergeschichte, in: Erika Fischer-Lichte/Matthias Dreyer (Hrsg.): Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des Deutschen Theaters, Berlin 2007, S. 112.
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men, Polyneikes hingegen soll jegliche Bestattung verwehrt werden. Gegen diesen Befehl verstößt Antigone, die Schwester der gefallenen Brüder, indem sie Staub über den Leichnam des Polyneikes streut. Kreon verurteilt sie hierfür zum Tode und kann von diesem Entschluss auch nicht von Haimon, dem Verlobten der Antigone, abgebracht werden. Schließlich besinnt sich Kreon nach Ratschlag mit dem Chor eines Besseren, lässt Polyneikes bestatten und möchte das Urteil gegen Antigone aufheben. Diese hat sich jedoch bereits erhängt, woraufhin zunächst Haimon und dann dessen Mutter Selbstmord begehen. Kreon bleibt in seiner Verzweiflung allein zurück. a) Staatsgewalt und Widerstand Betrachten wir zunächst die Position Antigones. Heutige Auseinandersetzungen mit dieser antiken Tragödie heben insbesondere den Widerstand der Antigone hervor. Sie widersetzt sich als einzige dem scheinbaren Tyrannen Kreon, der die schrankenlose Staatsgewalt verkörpert. „KREON Du aber sag mir – ohne Umschweif, kurz: Hast du gewusst, dass es verboten war? ANTIGONE Ich wusst es, allerdings, es war doch klar! KREON Und wagtest, mein Gesetz zu übertreten? ANTIGONE Der das verkündete, war ja nicht Zeus, Auch Dike in der Totengötter Rat Gab solch Gesetz den Menschen nie. So groß
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Das Politische verstehen Schien dein Befehl mir nicht, der sterbliche, Dass er die ungeschriebnen Gottgebote, Die wandellosen, konnte übertreffen. Sie stammen nicht von heute oder gestern, Sie leben immer, keiner weiß, seit wann. An ihnen wollt ich nicht, weil Menschenstolz Mich schreckte, schuldig werden vor den Göttern.“28
Antigone begehrt gegen den von Kreon gesetzten Rechtsakt des Bestattungsverbots und damit gegen gültiges Recht auf – unter Verweis auf ein höheres göttliches Recht. Diese Frage nach den Grenzen der Rechtlichkeit des Rechts macht Antigone auch für die heutige politische Auseinandersetzung fruchtbar. Ausgehend von Antigones Empörung können die aktuellen Grenzen der Rechtlichkeit des Rechts, des zivilen Ungehorsams und des Widerstands thematisiert werden, von den politischen Umbrüchen in der arabischen Welt über die weltweite Occupy-Bewegung bis hin zum „Wutbürger“ schwäbischer Provenienz. Antigone kann aber auch Ausgangspunkt für eine vertiefende Auseinandersetzung mit deutschen Diktaturerfahrungen sein. So lassen sich didaktische Verknüpfungen zwischen Antigone und dem Widerstandskreis der Weißen Rose um Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und Kurt Huber an der Universität München herstellen. Exemplarisch sei hier auf das mutige Plädoyer des Münchner Professors Kurt Huber verwiesen. Er war der Verfasser des letzten Flugblattes des Widerstandskreises der Weißen Rose. Am 19. April 1943 erklärte er als Angeklagter vor dem Volksge28
Sophokles, Antigone, Stuttgart 2010, 446–459.
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richtshof: „Es gibt für alle äußere Legalität eine letzte Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird. Dann nämlich, wenn sie zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht getraut, gegen offenkundige Rechtsverletzung aufzutreten. Ein Staat, der jegliche freie Meinungsäußerung unterbindet und jede, aber auch jede sittlich berechtigte Kritik, jeden Verbesserungsvorschlag als ,Vorbereitung zum Hochverrat‘ unter die furchtbarsten Strafen stellt, bricht ein ungeschriebenes Recht.“29 Der Opfertod Antigones büßt aufgrund der Frage nach den Grenzen der Rechtlichkeit des Rechts die knapp 2500 Jahre seit der Entstehung des Werkes bis heute nichts an seiner Aktualität ein. Für Ernst Bloch ist Antigone deshalb eine tragische Heldin: „Zum tragischen Träger gehört Protest mit sachlichem Rechtssinn, das macht das Phänomen des tragischen Untergangs erst groß, macht es unbesiegt in der Niederlage, wo nicht, dialektisch, wegen der Niederlage. Die Macht und die Würde des tragischen Angriffs inszeniert sich inhaltlich allemal durch den vom Helden vertretenen Auftritt einer anderen Ordnung, mitten in der bestehenden; der Auftritt ist partial oder zentral gegen die bestehende als unrechte gerichtet.“30
Schließlich kann die Tragödie auch für ein vertiefendes Verständnis des Umschlagens von Widerstand in Terrorismus dienen. Antigone geht ihren Weg in einer gesinnungsethischen Geradlinigkeit, ohne nach
29 Zitiert nach Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, Berlin 62006, S. 421. 30 Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt/M. 31999, S. 287.
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den Folgen der Handlung zu fragen. Die Rigidität ihrer Empörung kann didaktisch mit der jüngeren deutschen Terrorismusgeschichte der RAF verknüpft werden. Diese Verbindung dient oftmals auch als aktuelle politische Hintergrundfolie für die Inszenierung der Tragödie auf der Bühne. Bernd Stegemann, der Theatergeschichte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch lehrt und als Dramaturg an der Berliner Schaubühne tätig ist, kommt deshalb zu dem Schluss: „Dass gerade ,Antigone‘ bis heute immer wieder als RAF-Geschichte inszeniert wird, ist also kein Zufall. Je nach politischer Couleur wird der brutale Zugriff des Staates auf eine fundamentale Dissidenz oder die fanatische Verblendung einer Einzelnen im Kampf gegen die sich selbstverteidigende Gemeinschaft inszeniert.“ 31 Was Antigone und Kreon eint, ist, dass sie beide keinerlei Verständnis für die berechtigten Ansprüche der Gegenseite zeigen. Deshalb ereignet sich für Hegel in Antigone die „gelungenste dramatische Situation“ – die Kollision zwischen dem Rechtsanspruch, den Verwandten begraben zu dürfen, und der Staatsräson, nur die Freunde, nicht auch die Feinde der Stadt zu beerdigen: „Auf eine plastische Weise wird die Kollision der beiden höchsten sittlichen Mächte gegeneinander dargestellt in dem absoluten Exempel der Tragödie, Antigone; da kommt die Familienliebe, das Heilige, Innere,
31 Bernd Stegemann, Die Tragödie der Kontingenz, in: Erika Fischer-Lichte/Matthias Dreyer (Hrsg.): Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des Deutschen Theaters, Berlin 2007, S. 98.
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der Empfindung Angehörige, weshalb es auch das Gesetz der unteren Götter heißt, mit dem Recht des Staats in Kollision. (. . .) Jede dieser beiden Seiten verwirklicht nur die eine der sittlichen Mächte, hat nur die eine derselben zum Inhalt. Das ist die Einseitigkeit, und der Sinn der ewigen Gerechtigkeit ist, daß beide Unrecht erlangen, weil sie einseitig sind, aber damit auch beide Recht.“32
Vor dem Hintergrund der exemplarischen Bedeutung, die für Hegels Philosophie des Tragischen der Antigone zukommt, stellt im Übrigen die Wahl dieses Werkes durch Friedrich Wilhelm IV. zur Aufführung im Neuen Palais zu Beginn seiner Herrschaft kein Zufall dar, sondern ist von politischer Bedeutung. Mit der Aufführung im Jahre 1841 sollte ein bestimmtes Bild vom preußischen Staat der Zukunft entworfen werden, „wie er sich unter Friedrich Wilhelm IV. herausbilden sollte“.33 Eingedenk dessen Verhaltens während der Revolution von 1848/49 nahm dieser Staat aus demokratischer Perspektive allerdings keine rühmliche Entwicklung, im Gegenteil. Doch zurück zur Antigone. b) Summum ius, summa iniuria Was Antigone und Kreon eint, ist, dass sie beide keinerlei Verständnis für die berechtigten Ansprüche der Gegenseite zeigen:
32 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II (= Werke 17), Frankfurt/M. 2003, S. 133. 33 Fischer-Lichte, Berliner Antikenprojekte, S. 115.
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Das Politische verstehen „KREON Eteokles, der für sein Vaterland Gekämpft hat und gefallen ist als Held, Den senket in das Grab mit allen Weihen, Die wir den besten unsrer Toten spenden. Dagegen seinen Bruder, Polyneikes, Der landverwiesen war und wiederkam, Und seiner Väter Stadt und Götterbilder Verbrennen wollte, den’s gelüstete, Sein eignes Volk zu morden, zu versklaven, Dem wird, so gab ich dieser Stadt bekannt, Kein Grab zuteil und keine Totenklage.“34
Kreon lässt sich mithin allein von seinem Pflichtbewusstsein, seinem Verständnis der Staatsräson leiten. Sein Gesetz ist zwar formal korrekt, inhaltlich aber unzumutbar. Trotzdem verfolgt er das vermeintliche Interesse der Polis bis zum Äußersten. Die Schülerinnen und Schüler können hier verstehen lernen, dass selbst gutes Recht in der „äußersten Konsequenz seiner Anwendung in inhumanes Unrecht umschlagen“ kann. Hasso Hofmann, Emeritus für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, konstatiert vor diesem Hintergrund: „Der schreckliche Umschlag starrer Rechthaberei, die ungerechte Rechtssetzung einer tyrannischen Staatsgewalt – das sind im Grunde uralte und zugleich immer wiederkehrende Erfahrungen. Deshalb sprechen Antigone und Kreon in ihrem Streit um den unbegrabenen Leichnam des Polyneikes noch heute unmittelbar zu uns, über die tiefe Kluft der Zeiten hinweg.“35 34
Sophokles, Antigone, 194–204. Hasso Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, Darmstadt 2000, S. 77. 35
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Im Dialog mit seinem Sohn Haimon wird Kreon schließlich zum Tyrannen, der nur seine Auffassung gelten lässt: „HAIMON Vater, die Götter pflanzen die Vernunft Dem Menschen ein als höchstes aller Güter. Ich könnte nicht behaupten, was du sagtest, Das sei nicht richtig, möcht’ es auch nicht können, Nur kommt wohl auch ein andrer auf das Rechte. (. . .) Drum lass nicht nur die eine Denkart gelten, Die du für richtig hältst, und keine andre! Denn wer nur selber einsichtsvoll sich dünkt, Begabt mit Geist und Rede wie kein Zweiter, Enthüllt bei Licht besehen sich als leer. Du siehst am winterlich geschwollnen Strom Den Baum, der nachgibt, seine Zweige retten, Was widersteht, reißt’s mit den Wurzeln fort. Und wenn der Steuermann das Segeltau Nur immer strafft und gar nicht lockern mag, Der kentert bald und fährt kieloben weiter. Drum beuge dich und wandle deinen Sinn! Hab ich, der Jüngre, auch ein Wort, ich meine, Weitaus der höchste Rang gebührt dem Mann, Dem von Natur der Weisheit Fülle ward. Doch in der Regel fällt es anders aus, Dann ist von Klugen lernen auch ein Lob.“ 36
Nach Haimons Auffassung sollte der Herrscher nicht allein die eigene Meinung gelten lassen, sondern die der Anderen für seine Entscheidung mit bedenken. Kreon ist für Haimon „leer“, da er nur eine „Denkart“ zulässt. Sophokles, der selbst in der Hochzeit der athenischen Demokratie wichtige Staatsämter 36
Sophokles, Antigone, 683–723.
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innehatte, belehrt sein zeitgenössisches Publikum im Spiegel der Antigone über politische Gefährdungen, auch der neuen Staatsform Demokratie: „KREON Von diesem Jungen soll ich also noch, So alt ich bin, Vernunft mich lehren lassen! HAIMON Nichts, was nicht recht ist! Bin ich auch noch jung, Bedenk nicht mehr das Alter als die Sache. KREON Und Sache heißt: Empörern huldigen! HAIMON Verrat zu ehren, das verlang ich nicht! KREON Ist sie denn nicht verseucht von diesem Übel? HAIMON Das Volk von Theben sagt einmütig: Nein! KREON So sagt das Volk mir, was ich soll befehlen? HAIMON Sieh doch, nun sprachst du allzu jugendlich! KREON Soll ich für andre als für mich hier herrschen? HAIMON Das ist kein Staat, der einem nur gehört. (. . .) Allein herrschst du am besten in der Wüste. (. . .) KREON Nichtswürdiger – und rechtest mit dem Vater! HAIMON Ich sehe, dass du dich am Recht versündigst. KREON Wenn ich des Herrschers Würde heilig halte?
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HAIMON Heilig – und trittst der Götter Recht mit Füßen!“37
Kreon beharrt in der Attitüde des Alleinherrschers rigoros auf dem von ihm gesetzten Recht, während Haimon auch die Berechtigung anderer Positionen in der Polis hervorhebt. Vor diesem Hintergrund bezeichnete der Althistoriker Christian Meier dieses Gespräch zwischen Vater und Sohn als eines der „bedeutendsten Monumente des politischen Denkens“.38 Kreon fehlt es an einer Grundfähigkeit der Politischen, dem, was Immanuel Kant als Maxime der Urteilskraft bezeichnet hat: „an der Stelle jedes andern denken“, der Fähigkeit zum Perspektivwechsel, um auf diese Weise zu einer „erweiterten Denkungsart“ zu gelangen.39 Hannah Arendt charakterisierte das von Kant definierte Vermögen der Urteilskraft – „an der Stelle jedes andern denken“ – als „politische Fähigkeit par excellence“ und erkennt diese Fähigkeit als bei den Bürgern der griechischen Polis gegeben. „Im Sinne der Polis“, so Arendt, „war der politische Mensch in seiner ihm eigentümlichen Ausgezeichnetheit zugleich der freieste, weil er die größte Bewegungsfreiheit vermöge seiner Einsicht, seiner Fähigkeit, alle Standorte zu berücksichtigen, hatte.“ Diese „Freiheit des Politischen“ hing von der „Anwesenheit und Gleichberechtigung Vieler“ ab, mithin von der Existenz einer poli37
Sophokles, Antigone, 726–745. Chistian Meier, Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, S. 218. 39 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft. Werkausgabe, Bd. X, Frankfurt/M. 152000, S. 226 f. 38
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tischen Öffentlichkeit und der Gleichheit der daran partizipierenden Bürger: „Wo diese gleichberechtigten anderen und ihre partikularen Meinungen abgeschafft sind, wie etwa in der Tyrannis, in der alle und alles dem einen Standpunkt des Tyrannen geopfert ist, ist niemand frei und niemand der Einsicht fähig, auch der Tyrann nicht.“ 40 Da es Kreon am Willen oder auch der Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zur erweiterten Denkungsart gebricht, gelangt er von einer gut begründeten rechtlichen Ausgangsposition letztlich zur Tyrannei. V. Resümee Soweit der kurze Einblick in die anwendungsorientierte Forschung zur Konzeptualisierung politikdidaktischer Lehrstücke für den Politikunterricht auf der Grundlage von Konzepten des Politischen. Die vielfältigen Möglichkeiten eines fächerübergreifenden Unterrichts, die der narrative Ansatz bietet, können an dieser Stelle leider nicht entfaltet werden. Es bleibt hier lediglich noch festzuhalten, dass der Ansatz auch für die forschungsbasierte Lehre von Relevanz ist. Letztlich ist es das didaktische Ziel des narrativen Ansatzes, den Schülerinnen und Schülern Zugänge zum Verstehen des Politischen zu eröffnen und sie dadurch zu politischer Mündigkeit und Urteilsfähigkeit zu befähigen. Das Verstehen des Politischen kommt damit einer doppelten Zweckbestimmung politischer 40 Hannah Arendt, Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass. Herausgegeben von Ursula Ludz, München/Zürich 1993, S. 98.
V. Resümee
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Bildung nach: Es ist funktional für die Demokratie, denn diese Staatsform bedarf mündiger Bürgerinnen und Bürger, auch um der Gefahr der Verkehrung der Demokratie zur Postdemokratie zu begegnen. Und es ist notwendig für die Bildungssubjekte selbst, denn das Verstehen des Politischen und damit politische Urteilsfähigkeit ermöglicht erst eine reflektierte politische Partizipation.
Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor als Lehrstück für die politische Bildung I. Einführung1 Religiöse Glaubensüberlieferungen und religiöse Glaubensgemeinschaften haben seit der Zeitenwende von 1989/90 eine neue politische Bedeutung gewonnen.2 Die spektakulärste und zugleich schrecklichste Variante dieser Wiederkehr des Religiösen in das Politische stellen sicherlich die Terroraktionen islamischer Fundamentalisten dar – die Anschläge am 11. September 2001 in New York und Washington, am 12. Oktober 2002 auf der indonesischen Ferieninsel Bali, am 11. März 2003 in Madrid und im Juli 2005 in London bilden Glieder einer religiös motivierten Terrorkette, deren Ende wohl noch nicht erreicht ist. Darüber hinaus stellt auch die enge Verbindung zwischen Staat und Religion in bereits bestehenden Theokratien und islamisch geprägten Staaten eine 1 Aktualisierte Fassung von Ingo Juchler, Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor als Lehrstück für die politische Bildung, in: Politische Bildung, 2008, H. 1, S. 132–144. 2 Vgl. Jürgen Habermas, Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den „öffentlichen Vernunftgebrauch“ religiöser und säkularer Bürger, in: Jürgen Habermas (Hrsg.): Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/M. 2005, S. 119.
I. Einführung
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Herausforderung für die westliche Politik dar. Beispielhaft sind an dieser Stelle die Theokratie im Iran und die auf der Scharia beruhende staatliche Ordnung in Afghanistan anzuführen. Im Iran drängt derzeit eine neue Generation an die Macht. Es sind dies die Veteranen des achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980–1988), die zurückwollen zu den Ursprüngen der Chomeini-Revolution. Sie glauben an ein einfaches Leben, an die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes, an eine Art islamischen Sozialismus. Sie sind in der Regel gut ausgebildet und wollen den Kampf gegen Ausbeutung und Korruption im Namen eines Islams der Gleichheit aufnehmen.3 In Afghanistan herrscht einerseits Religionsfreiheit – zugleich ist der Islam jedoch Staatsreligion und es gilt die Scharia. Das bedeutet, der Übertritt vom muslimischen Glauben zum Christentum stellt eine Art Staatsverrat dar, der mit dem Tode bestraft werden muss. Der Fall des christlichen Konvertiten Abdul Rahman legte hierüber ein beredtes Zeugnis ab. Der Islamismus, d. h. die ideologische Vereinnahmung und Idealisierung des islamischen Glaubens mit dem Ziel der Errichtung eines totalitären Staates auf der Basis der islamischen Rechtsordnung, der Scharia, stellt mithin eine Herausforderung der Politik auf internationaler Ebene dar. Aber auch innerhalb der modernen westlichen Industriegesellschaften treten zusehends Fragen auf, die das Verhältnis von Staat und Religion betreffen. In der Bundesrepublik haben sich die Reibungen im 3 Vgl. Matthias Nass, Die Rückkehr der Revolution, in: Die Zeit, 16. März 2006, S. 3.
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Verhältnis zwischen Muslimen bzw. muslimischen Gemeinschaften und der deutschen Rechtsordnung mittlerweile akkumuliert4 – rituelles Schächten, Moscheebau, Gebetsrufe, Zwangsehen, „Ehrenmorde“, die Rolle der Frau im Islam, islamischer Religionsunterricht, die Ausbildung entsprechender islamischer Religionslehrer und islamischer Extremismus sind zentrale Stichworte dieses Diskurses in der politischen Öffentlichkeit. In der Politikwissenschaft wurde das Thema Religion lange Zeit vernachlässigt, denn sie hatte sich fast vollständig der Säkularisierungs- und Modernisierungsthese verschrieben. Edward Luttwak (Center for Strategic and International Studies in Washington) sprach deshalb von einer „missing dimension“ in der Politikwissenschaft, Jonathan Fox sieht in der Religion ein „overlooked element“ in der Disziplin der Internationalen Beziehungen. Den Grund für diese Vernachlässigung erkennt er u. a. darin, dass die meisten Sozialwissenschaftler in einem „liberal-säkularen“ Umfeld sozialisiert werden.5 Dieser Umstand mag denn auch den blinden Fleck der Politikdidaktik erklären, den diese bezüglich der religiösen Dimension der Politik aufweist – in den Handbüchern findet sich nicht einmal das Stichwort „Religion“, geschweige 4 Vgl. Antonius Liedhegener, Streit um das Kopftuch. Staat, Religion und Religionspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 15/2005, H. 4, S. 1183. 5 Vgl. Manfred Brocker, Politisierte Religion: Die Herausforderung des Fundamentalismus in vergleichender Perspektive, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 13/ 2003, H. 1, S. 24 f.
I. Einführung
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Abb. 1: Max Beckmann: Bildnis Dostojewskij II, 1921, Radierung; Lindenau-Museum Altenburg, Fotograf Bernd Sinterhauf
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Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor
denn, dass es hierzu einschlägige Aufsätze oder gar Monographien gäbe. Die Rückkehr des Religiösen in die Politik steht mithin auf der Agenda der Debatten in der politischen Öffentlichkeit und stellt somit auch eine Herausforderung dar, welche sich an die politische Bildung richtet. Zur Erschließung des Verhältnisses von Religion und Staat respektive des Politischen soll hier Dostojewskijs Poem vom Großinquisitor dienen. Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor als klassisches Lehrstück für die politische Bildung auszuweisen erscheint zunächst didaktisch weit hergeholt und heuristisch nicht viel versprechend: Es handelt sich um einen fiktiven belletristischen Text, vor eineinhalb Jahrhunderten in Russland verfasst, der zwar von historischen Personen handelt, deren Zusammentreffen jedoch wiederum fiktiv ist. Gleichwohl möchte ich hier eine Annäherung an das Poem vom Großinquisitor mit dem erkenntnisleitenden Interesse vornehmen, dessen transepochale Diskursivität aufzuzeigen, im Hinblick auf gegenwärtige Problemlagen zu befragen und somit politikdidaktisch fruchtbare Anschlussstellen zu erschließen. Es handelt sich dabei, so die hier vertretene These, um einen klassischen Text für die politische Bildung, an dessen Exempel wesentliche Elemente des Politischen erarbeitet und darüber hinaus auch interdisziplinäre Zugänge hergestellt werden können. Dostojewskijs Großinquisitor enthält mannigfaltige Aspekte, die auch heute noch Geltung beanspruchen können, so dass im hermeneutischen Prozess eine Verschmelzung des Horizonts der Vergangenheit –
II. Dostojewskijs Großinquisitor – die Handlung 49
also des historischen Textes von Dostojewskij – und des Horizonts der Gegenwart – also der Fragestellungen unserer Zeit – im Sinne Hans-Georg Gadamers vorgenommen werden kann.6 Vor diesem Hintergrund geht es insbesondere auch darum, am Beispiel von Dostojewskijs Großinquisitor Möglichkeiten der hermeneutischen Politikdidaktik vorzustellen. – Doch zunächst soll hier stichwortartig auf den Gang der Haupthandlung des Werkes eingegangen werden. II. Dostojewskijs Großinquisitor – die Handlung Als die drei Brüder Karamasow als Erwachsene in ihr Elternhaus zurückkehren, treten sie dort ihrem Vater Fjodor, einem alternden Lüstling, gegenüber, dem sie nichts als Verachtung und Hass entgegenbringen können. Sie wünschen alle drei seinen Tod. Als Fjodor Karamasow eines Tages tatsächlich ermordet wird, fällt der Verdacht auf den ältesten der Brüder Dimitrij. Da sämtliche Indizien gegen ihn sprechen, wird er schuldig gesprochen und zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Der tatsächliche Mörder ist jedoch Smerdjakov, der uneheliche Sohn des alten Karamasow. Dieser setzt die Maxime des zweitältesten Bruder Iwan „Alles ist erlaubt“ in die Wirklichkeit um. Smerdjakov erhängt sich aus Langeweile, aus Ekel am Leben, jedoch ohne das geringste Schuldgefühl. Dagegen nehmen die drei Brüder ihre reale Mitschuld als Voraussetzung einer Sühne auf sich. – Soweit die Haupthandlung des Romans, die einer Kriminalstory gleicht. 6 Vgl. Hans-Georg Gadamer, Hermeneutik I: Wahrheit und Methode, Tübingen 72010, S. 311.
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Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor
Wir wollen nun auf Iwan Karamasows Poem vom Großinquisitor zu sprechen kommen, das nach einhelligem Zeugnis aller Interpreten wie auch Dostojewskijs selbst den ideellen Höhepunkt des Romans ausmacht. Iwan erzählt sein Poem, das im 16. Jahrhundert in Sevilla auf dem Gipfel der Inquisition handelt, seinem Bruder Aljoscha. Dostojewskij wählte wohl Spanien als Schauplatz, da die Inquisition hier bis zu höchster Machtfülle aufgestiegen war. In dieses Spanien der Inquisition kehrt nach Iwans Poem nun Christus zurück. Er vollbringt einige Wunder, wird vom Volk erkannt und sogleich vom Großinquisitor verhaftet. Der Großinquisitor besucht Christus im Kerker und klagt ihn in einem Monolog an, er habe damals in der Wüste die Angebote des AntiChristen ausgeschlagen, weil er den Menschen die Freiheit bringen wollte. Die Menschen jedoch könnten, so der Großinquisitor, mit der Freiheit nichts anfangen und sehnten sich statt dessen nach Wohlstand, Bequemlichkeit und Gleichheit. Deshalb habe die Kirche das Heft des Handelns in die Hand genommen und im Namen Christus die Herrschaft über die Menschen errichtet und sie damit von der Last der Freiheit befreit. – Soweit in aller gebotenen Kürze zum Kontext und zur Handlung von Iwans Poem vom Großinquisitor. Im Folgenden sollen zwei mögliche didaktische Anschlussstellen zur heutigen Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor im Politikunterricht aufgezeigt werden. Die erste Anschlussstelle bezieht sich auf die beiden Fundamentalnormen unserer Staatsform, Freiheit und Gleichheit. Die zweite Anschlussstelle geht der Wiederkehr des Religiösen in die Poli-
II. Dostojewskijs Großinquisitor – die Handlung 51
Abb. 2: Erich Heckel: Die Brüder Karamasow, 1919, Lithographie; Lindenau-Museum Altenburg, Fotograf Bernd Sinterhauf
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Fjodor Dostojewskijs Großinquisitor
tik nach. Im abschließenden Ausblick werde ich weitere interdisziplinäre Zugänge aufzeigen. III. Fundamentalnormen der Demokratie: Freiheit und Gleichheit Der Mensch, so die Auffassung des Großinquisitors, ist mit der Freiheit überfordert. Die conditio humana bedinge, dass der Mensch die von Christus geschenkte Freiheit nicht erträgt: „Du willst unter die Menschen treten und kommst mit leeren Händen, mit der Verheißung einer Freiheit, die sie in ihrer Einfalt und als geborene Unruhestifter nicht einmal erfassen können, vor der sie sich fürchten und zurückschrecken – denn es gab noch nie etwas Unerträglicheres für den Menschen und für die menschliche Gesellschaft als die Freiheit!“ 7 Der Großinquisitor zweifelt die Freiheitsfähigkeit des Menschen grundsätzlich an – der Mensch kann die Freiheit nicht ertragen und ist lediglich ein Empörer, ein Rebell. Da die Menschen niemals zur Mündigkeit finden könnten, müssten sie dauerhaft unter die Kuratel der Kirche gestellt werden. Der Großinquisitor wird zum Vollstrecker einer kurativen Diktatur. Dostojewskij lässt hier den Großinquisitor ein Problem vortragen, mit dem er sich selbst intensiv auseinandersetzte und das nur im Kontext des spezifisch russischen Weges in die Moderne zu verstehen 7 Fjodor M. Dostojewskij, Der Großinquisitor, Zürich 2001, S. 33 f.
III. Fundamentalnormen der Demokratie
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ist. Zwar wurde unter der Regierung Zar Alexander II. (1855–81) die Leibeigenschaft im Jahre 1861 abgeschafft und die große Masse der Bauern erlangte hierdurch ihre persönliche Freiheit, wodurch Arbeitskräfte für die Industrie frei wurden. Allein, die wirtschaftliche Entwicklung der nun freien Bauern wurde in keiner Weise abgesichert. Darüber hinaus, und hierauf richtete sich Dostojewskijs Augenmerk insbesondere, waren die Bauern wie das russische Volk im Allgemeinen in geistiger Hinsicht auf die Modernisierung der Gesellschaft, auf die rechtliche und persönliche Freiheit nicht vorbereitet. In seinem Tagebuch eines Schriftstellers heißt es in diesem Zusammenhang: „Woher soll es denn bei uns plötzlich Staatsbürger geben? Bedenken Sie doch nur, was hier gestern noch war! Die Bürgerrechte (. . .) sind doch auf unserer Volk wie eine Lawine herabgerollt, sie haben es zu Boden gedrückt, sind doch vorläufig nur eine Last, eine Bürde!“ 8 Der Großinquisitor seinerseits negiert die Freiheitsfähigkeit der Menschen grundsätzlich. Ihnen ginge es einzig um das Streben nach Glück, was ja auch den ökonomischen Erfolg und materiellen Wohlstand impliziert. In dieser Hinsicht wollten die Menschen Gleichheit, die mit der Freiheit unvereinbar sei. Der Großinquisitor forderte Jesus auf: „Entscheide selbst, wer damals recht hatte: Du oder der andere, der Dich damals fragte? Erinnere Dich der ersten Frage, sie lautete (. . .): „Siehst Du die Steine in dieser nackten glühenden Wüste? Verwandle sie in Brote, und die 8 Fjodor M. Dostojewskij, Tagebuch eines Schriftstellers, München/Zürich 61992, S. 28.
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Menschheit wird Dir folgen wie eine Herde, dankbar und gehorsam, wenn auch ewig bangend, Du könntest Deine Hand zurückziehen und mit Deinen Broten würde es ein Ende nehmen.“ Du aber wolltest dem Menschen die Freiheit lassen und verwarfst das Angebot, denn was wäre das für eine Freiheit, fragtest Du, wenn der Gehorsam mit Broten erkauft würde? Du entgegnetest, dass der Mensch nicht allein vom Brote lebe.“ 9 Die Menschen sind nur allzu gerne bereit, so die Auffassung des Großinquisitors, ihre Freiheit, die von ihnen ohnehin nur als Belastung empfunden wird, preiszugeben für ihre materielle Sicherheit. Sie machen sich für das irdische Brot zu Knechten und gehen auf in einer anonymen Herde. Dadurch werden die Menschen zwar unfrei, aber gleich. Die althergebrachte Spannung zwischen den beiden Werten Freiheit und Gleichheit tritt hier in exemplarischer Deutlichkeit hervor. Dostojewskij spricht in literarischer Form eine Frage an, welche etwa ein halbes Jahrhundert zuvor Alexis de Tocqueville reflektierte, der im Übrigen von Dostojewskij sehr geschätzt wurde. Tocqueville setzte sich nach einer Reise nach Amerika, die er im Jahre 1831 mit einem Freund im Auftrag der französischen Regierung zum Studium des amerikanischen Gefängniswesens durchgeführt hatte, mit der dortigen neuen demokratischen Regierungsform auseinander. Als größte Gefahr für die Freiheit in der Demokratie macht Tocqueville die „Tyrannei der Mehrheit“ aus. Diese Gefahr entsteht durch das 9
Dostojewskij, Der Großinquisitor, S. 33 f.
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Spannungsverhältnis zwischen der Freiheit des Einzelnen und der demokratischen Gleichheit: „Wir finden im menschlichen Herzen auch einen verderbten Gleichheitstrieb, der bewirkt, dass (. . .) die Menschen die Gleichheit in der Knechtschaft der Ungleichheit in der Freiheit vorziehen. Es ist nicht etwa so, dass die Völker mit demokratischer Gesellschaftsordnung die Freiheit von Natur aus gering schätzen; sie haben im Gegenteil einen angeborenen Sinn für Freiheit. Aber sie ist nicht das Hauptziel ihrer Wünsche; wirklich und für alle Zeiten lieben sie allein die Gleichheit; (. . .) ohne die Gleichheit könnte nichts sie zufrieden stellen, und sie sind entschlossen, lieber unterzugehen, als sie zu verlieren.“10 Im Spannungsfeld zwischen den Werten Freiheit und Gleichheit entscheiden sich die Bürger nach Toqueville für die Gleichheit – eine Ansicht, die Dostojewskij, der mit dieser Schrift Toquevilles vertraut war, in der Legende vom Großinquisitor ins Extreme treibt. Zeithistorischer Hintergrund für die Vision Dostojewskijs war zweifellos das Aufkommen sozialistischer Vorstellungen in Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Abschaffung der Freiheit und die Einrichtung eines absoluten Despotismus im Namen der Gleichheit – diese Vision der Figuren Dostojewskijs materialisierte sich schließlich in den realen geschichtlichen Begebenheiten Russlands durch die bolschewistische Oktoberrevolution und die anschließend errichtete so genannte Diktatur des Proletariats. 10 Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Stuttgart 2001, S. 44 f.
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Vor diesem Hintergrund ist hier Albert Camus beizupflichten, der im Jahre 1959 zu der Feststellung gelangte: „Lange Zeit hat man Marx für den Propheten des 20. Jahrhunderts gehalten. Heute weiß man, dass das, was er prophezeite, auf sich warten ließ. Und wir erkennen, dass Dostojewskij der wahre Prophet war. Er hat die Herrschaft der Großinquisitoren und den Triumph der Macht über die Gerechtigkeit vorausgesehen.“ 11 Die Legende vom Großinquisitor kann mithin als didaktische Anschlussstelle zur Erörterung des Totalitarismus im 20. Jahrhundert dienen. Im Namen einer absoluten Gleichheit auch hinsichtlich des materiellen Wohlstandes wurde der Großteil der Bevölkerung in der Sowjetunion und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Satellitenstaaten zu Knechten, während ein kleiner Teil in Gestalt der Führungskader der Kommunistischen Partei die Herde leitete. Die Freiheit des Einzelnen war abgeschafft worden und den Menschen wurde jeweils scheinbar der gleiche Anteil an materieller Sicherheit zuteil. In den westlichen Industriegesellschaften hingegen entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der noch heute vorherrschende Typus des Sozialstaates im Spannungsfeld freiheitlicher und auf wirtschaftliche Gleichheit gerichteter Tendenzen.12 In den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Wohlfahrtsstaates in der Bundesrepublik findet sich 11 Albert Camus, Vorwort, in: Albert Camus: Dramen, Reinbek 1982, S. 13. 12 Vgl. Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, München 142003, S. 305.
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der aktuelle Ausdruck des von Dostojewskij ausgemachten Spannungsverhältnisses von Freiheit und Gleichheit wieder. Auf welche Weise und vor allem, mit welchem Ziel soll die allenthalben geforderte Reform des Sozialstaates vorgenommen werden? Welche Sozialpolitik ist angesagt, um die bisherige „fürsorgliche Vernachlässigung“13 der Unterschichten und marginalisierten Gruppen zu überwinden? Sind dazu mehr Gleichheit und damit mehr Umverteilung von oben nach unten von Nöten? Oder ist vielmehr ein höheres Maß an Freiheit und damit Verantwortung für die individuellen Lebensentscheidungen und letztlich für die eigenen materiellen Verhältnisse erforderlich? Wird durch die wohlfahrtsstaatliche Alimentierung eines Teils der Bevölkerung dem Kinderglück der Herde in der Vision des Großinquisitors Vorschub geleistet, das mit Unmündigkeit und persönlicher Verantwortungslosigkeit einhergeht? Der Großinquisitor erkennt die politische Bedeutung der Religion und gebraucht sie als Machtinstrument. Als oberster Glaubenshüter missbraucht er den Glauben der „Herde“, um die Menschen lenkbar zu machen. Damit verbindet er seine religiöse Macht mit der politischen, ja letztlich verdrängt er seine religiöse Aufgabe zugunsten der staatlichen. Es geht ihm nicht mehr um religiöse Wahrheit, sondern einzig um den Machterhalt und um staatliche Stabilität. Er selbst ist sich dieser Verdrängung der religiösen Wahrheit im Dienste der Staatsräson überaus im Klaren – sein Ziel ist der eigene Machterhalt und das 13 Vgl. Paul Nolte, Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, München 2004, S. 57 ff.
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Glück des Herdenmenschen vermittels totalitärer staatlicher Wohlfahrtstätigkeit. Nicht von ungefähr wurde die dann in Russland tatsächlich entstandene totalitäre Diktatur auch als politische Religion bezeichnet. – An dieser Stelle ist mithin die Verbindung zur zweiten didaktischen Anschlussstelle auszumachen. IV. Die Wiederkehr des Religiösen in die Politik Eine mit der Politik des Großinquisitors vergleichbare Instrumentalisierung der Religion können wir heute in der islamischen Welt wahrnehmen. „Freiheit“ ist im klassischen Islam ohnehin ein Begriff, der weit hinter der „Gerechtigkeit“ bzw. „Gleichheit“ rangiert. Als Exempel mag hier die Präsidentschaftswahl im Iran im Jahr 2005 dienen. Der konservative Islamist Ahmadinedschad, der beste Beziehungen zum ultra-konservativen Wächterrat und zum Obersten Religionsführer Ayatollah Chamenei unterhielt, nahm die Rolle des religiösen Barfüßlers ein. In einem Land, in dem 40 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und laut Schätzungen jeder Vierte ohne Job ist, setzte Ahmadinedschad im Präsidentschaftswahlkampf nicht auf die Konfliktlinie zwischen Reformern und Konservativen, sondern auf die neue Kluft zwischen Arm und Reich. Er trat im Wahlkampf immer wieder mit der gleichen abgewetzten alten Jacke auf und kehrte publikumswirksam mit dem Besen die Straße. In seinen Wahlreden wetterte Ahmadinedschad gegen den „uferlosen Reichtum“, und seine Forderungen nach gerechter Verteilung für alle stießen bei der breiten Masse der Unterpriviligierten auf große Resonanz.
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Pointierte der islamische Barfüßler im Wahlkampf mithin den Wert der Gleichheit, so machte er aus seiner Haltung zu Freiheit und Demokratie gleichfalls keinen Hehl: „Wir haben die Revolution nicht gemacht, um Demokratie zu bekommen.“ 14 Über den Wahlausgang war die übergroße Mehrheit der westlichen Beobachter denn auch bestürzt, hatten sie doch vermutet, die Iraner würden sich nach Freiheit sehnen – die Frauen wollten ihren Schleier abwerfen und die Jugend wollte in westlichen Jeans zu McDonald’s. Doch noch mehr als nach bürgerlichen Freiheiten sehnte man sich im Iran offensichtlich nach Brot und Arbeit, nach einer Art islamischen Sozialismus. Die außenpolitische Bedrohung, die von der neuen Regierung in Teheran ausgeht, ist allbekannt: Anzuführen sind hier die iranische Nuklearpolitik, aber auch die Erklärung Ahmadinedschads, die Zerstörung Israels sei Teil der Außenpolitik des Gottesstaates und der Holocaust sei ein „Märchen“ der „zionistischen Propagandamaschine“. Zugleich unterstützt die Theokratie weiterhin die terroristische Gruppierung Hisbollah, die den Friedensprozess in Nahost torpediert. Im Innern präsentiert sich die islamische Theokratie Iran heute – mutatis mutandis – als Verkörperung der Dostojewskijschen Vision unter anderen religiösen Vorzeichen: Ein kleiner Teil der Bevölkerung – der islamische Wächterrat und die Regierung – leitet die große Masse (Herde) in einem semi-totalitär 14 Zitiert nach Philipp Wittrock, Der Brandstifter, in: Spiegel-Online, 15.12.2005, in: http://www.spiegel.de/po litik/ausland/mahmud-ahmadinedschad-der-brandstifter-a390663.html (letzter Zugriff: 2.8.2012).
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regierten, vorgeblich auf Gleichheit ausgerichteten Wohlfahrtsstaat, dessen eherne Klammer die Staatsreligion ist. Gleichfalls religiös motiviert und gegen die Würde des Menschen wie dessen Freiheit gerichtet stellt sich der islamisch motivierte Terrorismus dar. So erklärte der ehemalige Kopf von Al Qaida, Osama bin Laden, nach den Terroranschlägen vom 11. September: „Die Werte dieser westlichen Zivilisation unter Führung der USA sind zerstört worden. Diese schrecklichen symbolischen Türme, die von Freiheit, Menschenrechten und Humanität künden, sind zerstört worden. Sie sind in Rauch aufgegangen.“ 15 Die Angriffe auf die Twin Towers waren nicht nur Massenmord, sie wiesen sich auch durch eine starke Symbolkraft aus. Die Türme standen für all das, was die Menschen außerhalb des Westens an Amerika hassen – sie verkörperten Macht und Reichtum, die imperiale, globale, kapitalistische Vorherrschaft, und sie standen in der Stadt New York, unserem heutigen Babylon. Die islamistischen Terroristen bedienten sich des uralten Mythos von der Zerstörung der sündigen Stadt, mit deren Vorstellung sich Hybris, die Errichtung eines Imperiums, Säkularisierung, Individualismus sowie die Macht und Anziehungskraft des Geldes verbanden.16 Auch im Westen, namentlich in der westlichen Führungsmacht USA, halten zusehends religiöse Mo15 Zitiert nach Ian Buruma/Avishai Margalit, Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, München/Wien 2005, S. 20. 16 Vgl. Buruma/Margalit, Okzidentalismus, S. 21 ff.
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mente Einzug in die Politik. Zwar reicht die biblisch geprägte Rhetorik amerikanischer Politik bis zu den ersten Siedlern des frühen 17. Jahrhunderts, den Puritanern, zurück – Amerika wird als Land der „Verheißung“, als „God’s own country“ beschworen und amerikanische Präsidenten verwiesen immer auf ihre zivilreligiöse Aufgabe als „Nation under God“. Doch trat das missionarische Sendungsbewusstsein unter dem 43. Präsidenten George W. Bush insbesondere auch in der Außenpolitik in besonderer Weise hervor. So bemächtigte sich Bush bei der Ausweisung der vorgeblichen Bedrohungen des Westens der biblischen Rhetorik, etwa wenn er von der „axis of evil“ im Zusammenhang mit den Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen der Länder Irak, Iran und Nordkorea sprach. Die Verbindung von politischen Werten wie der Freiheit und dem damit verknüpften missionarischen Auftrag durch die Vereinigten Staaten bringt Bush im Vorfeld des Irak-Krieges 2003 gleichfalls unter Berufung auf einen religiösen Auftrag zum Ausdruck: „As I said in my State of the Union, liberty is not America’s gift to the world. Liberty is God’s gift to every human being in the world. (. . .) We’re called to defend our nation and to lead the world to peace, and we will meet both challenges with courage and with confidence.“ 17 In der Ausformulierung der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA zeigt sich der missionarische 17 George W. Bush, President Bush Discusses FaithBased Initiative in Tennessee, 10. Februar 2003, in: http:// georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2003/ 02/20030210-1.html (letzter Zugriff: 2.8.2012).
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Charakter amerikanischer Außenpolitik wie folgt: „We will actively work to bring the hope of democracy, development, free markets and free trade to every corner of the world.“ 18 Die Erfolge der zivilisatorischen Mission der Vereinigten Staaten im Irak lassen jedoch auf sich warten, und schlimmer: Exzesse der amerikanischen Soldateska wie beispielsweise in Abu Ghureib üben eine kontraproduktive Wirkung aus. Die Folterbilder von Abu Ghureib, wo die Staatsfundamentalnorm der Menschenwürde im Namen von Freiheit und Demokratie mit Füßen getreten wurde, gemahnen an Iwan Karamasows Frage, welche er an seinen Bruder Aljoscha richtet: „Stell dir vor, du wärst es, der den Bau des menschlichen Schicksals errichtet, mit dem Ziel, die Menschen im Finale glücklich zu machen, ihnen endlich Ruhe und Frieden zu schenken, aber mit der unerlässlichen, unvermeidlichen Bedingung, auch nur ein einziges, winziges Wesen zu Tode zu martern (. . .) – würdest du einwilligen, unter dieser Bedingung der Architekt zu sein, sprich und lüge nicht!“ 19 Iwan Karamasow erinnert daran, dass die Folterer ihrerseits stets die Folter rechtfertigen – stillschweigend wird angenommen, dass das Leid einiger weniger der Preis ist, der zu zahlen ist, um das Glück der übrigen Gesellschaft zu gewährleisten. Und auch wer 18 The National Security Strategy of the United States of America, September 2002, in: http://www.globalse curity.org/military/library/policy/national/nss-020920.pdf (letzter Zugriff: 2.8.2012). 19 Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow, Zürich 2003, S. 396.
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sich nicht direkt an Folterungen beteiligt, wie es bislang bundesdeutsche Politik ist, macht er sich mit den Folterern schuldig, wenn er die Ergebnisse der unter der Folter abgepressten Mitteilungen von Gefangenen für die eigenen Zwecke nutzt? Aljoscha hätte darauf eine eindeutige Antwort, die ich aus didaktischen Gründen an dieser Stelle jedoch vorenthalten möchte. Ariel Dorfman, chilenischer Schriftsteller und Professor an der Duke University in North Carolina, kommt angesichts der Folterbilder von Abu Ghureib in einem Artikel für Le Monde zu dem Schluss: „Dass man sich darin nicht täuscht: Alle Regime, die foltern, tun es im Namen des Heils, eines höheren Ziels, eines versprochenen Paradieses. Iwan Karamasow flüstert uns weiterhin das zu, was man Kommunismus, Freihandel, freie Welt, nationales Interesse, Faschismus, Führer, Zivilisation, Dienst an Gott, Informationsbedarf nennen kann, was man nennen kann, wie man will – Preis des Paradieses, versprochene Art von Paradies – es wird für mindestens einen Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt irgendwo immer die Hölle sein.“ 20 Die Folterbilder von Abu Ghureib sind eine schwere moralische Hypothek für die Vereinigten Staaten und mittelbar für den westlichen Liberalismus im Ganzen, denn die USA suchen unsere gemeinsamen Werte im Irak zu verbreiten. Diese werden jedoch durch das unmenschliche Vorgehen zumindest eines Teils der amerikanischen Soldaten im Irak desavou-
20 Ariel Dorfman, La question qu’Ivan Karamazov ne pose pas, in: Le Monde, 6. Mai 2004.
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iert. Nach dem Erscheinen der zweiten Serie von Folterbildern hieß es über dem Leitartikel von Ägyptens auflagenstärkster Zeitung „al-Achbar“ zynisch: „Freiheit! Demokratie! Folter!“ 21 Damit wird just denjenigen politisch-religiösen Kräften in der arabischen Welt Vorschub geleistet, welche im Namen der Religion die westlichen Wertvorstellungen bekämpfen und politisch die Oberhand zu erringen suchen, um einen Gottesstaat unter dem Gesetz der Scharia zu errichten. Diese Instrumentalisierung der Religion gibt mithin auch einen Hinweise darauf, dass es ich hier nicht um einen „clash of civilizations“ handelt, wie die griffige These von Samuel Huntington suggeriert.22 Diese These ist im Übrigen inzwischen ohnehin widerlegt – Gewaltkonflikte entflammen zumeist nicht zwischen unterschiedlichen, sondern innerhalb derselben Kulturgemeinschaften, also nicht der Westen gegen den Islam, sondern Schiiten gegen Sunniten im Nahen Osten, Ruanda gegen Burundi in Afrika und Hema-Milizen gegen Lendu-Milizen im Kongo. – Soweit zur Anschlussstelle Wiederkehr des Religiösen in die Politik. – Abschließend soll nun noch kursorisch auf weitere interdisziplinäre Zugänge aufmerksam gemacht werden, welche das Lehrstück vom Großinquisitor anbietet.
21 Zitiert nach Erich Follath et al., Der Krieg der Bilder, in: Der Spiegel, Nr. 8/20.2.2006, S. 108. 22 Vgl. Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 61998.
V. Ausblick: Interdisziplinäre Zugänge
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V. Ausblick: Interdisziplinäre Zugänge In Deutsch betrifft dies Schillers Don Karlos, dessen Großinquisitor der Dostojewskijschen Charakterisierung als Vorbild diente und in dessen Zentrum gleichfalls das Thema Freiheit steht.23 Des Weiteren handelt Andreas Maiers Roman Kirillow – der Titel stammt von einer Figur aus Dostojewskijs Böse Geister – von einer Gruppe Frankfurter Studenten, die zufällig mit einigen Russlanddeutschen in Kontakt kommen, mit ihnen durch die Kneipen ziehen, allerlei Ideen zur Verbesserung der Welt diskutieren und schließlich bei Gorleben an Demonstrationen gegen die Castor-Transporte teilnehmen. Im Zentrum der Gespräche steht das Traktat eines Andrej Kirillow aus Chabarowsk, wonach das Unglück der Menschen von ihrem Streben nach Glückseligkeit, nach Bequemlichkeit, nach Wohlbefinden rührt. Anders als zu Zeiten des Großinquisitors geht es den Menschen jedoch nicht um das lebensnotwendige Brot – die Notdurft, das zum Leben Unentbehrliche ist den Menschen heute gewiss. Ihr Glückseligkeitsstreben zielt auf eigentlich entbehrliche materielle Konsumgüter, und dieses Streben zerstört letztlich die Lebensgrundlage der Menschen wie aller anderen Geschöpfe.24 Die Möglichkeiten zur interdisziplinären Arbeit mit Geschichte sind bereits mannigfach angeklungen, sie bedürfen hier keiner weiteren Ausführungen.
23 Vgl. Friedrich Schiller, Don Karlos. Infant von Spanien, Stuttgart 2005. 24 Vgl. Andreas Maier, Kirillow, Frankfurt/M. 2005.
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In Religion kann das Verhältnis von Politik und Religion bzw. von Staat und Kirche im säkularisierten Verfassungsstaat thematisiert werden. Grundlegend bleibt hier in unserer abendländischen Tradition die Autonomie des weltlichen Bereichs. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Religion im säkularisierten Staat eine Art Fremdkörper ausmacht – im Gegenteil: Der freiheitliche, säkularisierte Staat bietet gegenüber der Pluralität von Weltanschauungen und Religionen seiner Bürger die Möglichkeit der Anschlussrationalität. Anschlussrationalität heißt, es besteht die Möglichkeit des Zusammenspiels eines auf Allgemeinheit angelegten öffentlichen Rechts mit einer Moral, die besonderen weltanschaulichen Überzeugungen verpflichtet ist. Im säkularisierten Verfassungsstaat können gläubige und säkulare Bürger in einem komplementären Lernprozess ihre Beiträge zu kontroversen Themen in der politischen Öffentlichkeit gegenseitig ernst nehmen, wie dies der Philosoph Jürgen Habermas und Papst Benedikt XVI., damals noch als Kardinal Joseph Ratzinger, in einem Gespräch über Vernunft und Religion bzw. die Dialektik der Säkularisierung exemplarisch durchführten.25 Weiterhin kann in Religion, Ethik und Philosophie das Theodizee-Problem besprochen werden, das Iwan Karamasow am Beispiel einer Reihe von Leidensgeschichten, die von Kindern erduldet werden mussten, erzählt. Iwan möchte deshalb sein Eintrittsbillett ins Paradies zurückgeben. Wenn man allerdings im Men25 Vgl. Jürgen Habermas/Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg 2005.
V. Ausblick: Interdisziplinäre Zugänge
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schen den Glauben an die Unsterblichkeit vernichte, dann würde es auch, so Iwan Karamasow, nichts Unsittliches mehr geben, und er gelangt so zur Maxime: „Alles ist erlaubt.“ Die Überlegungen Iwans waren wiederum für eine spezifische Ausrichtung der westlichen Philosophie maßgebend. So schreibt Jean-Paul Sartre zu der Frage „Was ist Existentialismus: „Dostojewskij hatte geschrieben: „Wenn Gott nicht existierte, so wäre alles erlaubt.“ Da ist der Ausgangspunkt des Existentialismus. In der Tat, alles ist erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und demzufolge ist der Mensch verlassen, da er weder in sich noch außerhalb seiner eine Möglichkeit findet, sich anzuklammern. (. . .) Anders gesagt, es gibt keine Vorausbestimmung mehr, der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit.“26 Der Mensch ist zur Freiheit verdammt. Damit ist ihm allerdings auch die Aufgabe der Bestimmung von Werten aufgegeben, und für diese Werte zeichnet der Mensch wie für sein Handeln allgemein verantwortlich. Diese Freiheitsfähigkeit ist auch heute noch eng verknüpft mit derjenigen Kompetenz, welche Immanuel Kant in seiner Schrift Was ist Aufklärung? als Konstituente von Mündigkeit ausgemacht hat: das Vermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.27 Die Anbahnung dieser Fähig26 Jean-Paul Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus? In: Jean-Paul Sartre: Drei Essays, Frankfurt/M./ Berlin/Wien 1983, S. 16. 27 Vgl. Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Immanuel Kant: Werkausgabe, Bd.
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keit bei Schülerinnen und Schülern, verstanden als Fähigkeit zur selbständigen politischen Urteilsbildung, stellt nach wie vor die vornehmste Aufgabe der politischen Bildung dar.28 Die Verwendung von klassischen Lehrstücken im Politikunterricht kann diesem Unterfangen dienlich sein.
XI: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt/M. 91991, S. 53. 28 Vgl. Ingo Juchler, Demokratie und politische Urteilskraft. Überlegungen zu einer normativen Grundlegung der Politikdidaktik, Schwalbach/Ts. 2005.
Personenregister Ahmadinedschad, Mahmud 58–59 Alexander II. 53 Arendt, Hannah 41
Dostojewskij, Fjodor 44, 48–49, 52–53, 55–57, 59, 65, 67 Eschenburg, Theodor 13
Beckmann, Max 47 Benedikt XVI. siehe Ratzinger, Joseph Bin Laden, Osama 60 Bloch, Ernst 35 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 13 Boeckh, August 32 Brecht, Bertolt 23 Busch, Ernst 36 Bush, George W. 27, 61 Camus, Albert 56 Chamenei, Ali 58 Chomeini, Ruhollah 45 Christus 50 Dewey, John 12 Dorfman, Ariel 63 Dortu, Max 10
Fox, Jonathan 46 Friedrich Wilhelm IV. 32, 37 Gadamer, Hans-Georg 26, 49–50 Graf, Willi 34 Grammes, Tilman 23 Grass, Günter 31 Habermas, Jürgen 66 Heckel, Erich 51 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 36–37 Hobbes, Thomas 27–28 Hofmann, Hasso 38 Honecker, Margot 12 Huber, Kurt 34 Humboldt, Wilhelm von 14 Huntington, Samuel 64
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Personenregister
Kagan, Robert 27–28 Kant, Immanuel 16, 28, 41, 67 Leps, Horst 23 Luttwak, Edward 46 Maier, Andreas 65 Marx, Karl 56 Meier, Christian 41 Mendelssohn Bartholdy, Felix 32 Merkel, Angela 31 Niethammer, Friedrich Immanuel 14 Obama, Barack 31 Petrik, Andreas 23 Popp, Susanne 19 Probst, Christoph 34
Rahman, Abdul 45 Ratzinger, Joseph 66 Sartre, Jean-Paul 67 Schiller, Friedrich 65 Schmidt, Helmut 29–30 Schmorell, Alexander 34 Scholl, Hans 34 Scholl, Sophie 34 Sophokles 32, 39 Stegemann, Bernd 36 Thukydides 24–25, 28 Tieck, Ludwig 32 Tocqueville, Alexis de 54– 55 Wagenschein, Martin 23 Wilhelm I. 10 Wilhelm II. 10
Zum Autor Ingo Juchler wurde 1962 in Mannheim geboren und studierte Politikwissenschaft, Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaft für das Lehramt an Gymnasien an den Universitäten Trier und Marburg. Er promovierte an der Philipps-Universität Marburg mit einer Dissertation zum Thema Die Studentenbewegungen in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland der sechziger Jahre (erschienen bei Duncker & Humblot, Berlin 1996), war nach dem Referendariat am Elly Heuss-Knapp-Gymnasium in Bad Cannstatt tätig und konnte sich Dank einer Abordnung an die Pädagogische Hochschule Karlsruhe mit der Schrift Demokratie und politische Urteilskraft (erschienen im Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2005) habilitieren. Nach Vertretungsprofessuren an der PH Weingarten und an der Universität Augsburg erhielt er zunächst einen Ruf an die PH Weingarten, dann an die GeorgAugust-Universität Göttingen. Seit April 2010 hat er den Lehrstuhl für Politische Bildung an der Universität Potsdam inne und ist dort Studiendekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Ingo Juchler ist Herausgeber von Unterrichtsleitbilder in der politischen Bildung (Schwalbach/Ts. 2012) und Kompetenzen in der politischen Bildung (Schwalbach/Ts. 2010) sowie Mitherausgeber von Bürger auf Abwegen? Politikdistanz und politische Bil-
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Zum Autor
dung (Schwalbach/Ts. 2011), Grenzlinien. Interkulturalität und Globalisierung: Fragen an die Sozial- und Geisteswissenschaften (Schwalbach/Ts. 2010), Politik verstehen lernen (Schwalbach/Ts. 2010) und Dialoge wagen. Zum Verhältnis von politischer Bildung und Religion (Schwalbach/Ts. 2009). Er gehört dem Beirat der Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften (zdg) an und engagiert sich im Review Board der Zeitschrift Politische Bildung sowie im Review Panel der Zeitschrift für Internationale Beziehungen (ZIB). Ingo Juchler ist Mitglied des Sprecherkreises der Sektion Politische Wissenschaft und Politische Bildung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Von 2008 bis 2012 war er Sprecher der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE). Er ist dort Mitglied der Forschungsgruppe Hermeneutische Politikdidaktik. Weiterhin ist er Mitglied der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) sowie der International Political Science Association (IPSA), wo er sich im Research Committee on Political Socialization and Education engagiert. Seit 2010 ist Ingo Juchler Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB).