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German Pages 301 [304] Year 1990
Rohkrämer • Der Militarismus der »kleinen Leute«
Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 29
R. Oldenbourg Verlag München 1990
Der Militarismus der »kleinen Leute« Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871-1914 Von Thomas Rohkrämer
R. Oldenbourg Verlag München 1990
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Rohkrämer, Thomas: Der Militarismus der "kleinen Leute" : die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871 — 1914/von Thomas Rohkrämer. — München : Oldenbourg, 1990 (Beiträge zur Militärgeschichte ; Bd. 29) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1989 ISBN 3-486-55859-5 N E : GT
© 1990 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Maria-Elisabeth Marschalt, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Freiburg i.Br. Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55859-5
Inhalt
Vorwort des Herausgebers
9
Vorwort
11
Danksagung
13
I.
Einleitung
15
1. 2. 3. 4. 5.
15 17 19 23 24
II.
Zur Bedeutung des Themas Das Leben als »Krieger« beim Militär und im Verein Methodische Überlegungen Charakterisierung der Epoche Quellenmaterial
Das Kriegervereinswesen
27
1. Die Entwicklung der Kriegervereine a) Die Einigung des Kriegervereinswesens b) Die innere Struktur der Landesverbände c) Die Politisierung der Verbände d) Das Wachstum des Kriegervereinswesens e) Die politische Wirkung
27 27 30 37 51 51
2. Das Vereinsleben a) Feste und Feiern b) Form und Inhalt der Veranstaltungen c) Erweiterung der Vereinsaktivitäten
55 57 63 69
3. Zusammenfassung und Interpretation
77
III. Das Leben als Soldat
83
1. Die Kriegserfahrung a) Der moderne Krieg b) Der Feldzug c) Konstitutive Elemente der kriegerischen Existenz d) Die Verarbeitung der Kriegserfahrung
83 85 88 115 141
2. Die Militärzeit a) Das gesellschaftliche Ansehen der Militärzeit b) Das Leben in der Armee c) Die Verarbeitung der Militärzeit
147 147 150 168
3. Die psychischen Folgen
170
6
Inhalt
IV. Das nationalistische Weltbild
V.
175
1. Das Geschichtsverständnis a) Die Nutzung der Geschichte für die Gegenwart b) Traditionsbildende Ereignisse der Vergangenheit c) Die Bewertung der Gegenwart d) Grundvorstellungen des Geschichtsverständnisses
175 175 176 182 183
2. Das Verhältnis zum Staat a) Die Verherrlichung des Deutschen Reiches b) Individuum und Gemeinschaft c) Die Förderung des Nationalbewußtseins
187 187 189 193
3. Monarchie a) Legitimation und gesellschaftliche Funktion b) Herrschertugenden c) Entwicklung der Kaiseridee
194 195 198 200
4. Kirche und Religion a) Christentum und Militär b) Kriegervereine und Religion c) Die Anpassung der Religion an das nationalistische Denken . . . .
203 203 205 206
5. Einstellung und Lebensformen im privaten Bereich a) Tugenden und Pflichten b) Die Familie als Grundstein der Gesellschaft c) Erziehung
214 215 217 220
6. Agrarromantik und Industrialisierung
222
7. Wirtschafts- und Sozialpolitik
227
8. Feinde der Ordnung a) Der Schrecken der Revolution
229 230
b) Die Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung
231
9. Die Armee als innen- und außenpolitisches Allheilmittel
236
10. Außenpolitik und Imperialismus a) Einstellung zu den europäischen Staaten b) Das Streben nach Weltmacht
241 241 242
11. Einstellung zum Krieg a) Die Einstellung zum Krieg zwischen Moralität und Machtkalkül . b) Die Einstellung der Veteranen zum Krieg c) Die Einstellung der Reservisten zum Krieg d) Das Aufkommen sozialdarwinistischer Begründungen des Krieges .
246 246 250 251 252
Schluß
263
Inhalt
7
Anhang 1. Statistiken des Kriegervereinswesens a) Mitgliederstatistiken b) Unterstützungswesen c) Berufliche Schichtung
271 271 274 275
2. Abkürzungen
275
3. Literaturverzeichnis a) Quellen b) Sekundärliteratur
276 276 283
4. Register
300
Vorwort des Herausgebers
»Militarismus« und »Nationalismus« zählen zu den wichtigsten Integrationsklammern des Deutschen Kaiserreichs. Sie dienten der Gesellschaft des neugegründeten Kaiserreiches zur Sinnstiftung und Identitätsbildung. Die nach den Einigungskriegen gegen Dänemark, Osterreich und Frankreich entstehenden Kriegervereine, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges mit nahezu drei Millionen Mitgliedern die stärkste Massenorganisation des Reiches darstellten, waren effektive Träger dieser legitimatorischen Ideologien. Der seine Zeit kritisch analysierende Historiker und Publizist Ludwig Q u i d d e charakterisierte daher mit gutem Grund die Kriegervereine »als wirksames Mittel, die klein-bürgerliche Gesellschaft mit dem Geist des Militarismus zu durchdringen«. So ist es nicht verwunderlich, daß die sozialgeschichtlich orientierte Forschung diese Verbände als lohnendes Untersuchungsobjekt erkannt hat. Vor allem Organisations- und Mitgliederstruktur, Statuten und Programme, das Verhältnis der zahlreichen Veteranenund Reservistenvereine zu Krone, H o f und Regierung sowie zu Kirchen und Parteien wurden daher bereits intensiv untersucht. Die von Professor Dr. Heiko Haumann und Professor Dr. Ernst Schulin an der Universität Freiburg angeregte und betreute Dissertation Thomas Rohkrämers unterscheidet sich von diesen Arbeiten besonders dadurch, daß sie Denken und Handeln des sogenannten »kleinen Mannes« in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt. Dabei konzentriert sich der Autor auf die Faszination von Militarismus und Nationalismus sowie deren gesellschaftliche Wirkung. Dies geschieht am Beispiel des Deutschen Kriegerbundes und des Badischen Militärvereins-Verbandes, beides mitgliederstarke und politisch einflußreiche Vereinigungen und somit durchaus repräsentativ für das Deutsche Kaiserreich. Indem der Autor Erfahrungs- und Verarbeitungsmuster der »kleinen Leute« in das Zentrum seines Forschungsinteresses rückt, vermag er eine überzeugende Erklärung für die Massenwirksamkeit von Militarismus und Nationalismus anzubieten. T h o m a s Rohkrämer gelingt ein überzeugender »Blick von unten«, er liefert eine wichtige Ausschnittsanalyse der Lebenswelt der »kleinen Leute« und vermag damit einen wichtigen Beitrag zu der kaum aufgearbeiteten »anthropologischen Dimension in der Geschichtswissenschaft« zu leisten, die besonders Thomas Nipperdey einforderte. Dieser interdisziplinäre Beitrag möge die Militärgeschichte bereichern und den historisch Interessierten zu neuen Einsichten anregen.
Dr. Günter Roth Brigadegeneral Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
Vorwort
Thomas Rohkrämers Studie geht weit über einen Beitrag zur Militärgeschichte hinaus. Sie ist auch nicht einfach eine Alltagsgeschichte des Krieges oder des Militär- und Reservistenlebens, obwohl sie darüber Wesentliches aussagen kann. Nicht die Kriegserfahrung an sich, sondern deren gesellschaftliche Verarbeitung durch die »kleinen Leute« — Arbeiter, Bauern, Kleinbürger — steht im Mittelpunkt. Indem der Autor zahlreiche Erinnerungen an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und Autobiographien mit Materialien der Kriegervereine in Beziehung setzt, kann er zeigen, wie sich ein nationalistisches Weltbild formte, wie sich militaristische Einstellungen und Verhaltensweisen ausprägten — und wandelten. Während die Veteranen sich zwar aufgrund ihrer Teilnahme an den Einigungskriegen als herausgehobene Gesellschaftsmitglieder empfanden, das Kriegserlebnis aber keineswegs nur verherrlichten, wollte die neue Generation der Reservisten aus dem Schatten der Väter heraustreten und sich ebenfalls in einem Krieg bewähren. Der rückwärts gewandte Militarismus veränderte sich in einen aggressiven zukunftsorientierten. Gemeinsam war den meisten der hier untersuchten »kleinen Leute«, wie sie auf die Probleme der Umbruchzeit reagierten. Die im Krieg oder Militärdienst erfahrene Angst, Schwäche und Hilflosigkeit, die Unsicherheiten, sich in der Welt zurechtzufinden, wurden durch eine Schein-Identität überdeckt, die eigenständiges Handeln verhinderte. Aus der Verarbeitung des Erlebten erwuchs eine Orientierung an Autoritäten, die nicht frei von inneren Widersprüchen und Spannungen war, sich je nach Situation ändern konnte, wenn sie nur als sinnstiftend angesehen wurde: Der Kaiser, der Papst oder der SPDVorsitzende konnten durchaus nebeneinander verehrt werden. Ziel einer Reihe von Forschungen, die seit einiger Zeit am Historischen Seminar der Universität Freiburg, teilweise auch im Zusammenhang mit dem Arbeitskreis Regionalgeschichte Freiburg, entstanden sind und weiter entstehen, ist es, die Kluft zwischen Aussagen zu individuellen Lebenswelten und zu deren Verallgemeinerung zu verringern. Thomas Rohkrämer hat dazu einen überzeugenden Zugang gefunden und vermag der weiteren Diskussion um Mentalitäten- und Alltagsgeschichte wichtige Anstöße zu geben. Auf hohem theoretischen und methodischen Niveau zeichnet er nach, wie sich Einstellungen entwickelten und auswirkten. Damit vertieft er unsere Kenntnis der Gesellschaftsgeschichte des Kaiserreiches. Weite Teile der Bevölkerung akzeptierten nun Gewalttätigkeit als eine Grundlage ihrer Existenz. Zugleich führten ihre lebensgeschichtlichen Erfahrungen zu autoritätsgläubigen Orientierungsmustern, aufgrund derer sie sich leicht anpassen ließen — ein Problem, das auch für uns heute von größter Bedeutung ist.
Freiburg i.Br.
Heiko Haumann
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Professor Dr. Heiko Haumann, der mein Interesse an der Geschichte der »kleinen Leute« geweckt und die Arbeit mit großer Tolefanz, steter Hilfsbereitschaft und wesentlichen Anregungen gefördert und betreut hat. Professor Dr. Ernst Schulin und Professor Dr. Renate Zoepffel danke ich für bestärkende Kritik, Clemens Krüger und Martin Thoemmes für Korrekturlesen und konstruktive Auseinandersetzungen. Dr. Wolfram Wette, Dr. Wolfgang Michalka und Dr. Arnim Lang haben durch tatkräftige Unterstützung die schnelle Veröffentlichung in der Reihe »Beiträge zur Militärgeschichte« des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes möglich gemacht. Die finanzielle Förderung durch das Land Baden-Württemberg ermöglichte die Dissertation, der Zuschuß von VG Wort half bei der Veröffentlichung. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern.
Freiburg, i.Br.
Thomas Rohkrämer
I. Einleitung
1. Zur Bedeutung des Themas Die beiden einflußreichsten Ideologien im Deutschen Kaiserreich, Nationalismus und Militarismus, sind schon häufig Gegenstand historischer Studien gewesen. Neben geistesgeschichtlichen Erklärungsversuchen konzentrierte sich das Interesse zumeist auf die politischen und sozialen Funktionen der Ideologien, etwa auf ihren Einfluß auf Innenund Außenpolitik oder auf ihre Vermittlung als Lehrinhalt in Schulen, Universitäten und der Armee. Dabei wurde deutlich, daß die Indoktrination der Masse der Bevölkerung in manipulativer Absicht geschah: ein undemokratisches und unsoziales Ordnungsgefüge sollte möglichst lange im Sinne der privilegierten Klassen erhalten werden. Nationalismus und Militarismus erfüllten hierbei die doppelte Funktion, einen integrativen Gruppenkonsens zu schaffen und Feindbilder für die Ableitung sozial bedingter Aggressionen zur Verfügung zu stellen 1 . Doch blieb bisher eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche W i r k u n g der beiden Ideologien weitgehend ausgeblendet: die subjektive Faszination, die beide Ideologien auf weite Kreise der Bevölkerung ausübten. Während die Verwunderung über die Massenwirksamkeit des Faschismus seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich Untersuchungen inspirierte, ist der gleiche Aspekt in bezug auf Nationalismus und Militarismus kaum problematisiert worden. Wenn nicht einfach mit »gesundem Menschenverstand« auf die subjektiven Momente geschlossen wurde, interpretierte man die Anziehungskraft dieser Ideologien in Analogie zur nationalsozialistischen Weltanschauung oder reduzierte sie auf die W i r k u n g staatlicher Propaganda 2 . Dabei waren Aufkommen und Verbreitung starker militaristischer Gefühle und eines aggressiven Nationalismus keineswegs so selbstverständlich, wie es im nachhinein erscheint. Gerade das Militär traf in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen des Bürgertums auf Ablehnung. »Die Armee galt für das Bürgertum als eine ungeistige Einrichtung und als Exponent widerständiger Barbarei. Das Heer befand sich innerhalb der Gesellschaft in einem Zustand geistiger Isolierung 3 .« Auch die Einführung der allgemeinen dreijährigen Wehrpflicht, der wichtigste Bestandteil der von Kriegsminister Albrecht v. Roon und König W i l h e l m 1859 initiierten preußischen Heeresreform, stieß 1 2
D i e »klassische« Zusammenfassung dieser These findet sich bei Wehler, Das deutsche Kaiserreich. Ausnahmen sind Doob, Patriotism and Nationalism, und Katz, Nationalismus. D o c h verarbeiten beide Verfasser kein historisches Material, und ihr behavioristischer A n s a t z vereinfacht die Probleme zu stark. Vgl. auch Fröhlich, Nationalismus, Lemberg, Nationalismus, und Gellner, Nations and Nationalism. Einen Uberblick über sozialpsychologische Erklärungen des Nationalismus gibt Fleischhauer, Zur psychohistorischen Genese.
3
H ö h n , Die A r m e e als Erziehungsschule, XLIII. Vgl. auch Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1815— 1845/49, S. 3 8 0 - 3 9 4 ; Ritter, G., Staatskunst, I, S. 5 5 f . und II, S. 1 2 1 f.
16
I. Einleitung
nicht nur im Parlament, sondern vor allem bei den Betroffenen, den Bauern, Handwerkern und kleinen Gewerbetreibenden, auf heftigsten Widerstand 4 . Erst die D o m i n a n z militärischer Mittel bei der deutschen Einigung legte den Grundstein für eine Versöhnung zwischen Bevölkerung und Heer. Das nunmehr hohe Prestige des Militärs, die Idealisierung kriegerischer Tugenden und ihre Übertragung auf den zivilen Bereich, die Akzeptanz kompromißloser Machtpolitik und der Autonomiebestrebungen des Militärs, all das, was wir unter dem Militarismus der Kaiserzeit verstehen 5 , ist ohne die preußischdeutschen Erfolge in den Einigungskriegen nicht vorstellbar. Parallel dazu wandelte sich auch der Nationalismus. In seiner Entstehungsphase beinhaltete er liberales und demokratisches Gedankengut und verband den partikularen Willen zur eigenen Nation mit einer universalen Toleranz gegenüber anderen Nationen 6 . Erst nach der Reichsgründung vollzog sich der Wandel zum integralen Nationalismus, der als Staatsideologie ein Ventil für inneren Problemdruck darstellte 7 . Während die Einigungskriege für das national gesinnte Bürgertum eine Erfahrung waren, die es in weiten Teilen zum Umdenken veranlaßte, waren sie für Arbeiter, Bauern und Kleinbürger zumeist die erste und zentrale nationale Erfahrung 8 . Diese Bevölkerungsgruppen, die ich unter dem Sammelbegriff »kleine Leute« zusammenfasse 9 , erlebten in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 mit Massenheeren in ungeahntem Maße den Eingriff des Staates in ihr privates Leben und empfanden sich erstmals als Teil der Nation. Mit der folgenden Euphorie über die politischen Ergebnisse der Kriege festigte sich die nationale Erfahrung und nahm eine positive Färbung an: Während sich sonst Politik über ihre Köpfe hinweg vollzog, leistete nun auch der einfache Wehrpflichtige zu dem — wie es die Zeitgenossen sahen — bedeutendsten Ereignis der deutschen Geschichte einen essentiellen Beitrag. Der Einsatz seines Lebens war ein notwendiger Beitrag zur Entstehung des Deutschen Reiches. Der Einfluß der Kriegserfahrung auf die Nationalisierung der Massen kann kaum überschätzt werden 10 . Damit war auch der Nationalismus für die »kleinen Leute« von Anfang an nicht mit liberalem Denken verbunden, sondern wurde mit starkem Staat, Armee und Machtpolitik assoziiert. Wenn sie ihren eigenen Beitrag zur Entstehung des Staates und die deutsche Einigung »von oben« nicht in Frage stellen wollten, mußten sie auch die Rolle der Monarchie und der politischen Führung akzeptieren. Die Nationalisierung der Massen durch den Krieg leistete einen bedeutenden Beitrag zum Aufkommen eines integralen 4 5
Geyer, D e u t s c h e Rüstungspolitik, S. 29—32. Geyer, Organisation, S. 279; Rohe, Militarismus, S. 267; Williams, Versuch, S. 139; Vagts, H i s t o r y of Militarism, S. 103; Bredow, Moderner Militarismus, S. 11—13. Zur Begründung des normativ besetzten Begriffs »Militarismus« als wissenschaftliches Instrumentarium vgl. Vogel, Militarismus.
6
Nipperdey, D e u t s c h e Geschichte, S. 308; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1815—1845/49, S. 397.
7
Winkler, N a t i o n a l i s m u s , S. 5ff.; Alter, Nationalismus, S. 43 ff.; Wehler, D a s deutsche Kaiserreich.
8
Zur zentralen Bedeutung einer bestimmten Erfahrung für die Konstituierung des Denkens einer Generation vgl. Doerry, Ubergangsmenschen, S. 30—43; Koselleck, Erfahrungswandel, S. 21—23.
9 10
Zur B e g r ü n d u n g der Verwendung dieses Begriffs siehe S. 35 f. D a s von Messerschmidt 1975 konstatierte Forschungs-Desiderat, den »Anteil der bewaffneten Macht an der A u s b i l d u n g des Nationalbewußtseins« zu bestimmen (Messerschmidt, Militär, S. 55), besteht heute noch.
2. Das Leben als »Krieger« beim Militär und im Verein
17
Nationalismus, der sich später als folgenschwere Belastung für die politische und soziale Modernisierung Deutschlands erweisen sollte 11 . Die hier vorgelegte Untersuchung geht davon aus, daß der integrale Nationalismus, das militaristische Denken und die damit verbundene konservative innenpolitische Einstellung nicht den politischen und materiellen Interessen der Majorität seiner Anhänger entsprach. Schon ein Krieg kann kein nur positives Erlebnis sein. Auch gab es in der Geschichte des Kaiserreiches genügend Anlässe, die konservative und imperialistische Politik, die die »kleinen Leute« belastete und ihre untergeordnete gesellschaftliche Position festschreiben wollte, in Frage zu stellen. Die Meinungsmache privater und staatlicher Institutionen hat sicherlich zur Stabilität dieser Ideologien ihren Beitrag geleistet. Aber jede Werbung setzt eine Prädisposition beim Adressaten voraus: sie muß bei bestehenden Wünschen, Bedürfnissen und Uberzeugungen ansetzen 12 . In dieser Studie soll versucht werden, die subjektive Faszination der Ideologien zu bestimmen, an die ihre gesellschaftliche Funktionalisierung anknüpfen konnte. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit wird auf der Frage liegen, wodurch es im Deutschen Kaiserreich zur Glorifizierung des Krieges kam. Noch heute ist der allgemeine Begeisterungstaumel, mit dem der Erste Weltkrieg begrüßt wurde, ein kaum zu verstehendes historisches Phänomen. W i e konnten die Massen, so stellt sich die beunruhigende Frage, mit einer solchen Begeisterung in den Krieg ziehen, bereit, ihr Leben zu geben und zu töten 13 ? Andere Kriege sind nicht mit dem gleichen Enthusiasmus begrüßt worden, auch die Einigungskriege sind bei der Bevölkerung — wie später gezeigt werden wird — auf gemischte Gefühle gestoßen. Sie sind weder mit Begeisterung begonnen noch geführt worden. Die Studie möchte zeigen, wie die durchaus ambivalente Erfahrung des Krieges in einer Weise interpretiert und verarbeitet wurde, daß sie bei der nächsten Generation den »Geist von 1914«, d.h. einen radikalisierten modernen Militarismus 14 und die Sehnsucht nach einem neuen Krieg, hervorrief.
2. Das Leben als »Krieger« beim Militär und im Verein Der empirische Ausgangspunkt dieser Untersuchung sind die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich, die in ihrer Breitenwirkung ein Produkt der Einigungskriege sind: Ehemalige Soldaten — vorwiegend aus dem Mannschaftsgrad und aus den unteren Schichten der Bevölkerung — schlössen sich zusammen, um gemeinsam die Erinnerung an die 11
Siehe A n m e r k u n g 5.
12
Vgl. The Process and Effects of Mass C o m m u n i c a t i o n . Das häufig gebrauchte Konzept der »Manipulation« schließt die Augen v o r der zentralen Frage, w a r u m Ideen akzeptiert werden (Eley, Reshaping, S . 9 f . ) .
13
Vondung, Propaganda, S. 12. Schon die Zeitgenossen waren über die Euphorie verwundert und z. T. schockiert. Vgl. z. B. Freud, Zeitgemässes, und Freuds Briefwechsel mit Einstein (Freud, Warum Krieg).
14
D e r v o r dem Ersten Weltkrieg a u f k o m m e n d e »moderne Militarismus« (siehe Teil IV, Kap. 11: »Einstellung zum Krieg«) beinhaltete die Ausrichtung aller gesellschaftlichen Kräfte auf den Kriegsfall (Geyer, Geschichte; Osseg, Militarismus; Bredow, Moderner Militarismus, S. 54—56).
18
I. Einleitung
Kriege wachzuhalten, den nationalen Gedanken zu pflegen und sich gegenseitig zu unterstützen. Im Laufe der Zeit organisierten sie sich in zentralen Verbänden und wurden schließlich zur größten Massenorganisation des Kaiserreichs. Dabei gewannen sie immer stärker eine nationalistische und staatstragende Einstellung und wurden zunehmend politisch aktiv im Sinne der Bewahrung des Status quo. Die bisherigen Untersuchungen zum Kriegervereinswesen haben sich vornehmlich auf die Vereinsgeschichte und das Verhältnis zwischen Kriegerverein und Regierung bzw. Verwaltung konzentriert 1 5 . Dabei wurde, das Urteil kritischer zeitgenössischer Schriftsteller bestätigend und empirisch untermauernd 1 6 , festgestellt, daß die Kriegervereine einen erheblichen Einfluß auf das politische und gesellschaftliche Leben ausübten. Ihre bedeutende Rolle bei der Verbreitung nationalistischen Denkens und der politischen Manipulation großer Teile der Bevölkerung ist deutlich herausgearbeitet worden 17 . D a s Interesse dieser Untersuchung an den Kriegervereinen geht darüber hinaus. Der freiwillige Zusammenschluß national gesinnter Soldaten als Folge der Einigungskriege bietet den idealen Rahmen für die Untersuchung der oben entwickelten Fragestellung. Im Vereinsleben 18 drückte sich die »populäre Version« der nationalistischen und militaristischen Ideologien aus, hier versuchten die Mitglieder, ihre Überzeugungen in Handlungen wie Feste, Gedenkfeiern, Umzüge usw. umzusetzen. Gleichzeitig bietet die Zwischenstellung des Vereins zwischen Individuum und Makro-Sozietät die Möglichkeit, die Einwirkung gesellschaftlicher Kräfte auf die Ausprägung der Ideologien zu erfassen. Die Vereinspraxis basierte auf gemeinsamen Erfahrungen und Uberzeugungen. Die Bedeutung des Sedanfestes ergab sich zum Beispiel für die Mitglieder aus einem komplexen Konglomerat von Erlebnissen und ihrer nachträglicher Interpretation, aus politischen Meinungen und nicht bewußten Hintergrundsüberzeugungen. Das Denken der Vereinsmitglieder fand in der Zelebration kollektiver Weltanschauungen durch symbolische Handlungen wie Feste und Feiern einen konkreten Ausdruck. 15
Z u m Kriegervereinswesen im D e u t s c h e n Kaiserreich: H ö h n , D e r Einsatz; Saul, » D e u t s c h e r Kriegerbund«; Lübeck, Kriegervereine; Henning, Kriegervereine; Kremer, Krieger- und Militärvereine; Düding, Kriegsvereine; Ellis, Army, S. 158—198. Z u m Kyffhäuser-Bund: Fricke/Bramke, Kyffhäuserbund. Zu den Kriegervereinen in der Weimarer Republik: Bramke, Stellung des Kyffhäuserbundes; Bramke, Funktion des Kyffhäuserbundes; Bramke, Wanderer; Elliot, Ex-Servicemen's Organisations; Elliot, Kriegervereine, u n d Führer, Reichskriegerbund. Besonders hilfreich waren Saul, »Deutscher Kriegerbund«, und Ellis, A r m y , f ü r die Erfassung des staatlichen Einflusses auf die Kriegervereine und Kremer, Krieger- und Militärvereine, im Blick auf die besondere konfessionelle Problematik des Kriegervereinswesens in Baden. D e r kurze Aufsatz von D ü d i n g ist dem Erkenntnisziel dieser U n t e r s u c h u n g verwandt, da ihn das Kriegervereinswesen vorwiegend als Manifestation einer militaristischen Weltsicht interessiert.
16
In Heinrich Manns »Untertan« benützt der typische Vertreter des nationalistischen Bürgertums, Heßling, den Kriegerverein seines Ortes zur F ö r d e r u n g der Wahl eines nationalen Reichstagsabgeordneten (Mann, Untertan, S. 154, 253ff., 3 8 9 f f . , 434f.). Vgl. auch Q u i d d e , Caligula, S. 103.
17
Kritisch dazu allein G e o f f Eley, Reshaping, S. 43. Wenn er aber seine U b e r z e u g u n g , daß die Kriegervereine nur einen geringen Einfluß auf das Denken ihrer Mitglieder gehabt hätten, damit begründet, daß sie »almost exclusively organs of sociability« gewesen seien, so ignoriert er, daß gerade ein solcher R a h m e n stärker auf die Bildung einer Mentalität wirken kann als direkte politische Information oder Propaganda.
18
Z u m Vereinswesen vgl. vor allem Nipperdey, D e r Verein; Bühler, Freizeitvereine; Kröll, Vereine.
3. Methodische Überlegungen
19
Im dritten Teil der Arbeit wird das Weltbild der Vereinspublikationen, das ich als »nationalistisches Denken« bzw. »nationalistisches Weltbild« bezeichnen werde, rekonstruiert19. Auch wenn hin und wieder Vereinsmitglieder Artikel veröffentlichten, waren die Zeitschriften doch primär durch das Denken der Vorstände der Kriegervereine und der Redakteure, die dem Bürgertum zuzurechnen sind, geprägt und sollten dem Gros der Mitglieder eine nationalistische Gesinnung vermitteln. Durch den Vergleich zwischen »ritueller Praxis« und dem in den Publikationen verbreiteten nationalistischen Denken — ein Vergleich, der oft genug Spannungen und Widersprüche aufzeigen wird — ergibt sich ein umfassendes Bild vom Denken der Mitglieder. Ein Verständnis der Mentalität der Mitglieder setzt auch voraus, daß das Kriegserlebnis und der Wehrdienst als konstitutive Erfahrung für das Aufkommen des Kriegervereinswesens nachvollzogen werden. Deshalb wird in Teil II der Versuch unternommen, das Leben der einfachen Soldaten in Krieg und Frieden zu rekonstruieren. An Material für diese Untersuchung mangelt es nicht: viele »kleine Leute«, die ihr Leben ansonsten nicht für so relevant hielten, daß sie es schriftlich festgehalten hätten, veröffentlichten ihre Kriegserlebnisse, einige auch Berichte von ihrer Militärzeit. Obwohl die Erinnerungen von gesellschaftlichen Klischees und verzerrenden »after-thoughts« durchsetzt sind, wird in ihnen doch — »gegen den Strich« gelesen — deutlich, wie diese Lebensbereiche erfahren wurden 20 . Die nachträgliche Verarbeitung der Erfahrung gibt wiederum weiteres Material zum Verständnis für die Entstehung eines nationalistischen Weltbildes.
3. Methodische Überlegungen Eine Untersuchung individueller Deutungsmuster, Weltbilder und Identitäten betritt in der Geschichtswissenschaft theoretisch wenig gesichertes Neuland. Es wird inzwischen allgemein anerkannt, daß die Konzentration der Sozialgeschichte auf übersubjektive Strukturen und Prozesse zu einem Defizit bei der Erfassung der »anthropologischen Dimension« in der Geschichte geführt hat21. Wenn Menschen sich nicht an einer »objektiven« 19
Ich benutze das Adjektiv »nationalistisch«, um den in den Kriegervereinen vertretenen integralen Nationalismus v o m »nationalen« Denken des frühen 19. Jahrhunderts abzugrenzen. Abwertende Konnotationen sind mit dem Begriff »nationalistisch« nicht intendiert.
20
Die autobiographische Forschung hat in der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung gewonnen. Auch wenn ihre Interpretation erhebliche methodische Probleme a u f w i r f t , so sind Autobiographien doch eine unentbehrliche Quelle f ü r das Selbstverständnis eines Menschen (Fuchs, W., Biographische Forschung, S. 201). Da in dieser A r b e i t anhand der Autobiographien die subjektive Deutung und Verarbeitung der Realität untersucht wird, stellt sich weniger die Wahrheitsfrage, die bei der Interpretation von Autobiographien problematisch, wenn nicht gar unangemessen ist (Weinrich, Teleologie, S. 329 ff.; vgl. auch Lehmann, Erzählstruktur, S. 2 7 ff.), sondern vor allem die Frage nach der subjektiven Wahrhaftigkeit. Vgl. auch Lehmann, Bekennen.
21
Nipperdey, Die anthropologische Dimension. A u c h von vielen Sozialgeschichtlern, die sich sehr kritisch geäußert haben, w i r d dieses Defizit prinzipiell anerkannt. Kocka, Historisch-Anthropologische Fragestellungen; Kocka, Zurück zur Erzählung?; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1700—1815,
20
I. Einleitung
Realität orientieren, sondern die Welt immer erst durch subjektive Deutungsmuster interpretiert zur Handlungsmotivation wird, wenn sie häufig nicht zweckrational handeln und auch zweckrationales Handeln kulturelle Wertentscheidungen und Handlungsziele voraussetzt 22 , dann kann die Kausalität von Handlungen nur durch ein Verständnis der subjektiven Uberzeugungen der Aktoren ergründet werden. »If men define situations as real, they are real in their conséquences 23 .« D o c h das Zugeständnis, daß neue Ansätze »uns aus der unglücklichen Alternative zwischen einer Geistesgeschichte, aus der die Gesellschaft ausgespart bleibt, und einer Sozialgeschichte, die das Denken ausklammert« herausführen müssen 24 , führt in Deutschland kaum zu Toleranz gegenüber innovativen Versuchen, das Defizit zu schließen. Die Forschungsrichtungen, die sich bemühen, Weltbild und Lebensgefühl früherer Zeiten zu rekonstruieren, Mentalitäten-Geschichte, historische Anthropologie und Alltagsgeschichte, gelten weiterhin als unseriös. A b e r methodische Schwierigkeiten dürfen nicht zur Ausklammerung eines als wichtig erkannten Bereichs der Universalgeschichte führen. Es ist allemal besser, einen gewagten Versuch zur Erfassung kultureller Deutungssysteme zu unternehmen als diesen Aspekt zu ignorieren oder die Wissenslücken durch Intuition schließen zu wollen. D e r Gebrauch von Ausdrücken wie »Zeitgeist«, »Mentalität«, »nationalistisches Denken« oder »das Denken der Kriegervereine« beinhaltet, das darf nicht vergessen werden, eine Abstraktion und Personifikation. Aber andererseits ist nicht zu leugnen, daß in jeder geschichtlichen Epoche und in jeder sozialen Gruppe charakteristische Inhalte und Denkschemata existieren, die allen Mitgliedern gemein sind 25 . N u r die Rekonstruktion der kollektiven Hintergrundsüberzeugungen bietet Zugang zu einem Denken, das uns fremd geworden ist. D i e Schwierigkeit, prägende Denkmuster zu bestimmen, steigert sich noch bei einer Untersuchung moderner Gesellschaften. Mentalitäten-Geschichte wie historische Anthropologie haben bisher das 19. und 20. Jahrhundert weitgehend ausgeklammert 26 , weil die fortgeschrittene gesellschaftliche Differenzierung es erschwert, von kollektiven Mentalitäten oder Weltbildern zu sprechen. Auch macht die wachsende Bedeutung von öffentlichen Institutionen, Medien und überregionalen Kommunikationsnetzen es schwierig, S. 10; Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1 8 1 5 - 1 8 4 5 / 4 9 , S. 695 ff.; Wehler Alltagsgeschichte, S. 133—136. Vgl. auch Tenfelde, Schwierigkeiten; Broszat, Alltagsgeschichte. Eine Ubersicht über die Debatte bietet Schulze, Mikrohistorie. 22
Dazu immer noch grundlegend Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion.
23
Thomas, Child in America, S. 114.
24
Burke, Mentalitätengeschichte, S. 128.
25
Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, II, S. 191. Indem jede Aussage die Sprache logisch voraussetzt, sind individuelle Äußerungen ohne den Bezug auf kollektive Sinnsysteme nicht denkbar.
26
Raulff, Mentalitäten-Geschichte, S. 11 f. Ein noch heute interessanter Versuch sind die Untersuchungen der Kritischen Theorie, Sozialcharaktere, vor allem den »autoritären Charakter«, zu bestimmen (Adorno u. a., Autoritärer Charakter, und die Schriften von Fromm). Vgl. auch die Studie von Doerry, Übergangsmenschen, dessen Bestimmung der »Mentalität der Wilhelminer« oft zu ähnlichen Ergebnissen kommt.
3. Methodische Überlegungen
21
das Verhältnis von eigener Erfahrung und deren Verarbeitung, gesellschaftlichen Einflüssen und direkter Manipulation zu bestimmen 27 . Der Komplexität einer modernen Gesellschaft entsprechend beschränkt sich diese Studie auf die Erfassung einer Gruppe, der Mitglieder der Kriegervereine. Dabei muß, wie bei der Analyse ihrer Sozialstruktur deutlich werden wird, zwischen der Verbandsleitung, in der das Bürgertum dominierte, und den national gesinnten »kleinen Leuten«, die das Gros der Mitglieder ausmachten, unterschieden werden. Auch darf die Bedeutung gesellschaftlicher Einflüsse nicht unterschätzt werden. Neben den staatlichen Eingriffen in das Vereinsleben wurden die Mitglieder durch das gesamtgesellschaftliche kulturelle Klima und die Lehrinhalte einflußreicher Institutionen geprägt. Der letztere Aspekt wird hier jedoch nur am Rande behandelt, weil dazu schon zahlreiche Untersuchungen vorliegen 28 . Der Versuch, das Denken der Kriegervereine zu einem umfassenden System zusammenzufassen, ist nicht von außen herangetragen, sondern entspricht ihrer eigenen Uberzeugung. Das nationalistische Denken erhob den Anspruch, definitive Maßstäbe für alle Bereiche menschlicher Existenz zu definieren. U m sich als national gesinnter Mann zu erweisen, genügte es nicht, im öffentlichen Bereich seinen militärischen und politischen Pflichten nachzukommen, es erforderte auch eine bestimmte moralische Einstellung, eine religiöse Überzeugung, ein bestimmtes Verhalten im Umgang mit Freunden, in der Familie usw. Ein »falsches« Handeln auf einer dieser Ebenen habe, so war die Überzeugung, zwangsläufig weiteres Fehlverhalten zur Folge. Wenn etwa ein Mann seine Autorität in der Familie nicht wahren könne, so werde er auch die Autorität des Königs nicht achten. Dieses umfassende »nationalistische Weltbild der Kriegervereine« soll in dieser Arbeit beschrieben, in seiner ihm eigenen Logik erfaßt und in seiner sozio-kulturellen Bedingtheit verortet werden. In der Alltags- und Mentalitäten-Geschichte besteht eine starke Tendenz zur Theoriefeindlichkeit. Häufig wird eine intuitive Vorgehensweise bevorzugt, um sich nicht durch vorgefaßte Meinungen den Blick verengen zu lassen. Im Gegensatz dazu werde ich auch von Theorien Gebrauch machen, die eine systematische Erfassung des Themas erleichtern können. So orientiert sich die Untersuchung an dem Konzept von »System und Lebenswelt« bei J. Habermas, welches meines Erachtens die ausgereifteste Analyse der Beziehung zwischen subjektiven Betrachtungsweisen, Denkmustern und Weltanschauungen einerseits und gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen andererseits darstellt29,
27
Burke, Mentalitätengeschichte, S. 135—137.
28
Vgl. z. B. Christadler, Kriegserziehung; Falk, Traum v o m Krieg; Flatz, Krieg im Frieden; Meyer, Schule der Untertanen; Saul, D e r Kampf um die Jugend; Zabel, Kadettenkorps; Bendele, Krieg; Lemmermann, Kriegserziehung.
29
Die Gesellschaftstheorie ist in Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, grundlegend entwickelt worden. Zur lebhaften Diskussion seines neuen Ansatzes, der im Ausland interessierter und positiver aufgenommen wurde als in Deutschland vgl. Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas' »Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns«; Habermas. Critical Debates; Habermas and Modernity. Die Bedeutung f ü r die Geschichtswissenschaft stellt Peukert, Neue Alltagsgeschichte, und Jay, Geistesgeschichte, heraus. Vgl. auch die Aufsätze v o n D. G r o h und P. Nolte in G G 12 (1986).
22
I. Einleitung
und schon mit Erfolg in historischen Untersuchungen Anwendung fand30. Zum Verständnis der Mentalität der »Krieger« als Soldaten und in ihrem zivilen Leben wurden handlungstheoretische Modelle, vor allem die Entwicklung der Moral von L. Kohlberg und die Analyse der Konstitution einer Gruppe von E. Dürkheim, und — in geringerem Umfang — psychoanalytische Erklärungsmuster herangezogen, soweit sie zum Verständnis beitragen konnten 31 . Nur so erscheint es möglich, dem Anspruch von Wissenschaft an systematische Aussagen gerecht zu werden. Auch geistesgeschichtliche Studien — von Untersuchungen zur Tradition des gerechten Krieges über »die Idee der Staatsräson« bis zu kriegstheoretischen Schriften — wurden mit viel Gewinn hinzugezogen32. Zum einen existiert das Denken der »kleinen Leute« nicht unabhängig von den herrschenden Ideen der Zeit33, zum anderen strebte auch die Geistesgeschichte mit ihrer Suche nach dem »Zeitgeist« die Bestimmung kollektiver Denkstrukturen an. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, die in Erweiterung des traditionellen geistesgeschichtlichen Ansatzes das Denken aller Klassen, Schichten und Gruppen ernst nimmt, unter Beachtung gesellschaftlicher Einflüsse und Prägungen verortet und mit sozialem Handeln in Verbindung bringt 34 , konnten die Ergebnisse früherer geistesgeschichtlicher Studien oft problemlos integriert werden. Die Beschreibung des nationalistischen Weltbildes soll Inhalt und Struktur des Denkens deutlich machen. Der Inhalt ist historisch gewachsen, geprägt durch geschichtliche Ereignisse, Denkrichtungen und Traditionen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Uberzeugungen der Zeit sollten zumindest angedeutet werden. Die inhaltliche Bestimmung zeigt den spezifischen, singulären Charakter des nationalistischen Denkens der Mitglieder der Kriegervereine. Die Arbeit wird deutlich machen, daß das Weltbild in sich Widersprüche aufweist, die den Zeitgenossen nicht deutlich wurden. So verherrlichten sie etwa gleichermaßen den 30 31
Eder, Geschichte als Lernprozeß?; Peukert, Grenzen der Sozialdisziplinierung. Von den Theorien wird ad hoc Gebrauch gemacht werden, soweit sie hilfreich erscheinen, weil eine systematische Darstellung den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Ein unbefangener Theoriegebrauch ist bei einer Arbeit, die methodisches Neuland betritt, nicht vermeidbar. »Es wird wahrscheinlich weniger >interdisziplinär< zugehen müssen, als vielmehr in kühnem Grenzgängertum« (Meier, Gespräch, S. 175).
32
Zur Verbindung von Geistesgeschichte und Mentalitäten-Geschichte bzw. historischer Anthropologie vgl. Schulin, Traditionskritik, S. 144—162; Le Goff, Mehrdeutige Geschichte, S. 30.
33
Vgl. z.B. die vorbildliche Untersuchung von Ginzburg über das Denken eines einfachen Mannes während der Renaissance, die eine »eindrucksvolle Ubereinstimmung zwischen den Überzeugungen eines unbekannten Müllers aus Friaul und denen der gebildetsten und informiertesten Gruppen von Intellektuellen seiner Zeit« vorfand (Ginzburg, D e r Käse und die Würmer,. S. 14). E r entdeckte allerdings auch zu viele Eigenständigkeiten, als daß man an der Uberzeugung, die Ideen der herrschenden Klasse seien die vorherrschenden Ideen, festhalten könnte.
34
Darum beschränkt sich diese Arbeit auf die Untersuchung der Landes-Kriegerverbände. Die Analyse der Vereinsstruktur erlaubt die soziale Zuordnung des Weltbildes; das Verhältnis von Denken und Handeln kann anhand des Vergleichs zwischen schriftlichen Äußerungen und Vereinspraxis diskutiert werden. Die Untersuchung der militärischen Lebenswelt ermöglicht, eine Verbindung zwischen Erfahrung und Denken herzustellen.
4. Charakterisierung der Epoche
23
starken Mann, der seine Meinung nie ändert, und den absoluten Gehorsam, forderten die Einheit aller staatstragenden Kräfte und waren unfähig, Kompromisse zu schließen, betonten ihre Friedfertigkeit, während sie den Krieg verherrlichten 35 . Anhand solcher Sachverhalte ist es natürlich möglich, von falschem Bewußtsein, Widersprüchlichkeit des Denkens oder irrationaler Lebenseinstellung zu sprechen. Aber eine solche Beurteilung bleibt an der Oberfläche. Ein umfassenderes Verständnis ergibt sich erst, wenn das Denken der Mitglieder der Kriegervereine in seiner eigenen Rationalität erfaßt wird. Dazu ist es nötig, neben der inhaltlichen Bestimmung des Weltbildes die Denkstrukturen zu beschreiben, die diese Überzeugungen als kohärent und überzeugend erscheinen ließen. Im kategorialen Rahmen der Entwicklungspsychologie von Kohlberg, die als Modell für die ontogenetische Entwicklung der Moral entstand, aber von ihm selber bereits zur Erklärung des moralischen Handelns von Soldaten im Vietnamkrieg benutzt wurde, soll die Struktur gesellschaftlicher, politischer und moralischer Meinungen beschrieben und in ihrer spezifischen Logik erfaßt werden.
4. Charakterisierung der Epoche Das 19. Jahrhundert wurde durch eine bis dahin unbekannte Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung geprägt, die mit den Begriffen Industrialisierung und gesellschaftliche Modernisierung gefaßt werden kann. Es ist hier nicht möglich, auf dieses komplexe Thema der gesellschaftlichen Veränderungen mit ihren psychischen Folgen näher einzugehen. Es sollen nur einige allgemein anerkannte Charakteristika der Zeit angedeutet werden, ohne die das Aufkommen der Kriegervereine und ihres nationalistischen Denkens unverständlich bleiben muß. Die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts veränderten die Lebensbedingungen der Bevölkerung radikal. Eine vielfach in überkommenen, stabilen Verhältnissen aufgewachsene Bevölkerung sah sich plötzlich mit völlig neuen Verhältnissen konfrontiert. Der kapitalistische Markt und ein anonymer Staatsapparat drangen auch in die letzten Nischen der Gesellschaft, zerstörten die traditionelle Ordnung und beeinflußten immer deutlicher das Leben jedes Bürgers. Die wirtschaftlichen Veränderungen bedingten auch die größte Wanderungsbewegung, die es in der deutschen Geschichte gegeben hat und führte zu einem schnellen Wachstum der Städte und Industriezentren 36 . Diese Veränderungen konnten im Rahmen überkommener Weltbilder und Uberzeugungen nicht mehr verarbeitet werden, wie sich beispielsweise im Rückgang des kirchlichen Einflusses und der geringeren Beteiligung weiter Bevölkerungskreise am kirchlichen Leben zeigt37. Oft wurde der Wandel als Befreiung und Eröffnung ungeahnter Möglichkeiten erfahren und führte zu einer weit verbreiteten Fortschrittsgläubigkeit. Aber der Zwang 35
Doerry, Ubergangsmenschen, arbeitet das Harmoniebedürfnis in Verbindung mit Aggression als Widerspruch heraus (S. 5 0 - 5 9 ) .
36
Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 17—27.
37
Greschat, Das Zeitalter, S. 12; Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 667 f.
24
I. Einleitung
zur sozialpsychologischen Umstellung löste auch Verwirrung, Desorientierung und Ängste aus, die von klarsichtigen Zeitgenossen als »Entfremdung« (Karl Marx), »Entzauberung« der Welt und Ausgeliefertsein an einen bürokratischen Apparat (Max Weber) und als »Unbehagen in der Kultur« (Sigmund Freud) diagnostiziert wurden. Dieses Krisenbewußtsein steigerte sich im Deutschen Kaiserreich durch wirtschaftliche Depressionen, die die Existenz unbeherrschter Wirtschaftszyklen demonstrierten 38 und durch den Zusammenbruch des europäischen Getreidemarktes 39 . Das schnelle Aufkommen und die weite Verbreitung des Vereinswesens, das zum Ort »bürgerlicher (und später auch proletarischer) Selbsttätigkeit im öffentlichen Bereich« wurde40, ist integraler Bestandteil der Modernisierung. Der Verfall der traditionellen, ständischen Sozialordnung schuf zum einen die rechtlichen Möglichkeiten zur Entstehung freier Assoziationen 41 , zum anderen resultierte aus der Vereinzelung des Individuums die Notwendigkeit für neue Formen sozialer Beziehungen 42 . Auch das Aufkommen des »politischen Glaubens« (Th. Nipperdey) muß in diesem Zusammenhang verstanden werden: die neue Ordnung zersetzte den traditionellen Glauben. Nationalismus und Militarismus schlössen für einen großen Teil der Bevölkerung dieses Sinndefizit und bedeuteten in der veränderten Welt eine notwendige Orientierungshilfe 43 .
5. Quellenmaterial Die vorliegende Studie basiert auf einer Auswertung der Zeitschriften, Jahresberichte und sonstiger Veröffentlichungen des Deutschen Kriegerbundes44 und des Badischen Militärvereins-Verbandes. Auch wurden Bücher, die in den Zeitschriften besonders empfohlen wurden oder auf denen die Artikel basierten, und Archivmaterial45 hinzugezogen46. Aus 38
Gall, Europa, S. 1 und 9f.; Wehler, Das deutsche Kaiserreich, S. 42; Doerry, Übergangsmenschen, S. 47.
39
Eine gute Ubersicht über die Belastungen der Modernisierung bietet Wehler, Zur Funktion, S. 114—119.
40
Nipperdey, Der Verein, S. 196.
41
Dann, Anfänge politischer Vereinsbildung, S. 201.
42
Vereine erfüllten eine Selbsthilfefunktion, indem sie kollektiv psychische und materielle Probleme angingen; sie versuchten gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen und spielten eine wichtige Rolle in der Gestaltung der während der Industrialisierung entstandenen Freizeit (Bühler, Freizeitvereine, S. 127—131).
43
»In der Epoche des politischen Glaubens gewinnt Nation so einen religiösen Zug, religiöse Prädikate — Ewigkeit und erfüllte Zukunft, Heiligkeit, Brüderlichkeit, Opfer, Martyrium — werden mit ihr verbunden. Das Religiöse wird im Nationalen säkularisiert, das Säkulare sakralisiert« (Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 300); vgl. auch Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1815—1845/49, S. 240; Fröhlich, Nationalismus; Gellner, Nations and Nationalism; Deutsch, Nationalism.
44
Der Vereinigung der Kriegervereine vor allem in Preußen und den angrenzenden Ländern.
45
Bei dem Quellennachweis von Akten steht die Zahl am Ende immer für die Nummer der Akte. D i e einzelnen Blätter der recht dünnen Akten waren kaum numeriert.
46
Diese Priorität bei der Wahl der Quellen ergibt sich aus dem Interesse am Vereinsleben »vor O r t « und an der Ideologie. Während die bisherigen Untersuchungen vorwiegend auf einer Auswertung von Geschäftsberichten und der Korrespondenz zwischen Vereinsleitung und Behörden, wie sie in den Staats- und Landesarchiven zu finden sind, basieren, beruht diese Untersuchung vor allem auf
5. Quellenmaterial
25
pragmatischen Gründen war die Konzentration auf zwei Landesverbände unumgänglich. Es wurden zwei möglichst gegensätzliche Verbände gewählt: Der Deutsche Kriegerbund wurde autoritär und zentralistisch geführt und übernahm bei der Politisierung des Kriegervereinswesens eine führende Rolle. Gleichzeitig traten dort scharfe Konflikte zwischen Vorstand und lokalen Vereinen auf. Im Unterschied dazu wahrte der Badische Militärvereins-Verband, wie alle süddeutschen Landesverbände, eine gewisse Autonomie gegenüber dem Kriegerbund. Die Politisierung vollzog sich langsamer, es wurde mehr Rücksicht auf die Wünsche und Bedürfnisse der einfachen Mitglieder genommen. Das Verhältnis zwischen Vorstand und Vereinen war entspannter, die Veröffentlichungen des Verbandes entsprachen stärker dem Geschmack der Leser und waren weit verbreitet. Ein Vergleich so unterschiedlicher Verbände soll regionale Besonderheiten des Kriegervereinswesens deutlich werden lassen. Gleichzeitig ist anzunehmen, daß die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Verbänden auch für das restliche Deutschland repräsentativ sind 47 . Zur Erfassung der zentralen Erfahrung für die Entstehung des Kriegervereinswesens wurden weiterhin autobiographische Schilderungen von Kriegserlebnissen einfacher Soldaten herangezogen. Eine quantitative Analyse erschien nicht als sinnvoll, weil Unterscheidungen wie zwischen Erfahrung und späterer Verarbeitung oder zwischen dem Verfasser eher peinlichen Details und Selbstglorifizierung nur bei einem hermeneutischen Verfahren angestrebt werden können 4 8 . Ein großer Teil der autobiographischen Schilderungen stammt nicht von »kleinen Leuten«, sondern von Mitgliedern des Bildungsbürgertums, die als einfache Soldaten Kriegsdienst geleistet haben. Während im folgenden selbstverständlich die Unterschiede zwischen den verschiedenen autobiographischen Erinnerungen aufgezeigt werden, erschien eine durchgängige Differenzierung nach sozialen Kriterien nicht als sinnvoll, weil die schichtenübergreifenden Gemeinsamkeiten der Erfahrungen, Erlebnisse und Verarbeieiner intensiven Auswertung aller überlieferten Verbandszeitschriften. In ihnen berichteten die Ortsvereine von ihren Festen und lokalen Aktivitäten, und die Spannungen im Vereinsleben und zwischen Verein und Verband fanden hier ihren Niederschlag. N e b e n den T h e m e n , die das Kriegervereinswesen im engeren Sinne betreffen, finden sich auch eine Fülle von Artikeln über Kriegserlebnisse, Erfahrungen in der Armee, Abhandlungen zu historischen Ereignissen, Tagesgeschehen und Politik, über Moralvorstellungen, Religion und den privaten Bereich. In diesen Artikeln, teilweise auch von den einfachen Mitgliedern verfaßt, spiegelt sich ein ganzes Weltbild. Die Verbandszeitung des »Deutschen Kriegerbundes«, die »Parole« (im folgenden mit P. abgekürzt) wurde untersucht, weil sie das größte Verbreitungsgebiet hatte und den weitesten Themenbereich behandelte. Auch hatte sie bei der Politisierung des Verbandes eine Vorreiterposition. A l s Kontrast zur »Parole« wurde das »Badische Militärvereinsblatt« (im folgenden mit B. abgekürzt) herangezogen, das von jedem 3. Mitglied des Verbandes bezogen wurde. Es war eine populäre und weit verbreitete Lektüre, die dem Lesebedürfnis der Mitglieder entsprach. 47 48
H a u m a n n , Alltagsgeschichte, S. 405. Zur quantitativen Methode vgl. Vovelle, Serielle Geschichte, und Best/Schröder, Sozialforschung. Eine recht gelungene vorwiegend quantitative Untersuchung der Kriegserfahrung ist T h e American Soldier. Zur Notwendigkeit des »Verstehens« in der Geschichtswissenschaft vgl. M o m m s e n , W., Wandlungen; allgemein H a b e r m a s , Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns, I, S. 152—224. D i e Entscheidung für eine qualitative Methode macht es m a n c h m a l schwierig, das häufige Auftreten zentraler A s p e k t e zu belegen, dafür ist es aber möglich, N u a n c e n besser herauszuarbeiten.
26
I. Einleitung
tungen der Kriege deutlich überwogen. Zitate von bürgerlichen Verfassern wurden verallgemeinernd verwandt, wenn sie Gedanken und Gefühle, die auch in den Erinnerungen der »kleinen Leute« häufig geäußert wurden, expliziter, differenzierter und eloquenter zum Ausdruck brachten. Die Untersuchung enthält viele Quellenzitate, da Inhalt und Ausdrucksweise oft nicht voneinander zu trennen sind. Die originale Wiedergabe will dem Leser einen unmittelbaren Eindruck vom Denken und Fühlen der »Krieger« vermitteln. Die Orthographie der älteren Zitate wurde allerdings, soweit der Sinn sich dadurch nicht veränderte, der modernen Schreibweise angepaßt. Wenn nicht ausdrücklich erwähnt, entsprechen Hervorhebungen dem Orginal.
II. Das Kriegervereinswesen
1. Die Entwicklung der Kriegervereine Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurden Zusammenschlüsse von ehemaligen Soldaten, die es vorher nur als Berufsorganisationen gegeben hatte, zu gesellschaftlich einflußreichen Erscheinungen, die weit in das zivile Leben hineinreichten. In Preußen wurden die ersten Krieger- und Militärvereine nach den Befreiungskriegen 1813/15 gegründet. Sie bestanden nur aus Kriegsveteranen und hatten die Aufgabe, ihren Mitgliedern ein ehrenvolles Begräbnis zu sichern 1 . Doch erst nach den Einigungskriegen und der Reichsgründung gewann das Kriegervereinswesen in Deutschland den »Charakter einer allgemeinen Volksbewegung«2. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm die Zahl der Mitglieder, die später neben den Veteranen der Kriege auch Reservisten umfaßten, ständig zu, bis sie fast die Dreimillionengrenze erreichte 3 . a) Die Einigung des Kriegervereinswesens In allen Teilen Deutschlands entstanden regionale Vereine, die die Erinnerung an die Kriege wachhielten, bedürftige Kameraden und deren Hinterbliebene unterstützten und verstorbene Vereinsmitglieder mit militärischen Ehren zu Grabe trugen. Während viele Vereine selbständig blieben, befürworteten andere überregionale Kontakte und Zusammenschlüsse. Ostern 1873 wurde in Preußen der »Deutsche Kriegerbund« gegründet, der danach strebte, die Dachorganisation aller Kriegervereine des Reiches zu werden4. In Konkurrenz zu diesem Verband, der zentral Unterstützungs- und Sterbekassen verwaltete, entstand in Preußen auch die stärker föderativ organisierte »Allgemeine Kriegerkameradschaft«, die allerdings 1884 im Deutschen Kriegerbund aufging5. Der eigent-
1
Schulz-Luckau, Soldatentum, S. 17. Während der Revolution 1848/49 traten Kriegervereine auf, die von der Nationalversammlung forderten, sie möge sich für die Stärkung der Krone und die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung einsetzen. Der Veteranen-Hauptverein für Schlesien behauptete, 5 3 4 4 Mitglieder zu haben (Schwentker, Konservative Vereine, S. 86).
2
Westphal, Das deutsche Kriegervereinswesen, S. 4. In Südbaden lassen sich in nur 3 von 30 untersuchten Orten vor 1870 Militär-Vereine nachweisen [Staatsarchiv (im folgenden STA) Freiburg, Bezirksamt (im folgenden BA) Bühl 387 und 502; Gemeindearchiv (im folgenden GA) Kappelrodeck 331 XI/3].
3
Zur Sekundärliteratur über das Kriegervereinswesen vgl. Anm. 10 in der Einleitung.
4
Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens, S. 17 f.
5
Die »Allgemeine Kriegerkameradschaft« hieß zunächst »Kartellverband« und am Ende »Deutscher Kriegerverband«. An dem Kartellbündnis waren anfangs auch die süddeutschen Landesverbände interessiert (Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens, S. 18, Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, Geschäftsjahr 1895, S. 8—10). Der Badische Militärvereins-Verband verhielt sich gegenüber beiden Verbänden neutral. Erst nach Uberwindung der Spaltung wollte er sich einem nationalen Verband anschließen [Generallandesarchiv (im folgenden GLA) Karlsruhe 60/1555].
II. Das Kriegervereinswesen
28
liehe Widerstand gegen einen reichsweiten Verband ging jedoch von den mittel- und süddeutschen Ländern aus. In allen bedeutenden Bundesstaaten entstanden bis 1880 unter dem Protektorat der jeweiligen Landesherrn Verbände, die größten Wert auf ihre Unabhängigkeit legten. Zwar traten auch in Süddeutschland Vereine dem Deutschen Kriegerbund bei, doch im allgemeinen verhinderten die Landesverbände mit Erfolg die Ausbreitung der zentralen Institution in ihrem Gebiet 6 . Anfangs umfaßten die Landesverbände nur einen geringen Teil aller Krieger- und Militärvereine. Der Badische Militärvereins-Verband wurde beispielsweise im September 1873 von 10 Vereinen in Karlsruhe gegründet7 und umfaßte im September 1875 ein Achtel der badischen Kriegervereine8, der Deutsche Kriegerbund bestand aus 241 Vereinen mit etwa 28000 Mitgliedern. Noch 1892 waren nur 62 Prozent der preußischen Kriegervereine Mitglied im Deutschen Kriegerbund, während die sogenannten Sondervereine oder »wilden« Vereine, die keine enge Vereinigung anstrebten, 38 Prozent ausmachten. Ihnen genügte ihr eigenes Vereinsleben und informelle Kontakte mit den Kriegervereinen der Region 9 . Vor allem die Spezialvereine bestimmter Waffengattungen wie Kavallerie- oder Marinevereine, die noch 1902 7 Prozent der preußischen Kriegervereine ausmachten 10 , pflegten ihre eigene Tradition11. Doch von staatlicher Seite wurde der Zusammenschluß der Vereine in größere Verbände stark protegiert; der Kaiser drückte persönlich den Wunsch aus, daß alle Kriegervereine in den Landesverbänden organisiert sein sollten 12 . Nur sie bekamen staatlich anerkannte Fahnen und Vereinsabzeichen und durften an offiziellen Paraden und Feiern teilnehmen 13 . Der Wunsch, sich in solcher Weise öffentlich zu präsentieren, war so mächtig, daß sich mit der Zeit die überwältigende Mehrheit der Ortsvereine den Landesverbänden anschlössen14. Doch auch weiterhin mußte der Vorstand des Deutschen Kriegerbundes auf regionale Besonderheiten und Animositäten Rücksicht nehmen. So nahmen auf den Abgeordnetentagen vor allem Rheinland und Westfalen bei allen Abstimmungen eine besonders kritische Haltung dem Vorstand gegenüber ein. Ein deutliches Indiz dafür, daß solche Konfrontationen weniger auf grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten als vielmehr 6 7
Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens. 17 Vereine waren bei der Gründerversammlung anwesend, nur 10 wurden Mitglied (»Bericht über die Entwicklung und das Wirken des am 7. September 1873 gegründeten Verbandes der badischen Militärvereine in der Zeit vom 7. September 1873 bis 23. September 1874«, in: G L A Karlsruhe 59/1269. Vgl. auch Der Badische Militärvereins-Verband. Ein Handbuch, S. 14f.).
8
»Bericht über die Entwicklung und das Wirken des am 7. September 1873 gegründeten Verbandes der badischen Militärvereine in der Zeit vom 23. September 1874 bis 31. August 1875«, in: G L A Karlsruhe 5 9 / 1 2 6 9 .
' Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, Geschäftsjahr 1896, S. 7, Geschäftsjahr 1898, S. 8f. Für Baden vgl. B. 37, 1 6 . 9 . 1 8 9 8 , S. 315f. 10
Geschäftsbericht des Kyffhäuserbundes, 1902, S. 36. Die Marinevereine organisierten sich zwischenzeitlich in einem eigenen Verband.
11
Viele Spezialvereine entstanden aus priviligierten Waffengattungen und Regimentern wie Kavallerie
12
Geschäftsbericht des Kyffhäuserbundes, 1901, S. 21 f.
13
Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 52—57 und S. 65; Westphal, Handbuch, S. 78—85 und 102.
14
Geschäftsbericht des Deut. Kriegerbundes 1898, S. 8 f.
und Garde. Sie waren oft exklusiv und pflegten einen größeren Aufwand (P. 43, 2 2 . 1 0 . 1 8 9 7 , S. 698).
1. Die Entwicklung der Kriegervereine
29
auf partikularistischen Gefühlen beruhten, ist folgender Zwischenfall: Nach einem kläglich gescheiterten Attentat auf Wilhelm II. in Bremen, das in der Presse kaum Beachtung fand, betonte der damalige Vorsitzende des Deutschen Kriegerbundes, v. Spitz, die politische Bedeutung dieses Mordversuchs, der durch die Irrlehren von Staatsfeinden verursacht worden sei. D e r dortige Kriegerverband aber sah in der Erwähnung des Namens seiner Stadt im Zusammenhang mit dem Attentat einen Angriff auf Bremen und veröffentlichte in den Tageszeitungen eine scharfe Erklärung gegen v. Spitz. Die Wogen der Empörung wallten so hoch, daß auch eine Klarstellung, es sei kein Affront gegen Bremen intendiert worden, nicht half. Ein großer Teil der Bremer Vereine verließ den Kriegerbund und gründete einen eigenen Verband 15 . Aus ordnungspolitischen Gründen hatte auch die preußische Regierung Interesse an einer Vereinigung des Kriegervereinswesens. Nach den Attentaten auf Wilhelm I. am Vorabend der Sozialistengesetze beschloß das Kriegsministerium mit Zustimmung Bismarcks zum Schutze des »Geistes der Wehrpflichtigen«, die Kriegervereine »durch Einigung in eine zuverlässige und feste Hand der Kontrolle der Regierung noch schärfer als bisher zu unterstellen 16 «. Der vom preußischen Kriegsministerium beauftragte badische General z. D. Glümer sollte eine Vereinigung der Landeskriegerverbände herbeiführen. Als »Belohnung« wurde das Oberprotektorat des Kaisers über alle Landesverbände in Aussicht gestellt. D e r Plan scheiterte jedoch am Widerstand des bayrischen und württembergischen Landesverbandes 17 . Grund für das Scheitern der Einigungsbemühungen war die Weigerung des Deutschen Kriegerbundes, sich in seiner Ausdehnung auf Preußen zu beschränken 1 8 . Als sich der Deutsche Kriegerbund 1891 endlich von den Vereinen in Sachsen und Süddeutschland trennte 1 9 und schließlich sogar einen eigenen Preußischen Landeskriegerverband gründete, hatte »die Kampfzeit des Deutschen Kriegervereinswesens [...] ihr Ende erreicht 20 «. 15
Geschäftsbericht des Deut. Kriegerbundes 1901, S. 21 f., 1906, S. 46.
16
Kameke an das württem. Departement für Kriegswesen 3 1 . 7 . 1 8 7 8 , Secret, H S t A Stuttgart, Württ. Kr.M., Abt. A „ Bd 936.
17
H ö h n , Der Einsatz, S. 386. Der Separatismus scheint auch von den Mitgliedern mitgetragen worden zu sein. Für Bayern wurde festgestellt, daß der dortige Monarchenkult noch lange den Kaiserkult an Intensität übertraf (Blessing, Der monarchische Kult). In Württemberg konnte der König stets mehr Vereinsmitglieder mobilisieren als der Kaiser (Mauch, Festschrift, S. 14f., 26 und 28).
18
1. Geschäftsbericht des Kyffhäuserbundes 1900, S. 6. Noch 1885 erklärte der Deutsche Kriegerbund die Umwandlung in einen Preußischen Landesverband für unmöglich (Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens, S. 26). Selbst Bismarck kritisierte den Deutschen Kriegerbund deswegen: »Instead of the Bavarian example being imitated in Prussia, the attempt was made to absorb the Bavarian associations through a general Reich organisation. The activity of the Prussian Veterans' Associations [Deutscher Kriegerbund] directed itself less against the socialist, progressive and clerical agitation in Prussia, than against the other federal states. It had less a governmental or conservative than a unitary color, calling forth, in Bismarck's words, >a particularist reaction» against Prussia and the Reich« (Ellis, Army, S. 171).
19
Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, Geschäftsjahr 1895, S. 12. Die kleinen norddeutschen Staaten blieben allerdings Mitglied im Deutschen Kriegerbund.
20
Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens, S. 30. Diese Entwicklung vollzog sich von 1886 bis 1891, die Gründung eines preuß. Landesverbandes wurde erst 1897 nach heftiger Debatte beschlossen (P. 26, 2 5 . 6 . 1 8 9 7 , S. 413ff.).
30
II. Das Kriegervereinswesen
Auf Initiative des Deutschen Kriegerbundes entschlossen sich alle Landeskriegerverbände, zu Ehren des verstorbenen Kaiser Wilhelms I. gemeinsam auf dem Kyffhäuserberg in Thüringen ein Denkmal zu errichten. Zur Bauführung und Verwaltung des Denkmals wurde ein Gremium gebildet, dem alle Landesverbände angehörten. Seine Zweckbestimmung wurde 1897 grundlegend erweitert: »Unbeschadet der vollen Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Landes-Kriegerverbände können zum Gegenstande der Beratung des Kyffhäuser-Ausschusses auch andere, die allgemeinen Interessen des Deutschen Kriegervereinswesens berührende Fragen gemacht werden, welche mit dem Denkmal und dessen Verwaltung nicht unmittelbar zusammenhängen 2 1 .«
Damit war eine Instanz geschaffen, die gemeinsame Erklärungen für alle Kriegervereine verabschieden konnte. Aus dem Ständigen Kyffhäuser-Ausschuß ging 1899 nach kurzem Widerstand des badischen Landesverbandes22 der Kyffhäuserbund der Deutschen Landes-Kriegerverbände hervor. Jedem Landesverband standen in der Vertreterversammlung so viele Stimmen zu, wie sie seine Regierung im Bundesrat hatte. Im Kyffhäuserbund konnten alle allgemeinen Fragen, die das Kriegervereinswesen betrafen, verhandelt werden, die Entschlüsse waren allerdings nicht bindend. Das föderative Prinzip hatte sich also durchgesetzt: Die Landesverbände bewahrten ihre Selbständigkeit, aber es gab nun eine zentrale Dachorganisation, in der gemeinsame Resolutionen verabschiedet werden konnten 23 . Seit 1899 hatte das Kriegervereinswesen damit seine endgültige organisatorische Form gefunden. b) Die innere Struktur der Landesverbände Die wichtigsten Funktionen der Landesverbände wurden nicht zentralisiert. Die Landesverbände bewahrten ihr unabhängiges Unterstützungswesen und gaben ihre eigene Verbands-Zeitschrift heraus. In Baden führten die Ortsvereine, die einen Mitgliedsbeitrag zwischen 20 und 50 Pf. im Monat erhoben 24 , pro Mitglied 20, seit 1909 25 Pfennig im Jahr an den Verband ab. Weitere Einnahmen kamen dem Landesverband durch Sammlungen, Veranstaltungen von Lotterien, Vorzugsverträgen mit Versicherungen usw. zu 25 . Die Gesamtsumme fand zu gleichen Teilen für Verwaltungstätigkeit und für das zentrale Unterstützungswesen Verwendung. Die Unterstützungskasse des Landesverbandes, die notleidenden Kameraden, Kriegsinvaliden und deren Familienangehörigen Hil21
Beschluß des Ständigen Kyffhäuser-Ausschusses, zitiert in: Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens, S. 9.
22
In einem Schreiben des großherzoglichen Geheimen Kabinetts Hugo v. Babo an den Vorsitzenden des Badischen Militärvereinsverbandes Röder v. Diersburg vom 2 1 . 1 0 . 1 8 9 9 ( G L A 6 0 / 1 7 0 2 ) drückte dieser seine Angst vor zu starkem preußischen Einfluß aus. Stärker noch war der Widerstand des Präsidenten Röder von Diersburg, der nur durch eine Intervention des Großherzogs überwunden werden konnte (Ellis, Army, S. 191).
23 24
Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens, S. 9 f. STA Freiburg Landratsamt (im folgenden L R A ) Lörrach 2153, 1928, 1887, 2583, 2688, 2763, 1860; L R A Emmendingen 1759, 3129, 2572; L R A Lahr 2553, 2555, 2556, 2557, 3002, 3973; L K K 4845; B A Konstanz 2181, 2183, 2184, 2185, 2186, 2187, 2188, 2189, 2190; BA Bühl 387.
25
Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 93—108.
1. Die Entwicklung der Kriegervereine
31
fe gewährte, galt als Ergänzung der regionalen Hilfe. N u r wenn ein Mitglied vorher vom eigenen Verein Unterstützung erhalten hatte, konnte er Landeshilfe beantragen 26 . So gewann die zentrale Unterstützung zwar an Bedeutung, doch hatte die Hilfe auf regionaler Ebene noch im 20. Jahrhundert den vierfachen Umfang 27 . In den wenigen Fällen, wo die Höhe der regionalen Unterstützung bekannt ist, betrug sie etwa vier Mark in der Woche und währte drei Monate 28 . Einige Vereine zahlten auch eine einmalige Hilfe an die Hinterbliebenen verstorbener Vereinskameraden 29 . Die Verbandszeitung »Das Badische Militärvereinsblatt«, seit 1874 vom Vorstand herausgegeben 30 , enthielt neben allgemeinen Berichten die Verbandsnachrichten. Jeder Verein war verpflichtet, seinen Jahresbericht darin zu veröffentlichen. Etwa jedes dritte Mitglied hatte die Zeitschrift abonniert 31 . Auch der Deutsche Kriegerbund versuchte in seiner Gründungsphase eine zentrale Unterstützungskasse einzurichten, doch wurde das Vorhaben aufgegeben, um mit geringen Beiträgen besser gegen die Konkurrenz, die Deutsche Krieger-Kameradschaft, bestehen zu können 32 . Der obligatorische Jahresbeitrag reduzierte sich auf zwei Pfennig pro Mitglied, die Zugehörigkeit bei der zentralen Unterstützungskasse blieb freiwillig und beschränkte sich bis zur Jahrhundertwende auf etwa 40 % der Mitglieder 33 . Zur Steigerung der sozialen Bedeutung des Kriegervereinswesens und zur Zentralisierung des Bundes strebte der Vorstand seit 1898 an, die Unterstützungskasse für alle Mitglieder obligatorisch zu machen und die Beiträge zu erhöhen, aber er scheiterte am zähen Widerstand des Abgeordnetentages. Zwar äußerten die Abgeordneten in der Diskussion keinen Widerspruch, aber bei den wiederholten Abstimmungen erreichten die vorgeschlagenen Veränderungen keine Mehrheit. Erst 1901 wurde der Beschluß gefaßt, für neu beitretende Vereine die Unterstützungskasse obligatorisch zu machen 34 , und 1906 wurde die Beitrags26 27
28
29
30 31
32 33
34
B. 11, 1.11.77, S. 6 5 - 6 7 ; B29, 16.7.1909, S.258f. Summe der Leistungen: Jahr Verband Verein Zusammen 1890 5 029 46 211 51 240 1905 43 161 164 798 208 830 (Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 144f.). STA Freiburg L R A Lörrach 1833, 2688, 2763, 1860, L R A E M 1759. In einem Fall währte die Unterstützung nur 60 Tage (BA Konstanz 2188). STA Freiburg BA Konstanz 2188, 2189; Registergericht 1984/54. In zwei Fällen betrug die Höhe der Unterstützung 50 Mark, im dritten 250 Mark. Die Bedeutung der lokalen Unterstützung ergibt sich auch daraus, daß einige Vereine von neuen Mitgliedern ein Gesundheitszeugnis verlangten, von älteren Mitgliedern höhere Aufnahmegebühren verlangten oder nur jüngere Mitglieder in die Unterstützungskasse aufnahmen (STA Freiburg L R A Lörrach 1887, L R A E m 1759, L R A Lahr 2553, LRA Konstanz 2181). Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 104—106. Das von jedem Verein zu bestellende Pflichtexemplar kostete 3 Mark, ab 1904 4 Mark, Einzelbestellungen kosteten 1 Mark im Jahr. Auflage 1902 28500, 1905 40000, 1910 42000, 1913 45500 (B. 29, 15.7.1904, S. 2 4 6 - 2 4 9 ; B. 30, 25.7.1902, S. 2 4 7 - 2 5 1 ; B. 25, 16.6.1905, S. 2 1 1 - 2 1 3 ; B. 30, 22.7.1914, S. 279-282). Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, 1901 f., S. 4. Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, 1899f. Vgl. auch P. 28, 11.7.1902, S. 434ff.; P. 22, 27.5.98, S. 342; P. 5, 1.2.1901, S.66f. P. 30, 26.7.1901, S. 4 8 1 - 4 8 4 .
32
II. Das Kriegervereinswesen
erhöhung endlich durchgesetzt: jedes Mitglied zahlte von nun an 28 Pfennig Jahresbeitrag, wovon 17 Pfennig an das Unterstützungswesen gingen. D e r Beitrag zum Unterstützungswesen konnte entweder an die Bundeskasse oder an eine lokale Kasse gezahlt werden, eine erhebliche Konzession an die partikularistischen Gefühle der Mitglieder 35 . Wie in Baden, so kam auch im Deutschen Kriegerbund zu den Mitgliedsbeiträgen der Erlös aus Lotterien, Sammlungen, Vorzugsverträgen mit Versicherungen und dem Verkauf der Vereinspublikationen als Einnahmen hinzu 3 6 . Die gleiche Distanz der Mitglieder zu den Angeboten des Kriegerbundes im Unterstützungswesen zeigte sich auch bei den Vereinspublikationen. D i e Verbandszeitung »Die Parole« erschien einmal, seit 1903 zweimal in der Woche. Sie war weniger beliebt als die Zeitungen der anderen Landes-Kriegerverbände und wurde nur von drei Prozent der Mitglieder bestellt 37 . Auch der 1899 unternommene Versuch, eine Tageszeitung mit dem Titel »Feldpost« herauszugeben, scheiterte nach zwei Jahren an mangelnder Nachfrage. N u r das »Jahrbuch des Deutschen Kriegerbundes 38 « und die Zeitschrift »Der Kriegervereinsvorstand«, die die Vorsitzenden der örtlichen Verbände mit Material für Reden versorgte, waren erfolgreich 39 . D i e massive Indoktrination in den Publikationen des Deutschen Kriegerbundes — viel aufdringlicher als z. B. im Badischen Militärvereinsblatt — machten sie unpopulär 4 0 . Die Landesverbände waren verschieden organisiert. In Baden waren die Krieger- und Militärvereine in 55 Gauverbänden zusammengefaßt, die etwa der Einteilung der Regierungsbezirke entsprachen. Jeder Gauverband hatte eine eigene Satzung und hielt alle zwei Jahre eine Abgeordnetenversammlung ab. E r sollte die Verbindung zwischen dem örtlichen Kriegerverein und dem Landesvorstand gewährleisten 41 . In Norddeutschland entstanden die überregionalen Zusammenschlüsse nicht als Folge einer zentralen Planung, sondern eher zufällig durch persönliche Kontakte zwischen örtlichen Vereinen. Die vorhandenen Verbindungen orientierten sich darum nicht an den 35
Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, 1905f., S. 3 f. Sogar diese moderate Vereinbarung führte dazu, daß 76 Vereine mit 8 6 8 3 Mitgliedern — besonders aus dem Rheinland und Westfalen — unter Protest aus dem Bund austraten.
M 37
Westphal, Handbuch, S. 125—160 und 170f. Geschäftsbericht d. Deut. Kriegerbundes, 1891, S. 40—42; 1898, S. 33f.; 1908f., S. 19; 1910f., S. 40. Während der zwei Jahre, in der das Kriegervereinswesen auch eine Tageszeitung herausbrachte, sank das Verhältnis sogar auf 2 % (Geschäftsjahr 1896, S. 32). »In Württemberg kommt auf je 3, in Baden auf je 4 Kameraden ein Exemplar. In Bayern aber kommt erst auf je 31, in Sachsen auf je 41 und im Verbreitungsgebiet unserer Parole, im Deutschen Kriegerbund, gar erst auf je 55 Kameraden ein Exemplar« (P. 103, 2 3 . 1 2 . 1 9 0 3 , S. 1026; vgl. auch P. 11, 10.2.1909, S. 101).
38
1891 betrug die Auflage 179700; 1899 453416; 1910 7 4 1 7 7 6 (Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes, 1891, S. 4 0 - 4 2 , 1898, S. 3 3 f . ; 1908f., S. 19; 1910f., S. 40).
39
»Der Kriegervereinsvorstand« erschien seit 1906 und erreichte vor dem Krieg eine Aufl. von 6436 (Geschäftsbericht des Deut. Kriegerbundes, 1905f., S. 25f.; 1912f., S. 26f.).
40
Auch die Badische Verbandszeitung begann nach der Jahrhundertwende, tagespolitische Artikel, besonders gegen die Sozialdemokratie, zu veröffentlichen. Sie folgte dann aber der Forderung des Abgeordnetentages, lieber allgemein über Vaterlandsliebe, Pflichttreue und Tapferkeit zu schreiben (B. 29, 19.7.1907). Die Auflageziffern zeigen, daß diese Themen auf bessere Resonanz stießen.
41
Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 28—35.
1. Die Entwicklung der Kriegervereine
33
Regierungsbezirken und konnten nur wenige Verwaltungsaufgaben übernehmen. Jede Anfrage mußte direkt nach Berlin geschickt werden. Der Vorstand strebte darum Anfang der 90er Jahre eine große Gebietsreform an. Die Struktur des Kriegerbundes sollte in Zukunft den Verwaltungseinheiten angepaßt und alle Kriegervereine eines Regierungskreises in einer Unterorganisation zusammengefaßt werden. Die Reform hatte unbestreitbar praktische Vorteile. Sie wollte den Vorstand entlasten, indem die Zwischeninstanz über Unterstützungsanträge u.ä. entschied und den Kontakt mit den Kreisbehörden erleichterte 42 . Die Reform sollte aber zugleich den Polizeibehörden die Überwachung der Ortsvereine erleichtern, um eine sozialdemokratische »Unterwanderung« der Vereine zu verhindern 43 . Der Plan war bei den Mitgliedern nicht populär. Sie befürchteten, daß alte Kontakte zwischen den Vereinen gefährdet und zerstört würden. Schließlich akzeptierte der Abgeordnetentag einen Kompromiß, wonach die Kreisreform im Prinzip durchgeführt werden sollte, vom Landesverband jedoch auf keinen Verein Zwang ausgeübt werden dürfe44. Die Neuordnung setzte sich langsam durch, war aber 1898 noch nicht abgeschlossen45. Alle Landeskriegerverbände waren mit dem Abgeordnetentag als oberstem Gremium demokratisch aufgebaut. Im Deutschen Kriegerbund entschied er über alle Angelegenheiten des Landesverbandes und wählte den Vorstand46. Allerdings besaß der König von Preußen als Protektor bei Satzungsänderungen ein Vetorecht47. Auch in Baden kam dem Abgeordnetentag die legislative Entscheidungsgewalt zu, doch waren bei der Wahl des Vorstandes seine Rechte eingeschränkt. Der Großherzog hatte 1880 das Protektorat nur unter der Bedingung übernommen, den Vorsitzenden selbst bestimmen zu dürfen und die Ernennung des Präsidiums und der Gauverbände von seiner Bestätigung abhängig zu machen. Diese Satzungsänderung, deren Intention die Kontrolle der politischen Ausrichtung des Verbandes durch Regierung und Großherzog war 48 , akzeptierte der Abgeordnetentag einstimmig und diskussionslos. Er gab also freiwillig und vorbehaltlos eigene Rechte auf 49 . Die Regelung stellte sich mit der Zeit als überflüssig heraus. Der Ver42 43 44 45
46 47 48
49
P. 43, 2 1 . 1 0 . 1 8 9 2 , S. 734f.; P. 26, 24.6.92, S. 455f. Westphal, Das deutsche Kriegervereinswesen, S. 10. P. 26, 24.6.92, S. 455f.; P. 42, 1 4 . 1 0 . 1 8 9 2 , S. 7 1 7 f . Geschäftsbericht des Kriegerbundes. 1898, S. 6. Hier wird auch erstmals die Angst vor behördlichen Ubergriffen als Hemmschuh der Kreisreform angesprochen. Westphal, Handbuch, S. 167 f. P. 36, 8 . 5 . 1 9 1 0 , S. 350. So meinte Badens Innenminister Franz v. Stösser in einem Memorandum, das Kriegervereinswesen sei eine positive Erscheinung, müsse aber wegen möglicher politischer Entwicklungen kontrolliert werden. Die Führer der Kriegervereine dürften keine ultramontanen Katholiken sein, und der Großherzog solle das Protektorat übernehmen (GLA 223/13782, 6.5.1879). In einem Brief äußerte Stösser auch die Meinung, das Protektorat sei zur politischen Kontrolle sowie zur Steigerung der Attraktivität des Landesverbandes unbedingt nötig (Schreiben an v. Ungern-Sternberg vom 22.6.1880, GLA 60/1649, abgedruckt in: Kremer, Krieger- und Militärvereine, Fußnote 24). 1. Satzung des Bad. Militärvereins-Verbandes G L A Karlsruhe 60/1649; 2. Satzung G L A Karlsruhe 60/1650. Erläuterungen Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 20 und 23. Zur Abstimmung über die Änderung B. 7, 15.7.1880; B. 9, 10.9.1880, S . 4 2 f .
34
II. Das Kriegervereinswesen
band wurde immer in einer Weise geführt, die der Regierung genehm war, und der Großherzog mußte von seinen Rechten keinen Gebrauch machen 50 . Die »fast demokratische Grundlage« des Kriegervereinswesens51, die in bisherigen Untersuchungen als rein formal abgetan wurde, stand nicht nur auf dem Papier. Auch wenn der Vorstand im Laufe der Zeit an Eigengewicht gewann und seine Uberzeugungen auf den Abgeordnetentagen massiv einbrachte, konnte er doch keineswegs eigenmächtig regieren. So scheiterten wiederholt unpopuläre Anträge wie die oben erwähnten Bezirksreform oder Beitragserhöhungen im Deutschen Kriegerbund und konnten nur in abgeschwächter Form durchgesetzt werden, und in Baden mußte das Präsidium bei einer Debatte über die politische Stellungnahme bei der Reichstagswahl 1907 einen Verweis des Abgeordnetentages hinnehmen und respektieren52. Wenn bei diesen Veränderungen, die der Vorstand mit aller Kraft förderte, die Meinung des Abgeordnetentages nicht übergangen werden konnte, ist umgekehrt davon auszugehen, daß die gesamte Entwicklung des Verbandes von den Mitgliedern zumindest toleriert wurde. Der Vorstand war zwar einflußreich und brachte seine Initiativen zur Entwicklung des Kriegervereinswesens ein, aber er konnte nicht über die Köpfe der Mitglieder hinweg entscheiden. Die Sozialstruktur der Kriegervereine ist zwar noch nicht hinreichend erforscht, doch stimmen die Meinungen der Zeitgenossen mit den wenigen statistischen Angaben darin überein, daß vorwiegend Arbeiter, Landarbeiter und Kleinbürger in ihnen vertreten waren. In der Regel ging die Gründung von ehemaligen einfachen Soldaten aus: »Wackere Arbeiter, angesehene Handwerksmeister, untere und mittlere Beamte [...] stellten sich an ihre Spitze 53 .« Zwar forderten die Landesregierungen ihre Beamten und Offiziere des Beurlaubtenstandes dazu auf, einem Kriegerverein beizutreten, um deren politische Zuverlässigkeit zu sichern 54 , aber das wohlhabendere Bürgertum bevorzugte Schützen-, Kasinooder Museumsvereine, die ihre Exklusivität durch hohe Eintrittsgelder und strenge Selektion bei der Aufnahme von Mitgliedern sicherten. Dagegen war der Beitritt in einen Kriegerverein für jeden Reservisten erschwinglich55. Eine Statistik des Deutschen Kriegerbundes von 1911 besagt, daß 28,8% der Mitglieder Landarbeiter und kleine Landbesitzer, 27,8% gewerbliche Arbeiter, 24,9% Gewerbetreibende und Handwerker und 18,5% Beamte und Angestellte waren56. Auch eine regionale Studie der deutschen Westprovinzen kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Adel, Akademiker, Landwirte und Angestellte 50
Die Kriterien des Großherzogs und der Regierung für die Wahl eines Präsidenten waren seine soziale Position, seine Persönlichkeit und die Achtung, die er im Verband genoß ( G L A 60/1682, 17.1.1889). Die Wahl des Vorsitzenden war nie kontrovers, die Präsidien wurden stets bestätigt.
51
P. 9, 1 . 3 . 1 8 9 5 , S. 139.
52
Siehe S. 48.
53
Westphal, Kriegervereine gegen Sozialdemokratie, S. 8.
54
Saul, Der »Deutsche Kriegerbund«, S. 101; H ö h n , Der Einsatz, S. 437 f. und 440.
55
H ö h n , Der Einsatz, S. 461. Der Verbandsbeitrag betrug in Baden zunächst 20, dann 25 Pf. im Jahr (B. 29, 16.7.1909, S. 258f.), in Württemberg 30 Pf.; in Preußen betrug der Jahresbeitrag zunächst nur 2 Pf. im Jahr, später wurde er nach 4jähriger Auseinandersetzung auf 28 Pf. und dann auf 60 Pf. erhöht (Geschäftsberichte des Deut. Kriegerbundes, 1896, S. 9 - 1 2 ; 1901f., S. 4ff.; 1905f., S. 3f.; 1912f., S. 3ff.).
56
P. 37, 7 . 5 . 1 9 1 3 , S. 993.
1. Die Entwicklung der Kriegervereine
35
waren unterrepräsentiert. Mit Ausnahme der Landwirte, die sich insgesamt im 19. Jahrhundert wegen Mangel an Freizeit nur wenig am Vereinswesen beteiligen konnten 57 , waren es vorwiegend die materiell besser gestellten »höheren Schichten«, die sich von den Kriegervereinen fernhielten. Auch in den Westprovinzen machten hauptsächlich Handel- und Gewerbetreibende, die untere Beamtenschaft, das Handwerk und Arbeiter, häufig mit einem bescheidenen Besitz, die Mitgliedschaft der Kriegervereine aus. Von örtlichen Kriegervereinen ist die Sozialstruktur nur in Ausnahmefällen bekannt. In Industriestädten wie Magdeburg und Gelsenkirchen gab es Kriegervereine, in denen über 75 Prozent der Mitglieder Arbeiter waren, in den übrigen Vereinen lag der Anteil der Arbeiterschaft mindestens bei etwa 30 Prozent. Kleine Beamte und Handwerker waren häufig vertreten, während Akademiker, Offiziere und Unternehmer auch hier stark unterrepräsentiert waren 58 . Alle Aussagen über die Sozialstruktur der Kriegervereine müssen vage bleiben, weil bei vielen Berufsgruppen wie Bauern, Handwerkern, Gewerbetreibenden und Angestellten nicht auf die materielle Stellung geschlossen werden kann. Es sind Berufe, in denen einige nicht besser gestellt waren als Arbeiter, andere hingegen durchaus eine bürgerliche Existenz führten 59 . Aber die vorhandenen statistischen Angaben erhärten doch die Vermutung, daß während der gesamten Kaiserzeit kleinbürgerliche Schichten und Arbeiter den Kern der Kriegervereine bildeten. Diese Aussage stimmt auch mit zeitgenössischen Urteilen und mit heutigen Erkenntnissen über die Träger nationalistischen Gedankenguts überein 60 . Der hohe Anteil an gewerblichen Arbeitern und Landarbeitern — wahrscheinlich mehr als ein Drittel aller Mitglieder — widerlegt die häufige Charakterisierung des Kriegervereinswesens als kleinbürgerliches Phänomen. Wenn viele Arbeiter in den Kriegervereinen Uberzeugungen und Einstellungen hatten, die man als »kleinbürgerlich« kennzeichnen könnte, so sind sie deshalb noch lange nicht dem Kleinbürgertum zuzurechnen 61 . 57
Wallner, Rezeption, S. 162 ff.
58
Vgl. Lübeck, Kriegervereine, Anhang, S. 8—10 und die Statistiken dieser Arbeit auf S. 275. In Baden ist nur die Sozialstruktur von drei Kriegervereinen in Konstanz bekannt. Im Kriegerbund Konstanz und dem Leibgrenadierverein der gleichen Stadt überwogen Beamte aus öffentlichen Dienstleistungen und Verwaltung, gefolgt von Handwerkern (Kriegerbund Konstanz). Diese Zahlen führen H.-J. Kremer zu der Vermutung, daß Arbeiter in den badischen Militär-Vereinen nur gering vertreten blieben (Kremer, Krieger- und Militärvereine, S. 309 f.). Diese kühne Verallgemeinerung von einem lokalen Beispiel auf den gesamten Landesverband w i r d schon durch die soziale Schichtung des größten Konstanzer Kriegervereins, in dem der Arbeiteranteil 33 % ausmachte (siehe S. 275), erschüttert. In Kneutlingen-Vilvingen (Lothringen) waren von 4 9 8 Mitgliedern 242 Hüttenarbeiter und Bergleute; 128 Meister, Vorarbeiter und Handwerker, 78 Angestellte, Kaufleute und Ingenieure, 25 Staatsbeamte, 8 Lehrer und 17 Gastwirte ( G L A Karlsruhe 59/1275).
59
Haupt, K l e i n e und große Bürger, S. 262 ff. und passim.
60
W i n k l e r , Der Machtverzicht, S. 14 f.
61
Franke vertritt die These, daß eine bestimmte, sozial nicht genau zuzuordnende, Mentalität »den Begriff des Kleinbürgerlichen erfordert, ja ihn konstituiert« (Franke, Kleinbürger, S. 12). Neben den im Text besprochenen Problemen wirft eine solche Definition die Schwierigkeit auf, wie eine sozial nicht zugeordnete Mentalität mit den sie konstituierenden Erfahrungen und den aus ihr resultierenden Handlungen in Zusammenhang gebracht werden kann. Die als klassenübergreifend definierte Mentalität auf die Existenzbedingungen des alten Mittelstandes zurückzuführen (S. 118—134), ist jedenfalls nicht möglich.
36
II. Das Kriegervereinswesen
Vielmehr wird daran deutlich, wie wenig große Teile der Arbeiterschaft der sozialistischen Vorstellung des Proletariers entsprachen und wie attraktiv auch für sie das nationalistische Denken war 62 . U m diesen Sachverhalt nicht zu verschleiern, bezeichne ich die einfachen Mitglieder der Kriegervereine als »kleine Leute63«, ein Begriff, der in seiner Unbestimmtheit deutlich macht, daß sich die Gemeinsamkeit der Gruppe auf ein niedriges Sozialprestige und geringe finanzielle Mittel beschränkt. Wie die zeitgenössische Gegenüberstellung der Begriffe »niedere Stände« und »bessere Stände« deutlich macht, sahen die »kleinen Leute« die Gemeinsamkeiten untereinander vor allem im Gegensatz zu den reichen und einflußreichen Bevölkerungsgruppen mit hohem Sozialprestige. Die soziale Zusammensetzung wurde zunächst durchaus nicht als Manko empfunden. Die Vereine wollten »vielerorten gar keine Fühlung mit den Vornehmeren, speziell den Offizieren der Inaktivität und des Beurlaubtenstandes haben«, genauso wie es »den gesellschaftlich höher Stehenden eine blanke Unmöglichkeit« war, die »an Soldatenspielerei erinnernden Äußerlichkeiten, beispielsweise uniformierte Abteilungen und die spottweise sogenannte Egalitätsmütze zu tolerieren64«. Trotzdem wurden bis zum Ersten Weltkrieg die führenden Vereinspositionen immer stärker von den »höheren Ständen« eingenommen, die sonst im Kriegervereinswesen nur eine geringe Rolle spielten. Während die Berufe der Vorsitzenden in örtlichen Vereinen, soweit man die Ergebnisse von zwei Kreisen verallgemeinern kann, noch in etwa der Sozialstruktur der Mitglieder entsprachen 65 , ändert sich das Bild bei den höheren Funktionären deutlich. So hatten bereits 1895 73,1% der Vorsitzenden der unteren Verbände des Deutschen Kriegerbundes einen Offiziersrang. Diese Zahl stieg 1901 auf 78,6% und betrug 1913 sogar 86,9%. Wenn man bedenkt, daß im Deutschen Reich der Offiziersrang nicht nur soziale Stellung, Besitz und Bildung repräsentierte, sondern auch eine staatstreue Gesinnung voraussetzte, kann man sich den Einfluß dieser Gruppe auf das Vereinsleben vorstellen 66 . Auch die Landräte begnügten sich immer weniger mit einer Kontrolle von außen, sondern übernahmen zunehmend den Vorsitz in den Verbänden. 1895 waren nur 4 % der Vorsitzenden Landräte, 1901 schon 17,1 % und 1913 waren es 22,4 %. Auch die Zahl der Rittergutsbesitzer (1895 1,5 %; 1901 1,7 %, 1913 10,9 %) und der Akademiker — mit Ausnahme der Pfarrer — nahm ständig zu. Die wichtigste Gruppe waren die Gymnasiallehrer (1895 1,5 %; 1901 1,7 %; 1913 6,3 %), während Richter, Staatsanwälte, höhere Beamte und Rechtsanwälte 1895 den Anteil von 19,4 %, 1901 von 21,9% und 1913 von 23,3 % erreichten. Im Zuge dieser Entwicklung wurden die eigentlichen Trägerschichten des Vereinslebens im Vorstand immer weiter zurückgedrängt. Handwerker und Handwerksmeister waren im Vorstand nur noch zwischen 0,5% und 1,6% vertreten und nur ein einziger Gastwirt erreichte diese Position. Die Zahl der Kaufleute ging stetig zurück 62 63 64 65 66
M o m m s e n , H . , Sozialistische Arbeiterbewegung. Z u r H e r k u n f t des aus der Volkskunde stammenden Begriffs vgl. Blessing, Staat und Kirche, S. 15. Benedix, Kriegervereinswesen, S. 300. Lübeck, Kriegervereine, Anhang, S. 11 f. Geschäftsbericht des Deutschen Kriegerbundes 1885, 1901 und 1913; Saul, Der »Deutsche Kriegerbund«, S. 109. Zur Rolle des Offiziers in der Gesellschaft John, Reserveoffizierskorps. Eine zeitgenössische Kritik bietet Zuckmayer, H a u p t m a n n von Köpenick, S. 366 ff.
1. Die Entwicklung der Kriegervereine
37
(1895 9,5%, 1901 4,1%; 1913 2,4%), und auch die Angestellten verloren erheblich an Einfluß (1895 10%, 1913 4,4%) 67 . Die Sozialstrukturen von Vorstand und Mitgliedern unterschieden sich also erheblich. Während das Gros der Mitglieder den »kleinen Leuten« zuzurechnen ist, dominierten Bürgertum und Militär in den leitenden Vereinspositionen. Die wenigen wohlhabenden und gebildeten Bürger, die den Vereinen beitraten 68 , setzten sich offensichtlich bei den Wahlen durch. Der gesellschaftliche Status dieser Berufsgruppen wurde von den Mitgliedern der Kriegervereine respektiert. c) Die Politisierung der Verbände Von Anfang an herrschte in den Kriegervereinen eine nationalistische und monarchische Gesinnung: die Mitglieder, stolz auf ihre Leistung in den Einigungskriegen, bejahten ohne Einschränkung den neuen Staat. Die Vereine sahen, wie aus den Vereinsstatuten hervorgeht 69 , von Anfang an eine wichtige Aufgabe darin, den »Geist der Hingabe an das Vaterland, an Reich und Kaiser, Fürst und Vaterland zu pflegen und wie ein heiliges Feuer wach zu halten 70 «, indem sie — neben den sozialen und geselligen Funktionen — die nationalen Feiertage wie den Sedanstag, Kaisers Geburtstag und den Geburtstag des Landesherrn feierten. Diese Bejahung der Symbole des neuen Staates hatte für die Mitglieder aber keine konkreten politischen Konsequenzen. Sie empfanden keinen Widerspruch zwischen einer nationalistischen Gesinnung und linken politischen Uberzeugungen 71 . So scheinen in den Kriegervereinen nicht weniger Sozialdemokraten als in der restlichen Bevölkerung gewesen zu sein72, obwohl der von den Mitgliedern ver-
67
Saul, D e r »Deutsche Kriegerbund«, S. 109 f. Leider liegen entsprechende Zahlen für Baden nicht vor. Die Landesregierungen forderten Beamte und Offiziere zum Beitritt in einen Kriegerverein auf, um deren Zuverlässigkeit zu gewährleisten und die »kleinen Leute« dem bürgerlichen Einfluß auszusetzen (Saul, Der »Deutsche Kriegerbund«, S. 101; H ö h n , Der Einsatz, S. 437 f. und 440). Viele der bürgerlichen Vereinsmitglieder waren also vermutlich aus Karrieregründen im Kriegerverein. " STA Freiburg L R A Lörrach 2725, 1928, 2583; L R A Emmendingen 1759, 3129; LRA Lahr 2558, 3002, 3973; BA Konstanz 2181—2186, 2188, 2189. Die Pflege des monarchischen und nationalistischen Geistes wird schon in frühen Vereinsstatuten genannt, ist also nicht auf überregionale oder staatliche Einflüße zurückzuführen. 70 P. 1, 4.1.1889, Bahn frei. 71 Diese Einstellung wurde von der Vereinspresse häufig beklagt (P. 51, 16.12.1890, S. 814; P. 55, 8.7.1903, S. 541; P. 83, 14.10.1903, S. 822f.; P. 100, 14.12.1913, S. 1021 f.). 72 N o c h 1891 besagt z.B. ein Gutachten der Hamburger Polizeibehörde, daß in den Kriegervereinen zweifellos ebensoviele Sozialdemokraten vertreten seien wie in anderen Kreisen des Hamburger Volkslebens. Auch ist bekannt, daß ein Kriegerverein bei einem Kegelwettbewerb das Bild der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion als Preis ausgesetzt hatte (Saul, Der »Deutsche Kriegerbund«, S. 118 f; Henning, Kriegervereine, S. 444, 448 f.). In Kappelrodeck (Baden) berichtete 1890 die Polizei dem Innenminister, daß von 125 Mitgliedern mindestens 100 Sozialdemokraten seien, darunter auch der Erste und Zweite Vorsitzende (GLA 236/17102, 1.11.1890). Vom Kriegerverein in Chemnitz ist überliefert, daß er zur Mehrzahl aus Sozialdemokraten bestanden habe (Göhre, Fabrikarbeiter, S. 122 f.). Bis zum Ersten Weltkrieg gab es Vereinsmitglieder, die die Sozialdemokratie wählten und Mitglieder der freien Gewerkschaften waren. 68
38
II. Das Kriegervereinswesen
herrlichte Kaiser diese Partei bekämpfte und die Sozialdemokratie die monarchische Staatsform ablehnte. Den Mitgliedern der Kriegervereine machte es offensichtlich keine Schwierigkeiten, einander widersprechende Autoritäten zu verherrlichen. In der Entstehungsphase des Kriegervereinswesens war die künftige politische Entwicklung noch nicht absehbar. Die Regierungen mißtrauten zunächst einmal dieser Ansammlung einfacher Leute. Das Vereinswesen galt als progressiv, einfache Leute sollten brav an ihrem gesellschaftlichen Platz ihre Pflicht erfüllen und nicht am öffentlichen und politischen Leben teilnehmen. Die Pflege von Nationalismus und Militarismus wurde zwar gern gesehen, jede Ausdehnung der Vereinsziele aber abgelehnt. Deshalb sollten in den Vereinen keine politischen Themen erörtert oder gar politische Aktionen unternommen werden. Auch konfessionelle Streitfragen waren satzungsgemäß ausgeklammert 73 . Die Behörden sahen es anfangs nur als ihre Aufgabe an, darüber zu wachen, daß die Distanz zur Politik gewahrt bleibe. Wohl traten einige Beamte und Offiziere in die Vereine ein, um eine etwaige Politisierung zu unterbinden, im allgemeinen aber beschränkten sich die Behörden auf polizeiliche Kontrollmaßnahmen 74 . Als jedoch im Kaiserreich der Machtzuwachs der Sozialdemokratie den Status quo zu gefährden schien, veränderte sich diese Einstellung. Es wurde immer deutlicher, daß sich der Konservativismus nicht auf eine Honoratiorenpolitik beschränken konnte, sondern die Massen für sich gewinnen mußte75. Die »kleinen Leute« galten als unselbständig und verführbar. Nachdem mit der weitverbreiteten sozialdemokratischen Agitation ihre Politisierung ohnehin nicht mehr zu vermeiden war, mußte der Versuch unternommen werden, sie für die eigenen politischen Ziele zu gewinnen. Teile des nationalen Bürgertums erkannten zu dieser Zeit die Kriegervereine als Möglichkeit, die »kleinen Leute« zu beeinflussen und für ihre Zwecke einzuspannen76. Die zeitliche Parallelität zwischen der Politisierung des Kriegervereinswesens und der Entstehung der »nationalen« Verbände ist kein Zufall, da beides eine Folge der Polarisierung der gesellschaftlichen Fronten im Deutschen Kaiserreich war. Die sozial Privilegierten hielten es zur Erhaltung der politischen und sozialen Ungleichheit für nötig, eine neue politische Strategie zu entwickeln, »um die plebiszitären Energien zu mobilisieren [und] zu binden 77 «. Die Instrumentalisierung der Kriegervereine für politische Ziele ging vom Vorstand des Deutschen Kriegerbundes aus, wurde aber, wenn auch abgeschwächt, von den anderen Landesverbänden mitvollzogen. 73
Alle Satzungen enthielten diese Beschränkung, da sonst die Existenz des Vereins von den Behörden
74
Diese Maßnahmen sind ausführlich von Saul, D e r »Deutsche Kriegerbund«, aufgeführt worden. Bei
nicht akzeptiert wurde (Süpfle, Militärvereins-Verband, S. 18; Westphal, Handbuch, S. 200 f.). Lübeck, Kriegervereine, S. 49—63 findet sich eine Liste der Vereine, die daraufhin untersucht wurden, ob Sozialdemokraten Mitglieder waren. 75
Dieser Tatbestand, den schon Friedrich Naumann (1860—1919) deutlich gesehen hatte (Naumann, Demokratie und Kaisertum, S. 91 f.), wurde besonders von Eley, Reshaping, herausgearbeitet. Vgl. auch Stegmann, Neokonservativismus, S. 199 ff.
76
Zur Politisierung der Kriegervereine vgl. vor allem die Schriften Westphals, bes. »Kriegervereine gegen Sozialdemokratie« und »Das deutsche Kriegervereinswesen«. Er war der »Chefideologe« des Deutschen Kriegerbundes und die treibende Kraft in diesem Prozeß.
77
Wehler, Zur Funktion, S. 120 f.
1. D i e Entwicklung der Kriegervereine
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Die gemeinsamen Erfahrungen in Krieg und Kaserne und das daraus resultierende Kameradschaftsgefühl sollte den Boden zur Uberwindung der sozialen Kluft und des Klassenhasses bieten, die als größte Gefahr für die Bewahrung des Status quo erschienen: »Wie sie alle dereinst Schulter an Schulter in Reih und Glied gestanden haben, so mögen sie sich in den Kriegervereinen als Kameraden zusammenfinden. H i e r mag der Reiche und Vornehme das Fühlen und Denken, die Wünsche und Bestrebungen des Arbeiters, des Handwerkers kennenlernen, hier mag der A r m e sehen, daß der über ihm Stehende, der besser Gestellte ein H e r z für ihn hat, hier m u ß der soziale Ausgleich stattfinden 7 8 .«
U m die Mitglieder in den Kriegervereinen in konservativem Sinne zu beeinflussen, versuchten der Vorstand und die Landesregierungen, Bürgertum und Offiziere in die Vereine zu ziehen 79 . So verteilten Behörden die Werbebroschüre von A . Westphal »Das deutsche Kriegervereinswesen, seine Ziele und seine Bedeutung für den Staat« an ihre Mitarbeiter, Offiziere wurden zur aktiven Mitarbeit aufgefordert und höhere Beamte erhielten die Unkosten, die der Besuch eines Festes der Kriegervereine mit sich brachte, vom Verwaltungshof erstattet 80 . Die »besseren Stände« sollten aktiv am Leben der Kriegervereine teilnehmen, um ihren Einfluß auf die Masse der einfachen Mitglieder wirken zu lassen. D o c h die Werbemaßnahmen hatten wenig Erfolg, weil das Gros des Bürgertums zuviel Standesdünkel hatte, um sich in den Vereinen der »kleinen Leute« zu engagieren. Der Vorstand der Kriegervereine gestand zwar zu, daß der Verkehr mit Arbeitern und Handwerkern nicht immer angenehm sei und es in den Kriegervereinen mancherlei Sitten gäbe, die auf einen Gebildeten abstoßend wirkten. Dennoch sei die aktive Mitarbeit im Kriegerverein ein notwendiger Dienst für das Vaterland. Durch die Mitgliedschaft der Oberschicht gewänne das Unterstützungswesen an Leistungsfähigkeit, der Verein an Sozialprestige und die Mitglieder an politischem Verständnis 81 . Das Kameradschaftsgefühl wurde so zur Ideologie und die Kriegervereine zu einem Ort der Indoktrination. Unter Betonung der Gleichheit aller Kameraden und der gemeinsamen Kriegserfahrung und Militärzeit 82 wurde die Bedeutung der faktisch gegebenen Ungleichheit von sozialer Herkunft, Stand und militärischem Rang heruntergespielt. Die sozial Schlechtergestellten gaben sich dieser Illusion der Gleichheit aller Mitglieder gern hin, weil sie sich nur so mit einer Gesellschaftsschicht, mit der sie sonst wenig gemein hatten, identifizieren konnten. Die wohlsituierten Mitglieder bemühten sich hingegen u m ein kameradschaftliches Auftreten, um die Möglichkeit zu politischer Beeinflussung in den Kriegervereinen zu gewinnen: » D o r t im Betrieb bzw. auf dem G u t s h o f spricht der Arbeitgeber, der Herr, und das Bewußtsein, ihn hören zu müssen, verhärtet manchmal die Herzen; hier aber redet der Kamerad z u m Kameraden, und
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Westphal, Kriegervereine gegen Sozialdemokratie, S. 8. D i e Offiziere des Beurlaubtenstandes waren
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Saul, D e r »Deutsche Kriegerbund«, S. 101; H ö h n , D e r Einsatz, S. 437f. und 440.
besonders angesprochen. Vgl. Benedix, Kriegervereinswesen, S. 299. 80
S T A Freiburg L R A E M 2 R 564.
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Westphal, Kriegervereine gegen Sozialdemokratie, S. 15 f.
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» D e n n alle eint das große, gleichmachende Gemeinsame, daß sie dereinst des Königs R o c k getragen haben und daß sie ihn wieder anlegen werden, soweit Alter und Kräfte es zulassen, wenn der Kriegsherr ruft« (Westphal, D a s deutsche Kriegervereinswesen, S. 8).
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II. Das Kriegervereinswesen
das Gefühl der gleichen Pflicht, der gleichen Entbehrungen, die bereits ertragen worden sind und vielleicht wieder bevorstehen, bereiten dem gehörten freundlichen Wort eine freundliche Heimstätte 8 3 .«
Während die ideelle Gleichheit Voraussetzung für eine wirkungsvolle Indoktrination war, wurde eine Ausweitung des Konzepts ängstlich unterbunden: D e m Kriegerverein »mag der Majoratsherr wie der Tagesarbeiter angehören, alle seine Genossen bindet gleichmäßig das Band der Kameradschaft. In dieser allerdings >zweischneidigen< Grundverfassung liegt bei richtiger Handhabung die Stärke des Vereins; wird sie aber zum >NivellierungssystemWille mehrerer M i t g l i e d e r der Kriegervereine