Der lebendige Gott: Gotteslehre als Arbeit am Begriff 9783161561146, 9783161561153, 3161561147

Anhand der Leitfrage "Was meint die Rede vom 'lebendigen Gott' der Sache nach?" entfaltet Joachim Ri

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abgekürzt zitierte Literatur
Einführende Überlegungen
Erster Teil: Prolegomena
§ 1 Theologia viatorum
§ 2 Gotteserkenntnis
A. Gott gibt sich zu erkennen
B. Theologische Gotteserkenntnis
§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)
A. Doctrina de Deo
B. Gott denken
C. Der Gottesbegriff
D. Gott als die Wahrheit denken
E. Selbst denken
§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube
Exkurs I: Die Dialektik von Form und Inhalt des Glaubens
§ 5 Folgerungen und Ausblick
Zweiter Teil: Die Lehre von Gott
Kapitel I: Der Begriff Gottes
§ 1 Gottes Name
Einleitung
A. Zur Exegese von Ex 3,14
1. Der offenbare Name
2. Positionen der Forschung
3. Ertrag der Exegese
4. Bedeutung für den Begriff von Gott
B. Spekulative Interpretation
1. Die sprachliche Gestalt
2. Begreifen des Namens
3. Zusammenfassung
C. Religiöse Auslegung
1. Gottes Nähe und Freiheit
2. Der Mensch vor Gott
D. Das Weitersprechen von Ex 3,14 im Neuen Testament
1. Fortschreibung
2. Das Vierte Evangelium
3. Luther
4. Nachspiel (Paulus und Ex 33,19b)
5. Johannesapokalypse
6. Durch-sich-selber-Sein
Exkurs II: Die Tautologie-Frage (Ian T. Ramsey)
Exkurs III: Echos des Namens
A. Theologische Bezugnahmen
B. Philosophische Bezugnahmen
C. Echos von Ex 3,14 bei Dichtern und Schriftstellern
§ 2 Der Begriff Gottes
A. Vom Namen zum Begriff Gottes (Zum Übergang von § 1 zu § 2)
1. Ein traditioneller Gottesbegriff
2. Gott im Begriff (I)
3. Einheit im Unterschied
4. Gott im Begriff (II)
B. Die göttliche Aseität
1. Die abgründige Frage Kants
2. Autousia
3. Esse a se (Anselm)
4. Thomas und Duns Scotus
5. Luther und Melanchthon
6. Francisco Suárez
7. Evangelische Dogmatik
C. Causa sui
1. Affirmative Formulierungen (Von der Frühzeit bis ins 20. Jahrhundert)
2. Kritik der Causa sui
3. Zur Diskussion der Causa sui
D. Der Sich-selbst-Setzende
1. Logik der Causa sui (Hegel)
2. Erläuterungen
3. Gottes Sich-Hervorbringen (Tradition)
4. Gottes Sein im Werden
4.1. Gott und das Nichts
4.2. Gottes Anfangen mit sich
5. Resultate (Systematisch und religiös)
Exkurs IV: Einige biblische Spuren
E. Werden zu sich
1. Gottes Lebendigkeit
2. Gottes Unveränderlichkeit
3. Selbstbewegung
4. Sich-Voraussetzen und Zeit
F. Einige theologische Folgerungen
1. Existenz des lebendigen Gottes
2. Ewiges Sich-Voraussetzen
3. Göttliche Gegenwart
Exkurs V: Gottes Selbstverwirklichung (H. Schell und K. Barth)
Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)
§ 3 Der Eine und das Selbst
A. Zum Übergang von § 2
B. Gottes Einheit an sich
1. Dreifacher Sinn von Einheit
1.1. Unus
1.2. Solus
1.3. Verus
1.4. Neues Testament
1.5. Logische Analyse
1.5.1. Singularitas
Exkurs VI: Der eine Gott und der Glaube
1.5.2. Simplicitas
1.5.3. Totalitas
1.5.4. Unitas
C. Gottes Einheit mit sich
1. Bestimmungen der Tradition
2. Einheit mit sich im Anderen
D. Gottes Selbstsein
1. Gottes Selbstsein als Selbstbestimmung
2. Gottes Selbstsein als Selbstverdoppelung
3. Gottes Selbstsein als Selbstbewegung
4. Gottes Selbstsein als Selbstübereinstimmung
E. Der persönliche Gott
F. Absolute Einheit (Zusammenfassung)
§ 4 Der Lebendige
Vorbemerkung
A. Hinführung
B. Der lebendige Gott als der Gott der Bibel
1. Altes Testament
2. Neues Testament
C. Gottes Lebendigkeit (systematisch)
D. Coincidentia oppositorum
1. Johann Georg Hamann
2. Gottes Freiheit
3. Aktuelle Gegensatzeinheit
E. Gottes Unendlichkeit
F. Gott: Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt
Exkurs VII: Zur Geschichte des Weiterwirkens von »sphaera infinita«
§ 5 Der Allmächtige
A. Einleitung
B. Biblische Zugänge
1. Alttestamentliche Gesichtspunkte
2. Gottes Allmacht im Neuen Testament
C. Dogmatisches Grundverständnis
D. Allmacht als Möglichkeit und Wirklichkeit
1. Können und Tun
2. Können und Wollen
3. Wollen und Tun
4. Allwirksamkeit
E. Gottes Allmacht als Vollkommenheit
F. Macht über die eigene Macht
G. Allmacht, Liebe und Freiheit
§ 6 Gottes Herablassung
A. Systematische Einleitung
B. Zur Begriffsgeschichte
C. Herablassung und Menschwerdung (Phil 2,6–11)
D. Zur Lehre von den »status Christi«
E. Zum Verhältnis von Gottes Immanenz und Transzendenz (Bonhoeffer)
F. Kondeszendenz bei M. Luther
G. Herunterlassung bei J. G. Hamann
H. Gottes Herablassung bei S. Kierkegaard
I. Das Motiv der Himmelsleiter
Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)
§ 7 Einige Vielfalt und vielfältige Einheit
Einleitung
A. Zur Problematik der Eigenschaftslehre
B. Begriff der Eigenschaft
C. Gottes Eigenschaften als Selbstauslegung seines Wesens
D. Erläuterung des Leitsatzes
E. Die Konkretion des göttlichen Seins (als Entfaltung des Begriffs)
F. Zum Aufbau von Kapitel III (Überblick)
1. Der allmächtig Lebende
2. Der lebendige Allmächtige
Erste Hälfte: Allmächtiges Leben
§ 8 Der Schaffende
A. Der Schöpfungsglaube
B. Schöpfungslehren
C. Das Problem des Anfangs
D. Creatio ex nihilo
E. Schöpfung im Wort
F. Der Schaffende und seine Welt
1. Schöpfung und der lebendige Gott
2. Schöpfung und Erhaltung
3. Die geschaffene Welt (Zu Mensch, Natur und Geschichte)
4. Der liebende Schöpfer
5. Ewigkeit der Schöpfung?
6. Schöpfung und Eschaton
7. Gottes Schaffen (Rückblick)
8. Übergang zu § 9
§ 9 Der Ewige
A. Schöpfung und Ewigkeit
B. Gott der Ewige
1. Gottes Ewigkeit
2. Christliche Konkretisierung
C. Auf dem Wege zur klassischen Definition
D. Zur Zeit-Ewigkeits-Dialektik
1. Von Ewigkeit zu Ewigkeit
2. Zeitlos vergangen (Hegel)
3. Von der Schöpfung zur Ewigkeit (Luther)
4. Das Ineinanderübergehen von Zeit und Ewigkeit
4.1. Ewigkeit kommt in die Zeit
4.2. Zeitlichkeit geht in die Ewigkeit
5. Antinomie des Ewigkeitsglaubens
6. Ewigkeit und Augenblick
6.1. Der Kairos
6.2. Vom existenziellen Geheimnis der Ewigkeit (Kierkegaard)
§ 10. Der Offenbare
A. Der Offenbarungsbegriff
1. Der Begriff Offenbarung im Allgemeinen
2. Der spekulative Begriff von Offenbarung
3. Selbstoffenbarung als ein Sich-Offenbaren
B. Der Offenbare
1. Der offenbare Gott
2. Die offenbare Religion
C. Der Gottesweg
1. Offenbarung als Geschichte (Pannenberg)
2. Vorläufige und letztgültige Offenbarung (Tillich)
3. Allgemeine und besondere Offenbarung
4. Vergangene und gegenwärtige Offenbarung
D. Schöpfung und Offenbarung
E. Offenbarung und Menschwerdung
F. Das Wort »Gott«
1. Meditation über das Wort »Gott« (Erste These)
2. Das Wort »Gott« und die Sprache
3. Das Wort »Gott« und die religiöse Erfahrung (I. T. Ramsey)
4. Die Einheit des Wortes »Gott« und die Einheit Gottes
5. Zur Dialektik des Wortes »Gott«
6. Das Wort »Gott« und das Wort Gottes (Zweite These)
7. Das Wort »Gott« und Gott (J. König)
8. Das Wort »Gott« und Gottes Name (Ex 3,14)
9. Abschließende Überlegungen
G. Offenbarung und Glaube
§ 11 Der Liebende
A. Einleitung
B. Der Liebende
1. Gott ist Liebe
2. Gott ist Liebe
3. Gott ist Liebe
C. Der Geliebte
1. Gottes Neubestimmung in Jesus
2. Glaube und Gebet
3. Die Gottesgeburt
4. Jesu Personsein als communicatio idiomatum
5. Gott weiß sich in Jesus
6. Die Liebe am Kreuz
7. Eschatologische Kindschaft
8. Liebe und Gegenliebe
D. Die Liebenden
1. Glaube und Liebe
2. Gottesliebe und Nächstenliebe
2.1. Coincidentia oppositorum
2.2. Nächstenliebe und Selbstliebe
2.3. Ein Gott – zwei Gebote
3. Liebe und Ewigkeit (Kierkegaard)
Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht
§ 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende
A. Die Dialektik von Allgegenwart und Allwissenheit
1. Die Begriffe
2. Ihre Zusammengehörigkeit
B. Näherbestimmungen zur Allgegenwart
1. Dogmatisch
2. Biblisch
C. Näherbestimmungen zur Allwissenheit
1. Biblisches
2. Theologisches
3. Ein spekulatives Gleichnis (Nikolaus von Kues)
D. Der 139. Psalm
E. Gottes geistige Anwesenheit (Einheit von Allgegenwart und Allwissenheit)
1. Allgegenwart im Raum
2. Allgegenwart im Ich (Augustin)
3. Allgegenwart als coincidentia oppositorum (Luther)
Exkurs VIII: Zur Geschichte des Weiterwirkens von »interior intimo«
§ 13 Der Geist
A. Einleitung: Der Herr und der Geist (Zum Verhältnis von § 13 und § 14)
B. Philosophische Propädeutik
1. Ein philologischer Zugang
2. Minima Etymologica
3. Grundzüge eines allgemeinen Geistbegriffs
C. Probleme der Tradition
1. Alte Kirche
2. Altprotestantische Orthodoxie
D. Biblische Orientierung
1. Altes Testament
2. Neues Testament
E. Spiritus est Deus (Der konkrete Geistbegriff)
1. Gegenwart Gottes im Geist (Joh 4,24)
2. Dominus spiritus est (2Kor 3,17)
3. Der sich offenbarende Geist
4. Der sich erkennende Geist
5. Der sich hervorbringende Geist
F. Zum Begriff des absoluten Geistes
1. Geist und Gespräch (Joh 3,1–10)
2. Geist und Verzeihung
§ 14 Der Herr
A. Einleitende Bemerkungen
B. Gott der Herr
1. Der Herr als der Eine
2. Der Herr als der Schöpfer
3. Der Herr als der Vater
4. Der Herr als der Dreieinige
C. Der Herr als Geist
1. Herrsein als Geistsein
2. Zur Logik der Einheit von Herr und Geist
D. Der Herr des Lebens
1. Die heilige Macht über unser Leben: der Vater
2. Die heilige Macht gegenüber unserm Leben: der Fordernde
3. Der Herr als die Wahrheit unseres Seins
E. Der Herr des Wortes (Gesetz und Evangelium)
F. Der Richter des Lebens
1. Der Herr als Richter
2. Das Gericht der Liebe (Mt 25,31–46)
Kapitel IV: Das absolute Sein Gottes
§ 15 Der Dreieinige
Abschnitt I: Hinführung: Problematik und Ansatz der Trinitätslehre
A. Allgemeine Vorbemerkungen
1. Die Perspektive
2. § 15 im Zusammenhang dieser Gotteslehre
B. Zum trinitarischen Dogma
1. Altkirchliche Lehrbestimmungen
2. Altprotestantische Orthodoxie
3. Grundbedingungen eines Begriffs göttlicher Dreieinigkeit
C. Der Dreieine als Wahrheit des Monotheismus (Das Grundpostulat)
1. Konsequenter Monotheismus
2. Zu den biblischen Wurzeln
3. Gegen abstrakten Monotheismus
4. Zusammenfassung
D. Ein neuer Vorschlag zur trinitarischen Begrifflichkeit
1. Terminologische Probleme
1.1. Persona
1.2. Relatio
1.3. Problemformulierung
2. Statt Person »Mitte« – ein Lösungsvorschlag
2.1. Vorblick
2.2. Die Logik der drei Mitten
2.3. Theologische Auswertung
2.4. Der absolute Begriff Gottes (Zusammenfassung)
Abschnitt II: Grundzüge: Trinitätslehre und Christologie
E. Der christologische Ursprung des trinitarischen Gedankens
1. Einleitung
2. Trinität und die Jesusüberlieferung
F. Der Begriff »Selbstunterscheidung«
G. Der Vater Jesu Christi (Der Gott des Sohnes)
1. Vorbemerkung: Zur Vater-Terminologie
2. Der Sohn in der Selbstunterscheidung vom Vater
2.1. Die Selbstunterscheidung Jesu von Gott
2.2. Die Selbstunterscheidung vom Vater her
3. Innergöttliche Hervorgänge
3.1. Ewige Zeugung (cf. Joh 3,18b; 1Joh 5,1; Hebr 1,5 mit Ps 2,7)
3.2. Der Sohn als Wort
3.3. Zusammenfassung (zu 3.1. und 3.2.)
3.4. Hauchung des Geistes
3.5. Zwei processiones
H. Der eine Gott
1. Monotheismus und Trinität
2. Der lebendige Schöpfer (Luther)
3. Das Leben Gottes im Logos (Joh 5,26)
4. Der eine Gott und Jesus
I. Versuch über den Heiligen Geist
1. Der Geist als eigene Instanz (»Hypostase«)
2. Die Einheit des Dreieinigen im Heiligen Geist
3. Der Geist Gottes und der Glaube
Abschnitt III: Durchführung: Gottes absolutes Sein als Dreieinigkeit
J. Gottes trinitarische Selbsthervorbringung
1. Aseität und Werden in Gott
2. Trinitarisches Sich-selbst-Hervorbringen
2.1. Die Vater-Sohn-Einheit
2.2. Gottes Selbsthervorbringung als Dreieiniger
2.3. Ewige Trinität und die Mitte der Geschichte
3. Warum drei? (Lebendige Einheit der drei Mitten)
K. Ökonomische und immanente Trinität
1. Lebendige Einheit
2. Geschichte der Trinität
3. Trinität und Eschatologie
L. Zur Perichorese
M. Absolute Korrelativität (Rekapitulation)
1. »Person« und Beziehung
2. »Person« und Gemeinschaft
3. »Person« und der lebendige Gott
N. Beschluss: Gottes Name als absolute Form des Begriffs
§ 16 Der Erste und der Letzte
A. Theologie und Eschatologie
1. Eschatologie und Gotteslehre
2. Beobachtungen zur Terminologie
B. Der Erste und der Letzte
1. Gott als der Anfang und das Ende (Apc 1,8; 21,6)
2. Gott als der Erste und der Letzte (Apc 1,8; 21,6)
C. Gott und das eschatologisch Neue
1. Die Selbstverwirklichung nach Ex 3,14
2. »Ich mache alles neu« (Apc 21,5)
3. Der Weg Gottes zu sich
D. Die werdende Welt
1. Im Werden (1Joh 3,2)
2. Im Vergehen (1Kor 7,31b)
3. Das Warten der Schöpfung (Röm 8,18–24 und 1Kor 15,35ff)
3.1. Christusglaube
3.2. Der mit-genommene Kosmos
3.3. Die künftige Auferstehung in kosmischem Zusammenhang
4. Eschatologische Zukunft
E. Tod und ewiges Leben
1. Unser Tod und das ewige Leben
1.1. Der eigene Tod
1.2. Sterben ins Leben
2. Gott und unsere Vergangenheit
3. Descensus ad inferos (Christi Höllenfahrt)
4. Unser ewiges Leben und Gottes ewiges Leben
4.1. Ewiges Leben
4.2. Der ewig lebendige Gott
5. Der lebendige Gott und die Zeit
F. Jüngster Tag und Gericht
G. Glaube und Hoffnung
H. Der Eine: Alles in allem (1Kor 15,28)
Bibelstellen
Namen
Begriffe und Sachen
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Dogmatik in der Moderne Herausgegeben von

Christian Danz, Jörg Dierken, Hans-Peter Großhans und Friederike Nüssel

23

Joachim Ringleben

Der lebendige Gott Gotteslehre als Arbeit am Begriff

Mohr Siebeck

Joachim Ringleben, geboren 1945; 1974 Promotion; 1981 Habilitation; 1984–2010 o. Professor für Systematische Theologie in Göttingen; seit 1997 o. Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen; 2000–2016 Abt von Bursfelde.

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Projektnummer 41 169 0894). ISBN 978-3-16-156114-6 / eISBN 978-3-16-156115-3 DOI 10.1628/978-3-16-156115-3 ISSN 1869-3962 / eISSN 2569-3913 (Dogmatik in der Moderne) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Πολλὰ ἐροῦµεν καὶ οὐ µὴ ἀφικώµεθα, καὶ συντέλεια λόγων: Τὸ πᾶν ἐστιν αὐτός. (Sir 43,27; cf. Ps 106,2) ἡµεῖς τοσοῦτον ἔχοντες περικείµενον ἡµῖν νέφος µαρτύρων. (Hebr 12,1) Es tauchten tausend Theologen in deines Namens alte Nacht. (Rainer Maria Rilke)

Vorwort In diesem Buch soll es um Gott gehen und nur um Gott selber. Damit treiben wir Theo-logie im eigentlichen Sinne, denn Gott ist das fundamentale und allumfassende Thema der christlichen Theologie. Alles, was hier zur Sprache kommen soll, wird also im Blick auf Gott und seine Wirklichkeit zur Sprache kommen müssen: sub ratione Dei. Indem wir diese theozentrische Richtung unserer Überlegungen streng einzuhalten versuchen – ohne dass darum diese Gotteslehre weniger »christozentrisch« zu sein brauchte1 –, soll, dem Motto aus Jesus Sirach gemäß, so intensiv und extensiv, wie es nur geht, Gott selbst bzw. Gott als er selbst (αὐτός) alles (τὸ πᾶν) ausmachen und bestimmen, was zu sagen ist. Ehe ich an die Sache selber herangehe, sind drei Vorbemerkungen wohl angebracht. 1. Das Buch ist Lesern zugedacht, die bereit sind, sich zu Gott selber Gedanken zu machen. Ich versuche, jeden, der bereit ist, über Gott ernsthaft und selbständig nachzudenken, in einen solchen, wie ich hoffe, konsequenten Gedankengang mit hineinzunehmen. Die Gotteslehre, die den Leser erwartet, ist ein in sich geschlossenes und zusammenhängendes Ganzes, das von einem Grundgedanken aus möglichst stimmig entwickelt und zu Ende gedacht wird – im Hauptteil: von Gottes Namen (§ 1) bis zur Trinitätslehre (§ 15) und Eschatologie (§ 16). Wer sich auf die Lektüre einlässt, begibt sich auf einen Denkweg, der in Konzentration auf das Eine, was nottut, nämlich auf Gottes lebendige Wirklichkeit selbst, zu begreifen sucht, wer und was Gott ist. Wir wollen in dieser Gotteslehre Gott denken. 2. Vorweg seien einige lockere und vorläufige Eindrücke artikuliert, die sich unmittelbar einstellen, wenn Gott zum Thema gemacht wird bzw. wenn man über Sinn und Gehalt des Wortes »Gott« Rechenschaft ablegen soll. Es ist ein Thema, das zwar von großen Erwartungen begleitet ist, bei dem man aber andererseits nicht so recht weiß, wo man überhaupt anfangen soll. Zwar gibt es ein traditionell abgesichertes Reden von Gott (z. B. liturgisch, wo das Wort qua Amt gebraucht wird), aber bei der Frage: Was ist Gott – für mich? kommen wir schnell in die Lage, ganz ungesichert darüber reden zu müssen. So lässt das Thema Gott, wenn es nicht überhaupt eher aporetisch 1 Historisch gesehen sind christologische Aussagen für die Formation der christlichen Gotteslehre bestimmend geworden; das wird auch in dieser Gotteslehre unvermeidlich seinen Niederschlag finden (so z. B. in den Paragraphen 4, 6, 11 und 15).

VIII

Vorwort

anmutet, darüber Worte machen zu sollen, einen leicht ratlos verstummen. Hinzu kommt die Scheu, andere mit der Mächtigkeit dieses Wortes »Gott« irgendwie unter Druck zu setzen, geht es dabei doch »um die alle Menschen verbindende und umfassende Wirklichkeit des Lebens«.2 Hinein spielen dabei auch Kontrasterfahrungen des eigenen, tastenden Redens von Gott zu anderem Reden von Gott bzw. zum Reden anderer über ihn. Der Dichter scheint Recht zu bekommen: »Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt. / Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.«3 Doch wie, wenn, was uns derart überfüllt und überfordert, dass es unsere Ordnungssysteme und schließlich uns selber zerfallen lässt, eben die lebendige Wirklichkeit Gottes wäre, die sich so als solche an uns erweist? Das Wort »Gott« erzeugt leicht Unzulänglichkeitsgefühle. Aber ist das in gewisser Weise nicht unvermeidlich, sogar notwendig? Die Schwierigkeiten gehören offensichtlich zum Thema selber. Denn Gott ist das ganz und gar Nichtselbstverständliche und Unverfügbare: »Gott, das ist die Wirklichkeit des Lebens, auf die niemand seine Hand legen kann«.4 Gerade weil das Wort »Gott« auf etwas von einzigartiger, unbedingter Wichtigkeit (ultimate concern) verweist, bedroht es uns mit dem Verstummen.5 Wir haben dann instinktiv die Befürchtung, die ungeheuere Bedeutsamkeit Gottes abzuschwächen, wenn wir anfangen, über ihn zu reden. Aber als Theologen müssen wir sagen können, wer oder was Gott, welches seine Wirklichkeit ist, und wir können das nicht bloß faktisch tun, weil es qua Amt von uns gefordert ist, sondern weil wir wissen: Am Anfang war nicht das Schweigen, sondern das Wort (Joh 1,1)!6 Freilich ist die Vorsicht im Umgang mit dem einzigartigen Wort »Gott« auch nicht einfach über Bord zu werfen. Und dies nicht nur wegen eines – möglichen und in der Geschichte der Religion immer wieder schreckliche Realität gewordenen – Missbrauchs dieses Wortes,7 sondern weil unsere Um-

2

T. RENDTORFF, Gott – ein Wort unserer Sprache?, TEH 171, München 1972, 10. R. M. RILKE, Duineser Elegien. Die achte Elegie (vorletzte Strophe). 4 RENDTORFF, a.a.O. 29. Weil das Thema »Gott« auch keineswegs der Theologie allein »gehört« bzw. nicht von vornherein von ihr exklusiv mit Beschlag belegt werden kann, sollen in diesem Buch mit Fleiß auch immer wieder nichttheologische Autoren zu Gehör gebracht werden. 5 Selbst eine so elaborierte, schier allumfassende Theologie wie die des Thomas von Aquin gesteht, was Gott in seinem An-sich-Sein betrifft: »quid est Deus nescimus« (De pot., q. VII, a. 2, ad 11). Gleichwohl muss der Versuch gemacht werden, die »negative Theologie« nicht das letzte Wort behalten zu lassen. 6 Dies ist gegen den scheinbar so plausiblen Satz L. Wittgensteins in Anschlag zu bringen: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen« (L. WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus 7). 7 Cf. den eindrücklichen Protest (P. Natorps) bei M. BUBER, Gottesfinsternis, Zürich 1953. Nach G. Ebeling droht uns heute bezüglich des Redens über Gott: »in der Tat das, 3

Vorwort

IX

sicht im Gebrauch des Wortes auch einer Rücksicht auf den entspricht, der in diesem Wort zur Sprache kommt.8 Von Gott zu reden, macht unausweichlich Schwierigkeiten, eben weil Gott – Gott ist und nicht ein geläufiger Sachverhalt unserer Welterfahrung. Das heißt aber: Es sieht so aus, als ob das Wort »Gott« auch noch unseren Umgang mit ihm reguliert.9 Zu alledem kommt der Spannungsreichtum hinzu, der darin liegt, dass, indem wir von Gott reden, Gott etwas für uns ist, bzw. darin, dass wir überhaupt nur authentisch von Gott reden können, wenn er etwas »für uns«, d. h., wenn er für uns selber Gott ist. Damit ergibt sich die Schwierigkeit, wie individuell-subjektive Rede von Gott (Gott als jeweils für mich, »mein Gott«) sich zu einer allgemein-objektiven Rede über Gott (als Schöpfer, als Handelnder, Redender usw., überhaupt Gott an sich selber) verhält. Es bleibt dabei der grundsätzliche Sachverhalt zu berücksichtigen, dass, von Gott zu reden, immer heißt, auch über sich selbst zu reden. Diese unumgängliche Subjektbezogenheit dessen, was doch wahrer ist als alle Objektivität, macht gedanklich und persönlich Probleme. Umgekehrt steckt darin auch die Dimension der Selbstauslegung im Reden von Gott. Indem ich von ihm rede, spreche ich zugleich immer über mich, lege mich selber aus, lege mich fest. »Ich glaube an Gott« zu sagen, hat fast den Charakter einer Selbstdefinition, jedenfalls einer Selbstidentifikation.10 Wie kann ich mich so festlegen, ohne mein lebendiges, noch im Fluss begriffenes Selbstsein in falscher Weise zu fixieren? Von Gott reden zu müssen, kann auch die Angst vor falscher Selbstfestlegung erzeugen, und ihr muss schon in der Konzeption des

was ich eine Sprachvergiftung nannte: eine Sepsis unseres geistigen Lebens« (G. EBELING, Gott und Wort, in: ders., Wort und Glaube, Bd. II, Tübingen 1969, 396–432, hier 398). 8 Das augustinische »würdig von Gott reden« (θεοπρεπῶς). Bei Augustin heißt es: »Certe hoc est Deus, quod et cum dicitur non potest dici, cum aestimatur non potest aestimari, cum comparatur non potest comparari, cum definitur ipsa definitione crescit« (Sermo CXIII 2; PL 39, 1970). Das ist nicht als »negative Theologie«, sondern (innersprachlich) als bestimmte Negation zu verstehen; positiv entspricht dem Anselms von Canterbury »quo nihil maius cogitari possit«. Cf. auch die bekannte Bestimmung des IV. Lateranums: »quia inter creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda« (DS, nr. 806). 9 Cf. dazu genauer unten § 10 F. 5.2.: Das Wort »Gott« (S. 593ff). 10 Das wird sozusagen theologisch positiv gewendet bei P. Klossowski: »Jede Identität beruht nur auf dem Wissen um einen Denkenden außerhalb unserer selbst (sofern es ein Außen und Innen gibt), einen Denkenden, der von draußen es für richtig hält, uns als ›uns‹ zu denken. Wenn das Draußen wie Drinnen im Sinne eines abstrakten Zusammenhanges Gott ist, dann ist unsere Identität reine Gnade; wenn es die Welt ringsum, in der alles mit der Bezeichnung anfängt und endet, ist, dann ist unsere Identität nur reine grammatische Spielerei« (P. KLOSSOWSKI, Die Gesetze der Gastfreundschaft, übersetzt von S. v. Massenbach, Reinbek bei Hamburg 1966, 368; Nachwort).

X

Vorwort

Gottesbegriffs selber Rechnung getragen werden; jedenfalls soll das hier versucht werden. Im Vordergrund steht aber wohl stets die allgemeine Besorgnis: wie ich als endlicher, begrenzter Mensch mit mannigfaltigen Beschränkungen und Irrtumsrisiken überhaupt von Gott soll reden können. Wie kann unser Reden und Denken über Gott wahr sein? Solche und ähnliche Fragen, die ich jetzt abbreche, verweisen uns an die theologische Aufgabe, die wir uns vorgenommen haben: Gott selbst zu denken. 3. Der hier vorgelegte Entwurf einer Gotteslehre erhebt den Anspruch, Gottes Wirklichkeit und insbesondere seinen Begriff als »lebendiger Gott« auf eine ungewöhnliche und neue Weise zu denken. Sie ist in meiner JesusDarstellung an wichtigen Stellen und abschließend in Kapitel 15 skizziert worden,11 und ich löse mit diesem Buch gleichsam die Verpflichtung ein, jene Andeutungen systematisch zu einer Gotteslehre auszuarbeiten, soweit es mir möglich ist. Sollte das überzeugend gelungen sein, so erfährt dadurch der Versuch, Jesus zu begreifen, d. h. zu begreifen, worum es bei seiner Erscheinung überhaupt gegangen ist, nachträglich auch eine dogmatische Begründung in einem konsistenten Begriff von Gott. Die Drucklegung wurde dankenswerterweise gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Für die mit erheblichem technischen Aufwand verbundene sorgfältige Vereinheitlichung meines Manuskriptes zu einer druckfertigen Vorlage bin ich Herrn Dr. theol. Stefan Schwerdtfeger (Jühnde) und Herrn Dr. theol. Claus-Jürgen Thornton (Berlin) zu großem Dank verpflichtet. Göttingen, im Jahr 2018

11

J. R.

J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, bes. 652ff (Der Gott des Sohnes. Gottes Sich-Hervorbringen).

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis........................................................................... XXIII Abgekürzt zitierte Literatur .................................................................. XXVII

Einführende Überlegungen ............................................................................ 1

Erster Teil: Prolegomena § 1 Theologia viatorum................................................................................11 § 2 Gotteserkenntnis ....................................................................................17 A. Gott gibt sich zu erkennen ................................................................17 B. Theologische Gotteserkenntnis .........................................................28 § 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken) ..........................................33 A. Doctrina de Deo ...............................................................................33 B. Gott denken ......................................................................................39 C. Der Gottesbegriff..............................................................................47 D. Gott als die Wahrheit denken............................................................49 E. Selbst denken....................................................................................55 § 4 Die Korrelation von Gott und Glaube ....................................................60 Exkurs I: Die Dialektik von Form und Inhalt des Glaubens....................75 § 5 Folgerungen und Ausblick .....................................................................82

Zweiter Teil: Die Lehre von Gott Kapitel I: Der Begriff Gottes ...............................................................89 § 1 Gottes Name ..........................................................................................89 Einleitung ..............................................................................................89 A. Zur Exegese von Ex 3,14 ..................................................................92 1. Der offenbare Name .....................................................................92 2. Positionen der Forschung .............................................................94 3. Ertrag der Exegese .....................................................................102 4. Bedeutung für den Begriff von Gott ...........................................105

XII

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B. Spekulative Interpretation...............................................................108 1. Die sprachliche Gestalt...............................................................108 2. Begreifen des Namens................................................................112 3. Zusammenfassung ......................................................................121 C. Religiöse Auslegung .......................................................................122 1. Gottes Nähe und Freiheit............................................................122 2. Der Mensch vor Gott..................................................................124 D. Das Weitersprechen von Ex 3,14 im Neuen Testament...................126 1. Fortschreibung............................................................................126 2. Das Vierte Evangelium ...............................................................128 3. Luther .........................................................................................132 4. Nachspiel (Paulus und Ex 33,19b) ..............................................133 5. Johannesapokalypse....................................................................134 6. Durch-sich-selber-Sein ...............................................................139 Exkurs II: Die Tautologie-Frage (Ian T. Ramsey).......................................140 Exkurs III: Echos des Namens....................................................................141 A. Theologische Bezugnahmen ...........................................................142 B. Philosophische Bezugnahmen.........................................................156 C. Echos von Ex 3,14 bei Dichtern und Schriftstellern........................163 § 2 Der Begriff Gottes ...............................................................................171 A. Vom Namen zum Begriff Gottes (Zum Übergang von § 1 zu § 2) ......................................................171 1. Ein traditioneller Gottesbegriff...................................................171 2. Gott im Begriff (I)......................................................................172 3. Einheit im Unterschied ...............................................................175 4. Gott im Begriff (II) ....................................................................178 B. Die göttliche Aseität .......................................................................180 1. Die abgründige Frage Kants .......................................................180 2. Autousia .....................................................................................182 3. Esse a se (Anselm) .....................................................................183 4. Thomas und Duns Scotus ...........................................................185 5. Luther und Melanchthon ............................................................187 6. Francisco Suárez ........................................................................189 7. Evangelische Dogmatik ..............................................................189 C. Causa sui........................................................................................192 1. Affirmative Formulierungen (Von der Frühzeit bis ins 20. Jahrhundert) .................................193 2. Kritik der Causa sui ...................................................................204 3. Zur Diskussion der Causa sui.....................................................208 D. Der Sich-selbst-Setzende ................................................................211 1. Logik der Causa sui (Hegel) ......................................................211 2. Erläuterungen .............................................................................214

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XIII

3. Gottes Sich-Hervorbringen (Tradition).......................................216 4. Gottes Sein im Werden...............................................................218 4.1. Gott und das Nichts ............................................................218 4.2. Gottes Anfangen mit sich....................................................220 5. Resultate (Systematisch und religiös) .........................................221 Exkurs IV: Einige biblische Spuren............................................................228 E. Werden zu sich ...............................................................................230 1. Gottes Lebendigkeit ...................................................................230 2. Gottes Unveränderlichkeit..........................................................232 3. Selbstbewegung..........................................................................234 4. Sich-Voraussetzen und Zeit........................................................236 F. Einige theologische Folgerungen ....................................................239 1. Existenz des lebendigen Gottes ..................................................239 2. Ewiges Sich-Voraussetzen..........................................................240 3. Göttliche Gegenwart...................................................................242 Exkurs V: Gottes Selbstverwirklichung (H. Schell und K. Barth)...............244

Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas) ...............................249 § 3 Der Eine und das Selbst .......................................................................249 A. Zum Übergang von § 2 ...................................................................249 B. Gottes Einheit an sich .....................................................................250 1. Dreifacher Sinn von Einheit .......................................................251 1.1. Unus ...................................................................................252 1.2. Solus ...................................................................................253 1.3. Verus ..................................................................................254 1.4. Neues Testament.................................................................255 1.5. Logische Analyse................................................................258 1.5.1. Singularitas ..............................................................259 Exkurs VI: Der eine Gott und der Glaube...................................................262 1.5.2. Simplicitas ................................................................264 1.5.3. Totalitas....................................................................267 1.5.4. Unitas .......................................................................267 C. Gottes Einheit mit sich....................................................................268 1. Bestimmungen der Tradition ......................................................268 2. Einheit mit sich im Anderen .......................................................273 D. Gottes Selbstsein ............................................................................274 1. Gottes Selbstsein als Selbstbestimmung......................................277 2. Gottes Selbstsein als Selbstverdoppelung ...................................278 3. Gottes Selbstsein als Selbstbewegung.........................................279 4. Gottes Selbstsein als Selbstübereinstimmung .............................280 E. Der persönliche Gott.......................................................................281 F. Absolute Einheit (Zusammenfassung).............................................290

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§ 4 Der Lebendige .....................................................................................295 Vorbemerkung .....................................................................................295 A. Hinführung .....................................................................................296 B. Der lebendige Gott als der Gott der Bibel.......................................298 1. Altes Testament..........................................................................298 2. Neues Testament ........................................................................300 C. Gottes Lebendigkeit (systematisch) ................................................307 D. Coincidentia oppositorum ..............................................................314 1. Johann Georg Hamann ...............................................................315 2. Gottes Freiheit............................................................................316 3. Aktuelle Gegensatzeinheit ..........................................................317 E. Gottes Unendlichkeit ......................................................................320 F. Gott: Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt ..................................322 Exkurs VII: Zur Geschichte des Weiterwirkens von »sphaera infinita«.......332 § 5 Der Allmächtige...................................................................................345 A. Einleitung .......................................................................................345 B. Biblische Zugänge ..........................................................................346 1. Alttestamentliche Gesichtspunkte...............................................347 2. Gottes Allmacht im Neuen Testament ........................................349 C. Dogmatisches Grundverständnis.....................................................354 D. Allmacht als Möglichkeit und Wirklichkeit ....................................359 1. Können und Tun.........................................................................359 2. Können und Wollen ...................................................................360 3. Wollen und Tun .........................................................................362 4. Allwirksamkeit ...........................................................................362 E. Gottes Allmacht als Vollkommenheit .............................................364 F. Macht über die eigene Macht..........................................................365 G. Allmacht, Liebe und Freiheit ..........................................................367 § 6 Gottes Herablassung ............................................................................372 A. Systematische Einleitung ................................................................372 B. Zur Begriffsgeschichte....................................................................375 C. Herablassung und Menschwerdung (Phil 2,6–11) ...........................378 D. Zur Lehre von den »status Christi«....................................................385 E. Zum Verhältnis von Gottes Immanenz und Transzendenz (Bonhoeffer) ...................................................................................389 F. Kondeszendenz bei M. Luther ........................................................390 G. Herunterlassung bei J. G. Hamann..................................................394 H. Gottes Herablassung bei S. Kierkegaard .........................................399 I. Das Motiv der Himmelsleiter..........................................................400

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XV

Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften) § 7 Einige Vielfalt und vielfältige Einheit ..................................................403 Einleitung ............................................................................................403 A. Zur Problematik der Eigenschaftslehre ...........................................403 B. Begriff der Eigenschaft...................................................................418 C. Gottes Eigenschaften als Selbstauslegung seines Wesens ...............424 D. Erläuterung des Leitsatzes ..............................................................429 E. Die Konkretion des göttlichen Seins (als Entfaltung des Begriffs) ...........................................................431 F. Zum Aufbau von Kapitel III (Überblick) ........................................434 1. Der allmächtig Lebende .............................................................435 2. Der lebendige Allmächtige .........................................................435 Erste Hälfte: Allmächtiges Leben § 8 Der Schaffende ....................................................................................437 A. Der Schöpfungsglaube....................................................................437 B. Schöpfungslehren ...........................................................................449 C. Das Problem des Anfangs ...............................................................456 D. Creatio ex nihilo.............................................................................465 E. Schöpfung im Wort ........................................................................479 F. Der Schaffende und seine Welt.......................................................484 1. Schöpfung und der lebendige Gott .............................................484 2. Schöpfung und Erhaltung ...........................................................489 3. Die geschaffene Welt (Zu Mensch, Natur und Geschichte) ........492 4. Der liebende Schöpfer ................................................................500 5. Ewigkeit der Schöpfung?............................................................502 6. Schöpfung und Eschaton ............................................................505 7. Gottes Schaffen (Rückblick).......................................................508 8. Übergang zu § 9 .........................................................................509 § 9 Der Ewige ............................................................................................510 A. Schöpfung und Ewigkeit.................................................................510 B. Gott der Ewige ...............................................................................517 1. Gottes Ewigkeit..........................................................................517 2. Christliche Konkretisierung........................................................521 C. Auf dem Wege zur klassischen Definition ......................................522 D. Zur Zeit-Ewigkeits-Dialektik ..........................................................532 1. Von Ewigkeit zu Ewigkeit..........................................................532 2. Zeitlos vergangen (Hegel) ..........................................................534 3. Von der Schöpfung zur Ewigkeit (Luther)..................................539

XVI

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4. Das Ineinanderübergehen von Zeit und Ewigkeit........................541 4.1. Ewigkeit kommt in die Zeit.................................................542 4.2. Zeitlichkeit geht in die Ewigkeit .........................................543 5. Antinomie des Ewigkeitsglaubens ..............................................546 6. Ewigkeit und Augenblick ...........................................................547 6.1. Der Kairos ..........................................................................547 6.2. Vom existenziellen Geheimnis der Ewigkeit (Kierkegaard)......................................................................549 § 10. Der Offenbare....................................................................................551 A. Der Offenbarungsbegriff.................................................................551 1. Der Begriff Offenbarung im Allgemeinen ..................................551 2. Der spekulative Begriff von Offenbarung...................................555 3. Selbstoffenbarung als ein Sich-Offenbaren.................................557 B. Der Offenbare.................................................................................561 1. Der offenbare Gott .....................................................................561 2. Die offenbare Religion ...............................................................565 C. Der Gottesweg ................................................................................568 1. Offenbarung als Geschichte (Pannenberg)..................................568 2. Vorläufige und letztgültige Offenbarung (Tillich) ......................570 3. Allgemeine und besondere Offenbarung.....................................571 4. Vergangene und gegenwärtige Offenbarung ...............................574 D. Schöpfung und Offenbarung ...........................................................576 E. Offenbarung und Menschwerdung ..................................................578 F. Das Wort »Gott« ................................................................................581 1. Meditation über das Wort »Gott« (Erste These) .........................581 2. Das Wort »Gott« und die Sprache ..............................................584 3. Das Wort »Gott« und die religiöse Erfahrung (I. T. Ramsey) .....585 4. Die Einheit des Wortes »Gott« und die Einheit Gottes ...............591 5. Zur Dialektik des Wortes »Gott« ..................................................593 6. Das Wort »Gott« und das Wort Gottes (Zweite These)...............595 7. Das Wort »Gott« und Gott (J. König) .........................................603 8. Das Wort »Gott« und Gottes Name (Ex 3,14).............................606 9. Abschließende Überlegungen .....................................................607 G. Offenbarung und Glaube.................................................................609 § 11 Der Liebende ......................................................................................612 A. Einleitung .......................................................................................612 B. Der Liebende ..................................................................................613 1. Gott ist Liebe .............................................................................613 2. Gott ist Liebe .............................................................................619 3. Gott ist Liebe..............................................................................625

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XVII

C. Der Geliebte ...................................................................................632 1. Gottes Neubestimmung in Jesus .................................................633 2. Glaube und Gebet.......................................................................634 3. Die Gottesgeburt ........................................................................635 4. Jesu Personsein als communicatio idiomatum ............................637 5. Gott weiß sich in Jesus ...............................................................639 6. Die Liebe am Kreuz ...................................................................639 7. Eschatologische Kindschaft........................................................643 8. Liebe und Gegenliebe.................................................................644 D. Die Liebenden ................................................................................644 1. Glaube und Liebe .......................................................................644 2. Gottesliebe und Nächstenliebe ...................................................648 2.1. Coincidentia oppositorum...................................................649 2.2. Nächstenliebe und Selbstliebe.............................................649 2.3. Ein Gott – zwei Gebote.......................................................650 3. Liebe und Ewigkeit (Kierkegaard)..............................................650 Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht § 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende ................................................653 A. Die Dialektik von Allgegenwart und Allwissenheit.........................655 1. Die Begriffe ...............................................................................655 2. Ihre Zusammengehörigkeit .........................................................658 B. Näherbestimmungen zur Allgegenwart ...........................................660 1. Dogmatisch ................................................................................660 2. Biblisch ......................................................................................661 C. Näherbestimmungen zur Allwissenheit ...........................................662 1. Biblisches...................................................................................662 2. Theologisches ............................................................................664 3. Ein spekulatives Gleichnis (Nikolaus von Kues) ........................665 D. Der 139. Psalm ...............................................................................666 E. Gottes geistige Anwesenheit (Einheit von Allgegenwart und Allwissenheit)................................669 1. Allgegenwart im Raum...............................................................669 2. Allgegenwart im Ich (Augustin) .................................................677 3. Allgegenwart als coincidentia oppositorum (Luther)..................680 Exkurs VIII: Zur Geschichte des Weiterwirkens von »interior intimo« .......685

XVIII

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§ 13 Der Geist ............................................................................................703 A. Einleitung: Der Herr und der Geist (Zum Verhältnis von § 13 und § 14) ...............................................703 B. Philosophische Propädeutik............................................................706 1. Ein philologischer Zugang..........................................................707 2. Minima Etymologica ..................................................................708 3. Grundzüge eines allgemeinen Geistbegriffs................................711 C. Probleme der Tradition...................................................................724 1. Alte Kirche.................................................................................724 2. Altprotestantische Orthodoxie ....................................................724 D. Biblische Orientierung....................................................................726 1. Altes Testament..........................................................................728 2. Neues Testament ........................................................................730 E. Spiritus est Deus (Der konkrete Geistbegriff) .................................735 1. Gegenwart Gottes im Geist (Joh 4,24)........................................736 2. Dominus spiritus est (2Kor 3,17) ...............................................739 3. Der sich offenbarende Geist .......................................................741 4. Der sich erkennende Geist..........................................................743 5. Der sich hervorbringende Geist ..................................................745 F. Zum Begriff des absoluten Geistes .................................................749 1. Geist und Gespräch (Joh 3,1–10) ...............................................749 2. Geist und Verzeihung .................................................................750 § 14 Der Herr .............................................................................................754 A. Einleitende Bemerkungen ...............................................................754 B. Gott der Herr ..................................................................................755 1. Der Herr als der Eine .................................................................755 2. Der Herr als der Schöpfer...........................................................755 3. Der Herr als der Vater ................................................................756 4. Der Herr als der Dreieinige ........................................................757 C. Der Herr als Geist...........................................................................758 1. Herrsein als Geistsein.................................................................758 2. Zur Logik der Einheit von Herr und Geist ..................................759 D. Der Herr des Lebens .......................................................................761 1. Die heilige Macht über unser Leben: der Vater ..........................761 2. Die heilige Macht gegenüber unserm Leben: der Fordernde ......762 3. Der Herr als die Wahrheit unseres Seins ....................................763 E. Der Herr des Wortes (Gesetz und Evangelium) ..............................764 F. Der Richter des Lebens...................................................................767 1. Der Herr als Richter ...................................................................768 2. Das Gericht der Liebe (Mt 25,31–46).........................................770

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XIX

Kapitel IV: Das absolute Sein Gottes § 15 Der Dreieinige ....................................................................................772 Abschnitt I: Hinführung: Problematik und Ansatz der Trinitätslehre A. Allgemeine Vorbemerkungen .........................................................772 1. Die Perspektive ..........................................................................772 2. § 15 im Zusammenhang dieser Gotteslehre ................................774 B. Zum trinitarischen Dogma ..............................................................776 1. Altkirchliche Lehrbestimmungen................................................776 2. Altprotestantische Orthodoxie ....................................................780 3. Grundbedingungen eines Begriffs göttlicher Dreieinigkeit .........781 C. Der Dreieine als Wahrheit des Monotheismus (Das Grundpostulat) .......................................................................782 1. Konsequenter Monotheismus .....................................................782 2. Zu den biblischen Wurzeln.........................................................785 3. Gegen abstrakten Monotheismus ................................................786 4. Zusammenfassung ......................................................................788 D. Ein neuer Vorschlag zur trinitarischen Begrifflichkeit ....................789 1. Terminologische Probleme.........................................................789 1.1. Persona ..............................................................................789 1.2. Relatio ................................................................................791 1.3. Problemformulierung ..........................................................793 2. Statt Person »Mitte« – ein Lösungsvorschlag .............................794 2.1. Vorblick..............................................................................794 2.2. Die Logik der drei Mitten ...................................................795 2.3. Theologische Auswertung...................................................800 2.4. Der absolute Begriff Gottes (Zusammenfassung) ................805 Abschnitt II: Grundzüge: Trinitätslehre und Christologie ...........................808 E. Der christologische Ursprung des trinitarischen Gedankens ...........808 1. Einleitung...................................................................................808 2. Trinität und die Jesusüberlieferung.............................................809 F. Der Begriff »Selbstunterscheidung«..................................................817 G. Der Vater Jesu Christi (Der Gott des Sohnes).................................819 1. Vorbemerkung: Zur Vater-Terminologie ....................................819 2. Der Sohn in der Selbstunterscheidung vom Vater.......................820 2.1. Die Selbstunterscheidung Jesu von Gott .............................820 2.2. Die Selbstunterscheidung vom Vater her ............................821

XX

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3. Innergöttliche Hervorgänge ........................................................823 3.1. Ewige Zeugung (cf. Joh 3,18b; 1Joh 5,1; Hebr 1,5 mit Ps 2,7).....................824 3.2. Der Sohn als Wort ..............................................................826 3.3. Zusammenfassung (zu 3.1. und 3.2.) ...................................828 3.4. Hauchung des Geistes .........................................................829 3.5. Zwei processiones ..............................................................831 H. Der eine Gott ..................................................................................832 1. Monotheismus und Trinität ........................................................832 2. Der lebendige Schöpfer (Luther) ................................................833 3. Das Leben Gottes im Logos (Joh 5,26).......................................837 4. Der eine Gott und Jesus..............................................................839 I. Versuch über den Heiligen Geist ....................................................844 1. Der Geist als eigene Instanz (»Hypostase«) ................................845 2. Die Einheit des Dreieinigen im Heiligen Geist ...........................849 3. Der Geist Gottes und der Glaube................................................851 Abschnitt III: Durchführung: Gottes absolutes Sein als Dreieinigkeit.........857 J. Gottes trinitarische Selbsthervorbringung .......................................857 1. Aseität und Werden in Gott ........................................................857 2. Trinitarisches Sich-selbst-Hervorbringen ...................................859 2.1. Die Vater-Sohn-Einheit ......................................................860 2.2. Gottes Selbsthervorbringung als Dreieiniger.......................861 2.3. Ewige Trinität und die Mitte der Geschichte.......................862 3. Warum drei? (Lebendige Einheit der drei Mitten) ......................863 K. Ökonomische und immanente Trinität ................................................865 1. Lebendige Einheit ......................................................................866 2. Geschichte der Trinität ...............................................................868 3. Trinität und Eschatologie ...........................................................870 L. Zur Perichorese ..............................................................................871 M. Absolute Korrelativität (Rekapitulation).........................................873 1. »Person« und Beziehung ............................................................874 2. »Person« und Gemeinschaft........................................................875 3. »Person« und der lebendige Gott ................................................876 N. Beschluss: Gottes Name als absolute Form des Begriffs .................878 § 16 Der Erste und der Letzte.....................................................................882 A. Theologie und Eschatologie............................................................882 1. Eschatologie und Gotteslehre .....................................................882 2. Beobachtungen zur Terminologie...............................................885 B. Der Erste und der Letzte .................................................................887 1. Gott als der Anfang und das Ende (Apc 1,8; 21,6) .....................887 2. Gott als der Erste und der Letzte (Apc 1,8; 21,6) .......................889

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XXI

C. Gott und das eschatologisch Neue ..................................................891 1. Die Selbstverwirklichung nach Ex 3,14 ......................................891 2. »Ich mache alles neu« (Apc 21,5)...............................................892 3. Der Weg Gottes zu sich..............................................................895 D. Die werdende Welt .........................................................................897 1. Im Werden (1Joh 3,2) ................................................................897 2. Im Vergehen (1Kor 7,31b) .........................................................904 3. Das Warten der Schöpfung (Röm 8,18–24 und 1Kor 15,35ff) ....906 3.1. Christusglaube ....................................................................906 3.2. Der mit-genommene Kosmos ..............................................907 3.3. Die künftige Auferstehung in kosmischem Zusammenhang...........................................911 4. Eschatologische Zukunft ............................................................915 E. Tod und ewiges Leben....................................................................918 1. Unser Tod und das ewige Leben.................................................918 1.1. Der eigene Tod ...................................................................918 1.2. Sterben ins Leben ...............................................................921 2. Gott und unsere Vergangenheit ..................................................929 3. Descensus ad inferos (Christi Höllenfahrt).................................935 4. Unser ewiges Leben und Gottes ewiges Leben ...........................940 4.1. Ewiges Leben .....................................................................940 4.2. Der ewig lebendige Gott .....................................................945 5. Der lebendige Gott und die Zeit .................................................948 F. Jüngster Tag und Gericht................................................................950 G. Glaube und Hoffnung .....................................................................955 H. Der Eine: Alles in allem (1Kor 15,28) ............................................957

Bibelstellen ................................................................................................965 Namen ........................................................................................................967 Begriffe und Sachen ...................................................................................979

Abkürzungsverzeichnis AELKZ AKG Ang. AOAT ATD AThANT BEThL BEvTh BFChTh BGBE BGPhMA BHTh Bib. BK BÖTh BPhL BS BSLK BSTh BThZ BZAW BZNW BZSF CA CChr.SL CMe CR CSCO CSEL detebe DK DS DtPfrBl dtv DZPh EG EKK EnAC ErJb ES NF

Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung Arbeiten zur Kirchengeschichte Angelicum Alter Orient und Altes Testament Das Alte Testament Deutsch Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium Beiträge zur evangelischen Theologie Beiträge zur Förderung christlicher Theologie Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese Beiträge zur Geschichte der Philosophie (und Theologie) des Mittelalters. Texte und Untersuchungen Beiträge zur historischen Theologie Biblica Biblischer Kommentar Beiträge zur ökumenischen Theologie Bibliothèque philosophique de Louvain Bibliothek Suhrkamp Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Beiträge zur systematischen Theologie Berliner theologische Zeitschrift Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Biblische Zeit- und Streitfragen Confessio Augustana Corpus Christianorum. Series Latina Christliche Meister Corpus reformatorum Corpus scriptorum Christianorum orientalium Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum Diogenes Taschenbuch Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker. Erster Band (19516 Denzinger/Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum 341967 Deutsches Pfarrerblatt Deutscher Taschenbuchverlag Deutsche Zeitschrift für Philosophie Evangelisches Gesangbuch Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament Entretien sur l’antiquité classique Eranos-Jahrbuch Edition Suhrkamp Neue Folge

XXIV es EvTh EvTh.S EWNT FAT Fischer Tb FRLANT FS FSÖTh FThSt GGA GNO GTBS HPhG HST HThKNT HUTh HWP it IThS JAWG JBTh JHMTh JHP KD KEK KGA KO.M KrV KTA KU KuD KVR LThK3

LuJ MBTh MJTh MMHST MS MThSt

Abkürzungsverzeichnis edition suhrkamp Evangelische Theologie Evangelische Theologie. Sonderheft Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hg. von H. R. Balz/G. Schneider, 3 Bde., Stuttgart 21992 Forschungen zum Alten Testament Fischer Taschenbuch Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Franziskanische Studien Forschungen zur Systematischen und Ökumenischen Theologie Freiburger theologische Studien Göttingische gelehrte Anzeigen Gregorii Nysseni opera Gütersloher Taschenbücher Siebenstern Handbuch philosophischer Grundbegriffe Handbuch systematischer Theologie Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie Historisches Wörterbuch der Philosophie insel taschenbuch Innsbrucker theologische Studien Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Jahrbuch für Biblische Theologie Journal for the History of Modern Theology Journal of the History of Philosophy Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik; siehe Abgekürzt zitierte Literatur Kritisch-exgetischer Kommentar über das Neue Testament Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe; siehe Abgekürzt zitierte Literatur Kirche im Osten. Monographienreihe Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; siehe Abgekürzt zitierte Literatur Kröners Taschenausgabe Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft; siehe Abgekürzt zitierte Literatur Kerygma und Dogma Kleine Vandenhoeck-Reihe Lexikon für Theologie und Kirche, 3., völlig neu bearbeitete Auflage, hg. von M. Buchberger u. a., 11 Bde., Freiburg u. a. 1993–2003 Luther-Jahrbuch Münsterische Beiträge zur Theologie Marburger Jahrbuch Theologie Münchener Monographien zur historischen und systematischen Theologie Mediaeval Studies Marburger theologische Studien

Abkürzungsverzeichnis NGWG.PH NRTh NTA NF NTD NZSTh OCP ÖTBK PaThSt PG PhB PhJ PhR PiLi PL RE3 RevSR RGG4 RMM RomR RPT RUB SBS SC ScG SchlAr SD SGV SLAG STAC StANT stb STh StJ StLeib STM StPh stw StZ TB TBT TEH

XXV

Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, I. Philologisch-historische Klasse Nouvelle revue théologique Neutestamentliche Abhandlungen. Neue Folge Das Neue Testament Deutsch Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie Orientalia Christiana periodica Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament Paderborner theologische Studien Patrologiae cursus completus. Series graeca, accurante J.-P. Migne Philosophische Bibliothek Philosophisches Jahrbuch Philosophische Rundschau Pietas liturgica Patrologiae cursus completus. Series latina, accurante J.-P. Migne Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Auflage, hg. von A. Hauck, 24 Bde., Gotha 1896–1913 Revue des sciences religieuses Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. von H. D. Betz u. a., 8 Bde., Tübingen 1998–2005 Revue de métaphysique et de morale Romanic Review Religion in Philosophy and Theology Reclams Universal-Bibliothek Stuttgarter Bibelstudien Sources chrétiennes Thomas von Aquin, Summa contra gentiles; siehe Abgekürzt zitierte Literatur Schleiermacher-Archiv Solida Declaratio Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft Studien und Texte zu Antike und Christentum Studien zum Alten und Neuen Testament Suhrkamp Taschenbuch Thomas von Aquin, Summa theologica; siehe Abgekürzt zitierte Literatur Studia Judaica Studia Leibnitiana Systematisch-theologische Monografien Studia Philosophica (Basel) suhrkamp taschenbuch wissenschaft Stimmen der Zeit Theologische Bücherei Theologische Bibliothek Töpelmann Theologische Existenz heute

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Abkürzungsverzeichnis Theologisches Handwörterbuch zum Alten Tesatment, hg. von E. Jenni/C. Westermann, 2 Bde., München 1971–1976 Theologische Blätter Theologie und Glaube Theol. Handkommentar zu NT Theologische Literaturzeitung Theologische Quartalschrift Theologische Rundschau Theologische Rundschau. Neue Folge Theologische Studien (Zürich) Theologische Wissenschaft Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, hg. von G. J. Botterweck/H. Ringgren, 10 Bde., Stuttgart u. a. 1973–2016 Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hg. von G. Kittel u. a., 10 Bde., Stuttgart 1933–1979 Theologische Zeitschrift (Basel) Topoi Biblischer Theologie/Topics of Biblical Theology Theologische Realenzyklopädie, hg. von G. Krause/G. Müller, 36 Bde., Berlin/New York 1976–2004 Texte zur Forschung Urban-(Taschen-)Bücher Ullstein Taschenbuch Uni-Taschenbücher Veröffentlichungen der Luther-Akademie Ratzeburg Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Weimar, 1.1883ff. – Briefwechsel, 1.1930ff. – Deutsche Bibel, 1.1906ff. – Tischreden, 1.1912ff. Wiener Jahrbuch für Philosophie Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Welt des Orients. Wissenschaftliche Beiträge zur Kunde des Morgenlandes Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für evangelische Ethik Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für katholische Theologie Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte Zeitschrift für philosophische Forschung Zeitschrift für systematische Theologie Zeitschrift für Theologie und Kirche Zeitschrift für Theologie und Kirche. Beiheft Zwischen den Zeiten Zwischen den Zeiten. Beiheft

Abgekürzt zitierte Literatur Anselm, Op. omn.: S. Anselmi Cantuariensis archiepiscopi opera omnia. Ad fidem codicum rec. Franciscus Salesius Schmitt, 6 Bde., Seckau u. a. 1938–1961 BARTH, KD: Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. I/1–IV/4, Zürich 1932–1967 Bonaventura, Op. omn.: Doctoris Seraphici S. Bonaventurae S. R. E. Episcopi Carinalis opera omnia. Ad plurimos codices mss. emendata anecdotis aucta prolegomenis scholiis notisque illustrata, 10 Bde., Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1882/83–1902 BONHOEFFER, DBW: D. Bonhoeffer, Werke, hg. von E. Bethge u. a., 16 Bde., München 1986–1998 Eckhart, DW: Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke. Die deutschen Werke, Stuttgart 1954ff Eckhart, LW: Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke. Die lateinischen Werke, Stuttgart 1936ff GOETHE, GA: Johann Wolfgang von Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hg. von Ernst Beutler, 24 Bde., Zürich 1948ff HAMANN, SW: Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke, hg. von Josef Nadler, 6 Bde., Wien 1949–1957 HAMANN, Briefwechsel: Johann Georg Hamann, Briefwechsel, hg. von Walther Ziesemer/ Arthur Henkel, 7 Bde., Wiesbaden/Frankfurt 1955–1979 HEGEL, Werke: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in zwanzig Bänden (TheorieWerkausgabe), hg. von E. Moldenhauer, Frankfurt 1971 HEIDEGGER, GA: Martin Heidegger, Gesamtausgabe, 4 Abteilungen, Frankfurt 1975ff HERDER, SW: Johann Gottfried von Herder, Herders Sämmtliche Werke, hg. von Bernhard Suphan (und Carl Redlich), 33 Teile, Berlin 1877–1913 (Nachdr. Hildesheim 1994) HÖLDERLIN, KlStA: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Kleine Stuttgarter Ausgabe, 6 Teile, hg. von Friedrich Beißner, Stuttgart 1944–1959 HUMBOLDT, GS: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, hg. von Albert Leitzmann, 15 Bde., Berlin 1903–1918 (photomechanischer Nachdr. Berlin 2015) JACOBI, Werke: Friedrich Heinrich Jacobi, Werke, hg. von Friedrich Roth/Friedrich Köppen, 6 Bde., Leipzig 1812–1825 (Nachdr. Darmstadt 1968) Kant-AA: Kants Werke. Akademie-Textausgabe, Berlin 1902ff (photomechanischer Nachdruck, 9 Bde., Berlin 1968–1977) KANT, KrV: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft KANT, KU: Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft KIERKEGAARD, GW: Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke, hg. von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes, 36 Abteilungen, Düsseldorf 1950ff LUTHER, WA: siehe Abkürzungsverzeichnis unter WA NIETZSCHE, KSA: Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari, München 1999 Nikolaus von Kues, Phil.-theol. Schr.: Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Schriften, hg. und eingeführt von Leo Gabriel, 3 Bde., Wien 1964–1967 (Nachdrucke 1982, 1989)

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Abkürzungsverzeichnis

PASCAL, Pensées (Brunschvicg): B. Pascal, Pensées et opuscules. Publiées avec une introduction, des notices, des notes par L. Brunschvicg, Paris 1951 SCHELLING, SW: Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Sämmtliche Werke, Erste Abtheilung: 10 Bde., Zweite Abtheilung: 4 Bde., Stuttgart/Augsburg 1856–1861 (reprographischer Nachdruck Darmstadt 1966ffs) SCHLEIERMACHER, CG2: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangtelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31), hg. von R. Schäfer, 2 Teilbde. (KGA I/13,1–2), Berlin/New York 2003. SCHLEIERMACHER, KGA: Kritische Gesamtausgabe, hg. von H.-J. Birkner u. a., Erste Abteilung: Schriften und Entwürfe, 15 Bde., Berlin/New York 1908–2005 Thomas von Aquin, ScG: Thomae Aquinatis Summae contra Gentiles libri quattuor. Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden, hg. von K. Albert/P. Engelhardt u. a., 4 Bde. (in 5), Darmstadt 1974–1996 Thomas von Aquin, STh: S. Thomae Aquinatis Summa Theologica, 6 Bde., Turin 1901

Einführende Überlegungen 1. Gibt es Gott – gibt es Gott nicht? Das scheint die erste und grundlegende Frage einer Gotteslehre zu sein.1 Allerdings ist Gott nicht äußerlich gegeben wie irgendein Seiendes in der Welt.2 Auch das Neue Testament weiß: »Gott hat keiner jemals gesehen« (Joh 1,18; 1Joh 4,12; 1Tim 6,16). Das hat Kant sich in moralphilosophischer Wendung zu eigen gemacht: »Gott ist also keine ausser mir befindliche Substanz, sondern blos ein moralisch Verhältnis in Mir.«3 So problematisch hier theo-logisch die kantische Reduktion auf die autonome sittliche Vernunft ist, so hält Kant doch, wenn auch einseitig, den Relationscharakter der Gottesbeziehung fest: »der Gedanke von ihm ist zugleich der Glaube an ihn«.4 Auch im religiösen Verhältnis zu Gott gilt, dass Gott nur in einem Verhältnis zu ihm der ist, der er ist, und in gewissem Sinn selber dies Verhältnis ist.5 Im-

1 »Wer hat noch nie gesagt: Gott existiert? Und wer noch nie: Er existiert nicht? Der hätte nicht gelebt. … Wer hat noch nie gebetet und wer noch nie in seinem Geist alles verworfen? … Sind demnach das eine wie das andere nichts als tiefinnere Erscheinungen, Augenblickszustände, die mich eine Weile gefangen halten und dann wieder von mir weichen und am Horizont wie der kleine Teil eines neuen Ganzen enden – ?« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 474). Zur Leugnung Gottes cf. auch unten § 6 G. 2. (S. 396 bei Anm. 146): Hamann. 2 Nach Th. Siegfried gilt die Unausweichlichkeit einer kritischen Erprobung »auch für den Satz: ›Gott ist‹. Denn dieser Satz besagt erst dann etwas, wenn unter ›Gott‹ und unter ›ist‹ etwas Bestimmtes gedacht ist. Aber solche Bestimmtheit hört nie auf, neu zur Aufgabe und darum auch … zum Gegenstand der Kritik zu werden« (TH. SIEGFRIED, Das Wort und die Existenz, Bd. III, Gotha 1933, 48). 3 Kant’s handschriftlicher Nachlaß, Bd. VIII, Berlin 1936, Opus posthumum, 1. Hälfte = Kant-AA 21, 149,10–12. Ähnlich a.a.O. 145,3f: »Gott ist nicht ein Wesen außer Mir, sondern blos ein Gedanke in Mir. Gott ist die moralisch/practisch sich selbst gesetzgebende Vernunft«. Cf. ebenso a.a.O. 153,11–13: »Gott ist nicht ein außer mir bestehendes Ding, sondern mein eigener Gedanke. Es ist ungereimt zu fragen, ob ein Gott sei. Ein verbum personale ist zur Grammatik gehörig« (zur Interpretation cf. K. JASPERS, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962, 258f). Die hier anklingende Sprachlichkeit wird unten gegen Kant stark gemacht. 4 Opus posthumum = Kant-AA 22, 62. Für Kant ist Gott Idee als »ens rationis einer sich selbst zu einem Gedankending constituirenden Vernunft«, in welcher Idee die Vernunft »sich selbst schafft« (Kant-AA 21, 27 und 93). In der vorliegenden Gotteslehre wird demgegenüber das Gedachtwerden Gottes (als des Absoluten) als sein eigenes Sich-durchsich-selbst-Bestimmen begriffen. 5 Siehe dazu genauer unten Prolegomena, § 4 (S. 60ff).

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merhin ist für Kants »moralischen Glauben« die Gottesgewissheit in diesem Verhältnis eins mit der Gewissheit seiner eigenen Existenz: Nein, die Überzeugung ist nicht logische, sondern moralische Gewißheit, und … so muß ich nicht einmal sagen: es ist moralisch gewiß, daß ein Gott sei usw., sondern: ich bin moralisch gewiß usw. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubüßen, ebensowenig besorge ich, daß mir der zweite jemals entrissen werden könne.6

Für die hier zu entfaltende Gotteslehre ist es ein zentrales Anliegen, die vordergründige und theologisch unangemessene Alternative: Existiert Gott oder nicht? zu überwinden bzw. sogar gegenstandslos zu machen. Das kann sicherlich nicht allein durch die Hervorhebung der unausweichlichen Korrelation von Gott und Glaube (s. u. Prolegomena, § 4) geschehen,7 sondern nur durch einen Gottesbegriff, der selber sowohl diese Korrelation wie auch die Frage nach der »Existenz« von Gottes lebendiger Wirklichkeit her relativiert bzw. dieser den richtigen, nämlich nachgeordneten bzw. sekundären Rang zuzuweisen erlaubt. Darum gehe ich hier auch nicht weiter auf die – seit Kants Kritik ohnehin obsolet gewordenen – traditionellen Beweise für die Existenz Gottes ein; sie können bestenfalls die Notwendigkeit für den Menschen aufweisen, nach Gott zu fragen, und bleiben eigentlich auf einen Gottesgedanken beschränkt.8 Statt die traditionelle sog. »natürliche Theologie« zu repristinieren, erscheint es für die christliche Gotteslehre eher sachgemäß, sowohl die Religionsgeschichte Israels (Entwicklung des alttestamentlichen Gottesgedankens) als auch die Denkgeschichte der antiken Philosophie (Denken des Einen) in die Gedankenentwicklung systematisch »aufzuheben«, wie es jüngst G. Wenz paradigmatisch vorgeführt hat.9 Dabei geht es im ersten Fall um die Bewegung vom

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I. KANT, KrV B 857. Schon gar nicht durch bloße Kritik an einem zu engen Existenzbegriff, wie sie von P. Tillich immer wieder vorgetragen wurde; cf. kritisch C. H. RATSCHOW, Gott existiert. Eine dogmatische Studie, Berlin 21968. 8 So kommt der seit Thomas von Aquin gebräuchliche Begriff des »Weges« (via) zu einem spezifischen Sinn (cf. STh I, q. 2, a. 3). Zur nachkantischen Rekonstruktion der »Gottesbeweise« (im Sinne einer Erhebung des Bewusstseins zum notwendigen Gedanken Gottes) cf. Hegels »Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes«, in: HEGEL, Werke 17, 347ff sowie ähnlich P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 3 1956, 238ff. Zu einer neuen Lesart des sog. »ontologischen« Gottesbeweises bei Anselm von Canterbury (Prosl. 2–4) verweise ich auf meine Studie: J. RINGLEBEN, Erfahrung Gottes im Denken. Zu einer neuen Lesart des Anselmschen Argumentes (Proslogion 2–4), NGWG.PH 2000/1, 4–36. 9 G. WENZ, Gott. Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie, Studium Systematische Theologie 4, Göttingen 2007. 7

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Polytheismus zum Monotheismus (J. Wellhausen),10 im anderen um das als Grund und Ziel alles Seienden begriffene Eine (in seinem Verhältnis zum Vielen).11 Dies wird systematisch als einer Bewegung integriert verstanden, »in der das Absolute sich fortentwickelnd selbst auslegt«.12 Auch der Bezug auf die allgemeine menschliche Erfahrung führt m. E. nicht grundsätzlich weiter; dafür ist diese zu vieltönig oder vieldeutig. Bewahrung, Geborgenheit und Glück gibt es darin zwar, wie widerruflich auch immer, aber nicht minder die Erfahrungen mit Leid, Versagungen, Abbruch und Unglück.13 Manchmal liegen wie eine undurchdringliche, schwarze Decke die Schrecken und Gräuel des Weltlaufs über einer möglichen Gotteserfahrung. Zu ihr noch vorzudringen, scheint dann kaum vorstellbar.14 Grundsätzlich freilich gilt, dass eine Umbildung und Korrektur des (in der Nachfolge Kants) einseitig empirisch oder naturwissenschaftlich orientierten Erfahrungs- und Erkenntnisbegriffs »nur durch eine Beziehung der Erkenntnis auf die Sprache« gewonnen werden kann, »wie sie schon zu Kants Lebzeiten Hamann versucht hat«.15 Weil nur ein »in der Reflexion auf das sprachliche Wesen der Erkenntnis gewonnener Begriff von ihr« einen korrespondierenden Begriff auch der Erfahrung (und spezifisch der religiösen) entwickeln kann,16 wird in der vorliegenden Gotteslehre der Bezug auf die Sprachthematik immer mitgeführt, ohne sie doch einseitig zu beherrschen. Von hier aus zu begreifen, was »auch die religiöse Erfahrung logisch ermöglicht«, bedeutet nicht, »daß die Erkenntnis Gott, wohl aber durchaus, daß sie die Erfahrung und Lehre von ihm allererst ermöglicht«.17

10 Exemplarisch zentral an der Entwicklung des Verständnisses von Gottes »Gerechtigkeit« aufgezeigt. 11 Cf. dazu die instruktive Rezension von CH. AXT-PISCALAR, Rez. Gunther Wenz, Gott – Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie, Göttingen 2007, Jahrbuch für Religionsphilosophie 8 (2009), 219–223, hier 222f. 12 Mit Bezug auf Wenz (a.a.O. 59f: Hegel) AXT-PISCALAR, a.a.O. 221. 13 H. Vorgrimler hat eindrücklich von dem »bedrückenden Gegensatz« gesprochen, in dem solche Erfahrungen zu einem kindlichen Gottvertrauen stehen: Es laste auf uns heutigen Menschen »der Eindruck, alles sei uns allein aufgebürdet und wir hätten uns in allem zu verhalten, als sei Gott nicht«, und er fügt hinzu: »Eindrücke dieser Art sind kaum zu vereinbaren mit dem Bekenntnis zu dem wirkenden Gott der Heilsgeschichte, zu dem sich Christen im Credo bekennen«; andererseits halte der Glaube sich gegen allen Augenschein doch an diesem Gott fest (H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 13). 14 Die Rede vom »deus absconditus« (dazu s. u. § 10 B. 1.2. [S. 563ff]) ist ein Theologumenon, das solche Negativerfahrungen bereits deutet. 15 W. BENJAMIN, Über das Programm der kommenden Philosophie, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II/1, Frankfurt 1977, 168. 16 Ebd. 17 A.a.O. 164. Cf. auch unten Anm. 31.

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Für die Gotteslehre scheint mir – zumindest vorläufig in einstimmender Absicht – nur eine spezifisch religiöse Erfahrung in Betracht zu kommen: der lebendige Umgang mit Gott im Gebet. Freilich sieht sich der Rekurs auf das Gebet schwerwiegender Kritik ausgesetzt, beispielweise bei Kant: »daß ein Mensch mit sich selbst laut redend betroffen wird, bringt ihn vor der Hand in den Verdacht, daß er eine kleine Anwandlung von Wahnsinn habe«.18 Nun lässt sich zeigen, dass damit das spezifisch sprachliche Wesen des Gebetes verkannt wird.19 Sein Adressat instantiiert sich im Sprechen als Gegenüber für dieses und wird dadurch zum produktiven Anhalt für es.20 Gleichwohl bleibt in Geltung: Das Gebet ist der »völlig einzigartige Fall im Gebrauch der Sprache, in dem ein anderweitig nicht feststellbarer Adressat angesprochen wird« – wobei zugleich definitiv bestritten ist, dass es sich um einen nur imaginären Adressaten handele.21 Indes folgt daraus: »Man kann nicht anders beweisen, daß man mit der Wirklichkeit Gottes rechnet, als indem man zu ihm betet«.22 Es ist mithin eigentlich die Sprache des Gebetes, die Gott überhaupt erst als wirklich in Anspruch nimmt, indem der Betende sich konstitutiv »vor Gott« weiß (coram Deo).23 Für unsere einführenden Überlegungen folgt aus dem Dargelegten zunächst nur: Für Gott gilt, dass er im Sprechen zu ihm da ist. Wer sich auf Gott (betend) einlässt, der erfährt ihn so, wie man ihn »erfahren« kann.24

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I. KANT, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1791), 4. Stück, Allg. Anm. (1.), in: Kant-AA 6, 195,23f. Zur Begründung macht Kant (a.a.O.) geltend, dass der Betende durch die Anrede Gottes ihn als persönlich gegenwärtig vorstelle und dass er meine, gegenüber einem Allwissenden eigene Wünsche vorbringen zu können. 19 Ich habe das mit Bezug auf Humboldts sprachliches Ich-Du-Denken und auf Einsichten H. v. Kleists gegen Kant argumentativ entfaltet: J. RINGLEBEN, Reden – Denken – Beten, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. I, 137–157, bes. 152f. 20 Cf. R. Leuenberger über das Beten: »Ein Selbstgespräch, in welchem der Redende nach Worten sucht, und indem sich die Worte einstellen, er auch den festen Grund findet, auf dem er sicher zu reden vermag« (R. LEUENBERGER, Zeit in der Zeit, Zürich 1988, 90). 21 G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. I, Tübingen 1979, 201f. 22 A.a.O. 202. 23 Ebeling hat daher in seiner Dogmatik methodisch überhaupt das Gebet als den hermeneutischen Schlüssel zur Gotteslehre fruchtbar zu machen versucht; cf. a.a.O. 192ff (§ 9). Das kann aber nur zum Teil gelingen; cf. J. RINGLEBEN, »In Einsamkeit mein Sprachgesell«. Das Gebet als Thema der Dogmatik, ZThK 79 (1982), 230–248. 24 Das kann sogar da sich ereignen, wo jemand bei sich keinen ausdrücklichen Glauben an Gott voraussetzt, aber in der Sprache des Gebetes doch sich selber aufgehoben findet; cf. das Selbstzeugnis von S. Weil bei LEUENBERGER (Zeit in der Zeit [wie oben Anm. 20], 91), der dazu schreibt: »Und doch lebt sie in diesen Worten [sc. des Vaterunsers]. Eingetreten in die Sprache des Glaubens, nimmt sie wahr, dass diese Worte gut sind, dass sie zum Leben stimmen. Sie entdeckt, dass in ihnen Wahrheit ist. Das wahrzunehmen ist [sc. schon] Glaube.«

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Für die Frage »Existiert Gott?« bedeutet das: Es geht nicht erst die (quasitheoretische) Annahme einer »Existenz« Gottes voraus, und dann kann man auf ihrer Basis sozusagen ein religiöses Verhältnis zu ihm aufbauen. Sondern in der Situation unbedingten Betroffenseins durch Gott (Tillich), d. h. im Sich-einbezogen-Finden in diese Situation, gewinnt der Bezug auf Gott selber allererst seinen Sinn, und so folgt aus dem religiösen Verhältnis zu ihm die freie Anerkennung seiner Wirklichkeit, und sie ist nur als dessen Korrelat sinnvoll. Nicht die sozusagen axiomatische Voraussetzung, dass Gott existiert, begründet den Gottesglauben, sondern nur, indem man sich selbst vor Gott findet und versteht, ist er für einen als Gott. 2. Wie gibt es Gott? Dies ist eine Frage, die sich aus dem bisher Gesagten ergibt. Sie fragt nach der Weise seiner Existenz, d. h. seines göttlichen Seins, bzw. wie er als Gott ist (und d. h. auch: anders als irgendetwas Seiendes sonst, das auch dann da ist, wenn wir es nicht gewahren, während Gott im qualifizierten Bezug auf ihn als Gott da ist – für uns).25 Hier ist nochmals an die Einsichten zum Gebet anzuknüpfen: Gott erschließt sich darin, d. h. im Sich-Einlassen auf ihn, das sprachlicher Natur (sprechend, Gott anredend) ist. Gott ist mithin nicht irgendwo da wie ein immer vorhandenes, totes Ding – und sei es das »höchste Wesen« genannt –, sondern allein lebendig: In der ausdrücklichen Beziehung zu ihm ist er selber da. Das besagt, Gott selbst macht den Ort des Anredens, Fragens und Suchens nach ihm bzw. den Ort des ihn Ansprechens in Dank, Lob und Bitte – diesen Ort macht er selbst aktuell zum Ort seiner eigenen Gegenwart, qualifiziert ihn als seine Selbstvergegenwärtigung. So verwandelt sich von Gott her das ihn Anreden zum Hören auf ihn.26 Auch wo im faktischen Sinne wir selber reden, spricht doch Gott darin »zuvorkommend« zu uns, so dass wir zugleich auch hören. Dafür stehe hier Jes 65,24: »Und es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören« (cf. Jes 58,9).

25 Noch einmal sei die Vorläufigkeit dieser Reflexionen unterstrichen; die genannte Frage kann zureichend erst bei der Entfaltung des wirklichen Begriffs von Gott geklärt werden (s. u. Zweiter Teil, § 2). 26 S. Kierkegaard hat dies als die Erfahrung des rechten Beters beschrieben: »Und was widerfuhr ihm dann, wenn anders er wirklich innerlich betete? … allmählich, wie er innerlicher und innerlicher wurde im Gebet, hatte er weniger und weniger zu sagen, und zuletzt verstummte er ganz. Er ward stumm, ja, was dem Reden vielleicht noch mehr entgegengesetzt ist als das Schweigen, er ward ein Hörender. Er hatte gemeint, beten sei reden; er lernte: beten ist nicht bloß schweigen, sondern hören … und im Schweigen verharren, und verharren, bis der Betende Gott hört« (S. KIERKEGAARD, Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel [1849], in: ders., GW 22, 37f). Cf. U. LINCOLN, Die Theologie und das Hören, HUTh 65, Tübingen 2014.

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Wer ist demnach Gott, und wie ist er? Er ist der, der die Situation unserer Beziehung zu ihm umkehrt zu einer Situation seiner Beziehung zu uns.27 Gott ist der, der nicht Objekt unserer Intention auf ihn bleibt,28 sondern er ist der, von dem her und vor dem wir nicht einfach Subjekte bleiben, sondern vor dem wir gleichsam Objekt seiner als des unendlichen Subjektes werden.29 Gott ist das absolute Du, das immer zu dem Ich wird, für das und vor dem wir endliche Du sind. So aber ist die These über Gottes »Existenz« nur ein implizites Moment des glaubenden Bezugs zu ihm, das keinesfalls abstrakt, isoliert für sich thematisiert werden darf. Dafür möge hier Hebr 11,6 stehen: »Aber ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er ist …« (cf. Hebr 10,38).30 Das hier als zentrale religiöse Erfahrung der »Umkehrung« beschriebene Phänomen des Gottesbewusstseins – schon Plotin sprach von ἐπιστροφή – hat die Gotteslehre theologisch zu denken, d. h. von Gott selber her, und sie hat einen entsprechenden Begriff von Gott auszuarbeiten.31 Sie hat diesen Wesenszug göttlichen Seins für uns und bei uns in den theologischen Gedanken über Gott aufzunehmen und darin grundlegend und strukturell zur Geltung zu bringen. Damit ist eine Erfahrung ins Spiel gebracht, die spezifisch die Religion umfasst, »nämlich als die wahre, wobei weder Gott noch Mensch Objekt oder Subjekt der Erfahrung ist, wohl aber diese Erfahrung auf der reinen

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Das Neue Testament hat diese »Umkehrung« immer wieder notiert, cf. 1Kor 8,3; 13,12; Phil 3,12; Gal 4,9; 1Joh 4,10 und dazu nochmal 2,20; Jak 4,8; Mt 6,14f; Röm 8,9; 2Kor 2,17 (aus Gott vor Gott) sowie Prov 24,12 LXX. 28 Die sog. Existenz Gottes ist als bloße Existenz ein logisch Vergangenes; das ließe sich anhand von Hegels Dialektik von Innerem und Äußerem zeigen (cf. HEGEL, Werke 6, 180–182), was sich theologisch in das Verhältnis von »pro me« und »extra nos« übersetzen lässt. Zu Hegels Kritik der »Existenz« im Sinne von Kants Erörterung des ontologischen Arguments cf. a.a.O. 125ff. 29 Dass Gott uns »zuvorkommend« anspricht, ehe wir uns daraufhin ihm zuwenden können, ist die Grundthese der Religionsphilosophie von K. RAHNER/J. B. METZ, Hörer des Wortes, München 1963. 30 In dem absoluten ὅτι ἔστιν kann man schon einen Bezug auf Ex 3,14 sehen! 31 Cf. E. Grässer: »Das εἶναι Gottes ist sein esse pro nobis« (in: E. GRÄSSER, Der Alte Bund im Neuen, WUNT 32, Tübingen 1985, 252). Von diesem nicht nur für Paulus zutreffenden, sondern den biblischen Gott überhaupt charakterisierenden Satz heißt es bei Feldmeier/Spieckermann erläuternd: »Gott ist kein unserer Erkenntnis zuhandener Gegenstand, sondern wird nur ergriffen als der, von dem der Erkennende selbst ergriffen ist (Phil 3,12)« (R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 2 Anm. 3). In Hegels Reformulierung des kosmologischen und des teleologischen Gottesbeweises findet sich die genannte Umkehrung in Gestalt einer entsprechenden »Erhebung« vom begründenden (subjektiven) Denken zu Gott selber als dem wahrhaft Begründenden.

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Erkenntnis beruht als deren Inbegriff allein die Philosophie Gott denken kann und muß«.32 Wie kann man Gott denken? Die sich abzeichnende Antwort lautet: nur von ihm selber her, indem das Denken über ihn von ihm her denkt, d. h. sich als Denken des Gedankens »Gott« von Gott selbst bestimmt denkt, und zwar in diesem Denken.33 Die christliche Gotteslehre als theologisches Nachdenken über Gott denkt die Umkehrung, dass Gott selber sich vergegenwärtigen muss, und dies als er selber, damit unser Denken wirklich ihn erreicht und triftig sein Sein denkt.34 3. Der Grundgedanke dieser Gotteslehre über Gottes Wirklichkeit entspricht der skizzierten Einsicht, dass wir nur wahr von Gott sprechen und ihn wirklich nur dann denken können, wenn er sich selber dabei einstellt (»ins Denken einfällt«) und sich so darin lebendig gegenwärtig macht, bzw. dass wir nur von Gott selbst her denken können, was er ist und wie er ist bzw. dass er ist. Was bedeutet das für Gottes eigenes Sein? Wie muss er theologisch überhaupt und an ihm selber gedacht werden, damit er sich uns so, wie eben dargelegt, zu erfahren geben kann? Was besagt jenes lebendige Sich-Vergegenwärtigen bei uns (die Umkehrung im theologischen Denken), so dass er wirklich für uns da ist, über ihn selbst, sein Dasein, seine Existenzweise überhaupt? 3.1. Abstrakt gesagt: Zu denken ist ein lebendiges Sein, d. h. ein Sein, das sich als das, was es ist, jeweils aktuell erweist, indem es sich auf uns zu bewegt, sich immer erst für uns darstellt und bei uns zur Wirklichkeit bringt. Gott ist nicht, wie wir sahen, »erst« irgendwie existent, und dann äußert er sich und wendet sich gelegentlich, d. h. in einzelnen Akten, die sein Sein gleichsam betätigen, uns zu; sondern er hat sein Sein im Selbstvollzug: als ein lebendig sich aus sich selbst vollziehendes Sein, ein mit sich selber (bei uns) anfangendes Sein, ein sich (für uns) hervorbringendes Sein.35

32 BENJAMIN, Programm (wie oben Anm. 15), 163. Die hier genannte »Philosophie« fällt für Benjamin faktisch mit der Theologie zusammen (cf. a.a.O. 168). Cf. auch oben Anm. 15–17. 33 Cf. das richtungweisende Plädoyer von I. U. Dalferth, das das Denken Gottes und seinen Lebensbezug ins Verhältnis setzt: I. U. DALFERTH, Götzen-Dämmerung. Warum die Theologie mehr will als Gott denken, in: Ch. Schwöbel (Hg.), Gott – Götter – Götzen, VWGTh 38, Leipzig 2013, 197–218. 34 Die Tradition hat dies auch immer gewusst; s. u. dazu mit einigen Belegen und Prolegomena, § 2 A. (S. 17ff). 35 Ähnliches hat der junge Schleiermacher in den ›Reden über die Religion‹ (1799) von der Religion gesagt, die er als ein jeweils Neuanfangendes (d. h. im logischen Sinne Negatives) erkannte; cf. dazu meine Ausführungen: J. RINGLEBEN, Schleiermachers Wiederentdeckung von »Religion«, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben Anm. 19), 276–279.

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Einführende Überlegungen

Das führt zu den hier weit vorgreifenden Aussagen: Gott fängt in unserm Glauben, in unserm Gebet, in unserm Hören auf sein Wort mit sich selber an. Am Ort unserer Beziehung auf ihn bringt Gott sich selber hervor.36 Das aber besagt notwendig: Auch in der Zeit (in unserer Zeit) ist er zugleich ewig bei sich selbst. So ist er wahrhaft lebendig, nämlich der absolut Lebendige (das absolute Leben) selbst. 3.2. Konkret gesagt: Wenn es überhaupt gelingt, Gott so (gemäß 3.1.) zu denken, so muss das theologisch auch biblisch begründet oder zumindest im plausiblen Anschluss an biblische Aussagen über Gott geschehen. Die Aufgabe auch dieser Gotteslehre ist unausweichlich, den lebendigen Gott der Bibel begrifflich, in der »Anstrengung des Begriffs«, zu denken. Die leitende Grundeinsicht hierbei ist, dass sich der »lebendige Gott« als solcher (im Sinne des unter 3.1. abstrakt Formulierten) als der sich in Zeit und Ewigkeit selber Hervorbringende zu denken gibt. In dieser grundlegenden Perspektive soll hier die denkende (systematische) Rekonstruktion der in unserer christlichen Tradition vorgegebenen und lebendigen Gotteserfahrung und Gottesrede versucht werden. Ehe das im Zweiten Teil (der eigentlichen Gotteslehre) eingehend ausgeführt und der dabei alles Weitere fundierende Schritt vom biblischen Namen Gottes (§ 1) zu seinem Sein im Begriff (§ 2) vollzogen wird, sind zunächst – das bis jetzt vorausblickend bzw. andeutend Gesagte vertiefend – in einem Ersten Teil noch einige Erörterungen zum Verständnis von Theologie, Gotteserkenntnis, Gottesbegriff und dogmatischer Gotteslehre vorauszuschicken, die gewöhnlich als »Prolegomena« vorgetragen werden.

36 Die große und unabweisbare »Frage nach Gott« überhaupt bzw. das notwendig immer wieder aufbrechende Fragen nach Gott – sind sie vielleicht ein Anzeichen dafür, dass Gott nicht ein für alle Mal vorgegeben und da ist, eben weil er im Begriff ist, sich selber bei uns hervorzubringen? Dieser Erwägung soll hier im Folgenden nachgedacht werden.

Erster Teil: Prolegomena

§ 1 Theologia viatorum 1. Im klassischen Begriff der Theologie1 wurden von der altprotestantischen Orthodoxie ca. 20 mögliche Bedeutungen unterschieden. Die für uns wichtigste und aufschlussreichste dürfte dabei die von a) theologia archetypa (urbildlich) und b) theologia ektypa (sc. creaturarum, d. h. abbildlich) sein. 1.1. Die theologia ἀρχέτυπος wird (als essentialis und necessaria) so definiert: ipsa infinita Dei sapientia, qua Deus se ipsum cognoscit in se ipso et extra se omnia per se ipsum, non solum in Deo, sed et ipse Deus est [cf. 1Kor 2,10; Mt 11,27].2 Vorausgesetzt ist, dass Gott λογικός ist (Joh 1,1a–c), d. h. ein intellektuell durchsichtiges Verhältnis zu sich selbst hat – als absolute Selbsterkenntnis, in der seine vollkommene Erkenntnis alles anderen außer ihm, d. h. der geschaffenen Kreaturen, eingeschlossen ist. Zugleich ist festgehalten, dass eine solche unendliche Erkenntnis sich nicht einfach irgendwie in Gott findet, sondern dass Gott selbst diese Intelligibilität bzw. dies Erkennen (oder absolutes Wissen: sapientia) selber ist.3 Aus einem ähnlich hoch angesiedelten Begriff von Theologie4 wird auch die Theologie, die Menschen als intelligente Kreaturen haben können, hergeleitet: cognitio, quam Deus de se ipso habet et quae in ipso est, exemplar alterius, cum creaturis intelligentibus communicandae, theologiae.5 1 Zur Geschichte des Terminus und Begriff Theologie (insbes. auch in der Scholastik) cf. W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 11–18. 2 J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica (1685), Leipzig 1702, Pars I, c. I., Th. III (S. 3). Zu Christus cf. Kol 2,3. 3 Unter Berufung auf Joh 1,1 (»Am Anfang war der Logos, … Gott war der Logos«) hat bereits Meister Eckhart die These aufgestellt, Gott sei nicht primär ein »Seiendes«, sondern wesentlich »Denken« und sei selbst sein Erkennen (deus est intelligere) und dieses reine Denken (purum intelligere) das »Fundament« seines Seins (Pariser Quaestio [1302/03], in: M. Eckhart, LW 5, 37ff). Cf. dazu meine Ausführungen über »Gott und das Denken«, in: J. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. I, 189ff. 4 Platon kennt den Begriff einer θεία φιλοσοφία (Phaidr. 239b 4). 5 D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Stargard 1707 (Nachdr. Darmstadt 1971), 4. Der Ausdruck »Exemplar« meint originans und weist auf die Offenbarung voraus.

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Prolegomena

Demnach hat unsere Theologie etwas mit Gottes Selbsterkenntnis zu tun, die zu seinem eigenen Leben gehört (in ipso est). Dieses Sich-Wissen Gottes ist das absolute Paradigma, in dem alle andere, abkünftige und endliche Theologie ihre letzte Begründung findet. Aus dem communicare mit den geschaffenen Intelligenzen muss geschlossen werden, dass Gott in deren cognitio (sc. von ihm) sich immer auch selber weiß – im Endlichen sich unendlich bzw. unendlich sich. 1.2. Von der unendlichen Theologizität Gottes in sich selber wird menschliche Theologie als eine Theologia ἔκτυπος abgehoben als: expressa quaedam ac potius adumbrata infinitae illius et essentialis theologiae imago atque effigies,6 a Deo gratiose et ex mera bonitate cum creaturis intelligentibus, pro modo ipsarum, aut in hoc saeculo communicata, aut in futuro communicanda«.7 Es handelt sich demnach bei aller Theologie von Menschen um eine »ebenbildliche« Abschattung8 des »vorbildlichen« göttlichen Wissens,9 die sich der überströmend sich mitteilenden göttlichen Güte verdankt (ex mera bonitate).10 Die geschöpfliche Theologie, die allein wir betreiben können, entspringt einer göttlichen Herablassung und Akkomodation an unser Denken (pro modo ipsarum); das kann unter den Bedingungen dieser Welt (in hoc saeculo communicata) der Sache nach nur heißen: unter den Bedingungen menschlicher Sprache.11 Diese Theologie als eine von schlechthin abhängigen und bedürftigen Menschen ist nie vollendet, sondern prinzipiell immer noch unterwegs zu ihrem ewigen Ziel: Theologia ἔκτυπος hominum ψιλῶν alia viae est seu huius vitae, quae et viatorum, alia patriae seu vitae alterius et beatae est.12 6 Cf. zu diesem Abbild-Status auch D. Hollaz, zitiert bei H. SCHMID, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche. Dargestellt und aus den Quellen belegt, neu hg. und durchgesehen von H. G. Pöhlmann, Gütersloh 91979), 28. 7 QUENSTEDT, a.a.O. Die ektypische Theologie wird auch als originata, derivata, expressa, creata, accidentalis charakterisiert. Ähnliches findet sich schon in der Hochscholastik; so verdankt sich nach Duns Scotus alle menschliche Theologie dem Wissen Gottes von sich, cf. dazu und zur theologia viatorum PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 1), 83 Anm. 26. 8 Cf. in übertragener Anwendung Hebr 8,5: οἵτινες ὑποδείγµατι καὶ σκιᾷ λατρεύουσιν τῶν ἐπουρανίων sowie Kol 2,17. Auch Theologie ist unsere λογικὴ λατρεία (Röm 12,1). 9 Cf. auch HOLLAZ, Examen (wie oben Anm. 5): »scientia de Deo et rebus divinis cum creaturis intelligentibus a Deo ad imitationem theologiae suae, velut causa exemplaris, communicatio«. 10 Hier klingt das alte Motiv: bonum est diffusivum sui an (Ps.-Dionysius Areopagita, De caelest., hier 4). 11 Zur vollendeten Gottesschau im Eschaton (in futuro communicanda) s. u. 12 QUENSTEDT, a.a.O., c. I., Th. IX. (S. 6); cf. auch HOLLAZ, a.a.O. 6.

§ 1 Theologia viatorum

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Daraufhin muss in der Theologia ektypa unterschieden werden zwischen einerseits einer theologia hominum viatorum (vor und nach dem »Fall«), die als natürliche und geoffenbarte Theologie ausgearbeitet wurde, deren Erkenntnis Gottes endlich und d. h. nur mittelbar und unvollkommen ist und den Glauben expliziert, und, weil diese nur ist, was sie ist, als auf dem Wege zur ewigen Heimat (patria seu vita alterius; cf. Hebr 13,14; 4,9; 11,14; Phil 3,20), andererseits einer theologia beatorum, die dann vollendet und reine Gottesschau sein wird: intuitiva sive immediata. Die theologia viatorum aber hat grundsätzlich der condition humaine Rechnung zu tragen, dass wir hier und jetzt noch nicht im Schauen, sondern im Glauben leben (2Kor 5,7). 2. Zusammenfassend sind von dieser pointierten Überschau für das Weitere zwei anschließende Einsichten festzuhalten. Erstens, theologisch muss der im Folgenden auszuarbeitende Gottesbegriff im Sinne einer »theologia viatorum« prinzipiell kompatibel sein mit menschlicher Lebenserfahrung (als einem Unterwegssein zur wahren eigenen Identität).13 Ist es menschlichem Leben eigentümlich, sich erfahrendes Leben zu sein, das an seinen prägenden Erfahrungen und ihrer reflexiven Verarbeitung, wie sie jedem Menschen »natürlich« ist, sich über sich selbst, seinen Lebenssinn und die eigene Identität verständigt und in Grenzen durchsichtig wird, so muss ein solcher je eigener »Lebenslauf« (cf. 1Kor 9,24) theologisch als Erfahrung des lebendigen Gottes angesprochen werden können. Anders gesagt: Wenn es um den Sinn des Lebens in seiner Ganzheit geht, so bestimmt dieser sich für uns Menschen vor allem biographisch, d. h. im Blick auf die eigene Lebensgeschichte. Ist das aber so, so muss auch Gott selber mit der Geschichte solcher Lebensprozesse zu tun haben. Im stärksten Sinn ist das dann der Fall, wenn auch Gott in so etwas wie einem »Lebenslauf« zu sich selber kommt, d. h., wenn er selber sein ewiges Leben als in einem Prozess zu sich kommend besitzt. Das setzt einen Begriff Gottes und seiner Lebendigkeit voraus, der hier spezifisch artikuliert werden soll. Nichts scheint aber dafür so geeignet, als das Leben Gottes, wie es diese Gotteslehre unternimmt, als ein Sich-Hervorbringen am Ort des menschlichen Lebens zu denken. Der Theologia viatorum14 kann nur eine »Dynamisierung des Gottesgedankens« entsprechen.15 13

Den vielfach beirrten Weg zur vita beata hat Augustin mit dem irrenden Unterwegssein des Odysseus verglichen, cf. De beata vita 1,1–4 (PL 32, 959–961); cf. auch: »O tortuosas vias!« (Conf. VI 16,26). 14 Zum homo viator cf. W. HARMS, Homo viator in bivio, München 1970. Schon Thomas von Aquin hat die Menschen als viatores gedacht, die auf Gott als ultimus finis zustreben (STh II, q. 24, a. 4); ähnlich Wilhelm von Ockham und Bonaventura. 15 Diese Formulierung prägt Ch. Axt-Piscalar, um den Neuansatz der Theologie Luthers zu charakterisieren – insbesondere von der Kreuzestheologie her, in: CH. AXT-PISCALAR, Was ist Theologie?, UTB 3579, Tübingen 2013, 84. R. Feldmeier/H. Spieckermann charakterisieren die Beziehung Jesu zu seinem himmlischen Vater als »dynamisch-eschatolo-

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Prolegomena

Das potenziert den Bezug der Theologie auf die Lebenserfahrung. Denn ebendie Glaubenserfahrung kann so als bewusste Erfahrung mit der Erfahrung Gottes überhaupt verständlich gemacht werden. Erfahrung ist ja immer Erfahrung, die neu und von außen an einen kommt, mithin Erfahrung von unableitbar und weitgehend unvoraussehbar, kontingent Begegnendem oder Widerfahrendem, das subjektiv irgendwie zu verarbeiten ist. Insofern gilt in starkem Sinn, dass Erfahrung bedeutet, selbst dabei zu sein – was wiederum für kaum etwas so unabdingbar ist wie für die Erfahrung von Gott.16 Zugleich weist jede Erfahrung über sich hinaus auf andere, neue Erfahrung17 oder irgendwie auch auf ein letztes Woher aller Erfahrung, und hier ist wohl die Offenheit des Menschen für eine Transzendenz angesiedelt. Weil jedenfalls alle Erfahrung nicht nur lebensgeschichtlich verortet (und überhaupt geschichtlich vermittelt) ist, sondern selber als eine Geschichte begriffen werden muss,18 wird nur ein Gott, der nicht bloß in der Geschichte sich zur Erscheinung bringt, sondern der von sich her schon in einer geschichtlichen Bewegung sein ewiges Leben hat, der menschlichen Lebensund Glaubenserfahrung nahe sein können. Weil und insofern Gott lebendig, mithin bewegt in sich ist, eröffnet er auch den Weg zu sich.19 Zweitens hat der kurze Blick auf das klassische Theologieverständnis gezeigt: In ihrem genuinen Selbstverständnis begreift die Theologie sich selber als durch ihren Gegenstand (Gott) ermöglicht und in seiner internen Seinsverfassung als Wissen von sich (auch im Wissen von ihm) begründet, sofern diegischen Monotheismus« (R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 118). Bei Ch. Schwöbel ist von dem »lebendigen Gott« die Rede, der sich in unterschiedlichen Weisen dynamisch selbst vergegenwärtigt (CH. SCHWÖBEL, Wie biblisch ist die Theologie?, in: M. Ebner u. a. [Hgg.], Wie biblisch ist die Theologie?, JBTh 25 [2010], Neukirchen-Vluyn 2011, 7–18, hier 15 Anm. 11). 16 »Das Prinzip der Erfahrung enthält die unendlich wichtige Bestimmung, daß für das Annehmen und Fürwahrhalten eines Inhalts der Mensch selbst dabei sein müsse, bestimmter, daß er solchen Inhalt mit der Gewißheit seiner selbst in Einigkeit und vereinigt finde« (HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 7, in: ders., Werke 8, 49). Das gilt nicht nur im Empirischen, sondern auch vom »tieferen Geiste« des Menschen, »seinem wesentlichen Selbstbewußtsein« (a.a.O. 50). 17 Cf. genauer Hegel: »Diese dialektische Bewegung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstande ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird« (HEGEL, Phänomenologie des Geistes [Einl.], in: ders., Werke 3, 78). 18 Das gilt schon für den elementarsten Fall von Erfahrung: »Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anderes als die einfache Geschichte ihrer Bewegung oder ihrer Erfahrung und … [sie] selbst nichts anderes als nur diese Geschichte ist« (HEGEL, Werke 3, 90). 19 Cf.: »Vermutlich ist das Wort ›Weg‹ ein Urwort der Sprache, das sich dem sinnenden Menschen zuspricht« (HEIDEGGER, Das Wesen der Sprache, in: ders., GA 12, 187).

§ 1 Theologia viatorum

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se intelligibel (λογικῶς) ist,20 was in § 2 (Abschnitt A.) weiter zur Ausführung kommt. Eine »theologia viatorum« hat somit der menschlicher Lebenserfahrung entsprechenden Endlichkeit, Vorläufigkeit und (zumal durch die Sünde bedingten) Gebrochenheit alles unseren Denkens und Erkennens durchaus Rechnung zu tragen, weil Theologie ein menschlich-allzumenschliches Unternehmen bleibt; aber sie hat doch zugleich einen Anhalt an Gottes eigener Wahrheit, der für sie letztlich konstitutiv ist. Für die Theologie und ihre Gotteslehre ist die Gewissheit maßgebend, dass in aller Relativität unserer Einsichten doch etwas Absolutes gewusst werden kann und, soll sie überhaupt sachhaltig möglich sein, gewusst werden können muss.21 Wir haben also auszugehen von einer Selbstauslegung der Theologie von ihrem Gegenstand her – im Sich-Anmessen an ihn. Was der Theologie ihren Weg eröffnet, begrenzt ihn freilich zugleich. Die Gotteslehre hat in sich selbst ein Kriterium gegen sich selber; das bringt auch ihre notwendige Selbstkritik auf den Weg.22 Alle Theologie hat immer »selbstkritisch« auf sich aufmerksam zu sein: als das reflektierte Bemühen, ihre eigene Endlichkeit zu korrigieren und so (partiell) zu überwinden und sie zum Ort der Selbstdurchsetzung ihrer unendlichen Sache zu machen bzw. sich an ihr selber für ihren wahren Gegenstand (Gott) und für die Wahrheit ihres Gegenstandes am Ort subjektiv-menschlicher Gewissheit davon zu öffnen. Im traditionellen Konzept einer himmlischen »theologia archetypa« wird für uns das Bewusstsein fassbar, dass Theologie nie nur ein bloß menschliches Unternehmen sein kann, sofern sie wirklich von Gott handelt, sondern dass sie in Gott selber begründet und ermöglicht sein muss, um wahr zu sein (wie letztlich alles Wissen)23 bzw. dass die theologische Gotteslehre in Gottes Wissen und insofern auch in Gottes Wissen von sich selber ihren absoluten Grund findet. Die erste Frage unserer Gotteslehre wird also sein: Wo lässt sich ein entsprechender Gottesbegriff finden, der Gottes Sich-Wissen für uns artikuliert? Das ist Thema des Paragraphen 1 im Zweiten Teil. 3. Das bisher Entwickelte drängt zunächst zu der weiterführenden Frage: Unter welchen Bedingungen und wie vermag sich die menschliche Erfahrung vom je eigenen Leben – »in Geschichten verstrickt« (W. Schapp) – und ent-

20 Zur Logizität der christlichen Theologie cf. das unten im Zweiten Teil, § 2 (S. 178 Anm. 31) angeführte Tillich-Zitat. 21 Cf. die Rede von imitatio bei Hollaz, zitiert oben in Anm. 9. 22 Dies leistet mit besonderer sprachlicher Kraft bereits das Wort »Gott«, wie später zu zeigen ist; cf. unten Zweiter Teil, § 10 F. (S. 581ff). Auch für das philosophische Denken, an »Wegmarken« orientiert, gilt: Diese lassen einen Weg erkennbar werden, »der sich dem Denken nur unterwegs andeutet, zeigt und entzieht« (M. HEIDEGGER, Wegmarken [1967], Vorbemerkung, in: ders., GA 9, IX). 23 Cf. hierzu im Zweiten Teil § 12 über Gottes »Allwissenheit«.

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Prolegomena

sprechend die Verfassung einer »theologia viatorum« im Gottesbegriff selber zu reflektieren? Dazu ist allgemein das Folgende zu sagen: Lässt uns Gott in Gestalt »unserer« Theologie – die so freilich nie nur unsere ist – an seinem Wissen von sich teilhaben, d. h. »kommuniziert« er in unserm Wissen von ihm selber mit uns, so wäre nur ein Gottesbegriff dieser Lage, d. h. unserer Situation unfertigen Unterwegsseins, wirklich angemessen, der in sich selbst ein Unterwegssein, eine Bewegung und ein Werden aufgehoben hätte und es, wenn auch in göttlicher Vollkommenheit, lebendig in sich trüge.24 Muss Gott nicht selber »der Weg und die Wahrheit und das Leben« sein (Joh 14,6), um in Wahrheit unser Gott zu sein: der lebendige Gott als die endgültige Wahrheit unseres menschlichen Unterwegsseins!25 Beziehungsweise nur wenn Gott solche innere Bewegtheit nicht wesensfremd ist, kann es unsere Theologie, kann es eine »Theo-logia viatorum« geben, und zwar als eine, in der Gottes Sich-zu-sich-Verhalten die letzte Wahrheit ist. Wenn unsere Gotteslehre als eine in der peregrinatio soll wahr sein können, muss Gott selbst das ewige Ziel und die Heimat unseres Unterwegsseins wirklich selber sein (theologia patriae). Das aber ist er, sofern er der »Weg« vom A zum Ω an sich selbst ist.26 Einen solchen Gottesbegriff – Gottes Sein als im eschatologischen Werden zu sich begriffen – versucht dieses Buch zu entwickeln. Die Diskussion der Unterscheidung von theologia archetypa und theologia ektypa hat erbracht, dass es eine Selbst- bzw. Letztbegründung der Theologie von ihrem Gegenstand aus gibt, wenn diese sich als menschliches Wissen von Gott selber und seinem Tun ermöglicht weiß. Im folgenden § 2 ist nun zu fragen: Was besagt das über diesen Gegenstand, das Thema der Theologie, über Gott?

24 Gott ersinnt »das Werden aller Dinge« (πάντων ἐξευρὼν γένεσιν), heißt es in 2Makk 7,23 (LXX). 25 Auch im Alten Testament ist die Weg-Metapher weithin gebräuchlich: z. B. für das Menschenleben (Ps 37,5), die Heilsgeschichte Israels (Jos 24,17) und den von Gott bestimmten Geschichtsverlauf (Jes 26,8), so wie überhaupt von Gottes Wegen häufig die Rede ist (Ps 25,10 u. ö.). Weitere Lit. dazu: HWP 12 (2004), 342 (RAUSCHENBACH). 26 E. JÜNGEL, Barth-Studien, Gütersloh 1982, 144.

§ 2 Gotteserkenntnis A. Gott gibt sich zu erkennen 1. In Psalm 36,10b steht:

‫ה־א ֹור׃‬ ֽ ‫ נ ְִר ֶא‬B֗ ‫֝בְּא ְֹור‬ (et in lumine tuo videbimus lumen; cf. Ps 43,3). Die Metapher des Lichtes steht hier spezifisch für Gottes Wirklichkeit, denn Licht ist das Sich-selbst-Manifestierende, das, von dem her alles andere wie auch es selbst erst sichtbar wird, weil es die Bedingung der Möglichkeit aller Sichtbarkeit überhaupt einschließlich seiner selbst ist.1 Das bedeutet in unserem Zusammenhang: Gott ist nur so »Gegenstand« der auf ihn gerichteten Erkenntnis, dass er zugleich auch deren Prinzip und Medium ist.2 Gotteserkenntnis ist nur eine, wenn sie »aus erster Hand« ist.3 Das hat man in der Tradition immer aus Ps 36,10 und 43,3 herausgelesen. Sie ist wahre Erkenntnis im Glauben:4 »Aut potuit [sc. anima mea] omnino aliquid intelligere de te, nisi per ›lucem tuam et veritatem tuam‹?«5 Dies schließt durchaus ein Bewusstsein um die Begrenztheit rein menschlicher Gotteserkenntnis mit ein: 1

Cf. meine Studie: J. RINGLEBEN, »In deinem Lichte sehen wir das Licht«. Theologisch-Philosophische Überlegungen zum Licht vom Gottesgedanken her, Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 59 (2008), 267–279. Bereits Platon sprach davon, dass Gott, der Inbegriff des absolut Guten, das ist, »was allem Licht verleiht« (Politeia VII. 540a: τὸ πᾶσι φῶς παρέχον), und dieses (Gott) ist als solches der größte Gegenstand von Lehre und Begriff (τὸ µέγιστον µάθηµα, a.a.O. VI. 504e); zu Ps 43,3 cf. auch Politeia VI. 508a–b. 2 Cf. Ps 94,9b: »Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?« (In V. 9a wird Analoges vom hörenden Ohr gesagt!). Es geht hier um die innere Verwandtschaft des Schöpfers zu dem von ihm Geschaffenen. 3 S. KIERKEGAARD, Pap. X1 A (ed. N. Thulstrup, Kopenhagen 1968) 485, cf. 595. Der Ausdruck »Gewißheit aus der ersten Hand« findet sich für den Glauben schon bei F. H. JACOBI, Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811), in: ders., Werke 3, 441. 4 »Optime autem vocatur fides lumen vultus dei, quod sit illuminatio mentis nostrae divinitus inspirata et radius quidam divinitatis in cor credentis infusa …« (LUTHER, WA 5, 118,1–3). Cf. Num 6,25f. 5 Anselm von Canterbury, Prosl. 14 (Lat.-dt. Ausgabe, hg. von F. S. Schmitt, StuttgartBad Cannstatt 1962, 108).

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Prolegomena

Vere ideo hanc non video [sc. lucem inaccessibilem; 1Tim 6,16], quia nimia mihi est, et tamen quidquid video, per illam video, sicut infirmus oculus quod videt, per lucem solis videt, quam in ipso sole nequit aspicere.6 Daher gilt: »Soll Gott gesehen werden, so muß es in einem Lichte geschehen, das Gott selbst ist.«7 Das stiftet indes die (endliche) Teilhabe unserer Gotteserkenntnis an Gottes Erkenntnis seiner selbst: »Nimmermehr kann ich Gott sehen, wenn nicht in demselben, darin Gott sich selber sieht.«8 So allein kann es zu einer triftigen Erkenntnis Gottes unsererseits kommen, der an sich uns unzugänglich ist: »Et cum ad cognitionem ipsius ascendimus, quamquam ipse sit ignotus nobis, tamen non nisi in lumine suo … ut in lumine suo ad ipsum pergamus.«9 Wieder steht Ps 36,10 im Hintergrund. Dass Gott »in einem Lichte wohnt, da niemand zukommen kann« (1Tim 6,16), ist durch die innere, ganz in sich beschlossene Unendlichkeit seines Seins für sich bedingt. »Gott ist wegen seiner unermesslichen Größe nur sich selber bekannt.«10 Dies Erschlossensein Gottes für sich selbst ist für unser Denken an sich uneinholbar, und was Heraklit von der Psyche sagt, gilt absolut von der göttlichen Wirklichkeit: Ihre »Grenzen kannst du im Gehen nicht ausfindig machen, auch wenn du jeglichen Weg abschrittest: einen so tiefen Logos hat sie« (B 45).11 Einen Zugang, wie begrenzt auch immer, zu diesem Geheimnis göttlichen In-sich-Seins könnte es für uns nur geben, wenn der göttliche Logos sich unserm menschlichen Logos von sich aus erschlösse. Gott ist ein Gegenstand über jeden bekannten Gegenstand hinaus, mehr und anders und größer als jeder sonst denkbare Gegenstand, nämlich als »Gegenstand« das schlechthin Andere aller Gegenstände bzw. das Un- oder Übergegenständliche schlechthin. Es hängt mit Gottes überweltlicher Erhabenheit selber zusammen, dass er entweder gar nicht erkennbar ist oder, wenn überhaupt, dann nur, indem er sich von sich aus zu erkennen gibt – der Ungegebene als der Sich-Gebende. Das heißt: Menschliche Gotteserkenntnis muss ihre eigene Unzulänglichkeit im Verhältnis zu ihrem Gegenstand »Gott« immer doppelt reflektieren:

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A.a.O., c. 16 (110). Meister Eckhart, Predigt 37: »Surrexit autem Saulus de terra apertisque oculis nihil videbat« (Act 9,8), in: Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, hg. und übers. von J. Quint, München 1968, 329. Cf. ders., DW 3, 214,6f. 8 Meister Eckhart, Predigt 40: »Modicum et iam non videbitis me« (Joh 16,16), a.a.O. 347. Cf. DW 3, 175,5. 9 Nikolaus von Kues, De quaerendo Deum, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 588. 10 »Quod vero immensum est, soli sibi notum est« (Tertullian, Apol. 17,3; PL 1, 376). Daher gilt auch: »et scientia nostra scientiae tuae conparata ignorantia est« (Augustin, Conf. XI 4,6). 11 ψυχῆς πείρατα ἰὼν οὐκ ἂν ἐξεύροιο, πᾶσαν ἐπιπορευόµενος ὁδόν· οὕτω βαθὺν λόγον ἔχει. Cf. DK I, 161. 7

§ 2 Gotteserkenntnis

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einmal so, dass unsere Gotteserkenntnis nur wahr, also Gottes eigentümlicher Wirklichkeit entsprechend, sein (oder werden) kann unter der Bedingung, dass sie von Gott selber her begründet wird und in Gott ihren Ursprung findet – also ein Wissen ist, das sich als dieses Wissen aus seinem Gewussten ermöglicht weiß.12 Sodann so, dass auch schon der Sachverhalt, dass überhaupt ein Bewusstsein von Gott beim geschaffenen Menschen vorhanden ist, für dieses Bewusstsein nur von Gott selbst her zu erklären ist. Wir halten also das Zweifache fest: 1) Gott muss sich selber zu erkennen geben, um von uns in Wahrheit erkannt zu werden. 2) (Dies ist die fundierende und stärkere These:) Gott muss sich selbst schon zu erkennen gegeben haben, damit wir überhaupt von ihm wissen (uns seiner bewusst sein), reden und ihn zu erkennen versuchen können.13 Ein Glauben an Gott wie auch ein Fragen nach ihm nehmen ihn jeweils als Voraussetzung für ihre eigene Möglichkeit faktisch schon in Anspruch; daher gilt sowohl: »Nullus quippe credit aliquid, nisi prius cogitaverit esse credendum«14 wie auch: »omnis quaestio de Deo praesupponit quaesitum«.15 Konkret ergibt sich daraus eine eigentümliche Nachgängigkeit unseres Denkens und Erkennens Gottes und die im ihn erschließenden Wort eröffnete Möglichkeit des Glaubens an ihn (was beides selber als von Gott gegeben und sein Wirken an uns erfahren wird): Et revera nostrum cognoscere est magis passivum quam activum, Hoc est: est potius cognosci, quam cognoscere. Nostrum agere est pati operantem in nobis Deum, qui dat verbum, quo per fidem divinitus datam apprehenso nascimur filii.16 2. Dieses Zitat – wie auch das gleich folgende und überhaupt alle in diesem Paragraphen bisher angeführten – hat einen neutestamentlichen Hintergrund, der nun beispielhaft vorzustellen ist und zeigt, dass dies Verständnis von der Möglichkeit einer Gotteserkenntnis auch im Neuen Testament angelegt ist.

12 Weil Gott »allem Begreifen zuvor unser Dasein umgibt und trägt«, ist er auch »immer schon die oberste Bedingung aller Besinnung darauf und jedes begreifenden Nachvollzugs« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 11 Anm. 1], 365). Gott zu denken, bedeutet ein Denken des Schöpfers des Denkenden und seines Denkens! 13 Zu Gottes Gegenwart als Bedingung einer Gotteserkenntnis cf. Clemens Alexandrinus, Strom. V 13,82.4 und Bonaventura, Itiner. III 3. 14 Augustinus, De praedest. sanct. 2,5 (PL 44, 962f). 15 Nikolaus von Kues, Id. de sap. II, in: ders., Phil.-theol. Schr. 3, 456. 16 LUTHER, WA 40 I, 610,15–20 (1535).

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Prolegomena

Insbesondere beim Apostel Paulus finden sich einschlägige Formulierungen: νῦν δὲ γνόντες θεόν, µᾶλλον δὲ γνωσθέντες ὑπὸ θεοῦ. (Gal 4,9) Hier zeigt sich in der sprachlichen Gestaltung bereits die »Umkehrung«, von der oben die Rede war – als Selbstkorrektur der Erkenntnisintention von ihrem Gegenstand her. Unser Erkennen Gottes kann nur in einem Sich-einbezogen-Finden in sein uns betreffendes Erkennen unserer statthaben. Luther hat im eben zitierten Kontext dazu gesagt: »Est ergo sententia. ›Cogniti estis a Deo‹ [Gal 4,9], id est, visitati estis per verbum, donati estis fide et Spiritu sancto.«17 Gott spricht uns durch sein uns »erkennendes« (durchleuchtendes) Wort an,18 und in dessen Aneignung werden wir von ihm zum Glauben erweckt und mit dem Hl. Geist beschenkt; das ist der volle Begriff seiner lebendigen »Heimsuchung« (ἐπισκοπή; Lk 1,68; 19,44; cf. 7,16). Aus diesem Grundsatz, dass Gott erkennen heißt, von Gott erkannt zu werden,19 lassen sich zwei Einsichten ableiten: – Durch Gottes sich zu erkennen Geben werden wir selber uns erkennbar: als von Gott Erkannte. – Wahre Gotteserkenntnis ist nur wirklich (cf. µᾶλλον) als Selbsterkenntnis im Lichte Gottes.20 Dabei gilt aber ein eschatologischer Vorbehalt, denn Gottes Selbsterkenntnis bzw. unser Erkanntwerden durch Gott im Sich-zu-erkennen-Geben Gottes für uns und unsere Gotteserkenntnis unter irdischen Bedingungen sind nur bedingt identisch. Das hat wiederum genauestens Paulus festgehalten: ἄρτι γινώσκω ἐκ µέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσοµαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην. (1Kor 13,12b)

17 A.a.O.; γνωσθέντες bringt Luther zu der Aussage: »nostrum cognoscere est magis passivum«. 18 Cf. dazu das Kierkegaard-Zitat unten 3.6. (S. 26). 19 Zum Erkanntwerden von Gott (wortvermittelt) und unter Berufung auf Ph. K. Marheineke cf. K. BARTH, Die christliche Dogmatik im Entwurf, Bd. I, München 1927, 102– 105; siehe aber kritisch dazu TH. SIEGFRIED, Das Wort und die Existenz, Bd. I, Gotha 1930, 194ff. Bei Marheineke heißt es beispielsweise: »Der wahre Begriff des Positiven ist der von einem Sichselbstsetzen … Gottes in der Vernunft, … es muß ihr das Erkennen Gottes zugleich angefangen seyn; ohne selber gesetzt zu seyn, kann sie nichts setzen: die Vernunft führet zum Glauben an Gott nur, sofern sie dazu geführt ist« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 15 [§ 25]). 20 Cf. meine Skizze: J. RINGLEBEN, Die Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis. Beobachtungen anhand von Luthers Römerbriefvorlesung, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 11 Anm. 3), 18–28.

§ 2 Gotteserkenntnis

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Wieder zeigt sich, mit einem Bonaventura zugeschriebenen Dictum geredet: deum habere est deo haberi.21 Was jetzt erst noch allein für Gott ist: dass er sich ganz in uns erkennt, das ist für uns nur vorläufig und in Brechungen (oder Spuren) darin da, dass wir allein von Gott her ihn schon zu erkennen vermögen. Erst die »theologia beatorum« wird darin bestehen, zu wissen und zu sehen, dass wir ganz erkannt sind und darum überhaupt auch jetzt schon erkennen können (cf. 1Joh 3,2). Allein von diesem »Schon« lebt die »theologia viatorum« (ἐκ µέρους). So relativ ist unser uns auf Gott hin Ausrichten bereits sein eigenes bei uns Sein (cf. Phil 3,12: die Spannung zwischen »ergreifen« und schon »ergriffen sein«). Der Apostel hat aber zugleich einen spezifischen, konkreten Zusammenhang im Blick, in dem christliche Gotteserkenntnis lebendig und von einem rein theoretischen Erkenntnisbegriff signifikant unterschieden ist. Εr schreibt von der wahren Erkenntnis Gottes: εἴ τις δοκεῖ ἐγνωκέναι τι, οὔπω ἔγνω καθὼς δεῖ γνῶναι· εἰ δέ τις ἀγαπᾷ τὸν θεόν, οὗτος ἔγνωσται ὑπ' αὐτοῦ. (1Kor 8,2f) Nicht die Meinung, selbst etwas zu erkennen (und dies isoliert aus sich selber), konstituiert im Bezug auf Gott wahres Erkennen (καθὼς δεῖ), sondern die Liebe Gottes, d. h. zu ihm, die ihn (im eigenen Erkennen) doch Gott sein lässt: den Gott, an den unser keiner von sich aus heranreicht, sondern der sich gnädig (gratiose) zu uns herablassen muss, damit wir etwas von ihm erkennen können. Gottes eigene Liebe zu uns, in der wir von ihm erkannt werden, wie wir sind, eröffnet uns zugleich die Möglichkeit wahrer Gotteserkenntnis.22 Christliche Theologie, zumal als »theologia viatorum«, hat also immer einen praktischen Horizont und kann – auch in der Gotteslehre – nicht auf reine theoria beschränkt werden.23 Dafür steht auch der neutestamentliche Begriff des Geistes ein. So sagt Paulus von der Offenbarung des göttlichen Geistes an die, die Gott lieben: τὸ γὰρ πνεῦµα πάντα ἐραυνᾷ, καὶ τὰ βάθη τοῦ θεοῦ. … οὕτως καὶ τὰ τοῦ θεοῦ οὐδεὶς ἔγνωκεν εἰ µὴ τὸ πνεῦµα τοῦ θεοῦ. (1Kor 2,10b.11b)

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Cf. Breviloq. V 1,5: »nullus Deum habet, quin ab ipso specialius habeatur«. Zugleich gilt, dass auch unsere Liebe zu Gott (wie auch die zum Nächsten) aus Gott und seiner Liebe entspringt: »Wie Gott in einem Licht wohnt [1Tim 6,16], von dem jeglicher Strahl ausgeht, der die Welt erleuchtet, … ebenso wohnt die Liebe im Verborgenen, oder wohnt verborgen im Innersten. … Wie der stille See tief in dem versteckten Quell seinen Grund hat, den kein Auge je sah, so hat eines Menschen Liebe ihren Grund noch tiefer, nämlich in der Liebe Gottes« (S. KIERKEGAARD, Der Liebe Tun, in: ders., GW 19, 11f). Cf. auch R. FELDMEIER, Gottesliebe und Gotteslehre. Hinführung, in: ders., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 1–27. 23 S. u. zum habitus practicus s. u. S. 52 bei Anm. 76. 22

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Prolegomena

Wahre Gotteserkenntnis, der sich sogar die »Tiefen« des göttlichen Seins erschließen,24 kann es nur so geben, dass menschliche Gotteserkenntnis in Kraft des eigenen Geistes Gottes an Gottes Selbsterkenntnis (ex mera bonitate) Anteil erhält.25 Arbeitet sich jede Theologie an der Frage ab: Wie kann theologische Lehre als (zunächst und für sich genommen) bloß menschliche Rede zugleich auch als göttlich legitimiert und bewahrheitet gedacht werden?, so findet das eine grundlegende Antwort im Konzept des Hl. Geistes. Im Begriff des πνεῦµα wird die theologische Gotteslehre ihrer eigenen Wahrheit ansichtig.26 Denn überhaupt gibt es Gottesbewusstsein als Unbedingtheitsbewusstsein nur im aktuellen Unterscheiden des Unbedingten im religiösen Akt von dessen eigener Relativität – eine Selbstunterscheidung, die der Geist ist. 3. Mit dem aus dem Neuen Testament Beigebrachten ist ein Motivzusammenhang benannt, der sich wie ein cantus firmus durch die Geschichte des christlichen Denkens hindurchzieht; für diese »Wolke der Zeugen« sollen hier exemplarisch weitere Belege angeführt werden. 3.1. »Sankt Augustinus spricht: ›Herr, du wirst niemandes Eigen, er sei denn zuvor dein Eigen geworden‹.«27 Bei Augustin findet sich Verwandtes an vielen Stellen; hier nur zwei: Invoco te in animam meam, quam praeparas ad capiendum te ex desiderio, quod inspiras ei. (Conf. XIII 1,1) amo deum meum, … amplexum interioris hominis mei. (Conf. X 6,8)28 3.2. Eine wichtige Abwandlung erfährt das genannte Motiv in der Dialektik von Suchen und Finden (cf. Mt 7,7). Bei Augustin ist sie in der zuvorkommenden Liebe Gottes zu uns begründet:

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Cf. oben bei Anm. 11 (Heraklit). Zur genauen Auslegung dieser durchaus spekulativ zu nennenden paulinischen Sätze – auch im Zusammenhang mit menschlicher Selbsterkenntnis (1Kor 2,11a) – cf. H.-D. WENDLAND, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 71954, 25–27; dort heißt es unter anderem: »Gott kann nur durch Gott erkannt werden« (25) bzw. »Gott selber schafft die Gotteserkenntnis durch die Gabe des Geistes« (26). Cf. auch Röm 8,16.26f sowie 1,19; danach geht jede Gotteserkenntnis überhaupt letztlich von Gott aus: ἐφανέρωσεν. 26 Zu Gott als Geist s. u. Zweiter Teil, § 13. 27 Meister Eckhart, Predigt 38: »Moyses orabat dominum deum suum« (Ex 32,11), in: ders., Deutsche Predigten und Traktate (wie oben Anm. 7), 336. Cf. DW 2, 640,1f.; cf. 9,2f und Augustin, Enn. in Ps 145,11 (PL 37, 1891 sowie 36, 295). 28 Cf. dazu meine Studie: J. RINGLEBEN, Interior intimo meo. Die Nähe Gottes nach den Konfessionen Augustins, ThSt(B) 135, Zürich 1988, hier 31. Zum Motiv des amplexus bei Luther cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 11 Anm. 3), 40f. 25

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Nos non diligeremus Deum, nisi nos prior ipse diligeret.29 Entsprechend bittet Anselm von Canterbury zu Beginn seiner Suche nach Gotteserkenntnis: Doce me quaerere te et ostende te quaerenti, quia nec quaerere te possum, nisi tu doceas, nec invenire, nisi te ostendas. … Inveniam amando, amem inveniendo.30 Ähnlich heißt es bei Bernhard von Clairvaux: Bonus es Domine animae quaerenti te [Klgl 3,25]; Quid ergo invenienti? Sed enim in hoc est mirum, quod nemo quaerere te valet nisi qui prius invenerit. Vis igitur inveniri ut quaeraris, quaeri ut inveniaris. Potest quidem quaeri et inveniri, non tamen praeveniri.31 Und Pascal beschließt seine Aufzeichnungen über »Le Mystère de Jésus« mit dem Zuspruch: Console-toi, tu ne me chercherais pas, si tu ne m’avais trouvé.32 3.3. Eine weitere Abwandlung bezieht das Sehen in das Erkennen Gottes ein.33 Es ist besonders aufschlussreich, was sich dazu bei Meister Eckhart findet: Man muß wissen, daß Gott zu erkennen und von Gott erkannt zu werden, Gott zu sehen und von Gott gesehen werden der Sache nach eins ist. Indem wir Gott erkennen und sehen, erkennen und sehen wir, daß er uns sehen und erkennen macht.34 Der Bezug auf Gott wird als unausweichlich reflexiv verfasst ausgesprochen: »Indem wir erkennen und sehen, erkennen und sehen wir, daß …« Im Wissen von Gott als solchem öffnet sich diesem Wissen seine eigene Begründung; d. h.: Es bezieht sich, indem es sich auf Gott bezieht, auf sich als auf etwas, auf das sich Gott bezieht. Dass »der Sache nach eins« heißt: in einem einheitlichen Vollzug, der gleichwohl – geisthaft – in sich unterschieden ist, wird noch pointierter (dialektisch) an der folgenden, berühmten Stelle formuliert: 29 Augustin, De gratia et lib. αrb. 18,38 (PL 44,904). Cf. 1Joh 4,19: αὐτὸς πρῶτος ἠγάπησεν ἡµᾶς. Ähnlich Bernhard von Clairvaux: »Causa diligendo Deum, Deus est« (De diligendo Deo 7,22 (PL 182, 987). 30 Anselm, Prosl. 1 (ed. Schmitt [wie oben Anm. 5], 82). 31 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo 7,22 (PL 182, 987; Hervorh. J. R.; auch hier ist impliziert, dass Gott zu finden nur möglich ist als von ihm schon Gefundensein). 32 PASCAL, Pensées, Frgm. 553 (Brunschvicg); cf. auch: »Tu ne me chercherais pas, si tu ne me possédais« (Frgm. 555). 33 Vielleicht motiviert durch die johanneische Rede vom Sehen (cf. z. B. Joh 1,14b). 34 Meister Eckhart, Predigt 35: »Videte, qualem caritatem dedit nobis pater …« (1Joh 3,1), in: ders., Deutsche Predigten und Traktate (wie oben Anm. 7), 317; cf. DW 3, 310f.

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Prolegomena

Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht;35 mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen und ein Lieben.36 [Dasselbe wird zuvor auch vom Hören gesagt.37] Die implizite Voraussetzung dieser Aussage ist natürlich: Es gibt kein direktes Sehen Gottes. Sondern in der Weise, wie einer Gott »sieht«, ist der wahre Gott so präsent, dass er dieses sein vom Menschen Gesehenwerden zum Organ dessen macht, dass und wie er selber den ihn Sehenden selbst sieht.38 Der vom gläubigen Ich »gesehene« Gott ist der Ort, an dem Gott selber sich so zur Geltung bringt und durchsetzt (bzw. hervorbringt), dass er das Sehen des Ich zum Medium seiner eigenen Wirksamkeit auf dieses Ich macht, d. h. seines eigenen Sehens dieses Ich.39 Das »ist« im Eckhart-Zitat meint also ein Sich-Entzweien bzw. SichDurchkreuzen, eine interne »Umkehrung« des Sehens. Mein Auge ist nicht nur meines; ich bin mit meinem Sehen Gottes nicht nur bei mir oder nur in meinem Sehen, sondern mein Hinblick auf Gott ist ein Angeblicktwerden von ihm. Indem ich Gott sehe, sieht Gott mich an. Indem ich den Blick auf ihn richte, hat er mich schon angesehen und durchschaut. Demnach ist der menschliche Blick auf Gott ein in sich umgewendeter Blick: ein Sehen als selber gesehen werden. Die Metapher des Sehens gibt ein Sein beim Andern über eine Distanz hinweg zu verstehen, und mit dem Gesehenen ist man in berührungsloser Einheit. Indes auch bei unserm zu Gott Hinblicken hat er uns immer schon zuvor angeblickt bzw. gesehen (cf. Ps 139,16 und 3). Die Rede ist von einem Geschehen, das eine dialektische Umkehrung in sich trägt, indem es um ein sich in sich entzweiendes Sehen geht. 35

Dieser Satz ist das einzige Eckhart-Zitat, das sich in Hegels Religionsphilosophie findet: HEGEL, Werke 16, 209. Aber schon früh hat Hegel Exzerpte aus Meister Eckhart und Tauler angefertigt, die wohl in Literaturzeitungen zu lesen waren (cf. a.a.O. 2, 536). Siehe auch unten Anm. 41. A.a.O. 17, 480, steht entsprechend: »dies Wissen Gottes vom Menschen ist Wissen des Menschen von Gott«. 36 Meister Eckhart, Predigt 13: Qui audit me (Eccl 24,30), in: Deutsche Predigten und Traktate (wie oben Anm. 7), 216 (zum Sich-selber-Sehen Gottes als Grund unseres ihn Sehens cf. 347); cf. DW 1, 201,5–8. 37 A.a.O. 213: »Das gleiche, was da hört, ist dasselbe, was da gehört wird im ewigen Worte«; cf. DW 1, 193,7f. Diese Predigt hat bei dem Cusaner ein Echo gefunden: »quod audiri cum audire coinciderent, sic et videri et videre, sic et loqui et audire uti in te, Domine, qui es summus virtus« (Nikolaus von Kues, De visione Dei X, in: ders., Phil.theol. Schr. 3, 134; Hervorh. J. R.). 38 Cf. Nikolaus von Kues zu Gottes eigenem Sehen als meinem Sehen Gottes: »Quid aliud, Domine, est videre tuum, … quam [te] a me videri?« (De visione Dei, in: a.a.O. 108) bzw. zu Gottes Sehen als von Gott (als der ihn Sehende) angesehen werden: »Nec est aliud te videri quam quod tu videas videntem te« (ebd.). 39 Cf. Luther: »Idem enim est et utrumque simul est: deus illuminans et cor illuminatum, deus visus a nobis et deus praesens« (WA 5, 118,20–22).

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Wenn Gott in unserm Wissen von ihm so bei sich selber ist, dass er sich darin weiß,40 dann ist diese Entzweiung unseres Sehens oder Wissens das Ereignis seiner eigenen Lebendigkeit und nicht etwa abstrakte »pantheistische« Identität.41 3.4. Bei F. X. v. Baader findet sich mehrfach zu Gal 4,9 und 1Kor 13,12 die Formel: »Cogitor, ergo sum«.42 Hier wird eine Überwindung der cartesianischen Subjekt-Objekt-Spaltung, die die neuzeitliche Wissenschaft beherrscht, im Namen der dialektisch-übergegenständlichen Gotteserkenntnis aufgerufen, die sich vom uneinholbaren Zuvorkommen göttlichen Denkens und Wissens vor dem unseren aus begreift.43 Die Baader’sche Formel lässt sich so auch noch variieren, z. B. Cognosco inquantum cognoscor oder Cogitor ergo cogito. Möglicherweise verdankt sie sich einer Briefstelle bei J. G. Hamann: »Nicht Cogito; ergo sum, sondern umgekehrt, oder noch Hebräischer: Est; ergo cogito«. Hamann fügt hinzu: »und mit der Inuersion eines so einfachen

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Auch hier gilt Gen 1,31a. In der Einleitung zur »Phänomenologie des Geistes« schreibt Hegel: »der Strahl selbst, wodurch die Wahrheit uns berührt, ist das Erkennen« (HEGEL, Werke 3, 69). Das ist in der Sache dem Eckhart’schen Gedanken sehr nahe. Das Erkennen ist für Hegel nur als Berührtwerden durch die Wahrheit selbst wahres Erkennen. Wahrheit ist mithin das sich selber (bei uns) Vergegenwärtigende – derart, dass sie den Ort ihrer Gegenwart so für uns erschließt (»erleuchtet«), dass sie bei uns als sie selbst erschlossen ist, und so ist sie auch schon (oder noch) das Erkennen (ihrer). Zugleich ist dieser von ihr eröffnete Ort des Bei-uns-Seins der Wahrheit auch der Ort unseres uns auf sie Beziehens, unseres Erkennens ihrer, bzw. er ist nichts anderes als dieses Beziehen oder Erkennen. Die Rede vom »Strahl« meint das sich selbst (in unserem Erkennen) Erhellende – auch dieser Strahl ist in sich reflektiert bzw. geht in zwei Richtungen zugleich –, und das Erkennen ist nicht eine einseitig von einem Subjekt ausgehende Tätigkeit, sondern es ist nie ohne Berührtwerden durch die Wahrheit. Diese ist irgendwie immer schon bei uns, so dass das Erkennen als solches schon in ihrem Wirkungsbereich statthat. Erkennen ist nur im Feld der Wahrheit möglich, und diese muss sich selber vorgängig erschließen, um Gegenstand des Erkennens überhaupt werden zu können. Das hat wiederum Hegel an der herangezogenen Stelle in die Wendung gefasst, dass das Absolute nicht erkannt werden könnte, »wenn es nicht an und für sich schon bei uns wäre und sein wollte« (ebd.). »An sich« bei uns meint: dass der Strahl der Wahrheit uns von sich aus berührt, »für sich«, dass ihr Sein bei uns zugleich auch unser Erkennen ihrer ist. Ihr Eingehen in uns ist unser Herausgehen aus uns zu ihr, eben »Erkennen«. Mit dem (immer) »schon« (sc. bei uns sein Wollen) ist gesagt: Die Wahrheit selbst ist auch Bedingung der Möglichkeit bzw. wirkliche Eröffnung ihres Seins für uns, d. h. unseres Zugangs zu ihr. 42 F. X. V. BAADER, Sämtliche Werke, Leipzig 1851ff (Nachdr. Aalen 1963), Bd. I, 349 und 370; Bd. VIII, 339 Fn.; Bd. XII, 238 (P. 14).324 (P. 241).376 Fn. 43 Bei Jean de La Bruyère findet sich die entsprechende Fomulierung: »Ich denke, also existiert Gott« (cf. J. DE LA BRUYERE, Les caractères ou les mœurs de ce siècle, c. 36, in: ders., Œuvres complètes, hg. von J. Benda, Paris 1951, 463). 41

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Principii bekommt vielleicht das ganze System eine andere Sprache, und Richtung«.44 3.5. Das lutherische Verständnis des Glaubens als Werk Gottes in uns ist in seiner grundsätzlichen Bedeutung besonders von Hegel aufgegriffen worden,45 und dies unter (verallgemeinernder) Bezugnahme auf die Lehre der Dogmatik vom testimonium spiritus sancti internum: »Den unmittelbaren Glauben können wir so bestimmen, daß er ist das Zeugnis des Geistes vom Geist«.46 Das bedeutet auch für Hegel: Gott kann nur durch Gott selbst erkannt werden, denn allein so ist das Verhältnis zu ihm nicht ein äußerliches Für-wahr-Halten (z. B. seiner »Existenz«), sondern ein Verhältnis im Geist und in der Wahrheit.47 Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist überdies die sprachliche Verfassung des Hegel’schen Glaubens- bzw. Geistbegriffs: »Wenn Gott spricht, so ist dies geistig; denn es offenbart sich der Geist nur für den Geist.«48 Was den Gottesbegriff selber angeht, so folgt Hegel bei allem hier Angeführten dem Grundsatz: »Gott als lebendiger Gott und noch mehr als absoluter Geist wird nur in seinem Tun erkannt …«49 Ein spezifisches Ziel göttlichen Handelns ist es, in uns das Bewusstsein von ihm, das religiöse Bewusstsein, zu erzeugen: »Gott (ist) der Geist …, der jenes Erheben zu ihm, jene Religion im Menschen selbst erweckt.«50 3.6. Was das in diesem Paragraphen in Rede stehende Motiv für das Verständnis der Hl. Schrift bzw. des göttlichen Wortes (als Reden Gottes mit uns) besagt, hat S. Kierkegaard folgendermaßen formuliert: Denn die christliche Wahrheit hat … selber Augen, damit zu sehen, ja, sie ist wie lauter Auge. [Cf. Hebr 4,12]51 44

HAMANN, Briefwechsel 5, 448,26–28 (1.6.1785 an F. H. Jacobi). Hamanns »Est« bezieht sich natürlich auf Ex 3,14 – eine Stelle, von der unsere Gotteslehre ihren Anfang nehmen wird (Zweiter Teil, § 1). 45 WA 40 I, 130,12f (viele weitere Stellen bei BARTH, KD I/1, 259f). Siehe dazu schon in Hegels »Theologischen Jugendschriften« mit Bezug auf Joh 6,29; cf. HEGEL, Werke 1, 384; zum testimonium internum cf. auch a.a.O. 3, 411 u. ö. 46 HEGEL, Werke 16, 210; schon auf S. 203 heißt es: »Indem der Glaube bestimmt werden muß als Zeugnis des Geistes vom absoluten Geist oder als eine Gewißheit von der Wahrheit …«; cf. auch 17, 288. 47 Zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit (Joh 4,24) cf. a.a.O. 1, 382. 48 A.a.O. 16, 211. Wahrer Gottesdienst wird demnach »Wort-Gottesdienst« sein. 49 HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: a.a.O. 6, 404. Die Fortsetzung des Zitates zeigt, was das für den Begriff Gottes als des Lebendigen bedeutet; das wird unten in § 3 C. (S. 268ff) weiter diskutiert. 50 HEGEL, Werke 17, 410. 51 S. KIERKEGAARD, Einübung im Christentum (Nr. III, VI), in: ders., GW 26, 225. Das wird unmittelbar danach für das Hören analog gesagt (226). Für das Sehen eines Bildes cf. die metaphysischen Überlegungen bei G. DIDI-HUBERMAN, Was wir sehen, blickt uns an, übers. von M. Sedlaczek, München 1999, passim.

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Hier kommt zum Ausdruck, dass die Wahrheit religiös nicht »objektiv«, als Gegenstand, gedacht werden kann, sondern nur als sich selber vergegenwärtigend – also in der glaubenden Gewissheit von ihr. Im Lesen oder Hören der Hl. Schrift wird eine göttliche Anrede erfahren, die uns durchleuchtet, indem wir sie rezipieren. Die christliche Wahrheit ist mithin eine, die den sie Suchenden auf ihn selbst zurückwendet und so mit sich (d. h. ihr) durchdringt. Nicht ist diese Wahrheit sein Gegenstand, sondern er findet sich als einen, der immer schon vor ihrem Forum ist. Indem sie ihm offenbar wird, wird er sich selber vor der Wahrheit offenbar.52 3.7. In allem bisher Ausgeführten ist der theologische Begriff der Offenbarung impliziert; dazu hier vorgreifend einige wenige Hinweise von ebenso vorläufigem wie exemplarischem Zuschnitt.53 Indem, wie gezeigt, Gotteserkenntnis überhaupt nur als von Gott ausgehende Erkenntnis denkbar ist, ist ein wahres Erkennen Gottes allein aufgrund seiner Selbsterschließung für uns bzw. in solchem Erkennen, d. h. als Offenbarung Gottes, möglich.54 Dafür soll hier, stellvertretend für beliebig viele Theologen, E. Jüngel in Anspruch genommen werden: daß Gott überhaupt nur dann als Gott gedacht wird, wenn er als sich offenbarender Gott gedacht ist.55 Der Offenbarungsbegriff ist theologisch unvermeidlich, weil nur von ihm aus die bloße Subjektivität des Gott-Denkens vom Gedachten selber her bewahrheitet werden, also das Denken wirklich Denken sein kann. Das ist bezüglich des Gottesgedankens so zwingend, dass Jüngel sogar sagen kann, darin bestehe »die Vernünftigkeit der Vernunft«.56 Im Falle des »Gott Denkens« kann das zu Denkende (Gedachte) nur als das ebendieses Denken über es Ermöglichende und Begründende gedacht werden, und zwar von sich her ermöglichend und begründend, wenn es sich in diesem Denken selber als es selbst erschließt. Diesem Denken (sc. Gottes) widerfährt von seinem Gedachten her eine Umkehrung: Es ist als Denken nicht ein Erstes, Ursprüngliches und für sich selber Absolutes, sondern kann nur Nachdenken dessen sein, was Gott ihm von sich aus zu erkennen gibt, also ein Abgeleitetes und für sich selber Abhängiges. Dafür steht systematisch der Begriff »Offenbarung«. Gott zu denken heißt, das Denken seiner unbedingten Selbstmacht zu entkleiden – und zwar in ihm als Denken –: Statt autonom zu 52

Genauer habe ich das (mit Bezug auf Luther, Bengel, Hamann und Kierkegaard) ausgeführt in: RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 435–443 (Kap. 9 [7.]: Die Schrift: Tui ipsius interpres). 53 Cf. im Zweiten Teil den thematischen Paragraphen 10. 54 So z. B. auch PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 11 Anm. 1), 107.207 u. ö. Cf. jedoch unten S. 71 Anm. 59. 55 E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 211; cf. 309. 56 Ebd.

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entwerfen, wird es sich als nachgängig, als hörend begreifen müssen, als vernehmende Vernunft göttlichen Sich-Mitteilens. So ist Theologie als logos vom theos notwendig ein Denken der Offenbarung.57

B. Theologische Gotteserkenntnis 1. Platon fordert für wahre Gotteserkenntnis, dass sie Gott seinem Wesen nach darstellen müsse: οἷος τυγχάνει ὁ θεὸς ὤν, ἀεὶ δήπου ἀποδοτέον. (Politeia II. 379a 7f)58 Wenn nun Gott sich zu erkennen geben muss, damit wir überhaupt von ihm etwas Triftiges wissen können, dann bedeutet das auch, wie schon in Abschnitt A. immer wieder angeklungen ist, eine besondere Verfassung theologischer Gotteserkenntnis als solcher. Dafür sind noch einige spezifische Zeugnisse der Tradition zu bedenken.

57 Freilich bedeutet das nicht, Offenbarung einfach und umstandslos mit der christlichen bzw. der Offenbarung in Jesus Christus streng zu identifizieren, wie K. Barth wollte. 58 Cf. des Näheren: »Dieses also, was dem Erkannten die Wahrheit schafft und dem Erkennenden die Kraft [sc. zum Erkennen] gibt, das sage nur, sei die Idee des Guten« (Platon, Politeia VI. 508e 1–3). Es geht um die Erkenntnis des eindeutig Guten (505d 7ff), um zu einer festen Überzeugung (πίστει … µονίµῳ) zu gelangen (505e 3f) und nicht im Dunkeln zu bleiben (ἐσκοτῶσθαι, 506a 1) oder »fast blind« (508c 8f). Freilich kann nicht der »Vater« an ihm selber (d. h. das eine Gute selbst), aber sein »Sprössling« (ἔκγονος, τόκος, 506e 3, 507a 3f) zur Erörterung kommen. Dabei handelt es sich um die »eine Idee« (507b 7), die als Idee (sc. Gottes) nicht gesehen (cf. Joh 1,18a), sondern nur gedacht werden (νοεῖσθαι) kann (507b/c). Wie (im Gleichnis gesprochen) ohne das Licht der Sonne kein Sehen von etwas möglich (507d/e und 508a) und diese die Ursache für das Sehen ist (508b 9f; cf. 508d), so hat das Gute jenen »Sprössling« nach der Ähnlichkeit mit sich gezeugt (ὃν τἀγαθὸν ἐγέννησεν ἀνάλογον ἑαυτῷ, 508c 1; cf. 509a 3: ἀγαθοειδῆ; cf. Hebr 1,3). Dann folgt der eingangs zitierte Satz (508e 1–3). Die Idee des Guten selbst ist mithin die Ursache (αἰτία) der Erkenntnis (von ihr) und ihrer Wahrheit, sofern sie erkannt wird (508e 3f; 509a 6f; cf. auch 517c). Dergestalt ist Gott als das Gute selber der den Zugang zu sich Eröffnende und ist nicht das Sein (οὐκ οὐσίας ὄντος), sondern transzendiert es an Würde und Macht (δύναµις) als: ἐπέκεινα τῆς οὐσίας (509b 9f; zu dieser Formulierung cf. unten Zweiter Teil, § 5 C. [S. 356 Anm. 92]). E. Mühlenberg hat mit Bezug auf diese Passage der »Politeia« gezeigt, dass patristische Autoren wie Gregor von Nyssa deshalb theologisch an Platon anschließen konnten, weil sie hier den Gedanken vorgedacht fanden, dass Gott als das eine Gute (cf. auch Mk 10,18) nur deswegen und so erkannt werden kann, weil er die den Menschen verwandelnde Fähigkeit (δύναµις) zu seiner Erkenntnis selber schöpferisch in diesem hervorruft; cf. die wichtige, konzentrierte Studie: E. MÜHLENBERG, Der Konvergenzpunkt zwischen platonischer Philosophie und christlicher Theologie bei Gregor von Nyssa, in: G. Wenz (Hg.), Vom wahrhaft Unendlichen, PannenbergStudien 2, Göttingen 2016, 315–326, bes. 320–323.

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Es ist auch auf seine Theologie (wie alle christliche Theologie) zu beziehen, wenn Paulus schreibt: οὐχ ὅτι ἀφ’ ἑαυτῶν ἱκανοί ἐσµεν λογίζεσθαί τι ὡς ἐξ ἑαυτῶν, ἀλλ’ ἡ ἱκανότης ἡµῶν ἐκ τοῦ θεοῦ. (2Kor 3,5)59 Das bedeutet für den Umgang mit dem λόγος τοῦ θεοῦ und die theologische Rede, sie haben zu geschehen: ὡς ἐξ εἰλικρινείας, … ὡς ἐκ θεοῦ κατέναντι θεοῦ (2Kor 2,17).60 Eigentliches theologisches Denken muss sich also von Gott selber belehren lassen: παρὰ θεοῦ περὶ θεοῦ.61 Das ist dann für jede wirkliche theologische Einsicht bzw. wahre Erkenntnis von Gott zu berücksichtigen; wenn gilt: »Non potest Deus nisi per Deum intelligi«, dann gilt auch: »A Deo discendum est, quicquid de Deo intelligendum sit, quia non nisi se auctore cognoscitur.«62 Theologie ist also »Gottesgelehrtheit«, insoweit sie sich, als von ihm belehrt, von Gott selber herschreiben kann: Ἐδίδαξεν ἡµᾶς ὁ κύριος, ὅτι θεὸν εἰδέναι οὐδεὶς δύναται, µὴ οὐχὶ θεοῦ διδάξαντος, τουτέστιν ἄνευ θεοῦ µὴ γινώσκεσθαι τὸν θεόν.63 Unter diesen Bedingungen kann es nicht-trivial heißen: »Theologus id est Deum loquens«,64 d. h. einer, der Gott so zur Sprache bringt bzw. kommen lässt, wie es seinem Gottsein entspricht. Das aber ist dem Menschen nur möglich und kann nur adäquat begründet werden, wenn Gott selber von sich her sich »zur Sprache bringt«. Nur weil und insofern Gott selber »loquens« oder »verbosus« ist,65 kann es wahre theologische Rede und Erkenntnis von ihm geben. In Gott, der selber Logos ist, ist so etwas wie Theo-logie begründet.66 Anders gesagt: Der Grund der Theologie und ihrer Erkenntnis Gottes ist notwendig ein sich selbst begründender. 59

Vg.: »… cogitare aliquid a nobis, quasi ex nobis: sed … ex Deo«. Vg.: »sicut ex Deo, coram Deo … loquimur«. 61 Athenagoras, Legatio pro Christianos 7,2 (PG 6, 903/904): »de Deo … ab ipso Deo discendum«. 62 Hilarius, De trin. V 20f (116f) (PL 10, 143). Hervorhebungen J. R. 63 Irenäus, Adv. haer. IV 6,4 (PG 7, 988f). 64 LUTHER, WA 1, 305,25f (1518). 65 LUTHER, WA 39 II, 199,5 oder auch 31 I, 511,29. Zur Sache: RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 27 Anm. 52), 17 u. ö. 66 Insofern besagt der Terminus »Theologie« etwas anderes als Biologie, Zoologie, Soziologie u. ä., weil die Namen dieser Disziplinen den wissenschaftlichen logos über Leben, Tiere, Gesellschaft usw. bezeichnen, während die Theologie ein spezifisches, für sie konstitutives inneres Verhältnis zwischen theos und logos annimmt. Für die andern Wissenschaften (Philosophie ausgenommen) gilt freilich, dass sie das, worauf sie erkennend zielen, nicht nur als äußerlich Gegebenes voraussetzen, sondern auch in dem Sinne, dass die wissenschaftlichen Subjekte selber leben, Gesellschaftswesen sind etc., um diese Wissenschaften betreiben zu können. So erkennt z. B. in der Biologie das Leben sich selber. 60

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Ähnlich hat in deutlichem Anschluss an 2Kor 2,17 J. Coccejus 1669 definiert, was den Theologen zum Theologen macht: Θεόλογος est ὁ τὸν θεὸν ἐκ τοῦ θεοῦ ἐνώπιον θεοῦ εἰς δόξαν αὐτοῦ λέγων.67 Theologie zu treiben, heißt demnach, sich als den Ort zu begreifen, an dem die Sache der Theologie selber, Gott, von ihr selber her und als sie selber konsequent zur Darstellung gebracht wird. Dass theologisch grundlegend gilt: »Gott wird nur durch Gott erkannt«, gehört im 20. Jahrhundert insbesondere zum ganzen Ansatz der Theologie K. Barths.68 Damit ist – ähnlich wie bekanntermaßen bei Hegel – die Unmöglichkeit einer vorauszuschickenden »Erkenntniskritik« (als des Unternehmens zu schwimmen, bevor man im Wasser ist, wie Hegel sich ausgedrückt hat) verbunden: Die Dogmatik kann »nur wagen, ihren Weg anzutreten, um dann auf diesem Weg … sich um die Richtigkeit dieses Weges zu bemühen«.69 Wie Barth schon bei W. Herrmann lernen konnte, ist ein solcher Ansatz nur möglich unter der für die Theologie unabdingbaren Voraussetzung bezüglich Gottes, »daß er sich uns selbst offenbart«.70 Dieser hatte ebenfalls den Grundsatz aufgestellt: »Wir können diesen Gott nicht anders erkennen als dadurch, daß er sich uns selbst offenbart«.71 Wird hierbei allerdings das »uns selbst« methodisch einseitig – gleichsam in Schleiermacher’scher Intention auf das fromme Selbstbewusstsein – zum entscheidenden Fokus gemacht, so droht die konstitutive Sachbezogenheit (bzw. Gegenstandsorientierung) der Theologie verloren zu gehen, sozusagen subjektivistisch verflüchtigt zu werden. Das zeigt sich an dem exklusiv gemeinten Satz: »Von Gott können wir nur sagen, was er an uns tut«,72 in dem die prinzipielle Ausklammerung

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J. COCCEIUS, Summa theologiae ex Scripturis repetita I, 1.; aneignend zitiert bei BARTH, KD I/1 (1932), 1. 68 Cf. BARTH, KD II/1 (1940), 200ff. (§ 27 sowie schon §§ 25 und 26). Bereits Schelling stellt fest: »Existiert Gott wirklich, so kann er als das allervollkommenste Wesen auch nur durch den allervollkommensten Verstand erkennbar seyn« – d. h. durch sich selbst (SCHELLING, Denkmal von der Schrift von den göttlichen Dingen …, in: ders., SW I/8, 96 = Nachdr. 610). 69 BARTH, KD I/1, 42. 70 BARTH, Die dogmatische Prinzipienlehre Wilhelm Herrmanns (1925), in: ders., Die Theologie und die Kirche. Gesammelte Vorträge II, München 1928, 247 (Hervorhebungen J. R.; es geht darum, dass Gott »sich selbst« offenbart). 71 W. HERRMANN, Gottes Offenbarung an uns, Bern 1908, 76, in: ders., Schriften zur Grundlegung der Theologie, Bd. II, TB 36/II, München 1967, 153. (Hervorh. J. R.; hier ist außer der Lesart: »sich selbst uns« in Herrmanns Sinn auch die andere möglich: »sich uns selbst«!) 72 W. HERRMANN, Die Wirklichkeit Gottes, Tübingen 1914, 42. Zustimmend zitiert von R. BULTMANN, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (1925), in: ders., Glauben und Verstehen, Bd. I, Tübingen 51964, 36. Cf. auch I. Kant: »Es liegt uns nicht sowohl daran zu wissen, was Gott an sich selbst (seine Natur) sei, sondern was er für uns als

§ 2 Gotteserkenntnis

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von Aussagen über Gott selber (bzw. an ihm selbst) den theologischen Aussagen mit ihrem »objektiven« Bezugspol auch ihren Wahrheitsbezug (zugunsten bloßer »Gewissheit«) abzuschneiden droht.73 Barth hat bekanntlich solchen Tendenzen dadurch entgegenzusteuern gesucht, dass er die vorgegebene Instanz, die die Theologie bei ihrer Sache sein lässt, als das Wort Gottes dessen subjektiver Aneignung vorgeordnet hat: »Das Wort Gottes wird erkennbar, indem es sich erkennbar macht.«74 Sofern dies »Wort« Gottes dieser selbst in seiner Offenbarung für uns ist,75 kann man (mit einem aus dem Denken Schellings und Hegels stammenden Begriff) von Gottes Selbstoffenbarung reden. Sie vermag dann als das authentische, theologische Gotteserkenntnis generierende Prinzip in Anspruch genommen werden, das jedem der Sache äußerlich bleibenden Ansatz überlegen ist, denn seine Selbstoffenbarung ist »der von Gott selbst geführte Gottesbeweis«.76 2. Die aus den angeführten Zitaten der Tradition sich ergebenden, für alles Weitere leitenden Gesichtspunkte lassen sich thesenartig in fünf Sätzen artikulieren.

moralische Wesen sei« (I. KANT, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Drittes Stück, 2. Abt., Allg. Anm., in: Kant-AA 6, 139,14–16). 73 Das zeigt sich deutlich bei Bultmann, der, an Herrmann orientiert, seiner Theologie den programmatischen Satz voraussetzt: »Von Gottes Handeln reden, heißt zugleich von meiner Existenz reden« (R. BULTMANN, Die Rede vom Handeln Gottes, in: H. W. Bartsch [Hg.], Kerygma und Mythos, Hamburg 1952, 184f.200), und dies in der Meinung, damit der Aufgabe enthoben zu sein zu sagen, was denn »Gottes Handeln« als solches besagt. Kritisch ist dagegen einzuwenden, dass der Satz einseitig an welthaftem Handeln orientiert ist und vor allem nicht die Frage nach dem Verhältnis des göttlichen Subjekts zu seinem Handeln beantwortet – er will diese Frage gerade verhindern. Gleichwohl schließt Bultmanns häufige Aussage, dass durch Gottes Handeln ein neues Existenzverständnis »bewirkt« werde (z. B. a.a.O. 200), notwendig Annahmen über den darin Wirkenden ein. Bultmann verlagert in für seine Theologie charakteristischer Weise das Problem von einem sachlichen Eigengehalt der Rede von Gottes Handeln weg und verschiebt es gänzlich auf die Seite subjektiven Sich-Öffnens für es (»Verstehen« des göttlichen Tuns als …). Damit ist aber höchstens eine notwendige, keinesfalls schon die hinreichende Bedingung solcher Rede benannt. Insbesondere aber bedeutet der zitierte Satz theologisch durchaus nicht: ein existenziell treffendes Ereignis als göttliches Handeln nur zu verstehen (cf. a.a.O. 197), sondern die Rede von »Gottes Handeln« gibt dem Gläubigen gerade zu verstehen, dass es nicht nur um sein eigenes Verstehen-als-… geht. 74 BARTH, KD I/1, 260; cf. auch 42 sowie § 1. Die kritische Frage, ob diese »Lehre vom Wort Gottes« in ihrer Barth’schen Durchführung wirklich eine solche und nicht vielmehr (aus spezifischen Gründen reformierter Tradition) gänzlich unsprachlich konzipiert sei, braucht hier nicht diskutiert zu werden. 75 Cf. BARTH, KD I/1, 311ff (§8). Cf. aber unten S. 71 Anm. 59. 76 J. MOLTMANN, Theologie der Hoffnung, München 101977, 47.

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2.1. Theologie hat wesentlich zuerst und zuletzt, maßgeblich und umfassend von Gott zu reden (d. h. in ihrer Substanz Gotteslehre zu sein) – als ihrem eigentlichen Thema und ihrer spezifischen »Sache« –, und ein Theologe ist: ὁ τὸν θεὸν λέγων. 2.2. Ihr Reden hat sich ihrem Gegenstand so anzumessen, dass es von ihm her legitimiert wird, d. h. sich als durch ihn selbst begründet und ermöglicht ausweisen kann: ἐκ θεοῦ. 2.3. Solches Reden der Theologie vollzieht sich auch in ständigem Bezug auf diesen Gegenstand, und dies derart, dass es sich als menschliches Reden von ihm als seinem Maßstab und Wahrheitsgrund selbstkritisch unterscheidet, d. h. als wahres (bzw. Wahrheit beanspruchendes) Reden sich ständig von ihm geleitet weiß und sich seiner Angemessenheit an ihn als ihn selber dauernd zu vergewissern sucht: ἐνώπιον θεοῦ. 2.4. Aus Gott und vor Gott sich vollziehend hat die Theologie, zumal als Gotteslehre, das einzige Ziel, Gott als Gott, d. h. ihn nicht als bloßes Produkt oder Konstrukt ihres Denkens, sondern ihn als ihn selber zur Sprache zu bringen. Wo das geschieht, da nimmt sich theologische Rede so vor Gott zurück, dass er ihr absolutes Subjekt wird, d. h. sie nur von ihm her wahr und er in ihr bei sich selbst. Derart wird die Theologie selber – in aller menschlichen Gebrochenheit und relativen Unwahrheit – zum Reflex göttlicher Wahrheit. Ihr Ziel, zu reden εἰς δόξαν αὐτοῦ, setzt sich dann fragmentarisch an ihr und gegen sie als unverfügbares Ereignis göttlichen Bei-uns-Seins durch. 2.5. Das Relationsgefüge (nach Coccejus): ἐκ θεοῦ – ἐνώπιον θεοῦ – εἰς δόξαν θεοῦ erinnert nicht zufällig und beziehungsreich an Röm 11,36: ὅτι ἐξ αὐτοῦ καὶ δι’ αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν τὰ πάντα. Das besagt noch einmal: Von Gott zu reden: λέγειν τὸν θεόν (Deum loqui), kann in der Wahrheit nur so sein, dass er darin gegenwärtig ist. »Ihn« an ihm selber zum »Gegenstand« zu haben, wird allein wahr und gewiss, indem er sich selbst zum Gegenüber wird77 und sich durch unser Reden, Denken und Erkennen mit sich selbst vermittelt und in solcher Wahrheit unseres theologischen Erkennens – uns unfassbar – die Herrlichkeit seines Sich-selbst-Erkennens hat. 2.6. Zusammengefasst: Theologische Gotteserkenntnis ist letztlich in die Logik des trinitarischen Seins Gottes einzuschreiben,78 um zu einem angemessenen Begriff von Theo-logie zu kommen. So stellte schon Quenstedt fest: Causa efficiens principalis Theologiae est Deus Uni-Trinus.79

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Gemäß Joh 1,1b und c: καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος. Cf. oben im Text zum »Geist« S. 22 bei Anm. 24–26. 79 QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica (wie oben S. 11 Anm. 2), Pars I, c. I., Th. XXXI. 78

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken) A. Doctrina de Deo Die »Lehre von Gott« wird hier nicht in einem autoritativen Sinne, d. h. nicht als »dogmatisch« im pejorativen Sinn,1 sondern als denkende Entwicklung des christlichen Gottesbegriffs vorgetragen. Dazu sind einige knappe Erläuterungen angebracht. 1. Die erste (fachspezifische) Frage dürfte wohl lauten: warum Gotteslehre als Dogmatik und nicht als »Glaubenslehre«?2 Zunächst ist festzuhalten: Unter anderem will auch eine »Glaubenslehre« den Glauben lehren und über ihn belehren, nämlich ihn über sich selbst, d. h. ihn so über sich verständigen, dass er immer mehr und immer reiner er selber, Glaube, werde. Das kann indes nicht geleistet werden, ohne dafür eine Gotteslehre in Anspruch zu nehmen.3 Denn der Glaube ist nur, was er ist, indem er sich ganz von Gott her versteht.4 Die Glaubenslehre ist mithin nur dadurch und insoweit eine sachhaltige theologische Lehre, als sie sich von Gott als Gegenstand und Grund des Glaubens her legitimieren kann,5 sie muss also Dogmatik sein. Denn der Glaube selber ist (und versteht sich wesentlich so) nichts anderes als ein von Gott bestimmtes und hervorgebrachtes Bezogensein auf ihn.6 Sonst wird die Glaubenslehre zu einer sozusagen bloß empirischen Disziplin, d. h. einer Lehre

1 Dieser wurde erst durch Kant im Gegensatz zu »kritisch« stark gemacht. Im systematischen, sachlichen Sinne kennt aber z. B. auch die Jurisprudenz bis heute eine Disziplin »Rechtsdogmatik«. 2 Wie sie seit S. J. Baumgarten und F. Schleiermacher teils aus subjektivitätstheoretischen Gründen, teils unter Berufung auf den reformatorischen Glaubensbegriff vielfach unternommen worden ist. G. Ebeling versucht, im Titel beides zu verbinden: »Dogmatik des christlichen Glaubens«. Cf. den Art. »Glaubenslehre«, RGG4 3 (2000), 993 (LANGE). 3 Was bei Schleiermacher und bei Bultmann nur unzureichend geschieht. Wenn nach Luther Gott und Glaube »zuhauffe« gehören (dazu s. u. § 4), impliziert das: Es gibt keine Aussagen über den Glauben, die nicht auch konstitutiv solche über Gott enthielten. 4 »Ich weiß, woran ich glaube, / ich weiß, was fest besteht« (E. M. Arndt [1819], EG, Nr. 357). 5 Dies wäre insbesondere gegen die Paragraphen 4 und 5 von Schleiermachers ›Glaubenslehre‹ stark zu machen, wo die Instanz des Wortes »Gott« unterbelichtet bleibt. 6 Cf. oben S. 19 bei Anm. 16.

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von den Tatsachen des frommen Bewusstseins;7 eine mehr als empirische Genesis des Glaubens kann aber theologisch nur im Rekurs auf Gott bzw. seinen Geist in den Blick kommen. Wenn auch faktisch von Gott nur im Glaubenszusammenhang die Rede sein kann, so versteht der Glaube selber sich doch völlig als von Gott selber hervorgebracht. Denkt man vom Gottesglauben aus, so fallen hier ordo cognoscendi und ordo essendi in eins. Denn der Glaube ist (für sich) extern konstituiert, weshalb seiner Explikation der Sache nach die des Gottesbegriffs voranzugehen hat. Denkt die christliche Theologie – nach Maßgabe des Offenbarungsgedankens – vom »Kommen« Gottes zu uns aus, so ist solches Kommen, in dem der Glaube sich einbegriffen vorfindet, nur so eins von außen und wirklich vorgängig – der Glaube mithin ihm prinzipiell nachgängig –, dass Gott zugleich (ebendiesen subjektiven Zugang überholend) immer schon gekommen ist.8 Gott knüpft also im Glauben bei uns an sich selber an. Das »Extra nos« des Neuen bei uns kehrt sich um zu einer Wahrheit, von der unser Leben immer schon herkommt. Und Gott kommt von uns aus nur zu sich selber. Ist der Glaube die Aneignung dieser Erfahrung (als einer Gottes als Gott), so vollzieht sie sich ihrerseits am Ort des individuellen Subjektes überhaupt. Eine »Glaubenslehre« kann und muss es im Rahmen der Dogmatik geben, weil die beschriebene Erfahrung für uns nur eine ist, wenn sie irgendwie verstanden und so subjektiv (rational) auch bearbeitet wird.9 Des ungeachtet gilt zugleich: Sie ist nur Glaubenslehre, wenn gleichermaßen und gleichermaßen wesentlich die Lehre von Gott zu ihr gehört, d. h., wenn sie eine Lehre der Dogmatik ist. Dogmatische »Lehre« ist die Glaubenslehre, indem sie wirklich theologische Lehre ist, d. h. einen Begriff der Glaubenserfahrung ausarbeitet, sofern sie eine solche ist, nämlich eine Erfahrung Gottes im Glauben. 2. Zum Ansatz der hier proponierten Christlichen Gotteslehre ist zu sagen: Es geht nicht um irgendeinen, religiösen oder philosophischen, Gottesgedanken, sondern um den christlichen, d. h. die in Jesus Christus offenbar gewordene Wirklichkeit Gottes. Diese ist aber nicht einfach vorauszusetzen, sondern denkend zu explizieren, und das soll bedeuten: weder – wie das beliebte Schema lautet – »von oben«, d. h. mit autoritativem Anspruch als unbefragbare Prämisse in Anspruch zu nehmen, noch auch »von unten«, d. h. von irgendwelchen Daten oder Gedanken ausgehend, die erst zu ihr hinführen sollen. Denkende Explikation besagt in dieser Hinsicht gerade die Infragestellung des ganzen alternativen Schemas. Denn: Wie gelangt man überhaupt 7 Schleiermacher nannte das »historisch«. Cf. meine Kritik daran von der Sprache her: J. RINGLEBEN, Dogmatik als historische Disziplin, ZNThG (= JHMTh) 16 (2009), 155– 180, hier 157ff. 8 Das ist im Gedanken des Schöpfers prinzipiell instantiiert (s. u. Zweiter Teil, § 8). 9 Damit ist nicht der heute überstrapazierten und theologisch irreführenden Kategorie der »Deutung« das Wort geredet.

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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dahin, »von oben« (Top-down) beginnen zu können?10 Oder umgekehrt gefragt: Muss man nicht bereits »oben« sein, um »von unten« (Bottom-up) überhaupt beginnen zu können, Gott zu denken? Denn der Gottesgedanke selber ist gerade der Ort, an dem sich die Hinsichten von »oben« und »unten« allererst unterscheiden lassen. »Oben«, bei Gott, zu sein, heißt, schon immer auch »unten« zu sein, und entsprechend umgekehrt. In Wahrheit hat das Denken Gottes gerade das Sich-Unterscheiden Gottes von allem, was nicht er ist (Welt, Mensch), als seinen Gegenstand vor sich. Gott denken heißt, das Sich-Unterscheiden Gottes zu denken! Aber eben im Denken des Unterschiedes von Gott und Welt sind beide stets auch aneinander- und zusammengebracht. Gott zu denken, bedeutet also, stets in beide Richtungen zu denken: nach »oben« und nach »unten« – zugleich und eodem actu. 3. Am Anfang der christlichen Theologie steht die Erfahrung mit dem Menschen Jesus und seinem neuartigen Reden von Gott, seinem Staunen weckenden Handeln im Namen Gottes und seinen alles Erwartbare sprengenden Erscheinungen nach seinem Tode. Damit war – unter selbstverständlichem Rückbezug auf das Alte Testament – eine neue Sprach- und Gedankenwelt eröffnet, die das neue Begreifen von Gott, vom Menschen und von der Welt überhaupt einschloss. Christliche Theologie muss demzufolge alle ihre Sätze aus dem sprachlichgedanklichen Zusammenhang mit dem Reden Jesu (und seinem Geschick) oder doch in notwendigem Zusammenhang damit entwickeln. Dafür ist entscheidend wichtig, dass in Jesu Reden und Tun immer Gott selber wesentlich mit ins Spiel kam. Alles, was die Theologie zur Theo-logie macht, also alle ihre Aussagen über Gott, muss einen Rückbezug darauf ausweisen können. 4. Von hier aus bestimmt sich auch das Verhältnis dogmatischen Denkens zur Schrift und zum Dogma. Christliche Dogmatik kommt (rein faktisch) natürlich von beiden her. Insofern muss das theologische Denken sich auch ständig in nachvollziehbarem Kontakt und einsichtiger Kontinuität mit der Tradition von Schrift, Dogma und Bekenntnis zu halten suchen. Auch wo die Dogmatik über die Schrift hinausgeht (was im buchstäblichen Sinn unver10 Den konsequentesten Ansatz in diesem Sinne bietet die »Kirchliche Dogmatik« K. Barths. Wenn dieser 1923 gegen Tillich eingewendet hat, er »verstehe den Griff nicht, … mit dem sich Tillich (in allen seinen mir bekannten Äußerungen spätestens auf der zweiten Seite …) zum Herrn der Situation macht«, nämlich durch seinen gedanklichen Ausgang »Vom Unbedingten her« (cf. P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. VII, Stuttgart 1962, 232 mit 231), so lässt sich dieser Einwand ebenso (mit den entsprechenden Modifikationen) gegen Barths eigene Position in KD I geltend machen. Gegenüber beiden ist genau das in Anschlag zu bringen, was Hegel im Namen der Dialektik in der »Phänomenologie«-Vorrede an Schelling kritisiert hat, nämlich dass dessen Philosophie »wie aus der Pistole geschossen« mit dem Absoluten unmittelbar anfange (cf. HEGEL, Werke 3, 31.70– 72 sowie 5, 65f).

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meidlich ist; denn wer nur die Worte wiederholt, sagt zu seiner Zeit bereits etwas anderes!) und wo sie Sachkritik an bestimmten traditionellen Begriffen oder Formulierungen des Dogmas übt, muss sie sich als konsequente Weiterbildung bzw. als kontinuierliche Reformulierung der traditionellen Vorgaben ausweisen können und sich als schriftkonform verstehen lassen. Denkende Explikation will den vernünftigen Gehalt, den Begriff in der Tradition artikulieren – was etwas anderes ist, als Schrift und Dogma auf die »Vernunft« zu reduzieren bzw. sich ihr unkritisch zu unterwerfen.11 Weder eine Autoritätshörigkeit noch ein abstraktes Emanzipationsstreben sind genuine Interessen vernünftiger Verständigung über das, was die Tradition in ihrer Sprache zu denken gibt. Denken ist freie Aneignung für gegenwärtiges Wahrheitsbewusstsein – auch in der Theologie –; es hat weder »advokatorischen« Charakter (K. Jaspers) noch ein kritisch-reduktionistisches Anliegen um seiner selbst willen. Das Interesse der Vernunft ist Sachlichkeit und aufklärendes Verstehen (Begreifen). Das Reden über Gott darf als ein Sprechen, das als solches immer dem Logos gehorcht, um wirkliche Sprache zu sein, nicht einfach vernunftlos sein. Die Vernunft in der Theologie hat diese als allgemeinheitsfähig, d. h. mit dem Anspruch auf nachvollziehbare Allgemeingültigkeit, darzustellen – jedenfalls so weit wie möglich, was nicht abstrakt vorweg zu regeln ist – und auch noch die Grenzen ihres Unternehmens zu reflektieren. Zugleich ist der Theologie aufgegeben, den sie leitenden Begriff von Gott immer wieder neu zu denken. Das geschieht nicht nur wegen veränderter historischer Einsichten oder neuer allgemeiner, wissenschaftlicher oder philosophischer Konstellationen, sondern ist aus der Unerschöpflichkeit ihrer Sache selbst heraus motiviert.12 Unter »Lehre« wird hier eine systematische Darlegung unter den Bedingungen von Allgemeinheit, d. h. prinzipiell intendierter allgemeiner, rationaler Nachvollziehbarkeit verstanden. Solche vernünftige Allgemeinheit ist ein eigenes, spezifisches Anliegen des christlichen Glaubens selber, sofern zu seiner Tradition wesentlich die (griechischen) Begriffe von Wahrheit, Freiheit und Geist gehören (Johannes, Paulus). Daher gilt stets: fides quaerens intellectum. Die (Anselm’sche) Formel: credo ut intelligam13 gibt zu verstehen, dass, sowenig der Glaube durch eine »Gnosis« zu ersetzen oder »vollenden« ist, so sehr er doch – wegen der geistigen Einheit des glaubenden Menschen – für ein Erkennen offen ist (cf. Joh 8,32). Es gilt für seine Ge11 Auch die Abgrenzung gegenüber der Philosophie ist allgemein nicht zu leisten. Denn es gibt keine Definition »der« Philosophie im Voraus oder von außen; was Philosophie ist, ist jeweils selber ein philosophisches Grundproblem. 12 Cf. zu Hirschs These vom stets neu anfangenden christlichen Erkennen unten Abschnitt E. (S. 55ff). 13 Anselm, Prosl. 1 (Ende) (ed. Schmitt [wie oben S. 17 Anm. 5], 84). Cf. Augustin, Tract. ev. Ioan. XXIX 6 (PL 35, 1630) und Sermo 43,7,9 (PL 38, 258).

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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wissheit von sich (certitudo): »ich weiß, woran ich glaube«. Dieses »Glaubenswissen« verlangt nach vernünftiger Explikation, denkender Lehre. 5. Das bestimmt den Charakter auch der theoretischen Einstellung in der Theologie. Theologie (zumal als Gotteslehre) ist die grundsätzlich allgemeinheitsfähige (und so auch theoretische) Rechenschaft über die (inhaltlichen und formalen) Bedingungen des Redens von Gott und darüber, was die Theologie (bzw. Theologen) tut (tun), wenn sie von Gott redet (reden). Diese »wissenschaftliche« Rechenschaft kann nicht an ein existenzielles Engagement (beim Redenden oder bei seinen Zuhörern bzw. Lesern) delegiert werden, sondern bleibt eine eigene, unverzichtbare, eben theoretische Reflexionsleistung. Das Wort »Gott« in Anspruch zu nehmen, setzt Bedingungen frei oder nimmt sie (als Voraussetzungen und Konsequenzen) faktisch schon wahr, die als solche ausdrücklich zu machen sind. Gerade wenn man eine unhintergehbare Eigenmacht und -wirksamkeit des Redens von Gott unterstellt (d. h. auch den unaufgebbaren Existenzsinn des Wortes »Gott«), muss diese begriffen, artikuliert und entfaltet werden. Man kann also nicht die Verantwortung des Redens von Gott restlos an diesen selber delegieren.14 Gerade weil mit der Rede von Gott für den, der sie wahrnimmt, eine absolute Dimension realisiert wird, ist dieser Sachverhalt aufzuhellen und zu explizieren. Ein bloß existenzielles, d. h. ausschließlich aneignungsbezogenes Reden (also letztlich Verkündigung) ist hier sozusagen ein Reden »unter erleichterten Bedingungen«, und d. h., der Verzicht auf theoretische Aufklärung und Rechenschaft über solches Reden desavouiert dieses selber. Die theologische Reflexion unseres Redens von Gott (auch von Gott an ihm selber) kann nicht »geschenkt« werden. 6. Gotteslehre ist (wegen seines Allgemeinheitsanspruchs) stellvertretendes Denken Gottes im Horizont der christlichen Tradition. Von dieser Tradition gilt ein Doppeltes: 1. Sie ist faktisch eine sprachliche Tradition, und das bedeutet, unser Denken geht als Denken von der neutestamentlichen Überlieferung aus, in der Gott zur Sprache gekommen ist. (Dies gilt unbeschadet dessen, dass theologisches Denken sich zu vernünftiger Allgemeinheit abstößt und d. h. in und aus dieser Sprachtradition als Denken zu sich selber kommt, wie alles Denken auf die Sprache überhaupt angewiesen bleibt, um sich zu vollziehen.). 2. Es handelt sich bei der christlichen um eine spezifische Tradition, sofern sie ausdrücklich den Zusammenhang von Denken und Sprechen (Vernunft und Sprache) im Logos-Begriff theologisch thematisiert und in Gott verortet, der selber als Logos zu denken ist (Joh 1,1).15 14

So, als gelte: Unser Reden gibt nur den Anstoß, und alles Weitere ist dann die Sache Gottes bzw. eine Angelegenheit zwischen Gottes Anspruch und dem, der diesen vernimmt. 15 Cf. dazu ausführlich mein Buch: J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums im Horizont des Sprachdenkens, HUTh 64, Tübingen 2014.

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Im vorliegenden Entwurf wird der biblische Bezug ständig mit wahrgenommen; ich gehe daher in § 1 des Zweiten Teils von der biblischen Offenbarung aus. Ebenso wird der Gedankengang auf das trinitarische Dogma zulaufen (§ 15). Gleichwohl soll der Gottes-Begriff bei dem allen in freier, vernünftiger Weise gedanklich rekonstruiert, d. h. im Denken reformuliert werden. Heißt es bei Augustin von der theologia: »quo verbo graeco significari intelligimus de divinitate rationem sive sermonem«,16 so ist damit der sachhaltige Doppelsinn von λόγος, nämlich (a) als sermo und (b) als ratio, angesprochen. Das reflektiert genau die oben (3.) angesprochene zweifache Orientierung des dogmatischen Denkens de Deo (a) an der uns vorgegebenen Sprache der (biblischen und dogmatischen) Tradition, aus der niemand einfach »aussteigen« kann, weil keiner mit der Sprache überhaupt und spezifisch nicht mit dem Wort »Gott« absolut anfängt,17 und (b) an seiner uns stets wieder neu aufgegebenen gedanklichen Klärung dieser Tradition.18 »Denkende Klärung« nimmt demgemäß nicht einfach bloß hin, was ihr traditional vorgegeben ist, um es unmittelbar zu behaupten, sondern ist z. B. bemüht, alle wesentlichen Einzelaussagen über Gott, die sich in Schrift und Tradition faktisch finden mögen, auf den Gedanken von Gott selber begrifflich zu beziehen und von ihm her plausibel zu machen. Sie rekonstruiert so den vernünftigen Zusammenhang und den theo-logischen Sinn alles faktisch Vorfindlichen aus dem Gottesbegriff selber. Das kann nach dem oben über Gotteserkenntnis Ausgeführten (§ 2) wiederum nur besagen, dogmatisches Denken de Deo versucht, in allen relevanten Aussagen über Gott dessen eigenes Sich-selbst-Vergegenwärtigen gedanklich zur Geltung zu bringen. Es geht also primär nicht darum, ob irgendwelche biblischen oder dogmengeschichtlichen Theologumena als solche »vernünftig« oder (prima vista) »unvernünftig« bzw. »übervernünftig« sind, sondern ob sie sich als Momente des Gottesgedankens selber durchsichtig machen lassen,19 d. h., ob sie Gedanken sind oder enthalten, die den von Gott unabtrennbaren Selbsterweis Gottes artikulieren.20 16 De civ. Dei VIII 1 (PL 41, 225). Thomas formuliert: »theologia, quasi sermo de Deo« (STh I, q. 1, a. 7 sed contra). 17 Cf. dafür den sog. Ersten Hauptsatz in W. v. Humboldts Sprachdenken: »Durch denselben Act, vermöge dessen er [sc. der Mensch] die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in dieselbe ein« (HUMBOLDT, GS 7, 60). 18 Siehe dazu unten Abschnitt E. (S. 55ff). 19 Wenn die erste evangelische Dogmatik, Melanchthons »Loci communes« (1521), ohne eine Gotteslehre auskommt, so ist das wohl durch ihre dezidiert soteriologische Ausrichtung bedingt, die alles »Spekulative«, wie in der Christologie, so überhaupt vermeiden will. 20 Cf. oben die Formulierung Moltmanns (oben S. 31 bei Anm. 76).

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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Die Gotteslehre ist also nicht eine Lehre über Gott, wie eine Theorie über ein beliebiges Objekt.21 Vielmehr kann eine theologische Gotteslehre nur die begriffliche Fassung22 einer Selbstauslegung Gottes sein; anders formuliert: Die lehrmäßige Ausarbeitung des Gottesbegriffs (als »Arbeit am Gottesbegriff«) muss theologisch als Explikation des Begriffes verstanden werden, in dem Gott selber existiert. Denn Gott ist als er selbst auch in unserer menschlichen Sprache und dem auf ihn bezogenen begrifflichen Denken da.23 Kurz gesagt: Dogmen und dogmatische Gedanken müssen als integrale Momente von Gottes absolutem Sich-selbst-Setzen verständlich gemacht werden, damit sie nicht bloße Behauptungen, subjektiv, bleiben, sondern sich als notwendige und wirklich theo-logische Gedanken erweisen, mit einem Ausdruck des Origenes: δογµάτιον θεοῦ – Gottes eigene Lehren, d. h. solche, in denen er sich selber auslegt.24 In diesem Sinne fragt dogmatisches Denken nach der Wahrheit der Überlieferung in Bibel und Dogma.25

B. Gott denken Gott gibt zu denken.26 1. Dieser Satz gilt schon ganz elementar, und man braucht dabei noch nicht einmal an die unvermeidliche und irgendwie zur Sache selbst gehörende Strittigkeit des Gottesgedankens zu erinnern.27 Denn es ist bereits das Wort 21

Cf. den (banalen) Vorwurf gegen seine Spekulation, den R. Rothe berichtet: Er »anatomisire den lieben Gott wie einen Frosch« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, Vorrede, VII). Wenn Rothe darauf antwortet, er »anatomisire« nur den Gedanken von Gott, nicht aber dessen Gegenstand (VIII), so ist das freilich nicht überzeugend, denn es trennt, was nur zusammen einen Sinn ergibt: den Gedanken als das Gedachte selber erreichend (und nicht bloß »unser« Gedanke) und seinen Gegenstand als sich dem Denken erschließend. Überhaupt bleibt die Unterscheidung von Gottesgedanke und Gott selber abstrakt bzw. eine unbestimmbare Differenz, denn Gott als das Gedachte (bzw. als Gedanke) wird im Denken und von diesem Denken selber von ihm (dem Denken) unterschieden – als Gott selbst. Das Denken ist bei sich zugleich außer sich – wie die Sprache. 22 Zum Begriff Gottes als solchem s. u. Abschnitt C. (S. 47ff) und Zweiter Teil, § 2 A. (S. 171ff). 23 Cf. meinen Aufsatz über den (aus johanneischen Wurzeln gespeisten) sog. »spekulativen Satz« Hegels, in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 11 Anm. 3), 192–209 (»Sätze über Gott und spekulativer Satz«). 24 Origenes, In Matth. XII 23 (PG 13, 1036). 25 S. u. Abschnitt D. (S. 49ff). 26 Zur Unverzichtbarkeit der Frage nach Gott auch in der Philosophie cf. J. HALFWASSEN, Gott im Denken, in: ders., Auf den Spuren des Einen, Tübingen 2015, 51–59. 27 Die dem Gottesgedanken selber in der Welt eigene Strittigkeit hat besonders W. Pannenberg durchgehend betont (cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 11 Anm. 1], 59.69.72.216.234.477); aber wenn Pannenberg eine erst eschatologische Auf-

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»Gott« selber, das unser Denken in einzigartiger Weise stimuliert.28 Selbst wenn man nicht von vornherein bezweifelt, ob dies Wort überhaupt einen sachhaltigen Sinn hat, ob es also etwas Wirkliches benennt, d. h., ob es, wie man so sagt, Gott überhaupt gibt – selbst wenn man das zunächst nicht prinzipiell in Zweifel ziehen will, so bleibt doch die Frage, was das Wort »Gott« denn benennt oder besagt. Klar ist jedenfalls: Dies unvergleichliche Wort spricht von etwas, das nicht selbstverständlich oder evident gegeben ist. Was auch immer Gott sein mag, sicher ist er kein in unserer gewöhnlichen Welterfahrung vorkommender Sachverhalt, worauf doch sonst alle unsere sprachlichen Ausdrücke direkt oder indirekt bezogen sind. Was das Wort »Gott« meint bzw. meinen könnte, kann also nicht durch einfaches Verweisen auf eine evident vorkommende Sache eingelöst werden, sondern es provoziert zum Nachdenken. Es zielt offensichtlich auf etwas so grundsätzlich Anderes als alles, was wir sonst kennen, dass dies Wort von sich aus zu denken gibt. Es reißt einen unabsehbaren Horizont auf, eröffnet eine unendliche Weite und übersteigt alles alltäglich vertraute Sprechen so radikal, dass dies Wort zunächst einen Gedanken, wenn auch einen einzigartigen, auszudrücken scheint; und die nächste Frage ist dann, ob es nur ein Gedanke ist oder auch etwas Wahres. Dass Gott zu denken gibt, das gilt erstens also ganz elementar, weil wir unmittelbar nur dies eigentümliche Wort unserer Sprache haben.29 Das fordert nachdrücklich zu einer Arbeit am Gottesbegriff heraus: Es wird endlich die höchste Form gefunden werden, daß Gott Persönlichkeit, daß er Wort … und das Denken des Menschen nur ein Arbeiten sei, Gott zu verstehen.30 Gott gibt zu denken – das gilt zweitens dann auch für unseren besonderen Fall, nämlich unter den Bedingungen christlicher Theologie, also gleichsam aus historischen Gründen. Denn dass es im Christentum so etwas wie Theologie (wissenschaftliche Theologie) und so etwas wie Dogmatik bzw. Gotteslehre gibt, das ist ganz und gar nicht zufällig. Zu Recht hat man die Eigenart des Christentums darin gesehen, dass es eine »denkende Religion« ist (C. H. Ratschow). Tatsächlich ist vom christlichen Glauben und vom Christentum seit seiner Entstehung so etwas wie ein reflektiertes Verhältnis zu sich bzw. lösung in Aussicht stellt (a.a.O. 26.63.234.361), so wirft das die Frage auf, wie es die Lösung eines Problems unter Bedingungen geben soll, unter denen das Problem überhaupt nicht mehr auftritt. 28 S. u. Zweiter Teil, § 10 F. (S. 581ff). 29 Cf. E. JÜNGEL, Gott – als Wort unserer Sprache (1969), in: ders., Unterwegs zur Sache, BEvTh 61, München 1972, 80–104; K. RAHNER, Meditation über das Wort »Gott« (1973), in: ders., Grundkurs des Glaubens, Freiburg u. a. 1976, 54ff; T. RENDTORFF, Gott – ein Wort unserer Sprache?, TEH 171, München 1972. 30 J. G. DROYSEN, Historik, hg. von R. Hübner, München 1937, 235 (Nachdr. 1977).

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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ein sich auch gedanklich (und theoretisch) aussprechendes Selbstbewusstsein unablösbar.31 Fragt man nach der sachlichen Veranlassung dafür, so lassen sich schon bei flüchtigem Hinsehen zwei Motive ausfindig machen. Geht man davon aus, dass das Denken als solches immer schon mehr ist als das nur jeweils Gedachte (Bestimmte), so entspricht zum einen dem der Gottesgedanke spezifisch, sofern Gott immer schon als über jede gegenständliche Fixierung hinaus gedacht werden muss.32 Diese sozusagen »dynamische« Übergegenständlichkeit Gottes kommt wohl nirgends so charakteristisch zum Ausdruck wie im christlichen Gedanken vom »trinitarischen« Sein Gottes. Weil Gott selber auch »Geist« ist (und somit kein abstraktes Jenseits), ist er auch dem endlichen Denken nachvollziehbar, und dies genau deswegen, weil er nicht auf die Subjekt-Objekt-Relation festzulegen ist. Eben weil er Geist ist, gibt Gott zu denken.33 Zum Zweiten ist dem Nachdenken über den christlichen Glauben und Gottesgedanken damit eine produktive Dynamik eingestiftet, dass Gott wesentlich als »lebendiger« Gott zu denken ist.34 Dies ist der christliche Gott aber entscheidend dadurch, dass er als der Leben aus dem Tode Schaffende geglaubt wird (Röm 4,17). Dieser Gott gibt mithin wesentlich zu denken, weil er nicht ohne den Widerspruch zu unsern gewöhnlichen Vorstellungen zu begreifen ist. Gott denken bedeutet christlich ein Denken des Widerspruchs. Kaum irgendwo trifft wie hier zu, was Luther einmal fordert: »Ich rede itzt nicht aus der schrifft, Es gilt denckens«.35 Um das Recht der Kennzeichnung des Christentums als denkende Religion wahrzunehmen, braucht man an sich eigentlich nur daran zu erinnern, wie schon geschehen, welche eminente – und religionsgeschichtlich höchst auffällige, um nicht zu sagen, singuläre – Rolle bereits im Neuen Testament (insbesondere bei Paulus und Johannes) die großen Begriffe des abendländischen Denkens wie Wahrheit, Freiheit, Geist und auch Logos spielen. Sofern sie in

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Dies wird auch mit der Rolle des Wortes in der biblisch-christlichen Religion zusammenhängen. 32 Das hat das Anselm’sche Argument mit der Formel: »quo nihil maius cogitari possit« ins Zentrum gestellt (Prosl. 2); cf. dazu meine oben S. 2 in Anm. 8 genannte Studie. 33 Erinnert sei an Meister Eckharts Begriff von Gott als reinem Denken; s. o. S. 11 Anm. 3. 34 Kann gesagt werden, Jesus »bringt [den Gott des Alten und Neuen Testaments] als ›Gott der Lebendigen‹ auf den Begriff« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 516; Hervorh. J. R.; cf. Mk 12,27 parr), so hat die Gotteslehre diesen Begriff gedanklich zu fassen und zu entfalten; darum wird in dieser Gotteslehre auch der Begriff des Lebens im Zentrum stehen (s.u. Zweiter Teil, § 4). 35 WA 26, 337,14.

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der Hl. Schrift selber prominent vorkommen, haben sie notwendigerweise Theologie als eine denkende und wissenschaftliche Arbeit aus sich entlassen. Das Christentum ist »denkende Religion« wesentlich deshalb, weil die christliche Wahrheit an ihr selber strukturell dem Denken analog oder wahlverwandt ist. Dies dadurch, dass Gott (das Absolute) in sich selbst λογικῶς verfasst ist und so mögliche Bestimmtheit, Objektivierung und Begrenztheit schon in sich enthält, was die Voraussetzung für die Möglichkeit denkenden Erkennens hergibt. Mit all dem hängt es zusammen, dass für die christliche Lehre das Desiderat einer denkenden Rechenschaft über Gott unverzichtbar ist. Da eine solche vernünftige Verständigung über den christlichen Gottesgedanken sich – wie oben dargelegt36 – stets im Medium und Sprachfeld der Überlieferung bewegt (und bewegen muss), leuchtet es ein, in ihr die folgenden drei Momente zu unterscheiden:37 – Explicatio – was man sich dabei (überhaupt) denken kann bzw. muss; – Probatio – dass solches ein systematisch stimmiger Gedanke ist, d. h. mit anderen Gedanken sinnvoll zusammenhängt; – Confirmatio – nämlich als Moment der sich selbst darstellenden Wahrheit Gottes selber, d. h. als theologisch wahr. 2. Umgekehrt gesehen, schließt die Absicht, Gott zu denken, als unvoreingenommenes vernünftiges Verfahren die Möglichkeit ein, dass auch das Denken dieses einzigartigen Gedankens das Denken selber spezifisch bestimmt bzw. es als Denken qualifiziert. Man darf sich die Sachlage nicht so vorstellen, als ob von vornherein schon feststünde, was das Denken ist und dass ein allgemeines Verfahren auf den Gottesgedanken äußerlich nur angewendet würde (so wie auf jeden anderen Gegenstand rationaler Bearbeitung). Was Denken überhaupt ist, ist gerade im Denken dieses Gedankens »Gott« selber (neu) zu denken. Im Denken Gottes denkt mithin das Denken immer auch sich selbst. (Darum wird hier nicht der christliche Gottesgedanke umstandslos einer autonomen Vernunft unterworfen.) Für diesen wichtigen Sachverhalt soll ein »unverdächtiger« Zeuge zu Gehör gebracht werden: Nur wo du Gott denkst, denkst du, rigoros gesprochen.38

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S. o. Abschnitt A. 3. und 6. (S. 35.37ff). Nach J. F. BUDDEUS, Isagoge historico-theologica ad theologiam universam singulasque eius partes, Leipzig 1727, Bd. I, 303. 38 L. FEUERBACH, Das Wesen des Christenthums (1841), in: ders., Sämtliche Werke, Bd. VI, hg. von W. Bolin, Stuttgart-Bad Cannstatt 31994, 45f (Hervorh. J. R.). Cf. auch die Fortsetzung: »Warum? Weil sie [sc. die Vernunft] erst bei diesem Wesen bei sich selbst ist, weil erst im Gedanken des höchsten Wesens das höchste Wesen der Vernunft gesetzt, die höchste Stufe des Denk- und Abstraktionsvermögens erreicht ist, … das, quo 37

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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Danach ist also das Denken erst da (als wahres Denken) ganz bei sich, wo es Gott denkt. Es kommt als Denken zu sich, ist wirkliches und sein Wesen erfüllendes Denken, also wahre Vernunft, wo es an seine absolute Grenze kommt.39 »Gott« ist der Gedanke dieser absoluten Grenze, bei dem das Denken ebenso sehr erst reines Denken wird (weil frei von aller Bestimmtheit durch bloß welthaft Seiendes: »die höchste Stufe des Denk- und Abstraktionsvermögens«, wie es zugleich in diesem Grenzgedanken sich als Denken vollendet (weil es an seiner Grenze, in seinem höchsten Gedanken, erst vollkommen seiner selbst inne wird: absolut selbst-bewusstes Denken).40 Gleichwohl ist diese Vollendung des Denkens an seiner Grenze auch sein (wie Feuerbach doppeldeutig sagt) Sich-Erschöpfen. Denn der Gedanke Gottes wirft das Denken ganz auf sich zurück; es erreicht ihn nur, um sofort auf sich selber zurückgewendet, reflexiv zu werden. Das bedeutet, es kann als Denken nur so bei diesem Gedanken sein, dass es bei sich ist und d. h. ihn nicht für sich festzuhalten vermag. Gott zu denken, ist die höchste Erfüllung des Denkens und seine absolute Begrenzung zugleich. Das Denken Gottes als solchen ist darum keinesfalls ein besitzergreifendes »Begreifen«, sondern eher das vernünftige Begreifen seiner Nichtbegreifbarkeit (in diesem Sinn). Angesichts seiner Grenze in Gott geht das Denken nicht einfach aus – es wird ja gerade auf sich selber zurückgeworfen bzw. vollzieht noch selber diese Rückwendung auf sich im Denken, d. h. vernünftig –, sondern es ist sich selbst durchsichtiges Begreifen seiner eigenen Grenze im Denken dieser Grenze. Man begreift Gott ebendadurch, dass man ihn als unbegreiflich erkennt.41 3. Ist am Denken Gottes, wie man so sagt, der »ganze Mensch« beteiligt, so gilt das auch für das Zu-sich-Kommen des Denkens. Der Gottesgedanke löst bestimmte Gefühle aus (wie z. B. die Andacht im Sich-Sammeln vor Gott); aber um Gott wirklich zu denken bzw. wirklich Gott zu denken, setzt er solche auch voraus (wie z. B. Ehrfurcht oder das Gefühl des Heiligen u. ä.), bzw. sind sie in solchem Denken selbst mit gegenwärtig. Eben weil der Gotnihil maius cogitari potest … Denn … nur der höchste Grad des Denkens [ist] erst Denken, Vernunft« (a.a.O.). 39 Cf. S. Kierkegaard: »Das ist … des Denkens höchstes Paradox: etwas entdecken zu wollen, das es selbst nicht denken kann« (S. KIERKEGAARD, Philosophische Brocken [1844], 3. Kap., in: ders., GW 10, 35). Cf. meine Interpretation in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 11 Anm. 3), 136ff. 40 Feuerbach schreibt: »Denn erst Gott ist die verwirklichte, die erfüllte, die erschöpfte Denkkraft« (a.a.O. 46). Bei F. H. Jacobi heißt es sogar: »Das ist seine Vernunft, daß ihm das Daseyn eines Gottes offenbarer und gewisser als das eigene ist« (F. H. JACOBI, Ueber eine Weissagung Lichtenbergs [1801], in: ders., Werke 3, , 202). 41 Tertullian, Apol. 17,3 (PL 1, 376; Hervorhebungen J. R.). Dort heißt es auch: »Daher kommt es, dass Gott dadurch zu begreifen ist, dass er nicht begriffen werden kann.«

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tesgedanke kein rein »rationaler« Gedanke ist, hat er in der Einheit von Ratio und Emotion »geistigen«, einen das Wesen des Menschen als Ganzes berührenden Charakter.42 Das gilt schon wegen seiner großen Nähe zum Gebet als genuiner Gotteserfahrung.43 Indes ist der sachliche Zusammenhang von Denken und Gestimmtsein ohnehin sehr viel enger, als man es sich gewöhnlich, d. h. abstrakt, vorstellt.44 Dafür sei hier die treffende Prägung F. G. Klopstocks angeführt, der von einem spricht, Der, leer des Gefühls, den Gedanken nicht erreicht!45 Das gilt in eminenter Weise auch vom Gedanken Gottes.46 Umgekehrt kommt das Gefühl auch erst im logos, d. h. im vernünftigen Wort, geistig zu sich selber, wie der denkende Schriftsteller weiß: Erst wenn ich Sprache habe, erfüllt sich mir das Gefühl.47 42 Für Hamann (und ihm folgend Kierkegaard) war deshalb Christsein ohne Leidenschaft undenkbar; cf. dazu T. KLEFFMANN, Hamanns Begriff der Leidenschaft, in: B. Gajek (Hg.), Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, Regensburger Beiträge zur deutschen Sprache und Literaturwissenschaft B. 88, Frankfurt 2005, 161–178. 43 Cf. oben S. 3ff. 44 Cf. S. KIERKEGAARD, Der Begriff Angst, in: ders., GW 11, 11: »Daß auch die Wissenschaft ebenso sehr wie Poesie und Kunst Stimmung voraussetzt sowohl beim Schaffenden wie beim Empfangenden, … hat man in unserer Zeit gänzlich vergessen« (Fn.); im Text dazu: »die Stimmung, die als die rechte dem richtigen Begriff entspricht«. 45 F. G. KLOPSTOCK, Unsere Sprache (1767; 5. Str.), in: ders., Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, hg. von H. Gronemeyer u. a., Bd. I: Oden, Berlin/New York 2010, 297,20. Demnach ist es entschieden falsch zu sagen: »l’homme en commençant à penser, cesse de sentir« (Rousseau; Jacobi). 46 In einem kleinen Aufsatz: »Von der besten Art über Gott zu denken« (1758) hat Klopstock es als zuhöchst staunenswert gepriesen, »daß wir fähig sind, Gott – den Unendlichen – zu denken!«, und er hat darin geradezu das Mehr-als-endlich-Sein des denkenden Geistes finden wollen: »Ich kann Gott, wie unvollständig meine Begriffe von ihm auch sind, ich kann Gott denken! Ich bin unsterblich!« (F. G. KLOPSTOCK, Sämmtliche Werke, Bd. XI, Leipzig 1823, 209). Cf. dagegen G. E. LESSING, 49. Literaturbrief (in: ders., Gesammelte Werke, hg. von P. Rilla, Bd. IV, Berlin/Weimar 1968, 251ff) und überhaupt dazu HERDER, SW 1, 519–526. Anders dagegen befindet der spekulative Theologe Ph. K. Marheineke: »Allerdings also ist, daß der Mensch Gott denken kann, ein Beweis, daß Gott ist, und dieses ist die wahre Seite des ontologischen Arguments« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 20 Anm. 19], 96f [§ 164]). Ähnlich heißt es bei P. Handke: »Alles wird sterben, was wir Menschen uns je so ausgedacht haben – aus Not, aus Zorn, aus Wunsch –, aber der Gottesgedanke, das einzige nicht Ausgedachte und Auszudenkende, ist unsterblich, wird nicht sterben« (P. HANDKE, Am Felsfenster morgens, dtv 12743, München 2000, 350). 47 HANDKE, Am Felsfenster morgens (a.a.O. 379). Das stimmt völlig mit den Einsichten W. v. Humboldts über die für das Wesen des Menschen als Menschen fundamentale Bedeutung der Sprache überein.

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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Die Bedeutung beider Zitate für das Unternehmen, Gott zu denken und ihn aus der Sprache zu begreifen, die sich mit dem Wort »Gott« und Gottes Wort verbindet, liegt auf der Hand. Im Denken Gottes finden Gefühl, Gedanke und sprachliches Wort zueinander. 4. Was an dieser Stelle zu Fragen der Methode dieser Gotteslehre zu sagen ist, hat sich ganz an dem beschriebenen Ausgangspunkt der Darstellung zu orientieren, dass Gott nur aus (bzw. durch) Gott gedacht und erkannt werden kann. Non parva ex parte intelligit et scit Dominum, qui intelligit et scit etiam hoc a Domino sibi dari, ut intelligat et sciat Dominum.48 Daraus ist für das hier versuchte Denken Gottes zu folgern: Die dabei zu beachtende »Methode«, wenn man überhaupt von einer solchen reden will, kann nur darin bestehen, sich denkend auf den Weg einzulassen, den Gott zu uns geht und längst gegangen ist (gemäß § 1). Der durch Platon geprägte Begriff des µέθ-οδος bedeutet ursprünglich, einen geordneten »Weg« zu gehen.49 Bei der Anlage der hier entworfenen Gotteslehre geht es um einen Denkweg, und was und wie von Gott zu denken ist, muss sich in diesem Denken selber ergeben und kann nicht abstrakt vorweg konzipiert oder gar aus »methodologischen« Grundsätzen deduziert werden.50 Weil das in unserm Zusammenhang denkend zu Vernehmende und Nachzuvollziehende nur im Vollzug des Gedankens, und von ihm selber her sich zur Geltung bringend, zum Thema werden kann,51 scheint überhaupt eine gewisse Reserve gegenüber allgemein bzw. formal vorweggeschickten, rein methodologischen Überlegungen angebracht. Solchen droht stets das Verkennen der Dialektik von methodischer Form und thematischem Inhalt. Statt dessen empfiehlt es sich, G. Ebeling in dem zu folgen, was er speziell zur Rolle der Ontologie in der Theologie sagt, was aber auch darüber hinaus gilt: »Sie hat ihren sachgemäßen Ort sozusagen in der ständigen Tuchfühlung 48

Augustin, De civ. Dei XVII 4,8 (PL 41, 531). HWP 12 (2004), 341f (RAUSCHENBACH); cf. auch a.a.O. 5, 1305f (HAGER). 50 Diese Offenheit für ein beim Vollzug des Denkens selber erst sich ergebendes SichDarstellen der zu denkenden Sache (hier: des lebendigen Gottes) entspricht methodisch der »Strittigkeit« des Gottesgedankens (s. o. bei Anm. 27). Sie macht sogar einen wissenschaftlichen Vorzug der Theologie aus – wenn denn gilt: »Das Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daran, wie weit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ist« (M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 101963, 9 [§ 3]). Als menschliches Unternehmen kann die Theologie um ihrer Sache willen eigentlich gar nicht anders, als sich einer permanenten »Krisis« ihres Grundbegriffs (auch methodisch) bewusst zu bleiben. 51 Am ehesten noch wäre die in diesem Entwurf verfolgte Methode »spekulativ« zu nennen, wie ja auch der hier auszuarbeitende Gottesbegriff inhaltlich ein – im Sinne des nachkantischen Denkens – spekulativer Begriff ist. Das schließt immer das Dialektische ein: »die absolute Flüssigkeit der Bestimmungen, die in die Bewegung [sc. des Gottesbegriffs] eintreten« (HEGEL, Werke 17, 487). 49

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mit den inhaltlichen Aussagen des Glaubens«.52 Was eine Methodendiskussion ganz allgemein angeht, so hat Ebeling auch recht, wenn er realistisch rät, »die Prolegomena aufs knappste zu absolvieren«; vielmehr sei es sinnvoller, Grundsatzfragen »von Fall zu Fall in Verbindung mit bestimmten dogmatischen Themen« aufzugreifen; denn das »ist im Grunde auch die angemessenste Art, an die theologischen Prinzipienfragen heranzugehen: nicht in einem vorausgehenden Räsonnement, das nie wirklich zu erledigen ist und darum auch nie recht zur Sache kommen läßt«.53 Das alles trifft besonders auf die Lehre von Gott zu. Deshalb wird hier auch erst die denkende Explikation von Gottes Name und Begriff (Zweiter Teil, §§ 1 und 2) das weitere Vorgehen sachlich vorgeben.54 Der wahrzunehmende Denkweg befolgt also keine andere Methode als die eines Weges, den das Denken selbst (frei) findet, indem es ihn begeht. Nun redet schon das Alte Testament und noch zentraler das Neue Testament von Wegen bzw. dem einen Weg Gottes (Joh 14,6).55 Vom biblischen Gottesgedanken her kann es sich für die doctrina de Deo also nur um so etwas wie einen »sich selbst konstruierenden Weg« handeln.56 Dieser hat, wie sich im Zweiten Teil zeigen wird, bereits mit der Selbstvorstellung Gottes (bzw. Kundgabe seines »Namens«) in Ex 3,14 maßgeblich begonnen, und die christliche Gotteslehre hat ihn lediglich konsequent aufzunehmen, weiter- und zu Ende zu gehen. Dies bestimmt den Aufbau der vorliegenden Darstellung. Sind alle Wege Gottes letztlich Wege zu sich selbst, so hat die Gotteslehre den eigenen Weg Gottes von der Offenbarung (§ 1) bis zur Vollendung im Eschaton (§ 16) mitzugehen. Demgemäß wird sich – nur im Vorblick gesagt – im Zweiten Teil aus Gottes durch ihn selbst artikulierten »Namen« (§ 1) sein definitiver »Begriff« ergeben (§ 2). Dessen formale Bestimmungen (wie Einheit und Allmacht) sind zentriert im Begriff des Lebens, d. h. Gottes als des absolut Lebendigen (§ 4). Aus diesem (neu verstandenen) Begriff vom Leben des ewigen Gottes sind dann die konkreten Bestimmungen seines Seins (wie: Schöpfung, Offenbarung, Liebe, Allgegenwart, Geist) zu entwickeln (Kapitel III). Der christliche Begriff des lebendigen Gottes gewinnt schließlich seine absolute Fassung im Begriff der Dreieinigkeit (§ 15) und seine (durch ihn selbst heraufgeführte) Vollendung, wenn er mit seiner Lebendigkeit »alles in allem« (1Kor 15,28) sein wird (§ 16). 52

EBELING, Dogmatik I (wie oben S. 4 Anm. 21), 347. Das Gesagte gilt m. E. für jede philosophische Reflexion in der Dogmatik und Gotteslehre, die sich nicht auf irgendeine Philosophie gründen kann, wenngleich sie ständig philosophische Gedanken zur Selbstklärung ihrer Aussagen in Anspruch nehmen muss. 53 A.a.O. 7. 54 Siehe jedoch die Folgerungen aus den Prolegomena, unten § 5 (S. 82ff). 55 Cf. oben S. 14 bei Anm. 19 und S. 12. 56 Cf. HEGEL, Wissenschaft der Logik I, in: ders., Werke 5, 17.

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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Der Versuch, Gott zu denken, soll auf diese Weise dessen eigenem Weg folgen – seinem ewigen Weg durch Zeit und Geschichte als Weg mit den Menschen und hin zu sich selber.

C. Der Gottesbegriff An dieser Stelle sind vorläufig nur einige allgemeine Bemerkungen zu einem Begriff Gottes als solchem zu machen.57 1. Dogmatik als Gotteslehre soll den christlichen Gottesbegriff systematisch ausarbeiten. Sie muss also ein vernünftiges Konzept entwickeln, das sich mit dem sprachlichen Ausdruck »Gott« und seiner biblischen Näherbestimmung so verbinden lässt, dass alle relevanten Aussagen über Gott als in einem sinnvoll nachvollziehbaren Zusammenhang damit stehend verständlich werden. Erst von diesem Gottesbegriff her ist weiterhin einsichtig zu machen, was man bei den sonstigen Aussagen über Gott, wie sie in mannigfaltigen christlichen Sprachzusammenhängen (wie z. B. Dogma, Theologie- und Kirchengeschichte, Liturgie, Gesangbuch, religiöse Sprache überhaupt) auftreten, genau zu denken hat. Allein die prinzipielle Möglichkeit, die Vielfalt faktisch vorkommender Aussagen über Gott bzw. tatsächlich auftretender Gebrauchsweisen des Wortes »Gott« (einschließlich missbräuchlicher Weisen) auf einen einheitlichen und konsistenten Begriff von Gott zu beziehen, eröffnet ein zureichendes und systematisches Verständnis der Sache, um die es dabei geht. Ein solches Verständnis, d. h. die Ausarbeitung eines vernünftigen Begriffs Gottes, ist für dogmatische Theologie unverzichtbar und überhaupt grundlegend. 2. Das hier leitende Abzielen auf einen Begriff von Gott als solchen kann noch profiliert werden durch eine (lockere) Abgrenzung gegenüber verwandten Termini. Ein wirklicher Begriff Gottes ist nicht dasselbe wie – eine Gottesidee; eine solche ist nur ideengeschichtlich oder morphologisch oder phänomenologisch bzw. religionswissenschaftlich zu bestimmen bzw. zu klassifizieren, aber nicht stringent auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu befragen. Gottesideen begegnen im Plural; ein Begriff von Gott fordert, nach seiner Wahrheit zu fragen bzw. sie zu entwickeln; dies gilt erst recht vom Begriff des einen Gottes. Aber auch eine mehr oder weniger bestimmte Gottesidee wird sich – wegen ihrer religionsgeschichtlich wirklichen Ausgestaltungen – konkretisieren und als Einheit in dieser Vielfalt begreifen lassen müssen. 57 Der Status eines »spekulativen« Gottesbegriffs kann – gemäß dem oben (B. 3.) Ausgeführten – zureichend erst erörtert werden, wenn dieser Begriff erarbeitet ist (Zweiter Teil, § 2 A. [S. 171ff]). Denn seine Form (als Begriff) lässt sich nicht ohne seinen spezifischen Inhalt (als Begriff Gottes), vielmehr nur von diesem her erfassen.

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Prolegomena

– Dies gilt ebenso vom Gottesgedanken überhaupt (einem besonderen oder »dem Gottesgedanken« allgemein): Auch er muss sich zu einem Begriff von Gott bestimmen, in welchem dieser Gedanke Wirklichkeit gewinnt und nicht bloß subjektiv bleibt – unter anderem dadurch, dass er als Gedanke auch seiner Möglichkeit nach aus Gott selber begriffen wird.58 – Etwas anderes als ein Begriff Gottes ist sodann eine Gottesvorstellung bzw. -anschauung. Derartiges kommt im Bewusstsein der religiösen Subjekte, auch der Gläubigen, faktisch vor, ist aber ganz bestimmt von uneigentlichen Sprachformen (wie Metapher, Symbol, Bild, Gleichnis u. ä.) und ohne systematischen Anspruch. Ein Begriff von Gott hingegen soll gerade die innere Logizität solcher empirisch vorkommender Vorstellungen über Gott klären und gedanklich (sachkritisch) herausarbeiten. Erst wenn eine Gottesvorstellung sich auf einen Begriff zurückführen lässt, ist ihre Intelligibilität und theologische Relevanz erwiesen. – Gleichfalls ist das Gottesbewusstsein nicht dasselbe wie ein Gottesbegriff. Dass Menschen ein Bewusstsein von Gott haben (und sei es auch nur als dunkle Gottesahnung), ist ein positives Faktum. So gibt es z. B. das christliche Gottesbewusstsein oder das der jüdischen Tradition. Wenn aber die dogmatische Theologie (z. B. als »Glaubenslehre«) methodisch darauf festgelegt wird, das in einer bestimmten Kirche geltende und auch lehrmäßig kodifizierte Bewusstsein von Gott zu beschreiben – wie etwa bei Schleiermacher –, so kann sie ebenfalls die Frage nach dessen Wahrheit nicht mehr stellen. Gott kommt dabei nur so vor, wie er eben im frommen Bewusstsein bzw. für das Bewusstsein der von ihm im Glauben Ergriffenen ist.59 Ob die gedanklichen Darstellungsmittel für dieses Bewusstsein selber wahr sind und ob der von diesem Bewusstsein erfasste Gottesgedanke an ihm selber wahr ist, kann hier gar nicht mehr gefragt werden – und soll es methodisch auch gar nicht. Erst im Lichte eines Begriffs von Gott selbst könnte die Wahrheit solchen Bewusstseins (bzw. seiner Inhalte) und der darin enthaltenen gedanklichen Bestimmungen als solche expliziert werden. Das heißt, das Gottesbewusstsein muss sich (als »Tatsache des Bewusstseins«) reflektieren, um sich über sein Verhältnis zu dem, dessen es sich bewusst ist, zu verständigen; dazu bedarf es aber eines sachhaltigen Begriffs von Gott – um im Bezug darauf auch sich selbst zu begreifen.

58 Hier gilt genauso, was I. A. Dorner bezüglich der Gottesidee überhaupt schreibt: »Ein Gott, der nur Product des subjectiven Geistes, aber nicht auch Producent der Gottesidee wäre, wäre auch nicht Gott« (I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 24f). 59 Zum entsprechenden Reduktionismus R. Bultmanns, der sich von der Gotteslehre aus auch auf die Eschatologie auswirkt, siehe schon oben S. 30f. bei Anm. 71–73.

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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– So ist, was schließlich die Gotteserkenntnis angeht, zu sagen: Sie ist als Erkenntnis dessen, der er ist, nur im Horizont eines angemessenen Begriffs von Gott möglich, und d. h. eines Begriffs, der sich von Gott selber her begreift (als durch Gott ermöglicht und bestimmt), also des Begriffs (Logos), in dem Gott selbst existiert und der spezifisch sein eigener Begriff (auch von sich) ist.60 Zusammengefasst heißt das alles: Von einem Gottesverhältnis kann nur vernünftig und nicht-reduktiv gesprochen werden, wenn dabei auch Gott selber (als der sich in diesem Verhältnis als er selbst zu mir Verhaltende) ein theologisches Thema bleibt. Dann aber muss, statt nur jeweils existenzielles Betroffensein und Sich-Verstehen zu artikulieren, auch ein eigentlicher Begriff von Gott entwickelt werden.

D. Gott als die Wahrheit denken 1. Insofern die Gotteslehre eine systematische Entwicklung des christlichen Gottesbegriffs darstellt, ist bereits die systematische Darstellung eine Weise, den Wahrheitsanspruch und die Wahrheitsfähigkeit des christlichen Gottesgedankens und seiner inhaltlichen Bestimmungen zu prüfen und zu realisieren. Denn die systematische Einheit der christlichen Lehre ist ein Kriterium ihrer Wahrheit; das entspricht dem theoretischen Begriff von Wahrheit als »Kohärenz«.61 Die rationale Vergewisserung der christlichen Wahrheit besteht also darin, alle Themen und integralen Bestandstücke christlicher Lehre und insbesondere der Lehre von Gott zueinander in ein konsistentes Verhältnis zu setzen und darüber hinaus ihr Verhältnis zum allgemeinen Wahrheitsbewusstsein und zum vernünftigen Wissen überhaupt zu klären. Denn es gilt: Die dadurch in Erscheinung tretende innere Kohärenz kann der Lehre selber nicht äußerlich sein.62 60 Hier gilt grundsätzlich Hegels Feststellung: »die abstrakte Definition Gottes ist … eben dies, daß sein Begriff und sein Sein ungetrennt und untrennbar sind« (HEGEL, Werke 5, 92). Denn Gott existiert (hat sein Sein) im Begriff (Logos) seiner selbst, und sein Sein ist es, als Begriff seiner selbst (in absoluter Selbstdurchsichtigkeit und -erkenntnis) dieses Sein zu haben. Ein solcher Begriff tritt dann – sie sachgemäß ersetzend – an die Stelle der traditionellen Gottesbeweise, wenngleich in einer gewissen Nähe zur ratio Anselmi (dem »ontologischen Argument«), bei der es (freilich in einem anderen Sinn von Begriff) gerade nicht um einen bloßen »Begriff« von Gott im Unterschied zu seiner »Existenz« zu tun war; cf. meine oben S. 2 in Anm. 8 erwähnte Abhandlung. 61 Cf. genauer bei PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 11 Anm. 1), 31 und 63 sowie 28f. 62 A.a.O. 32.

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Prolegomena

Hinzu kommen zwei historische Gesichtspunkte. Zum einen ist die Möglichkeit einer »dogmatischen« Voraussetzung der göttlichen Wahrheit der Hl. Schrift als unmittelbar gegeben bekanntlich durch die historisch-kritische Arbeit destruiert, was besonders für die klassische Inspirationslehre gilt.63 Zum andern gibt es im evangelischen Christentum kein unfehlbares, durch sich selbst a priori Wahrheit garantierendes »Lehramt«.64 Aus beidem folgt unausweichlich: Die Wahrheit der Schriftaussagen wie die des Dogmas ist nicht nur religiöser, sondern auch vernünftiger Prüfung (Sachkritik) auszusetzen, wie sie im Zuge systematischer Rekonstruktion erfolgt. 2. Insofern Dogmatik die systematische Bearbeitung der Frage nach der Wahrheit des christlichen und überhaupt allen Redens von Gott ist (einschließlich der elementaren Frage: was man sich dabei denken kann), gilt Folgendes: Weil Gott der entscheidende und umfassende Gegenstand der Theologie ist, an dessen Wahrheit alles andere hängt, muss die doctrina de Deo vorrangig und entschieden nach der Wahrheit fragen, und sie muss systematisch sein. Zwar ist der Glaube seiner Wahrheit immer schon unmittelbar (irgendwie) gewiss und ist gar nicht ohne eine solche Gewissheit, aber aufgehellt und intellektuell bewährt (allgemeinheitsfähig) werden kann solche im Glauben vorausgesetzte Wahrheit als Wahrheit nur im Medium denkender Klärung und Rekonstruktion.65 Für eine theologische Gotteslehre ist es unabdingbar und fundamental, nach der Wahrheit zu fragen. Das gilt allem voran für den Gottesgedanken selber. Auch die Wirklichkeit (bzw. »Existenz«) Gottes kann in der Dogmatik nicht von vornherein als selbstverständliche Voraussetzung, von der man eben auszugehen hat, feststehen. Das widerspräche der Situation, in der wir Menschen Theologie betreiben: Wir sind nicht schon umstandslos in der Wahrheit, sondern bestenfalls auf dem Wege zu ihr; dem entspricht eine theologia viatorum, und das kann sie sogar prinzipiell, wenn ihr Gegenstand, Gott, selber als in Bewegung begriffen verstanden werden muss. Das Risiko, das darin liegt, Gott zu denken, entspricht dabei genauestens dem Risiko des Glaubens selber, der täglich neu seine Ungesichertheit (cf. Mk 9,24), seine Zweifel und seine Angefochtenheit durch das Kommen der 63

Diese ist auch rechtfertigungstheologisch (systematisch) zu kritisieren; cf. zu Luther: RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 27 Anm. 52), 299f (mit Anm. 264). Für den historischen Befund cf. PANNENBERG, a.a.O. 36 und 45. 64 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 20ff und 40f sowie 18. 65 Cf. hingegen die programmatische Ausklammerung der Wahrheitsfrage bei Schleiermacher: »Auf jeden Beweis für die Wahrheit oder Nothwendigkeit des Christenthums verzichten wir vielmehr gänzlich, und sezen dagegen voraus, daß jeder Christ, ehe er sich irgend mit Untersuchungen dieser Art einläßt, schon die Gewißheit in sich selbst habe, daß seine Frömmigkeit keine andere Gestalt annehmen könne …« (SCHLEIERMACHER, CG2, 102,17–22 [§ 11 (5.), letzter Satz]).

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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Wahrheit Gottes selbst sich in Gewissheit verwandeln lassen muss.66 Das Denken Gottes nimmt somit nur wahr, dass wir noch nicht im »Schauen«, sondern erst nur im Glauben leben (2Kor 5,7). In Gestalt theologischer Reflexion muss aber solche Vergewisserung des Glaubens theoretisch sein; denn Wahrheit muss, um Wahrheit zu sein, auch gedacht werden können. Die Wahrheit kann, wenn sie ernsthaft beansprucht wird, nicht bloß etwas Subjektives sein (eine persönliche Meinung oder Überzeugung, ein Standpunkt, Ausdruck eines Engagements o. ä.), sondern sie ist als Wahrheit notwendig etwas Allgemeines bzw. ist allgemeinheitsfähig. Dieser Anspruch lässt sich nur dadurch verbindlich bewähren, dass die Wahrheit der Sache, um die es geht, als konsistent denkbar, ja als zwingend so zu denken erwiesen wird.67 Daher ist die vernünftige Form gedanklich-theologischer Erörterung und Argumentation auch nichts, was den christlichen Themen und Inhalten und insbesondere dem Gottesbegriff bloß äußerlich wäre oder bliebe.68 Das Denken Gottes und das Denken des Glaubens sind nichts Beliebiges, willkürlich Auswechselbares oder rein ein technisches Mittel, um eine im Voraus schon feststehende »Wahrheit« lediglich irgendwie auszudrücken. Hält man das Denken und seine Begriffe für ein bloß formelles, dem Inhalt und seiner Wahrheit ganz äußerlich bleibendes »Instrument«, dann tut man so, als gäbe es die Frage nach der Wahrheit des Geglaubten gar nicht, und dann verkommt Theologie tatsächlich zu einem »advokatorischen« Denken. Eine solche Fehlform ist aber ein seiner selbst als Denken nicht bewusstes Denken (also eigentlich gar kein Denken), vielmehr ein distanzloses Eingenommensein von den Inhalten des Denkens, ohne dass man auf die Konstruktivität in der gedanklichen Verfassung dieser Inhalte eigens aufmerksam wäre. Denken aber kann, um Denken zu bleiben, nicht selbstvergessen sein. Eine Folge davon wäre für die Theologie auch das unbemerkte Sich-Ausliefern an irgendwelche philosophischen Voraussetzungen. 3. Alles Gesagte gilt nun nicht unter anderem auch, wenn Gott gedacht werden soll, sondern es gilt für die Lehre von Gott in besonderer Zuspitzung. Denn einerseits impliziert der christliche Gottesgedanke tatsächlich Wahrheitsansprüche. Gott ist nur Gott, wenn er universal ist (»die alles bestimmende Wirklichkeit« bzw. der »Schöpfer des Himmels und der Erde«), also der wahre, einzig wirkliche Gott und der Gott für alle Menschen. Gleichwohl ist die Wirklichkeit Gottes faktisch strittig,69 und diese Strittigkeit muss auch theoretisch (gedanklich) ausgetragen werden. 66

Der Ort dafür ist das Gebet; s. o. S. 3ff. Das ist keine Begründung des Glaubens im strengen Sinn, auch nicht sein »Beweis«, sondern nur die rationale Form seiner Selbstaufklärung und Selbstvergewisserung. 68 Zum Verhältnis Form – Inhalt s. u. den Exkurs I (nach § 4, S. 75ff). 69 Cf. EBELING, Dogmatik I (wie oben S. 4 Anm. 21), 169ff sowie eindringlich PANNENBERG (cf. oben Anm. 27). 67

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Prolegomena

Andererseits nötigt dazu dringend der schon berührte Sachverhalt, dass die neutestamentlich-christliche Tradition selber Wahrheit (ἀλήθεια bei Johannes)70 thematisiert und für sich reklamiert hat. Darum ist für den biblischen Gottesgedanken das Austragen der Wahrheitsfrage unvermeidlich. Da die Wahrheit nur eine sein kann, ist es vor diesem Hintergrund der Bibel nicht überraschend, sondern sachgemäß und konsequent, wenn die theologische Tradition immer Gott selber als die Wahrheit bestimmt hat. ipsa veritas Deus est.71 Dem kann nur ein solcher Gottesbegriff entsprechen, der als sich durch sich selber bewahrheitend gefasst wird bzw. seine Wahrheit als eine selbst von sich selber überführende. Das aber ist der Begriff des »lebendigen Gottes«, der das eigene Innesein Gottes von sich als der Wahrheit schlechthin einschließt.72 Eine wichtige Konsequenz, was den Status der Theologie angeht, ist in diesem Zusammenhang noch in Erinnerung zu rufen. Wenn Gott selber die lebendige Wahrheit aller Wirklichkeit ist, dann ist jedes Verhältnis zu ihm – so sehr es wegen seiner Logos-Vermitteltheit theoriefähig ist – immer auch durch ein (»existenzielles«) Sich-Öffnen für sein lebendiges Sich-Vergegenwärtigen bestimmt, d. h. durch Glauben. Gottes Wahrheit, bzw. er als die Wahrheit, verändert uns, wo sie uns berührt.73 Das gilt im stärksten Maße, wenn es richtig ist, dass Gott sich am Orte unseres Glaubens an ihn selber hervorbringt.74 Daher ist auch die Theologie, indem sie es mit Gott zu tun hat, nicht auf einen rein theoretischen Erkenntnismodus (und schon gar nicht einen verobjektivierenden) zu beschränken. Vielmehr ist sie, wie die Tradition immer bewusst gehalten hat,75 wesentlich ein habitus practicus (cf. Tit 1,1). Bei Luther heißt es: Vera theologia est practica.76 70

Dazu ausführlich in meinem oben in Anm. 15 genannten Buch (mit Literatur). Augustin, De lib. arb. II 15,39 (PL 32, 1262); cf. ebenso Conf. III 6,10 und IX 10,23 sowie bei Anselm von Canterbury, Monol. 18; Cur deus homo II 17; De ver. 1: »deum veritatem esse credimus« (cf. 1Thess 1,9; Joh 17,3; 1Joh 5,20). 72 Wie Hegel es von der absoluten Idee formuliert: »Alles Übrige ist Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist Sein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit« (HEGEL, Werke 6, 549). 73 Dieser praktische Bezug ist wiederum spezifisch für den johanneischen Wahrheitsbegriff. 74 Cf. dazu unten § 4 (S. 60ff). 75 Das gilt auch für die »Scholastik«; cf. H. KRAML, Die Rede von Gott sprachkritisch rekonstruiert aus Sentenzenkommentaren, IThS 13, Innsbruck u. a. 1984. 76 WA.TR 1, 72,16 (Nr. 153; 1531/32). Wenn Luther an dieser Stelle sich scharf gegen eine »speculativa theologia« wendet, die »aus der cogitatio nit kommen« kann (72,18ff), 71

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Der damit behauptete wesentliche Bezug der Theologie und ihres Gegenstandes auf die Subjektivität des Menschen (modern gesprochen: seine Existenz) ist – von Luther her – auch ein Anliegen spekulativer Religionstheorie z. B. bei Hegel: So war es einseitig, wenn die vormalige natürliche Theologie Gott nur als Gegenstand des Bewußtseins faßte. Diese Betrachtung der Idee Gottes, für welche Gott eigentlich nur das Wesen sein konnte [sc. im rein objektiven Sinn], … war inkonsequent, denn wirklich durchgeführt hätte sie zu der anderen, zur subjektiven Seite, zu der des Selbstbewußtseins führen müssen.77

Wegen dieses »praktischen« Bezugs des Gottesgedankens auf den Glauben soll im nächsten Paragraphen die grundlegende Korrelation von Gott und (glaubendem) Gottesbewusstsein näher betrachtet werden (§ 4). 4. Zum Beschluss dieses Abschnitts (D.) sollen die vorausgegangenen Darlegungen zur Wahrheit Gottes auf ein paulinisches Dictum bezogen werden. τότε µὲν οὐκ εἰδότες θεὸν ἐδουλεύσατε τοῖς φύσει µὴ οὖσιν θεοῖς. (Gal 4,8) (tunc … ignorantes Deum, iis, qui natura non sunt dii, serviebatis).78 Die Aussage des Paulus über die falschen Götter (d. h. solche, die in Wahrheit keine sind)79 impliziert, dass der christliche Gott, dessen Evangelium er verkündet, der allein wahre Gott ist, d. h. der, der in Wahrheit, »seiner Natur nach«, Gott ist.80 An dieser seiner eigenen Wahrheit ist die Unwirklichkeit der anderen sog. Götter zu messen. Ihre Unwahrheit erweist sich darin, dass sie ihre Anbeter verknechten.81 Sich zum lebendigen Gott zu bekehren, heißt demnach, sich der Wahrheit und dem wahren Leben zu öffnen: ἐπεστρέψατε πρὸς τὸν θεὸν ἀπὸ εἰδώλων δουλεύειν θεῷ ζῶντι καὶ ἀληθινῷ. (1Thess 1,9)82

so ist die bibelfremde Scholastik gemeint. Spekulative Theologie im neuzeitlichen Sinn will diese Alternative gerade überwinden. So heißt es bei F. Ch. Oetinger: »Theologiam esse habitum theoretico-practicum« (F. CH. OETINGER, Theologia ex idea vitae deducta [hg. von K. Ohly, Berlin 1979], § 2). Zum usus practicus in der Christologie cf. H. KLINGE, Verheißene Gegenwart. Die Christologie des Martin Chemnitz, FSÖTh 152, Göttingen 2015, 128ff. 77 HEGEL, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in: ders., Werke 16, 72f. Zur vor- und nach-Schelling’schen und -Hegel’schen spekulativen Theologie überhaupt cf. K. KRÜGER, Der Gottesbegriff der spekulativen Theologie, TBT 19, Berlin 1970. 78 Cf. zu φύσις ThWNT 9, 265f (KÖSTER). 79 Cf. 1Kor 8,5: εἰσὶν λεγόµενοι θεοί. 80 Cf. 1Kor 8,4: οὐδεὶς θεὸς εἰ µὴ εἷς. 81 Cf. δοῦλος (Gal 4,3.7). 82 δουλεύειν heißt hier: in Freiheit als Kinder Gottes (cf. Gal 4,7 und Joh 8,32).

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Prolegomena

In solchem wahren Gottesdienst, der durch den wahren Gott selber bewahrheitet ist, kommt es auch zu wahrer Gotteserkenntnis – von ihm her: (γινώσκειν) … τὸν µόνον καὶ ἀληθινὸν θεόν. (Joh 17,3) Ebensolche Erkenntnis in der Wahrheit Gottes macht frei (Joh 8,32; cf. Ps 31,6). Gott denken heißt also, die Wahrheit Gottes bzw. den wahren Gott zu denken (cf. Jer 10,10a; Dtn 32,4). Und eben in der von ihm eröffneten Freiheit zu diesem Denken erweist er sich als der wahre (wahrhaftige) Gott. 5. Schließlich: Ist Gott nur als die Wahrheit selbst der wahre Gott, so hat das Denken Gottes von ihm selber her einen internen Maßstab zur Unterscheidung wahrer Gedanken über Gott von falschen bzw. des wahren Gottesbegriffs von falschen Vorstellungen oder Begriffen von Gott. Aussagen über Gott müssen also, und sie können es auch, an ihren eigenen Implikationen gemessen werden, was ihre Wahrheit betrifft. Zu prüfen ist jeweils, ob sie die Gottheit Gottes angemessen und konsequent zur Geltung bringen.83 Beispielsweise ist auch die Tendenz auf absolute Einheit als solche ein ihm selber immanentes Kriterium seiner Wahrheit.84 Übrigens ist die Einheitsthematik nicht nur philosophisch, sondern auch schon religionsgeschichtlich als Wahrheitskriterium auszumachen. Jedenfalls gilt für das Denken Gottes als solchen: Ein Gott kann nur an dem Maß gemessen werden, das er selber setzt.85 Aus vorgegebener Rede von Gott einen konsistenten Begriff Gottes zu erarbeiten, nimmt also stets Bezug darauf, was das Wort »Gott« (bzw. ihm entsprechende Ausdrücke) von sich her sagt oder sagen will.86 Das besagt, Gott zu denken, nimmt ein »Interpretationspotential« in Anspruch, das zu dem jeweiligen Gottesgedanken selber schon gehört. Zur vollständigen Ausarbeitung der Wahrheit eines Begriffs von Gott gehört freilich auch noch das, was er an Interpretationspotential für das Begreifen des Menschen und der Welt als Ganzer enthält oder hergibt.87 Denn die Wahrheit Gottes ist als Wahrheit nie die seine allein, sondern immer auch die Wahrheit des (ihn denkenden) Menschen und seiner Welt. Im 83 Einen Fingerzeig in dieser Richtung gibt I. Kant, wenn er in der »Kritik der Urteilskraft« das Erhabene als »das, was über alle Vergleichung groß ist«, bestimmt als »eine Größe, die bloß sich selber gleich ist« (Hervorh. J. R.), in: Kant-AA 5, 248,9f und 250,7. 84 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 11 Anm. 1), 164–166 und 187f. 85 A.a.O. 176; cf. 175ff. 86 Nicht zufällig erinnert diese Aussage an K. Barths Bestimmung der Dogmatik als »die wissenschaftliche Selbstprüfung« der der Kirche eigentümlichen Rede von Gott hinsichtlich ihres Inhalts (cf. KD I/1, § 1; Hervorh. J. R.). Allerdings nimmt Barth sofort und umstandslos (positivistisch) das »Wort Gottes« als Kriterium solcher Prüfung in Anspruch (§ 3). 87 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 179 und 184.

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Denken Gottes wird das Denken selber seiner Wahrheit ansichtig. In diesem Sinne ist mit einem wahren Begriff von Gott zugleich alle Wahrheit auf ihren Begriff gebracht.

E. Selbst denken Gott zu denken, so hat sich gezeigt, ist ein Unternehmen, das zwischen traditioneller Vorgegebenheit und aneignendem Neuanfang liegt. Zwar gibt uns die Überlieferung immer schon das Wort »Gott« vor,88 aber wir müssen diesen Sprachzusammenhang bewusst übernehmen und selbsttätig weiterführen. Denn die Wahrheitsfrage vorgängig durch die Tradition schon entschieden sein zu lassen, widerstreitet ebenfalls dem Anspruch des Wortes »Gott« an uns und unser Denken. Keiner fängt mit Gott an, und doch muss jeder selbst wieder neu mit Gott anfangen. Diese Spannung hat offensichtlich etwas mit der eigenen Wirklichkeit Gottes zu tun. 1. Für die Aufgabe, Gott zu denken, kommt also die unablegbare Geschichtlichkeit aller unserer Erkenntnis, mithin auch der von Gottes Wahrheit, zum Tragen. Mag eine Wahrheit erkenntnismäßig noch so gut durchgearbeitet und aufbereitet sein, jede Gegenwart muss doch versuchen, sie mit ihren eigenen gedanklichen Konzepten und ihrer Begrifflichkeit, d. h. unter den Bedingungen ihres jeweiligen Erkenntnisstandes, neu und spezifisch zu formulieren bzw. zu rekonstruieren. Auch das Thema »Gott« fordert von sich aus ein solches zur Geltung Gebrachtwerden in lebendiger Gegenwart des eigenen theologischen Erkennens: Von jedem evangelischen Theologen ist zu verlangen, daß er im Bilden einer eignen Überzeugung begriffen sei über alle eigentlichen Örter des Lehrbegriffs, … auch sofern sich Neues gestaltet hat, dessen für den Moment wenigstens geschichtliche Bedeutung nicht zu übersehen ist.89

Umgekehrt gilt natürlich von aller christlichen Lehre, dass sie geschichtlich überholbar bzw. wandelbar ist,90 so dass keine lehrmäßige Ausprägung als

88

Dies mit mehr oder weniger bewussten Prägungen durch die Religions- oder Theologiegeschichte. 89 F. SCHLEIERMACHER, Kurze Darstellung des theologischen Studiums (21830), § 219 (hg. von H. Scholz, Leipzig 31910 [Nachdr. Darmstadt 1993], 83). 90 Dass Wort und Begriff bei aller Wahrheits- wie Gotteserkenntnis kontextabhängig und geschichtlich wandelbar, daher vergänglich und nur-menschlich sind, ist scharf von E. Hirsch betont worden; E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, 2 (§ 2 A). Zu den Folgen für die Wahrheitserkenntnis, die sich daraus ergeben, dass für Hirsch die Sprache kein »eigenes und unmittelbares Verhältnis zur Wahrheit« hat, cf. a.a.O. 78 (§ 50 A).

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Prolegomena

solche je ein absoluter und unvergänglicher Ausdruck der lebendigen Wahrheit Gottes sein kann.91 Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen hat E. Hirsch im Blick auf die theologische Wahrheitserkenntnis der Dogmatik mit Recht – und nur auf diese Formulierung soll es hier ankommen – die Formel von der bleibenden Notwendigkeit eines neu anfangenden ursprünglichen christlichen Erkennens geprägt.92 Was so schon bei jedem Glaubenden geschieht, der sich persönlich die Wahrheit seines Glaubens zu eigen macht,93 das hat die systematische Theologie als ausdrücklichen Erkenntnisvorgang in die wache Reflexion zu heben.94 Theologie ist wissenschaftlich als kunstmäßige Reflexion: Sie vollzieht die Gotteserkenntnis des Glaubens systematisch, d. h. intellektuell geordnet und begrifflich gefasst, und somit vollständig sowie genauestens und folgerichtig zusammenhängend. Als solche systematische Reflexionsarbeit hat die Dogmatik bzw. Gotteslehre eine Bedeutung für die christliche Gemeinschaft, nämlich die einer stellvertretenden Durchklärung des Glaubens selber. 2. Die Formel Hirschs vom »neu anfangenden ursprünglichen christlichen Erkennen« ist nun in unserem Zusammenhang noch genauer zu interpretieren und aufzunehmen. Inwiefern ist beides, Neuanfang und Ursprünglichkeit, »notwendig«, damit das Denken Gottes bzw. die christliche Wahrheitserkenntnis authentisch ist?

91 Wiederum ist sehr pointiert bei Hirsch formuliert, dass die »in Wort und Begriff gefaßte lehrmäßige Überlieferung« als solche »kein verläßlicher Träger christlicher Wahrheitserkenntnis« sein könne (a.a.O. § 2 A). Ob die von Hirsch dagegen aufgebotene »Gewissenserkenntnis« verlässlicher und ob überhaupt seine Sprachauffassung zustimmungsfähig ist, soll hier nicht diskutiert werden. 92 A.a.O. § 2. Cf. dazu A. V. SCHELIHA, Emanuel Hirsch als Dogmatiker, TBT 53, Berlin/New York 1991, 130f. Auch K. Barth hat von der theologischen Arbeit gesagt: »dass, wer sie tun will, nie mit freiem Rücken von schon erledigten Fragen, von schon erarbeiteten Resultaten, von schon gesicherten Ergebnissen herkommen … kann, sondern darauf angewiesen ist, jeden Tag, ja zu jeder Stunde neu mit dem Anfang anzufangen« (K. BARTH, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 21963, 181f). 93 Solche neu anfangende, eigene Erkenntnis, die der selbsthaften Vergewisserung der geglaubten Wahrheit dient, ist mit dem (lutherischen) Begriff der »Aneignung« (apprehensio) gemeint gewesen; cf. HIRSCH, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Berlin 4 1964, 121 (§ 167, Th. 12) bzw. LUTHER, WA 39 I, 45,21f und zur Interpretation RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 11 Anm. 3), 29ff (bes. 36f) sowie mein Buch: J. RINGLEBEN, Aneignung, TBT 40, Berlin/New York 1983, 97ff. 94 So auch HIRSCH, Leitfaden (wie oben Anm. 90), 3 (§ 3 A und B).

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Denken – so könnte man sagen – ist auf jeden Fall immer »eigenes« Denken.95 Nun gibt es zwar kein Denken, das – sofern es sich selber versteht – bloß ein eigenes wäre. Denken hat unverlierbar, weil konstitutiv, den Bezug zu Allgemeinheit in sich. Was ich nur als »mein Denken« allein auffassen könnte, wäre eben kein vernünftiges Denken mehr, sondern bloße »Meinung«. Jedes reflektierte Denken vollzieht sich notwendig in dem Bewusstsein, dass das von ihm Gedachte für alles Denken gültig sein bzw. jedem Denkenden als auch für ihn einsichtig angesonnen werden können muss. Die Vernunft gehört niemandem für sich allein – so wenig wie die Wahrheit.96 Aber eigenes Denken ist doch in dem Sinne unerlässlich, dass ich selbst es jeweils zu vollziehen habe, damit ich es auch als richtig, stimmig, gültig, vernünftig oder wahr einsehen kann. Die Allgemeinheit der Vernunft ist nur in den selbsttätigen Denkvollzügen vernünftiger Subjekte – für diese einleuchtend – da. Das Allgemeine muss immer von jeweils mir – diesem Denkenden – gedacht werden können, um vernünftig und allgemein zu sein. In diesem Sinne selbsthaften Vollzugs im eigenen Denken ist Hirschs Rede von der bleibenden »Notwendigkeit eines neu anfangenden ursprünglichen christlichen Erkennens« grundsätzlich (vom Denken selber her) zu verstehen. Wahrheit, zumal die christliche, kann nicht in bloßem Autoritätsgehorsam oder nur »auf Treu und Glauben« übernommen werden – das wäre gerade keine »Aneignung«. Sondern ich muss sie, zumindest als Theologe, jeweils auch für mich einsehen, sie selber nachdenkend mitvollziehen, ich muss sie ursprünglich, d. h. als ich selber und unverstellt durch die Umstände, unter denen sie an mich gelangt, sowie in möglichst weitgehender Freiheit von allen positiven oder negativen Vormeinungen, die sie schon begleiten oder die ihr in mir selber entgegenzukommen oder auch entgegenzustehen scheinen, aufzufassen versuchen. Ein solcher Versuch zu eigenem Denken der Wahrheit, hier als Begreifen des Gottesgedankens, ist als eine selbsttätige Leistung meines Denkens auch immer neu anfangend, weil selbständiges Denken sich zunächst von allem nur (traditionell) Vorgegebenen distanzieren muss, um als es selbst die Sache gedanklich zu rekonstruieren. Jedes Denken, sofern es selber »ursprünglich« ist, fängt auch mit seinen Gedanken neu, d. h. ganz von vorne wieder, an. Erst im Verlauf der Gedankenarbeit zeigen sich dann die Berührungen mit schon Gesagtem und Gedachtem, so dass auch das Überlieferte partiell wieder eingeholt und frei integriert werden kann. In diesem Sinne ist es die Aufgabe der Dogmatik und ihrer Gotteslehre, ein ge95 Freilich ist das hier (in der Gotteslehre) zu Fordernde nicht identisch mit dem aufgeklärten Pathos des autonomen »Selbstdenkers«; sondern es geht uns um ein selbst Denken, weil man zu Gott sich nicht anders verhalten und ihn nicht erkennen kann, ohne als (denkendes) Selbst mit in diese Beziehung hineinzugehören (s. u. § 4). Jedoch hat das »selbst Denken« bezüglich Gottes auch mit der eigenen Identität zu tun (cf. oben Vorwort, S. IX Anm. 10). 96 Zum Verständnis der Wahrheit cf. HIRSCH, Leitfaden (wie oben Anm. 90), §§ 44–49.

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Prolegomena

nuines Begreifen ihres Gegenstandes zu versuchen und durch alle Vermittlungen hindurch auf den der Sache nach »ursprünglichen« Gehalt ihres Themas durchzudringen und ihn zu erkennen. Das hier zum Gesichtspunkt des »Selbst-Denkens« Ausgeführte gilt notwendigerweise auch im Blick auf die Gottesthematik. Es könnte indes sein, dass es da noch sehr viel spezifischer zu betonen ist, und zwar aus einem theo-logischen Grund, d. h. wegen des Gottesbegriffs selber. Dazu jetzt nur die folgende Erwägung. Mit den bisher angestellten Erörterungen dürfte sichtbar geworden sein, dass auch theologisches Nachdenken und begriffliche Arbeit ein Weg zu Gott sein können – gleichsam als Wiederholung des Weges, den der Glaube schon geht, im Medium der Reflexion. Denn beide Male ist es unabdingbar, dass »Wahrheitserkenntnis im Gottesverhältnis … nur in Aufeinanderbeziehung von Selbstverständnis und Gotteserkenntnis da« ist, wie Hirsch durchaus lutherisch feststellt,97 und dergestalt ist die christliche Wahrheit notwendigerweise allein »in einem neu anfangenden ursprünglichen Erkennen persönlich zu erfassen«.98 Wenn nun solch ein selbständiges, ursprüngliches und je auch neu anfangendes Beschreiten eines Denkweges zu Gott99 – also der Vollzug der Gotteslehre – im Gottesverhältnis von Gott aus gefordert ist (s. o.), dann muss dieses unser denkendes Neuanfangen irgendeine Entsprechung im Gedanken Gottes selber haben. Ist Gott so zu denken, dass bleibende Ursprünglichkeit und ein Neuanfangen, und d. h. ein Werden, auch zu ihm selber gehört? Dann wäre der letzte Grund für das von Hirsch aufgestellte Postulat ein theologischer und in Gottes eigener, lebendiger Bewegtheit und »Geschichte« zu suchen. Muss nicht gerade eine theologia viatorum Gott selbst als einen Weg zu sich begreifen?100 Die Aufgabe der Gotteslehre wäre deshalb immer wie97 A.a.O. 2 (§ 2 B). Die Gotteserkenntnis bleibt somit »an den persönlichen Vollzug der Selbstbesinnung vor Gott gebunden« (ebd.). Cf. dazu unten § 4. 98 Ebd. 99 Von der Voraussetzung ausgehend, »daß die Erfahrung eines Ewigen … in keiner Tätigkeit eine Entsprechung findet und in keine transformiert werden kann«, referiert H. Arendt die mittelalterliche Auffassung, dass es keinen Weg des Denkens zu Gott geben könne, »denn auch die Tätigkeit des Denkens, die ein an Worte gebundener Vorgang im Innern des Menschen ist, ist nicht nur unzulänglich, die Erfahrung wiederzugeben, sie kann sie nicht einmal begleiten; eben weil auch das Denken eine Tätigkeit ist, kann es die Kontemplation des Ewigen nur unterbrechen und ruinieren« (H. ARENDT, Vita activa oder Vom tätigen Leben, Stuttgart 1960, 25; 321 Anm. 22 wird dafür Thomas, STh II/2, 181, 4 angeführt). Dagegen ist zu sagen: 1. Erfahrung muss als eine Geschichte begriffen werden (s. o. S. 14 bei Anm. 17 und 18); 2. es wird ein ungeschichtlicher Begriff des Ewigen (Gottes) unterstellt; 3. es ist christlich problematisch, Ewigkeit ohne Zeit zu denken (s. u. Zweiter Teil, § 9); 4. gerade die zeitliche Dialektik des sprachlichen Satzes ist als kleines Bild des Ewigen zu begreifen (s. u. zu A. Ritschl, § 9, S. 525 bei Anm. 103). 100 Cf. oben S. 15f (3.).

§ 3 Dogmatik als Lehre von Gott (Gott denken)

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der »neu« anzugehen, weil diese nur so dem Sich-Hervorbringen Gottes (auch in solchem Erkennen, es ermöglichend) lebendig entsprechen könnte.101 Diese Fragen lassen sich freilich erst klären, wenn wirklich mit dem begonnen wird, was die Aufgabe der dogmatischen Gotteslehre ist: einen (neuen) Begriff von Gott systematisch zu denken.

101 Wenn Gott der sich immer neu am Ort des Glaubens Hervorbringende ist, dann folgt daraus die konkrete Zeitbezogenheit und insofern aktuelle Veränderlichkeit der Theologie, die auf den jeweiligen geschichtlichen Ort des Menschen anknüpfend einzugehen hat (wie es programmatisch P. Tillich gefordert hat).

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube 1. Die mehrfach erwähnte, eigentümliche wechselseitige Bezogenheit von Gottesgedanke und menschlichem Selbstverständnis im Glauben bildet einen allgemeinen Horizont dieser Gotteslehre, daher ist sie hier näher zu entfalten. Der in den vorausgehenden Paragraphen skizzierte dogmatische Ansatz ist gekennzeichnet und durchgehend bestimmt durch eine vom Gottesgedanken selber erzwungene »Umkehrung« oder auch: Reflektiertheit. Die Theologie (als Gotteslehre) begreift sich selber nur in eins mit ihrem Gegenstand bzw. vorgängig schon von ihm her. Diese Gotteslehre kann darum schon in ihren sog. »Prolegomena« über sich selbst nicht Auskunft geben, ohne notwendigerweise auf das ihr eigentümliche Thema wesentlich Bezug zu nehmen: auf Gott als den, der sie selber allererst möglich werden lässt. Wir haben in den bisherigen Gedankengängen mehrfach erfahren: Indem wir Gott denken wollten, mussten wir dieses unser Denken an Gott und über Gott als von Gott selbst schon bestimmt denken. Jede sich selber begreifende Rede, die auf Gott hinführen will, muss sich als bereits von ihm herkommend durchsichtig werden. Das zeigte sich in § 1 am altprotestantischen Theologiebegriff und in § 2 sowohl an der Gotteserkenntnis selber (Abschnitt A.) wie auch am Konzept der Theologie als eines von Gott Belehrtseins (Abschnitt B.). Die Grundeinsicht dieser Prolegomena liegt mithin in der Erfahrung beschlossen, dass das Wort »Gott« unser Denken in Bewegung bringt. Alles, was in § 3 über den Begriff der Dogmatik als denkende Entwicklung des christlichen Gottesbegriffs gesagt wurde (Abschnitte A.–E.), hatte dieser Grundeinsicht Rechnung zu tragen. Die grundlegende Erfahrung mit dem sinnvoll zur Sprache gebrachten Wort »Gott« besteht darin, dass unser Hindenken auf Gott (intentione recta) auf sich selber zurückgewendet (zur intentio obliqua) wird, oder anders gesagt, dass wir bei dem Versuch, Gott zu denken, unausweichlich auf uns selber (als die ihn Denkenden) aufmerksam werden und dass wir daraufhin uns selbst im Licht des Gottesgedankens verstehen müssen anstatt Gott im Lichte unseres Verstandes. Gott wird uns ansichtig als letzter Grund unseres Uns-selber-verstehen-Könnens. So besteht nach J. Calvin eigentlich unsere ganze Weisheit (sapientia) aus Zweierlei: Dei cognitione et nostri1 und ist daher in die beiden Sätze zu fassen: 1 J. CALVIN, Institutio christianae religionis (1559), I, 1,18, in: ders., Opera selecta, hg. von P. Barth/W. Niesel, Bd. III, München 1928, 31,8. Die Überschrift des 1. Kapitels lautet: »Dei notitiam et nostri res esse coniunctas, et quomodo inter se cohaereant« (a.a.O.

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube

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se nemo aspicere potest quin ad Dei in quo vivit et movetur [Act 17,28], intuitum sensus suos protinus convertat2 und: hominem in puram sui notitiam nunquam pervenire constat nisi prius Dei faciem sit contemplatus, atque ex illius intuit ad seipsum inspiciendum descendat.3 Damit ist auch, allgemeiner gesprochen, die Einsicht benannt, dass von Gott zu reden notwendig bedeutet, zugleich vom Menschen zu reden. Mehr noch: Im Gedanken Gottes bestimmt oder definiert sich das Menschsein des Menschen selbst mit. Umgekehrt gilt: Die Wahrheit eines Gottesbildes weist sich immer auch an der Wahrheit des mit ihm gesetzten Bildes vom Menschen aus.4 Wir betrachten hier nochmals die eigentümliche »Korrelation« zwischen dem Gottesgedanken und dem Selbstverständnis des Menschen im Glauben. Sie wurde bereits in den einleitenden Vorbemerkungen und dann besonders im Zusammenhang der paulinischen Aussagen über die Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis (als von Gott Erkanntsein) angedeutet.5 Man könnte diese Verschränkung auch so beschreiben: Das Wort »Gott« hält das Humanum offen, weil es die Frage des Menschen nach seinem eigenen Wesen und seiner Wahrheit in einen unendlichen Horizont rückt und weil der Mensch wesentlich die Frage nach sich selbst ist.6 So ist der Gottesgedanke auch der Ort, wo die Freiheit des Menschen (als eine von falschen Selbstfestlegungen und als Einkehr in seine Wahrheit) gedacht werden kann. Für die Gotteslehre kann die in Rede stehende Korrelation freilich nicht in extenso zum Thema werden; eher gehört sie in die Theologische Anthropologie und in die Christologie oder Pneumatologie. Hier ist allein Gott unser Thema, aber Gott auch, insofern er als Grund und Wahrheit jener wechselseitigen Bezogenheit seine Wirklichkeit (für uns) hat, d. h. eben auch als Grund und Wahrheit unseres Selbstseins als Menschen und im Glauben. 4f). Cf. auch: CH. AXT-PISCALAR, Gottes- und Selbsterkenntnis gehören zusammen, KuD 54 (2008), 290–315. 2 A.a.O. 1,1. (31,10–12). Übrigens wird O. Webers Randmarginalie (»Ohne Selbsterkenntnis keine Gotteserkenntnis«; O. WEBER [Übers. und Bearb.], Unterricht in der christlichen Religion, Neukirchen-Vluyn 31984, 1) dem nicht gerecht; logischerweise muss es hier genau umgekehrt heißen: ohne Gotteserkenntnis keine Selbsterkenntnis. 3 A.a.O. 1,2. (32,10–12). 4 Diese prinzipielle Verschränkung hat eine bedeutungsvolle Analogie am christlichen Gottesgedanken selber: Gottes Menschwerdung in Christus ist das zweieinige Geschehen, dass darin Gott ganz Gott wird, und es ist zugleich die endgültige Menschwerdung des Menschen. Im Übrigen cf. Luther: »Qualis est enim unusquisque in seipso, talis est ei Deus in objecto« (WA 56, 234,4). 5 § 2 A. 2. (s. o. S. 19ff). 6 Cf. dazu besonders RAHNER, Meditation (wie oben S. 40 Anm. 29).

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Prolegomena

In einer theologia viatorum ist Gott als die unendliche und absolute Wahrheit unseres endlichen Menschseins zu denken, also unserer vorläufig-unfertigen, brüchigen, gespaltenen und zerrissenen, selbstentfremdeten und selbstdestruktiven, d. h. gottentfremdeten, sündigen, unserer zweifelnden, angefochtenen und leidenden, dem Sterbenmüssen preisgegebenen Existenz. Gott als deren Wahrheit denkend zu erkennen, das ist die Aufgabe und Funktion der Gotteslehre, was den Glauben und unser Selbstverständnis betrifft. Aber damit diese Aufgabe wahrhaftig erfüllt wird, muss Gott selber streng nach seiner eigenen Wahrheit gedacht werden.7 Je intensiver wir die eigene Wirklichkeit des lebendigen Gottes zu begreifen vermögen und je mehr wir uns hier entschieden auf Gott selber konzentrieren, desto überzeugender wird die Wahrheit aufleuchten, an der unser schwacher Glaube und unser beirrtes Leben ihren letzten Halt finden können. Indem wir in dieser Gotteslehre bewusst fast nur von Gott an ihm selbst reden, reden wir auch im Hinblick auf den Menschen, d. h., wir reden gerade so von der Wahrheit unseres Lebens und Sterbens – als Menschen »vor Gott«.8 Die grundlegende Korrelation von Gottesgedanke und glaubendem Selbstverständnis des Menschen kann hier zwar thematisch nicht ausführlich entfaltet werden, aber sie ist doch, wie die Prolegomena bisher gezeigt haben, der allgemeine Horizont unseres Nachdenkens über Gott. Darum will ich zum Abschluss der Prolegomena noch ein konzentriertes Schlaglicht auf diese Korrelation fallen lassen. Ich beginne mit Luthers Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Glaube (2.).9 Zwei weiter folgende gedankliche Schritte dieses Paragraphen (3. und 4.) dienen dazu, von dieser Korrelation aus auf den proponierten Gottesbegriff hinzuführen, an den der Zweite Teil anschließen wird. 2. In seiner Auslegung des Ersten Gebotes hat M. Luther im »Großen Katechismus« summarisch formuliert: Denn die zwey gehören zuhauffe, glaube und Gott.10 2.1. Der Satz gibt, ganz elementar verstanden, zu denken, dass Gott und der Glaube an ihn wechselseitig wesentlich aufeinander bezogen sind: »Sol ein Gott sein, so mus Er jemands Gott sein«.11 7

S. o. § 3 D. (S. 49ff). Cf. Luther: »Fides facit personam« (WA 39 I, 283,1). 9 Es wäre grundsätzlich auch möglich, das im Anschluss an Calvin (s. o. bei Anm. 1–3) oder auch von Kierkegaards Bestimmung des »Vor-Gott-Seins« (coram Deo) zu tun (cf. S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 24, 77ff und dazu meinen gleichnamigen Kommentar: J. RINGLEBEN, Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard, Göttingen 1995, 218ff). 10 WA 30 I, 133,7 (= BSLK 560,21f). 11 WA 16, 42,25. Bündig formuliert Axt-Piscalar: »Weder von Gott noch vom Menschen kann daher so geredet werden, dass sie je für sich als gleichsam vergegenständlichte Objekte wahrgenommen werden«; vielmehr sei alles sowohl über Gott wie über den Men8

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube

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Das bedeutet auf der einen Seite: Gott selber ist der spezifische Gegenstand des Glaubens. Denn der Glaube ist nur Glaube, wenn er auch wesentlich auf Gott gerichtet ist, und nicht jedes religiöse »Für-wahr-Halten« ist schon Glaube im eigentlichen, christlichen Sinne.12 Glaube ist mithin nur dann wahrer Glaube, wenn er sich auf den wahren Gott richtet.13 Luthers »zuhauffe« bedeutet auf der anderen Seite: Gott ist als Gott nur im Glauben (z. B. in der Erfüllung des Ersten Gebotes). Das besagt aber gerade nicht, er ist nur im Glauben Gott!14 Im Glauben bzw. für ihn ist Gott nur als der, der nicht nur im Glauben ist, was er ist.15 Gott ist Gott, wo er für den Glaubenden, der sich von ihm gänzlich abhängig weiß, als sein Gott da ist. Der Glaube gibt – etwa als Gott fürchten und lieben und vertrauen – Gott die göttliche Ehre.16 Ohne Glauben hat man es, auch wo das Wort »Gott« gebraucht wird, gar nicht mit Gott zu tun.17 2.2. Rücken wir, ehe wir diese Luther-Interpretation fortsetzen, das Gesagte in einen allgemeineren (eher phänomenologischen) Horizont. Wir fragen: Was unterscheidet eigentlich den Glauben von einem unbefangenen Dahinleben mit seinen mehr oder weniger deutlichen Meinungen und Einstellungen bezüglich der Welt, des Mitmenschen und des Lebens überhaupt? Nach dem schen zu Sagende »aus der Beziehung zwischen Gott und Mensch, genauer aus dem Geschehen, das zwischen Gott und Mensch statthat, zu begreifen« (AXT-PISCALAR, Was ist Theologie? [wie oben S. 13 Anm. 15], 84). Cf. auch Hegels Kritik am »objektiven« Gottesgedanken der natürlichen Theologie (oben S. 53 bei Anm. 77). 12 Es sei daran erinnert, dass »Glaube« (πιστεύειν) auch historisch ein spezifisch christlich-neutestamentlicher Begriff ist. Cf. dazu G. EBELING, Das Wesen des christlichen Glaubens, Tübingen 1959, 17. 13 Dies zu zeigen, ist im Ganzen Luthers Anliegen bei seiner Auslegung des Ersten Gebotes. Zu L. Wittgensteins diesbezüglichen Klärungen, was den Sinn von Sätzen über den Glauben an Gott betrifft, cf. meinen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Wie viel Religion braucht der Mensch?, GGA 262 (2010), 105ff. 14 Cf. Hegel über den Ausdruck, dass Gott nur in der Religion sei: »daß es zur Natur Gottes in dessen vollkommener, an und für sich seiender Selbständigkeit gehöre, für den Geist des Menschen zu sein, sich demselben mitzuteilen« (HEGEL, Werke 17, 383). 15 Im »Gott ist für uns« liegt sprachlich der Doppelsinn: dass wir uns so zu Gott verhalten und dass Gott selber auf uns ausgerichtet ist. 16 Allgemein bestimmt Luther erstaunlich formal den Gottesgedanken so: »Worauff du nu … dein hertz hengest und verlessest, das ist eygentlich dein Gott« WA 30 I, 133,7f (BSLK 560,22f). Zu dem häufig (auch bei G. EBELING, Wort und Glaube, Bd. II, Tübingen 1969, 287ff) übersehenen theoretischen Problem, wie sich dieser formale Gottesbegriff zu Luthers Rede vom wahren Gott (in diesem Kontext) verhält, cf. J. RINGLEBEN, Der Eine – und nicht die Vielen, in: G. Palmer (Hg.), Fragen nach dem einen Gott, Tübingen 2007, 147–161, hier 149ff. Zum Glaubensbegriff cf. auch L. Wittgenstein: »Religiöser Glaube & Aberglaube sind ganz verschieden. Der eine entspringt aus Furcht & ist eine Art falscher Wissenschaft. Der andre ist ein Vertraun« (L. WITTGENSTEIN, Vermischte Bemerkungen, hg. von A. Pichler, Frankfurt 1994, 138). 17 Cf. oben S. 4 bei Anm. 22 das Ebeling-Zitat.

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Prolegomena

oben Gesagten unterscheidet ihn davon jedenfalls nicht, dass man nun noch zusätzliche Meinungen oder Annahmen über »Gott« hat und diese – im Unterschied zu denen, die andere haben – für wahr hält, an sie »glaubt«. Vielmehr ist für den Glauben grundlegend, dass man sich selber und sein Leben (wie das aller anderen auch) radikal (aus dem Grunde) verstehen und sich darin durchsichtig zu werden bestrebt ist, und dies vor Gott. »Gott« ist dabei zunächst Index für die intendierte Radikalität dieser Einstellung: dass sie zum Grund des eigenen Lebensvollzugs, zu seinem umfassenden und letzten Sinnhorizont durchdringen will. Das Wort »Gott« steht für dies unbedingte Anliegen (»ultimate concern«) und wirkt als Motiv und Kriterium für die angestrebte Radikalität des Sich-Verstehens und das Maß eigenen Beteiligtseins (das sog. »Existenzielle«). Dies Wort selber weist ständig über jedes nur beschränkte, relative oder zufällige Anliegen hinaus auf etwas Absolutes (absolut auch gegenüber unseren Meinungen darüber). Gott ist also primär nicht irgendein objektiv gegebener oder auch zweifelhafter (»höchster«) Gegenstand,18 sondern uneinholbar bestimmendes Gegenüber (und Korrelat) einer spezifischen Einstellung auf ihn hin, eben der Haltung eigenen Sich-Verstehens »vor« ihm. Man kann auch sagen: Das geheimnisvolle Wort »Gott« hat etwas zu tun mit dem Geheimnis, als Mensch selbsthaft zu existieren bzw. (was jeder an sich selbst erlebt) »Ich« sagen zu können und sich selber in seiner Existenz in der Welt durchsichtig zu werden. Zu glauben bedeutet also negativ, fundamental nicht in sich (den eigenen Meinungen, Überzeugungen oder Haltungen – wie schon gar nicht in denen der anderen) sein Genüge finden zu können (oder zu wollen), sondern radikal über sich selber hinauszugehen: in die Dimension des Unbedingten;19 es bedeutet, den letzten Maßstab für alles nicht an (oder: in) sich selber zu finden, sondern in Gott; das heißt eben, ihn Gott sein zu lassen. In dieser Haltung selber ist stets impliziert, dass man sie nicht, aus sich selbst gelingend, einnehmen kann, sondern sie nur als einem gewährt erlebt. 18 F. Gogarten hat, eine solche Vorstellung kritisierend, vom »Gott-Ding« gesprochen (F. GOGARTEN, Die Frage nach Gott, Tübingen 1968, 17). P. Tillich hat in seiner Frankfurter Hegel-Vorlesung 1931/32 (hg. von E. Sturm, Ergänzungs- und Nachlaßband VIII, Berlin/New York 1995) der Formulierung des jungen Hegel »sein Ewiges, sein Absolutes« (HEGEL, Werke 1, 211 = H. Nohl [Hg.], Hegels theologische Jugendschriften, Tübingen 1907 [Nachdr. Frankfurt 1966], 227) eine eingehende Interpretation gewidmet (a.a.O. 146ff; 7. Vorlesung), um die konstitutive Bezogenheit des Absoluten auf die menschliche Existenz und die Nicht-Objektivität (Ungegenständlichkeit) Gottes herauszuarbeiten (a.a.O. 146 und 156f). Außerhalb dieser Korrelation werden Mensch und Gott zu einem »Nicht-Ich« füreinander (158). Von da aus bestimmt Tillich im Anschluss an Hegel (HEGEL, Werke 1, 371 = Nohl 303) den Begriff Gottes als des Vaters (a.a.O. 298; 14. Vorlesung) und den der Liebe (a.a.O. 195 und 205; cf. HEGEL, Werke 1, 242f = Nohl 376f). 19 Daher gehört auch die Kritik an bestimmten religiösen Inhalten, wie sie beliebig und vielfältig bei Menschen vorkommen, prinzipiell mit dazu; dafür steht das Erste Gebot!

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube

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Sie ist mithin nur dann adäquat, wenn sie sich von ihrem Gegenüber her ermöglicht und bestimmt (begründet) erfährt. Der Glaube ist erst da wirklich Glaube, wo er sich von Gott hervorgebracht und Gott an sich wirkend weiß: sein Sein vor Gott als Gottes Sein bei ihm. Nur indem Gott auf ihn zukommt (bzw. als immer schon auf ihn zugekommen gewusst wird), kann der Glaube wahrer Glaube sein; denn das ist sein grundlegendes Wissen von Gott. »Gott« – das ist der, der sich so vernehmlich macht, dass der Glaube sich von ihm berührt und ergriffen weiß. Nur so versteht der Glaube sich selbst als Glaube (und ist nicht bloßes Für-wahr-Halten bestimmter religiöser Annahmen über ein »höchstes Wesen« an sich); denn er ist wesentlich die sich öffnende Antwort des Menschen auf Gottes Kommen (Gekommensein) bei ihm. 2.3. Die in Rede stehende »Korrelation« bedeutet also: Es ist für Gottes Wirklichkeit eigentümlich, dass sie sich nur erschließt, wenn man sich ihr, d. h. ihm selbst, öffnet.20 Das heißt, dass Gottes »Existenz« sich nicht neutral, von außen, sozusagen objektiv nachweisen lässt; sondern sie ist außerhalb einer persönlichen Beziehung zu ihm völlig ungewiss – als gäbe es Gott gar nicht –, im Augenblick aber, wo eine solche Beziehung zustande kommt, ist sie von einer einzigartigen Gewissheit, dass Gott da ist, begleitet (s. u. 3.). Nur indem Gott »für uns« (bzw. jeweils mich) ist, ist er auch »an sich« (nämlich für uns), oder auch: Dass er (vor aller unserer Beziehung) »an sich« ist, weiß man erst, indem er »für uns« ist.21 Luthers »zuhauff« verwehrt es also, Gott und den Glaubenden als zwei getrennte Subjekte zu denken, die zunächst für sich wären, sondern sie sind immer schon aufeinander bezogen, weil Gott lebendiger Geist ist, der im gläubigen Leben der Menschen selbst gegenwärtig sein will. Glaube heißt sensu stricto, die Erkenntnis Gottes bei sich zu vollziehen22 bzw. sie bei sich selber lebendig wirksam werden zu lassen und sich selber (selbsthaft-frei) auf ihn einzulassen. Glauben bedeutet, »Gott ins Leben ziehen«. 2.4. Weil Gottes Kommen und sein Erkennen für uns Menschen (als Sprachwesen) immer wort-vermittelt ist, ist die von Luther, auf den wir jetzt

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Cf. oben bei S. 4 Anm. 20 zur Gebetsanrede. Das Grundaxiom von K. Barth, dass Gott, was er ist, »nicht nur für uns, sondern zuvor in sich selber« ist (KD II/1, 365), ist daher so abzuwandeln, dass dieses »Zuvor« (statt in einem undialektisch zeitlichen Sinne) als ein Zugleich (im Sinne simultanen SichUnterscheidens) begriffen wird – eben als Sich-Hervorbringen Gottes am Ort des Glaubens an ihn. 22 Jedes individuelle (subjektive) Erkennen Gottes ist bloß als solches freilich immer auch ein Verkennen Gottes. Darum ist unsere Gotteserkenntnis nur wahr, wo sie von Gottes Sich-Zeigen her, seinem Offenbaren als sich zu erkennen Geben (s. u. Zweiter Teil, § 10), in Bewegung bleibt – »unterwegs« zur Wahrheit selbst und von ihr geleitet und bestimmt. 21

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zurückkommen, gemeinte Korrelation von Glaube und Gott konkret wirklich als die Korrelation (oder in ihr) von Glaube und Wort:23 Wer einen Gott hat on sein wort, der hat keinen Gott, Denn der rechte Gott hat unser leben, wesen, stand, … reden, thun, lassen, leiden und alles ynn sein wort gefasset.24 Ist nun aller Glaube vom Hören und Empfangen des Wortes abhängig – fides ex auditu; Röm 10,17 –, so kommt mit dem uns gnadenvoll erschlossenen Wort auch die Erkenntnis Gottes zustande,25 und so hängen im worthaften Gottesverhältnis Glaube und Verstehen bezüglich Gottes wesentlich zusammen. Luther schreibt mit Bezug auf Röm 10,17 über den Inbegriff des christlichen Gottesverhältnisses: »Id enim fundamentum est et basis, qua nitimur nos esse auditores et Deum loqui nobiscum.«26 Wegen dieser die Korrelation von Glaube und Gott27 strukturierenden Beziehung auf das Wort von Gott ist der Gottesglaube wesentlich Glaube an Gottes zu uns Reden.28 Der so konstitutiv auf Gott in seinem Wort bezogene Glaube ist als ein »hörendes Herz« (1Kön 3,9) zu denken. 2.5. Als wortvermittelt ist der Glaube Gottes eigenes Werk in uns, denn in seinem Wort ist Gott mit seinem eigenen Sein ganz bei uns,29 und auch von seinem Reden mit uns gilt: semper actuosus.30 Das »Wort« steht hier für die 23 Bezüglich des Verhältnisses: Glaube und Verheißungswort fällt bei Melanchthon der Ausdruck »correlative« (Apol. IV, 50; BSLK 170,28). Zu »Wort und Glaube« cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 27 Anm. 52), 444ff (Kap. 10). 24 WA 30 III, 213,35f. Daher gilt auch für das Gottesverhältnis, das am Wort hängt: »Glaubst du, so hast du« (WA 7, 24,13f u. ö.). Im Verhältnis zum Gottesgedanken z. B. des Aristoteles ist somit für Luther kein Glaube möglich, denn er ist ein »deus mutus« (WA 30 II, 199,4f u. ö.) – im Unterschied zum für den zum Menschen hin offenen Deus »verbosus« (WA 39 II, 199,5) oder »verbatus« (WA 39 I, 511,29). Cf. auch WA 43, 240,23–25.29f! 25 »Intellectus ex auditu gratia est« (Anselm von Canterbury, De concord. qu. III, 6.); bei Luther steht entsprechend: »Deus …, Qui intelligi non potest nisi fide« (WA 39 I, 65,3f [Th. 8]). 26 Cf. WA 44, 574,35–37 mit 17 II, 176,30f und 30 II, 689,24f. 27 Luther nennt die Korrelation auch commercium: »verbum …, quo Deus nobis cognitus est et nobiscum habet commercium« (WA 18, 685,11f). 28 Cf. die bekannte Formulierung von 1520: »Neque enim deus … aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam verbo promissionis. Rursus, nec nos cum deo unquam agere aliter possumus quam fide in verbum promissionis eius« (WA 6, 516,30–32, Hervorhebungen J. R.). 29 Zum Glauben als Werk Gottes cf. oben S. 26 mit Anm. 45f und WA.DB 7, 11,6: »ein göttlich werck in uns, das uns wandelt und new gebirt aus Gott …« sowie 10 III, 285,25f; 20, 504,14. 30 Gott ist nach Luther »ein wirckende macht und stettige tettickeit, die on unterlasz geht ym schwanck und wirckt« (WA 7, 574,29f); cf. auch 18, 710,38: »inquietor … actor … in omnibus creaturis suis« (d. h. schon als Schöpfer).

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube

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Externität der Glaubenskonstitution (extra nos) und unterscheidet den Glauben an Gott (für den Glauben selber) davon, bloß Produkt menschlicher Wunschphantasie zu sein. Denn von dem »geschriebenen« neuen Namen des Gläubigen gilt: οὐδεὶς οἶδεν εἰ µὴ ὁ λαµβάνων (Apc 2,17). Zugleich kommt Gott dem Menschen im Wort so nahe, wie diesem das Wort der Sprache überhaupt sein kann. Nur im Wort als der Mitte der GottMensch-Korrelation ist es möglich, dass Gott den Einzelnen persönlich erreicht, dass er als spezifisch »dein« Gott »dir da« ist.31 Indem man das Wort nur jeweils selber hören und sich aneignen kann, gibt es den auf Gott bezogenen Glauben nur als einen je eigenen: Glauben muss »eyn iglich fur sich selbst alleyne«.32 Indem der Glaube der ausgezeichnete Ort unvertretbar eigener Begegnung mit Gott und Gottes mit uns ist, kann er nur selbsthaft verfasst sein33 und lässt einen starken Nachdruck auf das glaubende Ich selber fallen.34 Mit der Korrelation von Glaube und Gott ist das Gottesverhältnis als die vermittelte Einheit von Innen und Außen bzw. pro nobis und extra nos bestimmt; eine solche, dialektisch zu nennende, weil in sich selbst unterschiedene Einheit ist sachgemäß als eine geisthafte Einheit zu bezeichnen. Vom Hl. Geist als dem, der Gott auch selber ist, ist zu sagen, er komme »… per deum, externo verbo; deinde intus revelat spiritus per suum donum«.35 Es mag erlaubt sein, dafür als Kurzfassung die schöne Wendung Th. Manns von »Gottes Außennähe« zu übernehmen.36 3. In einem nächsten Schritt ist nun die interne Struktur der beschriebenen Korrelation von Gott und Glaube genauer zu analysieren; dazu bietet sich – nicht zufällig – Luthers Verhältnisbestimmung von Hl. Geist und Glaube an. Sie findet sich in der Auslegung des 3. Artikels des Credo (»Kleiner Katechismus«) und hat folgenden denkwürdigen Wortlaut: 31

Cf. WA 23, 151,13–15 und 183,12–21. WA 10 II, 90,21. Der Christ ist selbstverantwortlich vor dem Wort: »eine person für sich selbst, er gleubt für sich selbst und sonst niemand« (WA 19, 648,19f). 33 Cf. Luther über die emphatische Betonung des Me bzw. Pro me (WA 40 I, 299,29– 31) oder auch des »Mich« und »Mein« WA 30 I, 292,10; 295,33; 296,28 (= BSLK 510,33; 511,23–26; 512,2f). 34 Cf. zum hier vorgetragenen Gedankengang, was der Philosoph J. Stolzenberg analog unter Bezug auf Schelling schreibt: »Es ist der Gedanke, daß dieses Absolute im Akt der Selbstverständigung des Subjekts über seine Erfahrung als ein solches, und das heißt, als eine unbegreifliche Transzendenz bewußt wird. Damit ist zugleich gesagt, daß es auch nur auf diese Weise, im Horizont des reflektierenden Subjekts und von ihm aus zugänglich wird und gegeben ist« (J. STOLZENBERG, Mythologie der Vernunft – Vernunft in der Mythologie, in: J. Halfwassen/M. Gabriel [Hgg.], Kunst, Metaphysik und Mythologie, Heidelberg 2008, 113–128, hier 124). 35 LUTHER, WA 40 I, 142,2f. 36 TH. MANN, Joseph und seine Brüder II (Der junge Joseph) = ders., Gesammelte Werke in Einzelbänden 10, Frankfurt 1983, 46. 32

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Prolegomena

Ich gleube, das ich nicht aus eigener vernunfft noch krafft an Jhesum Christ meinen Herrn gleuben odder zu jm komen kann, Sondern der Heilige geist hat mich durchs Euangelion beruffen, mit seinen gaben erleuchtet, jm rechten glauben geheiliget und erhalten …37 An dieser Auslegung des Glaubens an den Hl. Geist ist insbesondere das doppelte Vorkommen des Terminus »glauben« auffällig: »ich gleube, das ich nicht … gleuben … kann«.38 Es zeigt an, dass der Glaube ein Selbstverhältnis (zu sich) einschließt, also reflexiv ist, was er ist. Darin ist auch die ihm eigentümliche Gewissheit verortet. Die Gewissheit des Glaubens verdankt sich, wie Luther sagt, nicht religiöser Spontaneität, sondern dem Hl. Geist, indem er wesentlich wortbegründet und -geleitet ist.39 Vom Geist bestimmt ist der Glaube als Innesein der eigenen Begründung durch das, woran er glaubt. Seiner selbst gewiss ist er nur von seinem Grund her und ist so als Glaube »per eum in ipsum«.40 Der Glaube kann sich nur so auf Gott (als seinen Grund) richten, dass er zugleich auf sich selbst gerichtet ist, und reflexiv bei sich ist der Glaube gerade im Bezug auf die Externität Gottes, die ihn überhaupt sein lässt. So ist Glauben in sich »zweistrahlig«, Vollzug einer Selbstentzweiung oder in einem: als Bewusstsein von Gott auch Bewusstsein seiner selbst, und dies nur, indem auch jenes. Der Glaube ist nur als Selbstunterscheidung: Der Bezug auf seinen Grund ist das Sein des Glaubens als solchen. Derart ist die externe Konstitution des Glaubens zu begreifen: Er ist gar nichts anderes als ein Sich-Erfassen von seinem Gegenstand oder Inhalt her und eben so seiner gewiss. In seinen Gegenständen (seinem Inhalt) weiß der Glaube immer auch sich selbst mit41 – nämlich als durch jene hervorgerufen (cf. 1Joh 5,10). Glaubt er beispielsweise, »das Jhesus Christus … sey mein HERR«,42 so vergewissert er sich damit des Grundes der Gewissheit, die er ist.43

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WA 30 I, 367,4–368,1 (= BSLK 511,46–512,5); cf. ähnlich schon WA 56, 370,8f. Das Wort wird hier offensichtlich univok verwendet; dafür spricht in der zweiten Satzhälfte auch das »im rechten glauben … erhalten«. 39 Die sprachliche Verfassung des Geistes und seines Kommens ist deutlich ausgesprochen: »durchs Euangelion beruffen«. 40 WA 8, 112,5f. 41 S. u. S. 75ff den Exkurs I zu »Form und Inhalt«. 42 WA 30 I, 365,15–366,1 (= BSLK 511,23–26). Bemerkenswerterweise versteht Luther alle Inhalte des Zweiten Artikels von dieser integralen Formel aus, d. h. den Glauben nicht als Summierung von einzelnen »Credenda«! 43 Cf. auch: »Sed si est vera fides, est quaedam certa fiducia cordis et firmus assensus quo Christus apprehenditur. Sic ut Christus sit objectum fidei, imo quae nihil videt … nisi Christus apprehensus« (WA 40 I, 228,33–229,1). 38

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube

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Phänomenologisch ausgedrückt: Der Glaubensakt ist (für sich) wesentlich nur die »Umkehrung« seiner selbst als Innesein des eigenen Begründetwerdens durch das, worauf dieser Akt sich richtet (Phil 3,12b!). Genauso wie die Gotteserkenntnis,44 ist, diese ermöglichend, vor allem auch der Glaube Gottes Werk in uns45 bzw. als Werk und Ort des Hl. Geistes.46 Das bedeutet für die interne Struktur des glaubenden Gottesverhältnisses, dass unbeschadet der oben herausgearbeiteten »Korrelation« (2.) in dieser Gott die Priorität behält: Alles am Glauben Wesentliche geht vorweg von Gott selber aus.47 Die Gewissheit des Glaubens ist also in sich (durch Gott als seine Wahrheit) vermittelt, bzw. sie ist unmittelbar nur als Selbsterschlossenheit ihrer eigenen Vermittlung. So kann der Glaube mit einer (auch für unsere Gotteslehre wichtigen) Formel als »Weg zu sich« begriffen werden.48 Ein solcher Weg ist der christliche Glaube49 als Innesein seines eigenen zu sich Gebrachtwerdens, d. h. des vom »Ziel« aus auf es hin zurückgelegten »Weges«. Das Sich-erschlossen-Sein des Glaubens im Sich-Ereignen seiner Gewissheit, und zwar als von ihrem Grund her Ereignetwerden, bedeutet: Die Glaubensgewissheit ist nur, was sie ist, als ein ihrer selbst Vergewissert-worden-Sein.50 Steht für diese interne Differenziertheit im Verhältnis von Gott und Glaube, von religiöser Wahrheit und Gewissheit der theologische Begriff des Hl. Geistes in seiner Lebendigkeit ein,51 so führt die in jener »Korrelation« auch sichtbar gewordene, uneinholbare »Priorität« göttlichen Handelns an uns 44

Cf. oben S. 31 bei Anm. 74 sowie das Luther-Zitat in Anm. 29. Cf. oben S. 26 bei Anm. 45. 46 Versteht man Christus als den Grund des Glaubens, so ist der Hl. Geist seine Selbstvergegenwärtigung beim bzw. im bzw. als Glauben. Der Geist Gottes ist stets so etwas wie eine Selbstverdoppelung Christi, indem dieser er selbst und sein Sein bei uns im Geist und Glauben ist. Er selber aber ist für sich die Selbstvergegenwärtigung Gottes, so dass im Sohn für ihn wie für uns auch der Vater da ist. Das verleiht dem Glauben eine trinitarische Grundierung. 47 Ähnlich heißt es bei Ebeling: »Gemäß dem Verständnis von Sein als Zusammensein bilden Gott und Welt eine einzige Wirklichkeit, allerdings eine in sich selbst aufs tiefste und gewichtigste unterschiedene Wirklichkeit« (EBELING, Dogmatik I [wie oben S. 4 Anm. 21], 223). Diesem Zusammensein, das unserer »Korrelation« entspricht, ist freilich »von vornherein ein bestimmter Richtungsinn eigen« (224); denn weil Gott »der schlechthin Freie und Ursächliche« ist, kommt ihm in dieser Beziehung »der schlechthinnige Primat« zu (ebd.). Ebeling redet hier auch von »Umschlagen« bzw. »umkehren« (223). 48 H.-J. ROTHERT, Gewißheit und Vergewisserung als theologisches Problem, Göttingen 1963, 12 u. ö. 49 Cf. Act 24,14; auch die antike Benennung des Christentums war: »der Weg«. 50 Im Blick auf Gott ist der Mensch nicht selbsttätig (hat keine Freiheit), und dies genau darum, weil Gott selber die Möglichkeit eines Bezugs zu ihm eröffnet und (als Hl. Geist) auch selber die Aktualisierung dieser Beziehung ist und wirkt. 51 Cf. unten Zweiter Teil, § 13 D. 2.2.–2.11. (S. 731ff) und § 15 I. 3. (S. 851ff). 45

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und unserem Glauben den hier verfolgten Gedankengang zu einem abschließenden dritten Schritt. 4. Er besteht im Vorbereiten der konstruktiven These, dass Gott sich am Ort des Glaubens selber hervorbringt. Im Begreifen dieses Gedankens kommt alles in einen schlüssigen Zusammenhang, was bisher in diesem Paragraphen ausgeführt worden ist.52 Das hier Folgende wird – zugleich rückblickend auf die vorausgegangenen Überlegungen bezogen – weit vorgreifend vorgetragen; aber auf diese (sozusagen zunächst hypothetische) Weise kann schon an dieser Stelle zweierlei gezeigt werden: 1. welcher starken, letztbegründenden Interpretation die oben behandelte »Korrelation« von Gott und Glaube fähig ist und 2. welche Relevanz dem später ausführlich zu entwickelnden Gottesbegriff auch für das Verständnis des Glaubens zukommt.53 4.1. Die grundlegende Einsicht besteht nun in Folgendem: Soll Gott, der absolut Lebendige, als semper actuosus54 konsequent gedacht werden, so muss sich seine Lebensmacht allem zuvor auf ihn (bzw. sich) selber richten, was eben besagt: Durch sie bringt er sich ewig selbst hervor. Das hat bedeutende Folgen für die Frage nach dem Seinssinn von Gottes sog. »Existenz«.55 Es eröffnet aber zugleich ein unvergleichlich tieferes theo-logisches Verständnis des Glaubens und insbesondere dessen, was oben über seine Verfassung im Gottesverhältnis dargelegt wurde (1.–3.). Muss man mit Nietzsche davon ausgehen, dass Menschsein immer nur geworden und im Werden begriffen ist,56 so gilt das auch vom Glauben, sofern 52

Der Gedanke von Gottes Sich-Hervorbringen selber, der im Zentrum der vorliegenden Gotteslehre steht, wird an sich freilich in aller sachlichen Strenge erst in den Paragraphen 1 und 2 des Zweiten Teils begründet werden. Hier geht es unter seiner Voraussetzung zunächst nur um die Bedeutung dessen für eine Theologie des Glaubens. 53 Insbesondere die für jene Korrelation oben betonten Momente der Allwirksamkeit des lebendigen Gottes und das Hervorgebrachtsein des Glaubens durch sie lassen sich so einer kohärenten theologischen Deutung zuführen. 54 S. o. bei Anm. 30. 55 S. u. Zweiter Teil, § 2. F. Nietzsche fragt einmal, sich »unerlaubten Gedankengängen« überlassend: »ist es eigentlich nöthig, dass es einen Gott, nebst einem stellvertretenden Sündenlamme, wirklich giebt, wenn schon der Glaube an das Dasein dieser Wesen ausreicht, um die gleichen Wirkungen hervorzubringen? Sind es nicht überflüssige Wesen, falls sie doch existieren sollten?« (F. NIETZSCHE, Menschliches, Allzumenschliches II. Vermischte Meinungen und Sprüche, Nr. 225, in: ders., KSA 2, 480). Dazu ist zu sagen, der Glaube versteht sich selber als »Wirkung«, nämlich des sich an seinem Ort hervorbringenden Gottes, und darum kann er sich auch in seinen »Gegenständen« wiederfinden (s. u. Exkurs I [S. 75ff]). Ohne dieses Selbstverständnis bringt der Glaube auch nicht seine spezifischen »Wirkungen« hervor. An der Unterschiedenheit von Gott und Glaube in ihrer Bezogenheit aufeinander (Korrelation) liegt der Sache nach alles; darum handelt es sich um keine überflüssige Verdoppelung. Cf. auch unten Anm. 88. 56 NIETZSCHE, a.a.O., I. Erstes Hauptstück, Nr. 2 (KSA 2, 24f).

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er nach S. Kierkegaard nicht im Christsein, sondern überhaupt im (steten) Christwerden besteht.57 Dies Christwerden wäre also theologisch von Gottes Werden zu sich aus zu begreifen. So würde eine theologia viatorum – als absolute und relative – in Gottes lebendigem Sein selber zu begründen sein. Die beschriebene, unlösbare Korrelation von Selbstverhältnis und Gottesverhältnis im Glauben bzw. von Selbsterkenntnis und von Gott Erkanntsein entspräche dem sich hervorbringenden Sein Gottes, sofern auch unser Selbstsein nur ist als ein im Werden (zu sich) begriffenes.58 Das besagt nun: Im Glauben an den lebendigen (sich am Orte des Glaubens selbst hervorbringenden) Gott erschließt sich auch das eigene menschliche Selbstverständnis als im Unterwegssein zu sich begriffen von Gott aus.59 Vor Gott, der in Jesus Christus selber »Weg« ist (Joh 14,6), erfasst sich das menschliche Selbstsein selber als ein Weg zu Gott (als dem zu ihm Kommenden). Dem Glauben als Weg zu sich60 entspricht genauestens das Verständnis Gottes als Weg (oder Werden) zu sich,61 oder anders gesagt: Die Dynamik des göttlichen Seins selber teilt sich der Bewegung des Glaubens mit bzw. wirkt sich (ihn hervorbringend) darin aus.62 4.2. Dass Gott, wie mehrfach betont, uns immer gnädig zuvorkommt (gratia praeveniens), kann nichts anderes heißen – soll es nicht um ein unlebendiges immer schon da Sein gehen –, als dass er sich im Glauben an ihn hervorbringt und so uneinholbar der immer noch Größere ist (cf. Joh 10,29; 57 Cf. S. KIERKEGAARD, Unwissenschaftliche Nachschrift … Erster Teil, in: ders., GW 16/1, 55ff (Zweiter Teil: Das subjektive Problem). 58 Menschsein als Unterwegssein zu sich und seiner Wahrheit ist in Röm 5 (Adam – Christus) als ein Prozess gedacht (cf. auch 1Joh 3,2). Zum Verhältnis von Ex 3,14 zum menschlichen Werden zu sich s. u. 59 F. W. J. Schelling schreibt über Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus: »Die Offenbarung ist also von Seiten Gottes nicht möglich, ohne dass er im Bewußtseyn unmittelbar ein anderer, ja sich selbst ungleicher ist – aber indem er sich in diesem unmittelbaren Seyn aufhebt, sich selbst zu sich selbst vermittelt und so in der That im Bewußtseyn hervorbringt. Ohne ein solches sich Hervorbringen im Bewußtseyn wäre gar keine Offenbarung Gottes« (SCHELLING, Philosophie der Offenbarung II, 123f = ders., SW II/3). 60 Cf. oben bei Anm. 4. 61 Cf. P. Valéry: »Vielleicht ist Gott ein Sucher und sucht sich selbst auf allen Wegen« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 588). Cf. dazu Pred 3,15 (!) und H. SPIECKERMANN, Suchen und Finden, Bib. 79 (1998), 305–332, hier 319f. 62 Von hier aus wäre auch der biblische Terminus ἐπισκέπτεσθαι theologisch vertieft aufzunehmen. Vor alttestamentlichem Hintergrund (cf. z. B. Jer 29,10 sowie Ex 4,31; 3,16; Ruth 9,6) und wesentlich auf Gott und sein Volk bezogen, hat er im Neuen Testament insbesondere bei Lukas das spezifische Profil gewonnen, ein sich Nahen Gottes und sein Handeln am bestimmten Ort, also eine lebendige, selbsthafte Zuwendung Gottes im Sinne von: »gnadenhaft heimsuchen«, zu benennen. In Lk 1,68 wird dabei die Vorbereitung der Erlösung einbezogen (cf. Ps 111,9 und Act 15,14), in 1,78 fällt der seinerseits relevante Terminus ἀνατολή, und in 7,16 geht es signifikant um die Konstellation von Jesu Auftreten, wunderhafter Totenerweckung und numinosem Erschrecken (cf. auch 9,43).

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14,28).63 Auch das »Pro me« bzw. Gottes Sein als Deus pro nobis verdankt sich seinem Sich-Aufschließen im eigenen Kommen zu uns; so soll hier die »Dynamisierung des Gottesgedankens« (Axt-Piscalar) gedacht werden.64 Im Innesein des konstitutiven religiösen »Mehr« des Glaubensaktes, wie sie als »Umkehrung« beschrieben wurde (s. o. S. 27f u. ö.), erfasst das fromme Bewusstsein sich als Moment der Bewegung, die Gottes zu sich selbst Kommen bei uns ist.65 Jenes »Mehr« verweist auf die ewige Bedeutung von Gottes zeitlichem Sich-Setzen; d. h., es ist der Reflex seines ewigen sich (bei uns) Hervorbringens. Was hier bei mir bzw. uns geschichtlich erfahren wird, ist nur ein Teilmoment, eine unendlich über sich hinausweisende Phase der unendlichen und ewigen Bewegtheit Gottes selber, der bei uns jeweils mit sich anfängt.66 Die Vielzahl und Vielgestaltigkeit solcher jeweils neuer, zeitlicher »Anfänge« am Ort unseres Bewusstseins von Gott ist ein Vorschein des unerschöpflichen inneren Reichtums göttlichen Lebens und Zu-sich-Kommens in der Ewigkeit (cf. Ps 121,4).67 4.3. Zu diesem Geschehen gehört bei uns darum auch eine Zukunftsdimension. Gott als »Woher« meiner schlechthinnigen Abhängigkeit (Schleiermacher) ist als das, was mir immer schon voraus gewesen ist, reine (logische) 63

Zur Priorität göttlichen Bei-uns-Seins cf. EBELING, zit. oben Anm. 47. Durch den Gedanken von Gottes Sich-Hervorbringen wird sein wesentliches Füruns-Sein (seine Zuwendung zum Menschen) schon in ihm selber verankert. 65 Luthers kühne Formulierung: »Fides est creatrix divinitatis, non in persona [sc. Dei] sed in nobis« (WA 40 I, 360,5f; cf. 30 II, 602,39–603,5) wird hier durch den (sie begründenden) naheliegenden Gedanken ergänzt, dass dies nur möglich ist, weil umgekehrt der Glaube als Gottes Werk in uns seinem Sich-Hervorbringen bei uns im Hl. Geist entspricht. Im Verhalten Gottes zu sich kann freilich nicht von creare gesprochen werden! Luthers Satz zielt auf die Kreativität der Sprache, die sich auf Gott und sein Wort einlässt; in spezieller Anwendung der Humboldt’schen Formulierung, dass durch denselben Akt, in dem wir die Sprache aus uns herausspinnen, wir uns in dieselbe hineinspinnen bzw. die Sprache uns in sich hineinspinnt (HUMBOLDT, GS 6, 180; cf. oben S. 38 Anm. 17), auf die Bedingungen religiösen Sprechens besagt Luthers »in nobis«: Gott bringt sich am Ort unseres Sprechens von ihm selber hervor. 66 Cf. Hamann: »Ich bin überzeugt, daß jede Seele eine Schaubühne so großer Wunder ist, als die Geschichte der Schöpfung und der ganzen heiligen Schrift in sich schlüst. Der Lebenslauf jedes Christen ist im Tagewerke Gottes, im Bündnisse desselben mit dem Menschen, in … Offenbarung, wunderthätigen Erhaltung pp. begriffen« (HAMANN, SW 1, 297,25–30). 67 Gottes an unserm Ort mit sich Anfangen hat – mit aller Vorsicht geredet – eine Art »empirischer« Entsprechung in der Bewegung des Glaubens selber, der unter Umständen von einem noch dunklen Keim innigen religiösen Gefühls (oder Ahnung) aus zu seiner Klärung weitertreibt – befördert durch das Wort Gottes und die religiöse Sprache überhaupt (in Gesangbuch und Literatur, insbesondere aber im Gebet) –, sich zunehmend artikuliert und so ans Licht gebracht wird; Gott wird uns dabei zu einem intimen »Du«, also zugleich näherkommend wie auch ferner gerückt, weil immer mehr als Gott erkannt. Diese Bewegung tendiert von sich aus zu einem Gedanken von Gott. 64

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Vergangenheit. Der im Wort mir begegnende Gott ist der mich lebendig in sich einbeziehende, nach vorn auf sich hin Ausrichtende und mir (mit sich selber) Neues Vermittelnde.68 Genau deswegen, weil Gott der sich am Ort des Glaubens Hervorbringende ist, gilt Lk 9,62 so unbedingt. Wenn er sagt: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14), so besagt das: bei dir und für dich und mit dir! Die besprochene Gott-Glaube-Korrelation ist das Einbezogenwerden in diese Bewegung.69 Gott macht sich uns gleichzeitig, indem er sich (überhaupt bzw. für uns) gegenwärtig macht.70 4.4. Ebenso wie gilt: Der Glaube ist von Gott als Hl. Geist hervorgebracht, gilt auch: In diesem Glauben fängt Gott bei jedem Menschen mit sich selbst an und bringt sich am Ort dieses Menschen selber hervor.71 Darin liegt weiterhin: Der Glaube des Einzelnen (als je meiner) reflektiert, dass Gott sich überhaupt in und aus der unübersehbaren Vielfalt der Schöpfung sein unerschöpfliches Leben bereitet – so wie es vollkommen im Eschaton der Fall sein wird (1Kor 15,28). Wendet man das trinitätstheologisch, so ließe sich sagen: So wie Glaube wesentlich Werk des dreieinigen Gottes ist (im Zuge der sog. ökonomischen Trinität), so ist das Eschaton für den Glaubenden vollkommenes Leben und Teilhabe am trinitarischen Leben Gottes selber. Gottes Sich-Hervorbringen ereignet sich aus der (geschaffenen) Zeit für die (ungeschaffene) Ewigkeit. Daher ist der Glaube ein Unterwegssein von der Zeit in die Ewigkeit bzw. ein schon Teilhaben am Ewigen in der Zeit.72 Der Glaube findet sich in diese Dynamik (δύναµις) des Schon und Noch-nicht einbezogen. Für den Glauben ergibt das Gesagte eine doppelte Perspektive: Er ist klein bei uns, groß von Gott her. Weil unser Glaube unendlich über sich selber hinausweist, nämlich auf Gottes eigene Zuwendung zu uns, und nicht bei sich selbst bleibt, sondern wie die Liebe von dem Anderen lebt, gibt es ihn nur in einer Unterscheidung von sich selber: als unsern mehr oder weniger schwachen Glauben und als Ergriffensein von Gottes liebendem Blick auf diesen unsern Glauben (cf. Mk 9,24). 68

Auch Luthers Rede vom Hl. Geist hat, wie sich in der Auslegung des 3. Artikels des Credo zeigt, eine eschatologische Dimension. 69 Weil Gott der sich am Orte des Glaubens Hervorbringende ist, kann es im Neuen Testament mit unbedingtem Nachdruck heißen: »Dein Glaube hat dich gerettet (σώζειν)« (Mt 9,22; Lk 18,52; 7,50 u. ö.; cf. auch 1Kor 15,2; Eph 2,8). Nach L. Goppelt handelt es sich um eine von Jesus selbst geprägte Aussage (L. GOPPELT, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I, UTB 850, Göttingen 31985, 199). 70 Cf. zu unserer »Gleichzeitigkeit« mit Christus als Vergegenwärtigung Kierkegaards »Philosophische Brocken« (Kap. 4 und 5). 71 Wie das in einzigartiger Weise von dem Menschen Jesus zutrifft, zeigt detailliert mein Jesus-Buch (J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008). 72 Entsprechend ist es eine Implikation des »allgegenwärtigen« Wirkens Gottes, dass er (schon) »überall« und (noch) »nirgends« bzw. ubique totus ist; s. u. Zweiter Teil, § 12.

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Einerseits ist der wahre Glaube meist zu groß für uns: Im Glauben wissen wir auch, dass er unsagbar viel mehr und größer ist, als er es bloß als der unsere je sein könnte, weil Gott selber in ihm da sein will; das ist seine Wahrheit. Daher kann man den Glauben lieben, den Gott in uns angefangen hat; denn wir sind als Glaubende – wie bei aller Liebe – auf eine Erfüllung und Vollendung angewiesen, die nicht in unserer Macht, sondern allein bei Gott steht. Andererseits heißt zu glauben, einen kleinen Anfang wahrzunehmen – als ein Geschenk, das Gott in Gnaden zu seiner Stätte, seinem Tempel machen will (cf. 1Kor 3,16; 2Kor 6,16). Er wohnt mit seinem Leben in unserm Senfkorn-Glauben (cf. Mt 17,20; Lk 17,6). Das ist ein unvorstellbares Wunder (cf. 1Kor 2,9): In unserm schwachen, angefochtenen Glauben will Gott selber für uns da sein, mit dabei sein, an uns wirken und uns zu sich, in sein eigenes Leben hineinziehen, das er sich selber eben an diesem Ort bereitet.73 4.5. Zusammenfassung. Dieser vierte Paragraph hat folgende Ergebnisse ans Licht gebracht, die die Gotteslehre von einem entsprechenden Begriff Gottes her weiterhin zu entfalten hat. 1. Gott ist im Glauben bei sich selbst, denn a) ist der Glaube Gottes eigenes Werk, b) ist der Glaube nur im Sich-Unterscheiden von seinem Grund (in Gott), c) ist Gott im Glauben außerhalb seiner bei sich selbst bzw. kehrt als Hl. Geist darin in sich zurück.74 2. Der Glaube hat eine zeitliche Dimension in ihm selber: a) er ist Unterwegssein auf seine Vollendung in Gott zu (eschatologische Bewegung); b) am Ort des Glaubens geht Gott zeitlich auf sich zu – als ewig schon vollkommen bei sich seiend; c) Gottes mit sich Anfangen (je in der Zeit) ist zugleich schon (eodem actu) sein Vollendet-(bei sich- bzw. mit sich identisch-)Sein (in Ewigkeit). 3. Gottes Sich-Hervorbringen (am Ort des Glaubens wie absolut) ist zugleich sein Sich-von-sich-Unterscheiden: Er ist er selbst – lebendig in Zeit und Ewigkeit; d. h., er hat seine absolute Identität als (zeitlich vermitteltes) Werden zu sich. 4. Indem letztlich die Trinität als Selbsthervorbringung Gottes begriffen werden muss, ist auch die trinitarische Einbettung des Glaubens zu bedenken.75

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Wenn es bei J. Baur von der Selbsthingabe Gottes heißt, dass er »uns so setzt, daß wir nichts sind als die Orte seiner Ankunft« (J. BAUR, Einsicht und Glaube, Bd. II, Göttingen 1994, 170), so möchte ich das theologisch um den Gedanken ergänzen, dies sei ebendie Weise, wie Gott bei uns sich selber setzt – als Orten seiner Ankunft bei sich. 74 Cf. E. Hirsch: »Gott kommt im Glauben zu seiner Gottheit« (E. HIRSCH, Luthers Gottesanschauung, Göttingen 1918, 8, mit Bezug auf WA 5, 83,37ff und 542,21–543,11). 75 S. u. Zweiter Teil, § 15. Cf. diesbezüglich auch die eindringliche Studie zu I. A. Dorner von CH. AXT-PISCALAR, Der Grund des Glaubens, BHTh 79, Tübingen 1990.

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Exkurs I: Die Dialektik von Form und Inhalt des Glaubens Es soll versucht werden, die in § 4 entfaltete »Korrelation« von Gott und Glaube weiterzudenken; dazu wird hier ihre spekulative Interpretation vorgeschlagen.76 1. Das im Anschluss an Luther exponierte Verhältnis wirft ein klärendes Licht auf den christlichen Begriff des Glaubens. Gehören Gott und Glaube »zuhauffe«, so kann der Glaube nicht darin bestehen, »blind« oder auf bloße Autorität hin bestimmte inhaltliche Aussagen aus Bibel, Dogma oder Bekenntnis einfach zu übernehmen. Denn angesichts solcher Sachverhalte wie Jesu Gottessohnschaft und Auferstehung, Gottes »Existenz«, Offenbarung, Schöpfung, Erlösung usw. ist ein bloßes »Für-wahr-Halten« unzureichend, weil sie ja nur spezifisch »für« jeweils »mich« sind, was sie sind.77 Es handelt sich um geistige Lebensformen und Sinnpotentiale des religiösen Subjektes. Die genannte Korrelation ist vielmehr, wie hier zu zeigen ist, darum so unauflöslich eng, weil der Glaube als solcher sich in seinen religiösen Gegenständen selber begegnet und ansichtig wird. Beides, der Glaube und das von ihm Geglaubte, steht einander – jedenfalls im Christentum – nicht fremd gegenüber, so als wäre der Glaube ein formeller Gehorsamsakt und das Geglaubte (die Glaubensgegenstände als credenda) eine heteronome religiöse Dingwelt, die eben »gläubig« nur hinzunehmen ist. Die christlichen Inhalte des Glaubens sind grundsätzlich missverstanden oder verkannt, wenn sie bloß als Gegenstände aufgefasst werden, d. h. als bloße Bewusstseinsgegenstände, wie sie auch (prinzipiell gleichartig) in anderen Religionen vorkommen bzw. dem religiösen Bewusstsein vorgegeben sind. 2. Vielmehr wird hier im Folgenden die These vertreten, dass im christlichen Glauben die religiösen Inhalte (bzw. die Gegenstände religiösen Wissens) nicht objektive Gegenstände sind, sondern Formen, und zwar als Inhalte zugleich auch Form.78 Es handelt sich um Inhalte, die an sich selber auch Formen sind, indem sie den angemessenen Umgang mit ihnen selber noch thematisieren. Die christlichen Inhalte sind dergestalt Formen-für-…, dass sie, indem sie über sich hinausweisen und wesentlich immer auf das glaubende Subjekt zielen (»Korrelation«), das Verhältnis dieses Subjektes, das sie

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Cf. dazu oben S. 45 Anm. 51. Dieses »Pro me« ist nicht transzendentalphilosophisch zu verstehen! 78 Die hier folgenden Überlegungen nehmen zum Teil Formulierungen auf, die sich in meiner Auseinandersetzung mit K. Jaspers finden: J. RINGLEBEN, Sprache und Transzendenz, in: A. Hügli u. a. (Hgg.), Glaube und Wissen (Croire et Savoir). Zum 125. Geburtstag von Karl Jaspers, StPh 67, Basel 2008, 69–94, hier 87ff. 77

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»glaubt«, zu ihnen noch mit begründen, leiten, korrigieren und zu dessen permanenter Aneignung und Vertiefung auffordern.79 Die religiösen Gegenstände sind also »Formen«, weil und indem sie die Art und Weise des subjektiven Bezugs auf sie von sich her bestimmen.80 Als Inhalte sind sie zugleich mehr als bloßer Inhalt, weil sie wesentlich auch noch auf die andere Seite (sc. die des auf sie bezogenen Subjektes) übergreifen.81 Beide, die Form des Glaubensaktes und der Glaubensgegenstand als selber auch Form, sind jeweils sie selbst und ihr Anderes; sie sind von »übergreifender Allgemeinheit«.82 Handelt es sich bei den Inhalten des Glaubens nicht um einfach positiv gegebene Sachverhalte, sondern explizieren sie immer auch das Verhältnis Gottes zum Menschen von Gott aus, indem sie das Verhältnis des Glaubenden zu ihnen mit thematisieren, so liegt darin eine Entsubstanzialisierung ohne »Funktionalisierung« (im subjektivistischen Sinne). Als Formen verstanden, verlieren sie ihre Opakheit für das fromme Bewusstsein, und es ist verstehbar, wieso der Glaube sich darin nicht entfremdet, sondern sich gerade in ihnen als seiner Wahrheit wiederfinden kann.83 Von »Form« ist dabei die Rede, um das Übergreifen, d. h. die Nichtsubstanzialität, der wesentlichen christlichen Inhalte, ihr Sich-Öffnen für das glaubende Subjekt bzw. ihren Weg-Charakter für dieses zu betonen (s. u.). Anstelle der logischen Bestimmung »Form« könnte man von solchen Inhalten (oder Gegenständen) auch als von »Subjekten« reden; denn Inhalt, der sich selber in die Form übersetzt, ist lebendiges Subjekt. Entsprechend ist der lebendige Gott so zu denken, dass er als religiöse Substanz zugleich absolutes Subjekt ist (s. u. 3., S. 78f). Es gilt also: Die religiösen Inhalte des Glaubens sind Gegenstände nur als zugleich Formen, und genau dadurch sind sie religiöse Instanzen (im Sinne der »Korrelation« Luthers). 79 Die christlichen Glaubensinhalte sind in Wahrheit spezifische Weisen, den Glauben als Glauben zu begründen und zu gestalten. Das heißt, gerade die Credenda können den Glauben in seinem Wesen und frei von verdinglichenden Abgleitungen bewahren. 80 Wie es paradigmatisch schon der Gedanke »Gott« tut, wie wir oben gesehen haben. Cf. G. Ebeling: »Dann aber ist Jesus nur darum und nur insofern Gegenstand des Glaubens, als er selber Grund und Quelle des Glaubens ist« (G. EBELING, Jesus und der Glaube, in: ders., Wort und Glaube [I], Tübingen 31967, 245). 81 Cf. Hegel: »Ist aber das Ich Wissen des unendlichen Inhalts, so daß diese Form [sc. des Glaubens] selbst zum unendlichen Inhalt gehört, so ist der Inhalt der Form schlechthin angemessen« (HEGEL, Philosophie der Religion I, in: ders., Werke 16, 208). 82 Zum logischen Konzept des Übergreifenden Allgemeinen cf. J. KÖNIG, Das System von Leibniz, in: ders., Vorträge und Aufsätze, hg. von G. Patzig, Freiburg 1978, 27ff; Cf. auch meinen diesbezüglichen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Leibniz und Hegel, StLeib 46 (2014), 32–45. 83 So kann es bei D. Lührmann heißen: »Glaube ist auch ohne Zusatz eines Objekts die Bezeichnung des Neuen, dem man sich in der Bekehrung zuwendet« (D. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, ZNW 64 [1973], 19–38, hier 37).

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In ihnen findet sich der auf sie gerichtete Glaube selbst spezifisch artikuliert; d. h., er findet sich darin wieder und hat an ihnen ein gegenständliches Bewusstsein seiner selbst. Das ist wegen des Anderen, das als solches »für« den Glauben ist und erhalten bleibt, weil ihm die Priorität im religiösen Verhältnis zukommt, nicht subjektivistisch zu reduzieren.84 Vielmehr sind die religiösen Gegenstände die Selbstauslegung oder Selbstdarstellung des Geistes für sich als Geist, sofern nämlich Gott selber Geist ist bzw. (trinitarisch gesprochen) der Geist selber Gott ist. Gerade so aber kann der Glaube, indem er an seinen Inhalten seine eigene Artikulation gewinnt, sich darin selbst anschauen. Inhaltlich eben ergreift er sich selber als Glaube und ist in solchen Inhalten bei sich.85 Umgekehrt gilt damit: Der Glaube weiß sich selber auch als Form (d. h. als Glaubensakt oder -vollzug: fides, qua creditur) und erkennt sich so in seinen spezifischen Inhalten wieder (d. h. in ihnen als Glaubenswahrheit: fides, quae creditur).86 Auch in diesem Sinne ist die »fides, qua …« derjenige actus directus, der in der »fides, quae …« den ihm spezifisch entsprechenden actus reflectus (!) bei sich hat. Der Glaube hat es beim von ihm Geglaubten also nicht einfach mit irgendwelchen »Glaubensobjekten« zu tun, sondern wie er selber Vollzug, »Weg« ist, sind es auch seine Credenda. Wege sind sich zu Formen machende Inhalte, und Formen sind hier Inhalte auf dem Wege zu sich. Im vorgeschlagenen Sinne als Formen verstanden, werden die religiösen Gegenstände von sich her lebendig: Sie sind die Einheit von Weg und Wahrheit und Leben (Joh 14,6),87 und sie machen (als wesentlich »Wort«) auch den Glauben bzw. die Glaubenden lebendig (cf. Joh 6,63). So sind sie gegenwärtig als Geist;88 denn

84 Gegen die Religionskritik L. Feuerbachs ist systematisch einzuwenden: Warum legt die Subjektivität sich selber in einem Anderen ihrer selbst aus, und dies notwendig? Das religiöse Subjekt darf jedenfalls nicht vorab naturalistisch bzw. undialektisch für sich fixiert werden, wie Feuerbach es tut. 85 Cf. Hegel: »Das Verhältnis der Unfreiheit, sowohl des Inhalts wie des Subjekts, ist nun verschwunden, weil die absolute Angemessenheit des Inhalts und der Form eingetreten ist« (HEGEL, Philosophie der Religion I, in: ders., Werke 16, 151). 86 In dieser Perspektive lassen sich die Formulierungen Ph. K. Marheinekes übernehmen: »Als christlicher hat der Glaube die Wahrheit an sich zu seinem Inhalt, die Gewißheit aber zu seiner Form: in der inneren Beziehung auf einander ist nicht nur die Wahrheit auch Gewißheit, sondern eben damit zugleich der Glaube als Inhalt die Form oder das Wissen, und das Wissen als Form der Inhalt oder der Glaube« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 20 Anm. 19], 39 [§ 68]; Hervorhebungen J. R.). 87 Gemäß Joh 14,6 bestimmt sich christlich neu, was überhaupt ein religiöser Gegenstand im eigentlichen Sinne sein kann. 88 Gott ist genau darum selber auch Geist, weil er auch auf der Seite seines Anderen ist (cf. Joh 4,24).

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Geist sind alle religiösen Gegenstände, sofern sie die Selbstauslegung des Geistes für das menschliche Subjekt bzw. am Ort des Subjektes sind.89 3. Es ist deutlich geworden: Der Glaube als »Form« reflektiert sich in seinem »Inhalt«, und die Inhalte (Gegenstände) des Glaubens legen umgekehrt ihn als solchen für ihn aus.90 Daher ist hier in einem strengen Sinn von Dialektik zu reden,91 weil das Sich-ineinander-Reflektieren von Form und Inhalt des Glaubens einen einheitlichen Zusammenhang darstellt, der doch lebendig in sich unterschieden ist.92 Im Zuge dieser dialektischen Wechselbezüglichkeit ist daher beides zu sagen: Erstens: Die Form wird inhaltlich, indem sie sich von sich entzweit, d. h. sich zum eigenen Gegenüber wird.93 Zweitens wird zugleich der Inhalt selber zur Form, indem er auch ein Moment der lebendigen Form ist und »Form« als der sich selber differenzierende Inhalt, als ein sich von sich Abstoßen bzw. eine Art Selbstverdoppelung des Inhalts begriffen werden muss.94 Nur so ist der Sachverhalt zu begreifen, dass der Glaube in seinen Gegenständen sich ausspricht, wie umgekehrt, dass die spezifischen Inhalte sich als 89 Cf. Hegel: »Es ist ein Inhalt, der sich zunächst sinnlich präsentiert, eine Folge von Handlungen, sinnlichen Bestimmungen, die in der Zeit nacheinander folgen, dann im Raum nebeneinander stehen. Der Inhalt ist empirisch, konkret, mannigfach, hat aber auch ein Inneres; es ist Geist darin, der wirkt auf den Geist: der subjektive Geist gibt Zeugnis dem Geist, der im Inhalt ist« (HEGEL, Werke 16, 143). 90 Darin liegt das oben Erwähnte: Das glaubende Bewusstsein legt sich selber aus, und zwar als von seinen spezifischen Gegenständen her ausgelegt; cf. oben S. 26 bei Anm. 51 (Kierkegaard) sowie Hebr 4,12f! 91 Cf. z. B. Kierkegaards Formel für das eigentlich Dialektische, dass »das Eine stets das sich Entgegengesetzte ist« (S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 23, 26 und 29). Für Hegels Dialektik-Begriff wäre noch der Gedanke der Selbstexplikation des Einen im jeweils Anderen hinzuzunehmen. Keinen wirklich dialektischen Begriff vom Verhältnis »Form – Inhalt« hat hingegen P. Tillich, bei dem beide Begriffe von vornherein so konzipiert sind, dass sie immer schon auf ihr Komplement verweisen. Tillichs überall in Anspruch genommene »Form« und »Gehalt« sind vorstellungsmäßig verfasst. Sie scheinen erstens am Modell äußerer Herstellung abgelesen zu sein (Aristoteles), und zweitens reflektiert Tillich nirgends den internen, gedanklich-logischen Zusammenhang von Form und Inhalt, d. h. genau das, was Form und Inhalt in der Vorstellung so gut zueinander oder »ineinander« passen lässt. 92 Das ist ein wesentlich sprachlicher Zusammenhang, und er ist auch nur sprachlich zu realisieren; dazu s. u. 4. 93 Cf. Hegel, der gegen eine sich an sich festhaltende, endliche Subjektivität behauptet: »Allerdings ist es die Subjektivität, welche aus sich selbst die Objektivität entwickelt und somit als Form sich zum Inhalt umsetzt und erst wahre Form durch ihren wahren Inhalt wird« (HEGEL, Werke 16, 183). 94 Das schließt ein äußerliches Verhältnis aus, dem gemäß das gläubige Subjekt mit der »Form« identisch und die Glaubensgegenstände bloßer »Inhalt« wären. Cf. anders Hegel: »In Gott liegt aber selbst Bewußtsein und Wissen. Es ist ein Inhalt, und von ihm untrennbar die Form, daß dieser Inhalt Gegenstand des Bewußtseins ist« (HEGEL, Werke 16, 213).

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Formen erweisen, in denen das fromme Subjekt sich selber wiederfinden kann. Ebendieses Verhältnis muss auch als Selbstübersetzung der religiösen Inhalte in sich als Form gedacht werden. Nur so kann, wie gesagt, eine Reduktion des Glaubens auf bloße Subjektivität vermieden werden. Dass der Glaubensinhalt zur Form für die Subjektivität wird, ist etwas anderes als die reine (formale) Subjektivität an ihr selber; und dass diese (in einem anderen Sinn) dadurch selber zur Form wird, ist wiederum etwas anderes. Die Glaubenden werden somit in einen Formprozess hineingezogen, durch den sie über sich hinausgelangen, ohne doch einer Entfremdung von sich selbst zu verfallen: »Die Übersetzung des Gebildecharakters einer Religion, die sich im Medium des Kultus und des Ritus manifestiert hat, … in den Übersetzungsprozeß von der Objektivität der Gebilde und Begehungen in die Subjektivität, ist die Übersetzung in die Religion des Wortes«.95 Demgemäß bedeutet im christlichen Sinne zu glauben: außer sich bei sich zu sein, d. h., ein geistiges Verhältnis zum Geglaubten zu unterhalten; der Glaube hat wesentlich nicht nur mit sich selber zu tun, sondern mit seinem »Grund« bzw. seiner Wahrheit, und ist zugleich doch eigenes Innesein (Gewissheit).96 Ebendies lässt die Dialektik von Form und Inhalt des Glaubens Geist sein. Insofern das glaubende Subjekt sich in seinen Inhalten qua Form wiederfinden kann, hat es gleichwohl an ihnen als Gegenständen noch ein Anderes sich gegenüber, und der Glaube ist zugleich inhaltlich und subjekthaft.97 Man kann auch sagen: Die christliche Wahrheit übersetzt sich an ihr selber in die Gewissheit von ihr; das ist ihre Selbstbeglaubigung im Glauben; denn von dem objektiven christlichen Inhalt gilt, dass ihm eine »zeugende, Gewißheit von ihm als der Wahrheit wirkende Kraft beiwohnt [vis testificans et generans]«.98 Was den Glauben betrifft, so bedeutet das: Er vergewissert sich an seinen religiösen Inhalten seiner eigenen Sachhaltigkeit, und die spezifischen religiösen Gegenstände bewahrheiten den Glauben selber inhaltlich. Was Gott betrifft, so liegt in dem Angeführten: Er bestimmt auch noch den Ort seines Seins-für-… durch sich selbst, indem er auf den Glauben als sein »Korrelat« übergreift.99 Genau dieses macht die wahre Subjektivität Gottes 95

B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. VI/3, Frankfurt 1974, 473. Bei Hegel heißt es: »das Bewußtsein weiß diesen Inhalt, und in diesem Inhalt weiß es sich schlechthin verflochten: in dem Begriff, der der Prozeß Gottes ist [!], ist es selbst Moment« (HEGEL, Philosophie der Religion II [Die absolute Religion], in: ders., Werke 17, 187 [cf. 217]). 97 Vom religiösen Selbstbewusstsein als »Wurzel des Geistes« heißt es bei Hegel: Es »hat nur Wahrheit, wenn sie die Form für den objektiven Inhalt ist« (HEGEL, Werke 16, 185). 98 Cf. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 48 Anm. 58), 21. 99 Genauso ist die Wahrheit bei Johannes sie selbst und zugleich auch die Instanz, für die sie die Wahrheit ist. Darum ist die Wahrheit selber auch »Weg« (zu ihr). 96

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aus, und von daher ist er in seinem Sein als »absolute Form« zu denken.100 (Das ist in der Trinitätslehre grundsätzlich zu thematisieren.) 4. Für die beschriebene Dialektik von Form und Inhalt des Glaubens (d. h. ihrer beider Einheit in ihrer Unterschiedenheit) ist das prinzipielle Paradigma die Sprache. Denn auch sprachlich gibt es keinen Inhalt, der nicht zugleich als Form (artikuliert) erscheint.101 Von daher gilt christlich grundlegend: Gott war immer auch der Logos (Joh 1,1c), d. h. er selbst und das Prinzip seiner (sprachlichen) Selbstdifferenzierung. Die Kondeszendenz Gottes, sein eigenes Zur-Sprache-Kommen, ist die von ihm selber ausgehende Überwindung seiner reinen Gegenständlichkeit (als »Inhalt« des religiösen Bewusstseins) und sein Sich-Übersetzen zur »Form«, in der sich die religiöse Bewusstseinsform als sie selber identifizieren kann. Entscheidend ist dafür die Sprachlichkeit dieser Verhältnisse.102 Dass der religiöse Inhalt sich selber zur Form macht, gilt, sofern er sich spezifisch auf uns zu bewegt, d. h. als »Anrede« ist, was er ist. Sind die christlichen Glaubensinhalte die Selbstartikulation Gottes als Gott-für-…-(uns), so entspricht dem einerseits die dadurch ermöglichte Selbstvergewisserung des Glaubens für sich und von jenseits seiner her; andererseits folgt der Glaube hörend dieser Selbstartikulation Gottes und begreift sich selber als spezifische Form »seines« worthaften Inhaltes. Gott ist so jeweils »sein« Gott. Aus dieser Dialektik ist grundsätzlich die wichtige Formel des Apostels Paulus Röm 10,17 zu interpretieren: ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς, ἡ δὲ ἀκοὴ διὰ ῥήµατος Χριστοῦ (fides ex auditu, auditus autem per verbum Christi). Der christliche Glaube ergreift sich selber in den ihm verkündigten Inhalten als ihre Form; das ist nur möglich, weil und indem diese Glaubensinhalte als solche immer zugleich Artikulationsweisen des auf sie gerichteten Glaubens und seiner »Gegenstände« sind.103 Glaube ist mithin diejenige Form, die den religiösen Inhalten – allen voran dem »Glaubensgegenstand« Gott – spezi-

100 »Der Inhalt ist in sich frei, und sein Scheinen in sich selbst [sc. im Anderen sein selbst] ist die absolute Form, und im Gegenstand hat das Subjekt das Tun der Idee …, das es selber ist, vor sich« (HEGEL, Werke 16, 151). 101 Weil die Form, wie oben gesagt, artikulierter Inhalt ist, kann man sich im inhaltlichen Wort wiedererkennen. 102 Wegen des »Ersten Hauptsatzes« W. v. Humboldts (s. o. S. 38 Anm. 17) kann die sprachliche Selbstauslegung des Subjektes nie nur reine Selbstwiederholung dieses Subjektes sein; Sprache ist nie nur »Ausdruck«. 103 So machen z. B. die Gleichnisreden Jesu (als verba Christi) deutlich: Gott ist nur in sprachlich bewegter Verwirklichung spezifisch ein Gegenstand des Glaubens, d. h. aber als »Form« in der Sprache.

§ 4 Die Korrelation von Gott und Glaube

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fisch entspricht104 und sich aus ihnen – allen voran aus Gott – sprachlich entgegenkommt. Somit konstituieren seine gegenständlichen Inhalte den Glauben als Glauben, und er findet in ihnen sein Selbstbewusstsein. Dabei ist der christliche Glaube wesentlich wortbezogen (weil wortabhängig) und selber sprachlich verfasst.105 Im Wort gehören Glaube und Gott »zuhauffe«.

104 Die religiösen Vorstellungssysteme, Dogmen, Bekenntnisse formulieren sozusagen die »Grammatik« des Glaubens, und dieser bestimmt sich selber, indem er ihnen in einem freien sprachlichen Verhalten ent-spricht. 105 Daher ist er selber immer artikulierter (»bekennender«) Glaube; cf. Röm 10,8–10; 1Kor 12,3b; 2Kor 4,13 und Ps 116,10. Zum Verhältnis von Bekennen und Sprachlichkeit bei Luther cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 27 Anm. 52), 430f.

§ 5 Folgerungen und Ausblick Was die voranstehenden Prolegomena erbracht haben, lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen: – Gott wird als Gott hier so zum Thema, wie er sich wesensmäßig von sich her in Beziehung zum Menschen setzt bzw. immer schon gesetzt hat; – das besagt auch: so, wie er sich uns als solcher selber zu erkennen gibt (»Selbstoffenbarung«); – Gott ist der, zu dem nur gemäß den ersten beiden Punkten ein wahres Verhältnis möglich ist, d. h. eines im Glauben; – dieser verdankt sich (für sich selber) einer besonderen, nicht distanzierbaren Nähe Gottes, was der von Luther erkannten Korrelation (»zuhauffe«) und spezifisch dem biblischen Gottesgedanken entspricht; – wegen der unhintergehbaren Traditionsbezogenheit unseres Denkens und Sprechens über Gott muss sich ein entsprechender adäquater Begriff von Gott aus der sprachlichen Überlieferung der biblischen Schriften gewinnen lassen, und zwar der Überlieferung, die vom Alten bis ins Neue Testament weitergeht. 1. Zum einen ergibt sich das Desiderat einer Gotteslehre aus der intelligiblen Verfassung des (christlichen) Glaubens – gemäß dem Grundsatz: fides quaerens intellectum. Weil der Glaube als wortbezogen aus dem »Hören« und Vernehmen kommt (Röm 10,17), ist er sprachlich verfasst, und das ist seine Vernunft.1 Er kann mithin unreflektiert gar nicht sein. Somit ist eine Gotteslehre die begrifflich ausgearbeitete theologische Reflexionsgestalt der dem Glauben selber schon (wie keimhaft auch immer) eigenen Reflexion auf seinen genuinen Gegenstand Gott und seinen Grund in Gott. Solche Reflexion fängt bereits in den biblischen Schriften selber an und wird besonders deutlich im Neuen Testament, denkt man an die paulinischen Briefe oder insbesondere das Vierte Evangelium mit seinen theologischen Argumentationsgängen.2

1 So schreibt Ch. Axt-Picalar (»Über die biblischen Schriften als Reflexionsgestalten der Gotteserfahrung und das Verstehen als genuines Moment des Glaubensvollzugs«): »Die Worthaftigkeit des Geschehens, das den Glauben wirkt, ihn sich begreifen und ihn sich kommunizieren lässt, führt das Moment des Verstehens im Glauben mit sich« (AXTPICALAR, Was ist Theologie? [wie oben S. 13 Anm. 15], 10f). 2 Cf. dazu mein Buch: J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 37 Anm. 15).

§ 5 Folgerungen und Ausblick

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2. Zum andern profiliert sich die hier vorzutragende Gotteslehre an der überlieferten Gestalt des biblischen Redens von Gott, und dies aus nicht bloß traditionellen Gründen, sondern weil in der Hl. Schrift die Gottesthematik zu einer unüberbietbar reichen, tiefen und adäquaten Gestalt gefunden hat, die der Erkenntnis spezifisch zu denken gibt.3 Als die Grundverfassung eines bewussten Gottesverhältnisses in seiner spezifischen Gegenstandsbezogenheit hat sich ergeben, was »Umkehrung« genannt wurde.4 Danach bedeutet, sich zu Gott als Gott zu verhalten, einen Bezug wahrzunehmen, der unserm Verhalten zu Gott immer schon zuvorkommt und es überhaupt erst ermöglicht. Das heißt, das authentische Gottesverhältnis schließt das Wissen ein, dass wir von Gott nur und erst darauf hin wissen und ihm uns zuwenden können, weil er sich vorgängig bereits uns zugewendet hat. Diese strukturelle Umkehrung hat sich in der Gotteserfahrung Israels geschichtlich ausgearbeitet, d. h. religionsgeschichtlich zum ersten Mal, und reicht maßgeblich auch in die Gottesanschauung Jesu und des Neuen Testaments hinein. Dies soll hier für das Alte Testament kurz an einigen markanten Themen aufgewiesen werden. 2.1. Die betreffende Gotteserfahrung ist prinzipiell sowohl in einem kollektiven wie in einem individuellen Rahmen zur Anschauung gebracht; dies ließe sich ebenso an der Exodus- wie auch an der Abraham- (bzw. Erzväter-) Überlieferung zur Darstellung bringen. 2.2. Sie wird als von Gott selbst (und gegen die ständige Tendenz zur Abgleitung in pagane Religiosität) zur Durchsetzung gebracht, d. h. als Gottes eigene Selbstvergegenwärtigung (Offenbarung) gewusst, deren Ort der Glaube Israels ist (Erstes Gebot). 2.3. Mit ihr steht das »Bilderverbot« (als Ausdruck eines spezifischen Verständnisses von Gottes Unsichtbarkeit) in engem Zusammenhang. Gegen ein »Bild« als fixierende Vergegenwärtigung Gottes ist systematisch insbesondere Ex 3,14 in Anschlag zu bringen, d. h. der AT-spezifische »Name« Gottes.5 2.4. Die genannte Gotteserfahrung begründet auch ein genuines Verständnis des »Erwählungsgedankens« bezüglich Israels. Die dialektische Koinzidenz von Allgemeinem und Besonderem bzw. des Allgemeinen mit dem Besonderen am Orte des Besonderen hat hier die religiöse Gestalt gewonnen, dass es nur darum in Israel ein Wissen von diesem »seinem« Gott gibt, weil er selber genau dieses Wissen als den besonderen Ort seiner Zuwendung begründet hat (cf. Dtn 4,34). 3

Dafür sei auf das neue, grundlegend wichtige Werk von R. FELDMEIER und H. SPIEDer Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, verwiesen. 4 S. o. S. 7. 5 Cf. dazu unten Zweiter Teil, § 1.

CKERMANN,

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Prolegomena

2.5. Die Besonderheit des Volkes Gottes bleibt zugleich eingebettet in die Universalität der Weltschöpfung durch ebendiesen Gott (Dtn 4,32). Im Schöpfungsgedanken hat das religiöse Prinzip eines uneinholbaren Zuvorkommens Gottes unüberbietbar grundsätzlichen Ausdruck gewonnen. 2.6. Als Integral dieser Gotteserfahrung lässt sich vom Motiv des »Weges« aus (im Anschluss an 2.1. bis 2.5.) die Alternative auffassen, die das ganze Alte Testament durchzieht: zu wandeln in den »Wegen des Herrn« (bzw. ihm anzuhangen; cf. Dtn 11,22) oder anderen (und unbekannten!) Göttern nachzuwandeln (Dtn 11,28). Vor dem Hintergrund der hier vorzustellenden Gotteslehre lässt sich auch der alttestamentliche Gottesgedanke im Blick auf die skizzierten Themen (2.1.–2.6.) als eine (dem Neuen Testament spezifisch zugeordnete) Gestalt von Gottes Sich-Hervorbringen am Ort des Glaubens Israels verständlich machen und in Anspruch nehmen. Überhaupt liegt der wahre Grund dafür, dass die Geschichte (als Heilsgeschichte, als die Geschichte Jesu von Nazareth und die Geschichte Gottes und seiner Offenbarung) für den biblischchristlichen Glauben von religiöser Letztbedeutung ist, in ebender Selbsthervorbringung Gottes, um die es im folgenden Zweiten Teil gehen soll.6 3. Geht man von den sprachlichen Instanzen aus, an denen sich die zu entwerfende Gotteslehre konzentriert zu orientieren hat, so sind dies nach allem Gesagten diese drei: a) das Wort »Gott«, b) der Name Gottes und c) Gottes Begriff. Dazu vorweg schon einige Hinweise. 3.1. »Gott« als ein Wort unserer Sprache scheint zunächst eine ganz unspezifische sprachliche Instanz zu sein: eine allgemeine Benennung, deren Realitätsgehalt oder Wirklichkeitsbezug nicht automatisch am Tage liegt, vielmehr ungemein fraglich bzw. strittig ist. Dieser Ausdruck kann mithin nicht am Anfang der zu entfaltenden Gotteslehre erörtert werden; vielmehr kann sich erst im weiteren Gang der Überlegungen zeigen lassen, was (bereits) das Wort »Gott« mit Gott selber zu tun hat, von dessen Begriff aus sich auch der theologische Status dieses besonderen Wortes bestimmen lässt. Unserm allgemeinen Verfahren entsprechend kann sich auch erst von Gott selber her zeigen, was es mit dem menschensprachlichen Wort für ihn auf sich hat.7 3.2. Der Name ist ebenso »persönlich« wie auch intersubjektiv, weil er Anrede und Identifikation ermöglicht. Im Alten und Neuen Testament ist der »Name« Gottes theologisch hochgradig aufgeladen, und er hat entsprechend das Nachdenken der Theologen8 und der Philosophen (z. B. H. Cohen,

6 Eine Folge dieser theologischen Bedeutung der Geschichte ist, dass die Ewigkeit des lebendigen Gottes nicht ohne Zeit zu denken ist. 7 Cf. dazu unten § 10 F. (S. 581ff). 8 Siehe das oben in Anm. 3 genannte Buch von FELDMEIER/SPIECKERMANN.

§ 5 Folgerungen und Ausblick

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F. Rosenzweig, W. Benjamin) beschäftigt.9 Diese Debatte soll hier nicht aufgenommen werden; stattdessen wird im ersten Paragraphen des Zweiten Teils versucht, den göttlichen Namen anhand der sachlich und historisch grundlegenden, in ihrer systematischen Bedeutung kaum zu überschätzenden Stelle Ex 3,14 zu denken (s. u.).10 3.3. Zunächst ist jeder »Begriff« eine reflektierte Explikation des Sachgehaltes eines Terminus (einschließlich seiner logischen Verfasstheit). Im Falle des göttlichen Namens – so wird sich bei der Interpretation von Ex 3,14 zeigen – erweist der durch eine Selbstartikulation Gottes ins menschliche Bewusstsein eintretende »Name« sich als Darstellung (oder zumindest signifikante Vorbereitung) auch des (theologischen) Begriffs von Gott. Dieser Eigenname (als eine »Gottes-Gleichung«) gibt an ihm selber nicht nur überhaupt zu denken, sondern auch schon einen systematischen Begriff Gottes. 3.4. Was eine theologische Lehre von Gott zu leisten hat, ist die systematische Entfaltung der Zusammenhänge, die sich allgemein zwischen den in 3.1., 3.2. und 3.3. genannten Aspekten ergeben, und darauf aufbauend spezifisch die konkrete Ausarbeitung des Gottesbegriffs.

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Cf. H.-CH. ASKANI, Der Name Gottes bei Emmanuel Lévinas und Jacques Derrida, in: ders./H. Assel (Hgg.), Sprachgewinn (FS G. Bader), Berlin/Münster 2008, 287–303. 10 Mit diesem Namen Gottes (Ex 3,14) zu beginnen, heißt, nicht an irgendeiner äußerlichen Bezeichnung (auch nicht am Wort »Gott«) anzusetzen, sondern an dem sprachlichen Ort, wo Gott selber von sich her redet, und zwar spezifisch über sich selber. Ex 3,14 ist formal und inhaltlich ausgezeichnet und entspricht so den oben in § 2 benannten Bedingungen wahrer Gotteserkenntnis optimal. Ex 3,14 ist das für die Gotteslehre maßgebende Wort Gottes.

Zweiter Teil: Die Lehre von Gott Tradition ist Weiterreichen der Glut, nicht der kalten Asche. (Ricarda Huch mit Th. Morus und G. Mahler)

Kapitel I: Der Begriff Gottes § 1 Gottes Name Der biblisch bezeugte Name Gottes gibt Gottes wirkliches Sein als i n s i c h unterschiedene Einheit mit sich (Ex 3,14) und als Einheit von Leben und Allmacht (Apc 1,8.18) zu denken.

Einleitung Der uns mit der biblischen Tradition überkommene und unser Reden von Gott stets mitbestimmende und regulierende Name Gottes soll gedacht werden.1 Das besagt: Der historisch-phänomenologisch erhebbare Sachverhalt soll auf seinen Begriff gebracht werden. Es geht uns hierbei nicht um alle möglichen oder tatsächlichen Phänomene von »Offenbarung« – auch nicht solche im Alten Testament –, sondern um den Anfang mit einer spezifischen Selbstbekundung oder Selbstvorstellung, die qualifizierte Bedingungen erfüllt, wie sie jetzt einleitend namhaft zu machen sind. Warum wird dafür Ex 3,14 als grundlegender Ausgangspunkt der Darstellung gewählt? Historisch war Ex 3,14 jahrhundertelang (im sog. Mittelalter) der Orientierungspunkt für einen spekulativen Gottesbegriff. In der sog. »ExodusMetaphysik«2 liegt eine ungeheuer intensive Tradition der denkenden Bemühung um den Gottesbegriff als solchen vor. Das war nicht nur wegen der für die griechisch gedachte Ontologie (bzw. Ontotheologie) anschlussfähigen, wenn auch heute problematischen Übersetzung in der Septuaginta: ἐγώ εἰµι ὁ 1 Cf. allgemein: H. V. STIETENCRON (Hg.), Der Name Gottes, Düsseldorf 1975. Zur Bedeutung des göttlichen Namens im Alten und Neuen Testament cf. Art. ὄνοµα in: ThWNT V, 242–281 (bes. 248ff: Antike; 254ff: AT; 270ff: NT) sowie S. HERRMANN, Der alttestamentliche Gottesname, EvTh 26 (1966), 281–293 und W. V. SODEN, Jahwe. »Er ist, Er erweist sich«, WO 3 (1966), 177–187. I. U. DALFERTH/PH. STOELLGER (Hgg.), Gott Nennen. Gottes Namen und Gott als Name, RPT 35, Tübingen 2008, darin: Einleitung: Die Namen Gottes, ›Gott‹ als Name und der Name Gottes (a.a.O. 1–20). Cf. auch W. BEIERWALTES, Platonismus und Idealismus, Frankfurt 1972, 64f (Anm. 287–289). 2 Cf. K. ALBERT, Exodusmetaphysik und metaphysische Erfahrung, in: W. P. Eckert (Hg.), Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption, Studien und Texte, Walberberger Studien. Philosophische Reihe 5, Mainz 1974, 80–95.

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

ὤν der Fall (siehe dazu unten), denn es gab ebenfalls die Übersetzung der Vulgata: ego sum qui sum, sondern hat sachliche Gründe. Freilich steht der Sachverhalt, dass in jenen Jahrhunderten denkende Theologie in Ex 3,14 den biblisch-christlichen Gottesgedanken κατ’ ἐξοχήν artikuliert finden konnte, der ihr begreifendes Nachdenken über Gott bestimmte, in einem seltsamen Kontrast zu der heute weithin vorherrschenden historischen Relativierung dieser Formel, die bis zu ihrer Marginalisierung oder Vergleichgültigung gehen kann. Gewiss lässt sich unter heutigen Denkbedingungen die metaphysische Dimension dieses Gottesbegriffs nicht einfach repristinieren oder wiederholen. Aber eine »konsequente Exegese« (E. Jüngel), wie sie hier in einer sprachtheologischen und -philosophischen Auslegung von Ex 3,14 versucht werden soll, führt zum gedanklichen Ernstnehmen dessen, was damals gesagt ist und wie es gesagt ist, d. h. auf einen theo-logischen Sachgehalt der Formel und somit zu einem sprachlich vermittelten, systematischen Begriff von Gott, den man spekulativ nennen darf.3 Sachlich gilt: Ex 3,14 ist für diesen Zweck nicht nur grundsätzlich und zentral genug, sondern auch grundlegend und auffällig singulär (im Alten Testament), d. h. ein Integral dessen, was biblisch als Name Gottes infrage kommt.4 Es handelt sich um diejenige Offenbarung (oder: Selbstoffenbarung), die – in betont sprachlicher Gestalt (s. u. Abschnitt B.) – am ehesten zu einem angemessenen Begriff des biblischen Gottes führt, eben zu einem Begriff von der Sprache her.5 Für eine christliche Gotteslehre kommt weiterhin in Betracht, dass die »Gottesgleichung« von Ex 3,14 wie ein mitgehender Anfang schon von sich her auf weitere Offenbarungen Gottes (als solche seiner selbst) vorausweist. Das gilt umso mehr, als Ex 3,14 wesentliche Entsprechungen im Neuen Testament findet (s. u. Abschnitt D.), und zwar insbesondere bei Johannes in den ἐγώ-εἰµι-Worten Jesu Christi6 und dann in der »Offenbarung Johannis« (Apokalypse). Das bedeutet für die Lehre von Gott, einen gesamtbiblischen Spannungsbogen im Blick zu haben, der die beiden sachlich wesentlichen »Mit3

Cf. oben Prolegomena (oben S. 45 Anm. 51). Das heißt: »Kernpunkt der Geschichte« als »Mitteilung des göttlichen Namens« (ThWNT III, 1069,38f). Es sei daran erinnert, dass das Buch Exodus überhaupt den Titel tAmv. ( (»Namen«) führt. 5 Ch. Axt-Piscalar hat (gegenüber fachlicher Einzelkritik aus der alttestamentlichen Wissenschaft) zu Recht unterstrichen, dass »eine systematisch-theologische Sicht auf die Religionsgeschichte Israels allemal ein Wagnis ist, aber ein solches ist, das zum Verstehen des Alten Testaments – und dann der Geschichte des Christentums – gewagt werden muss« (CH. AXT-PISCALAR, Rez. Gunther Wenz, Gott – Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie, Göttingen 2007, Jahrbuch für Religionsphilosophie 8 [2009], 219–223, hier 223). 6 Cf. dazu mein Buch: J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, Drittes Kapitel (2. und 3.), S. 435ff und 455ff. Auch bei Johannes und im Neuen Testament überhaupt ist der »Name« Jesu Christi zentral wichtig. 4

§ 1 Gottes Name

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ten« der Geschichte von Gottes Selbst-Offenbarung zusammenhält.7 Damit gewinnt die Gotteslehre eine Geschlossenheit, die vom Wort »Gott« und von Gottes Namen bis zur Trinität reicht.8 So ergibt sich im Ausgang von Ex 3,14 eine besondere Affinität zu dem hier proponierten Begriff von Gott (s. u. § 2), weil diese Formel ebenso von Gottes Selbstsein spricht, wie auch dieses als noch auf sich zulaufend, d. h. als im Werden zu sich begriffen (also als auch zukünftig) zu denken gibt.9 Weil Ex 3,14 von der ἀρχή der Geschichte aller Dinge schlechthin (als Anfang und Prinzip) spricht, muss Gott dementsprechend als in sich vollendet und zugleich als anfänglich, d. h. als Antizipation seiner als des Endes von allem (des ἔσχατον), gedacht werden. Außerdem sichert der elementare und grundlegende Bezug der hier folgenden Gotteslehre auf Ex 3,14 (als Selbst-Artikulation Gottes) ihr von Anfang an ihre durchgängige Sprachlichkeit.10 Dazu sei vorweg das Folgende bedacht: »Woher kommt der Name dieses kraftvollen Gottes? Die Tradition in Ex 3 antwortet: aus dem Munde des Gottes selbst, und deutet damit das Unerklärbare des Vorganges an, in welchem Göttliches in der Form menschlicher Rede sich gestaltet«.11 In der religiösen Sprache Israels (des Alten Testaments) taucht ein Wort auf, das als vom Jenseits der Sprache in sie hinein7 H. Blumenberg hat auf diesen qualitativen Unterschied zwischen den mythischen Göttern, die eigentümlich geschichts- und erinnerungslos sind, und dem Gott der Bibel aufmerksam gemacht: »Man vergleiche damit die überragende Wichtigkeit des Attributs der Erinnerung, des Eingedenkseins, für den biblischen Gott, bei dem alles davon abhängt, daß er derselbe ist wie der des Sechstagewerks oder des Auszugs aus Ägypten« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 791). Diese seine Identität hat Gott durch die geschichtsbezogene Selbstoffenbarung seines Namens Ex 3,14 gesteigert und für immer definitiv gemacht; zumal das »Ich werde sein, der ich sein werde« impliziert Erinnerung bzw. Eingedenken als Momente der Selbstbeziehung des lebendigen Gottes. 8 In § 15 wird nicht zufällig der Begriff der »Mitten« wichtig werden. 9 Bekanntlich hat W. Pannenberg den Begriff von Gottes Selbstsein bei K. Barth als abstrakte Antizipation kritisiert, weil Gott als das wahre Subjekt von allem erst am Ende zu sich kommen kann (cf. W. PANNENBERG [Hg.], Offenbarung als Geschichte, Göttingen 2 1963, 95ff). Cf. dazu J. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004– 2005, Bd. I, 205ff. 10 »Der schem ist immer Name des deus revelatus« (O. GRETHER, Name und Wort Gottes im Alten Testament, Gießen 1934, 10). Auch im Falle von Ex 3,14 ist der Gottesname nicht wegen magischer Vorstellungen über seine Lautgestalt, sondern prinzipiell von Bedeutung, weil er dem unfassbaren Gott eine gewisse Bestimmtheit verleiht, ihn als Gottin-Beziehung zu denken gibt (und so diffuse religiöse Erfahrungen identifizierbar macht) und ihn als spezifisch anredbar und nah zu wissen gibt. So steht der »Name« Gottes für sein Sich-selber-gegenwärtig-Machen und offenbarendes Erscheinen; er ist gleichsam »Gott noch einmal«: als Deus pro nobis im Wort seiner Selbsterschließung. 11 G. QUELL, Art. κύριος, ThWNT III, 1064,2ff. Cf. Ex 3,15!

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

gesprochen aufgefasst wird: der Gottesname von Ex 3,14.12 Dieser wird nicht als eine äußerliche Bezeichnung Gottes durch den Menschen verstanden, sondern der Name gilt hier als Selbstbekundung und -vorstellung Gottes von sich her; nach dem systematischen Grund dieser Überzeugung, soweit er sich an der Formel selber erheben lässt, ist somit nachher genauer zu fragen (s. u. Abschnitt B.). Indem dieser Name in die Sprache Israels kommt, gibt sich »sein« Gott ihm zu erkennen: als der, der er ist. Israel spricht Gott nur nach, nennt ihn mit seinem »eigenen« Namen.13 Weil dieses Selbstverständnis im Umgang mit dem göttlichen Namen zu dem in den Prolegomena über Gotteserkenntnis Ausgeführten (§ 2 A) konform ist, beginnt die Gotteslehre mit einem Paragraphen über den biblischen Gottesnamen gemäß Ex 3,14: Per cognitionem nominis Dei ad scientiam eius proficimus.14

A. Zur Exegese von Ex 3,14 hyha rva hyha

(LXX: ἐγώ εἰµι ὁ ὤν. Vg.: Ego sum qui sum)15 1. Der offenbare Name Von Ex 3,6ff gilt: »Der Text hat für die biblische Gotteslehre ausschlaggebende Bedeutung«,16 denn was hier vorliegt, ist »etwas Neues, eine neue Offenbarung oder gar eine neue Periode göttlicher Offenbarung«.17 Es geht um einen 12

Überhaupt ist Gottes Name wunderbar: Ps 99,3; cf. Gen 32,30; Ri 13,18; Jes 9,5. Cf. H. KRUSE (SJ), Der wunderbare Name. Zu Herkunft und Sinngehalt des Jahwe-Namens, ZKTh 112 (1990), 385–405. 13 Es ist dem »auserwählten Volk« bestimmt, »gleichsam das horchende Ohr der göttlichen Offenbarung zu seyn« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 85 [§ 143]; cf. auch 270 [§ 435]). Daher ist in Israel die Bitte um ein »hörendes Herz« (1Kön 3,9) nicht nur individuell gültig. 14 Hilarius, Tract. in Ps 134 (PL 9, 754 [nr. 527]). 15 Für die Exegese wird zugrunde gelegt: W. H. SCHMIDT, Exodus, Teilband 1: Exodus 1–6, BK II/1, Neukirchen-Vluyn 1983, sowie G. QUELL, ThWNT III, 1069–1072: Der Gottesname in der Erzählung von Jhwhs Offenbarung an Mose Ex 3,14. Weitere Literatur in den folgenden Anmerkungen. 16 R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 25. Cf. auch R. ACHENBACH, »Ich bin, der ich bin!« (Exodus 3,14). Zum Wandel der Gottesvorstellungen in der Geschichte Israels und zur theologischen Bedeutung seiner Kanonisierung im Pentateuch, in: I. Kottsieper u. a. (Hgg.), Berührungspunkte. Studien zur Sozial- und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt (FS R. Albertz), AOAT 350, Münster 2008, 73–95. 17 SCHMIDT, Exodus (wie oben Anm. 15), 168.

§ 1 Gottes Name

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bisher unbekannten »Namen« für Gott, und seine Bedeutung reicht weit über die Situation seiner Erschließung hinaus, spricht in auffälliger Weise grundsätzlicher. Die göttliche Selbstaussage, die Mose auf seine Frage nach dem Namen Gottes (3,13) zur Antwort erhält, stellt freilich keine einfache, traditionelle Selbstvorstellung Gottes dar, wie sie etwa V. 15 bietet (cf. auch Ex 6,2 sowie Ps 79,6), sondern hat die Form einer Erläuterung bzw. Deutung seines Namens.18 Diese Formulierung ist im Alten Testament singulär, und dies gerade auch in ihrer sprachlichen Gestaltung (zu Ex 33,19 s. u. Abschnitt D.). Es sind »rätselhafte Worte«, die zu denken geben.19 Zunächst aber ist das Folgende festzuhalten:20 – Die »Deutung« des Namens in Ex 3,14 setzt das Tetragramm (jhwh) voraus.21 – Die Aussprache des Tetragramms (Jahwä) war wohl ähnlich wie hy,h.a,.. – Ex 3,14 fasst den Gottesnamen als Verbform auf (3. Pers. Sing. Impf.: »er wird sein bzw. ist«) und übersetzt in die Ich-Rede (1. Pers. Sing. Impf.): So wird sprachlich aus einer Aussage über Gott (einfache Nennung) eine Selbstaussage Gottes.22 – Philologisch geht es zunächst um die Ableitung von hjh (»sein, werden«; Kal).23 – Die Verbform ist nicht kausativ (Hiphil) zu verstehen; so ist sie auch nirgends zu belegen. – Die Deutung verfolgt eindeutig ein theologisches Ziel.24 18

Wohl angeregt durch die Wendung V. 12a: »Ich will mit dir sein« (%M"[io hy,h.a,)). G. QUELL, der sie mit »Ich bin derjenige, welcher ich bin« wiedergibt (cf. a.a.O. [wie oben Anm. 15], 1070,6), zieht daraus die kaum einleuchtende Konsequenz: Der Name Jhwh »gibt so gut wie keine Gelegenheit zu Spekulationen über das Göttliche, sondern erinnert … an eine aktivierende Kundgebung des Gottes … in der Frühzeit« (1061,23f). Es liegt aber – historisch (Exodus-Metaphysik!) wie sachlich und sprachlich – auf der Hand, dass, wenn eine Wendung im Alten Testament »spekulativer« Natur ist, so die von Ex 3,14. Denkfragen lassen sich nicht so simpel historistisch abtun. 20 Im engen Anschluss (auch in manchen Formulierungen) an SCHMIDT, Exodus (wie oben Anm. 15). 21 Obwohl »die den Kernpunkt berührenden Worte … nicht das Tetragramm« enthalten (QUELL, a.a.O. 1070,2f). Zu den philologisch-etymologischen Problemen des Wortes »Jahwe« selber cf. a.a.O. 1065–1067. Hier führen alle Versuche nur zu ganz unsicheren Vermutungen: »Der Befund lehrt, daß schlechterdings nicht mehr einwandfrei festzustellen ist, was hwhy heißt« (1067,31f). 22 Zur Ich-Rede s. u. B. 2.1. (S. 113ff). 23 Dazu klassisch: C. H. RATSCHOW, Werden und Wirken. Eine Untersuchung des Wortes hajah als Beitrag zur Wirklichkeitserfassung des Alten Testamentes, Berlin 1941. Cf. auch R. BARTELMUS, HYH. Bedeutung und Funktion eines hebräischen »Allerweltswortes«, St. Ottilien 1982, sowie Art. »hjh, sein«, THAT I (1971), 477–486 (S. AMSLER) und die neuere Literatur: ThWAT X (2000), 499. 24 Beispielsweise: hw"hy. wird zu hy,h.a.. 19

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

2. Positionen der Forschung Forschungsgeschichtlich sind im Wesentlichen vier Grundauffassungen von Ex 3,14 zu verzeichnen.25 2.1. Es handelt sich um eine Verhüllung des Gottesnamens bzw. ein Ausweichen vor seiner Nennung oder ihre Verweigerung (cf. Ri 13,18; Gen 32,30). Denn V. 14 nennt den Namen Gottes definitiv nicht.26 2.1.1. Hierbei unterscheidet man zwei Fälle. Einmal, wenn 3,14 ursprünglich ist – also zwei Antworten auf die Mose-Frage gegeben werden (V. 14 und 15) –, wird die Ablehnung der Frage an Gott in die Form einer inhaltsleeren Tautologie gekleidet, die eigentlich nur besagt: Ich bin ich.27 Sodann, wenn V. 14 sekundär sein sollte,28 so sei die »Gewaltsamkeit der Korrektur … geradezu meisterhaft ausgeglichen … durch Verwertung der schon in V. 12 vorhandenen Wendung %M"[i hy,h.a, in der gleichsam rekapitulierenden Form: ›ich bin, derjenige, der ich bin‹. Fast unmerklich ist die Steigerung des hwh in die existenzielle Funktion vollzogen und das Geheimnis göttlichen Wesens als tiefster Sinn in aller Anrufung zu verstehen gegeben«.29 Man kann also annehmen, dass es – in Reaktion auf V. 12 – um ein Wort geht, »das, ohne das Geheimnis Gottes zu durchbrechen, auf V. 13 eine positive Antwort gibt«.30 Wenn also bei der Zurückweisung der direkten Frage der Ton auf der »Unnennbarkeit und Unfaßbarkeit JHWHs« liegt,31 so soll ein unmittelbares Aussprechen des göttlichen Namens vielleicht verhindert werden, um die Selbstvergegenwärtigung Gottes nicht zu vergegenständlichen und so zu fixieren, was uns immer schon zuvorkommt. 25

Wieder nach SCHMIDT, Exodus (wie oben Anm. 15), 175ff. BERNHARDT, ThWAT II, 406; dann erfolgte die Antwort erst in V. 15 und V. 14 wäre ergänzt. Auch Quell konstatiert (für E) eine »bewußte Zurückhaltung gegenüber dem Namen Jahwe« (1069,34; zum Namenstabu überhaupt cf. 1068f). Erich Fromm verstand auf dieser Linie der Namensverweigerung Ex 3,14 als den Namen des »Namenlosen« im Sinne der negativen Theologie (E. FROMM, Die Kunst des Liebens [1956], in: ders., GesamtAusgabe, Bd. IX, Stuttgart 1981, 481; cf. ausführlicher Bd. VI, Stuttgart 1980, 100f). 27 QUELL, a.a.O. 1071,42ff. Zur »Tautologie« s. u. Abschnitt B. (S. 108ff). 28 QUELL erwägt z. B. die Korrektur eines polytheistischen Hintergrundes (a.a.O. 1071,21–42), was nicht sehr plausibel erscheint. 29 QUELL, a.a.O. 1071,36–41. 30 THAT I, 484 (AMSLER). 31 BERNHARDT, ThWAT II, 406. Freilich spricht gegen die strikte Ablehnungsthese, dass in der ganzen Erzählung sonst keine Andeutung davon zu finden ist. Vielmehr wird in V. 14b der Bitte von Mose ja stattgegeben (QUELL, a.a.O. 1072; so auch M. Buber). Cf. Klopstock: »Und der Unaussprechliche wird Jehova geheißen!« (F. G. KLOPSTOCK, Der Messias, Erster Gesang, V. 247). Bei der Liturgie des Jom-ha-kippurim (cf. Lev 16 und 23,26–32) spricht der Hohepriester das einzige Mal im Jahr den in Ex 3 geoffenbarten heiligen Gottesnamen aus (nach A. FEUILLET, Le sacerdoce du Christ et de ses ministres. D’après la prière sacerdotale du quatrième évangile et plusieurs données parallèles du Nouveau Testament, Paris 1972, 56 und 78). 26

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Jedenfalls scheint Gott hier das Geheimnis seines Wesens im Namen nicht unmittelbar preiszugeben; wer Gott ist, wird Mose an seinem Wirken noch sehen,32 aber besagt das schon, er sei in seinem eigentlichen Wesen gänzlich unnennbar und unerklärbar?33 Zwar handelt es sich um eine gewisse Korrektur und Zurückweisung der Frage (sozusagen in bestimmter Negation), aber sehr wohl doch um eine wirkliche Antwort und nicht um reine Unbestimmtheit im Sinne von: »ich bin irgend jemand«.34 Es geht nicht um die strikte Namensverweigerung schlechthin: »Ich heiße, wie auch immer ich heiße«;35 was hier vorliegt, ist eher wohl »diejenige Unbestimmtheit, bei der etwas bestimmt ins Auge Gefaßtes nicht ausgesprochen werden soll«.36 Ex 3,14 meint also zumindest: »ich bin etwas, aber es wird sich erst noch erweisen, was ich bin«.37 M. Buber hat dagegen geltend gemacht: »Will Gott nur Distanz sichern, nicht auch Nähe gewähren und gewährleisten?«38 Die Deutung von Ex 3,14 scheint also mit einer Dialektik von Enthüllung und zugleich Verhüllung rechnen zu müssen (s. u. Abschnitt B.).39 2.1.2. Fragt man, in welcher Beziehung überhaupt die Antwort Jhwhs (als auch eine deutliche Selbstzurückhaltung einschließende) zur Frage des Mose (V. 13b) steht, so legt sich die Erwägung nahe, ob mit dieser Antwort nicht die Frage als Frage (d. h. als Ausdruck eines Nichtwissens) bloß reflektiert oder sogar objektiv gewendet und gemacht (was auch hieße: sich objektiv gemacht) wird? Eine triviale Lösung bietet die Auskunft: Eben weil sein Wis32

Ludwig Köhler hat mit Berufung auf Gen 32,30 und Ri 13,18 in diesem Sinne votiert (cf. L. KÖHLER, Theologie des Alten Testaments, Tübingen 31953, 235 Anm. 36). 33 So abstrakt Philo: Dem, dem allein das Sein zukommt, kann kein Name angemessen sein; ein Name werde hier nur genannt, um für Mose eine Benennbarkeit zu ermöglichen, eigentlich handele es sich um eine Wesensaussage (cf. De vita Mosis I,74f). Dagegen wendet H. Gese ein: Das Alte Testament ist gerade Offenbarung als Offenbarung des göttlichen Namens (H. GESE, Der Name Gottes im Alten Testament, in: v. Stietencron [Hg.], Der Name Gottes [wie oben Anm. 1], 75–89). 34 Cf. M. NOTH, Das zweite Buch Mose. Exodus, ATD 7, Göttingen 1973, 31. Noth übersetzt selber mit: »Ich bin, der ich sein werde« (ebd.). 35 Ebd. 36 Ebd. Das kann freilich nur besagen: nicht erschöpfend bzw. inhaltlich ausgesprochen, denn die Formel Ex 3,14 bringt es doch wie ein Integral durchaus zur Sprache. 37 Ebd. Cf. BARTELMUS (HYH [wie oben Anm. 23]), 232: »Ich werde sein, wer immer ich sein werde«; so soll bedeutet werden, dass Gott sich jeder Einflussnahme entzieht. Damit könnte auch die Bildlosigkeit Jhwhs zusammenhängen; cf. Klopstock: »Suchet dein Bild, doch umsonst; auf deine Verklärung gerichtet, / Können Gedanken sich kaum von deiner Gottheit besprechen« (KLOPSTOCK, Der Messias, Erster Gesang, V. 249f). 38 M. BUBER, Werke, Bd. II, München 1964, 62; cf. Jer 23,23. Freilich entspricht die Verweigerungsthese mit gewissem Recht der Paronomasie des Relativsatzes in Ex 3,14. 39 Auch W. Zimmerli hat mehrfach betont, dass die souveräne Freiheit Jhwhs auch in seiner Selbstmitteilung gewahrt bleibt.

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senwollen des Namens unberechtigt ist, widerfährt Mose die Verweigerung. Gehaltvoll lässt sich hingegen denken: Die göttliche Antwort reflektiert die Fremdheit zwischen dem fragenden Mose und dem ihm hier begegnenden Jhwh – als eine solche, die nur von Jhwh selbst her zu überwinden ist. Daraus ergibt sich ein zweifacher Bezug des hier redenden Gottes zu dem, der nach ihm fragt. Einmal besagt »Ich bin, der ich bin« offensichtlich: Er ist aus dieser Situation der aktuellen Begegnung in sich zurück-reflektiert und ist oder bleibt sich gleich, auch wo er im Bezug auf Mose (redend) aus sich herausgeht.40 Sodann besagt die futurische Variante »Ich werde sein, der ich sein werde«: Er transzendiert die Begegnung hier und jetzt auch zeitlich ins Unabsehbare und reicht mit seinem Sein und »Blick« unendlich über die gegenwärtige Situation in eine (geschichtliche) Zukunft hinein.41 2.2. Es geht bei Ex 3,14a um eine Aussage, die lediglich die Tatsache von Gottes Existenz enthält. Das würde bedeuten, der Vers soll unter Rückgriff auf hyh den Namen hwhy durch alliterierende Deutung seines Sinnes erklären. 2.2.1. Dann wäre Ex 3,14 »ein in geistreicher Manier gewagter Versuch einer Deutung … des Namens«.42 Dabei ist im vorliegenden Fall ein »gewisser Tiefsinn« unleugbar: »Der Name Gottes soll so etwas wie Existenz (hy"h") ausdrücken …43 Aber wie wäre das gemeint? Schließt doch jeder Name, auch jeder Göttername die einfache Existenzaussage selbstverständlich ein, indem er eine konkrete Erscheinung bezeichnet. …. Und wozu sollte dann der Relativsatz ›welcher ich bin‹ dienen? Darauf gibt es keine sichere Antwort«.44 »Tiefsinnigen« Antwortversuchen wird hier – nicht ohne einen Anflug von Denkfeindlichkeit – eine abstrakte Absage erteilt, wobei vor allem die an die Septuaginta sich anschließende Tradition gemeint ist (s. u.): »Aber man bleibt mit alledem in dem selben Grad spekulativ wie die Septuaginta mit ihrem ἐγώ εἰµι ὁ ὤν, das mit hy,h.a, rV,a] hy,h.a, recht wenig zu tun hat«.45 So richtig es an 40

Der Sinn wäre: »Auch wenn ich jetzt für dich da bin, bin ich unendlich in mich reflektiert, absolut ›Ich selbst‹ für mich – im qualitativen Unterschied zu dir« (cf. zu diesem Unterschied den Hinweis auf Fénelon unten Anm. 196). Nach Schelling ist dies der »Urbegriff« Gottes: der von allem Abgesonderte, der Einzige zu sein, d. h. der, der seinesgleichen nicht hat (cf. F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Mythologie II, in: ders., SW 12, 100 und DERS., Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 174), denn »heiligen« bedeute im Hebräischen »absondern« (DERS., Philosophie der Mythologie I, in: ders., SW 11, 373). Gott aber heiligt hier seinen Namen und mit seinem Namen sich selbst. 41 Nimmt man Präsens und Futur zusammen, gilt: »Auch wenn du [Mose] nicht mehr sein wirst, werde ich noch sein und werde mir absolut gleich, schlechthin ›Ich-selbst‹ sein.« 42 QUELL, a.a.O. 1070,10f. Cf. ähnliche laxe »symbolische« Namensdeutungen Gen 3,20; 17,5; 27,36 u. ö. 43 Cf. z. B. Hi 3,16 MT u. a. 44 QUELL, a.a.O. 1070,22–27. 45 A.a.O. 1070,32f. Cf.: »Die spekulative Sinntiefe eines ὁ ὤν läßt sich in dem HAT schlechterdings nicht feststellen« (Z. 34f).

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sich ist, dass die »einfache Existenzaussage« im Namen Gottes nur mit eingeschlossen ist,46 so sehr ergeben sich zwangsläufig konkrete Näherbestimmungen Gottes aus seiner »Erscheinung«, die im vorliegenden Falle eben keine nur äußerliche »Bezeichnung« ist, sondern den »Namen« selber artikuliert. Deshalb ist es ganz unplausibel, wenn es heißt: »Der Wortlaut verliert seine Unergründlichkeit, sobald man darauf verzichtet, ihn als ätiologische Etymologie zu erfassen«.47 Zwar ist an sich richtig: »Etymologien werden nicht offenbart«;48 aber der Wortlaut von Ex 3,14a behält auch ohne sie seine zum Nachdenken gerade des Wortlauts auffordernde Unergründlichkeit. Ich vertrete deshalb hier die These: Von der etymologischen Frage ist die Sachfrage zu unterscheiden, was die Formel selber besagt und wie sie es sagt. Es wäre immerhin denkbar, dass die Selbstaussage Gottes in Ex 3,14a mit zusätzlichen, quasi-etymologischen Anliegen verbunden, d. h. in ein archaisches Wortspiel eingebunden wäre. Als Sinn der zweiten Auslegungsvariante ist eine Hervorhebung des »Ich bin« festzuhalten, und zwar in doppelter Nuancierung. Es geht um Gottes »Sein« schlechthin, das durch sich und von nichts anderem her ist (cf. Jes 41,4 u. ö.).49 Das ist auch gegen abstrakte Versicherungen über die Metaphysik-Fremdheit der Hebräer (B. Baentsch) oder ihre (im Gegensatz zum griechischen Denken) ausschließliche Geschichtsbezogenheit, was das Wirken Gottes angeht, zu behaupten.50 Denn dieser Gottesname gibt zu denken, und das, wie sich zeigen wird, gerade im Blick auf die Geschichte Gottes.51 Deshalb scheint es vordergründig, diese Fragen abzuwiegeln: »Kommt aber das aram. hwh ›sein‹ in Betracht (cf. Gen 27,29; Jes 16,4), so könnte hwhy so etwas wie der ›Seiende‹ oder das Sein in Person bedeuten, was indes viel zu abstrakt ist, als daß es überzeugen könnte«.52 Aber Ex 3,14a ist »abstrakt« formuliert! 46

S. o. bei Anm. 37. QUELL, a.a.O. 1070,35f. Gegen Etymologien z.St. cf. 1071,1–15. 48 H. GUNKEL, Genesis, Göttinger Handkommentar zum Alten Testament. I. Abteilung 1, Göttingen 51922, XXII. 49 Zur »Aseität« s. u. §§ 2 und 3. 50 Cf. dazu TH. BOMAN, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, Göttingen 31959, 27–37. 51 Cf. H. H. SCHMID: »… daß das AT Gott, Gottes Sein und damit Gottes Wirken konsequent geschichtlich denkt. Ein geschichtlicher Gottes-Erweis ist als solcher einmalig, er kann nicht repetiert werden. Soll dennoch weiter von ihm und dem in ihm offenbar gewordenen Gott die Rede sein, dann muß sich immer wieder erweisen, wer der, der da war, jetzt ist. So bleibt die Geschichte Geschichte und wird nicht zu Metaphysik … im negativen Sinne des Wortes« (H. H. SCHMID, »Ich bin, der ich bin«. Ein Beitrag des Alten Testamentes zu unserer Frage nach Gott, ThGl 60 [1970], 403–412, hier 409). Immerhin hat Franz Rosenzweig von einem »philosophischen« Gottesnamen gesprochen (F. ROSENZWEIG, Der Ewige [wie unten Anm. 68], 805). 52 QUELL, a.a.O. 1066,36ff. 47

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Gott ist der wahrhaft Seiende, und d. h. der nicht nur in der Einbildung (wie Götzen) vorhandene, sondern in Wirklichkeit Existierende und als machtvoll handelnd sich Erweisende.53 Vom Ersten Gebot wird ja den anderen Göttern ebensolche Macht und Wirksamkeit bestritten. 2.2.2. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, einen kurzen Blick auf die Septuaginta-Fassung von Ex 3,14a zu werfen: ἐγώ εἰµι ὁ ὤν. Das ist wiederzugeben mit: »Ich bin derjenige, der ist«, und das heißt: der (für Israel) allein »Wirkliche«, der allein »Existierende« unter den Göttern.54 Demnach wäre ein Verständnis von Ex 3,14 im Sinne von: »Er ist« oder »der Seiende« an sich auch möglich.55 So kann immerhin auch Luther, der gerade die futurische (»geschichtliche«) Deutung des Gottesnamens als Erster maßgeblich herausgearbeitet hat, paraphrasieren: »Ich habe das wesen allein, Wer anderen dingen anhengt, der feret dahin«.56 Ὁ ὤν, »der wahrhaft Seiende«, der »wahre Gott«, ist aber doch wohl im griechischen Sinne gemeint oder jedenfalls so ausgelegt worden: Gott als der unbedingt Seiende, der immer Seiende und (zeitlos) Ewige (cf. V. 15 und Weish 13,1 LXX).57 Es handelt sich also, wie insbesondere die Wirkungsgeschichte zeigt,58 um eine nachträgliche, einseitige Umdeutung59 des alttestamentlichen Zeugnisses von Gottes lebendiger Gegenwart zu Gottes Unver-

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Nach RATSCHOW, Werden und Wirken (wie oben Anm. 23), wird hajah ausschließlich Jhwh zugeschrieben. 54 BERNHARDT, ThWAT II, 406. Schon Moses Maimonides hat so im »Führer der Unschlüssigen« erklärt: der Existierende, der an sich Existenz hat. 55 Cf. O.EIẞFELDT, Jahwe der Gott der Väter, ThLZ 88 (1963), 481–490. H. v. Soden sagt von Jahwe: »Er ist, Er erweist sich« (cf. a.a.O. [wie oben Anm. 1]). 56 WA 16, 49,21f. Freilich findet sich schon in der Biblia (ed. Sanctus Paginus, OP, Leiden 1527/28) die Formulierung: »Et dixit Deus ad Moseh. Ero qui ero. Et dixit. Sic dices filiis Israel. Ero misit me ad vos« (zitiert nach W. BEIERWALTES, Platonismus und Idealismus [wie Anm. 1]), 220). Gegen eine futurische Deutung haben sich z. B. Nikolaus von Kues (De possest, in: Nikolaus von Kues, Phil.-theol. Schr. 2, 284 und 346; mit Berufung auf die Septuaginta: absoluta entitas) und, ihm folgend, G. Bruno gewandt, der in »De la causa« von der »summa terminorum metaphysicorum« spricht (cf. 86,18–21). 57 Gegen die Septuaginta spricht unmittelbar schon dreierlei: 1. hjh geht über eine bloße Aseitäts-Aussage hinaus (THAT I, 484 [AMSLER]); 2. hy,h.a, wird in der griechischen Übersetzung verschieden wiedergegeben; 3. V. 14a wird nur präsentisch gefaßt (cf. Vg.: »ego sum qui sum«), während schon V. 12 das Futur hat. 58 Immerhin sollte nicht übersehen werden, wie mein Kollege E. Mühlenberg anmahnt, dass ὁ ὤν der ist, der allem die οὐσία verleiht. Das heißt, die Septuaginta hat einen validen Gottesbegriff formuliert, der im Rahmen der antiken Philosophie der biblischen Gottesrede Bestand verleihen konnte; cf. Platon: ὁ ἐστιν ὤν (Phaidr. 247e). 59 Die Transposition der verbalen Formulierung in eine partizipiale, d. h. quasisubstantiale, bedeutet, dass an die Stelle eines wesentlich sprachlichen Gedankens die Ontologie tritt.

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änderlichkeit und Ewigkeit – im Gegensatz zur Zeitlichkeit und Wandelbarkeit der Welt.60 Hat zwar auch das sog. Frühjudentum vor allem den Gedanken der Ewigkeit Gottes aus Ex 3,14 herausgelesen,61 so bedeutet bekanntermaßen ~l"A[ (V. 15) nicht Zeitlosigkeit im Sinne der griechischen Metaphysik, also auch keine abstrakte Unveränderlichkeit, mithin Unlebendigkeit, sondern zunächst die unbegrenzte Dauer in der Zeit: von Geschlecht zu Geschlecht bzw. von Äon zu Äon. Die »griechische« Interpretation ist freilich durch die abendländische Theologiegeschichte (Scholastik) hindurch als »Exodus-Metaphysik« (É. Gilson)62 bis zur Reformation vorherrschend gewesen: Gott als τὸ ὄντως ὄν (Ontotheologie).63 Augustinus schreibt zu Ex 3,14: »Cum enim Deus summa essentia sit, hoc est summe sit, et immutabilis sit …«64 Weil Gott »habens in se ut sit«,65 ist er ewig, und dies in Wahrheit.66 Thomas von Aquin zu »Qui est«: »significat … ipsum esse, … nominat ipsum pelagum substantiae infinitum … significat esse in praesenti … cuius esse non novit praeteritum vel futurum.«67 Für uns folgt: Der »ontologisch« aufgeladene Seinsbegriff muss in einer biblisch orientierten Gotteslehre so umgedacht werden, dass er in einer dialektischen Fassung die wirkliche Lebendigkeit Gottes zu denken erlaubt. Das ermöglicht die sprachliche Fassung des hebräischen Urtextes und der Vulgata (Relativsatz) eher als die Septuaginta-Fassung mit dem Partizip ὤν in einem einfachen Aussagesatz.

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Cf. zu I. A. Dorner unten § 2 E (2.), S. 232ff (bes. Anm. 391 und 396). »Ich bin es, der ich war und sein werde« (Targum Jonathan Ex 3,14; Midrasch Ex 3,14 u. a.); zitiert nach THAT I, 485 (AMSLER). 62 É. GILSON, Der Geist der mittelalterlichen Philosophie, übersetzt von R. Schmücker, Wien 1950; cf. bes. 58 und 59 Anm. 14. 63 Das implizierte grundlegende theologische Problem in Bezug auf Gott, so z. B. hinsichtlich des Apathie-Axioms. Zu Gott als ὁ ὤν cf. Athanasius, Ep. de synod. 35; Gregor von Nazianz, Or. 45,3; Gregor von Nyssa, C. Enn. I 8; Hilarius, De trin. I 5. 64 Augustin, De civ. Dei XII 2 (PL 41, 350). Cf. auch die häufige Rede vom »ipsum esse« bzw. »id ipsum« (Conf. VII 17,23 und 20,26; IX 4,11; XII 15,21 und Ps 101,28 (Vg.); De trin. V 2,3 (PL 42, 942); Enn. in Ps 101 II,12 (PL 37, 1312); in Ps 121 n. 5 (PL 37, 1621f) sowie zum »Sein« als eigentlichem Namen Gottes: De civ. Dei VIII 11 (PL 41, 235f: Mose und Platon); De trin. VII 5,10 (PL 42, 942); Conf. VII 10,16. 65 De Gen. ad litt. V 16,34 (PL 34, 333). 66 De vera rel. 49,97 (PL 34, 165). 67 Thomas, STh I, q. 13, a. 11 (resp.), cf. auch ScG I 22; De pot. 21,1; 7,5 u. ö. Zu »qui est« als dem »primum nomen Dei« cf. Johannes Damascenus, De fide orth. I 9 (PL 94, 386); Bonaventura, Itiner. V 2; M. Eckhart, DW 1, 132 (und Anm. 1); DERS., LW 2, 263 u. ö. 61

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Gleichwohl ist auf die Seinsaussage bezüglich Gottes nicht überhaupt zu verzichten. Deshalb dürfen schon an dieser Stelle einige Hinweise gegeben werden, wie Gott als ὁ ὤν zu denken ist, d. h. inwiefern er der ist, der ist, was er ist, bzw. der sein wird, was er sein wird: – Sein Sein ist völlige Selbstübereinstimmung (Identität) mit sich: göttliches Sein ohne Mängel, Grenzen, Endlichkeit; – es ist zeitübergreifende Dauer, die Futurisches einschließt, d. h. in aller zeitlichen Erstrecktheit (Unterschiedenheit) doch immer mit sich selbst gleich; – er ist alles, was er ist, ganz und ganz als er selbst; – sein Sein ist mithin ein Sich-selbst-durchsichtig-Sein in diesem Sein; – so hat Gott sein Sein als die absolute Selbstmächtigkeit, Gott zu sein. 2.3. In einer dritten Deutungslinie wird in Ex 3,14 die Beständigkeit Gottes betont, d. h. sein Sein als Einssein mit sich selbst. Das entspricht dem alttestamentlichen Charakter der emunah, d. h. Treue, Zuverlässigkeit, Unveränderlichkeit und »Ewigkeit« Gottes.68 Freilich ist dies deutlicher für die Verse 6,13 und 6,15 zutreffend,69 während das Imperfekt von V. 14 (hy,h.a,) ein unvollendetes Sich-Ereignen bezeichnet, das in eine noch unabgeschlossene Zukunft verweist.70 Hier geht es also um ein Sich-gleich-Bleiben Jhwhs – wie in der Vergangenheit, so auch in der Zukunft. Auch in dieser Hinsicht ist der eine Gott es als der Einende.71 So ergibt sich die Übersetzung: »Ich werde dasein, als der ich dasein werde« und damit ist gemeint »nicht zeitlose Identität des Seinsbegriffs …, wohl aber die Selbstidentität der Wahrheit Gottes, der durch seine Treue in seinem geschichtlichen Handeln in Erscheinung tritt, wie es durch seine Eiferheiligkeit, Güte, Geduld, Gerechtigkeit und Weisheit gekennzeichnet ist«.72 68 Ex 3,15: »Dies ist mein Name in Ewigkeit«. Gegen die sich schon im Baruchbrief (4 und 5) findende und von Calvin (Genfer Bibel 1588) und M. Mendelssohn bis zu H. Cohen weiter verbreitete Wiedergabe mit der »Ewige« (ὁ αἰώνιος, l’Éternel; cf. auch Ch. F. Gellert: »Die Himmel rühmen …«) hat sich aus theologischen Gründen Franz Rosenzweig gewandt (F. ROSENZWEIG, Der Ewige, in: ders., Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, hg. von R. und A. Mayer, Bd. 3, Dordrecht u. a. 1984, 801ff). 69 So vielfach im Judentum: der ewige Gott (nach Gen 21,33). 70 Auch wenn es um die Verheißung der Verlässlichkeit und Treue Gottes geht, so impliziert das doch auch eine Aussage über sein eigenes Sein (als zukünftiges); somit kann man die Sache hier nicht auf das Sein bzw. die Bedeutung für uns reduzieren. Sondern es ist zu fragen, was dies an ihm selbst bedeutet bzw. wie Gott selber ist, wenn er so (auch für uns) ist. 71 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 16), 93ff (mit Ausblick auf die göttliche Liebe). Übergreifende Einheit ist Geist; so spricht Philo von der δύναµις ἑνωτικοῦ πνεύµατος (Opif. 131). 72 W. PANNENBERG, Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988, 1991, 1993, Bd. I, 479. Cf. auch G. V. RAD, Theologie des Alten Testaments, Bd. I, München 41962,

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Freilich hat diese Perspektive auf Ex 3,14 unausweichlich zur Folge, dass es sich hier (noch) um keine endgültige Selbstoffenbarung im strengen Sinn handelt.73 Einerseits ist zwar mit Ex 3,14 (im Kontext) »eine neue Stufe der Gotteserkenntnis begründet«, andererseits handelt es sich – vom futurischen Sinn der Formel her gesehen – insofern um »eine nur vorläufige Selbstbekundung Gottes …, weil der Name seinen Inhalt erst gewinnen soll durch das künftige geschichtliche Handeln Gottes«.74 Dies wird sich bei der Sichtung des Weiterwirkens von Ex 3,14 im Neuen Testament genauer konkretisieren lassen (s. u. Abschnitt D.). 2.4. Die bis heute mehrheitlich vertretene Deutung versteht Ex 3,14a als Ansage von Gottes gegenwärtig sich erweisender Wirksamkeit, und in diesem Sinne seiner Wirk-lichkeit. Demzufolge ist hyh nicht nur als Kopula aufzufassen, sondern besitzt eine »Verbalkraft« im Sinne von: geschehen, bestehen, sich aufhalten, bleiben. hy,h.a, meint also kaum »reines« Sein, sondern eher ein qualifiziertes und in einem Verhältnis stehendes Sein.75 Das hebräische Sein ist als »ein in Bewegung, Veränderung, und Entwicklung befindliches Sein« zu denken und so »Existenz identisch mit Wirksamsein«.76 Handelt es sich bei Ex 3,14 um die Proklamation einer neuen Aktivität Gottes in der Geschichte,77 so wird dieser Vers als eine Namensdeutung zu begreifen sein, wie sie in derselben Form mit %M"[i hy,h.a, als Zusage in V. 12 vorausgeht (cf. auch Ex 4,12.15). Aufgrund des Kontextes ist der Name von Ex 3,14 als »Teil der paradigmatischen Rettungsgeschichte Israels« zu lesen und nennt den schlechthin »rettenden Namen« (cf. Ps 124,8; Jes 63,16).78 193–200 und ROSENZWEIG, Der Ewige (wie Anm. 68), 804. H. H. Schmid hält für die beste Umschreibung: »Ich bin der, als der ich mich erweisen werde« (SCHMID, »Ich bin, der ich bin« [wie oben Anm. 51], 406), und ähnlich paraphrasiert H. Gese: »ich erweise mich, als der ich mich erweisen werde« (GESE, Der Name Gottes [wie oben Anm. 33], 81). 73 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 243 und 267. 74 A.a.O. 227. Man könnte systematisch – insbesondere im Blick auf die neutestamentliche Weiterschreibung (s. u. Abschnitt D. [S. 126ff]) – von diesem futurischen Sinn von Ex 3,14 her auch Ex 33,13f.23 (Hinterherschauen) verstehen. 75 Dabei können Nuancen mitklingen wie: da-sein (für), gegenwärtig, wirksam, tätig sein, sich erweisen als … Im Alten Testament wird hjh bevorzugt in der Verbindung gebraucht: »mit dir« (cf. Ex 3,12; Jos 1,5; Ri 2,18; 1Sam 18,12). 76 Cf. BOMANN, Das hebräische Denken (wie oben Anm. 50), 199 und 36. Ähnlich ROSENZWEIG, Der Ewige (wie oben Anm. 68), 806, der vom »dynamischen« Sinn »des Werdens, Eintretens, Geschehens« spricht. 77 So AMSLER (THAT I, 484) mit Berufung auf W. EICHRODT (Theologie I [wie unten Anm. 83] 118), TH. C. VRIEZEN (in: Festschrift Alfred Bertholet, Tübingen 1950, 498– 512), V. RAD (Theologie I [wie oben Anm. 72], 193f) und M. NOTH (Das vierte Buch Mose. Numeri, ATD 7, Göttingen 1966, 31). 78 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 25 und 31f (Hervorh. J. R.).

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Systematisch-sachlogisch ist das entfaltet in Ex 6,7 (P) und sozusagen weitergeführt in Mal 3,6 (cf. 1,2). Ex 3,14 (zusammen mit 3,12) erklärt also Gottes Namen und Wesen, um so eine (oder: die) »grundlegende Verheißung im Erwählungsverhältnis Gottes zu seinem Volk« zu formulieren.79 Als Gesamtintention ist die Befreiung aus Not und die Zusicherung göttlichen Beistandes festzuhalten. Darum ist die von Luther genial als Erstem und dann von der Zürcher Bibel übernommene futurische Übersetzung: »Ich werde sein, der ich sein werde« die bessere gegenüber der präsentischen, weil dem konkreten Sachverhalt angemessener.80 In bezeichnender negativer Variation dieses Verheißungsmotivs spielt auch Hos 1,9b mit dem Doppelsinn von hy,h.a, als Eigenname und Aussage!81 3. Ertrag der Exegese Als systematischer Ertrag der skizzierten Auslegungsgeschichte von Ex 3,14 ist das Folgende in Anschlag zu bringen. 3.1. Jhwhs Name und seine Deutung erschließen etwas von seinem Wesen, wobei mit einem gewissen Spielraum für konkretisierende und spezifizierende Nuancen gerechnet werden muss. Sie kommen in einigen Paraphrasen der Formel gut zum Ausdruck. So lässt sie sich mit verschiedenen Akzentuierungen wiedergeben, z. B.: Ich bin »der sich Bethätigende, Offenbarende, also Lebendige und Helfende«82 oder auch: »Ich bin wirklich und wahrhaftig da, bin bereit zu helfen und zu wirken«,83 und zugleich: »Ich bin und bleibe gegenwärtig«84 – in Anknüpfung an Mal 3,6. »Ich, der Herr, wandle mich nicht« und bin »von Ewigkeit zu Ewigkeit«. Weil Jhwhs Name das »Mit-Sein seines Trägers« (als Handeln und Geleiten) impliziert (Preuß), gilt hier: »Die Namen sind Gottes Selbstdefinition in seiner Bindung an Menschen.«85 Weiter ist zu beachten, dass V. 14a allgemeiner und grundsätzlicher (irgendwie auch unbestimmter) formuliert ist,86 als es die Situation (Berufung

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BERNHARDT, ThWAT II, 407. Sozusagen »zielführend«. Bernhardt weist darauf hin, dass hajah auch sonst überwiegend futurisch gebraucht werde (Ausnahme: Ruth 2,13), a.a.O. 407. ἔσοµαι (ὅς) ἔσοµαι geht schon auf Aquila und Theodotion zurück. 81 Cf. LXX: καὶ ἐγὼ οὔκ εἰµι ὑµῶν (sozusagen »Ich [bin] nicht euer ›Ich bin‹«). 82 RE3 8 (1900), 534,54 (R. KITTEL). 83 W. EICHRODT, Theologie des Alten Testaments, Stuttgart 51957, 118. 84 BUBER, Werke II (wie oben Anm. 38), 63. 85 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 28. Es handelt sich um eine »vokative Identität«; damit ist eine (anrufbare) Positivität bezeichnet, deren Identität unabhängig von ihrer prädikativen Identifizierbarkeit ist, die also noch nicht im strengen Sinne ein »Begriff« ist. 86 Nach O. Eißfeldt kündet Ex 3,14 bezüglich Gottes von »seiner unbegrenzten Wirklichkeit« (O. EIẞFELDT, Kleine Schriften, Bd. IV, Tübingen 1968, 195). Cf. Ex 33,19. 80

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des Mose und Verheißung der Befreiung) unmittelbar erfordern würde.87 Man muss also sagen: Die geschichtliche Bindung Gottes im Sinne seines stetigen Wirkens in der Geschichte ist hier weitaus formaler und allgemeiner ausgedrückt als anderswo. Gerade durch den auffälligen paronomastischen Relativsatz88 kommt zum Vordersatz »ein Moment des Unbestimmten und doch wohl auch Geheimnisvollen hinzu, so daß die Zusage von Jahwes wirksamer Gegenwärtigkeit zugleich in einer gewissen Schwebe und Ungreifbarkeit bleibt; es ist Jahwes Freiheit, die sich nicht im einzelnen festlegt«.89 Die Unbestimmtheit Gottes nach außen könnte also durchaus als eins mit seiner absoluten Bestimmtheit in sich selbst verstanden werden! Es handelt sich ersichtlich um eine »Unbestimmtheit«, die eine Fülle von Möglichkeiten offenlässt: »ich bin, soviel ich sein will«.90 3.2. Sodann ist der Zeitaspekt der Formel zu berücksichtigen. Diese erzeugt ja mit der Erwartungs- oder Vermissenserfahrung, was den erfragten Namen angeht (Schein einer Tautologie), eine inhaltliche Verheißung für göttlichen Beistand in aller Zukunft. Verbindet die Selbstvorstellung Ex 3,6 Vergangenheit und Gegenwart, so die Selbstzusage 3,14 Gegenwart und eine unbegrenzte Zukunft. Diese Verheißung göttlicher Gegenwart und zugleich einer Offenheit für die künftige Geschichte neuer Erfahrungen mit Gott (cf. Gen 12,1) kulminiert in dem in Ex 3,15 Zugesagten. Das besagt auch: Der »Name« Gottes ist darum der Inbegriff und die Einheit aller Verheißungen (cf. Gen 26,3; Jes 43,2; Jer 1,8), weil er selber in seinem Sein Verheißungscharakter hat.91 Die Kombination von Präsens und Futur in V. 14 führt auf den Begriff einer allumfassenden Ewigkeit, die als zeitübergreifende Selbstbestimmung und Selbstübereinstimmung Gottes zu denken ist.92 Wenn also Ex 3,14 der wirkliche »Name« Gottes ist, dann bedeutet dieser – sich selbst gebende – Name bezüglich Gottes, dass er ein (im gewöhnlichen Sinne) namenloses Geheimnis ist,93 das schlechthin gegenwärtig ist (Ich bin, der ich bin), dies aber so, dass es dies als zugleich zukünftig ist (Ich werde sein, der ich sein 87

Auffällig ist auch der Wegfall der expliziten Beziehung, wie sie V. 12 zu lesen ist: »mit dir«. 88 Zur Syntax dieser Relativsatz-Konstruktion cf. BERNHARDT, ThWAT II, 406. 89 V. RAD, Theologie I (wie oben Anm. 72), 194. Es sei darauf aufmerksam gemacht, dass auch »Freiheit« ein metaphysischer Begriff ist und ebenso wenig der denkenden (»spekulativen«) Nachfrage entgeht wie andere Begriffe. 90 NOTH, Numeri (wie oben Anm. 77), 31; cf. Gen 32,30 und Ri 13,18. 91 Cf. überhaupt die Konstruktion mit: »Ich will euch zum Gott sein« (o. ä. bei Jeremia, Ezechiel, Hosea und Sacharja). 92 Nach FELDMEIER/SPIECKERMANN ist »auch die Kombination beider Zeitstufen … denkbar« (a.a.O. 30)! 93 Ist Gott nur sich selber gleich (Jes 46,5.9b), so ist sein Name schon darum (inhaltlich) »unaussprechlich«.

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werde). Genauer heißt das: Von der Zukunft her, und d. h. seiner eigenen Zukunft her, macht er sich und ist er als er selbst gegenwärtig.94 Ein solches Sein entzieht sich naturgemäß einer eindeutigen Identifizierbarkeit, wie sie sonst durch einen Eigennamen gewährleistet wird.95 Wenn Gott mit seiner Zukunft alles durchdringt und so gegenwärtig ist, gerät alles in den Sog seiner kommenden Zukunft (cf. Jes 44,6).96 Hat Pannenberg recht mit der Feststellung, die Erläuterung des Gottesnamens Ex 3,14 verweise »auf die Selbstidentität Gottes, die sich in seinem geschichtlichen Handeln herausstellen wird«,97 so wird das (in § 2) genauer als »Werden zu sich« zu begreifen sein. Der Name von Ex 3,14 enthält in sich schon den Begriff dessen, der sich in diesem Namen vorstellt – überhaupt »wohnt« Gott in seinem Namen, und wo sein Name wohnt (Tempel), da ist er selber auch gegenwärtig (cf. 2Sam 7,13; 1Kön 8,18 sowie 9,7; Ps 26,8; 75,2) –, und Gott ist mit seinem »Namen« unterwegs zu uns wie zu sich und ist in seinem Namen so bei uns, dass er bei sich ist. 3.3. Schließlich bedeutet der Gottesname des Alten Testaments, wie er zukunftsträchtig in Ex 3,14 ausgesprochen ist, etwas Entscheidendes für uns, die homines viatores:98 Gott bleibt derselbe und erschließt zugleich neue 94

»Die Gegenwart wird dadurch theologisch qualifiziert, daß ihr die Vergangenheit, die Gottesgeschichte, zur Zukunft wird« (SCHMID, »Ich bin, der ich bin« [wie oben Anm. 51], 409). 95 Darum wird Mose kein eigentlicher »Eigenname« Gottes genannt; in einem solchen liegt an sich kein innerer Bezug auf das Wesen des mit ihm Bezeichneten, wie es hier der Fall ist. Sonst ist ein Eigenname etwas, das mehreren verschiedenen Individuen zukommen kann (wie auch einem Individuum mehrere Namen). Es handelt sich eben bei Gott nicht um ein existierendes Individuum, und schon gar nicht um einen Gott, der unter anderen Göttern oder auch allein nur faktisch da ist. Hier geht es vielmehr um den einzigen, absoluten und erschöpfend zutreffenden Namen; das unterscheidet Ex 3,14a von biblischen Gottesnamen wie: El-schaddai, Zebaoth, Pantokrator etc., die systematisch als nachgeordnet betrachtet und von Ex 3,14 her verstanden werden müssen. Werden Eigennamen in der Regel jemandem von Anderen zugesprochen, um ihn unverwechselbar zu identifizieren, so liegt hier der einzigartige Sachverhalt vor, dass Gott sich durch sich selber identifiziert: als der, der er ist. Ist das in Ex 3,14 Artikulierte der wahre Name Gottes, so ist dies kein äußerlicher »Name« im Sinne bloßer Benennung (Bezeichnung), sondern in diesem ungewöhnlichen, »ganz anderen« Namen ist das Wesen dessen, dem er zukommt, schon enthalten. Er ist in diesem Namen (schon sprachlich) selber mit seiner Macht und Wirklichkeit da. 96 So lassen sich die Aussagen E. Blochs über den Exodus-Gott theologisch aufnehmen: »Er ist vor allem aber nicht statisch beschaffen, wie alle heidnischen Götter bisher. Denn der Jahwe Mosis gibt von sich, gleich am Anfang, eine Definition, eine immer wieder atemraubende, die jede Statik sinnlos macht« (E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Frankfurt 1967, 1457). 97 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 72), 224. 98 S. u. Abschnitt C. (S. 122ff). Cf. ergänzend J. MOLTMANN, Theologie der Hoffnung, München 31965, 101ff.

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Erfahrungen mit ihm; bzw. umgekehrt: In alle geschichtliche Zukunft mit ihren Veränderungen zu unabsehbar Neuem wird Gott sich mit sich identisch bleibend erweisen und so – selber kreativ wirksam – als ihr Herr erweisen (cf. auch unten Abschnitt C.). Vor diesem Hintergrund ist der Begriff Gottes selbst in einer spekulativen Interpretation von Ex 3,14 zu erarbeiten (Abschnitt B.). Diese hat sich nochmals streng am Wortlaut der Formel zu orientieren, hat aber auch die systematisch noch anstehende Frage im Blick zu behalten: Wie ist (von Ex 3,14 her) das Verhältnis zwischen Gottes »Ich« und seiner Wirksamkeit (Handeln) sowie auch seinem Sagen (in Ex 3,14) zu bestimmen? 4. Bedeutung für den Begriff von Gott Den nun anstehenden Übergang zur Interpretation von Ex 3,14 in dezidiert spekulativer Hinsicht (Abschnitt B.) sollen zwei weitere Betrachtungen vorbereiten, die sich auf eine Auslegung aus unserer Zeit (1.) sowie auf eine frühere bei I. A. Dorner (2.) beziehen. Diese anachronistische Reihenfolge führt recht eigentlich auf das, was uns als der gedankliche Kern in Ex 3,14 beschäftigen und auf den expliziten Gottesbegriff von § 2 führen wird. 4.1. H. H. Schmid erblickt in Ex 3,14 den einzigen im Alten Testament überlieferten »Versuch einer theoretischen Reflexion Israels über das Wesen Gottes«.99 Sie wird geleitet von der Annahme: »Wer den Namen einer Gottheit kennt, der kennt ihr Wesen«.100 Darum fällt diese Reflexion wohl auch so grundsätzlich-abstrakt wie geheimnisvoll aus. Jedenfalls verrät sie ein nahezu theoretisches Bewusstsein davon, was es mit Gott und seinem Wesen auf sich hat: »Es geht der Stelle offensichtlich nicht darum, wie Gott ist, sondern wie er wirkt, wie er wirklich wird, wie er sich [sc. als Gott] erweist«.101

99 SCHMID, »Ich bin, der ich bin« (wie oben Anm. 51), 403. Cf. auch 408: »die Formel … ist für ihn [E] die grundsätzlich gültige Beschreibung des Wesens Jahwes«; anders freilich PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 72), 428. 100 SCHMID, A.a.O. 404. 101 A.a.O. 406 (Hervorh. J. R.). Cf. ebd.: »Wer nach dem Wesen Gottes fragt, bekommt vom AT nicht eine bündige Antwort, die in einem Satz oder einer Aufzählung von Eigenschaften Gottes Wesen hinreichend beschriebe. Gott ist nach dem AT nicht ein Ding, das man beobachten und klassifizieren kann … [Es gibt hier kein] abgerundetes Gottesbild. Wer Gott ist [sc. als Gott], faßt das AT nicht in abschließende Worte, sondern es meint, Gott melde sich immer wieder neu zu Wort – das sei sein Wesen« (Hervorh. J. R.). Ähnlich hat H. Gese betont, es sei keine »Verobjektivierung« des im Alten Testament erfahrenen Gottes möglich. Jede Festlegung des Wesens Gottes durch einen [sc. ihn inhaltlich definierenden] Namen sei hier (Ex 3,14) abgewiesen; es ist vielmehr so: »nicht der Name bestimmt Gott, sondern Gott gibt dem Namen Inhalt in völliger Freiheit und Souveränität« (GESE, Der Name Gottes [wie oben Anm. 33], 82).

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Wird schließlich erkannt: »Hier ist Wesen und Wirken, Wesen und Willen Gottes identisch«,102 so ist damit der Begriff Gottes, wie er sich in Ex 3,14 als Begriff artikuliert, im Prinzip schon formuliert. Gleichfalls ist ein Verständnis von der absoluten Lebendigkeit Gottes damit auch angebahnt: »Wesentlich ist für das AT nicht Jahwes Sein, sondern sein immer wieder neu Geschehen, sein Werden. In diesem Werden wird nicht nur Gottes Sein deutlich, sondern in diesem Werden ist Gott«.103 Ist Gottes Sein als Sein im Werden zu denken,104 so ist damit punktgenau der Begriff von Gottes Werden zu sich erreicht, den der folgende § 2 zu explizieren hat. 4.2. Die spekulative Theologie des 19. Jahrhunderts hat die Differenz zwischen den außerbiblischen Gottesvorstellungen und dem biblischen Gottesgedanken gern über das je verschiedene Verhältnis von Sein und Begriff Gottes bestimmt. Hat das Gottesbild im Heidentum noch Zufälliges an sich, so bedeutet das nach diesem Verständnis, es hat noch nicht zu der an sich in ihm selbst liegenden, eigenen Wahrheit gefunden und somit seinen eigenen Begriff noch nicht erreicht. So kann es heißen: Die Götter »haben ein Sein, das noch nicht dem Begriff Gottes entspricht, und ihr Begriff vom Göttlichen schließt noch nicht das absolute und nothwendige Sein ein«.105 Diese Differenz zwischen dem (faktischen) Sein und seinem Begriff ist selbst im Alten Testament noch nicht absolut überwunden, wenngleich die Bewegung auf diese Überwindung zu sich hier bereits abzeichnet – und dies eben durch die Zukunftsoffenheit des Gottesgedankens: »Aber auch die hebräische Religion hat einen Gott, der seine vollkommene Offenbarung, also die Mittheilung seines vollkommenen Begriffes sich noch vorbehält«.106 Gleichwohl ist zu konstatieren: »›Jehova‹ kann den ontologischen Gedanken zu enthalten scheinen: ›Ich bin, der ich bin‹ (das Sein mit dem Begriff gegeben)«;107 das würde heißen: Ich bin in meinem Sein, was ich nach 102

SCHMID, »Ich bin, der ich bin« (wie oben Anm. 51), 406. Ebd.; cf. 408. 104 Cf. den bei Schmid offensichtlich anklingenden Titel E. JÜNGELs: Gottes Sein ist im Werden (Tübingen 1965, 21967). Ist Ex 3,14 unmittelbar zwar noch nicht trinitarisch zu verstehen, so gilt doch Schmids Feststellung, das Alte Testament sei »moderner als oft angenommen wird« (SCHMID, a.a.O.). Das mag so sein, weil die Sprache Gedanken enthält, die über ihren zeitbedingten Entstehungskontext hinauszureichen vermögen. 105 I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 202. Vorausgesetzt ist dabei und für das Folgende, dass alles Sein auf seine eigene Wahrheit aus ist, die es im Begriff seiner selbst findet. Es sei auch daran erinnert, dass der Begriff des Absoluten Gottes schlechthinnige Unbedingtheit zum Ausdruck bringt. So ist das Absolute bei Platon τὸ ἐπ’ ἀρχὴν ἀνυπόθετον (Politeia VI. 510b7) und gerade so ἡ τοῦ παντὸς ἀρχή (511b7). 106 DORNER, ebd. Cf. auch das Pannenberg-Zitat oben bei Anm. 74 sowie unten Abschnitt D. (S. 126ff). 107 DORNER, ebd. 103

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meinem eigenen Begriff bin.108 Näher liegt für Ex 3,14 aber die unmittelbare Bedeutung: »Gottes Sichselbstgleichheit im Wechsel alles Endlichen«; er ist jetzt wie künftig und künftig wie jetzt.109 Dennoch ist es nicht unbegründet, sich für die Explikation des eigentlich spekulativen Gedankens anknüpfend auf Ex 3,14 zu berufen: »Aber wenn die ewige Sichselbstgleichheit, die den ursprünglichen Sinn dieses Wortes ausmachen wird, auch an sich die Identität des Seins mit dem Begriff Gottes enthält, so ist doch diese Seite der Sache im Alten Testament nicht hervorgebildet.«110 Es kann mithin in Ex 3,14, als an sich schon in dieser Stelle formuliert, die spekulative Einheit von Sein und Begriff bzw. die Wahrheit ihrer (Selbst-)Übereinstimmung gefunden werden. Eine entscheidende Bedingung für ein solches letztgültiges Begreifen der Selbstvorstellung Gottes an Mose liegt freilich in einem weiteren Gedanken, der – für meine Gotteslehre richtungweisend – so beschrieben wird: »Daß das Sein im Begriffe Gottes liege, kann nicht wahrhaft erkannt werden, wenn nicht Gott als nothwendig sich selbst begründend erkannt ist. Aber das setzt eine Unterscheidung Gottes von Gott voraus, die im Allgemeinen der hebräischen Religion noch abgeht. Erst in der christlichen Aera, erst in der Religion, welche eine vollkommene Offenbarung Gottes, also seinen wahren Begriff bringen will, tritt das … mit voller Kraft ins Bewusstsein.«111 Dazu ist in unserer Sicht zu sagen: Es geht, wie gleich zu zeigen ist, in der Tat um die angemessene Verhältnisbestimmung von »Sich-selbst-Gleichheit« und »Unterscheidung Gottes von Gott«. Auch wenn dieses Verhältnis in der Realität tatsächlich erst im Neuen Testament zu seiner absoluten Ausgestaltung gefunden hat, was unter anderem in der Trinitätslehre seine begriffliche Fassung erhält (s. u. § 15), so ist es in Ex 3,14 doch schon sprachlich artikuliert, d. h. dem Neuen Testament vorgesprochen (Abschnitt D.). Das hat der folgende Abschnitt genauer zu erörtern. Insbesondere das Theorem der »Selbstbegründung« Gottes, von dem Dorner hier spricht, wird uns dann in § 2 ausführlich zu beschäftigen haben.112 108 Dorner findet, die Nuancen sehr genau wägend, die Übersetzung willkürlich: »ich werde der sein, d. h. mich als der offenbaren, der ich bin« (DORNER, ebd.). Hier scheint ihm ersichtlich das nur Zukünftige der Seins-Offenbarung zu einseitig auf Kosten von deren Gegenwärtigkeit betont. Es gilt also, die Dialektik von schon da sein und noch auf sich zugehen (das »Werden zu sich«) im Begriff Gottes und seiner Offenbarung zu wahren. 109 Ebd. 110 Ebd. (2. Hervorh. J. R.). Dies differenzierte »Hervorbilden« findet sich erst im Neuen Testament. 111 Ebd. (Hervorh. J. R.); es folgt die Erörterung des »ontologischen Arguments« Anselms. 112 Franz Rosenzweig hat, unter Betonung des Umstandes, dass Ex 3,14 die Wiedergabe des göttlichen Namens an den Moment der Offenbarung des Namens gebunden hat (cf. ROSENZWEIG, Der Ewige [wie oben Anm. 68], 807 und 808) – hierin findet er sogar die Einheit der Bibel (809 und 814)! –, gesagt, dieser Name sei »selber Zeugnis eines Augenblicks der Offenbarung, der sich nun dem Leser in tausend Augenblicken der Er-

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B. Spekulative Interpretation Sie ist ganz allgemein darin begründet, dass der Formulierung von Ex 3,14 eine unabsehbare Bedeutung schon dadurch zukommt, dass Gott selber hier betont und in spezifischer Weise »Ich« sagt: Damit ist eine Zentrierung im Begriff des Absoluten gegeben, die es ebenso selbsthaft wie lebendig zu denken fordert. Die Exegese von Ex 3,14a hat im Wesentlichen auf vier sich hier durchdringende Dimensionen aufmerksam gemacht: 1. Verhüllung des Namens, 2. Gottes Existenz, 3. seine Beständigkeit und 4. seine gegenwärtige Wirksamkeit. Ein spekulatives Begreifen erfordert zunächst eine gedankliche Zusammenführung dieser Momente, um so Gott selbst von hier aus in seiner Einheit denken zu können; schon damit ist der folgende Abschnitt unumgehbar. Dies Anliegen wird noch dringlicher, folgt man, sie wörtlich nehmend, der Mahnung M. Noths: »Man wird sich hüten müssen, … dieser Deutung mehr entnehmen zu wollen, als was sie ihrem Wortlaut nach hergibt«.113 Denn es hat den starken Anschein, dass die historisch-kritische Auslegung von Ex 3,14, unerachtet ihrer sonstigen wertvollen philologischen und theologischen Einsichten, das in diesem Satz erkennbare Sprachgeschehen als solches nicht hinreichend beachtet hat.114 Die hier anstehende Interpretation ist so zunächst als entschieden sprachliche Auslegung des »Wortlauts« vorzunehmen, aus der sich der spekulative Gehalt der »Gottesgleichung« oder »Selbstformel« dann wie von selber ergeben wird.115 Es ist sorgfältig auf die Sprachbewegung der Formel zu achten: Was geschieht im Sagen dieses einzigartigen Satzes? 1. Die sprachliche Gestalt Der Satz von Ex 3,14a hat eine höchst auffällige Gestalt:116 Auf die Aussage »Ich bin« folgt ein Relativsatz; aber das Relativpronomen (rV,a]) eröffnet nicht, wie man erwartet, eine inhaltliche Aussage (Näherbestimmung) etwa dergestalt: »der x,y,z (ist)«, sondern enttäuscht dies normalerweise zu Erwartende kenntnis wiederholt und erneuert« (814). Das hat eine sachlogische Nähe zur oben vertretenen These, Gott fange im Glauben eines jeden neu mit sich an bzw. bringe sich auch am Orte des Glaubens an ihn selber hervor (s. o. Prolegomena, § 4, 4. [S. 70ff]). 113 NOTH, Exodus (wie oben S. 95 Anm. 34), 31f (Hervorh. J. R.). 114 Cf. aber A. WAGNER, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament, BZAW 253, Berlin/New York 1997, bes. 276f und 292 sowie (weitgehend zu Rosenzweig) N. SCHMAHL, Das Tetragramm als Sprachfigur, HUTh 55, Tübingen 2009. 115 R. Rothe sieht in Ex 3,14 den Anfang zu einer eigentlichen Begriffsbestimmung Gottes, der in der Formel »nur sich selber gleiche« (R. ROTHE, Dogmatik, 2 Bde., hg. von D. Schenkel, Bd. I, Heidelberg 1870, 21 [§ 8]). 116 Ähnlich formuliert ist im Alten Testament nur noch Ex 33,19b.

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durch eine Wiederholung des vor dem Relativpronomen schon Gesagten; der Satz läuft derart in sich zurück und gewinnt ein hermetisches Aussehen. Diese offenkundige Unverfügbarkeit der begegnenden göttlichen Wirklichkeit für den, dem sie (hier) begegnet, ist die »particula veri« der Deutung einer Namensverweigerung. Sie wird hier aber als Unverfügbarkeit sprachlich artikuliert. Das besagt: Wer und was Ich (der hier Redende) bin, ist nicht vom Menschen (hier: Mose) aus einfach in Worte zu fassen – z. B. als direkte, inhaltliche Antwort auf eine an mich gerichtete Frage (Ex 3,13b) –, sondern nur von mir selber her, und Ich selbst muss es sagen, wer und was Ich bin. So ist Ex 3,14 eine sprachliche Selbst-Manifestation. 1.1. Diese eigentümliche (reflexive oder selbstbezügliche117) Sprachfigur gibt zu denken und lässt nur die Deutung zu: Ex 3,14a ist keineswegs eine Aussage über … (auch nicht Jahwes über sich selber), sondern es handelt sich um eine darstellende, sprachliche Realisierung, d. h., es ist selber Darstellung und aktueller Vollzug dessen, wovon die Rede ist: »Das soldestw dencken, wer ich byn, der ich rede«.118 So kann man in der Exodus-Stelle 12,25a aktuell bzw. performativ erfüllt sehen: »Denn ich bin der Herr; was ich rede, das soll geschehen« oder auch Jes 52,6: »Ich bin es selber, der spricht: Hier bin ich«. Der hier »Ich« sagt, Gott, und so von sich selber spricht, ist, was der Satz sagt, indem er diesen Satz sagt, d. h., er selbst spricht, indem der Satz ihm entspricht.119 Darum interpretieren das »Ego« und das »sum (qui sum)« sich wechselseitig: Das Sein dieses Ich ist nicht ein Fall von »Sein« überhaupt, sondern »Ich« (bzw. Ich-Sein) ist hier selber das (absolute) Sein.120 Das heißt: Das Wesen (essentia) des Ich ist, (als Ich) zu sein (esse). In dem Satz Ex 3,14 ent-spricht Gott sich selber. Gottes Wort, das ist hier schon sein Sein.121 117 Statt mit einer Tautologie hat man es eher mit der rhetorischen Figur einer »complexio« zu tun, der Wiederholung des Satzanfangs am Satzende: Ich bin … ich bin. 118 LUTHER (zu Jes 40,28), WA 31 II, 283,2f. Auch G. Bruno gibt den »erhabenen Ausspruch der Offenbarung« so wieder: »Der, welcher ist, sendet mich; der, welcher ist, spricht also« (G. BRUNO, Über die Ursache, das Prinzip und das Eine [1584], RUB 5113, Stuttgart 1986, 101). 119 Bedeutet »Selbstgegebenheit« schon in der Phänomenologie E. Husserls ein unüberbietbares Maß an Gegebenheit überhaupt, so wird sie nochmals gesteigert, wenn sie als ein sprachliches Sichvergegenwärtigen auftritt; dann ist sie als ein sich von sich her Kundgeben (bzw. »Selbstoffenbarung«) evidente Selbstgegenwart im Selbstvollzug. Auch von daher relativiert sich die abstrakte Frage nach Gottes »Existenz«: Sie kommt immer schon zu spät. Existenz bloß als eine solche ist logisch vergangen, indem Gott spricht und von sich aus, zumal über sich, spricht. 120 Wer »ich« sagt, ist es, und kann (als Ich) nicht nicht sein. 121 Insofern scheint es mir unterbestimmt (und terminologisch nicht geschickt), wenn neuerdings R. Schulte Gottes Selbstnennung als ein sich zu sich selber »Bekennen« fassen möchte (R. SCHULTE, Das christliche Gottesbekenntnis. Eine andere systematische Theologie, 2 Bde., Münster 2014).

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Ex 3,14a gibt theologisch zu verstehen: Ich bin, der ich bin (und für dich bin bzw. sein werde) – in meinem eigenen Wort, d. h. meiner Selbst-Aussage; der Vers ist Gottes »Selbstwort«.122 1.2. Eine sich zuerst aufdrängende Frage ist nun freilich, ob es sich bei dieser »Gottesgleichung«, logisch gesehen, nicht um eine einfache Tautologie (wie z. B. Ex 16,23) handelt. In Kürze ist zu dieser Frage hier zunächst Folgendes zu sagen.123 Die tautologische Figur A=A liegt Ex 3,14 trotz des äußeren Anscheins nicht vor, weil hier mit dem Relativsatz, der die Erwartung: Ich bin, der … x, auf den Vordersatz zurückbiegt, in der Satzbewegung ein signifikanter Rückstoß erfolgt. Logisch gilt auch hier: »Aber die Identität ist nicht Seinsidentität, sondern die Identität des Sich-von-sich-Abstoßens«.124 Überhaupt gilt auch von jeder Selbstaussage der Form: Ich = Ich, dass auch sie nicht-tautologisch ist; denn sie artikuliert die Seinsbewegung, als die ein Ich »Ich« ist: Indem ich mich, mich von mir unterscheidend, auf mich als ein »Ich« beziehe, stelle ich so gerade meine Einheit mit mir (als Ich) ausdrücklich her. Die Zweiheit (in der Wiederholung) ist Ausdruck der Einheit des Selber-für-sich-ein-Ich-Seins. Auch hier ereignet sich ein Zurückbiegen der Bewegung bzw. eine Reflexion in sich:125 Ich bin – Ich, das bedeutet Fürsich-Sein als Negation eines Anderen.126 Gott sondert sich von allem, was er nicht ist bzw. was nicht er ist, dadurch ab, dass er sich auf sich selbst bezieht.127 Er bezieht sich hier unmittelbar nicht 122 So konnte J. G. Hamann sagen: »Ein anderes ∆ος µοι που στω kenne und weiß ich nicht, als Sein Wort, sein Schwur, und sein Ich bin – und werde seyn, worinn die ganze Herrlichkeit seines alten und neuen Namens besteht, den kein Geschöpf auszusprechen im stande ist« (22. Januar 1785 an F. H. Jacobi, in: HAMANN, Briefwechsel 5, 333,18–21). Dieser archimedische Punkt ist aber im Falle des lebendigen Gottes ein »springender Punkt«! Cf. auch a.a.O. 271,28f: »Ursprüngliches Seyn ist Wahrheit; mitgetheiltes ist Gnade« (für Hamann also »Wort«: a.a.O. 7, 174,17f) sowie a.a.O. 7, 427,17f: »Nicht das Seyn sondern das Attribut des HErrn der sich für den Gott des Volks erklärte wurde offenbart« (1788). 123 Eine ausführliche Behandlung des Problems bietet unten S. 140f der Exkurs II (Ramsey). 124 B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, 7 Bde., Frankfurt 1964–1979, Bd. VI/2, 1974, 102 (zum Begriff des »Gegenstoßes in sich selbst« cf. unter § 2 D. 1. [unten S. 213 bei Anm. 297]). In diesem Sinne hat Hegel gerade eine rein tautologische Identität kritisiert: Die »Gleichheit mit sich« muss »als sich zur Einheit herstellende« gedacht werden (HEGEL, Werke 6, 39) und »Identität als Verschwinden des Andersseins« (a.a.O. 45), weil Identität mit sich nur im Sich-Konstituieren als Identität zustande kommt. 125 Was übrigens nicht heißt, dass das Ich überhaupt als »Reflexion« auf sich verstanden werden könne; es handelt sich vielmehr um eine Entzweiung von sich – um der Einheit willen; cf. D. HENRICH, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt 1967. 126 Auch nach AMSLER, THAT I, 483 ist die Wiederholung in Ex 3,14 »nicht tautologisch, sondern verstärkend« – mit Berufung auf Ex 33,19. 127 Zur »Absonderung« Gottes cf. oben Anm. 40.

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auf anderes (d. h. durch inhaltliche Prädikate, die auch anderem zukämen), sondern durch sich auf sich. Zugleich aber unterscheidet er sich, sich auf sich selber beziehend, von sich selbst und ist dadurch (d. h. durch seine Selbstbeziehung als Selbstunterscheidung) gerade von allem unterschieden, was jeweils nur im Unterschied zu anderem ist, was es ist (omnis determinatio est negatio). Freilich eröffnet diese besondere Selbstunterscheidung auch wieder (in anderem Sinne) Gottes Beziehungmöglichkeit zu dem, was er selber nicht ist. Der Satz Ex 3,14 ist also keineswegs identisch mit der (sattsam bekannten) Tautologie: Gott ist – Gott.128 Im Falle von V. 14a wird ja nicht in 3. PersonPerspektive geredet (also keine Identifikation durch einen Dritten vorgenommen), und der Sachverhalt ist ebendarum ein anderer, weil hier Gott selber sich über sich ausspricht (in 1. Person-Perspektive), d. h. indem er sein Sein im Ich-Sagen auslegt bzw. artikuliert (also eine Selbstidentifikation vornimmt).129 Man hat hier die situative Kontextbezogenheit mit zu berücksichtigen; der Aussagegehalt besteht – als hörerbezogene Antwort – nicht in einer abstrakten (bloß konstatierenden) Feststellung oder Information über …, sondern der Redende bringt sich hier selbst ins Spiel, indem er sagt, was er ist und als Ich ist, und so in dieser Form eine Selbstzusage vollzieht.130 Hinzu kommt noch etwas: Gottes Vergewisserung seiner (Genetivus objectivus) für uns als Vergewisserung von seiner Identität mit sich übergreift in der futurischen Form (»Ich werde sein …«) auch die Zukunft und impliziert daher Verschiedenheit (in einem starken Sinn) und Veränderung, die von ewiger Identität so bestimmt wird, dass diese sich aus jener allererst (immer wieder neu) herstellt.131 Auch das ist etwas anderes als die leere Tautologie des A=A bzw. Gott ist Gott.132 1.3. Weiterhin ist zu bedenken, dass die Selbstvorstellung von Ex 3,14 von Anfang an auf ein Gegenüber zielt, dem sie mitgeteilt wird (»Beziehungs128 Dass damit nichts gesagt ist, hat schon Hegel drastisch festgestellt: »Wenn einer den Mund auftut und anzugeben verspricht, was Gott sei, nämlich Gott sei – Gott, so findet sich die Erwartung getäuscht, denn sie sah einer verschiedenen Bestimmung entgegen; und wenn dieser Satz absolute Wahrheit ist, wird solche absolute Rednerei sehr gering geachtet« (HEGEL, Werke 6, 43f). 129 Ex 3,14 ist kein Identitätssatz über ein Seiendes (genannt »Gott«), sondern eine Selbstaussage, eine artikulierte Selbstbeziehung, d. h. nicht das mathematische A=A, sondern sprachlich. Außerdem ist zu berücksichtigen: Das sich aussagende Ich, das den Satz »Ich bin, der ich bin« artikuliert, und das in diesem Satz ausgesagte Ich sind an sich schon ein Ich, das sich im Unterschied seines Redens über sich zu sich als diesem einen Ich verhält. 130 Auch in diesem Sinne ist Ex 3,14a spezifisch sprachlich, weil der dem Vers implizite Anrede-Charakter weit über eine bloße – sit venia verbo – Selbstverständigung Gottes über sich hinausgeht. 131 Gibt es einen Unterschied zwischen den Formulierungen: »Ich bin (werde sein), der ich bin (sein werde)« und »Ich bin (werde sein) der, der ich …«? 132 Hegels Kritik (oben Anm. 124) ist allein gegen diese abstrakte Identität gerichtet.

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name«). Freilich bleibt es in der Namensoffenbarung durch ihre sprachliche Rückläufigkeit bei einer Inversion der Mitteilung; es geht um die Mitteilung eines in sich Verschlossenseins: die Offenbarung eines Geheimnisses. Die sprachliche Figur von Ex 3,14a gibt also die eigentümliche Dialektik zu denken, dass Gottes Aus-sich-Herausgehen zugleich sein In-sich-Zurückkehren ist. Genauer: dass das Eine im Anderen bzw. als das Andere geschieht. Im Satz der Namensoffenbarung verhalten sich Vordersatz (»Ich bin«) und Relativsatz (»der ich bin«) so wie Absolutheit (Selbstsetzung als Selbstabsolvenz) und Relationalität zueinander, wobei Gottes Absolutheit auch seine Relationalität (bzw. Relativität) noch übergreift. Gottes »Name« vermittelt dialektisch Besonderheit und Allgemeinheit, denn das aktuell-besondere »Ich bin« wird durch den Zusatz: »der ich bin« bzw. »der ich sein werde« schlechthin allgemein.133 Bestimmt sich das Absolutsein Gottes durch die beiden Momente seiner Unerreichbarkeit (als in sich und durch sich geschlossener Kreis, der aller Sichtbarkeit entzogen ist; cf. Ex 33,20) und seines nur sich selber GleichSeins (als allein auf sich selbst bestehend und schlechthin unveränderlich), so ist er ewig der »Herr«,134 der aber zugleich – und zwar gerade als der Absolute – der in Gemeinschaft tretende, sich offenbarende Bundesgott ist.135 2. Begreifen des Namens Weil mit Max Müller zu sagen ist: Götter sind keine numina, sondern nomina, und dies für den Gott von Ex 3,14 in einzigartiger Weise, weil durch ihn selbst offenbart, gilt,136 darum ist die hier zu beobachtende Dialektik von (formeller) Namensgewährung und (inhaltlicher) Namensverweigerung für ein Begreifen des göttlichen Seins (d. h. für die Konstituierung der Gotteslehre im Begriff Gottes) spekulativ so aufschlussreich. Gilt, wie es K. Barth formuliert hat, »Ich bin der, dessen eigentlichen Namen niemand nachspricht«, so folgt: »… der offenbarte Name selbst soll durch seinen Wortlaut an die Verborgenheit auch und gerade des offenbarten Gottes erinnern«.137 133

»Der Eigenname umschließt Partikularität und Universalität des göttlichen Wesens und Wirkens … als Einheit, für die der Name des einen Gottes steht« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 32). 134 Cf. Ex 6,3–8 und unten § 14. 135 Cf. ROTHE, Dogmatik I (wie oben Anm. 115), 21f. 136 »Nomen Dei est Deus ipse, ut inter homines nominatur, h.e. agnoscitur et celebratur …« (A. CALOV, Biblia Novi Testamenti illustrata, Dresden/Leipzig 1719, Bd. I, 231 zu Mt 6,9f; Hervorh. J. R.); zu Ex 3 cf. DERS., Biblia Testamenti Veteris illustrata, Frankfurt 1672, 314. Cf. alttestamentlich U. RÜTERSWÖRDEN, Vom Numen zum Nomen, in: Ch. Schwöbel (Hg.), Gott – Götter – Götzen, VWGTh 38, Leipzig 2013, 282–291 (bes. 289f). 137 BARTH, KD I/1 (1932), 335 (Hervorh. J. R.); zum »Wortlaut« s. o. bei Anm. 113. Zur Zurückhaltung Gottes in seiner Offenbarung cf. auch Ex 3,5 und Jer 23,23.

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Alles in dieser Darstellung der Gotteslehre Folgende geht mithin von der These aus: Unser Begriff von Gott ist das Denken dieser Dialektik, d. h. das Begreifen seines Namens. Diese These geht gemäß der erörterten Selbstbezüglichkeit des »eigenen« Namens von Ex 3,14138 davon aus, dass dieser »Name« (als sich selbst auslegend) einen ich-haften Begriff Gottes von sich – und nicht einfach den Begriff eines Dritten über ihn – artikuliert.139 Das aber besagt: Ex 3,14a spricht in einer Selbstaussage den Begriff von sich aus, in dem Gott für sich existiert.140 In der Selbstaussage Gottes gegenüber Mose verbirgt sich ein Sich-selber-Denken Gottes, und wo wir diesen Satz vernehmen, denkt, absolut betrachtet, Gott sich selber, ist sich, sich selbst durchdringend, seiner inne.141 Die spekulative Interpretation hat in diesem Horizont für Ex 3,14 die folgenden fünf Aspekte herauszustellen. 2.1. Der Name enthüllt (hier) Gottes wirkliches Sein: das Sein dessen, der seinen eigenen Namen selbst mitteilt:142 »Gott selbst kann ›Ich bin Yhwh‹ sagen«.143 Denn es gibt kein Ich-Sein, das nicht sprachlich verfasst wäre,144 ungekehrt kann »ich« nur sagen, wer Ich ist, bzw. er ist es, indem er es sagt.145 138

Cf. oben S. 109 (nach Anm. 117). Cf. Meister Eckhart: »ipsum esse quandam in se ipsum et super se ipsum reflexivam conversionem« (ECKHART, Expos. Libr. Exod., in: ders., LW 2, 21,8f). Cf. auch F. H. Jacobi: »… es sey der wahre Gott ein lebendiger Gott, der wisse und wolle, und zu sich selbst spreche, ICH bin DER ICH bin« (F. H. JACOBI, Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, in: ders., Werke 3, 344) sowie a.a.O. 2, 476f., wo Jacobi es kritisiert, »den Namen Gottes auch einem nicht lebendigen oder nicht persönlichen Gotte, der nur ist, der da ist, ohne zu sich selbst sagen zu können, ICH bin der ICH bin, einem ärmeren Wesen, als das ärmste unter den Lebendigen, beyzulegen«. Das heißt: Erst im als Reden über sich und zu sich wahrgenommenen Selbstverhältnis (als einem »ausdrücklichen«) ist Gott als der, der er ist, der wirklich Lebendige, der ist, was er sagt, und nur sagt, was er ist. 140 Jede schwächere Deutung würde die Behauptung einer wirklichen (Selbst-)Offenbarung Gottes an dieser Stelle desavouieren. 141 Zur Illustration sei Klopstock angeführt. Gilt von uns aus: »Können Gedanken sich kaum von deiner Gottheit besprechen«, so für Gott selber: »Jeder Gedanke, mit dem du dein herrliches Wesen durchschauest, / Ist erhabner, ist heiliger, als die stille Betrachtung« (Der Messias, Erster Gesang, V. 250 und 252f; zum Sich-Denken Gottes cf. auch V. 267ff.). 142 Cf. J. P. FLOẞ, »Ich bin mein Name«. Die Identität von Gottes Ich und Gottes Namen nach Ex 3,14, in: W. Groß u. a. (Hgg.), Text, Methode und Grammatik (FS W. Richter), St. Ottilien 1961, 67–80. Cf. unten Anm. 149. 143 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 22 (Hervorh. J. R.). 144 Bei Gott ist daher sein Logos (Joh 1,1b.c). 145 In Analogie hierzu cf. die Aussage Fichtes, die er selbst als Einlösung des ontologischen Arguments sieht, über das Ich: »Das Sehen läßt sich gar nicht setzen, ausser als 139

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Hier ist auf den Einwand einzugehen, Ex 3,14 sei möglicherweise nur eine sprachliche Fiktion, d. h., es handele sich um eine nur menschliche Rede, die so formuliere, als ob Gott selber von sich rede. Um die sachliche und theologische Problematik dieses Einwandes einzusehen, ist viererlei zu berücksichtigen. 1. Dass Gott zu uns spricht, ist eine biblische und christliche Grundannahme (Joh 1,1); aber er spricht nur in unserer Sprache.146 2. Gottes »Ich« kann als solches überhaupt nur sprachlich (d. h. gemäß 1.: menschensprachlich) zur Darstellung kommen. Es etabliert sich mithin sprachlich und entfaltet im Raum der Sprache eine eigene Wirksamkeit, die nicht mehr bloß die einer menschlich-subjektiven Konstruktivität, sondern einer vom Menschen auch rezeptiv zu erfahrenden Selbständigkeit uns gegenüber ist. 3. Der Inhalt von Ex 3,14 betrifft gerade den uneinholbaren, qualitativ unendlichen Unterschied von jedem möglichen menschlichen Ich-Sagen,147 bzw. menschliches Ich-Sein erfasst hier seinen Unterschied zu dem an dieser Stelle zur Sprache kommenden göttlichen Ich-Sein. 4. Ex 3,14 (besonders in der futurischen Form) kann nur gesagt werden, indem es (über den Moment des unmittelbaren Ausgesprochenwerdens hinaus) wesentlich und spezifisch die Allgemeinheit der Sprache selbst in Anspruch nimmt. Aus dem unter 1. bis 4. Gesagten geht insgesamt hervor, dass der angeführte Einwand axiomatisch die menschliche Sprache als eine in sich abgeschlossene und nicht zu durchbrechende Immanenz voraussetzt – eine Annahme, die schon sprachphilosophisch höchst fragwürdig ist.148 unmittelbar lebendig, kräftig und thätig daseiend« (J. G. FICHTE, Die Wissenschaftslehre. 2. Vortrag im Jahre 1804 [27. Vortrag], in: J. G. Fichte-Gesamtausgabe, Teil 2: Nachgelassene Schriften, Bd. VIII, hg. von R. Lauth/H. Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, 398,14f). Weitere Belege zur sprachlichen Verfasstheit des existierenden Ich (Hegel, Liebrucks) in: RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 6), 512 Anm. 87. 146 Demgemäß sagen die alttestamentlichen Propheten: »So spricht der Herr …« (cf. Jes 1,11; 16,14; Jer 13,1.13 (1,4: des Herrn Wort); Am 1,3; Hos 1,2 u. ö.), obwohl es faktisch ihre menschensprachlichen Worte sind, die das sagen. Wenn man nicht annehmen will, sie hätten »Stimmen gehört«, so gibt es eine Erklärung dafür, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: dass 1. ihre Wirklichkeitserfahrung (z. B. in bestimmten politischen oder ethisch-sozialen Verhältnissen) überhaupt eine selber sprachlich verfasste ist, so dass sich ihnen in der begegnenden Wirklichkeit etwas »zuspricht«, das sie als Gottes Reden zu ihnen vernehmen, und dass 2. das Verhältnis ihres eigenen Sprechens zu Gottes Reden – logisch gesehen – unter dem Gesetz steht: »Wir müssen künden, was es [sc. das Gefühl von Wirklichkeit bzw. das göttliche Reden] kündet, wenn es [sc. selber] künden soll« (J. KÖNIG, Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, Tübingen 21969, 145 [§ 28]). Cf. überhaupt die §§ 27 und 28: »Der Ausdruck ein Gefühl sagt mir« (a.a.O. 130ff). 147 Siehe dazu unten C. 2. (Fénelon und Sartre), S. 124ff. 148 In einem Gedicht von O. Mandelstam heißt es: »AUF DEM ATHOS-BERG noch heute / …. / leuchtet / Gottes Name auf und singt. // Freude herrscht in jeder Zelle / Wo sich Gottes Name zeigt« (O. MANDELSTAM, Der Stein. Frühe Gedichte 1908–1915, über-

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»Ich bin, der ich bin« heißt in der Perspektive des Ich-Sagens also: Ich bin (in Wahrheit) der, der ich (jetzt) bin: der seinen Namen Mitteilende und in seinem Namen sich Mitteilende.149 Oder auch: Ich bin, was ich hier und jetzt tue: der, der sich selber offenbart; mein Sein ist Offenbarung, d. h. SichOffenbaren und Offenbarsein, und ich bin der Offenbare.150 Ebendies, als Ewiger im Jetzt offenbar und gegenwärtig bzw. aus dem Sein-bei-… zugleich in sich zurückreflektiert zu sein, macht die Grundlebendigkeit Gottes aus, wie sie Ex 3,14 zu denken gibt: »Das Sein Gottes, wie wir es aus seiner Offenbarung kennen, ist … in sich bewegtes und so bewegendes Sein« bzw. »das durch sich selbst bewegte Sein«, denn »Gott lebt aus und durch sich selber«, ist das aus sich selbst lebende Leben (cf. Joh 5,26).151 Damit ist der zentrale Begriff dieser Gotteslehre angesprochen.152

tragen von R. Dutli, Zürich 22000, 159; cf. 229 Anm.). Das Gedicht bezieht sich auf einen am Anfang des 20. Jahrhunderts von russischen Athos-Mönchen (insbesondere Hilarion und Antonius) entfachten Streit um die reale Göttlichkeit des Namens Gottes (insbesondere Jahwe!) und Jesu, in dessen Name »Jahwe« ebenfalls enthalten ist – der Name Gottes (bzw. Jesu) gilt selber als Gott –, bei dem diese Lehre, der sich auch S. N. Bulgakov, N. Berdjaev, V. Ern und P. Florenski anschlossen, offiziell als häretisch verurteilt wurde. Cf. dazu die gründliche Darstellung von B. SCHULTZE (S.J.), Der Streit um die Göttlichkeit des Namens Jesu in der russischen Theologie, OCP 17 (1951), 321–394. Diese neuthomistische Darstellung leidet, wie schon der Streit selber, daran, dass eine Klärung der Grundfrage nach dem Verhältnis Gottes selber zur Sprache bzw. seiner Kondeszendenz in die Menschensprache unterbleibt. Cf. auch: R. SLENCZKA, Die Göttlichkeit des Namens und die Rechtfertigung des Sünders, in: P. Hauptmann (Hg.), Unser ganzes Leben Christus unserm Gott überantworten [FS F. v. Lilienfeld], KO.M 17, Göttingen 1982, 417–433 (bes. 424 bei Anm. 30 und 31). Übrigens hat L. de Bonald das Wort als Selbstgegenwart Gottes im Geist aufgefasst (cf. W. REINERZ, Bonald als Politiker, Philosoph und Mensch, Borna-Leipzig 1940), und beim Cusaner findet sich das Sätzlein: »cum nomen Dei sit Deus« (De doct. ign. I 24, in: Nikolaus von Kues, Phil.-theol. Schr. 1, 282). 149 In dieser Perspektive wird verständlich, dass in der protestantischen Orthodoxie formuliert werden konnte: »Nomen Dei est Deus ipse, ut inter homines nominatur hoc agnoscitur et celebratur« (CALOV, Biblia Novi Testamenti illustrata [wie oben Anm. 136], 231 [zu Mt 6,9], sowie DERS., Biblia veteris testamenti illustrata [wie oben Anm. 136], 314 [zu Ex 3]. Cf. auch CA I: »appellatur et est Deus« (BSLK 50,8f). Ich verdanke diese Hinweise R. Slenczka (Erlangen). 150 S. u. § 10 sowie Meister Eckharts Behauptung, Gott sei »Ich«, eben weil er nicht einfach seiend sei (M. Eckhart, Erste Pariser Quaestio, in: ders., LW 5, 37ff., Nr. 9). Cf. auch BARTH, KD II/1, 339. 151 KD II/1, 301 und 305. Auch bei R. Guardini kommt Gott als der Lebendige in den Blick, »der gesagt hat: ›Ich bin, der ich bin‹« (R. GUARDINI, Das Gebet des Herrn, Mainz 2.3 1934, 25). Im Zusammenhang mit dem »Ich bin« redet Guardini von der Freiheit Gottes, »in welcher er sich selbst gehört, als Der, der er ist« (24) bzw. davon, »daß er sei, Der aus sich selber ist« (ebd.), oder auch, dass »Du bist in Dir selbst« (25). 152 S. u. § 4.

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2.2. Mit Ex 3,14 liegt eine »Ich-Rede« vor,153 und weil es um das IchSagen Gottes geht, sogar eine von höchster Bedeutung: »Gott bleibt ein souveränes Ich und kann nicht zum Es in der Verfügung menschlicher Neugierde werden«.154 Gleichwohl handelt es sich keineswegs um ein monadisches Ich: »das ›Ich bin‹ Gottes zielt von Anfang an auf ein Gegenüber«.155 Da das als ein artikuliertes Selbstverhältnis Gottes schon ein internes Sich-gegenüberSein Gottes einschließt,156 ist die Befürchtung Jean Pauls unbegründet: »Aber Gott gebe nur, daß Gott selber niemals zu sich sagt: Ich! Das Universum zitterte auseinander, glaub’ ich«.157 Überhaupt ist, wie Ex 3,14 begreiflich macht, Gott nur eins mit sich im Gegenüber zu sich, d. h. auch im Anderen seiner selbst. Denkt man das mit der Fassung »Ich werde sein, der ich sein werde« zusammen, so ergibt das den konkreteren Sinn: Immer, und in welcher Gestalt auch immer,158 werde ich Ich-selbst sein. Ist Gottes Ich-Sein die absolute Macht über die Zeit, d. h. ist es das Ewige selbst oder das ewige Selbst, so darf man lesen: ich werde bei allem, was ich sein will oder sein werde, Ich selbst bleiben. Denn was an etwaigen Unterschieden in ihm auftritt, ist doch absolut in seine Einheit mit sich zurück vermittelt.159 So lässt sich die Offenbarung von Ex 3,14a als entschiedene Wahrnehmung eines »Ur-Ich« begreifen: »Ein höheres Selbstbewußtsein tut sich inmitten des menschlichen auf und eröffnet den Blick in die Tiefe der göttlichen 153

AMSLER, THAT I, 483. A.a.O. 485. 155 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 519. 156 Wenn freilich Lichtenberg sagt: »Ich fühle mich – sind zwei Gegenstände« (G. CH. LICHTENBERG, Sudelbücher, Heft H. 146, in: ders., Schriften und Briefe, hg. von W. Promies, Bd. II, München 21975, 197), so will er offensichtlich einer falschen Vergegenständlichung des Selbstverhältnisses wehren, zu der uns die Sprache verführen könnte, also einer Einheit in der Zweiheit das Wort reden. Bei Jean Paul liest man: »Das Ich denkt Sich, es ist also Ob-Subjekt und zugleich der Lagerplatz von beiden« (a.a.O. [wie unten Anm. 157], 767, 132. Zykel). Man denke an die Selbstanrede (im Plural) Gen 1,27. Überhaupt ließe sich auch die Bibel als ein großes »Selbstgespräch« über die Jahrhunderte hinweg auffassen, so etwa, wenn Jesus oder auch Paulus das »Alte Testament« lesen. 157 Titan, 136. Zykel (im Munde Schoppes, der auch Swifts »Endworte« anführt: »Ich bin ich«), in: JEAN PAUL, Werke, hg. von N. Miller, Bd. III, München 41980, 784,21–23 (und 18). Es handelt sich um einen Ausdruck der Fichte-Kritik; cf. die »Clavis Fichtiana«, a.a.O. 1011ff. Zu Gottes Frage nach seinem Ich bei Kant s. u. § 2 B 1. 158 Zum Beispiel in der eines Menschen (s. u. Abschnitt D.). 159 Schelling schreibt: »das Bewußtseyn der Ewigkeit kann sich nur aussprechen in jenem Wort: Ich bin, der da war, der da ist, und der da seyn wird [Apc 1,8 u. ö.]; oder inniger in dem unübersetzlichen Namen, den sich der höchste Gott gegen Moses gibt, und der in der Grundsprache mit denselben Worten die verschiedenen Bedeutungen ausdrückt: Ich bin, der ich war, Ich war, der ich seyn werde, Ich werde seyn, der ich bin« (SCHELLING, Die Weltalter [1813], in: ders., SW I/8, 69f = Nachdr. 263f). 154

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Ichheit« [cf. 1Kor 2,10f!].160 Dieses Sich-Auftun ereignet sich wesentlich sprachlich (s. u. 2.3.), d. h. in unserer Sprache. Nur auf diese Weise kann es auch für die Erfahrung des menschlichen Geistes thematisch werden, und Ex 3,14 ist mitnichten eine bloß verstandesmäßige (subjektive) Reflexion ohne eine wirkliche, vorausgehende Offenbarung, die diese Formulierung begründet.161 2.3. In der oben beschriebenen Bewegung des Satzes (1.) artikuliert Ex 3,14a die Einheit Gottes sprachlich. Es handelt sich mithin um eine Einheit im Vollzug: Ich bin – Ich. Im Sich-Aussprechen Gottes stellt er, seine lebendige (Zeit und Ewigkeit umgreifende) Identität artikulierend, diese so für sich her, dass er sich darin als der, der er ist, selber hervorbringt. Sprechend, in seinem »Logos«, ist Gott für sich Gott; dahinter kann nicht einmal zurückgefragt werden, ohne diese (der Sache nach letztlich: trinitarische) Verfasstheit bereits in Anspruch zu nehmen, geschweige denn, dass diese ἀρχή abstrakt transzendiert werden könnte.162 In solchem gehaltvollen Sinne ist der »Name« von Ex 3,14 ein sich selbst auslegender Name163 bzw. ein Name, in dem der, dessen Name es ist, sich mit seinem Sein zu erkennen (bzw. zu denken) gibt. Statt von einer »Selbstvorstellung« Gottes ist angemessener von seiner Selbstartikulation zu reden: Er ist, was er sagt, und sagt nur, wie er es ist; genauer: Er vollzieht sein Sein als das, was es ist, indem er es ausspricht. Das heißt: Ich bin, der ich bin, indem ich artikuliere, was ich bin (bzw. wie ich Ich bin), und so bin ich es. Ich bin in meiner Selbstartikulation mit mir selber identisch: Eins mit mir im (sprachlichen) Mich-von-mir-Unterscheiden. Dieser »Name« ist somit schon begriffs-affin, ist λογικός. Indem er ist, was er sagt, ist Gott nicht ohne diesen Logos.164 160

CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik I, Leipzig 1855, 383f (§ 374). Damit ist Ex 3,14 deutlich unterschieden »von den Aussprüchen, die mythologische Phantasie ihren Göttern in den Mund legt« (cf. WEISSE, ebd.). Weisse leitet daraus a.a.O. sowohl das Bilderverbot wie den Anspruch ab: Keine anderen Götter neben mir! In der Tat entspricht Ex 3,14 – insbesondere in der futurischen Fassung – dem alttestamentlichen Bilderverbot bezüglich Gottes (Ex 20,4; Dtn 5,8). Definitiv eingelöst wird das im Neuen Testament, sofern durch das Kreuz Jesu jedes eindeutige Gottesbild zerstört bzw. verunmöglicht wird (cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 616f). Im schöpferischen Schritt vom Tod am Kreuz zur Auferweckung Jesu stellt Gott endgültig seine Identität als die des Lebendigen her. In diesem zentralen theologischen Sinn lässt sich Hegels Satz aufnehmen: »Identität ist hier eigentlich ein schiefer Ausdruck, denn es ist wesentlich Lebendigkeit in Gott« (HEGEL, Werke 17, 528). 162 Wie es Meister Eckhart unplausibel doch versucht, was die trinitarischen »Personen« angeht; cf. M. Eckhart, DW 1, Predigt 2, 43,30–44,39. 163 Philo bezeichnet den Namen Gottes (als λόγος) als Gottes ἑρµηνεύς (Leg. all. 207). 164 Von »Name« kann geredet werden, weil er, so verstanden, wesenhaft mit Gottes Sein verbunden ist. Wenn es bei Philo bezüglich Ex 3,14 (LXX: ὁ ὤν) heißt: ἴσον τῷ εἶναι πέφυκα, οὐ λέγεσθαι (De nom. mut. 11), so widerspricht dem Joh 1,1. 161

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Gottes Sprechen zu Mose als seine Selbstauslegung begriffen bedeutet, dass er nicht nur ist, was er ist (bzw. als solcher sein wird), sondern dass er dessen zugleich inne ist: Er besitzt sein Sein, indem er es für sich (und andere) artikuliert, und ist selbst sein Sein, indem er es weiß; er hat sein Sein als absolutes Innesein dieses Seins. Geht es Ex 3,14 um den Selbstvollzug von Einheit, artikulierte Selbsteinigung, so handelt es sich um die (sprachliche) Selbstdarstellung der Einheit an der eigenen Differenz.165 »Ich bin, der ich bin« bedeutet, dass Gott, um sich dieses Ich-Seins als des unbedingt eigenen zu vergewissern, das, was er ist (»der ich bin«), von sich, der dies ist, unterscheidet (»Ich bin …«). Er hat sein Ich-Sein gerade durch die Unterscheidung von sich, eine Selbstunterscheidung, in der er sich explizit auf sich selber bezieht und so in absolut selbsthafter Einheit mit sich ist. Es geht hier nicht einfach darum, Einheit an sich zu haben, sondern selbst die eigene Einheit zu sein. Spricht man in Anlehnung an Jer 23,23 von »Nähe und Ferne in Gott selber«,166 so ist dies nicht als Abwechslung zu verstehen, vielmehr ist Gott beides zugleich: das eine im anderen. Außerdem ist die Weite Gottes auch zeitlich auszulegen (s. u. 2.5.).167 Darum ist auch die futurische Aussageform hier unverzichtbar; denn Gott versichert sich auf die beschriebene Weise eben seiner unendlichen Identität mit sich – als einer Einheit, auf die er auch noch zugeht. »Ich werde sein, der …« heißt: In alle Zukunft und Ewigkeit werde ich Ich-selbst sein; und der Weg meines Seins ist ein Weg zu mir selbst und doch schon Gegenwart: das unendlich lebendige Sein, das ich bin. Man kann das als Gottes Freiheit bezeichnen: Er ist die Freiheit, in allem, was er ist, Er selbst zu sein. Daher ist Gott nicht als »das Sein« zu begreifen,168 sondern Gott ist ganz Er selbst.169 Demgemäß lässt sich Ex 3,14 auch so paraphrasieren: »Ich werde seyn, der ich will« oder: »Ich werde seyn, der ich bin, d. h. ich werde seyn und dabei doch derselbe bleiben, ich werde seyn ohne Nachtheil und ohne Veränderung meiner selbst«.170 2.4. Ex 3,14 artikuliert die Einheit Gottes konkret, weil sie eine den Bezug auf sein Volk übergreifende Einheit ist. Dafür steht von Ex 3,12 und 14b aus gesehen unter anderem auch Ex 20,2: »Ich bin der Herr (hw"hy. ykiinOoa"), dein 165

Feldmeier/Spieckermann sprechen davon, dass Gott Einer ist, indem er im anderen mit sich eins ist (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 113). 166 Cf. BARTH, KD II/1, § 3. 167 So als spräche er zu sich selber: »weiten Raum schaffst du meinen Schritten« (Ps 18,17; Zürcher Bibel). 168 Das heißt ontologisch als »ipsum esse« (wie im Thomismus) oder als das »Sein selbst« (Tillich). Cf. dazu meinen Aufsatz »Sätze über Gott und spekulativer Satz«, in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 91 Anm. 9), 192–209. 169 S. u. § 3. 170 SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 270 Anm. 2.

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Gott, der dich …« So impliziert das »Ich werde sein, der ich sein werde« die Verheißung: »Mit dir« will ich sein (Ex 3,12), und das besagt: Du erreichst zuletzt dein Ziel, indem Gott sein Ziel erreicht, nämlich sich selber.171 Gerade im Herausgehen aus sich und in seinem Bezug auf den Menschen (als MitSein) erreicht und bewährt Gott seine Selbstübereinstimmung konkret: mit sich als Gott identisch zu bleiben. Man kann mithin auch formulieren: »Was ich auch sein werde (auf dem Wege mit dir), ich werde Ich sein«. S. Kierkegaard hat in diesem Sinne Ex 3,14 als »das … bis zu einem gewissen Grade prädikatlose, aber doch stärker konkretisierte ›Ich bin, der ich bin‹« charakterisiert.172 Das erläutert er in einer Notiz am Rande folgendermaßen (spekulativ173): »In dem Wort ›Ich bin, der ich bin‹ tritt bereits das persönliche ewige Bewußtsein mehr hervor und entwickelt daher keinen Fatalismus wie die kalte ›Einheit‹. Ebenso wie auch diese Worte ›Ich bin, der ich bin‹ eine vortreffliche Antwort für unzeitige Frager sind«.174 2.5. Ex 3,14 bezieht Gottes freies Selbstsein auf die Geschichte.175 Mit F. H. Jacobi wäre zu sagen: »Ich bin, der ich bin. Dieser Machtspruch begründet alles«.176 Dieser Bezug ist in der futurischen Fassung des Verses unüberhörbar und von entscheidender Wichtigkeit (auch für Gottes eigenes Sein): »Ich werde dasein, als der ich dasein werde.«177 Zumal wegen der darin liegenden Verheißung wird so Gottes Sein in die geschichtliche Dimension, d. h. Zukunft und Zeitlichkeit überhaupt, hinein reflektiert bzw. reflektiert sich selber hinein. Geschichte ist – von ihm her 171

Cf. S. Kierkegaard: »Der rechte Beter streitet im Gebet mit Gott, und siegt – damit, daß Gott siegt« (S. KIERKEGAARD, Erbauliche Reden [1844], in: ders., GW 13, 86ff). 172 Pap. II A 86 (1837), in: S. KIERKEGAARD, Die Tagebücher, hg. von H. Gerdes, Bd. I, Düsseldorf 1962, 130. Er stellt hier dem abstrakten Monotheismus in außerbiblischen Religionen (»Gott ist [numerisch] einer«) den konkretisierten Monotheismus des Judentums gegenüber. 173 Cf. oben S. 117 bei Anm. 160. 174 Pap. II A 89 (a.a.O. [wie oben Anm. 172], 130f). 175 Cf. dazu S. CRAMER-NAUMANN, Gott als geschehende Geschichte. Die elohistische Interpretation Jahwes als des Kommenden im hyha rva hyha von Ex 3,14 (Diss. theol. Bochum 1992). 176 JACOBI, Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (wie oben Anm. 139), 418. Cf. auch: »Ich bin der – Ich bin; der – Ich war; der – Ich werde seyn« (a.a.O. 419). 177 So G. V. RAD (Theologie I [wie oben S. 100 Anm. 72], 196), M. Buber und F. Rosenzweig. Bubers Deutung akzentuiert so: »Ich werde dasein« bedeutet: Ich bin und bleibe gegenwärtig, werde immer dasein (und brauche als allezeit bei euch nicht etwa beschworen zu werden bzw. kann es gar nicht); »(als) der ich dasein werde« bedeutet (mit Verweis auf Ex 33,19): Isch bin immer da, doch jeweils als der, als der ich dann dasein werde (so dass das göttliche Ich sich nicht auf bestimmte Erscheinungsformen festlegen läßt); cf. BUBER, Werke II (wie oben Anm. 38), 62 (»Mose«). A.a.O. I, München 1962, 154 heißt es auch: »Ich bin da, als der ich da bin«.

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gedacht – Medium (Erscheinungsraum) der Sich-selbst-Gleichheit Gottes. Damit ist gesagt: Gottes ewiges Wesen hat eine Geschichte in der Zeit, und Ex 3,14 spricht genau von diesem sich geschichtlich darstellenden Sein und Wesen Gottes.178 Man könnte (hoch metaphorisch) von Gottes »Lebenslauf« sprechen.179 Dabei ist und bleibt Gott in aller zeitlichen, geschichtlich erscheinenden Wandelbarkeit und Veränderung (Buber) derselbe und mit sich Einige. Für Ex 3,14 gilt in dieser Perspektive: »Nicht als das absolute Seyn, noch als der Unveränderliche, noch als der unverbrüchlich Treue ist hiernach Jehova durch diesen von ihm selbst gedeuteten Namen bezeichnet, nicht als der Seiende, sondern als der Geschichtliche, aber auch nicht als der, welcher seyn wird oder als der Werdende, sondern als der im Werden, in der Geschichte sein selbst Seiende«.180 Das »Ich werde (auch zukünftig) sein, der ich sein werde« setzt notwendig voraus, dass »ich bin, der ich bin«; denn sonst wäre Gott nur einfach noch nicht, was er sein wird, als ein bloß »Werdender« also noch gar nicht Gott. Ohne schon bestehende Sich-selbst-Gleichheit kann es auch keine sein werdende geben.181 Andererseits schließt, wie gesagt, »ich bin, der ich bin« einen Unterschied (von sich zu sich) durchaus ein; d. h., Gottes Einheit des Erselbst-Seins ist zugleich eine Differenz in sich, die auch Bedingung dafür ist, dass erstens Sein und Seinwerden Bestimmungen desselben (Gottes selber) sind oder sein werden und dass zweitens auch die zukünftige Einheit Gottes mit sich (»Ich werde sein, der ich …«) noch dieselbe Einheit ist oder sein wird, in der er schon immer mit sich gleich ist. Es geht hier also nicht um eine unmittelbare (unlebendige) Identität, d. h. um ein zeitloses Jenseits oder z. B. einen zeitlosen »Kontinuitätskern« Gottes, sondern um eine Identität als Selbstvermittlung. So ist Gott ὁ βασιλεὺς τῶν αἰώνων (1Tim 1,17).182 Weil Ex 3,14 nicht von einem bewegungslosen ipsum ens redet, sondern die göttliche »Selbstbehauptung« des auf Mose und Israel 178

Man denke dabei unter anderem etwa an die göttliche Selbstherablassung (unten § 6), Offenbarung (§ 10), Liebe (§ 11), Trinität (§ 15). 179 Leider hält der Titel des Buches von J. MILES: »Gott. Eine Biographie« (aus dem Amerikanischen von M. Pfeiffer, München 1996) in dieser Hinsicht nicht, was er verspricht. Die vorliegende Gotteslehre versucht, in einem sukzessiv sich entfaltenden Gedankengang die göttlichen Wesensbestimmungen (unter anderem auch in ihrer Bewegung vom Alten zum Neuen Testament; s. u. Abschnitt D.) so zur Darstellung zu bringen, dass sie erstens aus der Logik des sich verwirklichenden Lebens Gottes (bzw. seines Sich-Hervorbringens) und zweitens als ein Werden zu sich (zielgerichtet) verstanden werden können, nämlich als in Gottes absolutem Leben als Dreieiniger (§ 15) und die Geschichte vollendendem Leben (§ 16: Eschatologie) sich erfüllend. 180 J. CH. K. V. HOFMANN, Der Schriftbeweis, Teil 1, Nördlingen 1852, 82 (Hervorh. J. R.). Man fühlt sich an den Titel E. JÜNGELs erinnert (s. o. Anm. 104). 181 Wie genau in Gottes Werden zu sich »schon« und »noch nicht« vermittelt zu denken ist, hat der nächste Paragraph (§ 2) zu klären. 182 Zur Ewigkeit Gottes s. u. § 9.

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sich hinbewegenden und mit beiden handelnden Gottes zur Sprache kommen lässt, gilt: »Es gibt eine heilige Veränderlichkeit Gottes«.183 Diese ist freilich als solche zu denken. 3. Zusammenfassung Es lässt sich zum Abschluss dieses Abschnitts B. das Folgende sagen: Ex 3,2 bildet gleichsam das bildhafte Integral der hier vorgetragenen Einsichten. Am »Symbol« des brennenden Dornbusches wird Gott als der in aller Veränderung – und nicht neben oder über ihr – sich selbst gleich Bleibende sozusagen anschaubar: die Einheit von Selbsttransformation und Selbstbewahrung, von Werden und Sein, Ruhe und Bewegung.184 Aus dem von Mose Erschauten formt sich ein göttlicher Anruf (Ex 3,4), und das Rätselbild übersetzt sich in Ex 3,14 so in Sprache, dass der brennend-nichtverbrennende Dornbusch zum Inbild des artikulierten göttlichen Namens wird:185 wie Gott selber in aller Veränderung unveränderlich, trotz ständigen Wandels unwandelbar.186 Gott verbindet mit höchster Beweglichkeit unzerstörbare Lebendigkeit: δύναµις ζωῆς ἀκαταλύτου (Hebr 7,16). Er ist das Feuer eines Lebens, das seiner selbst unendlich mächtig ist, ewig sich gleich und mit sich selber in Übereinstimmung; so spricht es die Gottesgleichung von Ex 3,14 aus. Trotz ihrer erhabenen Monotonie, die wie eine formelle Tautologie aussieht, birgt die Formel unendliches Leben in sich: Sie ist selber als Sprachbewegung schon ein »schöpferischer Akt Gottes«187 und entspricht Ps 33,9. Die Bewegung von Gott zu Gott: »Ich bin, der ich bin« scheint minimal und ist doch unendlich, denn sie durchdringt Himmel und Erde, das All und die Geschichte. »Ich werde sein, der ich sein werde« verheißt Leben in unerschöpflicher Fülle. Die Selbstunterscheidung von Ex 3,14, in der Gott sich selber auslegt, beinhaltet und umfasst den unabsehbaren Reichtum des göttlichen SelbstLebens sowie – darin eingeschlossen und freigesetzt – der geschaffenen Welt in Natur, Geschichte und Geistesleben (einschließlich der menschlichen Hervorbringungen). Zugleich aber dient dies lebendige Geschehen der Selbstdifferenzierung nur zur Erreichung und Durchsetzung göttlicher Einheit mit sich.

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BARTH, KD II/1, 557. S. o. bei Anm. 70. Was das für das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit bedeutet, führt § 9 aus. 185 M. Heidegger hat (in Bezug auf Schellings Freiheitsschrift) hierin ein Gleichnis der im Sich-Erblicken Gottes verborgenen Sehnsucht des Sich-Suchens gefunden, ohne freilich Ex 3,14 explizit zu nennen: »So wird sie und bleibt sie das ständige Sichverzehren, das sich nie aufzehrt, sondern gerade zum Unauslöschlichen entbrennt, um damit in ihrem eigensten Dunkel das in sie gesetzte Licht zu erhalten. Das Wort in Gott, das ewige Ja zu sich selbst ist der ewige Spruch, in dem Gott dem ›entspricht‹« (HEIDEGGER, GA 42, 220). 186 Cf. wiederum: µεταβάλλον ἀναπαύεται (Plotin, Enn. IV 8,1). 187 THAT I, 485 (AMSLER). 184

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Gottes Einheit ist als Selbstvermittlung zu begreifen: als Sich-Herstellen in seiner Identität aus aller Nichtidentität (Veränderung), und so schließt sie sich durch sein Anderes (als externe Differenz) z. B. in der Geschichte mit sich selbst zusammen. Gottes Ewigkeit muss demgemäß als die aus Zeit und Geschichte sich herstellende Identität Gottes mit sich gedacht werden (§ 9), als die ewige Selbstrestitution oder Selbsthervorbringung des lebendigen Gottes. Dieser Geschichtsbezug ist besonders für die explizit christliche Gotteslehre von spezifischer Bedeutung. Derart lässt sich bei dem »Namen« Gottes etwas denken,188 und indem Ex 3,14a diesen göttlichen Namen artikuliert, ist der gedankliche Begriff Gottes schon angebahnt.189 Zugleich ist im Zusammenhang mit »Ich werde sein, der ich sein werde« die Aufgabe, Gott als den Sich-Hervorbringenden zu denken, deutlicher geworden.

C. Religiöse Auslegung 1. Gottes Nähe und Freiheit Liest oder hört man das auffällige Satzgebilde Ex 3,14 achtsam, so wird man in eine sprachliche Bewegung mit hineingenommen, und genau in dieser Bewegung, einem Sprachgeschehen, spricht sich Gott selber aus. Das Eigentümliche der Formulierung: Ich bin – der ich bin, liegt sprachlich darin, dass die vom Vordersatz ausgelöste Erwartung auf eine inhaltlich bestimmte Fort188 Das ist dem bezeichnenden Einwand von P. Valéry entgegenzuhalten: »Du redest mir von Gott – – Ich hingegen möchte wissen, was unter diesem Namen in dir ist und nicht Wort ist. Du kannst es mir nicht sagen … Ich will mich keinesfalls an einen Namen halten« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 604f). Dabei ist zwar die Frage nach dem Sachgehalt (»was in dir ist«) des göttlichen Namens bzw. des Wortes »Gott« berechtigt; aber »und nicht Wort« meint bei Valéry bloßes Wort im Sinne seines radikalen Nominalismus und d. h. als von dem mit diesem Wort zur Sprache kommenden Sachverhalt durch einen ontologischen Hiatus getrennt (cf. z. B. 609: vom Wort Unabhängiges; 629: »etwas außerhalb der Sprache«; cf. 643 u. ö.). Valéry verkennt allgemein, dass schon bei jedem Wort, zumindest sofern es in einem Satzzusammenhang vorkommt, die gemeinte Sache (als das Andere des Wortes) nur im Wort erreichbar ist, nicht aber abstrakt davon getrennt da ist. Er rechnet nun im speziellen Fall prinzipiell nicht damit, dass das Wort »Gott« (bzw. der Name Gottes) selbstexplikativ ist und so die mit dem Wort gemeinte Sache von dieser selber her zur Sprache kommen lässt und deshalb nicht anders zugänglich sein kann. Denn »was in« einem ist, der von Gott redet, ist ebendie Gegenwart des göttlichen Namens selber, der sich (gemäß Ex 3,14) als das, was er ist, zur Sprache bringt. Es ist tatsächlich so, dass Gott die Sprache (ge-)»braucht«, um zu sein: er ist selber (auch) Wort (cf. a.a.O. 614). Cf. R. Bultmann: »Gottes Wort ist Gott« (R. BULTMANN, Glauben und Verstehen, Bd. I, Tübingen 51964, 271). 189 Rothe spricht vom »Anfang zu einer eigentlichen Begriffsbestimmung in Ansehung Gottes« (ROTHE, Dogmatik I [wie oben Anm. 108], 21).

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setzung vom folgenden Relativsatz gerade umgebogen wird, denn diese Satzkonstruktion läuft in sich zurück: Gott wiederholt sich selber. Darin aber kommt seine Unendlichkeit zum Ausdruck. Der Satz manifestiert sprachlich Gottes Freiheit: Er ist nicht auf unsere Frage nach ihm oder an ihn festgelegt, sondern er ist (Gott) auf seine eigene Weise, nur sich selber gleich. So wie hier antwortend, bleibt er der »Herr« auch seines Namens.190 Gleichwohl kommt Gott mit dieser Antwort an Mose uns auch nahe; er macht sich uns in unserer Sprache gleich und bleibt uns zugleich auch absolut ungleich oder fern (Jer 23,23), weil nur gleich mit sich.191 Obwohl es für uns zu einer Berührung durch ihn kommt, verbleibt er selber unberührbar in sich. Zwar löst Ex 3,14 die Verheißung von 3,12 ein: »Ich bin bei dir und mit dir«, aber unverfügbar. Das bedeutet: Indem ich für dich da bin, bist in Wahrheit du für mich da.192 Dieser göttliche Name nimmt uns mit, denn Gott kann man nur so »haben«, dass man vielmehr von ihm gehabt wird.193 In seinem offenbarten Namen redet Gott zu uns als vor ihm (coram Deo) sich Findende. Daher besagt Ex 3,14 auch: Ich bin der, der ich mit dir rede, und: Ich bin, wie ich (hier) mit dir rede. Ich rede mit dir (loquor), also bin ich (ergo sum) – und so bin ich, der ich bin. Gott bekommt in dieser Anrede an uns ein Gesicht für uns; es gilt auch hier: »Rede, dass ich dich sehe«.194 In seinem Sprechen geht Gottes Angesicht über uns auf, und es erfüllt sich der Segen von Num 6,24–26. Auch an dem Futur »Ich werde sein, der ich sein werde« wird erkennbar, dass Gott kein monadisch verschlossenes Ich ist, das, »fensterlos« (Leibniz), absolut nur auf sich fixiert wäre; Gott behauptet seine Gleichheit mit sich nicht abstrakt gegen uns. Vielmehr besagt seine (Selbst-)Zusage und Verheißung, dass er uns zugut zukunftsoffen ist; im Weitergehen mit uns reicht Gott, sich 190 Ex 3,14a trägt also nichts zu der Neugiersfrage bei: »Wie erlangt man Kenntnis höherer Welten?« (R. Steiner). 191 S. u. 2. 192 Die Selbstoffenbarung von Ex 3,14 stimmt spezifisch zusammen mit dem in den Prolegomena dargelegten strukturellen Sachverhalt von Gottes Zuvorkommen als Bedingung dafür, zu ihm selber einen Bezug zu gewinnen, der dieser Gotteslehre als Ganzer zugrunde liegt (s. o. S. 5f u. ö.). Denn, indem er uns durch sein »Ich bin« (aus sich heraustretend) anspricht, richtet er uns durch die Fortsetzung: »der ich bin« gänzlich und uneinholbar auf sich selbst aus, weil er so im Herausgehen aus sich zugleich ganz bei sich bleibt bzw. definitiv in sein Gottsein einkehrt. 193 FELDMEIER/SPIECKERMANN zitieren E. Käsemann: »Man hat Gott eben nie dingfest in seiner Hand, weil er dann aufhört, Gott und unser Herr zu sein. Man hat ihn nur, wenn und solange er uns hat« und Bonaventura (Breviloq. V 1,5): »nullus Deum habet, quin ab ipso specialius habeatur« (a.a.O. 113 mit Anm. 64). Cf. auch 1Kor 8,1–3 (und dazu oben Prolegomena, § 2 A. 2. [S. 19ff]). 194 Zugleich ist es so, dass dabei wir gesehen werden; cf. oben Prolegomena, § 2 A. 3.3. (S. 23ff) und 3.6. (S. 26f).

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gleich bleibend, in seine eigene Zukunft, und ist mit uns unterwegs zu sich (cf. Jes 43,10f; Hebr 1,12b). Diese Zukunft ist in sein ewiges Leben integriert. So geht die Zusage von Ex 3,14 über jede Gegenwart hinaus und betrifft Gottes Sein »von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Ps 90,2). Darin liegt seine ewige Treue, denn er wird in alle Ewigkeit sein »Ich selbst« sein. 2. Der Mensch vor Gott Eine weitere Dimension tut sich auf, fragen wir: Als wen oder was erfahren wir Menschen uns selber, finden wir uns der Dynamik des Satzes »Ich bin, der ich bin« ausgesetzt? Angesichts von Gottes sich hier bekundender lebendiger Unveränderlichkeit wird massiv unsere menschliche Veränderlichkeit, Vergänglichkeit, Haltlosigkeit und Hinfälligkeit spürbar. 2.1. Als homines viatores erfahren wir täglich und lebenslang unsere spannungsreiche Ungleichheit mit uns selbst.195 Für unser je eigenes vielfach beirrtes Unterwegssein gilt: Ich bin durchaus nicht, der ich bin. Nie bin ich ganz, was ich sein soll, ja, ich bin nicht einmal wirklich das, was ich eigentlich doch bin und sein will. Ich bin auch nicht mehr, was ich einmal war; denn ich war einst nicht der, der ich jetzt bin. Und ich weiß, dass ich nicht der sein werde, der ich gegenwärtig bin; schon morgen kann mit mir alles anders sein. Zudem weiß ich noch gar nicht, wer ich zukünftig sein werde.196 Gilt für uns vielfältig: Ich bin nicht, der ich war bzw. sein werde, so heißt das: Ich wird sich selbst gegenüber ein anderer; hiermit liegt der Fall vor, dass wir das eigene Ich als ein anderes Ich erfassen.197

195 Im Unterschied zu Gottes absolutem Selbstsein (s. u. § 3 D. [S. 274ff]) gilt von uns endlichen Menschen: »Das Selbst, das wir sind, besitzt sich nicht selbst. Eher könnte man sagen, daß es sich geschieht« (H.-G. GADAMER, Zur Problematik des Selbstverständnisses, in: ders., Gesammelte Werke 2. Zur Hermeneutik II, Tübingen 21993, 130). 196 Diese Aussagen sind inhaltlich angeregt durch Meditationen von F. Fénelon, der in seinem »Traité de l’existence et des attributs de Dieu« mit Ex 3,14 die menschliche Nichtidentität, sie in allen zeitlichen Dimensionen durchdeklinierend, kontrastiert hat (F. FÉNELON, Œuvres, Paris 1822–1824, Bd. I, 1–284; bes. 244 und 253f, cf. II, 85 und 95, und Augustin, Enn. in Ps. 101 II, 10; PL 37, 1311). Fénelon begriff die Selbstbezogenheit menschlicher Subjekte als Derivat der Selbstbeziehung Gottes. Cf. dazu H. BIRUS, »Ich bin, der ich bin«. Über Echos eines Namens, in: S. Mosès/A. Schöne (Hgg.), Juden in der deutschen Literatur, stb 2063, Frankfurt 1986, 25–53. 197 Dies ist eine mögliche Lesart der bekannten Formel: Ich ist ein Anderer. Dies Dictum scheint – sieht man von gewissen Vorgängerformeln wie: »Iste ego sum« (Ovid, Metam. III 463a) oder: »Moi, c’est un autre« (CHAMFORT, Maximes et Pensées [c. VIII]) einmal ab – durch A. Rimbaud weitere Verbreitung gefunden zu haben (»Je est un autre«; Brief an P. Demeny vom 15.5.1871). Cf. P. RICŒUR, Das Selbst als ein Anderer, übersetzt von J. Greisch, München 22005; schon bei M. Heidegger steht (bezüglich des »Man«): »Jeder ist der Andere und Keiner er selbst« (M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 10 1963, 128 [§ 27]).

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Menschliche Identität ist instabil und ungewiss: Wir sind immer wieder anders und andere, ohne eine sichere Lebenskontinuität. Entweder wollen wir uns lieber loswerden als bleiben, wie wir sind, oder wir wollen uns krampfhaft festhalten, obwohl wir uns ändern müssten.198 Wer kennt sich noch wieder in der eigenen Vergangenheit, und wer bangt nicht vor einer Zukunft, in der er vielleicht sein wird (oder muss), was er nie werden wollte? Gleichheit und Veränderlichkeit stehen beim Menschen in unausweichlicher Spannung bzw. im ständigen Widerstreit miteinander. Wir sind in den unwiderstehlichen Fluss der Zeit geworfen, sogar im Kern unseres Personseins, da, wo wir »Ich« sind.199 2.2. Außer in Dichtung und Literatur (unübersehbar) finden sich entsprechende »Echos« auf Ex 3,14200 im Blick auf die menschliche Existenz auch in der Philosophie. Dafür sei hier J.-P. Sartre angeführt, dessen Sätze sich wie ein säkulares Echo auf Fénelon lesen: … in diesem Sinn besteht bereits ein Bezug zwischen meinem künftigen und meinem gegenwärtigen Sein. Aber in diesen Bezug ist ein Nichts hineingeglitten: Ich bin nicht der, der ich sein werde. Zunächst bin ich es nicht, weil Zeit mich davon trennt. Ferner weil das, was ich bin, nicht der Grund dessen ist, was ich sein werde. Schließlich weil überhaupt kein aktuell Existierendes genau das bestimmen kann, was ich sein werde. Da ich jedoch schon das bin, was ich sein werde (sonst wäre ich nicht interessiert, dieser oder jener zu sein), bin ich derjenige, der ich sein werde, nach dem Modus, es nicht zu sein201 … Das entscheidende Verhalten wird aus einem Ich hervorgehen, das ich noch nicht bin. So hängt das Ich, das ich bin, an ihm selbst von dem Ich ab, das ich noch nicht bin, und zwar genau in dem Maß, wie das Ich, das ich noch nicht bin, nicht von dem Ich abhängt, das ich bin.202

198 Diese tiefe »Verzweiflung« im menschlichen Selbst-Sein hat S. KIERKEGAARD grundsätzlich in seiner »Krankheit zum Tode« (1849) durchreflektiert. 199 Auf eine Kurzformel gebracht bei E. Bloch: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst« (E. BLOCH, Tübinger Einleitung in die Philosophie I, es 11, Frankfurt 21964, 11). Cf. auch: »Nicht anders kann das nach außen gebrachte Innere, mithin das Organische höherer Stufe geschehen, das exzessive Ornament und das leise Wiedersehen des Ich mit dem Ich, der Ich sein werde …« (DERS., Geist der Utopie, Berlin 1923 [Nachdr. stw 35, Frankfurt 1980], 39). In »Geist der Utopie« 254 zitiert Bloch die rabbinische Aussage über den Messias (eschatologisch) kommentierend: »er ›west in unser aller Tiefstem als ‚ich bin, der ich sein werde‘‹, als ›Dunkel des gelebten Gottes‹, als Dunkel vor seinem sich Haben, vor seinem endlich aufzudeckenden Angesicht, vor Ausgang aus dem Exil des wahren Wesens selbst.« 200 Zu diesen s. u. Exkurs III. 201 Sartre bestimmt von hier aus, d. h. seine eigene Zukunft nach dem Modus des Nichtseins zu sein, den Begriff der Angst. 202 Sartre fügt mit Anspielung auf Kierkegaard hinzu: »Und der Schwindel erscheint als das Erfassen dieser Abhängigkeit« (J.-P. SARTRE, in: ders., Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, hg. von Tr. König, übersetzt von H. Schöneberg, Reinbek bei Hamburg 1991, 95f). Zu Sartre hat, wiederum mit Bezug auf Kierkegaard (s. o. Anm. 198), M. Theunissen geschrieben: »Ich werde ich, indem ich gleichsam

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Für den, der in Ex 3,14 Gott selber vernimmt, stellt sich indes die Ausgespanntheit des eigenen Ich-Seins – als eines Ich, mit dem Gott selbst auf dem Wege ist – freilich anders dar: »Gott hat mich, indem er zu mir spricht, ersehen als der, der ich bin, zu dem, der ich bin«.203 Das besagt, meine neue (eschatologische) Qualität vor Gott bzw. aus Gott ist meine eigentliche und wahre Qualität (cf. 1Joh 3,2!).204 Mithin wird der gläubige Bibelleser sagen: »Dem Himmel sey Dank daß es hoch über den Sternen ein Wesen giebt, das von sich sagen kann: Ich bin, der ich bin – Alles unter dem Monde sey wandelbar und wetterwendisch. –«205

D. Das Weitersprechen von Ex 3,14 im Neuen Testament 1. Fortschreibung Es gehört zu den historischen Voraussetzungen für die Fortschreibung von Ex 3,14 im Neuen Testament, dass Jesus von Nazareth in betonter Weise von sich selber geredet und so sein »Ich« zur Sprache gebracht hat. Am bekanntesten sind die feierliche Vergewisserungsformel: »Amen, Amen, ich sage (dir bzw. euch)«206 und die sog. Antithesen der Bergpredigt: »Ich aber sage euch«.207 Im Auftreten, Reden und Tun Jesu kam unvermeidlich dieses Ich und sein Selbstverständnis mit zur Sprache, und zwar als zur Sache gehörig. Denn »Jesus besitzt die Autorität ›Ich‹ zu sagen«.208 Genau dies ist im Vierten Evangelium im Horizont von Ex 3,14 als eine göttliche Autorität begriffen worden, und zwar besonders in den ἐγώ-εἰµιWorten des johanneischen Christus.209 In diesen »ego sum …«-Aussagen

zu mir sage, ich bin nicht, was ich bin, und damit meine: ich will nicht sein, was ich nicht bin« (M. THEUNISSEN, Der Begriff Verzweiflung, stw 1062, Frankfurt 1993, 54). 203 BARTH, KD I/1, 167. 204 So ist das »Werde, der du bist« (von Pindar bis Nietzsche) christlich aufzunehmen. 205 HAMANN, Briefwechsel 7, 460,16–18 (1788). 206 Mk 3,28; 8,12; 9,1; 10,15 parr u. ö. (cf. auch Joh 1,51; 3,5; 5,19 u. ö.); dazu siehe RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 161), 103 Anm. 133; 153f u. ö. 207 Mt 5,18.29.22.28 u. ö.; cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 161), 148ff. Hinzu kommt das prononcierte »Ich« in den Streitgesprächen (cf. z. B. Mt 21,24) und bei den Heilungen (cf. Mk 1,41 par; 2,11 par [cf. 9,25.28]; Mt 8,7 u. ö.). 208 J. BECKER, Jesus von Nazaret, Berlin/New York 1996, 273. Zu seinem vollmächtigen Reden und Ich-Sagen cf. z. B. Mt 10,27; 11,28f; 26,53 sowie Joh 13,13). Zu beachten ist auch das absolute »Ich bin’s« (Mk 6,50; 14,62 par und Lk 24,39 sowie Joh 6,8.20; 8,18.24.28; 13,13.19; 18,5) wie auch die vollmächtige Jüngerberufung (Mk 1,17). 209 Joh 6,35; 8,12; 9,5; 10,7.11; 15,1.5 sowie theomorph: 11,25 und 14,6. Über den Zusammenhang dieser johanneischen »Echos« mit Ex 3,14 cf. klassisch: E. SCHWEIZER, EGO EIMI, FRLANT 56/NF 38, Göttingen 1939 (21965), z. B. 21f; cf. auch ThWAT II,

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spricht Ex 3,14a im theologischen Begreifen von Wort und Erscheinung Jesu durch Johannes sich produktiv weiter, und das wird schließlich in Joh 10,30 auf den absoluten, christlichen Begriff gebracht: »Der Vater und ich sind eins.«210 Wenn es von Ex 3,14 aus heißt: »Ihr werdet erkennen, dass ich Jahwe bin« (cf. Ex 6,6f; Ps 46,11),211 so gilt, wie H. Gese herausgestellt hat,212 dass es in der Zukunft auszumachen sein wird, als wer Gott sich erweist. Man könnte aus »Ich werde sein, der ich sein werde« den Zuspruch heraushören: Ich weiß, wohin ich unterwegs bin. Damit ist das in Ex 3,14 Gesagte nicht auf die Sinai-Offenbarung zu beschränken,213 sondern bedeutet die Eröffnung einer Zukunft, für die ebendieses Als-Jahwe-sich-Erweisen gelten soll.214 Gott est, qui est als der Redende und somit der auch durch die Fortschreibung des Alten Testaments im Neuen Testament sich Aussprechende, so dass, was für Mose galt, auch für Jesus wieder gilt: »Ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst« (Ex 4,12; cf. Mt 10,19). Somit kann gedacht werden, dass Ex 3,14 sich im Verlaufe der Heilsgeschichte, wie sie sich im Weiterwirken des Alten Testaments im Neuen Testament (von diesem aus verstanden) reflektiert, geschichtlich sukzessive aus-artikuliert und so erst in Jesus Christus ganz ans Licht kommt, was im »Ich werde sein, der ich sein werde« angesagt ist (cf. Hebr 1,1f).215 Ist vor V. 14 in Ex 3,6 (cf. V. 15), d. h. vor der namentlichen Selbst-Vorstellung (oder: -Artikulation), vom Gott der Patriarchen die Rede, so besagt das im Zusammenhang mit 3,14: Dem Rückverweis auf die Väter entspricht der Ausblick auf ein zukünftiges Handeln Gottes.216 Umgekehrt hat Jesus sich in 404f (BERNHARDT) und ThWNT III, 1066–1069 (QUELL) sowie in ThWNT II die Artitel ἐγώ (350–352) und εἰµι (396–398). 210 Zur sprachphilosophischen Deutung des Ego eimi cf. mein Buch: RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 6), Zweiter Teil, 3. Kapitel (2.; hier über den Bezug zu Ex 3,14: [c.]) und zur inhaltlichen Auslegung a.a.O. 3. (a.–f.); zu Joh 10,30 siehe Zweiter Teil, 1. Kapitel (5.). 211 Cf. W. ZIMMERLI, Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel, AThANT 27, Zürich 1954, 54ff und 120ff. 212 GESE, Der Name Gottes (wie oben S. 95 Anm. 33), 82. 213 Bemerkenswerterweise wird im Koran bei der Paraphrase von Ex 3 der Vers 14 übergangen; es heißt an der entsprechenden Stelle lediglich: »Siehe, ich bin Allah. Es gibt keinen Gott außer mir« (Sure 20,14). 214 Cf. Gese, a.a.O. 82. AMSLER hat betont, dass vor allem das johanneische εἶναι (cf. Joh 1,1) auf der Linie des hebräischen hjh ʿim liegt (THAT I, 486). 215 Zur sprachtheologischen Interpretation von Hebr 1,1f siehe in RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 91 Anm. 9), 262ff. 216 Cf. auch »mein Volk« (Ex 3,7f). Die von Feldmeier/Spieckermann behauptete Alternative für Ex 3,14: nicht Ausdruck göttlicher Selbstbezüglichkeit, sondern Bekräftigung der vorherigen Zusage (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 519 Anm. 27), scheint mir systematisch gesehen nicht zu bestehen.

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eigenwilliger Neuinterpretation exemplarisch gerade auf Ex 3,6, d. h. den Gott der Lebendigen, bezogen (Mk 12,26f).217 In der Sache kann man auch ein Echo der verheißungsvollen Zusage: »Ich werde sein, der ich sein werde« im Zuspruch des Auferstandenen finden: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende« (Mt 28,20b). 2. Das Vierte Evangelium Wenden wir uns nun zunächst dem Johannesevangelium zu. Es repräsentiert mit seiner Theologie der Ego-eimi-Worte grundsätzlich, was für die christliche Lektüre des Alten Testaments überhaupt (und besonders von Johannes her) gilt: »So hören wir den im Neuen Testament zu Worte kommenden Gott, den Vater Jesu Christi sagen: Ich bin, der ich bin als der, der ich war und als der ich mich erweisen werde«.218 Sagt Gott in Ex 3,14: »Ich bin, der ich bin – wo immer ich bin oder sein werde«, so wird am Vater Jesu Christi erkennbar, dass dies bedeutete: »Ich werde (selbst auch) der sein, der ich am Orte Jesu sein werde«. Beziehungsweise es implizierte (von Gott her): »Ich bin, der ich im Sohn bin« – der Gott des Sohnes. Das schließt freilich auch ein: Ich bin im Sohn erst der, der ich in Wahrheit bin (Werden zu sich).219 2.1. Ist das johanneische ἐγώ εἰµι als ein Weitersprechen von Ex 3,14 zu begreifen, und ist es derselbe, der zu Mose sagt: ἐγώ εἰµι (ὁ ὤν; LXX), der auch im Munde Jesu zu den neutestamentlich Glaubenden sagt: ἐγώ εἰµι …, so konvergiert Ex 3,14 der Sache nach mit einem auf dieser Linie zu Ende gedachten trinitarischen Begriff des lebendigen Gottes, weil hier ein innergöttliches Verhältnis, eine vermittelte Selbstbeziehung eingeschlossen ist. Denn Ex 3,14 ist der von Gottes selbsthafter Einheit mit sich übergriffene Unterschied, ein Unterschied zu seinem eigenen Logos, also ein Selbstunterschied, der sich eben so auch schon artikuliert.220 Dergestalt birgt Ex 3,14a

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Zur christologischen Anschlussfähigkeit der Exodus-Stelle schreiben FELDMEIER/ SPIECKERMANN: »Indem Jesus diesen Text zitiert, macht er deutlich, dass für ihn die Selbstbindung Gottes, die sich in der Anteilnahme Gottes an den Leiden seines Volkes (Ex 3,7.9.16) und dem darauf gründenden Entschluss zu dessen Rettung äußert (Ex 3,8.10.17), die Summe der Schrift darstellt« (a.a.O. 520). Zur genauen Auslegung von Mt 22,23–33 par cf. J. RINGLEBEN, Wahrhaft auferstanden. Zur Begründung der Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen 1998, 11–27 (»Auferstehung in der Jesus-Tradition«). 218 SCHMID, »Ich bin, der ich bin« (wie oben Anm. 51), 412. 219 Cf. unten bei Anm. 224. Gottvater wird mit Segensgeste, in einer Mandorla sitzend und eine Tafel mit der Inschrift EGO SUM QUI SUM haltend, selber wie Christus dargestellt auf einem Tragaltar im Domschatz von Paderborn (Rogerus von Helmarshausen, Anfang 12. Jh.). 220 S. o. B. 1.2. (S. 110f).

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(zumal futurisch aufgefasst) eine innere Öffnung des göttlichen Seins221 für die Inkarnation (s. u.) in sich, so dass Gott auch am Orte des menschgewordenen ewigen Logos bzw. des Sohnes sagen könnte: »Ich bin, der ich in ihm bin«, was Joh 10,30 artikuliert (cf. auch Joh 10,38 und 16,32). Ist der alttestamentliche Gottesname wesentlich ein »Beziehungsname« (cf. Ex 3,6)222 und darf man dies sowohl von der Beziehung auf sich selbst wie der nach außen verstehen, so gewinnt die Feststellung, dass in ihn »das besondere Verhältnis Gottes zu bestimmten Menschen eingezeichnet ist«,223 systematisch im Blick auf das Selbstverständnis Jesu grundsätzliches Gewicht, in dem es ja um das Verhältnis Gottes zu ihm als seinem Sohn geht. Der Schöpfer und Bundesgott des Alten Testaments wird zum Vater Jesu Christi.224 In kraft dieses wesentlichen »Beziehungswillens« ist jedenfalls im Neuen Testament Gott der Gott des Sohnes (cf. die quasi-johanneische Stelle Mt 11,27).225 2.2. Das Gesagte gilt nun nicht nur von Gott aus, sondern entsprechend vom Sohnesbewusstsein Jesu aus. In Jesu Bewusstsein von seinem himmlischen Vater ist Gott ganz der, der er ist, als der »Gott des Sohnes«, und Jesus ist konstitutiv dessen inne: Ich bin (ἐγώ εἰµι), der ich von Gott, dem Vater, her bin.226 Jesus kann sagen: ἐγώ εἰµι … wie Gott selbst, weil der Vater es ihm in dem menschensprachlichen Satz Ex 3,14a vorgesagt hat; so sind sie auch sprachlich eins, wenn auch nicht nur »einer« (Joh 10,30).227 Im Munde Jesu (bzw. des johanneischen Christus), der selber »das Wort« ist, wird Gottes ἐγώ εἰµι menschensprachlich weitergesprochen und endgültig artikuliert, und redend ist er der existierende »Exeget« des Vaters (Joh

221 Cf. auch Midrasch Rabba zu Ex 3,14: »Ich bin der, der ich war; ich bin jetzt, und ich bin in Zukunft« sowie R. Moyses Gerundensis: »quod Jehova significat talem existentiam, quae nec praeteriit nec praeteribit«. 222 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 27. Für Gottes Beziehungswillen steht auch die Selbstvorstellung: »der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs« (Ex 3,6), bei dem sich Gott in einem spezifischen Sinne »sein« bzw. »ihr« Gott nennt. Luther hat deswegen die Kategorie der Substanz durch die der »Relation« ablösen wollen (cf. WA 40 III, 334,23–26). 223 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 27. 224 A.a.O. 49 heißt es: »der Gottvater des Neuen Testaments [ist] der sich in Jesus Christus endgültig offenbarende Gott des Alten Testaments« und dann weiter: »dass dies durchaus am alttestamentlichen Selbstzeugnis Anhalt hat«; cf. Jes 63,16. Zu klären bleibt dabei freilich, was »endgültig« heißt. 225 Zur Interpretation cf. ausführlich J. RINGLEBEN, Jesus (wie Anm. 161), 272–290. 226 Entsprechend hat Gott sich bei Jesu Taufe selber definitiv festgelegt: cf. Mk 1,11 par. 227 Jesu Christi ἐγώ εἰµι bedeutet bei Johannes: Ich bin es, d. h., »ich bin« der »Ich bin« von Ex 3,14. Seine Selbstaussage impliziert für das Verständnis von Ex 3,14 (rückwärts vom Neuen Testament [Johannes] aus gelesen), dass hier die Voraussage herausgehört werden kann: »Ich bin« der »Ich-bin(-Sagende, sc. Jesus)« bzw. »Ich (der Vater) bin, der ich sein werde (der Sohn)«.

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1,18b),228 der zugleich der ewige Logos Gottes ist. Als dieser sagt er: »Ich bin es, der mit dir redet« (Joh 4,26: ἐγώ εἰµι, ὁ λαλῶν σοι. Cf. Joh 9,27). So ist festzustellen: »Der Gott des Alten Testaments hat im Neuen Testament gleichsam seinen Namen gewechselt«.229 Damit ist uns die christliche Neuinterpretation der Exodus-Stelle aufgegeben: »Ex 3,14 treibt den Christen zur unablässigen Interpretation Jesu Christi, zur Christologie.«230 Eine solche bestimmt die Theologie des Vierten Evangeliums, wenn es beispielsweise im Hohepriesterlichen Gebet heißt: »Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben« (Joh 17,6; cf. 17,11f.26).231 Hier versteht der Sohn sich als den wahren Sinn von Ex 3,14,232 wiewohl in Geltung bleibt, was Hebr 1,11aβ. 12c aus Ps 102,28 zitiert. Weil der Christus »gekommen ist in meines Vaters Namen« (Joh 5,43a), sagt er in seinem Reden nur weiter, was er vom Vater gehört und gesehen hat (Joh 3,32; 8,26.38), und vermittelt das »Ich« des Menschensohnes durch sein endgültiges »Mit-Sein« (Mt 18,20) sprachlich (Joh 4,26; 18,5) die Glaubenden zu Gott (Joh 12,26; 17,21.23; 18,37; cf. Mt 10,32f; Mk 2,17 sowie Apc 3,5). Sein »Beziehungsname« ist Immanuel (»Gott mit uns«: Jes 7,14 und Mt 1,23), und so ist er der Deus pro nobis (Röm 8,31).233 2.3. Der Weg Gottes von Ex 3,14 zu seiner Inkarnation in Jesus Christus ist eine geschichtlich vermittelte Neubestimmung des ewigen Gottes. Artikuliert Ex 3,14a die »Selbstbestimmung« Gottes, so bedeutet diese (in der futurischen Fassung) nicht eine unbestimmte Dauer bzw. Zukunft, sondern Gottes Unterwegssein dazu, sich endgültig selbsthaft zu bestimmen, so dass das »Ich« der Selbstaussage in Ex 3,14 zu einem vollkommen bestimmten Ich als ein menschliches Ich wird und so »endgültig« ist.234 Dieses ist ein wirkliches Ich, das auch menschensprachlich »Ich« sagt, und so wird die grund228 Die Ego-eimi-Worte sind performativ, d. h. schöpferisch; so steht z. B. das Wort »Ich bin das Licht der Welt« (Joh 9,5) im Zusammenhang einer Blindenheilung (9,6f). Sie haben immer den Charakter des Pro nobis. 229 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 49. Man darf hier daran erinnern, dass der Name »Jesus« selber den Gottesnamen von Ex 3,14 in sich enthält, denn er bedeutet: »Jahwe ist Heil«. Der Name Jesu ist die Artikulation der im Namen Jahwe schon enthaltenen Verheißung. 230 SCHMID, »Ich bin, der ich bin« (wie oben S. 97 Anm. 51), 412. 231 In der Gethsemane-Szene wird das Verhältnis seines Ichseins zum Ich Gottes näher bestimmt (cf. Mk 14,36 parr. mit Joh 17,14). 232 Cf. zur Monotheismus-Frage in diesem Zusammenhang FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 96. Auch H. Gese bezieht sich entsprechend auf Joh 17,6 (GESE, Der Name Gottes [wie oben S. 95 Anm. 33]). 233 Das führt zu der Anklage, er mache sich selbst zu »Gottes Sohn« (Mt 27,43; cf. Joh 10,36). 234 Auch in diesem geschichtlich vermittelten Sinn geht es um ein »Werden zu sich«; siehe oben im Text.

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legende Selbstunterscheidung von Ex 3,14 durch die Inkarnation zu einer konkreten Selbstunterscheidung;235 das heißt: Die lebendige Einheit Gottes mit sich wird am Orte des Menschen Jesus zur absoluten.236 Darin liegt, wie gesagt, auch, dass der Ewige durch seine Inkarnation nicht nur zeitlich wird, sondern es gilt spezifisch: Der, der als der ewige Gott sich Mose gegenüber sprachlich artikuliert hat, findet in Jesus sein konkretes Sein auch in der Menschensprache,237 und Joh 1,14 besagt auch: Der ewige Logos ist da in den menschlichen logoi Jesu.238 Wird dieser Gott vollmächtig zur Sprache bringende Mensch notwendig zum σηµεῖον ἀντιλεγόµενον (Lk 2,34), so führt das dazu, dass das Verhältnis von Ungleichheit und Gleichheit mit sich, das schon aus Ex 3,14 sprach, sich hier (christologisch) in äußerster Zuspitzung im Verhältnis von Kreuz und Auferstehung Jesu wiederholt: als dem Ereignis von Gottes tiefster Entzweiung von sich selber und als seine neue, lebendige Einheit mit sich. Als Gott und Mensch zugleich ist Gott am Orte Jesu somit der, der sein »Ich bin, der ich bin«, d. h. die von Ex 3,14 zugesagte ewige Treue und gnädige Zuwendung zu den Seinen (cf. Ex 33,19!), als endgültige Versöhnung und Erlösung zum Heil der Schöpfung realisiert hat (cf. τετέλεσται, Joh 19,30). So ist Ex 3,14 christlich zuletzt in einem eschatologischen Horizont zu lesen: Wenn Gott das da auch für die Zukunft Verheißene umfassend und vollkommen realisiert haben wird, dann wird er mit seinem absoluten Selbstsein »alles in allem« sein (1Kor 15,28).239 Ist der »paulinische ›Monotheismus‹« gerade in seiner eschatologischen Ausrichtung »wesentlich dynamisch-eschatologisch und prozeßhaft zu verstehen«,240 so ist damit der systematische Gedanke von Gottes »Werden zu sich« angesprochen, der als in die Zeit fallender »Weg« vom göttlichen Ich zum menschlichen Jesu bzw. vom »ego sum qui sum« zum ἐγώ εἰµι des johanneischen Christus führt. Das hat Paulus geschichtstheologisch in die Worte gefasst: »Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, von 235

Vorgreifend geredet: die »immanente« Trinität zur »ökonomischen«. Die Gottesgleichung von Ex 3,14 verliert so endgültig den Anschein einer bloßen Tautologie. 237 Zu Gottes Kondeszendenz s. u. § 6. 238 H. Blumenberg hat für die Inkarnation den Unterschied zum antiken humana sub imagine (Ovid, Metam. I 213) stark gemacht und schreibt: »Im Gegensatz zur mythischen Metamorphose wird der biblische Gott nicht menschengestaltig, um selbst etwas zu erleben oder wahrzunehmen, sondern um erkannt zu werden, sich blicken zu lassen und die schlichteste aller Mitteilungen vernehmbar zu machen: Ego eimi. Ich bin es [cf. Joh 4,26; 8,24.28; 9,37], das heißt: Was ihr seht, ist das, was ihr erwartet hattet« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 840). 239 Ich habe diese genau kalkulierte Formel des Apostels interpretiert in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 91 Anm. 9), 333ff. 240 So W. SCHRAGE, Unterwegs zur Einheit und Einzigkeit Gottes, BThSt 48, Neukirchen-Vluyn 2002, V; zustimmend zitiert bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 117. 236

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einer Frau geboren …« (Gal 4,4; cf. auch Eph 1,10 und Mk 1,15). Im »Menschensohn« ist Gott der Vater ewig mit sich gleich und doch ganz mit uns gleich; das ist das Heil schlechthin. 2.4. Dies Zusammengehen Gottes mit seinem Sohn in der Zeit meint der Begriff des Werdens zu sich.241 Eine wichtige Implikation dieses (für diese Gotteslehre tragenden) Konzeptes sei hier vorweg angedeutet. »Werden zu sich« bedeutet unter anderem, dass Gott sich sich selber voraussetzt. Das ist zunächst der Fall bei der Schöpfung242 und dann (ausdrücklich und definitiv) in Jesus, seinem Menschensohn, oder genauer: in Jesu Sohnesbewusstsein als Bewusstsein vom Vater. Am Orte dieses Gottesverhältnisses kehrt Gott endgültig in sich zurück, weil er im Sohn ganz (als Gott) bei sich ist.243 So ist Gott er selbst am Anfang und am Ziel seiner selbst, denn Gott ist »der Anfang … nur, sofern er ganz und gar Rückkehr … ist«.244 Wenn es wahr ist, dass Gott selbst aus seinem Sich-sich-Voraussetzen in Jesus mit sich zusammengegangen ist, dann bedeutet das für die christliche Gotteslehre zweierlei. Zum einen: »Ich werde sein (d. h. erst sein), der ich sein werde« impliziert schon, dass Gott sich von sich (als Jahwe) abstößt – zu sich als Vater Jesu Christi. So aber ist, zum andern, vom Gott des Sohnes her, in dem er sich neu bestimmt hat, »Jahwe« die Vergangenheit Gottes.245 In sie reicht Christus immer schon hinein (cf. Joh 8,58!).246 Nimmt man beides zusammen, so ist behauptet: Ex 3,14 ohne das Christusereignis begreifen zu wollen, bedeutet, den lebendigen Gott abstrakt auf seine Vergangenheit als Jahwe zu reduzieren, weil die Inkarnation Gottes in Jesus von Nazareth die absolute Selbstverwirklichung des Gottes von Ex 3,14 (nur im mosaischen Kontext genommen) ist bzw. die endgültige Selbst-Bewahrheitung von Ex 3,14. 3. Luther Diesen Abschnitt (D.) beschließend, soll Luther zu Wort kommen, der Ex 3,14 auf Christus bezieht: 241

Er wird in § 2 wieder aufgenommen und präzisiert. S. u. § 8. 243 Das wird definitiv manifest in der Auferweckung Jesu »zur Rechten Gottes«, die das Eschaton antizipiert. 244 B. LAKEBRINK, Hegels Metaphysik der Zeit, in: ders., Studien zur Metaphysik Hegels, Freiburg 1969, 135–148, hier 141. 245 Cf. dazu in meinem Jesus-Buch (wie oben Anm. 161), 232. Vergangenheit bedeutet logisch etwas Gegenwärtiges, nicht etwas Vergangenes! 246 Zur Auslegung dieser systematisch wichtigen Stelle cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 90 Anm. 6), Zweiter Teil, 2. Kapitel (1.b). 242

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Ideo Christus finis omnium et centrum, in quem omnia respiciunt et monstrant [sc. die »opera creationis et veteris legis signa« als opera Dei] ac si dicerent: Ecce iste est, qui est, nos autem non sumus, sed significamus tantum.247 Zur Auslegung dieser Stelle aus den »Dictata super Psalterium« (1513–1516) sei hier dreierlei gesagt. – Die Wahrheit von Gottes lebendiger Selbstübereinstimmung setzt sich geschichtlich durch, indem Christus vom Neuen Testament aus auch für das Alte Testament als die exzentrische »Mitte« der Schrift offenbar wird, und schon das Alte Testament selber weist über sich hinaus und sprachlich auf diese ihm erst noch folgende Mitte schon hin (»finis«). Alle heiligen Bücher »predigen Christum und treyben [ihn]« bzw. alle Schrift »zeiget« Christus.248 So ist Gott, um das von Luther Gesagte systematisch aufzunehmen, auch in der Heiligen Schrift im Werden zu sich begriffen: der ewig sich Gleiche, der sich doch in Christus neu bestimmt (nämlich sein unvergängliches Leben als Sieg über den Tod).249 – Die »Zeichen« dafür (als Schrift des Alten Testaments wie die opera creationis) weisen durch ihre Vorläufigkeit, d. h. eine Nichtübereinstimmung mit sich selbst (immanente Negativität), über sich hinaus und auf eine noch ausstehende, endgültige Selbstidentität hin: Sie werden erst noch sein, was sie in Wahrheit sind, und insofern sind (»sumus«) auch wir noch nicht, was wir sein werden, sondern zeigen (»significamus«) auch nur auf unsere kommende Wahrheit voraus (1Joh 3,2).250 – Der, der von sich sagt: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14a; Luther), wiederholt sich und bringt sich zu absoluter Identität mit sich in jenem »iste«, der »est, qui est« und als solcher sagt: Ego eimi (Johannes). Das bedeutet, (erst) indem Jesus sagt: »ego sum …«, ist auch Gott der, der »est, qui est«. Gottes Zukunft bzw. die seines Seins kommt an diesem Orte an und geht in diesem Menschen mit sich zusammen. 4. Nachspiel (Paulus und Ex 33,19b) Es gibt im Alten Testament nur eine Stelle, die in ihrer sprachlichen Gestaltung an Ex 3,14a erinnert,251 nämlich Ex 33,19b: »Ich bin gnädig, wem ich gnädig bin, und ich erbarme mich, wessen ich mich erbarme«. Auch inhaltlich, in ihrem Verheißungscharakter, erinnert sie an die Stelle aus Kap. 3 desselben Buches. 247

WA 3, 368,22–24 (Hervorhebungen J. R.). WA.DB 7, 284,25f.28. 249 Wie sich Gleichheit mit sich und Neubestimmung zueinander verhalten, hat § 2 zu klären. 250 In diesem Sinn ist christlich »alles Vergängliche … nur ein Gleichnis«. 251 Sieht man von Hos 1,9b ab; dazu s. o. S. 102 bei Anm. 81. 248

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Paulus hat ebendiese Sätze in Röm 9,15 angeführt (aus der Septuaginta), um die zuvorkommende Gnade Gottes aus der Schrift zu erweisen (cf. V. 16). Aber es sieht so aus, als ließe sich auch ein direkterer Bezug des Apostels auf Ex 3,14 in einer Wiederaufnahme noch ausmachen. Denn das »Ich bin, der ich bin« schimmert (palimpsest-artig) in 1Kor 15,10a noch durch: χάριτι δὲ θεοῦ εἰµι ὅ εἰµι. So hat er hier beide Exodus-Stellen für seine Person in eins gedacht. Der Halbvers 1Kor 15,10a lässt »Ich bin, der ich bin« und »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig« zusammenklingen, bzw. er hört sie ineinander. Der Apostel weiß ohnehin, dass er nur ist, was er ist, dank göttlichen Zuvorkommens (cf. 1Kor 4,7aβ). 5. Johannesapokalypse Vom Johannesevangelium haben wir uns nun im Horizont von Ex 3,14 der sog. »Offenbarung des Johannes« zuzuwenden. Auch in der Apokalypse finden sich Ego-eimi-Worte, und zwar sowohl im Munde Gottes wie Christi, und auch hier handelt es sich um eine Offenbarung: statt an Mose nun an den Seher Johannes (Apc 1,1f). Es ist gleichsam dieselbe Stimme des Herrn, die schon Mose gehört hatte, welche jetzt Johannes vernimmt (1,10b), und zugleich ist sie es auch als Stimme Jesu Christi, des erhöhten Herrn. Gott und der aus dem Tode Lebendige reden »mit einer Stimme«. Wiederum wird am individuellen Ort der schlechthin Universale offenbar, und Jesus Christus ist die entscheidende Offenbarung, weil auch er beides zugleich ist. 5.1. Der Grundzug dieser Fortschreibung vom Alten ins Neue Testament ist, dass die Apokalypse (unter neutestamentlichen Bedingungen) Ex 3,14 ausdrücklich in eine Beziehung zur Zeit setzt.252 Das geschieht zum ersten Mal in der göttlichen Selbstaussage,253 die als eine temporale Selbstauslegung interpretiert wird, Apc 1,8: Ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, λέγει κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὀ ἐρχόµενος, ὁ παντοκράτωρ.254 Die Apokalypse artikuliert mithin das »Ich bin« von Ex 3,14 in der zeitlichen Dimension weiter aus. Betonte Ex 3,14a bezüglich Gottes seine Gegenwart und Zukunft, so werden im letzten Buch der Bibel die Vergangenheit und die Zukunft ausdrücklich einbezogen.255 Der, »der da war und der da ist und der 252

So auch BARTH, KD III/2, 558. Nach FELDMEIER/SPIECKERMANN wird das Tetragramm hier überall allenfalls verblasst mitgeführt; so z. B. im zitierten »Hallelujah« (Apc 19,1.3f.6); cf. a.a.O. 41 Anm. 60. 254 Cf. so auch schon 1,4b und 16,5; zu V. 8a: α und ω s. u. 255 Vergleichbar von Jesus Christus: ἐχθὲς καὶ σήµερον ὁ αὐτὸς καὶ εἰς τοὺς αἰώνας (Hebr 13,8; zu Gott cf. 1,12b). In Ex 3,14 ist die Vergangenheit über V. 6 und 15 indirekt mitgesetzt. 253

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da kommt« (cf. auch 4,8b), hat sein Sein in den drei Ekstasen der Zeit (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) zugleich;256 so ist er nicht zeitlos (als nunc stans), sondern schöpferisch zeitübergreifend, d. h. als in der Zeit doch mehr als bloß zeitlich. Seine Ewigkeit vereint lebendig Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft. »Ewig« zu sein bedeutet, der Allmächtige (Allherrscher) zu sein: ὁ παντοκράτωρ (cf. auch 4,8b; 11,17 und 21,22) in Bezug auf die Zeit:257 der, »der die Zeit in seinen Händen hält« (Ps 31,16). Das bedeutet eine lebendige Ewigkeit und ein allmächtiges Leben;258 diese Allmacht als die ewigen Lebens hat sich spezifisch an der Auferstehung Christi manifestiert, der so auch Herr über die Zeit ist (s. u.). Mit diesen Aussagen ist christlich Gottes Allmacht als wesentliche Implikation von Ex 3,14 erkannt und – zunächst als Allgewalt über die Zeit, die am Ende nicht mehr sein wird (Apc 10,6) – für jede Gotteslehre maßgeblich zur Sprache gebracht.259 5.2. Die Selbstaussage Gottes (Apc 1,8a) findet eine völlige Entsprechung in der des Auferstandenen und zu Gott Erhöhten: ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος. (1,17b) Christus als der Erste und der Letzte sagt damit: »Ich bin, der ich war und der ich sein werde«.260 Er ist »der Erste«, d. h. absolut, als der, der ἐν ἀρχῇ immer schon war, also ewig, und so auch »der Letzte«, nämlich auch dann dabei, wenn endgültig und vollkommen gilt: »Siehe, ich mache alles neu« (21,5 und 1; cf. 2Kor 5,17). Seine Ewigkeit ist – wie die Gottes – nicht einfach zeitüberdauernd,261 sondern ein lebendiges Zugleich von (am) Anfang und auch (am) Ende Sein; d. h., er ist der »Anfang« nur so, dass er zugleich auch »Ende« bzw. nur vom Ende her auch der Anfang ist.262 256 Ihm eignet die Macht (κράτος), »von Ewigkeit zu Ewigkeit« zu sein (Apc 1,6). Cf. das Zitat von Apc 1,8 bei P. HANDKE, Versuch über den geglückten Tag, Frankfurt 1991, 71. Cf. auch Schelling: »das Bewußtseyn der Ewigkeit kann sich nur aussprechen in jenem Wort: Ich bin, der da war, der da ist, und der da seyn wird; oder inniger in dem unübersetzlichen Namen …: Ich bin, der ich war, Ich war, der ich seyn werde, Ich werde seyn, der ich bin« (F. W. J. SCHELLING, Die Weltalter [1811], in: ders., SW I/8, 263f = Nachdr. 69f). 257 Cf. P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 314 und 315ff. 258 Cf. Apc 15,3: »Wege« und »Werke« und 16,14 (»großer Tag Gottes«) mit 19,6 (Sieg des Gottesreiches). 259 Weiteres s. u. § 5. 260 Im Munde Gottes selber: Jes 41,4; 44,6; 48,12. 261 Das entspräche einem unlebendig-abstrakten Verständnis von Ewigkeit. 262 So ist er auch ἀρχή und τέλος (Apc 21,6). Gegenwart und Vergangenheit sind von der Zukunft her, was sie sind (cf. 1,19). Auf diese Weise erfüllt sich, was später Clemens Alexandrinus als Grundbestimmung Gottes behauptet hat: Gott ist das, was weder Anfang noch Ende hat (sc. als äußere, in der Zeit; Strom. V 96,4). Cf. auch Minucius Felix: »Divinum est, quod nec ortum habet nec occasum« (Oct. 24,3).

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5.3. Dabei sind Tod und Leben in spezifischer Weise vermittelt; es heißt im Anschluss an V. 17b weiter: καὶ [ἐγώ εἰµι] ὁ ζῶν, καὶ ἐγενόµην νεκρὸς καὶ ἰδοὺ ζῶν εἰµι εἰς τοὺς αἰώνας τῶν αἰώνων. (1,18a)263 Das ist die Vergewisserung der eigenen göttlichen Lebendigkeit im Rückgriff auf die Vergangenheit (des Todes) als tiefste Zäsur und tiefsten Bruch unmittelbarer Kontinuität: das eigene ewige Leben als Aufhebung des Todes.264 Der Auferstandene und Erhöhte lebt absolut (neu), weil er seinen Tod hinter sich hat (cf. 2,8) und auf ihn zurückblickt.265 Er ist (auch sich selber) aus einem Leben gegenwärtig, für das der Tod ein vergangenes Moment dieses Lebens selber ist: aufgehoben und integriert in ewiges Leben.266 Wer den Tod (als die in die Vergangenheit stoßende und darin festhaltende Macht) überholt hat, ist in unabsehbare Zukunft lebendig, d. h. der »Letzte«, und er ist, indem er, ihn entmächtigend, vor den Tod zurückreicht, auch der »Erste«, ὁ ζῶν schlechthin. Christi Tod und Auferstehung machen die Wahrheit der Vergangenheit offenbar267 und initiieren den Weg ins Eschaton. Wenn der erhöhte Herr in Apc 1,17b dasselbe sagt wie Gott selbst, dann zeigt das – als ein programmatisches Zusammensprechen von Gott und Jesus Christus –, dass er selber mit seinem Reden ganz und gar in das eigene Sein Gottes gehört, der eben der »Gott des Sohnes« ist. Daher war er ebenso ἐν ἀρχῇ der schlechthin Erste (wie Gott selber) und ist am Ende (wie Gott selber) der Letzte. Sein Leben ist völlig in Gottes ewiges Leben hineingenommen, und dieses ist spezifisch lebendig, weil es auch als Christi todüberwindendes Leben da ist. Die Aussagen sind gleich (cf. Apc 1,8 mit 21,6), gerade weil Jesus und Gott nicht dasselbe sind, aber doch »eins« (Joh 10,30). Im Munde Christi, des sprachbezogenen Logos, ist der Gott von Ex 3,14 noch einmal da, denn das ist sein »Name«:

263 Es geht weiter: καὶ ἔχω τὰς κλεῖς τοῦ θανάτου καὶ τοῦ ᾅδου (1,18b), was die Allmacht unterstreicht. 264 Im Eschaton ist der Tod endgültig überwunden: Apc 21,4 und 20,14; cf. 1Kor 15,26. Cf. auch die denkwürdige paulinische Rede vom »Verschlungensein« des Todes in der Auferstehung: 1Kor 15,53f und 2Kor 5,4b. 265 Hier ist eingelöst, was der Philosoph K. Cramer so formuliert hat: »Die Retention des irdischen Lebens im ewigen ist ein grundsätzlich zu fordernder Zug des ewigen Lebens selbst … dem ewigen Leben muß der Vergangenheitscharakter des Lebens in der Welt gegenwärtig sein. Vermutlich liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis der temporalen Struktur des Begriffs des ewigen Lebens selbst. Dieses muß, um in sich die Vermittlung von Heil und natürlichem Leben leisten zu können, restlos Vergangenes erinnern können« (K. CRAMER, Über Leben und Glauben, Zeit und Tod, in: U. Barth/W. Gräb [Hgg.], Gott im Selbstbewußtsein der Moderne, Gütersloh 1993, 129–139, hier 137; cf. auch 136). 266 Cf. oben Anm. 264. 267 Zum Gegenbild eines Lebens als Erscheinung des Totseins cf. Apc 3,1 und 13,14c.

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καὶ κέκληται τὸ ὄνοµα αὐτοῦ ὁ λόγος τοῦ θεοῦ. (Apc 19,13) Der irdische wie der erhöhte Herr ist so als das Wort und der Name Gottes268 Inbegriff ewiger Fülle: (johanneisch gesprochen) das Brot des Lebens, das Licht der Welt, die offene Tür (cf. Apc 3,8; im Himmel: 4,1; 21,25), der Weg, die Wahrheit und das Leben. 5.4. Als der Erste und der Letzte ist der, der hier sagt: ἐγώ εἰµι, zugleich der wahrhaft Seiende (ὁ ὤν, Apc 1,8b) von Ex 3,14 wie auch der Lebendige schlechthin (ὁ ζῶν, Apc 1,18) und der Allmächtige.269 Das »Der-Erste«-Sein bestätigt noch einmal die systematische Ursprungsbedeutung von Ex 3,14 bzw. die prinzipielle Rolle dieser Stelle für eine biblisch orientierte Gotteslehre. Dass er auch »der Letzte« ist, bestimmt den futurischen Sinn von Ex 3,14 als Gottes eigene Zukunft in seinem vollkommen verwirklichten Gottsein betreffend (als Werden zu sich270); denn Gottes Sein ist im Kommen.271 Gott kommt – nach Verlauf der Geschichte der Schöpfung – endgültig zu sich selbst: als sein eigener Anfang und sein eigenes Ziel.272 5.5. Wie Gott, und sogar an erster Stelle (Apc 1,8), von sich sagt: ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, schreibt sich auch Christus endgültig in dieses sprachliche Sein des Vaters ein: ἐγώ [εἰµι] τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. (22,13)273 Die Bewegung vom α zum ω bezeugt das endgültige Sich-Ausartikulieren Gottes (im Logos). Er ist der Erste und der Letzte nicht in bloßer (»stummer«) Faktizität – weil Gott nun einmal Gott ist; das wäre trivial –, sondern als α und ω zugleich ein sinnvoller und sinnerschließender Lebenszusammenhang: als ein sprachlich verfasstes göttliches Leben, das allem Sinn verleiht, wie α und ω (im Griechischen) der sprachlichen Artikulation.274 Α und ω sind 268

Der Name, der dem erhöhten Herrn zukommt als τὸ ὄνοµα τὸ ὑπὲρ πᾶν ὄνοµα (Phil 2,9), erfüllt den göttlichen Namen von Ex 3,14. 269 Darum kann er in 1,17b auch sagen: µὴ φοβοῦ. 270 Das impliziert natürlich vollgültige Gegenwart: Was ich schon immer war und in alle Ewigkeit sein werde (bzw. zu werden im Begriff bin), das bin ich auch hier und jetzt. 271 Nach Kierkegaard ist erst die (kommende) Ewigkeit die wahre Wiederholung (S. KIERKEGAARD, Die Wiederholung, in: ders., GW 5, 90). Zur Zukünftigkeit des Ewigen cf. DERS., Der Begriff Angst, in: a.a.O., 11. Abt., a.a.O. 1958, 91f. 272 Cf. oben bei Anm. 244 (LAKEBRINK). 273 21,6a schon kürzer: ἐγώ [εἰµι] τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος (cf. auch oben Anm. 262). Zur eschatologischen Fortsetzung V. 6b cf. Joh 4,14. 274 Das hat Hamann witzig aufgezeigt: »versucht es einmal die Iliade zu lesen, wenn ihr vorher durch die Abstraction die beyden Selbstlauter α und ω ausgesichtet habt, und sagt mir eure Meynung von dem Verstande und Wohlklange des Dichters«. Μηνιν *ειδε Θε* πηληι* δε* *χιληος (J. G. HAMANN, Aesthetica in nuce, in: ders., SW 2, 207,16–20; zur Interpretation cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben

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in der (griechischen) Sprache immer und überall gegenwärtig; als selber zeitlos durchdringen sie ständig alles Sprechen und Schreiben; so ist Gott ὁ ὤν, der Ewige als der in Wahrheit Seiende, auch der Mitgehende.275 Als »Anfang« und »Ende« (des Alphabets)276 hebt er den geschichtlichen Weg seines Redens im zeitlichen und sprachlichen Sich-Artikulieren in sich hinein auf und ist so ὁ ζῶν, der ewig Lebendige. Sind Gott wie Christus der Erste als α und der Letzte als ω, so sind sie wie der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets;277 ist schon der Erste das α und der Letzte das ω, so reicht die Sprachlichkeit Gottes in seine Ewigkeit hinein, ist sein Sein ἀπ’ ἀρχῆς auch λογικός. Das bedeutet für seine Allmacht: Sie verwirklicht sich als Gottes schöpferische Sprache, als sein Sich-Aussprechen und so seine absolute Selbstverwirklichung, sein unwiderstehliches Sich-Durchsetzen in Zeit und Geschichte.278 So findet in der Johannesoffenbarung die Formel von Ex 3,14 ein deutliches Echo: »Ich, das Α, werde sein, der ich als das Ω sein werde«, oder anders paraphrasiert: »Ich bin« als das A schon, »der ich« auch als das Ω »bin«, d. h., ich bin mir von Anfang bis Ende gleich.279 Noch einmal wird damit die eschatologisch orientierte Identität Gottes mit sich im Neuen Testament zur Sprache gebracht.280 Die Explikation des Seins Gottes (zusammen mit Christus, dem λόγος τοῦ θεοῦ, 19,13) durch α und ω in der Apokalypse bestätigt im Übrigen rückwirkend die sprachliche Interpretation von Ex 3,14 (s. o. B. 2.3 [S. 117f]) S. 91 Anm. 9), 115. Hamann meint eigentlich Gottes Sprechen in der »göttlichen Aeneis«, wie Luther die Bibel nannte (WA 48, 241; 1546!). 275 Ist Gott in Christus »das Omega – der letzte Buchstabe – im Alphabet der Schöpfung« (J. RATZINGER, Einführung in das Christentum, München 1968, 240), so ist ohne Gottes Wort auch die Geschichte nicht zu verstehen: »vita enim sine verbo incerta est et obscura« (LUTHER, WA 18, 655,10). Als das Ω ist Christus der Richtungssinn nicht nur des Kosmos (Teilhard de Chardin), sondern auch der Geschichte (cf. Apc 22,7.12.20). Die Apokalypse findet erst im Eschaton die Vollendung der λόγοι Gottes (17,17c; vom Mysterium Gottes selber: 10,7). 276 So kommt Gott auch am Anfang der Apokalypse (1,4) wie an ihrem Ende zur Sprache (22,13). 277 Cf. B. Liebrucks: »Die Buchstabenschrift … trägt in sich den Keim zum Tode der Götter [sc. im Plural]« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein [wie oben S. 110 Anm. 124] II, 1965, 403) sowie: »Das begann nicht zufällig bei den Juden und Griechen« (ebd.). Übrigens ist der erste Vokal der ἀποκάλυψις ein α (1,1) und der letzte ein ω (22,21: πάντων). 278 Von dem Dichter Victor Hugo gilt: »sein Begriff von Gott ist der: das Wesen, welches das letzte Wort behält« (H. V. HOFMANNSTHAL, Reden und Aufsätze I. 1891–1913, in: ders., Gesammelte Werke in Einzelbänden, Fischer Tb 2166, Frankfurt 1979, 276). 279 HANDKE (Versuch [wie oben Anm. 256], 82) schreibt: »Im Griechischen hatte es einst ein Wort gegeben für das ›Ich bin‹, das nichts als ein langgezogenes O war, und zu finden war es etwa in dem Satz: ›Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt‹ [Joh 9,5]«. 280 Gottes Wahrheit kommt erst am Ende zu sich (cf. Apc 11,17; 19,6c). Weil er ὁ ἔσχατος ist, gehört zur Gotteslehre notwendig eine Eschatologie (s. u. § 16).

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und motiviert selber zu einer solchen für sich. Als griechische Formulierung unterstreichen α und ω die sprachliche Verfasstheit des göttlichen Lebens. Insofern stellt Apc 1,8 eine innerbiblische, präzisierende Korrektur von ὁ ὤν (Ex 3,14 LXX) dar281 bzw. die temporale Artikulation des futurischen Sinns der hebräischen Formulierung.282 6. Durch-sich-selber-Sein Gott ist – das hat insbesondere der vorige Unterabschnitt (5.) gezeigt – der aus sich Seiende, der ewig Lebendige und der in seinem Wort Allmächtige, und er ist dies, Zeit und Geschichte durchdringend, im Werden zu sich. Für den anschließenden Paragraphen 2 (und überhaupt die Anlage dieser Gotteslehre283) folgt daraus, dass Allmacht und Leben als die zentralen und organisierenden Begriffe zur Geltung gebracht werden müssen. Beide, die als systematische Leitbegriffe aus diesem § 1 resultieren, werden in § 2 als die wesentlichen Implikationen von Gottes Selbsthervorbringung zu denken sein; denn sich hervorzubringen, das ist absolute Macht, und sich selbst hervorzubringen, das ist ewiges Leben.284 Bei Zwingli lautet das in Bezug auf Ex 3,14 so: »Mit diesem Wort hat sich Gott ganz zu erkennen gegeben. Denn dieses Wort bedeutet soviel wie: Ich bin der, der ich durch mich selbst bin, der ich durch meine eigene Kraft bin, der ich das Sein selbst bin, der ich selbst bin«.285 Entsprechend kann man Apc 1,8 so wiedergeben: »Ich bin der durch sich selbst Lebendige, d. h. Ich bin der über sein Sein Verfügende, der in seiner Gegenwärtigkeit auch Gewesene und Zukünftige«.286 Damit ist schon der konkrete Begriff von Gottes »Aseität« angesprochen, der uns im nächsten und übernächsten Paragraphen beschäftigen muss.287 Denn Aseität ist nichts

281 Das ließe sich an dem Fortschritt von ὁ ὤν (1,8) zu ὁ ζῶν (1,18) veranschaulichen. Cf. auch KD I/2, 59. 282 Dem entspricht ein sprachliches Verständnis der Wirklichkeit im Ganzen, wie es z. B. von Luthers Schöpfungsbegriff nahegelegt wird (Joh 1,3.11a); cf. dazu J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 92f und 100–106. 283 S. u. Kapitel III, Erste und Zweite Hälfte (S. 437ff.653ff). 284 Der Begriff »Leben« war schon oben (S. 115 bei Anm. 151) und oben S. 121f (Zusammenfassung) zentral. 285 ZWINGLI, Kommentar über die wahre und die falsche Religion (1525), in: ders., Schriften, hg. von Th. Brunnschweiler/S. Lutz, Bd. III, Zürich 1995, 59 (Hervorhebungen J. R.). 286 BARTH, KD III/2, 558 (sämtliche Hervorhebungen J. R.). Cf. in ähnlichem Zusammenhang: »Ich bin der mich selbst Vergegenwärtigende oder: der durch sich selbst Gegenwärtige« (KD I/2, 59). 287 Aseität (als Einheit von Allmacht und Leben) ließe sich unschwer auch schon in Ex 3,14 wiederfinden.

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anderes als die absolute Einheit von Macht über sich selbst und Leben aus sich selbst, d. h. ein ewiges Durch-sich-selber-Sein: »Ich bin, der ich bin«.

Exkurs II: Die Tautologie-Frage (Ian T. Ramsey) Es scheint nicht sinnvoll zu bestreiten, dass es sich bei Ex 3,14 überhaupt um den Fall irgendeiner Art von Tautologie handelt. So hat Ian T. Ramsey sich zu Recht kritisch gegen alle Versuche gewendet, in der Deutung der Stelle »to make what is rightly tautological, not so«.288 Freilich ist damit nicht ausgeschlossen, dass Ex 3,14 einen sehr spezifischen Fall und nicht eine »Tautologie« im gewöhnlichen (einfachen) Sinne darstellt.289 Zu dieser Differenzierung gibt Ramseys eigene, berühmte These von der »disclosure situation«, in der das Wort Gott als »keyword« fungiert, das den religiösen Sinn einer Erfahrung allererst zugänglich macht – diese also nicht bloß »ausdrückt«, sondern als religiöse überhaupt erst qualifiziert und erschließt290 –, selber einen Anhaltspunkt. Denn im Falle von Ex 3,14 liegt die besondere Art von religiöser Erfahrung vor, die sich selber deutet (bzw. gedeutet wird), indem das keyword »Gott« sie selbst aufschließt, eben weil hier Gott spricht, d. h. eo ipso von sich selbst spricht. Gott bringt hier – sich offenbarend – selber den »Schlüssel« bei, der eine Situation als Erfahrung von ihm spezifisch durch ihn selbst bestimmt erschließt. Das hängt genauestens damit zusammen, dass das Wort »Ich« in gewissen Situationen den Bereich einer »observational language« überschreitet. Weil der in 1.-Person-Perspektive von sich selber Redende (als Sprecher-Subjekt) sich in seiner Gesamtheit erfasst, die über jede objektivierbare Einzelsituation hinausreicht, kann er dabei nicht deskriptiv (vergegenständlichend) gefasst, sondern nur situativ enthüllt werden (bzw. sich enthüllen); ebendas kennzeichnet diese »disclosure situation«.291 Demgemäß ist schon die quasi »tautologische« Selbst-Aussage »Ich bin Ich« nicht eine leere Wiederholung oder sinnlos (inhaltsleer), sondern in bestimmter Situation eine Letztaussage.292 Das heißt theologisch: Entsprechende 288 I. T. RAMSEY, Religious Language. An Empirical Placing of Theological Phrases, London 1957 (Paperback 1963), 111. 289 Auf jeden Fall handelt es sich bei der göttlichen Selbstaussage insbesondere in der futurischen Form nicht um »die bewegungslose Tautologie des Ich bin Ich« (cf. HEGEL, Werke 3, 138). 290 Cf. dazu auch PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 72), 75f.77 und 151 Anm. 61. 291 Cf. RAMSEY, a.a.O. 38f. Dazu s. u. § 10 F. 3. (S. 585ff). 292 Cf. das subtile Kapitel: Der Satz ›Ich bin Ich‹ (zu Fichte, Schelling und Hölderlin) bei D. HENRICH, Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795), Stuttgart 1992, 485ff.

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sprachliche Artikulationen, in denen das Wort »Ich« realisiert wird – also nicht nur vorkommt, sondern sich artikuliert –, bringen angemessener zum Ausdruck und sogar (vergegenwärtigend) zur Darstellung, was das Wort »Gott« bedeutet. Sie legen den Namen Gottes aus und manifestieren ihn, denn der Name einer Person ist »somehow … a public equivalent of what ›I‹ means to him«.293 Ramsey hat den Charakter einer Selbst-Vorstellung Gottes, der sich in Ex 3,14 als sich selber, als ein Selbst manifestiert, prägnant beschrieben: »But JHVH witnesses to a religious situation for whose understanding we need personal categories, for it is isomorphous, though not identical, with those situations when a person discloses to us his name«.294 Damit ist auch gesagt: Die »Deutung« bzw. Selbstdeutung des Jahwe-Namens in Ex 3,14 wahrt das Selbstsein des Sich-Erschließenden gerade dadurch, dass sie keine inhaltliche Bedeutung des Namens anführt, bzw. sie gibt diese nur in der Form der selbsthaften »Tautologie« des »Ich bin ich« bzw. »Ich bin, der ich bin«. In diesem Sich-Äußern demonstriert und bewährt Gott sein eigenes Mit-sichgleich-Sein, die Selbigkeit seines Selbst-Seins. Die Frage nach einer Tautologie führt somit zu der Frage nach der Selbstunterschiedenheit in dieser Einheit des Selbst: Ich als Subjekt der Reflexion und Ich als Objekt sind auseinanderzuhalten, damit so gerade ihre selbsthafte Einheit dargestellt werden kann: Gott muss als in sich selbst von sich unterschieden gedacht werden. Die entscheidende Frage ist daher, wie sich das in der Formulierung von Ex 3,14 darstellt.295

Exkurs III: Echos des Namens Um die unermesslich reiche Geschichte des Weiterwirkens von Ex 3,14 wenigstens andeutungsweise zu dokumentieren, sollen hier einige Zeugnisse von der frühen Zeit bis in die Gegenwart angeführt werden.296 Sie lassen sich nach 293

A.a.O. 39. A.a.O. 112. 295 Zu dieser Analyse der sog. »Tautologie« s. o. im Text S. 110f. 296 An spezieller Literatur sei genannt: E. GILSON, Der Geist der mittelalterlichen Philosophie, übers. von R. Schmücker, Wien 1950; DERS., Maimonide et la philosophie de l’Exode, MS 13 (1951), 223–225; C. J. DE VOGEL, »EGO SUM QUI SUM« et sa signification pour une philosophie chrétienne, RevSR 35 (1961), 337–355, hier 350ff (= dt. in: E. Iserloh [Hg.], Reformation. Schicksal und Aufgabe [FS J. Lortz], Baden-Baden 1958, 527–548, hier 529ff); R. WAHL, Ich bin der ich bin. Die Historie vom unsichtbaren Gott, Baden-Baden 1962; K. KREMER, Die neuplatonische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas von Aquin, Leiden 1966, 390ff; W. BEIERWALTES, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt 41967, 172ff; R. BERLINGER, Der Name Sein – Prolegomena zu Augustins Exodus-Metaphysik, in: J. Tenzler (Hg.), Wirklichkeit der Mitte (FS A. Vetter), Freiburg/ München 1968, 80–94; W. BEIERWALTES, Neoplatonica, PhR 16 (1969), 141ff und 148f; 294

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den Gebieten: Theologie (Abschnitt A.), Philosophie (Abschnitt B.) und Literatur (Abschnitt C.) ordnen.

A. Theologische Bezugnahmen Hier ist (außerbiblisch) wohl zuerst Philo Alexandrinus mit wenigen Stellen zu nennen: De nom. mut. 11f; De som. I 231; Deter. 160; De Abr. 121; De vita Mos. I 75. Origenes versteht platonisierend Gott als den Grund allen Seins, weil er selber allein wahrhaft ist: »Ex eo autem, qui vere est, qui dixit per Moysen: ›Ego sum qui sum‹, omnia quae sunt participium trahunt.«297 Ohne damit Aussagen über Gottes inneres Wesen treffen zu wollen,298 führt Novatian Gottes immerwährende Dieselbigkeit auf Ex 3,14 zurück, und er findet in ego sum qui sum auch den Grund dafür, weil Gott danach der ist, der »servans sese virtutibus suis« – sein Sein also aus sich hat und erhält.299 In der christlichen Theologie ist weiter auf Athanasius hinzuweisen: Εἰ δὲ ὅταν ἀκούοµεν· ›Ἐγώ εἰµι ὁ ὤν‹, καί· ›Ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν‹, καί· ›Ἄκουε, Ἰσραήλ, Κύριος ὁ θεός σου Κύριος εἷς ἐστι‹ [Dtn 6,4; Mk 12,29], καί· ›Τάδε λέγει Κύριος παντοκράτωρ‹ [Gen 17,1], οὐχ ἕτερον τι ἀλλ’ αὐτὴν τὴν ἁπλῆν καὶ µακαρίαν καὶ ἀκατάληπτον τοῦ ὄντος οὐσίαν νοοῦµεν· κἂν γὰρ ἀδυνάτως ἔχοµεν καταλαβεῖν, ὅ τι ποτέ ἐστιν, ἀλλ’ ἀκούοντες τὸ Πατήρ, καὶ τὸ Θεός, καὶ τὸ Παντοκράτωρ, οὐχ ἕτερον τι, ἀλλ’ αὐτὴν τὴν τοῦ ὄντος οὐσίαν σηµαινοµένην νοοῦµεν.300 Athanasius begreift in schöpfungstheologischem Zusammenhang und im Zusammenhang mit der

DERS.,

Platonismus und Idealismus, Frankfurt 1972 (zu Ex 3,14: 9ff; zu Philo, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa: 12ff; zu Marius Victorinus: 25f; zu Plutarch, Plotin, Porphyrios: 16ff; zu Augustin: 26ff; zu Meister Eckhart: 37ff; zu Schelling: 67ff). 297 Origenes, De princ. I 3,5 (57,2), in: Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, hg. von H. Görgemanns/H. Karpp, TzF 24, Darmstadt 21985, 170/172. 298 Nach Novatian, De trin. VI 38 (Novatian, De trinitate – Über den dreifaltigen Gott. Text und Übersetzung mit Einleitung und Kommentar hg. von H. Weyer, Testimonia 2, Düsseldorf 1962, 66) kann Gott als das, »quod est« (Ex 3,14), weder mit menschlichen Worten ausgesagt noch wirklich vernommen oder gar begriffen werden (mit Verweis auf 1Kor 2,9). 299 A.a.O. IV 24 (S. 54). Nach Weyer ist Novatian wohl im Westen der erste Theologe, der Ex 3,14 so grundsätzlich in den Vordergrund stellt (a.a.O. 54 Anm. 26). 300 Athanasius, Epistula de synodis 35 (PG 26, 753): »Sin autem, cum audimus: Ego sum qui sum, et: In principio fecit Deus caelum et terram, et: Audi, Israel, Dominus Deus tuus Dominus unus est, et: Haec dicit Dominus omnipotens, non aliud nisi ipsam simplicem, beatam, incomprehensibilem eius qui est substantiam intelligimus; quamvis enim quidnam ille sit comprehendere nequamus, attamen, cum has voces audimus, Pater, Deus, Omnipotens, nihil aliud quam eius qui est substantiam indicari concipimus«).

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Allmacht Ex 3,14 (LXX) hier als Aussage über die wahre, eine Substanz (οὐσία) alles Seienden.301 Ephraim von Nisibis (der Syrer) schreibt: »Moysi manifestavit nomen suum, cum ›Qui sum‹ sese appellavit, quod nomen est essentiae, nec umquam alia entia illo nomine vocavit … ut uno nomine quod emisit doceret se esse solum ens, non vero alia.«302 Der Einzigartigkeit des göttlichen Namens entspricht die Einzigkeit seines Seins (solum ens), und Gottes Sein (Qui est) spricht sich darin als sein Wesen aus (essentia).303 Für Hilarius von Poitiers bezeugt sich in den Büchern des Alten Testaments Gott der Schöpfer hier auf bewunderungswürdige Weise als ewig: Ego sum, qui sum (Ex III, 14); et rursum: haec dices filiis Israel: Misit me ad vos is qui est (ibid.). Admiratus sum plane tam absolutam de Deo significationem, quae naturae divinae incomprehensibilem cognitionem aptissimo ad intelligentiam humanam sermone loqueretur. Non enim aliud proprium magis Deo, quam esse, intelligitur; quia id ipsum quod est, neque desinentis est aliquando, neque coepti: sed id, quod cum … potestate perpetuum est, non potuit aut poterit aliquando non esse; … Et cum in nullo a se Dei desit aeternitas, digne hoc solum, quod esset, ad protestationem incorruptae suae aeternitatis ostendit.304

Die unendliche Seinsmacht Gottes ist es, die Hilarius – und zwar in sprachlich angemessener Weise die Unbegreifbarkeit Gottes den menschlichen Verstehensmöglichkeiten vermittelnd (s. o.) – in Ex 3,14 artikuliert findet: »Et ad hanc quidem infinitatis significationem satisfecisse sermo dicentis: Ego sum qui sum, sed magnificentiae et virtutis suae erat a nobis opus intelligendum.«305 Gregor von Nazianz hat einen Begriff von der Gottheit, die jeder (externen) Verursachung immer schon vorgängig ist: Τί τῶν ὄντων ἀναίτιον; Θεότης. Οὐδεὶς γὰρ αἰτίαν εἰπεῖν ἔχει Θεοῦ· ἢ τοῦτο ἂν εἴη Θεοῦ πρεσβύτερον.306 In diesem Horizont liest er Ex 3,14: Ὅσον δ’ οὖν ἐκ τῶν ἡµῖν ἐφικτῶν, ὁ µὲν Ὤν καὶ ὁ Θεὸς µᾶλλόν πως τῆς οὐσίας ὀνόµατα· καὶ τοῦτων µᾶλλον ὁ Ὤν· οὐ µόνον ὅτι τῷ Μωυσεῖ χρηµατίζων ἐπὶ τοῦ ὄρους, καὶ τὴν κλῆσιν ἀπαιτοῦ301 An anderer Stelle heißt es von Gott, er »est qui est« (ὤν ἐστι), und er sei selbstgenügsam (οὐδενὸς ἐπιδεόµενος), denn als Gott ὤν ἐστι καθ’ ἑαυτόν. Das wird in Verbindung mit seiner Allgegenwart gesehen: περιέχων τὰ πάντα, καὶ ὑπ’ οὐδενὸς περιεχόµενος· καὶ ἐν πᾶσι [sc. nach seiner Gutheit und Dynamis] … ἔξω δὲ τῶν πάντων [sc. nach seiner eigenen Natur] (Ep. de decretis Nicaen. synod. 11; PG 25, 441). 302 Ephraim von Nisibis, Adv. haer. Hymni (Assemani II, 555), cf. CSCO 170 (1957), S. 183 (53,12). 303 Cf. dazu: »Deus est essentialiter. Essentia eius gloriosa est sicut nomen eius. Si essentialiter nomen eius ab omnibus est distinctum, essentialiter et eius generatio omnibus ignota latet« (Hymni de fide; Adv. scrutatores Hymni; Assemani III, 48). 304 Hilarius von Poitiers, De trin. I 5 (PL 10, 28B). 305 A.a.O. I 6 (ebd.). 306 Gregor von Nazianz, Orat. 30,2 (theol. 4) (PG 36, 105): »Quid est ex omnibus rebus quod causae sit expers? Divinitas. Nemo enim est qui Dei causam dicere queat; alioqui id Deo antiquius esset.«

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µενος, ἥ τίς ποτε εἴη, τοῦτο προσεῖπεν ἑαυτὸν, ›Ὁ ὤν ἀπέσταλκέ µε‹ [Ex 3,14b] τῷ λαῷ κελεύσας εἰπεῖν· ἀλλ’ ὅτι καὶ κυριωτέραν ταύτην εὑρίσκοµεν … Ἡµεῖς δὲ φύσιν ἐπιζητοῦµεν, ᾗ τὸ εἶναι καθ’ ἑαυτό,307 καὶ οὐκ ἄλλῳ συνδεδεµένον· τὸ δὲ ὂν ἴδιον ὄντως Θεοῦ …308 Gott ist danach der Seiende schlechthin (ὁ Ὤν), und das wird angemessen verstanden als »Sein durch sich selber« (Aseität), wie es die Selbstbenennung der eigenen Natur durch sich selber Mose kundgetan hat. So wird mit Ex 3,14 Gott, der das ganze und unendliche Sein in sich umfasst, gleichsam als πέλαγος οὐσίας ἄπειρον καὶ ἀόριστον vorstellbar.309 Damit ist seine anfangs- und endlose Ewigkeit gegeben: Θεὸς ἦν µὲν ἀεί, καὶ ἔστι, καὶ ἔσται· µᾶλλον δὲ ἔστιν ἀεί.310 Der andere große Kappadozier, Gregor von Nyssa, begreift Ex 3,14 als das entscheidende biblische Zeugnis von der Wahrheit über den wahren Gott: Ἓν γνώρισµα τῆς ἀληθινῆς θεότητος ὁ τῆς ἁγίας γραφῆς ὑποδείκνυσι λόγος, ὃ διὰ τῆς ἄνωθεν φωνῆς ἐδιδάχθη ὁ Μωσῆς, ἀκούσας τοῦ εἰπόντος ὅτι Ἐγώ εἰµι ὁ ὤν [Ex 3,14]. Οὐκοῦν τοῦτο µόνον θεῖον εἶναι ὡς ἀληθῶς πιστεύειν οἰόµεθα δεῖν, ὃ κατὰ τὸ ἀίδιόν τε καὶ ἀόριστον ἐν τῷ εἶναι καταλαµβάνεται· καὶ πᾶν τὸ περὶ αὐτὸ θεωρούµενον ἀεὶ ὡσαύτως ἔχει, οὔτε προσγινόµενον οὔτε ἀπογινόµενον.311 Gregor findet also in der Selbstaussage Gottes seine Ewigkeit und Unendlichkeit mit der Folge unwandelbarer Selbstidentität dargestellt. Die Unendlichkeit des göttlichen Seins gründet nach Hieronymus in Gottes Aseität, wie sie in Ex 3,14 von ihm selber ausgesprochen wird. Loquitur in Exodo Dominus: Ego sum qui sum; et: Haec dices filiis Israel: Qui est, misit me ad vos. Numquid solus Deus erat, et cetera non errant? … Cetera, ut sint, Dei sumpsere beneficio. Deus vero, qui semper est, nec habet aliunde principium, et ipse sui origo est suaeque causa substantiae, non potest intelligi aliunde habere quod subsistit.312 307

S. o. Anm. 301. Orat. 30,18 (theol. 4) (PG 36, 125): »Quantum ergo nobis assequi concessum est, Ens et Deus magis quodam modo essentiae nomina sunt; ex iisque etiam vox Ens aptior est; non solum quod ipse, cum Moysi in monte oraculum ederet, quaereretque ille quo nomine vocaretur, ita se ipsum appellavit, edicens videlicet ei, ut ad populum his verbis utetur: Qui est, misit me, sed etiam quia nomen illud magis proprium esse comperimus … At nos naturam eiusmodi exquirimus, quae ipsum esse per se habeat, ac non cum alio quopiam copuletur. Ens vero proprium sane est Dei …« 309 Diese Formulierung hat Gregor von Nazianz als Erster (dann wieder Johannes Damascenus; s. u.): Orat. 45,3 (PG 36, 625): »quasi pelagus quoddam essentiae immensum et interminatum«. 310 Ebd.: »Deus et semper erat, et est, et erit; vel potius est semper.« 311 Gregor von Nyssa, C. Eunom. I 7 (PG 45, 768): »Unum indicium verae divinitatis ostendit sermo sanctae scripturae, quod per supernam vocem didicit Moyses, audiens dicentem: Ego sum qui sum. Igitur illud solum divinum esse vere credendum arbitramur, cuius exsistentia aeterna et infinita apprehenditur; et quidquid in ipso conspicitur, semper in eodem modo se habet, neque accedens neque deficiens.« 312 In ep. ad Ephes. II, 3,14 (PL 26, 488). Dass »Qui est« mit dem Tetragramm eins ist, hat wohl zuerst Clemens Alexandrinus herausgestellt (Strom. V, 6 [34]; PG 9, 59/60). 308

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Im Unterschied zu allem von ihm Geschaffenen hat Gott allein den Ursprung seines Seins aus sich selber; er ist, da er nicht anderswo her sich verdanken kann, causa sui. Ex 3,14 ließe sich danach so paraphrasieren: Ich bin, der ich bin, weil ich überhaupt nur aus mir selber bin. Das findet sich an anderer Stelle von Hieronymus auch explizit ausgesprochen: »Ego sum qui sum, ego solus sum, quia solus a me ipso habeo esse, solus sum, quia ab alio non sum creatus.«313 Beim Kirchenvater Ambrosius findet sich eine besondere Aufmerksamkeit für den göttlichen Namen: Nomen ergo proprietas uniuscuiusque est, quo possit intelligi. Unde arbitror quod et Moyses volens proprium Dei et aliquid de eo speciale cognoscere … interrogavit: Quod est nomen tuum? [Ex 3,13]. Denique cognoscens mentem eius Deus, non respondit nomen, sed negotium; hoc est, rem expressit, non appellationem, dicens: Ego sum qui sum; quia nihil tam proprium Dei quam semper esse.314

Ambrosius hat erkannt, dass es bei der Namensfrage und der Antwort darauf um mehr geht als nur die richtige Benennung. Vielmehr rückt die Erkenntnis Gottes hier unter die eigenen Bedingungen Gottes selber. Darum artikuliert die Antwort an Mose das Sein Gottes (rem) als ein ewiges Sein (semper), und sie tut das, indem sie statt mit einem bloßen Namen Gottes (nomen) ihn durch eine »Tathandlung« zu erkennen gibt. Wendet man sich Augustinus zu, so findet sich erwartungsgemäß eine Fülle von Bezugnahmen auf Ex 3,14; sie haben ständig weitergewirkt.315 Vom »ewigen Leben« sagt Augustinus zwar, dass es das zeitliche Leben an Lebendigkeit (vivacitas) übertrifft, dass die Ewigkeit aber gleichwohl unwandelbar, ohne zeitliche Unterschiede von Früher und Später ist: »aeternitas autem, tantummodo est; nec fuit, quasi iam non sit; nec erit, quasi adhuc non sit«. Genau das aber ist Gegenstand von Ex 3,14, wo die Ewigkeit sich selber absolut wahr für den menschlichen Geist ausgesagt hat: »Quare sola ipsa verissime dicere potuit humanae menti, Ego sum qui sum; et de illa verissime dici potuit, Misit me, qui est (Ex III, 14).«316 Andere Benennungen für Gott werden überflüssig, da er sich selbst als Sein-selbst benennbar und anrufbar gemacht hat: »ipsum esse se vocari respondit; et tamquam hoc esset ei nomen: Hoc dices eis, inquit, Qui est, misit me.« Ihm kommt im Unterschied zum nur relativen Sein des von ihm

313

A.a.O. II, 3 (PL 26, 488). Ambrosius, Enn. in 12 Psalmos David. 43,19 (PL 14, 1100). 315 Spuren augustinischen Weiterwirkens finden sich unter anderem bei Eriugena, Thierry von Chartres, Ulrich von Straßburg, Alexander von Hales, Thomas von Aquin, Bonaventura und Johannes Duns Scotus. 316 Augustin, De vera rel. 49,97 (PL 34, 165); cf. BEIERWALTES, Platonismus (wie oben Anm. 296), 26ff. 314

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Geschaffenen das Sein absolut zu: »quia verum esse incommutabile esse est, quod ille solus est«.317 Dies wird konsequent auch auf Christus als den ewigen Sohn Gottes übertragen, von dem gilt: »id existens quod Pater est; Deus de Deo, Lumen de Lumine« und dem allein wie Gott unwandelbar zeitfreies Sein (»Est«) zugesprochen werden kann. Für Augustin war der ewige Gottessohn daher in der Exodus-Szene gleichsam schon mit dabei, und von Ex 3,14 her wächst auch ihm der einzigartige Name zu: »Nec aliunde arbitror manare illud quod famulo suo Moysi tale nomen suum insinuavit. … responsum dicentis accepit, Ego sum qui sum.«318 Darum ist es nicht zufällig, wenn der johanneische Christus von sich selber sagt: »quia ego sum« (Joh 8,24b). Dabei ist »sum« genauso absolut aufzufassen wie das »ego sum« von Ex 3,14, von dem es seine gewaltige Bedeutung (»multum est«) erhält, und Augustinus fragt: »Quis digne eloquatur, quid sit, sum?«319 Weiter reflektiert er hier darauf, dass die Antwort an Mose: »Ego sum qui sum« und »Qui est« nicht die Form hatte: »Ego sum Deus« oder »ego sum mundi fabricator« (bzw. »omnium rerum creator«), ja nicht einmal: »Ego sum ipsius populi liberandi propagator«, sondern einzig und allein: »Ego sum qui sum« und »Dices filiis Israel, Qui est« – ohne hinzuzufügen: »Deus vester, qui est Deus patrum vestrorum«.320 Und wie gewaltig diese Aussage auch für Mose schon war, umso gewaltiger (»multo magis«) ist ihr Verständnis (»intelligere«) noch heute »ad nos«. So bleibt Augustinus nur die emphatische Frage: »Nam Ego sum qui sum, quae mens potest capere?«321 Auch für Augustin persönlich ist Ex 3,14 ein Zuspruch, der ihn in allen Zweifeln der Wahrheit des ewigen Gottes gewiss macht. Er wird in die Situation schonungsloser Selbsterkenntnis geführt: »et inveni longe me esse a te in regione dissimilitudinis«, und in der so erfahrenen Gottesferne macht sich 317

Enn. in Ps 134,4 (PL 37, 174). De fide et symb. 4,6 (PL 40, 185). 319 Tract. ev. Ioan. XXXVIII 8,8 (PL 35, 1679). 320 Ebd. 321 Ebd. Diese Frage greift Augustin gleich noch einmal auf, indem er vor Christus, »Domine Deus noster«, die Bedeutung des »ego sum« (Joh 8,24b) weiter reflektiert. Heißt das absolute »sum«, dass alles Geschaffene sonst, einschließlich des Menschen, zu dem Christus redet, nicht ist? Wenn es aber ist, was ist dann das »ipsum esse«, das Gott und seinem Sohn ausschließlich zu eigen (»proprium«) ist? Soll man auch Ego sum qui sum so hören, als hätte alles andere kein Sein? Eine Antwort deutet sich in Augustins Auskunft an, was das »ipsum esse« sei, das vernehme – dem Herzen des Menschen innerlich zugesprochen: »dicat cordi, intus dicat, intus loquatur« – der »homo interior«, und »mens capiat vere esse«; denn es sei das Sein, von dem allein gilt: »est enim semper eodem modo esse« (a.a.O. 10; PL 35, 1680). Hiermit ist offenbar gemeint, der mitgebrachte menschliche Begriff von »Sein« werde durch den in der göttlichen Selbstaussage Ex 3,14 artikulierten zu seiner (selbstevidenten) Wahrheit gebracht, die zugleich dem innersten Ahnen und Verlangen des Menschen entspricht. 318

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ihm Gott selber vernehmbar: »Et clamasti de longinquo: ›Immo vero ego sum qui sum.‹ Et audivi, sicut auditor in corde …«322 Augustin erfährt in religiöser »Gleichzeitigkeit« mit Mose die heilsame Nähe des ewigen Gottes, und so bestätigt sich ihm aktuell, was Ex 3,14 über Gottes Selbstgleichheit in aller Zeit aussagt. Sogar um die innerste eigene Gewissheit von seiner Identität auszusprechen, kann Augustin von der Gottesgleichung einen abgeleiteten Gebrauch machen: »Cor meum, ubi ego sum quicum sum.«323 Nach Augustins Ansicht gibt es in der Hl. Schrift relativ wenige Aussagen, die im streng eigentlichen Sinne ausschließlich von Gott gelten: »Quae vero proprie de Deo dicuntur, … raro ponit scriptura divina«, aber Ex 3,14 gehört eindeutig dazu.324 Im Verständnis dieser Stelle möchte er sodann den Begriff »substantia« für »res mutabiles neque simplices« reservieren, auf Gott aber nicht anwenden. Denn Gott subsistiert (»subsistat et subsit«) nicht seinen Eigenschaften, die nur (wie Akzidentien) an ihm hafteten (»tamquam in subiecto«), vielmehr gilt: »Deus sit bonitas sua« (d. h. wesentlich selbst). Darum kann er nur »abusive« Substanz genannt werden; demgegenüber erscheint Augustin der Begriff »essentia« der besser geeignete, denn »vere ac proprie« müsste wohl Gott allein als (die) »essentia« (schlechthin) begriffen werden. Dabei hat »essentia« die Bedeutung des allein wahren und unwandelbaren »Seins«, und ebendieser Name des absoluten »Esse« ist Mose in Ex 3,14 verkündet worden.325 Ebendaher kommt Gott in seiner ewigen und unwandelbaren Natur – und das macht ihn zu Gott – zu, dass er aus sich ist, dass er ist: »habens in se ut sit«, wie Augustin Ex 3,14 entnimmt.326 Während Gott (anders als das Geschaffene) »vere ac primitus« und »eodem modo semper«, ja überhaupt veränderungsunfähig und so schlechthin außer Raum und Zeit (»ante omnia tempore et ante omnes locos«) ist, gilt von ihm als dem Schöpfer doch zugleich: »propinquior nobis est qui fecit, quam multa quae facta sunt«,327 wie mit Berufung auf Act 17,28 gesagt wird.328 Fest steht jedenfalls, dass es sich beim Selbst-Sein (bzw. Sein-selbst: ipsum esse) um das wahre Sein, das unveränderlich sich gleich ist, handelt: »Qui est, misit me, tanquam in eius comparatione qui vere est, quia incommutabilis est, ea, quae mutabilia facta sunt, non sint«.329 Genau diesen Unterschied des »Ego sum qui sum« bzw. »Qui est« zu allem nur relativen Sein 322

Conf. VII 10,16. Conf. X 3,4. 324 De trin. I 1,2 (PL 42, 821). 325 De trin. VII 5,10 (PL 42, 942). 326 De Gen. ad litt. V 16,34 (PL 34, 333). 327 Dies nimmt das Motiv des »interior intimo meo« in den »Confessiones« auf (cf. unten § 12 E. 2. [S. 677ff]). 328 De Gen. ad litt. (a.a.O.). 329 De civ. Dei VIII 11 (PL 41, 236). 323

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führt auch eine Predigt noch einmal genauer aus: »Esse nomen est incommutabilitatis. Omnia enim quae mutantur, desinunt esse quod erant, et incipiunt esse quod non erant. Esse verum, esse sincerum, esse germanum, non habet nisi qui non mutatur.«330 Der Eigenname Gottes besteht in der Gottesgleichung von Ex 3,14, die wahres und unveränderliches Sein als zeitfreie Gleichheit von Anfang und Ende, A und Ω zur Darstellung bringt. Auch Cyrill von Alexandria findet mit Anspielung auf Ex 3,14 in diesem Sachverhalt der Anfangslosigkeit und Ungewordenheit (Aseität) das Spezifische des göttlichen Namens von Gott als Schöpfer: Ἀρχὴ γὰρ τῶν ὅλων Θεός, ἄναρχος ὢν αὐτός, καὶ παρ’ αὐτοῦ πάντα παρήχθη πρὸς γένεσιν· αὐτὸς µὲν οὖν γέγονεν ὑπ’ οὐδενός, ἀλλ’ ἔστιν ὢν καὶ ἐσόµενος. Τοῦτο γὰρ ὄνοµα αὐτῷ.331 Ps.-Dionysius Areopagita fasst die göttliche ὑπερουσιότης so auf, dass die biblischen Schriftsteller (θεόλογοι) sie, die an sich ohne Namen ist (ἀνώνυµον), als vielnamig (πολυώνυµον) redend einführen: »Ἐγώ εἰµι ὁ ὤν« [Ex 3,14], »ἡ ζωή« [Joh 14,6], »τὸ φῶς« [Joh 8,12], »ὁ θεός« [Gen 28,13], »ἡ ἀλήθεια« [Joh 14,6].332 Die »negative Theologie« verhindert hier durch die Annahme, es handele sich um bloße Namen, d. h. dem abstrakt Jenseitigen und ganz Anderen äußerliche Bezeichnungen, eine spezifische, begriffliche Interpretation der biblischen Selbstaussagen Gottes und Christi. Immerhin gesteht der Areopagite zu, dass die Aussage Ἐγώ εἰµι ὁ ὤν auf die »ganze Gottheit« in ihrer Vollkommenheit bezogen werden müsse.333 Johannes Damascenus sieht in ὁ ὤν den überragendsten (κυριώτερον) aller Gott zugesprochenen Namen und beruft sich dafür auf die Selbstaussage Gottes gegenüber Mose Ex 3,14. Er entnimmt dem, dass Gott Inbegriff allen Seins ist, das er wie das Meer der Seiendheit unendlich in sich enthält: Ὅλον γὰρ ἐν ἑαυτῷ συλλαβὼν ἔχει τὸ εἶναι, οἷον τι πέλαγος οὐσίας ἄπειρον καὶ ἀόριστον.334 Bekanntlich hat in der mittelalterlichen Theologie bzw. Scholastik Ex 3,14 für den Gottesbegriff eine so prominente Rolle gespielt, dass man für diese großen Zeiträume förmlich von einer »Exodusmetaphysik« reden konnte (E. Gilson).

330

Serm. VII 7 (PL 38, 66). Cyrill von Alexandria, In Ies. comm. 4,2 (PG 70, 924: »Deus enim est principium universorum, ipse sine principio, et omnia ab ipse ortum habent; ortus autem ipse est et genitus a nemine, sed est qui est, et qui futurus est. Hoc enim est nomen ei.« 332 Ps.-Dionysius Areopagita, De div. nom. I 6 (PG 3, 596A und B). 333 Cf. a.a.O. II 1 (PG 3, 637A). Zur Frage der Vielheit göttlicher Namen und Gottes Einheit cf. Thomas, ScG I 30f. 334 Johannes Damascenus, De fide orth. I 1,9 (PG 94, 836): »Nam totum esse, velut immensum et illimitatum essentiae pelagus, complexu suo ipse continet« (142). Zum »pelagos essentiae« cf. oben bei Anm. 309. 331

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So klingen unverkennbar Ex 3,14 und die augustinische Auslegungsgeschichte an, wenn Bernhard von Clairvaux formuliert: »Est. Nempe hoc est ei esse, quod haec omnia esse … Tam nihil esse sine ipso, quam nec ipse sine se potest. Ipse sibi, ipse omnibus est ac per hoc quodammodo ipse solus est.«335 Gott ist sein Sein als solches ganz für sich (»ipse sibi … est«), und das kommt, sosehr sein Sein auch für alle andern Dinge Bedeutung hat (»ipse omnibus est«), einzig und allein (»solus«) ihm zu. Eingehender diskutiert Bonaventura den Sinn von Ex 3,14. Die quaestio betrifft die Frage, ob diese »Umschreibung« (circumlocutio) ein »nomen essentiae« oder »nomen personae« sei.336 Bonaventura entscheidet sich in seiner responsio eindeutig: »Dicendum, quod illud nomen qui est, et Ego sum qui sum est nomen essentiae proprie.«337 Die biblische »circumlocutio« bezeichne nämlich »entitatem in omnimodo perfectione et absolutione, et hoc est nomen proprium divinae substantiae«.338 Auf den Einwand, das Pronomen bezeichne die »Person«, antwortet Bonaventura demgemäß, dass in Ex 3,14 die Person das Sprechersubjekt (»certum suppositum Verbi«) meine, und das sei hier ebendie »substantia et natura« Gottes selbst.339 Nach Bonaventura stößt eine Weise der Gotteskontemplation, die sich auf die »essentialia Dei« richtet, mithilfe des Alten Testaments auf das »primum nomen Dei«, das in Ex 3,14 steht und »qui est« lautet, womit das »ipsum esse« benannt ist; hiermit bzw. mit »Ego sum qui sum« ist vor allem die Einheit des Wesens Gottes bezeichnet (»divinae essentiae unitas«).340 Denn nur das göttliche Sein ist einfach (simplex), und »ideo esse dicitur nomen Dei (Ex 3,14), quia esse in Deo est id quod est Deus« – also eine Identität von Sein (esse) und Sosein (sic esse).341 Es gilt: »Esse enim divinum primum est, quod venit in mentem« – darum die Antwort an Mose,342 zugleich auch: »Primum nomen est Dei esse, quod est manifestissimum et perfectissimum, ideo

335

Bernhard von Clairvaux, De consid. ad Eug. V 6,13 (PL 182, 796; Hervorh. J. R.). Bonaventura, Sent. lib. I, dist. II, dubia 4, in: ders., Op. omn. 1, 60). Für die personale Auffassung scheint zu sprechen: erstens, dass das »Demonstrativpronomen« eine gewisse Person bezeichnet, und zweitens, dass »loqui est actus personae«. Das würde zu einer trinitarischen Interpretation führen, der gemäß »ego«, indem es die »origo« anzeigt, für die »persona Patris« steht, »sum«, als den »actus egregiens« bezeichnend, für die »persona Filii« und schließlich »qui«, das als Relativpronomen beide verbindet, für die »persona Spiritus sancti«. Bonaventura wendet dagegen ein: »pro eodem stat relativum et antecedens« (ebd.). 337 Cf. oben Augustinus, S. 147 (Satz vor dem mit Anm. 325). 338 Bonaventura, Sent. lib. I, dist. II, dubia 4, in: ders., Op. omn. 1, 60). 339 Ebd. 340 Itiner. V 2. Bonaventura verweist dafür auf Johannes Damascenus zurück (s. o.). 341 Hexam. II 25. 342 A.a.O. X 6. 336

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primum.«343 Darum »quidquid de Deo dicitur reducitur ad esse; hoc est proprie proprium nomen Dei« – gemäß Ex 3,14.344 Bei Thomas von Aquin findet sich der Bezug auf Ex 3,14 an prominenter Stelle; bei der Frage »Utrum Deus sit« führt er gegen die Gottes Dasein bestreitenden beiden Argumente an: »Sed contra est, quod dicitur ex persona Dei: Ego sum qui sum.«345 Wenn das auch im Corpus des Artikels nicht unmittelbar weiter ausgeführt wird,346 beruft der Aquinate sich hier doch auf die Stelle wie auf einen axiomatischen Grundsatz der Gotteslehre, und das wird durch den Zusatz »dicitur ex persona Dei« stark unterstrichen. Darum kann Thomas sich auch der traditionellen Auffassung anschließen: »Hoc nomen, qui est, est maxime proprium nomen Die.«347 Zur Begründung argumentiert er dreifach: 1. Die Bedeutung geht nicht auf eine irgendeine Form, sondern auf das Sein selbst; damit hängt die Identität von esse und essentia bei Gott zusammen;348 2. diesem Namen allein kommt schlechthinnige Allgemeinheit (universalitas) zu, und darum kann unser Verstand für Gott nicht bestimmen, »quod in se est«,349 denn der Name »qui est« determiniert für uns keinen »modus essendi«; 3. der göttliche Name von Ex 3,14 benennt eine reine Gegenwärtigkeit.350 Johannes Duns Scotus, der »doctor subtilis«, eröffnet seinen »Tractatus de primo principio« in der Anrede an Gott, der mit der Antwort an Mose, »doctore verissimo« (oder: veracissimo), dem Fassungsvermögen der sterblichen Menschen entsprechend seinen heiligen Namen eröffnet habe: »Ego sum qui sum.« Das liest Duns Scotus im Sinne von: »Tu es verum esse, tu es totum esse«, und er möchte zur Erkenntnis dieses wahren Seins gelangen, indem er von der Selbstaussage Gottes als seiend (»ab ente«) ausgeht.351 343

A.a.O. X 10. Ebd. Gott als das reinste, einfachste und absolut eine Sein kann auch mit Dtn 6,4 erklärt werden; cf. a.a.O. XX 6. 345 Thomas, STh I, q. 2, a. 3. 346 Man könnte aber z. B. in der prima via die Aussage damit in Verbindung bringen: »quod moveat seipsum« (a.a.O.). 347 STh I, q. 13, a. 11. 348 Cf. STh I, q. 3, a. 4. sowie ScG I 22 (nach Ex 3,14 ist »Qui est« der eigentliche Name Gottes in der Einheit von Wesen und Sein) und De ente 5. J. Pieper hat darauf hingewiesen, dass diese metaphysisch revolutionäre These »durch das Zusammendenken des aristotelischen Begriffs enérgeia mit dem biblischen Gottesnamen »Ich bin, der ich bin« möglich geworden sei (J. PIEPER, Thomas von Aquin. Leben und Werk, dtv 4378, München 1981, 130). Er verweist hier auch auf Moses Maimonides, der schon 100 Jahre zuvor diese Interpretation des Gottes- und des Seinsbegriffs formuliert habe (ebd.; cf. E. GILSON, Christliche Philosophie von den Anfängen bis zu Nikolaus von Cues, Paderborn 31954, 93). 349 Thomas zitiert Johannes Damascenus, De fide orth. I 12 (cf. oben bei Anm. 334). 350 STh I, q. 13, a. 11 (resp.); cf. auch die Explikationen in ad 1. bis 3. 351 Johannes Duns Scotus, Abhandlung über das erste Prinzip 1,1 (hg. und übers. von W. Kluxen, Darmstadt 1974, 2). 344

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Wendet man sich der spekulativen Mystik von Meister Eckhart zu, so findet sich eine Vielzahl von Bezugnahmen auf Ex 3,14, besonders natürlich in seinem großen Exodus-Kommentar (LW 2).352 Schon in der »Expositio libri Exodi« wird zu der Frage: »quis aut quid sit Deus« kurz ausgeführt: »Esse enim dei est quidditas.«353 Das bedeutet: Gottes Sein ist »tam singulare, tam summum esse«,354 und daraus folgt wiederum: Es ist reines Sein, d. h. Gegenwart ohne Vergangenheit oder Zukunft im zeitlichen Sinne.355 Damit ist festgestellt: Allein Gott hat wahres Sein (»solus … vere est«), und unser Sein ist im Vergleich damit nicht eigentlich ein Sein.356 In seiner speziellen Auslegung von Ex 3,14 in der großen ExodusAuslegung erläutert Meister Eckhart – nach einer eigentümlichen (»metaphysischen«) Ausdeutung der drei sprachlichen Bestandteile: ego, sum und qui als spezifisch auf Gott bezogen357 – das ego sum als ein »purum esse et nudum esse« bezeichnend358 und die Identität von »essentia und esse« bedeutend, die allein Gott zukomme.359 Besonders interessant360 ist darüber hinaus die Aufmerksamkeit, die Meister Eckhart der »repetitio« von sum qui sum widmet. Er erkennt hier den spekulativen Sachverhalt, dass dasselbe zweimal gesetzt wird, d. h., dass der Übergang zu einem anderen artikuliert wird, das doch kein anderes ist, sondern dasselbe noch einmal, also ein Übergang von sich zu sich. Darin sieht er die »puritatem affirmationis excluso omni negativo« von Gott selber angezeigt,361 zugleich aber – und das ist das eigentlich Interessante – Gottes Sein 352

Bei Meister Eckhart spielen vielerlei Einflüsse für die Interpretation von Ex 3,14 mit; so z. B. Johannes Damascenus (bzw. Gregor von Nazianz; dazu s. o. und BEIERWALTES, Platonismus und Idealismus [wie oben Anm. 296], 14f), Moses Maimonides (Dux neutr. I, 61ff, bes. 63) und Bernhard von Clairvaux (De consid. V 6; PL 182, 795ff). 353 M. Eckhart, LW 1, 100,11f. Das ist in Übereinstimmung mit Thomas formuliert (s. o.). Zur Aussage: »Ego sum qui sum« beruft Eckhart sich auf Augustinus (a.a.O. 12ff). 354 A.a.O. 18. 355 Cf. a.a.O. 22f (mit Berufung auf Hieronymus [20f]). 356 A.a.O. 23f. Es folgt ein Bernhard-Zitat (De consid. V), nach dem Gott selbst nicht ohne sein Sein sein kann; vielmehr ist er »ipse sibi«, und so gilt: »quodammodo solus ipse est, qui suum ipsius est … esse« (cf. M. Eckhart, a.a.O. 25–27). 357 Cf. M. Eckhart, LW 2, 20,1–12. 358 Cf. auch a.a.O. 77,1f. In 30,9f wird die Rede vom »pelagus substantiae infinitum« (Johannes Damascenus) zitiert. 359 A.a.O. 21,2–4. Für das Letzte beruft er sich auf Avicenna; cf. auch 24,7. A.a.O. 27,9 wird gefolgert: »Deus autem est ipsum suum esse.« 360 Cf. auch die scharfsinnige dreifache Analyse von Ex 3,15: »Hoc nomen mihi est in aeternum« (a.a.O. 31,10–14). 361 A.a.O. 21,7f. »puritas affirmationis« meint die reine Bejahung (seiner selbst), aber vermittelt durch den Ausschluss jedes anderen als solchen. »Excluso omni negativo« besagt: Jedes (inhaltliche) Was (z. B. »ich bin – das und das«) wäre Negation der Reinheit, echter Übergang zu etwas anderem und insofern Alteration und Trübung der Reinheit

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als »quandam in se ipsum et super se ipsum reflexivam conversionem«.362 Er begreift mithin das reine göttliche Selbst-Sein als expliziten Selbstbezug im Rückbezug auf sich selber. Daher meint die anschließende Formulierung: »in se ipso mansionem sive fixionem«,363 dass Gottes Sein als selbsthaftes Verhältnis zu sich selbsthafter Bestand seiner selbst und reine Selbstgenügsamkeit (suisufficientia) ist.364 Auch in der reformatorischen Bibeltheologie M. Luthers finden sich erwartungsgemäß Darlegungen zu Ex 3,14.365 Bekanntlich hat Luther insbesondere die futurische Deutung des Dictums theologisch stark gemacht.366 Dies scheint mit seiner Einbeziehung Christi in die Selbstaussage Gottes zusammenzuhängen. Denn schon in der RömerbriefVorlesung (1515/16) stellt er eine enge Beziehung zu Ex 33,19 (LXX) her,367 was in Röm 5,15 zitiert wird: »›Miserebor, cui miserebor, et ignoscam, cui ignoscam.‹ Hoc velut indefinite dicitur ac fortuitu … expressione misericordiam profert. Quomodo etiam Exo. 3. Dicit: ›Ego sum, qui sum‹, seu: ›Ego ero, qui ero.‹«368 Dazu passt inhaltlich, dass Luther in einer Predigt über Joh 8,24b bezüglich Christi Selbstaussage erläutert:369 »Das heisset: Ich bin, der ich bin.«370 In diesem Horizont steht dann auch die Verheißung Gottes über die zukünftige Verkündigung des göttlichen Namens Ps 22,23 (»nomen tuum«): »Ideo dicit: Ego narrabo, ego ero, qui loquar in eis [sc. den Verkündigern], sicut ad Mosen Exo. 3. Dixit ›Ego ero, qui ero‹.«371 Diese Verheißung findet Luther sogar vorrangig (vor allen metaphysischen Implikationen) in Ex 3,14 ausgesprochen: »Nomen ‫ יהוה‬puto esse nomen promissionis et non maiestatis:372 Ero qui ero; nos diceremus: Gehe du hin; ich will mich wol finden, durch etwas äußerlich Hinzukommendes. Freilich verbirgt sich im »excluso« eine Negation, so dass die Reinheit der Affirmation (als Selbst-Bejahung) durch eine Negation vermittelt ist, d. h. eine sich aufhebende Negation bzw. Vermittlung; die »affirmatio« ist also im Ausschließen von anderem (nur) auf sich selbst bezogen. Zur Figur einer »Negation der Negation« bei Gott cf. auch a.a.O. 77,9–11; 289,5f und 293,1f. 362 A.a.O. 21,9. Von einer »reditio« (super se ipsum) ist in 77,12 die Rede. 363 A.a.O. 21,9f. Sodann deutet sich in der Wendung vom »Sich-Gebären« (parturitio sui) der Gedanke göttlicher Selbsthervorbringung an. 364 Dazu cf. a.a.O. 26,5. 365 Cf. die frühe Äußerung zu Ex 3,14 (1513/1516), die bereits oben in Abschnitt D. 3. behandelt wurde (s. o. S. 132f). 366 Cf. beispielsweise philologisch WA 40 III, 760,17. 367 Zu diesem Zusammenhang cf. meine Ausführungen in D. 4. (Nachspiel), o. S. 133f. 368 WA 56, 397,13–16. 369 Zum absoluten »Ego sum« (Joh 8,24b) als Fortschreibung von Ex 3,14 cf. schon Augustin; s. o. S. 146ff. 370 WA 33, 597,6f (1531). 371 WA 5, 657,39–658,1 (1519/1521). 372 Das geht auf den Deus absconditus, d. h. Gott »an sich«: »deus in sua maiestate« (WA 18, 685,13) bzw. »deus nudus« (WA 40 II, 329f).

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ich wills thun, dic me esse, der es thun will, ut sit nomen effectus sicut alia: Emanuel etc.«.373 Daher kann Luther in einem Brief vom Juni 1530 (!) über Melanchthon sagen: »Nein, Es mus nicht heissen: Sic Ego Philippus. Das [menschliche] Ego ist zu geringe. Es heisst: Sic Ego ›Ero qui Ero‹. Hoc est nomen eius ›Qui Ero‹. Man sihet nicht, wer er ist, Aber Er wird’s sein, so werden wirs sehen.«374 Das absolute »Ich« von Ex 3,14 relativiert für Luther also eschatologisch alles menschliche Ich-Sagen. Auch in seinen Predigten über das 2. Buch Mose (1524–1527) geht Luther auf den Text Ex 3,14 ausführlicher ein.375 Da Mose wie jeder Mensch bei dem Versuch, Gottes Namen zu finden, scheitern müsste, kann die Initiative nur von diesem selber ausgehen: »Darümb so feret Gott herfür und deutet seinen Namen selbs, und er ist ein wünderlicher Name Gottes. Er deutet sich und spricht ›Ich werde sein, der ich sein werde‹.« Luther findet diesen Namen immer noch ziemlich rätselhaft: »das ist blind ding, das er spricht: ich bin, der ich bin oder werde sein«. Seine Interpretation hebt darauf ab, was diese Namensartikulation mit dem Hörer macht: »Er rücket mit dem Wort uber alle Creaturn, so nicht Gott sind noch das ewige leben geben können, denn da ist sonst keiner, der da ewiglich wircket, als Gott alleine, der saget allhie: Ich bins. Das kann sonst niemands sagen, denn es vergehet alles.«376 Gottes eigener Name enthält, indem er den unendlichen Abstand zu uns vergänglichen Wesen betont, eine Vergewisserung von seiner Ewigkeit. Ex 3,14 bewirkt somit die religiöse Erhebung schlechthin: »Aber sagen kann ich nicht: Ich bin wesend, vergehe oder wanke nicht, Ich bin und bleibe ewiglich. Mit welchem Titel reisset GOTT unsere Hertzen und Augen von allen Creaturen und zeuhets [zieht es] allein auff sich.«377 Gottes Name verheißt uns ewigen Halt: »Darümb spricht allhie Gott: ich bin der Gott, an dem du hangen solt und sonst keiner Creaturen vertrawen. Das ist das erste gebot, wer dasselbige also füret und deutet, der deutets recht«.378 Luther macht hier Ex 3,14 religiös entscheidend wichtig, indem er es vom Ersten Gebot (Ex 20,3; Dtn 6,4f) her begreift.379 Schließlich soll noch eine Näherbestimmung Luthers von seinem Begriff dieser Unvergänglichkeit und Ewigkeit Gottes vorgestellt werden, die in einer an Augustin erinnernden Weise von den Dimensionen der Zeit ausgeht, um sie in bestimmter Negation zu überwinden. In den späten Promotionsthesen vom 24.8.1543 lautet die 28. These:

373

WA.TR 1, 307,38–308,2 (Nr. 652; 1533). WA.B 5, 415,37–40 (Nr. 1612). 375 Das Folgende: WA 16, 48,27ff. 376 A.a.O. 49,14ff. 377 Ebd. 378 Ebd. 379 Cf. dazu im »Großen Katechismus«: BSLK 560ff. 374

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Suum fuisse est semper esse, suum futurum est semper fuisse, suum praesens est semper fuisse et futurum, id est, aeternum.380 Bemerkenswerterweise sagt Luther nicht: Gottes Sein ist Immer-schongewesen-Sein! Sondern seine Vergangenheit ist auch schon und auch noch sein Immer-Sein, also sein Jetzt-Sein, und d. h., sein In-der-VergangenheitSein (Gewesensein) war nicht vom Ende bedroht, war vielmehr auch schon sein Jetzt-Sein. Genauer: Gott war (bzw. ist) nur so in der Vergangenheit, dass er nicht in ihr blieb (bzw. bleibt), so dass sein Sein in ihr endete, sondern so, dass er dies Gewesensein selber immer schon überholt hatte und »damals« zugleich schon jetzt war. Also nur in Kraft seines Immer-Seins war er überhaupt schon damals, d. h. im Gewesenen. Das bedeutet nichts anderes, als dass sein Gewesensein schon sein Zukünftig-Sein war, weil es nie nur Gewesensein (d. i. zu etwas bloß Vergangenem werdendes Sein), sondern immer schon ImmerSein war bzw. ist. Ebenso lässt sich umgekehrt sagen: Gottes Gegenwärtigsein ist zugleich sein (immer schon) Gewesensein, und das will sagen: Sein Sein ist als Jetzt- und Immer-Sein ein auch auf die Vergangenheit ausgreifendes, ein schon Gewesensein. Entsprechendes gilt für das Verhältnis seiner Zukunft zu Gegenwart und Vergangenheit (als eigenen Seinsweisen Gottes). Vor dem großen Hintergrund der altkirchlichen Tradition hat auch die altprotestantische, lutherische Dogmatik nicht vermeiden können, sich zu Ex 3,14 zu verhalten. Dafür hier nur zwei Zeugnisse. In seinen »Loci theologici« (1610) geht J. Gerhard im Zusammenhang einer ausführlichen Erklärung und Erörterung des Eigennamens Jehova auf die Stelle ein und begründet seine (futurische) Lesart von »ero qui ero« primär durch Rekurs auf die göttliche Selbsterschließung: »ex ipsius Dei approbatione«.381 Er entnimmt dann der Formulierung, Gott sei »vere ens, essentia independens, immutabilis, aeterna essentiarum omnium essentia etc.«.382 Im Zusammenhang etymologischer Überlegungen hatte Gerhard bereits acht wesentliche Merkmale Gottes aus Ex 3,14 gewonnen: 1. Dei αὐθύπαρξις, d. h., dass Gott »per se subsistens, nec ab alio, reliquia omnia ab ipso, in ipso et per ipsum« ist;383 2. »eminentia super omnes creaturas«, was wesentlich mit der reinen Unbestimmtheit des göttlichen Seins (ὁ ὤν, qui est) zusammen-

380 WA 39 II, 255,1f. Die folgende These 29 stellt den Bezug zu Ex 3,14 ausdrücklich her: »Hoc est illud nomen Iehova, quod sacrum tetra-grammaton et ineffabile dicunt Iudaei, etiamsi, quid dicant, non intelligant« (a.a.O. 255,3f). 381 J. GERHARD, Loci theologici (hg. von E. Preuss, Bd. II, Berlin 1863), c. 1 (29), 253b. Zur futurischen Fassung cf. auch S. 255a. 382 A.a.O., c. 1 (32), S. 255a. 383 A.a.O., c. 1 (8), S. 243. Es folgt das Hieronymus-Zitat wie oben bei Anm. 313. Aus der Herkunft von Gott (»omnia ab ipso«) folgt als drittes Merkmal: »creaturarum a deo dependentia« (ebd.) mit Zitat Bernhards (s. o. bei Anm. 335).

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hängt;384 4. »Dei immutabilitas« – mit Hinweis auf Ps 102,27 (bzw. Hebr 1,12) –, weil Veränderung Seinsmangel bedeuten würde und keine Kreatur sagen könnte: ego sum qui sum, denn als solche ist diese »non … per se ipsam, nec in se ipsa, sed perpetuae mutationi obnoxia«.385 Es folgen 5. »aeternitas« (bzw. »infinitas«); 6. »simplicitas« (als Einheit von esse und essentia; 7. »veritas« (Ex 6,3; Jes 43,19) und 8. »Dei ab idolis differentia«.386 So lassen sich für Gerhard alle klassischen Wesensattribute Gottes bereits aus Ex 3,14 ableiten. Noch gegen Ende der Orthodoxie findet sich die Ableitung bzw. »descriptio« des Wesens Gottes unter Berufung auf Ex 3,14; so z. B. komprimiert bei David Hollaz: Quod DEUS sit essentia, clarissimum habemus testimonium Exod III, 14 … Similiter Apoc I, 8. DEUS appellatur ὁ ὤν, qui est, qui erat et qui futurus est. Cum igitur DEUS sibi ipsi ab essendo nomen tribuit, valide infertur, Essentiam DEI esse perfectissimam, simplicissimam et purissimam propter quam … puritatem et simplicitatem DEUS est ipsa sua Deitas et essentia.387

Ein weiteres Mal führt dies Zitat vor Augen, wie man in der Tradition, geleitet vom tragenden Begriff des »Seins« (esse), den man im Anschluss an die Septuaginta vor allem aus Ex 3,14 heraushörte, hier ein »clarissimum testimonium« für die Gotteslehre fand, zumal es sich um eine Selbstaussage Gottes handelte, und in der eigentümlichen Formulierung sowohl das Zeitübergreifende göttlichen Seins wie auch die Einheit dessen, was die traditionelle Ontologie unterschied, nämlich von Sein und Wesen bzw. Gottheit und Gott selber, ausgesagt sah. Für eine trinitarische Deutung von Ex 3,14 in der spekulativen Theologie des 19. Jahrhunderts, für die schon andere Aspekte im Blick sind, sei nur I. A. Dorner angeführt:388 Gott »stellt … sich damit sich selbst gegenüber, und eine Unterscheidung ist dadurch factisch in Gott gemacht, die mit seiner Einheit zugleich ausgesagt ist«.389 In den Dogmatiken des 20. Jahrhunderts ist es vor allem die stark durch die Auslegung biblischer Texte gekennzeichnete »Kirchliche Dogmatik« K. Barths, die verschiedentlich Bezugnahmen auf Ex 3,14 enthält.390 Im ersten Teilband (1932) optiert Barth noch ganz für die These der Namens384

Ebd. A.a.O. 244 (mit dem Augustin-Zitat von oben Anm. 329). 386 Ebd. 387 D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Bd. I, Stargard 1707 (Leipzig 1750), Pars I, c. 1 (De Deo), obs. 5 (325). Cf. die Folgerungen a.a.O. § 2. 388 Weiteres oben § 1 A. 4.2. (S. 106f). 389 I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 332. 390 Solche fehlen in den systematischen Hauptwerken von P. Tillich und W. Pannenberg. 385

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offenbarung als Namensverweigerung: »Ich bin der, dessen eigentlichen Namen niemand nachspricht«;391 Barth will so das Freibleiben der Offenbarung sichern.392 Später findet sich dann aber auch eine inhaltlich gefüllte Interpretation: »Gott als der unaufhebbar, weil in seinem Wesen Lebendige«, und d. h., (Ich bin) »der mich selbst Vergegenwärtigende oder der durch sich selbst Gegenwärtige«.393 Barth setzt dabei Ex 3,14 und Apc 1,8 (und 4,8) in Beziehung zueinander, d. h., er hebt das hier ausgedrückte Verhältnis Gottes zur Zeit hervor.394 Deswegen kann er Ex 3,14 im Kontext auch so paraphrasieren: »Ich bin, der ich (als der Gott eurer Väter war und als euer Gott) sein werde«.395 Interessant ist, dass sich bei Barth auch eine anthropologische Variation des Motivs finden lässt: »Gott hat mich, indem er zu mir spricht, ersehen als der, der ich bin, zu dem, der ich bin.«396 An weiteren Vorkommen seien beispielhaft die bei G. Gloege 397 oder H. Gollwitzer genannt398 sowie die feministische Variante;399 in seiner groß angelegten »Theologie des Neuen Testaments« hat sich neuerdings U. Wilckens mehrfach auf Ex 3,14 bezogen.400

B. Philosophische Bezugnahmen401 Bei den Renaissance-Denkern findet man bei Th. Browne die Einsicht in den Charakter von Ex 3,14 als exklusiver Selbstoffenbarung: »dieses Privileg [sc. Gott zu erfassen] hat Er Seiner eigenen Natur vorbehalten; Ich bin der Ich bin war Seine Selbstumschreibung … und sie war kurz gehalten, vernichtend für alle Sterblichkeit, die sich unterfängt, Gott zu befragen …, wer Er sei. Wahrhaftig, Er allein ist, alles sonst war oder wird sein«.402 391

BARTH, KD I/1, 335 (mit Bezug auch auf Ri 13,18). A.a.O. 339f. 393 KD I/2 (1938), 59. 394 Ebd. Deswegen kritisiert er auch ὁ ὤν der Septuaginta. Er findet Ex 3,14 in der Johannesoffenbarung zitiert: KD III/2 (1948), 558. 395 KD IV/3 (2. Hälfte), 1959, 663. 396 KD I/1, 167. 397 G. GLOEGE, Aller Tage Tag, Stuttgart 1960, 213ff (Zusammenhang des johanneischen Ego-eimi mit dem alttestamentlichen Gottesnamen). 398 H. GOLLWITZER, Krummes Holz – aufrechter Gang, München 1970, 303ff. 399 ELIZABETH A. JOHNSON, Ich bin, die ich bin. Wenn Frauen Gott sagen, übers. von M. Matesich, Düsseldorf 1994. S. u. Abschnitt C. bei A. Schmidt (S. 169). 400 U. WILCKENS, Theologie des Neuen Testaments, 3 Bde., Neukirchen-Vluyn, Bd. I/1 (2002), 7; Bd. I/4 (2005), 184 und 259; Bd. II/1 (2007), 9.18ff.92f.96; Bd. II/2 (2009), 159. 401 Cf. dazu schon oben § 1 C. 2.2. (S. 125f). 402 TH. BROWNE, Religio medici (1642) I, 11 (dt. Ausgabe hg. von W. v. Koppenfels, Berlin 1978, 25). 392

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J. G. Herder, auch Theologe und ein religiöser Denker, sieht in Ex 3,14 Gottes »Bestandheit und Treue, … seine Unveränderlichkeit und ewige Würde« zum Ausdruck gebracht.403 Wichtig ist für ihn auch, dass hiernach Gott »die drey Zeiten in sich« hat: »ich war, ich bin, ich werde seyn!« oder nach dieser Selbstaussage Gottes: »ich werde seyn, der ich seyn werde!«404 Der Kantianer C. L. Reinhold hat in einer kühnen Kombination die (von Plutarch überlieferte) ägyptische Inschrift an dem Bildnis zu Sais: »Ich bin alles, was ist, war und seyn wird, meinen Schleyer hat kein Sterblicher aufgehoben« mit Ex 3,14 gleichgesetzt: »daß damit das wesentliche Daseyn, die Bedeutung des Namens Jehovah, beynahe wörtlich ausgedrückt ist«.405 In seinem Aufsatz »Die Sendung Moses« (1790) hat F. Schiller, Reinholds These ausdrücklich folgend,406 von der Inschrift zu Sais ausgeführt: »Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao – oder I-haho – ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist – an der Brust oder Stirn trug«.407 Der in die ägyptischen Mysterien eingeweihte Mose soll nun – sich der begrenzten Fassungskraft des einfachen Volkes der Hebräer akkomodierend408 – diesen »philosophischen Gott«,409 nämlich den abstrakt Einen und Allmächtigen, seinen Volksgenossen in Gestalt des »heiligen Namens, den er wirklich in den Mysterien führt«, in der Form nahegebracht haben: »Ich werde sein, der ich sein werde« und diesem Gott in den Mund gelegt haben: »ich werde sein, der hat mich zu euch gesendet« (cf. Ex 3,14).410 Schiller geht es mit diesen Aufstellungen im Ganzen darum, »daß wir der mosaischen Religion einen großen Teil der Aufklärung verdanken, deren wir uns heutigestags erfreuen«, nämlich die »kostbare Wahrheit, … die Lehre von dem einigen Gott«, die allein vernunftgemäß ist.411

403

J. G. HERDER, Vom Geist der Ebräischen Poesie (2. Th. IV), in: ders., SW 12, 76. A.a.O., Fn. a). 405 C. L. REINHOLD, Die hebräischen Mysterien oder die älteste religiöse Freimaurerei, Leipzig 1788, 42. Ich verdanke diesen Hinweis wie den auf Schiller dem Buch von JAN ASSMANN, Exodus. Eine Revolution der Alten Welt, München 22015, 171f. 406 Der Aufsatz wird hier zitiert nach: Schillers Sämtliche Werke (Tempel-Klassiker), Bd. IX, hg. von J. Zeitler, Leipzig o. J., 281ff. Der explizite Verweis auf Reinhold a.a.O., 305 Fn. 407 A.a.O. 291. Cf. 302 (mit Bezug auf Ex 3,14): »In den Mysterien führte die Gottheit wirklich diesen Namen«. 408 Cf. a.a.O. 299f. 409 A.a.O. 300. 410 A.a.O. 302. 411 A.a.O. 281. 404

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In der späten theogonischen Spekulation F. W. J. Schellings ist Ex 3,14 wohl stärker als bei allen nachkantischen Philosophen im Blick.412 Schon bei der Rekonstruktion des mythologischen Prozesses kommt die Stelle zur Sprache: »Der wahre Gott … ist … nie der seyende, sondern beständig nur der werdende, wodurch sich allein schon der Name Jehovah erklären würde, in dem eben der Begriff des Werdens vorzüglich ausgedrückt ist.«413 Aufgrund der futurischen Deutung von Ex 3,14 wird der »jetzt bloß erscheinende« Gott von dem wahren unterschieden, »der seyn wird, das ist sein Name«, wie er in der Antwort an Mose laut wird.414 Nochmals heißt es an anderer Stelle unter Berufung auf Ex 3,14 von dem höchsten Begriff Gottes als des »Seyenden« selbst: »Gott an und vor sich selbst, in seinem Wesen betrachtet, ist bloß das, was seyn wird«.415 Vollends in der »Philosophie der Offenbarung« begreift Schelling die Selbstaussage Gottes in Ex 3,14 als die »Freiheit, aus sich selbst herauszugehen«, und dies im Sinne von: »Ich werde seyn, der ich seyn werde, d. h. der ich seyn will«.416 Bemerkenswert ist weiterhin, dass Schelling dies SeinWerden oder Sein-Wollen Gottes ohne Einschränkung seiner Unveränderlichkeit denkt!417 Handschriftlich überliefert ist sodann eine Aufzeichnung Schellings, in der die drei Ekstasen der Zeit anhand des Wortlauts von Ex 3,14 durchdekliniert werden, wobei nicht erkennbar ist, ob hier vom göttlichen oder vom menschlichen Ich die Rede ist. Der Text lautet: »Ich bin der ich war. / Ich bin der ich sein werde. / Ich war der ich sein werde. / Ich werde sein der ich bin.«418 Es herrscht Kontinuität vor: die von der Gegenwart des Ich-Seins mit seiner Vergangenheit und Zukunft und die seiner Zukunft mit der Vergangenheit und seiner Gegenwart.

412

Cf. M. D. KRÜGER, Schellings theologischer Absolutismus als Religionskritik, in: I. U. Dalferth/H.-P-Großhans (Hgg.), Kritik der Religion, RPT 23, Tübingen 2006, 53–82, hier 60. 413 F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Mythologie. Erster Band, in: ders., SW 11, 165. Cf. auch 169 zu Ex 6,2f. 414 A.a.O. 171f. 415 A.a.O., Zweiter Band, in: ders., SW 12, 32f. Zu Gottes Einer- bzw. Einzigsein cf. 47f. 416 A.a.O., Erster Band, in: ders., SW 13, 269f sowie 255 und 261. Cf. dazu M. D. KRÜGER, Göttliche Freiheit, RPT 31, Tübingen 2008, 180 Anm. 69. 417 A.a.O. 270 Fn. 2. 418 Schellingiana, hg. von W. E. Ehrhardt u. a., Bd. 22: Heideggers Schelling-Seminar (1927/28). Die Protokolle von Martin Heideggers Seminar zu Schellings »Freiheitsschrift« (1927/28) und die Akten des Internationalen Schelling-Tags 2006, hg. von L. Hühn und J. Jantzen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2010, 1. Hier wird, geht es ums menschlich Ich-Sein, anders als bei Fénelon gedacht.

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S. Kierkegaard verneint in Zusammenhang seines Konzeptes der »Selbstwahl« des Menschen die Möglichkeit oder Berechtigung, sich Ex 3,14 anzueignen: »darf er wohl sagen: jetzt hab ich mich selbst zu eigen, … und allem Wechsel in der Welt setze ich den stolzen Gedanken entgegen: ›ich bin der ich bin‹? Nimmermehr!«419 Offensichtlich ist menschliches Ich-Sein hier so strikt von dem Gottes zu unterscheiden, dass eine anthropologische Anwendung von Ex 3,14 als illegitime Usurpation zu bewerten wäre. Eher untergründig ist der Bezug auf die biblische Stelle, den J. L. Borges bei A. Schopenhauer vermutet.420 Er zitiert eine Äußerung des Philosophen kurz vor seinem Tode, die E. Grisebach überliefert hat, bei der es um die Unterscheidung zwischen falschen Selbstverständnissen des Philosophen und seiner wahren Identität als das Ich, das er ist bzw. war, geht. »Ich bin diese Personen nicht gewesen. Das war höchstenfalls der Stoff zu Anzügen, die ich getragen und die ich weggeworfen habe. Wer bin ich wirklich? Ich bin der Verfasser von Die Welt als Wille und Vorstellung. Ich bin derjenige, der auf die Frage nach dem Rätsel des Seins … eine Antwort gegeben hat. Der bin ich, und wer könnte es mir … streitig machen?«421 Gegenüber wechselnden Selbstzuschreibungen findet Schopenhauer sein wahres Ich als der, der eine Antwort auf die Frage nach dem wahren Sein gegeben hat, und diese Antwort enthebt ihn der Vergänglichkeit. Ähnlich kommt F. Nietzsche im Spätwerk auf die Pflicht zu sprechen, »zu sagen, wer ich bin«, und deshalb auszurufen: »Hört mich! denn ich bin der und der. Verwechselt mich vor allem nicht!«422 Hier ist außer Mk 9,7 insbesondere Ex 3,14 als Subtext für das exklusiv geäußerte Selbstbewusstsein Nietzsches auszumachen.423 Im 20. Jahrhundert findet die Exodus-Formulierung besondere Aufmerksamkeit bei den Vertretern des sog. »dialogischen Denkens«. So stellt F. Ebner 1921 fest, dass für die Juden der Name Gottes (Jahveh) nicht so sehr für Gott als »angesprochene« als vielmehr als die »sprechende« Person einsteht: »die durch das Wort sich offenbarende Person auch in seinem Namen: ich bin, der ich war«.424 Das dürfe nicht substantivisch (in der 3. Person) als der Ewigseiende aufgefasst werden: »Jahveh bedeutet das Sich-selbst-und-seineExistenz-Aussprechen«.425 419

S. KIERKEGARD, Entweder/Oder II, in: ders., GW 2, 246 (mit sachbezogener Begründung). 420 Siehe dazu unten S. 166f. 421 Zitiert nach BORGES, Inquisitionen (wie unten Anm. 463). 422 F. NIETZSCHE, Ecce homo. Wie man wird, was man ist (Vorwort 1.), in: ders., KSA 6, 257. 423 Cf. zur theologischen Deutung H. DETERING, »Singe mir ein neues Lied«. Zu Friedrich Nietzsches letzten Texten, Bursfelder Universitätsreden 27, Göttingen 2009, 18. 424 F. EBNER, Das Wort und die geistigen Realitäten, BS 689, Frankfurt 1980, 178. 425 Ebd.

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Auch M. Buber hat in »Ich und Du« (1923) ähnlich und zugleich abweichend votiert: »Das Wort der Offenbarung ist: Ich bin da als der ich da bin«; Ex 3,14 bedeutet also: »die ewige, die im Jetzt und Hier gegenwärtige Offenbarung«.426 Ebenfalls im Horizont jüdischen Denkens hatte bereits 1921 der Religionsphilosoph F. Rosenzweig mit Bezug auf Ex 3,14 die Ewigkeit Gottes betont: »Er ist ewig und der einzige Ewige, der Ewige schlechtweg; ›Ich bin‹ ist in seinem Munde wie ›Ich werde sein‹ und findet erst darin seine Erklärung.«427 Eine existenzphilosophische Variation von Ex 3,14 lässt sich bei K. Jaspers finden, der (ohne ausdrückliche Bezugnahme) über die Erinnerung schreibt: »In freiem Ergreifen eines Gegebenen übernehme ich im Erinnerten, was ich bin. Ich bin, was ich war, und was ich sein will.«428 Die Schelling’sche und die Ebner’sche Umformulierung der Stelle (s. o.) wird hier gänzlich ins Anthropologische gewendet, was bei Kierkegaard noch als ausgeschlossen galt (s. o.); freilich ist zu bedenken, dass auch in Ex 3,14 der strukturelle Sachverhalt eines Ich-Seins mit thematisiert ist, so dass auch unbeabsichtigte Anklänge immer naheliegen.429 Das zeigen auch die folgenden beiden Zitate. J. Derrida schreibt über den Menschen, bei dem das Sich-selbst-Erscheinen des Ich im Ich bin den Bezug auf das eigene mögliche Verschwinden immer schon impliziert: »sprachlich gesehen ist die Aussage ›ich bin derjenige, der ist/hinterherläuft‹ (Je suis

426

M. BUBER, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 41979, 113 (= ders., Werke, Bd. I, München 1962, 154). Mit Ebner stimmt der Satz überein: »Das ewige Du kann seinem Wesen nach nicht zum Es werden« (ebd., cf. 76 u. ö.), gegen Ebner scheint aber der Satz gerichtet, der eine »Selbstbenennung Gottes« bestreitet (113); cf. bei EBNER, a.a.O. 179. Bei Buber cf. auch in: M. BUBER, Der Jude und sein Judentum, München 1963, 56. 427 F. ROSENZWEIG, Der Stern der Erlösung, BS 973, Frankfurt 1988, 303 (= ders., Gesammelte Schriften, Bd. II, Haag 41976). Cf. auch DERS., Briefe (= ders., Gesammelte Schriften, Bd. I/2, Haag 1979, 1161 [1927]). Zum Ich-Du-Denken passen spezifisch die Sätze über die dialogische Situation von Anredendem, Angeredetem und Beredetem: Ich bin bei dir (Jer 41,10) – Du bist bei mir (Ps 23,4) – Gott [Er] ist bei uns (Jes 8,10), in: DERS., Der Ewige (in: Zweistromland = ders., Gesammelte Schriften, Bd. III, Dordrecht 1984, 801–815). 428 K. JASPERS, Philosophie, Bd. III. Metaphysik (1932), Berlin 41973, 208. 429 (Zu E. Husserl s. u. bei Blumenberg.) So ist es nicht verwunderlich, dass sich bei psychoanalytischen Autoren solche Anklänge finden; bei J. Lacan ist »Ich bin, der ich bin« einfach die Formel für das menschliche Selbstbewusstsein (cf. G. PAGEL, Lacan zur Einführung, Hamburg 1989, 21); E. H. Erikson beschrieb mit der Wendung: »Ich bin, was ich bin« die 5. Stufe der psychosozialen Entwicklung (= Pubertät); cf. zu Ex 3,14 auch E. FROMM, Gesamtausgabe, Stuttgart 1999, Bd. II, 100f und Bd. IX, 481. Zur esoterischen Vereinnahmung von Ex 3,14 im Sinne einer Aneignung der »reichen Fülle Gottes« (bzw. seiner kosmischen Energie) in der Meditation cf. den ironischen Bericht über die »Esoterik-Tage '96« von Geyer (FAZ 88 [15.4.1996], 33).

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celui qui suis) das Eingeständnis eines Sterblichen«.430 Aus der Logik eines Ich-bin-Sagens wird die traditionelle Ewigkeitsauffassung von Ex 3,14 vom menschlichen Ich her dekonstruiert, d. h. ins Gegenteil gewendet. Etwas grundsätzlicher hat L. Althusser sich für die Frage nach dem Subjektsein überhaupt auf Ex 3,14 bezogen. Für den Prozess der Subjektwerdung in der Anrufung des Individuums durch ein »Subjekt« schlechthin dient ihm die Berufung des Mose durch Gott als veranschaulichendes Beispiel: »Gott ruft Mose bei seinem Namen [cf. Ex 3,4 mit Jes 43,1b], um ihm zu verdeutlichen, daß er [sc. Gott] existiert und daß Mose ihm Rechenschaft schuldet, während sich das ›SUBJEKT‹ als nicht rechenschaftspflichtig vorstellt: ›Ich bin, der ich bin‹.«431 An der radikalen Unbezüglichkeit und Selbstgenügsamkeit des absoluten Subjektes stellt sich die eigene des endlichen Subjekts als seine eigentliche Wahrheit dar, die ihm unmittelbar nicht zugänglich ist. In einer Studie über »Finnegans Wake« von James Joyce stellt K. Reichert eine Beziehung zur kabbalistischen Bibellektüre her und schreibt im Blick auf den sich in seiner Offenbarung zugleich sich in sich selber zurückziehenden Gott: Denn in den seltenen Augenblicken, da er sich zu offenbaren scheint, empfangen wir doch nichts als die leere Form der Tautologie: »ehyeh asher ehyeh«, »Ich werde sein der ich sein werde«, oder … »Ich bin der ich bin«. Näher können wir an die Totalität der Bedeutung der Bibel nicht herankommen, und näher – in diesem Sinn und seiner Umkehr: »Ich bin nicht der ich bin« – können wir auch nicht an die Totalität der Bedeutung des Wake herankommen.432

Mit der Frage, ob es sich bei Ex 3,14 tatsächlich um eine logische Tautologie handelt, ob mithin Gottes Herausgehen aus sich nicht nur eine leere Figur, also nur scheinbar ein solches ist, ist eine entscheidende hermeneutische Frage der Interpretation dieser Stelle angesprochen.433 In radikal seins-skeptischer Intention interpretiert L. Lütkehaus die Stelle: Die tautologische Formel, die der biblische Schöpfergott für sich gefunden hat, nicht etwa bloß, weil er sich jedem weiteren Prädikat entziehen, jedes Bild verbieten wollte, sondern weil er seiner selbst ganz sicher war, immunisiert ihn denn auch gegen alle weiteren Seinsfragen. … – diese lakonische Formel, geradezu ein narzißtisches metaphysisches Bonmot, ist der Identitätssatz, in dem sich Gott und das Sein als das personifizierte Sein durchdringen. Und wenn er ist, der er ist, und sein wird, der er sein wird, dann darf auch das, was allein durch ihn ist, bei allen Unterschieden wissen, daß es ist und sein wird, was es gottseidank ist und sein wird.434

430

J. DERRIDA, Die Stimme und das Phänomen, es 945, Frankfurt (1967) 1979, 109. L. ALTHUSSER, Ideologie und ideologische Staatsapparate, Hamburg 1977, 146. 432 K. REICHERT, Vierfacher Schriftsinn, es 1525, Frankfurt 1989, 129. 433 Cf. dazu oben Exkurs II (S. 140ff). 434 L. LÜTKEHAUS, Nichts. Abschied vom Sein – Ende der Angst (revidierte Neuausgabe 2003), Frankfurt 62008, 106f. 431

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Damit wird die »seinsgläubige« Griechenmetaphysik ebenso wie der biblische Schöpfungsglaube in flotter Rhetorik nihilistisch gegen den Strich gebürstet. Eine unausdrückliche (vielleicht unbewusste) Anspielung auf Ex 3,14 entdeckt in seinem letzten Buch »Beschreibung des Menschen« H. Blumenberg bei dem Begründer der Phänomenologie, E. Husserl.435 Er kommentiert dessen »Bevorzugung der Undenkbarkeit dessen, daß ich nicht bin« so: »An ihr liegt Husserl alles. Nicht zufällig und kaum ohne es zu wissen, was er da hinschrieb, legte er dem phänomenologischen Ich das stolzeste der biblischen Gottesworte in den Mund: ich bin, der ich bin«.436 Ebendiese Formulierung: »Ich bin, der ich bin …« findet sich hier ausdrücklich bei Husserl selbst.437 Abschließend sei noch auf J. Assmann verwiesen, der sich in seinem Buch »Exodus« (22015) im 5. Kapitel (Namensoffenbarung) mit der Formel »Ich bin, der ich bin« beschäftigt hat.438 Ihm geht es dabei um die Frage, ob der Eine nicht notwendig namenlos sein müsse (deus anonymus), wie in der hermetischen Tradition und vom Cusaner behauptet wurde, und inwiefern Ex 3,14 mit der aus Plutarch bekannten Inschrift des verschleierten Bildnisses zu Sais (»Ich bin alles, was da war, ist und sein wird«) gleichzusetzen sei, was C. L. Reinhold und F. Schiller vertraten (s. o.). Assmann kommt zu dem (richtigen) Ergebnis der Unverträglichkeit dieser Kombination mit dem Geist der Exodus-Erzählung. »Der Gott des biblischen ›Monotheismus der Treue‹ aber, um den es hier geht, ist nicht der Seiende, sondern der Werdende, zumindest in der Form seiner Geschichte-machenden Weltzuwendung, von der die Bibel erzählt.«439 Der Gott von Ex 3,14 sei mithin »ein ganz anderer, ein neuer Gott, der die kreisende Zeit der In-Gang-Haltung in die gerichtete Zeit der Zukünftigkeit verwandelt«.440 Bei diesen eher konventionellen Aussagen bleibt aber weiterer Klärung überlassen, wie zum einen Gott als der Werdende genauer zu denken ist (nämlich als im Werden zu sich begriffen) und wie zum andern die Offenheit Gottes für die Zukunft mit seiner Ewigkeit zu vereinbaren ist (was ja mit der ersten Frage zusammenhängt). Zu einem begrifflich eindringenden, spekulativen Verständnis von Ex 3,14 stößt Assmann mit seinem lockeren Überblick nicht vor. 435 Unter Husserls Aufzeichnungen findet sich 1922 diese: »Es ist für mich undenkbar, daß ich nicht sei. Also auch undenkbar, daß kein Ich überhaupt sei. … Jede mögliche Abwandlung, die ich an einem Anderen ersinnen kann, kann ich, und noch ursprünglicher, an mir selbst ersinnen« (Husserliana, Bd. XIV, Dordrecht u. a. 1973, 158; zitiert nach BLUMENBERG [wie unten Anm. 436], 407). 436 H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen (Erster Teil, Kap. VI: Husserls Gott), stw 2091, Berlin 2014, 408. 437 Husserliana XIV, 158 (zitiert bei BLUMENBERG, a.a.O. 821). 438 J. ASSMANN, Exodus (wie oben Anm. 405), 167–174. 439 A.a.O. 173f. 440 A.a.O. 174. Daraus wird zu Recht die spezifische Geschichtlichkeit der biblischen Religion abgeleitet: »Erst die von Gottes Da-Sein erfüllte Zeit, die historia sacra, ist die Zeit, von der sich so umfassend erzählen lässt, wie es die Bibel unternimmt« (ebd.).

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C. Echos von Ex 3,14 bei Dichtern und Schriftstellern Hier ist immer wieder auch die negative Variante zu finden: »I am not what I am« (Shakespeare, Othello, I, 1, 64f).441 Bei J. G. Herder dient der Anklang an Ex 3,14 der Beschwörung der unendlichen Identität des unsterblichen Menschen: »Wo und wer ich seyn werde, werde ich seyn der ich jetzt bin … ein Wesen in der unabsehlichen Harmonie einer Welt Gottes« (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1. Th., 1. Buch, I. [Ende]).442 Auch bei J. W. Goethe gibt es aufschlussreiche Echos des göttlichen Namens. In den Bekenntnissen einer schönen Seele findet sich die Passage: »der Körper wird wie ein Kleid zerreißen, aber Ich, das wohlbekannte Ich, Ich bin« (Willhelm Meisters Lehrjahre [1795], 6. Buch).443 Noch deutlicher wird der Bezug, wo Goethe etwas zum eigenen Namen sagt. Hatte er schon am 23. Januar 1770 an Käthchen Schönkopf geschrieben: »Und ich, ich werde Goethe bleiben. Sie wissen was das heisst. Wenn ich meinen Namen nenne, nenne ich mich ganz«.444 A. Schöne hat überzeugend aufgewiesen, dass dieses Motiv sich in Goethes stereotyper Unterschrift seiner Briefe mit seinem Nachnamen widerspiegelt – bis hin zum Brief an W. v. Humboldt (17. März 1832) –, und das sinnreich verknüpft mit einer wichtigen Stelle aus diesem letzten Brief Goethes überhaupt, wo es heißt: »… verknüpfen ohne Bewußtseyn in einer freyen Thätigkeit das Erworbene mit dem Angebornen, so daß es eine Einheit hervorbringt welche die Welt in Erstaunen setzt«.445 Auch Schöne spricht bezüglich der frühen Stelle in dem Schönkopf-Brief von einem Echo: »Und es scheint fast, als wären diese verheißenden … Worte heimlich ausgerichtet an der ersten Antwort, welche der Gott des Alten Testaments gab, als Mose ihn nach seinem Namen fragte: ›Ich werde sein, der ich sein werde‹«, und von einem »Selbstentwurf, … Lebensprogramm, weit aus441 Cf. auch: »That’s he that was Othello: here I am« (V, 2, 281), aber auch: »Speak of me as I am« (V, 2, 338). J. L. Borges hat auf »Ende gut, alles gut« (1602) hingewiesen, wo der entlarvte betrügerische Hauptmann, Parolles, sagt: »dieses Etwas, das ich bin, wird mich am Leben erhalten« (»simply the thing I am / shall make me live«) (BORGES, Inquisitionen [wie unten Anm. 463], 174). Dazu Borges: »er ist (jählings) ein Mensch und alle Menschen« (ebd.). 442 HERDER, SW 13, 16. Auch Herder bezieht sich auf Swifts Ende wie später Borges (s. u. bei Anm. 463), a.a.O., Bd. 27, 372–382. 443 GOETHE, GA 7, 447. Auf diese Stelle macht N. Boyle aufmerksam: als ein »Echo der Stimme aus dem brennenden Dornbusch« und von Fichtes »Ich« (N. BOYLE, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit, Bd. II, it 3050, Frankfurt 2004, 424). Cf. Hebr 1,11 und Jes 50,9 und 51,6. 444 Diese und die folgende Briefstelle werden mitgeteilt von A. SCHÖNE, Der Briefschreiber Goethe, München 2015, 386. 445 SCHÖNE, a.a.O. 374; GOETHE, GA 21, 1042.

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greifend ins allererst Zukünftige«.446 Schöne kommentiert diesen erstaunlichen Zusammenhang von Eigenname und Lebensrückblick in seiner eindringlichen Interpretation schließlich so: »Und als er seinen letzten Brief unterschrieb, galten für den derart kohobierten Namenszug seine frühen Worte: ›Wenn ich meinen Namen nenne, nenne ich mich ganz‹.«447 Ebenso kann man es von dem in allen seinen Wandlungen (bis ins Neue Testament) sich gleich bleibenden Namen des sich Mose offenbarenden Gottes sagen.448 Von Napoleon weiß W. v. Humboldt aus einer Rede Ende Oktober/Anfang 1813 (nach der Schlacht von Leipzig) zu berichten, dass er zu den im Abfall von ihm begriffenen polnischen Soldaten, sein gleich bleibendes militärisches Genie behauptend, ermutigend gesagt habe: »Ich bin, der ich gewesen bin, ich habe mich nicht verändert«.449 Die Negativformulierung gibt es bei F. Hölderlin im Munde des Empedokles auf dem Ätna: »Ich bin nicht, der ich bin, Pausanias, / Und meines Bleibens ist auf Jahre nicht« (Der Tod des Empedokles, 3. Fassung [1799], 1. Akt, 2. Auftr.).450 Eine dezidiert religionsphilosophische Interpretation gibt G. Leopardi in seinem »Zibaldone«. Er schreibt unter Bezug auf die Idee vom zureichenden Grund: »Ego sum qui sum – Ich bin, der ich bin; das heißt, ich habe in mir den Grund zu sein: große und behaltenswerte Worte! Ich verstehe die Gottesidee in dieser Weise« und erwägt dann, »daß ein allmächtiges Wesen aus sich selber von Ewigkeit her bestehen … könne«.451 Ganz persönlich nimmt E. Geibel das Zitat in dem Gedicht: »Ich bin, der ich bin«, wo es dann heißt: »Nach eigensten Zielen / Stand immer mein Sinn.« Diese Selbstgenügsamkeit, so heißt es am Ende, gibt auch Gelassenheit; wenn Kritik an seiner Dichtung laut wird: »So darf’s mich nicht grämen; / Ich bin, der ich bin«.452 F. Hebbel wendet im Tagebuch 1859 die als zeitübergreifend artikulierte Unendlichkeit von Ex 3,14 gegen moderne sprachliche Verkürzungen in 446

SCHÖNE, a.a.O. 386. A.a.o. 387f. Zum Ausdruck »kohobiren« cf. 384. 448 Zu dem impliziten Bezug auf Ex 3,14 passt auch die sich in Goethes HumboldtBrief vorher findende Gegenüberstellung: »die Alten« (d. h. Mose) – »ich« (a.a.O. 369), die an Mt 5,21f erinnert; cf. dazu SCHÖNE, a.a.O. 373. Eher humorvoll-parodistisch ist die Wendung in einem Brief an J. C. Kestner (Oktober 1774): »Ich binn der Alte von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen G.« (zit. bei SCHÖNE, a.a.O. 466). 449 Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von A. v. Sydow, Bd. IV, Berlin 1910, 159 (3. November 1813). Cf. dazu A. FOURNIER, Napoleon I. Eine Biographie, Bd. III, Wien 41922, 231f. 450 HÖLDERLIN, KlStA 4, 137,5f. 451 G. LEOPARDI, Das Gedankenbuch, hg. von H. Helbling, dtv 2306, München 1992, 293. Zu Leopardi cf. auch unten § 2 B. 1. (S. 181 Anm. 43) und D. 4.1. (S. 219 Anm. 333) sowie § 5 B. 2.2. (S. 350 Anm. 50). 452 E. GEIBEL, Gesammelte Werke, Bd. IV, Stuttgart 21888, 102. 447

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sprachverbessernder Absicht: »›Ich bin, der ich war und werde sein, der ich bin‹ sagt Mose. ›Ich bin unveränderlich‹ würden Campe, Adelung und Julian Schmidt es übersetzen« (Nr. 5711).453 In der für ihn typischen (stoischen) Schicksalsergebenheit jenseits von »Sieg und Niederlage« formuliert G. Benn 1952, Ex 3,14 (in irrtümlicher Zuschreibung) aufnehmend: »also Amor fati oder, wie der Psalmist sagt: ›Ich bin, der ich sein werde‹, auch da wo es zum Scheitern und zu Scheiten führt«.454 Und am Ende seiner Rede aus dem Todesjahr: »Altern als Problem für Künstler« (1954) gibt er in gedämpfter, aber unbeirrbarer Zuversicht der Sentenz diese Wendung: »Ich habe gearbeitet, wie ich das Abendland mir gegenüber sah, ich lebte, als ob der Tag dawäre, mein Tag. Ich war, der ich sein werde.«455 Die Lyrikerin (und Benn-Freundin) E. Lasker-Schüler hat es ähnlich zum Ausdruck gebracht: »Ich Bin, Der Ich Sein Werde«.456 Mehrfach und sehr unterschiedlich hat sich P. Valéry auf Ex 3,14 bezogen. In seinen »Cahiers« notierte er bereits 1911 unter dem Eindruck des Morgengrauens: »Eindruck traurigster Hellsicht des noch kaum erwachten Gehirns – das sieht und nichts hinzufügt. Das Entfärbte dieser Stunde. Dieser Gott des Wirklichen, des Ungestalten, der sagt: Ich bin, der ich bin … Und das ist Alles.«457 Das ist wie vor der Schöpfung gesprochen. Ganz anders die Selbstbeschreibung im »Kleinen Morgenpsalm«: »Meine Geschichte ist mir fremd. / Mein Name erstaunt mich, … // Was ich gewesen bin, ist bei allen anderen. / Ich bin nicht einmal das, was ich sein werde«.458 Dieser persönlichen Negativvariante steht aber die Einschätzung eines jeden Meisterwerks gegenüber: »ein solches Werk sagt: Ich bin das, was ich bin. Sum quod sum, und damit genug (1932)«.459 Das In-sich-vollendet- und -geschlossen-Sein des Kunstwerks wird hier als göttlich stilisiert.460 In Valéry’s (fragmentarischer) Dich453 F. HEBBEL, Werke, hg. von G. Fricke u. a., Bd. V, München 1967, 254. Cf. auch: »Jehovah vor der absoluten Kritik« (in: DERS., Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hg. von R. M. Werner, Berlin 1911ff), Bd. VI, 456). 454 G. BENN, Gesammelte Werke in vier Bänden, hg. von D. Wellershoff, Bd. IV, Stuttgart 31977, 311. Schon 1947 im Ptolemäer hatte er ähnlich – in Abgrenzung gegen Paulus (Röm 7,15b) – geschrieben: »ich bin, der ich sein werde, ich tue, was mir [sc. richtig?] erscheint« (a.a.O., Bd. II, Stuttgart 41978, 256). 455 A.a.O., Bd. I, Stuttgart 41977, 581f. 456 E. LASKER-SCHÜLER, Gesammelte Werke, hg. von F. Kemp, Bd. II, Frankfurt 1996, 795 und 929. 457 P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. VI, Frankfurt 1993, 427f. 458 P. VALÉRY, Schlimme Gedanken und andere (1942), in: ders., Werke (Frankfurter Ausgabe), hg. von J. Schmidt-Radefeldt, Bd. V, Frankfurt 1991, 387. 459 VALÉRY, Werke VI, 1995, 67. Dazu passt: »Schönheit ist ein Kreis« (a.a.O. 69). 460 Früher heißt es in Auseinandersetzung mit Ex 3,14: »Gott, ein Barren reinen Stolzes – Sum qui sum« (1921), a.a.O. (wie oben Anm. 457), Bd. II, 1988, 520.

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tung »Mon Faust« (II, 5) sagt Faust wegen seiner vollen und reinen Erkenntnis von sich: »Je suis celui que je suis« und: »Ich habe den Gipfel meiner Kunst erreicht, ich stehe in der klassischen Periode meiner Lebenskunst. Und das ist mein Werk: leben«.461 Aber auch im eigentlichen religiösen Kontext geht Valéry auf die Bibelstelle ein: »Ich bin nur dein Gott, sagte diese [sc. innere] Stimme, und es ist so gut wie nichts zwischen uns. … Wer sollte im Mittelpunkt, in DIR, Wohnung genommen haben [cf. Joh 14,23], wenn nicht Der, der ich bin? … Ich bin Der ich Bin – das ist die einzige Formel, die absolut nichts und absolut alles besagt« (1943–1944).462 Dies scheint aus einer mystischen und zugleich agnostischen Einstellung heraus gesagt. Unter dem Titel: »Geschichte der Echos eines Namens« hat J. L. Borges 1952 einen Essay zu Ex 3,14 verfasst.463 Darin geht er interpretierend zunächst auf das »Ich Bin Der Ich Bin« ein,464 um dann an Shakespeare,465 Schopenhauer466 und J. Swift einige Stationen des Weiterwirkens zu markieren.467 Von dem im Alter (ca. 1740) wahnsinnig gewordenen Swift führt Borges eine Nachricht von Edward Young an, nach der Swift schon 1717 zu diesem gesagt hat: »Ich bin wie dieser Baum; ich werde am Wipfel anfangen zu sterben.«468 Borges berichtet: »Eines Abends hörte man ihn, alt und verrückt und längst todgeweiht, etwas vor sich hin murmeln; wir wissen nicht, ob resigniert oder verzweifelt oder wie einer, der sich bejaht und sich an seine innerste unversehrbare Substanz klammert: ›Ich bin was ich bin, bin was ich bin.‹«469 Borges sagt zu diesem erschütternden Zeugnis: »Doch es gibt nichts Pathetischeres als seine Anwendung der geheimnisvollen Worte Gottes«.470 Er kommentiert diese Anwendung von Ex 3,14 durch Swift auf sich selber dann folgendermaßen: »›Ich werde ein Unheil sein, aber ich bin‹, mag Swift empfunden haben, und auch: ›Ich bin ein Teil des Universums, so unumgänglich und notwendig wie die anderen‹, und auch: ›Ich bin, was Gott 461 P. VALÉRY, Lust. Das Fräulein von Kristall (1945), in: ders., Werke II, 1990, 296 (cf. 480 Anm. 55). In einem späteren Fragment dieser Dichtung heißt es auch: »Komm an mein eisiges Herz … Ich bin, der ich war« (a.a.O. 365). 462 VALÉRY, Cahiers/Hefte (wie oben Anm. 457) II, 1988, 635. Ähnlich in der »Abhandlung über den wahren Gott«; cf. a.a.O. 640. 463 J. L. BORGES, Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Frankfurt 1992, Bd. VII: Inquisitionen. Essays 1941–1952, Fischer Tb 10583, 174–178. Cf. dazu BIRUS, »Ich bin, der ich bin«. Über Echos eines Namens, in: S. Mosès/A. Schöne (Hgg.), Juden in der deutschen Literatur, stb 2063, Frankfurt 1986, 25–53. 464 BORGES, a.a.O. 174–176. Cf. auch 102 und 155. 465 Dazu siehe schon oben bei Anm. 441. 466 Dazu s. o. S. 159f. 467 »Losgelöst in der Zeit und im Raum wiederholen ein Gott, ein Traum und ein Mensch, der wahnsinnig ist und es weiß, einen dunklen Ausspruch« (a.a.O. 174). 468 A.a.O. 177. 469 Ebd. 470 Ebd.

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gewollt hat, daß ich sein sollte; ich bin das, wozu die Weltgesetze mich gemacht haben‹, und vielleicht: ›Sein heißt alles sein‹.«471 An anderer Stelle, einer Interpretation zu E. Swedenborg, spielt Borges selber auf die Exodus-Stelle im Sinne einer präsentischen Eschatologie an: »Wir werden sein, was wir sind«.472 Der Kreis seiner Bezugnahmen schließt sich, wenn er 1977 in dem Gedicht: »The Thing I am«, das mit dem Vers beginnt: »Ich vergaß meinen Namen, bin nicht Borges«,473 nach einer Reihe von Variationen dessen, was »Ich bin« gewesen ist und ist, am Ende formuliert: »Ich bin das Ding das ich bin. Das schrieb Shakespeare«.474 Der Borges vielfach verpflichtete U. Eco hat in seinem Roman »Das Foucaultsche Pendel«475 zwei weitere Echos beigebracht. Das eine findet sich bei der Esoterikerin H. Blavatsky unter der Überschrift: »Ich bin, der ich bin. Ein Axiom der hermetischen Philosophie«.476 Außerdem führt er ein Zitat aus »Joseph Balsamo« (1846ff; II. Band) von Alexandre Dumas d. Ä. an: »Wer bist du? Fragten gleichzeitig dreihundert Stimmen, während zwanzig Degen … aufblitzten. Ich bin, der ich bin, sagte er.« Schon 1937 hat der christliche Schriftsteller und Liederdichter J. Klepper in dem seinerzeit sehr verbreiteten Roman über Friedrich Wilhelm I. von Preußen »Der Vater« die folgenden, theologisch (lutherisch) inspirierten Sätze veröffentlicht: »Gott gab sich vor den Menschenkindern einen Namen, an dem sie ihn erkennen sollten. Der Name war: ›Ich werde sein, der ich sein werde‹, und das bedeutete die unabänderliche Heiligkeit und Ewigkeit des, der gesprochen hat: ›Ich will meinen Bund nicht entheiligen und nicht ändern, was aus meinem Munde gegangen ist‹ [Ps 89,35].«477 Der Autor H. Kesten überschreibt einen seiner Gedichtbände mit dem Titel: »Ich bin der ich bin« (1974), und (sozusagen in der femininen Variante) versieht Juliette Gréco ihre Lebenserinnerungen mit der Überschrift: »Ich bin, die ich bin« (1983).478 In seinem Roman »Ahasver« (1983) von S. Heym steht die folgende Passage: »›Ich will von ihm wissen, ob er ist, der er ist‹, sagt sein Nachbar [sc. von einem Juden]. Dies dringt durch bis ins Innerste des jungen Eitzen, der 471

Ebd. BORGES, Werke, Bd. XVIII 18, Fischer Taschenbuch 10594, Frankfurt 1995, 201. 473 BORGES, Werke, Bd. XIV, Fischer Taschenbuch 10590, Frankfurt 1994, 244: »He olvidado mi nombre. No soy Borges«. 474 »Soy la cosa que soy. Lo dijo Shakespeare« (a.a.O. 246/247); cf. oben S. 114 bei Anm. 441. 475 U. ECO, Das Foucaultsche Pendel, dtv 11581, München 1992, 638; cf. 640 und 647. 476 H. BLAVATSKY, Isis Unveiled, o. O. 1877, 1. 477 J. KLEPPER, Der Vater. Roman eines Königs, dtv 11478, München 61991, 630. 478 Cf. die feministische Entsprechung oben bei Anm. 399. Erwähnt sei auch die Sammlung von Texten und Dokumenten zu Henning v. Tresckow, hg. von S. Grabner/ H. Röder, unter dem Titel: »Ich bin, der ich war« (Berlin 2001, 32005). 472

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seine Bibel kennt und weiß, daß unser Herr Jesus, dieserhalb befragt, geantwortet hat, ich bin, der ich bin«.479 Heym verbindet hier theologisch sachgemäß die johanneischen Selbstaussagen Christi mit Ex 3,14.480 Auch bei dem Lyriker E. Fried finden sich verschiedentlich Anklänge an Ex 3,14. Genannte seien die Gedichte »Warum«,481 »Adam und Eva«482 sowie »Was es ist«.483 Bei dem portugiesischen Dichter F. Pessoa – ihm wird überhaupt der Satz zugeschrieben: Ich bin der, der ich nicht zu sein vermochte – ist das große Hauptwerk »Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares« (posthum 1982) durchzogen von Variationen des Selbstwortes des biblischen Gottes in der (zumeist negativen) Anwendung auf das Autor-Ich. Da ist zu lesen: »Ich werde sein, was ich will«,484 »Ich will der sein, der ich sein wollte und nicht bin«,485 »Seit langem schon bin ich nicht mehr ich«.486 Er empfindet seine Identität mit sich selbst als trügerisch,487 da sie sich im zeitlichen Verlauf des Lebens als instabil oder brüchig erweist: »Ich bin etwas, das ich war. Bin nie, wo ich fühle, daß ich bin, und suche ich mich, weiß ich nicht, wer mich sucht. … Ich fühle mich aus meiner Seele vertrieben.«488 Damit aber entgeht ihm auch sein eigenes Sein in der Vergangenheit, sofern es auch für andere trügerisch war: »doch ich war nie der, der ich bin«.489 So steht er zwischen sich und sich und ist selber nur das erfahrene Gespaltensein: »Ich bin der Raum zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich nicht bin«.490 In Hans Henny Jahnns großem Romanepos »Fluß ohne Ufer« (III. Teil: Epilog) empfindet der Protagonist während einer ziellosen Eisenbahnfahrt sein Ausgeliefertsein an den Rhythmus kosmischer Veränderung und ihren teilnahmslosen, unaufhaltsamen zeitlichen Verlauf: »Er dachte oder empfand: ›So wird aus Morgen Abend werden, und ich werde sein, wo ich sein werde‹.«491 479

S. HEYM, Ahasver, Fischer Tb 5331, Frankfurt 1983, 14. Cf. dazu oben § 1 D. (S. 126ff). Auch Gott selber bringt sich bei Heym mit »Ich bin, der ich bin« zur Sprache (a.a.O. 100) bzw. heißt es: »und Gott ist, der Er ist« (101). 481 E. FRIED, Gesammelte Werke in vier Bänden, Berlin 1993, Bd. II, 397f. 482 A.a.O., Bd. I, 123ff. 483 A.a.O., Bd. III, 35. 484 F. PESSOA, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Revidierte und definitive Ausgabe, hg. von R. Zenith, übersetzt von I. Koebel, Zürich 2003, 117 (Nr. 106). 485 A.a.O. 124 (Nr. 114). 486 A.a.O. 144 (Nr. 139). 487 A.a.O. 171f (Nr. 167); cf. auch: »wer, wie ich, nicht ist, wer er ist« (423; Nr. 448) bzw.: »daß alles, was wir sind, wir nicht sind« (257; Nr. 255). 488 A.a.O. 186 (Nr. 182). 489 A.a.O. 409 (Nr. 433). 490 A.a.O. 208 (Nr. 204); cf. 224 (Nr. 221). 491 H. H. JAHNN, Werke in Einzelbänden (Hamburger Ausgabe), hg. von U. Schweikert/U. Bitz, Bd. III, Hamburg-Blankenese 31992, 142. 480

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Selbst ein religionskritischer Autor wie Arno Schmidt ist nicht umhingekommen, Ex 3,14 seinen literarischen Tribut zu zollen. In dem monumentalen Hauptwerk »Zettels Traum« (1970) finden sich mehrfach Anklänge.492 Schon im I. Buch sagt der Ich-Erzähler voller Selbstbewusstsein: »ICH bin schließlich Der=ich=bin!«, und in der linken Randspalte wird dazu unter Anspielung auf eine Erzählung von E. A. Poe die Assoziation notiert: »Jehje USHER jehje!«493 Im V. Buch gibt Schmidt dann im Zuge seiner PoeDeutung eine ausdrückliche Erklärung: »›ascher‹ iss also einmal hebräisch: ›jéhe ascher jéhje: Ich werde sein, Der Ich sein werde!« und notiert rechts am Rand: »(beträchtlicher Tiefsinn übrijens)«.494 Schließlich findet sich im VI. Buch noch einmal eine Anspielung – in Gestalt einer »feministischen« Paraphrase im Munde der zweiten weiblichen Hauptfigur Franziska: »›Ch werde sein, Die Ich sein werde –‹ (versuchte die Kleine zu erwidern; …«495 Und wiederum ist dazu am linken Rande notiert: »jehje USHER, jê jê)«.496 Auch in seinem komödienhaften Typoskript »Die Schule der Atheisten« (1972) spielt der zynische Philosophieprofessor noch einmal auf die Stelle an: »([?]: och=wat, ›Wunder‹! Sum quia sum)«.497 Hier dient das veränderte Zitat illusionsloser, nackter Selbstbehauptung. In P. Handkes Stück »Kaspar« (1967) geht es um die problematische Frage eigener Identität, dies aber so, dass gezeigt wird, »wie jemand durch Sprechen zum Sprechen gebracht werden kann«;498 dabei spielt Ex 3,14 offenbar eine katalysierende Rolle. In einer längeren Fugierung bzw. Durchmodulierung finden sich dann Sätze wie diese: »Ich bin, so daß ich gewesen sein werde. Ich werde gewesen sein, so daß ich war. Ich war, sobald ich gewesen sein werde. Ich werde gewesen sein, sobald ich sein werde. Ich werde sein, während ich gewesen sein werde. Ich werde gewesen sein, während ich gewesen bin. … Ich war gewesen, weil ich gewesen sein werde. Ich werde gewesen sein, weil ich bin«.499 Darauf folgt dann das beschwörende, dreimalige »Ich bin, der ich bin. / Ich bin, der ich bin. / Ich bin, der ich bin«, das der Selbstvergewisserung dient.500 Handke lässt Kaspar dies »schaukelnd« sprechen als »die Satzmodelle …, mit denen sich ein ordentlicher Mensch durchs Leben schlägt«.501 492

A. SCHMIDT, Zettels Traum, zit. nach der Studienausgabe in 8 Heften, Frankfurt 1973. Das Schauerfeld oder die Sprache von Tsalal (a.a.O., Buch I), Zettel 14. 494 Franziska=Nameh (a.a.O., Buch V), Zettel 677. 495 ›Rohrfrei!‹ (a.a.O., Buch VI), Zettel 758. Cf. oben bei Anm. 399 und Anm. 478. 496 Ebd. 497 A. SCHMIDT, Die Schule der Atheisten, Frankfurt 1972, 175. 498 P. HANDKE, Kaspar, es 322, Frankfurt 171981, 7. 499 A.a.O. (27) 56; cf. schon ähnlich 55f. Es klingt wie ein Echo auf die ähnlichen Variationen bei Fénelon (s. o. § 1 C. 2.1. [S. 124 Anm. 196]). 500 Ebd. 501 A.a.O. 43. 493

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

Zu den eindrucksvollsten Echos des göttlichen Namens zählt schließlich ein spätes Gedicht von Paul Celan aus dem Gedichtband »Fadensonnen« (1968). Es betont an seinem Anfang die Unzugänglichkeit und zugleich Unentrinnlichkeit des Gottes von Ex 3,14 und lebt von der verzweifelten Erfahrung, dass dieser Name in ihm selber schon »Echo« seiner selbst ist. Das Gedicht beginnt mit einer radikal negativen Theologie: »KEIN NAME, der nennte: / sein Gleichlaut / knotet uns …«.502 Ein weitere Anspielung auf Ex 3,14 kann man wohl schon in dem Gedichtanfang: »DU SEI WIE DU, immer« finden (1967),503 es ist auf Jerusalem bezogen und zitiert Meister Eckhart sowie Jes 60,1. Der Celan-Biograf J. Felstiner bemerkt, diese (von Celan neu formulierte erste Zeile) »rückte das Gedicht … nahe an die Benennung Gottes: ehjeh ascher ehjeh, ›Ich werde sein, der ich sein werde‹« heran.504 Jonathan Frantzen schreibt von einem vom Ertrinken Bedrohten, dem ein Rettungsring zugeworfen wird; ihm wird klar, dass dieser »in der gegenstandslosen Welt des Todes … ein GOTT, ja dass es in jenem Universum des Nichtseins das HÖCHSTE ICH-BIN-WAS-ICH-BIN sein würde« (Die Korrekturen [Reinbek bei Hamburg 52002], 640). Ganz zum Schluss seien noch zwei Beispiele für die Beschäftigung mit Ex 3,14 aus anderen künstlerischen Bereichen erwähnt. Olivier Messiaen hat in der Schlusspartie eines neunteiligen Orgelzyklus von »Meditationen« zur Trinität (1969) das Gottesthema Ich bin, der ich bin musikalisch behandelt; diese Komposition ist von Intervallen der großen Sekunde und der übermäßigen Quarte geprägt.505 Hier wird die Geschichte der literarischen »Echos« auf die »Gottesgleichung« in Gestalt eines akustischen Echos weitergeführt. D. Schmidt gibt seiner Monographie über Selbstbildnisse deutscher Künstler im 20. Jahrhundert die Überschrift: »Ich war, ich bin, ich werde sein«.506 2011 erschien ein Katalog mit Porträts des Malers Eberhard Schlotter unter dem Titel: »Ich bin der ich bin«. Und vermutlich wird es auch weiterhin solche »Echos des Namens« geben.

502 P. CELAN, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. II, Frankfurt 1983, 226. In der Urauflage der »Fadensonnen« (1968): 120. Meine ausführliche Interpretation dieses Gedichtes erscheint im Celan-Jahrbuch 10 (Würzburg 2018), 73ff. 503 P. CELAN, Lichtzwang (1970), in: a.a.O. 327. 504 J. FELSTINER, Paul Celan. Eine Biographie, übers. von H. Fliessbach, München 2000, 317f. Felstiner weist ausdrücklich darauf hin, dass eine hebräische Übersetzung dieses Gedichtes von Orgad für »Du sei wie du« bietet: Haji ascher tihji, was den Anklang an Ex 3,14 unterstreicht (a.a.O. 414 Anm. 24). 505 Cf. S. BRUHN, Messiaens »Summa theologica«. Musikalische Spurensuche mit Thomas von Aquin in »La Transfiguration«, »Méditations« und »Saint François d’Assise«, Waldkirch 2008. 506 D. SCHMIDT, Ich war, ich bin, ich werde sein!, Berlin (DDR) 1968.

§ 2 Der Begriff Gottes Gottes eigenes Sein muss begriffen werden als aktuelles Sich-selbst-Hervorbringen und ewiges In-sich-Gründen. Als der so sich Setzende ist Gott von sich und durch sich, aus sich und in sich selbst.

A. Vom Namen zum Begriff Gottes (Zum Übergang von § 1 zu § 2)1 1. Ein traditioneller Gottesbegriff Ehe dieser Übergang namhaft gemacht werden soll, ist kurz ein kritischer Blick auf die traditionelle (altprotestantische) Wesensbestimmung Gottes zu werfen, die freilich keine Definition im strengen Sinne sein sollte. Das Wesen Gottes (natura) wird vielfach bestimmt als »essentia spiritualis infinita«;2 oder auch Gott als »Ens infinite perfectum natura necessario a mundo diversa summas complexa perfectiones«. Hierzu ist an dieser Stelle nur Folgendes zu bemerken: Gott ist als essentia, d. h. wesenhaft, als Geist gedacht (Joh 4,24), zugleich auch als ein ens. Der Geistbegriff wird dabei für Gott und Mensch analogice verwendet. Diese Wesensnatur Gottes ist infinita, d. h. nicht mit Endlichkeit behaftet, also infinita perfecta, und das besagt wiederum, dass seine Natur summas perfectiones umfasst. Dem mundus kommen im Unterschied zu Gott daher nur beschränkte »Vollkommenheiten« (Eigenschaften) zu; so ist er finitus. Allerdings wird, was Gott necessario zukommt, seine natura aus- und ihn zu Gott macht, nur im Unterschied zur Welt allein bestimmt. Die »via eminentiae« (summas perfectiones) fällt hier faktisch mit der »via negationis« zusammen. Ungeklärt bleiben bei einer solchen Begriffsbestimmung für Gott zumindest drei wichtige Fragen:

1 Cf. J. SIMON, Vom Namen Gottes zum Begriff, in: H. v. Stietencron (Hg.), Der Name Gottes, Düsseldorf 1975, 230–242; R. SCHAEFFLER, Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe, in: G. Wieland (Hg.), Religion als Gegenstand der Philosophie, Paderborn u. a. 1997, 197–217. 2 Zum Beispiel J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, Leipzig 1715, Pars I, 284 (I c. VIII, s. I., Th. II). Zu dieser Definition cf. nochmals unten § 13 C. 2. (S. 726ff).

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

I. Wie hängen Geist und Unendlichkeit (in Gott) zusammen? (Ist spiritus hier nur in abstraktem Gegensatz vom Körperlichen abgehoben?) II. Wie ist Gottes absolute Vollkommenheit positiv zu begreifen bzw. was konstituiert sie? III. Wie verhält sich Gott selber zu seinen perfectiones? Freilich hatten die alten Dogmatiker durchaus auch ein Bewusstsein, dass ihre Wesensumschreibungen einen approximativen und spezifisch religiösen Charakter hatten: Es gehe nur um »descriptionem aliquam Dei, ad quem mens in invocatione se referat« (M. Chemnitz). Gleichwohl muss eine Gotteslehre heute versuchen, die genannten Defizite begrifflich genauer zu bearbeiten.3 Dazu ist wiederum beim biblischen Namen Gottes nach Ex 3,14 anzuknüpfen. 2. Gott im Begriff (I) Wenn mutatis mutandis auch vom biblischen Gott gilt, was E. Rohde mit Bezug auf die Orphiker schrieb: »ihre Götter sehnen sich … zu reinen Begriffen zu werden«,4 und es von ihm, denkt man an den christlichen Begriff des Logos, sogar in potenziertem Sinne gilt, so ergibt sich zwangsläufig die Aufgabe einer Gotteslehre, von Gott einen Begriff zu erarbeiten. 2.1. Christlich kann aber der wahre Begriff Gottes nur der begriffene biblische Name Gottes sein, d. h. der konsequent zu Ende gedachte Name, wie er sich in Ex 3,14 zur Sprache gebracht hat.5 In solcher Anknüpfung bleibt der christliche Gottesbegriff dieser Gotteslehre auch als gedachter in einem sprachlichen Zusammenhang mit dem überlieferten Wort Gottes; dies geschieht im Anschluss an das Pascal’sche Dictum: »Dieu parle bien de Dieu«.6 Indem der hier auszuarbeitende Begriff von Gott, in dem er als Gott ist, nicht ein theologisches Konstrukt (also nicht nur unser Begriff von ihm) sein darf, sondern die begriffliche Fassung dessen sein muss, was Gottes Name (gemäß Ex 3,14) zu verstehen gibt, und insofern Gott selber sich in diesem eigenen Namen definitiv ausgesprochen hat, erwächst der Begriff von Gott aus seinem Namen bzw. kommt sich daraus entgegen. So ist er nicht exklusiv ein nur menschlicher Begriff, sondern im Prinzip Gottes Begriff von

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Zu einigen anderen Begriffsbestimmungen Gottes (Metaphysik, Anselm von Canterbury, Schleiermacher, Tillich, Bultmann) cf. knapp G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979, Bd. I, 184–187. 4 E. ROHDE, Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, Bd. II, Freiburg 1894, Tübingen 7/81921, 115. 5 Nach Jes 42,8 identifiziert Gott selber sein »Ich bin Jhwh« mit seinem »Namen«. Clemens Alexandrinus sagt Gott sei eins mit dem Tetragramm (Strom. V 6). 6 PASCAL, Pensées, Frgm. 799 (Brunschvicg).

§ 2 Der Begriff Gottes

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sich, wie er ihn als »Inbegriff« seines Namens ausgesprochen und uns zu begreifen vorgegeben hat.7 2.2. Der bibelkonforme Begriff Gottes kann kein Gott äußerlich erfassender (ihn etwa unter ein Genus subsumierender Begriff8), ihm von anderer Seite zugeschriebener Begriff sein,9 sondern, so wahr Gott Gott ist, kann es nur der Begriff sein, in dem Gott selber existiert, d. h. auch für sich ist, was er ist.10 Sofern Gott in seinem Begriff von sich existiert, sind bei Gott Sein (Existenz) und Begriff identisch.11 Ein solcher Gottesbegriff ist nichts anderes als das artikulierte Sein Gottes selber, d. h. sein Sein im Logos – gemäß Joh 1,1. Demgemäß gilt hier: »die Darstellung Gottes im Begriff ist er selbst«.12 Weil Gott sich in seinem Logos selber entgegenkommt und sich aus ihm lebendig gegenwärtig ist, kann in verallgemeinerter Anwendung auf ihn selbst von seinem Namen gesagt werden: οὐδεὶς οἶδεν εἰ µὴ ὁ λαµβάνων (Apc 2,17).13 Weil der göttliche Name laut Ex 3,14 vor allem eine Selbstvorstellung Gottes bietet, kann man nicht »über« ihn reden, ohne dass er selber auch von sich redet – sein Reden zu uns ist der Grund unseres Redens von ihm und zu ihm14 –, und fällt er logisch nicht unter eine Gattung und ist sein namenskonformer Begriff kein Allgemeinbegriff im formallogischen Sinne.15 Der 7 Cf. Nikolaus von Kues: »Nam conceptus de Deo est conceptus seu verbum absolutum« (Nikolaus von Kues, De possest, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 314). 8 »quod Deus non sit in genere« (Thomas von Aquin, STh I, q. III, a. 5.). Das heißt, Gott ist kein Element in der Klasse der Götter. 9 Von einem solchen gilt: »Gott geht in keinem Begriff auf, den Menschen sich bisher von der Wirklichkeit gebildet haben« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, 7 Bde., Frankfurt 1964–1979, Bd. III, 1966, 123). 10 »Innerhalb des Begriffs existiert Gott, wie innerhalb des Begriffs das Ich als allgemeines und dieses Ich da existiert« (LIEBRUCKS, a.a.O. VI/3, 1974, 367). Hier wird deutlich, in welchem Sinne von »Begriff« zu reden ist. 11 Nach Hegel ist Gottes »Sicherzeugen«, sofern er Geist ist, der »reine Begriff« und »ihm zugleich das gegenständliche Element, worin er sein Dasein hat« (HEGEL, Werke 3, 28). 12 LIEBRUCKS, a.a.O. I, 1964, 203. 13 »nemo scit, nisi qui accipit«. 14 Wenn R. Bultmann in dem Aufsatz: Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? (1925) schreibt, nur »über« Gott zu reden bedeute, den Gegenstand dieses Redens schon verloren zu haben (R. BULTMANN, Glauben und Verstehen, Bd. I, Tübingen 51964, 26), und folgert: »will man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden« (a.a.O. 28), so kann das nur wahr sein, wenn zugleich gilt, dass dieses Reden »von Gott selbst gegeben« wird (ebd.); konkret: »Wir können von ihm reden, nur sofern wir von seinem auf uns gerichteten Wort, von seinem auf uns gerichteten Tun reden« (36). Von uns selbst zu reden, ist daher hier nur so möglich, dass Gott von sich selbst redet. Cf. auch oben § 1 B. 1.1. (S. 109f). 15 S. o. Anm. 8. Außerdem läßt sich eine interpersonale Beziehung schwerlich logisch subsumieren.

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

»Name« von Ex 3,14 ist aber, wie sich in § 1 gezeigt hat, doch an ihm selber begriffs-affin. Es handelt sich um denjenigen Namen Gottes, der in jeder Anrede (z. B. im Gebet) noch vorausgesetzt und impliziert ist.16 2.3. Was den »Begriff« von Gott angeht, so muss man sich überhaupt klarmachen, dass man es nicht mit einer unfassbaren Entität »Gott« zu tun hat, so dass dieser Begriff nur von außen an ihn herangetragen wird (oder werden könnte), sondern er ist »unser« Begriff, sofern wir uns auf Gott – und sei es nur sprachlich, z. B. mit dem Wort »Gott« – beziehen. Gott muss als Gott in Beziehung in den Begriff von ihm eingehen, und zu seinem Begriff muss auch gehören, dass und wie diese Beziehung auf uns in Gott selber begründet ist und was sie für Gottes Leben bedeutet. Das aber erschließt sich über den Status des Logos im göttlichen Sein. Von daher ergibt sich, dass Gott in dem menschlichen Begreifen durch unsere Vernunft nicht gleichsam »eingefangen« oder »eingesperrt« ist;17 vielmehr ist sein Begriff Moment seines lebendigen Seins, denn das Leben Gottes ist λογικός.18 2.4. Εs geht überhaupt nicht um einen bloßen »Begriff« von Gott (im gewöhnlichen Sinne), von dem etwa Gottes »Existenz« sich noch unterscheiden ließe, diese also fraglich bliebe, weil eben nur ein Begriff vorläge.19 Vielmehr ist es uns um Gott in seinem eigenen Begriff von sich zu tun. Das heißt: Ausgangspunkt der Gotteslehre ist der Begriff von sich selber, in dem Gott selbst existiert; denn er hat sein eigenes Dasein für sich im Logos als der Logos seiner selbst.20 16

In gewissem Sinne gilt von Ex 3,14, was P. Celan mit Bezug darauf in einem späten Gedicht formuliert hat: »KEIN NAME, der nennte …« (P. CELAN, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. II, Frankfurt 1983, 226). 17 Der theologische Begriff von Gott ist nicht »the mouse-trap«: »the thing, wherein I’ill catch the conscience of the King« (Hamlet III, 2 und II, 2). Fragt man: Ist Gott größer als sein Begriff?, so lautet die theologische Antwort, dass er es genau in dem Sinne ist, wie er als der »Vater« größer ist (µείζων) als sein »Sohn« (Joh 14,28) und sein Bezug auf diesen. 18 Umgekehrt ist zu sehen: Leben hat überhaupt selber (als in sich differente Einheit mit sich) Begriffsnatur. 19 Zum sog. »ontologischen Argument« s. u. Abschnitt B. (S. 180ff). An dieser Stelle reicht es, die Einsicht von Novalis heranzuziehen, die im Intellektuellen der oben besprochenen Korrelation von Gott und Glaube entspricht (siehe Prolegomena § 4 [S. 60ff]): »Ein vollkommen vernünftiges Wesen kann nicht einmal gedacht werden – ohne um diesen Gedanken zu wissen und ihn mit zu bestimmen. (Gott etc.)« (NOVALIS, Schriften, Bd. II, hg. von R. Samuel, Stuttgart 21965, 554 [Logologische Fragmente II, Nr. 125]). 20 Cf. B. Liebrucks: »Als Begriff schwebt Gott nicht über der Wirklichkeit. Er hat sie als Begriff in sich. Die Wirklichkeit hat ihn in sich« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein [wie oben Anm. 9], Bd. VI/2, 1974, 254). Der zweite Satz ist doppelt zu lesen. 1. Gott als Begriff hat die Wirklichkeit in sich; 2. Gott hat die Wirklichkeit als (ihren) Begriff in sich. Die Einheit von 1. und 2. zu begreifen, bedeutet zu verstehen, was hier »Begriff« heißt.

§ 2 Der Begriff Gottes

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Unter dieser Voraussetzung kann es einen Begriff von der Wahrheit Gottes und so einen wahren Gottesbegriff geben – unbeschadet dessen, dass seine sprachliche Fassung durch einen menschlichen Autor und seine systematische Darstellung und Entfaltung in theologischer Lehre korrekturbedürftig sein könnten. An und für sich wahr ist ein solcher Gottesbegriff, weil Gott in diesem Begriff mit sich selber übereinstimmt:21 Wahrheit hier also als adaequatio einer res mit sich selber und mit dem intellectus von ihr.22 3. Einheit im Unterschied Um den Übergang von § 1 zu § 2 mehr inhaltlich nachzuvollziehen, ist auf das Folgende hinzuweisen. Unsere Beobachtungen und Erwägungen zum Namen Gottes in Ex 3,14 haben für die gedankliche Verarbeitung in der dogmatischen Gotteslehre die Aufgabe exponiert: Gottes Sein in der Dialektik von Aus-sich-Herausgehen und In-sich-Zurückkehren zu begreifen, d. h. als selbstvermittelte Einheit im Unterschied seiner von sich (§ 1 B). Damit ist gesagt: § 1 formulierte die Aufgabe zu denken, wie Gott als in sich unterschieden doch selbst einer sein kann. 3.1. Das besagt zunächst: Gottes Sein ist nicht sozusagen zusammengesetzt aus Unterschied und Einheit; denn dann wäre etwas anderes das Einheit Stiftende, also ein anderer wäre Gott. Die Einheit soll wirklich in sich unterschieden, d. h. als Einheit auch Unterschiedenheit sein, und umgekehrt soll der Unterschied gerade das Sein von Einheit sein. Die Frage ist also: Inwiefern ist Unterschiedenheit für eine Einheit selber notwendig? Unter welchen Bedingungen gehört zur Einheit selbst »ihr« in sich Unterschiedensein? Zu denken ist für Gottes Sein, dass seine Einheit (als die eigene) durch den Unterschied hindurch, d. h. im Vollzug des Unterschiedes, als Einheit sich selber vollzieht; so, als sich selber vollziehend, d. h. sich mit sich einigend, ist die Einheit in sich unterschieden.23 3.2. Eine solche Einheit ist nie einfach nur da und gegeben – dann wäre der Unterschied immer sekundär –, sondern sie muss sich, um sich selber als sie selbst (als Einheit) zu vollziehen, zugleich mit dem Unterschied vollziehen. Genau das aber bedeutet: die Einheit muss sich selbst hervorbringen, um wirklich selbst diese Einheit zu sein.24

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Cf. die im vorigen Paragraphen gebrauchte Formel von der »Gottesgleichung«. Cf. das Novalis-Zitat oben Anm. 19. 23 Es handelt sich um einen immanenten Unterschied; d. h. nicht um eine »Lücke« im Kontinuum, sondern wirklich um die Einheit selbst im Unterschied und durch ihn hindurch sich realisierend. Zur »Selbsthaftigkeit« dieser Einheit s. u. § 3. 24 Zum Sich-selbst-Hervorbringen s. u. Abschnitte C. und D. genauer (S. 192ff.211ff.); cf. auch schon oben § 1 D. 6. (S. 139f). 22

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Hierfür ist die futurische Lesart von Ex 3,14 von besonderer Relevanz. Bei ihr ist offensichtlich sachlich etwas Unausgesprochenes vorausgesetzt. Denn erst unter Voraussetzung bzw. im Kontext von Gottes Selbsthervorbringung wird es wirklich plausibel, wenn zu Mose gesagt wird: »Ich« (der ich hier mit dir rede und mich dabei hervorbringe) »werde sein, der ich sein werde«, nämlich von hier und jetzt aus. So gilt darum für den aktuell Redenden jetzt und dann auch: »Ich bin, der ich bin«, d. h., ich bin in alle Ewigkeit identisch mit dem, was ich auch von Ewigkeit her bin. Was die unausdrückliche Voraussetzung der futurischen Fassung angeht, so versucht sie eine Antwort auf die systematisch unausweichliche Frage, wie sich die auf die Zukunft bezogene Selbstaussage Ex 3,14 zu Gottes gegenwärtigem Dasein für Mose verhält. Das schließt auch die Frage ein: Wie verhält sie sich zu dem dieser Selbstmanifestation vorausgehenden Sein Gottes? In beiden Hinsichten gibt es zunächst einmal keinen ersichtlichen Grund, einfach ein Immer-schon-Sein Gottes (seiner Vergangenheit bzw. »Ewigkeit«) anzunehmen. Vielmehr gilt umgekehrt: Je entschiedener sein gegenwärtiges Sich-Manifestieren für Mose als für Gottes Sein selber wesentlich gedacht wird, desto weniger steht von vornherein fraglos fest, was seine Gegenwart (als Ausgangspunkt der Zukunftsperspektive) bzw. sein schon in Ewigkeit Vorher-Gegangensein in seinem lebendigen Sein bedeuten. Beides braucht nicht notwendig auf einer einsinnig gerichteten Zeitlinie zu liegen, die aus der Vergangenheit kommend über die Gegenwart in die Zukunft voranschreitet.25 3.3. Mit dem allen wäre auch die Frage beantwortet: Wie gelangt man gedanklich von der internen Dialektik von Ex 3,14 (das nach außen als ein nach innen) zum Begriff göttlicher Selbsthervorbringung? Denn diesen Übergang vermittelt das Begreifen göttlicher Einheit mit sich als einer in sich lebendigen, also die Selbstverwirklichung dessen, was der Name Gottes ist, indem er es sagt: »Gott selbst ist durch die Kraft seines eigenen gewaltigen Namens hervorgebracht: – im Anfang war der Name, der sodann alles Sein, auch das göttliche, aus sich entlassen hat«.26

25 Zur Unangemessenheit einer solchen »vulgären« Zeitvorstellung (Heidegger) schon im Blick auf die Reich-Gottes-Gleichnisse Jesu cf. E. JÜNGEL, Paulus und Jesus, Tübingen 31967, 140–142. 26 E. CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. II, Berlin 21953, 55 (über Ägypten). Erinnert sei an Goethes: »Im Namen dessen, der sich Selbst erschuf« (J. W. V. GOETHE, Gott und Welt. Proömium, in: ders., GA 1, 509). Auch bei Heidegger findet sich die Wendung »das sich schaffende Absolute« (HEIDEGGER, GA 42, 235 zu Schelling). Theologisch ist in beiden Fällen freilich zu bemerken: Der Ausdruck des »(Er-)Schaffens« sollte der creatio im eigentlichen Sinne vorbehalten bleiben, denn Gott bringt sich nicht aus dem Nichts (ex nihilo) hervor und ist kein Geschaffenes (Geschöpf), nämlich nicht im unendlichen, qualitativen Unterschied zum Schöpfer.

§ 2 Der Begriff Gottes

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So kann gesagt werden, dass »der absolute, göttliche Begriff selbst« die »Selbstbestimmung Gottes zum Sein« ist.27 Mithin ist Gottes Sich-Hervorbringen auch das Sich-Hervorbringen in seinem Begriff bzw. als eigener Begriff von sich. Einer, der sich selbst hervorbringt, ist identisch mit sich und im Unterschied zu sich; er gewinnt und hat seine Einheit (als eigene) nur, indem er sie selbst erzeugt, d. h. den Unterschied lebendig (selbsttätig) übergreift. 3.4. Nur so ist Einheit absolut: wenn sie nicht einfach schon vorhanden ist bzw. von irgendwoher vorgegeben Gott nur faktisch zukommt (d. h. ihm bloß zufällt), sondern wenn sie selber als Einheit und so mitsamt ihrem Unterschied »aus sich« (oder: in sich) sich hervorbringt. Als sich selbst setzende, hervorbringende und bestimmende Einheit ist eine Einheit erst absolut. Sie ist Einheit, die ihrer selbst schlechthin mächtig ist, und Einheit, die kraft Überwindung ihres inneren Unterschiedes eine aus sich lebendige Einheit ist.28 3.5. Wie verhält sich Gottes Sein »im Begriff« zu seiner Lebendigkeit? Dazu ist sachlich die Einsicht grundlegend, dass »Leben« selber etwas Begriffliches ist, sofern es als Einheit von Einheit und Unterschiedenheit gedacht werden muss, was immer ein Selbstverhältnis, Selbstbewegung und so etwas wie »Selbstorganisation« einschließt.29 Von da aus kann das Verhältnis Gottes zu seinem Begriff von sich (seinem Logos, in dem er existiert) als Ausdruck seines intrinsischen Lebens gedacht werden. In seinem Begriff ist er unterschieden von sich mit sich eins – in ewiger Lebendigkeit. Ist aber Gott nur als im Begriff von sich existierend der lebendige Gott, so muss er sogar so gedacht werden, wenn denn der biblische Ausdruck des »Lebendigen Gottes« nicht bloß eine vage Metapher bleiben soll.30

27 HEGEL, Werke 6, 405 (im Kontext der Kritik an Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises). Als zu unmittelbar (abstrakt) bzw. statisch kritisiert Hegel sonst auch die Definition Spinozas von Gott: »id, cuius essentia involvit existentiam« (Eth. I, def. I). Cf. auch Leibniz, »Definitio Dei seu Entis a se« (1676?): »Deus est ens ex cuius possibilitate (seu essentia) sequitur ipsius existentia. Si iam Deus hoc modo definitus est possibilis, sequitur quod existit« (G. W. LEIBNIZ, Philosophische Schriften, Bd. VI/3, Berlin [Ost] 1980, 582f.); hier wäre zu fragen: meint sequitur ein rein logisches oder ein reales Vehältnis? 28 Insgesamt wird dieser § 2 die Aufgabe herausstellen, Gottes Allmacht und Lebendigkeit zu denken; cf. dazu § 4 und § 5. 29 Leben, statt begriffslos oder gar »irrational« zu sein, ist das empirische SichDarstellen logisch-dialektischer Bewegtheit; dabei ist der Begriff der Selbstbewegung entscheidend – als Wesensbegriff des Lebens wie zugleich als Begriff aller Begriffe, s. u. Abschnitt E. 3. (S. 234ff). 30 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Begriff des »lebendigen Gottes« im Neuen Testament durch das Christusereignis begrifflich neu- oder weiterbestimmt und (im spezifischen Verhältnis zum Tod) unüberbietbar konkretisiert wird.

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4. Gott im Begriff (II) Der Name Gottes nach Ex 3,14 ist, wie sich gezeigt hat, kein bedeutungsfreies Wort, sondern ein sinnvoll sprechendes und insofern an sich schon anschlußfähig für das Denken; er ist tendenziell begriffshaft. 4.1. In dem diesem Namen entsprechenden Begriff reflektiert sich mithin, dass Gott auch im »Wort« (als seinem eigenen Anderen) bei sich ist, d. h. dass er selber λογικός ist, was er ist. Als Logos ist Gott auch sinnhaftes Wort, sein eigener Begriff von sich. Aus diesem Logos begreift sich die Theo-logie (Gotteslehre) als ermöglicht und weiß darin auch ihren Begriff von Gott, der freilich nie nur »ihrer« allein ist, begründet.31 Gott ist so »Wort« (Joh 1,1c), dass er sich in seinem Namen selber als dies Wort uns zuspricht. Darum gilt: »Der Begriff wird hier als das Wort aufgefaßt, das uns am Leben erhält«32 (cf. Joh 1,4). Das kann nur daraufhin gesagt werden, dass Gott als der Lebendige und Leben Schaffende selber in diesem Begriff existiert. Dieser Begriff eröffnet eine gewisse Verstehbarkeit Gottes. Indem das begriffliche Sein Gottes ein sich der Sprache erschließendes und Sprache freisetzendes Sein ist, braucht »der naheliegende Hinweis auf das Unsagbare … der Universalität des Sprachlichen keinen Abbruch zu tun«.33 Von Gott selber her ist (mit Platon zu reden) die »Zuflucht im Begriff« zu suchen,34 anstatt etwa ein unmittelbares Anschauen Gottes zu versuchen35 oder im Wittgenstein’schen Schweigen zu verharren.36 Christlich ist ein Gottesbegriff als Begriff möglich geworden, nachdem Gott sich in den Begriff seiner selbst (den ewigen Logos) übersetzt hat. So kann es Wahrheit im begreifenden Erkennen, d. h. ein Durchdringen dessen, was sich sprachlich zeigt, über die

31 Die christliche Theologie erhebt »den Anspruch …, die Theologie schlechthin zu sein. Der Grund für diesen Anspruch ist die christliche Lehre, daß der göttliche logos – das göttliche Offenbarungswort und die Wurzel alles menschlichen logos – Fleisch geworden, daß das Prinzip der göttlichen Selbstoffenbarung in dem Ereignis ›Jesus als der Christus‹ manifest geworden ist« (P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 3 1956, 24). 32 B. LIEBRUCKS, Irrationaler Logos und rationaler Mythos, Würzburg 1982, 345. 33 H.-G. GADAMER, Wahrheit und Methode, Tübingen 41975, XXII. Auch Jesu »Auslegen« Gottes (Joh 1,18b) schließt ein vernünftiges Verstehen Gottes in sich bzw. setzt dessen Verstehbarkeit (als eine sprachlich artikulierbare) voraus. Denn »Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache« (J. G. HAMANN, SW 2, 199,4f.); cf. 1Kor 13,1. 34 Cf. Phaidon 99e: »schien es mir, ich müsse zu den Gedanken meine Zuflucht nehmen (εἰς τοὺς λόγους καταφυγόντα) und in diesen das wahre Wesen der Dinge (τῶν ὄντων τὴν ἀλήθειαν) betrachten (σκοπεῖν)«. 35 Weil Gott anzuschauen irdisch unmöglich ist wie der direkte Blick in die Sonne, heißt Gott »sehen«, sterben (Ex 33,20; Jes 6,5 und Gen 32,31). 36 Cf. L. WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus, Nr. 7.

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erscheinende Unmittelbarkeit hinaus, im Denken geben, und gerade so werden die »Phänomene gerettet«.37 4.2. »Gott im Begriff« – nach dem hier Ausgeführten hat diese Formel vier für die Gotteslehre wesentliche Dimensionen. Erstens, Gott ist im Logos als dem Begriff von sich selber.38 Zweitens, der existierende Logos ist da als Verhältnis Jesu (des menschgewordenen Logos) zu sich (als ewigem Logos) im Gottesverhältnis bzw. als Verhältnis des Logos, der bei Gott war (Joh 1,1b), zu den logoi Jesu und dieser logoi zum Logos selber. Denn Christi Name ist ὁ λόγος τοῦ θεοῦ (Apc 19,13), d. h. sein göttlicher Name. Daher gehört auch ὁ λόγος zum Namen Gottes, und Jesus Christus ist Gott als »ins Wort gefasst« (Luther) und so begrifflich. Drittens, der theologische Begriff Gottes steht in einer ἀναλογία τοῦ λόγου (analogia verbi): Gott verhält sich zum Logos wie der Logos zu Jesus (und seinem Wort) – diese Relationen beinhaltet der Logos als Begriff Gottes von sich, und sie ermöglichen letztlich Theologie als Lehre von Gott.39 Menschensprachlich vermittelt hat Gott seinen Begriff von sich auch in unserem Begriff von ihm, sofern dieser λογικός ist. Weil Gott selbst auch Logos ist (Joh 1,1c), ist er im menschlichen (durch Jesu logoi vermittelten) Begriff in seinem eigenen Begriff von sich selber (cf. Ps 14,2). Viertens, zwischen der Form des Begriffs von Gott (als Sich-Bestimmen zum Logos als Ort seines Seins für sich selber) und seinem Inhalt (als Gottes Sich-Hervorbringen) besteht eine sachliche Konvergenz. Denn das SichBestimmen ist ein notwendiges Moment im Sich-Hervorbringen, und SichHervorbringen (als Werden zu sich im Selbstverhältnis) ist an ihm selber immer auch ein selbsthaftes Sich-Bestimmen. Aus dem Gesagten ergibt sich zunächst die Aufgabe, Gottes Sein als absolute Einheit von Unterschied in sich (Aus-sich-Herausgehen) und Einheit mit sich (In-sich-Zurückkehren) gedanklich explizit aufzunehmen (s. o. 3.). Gottes Sein im angedeuteten Sinne als die sich selbst erzeugende Einheit zu denken, heißt, den Begriff Gottes zu denken. Als dieser Begriff von Gott wird 37 σῴζειν τὰ φαινόµενα (Platon zugeschrieben, vermutlich Eudoxos von Knidos). Auch die Philosophie kann das Höchste nur begrifflich (λόγῳ µόνον) erfassen (Platon, Politikos 286a) und nähert sich dem Göttlichen so weit als möglich (Politeia 500d). 38 Es sei hier kurz resümiert, was es heißt, dass Gott (als Gott bzw. er selbst) im Begriff (Logos seiner selbst) existiert: Er 1. verhält sich zu sich selber (ist für sich); 2. ist im Unterschied von sich bei sich; 3. erfüllt sein Sein mit sich selber; 4. artikuliert so seine unerschöpfliche, ewige Fülle und schließt sie nach außen auf; 5. macht sich für uns kenntlich, indem er sich selber bestimmt; 6. ermöglicht eine Theologie, die ihn triftig und sachhaltig denken kann. 39 So läßt sich das in den Prolegomena angeführte Verhältnis von »theologia archetypa« und »theologia ektypa« begrifflich (worttheologisch) aufnehmen (s. o. Prolegomena § 1, 1. [S. 11f]).

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sich herausstellen, dass und wie er der Sich-Setzende und In-sich-Gründende bzw. der Sich-Hervorbringende ist. Das soll nun in den folgenden Abschnitten thematisch so ausgeführt werden: B. Aseität C. Causa sui D. Sich-selbst-Setzen E. Werden zu sich F. Folgerungen

B. Die göttliche Aseität 1. Die abgründige Frage Kants Es war wohl Immanuel Kant, der als Erster die wahrhaft abgründige Frage nach einem Woher Gottes gestellt hat,40 wie sie im Horizont des orthodoxen Gottesbegriffs noch gar nicht auftreten konnte (s. o. A. 1.): Die unbedingte Notwendigkeit, die wir als den letzten Träger aller Dinge so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. … Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen, daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit; außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; a b e r w o h e r b i n i c h d e n n ? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit wie die kleinste schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft …41

Diese schwindelerregende Frage42 konnte sich für Gott im traditionellen Verständnis anscheinend gar nicht stellen, weil sie in seinem Ewig-Sein (seiner später so genannten »Aseität«)43 als immer schon überholt galt.44 40 Cf. dazu SCHELLING, Philosophie der Offenbarung II, in: ders., SW 13, 342 (»Andere Deduktion der Prinzipien der positiven Philosophie«). 41 KANT, KrV B 641 (cf. auch 612). Kants Frage wird von Schelling zitiert: SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 163. Jacobi hat demgegenüber dem »Naturalisten« (= Pantheisten!) die Antwort in den Mund gelegt: »Du fragst gedankenlos, woher kommt das Erste, das alles erschaffende Unerschaffene, der Ursprung – woher kommt Gott? Er ist, und zugleich mit ihm und durch ihn ist eine Schöpfung, … das Weltall … Das Weltall aber ist etwas mit dem Schöpfer nothwendig gleich ewiges« (F. H. JACOBI, Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, in: ders., Werke 3, 409). Über Jacobis Stellungnahme zur causa sui (a.a.O. 4/2, 146) cf. kritisch HEGEL, Werke 17, 494 und 496. 42 U. Barth hat in ihr (mit Bezug auf Kant-AA 2, 151) einen »einprägsamen Kommentar zum Scheitern des kosmologischen Arguments« ausgemacht (U. BARTH, Religion ohne Gott? Die religionstheoretische Bedeutung von Kants Destruktion der spekulativen Theologie, in: ders./W. Gräb, Gott im Selbstbewußtsein der Moderne, Gütersloh 1993, 20f).

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Demgemäß war es für die Tradition45 sozusagen selbstverständlich: Gott selber ist an sich ἄναρχος46 bzw. ἀγέννητος.47 Während von Gott dem Sohn gilt: γεννηθέντα οὐ ποιηθέντα,48 wird ein Werden in Gott überhaupt bestritten.49 Auch haben die patristischen Autoren vielfältig Termini verwendet, die die Selbstursprünglichkeit des von allem Geschaffensein absolut verschiedenen Schöpfergottes festhalten und so dem Begriff der göttlichen »Aseitas« gleichsam vorarbeiten. Dazu gehören Ausdrücke wie (der eher poetischmetaphorische) αὐτοφυής, sodann natürlich ἀποίητος und (dem ἀγέννητος entsprechend) αὐτογενής50 oder ganz allgemein Gottes αὐτουσία,51 αὐτοαλήθεια bzw. αὐτοζωή.52

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Kant selber hat dazu geschrieben: »Dieser Boden [sc. eines unmittelbar zugrunde gelegten Existierenden] aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbeweglichen Felsen des Absolutnotwendigen ruhet. Dieser selber aber schwebt ohne Stütze, wenn noch außer und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst alles erfüllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig läßt, d.i. der Realität nach unendlich ist« (KrV B 612). Damit wäre nach biblischem Verständnis der unendliche und allgegenwärtige Gott erst dann gedacht, wenn dieser Felsen zugleich als der Schöpfer, d. h. als »der Fels, der dich gezeugt hat« (Dtn 32,18), begriffen werden könnte. Das aber kann nur geschehen, indem dieser Felsen als sich selber und seine eigene »Unbeweglichkeit« hervorbringend, d. h. als causa sui gedacht wird (cf. unten Abschnitt C.). G. Leopardi lehnt die ewige Notwendigkeit der platonischen Ideen ab: »sonst nämlich wird man … nach dem Grunde Gottes fragen müssen«; denn gehen sie allem voraus, so »ist Gott zerstört« (G. LEOPARDI, Das Gedankenbuch, hg. von H. Helbling, dtv 2306, München 1992, 310 und 266). Wenn Leopardi schreibt: »Gott: seine Notwendigkeit geht aus der Existenz hervor, seine Essenz beruht in der unendlichen Möglichkeit« (a.a.O. 303), so liegt der Gedanke logisch nahe: Gott hat sich selber hervorgebracht; Leopardis Satz: »Alles folgt erst auf die Existenz [sc. als sich selber aus sich hervorbringende]« (a.a.O. 292), verneint jegliches, was vorhergehen könnte; cf. auch oben Exkurs III bei S. 164 Anm. 451). 44 Die Frage nach den causis Deorum wurde laut Schelling von den alten Schriftstellern strikt vermieden (SCHELLING, Philosophie der Mythologie I [Nachdr. 1966], 11 [Erste Vorlesung]). Freilich kannte die Scholastik doch die Frage: Ist Gott volens oder nolens Gott? (Petrus Lombardus, Sent. L. I., dist. VI, v. C.); schon bei Basilius wird sie formuliert: »Deus autem ex quo« (Adv. Eun. 1,15). 45 Ich entnehme einige der folgenden Nachweise dem Art. »Aseität«, HWP 1 (1971), 537f (SCHLÜTER). 46 Tatian, Adv. Graec. 4 (PG 6, 813). 47 Irenäus, Adv. haer. IV 38, n. 1 und 3 (PG 7, 1105.1108). Bei Basilius: »ingenitum« (Adv. Eun. 1,15). Der Arianer Eunomius erklärte ἀγέννητος für den einzigen eigentlichen (wahren und echten) Namen Gottes des Vaters, der allein dessen Wesen ausdrücke (cf.PG 30, 843). 48 Symbolum Nicaenum (BSLK 26, »genitum, non factum«). 49 Athanasius, C. Arian. I 63 (PG 26, 143/144). Entsprechend stellt das Symbolum Athanasianum fest: »Increatus pater« (8) und so »Aeternus pater« (10) bzw. explizit: »Pater a nullo est factus, nec creatus, nec genitus« (20) (BSLK 28,23.28; 29,15f). 50 Cf. z. B. Lactanz, Div. inst. Ι 7 (PL 6, 152).

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2. Autousia Der später mit dem Terminus aseitas benannte Sachverhalt als solcher wurde gleichsam unausweichlich thematisiert, wo immer man Gottes eigenes Sein für sich zum Thema machte.53 Dies geschah meist im Anschluss an Bibelstellen, allen voran natürlich Ex 3,14 (LXX).54 Denn der Sache nach exegesiert die Rede von Gottes Von-sich-her- bzw. Aus-sich-Sein (esse a se) unverkennbar die »Gottesgleichung« Ex 3,14a: Ich bin, der ich bin – indem ich nur von mir selbst her das bin, was ich bin. Bzw.: weil ich der bin, der durch sich selber als Ich ist, der er ist, bin ich, der ich bin. So wird die göttliche »Autousia« von Gott als ipsum esse in leicht variierenden Formeln zum Ausdruck gebracht, die diesen biblischen Hintergrund noch erkennen lassen; so z. B. als ἐν ἑαυτῷ τὸ εἶναι55 oder θεὸς ὤν ἐστιν καθ’ ἑαυτόν.56 Auch ähnliche Aussagen finden sich wie: »eius esse in sese est … id quod est ex se atque in se obtinens … habens in se semper ut semper sit«57 bzw. »ipsum quod in semetipso et a semetipso sit, et ipse per se sit«58 oder: »vivens te ipsa et non mutaris«59 oder auch: »sufficiens per se ipsum« bzw. »dives per se ipsum«.60

51 Plotin, Enn. VI 8,12,8 und 14. Cf. S. SCHINDELE, Aseität Gottes, essentia und existentia im Neuplatonismus, PhJ 22 (1909), 1–19.159–170. Bei Proklus findet sich: αὐθυπόστατον (per se subsistens); cf. J. WHITTAKER, The Historical Background of Proclus’ Doctrine of the ΑΥΘΥΠΟΣΤΑΤΑ, in: H. Dörrie (Hg.), De Jamblique à Proclus, EnAC 21, Vandoeuvres-Genf 1975, 193–237. Philo Alexandrinus hat αὐτεξούσιος, was logisch wohl mit ἀγένητος gleichzusetzen ist, bzw. αὐτοκράτωρ (Leg. all. III, 73; De plant. 46; De ebr. 43; Quis rer. div. heres 85.301. Er spricht auch vom αὐτουργὸς θεός (De mut. nom. 259). 52 Johannes Chrysostomos, Hom. 81 (PG 59, 65). 53 Zum Folgenden siehe meinen Art. »Aseität Gottes«, RGG4 I (1998), 808f. 54 Cf. auch Joh 5,26; Act 17,24f; Jes 43,10f. Einen offenbarungstheologischen Zusammenhang von »aseitas« mit Ex 3,14 stellt W. BREUNING her (LThK3 1 [1993], 1061). 55 Ps-Dionysius, De div. nom. V 4 (zitiert bei Thomas, ScG I 28 und STh I, q. 4, a. 2 resp.); cf. Joh 5,26a! 56 Athanasius, Ep. De decr. Nic. syn. 11. Bei Gregor von Nazianz heißt es: τὸ εἶναι καθ’ ἑαυτό (Or. 30 [theol. 4], 18). Hier könnte jedes Mal auch die Bestimmung der Ersten Ursache bei Aristoteles mit anklingen: τὸ γὰρ αὐτὸ καθ’ αὑτὸ ὂν αἴτιον ἀεὶ πρότερον τοῦ καθ’ ἕτερον καὶ αὐτοῦ ὄντος (Phys. VIII 5, 257a 30f; cf. schon II 5, 196b 26; II 6, 198a 9 und Met. X 8, 1065a 29f: αἴτιον καθ’ αὑτό). 57 Hilarius, De trin. 2,6. Die Rede ist von einer sich aus sich selbst erhaltenden Ewigkeit. 58 A.a.O. 2,7. 59 Augustin, Conf. III 6,10; cf. Enn. in Ps 134,4. 60 Liber de causis, § 14 und 21 bzw. 20. Differenzierter heißt es bei Augustin (trinitarisch): »infinito in se sibi fine, quo ›est‹ et sibi notum est et sibi sufficit incommutabiliter id ipsum« (Conf. XIII 11,12).

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3. Esse a se (Anselm) Die erste differenzierte Erörterung des Sachverhalts findet sich wohl bei Anselm von Canterbury mit dem Ergebnis, allein die höchste Wesenheit (summa natura bzw. essentia) »per seipsam et ex seipsa est quidquid est«.61 Daraus folgt: »habeat a se … esse quidquid est«.62 3.1. Diese Formulierungen haben logisch zweierlei zur Voraussetzung: 1) dass nichts, was ist, durch nichts (per nihil bzw. ex nihilo),63 sondern alles nur per aliquid ist;64 2) dass Gott weder per aliquid noch per nihil sein könne,65 aber auch nicht nichts.66 Daraus folgt, dass er nur »durch sich und aus sich« sein kann. Dabei dürfen aber die Präpositionen a, ex und per keinesfalls im Sinne der traditionellen Begriffe von causa efficiens, materialis oder instrumentalis aufgefasst werden.67 Vielmehr implizieren sie sich gegenseitig und sind nahezu austauschbar: »quod est ex alioquo, est etiam per id ipsum, et quod est per aliquid, est etiam ex eo ipso«.68 3.2. Gleichwohl lässt sich versuchen, die drei Bestimmungen wenigstens relativ voneinander abzuheben, wobei freilich auch immer wieder deutlich 61 Anselm, Monol. 6 (Lat.-dt. Ausgabe, hg. von F. S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, 56). Cf. auch Monol. 3; 4; 26 und 28. 62 Monol. 26 (a.a.O. 118); cf. auch Monol. 5 und De casu diab. 1. Diese wichtige Bestimmung findet sich auch in »Cur deus homo«: »deus perfecte habet a se quidquid habet« (II 10; Lat.-dt. Augabe, hg. von F. S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 31970, 108); cf. II 5 (a.a.O. 96). Von sich zu haben, heißt, es selber (von sich her) zu sein, um es »haben« zu können. »Quidquid habet« bedeutet also das, was Gott selber ist: »quidquid est in Deo, Deus est« (Alanus ab Insulis, Reg. theol. IX [PL 120, 628]; cf. Anselm, Prosl. 18). Wenn dann (Cur deus homo II 10; a.a.O. 108) weiter diesem habere a se das »facere« (sc. se esse aliquid) bzw. »se dare« verglichen wird, ist der Gedanke naheliegend, Gott bringe sich selbst als das (bzw. in dem) hervor, was er hat, und so zugleich in dem, was er ist. Cf.: »habet esse per se ipsum« (Thomas, Comp. 7). 63 Monol. 3 (a.a.O. 44) bzw. 6 (a.a.O. 56). 64 Monol. 3 (a.a.O. 44). 65 Monol. 3; 4 und 6 (a.a.O. 46; 48 und 52). 66 Monol. 6 (a.a.O. 54). Im Anschluss an Anselm heißt es bei Richard von St. Viktor: »omne quod est vel esse potest, aut habet esse a semetipso, aut habet esse ab alio quam a semetipso« (De trin. I 6; PL 196, 893D); zur Anwendung auf das Verhältnis: Gott – Gottheit cf. a.a.O. I 16 (PL 196, 898B). 67 Monol. 6 (a.a.O. 52). Auch Luther hat die vier aristotelischen causae, was die Erkenntnis des Menschen angeht, scharf abgelehnt (WA 39/I, 175; Th. 12–15), und dies mit der Begründung, dieser könne sich einzig und allein wahrhaft erkennen »in fonte ipso, qui Deus est« (a.a.O. 175,37; Th. 17); denn der wirkliche Gott ist keine causa, sondern eben eine lebendige »Quelle« (cf. Ps 36,10; Joh 4,14; Apc 21,6). 68 Monol. 5 (a.a.O. 50); gleich darauf steht auch: »ab utraque«. Bei Bonaventura heißt es: »Quid enim est per se, si ipsum esse non est per se nec a se?« (Itiner. V 5).

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wird, wie sie ineinanderübergehen. Aber dies vorbehalten, kann man hermeneutisch wohl folgende Akzentuierungen vorschlagen. »A se esse« ist eine Formulierung, die schon sprachlich die Aufmerksamkeit direkt auf Gott selber lenkt, d. h. auf ihn, wie er von sich selbst her ist und so Gott ist. Diese Redefigur widersetzt sich dem unmittelbaren Zusammenhang eines Redens über …, stößt sich von der relativen Kontinuität sprachlicher Binnenbezüge ab – zu sich selber und nimmt sich gleichsam aus aller Relativität, wo sich (syntaktisch) eins auf ein anderes bezieht, auf sich selbst zurück.69 »A se« etabliert inmitten der sprachlichen Intention auf das, worauf sich Aussagen als solche beziehen, etwas, was prinzipiell nicht in dieser Beziehung aufgeht, sondern – ihr gegenüber – selbstbezüglich-absolut ist. Sprachlich wie sachlich ist die Formulierung vom esse a se mit der von Ex 3,14 äquivalent. »Ex se esse« redet davon, absolut in sich zu gründen, weil aus sich selber sich zu begründen. Dass Gott sein eigener Grund in sich selber ist (oder: sich zum Grund seiner selbst hat), bedeutet, dass er alles, was er ist, und dass er ist nur im Sich-zurück-Beziehen bzw. Zurückkommen auf sich selbst, und somit »aus« sich selber, ist. Dabei ist aber der Unterschied Gottes in sich, sofern er er selber und sofern er Grund seiner für sich ist, in Gottes eigener Wirklichkeit für ihn immer schon (»ewig«) aufgehoben. »Per se esse« betont, dass, was in Gott allein »von ihm« (a se) und »aus ihm« (ex se) ist, auch ganz »durch ihn« ist – und dies weniger im kausativen Sinne (»durch ihn gewirkt«), sondern im Sinne des Sich-Durchdringens: Er ist durch sich hindurch, A und Ω für sich selber. Das besagt, Gott bezieht sich – und das ist sein lebendiges Sein – durch sich hindurch auf sich, ist überall, wo er sich durchwaltet, bei sich und ist nur bei sich, im Durchgriff durch sich selbst. Dieses sich mit sich Durchdringen bedeutet auch ein Sich-Durcherkennen Gottes: Er ist sich »durch sich« absolut durchsichtig. Er ist für sich »durch sich«, d. h. im Sich-Durchwirken in seinem Sein, so dass nichts »in« ihm ist und er nichts ist, was für ihn opak sein könnte.70 »Durch sich« heißt, dass Gott in allem, was er ist, ganz »er selbst« ist.71

69 Insofern entspricht das Sein »a se ipso« genauestens Ex 3,14 (cf. D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Bd. I, Stargard 1707 (Nachdr. Darmstadt 1971), c. I. § 18 (2.), S. 331. 70 Cf. dazu näher § 12 (Allwissenheit). R. Rothe sagt: »Es liegt daher im Begriff des Geistes [sc. Gottes als Geist] seine absolute Durchdringlichkeit« (R. ROTHE, Theologische Ethik, 5 Bde., Wittenberg 21867–1871, Bd. I, 21869, 118; cf. 178). 71 Dazu weiter unten § 3. Zum »per se subsistens« in der Herkunft von Proklus s. o. Anm. 51 und S. GERSH, Per se ipsum, in: R. Roques (Hg.), Jean Scot Érigène et l’histoire de la philosophie, Paris 1977, 366–376.

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3.3. Zusammenfassend lässt sich also sagen: Es geht bei – a se um Gottes »Selbstanfänglichkeit« (sc. dass er absolut nur mit sich anfängt); – per se um Gottes »Selbstvermittlung« (sc. dass er durch sich selbst, selbsthaft, er selbst ist: sein Sich-selbst-Ergreifen); – ex se um Gottes »Selbstursprünglichkeit« (sc. dass er nur auf sich zurückgreift, um als er selber zu sein).72 Mit den Bestimmungen »a se, per se, ex se« sind relative Differenzierungen in Gottes Selbstsein benannt, die sein Sich-Hervorbringen strukturieren und auch als zeitliche Differenz in Gott erscheinen; aber sofern dabei ein zeitlicher Unterschied (von Früher und Später) vorzustellen ist, hebt er sich für Gott selber unmittelbar zu seiner Ewigkeit wieder auf.73 Das »a se esse« stellt Gottes absolutes In-sich-Sein fest: In allem, was er ist, begegnet er nur sich selber, und umgekehrt, alles, was »in« ihm ist, ist schon (bzw. wieder) nur er selbst. Auch für sich ist er als der, der »Ich bin, der ich bin«.74 4. Thomas und Duns Scotus Zwei scholastische Diskussionen, in denen es der Sache nach um die göttliche »Aseität« geht, seien noch kurz vorgestellt.75 4.1. Thomas von Aquin gelangt über die Identifikation von Sein (existentia) und Wesen (essentia) in Gott76 zu Aussagen über das Sein Gottes, »quo Deus in seipso subsistit«.77 Als ipsum esse78 ist Gott »per se subsistens«,79

72 Man könnte sagen, die Bestimmungen: ex ipso, per ipso, in ipso (Röm 11,36) würden auf Gott selber angewandt. 73 Zur Bestreitung eines Vorher und Nachher bei Gott cf. Anselm, Monol. 6 (a.a.O. 53 und 54). Auch bei G. Feldner wird der Gedanke einer Verursachung Gottes verneint (G. FELDNER, Die sogenannte Aseität Gottes als konstitutives Prinzip seiner Wesenheit, in: Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie 7 (1892/93), 421–440). 74 Wenn Ph. K. Marheineke formuliert: das »Insichselberseyn Gottes ist das vollkommenste Aussichselberseyn« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 80 [§ 135]), so denkt er das Aus-sich-Sein Gottes als Bedingung für sein In-sich-Sein: weil a se, auch in se, und absolut in se, weil absolut ex se. 75 Zum »ens a se« cf. die Übersicht bei W. BRUGGER, Theologia naturalis, Barcinone u. a. 21964, 263f. 76 De ent. 5; STh I q. 3, a. 3 resp.; a. 4 resp.; a. 7 resp.; q. 4, a. 2; a. 3,3; q. 8, a. 1 resp.; ScG I 22 u. ö. 77 ScG I 12. 78 ScG I 96; 98; 125 u. ö. 79 STh I q. 4, a. 2 resp.; q. 3, a. 2 ad 3.; ScG II 52. Noch E. v. Hartmann überträgt den Begriff »Aseität« (auch: Perseität oder Inseität) auf die Substanz-Monade (E. V. HARTMANN, Kategorienlehre, Leipzig 1896, 527).

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»per seipsum necessarium«,80 »ens per se«81 bzw. »per se singulariter existens«,82 »ens per essentia«83 und »per se agens«.84 Thomas kann sogar sagen: »non habeat aliam causam sui esse praeter seipsum«!85 Er leitet aus solchen Bestimmungen Gottes Vollkommenheit »per se« ab,86 insbesondere aber auch die Freiheit des göttlichen Willens. Denn frei ist, »quod est per se«.87 Man begreift, wieso Luther schließlich einen freien Willen im absoluten Sinne allein Gott zusprach: »liberum arbitrium esse plane divinum nomen, nec ulli posse competere quam soli divinae maiestati«.88 4.2. Um eine präzise logische Ableitung des Begriffes bemüht, der später »aseitas« genannt wird (s. u.),89 legt Duns Scotus 1. die als erschöpfend angesehene Disjunktion zugrunde: ab alio – non ab alio und setzt 2. voraus: wenn non ab alio, dann a se. Seine Folgerung lautet für Gott: »potest esse a se, et ita est a se«.90 80

ScG I 15; 18; 19; 43; STh I q. 2, a. 3 ad 2. u. ö. ScG I 25 und 27; STh I q. 3, a. 6 resp. 82 ScG I 21. 83 STh I q. 4, a. 3 ad 3. 84 STh I q. 3, a. 2 resp. 85 ScG I 43. Zur »causa sui« s. u. Abschnitt C. 86 De ent. 5; STh I q. 11, a. 3 resp.; cf. q. 4 und ScG I 28. Auch weitere göttliche Wesensmerkmale wie Gottes Einheit, Einfachheit, Unveränderlichkeit, Ursprungslosigkeit, Ewigkeit, Notwendigkeit, Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit (suisufficientia) werden bei Thomas und vielen anderen Autoren mit der »Aseität« in Verbindung gebracht. Bei Luther steht: »quia aliunde nihil accepit, non est, ›qui prior sibi‹ [Röm 11,35 Vg.], solus est sibi« (WA 40 III, 509,1; s. u. Anm. 103). 87 ScG I 72; 88; II 48; III 112 (»liber enim est qui sui causa est«); cf. STh I, q. 19, a. 1 ad 3., ad 5. und 6 und De ver., q. 23, a. 1; q. 24, a. 1. Bei Spinoza heißt es dann: »Ea res libera dicitur, quae ex sola suae naturae necessitate existit et a se sola ad agendum determinatur« (SPINOZA, Eth. I, Def. VII). Noch I. Kants Freiheitsbegriff steht in dieser Traditionslinie: Transzendentale Freiheit ist »absolute Spontaneität«, die darin besteht, »eine Reihe von Erscheinungen … von selbst anzufangen« (KANT, KrV B 47; cf.: »ein Vermögen, einen Zustand … schlechthin anzufangen«; a.a.O.473). Auch Hegel betont: »Was an sich notwendig ist, muß seinen Anfang in sich selbst zeigen, so aufgefaßt werden, daß sein Anfang in ihm selbst nachgewiesen werde« (HEGEL, Werke 17, 435). Schelling redet von der »Freiheit, aus sich selbst herauszugehen« und stellt einen Bezug zu Ex 3,14 her: »Hier erst kann er von sich selbst sagen: Ich werde seyn, der ich seyn werde, d. h. der ich seyn will« (SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I [13. Vorl.], in: ders., SW 13, 269 [cf. a.a.O. 261]). Schopenhauer spricht von der »Aseität des Willens« (A. SCHOPENHAUER, Über den Willen in der Natur, in: ders., Sämtliche Werke, hg. von A. Hübscher, Bd. IV, Wiesbaden 21950, 142 = Sämtliche Werke in sechs Bänden, hg. von E. Grisebach, Bd. III, RUB 2801/2805, Leipzig 31891, 338). 88 WA 18, 636,28f. 89 Zu »aseitas« in der skotistischen Schule cf. HWP 1 (1971), 537 mit Anm. 5 (SCHLÜTER). 90 Johannes Duns Scotus, Tract. de primo princ. III, 4. concl. (in: ders., Abhandlung über das erste Prinzip, hg. und übers. von W. Kluxen, Darmstadt 1974, 40). 81

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Damit drängt sich die Frage auf, ob die Verneinung eines esse ab alio die logische Voraussetzung dafür ist, ein esse a se zu denken, so dass die Aseität Gottes über die Negation ihres Gegenteils (abalietas) gefasst wird – analog zu Begriffen wie In-dependentia, Un-bedingtheit, Ab-solutheit.91 Wenn ein esse a se nur gedacht werden kann als das, was sich in der Abstoßung von dem, was es nicht ist, konstituiert, wäre ab alio esse negative Konstitutionsbedingung des positiven Begriffs der Aseität. Gegenüber solcher Dialektik betont die Tradition entweder den rein negativen Charakter der Aseität,92 oder es wird der interne positive Gehalt (das In-sich-Begründetsein, die wesensnotwendige Existenz Gottes) ohne logische Explikation einfach vorangestellt.93 Mit der ersten Option sind Annahmen der »Negativen Theologie« verknüpft;94 für die zweite ergibt sich das Problem, ob (und wie) Aseität als causa sui interpretiert werden kann.95 Jedenfalls weist das non ab alio esse bezüglich Gottes – d. h. von einem aliud, das selber nicht Gott wäre – auf einen Zusammenhang von a se esse (Selbstbezüglichkeit) und Negativität hin: im Bezug auf sich selber den negativen Bezug auf anderes als immer schon ausgeschlossen mitzuführen. Die nachher zu behandelnde Frage muss darauf gehen, wie das zu denken ist, wenn Aseität hier als Gottes Selbsthervorbringung begriffen werden soll.96 5. Luther und Melanchthon Bei den Reformatoren kommt der Ausdruck »Aseität« natürlich noch gar nicht, der Sachverhalt nur selten und beiläufig zur Sprache; er findet als selbstverständliche theologische Annahme kaum Erwähnung. Für Luther ist vereinzelt überliefert, dass er sich entsprechend über die drei Personen der Trinität ausdrückt: »existit a se ipso ab aeterno«;97 dies gilt ausdrücklich im Unterschied zu jeder Kreatur.98 Ganz konventionell sind Formeln wie: »per se

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Cf. Aristoteles, Met. IV 18, 1022a 35f. Thomas, ScG I 25; bzw. ordnet ihn ihr vor, etwa als Ausschluss jeder wirkenden Ursache in Gott (Duns Scotus, a.a.O.; Gregor von Nazianz [wie oben Anm. 56], 2). 93 So z. B. C. NINK, Philosophische Gotteslehre, München/Kempten 1948 (Nachdr. Bonn 1977), 77 Anm. 94 Thomas, STh I, q. 1, a. 7 ad 1.; a. 9 ad 3.; q. 2, a. 2,2 sowie Johannes Damascenus, De orth. fide I 4. Cf. auch LThK3 I, 1061. 95 Dazu genauer unten Abschnitt C. 96 S. u. Abschnitte C. und D. Weiter ergibt sich die Frage, wie sich, wenn für Gott das non ab alio gilt, bei seiner Schöpfertätigkeit diese Negativität und das Schaffen ex nihilo zueinander verhalten. Dazu hat insbesondere Anselm von Canterbury interessante Überlegungen angestellt (Monol. 8); dazu unten § 8 D. (S. 465ff). 97 WA 39 II, 398,9–12; 320,18. Gott-Vater hat (als ewiger Sprecher) sein Wesen »von yhm selbs« (WA 10/I,1, 183,25) 98 »creatura, ut non est a se« (WA 14, 106,34). 92

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ipsum sapiens vel sapientia«99 oder: »perfectus et beatus in se«.100 Typisch ist eher Luthers Kritik am aristotelischen Gottesbegriff;101 er kann aber auch selber sagen: »solus Deus suam formam in ipso cognoscit«.102 Dass die Gottheit »solus sibi sufficiens« ist, kommt ebenfalls vor.103 Melanchthon hat nur in den »Loci« 1535 die definitorische Formel der »substantia spiritualis als οὐσία per se subsistens«.104 Auch bei Calvin, der zwar wesentlich Gott das Sein im Sinne von Ex 3,14 zuschreibt, die thomasisch-scholastische Frage nach Wesen und Sein aber zurückweist,105 findet sich gelegentlich die Rede von Gottes »aeternitas« und αὐτουσία, näher bestimmt als »a se ipso existentia«.106 Häufiger ist inhaltlich von Aseität in der protestantischen Orthodoxie die Rede: »solus sit a se ipso, per se ipsum et ipsum suum esse«,107 und ähnliche Aseitätsformeln kehren dann bei der Bestimmung aller göttlichen Attribute wieder: »aeternitas« bzw. »immortalitas«,108 »perfectio«,109 »infinitas«,110 »independens«,111 »bonitas«,112 »beatitas«113 und »necessitas«.114 Immer wieder wurden auch patristische Formeln aufgegriffen wie αὐτοφυής,115 αὐτοτελής,116 αὐτάρκης, αὐτοκράτωρ, αὐτόθεος bzw. αὐτουσία in trinitarischem Zusammenhang.117 Dabei kommt αὐτόζωος (αὐτοζωή) beson-

99

WA 39 II, 339,8f. WA 40 III, 508,6. 101 Cf. WA 18, 785,7f. 102 WA 57 III, 100,9f. 103 WA 40 III, 509,7; cf. 1 und 16 (s. o. Anm. 86). Cf. auch: »was er ist, das ist er von jm selbr von ewigkeit … er hat … alles von jme selber« (WA 46, 544,18f.20; cf. 533,10– 534,6). 104 CR 21, 352f. 105 Inst. I 2,2 und 5,9. 106 Inst. I 14,3 und 10,2; vom Sohn: I 13,19. Zu Zwingli s. o. § 1 D. 4. (S. 139 bei Anm. 285). 107 J. GERHARD, Loci theologici, 9 Bde., Jena 1610–1625 (21657), Bd. III, 120 (l. 2, c. 8, sect. 7, § 169). 108 A.a.O. III, 116, § 159. 109 A.a.O. III, 210, § 291 und J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, Leipzig 1702, Pars I, c. VIII, sect. I, θ. Vii, p. 285a. 110 J. GERHARD, a.a.O. III, 118 und 119, § 164; cf. III, 121, § 169. 111 Ebd. und QUENSTEDT, a.a.O. I, 287b (nur negativ, gegen Selbstverursachung!). 112 J. GERHARD, a.a.O. III, 160, § 208; QUENSTEDT, a.a.O. I, 287a: αὐταγαθός. 113 J. GERHARD, a.a.O. III, 216, § 306; QUENSTEDT, a.a.O. I, 285b. 114 J. W. BAIER, Compendium theologiae positivae, Jena 1686, I, c. 1,6. 115 GERHARD, a.a.O. III, 216, § 308; cf. Lactanz, Div. inst. I 7. Siehe auch oben S. 181. 116 QUENSTEDT, a.a.O. I, 285b: »sibi ipsi sufficiens«; cf. Ps.-Dion., De div. nom. 13. 117 QUENSTEDT, a.a.O. I, 376ff, 378a; GERHARD, a.a.O. III, § 67 (l. 4, c. 5). Zu αὐτόθεος cf. A. TWESTEN, Vorlesungen über die Dogmatik, Bd. II,1, Hamburg 1837, 256f und F. C. BAUR, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit, Bd. III, Tübingen 1843, 390ff. 100

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deres Gewicht zu, das Aseität im Anschluss an Joh 5,26 als Gottes eigentümliche Lebendigkeit bestimmt.118 6. Franciso Suárez Der eigentliche Terminus der »Aseität« wird, wohl in skotistischer Tradition, erst spät mit dem Kunstausdruck aseitas (von a se esse abgeleitet) geprägt, so z. B. in der Barockscholastik bei F. Suárez.119 Aseität gilt hier als »essentia Dei metaphysica«120 (besonders im Grundunterschied zum Geschöpf), und aus ihr werden alle göttlichen Wesenseigenschaften abgeleitet.121 7. Evangelische Dogmatik In der neueren Geschichte evangelischer Dogmatik lässt sich wiederum deutlich eine Linie, die mehr den negativen Sinn von Aseität herausarbeitet (s. o. 4.2.), von einer unterscheiden, für die der Versuch einer positiven Artikulation des Begriffs kennzeichnend ist (ihr werden wir uns anschließen; s. u. Abschnitt C.). 7.1. Für die erste, an aufklärerisches Denken anknüpfend, steht Aseität für Gottes »Unabhängigkeit« (independentia): als bloße Verneinung jeder Abhängigkeit.122 Das findet sich z. B. bei Wegscheider, der aseitas ein »barbarum vocabulum« nennt.123 Bei Bretschneider steht Aseität für Gottes Notwen-

118 GERHARD, a.a.O. III, 100, § 131 und 101, § 132; III 116, § 159; cf. QUENSTEDT, a.a.O. I, 289a, θ, ΧΧΙΙ. 119 F. SUÁREZ, Disp. metaph. XXVIII, sect. I, n. 7 (in: ders., Opera omnia, Bd. XXVI, Paris 1856, 3); XXX, sect. I (a.a.O. 60–64) und Tract. de div. subst. I, 1,1, n. 10f (a.a.O., Bd. I, Paris 1854, 3) und I, 2, n. 1–2 (a.a.O., Bd. I, 5f). 120 Für das 18. Jahrhundert und die Neuscholastik cf. HWP 1 (1971), 538 bei Anm. 8 und Anm. 9 (SCHLÜTER). 121 A.a.O. 538 Anm. 6. 122 Bei J. Ch. Wolleb hat die Definition Gottes die logische Opposition zum abhängigen Geschöpf deutlich in sich: »Deus est spiritus independens existens a se ipso« (J. CH. WOLLEB, Christianae theologiae compendium, Basel 1626, I 1,1). Cf. auch die bei Baier, Hollaz und anderen sich findende Formulierung: »Deus est ens spirituale a se subsistens vel brevius: deus est spiritus independens«. Aseität nicht bloß als »independentia«, sondern positiv als Gottes Freiheit verstehen will K. BARTH (KD II/1, 340; cf. 342 und 339). Zu Gottes »Sein in der Tat« cf. a.a.O. 422.288ff.301 und 304f. Schon bei J. Müller findet sich der Satz, »daß Gottes Wesen schlechthin seine eigne That ist« (J. MÜLLER, Die christliche Lehre von der Sünde, Bd. II, Breslau 31849, 170 und 173); cf. ebenso CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik, Bd. I, Leipzig 1855, 592 (§ 498). 123 J. A. L. WEGSCHEIDER, Institutiones theologiae christianae dogmaticae, Halle 1824, 243.

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digkeit – zusammen mit Selbstgenugsamkeit (sufficientia).124 Rein negativ als Unabhängigkeit Gottes fasst Schleiermacher die Aseität auf;125 ihm folgt G. Ebeling,126 und bei W. Trillhaas steht Aseität abstrakt für die sich jeglicher Definition entziehende Transzendenz Gottes.127 K. Barth hingegen will die »aseitas Dei« ganz von der Freiheit her verstehen: als »die Freiheit Gottes, sich selbst zu sein«128 bzw. »als durch sich selbst bewegtes Sein, als das aus sich selbst lebende Leben«.129 Religionsphilosophische Verwendung hat der Begriff Aseität in der Absolutheitsspekulation J. G. Fichtes gefunden,130 während nachkantische Denker wie Hegel und Schelling131 den Begriff der causa sui bevorzugen.132 Sie stehen für die zweite genannte Linie ein (s. o.), auf der man sich um eine spekulative, inhaltliche Ausarbeitung des Aseitätsbegriffs bemüht hat, die auch hier favorisiert wird.133 7.2. Im Ganzen ergibt der Überblick (1.–7.): Will man unter »Aseität« konkret Gottes eigene Lebendigkeit verstehen, der als der Eine »selber das Leben ist, durch das er lebt«,134 so wird man – unter Vermeidung des Theorems von einem »werdenden Gott« (Bergson, Rilke, M. Scheler, H. Jonas) – vom Begriff der »causa sui« in seiner spekulativen Fassung als Werden zu 124

K. G. BRETSCHNEIDER, Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 2 Bde., Leipzig 1814–1818, Bd. I, 540; cf. schon Anselm von Canterbury, Prosl. 22, sowie Aristoteles, Eth. Eud. 12, 1244b 8. 125 SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. I, § 54 Zus. 126 EBELING, Dogmatik (wie oben S. 172 Anm. 3) I, 224 und II, 352. 127 W. TRILLHAAS, Dogmatik, Berlin 21967, 99. 128 BARTH, KD II/1, 340 (zu der eigentümlichen Formulierung s. u. Anm. 263). 129 A.a.O. 338. Cf. auch KD I/1, 456: »seine Aseität hinsichtlich seiner selbst besteht in der Freiheit, durch nichts als durch sich selber bestimmt, Gott … zu sein«. Freilich kann Barth auch formulieren: Das Absolute ist, »was keinen Grund und keine Möglichkeit außer seiner selbst hat« (KD I/1, 123). 130 J. G. FICHTE, Wissenschaftslehre (21804), in: J. G. Fichte-Gesamtausgabe, hg. von R. Lauth/H. Gliwitzki, Bd. II/8, Stuttgart-Bad Cannstatt 1985, 120,14f; 162,10; 283,22 (von sich, aus sich, in sich, durch sich) u. ö. sowie DERS., Die Anweisung zum seeligen Leben (1806), a.a.O., Bd. I/9, 1995, 110,26f (Absolutheit Gottes: »daß er von sich, durch sich, in sich« sei); cf. auch 96,1f und 86,4. Zu Schopenhauer und Hartmann s. o. Anm. 87 und 78. 131 Cf. Schelling: »Denn absolut ist … nur ein solches, welches von sich selbst und durch sich selbst ist« (SCHELLING, System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere, in: ders., SW I/6, 148 [§ 7] = Nachdr. 672). 132 S. u. Abschnitte C. und D. (S. 192ff.211ff). 133 Zur Aseität als Absolutheit Gottes cf. ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 70), §§ 17f und 23 sowie DERS., Dogmatik, 2 Bde., hg. von D. Schenkel, Heidelberg 1870, Bd. I, 23 (§ 9) und 77 (§ 18); dabei ist der Lebensbegriff (Joh 5,26) zentral (Dogmatik, a.a.O. 54 [§ 13]). Cf. auch F. H. R. V. FRANK, System der christlichen Wahrheit, Erlangen 31894, § 10. 134 Anselm von Canterbury, Prosl. 12.

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sich135 in der christlichen Gotteslehre dogmatisch nur so Gebrauch machen können, dass er zugleich als trinitarisch und als Zeit und Ewigkeit in ihrem Unterschied übergreifend ausgearbeitet wird,136 was der nächste Abschnitt unternehmen soll.137 7.3. Man mag das a se esse Gottes als ein »Urmysterium« ansehen – einen denkenden Begriff davon zu geben, darauf kann die Gotteslehre schwerlich verzichten.138 I. Kants grundstürzende Frage Gottes an sich selbst: Woher denn ich? (s. o. 1.) ist zwar als dem Kausaldenken von Grund und Folge verhaftet zu kritisieren,139 aber dazu ist eben ein »gründlicheres Nachdenken über die Natur der Ursache«140 erforderlich. Ein solches Begreifen folgt der Anweisung an das Denken: »Die Frage ist allein, wie es anzufangen sei, aufzuzeigen, daß etwas von sich selbst anfange, oder vielmehr wie es zu vereinigen sei, daß das Unendliche ebenso von einem Anderen als darin nur von sich selbst ausgehe« (Werden zu sich).141 Solches durch die Kantische Frage angestoßene Nachdenken ist vernunftnotwendig und kann auch der Theologie nicht »geschenkt« werden, wenn denn gilt: »daß dem Geiste die Nothwendigkeit beiwohnt, bei Allem nach der Ursache zu fragen, ist unleugbar. Die Frage nach dem Woher? ist dem vernünftigen Wesen des Menschen als inneres Gesetz auferlegt und eingeboren«.142

135 Darunter soll eine Selbstabstoßung als Selbstsetzung verstanden werden, d. h. Gottes aus eigener Voraussetzung Auf-sich-zu-Kommen (s. u. Abschnitt E. [S. 230ff]). 136 Sosehr R. Rothe zu Recht betont, dass das Absolute (Gott) »schlechthin durch sich selbst begründet« und so causa sui ist, so wenig kann christlich der Satz vollständig überzeugen: »Sein Sein ist sein schlechthin zeitloses sich selbst Erzeugen« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben Anm. 70], 85 [§ 23, cf. 88] mit Berufung auf SCHELLING, Stuttgarter Privatvorlesungen, in: ders., SW I/7, 432 [= Nachdr. 376]). Denn christlich kann Ewigkeit nicht ohne Zeit (Geschichte), d. h. nicht als bloß »zeitlos« begriffen werden (s. u. § 9). 137 Eine Schlüsselfrage ist dabei, wie sich im Begriff der Aseität sein positiver und sein negativer Sinn ins Verhältnis setzen lassen. 138 Ihn erfordert auch die metaphorische Antwort, die Anselm mithilfe des eigentümlichen Seins von Licht gegeben hat, die zugleich trinitarisch interpretierbar ist; cf. Monol. 6 (a.a.O. 56). 139 Cf. Hegel: »Als ob das, außer welchem nichts als durch seinen Willen existiert, das, was schlechthin unendlich ist, über sich hinaus nach einem Anderen seiner sich umsehe und nach einem Jenseits seiner frage« (HEGEL, Werke 17, 433). 140 HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 153 Anm. (a.a.O. 8, 298). Für Hegel gilt: »Die Ursache ist daher an und für sich causa sui … diese absolute Wahrheit der Ursache« (ebd.). 141 HEGEL, Werke 17, 435. Gegen Hegel meint W. Schulz mit dem späten Schelling die Frage Kants: »Woher denn ich?« noch einmal in Stellung bringen zu müssen (W. SCHULZ, Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik, Pfullingen 1957, 86 u. ö.). Cf. Hegel gegen die unsinnige Frage Gottes nach einem Jenseits seiner a.a.O. 433. 142 I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 1879, 24.

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Will man diese Frage in der Gotteslehre umgehen, so behält man statt purer Tatsächlichkeit der Welt (als brutum factum) die dunkle Faktizität eines ewigen Seins;143 aber ist der lebendige Gott eine, obzwar ewige, »Tatsache«?144

C. Causa sui In einer präzisierenden Interpretation wurde »Aseität« häufig als causa sui (Selbstursache, d. h. Gott als Ursache seiner selbst, bzw. Selbstgrund) verstanden.145 Damit ist der Versuch unternommen, das esse a se (bzw. ex se und per se) spekulativ zu genetisieren.146 Das schließt aber die logische Aufgabe in sich, den Begriff der Kausalität als zugleich gesetzt und verneint zu denken, wie Hegel prägnant formuliert hat.147 Auch spricht für das causa-sui-Theorem in unserm Zusammenhang, dass man es zu Ex 3,14 ins Verhältnis setzen kann. Wenn E. Cassirer schreibt: »… indem der Schöpfergott zunächst seinen eigenen Namen ausspricht und sich vermöge der Gewalt, die diesem innewohnt, selbst ins Leben ruft. Daß dieser Gott nicht anders denn als Grund seiner selbst, als ›causa sui‹ zu den143 Cf. F. A. Trendelenburg: »Erst wenn wir das Seiende werden sehen, hört das Seiende auf uns anzustarren, und erst dadurch wird das Dunkele in das Licht des Bewusstseins gezogen« (F. A. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, Bd. I, Leipzig 21862, 218; Hervorh. J. R.). E. v. Hartmann konstatiert für metaphysisches Nachdenken die Situation, vor dem Problem der grundlosen Subsistenz »wie vor einem Medusenhaupt [zu] erstarren« (zitiert nach V. FRANK, System der christlichen Wahrheit, Erlangen 31894, 17). 144 Wenn ihr die Notwendigkeit fehlte, bekäme K. Jaspers mit seiner Diagnose recht: »Das Dasein der Welt bleibt auf alle Fälle zufällig, oder das Dasein Gottes, der sie schuf« (K. JASPERS, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin u. a. 61971 [Nachdr. Serie Piper 393, München 1985], 272). 145 Cf. z. B. C. DAUB, Theologumena sive doctrinae de religione christiana ex naturae dei perspecta repetendae capita potiora, Heidelberg 1806, 47ff (§§ 20–23); ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 70), 84f; J. MÜLLER, Die christliche Lehre von der Sünde, Bd. II, Breslau 31849, 170ff und J. KÖSTLIN, Art. Gott, RE3 6 (1899), 779–802, hier 800,12. Zur »causa sui« cf. HWP 1 (1971), 976f (HADOT); W. PANNENBERG, Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988, 1991, 1993, Bd. I, 423f sowie J. RINGLEBEN, Gottes Sein, Handeln und Werden, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. I, 203ff. 146 Cf. oben Prolegomena (S. 45 Anm. 51). 147 »Causa sui ist ein wichtiger Ausdruck. Wirkung wird [sc. sonst] der Ursache entgegengesetzt. Die Ursache seiner selbst ist die Ursache, die wirkt, ein Anderes separiert; was sie aber hervorbringt, ist sie selbst. Im Hervorbringen hebt sie den Unterschied zugleich auf … Es ist dies ein ganz spekulativer Begriff. …Hier … ist das Herausgehen der Ursache unmittelbar aufgehoben, die Ursache seiner selbst produziert nur sich selbst« (HEGEL, Werke 20, 168). Cf. auch: »Der Begriff ›Ursache seiner selbst‹ ist so wahrhafte Unendlichkeit« (a.a.O. 172).

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ken ist: das drückt sich mythisch darin aus, daß er sich kraft seines Namens hervorbringt«, so lässt sich das gedanklich aus der »mythischen« Herkunft bei den Ägyptern durchaus ins unmythisch-sprachliche Ereignis übertragen, wenn man Ex 3,14, wie hier versucht, spekulativ zu denken unternimmt.148 Freilich entbindet auch dieser biblische Rückbezug nicht von der Aufgabe, causa sui als solche wirklich zu denken. Ehe das unten in Abschnitt D. unternommen wird, sind zunächst die kontroversen Zeugnisse für eine Bejahung des Begriffs »causa sui« und für seine prominente Ablehnung überblicksartig vorzustellen. 1. Affirmative Formulierungen (Von der Frühzeit bis ins 20. Jahrhundert) 1.1. Die Frühzeit. Zuerst findet sich die affirmative Formulierung wohl um ca. 360 bei Plotin: αἴτιον ἑαυτοῦ;149 das kehrt dann bei Marius Victorinus wieder: »sui ipsius causa est«.150 Von Gott-Vater heißt es ausdrücklich bei ihm: »suae ipsius substantiae generator«.151 Kein Geringerer als Hieronymus hat geschrieben: »Deus vero … ipse sui origo est suaeque causa substantiae«,152 und bei Lactanz ist zu finden: »ipse 148

E. CASSIRER, Sprache und Mythos. – Ein Beitrag zum Problem der Götternamen (1925), in: ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1956, 143. Cf. auch DERS., Philosophie der symbolischen Formen, Bd. II, Berlin 21953, 55. 149 Enn. VI 8,14,41; über das Eine: τὸ πεποιηκέναι ἑαυτόν (VI 8,20,25f; cf. 8,18,49; 8,13,55; 8,20,1ff relativiert. Als mögliches Vorbild cf. schon Platon, Politeia X. 596c: ἐργάζεται … ἑαυτόν und Aristoteles: τὸ καθ’ αὑτὸ ὂν πρότερον τοῦ καθ’ ἕτερον (Phys. VIII 5, 257a 30, cf. 257b 2ff) und: αἴτιον καθ’ αὑτό (Phys. II 5, 196b 25; 6, 198a 9; Met. X 8, 1065a 28–30). Cf. auch Met. IV 6, 1072a 15 und 1072b 1 mit Thomas, Comm. in Metaph., lect. VI, nr. 2512. 150 Ad Cand. 18 (PL 8, 1030); hier soll als bei der prima causa allerdings kein Selbstunterschied bestehen. Cf. Ad Ar. IV 6: »quod sibi causa est« (PL 8, 1117). Von Gott Vater: »suae ipsius substantiae generator« (bzw. »origo« oder »causa«) (Ad Cand. 18,9ff; cf. Ad Ar. II 2,42 [PL 8, 1082]; I 29 [PL 8, 1062]). 151 Adv. Ar. I 55,18f. Das findet sich auch im Corpus Hermeticum (VIII 2): ὁ δὲ πατὴρ αὐτὸς ἑαυτοῦ αἴτιος. Wenn es da allerdings heißt: πάντα ποιῶν ἑαυτὸν ποιεῖ (XVI 19), so ist das wohl pantheistisch zu verstehen (cf. ὁ ποιῶν ἐν πᾶσίν ἐστιν, ΧΙ 6). 152 Comm. ad Eph. II 3 (PL 26, 489). Ähnlich auch Marius Victorinus: »Deus substantiae causa … ipse origo substantiae« (cf. oben Anm. 149). Wenn die 11. Synode von Toledo (675) formuliert: »Ipse enim a nullo originem ducit« (DS34, nr. 525), so könnte man dabei immer noch verstehen: »a nullo alio«. Ähnlich liegt der Sachverhalt bei Basilius d. Gr.; er erklärt, dass für Gott keine ihm übergeordnete Ursache denkbar sei (ἑαυτοῦ τινα αἰτίαν ὑπερκειµένην ἔχει, »causam aliquam se superiorem habeat«) und daher sein Leben anfangslos (ἄναρχον, »principio carens«) und ungeworden (ἀγέννητον, »ingenitam«) sein müsse. Auf die Frage: ὁ δὲ Θεὸς ἐκ τίνος; (»Deus autem ex quo?«) müsse die Antwort unausweichlich lauten: ἐξ οὐδενός (»ex nullo«), d. h. aber doch »aus nichts anderem«! Daraus folge wiederum die Anfangslosigkeit und Ungewordenheit (Adv. Eunom. I 15; PG 29, 545).

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

ante omnia ex se ipso est procreatus«.153 Auch bei Hilarius von Poitiers lässt sich finden: »id quod sibi ad id quod esset auctor esset«.154 In der Folgezeit tritt die Formel von Gott als »causa sui« in jeweils durchaus verschiedenen Kontexten wieder auf und wird mit Begriffen wie: »Selbsthervorbringung, Selbstsetzung, Selbstbegründung, Selbstverwirklichung« verschieden nuanciert wiedergegeben.155 Die Tradition einer affirmativen Aufnahme des Theorems reicht von Johannes Eriugena156 über Meister Eckhart157 und Nikolaus von Kues158 bis ins 20. Jahrhundert zu H. Schell159 und P. Tillich.160 Einige markante Beispiele seien noch vorgestellt.161 1.2. R. Descartes rückt den Begriff der causa sui eng an die Aseität heran, und gebraucht ihn entsprechend restriktiv. In den »Meditationes« (III, 33) ist zu lesen: »nam si a se [sc. est], patet ex dictis illam ipsam [sc. idea Dei] Deum esse«.162 Zur Erläuterung dieses Satzes schreibt er in der »Antwort auf die ersten Einwände«: »Nun gestehe ich aber ganz offen, daß es etwas geben kann, dessen Macht [potentia] so groß und unerschöpflich ist, daß es keiner 153

Div. Inst. I 7; cf. II 9 (PL 6, 152; cf. 302); cf. die Formel aus dem Corp. herm. VIII, 2 (oben Anm. 151) sowie Hilarius, De trin. I 4 (PL 10, 28). Suárez hielt das für einen error tam absurdus, dass er es nicht einmal widerlegt (cf. Disp. metaph. XXVIII s. I, n. 7, in: ders., Opera omnia, Bd. XXVI, Paris 1856, 3). 154 Hilarius, De trin. I, 4 (PL 10, 28). 155 Außer der oben in Anm. 73 genannten Arbeit (FELDNER) cf. noch: F. SAWICKI, Das Problem der Aseität, PhJ 37 (1924), 143–161, hier 143; L. KERKHOFS, De constitutivo metaphysico Dei, NRTh 53 (1925/26), 234; V. KNIPER, Utrum Deus intelligendo se ponat se in esse, Ang. 4 (1927), 289–299.451–475, hier 454; J. KLEIN, Gedanken zum Konstitutiv Gottes, FS 21 (1934), 201–207, hier 201. 156 »Se ipsum creare« (Johannes Eriugena, De divis. nat. III 20; PL 122, 684). Cf. Lib. de caus. 3, 25, aber auch oben Anm. 60. 157 Trinitarische Einheit von principium und principiatum: M. Eckhart, LW 3, Joh. n. 135.136f.115f u. ö. Fraglich scheint, ob die hier beiläufig auftretende Formulierung: »alioquin produceret aliquid se ipsum in esse« (a.a.O. 115,1) nur auf Außergöttliches zu beziehen ist (so W. BEIERWALTES, Platonismus und Idealismus, Frankfurt 1972, 50). 158 »Videris creare te ipsum« (Nikolaus von Kues, De vis. Dei XII). 159 Zu H. Schell s. u. genauer Exkurs V (S. 244ff). Als weitere katholische Vertreter des Gedankens seien hier noch A. Günther, J. E. Kuhn, Ch. Secrétan (Gott als Ursache seiner Existenz,der mit seinem Willen die Art und Weise bestimmt, wie er sich hervorbringt) und E. Boutroux genannt (Gottes Wesenheit kann nur existieren, indem sie sich frei hervorbringt). 160 S. u. bei Anm. 222. 161 Interessante weitere Hinweise finden sich bei J. ROHLS, Theologie und Metaphysik, Gütersloh 1987, 183ff, so zu Th. Campanella (Universalis philosophia VI 5.a 1f) und Nikolaus Taurellus (Philosophiae Triumphus; Th. 117: »suiipsius principium/causa« bzw. 114ff: »se ipsum ab aeterno fecisse«). Rohls zieht eine Linie zu J. Böhme. 162 DESCARTES, Meditationen über die erste Philosophie, hg. von E. Ch. Schröder, PhB 250, Hamburg 1956, 86 = Œuvres de Descartes, hg. von Ch. Adam/P. Tannery, Bd. VII, Paris 1904, 49, 58f.

§ 2 Der Begriff Gottes

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Beihilfe zu seiner Existenz bedurft hat, und das also auch jetzt zu seiner Erhaltung dessen nicht bedarf, so daß dies gewissermaßen causa sui ist, und ich denke mir, daß Gott derart ist«.163 In der »Antwort auf die vierten Einwände« heißt es dann, um Missverständnisse zu vermeiden, präzisierend: »Hier kann das Wort ›sui causa‹ in keiner Weise von der wirkenden [efficiente] verstanden werden [sc. als causa efficiens], sondern allein so, daß die unerschöpfliche Macht Gottes die Ursache [causa] oder der Grund [ratio] ist, um dessentwillen er keiner Ursache bedarf«.164 Weil für Descartes causa sui nur für die Verneinung einer externen Ursache bzw. einer wirkenden Ursache (im eigentlichen Sinne) steht, ist sie zugleich auch nicht Ursache, und er kann hier der These, »daß Gott nicht durch sie hervorgebracht [a se produci], noch erhalten werde durch irgendeinen Einfluß einer bewirkenden Ursache [causa efficiens]«, rückhaltlos zustimmen.165 Denn die Auffassung, »daß Gott die wirkende Ursache seiner selbst ist«, habe er selber bestritten.166 1.3. Die positive Verwendung von causa sui in dem Sinne, dass Gottes Wesensmacht als solche bereits seine Existenz einschließe, ohne dass dabei etwa von einer Selbsthervorbringung geredet werden müsste,167 findet sich dann weiter in der berühmten Definition Gottes bei B. Spinoza: »Per causam sui intelligo id, cuius essentia involvit existentiam, sive id, cuius natura non potest concipi nisi existens.«168 Auch hier wird nur ein unmittelbares, kraft definitorischer Inklusion (involvit) behauptetes Verhältnis der Einheit von Wesen und Existenz Gottes in Anschlag gebracht. Causa sui soll gerade die Nachfrage nach einem Woher oder Grund bei Gott a priori verhindern – eben weil er nur aus sich und durch sich begriffen werden kann. Das zeigt die Definition der göttlichen Substanz bei Spinoza: »Per substantiam intelligo id, quod in se est et per se concipitur; hoc est id, cuius conceptus non indiget conceptu alterius rei, a quo formari debeat«.169 Gottes Suisuffizienz schließt a priori die Hervorbringung durch etwas Anderes aus, und genau um das, und nur das, zu markieren, dient der Begriff der »causa sui«.170 Dass Gott »ex sola 163 DESCARTES, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie …, hg. von A. Buchenau, PhB 27, Hamburg 1915 (Nachdr, 1954), 98 = Œuvres VII, 109,3–7). Gottes »ungeheure Macht« schließt in sich, »daß es [bzw. er] durch seine eigene Kraft [propria sua vi] existieren kann« (a.a.O. 107 = Œuvres VII, 119,14f). 164 A.a.O. 214 = Œuvres VII, 236,7–10. 165 A.a.O. 210 = Œuvres VII, 232,2–4; cf. 214 = 236f. 166 A.a.O. 213 = Œuvres VII, 235,17–20. 167 Das heißt, dass die »causa sui« gar keine causa im eigentlichen Sinne sei. 168 SPINOZA, Ethik I. De Deo, def. 1. Cf. DERS., Tract. de intell. emend. § 92. Dorner vermutet einen Einfluss der christlichen Scholastik (DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I [wie oben Anm. 142], 207). 169 SPINOZA, Ethik I. De Deo, def. 3. 170 Cf. a.a.O., prop. VII, demonstr.: »Substantia non potest produci ab alio; erit itaque causa sui; i.e. ipsius essentia involvit necessario existentiam, sive ad eius naturam pertinent existere«; cf. prop. XXIV (demonstr.). Differenzierter heißt es bei R. Rothe: »Das

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suae naturae necessitate existit«, meint eben die Wesensnotwendigkeit des Existierens, die mit der causa sui gemeint ist: »… causa est sui et ex sola suae naturae necessitate existit«.171 Die Unmittelbarkeit, mit der – ähnlich wie später G. W. Leibniz, der aus der Wesensmöglichkeit Gottes schon seine Existenz ableitet172 – Spinoza bei Gott Wesen und Existenz in eins fallen lässt, hat die Kritik des Denkens auf sich gezogen.173 1.4. So ist »causa sui« für Hegel ebenso ein Beispiel vernünftiger Einheit eines Widerspruchs wie überhaupt ein tiefer und richtiger Gedanke und der spekulative Grundbegriff, nämlich der wahrhafter Unendlichkeit, und reiner Begriff der Freiheit.174 Gegen Spinoza ist aber einzuwenden, dass er Gott als causa sui nur qua Definition voraussetzt und nicht dialektisch entwickelt.175 Nach Hegel wird der Begriff der causa sui nur dann wirklich gedacht, wenn diese als einen Unterschied (sc. zwischen Verursachung und Wirkung) in sich schließend gedacht wird – einen Unterschied, der, da es um Selbstvermittlung geht, sich freilich selbst (bzw. zum Selbst) wieder aufhebt, d. h. der nur ist, um als überwundener zu sein; es geht also um eine sich selbst aufhebende Vermittlung. So heißt es gegen Spinoza: »Aber das Absolute kann nicht ein Erstes, Unmittelbares sein, sondern das Absolute ist wesentlich sein Resultat«.176 Als sein Sich-Auslegen ist das Absolute »sein eigenes Tun, … das bei

göttliche Wesen reflektiert sich in dem Bewußtsein Gottes als seine Allgenugsamkeit, welche eben wesentlich die Bestimmtheit Gottes, causa sui zu sein, oder seine Aseität als in seinem Bewußtsein gesetzte ist« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben Anm. 70], 145 [§ 38]). 171 Cf. a.a.O., def. 7 mit prop. XXIV, demonstr. 172 »Definitio Dei seu Entis a se. Deus est ens ex cuius possibilitate (seu essentia) sequitur ipsius existentia« (G. W. LEIBNIZ, Philosophische Schriften, Bd. VI/3, Berlin [Ost] 1980, 582,20–22; cf. ausführlicher a.a.O. 583). 173 Cf. auch Hamann: »In der ersten Formel des Sp.[inoza] Causa sui liegt der ganze Irrthum der Logomachie« (16.1.1785 an Jacobi, in: HAMANN, Briefwechsel 5, 326,28f; cf. auch 7, 26,35). Hamann artikuliert dann die übliche logische Kritik am causa-suiTheorem: »Ein relativer terminus läßt sich nicht seiner Natur nach absolut denken, ohne sein correlatum. Also (effectus) causa sui ist zugl. (causa) effectus sui« (a.a.O. 326,29f). Diese Kritik, obwohl vom »Widernatürlichen« daran ausgehend, scheint letztlich trinitätstheologisch motiviert: »Ein Vater, der sein eigener Sohn und ein Sohn, der sein eigner Vater ist« (a.a.O. 31). 174 Cf. HEGEL, Werke 17, 496. Genauere Nachweise in RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben Anm. 145), 226f (Anm. 62). 175 Hegel zeigt in der Logik: »Die Ursache ist daher an und für sich causa sui, … diese absolute Wahrheit der Ursache« (HEGEL, Enzykl. § 153 Anm., in: ders., Werke 8, 298). 176 HEGEL, Werke 6, 196; cf. »die Vermittlung war das Sichselbstaufheben der Vermittlung« (a.a.O. 17, 487 und 497). Eine ähnliche Kritik bei J. KÖNIG, Der Begriff der Intuition, Halle/Saale 1926 (Nachdr. Hildesheim 1981), 88; cf. auch unten § 9 (S. 518 Anm. 50).

§ 2 Der Begriff Gottes

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sich anfängt, wie es bei sich ankommt«,177 und ist Rückkehr: »aus sich selbst zu sich«.178 Während die Substanz bei Spinoza nicht selbst als absolute Form (sc. von Selbstbewegung) begriffen wird,179 gilt für Hegel: »Der [göttliche] Begriff ist als absolut mit sich identische Negativität das sich selbst Bestimmende«.180 Dem entspricht Hegels »Logik« als Ganze, sofern sie »die unmittelbare Darstellung der Selbstbestimmung Gottes zum Sein« ist.181 Wie causa sui als Selbsthervorbringung Gottes im Anschluss an Hegel logisch genau zu denken ist, hat der folgende Abschnitt D. darzulegen. 1.5. Beim Schelling des »Systems des transzendentalen Idealismus« (1800) kommt die causa sui als das »Selbstbewußtseyn« vor, das ein Absolutes ist: »das von sich selbst die Ursache und die Wirkung – Subjekt und Objekt – ist«.182 Es geht Schelling um den Begriff »eines Objekts, das zugleich sich selbst entgegengesetzt, und das sich selbst gleich ist. Aber ein solches ist nur ein Objekt, was von sich selbst zugleich die Ursache und die Wirkung, Producirendes und Product … ist«; ein solches komme ursprünglich nur im Selbstbewusstsein vor.183 In der Freiheitsschrift von 1809 heißt es dann: »Da nichts vor oder außer Gott ist, so muß er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien; aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirklichem zu machen«.184 Somit gilt: »Aber Gott selbst, damit er seyn kann, bedarf eines Grundes, nur daß dieser nicht außer ihm, sondern in ihm ist«.185 1.6. Bei den spekulativen Theologen findet sich im 19. Jahrhundert immer wieder die Behauptung der »causa sui« für Gott. Dafür einige Beispiele. 177

A.a.O. 190. A.a.O. 213. 179 Erst als die Ursache ihrer selbst ist sie »die zum Begriffe befreite Substanz«, und der »Begriff« ist die »Form des Absoluten« (cf. a.a.O. 251 und 263). Es geht um die Freiheit Gottes, die er im Begriffe (Logos) seiner selbst, in dem er existiert, hat. 180 A.a.O. 403; cf. auch 222ff (Kausalität) und in den Vorlesungen über die Gottesbeweise a.a.O. 17, 526. 181 A.a.O. 6, 405; cf. 17, 419. 182 SCHELLING, SW I/3, 356. 183 A.a.O. 373. Das ist der Sache nach bei Jacques Lacan kritisiert, für den das menschliche Subjekt wegen seiner Sprachlichkeit nicht causa sui sein kann: »Die Sprachwirkung ist die ins Subjekt eingeführte Ursache. Vermöge dieser Wirkung ist dieses nicht Ursache seiner selbst« (J. LACAN, Schriften, Bd. II, Weinheim 21986, 213; zu Gott cf. 219f und zu Augustin, De trinitate, cf. 243f). 184 SCHELLING, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, in: ders., SW I/7, 357f (= Nachdr. 301f); kritisiert ist hier wohl vor allem SPINOZA (Eth. I, def. I), dazu s. o. S. 195 bei Anm. 168. Cf. auch: »Gott selbst, damit er seyn kann, bedarf eines Grundes, nur daß dieser nicht außer ihm, sondern in ihm ist« (a.a.O. 375 = Nachdr. 319). 185 A.a.O. 375 (= Nachdr. 319). 178

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Ph. K. Marheineke schreibt: »Als Grund seiner selbst ist Gott zugleich Wirkung und Ursach seiner selbst, hiemit aber ebenso sehr begründet, als grundlos [sc. im äußeren Sinne]«.186 J. Müller versucht, den Begriff von Gottes independentia positiv so zu fassen, dass er Gott als den »sich selbst Bedingenden und Begründenden (ens a se ipso)« fasst.187 Damit ergibt sich – auch gegenüber Spinoza – eine Möglichkeit, auch »causa sui« nicht nur negativ, sondern »real und positiv« zu bestimmen: »Wie aber kann ein Wesen causa sui sein als so, daß es sich mit bewußtem Selbstbestimmen hervorbringt?«188 Das aber heißt, »daß Gottes Wesen schlechthin seine eigne That ist«.189 Zur näheren Bestimmung schreibt Müller: »Gott hat den Anfang seines Seins in sich selbst, und der Anfang ist keinesweges die Fülle, sondern bestimmungslose Einfachheit; aber weil er der Ewige ist, so vermag er, ohne der Zeit zu bedürfen, sich selbst als diese unendliche Fülle hervorzubringen«.190 Dies kann, weil Gott A und Ω, sein eigener Anfang und seine eigene Vollendung zugleich (simultan) ist, nur bedeuten, er ist »bestimmungslose Einfachheit« nur als Moment seiner unendlichen, konkreten Selbstvermittlung.191 Anders gesagt: Gott als Anfang seiner selbst geht mit bis zum Eschaton. Auch R. Rothe hat aus gedanklichen Gründen behauptet: Gedachtwerden kann mithin das Absolute, oder Gott, nur als schlechthin durch sich selbst begründet und kausirt, nur als schlechthin causa sui. … Sein Sein ist sein schlechthin zeitloses sich selbst Erzeugen. … Das Absolute, oder Gott, ist, was es ist, schlechthin durch sich selbst allein, es ist … das schlechthin durch sich selbst bestimmte, genauer das … durch sich selbst bestimmt werdende, das schlechthin selbst sich bestimmende Sein.192

Sosehr, wie schon oben (bei Anm. 136) bemerkt, die Rede vom »schlechthin Zeitlosen« von Gottes Selbsthervorbringung einer Korrektur bzw. Präzisierung bedarf, weil sonst Gottes Weg durch die Geschichte zum Eschaton theologisch nicht verständlich würde, so steht doch außer Frage, dass Rothe 186

MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 74), 80 (§ 135). J. MÜLLER, Die christliche Lehre von der Sünde, Bd. II (1838), Breslau 31849, 170. Hier auch: αὐτοουσία. 188 A.a.O. 171; cf. 172 (absoluter Wille). 189 A.a.O. 170. Es folgen weitere Bestimmungen Gottes wie »sich selbst bestimmende Intelligenz, d. h. als absolute Persönlichkeit« (172) und Freiheit als »das unbedingte Princip seines Wesens«, sowie dass der »voraussetzungslose Uranfang alles Seins … Freiheit; That« ist (173, mit Berufung auf Schelling). 190 A.a.O. 204. 191 Dies deutet sich bei Müller in der Aussage an, dass Gottes Ewigkeit die unerschöpfliche Fülle von Bestimmungen »in ungetheilter und unzertrennter Einheit« umfasst (cf. 204). 192 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 184 Anm. 70), 85f (§ 23) mit Verweisen auf Schelling und Müller. Cf. auch 104 und 140f und DERS., Dogmatik I (wie oben S. 190 Anm. 133), 23. 187

§ 2 Der Begriff Gottes

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selber dazu einen Ansatz liefert, Ewigkeit und Zeit zusammenzudenken, wenn er über Gottes sich selbst zum Werden bestimmendes, absolutes Sein193 schreibt: »Da aber dieses Werden das absolute ist, so ist sein Resultat, das Sein, unmittelbar zugleich mit ihm selbst gesetzt, und so ist das Werden in Gott wesentlich unmittelbar zugleich das Gewordensein, das Sein. Das Sein Gottes ist demnach zu denken als die absolute Einheit des Werdens und des Seins, d. h. als Leben, … als das absolute Leben«.194 Damit ist der volle Begriff eines »Werdens zu sich« erreicht, der Gottes Sein als im Werden begriffen und so Zeit und Geschichte in seine Selbstvermittlung integriert denkbar macht.195 1.7. Den Begriff Gottes »als der sich auf sich selbst beziehenden Causalität« hat mit besonderem Nachdruck und einer Reihe von präzisierenden Näherbestimmungen I. A. Dorner affirmiert. Im Leitsatz zu § 20 seiner Dogmatik heißt es programmatisch: »Gott als das absolute Wesen ist sowohl begründend als begründet, beides durch sich, oder sich selbst begründend«.196 Damit ist sowohl eine fruchtbare Einsicht in die absolute Einheit von Gott als aus sich Begründendem und in sich Begründetem (a.) wie auch in den lebendigen Unterschied dabei (b.) gewonnen. (a.) Es gilt: »Gott muß die perennirende, ewige Ursache seiner absoluten Wirklichkeit sein, nicht bloß vergangene oder gewesene, und zufällige. … Er ist und bleibt der reale Grund seiner absoluten Wirklichkeit«.197 Causa sui ist Gott demnach als mitgehende (d. h. in ewiger Selbstgegenwart durch sich selber wirksame) Ursache seiner selbst, also in überhaupt keiner Weise bloß potenziell existierend,198 sondern »schlechthin in sich verwirklichte Potenz, actus purissimus«.199 So werden hier die klassischen Postulate göttlicher Aseität: das durch die Kategorie der Kausalität geforderte ab alioque200 und das von der Gottheit 193 Hier ist nicht gemeint, dass Gott sozusagen erst »ist«, um sich dann zum Werden zu bestimmen. Cf. auch das a.a.O. 104 Fn. * beigebrachte Schelling-Zitat: »Das Seyn wird sich nur im Werden empfindlich« (SCHELLING, SW I/7, 403 = Nachdr. 347). 194 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 184 Anm. 70), 104 (§ 28). 195 Zum »Werden zu sich« s. u. Abschnitt E. (S. 230ff). 196 DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre (wie oben Anm. 142), 235. Zur These, dass damit die Kategorie der Kausalität in die der Wechselwirkung übergegangen sei (ebd.), s. u. zu dem Zitat (244). 197 A.a.O. 243. 198 Für Luther schließt Gottes absolute Wirklichkeit als »Allmacht« unverwirklichte Möglichkeiten aus: »non illam potentiam, qua multa non facit quae potest, sed actualem illam, qua potenter omnia facit in omnibus« (WA 18, 718,29f). 199 A.a.O. 242. Die traditionelle (thomasische) Lehre von Gott als actus purus lässt überhaupt keinen Unterschied in Gott zu, anders Dorner; s. u. (b.). 200 Während der sog. »kosmologische Gottesbeweis« argumentiert: Alles, was ist, ist durch etwas anderes verursacht und verweist so an eine letzte Ursache zurück, die selber nicht wieder Wirkung einer Ursache sein kann (prima causa), würde der entsprechende

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Gottes geforderte non ab alio, durch das a se esse als »causa sui« in der Weise eingelöst,201 dass Gott beides in einem ist: absolute Wirklichkeit und zugleich absoluter Grund derselben. Denn als zugleich (sich) begründend und (durch sich) begründet gilt von Gott: »Es steht Gott als Begründeter und als Begründender im Wechselverhältniß zu sich«.202 Das impliziert, dass Gott als begründeter auch wiederum (sich) begründend ist.203 Dazu heißt es: »Durch diese Zurückwendung des Begründeten zum Begründenden ist das Causalitätsverhältniß nicht durchbrochen oder verletzt, sondern durchgeführt und vollendet«.204 Hegels Forderung, in der causa sui die Kausalität wirklich zu denken, scheint hier eingelöst.205 Dies führt zur Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Unterschied im causa-sui-Theorem. (b.) Man hat von folgendem einzigartigen Sachverhalt auszugehen: »Die Gottheit als begründete ist dadurch ewig eins mit der Gottheit als begründender, daß jene sich wieder zurückbezieht auf die Ursache und sich ursächlich und bedingend zu ihr verhält, wie sie ihr immanent von Anfang war«.206 Wegen dieses simultanen Rückbezugs gilt gerade von der solcherart lebendigen Einheit von Begründendem und Begründetem in Gott: »Damit ist schon ein ewiger Unterschied in Gottes absolutem Wesen gewonnen«.207 Was wir oben einleitend für eine absolute Einheit postuliert haben, das sie nicht ist, ohne zugleich in sich von sich unterschieden zu sein, das ist hier von Dorner am Gedanken des göttlichen Sich-selbst-Hervorbringens (causa sui) nachgewiesen!208 Gedankengang hier lauten: Alles ist durch etwas anderes hervorgebracht, am Anfang aber kann nur etwas sein, was sich selbst hervorgebracht hat (Gott). Artikulieren nach Hegel die Gottesbeweise überhaupt den notwendigen Gang der Erhebung des Geistes zu Gott (cf. die diesem Thema gewidmeten Vorlesungen, HEGEL, Werke 17, 345; ähnlich TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 31], 243ff), so müssen sie spekulativ als Selbsterweise Gottes (bzw. Abbildung seines Sich-Hervorbringens im Denken) begriffen werden. Alles kommt von Gott und geht (durch ihn) auf ihn zu (Röm 11,36): Das besagt, in allem, sich davon gerade unterscheidend, geht Gott auf sich zu. Streben die Geschöpfe nach Gott (als desideratum oder finis), so hat Gott darin sein Leben als Streben nach sich selbst. 201 Cf. DORNER, a.a.O. 243. 202 A.a.O. 244. 203 Sich selbst begründend zu sein, heißt, dass »die Ursache in sich selbst zurückläuft«, und genau das ist der Begriff des Absoluten (cf. a.a.O. 474 [§ 345]). 204 Ebd. Hegel spricht davon, daß das »Vernichten der Verstandeskategorie der Kausalität … in dem Begriffe geschehen [ist], der als causa sui ausgedrückt worden ist« (HEGEL, Werke 17, 498; Hervorh. J. R.). 205 Cf. oben bei Anm. 140. 206 DORNER, a.a.O. 244. 207 A.a.O. 243. 208 Cf.: Der Gedanke der Absolutheit ist erst rein erfasst, »wenn er … die Selbstbegründung schlechthin in sich schließt, die nur Einem, Gott zukommt« (a.a.O. 474 [§ 34.5]).

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Indem er davon spricht, dass die Kausalität in Gott »gleichsam doppelseitig (als absolute Wechselwirkung)« ist und als »Kreislauf von Setzen, das zugleich gesetzt, von Gesetztsein, das zugleich Activität ist«,209 bringt er diese Dialektik von Selbstentzweiung und Selbstvermittlung auf einen Begriff von lebendiger, indem in sich von sich unterschiedener, Einheit: »es ist ein Unterschied zwischen Gott als Setzendem und Gott als gesetztem, wenngleich in dem Kreislaufe des göttlichen Lebens das Gesetzte auch wieder lebendig, setzend ist und zwar zurückgreift zum Setzenden, das dadurch auch zum Gesetzten wird«.210 Sosehr damit unverkennbar wesentliche gedankliche Fortschritte in der genaueren Fassung der »causa sui« erzielt worden sind, es bleiben doch noch Fragen offen: Wie verhalten sich »Kreislauf« und »Diremtion«? Was ist das »Zurückwenden«, »Zurückgreifen« u. ä. in diesem Kreislauf logisch betrachtet? Wie ist das Verhältnis von Einheit und Unterschied in Gott genau zu denken? Zu derartigen Fragen nötigen nicht nur Dorners Präzisierungsversuche, sondern mehr noch die im Folgenden kurz vorzustellenden weiteren theologischen Bejahungen des causa-sui-Theorems, aber auch die logische Kritik an einer causa sui überhaupt (s. u. 2.).211 1.8. Weniger präzis und einlässlich ist das Thema aufgegriffen bei F. H. R. v. Frank.212 Bei ihm entsteht aus der christlichen Erfahrung die Nötigung, Gott als das Höchste zu denken, und d. h. »das Unvorstellbare« einer »absoluten Selbstsetzung« Gottes:213 »bei Gott als dem Absoluten jene Selbstsetzung, vermöge [derer] er selbst und nichts Anderes seiner selbst Grund ist«.214 Das relativ Neue dieser Aufnahme des Gedankens einer »causa sui« dürfte hier freilich in ihrer Deutung als Selbstbewegung liegen.215 Es ist für v. Frank eine absolute Betätigung seiner Absolutheit, wenn Gott in seiner freien Selbstbewegung nur in sich selber das Ziel derselben findet: in einem Sich-Zusammenschließen von Aus-sich-Sein, Durch-sich-Sein und Für-sichSein.216 Bezeichnend dafür steht der Satz: »Es ist eine stetige, auf jedem 209

A.a.O. 244. Dieser Zusammenhang führt zu dem Satz: »Gott ist das absolute Leben« (ebd., cf. 245ff [§ 21] und 403f); siehe dazu unten § 4. Dorner verbindet damit auch eine (an Athanasius orientierte) trinitarische Deutung (cf. 360ff.393f.424f.435.457 u. ö.). 210 A.a.O. 245 Anm. 3. Cf. ebd. auch die Bemerkung: »Ohne diese Diremtion wäre ›Rotation‹, der Kreislauf des Lebens nicht möglich« (zu v. Frank 120; siehe dazu unten). 211 Es wird sich zeigen, dass allererst Hegels Reflexionslogik die gedanklichen Mittel bereitstellt, um das Kausalitätsproblem zu Ende zu denken und zugleich die formallogische Kritik an der causa sui aufzuarbeiten, s. u. Abschnitt D. (S. 211ff). 212 F. H. R. V. FRANK, System der christlichen Wahrheit, 1. Hälfte, Erlangen 21885. 213 Cf. a.a.O. 115f. 214 A.a.O. 114; cf. 111. 215 Dazu s. u. Abschnitt E. 3. (S. 234ff) (im Anschluss an Hegel). 216 Cf. a.a.O. 117ff.

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Punkt vollendete Rotation der absoluten Selbstbewegung aus sich selbst und in (εἰς) sich selbst, bei welcher das Ziel der Bewegung nichts Anderes setzt, als was in dem Grund der Bewegung enthalten war«.217 Hierbei wäre genauer zu fragen, ob ein Zirkel (Rotation) noch bzw. nur ein solcher sein kann, wenn er – was theologisch richtig ist – überall »vollendet« ist, und wie das Ziel der Bewegung in ihrem Grund »enthalten« sein kann, wenn es sich nicht um eine einfache Entwicklung (im normalen Sinne) handeln soll. Die Logik von »Selbstbewegung« ist also noch präziser zu fassen, als es bei v. Frank geschieht. 1.9. Im 20. Jahrhundert finden sich gelegentlich zwar Hinweise auf Gottes Selbstursächlichkeit, sie bleiben aber zumeist unexpliziert thetisch bzw. tentativ. So heißt es bei M. Kähler (eher referierend), dass man die »Selbständigkeit« Gottes auseinanderlege, »indem man Gott seinen eignen Grund, seinen eignen Bewegungsanlaß, seinen eignen verwirklichten Zweck nennt, und ihm Selbstbegründetheit (Aseität), Selbstbewegung (Spontaneität), Selbstzwecklichkeit oder Vollkommenheit beilegt«.218 Weitere gedankliche Klärungen lassen sich dem schwerlich entnehmen. Dies gilt auch für P. Althaus, der unter Berufung auf v. Frank über die »Selbständigkeit Gottes« (bzw. seine Absolutheit) schreibt: »Gott ist schlechthin Grund seiner selbst … Er ist als der Daseiende durchaus und allein durch sich selbst bedingt. Er bestimmt sich zu dem, was er ist und tut«.219 Hier scheint »causa sui« in einem völlig abstrakten Sinn aufgefasst zu sein220 und jeder Gedanke an eine konkrete Selbstbegründung, d. h. Selbsthervorbringung, Gottes fernzuliegen. K. Barth kommt dem causa-sui-Theorem zumindest verbal nahe, wenn er die (als Freiheit zu denkende) göttliche aseitas als »durch sich selbst und in sich selbst begründet, … bestimmt und bewegt sein« auffasst.221 Bei P. Tillich ist über Gott zu lesen: »In seiner Aseität liegt, daß er alles, was er ist, durch sich selbst ist. Er ›schafft sich selbst‹ in Ewigkeit. Dieser paradoxe Satz beschreibt die Freiheit Gottes«.222 Es bleibt freilich unklar, wie das – abgesehen von der Äquivokation im Begriff des Schaffens – mit dem Tillich’schen Konzept von Gott als dem »Sein-Selbst« soll vereinbar sein

217

A.a.O. 120. M. KÄHLER, Die Wissenschaft der christlichen Lehre, Leipzig 31905 (Nachdr. Waltrop 1994), 166 (§ 188). Kähler scheint der Selbstbewegung eine besondere Bedeutung einzuräumen, insofern er Gottes »Unwandelbarkeit« nicht mit Unbewegtheit verwechselt wissen will (cf. ebd.). 219 P. ALTHAUS, Die christliche Wahrheit, Gütersloh 1947, 41958, 264 (§ 25). 220 Althaus bezieht sich a.a.O. auf den actus purus des Thomas! 221 BARTH, KD II/1, 339. Zur genaueren Auseinandersetzung s. u. Exkurs V (S. 244ff). 222 TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben S. 178 Anm. 31), 291. 218

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können.223 Spekulativ eher anschlussfähig sind Aussagen in Tillichs »Marburger Dogmatik« (1925). Da heißt es in § 30 (Die unbedingte Selbstmächtigkeit des Unbedingten) zum dogmatischen Begriff der »Aseität, des durch sich selbst Seins«: »Wenn wir diese Worte sagen, so teilt sich für uns das Sichselbst-Setzen in ein Selbst, das Subjekt, und in ein solches, das Objekt der Hervorbringung ist. Nachher aber setzen wir beide in eins. Das Ganze ist ein offenkundig symbolischer, gebrochener Begriff, der das Bild des Hervorbringens gerade da anwendet, wo es aufgehoben werden soll«.224 Wie oft bei Tillich weicht der Gedanke hier der Dialektik des zu Begreifenden (mit seinem Widerspruch) aus, um sich auf die problematische Auskunft des »Symbolischen« zurückzuziehen.225 Bei W. Pannenberg wird »causa sui« im Sinne der Tradition als »ein Ausdruck für das unterscheidend Besondere des Absoluten« erwähnt und vom Gedanken der »Selbstverwirklichung« her gedeutet.226 Pannenberg möchte – in Auseinandersetzung mit der innertrinitarischen Deutung der causa sui bei H. Schell227 – den Begriff »causa sui« lieber für das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität reservieren, weil da die Gleichheit von Ausgangspunkt und Resultat wirklich gegeben sei.228 Sofern es dabei um das Verhältnis von eschatologischer Vollendung und Ewigkeit bei Gott geht,229 rückt der fragliche Begriff bei Pannenberg somit ganz in den Horizont der Eschatologie, ohne dass er aber dort explizit wieder aufgenommen würde.230

223

Cf.: Gott »ist ›durch sich selbst‹, er besitzt ›Aseität‹. Und das kann nur dann von ihm gesagt werden, wenn er Seinsmächtigkeit ist, wenn er das Sein-Selbst ist« (a.a.O. 274). Zur Aseität cf. auch 287 und 293 sowie Band II, Stuttgart 21958, 188. 224 P. TILLICH, Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925, hg. von W. Schüßler, Düsseldorf 1986, 148. 225 Vorher wird sogar das »Unbedingt-Seiende« als Symbol des in der Dogmatik Gemeinten angesprochen (ebd.). Zur theologischen und philosophischen Kritik von Tillichs Symbolbegriff cf. J. RINGLEBEN, Gott denken, Tillich-Studien 8, Münster 2003, 87ff und 139ff. 226 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 145), 423. Dieser Begriff hat freilich auch – seine theologische Brauchbarkeit relativierende – anthropologische Bedeutung (cf. a.a.O. 422f). Causa sui wurde auch schon von Thomas von Aquin auf den Menschen bezogen (in Met. lect. 3 n. 58; cf. Aristoteles, Met. I, 982b 25f) bzw. als Begriff seiner Freiheit aufgefasst: »Liber enim est qui sui causa est« (ScG III 112; cf. auch I 72 und 88); cf. oben bei Anm. 129 und 87. 227 Zu der besonderen Position des katholischen Theologen H. Schell s. u. Exkurs V (S. 244ff). 228 A.a.O. 423. Zur Trinität als Inbegriff göttlichen Lebens aus sich selbst s. u. § 15 J. 2. (S. 859ff). 229 Cf. a.a.O. 359. 230 Mit eschatologischem Vorbehalt greift E. Bloch die causa sui welthaft auf, cf. E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Frankfurt 1967 = 1959, Bd. I, 270.287.

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2. Kritik der Causa sui Nach der Durchsicht mehr oder weniger erhellender, befürwortender Positionen in der Frage einer »causa sui« ist nun die dunkle Wolke der Zeugen für die Bestreitung dieses Konzeptes in Augenschein zu nehmen. Die gleichfalls sehr alte Kritik an der causa sui hat teils mehr eine logische Begründung, teils scheint ihr die Unbedingtheit Gottes angetastet, wenn von ihm ein Begründet- oder kausales Bedingtsein ausgesagt wird.231 In der theologischen Tradition findet sich die explizite Kritik wohl zuerst bei Augustin: »Qui autem putat eius esse potentiam Deum, ut seipsum ipse genuerit, eo plus errat, quod non solum Deus ita non est, sed nec … creatura: nulla enim omnino res est, quae seipsam gignat ut sit«.232 Die vorstellungsmäßige Abwegigkeit erscheint Augustin hierbei so offensichtlich, dass er auf eine argumentative Widerlegung des Gedankens, was Gott angeht, verzichten zu können meint,233 sondern Gott in dieser Frage analog zu allen Geschöpfen behandelt.234 Könnte nicht aber, was jedem Geschöpf unmöglich ist, bei Gott gerade spezifisch möglich sein (cf. Mk 10,27)? Was Gott betrifft, so verbietet seine Ewigkeit jeden Gedanken an ein Werden: »Causa itaque rerum quae facit, nec fit, Deus est«.235 Das Anliegen, Gottes Letztursächlichkeit definitorisch festzuhalten, ist nachvollziehbar.236 Aber ist dabei nicht ein griechisch-metaphysischer, abstrakter Begriff von Ewigkeit statt eines christlich zureichenden im Spiel? Eine differenziertere argumentative Ablehnung der causa sui findet sich bei Anselm von Canterbury. Im Zusammenhang seiner Erläuterung von Gottes a se und per se esse237 kommt er in c. 6 des »Monologion« auf die Frage zu sprechen, was die summa natura betrifft, »quomodo est ipsa per se?«.238 231 Das wäre dann ein gültiger theologischer Einwand, wenn Begründetsein bedeutete: von einem Anderen als Gott selbst bzw. von einem von ihm (als Gott) verschiedenen Grund hervorgebracht. Mit Gottes Gottsein an sich kompatibel ist aber eine Begründung durch sich selbst (per se). Ein möglicher Einwand gegen das Theorem ließe sich möglicherweise aus Platon, Tim. 57e, ableiten. 232 Augustin, De trin. I 1,1 (PL 42, 820). Es kann keinesfalls zutreffen, »eius esse potentiae Deum, ut seipsum ipse genuerit« (821). Grundsätzlich gilt: »nulla res se facit aut gignit, alioquin erat antequam esset« (De immort. anim. 8,14; PL 32, 1028). 233 Vielleicht steht aber auch der Schöpfungsgedanke, der für jede res ausnahmslos gilt, im Hintergrund. 234 Innertrinitarisch kann Augustin aber doch zugestehen, dass Gott causa seiner eigenen Weisheit sei (De div. quaest. 83, q. 16; PL 40, 15) bzw. sie hervorbringe (»genuerit«; a.a.O. q. 23; PL 40, 16). 235 De civ. Dei V 9 (PL 41, 151). 236 Bei jeder gewordenen causa müsste wiederum die Frage nach ihrer causa bzw. der ihres Gewordenseins gestellt werden, und so in infinitum. 237 S. o. B. 3.1. (S. 183f). 238 Monol. 6 (a.a.O. 52).

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Bei jedem Sein von etwas durch etwas gilt nun, dass das Bewirkte »später« und »irgendwie geringer« ist als das es Bewirkende (ins Sein Bringende); genau das aber kann von Gott nicht gelten: »nullatenus est per aliud nec est posterior aut minor seipsa«.239 Daraus scheint zwingend zu folgen: »Quare summa natura nec a se nec ab alio fieri potuit«.240 Allerdings hängt diese Argumentation daran, dass Anselm jedes »Durch-etwas-Sein« als einer Zeitfolge und Seinsabstufung unterworfen denkt; die (unten zu klärende) Frage ist aber, ob causa sui logisch nicht gerade eine Simultaneität und Einheit im Sich-Unterscheiden zu denken gibt, die seine Schlussfolgerung hinfällig machen würde. Auf diese Weise ließe sich dann auch die Selbsthervorbringung Gottes denken,241 ohne wie Anselm auf die gestellte Frage, »quomodo … tandem esse intelligenda [sc. summa natura] est per se et ex se, si nec ipsa fecit [sc. im äußerlichen aporetischen Sinn], nec ipsa sibi materia extitit …«, nur die metaphorische und per analogiam illustrierende Antwort vom Wesen des Lichtes anbieten zu können.242 Für Bonaventura ist Gott das »simpliciter primum (esse)«243 und als ipsum esse »per se« und »a se«.244 So folgt: »ideo non est ab alio factum, nec a se ipso potuit, ergo aeternum«.245 Ewigkeit schließt hier irgendein Gewordensein (fieri) wie auch das durch sich selbst definitiv aus.246 Wahrscheinlich im Anschluss an Aristoteles247 stellt Thomas von Aquin axiomatisch fest: »nihil est causa sui ipsius«.248 Weil Gott »per seipsum necessarium« ist und auch »suum esse« selber ist,249 ist bei ihm wie jedem 239

Ebd. Ebd. Es gilt ebenso von ihr: »nec ipsa sibi … materia unde fieret fuit, aut ipsa se aliquomodo …, ut esset quod non erat, adiuvit« (ebd.). 241 S. u. Abschnitt D. (S. 211ff). 242 Anselm, Monol. 6 (a.a.O. 56). 243 Bonaventura, Itiner. V 6. Von ihm gilt: »impossibile est, ipsum cogitari non esse« (ebd.), bzw.: »si Deus est Deus, Deus est« (De myst. trin. 1,1, arg. 29, in: ders., Op. omn. 5, 48). 244 Itiner. V 5. 245 Itiner. V 6. 246 Cf. auch Petrus Lombardus, Sent. I, d. 3, c. 4, n. 49 und d. 4, c. 1, n. 50. 247 In De an. II 4 heißt es: γεννᾷ δ’ οὐθὲν αὐτὸ ἑαυτό (416b 16f). Thomas übersetzt: »Generat autem nihil ipsum seipsum« (In De An. Lect. IX; cf. n. 344: »nihil generat seipsum«). Gegen Selbstbewegung als causa sui spricht Aristoteles sich in Phys. VIII 257b 14 aus (cf. Werke in deutscher Übersetzung, hg. von H. Wagner, Bd. XI, Berlin [Ost] 1967, 237, wo αὐτὸ αὑτὸ κινεῖν so paraphrasiert wird: »in der Form als Ursache seiner eigenen Prozessualität« [Z. 38f]). 248 ScG I 18. Cf. ScG II 47: »nihil potest sibi esse causa essendi«. 249 ScG I 15 (»aeternum«), 18 und 22; STh I, q. 2, a. 3 resp. »Per se necessarium« sei die »prima causa efficiens« und werde so von allen Gott genannt (ebd.). Die Sachfrage ist allerdings, ob die Bestimmung »per se necessarium« gedacht werden kann, ohne als selbstgenetisch (und nicht als absolutes Faktum) begriffen zu werden. 240

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Etwas (»aliquid«) unmöglich, »quod … sit sibi ipsi causa essendi«,250 er wäre sonst als causa »früher« (»prius«) als als effectus.251 Auch in der »Summa Theologica« wendet Thomas sich mit ähnlichen Argumenten dagegen, dass etwas »moveat seipsum«252 bzw. dass Gott »sit sibi causa essendi«253 sowie dass ein »ens … generatur … per se«.254 In allen diesen Fällen hängt alles an der Frage, ob sich unter Berücksichtigung solcher Einwände »causa sui« auch logisch so denken lässt, dass dieser Begriff dem lebendigen Gott, der nicht einfach das »ipsum esse« ist, spezifisch angemessen bleibt. Für das »simpliciter primum effectivum« versucht Johannes Duns Scotus in einer subtilen Erörterung des esse a se zu zeigen, dass es prinzipiell »unverursachbar« (»incausabile«) ist, weil »ineffectibile et independenter«.255 Wenn aber, so der weitere (hier verkürzte) Argumentationsgang, etwas »causaret se«, »ita non esset incausabile omnino«.256 Kausalität überhaupt ist, einschließlich einer Selbstverursachung, mit dem »supremum gradum possibilem in essendo« unverträglich.257 Die Frage bleibt aber, ob bei »causa sui« nicht gerade die Abstufung sonstiger Kausalität (z. B. von Früher und Später) aufgehoben ist, so dass sie nur so »causa« ist, dass sie es zugleich auch nicht ist. Überhaupt scheint in der Scholastik der Gebrauch des Ausdrucks »causa sui« als bloßes Äquivalent für das ens a se vorherrschend zu sein.258 Das schließt aber genau eine »causa sui efficiens« aus und ist auf die Bedeutung einer causa sui formalis restringiert.259 Stets wird hier gegen das fragliche Theorem eingewandt, dass die »causa prima incausata« als aseitas keine Potenzialität in sich habe (actus purus). Theoretisch interessanter (und wichtiger) ist aber der logische Widerspruch, den der Gedanke einer »causa sui« in sich zu tragen scheint: »ein Wesen, das sich selbst setzen sollte, müßte schon als seiend gedacht werden, um sich selbst zu setzen, d. h., es wäre bereits, bevor es sich setzte, im Sein

250 ScG I 22, cf. ähnlich I 49, 99 und II 21 sowie De ent. IV [130ff]. Cf. aber oben S. 186 bei Anm. 85. 251 Ebd.; cf. die an Anselm erinnernde Argumentation I, 15 (Adhuc). 252 STh I, q. 2, a. 3 resp. 253 A.a.O., q. 3, a. 4 resp. bzw. q. 2, a. 3, resp.: »nec est possibile quod aliquid sit causa efficiens sui ipsius«. 254 A.a.O., q. 16, a. 8 ad sec. sowie STh I-II, q. 20, a. 3 (obj. 3); q. 75, a. 2 (obj. 2). 255 Tract. de primo princ. III 3. concl. 256 A.a.O., 4. concl. 257 Cf. ebd. 258 Cf. J. POHLE/J. GUMMERSBACH, Lehrbuch der Dogmatik, Bd. I, Paderborn 101952, 205. 259 Denn die absolute »Erstursache« ist keiner inneren oder äußeren Verursachung bedürftig oder fähig. Damit wäre aber die Frage Kants nur umgangen, nicht wirklich beantwortet.

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und existierte vor der Existenz«.260 Damit wird das causa-sui-Theorem einer logischen Absurdität überführt, die es logisch verbietet, davon im eigentlichen Sinne theologischen Gebrauch zu machen. Das wird zu prüfen sein.261 Nach dieser grundsätzlichen Kritik brauchen weitere Belege hier nicht vorgeführt zu werden.262 Einzig aus dem Bereich der neueren evangelischen Theologie sei noch die im 20. Jahrhundert gewichtige Stimme K. Barths vermerkt. Bei ihm heißt es: »Gott allein ist wahrhaft selbständig, gehört ganz sich selbst, lebt in und aus sich selber«.263 In seiner Auseinandersetzung mit H. Schell264 schreibt Barth vor dem Hintergrund dieser Auffassung, dass »eine ewige Selbstverwirklichung, wie sie bei Gott allein in Frage kommen kann, mit einer Entstehung Gottes aus sich selbst nichts zu tun haben kann, 260

M. GLOẞNER, Lehrbuch der katholichen Dogmatik nach den Grundsätzen des heiligen Thomas, Regensburg 1874, Bd. I, 64 (wohl im Anschluss an Thomas, ScG I 15; cf. I 22 und 99). Wiederum erfolgt die Kritik an der »causa sui« unter der Voraussetzung, dass hier die Differenz von Früher und Später unüberwindlich ist. Auch R. Rothe referiert einen ähnlichen Einwand, der auf den Widerspruch von zugleich seiend und nichtseiend abhebt: Um sich verursachen zu können, muss das Verursachende bereits sein; um einer Verursachung zu bedürfen, darf es aber nicht schon sein (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben S. 184 Anm. 70], 88). Rothes dagegen aufgebotenes (nicht zeitlich-sukzessives) »Zugleich« bleibt aber zu abstrakt, um das Dilemma logisch aufzulösen. Zu einer ähnlichen Behauptung des logischen Dilemmas s. u. Anm. 268. 261 S. u. Abschnitt D. (S. 211ff). 262 Bei Luther heißt es lapidar: »Den got kann sich selber nicht machen« (WA 27, 524,18). Bezüglich eines Hervorgebrachtseins der göttlichen Natur (sc. durch ein Anderes) schreibt er einmal: »denn dieselbige ist und bleibt ungemacht ewiglich« (WA 30 II, 603,2). Verwiesen sei nur noch auf die frühe Kritik bei Kant (1775): Kant-AA 1, 394f, sowie bei SCHOPENHAUER, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde II, § 8, in: ders., Sämtliche Werke in sechs Bänden, hg. von E. Grisebach, Bd. III, RUB 2801/2805, Leipzig 31891, 25ff. Cf. auch F. X. V. BAADER, Sämtliche Werke, Bd. XIV, Leipzig 1851 (Nachdr. Aalen 1963), 242.324.438 (aber auch Bd. I, 212–214) und F. A. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, Bd. II, Leipzig 21862, 440. 263 BARTH, KD III/4, 370. Zur Aseität Gottes bei K. Barth s. o. S. 190 bei Anm. 128f und die kritische Dissertation von S. SCHWERTFEGER, Die absolute Persönlichkeit Gottes in der Theologie Karl Barths. Studien zur Bedeutung der Rede vom aseitarischen Gott für das Denken Gottes, Göttingen 1995 (masch.). Cf. auch die auffällige Formulierung vom göttlichen Selbstwort, das nicht aufhöre, »sich selbst zu sein« (KD I/1, 52.479 sowie II/1, 308.319f.340.344.346 u. ö. [vom Menschen: I/2, 47; siehe dazu unten § 3 D. [S. 274 Anm. 161]). Cf. auch C.-D. OSTHÖVENER, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, TBT 76, Berlin/New York 1996, 164 Anm. 30. Bei Schelling ist zu lesen: »Er, der sein selbst seyn will« (SCHELLING, Philosophie der Mythologie I [Nachdr. 1966], 554; cf. auch 288: »das bloß Sich … seyende« und a.a.O. II, 52 und 85); dazu auch M. HEIDEGGER, Schelling. Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809), in: ders., GA 42, 191. Vom Sein als Grund spricht W. Cramer als von einem »Sichsein« (W. CRAMER, Gottesbeweise und ihre Kritik. Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt 1967, 154). 264 Dazu genauer s. u. Exkurs V (S. 244ff).

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durch den Begriff der causa sui also mindestens sehr unzulänglich bezeichnet ist«.265 Dabei rekurriert er abstrakt auf das Sein Gottes als Freiheit.266 Bei dieser apodiktischen Feststellung bleibt freilich der Begriff göttlicher Freiheit in dem Sinne ungeklärt, dass nicht geprüft wird, ob nicht gerade »Freiheit« selber nur als causa sui gedacht werden kann.267 3. Zur Diskussion der Causa sui Resümiert man die Kritik am Konzept der causa sui, so sind es nach dem eben Ausgeführten (2.) vor allem vier Gesichtspunkte, die theologisch weiterhin zu bedenken sind; hinzu kommt als fünfter ein religiöser. 3.1. Am wichtigsten ist zunächst das Problem eines scheinbaren logischen Dilemmas der causa sui: Entweder ist Gott schon da – dann bedarf es nicht seines Sich-Hervorbringens –, oder er ist noch nicht da – dann kann er nicht sich »selbst« hervorbringen bzw. nicht »selbst« causa sein.268 Zu der Rede davon, »sein eigener Grund« zu sein, ist hier zunächst Folgendes allgemein zu bemerken (ehe in Abschnitt D. eine Lösung der Aporie vorgestellt wird). Die Logik, die dem Sachverhalt eigentümlich ist, resultiert daraus, dass, wenn jedes Ereignis eine Ursache hat und eine Ursache selber ein Ereignis ist, auch jede Ursache selber notwendig eine Ursache hat – und so in infinitum. Dieser endlose Regressus ist nur durch ein Ereignis zu überholen, das seine eigene Ursache ist. Damit ist etwas beschrieben, was Grund seiner selbst und zugleich auch selber das (sc. Selbst) ist, dessen Grund es ist. Wenn dieses »Zugleich« sich als Simultaneität denken lässt, dann muss es eine gewisse Differenz (eine Selbstunterscheidung) enthalten, die sich (unter gewissen Bedingungen) auch zeitlich darstellen kann. Beides (in in sich unterschiedener Einheit) zu sein (sc. Eigengrund und Eigenbegründetes), heißt, in zwei Richtungen zugleich sich zu bewegen: als das eine Selbst sozusagen in Richtung auf sich als Grund und in Richtung auf sich als (aus sich) Gegründetes. Dabei kommt dies eine Selbst von sich her (als sein eigener Grund) auf sich zu.269 265

BARTH, KD II/1, 344. Ebd. Cf. auch: »Sagen wir also, daß Gott a se ist, so sagen wir nicht, daß Gott sich selbst schaffe, hervorbringe, verursache …« (ebd.). 267 Cf. oben S. 186 Anm. 87 (Kant). 268 So referiert auch Hegel die in endlichen Verstandesbestimmungen befangene Kritik (hier gegen den »Anfang der Welt oder von Etwas«): »Es kann nichts anfangen, weder insofern etwas ist, noch insofern es nicht ist; denn insofern es ist, fängt es nicht erst an; insofern es aber nicht ist, fängt es auch nicht an« (HEGEL, Werke 5, 110). 269 Der Begriff »Werden zu sich« meint genau ein aus eigener Voraussetzung zu sich Kommen. Cf. Schelling: »Gott muß Etwas vor sich haben, nämlich sich selber, so gewiß er causa sui ist. Ipse se ipso prior sit necesse est, wenn es nicht ein leeres Wort ist, Gott sey absolut« (SCHELLING, Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen etc., in: ders., SW I/8, 62 (= Nachdr. 582). 266

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Außerdem ist zu beachten, dass, sich selbst zu begründen, immer auch einschließt, nach außen als Grund wirksam werden zu können (bzw. überhaupt ein »Außen« sein zu lassen). In einer causa sui gründet auch alles Grundsein bezüglich Anderem (theologisch: die Schöpfung). 3.2. Ein weiterer systematischer Kritikpunkt betrifft den Umstand, dass in Gott ein zeitlicher Unterschied als undenkbar erscheint.270 Nach dem üblichen Verständnis von causa sui müsste Gott aber sowohl früher als auch später als er selber sein, was absurd ist. Darum wird in der Tradition stets die Ewigkeit Gottes (semper esse) bzw. seine ewige Unveränderlichkeit (immutabilitas) betont. Sowenig nun ein »schlechthin zeitloses sich selbst Erzeugen« im Sinne R. Rothes weiterhilft,271 so deutlich zeichnet sich ab, dass die oben (3.1.) erwähnte »Simultaneität« auch auf das Verhältnis von Gottes Ewigkeit und Zeit (Geschichte) auszuweiten ist, wenn Gottes lebendiges Sein als ein (noch näher zu bestimmendes) Zugleich von Sein und Werden christlich soll gedacht werden können (cf. unten Abschnitt E. [S. 230ff]). 3.3. Auch für causa sui scheint gelten zu müssen, dass sie unvermeidlich einen ontologischen Unterschied von causa und causatum einschließt, so dass Gott als sein eigener Grund zugleich seiend und nichtseiend gedacht werden müsste. Oder auch: In Gott würden Wirklichkeit (actus) und Möglichkeit (potentia) differieren. Um diese endliches Seiendes kennzeichnende Spaltung im Falle Gottes zu vermeiden, wurde er (besonders seit Thomas von Aquin) als actus purus, reine, absolute Selbstwirklichkeit, begriffen. Demgegenüber hat eine spekulative Interpretation der causa sui logisch zu zeigen, dass eine streng gedachte »Selbstbegründung« auch des Zwanges enthebt, Gott abstrakt eine Möglichkeit seiner selbst vorauszusetzen (was Leibniz gegen Descartes eingefordert hat). Indem Gott »a se« ist, ist er auch »per se« (real) möglich – und nur so. Gott ist »ex se« seine eigene Möglichkeit, indem er wirklich ist. 3.4. Die übliche Alternative zu den unter 3.1.–3. benannten Schwierigkeiten besteht darin, statt der causa sui eine unmittelbare Implikation einfach zu behaupten: Gottes Wesen ist auch (schon) bzw. impliziert seine Existenz.272 Dagegen soll hier zur Geltung gebracht werden, dass – auch einmal von Kants grundstürzender Frage ganz abgesehen – dieser Zusammenhang einer 270

Dieser Einwand erscheint bei W. Pannenberg in folgender Form: »Der Begriff des Subjektes geht also hier seiner Entfaltung voraus, damit von ihm her diese Entfaltung als notwendig erkannt erkannt werden kann« (W. PANNENBERG, Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland, UTB 1979, Göttingen 1997, 286). Was hier Hegel vorgeworfen wird, betrifft das angebliche Eintragen eines zeitlichen Nacheinanders in Gott und seine Ewigkeit (a.a.O. 287). Dabei ist die Logik der Selbsthervorbringung verkannt, bzw. Pannenberg argumentiert hier, wie die traditionelle formallogische Kritik es tut: Gott müsse erst dasein, um sich dann hervorzubringen. 271 S. o. S. 198 bei Anm. 192. 272 Cf. oben S. 196f zur Kritik Hegels an Spinoza.

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Implikation selber Gott gemäß sein muss. Wenn gedacht werden soll, dass Gott absolut als ihm selbst (als absolutem Selbst) das esse a se zukommt, dann muss er auch »per se« a se esse. Das heißt, sein esse a se muss zugleich sein agere a se sein.273 In solcher Selbstbezüglichkeit bzw. Selbstanwendung des »a se« auf es selbst erst ist Gott als absolute Einheit von Form und Inhalt seines Seins gedacht und ist er absolut Er Selbst als Selbst. So ließe sich der Formel der griechischen Kirchenväter von Gott als αὐτόθεος ein gedanklicher Sinn abgewinnen: Was Gott und dass Gott als Gott ist, das ist er durch und aus sich selber, d. h. auf absolut selbsthafte Weise er selbst, das absolute Selbst. Der Satz des Thomas: Deus »vult se esse Deum«274 kann so unter neuzeitlichen Bedingungen zum Verständnis der absoluten Subjektivität Gottes fruchtbar gemacht werden. Gott ist demnach, was Hegel bereits vom absoluten »Begriff« (Logos) sagt, nicht »die Ursache mit dem Scheine, ein Anderes zu wirken, sondern das Wirkende seiner selbst«.275 Um die absolute Selbstmächtigkeit von Gottes Sich-selbst-Setzen festzuhalten, kann auch (konkreter) seine Aseität im Sinne einer vollkommenen Einheit von »Insichselberseyn« und »Aussichselberseyn« und somit als schlechthinnige Freiheit bestimmt werden.276 Causa sui ist Gott also in der lebendigen Entscheidung aus sich – für sich. In diesem Sinne ist Gott das absolut durch sich selbst bewegte Sein.277 3.5. Schließlich ist hier kurz eines spezifisch religiösen Einwandes Erwähnung zu tun. Der Philosoph M. Heidegger hat ihn gegen den Begriff der causa sui geltend gemacht. Zu »causa sui« schreibt er: »So lautet der sachgerechte Name für den Gott in der Philosophie. Zu diesem Gott kann der Mensch weder beten, noch kann er ihm opfern. Vor der Causa sui kann der Mensch weder aus Scheu in die Knie fallen, noch kann er vor diesem Gott musizieren und tanzen«.278 Sieht man einmal von der Differenz zwischen unmittelbarem religiösen Vollzug und begrifflicher Reflexion darüber ab, die Heidegger hier nicht zu berücksichtigen scheint, so ist gegen ihn, was das Beten betrifft, zu behaupten: Es ist genau umgekehrt, wie er meint: Gerade 273

Cf.: »Idem autem est in eo esse quod agere« (Boethius). STh I q. 41, a. 2 resp.; zitiert bei BARTH, KD I/1, 456. 275 HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, § 163, in: ders., Werke 8, 311. Zur »Selbstverwirklichung« s. u. Exkurs V (S. 244ff). 276 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 185 Anm. 74), 80 (§ 135); cf. auch § 192. Hieran könnte K. Barth angeknüpft haben. 277 Cf. CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik, Bd. I, Leipzig 1855, 449f (§ 423), 465 (§ 434), 461 (§ 438); ähnlich v. Frank sowie später häufig K. BARTH (cf. KD II/1, 338 und 301). 278 M. HEIDEGGER, Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik (1956/57), in: ders., GA 11, 77. Heidegger fährt fort: »Demgemäß ist das gott-lose Denken, das den Gott der Philosophie, den Gott als Causa sui preisgeben muß, dem göttlichen Gott vielleicht näher« (ebd.). 274

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(und nur) indem das Gebet der Ort ist, wo Gott sich bei uns hervorbringt, kann in Kraft dessen allererst wahrhaft gebetet werden. Jedenfalls ist zu fragen, ob man nicht die Möglichkeit und Wirklichkeit des Betens zu Gott selber theologisch nur verstehen kann, wenn man Gottes Sein von der »causa sui« her denkt.279 Das besagt: Dieser Begriff von Gott artikuliert die Bedingungen, unter denen ein Gebet als theologisch wahr gedacht werden kann.280 Dies ist auch dagegen zu sagen, wenn – offensichtlich unter Heideggers Einfluss – der Theologe G. Ebeling über die causa sui, die er bloß als Ausdruck »schlechthinniger Unabhängigkeit und Selbständigkeit« Gottes fassen will, sagt: Diese »metaphysische Intentionsangabe des Wortes Gott« bleibe »völlig unzureichend, wenn nicht irreführend, gemessen an dem genuinen religiösen Gebrauch des Wortes Gott«.281 Die Frage nach der theologischen Legitimität des causa-sui-Konzeptes entscheidet sich aber der Sache nach an der Frage, ob und wie Gottes Sich-Hervorbringen und Wort Gottes (einschließlich des Wortes »Gott«) zusammengehören.282

D. Der Sich-selbst-Setzende 1. Logik der Causa sui (Hegel) Soll Gott als der Sich-selbst-Hervorbringende gedacht werden können, so ist die grundlegende und über alles weitere entscheidende Bedingung dafür, eine logische Auflösung der oben benannten Aporie im Begriff der »causa sui« angeben zu können.283 Eine solche stellt Hegels Logik mit dem Gedanken des Sich-selbst-Setzens der Gotteslehre bereit: »Das Aufheben eines Vorausgesetzten ist der verschwindende Schein; erst indem das Unmittelbare aufhebenden Tun wird dies Unmittelbare selbst, oder

279 Es lässt sich zeigen, dass Heideggers Begriff von der »Existenz« als dem vom Dasein als sein Sein zu Ergreifenden etwas ist, das das Dasein (im Werden zu sich) immer erst hervorzubringen hat! Cf. J. RINGLEBEN, Freiheit und Angst. Heidegger zwischen Schelling und Kierkegaard, in: N. Fischer/F.-W. v. Herrmann (Hgg.), Heidegger und die christliche Tradition, Hamburg 2007, 219–244, hier 229–231. 280 Denn zu Gott zu beten, ist nicht ein reales Gespräch mit einem einfachen Gegenüber, weil Gott als der Allgegenwärtige und Allwissende uns immer auch schon bei uns zuvorkommt. Das Gebet transzendiert die Ich-Du-Struktur (Subjekt-Objekt-Relation). Im wahren Beten setzt Gott sich als Gott in unserm Verhalten zu ihm selber durch; d. h., durch unser Gebet hindurch, wenn es bei Gott ist, vermittelt sich Gott mit sich selber, und unser wahres Gewahrsein Gottes (und unserer selbst vor ihm) im Gebet ist Gottes Wissen von sich, so dass das Gebet der Ort ist, wo Gott sich für sich selber realisiert. 281 EBELING, Dogmatik I (wie oben S. 172 Anm. 3), 185. 282 Zum Gebet im Horizont von Gottes Sich-Hervorbringen s. u. S. 224, 225 und 239. 283 Cf. oben Abschnitt C. 3.1. (S. 193ff) und oben bei Anm. 260.

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ist jenes Scheinen; das Anfangen von sich selbst ist erst das Setzen dieses Selbsts, von dem das Anfangen ist«.284 Es geht hier der Sache nach um ein Sich-Setzen im (oder: als) Sich-(sichselber-)Voraussetzen285 bzw. um das Sich-selbst-Setzen als Anfangen von sich selbst: das Sich-Entzweien als ein Sich-zu-der-Einheit-hin-Aufhebendes, die sich in der Entzweiung schon darstellt. Dabei hebt sich der Schein zweier unmittelbar gegebener Instanzen (sc. des Vorausgesetzten und des Setzenden) auf. Ihr wahres Verhältnis ist das des (im Sich-Unterscheiden) Mit-sichZusammengehens.286 Indem das Vorausgesetzte den Schein unmittelbarer Gegebenheit abgibt und mit dieser Aufhebung das es voraus Setzende, zu dem hin es sich aufhebt, ebenfalls solchen Schein eines unmittelbar Ersten verliert,287 hebt sich in der Gegenläufigkeit dieses doppelten Aufhebens das Aufheben selber auf, ist als »der verschwindende Schein« eines Werdens von einem Ursprünglichen zu einem Anderen, Abgeleiteten.288 So ist das Werden von dem einen zum anderen zugleich nur ein verschwindender Schein, nämlich als gäbe es ein unabhängiges Vorausgesetztes, bzw. ist das »Aufheben eines Vorausgesetzten« (als solchen), weil nämlich Voraussetzen schon ein Setzen ist, und ihr voneinander Unterschiedensein ist »zeitlos vergangen«.289 So ist das »Werden« hier ein »Aufheben des Setzens in ihrem Setzen«,290 und genau so ist das Voraussetzen bzw. die Unmittelbarkeit eines Vorausgesetzten ein Scheinen, das sich durch sich selber aufhebt. Aber dieses Sich-Aufheben bzw. Verschwinden ist zugleich ein »Setzen«, denn erst in diesem »das Unmittelbare aufhebenden Tun« wird dies Unmittelbare als solches, d. h. setzt es sich selber und kommt es auch zum Scheinen jenes Vorausgesetzten.291 Genauer: Im Aufheben selber kommt es erst (im Rückgang dahin) zu dem »Unmittelbaren selbst«, das sich in der Voraussetzung erst noch (oder: schon) vorweg war. Das Verschwinden der unmittelbaren Voraussetzung ist das Werden des wahren Unmittelbaren,292 und nur so hat der Schein ein Sein. Daher gilt: »Die Unmittelbarkeit kommt überhaupt nur als 284

HEGEL, Wissenschaft der Logik II (»Das absolute Verhältnis«), in: ders., Werke 6,

220. 285

Zum Verhältnis von »Setzen« und »Voraussetzen« cf. schon a.a.O. 26. Denn »das Übergehen in anderes ist Reflexion-in-sich selbst; die Negation, welche Grund der Ursache ist, ist ihr positives Zusammengehen mit sich selbst« (a.a.O. 239). 287 »Denn die Voraussetzung der Rückkehr in sich, – das woraus das Wesen herkommt und erst als dies Zurückkommen ist –, ist nur in der Rückkehr selbst« (a.a.O. 27). 288 Es geht um ein Werden als »zugleich ebensosehr nur Scheinen« (a.a.O. 239). 289 A.a.O. 13. 290 A.a.O. 27 (Hervorh. J. R.). Cf. zum Voraussetzen als »das auf das Setzende zurückschlagende Setzen« (a.a.O. 84). 291 Cf. entsprechend: »Dies Vorgefundene wird nur darin, daß es verlassen wird« (a.a.O. 27). 292 Mithin gilt »die Rückkehr aus demselben [sc. dem Unmittelbaren, von dem angefangen wird] … erst als das Setzen des Unmittelbaren nach seinem wahren Sein« (a.a.O. 31). 286

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Rückkehr hervor«.293 Das besagt: Die Vermittlung stößt sich ab zu wahrer Unmittelbarkeit, und diese ist, was sie ist, als aufgehobenes Werden zu ihr. Indem die wahre Unmittelbarkeit das ist, was in der Vermittlung mit sich selbst sich vermittelt, ist gerade das »aufhebende Tun« erst das Setzen der Unmittelbarkeit, die ihren Vor-schein in der Voraussetzung von sich absetzt. Damit ist man bei dem letzten Teil unseres leitenden Zitates: Das Anfangen von sich selbst (im sich sich selber Voraussetzen) ist überhaupt allererst das Setzen genau dieses Selbstes, von dem in Wahrheit der Anfang (mit einem Vorausgesetzten) ausgeht. Oder auch: Ein Anfangen »von sich selbst«, indem es Setzen und Auflösen des Scheins einer Voraussetzung zugleich ist, ist nichts anderes als Sich-Setzen des Selbst, das darin wahrhaft mit sich anfängt. Das Anfangen von sich selber ist ebenso Herausgehen aus sich wie zugleich Rückkehren zu sich. Denn das Voraussetzen ist nichts anderes als ein (sich in sich umkehrendes) Setzen. Diese Reflexion in sich ist somit »die Bewegung, die, indem sie die Rückkehr ist, erst darin das ist, das anfängt oder das zurückkehrt«.294 Das Selbst ist nur, indem es aus dem Unterschied zu sich auf sich zurückkommt; indem es »anfängt«, ist es im Rückstoß das Selbst, das anfängt. Das Hinausgehen über den Anfang des Vorausgesetzten ist als Zurückkehren aus dem Schein nur das Ankommen des wahren Anfangs bei sich, sein Sein als Selbst-Anfang. Die Bewegung von sich aufhebender Unmittelbarkeit zu sich darin herstellender Unmittelbarkeit295 ist als solche Bewegung selber die Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung und ihre Entzweiung zumal. Indem das Setzen des Selbst als Ankommen bei sich nur ist im Herausgehen aus sich, ist ebenso wahres Anfangen mit sich schon das Zurückkehren in sich, d. h. Werden zu sich.296 Werden zu sich ist ein sich in sich selbst entzweiendes Tun oder Geschehen, indem es zweierlei in einem setzt: 1. sich (»voraus«) als unmittelbaren Ausgangspunkt und 2. sich als »davon ausgehende« Tätigkeit – ein Prozess, der sich in seinen eigenen Anfang und Vollzug unterscheidet bzw. als Sich-von-sich-Abstoßen er selbst ist.297 Hiermit aber ist das in Rede stehende »Selbst« als Einheit in der konstitutiven Entzweiung von sich gedacht: »Die reflektierende Bewegung ist somit … als absoluter Gegenstoß in sich selbst zu nehmen. Denn die Voraussetzung der Rückkehr in sich – das, woraus das Wesen herkommt und erst als dieses Zurückkommen ist –, ist nur in der Rückkehr selbst. Das Hinausgehen über das Unmittelbare, von dem die Reflexion anfängt, ist vielmehr erst durch dies 293 A.a.O. 27. Der Satz geht weiter: »und ist dasjenige Negative, welches der Schein des Anfangs ist, der durch die Rückkehr negiert wird«. 294 A.a.O. 26. Cf. auch 223 (causa sui). 295 »Das Übergehen oder Werden hebt in seinem Übergehen sich auf« (a.a.O. 24). 296 Dazu cf. unten Abschnitt E. (S. 230ff). 297 Cf. unten S. 234 Anm. 405.

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Hinausgehen; und das Hinausgehen über das Unmittelbare ist das Ankommen bei demselben. Die Bewegung wendet sich als Fortgehen unmittelbar in ihr selbst um, und ist so nur Selbstbewegung«.298 Mit dieser Figur des »Gegenstoßes« in sich selbst299 ist das Sich-selbstSetzen zugleich als die Dialektik des Lebens (als in sich bewegt) begriffen. Zunächst ist festzuhalten: »Die Rückkehr des Wesens ist somit sein sich Abstoßen von sich selbst«.300 Das bestimmt diese Einheit bzw. Selbstgleichheit faktisch als lebendige: »Es ist das Aufheben seiner Gleichheit mit sich, wodurch das Wesen erst die Gleichheit mit sich ist«.301 Damit kann der Begriff des Sich-selbst-Setzens als Resultat festgehalten werden: »Es setzt sich selbst voraus, und das Aufheben dieser Voraussetzung ist es selbst«.302 2. Erläuterungen Soll unter Inanspruchnahme dieser Dialektik das Sein des lebendigen Gottes als dessen, der nicht nur Resultat, sondern auch Voraussetzung seiner selbst ist, gedacht werden, und das heißt, das Sein dessen, der »ewig sich hervorbringt« und so »der Weg des Absoluten [ist], für sich selbst zu werden«,303 so scheint es angebracht, das eben (1.) konzentriert Vorgeführte noch einmal paraphrasierend zu erläutern. Es geht um ein Sich-selbst-Setzen als das Anfangen von sich selbst. Dies ist nur als ein sich entzweiendes Geschehen zu denken. Das Ankommen bei sich (als Setzen des Selbst) ist zugleich (als Anfangen) ein Herausgehen aus sich, das aber nur das Zurückkehren in sich und so Werden zu sich ist.304 Dabei ist (als Sich-Abstoßen seiner von sich) zweierlei in einem gesetzt: 1. ein Sich-(voraus-)Setzen als unmittelbaren Ausgangspunkt und 2. ein Sichals-davon-ausgehende-Tätigkeit-Setzen. Man kann auch sagen, dieser Prozess 298 A.a.O. 27f. Zur »Selbstbewegung« s. u. Abschnitt E. 3. In den Prolegomena wurde entsprechend gezeigt, dass religiös unsere Bewegung auf Gott zu sich umkehrt (»umwendet«) in Gottes Selbstbewegung zu uns und bei uns bzw. dass unser Voraussetzen Gottes (z. B. in der Gebetsanrede) sich umkehrt in Gottes Sich-Voraussetzen in uns bzw. SichHervorbringen an unserm Ort (cf. oben »Einführende Überlegungen«, S. 3f u. ö.). Entsprechend ließe sich Schleiermachers bekannte Sentenz spekulativ interpretieren: »Vielleicht kommt auch die Sache [sc. des Christentums] dadurch wieder zu Stande, daß man sie voraussezt« (F. D. E. SCHLEIERMACHER, Sämmtliche Werke, 2. Abth.: Predigten, Bd. I, Berlin 1834, 11; unpaginiert). 299 Schon J. Böhme hat ähnlich vom »Gegenwurf« gesprochen. In Hegels Religionsphilosophie cf. HEGEL, Werke 16, 70. 300 A.a.O. 27. Cf. 176: »das Abstoßen ihrer von sich ist ihr eigenes Setzen«. 301 A.a.O. 27. 302 Ebd. Umgekehrt gilt: »dies Aufheben seiner Voraussetzung [ist] die Voraussetzung selbst«, d. h. das Voraussetzen (ebd.). 303 HEGEL, Werke 16, 34. 304 Zum »Werden zu sich« s. u. Abschnitt E. (S. 230ff).

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unterscheidet sich in sich: in seinen eigenen Anfang und seinen Vollzug seiner.305 So, und nur so, ist denkbar, dass Gott »mit sich« anfängt, ohne doch »vorher« schon da zu sein. Im (sich aufhebenden) Schein solcher Zweiheit ist er Einer, wirklich er selbst; d. h.: Indem die Entzweiung als Schein zugleich aufgehoben wird, ist sie die Einigung seiner mit sich selbst (als Selbst). Als die Selbstvermittlung des Scheines von zwei Momenten mit sich ist Gott das Hervorgehen seiner selbst: »von sich« (a se). Dieser Prozess der sich durch die eigene Vermittlung herstellenden Unmittelbarkeit Gottes für sich ist nur als das Aufheben des Scheines, der er selber auch ist.306 Denn aus der Voraussetzung seiner selbst geht er auf sich zurück, und das ist identisch damit, dass er im Sich-von-sich-Abstoßen sich sich selber voraussetzt.307 Das besagt: Das Leben Gottes ist ein Ganzes, das sich als Schein zweier Momente darstellt; aber dies Scheinen ist nur die Bewegung seiner eigenen Aufhebung als Hervorgehen der Einheit Gottes mit sich: »durch sich« (per se). Weil beides aktuell eins ist als Gottes Selbst, kann man von dieser sich zur eigenen Unmittelbarkeit vermittelnden Einheit als von einem »ruhigen Hervorgehen ihrer selbst« sprechen308 – »aus sich selbst« (ex se). Setzen und Aufheben der Unterschiede in Gott (als Selbst-Unterschiede) fallen im dialektischen Sich-in-sich-Umwenden aktuell zusammen; daher gibt es in Gott selber keine zeitliche Abfolge und, was sein eigenes Leben angeht, keine ontische (seiende) Differenz. Damit ist Gottes »Aseität« ebenso als lebendig wie auch der Begriff seiner Ewigkeit beschrieben.309 Denn sein 305

Cf. HEGEL, Werke 9, 38: »der ewige göttliche Prozeß ist ein Strömen nach zwei entgegengesetzten Richtungen, die sich schlechthin in Einem begegnen und durchdringen« (Enz., § 252 Zus.). 306 Der hier vorgestellte theologische Gedanke der causa sui entspricht der Reflexionslogik des Hegel’schen Begriffs vom »Wesen« (Wissenschaft der Logik II). Dazu schreibt Ch. Iber: Hegel »entreißt die Reflexionslogik dem ihr vermeintlich zugrundeliegenden Subjekt und faßt sie als objektive Bewegungsform des Denkens [hier: Gottes] auf, in welcher sich das Subjekt allererst konstituiert, statt Konstitutionsbedingung zu sein. … Dabei zeigt sich, daß jener falsche Zirkel der [traditionellen] Reflexionsphilosophie seine Fehlerhaftigkeit …. der Tatsache [verdankt], daß die Zirkularität nicht als Prozeß begriffen worden ist. … Die ›absolute Reflexion‹ ist eine substratlose Bewegung und bedarf keines zugrundeliegenden Subjekts, wie in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie« (CH. IBER, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York 1990, 137; Hervorh. J. R.) 307 Cf. was Kierkegaard über das Verhältnis von Bewusstsein und Unmittelbarkeit sagt: »Wie aber wird … die Unmittelbarkeit aufgehoben? Durch die Mittelbarkeit, welche die Unmittelbarkeit aufhebt, indem sie sie voraussetzt« (S. KIERKEGAARD, De omnibus dubitandum est, in: ders., GW 10, 154f). 308 HEGEL, Werke 6, 220, cf. auch oben bei Anm. 301. 309 Cf. bei J. König: »Ewig ist das, was in sich selbst den Grund seiner Erschaffung hat. … Das Ewige ist ein Erschaffenes, das also noch nicht war; indem es sich aber durch das

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absolutes Sich-selbst-Setzen bedeutet immer auch sein Sich-in-seinem-SeinHalten.310 Es ist nach dem Ausgeführten festzuhalten: Unter Bezug auf Hegels Logik der »Reflexion in sich« von Voraussetzen und Setzen bzw. des »absoluten Gegenstoßes in sich selbst«311 lässt sich das fragliche Theorem der »causa sui« logisch konsistent von Gott aussagen – als seine absolute Selbstvermittlung.312 3. Gottes Sich-Hervorbringen (Tradition) Im logischen Feld des angeführten Hegel’schen Gedankens lassen sich nun – außer den oben (Abschnitt C. 1.) mitgeteilten Belegen für eine Affirmation des causa-sui-Theorems – auch die Hinweise aufnehmen, die sich für Gottes Sich-Hervorbringen immer wieder in der Tradition finden. So heißt es bei Platon von Gott: ἐργάζεται τά τε ἄλλα καὶ ἑαυτόν,313 und von Seneca wird die Formulierung überliefert: »Alius nos edidit, alius instruxit: Deus ipse se fecit«.314 Auch bei Johannes Scotus Eriugena findet sich: »Deus seipsum fecit«, um Gott als absoluten Grund seiner selbst in zeitloser Prozessualität zu denken.315 Es darf hier auch daran erinnert werden, dass auch vom »Reich Gottes« in Jesu Munde gilt, dass es sich selbst hervorbringt (αὐτοµάτη, Μk 4,28).316

Erschaffen findet als sein eigener Grund, negiert es das Erschaffen« (KÖNIG, Der Begriff der Intuition [wie oben S. 196 Anm. 176], 89). Cf. das Goethe-Zitat unten bei Anm. 317. 310 Damit ist das scholastische Axiom: »agere sequitur ad esse in actu« (Thomas, ScG III 69 und STh III, q. 34, a. 2 ad 1. sowie NINK, Philosophische Gotteslehre [wie oben S. 187 Anm. 93], 77) für Gott außer Kraft gesetzt. 311 Cf. zur Dialektik der Selbstvoraussetzung das Zitat oben bei Anm. 302. Sie wendet Hegels Spinoza-Kritik positiv in einen lebendigen Begriff von causa sui (s. o. S. 196f). 312 Vom Gedanken göttlicher »Selbstbewegung« aus ist später der Begriff von Gottes Selbstsein zu entwickeln (§ 3). 313 Politeia X, 596c 10. 314 Aus den (verloren gegangenen) »Exhortationes«, zitiert bei Lactanz, Div. inst. I 7 (PL 6, 153). Von einem Sich-selbst-Hervorbringen des (menschlichen) »Ich« (moi) kann hingegen bei J. Lacan gesprochen werden (cf. G. PAGEL, Jacques Lacan zur Einführung (1989), 30); anders aber s. o. S. 197 Anm. 183. 315 Div. nat. III, 17 (PL 122, 674). Cf. auch: »a seipso esse incipiens et per seipsum seipsum movens, et ad seipsum motus, et in seipso quiescens« (a.a.O. 677). 316 Cf. dazu genauer: J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 390ff. Zur Selbsterzeugung des göttlichen Lebens cf. ausführlich M. HENRY, Christi Worte, übers. von M. de Coulon, Freiburg 2010, 102–111. Auch vom πνεῦµα gilt nach Joh 3,6b.8, dass es sich aus sich selber hervorbringt, was zugleich Gottes Sich-Hervorbringen am Ort des glaubenden Menschen ist; cf. meine Interpretation in J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 196ff (Zweiter Teil, Kap. I, 3.a) und unten bei Anm. 318.

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Auch in der klassischen Dichtung, sofern sie philosophisch-theologische Ambitionen hat, finden sich entsprechende Zeugnisse. So trifft man bei Goethe die feierliche Proklamation: »Im Namen dessen, der sich Selbst erschuf! / Von Ewigkeit in schaffendem Beruf«.317 In engem sachlichen Zusammenhang damit lässt sich auch der berühmte Satz des Novalis auffassen: »Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis«.318 In der nachkantischen Philosophie gibt es gleichfalls entsprechende Gedanken. So heißt es bei Schelling von Gott, der alles, was er ist, durch sich selbst ist und von sich selbst ausgeht, um zuletzt wieder auch rein in sich selbst zu endigen: »Also mit Einem Wort: Gott macht sich selbst«.319 Hegel spricht schon 1801 von der »Selbstkonstruktion des Absoluten«.320 Der Begriff einer Selbsthervorbringung Gottes findet sich auch bei Theologen des 20. Jahrhunderts.321 Heißt es bei Hegel im oben (1.) behandelten Zusammenhang vom eigenen Tun des sich auslegenden Absoluten, dass es »bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt«,322 so ist es nicht weit zu dem Gedanken eines unbedingten Anfangs Gottes mit sich bei K. Barth: »Eben der in seiner Offenbarung so mit sich selber Anfangende ist der von Ewigkeit her mit sich selbst Anfangende und so der eigentlich und notwendig Existierende«.323 Entsprechend kommt es Gott zu, »seine Existenz innerhalb der von 317 GOETHE, Gedichte, Gott und Welt, »Proömium« (wie oben S. 176 Anm. 26), 509. Hier gilt freilich ebenso wie von den verwandten, oben angeführten Formulierungen J. Königs (cf. oben bei Anm. 309), dass die Rede vom »Erschaffen« für Gott selber theologisch problematisch ist; cf. auch oben S. 176 Anm. 26 und S. 194 Anm. 156. 318 NOVALIS, Schriften II (wie oben S. 174 Anm. 19), 412 (5.); zitiert bei ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 184 Anm. 70), 110, cf. 139. Cf. ähnlich Schelling: »denn das Göttliche ist eben das, was gar nicht anders denn wirklich seyn kann« – eine Wirklichkeit, die als absolute Selbstverwirklichung aufzufassen ist (SCHELLING, SW 1, 57 [1806]). 319 SCHELLING, Stuttgarter Privatvorlesungen (1810), in: ders., SW I/6, 432 (= Nachdr. 376). 320 HEGEL, Werke 2, 111, 321 Zu Kähler, Althaus, Tillich und Pannenberg s. o. S. 202f. Gegen bestimmte Gottesbegriffe der modernen protestantischen Theologie wie z. B. Gott als »die alles bestimmende Wirklichkeit« (Bultmann u. a.) oder »Grund des Seins« (Tillich) ist einzuwenden, dass sie zwar nicht unrichtig sind, aber unartikuliert lassen, wie man zu diesen Gedanken gelangt, und das bedeutet, der Weg zu ihnen gilt nicht als prinzipiell mit in den Begriff selbst hinein gehörig. Dabei wird die Frage übersprungen, wie Gott das selber (von sich her) ist (lebt), was er derart sein soll. Ein zureichender Begriff von Gott ist aber theologisch als eine Weise seiner Vergegenwärtigung zu begreifen, und die muss immer auch Selbstvergegenwärtigung Gottes sein. So müsste es heißen und entsprechend gedacht werden: Gott ist »der sich zum Grund des Seins selber Machende« etc. 322 HEGEL, Werke 6, 190. Cf. a.a.O. 196: »das Absolute ist wesentlich sein Resultat« bzw. Rückkehr »aus sich selbst zu sich« (a.a.O. 213), was einem Werden zu sich entspricht. 323 BARTH, KD II/1, 343. Unter einem »Subjekt« versteht Barth überhaupt »ein in seinem eigenen Sein sich selber Setzendes« (KD III/2, 231).

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ihm verschiedenen Wirklichkeit selbst zu beweisen«.324 Dabei ist, was das mit sich selbst Anfangen angeht, vorausgesetzt, dass »seine Existenz nicht anders, denn als eben mit oder vielmehr in seiner Existenz selbst zu begründen« ist.325 Daher sagt auch Barth von Gott: »Er ist sein eigener Hervorbringer und er ist … sein eigenes Hervorgebrachtes«.326 4. Gottes Sein im Werden Im Anschluss an Hegels Logik der Identität von Sich-selbst-Setzen und SichVoraussetzen (oben 1.) soll Gott als der sich selbst Hervorbringende, indem sich selbst sich Voraussetzende gedacht werden.327 Das bedeutet, Gott als Werdender zu sich ist zugleich ewig bei sich, er selbst, und seine Identität ist »dies reine Herstellen aus und in sich selbst«.328 Damit ist Gottes Sein wirklich als ein prozessuales Sein gedacht, das seine lebendige Einheit mit sich in Gestalt der Entzweiung in Werden und Sein (d. h.: immer schon sein)329 bzw. in Prozess und Grund330 und in Zeit und Ewigkeit hat.331 4.1. Gott und das Nichts Die hier noch folgenden Näherbestimmungen und Erläuterungen dieses Gottesbegriffs setzen mit einer theologisch gewichtigen Frage ein. Angesichts einer Formulierung wie der von Goethe über das »Sich selbst Erschaffen« Gottes332 stellt sich die Frage: Muss das Sich-Hervorbringen (auch als permanentes) nicht als ein (Sich-)Erschaffen aus dem Nichts gedacht werden?

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BARTH, KD II/1, 342. Cf. ähnlich Novalis oben bei Anm. 318. A.a.O. 342. Das kann trotz Barths Kritik an H. Schell (s. u. Exkurs V [S. 244ff]) gesagt werden. 326 BARTH, KD I/1, 384, ebenso 387 (in trinitarischem Zusammenhang). 327 Hegel spricht von Gottes ewigem Sich-Erzeugen (Werke 17, 223; 19, 159) bzw. Sich-Erzeugen des Geistes (Werke 10, 394 [Enzykl., § 576]; cf. 17, 494–496); weitere Belege bei M. RIEDEL, Das Sein des Geistes als Herstellung, in: ders., Theorie und Praxis im Denken Hegels, Ullstein Tb 3238, Frankfurt 1976, 51ff. 328 HEGEL, Werke 6, 39. 329 Zum »Werden zu sich« s. u. Abschnitt E. (S. 230ff). 330 Zur Abgrenzung von der bekannten »Prozesstheologie« cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 192 Anm. 145), 230 Anm. 72. Cf. J. ENXING, Gott im Werden. Die Prozesstheologie Charles Hartshornes, Regensburg 2013. 331 Zum Unterschied von der abwegigen Vorstellung eines »werdenden Gottes« s. u. Abschnitt E. bei Anm. 387. 332 S. o. bei Anm. 317. 325

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Darauf kann nur mit einem entschiedenen Nein geantwortet werden, denn in einem solchen Fall würde gar nicht Gott als Gott gedacht, weil er am Nichts seine Grenze fände.333 Sondern Gott bringt sich – statt aus dem Nichts – »aus sich selbst« hervor; er ist nur, indem er die stetige Quelle seines eigenen unendlichen Seins und allen Seins ist, weil er sich »durch sich selbst« im Sein hält.334 Mithin gilt: Gott »erschafft« sich nicht – nur von ihm Verschiedenes erschafft er –, denn durch sein Von-sich-her-Sein ist so etwas wie das Nichts gerade ewig überwunden. Gottes aus sich quellendes Sein und Leben kommt dem Nichts gleichsam immer schon zuvor, nimmt ewig dessen »Ort« selber ein. Gott »erschafft« nicht sich »aus« dem Nichts – dann hätte er einen zeitlichen Anfang –, sondern setzt sich »voranfänglich« aus sich selber und durch sich selber.335 Er bleibt, indem er von sich her ist (sich sich voraussetzend), stets auch in sich. Darum ist er in der göttlichen Macht des Sich-Setzens ewig und ewig lebendig.336 Weiter gilt: Indem Gott sich von sich unterscheidet (sich-selber setzt und bestimmt, was als Differenz Negativität einschließt), macht er allererst ein »Nichts« möglich; aber indem er gerade so seine Einheit mit sich herstellt und lebt, ist das Nichts eodem actu (schon als Möglichkeit) ewig in ihm überwunden (aufgehoben). In Gott, dem ewig Lebendigen, ist das Nichts ewig verwundenes Moment seines Selbstseins, ewig beherrschte Bedingung seines Lebens. 333

Beim Cusaner liest man: »Mirabilis deus in quo non esse est essendi necessitas« (Nikolaus von Kues, De possest, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 300). Dieser Satz kann als Ausdruck von Gottes Selbsthervorbringung verstanden werden, in der Gottes (abstrakt vorstellbares) Nicht-Sein immer schon von seiner eigenen Notwendigkeit, (als er selbst) zu sein, überholt ist. Denn Gottes absolute Notwendigkeit (absoluta necessitas) besteht darin, dass er nicht nicht sein kann (ebd.). Cf. auch unten Anm. 415. Anders behauptet G. Leopardi: »Der Ursprung aller Dinge, und Gottes selbst, ist das Nichts« (LEOPARDI, Gedankenbuch [wie oben S. 181 Anm. 43]; cf. auch a.a.O. 292); denn nichts darf Gott vorausgehen (wie z. B. ewige Ideen oder eine Notwendigkeit), weil er als »unendliche Möglichkeit« sich seine eigene Notwendigkeit erst erzeugt (cf. oben Anm. 43; § 5 B. 2.2. [S. 350 Anm. 50 und Exkurs III [S. 164 bei Anm. 451]). 334 So, als Quell ewigen Lebens in sich, ist er – bzw. kann er sein – der ewige »Vater« für uns und alle Geschöpfe. 335 In diesem Sinne ist die Präzisierung der problematischen Redeweise durch W. Beierwaltes aufzufassen: »Sich selbst zu schaffen meint daher, daß Gott in einem zeitfreien Prozeß in sich selbst ›creativ‹ hervorgeht und damit sich selbst als sich denkende, sich aussprechende, sich selbst sehende und wollende Einheit vollzieht« (W. BEIERWALTES, Denken des Einen, Frankfurt 1985, 353). Cf. auch: »ein Ewiges, welches sich selbst konstituiert, ohne eines Anderen außer sich, d. h. eines Endlichen, zu seiner ›Selbstwerdung‹ zu bedürfen« (ebd.). 336 Cf. Nikolaus von Kues: »Posse vero nihil praesupponit, cum posse sit aeternitas« (Nikolaus von Kues, De possest, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 326). Andererseits bestreitet aber der Cusaner ein Werden Gottes: »Deus fieri non potuit, qui est ipsa aeternitas« (Doct. ign. II, 2, in: a.a.O. 1, 328).

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Dieses »Nichts« wird aktuell erst bei und in der Schöpfung. Ein »Nichts« als solches lässt Gott nur sein bzw. lässt er zu, indem er »frei« ein Anderes ihm gegenüber »schafft«. Mit diesem Anderen, das definitiv ein Nicht-GottSeiendes ist, ist zugleich »das Nichts« vorausgesetzt, »aus« dem er es »erschafft«.337 4.2. Gottes Anfangen mit sich Gott als der Sich-Setzende ist die lebendige Einheit von Aktualität und Ewigkeit.338 Das lässt nochmals nach dem Mit-sich-Anfangen-Gottes fragen. Die hierbei grundlegende Einsicht ist die folgende: Indem Gott gleichsam »anhebt« zu sein, ist er eodem actu »ganz« bzw. ewig.339 Daher ist auch ein »zeitliches« Anfangen Gottes, d. h. ein Mit-sich-Anfangen-in-der-Zeit (sein Sich-für-uns-gegenwärtig-Machen), zugleich in die Ewigkeit zurückreflektiert und sein Sein gleichsam Selbstverdoppelung: als zeitlich zugleich ewig. Ein absolutes Sich-Setzen ist auch nie ein bloßes Gewordensein, d. h. eine Tatsache, sondern ist stetiges Sich-Hervorbringen und so zugleich immer seiend. Aber auch im Werden ist es doch Sein und als Werden zu sich immer schon vollendet. Das Sich-Hervorbringen, ließe sich an Hegel anknüpfend sagen, bringt das »Sich«, dessen Hervorbringen (Genetivus subjectivus und objectivus) es ist, simultan mit hervor. Das bedeutet: Es gibt kein absolutes Anfangen, das nicht eigenes Sein des Anfangenden (absolutes Selbstsein) wäre. Der Anfangende ist dabei der »mit sich« Anfangende, der selber anfänglich und selbst Seiende. Wenn es heißt: »Am Anfang schuf Gott …« (Gen 1,1), bedeutet das: Auch dabei und damit zugleich brachte er sich selbst hervor, setzte sich als er selber und war selbst »der Anfang«; sonst käme es zu der aporetischen Frage: Was war »vor« dem Anfang? Gottes Sein ist absoluter Anfang, Anfänglichkeit schlechthin als Seinsweise des Ewigen, Anfang mit sich selber (und von daher erst auch Anfang von Zeit).340 337

Zur creatio ex nihilo siehe genauer unten § 8 D. (S. 465ff). Cf. das Barth-Zitat oben bei Anm. 323. 339 Cf. Pascal: »L’Etre éternel est toujours, s’íl est une fois« (PASCAL, Pensées, Frgm. 559b [Brunschvicg]); Frgm 559 sagt dasselbe vom Offenbarsein (»parait«). Nach Humboldt gilt Ähnliches von der »organischen« Natur der Sprache: »Es kann auch die Sprache nicht anders, als auf einmal entstehen, oder um es genauer auszudrücken, sie muss in jedem Augenblick ihres Daseyns dasjenige besitzen, was sie zu einem Ganzen macht« (HUMBOLDT, GS 4, 3). Wenn sie sich (in sich) »wiederholt«, heißt das, sie setzt in jedem Moment sich schon als Ganzes voraus, was entsprechend von Gottes »Sich-Wiederholen« gilt. 340 Cf. Schelling: »Dieser [sc. Gott] also hat nur insofern keinen Anfang, als er keinen Anfang seines Anfangs hat. Der Anfang in ihm ist ewiger Anfang, d. h. ein solcher, der von aller Ewigkeit her Anfang war, und noch immer ist, und auch nie aufhört Anfang zu sein« (SCHELLING, Die Weltalter, in: ders., SW I/8, 225 = Nachdr. 31; ähnlich ders., Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 258). Dass Gott »Sich selbst Anfang ist« 338

§ 2 Der Begriff Gottes

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Der Begriff Gottes impliziert die Ewigkeit des Anfangens und das SichSetzen des Ewigen; so ist Gott zugleich der ewig Lebendige und doch absolut Eine.341 Das beschließt die Entzweiung (bzw. auch Unterscheidung) von Zeit und Ewigkeit und ihre Einheit in sich. Gott ist in jedem Moment neu – der Ewige: »Was Gott lebt, ist unwandelbar Dasselbige, und doch hört er nie auf, es als Neues zu leben, weil er in sich selber die unerschöpfliche Quelle der Erneuerung und Verjüngung hat«.342 5. Resultate (Systematisch und religiös) Zum Abschluss dieses Abschnittes D., der Gott als den Sich-selbst-Setzenden bzw. Sich-Hervorbringenden zu begreifen versucht, sind einige systematische und religiöse Resultate der bisherigen Erörterungen zusammenfassend zu benennen. 5.1. Der vorgeschlagene Begriff von Gott, so lässt sich zunächst äußerlich konstatieren, stößt an logische Grenzen und hat schon damit etwas, was zu irritieren oder gar zu provozieren vermag. Andererseits handelt es sich um einen »lebendigen« und nicht-einengenden Begriff, der der Schwierigkeit des Themas »Gott« gerecht zu werden versucht. Freilich lenkt die genannte Formulierung vom Sich-Hervorbringen anscheinend den Blick zunächst eher auf sich als auf Gott. Ist das als ein Voroder als ein Nachteil zu bewerten? Wird Gott als sich hervorbringend – und so eindeutig als Gott – gedacht, so wird damit strikt und prinzipiell jede Abhängigkeit Gottes von theologisch-religiöser Rede über Gott (als Explikation unseres Gottesgedankens) negiert. Wichtiger noch scheint der Gesichtspunkt zu sein, dass, wo wir davon reden, Gott bringe sich selbst hervor, dies immer die Perspektive mit einschließt: »bei uns«. Das ist kurz zu erläutern. Wenn wir in irgendeinem Zusammenhang von »Gott« reden, sagen wir, religiös verstanden, unmittelbar nicht so sehr etwas darüber aus, woher etwas kommt; d. h., wir beziehen es nicht auf einen vor (bzw. hinter) ihm liegenden Ursprung oder überholen es nicht im Licht eines solchen, selber unüberholbaren, Urgrundes, überschreiten es also nicht nach rückwärts.343 Sondern wir thematisieren es, sofern das mit religiöser Lebendigkeit geschieht, im (I/8, 225), bedeutet also auch, dass er als Anfänglicher stets mitgeht (cf. DERS., Philosophie der Mythologie II, in: ders., SW 12, 42f = wahrer Begriff der Ewigkeit). 341 Zum Inbild des »brennenden Dornbusches« (Ex 3,2) s. o. § 1 (S. 121) und S. 163 bei Anm. 443. 342 H. L. MARTENSEN, Die christliche Dogmatik (dän. 1849, 41881), dt.: Leipzig 31886, 113. Die Frage: Warum ein neues Sich-Erzeugen, wenn Gott immer schon da ist? verkennt den Begriff Ewiger Lebendigkeit; denn es handelt sich dabei eben nicht um ein faktisches Dasein, sondern um ein selbstgeneratives Sein. 343 Das wurde oben als »logisch vergangen« bezeichnet; cf. Einführende Überlegungen, S. 6 Anm. 28.

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Licht dessen, worauf es zugeht, was aus ihm noch werden soll, also dessen, was als seine Wahrheit noch immer aussteht.344 »Gott« einzuführen, heißt nicht auf einen unvordenklichen Grund von allem Bezug zu nehmen, sondern alles, was ist, als Unterwegssein zu verstehen.345 Demgemäß sind die leitenden Intentionen bei der hier in Anschlag gebrachten Begriffsprägung: 1. Gott im Blick auf das Neue, immer erst im Entstehen Begriffene,346 2. Gott als den von Grund auf Selbsttätigen (und so auf nichtmythologische Weise als den Handelnden347) und 3. ihn nicht primär inhaltlich (z. B. als Schöpfer, Grund des Seins o. ä.)348 zu denken. Geht es bei Gottes Sich-Hervorbringen um »Gott in seinem Begriffe«,349 so stellt sich ein solches Begreifen Gottes theologisch unter folgende, unaufgebbare Bedingungen: – Gott muss so gedacht werden, dass er dabei Gott ist und bleibt; – sein Sich-Hervorbringen ist so zu denken, dass nur Gott dies vermag (indem er als Gott ist); – sein Sich-Hervorbringen muss immer auch einen Bezug von Gottes Ewigkeit auf Zeit und Geschichte verständlich machen (s. u.); – wenn Gottes Sein als Selbstvollzug zu denken (und nicht als substanziell vorauszusetzen) ist, muss die sog. »Existenz« Gottes neu verstanden werden.350 Sodann sind zwei Missverständnisse der Rede von Gottes Sich-Hervorbringen ein für alle Mal auszuschalten: Sie besagt weder: Er sei der sich als Gott noch einmal Setzende (sozusagen in äußerlicher Wiederholung), noch primär: Er sei der sich als Gott Setzende – was wäre dann das Subjekt dieses Setzens?351 Vielmehr ist streng an der umgekehrten Perspektive festzuhalten: Der SichSetzende – das ist Gott; sein Sich-Hervorbringen – das ist das Sein Gottes. 344

Das gilt gerade auch vom Reden von Schöpfung. Das entspricht, wie einführend dargelegt, spezifisch einer »Theologia viatorum«. 346 Das hat für die religiöse Erfahrung in klassischer (wenn auch in anderen Hinsichten theologisch problematischer) Weise der Schleiermacher der »Reden« unübersehbar zur Geltung gebracht; cf. dazu meinen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Schleiermachers Wiederentdeckung von »Religion«, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 192 Anm. 145), 275–293. Auch nach R. Otto fängt die Religion mit sich selbst an und hat mithin ihren Grund in sich selber (cf. R. OTTO, Das Gefühl des Überweltlichen, München 5.61932, 53). 347 Cf. zur Kritik an Bultmann, s. o. Prolegomena (S. 31 Anm. 73). 348 Hierbei steht unmittelbar zuerst das Was statt das Wer im Blick. 349 So Hegel mit Bezug auf den »ontologischen Gottesbeweis« (Werke 6, 126); cf. dazu LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein (wie oben S. 173 Anm. 9), Bd. VI/2, 1974, 250f. 350 Siehe dazu schon oben P. Valéry: »Aber das Schwierige … ist, für das Wort Existenz einen Sinn zu finden, den wir wahrhaft bemeistern – eine klare, unantastbare Bedeutung, die wir immer wieder entdecken …« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 538). Valéry selber: »Sie sind unfähig zu dem Gedanken: Machen heißt sich selbst machen« (a.a.O. 619). 351 In sekundärer Betrachtung ist sein Sich-Setzen natürlich sein Sich-als-Gott-Setzen. 345

§ 2 Der Begriff Gottes

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5.2. Daraus ergeben sich systematische Folgerungen. – Gott hat kein Sein ohne den Selbstvollzug dieses Seins. Er ist selber (»aktiv«) alles, was er ist.352 – Sein Sein ist aus sich und durch sich und von sich; so durchdringt er seinen »Anfang« schon ganz mit sich selbst, und das heißt, er ist als Anfangen vollendet, weil das Anfangen schlechthin selber, der absolute Anfang. – Darin liegt eine absolute Einheit von Sein und Werden, denn auch seine Ewigkeit erzeugt Gott ständig,353 und im Jetzt ist er sich neu erzeugend und ewig zugleich. – Mithin gilt: In jedem wahren Wissen von Gott fängt er an zu sein bzw. setzt er sich (»wird«) und ist zugleich der vollendet er selbst Seiende. – So besteht sein Absolutsein als solches im Gegenteil seiner: als Durchdringen des Relativen und Zeitlichen mit sich. – Gott ist absolut, indem er sein Sein im »Werden zu sich« hat.354 Bei allen diesen in den folgenden Paragraphen weiter auszuführenden Aspekten gilt allgemein: Alles, was Gott ist, dazu bestimmt er sich selbst; das gilt primär im Blick auf seine Einheit und sodann, weil diese den Unterschied in sich hat, für den inneren Reichtum seines Lebens.355 Auf die abschließende und überleitende Frage, warum hier Gott immer als »der« (und nicht: »das«) Sich-Setzende angesprochen wird, wird der nächste Paragraph (§ 3) eingehen. 5.3. Gott ist stets im Werden und zugleich ewig vollendet; daher ist auch »Offenbarung« als ein je neues Sich-Setzen Gottes – als des ewigen Selbst – zu denken.356 Das impliziert den theologisch-eschatologischen Gedanken einer Geschichte Gottes: Er ist das α und das ω, und zwar das Zweite, weil das Erste, und weil der Anfang seiner selbst, auch die Vollendung.357 Das bedeutet, dass auch Ewigkeit (als lebendige!) von Gottes Sich-selbstSetzen her gedacht werden muss.358 Denn im Sich-Hervorbringen ist Gottes Ewigkeit allererst die seine (als selbsthaft vollzogen) und für ihn als solche

352

Cf. oben Anm. 310. Genauer: Sein Sich-Erzeugen ist die Ewigkeit (Aseität). 354 S. u. Abschnitt E. (S. 230ff). 355 Cf. unten § 7. 356 Cf. unten § 10. Der Begriff von Gottes »Sich-Hervorbringen« ist ein stärkerer als der von »Selbstoffenbarung« oder »Selbstauslegung« (dieser redet nur von einem SichErgreifen Gottes in seiner »Selbstverwirklichung«, was auch weniger besagt als SichHervorbringen). 357 Zugleich ist er auch vom »Ende« her der wahre Anfang; cf. Johannes Scotus Eriugena: »Finis enim totius motus est principium sui« (De divis. nat. V 3 [PL 122, 866C]; cf. IV 1 [PL 122, 743B]). 358 Cf. ausführlich unten § 9. 353

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seine eigene Gegenwart.359 Diese Ewigkeit Gottes ergreift sich als Ewigkeit auch in der Zeit. Auch von Zeit und Geschichte her ist Gott selber als ewig. Seine Ewigkeit ist in dieser Hinsicht wesentlich die schöpferische Aufhebung der Zeit. Zeit (und Werden) ist nur so »Ort« Gottes bzw. »in« Gott, dass er sie stets eodem actu in seine Ewigkeit aufhebt. Gottes Ewigkeit ist mithin (ebenso wenig wie sein »Sein«) nicht der Zeit abstrakt vorauszusetzen, sondern sie ist sich an und aus der Zeit als Ewigkeit erzeugende und so lebendige Ewigkeit (bzw. der ewig Lebendige); dies entspricht dem »dynamisch« verstandenen a se esse Gottes. 5.4. Im Blick auf spezifisch religiöse Aspekte des hier entwickelten Gottesbegriffs ist Folgendes zu bedenken. Wird behauptet, Gott erzeugt sich selber im Glauben an ihn,360 so scheint damit eine unmittelbare Identität von fides und Wirklichkeit Gottes behauptet, wie man einwenden könnte.361 Dagegen ist festzuhalten: Gott setzt sich im Glauben als der »extra nos« Seiende, d. h., er ist aktuell im Glauben als der zugleich Ewige und so frei bleibend sich Vergegenwärtigende. Gott transzendiert am Ort des Glaubens jede Unmittelbarkeit: Was unmittelbar Ausgangspunkt ist, kehrt sich um in freie und überlegene Selbstvergegenwärtigung, in die Manifestation eines unendlich Überragenden. Die konstitutive Selbstunterscheidung des Betenden von Gott (z. B. im Vaterunser) räumt Gottes Sich-Hervorbringen einen unendlichen Vorrang ein. Was für den Glauben gilt, verhält sich so auch beim Erkennen Gottes: Wir können Gott nur daraufhin erkennen, dass wir von ihm erkannt sind; d. h. als der von Gott Erkannte der Gott Erkennende zu sein.362 Indem Gott sich in unserm Glauben an ihn und, ihm glaubend, auch im Erkennen selber hervorbringt, sind wir als von ihm Erkannte, was wir sind. Er erkennt uns, indem er sich in uns selber erkennt, und daraufhin können wir ihn – und nur so, d. h. als Gott – erkennen (cf. 1Kor 2,10b.11). Die Frage: Erzeugt Gott sich nur, wenn ein Mensch an ihn denkt? ist mit der These zu beantworten: Dass ein Mensch an Gott denkt, ist sein (Gottes) Sich-selbst-Setzen. Heißt es in Röm 11,36: »Von ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge«, so ist zuvor Gott selber, der von ihm und durch ihn und zu ihm hin alles ist, was er ist, denn a se und ex se und per se ist Er Selbst. Gleichwohl wird Gottes Sich-Hervorbringen aktuell im Sich-Hervorbringen bei uns (am Ort des Glaubens, wie zuvor am Orte Jesu). Dem entspricht, dass Gottes SichHervorbringen (und Gott selber) sich vollendet im Kommen seiner βασιλεία.363 359 Insofern gründet alle Gegenwart überhaupt (jedes Jetzt und Heute) in Gottes lebendigem Selbstvollzug seines eigenen Seins als Sich-Vergegenwärtigen des Ewigen. 360 Was auch den Begriff der Offenbarung aktuell macht; s. o. Prolegomena § 4 (S. 60ff). 361 Also »Fideismus« im stärksten Sinn: als Vergottung des Glaubens. 362 Siehe dazu schon oben Prolegomena § 2 (S. 17ff). 363 Cf. auch: »nahe herbeigekommen« (Mk 1,15). Die »basileia tou theou« ist Gottes Selbstsein im Unterschied zu sich selbst; cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 316), 99ff.

§ 2 Der Begriff Gottes

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Das impliziert: Gottes Sich-Hervorbringen für sich selbst ist zugleich sein SichHervorbringen für uns. Indem er für uns ist, ist er immer auch für sich.364 Das Sich-Hervorbringen Gottes ist sein Sich-gegenwärtig-Machen (s. o.), denn Gottes Gegenwart – auch für ihn selber – ist immer durch ihn selbst heraufgeführt und bestimmt. Die Gegenwart Gottes – auch bei uns – ist, wie nicht genug betont werden kann, kein bloßes »Faktum« (d. h. ruhender, einfach vorhandener Tatbestand),365 sondern ein »Fieri«, d. h. ein lebendig durch ihn selber bestimmtes und vollzogenes Werden zu sich. Dafür, dass Gott sich am Ort des Glaubens hervorbringt, lassen sich auch gewisse Formulierungen S. Kierkegaards in Anspruch nehmen. Er schreibt, dass »das Ewige, das zuvor nicht da war, in diesem Augenblick [sc. des Glaubens] entstanden ist [dän. blev til]«.366 Dabei scheint ein nur subjektives Verständnis (im Sinne von: entstanden für den betreffenden Menschen)367 nicht zureichend; denn soll gelten: »so muß der Augenblick in der Zeit entscheidende Bedeutung haben«368 und ist solcher Augenblick als vom Ewigen erfüllt die »Fülle der Zeit« (Gal 4,4),369 so muss dem auch etwas für Gott entsprechen. So kommt es zu dem Paradox »der Ewigsetzung des Geschichtlichen und der Geschichtlichsetzung des Ewigen«,370 so dass weiterhin gilt: »Das Geschichtliche ist, daß der Gott geworden ist (für den Gleichzeitigen), daß er ein Gegenwärtiges gewesen ist dadurch, daß er geworden ist (für den Späteren)«.371 364 Gottes Für-uns-sein ist letztlich vermittelt durch sein trinitarisches Sein-für-sich, nämlich im Sohn und durch den Sohn im Hl. Geist für uns (s. u. § 15). So ist sein Sein bei uns ein freier Reflex seines Seins für sich oder bei sich. 365 Es ist eine philosophische und theologische Barbarei, wenn Kierkegaard erklärt: »In Beziehung auf faktisches Sein ist ein Reden von mehr oder weniger Sein sinnlos. Eine Fliege, wenn sie ist, hat ebenso viel Sein wie Gott« (KIERKEGAARD, Philosophische Brocken, in: ders., GW 10, 40 [Fn.]). J. Dierken hat in kritschen Analysen der von K. Barth behaupteten absoluten Faktizität Gottes unter anderem gezeigt, »daß Gott mit der von Barth vorgenommenen Existenzbestimmung … zu einem empirischen Ding höherer Ordnung erklärt wird. Denn ›seine‹ Existenz unterscheidet sich doch von der Existenz dieses Papiers, das der Leser in der Hand hat, nicht durch den Sachverhalt der ›Existenz‹, sondern bestenfalls durch solche Bestimmungen wie Größe, Stärke, Dauer usw.« (J. DIERKEN, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus. Studie zum Verhältnis von religiösem Vollzug und theologischer Bestimmtheit bei Barth und Bultmann sowie Hegel und Schleiermacher, BHTh 92, Tübingen 1996, 70f Anm. 76). 366 KIERKEGAARD, GW 10, 11. Er spricht auch von »der Ewigkeit Anfang« (im zeitlichen Sinn); a.a.O. 55. Freilich kann die Formulierung: »das zuvor nicht da war« vom Ewigen nicht gesagt werden; sie ist also entweder rein Subjekt-relativ gemeint oder vom gewöhnlichen Zeitverständnis geprägt. 367 Cf. so etwa a.a.O. 84. 368 A.a.O. 11. 369 A.a.O. 16. 370 A.a.O. 58. An sich (bzw. vorchristlich) gilt: Es ist »des Ewigen Vollkommenheit, keine Geschichte zu haben« (72). 371 A.a.O. 84.

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Wiederum kann es nicht nur subjektiv gelten, dass das Gewordensein Gottes etwas bedeutet, wodurch »des Gottes ewiges Wesen in die dialektischen Bestimmungen des Werdens hineinkonjugiert wird«.372 Diesem Sich-Vergegenwärtigen Gottes bei uns und für uns (uns zugut) entspricht die für jedes lebendige Gottesverhältnis grundlegende Dankbarkeit gegen Gott. Sie bezieht sich zuerst und zuletzt auf Ihn selber, und das heißt, primär nicht auf Gottes Gaben an uns oder irgendeine Beschaffenheit Gottes (wie z. B. seine Güte), sondern gilt seinem absoluten Tun, nämlich Er selbst zu sein (also auch nicht nur [oder erst], für uns da zu sein, sondern überhaupt unveränderlich er selbst, Gott, zu sein.373 Das schwingt wohl im tiefsten in jedem Lob- und Dankgebet mit. Wir sind Gott dankbar, dass er ist und sein will, dankbar für Gott – vor Gott. Das konkretisiert sich im dankbaren Vertrauen auf seine Verheißung (promissio): Sie entspricht als Anhalt des Vertrauens und Über-sich-Hinausweisen (bzw. -treiben; cf. Hebr 4,8.9) der Doppelheit im Begriff seines Werdens zu sich bzw. seiner lebendigen Einheit in der Selbstunterscheidung von Ewigkeit und Zeit, in der er sein Sein vollzieht. Denn die eigene Einheit Gottes mit sich (wie auch seine Einzigkeit) ist immer auch (für uns) zukünftig bzw. als die Zukunft geglaubt.374 Ganz allgemein darf man sagen: Das religiöse Vertrauen auf Zukunft und ein immer neues Geschenk des Lebens bzw. die Offenheit dafür im Glauben an Gott entspricht dem Vertrauen auf die Macht göttlichen Werdens zu sich.375 5.5. Gott als der Sich-Hervorbringende ist zugleich ewig und zeitlich: in ewig vollendetem Bei-sich-Sein und in zeitlich vermitteltem Werden zu sich. Denn, wie gesagt, Gott bringt ständig seine Ewigkeit auch aus der Zeit hervor. In beidem zugleich ist er der lebendige Gott und hat sein Sein im Werden zu sich, ohne doch so etwas wie ein »werdender Gott« zu sein.376 372

Ebd. Seine in Ex 3,14 bereits implizierte Treue zu uns ist wesentlich seine Treue zu sich selber. Daher setzt die These bei R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN (Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011), Ex 3,14 könne »nicht als Ausdruck göttlicher Selbstbezüglichkeit verstanden werden, sondern nur als Bekräftigung der vorherigen Zusage« (a.a.O. 519 Anm. 27), eine falsche Alternative voraus. 374 Cf. Sach 14,9: »Und der Herr wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der Herr nur einer sein und sein Name nur einer«; dazu PANNENBERG, Systematische Theologie II (wie oben S. 192 Anm. 145), 370. 375 Heißt es im Lied: »Er selbst kommt uns entgegen. / Die Zukunft ist sein Land« (K.P. Hertzsch; EG 395,3), so lässt sich das im Horizont der göttlichen Selbsthervorbringung aus der Zeit als der ewig Lebendige verstehen: Der sich Hervorbringende kommt auf den Glauben als dessen Zukunftsdimension zurück, und der Glaube hat den sich hervorbringenden Gott auch immer vor sich, und dies entschieden mehr noch als »hinter sich« im Sinne von etwas Vergangenem. 376 Dagegen (d. h. gegen eine Mitbeteiligung der Menschen) schon SCHELLING, Weltalter, in: ders., SW I/8, 254–256 (= Nachdr. 60–62). 373

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In einem allgemeinen Ausblick lassen sich an dieser Stelle bereits einige wichtige theologische Folgen anzeigen, die dieser Gottesbegriff für die weitere Gotteslehre hat (siehe die folgenden Paragraphen). Der Begriff von Gott als dem Sich-Hervorbringenden hat zur Konsequenz, dass – die Rede vom »Handeln Gottes« präzisiert werden kann;377 – im Verständnis der Schöpfung sowohl creatio ex nihilo wie auch Gottes esse a se zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können und das Verhältnis von Schöpfung und Geschichte bestimmt werden kann; – die Eschatologie in ihrer prinzipiellen Bedeutung für die christliche Gotteslehre zur Geltung gebracht wird (als Gottes Zu-sich-Kommen); – die »Inkarnation« aus einer Selbstunterscheidung in Gott selber begriffen werden kann, nämlich als das (Zeit und Ewigkeit vermittelnde) sich realisierende Wesen bzw. Sich-Erscheinen Gottes, so dass Jesus als Gottes Weg zu sich selber verständlich ist; – die traditionelle »Zwei-Stände-Lehre« der Christologie (Phil 2) aus der göttlichen Kondeszendenz verständlich wird; – die Trinität, die sich in der Selbstunterscheidung Gottes aus seiner lebendigen Einheit (Joh 1,1a–c) konstituiert, als der absolute Begriff von Gott rekonstruiert werden kann. Denn zu Gottes lebendigem Sich-Setzen gehört, dass er ewig in sich selber einen logischen Raum erzeugt, kraft dessen er auch für sich λογικός ist, was er ist, d. h. sich am Ort des Logos selber hervorbringt. Die »ewige Zeugung« des Sohnes ist mithin Moment des Sich-selbst-Erzeugens Gottes;378 – das »Nahe-Herbeigekommen-Sein« der Gottesherrschaft in Jesu Gleichnisrede mit dem eigentümlichen Verhältnis von »Schon und Noch-nicht« aus der Ewigkeitsdialektik von Gottes Werden zu sich begriffen und so theologisch grundlegend relevant werden kann;379 – auch die religiöse Erfahrung von Gott her gewürdigt werden kann, indem unser Bewusstsein von Gott zugleich als Gottes Anfangen mit uns bzw. unser Weg zu Gott als Gottes Weg zu uns erfasst wird.

377

Zur ihrer Ungeklärtheit bei Bultmann, die seinen ganzen Mythos-Begriff infrage stellt, s. o. Prolegomena (S. 31 Anm. 73). P. Tillich zerreißt rationalistisch die ZeitEwigkeits-Dialektik, wenn er behauptet, der Satz für die Inkarnation: »Gott hat seinen Sohn gesandt« unterwerfe den transzendenten Gott Raum, Zeit und Kausalität (P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. V, Stuttgart 1964, 219). 378 Wodurch »die ewige an und für sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt« (HEGEL, Werke 10, 394, § 577). 379 Cf. das Verhältnis von πεπλήρωται und ἤγγικεν (Mk 1,15) und dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 316), 113ff sowie F. ROSENZWEIG, Der Stern der Erlösung, BS 973, Frankfurt 1988, 250.

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Exkurs IV: Einige biblische Spuren Auch wenn Ex 3,14 die für diese Gotteslehre grundlegende und alles Weitere (bis zu § 16) tragende Bibelstelle ist, lassen sich in ihrem Licht doch weitere Spuren in der Bibel auffinden, die sich im Sinne des Theologumenons von Gottes Selbsthervorbringung fruchtbar machen ließen. Das kann hier nur andeutungsweise getan werden. 1. Im Alten Testament sind viele Stellen, die vom Anfangen bzw. Beginnen reden, einschlägig. So vom Eingreifen Gottes: »Da ich begann, darein zu sehen« (Ez 16,50b, Luther; LXX: καθὼς εἶδον). Oder die Rede vom »Anfang der Wege Gottes« (Hi 40,19: ἀρχὴ πλάσµατος, cf. Joh 1,1); weiter: »dass Gott anfinge und zerschlüge mich« (Hi 6,9). Sodann: »der Herr hat ein Reich angefangen (ἐβασίλευσεν), … dass es bleiben soll« (Ps 93,1); cf. im Neuen Testament Hebr 3,14b: τὴν ἀρχὴν τῆς ὑποστάσεως µέχρι τέλους (cf. Phil 1,6). Spezifisch vom Sprechen Gottes: der »anfing zu reden durch Hosea« (Hos 1,2). Eine andere Spur ließe sich anhand der Wurzel acy ausmachen, die »hervorgehen, ans Licht treten, sichtbar werden« bedeutet; cf. dafür besonders Sach 2,5.7. Zu den verschiedenen Bedeutungsvarianten cf. z. B. Gen 25,26; 38,28; 19,23; Ps 19,6; Gen 1,12; Jes 11,1 (1Kor 5,13); Jes 2,3; 51,4 (Offenbarung). Wichtig ist auch die Verwendung bei (Hiph.) »Worte hervorgehen lassen« (Jer 15,19; Hi 8,10; 15,13; Esth 1,17 [Kal]; Pred 5,1). Eine Stelle wie Ex 33,22f (cf. auch V. 20), der gemäß immer nur Gottes »Rücken« zu sehen ist (τὰ ὀπίσω µου, posteriora mea; cf. Michelangelos berühmte Darstellung in der Sixtinischen Kapelle), d. h. jeweils im Nachhinein (hebr. rxa hat auch den zeitlichen Sinn von »hinterher«), besagt, dass Gott als solcher uns immer schon voraus ist, und dies nicht nur logisch oder sachlich (z. B. als Schöpfer oder sich Offenbarender), sondern auch im lebendigen Vollzug des Gottesbewusstseins selber. Erst hinterher kann man wissen, dass es Gott gewesen ist, mit dem man zu tun bekommen hat. Auch zum Thema »Epiphanie« gehörende Stellen dürfen in diesem Zusammenhang bedacht werden. So der Aaronitische Segen Num 6,25f: »Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig« (ἐπιφάναι … τὸ πρόσωπον αὐτοῦ ἐπὶ σέ) und »Der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden« (ἐπάραι … τὸ πρόσωπον αὐτοῦ ἐπὶ σέ). »Segen« bedeutet hier: Im Sagen dieser Worte leuchtet das Antlitz Gottes auf, und sein Antlitz ist leuchtendes Antlitz schon im Wort, und unmittelbar nur sprachlich hat Gott ein Antlitz, hier ein leuchtendes (cf. dazu in angemessener Übertragung J. König, Sein und Denken, Tübingen 21969, 9 Anm. 1). Zum sprachlichen Sich-Hervorbringen Gottes cf. insbesondere Jes 50,4f! Ähnlich wären Stellen wie Ps 67,2b; 31,17 und 80,4 (cf. V. 3c: ἐλθέ) zu deuten (cf. auch V. 8 und 20 LXX). Immer geht es dabei um Gottes Gegenwart als eine sich hervorbringende; das Gegenteil gilt für Gottes »Verbergen« seines Antlitzes und

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Entsprechendes für das »Suchen« seines Angesichtes (z. B. Ps 27,8b). In diesen Zusammenhang passt bezeichnend, dass Gottes Antlitz sich wie ein »Blitz« zu sehen gibt (Dan 10,6b; cf. Apc 10,1). Vom Sich-Hervorbringen am Ort des Glaubens her lassen sich auch Jes 60,1 und 2 lesen: »und die Herrlichkeit des Herrn geht auf (ἀνατέλλει) über dir« (V. 1b), und gegenüber der Finsternis (V. 2a) gilt: »aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit ist erschienen (ἀνατέταλκεν) über dir« (V. 2b); dies Kommen Gottes bringt auf einen entsprechenden Weg: »Mache dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt« (V. 1a). Zum Aufgehenlassen göttlicher Gerechtigkeit und des Gotteslobes (wie ein Gewächs) cf. Jes 61,11. 2. Für das Neue Testament ist zunächst daran zu erinnern, dass von Gottes Sich-Hervorbringen der Sache nach oft indirekt die Rede ist, nämlich da – in vielen Geichnissen Jesu ist das der Fall –, wo die »Abwesenheit« des Herrn bzw. Besitzers der Ausgangspunkt ist und dieser zunächst durch einen Abgesandten oder Bevollmächtigten vertreten wird; das entspricht dem göttlichen Anfangen, das aber gerade so sein »Kommen« ist. Ein eindrucksvolles argumentum e silentio göttlicher Anwesenheit stellt die γαλήνη µεγάλη (Mk 4,39b) dar (cf. dazu Ringleben, Jesus [wie oben Anm. 316], 360). Direkt ist vom Sich-Hervorbringen Gottes mit seinem Reich in Jesu Gleichnis von den »anvertrauten Pfunden« (Mt 25,14ff) die Rede (cf. dazu Ringleben, a.a.O. 411ff). Auch johanneische Stellen lassen sich anführen. So ist in der Formulierung vom µονογενὴς θεός (Joh 1,18) impliziert, dass Gott sich am Orte Jesu (erst) als »Vater« hervorbringt – auch für uns. Cf. auch Röm 9,5 (Joh 4,22b) mit Joh 8,58. Dass Gott im Glauben bzw. am Ort des Glaubens mit sich anfängt, kann man unmittelbar Joh 11,40b (Heilung des Blinden) entnehmen: ἐὰν πιστεύσῃς ὄψῃ τὴν δόξαν τοῦ θεοῦ. Zu bedenken ist hier auch 1Joh 3,9; danach ist im Glaubenden das σπέρµα αὐτοῦ (sc. Gottes; cf. 5,18), und zwar unmittelbar, d. h., es ist der Same, den Gott gibt (sozusagen Genetivus objectivus), aber doch zugleich ein »keimendes« Sich-Hervorbringen Gottes im Menschen; da Gott hier mit sich anfängt, und (nur) insofern ist es auch ein Genetivus subjectivus. Dieser göttliche Same im Glauben entspricht dem »Geist« (cf. 1Joh 3,24; 4,13), denn es geht um ein Wortgeschehen (1,10b; 2,14; cf. Jak 1,18 und bes. 1Petr 1,23), so dass das σπέρµα »tatbestimmend« wird (EWNT III, 631). In solchen Bezügen ist weiter zu bedenken, dass Christus als »Same Abrahams« verstanden (Gal 3,16; cf. Act 3,25f) und Paulus als σπερµολόγος apostrophiert wird (Act 17,18). Noch in 1Kor 15,38 (im Verhältnis zu V. 42f und 47f) schimmert diese Metaphorik durch (cf. dazu unten § 16 D. 3.3.). Schließlich ist auf 1Kor 3,11 (mit Kontext!) hinzuweisen, wo Gottes uns zuvorkommendes Setzen Christi und seiner als »Grund« – man könnte das zu Schellings Gedanken vom »theogonischen Grund« in Beziehung setzen (cf. Philosophie der Offenbarung I [1858 = ND], 382 und 369) – explizit zur

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Sprache kommt: θεµέλιον γὰρ ἄλλον οὐδεὶς δύναται θεῖναι παρὰ τὸν κείµενον, ὅς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός. Der den gründenden Grund legende Gott ist der sich am Orte seines Sohnes sich selbst begründende und hervorbringende, lebendige Gott.

E. Werden zu sich Ist Gottes Sein ein Sich-Hervorbringen, so kann es nur als ein Werden zu sich begriffen werden, d. h. als »Ereignis seines Zu-sich-selbst-Kommens«.380 Der hier bisher schon mehrfach verwendete Begriff des »Werdens zu sich« ist nun weiter zu klären.381 1. Gottes Lebendigkeit Spezifisch von Gottes Werden zu sich ist zu reden, weil damit einerseits unübersehbar festgehalten wird, dass das lebendige Werden in seinem Sein für ihn gerade nicht bedeutet, etwas anderes zu werden – geschweige denn ein anderer Gott! –, sondern ein Sich-in-sich-Vertiefen, und so zu werden, was er ist.382 Andererseits kann so doch betont werden, dass Gottes Sein als das des 380 E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 521. Dies ist zugleich das Ereignis der Ewigkeit (cf. ebd. und DERS., Ganz werden, Tübingen 2003, 345–353). 381 Cf. oben Anm. 269. An sich handelt es sich um ein Konzept, das geeignet ist, die innere Begriffsbewegung der Hegel’schen Logik aufzukären; cf. U. GUZZONI, Werden zu sich. Eine Untersuchung zu Hegels »Wissenschaft der Logik«, Symposion 14, Freiburg u. a. 31982). Der Sache nach ist dieses Konzept in sehr vielen Formulierungen Hegels präsent, wenngleich die Prägung selber nur in Anklängen vorliegt; cf. z. B. »positives Zusammengehen mit sich selbst« (HEGEL, Werke 6, 239) oder (Rückkehr) »aus sich selbst zu sich« (ebd. 213), »Sichselbstwerden« (3, 24), »Bewegung … zu sich selbst« (16, 192) oder auch: (Tun des Absoluten,) »das bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt« (6, 190). Im Hintergrund steht wohl die (von Pindar bis Nietzsche) anthropologisch verstandene Redewendung: »Werde, der du bist«, die ihre theologische Entsprechung in der Formel hat: »Ich werde sein, der ich sein werde«. Auch bei anderen Denkern lässt sich das Konzept finden: So kennt z. B. J. König (in seinem spezifischen, nicht-theologischen Kontext) das Dilemma, dass etwas »irgendwie schon vorausgesetzt« ist, »andererseits aber soll es auch erst entstehen« (J. KÖNIG, Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, Tübingen 21969, 45). König findet die Auflösung im Werden zu sich, d. h. »einer Bewegung, die erst im Erfolg und sozusagen von diesem her zu sich selber wird oder sich zu sich verwandelt« (56) und so – unerachtet jener Unterschiedenheit – »streng eines und dasselbe« ist (57). Auch M. Heidegger formuliert – mit Bezug auf Schelling –: »welches Werden zu sich selbst das absolute Seiende ist« (HEIDEGGER, GA 42, 77; cf. 213 sowie 195f und 216: »das Werden Gottes aus ihm selbst zu sich selbst«). 382 So wie etwa die Liebe, die sich vertieft, immer nur mehr Liebe und nicht etwas anderes wird.

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ewig Lebendigen nicht ohne die immanente Bewegung eines »Werdens« gedacht werden könnte.383 Dementsprechend kann man mit Berufung auf Ex 3,14 pointiert sagen, dass Gott nicht seiend, sondern werdend ist: »Der wahre Gott … ist … nie der seyende, sondern beständig nur der werdende, wodurch sich allein schon der Name Jehovah erklären würde, in dem eben der Begriff des Werdens vorzüglich ausgedrückt ist«.384 So, als der in sich lebendig im Werden zu sich begriffene, ist Gott absolut der »Herr des Seyns« (als bloßen Seins).385 Dieser Lebendigkeit, die über ein bloßes »Sein« hinausgeht, hat auch die wahre Gotteserkenntnis zu entsprechen, und um als Gotteslehre eine Theologia viatorum zu sein: »Erkenntniß des wahren Gottes ist keine natürliche, ebendarum auch keine stationäre, sondern immer nur werdende, weil der wahre Gott selbst dem Bewußtseyn nicht der seyende, sondern immer nur der werdende ist, der als solcher auch der lebendige heißt«.386 Gottes Werden zu sich bringt auch die Theologie auf den Weg zu sich selber. Mit dem Begriff des »Werdens zu sich« ist nun auch grundsätzlich das Missverständnis ausgeschlossen, so etwas wie einen »werdenden Gott« zu postulieren.387 Eine solche Vorstellung verfehlt a priori das Gottsein Gottes, weil sie ihn als für sich selber unvollendet, mithin endlich und sozusagen noch nicht wirklich Gott seiend ansetzt, so dass die Gottheit Gottes unverständlich wird.388 383 Cf. R. Rothe: »So ist denn Gott als das göttliche Wesen, d. h. als das absolute reine Sein, zu denken als sich selbst zum Werden bestimmend, und zwar dieß … auf absolute Weise, also zum absoluten Werden oder zum absoluten Proceß«; da im Absoluten derart Sein und Werden eins sind, »so ist das Werden in Gott wesentlich unmittelbar zugleich das Gewordensein, das Sein. Das Sein Gottes ist demnach zu denken als die absolute Einheit des Werdens und des Seins, d. h. als Leben« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben S. 184 Anm. 70], 104 [§ 28]). 384 SCHELLING, Philosophie der Mythologie I (Nachdr. 1966), 165 (Siebente Vorlesung); cf. 172. Die Religion des Abraham ist »die Religion der Zukunft; der wahre Gott ist der, der seyn wird, das ist sein Name« (a.a.O. 171). 385 Cf. SCHELLING, Philosophie der Mythologie II (Nachdr. 1966), 33. Damit ist »Ontotheologie« im Sinne einer ontologisch zu fundierenden Theologie ausgeschlossen. Die Theologie kann sich daher niemals die Heidegger’sche These zu eigen machen, dass der Gottesbegriff keine ontologische, sondern nur eine »ontische« Bedeutung habe (cf. M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 101963, 49 [§ 10] und 247f [§ 49]), sowie DERS., GA 9, 61), – stellt er doch gerade eine prinzipielle Kritik an der Seinsontologie dar; schon das hätte Bultmann den Anschluss an Heideggers Existenzialanalyse verwehren sollen. 386 SCHELLING, Philosophie der Mythologie I (Nachdr. 1966), 177 (Achte Vorlesung). 387 Zur Korrektur dieser Vorstellung cf. auch HEIDEGGER, GA 42, 190f. 388 Diese Schwäche zeigt sich deutlich bei H. JONAS, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, in: O. Hofius (Hg.), Reflexionen in finsterer Zeit, Tübingen 1984, 61–86. Bei Jonas wird deutlich, dass die von ihm dem Menschen zugewiesene Aufgabe, Gott sozusagen bei seiner Vollendung zu helfen (cf. a.a.O. 85), genauestens damit zusammenhängt, dass hier das Christusereignis in seiner Bedeutung für den Begriff Gottes selber ausgeblendet bleibt. Cf. zu Jonas: E. JÜNGEL, Gottes ursprüngliches Anfangen als schöp-

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Sie unterwirft vielmehr Gott der Zeit anstatt die Zeit dem lebendigen und ewigen Gott, in dem sie schöpferisch aufgehoben ist.389 2. Gottes Unveränderlichkeit Weiterhin ist offensichtlich, dass der Begriff eines Werdens zu sich notwendigerweise zwar ein abstrakt-unmittelbares Verständnis von Gottes »Unveränderlichkeit« (im Sinne der eleatischen Tradition griechischer Metaphysik390) unmöglich macht,391 dafür aber gerade eine ganz neue Möglichkeit bietet, Gottes Unveränderlichkeit und Lebendigkeit konkret in eins zu denken.392 Sosehr nämlich die göttliche Unveränderlichkeit als die absolute Sichselbst-Gleichheit Gottes festzuhalten ist,393 so kann diese unter Maßgabe von Ex 3,14 zugleich nur als in sich bewegt und so erst als Resultat von Gottes Werden zu sich verstanden werden.394 ferische Selbstbegrenzung, in: ders., Wertlose Wahrheit, München 1990, 151–162; A. U. SOMMER, Gott als Knecht der Geschichte. Eine Widerrede, ThLZ 51 (1995), 340–356. 389 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 192 Anm. 145), 359. 390 Cf. Platon, Phaidon 78d und 79d; Politeia 381c. Die Idee des Schönen wird bestimmt als: αὐτὸ καθ’ αὑτὸ µεθ’ αὑτοῦ µονοειδὲς ἀεὶ ὄν (Symp. 211d). Bei Augustin heißt es: »certus esse te et infinitum esse … et vere te esse, quia semper ›idem ipse‹ esses, ex nulla parte nulloque motu alter et aliter« (Conf. VII 20,26; cf. VI 3,4; XII 7,7; XIII 16,19). Zur Unveränderlichkeit Gottes in der Tradition cf. auch W. PANNENBERG, Grundfragen systematischer Theologie, Bd. I, Göttingen 31979, 327ff (mit Nachweisen). Cf. historisch ausführlich W. MAAS, Unveränderlichkeit Gottes, PaThSt 1, München 1974. 391 Zur Kritik des traditionellen Begriffs der göttlichen Unveränderlichkeit von Augustin bis Schleiermacher cf. I. A. DORNER, Ueber die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs der Unveränderlichkeit Gottes, mit besonderer Beziehung auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Gottes übergeschichtlichem und geschichtlichem Leben, in: ders., Gesammelte Schriften aus dem Gebiet der systematischen Theologie, Berlin 1883, 188– 377, bes. 251–299. Dorner will Gottes Unveränderlichkeit und Lebendigkeit zusammendenken (a.a.O. 299.340ff; als begriffene Inkarnation: 339). 392 Das heißt, die Frage zu beantworten: »Tel qu’en Lui-meme enfin l’éternité le change …« (ST. MALLARMÉ, Le tombeau d’Edgar Poe [1877], in: ders., Gedichte. Französisch und deutsch, hg. von G. Goebel, Gerlingen 1993, 126). 393 Cf. Ps 90,2; 102,25.28; Jes 41,4; 44,6; 48,12 (Apc 1,17); Mal 3,6; Jak 1,17. Dazu gehört auch die Rede von Gott als »Fels« (Ps 18,3; 42,10; 62,8; 71,3; 2Sam 22,2; Jes 26,4) bzw. von seiner »Wahrheit« (cf. Jer 10,10.16.24) und »Treue« (Ps 85,11f; 138,2; 86,15; Ex 34,6; Röm 3,3; 1Kor 1,9; 10,13; 2Kor 1,18; Hebr 10,23; 11,11; 1Petr 4,19 u. ö.; Gottes Treue zu sich selbst: 2Tim 2,13). Cf. Kierkegaards letzte Erbauliche Rede: »Gottes Unveränderlichkeit« (1855), in: KIERKEGAARD, GW 34, 259–276. 394 »Unveränderlichkeit« ist als solche zu genetisieren und d. h. nicht als totes Faktum aufzunehmen. So ist H. Mühlen zuzustimmen: »Die dogmatisch festzuhaltende Nichtveränderlichkeit Gottes darf jedenfalls nicht als starre, fixe Selbstidentität gedacht werden, denn davon sagt die Heilige Schrift kein Wort« (H. MÜHLEN, Die Veränderlichkeit Gottes als Horizont einer zukünftigen Christologie, Münster 1969, 13). Wenn allerdings in ähnlicher Intention K. Rahner bezüglich der Menschwerdung schreibt: »Gott kann etwas

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Die Formel »Werden zu sich« bietet tatsächlich die Möglichkeit, auch Gottes Unveränderlichkeit als eine zu begreifen, die ihm nicht einfach zukommt, also gleichsam von außen an ihm konstatiert wird, sondern die ihm nur durch ihn selbst zu eigen ist, also Ausdruck seiner »Aseität«, seines lebendigen Aussich-Seins ist.395 Mit anderen Worten: Sie ist die durch Gott selber hervorgebrachte Unveränderlichkeit.396 Besagt der Begriff der Veränderung, »daß das eine zum anderen werde, nicht in dem anderen bei sich selbst ist«,397 so ist bei Gott notwendig zu denken, »das Allgemeine, was unsterblich ist, an und für sich ist, unveränderlich ist«, durch ihn selbst »hervorgehen zu lassen«.398 werden. Der an sich selbst Unveränderliche kann ›selber am anderen‹ veränderlich sein« (K. RAHNER, Grundkurs des Glaubens, Freiburg u. a. 1976, 19), so scheint das eine eher ausweichende Formulierung zu sein: Wie ist ein »selber« sein (sc. am anderen) zu denken, das nicht das »an sich selbst«-Sein beträfe? Unerklärt bleibt auch der Übergang von »an sich selbst« unveränderlich Sein zum veränderlich Sein am anderen. 395 Cf. K. Barth: »Aber gerade ewig heißt doch nicht tot, sondern lebendig. Eben das wahrhaft Unveränderliche kann doch nicht das Unbewegte …, sondern nur das Alles Bewegende und als solches das in sich selbst bewegte sein« (BARTH, KD II/2, 203); cf. KD II/1, 301 und 302f (zu Hegel). 396 Zwar versteht auch Dorner (Ueber die richtige Fassung [wie oben Anm. 391], 305f) Gott als den »ewig sich selbst Setzenden« bzw. redet von seiner »ewigen Selbstbegründung« und der »schlechthinigen ewig vollendeten Existenz oder Actualität Gottes, die zugleich ewig sich selbst wollende, hervorbringende Lebendigkeit ist« (309; von der göttlichen Liebe: 348 und 352), aber er dringt nicht zu dem Gedanken vor, dass Gottes Unveränderlichkeit selber – und dies durch ihn selber – allererst erzeugt wird. Stattdessen ergänzt er – weniger radikal bzw. konsequent – Gottes ewige Unveränderlichkeit durch sein »ethisches Wesen« (340), d. h. die (gleichewige) »Selbstverwirklichung Gottes als des Guten« (345), und kommt so zu einer lebendigen Einheit von Notwendigkeit und Freiheit in Gott (cf. 346f und 349): »Durch dieses ist in Gott selbst die wahre Copula ewiger Ruhe und Bewegung, der unveränderlichen Sichselbstgleichheit und der intensivsten Lebendigkeit gegeben« (340). Dorner übersieht bei seiner Lösung (cf. dazu auch 331.333.334.349 und 351), dass er bei dieser »doppelten Seinsweise« (348), die keine »Verdoppelung Gottes« sein soll (332f), sondern eine ewige Selbstunterscheidung in Gott annimmt (306.346), schon eine Entzweiung in Gottes Sein voraussetzen muss, um die Einheit denken zu können, die sich in seiner Unterscheidung von ewigem Vorsatz und zeitgeschichtlicher Verwirklichung bei Gott (cf. z. B. 365f) abkünftig reflektiert, nämlich die grundlegende Entzweiung des Werdens zu sich: in sich Voraussetzen und auf sich Zurückkommen. So wären z. B. die Aufstellungen 351 oben dialektisch zu begreifen. 397 HEGEL, Werke 19, 48. Bei Gott kann also kein Werden von etwas zu etwas anderem oder Veränderung als ein Übergang von einem Sein zu dessen Bestimmung in Anschlag gebracht werden. Ähnlich wie Dorner will auch A. Ritschl diese Probleme durch den Liebesbegriff lösen: »Erst mit der richtigen Bestimmung des Begriffs von Gott als der Liebe in der stets gleichen Richtung seines Willens auf die ewig geliebte Gemeinde des Gottesreiches ist der positive Begriff der Ewigkeit erreicht worden, unter dem das zeitlich wechselnde Wirken Gottes nicht als Wechsel in seinem Wesen auftritt« (A. RITSCHL, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 3, Bonn 41895, 308). 398 HEGEL, Werke 19, 65. Nach Alkmaion besteht die »Unsterblichkeit« in dem Vermögen, bei sich Anfang und Ende verbinden zu können, indem sie jenen an dieses anknüp-

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Gottes lebendige Ewigkeit kann so begriffen werden: als »das Unwandelbare, welches sich so das Unwandelbare ist, daß es sich aus seinem Anderssein beständig in sich zurückkehrt«.399 Aus solcher Logik kann Luthers Satz begriffen werden: »Deus est mutabilis quam maxime«.400 Gottes Werden zu sich – das ist mithin so etwas wie eine γένεσις εἰς οὐσίαν401 bzw. die »Bewegung seines Gewordenseins« (sein absoluter Begriff).402 Es geht um eine Bewegung, als die das Sein sich zu sich abstößt bzw. eine Umkehrung des Werdens (Zeit) in sich selber zum ungewordenen Sein (Ewigkeit als zeitlos Vergangensein des Werdens).403 Zur endgültigen Unmittelbarkeit kommt es so nur dadurch, dass sie aus der Aufhebung der Vermittlung sich zum Unmittelbaren gemacht hat.404 Vom Werden zu sich gilt: »Dies Werden hat aber die Bedeutung des Gegenstoßes seiner selbst, so daß das Gewordene vielmehr das Unbedingte und Ursprüngliche ist«.405 3. Selbstbewegung »Werden zu sich« ist Inbegriff göttlicher Lebendigkeit, weil es dabei um ein bewegtes Sich-selbst-gleich-Bleiben geht (cf. Ex 3,14).406 In diesem Begriff erst wird die Aseität Gottes als dem Sein des lebendigen Gottes angemessene Bewegtheit gedacht: als durch sich selbst bewegtes Sein.407 Damit ist auch gegeben, dass (im Anschluss an Hegel) das Leben Gottes als »Selbstbewegung« begriffen werden muss.408 Zugleich eröffnet die Logik fen« (DK I, 215 [B 2]); cf. dazu H.-G. GADAMER, Gesammelte Werke 4, UTB 2115, Tübingen 1999, 144f und HEGEL, Werke 6, 190 (s. o. Anm. 322). 399 HEGEL, Werke 19, 409 (Hervorh. J. R.). 400 WA 56, 234,1. Barth schreibt: »Das reine immobile ist der Tod« (KD II/1, 532). 401 Platon, Phil. 26d 8. Aristoteles rechnet es nicht als Veränderung (ἀλλοιοῦσθαι), wenn gilt: εἰς αὐτὸ ἡ ἐπίδοσις καὶ εἰς ἐντελέχειαν (De an. II,5; 417b 6f). 402 HEGEL, Werke 3, 181. Überhaupt ist christlich der Gedanke einer Bewegung in Gott unvermeidlich, will man die Schöpfung und insbesondere die Menschwerdung theologisch begreifen. 403 Cf. Hebr 12,27. 404 HEGEL, Werke 6, 245. Cf. 24: »Das Übergehen oder Werden hebt in seinem Übergehen sich auf« oder auch 27f: »das Hinausgehen über das Unmittelbare ist das Ankommen bei demselben«. 405 A.a.O. 274. Anthropologisch reflektiert sich solches Werden zu sich in dem, was Kierkegaard »Seine Seele erwerben in Geduld« nennt (S. KIERKEGAARD, Erbauliche Reden 1843/44, in: ders., GW 7, 57–74; cf. Lk 21,19). 406 Liebrucks spricht bezüglich des Bewusst-Seins von »sich bewegender Sichselbstgleichheit« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein [wie oben S. 173 Anm. 9] V, 1970, 30). 407 WEISSE, Philosophische Dogmatik I (wie oben Anm. 277), a.a.O. (wie oben Anm. 277) (ähnlich v. Frank); cf. auch BARTH, KD II/1, 338 und 301. 408 So spricht auch v. Frank von Gottes absoluter »Selbstbewegung« (F. H. R. V. FRANK, System der christlichen Wahrheit, 1. Hälfte, Erlangen 21885, 115 und 117ff). K. Barth will von einer »in die Ewigkeit projizierten Selbstbewegung« (z. B. bei Hegel) die Selbst-

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des Werdens zu sich die Möglichkeit, eines der Grundprobleme der Philosophie, das Problem der Bewegung, theologisch einer Lösung zuzuführen.409 Durch die immanente Dialektik des »Gegenstoßes in sich selbst« wird die Bewegtheit göttlichen Lebens zur Selbstbewegung im eigentlichen Sinn,410 d. h. zum »Werden zu sich«. So ist Gottes Leben an und für sich Geist, und von Gott gilt: »diese Bewegung macht seine Wirklichkeit aus; – was sich bewegt, ist er, er ist das Subjekt der Bewegung, und ist ebenso das Bewegen selbst oder die Substanz, durch welche das Subjekt hindurchgeht«.411 So ist Gott als das absolute Subjekt die lebendige Wahrheit selber, denn das Wahre ist als Subjekt Werden zu sich: »die dialektische Bewegung, dieser sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich zurückkehrende Gang«.412 Indem das »Absolute wesentlich … sein Resultat« ist,413 ist es das Wahre als das lebendige Ganze, nämlich »das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen« und so »erst am Ende das …, was es in Wahrheit ist«, denn eben hierin besteht seine Natur, »Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein«.414 Lebendig ist das Werden zu sich Gottes, indem es sich in Werden und Sein entzweit, um so absolut eins mit sich zu sein: »Die Unendlichkeit oder diese absolute Unruhe des reinen Sichselbstbewegens, daß, was auf

bewegung Gottes unterschieden haben, »dessen Bewegung noch etwas Entscheidendes mehr ist als diese unsere, wenn auch hypostasierte … Selbstbewegung« (BARTH, KD II/1, 302; cf. auch 303). Zu dieser suggestiven Behauptung ist zu sagen: 1. Selbstbewegung gilt der ganzen Tradition (mit Gründen) als etwas Absolutes und Göttliches, d. h. als unableitbar; 2. »entscheidend mehr« ist genauso unbestimmt wie die recht mäßige Kategorie des »ganz Anderen«. Schließlich ist 3. zu vermuten, dass Barth, weil er keinen präzisen Begriff von Gottes Selbstbewegung hat, in der Trinitätslehre auf den problematischen Ausdruck »Seinsweise« zurückgreifen musste. 409 Cf. F. KAULBACH, Der philosophische Begriff der Bewegung. Studien zu Aristoteles, Leibniz und Kant, Köln u. a. 1965; A. AICHELE, Ontologie des Nicht-Seienden. Aristoteles’ Metaphysik der Bewegung, Göttingen 2009. Cf. Aristoteles, Phys. VIII 257a 25ff und dazu Thomas, ScG II 47. Zur Bewegung bei Aristoteles cf. auch R. Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, 528. Thomas hält das aristotelische primum movens immobile mit Platons movens seipsum (Phaedr. 245C) für vereinbar: ScG I 13 und Sth I, q. 18 a. 3 ad 1., q. 19 a. 1 ad 3. 410 Cf. das Hegel-Zitat oben bei Anm. 298! Cf. unten § 3 D. 3. (S. 279 bei Anm. 189). 411 HEGEL, Werke 3, 572 (trinitarisch). 412 A.a.O. 61 (vom sprachlichen Satz; s. u. Anm. 414). Hegel kann demgemäß auch von der »sich selbst bewegenden Seele des erfüllten Inhalts« sprechen (a.a.O. 51). Zur Seele als »selbstbewegt« (αὐτοκίνητον) cf. Platon, Phaidr. 245a ff. Dazu und zu Aristoteles’ Bewegungstheorie in theologischer Bedeutung cf. Thomas von Aquin, ScG I 13. 413 HEGEL, Werke 6, 196. 414 A.a.O. 3, 24. Die sich aus dem Werden zu sich abstoßende »Wahrheit« ist das ewige »Resultat« des zeitlichen Prozesses der Bildung des »Ganzen«. Hegels Satz: »Das Wahre ist das Ganze« (ebd.) hat auch einen eschatologischen Sinn.

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irgendeine Weise, z. B. als Sein, bestimmt ist, vielmehr das Gegenteil dieser Bestimmtheit ist …«415 Mit dem hier Angeführten ist die lebendige »Aseität« Gottes bzw. er als »causa sui« logisch als seine Selbstbewegung,416 d. h. als der Selbstvollzug seines Gottseins begreifbar geworden.417 »Selbstbewegung« ist dabei im strengen Sinn als Selbstsein in der Bewegung des eigenen Selbst, d. h. als Werden zu sich, zu denken.418 So impliziert sie auch das Sich-selbst-Hervorbringen dieses Selbst, bzw. umgekehrt wird das Sich-Hervorbringen als aus sich quellendes Leben verstanden.419 4. Sich-Voraussetzen und Zeit Sind mithin »Gottes Dinge im Werden« – auch was ihn selbst betrifft420 –, so kann seine lebendige Ewigkeit nicht ohne die Zeit gedacht werden: »Auch im 415 Als Gegenteil des Seins hat der lebendige Gott auch Nichtsein (Negativität) in sich selber: »als die unendliche Bewegung in sich, welche seine Unmittelbarkeit als die Negativität und seine Negativität als die Unmittelbarkeit bestimmt und so das Scheinen seiner in sich selbst ist. Das Wesen in dieser seiner Selbstbewegung …« (HEGEL, Werke 6, 24). 416 Damit ist zugleich gesagt, Gott muss als »absoluter Selbstzweck« gedacht werden, wodurch erst seine Aseität »ihren wahren Sinn und ihre absolute Begründung« erreicht (DORNER, Ueber die richtige Fassung [wie oben Anm. 391], 351), was für die Eschatologie relevant ist (s. u. § 16). Sagt Aristoteles zwar im Blick auf das Göttliche: τὸ εὖ ἄνευ πράξεως (De caelo B 12; 292a 23), so ist ihm das Gute doch überhaupt das, was um seiner selbst willen ist: Selbstzweck (αὑτοῦ ἕνεκα, cf. auch Thomas, ScG I 72), d. h. in Hegels Interpretation: »Zweck, der sich für sich bestimmt und zugleich so die Tätigkeit ist, sich hervorzubringen« (HEGEL, Werke 18, 349). Denn Zweck ist »das Erste, welches sich zum Resultate macht« (a.a.O. 381), so dass gilt: »Im Zwecke aber ist das Resultat der Anfang, – Anfang und Ende sind gleich. Selbsterhaltung ist fortdauerndes Produzieren … – Zurücknahme der Tätigkeit zum Hervorbringen seiner selbst« (384). Zum aristotelischen Begriff menschlicher Freiheit (ἐλεύθερος ὁ ἑαυτοῦ ἔνεκα, Met. I, 982b 25f) s. o. S. 203 Anm. 227. 417 Dieser Selbstbewegung entspricht auch Gottes »Wortwerdung« (als ewige Zeugung und Inkarnation), denn »Wort« ist die Selbstoffenbarung des Lebens für sich: Im λόγος war die ζωή Gottes (Joh 1,4a), und der Logos ist die Selbstverdoppelung des Lebens, d. h. Selbstvollzug seiner Lebendigkeit (cf. Joh 5,26). 418 Über den Zusammenhang von Bewegung, Übergehen und göttlichem Selbstsein (beim Gottesbeweis des Thomas aus der Bewegung) cf. R. Konersmann (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007, 534 (WESTERKAMP). Wegen der Bewegtheit dieser ἀρχή gilt für alle Dinge überhaupt »ein rastloses Auf-dem-Weg-Sein« (ebd.). 419 Auch Dorner spricht vom »Leben der freien Liebe [sc. Gottes], die nimmer von sich selbst abfällt, aber ewig sich selbst neu setzt« (DORNER, Ueber die richtige Fassung [wie oben Anm. 391], 351 Anm. 1). So ist Gott die immer neu tätige Ursache der Veränderungen (a.a.O. 274, cf. 313: Neues). 420 TH. MANN, Joseph und seine Brüder I (Die Geschichten Jaakobs), hg. von P. de Mendelssohn, Frankfurt 1983, 50.

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göttlichen Leben, wie in allem andern, ist Bewegung, Fortschreitung«.421 Mit Dorner ist das Anliegen festzuhalten und theologisch zu realisieren, »daß von der Welt her … mit ihrem progressiven Werden auch in Gottes Wirken hinein die Zeitlichkeit und die Aenderung sich reflectire«.422 Im Begriff des Werdens zu sich wird solche interne Bewegtheit als eine gewisse »Vorläufigkeit« Gottes zu sich selbst423 bzw. aus der Dialektik von (sich) Voraussetzen und Rückkehr zu sich denkbar. Ihre Logik besagt: »Es [sc. das Wesen] setzt sich selbst voraus, und das Aufheben dieser Voraussetzung ist es selbst, umgekehrt ist dies Aufheben seiner Voraussetzung die Voraussetzung selbst«.424 Oder auch: »In dem Voraussetzen bestimmt die Reflexion die Rückkehr in sich als das Negative ihrer selbst, als dasjenige, dessen Aufheben das Wesen ist«.425 Das hat für die Gotteslehre zweierlei zur Folge. 4.1. Der Gottesbegriff muss in lebendiger Einheit als das Zugleich von Selbstvoraussetzung und Selbstvollzug gedacht werden.426 Das bedeutet aber gerade: Gott ist nicht ein abgeschlossen vorgegebener Sinn von Welt und Leben; denn so könnte er nicht wahrhaft absolut sein.427 Unsere Vorstellung von 421 SCHELLING, Die Weltalter, in: ders., SW I/8, 261 (= Nachdr. 67). Schelling fährt fort: »Die Frage ist nur, wie dieß göttliche Leben in jener Beziehung sich wieder von allem andern, namentlich dem menschlichen, unterscheide« (ebd.). Es gibt immerhin zu denken, dass dem biblischen Gott alle Zeitdimensionen zugeschrieben werden; cf. Apc 1,4; Ps 102,28; Dan 7,13; Jes 44,4.6. 422 A.a.O. (wie oben Anm. 391), 316; cf. auch 352 und 358: Wandel und Änderung in Gott hinein reflektieren. 423 Ihr entspricht die von Pannenberg betonte »Strittigkeit« des Gottesgedankens (s. o. Prolegomena [S. 39 bei Anm. 27]); aber statt von »Hypothese« (cf. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt 1973, 299ff) scheint der (eschatologische) Begriff der Vor-läufigkeit logisch näher zu liegen. Ihm entspricht ebenso der Glaube als Weg (in Differenz zur endgültigen »Schau«; cf. 2Kor 5,7) wie dem spezifischen Sachverhalt, dass das Reich Gottes im Kommen begriffen ist: Es drängt an, dauernd im Advent stehend; so schreibt R. Guardini zu Mt 13,33 (cf. 1Kor 5,6; Gal 5,9): »Hier ist das Reich Gottes etwas inwendig Wirkendes, das sich durcharbeitet, von einem Teilchen des Ganzen ins andere, treibt und umformt« (R. GUARDINI, Das Gebet des Herrn, 5. Aufl., Mainz o.J., 48). Der Glaube ist ein Offensein dafür, cf. Mt 6,10a. 424 HEGEL, Werke 6, 27. Diese Dialektik wird für das Verständnis der Schöpfung (mit ihrem »Schein des Anfangs«; a.a.O. 27) wichtig werden; s. u. § 8 C. (S. 456ff). 425 Ebd. Cf. auch eine Formulierung wie: »indem sie in dem Aufheben der Voraussetzung zugleich voraussetzend ist« (a.a.O. 25). 426 Auch Dorner spricht von »einem ewigen Ausgehen von sich und einer ewigen Rückkehr in sich«, die er als dem Einen göttlichen Leben inhärierende Momente versteht (DORNER, Ueber die richtige Fassung [wie oben Anm. 391], 306). 427 Fragen wir hier nochmals elementar: Was eigentlich weiß oder stellt sich der vor, der »Gott« sagt? In Wahrheit sagt er damit nicht etwas aus über ein Vorhandenes (als »existierend« abstrakt Vorausgesetztes), sondern er tritt in ein Geschehen ein, das lebendiger Geist ist; eine absolute Lebensbewegung, ein ins Ewige reichender Prozess ergreift

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Gott als dem immer schon (sozusagen »fertig«) Seienden – als eine selber zeitlich-aporetische Vorstellung – muss in den Begriff Gottes als des Lebendigen aufgehoben werden, und die Gotteslehre ist diese befreiende Transformation.428 Damit ergibt sich ein entsprechend lebendiger und religiös adäquater Begriff von Gottes »Vorsehung«. Diese kann nicht als ein sozusagen a priori feststehendes, »ewiges« Gottesprogramm gedacht werden,429 das dann in der Geschichte nur mechanisch zur Durchführung käme, sondern als ein sich im lebendigen Eingehen Gottes auf je neue geschichtliche Situationen aktuell realisierendes Durchsetzen seines Endziels.430 Gott erreicht im Sich-Einlassen auf jeweils neue Situationen stets doch sein ewiges Ziel.431 Dennoch ist das nicht so vorzustellen, als ob Gott (im Sinne endlicher Wechselwirkung von actio und reactio) »reagiert«, sondern er integriert jede auf ihn gerichtete Wirkung, sie schöpferisch aufnehmend und verwandelnd,432 in seine unendliche Selbsthervorbringung, so dass immer gilt: »Nicht mein Wille geschieht, sondern deiner«;433 man kann das »responsiv« nennen.434 So ist bei dem ihn, macht ihn selber zum Ort seines Sich-Vergegenwärtigens, d. h. seines Sich-bei-ihmHervorbringens – eben weil Gott immer nur als der Sich-Hervorbringende ist. 428 Nur so ist theologisch auf Nietzsche zu antworten. 429 So etwa bei Dante über »La contingenza«: »Tutta è dipinta nel cospetto eterno« (Par. 17,39). 430 Cf. A. Ritschl: »Vielmehr muß es bei der Formel bleiben, daß Gott nicht nur seines Selbstzweckes und seines Weltplanes auf jedem Punkte der Verwirklichung desselben gewiß ist, sondern in der Congruenz seines das Ganze durchschauenden Erkennens mit seinem das Ganze bewegenden Willen auf jedem einzelnen Punkte stetig die Verwirklichung des Ganzen erlebt« (RITSCHL, Rechtfertigung und Versöhnung III [wie oben Anm. 397], 287f; Hervorh. J. R.). Von hieraus lässt sich die Dialektik von »Schon« und »Noch nicht« verstehen (s. u. F 1, S. 239). 431 Cf. Dorner: »Es hängt also in der That die lebendige Theilnahme Gottes an der Welt, sein lebendiger Liebesverkehr mit ihr daran, daß wir setzen: Gott weiß jedesmal, was jetzt gegenwärtig ist …; vielmehr wissend von der jedesmaligen Gegenwart handelt er in ihr, wie es seinem ewigen Wesen, aber auch ihrer Beschaffenheit gemäß ist« (DORNER, Ueber die richtige Fassung [wie oben Anm. 391], 324); cf. auch: »so tritt doch das Moment der lebensvoll wirksamen Betheiligung, die etwas Anderes als der bloße ›Vorsatz‹ auch für Gott ist, erst ein mit dem Eintritt der jedesmaligen Gegenwart« (ebd.). Cf. ähnlich TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 31), 306–309. Zu einer dynamischen Interaktion des lebendigen Gottes cf. die Überlegungen von G. THOMAS, Gottes Lebendigkeit, Leipzig 2017. 432 Altes und Neues Testament sind sich einig in der Aussage, »daß Gott sich immer und überall treu verhält, auch wenn er Neues schafft, weil er das Frühere in das Neue hineinnimmt und es nicht verlorengehen läßt«; so H. Vorgrimler, um das biblische Zeugnis gegen eine metaphysisch gedachte »Unveränderlichkeit« abzuheben (H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 85). 433 Zum lebendigen Verhältnis zu Gottes »Weltlenkung« im Gebet cf. ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 184 Anm. 70), 233. 434 Cf. VORGRIMLER, Gotteslehre (wie oben Anm. 432), 152.

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lebendigen Gott von einer gewissen »Beweglichkeit und gleichsam Elasticität« zu sprechen,435 die es Gott selber ermöglicht, auch in konkreter Zuwendung bei jedem Einzelnen (sich an seinem Orte hervorbringend) zu sein, was wiederum für den Sinn des Bittgebetes unerlässlich ist.436 4.2. Eine weitere Folge ergibt sich für das Thema der Zeitlichkeit. »Werden zu sich« heißt theologisch: Gott kommt in der Zeit ewig auf sich zu. Fragt man: Von woher?, so ist zu antworten: von sich (a se) als der Voraussetzung seiner selbst; und von daher ist er seine eigene Zukunft, weil er seine eigene Vergangenheit immer schon »gewesen« ist.437 Es gibt mithin für Gott kein Selbstverhältnis, das nicht die selbsthafte, sich gegenwärtige Einheit von Retention und Protention wäre, was besagt: jene als diese und diese als jene. Gottes Selbst ist (mit Husserl zu reden) »sich zeitigend«.

F. Einige theologische Folgerungen 1. Existenz des lebendigen Gottes Mit dem Konzept des »Werdens zu sich« ist, wie dargelegt, eine Bewegung gedacht, die, indem sie anfängt, schon vollendet bzw. nur als Sichabstoßen von ihrem Ende ist, was sie ist. Es geht um ein Werden, das sich aufhebt: Indem es (als Werden) ist, ist es vollendet, d. h. kein Werden mehr. Umgekehrt geht es hier nicht um ein bloßes Sein als tote Selbstübereinstimmung, sondern um ein Sich-selbst-gleich-Werden. Bewegung (Werden) ist dabei der notwendige, dialektische Schein des wirklichen Selbstseins. Auf Gott bezogen besagt das: Er ist weder einfach da, immer schon existierend (und nur etwa für uns verborgen oder noch zu entwickeln), noch einfach nicht-da. Sondern Werden zu sich meint die Darstellung seiner selbst als ein lebendiges Selbst. So ist sein Sich-von-sich-Unterscheiden438 als Darstellungsweise des Sich-mit-sich-Einigens und so Mit-sich-eins-Seins zu denken.439 Lebendig er selbst ist Gott nur in der Einheit von sich von sich selbst Entzweien und Werden zu sich. So ist er keine bloße (»ewige«) Gege435 DORNER, Ueber die richtige Fassung (wie oben Anm. 391), 356, cf. auch 363; cf. Ps 18,27 und die vielen von Dorner angeführten Bibelstellen (a.a.O. 357). 436 Cf. dazu DORNER, a.a.O. 362 und 373f. Cf. auch R. FELDMEIER, Wenn die Vorsehung ein Gesicht erhält. Neutestamentliche Transformation eines philosophischen Theologumenons, in: ders., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 194–207. 437 Das reflektiert sich innerbiblisch darin, dass Jahwe die logische »Vergangenheit« des Vaters Jesu Christi, d. h. des dreieinigen Gottes, ist; siehe dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 316), 232f. 438 Es entspricht dem neutestamentlichen »Noch nicht«. 439 Das entspricht dem neutestamentlichen »Schon«.

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benheit oder etwas bloß Zukünftiges (»werdender Gott«), sondern wirkliches Subjekt des Geschehens und in der Verdoppelung von »schon« und »noch nicht« erst er selbst.440 Jeder Schritt in die Zukunft (cf. »noch nicht«) ist bei ihm ein Schritt zurück in seinen Anfang (cf. »schon«). 2. Ewiges Sich-Voraussetzen Gottes Sich-Voraussetzen (d. h. sich Sich-selber-Voraussetzen) als Moment seines »Werdens zu sich« kann theologisch in der Formulierung gefasst werden: Gott ist auf dem Wege zu sich.441 Das lässt sich bereits der ἀρχή des Evangeliums nach Markus entnehmen (Mk 1,2f).442 Die systematische These dieses Abschnitts lautet: Gott setzt sich ewig, indem er sich ewig voraus-setzt. Das besagt, Gott bringt sich (als) ewig hervor, indem er seine eigene Vergangenheit hervorbringt. Er setzt sich als der, der immer schon war und so aus seiner ewigen Vergangenheit zu sich kommt und bei sich ist.443 Gott antizipiert sozusagen sich selber, um von daher ewig er selbst zu sein: Seine Ewigkeit ist das Mit-sich-Zusammengehen (bzw. Immer-schon-mit-sich-zusammengegangen-Sein) seines Sich-Vorauslaufens. Die wichtigste negative Folgerung daraus lautet: Gottes Sich-Hervorbringen ist keinesfalls als ein Sich-Schaffen vorzustellen, so als ob er »vorher« (im zeitlichen Sinn) nicht gewesen wäre.444 Denn Gottes Sich-Hervorbringen geht (in der Zeit und der Geschichte) voran und zugleich zurück in die Ewigkeit – und dies nur (so), weil die Geschichte selber auf die Ewigkeit (als ihre Endvollendung) zugeht.445 Vielmehr gilt entschieden: Von Gott ist so zu reden, wie hier vorgeschlagen wird, weil überhaupt nur aus einem mit Gott vorauszusetzenden, ewigen Leben auch unsere Zeitlichkeit und ihr Bezug auf die Ewigkeit begreiflich 440

Cf. die beiden vorausgehenden Anmerkungen. Cf. E. Jüngel: »Gottes Wege sind ebenfalls Wege Gottes zu sich selbst« (E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 212) und: »daß der Weg mit dem Subjekt in unzertrennbarer Weise eines ist« (a.a.O. 213) sowie: »Auf dem göttlichen Lebensweg macht Gott sich zu dem, was er ist« (ebd.). 442 Cf. Mal 3,1 und Ex 23,30 sowie Jes 40,3 (LXX); bei der letztgenannten Stelle wird aus (τοῦ θεοῦ) ἡµῶν bei Markus: αὐτοῦ, d. h. Jesu. Zur Dialektik dieses »Anfangs« cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 316), 11ff und 601 Anm. 648; zum Vorschein Johannes’ des Täufers (Joh 1,15) cf. a.a.O. 25ff. 443 Gemäß Ex 3,14 kann Entsprechendes auch von Gottes (eigener) Zukunft gesagt werden. 444 Gottes Schaffen (im Sinne des biblischen arb) setzt ein ihm vorausgehendes Nichtsein des Geschaffenen voraus; cf. oben z. B. S. 176 Anm. 26 und S. 218f. 445 Das Gesagte ist eine präzisierende Korrektur an dem, was P. Tillich unter Berufung auf Schelling (»Essentifikation«) mit dem problematischen Konzept einer »Anreicherung« des göttlichen Lebens gemeint hat (cf. P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, 453 u. ö.). 441

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werden. Unsere Zeit (mit ihrem Vorher und Nachher) gründet in Gottes eigener Lebendigkeit (als der seines ewigen Sich-Hervorbringens und Als-Gottsich-im-Sein-Haltens); d. h., unsere Zeit ist deren endliche (nicht-absolute) Wiederholung. So kommt Gott jedem vorstellbaren »Vorher« lebendig immer schon zuvor. In gewisser Weise ist die Schöpfung (d. h. geschaffene Welt) Gottes Vergangenheit446 – etwa so wie die Natur unsere, der Menschen, logische Vergangenheit ist. Wir stellen es uns gewöhnlich so vor, dass Gottes Ewigkeit vor der Schöpfung liegt: als etwas, das immer schon ist und vollendet ist. Dies vorstellungsmäßige Sein Gottes »vor« allem ist aber selber eine zeithafte Vorstellung! Man muss dies Vor-allem-Sein Gottes zusammendenken mit Gottes eschatologisch vollendetem Sein auch »nach« allem. Solche ewige Einheit von ewigem Prius und Post (Protologie und Eschatologie) kann nicht nivellierend als »ewige Gegenwart« (im zeitlosen Sinn: Nunc stans) aufgefasst werden. Sie muss als Gottes eigene Lebendigkeit, d. h. als selbsttätige Vermittlung von beidem (sc. dem Vor-allem- und Nach-allemSein), begriffen werden. Diese Einheit hat als ewig lebendige, als das göttliche Leben selber eine »ewige Zeitlichkeit« in sich, von der unsere geschöpfliche Zeit ein endlich gebrochenes und verzerrtes Abbild ist.447 Das heißt: Auch sein Vor-uns-Sein muss ebenso wie sein Nach-uns-Sein aus Gottes eigener Lebensmacht verstanden werden.448 Gottes ewige Lebendigkeit ist als »Werden zu sich« die Dialektik von Sich-Vorauslaufen (-Voraussetzen) und von daher Sich-mit-sich-Vermitteln.449 Indem Gott nur mit sich selber anfängt (»a se«), ist er zugleich die Vollendung in sich (d. h., er ist selbst seine eigene Zukunft) und der von sich herkommende und ausgehende Anfang für sich (d. h. seine eigene Vergangenheit). Gottes ewige Gegenwart (als lebendiges Sich-Gegenwärtigsein) ist mithin nichts anderes als dieser Zusammenhang seiner eigenen Vergangenheit mit seiner eigenen Zukunft: dass er von seiner Zukunft her zugleich auch seine Vergangenheit ist (bzw. von jener her in dieser auf sich selber zugeht) und dass er aus seiner Vergangenheit immer nur seine eigene Zukunft unendlich neu hervorbringt (bzw. diese in jener immer schon sich vorausgesetzt hat).

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Dazu ausführlich unten § 8 Abschnitt F. 5. und 6. (S. 502ff.505ff). Cf. ἐκ µέρους (1Kor 13,12). 448 Cf. δύναµις Lk 20,37f; Mt 22,29 sowie auch Joh 8,58 und Mt 22,45 (mit V. 43). Zum »brennenden Dornbusch« (Ex 3,2) s. o. § 1 B. 3. (S. 121). 449 Bzw. die Dialektik von Sich-von-sich-Unterscheiden als zugleich lebendigem Einssein-mit-sich. 447

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3. Göttliche Gegenwart Der Begriff Gottes als im Werden zu sich sich Hervorbringenden hat unübersehbar auch spezifische religiöse Folgen. Denn aus ihm ergibt sich eine ungeheuere Gegenwärtigkeit Gottes, wie hier kurz anzudeuten ist. Was auch immer in der Welt sich ereignet, sei es in welthaften Zusammenhängen, sei es in Gesetzen: Gott ist aktiv in der Dynamik seines Lebens mit dabei, und dies so, dass er es zum Anlass seiner eigenen, mitgehenden Tätigkeit macht (Vorsehung). Er wird sozusagen zum »Mitspieler« im Weltgeschehen, und zwar derart, dass er dabei sein eigenes Leben schöpferisch vollzieht.450 Gott geht so mit (Ex 13,21), dass er von daher lebendig bei sich ist. Die Folge ist religiös, dass man mit Gott, gerade weil er nicht einfach immer schon vorhanden ist (»existiert«), stets lebendig und neu zu rechnen hat. Fragt man: Was bedeutet dieser Begriff des lebendigen Gottes, der selber ein »lebendiger Begriff« ist, für die Wahrnehmung der Weltwirklichkeit und des Menschen? – so ist zu antworten: Alles ist so hineingerissen in die schöpferische Lebensbewegung Gottes selber.451 Das besagt für das Verständnis von »Schöpfung«: Sie ist nicht im Unterschied zu »Erhaltung« für sich zu fixieren, sondern als etwas zu begreifen, was in Gottes Gegenwart ständig geschieht (creatio continuata). Denkt man den »lebendigen« Gott, so muss seine Schöpfung als stetes Schaffen gedacht werden.452 Dem entspricht unter den Bedingungen des Geschaffenseins die produktive Lebendigkeit der Natur in ihrer Art von »Selbstorganisation«, ihrem Wachstum, ihren Entwicklungen und ihrem (sowohl makro- wie mikrokosmisch) schier unerschöpflichen Reichtum. Dieser innere Reichtum des natürlichen und organischen Lebens453 entspricht als endliches Abbild der unvorstellbaren »Fülle« des in sich und aus sich schöpferischen göttlichen Lebens:454 450

Das ist bei der Darlegung des Zeit-Ewigkeit-Verhältnisses genauer zu erörtern; s. u.

§ 9. 451 Cf. plastisch LUTHER, WA 7, 574,29–31 (1521) und 18, 711,1–7; 718,28–30 (1525). Zum Verhältnis göttlicher Alleinwirksamkeit zum »deus absconditus« s. u. § 10 B. 1.2. (S. 563ff). 452 Darin ist die Schöpfung sprachförmig: kein ἔργον, sondern ἐνέργεια (cf. V. HUMBOLDT, GS 7, 46). Zur augustinischen Metapher des »ictus condendi« und der Schöpfung durchs Wort cf. J. RINGLEBEN, Ictus condendi, in: S. Frost u. a. (Hgg.), Streit um die Wahrheit (FS E. Mühlenberg), Göttingen 2014, 150–164. 453 Man denke an die Bedeutung z. B. der DNA in der Kosmologie. 454 Von Gottes Sich-Hervorbringen her lässt sich die geschaffene Natur als »Äußerung Gottes« verstehen; cf. dazu T. KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 157ff. Cf. insbes. 172f: »Diesem neuen Verständnis entspricht, daß die Welt auch aktuell als Äußerung der Liebe Gottes zu vernehmen (sinnlich wahrzunehmen) ist. Die Weltwahrnehmung wird zur grundlegenden Ebene des Gespräches, in dem sich Gemeinschaft [sc. auch mit Gott] herstellt: die Welt, in der menschliches Fürsichsein entstanden ist, wird als Äußerung Gottes verstanden, die eben diese Kommunikation zum

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Jedes neue Sich-Hervorbringen Gottes am Orte des glaubenden Menschen trägt in sich den unendlichen inneren Reichtum seines ewigen Lebens, und aus den unendlich vielen einzelnen Selbsten kommt Gott, darin sein Leben widerspiegelnd, sich als der Eine und Derselbe entgegen (cf. 1Kor 15,28). Jedes Mal, wenn er sich am einzelnen Ort des Glaubens hervorbringt, erzeugt er diesen Reichtum aus sich (seinem πλήρωµα) bzw. vergewissert sich dessen bzw. seiner. Mit dem hier vertretenen Gottesbegriff wird auch jegliche religiöse Entwirklichung der menschlich erfahrenen Wirklichkeit durch eine »Hinterwelt« vermieden, sondern ist gerade eine starke Betonung der Weltwirklichkeit, wie sie für uns da ist, verbunden.455 Vielmehr kann im Horizont dieses Begriffs vom lebendigen Gott mit der Realität zugleich das Geheimnis Gottes in ihr bzw. an ihr vernommen werden. Indem er ist, indem er sich hervorbringt, unterscheidet sich Gott an der Welt unendlich von ihr bzw. unterscheidet er lebendig seine Ewigkeit von der Zeit.456 Weiterhin bedeutet der hier entworfene Gottesbegriff für das Verständnis der Frömmigkeit, d. h. des Gottesglaubens, – dass er primär den Blick nach vorn zu richten hat (anstatt im Bann der unbeantwortbaren Frage zu verharren: Warum hat Gott das »zugelassen« (oder gar: »bewirkt«)? Das heißt, dass er eine Entlastung von der am Bestehenden (bzw. der Vergangenheit) orientierten »Theodizee«-Frage mit sich bringt; – dass er wesentlich ein Sich-von-Gott-mitnehmen-Lassen ist (d. h. aus einer eschatologischen Einbettung ist, was er ist); – dass er als in die Zukunft geöffnete Ewigkeitsgewissheit lebendig ist. Inhalt hat … Jenseits und diesseits der funktionalen, gesetzmäßigen Erkenntnis des Verstandes können die Phänomene der Lebenswelt die Heiligkeit des göttlichen Gesamtsinns widerspiegeln. Insofern ist ihre Schönheit diese Heiligkeit für das menschliche Auge [cf. Ps 104,1f]. … Der göttliche Sinn von Himmel und Erde wird durch die Wahrnehmung des Menschen vollzogen«; cf. 172ff sowie auch zur »Selbstorganisation« (a.a.O. 157.162f. 165.177) und zu deren Offenheit für die Geschichte (180). 455 Das hat dann auch Konsequenzen in der Eschatologie und dies besonders für das Verhältnis des ewigen Lebens zum irdischen (s. u. § 16). 456 Die berühmte (die Grundlage für die katholische Lehre von der analogia entis bildende) Festlegung des IV. Laterankonzils: »quia inter creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda« (DS 262, nr. 806) lässt sich von Gottes Selbsthervorbringung aus begreifen. Die »Ähnlichkeit« gilt, sofern Gott am bestimmten Ort mit sich anfängt, die immer noch »größere Unähnlichkeit«, sofern er von da aus auf dem Wege zu sich selbst in seiner ewigen Vollkommenheit begriffen ist (cf. die vergleichbare eschatologische Deutung des Bildes von Zentrum und Peripherie der »unendlichen Sphäre« bei Luther, unten § 4 F. 2. [S. 325ff]). Das dynamisch zu verstehende »maior« (cf. Anselm, Prosl. 2!) redet von Gottes Sich-Abstoßen-von und Sich-mit-sichZusammenschließen; er unterscheidet sich lebendig vom Ort seiner Selbsthervorbringung, um absolut er selber zu sein.

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Exkurs V: Gottes Selbstverwirklichung (H. Schell und K. Barth) Gottes Sich-selbst-Setzen kann auch als seine »Selbstverwirklichung« gefasst werden.457 Das hat um die Wende zum 20. Jahrhundert der um eine positive Formulierung der göttlichen »Aseität« bemühte katholische Theologe Hermann Schell programmatisch und in trinitarischem Zusammenhang getan,458 dabei aber heftige Kritik und schließlich die Indizierung seines Werkes auf sich gezogen.459 1. Schell geht von der absoluten Geltung des Kausalgesetzes aus, und ihm zufolge »kann man nur dasjenige als die Urtatsache annehmen, was den hinreichenden Grund seines Wesens und Daseins in sich selber hat, was ratio et causa sufficiens sui ipsius ist«.460 Diese Letztbegründung in einer »Urtatsache« folgt für ihn daraus, dass das Kausalgesetz im tiefsten Wesen der Wirklichkeit und Wahrheit fundiert ist.461 Alles Begründen führt zuletzt auf eine unhintergehbare Selbstbegründung: »Dann ist die erste Urtatsache durchaus vernünftig, weil in sich selbst begründet, durchaus heilig und vollkommen, weil von sich selber vollzogen – nicht durch ein zeitliches Entstehen aus dem Nichts, sondern durch ein ewiges Bestehen in sich selbst«.462 Solches »in sich Bestehen« ist aber nur, was es ist, als ein sich aus sich selbst Begründen, als ewige Selbstverursachung. Schell beansprucht somit, einen Selbstbeweis Gottes in Anspruch zu nehmen, d. h. eine Erklärung, die sich selbst erklärt, eine Lösung, die selbst im eigenen Grund kein Rätsel birgt (gegen Kant), 457

Cf. dazu RGG4 7 (2004), 1176f. Der Begriff Selbstverwirklichung lässt sich an Anselms Formulierung über die göttliche Summa Essentia anschließen: »per seipsam et ex seipsa est quidquid est« (Monol. 6). 458 H. SCHELL, Katholische Dogmatik, 3 Teile (Paderborn 1889–1893), kritische Ausgabe hg., eingeleitet und kommentiert von J. Hasenfuß/H. Petri, München 1968–1994, Bd. I, 228f.251.256f; Bd. II, 35. Dazu s. u. das Zitat § 15 (S. 861 bei Anm. 545). Cf. auch DERS., Das Wirken des dreieinigen Gottes, Mainz 1885 (Nachdr. Frankfurt 1968). 459 Cf. É. GILSON, Der Geist der mittelalterlichen Philosophie, übersetzt von R. Schmücker, Wien 1950, 62 Anm. 21 (»Übertreibung«); NINK, Philosophische Gotteslehre (wie oben S. 187 Anm. 93), 77; J. POHLE, Christlich-katholische Dogmatik, in: Die Kultur der Gegenwart, hg. von P. Hinneberg, Bd. I/4, Leipzig 21909, 57 und HWP 1 (1971), 538 Anm. 14. Zu Schell überhaupt: CH. PESCH, Theologische Zeitfragen, Folge 1, Freiburg 1900, 133ff und 163ff sowie DERS., Noch einiges zur Frage der Selbstverursachung Gottes, ZKTh 27 (1903), 138–148; L. JANSSENS, Summa theologica ad modum commentarii in Aquinatis summa, Bd. I: Tractatus de Deo Uno. Pars prior, Freiburg 1900, 229ff; J. KOCH, Die Entstehung des Gottesbegriffs der Selbstursache bei H. Schell, ThQ 98 (1916), 419–463. 460 H. SCHELL, Das Problem des Geistes, in: ders., Kleinere Schriften, hg. von K. Hennemann, Paderborn 1908, 206f. 461 Cf. ebd. 462 A.a.O. 207.

§ 2 Der Begriff Gottes

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Licht ohne Finsternis, reine Tat ohne dunklen Naturgrund (gegen Schelling) und ohne eine dieser Selbsttat fremde Voraussetzung.463 Entscheidend ist für dies Konzept das ewige Sich-Begründen bzw. In-undaus-sich-Bestehen: Ein Widerspruch … würde nur vorliegen, wenn damit das Entstehen des Urwesens durch eigene Tätigkeit in der Zeit behauptet würde. Allein Selbstursache bedeutet, daß das Urerste kraft eigener Weisheits- und Heiligkeitstat ewig und in unendlicher Lebensfülle besteht, ohne jemals des Entstehens oder der Vervollkommnung zu bedürfen.464

Zugleich behauptet Schell, dass sich nur so, wie er es hier tut, der (natürliche) theistische Gottesbegriff und der (geoffenbarte) dreieinige Gottesbegriff vereinbaren lassen.465 Der Gedanke der ewigen Selbsthervorbringung oder Selbstverwirklichung Gottes verdankt sich mithin dem zweifachen theologischen Anliegen, ebenso eine philosophische Letztbegründung im Gottesgedanken zu finden wie zugleich den lebendigen Gott als den trinitarischen zu begreifen. 2. Genau in dieser letzten Hinsicht hat K. Barth trotz aller Vorbehalte das Berechtigte am Anliegen Schells finden können: »die [im Widerspruch gegen die scholastische Gleichsetzung Gottes mit dem ›unbewegten Bewegenden‹ des Aristoteles beabsichtigte] Fruchtbarmachung der Lehre von der ewigen Hervorbringung des Sohnes durch den Vater, des Heiligen Geistes durch den Vater und den Sohn«.466 Barth konstatiert: »Ist das innere [sc. dreieinige] Leben Gottes … sein Leben in diesen Hervorbringungen, dann wird man gegen dessen Bezeichnung durch den Begriff einer göttlichen ›Selbstverwirklichung‹ … schwerlich etwas Entscheidendes einwenden können«.467 Das gilt aber für Barth einzig und allein unter einer doppelten Restriktion: 1. dass »von den drei Seinsweisen Gottes die des Vaters nicht einmal Gegenstand einer ›Selbstverwirklichung‹ ist«; damit kann dieser Begriff nur noch begrenzt (sc. auf die Hervorbringung des Sohnes und des Geistes) auf Gottes Leben angewendet werden.468 2. behauptet Barth, dass eine ewige Selbstverwirklichung »mit einer Entstehung Gottes aus sich selbst nichts zu tun haben kann, durch den Begriff causa sui also mindestens sehr unzulänglich bezeichnet ist«.469 Barth schließt aus diesen Einschränkungen, der Ausdruck 463

Cf. ebd. Ebd. 465 A.a.O. 208. 466 KD II/1, 343. 467 A.a.O. 343f. 468 A.a.O. 344. Barth wiederholt damit die traditionelle Position; cf. oben C. 2. (S. 204ff). 469 Ebd. Gegen den Begriff causa sui wendet Barth apodiktisch ein, Gott könne »nur causa«, nicht aber zugleich causatum sein (a.a.O. 343). Eine Ausnahme findet er nur bei der Inkarnation: der Schöpfer als Geschöpf (cf. a.a.O. 357). Barth verkennt die interne 464

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Zweiter Teil, Kapitel I: Der Begriff Gottes

»Selbstverwirklichung« könne theologisch legitim nur »die Freiheit des keiner Entstehung (auch keiner Entstehung aus sich selbst) bedürftigen göttlichen Seins meinen«.470 Bei dieser Kritik an Schell scheint Barth, wie auch die bei ihm folgenden Erörterungen zeigen,471 Gottes Sich-Hervorbringen sich nur als ein Entstehen aus dem eigenen Nichtsein vorstellen zu können.472 Es darf Aseität »als das Anfangen Gottes mit sich selber auf keinen Fall interpretiert werden: als entstehe Gott gewissermaßen aus sich selber, wo es sich doch offenbar nur um den Grund und die Verwirklichung seines keines besonderen Entstehens und Bestehens bedürftigen Seins handeln kann«.473 Diese Kritik bleibt einigermaßen unklar, weil hier einerseits weder der Begriff von Gottes Freiheit (offensichtlich als reiner Selbstvollzug in bloßer Aktualität gemeint) distinkt gedacht noch andererseits die Rede von Gottes »Sein« zu dieser Freiheitsbehauptung ins Verhältnis gesetzt wird.474 Damit aber bleibt die oben angeführte zweite Restriktion Schell gegenüber von einer bloßen Behauptung kaum zu unterscheiden. Was die erste Einschränkung betrifft, so fällt sie dahin, wenn Barths Grundkritik und ihre Voraussetzungen sich, wie oben aus dem Abschnitt D. hervorgeht, als unzutreffend erweisen lassen.475 Dialektik des Begriffs »causa sui«, cf. oben S. 192 Anm. 147 mit S. 197 Anm. 177 und S. 215 Anm. 306. 470 Ebd. 471 Cf. a.a.O. 344f. 472 Cf. oben Anm. 333. Barth lehnt die Rede von einem Entstehen Gottes »aus sich selbst und durch sich selbst« entschieden ab (cf. KD II/1, 343). Gleichwohl behauptet er die göttliche Freiheit, »mit sich selbst anzufangen« (a.a.O. 342). 473 KD II/1, 343. Cf. auch den folgenden Satz: »Der aus sich selbst entstehende oder durch sich bestehende Gott wäre – weil gewissermaßen durch die Möglichkeit seines eigenen Nicht-Seins beschränkt – nicht der freie Gott« (ebd.). 474 Immerhin scheint auch Barth Grund und Verwirklichung am göttlichen Sein unterscheiden zu können. J. Dierken kommt in seiner subtilen logischen Analyse der entsprechenden Aussagen Barths zu dem kritischen Ergebnis: »Absolute Positivität als SichGegebensein von Selbsttätigkeit ist das Zentrum des Barthschen Gottesgedankens« (J. DIERKEN, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus. Studien zum Verhältnis von religiösem Vollzug und theologischer Bestimmtheit bei Barth und Bultmann sowie Hegel und Schleiermacher, BHTh 92, Tübingen 1996, 67). Dabei ist entscheidend, dass Dierken wegen der Ungeklärtheit des Verhältnisses von Freiheit und Faktizität in Barths Gottesbegriff eine ungelöste Antinomie zwischen Gottes Sich-gegeben-Sein und seiner Selbsttätigkeit aufzeigen kann (a.a.O. 69). Mit Bezug auf die Barth’sche Rede vom In-sich- und Durch-sich-selbst-bestimmt-Sein Gottes (KD II/1, 339; zitiert oben S. 202 bei Anm. 221) stellt Dierken fest: »Unbestimmt bleibt, inwiefern das Sichselbstbestimmen als göttliches seinerseits durch Gott bestimmt sein kann« (DIERKEN, a.a.O. 66). Dieser triftigen Kritik soll hier eben durch den Gedanken von Gottes Selbsthervorbringung Rechnung getragen werden. 475 Dabei ist noch ganz von dem innertrinitarischen Problem abgesehen, dass GottVater wohl kaum (»monarchisch«) von der Selbsthervorbringung des göttlichen Lebens

§ 2 Der Begriff Gottes

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3. In etwas anderer Weise hat, wie erwähnt, W. Pannenberg das Konzept Schells kritisiert.476 Er macht den logischen Einwand, dass innertrinitarisch der Vater den Sohn gerade als etwas anderes seiner selbst zeugt, man also in dieser Hinsicht »nicht ohne Weiteres« von causa sui sprechen könne.477 Indem Pannenberg aber einräumt, dass »jede Person in den Beziehungen zu den beiden anderen zugleich sich selber realisiert«,478 kann davon das eine Wesen Gottes, der sich darin selbst verwirklicht, kaum ausgenommen werden. Dies hat die Trinitätslehre genauer zu entfalten.479 Pannenberg möchte den Gedanken Schells hingegen allein aufnehmen, um »die innere Dynamik der Selbstidentität des trinitarischen Gottes« im Verhältnis zur Schöpfung auszudrücken,480 d. h. »für die Beschreibung des Verhältnisses von immanenter und ökonomischer Trinität«, bei dem tatsächlich »die Gleichheit von Ausgangspunkt und Resultat gegeben« sei, die das causasui-Theorem fordere.481 Freilich ist offensichtlich, dass der Vorteil dieser Zuordnung, nämlich dass Gottes Ewigkeit als Dreieiniger nicht von Zeit und Geschichte abstrakt zu trennen ist, in der Gefahr steht, Gottes immanentes trinitarisches Leben von seiner Selbstsetzung und Selbstverwirklichung in der Zeit abzukoppeln.

auszunehmen ist. Hängt Barths diesbezügliches Zugeständnis an Schell (s. o.) vielleicht mit seiner tendenziell modalistischen Rede von Gottes »Seinsweisen« zusammen (cf. oben Anm. 408)? 476 S. o. S. 203f. 477 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 192 Anm. 145), 423. Freilich ist der Sohn das eigene Andere Gottes, in dem und von dem her der Vater bei sich ist! 478 Ebd. 479 S. u. § 15. 480 PANNENBERG, a.a.O. 424. 481 Cf. a.a.O. 423. Zur eschatologischen Fassung dieser Gleichheit cf. a.a.O. 359.

Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas) § 3 Der Eine und das Selbst Gottes Einheit kommt durch sein Selbstsein zustande, und Gottes Selbstsein ist die Absolutheit seiner Einheit. Wenn es gelungen ist, in § 2 einen angemessenen Begriff von Gott zu fassen und zu denken, dann wird sich das im Folgenden in zweierlei Hinsicht bemerkbar machen müssen: einmal darin, dass dieser Begriff sich als geeignet erweist, die Entfaltung der weiteren Gotteslehre zu bestimmen, so dass sie nichts anderes ist als eine Weiterentwicklung aus ihm heraus;1 zum anderen zeigt sich die theologische Dignität dieses Gottesbegriffs darin, dass unter seiner Leitung alle weiteren Aussagen der Gotteslehre stets die Gottheit Gottes bzw. das, was ihn von allem sonst unterscheidet – das Geheimnis Gottes –, in immer neuer Weise vergegenwärtigen werden.2

A. Zum Übergang von § 2 In spekulativer Weiterführung von Ex 3,14 wurde im vorigen Paragraphen Gott als der Sich-selbst-Hervorbringende (causa sui) gedacht. Damit ist zweierlei gegeben, was jetzt auszuführen ist.

1 Wenn gliederungstechnisch das formale Sein Gottes (Kap. II) von seinem konkreten Sein (Kap. III) abgehoben wird, so gilt das nur relativ. Mit dem einen sollen die umgreifenden Wesenszüge Gottes, die alle noch folgenden Bestimmungen übergreifen und in sich fassen, für sich herausgestellt werden, während mit dem anderen dann mehr inhaltlich jeweils die konkreten Weisen, wie sich Gott nach außen selbst als lebendig und allmächtig zur Darstellung bringt, artikuliert werden. Beides liegt natürlich ineinander. Im Begriff von Gottes absolutem Sein (Kap. IV) werden die vielfältigen Selbstvollzüge Gottes schließlich in sein absolutes Selbstsein als Dreieiniger und ökonomisch wie immanent alles in sich Vollendender zurückgenommen. 2 Äußerlich soll das bei den einzelnen folgenden Paragraphen dadurch angezeigt werden, dass sie mit dem bestimmten Artikel von Gott an ihm selbst sprechen, der auch in seinem Sich-Vollziehen und Handeln (nach außen) immer er selber ist und bleibt. Seine Bestimmtheiten sind als solche zu denken, zu denen er sich selbst bestimmt hat; so gilt das unten in § 4 (S. 307 bei Anm. 69) von Baader Zitierte.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

1. Gott als absolute Einheit, sein Sein a se et in se. Diese Einheit ist absolut, indem sie sich als Einheit aller irgendwie eintretenden Unterschiede im Sein bewährt, und dies so, dass diese Unterschiede nicht von außen an Gott herankommen, sondern Unterschiede in ihm sind und Gottes einheitliches Sein als ein in sich unterschiedenes Sein zu verstehen ist.3 Gott ist mithin nicht aus verschiedenen (seienden) Bestimmungen oder Eigenschaften »zusammengesetzt«, sondern ihm kommt das eine Sein gerade im eigenen Übergreifen seiner an ihm auftretenden Unterschiede zu. 2. Eine solche Einheit ist Gott (als »causa sui«) durch sich selbst (per se et ex se). Mithin ist er das »eigene« Sein selbsthaft, und so allein ist es das eigene Sein; damit sind die beiden Aspekte von Gottes reiner Innerlichkeit und seinem Selbstsein (bzw. Sich-selbst-Sein) als solchem benannt. Im Zusammenhang beider Hinsichten – absolute Einheit und absolutes Selbstsein (1. und 2.) – erfüllt sich der theologisch wahre Begriff göttlicher »Aseität«.4 Ihn zu artikulieren, macht es erforderlich, erstens von Gottes Einheit an sich bzw. dem Begriff der Einheit (Abschnitt B.), zweitens von seiner Einheit als Einheit mit sich (Abschnitt C.), drittens von seinem Selbstsein als lebendiger Gott (D.) und viertens von solcher absoluten Einheit als absoluter (Abschnitt F.) zu handeln. Anschließend an die Rede von Gottes Selbstsein ist davor die Frage nach dem »persönlichen Gott« bzw. der Persönlichkeit Gottes zu diskutieren (Abschnitt E.).

B. Gottes Einheit an sich Die Frage nach letzter Einheit ist an sich und spezifisch, was Gott betrifft, überhaupt vernunftkonform5 und insofern ebenso religiös wie philosophisch 3

Das wird im Gedanken der Trinität auf seinen absoluten Begriff gebracht (§ 15). Vom absoluten »Selbsterzeugungproceß« Gottes heißt es bei R. Rothe: »Die absolute Einfachheit desselben, d. h., seine unmittelbare absolute Identität mit sich selbst, wird aufgelöst, – es wird in sich differenziert, es tritt in sich auseinander …« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 106 [§ 29]). 4 »… a seipso est, quia a nullo alio. Atque ita etiam dicitur αὐτόθεος; non quod solus pater sit SEIPSO DEUS …, sed quod solus sit A SEIPSO DEUS; ac αὐτουσίαν illam, per quam Jehovah est, non habet ab alio, uti Filius et Spiritus Sanctus« (A. CALOV, Systema locorum theologicorum, Bd. III, Wittenberg 1659, 192). Cf. dazu J. Calvin: »et filium, quatenus Deus est, fatemur ex se ipso esse, sublato personae respectu; quatenus vero filius est, dicimus esse ex patre« (Inst. I 13,25). 5 Was nicht mit einem abstrakt »rationalistischen« Zugang zu verwechseln ist! Gleichwohl entsprechen sich die Einheit Gottes mit sich und der eine Begriff von ihm bzw. die Einheit seiner Erkenntnis; cf. Aristoteles: ὅλως δὲ ὧν ἡ νόησις ἀδιαίρετος ἡ νοοῦσα τὸ τί ἦν εἶναι, καὶ µὴ δύναται χωρίσαι µήτε χρόνῳ µήτε τόπῳ µήτε λόγῳ, µάλιστα ταῦτα ἕν, καὶ τούτων ὅσα οὐσίαι (Met. V 6, 1016b 1–3; cf. X 1, 1052a 29f).

§ 3 Der Eine und das Selbst

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unumgehbar bzw. unvermeidlich, wenn es um einen zureichenden Begriff von Gott geht.6 Schon allgemein gilt: Nur was auf irgendeine Weise eins ist, ist etwas7 und kann als solches erkannt werden.8 Dies setzt freilich auch die Einheit des erkennenden Subjektes voraus – etwa im Sinne des Kantischen »ich denke«, das »alle meine Vorstellungen muss begleiten können«. Dass in Gott die Einheit schlechthin zu verorten ist, entspricht nicht zuletzt dem Sachverhalt, dass nur im Verhältnis zu dem einen Gott auch die Selbsthaftigkeit des Individuums als eines sich wesentlich vor Gott mit sich eins Wissenden gedacht werden kann:9 »Du allein bist für mich Gott« (Jub 12,19). Darum bleibt es tief denkwürdig, dass der biblische Gottesgedanke durchgehend als der des Einen verfasst ist.10 Dies ist in den folgenden Unterabschnitten biblisch wie systematisch darzustellen. 1. Dreifacher Sinn von Einheit Der bisher aus Ex 3,14 gewonnene Gottesbegriff gibt Gott als den zu denken, der sich selber aus sich entgegenkommt; er ist seine eigene Voraussetzung.11 Das besagt an der grundlegenden Stelle Ex 3,14 von ihm her: Ich bin (nur) der, als der ich mich (mir selbst) voraussetze. So ist zu begreifen: Gott ist einer (»Ich«) im Sich-Übernehmen seiner – d. h. im Unterschied von sich (erst) selber (als »Ich«) mit sich eins. In diesem Sinne muss die Einheit Gottes als »Resultat« (sc. seines eigenen Sich-Hervorbringens) gedacht werden.12

6

Nach Aristoteles war Xenophanes der erste, der Gott als die ursprüngliche Einheit schlechthin lehrte (ἑνίσας), Met. I 5, 986b 21f. 7 λέγεται δ’ ἰσαχῶς τὸ ὂν καὶ τὸ ἔν (Met. X 2, 1053b 25; cf. 1054a 13). 8 »Die Wurzel ‫»( ידע‬erkennen, kennen, wissen«) gehört zur Grundausstattung dieser Theologie [sc. des Deuteronomiums]« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie unten Anm. 10], 3). 9 Das hat Luther im »Großen Katechismus« am Ersten Gebot – im Unterschied zu jeglichem Polytheismus – aufgewiesen; cf. BSLK 560–566; zur Interpretation cf. J. RINGLEBEN, »Der Eine und nicht die Vielen«. Konkreter Monotheismus, in: G. Palmer (Hg.), Fragen nach dem einen Gott, Tübingen 2007, 147–152; hierzu besonders die Luther-Zitate WA 30 I, 133,9–12 (ein Gott – dein Gott) und 133,12–16 (Ich – dir). Cf. auch S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 24, 77ff sowie das Klossowski-Zitat oben im Vorwort (S. IX Anm. 10). 10 Das gilt jedenfalls systematisch, wie immer es auch mit der geschichtlichen Vielfalt im alttestamentlichen Reden von Gott bestellt sein mag; cf. dazu R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 93f. Diese auch im Folgenden zugrunde gelegte Gesamtdarstellung ist für jede biblisch orientierte, systematische Gotteslehre ein unverzichtbares Standardwerk. 11 Cf. besonders oben § 2 E.: Werden zu sich (S. 230ff). 12 Das ist das Einleuchtende am Verfahren W. Pannenbergs, der erst am Ende seiner (trinitarischen) Gotteslehre die Einheit Gottes bestimmt; cf. W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 477ff mit 159.363 u. ö.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

Das geschieht im Folgenden bezüglich der wesentlichen biblischen Topoi von Gott als dem Einen im Sinne von unus (1.1.), solus (1.2.) und verus (1.3.). Schließlich sind in diesem Zusammenhang einige weitere neutestamentliche Stellen zu betrachten (1.4.). Bei alledem ist die systematische Voraussetzung leitend, dass Ex 3,14 den Auslegungshorizont aller anderen biblischen Einheitsaussagen hergibt.13 1.1. Unus Zentral wichtig für das Gottesverständnis des Alten Testaments dürfte Dtn 6,4 sein: »Höre, Israel, Jhwh ist unser Gott, Jhwh ist einer!«14 – eine Formulierung, die »im Rang einer expliziten Reflexion« auf die Einheit Gottes steht.15 Zwei Aspekte lassen sich darin relativ unterscheiden: Gottes Herrsein (bezüglich Israels) und sein numerisches Eins-Sein. Unschwer ist zu erkennen, dass beide Momente sich gegenseitig präzisieren. Nur der, der einer ist, kann auch der Herr sein im Sinne des Herrn schlechthin, des Höchsten, Gottes. Das Höchste (Gott) kann nur eins sein, und umgekehrt: Dass dieser Eine der Herr und Gott ist, gibt seiner Einheit besonderes Gewicht.16 Zugleich reflektiert sich seine Einheit als solche im Hören auf ihn und sein Reden, das auch die Hörer eins sein lässt.17 Wo er selbst spricht, wie es paradigmatisch in Ex 3,14 geschieht, da ist er in seinem eigenen Wort (bzw. seiner zu vernehmenden Stimme) einer (bzw. als Einer da) – mit seinem Namen. So kann es in Sach 14,9b vorausblickend heißen: »Zu der Zeit wird der Herr nur einer sein und sein Name nur einer.«18 In seinem Eigen-Namen ist Gott mit sich eins.

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Das kommt ausdrücklich besonders in Abschnitt C. (S. 268ff) zum Tragen. Vg.: »Audi, Israel, Dominus Deus tuus Deus unus est« (LXX: εἷς). 15 Übersetzung und Zitat bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O., 97; zur genaueren Interpretation cf. a.a.O. 97ff. Dtn 6,4 wird im Neuen Testament genau nur in Mk 12,32 zitiert. 16 Von der Einheit des Höchsten ließe sich sagen, was Homer vom »einen König« postuliert: οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη: εἷς κοίρανος ἔστω (Homer, Il. II 204); das überträgt Aristoteles auf die Einzigartigkeit Gottes: Met. XII 10, 1076a 4. 17 Cf. »Gott ist einer, und das Geschlecht der Hebräer ist eins« (Josephus, Ant. IV 201). Dazu genauer unten C. 2. (S. 273). 18 In Sach 12–14 »gewinnt die Formel … Yhwh ist einer« prophetisch überhaupt »neue Prägnanz« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 105). Die sachliche Antithese zu Sach 14,9 findet sich in der hellenistischen Philosophie: »Einer ist Gott, doch er trägt viele Namen« (Pseudo-Aristoteles, De mundo 401a). Das bleibt gedanklich unterbestimmt, weil Gott der Name nur von außen zugesprochen wird. Zum »inklusiven Monotheismus« (bes. Plutarch) cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 109, die hier von einem »Reifezustand« des Polytheismus sprechen (110). 14

§ 3 Der Eine und das Selbst

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1.2. Solus Der Eine ist auch der Einzige, weil er allein (solus) absolut Einer ist.19 In Anspielung auf die Exodus-Tradition (V. 34) heißt es in Dtn 4,35: »Du also hast es zu sehen bekommen, damit du erkennst: Jahwe, er ist Gott, keiner sonst außer ihm« (cf. V. 39: im Himmel und auf Erden).20 Diese exklusive Einzigkeit Gottes (Jahwes) hat vielerlei Echos im Alten Testament gefunden.21 So ist bei Deuterojesaja (Jes 43,10–13 und 44,6–8) erstmals der Zusammenhang von Einzigkeit und Universalität Gottes ausgesprochen.22 Die Logik dieses Ausschließlichkeitsanspruchs dürfte sein: Nur der Eine und Einzige steht Allem sonst gegenüber, weil er als der exklusiv Eine offenbar »auch auf die offensive Negierung jedweder göttlichen Macht in der Welt außer der des einzigen Gottes Yhwh« zielt.23 Entsprechend heißt es in Jes 45,5 (an Kyros adressiert!): »Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr, kein Gott ist außer mir.«24 Hier wird unter dem Aspekt des solus betont, dass dieser Eine allein Gott ist: der Einzige, ein Einziger. Das besagt, dass er nicht nur für sich eins ist (als nur mit sich selbst gleich), was man zunächst auch noch unter dem Stichwort unus fassen könnte, sondern dass er zugleich auch mit keinem Anderen (bzw. nichts Anderem) gleich ist. Genauer gesagt: Es gibt gar keinen solchen Anderen, mit dem er gleich wäre. Er ist absolut der Einzige, »solus«. Die Exklusivität des wahrhaft Einen erklärt auch das alttestamentliche Motiv der »Eifersucht« Gottes – nämlich als Folge des Ersten Gebotes (cf. Dtn 5,7– 10 und 9).25 Der gedankliche Hintergrund dieser »affektiven« Eigenschaft besteht darin, deutlich zu machen, dass die Logik der Entwicklung des Gottesbegriffs zur Exklusivität nicht bei der neutralen Feststellung einer numerischen Einheit (unus) stehen bleiben kann, sondern dass die innere Logik den Gedanken zum solus weitertreibt, ebendazu, dass dieser Eine auch der Einzige ist. Damit ist gesagt: Die ausdrückliche Einheit kommt durch Ausschluss von anderem zustande, so dass sie nicht eine gleichsam neutrale, unbestimmte Einheit ist, sondern eine sich (im Unterschied zu Anderen) selbst bestimmende.26 19 Cf. M. KÖCKERT, Von einem zum einzigen Gott. Zur Diskussion der Religionsgeschichte Israels, BThZ 15 (1998), 137–175. 20 Übersetzung L. PERLITT, Deuteronomium 1–6, BK V,1, Neukirchen-Vlyun 2013, 283; cf. zur Auslegung 360ff sowie FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 103. 21 2Kön 19,19; Ps 86,10; Jes 37,20; 45,6.21f; 46,9 u. ö.; cf. Mk 12,32. 22 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 104. 23 Ebd. Zur Relevanz des Einen und Einzigen für alle Völker cf. auch 1Kön 8,60 sowie unten zu 1Kor 8,4.6. 24 Cf. V. 6: »Auf dass man erfahre, von der Sonne Aufgang und der Sonne Niedergang, dass außer mir keiner sei. Ich bin der Herr, und keiner mehr!« V. 7 spricht von Gottes Macht als Schöpfer, Erlöser und Allwirksamer. 25 Cf. auch Ex 20,3: »Non erunt tibi dii alii praeter me.« 26 Das macht logisch konstitutiv die »Lebendigkeit« des Gottes der Bibel aus: »Die Einzigkeit des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs ist etwas anderes als das Substrat aller

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

Um Ex 3,14 zu variieren: Ich bin so und nur so der Eine, der ich bin, dass kein Anderer ist wie ich. Wenn auch »die Unterscheidung von Einheit und Einzigkeit [sc. Gottes] nur in begrenztem Rahmen berechtigt ist«,27 so stellt sich doch die Frage, wie der Übergang von der »Einheit« zur »Einzigkeit«28 im Rahmen unserer Gotteslehre genauer zu denken ist. Die These ist: Sich selber hervorbringen – das kann nur einer (der Einzige), weil sonst ein über mehreren Instanzen stehendes Allgemeines angenommen werden müsste, dem die eigentliche Gottheit zukäme. Außer dem ewig Sich-Hervorbringenden oder neben ihm kann es nichts Vergleichbares geben; er ist der ursprünglich Eine. Heißt es in Jes 44,10b: »Vor mir ist kein Gott gemacht, so wird auch nach mir keiner sein«,29 so schließt das – von der Selbsthervorbringung Gottes als Konstitution seiner Ewigkeit her gedacht30 – jegliche Relativität aus. Daneben kann Anderes, das gleichrangig wäre, nicht einmal gedacht werden.31 In diesem exklusiven Gottesbegriff vollendet sich die Idee des Gottseins (cf. auch Jes 43,11). Denn dieser Eine und Einzige ist als solcher der wahre Gott, so dass es heißen kann: »Jhwh, er ist (der) Gott und keiner sonst« (Dtn 4,35),32 und von ihm selber her erweisen sich andere Götter als keine wirklichen.33 1.3. Verus Auch die Wahrheit kann, absolut gesehen, nur eine sein. Von Gott gilt: Seine Wirklichkeit als der Einzige, der Gott ist, macht ihn exklusiv zum wahren Gott (verus). Schon im Alten Testament findet sich gelegentlich die Wendung: ὁ θεός ὁ ἀληθινός (Jes 65,16; cf. Weish 12,27).34 Der wahre Gott ist es als der einzig anderen, ›stummen‹ beziehungsweise ›toten Götzen‹, die er nach biblischem Verständnis nicht repräsentiert, sondern von denen er sich radikal unterscheidet« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 110). Gott ist absolutes Subjekt (Selbst) und nicht anonyme Substanz, bzw. er ist nur als das eine Subjekt auch die Substanz von allem anderen. 27 A.a.O. 97. 28 Er wird a.a.O. verschiedentlich behauptet; cf. 97.101.103f. 29 Die Wendung in der unmittelbar vorausgehenden Vershälfte: »Verstehet, dass ich’s bin« erinnert an Ex 3,14. 30 Cf. Jes 44,6b: »Ich bin der Erste, und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott«; cf. außerdem 41,4. Zu Gott als dem Ersten und Letzten s. o. (im Anschluss an Ex 3,14) § 1 D. 5.2. (S. 135). 31 Gott ist ebendas, »quo nihil maius cogitari possit« (Anselm von Canterbury, Prosl. 2); cf. dazu J. RINGLEBEN, Erfahrung Gottes im Denken. Zu einer neuen Lesart des Anselmschen Argumentes (Proslogion 2–4), NGWG.PH 2000/1, 4–36. 32 Cf. auch Dtn 4,39 und 1Kön 8,60. 33 Paulus spricht dann von λεγόµενοι θεοί, s. u. 1.3. zu 1Kor 8,5. 34 Cf. auch Gen 24,27; Dan 4,34 sowie häufig im Psalter: cf. Ps 24,10; 35,6 (56,11; 107,5); 39,11; 88,9; 99,5. Vom Wort Gottes: 2Sam 7,28 (cf. Joh 17,17). Cf. auch Luthers

§ 3 Der Eine und das Selbst

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Wirkliche,35 und seine wahre Wirklichkeit wird als Einheit seiner göttlichen Macht als Herr und Retter ausgesagt, an der er auch erkennbar wird, so z. B. in Jes 45,21b: »War ich es nicht, Jahwe? Und es gibt keinen Gott mehr außer mir. Ein gerechter und hilfreicher Gott ist nicht außer mir« (Übersetzung C. Westermann).36 Wegen der Prominenz des Wahrheitsbegriffs, der hier erst eigentlich thematisch wird,37 finden sich im Neuen Testament eine Reihe wichtiger Stellen zum Deus verus, der zugleich auch unus und solus ist (s. u. 1.4.). So setzt das Vierte Evangelium das ewige Leben in die wirkliche Erkenntnis Gottes als des µόνος ἀληθινὸς θεός (Joh 17,3a).38 Hier ist zumindest impliziert, dass Gott nicht nur µόνος ist,39 sondern dass ihn wahre Einheit auszeichnet.40 Schon bei Paulus findet sich die grundlegende Formel von Gott als dem θεῷ ζῶντι καὶ ἀληθινῷ – in Entgegensetzung zu den toten Götzen (1Thess 1,9). 1Joh 5,20 bezieht dann entsprechend »Wahrheit« und »ewiges Leben« Gottes auch auf den Gottessohn. 1.4. Neues Testament Weil sein Selbstverständnis als der geliebte Sohn (Mk 1,11) vom Alten Testament her ganz im Horizont des Einen Gottes begründet ist,41 gilt auch schon für Jesus selber, dass seine Verkündigung der βασιλεῖα τοῦ θεοῦ »grundlegend vom Gedanken der Einzigkeit Gottes getragen« wird.42 Dafür steht fundamental das Logion Mk 10,18b ein: οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ µὴ εἷς ὁ θεός.43 Mit diesem Einzigen weiß sich Jesus freilich in der Selbstunterscheidung von ihm doch so eins, dass gerade diese Stelle nicht, wie manchmal geschieht, gegen Wiedergabe des emphatischen ζῶ ἐγώ mit: »So wahr ich lebe« (Num 14,21.28; cf. Ri 8,19; 2Sam 2,27; Hi 27,2; Jes 49,18 und Jer 22,24 u. ö.). 35 Auch im hellenistischen Judentum wird die Einzigkeit Gottes betont: Statt εἷς heißt es µόνος ὁ θεός ἐστι (Arist 132). 36 Cf. auch Ps 86,10. 37 Dies besonders im Vierten Evangelium; cf. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, passim. 38 Vg.: »te solum Deum verum«. 39 Als µόναρχος, der »leblos Einsame« im Sinne von Nietzsches »Monotonotheismus«; dafür spricht entschieden Joh 17,3b. 40 Wahr ist sie als zugleich lebendig: V. 17b; cf. auch 10,30 und 14,10. 41 Jesus zitiert in Mk 12,29 den locus classicus zur Einheit Gottes: Dtn 6,4 (s. o. 1.1.). Ähnlich wird in Mt 4,10 (Lk 4,8) in der Anführung von Dtn 6,13 durch die Einfügung von µόνος die Einzigkeit Gottes betont (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 122). 42 H. MERKLEIN, Die Einzigkeit Gottes als sachliche Grundlage der Botschaft Jesu, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus, Bd. II, WUNT 105, Tübingen 1998, 154–173, hier 161. Selbst die »Dämonen« müssen die Wahrheit anerkennen, dass Gott allein εἷς ist (Jak 2,19). 43 Zur Auslegung cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 118f, und J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 321ff. Cf. auch unten § 15 E. 2.3. (S. 812ff).

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eine trinitarische Deutung angeführt werden kann; es geht hier darum, »dass sich gleichermaßen die Einheit in der Unterschiedenheit wie die Unterschiedenheit in der Einheit realisiert, ein Thema, das im jüngsten Evangelium breit entfaltet wird«.44 Gerade in seiner sich im Sohn öffnenden Einheit aber ist Gott der »Gute« schlechthin. Entsprechend heißt es in Mt 19,17: εἷς ἐστιν ὁ ἀγαθός.45 Denn das Gute (bonum) ist nach der alten Formel: diffusivum sui.46 So ist der eine Gott auch der wahre Vater – wie für Jesus selber, so auch für die Seinen: »Und ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen; εἷς γάρ ἐστιν ὑµῶν ὁ πατὴρ ὁ οὐράνιος« (Mt 23,9; cf. Eph 4,6).47 Im Zusammenhang mit Gottes Vatersein erörtert auch Paulus relativ ausführlich die Einzigkeit des einen Gottes vor dem Hintergrund paganer Vielgötterei: »… so wissen wir, dass es keinen Götzen (εἴδωλον) in der Welt gibt und dass keiner Gott ist außer einem (εἰ µὴ εἷς)« (1Kor 8,4b).48 Gemeint ist natürlich: in Wahrheit, und dazu gehört für Paulus (im Kontext), dass der eine Gott wesentlich »nicht als Gegenstand ›begriffen‹ wird, sondern nur insofern erkannt werden kann, als der Erkennende selbst von Gott ›erkannt‹, … also geliebt wurde« (cf. 1Kor 8,2f).49 Empirisch oder faktisch erweisen sich zwar gleichwohl gewisse »Götter« in existenziellen Bezügen für die Menschen außer Christus als relevant,50 aber im Verhältnis zu dem Wahren und Einen sind sie nur λεγόµενοι θεοί (V. 5a).51 Denn was sich als scheinhafte 44 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 119. Dies Verhältnis hat das späteste Evangelium in Joh 10,30 auf den Begriff gebracht; cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 37), Zweiter Teil, 235ff. Auch hier zeigt sich, dass die lebendige Einheit bzw. Selbstgleichheit Gottes von Ex 3,14 im Neuen Testament weiterwirkt. Es sei daran erinnert, dass die Einzigkeit Gottes gerade im Doppelgebot der Liebe expliziert wird; cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 120 Anm. 86 und 121 sowie RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 43), 179f sowie unten § 11 D. 2.3. (S. 650). 45 Vg.: »unus est bonus Deus«. Cf. auch Mt 5,48: ὁ πατὴρ ὑµῶν ὀ οὐράνιος τέλειός ἐστιν (perfectus). 46 Von Luther im »Großen Katechismus« auf Gott bezogen; cf. BSLK 565f (Erstes Gebot). 47 Dass zugleich ein διδάσκαλος (V. 8) und ein καθηγητής (V. 9), d. h. »Lehrer«, mit genannt werden, nämlich Christus: s. u. zu Gal 3,20 und 1Tim 2,5. 48 Auch hier dürfte Dtn 6,4 im Hintergrund stehen. Die Wendung »kein anderer … außer« ist alttestamentlich (s. o.). Zum einen Gott cf. auch Röm 3,30. 49 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 111; cf. 113 und oben Prolegomena, § 2 A. 2. (S. 19ff). 50 Insofern kann Paulus sogar sagen: εἰσὶν θεοὶ καὶ κύριοι πολλοί (V. 5b). Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 112. 51 Μit dem Zusatz εἴτε ἐν οὐρανῷ εἴτε ἐπὶ γῆς könnte die Unterscheidung von θεοί und κύριοι (V. 5b) vorbereitet sein, die sich in V. 6 als die (überbietende) von εἷς θεὸς ὁ πατήρ und εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστός fortsetzt. Zunächst aber ist jener Zusatz im Kontrast zum einzigen Gott gemäß Dtn 4,39 formuliert.

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Macht an denen erweist, die den wahren Gott nicht kennen, sind in Wahrheit gar keine Götter, und man wird beherrscht von τοῖς φύσει µὴ οὖσιν θεοῖς (Gal 4,8b).52 Im Gegensatz dazu sind die Glaubenden des Zweifachen inne: (1.) ἀλλ’ ἡµῖν εἷς Θεὸς ὁ πατὴρ ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς εἰς αὐτόν. (1Kor 8,6a)53 Hier (V. 6aα) interpretieren sich beide Motive durch einander und sind so konkret zu denken: Nur der Eine, der wahrhaft Eine, ist der wahre Vater, kann in Wahrheit der wahre Vater sein – von allem und für alle. Und der Vater ist nicht zuletzt darum wirklich Vater, weil er einer und der einzige Gott ist.54 Der eine Gott steht als schöpferische ἀρχή und eschatologisches τέλος allem sonst als von ihm geschaffen, erhalten und zur Vollendung bestimmt gegenüber (V. 6aβ).55 Schon in diesem eschatologischen Sein ist er der Lebendige schlechthin.56 So ist der paulinische Monotheismus »wesentlich dynamisch-eschatologisch und prozeßhaft zu verstehen«.57 Das konvergiert unübersehbar mit der hier leitenden Hinsicht, Gottes Sein im Anschluss an Ex 3,14 aus der Dynamik des Sich-Hervorbringens bzw. eines »prozessualen« Werdens zu sich zu begreifen. (2.) Zweitens wissen die Christen, wie Paulus mit einem theologisch aufgeladenen καί fortfährt, zugleich mit dem einen wahren Gott diesen auch lebendig gegenwärtig in seinem Sohn, der wie Gott selber (im Alten Testament) κύριος heißt, nämlich als καὶ εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς δι’ αὐτοῦ. (V. 6b) Der einzige Gott wird hier kraft dieser Gleichstellung von Vater und Sohn als im Unterschied von sich mit sich einer ausgesagt, denn der Unterschied von θεός und κύριος ist nichts anderes als ein Selbstunterschied des Einen Gottes.58 52 Wiederum wird hier die wahre Gotteserkenntnis auf ein Von-Gott-erkannt-Sein zurückgeführt (V. 9). 53 Cf. Mal 2,10; Röm 11,36 (dazu eschatologisch cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 116f). 54 Die so verstandene Formulierung von dem »einen Vater« ist die spezifisch neutestamentliche Fortschreibung der Rede des Alten Testaments von dem »einen Herrn«. 55 Cf. auch Röm 9,5; Eph 4,6. 56 Zur eschatologischen Hoffnung auf den einen Gott im Alten Testament cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 107. 57 W. SCHRAGE, Unterwegs zur Einheit und Einzigkeit Gottes, BThSt 48, NeukirchenVluyn 2002, V. 58 S. o. bei Anm. 43. Nur so kann Christus auch »Schöpfungsmittler« sein (cf. Joh 1,3). Vielleicht darf man von einer »Binität« reden; jedenfalls handelt es sich bei V. 6a und b nicht um zwei »Aspekte«, weil der christliche Gottesglaube ungeteilt einer ist. Cf. auch 1Kor 12,5f und Joh 20,28.

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Gott ist nach 1Kor 8,6 gleichsam in einer »Verdoppelung« seiner εἷς,59 aber so, dass er erst in dieser Doppelung mit sich wahrhaft eins ist: zweieinig.60 Es handelt sich um »eine Einheit, welche die Dualität transzendiert, aber nicht aufhebt«61 – eben weil sie sie in sich aufhebt. So kann von einem »christologischen Monotheismus« gesprochen werden.62 Dieser ist strikt daran gebunden, dass, wie nur ein Gott ist, so auch exklusiv nur »ein Mittler zwischen Gott und den Menschen« (1Tim 2,5), der eine Mensch Jesus Christus,63 wenn auch zugleich richtig ist: »Der [eine] Mittler aber ist nicht [Vertreter] eines einzigen; Gott aber ist [nur] einer (εἷς)« (Gal 3,20). 1.5. Logische Analyse An diesen knappen Überblick biblischer Einheitsaussagen von Gott ist nun in systematischer Absicht eine logische Analyse des bisher eher locker skizzierten Einheitsbegriffs anzuschließen.64 (Ich benenne zunächst fünf Hinsichten [mit kurzer Erläuterung], in denen hier von der Einheit Gottes geredet wird, um dann diese wichtigen Aspekte ausführlicher zu behandeln.) 1) Gott ist numerisch Einer, und es geht nicht um eine göttliche Vielheit. Überall, wo Gott als Einzelner unter anderen gewusst wird, spricht man von »Henotheismus«. Aber er ist Einer nicht neben Anderen, sondern als wahrhaft Gott. Darum ist, der inneren Logik folgend,65 seine Einheit 2) als exklusiv zu begreifen: Er ist »der Eine«, d. h. der (als Gott) Einzige.66 Das wird üblicherweise als »Monotheismus« bezeichnet. Dieser Übergang zur Exklusivität kommt dadurch zustande, dass darauf reflektiert wird, dass die numerische Einheit Gott noch nicht als Gott definiert.67 Ist das 59

So FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 114. S. u. Anm. 147. 61 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 113. 62 S. VOLLENWEIDER, Art. Paulus, RGG4 6 (2003), 1035–1065, hier 1046. 63 Cf. V. 4 (»alle Menschen«: Zusammenhang zwischen Universalität und exklusiver Einheit!) und oben bei Anm. 23. So gilt: ein Geist, ein Herr, ein Gott und Vater aller (Eph 4,4–6, cf. 1Kor 12,13). 64 Denn: τὸ ἓν … µὲν λέγεται πολλαχῶς (Aristoteles, Met. X 1, 1052a 15). Die aristotelische Analyse des Begriffs von Einheit (Identität) findet sich in Met. V 6, 1015b 16ff und X 1. 1052a 15ff. Cf. auch Thomas von Aquin, In Met. Lib. V Lect. VIII und Lib. X Lect. II und III. 65 S. o. 1.2. (S. 253f). 66 Gottes Einzigkeit ist nicht bloß negativ, sondern affirmativ zu denken. Sie meint nicht ein exklusives (»höchstes«) Einzelwesen, das nur faktisch das Einzige ist, sondern eine Wesensnotwendigkeit. Eine schwächere Form von »Einzigkeit« findet sich für Gott schon bei Xenophanes: εἷς θεός, ἔν τε θεοῖσι καὶ ἀνθρωποῖσι µέγιστος (B 23; DK I, 135,4). 67 Die griechische Sprache kann diesen Unterschied zum Ausdruck bringen, weil ihr für den Begriff »Eins« zwei Termini zur Verfügung stehen: εἷς (ἕν) und µόνος. »Heis« 60

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aber der Fall, d. h. wird Gott, insofern er Gott ist, als der Einzige gewusst, so ist seine Einheit 3) essenziell für ihn: Gott ist als Gott Eins, d. h. einfach (und nicht irgendwie »zusammengesetzt«). Darum vermag er auch alles zu einen, was vor ihm, dem Einen, eins ist.68 So gewinnt Gottes Einheit eine weitere Dimension: 4) Er ist, gleichsam quantitativ, eins – als die letzte Einheit von allem. Das impliziert fundierend, dass er auch die Einheit von sich und mit sich ist.69 Auch diese Einheit ist er als Gott, und so ergibt sich 5) der qualitative Aspekt göttlicher Einheit: Er ist absolute Einheit, sofern er mit sich schlechthin identisch ist, d. h. seine Einheit selbst bzw. als absolutes Selbst die eigene Einheit ist.70 Da an der »numerischen« Einheit (1) das eigentlich Göttliche gerade das Exklusive ist (2), brauchen im Folgenden nur vier der genannten Einheitsdimensionen genauer erörtert zu werden: die Einzigkeit (traditionell: singularitas, 1.5.1.), die Einfachheit (simplicitas, 1.5.2.), die Allheit oder Ganzheit (totalitas, 1.5.3.) und schließlich die (besonders wichtige) Identität Gottes mit sich (unitas, 1.5.4. bzw. C.).71 1.5.1. Singularitas Augustin hat in Ps 4,10: »tu ›domine, singulariter in spe constituisti me‹« das Adverb singulariter auf die Einzigkeit Gottes bezogen.72 Das ist exegetisch (philologisch) nicht unproblematisch, hebt aber, systematisch gesehen, den wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Attribut der Einzigkeit Gottes und der darauf bezogenen religiösen Identität im Gebet mit Recht hervor (Hen) ist sozusagen das unbestimmte Eins, die bloß numerische Feststellung; »monos« ist das Eins mit dem Index der Exklusivität. Entsprechend herrscht »Henotheismus« da, wo sozusagen ganz unbefangen ein Gott verehrt wird, ohne dass damit andere Götter prinzipiell ausgeschlossen sein müssten, so z. B. in den Frühstadien des israelitischen Gottesglaubens: Jahwe, der Gott der Väter, der als der eine, eigene Gott angesehen wird – ohne Reflexion auf andere Götter, die es »geben« mag. Erst in einem späteren Stadium tritt die Reflexion darauf ins Bewusstsein, dass dieser eine auch der einzige (wirkliche) Gott ist (cf. G. V. RAD, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., München 101992, s. v. »Monotheismus«). 68 Siehe dazu unten C. 2. (S. 273). 69 Zur Einheit mit sich siehe den folgenden Abschnitt C. (S. 268ff). 70 S. u. Abschnitt D. (S. 274ff). 71 Man sieht an den lateinischen Termini, wie sorgfältig die Tradition die Hinsichten logisch zu unterscheiden versuchte, nach denen man von Gottes »Einheit« redet. 72 Conf. IX 4,11: »Du, Herr, (hast) auf Dich, den Einen und Einfachen, mich in Hoffnung angewiesen« (Übers. J. Bernhart). Diese interpretierende Übersetzung kann sich auf den Kontext berufen. »quoniam nullus alius tecum« (ebd.). Dem Wortlaut näher Luther: »denn du allein, Herr, hilfst mir« (Ps 4,9), und W. Thimme übersetzt die Augustin-Stelle: »du, Herr, ›hast mich in Hoffnung fest gegründet‹«.

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(s. u.). Entsprechend kann Augustin z. B. sagen: »non est verus Deus animarum nisi unus«.73 Den logischen Grund für die theologische Bestimmung der singularitas Gottes (im Sinne seiner absoluten Unvergleichlichkeit) gibt Thomas von Aquin an: »Deus non est in aliquo genere«.74 Gott gehört hiernach zu keinem übergeordneten Genus bzw. gehört formallogisch nicht unter einen Allgemeinbegriff. Er konstituiert, wenn man so will, ein eigenes »Genus«, aber er ist das einzige »Exemplar« dieses Genus, also ist es kein Genus. Andererseits ist er aber auch kein Exemplar, weil er eben kein Genus über sich hat. Gott sprengt die Unterscheidungen der formalen Logik: Er ist eben »einzig-artig«, der Einzige. Er ist allein Gott, bzw. er allein ist Gott, der Eine und Einzige. Das kann man aber nicht im nur faktischen Sinne verstehen: so als wäre er eben immer nur eine einzelne Entität, für die es sozusagen zufällig kein übergeordnetes Genus gäbe. Es ist eben nicht gemeint, dass er das einzige »Exemplar« (einer sonst leeren Klasse) ist, sondern dass er in seinem Sein einzigartig und so von sich aus exklusiv nur er selbst ist. Er ist nur dadurch Gott, dass er der Einzige ist, und zwar von sich allein her. Man stößt hier auf die wahre Unbedingtheit Gottes, die Einzigkeit fordert. Nur wenn er eins, Einer im Sinne des Einzigen ist, ist er der Unbedingte und gibt es nichts außer ihm oder über ihm, von dem er abhinge oder das ihn einschränkte. Mit dieser Exklusivität ist zugleich Gottes Universalität gegeben. Allein der, der schlechthin der Einzige ist, kann auch für alles sonst relevant sein und kann auf alles Anspruch erheben.75 Darum ist der tiefste Sinn des Monotheismus seine prinzipielle Universalität. Mit jeder irgendwie begrenzten Gottesvorstellung kann sich nur ein partikularer Anspruch verbinden.76 Mit solcher Konzentration des Gottesglaubens auf den einen Gott ist freilich eine radikale Reduktion verbunden.77 So ist verständlich, dass die Christen in der antiken Umwelt als ἄθεοι (Gottlose, »Atheisten«) bezeichnet worden sind;78 denn sie schienen die Vielfalt religiöser Erfahrung, wie die Götter sie repräsentierten, d. h. das sozusagen unbegrenzt offene »Pantheon« göttlicher Wirklichkeit, auf den anscheinend abstrakten Gedanken des Einen und Einzigen reduziert zu haben. Dies antike Empfinden für eine »Verarmung« des religiösen Welterlebens durch die Ausrichtung auf den Einen hat in der deutschen Klassik ein spätes Echo in einem Gedicht F. Schillers gefunden, 73

De bono conj. 17,20 (PL 40, 387). STh I, q. 3, a. 5 ad 3; cf. ScG I 25. 75 So steht der eine Schöpfer der Welt (als allem, was nicht Gott ist) gegenüber. 76 Insofern bringt das römische »Pantheon« nur die Konsequenz aus dem Polytheismus zur Darstellung, dass dieser weder wirkliche Exklusivität noch Universalität kennt. 77 Cf. den folgenden Exkurs VI (S. 262ff). 78 Noch das – im Übrigen seinem Thema nicht gerecht werdende – Buch von E. BLOCH, Atheismus im Christentum, Frankfurt 1973 steht in dieser Tradition. 74

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das die Schönheit, innere Erfülltheit und Harmonie der antiken Menschen und ihrer Religiosität, ihres Lebens mit den Göttern, beschwört bzw. (verklärend) preist und zum Schluss, den Tod der Antike betrauernd, resigniert in die Klage ausbricht: »Schöne Welt, wo bist du? … / Ach! nur in dem Feenland der Lieder / Lebt noch deine goldne Spur. / Ausgestorben trauert das Gefilde, / Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick, / Ach! von jenem lebenswarmen Bilde / blieb nur das Gerippe mir zurück«.79 Darauf folgt die polemische Wendung der Klage: »Alle jene Blüten sind gefallen / Von des Nordens winterlichem Wehn. / E i n e n zu bereichern unter allen, / Mußte diese Götterwelt vergehn.«80 Dieser Eine ist Christus und der biblische Gott, für den er steht.81 Es ist vielleicht im Sinne einer Kontrastfolie nützlich, sich dieses antikisierende Empfinden zu vergegenwärtigen, um zu sehen, worum es bei der Betonung der Singularität und Exklusivität Gottes geht. Diese ist aber, weil es um den lebendigen Gott geht, keineswegs nur ein Abstraktum (caput mortuum) im Sinne eines negativ (durch Ausschluss eines anderen, d. h. allen wirklichen Reichtums an Bestimmungen) Gewonnenen, sondern sie ist der Weg, einen einzigartigen und unendlichen Reichtum, das unerschöpfliche Sein ewigen Lebens, zu entdecken.82 Zum Beschluss dieses Abschnittes (1.5.1.) ist noch ein biblischer Text über die Einzigkeit Gottes zu bedenken. Das einzigartige Sein Gottes als des Schöpfers gegenüber den nichtigen Geschöpfen kommt in Hi 14,4 so zum Ausdruck: »tu qui solus es« (Vg.).83 Diese Formulierung klingt (für sich genommen) wie eine Antwort auf Ex 3,14. Sachlich sind die beiden Wörter »solus« und (tu) »es« durch einander zu interpretieren, so dass das »allein« eine Wesensbestimmung (und Bedingung) des Seins Gottes ausmacht, d. h., dass es dieses Sein als ein exklusives und unvergleichliches Sein kennzeichnet. Gottes Sein ist ein absolutes Sein: das Sein eines Einzigen, des Einzigen und mit sich Einigen: »tu qui solus es«. Das Gemeinte ließe sich, betont man die letzten beiden Wörter gleichmäßig, auch so paraphrasieren: Wer einzig

79 F. SCHILLER, Die Götter Griechenlands (1. Fassung, 1788), 19. Str. Vielleicht ist die Rede vom »Gerippe« nicht nur eine Anspielung auf die Todesvorstellung des christlichen Mittelalters (cf. Str. 14), sondern enthält auch eine Anspielung auf den Gemarterten und Gekreuzigten. 80 A.a.O., 20. Str. 81 Vom vollen Gedanken des lebendigen, geschweige des trinitarischen Gottes ist Schiller weit entfernt. Für seinen Einen gilt eher noch: »Freundlos war der große Weltenmeister, / Fühlte Mangel … // Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches …« (F. SCHILLER, »Die Freundschaft«, letzte Str.). 82 Wie diese ausgeführte Gotteslehre zeigen kann; cf. auch § 2 F. 3. (S. 242f mit Anm. 454). 83 Anders Luther im Anschluss an die Septuaginta und den hebräischen Urtext.

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ist, ist auch einzigartig, und d. h., er ist auch, in seinem Sein, einzigartig. Der Eine sein und allein wahrhaft sein, das gehört zusammen. So könnte man auch sagen: In einem gewissen (emphatischen) Sinn des Wortes »sein« ist nur Gott.84 Dafür stehe hier Bernhard von Clairvaux: »Deus est, quod est, id est suum ipsius et omnium aliarum rerum esse ipse sibi, ipse omnibus est ac per hoc quodammodo solus est.«85 Gott ist, was er ist; d. h., er ist sein eigenes und aller Dinge Sein, für sich selber und alles Andere, und so ist in gewisser Weise er allein bzw. er allein der Seiende. Dies einzige (einzigartige) Sein des Schöpfers findet sich auch schon bei Irenäus ausgesprochen: »Neque super eum, neque post eum est aliquid, neque ab alio motu sed sua sententia et libere fecit omnia quum sit solus Deus et solus Dominus et solus conditor et solus Pater et solus continens omnia et omnibus, ut sint, praestans.«86 Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der biblische Gedanke der Einzigkeit Gottes (deus unicus) mit innerer Folgerichtigkeit zu den vier Exklusivbestimmungen der reformatorischen Theologie geführt hat: sola scriptura, solus Christus, sola gratia und sola fide.87

Exkurs VI: Der eine Gott und der Glaube Überhaupt ist die exklusive und zugleich universale Einzigkeit des biblischen Schöpfergottes die Bedingung dafür, alle Menschen (als seine Geschöpfe) als für ihn ansprechbar zu halten. Damit ist auch ein Totalitätsanspruch verbunden – in einem Sinn, der sich an Ps 121,2 verdeutlichen lässt. In diesem bekannten Wallfahrtspsalm fragt der homo viator angesichts der massiv bedrohlichen Umwelt seines Heimweges: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen; woher wird mir Hilfe kommen?« (V. 1) Im zweitens Vers wird die Antwort gegeben: »Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat«. Bei dieser Berufung auf den einen Schöpfer handelt es sich insofern um eine Hilfe, als der angerufen wird, der einzig und allein »der Herr« ist. Der Psalmbeter ist angesichts der ängstigenden Undurchdringlichkeit der Wirklichkeit derjenigen Dimension inne, wo diese vieldeutige und gefährliche Realität sozusagen selber beherrscht wird. Er überschreitet die Wirklichkeit als Ganze auf eine Instanz hin, von der diese Wirklichkeit relativiert wird: nämlich den Einen, der diese Wirklichkeit gemacht hat und bestimmt. Damit realisiert der Psalm, dass die Exklusivität Gottes zugleich 84

Cf. Ex 3,14 (LXX): Ἐγώ εἰµι ὁ ὤν. De consid. (ad Eug.) V. 86 Adv. haer. II 1,1. 87 Die vier Bestimmungen des »solus« widersprechen logisch nicht nur nicht der Absolutheit des Einen, sondern legen sie sachgemäß aus. 85

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sein Totalitätsanspruch ist: dass es nichts gibt, was sich dieser Macht Gottes entziehen könnte. Anders gesagt: dass im Lichte des Schöpfungsglaubens alle Wirklichkeit gewissermaßen durchsichtig wird auf Ihn hin – wenn man denn diesen Gedanken des Einen und Herrn fasst und sich ihm vertrauensvoll überlässt.88 Es wird hier nicht ein Gott angerufen gegenüber bestimmten Gefahren (wilde Tiere, Räuber, Steinschlag, reißende Wasser o. ä.), sondern beschworen wird der »Herr, der Himmel und Erde gemacht hat«. Das heißt, der Beter greift total aus, und nur in diesem alles umfassenden und überwindenden Transzendieren findet er seine Hilfe. Nicht in einer einzelnen Bezugsgröße, sondern indem er die Wirklichkeit als ganze überschreitet, findet er erst den wahren Herrn, und das besagt eben: den Einzigen. Mit dieser Exklusivität des einen Gottes der Bibel ist eine Entschiedenheit für den Menschen gesetzt, die sich schon an der im Alten Testament zentralen Stelle Dtn 6,4f findet.89 V. 4: »Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger Herr« (Luther) setzt sich mit einer Konsequenz, die theologisch nachzuvollziehen ist, so fort: »Und du [sc. Israel] sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft« (V. 5).90 Es besteht mithin ein unlösbarer innerer Zusammenhang zwischen der Exklusivität des einzigen Gottes und der Unbedingtheit, die damit ins Leben (und Denken) des Menschen kommt, der sich diesem Einen überlässt. In einer erbaulichen Rede von 1847 hat S. Kierkegaard das Motiv des »Eines Wollen« (bzw. nur Eines Wollen) bewegend ausgeführt.91 Da heißt es: Der Beichtende gewinnt doch das Ewige, daß er in dem Bewußtsein gefestigt wird, er sei ein Einzelner und die Aufgabe sei: Eines in Wahrheit zu wollen. Dies Bewußtsein ist die enge Pforte und der schmale Weg [Mt 7,14]; denn es steht nicht so, daß der Weg eng ist, während doch die meisten ihn nacheinander gehen, nein, die Enge ist eben, daß jeder für sich der Einzelne werden muß, der durch diesen Engpaß auf dem schmalen Weg vorwärtsdringen muß … Nur der Einzelne kann das Gute in Wahrheit wollen, und selbst wenn er … unter Mühen arbeitet: der Weg ist doch der richtige, er steht doch im Verhältnis zu der Forderung, welche die Reinheit des Herzens fordert durch Wollen des Einen.92

Die Rede ist von einem Weg, der nichts anderes ist als die Weise, wie er begangen wird. Nach Kierkegaards Zitat von Mt 7,14 ist das einzig angemessene Wie dieses Weges zum Absoluten die »Enge«, und er bringt in dieser 88

Cf. auch den stupenden Ausdruck dieses Vertrauens in Ps 73,25: »Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.« 89 Siehe dazu oben 1.1. (S. 252). 90 Diese enge Verklammerung von exklusiver Einheit Gottes und totalem Anspruch auf das menschliche Leben und Glauben vollzieht auch Jesus nach; cf. Mk 12,29f. 91 Aus Anlass einer Beichte. S. KIERKEGAARD, Die Reinheit des Herzens: Eines zu wollen, in: ders., GW 18, 7–160. 92 A.a.O. 158f.

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Metapher zwei Momente zusammen: nämlich eines zu wollen, das Eine bzw. den Einen, und selber ein Einzelner zu sein (oder zu werden). Der »enge Weg« zwingt also in eine radikale Konzentration meiner selbst (als dieses Einzelnen) und lässt auf diese Weise den Einen und Einzigen entdecken. Zum einen ist hier die Vereinzelung (bzw. Selbsthaftigkeit) des Subjekts im religiösen Verhältnis angesprochen: dass der Einzelne, wenn er es unbedingt meint, ganz auf sich geworfen ist, ohne im vergleichenden Bezug zu Anderen eine Entlastung zu finden. Nur unter dieser Bedingung wird man nach Kierkegaard wirklich des Absoluten, des Einen, des Einzigen ansichtig. Darum ist die Enge selber schon der Weg und nicht Attribut irgendeines Weges. Zum anderen betont diese erbauliche Rede, dass dies Motiv der »Enge«, diese spezifische Weise, den Weg zu Gott zu gehen, nämlich als ein Einzelner und für sich selbst, genau damit in Korrelation steht, dass es um den Einen schlechthin, um den Einzigen, Gott selber, geht. Gott selber als der absolut Eine fordert nur Eines und den Einzelnen. Nur als Einzelner kann man wahrhaft vor diesem Einen sein. Man muss ein Selbst als Einzelner in diesem Sinne werden, um Gottes ansichtig zu werden und in Wahrheit Eines wollen zu können. Die angeführte Kierkegaard-Passage zeigt ein weiteres Mal, dass auch die theologischen Aussagen über Gottes Einheit sich durchsichtig machen lassen als Bestimmungen unserer Religiosität, unseres selbsthaften Verhältnisses zu Gott.93 1.5.2. Simplicitas Gottes Einheit gibt es nur, indem sie Gottes Einheit ist. Das bedeutet: Wenn Gott singulär ist und zugleich auch numerisch eins, dann ist er auch »einfach«.94 Seine Einzigkeit (1.5.1.) hat ihren Grund in seiner Einfachheit, wie schon Aristoteles aufzeigt.95 Sie ist Einheit nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, und so Einfachheit.96 Der Deus verus ist auch in sich, was er außer sich ist: eins. 93 Cf. oben bei Anm. 72. Es ist für das Selbst-Sein eines Menschen von entscheidender Bedeutung, ob er an einen glaubt, der als Gott der Einzige ist, oder aber an einen, der ein unbestimmtes Vielerlei ist, oder gar an viele »Götter«. 94 »una essentia, substantia seu natura simplex omnino« hat schon das Lateranense IV definiert (DS34, 259; nr. 800). 95 Cf. Met. XII 8, 1074a 33–38. Überhaupt ist eine Grundbedeutung des Einen: in innerem Zusammenhang mit sich zu sein (τὸ συνεχές), und dies besonders, sofern es ἁπλῶς ist (VIII 1, 1052a 19). 96 Platon sagt vom θεός: ἁπλοῦν τε εἶναι καὶ πάντων ἥκιστα τῆς ἑαυτοῦ ἰδέας ἐκβαίνειν (Politeia II, 380d 5f); cf. auch: µένει ἀεὶ ἁπλῶς ἐν τῇ αὑτοῦ µορφῇ (381c 9, cf. 382e); das bedeutet hier freilich: ἥκιστα ἀλλοιοῦται τε καὶ κινεῖται (380e). Zur Einfachheit Gottes cf. auch Philo.

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Das schließt bei Gott alle Zusammensetzung aus, insbesondere die von Genus und spezifischer Differenz, so dass er formallogisch nicht definiert werden kann.97 Einfach zu sein, das heißt bei Gott: in allem Sein und Tun ganz und ganz er selber zu sein: der Beständige, Unveränderliche98 und Ewige.99 Auch in seinen »Eigenschaften« ist er nur Einer: einfach, weil einig mit sich,100 und erst recht ist er als Drei-Einiger nur Einer.101 Es geht dabei um die innere Einfachheit in allem Selbstunterschied, also um die Einheit höchster Lebendigkeit,102 denn »Einfachheit [ist] nicht mit innerer Unterschiedslosigkeit zu verwechseln. Sie bildet nur den Gegensatz gegen ein Außereinander der Vielheit, die dann eine nur mechanische Einheit durch Zusammensetzung übrig ließe«.103 Mit drei Zeugnissen soll die simplicitas Gottes noch näher beleuchtet werden. Augustinus bringt die Einfachheit Gottes mit seiner Einzigkeit zusammen: »tu solus es, quia simpliciter es«, und daher gilt: »te simplicius quicquam non reperitur«.104 Gott allein kommt eine (unauflösbare) »aeterna simplicitas« zu.105 97

Cf. Thomas oben bei Anm. 74. Ähnlich schon der Mittelplatonismus; cf. Albinos, Didask. 165,5ff; Kelsos (bei Origenes, C. Celsum VII 42; PG 11, 1481C–1484A) und Clemens Alexandrinus, Strom. V 12 (PG 9, 121A). 98 »Unveränderlich« ist Gott nur in dem Sinne, dass er, weil einfach, unteilbar (nicht zusammengesetzt) ist. Zur Unveränderlichkeit Gottes s. o. § 2 E. 2. (S. 232ff). 99 S. u. Abschnitt D. (S. 274ff). 100 S. u. § 4. 101 S. u. § 15 C. 1. und H. 1. (S. 782ff und 832ff). 102 Lebendig ist der Dreieine, weil die Trinität so etwas wie die ewige Zeugung des Sohnes und den perennierenden Hervorgang des Geistes in ihrer Einheit in sich schließt. Auch nach außen, als der Schöpfer und Vollender, bleibt der lebendige Gott doch in Übereinstimmung mit sich und einfach, weil eins mit sich. »Sie [die göttliche Weisheit] ist nur eine, und tut doch alles. Sie bleibt, was sie ist, und erneuert das All« (Weish 7,27a). 103 I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 184. Vom Gedanken einer lebendigen Einfachheit aus, die gerade als Einheit ihrer immanenten Unterschiede zu denken ist, bietet sich gegenüber der Tradition die Möglichkeit, über eine »negative Theologie«, die Einfachheit nur verneinend aussagen kann, hinauszugelangen. Für die Letztere steht exemplarisch Thomas von Aquin: »nos non scimus de Deo, quid est« (STh I, q. II, a. 1, resp. und q. III, a. 1ff); wir können also Gott nicht vollkommen erkennen, »secundum quod est in se« (STh I, q. XIII, a. 11), wohl aber in einer cognitio confusa, weil gilt: »de nulla re potest sciri an est, nisi quoquo modo de ea sciatur quid est« (In libr. Boeth. de trin., q. 6, a. 3). Cf. auch Gregor von Nyssa, der meint, von Gott sei nur erkennbar, dass er ist (τὸ ἔστι), nicht aber, was oder wie er ist (PG 45, 761Β–C und 957A). Literatur zur negativen Theologie findet sich bei H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 28 Anm. 12. 104 Augustin, Conf. XIII 3,4 und II 6,13. 105 Conf. IX 3,4.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

Augustinus formuliert weiterhin die göttliche Einfachheit als untrennbares Ineinander von Sein, Leben, Erkennen und Seligkeit: »quia non aliud illi est esse, aliud vivere, quasi possit esse non vivens; nec aliud illi est vivere, aliud intelligere, quasi possit vivere non intelligens; nec aliud illi est intelligere, aliud beatum esse, quasi possit intelligere et non beatus esse; sed quod est illi vivere, intelligere, beatum esse, hoc est illi esse«.106 In allen genannten Wesensdimensionen hat Gott sein einiges, unteilbares Sein als ein schlechthin simpliciter esse, und er bleibt sich gleich, was auch immer er ist. So ist er fugenlos mit sich einig: »simul omnia, quia unum summum et verum bonum«.107 Bei Irenäus ist zu lesen: »… et simplex et non compositus … et totus ipse sibimetipsi similis et aequalis est, totus cum sit sensus et totus spiritus, et totus sensuabilitas et totus ennoea [ἔννοια] et totus ratio et totus auditus et totus oculus, et totus lumen et totus fons omnium bonorum«.108 Umfassender lässt sich Gottes absolut einfache Einheit mit sich in aller Lebendigkeit kaum zur Sprache bringen. (Zur »Sinnlichkeit« Gottes cf. z. B. Ps 94,9.) Luther schließlich bringt Gottes Einfachheit als absolute zur Sprache, indem er sie als präzisierende Steigerung der Rede von göttlicher Einheit versteht: »Non solum enim docemus et credimus unum, sed simplicissima simplicitate et unissima unitate.«109 Wiederum gilt, dass solche unüberbietbare Höchstform von simplicitas110 von äußerlicher Vielfalt streng zu unterscheiden ist, vielmehr als eine interne Differenziertheit des göttlichen Seins einschließend nur aus der ewigen Einheit des Einen selber zu begreifen ist: »Ergo in Deo summa est simplicitas, neque dici potest esse pluralitatem additionis, sed est pluralitas aeternitatis, quae est simplicitas.«111 Eine solche »pluralitas aeternitatis« scheint selber eine spezifische Weise göttlicher Einheit mit sich darzustellen, ja, diese vielmehr erst zu realisieren, muss also theologisch ganz aus der eigenen Macht Gottes, für sich eins zu sein, und d. h. sich selber hervorzubringen, gedacht werden.112 Für ein solches Verständnis spricht immerhin Luthers denkwürdige Formulierung über Gott: »dum se multiplicat, maxime idem manet et fit«.113

106

De civ. Dei VIII 6 (PL 41, 231). Conf. XII 16,23. 108 Adv. haer. II 13,3. Ganz anders bei dem Menschen, der seine diversen »Vermögen« nur als partikularisierte und oft im Widerstreit zueinander und zu ihm selbst hat. 109 WA 43, 479,5f (1535–1545 in trinitarischem Zusammenhang!). 110 Zu dieser Absolutheit s. u. Abschnitt F. (S. 291 Anm. 264). 111 WA 39 II, 327,17–19 (1544). Cf. auch: »contradictio, quod unus est Deus, et tamen illa unissima unitas verissima etiam est pluralitas« (WA 42, 10,20f). 112 Cf. unten Anm. 148. 113 WA 1, 27,18. Zuvor heißt es: »sic in se ipso iam sese multiplicat et plurificat, non tamen recedit a se ipso, imo maxime manet idem« (Z. 8f). 107

§ 3 Der Eine und das Selbst

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1.5.3. Totalitas Zur Einheit Gottes gehört auch, dass er alles, was er ist, auch ganz ist:114 »ubique totus es, et aeternitas tua tota est semper«.115 Gott bleibt durch alle seine Unterschiede einfach und in allen seinen eigenen Unterschieden ganz er selbst: τὸ πᾶν ἐστιν αὐτός (Sir 43,27).116 Indem er alles mit sich eint, eint er es mit sich selber: »ex seipso procedit et producit aliquid sui et tamen non seipsum deserit: ita et in Deo fit«.117 Somit ist die Einheit Gottes nicht nur ausschließend (1.5.1.), sondern auch umfassend (cf. Röm 11,36).118 Aber in solcher alles andere umfassenden Einheit, die in seiner internen totalitas gründet,119 bleibt er doch immer einfach (1.5.2.), und ebendarum ist er beides nur als der Lebendige (s. u. § 4). 1.5.4. Unitas Gottes eigene Identität ist eine Einheit, die, wie der Leitsatz dieses Paragraphen es formuliert, durch ihn selber »zustande kommt«. Solche »unitas« Gottes (als selbstgewirkte Identität seiner) ist nicht einfach vorgegeben, bzw. er »hat« sie nicht nur faktisch, sondern als ihm wesentliche, lebendige und unauflösliche Einheit120 ist sie in einem dynamischen Sinne Gottes Einheitmit-sich. Dies Thema ist wegen besonderer Wichtigkeit einem eigenen Abschnitt (C.) vorbehalten. Den Übergang dazu bildet die Erinnerung, dass Gottes Sein überhaupt als ein Sich-Hervorbringen begriffen werden muss, so dass er als Sich-Setzender auch seine eigene Identität hervorbringt: als Einheit mit sich, Einigung seiner. So ist Gott, um Plotins Formulierung für das Eine nochmals aufzugreifen, τὸ πεποιηκέναι ἑαυτόν.121

114

Zu »totus« s. o. das Irenäus-Zitat bei Anm. 108. Anselm von Canterbury, Prosl. 18 (so auch schon Augustin: Conf. VI 3,4). Cf. bei Anselm auch: »Nullae igitur partes sunt in te, Domine, nec es plura, sed sic es unum quiddam et idem tibi ipsi, … immo tu es ipsa unitas, nullo intellectu divisibilis. Ergo vita et sapientia et reliqua non sunt partes tui [cf. oben Augustin bei Anm. 106], sed omnia sunt unum, et unumquodque horum est totum quod es, et quod sunt reliqua omnia« (ebd.). 116 Cf. Weish 7,27a (zit. oben Anm. 102). 117 WA 1, 27,3f. 118 Cf. auch 1Kor 8,6 und Eph 4,6. 119 Das Thema »Ganzheit« Gottes wird abschließend erst in § 15 behandelt. Auch bei Aristoteles bedeutet Eins-Sein vorzüglich τὸ ὅλον sein, und dies besonders, wenn es von Natur aus so ist, d. h. ἔχει τι ἐν αὑτῷ τὸ αἴτιον αὐτῷ τοῦ συνεχὲς εἶναι (Met. X 1, 1052a 22.24f). 120 Auch für Aristoteles kommt dem Einen stets die Bedeutung zu, ἀδιαίρετος zu sein (Met. X 1, 1052b 15f; 3, 1054a 23 sowie V 6, 1016b 3–5). 121 Enn. VI 8,20,25f. 115

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

C. Gottes Einheit mit sich 1. Bestimmungen der Tradition Mit diesem wichtigen Aspekt der Identität Gottes als innerer wird der Übergang zu Gottes Selbstsein (Abschnitt D.) vorbereitet. Denn die unitas Dei als Gottes Einheit mit sich soll in der Bedeutung von Sich-selbst-Gleichheit und Selbstübereinstimmung gedacht werden. Zunächst ist von dieser Einheit Gottes mit sich selbst im Sinne eines lebendigen Bestandes und ewigen Resultates zu reden: der Einheit, die Gott selbst für sich ist.122 Eine solche Einheit kann Gott nicht bloß von außen zugesprochen (ihm sozusagen »angetan«) werden.123 Denn wenn Gott als sich Hervorbringender gedacht wird, kann die innere Einheit Gottes nicht mehr einfach vorausgesetzt werden – er stellt sie selber mit sich erst her.124 Vor diesem Hintergrund erst lässt sich der Gedanke platonischer Metaphysik von dem absoluten ἕν als »schlechthin nur mit sich selbst identisch und deshalb als unvergänglich und zeitlos« christlich umformen.125 Als Ergebnis des eigenen Hervorbringens seiner eigenen Identität lässt sich Gottes interne Einheit mit sich im Folgenden in sieben Hinsichten aussagen. Alle diese Aspekte, für die jeweils ein kurzer Belegsatz angeführt wird, haben in formaler Hinsicht das Gemeinsame, dass eine ontologisch vorgegebene Unterscheidung aufgenommen und so über sich hinausgeführt wird, dass an dem Punkt, wo ihre Einheit eingesehen wird, Gott eingesehen wird.126

122 Wie der Leitsatz bereits formuliert, soll die Einheit Gottes mit sich auch als durch ihn selber zustande kommende gedacht werden, also als etwas, das er nicht einfach »ist« oder »hat«, sondern das er selber hervorbringt und darum in einem unüberbietbaren Sinne wesentlich selber ist. Darum ist seine Einheit eine lebendige und unauflösbare (Hebr 7,16). Von diesem Zustandekommen seiner Einheit durch Gott selbst handelt explizit der nächste Abschnitt (D. [S. 274ff]). 123 Zu den herrschaftslogischen Zügen eines bloß als abstrakte Negation von Differenz verfassten, formallogischen Einheitsgedankens cf. RINGLEBEN, »Der Eine und nicht die Vielen« (wie oben S. 251 Anm. 9), 160 mit Anm. 82. 124 Auch der Christologie kann eine Einheit Gottes nicht abstrakt vorausgesetzt werden, so dass die defizienten Lösungen bei der Verhältnisbestimmung: Gott und Christus (Modalismus, Doketismus, Subordinatianismus, Adoptianismus, Arianismus) schon der Möglichkeit nach wegfallen. 125 Cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 110. Theologisch ist vielmehr zu fragen: Was ist eine lebendige Identität mit sich selbst, und wie verhält sich die Ewigkeit Gottes zu seiner Zeitbezogenheit? Cf. J. HALFWASSEN, Platons Metaphysik des Einen, in: ders., Auf den Spuren des Einen, Tübingen 2015, 91ff (außer zu Platon auch zu Plotin, Proklos und Speusipp). 126 Also da, wo das Denken an seine Grenze kommt, weil die aufgegriffene Unterscheidung versagt, gerade da beginnt es, Gott selber zu denken.

§ 3 Der Eine und das Selbst

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1.1. In der Tradition weit verbreitet ist der Satz: In Deo non differunt Esse et quod Est. So richtig damit die Einheit von Sein und Dass-Sein (Existenz) (a.) bzw. die von Dass-Sein und Was-Sein Gottes (b.) abstrakt bezeichnet ist, sie muss gleichwohl von Gott selbst her als durch ihn erzeugt, mithin »dynamisch« verstanden werden.127 Im Sinne von (a.) gelesen, würde der Satz dann besagen: Gott ist nicht irgendwie und tritt dann auch in die »Existenz«, sondern sein Sein ist nichts anderes als dieses sich zur Existenz Bringen, eben selbstgesetzt. Im zweiten Sinne (b.) würde der Satz bedeuten, dass Gott, indem er sich faktisch hervorbringt (in seinem Dass-Sein seiner Existenz), er zugleich auch sein Was-Sein hervorbringt, und zwar als damit identisch. Dass er ist, ist völlig eins damit, was er ist. Diese Identität (a. oder b.) ist nur unter der Bedingung einleuchtend, dass seine Existenz eine bestimmte, einzigartige und allein ihm eigentümliche Weise, sein Wie-Sein, einschließt. Weil die Art und Weise, wie er existiert, seine eigene ist, ist er in der Existenz auch schon alles, was er ist.128 1.2. Im systematischen Anschluß daran und mit Bezug auf Ex 3,14 heißt es bei Anselm von Canterbury: Tu solus ergo, Domine, es quod es, et qui es.129 Damit ist eine göttliche Einheit von Da-Sein und Wer-Sein für die Einzigkeit Gottes behauptet. Die Rede ist nicht von einem beliebigen Subjekt, von dem zusätzlich auch die Existenz ausgesagt würde, die als solche noch nicht mit ihm gegeben wäre, sondern es geht gerade um die absolute Einheit von beidem: Nur dieser Wer ist derjenige, von dem notwendig auch Dasein mitgesagt wird. Und umgekehrt: Mit seinem Dasein ist sein »qui est«, seine Subjekthaftigkeit, immer auch schon gegeben.

127 Das gilt auch für die an sich nicht unrichtigen, aber zu statisch gedachten Aufstellungen z. B. bei Thomas von Aquin: »quod Deus est idem quod sua essentia vel natura« (STh I, q. 3, a. 3, resp.) oder: »quod Deus non solum est sua essentia, sed etiam suum esse« (STh I, q. 3, a. 4, resp.). Zum Satz des Hilarius: »Esse non est accidens in Deo, sed subsistens veritas« (De trin. VII 1) bemerkt der Aquinate: »Id ergo quod subsistit in Deo, est suum esse« (q. 3, a. 4, 2. sed contra). 128 Ganz anders die menschliche Kontingenz: »Der transzendentalen Notwendigkeit des Ich denke, ich bin entspricht keine raumzeitliche Notwendigkeit dafür, daß ich dieses bin, was ich bin« – das Was ist also zufällig, nur das Daß notwendig; cf. H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014 (zu Husserl), 104. Bei Gott hingegen ist mit der absoluten Selbsthervorbringung des »Ich bin« auch schon dessen Inhalt (»der ich bin«) streng identisch gegeben: Im Sich-Hervorbringen lassen sich aktuelle Form und wesenhafter Inhalt nicht unterscheiden. Das »dieses, was …« ist bei Gott selber ein absolutes. 129 Anselm, Prosl. 22.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

1.3. Das entspringt einzig dem einen Gott selber: Ille solus igitur a se habet, quidquid habet.130 Gottes Aseität wird als Einheit von Sein und Haben begriffen, und dies als eine Einheit, die er allein von sich selber her (»aus sich« und »durch sich«) ist. Er hat nur von sich her, was er überhaupt »hat«. Wenn es sich nach dem normalen ontologischen Modell von Seiendem so verhält, dass da etwas ist als eine eigene Substanz, der dann Eigenschaften (als Akzidentien) zugesprochen werden, die sie hat – Sein und Haben also unterschieden werden –, ist demgegenüber hier das Haben als selber eine Weise des Seins und mit dem Sein selber schon gegeben verstanden. Bei Gott ist das »Haben« nicht vom »Sein« zu trennen. 1.4. Das betrifft vor allem die Eigenart göttlichen Lebens: Quod Deus sit ipsa vita, qua vivit (et sic de similibus).131 Weil Gott überhaupt nur von sich und durch sich ist, was er ist,132 gilt besonders für seine Lebendigkeit: »Tu es igitur ipsa vita qua vivis, et sapientia … et bonitas ipsa [etc.].«133 Dies ist eine äußerst wichtige Bestimmung, nicht nur was die Selbstlebendigkeit Gottes angeht (cf. Joh 5,26 und 14,6),134 sondern auch für die Einheit von Gottes Sein und Eigenschaften.135 Was nun den spezifischen Begriff von Gottes »Leben« angeht, so ist es nicht so, dass Gott (irgendwie) ist und dann auch noch an dem allgemeinen Wesen des Lebens teilhat und in diesem Sinne »lebt«,136 sondern er ist selber das Leben, das er lebt und durch das er lebt.137 Allein von Gott lässt sich daher sagen: »quod est vita, et non solum vivens«.138 Er lebt nicht das Leben oder ein Leben und »hat« es nicht nur, sondern er lebt »a se« sein eigenes Leben. Also wenn man so will, fallen Subjekt und Prädikatsbestimmung hier (»lebendig«) zusammen. Das hängt engstens mit dem Charakter des Selbst-Seins Gottes zusammen. Es geht darum, dass er selber das Leben ist, aus dem er 130

Anselm, De casu diab. 1. Anselm, Prosl. 12. 132 »Quidquid es, non per aliud es quam per teipsum« (ebd.). 133 Ebd. In Prosl. 18 heißt es dann: »tu es ipsa unitas« und »aeternitas, quae tu es«; Gott ist mithin seine eigene Einheit und seine Ewigkeit. 134 Dazu genauer § 4. 135 Cf. dazu § 7. Ähnliches kann auch im Blick auf die »Gerechtigkeit« Gottes (als summa essentia) gesagt werden: »Quod idem illi sit esse iustam, quod est esse iustitiam … [etc.] et quod nihil horum monstret, qualis illa … sit, sed quid sit« (Anselm, Monol. 16). 136 So ist es bei uns: Wir zehren vom allgemeinen Leben und leben dadurch, dass wir begrenzt und endlich an dieser Wesenheit »Leben« teilnehmen. 137 Darin, dass er der Hervorbringer allen Lebens ist, lebt er in einem absoluten Sinne sein eigenes Leben. 138 Thomas, STh I, q. 3, a. 3 sed contra (mit Bezug auf Ex 3,14). 131

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lebt, so dass diese »Eigenschaft«, der Lebendige zu sein, ihm gewissermaßen nicht von außen zukommt und er damit nur faktisch behaftet wäre, sondern dass er sie selber mit seinem Selbst-Sein durchdringt und verwirklicht. Sein Sein als er selbst und sein »Das-Leben-Sein« sind völlig ununterscheidbar.139 Die Einheit, die Gott als Gott zukommt, hat er durch sich selbst, so dass gesagt werden kann: immo tu es ipsa unitas (nullo intellectu divisibilis).140 1.5. Es ist demnach nicht einfach so, dass Gott Einheit an sich hat oder faktisch mit sich eins ist, sondern er ist selber die Einheit, die ihm eignet. Es handelt sich um eine selbsthafte, selbsthaft vollzogene, d. h. von Gott gesetzte und getragene Einheit. Denn Gottes Selbst-Sein besteht insofern in nichts anderem als darin, die Einheit für sich herzustellen, seine eigene Einheit zu sein. Das besagt nichts anderes als: sich als Gott hervorzubringen. 1.6. Darum ist mit einem der frühesten Belege für Gottes Durch-sichselbst-Sein auch sein Selbst-Sein schon angesprochen – wiederum im Anschluss an Ex 3,14: summa natura … per se ipsam et ex se ipsa est, quidquid est.141 Die göttliche Aseität wird hier auf Gottes Was-Sein bezogen. Er ist alles, was er ist, durch sich selbst. So ist er absolut ein Selbst bzw. das absolute Selbst. Im Selbstvollzug ist Gott auch sein eigener Wesensgrund. Er bringt, so ist zu sagen, die Bestimmungen seines Was-Seins hervor, indem er sich selbst hervorbringt. Alle Eigenschaften Gottes sind sozusagen Selbst-Verwirklichungen dieses göttlichen Selbst.142 1.7. Diese Einheit von Gottes Wesen und ewiger Gottheit, von absolutem Sein und faktischer Existenz entspringt einzig und allein dem Selbstsein Gottes, in dem er schlechthin von sich her und durch sich allein ist: Essentia Dei est ipsa Deitas, qua Deus a se et per se absolute est et existit.143 Danach ist es nicht so, dass das Wesen Gottes sozusagen in uns entzogenen und schlechthin verborgenen Gründen seinen Ursprung hätte und die Göttlichkeit gewissermaßen nur die uns zugekehrte Seite dieses abgründigen Wesens 139

Cf. dazu Näheres unten in Abschnitt D. (S. 274ff). Anselm, Prosl. 18. 141 Anselm, Monol. 6. Cf. Augustin: »consubstantiale illi est quidquid eius est, et quidquid est, quia Deus est« (Tract. ev. Ioan. XX 4; PL 35, 1558). 142 Darum werden sie auch, wie gesagt, in den folgenden Paragraphen mit bestimmtem Artikel »Der Lebendige« etc. angeführt, als auf Gott bzw. sein Selbstsein zurückbezogen. 143 A. POLANUS V. POLANSDORF, Syntagma theologiae christianae, Hannover 1609, col. 865. Schon Thomas benennt diese Einheit im Selbstsein Gottes: »Deus est ipsa Deitas … sua deitas, sua vita et aliud sic de Deo praedicatur« (STh I, q. 3, a. 3, sed contra und resp.). 140

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wäre, sondern Gottes Wesen ist nichts anderes als die schon von ihm selbst betätigte Gottheit, und die Gottheit ist die Hervorbringung des Wesens Gottes selbst. Er selbst ist als Selbst seine Gottheit und sein Wesen. 1.8. Das Bisherige (1.1.–1.7.) zusammengefasst, lässt sich sagen: Die innere Identität Gottes ist seine eigene (selbstverwirklichte) Einheit-mit-sich, d. h. seine vollkommene, in sich begründete und darum unaufteilbare Ganzheit. Dafür steht hier im Übergang zum folgenden Abschnitt D. der Satz ein: Quidquid est in Deo, Deus est.144 Gott durchdringt sich in seiner Einheit mit sich so, dass er dabei immer er selbst ist: Ihm kommt sozusagen sein Selbst überall aus sich entgegen, und in sich findet er nur wieder sein Selbst. Daher bringt der Satz »Ich bin, der ich bin« (Ex 3,14) sein lebendiges Selbstverhältnis vollkommen zum Ausdruck. Was er »in sich« ist, ist identisch mit »ihm selbst« als demjenigen, der in sich ist. Alle nur möglichen Unterschiede in ihm sind nichts anderes als Weisen seiner Einheit mit sich als Gott-selbst. Überhaupt hängen die oben angeführten biblischen Stellen, die in dem Sinn »Ich bin ein Gott und außer mir keiner« übereinkommen,145 mit Ex 3,14 über das Selbstsein Gottes, wie es sich in seinem Ich-Sagen manifestiert, zusammen.146 Auch an diesen Stellen entspricht die Einheit Gottes mit sich als eine von Gott selber ausgesagte dem »Beziehungsnamen« Ich bin, der ich bin. Die Gott explizit eigene Einheit ist eine von seinem Ich-Sagen unablösbare Einheit. Indem er sagt: »Ich bin ein Gott«, ergreift er sich in seinem einigen Ich-Sein, wie es Ex 3,14 artikuliert. Gott hat seine Identität in seiner Einheit-mit-sich für sich. Was er »an sich« ist (der Eine und Einzige), das ist er auch »für sich« und so eins mit sich. Diese Einheit mit sich schließt mithin einen (Selbst-)Unterschied in sich und kann daher nicht wie die abstrakte Identität eines »Punktes« vorgestellt werden; vielmehr ist sie unbeschadet ihres absoluten Eins-Seins offen für eine Differenz in sich.147 Das führt zu einem erweiterten Verständnis göttlicher Einheit-mit-sich.148 144 Alanus ab Insulis, Reg. theol. IX (PL 120, 628). Cf. Thomas: »quidquid in deo est, deus est« (STh I, q. 27, a. 3 ad 2.); ebenso bei Johannes Eriugena: »omne quod in ipso est, ipse est« (De divis. nat. III 28) und vielen anderen wie z. B. Wilhelm von Conces und Abaelard. 145 Cf. oben B.1.1. und 1.2. (S. 252ff). 146 S. o. § 1 B. 1.1. und 2.1. (S. 109f.113ff). 147 Darum übersteigt auch die trinitarische Einheit Gottes mit dem Sohn alle Weisen mathematischer und geschöpflicher Einheit: »Pater et Filius magis unum sunt quam punctum« (WA 39 II, 299,10). Zu solcher absoluten Einheit s. u. F. 2. (S. 291ff). 148 Cf. R. Rothe: »Und so schließt Gott, nachdem er seine absolute unmittelbare Identität mit sich als göttliches Wesen, seine absolute Einfachheit und Innerlichkeit aufgelöst hat, in seiner geistigen Persönlichkeit sich wieder schlechthin zusammen mit sich selbst

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2. Einheit mit sich im Anderen Gott ist nicht nur in sich mit sich eins, sondern auch in der Beziehung nach außen: »Einer ist Gott vielmehr als der, der im andern mit sich eins ist«.149 Eben so ist er eins und lebendig, und das besagt: Seine Einheit ist absolut, indem sie zugleich auch einend bzw. vereinigend ist.150 Gott ist einer, indem er der sich mit sich Einende und alles Andere auf seine Einheit hin Ausrichtende ist (cf. Eph 4,3.4–6).151 So ist der lebendige Gott der Bibel ein »identitätsstiftendes Gegenüber«152 für die ihn Verehrenden.153 So auch ist der eine Gott gerade spezifisch unser Gott.154 Dieses Einen als im Sich-Öffnen und Ausgreifen sich herstellende Einheit Gottes, die Einheit für sich im Einssein mit Anderen ist, vollzieht sich spezifisch im göttlichen Wort,155 so dass Gottes Reden zu uns und unser Hören auf ihn die Identität stiftet. Gottes Einheit und Einzigkeit ist also nicht zureichend via negationis, d. h. in bloßer Abgrenzung gegenüber allem, was nicht er ist, zu verstehen,156 sondern sie korrespondiert gerade seiner Zuwendung als ein liebendes Selbst.157 und in sich selbst; aber nunmehr als innere Einheit, als vermittelte Identität mit sich selbst« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben S. 250 Anm. 3], 136 [§ 34]). 149 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 251 Anm. 10), 113. 150 Das ist der cantus firmus des Kapitels A. III. bei FELDMEIER/SPIECKERMANN: »Der Eine als der Einende« (cf. 93ff, bes. 95.96.98f.100.101); für das Neue Testament (cf. a.a.O. 111 [Röm 3,29f; Gal 3,20].116.124 [Joh 17,21]) gilt die Feststellung W. Schrages (zit. a.a.O. 111): »Das εἷς-Sein von Juden und Heiden entspricht dem εἷς-Sein Gottes« (SCHRAGE, Unterwegs zur Einheit [wie oben S. 257 Anm. 57], 67). 151 Hier bleibt systematisch-theologisch noch die Frage nach der in Gottes Sein gründenden Kraft solchen Einigens zu stellen. 152 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 100. 153 A.a.O. 115 Anm. 74 wird unter anderem auch auf Seneca verwiesen, der schon Gott als das einende Eine ausgesagt hat: »Totum hoc quo continemur, et unum et deus: et socii sumus eius et membra« (Ep. 92,30). Allgemeiner heißt es schon bei Aristoteles: ὥσθ’ ἕν ἄν εἴη πρῶτον τὸ ταῖς οὐσίαις αἴτιον τοῦ ἑνός (Met. X, 1052a 33f). 154 Cf. a.a.O. 102 (»dein Gott«, Dtn 5,6.9) und 106 (»mein Gott«, Sach 13,9) sowie Jub 12,19 (zit. oben S. 251 bei Anm. 9) und oben Prolegomena § 4 (S. 60ff) zur Korrelation von Gott und Glaube. 155 A.a.O. 100 und 103. 156 Meister Eckhart hat bereits eine negativ-theologische Auffassung vom Einen korrigiert: »unum primo est voce quidem negativum, re ipsa affirmativum« (M. Eckhart, In Sap., nr. 147, in: ders., LW 2, 485,5–6). In der res ipsa, nämlich Gottes Selbstsein, wird die Einheit aus einer bloßen Negation zur »negatio negationis« (a.a.O. 6–7; cf. Thomas, Quodl. X 1,1 ad 3. und I Sent. 24.1.3 ad 1.), so dass es heißen muss: »unum est negatio negationis« (M. Eckhart, Prologus in opus propositionum, n. 6, in: ders., LW 1, 169,6; weitere Stellen: DERS., DW 1, 361f. Cf. auch Sermo XXIX: Deus unus est [Gal 3,20 und Dtn 6,4], in: ders., LW 4, 263ff). Die Formel Negation der Negation ist von Proklos über Hegel bis zu P. Tillich für den Gottesgedanken in Anspruch genommen worden. 157 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 95f und 102.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

D. Gottes Selbstsein Das »und« des Leitsatzes zu diesem § 3 bedeutet, wie sich schon abgezeichnet hat, keine äußerliche Zusammensetzung.158 Es geht vielmehr um die Einheit von Einheit und Selbstsein selber: als selbsthafte Einigkeit mit sich. Weil es ebenso um die göttliche Einheit (sc. von Sein und Wesen, Dass und Was) wie um das göttliche Selbst (sc. als selbsthaft vollzogene und dargestellte Einheit) geht, weist der Titel: »Der Eine und das Selbst« auf den persönlichen Gott hin (s. u. Abschnitt E.), der als absolutes Selbst auch Ursprung von Selbstsein ist.159 Die oben (in Abschnitt C. 1.1.–1.7.) beigebrachten Aussagen über Gottes Einheit-mit-sich konvergieren tendenziell zu dem Satz des Thomas von Aquin: Deus est suum esse.160 Damit soll gedacht werden, dass Gott das eigene Sein nicht wie ein Prädikat zukommt, das er »hat«, sondern dass er selbst sein Sein (gleichsam transitiv) »ist«, d. h. mit sich selber durchdringt, und das gilt nach dem in dieser Gotteslehre leitenden Begriff unbedingt, indem er sich selber hervorbringt. Es liegt nahe, ähnlich wie Thomas auch die eigentümliche Formulierung von K. Barth über Gottes »sich selbst Sein« zu verstehen.161 Gemeint ist von Barth sicher Gottes Für-sich-Sein und Sich-selbst-Genügen. Bedeutsam aber ist darüber hinaus, dass auch Barth das göttliche Sein in einem transitiven Sinn auffasst; Gottes sich selbst Sein meint: Gott ist sich selber. Er ist so, dass er sein eigenes Sein für sich selbst ist, und d. h. er ist so, dass er selber ist, was er ist, und es so für sich ist. Sein Sein ist sein Sich-Ergreifen und sich 158

Die da genannten Momente werden nur unterschieden, um ihre Einheit darzustellen. Wenn das Wesen Gottes die selbsthafte Einheit von Wesen und Existenz ist, so gehört zu seinem Wesen auch die Erscheinung dieses Wesens – als Offenbarung (s. u. § 10). 160 STh I, q. 2, a. 1; cf. q. 3, a. 4. Zum »idipsum« (Es-selbst) cf. Augustinus, Enn. in Ps. 121,5 (PL 37, 1622), eingehend ausgelegt bei H. U. V. BALTHASAR, Aurelius Augustinus – Über die Psalmen. Ausgewählt und übertragen, CMe 20, Einsiedeln 31996, 277. 161 BARTH, KD I/1, 1 u. ö. (von der Freiheit: II/1, 31 oben); siehe dazu schon oben § 2 (S. 207 Anm. 263). Die Wendung findet sich ähnlich schon bei J. CH. K. V. HOFMANN (Der Schriftbeweis, Teil 1, Nördlingen 1852, 35: Gott als der »sein selbst seiende«). Vielleicht handelt es sich aber auch um einen Helvetizismus; bei C. F. Meyer liest man über Gottfried Keller: »seine eindringliche, vielfach variierte Predigt: sich zu bescheiden und immer sich selbst zu sein« (C. F. MEYER, Sämtliche Werke in zwei Bänden, Darmstadt 1982, Bd. II, 644). Ebenso bei R. LEUENBERGER, Zeit in der Zeit, Zürich 1988, 88.144. 192. Die Wendung P. Valérys: »être soi-même« wird von R. M. Rilke mit »sich selbst sein« übersetzt (P. VALÉRY, Eupalinos oder der Architekt, in: ders., Werke in 7 Bänden, hg. von J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1990, 18). J.-P. Sartre hat vom An-sichSein die Formulierung: Das Sein »ist Sich (soi)« (J.-P. SARTRE, Das Sein und das Nichts [1942], Reinbek bei Hamburg 1991, 41). 159

§ 3 Der Eine und das Selbst

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mit sich Durchwalten. So lässt sich sprachlich eigenwillig und zugespitzt verdeutlichen, dass das Sein Gott nicht aus dem Inbegriff überhaupt möglichen Seins zukommt – dann fiele er unter ein allgemeines Genus – und er am Sein überhaupt teilhat,162 sondern, indem er sein eigenes Sein selber in einem aktiven (transitiven) Sinne ist, ist er ein Selbst, Er selbst. Freilich ist zu beachten, dass alle oben in Abschnitt C. (1.1.–1.7.) angeführten Bestimmungen von Gottes Einheit an sich noch nicht geeignet sind, Gottes lebendige Einheit mit sich selbst, und d. h. Gott, wirklich (positiv) zu begreifen. Denn die Einheit von Dass- und Was-Sein usw. kann auch ganz abstrakt verstanden werden, so dass die Unterschiede nur in eine bestimmungslose Einheit zusammenlaufen. Eine solche nur von außen her gedachte Einheit ist ein bloßes Gedankending und der oder das Eine »zur absoluten Leere verurteilt«.163 Als Beispiel solcher konsequent »negativen Theologie« sei Johannes Scotus Eriugena angeführt; von Gott als dem einzig Wirklichen heißt es da: »Der aber nicht weiß, wer noch was er ist, weil er kein Wer und kein Was ist, und der sich selber und aller Erkenntnis unfassbar ist«.164 Hier wird Gott sozusagen so sehr mit sich identisch, dass er für sich selber verschwindet und damit auch für uns. Konsequenterweise kommt Eriugena auch dazu, Gott mit dem »Nichts« (nihil) gleichzusetzen. »Nihil« ist wohl der stärkste Ausdruck dafür, dass man Gott nicht fassen kann.165 Der Grund für diesen Negativismus ist die Meinung, dass alles, was man von Gott sagen könnte, ihm als Gott nicht angemessen sein kann.166 162

Cf. Thomas oben S. 260 bei Anm. 74. M. THEUNISSEN, Philosophischer Monismus und christliche Theologie, ZThK 102 (2005), 397–408, hier 399. Auch T. Kleffmann weist darauf hin, dass die vernünftige Idee des Einen (in der griechischen Philosophie), christlich gesehen, zweideutig bleibt (T. KLEFFMANN, Grundriß der systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 110). Zum Problem einer Philosophie des Einen cf. auch CH. AXT-PISCALAR, Das wahrhaft Unendliche, in: J. Lauster/B. Oberdorfer, Der Gott der Vernunft, Tübingen 2009, 319–338, hier 321ff. 164 De divis. nat. II 28 (PL 122, 589f). Cf. ganz anders Schelling, unten Anm. 183. 165 Wer überhaupt geneigt ist, die Unbegreiflichkeit Gottes so stark wie möglich zu betonen, muss sich fragen, wie er dieser Konsequenz, beim »Nichts« anzukommen, entgehen will. 166 Cf. dazu A. JÄGER, Gott. 10 Thesen, Tübingen 1980, der den Gedanken von Gott als dem Nichts durchspielt. Der Autor fällt freilich einer undurchschauten Dialektik anheim, die dem Begriff »Nichts« selber innewohnt. Denn in dem Maße, in dem davon geredet wird, wird dieses »Nichts« unter der Hand immer mehr zu einem »Etwas«, und die Möglichkeit, so viel über dies Nichts zu sagen, beruht eben auf der unerlaubten Suggestion des Wortes selber, man hätte es doch mit einem Etwas zu tun. Diese Dialektik des Nichts ist am Anfang der Hegel’schen Logik begriffen worden; cf. dazu meine Interpretation: J. RINGLEBEN, Die logische Bewegung der Zeit, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. II, 210ff. 163

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Das Angeführte stellt vor die Aufgabe, Gottes Einheit-mit-sich so zu denken, dass die Differenzen, die da zunächst immer zu benennen sind, nicht nur einfach negiert werden, sondern als in Gottes lebendiger Einheit »aufgehoben« begriffen werden. Das heißt, es muss eine Einheit in der Differenz zu sich selber gedacht werden. Sie muss mithin im relativen Unterschied zum Vereinten als solchem stehen: ein Selbst-Sein in der Einheit. Nicht um Einheit schlechthin (abstrakt) kann es sich handeln, sondern um eine Einheit, die zugleich selbsthaft ist: als Einheit von Einheit und Distanz dazu. Das wird eingelöst, wenn Gottes Selbst-Sein als selbsthafte Realisierung (Hervorbringung) seiner eigenen Einheit gedacht wird. Das soll im Folgenden (1.–4.) versucht werden. Zuvor sei an die Termini der griechischen Väter erinnert, die schon sprachlich die »Selbst-haftigkeit« des göttlichen Seins-aus-sich-selber (αὐτουσία, Selbstwesenheit) akzentuieren.167 Ich meine Ausdrücke wie αὐτοζωή (SelbstLebendigkeit, Selbstleben), αὐταγαθία (Selbst-Gutheit), αὐτάρκης (Selbst-Herrschaft, cf. αὐτοκράτωρ) und bemerkenswerterweise auch αὐτόθεος (SelbstGott). Im auffälligen Sich-Vordrängen der Bestimmung αὐτός kündigt sich an, was später »Aseität« genannt wurde, sofern diese Gottes Gottheit als absolutes Selbstsein in Freiheit bezeichnete.168 Diese erstreckt sich sogar auf die Einheit Gottes mit sich, sofern er seine Einheit selbst ist, Einheit als Selbst.169 Dass Gott als absolutes Selbst gedacht werden muss, schließt eine entschiedene Zentrierung seines eigenen unendlichen Lebens in einem Selbstverhältnis ein.170 Es soll zugleich gedacht werden, dass die Einheit Gottes nicht bedeutet, dass er sozusagen Gefangener seiner Einheit ist. Die Freiheit seines SelbstSeins wird religiös mit einer Reihe von Prädikaten bzw. göttlichen Eigenschaften benannt, wie etwa: Erhabenheit, Souveränität, Majestät, Heiligkeit oder Herrlichkeit.171 Es geht hier zunächst darum, den begrifflichen Gehalt der Rede von Gottes Selbst-Sein zu verstehen; das soll unter vier Gesichtspunkten geschehen: Gottes Selbsthaftigkeit als Selbstbestimmung (1.), als Selbstverdoppelung (2.), als Selbstbewegung (3.) und als Selbstübereinstimmung (4.). 167 Bei Philo findet sich der Ausdruck αὐτεξούσιος, Selbstmächtigkeit schlechthin, und das bringt er mit der Bestimmung, dass Gott ὁ ἀγέννητος, der Ungeschaffene und Ungewordene, ist, zusammen (cf. oben § 2 [S. 182 Anm. 51]). Der »Ungewordene« (im Sinne endlichen Werdens) ist Gott aber genau dadurch, dass er durch sich selbst ist, was er ist (αὐτεξούσιος). 168 Cf. oben § 2 (S. 186 Anm. 87). 169 Anselm: »Tu es ipsa unitas« (Prosl. 18). 170 Von der Persönlichkeit heißt es bei R. Rothe: »sie ist eben die absolute Centralität eines in eine Vielheit von Unterschieden auseinandergegangenen Seins, welche dieselben wieder in die Einheit zurücknimmt und zu einer in sich geschlossenen Totalität zusammenfaßt« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben S. 250 Anm. 3], 151 [§ 39 Anm.]). 171 Cf. unten § 13.

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1. Gottes Selbstsein als Selbstbestimmung Gottes Sein ist sein absolutes Sich-Bestimmen.172 In der Freiheit des ganz durch sich selbst Bestimmtseins ist er Gott, der (und nicht: das) Eine.173 Er ist schlechthin zugleich der Bestimmende und der (von sich) Bestimmte und in keiner Hinsicht je eins ohne das andere. Vielmehr ist er gerade er selbst als die Einheit, und d. h. als der Einende, dieser Zweiheit: Selbst-Einheit. Denn setzte man Gott als nur Bestimmenden, wäre er eine sich letztlich verzehrende Tätigkeit,174 und als bloß Bestimmter wäre er selbstlose Passivität. Allein als die aktuelle Einheit (das Sich-Einigen) beider ist er das Selbst schlechthin. Als Sich-selbst-Bestimmender ist Gott nie einfach ein Bestimmtsein: weder durch sich noch durch anderes noch überhaupt. Sondern alles, was er ist, ist er selber, und das heißt: durch sich selber.175 Er durchdringt alles eigene So-Sein mit seinem Selbst.176 Das bedeutet: Gottes Selbst ist Verabsolutierung und Relativierung seines So-Seins (bzw. der »Eigenschaften«) zugleich. Das So-Sein wird relativiert, weil es gewissermaßen nie an die Stelle Gottes selbst treten kann, sondern er ist in allem Was er selber. Er ist es, der diese Eigenschaften hat und der in ihnen er selbst ist. Damit sind sie als Momente seines Wesens sozusagen seinem Selbst gegenüber depotenziert. Aber weil sie Momente seines Wesens (bzw. Weisen, sein Selbstsein zu realisieren) sind, mithin er es ist, der in ihnen lebendig ist, haben sie teil an seiner Absolutheit, werden gleichsam verabsolutiert oder verselbstet.177 Und nur dadurch, dass Gott so Selbst ist, dass er sich selber in seinem konkreten Sein mit seinem Selbst durchdringt bzw. dass alles, was an ihm ist, sein Selbst ist, unterscheidet er sich von einer ins Absolute gesteigerten 172 Zu Gottes Selbstbestimmung als absoluter Selbstmächtigkeit cf. ROTHE, a.a.O., 128f (§ 33). J. Müller schreibt: »Wie aber kann ein Wesen causa sui sein als so, daß es sich mit bewußtem Selbstbestimmen selbst hervorbringt?« (J. MÜLLER, Die christliche Lehre von der Sünde, Bd. II, Breslau 31849, 171). 173 Von Gott mit bestimmtem Artikel zu reden (»der Gott«), bedeutet eine Partikularisierung des Göttlichen, d. h. macht den, der allein Gott ist, zu einem unter anderen »Göttern«. »Gott« (ohne Artikel) erschöpft die Sphäre (logisch: Klasse) des Göttlichen absolut. 174 So ist Gott als selbsthaft kein ἄπειρον, sondern als seiner selbst mächtig Eins, d. h. Einer. Er ist nicht von außen (durch Anderes) begrenzt das, was er ist, sondern a se und per se der Eine, eben als mit sich eins. 175 Gott durchdringt sein Was-Sein mit sich selbst: »tua quies tu ipse es« (Augustin, Conf. XIII 38,53; cf. VII 3,5 und 4,6; XIII 4,5). So kann er auch als das Zugleich von Ruhe und Bewegung gedacht werden. 176 Sonst wäre Gott eine bloße Naturkraft; er ist aber Geist und nicht Natur. Von bloßer »Natur« unterscheidet er sich eben durch sein durch sich selbst Begründetsein (cf. ROTHE, a.a.O. 91, Anm. 3). 177 Cf. unten § 7. Bei F. X. V. BAADER heißt es: »Gott hat nichts, weil Er alles ist« (F. X. V. BAADER, Sämtliche Werke, Bd. XIV, Leipzig 1851 [Nachdr. Aalen 1963], 455).

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Naturkraft, die gewissermaßen bloß ist, was sie ist, und die sich verströmt und darin aufhebt, aber nicht sich selber besitzt.178 Weiter ist zu sagen: Als absolute Selbstbestimmung ist Gott auch der Bestimmende für alles andere Sein, insbesondere für uns,179 so dass mit K. Barth zu sagen wäre: »Nicht wir sind, sondern Gott ist Ich.«180 Zusammengefasst: »Solche Selbstbestimmung … ist die vollendetste Selbstbejahung, solche Betätigung vollendete Selbstbetätigung, vollendetes Leben, in welchem das Subjekt, das eigene Sein und Leben mit der Bestimmung und Betätigung für andre zusammenfällt, so daß Leben vom Leben ausgeht, daß Leben Leben wirkt und schafft« (cf. Joh 5,26).181 2. Gottes Selbstsein als Selbstverdoppelung Alles, was Gott ist, ist er »auf seine Weise«, d. h. auf die durch ihn selbst gesetzte Weise, er selbst zu sein.182 Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eignes Seyn als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben, und es in ein selbst-gesetztes verwandeln zu können. Das Todte, in der Natur z. B., hat keine Freiheit, sein Seyn zu verändern, wie es ist, so ist es – in keinem Moment seiner Existenz ist sein Seyn ein selbstbestimmtes. Der bloße Begriff des nothwendig Seyenden würde also nicht auf den lebendigen, sondern auf den todten Gott führen.183

Nur als sich selbst bestimmendes und so lebendiges ist Gottes Selbst absolutes und freies Selbst. Er ist absolut (ganz) er selber als der Sich-selbst-Setzende, und d. h. der Sich-Verdoppelnde bzw. in Freiheit sich Wiederholende. Denn er ist nicht einfach (irgendwie) Gott, sondern er ist es auch in seiner (d. h. spezifisch Gott-eigener) Weise. In der durch ihn selbst gesetzten Unterscheidung von sich ist er als er selbst bei sich, und die höchste Einheit mit sich ist zugleich freie Distanz zu sich. Gott bestimmt mit dem Dass seines Seins völlig auch sein Was (s. o. 1.), bzw. das eine ist nur die Selbstverdoppelung des anderen. 178 Dadurch unterscheidet Gott sich auch von unserem menschlichen Selbstsein, die wir durchaus nicht alles, was wir sind, auch selbsthaft sind. Unser Selbst wird ja unserm unmittelbaren Sein stets nur mehr oder weniger vollkommen abgerungen. 179 Ist Gott allem gegenüber ein Selbst, so besonders allem, was ein Selbst ist. Daher vollendet sich sein Selbst-Sein darin, persönlicher Gott gegenüber menschlichen Personen zu sein; s. u. Abschnitt E. (S. 281ff). 180 BARTH, KD II/1, 319. 181 H. CREMER, Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes (1897), Gießen 3 1983, 21. 182 Cf. zur Selbstverdoppelung des Absoluten bei S. Kierkegaard (z. B. als Wahrheit und ihr selbstgesetzter Zugang zu ihr) J. RINGLEBEN, Aneignung. Die spekulative Theologie Sören Kierkegaards, TBT 40, Berlin/New York 1983, 374–410. 183 F. W. J. SCHELLING, Zur Geschichte der neueren Philosophie (1827), in: ders., SW I/10, 22 (= Nachdr. 304).

§ 3 Der Eine und das Selbst

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Er ist er selbst – auch in der Art und Weise, in der er es ist. Das bedeutet: Als Subjekt setzt er sich absolut durch; z. B. in seinen Prädikaten (bzw. allen seinen Selbstdifferenzierungen) wiederholt er immer nur sich. So hat er sein Subjekt-Sein in seinen Prädikaten, die nur so »seine« sind, dass er sich darin wiederholt.184 Anders gesagt, Gott ist für sich die Allgemeinheit des Selbstseins in allen seinen Besonderungen, das absolut Allgemeine als Selbstbesonderung.185 Aus dem Gesagten erhellt, dass zu Gott als Selbst strukturell eine Selbstbezüglichkeit gehört, oder anders gesagt, dass er in allen Bezügen auf sich selbst zurückbezogen ist.186 3. Gottes Selbstsein als Selbstbewegung Der Begriff »Selbstbewegung« lenkt nochmals den Blick darauf, dass Gottes übergreifendes Selbstsein an sich schon lebendig ist.187 Er gehört sozusagen strukturell zur Konzeption von Gottes »Leben« als solchem.188 Von Selbstbewegung als Moment von Gottes Sich-Hervorbringen (causa sui) zu reden, impliziert logisch folgende drei Momente, in deren Zusammenspiel Gottes Selbst-Sein sich darstellt: A. Bewegung aus sich selbst (Ursprung). B. Ein sich selbst Bewegen (Objekt). C. Sich-Bewegen eines Selbst (Subjekt).189

184

Das hat auf seine Weise in der Gotteslehre besonders K. BARTH betont; cf. KD II/2, 635f und 637. 185 Cf. K. BARTH, a.a.O. 570 und 337.419.589. 186 Das ist eigentlich grundlegend für alle hier unter 1.–4. genannten Aspekte. 187 Cf. das Schelling-Zitat oben bei Anm. 183. Für Platon ist zwar die Arché und erste aller Bewegungen »die sich selbst bewegende Bewegung« (Nomoi X, 895b 7 u. ö.), aber nur als an einem Anderen, nämlich ἐν τῷ γηίνῳ ἢ ἐνύδρῳ ἢ πυροειδεῖ (895c 4f), wird sie mit »Leben« (ζῆν, 895c 7.10) identifiziert, d. h. wird ihr auch Leben »zugesprochen« (προσεροῦµεν, 895c 7). Außerdem ist für Platon Selbstbewegung das Wesen der »Seele« (cf. 895c 1ff und 895e–896a; cf. auch Phaidr. 245c–e). Hat hier das sich selbst bewegende Leben ein materielles Substrat, an dem es sich realisiert, so gilt das christlich für alles kreatürliche Leben, die Lebewesen, nicht aber von Gott, der nicht die »Seele« der Welt ist, der vielmehr das Leben selber ἐν ἑαυτῷ hat (Joh 5,26), also reines bzw. absolutes Leben (das Leben an sich selbst) ist, und dies schon innertrinitarisch. Zur Logik der Selbstbewegung als solcher cf. oben § 2 E. 3. (S. 234ff) sowie C. 1.8. (S. 201 bei Anm. 215 und 217). 188 S. u. § 4. 189 Die Dialektik von Selbstbewegung ist die des »absoluten Gegenstoßes in sich selbst«, wie sie in § 2 (oben S. 234f) aus Hegels Logik schon dargelegt worden ist: »… das Hinausgehen über das Unmittelbare ist das Ankommen bei demselben. Die Bewegung wendet sich als Fortgehen unmittelbar in ihr selbst um und ist nur so Selbstbewegung – Bewegung, die aus sich kommt« (HEGEL, Werke 6, 27f); das ist die Einheit von Setzen und Sich-Voraussetzen (a.a.O. 28) bzw. »unendliche Bewegung in sich« (24).

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

In solcher Bewegtheit durch sich und in sich selbst hat Gott die von aller Geschöpflichkeit schlechthin unterschiedene Dieselbigkeit des absoluten Selbstbesitzes: Et clamasti de longinquo: »Immo vero ego sum qui sum.«190 Von hier aus lässt sich der Begriff absoluter Selbstbewegung auch zum biblischen »Namen« Gottes (§ 1) in Beziehung setzen. Indem Gottes Selbstsein sich durch »Ich bin, der ich bin (bzw. ich werde sein, der ich sein werde)« als die Bewegung des im Herausgehen aus sich auf sich Zugehens selber ausspricht, artikuliert die »Gottesgleichung« sprachlich die Selbstbewegung, in der Gott im lebendigen Verhältnis zu sich selbst er selbst ist.191 Indem er das, was Ex 3,14 schöpferisch ausspricht, nicht nur für, sondern (im Zuge von Gottes Selbsthervorbringung) auch bei endlichen Selbsten ist, leitet sich auch die Schöpfung von solchen anderen (menschlichen) Selbsten aus der Dynamik von Gottes absolutem Selbstsein her.192 4. Gottes Selbstsein als Selbstübereinstimmung Auch dieser Aspekt göttlichen Selbstseins ist unmittelbar mit dem in Ex 3,14 Formulierten gegeben. Im Rahmen dessen (sowie des unter 1.–3. Ausgeführten) lässt sich eine Reihe von (biblisch ausgezeichneten) Eigenschaften Gottes verständlich machen wie z. B. Treue, Beständigkeit, Selbstgenügsamkeit, Unwandelbarkeit, Unveränderlichkeit u. ä.193 Dazu hier nur einige kurze Bemerkungen. Gottes Treue gründet in seinem absoluten Selbstsein (bzw. er selbst Sein) und ist so primär seine Treue zu sich selber (als Gott). Indes ist sie gerade so unüberbietbar Gottes Treue zu uns.194 Gottes Beständigkeit bedeutet: In aller Selbstbewegtheit und Lebendigkeit ist er doch bleibend Er-selbst. Gott hört (auch für uns) nicht auf zu sein, was er in sich selbst (als Selbst) ist: die Liebe, aber auch der Herr, die Barmherzigkeit, aber auch der Gerechte.195 Er ist dabei die selbsthafte Einheit von Bewegung und Ruhe: »semper agens, semper quietus«.196 190

Conf. VII 10,16. S. o. § 1 B. (S. 108ff). 192 Cf. vor diesem Hintergrund augustinische Formulierungen wie: »quidquid aliquo modo est: ab illo enim est, qui non aliquo modo est, sed quod est, est« (Conf. XIII 31,46) oder (beim Hören von Ex 3,14): »Et audivi, sicut auditur in corde, et non erat prorsus, unde dubitarem faciliusque dubitarem vivere me quam non esse veritatem, quae ›per ea, quae facta sunt, intellecta conspicitur‹ [Röm 1,20]« (VII 10,16). 193 Cf. dazu schon oben § 2 E. 2. (S. 232 Anm. 393). 194 Das ist nicht ohne Weiteres im tautologischen Sinne K. Barths zu verstehen, der dessen Rechtfertigungslehre charakterisiert; cf. BARTH, KD IV/1, 573ff (§ 61). 195 Cf. außer Ex 3,14 noch: Num 23,19; Mal 3,6; sowie zum Schwur Gottes bei sich: Gen 22,16; Hebr 6,13f. 196 Conf. I 4,4; cf. XIII 37,52 sowie VII 15,21: »te operante et manente« (u. ö.). 191

§ 3 Der Eine und das Selbst

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Die göttliche Selbst-genügsamkeit charakterisiert Gottes Selbst zentral: in seinem »unvergänglichen und unwandelbaren Willen« (incorruptibilis et inconmutabilis voluntas tua): »ipsa in se sibi sufficiens«.197 Auch Gottes Unwandelbarkeit kann nur eine freie und selbsthafte sein, soll Gott nicht als unlebendig gedacht werden.198 In ihr beruht auch Gottes Unvergänglichkeit (immutabilitas als immortalis- und incorrupitibilis-Sein).199 Schließlich gilt für das traditionelle Prädikat der Unveränderlichkeit Gottes,200 dass sie von Gottes lebendigem Selbstsein aus als sich herstellende begriffen werden muss.201 Selbstübereinstimmung schließt an sich Veränderung nicht aus, und Unveränderlichkeit ist mit Gottes Lebendigkeit dann vereinbar, wenn sie als Selbstübereinstimmung konkret gedacht wird. Nicht das Unveränderliche als solches ist Gott, sondern Gott ist auf seine Weise unveränderlich. Seine spezifische Unveränderlichkeit ist ewige Treue zu sich, so dass er in aller Lebendigkeit und allem Reichtum weder einer Erstarrung noch dem Selbstverlust verfällt.202 Im Ganzen lässt sich sagen: Die Selbstübereinstimmung Gottes mit sich begründet für uns als Glaubende die unbedingte Verlässlichkeit seines Selbstseins in Freiheit.

E. Der persönliche Gott 1. Der biblische Gottesname: »Ich bin, der ich bin« (Ex 3,14) stellt eine Selbstartikulation Gottes als der, der er als Selbst ist, dar.203 Diese Manifestation von Gottes Selbstsein besagt streng genommen nicht, dass er eine »Person« im gewöhnlichen menschlichen Sinne ist.204 Das bedeutet, als absolutes Selbst kann Gott (bzw. muss sogar) mehr und noch anderes sein als eine 197

Conf. XIII 4,5. Zum Begriff göttlichen ἀνεπιδέης-Seins cf. W. PANNENBERG, Grundfragen systematischer Theologie, Bd. I, Göttingen 31979, 317 Anm. 77. 198 Cf. Ps 102,28. Lactanz betont den Unterschied zwischen immobilitas und immutabilitas (De ira Dei I 11,8; II 8,44). 199 Cf. Röm 1,23; 1Tim 1,17; 6,16. Dazu Jer 23,24; Jak 1,17. Zur unwandelbaren »voluntas« Gottes: Num 23,19; Spr 19,21; Mal 3,6. 200 So etwa bei Augustin, der mit der zeitlosen »Ewigkeit« Gottes argumentiert: »aeternitas, ipsa Dei substantia est, quae nihil habet mutabile; ibi nihil est praeteritum, quasi iam non sit; nihil est futurum, quasi nondum sit« (Enn. in Ps 101, II 10; PL 37, 1311). 201 Ausführlicher bereits oben § 2 E. 2. (S. 232ff). 202 Cf. das K. Barth-Zitat oben S. 233 Anm. 395. 203 S. o. § 1. Selbstsein (im Sinne des oben in Abschnitt D. Dargelegten) ist als ichhaft so etwas wie »Persönlichkeit«. 204 Wir kennen empirisch Personhaftigkeit normalerweise als an organische Lebendigkeit (Leib) gebundenes, individuelles seelisch-geistiges Selbstsein. Zur Rede von Gott als Person bei Boethius cf. VORGRIMLER, Gotteslehre (wie oben Anm. 103), 127f.

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»Person«.205 Gott ist absolute Persönlichkeit (bzw. absolut das, was Persönlichkeit überhaupt ausmacht), und das ist identisch damit, wie Gott »Ich« (Selbst) ist, das sich als solches weiß und ausspricht – wie für andere so für sich.206 Das meint: das, was bei Gott »Persönlichkeit« heißt, muss sich daran bemessen, was sich an Ex 3,14 als Gottes Ich-Sein begreifen lässt.207 Gottes Personsein ist somit nicht etwa durch einen Unterschied zu anderen (endlichen) Personen bedingt; vielmehr ist Gottes Persönlichkeit als absolutes Ich »ein sich in sich selbst reflektirtes, oder genauer: ein sich in sich selbst reflektirendes, eben damit aber näher ein sich von sich selbst unterscheidendes und durch die teleologische Beziehung seiner, von dem es sich unterscheidet, auf sich, das sich unterscheidet, sich aus seinem Unterschiede wieder in sich selbst zurücknehmendes Sein«.208 Diese Eingangsüberlegungen führen zunächst auf zwei Einsichten: – Gott ist zum einen (für uns) der persönliche Gott, weil er als das absolute Selbst begegnet und uns als Personen gegenübersteht,209 205 Gott ist zwar ein persönlicher Gott und ist personhaft, aber er ist nicht eine einzelne Person. Cf. auch CH. POLKE, Expressiver Theismus. Vom Sinn personaler Rede von Gott (erscheint Tübingen 2018). 206 Gott vermag »ich« zu sagen (Ex 3,14) und sich als mit sich identisch auszusagen; er ist in sich reflektiert: Selbst. Cf. G. Simmel: »Als die entscheidende Charakteristik des persönlichen Geistes erscheint mir sein inneres Sich-selbst-Trennen in Subjekt und Objekt, das eins und dasselbe ist, eine Fähigkeit, zu sich selbst so Ich zu sagen, wie zum Anderen Du … Das ist die Grundtatsache, … das Grundwunder des Geistes, das macht ihn zum persönlichen, daß er, in seiner Einheit verbleibend, sich dennoch sich selbst gegenüberstellt; die Identität des Wissenden und des Gewußten, wie es im Wissen um das eigne Sein, um das eigne Wissen vorliegt, ein Urphänomen …« (G. SIMMEL, Die Persönlichkeit Gottes. Ein philosophischer Versuch, ZThK 21 [1911], 251–269; zitiert nach: DERS., Aufsätze und Abhandlungen 1909–1918, Bd. I = Gesamtausgabe, Bd. XII, stw 812, Frankfurt 2001, 290–307, hier 302f). 207 S. o. § 1 B. (S. 108ff). Von daher hat man ein Kriterium für die theologische Rede vom »persönlichen Gott«, die als »isomorph« zwischen ihm und uns vermittelt (s. o. I. T. Ramsey, § 1, Exkurs II, S. 141 bei Anm. 294). 208 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 250 Anm. 3), 151 (§ 39, Anm.). Es geht, wohl zu merken, um einen internen Unterschied Gottes; ohne einen solchen, d. h. ihn wie die altkirchliche Theologie als in sich schlechthin einfach zu denken, kann Gott nicht als persönlicher Gott verstanden werden (cf. Rothe mit Bezug auf J. Müller, ebd. Fn. **). 209 Gott muss, »wenn man ihn überhaupt denken will, als Persönlichkeit gedacht werden: als die Einheit und Lebendigkeit des Daseins, die ihre einzelnen Produkte sich gegenübersieht« (SIMMEL, a.a.O., 301). Selbst für K. Jaspers gilt, dass er »seine philosophische Glaubenshaltung primär nicht über Chiffren der Transzendenz ausbildet, sondern in der Beziehung zu Gott als Person entwickelt« (B. WEIDMANN, Gott – Chiffre der Transzendenz oder mehr?, Jahrbuch der Österreichischen Karl Jaspers Gesellschaft 26 [2013], 147–165, hier 147). Weidmann kommt von daher zum Ergebnis: »›Gott‹ ist in der Philosophie auch ein Begriff philosophischer Sprache, und das durchaus in einem terminologischen Sinn« – wenngleich in »mythischer Ausdrucksweise« bzw. Vorstellung (a.a.O. 148). S. u. Anm. 210.223.225 und 235.

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– und zum andern (an sich) persönlicher Gott, weil er als schöpferischer Grund allen Personseins nicht weniger sein kann als ein selbsthaftes Sein.210 2. P. Tillich hat zu dem Ausdruck »Persönlicher Gott« festgestellt: Er »bedeutet nicht, daß Gott eine Person ist. Es bedeutet, daß Gott der Grund alles Personhaften ist und in sich die ontologische Macht des Personhaften trägt. Er ist nicht: eine Person, aber er ist auch nicht weniger als eine Person.«211 Eine Begründung dafür lautet: »denn das, was eine Person letztlich und unbedingt angeht, kann nicht weniger als eine Person sein, obgleich es mehr sein kann und mehr sein muß als eine Person.«212 Dies »Mehr«-Sein Gottes gegenüber endlichem Personsein kommt ihm notwendig zu, um der unendliche Grund personhaften Lebens sein zu können.213 Ebendas »Mehr als nur (eine) Person« ist genau dasjenige an Gott, was unserm menschlichen Personsein, es schöpferisch begründend, unendlich zuvorkommt und uns als Personen abhängig und nicht sich selbst begründend, sondern extern konstituiert (ab alio esse) sein lässt: als endlich geschaffene Personen gegenüber Gottes unendlicher, sich selbst hervorbringender Persönlichkeit.214 Gott hat mithin das Personsein nicht außer sich (oder ist nur oberflächlich damit behaftet), sondern er ist persönlich, d. h., sein Sein ist alles, 210

Wenn Gott im darzulegenden Sinne »absolute Persönlichkeit« ist, kann ohne missleitende Äquivokation nicht von drei »Personen« in Gottes trinitarischem Sein die Rede sein (cf.: »dreipersönlicher Gott«) (Genaueres s. u. § 15). Gleichwohl stellt das Personsein des Menschen Jesus einen signifikanten Sonderfall dar. Denn wegen der ewigen Untrennbarkeit von Gott Vater und Gott Sohn besteht auch Gottes Selbst (bzw. Ich und Bewusstsein von sich) nicht ohne Jesu Gottesbewusstsein. Das besagt, Gott ist auch ein persönlicher Gott, weil Jesus als Person zu Gott selber gehört; das ist auch konstitutiv für unser (christliches) Gottesverhältnis. Bei der Frage, wie der Dreieinige eine absolute Persönlichkeit sein kann, ist eine Minimalbedingung für die Antwort, dass Gott sich in allen drei Instanzen seines immanenten Lebens absolut als dieses eine göttliche Selbst durchsichtig bleibt. Gott hat nicht nur, sondern ist selber und im ganzen »Geist«. So könnte S. Kierkegaards anthropologischer Satz »Geist ist das Selbst« (S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 24, 8) theologisch aufgenommen werden. 211 P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 283. 212 A.a.O. 185; cf. 259. Cf. Aristoteles, Anal. post. I 2. 72a 29f: ἀεὶ γὰρ δι’ ὃ ὑπάρχει ἕκαστον, ἐκεῖνο µᾶλλον ὑπάρχει, οἷον δι’ ὃν φιλοῦµεν, ἐκεῖνο φίλον µᾶλλον. 213 »Denn Personalität, nämlich die des Menschen, kann allein eine Instanz freisetzen, die sie selbst an sich hat« (M. THEUNISSEN, Der Gang des Lebens und das Absolute, DZPh 50 [2002], 343–362, hier 353). 214 Zu Gottes absoluter Persönlichkeit cf. auch ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 250 Anm. 3), 121f (§ 31) und 141 (§ 36). Gottes Persönlichkeit besteht in seinem selbsthaften Sich-Wollen und Sich-Wissen und ist so absolutes Sich-Hervorbringen (Werden zu sich) – im Unterschied nicht nur zu endlichem Personsein, sondern auch zu jeglichem naturhaften Prozess von »Selbstorganisation«. Als solcher unendlichen Persönlichkeit kommt Gott Allwissenheit zu (s. u. § 12), und im Blick darauf bestimmt sich, was lebendige »Vorsehung« heißt (s. o. § 2 E. 4.1. [S. 237ff]).

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was es ist, selbsthaft als absolutes Personsein,215 und in seiner absoluten Persönlichkeit ist umgekehrt alles, was an ihm mehr-als-persönlich ist, enthalten und geborgen, sozusagen »aufgehoben«.216 Als persönlich und zugleich mehr als nur dies ist Gott unendlicher Geist, d. h. unendliche Persönlichkeit,217 und sein Person-Sein ist das Moment der Selbsthaftigkeit Gottes (als Selbstmächtigkeit, Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein), also Persönlichkeit im eigentlichen Sinne.218 Als solche ist er uns in unserem endlichen Person- und Geistsein nah und fern zugleich.219 Das hat G. Simmel herausgearbeitet: »Grade in dem Maße, in dem die Idee Gottes ein wirkliches Ganzes und ein zeitloses Ein-für-alle-Mal, eine absolute Verbundenheit aller seiner Daseinsmomente ist, in dem Maße also, in dem er grade über den Menschen hinausreicht, erfüllt er den Begriff der Persönlichkeit«,220 nämlich vollkommen, und »so ist der Begriff Gottes die eigentliche Realisierung der Persönlichkeit«.221 Geht man wie Simmel von einem konkreten, auf ihr aktuelles Leben bezogenen Begriff der Einheit der Persönlichkeit aus, nämlich als »nicht ein einfach beharrendes Zentrum, sondern ein Sich-Durchdringen, eine funktionelle Angleichung, ein Übertragen, Sich-Beziehen, Sich-Verschmelzen innerhalb des Umkreises aller Vorstellungsinhalte überhaupt«,222 so ist genau dieser Begriff

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Umgekehrt gilt: »die vollkommene und volle Persönlichkeit kann nur dem Absoluten zukommen« (ROTHE, a.a.O. 153 [§ 39, Anm.]). 216 Cf. Augustinus: »non enim aliud est Deo esse, aliud personam esse, sed omnino idem« (De trin. VII 6,11; PL 42, 943). 217 Cf. ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 250 Anm. 3), 136 (§ 34). Man kann auch sagen: Gott ist absolut lebendige Einheit von schlechthinniger Allgemeinheit und in sich zentrierter Besonderheit, also »übergreifende Allgemeinheit« im absoluten Sinne. 218 Cf. als gerade noch zugestandene Grenzaussage: »Wenn der Name Gottes etwas besagt, was alle noch verstehen können, so ist es diese Außerweltlichkeit auf dem archimedischen Punkt absoluter Selbstgewißheit« (BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen [wie oben Anm. 128], 91). 219 K. Jaspers schreibt: »Nur in seiner Gestalt als Person ist Gott eigentlich nah« und »Gott als Transzendenz bleibt fern« (K. JASPERS, Philosophie, Bd. III: Metaphysik, Berlin 4 1973, 166 und 167); kritisch dazu WEIDMANN, Gott (wie oben Anm. 209), 153. Zu Gottes Geist- und Herrsein s. u. § 13 und § 14. 220 SIMMEL, Persönlichkeit Gottes (wie oben Anm. 206), 297. Zu Simmels Religionsbegriff überhaupt cf. J. RINGLEBEN, Georg Simmels Verständnis von Religion, in: R. Barth/ C.-D. Osthövener/A. v. Scheliha (Hgg.), Protestantismus zwischen Aufklärung und Moderne (FS U. Barth), Frankfurt 2005, 359–370. 221 SIMMEL, a.a.O. 296. Man kann konstatieren: Das sog. »Über-Persönliche« (auf Gott angewendet) schlägt leicht ins Unpersönliche, d. h. weniger als Personsein, um. 222 A.a.O. 295. Als absolute Persönlichkeit steht Gott für das, »woran der Mensch nicht heranreicht: die absolute Verknüpftheit und Selbstgenugsamkeit des ganzen Daseinsgehaltes« (297).

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auf absolute Weise in der Idee des lebendigen Gottes erfüllt bzw. realisiert.223 Dementsprechend kann unser endliches Personsein nur als aus der absoluten Persönlichkeit Gottes abgeleitet verstanden werden bzw. ist nur in deren Horizont zu verstehen: »Macht man mit dem Begriff der Persönlichkeit Ernst – so daß sie nicht die Beschränktheit unseres Seins ist, sondern grade das, woran unser Sein nur in beschränktem Maße teil hat, was wir grade als beschränkte Wesen nicht sind – so kann er sich nur an einem absoluten Wesen realisieren«.224 Dies blieb bei Fichte in den Schriften zum sog. »Atheismusstreit« unberücksichtigt, der bekanntlich die Rede von Gott als Person (persönlich) als illegitimen Anthropomorphismus kritisierte225 und sie durch die von der »moralischen Weltordnung« ersetzen wollte.226 Dagegen ist zu sagen: »Mag das Person-Sein des Menschen die Gelegenheitsursache für die psychologische Entstehung des ›persönlichen Gottes‹ sein; aber sein logisches und metaphysisches Fundament ist davon unabhängig.«227 Das gilt logisch auch für jeglichen »Projektionsverdacht«.228 223 Das schließt auch die absolute, selbsthafte Integration aller zeithaften Differenzierungen ein: »Was man die ›Ewigkeit‹ Gottes, sein Enthobensein aus der Zeitbedingtheit genannt hat, ist die Form, in der sein absolutes Persönlich-Sein möglich ist« (SIMMEL, a.a.O. 296). 224 A.a.O. 298, cf. 305. Schon bei dem spekulativen Theologen Ph. K. Marheineke heißt es: »Vielmehr kann der Mensch seine Persönlichkeit nicht anders betrachten, denn als das Medium der sich in der Endlichkeit offenbarenden Urpersönlichkeit Gottes, in welcher allein jene ihre Wahrheit hat, und an welche sein niederes [sc. individuell beschränktes] Leben verlierend, er sein wahres, persönliches Leben erst gewinnt. Ps 94,9. Marc 8,35« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 114 [§ 194]); cf. auch: »Von der Urpersönlichkeit Gottes gehalten, wird der Mensch erst wahrhaft persönlich« (a.a.O. 181 [§ 306]). Zu K. Barth cf. die kritische Analyse in der Dissertation von S. SCHWERDTFEGER, Die absolute Persönlichkeit Gottes in der Theologie Karl Barths (Göttingen 1995; masch.). 225 Cf.: »Ein Anthropomorphismus des Göttlichen liegt nur vor, wo ein aus der menschlichen Erfahrung und Existenz als solcher hervorgegangener und an diese prinzipiell gebundener Begriff auf das Transzendente übertragen wird. Wenn aber umgekehrt ein Begriff seinem Sinn nach über der menschlichen Existenz steht, ein Ideelles und gleichsam Absolutes, durch das diese Existenz, mehr oder weniger an ihm teilhabend, erst gedeutet wird – so haben wir an dieser Art von Begriffen grade die einzige berechtigte Möglichkeit, das Göttliche als ihre Vollendung, als die Realisierung ihrer absoluten Bedeutung zu denken« (SIMMEL, a.a.O. 302). 226 Den Begriff der »moralischen Weltordnung« nennt Hegel in der »Phänomenologie«Vorrede als ein Beispiel unter anderen für den falschen Versuch, statt von »Gott« direkt vom Sinn dieses Wortes (wie z. B. auch: das Sein, der Ewige, der Eine) zu reden; d. h., nach Hegel verkannte Fichte in seiner Kritik am persönlichen Gott die Dialektik des spekulativen Satzes (cf. HEGEL, Werke 3, 27). Zur Frage der Persönlichkeit Gottes bei Hegel cf. kurz W. PANNENBERG, Gottesgedanke und menschliche Freiheit, Göttingen 21978, 103. 227 SIMMEL, a.a.O. 292. 228 Auch durch eine quantitative Steigerung menschlicher Eigenschaften (sozusagen via eminentiae) ist das Absolute nicht zu erreichen; es handelt sich nicht bloß um einen Gradunterschied (cf. a.a.O. 306).

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Will man das Personsein menschlicher Subjekte begreifen, so kann man das nur unter Rekurs auf Gottes absolute Persönlichkeit. Ihn so zu bezeichnen, ist keine Vermenschlichung, sondern »die Unterordnung des menschlichen Ich unter den ganz allgemeinen Begriff einer Existenzart, von der jenes nur ein einzelnes, eingeschränktes Beispiel, Gott aber die absolute, dem Weltganzen gegenüber sich vollziehende Erfüllung bieten kann«.229 Gott als der Lebendige kann dies nur selbsthaft, d. h. genauer: als absolutes Ich und unendliche Persönlichkeit, sein – soll »Leben« nicht mit einem Naturprozess verwechselt werden können. Er hat das Leben ἐν ἑαυτῷ (Joh 5,26a), d. h. in sich als einem absoluten Selbst230 bzw. als unendlich persönlichem Leben, dem sich spezifisch das eigene Leben des Menschensohnes verdankt (V. 26b), der Person ist als der »Erstgeborene vor allen Kreaturen« (Kol 1,15). 3. Für den biblischen Gott gilt: »Der … Beziehungswille ist das Signum seiner Personalität.«231 Das besagt im Rahmen unserer Gotteslehre: Gott ist darin spezifisch persönlich, ein sich selbst erschlossenes und vollkommen seiner selbst mächtiges Sein, dass er sich selber als er selbst (als Ich) hervorbringt232 und sich in seinem Sein an uns erschließt.233 »Persönlicher Gott« – das ist weniger eine »ontologische« als vielmehr eine Zugangskategorie.234 Das besagt: Es ist die innere Tendenz jedes Redens über Gott bzw. jedes beliebig unspezifischen Verhältnisses zu Gott, dass erst da, wo Gott als persönlich gegenwärtig gewusst und erlebt wird, er wirklich als Gott lebendig realisiert ist.235 In diesem Sinne bedeutet der Ausdruck 229

A.a.O. 302. Entsprechend muss auch Gottes Allmacht als absolute Selbst-Mächtigkeit begriffen werden (s. u. § 5). 231 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 251 Anm. 10), 110. Zum »Beziehungsnamen bzw. -willen« gemäß Ex 3,14 s. o. § 1 (S. 129 bei Anm. 222). 232 Zur Selbstsetzung Gottes und seiner göttlichen Persönlichkeit cf. CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik, Bd. II, Leipzig 1860, 234 (§ 329). 233 Immerhin hält WEIDMANN, Gott (wie oben Anm. 209), im Blick auf K. Jaspers fest: »Der Weg zu Gott – der Bezug von Existenz auf Transzendenz – … er setzt, wenn er nicht im Nichts enden soll, den Glauben an Gott als Person voraus« (157). 234 Mehr strukturell betrachtet, ist das theologische Anliegen der Rede vom »persönlichen Gott« darin zu sehen, dass so unüberbietbar Gottes eigene Subjekthaftigkeit als der Lebendige festgehalten wird: der mir Zuvorkommende, der immer schon an mir gehandelt und sich mir zugewandt hat; d. h., Gott ist weder nur ein Abstraktionsprodukt unserer Gedanken (letztes Prinzip, »das Sein« o. ä.) noch ein ferner »Schöpfer« von in distanzierte Selbständigkeit entlassenen Geschöpfen, sondern er ist wesenhaft der »Sich-Gsebende«. 235 Cf. K. Jaspers’ Zugeständnis: »Zumal Gott als Persönlichkeit zu denken in seinem aus vollendeter Weisheit und Güte kommenden Willen, der plant und lenkt, ist fast unausweichlich« (JASPERS, Philosophie III [wie oben Anm. 219], 66). Freilich soll das im »transzendierenden Denken« wieder aufgehoben werden (ebd.). Denn das »echte Bewußt230

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»persönlicher Gott« auch, dass Gott sich in jedem (irgendwie gearteten) Bezug auf ihn lebendig hervorbringt. Gott »ist« persönlich, indem er sich uns als er selbst (als Ich) gegenwärtig macht.236 Persönlich ist Gott jeweils für uns (im doppelten Sinn dieses »für«).237 Sein Persönlich-Sein ist insofern sein sich für uns persönlich Machen, bzw. er ist selber persönlich, indem er in einem persönlichen Verhältnis zu uns sein will.238 Es gibt den »persönlichen Gott« nicht, ohne dass er uns in seine lebendige Selbstvergegenwärtigung bei uns hineinnimmt. Gott kommt ein persönliches Sein im Verhältnis zu uns als Personen zu. Das ist die grundlegende Beziehung Gottes »nach außen«, d. h. zu dem, was nicht er ist.239 Dass Gottes Bezug zu menschlichem Personsein als der absolute Fall seiner Außenbeziehungen privilegiert ist, reflektiert unter den Bedingungen der Schöpfung seine absolute Beziehung zu seinem ewigen Menschensohn.240 Gott wendet sich spezifisch an wirkliche Selbste, und dass er für uns persönlicher Gott ist, gewinnt seine Wahrheit daraus, dass wir vor ihm wahrhaft zu Personen werden.241 Er ist persönlich als absoluter Grund unseres Personseins.242 Das heißt nicht, wie gesagt, dass Gott im ontologischen Sinne selber eine »Person« ist.243 Sondern es heißt, dass er dem Glaubenden (jeweils »mir« als »mein Gott«) persönlich nah ist, und zwar in der Weise meines Personseins

sein von Transzendenz« wehrt sich angeblich dagegen, »Gott schlechthin als Persönlichkeit zu denken. … In der Vorstellung der Persönlichkeit Gottes würde die Transzendenz verringert zu einem Dasein« (a.a.O. 166). 236 Ich kenne keine andere Religion, in der der allerpersönlichste Bezug zum einzelnen Subjekt (seinem »Herzen«) und metaphysische Gedankentiefe bzw. Erbaulichkeit (als persönliches Betroffensein) und Intellektualität eine so enge Verbindung eingehen wie im Christentum. 237 Das heißt aber gerade nicht, dass er persönlicher Gott »nur« für uns (in Relation zu uns, von uns aus gesehen) und es nicht auch an ihm selber und für sich wäre! 238 Auch M. Theunissen nennt den biblischen Gott »den einzigen, der, wenn er auch keine Person ist, doch eine personale Seite hat und sie uns zukehren kann« (M. THEUNISSEN, Religiöse Philosophie, in: K. Dethloff u. a. [Hgg.], Orte der Religion im philosophischen Diskurs der Gegenwart, Berlin 2004, 101–120, hier 120). 239 Von hier aus hat Gott auch in abgestufter Weise ein Verhältnis zu allem nichtmenschlichen Seienden – ähnlich wie wir. 240 Cf. oben S. 286 (Ende von 2.). 241 Zum Verhältnis Gott und menschliches (persönliches) Selbstsein in Luthers Römerbrief-Vorlesung cf. meinen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Die Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 275 Anm. 166), 18–28 sowie zu Augustin: J. RINGLEBEN, Interior intimo meo. Die Nähe Gottes nach den Konfessionen Augustins, ThSt(B) 135, Zürich 1988, 35ff. 242 S. o. 2. (S. 283ff). 243 Cf. auch P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. V, Stuttgart 1964, 182.

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(und nicht unterpersönlich) mir selbst begegnet. Das ist schon damit gegeben, dass das menschliche Gottesverhältnis, und zwar von Gott selber aus, wesentlich sprachlich verfasst ist, weil Gott der Gott des Wortes (deus verbosus) ist und in diesem seinem Wort jeweils mich anredet bzw. spezifisch der zu mir sprechende Gott ist und sich so mir als er selber vergegenwärtigt. Gott ist persönlicher Gott, weil ich mit meiner Personalität in seine eigene Gegenwart aufgenommen (z. B. im Gebet)244 und nicht als Person vor ihm ausgelöscht werde. Vielmehr gerade »vor ihm« (coram Deo) bin ich als Person.245 »Persönlicher Gott« bedeutet mithin, dass mein Personsein im Geheimnis Gottes und seiner Gegenwart geborgen ist, dass seine übergegenständliche Nähe mein Personsein begründet, trägt und umgibt.246 Indem ich Gott persönlich anrede und von ihm angeredet werde, bin ich (sprachlich) beim Grund meines Personseins, bin bei ihm bei mir.247 Mein Selbstsein gründet lebendig in Gottes unendlichem Er-selbst-Sein. Daher gilt vom religiösen Leben: »Es regt sich bereits in unserer Erfahrung mit uns selbst vor Gott – das heißt: in seinem Angesicht. Schon in der Erfahrung mit uns selbst, aber auch mit anderen, können wir das Antlitz Gottes schauen«, und wir haben es darin »mit ihm als Person zu tun«.248 4. Gottes Antlitz ist für uns lebendig, wenn und indem er uns »persönlich« anspricht, und überhaupt wird seine Persönlichkeit als seine Sprachlichkeit konkret. Dass Gott ein persönlicher Gott ist, bedeutet: Er ist so Gott, dass er uns anspricht, also sich uns (als Einzelnen und als Gemeinde) in seinem Wort erschließt, und dass er sich selber ansprechen lässt: im Gebet. Die Eigenschaft Gottes, persönlicher Gott zu sein, ist religiös und theologisch so wichtig, weil man es derart im sprachlichen Wort mit ihm selber zu tun hat, sozusagen mit seiner Wesensmitte (seinem Herzen) bzw. seinem eigent-

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Siehe dazu unten 4. Cf. z. B. Tillich: »in der Begegnung mit Gott erfahren wir zuerst, was Person sein soll« bzw.: »Der Gott, der unbedingt ist …, ist der Gott, der uns erst ganz zur Person macht und der folglich ganz personhaft ist in unserer Begegnung mit ihm« (TILLICH, a.a.O., 152). 246 Von der an sich unzugänglich-fernen Transzendenz sagt K. Jaspers immerhin: »Sie … spricht zur Existenz« (JASPERS, Philosophie III [wie oben Anm. 219], 164); zur Kritik daran cf. WEIDMANN, Gott (wie oben Anm. 209), 149. Cf. auch meine theologische Auseinandersetzung mit Jaspers von der Sprache her: J. RINGLEBEN, Sprache und Transzendenz, in: A. Hügli u. a. (Hgg.), Glaube und Wissen (Croire et Savoir). Zum 125. Geburtstag von Karl Jaspers, StPh 67, Basel 2008, 69–94. 247 Bei P. Tillich heißt es: »Wenn Offenbarung das ›Wort Gottes‹ genannt wird, so betont das die Tatsache, daß alle Offenbarung … sich an das Zentrum des Selbst wendet und Logos-Charakter haben muß, um von ihm empfangen zu werden« (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 211], 188). 248 THEUNISSEN, Religiöse Philosophie (wie oben Anm. 238), 120. 245

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lichen Sein als Gott für uns.249 Nur so ist auch ein lebendiger Verkehr mit ihm möglich, nämlich sprachlich im hörenden Sich-Vertiefen in das eigene Gottesverhältnis. Gott bezieht sich von Ewigkeit her als er selbst auf Menschen; das tut er schon, indem er in sich selber λογικῶς ist, d. h. liebend auf seinen Menschensohn bezogen. Er tut es sodann in Zeit und Geschichte als der »persönliche Gott«, der sich uns in seinem Wort zuwendet und unser menschliches Ich (auch und vor allem im Wort der Bibel) persönlich anredet und selber auf uns hört.250 Dies erfüllt sich religiös vor allem im Gebet. Gott ist »persönlicher« Gott, weil er wesentlich in Relation zu uns ist und weil ein persönliches Verhältnis immer wechselseitig, ein Ich-Du-Verhältnis (»intersubjektiv«), ist.251 Insofern ist Gott »für uns« unausweichlich ein persönlicher Gott. Der exemplarische Fall, sozusagen das Paradigma, dieser Wechselbeziehung, ist das Gebet.252 Darum stellt sich insbesondere beim Thema »Gebet« theologisch die Aufgabe, Gott selber als persönlichen Gott zu begreifen, weil sonst das Gebet auf ein Selbstgespräch (subjektive Meditation) reduziert, also um seine Wirklichkeit und Wahrheit gebracht würde. Zur Authentizität des Betens gehört elementar ein inniges Vertrauen in die wirkliche Gegenwart Gottes. Dies impliziert, wie oben in den Prolegomena mehrfach dargelegt,253 ein fundamentales Wissen um das unableitbar vorausgehende Sich-Vergegenwärtigen Gottes, als Reaktion und Antwort worauf das Gebet sich selber versteht.254 Das heißt: Im Gebet erfasst sich das persönliche Verhältnis zu Gott als vom persönlichen Gott ermöglicht und getragen und weiß sich der Betende »vor Gott«. Kurz gesagt: Gott ist persönlich als der uns persönlich Anredende und uns Vernehmende.

249 In Übereinstimmung dazu, dass Gott nicht weniger als eine Person sein kann (s. o. bei Anm. 211), hat auch Tillich behauptet: »Ein Gott, dem das Wort nicht zu Gebote stünde, wäre weniger als der Mensch« (TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. VIII, Stuttgart 1970, 70). 250 Cf. das oben in Prolegomena, § 4, 4.2. (S. 71f) und S. 67 Anm. 33 zum »Pro me« bei Luther Gesagte. 251 Dass das Ich-Du-Verhältnis wesentlich ein sprachliches Verhältnis ist, weil es ein »Du« nur sprachlich gibt, hat W. v. Humboldt in seiner berühmten Abhandlung »Ueber den Dualis« (1827) herausgearbeitet (HUMBOLDT, GS 6, 4ff); zu den Konsequenzen für die Theologie cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 275 Anm. 166), 329ff. 252 Freilich gilt es dabei Tillichs Feststellung zu beachten: »Gott steht in Wechselbeziehung zum Menschen; aber er tut das nur als der, der sie zugleich transzendiert und beide Seiten der Wechselbeziehung umfaßt«, so dass eine Theologie des Gebetes bzw. des Wortes nicht mit der Theologie des Gesprächs (im naiven Sinn) verwechselt werden darf (TILLICH, Gesammelte Werke V [wie oben Anm. 243], 181f und 180). 253 S. o. S. 5f.8.27.69 u. ö. 254 Cf. zu Luthers Auslegung des 3. Artikels oben Prolegomena, § 4, 3. (S. 72f).

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Gott und menschliches Selbst sind im Gebet einander »gegenüber« – als Geist von seinem Geist, bzw. indem Gott als Geist auch bei oder in uns ist (cf. Röm 8,26f).255 Dass Gott »für uns« personhaft da ist, heißt also: Er verhält sich zu uns als zu seinen Ebenbildern; in und mit unserem sprachlichselbsthaft verfassten Personsein (als von Gott wissenden Wesen) ist er geisthaft bei sich.

F. Absolute Einheit (Zusammenfassung) 1. Gottes Einheit ist absolute Einheit, denn sie ist es ganz aus sich selbst (selbstvermittelte Identität).256 Absolut (d. h. selbst-absolvent) ist die Einheit mit sich selber, die sich ohne Kontextbedingtheit völlig aus sich selbst erwirkt, als sich selbst verdankender Vollzug (a se et per se). Somit ist Gottes Einheit nicht nur Einheit an sich, sondern auch für sich (an und für sich). Gottes Selbstsein ist die höchste denkbare Gestalt von Einheit: umfassend (und nicht nur exklusiv), konkret (und nicht abstrakt)257 und absolut (und nicht in Relationen aufgehend).258 Es geht hier um diejenige Einheit, die allein Gott zukommt. Absolut ist Gottes Einheit, indem sie selbsthaft, ganz durch sich selbst, ist:259 »Das Absolute, oder Gott, ist, was es ist, schlechthin durch sich selbst allein … es ist … das schlechthin durch sich selbst bestimmte, genauer das schlechthin durch sich selbst bestimmt werdende, das schlechthin selbst sich bestimmende Sein«.260 Es ging in diesem Paragraphen um die Frage, wie Gottes Absolutheit als der Eine so zu denken ist, dass sie sein Personsein übergreift, also für sich immer auch »mehr« ist als eine Person (Tillich). Die hier versuchte Antwort kann rückblickend noch einmal anders formuliert werden: Auch in seinem Selbst- bzw. Personsein (für sich und für uns) ist Gott Gott, ewig und absolut.

255

Cf. dazu die religiöse Rede P. Tillichs (»Das Paradox des Gebets«), in: P. TILLICH, Das neue Sein. Religiöse Reden, 2. Folge, Stuttgart 31959, 128ff. 256 Luther schreibt zu Gen 1,3 (Einheit von göttlichem Sprecher und seinem Wort): »Et tamen haec distinctio eiusmodi est, ut unissima … unitas essentiae maneat« (WA 42, 14,10f). 257 Gemäß der rein formalen Gleichung 1 = 1. 258 Luther: »Si enim non esset Deus, posset foras effundi et separari ac aliis misceri: Sed hoc non potest« (WA 1, 24,4f). 259 Auch um Gottes eigene Einheit von einem bloß menschlichen Konstrukt von Einheit zu unterscheiden, hat Luther in »De servo arbitrio« (1525) die Rede vom deus absconditus eingeführt; cf. auch oben Anm. 238. 260 So in Anlehnung an Schelling: ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 250 Anm. 3), 85f (§ 23).

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Das heißt, er ist auch seines Person- oder Ichseins noch göttlich mächtig, durchdringt es mit sich selbst, hat es nur »für sich« auch an sich. Auch indem Gott Selbst (oder Person) bei uns (»für uns«) ist, ist er es noch für sich selber, d. h. indem er es bei uns ist, kommt er in bzw. aus diesem Ichsein absolut zu sich selber. Zu seiner Absolutheit gehört, dass Gott auch im Sich-Öffnen nach außen unverbrüchlich in Einheit mit sich bleibt. »Eins« ist er nicht abstrakt punktuell, als »fensterlose« Monas, sondern lebendig und umfassend.261 Indem er als Persönlicher Gott absolutes Selbst ist, überschreitet er sein Personsein für sich; seine ewige Identität mit sich (als Gott) ist mehr als nur »eine« Person. Er »hat« gleichsam auch sein Personsein an ihm selber, besitzt es und darin sich, aber er »ist« es nicht einfach – also nicht so, wie wir Menschen zwar Ich sind, aber dieses Ichsein nicht selber hervorgebracht haben, sondern uns darin immer schon vorfinden. Als causa sui »macht« Gott sich selber zum Einen und Selbst; so ist er es selber auch, aber er durchdringt es noch einmal mit seiner Absolutheit, ist seines Ich- oder Selbstseins – anders als wir – zugleich unendlich mächtig. Auch sein Personsein ist keine Grenze seiner Allmacht für ihn, vielmehr deren »Organ«. Er bringt sein eigenes Selbstsein – als solches, d. h. absolute Einheit – selber hervor. Insofern ist sein absolutes Selbstsein (für ihn) mehr als sein Personsein. Das bedeutet auch: Aus seinem Personsein für uns vermittelt Gott sich absolut mit sich selbst. Ist er selber alles, was er ist, bzw. ist alles, was in oder an Gott ist, er selber,262 so gilt das auch für sein »Ich« bzw. ihn als »Person« absolut. Als persönlich ist er sozusagen relativ (und d. h. auch persönlicher Gott für uns), was er für sich zugleich absolut ist. Er übersteigt sein eigenes Personsein, um darin (erst) ganz Gott zu sein. Persönlicher Gott ist er mit uns und bei uns, aber darin ist er auch absolut Er-selbst. 2. Absolute Einheit ist etwas Gott-Spezifisches und darum unauflöslich.263 Nach Luther handelt es sich um eine »unitas perfecta«, so dass Gott ein »unissime unus et simplicissimus Deus« ist und (als Dreieiniger) trotz interner »distinctio« bei ihm doch von »unissima … unitas essentiae« zu reden ist.264 Sie ist von jeder denkbaren endlichen Einheit unendlich unterschieden. Auch das hat besonders eindrucksvoll Luther herausgestellt,265 indem er Gottes Einheit-mit-sich von jeder sonst bekannten Einheit abhebt. Das sind auch einheitstheoretisch interessante Hinweise.

261 Insofern vollendet sich Gottes eigene Einheit eschatologisch (s. o. S. 257 Anm. 57), wenn er »alles in allem« ist (1Kor 15,28). 262 Siehe das Zitat oben S. 272 bei Anm. 144 und C. 1.2.–1.8. (S. 268ff). 263 Dazu schon oben S. 270 bei Anm. 137 und S. 290 Anm. 258. 264 WA 42, 653,9f; 43, 479,3.8; 42, 14,10f. Ein von mir nicht verifizierbares LutherZitat lautet: »Deum esse unum unitate summa atque unissima unitate«. 265 Cf. schon oben S. 266 bei Anm. 113.

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– Gilt gewöhnlich ein Punkt in seiner abstrakt-diskreten Selbstgleichheit als etwas Unteilbares (ἄτοµος), so ist die göttliche Einheit mit sich als dem noch überlegen zu konzipieren: »divinitas multo minus est divisibilis quam punctum«.266 – Aber nicht nur von dem gedanklichen Konstrukt eines mathematischen Punktes mit seiner »toten« Einheit, sondern auch von der in der Welt des Geschöpflichen erfahrbaren »natürlichen Einheit« ist Gottes lebendige Identität mit sich zu unterscheiden: »Denn freylich holtz an yhm selber nicht so ein einig wesen hat als die Gottheit, Und widerumb holtz und stein nicht so gewis und unvermischlich unterschieden sind, als die personen [sc. der Trinität] sind«.267 Die Einheit des Materiellen ist der göttlichen Einheit unterlegen, weil sie nicht wie diese aus sich selber erwirkt und erhalten ist. Ist Gottes des Schöpfers Einheit mit sich absolute und (von außen) absolut unauflösliche Einheit, so ist alles geschaffene Sein dadurch bestimmt, dass es nicht völlig mit sich identisch ist. Dies zeigt die »Vermischbarkeit« der endlichen Dinge, deren Grenzen nur relativ unverrückbar, aber nicht prinzipiell undurchlässig gegeneinander sind.268 – Eine gegenüber der mathematischen und dinglichen höhere Form von Einheit stellt die Einheit des Lebendigen dar. Hierbei handelt es sich nicht um einfache Identität von etwas mit sich (Selbstgleichheit), sondern um die wirkliche Einheit zweier Unterschiedener: Gottes Wesen ist »die einigste einigkeit gegen alles, das hi niden ist, das leib und seel nicht so einlich beysamen sind, als Gott einig ist«.269 Weil die Einheit des Lebendigen nur ein endlich-gebrochenes Abbild der ewigen Lebendigkeit Gottes, des absolut Lebendigen, ist, ist sie weder absolut eins noch letztlich unauflöslich.270 Denn sie findet sich, wie beispielsweise die leib-seelische Einheit des Menschen, immer nur vor, kann aber sich selber (sich einigend) nicht völlig mit sich durchdringen. – Die lebendige Einheit von Leib und Seele kann in ihre »Bestandteile« zerlegt werden oder zerfallen; das ist ausgeschlossen bei der noch höheren Weise von Einheit, die als Einheit von Gott und Mensch an Christus begreifbar wird. Die inkarnatorische Einheit ist eine Einheit, die nur absoluter

266

WA 39 II, 299,9f (ähnlich von der Unteilbarkeit der Linie: a.a.O., Z. 8f). Cf. auch: »mathematica coniunctio« (WA 40 I, 527,24–27). 267 WA 26, 440,25–28. 268 Hingegen sind, wie die zweite Hälfte des Zitates ausspricht, die innertrinitarischen Unterschiede absolut von Gottes lebendiger Einheit umgriffen, und der Sohn hat an der maxima unitas des Vaters ungetrennt Anteil. Dabei handelt es sich nur um eine Selbstunterscheidung Gottes, die seine absolute Einheit mit sich gerade lebendig sein lässt. Das bedeutet eine unendliche qualitative Differenz zu jeder Form von geschöpflicher Einheit. 269 WA 41, 272,3–5. 270 Zur Zertrennbarkeit von Leib und Seele cf. WA 26, 333,13–15.

§ 3 Der Eine und das Selbst

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Lebendigkeit zukommt;271 sie ist »unvermischt, unverwandelt, unzertrennt und unzerteilt« (inconfuse, inconvertibiliter, indivise, insegregabiliter), denn ihre »Dimensionen« (Gott und Mensch) lassen sich nur aneinander voneinander unterscheiden. Der Gottmensch Christus ist eine »einige unzertrennete person«272 einzig und allein in Kraft absoluter göttlicher Einheits- bzw. Einigungsmacht selber, die Gottes Sich-Hervorbringen entspringt; denn an sich gilt, dass »mensch und Gott viel unterschiedlicher und weiter von einander und widdernander [sind] denn brod und leib, fewr und holtz odder ochs und esel«.273 So gründet die inkarnatorische Einheit von Gott und Mensch (unter den Bedingungen der geschaffenen Welt) unüberbietbar in der absoluten Einigkeit des göttlichen Wesens, das im extremen Unterschied von sich immer noch mit sich lebendig eins bleibt.274 3. Gott muss absolut mit sich eins sein, weil das Absolute nur Eins sein kann bzw. nur Eins absolut.275 Die logisch-spekulative Analyse solchen absoluten Seins führt auf den Satz: »Das schlechthinige Sein ist eben als solches zugleich das schlechthin … selbst seiende, sich selbst genugsame, also in seinem Sein und Sosein schlechthin durch nichts Anderes außer (praeter) ihm bedingte, m. E. W. [mit einem Wort] das schlechthin unbedingte Sein. Gott ist demnach das schlechthin Unbedingte.«276 Dementsprechend kann diese notwendige Einheit als das selbstbezügliche Sein des Absoluten oder Gottes bestimmt werden: »In dem Begriff des absoluten Seins ist die Absolutheit auf das Sein gleichermaßen als Subjekt und als Prädikat zu beziehen.«277 Interpretiert man dies näher, so erhellt mit dem Gesagten Gottes Einheit-mit-sich als ewige Vollkommenheit durch und für sich selbst. Einmal, »das Sein als Subjekt« bedeutet: (1.) das absolute Sein; sodann »das Sein als Prädikat«: (2.) das absolut Sein. Anders formuliert: (1.) Es wird als absolutes Sein gedacht, und (2.) sein »Sein« wird absolut gedacht. Sofern 271

Cf. oben Anm. 208. WA 26, 332,3f. 273 WA 26, 440,38–40. 274 Cf. auch: »Die menschheit ist neher vereiniget mit Gott, denn unser haut mit unserm fleische, ja neher denn leib und seele« (WA 26, 333,11–13; cf. ähnlich 340,22–24). Weder die relativ äußerliche Einheit des Fleisches mit seiner Haut noch die eher innerliche Einheit von Leib und Seele erreichen das Maß von Einheit, das aus Gottes schöpferischer Macht und Selbstmächtigkeit entspringt. 275 Cf. dazu ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 250 Anm. 3), 76ff (§ 19). 276 A.a.O. 75 (§ 18). Übrigens ist das »Unbedingte« kein negativer, d. h. bloß verneinender Begriff; vielmehr ist er als Negation der Negation zu denken; cf. F. A. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, Bd. II, Berlin 1840, 425; zitiert bei ROTHE, a.a.O. 75f (Fn.). Cf. auch oben S. 272 Anm. 148. 277 A.a.O. 80 (§ 20). 272

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es dabei um absolute Einheit geht, gilt es – entsprechend (2.) – im Denken die Einheit mit sich selbst zu vermitteln (als Einheit nur aus sich) und – entsprechend (1.) – das Sein der Einheit als Einigung mit sich selbst (als Einheit durch sich) zu begreifen. Nur wenn das geschieht, ist die Einheit selbst als das Selbst der Einheit bzw. ihr Sein als ihr Sich-Durchdringen mit sich zur Geltung gebracht. Die Einheit Gottes wie das absolute Sein sind nur dann gedacht, wenn sie auch absolut gedacht, d. h. als absolut eins bzw. absolut seiend gedacht werden. 4. Abschließend ist kurz auf den Glaubenssinn von Gottes selbsthafter Einheit bzw. absolutem Sich-Einigen hinzuweisen. Vom biblischen Einheitskonzept gilt: »Gottes Einheit bekennen278 – der Jude nennt es: Gott einigen«.279 Dieses Bekennen setzt indes theologisch als unumgänglich voraus, dass es dem sich selbst Einigen Gottes entspricht, wie es Ex 3,14 lebendig artikuliert. So kann es weiter heißen: »Denn diese Einheit, sie ist indem sie wird, sie ist Werden zur Einheit«.280 Gottes Sich-Einigen wie das glaubende Sich-Bekennen dazu werden somit vom Gedanken des Werdens zu sich her begreiflich, der in dieser Gotteslehre im Horizont von Gottes Sich-Hervorbringen verständlich gemacht wird.281 Von hier aus kann der Glaube sich als den menschlichen Ort begreifen, an dem Gott sich setzt bzw. jeweils neu mit sich anfängt: »Und dies Werden ist auf die Seele und in die Hände des Menschen gelegt«.282 Das bedeutet christlich: In Glaube und Bekenntnis sowie in der Nächstenliebe manifestiert sich an unserer Seele dies »Werden zu sich« für uns – als Werk Gottes selbst in uns.283 Wo das geschieht, vollendet sich auch am Ort unseres Selbstseins Gottes selbsthafte Einheit mit sich. Wie er sich in unserm Glauben hervorbringt bzw. ewig mit sich anfängt, so vollendet er sich auch dort, so dass es eschatologisch heißen kann: ἰδοὺ ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ µετὰ τῶν ἀνθρώπων καὶ σκηνώσει µετ’ αὐτῶν (Apc 21,3b).

278

S. o. B. 1. die alttestamentlichen Belege (S. 251ff.). F. ROSENZWEIG, Der Stern der Erlösung, BS 973, Frankfurt 1988 (= 41976), 456 (am Rande: 442). 280 Ebd. 281 Cf. oben § 2 E. (S. 230ff) u. ö. 282 ROSENZWEIG, a.a.O. 456f (= 442). 283 Zu Luthers Formulierung »fides creatrix divinitatis« s. o. Prolegomena, § 4, 2. (S. 72 Anm. 65). 279

§ 4 Der Lebendige Gottes Leben ist als ewiges Werden zu sich die reine Aktuosität und unendliche Gegensatzeinheit in Bewegung und Ruhe.

Vorbemerkung Der gegenwärtige Paragraph ist nach § 3 der zweite, der (wie das Kapitel II überhaupt) das formale Sein Gottes zum Thema hat. Die damit verbundene gewisse Formalität der bisherigen Aussagen über Gott wird von diesem § 4 an immer reicher bzw. konkreter bestimmt. Denn Kapitel II hat es nicht mit einer leeren Form des göttlichen Seins zu tun, so dass dessen »Inhalt« erst in Kapitel III mit den sog. »Eigenschaften« Gottes in den Blick käme. Vielmehr ist das im vorliegenden Kapitel in einem ersten Durchgang zu Erörternde formal im Sinne von »abstrakt«, d. h. im Sinne der anfänglichen, grundlegenden, prinzipiellen Bestimmungen dieses Seins. Überhaupt ist – der lebendigen Einheit Gottes mit sich entsprechend1 – in dieser Gotteslehre Inhalt nichts anderes als die Form selber, d. h. als deren Selbstentfaltung.2 Die hier vorgetragene Gotteslehre begreift als die Grundzüge der göttlichen »Aseitas« Leben und Allmacht. Zwischen beiden Begriffen besteht theologisch ein enger Zusammenhang bzw. eine wechselseitige Näherbestimmung: Denn Leben ist göttlich, indem es auch allmächtig ist,3 und die Allmacht Gottes ist schöpferisch-lebendig.4 Das ist nachher weiter zu erläutern (s. u. Abschnitt B.).5 Der Übergang von § 3 (Der Eine und das Selbst) zum gegenwärtigen § 4 und zum folgenden § 5 ist kurz so zu erläutern. Es soll sich bei »Leben« und »Allmacht« nur um Weiterbestimmungen und Konkretionen dessen handeln, 1 Der unerschöpfliche Reichtum des göttlichen Seins hat seine Einheit bzw. das Einigende darin, dass es Gottes eigener Reichtum ist, und eben dieser gleichsam formale Aspekt, dass es dabei um Gottes eigenes Sein geht, ist es, was diesem Kapitel II und den Paragraphen über das Leben und die Allmacht Gottes ihren spezifischen Akzent gibt. 2 Aus dem gegenwärtigen Paragraphen über Gottes spezifische Lebendigkeit (§ 4) lassen sich in diesem Sinne insbesondere die späteren Ausführungen über Gott als den Schaffenden (§ 8), als den Ewigen (§ 9), als die Liebe (§ 11) und über seine Allgegenwart (§ 12) herleiten. 3 Darum ist hier von Dem Lebendigen schlechthin die Rede. 4 So ist er in seiner eigenen Allmacht als er selbst Der Allmächtige. 5 Cf. insbesondere unten § 5 C. (S. 354ff).

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was grundlegend (und relativ abstrakt) bisher schon erkannt ist. Beim Ausgang von einer Selbsthervorbringung Gottes sind zwei Momente zu unterscheiden: einmal das Moment des »Werdens« und zweitens das Moment des »Zu-sich«, d. h. die ewige Ausrichtung auf ich selber. Das erste Moment redet von einem Sich-Entzweien, ein Entzweien in Sein und Werden6 bzw. Ewigkeit und Prozess. Das fassen wir jetzt unter dem Begriff des »Lebens«. Der gegenwärtige § 4 entspricht dem absoluten Selbst-Sein Gottes (§ 3 D. [oben S. 274ff]), d. h. dem Umstand, dass er seine Einheit in einer entfalteten Differenz hat. Das zweite Moment: dass dieses Sich-Entzweien eo ipso ein Sich-Einigen ist, ein absolutes In-sich-Bleiben oder Bei-sich-Sein, nimmt der Gedanke der »Allmacht« als göttlicher Selbstbewahrung (§ 5) auf. Dieser nächste Paragraph versucht also Gottes absolute Einheit noch konkreter zu verstehen: als die Einheit-mit-sich in allen Differenzierungen.

A. Hinführung »Leben« ist ein ebenso elementarer und umfassender wie reicher Differenzierungen fähiger Begriff. Seit Urzeiten hat die Menschheit das Leben und seine Phänomene als etwas Geheimnisvolles erfahren. Diese Empfindung entzündete sich besonders an seinem In-sich-Kreisen und seiner Selbstreproduktion, an seiner Ursprünglichkeit und Unverfügbarkeit. Leben, so wusste man, konnte nicht erzeugt, sondern nur gepflegt oder zerstört werden. Im Gegebensein des Lebens außer ihm und bei ihm selber, in seinem eigenen Leben, erlebte der Mensch das Walten einer höheren Macht, von der er im Kreislauf von Zeugung, Geburt und Tod, in Gestalt von natürlichem und kosmischen Leben, von Krankheit und Heilung sich fundamental abhängig wusste. Diese elementare und tiefe Erfahrung des Lebens ist einer und wohl der wichtigste Ursprung von Religion überhaupt. Was etwa die Religionswissenschaft als die Formen animistischer oder vitalistischer Religion kennt, das hat seine Lebensmitte in der Verehrung des als numinos erfahrenen Lebens überhaupt, seiner Hut und seiner Weitergabe, besonders auch an den kritischen Schwellen des Lebens wie Geburt und Tod. Auch das Phänomen des Opfers hat mit dieser Erfahrung des Lebens zu tun. Wird »Leben« erfahren als die Präsenz einer göttlichen Macht und Lebendigkeit, die im eigenen Leben wie im Leben überhaupt geheimnisvoll gegenwärtig ist, so kommt in solche frühen Gestalten von Religion eine gewisse Zweideutigkeit. Einmal ist nicht klar, ob die Religion hier selber ein (bloßes) Lebensphänomen ist, gewissermaßen ein Ort, an dem das kreatürliche Leben sich selber (sozusagen in einer letzten Aufgipfelung) steigert. Sodann liegt 6

Was nur bedingt eine Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit in sich schließt.

§ 4 Der Lebendige

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eine Zweideutigkeit darin, dass ebenso »lebendig«, und d. h. vielgestaltig – wie das Leben selber –, auch diese Art religiöser Erfahrung und ihre Objektivationen sind. Zwar bedeutet auch die biblische Rede vom lebendigen Gott, dass Leben in allen seinen (geradezu unerschöpflichen) Formen theologisch irgendwie relevant ist; aber mit der Rede vom »lebendigen« Gott wird dieses für alles Sein und besonders für das des Menschen fundamentale Phänomen auf die höchste und unbedingte Instanz bezogen, die in dem Begriff Gottes intendiert ist.7 Das verlängert sich bis in das denkbar höchste Anliegen menschlicher Existenz: das ewige Leben.8 Umgekehrt kulminiert die Schöpfung im Phänomen desjenigen Lebens, das als natürliches auch für sog. »geistiges« Leben noch von Bedeutung ist.9 Denn Leben ist konzentriert und gesteigert da im persönlichen, d. h. ich- oder selbsthaften Leben des Menschen – einem Leben, das empfangen wird und selbständig mit Anderen geführt sein will.10 Diese Zusammenhänge theologisch wahrzunehmen,11 kann nicht bedeuten, einen vorgefassten Begriff von Leben auf Gott nur anzuwenden bzw. (sozusagen in gesteigerter Form) zu übertragen; sondern wegen des sachlichen Zusammenhangs zwischen dem Schöpfergott und dem geschöpflichen Leben muss die Betrachtung auch einschließen, »Leben« vom ewigen Gott her zu begreifen.12 Denn der »lebendige Gott« kann nichts anderes sein als die ewige Wahrheit allen Lebens.13 Darum ist das Leben Gottes für uns so unentrinnlich wie das Leben überhaupt, von dem wir uns so gut wie gar nicht (sozusagen als bloße Zuschauer) distanzieren können (cf. Act 17,28). Denn auch absichtliche Distanznahme 7

Darum markiert der Schöpfungsgedanke (als die große »Unterbrechung« rein immanenter Zusammenhänge) den scharfen Unterschied der biblischen Religion zu jeder vitalistischen. 8 Weil es dabei um Leben aus Gottes Leben geht, kann Augustin sagen. »Aeterna enim vita vitam temporalem vivacite ipsa superat« (De vera rel. 49,97; PL 34, 165). 9 Cf. P. TILLICHs groß angelegte Entfaltung in: Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, 19–337: Das Leben und der Geist. 10 Cf. die drei Grundelemente der (ethischen) Lebenswirklichkeit bei T. Rendtorff: das Gegebensein des Lebens, das Geben des Lebens und die Reflexivität des Lebens (T. RENDTORFF, Ethik, Bd. I, ThW 13,1, Stuttgart u. a. 1980, 31ff.). 11 Dies hat für die Dogmatik exemplarisch F. CH. OETINGER mit seiner »Theologia ex idea vitae deducta« (1765) geleistet. 12 Denn allgemein entspricht selbsthaftes Leben dem Selbstsein des lebendigen Gottes (cf. oben § 3 D. [S. 274ff]). Gott ist gleichsam »die Selbstlebendigkeit des Lebens: also das, was lebendig macht und lebendig hält, oder als das Belebende im Leben« (d. h. Geist) (T. KOCH, Das Leben und der Geist/Gott und die Freiheit, Stuttgart 2016, 58). Cf. Augustinus: »Deus … tuus etiam tibi vitae vita est« (Conf. X 6,9). 13 Die Albert Schweitzer’sche »Ehrfurcht vor dem Leben« ist in ihrer Wahrheit Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott und Schöpfer.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

wie beim pythagoreischen Zuschauer als »reine Theorie«, prinzipielle Epoché, Askese u. ä. sind selber unmittelbare Lebensvollzüge bzw. bleiben ins Leben eingebettet.

B. Der lebendige Gott als der Gott der Bibel Vom lebendigen Gott wissen wir wesentlich allererst und allein aus der Bibel, und eben hier kommt der Begriff »lebendiger Gott« auch prominent vor.14 Die biblische Rede vom lebendigen Gott ist selber schon Ausdruck seiner Lebendigkeit.15 Daher ist kurz auf die wichtigsten biblischen Belege einzugehen.16 1. Altes Testament 1.1. Hier ist die Verbindung des einen Gottes Israels mit dem Leben durchweg so eng, dass Gott schlechthin »der Lebendige« heißen kann (Gen 16,14; 24,62; 25,11 u. ö.).17 In meist nachexilischen Texten findet sich dann eine Fülle von Texten, die den lebendigen Gott als solchen qualifiziert thematisieren. Auch hier schon spielt der Ausdruck in die Bedeutung: der wahre und wirkliche Gott hinüber (cf. 1Sam 17,26.36; 2Kön 19,4), so dass an einer Stelle wie Dan 6,26 (27) zu betonen ist: »ER ist der lebendige Gott, der ewiglich bleibt« – nämlich der Einzige, der Gott Israels. Dem entspricht, dass dem ewig lebendigen Gott die toten Götzen kontrastiert werden (cf. Jes 44,6 mit 10 u. ö. und Act 14,15). Unverbrüchlich gilt hier: »Der Herr ist in Wahrheit (‫ ) ֱא ֶ֔מ ת‬Gott, er ist ein lebendiger Gott« (Jer 10,10); das ist schon reflektierter: Gott als das wahre 14 Bzw. auch »Gott des Lebens« (cf. Dtn 5,26; 1Sam 17,26.36; 2Kön 19,4; Jer 10,10; 23,36; Ps 42,3; 84,3 u. ö.). Cf. aber unten Anm. 52. Zu beachten ist die Besonderheit des biblischen Sprachgebrauchs: von Gott wird immer nur ζωή ausgesagt, nicht aber βίος, also nicht so etwas wie einfache, organische Lebendigkeit oder irdische Lebensdauer. 15 Nachher ist zu erörtern, dass und wie Gottes Lebendigkeit und seine Sprachlichkeit zusammenhängen; s. u. Abschnitt C. (S. 307ff). 16 Zum Alten Testament cf. S. KREUZER, Der lebendige Gott. Bedeutung, Herkunft und Entwicklung einer alttestamentlichen Gottesbezeichnung, BWANT 116, NeukirchenVluyn 1983; zum Neuen Testament; K. SCHOLTISSEK, »Er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen«, in: Th. Söding, Der lebendige Gott (FS W. Thüsing), NTA NF 31, Münster 1996, 71–100 sowie R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 515ff. 17 Die Rede vom Brunnen unterstreicht hierbei die Lebensbedeutung Gottes des Schöpfers; sie spielt noch in der johanneischen Figur vom »lebendigen Wasser« (Joh 4,5–15) ihre elementare Rolle (s. u. Anm. 20). Zur Interpretation cf. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 427ff. Der lebendige Gott ist es wesentlich als der Schöpfer; damit ist zugleich eine klare Unterscheidung von Gottes ewiger Lebendigkeit und kreatürlich-endlichem Leben gegeben.

§ 4 Der Lebendige

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Leben bzw. die lebendige Wahrheit selber.18 So kann nur Gott eigentlich »gelästert« werden; vor allem aber ist er einerseits der, dem als dem Lebendigen Hören und Sehen zugesprochen werden müssen (Jes 37,4.17; cf. Gen 24,62; 25,11; 2Kön 19,16) – gemäß dem, was in Ps 94,9 steht. Andererseits ist der lebendige Gott der, der sich uns vernehmlich macht, d. h. sprachlich so mit dem Menschen verkehrt, dass diesem seine überwältigende, heilige Lebensmacht nicht zum Tode gereicht – eben ihn hörend statt sehend (cf. Ex 33,20). Es ist der Mose von Ex 3,14, der gleichsam aus eigener Erfahrung sagen kann: »Denn was ist alles Fleisch, dass es hören möge die Stimme des lebendigen Gottes aus dem Feuer reden wie wir, und lebendig bleibe« (Dtn 5,26). Alles kommt mithin für den Glauben darauf an zu »erkennen, dass ein lebendiger Gott in eurer Mitte weilt«, und das kann sich eben ereignen, wenn man hört »auf die Worte des Herrn, eures Gottes« (Jos 3,9f). Durch sein schöpferisches Wort insbesondere ist Gott der lebendige Gott, nämlich als der, der sich sprachlich seine »Kinder« zeugt (Hos 2,1).19 1.2. Bezeichnend ist auch die Charakterisierung des lebendigen Gottes als die »Quelle lebendigen Wassers« (Jer 17,13; auch: »lebendige Quelle« 2,13).20 Der schöpferische Ursprung von allem kann nur als lebendig gedacht werden: »Denn bei dir ist die Quelle des Lebens« (Ps 36,10a).21 Die Verbindung von Gott und Lebendigkeit bedeutet nicht nur, dass er Leben schaffend, sondern auch dass er Leben weitergebend ist. Gott kann nicht allein töten, sondern (vor allem auch) lebendig machen (Dtn 32,39;22 1Sam (LXX: 1Kön) 2,6; 2[4]Kön 5,7). Das führt nun – meist mit dem Verbum ζῳοποιεῖν formuliert23 – auf den Gedanken von Gottes todüberwindende Schöpfermacht (cf. z. B. Ps 70,20; Neh 9,6), die dann im Neuen Testament eine überragende und neue Bedeutung gewinnt. 18 Cf. oben bei Anm. 7. Den Zusammenhang von Wahrheit und Leben artikuliert maßgebend auch Joh 14,6; cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 17), 512ff. 19 Darum ist der lebendige Gott zugleich »der Gott der Lebendigen«. Dieses Syntagma ist für die biblische Gotteslehre schlechthin zentral, wie FELDMEIER/SPIECKERMANN in ihrem gleichnamigen Buch zeigen; dazu s. u. 2.3. (S. 302f). 20 Wieder ist der Bezug zu Joh 4 unübersehbar (cf. oben Anm. 17); dazu stimmt die Rede vom Dürsten der Seele nach dem lebendigen Gott (Ps 42,3; cf. V. 9 und Ps 84,3). 21 V. 10b bestimmt mit der Rede vom Licht dieses Leben zugleich als geistig (und allgegenwärtig); wiederum ist der Bezug darauf bei Johannes offensichtlich. 22 V. 40 ist dann von seinem ewigen Leben die Rede. 23 FELDMEIER/SPIECKERMANN (a.a.O. 521 Anm. 35) weisen darauf hin, dass ζῳοποιεῖν in der Septuaginta meist mit Gott als Subjekt zu finden ist und dass »lebendig« und lebendig machend« promiscue gebraucht werden. Außerdem führen sie ebd. die interessanten Stellen aus »Joseph und Aseneth« an: ζῳοποιῶν τὰ πάντα bzw. ζῷοποιῶν τοὺς νεκρούς (JosAs 8,9; 12,1; 20,7). Überhaupt gilt im antiken Judentum Gott schon als »Beleber der Toten« (cf. a.a.O. 402); zu Entsprechungen in der Philosophie cf. a.a.O. 522.

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2. Neues Testament 2.1. Für Paulus besteht auch der neutestamentlich-christliche Glaube überhaupt darin, »dem lebendigen Gott zu dienen« (1Thess 1,9: θεῷ ζώντι, Deo vivo).24 Er ist der allwaltende Schöpfer (Act 14,15) und alles lebt daher »vor dem Angesichte Gottes, der alles lebendig macht« (1Tim 6,13).25 Daher sind wie im Alten Testament die Glaubenden »Söhne des lebendigen Gottes« (Röm 9,26; Hos 2,1).26 Dies kommt zustande durch die Lebensmacht Gottes, die die schöpferische Macht seiner Lebendigkeit und keine Naturgewalt, sondern die Macht selbsthaften ewigen Lebens ist.27 Dafür findet sich im Neuen Testament die einzigartige Formulierung von Gottes unauflöslicher Lebensmacht: δύναµις ζωῆς ἀκαταλύτου (Hebr 7,16). Es geht dabei um Gottes Leben »aus sich«,28 das nicht aufteilbar, sondern absolut vollendet ist, nicht nicht-eins sein kann, indem anfangs- und endlos in sich kreisend, schlechthin wirklich und ewig sich erneuernd, selbsthaft vollzogen und selbsthaft mit sich einig, also unzerstörbar lebendig und unauflöslich ist, was es ist. In solcher lebendigen Selbstgenügsamkeit (suisufficientia) ist das göttliche Leben unvergänglich und unzerstörbar. Daher kommt ihm in seiner ewigen Lebendigkeit – und ihm allein – wahrhaft »Unsterblichkeit« (ἀθανασία) zu (1Tim 6,16a) bzw. besitzt er die Herrlichkeit (δόξα) des unvergänglichen (ἄφθαρτος) Gottes in Ewigkeit (Röm 1,23; 1Tim 1,17).29 Gott ist Gott als der ewig Lebendige: ὁ ζῶν εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων (Apc 4,9; 10,6; 15,7; cf. Dan 12,7).30

24 Umgekehrt ist es wegen seiner verzehrenden Heiligkeit für die unbußfertigen, zum Gericht bestimmten Sünder »schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen« (Hebr 10,31). 25 Cf. schon Gen 16,14: »der Lebendige, der mich ansieht«. Dieser Zuwendung Gottes entspricht sein »lebendig machender Geist« (Joh 6,63; cf. 1Kor 15,45). 26 Mit einer sprachlichen Metapher ausgedrückt: sie sind »geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes« (2Kor 3,3) und so der »Tempel des lebendigen Gottes« (6,16). Zum lebendig machenden Geist cf. Joh 6,63 und 1Kor 15,45. 27 S. u. § 5: Der Allmächtige. 28 Cf. zur entsprechenden Formulierung Joh 5,26a s. u. 2.2. 29 Von Gottes »Unsichtbarkeit« gilt demzufolge: φῶς οἰκῶν ἀπρόσιτον (1Tim 6,16b); d. h., er ist in unnachvollziehbarem Selbstbesitz des Lebens und insofern auch ein in sich geschlossenes Singulum. Unsichtbar (1Tim 6,16c; 1,17b) ist er, sofern er selber Licht ist (1Joh 1,5), und zwar das Licht, in dem wir Licht sehen (Ps 36,10b). 30 Zum Leben des auferweckten Christus (Apc 1,18) s. o. § 1 D. 3. (S. 132f).

§ 4 Der Lebendige

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2.2. Die Aussagen des Alten Testaments über Gott als den Lebendigen kulminieren, weil zu Ende gedacht, im Neuen Testament, und hier insbesondere in zwei Hinsichten.31 Die eine findet sich bei Johannes.32 Heißt es alttestamentlich immer wieder mit Nachdruck: ζῶ ἐγὼ εἰς τὸν αἰῶνα (Dtn 32,40; cf. Luther: »so wahr ich lebe«, Num 14,21.28; Jes 49,18; Jer 22,24; 46,16, Ez 5,11; 44,16; Zeph 2,9 u.ö), so wird diese Selbstaussage Gottes im Neuen Testament im absoluten Sinne als Leben Gottes aus sich selber begriffen: ὁ πατὴρ ἔχει ζωὴν ἐν ἑαυτῷ (Joh 5,26a). Dies dürfte die stärkste und am meisten grundsätzliche Aussage in der ganzen Βibel sein.33 Sie braucht hier nur kurz interpretiert zu werden.34 Die Formulierung zeigt offensichtlich an, dass das Leben Gott nicht mehr nur äußerlich zugeschrieben wird, sondern dass er als ewiger Inbegriff von Leben überhaupt zu begreifen ist: als der ewig Lebendige.35 Mithin kommt »Leben« Gott nicht wie eine akzidentielle Eigenschaft zu, sondern, indem er es »in sich selber« hat, nur als ex se und per se sich erzeugend, und Gott ist wesentlich selber das Leben, in dem und durch das er lebendig ist.36 Es entspringt ewig so aus ihm, dass er darin sich selber hervorbringt, und er ist die lebendige Quelle des Lebens auch für sich selbst.37 Daher »hat« Gott das Leben nicht einfach an ihm, sondern »ist« es selber in sich selbst. Sein eigenes Leben – das ist sein Selbstsein (als Gott), in strenger Identität.

31 Zum Begriff des Lebens als dem zentralen Begriff im Neuen Testament überhaupt cf. die eindringlichen Bemerkungen bei T. KLEFFMANN, Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie, BHTh 120, Tübingen 2003, 21ff, die in dichten Ausführungen zu Johannes gipfeln (43ff). 32 Zur anderen s. u. 2.4. 33 Es ließe sich unschwer zeigen, dass sie auch mit Ex 3,14 in der Sache zusammenstimmt (bes. in der futurischen Auffassung). 34 Zur ausführlichen Deutung dieser einzigartigen Formulierung cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 17), 502ff. 35 Daher ist die Rede vom »lebendigen Gott« – spätestens im Neuen Testament – nicht als Metapher zu denken, sondern als sachhaltiger (eigentlicher) Wesensausdruck von Gottes Sein. Demzufolge stammt alles, was sonst Leben hat bzw. lebendig ist, aus dem schöpferischen Leben Gottes. 36 »vita maxime proprie in Deo est« (Thomas, STh I, q. 18, a. 3c). Cf. unten Anm. 60. 37 Die Rede vom πλήρωµα τοῦ θεοῦ (Eph 3,19) meint ebendiese aus sich quellende, unbegrenzte Fülle unendlicher Lebendigkeit, den unerschöpflichen Reichtum göttlichen Lebens schlechthin.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

So ist Gott in ewiger Aseität (αὐτάρκεια) selber das Leben, das er lebt: »Tu es igitur vita, qua vivis«.38 Darum muss gesagt werden, dass er an sich selber Leben und das Leben ist: »quod est vita, et non solum … vivens«.39 Zu Gottes wesenhaft interner Lebendigkeit gehört in christlichem Verständnis ebenfalls, dass er »auch dem Sohne gegeben hat, das Leben zu haben ἐν ἑαυτῷ (Joh 5,26b).40 Im (trinitarischen) Austausch des ewigen Lebens miteinander ist Gott im vollkommenen Sinne erst der lebendige Gott.41 Jesus Christus ist so – insbesondere als der Auferstandene und zu Gottes Rechter Erhöhte – selber (als »die Auferstehung«) auch »das Leben« (Joh 11,25) bzw. »der Weg und die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6),42 bzw. er ist selber der »Weg ins Leben« (Mt 7,14). 2.3. Die Formulierung vom lebendigen Gott als »Gott der Lebendigen« stammt von Jesus selber (Mk 12,27; Mt 22,32; Lk 20,38: θεὸς … οὐκ … νεκρῶν ἀλλὰ ζώντων).43 Dabei handelt es sich um nichts Geringeres als »die einzige, geradezu axiomatische ›Definition‹ Gottes im Munde Jesu«.44 Das ist darum so bedeutsam, weil von diesem Syntagma gilt: Jesus »bringt [den Gott des Alten und des Neuen Testaments] als ›Gott der Lebendigen‹ auf den Begriff«.45 Denn dies ist der Begriff von Gott, in dem Jesus selber existiert, und dieser Begriff ist als Begriff (als der λόγος τῆς ζωῆς, 1Joh 1,1) selber etwas Lebendiges, und »Leben« ist als geschöpflich-reales Dasein dieses Begriffs zu verstehen (cf. Joh 1,4).46 38

Anselm von Canterbury, Prosl. 12. Cf. die Näherbestimmung: »non per aliud … per teipsum«. 39 Thomas, STh I, q. 3, a. 3. 3. s.c. 40 Cf. auch Mt 16,16: Christus als Sohn des (eo ipso) lebendigen Gottes. Darum besteht die ζωὴ αἰώνιος darin, ihn zu erkennen (Joh 17,3). 41 Cf. W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 415 und P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 288–290. Cf. auch Pannenbergs Aufsatz: Die Subjektivität Gottes und die Trinitätslehre. Ein Beitrag zur Beziehung zwischen Karl Barth und der Philosophie Hegels, KuD 23 (1977), 25–40. 42 Er sagt dabei jeweils: Ἑγώ εἰµι! Zu Christi Sein als Inbegriff des Lebens cf. auch 1Joh 1,2; 5,20b; Act 2,8; 3,15; Phil 1,21; Kol 3,4; Apc 1,18 (dazu s. o. § 1 D. 3. [S. 132f]). Zum Geist des Leben cf. Joh 6,63; Röm 8,10. 43 Zur intensiven Auslegung (insbes. im Horizont der »spekulativen Satzes«) cf. RINGLEBEN, Wahrhaft auferstanden. Zur Begründung der Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen 1998, 11ff. 44 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 16), 1 und 516. Sie ist ohne Parallele in der frühjüdischen Literatur (522). 45 A.a.O. 516. Hervorh. J. R. Es heißt hier auch zu Recht: »Auf seiner Erkenntnis beruht die biblische Gotteslehre« (13); zum Inhaltlichen cf. 520. Für FELDMEIER/SPIECKERMANN kulminiert hier ihre Darstellung der Gotteslehre in dem Maße, dass sie keinen eigenen Paragraphen über »den Lebendigen« (an sich) haben; cf. das letzte Kapitel des Buches: »Beschluss«, a.a.O. 515ff. 46 Damit ist angedeutet, in welcher Richtung die kritische Frage zu beantworten ist, ob der »lebendige« Gott nicht gerade der Unbegreifbare sei (auch wenn man das Thema: deus

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Wie sich zeigen ließ, dass Gott »der Eine« derart ist, dass er es zugleich als »der Einende« ist (§ 3),47 so ist Gott als der Lebendige nur als auch »Gott der Lebendigen«, d. h. als der lebendig machende Gott, zu denken. Leben und spezifisch ewiges Leben wird so zu »gewährter Partizipation an seinem [sc. Gottes] Leben« (cf. Weish 15,3).48 Gilt im Blick auf Lk 20,38 überhaupt: der Gott der Lebendigen ist von Jesus als der »schöpferische Grund des Lebens« gemeint,49 so spezifisch für V. 38b (πάντες γὰρ αὐτῷ ζῶσιν), dass er »dein Leben ist« (Dtn 30,20). Gottes Lebendigkeit ist auch seine Lebensmacht in der glaubenden Gemeinschaft mit ihm: als der Teilhabe an seinem ewigen Leben (Joh 17,3).50 Systematisch wichtig ist überdies, dass im Kontext von Jesu Rede über den Gott der Lebendigen der Kontext von Ex 3,14 wieder aufgerufen wird, so dass die Selbstoffenbarung Gottes vor Mose als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Ex 3,6) in der aneigenden Wiederaufnahme »zur typologischen praeparatio evangelii« wird, »welche zugleich die Kontinuität der biblischen Gottesoffenbarung erweist«.51

absconditus hier noch beiseite lässt) bzw. was denn Leben und Begriff miteinander zu tun haben. Dazu ist zweierlei zu sagen. 1. Gott ist an sich selber »lebendig«, d. h. er ist lebendig in der Unendlichkeit seines Lebens und insofern nicht auf einzelne, endliche Begriffe unseres Verstandesdenkens (bzw. der formalen Logik) festzulegen. 2. Er ist »lebendig«, sofern er selber im Begriff seiner selbst (λογικῶς) existiert. (Denn sofern er einen λόγος τῆς ζωῆς in sich hat, ist seine Lebendigkeit für Gott freier Selbstbesitz und Selbstdurchsichtigkeit seines Seins; das schließt ein, dass er nicht einfach »irrational« ist, was ihn dämonisch werden ließe.) Daher braucht »unser« Begriff von Gott nie nur bloß unserer (rein menschlicher) zu sein, sondern er begreift sich von Gott selber her ermöglicht und bestimmt (s. o. Prolegomena [S. 27.39 u. ö.]; § 2 [S. 178ff]). Dass Gott im Begriff (seiner selbst) existiert, ist die göttliche Bedingung dafür, dass theologisch ein Gottesbegriff und eine Gotteslehre entwickelt werden können, die sich Gottes eigener Begriffsnatur verdanken. »Leben« ist an ihm selber Gestalt lebendiger Begrifflichkeit bzw. begriffsförmig und hat Begriffsnatur, und ein theologisch wahrer Begriff von Gott hat das Leben in sich aufgehoben, insofern ein solcher Begriff sprachlich bleibt; denn Sprache ist der aufgehobene Organismus. 47 S. o. § 3 C. 2. (S. 272 bei Anm. 148). 48 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 1. In Joh 6,53 wird den Glaubenden sogar zugesagt, durch das Abendmahl dahin zu gelangen, auch die ζωή zu haben ἐν ἑαυτοῖς (cf. auch Joh 15,4b). 49 A.a.O. 531 (mit Berufung auf M. Wolter). 50 Cf. a.a.O. 522f. 51 A.a.O. 417. Der Zukunftsbezug von Ex 3,14 wird damit von der Vergangenheit her, in der Gott gehandelt hat, erschlossen (cf. a.a.O. 519).

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

2.4. Die biblische Rede vom lebendigen Gott wird schließlich im Neuen Testament erneut und unüberbietbar durch die Auferweckung Jesu von den Toten verifiziert. Diese bedeutet eine qualitative Steigerung der internen Lebendigkeit Gottes, wie sich in fünf Hinsichten nachvollziehen lässt. 2.4.1. Gottes eigenes Leben potenziert sich (als Lebendigkeit) durch die ewige Einbeziehung seines geschichtlichen Menschensohnes und dessen irdischen Lebens bzw. Lebensweges bei der Auferweckung und Erhöhung. Der »lebendige Gott« ist der menschliche, weil menschgewordene Gott. Ebenso hat Gott sein Leben schöpferisch realisiert, indem er den eigenen Unterschied zu Jesus bzw. den Unterschied Jesu zu ihm in die Gestaltung seines eigenen Lebens integriert. 2.4.2. Dadurch ist Gottes ewiges Leben (in endgültiger Gemeinschaft mit Jesus) wesentlich auch zeitliches Leben (und so unserm empirischen Lebensbegriff nahegekommen). Gott hat sich damit vollends als der »Gott der Lebenden« erwiesen;52 er ist der lebendige Gott erst ganz im Auferweckungshandeln.53 So vollendet sich mit der Auferweckung Jesu die Selbsthervorbringung Gottes – in der Zeit54 für alle Ewigkeit. 2.4.3. Gottes Lebendigkeit wird nun ausdrücklich qualifiziert durch das endgültige Austragen der ihm an sich immanenten Negativität auch »außerhalb« seiner und in deren radikalster Form in Gestalt des wirklichen Todes.55 Das besagt unter anderem, dass Leben von Gott her jetzt absolutes Leben ist, weil es seinen eigenen Gegensatz übergreift (mors mortis).56

52 Cf. oben 2.3. Bei FELDMEIER/SPIECKERMANN heißt es bezüglich der Auferweckung Jesu: »Der lebendige Gott wird nun ein für alle Mal zum Gott der Lebendigen« (a.a.O. 402); cf. Lk 15,24.32. 53 Bei Paulus ist Gott wesenhaft als der Gott charakterisiert, der Jesus aus dem Tode auferweckt hat (Gal 1,1; 2Kor 4,14; Röm 4,24). In den neutestamentlichen Briefen wird »ὁ ἐγείρας … nahezu zu einem Gottesnamen« (G. DELLING, Geprägte partizipiale Gottesaussagen in der urchristlichen Verkündigung, in: ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Göttingen 1970, 407 [nach FELDMEIER/SPIECKERMANN]). Zu einem ähnlichen Sprachgebrauch in der Apostelgeschichte cf. C. ZIMMERMANN, Die Namen des Vaters, Ancient Judaism and Early Christianity 69, Leiden 2007, 512–516. 54 Cf.: »Am dritten Tage« (1Kor 15,4; Act 10,40; cf. Lk 24,21); dazu meine Erwägungen in: RINGLEBEN, Wahrhaft auferstanden (wie oben Anm. 43), 88ff. 55 Zur Überwindung des Todes cf. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 202 und 402. 56 Cf. die denkwürdige Formulierung des Paulus vom ewigen »Sieg« des Lebens als »Verschlungenwerden« des Todes im Leben (1Kor 15,54 und 2Kor 5,4). κατεπόθη bedeutet hier so viel wie »aufgehoben« im Sinne von: hineingenommen und verwunden. Vielleicht kann man sogar sagen: Gott bringt sich aus dem Nichtsein des Todes lebendig hervor. Zu mors mortis cf. Augustin, In Joan. Ev. 12,10 (PL 35, 148).

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2.4.4. Mit dem Akt der Auferweckung (als solchem) des gekreuzigten und begrabenen Menschen Jesus öffnet Gott in einer schöpferischen Bewegung aus sich selbst die innere Tiefe seines Lebens.57 Das heißt: Leben als Selbstbewegung58 kommt hier zu seiner absoluten Form, nämlich im lebenschaffenden (ζῳοποιεῖν) Geist Gottes (cf. 2Kor 3,6; 1Kor 15,45; Joh 6,63 sowie Röm 4,17; 8,11; Joh 5,21 und 1Petr 3,18). 2.4.5. Gott hat nach Ostern sein Leben wesentlich auch am Ort des Auferstandenen und zu seiner Rechten Erhöhten. Dies spezifisch insofern, als Christus der ist, der mit ewiger Gültigkeit von sich sagen kann: »Ich war tot, und siehe, ich bin der Lebende von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Apc 1,18).59 »Leben« hat hier die Form des selbstbewussten (im Rückblick auf den eigenen, für ewig vergangenen Tod gewonnenen) Für-sich-Seins. Insofern hat Gott am Ort seines erhöhten Sohnes ein Bewusstsein von sich: als des ewig Lebendigen. 2.4.6. Zusammenfassend lässt sich sagen: Auch darin ist Gott der wirklich lebendige Gott, dass er seine Lebendigkeit (im gekreuzigten und auferweckten Sohn) neu bestimmt – als endgültig den Tod überwindendes Leben.60 Neu ist die (in 2.4.1.–2.4.5. analysierte) Selbstbestimmung Gottes zum wahrhaft lebendigen Gott, wie sie im Neuen Testament zur Sprache gebracht wird, als Neubestimmung seines eigenen Lebens im Zuge der zeitlichen Vollendung seiner ewigen Selbsthervorbringung.61 Aus allem Gesagten erhellt auch die umfassende Aussage des Apostels über den deus vivificans (2Kor 1,9; Hebr 11,19):62 als den »Gott, der die Toten lebendig macht (ζῳοποιοῦντος) und das Nichtseiende ruft (καλοῦντος), dass es sei« (Röm 4,17). Indem Paulus hier die Auferweckung der Toten mit der creatio ex nihilo in einen einheitlichen und lebendige Zusammenhang göttlichen Redens bringt (cf. auch 2Kor 4,6), begreift er das Leben Gottes in der Welt als den einen Weg vom Proton zum Eschaton und Gott auch von daher als den lebendigen Gott.

57 Mein Vorschlag zur näheren Deutung dieses Handelns Gottes lautet: es handelt sich um ein schöpferisches Sprechen bzw. Sehen Gottes, d. h. ein Hineinsprechen und Hineinschauen des zeitlich begrenzten und abgeschlossenen Lebens Jesu von Nazareth für immer in die Geschichte; cf. Mt 28,18.28b sowie: RINGLEBEN, Wahrhaft auferstanden (wie oben Anm. 43), 50ff. Cf. auch die These, dass Gottes alles durchdringendes »Sehen« zugleich als ein vivificare zu begreifen ist (cf. Nikolaus von Kues, De visione Dei IV, in: ders., Phil.-theol. Schr. 3, 106). 58 S. o. § 3 D. 3. (S. 279f). Bei Meister Eckhart liest man: »vivum ex se ipso intus et ab intus movetur« (M. Eckhart, LW 2 [Exp. Lib. Sap. 8,1], 520,2 [nr. 184]). 59 Zur Deutung cf. oben § 1 D. 3. (S. 132f). 60 In Wahrheit ist biblisch erst hier vom »lebendigen« Gott eigentlich und in einer mehr als metaphorischen Weise die Rede. 61 Daher sind im Christentum die novissima zugleich absolut τὰ ἔσχατα. 62 Cf. oben bei Anm. 45 und bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 524–529.

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2.5. Die dogmatische Tradition zeigt sich, wie nicht anders zu erwarten, völlig durch die biblischen Vorgaben bestimmt. Das ist exemplarisch kurz zu zeigen. »Leben« wird hier ganz vom lebendigen Gott her gedacht, denn: »Proprissime solus Deo vivere dici potest«.63 Seine lebendige Wirklichkeit ist aktuale Wirksamkeit (actuositas): Vita Dei est tale attributum, quo Deus semetipsum perfectissime actuat per actus intrinseccos et immanentes cognoscendi et volendi seque semper actuosum demonstrat.64 Gottes eigenes Leben wird hier primär als ein Sich-Erwirken gedacht, indem er wesentlich der ist, der sich selber »aktuiert«. Zugleich ist er lebendiger (persönlicher) Geist, indem er sich (für sich) in »Akten« des Erkennens und Wollens als wirk-lich erweist. So besagt Gottes Leben sein wahres Sein. Denn der Satz: »Est deus vita« gilt in zweifacher Hinsicht: 1) Essentialiter, sofern Gott αὐτόζωος (cf. Joh 5,26), d. h.: »in se ipso et per se ipsum, sua natura et essentia«; 2) Effective (ἐνεργητικῶς), weil Gott der ist, »qui omnibus vivendi causa et origo« ist bzw. der »est vita omnium viventium (non formaliter, sed causaliter)« (cf. Dtn 32,39; Act 17,28). Als Ursprung und Grund alles Lebens ist Gott wirksam, weil er selber absolutes Leben in sich und aus sich ist. Durch ihn lebt alles, was lebt (cf. Joh 1,3f).65 Vor den altprotestantischen Dogmatikern hatte so schon Luther vom deus actuosissimus gesprochen: als »inquietus actor … in omnibus creaturis suis nullamque sinat feriari«.66 So bestimmt er auch Gott selbst in seiner aktuosen Lebendigkeit Gottes als »ein wirckende macht und stettige tettigkeit, die on unterlasz geht ym schwanck und wirckt« (cf. Joh 5,17).67

63

A. POLANUS V. POLANSDORF, Syntagma theologiae christianae, Hannover 1609, col. 986. Cf. oben Anm. 35. 64 J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, Wittenberg 1685, I, c. 8, sect. I, th. 22. 65 Dass Gott nicht formaliter das wahre Leben der Lebendigen ist, wehrt den Pantheismus ab. Freilich muss, dass er es causaliter ist, vom Schöpfungsgedanken her verstanden werden. 66 WA 18, 711,1. (Cf. überhaupt 18, 708–712.) Zur Allmacht als Allwirksamkeit s. u. § 5. 67 WA 7, 574,29f.

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C. Gottes Lebendigkeit (systematisch) Nach Kant ist zu sagen, »der Deist glaube einen Gott, der Theist aber einen lebendigen Gott (summam intelligentiam)«.68 1. Nach den bisherigen Ausführungen (auch in § 3) besagt die Rede vom lebendigen Gott zunächst, ihn als ewig lebendiges Selbst zu begreifen. Ist Leben überhaupt als die konkrete Einheit von »Form« und »Inhalt« real, so heißt das für Gott: Er ist, was er ist, in der Einheit seines absoluten Selbstseins mit allen Momenten seiner Selbstdifferenzierung (auch den sog. »Eigenschaften«). So ist er alles, was er ist, als er selber (als absolutes Selbst seines Seins).69 Diese absolute, weil absolut lebendige Einheit Gottes verdankt sich einzig sich selber: »Das Sein Gottes ist der absolute Proceß als absoluter Lebensoder, was damit zusammenfällt, Selbsterzeugungsproceß«.70 Überhaupt gilt vom Lebendigen, dass es als »Ursache seiner selbst, als sich selbst produzierend« betrachtet werden muss: »indem es lebt, bringt es sich selbst hervor«.71 Leben ist sich überschreitende Unmittelbarkeit – hin auf vermittelte Identität mit sich; d. h., Leben ist im Sich-Überschreiten erst als Leben bei sich, ist lebendig es selbst. Eine solche Lebendigkeit kommt Gott absolut im immer neuen Sich-Hervorbringen zu,72 denn »Werden zu sich« ist lebendige Unmittelbarkeit stets nur in deren Überschreiten: Entzweiung von Unmittelbarkeit und Vermittlung als deren sich herstellende Einheit (des Lebens).73 Das ist 68 KANT, KrV B 661/A 633. Immerhin ist festzuhalten, dass auch Platon sich das vollkommen Seiende (antieleatisch) nicht anders denken konnte, als dass ihm κίνησις, ζωή, ψυχή und φρόνησις eignen (Soph. 248e/249a [zur »Schöpfung« cf. 265c]). Bei Aristoteles, der die wirkliche Vernunft als lebendig auffasst, heißt es über den Gott: καὶ ζωὴ δέ γ' ὑπάρχει: ἡ γὰρ νοῦ ἐνέργεια ζωή, ἐκεῖνος δὲ ἡ ἐνέργεια: ἐνέργεια δὲ ἡ καθ' αὑτὴν ἐκείνου ζωὴ ἀρίστη καὶ ἀίδιος. φαµὲν δὲ τὸν θεὸν εἶναι ζῷον ἀίδιον ἄριστον, ὥστε ζωὴ καὶ αἰὼν συνεχὴς καὶ ἀίδιος ὑπάρχει τῷ θεῷ: τοῦτο γὰρ ὁ θεός (Met. XII 7, 1072b 26–30). Diese Lebendigkeit impliziert freilich nicht ein Schöpfersein Gottes oder ein der Welt Zugewandtsein; auch ist er durch Gebete nicht erreichbar oder beeinflussbar, so dass dies ein gänzlich unpersönlicher Gott ist. 69 Cf. F. X. v. Baader: »Gott hat nichts, weil Er alles ist« (F. X. V. BAADER, Sämtliche Werke, Bd. XIV, Leipzig 1851 [Nachdr. Aalen 1963], 455). 70 R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 104. 71 HEGEL, Werke 20, 378. Auch für I. A. Dorner ist Gott causa sui und sein absolutes Leben »sich auf sich selbst beziehende Kausalität« (I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, § 20 [235 und 244f]; zum absoluten Leben Gottes cf. auch a.a.O. § 21 [245ff und 403]). 72 Bezüglich des »Lebens Gottes« heißt es bei Hegel: »Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt … ist, nur insofern sie die Bewegung des Sichselbstsetzens … ist« (HEGEL, Werke 3, 23). 73 Hier ist die eigentliche Schwierigkeit, von Gott zu reden bzw. Gott als den Lebendigen angemessen auszusagen, begründet, nämlich in der internen Dialektik des sprachlichen Satzes, der als solcher ein Werden zu sich ist; denn der Satz bildet selber analog ab,

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bereits in der »Gottesgleichung« von Ex 3,14 vorgedacht. So muss vom lebendigen Gott (der Bibel) gesagt werden: »Leben der freien Liebe, die nimmer von sich abfällt, aber ewig sich selbst neu setzt«.74 Ist Gott »Der Lebendige« schlechthin, so heißt das, sein Sein ist ewiges Leben, und alles, was sonst »Leben« heißt, hat seinen absoluten Grund im göttlichen Leben.75 Ist Gott das absolute Selbst seines Lebens, so begegnet er im Prozess seines Lebens in allem Anderen immer nur sich selber: »Ich werde sein, der ich sein werde«, und darin »bin ich, der ich bin«. Auch und gerade in der ewigen Vollendung seines Lebensprozesses begegnet er zuletzt wieder nur sich selbst: als dem, der ist, der er ist, indem er »alles in allem« ist (1Kor 15,28). Gott lebt sein eigenes Leben, in alle Ewigkeit. So ist er in allem inneren »Reichtum« seiner selbst und in allen Wandlungen und von ihm ausgehenden Wirkungen (sowohl auf sich wie auf Anderes, was nicht er selbst ist) der mit sich eins Bleibende bzw. daraus seine Einheit mit sich ewig Restituierende.76 So kann Gott auch für Neues offen sein, indem er gleichwohl ewig mit sich einig bleibt.77 Sich selber hervorzubringen, ist die Bedingung dafür, unerschöpfliches πλήρωµα zu sein und in Ewigkeit neu zu generieren.78 Bzw. umgekehrt: Das was Gott ist (spekulativer Satz), und kann es ebendarum nicht (unmittelbar) sagen (cf. dazu J. RINGLEBEN, Sätze über Gott und spekulativer Satz, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. II, 192–209). 74 I. A. DORNER, Ueber die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs der Unveränderlichkeit Gottes, mit besonderer Beziehung auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Gottes übergeschichtlichem und geschichtlichem Leben, in: ders., Gesammelte Schriften aus dem Gebiet der systematischen Theologie, Berlin 1883, 351 Anm. 1. 75 Zur daraus folgenden Heiligkeit des Lebens cf. E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, Zweites Kapitel: Der Lebendige. § 56. Der Ursprung (91ff) und Drittes Kapitel: Der Heilige. § 59. Der Hüter des Lebens (99ff). 76 Wenn Gott sich am Ort des Glaubens jeweils hervorbringt – spezifisch am Ort Jesu –, bedeutet das nicht, dass er sich sozusagen vervielfacht, sondern er betätigt dabei nur die (kondeszendente) Lebendigkeit seines ewigen Selbstseins und kehrt aus solcher »Entäußerung« in die lebendige Einheit mit sich selber zurück. Er bleibt in allen Unterschieden von sich (auch als zeitlicher Unterschied im Unterschied zu seiner Ewigkeit) mit sich absolut eins (Einer). Cf. unten § 16 H. 3. (S. 961 Anm. 483). 77 »Was Er lebt, ist unwandelbar das Selbige, und doch hört Er nie auf, es als ein Neues zu leben, weil Er in sich selber den unerschöpflichen Born der Erneuerung und Verjüngung hat« (H. L. MARTENSEN, Die christliche Dogmatik, Leipzig 31886, 86). Cf. unten Anm. 84. Für die sog. »Prozessphilosophie« A. N. Whiteheads gilt: »Gott ist durchaus Urgrund der Ordnung, aber nicht einfach der bestehenden Ordnung, sondern einer sich verändernden und entwickelnden Ordnung, in welcher fortlaufend Neuheit Gestalt gewinnen muß« (K. KOCH, Schöpferischer Lockruf Gottes im Prozeß der Welt – Perspektiven der Gottesfrage in der amerikanischen Prozeß-Theologie, Theologische Berichte 12 [1983], 129–171, hier 146). 78 Zur lebendigen Fülle in Gott s. o. bei Anm. 67.

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Pleroma Gottes ist nur dann unendlich, wenn es aus ihm (sich) selber ständig hervorgebracht wird.79 Er ist bei allem Abstand zu sich immer noch in sich.80 Es gilt: »Ich bin« – in aller Differenz – stets nur lebendig, »der ich bin«. Unendliches Leben hat Gott nicht nur an sich, sondern auch »für sich«. Dieses sich selber lebende und für sich lebende Leben Gottes – das ist seine Seligkeit (cf. 1Tim 6,15).81 Der eschatologische Ausdruck dieser göttlichen Seligkeit findet sich 1Kor 15,28: das endgültige und vollkommene Sein Gottes als »Alles in Allem/n«.82 Damit ist auch gesagt: »lebendig« ist Gott nicht nur in sich selbst, sofern er »das Leben in sich selbst hat« (Joh 5,26a),83 sondern auch in seinem Verhältnis nach außen (s. u. 2.).84 Diese Lebendigkeit hat ihren innergöttlichen Grund: »Also wie das göttliche Wesen sich ewig in die göttliche Person [d. h. Gott als absolute Persönlichkeit] aufschließt, so ergießt diese ewig ihre Fülle wieder zurück in die absolute Einfachheit und Innerlichkeit des göttlichen Wesens, und es geht so in dem ewigen immanenten Lebensprocesse Gottes der Strom seines unerschöpflichen Seins ewig wieder zurück in seinen Quellpunkt, aber um ebenso ewig neu wieder aus ihm auszuströmen«.85 79 Cf. F. W. J. Schelling: »Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eigenes Seyn als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben, und es in ein selbst-gesetztes verwandeln zu können« (SCHELLING, Zur Geschichte der neueren Philosophie, in: ders., SW I/10, 22 = Nachdr. 304). 80 Extrem im Tode Jesu am Kreuz. 81 Cf. R. Rothe: »Die göttliche Natur reflektirt sich in dem Selbstbewußtsein Gottes als seine Seligkeit, … also seine absolute Lebendigkeit als in seinem Bewußtsein gesetzte« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben Anm. 70], 145 (§ 38); cf. die entsprechenden Belege bei F. D. E. Schleiermacher, Ph. K. Marheineke, I. H. Fichte, J. Ch. K. v. Hofmann a.a.O. ebd. Fn. **. Goethe hat (in leicht pantheisierender Manier) von dem »Ewigschaffenden« formuliert: »einen Tropfen der Seligkeit des Wesens zu fühlen, das alles in sich und durch sich hervorbringt« (J. W. GOETHE, Die Leiden des jungen Werthers, Erstes Buch; 18. August (in: ders., GA 4, 431 [2. Fassung 1783/1786] bzw. IV, 315 (1. Fassung [1773/ 1774]). Es bedeutet, »aus dem schäumenden Becher des Unendlichen jene schwellende Lebenswonne zu trinken« (ebd.). 82 Trotz seiner Absolutheit bzw. absoluten Einheit und unerreichbaren Majestät ist Gott nicht »zu absoluter Einsamkeit« verurteilt (ROTHE, a.a.O. 76 Anm. 2), weil er als der Lebendige auch der sein Leben Mitteilende und so nicht »das leblos Einsame« (HEGEL, Werke 3, 591; Schluss der »Phänomenologie«) ist. Der in sich Lebendige ist indes nur als Liebe nicht der leblos Einsame, sondern der sich zur Gemeinschaft mit uns Aufschließende (s. u. § 11). 83 S. o. B. 2.2. (S. 301f) zu einigen »strukturellen« Zügen dieser Lebendigkeit. 84 Meister Eckhart hat einen entsprechenden Begriff von Leben: »Vita enim quandam dicit exseritionem [Überquellen], qua res … se profundit primo in se toto …, antequam effundat et ebulliat extra« (M. Eckhart, LW 2, 22,3–6 zu Joh 1,4). Zur Einheit von Leben im Wechsel von »In-sich-Bleiben« und »Aus-sich-Heraustreten« cf. SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. I, 25 (§ 3.3.). 85 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 70), 141 (§ 36).

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

Leben bedeutet bei Gott: sich selbst zum Werden Bestimmen; absolut ist es, sofern sein Resultat mit ihm zugleich so gesetzt ist, das es je schon von ihm herkommt. So ist der Prozess absoluten Lebens bei Gott als die absolute Einheit von ewigem Werden und ewigem Sein Gottes (mithin nicht zeitlose) Ewigkeit. Es handelt sich um ein ewiges Sich-Hervorbringen und zugleich ewiges Bei-sich-Sein, Aus-sich-Herausgehen und In-sich-Zurückkehren (bzw. -gekehrtsein). Das ist etwas schlechthin anderes als tote Gleichheit mit sich oder eine endlose, sich richtungs- und sinnlos wiederholende Abfolge des Gleichen. 2. Schelling schreibt vom durch sich selbst klaren »Wunder der Lebendigkeit und Wirklichkeit Gottes«: »… ob es gleich den meisten das unbegreiflichste dünkt, daß Gott in der That lebendig und wirklich, und nicht todt sey, da ihnen vielmehr das Gegentheil als der Abgrund aller Unbegreiflichkeit erscheinen müßte«.86 Was es eigentlich heißt, dass Gott »lebendig« ist bzw. wie man es begreifen kann, soll anhand von fünf Wesensmerkmalen noch einmal etwas anders beschrieben werden. 2.1. Es bedeutet zunächst negativ, dass Gott nicht »tot« ist, wie die sog. »toten Götzen«, denen, weil ganz und gar aus menschlicher religiöser Konstruktivität herstammend, kein eigenes, selbständiges Sein aus sich zukommt und somit in ihrer rein subjektiven Scheinwirklichkeit auch keine Wahrheit. Der wahre Gott ist lebendig, weil er aus sich selbst ist, was er ist, und an sich selber ist, was er für uns ist. 2.2. Lebendig ist Gott sodann positiv, weil ihm Selbsttätigkeit bzw. Bewegung, d. h. Bewegtheit durch sich selber, zukommt. Diese Manifestation göttlicher Lebendigkeit ist das innerste Zentrum, sozusagen der »springende Punkt« seiner Kausalität in sich.87 Als ein in sich bewegungsloses Sein wäre Gott ein (trotz aller ihm angehängten Prädikate) toter Gott. Lebendig ist er, weil und indem er sich als lebendig erweist und so im Glauben erfahren wird.88 Es gilt: »So ist Gott diese Bewegung in sich selbst [als »Bewegung … zu sich selbst«] und nur dadurch allein lebendiger Gott«.89 Bereits dadurch steht der lebendige Gott im entschiedensten Gegensatz zum Gott der »negativen Theologie«; aber er ist zugleich auch keine massive Positivität, sondern ist Gott in der Bewegtheit und lebendigen Selbstbejahung seines in sich dif86

SCHELLING, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie … (1806), in: ders., SW I/7, 59. 87 Cf. Aristoteles: στιγµή … πηδᾷ καὶ κινεῖται ὥσπερ ἔµψυχον (Hist. anim. VI 3, 561a 11f). Cf. Hegel zur Logik der Bewegung des Begriffs: »Sie ist der einfache Punkt der negativen Beziehung auf sich, der innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele« (HEGEL, Werke 6, 563). Dass sich als (durch sich selbst) bewegter Punkt das »Subjekt« darstellt, steht bei HEGEL, Werke 3, 27; cf. dazu RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben Anm. 73), 198 Anm. 27. 88 Cf. oben bei Anm. 52. 89 HEGEL, Werke 16, 192.

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ferenzierten Lebens. Gott ist nicht nur abstrakt sich gleich, sondern lebendig differenziert und so auch in sich nicht völlig unveränderlich, sondern offen für Neues.90 2.3. Es »gibt« nicht einfach Gott, und er »existiert« nicht nur abstrakt, sondern spezifisch subjekthaft (als Selbst). Darum bedeutet Gottes Lebendigkeit, dass er nicht in sich verschlossen ist, sondern aus sich herausgehend, in einer steten Bewegung begriffen, unverdrängbar präsent, weil sich selber vergegenwärtigend,91 im emphatischen Sinne »wirklich« und machtvoll wirksam. Dieser selbsthaft bewegliche Gott (cf. Ex 3,14) hat sich geschichtlich als der lebendige Gott erwiesen und erweist sich in Zeit und Geschichte. Als aus sich herausgehend ist er der sich Hervorbringende und so Lebendige.92 2.4. Gott heißt wesentlich »der lebendige Gott«, weil er nicht nur als einfach seiend gedacht werden kann.93 Das ist zweifach zu verdeutlichen. 2.4.1. Gott hat »Sein« nur im Zusammenhang mit seinem Leben: »cui esse et vivere non aliud atque aliud est, quia summe esse atque summe vivere id ipsum est«.94 Leben – das ist die einzig angemessene Weise, wie von Gottes Sein gesprochen werden kann; denn sein Leben, das ist die höchste Form, in der allein Gott so etwas wie »Sein« zukommt. Weil Gott der Lebendige, Inbegriff absoluten Lebens ist, kann ihm keine Ontologie gerecht werden, sondern allenfalls (wenn es denn so etwas gibt) eine »Ontologie des Lebendigen«.95 Denn erst ὁ ἀληθινὸς θεός ist das ὄντως ὄν. Die christliche Gotteslehre ist gleichsam eine theologische Lebensphilosophie96 oder »Lebenslehre«97 – anstatt die Dogmatik vom Leben her als dessen begrifflichen »Ausdruck« zu interpretieren, wie es im Briefwechsel zwischen 90

Vom unwandelbaren Gott (Mal 3,6) gilt zugleich (mit Berufung auf Apc 21,5): »Sic ergo deus, qui semper operatur et semper est, « (M. Eckhart, LW 4, 149,9 [sermo XV,2; nr. 157]). 91 Also auch nicht nur eine vergangene Größe (auch nicht »logisch vergangen«), sondern lebendig »da«. Zur sprachlichen Weise seines aus sich Herausgehens s. u. 3. 92 Cf. Hegel: »Die Lebendigkeit des Lebendigen ist, sich entstehen zu machen« (HEGEL, Werke 17, 497). 93 M. Heidegger hat zum Verhältnis von Sein und Gott notiert: »Wenn Gott schon alles ist im Absoluten, dann ist er das Seiende, dem seinsmäßig nichts passieren kann – ein höchst langweiliger und trivialer Gott … Aber ›ist‹ dieser Gott?« (HEIDEGGER, GA 73,2, 1001). 94 Augustinus, Conf. I 6,10. 95 Besser sollte man von einer (dialektischen) Metaphysik des Lebens reden. Es sei daran erinnert, dass Hegels Denken vom Lebensbegriff ausgegangen ist. 96 »Wille«, élan vital, Vitalismus u. ä. wären theologisch zu interpretieren von dem sich selbst hervorbringenden, im Werden zu sich begriffenen Gott her; natürlich gebrochen durch den Schöpfungsgedanken. 97 FELDMEIER/SPIECKERMANN konstatieren, die biblische Gotteslehre sei theologisch umfassend gerade als »Lebenswissenschaft« (a.a.O. [wie oben Anm. 16], 1).

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W. Dilthey und dem Grafen P. Yorck von Wartenburg (1923) thematisiert wurde;98 dabei wurde ein allerdings richtiger Zusammenhang einseitig immanent aufgefasst.99 2.4.2. Er lebt:100 »Est igitur suum vivere et sua vita«.101 Mit dieser höchst intensiven Lebendigkeit ist zugleich höchste Selbsttätigkeit verbunden: »Gottes Sein ist immer tätiges Sein, das Grundlegendes werden lässt«,102 Gottes Sein mithin absolute Tätigkeit. Darum gilt: »Gott als lebendiger Gott und mehr noch als absoluter Geist wird nur in seinem Tun erkannt«.103 Der lebendige Gott ist ein handelnder Gott.104 Wenn aber Gottes genuine Lebendigkeit von seinem Sich-Hervorbringen her gedacht wird, kann sein Wirken und Handeln nicht – nach dem alten Grundsatz »agere sequitur esse« – als Inbegriff isolierter (zumal nicht: kausaler) Akte eines höchsten Subjektes vorgestellt werden, das prinzipiell auch neben solchen Akten »existiert«. Das Handeln Gottes kann nur als Selbstvollzug seines Seins als Gott begriffen werden. So aber ist er wirk-lich der lebendige Gott. 2.5. Das Bisherige (2.1.–2.4.)zusammenfassend lässt sich sagen: Gottes Lebendigkeit ist wesentlich seine Freiheit;105 sonst wäre er eben leblos. Leben indes impliziert als selbstbezügliches eine interne Distanzmöglichkeit zu sich selber.106 Denn »die Freiheit ist nur in der Rückkehr in sich, das Un98 So schreibt P. Yorck: Dogmatik sei der »Versuch einer Ontologie des höheren, des historischen Lebens« (Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg 1877–1897, Halle 1923, 154), und daher meint er: »Die dogmatischen Begriffe sind alle, weil Christenthum Leben ist, der Tiefe der natürlichen Lebendigkeit entnommen« (155; cf. »Aus der Tiefe der Natur sind die Symbole geschöpft«, ebd.). W. Dilthey fordert: »Aber alle Dogmen müssen auf ihren universellen Lebenswerth gebracht werden« und nennt das »transcendentale Theologie« (158). Cf. dazu O. PÖGGELER, Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen 1963, 30ff sowie auch die Mitteilungen M. HEIDEGGERs, Sein und Zeit, Tübingen 101963, 397ff (§ 77). 99 Cf. anders oben Anm. 11. 100 Cf. oben bei Anm. 35. 101 Thomas, ScG I 98. 102 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 13. Cf. auch das über Gottes »Beziehungswillen« Gesagte (oben § 1, S. 129 bei Anm. 222). 103 HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 404. Es heißt weiter: »So faßt das begreifende Erkennen seines Wirkens, d.i. seiner selbst, den Begriff Gottes in seinem Sein und sein Sein in seinem Begriffe« (ebd.). 104 Zum Begriff von Gottes Handeln cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben Anm. 73), 231–233. 105 Cf. das Schelling-Zitat oben bei Anm. 79; es heißt weiter: »Das Todte, in der Natur z. B., hat keine Freiheit, sein Seyn zu verändern, wie es ist, so ist es – in keinem Moment seiner Existenz ist sein Seyn ein selbstbestimmtes. Der bloße Begriff des nothwendig Seyenden würde also nicht auf den lebendigen, sondern auf den todten Gott führen« (SCHELLING, SW I/10, 22 = Nachdr. 304). 106 Cf. unten § 6.

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unterschiedene ist das Leblose«.107 Gottes Leben ist unendliches Leben, mithin ewiges Leben,108 und er »Der (absolut) Lebendige«. Seine Lebendigkeit schließt ein, das dem lebendigen Gott unbedingte Spontaneität (auch spontanes »Reagieren«) eignet109 und er im Detail unvorhersehbar und im Detail nicht vorausberechenbar handelt.110 3. Der wahre Gott ist weder tot noch unbewegt (ἀκίνητον), auch nicht reglos, vor allem aber bleibt er nicht in sich verschlossen. Darum ist mit besonderer Betonung noch herauszuarbeiten, dass der lebendige Gott zugleich der sprachliche Gott ist. Für den lebendigen Gott gilt im absoluten Sinn, dass seine »Vitalität« (traditionell: sein Wille) in Korrelation steht zu seiner »Intentionalität« (traditionell: sein Intellekt), ja letztlich beides eins ist.111 Das ist von der Sprache her so zu verstehen, dass Leben überhaupt an sich seiende Sprache und die Sprache aufgehobener Organismus ist.112 Umgekehrt ist zu bedenken: Der Logos (Gottes) hat Leben in sich (Joh 1,4), und der Name des (wesentlich zum Leben Gottes gehörenden113) »Sohnes« ist »Wort Gottes« (Apc 19,13). Der Logos ist mithin Gottes eigenes Lebenselement, so dass er ohne ihn nicht der lebendige Gott wäre.114 Vielmehr wäre Gott als »deus mutus« ein toter Gott, wie für Paulus die leblosen Götzen nicht zufällig τὰ εἴδωλα τὰ ἄφωνα sind (1Kor 12,2: muta). »Wort Gottes« als sprachliche Selbstartikulation Gottes gründet also im Logos, d. h. in der internen Logizität des göttlichen Lebens, das christlich-trinitarisch als ein »logisches« Leben, als Leben des Logos zu begreifen ist. Spezifisch »lebendig« ist Gott, sofern er sich zeigt und kundtut, sich sprachlich bezeugt;115 genau das ist die Wesensart des biblischen Gottes. Denn es ist eben der Gott der Bibel, der sich selber zu Wort gemeldet hat (und meldet), und von ihm her ist bezeichnender Weise auch der Begriff des »lebendigen Gottes« zur Sprache gebracht worden. Ex 3,14 könnte in dieser

107

HEGEL, Werke 19, 75f. S. u. § 9. 109 Zu Spontaneität und Freiheit s. o. § 2 B. 4.1. (S. 185f). 110 Zur göttlichen Freiheit nochmals unten D. 1. (S. 315f). 111 Dies gilt nach P. Tillich vom Menschen relativ; cf. P. TILLICH, Der Mut zum Sein, Stuttgart 51964, 62 und DERS., Systematische Theologie I (wie oben S. 302 Anm. 41), 223.233.286 (Gott). 112 Dazu cf. J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 180ff. 113 S. o. B. 2.4.1. (S. 304). 114 Die Formel »Wort des lebendigen Gottes« ist somit ein Genetivus definitivus bzw. epexegeticus. 115 Zum »Schweigen« Gottes cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 567ff und DERS., Gott im Wort (wie oben Anm. 112), 20f. 108

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Hinsicht so paraphrasiert werden: Ich bin als der Sprechende, der ich als der Lebendige bin; dabei legen beide Bestimmungen sich gegenseitig aus.116 Ist Gott (auf nicht-natürliche Weise) lebendig, indem er nicht in sich verschlossen (ἄφωνος), sondern im aus sich Herausgehen geisthaft ist,117 so gelangt sein Leben wirklich adäquat an den lebendigen Menschen, der als Sprachgeschöpf mit Gott kommunizieren kann. Dieser wesentliche Zusammenhang von Lebendigkeit und Sprachlichkeit, wie sie den biblischen Gottesgedanken kennzeichnet, erklärt auch die prominente Rolle, die der Begriff »Wort Gottes« sowohl innerbiblisch (cf. instar omnium: Gen 1 und Joh 1) wie auch theologiegeschichtlich (Reformation, Dialektische Theologie) gespielt hat.118

D. Coincidentia oppositorum Im lebendigen Gott als dem Sich-selbst-Hervorbringenden (causa sui) fallen alle Gegensätze zusammen, eben weil der Sich-Entzweiende der sich selbst mit sich Einende ist. Schon darum ist das bekannte cusanische Prinzip der »coincidentia oppositorum« (bzw. contradictorium)119 aus einem bloß negativ-theologischen in ein konkretes spekulatives Verständnis zu überführen, will man wirklich Gott als den Lebendigen denken.120

116

Ist überhaupt jede sprachliche Selbstmanifestation Gottes als Ausdruck seines inneren Lebens zu interpretieren, so müssen sich insbes. die spekulativ erhobene »Struktur« von Ex 3,14 und die Wesensverfassung des göttlichen Lebens entsprechen. 117 Sprache ist lebendig existierender Geist, »das Dasein des Geistes« (Hegel). 118 Cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 112). Zu Barths und Tillichs WortVerständnis cf. kritisch: J. RINGLEBEN, Sprachlosigkeit Gottes? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her, FSÖTh 150, Göttingen 2015. 119 Cf. Nikolaus von Kues, Phil.-theol. Schr. 2, 82 (De coni. I); 3, 2 (De beryllo I); 132 (De vis. Dei IX); 662 (Compl. Th. IV); bzw. 1, 550 (Apol.); 3, 132ff.148 (De vis. Dei IX und XIII); cf. 2, 88 (De coni. II). 120 Wenn Cusanus schreibt: »coincidentiam contradictorium Deum esse declaravi« (a.a.O., Bd. I, 550; Apol.) oder auch: »Der docta ignorantia zeigt sich der Gott, der wirklich die vorausgehende Wahrheit jeder coincidentia oppositorum und der Unendliche ist« (Handschrift Clm 19114; mitgeteilt bei K.-H. KANDLER, Nikolaus von Kues, Göttingen 2 1997, 108 mit Bezug auf Pseudo-Dionysius), so hat K. Jaspers mit seiner Diagnose recht, dass hier die Widersprüche und Gegensätze »im Gegenstandslosen zusammenfallen (coincidentia oppositorum)« (K. JASPERS, Nikolaus Cusanus, Serie Piper 660, München 1987, 26; Hervorh. J. R.) bzw. es handele sich bei der »negativen Theologie« um eine Denkart »des bloßen Zeigens ohne Inhalt (der docta ignorantia des CUSANUS)« (K. JASPERS, Psychologie der Weltanschauungen, Serie Piper 393, München 1985, 201). Im Übrigen ist beim Cusaner nicht eindeutig auszumachen, ob Gott selber die coincidentia oppositorum ist oder ob er ihr noch jenseitig zu denken ist.

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1. Johann Georg Hamann Dafür scheint der Anschluss an J. G. Hamanns Perspektive auf dies Prinzip fruchtbar gemacht werden zu können, das eine mögliche dialektische Lesart eröffnet. Bereits 1758 schreibt er im Blick auf den Schöpfer als Versöhner: »Hierinn bestand aber das Geheimnis der göttlichen Weisheit, Dinge zu vereinigen, die sich einander aufhoben, die sich einander widersprachen; die sich einander zu vernichten schienen – – Dies ist mehr als aus Nichts schaffen«.121 Weil er davon ausgeht: »Nichts scheint leichter als der Sprung von einem Extrem zum andern, und nichts so schwer als ihre Vereinigung zu einem Mittel«,122 erklärt er vom (von ihm irrtümlich auf G. Bruno zurückgeführten) principium coincidentiae: »das mir Jahre lang im Sinn liegt, ohne es weder vergeßen noch verstehen zu können«.123 Klar ist für Hamann nur, dass es sich dabei um eine lebendige Dialektik, also um ein Prinzip von Prozessualität handeln soll. »Diese Coincidenz scheint mir immer der einzige zureichende Grund aller Widersprüche – und der wahre Proceß ihrer Auflösung und Schlichtung, allem Fehd der gesunden Vernunft und reinen Unvernunft ein Ende zu machen«.124 Er vermutet hier auch eine philosophisch überlegene, spekulative Auflösung der Kantischen Dualismen: »Jordani Bruni Principium coincidentiae oppositorum ist in meinen Augen mehr werth als alle Kantsche Kritik«.125 In dem Maße, indem Hamann der Glaube an den lebendigen, sich in Welt und Geschichte herablassenden und menschgewordenen Gott Ausgangspunkt seines Denkens war, musste ihm außer der Sprache auch die »coincidentia oppositorum« zentral wichtig, ja sein »Kerngedanke« (J. Nadler) werden.126 121

J. G. HAMANN, SW 1, 264,20–22. Mit Anspielung auf die Menschwerdung Gottes: a.a.O., Bd. III, 224,3ff 122 HAMANN, Briefwechsel 4, 287,5f (29.4.1781 an Herder). Unter dem Namen »Tiefsinn« hat Jean Paul (ohne Kenntnis des Cusaners) ein ähnliches Konzept, von dem er sagt, es müsse »als ein höherer göttlicher Witz [= esprit] bei dem letzten Wesen der Wesen ankommen und … sich ins höchste Sein verlieren« (JEAN PAUL, Vorschule der Ästhetik, § 43, in: ders., Werke, hg. von N. Miller, Bd. V, München 41980, 173). 123 A.a.O. 10f. Cf. auch HAMANN, SW 3, 107,12. 124 A.a.O. 14–17. Zum Prinzip der coincidentia oppositorum cf. auch: »welches ich ohne zu wißen warum? liebe und den principiis contradictionis und rationis sufficientis immer entgegengesetzt, weil ich letztere von meiner akademischen Jugend an nicht habe ausstehen können, und ohne Manichaeismo allenthalben Widersprüche in den Elementen der materiellen u intellectuellen Welt gefunden habe« (16.1.1785 an F. H. Jacobi, in: HAMANN, Briefwechsel 5, 327,13–17). 125 A.a.O. 462,7f (18.11.1782 an Herder). Zur Kant-Kritik cf. in der »Metakritik«, in: HAMANN, SW 3, 286,11. 126 Hegel befand: »Es ist hier wundervoll zu sehen, wie in Hamann die konkrete Idee gärt und sich gegen die Trennungen der Reflexion kehrt, wie er diesen die wahrhafte Bestimmung entgegenhält« sowie (bezüglich des oben bei Anm. 124 Zitierten): »Man sieht,

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Gottes Sein ist (statt abstrakt- unausprechliches Einssein aller Gegensätze) lebendige, selbst erwirkte Einheit und ein allumfassendes Leben, weil in sich selber α und ω. Dergestalt ist der Lebendige: schlechthin frei (2.), Einheit im Gegensatz (3.) und unendlich (E.). 2. Gottes Freiheit Die göttliche »Freiheit« braucht nicht das spezifische Thema eines eigenen Paragraphen zu sein; denn alle (bisherigen) Aussagen über Gott waren bereits (bzw. implizierten) auch Aussagen über seine Freiheit, die ihm als Gott wesentlich zukommt.127 Entscheidend ist hierbei, die schlechthinnige Freiheit des sich hervorbringenden und selbstgenügsamen, als Schöpfer und Vollender von Allem allmächtigen Gottes exklusiv von aller geschöpflichen Freiheit strikt unterschieden zu halten, die stets abhängig (weil nicht durch sich selbst erwirkt ist, sondern in Gott begründet sich vorfindet) und nur als eine »Reihe von geteiltem Freiheitsgefühl und Abhängigkeitsgefühl« empirisch vorkommt.128 Die Absolutheit göttlicher Freiheit hat in unüberbietbarer Entschiedenheit M. Luther klar festgehalten: Sequitur nunc, liberum arbitrium esse plane divinum nomen, nec ulli posse competere quam soli divinae maiestati. Ea enim potest et facit (sicut Psal. [135, 6] canit) Omnia quae vult in coelo et in terra.129 Dass Gottes absolute Freiheit auch darin besteht, die lebendige Koinzidenz der Gegensätze in sich zu vollziehen, lässt sich vierfach verdeutlichen: – derart ist Gott in dem, was er ist, nicht einseitig-gegenüberstehend, d. h. verendlicht und festgelegt; – er bleibt nicht reduzierbar auf (und so »gefangen« in) eine(r) Zwangsidentität formallogischen Denkens;130

daß die Idee, das Koinzidieren, welche den Gehalt der Philosophie ausmacht und oben in Beziehung auf seine Theologie … schon besprochen worden und von ihm an der Sprache gleichnisweise vorstellig gemacht werden sollte, dem Geiste Hamanns auf eine ganz feste Weise vorsteht« (HEGEL, Werke 11, 324 und 330; auch Hegel kannte den Cusaner noch nicht!). 127 Cf. oben C. 2.5. (S. 312f) und die Paragraphen 1, 2 und 3. 128 Cf. SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. I, § 4 (2.). 129 WA 18, 636,27–30. Cf. ebenso 662,5 und 664,15f. Auch K. Barth hat die Wirklichkeit Gottes grundlegend als »Gottes Sein als der Liebende in Freiheit« bestimmt (KD II/1, §28; cf. bes. 3. [Gottes Sein in der Freiheit], a.a.O. 362ff); die Unterschiede zu Luther müssen hier nicht verhandelt werden. 130 Cf. dazu oben § 1 (S. 110 Anm. 124 und S. 117 Anm. 161). Es gibt einen Zusammenhang von formeller Identität und »Herrschaftsdenken«, den erst der trinitarische Gedanke auflöst, demgemäß der Eine nicht bloß der Eine, sondern der Lebendige ist.

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– Gott ist frei, das eine zu sein und doch ebenso frei, auch das andere: endlich-bestimmt als der Eine und unendlich übergreifend als der Allgemeine schlechthin, auf der einen Seite und doch das unausdenkliche Ganze, ganz offenbar und doch verborgen, ein entzogenes Gegenüber und zugleich innigste Nähe, einzelner Mensch und doch ewiger Gott, d. h. ein geschichtlich existierender Dieser und doch unfassbar von Ewigkeit zu Ewigkeit; – er ist absolut frei, weil unendlich alles durchdringend und doch ganz bei sich selbst: totus intra und totus extra.131 3. Aktuelle Gegensatzeinheit Die eigene Lebendigkeit Gottes kann einerseits als Einheit von Ruhe und Bewegung (3.1.), andererseits als Einheit in sich entgegengesetzter Bewegung (3.2. und 3.3.) beschrieben werden. Das führt auf einen konkreten Begriff göttlicher Unendlichkeit (4.). 3.1. Gottes Leben ist für sich die absolute Einheit von Bewegung und Ruhe, lebendigem Tätigsein und Vollendung: semper agens, semper quietus.132 In Gott ist Sein Tätigkeit, weil er sein Leben ist. Er ist die Einheit von Aussich-heraus (Bewegung) und Bei-sich-Sein (Ruhe), und so gehört zu seinem Sein das Ineinander von Sechs-Tage-Werke (Gen 1,1–31) und Sabbatruhe (Gen 2,2f: ἀνάπαυσις, cf. Hebr 4,4). Für uns Menschen auf Erden als homines viatores gilt das Auseinander und Gegeneinander von Unruhe und Ausruhen, Unterwegs- und Vollendetsein, Arbeiten und Feiern usf. Aber sind wir auf ihn, den Schöpfer und Vollender, hin unterwegs, so gibt es nicht nur das geschöpfliche Unruhigsein (inquietum) und die Ruhepause (requiescere) als ein vorläufiges, den »Lebenslauf« bloß unterbrechendes Ziel, sondern uns ist mit Gott und in Gott endgültige Ruhe versprochen: »et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te«.133 In Gottes Sein als der lebendigen Gegensatzeinheit von Bewegung und Ruhe, d. h. in der Ewigkeit seines Lebens, ist alle Zerstreuung unseres endlichirdischen Lebens, seiner Entzweiungen und Zerrissenheit, schöpferisch überwunden bzw. ewig aufgehoben (Hebr 4,10). Denn Gottes ewiges Leben im Sabbat bedeutet für uns die Geborgenheit unseres zeitlichen Lebens, so dass eschatologisch gelten kann: »Dies enim septimus etiam nos ipsi erimus«.134 131 Cf. dazu unten § 12 E. 1. (S. 669ff). Eine dichte theologische Veranschaulichung dieser Freiheit Gottes zu allem und von allem findet sich bei BARTH, KD II/1, 354. 132 Augustin, Conf. I 4,4. Zu weiteren Stellen cf. J. RINGLEBEN, Interior intimo meo. Die Nähe Gottes nach den Konfessionen Augustins, ThSt(B) 135, Zürich 1988, 32–34. Beim Cusaner heißt es: »quoniam absolutus motus est quies et Deus« (Doct. ign. II, 10). 133 Conf. I 1,1. 134 Augustin, De civ. Dei XXII 30,4 (PL 41, 803).

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Dass die Einheit von Bewegung und Ruhe das lebendige Wesen der Wahrheit ausmacht,135 hat philosophisch Hegel zur Geltung gebracht. Für ihn ist das geisthafte Absolute »das Wirkliche, sich selbst Setzende und in sich Lebende« und daher seine Erscheinung »das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und vergeht, sondern an sich ist und die Wirklichkeit und Bewegung des Lebens der Wahrheit ausmacht«.136 Vom Gedanken des »Lebens der Wahrheit« aus kommt es zu einer Bestimmung von Wahrheit, die in der Geschichte des Denkens einzigartig ist:137 »Das Wahre ist so der bacchantische Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist, und weil jedes, in dem es sich absondert, ebenso unmittelbar [sich] auflöst – ist er ebenso die durchsichtige und einfache Ruhe«.138 Hier ist zu begreifen versucht, dass und wie Leben selber Ruhe hervorbringt, und dass Ruhe der wahre Bestand des Lebens selber ist.139 Von da aus lässt sich die Vermittlung von Werden und Sein, Zeit und Ewigkeit denken. Das zeigt ein weiterer Satz Hegels: »… ist der Geist, nach der Wahrheit, in ungetrennter Einheit sowohl die absolute Bewegung und Negativität seines Erscheinens, wie ihr in sich befriedigtes Wesen, und ihre positive Ruhe«.140 Will man die Dialektik von Ruhe und Bewegung als Wesen des Lebens begreifen, wird man ohne die hier angesprochene Logik über bloße Vorstellungen bzw. Metaphorik nicht hinauskommen, zumal umgekehrt die dialektische Logik Hegels ihrerseits aus dem Versuch erwachsen ist, das Phänomen des (auch geschichtlichen) Lebens zu begreifen.141 3.2. Für die Einheit entgegengesetzter Bewegungsrichtungen, d. h. eine Entzweiungsbewegung im göttlichen Leben, ist im Neuen Testament vor allem der Philipperhymnus (Phil 2,6–11) in Anspruch zu nehmen. Zwar handelt der Text unmittelbar vom Selbstvollzug des Gottessohnes und der Reaktion des Vaters darauf, aber der Sache nach muss dieses Geschehen theologisch (zumindest im Rahmen einer Gotteslehre) auch auf Gottes Sein selber bezogen werden; das bringt mit sich, das hier im Modus des Nacheinander Erzählte im Blick auf Gott in ewiger Gleichzeitigkeit zu denken.142

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Cf. Jer 10,10 und dazu oben bei Anm. 18. HEGEL, Phänomenologie-Vorrede, in: ders., Werke 3, 46. 137 F. Nietzsche hat sie leider nicht gekannt! 138 HEGEL, ebd. Dieser Satz ist in seiner Bewegung eminent sprachlich und zeigt so an ihm selber, wovon er spricht. 139 Die Dialektik dieses Verhältnisses ist logisch nicht ohne das Konzept des »absoluten Gegenstoßes« in sich zu verstehen; cf. dazu oben § 2 D. 1. (S. 213f). 140 A.a.O. 393. Zum Leben Gottes, das als die Liebe nicht ohne »die Arbeit des Negativen« ausgesagt werden kann, cf. a.a.O. 24. 141 Das lässt sich an den »Theologischen Jugendschriften« eindringlich verfolgen. Cf. dazu RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben Anm. 73), 314ff. 142 Zur Einheit dieses Geschehens in Gott cf. BARTH, KD II/1, 580f. 136

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Wird von Jesus Christus das Sein ἴσα θεῷ ausgesagt (V. 6c), so bedeutet das ein wesentlich zu Gott Gehören und daher auch ἐν µορφῇ θεοῦ Sein (V. 6a).143 Seine Selbsterniedrigung (ἑαυτὸν ἐκένωσεν, V. 7a und 8a)144 bzw. Menschwerdung (V. 7b–d) unter Einschluss der Übernahme des Kreuzestodes (V. 8b.c) muss notwendig auch für Gott selber und sein Sein etwas bedeuten und dessen eigenes Leben betreffen bzw. sogar qualifizieren.145 Daher impliziert auch die »Erhöhung« Christi (9) ein Handeln Gottes an sich selber. Zusammengefasst besagt das: Erniedrigung und Erhöhung des Gottessohnes sind – verstanden als Momente des eigenen Lebens Gottes selbst –, ein Akt bzw. der einheitliche Selbstvollzug göttlichen Lebens, das, indem es aus sich herausgeht, sich vollendend bei sich ankommt;146 daher auch die göttliche Verehrung Jesu Christi (V. 10f). Christus vollzieht nach dem Phil.-Hymnus die göttliche Lebensbewegung und stellt an sich selber Gottes lebendige Einheit dar. Das »Hinab« ist an ihm selber schon das »Hinauf«,147 wie es in Joh 3,13.31 (cf. Eph 4,10) explizit formuliert wird.148 So hat der Sohn seine Gleichheit mit Gott in der Ungleichheit, und Gott selber hat seine Selbstgleichheit eben in diesem Unterschied zu sich. Denn dem lebendigen Gott ist Christus gleich, indem er ihm nicht nur gleich ist; aber genau so ist er für uns mit uns gleich. Der Gottessohn manifestiert in der Ent-Äußerung die Freiheit göttlichen Selbstseins, und die Majestät Gottes erweist sich in der Verborgenheit im Geschick seines Sohnes. 3.3. Über die Einbeziehung auch des glaubenden Menschen in das Entäußerungsgeschehen, in dem sich die interne Bewegtheit des göttlichen Lebens vollzieht, instruiert prägnant – und in gewisser Konformität mit Phil 2,6ff – der Schlussabschnitt (30.) von Luthers Freiheitstraktat (1520):

143 Genau klärt dies Verhältnis erst die Trinitätslehre, der gemäß der Vater sein Leben auch im Sohn hat (Joh 5,26); s. u. § 15. 144 Cf. dazu unten § 6 C. (S. 378ff). 145 S. o. zur Bedeutung der Auferstehung Jesu für Gott selber: S. 302 bei Anm. 40 sowie B. 2.4. (S. 304ff). 146 Cf. V. 11b: εἰς δόξαν θεοῦ πατρός. 147 Was der Hymnus im Modus der Folge schematisiert; cf. διό (V. 9a). 148 A. Ritschl hat dies (unter Bezug auf Joh 17,1.4f), wenn auch in ethisierender Fasson, klar erkannt: »Der Weg des Gehorsams bis zum Tode ist für Jesus nur scheinbar eine Erniedrigung unter seine Würde, aber in Wahrheit die Form seiner selbsttätigen Erhebung über die Welt …« (A. RITSCHL, Unterricht in der christlichen Religion [1875], hg. von Ch. Axt-Piscalar, UTB 2311, Tübingen 2002, 38, § 23.d). In den folgenden Auflagen findet sich die Ergänzung: »Demgemäß ist seine Auferweckung durch die Macht Gottes die dem Werte seiner Person durchaus entsprechende, folgerechte Vollendung der in ihm erfolgenden Offenbarung …« (a.a.O. Fn. 94). Cf. auch § 24 (a.a.O. 38–40).

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Aus dem allenn folget der beschluß, das eyn Christen mensch lebt nit ynn yhm selb, sondern ynn Christo und seynem nehstenn, ynn Christo durch den glauben, ym nehsten durch die liebe: durch den glauben feret er uber sich yn gott, auß gott feret er widder unter sich durch die liebe, und bleybt doch ymmer ynn gott und gottlicher liebe. Gleych wie Christus sagt Johan. 1 [51] … Sihe das ist die rechte, geystliche, Christliche freyheyt ….149 Im Horizont des Philipperhymnus lässt sich zur Interpretation hier vorläufig Folgendes sagen:150 Mit Glaube und Liebe wiederholt sich im Christenmenschen gleichsam der status exaltationis und der status exinanitionis Christi. Im Unterschied zur späteren dogmatischen Christologie151 ist für Luther hier aber die exaltatio das Erste und Fundierende; außerdem spricht er nicht von status, sondern von Bewegungen: einem »Fahren« des Glaubenssubjektes über sich hinaus und unter sich. Es geht um das Zusammenspiel dieser Bewegungen: Glaube und Liebe gehören so zusammen, wie ewige Liebe und Gottes Leben zusammenhängen. Dieses Zusammenspiel von Bewegungen ist eine wahrhafte Bewegung nur, indem jede zugleich auch bei ihrem Ausgangspunkt bleibt: »in Gott und göttlicher Liebe«. Die sich in sich umkehrende Bewegung auf Gott zu sagt auch etwas Entscheidendes über Gott selber aus. Das lebendige Ineinander und Aneinander von Glaube und Liebe ist in der eigenen Lebendigkeit Gottes selber aktuell begründet bzw. lebt aus ihr. Er ist mit seinem Sein die bleibende Wahrheit auch des lebendigen Glaubens und der lebendigen Liebe.

E. Gottes Unendlichkeit Dass der lebendige Gott Inbegriff von Unendlichkeit ist, ist eine biblische Grundannahme, ohne dass der Begriff zu fallen brauchte: »Denn sollte in Wahrheit Gott auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel mögen dich nicht fassen« (1Kön 8,27). So kann es in Ps 145,3 heißen: »Groß ist der Herr und hoch zu loben, und seine Größe ist unerforschlich«.152 Dem hat die dogmatische Tradition mit dem Satz Rechnung getragen: »Infinitas … quod essentia Dei nullis terminis (nec temporis nec loci nec ul-

149

WA 7, 38,6–13. Zu Phil 2,5ff cf. a.a.O. 35,12–19. Zur genaueren Interpretation der Einzelheiten dieses Textes s. u. § 6 C. (S. 378ff) und § 11 D. 1. (S. 644ff). 151 Zur status-Lehre cf. unten § 6 D. (S. 385ff). 152 Cf. Vg.: »magnitudinis eius non est finis« (LXX: πέρας). 150

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lius rei alii) continetur«.153 Freilich ist es für unsern Zusammenhang entscheidend wichtig, das Prädikat der Unendlichkeit nicht nur als einen abstraktnegativen Begriff (im Sinne von: ohne Grenzen, endlos154), sondern als einen qualitativ-gehaltvollen Begriff des göttlichen Lebens zu konzipieren. Er hängt engstens mit der eben betonten Einheit von Ruhe und Bewegung (siehe oben Abschnitt C. 3.1.) zusammen, und daher hat auch Hegel »Unendlichkeit« ganz im Horizont von Leben gedacht.155 Einen solchen qualitativen Begriff des Unendlichen, das sein eigenes Gegenteil übergreift, hat in der christlichen Theologie wohl zuerst Gregor von Nyssa gedacht.156 In einer ausgeführten, höchst dialektischen Fassung findet er sich beim jüngeren Luther (1519/20): et est iam deus vere omnia in omnibus, aequus et idem, simul tamen inaequalissimus et diversissimus. Ipse est enim, qui in multitudine simplex, in simplicitate multiplex, in inaequalitate aequalis, in aequalitate inaequalis, in sublimitate infimus, in excelsis profundus, in intimis extremus et diverso. Sic in infirmis potens, in potentibus infirmus, in stultis sapiens, in sapientibus stultus [cf. 1Kor 1,18–28], breviter, omnia in omnibus.157

153

Entsprechend heißt es bei J. A. Quenstedt: »hacque infinitate sua Deus omnes essentiae terminos respuit, ita ut nec tempore nec loco nec ulla re alia finiri posit, sed sua natura et essentia actu simpliciter per se et absolute sit infinitus« (QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica I [wie oben Anm. 64], 293; Hervorh. J. R.). Die Unendlichkeit entspricht Gottes Aseität. 154 Ein solches, sozusagen quantitatives Verständnis nannte Hegel »schlechte Unendlichkeit«. 155 »Diese einfache Unendlichkeit oder der absolute Begriff ist das einfache Wesen des Lebens, die Seele der Welt, das allgemeine Blut zu nennen, welches allgegenwärtig durch keinen Unterschied getrübt noch unterbrochen wird, das vielmehr selbst alle Unterschiede ist, so wie ihr Aufgehobensein, also in sich pulsiert, ohne sich zu bewegen, in sich erzittert, ohne unruhig zu sein« (HEGEL, Werke 3, 132). 156 Cf. die ungemein lehrreiche Monographie von E. MÜHLENBERG, Die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa. Gregors Kritik am Gottesbegriff der klassischen Metaphysik, Göttingen 1966 (mit Ausführungen zu Platon, Aristoteles, Philo Alexandrinus, Clemens Alexandrinus, Origenes und Plotin). Pannenberg hat sich einem solchen Begriff von der Unendlichkeit Gottes angeschlossen (cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 302 Anm. 41], 429ff.480ff u. ö.). Cf. auch W. ELERT, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie, Berlin 1957), 67ff und 45ff (speziell christlich: 68). 157 Oper. in Ps.; WA 5, 170,2–8. Cf. schon WA 3, 407,22–29 sowie die ähnliche Stelle beim Cusaner: »quod omne imperfectum in ipso est perfectissimum, sicut … curvitas est rectitudo et composition simplicitas et diversitas identitas et alteritas unitas, et ita de reliquis« (Nikolaus von Kues, De doct. ign. I, XXIII: über Gottes unendliche Vollkommenheit).

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Hier ist die Unendlichkeit Gottes nicht einfach ein Gegensatz zum Endlichen,158 sondern lebendige coincidentia oppositorum.159 Das Unendliche ist lebendig, sofern Gott zugleich in jeder Begrenzung und darüber hinaus ist, was er ist, so z. B. nicht einfach unräumlich bzw. unzeitlich, sondern raumund zeitdurchdringend, nämlich auf seine, spezifisch göttliche Weise.160 Ein solches dialektisches Verständnis unendlicher Lebendigkeit ist »unvorstellbar«, denn Vorstellungen sind nur mit Raum und Zeit zu bilden, aber es artikuliert den »Begriff« göttlichen Seins.161 In ihm stellt sich (als bewegte Gegensatzeinheit) die überschwängliche »Fülle« des göttlichen Lebens, sein Pleroma als »unendlicher Substanz-Ozean«162 dar, dessen Unendlichkeit zugleich das »Maß des göttlichen Wesens«163 in seiner Vollkommenheit ist.164

F. Gott: Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt 1. Es gibt in der Tradition ein altes Denkbild mit ungeheuerer Wirkungsgeschichte, das einen paradoxen Ausdruck für die unendliche Lebendigkeit Gottes in seiner absoluten Einheit mit sich anbietet. Es findet sich in dem »hermetischen« Traktat: liber XXIV philosophorum als dessen These II: Deus est sphaera infinita, cuius centrum est ubique, circumferentia nusquam.165 Zur Vorgeschichte dieser Formel einer »mathematischen Mystik« (D. Mahnke) lässt sich – außer vermutbaren orphischen Ursprüngen – neben Xenophanes166 158

Cf. Pannenbergs Kritik an K. BARTH (KD II/1, 522–527), PANNENBERG, a.a.O. I,

445. 159

Wie Gottes Leben mit seiner Unendlichkeit, so hängt seine Allmacht mit seiner Vollkommenheit zusammen; s. u. § 5. 160 Das ist beim Begriff der Ewigkeit (§ 9) ebenso wie beim Begriff der Allgegenwart (§ 12) zur Geltung zu bringen. Cf. auch unten Abschnitt F. 161 Er kommt zustande, wie auch der Wortlaut des angeführten Lutherzitates erweist, als denkende Aufhebung der bestimmten Vorstellungen durch Einsicht in ihre Nichtanwendbarkeit auf Gott (bestimmte Negation) und durch ihre Korrektur (als einfachhin geltend) von ihrem Gegenteil her. 162 Gregor von Nazianz, Orat. 45,3 (PG 36, 625). 163 Gregor von Nyssa, C. Eunom. XII (PG 45, 933/934 A). 164 Cf. PG 44, 873/874D. 165 Abgedruckt bei C. BAEUMKER, Studien und Charakteristiken zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, BGPhMA 25/1–2, Münster 1927, 194ff, hier: 208. Cf. neuerdings K. FLASCH, Was ist Gott? Das Buch der 24 Philosophen, München 2011, 29ff. Flasch geht auch auf prominente Stationen der Wirkungs- und Forschungsgeschichte ein. Cf. auch U. BEUTTLER, Gott und Raum – Theologie der Weltgegenwart Gottes, FSÖTh 127, Göttingen 2010, Kap. 5 (127ff). 166 Ihm wird die Auffassung zugeschrieben, Gott sei »kugelförmig« (σφαιροειδῆ); cf. Aristoteles (?), De Melisso, Xenophane … (hg. von I. Bekker), 977b 1 und 3.

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vor allem Parmenides namhaft machen,167 indirekt wohl Platon,168 sodann auch Empedokles.169 167 Vom Sein: τετελεσµένον ἐστί / πάνθοτεν, εὐκύκλου σφαίρης ἐναλίγκιον ὄγκωι, / µεσσόθεν ἰσοπαλὲς πάντηι (Frg. B 8, 42–44 [DK I, 238,11–13]). Auch Platon nennt die Kugel die vollkommenste, einheitliche und am meisten selbstähnliche Figur (Tim. 33b; cf. 36d 7–e 5). Die Formel wurde später von Calogero und Mondolfino dynamisch aufgefasst: als eine unendliche oder unendlich wachsende Kugel. H.-G. Geyer hat den Unterschied von äußerster Sphäre der Weltkugel (Aristoteles) und innerster Mitte (cartesianisches Ego) auf die Geschichte des Denkens bezogen: H.-G. GEYER, Metaphysik als kritische Aufgabe der Theologie, in: W. Dantine/K. Lüthi (Hgg.), Theologie zwischen Gestern und Morgen. Interpretationen und Anfragen zum Werk K. Barths, München 1968, 247–260, hier 256f. M. Heidegger bezieht die parmenideische Kugel auf Hegels absolute Idee« als »Die sich selbst gegenwärtige Gegenwart, die in der Anwesung sich spiegelnde Anwesenheit« und zitiert dazu (nach Thomas) den Satz des »Trismegistus« mit dem Kommentar: »Kein ›Wogegen‹ – das ›Seiende‹ aufgelöst in die Seiendheit« (HEIDEGGER, GA 68, 32). Dazu Hegel selber: HEGEL, Werke 18, 47 (Idee) und 290 (Parmenides). 168 Platon zitiert das Fragment des Parmenides in Soph. 244e und spricht kritisch von µέσον und ἔσχατα (cf. dazu HEIDEGGER, GA 19, 456f). Gleichwohl kann man auch bei Platon von der σφαῖρα ἡ θεῖα lesen (Phil. 62a). Es könnte die kritische Umbildung der Sphairos-Vorstellung zur »mystischen Formel« vielleicht angeregt sein durch eine produktive Lektüre bzw. Interpretation von Platons Parm. 137d 5–138b 7. Für diese Vermutung lassen sich folgende Gründe geltend machen: 1) das Wortfeld: µέσoν (137d 6: centrum); ἄπειρον (137d 8f: infinita); πανταχῇ (137e 3: ubique); περιφεροῦς (137e 6: circumferentia); οὐδαµοῦ (138a 2: nusquam); cf. auch: στρογγύλον (137e 2) und κύκλῳ (138a 4). 2) vorher: das Eine ohne Teile (137c 4–d 4), so dass weder ἀρχή noch τελευτή noch µέσον (137d 5f) als solche ihm zukommen, und dies mit den Folgen: a) gestaltlos (ἄνευ σχήµατος, 137d 9f), b) ortlos (οὐδαµοῦ, 138a 2). Der Beweis für (a) wird mit Hilfe des Auseinander von Teilen geführt: Στρογγύλον … τοῦτο οὗ ἂν τὰ ἔσχατα πανταχῇ ἀπὸ µέσου ἴσον ἀπέχῃ (137e 2f; daher keine Teile am ἕν, 137e 5f; cf. 144d 1f). Eine »dynamische« Weiterführung wäre denkbar durch eine dies Auseinander identifizierende Gegenlektüre: die Gestalt (σφαῖρα, στρογγύλον) als zugleich Nicht-Gestalt (ἄπειρον, ἄνευ σχήµατος); das »Überall« der Extreme (ἔσχατα) zugleich ein »Nirgend« (οὐδαµοῦ); die Mitte als bei den Eschata zugleich πανταχῇ und die περιφερή zugleich οὐδαµοῦ. d. h. indem jedes zugleich das Andere (ἕτερον) ist, bleibt das Eins-Sein gewahrt bzw. wird so hergestellt. – Der Beweis für (b) läuft über das Auseinander von τὸ περιέχον und περιεχόµενον: ἕτερον … ἕτερον (138b 2f). Die dynamische Umbildung bringt zur Geltung: das In-sich-selbst-Sein gibt es nur als zugleich In-einem-AnderenSein, so dass das Ganze eins mit sich und für sich in seinem Anderen ist. Derart kann die »sphaera infinita« als dialektische Lösung der logischen Schwierigkeit aufgefasst werden, wie Platon (auch Soph. 244e.245a) sie bei der Seinskugel des Parmenides sah; dazu muss »Einheit« als den Unterschied durchgreifende Einheit aufgefasst werden. 169 Vom Einen: ἀλλ’ ὅ γε πάντοθεν ἴσος [ἑοῖ] καὶ πάµπαν ἀπείρων / Σφαῖρος κυκλοτερὴς µονίηι περιηγέι γαίων (Frgm. B 28, cf. 27 [DK I, 324,10f, cf. 4). W. Jaeger hat betont, dass es sich dabei um den »vollkommenen Endzustand« handelt (W. JAEGER, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953, 161). Cf. auch zum Kreis: Plotin, Enn. VI 5,5. Die Stoa vergleicht die vollkommene Seele mit der Kugelgestalt des vollkommenen Seins bei Empedokles; cf. Marc Aurel: Σφαῖρα ψυχῆς αὐγοειδής (Ta eis

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Die Rede von der Kugel oder Sphäre des göttlichen Seins veranschaulicht durch die Brechung ihrer räumlich-vorstellungshaften Momente in bestimmter Negation die Unendlichkeit Gottes, der in jeder möglichen Bestimmtheit schon unendlich darüber hinaus ist, um darin mit sich – frei von jeder verendlichenden Einseitigkeit – eins zu sein. So ist er »lebendig«, indem auch an seinen »Grenzen« bzw. von ihnen her ganz bei sich und er selbst.170 Zur sich hier nahelegenden dialektischen Interpretation der Formel sei das Folgende gesagt.171 Entscheidend ist das Ineinander-Umschlagen der vorgegebenen Bestimmungen (eines Kreises bzw. einer Kugel) von Mittelpunkt (centrum) und Peripherie (circumferentia). Bei der (nicht mehr vorstellbaren) unendlichen Sphäre besteht ihre dynamische Unendlichkeit eben in diesem wechselseitigen Austausch der Bestimmungen: Wenn der Mittelpunkt »überall« ist, so ist er auch an der Peripherie bzw. ist sie selber, und indem die Peripherie »nirgends« ist, ist auch der Mittelpunkt nicht mehr nur er selbst, sondern »überall«.172 Der Mittelpunkt aber, der überall ist, ist nicht mehr bloßer Mittelpunkt, sondern ist auch das noch, was in Bezug auf ihn als Mittelpunkt allererst selber (bestimmt) sein können sollte, d. h. er ist auch der durch ihn bestimmte Umkreis. Ein Mittelpunkt, der überall ist, ist sein eigenes Gegenteil. Ist der Mittelpunkt überall, so hat er auch seinen Umkreis überall.173 Zugleich ist dieser Umkreis, weil nicht auf den bestimmten Ort eines festen Mittelpunktes bezogen, auch nirgends. Die Peripherie, deren Zentrum überall und nirgends nur als solches ist, ist nur als ihr eigenes Gegenteil. Denn was sie umschließen sollte, ist immer schon außerhalb ihrer und hebt sie als Peripherie auf. Das mathematische Bild von Mittelpunkt und Umkreis wird hier so aufgenommen, dass es zugleich paradox gewendet bzw. dialektisch gemacht wird, und zwar durch eine gezielte Aufhebung des räumlichen Außereinander.174 Genau so aber dient es zum indirekten Ausdruck dessen, was eigentlich »unendlich« heißen kann. Diese unendliche Sphäre ist unendlich nur in der

Heauton XI 12). Cf. auch Horaz (vom freien Weisen): »… et in ipso totus, teres atque rotundus« (Sat. II 7,86; »teres atque rotundus« entspricht dem κυκλοτερής bei Empedokles). 170 Durch die paradox gebrochene Räumlichkeit kann das Denkbild von der sphaera infinita auch zur Erläuterung der »Allgegenwart« Gottes dienen, s. u. § 12. 171 Ich beziehe mich auf meine Formulierungen in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben Anm. 73), 173–175 (im Zusammenhang mit Pascal). 172 Die göttliche Allgegenwart wird traditionell durch die paradoxe Formel: »ubique et nusquam« ausgedrückt; s. u. § 12. 173 Diese Konsequenz hat der »Liber XXIV philosophorum« in Th. XVIII selber gezogen: »Deus est sphaera, cuius tot sunt circumferentiae, quot sunt puncta«. 174 H. Blumenberg hat von diesem Unendlichkeitsbegriff als einer »Sprengmetaphorik« gesprochen; cf. H. BLUMENBERG, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), stw 1301, Frankfurt 21999, 178 und 179.

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lebendigen Dialektik eines Ineinander-Übergehens ihrer Bestimmungen.175 Wenn das Eine nur ist, indem es stets auch sein Anderes ist, ist jedes nur es selbst als zugleich nicht es selbst. Diese Bewegung des Umschlagens »veranschaulicht« – dialektisch gebrochen – »das Unendliche«, d. h. das, was als solches auf keine Bestimmung festgelegt, was aber auch von keiner Bestimmung bloß ferngehalten werden kann. Festlegung wäre Verendlichung, abstraktes Fernhalten würde unlebendige Trennung bedeuten. »Unendlich« ist diese Bewegung als Setzen der Bestimmungen und ihr Aufheben zugleich.176 Die Dynamik der Formel von der »unendlichen Sphäre« mit ihrem selbstbewegten Ineinander-Übergehen von gegeneinander bestimmten Größen bietet sich zur Beschreibung wahrer Unendlichkeit an, weil diese als etwas qualitativ Nicht-Endliches, das zugleich auch nicht nur nicht-endlich und in beidem erst wirklich unendlich ist, zu begreifen ist.177 2. Die Rezeptionsgeschichte des Motivs von »Unendlicher Sphäre und Allmittelpunkt«178 als Formel für Gott ist unüberschaubar.179 Sie setzt ein, und wird auch für die Theologie relevant, als es gegen Ende des 12. Jahrhunderts von Alanus de Insulis (Alain de Lille) in seinen »Theologicae Regulae« (VII)

175

In den pseudo-aristotelischen »Quaestiones Mechanicae« (847b 15–21) wird der κύκλος als coincidentia oppositorum verstanden (zitiert bei BLUMENBERG, a.a.O. 184 Anm. 203). 176 Cf. die Erläuterung bei Nikolaus von Kues: »Non devenitur enim in motu ad minimum simpliciter, puta fixum centrum, quia minimum cum maximo coincidere necesse est. Centrum igitur mundi coincidit cum circumferentia« (Doct. ign. II 11; Hervorh. J. R.; zur Anwendung der Formel von der unendlichen Sphäre auf den »mundus« s. u. Exkurs VII [S. 332ff]). Zur Interpretation: Wenn es nicht möglich ist, simpliciter ad minimum, d. h. zum centrum, zu gelangen, dann eben nur so, dass, weil centrum coincidit cum circumferentia, die Bewegung zugleich ad maximum (d.i. circumferentia) geht. Das centrum, indem nicht fixum, coincidit cum … bzw. weil es coincidit, ist es nicht fixum. »coincidere« besagt ein immer schon Übergegangensein, d. h. ein Sein bei dem einen als zugleich bei dem anderen Sein. Daher ist der motus nicht simpliciter Bewegung, sondern sich entzweiend bzw. sich in sich umkehrend (gleichsam in zwei Richtungen zugleich). Das besagt wiederum: Der motus vollzieht sich deshalb nicht simpliciter, weil das Ziel nicht fixum ist, sondern coincidens. Es geht der Sache nach um die Frage, wie eine Bewegung auf etwas hin denkbar ist, das selber nur im Übergang (d. h. in Bewegung von sich weg) ist, was es ist. 177 Einen formellen Hinweis auf die dialektische Verfassung des Unendlichen kann man schon am sprachlichen Ausdruck »unendlich« selber ablesen: Die negativ zustande kommende Formulierung (un-endlich) schlägt im Gebrauch um in einen affirmativpositiven Sinn, bei dem die Verneinung allenfalls als »petite perception« noch mitgeführt wird. Cf. unten § 5 (S. 355 Anm. 88). 178 So der Titel der klassischen Monographie zu diesem Thema von D. MAHNKE (1937) mit dem Untertitel: Beiträge zur Genealogie der mathematischen Mystik. Mahnke geht von Pascal aus (zu ihm s. u.) rückwärts auf die Anfänge des Vorkommens der Formel zurück. 179 Einige markante Stationen benennt (unvollständig und meist ohne genaueres Eingehen) der folgende Exkurs VII (S. 332ff).

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aufgegriffen wird;180 dieser redet allerdings (bei sonst beibehaltenem Wortlaut) von einer »sphaera intelligibilis«,181 was dann auch Schule gemacht hat.182 Im vorliegenden Zusammenhang soll sich die Betrachtung auf das Vorkommen des Motivs bei M. Luther beschränken, dessen gelegentlicher Bezug für unsere Gotteslehre besonders erhellend ist.183 Diese Bezüge finden sich vor allem in den 1530er Jahren, und lassen zwei Perspektiven erkennen. 2.1. Die eine Art der Bezugnahmen, die in den »Tischreden« vorkommt, ist eher konventionell und steht ganz unter dem Thema göttlicher Allgegenwart. Philosophi olim sic definierunt Deum: Deus est circulus, cuius centrum est ubique et circumferentia nusquam.184 Qua re significare voluerunt, quod Deus sit omnia et nihil. Unser Herr Gott ist allenthalben, et tamen non comprehenditur. … Est ubique, scilicet in baptismo, praesepi, sacramento etc. Sed in maiestate nusquam est neque in speculationibus meis.185 Hier begegnet das traditionelle Verständnis von »Allgegenwart«: ubique et nusquam (bzw. sogar: omnia et nihil).186 Luther unterscheidet hierbei Gottes 180

PL 210, 627. Zur Erläuterung von Gott her schreibt Alanus: »Quia simplicissimus et maximum, ideo totum intra omnia et totum extra, ac per hoc est sphaera intelligibilis, cuius …« (ebd., Hervorh. J. R.), und was den Begriff der Sphäre angeht: »solam monadem esse alpha et omega: ex eo enim quod principio caret et fine Deus, sphaera dicitur: proprium enim sphaericae formae est principio et fine carere … sed non est sphaera corporalis, imo intelligibilis« (ebd.). Cf. dazu. »sphaerae corporalis centrum immobile, circumferentia mobilis [habet], in sphaera intelligibili contra, quia Deus stabilis manens dat cuncta moveri« (Alanus, Contr. haeret. III 4; PL 210, 405f). Die letzten Worte im Zitat stammen von Boethius her: »stabilisque manens das cuncta moveri« (Cons. III 9c). 181 Bei Plotin findet sich schon: σφαῖρα νοητή (Enn. V 1,9; VI 5,4; II 9,17), zur Herkunft der »intelligiblen Sphäre« cf. W. BEIERWALTES, Proklos (1965), Frankfurt 21979, 188f. 182 Cf. M. BAUMGARTNER, Die Philosophie des Alanus de Insulis, BGPhMA II,4, Münster 1896, hier bes. 118. Mahnke wirft dem Alanus allerdings ein Missverständnis der ursprünglichen Formel vor (MAHNKE, a.a.O. 173 und 174). 183 Diese Lutherstellen kommen bei MAHNKE, a.a.O., nicht zur Sprache. Cf. auch P. Althaus (Übers.), Die »göttliche Mathematik«. Von Martin Luther, in: Luther 13 (1931), 1–3. 184 Luther könnte der Satz bei Bonaventura begegnet sein, der Alanus zitiert (Itiner. V 8, in: ders., Op. omn. 5, 310a). Luther läßt aber das »intelligibilis« weg und gibt »sphaera« mit circulus wieder. Für ihn ist »circulus, perfecta figura« (WA 3, 448,15); cf. schon (platonisch) Cicero: »Quid enim pulchrius ea figura [ sc. der Kreis] quae sola omnes alias figuras complexa continet« (De nat. deor. II 188). Cf. auch unten Anm. 186. Aber würde Luther Bonaventura als »Philosophen« bezeichnen? 185 WA.TR 1, 575f (Nr. 1165). 186 Eher mit den in diesem Zusammenhang diskutierten Schulfragen beschäftigt sich Luther an der folgenden Stelle (April 1532), wo es um die Frage geht, »utrum Deus revera esset in una quaque minutissima creatura, gramine, arbore etc.« (WA.TR 1, 100 [Nr. 240]). Diese Frage hängt mit der nach Gottes Verhältnis zum Kleinen und Großen bzw. mit seiner Gegenwart in jedem »Körnlein« zusammen; dazu s. u. die Zitate, § 12 E. 3. (S. 680ff). Luther gibt zur an dieser Stelle formulierten Frage eine bejahende Antwort: »Ita [sc. est], quia Deus a nullo loco excluditur et in nullum concluditur. Est ubique et est nusquam«

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(kondeszendente) Weltgegenwart (in den Gestalten seines Wortes wie Taufe und Abendmahl) von seiner unerreichbaren, unendlichen Majestät, in der er uns entzogen bleibt, als wäre er Nichts (nusquam).187 Bezieht man die Rede von den speculationes auf das zitierte Dictum von Gott als dynamischer Sphäre selber, so würde Luther hier abschließend – in eine Art Selbstanwendung – unterstreichen, dass auch mit dieser paradoxen Figur die Unendlichkeit Gottes in seinem Für-sich-Sein nicht eingefangen werden, sondern nur gebrochen auf sie hingedeutet werden kann. In einer weiteren Tischrede (18. August 1532) bezieht sich Luther noch einmal auf das »Philosophem« der unendlichen Sphäre, und wieder geht es um die göttliche Allgegenwart in der paradoxen Einheit von Unendlichkeit und Allerfüllung. Unter dem Motto: Deus uber alle creaturen hat Luther ausgeführt: Deus noster extra, infra, supra omnem creaturam.188 Die Zusammenstellung dieser Präpositionen hebt ihren bestimmten räumlichen Sinn auf, um die Unendlichkeit Gottes wie zugleich die unfassbare Lebendigkeit seiner Gegenwart zu markieren.189 Die natürliche Reaktion des (»gesunden«) Menschenverstandes ist: »man kann sich aber nicht drein schickhen, gleich als wenn man sagt: Es ist … 3 = 1 und der gleichen«.190 Für den Satz, »Deus est extra omne, quod est« führt Luther als biblischen Beleg Jes 66,1 (cf. auch 1Kön 8,27 und Act 7,49) an.191 Gehört zur wahren Unendlichkeit des lebendigen Gottes nicht nur seine Transzendenz (erhabene Majestät), sondern ebenso (und zugleich) seine allgegenwärtige Immanenz, (ebd.). Auf die scholastische Frage, ob Gott »überall« nur potentialiter oder substantialiter gegenwärtig sei, erklärt er: »utroque modo in singulis creaturis«, weil Gott (im Unterschied zu den Kreaturen), »non per qualitatem agit, sed essentialiter« (ebd.). Beim lebendigen Gott lassen sich an seinem Handeln Möglichkeit und Wirklichkeit, akzidentielle und wesenhafte Bestimmungen sachlich eben gar nicht trennen. Auf den Einwand, Gottes paradoxe Gegenwart nicht verstehen zu können (»Ego non capio«), antwortet Luther, indem er auf Gott in Christus am Kreuz und Gott im Uterus der Jungfrau verweist: »Eadem ratio hic est, est enim utrinque eadem impossibilitas rationi« (a.a.O. 100f). Der Sachverhalt der Unendlichkeit Gottes in seiner lebendigen Gegenwart transzendiert den endlichen (kreatürlichen) Verstand. 187 Cf. das Hamann-Zitat unten § 6 G. 2. (S. 396 bei Anm. 146). 188 WA.TR 2, 200 (Nr. 1742). Auch dies liest man ähnlich bei Bonaventura, a.a.O.: »Quia simplicissimum et maximum, ideo totum intra omnia et totum extra« (cf. oben Anm. 184) bzw.: »Quia perfectissimum et immensum, ideo est intra omnia, non inclusum, extra omnia, non exclusum, supra omnia, non elatum [sc. räumlich], infra omnia, prostratum [sc. räumlich]« (Itiner. V 8; cf. auch VI 5 und 7). 189 Ähnlich Luthers Deutung von Gottes In-Sein; s. u. § 12 E. 1.2. (S. 671f). 190 WA.TR 2, 200 (Nr. 1742). Luther spielt auf die Trinitätslehre an, die ebenfalls die Regeln der formalen Logik (bzw. der Mathematik) sprengt. Zum Verhältnis von Trinität und »sphaera infinita« cf. unten § 15 (S. 803 Anm. 187). 191 Er erläutert: »nam quando dicit: Coelum sedes mea est, so wirt er weit uber den himel reichen, et terra scabellum, so muß er auch in der gantzen welt sein« (ebd.).

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so gilt auch: Omnia implere. Dazu gibt Luther hier die Erläuterung: »Super omnia, implere omnia, soll er das thun, wie Paulus sagt [cf. Eph 4,10], so muß er gegenwertig sein, sed ratio kann der ding nichts verstehen … Sic dixit quidam philosophus: deus est sphaera, cuius centrum est ubique et circumferentiam nullibi«.192 Charakteristisch für Luther ist an dieser Stelle, wie er dem »philosophischen« Satz schließlich eine Wendung gibt, die den Gedanken göttlicher Allgegenwart erbaulich ad personam zuspitzt: »Deus dixit, sein bester stuel sei ein betaubt [= betrübt] hertz [Ps 33,19; cf. Jes 66,2b: contritum spiritu]; item corda sunt in terra, quia dicit: Super quem respiciam nisi ad trementem etc. [cf. Jes 66,2b und 57,15]?«193 Gottes »Stuhl« ist nicht nur fern im Himmel (Jes 66,1; Ps 11,4; 103,19; Mt 5,34), sondern seine eigentliche Gegenwart hat er in barmherziger Nähe zu den bußfertigen Sündern (Mt 5,3; Lk 4,18). Diese Wendung von der Allgegenwart zum Kondeszendenz-Motiv leitet über zu Luthers spezifisch theologischer Aufnahme der »sphaera-infinita«-Figur. 2.2. In dieser zweiten und originelleren Art der Rezeption findet sich zunächst eine inkarnations-theologische Variation, bei der jenes Motiv im Hintergrund steht (1524): Den aller Welt Kreis nie beschloß, / der liegt in Marien Schoß, / er ist ein Kindlein worden klein, / der alle Ding erhält allein. / Kyrieleis.194 Luther bezieht in dichterischer Weise das alte Dictum von Kreis und Mittelpunkt auf die Menschwerdung Gottes im Kind in der Krippe.195 Dieses lutherische finitum capax infiniti kehrt bei dem Lutherschüler Angelus Silesius in spezifischer Weise noch einmal wieder:196 192

Ebd. Ebd. 194 »Gelobet seist du, Jesu Christ« (EG, Nr. 23, Str. 2; Hervorh. J. R.). Übrigens hat der junge Hegel dies 1800 im sog. »Systemfragment« aus dem Gedächtnis zitiert: »Den aller Himmel Himmel nicht umschloß, / Der liegt nun in Mariä Schoß«, um so darzutun: »das in der Unermeßlichkeit des Raums unendliche Wesen ist zugleich im bestimmten Raume« (HEGEL, Werke 1, 424). Cf. auch J. G. Hamann: »το παν εστιν ΑΥΤΟΣ [J. Sir. 43,29]. Alle Fülle der Gottheit hat in einem Kindlein klein, in einer Krippe Raum« (HAMANN, 5.12.1784 an Jacobi, in: ders., Briefwechsel 5, 275,20f). Bei J. S. Bach heißt es im Weihnachtsoratorium: »der die ganze Welt erhält, ihre Pracht und Zier erschaffen, muß in harter Krippen schlafen« (1. Kantate; Bass-Arie). Die ebenso nicht-hegelische wie unspekulative Antithese findet sich bei D. F. Strauß: Es sei nicht die Art der Idee, »in Ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuschütten« (D. F. STRAUẞ, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. II, Tübingen 31835, 766f [§ 149]; cf. DERS., Die Christliche Glaubenslehre, Bd. II, Tübingen/Stuttgart 1841, 214f [§ 66]). 195 Von praesepium ist auch in dem Zitat oben bei Anm. 185 die Rede. Zum Schoß der Jungfrau cf. oben Anm. 186. 196 Cf. auch J. Brenz: »der menschliche Christus, da er geborn war, wurde in tuechlin eingewickelt und in die krippen gelegt. Darumb ist er dazumal an keinem andern ort gewe193

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Der Kreis im Punkte Als Gott verborgen lag in eines Mägdleins Schoß, Da war es, da der Punkt den Kreis in sich beschloß.197 Die andere Rezeptionsweise Luthers ist eine dezidiert eschatologische Lesart des überkommenen Motivs. Vom irdischen Leben ausgehend, schreibt er 1531: Tantum centrum habeo; ubi mortui, etiam circumferentiam vidibimus.198 In fide tamen apprehendens nihil habet quam auditum et sonitum promittentis,199 et in ea habeo quae maior quam coelum et terra.200 Res Christianorum tam magna in se et infinita, sed in conspectus, in sensu finitissima et quasi centrum.201 Die Sache, um die es im christlichen Glauben geht, ist in ihrer überschwänglichen Größe an sich so unendlich wie der lebendige Gott selber, um dessen ewiges Leben bzw. das daran Anteil Bekommen es hier geht. Dessen unermesslicher Umfang (circumferentia) ist für den endlichen Sinn und die menschliche Anschauung in diesem Leben nur als ein bloßer Punkt da,202 der aber, wie sich am Ende erweisen wird, schon der »Mittelpunkt« (centrum) der allumfassenden Sphäre gewesen ist. Das Ziel ist jetzt in Wort und Glaube (nicht nur teilweise, sondern) schon ganz so vorhanden, wie dialektisch im Mittelpunkt die ganze Peripherie. So gilt auch vom Wort: finitum capax infiniti, aber dies Unendliche ist Gottes Leben, das alles Endliche in sich hineinziehen und in sich aufheben wird. Man sieht an dem Zitierten schon, wie Luther das hier behandelte traditionelle Motiv, den Gedanken weitertreibend, aus der räumlichen Dimension in

sen denn in der krippen, wann du bedenken wilt, das er sich selbs geeussert und ernideret hat. Wiltu aber sein majestet, zu der er jetzt erhöhet war, bedencken, so hat er … die gantz welt erfüllet« (J. BRENZ, De maiestate Domini nostri Jesu Christi, Tübingen 1562, in: ders., Die christologischen Schriften, hg. von Th. Mahlmann), Teil 1, Tübingen 1981, 337,31–37). Zu anderen theologischen Belegen nach Luther s. u. im Exkurs VII (S. 332ff). 197 ANGELUS SILESIUS, Cherubinischer Wandersmann III, 28. Cf. auch zur Inkarnation das folgende »Das Große im Kleinen« (III, 29). Cf. auch: »Ich weiß nicht, was ich bin, / ich bin nicht, was ich weiß: / ein Ding und nicht ein Ding, / ein Tüpfchen und ein Kreis« (I, 5); Ähnliches findet sich bei Pascal (s. u. Exkurs VII [S. 332ff]). 198 Das entspricht dem Verhältnis von Glauben und Schauen (2Kor 5,7). 199 Offenkundig nimmt Luther hier in Übereinstimmung mit seinem reformatorischen Denken eine worttheologische Umsetzung des Motivs der »sphaera infinita« vor; dies ist auch bei anderen »mystischen« Motiven zu beobachten, z. B. beim augustinischen »interior intimo meo« (s. u. § 12 E. 2. [S. 677ff]). 200 Cf. Ps 73,25; dazu s. o. § 3 (S. 263 Anm. 88). 201 LUTHER, Großer Galaterbrief-Kommentar (zu Gal 4,7), in: WA 40 I, 596,4–8. 202 Das heißt, das arme schwache Menschenwort, in dem doch Gottes eigenes Wort an uns kommt.

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die der Zeit transponiert und in seine Eschatologie des Wortes einschreibt.203 Das artikuliert die Druckfassung der Stelle (1535) mit größter Deutlichkeit:204 Ideo quoad sensum nostrum res ista centrum, in se autem maxima et infinita sphera est. Sic Christianus habet rem in se maximam et infinitam, in suo autem conspectus et sensu minimam et finitissimam.205 Ideo istam rem metiri debemus non humana ratione et sensu,206 sed alio circulo, scilicet promissione dei, Qui [sc. Deus] ut infinitus est, ita et promissio eius infinita est, utcunque interim in has angustias, et, ut ita dicam, in verbum centrale207 inclusa sit. Videmus igitur iam centrum, olim videbimus etiam circumferentiam.208 Das alte dialektische Denkbild wird von Luther strikt auf das Wort der Verheißung (promissio Dei bzw. Christi209) bezogen,210 mit dem zwar alles Entscheidende schon (»iam«) da ist, aber noch nicht (»olim«) in seiner Fülle: »quoad sensum nostrum res ista centrum [sc. nur erst]« (20f). Das Entscheidende und Endgültige ist im Wort konzentriert da: als ein bloßer Punkt, der zugleich Lebenskeim (punctum saliens) ist,211 nämlich die endliche Stätte von Gottes eigenem, unendlichen Leben (bei uns) – so wie das Senfkorn »minus est om203 Cf. dazu ausführlich RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 112), 550–620 (13. Kap.); hier bes. 612f.619. 204 Vorausgehen bezeichnende Sätze über die Gotteskindschaft im Glauben (als peregrinatio des christlichen homo viator): »Quare filiatio affert secum regnum aeternum et totam haereditatem coelestem. Quanta autem magnitudo et gloria huius doni sit, humana mens ne quidem concipere potest in hac vita, multo minus eloqui. Interim in aenignate cernimus hoc [1Kor 13,12a], Habemus istum gemitulum et exiguam fidem, quae solo auditu et sono vocis promittentis Christi nititur« (WA 40 I, 596,15–20). 205 Das hat wiederum etwas mit dem Verhältnis Gottes selber zu dem Gegensatz: maximus/minimus zu tun; s. u. § 12 E. 3.3. (S. 682ff). 206 Das heißt, mit einer anderen »Meßkunst« als der der Mathematik. 207 In der Prägung »verbum centrale« ist die worttheologische Umformung der sphaera infinita ins Sprachliche verdichtet da. Es dürfte das menschgewordene Wort selber sein. 208 WA 40 I, 596,20–27. 209 »Christus est punctus mathematicus sacrae scripturae« (WA.TR 2, 439,25f [Nr. 2383]). Weil für Luther gilt, dass »in Christo omnia verba sunt unum verbum« (WA 4, 439,20f), »ist (er) das mittel punctlein im Circkel« (WA 47, 66,23). Christus ist so die »Mitte der Schrift« – ein Ausdruck, der bei Luther so nicht nachzuweisen ist, aber auf ihn zurückgeht; cf. M. SCHLOEMANN, Die zwei Wörter. Luthers Notabene zur »Mitte der Schrift«, in: Luther 65 (1994), 110–123, hier 112 –, sich aber bei den Lutheranern findet; cf. z. B.: »Sicut homo est epitome totius universi ac naturae creatae centrum: sic Christus est totius scripturae epitome ac centrum, α et ω, a quo omnia in scripturis incipiunt, et in quo omnia desinunt« (J. GERHARD, Loci theologici, c. IV, § 53 [hg. von E. Preuss, Bd. I, Berlin 1863, 33]). Zu Christus als Mitte der Schrift cf. auch PASCAL, Pensées, Frgm. 740 (Brunschvicg). 210 Der spekulative Satz wird dabei auch rechtfertigungstheologisch kontextualisiert, und das verleiht ihm auch einen neuen, christologischen Sinn für die Eschatologie; cf. a.a.O., Z. 14 und 27f. 211 Cf. oben bei Anm. 87.

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nibus seminibus«, zugleich aber »maius omnibus oleribus« ist (Mk 4,31f).212 Genauso verhält es sich mit dem »verbum centrale« (26).213 Was für unsern irdisch gebundenen Sinn (z. B. im Hören) bloß ein gering scheinender Ausgangspunkt ist (»minima et finitissima res«; 22f), das ist in Wahrheit und an ihm selber (»in se«; 22) die »maxima et infinita sphera« (21) des göttlichen Lebens. Im Wort als Promissio214 ist mithin Gott selber mit einer Unendlichkeit gegenwärtig: »Qui ut infinitus est, ita et promissio ipsius infinita est« (24f): im Kleinsten zugleich das Größte, im Endlichen das Unendliche, das freilich so erst wirklich »unendlich« ist. Da diese dynamische Unendlichkeit das Sein des lebendigen Gottes ist – »res ipsa« ist hier der eschatologisch offenbare Gott selber215 –, kann sie mit menschlichem Verstand oder Sinn nicht »ermessen« werden (»metiri«; 23); sie ist nur für den Glauben da. Der Christ hat freilich, um den unendlichen, eschatologischen Gehalt seines Glaubens zu »ermessen«, einen anderen Maßstab (cf. »circulus«; 23) nötig, und das ist die promissio Dei selber mit ihrer inneren Unendlichkeit. Sie gibt den Horizont vor, in dem allererst glaubend antizipiert werden kann, um welche unendliche Sache es geht, nämlich die Unendlichkeit und Vollkommenheit Gottes selber, der sich im Verheißungswort gegenwärtig macht und sich herablässt in die schwache vox menschlicher Sprache, und dies unter den Bedingungen der Ungesichertheit und Angefochtenheit unserer kreatürlichen Situation: »interim in has angustias« (25); in deren Dunkelheit kann allein das Wort Gottes Licht und Halt geben (cf. 1Petr 1,19).216 Als solchermaßen unendliche hat das Wort der Promissio seinen Ort im »Interim« zwischen Proton und Eschaton, Zeit und Ewigkeit. In diesem Wort spricht sich uns von Gott her die eschatologische Hoffnung zu: »Videmus igitur iam centrum, olim videbimus etiam circumferentiam« (26f).217 Richtet sich diese Hoffnung darauf, im Eschaton an Gottes Fülle, an der Vollkommenheit seiner ewigen Ganzheit teilzuhaben, so findet die Seele bis dahin ihre Wohnstadt in der Unendlichkeit des göttlichen Wortes selber: »Verbum est spacium infinitae amplitudinis. Ideo receptacula animarum sunt verbum Dei sive promissiones, in quibus obdormimus«.218 212

S. o. Anm. 205. Mit seiner Wort-Gestalt ist auch die Unanschaulichkeit des Eschaton für uns gegeben (cf. 2Kor 4,18). 214 Cf. O. BAYER, Promissio, Göttingen 21989. 215 Cf. WA 18, 785,35ff. 216 So gilt: »Non erit angustum hoc verbum, … sed infinitum et aeternum« (WA 1, 24,18f). 217 Wieder erinnert die Formulierung an 1Kor 13,12 (Vg.). Cf. auch zur Differenz von jetzt noch verborgen, dann aber offenbar: »[im engen Anblick des Glaubens] da ist got kleyn und wenig begriffen. Aber dann wirt er sich sehen lassen in seyner grösse und Maiestett« (WA 10 I/1, 44,19f). 218 WA 43, 361,12–14. Das Aufwachen aus diesem »Entschlafen« ist das Sterben, s. o. bei Anm. 198; cf. Ps 126. 213

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Exkurs VII: Zur Geschichte des Weiterwirkens von »sphaera infinita« Trotz der Unerschöpflichkeit der Rezeptions- bzw. Wirkungsgeschichte des Motivs seien einige Hinweise dazu gegeben.219 Hier wird man auch generell mit dem Einfluss nur bedingt ähnlicher Ausdeutungen der Kreis- oder KugelMetapher zu rechnen haben, wie z. B. bei Seneca,220 Gregor von Nyssa221 oder Johannes Eriugena.222 Vor Alanus de Insulis223 ist eine prominente Erwähnung schon bei Bernhard von Clairvaux, nach ihm bei Thomas von Aquin zu verzeichnen, der Alanus argumentativ anführt.224 Im 13. Jahrhundert finden sich weiter Erwähnungen bei Bonaventura.225 Andere Scholastiker wie Alexander von Hales226 u. a. wären zu nennen.227

219 Außer dem Buch von MAHNKE (wie oben Anm. 178) ist noch auf die knappen Bemerkungen von K. HARRIES, The Infinite Sphere. Comments on the History of a Metaphor, JHP 13 (1975), 5–15 zu verweisen; cf. auch: W. ELERT, Wirkungen der lutherischen Abendmahlslehre in der Geschichte der Weltanschauung, AELKZ 60 (1927), 746–752. 770–773.794–798; H. BORNKAMM, Renaissancemystik, in: ders., Luther, Gestalt und Wirkungen. Gesammelte Aufsätze, Gütersloh 1975 (Bornkamm bestreitet hier einen Zusammenhang Luthers mit Nikolaus von Kues); A. KOYRÉ, Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, stw 320, Frankfurt 1980. 220 »Ut in orbe ac pila nihil imum est, nihil summum, nihil extremum est, nihil primum quia motu ordo mutatur et quae sequebantur praecedunt et quae occidebant oriuntur, omnia, quomodo ierunt, in idem revertuntur …« (De beneficiis V 8,4). Dies zitiert Baltasar Gracián, Das Kritikon, hg. von H. Köhler, Fischer Tb 15902, Frankfurt 2004, 595f (»Approbation«),. 221 »Von dem jetzt Gegenwärtigen gleichsam als dem Mittelpunkt und dem festen Begriff das Denken auf das Unendliche des Lebens (scil. Gottes) ausrichtend, werden wir von dem Nicht-Begreifen immer in gleicher Weise im Kreis herumgeführt« (Contr. Eun. I, 668), zitiert nach MÜHLENBERG, Unendlichkeit Gottes (wie oben Anm. 156), 167 (β); cf. auch die Erläuterung des »Unbegrenzten« (ἀόριστον) am Beispiel von Kreis und Peripherie (ebd. α). 222 »totus enim deus est totus ubique, totus super omne, quod dicitur et intelligitur, exaltatus« (Div. nat. V 38; PL 122, 994B). 223 S. o. F. 2. (S. 325ff). 224 De ver. q. 2, a. 3, obj. 11. Cf. In Div. nom. 7,11. 225 Bonaventura, Itiner. V 8 (in: ders., Op. omn. 5, 310a; cf. 91b und Op. omn. 1, 639b); De myst. trin. 9. 5a 1,7 (a.a.O. 5, 90); Sent. I, d. 45, a 2. q. 1; I, d. 37 p., 1. a. u. ö. Cf. E. BISER, Gott ist tot, München 1962, 60. 226 STh I, q. 7, membr. 1. 227 Siehe mit Zitaten MAHNKE, a.a.O. (wie oben Anm. 178), 172; auch an das enzyklopädische »Speculum Triplex« des Vincenz von Beauvais und an Jean de Meung, »Roman de la Rose« wäre zu erinnern; letzterer nimmt die Sentenz allegorisch und schreibt sie Platon zu.

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Nicht nur in der philosophischen Theologie, sondern auch in der Dichtung des Mittelalters lässt sich ein Weiterwirken des Motivs feststellen. Hier ist insbes. Dante zu erwähnen. Wenn auch nicht als direktes Zitat, sondern durch die Vorstellung des von einem Punkt ausstrahlenden Lichtes modifiziert erscheinen Dante (im letzten canto der »Comedia«) »tre giri /… d’una contenenza«, wodurch sich die »luce eterna« der Sprache entzieht, weil »sola in te sidi« (Par. XXXIII, 116f und 124); es heißt dann weiter: »Quella circulazion che sì concetta / Pareva in te come lume riflesso« (127f; cf. 133ff: Geometer). Im Kommentar z. St. wird auf den trinitarischen Hintergrund des Bildes vom »leuchtenden Punkt« und die Paradoxie des Kreisumfangs hingewiesen.228 Es ist zu erwarten, dass das paradoxe Bild der »mathematischen Mystik« auch in der spekulativen Mystik z. B. bei Meister Eckhart229 ein mehrfaches Echo gefunden hat,230 aber ebenfalls bei H. Seuse.231 Ebenso zitiert der Zeitgenosse Eckharts, Thomas Bradwardine, ausführlich den »Liber«.232 Allergrößte Aufmerksamkeit auf das Denkbild ist bei Nikolaus von Kues finden; seinem ganzen Denken, insbesondere was die coincidentia oppositorum angeht, ist damit gleichsam vorgearbeitet. Das vielfältige Vorkommen des Motivs (ohne Benennung seiner Herkunft233) sollen einige wichtige Stellen belegen. Der Cusaner legt die absolute Einheit eines »unendlichen Kreises« (circulus) dar, der zugleich maximum und minimum, principium omnium und finis 228 Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie (H. GMELIN, Dante Alighieri. Die Göttliche Komödie [Italienisch und Deutsch], Bd. VI, dtv 2107, München 1989, 574–576). Zum häufigen Vorkommen der Punkt-Metaphorik bei Dante (und dem Hintergrund) cf. Gmelin, a.a.O. 482 und 484f; zur »ultima sphera« (Par. XXII, 62–67) cf. a.a.O. 398. 229 Cf. dazu FLASCH, Was ist Gott? (wie oben Anm. 165), 77ff. 230 Der Satz wird mit ausdrücklichem Bezug auf den »Liber XXIV philosophorum« (sowie dessen Th. III »deus est totus in quolibet sui« und Th. XVIII [s. o. bei Anm. 173]) und dem Hinweis auf die eigene Auslegung von Ex 16,18 (nr. 90–92) angeführt: Lateinische Werke I, 305,5–8 (nr. 155; zu Gen 2,2). Sodann findet sich ein Hinweis auf die »sphaera intellectualis« (!) LW II, 94,17–95,3 (nr. 91; zu Ex 16,18); hier werden ebenfalls Th. III und XVIII des »Liber« zitiert, und es geht darum, dass es in Gott kein maius oder minus gibt; ebenso LW II, 248,2–4 (nr. 20); cf. auch MAHNKE, a.a.O. (wie oben Anm. 178), 148f Anm. 3. Ähnliches findet sich auch LW III, 527f (nr. 604; zu Joh 14,13): weil in parte totum. Auch in den Sermones kommt Meister Eckhart auf die »unendliche Sphäre« zu sprechen: M. Eckhart, LW 4, 379,13–380,1 (sermo XLV; nr. 458); cf. a.a.O. 457,5 (sermo LV,3; nr. 546) sowie 219,7–9 (sermo XXIV,1; nr. 235): Anwendung des Satzes auf das Verhältnis von Demut und Erhöhung (ebenso nr. 245, LW 4, 225,1–3). 231 H. SEUSE, Deutsche mystische Schriften, hg. von G. Hofmann, Düsseldorf 1966, 184 und 196 (»ein gar weiter Ring«). 232 Nachweis bei MAHNKE, a.a.O. 172 Anm. 6. Zu Bradwardine cf. auch FLASCH, Was ist Gott? (wie oben Anm. 165), 89ff. 233 Obwohl »Hermes Trismegistus« sonst häufig angeführt wird; cf. Nikolaus von Kues, Phil.-theol. Schr. 1, 278.364.528; 2, 660; 3, 8.500.

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omnium ist.234 Zuvor verweist er auf gewisse »alii«, die Gott als »circulus infinitus« bzw. »quasi sphaera infinita« bezeichnet haben.235 Schließlich wird dann die »sphaera infinita« mit der aktualen Existenz Gottes identifiziert,236 und dieser explizit als der Lebendige begriffen: »Omnis enim vivificatio, motus et intelligentia ex ipso, in ipso et per ipsum«.237 Weil aber Gott für die Welt ihr Mittelpunkt und Umkreis ist, gilt auch hier einerseits: »Centrum igitur mundi coincidit cum circumferentia«,238 wie es andererseits zu der überraschenden Pointe kommt: »Unde erit machina mundi quasi habens undique centrum et nullibi circumferentia, quoniam eius circumferentia et centrum est Deus, qui est undique et nullibi«.239 Diese begegnet später noch einmal bei Pascal (s. u. S. 336f). Der »hermetische« Satz von der »sphaera infinita« ist auch von den Renaissance-Denkern immer wieder herangezogen worden.240 Es wurde aber ebenfalls die Phantasie der Schriftsteller angesprochen, wie F. Rabelais beweist: »et, en contemplation de ceste infinie et intellectuelle sphere, le centre de laquelle est en chacun lieu de l’univers, la circonference poinct (c’est Dieu, selon la doctrine de Hermes Trismegistus)« [vom Ziel der Seele].241 Im offensichtlichen Anschluss an den Cusaner242 schreibt dann 1583/1584 Giordano Bruno: »Se il punto non differise dal corpo, il centro da la circon234 Doct. ign. I 21 (Phil.-theol. Schr. 1, 268. Cf. ebenso: Idiot. de sap. II (a.a.O. 3, 470ff) und außerdem zum unendlichen Kreis: Compl. Th. V und X (a.a.O. 3, 666 und 682). 235 Doct. ign. I 12 (a.a.O., Bd. I, 232). In I 13 (a.a.O. 234) fällt der Begriff der »coincidentia«, 236 Doct. ign. I 23 (a.a.O. 274ff) 237 Ebd. (a.a.O. 276). 238 Doct. ign. II 11 (a.a.O. 390ff) 239 Doct. ign. II 12 (a.a.O. 396). Hier knüpft sicher auch G. Bruno an (s. u.). Cf. die Stellungnahmen zu diesem Satz bei H. BLUMENBERG, Aspekte der Epochenschwelle. Cusaner und Nolaner, stw 174, Frankfurt 1976 (erweiterte Neuausg. von: Die Legitimität der Neuzeit, 4. Teil, Frankfurt 1966), 99 und 65. Zu G. Bruno cf. a.a.O. 136f). 240 Er begegnet auch bei Marsilio Ficino, der das »Corpus Hermeticum« sogar ins Lateinische übersetzt hat (cf. E. CASSIRER, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig/Berlin 1927 [Nachdr. Darmstadt 41974], 91 sowie 65 Anm. 1 und 3 bei A. 2.; siehe unten bei Anm. 294). H. Blumenberg zitiert auch Bovillus (De sensibus 4): »Orbis solis est verum mundi medium. Firmamentum et terra extrema sunt mundi. Animae … sedes in medio« (H. BLUMENBERG, Die Genesis der kopernikanischen Welt, stw 352, Frankfurt 1981, 245 mit Anm. 72. 241 F. RABELAIS, Gargantua und Pantagruel, III, 13 (1546). VIn, 48 (posth. 1552; deutsch: c. 49) steht nochmals: »Allez, amis, en protection de ceste sphere intellectuelle de laquelle en tous lieux est le centre et n’a en lieu aucun circonference, que nous appelons Dieu«. 242 Zum Beispiel könnte durch die oben in Anm. 238 angegebene Stelle aus »Doct. ign. II 11« eine Aussage wie: da das All keine Grenze mehr hat, könne es auch keinen Mittelpunkt geben, beeinflusst sein (cf. G. BRUNO, Das Aschermittwochsmahl, Frankfurt 1981, 153).

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ferenza, il finito da l’infinito, il massimo dal minimo: sicuramente possiamo affirmare che l’universo è tutto centro, ò che il centro de l’universo é per tutto, e che la circonferenza non è in parte alcuna per quanto è differente dal centro, ò pur che la circonferenza è per tutto; ma il centro non si trova in quanto che è differente da quella«.243 Der Nolaner hat dies auch dichterisch aufgegriffen: »… erschau ich Deine / Unendlichkeit, die keine Zahl ermißt, / Wo Mittelpunkt und Umfang allwärts ist«.244 In den »Essais« von M. E. de Montaigne findet sich eine analoge Erwähnung: »En la plus fameuse des Grecques escoles,245 le monde est tenu un Dieu faict par un autre Dieu plus grand, et est composé d’un corps et d’une ame qui loge en son centre, s’espandant par nombres de musique à sa circonferance, divin, … eternel«.246 Marie de Gournay, Montaigne’s »fille d’alliance« (Essais II, 17 Ende), hat dann später das Motiv ausdrücklich benannt: »Trismégiste appelle la Déité cercle dont le centre est partout, la circonférence nullepart«.247 M. Luther hat die Formel von Gott als der unendlichen Sphäre (im Zusammenhang göttlicher Allgegenwart) offensichtlich zustimmend angeführt und fügt der Zitation des »Philosophen« einmal hinzu: »Ich wollt, das dj schwermer und der adell von Gott souil wusten alls dieser heide«.248 Auch die altprotestantische Orthodoxie hat sich mit dem Motiv auseinandergesetzt,249 so z. B. J. Gerhard in seinen »Loci theologici« (1610); bei Behandlung der Frage, quomodo deus definiendus, führt er unter Berufung auf Alexander von Hales, der Hermes Trismegistus referiert, die aus der »natür243

De la causa, principio et uno V (Le opera italiane di Giordano Bruno, hg. von P. de Lagarde, Bd. I, Göttingen 1888, 279 = Opere italiane, Bd. I: Dialoghi Metafisici, Bari 1925, 249f = Über die Ursache, das Prinzip und das Eine, RUB 5113, Stuttgart 1986, 133). Cf. V. DI GIOVANNI, Sopra una sentenza di G. Bruno, in: Filosofia di scuole italiena 9 (1879), 97–101. Die angeführten Sätze werden auch von F. H. Jacobi zitiert (cf. F. H. JACOBI, Beylagen zu den Briefen über die Lehre des Spinoza, in: ders., Werke, hg. von F. Roth/F. Koeppen, Bd. IV/2, Leipzig 1819 [Nachdr. Darmstadt 1968], 37f) sowie von HEGEL, Werke 20, 31. 244 Sonett (Übers. Carriére); zitiert nach H. SCHWARZ, Der Gottesgedanke in der Geschichte der Philosophie, Bd. I, Synthesis 4/1, Heidelberg 1913, 452; cf. 519. 245 Gemeint ist wohl die Akademie und insbesondere Platons »Timaios«. 246 M. E. DE MONTAIGNE, Essais II, 12, hg. von A. Thibaudet, Bibliothèque de la Pléiade 40, Paris 1950, 644; cf. deutsch: Übers. H. Stilett, Frankfurt 1998, 285. 247 M. DE GOURNAY, Préface à Essais de Montaigne (1595). Bei M. E. de Montaigne selber scheinen weder Hermes Trismegistus noch Alanus vorzukommen; Pascal könnte aber durch die Stelle der Gournay angeregt worden sein. 248 WA.TR 2, 200,14 (Nr. 1742) und 266,17f (Nr. 1936). 249 Eine ironische Anwendung berichtet J. W. Zincgref: »Melanchthonem pflegt er [der Historiker Abr. Bucholcerus] einen Circul zu nennen, dessen Mittelpunct in dem Württembergischen Revier were, der umkreiß aber sich durch das gantze Europa herumbhero zöge« (J. W. ZINCGREF, Apophthegmata teutsch, I, Nachdr. Boston 2011, 202).

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lichen Vernunft« genommene Definition Gottes zustimmend an: »Deus est sphaera intellectualis, cuius centrum est ubique, circumferentia vero nusquam«.250 In seiner berühmten »Religio medici« (1642) hat Thomas Browne die treffende Bemerkung gemacht, die ein religiöses Gefühl für die unendliche Lebendigkeit Gottes verrät: »Jene bildhafte Umschreibung des Hermes sagt mir mehr als alle metaphysischen Definitionen der Theologie«.251 Im neunten Buch von John Miltons »Paradise lost« (1667) stößt man auf Verse, die das traditionsreiche Motiv dichterisch in Anspruch nehmen (in einer Anrede Satans an die Erde): »… as God in heaven / Is centre, yet extends to all, so thou / Centring receiv’st from all those orbs«.252 Von besonderer Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte der »sphaera infinita« dürfte die Bezugnahme von Blaise Pascal gewesen sein. In einem der wichtigsten Texte der »Pensées« (posthum 1669) schreibt er über das All: »C’est une sphère infinie dont le centre est partout, la circonférence nulle part.«253 Zugleich stellt er sofort eine ähnliche Verbindung zu Gott her, wie sie bei Nikolaus von Kues schon zu beobachten war:254 »Enfin c’est le plus grand caractère sensible de la toute-puissance de Dieu; que notre imagination se perde dans cette pensée.«255 »Allmacht« versteht Pascal hier als die lebendige Macht der coincidentia oppositorum; nachdem vom »centre des choses« und »leur circonférence« die Rede war, heißt es dann: »Ces extrémités se touchent et se réunissent en Dieu, et en Dieu seulement.«256 Von »lebendiger« Allmacht ist deswegen zu

250 J. GERHARD, Loci theologici, loc. II, c. V., § 91 (hg. von E. Preuss, Bd. I, Berlin 1863, 286a). Gerhard verteidigt die hermetische Definition gegen die Kritik von J. C. Scaliger (cf. ebd.). 251 TH. BROWNE, Religio medici I, 10 (dt. Ausgabe hg. von W. v. Koppenfels, Berlin 1978, 23). 252 IX, 107–109. Hier scheint die Mittelpunktstellung der Erde noch zu gelten, während Pascal schon von deren Verlust ausgeht. 253 PASCAL, Frgm. 72 (Brunschvicg). Cf. E. HAVET, Pensées de Pascal, Paris 1852. 254 Cf. oben bei Anm. 238 und 239. 255 PASCAL, Frgm. 72. Pascal denkt also Gottes Allgegenwart von seiner Allmacht her (cf. unten § 12). Den unendlichen Raum hat noch I. Newton als »sensorium« Gottes definiert (I. NEWTON, Treatise of optics, q. 28, in: ders., Opera, London 1779, 238); ähnlich ist bei H. More und R. Clarke der Raum ein Ausdruck göttlicher Allgegenwart. Bei I. Kant heißt es: »ideoque spatium, quod est conditio universalis et necessaria compraesentiae omnium sensitive cognita, dici potest OMNIPRAESENTIA PHAENOMENON« (I. KANT, De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis [1770], in: Kant-AA 2, 410,1– 3). 256 PASCAL, Frgm. 72. Cf. die konkretisierende (allgemeine) Aussage: »On se montre … sa grandeur … en touchant les deux [sc. extrémités] à la fois, et remplissant tout l’entre-deux« (Frgm. 353).

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reden, weil Pascal hier ebenfalls, wie schon der Cusaner,257 eine Bewegung von »überall« zu »nirgends« (und umgekehrt) annimmt; um zu demonstrieren, dass Gott zugleich unendlich und ohne Teile sei, formuliert er die Analogie: »C’est un point se mouvant partout d’une vitesse infinie; car il est un en tous lieux et est tout entier en chaque endroit.«258 Die »unendliche Sphäre« ist damit in ihrer unendlichen Dynamik beschrieben.259 Interessant dürfte auch sein, dass das gegenseitige Sich-Umgreifen von Umkreis und Mittelpunkt sich für Pascal auch anthropologisch reflektiert: »par l’espace, l’univers me comprend et m’engloutit comme en point; par le pensée, je le comprends«.260 Der Philosoph G. W. Leibniz – er schätzte Pascal hoch – nimmt das quasimathematische Denkbild von Gott in einer späten Schrift so auf, dass er die Allgegenwart mit der Allwissenheit verknüpft:261 »Dieu seul a une connoissance distincte de tout, car il en est la source. On a fort bien dit, qu’il est comme centre partout; mais sa circomference n’est nulle part, tout luy étant present immediatement, sans aucun eloignement de ce Centre.«262 Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert taucht das in Rede stehende Motiv ebenso bei den nachkantischen (spekulativen) Philosophen wie bei den Dichtern der Klassik und Romantik wieder auf. Dazu folgen einige Hinweise. G. Ch. Lichtenberg notiert in seinen »Sudelbüchern« kommentarlos (vielleicht als Kuriosum?): »Man bat jemanden (erzählt Müller in seiner ersten 257

Cf. zum »absolutus motus« oben Anm. 132. PASCAL, Frgm. 231. »Unendliche Geschwindigkeit« besagt logisch ein Immerschon-übergegangen-Sein, d. h. ein Sein bei dem Einen als Sein beim Anderen. Gegen eine unendliche Geschwindigkeit bei einem platonisch als kugelförmig (rutundum), weil so in der schönsten Form, vorgestellten Gott hat sich Cicero gewendet (De nat. deor. I, 24). 259 Cf. M. DE GANDILLAC, Sur la sphère infinie de Pascal, in: Revue d’Histoire de la philosophie et d’Histoire générale de la civilisation 33 (1943), 32–45 sowie L. GOLDMANN, Der verborgene Gott, stw 491, Frankfurt 1985, 345f. Cf. auch J. L. BORGES, Die Sphäre Pascals (dazu s. u.). Schon G. Leopardi hat in seinem »Zibaldone« mehrfach auf das von Pascal erkannte paradoxe Verhältnis von Unermesslichkeit des Universums und Kleinheit des Menschen darin hingewiesen; er hielt Pascals Einsichten für spezifisch modern (cf. G. LEOPARDI, Das Gedankenbuch, hg. von H. Helbling, dtv 2306, München 1992, 34 und 444 mit 267. Interessant wäre der Vergleich mit Leopardis berühmtem Gedicht »L’infinito«. 260 Frgm. 348. Zu diesem »roseau pensant« cf. schon oben Anm. 197 (Angelus Silesius). Ähnlich wie Pascal schon Ch. de Bovelles: »Omnia siquidem est mundus: scit tamen novitque nichil. Porro exiguum et fere nichil est Homo: scit attamen novitque universa« (CH. DE BOVELLES, Liber de sapiente, Paris 1510, c. 19, p. 127v). J. G. Fichte hat das »ganze unermeßliche All« als matten Abglanz des geistigen Ich gedeutet (J. G. FICHTE, Appelation an das Publikum …[1799], in: Johann Gottlieb Fichte-Gesamtausgabe, hg. von R. Lauth/H. Gliwitzki, Bd. I/5, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, 451,19–26. 261 Cf. unten § 12 A. 2. (S. 658ff). 262 G. W. LEIBNIZ, Principes de la nature et de la grace, fondés en raison, 1718, § 13. 258

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Anmerkung zu Kopernikus Revolution) eine Definition von Gott zu geben: Gott ist, sagte er, eine Kugel, deren Mittelpunkt überall und Oberfläche nirgends ist«.263 Ch. M. Wieland spricht im 2. Bande seines Romans »Aristipp« (1800/ 1802) kritisch von dem »Hermetische[n] Cirkel, dessen Mittelpunkt überall, und dessen Umkreis nirgends ist, mit Einem Worte, das Unendliche«.264 Eine Anspielung immerhin findet sich bei Goethe: »Die Natur hat kein System, sie hat, sie ist Leben und Folge aus einem unbekannten Zentrum zu einer nicht erkennbaren Grenze. Naturbetrachtung ist daher endlos, man mag ins Einzelne teilend verfahren oder im Ganzen nach Breite und Höhe die Spur verfolgen«.265 Dazu stimmt, was in naturphilosophischer Perspektive H. Steffens vorher bereits formuliert hatte: »Das Absolute ist als eine Kugel anzuschauen, deren Peripherie ins Unendliche, also nirgends, deren Centrum allenthalben ist; für die endliche Reflexion ist vielmehr die Peripherie allenthalben und das Centrum in einer unendlichen Ferne, d. h. nirgends. Da aber die Peripherie ohne eine wirkliche Beziehung auf das Centrum, für die endliche Reflexion da ist, so ist sie überhaupt nicht als Peripherie, sondern als eine unendliche Menge gerader Linien anzusehen«.266 Weiterhin findet sich bei W. v. Humboldt die Anwendung des Motivs auf die Kunst: Der Künstler versetzt uns in eine »Region, in welcher jeder Punkt das Centrum des Ganzen und mithin dieses schrankenlos und unendlich ist«.267 263

G. CH. LICHTENBERG, Heft L 95 (1796–1799), in: ders., Schriften und Briefe, hg. von W. Promies, Bd. I, München 31980, 864f. Lichtenberg bezieht sich auf: NICOLAUS MULERIUS, Copernici astronomia instaurata cum notis, Amsterdam 1617: »… respondit: deum esse sphaeram, cuius centrum sit ubique, superficies nusquam«. 264 CH. M. WIELAND, 33. (Aristipp an Eurybates), in: ders., Sämmtliche Werke, hg. von J. G. Gruber, Bd. 23, Leipzig 1857, 274. Vom »gestaltlosen Urschönen, das allenthalben und nirgends ist« ist a.a.O. 279 die Rede. Es geht um Platons »Symposion«. 265 J. W. GOETHE, Problem und Erwiderung (1823), in: ders., GA 17, 177 (= Naturwissenschaftliche Schriften II). J. König hat dazu kritisch angemerkt, das sei sehr unkritisch gedacht, weil die Naturbetrachtung nur deswegen im Endlichen bleiben muss, »weil sie selbst im Unendlichen ist« (J. KÖNIG, Der Begriff der Intuition, Halle/Saale 1926 [Nachdr. Hildesheim 1981], 207f Anm. 3). Dasselbe gelte für Goethes Wahlspruch: »Willst du ins Unendliche schreiten, / Geh nur im Endlichen nach allen Seiten« (J. W. GOETHE, Gott, Gemüt und Welt [9, cf. aber Nr. 10], in: a.a.O., Bd. 1, 410). J. König findet aber wirkliche Bezüge zu B. Spinozas Lehrsatz: »Quo magis res singulares intelligimus, eo magis Deum intelligimus« (B. SPINOZA, Ethik, Pars V, propos. XXIV.). 266 H. STEFFENS, Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft, Berlin 1806, 19f. Cf. dazu R. LOTE, Les origines mystiques de la science »allemande«, Paris 1913, 201. 267 W. V. HUMBOLDT, Ueber Göthes Herrmann und Dorothea IX. (1798), in: ders., GS 2, 137. Die Stelle wird ausdrücklich zur »sphaera infinita« der hermetischen Tradition in Beziehung gesetzt von T. BORSCHE, Wilhelm von Humboldt, Beck’sche Reihe 519, München 1990, 130.

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Es war F. v. Schlegel, der die unendliche Sphäre schließlich auf die Philosophie selber bezogen hat: »Die Philosophie ist ein Zirkel, dessen Centrum überall und dessen Peripherie nirgends ist«.268 Blickt man auf die maßgeblichen Philosophen der Zeit, so macht F. W. J. Schelling nur anspielungsweise von dem Motiv Gebrauch. In der Abhandlung »Ueber das Verhältniß des Realen und Idealen in der Natur« (1798) heißt es: »Von Gott sagt ein Ausspruch des Alterthums: er sey dasjenige Wesen, das überall Mittelpunkt, auch im Umkreis ist, und daher nirgends Umkreis.«269 In Bezug auf das Absolute als ewiges »Band« unendlichen göttlichen Sich-selberWollens (als Liebe) heißt es dann: »Dieß Band, das alle Dinge bindet und in der Allheit Eins macht, der überall gegenwärtige, nirgends umschriebene Mittelpunkt, ist in der Natur als Schwere.«270 Auch Schelling sucht also Spuren göttlicher Allmacht in der natürlichen Welt auf, die er als »Abdruck« des ewigen Sich-selber Wollens des Absoluten begreift.271 Ein weiteres (entferntes) Echo272 findet sich in der späten »Philosophie der Mythologie«, was die »Astralreligion« betrifft. Nach Schelling schaut das (als Zentrum gedachte) menschliche, religiöse Bewusstsein sich in den als göttlich erfahrenen Sternen selber an, und das führt zu dem Satz: »Denn auch die Sterne sind ja nichts als ebenso viele peripherisch gesetzte Centra, an denen eben deßhalb die ursprüngliche Tendenz, Centrum, ausschließlich Seyendes zu seyn, noch immer … erscheint, und der Grund der immerwährenden, unablässigen Bewegung ist«.273 G. W. F. Hegel kommt im Zusammenhang seiner Hamann-Rezension (1828) auf das Motiv zu sprechen, und zwar in (wohl assoziativer) Anknüpfung an ein Dictum Hamanns,274 das er im Sinne seine eigenen spekulativen Philosophie wendet:275 »Hamann hat sich seinerseits die Mühe nicht gegeben, 268

Zitiert nach: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von E. Behler u. a., 2. Abt., Bd. XII, hg. von J.-J. Anstett, Paderborn u. a. 1964, 10ff (Kontext!). 269 F. W. J. SCHELLING, Von der Weltseele, in: ders., SW I/2 [ 31809], 363 = Nachdr. 417). 270 A.a.O. 363 (= 418). 271 Cf. a.a.O. 362 (= 416). 272 Eher konventionell ist die Aussage über den mathematischen Punkt, »den man als den Kreis in potentia ansehen kann« und in dem sich »Mittelpunkt, Umkreis und Durchmesser« nicht ausschließen (F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Mythologie I [3. Vorl.], in: ders., SW 11, 318. Zur Begründung gibt Schelling in einer Fußnote an: »Weil die Größe des Durchmessers gleichgültig, so kann er [sc. der Kreis] auch als unendlich klein gedacht werden« (ebd.). 273 SCHELLING, Philosophie der Mythologie II (9. Vorl.), in: ders., SW 12, 178 (Hervorh. J. R.). 274 Hamann will es jedem Leser überlassen, »die geballte Faust in eine flache Hand zu entfalten« (J. G. HAMANN, SW 3, 289,23f) – ein selber traditionsreiches, von Zenon über Cicero bis zu Montaigne nachweisbares Motiv; cf. dazu auch HEGEL, Werke 19, 269f. 275 Hegel spricht schon vorher – ohne den Cusaner zu kennen – von der Bedeutung des (G. Bruno zugeschriebenen) principium coincidentiae für Hamann (siehe oben bei

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welche, wenn man so sagen könnte, sich Gott, freilich in höherem Sinne, gegeben hat, den geballten Kern der Wahrheit, der er ist (alte Philosophen sagten von Gott, daß er eine runde Kugel sei), in der Wirklichkeit zu einem Systeme der Natur, … des Staats, der Rechtlichkeit und Sittlichkeit, zum Systeme der Weltgeschichte zu entfalten, zu einer offenen Hand, deren Finger ausgestreckt sind, um des Menschen Geist damit zu erfassen und zu sich zu ziehen, welcher ebenso … ein entfaltetes System einer intelligenten Organisation (ist), dessen formelle Spitze das Denken ist, d.i. seiner Natur nach die Fähigkeit, über die Oberfläche der göttlichen Entfaltung zuerst hinaus- oder vielmehr in sie … hineinzugehen und dann daselbst die göttliche Entfaltung nachzudenken: eine Mühe, welche die Bestimmung des denkenden Geistes an und für sich und die ausdrückliche Pflicht desselben ist, seitdem ER sich selbst seiner geballten Kugelgestalt abgetan und sich zum offenbaren Gott gemacht … hat«.276 Entsprechend heißt es von der Einheit der »Idee« in der Philosophie, die wie »ein Leben, ein Puls durch alle Glieder schlägt«: »So ist die Idee der Mittelpunkt, der zugleich die Peripherie ist, der Lichtquell, der in allen seinen Expansionen nicht außer sich kommt, sondern gegenwärtig und immanent in sich bleibt«.277 Schließlich findet sich unser Motiv auch bei dem süddeutschen Philosophen F. X. v. Baader. Er spricht davon, dass das Zentrum sich in der Peripherie äußerlich mache und so nicht eingeschlossen sei, sondern als »wahres« Centrum das allein Freie und wenngleich nicht peripherielos, so doch »peripheriefrei« sei.278 Auch der katholische Denker Anton Günther formuliert: »Immer und ewig ist der Punkt in der Peripherie das Ende des Radius, und dieser das verlängerte Centrum, folglich Peripherie und Centrum wesentlich Eins oder Wesensgleich«.279 Das alte Denkbild wir hier mathematisch präzisiert bzw. geometrisch konkretisiert: als ewiges Gesetz. Natürlich hat auch die spekulative Theologie des Protestantismus im 19. Jahrhundert das Motiv für die Unendlichkeit Gottes in Anspruch genommen, so z. B. R. Rothe: »Annäherungsweise ist das alte Wort immer noch das Anm. 126) und gesteht zu: »Man sieht, daß die Idee, das Koinzidieren, welche den Gehalt der Philosophie ausmacht …« (HEGEL, Werke 11, 330); cf. oben bei Anm. 126. 276 HEGEL, Werke 11, 330f. 277 HEGEL, Werke 18, 47; ebenso: 20, 477. Anders wird das Bild a.a.O. 18, 400, gewendet. Auf die parmenideische »wohlkreisende Kugel« (s. o. bei Anm. 167) bezieht sich Hegel a.a.O. 290 (zu Zenon: 298). 278 F. X. V. BAADER, Fermenta Cognitionis VI,1, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. II, Leipzig 1851 (Nachdr. Aalen 1963), 350; cf. a.a.O. 500f (Fn.) und Bd. XII, 403. 279 A. GÜNTHER, Janusköpfe für Philosophie und Theologie, Wien 1834, 408. Zu analogen Überlegungen bei Plotin cf. W. BEIERWALTES, Identität und Differenz, Frankfurt 1980, 239 und Anm. 129.

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Treffendste: Deus est sphaera, cujus centrum ubique, circumferentia nusquam«.280 Eine entsprechende Anspielung darf man bei Ph. K. Marheineke finden, wenn er vom Prinzip der Wissenschaft (als wahrhaftem Zentrum) sagt: »Als Centrum ist es nicht ohne seine Peripherie, sondern wirklich eben nur in dieser. In diesem seinen sich von sich Unterscheiden und Ausbreiten ist es die reine Negativität«.281 Erinnert sei gleichfalls an F. Nietzsches Dictum: »Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit«.282 Gleichfalls haben die Dichter im 19. Jahrhundert sich des Motivs angenommen.283 So diskutiert E. A. Poe in »Heureka« (1848) unter ausdrücklichem Bezug auf Pascal den Satz von Allmittelpunkt und Unendlicher Sphäre im Zusammenhang mit dem Gottesgedanken als Aussage über das »Universum des Raumes«.284 Eine Anspielung bzw. ein wörtlicher Anklang an Pascal findet sich bei Charles Baudelaire in dem Gedicht »Le Voyage«, das das menschliche Geschick in diesem Kontext thematisiert: »Singulière fortune où le but se déplace, / Et, n’étant nulle part, peut être n’importe où!«.285 Wendet man sich dem 20. Jahrhundert zu, so finden sich ebenfalls immer wieder Bezugnahmen auf die »sphaera infinita«. So heißt es bezüglich einer Romanfigur von ihrem Gefühl leidenschaftlicher Liebe zu einem Mädchen und der Nähe zu Gott bei John Cowper Powys: »es war, als wäre von seinem Höheren Wesen, dessen Zentrum überall und dessen Peripherie nirgends war, ein unendlich kleines Fragment abgeschlagen worden, so daß ein winziger Spalt allzu süßer, allzu kostbarer Zeit im Busen des Ewigen hinterblieben war!«.286 »Die Sphäre Pascal« hielt J. L. Borges für eine der wichtigsten Metaphern in der Geschichte, und sie hat ihn, den an spekulativer Mystik interessierten

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ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 70), 211 (Fn.). PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 52 (§ 91), Hervorh. J. R. 282 F. NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra III (1884): Der Genesende 2, in: ders., KSA 4, 273,4f. 283 Cf. G. POULET, Metamorphosen des Kreises in der Dichtung, Frankfurt 1966. 284 E. A. POE, Werke, hg. von K. Schumann/H. D. Müller, Bd. II, Olten 1967, 921f (= Das gesamte Werk in zehn Bänden, Herrsching 1979, Bd. V). Die Übersetzung stammt von Arno Schmidt. 285 CH. BAUDELAIRE, Les Fleur du Mal (1857/1861), Nr. CXXVI (II), in: ders., Sämtliche Werke und Briefe, hg. von F. Kemp, Bd. III, München 1975, 330,29f. Vorher ist von »Kreis und Kugel« die Rede (Str. 1). Ausdrücklich und mit Namensnennung bezieht Baudelaire sich auf Pascal in dem Gedicht »Le Gouffre« in: DERS., Nouvelles Fleurs du Mal (1866/1868), Nr. IX (a.a.O., Bd. IV, 94f). 286 J. C. POWYS, Weymouth Sands (1934), 14. Kap. (deutsche Ausgabe: Der Strand von Weymouth, München 1999, 528f). 281

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Literaten, immer wieder beschäftigt.287 So findet sich auch in der kafkaesken Erzählung »Das Aleph« die Stelle: »um die Gottheit zu bezeichnen, spricht … Alanus de Insulis von einem Kreis, dessen Mittelpunkt überall, dessen Umfang aber nirgendwo ist«.288 Zuerst taucht das Motiv bei Borges wohl in einer seiner berühmtesten Erzählungen, »Die Bibliothek von Babel«, auf: »Ich behaupte, daß die Bibliothek unendlich ist. … (Die Mystiker behaupten, die Ekstase offenbare ihnen ein kreisförmiges Gemach, mit einem großen kreisförmigen Buch, dessen Rücken rund um die Wand läuft; aber ihr Zeugnis ist verdächtig; ihre Worte sind dunkel. Dieses zyklische Buch ist Gott.) Hier und jetzt will ich den klassischen Spruch zitieren: Die Bibliothek ist eine Sphäre, deren eigentlicher Mittelpunkt jedes beliebige Sechseck und deren Umfang unzugänglich ist«.289 Hier findet man eine Umformung des klassischen Motivs ins Sprachliche angedeutet.290 Der Borges vielfach verpflichtete291 Autor U. Eco hat das fragliche Motiv in seinem Roman »Das Foucaultsche Pendel« ins Groteske gewendet: »man pellt das Universum wie eine Zwiebel, und eine Zwiebel ist nichts anderes als Pelle; denken wir uns eine endlose Zwiebel, die ihr Zentrum überall hat und ihre Außenhaut nirgends. Initiation ist endlos …«.292 Freilich steckt hinter dem spaßhaften Beispiel ein ernsthaftes philosophisches Problem: das des Verhältnisses von Eigenschaften zu ihrem »substanziellen« Kern oder Träger.293 Wenden wir uns diesen Überblick abschließend noch einigen neueren philosophischen und theologischen Denkern zu. Hier ist zunächst W. Benjamin zu nennen; er kommt in seinem »Ursprung des deutschen Trauerspiels« (1925) auf das Motiv mit einem Zitat von Marsilio Ficino über die Melancholie zu sprechen, der das alte Sinnbild für eine neue Analogie von Schwerkraft und gedanklicher Konzentration in Anspruch genommen habe.294 Das Zitat lautet: »Naturalis autem causa esse videtur, quod ad scientias, praesertim difficiles consequendas, necesse est animum ab externis ad interna, tamquam a circumferentia quadam ad centrum sese recipere atque, dum speculatur, in ipso (ut ita dixerim) hominis centro stabilissime permanere. Ad centrum vero a circumferentia se colligere figique in centro, maxime terrae ipsius 287 So zählt er in dem gleichnamigen Essay von der Antike und Alanus beginnend einige Stationen der Rezeptionsgeschichte auf (J. L. BORGES, Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Frankfurt 1992, Bd. VII: Inquisitionen, Fischer Tb 10583, 15ff). Cf. auch den Beitrag »Pascal« im selben Band (a.a.O. 109ff), bes. 110. 288 BORGES, a.a.O., Bd. VI: Das Aleph, 143. 289 BORGES, a.a.O., Bd. V: Fiktionen, 68. 290 S. u. zu Liebrucks bei Anm. 300. 291 Man denke nur an seinen Roman »Der Name der Rose«! 292 U. ECO, Das Foucaultsche Pendel, dtv 11581, München 1992, 800. 293 Es wird theologisch bei der sog. Eigenschaftslehre relevant; cf. unten § 7. 294 Zu Marsilio Ficino s. o. Anm. 240; zur Schwerkraft oben bei Anm. 270.

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est proprium, cui quidem atra bilis persimilis est. Igitur atra bilis animum, ut se et colligat in unum et sistat in uno comtempleturque, assidue provocat. Atque ipsa mundi centro similis ad centrum rerum singularem cogit investigandum, evehitque ad altissima quaeque comprehendenda«.295 In freilich einseitiger Bewegungsrichtung (von aussen nach innen) aufgenommen, wird hier das Motiv für den Zusammenhang von (menschlichem) Mikrokosmos und Makrokosmos in Anspruch genommen. Der Essayist und Kulturphilosoph R. Kassner gibt dem Motiv eine eigene Wendung und charakterisiert das Allgemein-Menschliche mit Bezug auf den Sachverhalt, dass hier »eine Mitte stets in einer anderen, umfassenderen eingeschlossen liegt, bis schließlich im Unendlichen sozusagen keine oder nur eine göttliche [sc. Mitte] vorhanden sei« (Thomas de Quincey (1939), in: Sämtliche Werke, Band 8 (1986), 540). Damit wird jede endliche Mitte als von konzentrischen Kreisen umgeben vorgestellt, um als göttliche Mitte schließlich mit der allumfassenden Peripherie jener Kreise zusammen zu fallen und so im Unendlichen zu sein. Theologisch ist die unendliche Sphäre im Zusammenhang von Gottes Allgegenwart bei K. Barth lediglich en passent notiert (und als zu formal kritisiert): »An dem Paradoxon des ›philosophus‹ Hermes Trismegistus pflegte sich die alte Dogmatik an dieser Stelle gerne zu erbauen: Deum esse sphaeram intellectualem, cuius centrum est ubique, περιφέρεια vero nusquam«.296 P. Tillich führt als Lehre des Nikolaus Cusanus an, »daß Gott in allem ist, sowohl im Zentrum als auch an der Peripherie«.297 Auch in das japanische Denken hat das Motiv Eingang gefunden, der Hauptvertreter der Kyoto-Schule, der Philosoph Kitaro Nishida, schreibt: »Ich habe den ›Ort‹ als die Selbstidentität der sich absolut Widersprechenden, nämlich die Welt der absoluten Gegenwart … oft mit einer Kugel verglichen, die einen unendlichen Durchmesser hat. Sie hat keinen Umkreis, das Zentrum hat sie überall.«298 Wiederum ganz anthropologisch gewendet, findet sich die Sache anspielungsweise bei H. Plessner, um ein wesentliches Motiv seiner Philosophie zu

295

W. BENJAMIN, Gesammelte Schriften I/1, Frankfurt 1974, 330f (zur Kugel); Marsilio Ficino wird dort zitiert nach: De vita triplici I (1482), 4, in: Marsilii Ficini opera, Basel 1576, 496. 296 BARTH, KD II/1 [1940, 31948], 530. 297 TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben S. 302 Anm. 41), 318. 298 K. NISHIDA, Was liegt dem Selbstsein zugrunde?, in: Y. Seiichi/U. Luz (Hgg.), Gott in Japan, München 1973, 104f; zitiert nach: DERS., Die Logik des Ortes und die religiöse Weltanschauung (1946), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 11, Tokyo 1965, 393–412. Cf. auch den Satz: »daß Gott nirgends in dieser Welt ist, aber auch zugleich, daß Gott überall da ist« (a.a.O. 99).

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bezeichnen: »Diese Position, Mitte und an der Peripherie zugleich zu sein, verdient den Namen der Exzentrizität«.299 Für eine sprachliche Deutung des alten Denkbildes plädiert sozusagen indirekt der Philosoph Bruno Liebrucks, wenn er vom »Sphairos der Sprache« redet.300 Durch Jesus von Nazareth, der sich als Menschensohn »utopisch« in das Oben (des Himmels) eingesetzt habe, ist es für E. Bloch zu Folgendem gekommen: »Gott, der eine mystische Peripherie war, ist zum menschgemäßen, menschidealen Mittelpunkt geworden, zum Mittelpunkt an jedem Ort der Gemeinde, die in seinem Namen sich versammelt«.301 Eine christliche Neubestimmung der göttlichen Allgegenwart, die (für Luther seit Inkarnation und Auferstehung Jesu) die ewige Ubiquität des Menschen Jesus einschließt, ist hier, wenn auch distanziert, zumindest wahrgenommen. Auch für ein künstlerisches Empfinden hat die coincidentia oppositorum ihren intellektuellen und theologischen Reiz, wie eine Aussage von Alfred Brendel belegt: »Ich hatte zum Beispiel eine merkwürdige philosophische Vorstellung, ohne daß ich Philosophen gelesen hätte – mich haben damals schon die Gegensätze fasziniert: Die Vorstellung einer Kugel, die aus lauter Gegensätzen besteht. Das Zentrum ist das, was man sich unter Gott vorstellt«.302 Eine ungemein breite und materialreiche Erörterung findet sich neuerdings bei P. Sloterdijk: »Deus sive sphaera oder: das explodierende All-Eine«.303 Damit sei dieser Überblick abgebrochen.

299 H. PLESSNER, Lachen und Weinen (1941), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. VII, stw 1630, Frankfurt 2003, 374. 300 B. LIEBRUCKS, Erkenntnis und Dialektik, Den Haag 1972, 167. Cf. oben zu W. v. Humboldt (bei Anm. 267) und J. L. Borges (bei Anm. 287). 301 E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung, Bd. III, Frankfurt 1959; 1967, 1487. Später heißt es, die Quadrate der Figur des heiligen Ortes (Tempel von Jerusalem) seien »in einer umgekehrten Quadratur des Zirkels wieder in einen Kreis verwandelt; woher die Definition, die bis zu Eckhart und Cusanus reicht: ›Deus est sphaera intelligibilis,[etc.]‹« (a.a.O. 1586). 302 A. BRENDEL, Ausgerechnet ich. Gespräche mit Martin Meyer, München 2001, 35. Vielleicht ist die Vorstellung doch über F. Mauthner an Brendel gelangt. 303 P. SLOTERDIJK, Sphären, Bd. III, Frankfurt 1999, Kap. 5, 465–592.

§ 5 Der Allmächtige Gottes Allmacht ist die vollkommene Selbstmächtigkeit seines inneren und äußeren Lebensprozesses und so absolutes mit sich Einig-Bleiben in aller Selbstentfaltung.

A. Einleitung »Der Allmächtige« – das ist der gottheitliche Name κατ’ ἐξοχήν, denn er charakterisiert die Gottheit Gottes (auch schon biblisch) exklusiv und spezifisch.1 Wer nicht schlechthin allmächtig ist, ist nicht Gott, der Eine und Einzige, absolut »der Herr« (ὁ κύριος).2 Wenn irgendein Begriff unmittelbar auf Gott selber führt, so der des Allmächtigen.3 Mit diesem Gottesnamen ist zum einen der personale Charakter Gottes unterstrichen.4 Ihn unterstreicht auch das feierliche Credo der Kirche, indem es den Vaternamen Gottes (und sein Schöpfersein) damit verbindet: »Credo in unum Deum, patrem omnipotentem (πατέρα παντοκράτορα), factorem coeli et terrae …«5 Dies geht indes schon auf Jesus selber zurück (Mk 14,36), dem Paulus darin folgt.6 Zum anderen unterstreicht die Rede von All-macht, dass nichts der Macht Gottes entgehen oder entkommen kann (cf. Ps 139,7–10); sie übergreift unentrinnbar alles, was ist und geschieht, so wie die Macht des Schöpfers sich auf Himmel und Erde erstreckt. So ist der Allmächtige der θεὸς πάντων (Sir 50,22): aller oder von allem.7 So auch entspricht der Schrankenlosigkeit seiner Macht genauestens das absolute Eins-Sein Gottes (mit 1

Cf. BARTH, KD II/1, 587. Cf. 1Kor 8,6a und unten § 14. In 3Makk 2,2 stehen »Alleinherrscher« (µόναρχος) und »Allmächtiger« (παντοκράτωρ) bezeichnend nebeneinander. 3 Nach M. Bachmann handelt es sich um eine »in sich hinreichende Gottesbezeichnung« (M. BACHMANN, Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zu Rezeption, Funktion und Konnotationen des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons pantokrator, SBS 188, Stuttgart 2002, 162. 4 Dieser findet schon in den Machtaussagen des Alten Testaments besondere Aufmerksamkeit; cf. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 152. 5 Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum (BSLK 26,3f); ähnlich das Apostolische Glaubensbekenntnis (a.a.O. 21,7f). 6 2Kor 6,18 (im Zusammenhang eigenen Redens Gottes). 7 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 162. 2

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sich).8 Darum ist Gottes Allmacht – und sogar primär – als seine unbedingte Selbstmächtigkeit zu denken.9 Freilich gilt es für die christliche Gotteslehre, auch angesichts der oft scharfen Kritik am Allmachtsgedanken,10 hier einen methodischen Irrweg zu vermeiden, den bereits H. Cremer so zu kennzeichnen Anlass hatte: »Alle Fehler, die bei der Erörterung der Allmacht Gottes begangen werden, hängen damit zusammen, dass man nicht von der Wirklichkeit derselben ausgeht, wie sie sich uns in der Selbstbethätigung Gottes in seiner Offenbarung zu erkennen und zu erleben gibt, sondern dass man ihre Erkenntnis a priori zu gewinnen sucht«.11 Es ist auch für unser Verfahren nur konsequent, von den einschlägigen biblischen Aussagen den differenzierten Zugang zur Thematik dieses Paragraphen zu gewinnen; zugleich aber gilt es auch, den theologischen Gedanken der Allmacht sachlogisch zu begreifen.

B. Biblische Zugänge Auch der antiken Religion und Philosophie ist die Vorstellung göttlicher Allmacht nicht fremd, wenn auch nicht allzu geläufig. Sie findet sich schon bei Homer über Zeus ausgesprochen: δύναται … ἅπαντα,12 und bei Platon heißt es von jedem der Götter: ἄριστος ὢν εἰς τὸ δυνατόν.13 Pater omnipotens kommt, auf Ennius zurückgehend, für Jupiter bei Vergil14 und Ovid vor.15 Aber für die christliche Gotteslehre bleiben doch die differenzierteren Aussagen der

8 S. o. § 3 (S. 286 Anm. 230). Nach J. Baucke-Ruegg folgt der Allmachtsgedanke direkt aus der »Logik des Monotheismus« (J. BAUCKE-RUEGG, Die Allmacht Gottes. Systematisch-theologische Erwägungen zwischen Metaphysik, Postmoderne und Poesie, TBT 96, Berlin/New York 1998, 378). 9 Siehe dazu besonders unten Abschnitt F. (S. 365ff). Das (vielleicht für das Alte Testament gültige) Urteil, Gottes Macht sei »nicht selbstbezüglich« zu verstehen, ist von daher von der Sache her nicht aufrechtzuerhalten. 10 Cf. die Beispiele bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 149f Anm. 2 (oft im Namen der Liebe Gottes: a.a.O. 150 Anm. 6); zu H. Jonas cf. a.a.O. 150 und unten Anm. 154. 11 H. CREMER, Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes (1897, 21917), hg. von H. Burkhardt, STM 12, Gießen 2005, 83, zitiert nach FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 150f. 12 Homer, Od. IV 237; cf. ähnlich X 306; XIV 445. 13 Platon, Politeia II, 381c 8; eine minimale Machtaussage: Nomoi X, 901d 8f. 14 Vergil, Aen. I 60; X 100; XII 178; cf. Iuppiter omnipotens: II 689; IV 206; V 687; IX 625. Von Zeus heißt es auch: παγκρατής. Zur paganen antiken Religion cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 178f. 15 Ovid, Metam. I 154; II 304.

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Bibel richtungweisend, deren einschlägige alttestamentliche Stellen dann auch im Antiken Judentum weiterwirken.16 1. Alttestamentliche Gesichtspunkte Der Begriff παντοκράτωρ hat im hebräischen Alten Testament noch kein eindeutiges Äquivalent, er findet sich erst in der Septuaginta und dann wieder im Neuen Testament.17 Diese Entwicklung dürfte als systematische Ausarbeitung zu einem theologischen Begriff von Gott selbst zu begreifen sein. Das Alte Testament selber stellt ursprünglich nur die Macht und Stärke Gottes überhaupt heraus (cf. Jes 40,21–26).18 Es geht dabei nicht um »unbeschränkte Machtfülle, gleichsam als potentia absoluta«, wie sie erst im Hiob-Buch hervortritt (s. u.).19 Obwohl Gottes Macht als universal aufgefasst wird, wird sie doch überwiegend als rettende Macht geglaubt (cf. Ps 140,8),20 was dann auch für das Neue Testament gilt. Es handelt sich im Ganzen hier um eine »Gott-König-Theologie«,21 und der dafür leitende, eine unwiderstehliche kriegerische Macht betonende Ausdruck lautet: (Jahwe) Zebaoth, »Herr der Heerscharen« (z. B. 2Sam 5,10 u. ö.), den die Septuaginta mit (κύριος) παντοκράτωρ übersetzt.22 Im Psalter findet sich daneben auch der Terminus κύριος τῶν δυνάµεων.23 Die relevanten frühen Aussagen des Alten Testaments finden sich in Ps 93 (mit kosmischer Perspektive: Gottes universale und ewige Herrschaft über die Chaosmächte)24 und weiter in Ps 24,7–10,25 Ps 46 und 84.26 Für diese letztgenannten Belege ist neben dem Ausdruck Zebaoth die Betonung des Gottesnamens charakteristisch: Gottes Macht und Stärke wird hier durch seinen Namen Jhwh vertreten;27 daraus ergibt sich systematisch die Aufgabe, auch die 16 Cf. Weish 7,25; Sir 42,23; 50,14 und 2Makk 1,25, wo παντοκράτωρ steht; zum Allmachtsgedanken im Antiken Judentum überhaupt cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 175ff. Cf. zu Deus omnipotens (Tob 13,4 [Vg.]) a.a.O. 63f. 17 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 149 und 151. 18 Die hebräischen Begriffe a.a.O. 152; einschlägige Literatur a.a.O. 151 Anm. 11. 19 A.a.O. 160 und 170. 20 A.a.O.160. Ganz allgemein gilt, was dann auch für das Antike Judentum gesagt werden kann: »Allmacht wird betont als Bedingung der Möglichkeit für das göttliche Rettungshandeln« (a.a.O. 178; cf. auch 180). 21 A.a.O. 156. 22 A.a.O. 152f und Anm. 13. 23 Systematisch lässt sich an diesen Ausdruck eine Selbstbezüglichkeit der Macht Gottes (s. o. Anm. 9) anschließen, indem Gott als Herr auch über seine eigene Macht gedacht werden muss (s. u. Abschnitt F. [S. 365ff]). 24 Dazu cf. a.a.O. 154ff. 25 Cf. a.a.O. 156f. 26 A.a.O. 157f und 159. 27 A.a.O. 155.

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grenzenlose Gottesmacht im Zusammenhang mit Ex 3,14 zu reflektieren.28 Eine Annäherung an die Vorstellung von Gottes »Allmacht« als solcher findet sich erst in Ps 115,3: »omnia quaecumque voluit fecit« (cf. 135,6);29 hier wird Gottes eigentlicher Wille als schöpferische Macht verstanden (s. u.). Auch im Dodekapropheton ist der Gott Zebaoth eine Art Leitmotiv.30 Dieser Befund bedeutet: »Der Name ist Programm« (mit einem »dominant soteriologischen« Akzent; cf. Am 9,1–6).31 Wiederum hat die Septuaginta dafür interpretierend παντοκράτωρ eingesetzt.32 Dieser griechische Terminus findet sich im Hiob-Buch für hebräisch Elschaddai (cf. auch Gen 17,1 u. ö.).33 An die Vorstellung von einer »potentia absoluta« angrenzend,34 ist hier Hi 42,2 zu erwähnen: »Ich weiß, dass du alles vermagst und dass dir kein Vorhaben verwehrt ist.«35 Gleichwohl gilt aber für das Alte Testament insgesamt: »Gottes Macht ist der Zufluchtsort der Ohnmächtigen«.36 Von da aus ist diese Macht überwiegend als eine potentia personalis sive relationis wahrzunehmen.37 Da das Wort παντοκράτωρ »(als ein sogenanntes nomen agentis) ein Vermögen und Wirken« bezeichnet, ist es sachlich naheliegend, auch den Gedanken von Gott als Schöpfer im Horizont seiner grenzenlosen, unendlichen Macht zu verstehen.38 In Jer 32,17 (LXX: 39,17) steht: »O Herr, du hast 28 Zum Verhältnis von Allmacht und Ex 3,14 cf. Nikolaus von Kues, De possest, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 284. 29 Zu Ps 139 s. u. § 12 D. (S. 666ff). 30 Er kommt 107mal vor; cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 163 und differenziert 164f. Zu Jesaja cf. a.a.O. 163f. 31 A.a.O. 165f.168; cf. 180. 32 Genaueres a.a.O. 167f. 33 Cf. a.a.O. 169 und zur Abmilderung: 172f. 34 Zum Verhältnis potentia absoluta – potentia ordinata cf. Thomas, STh I, q. 25, a. 5, ad 1. 35 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O., 170. Zu »alles vermögen« cf. Hi 42,1. 36 A.a.O. 180; zum Verhältnis von Allmacht und Ohnmacht s. u. G. 3. (S. 370f). 37 A.a.O. 175. Cf. auch unten Anm. 46. 38 Dafür steht bekanntlich analogielos das hebräische Wort ‫בּ ָָרא‬. Weil Schöpfermacht Allmacht ist, kann nur der Schöpfer allmächtig sein: Ὅση γε ἡ δύναµις τοῦ Θεοῦ· µόνον αὐτοῦ τὸ βούληµα κοσµοποιία· µόνος γὰρ ὁ θεὸς ἐποίησεν, ἔπει καὶ µόνος ὄντως ἐστὶ θεός· ψιλῷ τῷ βούλεσθαι δηµιουργεῖ καὶ τῷ µόνον ἐθελῆσαι αὐτὸν ἕπεται τὸ γεγενῆσθαι (Clemens Alexandrinus, Protr. 4,63,3 [PG 8, 164]; »Quanta est autem Dei potentia, cuius sola voluntas est mundi creatio. Solus enim Deus mundum creavit, ut qui solus sit vere Deus; is autem opera sua volendo conficit, eiusque velle sequitur fieri«). Daher folgt im Credo auf die Nennung des allmächtigen Vaters die des Schöpfers. Das abstrakte Bild vom unbeschränkt verfügenden »Töpfer« (Jes 45,9; Jer 18,6) wird bei Paulus so aufgenommen, dass Gott der schlechthin Bestimmende ist: »Voluntati eius quis resistit?« (Cf. Röm 9,19 mit 10,19ff.) Das macht Sinn, wenn es nicht einseitig verabsolutiert werden soll, nur im Gegensatz zum beherrschten Geschöpf. Sonst verkehrte sich die göttliche Allmacht zur grenzenlosen Willkür einer tyrannischen Herrschaft; cf. BARTH, KD II/1, 589.

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Himmel und Erde geschaffen durch deine große Kraft und deinen ausgestreckten Arm; für dich ist kein Ding unmöglich« und 32,27 (LXX: 39,27): »Siehe, ich bin der Herr, der Gott alles Fleisches; sollte für mich etwas unmöglich sein?«39 Diese Schöpfermacht ist einerseits unbedingt: als eine aus dem Nichts (2Makk 7,28; Röm 4,17),40 andererseits vermittelt durch das Wort Gottes (Ps 33,6.9; 104,30; 148,5b; cf. Lk 1,37; Joh 1,3), das eine zwar göttliche,41 aber auch menschennahe Macht ist.42 So schafft die Allmacht selber allererst das Andere, dessen sie mächtig ist.43 2. Gottes Allmacht im Neuen Testament Der Begriff ἡ δύναµις (bzw. das Syntagma ἡ δύναµις τοῦ θεοῦ) kann im Neuen Testament »zum Synonym für Gott selbst werden … Mk 14,62«.44 So etwa in Lk 1,49: ἐποίησεν µοι µεγάλα ὁ δυνατός, καὶ ἅγιον τὸ ὄνοµα αὐτοῦ (cf Ps 111,9). Auch hier ist der Zusammenhang zwischen göttlicher Macht und dem Namen Gottes unübersehbar. Dies ist überdies in inkarnatorischem Horizont ausgesagt wie gleichfalls schon in Lk 1,37: ὅτι ἀδυνατήσει παρὰ τοῦ θεοῦ πᾶν ῥῆµα.45 2.1. Ein grundlegender Zug ist im Neuen Testament, dass Gottes Allmacht von ihm als dem himmlischen Vater ausgesagt wird, und seine Vaterschaft ist eine »kommunikative Eigenschaft«.46 Der stärkste explizite Beleg dafür findet sich bei Paulus in 2Kor 6,18 – der einzigen Stelle, wo außer in der Apokalypse im Neuen Testament παντοκράτωρ vorkommt!47

39

Dass Gott »nichts unmöglich« ist: Gen 18,14. Zum Neuen Testament s. u. Cf. unten § 8 und oben bei Anm. 38. Es geht um die schlechthin andersgeartete, alle menschliche Vorstellung von Macht übersteigende Weise göttlicher Macht, eben um Allmacht. 41 Als gottinternes Schöpfungsmittel übersteigt die innere Mächtigkeit des göttlichen Wortes nach Dante seine Manifestation im Geschaffenen unendlich: »non poté suo valor sì fare impresso / in tutto l’universo, che il suo verbo / non rimanesse in infinito eccesso« (Par. 19,43–45; »Seine Allkraft konnte sich nicht so sehr dem ganzen Universum einprägen, dass sein Wort nicht in einem unendlichen Exzess darüber hinausreichte«). 42 Cf. Mt 3,9: aus Steinen Kinder. Es geht um die völlige Mühelosigkeit des Erschaffens. 43 Gottes Schöpfersein schließt auch die All-Erhaltung ein; so spricht Philo vom πανηγεµών (gubernator), und Augustin denkt den Allmächtigen als Allerhalter (cf. Tract. ev. Ioan. CVI 5; PL 35, 1910: omnitenens). 44 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 192 (Hervorh. J. R.). Cf. auch Mk 14,36 und 9,23 sowie oben bei Anm. 28. 45 ῥῆµα steht hier (im Horizont von Schöpfung) für das hebräische dabar (»Wort, Sache«). Entsprechend Gottes schöpferischer Allmacht heißt er in Eph 3,20: δυνάµενος ὑπὲρ πάντα ποιῆσαι (zu den πάντα-Formeln im Neuen Testament s. u. 2.4.). 46 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 181 (cf. unten zu Mk 14,36). 47 Cf. a.a.O. 188f. 40

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Blicken wir zunächst in die synoptische bzw. Jesus-Tradition, so wird von Gott Allmacht in dem Sinne ausgesagt, dass bei ihm »nichts unmöglich« ist:48 im Hinblick auf alles, was dem Menschen unmöglich ist, gilt spezifisch in Jesu Munde: πάντα γὰρ δυνατὰ παρὰ θεῷ (Mk 10,27 parr).49 S. Kierkegaard hat solchen Inbegriff unbegrenzter Möglichkeit bzw. dies Alles-Können durchaus biblisch mit Gott selber identifiziert: »denn Gott ist dies daß alles möglich ist oder daß alles möglich ist, ist Gott«.50 Jesus selber hat das letztgültig und im Blick auf sich selber mit dem Vaternamen Gottes in der Gebetsanrede der Gethsemane-Szene in Verbindung gebracht: αββα ὁ πατήρ, πάντα δυνατά σοι (Mk 14,36 parr).51 Dem sich an diese Allmacht Gottes haltenden Glauben wird im Namen Jesu eine unvorstellbare Teilhabe an ihr verheißen: πάντα δυνατὰ τῷ πιστεύοντι (Mk 9,23; cf. Mt 17,20!).52 Entsprechend ist dann für Paulus der ihn rechtfertigende Glaube Abrahams Glaube an die Allmacht Gottes, des Schöpfers und Erweckers der Toten (Röm 4,17–24).53 So ist der christliche Allmachtsglaube, wie bei Abraham, eine »Hoffnung wider Hoffnung« (cf. Röm 4,18; 8,24).54

48

Siehe im Alten Testament z. B. Jer 32,17 und oben bei Anm. 35 und 39. Cf. Gen 18,14 und Hi 42,2; dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 192f. 50 S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 24, 37. Bei G. Leopardi, dem Kierkegaard Italiens, heißt es (1821): »daher ist die unendliche Möglichkeit notwendig und geht allem vorauf. … Wenn es die unendliche Möglichkeit gibt, so gibt es auch die unendliche Allmacht« (G. LEOPARDI, Das Gedankenbuch, hg. von H. Helbling, dtv 2306, München 1992, 303) bzw.: »Somit ist die unendliche Möglichkeit das einzige Absolute« (a.a.O. 295, cf. auch 359f). Aus dieser unendlichen Möglichkeit begreift Leopardi auch Gottes Existenz; cf. oben § 2 B. 1. (S. 181 Anm. 43). Im Zusammenhang damit steht der seltsame Satz: »daß Gott, der für uns so existiert, wie die Religion es uns lehrt, noch auf alle möglichen Weisen existiert« (a.a.O. 301); cf. auch: »Wenn also Gott unendlich ist, so existiert er in allen möglichen Weisen« (a.a.O. 294; mit Gottes Willen zusammengebracht). Cf. auch K. VOSSLER, Leopardi, Heidelberg 21930, 143ff (Leopardi und die Religion). 51 Zur Auslegung cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 562f. 52 Diese Verheißung entspricht der Grundüberzeugung, dass bei Gott alles möglich ist (Mk 10,27; 14,36; Mt 19,26; Lk 18,27). So kann man sagen: Der »Glaube … gewinnt Anteil an Gottes Macht« (E. LOHSE, Die Wundertaten Jesu, Stuttgart 2015, 55). Weil diese Macht die des Sich-Hervorbringens Gottes (am Ort des Glaubens) ist, wird von hier aus auch das ungeheure Wort vom Glauben, der Berge versetzen kann (Mk 11,23; Mt 17,20; Lk 17,6; zu diesem Jesuslogion cf. LOHSE, a.a.O. 52ff), verstehbar. Es verheißt Anteil an Gottes schöpferischem Wirken (LOHSE, a.a.O. 53), dessen Macht durch das Bewegen von Bergen veranschaulicht wird (Ps 65,7; 90,2 u. ö.; cf. eschatologisch: Jes 40,4; 49,11). 53 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 182f (Anm. 82). 54 Cf. dazu die eindringliche Erläuterung solchen Glaubens bei KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode (wie oben Anm. 50), 35 sowie DERS., GW 28, 114f. 49

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2.2. Die Macht Gottes (δύναµις θεοῦ) ist auch bei Paulus ein zentraler Begriff überhaupt.55 Für ihn gilt in besonderem Maße im Neuen Testament, dass die göttliche Macht »nur im Zusammenhang des Evangeliums zu verstehen« ist (cf. Röm 1,16; 1Kor 1,18).56 Die Allmacht Gottes ist somit von Christus her »als die Macht, die dem Tod und der Zeit und allen anderen Mächten überlegen« ist, zu begreifen.57 Gottes Macht ist christologisch qualifiziert und so geteilte Macht.58 Denn dem gekreuzigten und (durch Gottes Macht59) zur »Rechten Gottes« (als dem Inbegriff seiner Macht) erhöhten Menschen Jesus (cf. Mk 14,62 und 12,24)60 ist selber »alle Macht« zuzusprechen (cf. Phil 2,9–11 und 1Petr 3,22). Damit sind auch die Gründe benannt, weswegen Gottes Allmacht christlich zu Zeit und Ewigkeit umfassender Hoffnung bewegt (Röm 8,38f) und die Eschatologie von ihr her gedacht werden kann (1Kor 15,28;61 15,54f.57; cf. Joh 17,2; 3,16). Denn die Allmacht des Vaters Jesu Christi realisiert sich als Überwindung des Todes in der Macht göttlichen Lebens (1Kor 15,26), und indem sie so etwas bedeutet wie mors mortis, ist sie als All-Macht »gleichsam die Vernichtung der Vernichtung«.62 2.3. Der explizite Begriff Gottes als des παντοκράτωρ zieht sich – in der Tradition alttestamentlicher Gerichtsprophetie63 – wie ein roter Faden durch die ganze Johannesoffenbarung.64 Ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ erweist sich als solcher zunächst im endzeitlichen Kampf gegen die Gottlosen (16,14; 19,15) und erweist somit real seine Königsherrschaft (19,6); sodann aber zeigt er sich damit als der »Herr« überhaupt65 und d. h. als der Herr der Geschichte: ihr Alpha und Omega (1,8; 4,8; 11,17).66 Gott, »der war und der ist und der kommt«, demonstriert seine Allmacht nach diesen Stellen als zeitdurchgreifend und insofern zeitaufhebend: Sein schöpferisches »Immer« stammt aus seinem göttlichen Sein und ist zugleich Handeln in der Geschichte und umspannt Zeit und Ewigkeit.

55

Cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 182ff. A.a.O. 182. 57 A.a.O. 186. 58 A.a.O. 185; cf. oben bei Anm. 46. 59 Cf. dazu (Passivum divinum) a.a.O. 181 mit Anm. 75. 60 Mt 28,18 wird in der lutherischen Tradition auf Jesus auch nach seiner menschlichen Natur bezogen! 61 Zur intensiven Interpretation von »Gott alles in allem« cf. J. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff, Bd. I, Tübingen 2004, 333–340. 62 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 185. 63 Zum Gericht cf. Apc 11,17; 15,3; 16,7. 64 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 197. 65 Κύριος findet sich in der Apokalypse 7mal; in 4,8 ist Zebaoth aus Jes 6,3 (LXX) übernommen. 66 Siehe dazu schon oben § 1 D. 5. (S. 134ff). 56

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Insofern formuliert der Begriff des παντοκράτωρ umfassend den christlichen »Widerspruch gegen eine als heillos erlebte Gegenwart«.67 Das dabei Spezifische ist aber, dass die Apokalypse eschatologisch den Allmächtigen als Weltherrscher und das »Lamm« zusammendenkt (21,22).68 Das aber bedeutet grundsätzlich, »dass die Allmacht Gottes in ihrem Wesen durch die Selbsthingabe Jesu Christi bestimmt ist«.69 Man darf daraus folgern: Wenn die Apokalypse statt αὐτοκράτωρ, d. h. des Titels, der dem römischen Imperator zukommt, vielmehr theologisch betont immer wieder von παντοκράτωρ redet,70 so geht es entschieden nicht um eine »bindungslose Omnipotenz, sondern eine sich in Gottes Heilswillen äußernde Macht für die Seinen«.71 Damit ist auch hier, wie in der Bibel überhaupt, der Gedanke des Allmächtigen mit dem Gottes als des Vaters zusammengedacht. 2.4. Zusatz. Fragt man ganz allgemein, wie sich die Allmacht Gottes überhaupt »nach außen« auswirkt, so sind im Lichte göttlicher »Allmacht« einige neutestamentliche πάντα-Formeln zu betrachten, die (zum Teil triadisch) artikulieren, wie sich die Allmacht Gottes an den Glaubenden und am Weltprozess darstellt bzw. was sie dafür bedeutet. Paulus schreibt von dem »einen Gott, unserm Vater«: ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς εἰς αὐτόν (1Kor 8,6aβ). Mögen die Formeln ihre Herkunft im paganen Hellenismus haben, z. B. im stoischen Pantheismus, so sind sie bei Paulus vom biblischen Schöpfungsglauben überformt. Von Allmacht ist hier indirekt insofern die Rede, als damit alles und jedes auf Gott ausgerichtet wird, der als Ursprung, von dem es herkommt, und Ziel, auf das es hinführt, das »All« umgreift, sein Woher, Wozu und Wohin unwiderstehlich bestimmend: ὁ δὲ αὐτὸς θεὸς ὁ ἐνεργῶν τὰ πάντα ἐν πᾶσιν (1Kor 12,6b). Weil er an dieser die Welt durchwirkenden Allmacht partizipiert, kann es dann ebenso vom Kyrios Christos heißen: δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς δι’ αὐτόν (1Kor 8,6b).72 Was das All der Welt und der Geschichte angeht, so heißt es später ähnlich bei dem Apostel: ἐξ αὐτοῦ καὶ δι’ αὐτοῦ καὶ εἰς αὐτὸν τὰ πάντα (Röm 11,36a). Ursprung, Weg (sc. des Herrn, Walters und Erhalters über allem73) und Ziel ist Gott selber in seiner »Fülle«. Die Geschichte (cf. Röm 9–11) wie das Eschaton werden von seiner setzenden und lenkenden Macht bestimmt.74 Dafür stehen hier die »dynamischen« Differenzpräpositionen: ἐκ – διά – εἰς, 67

FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 198. Cf. a.a.O. 199. 69 Zu Apc 5,5f. a.a.O. 199. 70 A.a.O. 199 Anm. 133. 71 A.a.O. 200 (Hervorh. J. R.). 72 Cf. Kol 1,16; Joh 1,3. 73 Dieser Weg ist Gott nicht im Sinne einer neutralen Vorgegebenheit, auf der sich etwas anderes bewegt, sondern er ist dieser Weg selber im aktiven Sinne: als der Bewegende bzw. Sich-selbst-Bewegende. 74 Von Gott als Weltgrund und Weltziel ähnlich auch Hebr 2,10. 68

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die ein identifizierendes ἐστίν vermeiden, wie (hier!) die pantheisierenden Bestimmungen ἐν σοί oder ἐν αὐτῷ (cf. Act 17,28). Auch wenn in Röm 11,33 von πλοῦτος, σοφία und γνῶσις die Rede ist,75 passt dieser Inbegriff göttlicher Vollkommenheiten als in sich geschlossen (cf. V. 33f), weil mit sich beginnend, durch sich sich vollziehend und in sich sich vollendend, genauestens zur überwältigenden Macht Gottes, der gegenüber der Mensch ein total Empfangender ist. Auch der Paulusschüler betont, dass nur ein Gott und Vater von allem (πάντων) ist, von dem gilt: ὁ ἐπὶ πάντων καὶ διὰ πάντων καὶ ἐν πᾶσιν [ἡµῖν] (Eph 4,6b). Auch hier wird das ἐν vom ἐπί und διά bestimmt, und der Allmächtige wird personal und nicht neutrisch charakterisiert, wie auch die kosmologische Dimension der betont ekklesiologischen (cf. V. 5!) untergeordnet bleibt. Was diese πάντα-Formeln von der Allmacht zu denken geben, ist die allumfassende Selbstdurchsetzung Gottes »nach außen«,76 in der er schließlich Er selbst als er selbst77 und das Eschaton sein ewiges Leben ist: πάντα ἐν πᾶσιν (1Kor 15,28), so dass am Ende gilt: τὸ πᾶν ἐστιν αὐτός (Sir 43,29).78 2.5. Zusammenfassung. Die biblischen Belege zum Thema Allmacht haben insgesamt erbracht, dass sie erstens Gottes Schöpfermacht ex nihilo ist:79 absolut überlegen und widerruflich.80 Zweitens ist die Allmacht Gottes die (alles vollendende) eschatologische Macht (cf. 2Kor 6,18; Phil 3,21), weil sie 75

Das heißt dem unerschöpflichen Ursprung, der Weisheit seiner regierenden Allmacht und der eschatologisch alles vollendenden Erkenntnis. 76 Das heißt praeter (als logischer Unterschied) und nicht: extra (räumlich). Das »Außen« Gottes ist keine neutrale Sphäre, in die hinein er wirkte, sondern ist selber ein durch ihn hervorgebrachtes (nicht-göttliches) Anderes, sein Außensein oder Außer-sich-Sein. 77 Was Gott als er selbst ist, das bleibt er auch selbst und erweist sich darin endgültig als er selbst. 78 Hier ist nicht davon die Rede, dass Gott sich sozusagen in das Alles auflöst; dann müsste es heißen: Er selbst ist alles. Sondern das »Alles« ist er selbst, d. h., das Alles wird durch die schöpferische Allmacht Gottes verwandelt in ihn selbst, in eine Manifestation seiner selbst (cf. unten § 16 H. [S. 957ff]). Cf. J. G. Hamann über die »Thorheit« des Christentums: »zum Himmelreich gehört kein Salto mortale. Es ist gleich einem Senfkorn, einem Sauerteige, einem verborgenen Schatz im Acker, einem Kaufmann, der köstliche Perlen suchte und eine gute fand – το παν εστιν ΑΥΤΟΣ [Sir 43,29]. Alle Fülle der Gottheit hat in einem Kindlein klein, in einer Krippe Raum« (an F. H. Jacobi, 5. Dezember 1784, in: HAMANN, Briefwechsel 5, 275,18–21). 79 Cf. Augustinus: »Omnia quae fiunt et quod quisque facit, aut de se est, aut ex aliquot, aut ex nihilo. … Ex nihilo autem, ex eo quod prorsus non est, facere ut sit, nullus hominum potest. Deus autem, quia omnipotens est, et de se filium genuit, et ex nihilo mundum fecit, et ex limo hominem formavit, ut per istas tres potentias ostenderet effectionem suam in omnibus valentem« (De act. c. Felic. Manich. II 18; PL 42, 547f). 80 Das schließt den lebendigen Vollzug seiner Allmacht ein (gubernatio: »Gott sitzt im Regimente / und führet alles wohl« [EG, Nr. 361,7]) und ebenso das dazu zweckhaft Angelegtsein und aktuell Bestimmtwerden aller Dinge (providentia); s. u. Anm. 82.

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auch schöpferische Auferweckungsmacht ist (cf. Röm 4,17).81 Drittens ist sie so schlechthin universale Macht,82 »die alles bestimmende Wirklichkeit« (Bultmann).83 In diesem noch recht allgemeinen Horizont ist nun der Begriff von Allmacht systematisch genauer zu diskutieren, wozu die biblischen Betrachtungen bereits Fingerzeige geliefert haben.

C. Dogmatisches Grundverständnis »Der Allmächtige«, das ist der, vor dem alle sonstige Macht verblasst; er relativiert alle weltlichen Mächte und Gewalten (cf. Röm 8,38; 1Kor 4–6).84 Wenn man fragt: Wieso oder woher kommt Gott »Allmacht« zu?,85 so ist man

81

Cf. Hebr 11,19: ὅτι καὶ ἐκ νεκρῶν ἐγείρειν δυνατὸς ὁ θεός. Vor dem Hintergrund des Schöpfungsglaubens heißt es im Kirchenlied: »Denke daran, / was der Allmächtige kann, / der dir mit Liebe begegnet« (EG, Nr. 316,4). 82 Θεὸς δὲ λέγεται διὰ τὸ τεθεικέναι τὰ πάντα ἐπὶ τῇ ἑαυτοῦ ἀσφαλείᾳ, καὶ διὰ τὸ θέειν· τὸ δὲ θέειν ἐστὶν τὸ τρέχειν καὶ κινεῖν καὶ ἐνεργεῖν καὶ τρέφειν καὶ προνοεῖν καὶ κυβερνᾶν καὶ ζῳοποιεῖν τὰ πάντα. Κύριος δέ ἐστι διὰ τὸ κυριεύειν αὐτὸν τῶν ὅλων· πατὴρ δὲ διὰ τὸ εἶναι αὐτὸν πρὸ τῶν ὅλων· δηµιουργὸς δὲ καὶ ποιητὴς διὰ τὸ αὐτὸν εἶναι κτίστην καὶ ποιητὴν τῶν ὅλων· ὕψιστος δὲ διὰ τὸ εἶναι ἀνώτερον τῶν πάντων· παντοκράτωρ δὲ ὅτι αὐτὸς τὰ πάντα κρατεῖ καὶ ἐµπεριέχει (Theophilus von Antiochien, Ad Autolycum I 4; PG 6, 1029; »Deus [θεός] dicitur, διὰ τὸ τεθεικέναι, id est, quia omnia in sua ipsius stabilitate posuit, et διὰ τὸ θέειν, quod idem est ac currere et movere, et operari, et nutrire, et providere et gubernare et vivificare omnia. Dominus est, quia omnibus dominator; pater, quia ante omnia; conditor et creator, quia omnia condidit et creavit; altissimus, quia supra omnia; omnipotens, quia omnia tenet et complectitur«). 83 W. Pannenberg erweitert das zu der Formel von der alles bestimmenden Macht und bestimmt sie genauer so: »Implizit ist dabei mitgedacht, daß diese alles bestimmende Macht ihrerseits nur durch sich selbst bestimmt ist, keiner Bestimmung durch ein anderes unterliegt, es sei denn sie bestimme sich selbst dazu, so von anderem bestimmt zu werden« (W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt 1973, 304f). Damit ist ein Zusammenhang von Gottes Aseität als causa sui zu denken aufgegeben, der insbesondere unten für den Abschnitt F. (S. 365ff) bedeutsam wird. 84 Er ist als der Einzige und mit sich absolut Eine: ὁ … µόνος δυνάστης, ὁ βασιλεὺς τῶν βασιλευόντων καὶ κύριος τῶν κυριευόντων (1Tim 6,15; cf. auch: κράτος αἰώνιον [V. 16]). Die Formel gibt zum einen den Zusammenhang von »Monotheismus« (µόνος) und Allmacht zu erkennen; zum andern fragt sich: Sind die Genetive nur als Ausdruck emphatischer Steigerung bzw. Verabsolutierung zu verstehen (cf.: »Das Buch der Bücher«) oder auch mehr inhaltlich bzw. sachlich? Dann wäre der allmächtige Gott als der in allem Königtum und allem Herrsein eigentlich König und Herr Seiende zu begreifen, sodass gemeint wäre: Überall, wo königliche und herrschaftliche Macht ist, da ist auch göttliche Macht mit im Spiel (cf. V. 16 und Röm 13,1b). 85 So kann es bei Luther etwa definitorisch heißen: »Deus est, cuius voluntatis nulla est causa nec ratio, quae illi ceu regula et mensura praescribatur, cum nihil sit illi aequale aut superius, sed ipse regula omnium« (WA 18, 712,32–34). Es scheint hiernach offensicht-

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unvermeidlich an den Gedanken göttlicher Selbsthervorbringung verwiesen.86 Denn das Sich-Hervorbringen Gottes ist als solches notwendig absolutes SichErzeugen von Macht überhaupt. Jede sonstige Macht setzt immer Widerstand voraus, an dem sie sich erzeugt oder betätigt: »Macht besteht nur darin, sich im Negativen seiner zu erhalten«.87 Allein das Sich-Erzeugen von Macht aus sich selbst ist die Macht, die absolut ist. Freilich ist von der Außenbeziehung der Macht (als Macht gegen andere Macht, d. h. als endlicher Macht) ihre Beziehung auf sich selbst, ihre interne Lebendigkeit zu unterscheiden, wie sie allein bei Gott infrage kommt.88 In solcher Selbstbezüglichkeit der Macht ist sie »Negation der Negation«.89 Diese ist als sich auf sich beziehende Negation90 die dialektische Einheit der Negativität mit sich selber und so Ursprung lich, dass der eine wirkliche Gott auch all-mächtig ist. Aber warum Gott von ihm aus so etwas wie Allmacht notwendig zukommt, das ist eigens zu begreifen. 86 Dies auch als Voraussetzung der Schöpfung, d. h. des Hervorbringens von allem sonst, das nicht Gott ist; cf. unten Anm. 96. 87 HEGEL, Werke 13, 234. 88 Cf. entsprechend F. A. Trendelenburg: »Das Unbedingte ist kein negativer Begriff. Der verneinende Ausdruck bezieht sich auf den Weg, auf welchem wir zu dem Begriff kommen; er verneint die Verneinung, welche dem Bedingten als Begrenztem eigen ist. Der Begriff selbst ist positiv und, wenn er Wahrheit hat, der bejahendste von allen« (F. A. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, Bd. II, Berlin 1840, 425; Hervorh. J. R.). Was hier von der Begriffsbildung gesagt wird, ist konstitutiv für das Wesen der Macht Gottes an ihr selber. 89 Negation der Negation enthält auch die oben bei Anm. 87 zitierte Hegel’sche Formulierung: »sich im Negativen … erhalten«. Cf. schon oben § 3 (S. 273 Anm. 156). Nach W. Beierwaltes ist es schon für Johannes Scotus Eriugena ein originärer Gedanke, dass »Selbstnegation« als absolute Negativität in Affirmation übergeht (cf. W. BEIERWALTES, Denken des Einen, Frankfurt 1985, 360 Anm. 68 mit 293f). 90 Zur logischen Figur »Negation der Negation« cf. HWP 6 (1984), 686ff (Hegel) und 689ff (Vorgeschichte). Theologisch besonders wichtig sind die häufigen Bezugnahmen auf dies Theorem bei Meister Eckhart. Zunächst bestimmt er das »Eins« (unum) überhaupt als »negatio negationis« (M. Eckhart, LW 1, 169,6; nr. 6). Wenn nun gilt, dass Gott aller »Seinsgehalt« (entitas) zukommt, kann von ihm als dem Sein selbst (ipsum ens) nichts verneint werden außer durch eine negatio negationis; das hängt ebendamit zusammen, dass das Eine (unum) als »negationis negatio immediatissime se habet ad ens« (a.a.O. 175,12–15; nr. 15). Es folgt: »in ipso deo nullum … locum habet negatio; est enim ›qui est‹ [Ex 3,14] et ›unus est‹«, und das ist nichts anderes als »negatio negationis« (LW 2, 289,5f [nr. 60]; nach LW 4, 10,1f [nr. 8] gibt es bei Gott keine privatio nec negatio). Denn »negatio negationis« ist »mera affirmatio, secundum illud: ›sum qui sum‹, Exodi 3,[14]« (LW 2, 293,2f; nr. 63). In der göttlichen Natur kann es wegen ihrer Einheit, Unveränderlichkeit und wesenhaften Ruhe keine einfache Negation geben, sondern allein negatio negationis (LW 3, 608,9f; nr. 642). Zusammenfassend kann Meister Eckhart also von dem vollkommenen göttlichen Sein sagen: »Nulla ergo negatio, nihil negativum deo competit, nisi negatio negationis, quam significat unum negative dictum: ›deus unus est‹, Deut. 6,[4]; Gal. 3,[20]. Negatio vero negationis purissima et plenissima est affirmatio: ›ego sum qui sum‹« (LW 2, 77,9–12; nr. 74). Der rätselhafte Satz von Ex 3,14 erfährt

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und Quell aller Bewegung; d. h., Macht ist die Grundverfassung des Lebens selber. Der logische Status von Gottes Allmacht ist somit sich auf sich beziehende Negativität.91 Das Sich-Hervorbringen Gottes ist absolute Macht, weil es bzw. sie schlechthin voraussetzungslos, d. h. durch nichts ihr Vorgegebenes eingeschränkt und relativiert wird.92 So ist sie unbedingte Selbstmacht. Sie ist auch vollkommen mühelos, weil ganz aus sich selbst (ex se et per se), eben weil sie ohne zu überwindenden Widerstand ist, was sie ist. Es geht bei der Allmacht mithin um den Begriff Gottes selber »als des schlechthin Mächtigen und damit Majestätischen, als dessen, der die absolute Fülle der Kausalität schlechthin in sich selbst besitzt«.93 Indem Gottes Allmacht gänzlich auf ihn (bzw. sich) selbst bezogen ist, schließt sie auch das Sich-Hervorbringen von Ewigkeit – im Sich-Abstoßen von Zeit und Geschichte – ein.94 Ist die göttliche Selbsthervorbringung unbedingte Selbstmächtigkeit, weil absolut voraussetzungslos, so ist nur von daher auch »Allmacht« zu denken, sofern sie absolute Selbstmacht in der Machtwirkung auch nach außen ist.95 Allmacht, die selber als absolute Macht von Gottes Sich-Hervorbringen nicht hiermit eine entschieden logische (und nicht-tautologische) Interpretation als Ausdruck einer sich mit sich selbst vermittelnden, selbsthaften Einheit. 91 Das wird unten in Abschnitt F. (S. 365ff) relevant werden. P. Tillich hat bekanntlich Gott als die »Macht des Seins« bestimmt, die der Bedrohung durch das Nichts widersteht, das Nichtsein überwindet bzw. in Ewigkeit überwunden hat (P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 79.133.311 u. ö.). Dabei geht er von einer logischen und ontologischen Priorität des Seins vor dem Nichtsein aus, d. h. einer äußerlichen Unterscheidung von Positivem und Negativem (bzw. von Sein und Nichts; cf. DERS., Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, 36 und DERS., Gesammelte Werke, Bd. VII, Stuttgart 1962, 219). Tillich übersieht, dass seine Formel von der sich gegen das Nichtsein behauptenden Seinsmächtigkeit selber schon die Negativität in sich hat und dass die Positivität des Seins als Macht sich nur als Negation dessen realisiert, was (seinerseits) sie negiert; cf. dazu meine detaillierte Auseinandersetzung in: J. RINGLEBEN, Gott denken, Tillich-Studien 8, Münster 2003, 109ff (Die Macht des Negativen). Zum Machtbegriff bei Tillich überhaupt cf. W. SCHÜẞLER, Ontologie der Macht, ZKTh 111 (1989), 1–25. 92 Die berühmte Formulierung Platons, dass das Gute selbst nicht das Sein ist, sondern jenseits des Seins (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας) und dieses an »Alter und Macht überrage« (Politeia VI, 509b), besagt in spekulativer Interpretation, dass Gott »jenseits« von allem Sein ist, weil er es an Macht bzw. als Macht (δυνάµει) unendlich überschreitet und diesem wie auch ihm selber von daher Sein und Wesen allererst zukomme (ὑπ’ ἐκείνου … προσεῖναι, ebd.). Zum ersten Prinzip als »unendlicher Macht« cf. auch Aristoteles, Met. VII, 1073a 5 (δύναµις ἄπειρος) und Phys. VIII 10, 266a 25ff. 93 R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 76 (§ 18 Anm. 1). 94 Daher kann es heißen: »Gottes Macht hält mich in acht, / Erd und Abgrund muß verstummen« (EG 396, Nr. 3). 95 Hegel denkt Kraft überhaupt als lebendige Einheit von Entäußerung und In-sichBleiben zugleich: »in der Äußerung ist sie ebenso in sich selbst seiende Kraft, als sie in diesem Insichselbstsein Äußerung ist« (HEGEL, Werke 3, 110).

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ein Sich-Erschaffen aus dem Nichts ist,96 ist in ihrer Wirksamkeit nach außen – ein »Außen«, das sie überhaupt erst selber sein lässt – die Macht, die Welt ex nihilo zu erschaffen, und die Macht, aus dem Tode ewiges Leben zu schaffen. Aber Gott ist allmächtig nicht erst oder nicht nur in Schöpfung, Erhaltung, Versöhnung und Vollendung, sondern schon in sich selber (als causa sui) und so ewiger Grund im äußeren Wirken.97 Auch diese Einheit von der Richtung seines Handelns nach außen und nach innen muss in ihm selber begründet sein. Der Allmächtige ist als lebendiger Inbegriff aller Macht der absolut Selbstmächtige: »Macht – aber Gott, der Macht ist und hat, seine, ihm eigene Macht vor und über aller Wirksamkeit, seine Macht, er selber und so seine Macht, der Herr über Alles zu sein«.98 Bei Gott ist bezüglich seiner Selbstmacht daher keine Wahl (oder gar ein Schwanken) anzunehmen,99 sondern er ist ewig entschieden, was er als er selber ist, indem er absolut sich selbst gleich ist und bleibt (Ex 3,14). Insofern ist Gottes Allmacht identisch mit seiner absoluten Selbstgewissheit. Es handelt sich auch nicht um abstrakte »Eigenmächtigkeit« (im Sinne eigensinniger oder zufälliger Willkür). Weil gilt: »Gott ist … seiner selbst schlechthin mächtig«,100 eignet ihm »die absolute Macht der Selbstbestimmung, und aller actus in ihm, alle seine Wirksamkeit, alles sein Wirken beruht causaliter auf seiner Selbstbestimmung … Das göttliche Ich wird schlechterdings von nichts außer ihm (praeter se) bestimmt, bestimmt aber seinerseits von sich aus den Gesammtbereich des göttlichen Seins schlechthin.«101 Mithin ist seine Allmacht auch als Gottes unbedingte Freiheit (aus sich und zu sich selbst) zu denken.102 Gottes All96 Cf. dazu oben § 2 D. 4.1. (S. 218ff). Vielmehr wäre zu betonen, dass Gott in seiner absoluten Unabhängigkeit auch jenseits von Nichts und Etwas, Nichtsein und Sein steht, das beides dem Allmächtigen gehorcht; cf.: »Deus est supra nihil et aliquid, quia ipsi oboedit nihil, ut fiat aliquid. Et haec est omnipotentia eius, qua quidem potentia omne id, quod est aut non est, excedit, ut ita sibi oboediat id, quod non est sicut id, quod est. Facit enim non-esse ire in esse et esse ire in non-esse. Nihil igitur est eorum, quae sub eo sunt et quae praevenit omnipotentia sua. Et ob hoc non potest potius dici hoc quam illud, cum ab ipso sint omnia« (Nikolaus von Kues, De Deo abscond., in: ders., Phil.-theol. Schr. 1, 304; Hervorh. J. R.). Der Zusammenhang mit dem coincidentia-Theorem leuchtet ebenso ein, wie dass Gott als causa sui der Alternative: Sein oder Nichtsein nicht unterliegt. 97 Zum Verhältnis von Allmacht und (als lebendig begriffener) Schöpfung cf. C. KELLER, Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt. Eine Prozesstheologie, Freiburg u. a. 2013, bes. 138f. 98 BARTH, KD II/1, 636. 99 S. u. D. 2. (S. 360ff). 100 ROTHE, Theologische Ethik (wie oben Anm. 93), 128 (§ 33). Der Satz geht weiter: Er »hat sich selbst schlechthin in Besitz und in der Gewalt, ist schlechthin Herr und Gebieter über die in ihm beschlossene absolute Fülle lebendigen Seins« (128f). 101 A.a.O. 128. 102 Cf. oben § 4 D. 2. (S. 316f). Bei I. A. Dorner heißt es: »zum vollen Begriff der Macht gehört die Freiheit, die Selbstmächtigkeit« (I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 442 [§ 32.4.]).

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macht ist derart kein unbewegtes Festgelegtsein, sondern schließt (als lebendige) auch eine gewisse Freiheit von sich (in ihrer Unmittelbarkeit) ein;103 daher beherrscht er seine Allmacht auch104 und ist fähig zur Selbstherablassung in sein Gegenteil.105 Die Selbstmacht Gottes ist die Macht seiner ewigen Lebendigkeit. Er trägt diese Lebensmacht in sich selbst (ἐν ἑαυτῷ, Joh 5,26), weil er sich als lebendig selber hervorgebracht hat. Gottes Allmacht ist somit nicht als tote Allgewalt, sondern als eminent lebendig und als Lebensmacht schlechthin zu denken, als die in sich bewegte Einheit von πανεξούσιος und αὐτεξούσιος.106 Konkret geht es dabei um die lebendige Einheit von allmächtigem Leben und lebendiger Allmacht.107 Das ist eine Einheit, die nur als dialektischer Übergang ihrer Momente bzw. deren Umschlagen ineinander existiert. Was ist das für eine Bewegung des göttlichen Seins, in der das Attribut »allmächtig« des Substantivs Leben zu dem Substantiv Allmacht mit dem – nun selber dazu gewordenen – Attribut »lebendig« wird?108 In dieser Bewegung reflektiert sich – bzw. sie ist das Sich-ineinander-Reflektieren dessen –, dass Allmacht etwas ist, das auch über ihre Lebendigkeit übergreift. Das heißt: Etwas, das zunächst nur an dem Leben (Gottes) ist wie ein anscheinend hinzukommender Modus von dessen Sein, wird in es selber konstitutiv einbezogen, von ihm völlig durchdrungen und wird zu einer eigenen Seins- bzw. Realisierungsweise des Lebens selber, zur Manifestation seines innersten Wesens selbst. Aus allmächtiger Lebendigkeit wird (bzw. ist immer schon geworden) lebendige Allmacht. Das Leben reflektiert sich in dieser Qualität seines Vollzugs als es selbst. Dadurch ist es selbsthaft mit sich einig: dass es auch alles, was an ihm ist (hier das Allmächtigsein) zu sich selbst macht, d. h. es mit sich durchdringt (bzw. immer schon durchdrungen hat), in es übergeht und in seiner Qualität mit sich selber identisch ist, d. h. selber ganz darin ist bzw. es als Selbst ist. Ebenso verdoppelt sich das göttliche Leben noch in seiner Qualität – als all103 ROTHE zitiert (a.a.O. 129 [Fn.]) H. W. J. Thiersch: »daß Gott im Besitze der höchsten Macht über sich selbst ist, und seine unbedingte Freiheit auch gegen sich selbst und den Gebrauch seiner Eigenschaften wenden kann, ohne dadurch einer Privation zu unterliegen«. 104 Das wird unten wichtig für den Abschnitt F. (S. 365ff). 105 Cf. dazu unten § 6. 106 Das gilt so nur von Gott. Der Mensch kann gerade bei einem hohen Maß an Machtbesitz seine Macht doch immer nur in der Zweideutigkeit der Eigenmächtigkeit anwenden, während Gott der einzige ist, bei dem Selbstmacht und Allmacht rein zusammenfallen, d. h. Macht über alles andere und für alles andere. 107 Weiter dazu Kapitel III, Erste und Zweite Hälfte (S. 437ff.653ff)) bzw. § 7 E. 3.2. (S. 433). 108 Bei diesem »Werden« als einem zu sich handelt es sich um das lebendige SichHervorbringen Gottes.

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mächtiges. Es ist es selbst (als Leben) erst, indem es auch Allmacht ist. Wegen dieser göttlichen Selbsthaftigkeit kann das Leben nur als lebendige Allmacht wirklich selber lebendig sein. Kurz: Weil Gott absolutes Selbst all dessen ist, was er ist, ist sein Leben als göttliches auch allmächtig, und zugleich ist auch seine Lebendigkeit als seine eigene selber schon Organ der Allmacht. Was nur am Leben Gottes zu sein scheint (Allmacht), ist zugleich auch dieses Leben selbst als Gottes eigenes. Das wesentliche »Lebens-Mittel« der sich äußernden Lebendigkeit ist das johanneisch begriffene »Wort des Lebens« (1Joh 1,1; cf. Joh 6,63.68). Darum ist der Sache nach auch von Gottes Allmacht (als einer a se) die Rede, wenn es bei M. Henry heißt: »Der ›Logos des Lebens‹, das Wort des Lebens, das ›Wort Gottes‹ ist das phänomenologische ›Leben‹, so wie es im übermächtigen Prozeß seiner Selbsterzeugung als seine Selbstoffenbarung erfaßt wird«.109 Auch Gottes Selbstentäußerung ins Wort der Offenbarung muss als Ausdruck und Mittel seiner Allmacht verstanden werden. Seine allmächtige Lebendigkeit ist mithin spezifisch auch λογικῶς wirksam. Das gilt besonders für Gottes Allmacht, sofern sie nach außen wirksam ist. Denn sein inneres Leben ist bzw. bleibt nicht selbstgenügsam oder an Anderem unbeteiligt in sich verschlossen, sondern ist allmächtig als alles durchwaltende Macht. Gottes Allmacht als die des ewig Lebendigen ist so auch als seine Geschichtsmacht zu denken.110 Indem Gott als Herr der Geschichte handelt, ist seine Macht hierbei unbegrenzt (Act 1,7; cf. Mt 24,36; Lk 1,51f).

D. Allmacht als Möglichkeit und Wirklichkeit 1. Können und Tun Die göttliche Allmacht ist als unabhängig alles durchdringende und als unerschöpflich alle Grenzen schöpferisch überwindende im Vollsinne unendlich: das allmächtige Leben Gottes.111 Das kann sie nur so sein, dass sie auch die Unterscheidung einer leeren Möglichkeit und ihrer aktuellen Verwirklichung immer schon lebendig überholt, wie Luther begriffen hat: »Omnipotentiam vero Dei voco, non illam potentiam, qua multa non facit quae potest, sed actualem illam, qua potenter omnia facit in omnibus, quomodo scriptura vocat eum omnipotentem.«112 Es geht bei der Allmacht nicht um das, was 109 M. HENRY, »Ich bin die Wahrheit«. Für eine Philosophie des Christentums, übersetzt von R. Kühn, Freiburg u. a. 1997, 308. 110 Zum Begriff seiner lebendigen »Vorsehung« s. o. § 2 E. 4.1. (S. 237ff). 111 Zum Begriff dieser Unendlichkeit cf. oben § 4 E. (S. 320ff). 112 WA 18, 718,28–31. Man beachte die πάντα-Formel: 1Kor 12,6.11! Luther wehrt hier mit dem »potest« eine bloße Möglichkeit (im Sinne reiner Potenzialiät) zugunsten dessen ab, was er als »Allwirksamkeit« behauptet (s. u. 4. [S. 362f]).

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Gott tun könnte, aber nicht zur Wirklichkeit bringt, also nicht um einen bloß gedachten Raum leeren Könnens (als reine »Potenz«), sondern um sein lebendiges Handeln. Denn indem er sich a se und ex se und per se hervorbringt, ist Gott stets schon die Verwirklichung seiner selbst, der keine abstrakte Möglichkeit (durch unser formales Denken) vorauszusetzen ist.113 Für Gott gilt vielmehr die Einheit von potentia (δύναµις) und potestas (ἐξουσία), d. h. von Können und tatsächlicher Macht zu …114 Daher steht er auch nie sozusagen vor der Frage: Soll ich meine Allmacht ausüben oder nicht? Sie ist die Verfasstheit seines ewigen Lebens.115 2. Κönnen und Wollen Mit diesen Klärungen ist die Abwehr der vulgären Vorstellung verbunden, Allmacht bedeute, dass Gott »alles kann, was er will« (potest omnia, quae vult oder quidquid vult, potest). Dies ist, wie P. Tillich zu Recht herausstellt, eine »Karikatur von Gottes Allmacht«; sie führt einerseits zu (auch aus der Tradition bekannten) absurden Fragen und macht andererseits »Gott zu einem Wesen neben anderen, einem Wesen, das sich selbst fragt, welche unter zahllosen Möglichkeiten es verwirklichen soll«; so »unterwirft [diese falsche Vorstellung] Gott der Spaltung zwischen Potenzialität und Aktualität (…, die das Endliche charakterisiert)«.116 Diese irrige Annahme geht von der Voraussetzung aus, der Begriff »Allmacht« sei – wie der der »Unendlichkeit« oder »Unbedingtheit« via negationis117 – via eminentiae zustande gekommen, besage also lediglich eine formelle Steigerung bzw. grenzenlose Verallgemeinerung des Machtbegriffs. Vergisst man dabei demgemäß, dass von der Allmacht Gottes die Rede sein soll, so verführt das leicht zu scheinhaften Rätselfragen (oder Sophismen) 113 H. Blumenberg schreibt: »die Allmacht kann keinen reinen Begriff von dem haben, was sie kann, bevor sie es gekonnt hat« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 654). Das kann nur heißen: Sie ist keine leere Möglichkeit, sondern selbsthafter Umgang mit ihrer eigenen Wirklichkeit. Dieser vollendet sich da, wo sie noch im eigenen Gegenteil wirklich ist (s. u. Abschnitt F. [S. 365ff]). Cf. auch die quasischolastische Diskussion über Gottes Wissen und Können im Verhältnis zur Allmacht bei BLUMENBERG, a.a.O. 888f. 114 Cf. zu K. Barth (und J. Crellius) W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 451 Anm. 179. 115 Mit leichtem Anklang an Ex 3,14 heißt es von der unbedingten Einheit von SichWissen und Können der Gottheit bei P. Valéry: »Ich bin ich kann – und mehr nicht« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 609). Das »Je suis je puis« kann auch so wiedergegeben werden: »Ich bin ›ich kann‹« (a.a.O. 699 Anm. 134), d. h.: Ich bin das selbsteigene Können oder: mein eigenes Können, das Ich-Können schlechthin. 116 TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 91), 314. 117 Cf. dazu oben Anm. 88.

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wie: Kann Gott lügen oder sterben oder getäuscht werden? Man meint: wenn ja, dann ist er nicht wahrhaft Gott; wenn nein, dann ist er nicht all-mächtig, weil er nicht »alles« kann.118 Solchem Dilemma entgeht man, wenn man eine Unterscheidung festhält, nämlich die zwischen dem Terminus »Allmacht«, genommen in einem formellen, rein logischen Sinn (von »alles« bzw. von »Können«) und ihn genommen in einem inhaltlich gottgemäßen (θεοπρεπῶς), exklusiven und theologischen Sinn, wobei berücksichtigt wird, dass es um Gott als das Subjekt seiner Allmacht bzw. seines allmächtigen und nichtzufälligen, sondern vollkommenen Willens geht.119 Die Rede »omnia quae vult« hat zu beachten, dass der Wille Gottes nicht zufällig sein kann, sondern selber göttlich vollkommen120 und notwendig sein muss,121 weil in Gottes Wesen sein Wille und seine Macht realidentisch und so allmächtig sind.122 Der ins Abwegige führende Denkfehler bezüglich der Allmacht ist z. B. von J. Gerhard so beschrieben worden: »sicque, ex mensura faciunt mensuratum. Dei enim potentia est mensura, mensurans et causa efficiens naturae, rationis humanae ac omnium rerum creatarum«.123 Was Gott möglich ist, das bestimmt sich nicht formal (aus der Idee eines abstrakt überhaupt Möglichen), sondern inhaltlich danach, was ihm als Gott bzw. in seiner Vollkommenheit möglich ist oder nicht; dazu D. Hollaz: »Potentia sive omnipotentia Dei est attributum divinum ἐνεργητικόν, quo Deus efficere potest omne, quod fieri possibile est, et in Deo nullam importat imperfectionem«.124 118

Solche Scheinfragen fragen nicht nach Gottes Vollkommenheit. Cf. dazu schon Augustin: »Recte [Deus] omnipotens dicitur, qui tamen mori et falli non potest. Dicitur enim omnipotens faciendo quod vult, non patiendo quod non vult; quod ei si accideret, nequaquam esset omnipotens. Unde propterea quadam non potest, quia omnipotens est« (De civ. Dei V 10,1; PL 41, 152); cf. auch De trin. XV 14,23 und 15,24 (PL 42, 1077 und 1078). Anselm zeigt in c. 7 des »Proslogion«, dass und wie Gott allmächtig ist, obgleich er vieles nicht »kann«. 120 S. u. Abschnitt E. (S. 364f). Bei Tertullian steht: »Deo nihil impossibile nisi quod non vult« (De carne Chr. 3). Dementsprechend ist die »Unmöglichkeit« keine äußere, sondern gründet in der Selbstbegrenzung des göttlichen Willens (bzw. Seins) im Vollkommenen seines Selbst-Seins selber. 121 Natürlich nicht wegen einer ihm äußerlichen Notwendigkeit, sondern sofern Gott für sich selber seine eigene Notwendigkeit ist. 122 Um die Selbsthaftigkeit göttlicher Allmacht zu unterstreichen, hat Dante die schöne Formulierung, dass das Können dem Wollen folgt (»si puote / Ciò che si vuole«; Inf. III 95f; V 23f). Um die Selbstübereinstimmung von Sein, Wissen, Wollen und Macht bei Gott festzuhalten, heißt es bei Johannes Scotus Eriugena: »voluntas tua non est maior quam potentia tua« (De divis. nat. VII 4,6; cf. XIII 16,19). 123 J. GERHARD, Loci theologici, loc. II, § 194 (hg. von E. Preuss, Bd. I, Berlin 1863, 333). Zum Thema »mensura« cf. LUTHER, WA 18, 712,34–36. 124 D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Bd. I, Stargard 1707 (Nachdr. Darmstadt 1971), c. 1, q. 46, S. 386f. 119

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Insofern ist Gottes vollkommener Wille auch das Maß (mensura) seiner eigenen Möglichkeiten: voluntas Dei, »quae sola omnis possibilitatis fundamentum et radix est«.125 3. Wollen und Tun »Unser Gott ist im Himmel, alles, was er will, das tut er« (Ps 115,3; cf. 135,6: Jahwe). Gottes Wollen ist eodem actu sein Tun bzw. Getanhaben, und alles göttliche Tun bedeutet ein Wollen bzw. Gewollthaben.126 Das schließt ein: Alles göttliche Wollen ist auch ein Können: »Neque enim ob aliud veraciter vocatur omnipotens nisi quoniam quidquid vult, potest, nec voluntate cuiuspiam creaturae voluntatis omnipotentis impeditur effectus.«127 Solches absolute Können oder Wollen schließt, wie das Zitierte zeigt, ein, dass es keinen Widerstand dagegen gibt. Gottes Handeln ist für die Kreatur ebenso unentrinnlich128 wie unwiderstehlich:129 Er vollbringt sein Ziel mit der Welt in allem Weltgeschehen und durch es hindurch, d. h., er vollbringt dabei letztlich sich. Deshalb gilt: Bei Gott ist alles möglich,130 und das deswegen, weil für den allmächtigen Gott alle geschaffene Wirklichkeit (als Feld seines Wirkens) in gewissem Sinne reine Möglichkeit ist. 4. Allwirksamkeit Allmacht ist derjenige Begriff von Gott, der ihn in eine exklusiv einzigartige Position der Weltüberlegenheit und Weltbeherrschung versetzt.131 Daher heißt es bei Luther: »Dum omnia, quae condidit solus, solus quoque movet, agit et rapit omnipotentiae suae motu, quem illa non possunt vitare nec 125

J. H. HEIDEGGER, Corpus Theologiae Christianae, Tigurum 1700, Bd. II, 106f (zit. nach H. HEPPE/E. BIZER, Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, Neukirchen 1958, 83). Hiernach bestimmt sich, was überhaupt als Möglichkeit anzusehen ist, aus dem Selbstvollzug Gottes, d. h. seinem vollkommenen Wollen. 126 Cf. schon in der Antike: »et quidquid superi voluere, peractum est« (Ovid, Metam. VIII 619). 127 Augustinus, Enchir. 96 (PL 40, 276). 128 Dies wird als Allgegenwart und Allwissenheit in § 12 weiter auszuführen sein. Cf.: Οὗτος ὁ Πατὴρ … οὐ περιγέγραπται ἔν τινι τόπῳ, … Προγνώστης ἐστὶ τῶν µελλόντων, καὶ πάντων δυνατώτερος· εἰδὼς ἅπαντα, καὶ ποιῶν ὡς βούλεται· οὐχ ὑποκείµενος πραγµάτων ἀκολουθίας, οὐδὲ γενέσει, οὐδὲ τύχῃ, οὔθ’ εἱµαρµένῃ· ἐν πᾶσι τέλειος, καὶ πᾶσαν ἀρετῆς ἰδέαν ἐν ἴσῳ κεκτηµένος· … ἀεὶ κατὰ τὰ αὐτὰ καὶ ὡσαύτως ἔχων (Cyrill von Jerusalem, Catech. 4,5; PG 33, 460; »Hic Pater … non circumscribitur in ullo loco … Futurorum praescius est et omnibus potentior; omnia sciens et faciens prout vult; non subiectus rerum seriebus, neque origini, neque fortunae, neque fato; in omnibus perfectus, et omnem virtutem speciem aequaliter possidens; … semper eumdem et eodem modo se habet«). 129 Cf. unten bei Anm. 132 (aber auch die Schlusswendung: »pro modo suae virtutis«! 130 Cf. oben B. 2.1. (S. 349), bes. bei Anm. 49. 131 Ähnlich tut es noch der Begriff: der Schöpfer (§ 8).

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mutare, sed necessario sequuntur et parent, quodlibet pro modo suae virtutis, sibi a Deo datae«.132 Um die absolute Wirklichkeit von Allmacht – im Unterschied zu einer bloßen Möglichkeit zu allem133 – festzuhalten, stellt Luther Gottes Allwirksamkeit heraus,134 die mit seinem lebendigen Sein identisch ist: »Deus suam omnipotentiam non potest omittere«.135 Damit dieser Gedanke nicht als ein völliges Aufgehen Gottes in der geschöpflichen Wirklichkeit und ihrem Prozess missverstanden werden kann, ist zu betonen, dass logisch die All-Wirksamkeit auch ein Wirken Gottes auf sich selbst einschließt.136 Der allwirksame Gott ist mithin ein »omnipotens actor«, der auch »illam [sc. voluntatem malam] agat inaevitabili motu, … necesse est eam [sc. voluntatem] aliquid velle«.137 Indem Gottes Allmacht sich auch am menschlichen Willen selber (und in ihm) zur Geltung bringt,138 so dass von allen gilt: »quae raptum et motum potentiae suae non possunt evadere«,139 ist damit einerseits gegeben, dass er auch die von ihr (als Allmacht) nicht auszunehmenden Bösen und Ungläubigen mit seiner Allmacht lenkt.140 Andererseits bedeutet, göttlicher Allmacht notwendig zu unterstehen, gerade nicht, einer fremden Gewalt ausgeliefert und von ihr fremdbestimmt gelenkt zu werden: »cum agatur et rapiatur volendo, non fit quidem voluntati eius vis, quia non cogitur nolens, Sed naturali operatione Dei rapitur ad volendum naturaliter, qualis qualis est«.141 So kann es über jeden heißen: »fecerit volendo, non coactus«.142 Vom Glaubenden gilt dann sogar: »Creatura Deo operanti cooperatur«.143

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WA 18, 753,29–32. Cf.: (Ratio concedit) »Deum omnia in omnibus operari [1Kor 12,6b] ac sine ipso nihil fieri nec efficax esse, Est enim omnipotens« (WA 18, 709,10f). 133 S. o. D. 1. (S. 359f). 134 Cf. die knappen, eindringlichen Bemerkungen zur Allwirksamkeit im Zusammenhang mit Gottes Gutsein bei E. HIRSCH, Luthers Gottesanschauung, Göttingen 1918, 8ff. 135 WA 18, 710,6; cf. auch: »cur Deus non cesset ab ipso motu omnipotentiae, quo voluntas impiorum movetur, ut pergat mala esse et peior fieri? … hoc est optare, ut Deus propter impios desinat esse Deus« (a.a.O. 712,20–23). 136 S. u. Abschnitt F. (S. 365ff). 137 WA 18, 711,28–30. 138 »velle illud erat opus Dei, quod omnipotentia sua movebat sicut et omnia alia« (a.a.O. 715,21–716,1). 139 A.a.O. 709,30f. Es handelt sich für ihn gleichsam um »instrumenta, quae ociosa Deus esse non sinit« (a.a.O. 709,32). 140 »Quando ergo deus omnia in omnibus movet et agit, necessario movet etiam et agit in Satana et impio. Agit autem in illis taliter, quales illi sunt et quales invenit, hoc est, cum illi sint aversi et mali et rapiantur motu illo divinae omnipotentiae, non nisi aversa et mala faciunt« (a.a.O. 709,21–24). 141 A.a.O. 714,31–33. 142 A.a.O. 715,20. 143 A.a.O. 753,21.

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E. Gottes Allmacht als Vollkommenheit Aus den Darlegungen von Abschnitt D. erhellt ohne Weiteres, dass »Allmacht« den Inbegriff der göttlichen Vollkommenheit des Lebens in Gott selbst darstellt. Gott ist nach Jesu eigenem Wort schlechthin vollkommen (τέλειος, perfectus; Mt 5,48)144 als absolute und selbsthafte Einigkeit mit sich selbst. Meint Vollkommenheit das uneingeschränkt Positive und defektlos Wirkliche, so kann das Gott sowohl materialiter zugeschrieben werden, insofern er das schlechthin »volle« Sein innehat, in dem alle seine Möglichkeiten erfüllt sind und er den unüberbietbaren Vollgehalt alles nur möglichen Seins darstellt, wie auch formaliter, insofern er das schlechthin bestimmte, selbstbestimmt durchgestaltete Sein innehat, ihm mithin keine Formlosigkeit (Unbestimmtheit) eignet, sondern wahre Begrenzung durch sich selber in seinem durch sich selber und in sich begründeten, vollendeten und insofern unendlich selbstbezüglich geschlossenen Leben (aseitas).145 Damit ist die lebendige Einheit von Selbstgenugsamkeit und Allgenugsamkeit gemeint (cf. Act 17,25; 1Tim 1,11; 6,15f), durch die Gott selig ist: ebenso unbedingt wie vollkommen, und sein allmächtiges Leben in der absoluten Einheit von Einssein und Selbstsein besitzt. Das hat K. Barth treffend ausformuliert: »Gott ist Alles, was er ist, ganz. Er ist in Allem, was er ist, er selber. Und er ist Alles, was er selber ist, in unüberbietbarer, von nirgendswoher konkurrenzierbarer Vollkommenheit.146 … Gott ist niemand und nichts zu vergleichen. Gott ist nur sich selbst gleich.«147 Diese Sätze artikulieren eine Klimax, die ausführt, dass Gott in allem, was er ist, er selber ist. Gottes »Ganz-Sein« ist nicht gewissermaßen eine tote Summe, sondern selbsthafter Selbstbesitz der eigenen Fülle (πλήρωµα). Die innere Einheit von Ganzheit und Selbstsein ist es, was Barth die unüberbietbare Vollkommenheit nennt.148 Mit dieser Bestimmung absoluten (bzw. absolven-

144

In Mk 10,18 parr heißt es: ἀγαθός, dazu s. u. Abschnitt G. (S. 367ff). »Nicht Formlosigkeit ist das wahre Unendliche, sondern, was in sich selbst begrenzt, von sich abgeschlossen und vollendet ist« (F. W. J. SCHELLING, Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie [17.], in: ders., SW I/7, 143 [= Nachdr. 130]). Das ist ganz griechisch gedacht, wird aber für den christlichen Begriff des lebendigen Gottes und seiner Allmacht spezifisch wichtig; s. u. Abschnitt F. 146 K. Barth weist hier undialektische Vergleiche des göttlichen Seins mit einem Kreis oder einer Kugel zurück; das Denkbild der »unendlichen Sphäre« (s. o. § 4 F 1. [S. 322ff]) ist von diesem Vorbehalt nicht getroffen, weil da der unmittelbare Vergleich gerade dialektisch gebrochen wird. 147 BARTH, KD II/1, 422. 148 Bezeichnend der folgende, für Barths Gottesdenken typische Satz: »Er ist es aber in seiner, nicht in irgend einer willkürlich bestimmten Vollkommenheit« (ebd.). Damit wird die Aussage der Vollkommenheit gleichsam noch einmal überboten, indem zurückreflek145

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ten) Selbst-Seins ist der Sache nach in fruchtbarer Weise erneut die »Gottesgleichung« von Ex 3,14 in die Erörterung einbezogen. Denn sie gibt zu denken, dass Gottes Sich-selbst-gleich-Sein (als aktiv oder dynamisch verstanden) Ausdruck seiner Allmacht ist, die eben die Macht zu dieser SelbstGleichheit ist. Aus dem Gesagten folgt für den Begriff der göttlichen Allmacht: Sie ist die vollkommene (bzw. vervollkommnende) Macht, aus der und in der Gott Gott ist.

F. Macht über die eigene Macht Diese Formulierung signalisiert, dass Gottes Macht als auch in Distanz zu sich selber (als Macht) gedacht werden muss, soll sie nicht wie eine sozusagen blinde Naturgewalt in unbegrenzter Kraftfülle oder unendlicher Lebenskraft vorgestellt werden. »Vielmehr können wir Gott erst allmächtig nennen, wenn er auch seiner selbst mächtig und die Macht ist über seine Natur oder Kraft«.149 Denkt man den Begriff zu Ende, so vollendet sich Allmacht – als die Macht, sich selber hervorzubringen – darin, dass sie zugleich immer auch Macht über sich ist. Denn nur, was die Macht hat bzw. als die Macht ist, sich hervorzubringen, hat auch die Macht, sich zu dieser Selbstmacht selber zu verhalten und sie so gleichsam aufs Spiel zu setzen. Im Anschluss unter anderem an Dorner und Rothe ist zu sagen: »Gott hat seine absolute Macht absolut in seiner Macht; sonst wäre sie ja gar nicht seine Macht, sondern eine Macht über ihn«.150 In diesem und dem folgenden Abschnitt wird also die These vertreten: Der allmächtige Gott hat als Er selbst Macht auch über seine Macht. Das ist zunächst formal zu erläutern, ehe dann die Folgen für die spezifisch christliche Fassung des Gottesbegriffs darzulegen sind (s. u. Abschnitt G.). Aus unserer These folgt: Gott ist nicht gezwungen, alles zu tun, was er (abstrakt und nichttheologisch gedacht) tun könnte. Sonst wäre seine Allmacht eine Art Gefängnis für ihn, sozusagen sein Ausgeliefertsein an seine faktische Verfasstheit. Vielmehr muss man – per impossibile formuliert – sehen: »Zu tiert in das göttliche Selbst-Sein, das als solches auch der Maßstab dafür ist, was in diesem Falle Vollkommenheit heißen muss. 149 DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben Anm. 102), 247 (Anm. 1). Zum Geistcharakter solcher Selbstmächtigkeit heißt es später: »Gott wäre nicht schlechthin mächtig, sondern seine Kraft wäre die Macht über ihm, wenn er genöthigt wäre, sie, wie sie ist, zu offenbaren, wenn er nicht vielmehr die Macht über seine Macht wäre und diese in seiner Gewalt hätte« (a.a.O. 271f). 150 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 93), 130 (§ 33). Weitere Autoren a.a.O. 129 Fn., 132 Fn. und 233 Fn. **.

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allmächtig« schlägt ins Gegenteil um, und »unendlich« ist Gottes Macht gerade als Macht über die eigene Macht. Weiterhin folgt: Gottes Allmacht ist nicht »blinde« Macht, sondern die Macht seines Willens (Geist) und nicht einfach sich verströmende Machtwirkung (wie eine Naturkraft), sondern »persönlich« und nur »unendlich«, weil in sich reflektierte und lebendige Macht. Deshalb gilt (schon biblisch), »dass Gewalt weder das Einzige noch das Eigentliche ist, was zum Thema Macht gesagt werden muss«.151 Es ist deswegen nicht sehr glücklich, wenn K. Barth im Blick auf Gott von »Gewalt« redet und diese sogar für das Wort behauptet: »Die Gewalt des Wortes Gottes ist in sich selbst und als solche absolute Gewalt.«152 Christlich naheliegender ist dagegen zu sagen, Allmacht als die des Geistes charakterisierte (als gewaltloses Sein beim Anderen) »Sanftheit« (cf. 1Kön 19,12 [Luther] mit Weish 7,22 und Mt 11,30).153 In der genannten These ist des Weiteren impliziert: Allmacht muss ihrer selbst umfassend mächtig sein, um all-mächtig zu bleiben.154 Sie darf sich nicht in ihre Wirkung hinein erschöpfen; indem sie wirkt, muss sie zugleich auf sich zurückbezogen bleiben. Das bedeutet positiv das Vermögen, sich in ihrem Wirken selbst zu bestimmen und zu beschränken (an sich zu halten).155 Sie ist gewissermaßen in sich verdoppelt: als ihr unmittelbarer Vollzug und als die selbsthafte Bestimmung dieses Vollzugs. Die denkbar höchste Macht

151 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 345 Anm. 4), 194. Hier wird auch auf die »dialektische Abhängigkeit der Herrscher von den Beherrschten« (mit Bezug auf Philo, De Josepho 35f) hingewiesen; genauso könnte man auf die Hegel’sche Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft verweisen, bei der sich im Zusammenhang mit der »absoluten Macht« herausstellt, dass die Wahrheit des Herrn eben im knechtischen Bewusstsein besteht (cf. HEGEL, Phänomenologie des Geistes, in: ders., Werke 3, 152). Cf. unten Anm. 154. 152 KD I/1, 158; cf. 156. Von »geistiger Gewalt« ist a.a.O. 140 die Rede (gibt es das?), von Regierungsgewalt 155 u. ö. Bei FELDMEIER/SPIECKERMANN heißt es plausibler im Blick auf die durch das Imperium Romanum von den Christen erlittene Gewaltsamkeit, in der Apokalypse werde »Allmacht … als Gegengewalt« gedacht (a.a.O. 198); cf. oben bei Anm. 67. 153 TRE 12 (1983), 187,6f (K. BERGER). 154 Von einer »Dialektik der Macht« redet H. Jonas im Blick auf die vom Menschen in der Beherrschung der Natur ausgeübte Macht: Diese schlägt »in den Zwang … zu ihrer progressiven Ausübung« um, d. h., die Macht wird »selbstmächtig« und der Mensch daher »zum willenlosen Vollstrecker seines Könnens«, und so schlägt Befreiung um in Knechtschaft (H. JONAS, Das Prinzip Verantwortung, stw 1085, Frankfurt 1979, 253f). Hier stellt sich mithin die Frage nach einer »Macht über die Macht«, die im Begriff göttlicher Allmacht thematisch ist. Zur Auseinandersetzung mit der Kritik von Jonas am Allmachtsgedanken cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 201. 155 Die Formulierung im Text im Anschluss an ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 93), 130. Zum »an sich Halten« s. u. Abschnitt G.

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ist also die über sich als Macht. Anders gesagt: Gottes unbedingte Freiheit ist eine auch gegen sich selbst im Gebrauch seiner »Eigenschaften«. Es ist der göttliche Triumph und die Vollendung der Allmacht, sich beschränken zu können, d. h. einem Andern außer ihr (praeter se) Raum zu geben und es so relativ selbständig sein zu lassen.156 Solche freie »Selbstbeschränkung« ist aber gerade »Erweiterung« der Macht der Allmacht, sofern sie auch ihr Anderes noch umgreift.157 Das ist nun genauer darzulegen.

G. Allmacht, Liebe und Freiheit 1. F. H. Jacobi schrieb der Sache nach von Allmacht, wenn er 1811 formulierte: »Selbstseyende Wesen ins Daseyn zu rufen, vermag allein Gott, der Allerhöchste«.158 Diesen spannungsvollen Gedanken hat der spekulative Theologe Julius Müller im 19. Jahrhundert wieder aufgenommen, wenn er von einem zu seiner Selbstbeschränkung unfähigen, sog. allmächtigen, aber nicht zu Ende gedachten Willen sagt: »Der Wille Gottes wäre dann grade durch seine Allmacht verhindert es in seiner Schöpfung zur höchsten Realität, zu dem, was Ihm selbst das Aehnlichste ist, zu bringen, zu der sich aus sich selbst bestimmenden [sc. menschlichen] Persönlichkeit.«159 Die gleichen Aussagen finden sich bei R. Rothe160 und I. A. Dorner wieder.161 156

Bei FELDMEIER/SPIECKERMANN wird diese »Vollendung« des Machtbegriffs auch logisch verstanden. Sie schreiben: Gottes (vom Tode) befreiende Macht sei »die einzige Form der Allmacht, die nicht in sich widersprüchlich ist, weil sie nicht am anderen als Objekt ihre Grenze hat, sondern diesen als ermächtigende Macht [bzw. als ermächtigte Macht] einbezieht« (a.a.O. 185; Hervorh. J. R.). 157 Cf. das Dorner-Zitat bei ROTHE, a.a.O. 222 Fn. **. 158 F. H. JACOBI, Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (Beilage C.), in: ders., Werke 3, 458. 159 J. MÜLLER, Die christliche Lehre von der Sünde, Bd. II, Breslau 31849, 265. Müller hält es für denknotwendig anzunehmen, dass Gott, der Alleinwirkende, »sich herabließe sie [die Menschen] zu relativ selbständigen Mitwirkern anzunehmen« (a.a.O. 266; Hervorh. J. R.). Cf. oben bei Anm. 143. 160 Er zitiert die Passage bei J. Müller ausführlich: ROTHE, a.a.O., 134 Fn., cf. auch 214 Fn. *. 161 Nach diesem wäre ein seiner Macht selber nicht mächtiger Gott nicht wahrhaft allmächtig, »weil er nicht ein Anderes, als er selbst ist, schöpferisch setzen … könnte« (DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I [wie oben Anm. 102], 247). Gottes selbstmächtiger Wille lässt »unbeschadet seiner Urkraft oder Allkraft auch für eine Welt, ja für eine freie Welt eine Stelle« zu, und durch Selbstbeschränkung seiner Macht setzt er sich Anderes als selbständig sich gegenüber, frei sich sogar dazu bestimmend, »sein Thun durch Causalitäten in der von ihm gesetzten Welt zu bedingen [!], denen er die Möglichkeit freier Entscheidung verlieh« (ebd.). Freilich bedingt Gott in solchem Sich-bedingenLassen letztlich nur sich selber.

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In besonders eindrucksvoller Weise hat S. Kierkegaard diese Überlegungen weitergeführt. Er schreibt 1846 das Folgende nieder: Das Höchste, das überhaupt für ein Wesen getan werden kann, höher als alles, wozu einer es machen kann, ist dies: es frei zu machen. Eben dazu, dies tun zu können, gehört Allmacht. Dies scheint absonderlich, da Allmacht gerade abhängig machen müßte. Aber falls man Allmacht denken wird, wird man sehen, daß eben in ihr zugleich die Bestimmung liegen muß, sich selbst wieder solchermaßen in der Äußerung … zurücknehmen zu können, daß eben deshalb das durch die Allmacht Entstandene unabhängig werden kann … Allein die Allmacht kann sich zurücknehmen, indem sie sich hingibt, und dies Verhältnis ist ja eben die Unabhängigkeit des Empfangenden. Gottes Allmacht ist darum seine Güte … Das ist das Unbegreiflichste, daß Allmacht nicht bloß vermag, das Allerimposanteste, das sichtbare Weltenganze, hervorzubringen, sondern auch das Allergebrechlichste …: ein der Allmacht gegenüber unabhängiges Wesen.162

Kierkegaard bestimmt hier die Schöpfung zur Freiheit als gütige Allmacht oder allmächtige Güte, d. h. als ewige Liebe (s. u.),163 und er orientiert Gottes schöpferisches Tun ganz an der Freiheit.164 Das denkbar Höchste, das überhaupt getan werden kann, ist, jemanden frei zu machen, und es ist die absolute Idee von Tätigkeit. Das qualifiziert den Begriff von Allmacht, sofern sie sich – ihrem Begriff nach – als Selbsteinschränkung vollendet.165 Die wirkliche »Dialektik der Macht« besteht darin, sich selbst in ihrer Äußerung zugleich zurückzunehmen.166 Bloße Abhängigkeit würde die Allmacht binden, die damit im Abhängigen unter sich wäre.167 In der Fähigkeit, etwas als von seinem Grund unabhängig zu begründen, liegt die Selbstvollendung göttlicher Allmacht in absoluter Selbstmächtigkeit.168 Zugleich ereignet sich darin die Selbstmitteilung der Macht Gottes als schöpferische Liebe. Denn »die 162 S. KIERKEGAARD, Pap. VII A 181, in: ders., GW 17, 124. Cf. auch über die »Resignation« Gottes, der sich hingibt, um Selbständigkeit sein zu lassen (DERS., Unwissenschaftliche Nachschrift I, in: ders., GW 16, 254), und meine Interpretation zu beiden Stellen in: J. RINGLEBEN, Aneignung. Die spekulative Theologie Sören Kierkegaards, TBT 40, Berlin/New York 1983, 407ff. Eindrucksvolle, analoge Ausführungen zur Allmacht finden sich auch in den »Christlichen Reden« (1848), in: ders., GW 20, 134f. 163 Cf. auch unten § 11 B. (S. 613ff). 164 Daher die Unterscheidung: »wozu« man und was man »für« ein Wesen tun kann. Einen Menschen »zu etwas« machen ist bereits eine inhaltliche Festlegung, während das, was man »für ihn« tut, bereits die Einräumung seiner Selbständigkeit impliziert. 165 Cf. oben Anm. 145. 166 Wegen dieses Mangels an absoluter Macht über sich selbst kann kein Mensch einen anderen Menschen ganz frei machen, wie Kierkegaard im herangezogenen Text auch betont. 167 Schleiermachers berühmte Formulierung von der »schlechthinnigen Abhängigkeit« muss (gegen ihn) an ihr selber schon als Ausdruck bzw. Erfahrung schlechthinniger Freiheit begriffen werden. Cf. unten § 8 (S. 446 Anm. 63). 168 Es ist ein trügerischer Schein, dass Allmacht gerade nur abhängig machen müsste.

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Unabhängigkeit des Empfangenden« lebt von der Allmacht – als einer »sich dem anderen mitteilende[n], das Gegenüber ermächtigende[n] Macht«169 (cf. Phil 4,13) –, indem die Allmacht in dem wirksam bleibt, was sie begründet, also in uns, d. h. außer sich selber, in endlicher Brechung bleibt, was sie selber ist.170 Insofern ist sie »Selbstmitteilung«, denn sie bleibt in dem, wovon sie sich zugleich zurücknimmt, und bleibt gerade, indem sie es tut. So ist unsere Unabhängigkeit von Gott die Art, wie er bei uns ist.171 Wenn Kierkegaard in der »Krankheit zum Tode« schreibt: »indem Gott, der den Menschen zu dem Verhältnis [sc. das sich zu sich selbst verhält] gemacht hat, ihn gleichsam aus seiner Hand loslässt, d. h. indem das Verhältnis sich zu sich selbst verhält«,172 so ist dieses »Loslassen« (emancipare!) dialektisch, indem es zugleich ein göttliches »in der Hand Behalten« ist. Die geschaffene Unabhängigkeit von der Allmacht ist gerade die Weise der Abhängigkeit von ihr; je mehr die Freiheit sie selbst ist, desto mehr ist sie es in der Allmacht. Sie wird nur an sich selber entlassen, um desto unentrinnlicher in die Macht Gottes einbezogen zu bleiben. Nach Kierkegaard sind wir gerade darum frei, weil Gott die Allmacht ist, und unsere Freiheit ist die Weise, wie wir von dem Allmächtigen abhängig sind.173 2. Mit dem Gesagten ist zum einen ein spezifisches Verhältnis von Allmacht und Gnade bei der Erschaffung von Freiheit gegeben: »Es ist die Allmacht Gottes, sich auf dem Weg über den Geist des Menschen als eines freien Wesens in der Welt hervorbringen zu lassen. Es ist die Gnade Gottes, in der Entäußerung seines innersten Tuns an den Menschen sich nicht an ihn zu verlieren, womit der Mensch wiederum unfrei würde.«174 Darin liegt zumindest,175 dass Gottes Schaffen sich nicht auf die gegebene natürliche Welt beschränken lässt, sondern dass es im produktiven Tun des Menschen und

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FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 182 (cf. 195 und 199 Anm. 134). Cf. Augustin: »Non enim longe est a nobis omnipotentia tua, etiam cum longe sumus a te« (Conf. II 2,3). 171 Kierkegaard nennt das etwas Unbegreifliches: dass das Absolute oder Göttliche in seinem Gegenteil zu sein vermag, ohne sich selbst zu verlieren. Damit hat das »Allergebrechlichste« einen paradoxen Halt an der Allmacht selber, durch die es überhaupt ist und im Gegenüber zu der es auch unendlich gefährdet ist. Denn das, woran unsere subjektive Freiheit teilhat, um nur zu sein, ist zugleich das, was ihr zur Krise wird: nämlich Gottes absolute Macht und Subjektivität, die Allmacht seiner Liebe. 172 KIERKEGAARD, GW 24, 11. 173 Zur Rede von der »Freiheit als Marionette Gottes« bei B. Liebrucks cf. das gleichnamige Buch von S. LIEDTKE (TBT 160, Berlin 2013). Cf. auch Platon, Phaidon 62b und Nomoi I, 644d. 174 B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. II, Frankfurt 1965, 438. 175 Man beachte, dass hier von einem Sich-hervorbringen-Lassen Gottes »in der Welt« die Rede ist. 170

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durch es vermittelt weitergeht;176 Luther sprach in diesem Sinne von der cooperatio des Menschen mit dem Schöpfer.177 3. Zum andern ist eine exklusive Realisierung der sich selber einschränkenden Allmacht im Ereignis der Menschwerdung Gottes, seiner Inkarnation, zu sehen, die Ausdruck seiner schöpferischen Liebe ist.178 Hier ist mit zu bedenken, dass es sich dabei nicht um eine sozusagen nur kontingente Betätigung der Allmacht Gottes handelt, sondern in deren Wesen begründet ist. Denn die geschichtliche Einmaligkeit bzw. das »ein für alle Mal« der Inkarnation (als Gottes allmächtiger Selbstentäußerung) findet ihre Voraussetzung und Entsprechung in Gottes Ewigkeit bzw. ewiger Lebendigkeit, insofern sich Gott in sich von sich unterscheidet, um im Andern des Sohnes bei sich zu sein.179 In Christi Person koinzidieren demgemäß »die höchste Allmacht und auch größte Ohnmacht« (Luther).180 Weil Gottes Allmacht sich (extrem am Ort des Kreuzes Christi) auch und gerade in der Ohnmacht als mächtig erweist, gilt, mit Paulus zu reden, nicht nur, dass »die Schwachheit Gottes stärker ist als die Stärke der Menschen« (1Kor 1,25b), sondern paradox, dass seine lebendige Macht (δύναµις) in der Schwachheit mächtig ist bzw. sich vollendet (τελεῖται, 2Κοr 12,9a). Wie Jesus »gerade in der Situation der äußersten Ohnmacht für sich die göttliche Macht in Anspruch nimmt« (Mk 14,62 par),181 so widerlegt die erfahrene Ohnmacht auch nicht den Glauben an Gottes Allmacht (cf. Mk 9,23).182 Weil die Allmacht in ihrer Vollkommenheit gerade sub contrario wirksam ist, ist sie wesentlich unsichtbar. Das ist sie allerdings auch deswegen, weil sie als universal wirksames Gotteshandeln keine bestimmte einzelne Machtausübung, sondern eben Allwirksamkeit ist. Nur der aufs Eschaton vorausblickende und zugehende Glaube wird ihrer (oft gegen allen Augenschein) gewahr. 4. Geht es christlich um den Gott, »der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt«183 und der somit jede falsche Verabsolutierung unmittelbarer Macht (Gewalt) ausschließt, so verfällt seine Allmacht als Ohn176 Cf. mit Berufung auf G. Vico ebd. Hegel hat ähnlich die Freiheit menschlichen Kulturschaffens als Fortsetzung der Schöpfung verstanden. 177 WA 18, 753,21 (zit. oben bei Anm. 143). 178 Cf. dazu PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 114), 454–456! 179 Pannenberg hat auch die »Selbständigkeit« des Geschaffenen im trinitarischen Horizont gedacht; cf. PANNENBERG, a.a.O. 455f. 180 WA 47, 214,7f. (modernisiert). 181 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 193. 182 Cf. Luther: »Sed nonne et passim predicamus Magnam et miram esse Dei potentiam, sapientiam, bonitatem …, et non intelligimus? Quia metaphysice intelligimus, i.e. secundum quod nos eas comprehendimus scil. apparentes et non absconditas, Cum suam potentiam non nisi sub infirmitate, sapientiam sub stultitia, bonitatem sub austeritate … absconderit« (WA 56, 380,31–36). Cf. auch unten § 6 (S. 382 Anm. 62). 183 D. BONHOEFFER, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. von E. Bethge, München 1970, 242.

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macht nicht der Hegel’schen Herrschaft-Knechtschaft-Dialektik.184 Die Macht seiner Selbsthingabe ist als »eine andere Form der Macht« zu begreifen,185 die, begrifflich potenziert, die Freiheit und Eigenständigkeit des Gegenübers wahrt und erträgt.186 Als ihr Gegenteil noch übergreifend ist die göttliche Allmacht eins mit Gottes Lebendigkeit, und als sich an dieses in Selbsthingabe entäußernd und so an ihm mächtig ist sie eins mit der Liebe Gottes als allmächtiger Liebe (cf. 2Kor 6,17f).187 Weil der Allmächtige das Dasein seiner Geschöpfe überhaupt und deren Freiheit spezifisch will (Röm 4,17), heißt es von der Liebe des Schöpfers: »Diligis enim omnia quae sunt, et nihil eorum odisti quae fecisti« (Weish 11,25). Als schöpferisch indes ist »die Allmacht Gottes … die Allmacht seiner freien Liebe«.188 Überhaupt gilt nach allem Ausgeführten, »daß die Allmacht nur gedacht werden kann als die Macht der göttlichen Liebe, also nicht als Selbstdurchsetzung irgendeiner partikularen Instanz gegen das ihr Entgegenstehende. Allmächtig ist nur diejenige Macht, die das ihr Entgegenstehende in seiner Besonderheit … bejaht«.189 So repräsentiert der christliche Begriff der Absolutheit von Gottes Macht die wahre Unendlichkeit, die nicht nur gegen das Endliche steht, sondern es schöpferisch umfasst und liebend in sich »aufhebt«.190 5. Somit, so lässt sich zusammenfassend sagen, besteht Gottes Allmacht – im Zusammenhang mit dem christlichen Heilsereignis gesehen – gerade darin, sie in seiner Selbsthingabe an die Freiheit der Menschengeschöpfe und ihr Leiden191 gleichsam aufs Spiel zu setzen. Der liebend sich zu uns Herablassende ist der Allmächtige, von dem zu sagen ist: »Gott fühlt ein menschliches Mitleiden, wenn der Mensch mit ihm ringt; er vergist, daß er Gott ist, er vergist seine Allmacht … Er hat dem Menschen … Gewalt über seine Liebe eingeräumt«.192 Damit ist die Erörterung beim Thema des nächsten Paragraphen angelangt. 184

S. o. Anm. 151. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 201. 186 Ebd. 187 Zur Macht Gottes als das absolut Gute cf. ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 93), 83f. (§ 22) und 86. Cf. Mk 10,18: Gott als exklusiv »der Gute« (ἀγαθός). Ph. K. Marheineke wehrt das Missverständnis von Gottes Allmacht, dass ihm alles möglich sei, ab, indem er sie als Einheit von Weisheit und Heiligkeit versteht (cf. PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 114 [§ 195]). 188 BARTH, KD II/1, 597; cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 114), 456 (zu Ritschl). 189 PANNENBERG, ebd. 190 Zum Begriff der (lebendigen) Unendlichkeit cf. oben § 4 E. (S. 320ff). 191 Cf. CH. KRESS, Gottes Allmacht angesichts von Leiden, Neukirchen-Vluyn 1999 (zu Althaus, Tillich und Barth). 192 J. G. HAMANN, Biblische Betrachtungen (Ri 10,16b), in: ders., SW 1, 83,23–26. 185

§ 6 Gottes Herablassung Gottes Herablassung ist überströmende Selbstmitteilung seiner inneren Vollkommenheit nach außen und so die Freiheit seiner Liebe, über sich selbst hinauszugehen, um sich mitzuteilen. Als freie Selbstwiederholung in seinem Anderen ist sie Selbstvollendung des ewig Vollendeten.

A. Systematische Einleitung In diesem Paragraphen sind die Leitbegriffe der beiden vorausgehenden konkret zusammenzuführen und werden so an das III. Kapitel der Gotteslehre weitervermittelt. 1. In § 4 wurde das Leben Gottes als Bewegung durch den Gegensatz hindurch und so als seine schöpferische Einheit und die damit verbundene Unendlichkeit als auch im Endlichen präsent gedacht. Nach § 5 vollendet sich Allmacht als göttliche Selbstmächtigkeit in ihrer Selbstbeschränkung, dem Seinlassen eines Anderen und ihr gegenüber Selbständigen.1 Insofern handelt der jetzt zu thematisierende Begriff göttlicher Selbstherablassung (Kondeszendenz) von Gottes Allmacht und Lebendigkeit zugleich. Denn dass Gott, sich herablassend, sich von sich unterscheidet, das entspricht – christlich gedacht – genauestens seinem Leben; dass er in solcher Selbstentäußerung sich nicht verliert, sondern bei sich bleibt, das entspricht spezifisch seiner Allmacht. Kondeszendent kann nur der schlechthin Lebendige sein und dabei sich bewahren allein der Allmächtige. Sein Leben lebt nur durch Selbstentäußerung,2 und Allmacht ist absolut nur, indem sie sich gegen sich selbst wendet und so gerade, zu Ende gedacht, Allmacht ist. 2. Gottes allmächtiges Leben bzw. lebendige Allmacht vollendet sich, wie zu zeigen ist, als ewige Liebe, d. h. in der freien Selbsthingabe und -mitteilung an sein Anderes: als Selbstherablassung und Selbstentäußerung. Gottes Liebe ist – christlich gedacht – sein Sein als wesenhafte Entäußerung und Kondeszendenz an sein Anderes.3 Als Liebe impliziert Gottes Selbstherablassung zu uns Menschen ein Werben um unsere »Antwort«, d. h. den Glauben.

1

Dies wurde besonders an Einsichten S. Kierkegaards gezeigt, s. o. § 5 G. (S. 367ff). Das gilt auch für den Dreieinigen in seiner immanenten Lebendigkeit. 3 Zu Gottes Sein als »Die Liebe« s. u. § 11 B. (S. 613ff). 2

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Der christliche Gott ist nicht nur ein »zuvorkommender«, sondern auch ein »entgegenkommender« Gott.4 In diesem Sinne spricht der Leitsatz dieses Paragraphen von »überströmender Selbstmitteilung … nach außen«. Denn im Zuge seines Sich-Hervorbringens geht Gott zugleich frei über sich hinaus, um ewig er selbst zu sein – in Gemeinschaft mit seinem Anderen.5 Es gehört zur Dynamik des sich selbst Hervorbringens, dass Gott sich nicht nur in sich und für sich hervorbringen will, sondern auch am Ort des Andern, das er ebendazu ins Sein ruft. Umgekehrt ist zu sagen: Sich an sein Gegenteil entäußern zu können bzw. kondeszendent zu sein, wird allein im Zuge der Selbsthervorbringung zur absoluten Möglichkeit, und diese ist ausschließlich bei Gott gegeben. Denn allein bei ihm wird die Möglichkeit zur Selbstentäußerung nicht einem sozusagen schon festgelegten Sein abgewonnen, sondern ist in der selbstgenetischen »Beweglichkeit« (Prozessualität) dieses lebendigen Seins bereits angelegt.6 3. Der Begriff der Kondeszendenz ist ein wesentlicher und zentraler Ausdruck für die Gott eigentümliche Lebendigkeit.7 Dieser ist der lebendige Gott schlechthin, weil er sich seiner Unmittelbarkeit göttlichen Seins entäußern und so vermittelt bei sich selbst sein kann: in sich als »ewige Zeugung« des Sohnes (als Logos bzw. Sophia), außer sich in Schöpfung und Inkarnation. Darum gehört die Selbstherablassung christlich zum Begriff Gottes als Begriff: »In« diesem Begriff seiner selbst ist er der lebendige Gott. Gleichwohl hat Gottes Kondeszendenz für uns etwas Unausdenkbares – wie das göttliche Leben selber.8 4. Als die Realisierung seiner Absolutheit nach außen setzt Gottes Kondeszendenz die Schöpfung und das ihr entsprechende »Außen« voraus.9 Es geht dabei nicht nur um das Seinlassen eines von ihm schlechthin verschiedenen (endlichen) Anderen, sondern gleichermaßen um sein Sein-mit und Sein-bei 4 Gottes Kondeszendenz bewahrt uns vor einem Dilemma: »Das Kriterium des Absoluten, wenn es denn sollte uns entgegentreten können, wäre, für sich schlechthin die Totalität unseres Interesses zu verlangen, und gerade das würde zur Folge haben, daß wir ihm jegliches Interesse entziehen müßten« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 609). Cf. unten S. 393bei Anm. 126f. 5 Der Eine ist nicht einsam bzw. nicht der »leblos Einsame«; cf. oben § 3 B. 1.3. (S. 255 Anm. 39). 6 Auch dass Gottes Selbstentäußerung immer auch Selbstbewahrung ist, passt zu seinem sich hervorbringenden Sein: zugleich Werden zu sich und ewiges Bei-sich-Sein zu sein. 7 Ausdruck dieser göttlichen Lebendigkeit ist (als Zeit und Ewigkeit umgreifend) Gottes trinitarisches Sein; sie ist, wie die Kondeszendenz, Einheit mit sich im Unterschied zu sich. Anders gesagt: Ist Kondeszendenz die im Verlassen seiner unmittelbaren Einheit wirksame Rückbeziehung auf diese Einheit, so kann sie als solche nur geisthaft sein, so dass der lebendige Gott als Dreieiniger selber immer auch Geist ist. 8 Für die göttlich Weisheite gilt letztlich auch, dass sie unbegreiflich bleibt (ἀκατάληπτος, 1Clem 33,3). 9 Zur Schöpfung als dieser Voraussetzung s. u. § 8 A. 6. (S. 447 bei Anm. 69).

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diesem Anderen, so dass die göttliche Selbstherablassung zugleich immer Rückkehr zu sich ist. Es handelt sich um ein wirkliches Mitgehen des Schöpfers mit seinem Geschöpf (endgültig in der Menschwerdung), und insofern ist Gottes Herablassung zu uns Ausdruck seiner Liebe.10 Das verändert das Verhältnis zwischen Gott und Welt (und macht diese erst im christlichen Sinn zu »seiner« Schöpfung); es verändert aber auch den Begriff von Gott (qualitativ) – gegenüber der gesamten Religionsgeschichte.11 Für uns ist diese zu uns kommende und uns mitnehmende Liebe Ermöglichungsbedingung unserer Teilhabe am ewigen Leben. Denn »nec ab eo quod orti sumus ad aeterna transire possemus, nisi aeterno per ortum nostrum nobis sociato ad aeternitatem ipsius traiiceremur«.12 Die den unendlichen Unterschied von Schöpfer und Geschöpf akzentuierende Rede von »Herab«-lassung meint, in einer anderen räumlichen Metapher gesagt, das Aus-sich-Herausgehen Gottes. Bei dieser Ausdrucksweise wird deutlicher, dass das Andere, wodurch die Bewegung zu einer »heraus aus …« wird, dabei (eodem actu) selber erst gesetzt wird – eben als Schöpfung –, so dass Gott im Außer-sich zugleich bei sich bleibt. Die Kondeszendenz impliziert, wie gesagt, immer ein in sich Zurückkehren Gottes, und er ist nur so beim Anderen seiner (das er erst sein lässt), dass er zugleich bei sich ist. 5. Gottes Selbstherablassung zu seiner Schöpfung und ihr zugut ist sozusagen der erste Schritt zu ihrer Wiedereinbringung im Eschaton, wo Gott so im Anderen seiner selbst bei sich ist (bzw. sein wird), dass er alles in allem ist (1Kor 15,28). Der ewige Gott holt als Grund von allem dieses wieder ganz in sein Leben hinein, und dies aufgrund seiner Allmacht, die darin besteht, »sich selbst weggeben zu können an das Nichtgöttliche und dadurch wirklich eine eigene Geschichte an den anderen, aber als eigene Geschichte, zu haben«.13 Was für Gott die Selbstvollendung schon ist, ist für uns freilich noch Zukunft. Der Leitsatz des Paragraphen spricht von der »Selbstvollendung des ewig Vollendeten«, um die Lebendigkeit Gottes im Werden zu sich zu verorten. Gott holt den unendlichen Reichtum seines eigenen Lebens ewig in sich zurück. So bleibt er in seiner Selbstvollendung doch nur der immer schon Vollendete, wenngleich auch zu sagen ist: »Weniger werden zu können, als Gott bleibend ist, wäre dementsprechend größere Vollkommenheit«.14 6. So gehört seine Kondeszendenz in seine lebendige Vollkommenheit hinein; im Blick auf die Menschwerdung Gottes als Zentrum seiner Kondeszendenz gilt: »Das absolute Wesen, welches als ein wirkliches Selbstbewußtsein 10 Gottes Liebe ist der gesteigerte Vollzug seines Lebens, und sie ist schöpferisch als Liebe zu dem, was nicht Gott ist. 11 Das impliziert auch eine Veränderung der religiösen Sprache: hin zu der spezifischen Sprache des Neuen Testaments (und der christlichen Verkündigung). 12 Augustin, De trin. IV 18,24 (PL 42, 904; Hervorh. J. R.). 13 K. RAHNER, Grundkurs des Glaubens, Freiburg u. a. 1976, 220f. 14 H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 160.

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da ist, scheint von seiner ewigen Einfachheit herabgestiegen zu sein, aber in der Tat hat es damit erst sein höchstes Wesen erreicht.«15 Insofern gehört die Selbstherablassung Gottes in seine Selbsthervorbringung. Der gegenwärtige Paragraph 6 hat eine Gelenkfunktion, insofern mit dem Begriff göttlicher Selbstherablassung der Übergang vom formalen Sein Gottes (Kap. II) zu seinem konkreten Sein (Kap. III) angebahnt ist. Denn die Selbstentäußerung des göttlichen Lebens ist auch die Selbstentäußerung seiner Formalität (als aseitas dei) zu Inhaltlichkeit (in Gestalt von Gottes »Eigenschaften«) bzw. seines inneren Gleichseins mit sich zum Gleichsein mit seinem Anderen, d. h. in diesem mit sich. Das formelle Sein Gottes konkretisiert sich selber zum konkreten durch seine Selbstaufschließung: Es wird inhaltlich. Diese Inhaltlichkeit des göttlichen Seins (als Mannigfaltigkeit verschiedener Eigenschaften) ist nur die Selbstentzweiung oder Selbstbewegung seiner absoluten »Form«, und dabei realisiert Gott sich als causa sui. Gott ist Gott, weil er mit sich nicht einfach formal identisch bleibt, sondern seine eigene Inhaltlichkeit aus sich (als reiner Form) erzeugt. Umgekehrt: Was bisher als Form-Seite von Gottes Wesen betrachtet wurde, ist nur die spezifisch göttliche Bestimmtheit (als Selbstbestimmung) seiner Inhaltlichkeit, und so sind die »Eigenschaften« Gottes wirklich seine.16 Man kann auch sagen: Der kondeszendente Gott hält nicht fest an seiner »Form«, der µορφὴ θεοῦ (Phil 2,6).17 7. Damit werden die »Prolegomena« innerhalb der Gotteslehre selber eingeholt; denn allein die liebende Herablassung Gottes zu uns gewährt uns die Möglichkeit, von Gott selber – bei aller bleibenden Unterschiedenheit von Schöpfer und Geschöpf – inhaltlich nicht ganz unangemessen zu reden,18 d. h. ihn in seinem Begriff konkret zu denken.

B. Zur Begriffsgeschichte Das Theologumenon von Gottes Sich-Herablassen hat biblische Wurzeln, die sich im Terminus des »Herabfahrens« (vom Himmel;19 griech. καταβαίνειν) verdichten.20 Dabei geht es um ein Sich-Vergegenwärtigen Gottes selber 15

HEGEL, Werke 3, 553. A.a.O. 564 ist von der »Selbsterniedrigung des göttlichen Wesens« die Rede. 16 Cf. § 7 C. (S. 424ff). 17 Siehe dazu unten Abschnitt C. (S. 378ff). 18 Cf. Irenäus, Adv. haer. II 13,4 (PG 7, 744f.). 19 Zunächst wohl vom »Sinai«: Ex 19,11.18. 20 καταβαίνειν wird auch vom Herabkommen des Geistes auf Jesus ausgesagt (Mk 1,10 par; Joh 1,32f) sowie von Gottes Kommen zur Errettung (Act 7,34, mit Bezug auf Ex 3!) oder von »aller guten Gabe« Gottes (Jak 1,17), der mit ihr selber kommt. Das κατιέναι des Porphyrios (Isag. 6,11–16; hg. von A. Busse, Porphyrii Isagoge et in Aristotelis Cate-

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(2Sam 22,10), oft in heilvoller Absicht (ψ 71,6), das vom Gläubigen erbeten wird (ψ 143,5 und Jes 64,1). Neutestamentlich wird damit das Bild der »Himmelsleiter« (Gen 28,12) verknüpft (Joh 1,51)21 und christologisch gewendet (Joh 3,13 [cf. Röm 10,6f]; 6,33.41 [Lebensbrot]; Eph 4,9) sowie auch eschatologisch wieder aufgenommen (1Thess 4,16; Apc 3,12; 21,2). Der Begriff selber22 (συγκατάβασις) stammt aus der griechischen Rhetorik und meint da die Anpassung des Redners an das Vorstellungs- und Denkvermögen seiner Hörer.23 Dieser Ausdruck wurde von Johannes Chrysostomos und anderen theologisch aufgenommen;24 er wird zumeist von Gott gebraucht, der seine Unfassbarkeit und Unendlichkeit uns Menschen fasslich machen will;25 descensus kann aber auch die Dialektik des göttlichen Seins zum Ausdruck bringen.26 Als »Kondeszendenz« (lat. condescensio) kommt er dann im Mittelalter (Bonaventura; nicht aber Thomas) und in erbaulicher Anwendung noch in der englischen Theologie des 16.–18. Jahrhunderts vor. Die deutsche Form »Herunterlassung« findet sich bei Ch. F. Oetinger (1735). Verwandte, durch die theologische Literatur gehende Begriffe sind »humiliatio«, »Knechtsgestalt«27 und »Kenosis« bzw. »exinanitio« (cf. Phil 2,8.7)28 oder auch »acco-

gorias commentarium, Berlin 1887) übersetzt Boethius mit descensus (Isag. Porph. comm. [ed. sec.] II 8 und 9, in: Boethii Opera, Bd. I, hg. von S. Brandt, CSEL 48, Wien 1906, 225,14 und 228,3). 21 Siehe dazu unten Abschnitt I. (S. 400ff). 22 Die theologiegeschichtlichen Stationen des Kondeszendenz-Motivs von der Patristik bis in die spekulative Theologie des 19. Jahrhunderts skizziert K. GRÜNDER, Figur und Geschichte. Johann Georg Hamanns »Biblische Betrachtungen« als Ansatz einer Geschichtsphilosophie, Symposion 3, Freiburg 1958, 28–74. Cf. auch den Art. Kondeszendenz, HWP 4 (1976), Sp. 942–946 (Red.). 23 Quintilian redet von »ad intellectum audientis descendere« (Inst. or. I 2,27; cf. Ambrosius, De Isaac 7,57). 24 Bei Maximus Confessor, Amb., steht συγκατάβασις aber auch für die Inkarnation (cf. PG 91, 1041CD; 1084C u. ö). Marius Victorinus spricht von descensio τοῦ λόγου (Adv. Arium, in: Gaius Marius Victorinus, Traités théologiques sur la trinité, hg. von P. Henry/P. Hadot, Bd. I, SC 68, Paris 1960, 26,31). 25 Zur »Kondeszendenz« im Judentum cf. Josephus, Ant. VII 91, sowie den Begriff göttlicher Schekhina; dazu: P. KUHN, Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen, StANT 17, München 1968; A. M. GOLDBERG, Untersuchungen über die Vorstellung von der Schekhinah in der frühen rabbinischen Literatur, StJ 5, Berlin 1969; B. JANOWSKI/E. E. POPKES (Hgg.), Das Geheimnis der Gegenwart Gottes. Zur Schechina-Vorstellung in Judentum und Christentum, WUNT 318, Tübingen 2014. 26 Cf. dazu die Nachweise bei W. BEIERWALTES, Denken des Einen, Frankfurt 1985, 361f mit Anm. 71. 27 Cf. dazu (von Hamann beeinflusst) H. V. BEZZEL, Der Knecht Gottes, Nürnberg 1921. 28 Beide Begriffe werden in der altprotestantischen Orthodoxie christologisch besonders wichtig.

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modatio« (Jesus Sirach).29 Die »Akkomodation« bedeutet im 18. Jahrhundert oft nur noch – in einer Rückkehr zu der rhetorischen Ausgangsbedeutung des Begriffs30 – die Anpassung des Hl. Geistes, aber auch der menschlichen Verfasser der biblischen Schriften an das historisch begrenzte Vorstellungsvermögen der Leser. So wird z. B. die Schreibart des Mose als Anpassung an die jüdischen Begriffe gedeutet, oder man meint, Jesus habe sich den religiösen Vorurteilen seiner Zuhörer »anbequemt«, um eine reine Morallehre zu introduzieren. In eine theologisch zentrale Stellung rückt der Begriff göttlicher Selbstherablassung sowohl bei Luther (s. u. Abschnitt F. [S. 390ff])31 wie im 18. Jahrhundert bei dem Lutherschüler J. G. Hamann ein (s. u. Abschnitt G. [S. 394ff]).32 Man darf sagen, in dieser Tradition bezeichnet das Kondeszendenz-Motiv die Mitte des christlichen Glaubens spezifisch, und zwar mit besonderer Konzentration auf die Bibel und die Sprache. Das bedeutet für die Gotteslehre, es geht dabei nicht bloß um eine rhetorische Taktik oder (wie in der aufgeklärten Akkomodationstheorie) um eine pädagogische Maßnahme und hermeneutische Kategorie, aber auch nicht um eine Schonungshaltung oder moralische Tugend (trotz Phil 2,5). Vielmehr ist der Begriff theologisch auf ein definitives Handeln Gottes selber zu beziehen, und d. h. einerseits, er meint nicht ein uneigentliches Verhalten (was auf den platonischen Dualismus einer Welt reiner Wahrheiten und deren Vermittlung in einem trüben, verzerrenden Medium hinausliefe), sondern eine letzte Realität (wie in der Inkarnation manifest wird), in deren Ereignis jeder diastatische Dualismus gerade überwunden wird.33 Nicht von einem nicht-eigentlichen göttlichen Verhalten ist hier die Rede, sondern von der lebendigen Wahrheit als der sich selber zugänglich machenden. Andererseits geht es um ein Handeln in und aus göttlicher Liebe, d. h. Gottes Handeln als Liebe (dem Grundbegriff des Heilsgeschehens; cf. 1Joh 4,8f.16). Diese

29 Historistisch enggeführt bzw. verflacht in der deutschen Aufklärungstheologie und Neologie wieder aufgenommen (J. J. Semler, A. Teller u. a.). 30 So hatte schon Johannes Scotus Eriugena die Gleichnisse und Metaphern der Hl. Schrift als Gottes Herablassung verstanden: »infirmitati nostrae descendens« (De divis. nat. V 37; PL 122, 987A). 31 Dazu auch schon kurz GRÜNDER, Figur und Geschichte (wie oben Anm. 22), 34–37. Cf. z. B.: »Denn er hat sich yns aller tieffste herunter geben, unters gesetz, unter dem teuffel, tod, sünde und helle, das ist, mein ich, ja die letzte und unterste tieffe. Darumb foddert dieser spruch [Eph 4,9f], das die person … nicht allein warer Gott, sondern auch warer mensch sey« (zu Jes 53,2f; WA 23, 702,15–703,3). 32 Cf. bei GRÜNDER, a.a.O. 74–82. 33 Nietzsches plakative Formel vom Christentum als »Platonismus fürs Volk« (F. NIETZSCHE, Jenseits von Gut und Böse, Vorrede) ist zumindest für die lutherische Theologie ganz falsch. Cf. auch unten Anm. 91.

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wird mit dem Sein Gottes selber identifiziert, und die entscheidende inhaltliche Erfüllung dessen ist die Menschwerdung Gottes selbst.34 In diesen Perspektiven redet der Begriff von Gottes Kondeszendenz, wie gesagt, von seiner unendlichen Lebendigkeit, die (nicht bloß in ewiger Vollkommenheit in sich bleibend, sondern) sich nach außen mit-teilend als überströmendes und so wahrhaft göttliches Leben sich vollzieht und ereignet.

C. Herablassung und Menschwerdung (Phil 2,6–11) Dieser zentrale neutestamentliche Text35 soll hier nicht ausführlich exegesiert,36 sondern nur im Horizont der Gotteslehre auf seine strukturellen Implikationen hin erörtert werden (1.–3.).37 Das in diesem Hymnus von Christus, dem Gottessohn, Ausgesagte ist letztlich von Gott her zu begreifen bzw. nicht ohne seine Verortung im lebendigen Sein Gottes selber zu denken (4.). 1. Exinanitio. Am Anfang ereignet sich die ewige Selbstentäußerung des ewigen Gottessohnes als ein Geschehen im göttlichen Leben (V. 6f),38 denn er hat (präexistent) an der Daseinsweise Gottes selber teil (Käsemann). Der, der selber Gott ist bzw. der Gott auch ist (cf. Joh 1,1c): ἐν µορφῇ θεοῦ ὑπάρχων und dem das gottgleiche Sein zukommt (τὸ εἶναι ἴσα θεῷ), hält diesen »Status« nicht exklusiv für sich selber fest (ἁρπαγµός),39 sondern, darauf freiwillig verzichtend, »entäußert er sich selbst« (ἑαυτὸν ἐκένωσεν),40 indem er seine göttliche Herrengestalt mit der Gestalt des Knechtes (oder Sklaven: µορφὴ δούλου) vertauscht (V. 7a), d. h. diese definitiv annimmt (λαβών).41

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Sein als Handeln – das ist der Inbegriff göttlichen Sich-Hervorbringens. Cf. auch Hebr 1,5ff und 2,7–9. F. W. J. Schelling findet in dem klassischen Text Phil 2,6–8 die »Grundidee des Christenthums« (F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Offenbarung II [25. Vorl.], in: ders., SW 14, 39). 36 Cf. z. B. E. KÄSEMANN, Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. I, Göttingen 1964, 51ff. 37 Kürzer schon oben § 4 D. 3.2. (S. 318f). 38 »Das … Urphänomen ist gerade die Selbstentäußerung, das Werden, die kénosis und génesis Gottes selbst, der werden kann, indem er im Setzen des entsprungenen anderen selbst das Entsprungene wird« (VORGRIMLER, Gotteslehre [wie oben Anm. 14], 159). Inkonsequent ist freilich die Fortsetzung: »… ohne in seinem Eigenen, dem Ursprünglichen selbst, werden zu müssen« (ebd.); sie gehorcht dem abstrakten Unveränderlichkeitsaxiom (cf. a.a.O.). 39 Christi bzw. Gottes freie Subjektivität ist keine incurvatio in se ipsum! 40 Das Verb kommt nur hier reflexiv vor; sonst bedeutet es »entleeren«; cf. Röm 4,14; 1Kor 1,17; 9,15; 2Kor 9,3. 41 Cf. E.-M. BECKER, Der Begriff der Demut bei Paulus, Tübingen 2015; zu Phil 2 cf. bes. 151ff. 35

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Die Gottgleichheit wird eingewechselt gegen ihr Gegenteil,42 bzw. es gibt ein Werden in Gott (s. u.): von unmittelbarer Selbstidentität (des Sohnes) hin zu einer Öffnung nach außen, einer Selbstaufschließung. Diese Selbstunterscheidung bedeutet in der Zeit die Menschwerdung (V. 7b) des Gottessohnes bzw. Gottes selbst (ἐν ὁµοιώµατι ἀνθρώπων γενόµενος bzw. σχήµατι … ὡς ἄνθρωπος).43 Das besagt theologisch zunächst: Gottes Kondeszendenz in der Schöpfung vollendet sich in der Menschwerdung seines Sohnes;44 weil der Mensch das »Ebenbild« Gottes ist (Gen 1,27), ist der fleischgewordene Gottessohn Gottes wahres Ebenbild (2Kor 4,4; Kol 1,15). Insofern wiederholt der Menschgewordene unter den Bedingungen der Schöpfung zeitlich Gottes intrinsisches Vater-Sohn-Verhältnis: als Mensch unter Menschen (Joh 1,14aα).45 2. Humiliatio. In der Geschichte (als Mensch unter Menschen) stellt sich die Herablassung zu den Sündern sodann faktisch als radikale Selbsterniedrigung46 dar: ἐταπείνωσεν ἑαυτόν (V. 8a).47 Diese bedeutet einerseits den liebenden Gehorsam gegenüber dem (Heils-)Willen des himmlischen Vaters (als Unterordnung unter ihn: ὑπήκοος, V. 8b); zugleich zeigt der »Gehorsam« des Sohnes, wie Gott selber in dies Geschehen sich hineingegeben hat.48 Ande42

Genau so redet die Parallelstelle 2Kor 8,9 von einem »fröhlichen Wechsel« aus der göttlichen Gnade des Herrn Jesus Christus: δι’ ὑµᾶς ἐπτώχευσεν πλούσιος ὤν, ἵνα ὑµεῖς τῇ ἐκείνου πτωχείᾳ πλουτήσετε. 43 Das bedeutet, er nimmt definitiv die µορφὴ ἀνθρώπου an; von daher ist auch, was kurzsichtige Religionskritik »Anthropomorphismus« nennt, in der Menschwerdung Gottes angelegt. 44 »Es giebt, so lange die Welt steht, nur Ein Wunder, und … aller Glaube an Wunder hat nur darauf hingezielt und wendet sich nach der Erscheinung desselben nur diesem Einen zu. Denn größer ist nicht das Wunder der Weltschöpfung durch Gott, als dieses, daß er selbst die menschliche Natur angenommen und Mensch geworden ist« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 214f [§ 359]). 45 Wegen dieser Menschennähe des Vaters Jesu Christi kann der christliche Theologe nicht einmal gleichnishaft wie E. Husserl sagen: »Gott ist der ›unendlich ferne Mensch‹« (E. HUSSERL, Krisis, § 12, in: ders., Husserliana, Bd. VI, Dordrecht u. a. 1954, 67,29). 46 Das zweimalige ἑαυτόν (V. 7a und 8a) zeigt an, dass die Vorgänge es wesentlich mit dem Selbst-Sein zu tun haben; cf. unten Anm. 74. 47 In solcher Erniedrigung »ist der Geist in seiner Entäußerung, hat äußerliches Daseyn, sinnliche Gegenwart und unmittelbare Wirklichkeit, und in diesem seinen erscheinenden Leben kann Hunger und Durst, Leiden und Sterben statt finden« (MARHEINEKE, a.a.O. 208 [§ 348]), d. h. der Gottessohn als Menschensohn (cf. a.a.O. 201 [§ 336]). Ähnlich zur bedürftigen Menschheit Jesu LUTHER, WA 17 II, 244,5–9. 48 Cf. Luther zum Gehorsam Christi gegenüber dem Liebeswillen des Vaters: »Hie schleusst S. Paulus mit eym wort den hyymel auff und reumet uns eyn, das wyr ynn den abgrund Göttlicher Maiestet sehen und schawen den unaussprechlichen gnedigen willen und liebe des veterlichen hertzen gegen uns, das wyr fulen, wie Gott von ewickeyt das gefallen habe, was Christus … fur uns sollte und nu gethan hat. Wilchem sollte hie seyn hertz nicht fur freuden schmeltzen?« (WA 17 II, 244,27–33)

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rerseits geht es inhaltlich um die Selbstauslieferung an den Tod am Kreuz (ὑπήκοος µέχρι θανάτου, θανάτου δὲ σταυροῦ; V. 8b). Wurden in der heidnischen Antike die Götter als ideal-menschengestaltige gewusst,49 so erscheint (religionsgeschichtlich einzigartig) im Christentum die µορφὴ θεοῦ als µορφὴ δούλου einschließlich des Sklaventodes am Kreuz.50 Gerade so aber bringt sich die umgreifende Wirklichkeitsmacht des göttlichen Lebens als eine unendliche zur Geltung (s. u. 3.). Zunächst aber gilt: »Die Unendlichkeit selbst erlischt in der Endlichkeit, und der [Hegel’sche] harte Ausdruck: Gott selbst ist todt, spricht diese Seite der göttlichen Erniedrigung am stärksten aus.«51 3. Exaltatio. Wie der Kreuzestod in der Auferweckung »aufgehoben« wird, so nach Phil 2,9a die Erniedrigung in der Erhöhung.52 Umgekehrt gilt, dass das Verhältnis von Kreuz und Auferstehung als ein »Werden zu sich« begriffen werden muss.53 Insgesamt geht es dabei um die Selbstrestitution der göttlichen Lebendigkeit aus ihrem »Erlöschen« (Marheineke) im Endlichen, also um die sich aus ihrem Gegenteil wiederherstellende und so wahrhaft bewährte Unendlichkeit des kondeszendenten Gottes (coincidentia oppositorum). Daher ist im Rahmen der Gotteslehre die Abfolge, wie sie Phil 2 (zeitlich oder quasi-mythisch) vorstellt (ἐκένωσεν – ἐταπείνωσεν – διὸ … ὑπερύψωσεν),54 als die simultane Bewegung von Sich-Entzweien als Mit-sich-Zusammengehen im göttlichen Leben zu begreifen. 49 Die Götter der Griechen und Römer gelten als solche für selig in sich beruhend und unberührbar durch Nichtgöttliches, d. h. als monadische Entitäten: in immanenter Vollkommenheit abgeschlossen gegen Veränderung ihres Seins oder gar Sterblichkeit. 50 Auf die metaphysikkritische Bedeutung des Kreuzesgeschehens für die christliche Theologie hat neuerdings Ch. Axt-Piscalar mit Nachdruck hingewiesen; cf. CH. AXTPISCALAR, Rez. Gunther Wenz, Gott – Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie, Göttingen 2007, Jahrbuch für Religionsphilosophie 8 (2009), 219–223, hier 220f. 51 MARHEINEKE, a.a.O. 245 (§ 406). Hegel hatte die Formulierung bekanntlich aus dem lutherischen Choral »O Traurigkeit, o Herzeleid« (J. Rist, 1641), wo es in der zweiten Strophe ursprünglich hieß: »O grosse noth! / GOtt selbst liegt tod, / Am Kreuz ist er gestorben«; cf. die abgemilderte Fassung EG, Nr. 80,2. Dazu genauer cf. E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 85 mit Anm. 25. Zum »Tode Gottes« cf. H.-W. SCHÜTTE, Tod Gottes und Fülle der Zeit, ZThK 66 (1969), 62–76 und CH. LINK, Hegels Wort »Gott selbst ist tot«, ThSt(B) 114, Zürich 1974. 52 Auch K. Barth denkt Phil 2,6ff von dieser in sich differenzierten Einheit her; cf. BARTH, KD IV/1, 205–210 und KD IV/2, 168. Zum Verhältnis von Jesu Tod und Auferweckung in systematischer Perspektive (von Gott her) cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 615ff und 637ff. 53 Die Auferstehung »hat das ganze vorhergegangene Leben Christi zu ihrer nothwendigen Voraussetzung: aber erst in ihr ist das wahrhaftige Leben Christi mit allen seinen frühern Momenten ganz zu sich selbst gelangt« (MARHEINEKE, a.a.O. 63 [§ 110]). 54 Zum Verhältnis von exinanitio (1.) und exaltatio (3.) cf. die Ausführungen zur Statuslehre (s. u. Abschnitt D. [S. 385ff]); zum Verhältnis von humiliatio (2.) und exaltatio (3.) cf. (untergründig christologisch und ontologisch) Mt 23,12; Lk 14,11; 18,14; 2Kor 11,7; Jak 4,10; 1Petr 5,6.

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Den Wendepunkt und die Rückkehr in dieser Lebensbewegung Gottes markiert das Verb ὑπερυψοῦν.55 Es besagt, systematisch gesehen: Gott zieht Jesus und mit ihm die Zeit (seines Lebens) an sich, in sein ewiges Leben; d. h., er bringt aus Jesu Lebenslauf und dessen Ende sich ewig hervor.56 Derart ist »die Auferstehung Christi … die Lösung des Widerspruchs zwischen Tod und Leben, dem Zeitlichen und Ewigen, dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen; diese Lösung besteht eben darin, dass der Sohn Gottes sich in beides begiebt, der Gestorbene auch der Auferstandene, der Ueberwundene auch der Sieger ist«.57 Als so mit dem Vater in der ewigen Gottheit wiedervereinigt, kommt dem Sohn im Himmel wie auf Erden der absolute Gottesname (Altes Testament) selber zu (V. 9f): κύριος (cf. Act 4,12)58 und hat er lebendig teil an der δόξα θεοῦ πατρός (V. 11).59 4. Fragt man in systematischer Absicht, was Phil 2,6–11 über Gottes Sein zu denken gibt, so lassen sich folgende Näherbestimmungen namhaft machen. 4.1. Gottes Sein als der Lebendige ist die Einheit entgegengesetzter Bewegungen:60 die lebendige Einheit von Selbstentäußerung und Selbstbewahrung, 55

Es sei daran erinnert, dass auch das Vierte Evangelium in dem einen Wort ὑψωθῆναι (Passivum divinum) die Erniedrigung (als »Erhöhen« ans Kreuz) und die Erhöhung (durch Gott) theologisch in einem Vorgang zusammendenkt; cf. dazu J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 392ff. 56 Cf. das Augustin-Zitat oben bei Anm. 12. 57 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 44), 209 (§ 350). 58 Dieser Name lebt in der Gemeinde und ihrem bekennenden Gebet (V. 10f) als ihr Sterben und Auferstehen mit Christus (cf. Röm 6,8; 14,8), und daher kann gesagt werden: »als Geist in seiner Gemeinde lebend durchlebt er [sc. Jesus Christus] in ihr fortwährend sein ganzes Daseyn durch alle Momente und sein individuelles und dienendes, leidendes und sterbendes, in der Hölle der Bösen selbst verweilendes Daseyn ist in ihr unmittelbar geistige Gegenwart. Nur in dieser beständigen Bewegung durch alle diese Momente ist er der wirkliche in ihr, und diese Bewegung selbst ist sein beständiges Wiederkommen« (MARHEINEKE, a.a.O. 209f [§ 351]). Dies ist zugleich die ewige Bewegtheit des Lebens Gottes selber. 59 In einem biblischen Cento von überbordender Fülle hat J. G. HAMANN in »Golgatha und Scheblimini« – eine Schrift, deren Titel bereits die beiden »status« Christi benennt (cf. Ps 110,1.4; cf. auch LUTHER, WA 41, 91,11–21) – mit Bezug auf Phil 2,8 die Erlösung durch Christi Tod und Erhöhung gepriesen: als »eines Retters und Ritters, … dessen Abkunft nach dem Fleisch aus dem Stamme Juda [Hebr 7,14; Jes 11,1], sein Ausgang aus der Höhe aber des Vaters Schoß [Joh 1,18] seyn sollte. … die Zeichen des Widerspruchs [Lk 2,34; Jes 8,14] in der zweydeutigen Gestalt seiner Person, seiner Friedens- und Freudenbotschaft [Jes 52,7], seiner Arbeiten und Schmerzen [Jes 53,3.11], seines Gehorsams bis zum Tode, ja zum Tode am Kreutz! und seiner Erhöhung aus dem Erdenstaube eines Wurms [Ps 110,1; cf. Mt 22,24 und Hi 25,6] bis zum Thron unbeweglicher Herrlichkeit – –« (J. G. HAMANN, SW 3, 311,21–31; verkürzt). Dieser Text steht im engsten Zusammenhang mit Hamanns Auffassung aller ewigen Wahrheiten als der zugleich »unaufhörlich Zeitlichen« (cf. a.a.O. 311,37–40 mit 303,36f)! Cf. auch L. SCHREINER, J. G. Hamanns Hauptschriften erklärt, Bd. VII, Gütersloh 1956, 48f. 60 Insbesondere in seiner Kondeszendenz zeigt sich, dass Gottes Lebendigkeit Negativität impliziert (als im Unterschied von sich bei sich Sein). Insofern kann man in der Selbst-

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Selbsttransformation und Selbstrestitution. Ebendiese (sich entzweiende) eine Lebensbewegung Gottes stellt sich an Christus dar, der sie, in sie einbezogen und Zeit und Ewigkeit vermittelnd, vollzieht.61 Als Gekreuzigter und Auferstandener lebt er das Leben Gottes selbst. 4.2. Dabei ist, von Gott her, das Hinab (Phil 2,7f) schon das Hinauf (Phil 2,9; cf. διό)62 bzw. der Weg hinauf (zu sich) und hinab (in die Welt mit ihrer Zeit und Geschichte) einer;63 es gibt keine andere Erhöhung als die in der Erniedrigung (cf. Eph 3,9f; Joh 3,13.31a).64 4.3. Christus hat seine Gleichheit mit Gott gerade in der Ungleichheit; d. h., er ist Gott gleich, indem er ihm nicht nur gleich ist: für uns.65 In dieser Ungleichheit ist aber Gott selber lebendig gleich mit sich selber.66 Denn der Allmächtige kann sein, was er nicht ist.67 entäußerung Gottes, ja seiner Entäußerung bis ans Kreuz, die konkrete Vollendung der (für sich abstrakten) Negativen Theologie erblicken. »Ihr Fluchtpunkt ist, über metaphysische Theologie hinaus, die Theologie des sich erniedrigenden Gottes« (M. THEUNISSEN, Negativität bei Adorno, in: L. v. Friedeburg/J. Habermas, Adorno-Konferenz, Frankfurt 1983, 41–65, hier 60). 61 Hamann spricht vom »Senfkorn der Anthropomorphose und Apotheose« (HAMANN, SW 3, 192,20f). 62 Cf.: »Ille homo, qui flagris caesus, qui sub morte, sub ira Dei, sub peccato et omni genere malorum, denique sub inferno est infimus, est summus Deus« (WA 43, 580,4–6; Hervorh. J. R.). Das bedeutet: »sunt enim in eadem persona maxime contraria« (a.a.O. 580,14), so dass auch gesagt werden kann: »Deus enim manifeste hic sibi ipsi contradicit« (a.a.O. 201,30). Entsprechend Hamann von der einen in sich gegenläufigen Bewegung der »Anthropomorphose« und »Apotheose«: »aller philosophische Widerspruch und das ganze historische Rätzel unserer Existenz … sind durch die Urkunde des Fleischgewordnen Worts aufgelöset« (HAMANN, SW 3, 192,20–26). 63 So auch schon im ältesten Beleg für die philosophische Weg-Metapher: ὁδὸς ἄνω κάτω µία καὶ ὡυτή (Heraklit, Frgm. B 70; DK I, 164). 64 Cf. oben Anm. 52 und 55. Die Verkehrung von Oben und Unten, Himmel und Erde, wie sie auch in 1Kor 1,19–29 zum Ausdruck kommt, entspricht dem Sein des lebendigen Gottes, der die Liebe ist (cf. Luthers 20. These der Heidelberger Disputation [mit Probatio]: WA 1, 354.362). Cf. auch Mk 10,42ff und zur Verkehrung des Herr-Knecht-Verhältnisses bei Luther: J. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff, Bd. I, Tübingen 2004, 5f. 65 Hamann will den »Leser in der Wüsten« trösten »mit der symbolischen Verwandschaft der irdischen Dornen- und himmlischen Sternenkrone und dem kreutzweis ausgemittelten Verhältnis der tieffsten Erniedrigung und erhabensten Erhöhung beyder entgegengesetzten Naturen« (HAMANN, SW 3, 405,28–407,3). Das zielt auf die Einheit in der Dialektik der beiden »Stände« Christi. 66 Cf. Luther: »deus vere omnia in omnibus, aequus et idem, simul tamen inaequalissimus et diversissimus. Ipse est enim, qui in multitudine simplex, in simplicitate multiplex, in inaequalitate aequalis, in aequalitate inaequalis, in sublimitate infimus, in excelsis profundus, in intimis extremus et e diverso. Sic in infirmis potens, in potentibus infirmus« (WA 5, 170,2–7; cf. Nikolaus von Kues, De doct. ignor. I, XVIII, in: ders., Phil.-theol. Schr. 1, 276). 67 »Haec est enim potestas dei, ut salvo, quod est, possit esse, quod non est« (Zeno von Verona, De nativ. et maiest. Domini II 9,2; PL 11, 417). Cf. Luther von Christus nach Phil

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4.4. Gottes lebendige Wirklichkeit ist seine Herablassung in unsere Wirklichkeit; er will unser Gott sein: Darum wird er Mensch.68 Christlich gilt: »Gott in seiner zeitlosen Ewigkeit ist nicht Gott. Jesus Christus in seiner zeitbegrenzten Menschlichkeit ist nicht Jesus Christus. Vielmehr in dem Menschen Jesus Christus ist Gott Gott. Allein in Jesus Christus ist Gott gegenwärtig.«69 4.5. Gottes Vollkommenheit ist nicht unmittelbar bzw. einfach, sondern in freier Wiederholung verwirklicht. Er hält seine Identität mit sich in ewiger Vollendung nicht für sich fest (ἁρπαγµός, Phil 2,6);70 vielmehr setzt er sie frei aufs Spiel, um gerade so sie ewig zu bewähren und sich zu verherrlichen (εἰς δόξαν θεοῦ, Phil 2,11b). Die absolute Vollendung in sich vollendet sich paradox noch einmal, indem sie sich frei auch außerhalb ihrer selbst setzt: als »Selbstvollendung des ewig Vollendeten«.71 Gott ist seine wesentliche Vollendung auf absolut vollkommene Weise, nämlich frei.72 Im Verlassen unmittelbaren Vollkommenseins erreicht er es schöpferisch,73 und im absoluten Vollkommenwerden überbietet sich das schon Vollkommene noch einmal: als überströmende Gnade. 4.6. Gottes »Ent-äußerung« (κένωσις) am Ort des eigenen Sohnes ist die Freiheit seines Selbstseins und so auch Freiheit von sich: für Anderes. Seine lebendige Macht, kondeszendent aus sich herauszugehen, ohne sich zu verlieren, bedeutet eine »Selbst-Mächtigkeit« in dem Sinne, dass Gott als absolutes 2: »So eussert sich nu Christus göttlicher gestalt, darynnen er war und nympt an sich knechtische gestalt, darynnen er nicht ist« (WA 17 II, 241,11–13; Hervorh. J. R.). 68 Cf. anders in der griechischen Metaphysik: Ἀδύνατον … θεῷ ἐθέλειν αὑτὸν ἀλλοιοῦν, … µένει ἀεὶ ἁπλῶς ἐν τῇ αὑτοῦ µορφῇ [!] (Platon, Politeia II, 381c 7–9). 69 D. BONHOEFFER, Christologie-Vorlesung (1933), in: ders., DBW 12, 294. 70 S. o. Anm. 39 sowie BARTH, KD II/1, 580f. 71 In der Gegenwart irdischer Zeit leben wir als Menschen im noch unaufgelösten Widerspruch zwischen dem Kreuz Christi und Gottes himmlischer Herrlichkeit, der erst eschatologisch überwunden wird (s. u. § 16). So lange wird, bis zur Lösung dieser Strittigkeit Gottes (W. Pannenberg), auch das Christentum nur eine Religion unter anderen, d. h. unter den Bedingungen von Pluralität, sein. Daher ist kein empirischer Suprematieanspruch für das Christentum zu erheben. Die Rede von der Absolutheit des Christentums ist freilich kein unreflektierter sog. »Absolutheitsanspruch«, sondern begrifflicher Ausdruck seiner Erkenntnis unter den Bedingungen religionsgeschichtlicher Relativität (bzw. nach der Einsicht in sie). Auf jeden Fall muss das Christentum jenen Widerspruch in der Zeit unbeirrbar offenhalten. 72 Cf. eindrücklich K. Barth: »Gott könnte als Gott nicht herrlicher sein als in dieser unbegreiflichen Erniedrigung seiner selbst zum Menschen, in dieser unbegreiflichen Erhöhung des Menschen zu sich selber … eben in dieser Entäußerung seiner selbst ist er herrlich. Und eben dieses höchste Werk Gottes nach außen ist der Spiegel und das Bild seines inneren, seines ewigen göttlichen Wesens …: Einer und doch nicht gefangen und gebunden, nur Einer … und doch ein Anderer, und als dieser Andere doch wieder der Eine: unvermischt und unwandelbar, aber doch auch ungetrennt und ungeschieden« (BARTH, KD II/1, 748f). 73 Dies Sich-Verlassen (cf. Mk 15,34) ist Gottes Zu-sich-Kommen und seine Selbstentäußerung nur eine neue Bestätigung seiner ewigen Einheit.

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Selbst auch sich selber frei gegenübersteht. Die Allmacht seines unverlierbaren Lebens ist umso unverlierbarer, je mehr es sich (an uns) verströmt. Seine Selbsthingabe bedeutet seine Selbstvollendung in Freiheit.74 4.7. Gottes Herablassung besagt das Paradox, dass die göttliche Majestät und Herrlichkeit gerade im Verborgenen gegenwärtig wird. Somit bedeutet die Kondeszendenz Gottes einerseits eine Erschwerung an Kenntlichkeit, indem er für uns hier nur sub contrario (extrem am Kreuz) da ist.75 Andererseits bringt sie eine unvergleichliche Nähe mit sich: Indem Gott selber als Mensch unter Menschen da ist, gilt von ihm absolut: »humani nihil a me alienum puto« (Terenz).76 Er hat sich selber am Ort des Sohnes erniedrigt, damit unser Leben in die Nähe seines eigenen Lebens gelange.77 4.8. Nichts ist so tief, d. h. unkenntlich, verborgen, wie das, was (nicht irgendwo, sondern) unter seinem eigenen Gegenteil verborgen ist. Daher gilt nach Luther: »Bonum enim nostrum absconditum est et ita profunde, Ut sub contrario absconditum sit«.78 Genau auf diese Verborgenheit Gottes in seiner Selbstherablassung und Selbsterniedrigung ist nach Luther der Glaube wesentlich bezogen, ja, er wird durch diesen Bezug auf den in seinem Gegenteil unkenntlichen Gott geradezu definiert: Quod fides est rerum non apparentium [Hebr 11,1]. Ut ergo fidei locus sit, opus est, ut omnia quae creduntur, abscondantur. Non autem remotius absconduntur, quam sub contrario obiectu, sensu, experientia. Sic Deus dum vivificat, facit illud occidendo, dum iustificat, facit illud reos faciendo, dum in coelo vehit, facit id ad infernum ducendo.79

Hier verbindet sich das Motiv göttlicher Kondeszendenz mit Luthers theologia crucis als einer Offenbarung »sub contrario«.80 Weil diese nur dem Glauben (im Sinne von Hebr 11,1) vernehmlich und zugänglich ist, ist die Un-

74 Darum formuliert Mk 10,35 christologisch und ontologisch die Wahrheit von Subjektivität bzw. die Wahrheit der Wirklichkeit. Von hier aus ist auch Phil 2,5 erst richtig zu verstehen, und d. h. nicht bloß im Sinne einer (moralischen) »imitatio Christi« (cf. oben S. 377). 75 Insofern handelt es sich nicht um eine »Akkomodation« im pädagogischen Sinne. Cf. auch Dante: »Per questo la Scrittura condiscende / A vostra facultate, e piedi e mano / Attribuisse a Dio, ed altro intende« (Par. 4, 43–45). 76 Terenz, Heauton Timorumenos, V. 77. 77 Cf. oben Anm. 45. 78 WA 56, 392,28f. Zur Veranschaulichung heißt es weiter: »Sic vita nostra sub morte, dilectio nostri sub odio nostri [Genetivus objectivus], gloria sub ignominia, salus sub perditione, regnum sub exilium, coelum sub inferno, sapientia sub stultitia, iustitia sub peccato, virtus sub infirmitate« (a.a.O., Z. 29–32). Im Hintergrund dürfte Kol 3,3 stehen. 79 LUTHER, De servo arbitrio, in: WA 18, 633,7–11 (cf. 1Sam 2,6; Vg.). 80 Cf. auch Mt 11,25 par.

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kenntlichkeit des kondeszendenten, menschgewordenen Gottes für weltliche Augen opak und ganz verschlossen.81

D. Zur Lehre von den »status Christi« Dieses Lehrstück bildet zwar in der altprotestantischen Dogmatik den Abschluss der Christologie, ist hier aber wegen seiner (in Abschnitt C. aufgezeigten) Implikationen für die Gotteslehre kurz zu diskutieren. 1. Als entscheidend für die Begründung der Erlösung wird gedacht, dass der ewige Gottessohn die Schwächen der menschlichen Natur annimmt und diese Knechtsgestalt mit Himmelfahrt und Auferstehung wieder ablegt; dafür ist der wichtigste Belegtext (sedes doctrinae) eben Phil 2,5–9.82 Im Anschluss an diesen Text (Vulgata) unterscheidet man grundlegend: a) status exinanitionis b) status exaltationis. Dem Credo folgend gehören zu a): conceptio, nativitas, circumcisio, educatio (inter homines), passio magna, mors, sepultura. Zu b) rechnet man: descensus ad inferos,83 resurrectio, ascensio, sessio ad dextram patris (reditus ad iudicium extremum). Das sich hier systematisch stellende Problem betrifft zunächst das Verhältnis von exinanitio und Kondeszendenz bzw. die Frage: Wer ist das Subjekt der exinanitio: der Logos asarkos (reformierte Christologie) oder der Logos ensarkos (d. h. der Gottmensch)? Die einschlägige komplizierte Diskussionsgeschichte kann im Zusammenhang unserer Gotteslehre freilich unberücksichtigt bleiben. Für eine lutherische Theologie ist davon auszugehen, dass Kondeszendenz und Menschwer81

Cf. Luther (und 1Kor 1,18ff): »Quia sapientia Dei in abscondito est, incognita mundo. ›Verbum enim caro factum est‹ et sapientia incarnata ac per hoc abscondita nec nisi intellectu [sc. vero] attingibilis, Sicut Christus non nisi revelatione cognoscibilis. Quare de visibilibus et in visibilibus sapientes sunt (quales sunt omnes homines extra fidem et qui Deum ignorant ac futuram vitam), non intelligent, non sapient …, Sed insipientes et caeci [sunt], Et licet videantur sibi sapientes, tamen stulti facti sunt. Quia non sapientia, quae in occultis est, … sapientes sunt« (zu Röm 3,11; WA 56, 237,20–28). Cf. auch oben § 5 (S. 370 Anm. 182). 82 J. Gerhard widmet der Diskussion von Phil 2 im Rahmen des Lehrstücks fast 20 großformatige Spalten; cf. J. GERHARD, Loci theologici, c. XIV (§§ 293ff) (hg. von E. Preuss, Bd. I, Berlin 1863, 592–601). 83 Interkonfessionell war strittig, ob die »Höllenfahrt« als Abschluss der Erniedrigung oder schon als Beginn der Erhöhung zu verstehen sei. In der Orthodoxie der Ostkirche zeigen Ikonen unter dem Titel der »Anastasis« Christi Eintritt in die Vorhölle – zur Befreiung Adams und Evas mit unübersehbarer eschatologischer Bedeutung (cf. unten § 16 E. 3. [S. 935ff])! Zum descensus siehe auch unten Abschnitt I. (S. 400ff).

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dung zusammenfallen,84 diese aber nicht nur auf den »Status« der Erniedrigung zu beschränken ist,85 weil auch der Erhöhte Gottmensch bleibt,86 sondern auch die Erhöhung umfasst.87 Gegenüber den traditionellen Lösungen, die an einer undialektisch-starren Fassung der Begriffe (z. B. »Natur«) kranken88 und vorstellungsmäßig auf ein Nacheinander fixiert sind, bei dem das lebendige Zeit-Ewigkeits-Verhältnis unbedacht bleibt, ist, wie Abschnitt C. gezeigt hat, theo-logisch zu denken, dass Gott mit der Kondeszendenz seine Herrlichkeit frei vollendet und dabei Erniedrigung und Erhöhung sich zugleich ereignen bzw. das eine im anderen. Eine solche Lösung des Problems ist freilich für einen Dogmatiker wie D. Hollaz, wie hier exemplarisch zu zeigen ist, nicht möglich, und zwar aus Gründen, die im Gottesbegriff zu suchen sind. Für seine (lutherische) These vom λόγος ἔνσαρκος gibt er eine Begründung, die nicht soteriologisch, sondern von der Zweinaturenlehre her argumentiert: Exinanitus est Christus [sc. allein] secundum humanam naturam in unione personali consideratum … Subjectum quo est sola humanitas, sed in unione considerata; nam 1. divinitas cum sit immutabilis et perfectissima, exaltari et exinaniri nequit, 2. exinanitio facta est usque ad mortem crucis Phil II, 8 ac divinitas nec mortua nec crucifixa est. (D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Bd. III [1707; ND 1971], q. 113, prob. B, S. 282) Für diese Behauptungen stellt sich theologisch, d. h. was die Gotteslehre betrifft,89 das Problem, ob mit der These: »divinitas … immutabilis et perfectissima« nicht der lebendige Gott verfehlt wird,90 und dies aufgrund unreflektierter Übernahme unmittelbarer, griechisch-metaphysischer Voraussetzungen. Es ist insbesondere das sog. »Apathie-Axiom« der vorchristlichen Meta84

Aber auch schon das Symbolum Nicaenum formuliert vom Gottessohn: »qui propter nos homines … descendit de coelis, et incarnatus est« (BSLK 26,12–14). 85 Die humiliatio gilt als »clemens inclinatio« (J. Gerhard). 86 Cf. besonders eindrucksvoll LUTHER, WA 26, 333,6–10. 87 Die Frage lautet: Hört die Erniedrigung mit der Erhöhung einfach auf? 88 Das gilt auch von dem Streit zwischen den (Tübinger) »Kryptikern« und den (Gießener) »Kenotikern« (1616–1624). 89 Christologisch ist zu fragen: Ist die humanitas nur deswegen als »Subjectum quo…« gefasst, weil sie sonst als anhypostatisch, also eigener Subsistenz ermangelnd, zu denken ist? Die undialektische Fassung der Begriffe besagt: Erniedrigt worden ist Christus allein nach der menschlichen Natur, aber in der Einheit seiner Person betrachtet, bzw. das Subjekt, durch das das zustande kam, ist die Menschheit allein, wenn auch in Einheit mit der göttlichen Natur betrachtet. Weil die Gottheit unveränderlich und schlechthin vollkommen ist, kann sie weder erhöht noch erniedrigt werden. Das aber ist ein starrer, unlebendiger Begriff von Gottes Natur. 90 Aus dieser These folgt unmittelbar: »exaltari et exinaniri nequit«.

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physik, das ein Begreifen der Lebendigkeit Gottes, wie es im Reden der Bibel und spezifisch des Neuen Testaments vorkommt, verhindert.91 Ein christlicher Gottesbegriff muss das »Leiden Gottes« in sich aufnehmen können.92 Statt im Sinne ewig-unveränderlichen Sich-gleich-Seins gemäß der griechischen Philosophie93 muss der Begriff von Gottes Unveränderlichkeit spekulativ neu gefasst werden.94 2. Eine sachkritische Auseinandersetzung mit der traditionellen Lehre von den beiden »status« des Gottmenschen muss vom Gottesbegriff her insbesondere die (quasi-mythische) Vorstellung ihres zeitlichen Nacheinanders überwinden. Das ist prinzipiell schon in der spekulativen Theologie des 19. Jahrhunderts geleistet worden.95 2.1. Es ist aus dem Gottesbegriff selber gedacht, wenn es bei Marheineke von den geschichtlich auseinandertretenden beiden Ständen der Erniedrigung und Erhöhung heißt: »als Entäußerung beider Naturen aber sind beide einander gleich, und somit im Begriff wesentlich eins« (204 [§ 343; Hervorh. J. R.). Wegen des wechselseitigen Ineinanderübergehens der vorläufig zu unterscheidenden Momente existiert in ihnen der eine Begriff lebendig,96 so dass folgt: »Das Zeitliche oder Nacheinander beider Stände ist nur das Erscheinende und Geschichtliche: in Wahrheit ist in der Erniedrigung Gottes zur menschlichen Natur diese zugleich in ihrer Erhöhung, und in der Erhöhung der menschlichen Natur Gott in seiner Erniedrigung« (205 [§ 343]).97 Gottes 91 Cf. beispielhaft das Platon-Zitat oben Anm. 68 und Phaidon 97d, 80af. Cf. zur traditionellen göttlichen Leidensunfähigkeit JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt (wie oben Anm. 51), 85 mit Anm. 27 und 511 mit Anm. 17 und 18; dort heißt es bezüglich der Selbstunterscheidung des lebendigen Gottes: »Durch die im Kreuz begründete Unterscheidung von Gott und Gott [sind] das Absolutheitsaxiom und mit ihm das Apathieaxiom und das Unveränderlichkeitsaxiom als für den christlichen Gottesbegriff untaugliche Axiome destruiert worden« (511). 92 Cf. zu dieser Formulierung schon Ignatius von Antiochien, Ep. Trall. 11,2 und Ep. Rom. 6,3. 93 Cf. W. PANNENBERG, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie, in: ders., Grundfragen systematischer Theologie, Bd. I, Göttingen 1967, 312ff sowie DERS., Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 471 mit Anm. 219; in Bd. II, Göttingen 1991, 30 spricht Pannenberg von Gottes »Liebe bis zur Leidensbereitschaft«. 94 Dazu s. o. § 2 E. 2. (S. 232ff). 95 Exemplarisch soll das hier an MARHEINEKEs »Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft« (wie oben Anm. 44) nachvollzogen werden; im Folgenden nur mit einfacher Seiten- und Paragraphenziffer zitiert. 96 Es »hat jedes das andere an ihm selbst« (205 [§ 343]). 97 Hier ist freilich zu beachten, dass das Geschichtliche selber mit in die lebendige Ewigkeit hineingehört (s. u. § 9 D. 4. [S. 541ff]); andernfalls droht ein »platonisches« Missverständnis der Rede vom bloß »Erscheinenden«. Zu einer wesentlichen Voraussetzung, was die menschliche Natur angeht, s. u. S. 389 (MARHEINEKE, a.a.O. 181).

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»Entäußerung« im Christusgeschehen gemäß Phil 2 ist die Einheit von Erniedrigung und Erhöhung, und beide sind im Unterschied voneinander zugleich auch eins miteinander; daher handelt es sich nicht um einsinnig voneinander abgrenzbare »Stände«.98 2.2. Die Lebensgeschichte des Gottessohnes als zugleich eine menschliche kann nur als »Werden zu sich« begriffen werden: Nur in seiner Individualität hat Christus angefangen, zu seyn, zu einer gewissen Zeit, unter gewissen Umständen, und er ist allmählich dem Leib und der Seele nach geworden, was er war [cf. Lk 2,40.52]; dieses Allmählichwerden aber ist nur das Andersseyn des Geistes selbst, ist das allmähliche Offenbarwerden Gottes in ihm und der Stand der Erniedrigung. (207 [§ 346])99

2.3. Darin ist impliziert: Gott lässt »den Widerspruch … soweit in sich zu, daß er die Form der … Endlichkeit und Menschlichkeit nicht verschmäht und darin erniedrigt er sich« (205 [§ 344]). Es ist diese Öffnung seines Seins in der Entäußerung an den Widerspruch, die Gott in äußerster Steigerung als den Lebendigen zu denken nötigt. 2.4. Diese Lebendigkeit entspricht zugleich der göttlichen Allmacht: »Die Macht der Identität seiner mit sich in jenem Widerspruch oder das SichErhalten und Sich-Behaupten in seiner Wahrheit und Heiligkeit mitten in jenem Widerspruch ist das Hohe [sc. zu dem der Sohn »erhöht« wird]« (205f [§ 344]). Das allmächtige Leben Gottes erhält sich mitten in dem zerreißenden Widerspruch von Tod und Leben, und so verwindet es ihn schöpferisch (1Kor 15,54). Lebendig Einer ist Gott in einer Dialektik: als »Widerspruch gegen den Widerspruch« (191 [§ 324]). 3. Zusammenfassend ist von Phil 2 her zu sagen: Die in der Menschwerdung sich vollendende Kondeszendenz Gottes ist selber zugleich göttlich (3.1.) und menschlich (3.2.). 3.1. Gott ist erst wirklich Gott für uns, Gott als Gott, indem er kondeszendent als ewige Liebe aus sich herausgeht und der Gott des Sohnes ist. 3.2. So ist er mit seinem Sein der schöpferische Maßstab und das Prinzip wahren Menschseins; Gottes Menschwerdung entspricht die Menschwerdung des Menschen. Beides (3.1. und 3.2.) kommt zusammen in der Feststellung Marheinekes: »Die Wahrheit und Realität der menschlichen Natur ist nicht ihr In-sichselber-Seyn, sondern ihr Ueber-sich-Hinausgehen, ihr An- und Aufgenommenseyn in einer andern und höhern. Zu Gott also kommend kommt der Mensch wahrhaft erst zu sich selbst« (181 [§ 306]). Diese Wahrheit des Menschen verdankt und realisiert sich in der lebendigen eigenen Wahrheit des kondeszendenten Gottes. 98

Ihr Verhältnis ist eins im Geist und als Geist, cf. MARHEINEKE, a.a.O. 193 (§ 325). Von der »Bewegung zur Einheit« ist auf S. 189 (§ 320) die Rede; zum »allmählichen Offenbarwerden« cf. 206f (§ 345f) und 201 (§ 337). 99

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3.3. Der lebendige Gott geht sozusagen in zwei Richtungen zugleich. Er hat sein Selbst in der schöpferischen Entzweiung von Hoheit und Niedrigkeit und der damit geschehenden Einigung von Hoheit und Niedrigkeit, ihrer Versöhnung (cf. 206 [§ 344, letzter Satz]). Gottes Selbstherablassung ist Manifestation seiner Allmacht, sofern er mit ihr an seine äußerste Grenze geht und in seinem Gegenteil ganz bei sich ist.

E. Zum Verhältnis von Gottes Immanenz und Transzendenz (Bonhoeffer) Gegen einen abstrakten Theismus hat D. Bonhoeffer postuliert: Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht an den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen … Das »Jenseits« Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnisheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun, Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig. (Widerstand und Ergebung, 30.4.1944; Hervorhebung J. R.).

In der Tat stellt sich für die christliche Gotteslehre die Aufgabe einer Überwindung bloß abstrakter Transzendenz, d. h. »reiner« Jenseitigkeit im bloßen Gegensatz zum sog. »Diesseits«, auf die der lebendige Gott entschieden nicht zu beschränken ist.100 Aber ist die Alternative: Grenze – Mitte dazu tauglich?101 Denn, was unser endliches menschliches Leben angeht, so stoßen wir mitten im Dasein überall an (seine) Grenzen.102 Gott selber ist letztlich gerade die Grenze für uns, und das, indem er »mitten in unserm Leben jenseitig« ist: das Geheimnis aller Wirklichkeit, die wahre Wirklichkeit. Er als die lebendige Mitte ist kein weltanschaulich vorzustellendes »Jenseits«, sondern überall,103 weil er der sich schöpferisch Offenbarende und die Liebe ist. Versteht man als eigentliches Anliegen des Transzendenzgedankens, Gottes Freiheit oder Absolutheit sicherzustellen, so ist zu sagen: Seine Freiheit zur Transzendenz ist ebenso auch Freiheit zur Immanenz;104 er ist ganz 100

Ausführlich dazu beim Begriff von Allgegenwart; s. u. § 12 E. (S. 669ff). Noch anders redet Bonhoeffer über Grenze und Mitte in DERS., DBW 12, 306f und 308f (Christologie-Vorlesung [1933]). 102 Was J. Derrida vom Text der Metaphysik sagte, gilt ebenso von der endlichen Welt: »Il n’est pas entouré mais traversé par sa limite«: J. DERRIDA, La différance, in: ders., Marges de la philosophie, Paris 1972, 25 = (dt.) ders., Randgänge der Philosophie, Ullstein Tb 3288, Frankfurt 1976, 33. 103 Cf. dazu schon oben § 4 F. 1. (S. 322ff). 104 »Gott kann wohl (und das ist seine Transzendenz) allem Anderen jenseitig genug sein, um sein Schöpfer aus dem Nichts zu werden und zugleich frei genug, sein Sein … zu ändern oder auch es ihm wieder zu nehmen, wie er es ihm gegeben hat. Aber Gott kann … 101

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»Herr« (jenseitig) und ganz »Geist« (d. h. ganz »inseitig«).105 Das ist eine Weise, von einer Transzendenz zu reden, die sich eben in der Immanenz, und nur hier, finden und aussagen lässt.106 Diese Freiheit stellt sich definitiv in der göttlichen Herablassung dar. In seiner selbsthaft-freien Durchdringung der Weltlichkeit ist Gott weder nur ganz »drinnen« (Pantheismus) noch ganz »draußen« (Deismus). Er ist beides auch nicht in statischem Nebeneinander (»sowohl als auch«), aber auch nicht als selber neutral-unbestimmt (»weder – noch«). Vielmehr ist sein Sein dialektisch totus intra (Herablassung) und totus extra (Allmacht) zugleich. Solche »Coincidenz« ist als Einheit der göttlichen Lebensbewegung unendlich. Diese Unendlichkeit äußert sich, wenn man sich so ausdrücken will, in der Paradoxie, dass die Weltmacht Gottes nicht allein weltjenseitig – das wäre ein supranaturaler Einbruch –, sondern auch in Demut, sich in die Welt herablassend, gegenwärtig ist. Umgekehrt gilt: Das Geheimnis von Gottes Niedrigkeit ist seine Unendlichkeit.107

F. Kondeszendenz bei M. Luther Mit dem Begriff göttlicher Selbstherablassung berührt man so etwas wie die Mitte der Theologie Luthers, »das Spezifikum des Luthertums« (H. Bezzel) bzw. ein »Grundgesetz bei Luther« (H. Lilje).108 1. Zunächst seien einige Stellen angeführt, an denen Luther das Motiv inkarnationstheologisch aufnimmt.109 Inclinavit demisit vel humiliavit coelos apostolos et discipulos et descendit per effectum dando humilibus gratiam et cognitionem sui.110 noch mehr als dies. Er kann (und das ist seine Immanenz) allem so inseitig sein, daß er … in der ganzen Verschiedenheit seines eigenen, des göttlichen Seins sich nun nicht etwa entzieht, ihm … nicht etwa als ein Fremder unbeteiligt gegenübersteht, sondern als das Sein seines Seins gegenwärtig ist« (BARTH, KD II/1, 352f mit Bezug auf Act 17,28). 105 Zum hier einschlägigen Motiv, dass Gott uns (bzw. allen Dingen) näher ist als wir uns (bzw. sie sich) selber (Augustin, Luther), s. u. § 12 E. 2. und 3. (S. 677ff). Zu Herr und Geist s. u. §§ 13 und 14. 106 An einer abstrakt-erbaulichen Polemik gegen die »Eitelkeit der Immanenz« hat Th. W. Adorno kritisiert, sie sei »zu abstrakt, um über die Immanenz hinauszugeleiten«, und mit Recht auf die Dialektik hingewiesen, sie liquidiere »insgeheim auch die Transzendenz, die einzig von Erfahrungen in der Immanenz gespeist wird« (TH. W. ADORNO, Negative Dialektik, Frankfurt 1970, 388). 107 Cf. das oben in Anm. 67 Zitierte (Zeno). 108 Cf. H. LAUERER, Die Kondeszendenz Gottes, in: R. Jelke (Hg.), Das Erbe Martin Luthers und die gegenwärtige theologische Forschung (FS L. Ihmels), Leipzig 1928, 258–272. 109 Cf. schon oben Anm. 31. 110 WA 3, 114,8–10 (zu Ps 18,10); cf. 125,1–7 (1513/1516). Cf. WA 57 III, 99,8f.

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Geht es hier um die heilvolle Verkehrung, um uns Menschen gnädig einen Zugang zu Gott zu eröffnen, so an anderer Stelle um das sich unkenntlich Machen Gottes sub contrario: Velavit enim opera [sua] sub infirmitates passionis, ut deitatem sub humanitate, ut fide quoque velaret rationem et stultam faceret sapientiam mundi.111 Die Verhüllung Gottes unter dem Gegenteil hat aber – außer der Ermöglichung von Glauben, der höher ist als alle Vernunft – auch die menschenfreundliche Seite, uns vor seinem Zorn bzw. der unerträglichen Heiligkeit Gottes zu decken; so heißt es in der späten Genesis-Vorlesung: Eadem benignitate erga nos quoque utitur Dominus, loquitur nobiscum per ministerium hominum112 et abscondit hoc modo formidabilem et nobis intolerabilem Maiestatem … Igitur agnoscamus summum et inaestimabile eius donum, quod ad hunc modum se exinanivit, et induit formam humanam … filius DEI ipse descendit in carnem … Induit igitur formam infirmam, nobis simile, atque ideo humanissimam, a qua tam non debemus metuere, quam non metuimus nobis a nobis ipsis.113 Gottes Menschennähe wird (im Anschluss an Phil 2 artikuliert114) durch sein kondeszendentes, einladendes Sein als Mensch unter Menschen zum Ereignis seiner Menschenfreundlichkeit.115 Die zentralen Aussagen zum Thema: Kondeszendenz als Menschwerdung finden sich in einer Weihnachtspredigt von 1527: Sed voluntas eius fride et altissima nostra nutz, quod se herunder legt in sinum matris et sinit se lactari, ut eo melius possim gaudium an ym schepffen … Et deutet [Lk 2,12] also, quod ad nos veniret und kleidet sich in carnem und blut nostrum, ut nos ascendamus und wickeln und kleiden uns in sein natur … Ratio et voluntas vult ascendere et quaerere supra. Sed si vis gaudium habere, huc inclina te. Ibi invenies eum puerum tibi datum, qui est creator tuus et iacet ante te in praesepio. Et dicit cor: manebo cum illo puero, wie es seuget, gebadet wird, stirbt … Ich weis von kein gott nicht nisi de illo qui in cunis.116 111

WA 3, 548,8f. Zur Entäußerung in die Menschensprache s. u. 2. 113 WA 43, 182,30–183,10 (1535/1545). 114 Luthers Ausführungen zur Herablassung Gottes in Christus mit Bezug auf Phil 2,5ff finden sich besonders häufig in WA 17 II, 237–245; cf. bes. 238,11–14; 239,5–18; 240,1– 4.9–13.19–23.24f.32–40; 241,8–13.25–27; 242,7–9.10–18.32–37; 243,3–11.14–18.19– 26; 244,5–13.16–18.19–24; 244,27–245,3; 245,9–14.17–19. 115 Wiederum ist die sprachliche Vermittlung im Blick: »per tuum os loquitur mecum, et per meum os loquitur tecum« (a.a.O. 183,3). 116 WA 23, 732,11–34. 112

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Wesentliche Formulierungen dieser Verkündigung finden sich schon in Luthers Weihnachtslied »Gelobet seist du, Jesus Christ«, in dessen zweiter und dritter Strophe (1524) die Paradoxien ausgesagt sind, dass der unfassbare, ewige Schöpfer als ein geschichtlicher Menschensohn da ist und ein hilfloses Menschenkind der Allerhalter ist.117 Diese Inkarnationsparadoxie ist natürlich auch vor Luther schon formuliert worden; hier soll exemplarisch nur Bernhard von Clairvaux angeführt werden: Dominus Maiestatis, quem non capit universitas creaturae, intra virginea sese clauserit viscera factus homo.118 Luther hat diese inkarnationstheologischen Linien bis in sein Verständnis des Altarsakramentes ausgezogen, also auch das Abendmahl von der Menschwerdung aus begriffen: Unsers Gotts ehre aber ist, die so er sich umb unser willen auffs aller tieffeste runter gibt, yns fleisch und brod, ynn unsern mund, hertz und schos. Und dazu umb unser willen leidet, das er unehrlich gehandelt wird beyde auff dem creutz und altar [1Kor 11,17ff].119 Gottes »Ehre« (doxa) ist unendlich, indem sie sich als göttliche Ehre in ihrem eigenen Gegenteil vollendet. Wie das göttliche Wort Fleisch wird (Joh 1,14), so gibt Christus sein Fleisch und Blut im Wortsakrament (verbum visibile) für uns, d. h. uns zugut, dahin. Damit ist bereits der Übergang zu einer explizit sprachlichen Fassung von Gottes Selbstherablassung angebahnt.120 2. Bereits bei Augustin findet sich der Zusammenhang von Kondeszendenz und göttlicher Rede wahrgenommen; er schreibt zu der (textkritisch rätselhaften121) Stelle Joh 8,25b: Principium [sum], qui et loquor vobis (Vg.):

117

WA 35, 434 bzw. EG, Nr. 23,3. Cf. auch Nr. 27,3 (N. Herman, 1560). J. Klepper hat dem nachgedichtet: »Dem alle Engel dienen, / wird nun ein Kind und Knecht« (EG, Nr. 16,2). Zu Nr. 23,3 (»Den aller Weltkreis nie beschloß«) siehe schon oben § 4 F. 2.2. (S. 328f). 118 Bernhard von Clairvaux, In assumptione Beatae Mariae, sermo I. 119 WA 23, 156,30–33. 120 Wenn die Worte »ynn unsern mund« im Zitat nicht nur vom Essen und Trinken der Elemente verstanden werden dürfen, wie unmittelbar naheliegt, sondern auch wie der Hinweis auf die mündliche Verkündigung in den vorausgehenden Luther-Zitaten (s. o.) auf Gotteswort im Menschenwort, dann wäre auch damit die sprachliche Vermittlung, z. B. in Gestalt der Einsetzungsworte in der Abendmahlsliturgie, schon angesprochen. 121 Zur Diskussion möglicher Rekonstruktionen des schadhaften Textes cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 381 Anm. 55), 451ff.

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Et addidit, quia et loquor vobis: id est, quia humilis propter vos factus, ad ista verba descendi. Nam si principium sicuti est, ita maneret apud Patrem, ut non acciperet formam servi [Phil 2,7] et homo loqueretur hominibus; quomodo ei crederent, cum infirma corda intelligibile Verbum sine voce sensibili audire non possent? Ergo, inquit, credite me esse principium; quia, ut credatis, non solum sum [sc. principium], sed et loquor vobis.122 In Übereinstimmung mit der Fleischwerdung des Wortes betont Augustin hier insbesondere die Herablassung des ewigen Wortes zur sinnlichen Verfassung des hörenden Menschen: voce sensibili, um so als Mensch zu Menschen reden zu können: ut … homo loqueretur hominibus.123 Bei Luther führt das zu einem seiner tiefsten Einblicke in das Wesen des christlichen Glaubens und für die Theologie des Wortes, wenn er in bewegender Weise (zum Ersten Gebot) schreibt: Zum andern dancke ich seiner grundlosen barmhertzigkeit, das er sich so veterlich zu mir verlornen menschen herunter sencket und sich selbs ungebeten, ungesucht, unverdienet mir anbeutet mein Gott zu sein, sich mein anzunemen und jnn allen nöten mein trost, schutz, hülffe und stercke sein will, … und uns jnn unser menschlichen sprache sich anböte, das er unser Gott sein wolle.124 Die Kondeszendenz bis in die Sprache auszudenken, ist konsequent und sogar notwendig, sofern das Fleischwerden des Logos (Joh 1,14) auch impliziert, dass das ewige Wort zum sprachlichen Menschenwort wird: zuerst in den Worten Jesu Christi als des Gottmenschen.125 Indem Gott uns im Menschlichsten unseres Menschseins, in unserer eigenen Sprachlichkeit, nahekommt, ist er so erst (in persönlicher Anrede und eigenem Hören) jeweils »mein Gott«.126 Systematisch gründet das in der seine Selbstherablassung in unser Wort ermöglichenden Selbstunterscheidung von Gott und Logos bzw. Vater und 122 Tract. ev. Joan. XXXVIII 8,11 (PL 35, 1681). Cf. Conf. XI 8,10: »ut autem cognoscamus, docet nos, quia ›principium est et loquitur nobis‹«. 123 Solche Annahme unterscheidet den christlichen Denker z. B. von Cicero, der solche Gedanken ins Reich der Fabel auf der Bühne verweist: »Nolite enim id putare accidere posse …, ut deus aliquis [!] delapsus de caelo hominum adeat, versetur in terris, cum hominibus conloquatur« (De haruspic. resp. 28,62). 124 LUTHER, Eine einfältige Weise zu beten für einen guten Freund (1535), in: WA 38, 365,10–14. Es heißt weiter, nur dadurch entgehen wir der Gefahr, uns selber mancherlei »Götter« suchen zu müssen, dass »er sich … selbs so öffentlich hören« lässt »und uns jnn unser menschlichen Sprache« sich anbietet, »das er unser Gott sein wolle« (a.a.O., Z. 16f). 125 Cf. dazu genauer RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 381 Anm. 55), 87f sowie auch Joh 1,14aβ: καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡµῖν (dazu a.a.Ο. 89–91). 126 Cf. Dtn 30,14: »Denn das Wort ist gar nahe (‫ )קרוב‬bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust«; von Paulus zitiert in Röm 10,8 (ἐγγύς σου).

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Sohn.127 Diese zeichnet sich bereits in Ex 3,14 ab, und das eben in Gestalt einer sprachlich sich artikulierenden Unterscheidung Gottes von sich selber.

G. Herunterlassung bei J. G. Hamann 1. Am Beginn von Hamanns Schriftstellerei überhaupt steht als erste Niederschrift der staunende und gläubig verwunderte Ausruf: »Gott ein Schriftsteller! – –«.128 Mit dieser Feststellung nimmt Hamann das traditionsreiche Motiv von Gott als Autor zeitgemäß auf.129 Aber er gibt dem Topos eine ungewöhnliche Wendung von allergrößter theologischer Bedeutung, indem er weiter schreibt: Die Eingebung dieses Buchs ist eine eben so große Erniedrigung und Herunterlassung Gottes als die Schöpfung des Vaters und die Menschwerdung des Sohnes.130 Zwar klingt es traditionell, wenn hier dem Hl. Geist die Eingebung bzw. Autorschaft für die Hl. Schrift zugesprochen wird.131 Aber schon die Parallelsetzung der Hervorbringung der Bibel mit der Schöpfung132 und der Menschwerdung133 127 K. Rahner schreibt von dieser Voraussetzung: »daß Gott, der Ursprunglose, sich selbst in sich und für uns aussagt oder aussagen kann und so den ursprünglichen, göttlichen Unterschied in Gott selbst setzt« und begreift von daher die Möglichkeit unseres Geschaffenseins überhaupt: »Die Möglichkeit, daß es den Menschen gibt, gründet in der größeren, umfassenderen, radikaleren Möglichkeit Gottes, sich selber im Logos, der Kreatur wird, auszusagen« (RAHNER, Grundkurs des Glaubens [wie oben S. 374 Anm. 13], 221). 128 HAMANN, Über die Auslegung der Heiligen Schrift (1758), in: ders., SW 1, 1949, 5. 129 Zur Auslegung im Horizont der langen Wirkungsgeschichte dieses Topos cf. J. RINGLEBEN, Gott als Schriftsteller, in: B. Gajek (Hg.), Johann Georg Hamann. Autor und Autorschaft, Frankfurt 1996, 215–275. Cf. auch O. BAYER, Gott als Autor. Zu einer poietologischen Theologie, Tübingen 1999. Übrigens ist auf dem Titelblatt der ersten Gesamtbibel in Luthers Übersetzung (1534) oben auf einer Galerie Gottvater als Schriftsteller zu sehen; der Künstler ist der unbekannte Monogrammist M.S. Cf. auch CH. REUTER, Autorschaft als Kondeszendenz. J. G. Hamanns erlesene Autorschaft, TBT 132, Berlin/New York 2005. 130 Ebd. 131 Cf. auch: »Das Wort dieses Geistes ist ein eben so großes Werk als die Schöpfung und ein eben so groß Geheimnis als die Erlösung der Menschen, ja dies Wort ist der Schlüssel zu den Werken der ersteren und den Geheimnissen der letzteren« (ebd.). 132 Zur Schöpfung als Werk göttlicher Demut und Herunterlassung cf. auch den Brief an Kant (1759), in: HAMANN, Briefwechsel 1, 252,23–28. 133 Im »Quod scripsi, scripsi« des Pilatus (Joh 19,22), das Hamann favorisierte, ist der Zusammenhang von Kreuz und Schrift markiert, und d. h. Gott als Autor, und zwar individueller Autor, gesehen (s. u. zu »Dialekt«). Dazu und zur Johannes-Stelle cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 381 Anm. 55), 370f.

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zu unserer Erlösung lässt aufmerken.134 Hamann intendiert nicht weniger, als die Entstehung dieses Buches in die Trinität selber einzuschreiben. Zunächst ist deutlich: Damit ist die traditionelle (orthodoxe, aber problematische) sog. »Inspirationslehre« auf der höchsten theologisch denkbaren Ebene überboten.135 Sie wird sogar – in ihrer äußerlich mechanischen, unsprachlichen Vorstellungsweise – überflüssig gemacht; denn nach Hamanns Gedanken sind die Hl. Schrift und ihre Sprache damit in das lebendige Sein des dreieinigen Gottes selber einbezogen.136 Gott selbst hat sich am Ort der Bibel in die Menschensprache und das genus humile herabgelassen, und seinem ewigen Sein ist die Sprache nicht fern oder fremd.137 Hier gilt bibeltheologisch grundsätzlich: Am Anfang war das Wort (Joh 1,1), und das fleischgewordene Wort (Joh 1,14) wurde Schrift138 – als Vollendung der Schöpfung und Menschwerdung.139 Hamann nennt die Bibel daher »das Meisterstück der göttlichen Weisheit«.140 Zugleich versteht er diese Herunterlassung als eine uns zum Heil »dienende«, demütige Selbsterniedrigung der Trinität, d. h. Gottes selber in seinem lebendigen Sein: Wie hat sich Gott der Vater gedemüthigt, da er einen Erdenkloß nicht nur bildete, sondern auch durch seinen Othem beseelte. Wie hat sich Gott der Sohn gedemüthigt! Er wurde Mensch, er wurde der Geringste unter den Menschen, er nahm Knechtsgestalt an … Wie hat sich Gott der heilige Geist erniedrigt, da er ein Geschichtsschreiber der kleinsten, der verächtlichsten, der nichts bedeutenden Begebenheiten auf der Erde geworden, um dem Menschen in seiner eigenen Sprache, in seiner eigenen Geschichte, in seinen eigenen Wegen die Rathschlüsse, die Geheimnisse und die Wege der Gottheit zu offenbaren? 141 134

Hamann nimmt für Gottes Selbstherablassung alle drei Artikel des Credo in Anspruch und nicht nur den 2. Artikel (wie im Anschluss an Phil 2,6ff die Status-Lehre). Der zitierte Satz impliziert für Hamann zweifellos, dass auch Weltschöpfung und Menschwerdung selber, die im Ursprung der Hl. Schrift zusammenkommen, sprachlich, als Reden Gottes, zu verstehen sind – gemäß Joh 1,1a –, von dem wir eben allererst durch die Bibel (als Urschrift bzw. Urkunde oder Beurkundung dessen) Kenntnis erhalten. 135 Trotz der Rede von »Eingebung«. 136 Zu »Gott im Wort« cf. oben § 1 B. 2.1. (S. 114 Anm. 146). 137 Jesus tadelt in einem Atemzug die Verkennung der Schrift und der δύναµις Gottes (Mt 22,29 parr). Gottes Wort in der Bibel und seine eigene dynamische Kraft liegen dabei ineinander (cf. Röm 1,16). Luther sprach von einer einzigartigen »maiestas et energeia« der Hl. Schrift als einer (WA 5, 21,31). Das stimmt zusammen mit dem bekannten Satz Humboldts über die Sprache: »Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia)« (HUMBOLDT, GS 7, 418). 138 Das setzt Luthers Einsichten in den Zusammenhang von Inkarnation und Jesu Menschensprache (s. o. F. 2. [S. 392ff]) bibeltheologisch um. 139 Von daher muss auch für Hamann gelten, dass die dreifache Herunterlassung Gottes zugleich seine Rückkehr zu sich ist, so dass er sich in seiner Selbstentäußerung nicht verliert. Man könnte hier das johanneische wechselseitige In-Sein anführen; cf. dazu RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 381 Anm. 55), 243ff. 140 HAMANN, Auslegung (wie oben Anm. 128), 53,34. 141 A.a.O. 91,7–17 (die Rhetorik des genus humile).

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

Diese Erniedrigung Gottes zum kondeszendenten Sein in der menschensprachlichen Schrift erhält einen radikalen Ausdruck, wenn Hamann zugleich in historisch-kritisch unüberbietbarer Nüchternheit die Texte der Bibel mit »Alten Lumpen« vergleicht, die gleichwohl im rechten »Gebrauch« (Luthers usus)142 dem sündigen Menschen zur Rettung zu dienen vermögen.143 2. Die Sprachlichkeit der göttlichen Kondeszendenz findet bei Hamann noch einmal einen, womöglich noch kühneren, Ausdruck, indem er Luthers Rede vom »deus verbosus«144 in grundsätzlicher Weise auf die menschliche Gotteserfahrung bezieht: Die Einheit des Urhebers145 spiegelt sich bis in dem Dialecte seiner Werke; – in allen Ein Ton von unermäslicher Höhe und Tiefe! Ein Beweiß der herrlichsten Majestät und leersten Entäußerung! Ein Wunder von solcher unendlichen Ruhe, die GOTT dem Nichts gleich macht, daß man sein Daseyn aus Gewissen leugnen oder ein Vieh seyn muß; aber zugleich von solcher unendlichen Kraft, die Alles in Allen erfüllt, daß man sich vor seiner innigsten Zuthätigkeit nicht zu retten weiß! –.146 Gottes Rede ist auch für Hamann im Buche der Schöpfung bzw. Natur zu vernehmen,147 freilich nicht in ihrer Reinheit, sondern in der kondeszendenten Verhüllung eines »Dialektes«.148 Die wunderbare Einheit des lebendigen Gottes – lebendig im Übergreifen extremer Gegensätze – reflektiert sich hier im Wort Gottes bzw. in der Sprache der geschaffenen Welt.149 Diese Einheit umfasst die denkbar größte Höhe wie ebenso eine unausdenkbare Tiefe.150 Gottes überschwänglich erhabene Majestät bzw. seine himmlische »Herrlichkeit« (δόξα, »Ehre«151) ist nicht ohne eine extreme »Entäußerung« (κένωσις) bis in 142

»Scilicet in usu, non in objecto spiritus est« (WA 23, 189,14). HAMANN, a.a.O. 5 (3. Abs.); cf. DERS., Briefwechsel 1, 341,13ff u. ö. Luther sprach von den »Windeln« (WA.DB 8, 13,6); cf. 2Kor 4,7. 144 WA 39 II, 199,5; cf. auch: »Deus vere tacere nec vult nec potest« (WA 18, 626,23). 145 Cf. »autor«. 146 HAMANN, Aesthetica in nuce (1762), in: ders., SW 2, 204,7–14. 147 Cf. mit Ps 19,2–5: »Rede, daß ich Dich sehe! – – Dieser Wunsch wurde durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht thuts kund der andern. Ihre Losung läuft über jedes Klima bis an der Welt Ende und in jeder Mundart [Dialekt] hört man ihre Stimme. – –« (a.a.O. 198,28–32). 148 Cf.: »DEI Dialectus, Soloecismus« (a.a.O. 171,17). 149 Über die Einheit von Hören und Sehen im Zugleich von Majestät und Erhabenheit: »Wo wird der rollende Donner der Beredsamkeit erzeugt, und sein Geselle – der einsylbichte Blitz – –« (a.a.O. 208,23f). 150 Im lateinischen Wort altus ist beides vereint: Höhe und Tiefe. Auch der göttliche »Dialekt« ist eine coincidentia oppositorum. Daher gilt, dass Dialekt »die Entelechie der ganzen Schrift ist« (a.a.O. 181,16f). 151 Zur wahren »Ehre« Gottes bei Luther s. o. bei Anm. 119. 143

§ 6 Gottes Herablassung

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die Entblößung seiner Gottheit (»leerste Entäußerung«).152 Hamann spricht auch im Anschluss an Phil 2,7 von der »Majestät seiner Knechtsgestalt«.153 Diese vorbehaltlose Selbstentäußerung bedeutet für Gott, sich – in radikaler Entzweiung seiner von sich selbst – dem Tod bzw. Nichts zu überlassen, d. h. der freiwilligen Auslieferung des Lebendigen an seinen unbedingten Gegensatz: von der Fülle des Seins in die Leere des Nichts.154 Es leuchtet ein, dass dieser ungeheuere Spannungsbogen nur dadurch zu realisieren ist, dass die Lebendigkeit Gottes Manifestation seiner Allmacht ist; daher spricht Hamann sogleich von der »unendlichen Kraft« – gleichsam der anderen Seite der Selbsthingabe Gottes ans Nichts.155 Indem Gott sich in solcher »leersten Entäußerung« völlig zurücknimmt, bleibt er aus der Macht »unendlicher Kraft« zugleich unendlich auf sich zurückbezogen und bei sich. Darum spricht Hamann von der coincidentia oppositorum, dass die sich dem Nichts gleich machende Selbstentäußerung dennoch ein »Wunder von … unendlicher Ruhe« ist.156 Es ist dieses ewige Ruhen in sich selbst, das Gott jeglicher Kenntlichkeit entzieht, so dass es in der Welt einerseits so aussieht, als sei kein Gott oder als ob Gott gar nicht da sei. Diese Seite des sich in seiner Ruhe unsichtbar machenden Gottes157 nötigt, angesichts des Weltlaufs, fast unvermeidlich dazu, aus humanem Empfinden bzw. »aus Gewissen« Gottes Dasein zu leugnen.158 Der neuzeitliche Atheismus missdeutet also in Hamanns Augen die »Ruhe« Gottes in seiner ewigen Verborgenheit und verfehlt ihn durch diese Einseitigkeit als den Lebendigen und Wirklichen. Denn die andere Seite ist Gottes unaufhörliche Selbstvergegenwärtigung als der absolute Lebendige; denn der in sich Ruhende ist simultan der aus sich Herausgehende und sich zur Welt hin lebendig Äußernde, nämlich »zugleich von solcher unendlichen Kraft, die Alles in Allen erfüllt«.159 Diese lebendige,

152

Wahrscheinlich ist an den Tod am Kreuz gedacht. A.a.O. 212,11. 154 Dazu passt die Rede vom »Tode Gottes« genauestens; s. o. bei Anm. 51. 155 Diese unendliche Kraft als die der unbedingten Selbstvergegenwärtigung am Ort seines eigenen Nichtseins passt systematisch zum Gedanken göttlicher Selbsthervorbringung, den Hamann aber nicht thematisiert. 156 Hamann denkt mithin Gottes Sein, wie schon Augustin, als unendliche Einheit von Ruhe und Bewegung: »semper agens, semper quietus« (Augustin, Conf. I 4,4; cf. XIII 37,52). 157 Cf. Joh 1,18: θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε, ebenso 1Joh 4,12. Am 25. März 1784 schreibt Hamann an Lavater: »Ach! Bruder! Es ist eine harte Zeit, die Zeit unsers Vielredens und Seines Tiefschweigens« (HAMANN, Briefwechsel 5, 136,4f; noch einmal a.a.O. 142,6–8). 158 Der harte Ausdruck »ein Vieh« ist von Hamann im Kontrast zu Ps 73,22 gebraucht, worauf er selber hinweist. 159 Cf. dazu christologisch: Eph 1,19–23. Cf. auch 1Kor 12,6; 15,28; Kol 3,11. 153

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

machtvolle All-Gegenwart, vor der man sich »nicht zu retten weiß«,160 wird von Hamann mit dem seltenen Ausdruck »innigster Zuthätigkeit« für Gottes lebendige Nähe beschrieben. Das auffällige Wort bedeutet: sich durch Gefälligkeit um jemandes Gunst bewerben (Adelung),161 passt also genauestens zum Kondeszendenz-Motiv. Es hat aber auch noch den Nebensinn von Zudringlichkeit.162 In dem von Hamann auffällig verwendeten Wort kommen ebenso Gottes aktives Verbundensein mit seiner Schöpfung, seine allgegenwärtige Zuwendung und liebevolle Zu-neigung, wie auch deren Tatcharakter zu intensivstem Ausdruck.163 Mit dieser aktiven Nähe Gottes – vermittelt durch die Rede in der Schöpfung und der Hl. Schrift (cf. Röm 10,8; Dtn 30,14) – im Innigsten des Menschen formuliert das Wort »Zuthätigkeit« die Unentrinnlichkeit des göttlichen Wortes (cf. Hebr 4,12f).164 Von ihm als dem Logos der Schöpfung (Joh 1,3) und dem Lebenshauch Gottes165 lebt jeder Mensch in jedem Augenblick, und er könnte ohne die Gegenwart dieses Logos keinen Atemzug tun.166

160 Mit dieser Formulierung wird Ps 139,7–11, ins Sprachliche der Gottesrede gewendet, aufgenommen. 161 Goethe schreibt von seiner »eigenen offenen Gutmütigkeit und Zutätigkeit« (J. W. GOETHE, GA 10, 296). Schon J. Fischart hat das Wort »zuthätig« im Sinne von: sich jemand zugesellen (J. FISCHART, Geschichtklitterung, hg. von U. Nyssen, Darmstadt 1977, c. 5, 93,5). 162 Bei Hamann findet sich die Wendung: »der verborgensten und zur Mittheilung Ihrer selbst aufdringlichsten Majestät« (HAMANN, Briefwechsel 3, 192,14f; cf. ähnlich 190,32f). Bei F. W. J. Schelling heißt es einmal: »praktische Zuthätigkeit oder Aufdringlichkeit« (SCHELLING, Philosophie der Mythologie II, in: ders., SW 12, 241). 163 Er hat eine große Nähe zum alten Motiv göttlicher »Berührung« (cf. dazu J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 379 Anm. 614; cf. auch a.a.O. 535 unten [Luther]). Zum Berühren bei Goethe cf. auch (von Gott): »der unbegreiffliche, aber berührliche« (J. W. GOETHE, Brief an F. L. Graf zu Stollberg, 26. Okt. 1775). 164 Von der »Zuthätigkeit« der Sprache ist der Sache nach bei Hamann die Rede: HAMANN, SW 3, 226,21–25 (zur Sprache als »Thätigkeit« bei W. v. Humboldt s. o. Anm. 137). 165 Cf. Hamanns wundersame Paraphrase von Hebr 1,1f: »Nachdem GOTT durch Natur und Schrift, durch Geschöpfe und Seher, durch Gründe und Figuren, durch Poeten und Propheten sich erschöpft, und aus dem Othem geredt hatte: so hat er am Abend der Tage zu uns geredt durch Seinen Sohn, – gestern und heute! – bis die Verheißung seiner Zukunft – nicht mehr in Knechtsgestalt – auch erfüllt seyn wird« (HAMANN, SW 2, 213,6– 11). 166 Cf. Goethes Gedicht: »Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich preßt, / Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt« (J. W. GOETHE, West-Östlicher Divan, Moganni Nameh [Buch des Sängers], Talismane). Cf. Ps 104,29f.

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H. Gottes Herablassung bei S. Kierkegaard Auch Kierkegaard ist hier zu berücksichtigen, weil er das Motiv göttlicher Kondeszendenz für einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem griechischen Denken (Platonismus) und dem Christentum in Anspruch genommen hat. Gegenüber der platonischen »Anamnesis« als einer Bewegung zurück in die ewige Wahrheit, die immer schon ist, erkennt er im christlichen Glauben an die geschichtliche Offenbarung in Jesus Christus eine von Gott selbst ausgehende Bewegung, die auf uns zu kommt, so dass die Wahrheit vor uns liegt. Demgemäß heißt es in einem theologischen »Gedankenexperiment« mit Bezug auf Phil 2,6ff: Ist die Einheit [sc. mit Gott] also nicht zustande zu bringen gewesen durch ein Emporsteigen, so muß es versucht werden mit einem Herniedersteigen, muß denn also der Gott diesem X [in dem auch der geringste Mensch enthalten ist] gleich sein. Und mithin wird er sich dem Geringsten gleich zeigen. Aber der Geringste ist ja der, welcher andern dienstbar sein muß, mithin in des Knechtes Gestalt wird der Gott sich zeigen. Aber diese Knechtsgestalt ist kein bloßer Umhang …, sondern ist seine wahre Gestalt; denn das ist der Liebe Unergründlichkeit, nicht zum Scherz, sondern im Ernst und in der Wahrheit, gleicher Art mit dem Geliebten zu werden; und das ist der entschlossenen Liebe Allgewalt.167 Kierkegaard-Climacus denkt hier die Menschwerdung Gottes von der Allmacht seiner Liebe her, und er denkt so den christlichen Gott als den lebendigen Gott. Gottes eigene Bewegung auf den Menschen zu, seine Tatoffenbarung im Sohn, ist die Selbstherablassung bis in Leiden und Tod168 – aus liebender Solidarität mit dem geringsten der Menschen und ihnen als Sündern, die von sich aus nicht zu ihrer Wahrheit gelangen. Das besagt für Gott: Er vermag da zu sein im »Inkognito« und unbeschadet seiner Gottheit als ein Mensch unter Menschen zu existieren: paradox. Die christliche Inkarnation bedeutet eine Neubestimmung Gottes in seinem Sein als der »Gott des Sohnes«, der nur mit diesem Menschen (Jesus) zusammen Gott sein will.169 In diesem Sinne gehört die Kondeszendenz zum eigenen Sein des wirklich lebendigen und lebendig wirklichen Gottes. 167 S. KIERKEGAARD, Philosophische Brocken (1844), 2. Kap.: Der Gott als Lehrer und Heiland (Ein dichterischer Versuch), in: ders., GW 10, 29f. Zum »Gedankenexperiment« cf. 1. Kap.: Denkprojekt (a.a.O. 7ff). 168 Cf. a.a.O. 30. 169 Weil es um Gottes Sich-Identifizieren mit der conditio humana geht, geschieht das Sich-Entäußern zur Knechtsgestalt bei Gott »im Ernst und in der Wahrheit« und »nicht zum Scherz«; ebendies unterscheidet die Menschwerdung qualitativ von den mythologischen Göttererscheinungen in Menschengestalt, die jeweils nur eine vorübergehende Metamorphose darstellen.

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

I. Das Motiv der Himmelsleiter Das Kierkegaard’sche Pseudonym »Johannes Climacus« enthält auch einen versteckten Hinweis auf das alte Bild der Himmelsleiter, denn von einem asketischen Autor dieses Namens (ca. 579–675) gibt es eine Schrift mit dem Titel: Κλίµαξ τοῦ παραδείσου (»Leiter zum Paradies«);170 nach dieser erhielt er seinen Beinamen. Das Motiv geht zurück auf Gen 28,10ff, und der Traumvision Jakobs im Alten Testament entspricht im Neuen Testament die Prophezeiung Johannes’ des Täufers, der Gen 28,12 zitierend wiederholt: ὄψεσθε τὸν οὐρανὸν ἀνεῳγότα καὶ τοὺς ἀγγέλους τοῦ θεοῦ ἀναβαίνοντας καὶ καταβαίνοντας ἐπὶ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου (Joh 1,51). Diese Stelle besagt im alten Bild das Neue: Der Menschensohn Gottes eröffnet die unbegrenzte Kommunikation zwischen Himmel und Erde bzw. Gott und Mensch, weil er selber in Person der exklusive Ort dieser communicatio idiomatum ist.171 Von ihm wird in impliziter Aufnahme und Abwandlung des Bildes der Jakobsleiter172 deshalb gesagt, er allein sei in den Himmel »aufgestiegen« (ἀναβέβηκεν) und habe das nur gekonnt, weil er schon vom Himmel »herabgekommen« (καταβάς) sei (Joh 3,13).173 Das wird von Luther so kommentiert: Quia »nemo ascendit in coelum, nisi qui descendit«, id est nemo pervenit ad divinititatis cognitionem, nisi qui prius humiliatus fuerit et in sui cognitionem descenderit, simul enim ibi et dei cognitionem invenit.174 Das besagt im Zusammenhang der vorliegenden Gotteslehre, dass der die Prolegomena beherrschende Grundgedanke von Gottes sich uns erschließender Wirklichkeit als der entscheidenden Voraussetzung unserer menschlichen Gotteserkenntnis175 sich hier als in Gottes eigener Kondeszendenz im Menschensohn, d. h. christologisch vermittelt, herausstellt und bewährt. Darin stecken zwei Implikationen, die kurz zu benennen sind.

170

PG 88, 631–1163. Es existieren mehrere Ikonen, auf denen der Mönchsheilige Johannes Climacus zu sehen ist, dem Engel die Himmelsleiter zeigen, die zugleich auch eine Höllenleiter ist, während er sein Buch schreibt. 171 Hamann folgert daraus: »Alles Göttliche ist aber auch menschlich; … Diese communicatio göttlicher und menschlicher idiomatum ist ein Grundgesetz und der Hauptschlüssel aller unsrer Erkenntnis und der ganzen sichtbaren Haushaltung« (HAMANN, SW 3, 27,9.11–14). 172 Eine Ablösung des Erzvaters Jakob durch den existierenden Logos findet sich auch im Verhältnis von Joh 4,6.12 zu V. 13f. 173 Einheit des Weges (des Logos) herab und hinauf bei Heraklit, s. o. Anm. 63. 174 WA 3, 124,12–14; cf. Joh 6,46. Von der »Humanitas« als sancta scala: WA 57 III, 99,3f. 175 S. o. Prolegomena, § 2 (S. 17ff.).

§ 6 Gottes Herablassung

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Einmal, der Erkenntniszugang zu Gott selber ist sprachlich vermittelt, nämlich durch sein eigenes Wort im menschensprachlichen Wort des inkarnierten Logos.176 Darum setzt unser Weg zu Gott seinen kondeszendenten Weg zu uns in Gestalt seines Wortes schon voraus: Sed non noverunt viam, verbum tuum … Non noverunt hanc viam, qua descendant ad illum a se et per eum ascendant ad eum.177 Wahre Gotteserkenntnis kommt nur zustande durch den umgekehrten Nachvollzug der kondeszendenten Selbstentäußerung auf Seiten des Menschen. Sodann, weil der Mensch, unmittelbar in der Unwahrheit der Sünde befangen, unfähig ist, aus eigener Kraft von sich aus zu Gott zu finden,178 muss er, um von sich loszukommen und in seine Wahrheit zu gelangen, die »Himmelsleiter« zunächst in umgekehrter Richtung, als schmerzhaften Abstieg, betreten. Denn nichts als die Höllenfahrt der Selbsterkänntnis bahnt uns den Weg zur Vergötterung.179

176 Gegen Kants (in deutscher Sprache verfasste) »Kritik der reinen Vernunft« hat Hamann »christologisch« auf der untrennbaren Einheit von Apriori und Aposteriori in der Sprache insistiert, wenn er schreibt: »giebt uns die … Volkssprache das schönste Gleichnis für die hypostatische Vereinigung der sinnlichen und verständlichen Naturen, den gemeinschaftlichen Idiomenwechsel ihrer Kräfte …« (HAMANN, SW 3, 287,17–19; cf. auch 278,14f [cf. Mt 19,6]). Er erklärt gegen den Kantischen Apriorismus: »Laute und Buchstaben sind also reine Formen a priori … und die wahren, ästhetischen Elemente aller menschlichen Erkenntnis und Vernunft« (a.a.O. 286,14–17). Auf die Frage Kants: »wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können« (I. KANT, KrV B 177; Kant-AA 3) lautet Hamanns Antwort: als »Himmelsleiter«; dass man sähe »Heere von Anschauungen in die Veste des reinen Verstandes hinauf- und Heere von Begriffen in den tiefen Abgrund der fühlbarsten Sinnlichkeit herabsteigen, auf einer Leiter, die kein Schlafender sich träumen lässt [Gen 28,12]« (a.a.O. 287,29–32). 177 Augustin, Conf. V 3,5 (Hervorh. J. R.). Cf. Joh 14,6. 178 Dazu auch KIERKEGAARD in den »Philosophischen Brocken« (wie oben Anm. 167), 12f. 179 HAMANN, SW 2, 164,17f. An Kant schreibt er am 27.7.1759: »Die Selbsterkenntnis ist die schwerste und höchste, die leichteste und eckelhafteste NaturGeschichte, Philosophie und Poesie« (HAMANN, Briefwechsel 1, 374,11f). Der Ausdruck Poesie lässt den Hamann-Leser an Dantes »Göttliche Komödie« mit ihrem Weg vom Inferno bis ins Paradies denken; so schon Schelling: »denn, wie in dem Gedicht des Dante, geht auch in der Philosophie nur durch den Abgrund der Weg zum Himmel« (SCHELLING, Philosophie und Religion [1804], in: ders., SW I/6, 43 = Nachdr. 629). Cf. dazu Dante, Inf. 3,20, und die Bemerkung im Kommentar: »Virgil, Allegorie der menschlichen Vernunft, ist glücklich, als Dante den ersten und schwersten Schritt zur Erlösung getan hat, den Gang in die Hölle, der für ihn die Selbsterkenntnis des sündigen Menschen bedeutet« (H. GMELIN, Dante Alighieri. Die Göttliche Komödie [Italienisch und Deutsch], Bd. IV: Kommentar, dtv 2107, München 1988, 64f). Cf. auch unten § 16 E. 3. (S. 935ff).

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Zweiter Teil, Kapitel II: Das formale Sein Gottes (Aseitas)

Das ist durchaus im Einklang mit Luther gesagt:180 »wir konnen nicht gen himel komen, wir mussen vorhin ynn die helle faren«.181 Systematisch aber ist hierbei entscheidend, dass es Christi descensus ad inferos so entspricht, dass es ihn zur Voraussetzung auch des eigenen Erhöhtwerdens in den Himmel weiß (cf. Eph 4,9f).

180

S. o. bei Anm. 174. WA 39 I, 249,26f. Das steht auch im Zusammenhang mit Luthers Rechtfertigungslehre: »Primum certum est, gratiam, idest fidem, spem, charitatem non infundi, nisi peccatum effundatur simul, non ascendit in coelum, nisi descendat ad inferos, ut habet tota scriptura« (WA 5, 164,22–25). 181

Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften) § 7 Einige Vielfalt und vielfältige Einheit Gottes sog. Eigenschaften sind Selbstdarstellung seines Wesensreichtums. Sie sind seine Vollkommenheiten, indem sich in ihnen seine vollkommen einige Vielfalt und zugleich vollkommen vielfältige Einheit ausdrückt.

Einleitung Gottes »formales Sein« wurde in Kapitel II als sein Sich-Hervorbringen in Allmacht begriffen, und dies insbesondere als durch eine lebendige Selbstunterscheidung bestimmt. Bei der Erörterung seines »konkreten Seins« liegt der Gesichtspunkt nun vor allem darauf, dass er in seinem Unterschied von sich zugleich in die Einheit mit sich zurückkehrt und in größerer Bestimmtheit ewig bei sich ist.1 Damit ist eine Selbstanreicherung des göttlichen Seins (im Zuge der Selbsthervorbringung) verbunden, die der Ausdruck »konkret« anzeigen soll. Der dogmatische Ort dieser Selbstvermittlung allmächtigen Lebens und lebendiger Allmacht ist die traditionell so genannte Lehre von den »Eigenschaften« Gottes.2

A. Zur Problematik der Eigenschaftslehre Was J. L. Borges von Begriffen wie Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit etc. meinte, nämlich, dass es Wörter seien, »die aus Gott ein achtunggebieten1

In diesem Sinne gilt auch für die vorliegende Gotteslehre der Satz Ph. K. Marheinekes: »Ohne diese Bewegung und Vermittlung ist der an sich wahre Satz A = A oder Gott = Gott, ein langweiliger Satz« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 75 [§ 124]). Langweilig wäre er als eine bloße, leblose Tautologie; über eine solche hat uns bereits das spekulative Verständnis von Ex 3,14 hinausgeführt (s. o. § 1 [S. 110f] und Exkurs II [S. 140f] sowie auch S. 131 bei Anm. 236). 2 Zur Erläuterung des Leitsatzes dieses § 7 s. u. Abschnitt D. (S. 429ff).

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Zweiter Teil, Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)

des Chaos unvorstellbarer Superlative machen«,3 das gilt eher noch mehr von der Lehre von Gottes sonstigen »Eigenschaften« – blickt man auf die vielen und sehr unterschiedlichen Versuche der Tradition, in dies schwer überschaubare Themenfeld so etwas wie eine systematische Ordnung zu bringen. Jeder theologische Autor schlägt hier eigene Gesichtspunkte vor, sowohl, was den Einteilungsgrund, das Ordnungsprinzip, die Terminologie als auch, was den Umfang der zu berücksichtigenden Gottesprädikate und ihr Verhältnis zu Gott selber angeht. Einige Hauptprobleme seien hier kurz vorgestellt. 1. Schon die klassische Terminologie der praedicationes Gottes ist uneinheitlich und wirft Fragen auf. Der Ausdruck proprietates ist zu unbestimmt; sagt man: appellationes, so droht Subjektivierung; virtutes (»Tüchtigkeiten, Kräftigkeiten«) könnten auch zufällig sein; bei dem Terminus attributa bleibt das Verhältnis der Prädikate zum (göttlichen) Subjekt selber unklar; es kann aber bei Gott nicht äußerlich oder gar zufällig sein. Am ehesten anschlussfähig erscheint der Ausdruck perfectiones; aber er erfordert die Klärung erstens des Zustandekommens solcher »Vollkommenheiten« (und gerade dieser bestimmten) und zweitens des Verhältnisses ihrer Pluralität zur Vollkommenheit des Einen. 2. Allgemeine Probleme der Eigenschaftslehre betreffen erstens die Frage, wie sich die unbestimmte Vielfältigkeit religiöser Rede von Gott (bzw. religiöser Erfahrung)4 mit dem gedanklichen Bedürfnis nach begrifflichen Unterscheidungen und intellektueller Klärung ausgleichen lässt.5 Zweitens ist es für das Denken überhaupt ein Widerspruch, dass im religiösen Bewusstsein selber beides nebeneinander besteht: die größte Mannigfaltigkeit von Gott zugeschriebenen Eigenschaften6 und dass er letztlich doch als der Eine, Absolute und Erste und Letzte gemeint ist; dieser Widerspruch muss theologisch bewältigt bzw. die Frage nach dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat(en) geklärt werden. Drittens: Die Rede von Eigenschaften Gottes in der Bibel ist kaum systematisierbar. Denn sie ist jeweils situations- oder kontextbedingt, mithin unverkennbar ohne Absicht auf eine systematisch einheitliche Begriffsbildung vollzogen. Daher besteht hier die doppelte Schwierigkeit, dass einerseits ein Überfluss an Benennungen und Attributen zu konstatieren ist, 3 J. L. BORGES, Von Jemand zu Niemand. Inquisitionen. Essays, in: ders., Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Bd. VII, Fischer Tb 10583, Frankfurt 1992, 156. 4 Gott gilt vielfach als πολυώνυµος; cf. die »1000 Namen« Allahs im Islam. Zum Verhältnis von Götternamen zu den Namen Gottes cf. G. BADER, Gott nennen: von den Götternamen zu göttlichen Namen. Zur Vorgeschichte der Lehre von den göttlichen Eigenschaften, ZThK 86 (1989), 306–354. 5 Cf. genauer unten 3.5. (S. 416f). 6 Diese stellen selber schon das Problem ihrer Verträglichkeit; cf. G. W. F. Hegel: »Diese Bestimmungen [sc. Weisheit, Gerechtigkeit, Allmacht, Allwissenheit] sind Eigenschaften, die leicht als im Widerspruch miteinander stehend aufgezeigt werden können« (HEGEL, Werke 17, 530).

§ 7 Einige Vielfalt und vielfältige Einheit

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die sich überdies oft nur geringfügig unterscheiden; dass aber andererseits sachlich bzw. in begrifflicher Hinsicht keinerlei Vollständigkeit gewährleistet ist. 3. Von speziellen Problemen dieser Lehre sind zu nennen:7 3.1. Was die Definition des Begriffs »Eigenschaft« angeht, so gibt es darüber unüberschaubar viele Meinungen. Fraglich ist z. B., ob alle Aussagen über Gott auch Eigenschaftsaussagen (analytische oder synthetische Urteile?) sind, ob auch Tätigkeiten oder Ratschlüsse Gottes dazugehören oder ob es nur um bleibende oder auch um veränderliche Qualitäten gehen soll, ob ihre Anzahl festzulegen sei und vieles andere mehr. Eine (verschieden formulierbare) Grundunterscheidung liegt scheinbar theologisch recht nahe: die Unterscheidung der Eigenschaften in a) absolute (immanente, wesentliche), d. h. solche, die für Gottes Sein als solches konstitutiv sind (wie z. B. Macht, Freiheit, Seligkeit, absolute Intelligenz, Wille, Gerechtigkeit etc.) und b) relative (transeunte),8 d. h. im Verhältnis Gottes zu anderem Sein, zur geschaffenen Welt sich äußernde, es affizierende und von ihm affizierte9 (wie z. B. Allgegenwart, Allwissenheit, Liebe u. ä.). Diese Unterscheidung lässt aber den wirklichen Erkenntniszusammenhang beider Hinsichten außer Acht; denn es gilt grundsätzlich, dass »Eigenschaften« als so etwas wie »Selbstoffenbarungen der specifischen inneren Bestimmtheiten eines Seins in seiner Berührung mit dem anderen Sein« es sind, woran wir erst das Wesen der Dinge tatsächlich erkennen.10 Im Übrigen ist Folgendes festzuhalten: Die dogmatische Eigenschaftslehre – und das ist die grundlegende Forderung, die man an sie zu stellen hat – muss sich Gottes eigenem Wesen gemäß aufbauen bzw. entwickeln lassen, d. h., die Eigenschaften sind zurückzubeziehen »auf die inneren Bestimmtheiten des göttlichen Seins, welche den Begriff Gottes konstituieren«.11 Seine Eigenschaften dürfen nicht irgendwie aufgegriffen und erst nachträglich verbunden bzw. »systematisiert« werden. Vielmehr soll diese Lehre die lebendige Wirklichkeit Gottes selber (und damit sein »Wesen«) artikulieren: Gottes konkretes Sein. 7 Cf. dazu beispielsweise R. ROTHE, Dogmatik, 2 Bde., hg. von D. Schenkel, Bd. I, Heidelberg 1870, §§ 23–32 (bes. S. 102–106: 17 traditionelle Eigenschaften) sowie W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, Kap. 6.3 (S. 389ff) und 6.5. (S. 416ff). 8 Zu den »transeunten« Eigenschaften siehe genauer unten bei 3.5. (S. 416f). 9 Cf. den Begriff »affectiones«. 10 R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 146 (§ 38 Anm.); Hervorh. J. R. 11 ROTHE, a.a.O. 147 (§ 38 Anm.). Demgemäß bezeichnen Begriffe wie: Absolutheit, Aseität, Einheit, Einfachheit, Unendlichkeit, Freiheit u. ä. keine »Eigenschaften« Gottes (cf. a.a.O. 149).

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Zweiter Teil, Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)

Das göttliche Sein als Sein Gottes ist überhaupt schon Identität von Sein und Wesen,12 und »Wesen« besagt daher nicht die leere Absolutheit eines höchsten Seins oder letzten Einen, sondern lebendig erfülltes, d. h. bestimmtes (genauer: sich selbst bestimmendes) Wesen: Gott selbst, der (in gewissen Grundeigenschaften) konkret er selber ist und sich uns so zu erkennen gibt. Daher stellen auch die sog. »relativen« Eigenschaften eine Aktualisierung des inneren göttlichen Wesens dar; sie entsprechen ihm (bzw. er entspricht in ihnen sich), und nur ihr Hervortreten ist durch das (für Gott) Äußere mitbedingt, das sie zum Teil auch erst als ein solches konstituieren. Das bedeutet: Allein das solcher Aktualisierung im Äußeren (der Welt) Zugrundeliegende ist eine wahre göttliche Eigenschaft. 3.2. Eine andere wichtige Frage ist die nach der Wahrheit der Unterscheidung von Eigenschaften. Sie betrifft die jede Eigenschaftslehre bedrohende Aporie: entweder nur die wesentliche Einheit Gottes festzuhalten und damit die Realität unterschiedener Eigenschaften (d. h. Gottes Konkretheit) preiszugeben oder umgekehrt die Letztere auf Kosten der Gottheit Gottes stark zu machen. Damit hängt die weitere Frage zusammen: Sind die Unterschiede der sog. Eigenschaften nur subjektiv, nur für uns bzw. bei uns unterschieden, also letztlich nur menschliche Vorstellungen (dazu 3.2.1.), oder sind sie objektiv, d. h. bei Gott selber real, so dass ihnen etwas an Gott entspricht (dazu 3.2.4.)? Wenn das Erste gilt, haben sie keine Wahrheit, und Gott selber bleibt unerkennbar: ein virtueller letzter Einheitspunkt. Ist aber das Zweite richtig, so droht immer noch die Alternative: Entweder ist die Vielheit nur an ihm und er selber nur Name für die abstrakte Gattung solcher Eigenschaften (bzw. ihr allgemeiner logischer Zusammenhang) oder ihr unbestimmt-neutrales Substrat, oder aber es gibt faktisch überhaupt nur viele Erscheinungen des göttlichen Wesens, d. h. viele Götter. 3.2.1. Die grundlegende Voraussetzung, dass es in Gottes Wesen selber keinen Unterschied, insbesondere nicht von »Eigenschaften« geben dürfe, sondern er sich überall und immer völlig gleich, mithin schlechthin einfach sei, ist für die weithin herrschende »Negative Theologie« bestimmend.13 Hier wird Gott sozusagen zum »Mann ohne Eigenschaften«,14 und alle benennbaren Eigenschaften werden in eine unterschiedslose Einheit versenkt, so dass auf Grund ihrer objektiven Ununterschiedenheit und -scheidbarkeit Gottes Erkennbarkeit, weil sie ohne bestimmten Begriff nicht zu denken ist, letztlich 12 Dazu immer wieder Hinweise oben in Kapitel II: »Das formale Sein Gottes« (S. 249ff). 13 Cf. vor allem: Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus; dann aber auch Johannes Damascenus, De fide orthodoxa. 14 Bekanntlich verwendet R. Musil in seinem gleichnamigen Roman den Ausdruck »Eigenschaft« im von Meister Eckhart kritisierten Sinne: als Wesenszersplitterung, falsche Selbstfestlegung, egozentrische Besitzmarkierung u. ä.

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geleugnet wird. Bedeutet die Unterscheidung von Eigenschaften in Wahrheit ihre Inadäquatheit für eine wirkliche Gotteserkenntnis, so ist deren Vielheit nur Ausdruck für die Endlichkeit unseres Erkenntnisvermögens (so bei Thomas von Aquin), dem Gott selber unzugänglich fremd bleibt.15 In der Sache wird nicht gedacht, dass der theologischen Apophasis, d. h. dem Negieren aller bestimmten und »endlichen« Prädikate bei Gott, in Wahrheit Gottes eigenes Sich-Abstoßen von der Endlichkeit in seinem unendlichen Sich-Hervorbringen entspricht,16 was auch zu den biblischen, konkreten Aussagen über Gott besser stimmt – anstatt dass, wie beim Areopagiten, sie nur als Symbole des eigentlich Unsagbaren aufzufassen seien; damit wäre nur ein statisches, von außen begriffenes Verhältnis zwischen ihnen und Gott angesetzt. 3.2.2. Betrachten wir vor diesem einflussreichen Hintergrund einige gewichtige Stimmen der dogmatischen Tradition. Bei Augustin heißt es: Deus vero multipliciter quidem dicitur magnus, bonus, sapiens, beatus, verus [etc.]: sed eadem magnitudo eius est, quae sapientia; … et eadem bonitas quae sapientia et magnitudo, et eadem veritas quae illae omnia: et non est ibi aliud beatum esse, et aliud magnum, aut sapientem, aut verum, aut bonum esse, aut omnino ipsum esse.17 Danach ist Gott schlechthin einfach, und jede Eigenschaft ist eigentlich das ganze göttliche Wesen selber.18 So kann zwar der absolute Zusammenhang aller Eigenschaften gewahrt werden, aber um den Preis, dass Gottes eigentliches Wesen nur als das unbestimmt-unendliche »Sein selbst« ausgesagt werden kann.19 Dieser Begriff des Ipsum esse wird aber wegen des Fehlens jeglicher Bestimmtheit von abgründiger Leere bedroht.20

15 Cf. dagegen den Hinweis auf Gottes Kondeszendenz bei Marheineke: »Werden also in der christlichen Religion göttliche Eigenschaften auf menschliche Weise vorgestellt, so geschieht das, weil Gott selbst in ihr die Trennung zwischen sich und dem Menschen aufgehoben« hat (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 1], 108 [§ 184]). 16 So wie das Wort »Gott« sich von allen Wörtern unserer Sprache emanzipiert, um der Ort von Gottes Selbstvergegenwärtigung zu sein (dazu s. u. § 10 F. [S. 581ff]). 17 Augustin, De trin. VI 7,8 (PL 42, 929). 18 S. u. ähnlich bei J. Gerhard, J. A. Quenstedt, auch noch G. W. F. Hegel. 19 Cf. den Hinweis auf die theologiegeschichtlichen Probleme seit Gilbert von Poitiers im Westen und Gregorius Palamas im Osten bei H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993 (= 2005), 117 mit Anm. 29. Zu dem letztgenannten cf. insbesondere D. WENDEBOURG, Geist oder Energie. Zur Frage der Verankerung des christlichen Lebens in der byzantinischen Theologie, MMHST 4, München 1980. 20 Cf. das »Nichts« der Mystik (»Wüste«) oder das ʿAjin der Kabbala.

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An Anselm von Canterbury knüpft die Schlussformulierung des Dogmas auf dem Konzil von Florenz (1442) an:21 quia trium est una substantia, una essentia, una natura, una divinitas, una immensitas, una aeternitas, Omniaque sunt unum, ubi non obviat relationis oppositio.22 Hier wird bezüglich der Trinitätslehre die ungeteilte Einfachheit Gottes (gegen den Verdacht auf Tritheismus) dogmatisiert, die unbeschadet der Unterschiedenheit der drei Personen (»unum in essentia, trinum in personis«)23 keinerlei andere reale Verschiedenheit in Gott zulässt. Bei diesen Festlegungen stellt sich offenkundig das Problem, wie genau die Einheit des göttlichen Wesens mit der Verschiedenheit der trinitarischen Personen vereinbar ist bzw. ob sich nicht notwendig die Aufgabe ergibt, jene Einheit auch als in sich unterschieden zu denken. Denn weder darf die innertrinitarische Differenzierung der einen Gottheit (divinitas) äußerlich bleiben, noch auch dürfen die Unterschiede der »Personen« in Gott selber modalistisch verwischt werden.24 Wendet man sich Thomas von Aquin zu, so ist generell ein starker Einfluss des Areopagiten, also »Negativer Theologie«, in seiner Gotteslehre zu verzeichnen. Was die göttlichen Eigenschaften (»perfectiones«) betrifft, so erklärt Thomas sich, ähnlich wie Augustin u. a., für ihre objektive Einheit: quod omnes perfectiones in Deo sunt unum secundem rem. … Ubi autem est simplicitas, diversitas eorum, quae insunt, esse non potest … quod omnes sint unum in eo.25 Hier hängt das Argument an der vorausgesetzten Unvereinbarkeit von simplicitas und diversitas.26 Dieses Axiom abstrakter Einfachheit gestattet aber nicht, Gottes Lebendigkeit nicht-metaphorisch zu denken. Daher kann auch die Vielfalt göttlicher Eigenschaften nur subjektiv, auf Seiten des Menschen, verortet werden: Quae quidem perfectiones in Deo praeexistunt unite et simpliciter, in creaturis vero recipiuntur divise et multipliciter.27

21 Cf. Anselm, De processione de Spir. S. c. Graecos, cap. I, in: ders., Op. omn. 2, 180f = PL 158, 288C; dazu: M. GRABMANN, Geschichte der scholastischen Methode, Bd. I, Freiburg 1909 (Nachdr. Darmstadt 1961), 327f (zit. Anm. 3). 22 DS34, Nr. 1330 (S. 337). 23 Ebd.; cf. auch: »Hae tres personae sunt unus Deus, et non tres dii« (ebd.; es folgt zur Begründung das oben Zitierte). 24 Dazu ausführlich unten § 15. 25 Thomas von Aquin, Comp. theol., c. 22. Nach c. 24 ist auch die Vielheit der Namen nur für uns; in Gott sind sie schlechthin eins. 26 Zu Gottes »Einfachheit« s. o. § 3 B. 1.5.2. (S. 264ff). 27 Thomas von Aquin, STh I, q. 13, a. 4, resp.

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Das eine Licht göttlicher Vollkommenheit bricht sich sozusagen prismatisch in den mannigfaltigen Farben der geschöpflichen Welt. Umgekehrt sind diese in ihren göttlichen, einen Ursprung zurückreflektiert: Cum ergo Deus sit prima causa effectiva rerum, oportet omnium rerum perfectiones praeexistere in Deo secundum eminentiorem modum.28 Auf der via eminentiae werden geschöpfliche, relative »Vollkommenheiten« so auf ihren Ursprung in Gott zurückgeführt, dass sie dort in der einen Vollkommenheit Gottes selber nur eins sein können – wie Gott in seinem Wesen. Zu ihrer absoluten Vollkommenheit bzw. ihrer Vollkommenheit im Absoluten gehört, dass ihre (in der Endlichkeit begründete) Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit dort erlischt bzw. ursprünglich gar nicht existiert: Et sic quae sunt diversa et opposita in se ipsis, in Deo praeexistunt ut unum, absque detrimento simplicitatis ipsius.29 Für den ganzen Argumentationsgang in dieser Frage ist festzustellen: Das Verhaftetsein am (griechisch-)metaphysischen Axiom der Gott allein angemessenen unbeweglichen Einheit und Einfachheit verhindert, die reale Dialektik widersprüchlicher Eigenschaftsprädikate als Vollzug lebendiger Einheit zu begreifen; stattdessen kann man nur durch eine abstrakte Einheitsbehauptung die vorhandenen Unterschiede formal transzendieren. In der Altprotestantischen Orthodoxie werden die Eigenschaften ausdrücklich auf das durch inadäquate Begriffe vorgestellte göttliche Wesen selber bezogen. So heißt es bei J. Gerhard: attributa divina nec ab essentia nec inter se actu ex natura rei distinguantur.30 Sind sie aber in der Sache eigentlich nicht unterscheidbar, so fallen sie faktisch mit dem göttlichen Wesen selber zusammen: Attributa divina in se ac per se considerata sunt realiter et simplicissime unum cum divina essentia.31 Man fragt sich hierbei, ob der Blick auf die göttlichen Attribute »für sich und in sich betrachtet« (per se considerata) nicht den Vorbehalt einschließt, dass 28

STh I, q. 4, a. 2, resp. Dass Gott als höchste Ursache (prima causa) für die Welt zu fassen der Grund für theologische Aporien ist, hat PANNENBERG (cf. Systematische Theologie I [wie oben Anm. 7], 394–397) gezeigt! 29 A.a.O. ad 1. 30 J. GERHARD, Loci theologici, loc. II, c. VII, § 110 (hg. von E. Preuss, Bd. I, Berlin 1863), S. 297. 31 A.a.O. § 104 (S. 295). Weil sie selber das göttliche Wesen ausmachen (»sunt enim ipsa Dei essentia«), gilt: »aequaliter Deo inesse« (ebd.).

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wir diese Betrachtungsweise nur voraussetzen, aber real gar nicht nachvollziehen können; zumal dies Einssein so sehr dem Augenschein widerspricht, der eben zu einem Plural von Attributen nötigt, dass hier eigentlich auch nur das Problem benannt wäre. Aus dieser Einheit der Eigenschaften mit dem Wesen folgt weiter: Inesse Deo [sc. attributa sua] inseparabiliter; ut enim ἀδύνατον est, essentiam rei ab ipsa re separari, ita quoque attributa a Deo separari nequeunt, cum sint ipsa essentia Dei.32 Wie das Wesen einer Sache mit der Sache an sich selber, so koinzidieren die Gottesattribute mit Gott selbst und als solchem. Daher kommt ihnen zwar bei Gott das inseparabiliter inesse zu, dies aber doch so, dass sie sich dabei irgendwie auch unterscheiden, was die Formel jedoch nicht zum Ausdruck bringt. Was in sich selber schlechthin eins ist, Gottes Wesen, soll doch nach außen, d. h. im Plural der Attribute, sich als vielfältig darstellen, wiewohl es unter sich untrennbar zusammenhängt. Die Eigenschaftslehre muss sich der Aufgabe stellen, dies einzulösen. Bei J. A. Quenstedt bietet sich ein ähnliches Bild: Attributa divina implicant ipsam essentiam divinam.33 Daraus ist vor allem zu entnehmen, dass die göttlichen Attribute als solche an der essentia Gottes teilhaben müssen, um solche überhaupt zu sein. Besagt: implicant, dass sie auch untereinander ineinander sind, so fragt sich: Wie? Auch wenn unsere Begriffe von ihnen letztlich inadäquat sein mögen,34 in Gott selber sind sie mit seinem unendlichen Wesen vollkommen eins.35 Das liegt tendenziell auf der Linie, hier eine Unterscheidung von »an sich« und »für uns« in Anschlag zu bringen (s. u.): so wie etwa der einen Sonne verschiedene Wirkungen zukommen (erleuchten, erwärmen, entzünden, trocknen, schmelzen usw.). Die subjektiv bedingte Uneigentlichkeit kommt deutlicher heraus in dem Satz: Si proprie et accurate loqui velimus, Deus nullas habet proprietates, sed mera et simplicissima est essentia.36 Hat Gott an sich selber keine proprietates, weil er wesentlich nur als reine Einheit im abstrakten Sinne gedacht werden muss, so steht man vor der Frage: Woher kommt die Verschiedenheit, die in uns begründet sein soll, dies 32 A.a.O. § 104 (S. 296). Zu dem Satz des Alanus: »Quidquid est in Deo, Deus est« s. u. Abschnitt C. (S. 425 bei Anm. 118). 33 J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, Leipzig 1702, Pars I, c. VIII, sect. 2, q. 2, V obs. (S. 297). 34 A.a.O., S. 284. 35 A.a.O., S. 297. 36 A.a.O., c. VIII, sect. 2, q. 2 ekt. 3 (S. 296f).

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aber nicht nur sein kann, wenn sie Gott nicht völlig äußerlich und insofern theologisch letztlich irrelevant bleiben soll? Gegen die sich schon hier anbahnende (neuzeitliche) subjektive Relativierung versucht Quenstedt zu behaupten: Die Unterschiede bei Gott können nicht bloß willkürlich ausgedacht sein (rationis rationantis), sondern wir müssen zwar so denken (rationis rationatae), aber dennoch handelt es sich nicht um ein Erkennen des göttlichen An-sich, sondern darum, wie Gott für uns sein will bzw. erkannt sein will. Was aber gestattet diese Relativierung der Gott denkenden Vernunft, die einem »Müssen« gehorcht, das sie als theologische Vernunft selber schon hinter sich gelassen hat?37 Jedenfalls ist indes für Quenstedt, ähnlich wie bei Gerhard, der Gehalt der Eigenschaften in Gott – proprie geredet – nicht verschieden, und zwar weder untereinander noch von seinem Wesen.38 Das heißt, am Ende sind die differenten Eigenschaften eben doch nur subjektiv-menschlich zu begründen, nicht aber in einer internen Unterschiedenheit Gottes selber in seiner essentia. Man hat es also mit einer vermittelnden Ansicht zu tun.39 Gott ist einer, aber er stellt sich für uns verschieden dar, zeigt sich bei uns und in der Weltvielfalt auf mannigfaltige Weise. Dagegen muss festgehalten werden: Wenn wirklich Gott sich selber so zeigt, dann entsprechen dem auch objektiv Unterschiede in ihm; sonst würde er sich anders zeigen, als er ist, bzw. etwas Anderes zeigen, was er gar nicht selber ist. Wenn er aber nicht sich selber darin zeigt, dann sind die von uns unterschiedenen Eigenschaften nur subjektiv (für uns) gültig.40 Ist die Wahrheit der Eigenschaften so, wie Gerhard und Quenstedt es wollen, in der höheren, reinen Einheit Gottes aufbewahrt? Das ist nur scheinbar der Fall. Denn entweder entspricht unseren verschiedenen Vorstellungen etwas in Gott, und dann hat Gott wirklich verschiedene »Eigenschaften«, oder wenn alle Unterschiede (zwischen den Eigenschaften) in Gott beseitigt sind, dann sind sie eben keine Eigen-schaften, und ihm kommt an sich selber ein 37 Cf. die eindringliche Studie von J. BAUR, Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium. Eine Untersuchung zur Theologie Johann Andreas Quenstedts, Gütersloh 1962, bes. 28ff (mit weiteren zur Differenzierung beigebrachten Zitaten; enthält auch eine Kritik an H. Cremer). 38 QUENSTEDT, a.a.O., c. VIII, sect. 2, q. 3., Th. (S. 300). 39 Sie findet sich auch anderswo, z. B. im 19. Jahrhundert bei F. A. Philippi. 40 Grundsätzlich gegen die subjektive Zuschreibung von Namen oder Attributen an Gott gerichtet, bemerkt Marheineke zu dem Missverständnis: »als könnte, daß Gott so oder anders genannt, oder ihm diese oder jene Eigenschaft beigelegt und zugeschrieben würde, also das Vorstellen gewisser Eigenschaften uns an und für sich die Realität derselben verbürgen. Denn dann wäre die sogenannte Existenz der Eigenschaften Gottes nicht eine Existenz in ihm, sondern nur in der Vorstellung und die Eigenschaft selbst ein bloßes Gedankending, also eine göttliche Eigenschaft zugleich in Wahrheit keine göttliche Eigenschaft« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 1], 106 [§ 180]). Marheineke warnt auch davor, dass die Eigenschaftslehre »bis zum argumentum ab utili« herabsinken könne (ebd.).

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völlig unbestimmtes Sein zu.41 Gott als mera et simplicissima essentia ist Inbegriff letzter Bestimmungslosigkeit. Diese Konsequenz radikaler Subjektivierung der Eigenschaftslehre hat der neuprotestantische Klassiker schlechthin mit großer Eindeutigkeit gezogen, F. D. E. Schleiermacher: Alle Eigenschaften, welche wir Gott beilegen, sollen nicht etwas Besonderes in Gott bezeichnen, sondern nur etwas Besonderes in der Art, das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl auf ihn zu beziehen.42 Gottes Eigenschaften benennen mithin nur die Art und Weise, in der wir (religiös und theologisierend) das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit bzw. unser unmittelbares Selbstbewusstsein auf seinen transzendenten Grund in einem letzten Woher dieses Abhängigkeitsgefühls, das selber außer durch eine abstrakte Einheit durch keine internen Besonderheiten charakterisierbar ist, zurückbeziehen müssen. In solchen Eigenschaftsaussagen reflektieren sich allein die Besonderungen unseres innerweltlich mannigfach verfassten Daseins bzw. die daraus abzuleitenden Besonderungen unserer Bezogenheit auf die letzte Einheit, deren Erfahrung im religiösen Bewusstsein nachträglich mit dem Wort »Gott« bezeichnet wird. Mit den göttlichen »Eigenschaften« machen wir also keine Aussagen über Gott selber in seinem An-sich-Sein – sie sind der Theologie methodisch verwehrt –; vielmehr handelt es sich dabei lediglich um Brechungen des einen Lichtes im Medium unserer endlichen Vielfältigkeit. Eine (theologische) Logik der Zuschreibung von Eigenschaften an Gott soll mithin gerade nicht intendiert werden. Gott ist nur im Abhängigkeitsgefühl präsent, d. h. indirekt bzw. subjektiv gebrochen, und dogmatische Gedanken beschreiben nur unsere christliche Frömmigkeit; dabei steht das Wort »Gott« für ein letztes einheitliches Woher bzw. die Verursachung dieses Gefühls. Dagegen ist logisch und theologisch zu behaupten: Unsere Vorstellungen von göttlichen Eigenschaften haben im Verhältnis Gottes zur Welt (bzw. auch in unserm weltbestimmten Verhältnis zu Gott) zwar ihren empirischen Ursprung, nicht aber ihren Wahrheitsgrund.43 Weil unsere Begriffe nur Begriffe 41 Cf. Marheineke: »Wäre aber lediglich in dem Bedürfniß des Menschen die Nothwendigkeit begründet, Gott in bestimmten Eigenschaften zu denken, so wäre er eigentlich ohne dieses unser Bedürfniß nicht nur ein ganz unbestimmter Gedanke, ein vacuum, ohne alle Bestimmungen und Praedicate, sondern auch dieses unser Bedürfniß zugleich das Bedürfniß Gottes selbst, bestimmter von uns gedacht zu werden« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 1], 106 [§ 181]). 42 SCHLEIERMACHER, CG2, § 50, Leitsatz. Cf. C.-D. OSTHÖVENER, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, TBT 76, Berlin/New York 1996, 7–97. 43 Cf. das Rothe-Zitat oben bei Anm. 10. Mit I. Kant könnte man gegen den »Kantianer« Schleiermacher sagen: »Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung« (I. KANT, KrV, Einl. I [B 1]).

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sind, wenn sie nicht nur unsere sind, sind sie auf Gott bezogen nur wahr, wenn ihnen etwas in Gott entspricht; sonst streichen sie sich selber (als Begriffe) durch. Sachhaltige Begriffe von Gott und seinen Eigenschaften (als seinen Beziehungen zu uns) gibt es theologisch nur durch ihre Bezogenheit auf Gott selber und sein Verhältnis zu sich.44 3.2.3. In den bisherigen Darlegungen werden drei Gründe für eine bloß subjektive Auffassung der Eigenschaften Gottes erkennbar, die kurz zu bündeln sind. a) Der Gedanke von Gottes Einheit, verstanden als bewegungslose SichGleichheit, steht hinter der Auffassung von Gottes absoluter Einzigkeit, Unergründlichkeit, Majestät, Unnahbarkeit, Erhabenheit, Unvergleichlichkeit etc. und bedingt die Meinung, menschliche Gotteserkenntnis könne generell nur inadäquat sein. Dabei wird das missverstandene Interesse vorherrschend, die Transzendenz Gottes einseitig und beziehungslos zu betonen.45 Bei einer objektiven Auffassung hingegen werden die Aussagen über Gottes Eigenschaften nicht nur subjektiv oder gar willkürlich gebildet, auch wenn überhaupt gelten mag, dass Gott nicht ganz und gar erkannt werden kann. Aber Prädikate wie Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe und Macht sind gleichwohl objektiv wahre Gedanken über ihn. b) Leitend ist das Interesse, irgendwelche Beschränkungen für Gott zu vermeiden, die ihn verendlichen würden.46 Bringt man gegen die Annahme von Bestimmtheiten des göttlichen Seins den (spinozischen) Satz in Stellung: »omnis determinatio est negatio«,47 so bleibt er einseitig, wird die Dialektik der »Negation der Negation« verkannt, die logisch der Selbst-Bestimmung Gottes entspricht.48 Durch sie aber kann das Unendliche nicht mehr mit dem Unbestimmten (Bestimmungslosen) verwechselt werden.49 Überdies handelt es sich bei Gottes »Unendlichkeit« gerade nicht um eine »Eigenschaft« u. a.,50 sondern um einen Kanon zur Bildung der Eigenschaftslehre, also um das, was eine solche Eigenschaft zu einer Gottes macht.51 44

Marheinekes Argumente (s. o. Anm. 40 und 41) lassen sich auch auf Schleiermacher beziehen. 45 Extrem ausgeprägt im Deismus. 46 Neuzeitlich steht dahinter der Anthropomorphismus-Verdacht (Kant, Fichte). 47 SPINOZA, Ep. Nr. 50, in: ders., Opera, hg. von C. Gebhardt, Heidelberg 1925 (Nachdr. 1973), Bd. IV, 240; cf. dazu kritisch HEGEL, Werke 5, 121; 6, 195. 48 Von ihr sind alle christlichen Aussagen über Gottes Kondeszendenz logisch bestimmt (s. o. § 6). 49 Zur »affirmativen Unendlichkeit«, die das Endliche in sich aufgehoben hat, cf. Hegels Logik: HEGEL, Werke 5, 156ff. 50 Cf. oben Anm. 11 (Rothe) sowie oben § 4 D. 3. (S. 317ff) und E. (S. 320ff). 51 So stellt Schleiermacher zu Recht fest, Unendlichkeit sei (wie auch Einheit) »eine Eigenschaft aller göttlichen Eigenschaften« (SCHLEIERMACHER, CG2, § 56,2.). A. Calov

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c) Es geht wesentlich um den Grundgedanken von Gottes Einheit als absoluter Einfachheit. Das bleibt sicher unbestritten, muss aber nicht zwangsläufig mit innerer Unterschiedslosigkeit identisch sein;52 vielmehr ist eine solche nur von einer mechanischen, Gott äußerlichen Zusammensetzung zu unterscheiden.53 Überhaupt gilt für die christliche Gotteslehre, dass ihr Verständnis von einer letzten Einheit wie dem der Mystik signifikant unterschieden bleiben muss. Gottes absolute Einheit ist das, was ihn zu Gott macht, aber sie muss als in sich lebendig gedacht werden, als wahrhaft unendlich und so als seine selbsthafte Einheit.54 Andernfalls wird der »Begriff der Einfachheit Gottes zu jenem Alles beherrschenden Prinzip, zu jenem Götzenbild …, das, alles Konkrete verschlingend, im Hintergrund … steht«.55 3.2.4. Die in dieser Gotteslehre vertretene objektive Bedeutung der Eigenschaften (inkl. ihrer Unterschiede voneinander) wird weiter unten begründet und entfaltet (Abschnitte B. und C.). Es reicht daher hier, darauf hinzuweisen, dass sie in der Scholastik z. B. von Duns Scotus behauptet wurde: formaliter realiter distinctae.56 Die dafür entscheidende Frage ist die nach dem objektiven Prinzip ihrer Unterschiedenheit sowohl in Gottes eigenem Sein wie auch im Verhältnis zueinander.57 Bei ihrer konstruktiven Beantwortung ist freilich immer die Gefahr im Auge zu behalten, Gott nicht zu verendlichen; das würde darauf hinauslaufen, Gott in ähnlicher Weise als »vielseitig« wie ein menschliches Individuum zu beschreiben. Der Verlust der göttlichen Wesenseinheit, die begriff Unendlichkeit als »per se conceptus quidditativus Dei« (A. CALOV, Systema locorum theologicorum, Bd. II, Wittenberg 1655, c. III, q. 7 [S. 215ff]). Für Pannenberg stellt E. Mühlenberg zu Recht fest, dass der Gedanke der »wahren Unendlichkeit« nicht nur die Gotteslehre (Systematische Theologie I) strukturiere, sondern insbesondere auch die sachgemäßen Aussagen über Ewigkeit, Allgegenwart und Allmacht bei Pannenberg demgemäß explikabel mache (E. MÜHLENBERG, Die Herkunft des Gedankens der Unendlichkeit Gottes, in: G. Wenz [Hg.], »Eine neue Menschheit darstellen« – Religionsphilosophie als Weltverantwortung und Weltgestaltung, Pannenberg-Studien 1, Göttingen 2015, 141–175, hier 143. Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 7), 429f. 52 Wie schon der Begriff der Trinität zeigt, den Schleiermacher bezeichnenderweise aus seiner Glaubenslehre ausgeschlossen hat. 53 Cf. I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 184 (§ 15,3). 54 Cf. oben § 3 D. (S. 274ff). Bei Johannes Scotus Eriugena ist zu lesen: »Deus est unum multiplex in seipso« (De divis. nat. III 17; PL 122, 674C). 55 BARTH, KD II/1, 370. 56 Cf. Duns Scotus, Ordin. I, dist. 8, q. 4 u. ö. Der objektive Sinn wird auch vertreten von S. J. Baumgarten, G. Thomasius, H. L. Martensen, R. Rothe, I. A. Dorner u. a. 57 Cf. dazu meinen Versuch einer Ableitung der konkreten göttlichen Bestimmungen im Verhältnis Gottes zu sich und zur Welt (bzw. zu uns) unten in Abschnitt E. (S. 431ff).

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nicht nur ein formales Einheitsband ist, muss dabei unbedingt vermieden werden, wie auch Gottes Einheit nicht bloß im abstrakten Gegenüber zu Welt und Mensch festgehalten werden darf.58 Die Gotteslehre steht vor der Aufgabe, die Vereinigung von unendlicher Einheit und Unterschiedenheit (Bestimmtheit) im lebendigen Gott zu denken,59 und dies im Zusammenhang mit dem Theorem der Selbsthervorbringung Gottes. 3.3. Ein spezifisches Problem jeder Eigenschaftslehre betrifft das Verhältnis der Eigenschaften zueinander. Sind alle als gleichrangig (bzw. -artig) koordiniert oder subordiniert? Im ersten Fall könnten sie auch gleich-gültig nebeneinanderstehen, im zweiten spiegelten sie eine Art Hierarchie in Gott, für die ein differenzierendes Prinzip anzugeben wäre. Damit ist die systematische Aufgabe gestellt, das innere Verhältnis der Eigenschaften und ihre objektive Gliederung herauszuarbeiten; das wird der Abschnitt F. konkret versuchen (s. u. S. 434ff). Als ordnendes Prinzip in Gott als dem Lebendigen kann im vorliegenden Entwurf folgerichtigerweise nur der zentrale theologische Sachverhalt in Anschlag gebracht werden, dass Gott als absolutes Selbst seiner selbst absolut mächtig ist. Demnach macht es das »Wesen« Gottes aus, der alle seine internen Unterschiede Beherrschende und mithin sich selbsthaft Durchdringende zu sein (bzw. zu bleiben). Gottes »Eigenschaften« werden hier also als spezifische Mittel und Weisen begriffen, sein Gottsein zu realisieren. Darin liegt in umgekehrter Blickrichtung auch: Diese »Mittel« müssen eben zu diesem Ziel schlechthin tauglich und notwendig sein; d. h., keine dieser »Eigenschaften« darf Gott äußerlich oder nur faktisch zukommen. 3.4. Zur Art der Ableitung solcher Eigenschaften ist an dieser Stelle nur eine kleine historische Bemerkung anzubringen; meinen eigenen Weg werden die Abschnitte C.–E. begründen und ausführen. Seit der Scholastik unterscheidet man bekanntermaßen ausdrücklich drei Wege der Ableitung von göttlichen Eigenschaften: die a) via negationis, b) via eminentiae, c) via causalitatis. Dazu ist zu bemerken: Weg (a) ist auch in (b) impliziert.60 Außerdem gilt: Bei allen drei Wegen ist ein Wissen von Gott schon vorausgesetzt, um sie überhaupt beschreiten zu können, nämlich als leitend für die Aussonderung 58

Das Letztere liefe auf eine deistische Diastase hinaus (cf. Sozianismus). Das ist auch im religiösen Interesse, dem nicht an einer schlechten Vereinerleiung liegen kann; z. B. evangelisch von Gerechtigkeit und Liebe Gottes. 60 Das weist auf die konstitutive Rolle der Negation im Wesen Gottes hin, die schon bei den Themen »Unendlichkeit« (§ 4 E. [S. 320ff]), »Allmacht« (§ 5 F. [S. 365ff]) und Kondeszendenz (§ 6 E. [S. 389ff]) behandelt wurde. 59

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Zweiter Teil, Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)

oder Ausscheidung, für die Steigerung und die Letztbegründung im Verhältnis von endlichen zu göttlichen Prädikaten.61 Damit erweist sich aber die Frage nach der Einheit des auf diesen Wegen Erreichten bzw. nur Eingeholten als ihnen gegenüber systematisch vorrangig. Von dieser Einheit im lebendigen Gott selber soll hier ausgegangen werden (s. u.). 3.5. Auch zur Frage der Einteilung der Eigenschaften sind hier nur einige wenige Bemerkungen vorauszuschicken.62 3.5.1. Traditionsreich ist die – mit der Differenz der drei »viae« zusammenhängende – Unterscheidung von attributa negativa und positiva.63 Dazu ist aber zu sagen: Alle »negativen« Eigenschaften enthalten als Eigenschaften Gottes auch etwas Positives, und dies eben als Eigenschaften Gottes und nicht eines Andern. Außerdem gibt es in der Durchführung in einzelnen Fällen Unklarheiten: Ist »Un-endlichkeit« wirklich etwas Negatives? Oder: Ist »Heiligkeit« nur positiv? 3.5.2. Häufig wird die Einteilung der Eigenschaften danach vorgenommen, ob sie (a) absolut, immanent, ruhend o. ä. sind (d. h. auch abgesehen von der Welt Gott inhärieren) oder (b) relativ, transitiv (transeunt), tätig o. ä. (d. h. sich in der göttlichen Weltkausalität zeigen).64 Dagegen ist anzumerken: Auch die Eigenschaften von (b) gehen von Gott selber aus, sind ihm also auch immanent; auch die von (a) offenbaren sich uns. Das bedeutet, schlechthin »ruhend« sind auch die sog. immanenten Eigenschaften nicht, denn Gott ist einerseits bei allem Ruhen in sich doch ein »lebendiger« Gott.65 Andererseits hat die Bezogenheit Gottes zur Welt einen Grund in seinem internen Sein, d. h. in Gottes ewiger Selbstsetzung.66 Gott 61 Cf. dazu PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 7), 424f (zu H. Cremer). 62 Traditionelle Beispiele sind aufgeführt bei: C. H. RATSCHOW, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung, Bd. II, Gütersloh 1966, 73f; H. HEPPE/E. BIZER, Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, Neukirchen 1958, 56ff sowie BARTH, KD II/1, 377ff und 383. Für die katholische Theologie cf. J. AUER, Gott der Eine und der Dreieine, Regensburg 1978, sowie W. BRUGGER, Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979. 63 Schon der Areopagite unterscheidet ἀποφάτικα und καταφάτικα; zur Kritik an der »negativen Theologie« (s. o. 3.2.1. [S. 406f]). 64 So unterscheidet beispielsweise C. I. Nitzsch Eigenschaften der »Abgezogenheit« Gottes von der Welt (Ewigkeit, Unräumlichkeit, Weisheit, Seligkeit) von solchen der »Bezogenheit« auf sie (Allgegenwart, Allwissenheit, Allmacht, Liebe); cf. C. I. NITZSCH, System der christlichen Lehre, Bonn 61851, § 65 und §§ 79f. 65 Gegen die grundlegende Unterscheidung von tätigen und ruhenden Eigenschaften cf. die Argumente A. RITSCHLs, Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. III, Bonn 31888, 236– 238; cf. auch 308 (ruhendes Sein und äußerliche Bestimmungen). 66 Cf. DORNER, Glaubenslehre I (wie oben Anm. 53), 190.

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hat in der Welt zugleich auch ein Verhältnis zu sich.67 Beides lässt sich nur abstrakt und undialektisch voneinander abheben.68 Denn Gott ist lebendig gerade in der dialektischen Einheit von In-sich-Sein als Außer-sich-Sein und umgekehrt; d. h., jeder »transeunten« Eigenschaft Gottes entspricht (simultan) sein in sich Zurückgehen. Wenn »relative« Eigenschaften in Gottes absolutem Sein objektiv begründet sind, dann können sie nicht bloß relativ sein; wenn aber nicht, dann sind sie auch nicht seine eigenen, sondern lediglich unserer Ansicht der Dinge entsprungen. Vielmehr ist die absolute Selbständigkeit und Selbstmächtigkeit Gottes gerade in seinem Verhältnis zur Welt (als seiner Schöpfung) wirksam, bzw. das In-sich-absolut-Sein Gottes realisiert sich in seinem Außenbezug.69 Gegen einen abstrakten Theismus ist christlich und dogmatisch festzuhalten: Das göttliche Wesen kann nicht mehr als beziehungslose Identität jenseits der Welt gedacht werden.70 3.6. Folgerungen. Die dogmatische Eigenschaftslehre muss in ein organisches Verhältnis zur Lehre von Sein und Wesen des lebendigen Gottes gesetzt werden,71 d. h., das vorliegende Kapitel III muss mit den Kapiteln I und II sinnvoll und innerlich zusammenstimmen. Bei einer adäquaten Verbindung ergibt sich die gegliederte Erkenntnis von Gottes »konkretem Sein« als Manifestation seiner wahren Unendlichkeit, und Gott erweist sich, »nicht nur ein unbestimmtes Unendliches, sondern objectiv in sich unendlich bestimmt« zu sein.72 67

Das lässt sich an allen von Nitzsch genannten Eigenschaften zeigen. Schon der Terminus »Abgezogenheit« (oben Anm. 64) signalisiert die Abstraktheit des Gedankens. 68 Zum Beispiel gilt »immensitas« als absolute bzw. immanente Eigenschaft, davon wird künstlich »Allgegenwart«, die nur für das Weltverhältnis Gottes gelten soll, unterschieden; cf. D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Bd. I, Stargard 1707 (Nachdr. Darmstadt 1971), 355–357 und 391f; dagegen zu Recht Pannenberg: »Unermeßlichkeit und Allgegenwart Gottes müssen als ein einheitlicher Sachverhalt verstanden werden« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 7], 445); er behauptet (ebd.) die Verbindung der Momente von Immanenz und Transzendenz im wahrhaft Unendlichen. 69 Cf. entsprechend richtig E. Hirsch: »Die Lehre von den Eigenschaften Gottes ist eine mangelhafte Form der Einsicht, daß ein lebendiges Gottesverhältnis von einer Rechenschaft über Gott als dem das Verhältnis zu ihm in allen seinen Momenten Bestimmenden unabtrennlich ist« (E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, 88 [§ 54, M. 1.]; Hervorh. J. R.). Dem haben die Ausführungen unten (Abschnitt C. [S. 424ff]) Rechnung zu tragen. 70 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 7), 397; cf. 387 (siehe auch oben § 6 E. [S. 389ff]). Zu einem entsprechenden Begriff des göttlichen Handelns cf. PANNENBERG, a.a.O. 398ff und 416ff; zu Gottes Handeln als »Selbstverwirklichung« cf. 418 und 423 (causa sui). 71 Wobei Sein und Wesen bei Gott selber lebendig eins sind (s. o. § 3). 72 DORNER, Glaubenslehre I (wie oben Anm. 53), 173 (§ 15, Leitsatz).

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Ein wahrer Begriff Gottes ergibt sich, wenn »die göttlichen Eigenschaften in ihrer Vielheit und bleibenden Unterschiedlichkeit, aber auch ihrer inneren Zusammengehörigkeit oder Einheit« gedacht werden können.73 Die in dieser Gotteslehre vorgetragene Lösung für die problematische Verhältnisbestimmung von göttlicher Einheit in der Vielheit der Eigenschaften Gottes geht allgemein davon aus, dass die Einheit Gottes mit sich, weil sie in sich ewig lebendig ist, sich selber zu einer bzw. in einer Mehrheit von Bestimmungen entfaltet, die derart mit ihr in einem intrinsischen Zusammenhang stehen müssen.74 So gedacht, kann in der Vielheit noch die Einheit enthalten sein und erhalten bleiben (sich erhalten), nämlich als deren Selbstkonkretion: »gleichsam als der ewige von ihm [sc. Gottes Wesen] ausgehende Strahlenglanz«.75 Auf diese Weise sind die »Eigenschaften« weder etwas nur Gott faktischzufällig Beikommendes, noch auch wird mit ihnen die göttliche Aseität verlassen bzw. preisgegeben. Vielmehr geht die Aseität Gottes durch alle Eigenschaften lebendig mit oder hindurch,76 d. h., sie entfaltet sich in ihnen und stellt sich an ihnen selber dar. Weil in dieser Gotteslehre das göttliche A-seesse schon von Beginn an als in sich von sich unterschieden gedacht worden ist (§§ 1 und 2), kann es nun in der Eigenschaftslehre konkret als der lebendige Vollzug von Gottes eigener Totalität begriffen werden. Dafür ist freilich eine Klärung des logischen Begriffs der Eigenschaft vorausgesetzt.77 Wir wenden uns also zunächst genauer der Frage zu: Wie verhält sich eine Eigenschaft zu dem, dem sie zukommt, ihrem »Träger«?

B. Begriff der Eigenschaft Es geht hier um ein spekulatives Begreifen dessen, was überhaupt eine »Eigenschaft« ist.78 73

Cf. a.a.O. 174 (§ 15, Leitsatz). Ausgeführt unten in Abschnitt C. (S. 424ff). 75 DORNER, Glaubenslehre I (wie oben Anm. 53), 178. 76 Cf. a.a.O. 191. 77 Das geschieht im Folgenden (B.) einigermaßen ausführlich, weil es gewöhnlich in der Dogmatik unterbleibt. 78 Cf. grundlegend für die folgenden Ausführungen HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 133–135. Zum Problem »Ding und seine Eigenschaften« cf. auch die phänomenologische Darlegung bei H. LIPPS, Untersuchungen zur Phänomenologie der Erkenntnis (1927), in: ders., Werke, Bd. I, Frankfurt 1976, 7f (mit Bezug auf J. F. Herbart, der die entstehenden Aporien prägnant formuliert). Ich gebe in freiem Anschluss eine eigene Begriffsentwicklung; wegen der logischen Perspektive auf das Sachproblem kann im Folgenden (statt von »Gott«) zunächst formal von »Ding« oder »Etwas« u. ä. die Rede sein. 74

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1. Eine Eigenschaft ist nicht bloße Qualität von etwas. Seine Qualität ist die unmittelbare Bestimmtheit des Etwas, die untrennbar und einfach mit ihm eins ist. »Eigenschaft« hingegen wird eine reflektierte Qualität genannt;79 d. h., hier ist schon ein Unterschied mitgedacht: zwischen der Eigenschaft und demjenigen, dessen Eigenschaft sie ist. Eine Qualität ist mit dem Sein von etwas schlechthin eins, während die Eigenschaft das Sein überhaupt zu einem bestimmten Seienden macht bzw. Dasein (Existenz) überhaupt zu einem Daseienden (Existierenden). Das besagt: Durch seine Eigenschaften hat etwas eine reflektierte Identität mit sich. Dieses Etwas ist in seiner Eigenschaft (als der »eigenen«) von sich unterschieden, und doch ist es seine Eigenschaft, d. h., es ist mit diesem Unterschiedenen in eins erst, was es ist, es selber.80 Redet man von »Eigenschaften« eines Dinges, eines Sachverhalts oder (spezifisch) eines Subjektes, so versteht man dessen Ganzheit als etwas in sich Vermitteltes; es werden damit Unterscheidungen gesetzt: des »Trägers« (oder Besitzers) der Eigenschaften von diesen und der verschiedenen Eigenschaften untereinander. Die Identität des Dinges mit sich ist nicht ohne Unterschiede, die es an sich hat. Eigenschaften, welche das Ding hat, sind so »der existierende Unterschied, in der Form der Verschiedenheit«.81 Eine »Eigenschaft« ist etwas Unterschiedenes, das zugleich wesentlich zu dem gehört, wovon es sich abhebt bzw. unterschieden wird. Hinzu kommt weiter: Eigenschaft ist immer eine unter mehreren. Kein Ding hat nur eine einzige solche. Das ist auch deswegen prinzipiell unmöglich, weil der Unterschied von Ding und Eigenschaft sich nur am Unterschied verschiedener Eigenschaften voneinander darstellen kann. Die Verschiedenheit der Eigenschaften untereinander muss nicht sogleich deren Unverträglichkeit bedeuten: Es handelt sich zumeist um das ruhige Neben- oder Aneinander von vielen, die jede für sich sind, was sie sind. Was man den »Träger« solcher Eigenschaften nennt, das Ding »selbst«, ist in dieser Hinsicht nichts anderes als ihr einfaches Zusammensein, das Medium, worin die Eigenschaftsmannigfaltigkeit ist: ein unselbständiges »Auch« des Vielen. So gesehen, ist das Ding »ein Band, welches die verschiedenen Eigenschaften untereinander verknüpft«.82 Aber in anderer Hinsicht sind eben aufgrund dieses Zusammenseins in Einem die Verschiedenen hier auch nicht gegeneinander gleichgültig, und ihre Beziehung aufeinander kommt nicht bloß durch eine ihnen äußerliche Vergleichung zustande (s. u.).83 79

Siehe auch unten 2.1. Cf. HEGEL, a.a.O. 133. 81 HEGEL, Enzyklopädie, § 125, Zus., in: ders., Werke 8, 256. 82 Ebd. 83 Betont man theologisch die vielen besonderen Prädikate Gottes einseitig zu stark, so wird Gott zum neutralen »Träger«, d. h. zu einem in sich selber unterschiedslosen Substrat oder formalen »Subjekt«, einem bloßen Band ihres Zusammenhaltes. 80

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Andererseits ist das Etwas, dessen Eigenschaften die Eigenschaften sind, »nicht eine jenseits seiner äußerlichen Existenz befindliche bestimmungslose Grundlage, sondern ist in seinen Eigenschaften, als Grund vorhanden, d. h. die Identität mit sich in seinem Gesetztsein«.84 Der Grund der Eigenschaften setzt sich nach außen: in seinen Eigenschaften; in ihnen als seinem Gesetztsein hat er gerade seine Identität mit sich. Ihr Zusammenhang als einer dieser Vielen verweist in sich zurück auf den sie einenden Grund, der an ihnen seine Identität mit sich nach außen darstellt. Die Identität des Grundes (bzw. Etwas) teilt sich jeder seiner Eigenschaften mit. Insofern die Eigenschaften nämlich selber bestimmte sind (jede von ihnen diese und keine andere), d. h. anderes ausschließend bzw. anderen Eigenschaften entgegengesetzt, haben sie einen negativen (einheitlichen) Bezug nach außen,85 den Bezug ihrer Abgrenzung von allem, was nicht zu diesem Etwas (ihrem Grund) gehört. Sie schließen sich als dieses Ding, dieser Sachverhalt etc. gegen andere Dinge bzw. Sachverhalte zusammen. Eigenschaften sind insofern eigene Bestimmtheiten eines Etwas, durch welche dieses sich auf bestimmte Weise verhält, nämlich sich in der Beziehung auf Anderes auf eine eigentümliche Weise erhält, d. h. seine Bestimmungen an Anderem und für Anderes geltend macht. Darin liegt bereits, dass sie keine »ruhenden« Bestimmtheiten sind, eben weil sich mittels seiner Eigenschaften ein Etwas an Anderem selber behauptet. Ihr tragender Grund manifestiert sich durch »seine« Eigenschaften als ausschließende Einheit. Gerade indem ein Etwas das Moment der Reflexion in Anderes an sich hat,86 treten an ihm Unterschiede auf, wodurch es ein bestimmter und konkreter Sachverhalt ist.87 Zugleich ist es darin als es selbst von etwas anderem unterschieden. In diesem negativ-exklusiven Außenverhältnis haben die Eigenschaften ihr reales Bestehen als Eigenschaften dieses Etwas (und keines anderen). Das heißt, die Reflexion in Anderes ist »im Grunde« unmittelbar an ihr selber auch die Reflexion in sich und das Außenverhältnis Gestalt des Selbstverhältnisses.88 Daher sind die Eigenschaften ebenso sehr auch mit sich selber identisch und (relativ) selbständig;89 sie haben ein Sein als in sich reflektierte Existenzen,90 was bei Gott als absoluter Subjektivität absolut gilt. Nach allem Gesagten hat der Begriff »Eigenschaft«, logisch gesehen, eine vermittelnde Funktion: Er vermittelt zwischen dem negativen Eins dieses 84

HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 134. Omnis determinatio est negatio. 86 Zum Beispiel Gott ein Verhältnis zur Welt. 87 Cf. HEGEL, Enzyklopädie, § 125, Zus., in: ders., Werke 8, 256. 88 Das gilt in absolutem Sinn vom lebendigen Gott. 89 Das erlaubt, die Themen der Paragraphen 8–14 in sukzessiver Darstellung voneinander abzuheben. 90 Cf. HEGEL, Enzyklopädie, § 126, Zus., in: ders., Werke 8, 257. 85

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bestimmten Etwas (seiner exklusiven Identität) und der reinen Allgemeinheit von möglichen Prädikaten überhaupt, die an sich – anders freilich im Falle Gottes91 – überall vorkommen könnten. 2. Diese Überlegungen lassen sich unter zwei Gesichtspunkten zusammenfassen. Dies geschieht in doppelter Anknüpfung an den so auszulegenden Satz: Ein Ding (Etwas, Sachverhalt etc.) hat Eigenschaften. 2.1. Impliziert ist immer der Bezug auf Anderes; eine Eigenschaft ist eine Weise des Verhaltens zu Anderem, ein nach außen hin Bezogensein. Dazu gehört auch, dass sie in ihrer Wirksamkeit auch relativ ist auf äußere Umstände,92 durch die ihre Wirklichkeit mit bestimmt wird.93 Auch das ist übrigens theologisch relevant.94 Zwar ist also jede Eigenschaft eine wesentliche Bestimmtheit des Dinges (s. u. 2.2.), aber eine solche gerade im Verhältnis zu anderen bestimmten Sachverhalten: »Die Qualität ist erst in der Rücksicht vornehmlich Eigenschaft, als sie in einer äußerlichen Beziehung sich als immanente Bestimmung zeigt«.95 Eigenschaften äußern sich bzw. zeigen sich eben im Verhältnis eines Dinges zu anderen; d. h., im gegenseitigen Sich-Berühren oder Sich-Beeinflussen »äußern« sie sich.96 Darum gehört zum Begriff der Eigenschaft das Doppelte: a) die bestimmte Beziehung auf anderes, das Sich-Verhalten dazu, und b) dass sich in diesen Beziehungen dasjenige, was die Eigenschaften »hat«, selber erhält, sich dabei nicht entgeht oder verliert. Das besagt, es geht durch seine Eigenschaften zwar in die Äußerlichkeit über, bleibt aber darin zugleich bei sich bzw. vermittelt sich mit sich.97 »Eigenschaft« ist eine Manifestation der spezifischen inneren Bestimmtheit eines Dinges im Verhältnis zu anderen. Daher ist jede Eigenschaft selber auch ein Selbstverhältnis ihres Trägers. Denn darin besteht eben die Bestimmtheit einer Eigenschaft: Sie ist »die sich äußerliche Reflexion des Grundes; und das Ganze [ist] der in seinem Abstoßen und Bestimmen, in seiner äußerlichen Unmittelbarkeit sich auf sich 91 Hier sind die Prädikate nur als unendliche allgemein (z. B. mächtig, wissend, gegenwärtig, liebend etc.). 92 LIPPS, Phänomenologie der Erkenntnis (wie oben Anm. 78), zitiert plastische Beispiele Herbarts. 93 Hegel spricht davon, dass etwas seine Eigenschaft »nur unter der Bedingung einer entsprechenden Beschaffenheit des anderen Dinges« beweist bzw. wirksam werden lässt (HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 134). 94 Cf. oben bei Anm. 10 das Rothe-Zitat: »in seiner Berührung mit dem anderen Sein« sowie unten Anm. 108. 95 HEGEL, Wissenschaft der Logik I, in: ders., Werke 5, 122. 96 Daher der traditionelle Terminus affectiones. 97 Cf. HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 134.

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beziehende Grund«.98 Das bedeutet: Allein, indem es sich durch eine ihm auch äußerliche Unmittelbarkeit (sc. die Eigenschaften als quasi seine »Außenseite«) mit sich selber vermittelt, d. h. als davon unterschieden dessen innere Einheit ist, allein so ist das Etwas »es selbst«. 2.2. Das den Eigenschaften zugrunde liegende Ding oder Etwas ist zugleich nicht nur ein passives Medium oder ein unselbständiger Träger dieser Eigenschaften,99 sondern in ihnen und durch sie äußert es sich selbst, stellt sich selbst dar, erhält sich gerade durch die Beziehung auf Anderes und nach außen als es selbst für sich. Das heißt, im Äußeren seiner Eigenschaften (sich entäußernd) ist es gerade in sich reflektiert: »es ist nur insofern in sich reflektiert und an sich, insofern es äußerlich ist«.100 Genau diese Einheit von »aus sich heraus« und »in sich zurück« wird im Folgenden für den Aufbau der Lehre von Gottes Eigenschaften bzw. ihre Ableitung fruchtbar werden.101 Ein Ding jedenfalls »ist« nicht nur, sondern wird in gewissem Sinne erst etwas an und für sich, indem es auch für anderes ist, was es ist.102 Wegen dieses Selbstverhältnisses des Dinges, das durch seine Eigenschaften vermittelt ist, sind die Eigenschaften auch nur als Eigenschaften des Dinges (selbst) real. Dass jede Eigenschaft als solche wesentlich die Eigenschaft von etwas ist (z. B. die eines Dinges), besagt insbesondere, dass die untereinander nur von einander verschiedenen Eigenschaften nicht an ihnen selber, sondern allein in dem Dinge selbst ihre Reflexion in sich (ihre relative Selbständigkeit) haben, dessen Eigenschaften sie eben sind.103 Der Bezug des Dinges auf die Eigenschaften ist – in diesem besonderen Sinne – der des sie Habens. Ihr Rückbezug auf es ist, dass das Ding sie hat. Mit »Haben« ist eine gewisse Selbständigkeit, ein relativer Unterschied und ein Abgehobensein zwischen dem angedeutet, was da hat, und dem, was da »gehabt« wird. Das Ding ist nicht einfach seine Eigenschaften, sondern »hat« sie; d. h., es ist »in« ihnen gegenwärtig, aber auch von ihnen noch einmal unterschieden. Das Ding ist, als von »seinen« Eigenschaften unterschieden, auch ihnen gegenüber für 98

A.a.O. 135. So wäre es = 0. Für die abstrakt-negative »Aufklärung«, die alle Bestimmtheit bei Gott nur als endlich-menschliche Vorstellung verstehen kann, »wird … das absolute Wesen [être suprême] zu einem Vakuum, dem keine Bestimmungen, keine Prädikate beigelegt werden können« (HEGEL, Werke 3, 413), d. h. zu einem »prädikatlosen, unerkannten und unerkennbaren Absoluten« (a.a.O. 423). 100 HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 134. Cf. auch: »der in seine Äußerlichkeit übergegangene und damit wahrhaft in sich reflektierte Grund« (135). 101 Auch Hegel schon handelt im angezogenen Zusammenhang von Gott (cf. HEGEL, a.a.O. 125ff, sowie DERS., Wissenschaft der Logik I, in: ders., Werke 5, 119). 102 Das gilt für Gott absolut im Zuge seines Sich-Hervorbringens als Einheit von Sein und Werden, d. h. als Werden zu sich. 103 Cf. oben bei Anm. 90. 99

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sich zusammengenommen: Es ist das Selbst dieser Eigenschaften und der Ort, in Bezug auf den sie eins sind. 2.3. Um zu der theologischen Relevanz dieser logischen Klärungen überzuleiten,104 ist zunächst an das zuletzt Gesagte anzuknüpfen. Jedes Ding selber ist Reflexion in sich als die von seinen Unterschieden, seinen Bestimmtheiten und Eigenschaften auch unterschiedene Identität mit sich. Das kommt theologisch in dem Satze F. X. v. Baaders absolut zum Ausdruck: Gott hat nichts, weil Er alles ist.105 Damit ist unterstrichen, dass die von Gott selber gesetzten Unterschiede zugleich wieder in ihn (die Einheit seines Selbstseins) zurückgenommen sind. Eigentlich hat er keine »Eigenschaften«, weil er selber seine Eigenschaften »ist«. Dazu stimmt, dass die Eigenschaften nur an dem Dinge selber bzw. in Bezug auf es selbst, d. h. es als ihr Selbst, sind, was sie sind.106 An ihm sind sie freilich auch in sich reflektiert; insofern ist ihr tragender Grund stets die Form der Identität jeder Eigenschaft mit sich (als dieser bestimmten),107 weil sie diese nur von ihm her haben. Damit ist indes gegeben, dass tatsächlich Eigenschaften nur vom Begriff des Wesens aus, dessen Eigenschaften sie sind, ganz verstanden werden können. Kurz gesagt: Es handelt sich bei den Eigenschaften um »wesentliche Außenrelationen«.108 Die Reflexion in sich existiert als (in Gestalt von) Reflexion in Anderes. 104 Zur modernen inhaltlichen Diskussion cf. TH. MARSCHLER/TH. SCHÄRLE (Hgg.), Eigenschaften Gottes. Ein Gespräch zwischen systematischer Theologie und analytischer Philosophie, Studien zur systematischen Theologie, Ethik und Philosophie 6, Münster 2015. 105 F. X. V. BAADER, Sämtliche Werke, Bd. XIV, Leipzig 1851 (Nachdr. Aalen 1963), 455. Cf. dazu unten Abschnitt C. (S. 424ff). Schon Anselm von Canterbury hatte betont, dass Gott nicht nur viele Eigenschaften »hat«, sondern ist (cf. Monol. 17ff). Ähnlich K. Barth über die »Vollkommenheiten« der göttlichen Freiheit: »Gott hat sie nicht nur, sondern er ist sie« (BARTH, KD II/1, 610). 106 Und nicht etwa frei flottierende Allgemeinheiten, was K. Barth immer wieder für die Eigenschaften Gottes eingeschärft hat. 107 Cf. HEGEL, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke 6, 135. 108 Von daher müssen alle Eigenschaften Gottes auch als »kommunikative Eigenschaften« verstanden werden, was R. Feldmeier/H. Spieckermann durchweg als biblisch vorgegeben einzulösen versuchen (R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen, TOBITH 1, Tübingen 2011, 51ff [A. II.]); zur Begründung ziehen sie den einleitenden Satz von H. CREMER, Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes, BFChTh 1/1/4, Gütersloh 1897 (Nachdr. Gießen 2005), heran: »Ist und will der Gott, der sich als Liebe geoffenbart hat, alles, was er ist, für uns und in völliger Gemeinschaft mit uns sein, so ist keine Aussage richtig, die nicht dazu dient, dies zur Erkenntnis und zum möglichst wirk-

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Damit bleibt das Subjekt der Prädikate (S) weder nur ein unerkennbarer »Träger« der eigentlich allein erkennbaren Eigenschaften,109 noch sind die Eigenschaften (E) eine nur formell zusammengehaltene Mannigfaltigkeit selbständiger, allgemeiner Qualitäten.110 Ihr wahres Verhältnis ist das einer wechselseitigen Beziehung aufeinander im Unterschiedensein voneinander.111 Vorläufig lauten die davon aufzunehmenden theologischen Konsequenzen: Gott muss entschieden als das Subjekt seiner »Eigenschaften« gedacht werden und sie als Wiederholungen seiner selbst, Manifestationen seines absoluten Wesens,112 das sich in ihnen konkret realisiert.113

C. Gottes Eigenschaften als Selbstauslegung seines Wesens Wegen Gottes absolutem Selbstsein und absoluter Einheit (§ 3) müssen alle Bestimmtheiten Gottes als solche gedacht werden, zu denen er sich im Zuge seiner Selbsthervorbringung selber bestimmt (bzw. bestimmt hat).114 »Eigenschaften« Gottes gibt es nur als die eigenen »Bestimmtheiten des göttlichen Wesens«,115 und das sind sie nur und nur dann, wenn nicht lediglich wir sie von ihm konzipieren (wenngleich sie unser Verhältnis zu Gott von ihm her bestimmen), sondern wenn gilt: »Die besonderen Bestimmtheiten Gottes haben sich … als solche, zu denen er sich selbst bestimmt hat, ausgewiesen und werden nunmehr ausdrücklich als solche gedacht«.116 In diesem lebendigen Sinne kann hier der Satz aufgenommen werden: Ille igitur solus a se habet, quidquid habet.117 samen Ausdruck zu bringen« (a.a.O. 18; zitiert nach FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 92 Anm. 144). 109 Cf. oben Anm. 99. Eine »reine« Einheit Gottes würde auch seine unaufhebbare Unsichtbarkeit bedeuten; cf. dagegen Joh 1,18. 110 Zur Veranschaulichung kann das banale Beispiel einer Zwiebel dienen: Beim Ablösen einer Schale oder Schicht nach der anderen bleibt kein eigentlicher Kern zurück. 111 Schematisch: S ↔ E. 112 Betont sei: Sein Verhalten nach außen ist zugleich auch ein Verhalten zu sich selbst; das bedeutet aber keine völlige Identität beider Relationen, zumal hierbei der Primat göttlichen Handelns noch nicht berücksichtigt ist. 113 Über Gottes In-se-Sein und Extra-se-Sein im Zusammenhang seiner Eigenschaften cf. G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. II, Tübingen 1979, 359f. 114 Daher ist in den folgenden Paragraphen von »dem Schaffenden«, »dem Offenbaren«, »der Liebe« die Rede. 115 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 249 Anm. 1), 107 (§ 182). 116 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 405 Anm. 10), 144 (§ 37 Anm. 2 und Fn.). 117 Anselm von Canterbury, De casu diaboli 1, in: ders., Op. omn. 1, 233; cf. auch oben § 2 (S. 183 Anm. 62). Die Hervorhebung (J. R.). entspricht der hier zugrundegelegten »Dynamisierung« der göttlichen Aseität im Sinne der causa sui.

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Der lebendige Gott durchdringt sich absolut selbsthaft mit sich selber und ist so absolut mit sich eins. Das ist früh erkannt worden; ein Grund-Satz der traditionellen Gotteslehre lautet daher: Quidquid est in Deo, Deus est [sc. ipse].118 Das bedeutet: Was Gott ist, ist er wesentlich als er selbst, ganz:119 »omnia sunt unum, et unumquodque horum [sc. der göttlichen Eigenschaften] est totum quod es« (cf. Sir 2,23).120 Das ist ein richtiger Grundsatz; aber die Frage bleibt, wie er auf die Eigenschaftslehre anzuwenden ist.121 Gerade indem Gottes Sein von seinem Sich-Hervorbringen aus begriffen wird, muss gesagt werden: »indem Er ist, ist Alles, was er ist«;122 daher ist Gott stets beides zugleich und lebendig in eins: »er selbst und das, was er ist«.123 Das impliziert, wie H. Cremer festgestellt hat, dass »in jeder Eigenschaft alle andern mitgesetzt sind«.124 Gleichwohl lassen sie sich relativ distinkt voneinander thematisieren und müssen es sogar; denn alle Eigenschaften sind nichts als Selbstunterscheidungen des einen göttlichen Seins, Momente seiner lebendigen Einheit im Begriff: »Was sollten aber die Eigenschaften Gottes anders sein als die Realitäten und seine Realitäten« … [und dann weiter gegenüber einer undialektischen Auffassung seiner absoluten Selbständigkeit, die ihn nicht aus sich heraustreten lässt:] »so bleiben seine Eigenschaften, Tun oder Verhalten nur in 118

Alanus ab Insulis, Reg. theol. IX (PL 16, 628); siehe dazu schon oben § 2 (S. 183 Anm. 62) und § 3 (S. 272 Anm. 144). Ähnlich heißt es bei Johannes Scotus Eriugena: »omnia, quid in ipso est, ipse est« (De divis. nat. III 28); Thomas hat: »Quicquid est in Deo, est divina essentia« (ScG I 45). 119 Cf. schon Xenophanes, Β 24: οὖλος ὁρᾶι, οὖλος δὲ νοεῖ, οὖλος δέ τ’ ἀκούει (DK I, 135,7). Cf. Irenäus., Adv. haer. IV 11,2; I 12,2; II 13,36. 120 Anselm von Canterbury, Prosl. 18, in: ders., Op. omn. 1, 115; Hervorh. J. R. 121 Cf. G. E. Lessing: »Gott kann sich nur auf zweierlei Art denken; entweder er denkt alle seine Vollkommenheiten auf einmal, und sich als den Inbegriff derselben; oder er denkt seine Vollkommenheiten zerteilt, eine von der andern abgesondert, und jede von sich selbst nach Graden abgeteilt« (G. E. LESSING, Das Christentum der Vernunft, § 4). 122 BARTH, KD II/1, 337. 123 A.a.O. 637. Die Erörterung der göttlichen Eigenschaften als Gottes »Vollkommenheiten« (cf. a.a.O., § 29) sollte allerdings nicht im Sinne eines faktischen Bestandes, sondern genetisch, als Frage nach ihrer Konstitution in Gottes Lebendigkeit selbst, betrachtet werden. 124 CREMER, Lehre von den Eigenschaften Gottes (wie oben Anm. 108), 32. Marheineke hat bezüglich der Bewegung göttlicher Selbstvermittlung gesagt: »Auf diesem Wege wird das Wesen Gottes in einzelnen Eigenschaften erkannt, ohne daß jede dieser Eigenschaften aufhörte, die andere und alle übrigen und alle und jede das göttliche Wesen zu seyn« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 249 Anm. 1], 109 [§ 185]).

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Zweiter Teil, Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)

seinem Begriff eingeschlossen, sind in demselben allein bestimmt und wesentlich nur ein Verhalten dessen zu sich selbst; die Eigenschaften sind nur die Bestimmungen des Begriffes selbst«,125 d. h. dessen Selbstbestimmungen.126 Denn Gottes Begriff von sich, in dem er ist, was er ist, bestimmt sich selber zu seiner Konkretheit, und diese Selbstbestimmungen seines Begriffs sind die Entfaltung zur vollkommenen Selbstdarstellung der eigenen Einheit und des eigenen Selbst-Seins. Ist Gott von sich selber her (sich hervorbringend) der »Inbegriff seiner Realitäten«,127 so muss man theologisch nach dem Ursprung dieser in seinem Begriff fragen, d. h. nach den Momenten, die er so in sich hat, dass er dabei sein reines An-sich-Sein (auch für sich, insbesondere aber für uns) aufschließt.128 »Moment« bedeutet hier also ein Explikationsmoment auf dem Wege zu sich, d. h. zu selbsthaft entfalteter Einheit mit sich; darum gilt, daß solche Einheit von Bestimmungen – sie machen den Inhalt aus – daher nicht in der Weise als ein Subjekt zu nehmen ist, dem sie als mehrere Prädikate zukämen, welche nur in demselben als einem dritten ihre Verknüpfung hätten, für sich aber außer derselben gegeneinander wären, sondern ihre Einheit ist eine ihnen selbst wesentliche, d. h. nur eine solche, daß sie durch die Bestimmungen selbst konstituiert wird, und umgekehrt, daß diese unterschiedenen Bestimmungen als solche an ihnen selbst dies sind, untrennbar voneinander zu sein, sich selbst in die andere[n] zu übersetzen und für sich genommen ohne die andere[n] keinen Sinn zu haben, so daß, wie sie die Einheit konstituieren, diese deren Substanz und Seele ist.129

Danach bringt die Einheit sich selbst als vermittelte hervor. Dadurch wird sie inhaltlich bestimmt (konkrete Einheit), aber dieser »Inhalt« ist nicht von außen aufgenommen, sondern nur Selbstauslegung der »Form«: der absolute Begriff Gottes, in dem er existiert, indem er sich in seinen Eigenschaften selber verwirklicht.130 125 HEGEL, Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes (7. Vorl.), in: ders., Werke 17, 393f. 126 Zu Gottes Eigenschaften überhaupt bei Hegel cf. HEGEL, Werke 17, 224f. 127 A.a.O. 393. 128 »Fragt man nach dem Begriff einer Sache, so fragt man nach dem Verhältnis der unterschiedenen Bestimmungen in ihr selbst« (HEGEL, Werke 16, 152f = ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion, hg. von W. Jaeschke, Bd. I, PhB 459, Hamburg 1983, 299 [Vorlesungen, Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Kritische Ausgabe]). 129 HEGEL, Werke 17, 395f. Auch und gerade theologisch realisiert Hegel sein philosophisches Programm, die »Substanz« zugleich als »Subjekt« zu begreifen (cf. HEGEL, Werke 3, 22f). 130 Hegel begreift die Eigenschaften Gottes als »Inbegriff seiner Realitäten«: Als solche bleiben sie »nur in seinem Begriff eingeschlossen, sind in demselben allein bestimmt und wesentlich nur ein Verhalten dessen zu sich selbst; die Eigenschaften sind nur die Bestimmungen des Begriffes selbst« (HEGEL, Werke 17, 393 und 394). Mithin »muß jede von diesen Bestimmungen selbst, insofern sie für sich, unterschieden von der anderen

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Daher ist jede Eigenschaft in gewisser Weise der ganze Gott bzw. stellt ihn dar, und so muß jede von diesen Bestimmungen selbst, insofern sie für sich, unterschieden von der anderen genommen wird, nicht als eine abstrakte Bestimmung, sondern als ein konkreter Begriff Gottes genommen werden. Dieser aber ist zugleich nur einer; … die lebendige, durch sie werdende Einheit wie ihre vorausgesetzte Grundlage.131

Jede einzelne Eigenschaft setzt die absolute Einheit Gottes voraus und ist zugleich Moment auf dem Wege zur absoluten Fülle seines Selbstseins.132 Wie die besondere Eigenschaft es wesentlich an sich hat, sich in die anderen zu »übersetzen«,133 so gilt auch vom Übergang des Wesens Gottes in seine konkrete Wirklichkeit: »Die Eigenschaft ist nichts anders als das wesentliche Prädicat Gottes, welches in der Erkenntniß sowohl die abstracte Identität zu seiner Voraussetzung hat, als der Uebergang des Einen ins Andere, und die Zurückführung des Andern in das Eine ist.«134 Dieses lebendige Ineinanderübergehen wird sich beim höchsten Gesichtspunkt der christlichen Gotteslehre abschließend als die Herrlichkeit des Dreifaltigen Gottes vollendet wiederholen: Einer zu sein in der Entfaltung und Selbstauslegung der substanziellen Einheit zur Dreieinigkeit und doch in jeder einzelnen innergöttlichen »Person« nur die essenzielle Einheit zu reflektieren bzw. darzustellen; § 15 wird dies absolute Sein Gottes als »konkreten Monotheismus« begreifen.135 Geht man im ordo cognoscendi von dem Satz aus: »wir kennen Gott nur durch sein Handeln für uns und an uns«,136 so ist dieses selber als eine »zweckvolle Selbstbethätigung« zu begreifen, die sich in den wesentlichen Eigenschaften äußert.137 Setzt man dabei voraus, wie hier unterstellt wird, genommen wird, nicht als eine abstrakte Bestimmung, sondern als ein konkreter Begriff Gottes genommen werden. Dieser aber ist zugleich nur einer« (a.a.O. 396f). Genau dies reflektiert sich in den hier folgenden Paragraphen 8–12, wie ihre Überschriften andeuten. 131 A.a.O. 17, 396f. 132 »Der Begriff des göttlichen Wesens wird erst durch die ihm zugeschriebenen Eigenschaften konkret bestimmt« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 405 Anm. 7], 425). 133 S. o. im Zitat bei Anm. 129. 134 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 249 Anm. 1), 105f (§ 179). 135 Dass die antike Philosophie als Denken des Einen im Verhältnis zum Vielen auch für eine metaphysisch anspruchsvolle Trinitätstheologie von Bedeutung sein muss, hat Ch. Axt-Piscalar zu Recht hervorgehoben (CH. AXT-PISCALAR, Rez. Gunther Wenz, Gott – Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie, Göttingen 2007, Jahrbuch für Religionsphilosophie 8 [2009], 219–223, hier 223). 136 CREMER, Lehre von den Eigenschaften Gottes (wie oben Anm. 108), 9. 137 A.a.O. 16f. Zur kritischen Würdigung cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 405 Anm. 7), 398–401, der aber betont, Cremer habe die Eigenschaftslehre bzw. die Frage nach deren Ableitung »auf eine völlig neue Grundlage gestellt« (424).

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dass, dem ordo essendi (rei) entsprechend, im Zuge von Gottes ewigem SichHervorbringen »die Identität des Wählenden [sc. Gottes als des seine Zwecke bzw. Ziele Wählenden] selber noch unabgeschlossen, auf Zukunft bezogen und durch den Vorgriff auf Zukunft … konstituiert ist«,138 so wird zum einen »die relationale Struktur des Wesensbegriffs selbst« grundlegend zur Geltung gebracht.139 Zum anderen kann derart, so grundsätzlich wie überhaupt möglich, Gottes lebendiges Verhalten, auch sofern es auf uns zielt und unser Verhalten zu ihm bestimmt, als »die vollendete Bethätigung seines Wesens« begriffen werden.140 Damit ist auch, wie hier anmerkungsweise zu erwähnen ist, der Anschluss an die früher in dieser Gotteslehre favorisierte Metapher des »Weges« hergestellt.141 Denn man kann Gottes Eigenschaften und Handlungsattribute, wie z. B. M. Maimonides, als dessen Wege interpretieren,142 und dies unter Bezug auf Ex 33,13: »Lass mich Deine Wege wissen, damit ich Dich erkenne.«143 Für die Frage, ob die Eigenschaften Gottes Wesens- oder nur Wirkattribute sind, kommt Maimonides zu der Lösung, sie seien göttliche »Wege«, d. h. Eigenschaften (hebr. middot) bzw. Tätigkeiten. Er gibt dieser Lösung dann aber eine ethische Wendung: Diese Wege sind Gottes Gebote und führen uns zu dem, was wir tun sollen.144 Diese Beschränkung hängt damit zusammen, dass Maimonides den letzten Schritt, sie auch als Wesensqualitäten zu verstehen, nicht vollziehen kann.145 Hier hingegen soll theologisch damit Ernst gemacht werden, Gottes Eigenschaften als seine Wege zu sich selbst, die als solche auch seine Wege zu uns sind, zu denken, und d. h., sie in das Konzept von Gottes Werden zu sich einzuzeichnen (cf. Joh 14,6). Die so verstandene Weg-Metapher bezeichnet die notwendige, vollkommene Artikulation und absolute Selbstauslegung bzw. -darstellung des lebendigen Gottes (als Manifestation seiner auch für sich selbst). Das Sein Gottes ist mithin hier begriffen als das Sich-Entzweien in dem Zirkel der causa sui, bzw. es ist ein Entzweien, das er selbst ist, das also 138

PANNENBERG, a.a.O. 399; dieser teilt freilich nicht die Annahme von Gottes Selbsthervorbringung im hier gemeinten Sinn (cf. oben § 2, Exkurs V [S. 244ff]). 139 Cf. a.a.O. 425. Ebd. auch zur »aussagenlogischen Unterscheidung« zwischen vorausgesetztem Gottesbegriff und seinen Prädikaten. 140 CREMER, Lehre von den Eigenschaften Gottes (wie oben Anm . 108), 19. 141 S. o. Einführende Überlegungen, S. 2 Anm. 8; Prolegomena, S. 14.58.71; § 1, S. 124f.131137; § 2, S. 228.240 mit Anm. 441 und 243 Anm. 456 u. ö. 142 M. Maimonides, Führer der Unschlüssigen I 54. Cf. dazu die Nachweise in: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, hg. von R. Konersmann, Darmstadt 2007, 532f (D. WESTERKAMP). 143 Cf. CREMER, a.a.O. 144 Dem Gesetz Gottes entspräche dann unser Begehen dieser Wege (halacha). 145 Das Wesen Gottes selber bleibt für ihn eher unerkennbar.

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seine Einheit realisiert. Genauer: Das eine göttliche Wesen – für sich fixiert: ein in sich verschlossenes Singulum – entzweit sich in die Doppelung seines absoluten Selbstseins (Einheit gegenüber der Entzweiung) und seiner Selbstentzweiung (Sich-selber-Bestimmen, causa sui). Im gegenwärtigen Paragraphen ging es zunächst um den prozessualen Zusammenhang der Eigenschaften mit dem Selbstsein Gottes; dafür sei abschließend noch einmal R. Rothe zitiert, der den lebendigen Zusammenhang von Zentralität und Vielheit bzw. Einheit und Totalität konzentriert so formuliert hat: [Die göttliche Persönlichkeit] ist die absolute Centralität eines in eine Vielheit von Unterschieden auseinandergegangenen Seins, welche dieselben wieder in die Einheit zurücknimmt und zu einer in sich geschlossenen Totalität zusammenfaßt.146

D. Erläuterung des Leitsatzes Auf dem Hintergrund der voranstehenden Ausführungen lassen sich die Formulierungen des »Leitsatzes« für diesen Paragraphen (oben S. 403) genauer erläutern. Zunächst ist damit abgewehrt, die göttlichen »Eigenschaften« als statische oder »ruhende« Bestimmtheiten zu fassen; vielmehr handelt es sich um Züge der göttlichen Lebensdynamik selber und Gottes allmächtige Selbstbestimmungen.147 Geht es bei ihnen um die Selbstauslegung oder -darstellung des lebendigen Gottes, so ist für diese kennzeichnend, dass sie stets absolut ist, d. h. als Manifestation nach außen zugleich Reflexion in sich selbst.148 146 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 405 Anm. 10), 151. So lässt sich die alte Rede von Gott als »ewiger Kreis« (Pseudo-Dionysius, De div. nom. IV 14; PG 3, 712D) von einer lebendigen Dialektik her präzisieren. Was man als Moment des Ausgangs benennen könnte – die Zentralität –, erreicht sich am Ende wieder, aber auf einem Umweg über die Vielheit, und dies dadurch, dass die Vielheit nie aus der Einheit herausfällt und nichts anderes ist als Selbstdarstellung der Einheit: Die Zentralität entfaltet sich als solche zur Totalität. So ist »das Eine« als »das All« begriffen (Sir 43,29). 147 Insofern haftet ihnen allen etwas »Schöpferisches« an. 148 Es geht hier nicht um eine Selbsthervorbringung Gottes in seinen Eigenschaften derart, dass er erst mit ihnen, sofern sie sich auf uns (bzw. die Welt) beziehen, ein absolutes Selbst oder Gott würde. Wäre er ohne die Welt und uns – was wir aber nicht denken können, weil wir uns (beim Denken) nicht wegdenken können –, so hätte er sie alle auch in sich und für sich (d. h. innertrinitarisch). Er hat sie (bzw. ist in ihnen) jetzt aber faktisch nur so, dass er mit ihnen im Bezug und Unterschied zu uns er selbst ist. Die Beziehung der Eigenschaften auf uns ist zwar faktisch nicht von ihnen abtrennbar, aber für Gott selber nicht notwendig, sondern sein freies uns daran Anteil haben Lassen. Er hat sie jetzt nur insofern anders – als in jenem hypothetisch angenommenen Fall –, als er sich jetzt durch sie auch immer noch von uns unterscheidet. Aber dieser Aspekt ist für seine Eigenschaften

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Zum Ausdruck »Wesensreichtum« ist zu beachten: Als sich aus sich selbst Hervorbringender (causa sui) ist Gott nicht »reich« in einem bestimmten Umfang, sondern unerschöpflich als Quelle alles Wesensreichtums überhaupt, d. h. beherrschter schöpferischer Vielfalt schlechthin. Das göttliche πλήρωµα muss selber aus der Dynamik der Selbsthervorbringung Gottes verstanden werden. Lebendig ist solcher Wesensreichtum, insofern hier – und entsprechend in der Gotteslehre bzw. auch in der Eigenschaftslehre – dasselbe immer anders in Gestalt von Selbstwiederholungen und Selbstentsprechungen zur Geltung kommt;149 diese unerschöpfliche Andersheit bleibt aber in der lebendigen Einheit Gottes einbegriffen, da sie als Ziel die (eschatologisch) vollkommene Selbstentfaltung Gottes hat.150 Auch dadurch ist der göttliche Wesensreichtum, wie er in den »Eigenschaften« zum Ausdruck gelangt, nicht eine Art Abbild der Weltmannigfaltigkeit.151 Wegen der in aller Vielfalt von Gottes inneren und nach außen gewendeten Wesenszügen durchgehaltenen Einheit kommt es bei den sog. Eigenschaften auch zum Ineinanderscheinen der unterschiedenen Bestimmungen.152 Auch hier gibt es eine lebendige coincidentia oppositorum.153 Das, was schon für die göttliche Allmacht zu konstatieren war, ist auch im Bereich der Eigenschaften charakteristisch: dass sie für uns »sub contrario« erscheinen,154 nämlich in der Entäußerung ganz bei sich, in der Erniedrigung ewig vollendet,155 in der Verborgenheit offenbarste Selbstmitteilung, im Diesseits ganz jenseitig. Die lebendige Einheit von Einheit und Vielfalt widerspricht nicht der absoluten Vollkommenheit Gottes, denn er ist simplex multiplicitas vel multiplex simplicitas.156 Auf die Frage, wie Einheit vielfältig (nicht beziehungslos vielfach) und Vielfalt einig (nicht abstrakt einfach oder einheitlich) sein kann, wird hier, wie als ewig die seinen nicht selber konstitutiv. Gott »braucht« uns nicht, um solche Eigenschaften zu haben. Unter den Bedingungen der Schöpfung hat er sein Selbstsein immer auch im Verhältnis zu uns: als seine Selbstauslegung. 149 Cf. das Gedicht von H. KARLSSON: »Coincidentia oppositorum. / Herzquelle: Heiliges mündet, / Fluß deiner Worte, / sich wandelnde Wiederkehr. // Herzfeuer: feierlich kündet / Brandbusches Borte, / bekennende Unverzehr« (Göttingen 1984). 150 Cf. § 16. 151 Das wäre eine petitio principii. 152 So z. B. bei Liebe und Ewigkeit, Schöpfung und Offenbarung, Allmacht und Liebe, Gerechtigkeit und Güte (Barmherzigkeit) etc. 153 Zum Beispiel Barmherzigkeit als zugleich Gerechtigkeit, Liebe als richtend etc. Cf. BARTH, KD II/1, 479. 154 Cf. LUTHER, WA 56, 392,28–32 und 18, 633,7–11. 155 Cf. oben § 6. 156 Augustinus, De trin. VI 4,6; PL 42, 927. Cf. oben Anm. 54 sowie dialektisch bei Luther oben § 3 B. 1.5.2. (S. 266 bei Anm. 113).

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schon ausgeführt, die Antwort gegeben: eben als lebendiger Selbst-Vollzug. Absolut ist das göttliche Selbstsein nur im Vollzug seiner selbst (Werden zu sich) – durch sich selber, d. h., indem es seine Einheit in, mit und unter Vielfalt realisiert. Indem er so seine Einheit wirklich (konkret) realisiert, ist Gott selber seine Vollkommenheit. Als absolut er selbst ist Gott vollkommen einig (mit sich) und vollkommen vielfältig (in sich). Er ist und hat seine Vollkommenheit in seinen Vollkommenheiten:157 Der Plural expliziert den Singular, das Zentrum stellt sich als die wahre Totalität dar. In seinen Vollkommenheiten ist Gott der Vollkommene.

E. Die Konkretion des göttlichen Seins (als Entfaltung des Begriffs) 1. Der theologiegeschichtliche Befund zeigt die Relativität jeder Einteilung der göttlichen Eigenschaften. Dogmatisch wichtig scheint zunächst vor allem zu sein, dass sie systematisch reflektiert vorgenommen wird. Als solchen für die Ableitung methodisch wichtigen Fragen stellen wir uns den folgenden: – Warum überhaupt verschiedene Bestimmungen? Dieses Desiderat wird im Folgenden von der Selbstdarstellung göttlicher Einheit (für sich am anderen und für andere) her eingelöst. – Warum mehrere Bestimmungen bzw. genau in dieser Anzahl? Die hier versuchte Antwort argumentiert von einem prozessualen Verständnis des göttlichen Seins aus (bzw. von der Logik vollkommener, selbsthafter Einheit her).158 – Warum inhaltlich gerade diese Bestimmungen? Sie werden sich als die notwendigen Explikationsstufen oder -momente zwischen dem Ausgang von Allmacht und Leben und dem Ziel von Gottes Werden zu sich, seinem Sein als Dreieiniger, darstellen (s. u. 3.5.). – Wie lässt sich die Reihenfolge der Explikation, d. h. die Gliederung oder Abfolge der folgenden Paragraphen dieses Kapitels III plausibel machen? Dazu s. u. Abschnitt F. – Das Verhältnis zum vorausgehenden Paragraphen 6 (»Herablassung« als Übergang in die Konkretion) muss im strukturellen Moment des »aus sich heraus« ständig präsent gehalten werden.

157

Cf. oben Anm. 105 und 118. Unter 2. wird die Ableitung konkret aus der Doppelbestimmung von Allmacht und Leben mithilfe von zwei verschiedenen Parametern (für Gott – für uns) und dies in jeweils zweifacher Hinsicht vorgenommen (Dialektik von nach außen und in sich zurück). 158

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2. Die bisher vorgetragenen Einsichten und Korrekturen zum Thema dieses Paragraphen legen ersichtlich eine völlige Umbildung der traditionellen Eigenschaftslehre nahe bzw. eine entschiedene Präzisierung und Modifikation des Begriffs der Eigenschaft selber (wenn nicht sogar den Verzicht darauf). In den folgenden Paragraphen 8–14 wird also keine (fertige) Eigenschaftslehre im traditionellen Sinne vorgestellt, sondern es geht um Seinsweisen des lebendigen Gottes selber – als sein Wirken an der geschaffenen Welt, das zugleich in ihn zurückreflektiert bleibt. Der Begriff der »Eigenschaft« ist in der Theologie bisher schon terminologisch höchst uneindeutig159 und vor allem mit erheblichen logischen Problemen belastet, so dass es zweckmäßiger erscheint, von konkreten Seinsweisen Gottes zu reden (s. o. Abschnitt B. [S. 418ff]). Damit wird die anstehende Thematik auch entschieden theo-logisch ausgerichtet und nicht auf einen einzelnen Paragraphen beschränkt. Denn hier sollen lebendige Selbst- bzw. Seinsvollzüge Gottes gedacht werden. Das aber bedeutet, sie haben es mit Gott selber als dem in seiner Subjektivität Handelnden zu tun, letztlich also mit ihm als dem absolut Handelnden: in seiner Selbsthervorbringung. In dieser Gotteslehre kommen die sog. »Eigenschaften« als Weisen Gottes, sich hervorzubringen und so darzustellen, bzw. sie manifestierend seine eigene lebendige Einheit schöpferisch zu wiederholen und derart mit ihrer Entfaltung im Werden auf sich selber zu zu sein, in den Blick. Statt von »Eigenschaften« könnte man auch von Wegen sprechen,160 nämlich den Wegen Gottes zu uns und so zu sich bzw. den (im Wechselspiel von Aussich-heraus und In-sich-zurück) eigenen Bewegungen des göttlichen Lebens. Alle »Wege« Gottes, auf die wir von ihm mitgenommen werden, führen letztlich nur zu ihm selber, so dass sie ins Eschaton führen, in dem er lebendig »alles in allem« ist. Diese Wege Gottes sind, biblisch gesehen, sprachlicher Natur (cf. Joh 14,6),161 ein Sich-Ausartikulieren der göttlichen Wesensnatur:162 In den Bahnen seines göttlich-schöpferischen Sprechens »legt« Gott sich selber »aus«163 – für sich und für uns.164 Dabei bringt Gott sich »konkret« hervor: 159

S. o. S. 404 Abschn. 1. S. o. bei Anm. 142. 161 Das schon impliziert den Bezug auf uns: als »Anrede« von der Schöpfung an. 162 Cf. Luthers Verständnis der Trinität als innergöttliches »Gespräch«; dazu J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 70ff. 163 Daher kommt erstens der Offenbarung (§ 10) und zweitens der Fleischwerdung des ewigen Wortes (§ 11) eine zentrale Bedeutung zu. Diese Selbstauslegung des Vaters ist vermittelt durch den ihn auslegenden Sohn (Joh 1,18); cf. dazu J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 115ff. 164 Das innergöttliche Wort (der Logos von Joh 1,1) ist die ewige Selbstauslegung Gottes, aus der die für uns stammt. 160

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Indem er seine Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich (eschatologisch) in sie selber ein;165 daher könnte man sagen, dass endgültig gilt: »Deus locutus, causa sui finita«. An die Stelle der traditionellen Eigenschaftslehre tritt hier deren Grammatik.166 3. Aus allem Gesagten folgen vier Ableitungsprinzipien für die wesentlichen Bestimmungen des göttlichen Seins. 3.1. Sie müssen begründet aus Gottes ureigenem Sein folgen bzw. ihm selber immanent sein. Denn nur so bleibt die sog. »Eigenschaftslehre« wesentlich Lehre von Gott selber (wie er hier gedacht werden soll). 3.2. Sie sind auf das Grundgesetz der Einheit von göttlichem Leben (§ 4) und göttlicher Allmacht (§ 5) zurückzubeziehen.167 Daraus ergibt sich bei wechselnder Akzentuierung die Unterscheidung von Leben unter der Potenz der Allmacht (LebenA) und Allmacht unter der Potenz des Lebens (AllmachtL), d. h. einerseits die Perspektive (oder Dimension) allmächtigen Lebens (Kap. III, Erste Hälfte), andererseits die lebendiger Allmacht (Kap. III, Zweite Hälfte). 3.3. Bei Gott ist das Verhältnis von Leben und Allmacht der dialektischen Einheit von absolutem Selbstsein und Einheit bzw. Differenz in der Einheit und Einheit in der Differenz (§ 3) integriert. Diese Dialektik des »formalen« Seins Gottes bleibt auch in dessen Konkretion stets wirksam. 3.4. Im jetzt anstehenden Kapitel III wird der Ausgang unserer Gotteslehre von Ex 3,14 (§ 1) konkret zu entfalten sein. Wie die spekulative Deutung ergeben hat (§ 2), ist die Selbstaussage Gottes als »Ich = Ich« nicht tautologisch, sondern in der Dialektik von in sich Sein und aus sich Herausgehen zu begreifen:168 »in sich« als das Zugleich von: aus sich heraus, und »nach außen« als das Zugleich von: für uns und für sich (an sich).169

165

Cf. oben Prolegomena, S. 72 Anm. 65. Cf. J. V. LÜPKE, Sprachgebrauch und Norm. Luthers theologische Grammatik in Grundzügen, in: C. Dahlgrün/J. Haustein (Hgg.), Anmut und Sprachgewalt. Zur Zukunft der Lutherbibel, Stuttgart 2013, 69–83. 167 Dazu genauer oben § 4 Vorbemerkung (S. 295 bei Anm. 5) und § 5 C. (S. 354ff). 168 G. Ebeling redet (undialektisch) von der »Spannung zwischen dem Sein Gottes in sich und seinem Heraustreten außerhalb seiner« bzw. dem »polaren Aspekt von Gottes Sein in se und extra se« (EBELING, Dogmatik II [wie oben Anm. 113], 359f). Cf. F. D. E. Schleiermacher: »Das Leben ist aufzufassen als ein Wechsel von Insichbleiben und Aussichheraustreten des Subjekts« (SCHLEIERMACHER, CG2, 25,2f [§ 3.3.]). Auch im theosophischen Judentum wird das »Leben« Gottes als ein Hin- und Herströmen (d. h. als eine Bewegung aus ihm selbst und zu ihm selbst zurück) aufgefasst (cf. G. SCHOLEM, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, stw 330, Frankfurt 1980, 227f). 169 Wegen der Doppelperspektive auf Leben und Allmacht (s. o. 3.2. und 3.3.) ist der Puls von Aus-sich und Zurück bei der Ausführung (bzw. Gliederung) jeweils zweifach in Anspruch zu nehmen. 166

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Zweiter Teil, Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)

Die Dialektik von Aus-sich-heraus und (simultan) In-sich-zurück ist – überlagert durch die spezifisch christliche Figur von Gottes kondeszendenter Selbstentäußerung als zugleich absoluter Selbstverherrlichung (Phil 2; cf. § 6) – nichts anderes als die göttliche Lebensbewegung im Rhythmus von Distanz zu sich und Einheit mit sich bzw. von Gottes Sich-Hervorbringen im Werden zu sich als ewigem Bei-sich-Sein. Dies Leben pulsiert bzw. wird selbsthaft vollzogen in der jeweiligen (momenthaften) Betonung (oder Freisetzung) eines dieser konstitutiven und untrennbaren Momente seiner Dynamik, wenngleich das jeweils andere Moment ebenso zur Geltung gelangt.170 Dabei kommt es zur vollständigen Selbstartikulation des göttlichen Seins171 bzw. zu seiner (sich aus sich selber vollendenden) Selbstauslegung. Genau diese vollkommene Selbstdarstellung Gottes in den Grundvollzügen, die seinen Wesensreichtum realisieren, bedeutet die Manifestation seines »konkreten Seins«, d. h. seiner Selbstkonkretion (auch für ihn selber). 3.5. Hier ist noch vorab kurz der Übergang zum Kapitel IV (Das absolute Sein Gottes) kenntlich zu machen, in dem sich Gottes formales Sein (Kap. II) und sein konkretes Sein (Kap. III) absolut vereinen. Denn die Dreifaltigkeit Gottes ist eine Art Engführung bzw. das unbedingte Integral der bewegten Dialektik von (immanentem, d. h. ewigem) Aus-sich-Herausgehen und dabei (zeitvermitteltem) In-sich-Zurückkehren, und dies ist eben der Inbegriff der göttlichen Lebendigkeit. Ihr Begriff wird vorbereitet durch die Abfolge der Paragraphen 8 und 9, die dem »Vater« (P), und der Paragraphen 10–11, die dem Sohn (F), und der Paragraphen 12–13, die dem Hl. Geist (SS) entsprechen, und findet ihre trinitätstheologische Zuordnung und Einbindung in den Paragraphen 14–15. Die Trinitätslehre selber kommt schließlich gleichsam zweifach bzw. in zwei Perspektiven zur Darstellung: zunächst (nach ihrem eigentlichen Begriff) als sog. »immanente« Trinität, in der sich die lebendige Aseität Gottes vollendet (§ 15), und dann als »ökonomische« Trinität, als welche sich die allmächtige Einheit von Einheit und Selbstheit Gottes als sein eschatologisches Selbstsein (»alles in allem«) vollendet (§ 16).

F. Zum Aufbau von Kapitel III (Überblick) In der Konkretion seines Seins ist Gott zweifach zu begreifen: als der allmächtig Lebendige (1.) und als der lebendig Allmächtige (2.). 170 So haben diese Bestimmungsmomente göttlichen Lebens nur relative Selbständigkeit einander gegenüber, wie z. B. Offenbarung und Schöpfung. 171 Das impliziert eine Entscheidungsmöglichkeit für die Frage: Wie viele wesentliche Grundzüge des konkreten Seins Gottes sind anzusetzen?

§ 7 Einige Vielfalt und vielfältige Einheit

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1. Der allmächtig Lebende Gottes Lebendigkeit entspricht zunächst, dass er wesentlich »Der Schaffende« ist (§ 8), und seiner Allmacht, dass er wesentlich »Der Ewige« ist (§ 9). § 8 wird das göttliche Leben als sich verdoppelnd, d. h. sich mitteilend und sich in einem Anderen wiederholend, thematisieren: dass Gott seinen inneren Lebensprozess frei nach außen wiederholt. § 9 versteht das Erschaffen von Welt und Geschichte spezifisch von Gottes Allmacht her, nämlich sein Leben als zeitübergreifend, d. h. als die Zeit in sich hinein aufhebend und sich integrierend, so dass Gott, indem er das Andere bei sich und für sich sein lässt, im Anderen seiner bei sich selbst ist und doch in seiner Einheit das Andere als Anderes gegenwärtig hat, so dass er alles in allem sein kann. Rückt man Gottes Lebendigkeit und Allmächtigkeit in die Perspektive der Selbsthaftigkeit, so ergibt sich einerseits: § 10: »Der Offenbare«. Hier wird Gottes Schaffen als ein zugleich SichErschließen, als sein Sein für das Geschaffene und in ihm, und dies als er selbst (was § 9 voraussetzt), gedacht. Andererseits führt das auf: § 11: Gott als »Der Liebende« bzw. »Die Liebe«. Damit wird sein Leben als selbsthafte Macht der Wiedervereinigung verstanden. Das setzt § 8 ebenso voraus wie als endgültig § 9 und als geisthaft § 10. Die Paragraphen 8–11 (bzw. 15) haben mit dem Grundgedanken von Gottes Sich-Hervorbringen insofern zu tun, als sie sich als Momente auf dem Wege zu Gottes absolutem Sein (bzw. dessen Sich-Vollenden), d. h. als Momente seines Werdens zu sich, begreifen lassen.172 Allgemein lässt sich sagen: Ihr Hervorgehen auseinander und ihre wechselseitigen Beziehungen artikulieren Gottes Subjektivität als eine sich hervorbringende Einheit mit sich selbst und als er selbst im Verhältnis zur Welt.173 Hat es die erste Hälfte von Kapitel III auch mit Gottes lebendigem Selbstsein (als einem mit uns) zu tun, so die zweite auch mit seiner lebendigen Einheit (als einer aus sich). 2. Der lebendige Allmächtige § 12 (»Der Allgegenwärtige und Allwissende«) befasst sich, § 8 fortsetzend, mit Gottes allmächtiger Einheit bei uns. Es geht dabei um Gottes Umfassen und Durchdringen seiner Schöpfung: die lebendige (dialektische) Einheit von Immanenz und Transzendenz; sie ist allmächtig, weil sie im Übergreifen aller 172

Der genaue Zusammenhang mit dem Gedanken der göttlichen Selbsthervorbringung wird in jedem Paragraphen gesondert angesprochen. 173 Es handelt sich nicht, wie zu betonen ist, um »Stufen«, sondern um lebendige Momente, die durch den Grundrhythmus des Aus-sich-heraus und In-sich-zurück in immer neuen Kombinationen entstehen.

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Zweiter Teil, Kapitel III: Das konkrete Sein Gottes (Gottes Eigenschaften)

Differenzen in ihnen zugleich über sie hinaus ist. Diese lebendige Spannung legt sich in den nächsten beiden Paragraphen auseinander. § 13 (»Der Geist«) thematisiert jene Einheit als eine für uns, was an § 10 anschließt. Der Begriff des Geistes akzentuiert die Nähe Gottes, der unser menschliches Selbstsein nicht ertötet oder auslöscht, sondern es als solches gerade in seiner lebendigen Einheit sein lässt (Allmacht im Gegenüber).174 Im relativen Unterschied dazu geht es in § 14 (»Der Herr«) um Gottes mit sich einige Allmacht.175 Gott ist der Herr schlechthin, sofern er immer auch der uns Ferne, als Schöpfer seiner Schöpfung auch transzendent ist und sich ihr gegenüber in sich zurücknimmt. So bleibt er in aller (kondeszendenten) Selbsthingabe allmächtig bzw. vollendet er seine Allmacht darin, dass er in jener auch Gegenüber bleibt. Als der Ewige unterscheidet er sich immer neu vom Zeitlichen, aus dem er lebendig zu sich kommt – gerade indem er in es eingeht und es an sich zieht. Freilich ist Gott als der Herr an sich auch Geist, und der Geist ist das Fürsich-Sein des Herrn am Ort des Andern, so dass die Paragraphen 13 und 14 wesentlich zusammengehören. § 15 thematisiert unter dem Titel »Der Dreieinige« Gottes absolutes Sein (Kap. IV) als mit sich einiges, ewiges Leben. Als absolut Lebendiger nimmt der dreifaltige Gott die Differenz und die Einheit, wie sie die Paragraphen 13 und 14 vorläufig zum Ausdruck bringen, vollkommen wieder zusammen bzw. lebendig in eins und durchdringt und umfasst absolut sich selber als Einheit. Man könnte auch sagen, § 15 vereinigt die Dimensionen der Paragraphen 8– 14 innergöttlich bzw. selbsthaft: als ewige Zeugung des Sohnes (in Entsprechung zu § 8), als Verewigung der ökonomischen Trinität (in Entsprechung zu § 9), als Offenbarsein in sich selbst und für sich im ewigen Wort (in Entsprechung zu § 10), als ewige Liebeseinheit von Vater und Sohn im Geist (in Entsprechung zu § 11). § 12 findet seine innergöttliche Entsprechung darin, dass Gott selbst der absolut Eine in drei »Personen« ist, § 13 darin, dass der Hl. Geist selber Gott ist, und § 14 darin, dass der Herr zugleich ewig der »Vater« sein will. Zu § 16 ist schließlich zu sagen: Der letzte Paragraph dieser Gotteslehre vollendet den Anfang mit § 8 unter den Bedingungen des absoluten Seins Gottes selber, d. h. eschatologisch. Auch das dreifaltige Leben Gottes in sich greift lebendig über sich hinaus, um von der trinitarischen Geschichte (bzw. der ökonomischen Trinität) her vollkommen bei sich selbst zu sein, d. h. absolut lebendige Ewigkeit oder ewige Lebendigkeit. Ebenso gelangen hier die göttliche Offenbarung (§ 10) und die göttliche Liebe (§ 11) zu ihrer absoluten Erfüllung, wenn der trinitarische Gott »alles in allem« ist.

174 175

Cf. dazu z. B. schon oben § 5 G. 1. (S. 369 bei Anm. 169). Sie liegt auch schon dem Paragraphen 9 zugrunde.

Erste Hälfte: Allmächtiges Leben § 8 Der Schaffende Schöpfung ist Gottes freies Seinlassen des Unterschiedes von sich (ihm) schlechthin: eines ins Nichts gehaltenen Anderen seines eigenen Seins außerhalb seiner selbst.

A. Der Schöpfungsglaube1 1. Den menschlichen Sinn des Schöpfungsglaubens hat niemand theologisch so konzentriert und religiös konkret artikuliert wie Luther in der Auslegung des 1. Artikels des Credo (»Kleiner Katechismus«). Der Glaube an »Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde« bedeutet danach: Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und Seel, Augen, Ohren und alle Gelieder, Vernunft [!] und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuch, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind, Acker, Viehe und alle Güter, mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibs und Lebens reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und für allem Übel behüt und bewahret, und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit, des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schüldig bin; das ist gewißlich wahr.2 Der Schöpfungsglaube bestimmt unmittelbar das Selbstverständnis des glaubenden Ich als eines solchen – sozusagen wie ein archimedischer Punkt –, ist 1 In diesem Paragraphen ist keine vollständige Schöpfungslehre intendiert; vielmehr werden die Aussagen auf den Begriff Gottes selbst als des Schaffenden ausgerichtet; diese Perspektive beherrscht auch die Auslegung der angeführten Bibelstellen. 2 BSLK 510,33–511,8 (Absätze J. R.). Cf. im Großen Katechismus a.a.O. 648,12–32. Cf. auch M. BEINTKER, Das Schöpfercredo in Luthers Kleinem Katechismus. Theologische Erwägungen zum Ansatz einer Auslegung, NZSTh 31 (1989), 1–17.

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Zweiter Teil, Kapitel III, Erste Hälfte: Allmächtiges Leben

also Ausdruck eines persönlichen Gottesverhältnisses (»mich«). Er ist zunächst ein Innesein des alltäglich-konkreten Zugewandtseins Gottes zu einem selber.3 Von dieser egologischen Mitte her erschließt sich sodann Gottes Schöpfertätigkeit in der eigenen Umwelt und Lebenswelt bzw. der Wirklichkeit im Ganzen; d. h., allein im Horizont der eigenen Geschöpflichkeit wird der geschöpfliche Status aller Wirklichkeit sonst erfahrbar.4 Diese kreative Zuwendung Gottes zum eigenen Leben des Geschöpfes beschränkt sich auch nicht auf eine ursprüngliche Setzung, sondern enthält schon als solche ihre Verstetigung als göttliche »Erhaltung«, die sich in bewahrender Fürsorge ausdrückt: »aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit«. Darin wird Gottes schöpferisches Handeln als Ausdruck seiner ewigen Liebe zum Geschöpf erfahren.5 Unter Anspielung auf seine Rechtfertigungslehre (»ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit«) folgert Luther aus dem Gesagten schließlich, dass das Gott dem Schöpfer geschuldete Loben und Danken entschieden mehr ist als ein religiöser Vollzug unter anderen; vielmehr ist die Dankbarkeit gegen Gott genuiner und primärer Ausdruck des Schöpfungsglaubens, d. h. der elementare Vollzug geschöpflicher, vom Schöpfer abhängiger Existenz. Systematisch zeigt dieser Zugang zum Thema des gegenwärtigen Paragraphen die unauflösbare Korrelation der menschlichen Selbsterfassung als Geschöpf und des Glaubens an den Schöpfer.6 Es geht beim Schöpfungsglauben also weder um eine bloß subjektive »Deutung« der eigenen Vorfindlichkeit noch auch um eine bloß objektive (quasi weltanschauliche) Theorie der Weltentstehung.7 2. An die Schöpfung »glauben«, heißt zu glauben, dass man selber wie die Welt im Ganzen von ihm, dem lebendigen und allmächtigen Gott selber, geschaffen ist, d. h. ins Dasein gebracht und darin gehalten wird. Die beiden alttestamentlichen Schöpfungsberichte vermitteln dazu einen doppelten Eindruck.8 3 So erfüllt er grundlegend das Erste Gebot (cf. BSLK 647,36–38) und weist auf, wer Gott ist (647,27–36). 4 Das bedeutet freilich nicht, dass alle Aussagen zur Schöpfung dogmatisch auf diese Zugangsperspektive zu beschränken wären; das ist auch in Luthers Schöpfungstheologie entschieden nicht der Fall. 5 Cf. unten Abschnitt F. 4. (S. 500ff). Zur eschatologischen Dimension der Schöpfung s. u. F. 6. (S. 505ff). Luther selber hat die oben zitierten Daseinskonkretionen (Kleider, Haus und Hof etc.) unter dem Aspekt des »Gott alles in allem« (1Kor 15,28) eschatologisch gewendet (WA 36, 660,8ff). 6 Sie entspricht konkret der oben diskutierten Korrelation von Gott und Glaube (cf. Prolegomena, § 4 [S. 60ff]). 7 Cf. die lesenswerten philosophischen Überlegungen von R. HÖNIGSWALD, Erkenntnistheoretisches zur Schöpfungsgeschichte der Genesis, SGV 161, Tübingen 1932. 8 Cf. auch M. WELKER, Was ist »Schöpfung«? Genesis 1 und 2 neu gelesen, EvTh 51 (1991), 208–224.

§ 8 Der Schaffende

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Nach dem ersten (priesterschriftlichen) Bericht (Gen 1,1–2,3) schafft Gott sozusagen mit vollen Händen bzw. aus dem Vollen, in einer Art Schaffenssturm,9 dessen Ergebnis im Rückblick zu dem Urteil führt: »sehr gut« (Gen 1,31) – ein Urteil, das schon den Schaffensprozess selber zielführend geleitet hat.10 Der Vers artikuliert ein Wohlgefallen des Schaffenden an seiner Schöpfung (sc. als Tun und dessen Resultat), weil er darin sich – voller Liebe zum Geschöpf – wiedererkennt.11 Genauer impliziert das »sehr gut«, dass Gott »eine mit seiner Herrlichkeit erfüllte Welt« erschaffen hat (cf. Jes 6,3; Ps 8,2a.10)12 und dass er daraufhin »durch seine Schöpfung in seinem Gottsein erkannt werden will«,13 was das qualitative Unterschiedensein von Welt und Gott nicht ausschließt. »Siehe, es war sehr gut« besagt eine Selbstvergewisserung Gottes in ausdrücklicher Affirmation seiner selbst, und er findet sich auch deshalb darin wieder, weil er mit diesem abschließenden Wort sein schaffendes Wort vom Anfang (Gen 1,3)14 bestätigt und es sich abschließend und endgültig selber aneignet. Das unmittelbare Tun des Erschaffens wird so in reflexiver Vergewisserung gleichsam »wiederholt«, bzw. es kommt darin 9

Cf. Gen 1,2b: der göttliche Geist über dem Wasser. Cf. dazu schon oben Prolegomena, § 2 (S. 28 Anm. 58). 11 Cf. dann paradigmatisch Ps 2,7, aber auch schon, in einer bemerkenswerten Nähe zur biblischen Schöpfungslehre, Platon. Für ihn ist der eigene Grund des Schöpfers für das Entstehen selber und für dieses Weltall: ἀγαθὸς ἦν (Tim. 29e 1). Denn der gütige Gott kennt keinen »Neid« (29e 1f; Phaidr. 247a 7); daher soll das Geschaffene möglichst gut, d. h. ihm selber ähnlich werden (Tim. 29e 3f; cf. 30a/b). Dies ist der hauptsächliche Ursprung (ἀρχή) der Genesis und des Kosmos (29e 4f). Das besagte konkret, das Chaos (Tohuwabohu: κινούµενον πληµµελῶς καὶ ἀτάκτως, 30a 4) zur Ordnung (εἰς τάξιν) zu bringen (cf. 1Kor 14,33). Der Schöpfergott wollte mithin, dass »alles gut« sei (ἀγαθὰ … πάντα, 30a 1) und nicht dem Unvollkommenen ähnlich (ἀτελεῖ … ἐοικός, 30c 6). Das Schönste von allem Geschaffenen ist aber τὸ νοῦν ἔχον ὅλον (30b 2), und zwar als das beste seiner Werke (ἄριστον ἔργον, 30b 7); dies wollte er sich selber möglichst angleichen (κατὰ πάντα τελέῳ µάλιστα … ὁµοιῶσαι βουληθείς, 30d 3f); cf. Gen 1,27 (allerdings bezieht Platon dies auf den Kosmos als Ganzen [30b 8/c 1], wovon wir nur Teile [µόρια] sind). Auch für Dante ist die göttliche Liebe aus der Schöpfung so in sich zurückreflektiert, dass sie sich darin ihres eigenen Seins versichert: »perchè suo splendore / Potesse, risplendendo, dir: ›Subsisto‹«, d. h. »Ich bin, der ich bin« (Par. 29,14f). 12 R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen, TOBITH 1, Tübingen 2011, 260. Erinnert sei an den alten Satz: »bonum est diffusivum sui«, der auch bei Luther ein schöpfungsbezogenes Echo hat (cf. BSLK 565,25–566,2), für den sogar gilt, dass »sich der Vater [selbst!] uns gegeben hat sampt allen Kreaturen« (a.a.O. 650,27–29). 13 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 256. Cf. Seneca: »deum colit, qui novit« (Ep. 95,47). Als von Gott geschaffene hat die Welt die Bestimmung, »dem göttlichen Wort, das alles Werden und Gewordene ins Daseyn ruft, gelassen [= überlassen] zu bleiben, damit es sich und seine göttliche Macht und Herrlichkeit darin aussprechen kann. Röm. 1,20. Apoc. 4,11. Ps. 8,2–10. 1.Cor. 3,22« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 142f [§ 243]). 14 Dazu s. u. Abschnitt E. (S. 479ff). 10

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Zweiter Teil, Kapitel III, Erste Hälfte: Allmächtiges Leben

definitiv zu sich. Schon hier deutet sich an: Gott ist lebendig mit sich eins im schaffenden Herausgehen aus sich selber und im darin bei sich selber Sein.15 Der zweite, ältere Schöpfungsbericht (Gen 2,4–25) unterstreicht (komplementär zum ersten) den Selbsteinsatz des Schöpfers bei seinem kreativen Handeln. Sein Verhältnis zum (Menschen-)Geschöpf ist geradezu durch Intimität ausgezeichnet: Gott selber »legt« hier »Hand an« (cf. 2,7.21f), und sein eigener »lebendiger Atem« (2,7aβ) wird zum Lebensprinzip des Menschen (2,7b). Gottes schöpferische Präsenz beim geschaffenen Menschen ist mithin als Teilgeben seines eigenen Lebens für dessen endliches Leben zu verstehen (2Petr 1,4).16 3. Sein Schaffen muss als eine grundlegende Lebensäußerung Gottes begriffen werden bzw. als seine Lebendigkeit für uns,17 und er ist selber lebendig als Leben zeugend.18 Das impliziert auch Allmacht, sofern er das Nichts, »aus« dem er schafft, als Kehrseite des geschöpflichen Seins überhaupt erst »sein« (oder wesen) lässt.19 Auch für das Erschaffenwerden der Geschöpfe durch Gott gilt: omnis determinatio est negatio.20 Als der absolut Lebendige schafft Gott anderes Leben und insbesondere menschliches Leben, um außer sich »der Gott der Lebendigen« sein zu können.21 Dabei wird dies endliche Leben im Falle des dadurch ausgezeichneten Menschen »durch Einhauchen des göttlichen Odems bestimmt«.22 Dieses, wie in sachlicher Konkordanz mit Gen 1,3 zu sagen ist, wortvermittelte Verhält15 Das »göttliche Denken ist also nach wie vor, bei sich, nur nicht mehr bloß Reflexion in sich, sondern in Anderes: das ist die Welt, zunächst als Natur« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 13], 135 [§ 229]). 16 So kann Luther von Gottes Weg mit uns sagen: »Est autem via dei, quia sicut Levitici XXVI [26,12] ›Ambulat in nobis‹, hoc est operatur in nobis, vivit in nobis, loquitur in nobis« (WA 5, 144,31–33). 17 Dies »für uns« setzt die Kondeszendenz Gottes in der Schöpfung ex nihilo voraus: »Das ist die Art der göttlichen Liebe, ihre ›Demuth‹, daß sie einen Zug hat zu dem Leeren, des Seins und Lebens Entbehrenden, … indem sie durch ihre Allgenugsamkeit ihrer Vollkommenheit selbst schlechthin sicher ist. Es ist in ihr der Zug zu dem Niedrigen und Nichtseienden, daß es sei und werde … [Lk 1,42.53; 1Κor 1,28; Ps 34,11; 107,9]« (I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 454). Von hier aus ließen sich auch die radikal skeptischen, axiomatisch das Nichts favorisierenden Darlegungen über die Unverträglichkeit von Gottes Selbstgenügsamkeit und Schöpfungsimpuls bei L. Lütkehaus beantworten; cf. L. LÜTKEHAUS, Nichts. Abschied vom Sein, Ende der Angst, Frankfurt 62008, 97f. 18 Im lebendigen Schaffen realisiert Gott seine Einheit mit sich: »Gott selbst [ist] nur durch die Bewegung in seinem Andersseyn oder durch die Schöpfung der Welt sich selbst gleich« (MARHEINEKE, a.a.O. 151 [§ 257]; Hervorh. J. R.). 19 Cf. genauer unten Abschnitt D. (S. 465ff). 20 Cf. MARHEINEKE, a.a.O. 135 (§ 229). 21 Gelegentlich wird Gott in der Bibel auch als »Gott der Lebensgeister« bezeichnet (Num 16,22; 27,10). 22 FELDMEIER/ SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 12), 209 mit Anm. 23. Cf. Ps 104,29f.

§ 8 Der Schaffende

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nis23 einer besonderen Nähe des Schöpfers zum privilegierten Menschengeschöpf kommt zustande, »indem er ihn an seinem eigenen Leben partizipieren lässt« – schließlich auch über den Tod hinaus.24 Erschaffen bedeutet, etwas ins Sein und an sich selber zu entlassen bzw. es für sich (bzw. es selbst) sein zu lassen: ἔκτισεν γὰρ εἰς τὸ εἶναι τὰ πάντα (Weish 1,14).25 Mit diesem Geschehen wird auf eine neue Weise von Gott eingelöst, dass er selber der sein werde, der er ist (Ex 3,14), d. h. um auch am von ihm unterschiedenen Geschaffenen sich selbst hervorzubringen.26 Dieser »theologischen« Dimension der Schöpfung entspricht – wiederum im Sinne von Ex 3,14 – die eschatologische, dass Gott derart kreativ handelt, um selber in endgültiger Zukunft als der zu sein, der er als der Lebendige sein will: πάντα ἐν πᾶσιν (1Kor 15,28).27 Der unerschöpfliche Reichtum geschöpflichen Lebens in der Natur und weiterhin in der Geschichte und das spontane Auftreten von unvorhersehbar Neuem und Entwicklungsträchtigem in beiden Bereichen welthaften Seins sind theologisch somit als ein endlicher Reflex des unendlichen inneren Lebens Gottes aufzufassen.28 In seinem ewigen Sich-Hervorbringen liegt ein schlechthinniges Pleroma begriffen, das sich unter den Bedingungen der zeitlichen Welt in der Natur und der Geschichte einen gebrochenen Abglanz verschafft.29 Das heißt auch, über jedem wirklichen Neuanfang im geschaffenen 23 »Leben« ist schöpfungstheologisch gesehen eine »wesenhafte Energie des Wortes«; s. u. Abschnitt E. (S. 479ff). 24 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 12), 209.211. 25 »Creavit enim, ut essent omnia« (Weish 1,14a). 26 Cf. dazu genauer unten Abschnitte C. 1. und 2. (S. 456ff). Wegen der konstitutiven Selbstunterscheidung Gottes von der Welt liegt im Schöpfungsgedanken nicht der vitiöse Zirkel, den P. Valéry darin sehen wollte: »Die Welt ist nicht erschaffen worden, denn das Schaffen hat die Welt zur Voraussetzung« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/ J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 475; cf. auch 54 und 496). 27 Von hieraus erhellt die völlige Abwegigkeit der Annahme, Gott habe den Menschen erschaffen, um der Langweiligkeit seiner eigenen Ewigkeit zu entgehen (cf. z. B. Die Nachtwachen des Bonaventura, Neunte Nachtwache [»Monolog des wahnsinnigen Weltschöpfers«], hg. von A. v. Grolman, Heidelberg 1955, 91). Diesem Missverständnis der Ewigkeit des in sich selber (dreieinig) lebendigen Gottes entspricht das von dem »langweiligen« ewigen Leben; cf. dazu unten § 9 (S. 546 Anm. 246). 28 Marheineke schreibt zum liber naturae: »Die Werke der Schöpfung eröffnen und ersetzen dem Menschen, der die Züge des Geistes noch nicht versteht …, eine heilige Schrift« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 13], 143 [§ 244]). Cf. »So wird das ›natürliche‹ Wachsen zur Manifestation der schöpferischen Lebensmacht Gottes« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O., 268) – von Ostern her! 29 In der fälligen dialektischen Brechung der Metapher vom »Kleid« können hier mutatis mutandis die Worte des Weltgeistes Anwendung finden: »Ein wechselnd Weben, / Ein glühend Leben: / So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit / Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid« (J. W. V. GOETHE, Faust I [Nacht], V. 506–509). Cf. auch Ph. Spittas Lied »Freuet euch der schönen Erde« (EG, Nr. 510).

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Zweiter Teil, Kapitel III, Erste Hälfte: Allmächtiges Leben

Leben liegt etwas vom Morgenlicht der Schöpfung,30 und Gott stößt sich in solchen zeitlichen Prozessen, den τροχοὶ τῆς γενέσεως (cf. Jak 3,6), zugleich zu sich selber in seinem ewigen Leben ab.31 4. Fragt man vor diesem Hintergrund nach dem Status des Geschöpflichen, d. h. der Welt als geschaffener,32 so markiert, grundsätzlich gesagt, der Schöpfungsglaube die große Unterbrechung des immanenten Weltzusammenhangs, sofern er als verstehende Distanz zur Wirklichkeit in ihrer unmittelbaren Ganzheit in Stellung gebracht wird.33 Dafür steht im Neuen Testament besonders eine Stelle prominent ein: πίστει νοοῦµεν κατηρτίσθαι τοὺς αἰῶνας ῥήµατι θεοῦ, εἰς τὸ µὴ ἐκ φαινοµένων τὸ βλεπόµενον γεγονέναι. (Hebr 11,3)34 Der Glaube öffnet nach der ersten Vershälfte (V. 3a) die Augen, d. h. Herz, Sinn und Vernunft (νοοῦµεν; Vg.: intelligimus)35 für die Wahrnehmung der eigentlichen Verfassung der Wirklichkeit.36 Das vermag er, indem er sich auf

30 So in einem Gedicht Caroline v. Humboldts: »Wandlung Alles! Alles Leben! / Durch die Schöpfung geht ein Beben / Ew’gen Wortes Widerhall« (zit. nach D. V. GERSDORFF, Caroline von Humboldt, it 4158, Berlin 32014, 251; Hervorh. J. R.). 31 Von hier aus kann man verstehen, dass ein Naturphänomen wie der Frühling das Lebensgefühl des Menschen und immer auch schon die Poesie so tief anspricht. Theologisch präziser steht in einem Gedicht von K.-P. Hertzsch: »Das Leben um uns träumt in Wiederkehr. / Doch wir sind wach und gehen nicht im Kreise. / Wir kommen aus geheimem Anfang her / und sind zu gutem Ziele auf der Reise.« Für den Zusammenhang von sommerlicher Lebensfülle und eschatologischem Ausblick cf. P. Gerhardt: »Geh aus mein Herz …« (EG, Nr. 503, bes. ab Str. 9). 32 Cf. E. WÖLFEL, Welt als Schöpfung. Zu den Fundamentalsätzen der christlichen Schöpfungslehre heute, TEH 212, München 1981; sowie CH. LINK, Schöpfung, 2 Bde., HST 7/1–2, Gütersloh 1991. Besonders der 2. Band entwirft eine Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts (unter anderem Naturwissenschaft und Ökologie). 33 Cf. die eindrucksvolle Rede der Geschöpfe, dass sie nicht der Schöpfer seien, bei Augustin, Conf. X 6,9. 34 »Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welten durch Gottes Wort geschaffen sind, so daß aus dem Unsichtbaren das, was man sieht, entstanden ist [a] (oder: so daß nicht aus der Welt der Erscheinungen das Sichtbare entstanden ist [b])«; Übersetzung O. MICHEL, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 91955, 243. M. Karrer gibt εἰς mit »auf dass« wieder (M. KARRER, Der Brief an die Hebräer. Kapitel 5,11–13,25, ÖTBK 20/2, Gütersloh 2008, 258), während E. Grässer aus V. 3b einen nebengeordneten Hauptsatz macht: »und so ist …« (E. GRÄSSER, An die Hebräer, 3. Teilband, EKK XVII/3, Neukirchen-Vluyn/Zürich 1997, 103). 35 Damit ist dem Glauben ein Erkennen, aber auch Verstehen und Begreifen eingestiftet (cf. mit Ch. v. Hofmann MICHEL, a.a.O. 250, und GRÄSSER, a.a.O. 106). 36 Nach C.-P. März ist dieser Hebräerbriefvers entscheidend für die »Grundeinstellung zur Wirklichkeit« (zit. nach GRÄSSER, a.a.O. 105).

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Gottes schöpferisches Wort (ῥῆµα θεοῦ)37 als konstitutiv für die Schöpfung38 bezieht und gründet. Bei diesem kreativen Wort (ῥῆµα) handelt es sich um ein nomen actionis, d. h. ein »sprech- und willensbetontes Wort«.39 Hierbei stehen offensichtlich auch gewisse philosophische Annahmen mit im Hintergrund,40 denen zufolge die gegliederte Ordnung der Wirklichkeit »universal als vernünftig begriffene [νοούµενα, Röm 1,20] … durchsichtig« ist und mithin von einer grundlegenden »Bezogenheit der Realitätsstrukturen auf die universal-menschlichen Sprach- und Denkstrukturen als Schöpferoffenbarung« auszugehen ist:41 das Sein als λογικῶς!42 In dieser Perspektive ließe sich in dem in Hebr 11,3a gebrauchten Schöpfungsterminus καταρτίζω (»herstellen, schaffen«), sofern darin auch die Bedeutung eines ordnenden Tuns mitschwingt,43 sachlich bzw. systematisch eine gewisse Nähe zum Begriff sprachlicher Artikulation hören.44 Das genaue Verständnis der zweiten Vershälfte (V. 3b) wirft wegen der Satzkonstruktion grammatisch einige exegetische Probleme auf. So ist zum einen die Frage, ob die mit εἰς eingeleitete Konstruktion im Anschluss an V. 3a als Absicht oder Folge (Zweck) aufzufassen ist,45 zum andern (und wichtiger) besteht die Alternative, das µή entweder mit dem Partizip zu verbinden (»das Nicht-Sichtbare«) [= a] oder es auf den ganzen Satz zu beziehen (»nicht aus dem Erscheinenden … entstanden«) [= b].46 Systematisch freilich (bzw. sachkritisch) ist diese Alternative (zwischen a und b) keineswegs ausschlag37

Cf. auch Hebr 1,3; 6,5; daneben gebraucht der Hebräerbrief auch ὁ λόγος τοῦ θεοῦ (4,12; 13,7); zum Unterschied beider Begriffe siehe GRÄSSER, a.a.O. 107. Zum schöpferischen Wort cf. auch Ps 32,6 (LXX); Weish 9,1; 1Clem 27,4; Od. Sal. 16,19. 38 Das Wort »Schöpfung« hat im Deutschen den guten Doppelsinn von Akt und Produkt bzw. Tun und Resultat zugleich. Damit wird bereits sprachlich die Wirklichkeit durchsichtig auf ihre Gemachtheit bzw. Machbarkeit hin, was ihre Veränderbarkeit ebenso einschließt wie (als Darstellung von Produktivität) ihre konstitutive Subjektivität. 39 E. Repo, zit. nach GRÄSSER, a.a.O. 107. 40 Cf. dazu die Kommentare z. St. 41 W. SCHENK, EWNT II, 1154f (zit. bei GRÄSSER, a.a.O. 107). 42 »Indem der Hebr die µὴ φαινόµενα identisch sein läßt mit den ἐλπιζόµενα und οὐ βλεπόµενα in 11,1, verschränkt sich für ihn die platonisch-philonische Weltanschauung mit heilsgeschichtlich-eschatologischer Betrachtungsweise – ein Charakteristikum seiner Theologie überhaupt! Das Heil hat hier historische und kosmische Dimensionen« (GRÄSSER, a.a.O. 109). 43 Cf. ἄρτιος: »von richtiger Beschaffenheit«. 44 Cf. zu diesem Thema J. RINGLEBEN, Leib Christi und die Sprachlichkeit der Welt bei Paulus, in: E. Agazzi/E. Kocziszky (Hgg.), Der fragile Körper. Zwischen Fragmentierung und Ganzheitsanspruch, Göttingen 2005, 37–57 (bes. 39f). 45 Cf. dazu MICHEL, a.a.O. 251, und GRÄSSER, a.a.O. 108. 46 Cf. MICHEL, ebd. (mit den jeweiligen traditionellen Belegen); die meisten Exegeten folgen der althergebrachten Auslegung im Sinne der ersten Alternative: »aus dem Unsichtbaren« (Vg.: ex invisibilibus); cf. dazu MICHEL, a.a.O. 252, sowie GRÄSSER und KARRER z. St.

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gebend. Denn [a] »aus dem Unsichtbaren« (geschaffen) entspricht logisch und der Sache nach genauestens dem, [b] »nicht aus der Welt der Erscheinungen«47 herleitbar zu sein: Aus dem Nicht-Sichtbaren (Nicht-Erscheinenden) geworden zu sein, bedeutet eo ipso, nicht aus dem Sichtbaren (Erscheinenden) geworden zu sein. Zumal vom wortgeleiteten Schöpfungsverständnis (ῥήµατι θεοῦ) her gilt: »Ist die Welt durch dieses Wort entstanden, so ist sie aus Unsichtbarem hervorgegangen.«48 Im Wort geschaffen zu sein,49 heißt eben, einen nicht-welthaften Ursprung (jenseits der vorfindlichen Welt) zu haben, d. h. in der Negation (Negiertheit) bloß weltlichen Daseins zu entspringen.50 Aus der Formulierung der Nicht-Sichtbarkeit (µὴ ἐκ φαινοµένων; V. 3b)51 ist noch eine weitere Einsicht von systematischer Bedeutung zu gewinnen. Zwar steht im Vordergrund, dass 11,3 – in Aufnahme von V. 1a: πίστις ἐλπιζοµένων ὑπόστασις – eine eschatologische Dimension der Schöpfung wesentlich einschließt;52 es geht um »die Kräfte und Dinge der zukünftigen Welt«,53 und dies wird im Folgenden für die Schöpfungslehre auch entscheidend wichtig werden.54 Doch zunächst ist hier etwas anderes zu beachten. Da einerseits nach 11,1b der Glaube es mit πράγµατα οὐ βλεπόµενα zu tun hat und diese den µὴ φαινόµενα von V. 3b entsprechen,55 diesen aber andererseits τὸ βλεπόµενον gegenübersteht, sind wegen dieser logischen Opposition die βλεπόµενα ihrerseits als φαινόµενα aufzufassen: die »Welt der Erscheinungen«.56 Für die Welt als vorläufig bloß erscheinende aber gilt: »Sofern die Welt nur sinnlich wahrgenommen wird in dem Werden und Gewordenseyn aller Dinge, scheint sie nur sich selbst ihren Ursprung zu verdanken.57 Ebendieses ihr bloßes Scheinen aber ist nicht ihr [wahres] Seyn, ist ihr Nichtseyn oder Nichts.«58 Theologisch (und eschatologisch) aber gilt: »Die Wahrheit dieser Welt ist nicht sie, sondern die andere Welt, nicht das Reich dieser Welt, son-

47

So übersetzt MICHEL, a.a.O. 243. E. Riggenbach; zit. bei MICHEL, a.a.O. 251. 49 Dazu ausführlich unten Abschnitt E. (S. 479ff). 50 Insofern das für die Welt nach ihrem Dass und Was bedeutet, in Wahrheit nicht aus sich selbst zu sein, entspricht das im göttlichen Wort Geschaffensein auch hier faktisch der creatio ex nihilo, auch wenn davon an dieser Stelle (Hebr 11,3) nicht explizit die Rede ist. 51 Ausführlich zu dieser Wendung GRÄSSER, a.a.O. 103–109. 52 Das bedeutet, »unsichtbar« (11,1.3) muss theologisch als nicht-platonisch begriffen werden, d. h. vom kommenden Gott her. Überhaupt ist es fast überflüssig zu sagen: Wäre Gott nicht unsichtbar, wäre er von einem Bestandteil der Welt nicht zu unterscheiden. 53 F. J. Schierse, zit. bei GRÄSSER, a.a.O. 109. 54 S. u. Abschnitt F. 6. (S. 505ff). 55 Zum philosophischen Thema Phainomena cf. KARRER, a.a.O. 275f. 56 MICHEL, a.a.O. [= b]. 57 Dazu s. u. Anm. 73. 58 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 13), 140 (§ 240 mit Bezug auf Hebr 11,3); zum Verhältnis von Scheinen und Erscheinung cf. a.a.O. 124 (§ 207). 48

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dern das Reich Gottes. Joh. 18,36. 1. Cor. 7,31. 1. Joh. 2,15. Luc. 17,20.21.«59 In diesem Horizont ist der christliche Glaube als »Erkenntnis« zu behaupten (cf. πίστει νοοῦµεν, 11,3a), d. h. beansprucht er, der Wahrheit aller Wirklichkeit inne zu sein. Dazu stimmt sachlich, dass τὰ µὴ φαινόµενα (V. 3b) als nicht-sinnlich erfahrbar nur dem Glauben zugänglich werden, der seinerseits ausschließlich aufs Wort ausgerichtet ist. Diese Wortbezogenheit des Glaubens (V. 3a) lässt die Fides als fides creationis zum Paradigma des Glaubens an Unsichtbares (auch im eschatologischen Sinn) werden. Als Statthalter der »großen Unterbrechung« ist der Schöpfungsglaube diejenige exzentrische Positionalität, die alles, was ist, und den Menschen selber im Licht seines Nicht-aus-sich-selber-Seins (und …-verstehbar-Seins) und so vielmehr als im Geheimnis Gottes gehalten wahrnimmt.60 5. Was bedeutet es des Näheren, die Welt im Glauben als von Gott geschaffene wahrzunehmen? Dazu sind jetzt schon einige formale Feststellungen zu treffen. Es besagt: – alles zusammenzunehmen im Verhältnis zu einer Instanz. Das heißt: Die faktische Totalität der Welt wird in ihrer Immanenz aufgebrochen; zugleich erfährt sie in der Zentrierung auf Gott auch eine Vereinheitlichung als »die Welt«; – alles Welthafte zu relativieren, indem seine faktisch-unmittelbare »Absolutheit« überschritten wird: als nicht von sich her oder aus sich zu erfassen, d. h. als eine nur vorläufige (bzw. vorletzte) Wirklichkeit. – Damit ist einerseits der unendliche qualitative Unterschied von Gott und Welt gegeben.61 – Andererseits bedeutet es eine letzte Freiheit gegenüber allem durch das Verhältnis zum Herrn von allem (cf. Ps 73,25 und Ps 121).62 Anders gesagt: 59

A.a.O. 141. Cf. auch 163f (§ 278). M. Scheler hat davon gesprochen, dass der Mensch in der Stellung zu sich selbst zugleich eine transzendente über sich selbst hinaus einnehme, um in diesem Aufschwung »von einem Zentrum gleichsam jenseits der raumzeitlichen Welt aus alles, darunter auch sich selbst, zum Gegenstande seiner Erkenntnis zu machen« und so ein der Welt überlegenes Wesen zu sein – in einer (mit H. Plessner gesprochen) sozusagen absolut exzentrischen Position, die »nur im obersten Seinsgrunde selbst gelegen sein« könne (M. SCHELER, Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928), Bonn 121991, 47 = DERS., Gesammelte Werke, Bd. IX, Bonn 21995, 38f). Kritisch dazu H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 859. 61 »infinitum inter DEUM atque hominem discrimen« (V. E. LÖSCHER, Praenotiones Theologicae …, Wittenberg 21713, 342; zit. nach FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben Anm. 12], 266 Anm. 29). Dieser Gedanke wandert von J. G. Hamann aus (1784) über Kierkegaard weiter zu K. Barth. 62 Cf. T. Kleffmann: »Dem Gegenüber des einzigen Gottes zur vielfältigen Welt entspricht das Gegenüber einer in sich reflektierten menschlichen Subjektivität zu einer Welt, die nicht mehr Ort unmittelbar vielfältiger Göttlichkeit ist« (T. KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 124). 60

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Die religiöse Abhängigkeit vom Schöpfer ist als absolute Abhängigkeit an sich selber schlechthinnige Freiheit im Verhältnis zur Welt.63 – Der Schöpfungsglaube besagt mithin das Doppelte: sich sich selbst zu entnehmen (als Entlastung von der Sorge um sich selbst)64 und sich selbst (und alles andere) absolut zu begründen und zu identifizieren.65 Das heißt: Es geht um ein Transzendieren und Begründen zugleich bzw. das eine als das andere. Logisch gesehen führt gerade die Negation von allem zu einer neuen Position ihm gegenüber.66 Die große Unterbrechung des Weltzusammenhangs dient seiner überweltlichen Begründung.67 – An den Schöpfer zu glauben, heißt, von jenseits seiner absoluten Grenze auf sich und alles zurückzukommen und so alles im Lichte seiner Vorläufigkeit bzw. Nicht-Endgültigkeit (also: eschatologisch) zu sehen (cf. 1Kor 7,31b).68 63 Bekanntlich will F. D. E. Schleiermacher in Opposition zur »schlechthinnigen Abhängigkeit« nur eine relative (innerweltliche) Freiheit zulassen und sieht nicht, dass eine schlechthinnige Abhängigkeit an ihr selber schon Freiheit schlechthin ist. Außerdem ist die Dimension »schlechthinniger« Abhängigkeit als schlechthinniger keineswegs ein (unmittelbares) Gefühl, sondern klarerweise ein Gedanke. Cf. oben § 5 (S. 368 Anm. 167). 64 Denn Gott ist mir näher als ich mir selber; dazu s. u. § 12 E. 2. (S. 677ff). 65 Cf. die Beschreibung Blumenbergs, der genau darin die »unvergleichliche Leistung der Religionen« (bzw. des Schöpfungsglaubens) findet, die den Menschen dadurch der konstitutiven »Verlegenheit« der Kontingenz dieser Kreatur Mensch enthebt, »daß der Mensch jene Wurzel seiner Verlegenheit vergißt, weil er sich nicht aus Verlegenheit entstanden oder aus Duldung durchgelassen zu sein glauben muß« (BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen [wie oben Anm. 60], 729). 66 Mit Bezug auf J. G. Fichtes Theorem der Sich-Durchsichtigkeit des Wissens (J. G. FICHTE, Wissenschaftslehre 1801, § 21, in: ders., Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus den Jahren 1801/02, hg. von R. Lauth, PhB 302, Hamburg 1977, 77f) liest man bei E. Hirsch über die Endlichkeit des Wissens (bzw. das Gewahren seines Grundes): »Das Wissen ist für sich, es versteht und durchdringt sich bis an sein Ende, also fällt auch … seine Grenze, sein Nichtsein in seinen Horizont. Oder: das Wissen sieht seinen Ursprung, der Ursprung kann aber nicht gesehen werden, ohne daß das Nichtsein des Entspringenden mitgesehen würde, und so stehen wir wieder vor dem Nichtsein des Wissens. Das Nichtsein des Wissens aber ist – das Sein [sc. das Absolute]« (E. HIRSCH, Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes, Göttingen 1914, 82; cf. unten § 9 [S. 537 Anm. 187, G. W. F. Hegel]). Eine vergleichbare Dialektik lässt sich an S. Kierkegaards Rekonstruktion des Glaubens an den Schöpfer aufzeigen, wenn es da vom endlichen Selbst heißt: »indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchsichtig in der Macht, welche es gesetzt hat« (S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., Gesammelte Werke, 24. Abt. (1957), 10; auf S. 81 ausdrücklich auf Gott und den Glauben bezogen). 67 Cf. P. Valéry: »Das Psychologische an ›Gott‹ ist, daß einem irgendein Bild oder Begriff von Gott gar nicht in den Sinn kommt, solange die Dinge und Verhältnisse eindeutig oder wie gewöhnlich sind« (VALÉRY, Cahiers/Hefte II [wie oben Anm. 26], 471). Cf. dazu kritisch über die Sprache a.a.O. 473. 68 Der Nicht-Absolutheit der Welt entspricht ihre eschatologische »Aufhebung« in Gottes ewigem Leben, denn das α ist = ω (von diesem her); s. u. Abschnitt C. (S. 456ff)!

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6. Für den Schöpfungsglauben ist schließlich noch ein weiteres Charakteristikum vorab schon zu benennen. Im Aus-sich-Herausgehen Gottes – als radikale Entäußerung innergöttlichen Andersseins (als ewiger Sohn bzw. Schöpfungslogos) – lässt Gott überhaupt erst das »Außen« sein, das nur als sein »ganz Anderes« ein Außen für Gott ist;69 dies freilich nicht im räumlichen Sinne eines extra se, sondern zunächst im rein logischen Sinne von praeter se, d. h. als etwas, was nicht er ist.70 Damit ist auch gegeben: Gott erschafft nicht bloß eine (faktisch) von ihm radikal verschiedene Welt.71 Vielmehr schafft er eine sich selber von Gott unterscheidende Welt;72 denn sie führt ein (relativ) freies Eigenleben im Gegenüber zu ihm.73 69

Dies bleibt in der unmittelbaren Charakterisierung der Schöpfung als »Handeln Gottes nach außen« bei W. PANNENBERG (Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988, 1991, 1993, Bd. II, 15.19.21 u. ö.) außer Acht. Überhaupt ist zu sagen: Gott schafft erst das, worauf er bzw. woran er schaffend weiterwirkt. Daher ist Erschaffen eine Verdoppelung: »per totam substantiam … rem subsistentem totam« (Thomas von Aquin); vorausgesetzt ist dabei: »non … necesse … in aliquo recipi, quia sua actio est sua substantia«. 70 Zu dieser Unterscheidung cf. R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 2 1869, 150 (§ 39, Fn. *** und +). 71 Diese Unterschiedenheit (bzw. Unterschiedlichkeit) der Welt Gott gegenüber wird für die christliche Schöpfungstheologie, »nach der Gott, das Absolute, in der von ihm erschaffenen Welt auch bei sich bleibt, so wie sich [logisch] die Identität auch im Unterschied erhält«, von Ch. Iber mit Bezug auf die Hegel’sche Wesenslogik näher bestimmt als Verschiedenheit: »Die Verschiedenheit kann … als reflexionslogische Form der Erscheinungswelt gefaßt werden. Sie tritt ein für das, was Welt überhaupt ist, die Endlichkeit im Gegensatz zum Absoluten … Die Struktur der Endlichkeit wird hier eingebettet in eine Theorie des Absoluten, die der Wesenslogik folgt. Während das Absolute, das sich [im Hegel’schen Sinne] als Wesen bestimmt, die Form der Identität und Nichtidentität hat, hat das Endliche reflexionslogisch den Status der Verschiedenheit« (CH. IBER, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York 1990, 334f). 72 Schöpfung als Seinlassen eines für ihn Anderen durch Gott bedeutet mithin auch, dass Gott selber (im Gegenüber zu dem geschaffenen Menschen) auch zu einem Sein für Anderes wird; so ist er im Glauben für den Glaubenden, d. h. der »ganz Andere« bzw. das ewige »Du«. 73 Sie ist »das Aeußere« an ihm selbst als »das Seyn der Welt in sich« (während das innere Verhältnis Gottes zu ihr »das Seyn der Welt in Gott oder Gottes in ihr« ist) (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 13], 135f [§ 230]). Marheineke unterstreicht, was den Eigenstatus der Welt Gott gegenüber angeht, dass ihr als Geschaffener weiterhin ein beständig sich aus sich selber produzierendes Sein zukommt (a.a.O. 159 [§ 269]; cf. auch 137 [§ 233], hier sogar: »sich selbst erschaffende« [?] u. ö.). Denn »in ihr produzirt sich alles einzelne aus dem andern und formirt sich oder gibt sich auch selbst die Gestalt« (a.a.O. 137 [§ 233]). Freilich hat dieser Aspekt für ihn »keine [sc. letzte] Wahrheit«, denn: »Der Grund der Selbstschöpfung der Welt ist [und bleibt] ihre Schöpfung durch Gott« (a.a.O. 137 [§ 234]), so dass zuerst und zuletzt gelten muss: »Daß also die Welt kann in sich seyn und aus sich selbst seyn oder werden, das hat sie nicht von sich, sondern

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Indes bezieht am Ort des glaubenden Menschen die geschaffene Welt sich wieder ausdrücklich auf Gott zurück,74 und sie wird trotz allen Unterschiedes sich ihrer Bezogenheit auf ihn75 und in ihm bewusst. In solchem persönlichen Schöpfungsglauben wird auch die Allmacht des lebendigen Gottes erfahrbar. Zugleich wird in solchem Glauben des Menschen die Rückkehr der Welt zu Gott möglich und vermittelt. Diese Rückkehr ist aber immer auch wahre Unterscheidung von Welt und Gott, und der ausgezeichnete Ort dieser Unterscheidung ist Gottes Menschensohn als die existierende Selbstunterscheidung von und Vermittlung mit Gott.76 In Mk 10,18 parr ist diese Selbstunterscheidung Jesu vom himmlischen Vater unüberhörbar und definitiv formuliert: οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ µὴ εἷς ὁ θεός.77 Genau in dieser Unterscheidung hat der Sohn sein Sein als Gottessohn und vertritt mit ihr die Welt bzw. den Menschen. Zugleich ist nämlich diese Selbstunterscheidung Jesu von Gott Gottes Sich-Voraussetzen im Sohn, und d. h., gerade in der Unterscheidung kommt Gott zu sich bzw. ist er – vom Sohn in der Welt her – der »einige Gott«.78

von Gott« (a.a.O. 140 [§ 240]). Was den befremdlichen Sprachgebrauch vom SichErschaffen der Welt angeht, so will Marheineke an sich zwischen Produkt und Kreatur unterscheiden (a.a.O. 137 [§ 234]). 74 Hier findet Pannenberg die Eigenart des Menschen, Religion zu haben (PANNENBERG, Systematische Theologie II [wie oben Anm. 69], 38). Dies Thema wird unter dem Gesichtspunkt des Menschen als Ebenbildes Gottes unten wieder aufgenommen; s. u. F. 3.2. (S. 494ff). 75 Dass das Geschöpf durch seine Unterschiedenheit zugleich auf Gott bezogen ist, stellt Pannenberg zu Recht heraus; cf. PANNENBERG, a.a.O. II, 46 und 49. 76 Vom »Sohn« gilt, was die Schöpfung angeht: Weil er als der Logos-Gott in der Welt als seinem Eigentum ist (Joh 1,11a), gibt es für ihn als den Kondeszendenten »kein Außer« (bzw. abstraktes Außen); cf. dazu mit Bezug auf Jacobi und Hegel B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. III, Frankfurt 1966, 82. Zum Verhältnis Sohn und Welt cf. Marheineke: »Ist Gott, als Vater und Sohn, sich ein Anderer, so wird er sich auch ein Anderes und hiemit ist die Welt erschaffen« (MARHEINEKE, a.a.O. 135 [§ 230]). Zur Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi s. u. Abschnitt F. 1. (S. 484ff). 77 Zur systematischen Auslegung cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 321ff. 78 Das hat die Trinitätslehre wieder aufzunehmen; s. u. § 15 Abschnitte C. und H. 1. (S. 782ff und 832f). Dorner bezieht die Schöpfungslehre ganz in die Trinitätslehre ein (cf. DORNER, Glaubenslehre I [wie oben S. 440 Anm. 17], 456). Schon die »Schmalkaldischen Artikel« Luthers verstehen den dreifaltigen Gott als Subjekt der Schöpfung; cf. BSLK 414,12–15.

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B. Schöpfungslehren 1. Die traditionelle Auffassung nimmt die Schöpfung gleichsam historisch: ausgehend vom »Anfang« und sie in Christus79 bzw. im Eschaton vollendend. Demnach hat Gott die Welt geschaffen, und zwar in der Zeit (Sechs-TageWerk)80 oder mit der Zeit. Für die letzte These steht klassisch Augustin: »Procul dubio, non est mundus factus in tempore, sed cum tempore«.81 In der Ewigkeit gibt es für Augustin keine zeitliche Veränderung, darum ist die Zeit selber etwas Geschaffenes. »Vor« der Zeit gab es also noch keine Zeit. Mit der Welt hat Gott auch die Zeit geschaffen, die anfängt, sowie die Kreatur zu sein beginnt.82 Zeit und Welt wurden mithin, so die logische Folge, zugleich geschaffen: »ante principium temporis non erat tempus. Deus enim fecit et tempora: … mundum quippe fecit Deus, et sic cum ipsa creatura, quam Deus fecit, tempora esse coeperunt«.83 Daraus wiederum folgt: »non ergo possumus dicere fuisse aliquod tempus, quando Deus nondum aliquid fecerat«.84 Augustin stellt daher wegen der Geltung des Unveränderlichkeitsaxioms für die Ewigkeit Gottes85 fest: »nec praeterire potuerunt tempora, antequam faceres tempora«.86 Aber diese Lösung kann nicht überzeugen,87 denn der Übergang von der Ewigkeit in die Zeit bzw. die Rede vom »principium temporis« selber ist auch nur zeitlich, d. h. im Schema des Vorher und Nachher, vorzustellen und auszudrücken.88 79

So auch noch Schleiermacher, der ansonsten die Schöpfung nicht von einem vergangenen Anfang her denkt. 80 Ein Schöpfungshandeln in der Zeit, also einfach zeitlich verlaufend, bestreiten z. B. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 12), 411. 81 De civ. Dei XI 6 (PL 41, 322); weitere Stellen (voraugustinisch) bei PANNENBERG, Systematische Theologie II (wie oben Anm. 69), 53. 82 Daher könne man niemals sagen, dass es irgendeine Zeit gegeben habe, als Gott noch nicht etwas erschaffen hatte, bzw. dass schon Zeit vergangen gewesen sei, bevor er auch die Zeit geschaffen habe. Bei Meister Eckhart steht, um die Gleichursprünglichkeit von Zeit und Welt zu betonen: »non enim fuit tempus, in quo non esset mundus sive quando non esset mundus« (M. Eckhart, LW 3, 181,5f). 83 De Gen. c. Man. I 2,3f (PL 43, 174f). 84 A.a.O. I 2,3 (PL 43, 175); Hervorhebungen J. R. 85 »In aeternitate autem nulla mutatio est« (De civ. Dei XI 6; PL 41, 321); cf. Conf. XI 7,9. 86 Conf. XI 13,15. 87 Dagegen schon D. F. STRAUSS, Die christliche Glaubenslehre, Bd. I, Tübingen/Stuttgart 1840 (Nachdr. Darmstadt 2009), 631ff. 88 Die biblische Formulierung ‫ברשית‬, ἐν ἀρχῇ, in principio (creavit) (Gen 1,1) bringt von den Verfassern wohl nicht geahnte denkerische Probleme mit sich; cf. unten Abschnitt C. (S. 456ff). Daher kann die Frage: Was hat Gott vor der Schöpfung getan? nicht mit verlegener Ironie abgetan werden; cf. Conf. XI 12,14 (und 10,12); ähnlich auch Luther.

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War vor dem Anfang von allem – nichts? Doch was heißt das, wenn Gott der Schöpfer doch schon war? Wie kommt in Gottes Ewigkeit das zeitliche Anfangen der Zeit? Gibt es doch eine Veränderung, ein Beginnen in der Ewigkeit, den Schöpfungsakt? Das Verb »schaffen« scheint unvermeidlich zeithaft gedacht werden zu müssen. Was aber ist ein Anfang, der auch Anfang des zeitlichen Anfangens bzw. des Anfangens der Zeit wäre?89 Von der zeitenthobenen augustinischen Sicht der Schöpfung90 unterscheidet sich bemerkenswerterweise die Luthers: »der allmechtige Gott … hat die welt [nicht] auff ein huy geschaffen,91 sondern zeit und weil dazu genomen und damit umbgangen ist«.92 Für Luther unterscheiden sich mit dem »Anfang« der Schöpfung Gott und geschaffene Welt voneinander, obwohl der ewige Gott zugleich schon ist. Nun beginnt aber für ihn mit der Schöpfung nicht nur – wie alles andere, so auch – die Zeit, sondern folgerichtig behauptet er auch die Schöpfung selber als zeitliches Geschehen. Gottes Schaffen vollzieht sich in der Zeit: »non in momento creavit mundum, sed in tempore«.93 Luther schließt sich dabei einerseits an das Sechs-Tage-Werk der Genesis (Gen 1,1–31) an: Credo quod opera deus fecerit in singulis diebus, non uno momento, sed operando [jeweils] per totum diem, donec compleretur dies. Sicut videbis die sexto [!], sicut adhuc videmus solem ferri per totum diem, non subito [sc. auf einmal] ascendere nec subito cadere … Sicut et videmus herbas, arbores, animantia fructum producere [nicht auf einmal], sed paulatim complere per longum tempus.94

Die zeitlich verlaufenden Prozesse in der geschaffenen Natur dienen hier zur Veranschaulichung des zeithaften Schöpfungshandelns des ewigen Gottes; beides scheint für Luther auch in einem Zusammenhang zu stehen. Aber wie bringt er die Zeitlichkeit des Schöpfungsvorgangs mit Gottes Ewigkeit in Übereinstimmung? Dazu heißt es andererseits – und das hebt den Anschein eines naiven Biblizismus bei Luthers Aussagen entschieden auf –: »Sex dies coram deo et omnia opera sunt [nur ein] momentum, nobis transeunt [sc. in der Zeit], deo 89 Es ist absehbar, dass ein Lösungsversuch in diesen schwierigen Fragen nicht weniger schwierig sein kann, als es die Fragen sind, die zu ihm nötigen. 90 Man könnte fragen: Entspricht der zeitlos die Zeit Setzende nicht analog dem selber unbewegten Beweger des Aristoteles? 91 WA 12, 445,11: »nit … auff ein haw«. Bei Luther ist davon auch die Zeitentstehung betroffen. 92 WA 24, 25,25–27. Cf. dazu J. RINGLEBEN, Lebendige Ewigkeit, in: O. Reinke (Hg.), Ewigkeit? Klärungsversuche aus Natur- und Geisteswissenschaften, Göttingen 2004, 140– 156. 93 WA 14, 99,18f; cf. 24, 25,10f. Zu Augustins »huy«, d. h. einem zeitlosen Schöpfungsakt, der sich in einem Moment vollzieht, cf. Conf. XI 30,40. 94 WA 14, 106,28–33.

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non transeunt«.95 Was für uns zeitlich-sukzessiv abläuft, ist für Gott selber etwas ganz anderes, und das, was wir als auseinanderliegend erfahren, ist bei ihm eins – unbeschadet seines auch zeithaften Handelns.96 In seiner lebendigen Ewigkeit schließen sich Zeitlichkeit und Zeitenthobenheit bzw. Anfang (der Schöpfung) und Ende – α und ω – zur Einheit göttlichen Tuns zusammen: »Deo momentum est omnis creatio, quod a principio creavit et creabit usque in finem«.97 Denn Gott ist auch in seinem zeithaften Handeln ewig mit sich selber eins.98 Das besagt: Das zeitliche Nacheinander in der geschaffenen Welt ist etwas Vorläufiges, das sich in der Ewigkeit Gottes aufhebt.99 In unsern Augen gibt es die Sukzession, weil und solange wir selber in der Zeit sind: »Creaturae succedentes sibi nobis videntur, apud creatorem vero simul sunt«.100 In Gottes Ewigkeit sind die für uns unterschiedenen Dimensionen der Zeit schöpferisch in eins gefasst, bzw. die ewige Lebendigkeit Gottes konstituiert sich eben im Aufheben dieses »Scheins« eines Nacheinanders:101 »Es ist alles vor ihm gegenwertig, quod est, quod fuit et quod futurum est«.102 Diese Synthese der Zeitekstasen lässt sich systematisch so verstehen, dass für Gott in seinem ewigen Sich-Hervorbringen – in der Einheit des futurischen und präsentischen Sinnes von Ex 3,14 – auf lebendige Weise alles »gegenwärtig« ist.103 2. Eine andere schöpfungstheoretische Variante findet im Gedanken der Schöpfung das grundsätzliche Symbol für die Gott-Welt-Beziehung überhaupt. So hat, vermutlich um den eben diskutierten Schwierigkeiten eines zeitbezogenen Schöpfungsverständnisses (1.) zu entgehen, P. Tillich eine dezidiert »ontologische« Deutung dieses Theologumenons vorgeschlagen: »Die Lehre von der Schöpfung ist nicht die Geschichte eines Ereignisses, das irgendwann einmal stattgefunden hat. Sie ist vielmehr die grundlegende 95

WA 14, 117,19. »Coram deo est idem primum momentum et ultimum, est unum coram deo« (a.a.O., Z. 3f). Das bedeutet auch: »vor Gott ist … Adam, der am ersten geschaffen ist, [so gegenwärtig] als der letzt mensch, der da geborn wird werden« (WA 12, 445,2f). 97 WA 14, 117,21f. 98 Cf. WA 12, 445,1f: »vor Got ist der anfang der welt ya so nahet als das ende, tausent jar als eyn tag« mit Ps 90,4. 99 WA 24, 137,17–19: »Es hat wol ytzt einen schein ynn dem leben, das sichs nacheinander zeucht eins, twey, tausend jar, Aber dort ists alles als ein stunde.« 100 WA 14, 117,18f. (Hervorh. J. R.). Luther fügt hinzu: »id quod ratio non capit« (Z. 19; cf. deutsch: Z. 22f). 101 Cf. dazu genauer unten § 9 D. 3. (S. 539ff). 102 WA 14, 117,23f. Cf. auch: »Suum fuisse est semper esse, suum futurum est semper fuisse, suum praesens est semper fuisse et futurum, id est aeternus« (WA 39 II, 255,1f). 103 Cf. »damit umbgangen ist« (oben bei Anm. 92). Zum Zusammenhang zwischen Gottes zeitlichem Handeln in der Schöpfung und seinem ewigen Einssein mit sich cf. Luthers sprachtheologische und ewigkeitstheologische Verdeutlichung unten § 9 D. 3.1. (S. 539f). 96

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Aussage über die Beziehung zwischen Gott und der Welt.«104 Das besagt, es geht um die wesenhafte Beziehung zwischen Gott als dem »Sein-Selbst« und dem endlichen Seienden.105 Dagegen ist theologisch einzuwenden: Nicht nur der Verbalsinn von »Schöpfung« (als Erschaffen) legt ein anderes als dieses an sich selber zeitlose Verständnis prinzipiell nahe. Sondern insofern für die Schöpfung eine Bewegung in Gottes Sein (ein Handeln) konstitutiv ist, die den Unterschied von Schöpfer und Geschöpf (bei Tillich: Seinsgrund und Seiendes) begründet, stellt sich (gegen Tillich) unausweichlich die Frage: Wie kommt es vom Sein-selbst her zur Setzung (Seinlassen) des von ihm qualitativ unterschiedenen endlichen Seienden? Tillichs statische Verhältnisbestimmung ist gedanklich unzureichend, weil sie etwas Faktisches formuliert, ohne dessen Konstitution (Genese) zu reflektieren. 3. Eine besonders einflussreich gewordene Variante fasst den Schöpfungsgedanken theologisch als Ausdruck der subjektiven Selbsterfahrung als Geschöpf, und dies besonders auch, um seine falsche Verobjektivierung als »weltanschauliches« oder (anachronistisches) quasi-naturwissenschaftliches Theorem zu vermeiden. Die klassische Formulierung dieser (korrelativen) Deutung der Schöpfung von der erfahrenen eigenen Geschöpflichkeit her haben wir bei Luther gefunden (s. o. B. 1.), dessen Schöpfungstheologie (zumal in der Auslegung von Gen 1 und 2) aber durchaus nicht darin aufgeht (s. o. 1.); als prominenter Luther-Schüler wäre auch in dieser Hinsicht F. Gogarten zu nennen. Man könnte auch auf Schleiermacher verweisen, bei dem methodisch die Schöpfung ganz von der Erfahrung der Erhaltung her und so als für das fromme Subjekt gegenwartsrelevant verstanden wird.106 Da die vorliegende Gotteslehre zwar von der grundlegenden Korrelation von Glaube und Gott ausgeht,107 kann sie dieser Deutung des Schöpfungsglaubens eine wichtige theologische Einsicht abgewinnen (3.1.); aber da sie zugleich deren spekulatives Begreifen für unverzichtbar erachtet, muss sie auch an ihr ebenfalls theologische Kritik äußern (3.2.). 3.1. Wenn der Schöpfungsglaube zweifellos bedeutet, Gott (im Glauben) als den eigenen Grund zu erfahren und sein zu lassen,108 so besteht er darin, ihn als solchen zu erkennen.109 Im Glauben an den Schöpfer wird mithin Gott an (aus) seinen Wirkungen erkannt, und dies nicht im Sinne von: ihn als einen

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P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 291. Cf. zu »Beziehung« als einer solchen ontologischen Kategorie a.a.O. 311f. Tillich will sie, was »Schöpfung« angeht, in allen drei Zeitmodi »symbolisieren« (a.a.O. 291). 106 Cf. SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. I, §§ 36–38. 107 S. o. Prolegomena § 4 (S. 60ff). 108 Man könnte auch von der Ehrfurcht gegenüber Gottes Herrsein sprechen. 109 Das berührt sich mit dem oben zur Theologie als »habitus practicus« Gesagten; siehe Prolegomena, § 3 D. 3. (S. 52 bei Anm. 76). 105

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von seiner Wirkung Unterschiedenen. Mit seiner Wirkung an uns ist er so da, wie und als was er (für uns) ist. Das besagt: Indem ich im Glauben Gott »erkenne«, gründe ich mich in ihm, ist er als mein Grund (und der meines Glaubens),110 ist er für mich mein Schöpfer. Bedeutet das nun genauer: a) zu erkennen, dass er mich immer schon geschaffen hat, d. h., handelt es sich bloß um eine subjektive Einsicht in mein stets schon Geschaffensein? Oder geht es b) auch darum, dass diese Erkenntnis (in irgendeinem Sinne) zugleich mein aktuelles Geschaffenwerden ist, sofern es die unmittelbare Kontinuität meines Seins für mich unterbricht? Sollte dies Zweite (b) gelten, so müsste es einschließen oder daraus folgen: Indem er mich jetzt erschafft, hat Gott mich immer schon geschaffen. Der aktuelle Schöpfungsglaube qualifiziert mich rückwärts neu.111 Indem ich Gott als meinen Schöpfer und Herrn erkenne, erfahre ich ihn zugleich als solchen (bzw. finde meinen Grund in ihm), d. h. erkenne ihn als den an mir sich wirksam Erweisenden und sich mir Erschließenden, Offenbarenden. Denn die Erkenntnis von Gott muss sich als von Gott erwirkt verstehen: als Kommen Gottes zu mir.112 Daraus wiederum folgt: Wenn meine Erkenntnis Gottes im Glauben als meines Schöpfers Gottes eigene Herrschaft, d. h. sein wirkliches Sein bei mir ist, ist in solcher Erkenntnis (nicht einfach: als sie) Gottes lebendiges Sein da. Der Glaube hat etwas mit Gottes Selbstvollzug zu tun. Darum ist meine glaubende Gotteserkenntnis – und spezifisch die seiner als des Schöpfers – ein Moment von Gottes sich hervorbringendem und selbst vollziehendem Sein. Gottes sich bei mir bzw. am Ort des Glaubens Hervorbringen ist ein Moment in seinem lebendigen Sein als ständigem Sich-Hervorbringen. Gleichwohl wird gerade so der Unterschied von Schöpfer und Geschöpf, von meiner anfangenden Gotteserkenntnis und Gottes ewiger Selbstvollendung begründet! 3.2. Wird freilich der Schöpfungsglaube einseitig oder gar ausschließlich als subjektive Deutung der eigenen Geschöpflichkeit verstanden, so bleibt gewöhnlich die theologische Sachfrage unterbelichtet oder sogar programmatisch ausgeblendet, die auf Gottes eigenes Handeln beim Zustandekommen solcher Erfahrung oder solchen Selbstverständnisses und deren Identifikation bzw. ihre Begründung zielt. Diese selber aber ist ohne einen solchen Bezug auf Gott selber nicht zu verifizieren, denn es handelt sich eben nicht um eine bloß subjektive »Selbstdeutung«, zumal der Gottesgedanke selber (christlich) den Schöpfungsgedanken wesentlich impliziert, also den Begriff der (eigenen) Geschöpflichkeit überhaupt erst gehaltvoll macht. Hier droht, abgesehen von der Wahrheitsfrage, eine Ungeschichtlichkeit und schlechte Individua110

Cf. zu Luthers Auslegung des 3. Artikels oben Prolegomena, § 4, 3. (S. 67ff). Cf. insbesondere 2Kor 4,6! Dazu s. u. S. 491. Man könnte so auch das »währet ewig« (Ps 118,2b.3b.4b: leʿolam) aktuell verstehen. 112 S. o. Prolegomena, § 2 A. (S. 17ff). 111

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lisierung des Schöpfungsglaubens, zumal die »subjektive« Interpretation von Schöpfung oft aus metaphysik-kritischen Gründen oder in personalistischexistenzphilosophischer Perspektive vorgetragen wird; dadurch aber gewinnt die Theologie der Schöpfung einen überwiegend appellativen Zuschnitt.113 Demgegenüber ist hier festzuhalten: Der Schöpfungs- und der Schöpferglaube sind notwendig als korrelativ zu begreifen und somit in beiden Hinsichten theologisch auszuarbeiten, wobei dem Letzteren sachlich die Priorität zukommt.114 Denn die Erfahrung der eigenen Geschöpflichkeit ist wesentlich das Bewusstsein grundlegenden eigenen Bestimmtseins durch den Schöpfer; sie impliziert mithin entscheidende Annahmen über den Schöpfer selber. Geschaffensein als solches ohne den Schaffenden denken zu wollen, ist ein Widerspruch in sich. 4. Der spekulative Ansatz schließlich hat von der Sache her im Rahmen dieser Gotteslehre entschieden den Vorrang.115 Es kann für das theologische Verständnis des Begriffs »Schöpfung« nicht belanglos sein, welchem Gottesbegriff er systematisch zugeordnet wird. Denn die Frage, wie sich Gott selber zur Schöpfung verhält: ihrem Vollzug (als Erschaffen), ihrer Verfasstheit und ihrem theologischen Sinn (bis hin zu Menschwerdung und Eschatologie), ist für das Verstehen der Schöpfung essenziell, mithin unabdingbar.116 In welchem Sinne und woraufhin ist Gott von sich her der Schaffende? – das ist die grundlegende Frage, die in unserem Denkzusammenhang voranzustehen hat, und es ist klarerweise eine in die spekulative Theologie gehörende Frage.117 4.1. Der spekulativ-theologische Zugang zur Schöpfungslehre als Lehre von Gott als dem Schaffenden ermöglicht seinerseits auch, Wahrheitsmomente der bisher vorgestellten Schöpfungslehren auszumachen und kritisch zu integrieren. So liegt die Wahrheit des »historischen« Verständnisses (exemplarisch s. o. 1.: Augustin und Luther), abgesehen von seiner biblischen Orientierung, 113

Dazu P. Valéry: »Als ich sagte, daß wir wissen möchten, was Gott außerhalb seiner schöpferischen Funktion tut, meinte ich folgendes: es wäre nötig, Gott, d. h. unsere Vorstellung von Gott zu überprüfen, um herauszufinden, ob diese Vorstellung etwas anderes ist als eine verhüllte Komplementärantwort unserer Sensibilität …« (VALÉRY, Cahiers/ Hefte II [wie oben Anm. 26], 583). 114 Darum folgt hier die spekulative Interpretation (4.); cf. auch unten Abschnitte C. und D. (S. 456ff.465ff). 115 Cf. Hegel (gegen Leibniz): »Der Ausdruck Schöpfung ist … aus der Religion bekannt; aber es ist ein leeres Wort, aus der Vorstellung aufgenommen: um ein Gedanke zu sein, philosophische Bedeutung zu haben, muß er noch viel näher bestimmt werden« (HEGEL, Werke 20, 240). 116 Der übliche Verweis auf Gottes »Freiheit« ist so lange unzureichend, als seine metaphysischen Implikationen, Gottes internes Sein betreffend, nicht expliziert werden. 117 Das betrifft z. B. wichtige Sachfragen wie die nach dem »Anfang« der Schöpfung (s. u. Abschnitt C. [S. 456ff]) oder die nach dem Verhältnis Gottes zum Nichts bei der creatio ex nihilo (s. u. Abschnitt D. [S. 465ff]).

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im Festhalten des Prozesscharakters der Schöpfung.118 Spekulativ ist in dieser Hinsicht davon auszugehen: Gott fängt absolut an – mit sich selber. Bei der »ontologischen« Interpretation (s. o. 2.), liegt ein gewisses Wahrheitsmoment darin, dass es nicht einfach um ein einmaliges und »objektives« Faktum geht, wenn von Schöpfung die Rede ist, sondern dass, was Gott tut, Ausdruck seines ewigen Seins ist.119 Spekulativ ist demnach davon auszugehen: Gottes ganzes Sein ist in diesem seinen Handeln. Die Wahrheit der »subjektiven« Auffassung (s. o. 3., kritisch 3.2.) ist: Der Glaube an den Schöpfer ist notwendiges Korrelat von Schöpfungsaussagen. Indem so der Schöpfungsglaube als konstruktiver Akt des Umgangs mit sich selber begriffen werden kann (s. o. 3.1.), wird die Schöpfung aktuell. Die spekulative Weiterführung wird hier in engem Anschluss an Luthers diesbezügliche Einsichten zum Verhältnis von Zeit und Ewigkeit vorgenommen (s. o. S. 450f). 4.2. Für die dogmatische Gotteslehre ist – im Weiterdenken von § 2 – der spekulative Grundgedanke in Folgendem zu suchen: Indem Gott sich selbst setzt (a se), setzt er qua Selbstunterscheidung auch das, was er nicht ist.120 Indem er sich aber absolut setzt (bzw. als Gott hervorbringt), hebt er diese Entäußerung zugleich auch wieder auf, d. h., er wiederholt sich in dem, was nicht er ist: als in seinem eigenen Anderen.121 Die geschaffene Welt (inkl. ihrer Zeitlichkeit) ist als das eigene Andere Gottes, sofern er sich darin außer sich wiederholt und bei sich ist,122 und als sein eigenes Anderes, sofern sie definitiv Nicht-Gott bleibt.123 Die Beziehung Gottes zur Welt ist ein Verhältnis von wesentlicher Differenz und wesentlicher Relation zugleich, und dies als Prozess göttlicher Selbstidentifikation. Gott hat die Welt (und entsprechend ihre Zeitlichkeit) bei sich und in sich als Medium, d. h. qualitativ von ihm unterschiedenen Ort, seiner Selbstverwirklichung: »Deus … mundo infusus fabricat, ubique positus fabricat«.124

118 Problematisch ist dabei die Frage nach dem Anfang bzw. wie man – will man nicht die »Ewigkeit« der Welt behaupten – hier einen infiniten Regress vermeiden kann. 119 Als Problem zeigte sich, dass hierbei die Gott-Welt-Beziehung doch als faktisch aufgefasst wird. 120 Cf. Anselm von Canterbury: »tu, tibi omnino sufficiens, nullo indigens, quo omnia indigent ut sint, et ut bene sint« (Prosl. 22 = Op. omn. 1, p. 117). Das Kapitel beginnt: »Tu solus … es quod es, et tu es qui es« (a.a.O., p. 116; cf. Ex 3,14). 121 Cf. R. Rothe: »Gott wäre so in seinem Anderen, in dem Nicht-Gott, schlechthin bei sich selbst, er hätte in ihm als seinem Anderen schlechthin sein eigenes Sein, – in ihrem ungeschmälerten Unterschiede« (ROTHE, Theologische Ethik I [wie oben Anm. 70], 158 [§ 40]). Er hat auch in solchem Anderen »sein eigenes Leben« (ebd.). 122 Darum das »erant valde bona« (Gen 1,31). 123 Sie ist lediglich ein entferntes, kreatürliches Abbild Gottes, aber doch vergänglicher Ort seines unvergänglichen Lebens. 124 Augustin, Tract. ev. Ioan. II 1,10 (PL 35, 1393) zu Joh 1,10.

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Gott erschafft die Welt aus sich,125 und Gott erzeugt sich (auch) aus der Welt: Sein Sich-selber-Setzen ist auch sein Sich-Unterscheiden und SichAbstoßen von der Welt, die eodem actu »ist«.126 Die geschaffene Welt ist zu Gott gehörig als vergängliches Medium seines Sich-Verselbständigens in ihr – aus ihr. Im Erschaffen der Welt bringt Gott sich selber hervor, im Setzen des Zeitlichen setzt er seine Ewigkeit.

C. Das Problem des Anfangs Es war die erste Nacht, aber eine Reihe von Jahrhunderten war ihr vorausgegangen.127

Die Grundfrage dieses Abschnitts, die sich einer um spekulatives Begreifen bemühten Lehre von Gott als dem Schaffenden ergibt, hat F. H. Jacobi 1801 prägnant formuliert: »Wie kann aus dem Ewigen ein Anfang kommen?«128 Grundsätzlich formuliert: Wie verhält sich Gottes ewiges Sein zur Zeitlichkeit der geschaffenen Welt bzw. wie die Macht seines unzerstörbaren Lebens

125

Was keine »Emanation« bedeutet; s. u. Abschnitt D. (S. 465ff). Pannenberg hat bezüglich der in Gottes Freiheit begründeten »Kontingenz« der Welt ein Dilemma beschrieben: »Daher beruht die Vorstellung, Gott hätte die Erschaffung der Welt auch unterlassen können, auf einer Abstraktion von der faktischen Selbstbestimmung Gottes, die in der Ewigkeit seines Wesens begründet sein muß und also nicht als der konkreten Wirklichkeit Gottes äußerlich gedacht werden kann. Dennoch muß auch von Gott her der Ursprung der Welt als kontingent, weil aus der Freiheit des einen Gottes in seinem trinitarischen Leben entspringend gedacht werden« (PANNENBERG, Systematische Theologie II [wie oben Anm. 69], 23; Hervorhebungen J. R.; cf. auch 35). Das Problem daran ist, wie hier Gott selber gedacht wird, denn die Formulierung »von Gott her« ist doppeldeutig. Die von mir vorgeschlagene Lösung des Dilemmas besagt: Das Unterscheiden von kontingentem Geschöpf und ewigem Schöpfer, das der Glaube vollzieht, ist oder »entspricht« Gottes eigener Selbstunterscheidung als Selbstsetzung. 127 Talmud-Anthologie, hg. von R. Cansinos-Asséns, zitiert nach J. L. BORGES, Das Eine und die Vielen, München 1966, 127; cf. PH. H. GROSSE, Omphalos. London 1857. 128 JACOBI, Werke 3, 241. Noch grundsätzlicher ist die allgemeine Bestreitung eines Anfangs der Welt (und ihres Untergangs) überhaupt, gegen die sich Hegel kritisch wendet (HEGEL, Werke 5, 109f). Bei dieser Leugnung eines Anfangs spielt bezeichnenderweise ebendas Argument wieder eine Rolle, das schon bei der Diskussion der Möglichkeit einer causa sui vorkommt (s. o. § 2 C. 2. [S. 208 Anm. 268]) und das Hegel so referiert: »Es kann nichts anfangen, weder insofern etwas ist, noch insofern es nicht ist; denn insofern es ist, fängt es nicht erst an; insofern es aber nicht ist, fängt es auch nicht an« (a.a.O. 110). Hier dient das Dilemma dazu, formallogisch ein Anfangen der Welt aus dem Nichts zu bestreiten. 126

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(Hebr 7,16: δύναµις ξωῆς ἀκαταλύτου) zur vom Nichts bestimmten Abfolge der Zeit? Heißt es: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1), so bekommt es der Schöpfungsgedanke entschieden mit der Zeitproblematik zu tun.129 Damit werden auch der Prozesscharakter der Schöpfung und ihre unvordenkliche Kontingenz oder Faktizität betont: Weil sie einen Anfang hat, ist die Welt nicht-ewig (wie Gott selber ewig ist). Aber droht hier nicht ein endloser Regress: Was war »vor« dem Anfang – eine Zeit vor der Zeit? 1. Zunächst gilt wohl, so prinzipiell wie nur denkbar: »Anfangen« ist ein Gottesprädikat:130 »›Im Anfang‹ (Gen 1,1), nämlich ursprungshaft, ist Gott Schöpfer«, d. h. für Anderes außer ihm offen.131 Indes beschreibt das ebendas gedankliche Problem, das uns hier zu beschäftigen hat. Heißt »ursprungshaft« nur: immer schon und ohne dass wir dahinter zurückfragen könnten oder dürften?132 Zu Recht betonen R. Feldmeier/H. Spieckermann zwar, die Frage nach der Schöpfung sei nicht nur »die Frage nach dem Ursprung unseres Daseins«,133 sondern viel umfassender die Frage nach dem unsern Lebensweg wie auch den Weg alles Wirklichkeitsgeschehens ebenso begründenden wie auch begleitend tragenden (und vor allem auch mitgehenden) Sinn und Ziel des individuellen Ganzen und des Ganzen über-

129

Cf. I. WILLI-PLEIN, Am Anfang einer Geschichte der Zeit, ThZ 53 (1997), 152–164. S. u. das kleine »kabbalistische Nachspiel« 2.7. (S. 464f). 131 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 254. 132 Die Sinnfrage kann übrigens nur religiös beantwortet werden, d. h. mit Verweis auf das Geheimnis des lebendigen Gottes. Denn jede inhaltliche Bestimmung eines definitiven Lebenssinnes wäre als solche Festlegung eo ipso schon wieder überschritten. Cf. L. Wittgenstein: »Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems. (Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand)« (L. WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus, 6.521). 133 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 253 (Hervorh. J. R.). Für unsere Selbsterfahrung ist es nicht unwesentlich, dass wir aus dem Dunkel kommen und in ein Dunkel gehen, das kein Mensch von sich aus durchdringen kann. Insofern können wir kein erfülltes Bewusstsein von unserm Anfang und vom Ende unserer selbst haben oder sein. Wenn aber E. Husserl das damit begründet, dass das Bewusstsein die Zeit ursprünglich konstituiert, so hat H. Blumenberg zu Recht eingewandt, so werde die »Idee der Endlichkeit als der elementaren Bestimmung dieses Bewußtseins« ausgeschlossen (BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen [wie oben Anm. 60], 799). Auch die Zeit muss als von Gott geschaffen begriffen werden; daher erschließt sich unsere Endlichkeit nicht transzendental-philosophischer (bzw. -phänomenologischer) Reflexion, sondern in der leibhaften Erfahrung von der eigenen Geschöpflichkeit. Cf. auch Blumenbergs Feststellung: »Ein ›reines Ich‹, in welcher Art der Existenz auch immer, … wäre allein mit sich« (a.a.O. 802). 130

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haupt, d. h. die Frage nach unserer Teilhabe am Leben Gottes.134 Der Schöpfungsglaube artikuliert die fundamentale Überzeugung, dass »das All aus ihm [sc. Gott] ist und wir auf ihn hin« (1Kor 8,6; Röm 11,36).135 Oder hängt die Bestimmung »ursprungshaft« letztlich damit zusammen, dass Gott zugleich sein eigener Ursprung (causa sui) ist? In diesem Fall ist Gott als der Schaffende nur zu begreifen, indem er auch als der Sich-Hervorbringende gedacht wird bzw. nur daraufhin (ohne dass beides einfach zusammenfiele!). Die Aporie der Schöpfungsaussage: »Am Anfang« (zwischen Zeit und Ewigkeit), die eine Unhintergehbarkeit markieren soll, ist offensichtlich nur aufzuklären, wenn das eigene Anfänglichsein Gottes selber thematisiert und begriffen wird. 2. Die spekulative Entwicklung des Gedankens von Gott als dem Schaffenden soll nun in sechs Schritten vorgenommen werden, die – von vorläufigen Betrachtungen ausgehend (2.1. und 2.2.) – zum begrifflichen Kern der Sache vorzudringen versuchen (2.3.–2.6.). 2.1. Die überlieferte Rede: »Am Anfang« – »Gott« markiert den Einstieg in das Thema als ein Zurückgehen. »Am Anfang« überholt alles Gegenwärtige und Vergangene radikal.136 Aber solches Zurückgehen findet im Anfang schon den, der auch jetzt gegenwärtig und bekannt ist, wieder; d. h. dieser Rekurs auf den, der die Gegenwart und uranfängliche Vergangenheit schlechthin übergreift, also den, der jetzt ist und zugleich unvordenklich immer schon.137 »Im Anfang« besagt: Vor der Welt war und ist schon Gott.138 Damit ist – zunächst weniger als ein zeitliches Voraus – prinzipiell festgehalten, dass Gott das logische Prius der Welt ist,139 und so entspricht es (als kein primär zeitliches Prius)140 seinem Sich-Hervorbringen. Auch aus unmittelbar religiösen Gründen, nämlich wegen der Korrelation von Gott und Glaube, gilt: Die schöpfungsspezifische Semantik von »Am Anfang« verweist nicht so sehr auf ein zeitliches Vorher, sondern bietet dem Menschen eine Orientierung darüber an, »wie er seine Wirklichkeit von Gott her verstehen kann«.141 So wird 134 Cf. den Verweis auf den Doppelsinn von ἀρχή: als Anfang und Herrschaft; ähnlich hebr. ‫( רשית‬FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 253 Anm. 2). A.a.O. 259: »was Grund, Inhalt und Ziel des Lebens sein soll«, nochmals: 267. 135 So a.a.O. 253; cf. 266f (mit Hinweis auf Luthers Auslegung des 1. Artikels im Kleinen Katechismus, BSLK 510f; s. o. S. 437 bei Anm. 2). 136 Cf. oben S. 442 vor Anm. 33 die Formulierung von der »großen Unterbrechung«. 137 »Anfang« steht mithin für so etwas wie Vor-Vergangenheit. 138 Cf. das entsprechende ἦν (Joh 1,1) und dazu J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 14 und (vom Schöpfungsmittler) Joh 17,5. 139 DORNER, Glaubenslehre I (wie oben S. 440 Anm. 17), 462. 140 Dazu Meister Eckhart: »quod deus non potuit mundum prius creare, quia ante mundum et tempus non fuit prius« (M. Eckhart, In Joh., nr. 214, in: ders., LW 3, 180,5f). 141 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 253. Dieser Gesichtspunkt wird insbesondere eschatologisch relevant werden; s. u. F. 6. (S. 505ff).

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die vergangenheitsorientierte Redeweise zum zeitlichen Repräsentanten des Von-woandersher-Seins des Geschöpfes bzw. dafür, dass es nicht aus sich selber ist. Gilt schon allgemein: Jede Gegenwart stellt sich ihre Vergangenheit bei, so bedeutet das im vorliegenden Falle: Gott schafft nicht »am« Anfang, d. h. in der Zeit, sondern er schafft erst »den Anfang«, d. h. die Vergangenheit – in einem Akt des Sich-Vorauslaufens bzw. Sich-etwas-Voraussetzens (s. u. 2.6.).142 2.2. Darin ist die für alles Folgende grundlegende Einsicht enthalten. »Anfang« bezeichnet logisch ein Sich-Entzweiendes,143 nämlich, absolut genommen, die Entzweiung von Zeit und Ewigkeit, bei der die Ewigkeit sich die Zeit (zeithaft) voraussetzt und die Zeitlichkeit sich von der Ewigkeit unterscheidet (um auf sie zuzulaufen). Dem ist der Unterschied von »vorher« und »nachher« als Folgephänomen (logisch) nachgeordnet. Es gilt also voneinander zu unterscheiden: einen Anfang zu haben (wie allem zeitlich-geschöpflich Seienden zukommt) und anfangend (anfänglich) zu sein (so der ewig lebendige Gott; s. u. 2.3.).144 Gott hat nicht, sondern ist selber der absolut Anfangende (ewig mit sich und zeithaft mit der Welt).145 Das ist genauer von Schelling formuliert worden: Gott »hat nur insofern keinen Anfang, als er keinen Anfang seines Anfangs hat. Der Anfang in ihm ist ewiger Anfang, d. h. ein solcher, der von aller Ewigkeit her Anfang war, und noch immer ist, und auch nie aufhört Anfang zu seyn.«146 Er ist als der absolut mitgehende und so auf sich zulaufende Anfang.147 142

Dies ist die entscheidende Korrektur an Augustins Gedanken von der Zeit als (mit-) geschaffen (s. o. B. 1. [S. 449ff]). 143 Das habe ich für Mk 1,1 und Joh 1,1 exegetisch nachgewiesen; cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 77), 10–13, und DERS., Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 138), 15. Mythisch erscheint solches Entzweiungsgeschehen als »Chaos« (das Gähnende, Klaffende) z. B. bei Hesiod (Theog. 116) oder als Tohuwabohu (Gen 1,2a). 144 M. Theunissen unterstreicht demgemäß die »Tatsache, daß unter den Bedingungen der Endlichkeit kein Anfang schon aus sich selbst begründet, also eigentlich gar kein Anfang sein kann« (M. THEUNISSEN, Dialektik der Endlichkeit, in: A. Jubara/D. Benseler [Hgg.], Dialektik und Differenz [FS Milan Prucha], Wiesbaden 2001, 35–71, hier 65). 145 Er ist das Alpha schlechthin und dies daraufhin, ja sogar von daher, dass er das Omega ist (Apc 1,8 u. ö.; s. o. § 1 D. 5.1. [S. 134f]). Es geht nach Hegel darum aufzuzeigen, »daß etwas von sich selbst anfange, oder vielmehr …, daß das Unendliche ebenso von einem Anderen als darin nur von sich selbst ausgehe« (HEGEL, Werke 17, 435; Hervorh. J. R.). 146 SCHELLING, Die Weltalter (1813), in: ders., SW I/8, 225 (= Nachdr. 31); zitiert bei ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 70), 142 Fn. *. 147 Zur genauen logischen Darlegung vom »Anfang« als einem sich rückwärts konstituierenden Grund cf. (zu Hegel) bei IBER, Metaphysik als absolute Relationalität (wie oben Anm. 71), 489f (Die Konstitution des Grundes als in sich umgewendete Reflexionsbewegung).

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Von daher muss die Zeithaftigkeit des Verbs »schaffen« begriffen werden,148 und die Wendung »Gott schuf« bezeichnet als Frage nach dem Woher von allem die Frage nach dessen Anfang im Absoluten als dem ewig Anfänglichen selbst. Die Frage nach dem »Anfang« impliziert auch die Frage nach dem Anfang der Zeit; d. h., der Anfang ist auch Anfang des Anfangens der Zeit im ewigen Mit-sich-Anfangen Gottes. Er ist absoluter Anfang und mithin er selbst und relativer (zeithafter) Anfang. Hierbei darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Erschaffung der Zeit (d. h. Gottes Sich-Voraussetzen der Zeitlichkeit) Ursprung der Bedingung ist, unter der allein wir nach einem Ursprung (und Anfang) überhaupt fragen können und müssen: Gottes Selbstwiederholung und -voraussetzung.149 Der zeitliche Anfang ist das menschlich-subjektive Schema des absoluten Ursprungs. Wie dem Anfang der Zeit immer schon etwas vorausgehend vorgestellt wird (werden muss), obwohl »vor ihr« nur ein merissimum nihil zu sein scheint, so auch dem mit sich Anfangen Gottes scheinbar ein leeres Nichts (als er »noch nicht« war).150 Ein Jenseits des Anfangs151 erscheint vorstellungsmäßig als »Nichts«.152 In Wahrheit ist es aber der ewige Gott als causa sui.153 2.3. Hat also Gott »einmal« (das hieße: in der Zeit) zu schaffen angefangen? Die spekulativ gedachte Antwort lautet: Gott fängt mit sich selber an und ist als solcher ewig. Der lebendige Gott ist (als sich selbst Hervorbringender) sein eigenes Vorher, d. h., indem er sich setzt, ist er schon immer.154 Welt hingegen ist alles, was nicht aus sich, sondern aus einem Anderen, aus Gott, ist. Sie hat (als geschaffene) ein fremdes »Vorher«, aber dies nur im absoluten Sinne, d. h. als die Ewigkeit.155 Damit ist gesagt: Die Welt hat nicht ein relatives Vorher in Gott, so dass Schöpfung ein zeitliches Ereignis im Verlauf des göttlichen Lebens wäre (sozusagen »irgendwann einmal«). Vielmehr ist Gottes Sich-Unterscheiden von der Schöpfung streng identisch mit ihrem Zeitlichwerden bzw. Zeitlich-gemacht-Werden. 148 Gegen eine falsche zeitliche Vorstellung vom Erschaffen cf. schon Platon, Tim. 37e 3–38a 2. 149 In diesem Sinne lässt sich Meister Eckharts Satz über die Gegenwart in Gott aufnehmen: »Unde deus nec mundum creasset, nisi creasse esset creare« (M. Eckhart, In Joh., nr. 582, in: ders., LW 3, 510,2f; mit Bezug auf Ps 2,7), so dass sein creare auch sein creasse ist. 150 Cf. dazu schon § 2 D. 4.1. (oben S. 218ff). 151 Zur Schwierigkeit, »hinter« (bzw. vor) den Anfang zurückzugehen, cf. FELDMEIER/ SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 255. 152 Dazu siehe genauer unten Abschnitt D. (S. 465ff). 153 In der Vorstellung steht das Nichts für das, was in Wahrheit die Entzweiung (von Ewigkeit und Zeit) ist, die nur gedacht werden kann, nicht aber in einem (rein zeitlichen) Schema zu erfassen ist. 154 S. u. das Pascal-Zitat S. 464 (bei Anm. 177). 155 Zum Verhältnis Zeit und Ewigkeit siehe ausführlich unten § 9.

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Indem Gott sich selber hervorbringt, macht er ständig die Schöpfung zu einem für ihn (logisch) Vergangenen, und zugleich ist er ihr immer auch »ewig« voraus. Sie wird ständig zu einer Episode seiner Ewigkeit transformiert:156 Gott hat die Schöpfung immer schon überholt, so dass sie aus ihm, der selber Anfang und Ende für sich und für sie ist (A und Ω), ihren zeithaften Anfang empfängt. Das bedeutet, sie hat erst (dann) und nur dann einen Anfang, wenn und weil Gott schon jenseits ihrer ist, d. h. wenn sie bereits überholt und »zu Ende« ist (cf. 1Kor 7,31b). Insofern liegt der Anfang der Schöpfung bei ihrem Ende: bei Gott.157 Der absolute Anfang der Schöpfung ist nicht »hinter« ihr, in der Vergangenheit, sondern vor ihr: in Gott als ihrer Zukunft. 2.4. Gottes Schaffen ist als der einzige zeithafte Vorgang zu begreifen,158 der keinen rein zeitlichen Anfang hat, weil Gott selber darin sich selbst setzt. Nur unter Absehen von Gottes Sich-Hervorbringen (im Welt-Erschaffen) allein gibt es die leere Vorstellung eines »Vorher« (zeitlich vor der Schöpfung). Der wirkliche »Anfang« des zeithaften Schaffens ist die Ewigkeit (des kommenden Gottes); denn indem Gott ein absolut sich selbst hervorbringender Anfang ist, ist sein Sich-Setzen das Sich-Entzweien von Zeit und Ewigkeit, d. h. zeithaftes Anfangen und ewiges Bei-sich-Sein. Gott als Subjekt seines Schaffens »überholt« die Zeitlichkeit des Schaffens und des Geschaffenen ewig. 2.5. Der »mitgehende« Gott fängt immer (neu) an zu schaffen, aber weil er darin sich selber setzt (überhaupt und als Schöpfer), so ist er immer schon Schöpfer gewesen; d. h., es ist keine Zeit vorstellbar, wo er nicht Schöpfer »war«.159 Als im Werden zu sich begriffen, schließt Gott eine eigene Zeit in sich: Gottes Zeit, die eins ist in der Ewigkeit.160 Gottes eigene »Zeitlichkeit« liegt im Werden zu sich; das aber hebt gerade das Nacheinander der gewöhnlichen, geschaffenen Zeit auf: als Gehen in zwei Richtungen zugleich (d. h. die Entzweiung in Aus-sich-heraus und Rückkehr zu sich, ewigem Bei-sich-Sein).161 156

Siehe die vorige Anmerkung. Cf. Pannenberg, nach dem es gilt, »das Eschaton als den schöpferischen Ursprung des Weltprozesses überhaupt zu denken« (PANNENBERG, Systematische Theologie II [wie oben S. 447 Anm. 69], 171). Cf. auch unten 2.6. 158 Cf. die exklusive Schöpfungsvokabel (hebr.) ‫ ;ברא‬dazu s. u. Anm. 209. 159 Zur sog. Ewigkeit der Welt s. u. F. 5. (S. 502ff). 160 Heißt es bei Marheineke: »Gott ist das Negative alles Werdens und Gewordenseyns oder Daseyns« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 136 [§ 231]), so darf dabei nicht an ein beziehungsloses Gegenteil gedacht werden, sondern an ein lebendiges Sich-Abstoßen von … als Werden zu sich. 161 Hegel redet vom »Gegenstoß der Bewegung …, die vorwärtsgeht und ebenso zurückstößt« (HEGEL, Werke 16, 70; cf. 111: »dass dasjenige, was als das Letzte, als im Vorhergehenden begründet erscheint, vielmehr als das Erste, als der Grund erscheint«). 157

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Es ist eine Zeit ohne zerstörerisches Nacheinander (Vergänglichkeit) und Auseinander, mithin ein Aus-sich-Herausgehen als Bei-sich-Bleiben – Ewigkeit.162 2.6. Schöpfung bedeutet: Gott gibt einem Anderen (nicht neben oder [räumlich] außer sich, sondern) im zeitlichen Sinne vor sich Wirklichkeit, lässt es sich vorher und so auf sich (d. h. ihn) zu sein. Das ist zum einen ein voraussetzungsloser Akt163 seiner göttlichen Freiheit. Denn ein »wirklicher Anfang kann nur von absoluter Freiheit kommen«.164 Diese Freiheit ist die Gott auszeichnende, absolute Selbstbestimmung, denn »nichts außer Gott bestimmt Gott zur Schöpfung, er bestimmt [sc. auch dabei] lediglich sich selbst«.165 Zum anderen handelt es sich dabei um einen unverfügbaren Akt göttlicher Liebe.166 Eben dass Gott der Welt vor sich her (im zeitlichen Sinne) Dasein gewährt, ermöglicht ihre (relative) Selbständigkeit gegenüber dem Schöpfer und die Wiedervereinigung mit ihm167 und ist somit Manifestation seiner Liebe zum Geschaffenen.168 Dessen konstitutiver logos ist Gottes Bei-sichSein im Anderen seiner selbst: »Die Liebe …, der göttlichen Intelligenz und Macht immanent, hat ihre absolute Logik oder Vernünftigkeit in sich. Sie ist

Diese Dialektik hat die Bestimmung, »zum Pulse der Lebendigkeit, zum Triebe, Bewegung, Unruhe des geistigen wie des natürlichen Lebens zu dienen« (64). 162 Cf. dazu BARTH, KD II/1, 688–692 (§ 31.3.); diese Ausführungen bleiben allerdings – ähnlich wie die über Gottes »Räumlichkeit« (a.a.O. 523ff und 527ff) – vorstellungsmäßigem Denken verhaftet, weil der Gedanke des »Werdens zu sich« nicht ins Spiel gebracht wird. 163 Zum θεὸς δηµιουργῶν, der vorher nicht Seiendes µετὰ λόγου voraussetzungslos hervorbringt, cf. Platon, Soph. 265c, und die Diskussion der Stelle bei H. MEINHARDT, Der Sophist. Griechisch-Deutsch, RUB 6339, Stuttgart 1990, 251 Anm. 222: cf. 242 Anm. 175. 164 F. W. J. SCHELLING, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, hg. von M. Schröter, München 21979, 75. 165 DORNER, Glaubenslehre I (wie oben S. 440 Anm. 17), 462f. Nach Schelling kann »der schlechthin erste Anfang nur im sich-Wollen Gottes liegen« (SCHELLING, SW I/8, 224 (= Nachdr. 30). 166 »Daß die Welt aus Gottes selbstbewußter weiser Liebe abzuleiten« ist, ist die einzig sinnvolle Annahme bezüglich ihres Ursprungs (DORNER, a.a.O., 462; cf. auch § 33,3.). 167 Die Selbständigkeit der Menschengeschöpfe entspricht der Selbständigkeit der 2. Person der Trinität Gott dem Vater gegenüber, die sie als der Menschensohn hat. 168 Nach Marheineke »ist Gottes Gedanke die Macht aller Dinge«. Das bedeutet: »Er selbst bedürfnißlos und sich selbst genug, und also auch keiner Welt bedürftig läßt sie hervorgehen aus seiner freien Liebe und thut sich darin selbst genug, weil er nur darin sich selbst genug ist. Gottes freie Liebe ist der Welt Nothwendigkeit. Diese göttliche Liebe, als das Prinzip der Welt oder der Einheit der Natur und des Bewußtseyns, ist das Göttliche der Natur und des Bewußtseyns und die beide erschaffende Macht …« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 141 [§ 241]).

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Princip eines real Anderen als Gott ist, und zwar in einer [sc. aus Gründen lebendiger Liebe] gewollten Mehrheit desselben«.169 Eben so, wie das Erschaffen Ausdruck göttlicher Allmacht ist, ist es die absolute Einheit von Gottes Freiheit und Liebe: »Nicht seine Lebensfülle oder Natur, nicht seine Allmacht, sondern seine Liebe bestimmt ihn, welche die Macht über seine Allmacht ist.«170 Weil die Schöpfung eine vom Ende (der Vollendung) her ist, was sie ist (s. o.),171 gilt, dass Gott in der geschaffenen Welt und Geschichte ist und zugleich (noch) nicht in ihr ist.172 Das aber heißt, er ist »in« ihr nur in der Weise seines tätigen sich von ihr Unterscheidens. Hier greift die Logik des sich etwas Voraussetzens: »Die Unmittelbarkeit [hier: des Geschaffenen als solchen] kommt überhaupt nur als Rückkehr [hier: Gottes zu sich] hervor und ist dasjenige [sich von sich abstoßende] Negative, welches der Schein des Anfangs ist, der durch die Rückkehr negiert wird.«173 Es ist genau dieser »Schein des [undialektisch gedachten] Anfangs«,174 der die gedanklichen Probleme der vorstellungsmäßig aufgefassten Rede: »Am Anfang schuf Gott …« mit sich bringt, die nur im spekulativ-logischen Begreifen aufzulösen sind. Gottes Schaffen ist sein sich (etwas) Voraussetzen. Als der Voraussetzende ist er unabhängig und frei von seiner Schöpfung (»vor« ihr) und hängt darin nur von sich selber ab. Als aus ihr auf sich zugehend und zu sich kommend, gehört sie (als vergehende und »aufgehobene«) zu seinem Leben.175 Gott ist der absolute Anfang von allem – aber nur, insofern er als die Rückkehr zu sich ist. »Am Anfang« schuf Gott, d. h. setzt er sich Himmel und Erde (Gen 1,1) und die Zeit voraus, um »am Ende« er selbst zu sein, alles in allem. Der »Anfang« als Beginn der Zeitlichkeit ist nur Gottes Sich-Vorlaufen bzw. das Sich-Vorlaufen der Ewigkeit. So war »vor der Zeit« ihr Ende, und ihr Beginn ist ihr Zu-Ende-Gehen als Auf-sich-Zugehen der Ewigkeit. Das »Ende« im absoluten Sinn ist die Ewigkeit selbst als vollkommenes Bei-sich-Sein Gottes in seinem Leben. Gottes ewiges Leben ist die lebendige Einheit von Anfang und Ende (als Werden zu sich), die zugleich ihre Entzweiung ist. Als der Letzte ist Gott auch schon der Erste (cf. Jes 44,6; 48,12). Insofern besagt Gottes Ewigkeit 169

A.a.O. 463 (§ 34,2). Ebd. Cf. oben § 5 F. (S. 365ff). 171 Was für uns das Ende ist, ist für Gott zugleich der Anfang überhaupt, weil er beides lebendig übergreift und darin im Werden zu sich ist. 172 Das ist im strengen Sinn erst der Fall, wenn er »alles in allem« ist bzw. sein wird. 173 HEGEL, Die setzende Reflexion, in: ders., Werke 6, 27. 174 Ihm korrespondiert der gegenteilige Schein, dass die Welt sich selbst ihren Ursprung verdanke und ihr eigener Anfang ist (s. o. S. 444 bei Anm. 58 und S. 447 bei Anm. 73); d. h., ihr »Anfang« könnte auch als ein in sich Gründen missverstanden werden. 175 Das ist Thema der Eschatologie; s. u. Abschnitt F. 6. (S. 505ff) und § 16. 170

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nicht, dass er dem Anfang der Welt zeitlich voraus ist (als gleichsam schon fertige Ewigkeit), sondern dass er seinem zeithaften Mit-sich-Anfangen (logisch) »voraus« ist, es immer ewig überholt hat. Indem er absolut selbsttätig mit der Schöpfung »anfängt« zu sein,176 d. h. auf sich zu zu werden, ist er immer schon er selbst in Ewigkeit. Der schöpferische Gott ist als dieser Gegenstoß in sich ewig in sich bewegt: als lebendige Einheit von Jetzt und Immer: L’Être éternel est toujours, s’il est une fois!177 2.7. Kleines kabbalistisches Nachspiel. Die Genesis beginnt mit dem Satz: »Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde« (Gen 1,1). Das erste Wort der Bibel ist das feierliche »Am Anfang« (hebr. bereschit), d. h. die Hl. Schrift fängt mit dem Anfang an.178 Auf das erste Wort bereschit folgt das exklusive Wort ‫בּ ָ ָ֣ר א‬, und es leuchtet ein, dass der unbedingte Anfang und das göttliche Anfangen als Schaffen hier zusammengehören und zusammenstehen. Im hebräischen Wortlaut fällt nun auf, dass das Schöpfungswort ‫ בּ ָ ָ֣ר א‬im Anfangswort selber schon (in Gestalt der drei ersten Konsonanten179) enthalten ist: ‫אשׁ ית‬ ֖ ִ ‫בּ ְֵר‬. Will man das sachbezogen deuten, darf man sagen, ‫ בּ ָ ָ֣רא‬als das voraussetzungslose, rein anfangende Tun, das ein besonderes Verhältnis zur Zeit impliziert, hat einen intrinsischen Bezug zum »Anfang« überhaupt, der hier auch in der Buchstabenkombination schon (graphisch) zum Ausdruck kommt. Denn die beiden ersten Wörter des Textes sind nahezu ein Hendiadyoin, was besagt: ‫ בּ ָ ָ֣ר א‬ist eo ipso ‫אשׁ ית‬ ֖ ִ ‫בּ ְֵר‬, bzw. ‫אשׁ ית‬ ֖ ִ ‫ בּ ְֵר‬kann nur ‫ בָּרא‬stattfinden. Am Anfang werden »Himmel und Erde« (und damit »Oben« und »Unten«) geschaffen, und dies ‫ בָּרא‬ist somit all-umfassend.180 Das ist indes nur »im/am« Anfang möglich, denn der »Anfang« kann auch alles umfassen. Das Wort für Gott (hebr. ‫הִ ֑ ים‬£‫ ) ֱא‬ist nicht das erste Wort im Text, sondern steht in der Mitte des Verses; d. h., es legt sich nach vorn hin (als wesentliches, anfängliches Tun) und zugleich nach hinten (durch seine wesentlichen Objekte) aus und gewinnt so seine inhaltliche Bestimmtheit aus diesem Kontext. Dies wäre ein »kabbalistischer« Beitrag zur Frage nach dem Anfang. 176 Man könnte auch weniger pointiert sagen: indem er absolut selbsttätig anfängt, mit der Schöpfung zu sein. 177 PASCAL, Frgm. 559b (Brunschvicg). Cf. Anselm: »Tu vero es quod es [Ex 3,14]; quia quidquid aliquando aut aliquo modo es, hoc totus et semper es« (Prosl. 22). 178 Zum Folgenden cf. J. EBACH, Die Bibel beginnt mit »b«, in: ders., Gott im Wort, Neukirchen-Vluyn 1997, 85–114. 179 Philologisch gehört die Präposition be natürlich nicht mit dem folgenden reschit (als ursprünglich ein Wort) zusammen, aber konnte ein jüdischer Leser jene Auffälligkeit übersehen? Für die klangliche Gestaltung sind auch die mancherlei Assonanzen im Vers bezeichnend. 180 Vielleicht sogar die Zeit einschließend.

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D. Creatio ex nihilo Aus dem komplexen Thema: Gott und das Nichts181 soll hier nur der theologische Problemzusammenhang einer »Schöpfung aus Nichts« genauer behandelt werden. 1. Dies ist für die christliche Theologie ein sachlich notwendiger Gedanke, wenn er sich in der Bibel auch nur vereinzelt findet und nicht als strenges Theorem formuliert ist.182 Das früheste Zeugnis findet sich – nicht in Gen 1 und 2,183 sondern – im hellenistischen Judentum: 2Makk 7,28 (οὐκ ἐξ ὄντων, Vg.: ex nihilo).184 Im Urchristentum ist die wichtigste Stelle wohl Röm 4,17, wo Abraham der Glaube an den allmächtigen Gott zugeschrieben wird, der »die Toten lebendig macht« und das Nichtseiende ins Sein ruft (καλοῦντος τὰ µὴ ὄντα ὡς ὄντα). Weiterhin ist dann Hebr 11,3 zu nennen, wo das freie Schöpferwort Gottes als Schöpfungsgrund genannt wird.185 Als eigentlich theologisches Theorem ist die creatio ex nihilo erst in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts fassbar, so bei Irenäus von Lyon.186 Hier ist als das theologische (antignostische) Motiv zur Ausbildung dieser Lehre eindeutig die absolute Freiheit und Allmacht des biblischen Gottes erkennbar, dem keine Materie vorausgesetzt ist187 und dessen Erschaffen sich so von allem menschlichen Schaffen unterscheidet.188 181

Cf. P. TILLICH, Der Mut zum Sein, Stuttgart 1953, und A. JÄGER, Gott. 10 Thesen, Tübingen 1980; cf. dazu oben § 2 (S. 219 Anm. 333) sowie S. JUNTUNEN, Der Begriff des Nichts bei Luther in den Jahren 1510–1523, SLAG 36, Helsinki 1996. 182 Cf. die klassische Monographie von G. MAY, Schöpfung aus dem Nichts, AKG 48, Berlin/New York 1978. Hier werden außer den biblischen Belegen auch Philo (mit antiken Vorstufen bei Platon und Xenophon), die Gnosis, die frühchristlichen Apologeten (Justin Martyr, Hermogenes, Tertullian) sowie auch Tatian, Theophilus von Antiochien und Irenäus näher behandelt. Cf. auch W. PANNENBERG, Grundfragen systematischer Theologie, Bd. I, Göttingen 1967, 315–317 und DERS., Systematische Theologie II (wie oben S. 447 Anm. 69), 28f sowie W. STROLZ, Das Nichts im Schöpfungswunder. Ein philosophischer Vermittlungsversuch in biblischer Absicht, NZSTh 38 (1996), 38–57. Katholisch: J. B. HEINRICH, Dogmatische Theologie, Bd. V, Mainz 1884, 15–82 (§§ 257–261). 183 Alttestamentlich wird die Schöpfung ursprünglich als göttliches Herstellen von Ordnung (Gen 1), also als ein Differenzierungsgeschehen (gegenüber dem »Chaos«), vorgestellt (cf. auch Ps 89,10–12; 74,13–18). 184 Hier soll noch ohne Bezug zum Problem der Materie nur Gottes souveräne Schöpfertat betont werden – im Blick auf die Auferstehungshoffnung. 185 Dazu ausführlich oben A. 4. (S. 442ff). 186 Ausführlich dargestellt bei MAY, Schöpfung aus dem Nichts (wie oben Anm. 182), 167ff. Cf. auch den »Hirt des Hermas«: »… und aus dem Nichts geschaffen hat, was da ist« (mand. I, 1). 187 »Ipsam materiam, cum sit potens et dives in omnibus, deus creavit« (Adv. haer. II 10,3). Cf. auch Tertullian: »nec ex materia« (Adv. Herm. 21). 188 Cf. Irenäus, Adv. haer. II 1,1.

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Damit ist erkannt worden, dass der biblische Monotheismus logisch dazu nötigt, Gottes Schaffen frei und voraussetzungslos, d. h. als aus sich selbst entspringend, zu denken: »a semetipso fecit libere ex sua potestate«, und es gilt zugleich: »est substantia omnium voluntas eius«.189 Dabei gilt das »Wie« als unerforschlich,190 denn es kann hier kein principium ex quo (auch kein negatives) angegeben werden. Andererseits kann für Gott auch nur ein non ex alio gelten. Muss man mithin sagen, die Schöpfung komme ex Deo, so darf das keinesfalls »emanatistisch« (sozusagen als Teil Gottes, der aus ihm passiv wie ein Naturvorgang nach außen tritt) verstanden werden. Denn der lebendige Gott schafft aus sich selber – sein Anderes.191 In diesen Schwierigkeiten der traditionellen Schöpfungslehre von der creatio ex nihilo zeigt sich, dass sie zunächst lediglich antithetisch in der Ketzerpolemik ausgebildet worden ist, ohne schon theologisch eine metaphysische Gesamtkonzeption zu intendieren; das gilt auch für Irenäus.192 2. Über die Frage, wie man die Behauptung einer Schöpfung »aus Nichts« gedanklich genauer fassen bzw. begreifen kann, ist in der Geschichte der Theologie nicht immer so differenziert nachgedacht worden, wie man erwarten sollte.193 Allerdings findet sich ein relativ früher, denkerisch scharfsinniger, eindringlicher Versuch dazu bei Anselm von Canterbury, der in Kapitel 8 des »Monologion« (1076) dazu wichtige sprachlogische Überlegungen vorträgt, die hier aufzugreifen sind.194 Anselm stellt sich ausdrücklich dem Problem, wie es überhaupt gedacht werden können soll, dass aus Nichts etwas wird. Das ist scheinbar eine absurde Aussage, jedenfalls wenn man von der griechischen Voraussetzung ausgeht, dass überhaupt nur aus Etwas etwas Anderes entstehen kann195 – gemäß dem philosophischen Axiom: »ex nihilo nihil fit«.196 Demgegenüber unter189

A.a.O. II 30,9; cf. auch II 16,3. Der Grund dafür liegt darin, dass beim »ex nihilo« gemäß der Logik des Schaffens oder Werdens ein ἐξ οὗ zwar vorausgesetzt, beim »nihil« inhaltlich aber gerade ausgeschlossen werden muss; dazu genauer unten 2. 191 Insofern liegt im Erschaffen der Welt eine Selbstbegrenzung Gottes. Das Geschöpf ist ein Begrenztes, und Gott ist seine Grenze, so dass das Sein des Geschöpfes ein Sein von dieser Grenze her bzw. das Sein dieser Grenze ist. 192 »Er hat auch die philosophischen Schwierigkeiten, die sich aus der Vorstellung einer zeitlichen Erschaffung der Welt für das griechische Denken ergaben, nicht gesehen« (MAY, Schöpfung aus dem Nichts [wie oben Anm. 182], 171). 193 Auch bei Thomas von Aquin nicht, der immer wieder nur die systematische Unverzichtbarkeit des Theorems herausarbeitet. 194 Ich beziehe mich im Folgenden auf Formulierungen in meinem Aufsatz: J. RINGLEBEN, Creatio ex nihilo, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004– 2005), Bd. I, 235–248. 195 Gott jedenfalls ist kein (bestimmtes) »Etwas«. 196 Cf. Aristoteles: τὸ µὲν ἐκ µὴ ὄντων γίνεσθαι ἀδύνατον (Phys. I, 187a 34) und: ἐξ ὄντος γίγνεται πάντα (Met. XII, 1069b 19). Auch bei Lukrez heißt es: »res … non posse 190

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nimmt es Anselm, sprachanalytisch drei mögliche Bedeutungen der Rede, etwas sei »aus Nichts« geschaffen,197 zu unterscheiden. 2.1. In einer ersten Verwendungsweise ist die Bedeutung der Aussage: »aus Nichts gemacht« identisch damit: »überhaupt nicht gemacht (worden sein)«, d. h., der Bestandteil »ex nihilo« in der Formel hebt sie ganz auf, weil das ex nihilo der Semantik von »facta esse« widerstreitet; bzw. kurz gesagt: Das nihil hebt das facere (oder: fieri) auf. Wer von »aus Nichts« redet, kann mit Sinn gar nicht mehr von einem »Machen« reden. Hier steht also das scheinbar selbstverständliche Axiom: »Aus nichts wird nichts« als Voraussetzung im Hintergrund.198 In dieser ersten Bedeutung genommen, wäre die Rede von einer Schöpfung aus Nichts also selbstdestruktiv.199 Weil die Logik des Nihil der Aussageintention von »Machen aus (sc. etwas)« radikal widerstreitet, kann eine solche Aussage als sich selber aufhebend verstanden werden: Die Wahrheit dieser Wortfolge ist, dass sie das Ausgesagte negiert. »Aus nichts« gemacht worden sein, kann mit Sinn also nur von etwas gesagt werden, was überhaupt nicht gemacht worden ist, also gerade nur von Nicht-Erschaffenem oder überhaupt nicht Seiendem, und dann nur in der Bedeutung: gerade nicht gemacht worden zu sein. Genau das aber lässt sich von dem nicht sagen, was geschaffen ist. 2.2. In einer zweiten Bedeutungsvariante lässt sich »Erschaffen aus dem Nichts« auch folgendermaßen verstehen: Etwas sei aus dem Nichts selbst (»ex ipso nihilo«) gemacht worden, und das heißt, »aus« dem gemacht, was gar nicht ist (»ex eo quod penitus non est«), eben aus dem Nichts. Anselm fügt sogleich hinzu, dieses Verständnis sei nur den Worten nach möglich; es könne zwar verbal ausgedrückt werden, aber nicht wahr sein. Denn dabei wird das »Nichts«, das selber eben überhaupt nicht ist und nur Nichts ist, verbal aufgefasst, als sei es etwas Seiendes (»aliquid existens«), aus dem etwas gemacht werden könne.200 Aber eine solche substanzialistische Auffassung vom Nichts, die es gleichsam zu einem Etwas hypostasiert, ist selbstredend ganz falsch. Der Grund für diese unwahre Vergegenständlichung des Nichts liegt in der Semantik der Präposition »aus« (»ex nihilo«); sie setzt ein Etwas creari de nilo« (De rer. nat. I 265f). Cf. die kritische Auseinandersetzung mit diesem Axiom der Vorstellung bei Hegel in der »Wissenschaft der Logik« I (HEGEL, Werke 5, 85). 197 »substantia … esse facta ex nihilo« (Anselm, Monol. 8). 198 Anselms umgangssprachliches Beispiel: Wenn wir hinsichtlich eines, der schweigt, gefragt werden, worüber er spricht, können wir antworten: über nichts, und das besagt: Er spricht überhaupt nicht. 199 Anselm von Canterbury ist wohl der erste Denker, der darauf aufmerksam macht, dass die theologisch unbefangene Rede vom »Erschaffensein aus dem Nichts« logisch auch eine selbstdestruktive Interpretation zulässt. Damit zwingt er die Theologie zu größerer Genauigkeit im Verständnis dieser traditionellen Formel. 200 Gleichsam als sei »das Nichts« so etwas wie eine (nur) negative Materie, aus der heraus Gott die geschaffenen Dinge geholt habe.

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voraus, in Bezug worauf sich sagen lässt: aus diesem … Rein verbal also verführt das »ex« zu der semantischen Voraussetzung eines seienden Nichts. In Wahrheit dementiert das nihil das ex. Die offensichtliche Unwahrheit einer solchen Auffassung der Schöpfungsformel verdankt sich einer unreflektierten umgangssprachlichen Gewohnheit: Das ex … setzt dabei das nihil außer Kraft. An dieser Bedeutungsvariante, die selbstwidersprüchlich ist, wird aber immerhin deutlich, dass die Logik des Schöpfungsgedankens sich unserer gewöhnlichen Rede und ihrer Semantik nicht fügt, sondern ihr widerspricht. 2.3. Damit gelangt man zur dritten Bedeutung, die Anselm an der Wendung »geschaffen aus Nichts« ausmacht und die er für die einzige logisch konsistente hält. In dieser abschließenden Interpretation besagt die Behauptung, etwas sei aus Nichts gemacht, für das Denken: Es sei zwar gemacht, es gebe aber kein Etwas, woraus es gemacht wurde (»esse quidem factum, sed non esse aliquid, unde sit factum«). Sieht man diese Interpretation der Schöpfungsformel genauer an, so gibt sie zweierlei zugleich zu denken, und zwar jeweils als die Negation der ersten und der zweiten Bedeutungsvariante, die Anselm zuvor diskutiert hat. Der Gedanke, das Geschaffene sei zwar gemacht,201 negiert die an erster Stelle unterschiedene Bedeutungsmöglichkeit (nach der es überhaupt nicht gemacht sein sollte; 2.1.), und das facere wird hier gegen das nihil, das es dort zu verschlingen drohte, behauptet und festgehalten. Der damit eng verbundene andere Gedanke, das Geschaffene sei aber zugleich ohne ein Woraus gemacht, negiert die vorhin an zweiter Stelle genannte Bedeutungsmöglichkeit (nach der das »aus« ein seiendes Nichts suggeriert; 2.2.), und das nihil nimmt das ex gleichsam zurück. Damit wird also ein Gemachtsein von Etwas behauptet derart, dass es kein Etwas gibt, woraus es gemacht wäre (»unde sit factum«). In diesem Sinne ist die dritte Verständnismöglichkeit, die Anselm für die wahre hält,202 selbstkorrektiv.203 3. Im Folgenden soll versucht werden, den logischen und theologischen Sinn dieser dritten Auffassung von der »Schöpfung aus Nichts« im Anschluss an Anselm noch weiter auszuarbeiten. Dieser Sinn liegt in der dialektischen Zusammengehörigkeit des Doppelten: zwar gemacht sein, aber ohne ein Woraus des Gemachtseins. Normalerweise setzt ein Machen von Etwas wohl etwas voraus, woraus es gemacht ist 201

Zum genaueren Verständnis der Rede von Gottes »Machen« s. u. S. 469 und 471. Anselm gibt auch hier ein umgangssprachliches Beispiel: Ähnlich wie bei »gemacht aus Nichts« (factum de nihilo) reden wir, wenn wir von jemandem, der ohne Grund betrübt ist, sagen, er sei »über nichts« (de nihilo) betrübt. 203 Das verweist unsere spekulative Denkungsart an die Dialektik von Sein und Nichts (im Sinne Hegels). 202

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(z. B. aus einer Materie). Hier aber korrigiert der Zusatz »ex nihilo« gerade diese Voraussetzung bzw. negiert sie ausdrücklich.204 Das nihil (»aus Nichts«) hebt dieses besondere »Machen« von allem sonst bekannten Machen ab.205 Weil es sich von diesem in bestimmter Negation abstößt, ist das logische Verständnis der Formel »selbstkorrektiv« zu nennen. Die theologische Wahrheit der Schöpfungsaussage kann nur gegen den üblichen Wortsinn gedacht werden.206 Begriffen ist die Rede »Schöpfung aus Nichts« erst, wenn die interne Dialektik der verbalen Bestandteile dieser Aussage nachvollzogen wird. »Ex nihilo« besagt ein »Woraus«, das kein Woraus mehr ist, sondern gerade Negation jedes wie auch immer gearteten Woraus.207 Schöpfung »aus Nichts« redet von dem, woraufhin überhaupt erst von einem »aus« geredet werden kann, d. h., es redet von dem Ursprung (bzw. Urvorgang), auf den hin und von dem her es allein so etwas geben kann wie ein »aus … (sc. etwas)« (ex aliquo). Kurz gesagt: Ex nihilo eröffnet den Möglichkeitsraum für jedes (wirkliche) ex aliquo. Damit ist behauptet, der Schöpfungsgedanke qualifiziert auch noch die (sprachlichen) Bedingungen, unter denen von »Schöpfung« theologisch sinnvoll geredet werden kann. »Schöpfung aus Nichts« ist eine radikale Unterbrechung unseres weltbezogenen Sprechens – eine Unterbrechung, die uns ebenso radikal auch auf den Zusammenhang von Denken und Sprache stößt und veranlasst, seine unbemerkten Selbstverständlichkeiten zu korrigieren. Gott gibt zu denken – gerade, wenn wir von ihm zu reden versuchen. Bei der Rede von Gottes »Erschaffen aus Nichts« ist also ein Machen zu denken, das – unbezüglich auf irgendein ihm vorauszusetzendes Woraus – sich in sich selber hält bzw. sich exklusiv nur auf sich selber bezieht. Damit wird der Ausdruck »machen« (facere) in bestimmter Negation von seinem gewöhnlichen Kontext abgehoben und im Gegenstoß neu bestimmt. Für dieses einzigartige, schlechthin unvergleichliche Machen als spezifisch göttliches Handeln reserviert das Alte Testament bekanntlich ein eigenes Wort:208 204 Dieser besondere Sachverhalt muss etwas mit dem eigenen lebendigen Sein Gottes des Schöpfers selber zu tun haben. 205 Gegen die Rede vom Schaffen als einem Machen (im kausalen Sinne verstanden) wendet sich zu Recht P. Valéry; cf. VALÉRY, Cahiers/Hefte II (wie oben Anm. 26), 541 mit 613 und 624. 206 Anselm betont demgemäß auch das richtige »Erkennen« (intelligere) dessen, was mit den Worten unmittelbar ausgesagt ist. 207 Gott als die ἀρχή ist nichts von dem allen, dessen ἀρχή er ist; cf. Plotin: ἤ ἐστι µὲν τὸ µηδὲν τούτων ὧν ἐστιν ἀρχή (Enn. III 8,10,28f). 208 Die Aussage des Erschaffens ex nihilo ist ebenso singulär wie die biblische Rede von Jhwh als dem Schöpfer von Licht und Finsternis (Jes 45,7); cf. dazu FELDMEIER/ SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 262 Anm. 21. Das tohuwabohu von Gen 1,2a wird in Jes 4,23 (LXX) übrigens mit οὐδέν wiedergegeben; zum »Chaos« s. o. Anm. 143.

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‫בּ ָ ָ֣רא‬. Es ist ein Machen, das absolut ist, d. h. un-bedingt im Verhältnis zu allem, z. B. auch durch eine vorausgesetzte Materie, bedingten Tun.209 Wenn nach Anselm ex nihilo verstanden werden muss als »non ex aliquo«, so heißt das: »aus gar nichts« (weder einem Etwas noch einem Nicht-Etwas noch »dem« Nichts). Ex nihilo ist zu präzisieren durch »non ex«, d. h. gar nicht »aus …«. »Aus Nichts«, das ist eine Aus-Relation, die gerade als Relation (aus … etwas) negiert wird. In diesem Sinne ist »Schöpfung aus Nichts« ein sich in sich stabilisierender Ausdruck; er besagt (dialektisch) das SichAbstoßen zu eigenem Absolutsein. »Schöpfung aus Nichts« meint absolute Setzung, d. h. ein Setzen, das »aus sich« (per seipsam) und nicht »aus einem Etwas« (ex aliquo) ist und zu verstehen ist. Insofern ist mit der Interpretation von ex nihilo durch non ex aliquo, also Geschaffensein ohne ein ihm vorausgehendes Woher, eine absolute Diskontinuität bzw. ein absoluter Neuanfang von etwas behauptet.210 Diese Diskontinuität, das Sein als Nicht-aus-etwas-Sein (»non-ex«), bedeutet für das Geschaffene, ohne eigenes Vorher zu sein, bzw. zu sein, ohne dass es sich selber voraus schon gewesen wäre.211 Anselm von Canterbury fasst diese Diskontinuität natürlich auch zeitlich: Dem geschaffenen Etwas geht (als geschaffenem) nicht schon irgendein 209 Cf. Gen 1,1.21.27 (3x bei der Erschaffung des Menschen); 2,3f; ‫ בּ ָ ָ֣ר א‬hat im Alten Testament nur Gott zum Subjekt, um die Souveränität und Exklusivität des schöpferischen Tuns festzuhalten (cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 256). Die Art seines Handelns ist daher unanschaulich; denn es handelt sich weder um einen Emanationsprozess noch auch um ein demiurgisches Gestalten; vielmehr ist es logisch als ein Entzweiungsvorgang, ein Abstoßen von sich und Umschlagen in ein radikales Anderssein, zu fassen. Zu diesem »Schöpfungsstoß« (ictus) cf. meine Ausführungen zu einer beziehungsreichen Metapher Augustins: J. RINGLEBEN, Ictus condendi, in: St. Frost u. a. (Hg.), Streit um die Wahrheit (FS E. Mühlenberg), Göttingen 2014, 150–164. 210 Ebendas stimmt zu Gottes absolut mit sich selber Anfangen. Zum Verhältnis von ‫ בּ ָ ָ֣ר א‬zur Vorstellung eines Demiurgen cf. DORNER, Glaubenslehre I (wie oben S. 440 Anm. 17), 461 und Anm. 3 (§ 34,1); Dorner gibt (gegen heutige exegetische Meinungen) zu bedenken, dass Gen 1 von einem mühelosen Erschaffen Gottes ohne vorausgesetzte Materie (Chaos) die Rede sei (cf. auch Ps 33,9); sonst müsse es systematisch gesehen heißen: Am Anfang war das Tohuwabohu (cf. ebd.). Ähnlich schon MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 137: »Die chaotische Vorstellung von einem Chaos, das der Form oder gestaltgebenden Thätigkeit vorhergegangen, ist … unwahr« (§ 233). 211 Entsprechend gibt es auch in unserm individuellen Bewusstsein kein Wissen über ein eigenes Sein vor der Geburt bzw. noch früher: Jeder ist für sich selber aus dem Nichts (ex nihilo) aufgetaucht; ähnlich liegt das »nach« dem Tode für uns im Dunkel. Diese von uns her unüberschreitbare Grenze des Nichts, aus dem wir kommen und in das wir wieder gehen, konfrontiert uns mit dem Geheimnis Gottes, des Schöpfers unseres individuellen Lebens und des Herrn darüber. Diese Grenze mit ebenso phantastischen wie illusionären Vorstellungen über ein früheres Dasein bzw. eine (wiederholte) Wiedergeburt überspringen zu wollen, verfehlt die existenzielle Wirklichkeit unseres endlichen Seins als eines vor Gott, unserm Schöpfer und Herrn.

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Etwas voraus. »Non ex aliquo« gemacht sein, heißt daher: Es gibt kein Etwas, das früher (prius) wäre als das Geschaffene. Sondern geschaffen zu sein aus Nichts heißt: »was früher nichts war, ist jetzt etwas«,212 bzw. es ist klar, dass das Geschaffene »nichts war, bevor es wurde«,213 und zwar »in Bezug darauf, dass es nicht war, was es jetzt ist [sc. ein seiendes Etwas], und dass es nichts gab, woraus es wurde«.214 Das göttliche Erschaffen setzt also ein Jetzt (nunc) ohne ein Vorher (prius) – genauso wie ein Etwas ohne Woraus. Das Schaffen ist immer »am Anfang« (ἐν ἀρχῇ), weil es die Negation eines zeitlichen Voraus bzw. Früher ist.215 Das »aus Nichts« Geschaffensein verneint jedenfalls eine zeitliche Kontinuität des Geschaffenen: Sein gegenwärtiges Sein ist nur da als abgehoben von einem (»vorherigen«) Nichtsein.216 Qua Schöpfung wird Etwas überhaupt und zeitlich auf dem Hintergrund seines Nichtseins bzw. des Nichts gesehen. Anselm präzisiert in diesem Zusammenhang noch einmal die übliche Rede (vox) vom Erschaffen bzw. Geschaffen-worden-Sein. Sie ist im absoluten Sinn zu begreifen: »dass, als diese [sc. die göttliche Schöpfermacht] wirkte, sie etwas machte, und als jenes gemacht wurde, es allererst zu etwas gemacht wurde«.217 Machen muss also strikt als »etwas« machen, es als dies hervorbringen, und »zu etwas gemacht werden« ebenso strikt im Sinne von »(überhaupt erst) zu einem Etwas gemacht werden« begriffen werden. Göttliches Erschaffen heißt: Etwas als solches erst sein lassen, und von Gott erschaffen worden sein heißt: als ein Etwas überhaupt sein (und nicht bloß: in einen neuen Zustand seiner selbst versetzt, also nicht, zu etwas im Sinne von zu etwas anderem [als vorher] gemacht worden sein). »Machen« (facere) im Sinne von Erschaffen ist ein unterscheidendes Seinlassen von Etwas (aliquid) als solchem, und göttliches Machen als Machen von Etwas (aliquid facere) ist nur als Unterschied zu sich bzw. im Unterscheiden von sich. Statt vom schöpferischen Machen (facere) redet Anselm hier immer auch von Gott als der »schöpferischen Wesenheit bzw. Substanz« (creatrix essentia s. substantia).218 Das bedeutet, es geht bei der Schöpfung um Gottes lebendig schaffendes Sein, um ein Sein also, das aus sich heraus (per seipsam)

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»quae prius nihil erant, nunc sunt aliquid« (Anselm, Monol. 8). »nihil fuisse, antequam fierent« (a.a.O. IX), »nihil« besagt hier: non aliquid. 214 Ebd. 215 Cf. dazu ausführlich oben Abschnitt C. (S. 456ff). 216 Ähnlich begründet auch Marheineke den »nothwendige[n] Gedanke[n] einer Schöpfung der Welt aus Nichts« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 140 [§ 240]). 217 »quia, cum illa fecit, aliquid fecit; et: cum ista facta sunt, non nisi aliquid facta sunt« (Anselm, Monol. 8). 218 A.a.O. VIII. 213

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Anderes sein lässt, zum Sein bringt.219 Das Geschaffene ist das Andere Gottes, das er durch sein eigenes, göttliches Sein als sein Anderes sein lässt. »Schöpfung aus Nichts« besagt darum, dass es beim Erschaffen ausschließlich und allein um Gottes Machen, d. h. sein sich von sich Unterscheiden geht, und dass das Sein des geschaffenen Etwas (aliquid) nur das Sein dieses Unterschiedes ist.220 Indem Gott sich (schöpferisch) von sich unterscheidet, ist das Andere: die erschaffene Welt. Weil das Geschöpf nur ist als das Andere Gottes bzw. als dieser Unterschied zu ihm, ist es »ex nihilo«, d. h. gar nichts anderes als ein Unterschiedenes und nur in Bezug auf ihn, nicht aber aus sich selber oder aus etwas anderem (non ex aliquo), und in diesem Sinne: »aus Nichts«. 4. Das bisher Ausgeführte führt zu der Einsicht, dass die »Schöpfung aus dem Nichts« völlig missverstanden ist, wollte man es sich so vorstellen, als sei da zunächst außer oder neben Gott »das Nichts« bzw. es sei ein Nichts »da« (als ein negatives Uranfängliches), aus dem Gott dann in einem mirakulösen Akt die Welt erschaffen habe.221 Wie gesagt, ist das Nichts in gar keinem Sinne so etwas wie ein principium, ex quo …, auch kein negatives. Im Anfang ist Gott, und nur Gott. Indem er ex se und per se schafft, ist Gott (dreieinig-lebendig) bei der Schöpfung allein mit sich. Darum ist auch schon die creatio selber, das Erschaffen, und nicht erst die creatura, für uns »aus nichts«,222 d. h., Gottes Schaffen ist nicht von einem ganz anderen her – das gibt es für Gott ohne die Schöpfung (noch) gar nicht –, also nicht ab alio, von etwas Vorfindlichem, sondern a se anfangend.223 Derart meint creatio im (verbalen) Vollzugssinn »Schaffen« als Bewegung oder Prozess, und im »nihil« reflektiert sich das Unselbstverständliche des Ursprungs von Bewegung, insbesondere einer Bewegung aus sich selbst (Selbstbewegung),224 d. h. einer sich selber organisierenden Bewegung im Sich-Abheben vom Nichts. Gottes 219

In c. VII heißt es: »sola per seipsam produxit ex nihilo«. Zum eigentümlichen Status eines Seins als Geschaffensein cf. G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. I, Tübingen 1979, 221f; zur kritischen Diskussion dieser (undialektischen) sog. »Relationsontologie«: J. RINGLEBEN, »In Einsamkeit mein Sprachgesell«. Das Gebet als Thema der Dogmatik, ZThK 79 (1982), 230–248, hier 244–246. 221 Cf. E. BRUNNER, Dogmatik, Bd. II, Zürich 31972, 20; dort heißt Gott »der un-bedingt Bedingende« (ebd.). 222 Das »nihil« der creatio vertritt das Ungegebene von Gottes Sein, seine Übergegenständlichkeit. Es steht für das absolute Prius Gottes gegenüber der Welt als einer nicht aus sich selber (allein) verständlich zu machenden; d. h., ex nihilo ist formelhafter Index des absolut Nicht-Welt-Seins Gottes. 223 Darum gibt es (abgesehen von der Schöpfung) auch kein »Außen«, in das hinein er kreativ handelte: Was sollte das sein? S. o. S. 447 bei Anm. 69. Dass Gott ein zu ihm relatives Außen überhaupt sein lässt, ist bereits gleichsam der Beginn der Schöpfung. 224 Siehe dazu oben § 2 E. 3. (S. 234ff). Johannes Scotus Eriugena schreibt vom Schöpfer: »a se ipso esse incipiens et per seipsum se ipsum movens et ad se ipsum motus et in se ipso quiescens« (De divis. nat. III 17). 220

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Erschaffen ist eine rein aus sich selber anfangende, sich selber tragende und vollendende Bewegung.225 Es gilt zunächst (negativ) festzuhalten: Gott erschafft nicht das Seiende »aus« dem Nichts »heraus«,226 sondern Gott ist schöpferisch, indem er Seiendes von Nichts (und von sich) allererst abhebt. Gottes Schaffen, d. h. sein Seinlassen eines für ihn Anderen bzw. Gegenübers, ist gerade erst das Unterscheiden des Seienden vom Nichts. Nur insofern hat die Schöpfung als solche es selber schon immer mit dem Nichts zu tun: Schaffend lässt Gott das Nichts zu. Das ist die grundlegende spekulative Einsicht, die näher zu entfalten ist. So ist »Schöpfung aus dem Nichts« nicht nur deswegen ein theologisch wesentlicher und unaufgebbarer Begriff,227 weil er nur negativ die göttliche Freiheit von irgendetwas Vorgegebenem festhält, sondern er hat auch eine positiv zu begreifende Funktion. Das soll jetzt im Hinblick darauf bedacht werden, was es für Gott und sein Verhältnis zum Nichts bedeutet (4.1.) und was für das Geschöpf (4.2.). 4.1. Es gibt, wie gesagt, nicht neben oder außer Gott gleichursprünglich »das Nichts«; vielmehr nimmt der lebendige Gott selber den Ort ein, der der eines Nichts sein könnte.228 Er kommt, indem er für sich ewig Alles ist, dem Nichts gleichsam immer schon zuvor bzw. ist einem absoluten Nichts immer schon zuvorgekommen. Gott ist ewig Gott als der, dessen Sein das absolute Nichts ausschließt und lebendig sozusagen »verhindert«. Das Nichts ist nicht der leere Hintergrund, von dem Gottes Sein sich abhebt. Sondern überhaupt erst im Hinblick auf Gottes ewiges Aus-sich-selber-Sein wird so etwas wie ein Nichts denkbar bzw. möglich.229

225 Diese kreative Bewegung Gottes ist absolut spontan und so Inbegriff absoluter Freiheit – im Sinne Luthers (»liberum arbitrium esse plane divinum nomen, nec ulli posse competere quam soli divinae maiestati« (WA 18, 636,28f) bzw. Kants (s. o. § 2 [S. 186 Anm. 87]). Sie entspricht Gottes »a se«-Sein im Verhältnis zum durch ihn ins Sein Gerufenen, das er frei aus sich sein lässt. Zur Alternative: a se – non a se (ab alio) s. o. § 2 B. 4.2. (S. 186f). 226 Erschaffen darf gerade nicht als ein »Schöpfen aus …« verstanden werden. 227 Cf. meine Auseinandersetzung mit M. Theunissens Kritik an dem Theologumenon einer creatio ex nihilo: J. RINGLEBEN, Monotheismus und Schöpfungsglaube. Ein Bedenken, in: R. Langthaler/M. Hofer (Hgg.), Michael Theunissen. Zu religionsphilosophischen und theologischen Themen in seinem Denken = WJP 43 (2011), 145–155. 228 Nach P. Valéry gilt: In den Religionen findet sich »die fundamentale Auffassung, daß etwas auf nichts gefolgt ist dadurch, daß jemand etwas tat. Dieses Etwas ist alles, dieser Jemand deutlich verschieden von dem Nichts und dem Alles« (VALÉRY, Cahiers/ Hefte II [wie oben S. 441 Anm. 26], 533). 229 Das ist nicht eigentlich »vorstellbar«, denn unserm endlichen Vorstellen ist etwas Bestimmtes nur durch seine Abhebung vom Nichts zugänglich: omnis determinatio est negatio.

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Um das einzusehen, muss man sich klarmachen, dass das Schöpfungshandeln an ihm selber Negativität impliziert.230 Denn die Schöpfung bedeutet das Unterscheiden eines aliquid-Seins vom Nichts-Sein bzw. Nicht-Sein. Indem Gott ein Anderes von sich unterscheidet, setzt er zugleich den Unterschied von Sein und Nichts als einen äußeren Unterschied. Sein und Nichts zu unterscheiden, heißt aber, wie Hegel sich ironisch ausdrückt, dass die Schöpfung der Welt, da man immer noch weiter abstrahieren kann, die »Abstraktion vom Nichts« ist.231 Letztlich aber »gründet« oder entspringt das Nichts in der internen Beziehung des lebendigen Gottes auf sich, denn Leben ist nicht ohne innere Negativität zu denken. Ohne Selbstentzweiung (ein sich von sich Unterscheiden) ist keine Selbsthervorbringung denkbar; in Gottes Leben ist aber der Unterschied von sich (als Selbstunterschied) unmittelbar die Form der Einheit mit sich (als Werden zu sich).232 Das Nichts kommt aus dem Geheimnis des Lebens Gottes, in das es zugleich ewig verschlungen, d. h. in dem es ewig überwunden ist (cf. 1Kor 15,55a; 2Kor 5,4c; Jes 25,8). Dieses Leben ist als »Werden« die lebendige Einheit von Sein und Nichts, bzw. es ermöglicht den manifesten Gegensatz von Sein und Nichts in seiner Dialektik.233 Daher gilt von dem göttlichen Leben als dem wahrhaften, unendlichen Allgemeinen: »es ist die schöpferische Macht als die absolute Negativität, die sich auf sich selbst bezieht«.234 Indem Gott in freier Macht schöpferisch ist, bezieht er sich 230 Cf. Hegel: »So in Gott selbst enthält die Qualität, Tätigkeit, Schöpfung, Macht usf. wesentlich die Bestimmung des Negativen, – sie sind ein Hervorbringen eines Anderen« (HEGEL, Werke 5, 86). Zur Schöpfungslehre Hegels cf. W. KERN, »Schöpfung« bei Hegel, ThQ 162 (1982), 131–146. 231 HEGEL, Werke 5, 105; so kann man freilich nur reden, wenn man von der abstrakten Vorstellung eines »Könnens« ausgeht bzw. die abstrakten Bestimmungen isoliert nimmt. Diese Stelle ist missverstanden bei LÜTKEHAUS, Nichts (wie oben S. 440 Anm. 17), 661; auch für die Hegel’sche Dialektik von Sein und Nichts (am Anfang der Logik) zeigt der Autor keinerlei sachliches Verständnis (cf. a.a.O. 656ff). 232 Cf. oben § 3 C. 1.8. (S. 272). Konkreter gilt für die immanente Trinität: Die Selbstunterscheidung des Vaters vom Sohn (als »ewiges Zeugen«) impliziert Negation; s. u. § 15 F. (S. 817ff). 233 Cf.: »Schließlich ist die Dialektik von Sein und Nichts in diesem Sinne nur der allgemeinste Ausdruck für die … Dialektik der analogen Gottesaussage« (E. HEINTEL, Hegel und die analogia entis, Akademische Vorträge und Abhandlungen 20, Bonn 1958, 54. Zum dialektischen Verständnis von »Werden« bei Hegel (im Sinne von Übergehen als schon Übergegangensein) cf. meinen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Die logische Bewegung der Zeit, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben Anm. 194), 210–229. 234 HEGEL, Wissenschaft der Logik II (Die Lehre vom Begriff), in: ders., Werke 6, 279. Vorher heißt es von dieser freien Macht, die über ihr Anderes übergreift: »so könnte es auch die freie Liebe und schrankenlose Seligkeit genannt werden« (a.a.O. 277). Auch dies gilt primär innertrinitarisch vom Logos, der zugleich der »Schöpfungsmittler« ist (Joh 1,3).

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– in dieser absoluten Negativität – nur auf sich, d. h., er geht aus der Schöpfung unendlich in sich zurück, um im Unterschied zu ihr (für sich) er selbst zu sein. Aus dem Geschaffenen bleibt er in sich zurückreflektiert und bestimmt sich für sich im unendlichen Unterschied dazu. Beim Schöpfungsakt übersetzt sich die bewegte, unendliche Einheit des negativitätsdurchsetzten göttlichen Lebens in den relativ fixierten (»endlichen«) Unterschied von geschöpflichem Dasein und Nichts. Das Seinlassen des radikal Anderen der Welt, d. h. Gottes sich nach außen Öffnen, in dem er dieses »Außen« allererst sein lässt, setzt zugleich ein Nichts (Gottes), von dem sich das geschaffene Andere als solches abhebt.235 Dieses Nichts ist aber in der Macht des göttlichen Lebens immer auch überwunden, indem es in dem Anderen auch bei sich selber ist.236 In der traditionellen Formel einer creatio ex nihilo steht das »ex« also nicht für das »Woraus« (als leerer Raum), sondern im Sich-von-sich-selbstUnterscheiden göttlicher Lebendigkeit lässt sie das Andere ihrer selbst sein und ist so als sich auf sich beziehende Negativität. »Aus« (ex) dieser Negativität ek-sistiert das Andere Gottes als sein Anderes. Insofern ist das Nichts, »aus« dem die Schöpfung ist, sozusagen gleichursprünglich mit dem Geschaffenen selber. »Ex nihilo« besagt, dass erstens die Schöpfungshandlung selbstbezügliche Negativität ist und zweitens das Erschaffene nur in Bezug auf diese Negativität ist, was es ist. Die Schöpfung geschieht mithin nicht eigentlich »aus« dem Nichts, denn das Nichts ist nicht etwas, woraus etwas entstehen kann;237 auch ist das Nichts 235

Diese Lösung des Problems aus der prinzipiellen Opposition von Gott und Nichts enthält eine Sachkritik an der vorstellungsmäßigen Vorordnung des Chaos (tohuwabohu) vor Gottes Schöpferhandeln (Gen 1,2); richtig bleibt allerdings, dass das Chaos begrenzt bzw. integriert wird und die Finsternis dem Licht untergeordnet ist (cf. FELDMEIER/ SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 439 Anm. 12], 207f). 236 Das hat in überpointierten Formulierungen K. W. F. Solger (vom KondeszendenzMotiv her) zum Ausdruck gebracht: »Indem Gott in unserer Endlichkeit existiert oder sich offenbart, opfert er sich selbst auf und vernichtet sich in uns: denn wir sind Nichts« (K. W. F. SOLGER, Nachgelassene Schriften und Briefwechsel, Bd. I, Leipzig 1826 [Nachdr. Heidelberg 1973], 603). Cf. auch: »Wir sind deshalb nichtige Erscheinungen, weil Gott in uns selbst Existenz angenommen und sich dadurch von sich selbst geschieden hat. Und ist dieses nicht die höchste Liebe, daß er sich selbst in das Nichts begeben, damit wir seyn möchten, und daß er sich sogar selbst geopfert und sein Nichts vernichtet, seinen Tod getötet hat, damit wir nicht ein bloßes Nichts bleiben, sondern zu ihm zurückkehren und in ihm seyn möchten? Das Nichtige in uns ist selbst das Göttliche, insofern wir es nämlich als das Nichtige und uns selbst als dieses erkennen« (a.a.O. 511f). S. Kierkegaard hat das zitiert und detailliert kritisiert, weil hier der Begriff der Schöpfung nicht klar werde (S. KIERKEGAARD, Über den Begriff der Ironie [1841], in: ders., GW 31, 320ff); auch Hegel hat sich mit Solgers Äußerungen auseinandergesetzt (1828); cf. HEGEL, Werke 11, 236ff. 237 Nur insofern gilt »ex nihilo nihil fit« auch hier.

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nicht mit der erschaffenen Welt »erschaffen«, denn das Nichts kann nicht eigentlich geschaffen werden.238 Vielmehr ist das »Nichts« der Index dafür, dass Gottes Schaffen der (Negativität einschließenden) Entzweiung seines Lebens entspringt;239 mit dem geschaffenen Sein kommt es wesentlich zugleich zum Nichts – als Hintergrund, vor dem es sich abhebt, oder (metaphorisch gesprochen) als dem Schatten des Seins. Man muss nach dem Ausgeführten also sagen: Gottes lebendiges Sein, in dem alle innergöttlichen Unterschiede ewig aufgehoben sind, entlässt bei der Schöpfung reale Unterschiede aus sich, und damit wird auch so etwas wie das Nichts manifest. »Wirklich« (bzw. akut) also wird ein Nichts erst, indem Gott sich selber begrenzt, schaffend ein Anderes sein lässt, eben Nicht-GottSeiendes. Mit dem Schaffen ist auch das Nichts aktuell, eben als Nicht-GottSein. »Das Nichts« ist der Unterschied zu Gottes Sein, ein Unterschied, dem Gott selber Raum gibt. Gottes Sich-Zurücknehmen zugunsten des Seins von Geschöpfen – genau das ist die »Seinsweise« des Nichts.240 Als Gottes Unterscheiden west so etwas wie Nichts. Um das über Gott und das Nichts Gesagte zusammenzufassen: Das »Nichts« selber ist der nach außen getretene Unterschied in Gott selber, der aber bei Gott in der Einheit seines Lebens ewig verwunden ist. Was in der innergöttlichen Liebesgemeinschaft von Vater und Sohn ein lebendiges und simultanes Aufheben des Unterschiedes (bzw. der Unterschiede) ist, die durchsichtig ineinanderübergehen, das zerfällt unter den Bedingungen der Schöpfung, d. h. des nach außen Getretenseins, in das feste Gegenüber selbständiger, qualitativ realer Unterschiede. »Das Nichts« gewinnt einen selbständigen Status und erhält bei der Schöpfung einen eigenen Raum. 4.2. Was bedeutet das über Gott und das Nichts Dargelegte für das Verhältnis der Kreatur zum Nichts? Wenn erschaffen heißt, ein Gott gegenüber Anderes sein zu lassen, dann gibt es kein Sein des Geschöpfes, ohne dass ihm notwendigerweise das

238 Das ist gegen F. H. Jacobis (von ihm als »ungereimt« kritisierte) Folgerung geltend zu machen, der schreibt: »welches Erschaffen sich dann darstellte als ein Erschaffen – nicht aus Nichts, sondern des Nichts« (F. H. JACOBI, Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, in: ders., Werke 3, 407f; cf. auch 392). 239 Die Schöpfung ist mithin kein direkter »Ausfluss« dieses Lebens. 240 Ähnlich heißt es bei Gershom Scholem: »Wo Gott sich von sich selbst auf sich zurückzieht, kann er etwas hervorrufen, was nicht göttliches Wesen und göttliches Sein ist« und: »In der Selbstverschränkung des göttlichen Wesens [kabbalistisch: Zimzum], das, anstatt im ersten Akt nach außen zu wirken, sich vielmehr zu sich selbst wendet, tritt das Nichts zutage. Hier haben wir einen Akt, in dem das Nichts hervorgerufen wird« (G. SCHOLEM, Schöpfung aus dem Nichts und Selbstverschränkung Gottes, ErJb 25 [1956], 87–119, hier 117 und 118).

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Nichts zugehörig wäre.241 Denn schaffen heißt, eodem actu »das Nichts« und das Geschaffene »ex nihilo« zuzulassen. Das Nichts der Kreatur, »aus« dem sie ist, ist ihr Nicht-Gott-Sein. Weil sie nicht ist, was Gott ist, gibt es die Kreatur nur im Zusammenhang mit dem Nichts, denn ihr Nicht-Gott-Sein stiftet ihr wesensmäßig (geschöpfliche) Nichtigkeit ein. Man kann auch sagen: Gottes Erschaffen ist unterscheiden des Seienden vom Nichts, unterscheiden vom Nichts heißt aber – als darauf beziehen – begrenzen. Daher ist Schaffen als solches ein Erschaffen von endlichem Seienden, d. h. von Seiendem, das durch das Nichts bestimmt und bedroht ist.242 Als das Andere des ewigen Gottes ist das Geschöpf bzw. die geschaffene Welt immer die fragile Einheit von Sein und Nichts, d. h. konkret begrenztes und endendes Sein.243 Endliches, auf dem Hintergrund des Nichts existierendes Sein bedeutet nicht nur Nichtigkeit gegenüber dem ewig lebendigen Gott.244 Sondern das geschaffene Sein ist überhaupt nur als auf das Nichts bezogen da,245 auch für sich selber.246 Die Kreatur ist vom Nichts umgrenzt (als endlich bestimmtes Da- und Sosein), sie ist vom Nichts durchsetzt (als endlose Mannigfaltigkeit und Diversität in sich und nach außen), sie ist vom Nichts bestimmt und durchwaltet (als zeitlich existierend, d. h. als entstehend und vergehend,247 in ruheloser Bewegtheit von sich aneinander abarbeitenden Gegensätzen und 241 Cf. Meister Eckhart: »Res enim omnis creata sapit umbram nihili« (»Denn an allem Geschaffenen spürt man den Schatten des Nichts«; M. Eckhart, Expos. S. Ev. sec. Joh., nr. 20 u. ö., in: ders., LW 3, 17,10f). 242 Cf.: »ex nihilo omne ens finitum qua finitum ens fit« (zitiert bei M. HEIDEGGER, Was ist Metaphysik?, in: ders., GA 9, 120). Cf. ausführlich dazu A. DELP, Tragische Existenz, Freiburg 1935, 78f. 243 »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!« (Hi 1,12) ist der unüberbietbare Ausdruck für das Zurückgeworfensein auf die »Nullpunktsituation«, in der sich der Fromme mit seiner Endlichkeit vor Gott weiß, der in Freiheit der Herr des Lebens ist. 244 Cf. Luther in den »Operationes in Psalmos«: »Quo enim perveniat, qui sperat in deum, nisi in sui nihilum? Quo autem abeat, qui abit in nihilum, nisi eo, unde venit? Venit autem ex deo et suo nihilo, quare in deum redit, qui redit in nihilum« (WA 5, 168,1–4). Für Luther heißt das, in der »Hand Gottes« zu bleiben (a.a.O., Z. 4–7). 245 Schon Plutarch formuliert: ἡµῖν µὲν γὰρ ὄντως τοῦ εἶναι µέτεστιν οὐδέν (De E apud Delphos, mor. 392a; zit. nach FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 439 Anm. 12], 404 Anm. 171). 246 Keiji Nishitani hat es sogar mit einer Allgegenwartsformel beschrieben: »Daß ein bestimmtes Ding aus dem Nichts geschaffen ist, meint, daß dieses ›Nichts‹ dem Sein jenes Dings immanent ist – weit mehr immanent, als das ›Sein‹ dieses Dings ihm selbst immanent ist« (K. NISHITANI, Was ist Religion?, Frankfurt 21986, 90). 247 Cf. MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 136 (§ 231). Zum unaufhörlichen Werden als Entstehen und Vergehen cf. auch a.a.O. 160 (§ 271) und von der Welt 163 (§ 278) mit 1Kor 7,31. Zur individuellen Erfahrung des aus dem Nichts Kommens und in es Gehens s. o. Anm. 211.

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Spannungen, in haltlosem Verfallensein an den unumkehrbaren Zeitfluss248 usw.), an die Todesrichtung ausgeliefert (»Sein zum Tode«),249 und sie ist vom Nichts bedroht: ausgesetzt den Erfahrungen von Schmerz, Einsamkeit, Trauer, Sinnverlust u. ä., überhaupt von Kontingenz, d. h. unabsehbarer Zufälligkeit, die von außen einbricht.250 Derart ins Nichts gehalten,251 ist die Kreatur als schlechthin unselbständige – trotz relativer Selbständigkeit. Denn für alles welthafte Sein ist es eben konstitutiv, schlechthin abhängig, nicht aus sich (a se), sondern per aliud, durch Gott, zu sein. Die Schöpfung ist das Produkt göttlichen Tuns – in eins mit bzw. nie ohne den Akt des Produzierens, dem es sich verdankt.252 4.3. Zusatz: Temporale Interpretation des »ex nihilo«. Von Gott gilt, dass die creatio der Welt ex nihilo seinem Sich-Hervorbringen auch aus der Zeit entspricht.253 Für die menschliche Vorstellung hingegen stellt sich das »Nichts« der Schöpfung, »aus« dem das Geschaffene ist, als ein »noch nicht Sein« (von allem) dar, d. h., der Schöpfungsgedanke bedeutet ein zeitliches 248

Endlich und vergänglich sein ist die Bestimmung dazu, einmal in der Welt nur noch Vergangenheit zu sein. 249 Dass Schöpfung die große »Unterbrechung« ist, zeigt sich unübersehbar im Enden des geschaffenen Lebens. Der Tod hängt mit dem Geschaffensein zusammen, und der »Schöpfung aus dem Nichts« entspricht innerweltlich das Enden mit dem Tod, das Nichtmehr-Sein als ins Nichts Zurückfallen, dem allein Gottes Neuschöpfung zu wehren vermag (s. u. § 16). 250 Über die Verfassung des Glaubens angesichts der Erfahrung vom Nichts wären einschlägige Texte bei Meister Eckhart und Luther, Kierkegaard und Hegel sowie Tillich (s. o. Anm. 181), aber kontrastierend auch F. Nietzsche und G. Benn (»Es gibt nur zwei Dinge: / die Leere und das gezeichnete Ich«) heranzuziehen. 251 »Da-sein heißt: Hineingehaltenheit in das Nichts. Sich hineinhaltend in das Nichts ist das Dasein je schon über das Seiende im Ganzen hinaus. Dieses Hinaussein über das Seiende nennen wir die Transzendenz« (HEIDEGGER, a.a.O. 115). Theologisch reden wir statt von (menschlichem) »Dasein« vom Geschöpf Gottes (wenn auch die Geschöpflichkeit allein im Menschen als solche bewusst ist), und das Sein »über das Seiende im Ganzen hinaus« heißt mithin: über die Welt im Bezug zu Gott als der wahren Transzendenz, während Heidegger als Philosoph eine Transzendenz ins »Sein« meint. Zur metaphysischen Grundfrage: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? cf. meine spekulative Interpretation: J. RINGLEBEN, Der Gott der Vernunft und der Offenbarung, in: J. Lauster/B. Oberdorfer (Hgg.), Der Gott der Vernunft, RPT 41, Tübingen 2009, 301–318, hier 305f mit Anm. 24 und 25. 252 Wie es ja auch im Doppelsinn des deutschen Wortes »Schöpfung« liegt, Vorgang und Resultat zugleich zu sein. Cf. oben Anm. 220. 253 Cf. dazu den folgenden Paragraphen sowie oben § 2 D. 4.1. (S. 218ff) und S. 243 bei Anm. 456. Bei Johannes Scotus Eriugena bringt Gott als das »überseiende Nichts« im »Abstieg« (descensus) aus diesem Nichts sich selber hervor, aber nur in den Ideen: »ex superessentialitate suae naturae, in qua dicitur non esse, primum descendens, in primordialibus causis a se ipso creatur« (De divis. nat. III 20). Auch hier ist der zweideutige Ausdruck creari zu kritisieren.

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Zurückgehen hinter das Vorhandene, die vorfindliche Welt. Die Rede von einer »Schöpfung aus dem Nichts« impliziert die Entdeckung des (für sich unvorstellbaren) »Nichts« aus der Möglichkeit, hinter alles Vorgegebene zurückzugehen, es sozusagen nach rückwärts zu transzendieren: auf ein »Vorher« hin, für das das Wort »Gott« einsteht.254 Es liegt systematisch nahe zu vermuten, dass die Bedingung dieser Möglichkeit die Erfahrung eines »Nicht mehr« im endlichen Leben ist. Aus dieser entspringt auch die Vergegenwärtigung eines »Noch nicht«, d. h. noch gar nicht Seins. Geht man von der Gegenwart aus rückwärts, so ist damit prinzipiell ebenso die Möglichkeit gegeben, auch ein zukünftiges »Noch nicht« zu intendieren, d. h. zeitlich nach vorwärts zu transzendieren. Dazu stimmt, dass auch dabei das Wort »Gott« als Inbegriff des zukünftig erst noch Kommenden einstehen kann; so hat Hebr 11,1 den Glauben als ein Bestehen des Nichts in Gestalt des Noch-nichtSeins definiert: ἐλπιζοµένων ὑπόστασις, πραγµάτων ἔλεγχος οὐ βλεποµένων.255 Der Bezug des Glaubens auf das (noch) »Unsichtbare« ist spekulativ als einer auf Gottes Werden zu sich (als seine Selbsthervorbringung im Eschaton) zu begreifen. Das Unsichtbare – das ist Gott in seiner lebendigen Bewegung.

E. Schöpfung im Wort Die geschaffene Welt ist nur als das Gehaltene, nämlich ins Nichts gehalten. Das wird positiv gewendet in der Bestimmung »Schöpfung durch das (bzw. präziser: im) Wort«. Bereits das Alte Testament verbindet »Gottes wirksames Sprechen mit seinem schöpferischen Handeln«.256 Weil das göttliche Wort im Sinne des hebräischen dabar als Wort und Tat zugleich zu verstehen ist, handelt es sich um ein schöpferisches Sprechen: eine »Wirklichkeit setzende Macht«.257 Als sich artikulierende Macht ist das Wort Gottes eine sprachliche Wirklichkeit setzende Macht.258 Sein schöpferisches Wort ist nicht so etwas wie ein das Seiende gleichsam durch einen Zauberspruch aus dem Nichts hervor-rufendes Mirakel,259 sondern eine sprachlich verfasste Setzung derart, dass das so ge254

Cf. den sog. kosmologischen Gottesbeweis aus der Kausalkette. Hier hat das »Unsichtbare« eindeutig einen nicht-platonischen, sondern vielmehr einen Zukunftssinn. Zum Zusammenhang von Hebr 11,1 mit 11,3 s. o. A. 4. (S. 442ff). 256 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 254; cf. 256 und zu Ägypten 254 Anm. 5. 257 A.a.O. 262. 258 In diesem sich artikulierenden, göttlichen Wort aktualisiert sich »der Geist Gottes über den Wassern« (Gen 1,2b) und wird so schöpferisch: sprachlich real. 259 Wenngleich das Wort hebräisch ‫( קרא‬mit: le + Dativ) im Sinne von »zurufen«, d. h. durch Anrede identifizieren, im Alten Testament durchaus eine Rolle spielt (cf. Gen 255

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setzte Geschöpf selber wesentlich sprachlich verfasst ist; es existiert sprachlich: als Wort Gottes. Das »Wort« ruft hier also streng genommen nicht etwas ins Sein, das zuvor nicht da war,260 sondern am lebendigen Wort Gottes unterscheidet sich kreativ, was an jedem Wort überhaupt eins ist: Sinn und sinnliches Dasein. Es »ent-äußert« sich.261 So wird dieses Wort sich selber äußerlich – und eben so ist das Geschöpf da –: als Erscheinung von Gottes Schöpferwort vor dem Hintergrund des Nichts. Dass das Geschaffene worthaft existiert, hat Luther anschaulich formuliert: »Deus enim vocat ea, quae non sunt, ut sint [Röm 4,17], et loquitur non grammatica vocabula, sed veras et subsistentes res; Ut quod apud nos vox sonat, id apud Deum res est.262 Sic Sol, Luna, Coelum, terra, Petrus, Paulus, Ego, tu, etc. sumus vocabula Dei, Imo una syllaba vel litera comparatione totius creaturae«.263 Für Gott also ist die Schöpfung der Kosmos seiner Worte; und nur für uns sind seine schöpferischen Worte die »Dinge«, das vor dem Hintergrund des Nichts Seiende – für uns, die selber derart ins Sein Gerufenen.264 Nur füreinander sind die geschaffenen Dinge seiend, für Gott sind sie gesprochen.265 Das besagt, für Gott sind es Worte, was für uns reale Wesen 1,5.8 u.ö). Cf. unten Anm. 283 sowie auch die schöpferische »Stimme des Herrn« (Ps 29,3ff). 260 Von diesem Missverständnis nicht frei sind die kritischen Bemerkungen bei PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 447 Anm. 69), 264 (mit Anm. 1) und 278; anders dann (vom Alten Testament aus: Geist, Gen 1,2b) a.a.O. II, 97f. 261 Jedes Wort existiert, auf den Sprechenden zurückbezogen, in relativem Selbstunterschied von ihm und ist so unselbständig, gleichsam als schwebendes Zwischen. 262 Beides ist im menschlichen Sprechen getrennt. K. Barth hat – unter der Voraussetzung, dass Gottes Wort »wirkende Kraft« hat (cf. Röm 4,21: δυνατός ἐστιν καὶ ποιῆσαι) – Röm 4,17 so wiedergeben: »daß Gott das Nicht-Seiende anspricht als Seiendes« (K. BARTH, Der Römerbrief, München 21926, 96). Weil nun das Nichtseiende gerade nicht etwas ist, das man als etwas ansprechen könnte, heißt, »das Nicht-Seiende« ansprechen als … so viel wie: überhaupt sprechen. Daher ist ein Prädizieren des Nichtseienden als … gar nicht zu unterscheiden von einem absoluten Nennen, einem es Aussagen überhaupt, einem Hin-sprechen schlechthin. Das bedeutet: Erschaffen ist, dass Gott (etwas) ausspricht, ist göttliches Sagen. Somit ist Gottes schöpferische Rede auch nicht ein Mittel (oder Instrument), um Seiendes zu schaffen, sondern seine gesprochenen Worte sind an sich selber das Geschaffene, und für uns sind das die seienden Dinge. 263 WA 42, 17,16–20 (Hervorh. J. R.); cf. auch: »Nam quid est aliud tota creatura quam verbum Dei a Deo prolatum, seu productum foras« (a.a.O., Z. 25f, Hervorh. J. R.). Platon wendet sich gegen die Meinung, dass man die Elemente des Alls als »Buchstaben« (στοιχεῖα) auffassen oder sie mit »Silben« (συλλαβή) vergleichen könne (Tim. 48b/c), aber er denkt auch nicht die Schöpfung als eine im Wort. Cf. zum Ganzen bei Luther das Kapitel 3: Schöpfung und Wort, in: J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 92ff. 264 Nach Dante Alighieri ist das von Gott Geschaffene ein »visibile parlare« (Purg. X, 95). 265 Man könnte fragen: woher die Distanz in diesem »Für« (uns)?

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(unter anderem Dinge, Pflanzen, Tiere, Menschen) sind.266 »Im« Wort geschaffen zu sein, bedeutet spezifisch für das Menschengeschöpf, sprachlich zu existieren; daher ist »seine« Welt, d. h. die Wirklichkeit für ihn, überhaupt sprachlich verfasst. Als selber wesentlich sprachliches Wesen ist der Mensch es, der – im Zuge seiner Gottebenbildlichkeit267 – das welthaft Seiende konstitutiv »benennt« (Gen 2,19).268 Der schöpferische Charakter göttlichen Sprechens kommt auch darin zum Ausdruck, dass biblisch Gottes erstes Wort Licht (nicht nur schafft, sondern selber) ist (Gen 1,3; cf. Joh 1,4b mit 8,12; 9,15),269 so wie es auch Leben ist

266 »Gott spricht, aber nicht in einer Sprache neben den Dingen. Vielmehr sind die Dinge selbst seine Sprache« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. I, Frankfurt 1964, 321 mit Verweis auf J. G. HAMANN, SW 3, 32,24ff). 267 Dazu s. u. F. 3.2. (S. 494ff). 268 Cf. J. G. HAMANN, SW 2, 206,30–207,2. Hegel hat im Zusammenhang mit seiner Deutung der Namengebung von Gen 2,19 von der Sprache gesagt: »Sie ist der existierende Begriff des Bewußtseyns« (HEGEL, Gesammelte Werke, Bd. VI, Hamburg 1975, 288; cf. auch a.a.O. 8, 1976, 190,2–6). Cf. auch differenziert und von J. G. Hamann inspiriert W. Benjamin: »Durch das Wort ist der Mensch mit der Sprache der Dinge verbunden. Das menschliche Wort ist der Name der Dinge. … geschaffen ist sie [sc. die Sache] aus Gottes Wort und erkannt in ihrem Namen nach dem Menschenwort. Diese Erkenntnis der Sache ist aber nicht spontane Schöpfung, sie geschieht nicht aus der Sprache absolut uneingeschränkt und unendlich wie diese; sondern es beruht der Name, den der Mensch der Sache gibt, darauf, wie sie sich ihm mitteilt. Im Namen ist das Wort Gottes nicht schaffend geblieben, es ist an einem Teil empfangend, wenn auch sprachempfangend, geworden. Auf die Sprache der Dinge selbst, aus denen wiederum lautlos und in der stummen Magie der Natur das Wort Gottes hervorstrahlt, ist diese Empfängnis gerichtet« (W. BENJAMIN, Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen [1916], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II/1, Frankfurt 1977, 150). Zur Namengebung als Auszeichnung des Menschen cf. S. KIERKEGAARD, Pap. 1 A 55 (1854), in: GW 11/1, 39 (= Die Tagebücher, hg. von H. Gerdes, Bd. V, Düsseldorf 1974, 180). 269 Das Schöpfungswort ist selber schon Licht, weil es erstens die sichtbare Welt als Schöpfung enthüllt (cf. Hebr 11,3) und zweitens dadurch, dass es als Wort das Chaos lichtet, d. h. in den verschiedenen Schöpfungswerken differenziert, gestaltet, artikuliert. Philo von Alexandrien spricht in »De opificio mundi« von νοητὸν φῶς (wie Gott selber Licht ist: De somn. I 13,75; cf. 1Joh 1,5b), und Augustinus nennt Gott »lucifera lux«, weil zu unterscheiden sei »inter lucem quod est ipse Deus, et lucem quam fecit Deus« (C. Faust. Man. XXII 8; PL 42, 404). Unter Anspielung auf die bekannte Stelle bei Pseudo-Longinos (Peri Hypsous 9) sagt Hegel: »›Gott sprach: es werde Licht, und es ward Licht.‹ Es ist dies eine der erhabensten Stellen. Das Wort ist das Müheloseste; dieser Hauch ist hier zugleich das Licht, die Lichtwelt, die unendliche Ausgießung des Lichtes; so wird das Licht herabgesetzt zu einem Worte« (HEGEL, Werke 17, 65). Cf. auch MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 149 (§ 254). Zum Verhältnis des Schöpfungslichtes zu den Gestirnen (Gen 1,14–19) cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 408 Anm. 180. Cf. auch D. LAU, Wie sprach Gott ›Es werde Licht‹?, Lateres 1, Frankfurt 2003.

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(Joh 1,4a).270 So kann sein Wort auch als Teilgabe an Gottes eigenem Leben verstanden werden.271 Freilich ist auch die lebendige Einheit von schöpferischem Wort und Handeln im Blick auf den Unterschied von Zeit und Ewigkeit als eine in sich differenzierte zu begreifen – gemäß dem augustinischen: »non tamen sempiterne facis, quae sempiterne dicis«.272 Innerbiblisch kommt das darin zur Geltung, dass es einerseits heißt: Am Anfang schuf … (Gen 1,1), d. h. tat etwas (quasi zeitlich bzw. sprechend), dies aber andererseits (konsequent) fortgeschrieben wird mit: Am Anfang war der Logos (Joh 1,1), d. h. das ewige Wort bzw. Sprechen.273 Wie sich beim Begriff lebendiger Ewigkeit und ihrem Verhältnis zur Zeit genauer zeigen wird,274 muss man auch hier die Bewegung als in Ruhe zurückgenommene denken (Übergehen als Übergegangensein).275 Die ewige Simultaneität göttlichen Lebens reflektiert (oder: artikuliert) sich somit zeitlich im Nacheinander göttlichen Redens für uns, bzw. das eine Wort Gottes stellt sich im Menschenwort als zeitliche Redesequenz dar (Hebr 1,1f).276 Die Einheit von göttlichem Sprechen und schöpferischem Gewordensein entspricht ganz Gottes Allmacht. »Quod Deus omnipotens dixit et facta sunt [Ps 33,9], hoc est verbo aeterno omnia facit.«277 Dass Gottes Wort »schnell läuft«, wenn er seine Rede zur Erde sendet (Ps 147,15), beweist die göttliche »Kunst«: »es koste Gott nicht mehr denn ein wort, das heist ›Fiat‹, Gene. 1[,3]«.278 Dem folgend ist Fiat bei J. Böhme das Wort eines jeden Dinges, sein Konstitutivum.279 Noch bei Kant heißt es von der »Idee« des eingeborenen Sohnes mit Bezug auf Joh 1,3: »das Wort, (das Werde!) durch welches alle andre Dinge sind, und ohne das nichts existiert, was gemacht ist«.280

270

Cf. oben S. 441 Anm. 23. Gottes ewiges Wort ist Leben, sofern es Selbstbewegung ist – wie der »Himmel«: cf. EG, Nr. 295,4. 271 Luther kann formulieren: »… sicut eodem verbo deus facit et nos sumus, quod ipse est, ut in ipso simus, et suum esse nostrum esse sit« (Oper. in Ps. [1519–1521]; WA 5, 144,20–22). Zum Erfülltwerden siehe auch unten bei Anm. 317. 272 Conf. XI 7,9. 273 Dabei geht es innergöttlich freilich selber schon um die Einheit von Tun (ewige Zeugung) und Sein (des Sohnes) des Gegenübers in der Trinität. 274 S. u. § 9 D. (S. 532ff). 275 Zur Ruhe Gottes des Schöpfers, der seine Verborgenheit entspricht, cf. HERDER, SW 13, 425. 276 Cf. J. Milton: »Immediate are the acts of God, more swift / Than time or motion, but to human ears / Cannot without process of speech be told, / So told as earthly notion can receive« (J. MILTON, Paradise lost VII, 176–179). 277 WA 18, 711,13f. 278 WA 31 I, 445,4f. 279 HEGEL, Werke 20, 117; cf. J. BÖHME, Von den 3 Prinzipien, Kap. 8, § 5 und Myst. Magn., Kap. 19, § 28. 280 Kant-AA 6, 60,16.

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Die göttliche Wahrheit (hebr. ʾemet) wird in Ps 119,160 von der Septuaginta als ἀρχή (Vg.: principium) von Gottes Wort übersetzt;281 im Urtext steht indes: »Haupt deines Wortes« (hebr. rosch). Damit wird das göttliche Wort, zumal als schöpferisches, zentral in Gottes Selbstsein verortet, so dass Gottes kreativer Entwurf der geschaffenen Welt immer auch als »die Grammatik einer möglichen Selbstaussage Gottes« zu verstehen ist.282 Indem Gott die Kreatur aussagt, d. h. schöpferisch sein lässt, spricht er (sozusagen indirekt) immer auch von sich selbst: Im Gesagten legt der Redende sich selber aus. Obwohl (oder gerade weil) es sich bei der Schöpfung um so etwas wie eine Selbstartikulation Gottes handelt,283 mündet ihre (alttestamentlich-weisheitliche) Betrachtung in die Einsicht einer letzten Unerforschlichkeit Gottes (cf. Ps 145,3), auf die Ehrfurcht und Lob antworten.284 Denn einmal mehr gilt auch angesichts des Schöpfungswunders: τὸ πᾶν ἐστιν αὐτός (Sir 43,27).285 Der worthafte Status aller aus Gott schöpferisch hervorgebrachten Kreatur bedeutet seine bleibende Abhängigkeit von Gottes Sprechen (Ps 33,9 u. ö.). Dieser Status besteht in der konstitutionellen Unselbständigkeit alles Seienden auch in dem Sinne, dass sein Sein ganz an Gottes lebenschaffendem Wort hängt, denn »in« ihm ist es, was es ist. Nähme Gott, wie Luther es ausdrückt, sein schöpferisches Wort zurück, so fiele die Kreatur ins Nichts.286 Ihr Sein ist labil und nicht aus sich selber zu stabilisieren, d. h. eben geschöpflich: »Dependet enim esse cuiuslibet creaturae a Deo, ita quod nec ad momentum subsistere possent, sed in nihilum redigerentur, nisi operatione divinae virtutis conservarentur in esse.«287

281

Cf. auch WA 7, 97,27–29. K. RAHNER, Grundkurs des Glaubens, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. XXVI, Solothurn/Düsseldorf 1999, 214. Rahner betont zugleich, dass Gott »das innerliche Vernehmen dieses Wortes schafft und diesem Vernehmen sein Wort wirklich sagt, so daß eins wird: die Selbstaussage des Wortes Gottes und seine Vernommenheit« (DERS., Schriften zur Theologie, Bd. VI, Zürich u. a. 21968, 154). Beides hängt zusammen wie der Sachverhalt, dass die Geschöpfe Worte in Gottes Grammatik sind (s. o. Luther), damit, dass Gottes Selbstartikulation eine Grammatik hat (Rahner). 283 Nach Ps 19,2–5 als »Rede an die Kreatur durch die Kreatur« (J. G. HAMANN, Aesthetica in nuce, in: ders., SW 2, 198,29ff). 284 Cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 263f. 285 A.a.O. 264; übersetzt mit: »Er ist das Ganze«. 286 »hoc verbum tamdiu in creaturis est, quamdiu Deus loquitur: quando non loquitur, id est, cum vim verbi sui aufert, nullum vim habent« (WA 24, 38,6–8; cf. 46, 559,10–12 = 14, 103,26f). 287 Thomas, STh I, q. 104, a. 1. resp. (mit Berufung auf Gregor den Großen, Moral. XVI 16); cf. auch ScG III 64 sowie Augustin, De Gen. ad litt. IV 12,22 (PL 34, 304). Zur conservatio s. u. F. 2. (S. 489ff). 282

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F. Der Schaffende und seine Welt Wenn es auch »natürlich« erscheint, darf doch gefragt werden: Warum eigentlich fängt die Hl. Schrift mit der Schöpfung an (Gen 1)? Es lassen sich dafür fünf Gesichtspunkte namhaft machen: – Sie fängt mit dem Anfang von allem an, der eben die Schöpfung ist; – der Anfang hat mit Gott zu tun – darum ist sie »heilige« Schrift –, denn Schaffen (baraʾ) ist exklusiv das Tun Gottes, wie auch »am Anfang sein« und Gott wesentlich miteinander zu tun haben;288 – die Schrift selber (als heilige) gehört zum Anfang, und der Anfang von allem ist konsequentermaßen auch der Anfang der Schrift als solcher; insofern redet »Schöpfung« auch von der Erschaffung der Schrift;289 – die Schöpfung ist auf ihr Vernommenwerden in Verkündigung und Erkenntnis ihrer selbst (cf. Jes 48,7) angelegt,290 und solches Verkündigt- und Erkanntwerden kann sich nur in (situationsenthobener) Schrift manifestieren; – in der Wiederaufnahme (bzw. Fortschreibung) des Anfangs, wie sie in Joh 1,1 (ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος) und Mk 1,1 (ἀρχὴ τοῦ εὐαγγελίου Ἰησοῦ Χριστοῦ) zum Ausdruck kommt, setzt sie sich als neue Hl. Schrift fort. 1. Schöpfung und der lebendige Gott Schöpfung besagt grundlegend: Das Sein der Welt gründet ursprünglich in Gott. Solches »Gründen« ist theologisch als Geschaffenwerden zu präzisieren, wobei die schöpferische Tätigkeit Gottes seinem lebendigen Sein entspricht. Gott ist der Schaffende schlechthin, d. h. (wie oben dargelegt), er lässt ein von ihm Unterschiedenes sein im unendlichen Unterschied zu seinem eigenen Sein. Erschaffen als absolutes Unterscheiden ist Gottes Selbstunterscheidung bzw. -entäußerung nach außen, und das Geschöpf ist das von Gott Unterschiedene seiner selbst. Dabei ist systematisch ein trinitarischer Kontext zu berücksichtigen. Denn indem (a.) Gott die Welt von sich (d. h. ihm) selbst und sich von der Welt unterscheidet, unterscheidet er (b.) zugleich ewig sich in sich (seine intern vorauszusetzende Selbstunterscheidung: »immanente Trinität«). Man kann sagen, die Unterscheidung (a.) wiederholt die von (b.) nach außen und im Äußeren als solchem, d. h. dem Geschaffenen als dem sich selbst Äußerlichen. Die Schöpfung ist ein endliches und äußeres Bild des göttlichen Lebens, und dieses ist als »ökonomische« Trinität im Weltprozess wirksam. Diese legt die immanente Trinität aus, bzw. umgekehrt: Die ökonomische Trinität reflektiert sich ewig als immanente Trinität.291 288

S. o. C. 1. bei Anm. 130. Cf. oben § 6 G. 1. (S. 394 bei Anm. 130). 290 S. u. F. 3.2. (S. 494ff). 291 Cf. unten § 15 K. (S. 865ff). 289

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Gottes Selbstunterscheidung (im Sinne von [b.]) ist die innergöttliche Bedingung für die Schöpfung (a.), und dies als der ewige Logos Gottes, der »Sohn«, der als Schöpfungsmittler die ewige Wahrheit der Welt (und des Menschen) ist: »per quem omnia facta sunt«292 (Joh 1,3.10b;293 1Kor 8,6; Hebr 1,2b.3[10]; Kol 1,15–17; cf. auch Prov 8,22–31294). Erst durch den ewigen »Sohn« wird Gott zum Schöpfer und zum »Vater«.295 Die Erkenntnis der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi stammt aus dem konsequenten Zu-Ende-Denken der christlichen Erfahrung, dass mit Jesus von Nazareth der lebendige Gott selber als Mensch auf Erden da war (Joh 1,14; Kol 1,19; 2,9), d. h., dass in ihm der Schöpfer begegnet, dessen Schöpfung sich in der Erlösung vollendet. Damit wurde der Rückschluss zwingend: Auch das Weltverhältnis des Schöpfers muss schon »durch« den Gottessohn (als Logos) vermittelt gedacht werden (Eph 1,4; 1Petr 1,20; cf. Act 2,23).296 Insofern sich die Schöpfung im Menschgewordenen als ewigem Wort vollendet, ist sie auch schon durch seine Vermittlung (Kol 1,16f) – in ihrem Dass- und Was-Sein.297 Dieser ordo cognitionis ist theologisch zugleich als ordo rei zu begreifen: Das zeitliche Auftreten des Menschensohnes reflektiert sich – sozusagen retroaktiv – in seiner Voraussetzung (verbal verstanden) als ewiger Gottessohn.298 In der geschichtlichen Zeit des Jesus-Ereignisses unterscheiden sich aktuell deren historische Gegenwart und ihre ewige Voraussetzung, und vom Ende her bestimmt sich der Anfang, bzw. jenes Ereignis ist der lebendige Anfang, der sich zur Ewigkeit abstößt. Von ihrer Vollendung her bestimmt sich die Schöpfung als von Anfang an durch Gottes ewiges Wort vermittelt, und das ist Gottes »Werden zu sich«. 292

Symbolum Nicaenum (BSLK 26,11). Der »Sohn« Gottes ist nicht die Welt (so Philo)! 293 Dies gilt spezifisch hinsichtlich des Lebens (Joh 1,4; cf. 11,25; 14,6). 294 Zur ewigen »Weisheit« Gottes als »Anfang seines Weges« cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 255. 295 Zu Gott dem Sohn als Schöpfer und Erhalter cf. auch MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 144 (§ 247) und 166 (§ 282), zu Gottes Offenbarsein darin 145 (§ 247). 296 Zum διά in Joh 1,3 cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 458 Anm. 138), 33–35. Der Logos des Vierten Evangeliums hat eine ähnliche Funktion wie der Nous des Anaxagoras; dieser Terminus ist aber bei Johannes vermieden (zur Erklärung cf. a.a.O. 16 Anm. 22). 297 »Die Offenbarung Gottes in Jesus Christus vollendet die Schöpfung und macht so ihren Sinn offenbar« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 272). Das führt auf die Thematik der Eschatologie (s. u. Abschnitt 6. [S. 505ff] und § 16). 298 Wenn Hamann schreibt, der Gott-Mensch und Gottessohn »ist der Schöpfer, ungeachtet er erst in der Fülle der Zeit geboren wurde« (J. G. HAMANN, SW 1, 292,22f), so deutet sich in dem Wort »ungeachtet« die Zeitumkehrung in der »Mitte« der Zeit an, in der die Ewigkeit und der Anfang von allem sich auf sich zubewegt.

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Demgemäß ist Gottes trinitarisches Leben als in sich selber genetisch zu begreifen: Er lässt sein eigenes Anderes in sich für sich sein: den ewigen Sohn. Diese Selbstunterscheidung im lebendigen Gott selber setzt die Dynamik frei, durch die das Andere sich zum äußerlich Anderen Gottes (der Welt) verselbständigt und so als Welt Gott im unendlichen qualitativen Unterschied gegenübersteht. Die Selbstunterscheidung in Gott wird zur Selbstentzweiung: Die relative Andersheit des Sohnes setzt sich fort in der radikalen Andersheit welthaften Seins, und das immanente Anderssein des Sohnes »verandert« sich (M. Theunissen) zum Anderssein Gott gegenüber schlechthin.299 Die Macht seines Lebens ist so unendlich (cf. Hebr 7,16b), dass Gott das immanente Andere auch außerhalb seiner in der Äußerlichkeit wiederholen und den Anderen als das Andere verendlicht noch einmal sein lassen kann.300 Wie verhalten sich diese Realität der geschaffenen Welt zum absoluten Sein des sich selbst hervorbringenden Gottes und entsprechend auch alles Werden in der Welt zum göttlichen Werden zu sich? Die grundsätzliche Antwort muss lauten: Gott bringt sich selber nicht durch die Welt hervor, sondern (trinitarisch) im Sohn;301 aber im Zuge dieser Selbsthervorbringung gibt es auch die geschaffene Welt. Die Welt ist also keinesfalls so etwas wie ein notwendiger »Teil« des göttlichen Prozesses oder gar eine Ergänzung oder Realisierungsbedingung für ihn. Gleichwohl kann auch die Schöpfung (einschließlich ihrer Erhaltung) nicht ohne Gottes Selbsthervorbringung (als im Wesen des lebendigen Gottes begründet) begriffen werden.302 Daher ist hier zweierlei zu sagen: Einerseits ist der Gedanke der Schöpfung eng mit dem (diese Gotteslehre leitenden) von Gottes Sich-Hervorbringen als dem Lebendigen verbunden;303 andererseits darf Gottes Schaffen theologisch unter keinen Umständen so mit diesem Sich-Hervorbringen verbunden werden, dass jenes dieses irgendwie mit bedingt oder ein konstitutives Moment dessen wäre. Anders gesagt: Einerseits ist Gottes Selbsthervorbringung ein absoluter und absolut autono299 Freilich ist Gott in Gestalt des menschgewordenen Logos auch in der Welt wieder bei sich (Joh 1,10.11). 300 Zu Anderes/Anderer cf. oben S. 447 Anm. 72. 301 S. u. § 15 J. 2. (S. 859ff). 302 Den entscheidenden Gesichtspunkt liefert hierbei die Frage nach dem Anfang der Schöpfung: Wie verhält sich das »Am Anfang schuf …« zu Gottes Werden zu sich? Dazu s. o. Abschnitt C. 2. (S. 458ff). 303 Die These: Gott bringt sich am Ort der Schöpfung selber als Ewiger Gott hervor, entspricht der anderen: Er bringt sich am Ort des zum Glauben kommenden einzelnen Menschen hervor (s. o. Prolegomena, § 4, 4. [S. 70ff]). Dies ist die glaubenstheologische Abwandlung des sog. »Creationismus«, wonach die unsterbliche Seele des Menschen von Gott jeweils durch einen besonderen Schöpfungsakt ins Dasein gebracht wird. Wir müssen sagen: Im Erschaffen einer »unsterblichen« Seele bringt der unerschaffene Gott zugleich sich selber hervor, indem diese zu seiner unerschöpflichen »Fülle« gehört.

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mer Akt bzw. Vollzug (absolut a se) und in keiner Weise durch die Erschaffung der Welt bedingt.304 Andererseits stößt Gott selber sich auch in jedem Moment der Schöpfung lebendig von ihr zu sich ab: Indem er sie zeithaft sein lässt und durchdringt, ist er zugleich ewig er selbst – als der Ewige in unendlicher Differenz zur Welt.305 So ist unbedingt festzuhalten: Das Sein Gottes als »schlechthin aus und durch sich selbst heraus schlechthin vollzogen« bedarf als in sich vollkommen durchaus keines Anderen außer sich selbst (praeter se), »um auf absolut vollendete Weise Gott zu sein«.306 Als solcher hat er nicht nur, sondern ist als er selber absolute Freiheit. Für diese Freiheit gibt es keine äußere Nötigung, und sie verwirklicht sich als Freiheit auch in der Freiheit zur Schöpfung, d. h. dem Seinlassen eines Anderen. Gleichwohl schließt solche Freiheit es definitiv aus, dass ihr in ihrer Vollkommenheit etwas zum Sein mangele, wodurch sie bedingt sein könnte. Vielmehr gilt hier einzig eine innere Motivation: »wie Gott vermöge seiner eigenen absoluten Kausalität er selbst oder Gott ist, nämlich die absolute geistige Person:307 so wird er als diese, als Gott, mit innerer Nothwendigkeit wiederum kraft seiner eigenen Selbstbestimmung die Kausalität eines mit ihm schlechthin geeinigten Anderen von sich außer (praeter) sich«.308 Von hier aus lässt sich die Freiheit des göttlichen Schaffens mit einer inneren Notwendigkeit (Gottes Freiheit als seine eigene Notwendigkeit für sich, also keinerlei Zwang) zusammendenken.309 In dieser für ihn sel-

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So kann die Forderung P. Valérys eingelöst werden: »Gottes Existenz wäre sehr gefestigt, wenn man … andere Seiten an ihm entdeckte als die, welche mit der Schöpfung zusammenhängen« (VALÉRY, Cahiers/Hefte II [wie oben S. 441 Anm. 26], 506). 305 Nur weil Gott sich simultan zur Schöpfung selbst hervorbringt, hat die Schöpfung eine Zukunft bzw. ist sein eschatologisches Kommen als ihre Zukunft. 306 ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben S. 447 Anm. 70), 150 (§ 39). 307 Von dieser gilt logisch notwendig: »Ich bin Ich, nur unmittelbar zusammen mit einem: Ich bin nicht mein Nichtich« (a.a.O. 154 [§ 40]). Dieser bloße Gedanke Gottes von einem Anderen wird als real frei gesetzt im Erschaffen der Welt. 308 A.a.O. 161 (§ 40). 309 Cf. a.a.O. 161 und 168. Von einer Notwendigkeit der Setzung der Welt für die Selbstverwirklichung Gottes (so W. Pannenberg zu J. Müller bzw. G. W. F. Hegel; cf. W. PANNENBERG, Gottesgedanke und menschliche Freiheit, Göttingen 21978, 104 und 99 bzw. DERS., Theologie und Philosophie, Göttingen 1996, 280) kann mithin nicht die Rede sein. Wenn Pannenberg demgegenüber auf der Vorordnung der schöpferischen Freiheit Gottes vor einem logischen Begriff von Freiheit besteht, so verdankt sich das einem unzureichenden Begriff von Logik (im Hegel’schen Sinne), wenn denn die göttliche Freiheit nicht die des Logos soll sein können; bei Pannenberg bleibt Freiheit somit eher eine vage »Vorstellung«. Hegel hingegen begreift seine »Logik« als Darstellung Gottes in seinem ewigen Wesen vor der Schöpfung (HEGEL, Werke 5, 44) und diese als das freie SichEntlassen der Idee zur Natur (6, 573). Die Hegel’sche »Logik« ist die Darstellung der absoluten Subjektivität Gottes, seine Selbstentfaltung als Subjektivität.

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ber notwendigen Freiheit besteht geradezu Gottes eigener Begriff von sich selbst310 bzw. seine selige Vollkommenheit.311 Jedenfalls ist festzuhalten: Dass Gott sich trinitarisch absolut in sich selbst vermittelt und so absolute Freiheit an sich selber ist, ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass er sein schlechthin Anderes (die Welt) von sich unterscheiden und es (sie) als es (sie) selber für sich sein lassen, d. h. freisetzen kann. Gottes Schaffen ist also freie »Tathandlung«, indem sie (relativ) frei lässt, d. h. wortvermittelt von sich als absoluter Freiheit unterscheidet.312 Man kann dieses kreative Unterscheiden, in dem Gott der Schaffende ist, auch als sein schöpferisches Sehen beschreiben. Gilt für uns Menschen, dass wir nur zu sehen vermögen, was schon irgendwie da ist, so ist das nach Augustin anders bei Gott: »tu autem quia vides ea, sunt«.313 Lebendig erschaffend ist Gottes Blick oder Schau als sein Er-sehen: als sein »vivificare«.314 Das von ihm Gesehene als Unterschiedenes und für sich Seiendes zu sehen, heißt für Gott, es sein zu lassen. So ist auch Gottes Sehen unbeschadet seiner Unmittelbarkeit sprachlich verfasst. Ein Sehen, das auf ein Gesehenes als Unterschiedenes bezogen ist, hat dies mit dem Denken gemeinsam, das immer etwas denkt, das selber nicht Denken, sondern das Gedachte ist. Es ist in sich zugleich außer sich: bei seinem Anderen.315 Dies ist nur in der Sprache möglich. So erscheint es spezifisch treffend, wenn es bei Ph. K. Marheineke heißt: Gott ist der, der »denkend schafft und schaffend denkt«.316

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Ähnlich a.a.O. 155. Cf. a.a.O. 159; denn diese innere Notwendigkeit ist »in der That die höchste Freiheit« (a.a.O. 168 [§ 42]). Dass Gottes Vollkommenheit gerade das Aus-sich-Herausgehen und Im-Anderen-bei-sich-Sein ermöglicht, ist verkannt, wo man »Vollkommenheit« und Schöpfung gegeneinander ausspielt (cf. VALÉRY, Cahiers/Hefte II [wie oben S. 441 Anm. 26], 505.508.515 u. ö.). 312 Was Gott schöpferisch sprechend von sich »unterscheidet«, das lässt er als solches »im Wort« sein, d. h., das ist. 313 Conf. XIII 38,53. Beim Cusaner heißt es: »videre tuum est creare tuum« (Nikolaus von Kues, De vis. Dei XII, in: ders., Phil.-theol. Schr. 3, 144). Zur Einheit von Sehen und Wirken bei Gott cf. auch Johannes Scotus Eriugena, De divis. nat. III 17 (PL 122, 678; cf. 675). 314 Nikolaus von Kues: »Et non est videre tuum nisi vivificare« (De vis. Dei IV, a.a.O. 106). 315 Dies ist die ursprüngliche Einsicht in Anselms Argument, dem sog. »ontologischen Gottesbeweis«; cf. dazu J. RINGLEBEN, Erfahrung Gottes im Denken. Zu einer neuen Lesart des Anselmschen Argumentes (Proslogion 2–4), NGWG.PH 2000/1, 4–36. 316 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 110 (§ 188); cf. a.a.O. § 189: »seine Gedanken sind das auch zugleich unmittelbar und einzig und allein Wirkliche« (Hervorh. J. R.). 311

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Der Erschaffende ist, das ist hier als Letztes zu betonen, nicht nur einfach dies, sondern: »implet ea, quia implendo ea fecit ea«.317 Gottes Schaffen bleibt ihm nicht äußerlich, sondern kommt dem Erschaffenen so nahe, dass er es mit sich erfüllt, ja, sich mitzuteilen, ist selber das schöpferische Seinlassen der Kreaturen, denen er sich, sie erfüllend, mitteilt. Trotz ihres unendlichen Unterschiedes darf man also Gott und seine geschaffene Welt nicht abstrakt trennen. Denn weil die Schöpfung kein für Gott äußerlicher oder gar vereinzelter Akt ist, vermag er in der geschaffenen Welt sich selber unendlich gegenwärtig zu sein: Als sein Äußeres ist sie das, worin er ist, wie auch sie in Gott bleibend ihr Sein hat.318 Dies Gründen der Welt in Gott ist ihr Sein »im« göttlichen Wort und durch es vermittelt. Das bedeutet insbesondere für die Geschöpfe, die wir als Menschen im Glauben an Gottes Wort sind: ἵνα πληρωθῆτε εἰς πᾶν τὸ πλήρωµα τοῦ θεοῦ (Eph 3,19b). 2. Schöpfung und Erhaltung »Was unser Gott erschaffen hat, das will er auch erhalten«319 – fragt man, wie sich beides zueinander verhält, so legen sich formell zunächst diese Bestimmungen nahe: Akzentuiert der Begriff der Schöpfung den Anfang (a.), so der der Erhaltung (conservatio) die Abhängigkeit des Geschaffenen (b.): in ständiger Abhängigkeit vom Schöpfer und relativem Eigensein ihm gegenüber. Das heißt: (a.) verhält sich zu (b.) wie das Nicht-aus-sich-Sein des endlichen Seienden zu seinem Von-einem-Anderen-her-Sein. Ohne (a.) lässt sich (b.) nicht denken, denn (a.) expliziert in gewisser Weise (b.): als Richtung auf Gott als das absolute Jenseits meiner (Anfang) und meine absolute Grenze – (formal gesehen) ein »Nichts« meiner selbst bzw. mein eigenes Nichtsein und (inhaltlich gesehen) mein Nicht-Gott-Sein. Umgekehrt gilt: (b.) hält (a.) präsent:320 Ich existiere begründet, aber nicht aus mir selbst,321 sondern (inhaltlich gesehen)

317 Conf. IV 9,14. Cf. Luther zum 1. Artikel (Großer Katechismus) von Gottes Sichselbst-Geben; BSLK 650,27–29; 661,38–40; 676,3f (dazu unten § 15 H. 2. [S. 833ff]). 318 Marheineke redet von diesem Erfülltwerden der Welt durch den Schöpfer als ihrem »Seyn in Gott, welches das Seyn Gottes ist in ihr« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 137 [§ 234] und 136 [§ 230]). 319 »Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut« (J. J. Schütz, 1675); EG, Nr. 326,3. 320 Daher hat Schleiermacher bekanntlich die Schöpfungsaussage dogmatisch nur als Ergänzung zur (Erfahrung der) Erhaltung gelten lassen wollen (SCHLEIERMACHER, CG2, §§ 36–39; cf. bes. § 36,1). Marheineke stellt demgegenüber zu Recht heraus, dass nur von der Schöpfung her logisch auch die Erhaltung gedacht werden kann (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 164 [§ 279]). 321 Luther: »Nos non fieri nostra voluntate« (WA 18, 719,28).

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aus einem mir entzogenen Grund (Gott), während ich für mich (formal gesehen) grund-los (kontingent) bin.322 Da Gottes Anfangen mit der Schöpfung nicht ohne deren Ende, ja vielmehr von deren Ende her zu begreifen ist,323 ist die »Erhaltung« des Geschaffenen als von Gott von Anfang an intendierte324 Fortsetzung seines Anfangs auf dessen endgültiges Ziel hin zu verstehen: conservatio als »creatio continua bzw. continuata«.325 Aus allem bisher über die Schöpfung Gesagten folgt, dass Gott mit seinem lebendigen Sein das von ihm Unterschiedene im endlichen Sein erhält; indem er sich schöpferisch zu seinem Unterschied verhält, verhält er sich – ihn erhaltend – zugleich zu sich selber.326 Das ist hier etwas weiter auszuführen. Gott hat endliches, d. h. an sich vergängliches Sein geschaffen; dessen Erhaltung muss daher auch seinem Schöpferwillen, seinem ewigen Ja zu seiner Schöpfung, zugeschrieben werden.327 Erhaltung, das ist die Wirksamkeit göttlicher Fürsorge (cf. Mt 5,45 und 6,25–34 par). Denn das Geschaffene kann nicht aus sich selbst sein, weder ins Sein gelangen noch darin bleiben,328 und dies gilt potenziert unter den Bedingungen menschlicher Sünde: Trotz ihrer Schöpfungswidrigkeit und

322 Gott ist der, der vor mir ist mit seinem unausdenklich größeren, absoluten Sein. Ab alio zu sein, bedeutet: Gottes Anderssein ist mein Nichtsein. 323 S. o. C. 2. (S. 458ff). Bei Meister Eckhart heißt es: »creasse (est) creare« (Eckhart, LW 3, 510, 3) mit Bezug auf Joh 5,17. 324 Dass die Welt, die als Gewordene an sich vergänglich ist, durch Gottes gütigen Willen im Sein erhalten wird, steht schon bei Platon, Tim. 41a und b (cf. Justin, Dial. 5,4). Thomas von Aquin hat betont, dass die göttliche Gegenwart als »Fortsetzung des Schöpfungsaktes« dem Fortbestehen und der Entwicklung alles geschaffenen Seins dient (cf. STh I, q. 104, a. 1, ad 4.). 325 Cf. Pannenberg: Erhaltung als fortgesetzte Schöpfung bzw. Hervorbringung (PANNENBERG, Systematische Theologie II [wie oben S. 447 Anm. 69], 55f). Man kann bei der Erhaltung aber zugleich auch an ein von Neuem Weiter-schaffen denken (cf. Jes 43,19: baraʾ). Insbesondere die sog. Prozesstheologie hat Schöpfung als das dynamische Eröffnen von kreativen Möglichkeiten im Weltprozess herausgearbeitet. Cf. dazu R. FABER, Gott als Poet der Welt. Anliegen und Perspektiven der Prozesstheologie, Darmstadt 2003, sowie M. WELKER, Universalität Gottes und Relativität der Welt. Theologische Kosmologie im Dialog mit dem amerikanischen Prozeßdenken nach Whitehead, Neukirchen-Vluyn 21988. Cf. auch meine kritische Bemerkung: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 466 Anm. 194), 230 Anm. 72. 326 Dazu stimmt, dass auch Gottes ewiger Sohn (Logos) wie schon Schöpfungsmittler (s. o. 1.; S. 437f), so auch Erhalter der Schöpfung ist (cf. MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 166 [§ 282]). 327 »Creatoris namque potentia, et omnipotentis atque omnitenentis virtus, causa subsistendi est omni creaturae« (Augustin, De Gen. ad litt. IV 12,22; PL 34, 304). 328 »ut nec momento consistere suis viribus possint [sc. die Geschöpfe]« (WA 18, 662,12).

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an ihr vorbei bleibt Gott seinem Schöpfungswerk treu.329 So bleiben wir als Geschöpfe konstitutiv auf das Erhaltenwerden durch Gott angewiesen: »Nos per nos ipsos non esse factos, nec vivere, nec agere quicquam sed per illius omnipotentiam.«330 Der Mensch ist nicht nur durch Gottes Wort geschaffen,331 sondern wird in ihm durch seinen Geist (hebr. ‫ )רוח‬sich stets wiederholend auch neu geschaffen332 bzw. erhalten (Ps 119,116):333 »Du machst das Antlitz der Erde (immer wieder) neu« (Ps 104,30b).334 Demgemäß ist zu sagen: »Bewahrung … ist nicht allein conservatio, sondern stetige renovatio sive recreatio«,335 d. h. creatio continuata.336 Geht Gottes Schöpferhandeln lebendig mit, dann kann sich jede Gegenwart zureichend nur aus ihm – als göttlicher Erhaltung, Bewahrung und Neuschöpfung – verstehen. So erklärt sich, dass der Apostel Paulus 2Kor 4,6 in einer ungemein kühnen Zusammenschau die protologische Erschaffung von Licht aus der Finsternis in seiner eigenen Bekehrung (soteriologisch) als Erleuchtung durch Jesus Christus wiedererkennt (cf. auch Joh 1,5a), so als ob die Schöpfung vom Anfang jetzt an ihm selber sich erneut ereigne.337 329 Cf. Luther: »Licet enim Deus peccatum non faciat, tamen naturam peccato, subtractu spiritu, vitiatam non cessat formare et multiplicare, tanquam si faber ex lingo corrupto statuas faciat« (WA 18, 708,31–33). 330 WA 18, 718,21f. Cf. Marheineke: »Gleichwie des Leibes Gesundheit und Lebensdauer bedingt ist durch die Einathmung der Luft, so sind auch die Seelen abhängig von einer geistigen Ordnung Gottes, indem sie des immerwährenden Zuflusses seiner erhaltenden, beschützenden, reinigenden und stärkenden Liebe nicht entbehren können, um am wahrhaftigen Leben erhalten zu seyn« (a.a.O. 163 [§ 276]), cf. oben § 6 (S. 398 Anm. 166). 331 Zum Verhältnis von Erhaltung und Schöpferwort (creatio prima und continuata) cf. Ps 33,6.9 mit V. 4f.7. 332 Das göttliche Schaffen ist für Luther nicht nur Erhalten, »sed etiam mutando et novando« wirksam (WA 42, 58,26f). 333 Zentral ist demnach »die Synergie von Gottes Geist und seinem wirkmächtigen Wort« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 439 Anm. 12], 207 Anm. 17); diese biblische Sicht ist auch sprachphilosophisch relevant. Zum Entzug von Gottes Geist cf. a.a.O. 209 (mit Ps 104,29). 334 Übersetzung H. Spieckermann; cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 210f. (Dem Begriff ‫[ רוח‬cf. anders Gen 2,7; a.a.O. 208] kommt dabei eine Schlüsselstellung zu.) 335 A.a.O. 211. Dass Gott jeden Tag das Werk der Schöpfung erneuert, sagt auch eine alte jüdische Liturgie: Mechaddesch betaljom maʿasse bereschit. 336 ‫ רוח‬ist (wie das »Wort«) nicht instrumentell zu relativieren, denn es handelt sich hier um »Gottes Geist in einem essentiellen Sinn: als uneingeschränkte Repräsentanz der Gegenwart Gottes selbst, als göttliche Entität« (a.a.O. 207 Anm. 17); so ist Geist als »wirkmächtige Erscheinungsform von Gott selbst« (207) letztlich nur trinitarisch zu begreifen. 337 Das würde zu unserer These stimmen, dass Gott sich am Ort des Glaubens selber hervorbringt – sofern er das auch bei der Schöpfung tut. Übrigens hat Paulus in ähnlich

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Die aktuelle Gegenwärtigkeit von Gottes Erhaltungshandeln – als die Weise, wie der Schöpfer in seinen Geschöpfen wirksam da ist – ist zugleich umgriffen vom Sein der Welt in Gott überhaupt: »Es hat aber die Welt nur in Gott aufgehoben wahrhaften Bestand«;338 diese Aufhebung hat sowohl einen aktuell-bewahrenden wie auch einen eschatologischen Sinn.339 3. Die geschaffene Welt (Zu Mensch, Natur und Geschichte) 3.1. Die geschaffene Welt existiert relativ selbständig Gott gegenüber,340 aber in bleibender Abhängigkeit von ihm. So gilt: »Die Selbsterhaltung der Welt durchs Gesetz ist ihr bedingt durch ihr Erhaltenseyn von Gott, als dem Gesetzgeber«.341 Zugleich ist die Welt – als vergehende (1Kor 7,31): παράγει γὰρ τὸ σχῆµα τοῦ κόσµου τούτου – in Gott »aufgehoben«.342 Fasst man dies Verhältnis begrifflich, so ist zu sagen: »Das Wesen der Welt ist wesentlich diese in sich zurückkehrende Bewegung des Insichzurückgekehrten.«343 In dieser Bewegung hat Gott seine externe Lebendigkeit: indem er sich die Welt schöpferisch voraussetzt und aus ihr – sich von ihr abstoßend – zu sich zurückkommt, d. h. sich ewig mit sich vermittelnd im Durchgang durch Zeit und Geschichte als er selbst ist.344 Wenn es dazu einmal bei Hegel heißt: »Ohne Welt ist Gott nicht Gott«,345 so erhebt sich die Frage bzw. der theologische (Standard-)Einwand: »Braucht« Gott die Welt, um zu sich zu kommen? Dieser Kritik liegt eine irrige Auffassung des Verhältnisses des Unendlichen zum Endlichen zugrunde, der zufolge das Endliche »nach seiner Bestimmtheit dem Unendlichen als reales Da-

kühner Weise die Schöpfung aus dem Nichts und die Totenauferweckung (Röm 4,17) mit dem Glauben Abrahams (ebd.) und unserer Rechtfertigung (V. 24) zusammengeführt. 338 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 163 (§ 278). Dass die Welt sich nicht selber erhalten kann, ist dadurch bedingt, dass sie »nicht so durch sich in sich selber seyn kann, wie Gott« (a.a.O. 162 [§ 276]); siehe den folgenden Abschnitt 3. 339 Dazu s. u. Abschnitt 6. (S. 505ff). 340 Cf. dazu schon oben S. 443 Anm. 41. 341 MARHEINEKE, Grundlehren 161 (§ 274). Unter »Gesetz« ist hier Natur-, Denk- und Sittengesetz verstanden (a.a.O. § 273). 342 Cf. oben bei Anm. 318. 343 HEGEL, Werke 19, 84 (Hervorh. J. R.); cf. 92: »Dieser lebendige Prozeß – dies Unterscheiden und das Unterschiedene identisch mit sich zu setzen –, dies ist der lebendige Gott.« 344 Das entspricht seiner Allgegenwart als lebendiges Sein »ubique et nusquam«, wobei dies »et« dynamisch zu verstehen ist; s. u. § 12 E. 1. (S. 669ff). 345 HEGEL, Werke 16, 192. Dieser Satz gilt aber 1. (wie noch zu zeigen ist) von der Welt nur als vergehender und 2. allein im religiösen Bewusstsein (cf. a.a.O. 198; dazu s. u. bei Anm. 351f und 374).

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sein gegenüber(steht)«.346 In Wahrheit aber ist die Welt – statt dass diese und Gott »bloß Andere gegeneinander« sind347 – in Gott logisch vergangen: Die Endlichkeit ist nämlich … das Dasein mit der Bestimmung gesetzt, in sein Ansichsein überzugehen, unendlich zu werden. Die Unendlichkeit ist das Nichts des Endlichen, dessen Ansichsein …, aber dieses zugleich als in sich reflektiert, …, nur sich auf sich beziehendes, ganz affirmatives Sein. In der Unendlichkeit ist die Befriedigung vorhanden, daß alle Bestimmtheit, Veränderung, alle Schranke … verschwunden, als aufgehoben, das Nichts des Endlichen gesetzt ist.348

So ist es zu begreifen, dass der lebendige Gott ein wesentliches Verhältnis zur frei geschaffenen Welt hat, ohne doch von ihr (als daseiender) irgendwie abhängig zu sein.349 Im Kontext unserer Gotteslehre ist zu sagen: Auch wenn Gott sich am Ort der geschaffenen Welt – im sich qua Schöpfung davon Unterscheiden – selbst hervorbringt, verhält er sich als der Sich-Hervorbringende nicht in der Welt (als solcher) zu sich selbst; sondern zu sich selbst verhält er sich im – von der Welt ewig verschiedenen – Sohn; dieser ist es, ohne den er in Wahrheit nicht er selbst ist.350 In seinem (innertrinitarischen) ewigen Selbstverhältnis stößt er sich gerade von seinem zeitlich-geschichtlich vermittelten Verhältnis zur Welt ab. Daher ist diese etwas Vergehendes und als solches nicht ein (für Gott selber) notwendiges Moment seines Selbstverhältnisses. Gottes Verhält346

HEGEL, Werke 5, 151. Das besagt: »es gibt zwei Welten, eine unendliche und eine endliche« (a.a.O. 152). Es ist die Hartnäckigkeit des abstrakten Verstandes, der die lebendige Dialektik dieses Verhältnisses verkennt: »Das Endliche ist [angeblich] das reale Dasein, welches so verbleibt, auch indem zu seinem Nichtsein, dem Unendlichen übergegangen wird« (ebd.). Cf. auch u. bei Anm. 410. 347 Hier wird auch eine undurchschaute Dialektik der Rede von Gott als dem »ganz Anderen« (von der Negativen Theologie des Areopagiten bis zu K. Barth) erkennbar: Es ist von demselben aufgrund seiner Abstraktheit gar nicht zu unterscheiden. 348 A.a.O. 151. Cf. auch: »daß Gott, der die Wahrheit ist, in dieser seiner Wahrheit, d. h. als absoluter Geist, nur insofern von uns erkannt wird, als wir zugleich die von ihm erschaffene Welt … in ihrem Unterschied von Gott als unwahr anerkennen« (HEGEL, Werke 8, 180 [§ 83 Zus.]). 349 Mit der Annahme, dass Gott nur vermittels der Welt Gott sein sollte, setzt sich Hegel kritisch und sie eindeutig ablehnend mit Verweis auf Gottes internes Selbstverhältnis (als ewige Liebe) auseinander; cf. HEGEL, Werke 17, 368. Heißt es bei Pannenberg zu Hegel: »Wohl aber realisierte das Absolute erst in der Hervorbringung der Welt und des Menschen und ihm gegenüber sich selbst als Subjekt« (PANNENBERG, Gottesgedanke und menschliche Freiheit [wie oben Anm. 309], 103), so ist dagegen zu betonen: Bereits als Sich-Hervorbringender ist Gott absolutes Subjekt (für sich). Das lässt sich konstruktiv zu Pannenbergs Überlegungen über Freiheit und Zukunft (a.a.O. 110) in Beziehung setzen, zumal mit der futurischen Lesart von Ex 3,14. 350 Gott ist in seinem Sein nicht vermittelt durch die Welt, sondern er ist die Vermittlung seiner mit sich selbst, d. h. konkret: die als Liebe verstandene Trinität (cf. dazu HEGEL, Werke 17, 268).

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nis zu seinem Sohn (und in ihm zu sich) geht ewig – d. h. sich von der Zeitlichkeit abstoßend – seinem Weltverhältnis voraus. Indem er die Welt sich voraus zeithaft sein lässt, ist er immer schon ewig bei sich selber. Deswegen gilt: opera ad extra indivisa; denn der sich trinitarisch zu sich verhaltende Gott ist der Schöpfer und Christus (der ewige Logos) sein Schöpfungsmittler. Im konkreten religiösen Bewusstsein freilich ist Gott nur als der Schöpfer der Welt und nicht ohne sie da: »Gott … hat nie in göttlichen Sphären bei sich selbst existieren wollen, ehe er durch seine Schöpfung auch zum Anderen und zu den Anderen gekommen ist.«351 Der christliche Gott ist Gott als der »Schöpfer, der in seiner Schöpfung ein Gegenüber schafft, ohne das er nicht Gott sein will«.352 Gleichwohl gilt systematisch, dass die Welt nicht notwendiges Moment im Selbstvollendungsprozess Gottes ist, sondern dessen Reflex nach außen (in der Verdoppelung der Liebe); denn nur das in sich Vollendete kann sich auch nach außen hin darstellen, ohne sich zu verlieren. Gottes »Wille« ist wesentlich der, Gott zu sein, und d. h. sich auch als Gott zu manifestieren. Was er für sich ist, will er auch für Andere(s) sein, so dass dieses an ihm teilhat, und darin besteht eben seine Liebe zur Welt. Die Welt aber ist kein Moment im »Werden« Gottes (zu sich), so dass er noch nicht Gott wäre ohne sie; sondern er ist simultan er selbst (als Dreieiniger in sich vollendet) und lässt in Freiheit sein Anderes sein. Er ist in einem der Mit-sich-Einige und der auf sich Zugehende; sein Werden zu sich ist sein Er-selbst-Sein. 3.2. Zur konkreten Selbsterfahrung des Menschen gehört wesentlich, dass sein geschöpfliches Leben »ohne Aufmerksamkeit auf die äußern Elemente und derselben Einwirkung sich nicht erhalten lasse und daß, von ihnen abhängig, sein creaturliches Leben nur in der beständigen Abhängigkeit davon fortdauern könne«.353 In diesem Sachverhalt kommt zum Ausdruck, dass die Natur bleibende Voraussetzung und Bedingung des Menschseins ist.354 Zumal als denkendes Bewusstsein ist er, leibhaft existierend, Teil der Natur und steht ihr zugleich gegenüber. Das ist eine Selbstunterscheidung im Schöpfungsprozess selber, der sozusagen von der Natur anfängt und im Menschen 351 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 254. Das gilt genauso, wie dass Gott nicht in (ewigem) Schweigen verharrte (Röm 16,25b), ehe bzw. bis er sein Wort aus sich entließ; cf. dazu RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 480 Anm. 263), 20f. 352 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 254. Das gilt so, wie dass er auch nicht ohne den Menschen Jesus Gott sein will. Von der Liebe des Schöpfers zum Geschöpf ist die Rede, wenn es heißt: »Gott, der nicht ohne Beziehung zu Welt und Mensch Gott sein will« (a.a.O. 266; Hervorh. J. R.). 353 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 163 (§ 277). Cf. Luther zur Kette der Kreaturen, die füreinander da sind und einander dienen, WA 5, 38,14–18 und 56,27–30. 354 Naturzerstörung schlägt daher unausweichlich in Selbstzerstörung des Menschen um.

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zu sich kommt (s. u.). Das Ganze der Schöpfung (als geschaffene, natürliche Welt) erfasst sich selber im denkenden Bewusstsein,355 und doch ist der Mensch im Ganzen des Universums nicht mehr als »un roseau pensant« in all seiner Bedingtheit, fragilen Endlichkeit und Abhängigkeit.356 Er ist zugleich abhängig und frei (in Distanz zu seiner Abhängigkeit und sie gestaltend); er existiert als gewusste bzw. wissende Grenze. So ist der Mensch, obzwar eine verschwindende Größe im unermesslichen All, so doch zugleich ein Sehpunkt oder Auge ihm gegenüber.357 Theologisch gesehen gilt, die Schöpfung des Menschen impliziert die ihm »geschenkte Fähigkeit zum Erkennen und Verstehen«.358 Diese Fähigkeit hängt aber wesentlich an der Sprachlichkeit des Menschen.359 Zu ihr gehört, dass der Mensch nach seinem Sein fragt, und zwar als einem, dem Gott selber, der Schöpfer, spezifisch zugewandt ist; er fragt in diesem Horizont so grundsätzlich wie möglich: Was ist der Mensch? (Ps 8,5)360 Versteht man Gen 3,9 (»Adam, wo bist du?«) systematisch, so begreift hier der Mensch sich als im Fragen Gottes nach ihm und seiner Antwort als Mensch existierend.361 Das führt auf den Gedanken der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27),362 denn »zu einer Offenbarung des Geistes, zum Wort, kommt es nicht im ganzen Umkreise der Natur, weil der Geist allein nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen worden, als welches an sich die Offenbarung des Geistes, 355 Das »Ganze« ist nicht die äußere Summe von Natur und Mensch, sondern das Ganze ist ungegenständlich: als Natur, die (am Ort des Menschen) mehr ist als sie selber bzw. als das Bewusstsein, das an (oder in) sich sein Anderes (die leibliche Natur) hat. 356 B. PASCAL, Pensées, Frgm. 347 und 348. 357 Cf. PASCAL: »par l’espace, l’univers me comprend et m’engloutit comme un point; par la pensée, je le comprends« (a.a.O., Frgm. 348). 358 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 255. 359 Cf. oben bei Anm. 268. Das gilt in der Sache unbedingt, selbst wenn es zutreffend sein sollte, dass für Gen 2,7 die Deutung auf die dem Menschen verliehene Sprachfähigkeit historisch-exegetisch »nicht naheliegend« zu sein scheint (so mit Berufung auf K. Koch: FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 208 Anm. 22). Gegen diese Diagnose ist einzuwenden: Jene Deutung ist systematisch kaum vermeidbar (cf. Gen 2,19), zumal wenn gelten soll: »Die Binnenlogik des Textes hat bei der Deutung unbedingten Vorrang« (a.a.O. 207 Anm. 16). 360 Zu Ps 8 cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 257 Anm. 13, und J. RINGLEBEN, »Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?« Grundgedanken evangelischer Anthropologie im Anschluß an Ps 8,5, in: N. Elsner/H.-L. Schreiber (Hgg.), Was ist der Mensch?, Göttingen 2002, 271ff = ders., Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben Anm. 194), 119–136. 361 Cf. die Reflexionen dazu (im Sinne phänomenologischer Variation) bei H. Blumenberg, der hier die »Berufbarkeit des Abwesenden« notiert: »weil es den Namen Du hat, ein rufbares und im Gerufenwerden sich betroffen Wissendes« (BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen [wie oben S. 445 Anm. 60], 780 und 779ff). 362 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 257 und Anm. 10.

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das Wort (λογος) ist.363 Dem Geiste des Menschen allein ist daher die Gabe der Sprache verliehen, als Folge und Ausdruck eines Geistes, der von dem unendlichen Geiste stammt«.364 In der Schöpfungsgeschichte der Genesis wird überhaupt allenthalben deutlich: »Hier ist Gottes Geist gegenwärtig, nicht zuletzt dort, wo Gott den Menschen zu seinem Ebenbilde schafft.«365 Damit ist auch erkannt: Gott will »in seinem Ebenbilde sich selbst ansehen«.366 Weil Gott selber sich im Menschen spiegelt (Gen 1,26), kulminiert in ihm auch der Schöpfungsprozess der Genesis überhaupt.367 Indem im Menschen (als sprachlich verfasstem Wesen) die Schöpfung unter ihren eigenen Bedingungen gleichsam die Augen aufschlägt und sich als Schöpfung bewusst wird,368 kann gesagt werden: »hoc [sc. initium] … ut esset, creatus est homo«369 – sozusagen die bewusste Wiederholung des Anfangs als solchem.370 Dies ist

363 Daher schließt Glauben an die Ähnlichkeit mit Gott entschieden »den Verzicht auf vernünftige Ergründung [Gottes] aus« (cf. VALÉRY, Cahiers/Hefte II [wie oben S. 441 Anm. 26], 591). 364 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 149 (§ 254). 365 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 208. Obwohl das in Gen 1,26 nicht explizit ist, wohl aber in Gen 2,7; beide Male geht es um die »singuläre Gottesbeziehung« (ebd.) des Menschen. 366 A.a.O. 260. Cf. Schleiermacher: »Das Universum bildet sich selbst seine Betrachter und Bewunderer« (SCHLEIERMACHER, Reden über die Religion [Uraufl.], 143). Bei Hegel heißt es von der Ebenbildlichkeit: »daß der Schaffende sich in seinem Geschöpfe nur erhält und hervorbringt, so daß im Geschöpfe die Bestimmungen des Göttlichen selbst sind« (HEGEL, Werke 17, 502; Hervorh. J. R.). 367 Weil im geschaffenen Menschen die Schöpfung zu sich kommt, ist er als leibhafte Person der methodische Ausgangspunkt und die organisierende Mitte der christlichen Anthropologie. Dass wir als Geschöpfe wesentlich auf Gott bezogen sind, reflektiert sich in der Selbstunterscheidung, als die wir bewusst existierende und zugleich unaufhebbar leibliche Wesen sind. Denn durch unsere Leiblichkeit gehören wir einerseits zur geschaffenen Natur überhaupt, in unserm seelisch-geistigen Personsein sind wir andererseits unausweichlich auf Gott selbst bezogen. Der Schöpfergott seinerseits ist auch in unserer leiblichen Natur bei sich, weil er selber »Fleisch« geworden und im menschlichen Bewusstsein Jesu zu sich gekommen ist (Joh 1,14). 368 Der Weltprozess an sich selber ist »bewußtlos und das Negative der Vernunft« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 138 [§ 236]), so wie die Natur als solche (a.a.O. 143 [§ 244]); cf. auch: »In dem Bewußtseyn der Vernunft und Freiheit erst wahrhaft zu sich selbst gekommen, erkennt die Welt sich als nothwendige Schöpfung Gottes« (a.a.O. 139 [§ 238]). K. Barth schreibt im Blick auf den Menschen: »die von Gott geschaffene Welt ist auch … ein lesbarer Text und zugleich ihr eigener Leser und Ausleger« (BARTH, KD IV/3, 159). 369 So Augustin in anderem Kontext, De civ. Dei XII 20 (PL 41, 372). 370 Freilich eine in sich gebrochene und getrübte Wiederholung göttlichen Seins, ein verzerrter und entstellter Schatten Gottes, ein in sich verkrümmter und sich in sich zu verlieren drohender Spiegel; cf. zur Sünde unten 3.3. (S. 499).

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notwendig mit dem Bewusstsein von Gott verbunden,371 und dessen Ort ist die Religion.372 Dieses Bewusstsein ist aber vom Schöpfer selber hervorgerufen und verdankt sich in Wahrheit allein seiner Zuwendung zum menschlichen Geist.373 Jede Auffassung von der Religion bleibt unterbestimmt, die sich zuletzt nicht das Folgende systematisch zu eigen macht: »Gott ist ein lebendiger Gott, der wirksam ist und tätig. Die Religion ist ein Erzeugnis des göttlichen Geistes, nicht Erfindung des Menschen, sondern Werk des göttlichen Wirkens und Hervorbringens in ihm.«374 Ist zutreffend, was in Act 17,28 angeführt wird: ἐν αὐτῷ γὰρ ζῶµεν καὶ κινούµεθα καὶ ἐσµέν, ὡς καί τινες τῶν καθ’ ὑµᾶς ποιητῶν εἰρήκασιν: τοῦ γὰρ καὶ γένος ἐσµέν, so gilt systematisch: »Der bestimmteste Ausdruck der wahren, ursprünglichen Einheit des Menschen mit Gott ist die Vorstellung von dem Menschen, als dem göttlichen Ebenbild.«375 Wie Gott im Geschöpf (außer sich) bei sich ist (Joh 1, 11a), so gilt vom Menschen, dass in ihm die geschaffene Natur zu sich kommt;376 auch daher ist er das Ebenbild Gottes selber. Freilich ist diese Ebenbildlichkeit (wegen der sündigen Verkehrung des Menschseins) vollendet erst in der Ebenbildlichkeit des Menschensohnes da (1Kor 4,4; Kol 1,15),377 sofern allein im Sohn der Vater (bzw. im Verhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater) Gott zeitlich und ewig bei sich ist.378 So wie das Andere sich für Gott zweifach 371 »Für ihre Wahrheit und Wirklichkeit kann die Welt, als Natur und Bewußtseyn, nur in dem an und für sich nothwendigen und absoluten Wesen, welches die Einheit und das Prinzip der Natur und des Bewußtseyns ist, Gewähr und Bürgschaft finden« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 140 [§ 239]). 372 »Die Welt ist geschaffen zu Gottes Verherrlichung, zu Gottes Ruhm und Ehre. Sie ist geschaffen um der Religion willen, damit Erkenntniß und Verehrung Gottes sey« (a.a.O. 142 [§ 243]). Dies ist wiederum nur sprachlich möglich. 373 Cf. zu dieser »Umkehrung« oben »Einführende Überlegungen«, 2. (S. 6). 374 HEGEL, Werke 16, 40. Das gilt zumal, wenn Gott als der sich am Ort des sich zu ihm verhaltenden Menschen selber Hervorbringende gedacht wird. 375 MARHEINEKE, a.a.O. 145 (§ 248). 376 Wenn auch untheologisch und programmatisch ohne Bezug auf den Schöpfungsgedanken wendet G. Bruno diesen Gedanken in interessanter Weise: »Zuerst also beachtet, daß es ein und dieselbe Stufenleiter ist, auf der die Natur bis zur Hervorbringung des Seienden herabsteigt, und auf der die Vernunft zu dessen Erkenntnis emporsteigt, und daß sich beide von der Einheit zur Einheit begeben« (G. BRUNO, Über die Ursache, das Prinzip und das Eine [1584], RUB 5113, Stuttgart 1986), 139). Auch hier wird die absolute Einheit als eine sich mit sich selbst vermittelnde gedacht. 377 Nach Schleiermacher ist auch die Schöpfung des Menschen erst in Christus vollendet; cf. SCHLEIERMACHER, CG2, § 89, Leitsatz und 1. 378 Zu diesem Verhältnis als einem innergöttlichen cf. differenziert Marheineke: »Der Vater ist im göttlichen Wesen das Urbild, der Sohn das Ebenbild; und so ist in dieser Beziehung Gottes auf Gott nicht zunächst der Mensch, sondern Gott sich selber gleich oder der gottgleiche Gott [cf. Joh 1,1c], d.i. der Sohn ist das wahre göttliche Ebenbild, in dieser Beziehung also der Mensch nicht die imago Dei, sondern nur ad imaginem. Jenes

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darstellt: als der ewige Sohn (immanent) und als geschaffene Welt (qualitativ ihm gegenüber), so auch sein Ebenbild, worin sich sein Anderes vollendet: protologisch als der geschöpfliche Mensch (Adam) und in Vollendung als der Menschgewordene (cf. Röm 5,12–15 und 1Kor 15,45–47). 3.3. Die Schöpfung als Erhaltung bzw. fortgesetzte Schöpfung mit dem dazugehörenden Erschaffen von Neuem379 und auf Vollendung zielend380 stellt sich auch als ein Geschichtsprozess dar: »Schöpfung ist somit nicht ewig gleichbleibende Ordnung, sondern Geschichte, in der Gott sein Heil verwirklicht.«381 Die Schöpfung des lebendigen, sein Werk erhaltenden und weiterführenden Gottes hat es somit nicht nur mit der Natur zu tun, sondern verwirklicht sich geschichtlich auch durch unsere menschlichen Taten hindurch.382 Insbesondere durch menschliches Kulturschaffen, d. h. im Menschen und durch ihn sowie auch an ihm, geht die Schöpfung weiter: »In dieser Entgegenstellung der Naturproduktion als eines göttlichen Schaffens und der menschlichen Tätigkeit als einer nur endlichen liegt sogleich der Mißverstand, als ob Gott im Menschen und durch den Menschen nicht wirke, sondern den Kreis dieser Wirksamkeit auf die Natur allein beschränke.«383 Dies Weitergehen der Schöpfung im Menschen und durch ihn ist wesentlich sprachlich vermittelt bzw. nur als durch die Sprachlichkeit des Menschen vermittelt. Nach W. v. Humboldt kann das Sprachdenken »zeigen, wie die Sprache, hervorgehend aus Naturlaut und Bedürfniss zur Erzeugerin und Erhalterin des mit Gott vollkommen identische Ebenbild ist die Offenbarung Gottes und sie ist wie das Prinzip der Schöpfung, so auch der Ebenbildlichkeit des Menschen« (MARHEINEKE, a.a.O. 146f [§ 250]; Hervorh. J. R.). 379 Dazu gehört auch der geheimnisvolle Ursprung immer neuen menschlichen Lebens, in dem sich das göttliche Pleroma entäußert. 380 Zur neuen Schöpfung cf. 2Kor 5,17; Gal 6,15. Das Erlösungshandeln Gottes in Christus ist »die konsequente Vollendung« seines Schöpfungshandelns (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 439 Anm. 12], 270). 381 A.a.O. 269 (mit Bezug auf das Verhältnis von 1Kor 15,44b–49 zu Gen 2,7). 382 Cf. Luther: »ut operaretur in nobis et nos ei cooperaremur« (WA 18, 754,14f). 383 HEGEL, Werke 13, 49; 18, 87. Hegel ist im Gegensatz dazu sogar der Meinung, »daß Gott mehr Ehre von dem habe, was der Geist macht, als von den Erzeugnissen und Gebilden der Natur«, etwa in der Kunst (ebd.). Denn nicht nur die Naturerscheinungen sind Werke Gottes, sondern auch das menschliche Werk, das Werk der Vernunft ist göttlich (cf. G. W. F. HEGEL, Die Vernunft in der Geschichte, hg. von J. Hoffmeister, PhB 171a, Hamburg 1955, 51968, 224). Cf. damit A. Peters von Luthers und Calvins Überzeugung: »auch in der gesamten Menschheit ist der Spiritus Creator am Werk und überschüttet der gütige Vater seine vernunftbegabten Geschöpfe mit den Charismen, die menschliche Gesellschaft in Volk und Staat, Politik und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft zu bauen und zu gestalten« (A. PETERS, Kommentar zu Luthers Katechismen, Bd. II, Göttingen 1991, 193). Bei P. Valéry heißt es: »In eo sumus – et aedificamus« (VALÉRY, Cahiers/ Hefte II [wie oben S. 441 Anm. 26], 561; cf. Act 17,28).

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Höchsten und Zartesten in der Menschheit wird«.384 Sprache ermöglicht Kultur als »Sublimation« des Naturgegebenen.385 Sosehr dieser Gesichtspunkt für eine ausgeführte, die Geschichte des Menschen einbeziehende Schöpfungslehre von nicht zu vernachlässigender Wichtigkeit ist, so sehr ist es theologisch entscheidend, dieses kreative Sein des Menschen in seiner Welt strikt von einer Selbsterschaffung überhaupt zu unterscheiden.386 Das hat mit größtem Nachdruck bereits Luther (1535) getan.387 Mit dem Konzept einer Selbsterschaffung des Menschen schlechthin ist die Absolutheit von Gottes Schöpfer- und Herrsein angetastet.388 In dieser Idee kulminiert das Sein-wollen-wie-Gott, das Inbegriff der menschlichen Sünde ist.389 Gott nicht Gott sein lassen, sondern sich sozusagen an seine Stelle setzen zu wollen,390 schlägt verhängnisvoll auf uns Menschen zurück, indem wir dabei so etwas wie »infoelices [sic] et superbii dii« (statt im Glauben homines veri) werden.391 Das ist der Preis für das falsche Sich-Festhalten des geschaffenen Menschen – gegen seine Geschöpflichkeit – an der eigenen, exklusiven Selbstbestimmung, das Luther mit der Formel der 384 HUMBOLDT, GS 4, 429 (Hervorhebungen J. R.). In einem Brief an seine Frau (10.3.1818) schreibt v. Humboldt bezüglich dichterischer Produktivität: »Das Schaffen aus Nichts ist überhaupt eine der wunderbarsten Kräfte des Geistes« (Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von A. v. Sydow, Bd. VI, Berlin 1913, 145). 385 Cf. J. G. Herders genialen Satz: »Schon als Thier, hat der Mensch Sprache« (HERDER, SW 5, 5). 386 Das läge in einer einseitigen (und ihn missverstehenden) Konsequenz von Marheinekes These von der (relativen) Selbsthervorbringung der Welt (s. o. S. 447 Anm. 73). Für die abzulehnende These sei hier verwiesen auf K. Marx (Durch-sich-selbst-Sein des Menschen: »die ganze sogenannte Weltgeschichte [ist] nichts anderes als die Erzeugung des Menschen durch die menschliche Arbeit«; K. MARX, Nationalökonomie und Philosophie, in: ders., Die Frühschriften, hg. von S. Landshut, Stuttgart 1971, 247f; zugleich gilt hier: »Die Geschichte selbst ist ein wirklicher Teil der Naturgeschichte, des Werdens der Natur zum Menschen«; a.a.O. 245) und J.-P. Sartre (Die Existenz geht der Essenz des Menschen voraus: »Der Mensch ist, wozu er sich macht«; J.-P. SARTRE, Ist der Existentialismus ein Humanismus?, in: ders., Drei Essays, Ullstein Tb 304, Frankfurt 1963, 11). 387 Cf. die Disputation »De fide«, Th. 69: »Quis autem ferat hanc blasphemiam, ut opera nostra nos creent, vel ut simus operum nostrorum creaturae« und Th. 70: »Tunc liceret dicere contra Prophetam [Mal 2,10]: Nos ipsi fecimus nos, et non Deus fecit nos« (WA 39 I, 48,24–27). Für Luther wäre das eine Selbstrechtfertigung aus den eigenen Werken (cf. Th. 71; a.a.O., Z. 28–30). 388 Cf. WA 41, 611–619. 389 Zu Gen 2f cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 258–261; zum Thema »Schöpfung und Sünde in der natürlichgeschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen« cf. das gleichnamige Buch von E. HIRSCH (BSTh 1, Tübingen 1931). 390 Luther: »Non potest homo naturaliter velle deum esse deum, Immo vellet se esse deum et deum non esse deum« (Disp. c. scholast. theol. [1517], Th. 17 [WA 1, 225,1f]). 391 Cf. WA 5, 128,36–39.

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incurvatio in seipsum auf den Begriff gebracht hat.392 Geht es in Wahrheit bei unserm Sein um »die fortlaufende Schöpfung des Menschen«,393 so besteht die Sünde eigentlich darin, sich gegen Gottes Zukunft mit einem selbst abzuschotten und falsch zu fixieren.394 Das aber bedeutet ein an sich Festhalten gegen Gottes Werden zu sich bzw. die eigene Neukonstitution im Glauben an Christus (cf. Gal 2,20 mit Röm 3–5). 4. Der liebende Schöpfer Die geschaffene Welt gehört zu Gottes Sein außerhalb seiner selbst. Wie er in sich sein Anderes hat, mit dem er ewig einig er selbst ist: als der, der den Sohn ewig liebt, so hat er in freier Selbsterschließung und Selbstbeschränkung auch außer sich sein Anderes,395 von ihm unterschieden als ein ihm gegenüber Freies und Selbständiges, mit dem, in liebender Zuwendung einig, er Gott als überfließende Vollkommenheit sein will,396 d. h., er ist Gott der Schöpfer und Vollender, indem er die Welt, sein Geschöpf, liebt.397 Gottes Ziel mit der Welt ist die in ihr als seiner Schöpfung ganz bei sich sein wollende Liebe.398 Denn in den Geschöpfen liebt der Vater den Sohn, und darum verdankt sich schon deren Dasein göttlicher Güte und Liebe.399 392 Zu Sinn und Herkunft dieser Formel cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 480 Anm. 263), 475 Anm. 182. Nietzsche hat den sich gegen Gott auf sich selber stellenden Menschen mit einem in sich gestauten See verglichen, der nicht mehr abfließt und immer höher steigt (F. NIETZSCHE, Die fröhliche Wissenschaft, IV. Buch, Aphor. 285, in: ders., KSA 3, 528). Er erwartet davon: »vielleicht wird der Mensch von da an immer höher steigen, wo er nicht mehr in einen Gott ausfliesst« (ebd.). Könnte nicht aber das in sich Stocken auch Fäulnis mit sich bringen? In Gott – anbetend – »auszufließen«, bedeutet doch, zur Quelle des Lebens lebendig zurückzufließen (cf. Lk 17,33; Joh 12,25). Der »Übermensch« hat seine Wahrheit da, wo, mit Pascal gesprochen, der Mensch den Menschen unendlich übersteigt – in Gott (cf. PASCAL, Pensées, Frgm. 434). 393 KLEFFMANN, Grundriß (wie oben S. 445 Anm. 62), 103 Anm. 35; zur Sünde cf. 86. 394 Das ist der wesentliche Gesichtspunkt von Hegels Verständnis der Sünde als »einseitiger Versöhnung«; cf. J. RINGLEBEN, Hegels Theorie der Sünde, TBT 31, Berlin/New York 1977. 395 »Die Welt ist, als Erscheinung Gottes außer sich oder als des Schöpfers, Entäußerung seines Wesens: sie ist das Aeußere, aber nicht in seinem abstracten Daseyn, sondern im innern und wesentlichen Verhältniß zu Gott« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 135 [§ 230]). 396 Gott, der nicht »neidisch« ist (Aristoteles), gönnt dem Geschaffenen das Dasein (cf. PANNENBERG, Systematische Theologie II [wie oben S. 447 Anm. 69], 34 und 36). 397 Das heißt, insofern und solange dies Geschöpf irdisch da ist; in anderer Weise, wenn es endgültig an seinem ewigen Leben teilhat (eschatologisch). 398 Cf. die entsprechende Aussage bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 439 Anm. 12), 411. 399 Cf. oben S. 439 Anm. 11 zu Platon. Über Platons Bedeutung für die Theologie cf. konzentriert CH. AXT-PISCALAR, Was ist Theologie?, UTB 3579, Tübingen 2013, 33–45.

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Ihre Erscheinung ist das Heilmachen und Verklären dieses seines eigenen Anderen. Gottes Liebe zur Welt realisiert sich im Wiederherstellen des (verlorenen) Ebenbildes und in seinem Ausrichten zum reinen Abbild seiner selbst (cf. Joh 3,16), d. h. der versöhnenden Öffnung der Schöpfung zur lebendigen Teilhabe an seinem eigenen ewigen Leben.400 Diesem Ziel dient auch die Rechtfertigung des Sünders im Glauben an Christus (Röm 3,22–28). Insofern das glaubende Zunichtewerden vor Gott die ausdrückliche Wiederholung des Geschaffenseins ex nihilo ist, ist im Rechtfertigungsglauben der Mensch ganz Mensch und Geschöpf und Gott ganz der Schöpfergott. Die Rechtfertigung bedeutet das Einswerden mit Gott unter den Bedingungen der Entfremdung von ihm.401 Der uns rechtfertigende ist der liebende Gott, der von sich aus den unendlichen qualitativen Abstand des Sünders zu ihm überbrückt; dies kann kein Mensch von sich aus (»aus eigenen Kräften«), da er nur als dieser Unterschied existiert.402 400 »Weil die Welt aus der ewigen Liebe Gottes zur Welt hervorgegangen, und sie an ihr das Prinzip ihres Daseyns hat, geht ewig die Liebe Gottes auch aus der Welt hervor. Die Welt ist geschaffen zu Gottes Verherrlichung, zu Gottes Ruhm und Ehre« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 439 Anm. 13], 142 [§ 243]). 401 Sofern der Mensch in seiner Selbstbezogenheit Gott gegenüber sich exklusiv behauptet bzw. sich in sich »verkrümmt«, wird für ihn der Schöpfergott zum fordernden Gott des Gesetzes. Der Gott, der an sich Liebe ist (s. u. § 11 B. [S. 613ff]), weil schon die innertrinitarischen Relationen nichts anderes sind als Begegnungsvollzüge ewiger Liebe, verkehrt sich in der Situation des sich gegen ihn verhärtenden endlichen Menschen zum zornigen Gott. Der Gott des Zornes tritt erst in dem Moment auf, wo sich der Sünder in seiner Gottwidrigkeit fixiert. Dann ist die menschliche Situation des Vor-Gott-Seins unausweichlich vom verurteilenden Gesetz und einer Abskondität Gottes bestimmt, die nicht spekulativ überschritten werden kann (wie K. Barths Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz versucht). Erst und allein in der christologischen Neubestimmung Gottes selber ist diese Situation überholt, wenn der Mensch zum rechtfertigenden Glauben findet. Cf. unten § 11 (S. 622 bei Anm. 60 und 61). 402 Bei Lactanz steht: »religio sola est, in qua libertas domicilium collocavit. res est enim praeter ceteras voluntaria, nec imponi cuiquam necessitas potest, ut colat, quod non vult« (Epit. 49,1). H. Blumenberg bemerkt dazu: »Der Mensch kann diesem Gott, der sich in seinem Sein will, nur noch dadurch als ›Partner‹ begegnen, daß er wenigstens in diesem Akt der religio sich seinerseits frei zu dem bestimmt, was er ist. Bedeutet das, dies Verhältnis sei fortan ›personal‹?« (H. BLUMENBERG, Kritik und Rezeption antiker Philosophie in der Patristik, in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. von A. Haverkamp, stw 1513, Frankfurt 2001, 288). Dies ist theologisch sowohl vom Glaubens- wie auch vom Freiheitsbegriff aus zu kritisieren. Der christliche Glaube weiß sich als freies Empfangen von Gottes Sich-Geben (cf. dazu Luther, unten § 15 Abschnitt H. 2.1. [S. 833ff]) selbsthaft im göttlichen Geiste aufgehoben. Sein Empfangen ist reiner Vollzug, dem kein (selbständiges) Empfangendes ihm gegenüber vorauszusetzen ist (die katholisierende Rede vom »Partner« entspricht der These vom liberum arbitrium indifferentiae). Wahre Freiheit ist nur im Sich-Zurückgeben an Gott den Schöpfer (cf. S. KIERKEGAARD , 2 Tagebücher, hg. von H. Gerdes, Bd. IV, Düsseldorf/Köln 1970, 101ff; Pap. X A 428); als sich hypostasierende (oder: substanzialisierende) ist sie schon Verlust ihrer selbst.

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Gottes Liebe zur Schöpfung ist frei und ihm doch wesentlich. Sie ist für uns nur als eine von ihm ewig gewollte Vorgegebenheit hinzunehmen und im Glauben zu empfangen: als ewiger Grund alles Gegebenen überhaupt. Dass Gott der Liebende sein will und ist bzw. als Gott die Liebe selber sein will und ist, ist das Urfaktum des Weltprozesses schlechthin, und darin ist alle unsere wahre Wirklichkeit begründet. Man stößt hier wieder auf das Geheimnis der göttlichen Selbstherablassung:403 Es ist lebendige Tathandlung (und so ein nicht weiter ableitbarer oder sonst irgendwie begründbarer Sachverhalt), dass Gott sich in seiner Vollkommenheit nicht genügt, sondern sie mitteilen und so vollkommen sein will, d. h. dass er vollkommen sein will im Überfluss: in der Wiederholung seines ewigen Seins außerhalb seiner.404 Gottes Liebe als die des Schöpfers zu seiner Schöpfung lässt sich hier also dreifach charakterisieren:405 Sie ist – das Seinlassen des Anderen als solchen, ihm gegenüber selbständig (Schöpfung); – sein Sich-Mitteilen an dies Andere, d. h. sein auch darin Sein und darin mit sich eins Sein: sein Sich-Vermitteln (Offenbarung); – das in sein Leben Aufnehmen des Geschaffenen, es zu sich hin (bzw. herauf) Bilden (Joh 12,32), um es versöhnt an seinem ewigen Leben teilhaben zu lassen (Vollendung). 5. Ewigkeit der Schöpfung? Die Schöpfungslehre steht vor einem Dilemma: In dem Maße, wie die geschaffene Welt für Gott als wesentlicher Gegenstand seiner ewigen Liebe und Moment seines Lebens erkannt wird, scheint sie gleich ewig wie Gott selber gedacht werden zu müssen (Gott nicht ohne Welt Gott).406 Oder anders: Je mehr man die Welt von Gottes eigenem Sein unterscheidet oder als kontingente Größe fernhält, desto äußerlicher und gleichgültiger scheint sie für ihn zu werden, bzw. desto radikaler steht der für sich ewig Vollkommene ihr (als ihn nichts mehr angehend, ist sie einmal geschaffen) abgesondert gegenüber (Deismus). Die Schöpfung darf also weder als bloß willkürlich bzw. zufällig gedacht werden – denn sie ist ein opus essentiale der ewigen Liebe – noch auch als notwendig für Gott (als ein Zwang für ihn) – denn dann wäre sie anfangslos und gleichursprünglich mit Gott.407 Im letzten Fall verwandelte sich das Verhältnis Schöpfer – Geschöpf in eine zeitlose Korrelation. Gleichwohl besteht 403

S. o. § 6. Auch: im Seinlassen eines Außerhalb-seiner. 405 Zu Gottes Liebe und Gott als Liebe überhaupt s. u. § 11 B. (S. 613ff). 406 Dazu schon oben S. 492f (insbesondere bei Anm. 345). 407 Nicht zufällig kommt das Wort für so etwas wie Ewigkeit (hebr. ‫ )עולם‬in Gen 1 (P) nicht vor, so dass auch im Alten Testament die Schöpfung nicht als ewige gemeint ist (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 439 Anm. 12], 410). 404

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eine wesentliche Beziehung Gottes auf die Schöpfung; denn was der Sohn ewig-notwendig ist, ist die geschaffene, endliche Welt zeitlich-kontingent. Gott »will« nicht allein in sich (mit dem Sohn) lebendig und vollkommen sein, sondern mit uns, seinen Geschöpfen, die er als von ihm unterschieden an sich teilhaben lassen will, um so »unser« Gott zu sein. Der Ausdruck »ewige Schöpfung« ist daher eine contradictio in adjecto,408 und man kann sich dafür nicht auf Joh 5,17 berufen. Die aristotelische Vorstellung von einer Ewigkeit der Welt ist mit dem biblisch-christlichen Schöpfungsglauben unvereinbar.409 »Schöpfung« meint gerade das Nicht-Ewige und Nicht-Notwendige. Hält man das fest, so ist eine Lösung des oben beschriebenen Dilemmas nur so denkbar, dass man die geschaffene Welt streng als sich aufhebende begreift: Die Wahrheit der Welt ist nur ihre Idealität, nicht daß sie wahrhafte Wirklichkeit hätte; sie ist dies, zu sein, aber nur ein Ideelles, nicht ein Ewiges an sich selbst, sondern ein Erschaffenes; ihr Sein ist nur ein gesetztes. Das Sein der Welt ist dies, einen Augenblick des Seins zu haben, aber diese ihre Trennung, Entzweiung von Gott aufzuheben, nur dies zu sein: zurückzukehren zu ihrem Ursprung, in das Verhältnis des Geistes, der Liebe zu treten.410

So gilt: »In Gott selbst ist dieses Jetzt und Fürsichsein [sc. der Welt] das verschwindende Moment der Erscheinung« (cf. 1Kor 7,31b).411 Theologisch ist also festzuhalten: Gott ist in seinem ewigen Bei-sich-Sein absolut vollkommen, und er hat es in seinem eigenen Anderem, dem ewigen Sohn, ohne den er nicht der ewig Lebendige wäre und der Moment seiner Selbstvollendung ist. Die Schöpfung hingegen ist gerade das Seinlassen eines Nicht-Vollkommenen und für sich Zufälligen: um auch darin, als seinem radikal Anderen, bei sich sein zu können und sich den Ort seiner Gegenwart zu bereiten. Schöpfung ist Gottes Entäußerung, die Herablassung des Absoluten in sein Gegenteil. Gottes vollkommenes In-sich-vollendet-Sein ist in allen seinen Momenten notwendig und selber die Notwendigkeit schlechthin. Schöpfung aber ist die 408

Cf. dazu Thomas, STh I, q. 46, a. 1 und 2. Cf. Luther: »Der weise man Aristoteles schleusset vast [= fest] dahin, es sey die welt von ewikeit gewesen. Da mus man je sagen, er habe gar nichts von diser kunst [sc. der Schöpfung] gewust« (WA 45, 13,9f). 410 HEGEL, Werke 17, 243f. Cf.: »Gott setzt das Andere und hebt es auf in seiner ewigen Bewegung« (a.a.O. 193). Dazu heißt es ausführlicher: »So ist Gott diese Bewegung in sich selbst und nur dadurch allein lebendiger Gott. Aber dies Bestehen der Endlichkeit muß nicht festgehalten, sondern aufgehoben werden: Gott ist die Bewegung zum Endlichen und dadurch als Aufheben desselben zu sich selbst [d. h. Werden zu sich]« (a.a.O. 16, 192). Das geschieht bewusst im religiösen Glauben: »im Ich, als dem sich als endlich Aufhebenden kehrt Gott zu sich zurück und ist nur Gott als diese Rückkehr« (ebd.). Genau im Sinne dieses Kontextes steht der (oben bei Anm. 345 zitierte) Satz Hegels: »Ohne Welt [sc. als vergehende] ist Gott nicht Gott« (ebd.)! 411 A.a.O. 246. Zur Frage der »Ewigkeit« der Welt oder Materie cf. a.a.O. 246ff. 409

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Manifestation dieser gloria Dei in seinem »ganz Anderen«; ist jene frei und darin göttlich, so dieses (die Welt) das Reich der Endlichkeit und Zufälligkeit, das aber von Gottes Notwendigkeit beherrscht wird. Nur insofern könnte man sagen, die Schöpfung sei »notwendig«, um Gottes freie Herrlichkeit (nach außen) zu manifestieren; d. h., sie ist notwendig als das Zufällige. Und das besagt wiederum: Sie ist es nicht als ein bleibendes Gegenüber – so ist sie für sich gar nicht fixierbar412 –, sondern eben als das Sich-Aufhebende, Hinfällige und Vergehende, an dem als solchem Gott sich als der »Herr« erweist.413 Von einer »Notwendigkeit des Zufälligen« (als Inbegriff der Welt) kann nur insofern geredet werden, als Gott darin frei in sich zurückkehrt, sich mit sich in seinem Gegenteil vermittelt, das er an sich nicht »braucht«. Die Schöpfung bzw. geschaffene Welt ist das Zufällige und Endliche, an dem und durch das Gott ewig bei sich ist, es dient Gott zur Selbstvoraussetzung, und es hebt sich in der Notwendigkeit Gottes selber auf.414 So ist die Welt ein ständig sich aufhebendes Durchgangsmoment, eine transitorische Erscheinungsbedingung als relatives und endliches Zeigfeld für das ewige Leben Gottes. Das kontingente Zeitliche ist als vorläufiges Manifestationsmaterial: das »Baugerüst« (R. Rothe), das wieder abgebrochen wird – für ein höheres Gebäude.415 Die Welt ist genau darin Gottes total Anderes, dass er nur so in ihr ist, dass er es auf sich hin umformt, bzw. in der Welt ist Gott nur bei sich, indem sie als Welt aufgehoben zu werden im Begriff (in ihrem Begriff) ist. Die Ewigkeit ist das Zurückkehren bzw. Zurückgekehrtsein Gottes durch die zufällige, zeitliche Welt bzw. die zeitliche Welt der Zufälligkeit.416 »Ewigkeit« kann also der Schöpfung nicht protologisch zugesprochen werden,417 sondern kann einzig und allein eschatologisch, von der neuen Schöpfung, ausgesagt werden, sofern in dieser Gott »alles in allem« sein wird (1Kor 15,28).418 412

Das heißt, als ein festes Korrelat, ohne das Gott nicht Gott wäre. Gott ist als Schöpfer und Erhalter nicht abhängig von der Welt. 414 In diesem Sinne gilt Hegels Satz: »Das Nichtsein des Endlichen ist das Sein des Absoluten« (HEGEL, Werke 6, 80). Zuvor heißt es (gegen die gewöhnliche Meinung): »Die Wahrheit aber ist, daß darum, weil das Endliche der an sich selbst widersprechende Gegensatz, weil es [sc. in Wahrheit] nicht ist, das Absolute ist« (a.a.O. 79f); das Absolute, Gott, ist mithin das wahre Sein. 415 Cf. J. G. Hamann: »das er als ein bloßes Gerüste eines höheren Gebäudes auf die feyerlichste Art zu verrichten sich vorbehalten« (J. G. HAMANN, SW 1, 13,3f); cf. auch das vergehende paulinische σχῆµα τοῦ κόσµου (1Κοr 7,31b). 416 Cf. unten § 9 D. (S. 532ff). 417 Nicht eindeutig ist das Zugeständnis bei Meister Eckhart: »Concedi potest quod mundus fuit ab aeterno, et iterum quod deus ipsum prius creare non potuit. Creavit enim mundum in primo nunc aeternitatis, quo ipse deus et est et deus est« (M. Eckhart, LW 3, 181,7f). Das ist eine problematische Aussage, auch wenn »ab aeterno« nicht heißen soll: als selber ewig. 418 Cf. den folgenden Abschnitt 6. 413

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Zusammenfassend ist zu sagen: Die Welt als solche ist nicht notwendig für Gottes Vollkommenheit, sondern in Gottes ewigem Bei-sich-Sein ist die Welt überwunden (cf. Joh 16,33b). Als geschaffene ist sie das Zwischenreich – und als solches nur da, um verklärt zu werden – zwischen Ewigkeit und Ewigkeit (des Gottesreiches). Nicht die Welt selber ist ein notwendiges Moment für Gott, sondern ihr Aufgehoben- und Verwandeltwerden in sein ewiges Leben. Die geschaffene Welt ist das frei sein gelassene Andere Gottes, aber nur als das (noch) nicht In-sich-zurückgekehrt-Sein Gottes. Wo jene als solche ist, ist dieses nicht, d. h. nicht Ewigkeit. Wo aber Ewigkeit ist, ist jene »ewig aufgehoben«. 6. Schöpfung und Eschaton Dieser Bezug ist als ein wesentliches Verhältnis schon biblisch z. B. von Gen 1,1f (P) nahegelegt, denn »die Schöpfung ist in der Theologie des AT ein eschatologischer Begriff. Daß Gott der Schöpfer der Welt ist, besagt, daß er die ganze Zeit, alle Zeiten beherrschend und gestaltend, zielsetzend und vollendend umfaßt. Darum heißt er der Erste und der Letzte: Jes 44,6«.419 Entsprechendes gilt auch vom Neuen Testament her, insbesondere von den Reich-Gottes-Gleichnissen Jesu selber.420 Systematisch wird der Bezug der Schöpfungslehre zur Eschatologie sogar noch grundsätzlich intensiviert, wenn hier – im Anschluss an W. Pannenberg – das Eschaton als der wahre Ursprung des Schöpfungsprozesses gedacht wird.421 Danach ist Gott, weil und indem er »der Letzte« (Ω) ist, auch und von daher »der Erste« (A), und so lebendig der Ewige. Damit ist eine Theologie des Schöpfers vorgezeichnet, die Gott als den seine Schöpfung eschatologisch vollendenden und so lebendigen Gott denkt, der vom Ende her, das er ist, auch den Anfang von allem, was nicht er ist, entwirft und sich voraussetzt. So ist er auch – im Werden zu sich begriffen – der seine gefallene Schöpfung mit sich selber endgültig Versöhnende: »der wahre und wirkliche Gott ist er erst als der die Welt mit sich versöhnende«.422 419 L. KÖHLER, Theologie des Alten Testaments, Tübingen 1936, 71. (Cf. auch Jes 46,9–13 und zum Ersten und Letzten von Ex 3,14 her oben § 1 D. 5.2. [S. 135]). 420 Cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 448 Anm. 77), 366ff und 444ff und oben S. 441 Anm. 28. Cf. auch R. FELDMEIER, Die Wirklichkeit als Schöpfung. Die paulinische Rezeption eines frühjüdischen Theologumenons, in: ders., Der Höchste, WUNT 330, Tübingen 2014, 208–215. 421 S. o. S. 461 Anm. 157. Cf. schon Th. Siegfried: »das Ende der Dinge ist der Grund, aus dem die Dinge in ihrer Wahrheit erkannt werden« (TH. SIEGFRIED, Die Idee der Vollendung, ThBl 6 [1927], 85–95, hier 85), und zu beidem: Es kann durchaus »eine in der Zeit erst später erscheinende Folge, ein Späteres, in [oder als] Wahrheit das den Anfang hervortreibende Frühere sein« (zitiert nach E. JÜNGEL, Unterwegs zur Sache, BEvTh 61, München 1972, 139). 422 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 150 (§ 256); cf. 231 (§ 387). Das bedeutet umgekehrt: »Die echte Konzeption der historischen Zeit beruht …

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Gerade weil der Weltprozess sich nur von seinem Ende als dem wahren, ewigen Anfang her und darauf zugehend begreifen lässt, ist das verheißene Neue (Jes 42,9),423 nämlich die glaubende Erwartung einen neuen Himmels und einer neuen Erde (Jes 65,17; 66,22), in dem Vorausgehenden der ersten Schöpfung angebahnt – im ordo cognitionis und der Sache nach: »Die Urzeit schenkt der Endzeit die Bilder, mit denen sie ihre Hoffnung sagen kann.«424 Indes deutet der sprachliche Zusammenhang (cf. 2Petr 3,13; Apc 21,1) auch den sachlichen Zusammenhang (ordo rei) an: den Weg vom Proton zum Eschaton als Gottes lebendiges Werden zu sich.425 Weil das Ende der wahre Anfang und die ewige Wahrheit des Anfangs ist, ist der Schöpfung nicht nur Hoffnung eingestiftet, sondern sie ist für den Glauben überhaupt eine auf Hoffnung hin: Röm 8,20. Ihr Ziel ist vom ewigen Gott her die Befreiung von der δουλεία τῆς φθορᾶς in der endgültigen »Herrlichkeit der Kinder Gottes« (Röm 8,21; cf. 1Kor 15,42–44). So kann Paulus den irdischen Weltprozess als eine eschatologische »Geburtswehe« (ὠδίν) der Schöpfung begreifen (Röm 8,22; cf. Joh 16,21 und Act 2,24 sowie Ps 89,2 LXX). Das ζῳοποιεῖν Gottes, der vom Ende her alles auf sich zu bewegt, ist darum der »Schlüssel seines [sc. des Apostels] Wirklichkeitsverständnisses«.426 Aus dieser eschatologischen Lebensmacht ist allen Geschöpfen ein Noch-nicht-Sein eingeschrieben, und im Geschaffenen als solchem ist daher etwas Weitertreibendes, Unabgegoltenes, nach vorn Offenes wirksam; nichts in der Welt ist schon in seiner Wahrheit und Identität, zumal unter den Bedingungen der durch die Sünde herrschenden Entstellungen. Demgegenüber gilt, dass der Schöpfer, wie er sein Schaffen vom Ende her anfängt, seinen göttlichen Endzweck mit der Schöpfung »auch ewig erreicht« hat.427 Dieser Zweck Gottes428 ist als der Endzweck der Weltschöpfung der wahre Begriff der Welt429 – eingezeichnet in sein Werden zu sich.430 Desauf dem Bild der Erlösung« (cf. W. BENJAMIN, Das Passagen-Werk, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. V/1, Frankfurt 1982, 600 [Zitat nach H. LOTZE, Mikrokosmos, Tl. III, Leipzig 1864, 49], cf. a.a.O. 588f). Das »Evangelium« seinerseits steht dafür, dass Gott »sich als der Ewige ›verzeitlicht‹ hat« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 439 Anm. 12], 416). 423 Der Schöpfergott ist der, der »alles neu macht« (Apc 21,5; cf. 2Kor 5,17), weil er es lebendig geschaffen hat und schöpferisch begleitet. 424 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 263. Zur Einheit des Protologischen, Soteriologischen und Eschatologischen schon bei Deuterojesaja cf. a.a.O. 262. 425 Cf. unten § 16 B. (S. 887ff). 426 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 268. 427 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 439 Anm. 13), 142 (§ 243). Dass das ewig Gute sich von sich her immer schon vollbracht hat, hat auch Hegel sehr oft betont. 428 S. o. Anm. 372. 429 MARHEINEKE, a.a.O. 142 (§ 242) 430 Von der geschaffenen Welt und dem darin fortgehenden Kulturschaffen des Menschen (s. o. S. 498 bei Anm. 383) schreibt P. Althaus als »ganz ›Wort‹ gewordener Wirk-

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wegen ist hier, was das eschatologische Ziel vollendeter Schöpfung angeht, zweierlei zu sagen. Einerseits gilt theologisch strikt: »Die Krone der Schöpfung ist nicht der Mensch, sondern Gottes Ruhen am siebten Tag« (Gen 2,1–3).431 Insofern ist der Sabbat ein Vorschein von Gottes eschatologischem Alles-inallem-Sein (1Kor 15,28).432 Bedeutet das aber in der Genesis eine endgültige »Ruhe«,433 so muss gesagt werden: Systematisch verträgt sich Gottes Ruhen (LXX: ἀνάπαυσις) bei ihm mit seinem Tätigsein (semper agens, semper quietus; cf. Joh 5,17).434 Beides ist für den Gottesbegriff notwendig, denn ein »Aufhören« würde Gott seiner Lebendigkeit berauben; daher kann das Aufhören im Ruhen sachlich nur bedeuten, dass Gott im schöpferischen Tätigsein immer schon damit »fertig« und sein Handeln für Gottes Ewigkeit immer zugleich auch dessen Vollendetsein ist. Denn die ewige Lebendigkeit besteht in der Entzweiung und Einheit von Bewegung und Ruhe, zeithaftem Handeln und ewiger Vollendung.435 Andererseits gilt wegen dieses Verständnisses der Vollendung, dass die erlösten Geschöpfe an ihr als dem ewigen Leben selber auch teilhaben und so mit zur »Krone der Schöpfung« gehören werden. Wenn es unter den Bedingungen der Zeit richtig ist, was uns als Geschöpfe angeht: »der siebte Schöpfungstag (steht) noch offen«,436 so ist es eschatologisch nicht minder richtig, dass ebendieser endgültige Sabbat Inbegriff aller Hoffnung für uns ist; denn schließlich: »Dies enim septimus etiam nos ipsi erimus«.437 Wie der lebendige Gott selber, so ist auch seine Schöpfung im Werden zu sich zwischen Proton und Eschaton, wie Luther wusste: »Jener Tag [sc. der Schöpfung] wirt erst rechtschaffen und volkommen am jüngsten tage … Sic ergo perpetuum est illud Sabbatum apud deum.«438 lichkeit, ganz Wirklichkeit gewordenem Wort«, dass sie »nicht in starrem Gewordensein, sondern in lebendiger Aktualität ewigen Werdens« begriffen ist (P. ALTHAUS, Die letzten Dinge, Gütersloh 51949, 363f). Die Wahrnehmung des Geheimnisses Gottes, des Schöpfers, in aller Wirklichkeit ereignet sich im Glauben und so zugleich mit der Wahrung seiner unendlichen Transzendenz (zumal gegenüber der Sünde, cf. Röm 1,18), die auch seine eschatologische Transzendenz ist. Damit ist ein neuer und eigenartiger Begriff von Gottes Transzendenz angebahnt (cf. oben § 6 E. [S. 389f]), der wegen seines Werdens zu sich nicht einfach mit dem von Zukunft zusammenfällt. 431 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 258. 432 M. Eckhart hat Gen 2,3 (als requiescere) mit Ex 3,14 in Zusammenhang gebracht: »stabilitatem sive plenum quietam, sicut illud: sum qui sum« (M. Eckhart, LW 1, 323,2f). 433 Hebr. ‫ שבת‬heißt ursprünglich »aufhören« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 258 Anm. 14). 434 Augustinus, Conf. I 4,4; cf. XIII 37,52. 435 Zum Sabbat als Ruhe oder Tätigkeit cf. DORNER, Glaubenslehre I (wie oben S. 440 Anm. 17), 472f. 436 E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Bd. II, Frankfurt 1967, 590. 437 Augustinus, De civ. Dei XXII 30,4 (PL 41, 803). 438 WA 14, 117,25–27.

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7. Gottes Schaffen (Rückblick) Die Weltschöpfung ist einbezogen in Gottes Sich-selbst-Hervorbringen. Der lebendige Gott lässt sie sein als das, wovon er sich unterscheidet, um er selbst zu sein (was impliziert: auch im Verhältnis zu ihr). Die geschaffene Welt ist das, woraus er so zu sich kommt, dass er sich als der Ewige davon abstößt als dem bloß Zeitlichen (um es am Ende in sein eigenes Leben hinein aufzuheben). Wir können unterscheiden: – Gottes positiven Bezug zur Welt: dass er sie sich voraussetzt als das, worin und woraus er in sich zurückkehrt; das entspricht ihrer Erhaltung. – Gottes negativen Bezug zur Welt: dass er sich von ihr abstößt, sich selber vollzieht im unendlichen Unterschied zu ihr; dem entspricht ihre Vergänglichkeit und Nichtigkeit. Ewig ist allein Gottes schöpferisches Leben; das Geschaffene ist zeitlich und vergänglich. Die Welt ist mithin nicht bleibend notwendig für Gott; indem Gott sich auch an ihr und aus ihr hervorbringt, ist sie gerade nur als Aufgehobenes. Sie gehört als zufällig in die Notwendigkeit, die Gott für sich selber ist: die Notwendigkeit des göttlichen Werdens zu sich, seiner Aseität. Die Schöpfung ist nicht notwendig, damit Gott »durch sie« zu sich käme, denn er ist ewig bei sich. Sie ist ein vergehender Anknüpfungspunkt für die Darstellung seines Selbstseins (nach außen). Gottes Freiheit ist das Hervorbringen seines ewigen Seins im Unterschied von der geschaffenen Welt und diese nicht dessen notwendige und dauernde Bedingung, sondern gerade Darstellungsmedium seiner Freiheit als eines Sich-frei-Machens. Es gibt keine äußere Notwendigkeit für Gott, sondern Notwendigkeit nur als die seiner selbst, d. h. als frei von ihm gesetzte Notwendigkeit: als die seiner Freiheit selber und so nur als Moment von Gottes Freiheit. Indes ist Gott frei nicht nur diesseits der Welt, sondern auch im schöpferischen Durchgang durch ihre wirkliche Setzung. Denn Gottes Freiheit ist nicht Beziehungslosigkeit, sondern gerade als realisierte Nichtabhängigkeit vom selbstgesetzten Anderen, d. h. als sich in diesem eigenen Anderen auf sich selbst Beziehen. Gott bringt frei seine eigene Freiheit hervor. Die Freiheit des lebendigen Gottes ist keine »Eigenschaft« an einem schon als fertig gedachten göttlichen Subjekt – das wäre eine bloße Vorstellung439 –, sondern absolute Freiheit ist zu denken als sich hervorbringendes und bewährendes Freisein (im Verhältnis zu Anderem).440 Der entscheidende Skopus der Schöpfungslehre ist – zumindest im Rahmen der Gotteslehre –: Gott ist in der Welt bei sich (Ps 19,1–7). Indem er schöpferisch zur Welt kommt (als der, der sie sein lässt), ist er zugleich ganz er selbst. 439

Zur Problematik der göttlichen »Eigenschaften« s. o. § 7 A. (S. 403ff). Ewig frei in sich ist Gott der Vater schon in der Liebesgemeinschaft mit dem Sohn, d. h. nicht ohne ihn; aber auch das ist keine äußerliche Abhängigkeit. 440

§ 8 Der Schaffende

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8. Übergang zu § 9 Den Zugang zum folgenden Paragraphen soll (unter Bezug auf den oben angesprochenen eschatologischen Zweckbegriff)441 ein längeres Zitat eröffnen. Der Zweckbegriff ist nicht von einem zeitlichen Nach- und Voreinander des Zweckes und der Mittel abhängig. Zweck und Vermittelung des Zweckes können sehr wohl simultan beisammen sein, in stets lebendiger Reproduction. Für das göttliche sich selbst setzende Leben ist also damit, daß es sich selbst Zweck ist, keineswegs ein Werden in der Zeit gegeben.442 Was aber die Welt betrifft, so wäre freilich, wenn sie mit Gott identisch wäre, die Teleologie für sie zu leugnen. Sie hat Werden und Geschichte: was von ihr noch erreicht werden soll, ist noch nicht wirklich, was Alles auf das absolute Leben nicht anwendbar ist. Aber daraus folgt nur, daß die Welt aufhören müßte, Geschichte zu haben, d. h. Welt zu sein, wenn sie mit dem absoluten göttlichen Leben identificirt würde. Wird ihre Wirklichkeit anerkannt, so ist es für Gott kein Widerspruch, daß die Zwecke, die Gott ewig will, erst zeitlich in ihr realisirt werden; vielmehr mit dem Wollen einer Welt ist auch dieses gewollt, ohne daß dadurch Gott von der Welt abhängig oder beschränkt würde.443

Zur Erläuterung ist im Blick auf § 9 Folgendes festzuhalten: 1) Gott ist als ewiger Gott nicht mit der Welt der Zeitlichkeit identisch, aber (als sich selbst setzender) auch nicht einfach (bzw. nur) nicht-identisch. 2) Das göttliche Leben hat als Leben auch zeithafte Unterschiede in sich, freilich als in Ewigkeit aufgehobene. Wäre das nicht so (bzw. überhaupt nicht), dann käme dem lebendigen Gott nur eine abstrakte Identität bzw. eine unbewegte Gleichheit mit sich zu. 3) Die göttliche Lebendigkeit hat Werden in der Zeit nur so an sich, dass sie sich von diesem Werden abstößt und so ewig mit sich eins (identisch) ist. Als Werden zu sich in der Zeit und Geschichte ist sie das Sich-Vorauslaufen der Ewigkeit. 4) Zeitlichkeit wird vom Leben Gottes (bzw. in ihm) nicht einfach negiert (abstrakt ausgeschlossen: ein Chorismos), sondern es ist gerade göttliches Leben, indem es sich aus der Zeit restituiert, d. h. sich (aktiv) davon unterscheidet und sich darin ewig mit sich zusammenschließt. 5) Dorner verschiebt freilich die Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Ewigkeit letztlich nur auf den Willen Gottes, dass eine zeitliche Welt sei. Eigentlich muss gesagt werden: Gott unterscheidet die Zeit von sich und lässt Zeit als Zeit, Geschichte als Geschichte sein; so aber bezieht er sich doch selber darauf. Er setzt die Geschichte – verstanden als die der Natur und der Welt – sich voraus, um sie gerade nicht selbst zu sein, sondern selber ewiger Gott zu sein.

441

S. o. bei Anm. 427–429. Das geht gegen einen »werdenden Gott«. 443 DORNER, Glaubenslehre I (wie oben S. 440 Anm. 17), 265; Hervorhebungen J. R. 442

§ 9 Der Ewige »Ewigkeit ist Gottes ganzer, gleichzeitiger und vollkommener Besitz seines unendlichen Lebens« (Boethius).1

A. Schöpfung und Ewigkeit 1. In die Lehre von Gott als dem Schaffenden wurde die spezifische Dynamik des Gedankens eingebracht, dass der »Anfang« der Schöpfung als Beginn (bzw. Einsetzen) ihrer Rückkehr zu Gott, von dem sie ausgeht, zu verstehen ist: (Anfang → Eschaton = Eschaton → Anfang). Die vorzustellende Doppelrichtung ist in Wahrheit als eine, sich entzweiende und durchdringende Bewegung zu denken. Indem die Schöpfung als vom Eschaton aus sich vollziehend,2 d. h. sich den »Anfang« voraussetzend und von ihm her auf ihr eschatologisches Ziel (den wahren Anfang) zulaufend gedacht wird, ist sie Ort einer lebendigen Einheit von Proton und Eschaton, die nicht als ein einfaches Nacheinander vorgestellt werden dürfen. Aus genau dieser Dialektik ist auch das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit bzw. der lebendige Gott als der Ewige zu begreifen. Nach § 8 wiederholt die Schöpfung, was Gott in sich selbst ist, aber außerhalb (praeter) Gottes, d. h. nur »durch einen Spiegel in einem dunklen Wort« (per speculum in aenigmate) und nur »stückweise« (ἐκ µέρους, 1Kor 13,12). Eben so bietet sich der Prozess der geschaffenen Welt in Natur und Geist (Kultur, Wissenschaft und Technik) dar. Das Leben der Schöpfung gründet in Gottes eigener Lebendigkeit; beide sind einander kein ganz Fremdes, und die geschaffene Weltwirklichkeit (als existierender natürlicher und objektiver Geist) gibt (dem subjektiven Geist) eine Ahnung von Gottes ewigem Reichtum. 2. Der Schöpfung als Gottes Sich-ungleich-Werden (in lebendiger Gleichheit mit sich) entspricht die Zeit,3 Gottes absolutes Sich-gleich-Sein (als unmittelbares und vermitteltes Selbstsein und Für-sich-Sein im Anderen) die 1

Zur genauen Interpretation dieser Definition s. u. C. 4. (S. 526ff). Cf. oben § 8 (S. 461 Anm. 157). 3 Der Ursprung der Zeit im Rahmen der Schöpfung kann so verstanden werden: Indem das Nichts in Gottes Leben selber seinen Ort hat (s. o. § 8 D. [S. 465ff]), muss die Negativität des Nacheinanders im Geschaffenen überhaupt bzw. im Allgemeinen als dessen Veräußerlichung und Verendlichung angesehen werden. 2

§ 9 Der Ewige

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Ewigkeit. Wie die Schöpfungswelt religiös erfahrbar und erlebbar ist als endlich-gebrochenes Abbild des lebendigen Schöpfers, so entsprechend auch die Zeit als Bild der Ewigkeit. In diesem Sinn kann Platons berühmte Formel vom Chronos als εἰκὼν κινητὸς αἰῶνος (Tim. 37d 6)4 in der Gotteslehre aufgenommen werden.5 Aber Platon behauptet die Gottheit selber wie die »Ideen« als unvergänglich6 und hebt Ewigkeit (als immerwährende Gleichheit) prinzipiell gegen alle Veränderlichkeit ab.7 Derart ist die Ewigkeit selber ohne eigene Beziehung zur Zeit: schlechthin zeitlos.8 Im Gegensatz zum biblischen Gedanken der machtvollen Gegenwart des ewigen Gottes in allen Zeiten hat die griechische Philosophie das Ewige nur in prinzipieller Geschiedenheit von allem Zeitlichen verstehen können.9 So schreibt Plotin vom Aufstieg des Geistes über 4 Cf. auch Plotin, Enn. III 7,11,20. Zum Verständnis der platonischen Formulierung ist hier zu sagen: Für den Schöpfer-Demiurgen (ὁ γεννήσας πατήρ, Tim. 37c 7) gibt es ein Vorbild (ewig seiendes παράδειγµα, 37c 8 und 38c 1f) seines Tuns, das ein ζῷον ἀίδιον ist (37d 2) und als ἀίδιον οὐσία (e 5) auch τὸ … ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἔχον ἀκινήτως (38a 2f), d. h. lebendig und zugleich als unbeweglich nur sich selbst gleich. Diesem Vorbild entsprechend bzw. möglichst ähnlich wird eine εἰκὼν … κινητόν erschaffen (37d 5f), d. h. die Zeit in ihrem Fortschreiten (und stetem sich ungleich Werden, cf. 37e 7/38a 1 und 3: vorher und nachher) als Abbild ewigen Lebens, und dies, zumal die geschaffene Welt ohnehin schon κινηθὲν … καὶ ζῶν (37c 6) ist. Da indes die Ewigkeit im ἕν (dem bzw. der Eins) verbleibt (d 7), wird die Zeit zu einem καθ’ ἀριθµὸν ἰοῦσαν ewigem (d. h. allzeitlich bleibendem) Abbild von ihr (αἰώνιον εἰκόνα, d 8); cf. auch: χρόνου ταῦτα αἰῶνα µιµουµένου καὶ κατ’ ἀριθµὸν κυκλουµένου εἴδη (38a 7f). Damit ist gesagt: Die Ewigkeit übersetzt sich unter den Bedingungen des Geschaffenseins, da sie dem Erzeugten nicht vollkommen zu verleihen war (37d 4f), in ewiges Fortschreiten: τὴν ἐν χρόνῳ γένεσιν ἰοῦσαν (38a 1) bzw. κινήσεις (a 2). So ist sie dem Urbild (dem ewig Lebendigen) so ähnlich wie überhaupt möglich (37d 2f). Cf. auch die folgende Anmerkung. 5 Dabei sind aber die Unterschiede zu einem christlichen Verständnis nicht zu übersehen. Für Platon ist der geschaffene Kosmos selber κινηθὲν … καὶ ζῶν (Tim. 37c 6); er ist (vom »Demiurgen«) als All (τὸ πᾶν) dem Ewigen gleich (ὅµοιον) gemacht worden, und zwar diesem als seinem Urbild (πρὸς τὸ παράδειγµα, 37c 8). Das Ewige selber ist ζῷον ἀίδιον (d 2) bzw. eine φύσις … οὖσα αἰώνιος (d 4). Der χρόνος ist das »ewige« Abbild davon: κατ’ ἄριθµον ἰοῦσα αἰώνιον εἰκών bzw. εἰκὼν … κινητὸν … αἰῶνος (d 2.5f). Das Wort αἰών bedeutet hier (etymologisch) »Lebendigkeit, Lebenskraft«. Gleichwohl gilt auch für Platon, dass die µέρη χρόνου (z. B. die Unterschiedenheit von »war« und »wird sein«) ἐπὶ τὴν ἀίδιον οὐσίαν οὐκ ὀρθῶς, d. h. nicht im eigentlichen Sinne, zu übertragen sind (φέρειν, e 5f)! Denn die Zeit (als nur εἰκών) »ruht« (oder: verharrt) in Wahrheit im Ewig-Einen: µένοντος αἰῶνος ἐν ἑνί (d 7). Cf. W. MESCH, Zeit und Ewigkeit in Platons Timaios, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann, Zeit und Ewigkeit als Raum göttlichen Handelns, BZAW 390, Berlin/New York 2009, 69–97. 6 Phaidon 84; Phaidr. 247d; Tim. 37d ff. 7 Phaidon 97d; 80af. Cf. dazu Augustin, De civ. Dei VIII 5 und 6 (PL 41, 229–232). 8 Cf. dagegen auch BARTH, KD II/1, 690f. 9 Cf. zu Parmenides: M. THEUNISSEN, Die Zeitvergessenheit der Metaphysik, in: ders., Negative Theologie der Zeit, stw 938, Frankfurt 1991, 89–131.

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die sichtbare Welt hin zu ihrem Urbilde (τὸ ἀρχέτυπον) und wahrhafteren Sein (ἀλήθινώτερον): Man sehe, wie auch dort oben dies alles [sc. der Reichtum des Irdischen und seiner Götter] vorhanden ist, als geistige Wesen (νοητά), die aus sich selbst ewig beharren (παρ’ αὑτῶν ἀίδια) … und als ihr Schutzherr der ›unvermischte‹ Geist (ἀκήρατος νοῦς), die unermeßliche Weisheit …; er umfaßt in sich alles Unsterbliche, den ganzen Geist, die ganze Gottheit … und zwar als ewig Ruhendes (ἑστῶτα ἀεί), denn wozu soll er Veränderung (µεταβάλλειν) suchen.10

Das alles hat auch in die patristische Gotteslehre stark hineingewirkt, so wenn z. B. Ignatius von ἄχρονος spricht.11 Strikte Zeitlosigkeit entspricht aber einer abstrakt verstandenen Einheit Gottes.12 Platonisierend bestimmt auch Justin Gott als den sich rein Gleichbleibenden: ἀλλ’ ἀεὶ ὄν13 oder auch (im Hendiadyoin) als »unveränderlich und ewig«.14 In dieser Tradition steht Augustinus, wenngleich er auch biblische Reminiszenzen heranzieht: Summus enim es et non mutaris [Mal 3,6], neque peragitur in te hodiernus dies, et tamen in te peragitur, quia in te sunt et ista omnia: non enim haberent vias transeundi, nisi contineres ea. Et quoniam »anni tui non deficiunt« [Ps 101,28], anni tui hodiernus dies: et quam multi iam dies nostri … per hodiernum tuum transierunt, … et transibunt adhuc alii … »Tu autem idem ipse es« [Ps 101,28] et omnia crastina atque ultra omniaque hesterna et retro hodie facies, hodie fecisti.15

Das ewige »Heute« ist der Ort, wo das zeitliche Nacheinander im Einen koinzidiert und erlischt.16 Das Motiv von der Zeit als lebendigem Bild des Ewigen hat lange nachgewirkt;17 ein schönes und tiefes Echo findet sich bei Angelus Silesius: Die Rose, die allhier dein äußres Auge sieht, Die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.18 10 Enn. V 3,4 (zit. nach Plotins Schriften, hg. von R. Harder, Bd. Ia, PhB 211a, Hamburg 1956), 216,5–12/217 (= 10,20f). Auch bei Philo Alexandrinus findet sich die Formulierung von der Ewigkeit als παράδειγµα τοῦ χρόνου καὶ ἀρχέτυπος. 11 Ignatius, Ep. Pol. 3,2. So auch schon bei dem Mittelplatoniker Plutarch, De E apud Delphos 20, mor. 393a (mit ἄφθαρτος; zit. bei R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 404 bei Anm. 172). 12 Im Unterschied zur lebendigen Einheit Gottes mit sich; cf. oben § 3 C. 2. (S. 273). 13 Justin, Dial. 4,1. 14 Justin, Apol. I 13,4. 15 Augustin, Conf. I 6,10. Zu Augustin siehe auch unten C. 3. (S. 524ff). 16 Cf. »Aeternitas est merum hodie, est immediata et lucida fruitio rerum infinitarum« (zitiert nach BORGES [wie unten Anm. 17], 111). 17 Cf. die »Geschichte der Ewigkeit« bei J. L. BORGES, Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Bd. III: Niedertracht und Ewigkeit, Fischer Tb 10579, Frankfurt 1991), 101ff. 18 Cherubinischer Wandersmann I, 108. Cf. auch M. Eckhart, DW 1, 132,7f: »einen bluomen bekante, als er [sc. die Blume] ein wesen in gote hat«. Goethe hat von der Rose

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3. In der hier herangezogenen Tradition wird das »Gründen« des Endlichen im Ewigen nach seiner positiven Seite genommen. Aber der biblisch-christliche Schöpfungsgedanke betont zugleich auch den qualitativen Unterschied, die Abhängigkeit und Unselbständigkeit des Begründeten. »Ewigkeit« meint gerade die Selbstgenügsamkeit des Grundes der Schöpfung,19 d. h. deren Vorläufigkeit und Hinfälligkeit, ihre Nichtigkeit und letztlich ihr Nichtsein im Verhältnis zu Gottes absolutem Sein.20 Dieses Nichtsein des Geschaffenen ist Gottes Ewigkeit: das α als ω, das Proton, sofern es Eschaton ist. Das bringt es mit sich, dass bei dem Wort »Ewigkeit« ein unausdenklicher, letzter Horizont feierlich aufgerufen bzw. mitgehört wird, wie er sonst nur dem Wort »Gott« eignet, wo es religiös im Vollsinne gebraucht wird.21 Die mit diesem Wort angesprochene Dimension umgibt jedes individuell-einmalige Menschenleben mit einer Aura des Geheimnisses, in der spürbar wird, dass kein Mensch in dem aufgeht, was andere in der Zeit von ihm wahrnehmen. Nicht zufällig wird der 90. Psalm, der diesen geheimnisvollen positivnegativen Doppelaspekt des Geschöpfes im Sein vor Gott auf schlechthin erhabene Weise zum Ausdruck bringt, in der Liturgie der kirchlichen Beerdigung gebetet.22 Dazu hier einige Bemerkungen (V. 1–4 und 12). gedichtet: »Du bist es also, bist kein bloßer Schein, / In dir trifft Schaun und Glauben überein« (J. W. GOETHE, Als Allerschönste … Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten X [cf. 2Kor 5,7]). Cf. unter dem Motto des Angelus Silesius auch die Betrachtung »Ewige Schönheit« bei E. HIRSCH, Zwiesprache auf dem Wege zu Gott, Düsseldorf u. a. 1960, 91ff (Hirsch schreibt »zeitlich Auge«). 19 Daher: Der Ewige (s. u. Abschnitt B. [S. 517ff]). 20 Etwas begründen heißt, ihm sein Eigensein zu nehmen. Zur Logik dessen im Schöpfungsglauben bzw. im Wissen von der Schöpfung cf.: »Das Wissen ist für sich, es versteht und durchdringt sich bis an sein Ende, also fällt auch … seine Grenze, sein Nichtsein in seinen Horizont. Oder: das Wissen sieht seinen Ursprung, der Ursprung kann aber nicht gesehen werden, ohne daß das Nichtsein des Entspringenden mitgesehen würde, und so stehen wir wieder vor dem Nichtsein des Wissens. Das Nichtsein des Wissens aber ist – das Sein [das Absolute]« (E. HIRSCH, Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes, Göttingen 1914, 82). 21 Um die Ewigkeit und den ewigen Gott zu denken, muss man sich von der Zeitlichkeit abstoßen; im Folgenden wird dieser Gedanke (spekulativ) als das Sich-selbst-Abstoßen des Ewigen zu sich selber verstanden. Die Ewigkeit, so soll gedacht werden, konstituiert sich selber, indem sie sich von der ihr vorauszusetzenden Zeitlichkeit unterscheidet. Das Ewige ist die µετάβασις εἰς τὸ ἄλλο γένος, von der in Joh 5,24 die Rede ist; dazu unten S. 534 Anm. 160. 22 Er gilt der Tradition als Gebet des Mose. Cf. überhaupt: W. PANNENBERG, Zeit und Ewigkeit in der religiösen Erfahrung Israels und des Christentums, in: ders., Grundfragen systematischer Theologie, Bd. II, Göttingen 1980, 188–206. Nach Feldmeier/Spieckermann finden sich im Alten Testament freilich »lediglich Ansätze« zu einem strengen Begriff von Ewigkeit (d. h. in den Psalmen und bei Kohelet); cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 11), 406 (ebd. auch zu Ägypten und Syrien).

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V. 1 spricht den ewigen Gott und Herrn der Schöpfung als unsere »Zuflucht« an, d. h. als eine sichere Burg gegenüber den Bedrohungen der Endlichkeit und Vergänglichkeit (cf. V. 5f),23 und spricht ihn als den lebendigen Gott an, den Ort ewiger Geborgenheit unseres dem Tode verfallenen Lebens (V. 3! cf. Ps 146,4). Seine wahre Zuflucht findet der sterbliche Mensch (cf. V. 10) nur beim göttlichen Grund von allem, denn nichts Geschaffenes und Vergängliches kann ihm letzten Halt gewähren.24 V. 2 malt dies plastisch aus: Zuflucht kann es nur beim absoluten Anfang geben, dem, der vor aller Zeit ist. Gottes Ewigkeit wird hier angeschaut als das, was dem massiven Vorhandensein der geschaffenen Welt25 unvordenklich vorausgeht, insofern sie noch vor die Schöpfung zurückreicht bzw. über diese als ihr wahrer Anfang und ihr wahres Ende unendlich hinausreicht. So findet das Gebet seine Zuflucht gerade bei der absoluten Grenze aller Endlichkeit: Unser Grund ist unser Jenseits, und weil wir uns nicht in uns selber begründen können, ist der Ort unserer schlechthinnigen Abhängigkeit auch der Ort unsere Zuflucht. Gegenüber der Zeitverfallenheit der endlichen Geschöpfe ist das Sein Gottes über alle Zeit erhaben: »von Ewigkeit zu Ewigkeit«: ‫מעולם עד עולם‬. In dieser Formulierung kommt in paradigmatisch erhabener Weise zum Ausdruck,26 dass Ewigkeit ist, wo Gott es letztgültig mit sich selber zu tun hat: sein alle Zeitlichkeit absolut übergreifendes Bei-sich-Sein.27 »Von Ewigkeit zu Ewigkeit« überwölbt Gottes ewig sich gleichbleibendes Sein und Leben – als der, der ist als »Ich bin, der ich bin, und werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14)28 – die geschaffene Zeit, die hier zum verschwindenden Moment wird. V. 3 artikuliert den ewigen Schöpfergott als die zugleich schöpferische und nichtende Macht; dies kann ihm zugesprochen werden, weil einzig und allein er als der Ewige »das Leben in ihm selber hat« (Joh 5,26). V. 4 (zitiert 2Petr 3,8) fasst die Ewigkeit als coincidentia oppositorum, als paradoxe Einheit eines längsten und eines kürzesten Zeitabschnitts. Dabei ist 23 Zum Verhältnis Ewigkeit – Vergänglichkeit cf. Ps 102,12f; 103,15ff; Hi 14,2; Jes 40,6–8; 1Petr 1,24f. 24 Zur Hinfälligkeit allen Fleisches cf. Jes 31,3. 25 Die lebendige »Dauer« der Ewigkeit ist etwas qualitativ anderes als die der feststehenden Erde (cf. Pred 1,4). 26 Cf. das von der Sprache der Psalmen beeinflusste und im 18. Jahrhundert sehr berühmte, auch von I. Kant erwähnte (KrV B 641) Gedicht A. V. HALLERs »Unvollkommenes Gedicht über die Ewigkeit« (1736), wo es heißt: »Furchtbares Meer der ernsten Ewigkeit! / Uralter Quell von Welten und von Zeiten! / Unendlichs Grab von Welten und von Zeit!« (3. Str.). 27 Zum nicht nur rhetorischen, sondern sachlich möglichen Sinn der Verdoppelung in dieser Formel s. u. D. 1. (S. 532ff). 28 Für K. Barth ist die Ewigkeit »der Brunnquell der Gottheit Gottes« (BARTH, KD II/1, 687)!

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sie nicht eine leere Dauer und auch nicht ohne eine Beziehung zur Zeit, vielmehr unbegrenzt in Vergangenheit und Zukunft.29 Diese Beziehung des Ewigen zur Zeit lässt sich präzisieren. Sind die 1000 Jahre (als Vergangenheit) doch vor Gott »wie ein Tag«, so bedeutet das: Gott durchdringt die Zeiten simultan (sc. mit sich), ist in ihnen mit sich eins und identisch, und so »besitzt« er sie »vollkommen«.30 Der weisheitliche Vers 12 nimmt das Bedenken des eigenen Sterbenmüssens ausdrücklich in das Gebet mit auf und damit das Bewusstsein eines definitiven Endes jeweils unserer Zeit (V. 12a). V. 12b bestimmt solches explizit wahrgenommene Sein zum Tode als ein »Klugwerden« im Glauben an den ewigen und lebendigen Gott. Dabei vertraut der Glaubende sein endendes Leben mitsamt diesem Ende Gott selber an, um beides (sein Leben und sein Ende) in Gottes ewigem Leben aufgehoben sein zu lassen. »Klug« wird man so gerade am Ende bzw. an der Grenze des Verstehens und Begreifens, um alles in Gottes Vaterhände zu legen und in seinem Leben ewig unsere Vergangenheit und Zukunft zu bergen. 4. Wenn der Beter weiß: »Meine Zeit steht in deinen Händen« (Ps 31,16),31 so ist das theologisch so zu verstehen, dass dies ewig wahr wird, indem der ewige Gott selber die Zeit eines Menschen schöpferisch in seine Hände nimmt – als Moment seines eigenen Lebens, das im produktiven »Aufheben« der Zeitlichkeit lebendig zu sich kommt.32 Die Ewigkeit ist derart nicht abstrakt, sondern konkret das »Jenseits« der Schöpfung: als ihr Woraus und ihr Wohin und ihr absoluter Gehalt. Denn Gott als der Ewige ist der Schöpfer vor aller Zeit (»ehe denn …«), ist in der Schöpfung bei sich (als Leben aus seinem Leben) und kehrt durch sie und ihre Zeitlichkeit zu sich zurück. In der Teilhabe an seinem ewigen Leben wird Gottes Geschöpf erlöst, verklärt und vollendet.33 Man darf also sagen: Gott bereitet sich aus der geschaffenen Welt nach ihrer Wahrheit, d. h. durch Das implizieren die Ausdrücke ‫ עולם‬bzw. αἰών. S. u. zur Ewigkeitsdefinition des Boethius C. 4. (S. 526ff). 31 Cf. auch Ps 139,16 und das Lied von J. Klepper: »Der du die Zeit in Händen hast« (1938; EG, Nr. 64). Zu Ps 31,16 cf. die Studien von E. JÜNGEL, Meine Zeit steht in deinen Händen (Psalm 31,16), Heidelberg 1997, und E. HERMS, Meine Zeit in Gottes Händen, in: ders., Phänomene des Glaubens, Tübingen 2006, 238–261. 32 Ch. H. Weisse definiert Ewigkeit als »die Zeit selbst durch eine reale Machtübung aufhebende Ewigkeit« (CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik, Bd. I, Leipzig 1855, 580 [§ 495]); damit ist Gottes im Sich-Abstoßen von der Zeitlichkeit sich herstellende Lebendigkeit beschrieben. Bei Feldmeier/Spieckermann ist die Rede von »Gottes Ewigkeit, die des Menschen Zeit gütig und liebevoll aufhebt« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben Anm. 11], 410). 33 So kann R. Rothe sagen: »Der Himmel ist die Welt, insofern in ihr als vollendeter Gott Wohnung hat oder kosmisch ist« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 2 1869, 186 [§ 48]). Cf. auch Plotin, Enn. V 8,4 (zit. unten § 16 H. 3. [S. 960 Anm. 481]). 29 30

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das Gericht hindurch,34 sein ewiges Leben und hebt so die Zeitlichkeit in die eigene Ewigkeit auf, aus der die Schöpfung schon kommt; das Ewige ist das sich herstellende Zuvor. Kurz gesagt: Ewigkeit als ewiges Leben ist das Aufgehoben-worden-Sein (a.) der Schöpfung in Gott selber (b.). a. Das kommt großartig in Ps 102,26–28 (bzw. Hebr 1,11f) zum Ausdruck. Der Schöpfer, der die Erde gegründet hat und dessen Hände Werk die Himmel sind (V. 26), ist in seiner Ewigkeit zunächst die verzehrende Grenze alles irdischen Seins; das ist der negative Sinn von »Aufhebung«: Die geschaffenen Entitäten »werden vergehen, du aber bleibst« (V. 27a; Hebr 1,11a).35 Werden sie von Gott, wenn sie »veralten«, verwandelt wie ein »Kleid« (V. 27b; Hebr 1,11b),36 während er aber »bleibt, wie er ist« (V. 28a; cf. Ex 3,14: präsentisch), und seine »Jahre« nicht abnehmen37 (V. 28b; Hebr 1,12b; cf. Ex 3,14: futurisch),38 so muss man das folgendermaßen zusammendenken: Gottes mit sich identisch »Bleiben« als der Ewige konstituiert sich im Vergehen der zeitlichen Welt, das Verwandeltwerden der »Kleider« ist das lebendige Zu-sichKommen Gottes selber, und seine Selbigkeit vermittelt sich über die Zeiten. Sind die unaufhaltsam zeitlicher Veränderung und schließlich dem Vergehen unterworfenen Geschöpfe so etwas wie Gewänder oder ein »Kleid« Gottes,39 so gewinnen sie, wenn auch in ständigem Wechsel an ihnen selber, dadurch von Gott her eine Teilhabe an seinem ewigen Bleiben, denn er selber lebt in ihnen. Das führt zu b. dem positiven Sinn dieser »Aufhebung«: einer ewigen Geborgenheit in Gottes eigenem Leben: als unvergängliche Wohnung und »Bekleidung«, d. h. Entkleidet- und Überkleidetwerden (cf. 1Kor 15,53; 2Kor 5,1–4 mit Joh 14,2f.23).

34 Die Gewissheit christlicher Hoffnung ist »nur im Zerbrechen bisheriger Selbstübereinstimmung … (auf Hoffnung gegen Hoffnung, Röm 4,18)« zu gewinnen, also im Angesicht der »Erfahrungen von Auflösung, Entzug und Gericht«, wie J. Baur betont (J. BAUR, Einsicht und Glaube, Göttingen 1978, 27). 35 Cf. V. 13 des 102. Psalms: »Tu autem Domine in aeternum permanes.« 36 Cf. 2Petr 3,10. 37 Zu den »anni Dei« s. u. bei Anm. 67. Sie werden nicht aufhören, sondern schöpferisch in sein Selbstsein aufgehoben. Bei diesen »Jahren« Gottes könnte man an die »tempora aeterna« denken, von denen (als in sich bewegten) Johannes Scotus Eriugena handelt (De divis. nat. II und III; cf. W. BEIERWALTES, Denken des Einen, Frankfurt 1985, 74 und 76). Cf. auch »divina historia« (Div. nat. V 31; PL 122, 941B) sowie Beda Venerabilis, De nat. rerum I (Bedae Venerabilis opera VI/1, CChr.SL 123A, Turnholt 1975, 192,5) und 2Tim 1,9c. 38 Heißt es: σὺ δὲ αὐτὸς εἶ καὶ τὰ ἔτη σου οὐκ ἐκλείψουσιν (Tu autem idem ipse es, et anni tui non deficiunt), so meint das: Gottes (lebendige) Selbigkeit umgreift alle Zeiten (cf. Jes 44,6; 48,12; 61,4; Apc 1,8 u. ö.); cf. auch Mk 12,27f parr. 39 Cf. oben § 8 (S. 441 Anm. 29).

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So ist die Ewigkeit als die Wahrheit der Zeit zu begreifen (cf. Ps 31,16a; 139,16)40 und mithin als die Wahrheit der geschaffenen Welt überhaupt: ihr letzter tragender Grund, ihr letztes richtendes Maß und ihr endgültig vollendendes Ziel. Der christliche Glaube ist dabei dessen inne, dass diese letzte Wahrheit der vergänglichen Welt und der geschöpflichen Zeit die ewige Liebe ist: Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.41

B. Gott der Ewige Der Ewige – das ist Gott selber in seinem Sein; ähnlich wie in Ex 3,14 heißt es: »Denn ich will meine Hand in den Himmel heben und will sagen: Ich lebe ewiglich« (Dtn 32,40: leʿolam). Damit scheint eine reine und unzugängliche Transzendenz gegenüber der endlichen und zeitlichen Welt, in unerreichbarer Ferne zum menschlichen Leben, gemeint zu sein.42 Was Ewigkeit ist, erschließt sich allein vom ewigen Gott her, denn er ist der »König der Ewigkeit« (1Hen 25,5.7; cf. Jer 10,10; Ps 29,10; 1Tim 1,17).43 1. Gottes Ewigkeit Die Identität von Gottes Sein als Gott und Ewigkeit gilt sensu stricto.44 Freilich ist zu bedenken: Was Gott für sich unmittelbar (sc. ohne Zeit) aus sich ist und hat, das kann er doch zugleich auch für uns vermittelt (sc. durch die Zeit) 40

Cf. auch das »Buch des Lebens« (Apc 3,5; 17,8; 20,12.15 sowie Ps 69,25 und Phil

4,3). 41

P. Gerhardt, Sollt ich meinem Gott nicht singen? (EG, Nr. 325). Was den in dieser Gotteslehre intendierten ungewöhnlichen Ewigkeitsbegriff angeht, der zu Gottes Sich-Hervorbringen auch aus der Zeit in Beziehung gesetzt wird, so sollte man sich klarmachen: Es besitzt niemand a priori die Deutungshoheit dafür, was »Ewigkeit« ist. Schon gar nicht sollte aber ihr griechisch-metaphysisches Vorverständnis die theologische Wahrnehmung und das systematische Begreifen des Evangeliums präjudizieren. Cf. R. FELDMEIER, Gott und die Zeit, in: J. Frey u. a. (Hgg.), Heil und Geschichte, WUNT 248, Tübingen 2009, 287–305 = DERS., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 337–355. 43 Dass Gott als solcher ewig ist, wird allgemein gewusst; »Deum … aeternum esse cunctorum ratione degentium commune iudicium est« (Boethius, Phil. cons. V 6,5–7). 44 Anselm von Canterbury stellt fest, dass »eius aeternitas nihil aliud sit quam eius essentia« (Monol. 21, in: ders., Op. omn. 1, 38; cf. c. 16). Cf. Schelling: »Betrachten wir also die Ewigkeit nicht abstrakt, sondern als Seyn Gottes, so ist ihr reiner Inhalt eben nur, daß Gott Ist, simpliciter ist« (SCHELLING, Philosophie der Offenbarung II, in: ders., SW 14, 107). 42

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sein und haben: Der Ewige, das ist der Schöpfer (Sir 18,1). Außerdem lässt sich jene Identität von Ewigkeit und Gott selber noch genauer artikulieren.45 Ewigkeit kann nur als die »Aseität« Gottes gedacht bzw. von ihr aus begriffen werden: »a se ipso et aeterno existens«.46 Gottes a se esse aber muss als seine Selbsthervorbringung gedacht werden;47 das ist freilich ein vorstellungsmäßig nicht zu realisierender, reiner Gedanke. Schon Philo hat Gottes αἰδιότης vom Begriff der causa sui her verstanden.48 Damit wird gedanklich festgehalten: Gott als der aus sich Seiende hat keinen Anfang außerhalb seiner, und sein Sein kommt nicht durch irgendeine (kausale) Veränderung von einem zu einem anderen, d. h. als zeitliches Bewirktwerden zustande. Ab-alio-Sein impliziert Zeitlichkeit, aber A-se-Sein – das ist das Ewige selber. Das hat insbesondere die spekulative Theologie immer wieder stark zur Geltung gebracht.49 Gottes Ewigkeit ist seine aseitas, und ewig lebendig ist er als Aus-sichund Von-sich- und Durch-sich-Sein, d. h. in der Einheit von Auf-sich-Zugehen und zugleich Bei-sich-Sein.50 Versteht man die göttliche Aseität vom Causasui-Theorem aus,51 so wird Gottes Sich-Hervorbringen zum Schlüsselbegriff für seine Ewigkeit:

45

Ewig (ἀίδιος) kommt als eigentliches Gottesprädikat nur bei Paulus vor (Röm 1,20). Das Wort αἰώνιος (Röm 16,26) ist nachpaulinisch (cf. aber 2Kor 4,18). Von Gott selber wird auch ἄφθαρτος ausgesagt (aber nur Röm 1,23), ansonsten vom Heilsgut für uns Menschen (cf. mit Stellenangaben FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben Anm. 11], 419 mit Anm. 209); siehe auch unten Anm. 62. Das exegetische Resümee lautet: »Gerade bei den Zeitattributen werden exklusive Gottesprädikate zu inklusiven soteriologischen Prädikaten« (a.a.O. 419). 46 CH. WOLLEB, Christianae theologiae compendium, Basel 1626, c. 1, 1 (Hervorh. J. R.). Cf. oben Anm. 28 (Barth). 47 S. o. das Rothe-Zitat in § 2 (S. 198 Anm. 192). 48 Cf. dazu oben § 2 C. (S. 192ff). 49 R. Rothe schreibt: »Denn das ist ja eben der Begriff der Ewigkeit eines Seins, schlechthin causa sui zu sein« (ROTHE, Theologische Ethik II [wie oben Anm. 33], 484 [§ 458]). Cf. aber auch BARTH, KD II/1, 343 (zit. oben § 2, S. 217 bei Anm. 323). 50 Entsprechend heißt es bei J. König: »Das Ewige ist das immerfort aus sich Herausgehende, dessen Herausgehen aber ebenso sehr ein in sich Bleiben ist« (J. KÖNIG, Der Begriff der Intuition, Halle/Saale 1926 [Nachdr. Hildesheim 1981], 84). 51 So auch über die allgemeinen Grundzüge spekulativer Philosophie: »Ewig ist das, was in sich selbst den Grund seiner Erschaffung [?] hat. Noch einmal wiederholt sich in dieser Formulierung die Setzung der Zeit, die wesentlich ist nur, insofern sie als unwesentlich gesetzt ist [s. u. Anm. 61]. Das Ewige ist ein Erschaffenes, das also noch nicht war; indem es sich aber durch das Erschaffen findet als sein eigener Grund, negiert es das Erschaffen; es kann aber das Erschaffen nur negieren, indem und dadurch daß es sich erschafft« (KÖNIG, a.a.O. 89).

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Der konkrete Begriff der göttlichen Ewigkeit läßt sich nur in der Einheit derselben mit der absoluten Selbsthervorbringung Gottes erfassen.52 Ist sie deren Form, so ergibt sich, daß sie die unendliche Fülle nicht ausschließt, sondern einschließt.53 Gott hat den Anfang seines Seins in sich selbst, und der Anfang ist keineswegs die Fülle, sondern bestimmungslose Einfachheit; aber weil er der Ewige ist, so vermag er, ohne der Zeit zu bedürfen, sich selbst als diese unendliche Fülle hervorzubringen.54

Gottes Sich-Hervorbringen ist als ein Sich-selbst-Bestimmen, d. h. als Inhaltlichwerden seiner Formalität durch sich selbst, zu denken.55 Ewigkeit ist als Form von Aseität (dem zeitentnommenen von sich Anfangen) zu denken und das »Esse a se« als der eigentliche Gehalt der Ewigkeit (»unendliche Fülle«). Mit anderen Worten: Gott ist der Ewige als im Werden zu sich begriffen,56 und das stiftet auch seinen freien (bzw. absoluten bzw. absolventen) Bezug zur Zeit: »Die Einheit ist also in Wahrheit nur Werden zur Einheit, sie ist nur indem sie wird. Und sie wird nur als Einheit Gottes; nur Gott ist – nein eben: nur Gott wird die Einheit, die alles voll-endet.«57 Ewigkeit ist also das Leben Gottes: ein sich ständig aus Zeit und Geschichte Hervorbringendes (d. h. im sich davon Abstoßen) und so als Ewigkeit etwas der Zeit und Geschichte zugleich Vorausgehendes, überlegen Transzendentes und, jene übergreifend, 52

Gott ist sozusagen nicht einfachhin »ewig«, sondern, was Augustinus relativ von der an die Glaubenden mitgeteilten Ewigkeit (Joh 17,3) sagt, muss auch absolut von ihm gelten: »sed quod ipsius aeternitatis est auctor« (De div. quaest. XXIII; PL 40, 16). 53 Cf. W. Pannenberg: »Insofern [sc. in seiner vollkommenen Freiheit] ist der ewige Gott als absolute Zukunft … der freie Ursprung seiner selbst und seiner Geschöpfe« (W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 443). 54 J. MÜLLER, Die christliche Lehre von der Sünde, Bd. II (1838), Breslau 31849, 204. Cf. Schelling (gegen ein an sich schon fertiges und unveränderlich vorhandenes Sein Gottes): »Alles, was er ist, ist er durch sich selbst; er geht von sich selbst aus, um zuletzt wieder auch rein in sich selbst zu endigen. Also mit Einem Wort: Gott macht sich selbst. … Ebenso fängt auch das göttliche Leben an. Es enthält alles in sich selbst, ist unendliche Fülle …« (SCHELLING, Stuttgarter Privatvorlesungen [1810], in: ders., SW I/7 [1860], 432 [= Nachdr. 376]). 55 Zum Sich-Hervorbringen des göttlichen Pleromas als spezifischer göttlicher Lebendigkeit s. o. § 4 C. 1. (S. 309 bei Anm. 79). 56 »Verlangen wir einen Gott, den wir als ein ganz lebendiges, persönliches Wesen ansehen können, dann … müssen (wir) annehmen, daß in ihm neben dem ewigen Seyn auch ein ewiges Werden ist« (SCHELLING, a.a.O. [wie oben Anm. 54]). 57 F. ROSENZWEIG, Der Stern der Erlösung, BS 973, Frankfurt 1988, 287. Cf. auch: »Denn zwar für Gott sind die Zeiten jenes [sc. ewigen] Tages eigne Erlebnisse; ihm ist die Schöpfung der Welt das Schöpferwerden, die Offenbarung das Offenbarwerden, die Erlösung das Erlöserwerden. So wird er bis zum Ende. Alles was geschieht, ist an ihm Werden. Und da doch alles, was geschieht, gleichzeitig geschieht …, so ist jenes Werden Gottes für ihn kein Sichverändern, kein Wachsen, kein Zunehmen, sondern er ist von Anfang an und ist in jedem Augenblick und ist immer im Kommen; und nur wegen dieses Zugleichs seines Immerwährend-, Allzeit- und Ewigseins muß man das Ganze als ein Werden bezeichnen« (a.a.O. 287f).

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für sie Zukünftiges. Meine These ist also: dass Zeit und Geschichte als Gottes Sich-Vorauslaufen verstanden werden müssen, eine Vorläufigkeit, die er sich voraussetzt, um im Aufheben dieser Voraussetzung ewig bei sich selbst und er selbst (der Ewige) zu sein.58 Bei solcher Dialektik von Einheit mit sich und Werden zu sich handelt es sich klarerweise nicht um einen »werdenden Gott« (d. h. einen als Gott werdenden Gott), sondern Werden zu sich besagt den ewig lebendigen, im SichSetzen in und Sich-Abstoßen von der Zeitlichkeit sich als Gott vollziehenden Gott.59 Die Zeit wird somit als Zeit von Gott gegen ihre natürliche Richtung gewendet (eine Zeitumkehrung): Sie wird zur nicht-gewordenen Ewigkeit. Ewigkeit ist mithin nicht ein abstraktes »Vorher« vor aller Zeit,60 sondern Gottes sich aus zeithaftem Werden ständig neu und als identisch herstellende (und so »eigene«) Ewigkeit. Seine lebendige Ewigkeit ergreift sich als Ewigkeit in der Zeit; und von ihr her ist Gott selber als der Ewige. Daher ist seine Einheit mit der Zeitlichkeit eodem actu sein Sich-Unterscheiden von ihr als ewiger Gott,61 und so ist Gottes Ewigkeit seine eigene Lebendigkeit.62 Sagt man: Gott lebt ewig, so ist damit einerseits Ewigkeit als wesentliche Bestimmung seines Lebens ausgemacht (Gott selber als der Ewige63) und andererseits Gottes Leben als eines, das als Leben auch ewig (Gottes ewiges Leben) ist. Sein Leben ist als unvergänglich64 und in sich vollendet das 58 So möchte ich P. Tillichs Formulierung dialektisch weiterdenken: Die »göttliche Ewigkeit enthält die Zeit und geht zugleich über sie hinaus« (P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 296, cf. 315, und Bd. III, Stuttgart 1966, 472). W. Pannenberg hat es für notwendig erklärt, »der konstitutiven Bedeutung der eschatologischen Vollendung für die Ewigkeit Gottes selbst im Verständnis dieser Ewigkeit Rechnung zu tragen« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 53], 359). 59 Im Andern bei sich selbst zu sein, impliziert: vom Andern her »selbst« sein. 60 Ein solches »Vorher« ist (ebenso wie ein abstraktes »Danach«) vorstellungsmäßig und daher selber nur zeitlich aufgefasst. 61 »Das Ewige ist die Synthesis von Bewegung und Ruhe. Es ist Fortgang und Zeit, zugleich aber Negation des Fortgangs und der Zeit. Es ist die Bewegung, die bei sich bleibt … So hat es Bezüge zur Zeit, aber der Bezug ist wesentlich nur, insofern er als unwesentlich gesetzt ist« (KÖNIG, Der Begriff der Intuition [wie oben Anm. 50], 84; cf. auch 374). König stellt weiterhin den Bezug zu Hegels Satz von der Identität der Identität und der Nichtidentität von Sein und Nichts sowie zur coincidentia oppositorum her (a.a.O. 85). 62 »Ewig« – das ist im Neuen Testament vor allem das ewige Leben (Röm 5,21; 6,22f; Gal 6,8; cf. 2Kor 4,17; 5,1 und FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben Anm. 11], 419); daher wohl auch ἀθανασία (1Tim 6,16; cf. eschatologisch 1Kor 15,53f); cf. a.a.O. 419 mit Anm. 20. 63 Ewigkeit hat mit absolutem Selbstsein zu tun. 64 »Divinum autem id est quod nec ortum habet nec occasum« (Minucius Felix, Oct. 24,3; so definiert auch schon Clemens Alexandrinus Gott: Strom. V 89,4). Zu Gottes Unvergänglichkeit cf. auch R. FELDMEIER, »Unvergänglichkeit«. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus, in: ders., Der Höchste (wie oben Anm. 42), 228–242.

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»schlechthin in sich bestandhaltige Sein«,65 und die Ewigkeit dieses göttlichen Lebens ist Selbstbewegung und -differenzierung, unerschöpfliche Fülle, Werden in sich: aus sich und zu sich. Das bedeutet eine zeitfreie Gleichheit Gottes mit sich in aller zeithaften Ungleichheit, ewige Selbstgegenwart in, mit und unter aller Zeitlichkeit des Geschaffenen. Das ist nur denkbar, wenn Gottes Wirklichkeit als lebendig und sich selbst verwirklichend begriffen wird, d. h. nicht als differenzlose Identität, sondern als in sich unterschiedene Einheit.66 Ewig sein heißt aus-sich-sein (und so nicht der Zeitfolge unterworfen) und doch in sich bewegt sein: »non enim aliud anni Dei [Ps 102,25b.28] et aliud ipse Deus, sed anni Dei aeternitas Dei est« (Augustin).67 2. Christliche Konkretisierung68 Wer a se und per se, aus sich und durch sich, ist, der hat nach Joh 5, 26a »das Leben in sich selbst«,69 d. h. notwendig das »ewige Leben«, das nach 1Joh 1,2 »beim Vater« war. Wie gemäß Joh 5,26b zu sagen ist, dass vom Vater her auch der Sohn das Leben in sich selbst hat, nämlich in Zeit und Ewigkeit (cf. Joh 1,4a), so gilt entsprechend (d. h. umgekehrt)70 für das geschichtliche Dasein des Sohnes: Aus dem irdischen Leben Jesu von Nazareth bringt Gott sich seine eigene Ewigkeit hervor: Spezifisch in dieser zeitlichen Geschichte ist er im Werden zu sich.71 So wie er sich im zeitlichen Dasein (und Gottesbewusstsein) Jesu konstituiert (d. h. auch als trinitarischer Gott),72 so ist er für alle Ewigkeit (sozusagen auch rückwirkend).73 Dieses theologische Konzept scheint auch geeignet, christologisch die obligaten Schwierigkeiten der traditionellen Zwei-»Naturen«-Lehre zu überwinden: wenn man nämlich die Einheit des ewigen Gottes mit diesem einzelnen Menschen (Jesus) als eine denkt, die lebendig ist, indem sie zugleich auch den Unterschied von Gott und Mensch bzw. Ewigkeit und Zeit zur Geltung bringt. 65

ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 33), 81 (§ 20). So auch von Gottes wahrer Unendlichkeit PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 53), 438 und 440. 67 Enn. in Ps. 101, II 10 (PL 37, 1311). Cf. auch oben bei Anm. 37! 68 Cf. dazu überhaupt: E. JÜNGEL, Anteilgeben an der Ewigkeit. Erwägungen zu einem christlichen Ewigkeitsbegriff, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hgg.), Zeit und Ewigkeit als Raum göttlichen Handelns, BZAW 390, Berlin/New York 2009, 299–318. 69 Zur genauen Interpretation cf. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 502ff. 70 Nach Joh 1,14 geht die Ewigkeit in die Zeit ein. 71 Das ist die durchgehende theo-logische These in: J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008; cf. bes. 652ff. 72 Joh 5,26a und b entsprechen Gottes bei sich selbst Sein im Logos (Joh 1,1f). 73 Dadurch wird der Gott des Alten Bundes neu- und umbestimmt zum Vater Jesu Christi, ist also logisch vergangen bzw. in diesem »aufgehoben«. 66

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C. Auf dem Wege zur klassischen Definition Nach dieser ersten Festlegung systematischer Grundlinien im Ewigkeitsverständnis74 sollen in einem geschichtlichen Rückblick anhand von Paulus (1.), Plotin (2.) und Augustin (3.) drei wichtige (vorbereitende) Positionen charakterisiert werden, die in der klassischen Definition von Ewigkeit bei Boethius gipfeln (4.).75 1. Der Apostel Paulus hat im 1. Korintherbrief das Verhältnis unserer vergehenden Zeit zu Gottes Ewigkeit in großartiger Weise von der Auferstehung der Toten her als aufgehobene Vergänglichkeit beleuchtet (15,35ff). Er knüpft an das aus Jesu Reich-Gottes-Gleichnissen76 vom Samenkorn und Säen bekannte Bild von der »Ernte« an:77 Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Armseligkeit und wird auferstehen in Kraft. (1Kor 15,42f)78 Der Ernte in ewiger Herrlichkeit und Verklärtheit durch Gottes Schöpfermacht (V. 38) gehen zeitliches Reifen und der Tod voraus. Sie ist das von Gott heraufgeführte Resultat eines Prozesses, der darauf hinzielt und so vorläufig ist. »Ernte« bedeutet insofern Erfüllung, endgültige Verwirklichung und eschatologische »Reife«.79 Für das ewige Leben sind damit schöpferischer Reichtum, unzerstörbar lebendige Selbstbereicherung und unendliche Selbstreproduktion in Anschlag gebracht. Letztlich geht es um Gottes eigenes Leben, insofern er in allem auf sich selber in ewiger Vollkommenheit zugeht, um dann »alles in allem« zu sein (V. 28). Gottes Weg mit der als zeitlich geschaffenen Welt auf dieses Ziel zu (Röm 6,22) schließt aber die Negativität des Todes ein (1Kor 15,36). Der Ewige kommt als schöpferisch Verwandelnder (Neuschöpfung), so dass die Ewigkeit nicht ohne die Vergänglichkeit der 74 Zu Luthers Gedanke über das Verhältnis von Schöpfungszeit und Ewigkeit s. o. § 8 (S. 450f). 75 Mit dem Abschnitt B. 4. wird der Leitsatz dieses Paragraphen für unsere systematischen Darlegungen fruchtbar gemacht. Zu B. 2. und 3. cf. W. BEIERWALTES, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt 31981, und W. PANNENBERG, Metaphysik und Gottesgedanke, KVR 1532, Göttingen 1988, 56ff. 76 Über Ewigkeit und Reich Gottes in Jesu Verkündigung überhaupt cf. W. PANNENBERG, Theologie und Reich Gottes, Gütersloh 1971, und DERS., Systematische Theologie I (wie oben Anm. 53), 442. 77 Cf. auch Joh 4,35 und dazu RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 69), 335ff. 78 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 11), 268– 271. 79 Jesus scheint auch die Natur in eschatologischem Licht gesehen zu haben; eine Spur dafür: Mk 13,28f; cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 71), 444ff.

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irdischen Existenz zu verstehen ist – so wie bei Jesus Christus selber die Auferstehung nicht ohne seine Passion und das Kreuz.80 Indem der gewesene Mensch Jesus mit seiner Auferweckung in Gottes trinitarisches Leben hinein erhöht worden ist,81 wird seine irdische Geschichte in ein lebendiges Zugleich mit der Ewigkeit aufgehoben (1Joh 5,20).82 Paulus formuliert diese Aufhebung des Vergänglichen und der Vergänglichkeit im Ewigen als »Verschlungenwerden« des Todes in dem (bzw. in den) Sieg ewigen Lebens (1Kor 15,54),83 und er spricht im Bilde des neu Bekleidetwerdens davon: »Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit« (V. 53). Dies aber sind – wie schon »Herrlichkeit« und »Kraft« (V. 42f) – Prädikate des ewigen Gottes (cf. 1Tim 1,17)! In Gottes eigener Ewigkeit und Unsterblichkeit (1Tim 1,16) allein kann der Tod schöpferisch verwunden, d. h. in unzerstörbares Leben hinein verwandelt werden (cf. Joh 11,26; Apc 1,18). Im ewigen Leben wird die Zeit in Ewigkeit verschlungen sein. Im 2. Korintherbrief hat der Apostel diese »Verwandlung« (cf. 1Kor 15,51f) noch einmal thematisiert; der Erfahrung der Vergänglichkeit unseres Lebens und des Sterbens als ein »Entkleidetwerden« (2Kor 5,3f) steht die Hoffnung eines ewigen »Bekleidetwerdens« entgegen (cf. V. 2 und 4). Im Ewigen wird dann »das Sterbliche verschlungen vom Leben« (V. 4b). Weil es hier um kaum Vorstellbares geht, relativiert Paulus das Bild der Bekleidung mit Gottes Leben durch ein anderes: der Ersetzung unserer vergehenden Behausung (»Zelt«) durch ein ewiges Haus im Himmel, das von Gott selber gemacht ist (V. 1).84 Gott also verwandelt das Vergängliche in etwas Unvergängliches in seinem eigenen Leben.85

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Tillich versteht Auferstehung und Erlösung als »Negation der Negation« (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 58], 169 und 179), ebenso die ewige Seligkeit (a.a.O. III, 456); cf. DERS., Gesammelte Werke, Bd. VI, Stuttgart 1963, 186f.198.194. 81 Daher gilt 2Tim 1,10. 82 Für Luther ist der erhöhte Christus nur so im Himmel, dass er zugleich auf Erden ist (cf. WA 10 I/2, 303,23–35 und 12, 564,16–27; 26, 343,35–345,28). Er kann sagen: »Nun ist Himmel und Erden Ein Ding worden« (WA 46, 713,20). 83 »Der Tod ist nicht mehr« (1 Kor 15,26; Apc 21,4). 84 Für die alttestamentliche Skepsis freilich ist das »Haus seiner Ewigkeit« das Grab des Menschen (Pred 12,5 und dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben Anm. 11], 413); cf. aber Ps 90,12 und 39,5–7. 85 Gottes eschatologisches Handeln ist eine endgültige »Erschütterung« von allem (nach Hag 2,6), die ins ewig Bleibende umschlägt: »Dieses ›noch einmal‹ aber zeigt an, dass das, was erschüttert werden kann, weil es geschaffen ist, verwandelt werden soll, damit allein das bleibe, was nicht erschüttert werden kann« (Hebr 12,27); diese Verwandlung heißt µετάθεσις.

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2. Plotin fasst die Ewigkeit schon als Leben, und zwar so: ζωὴν µένουσαν ἐν τῷ αὐτῷ ἀεὶ τὸ πᾶν ἔχουσαν, ἀλλ’ οὐ νῦν µὲν τόδε, αὖθις δ’ ἕτερον, ἀλλ’ ἅµα τὰ πάντα, … τέλος ἀµερές (Enn. III 7,3).86 Nochmals von der gesuchten Ewigkeit: Sie sei als unwandelbar reines Sein: ἡ περὶ τὸ ὄν ἐν τῷ εἶναι ζωὴ ὁµοῦ πᾶσα καὶ πλήρης ἀδιάστατος πανταχῇ τοῦτο … αἰών (Enn. III 7,3).87 Dieses Verständnis von Ewigkeit als unwandelbar sich gleichem Leben ist auch die Voraussetzung für Plotins Verständnis von der Zeit, die im Bezug des Getrennten auf ein Ganzes, mithin nur mit Bezug auf die Ewigkeit zu verstehen ist.88 Über die Zeit heißt es kontrastierend: ἀντὶ δὲ ταὐτότητος καὶ τοῦ ὡσαύτως καὶ µένοντος τὸ µὴ µένον ἐν τῷ αὐτῷ, ἄλλο δὲ καὶ ἄλλο ἐνεργοῦν, ἀντὶ δὲ ἀδιαστάτου καὶ ἑνὸς εἴδολον [!] τοῦ ἑνὸς τὸ ἐν συνεχείᾳ ἕν, ἀντὶ δὲ ἀπείρου ἤδη καὶ ὅλου τὸ εἰς ἄπειρον προιὸν τῷ ἐφεξῆς ἀεί (Enn. III 7,11).89 Gegenüber der Ewigkeit sind für Zeit also das Sich-ungleich-Werden, Veränderlichkeit, Abbildcharakter (durch Kontinuität), Fortschreiten ins Unendliche kennzeichnend. Sie stellt den Zerfall der Einheit und Ganzheit des Lebens90 in der Abfolge getrennter Momente dar, d. h. den permanenten Verlust an Gegenwärtigkeit; dies alles ist aber zugleich nur wirklich durch den wesentlichen Bezug zu ewiger Ganzheit. 3. Nach Augustin ist die Zeit geschaffen und als Geschöpf von der Ewigkeit Gottes getrennt:91 »recte discernuntur aeternitas et tempus, quod tempus sine aliqua mobili mutabilitate non est, in aeternitate autem nulla mutatio est«.92 Indem Augustin die Ewigkeit als Gottes eigene Substanz versteht, muss er ihr die metaphysisch traditionelle zeitliche Unveränderlichkeit zusprechen:93 »aeternitas ipsa Dei substantia est, quae nihil habet mutabile; ibi nihil est praeteritum, quasi iam non sit; nihil est futurum, quasi nondum sit«.94 Damit ist jegliche Zeithaftigkeit ausgeschlossen: »et vere hoc habendum est aeternum, quod nullo tempore variatur«,95 und die Ewigkeit ist »semper stans aeternitas«.96

Plotin, Schriften (hg. von R. Harder, Bd. IVa, PhB 214a, Hamburg 1967), 310,16–19. A.a.O. 312,36–38. Cf. III 7,11 (a.a.O. 338,45f). 88 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 53), 436. 89 Plotin, Schriften (a.a.O.), 338,51–340,2 (Hervorh. J. R.). 90 Zur Ganzheit cf. auch a.a.O. 340,2f. 91 S. o. § 8 B. 1. (S. 449ff). Cf. auch K. H. MANZKE, Ewigkeit und Zeitlichkeit. Aspekte für eine theologische Deutung der Zeit, FSÖTh 63, Göttingen 1989. 92 De civ. Dei XI 6 (PL 41, 321); cf. XII 15,2 (PL 41, 364). 93 Cf. Platon (vom καλόν): αὐτὸ καθ’ αὑτὸ µεθ’ αὑτοῦ µονοειδὲς ἀεὶ ὄν (Symp. 211b). 94 Enn. in Ps 101, II 10. (PL 37, 1311); entsprechend wird Ex 3,14 gedeutet, cf. De civ. Dei XII 2 (PL 41, 350). 95 Enn. in Ps 71,8 (PL 36, 906). 96 Conf. IX 10,24. 86 87

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Daneben kennt Augustin das Ewige aber auch als zeitumgreifende Gegenwart, die sich über eine sich aufhebende Sukzession als solche allererst setzt. Dieses Konzept ist für den hier vorgeschlagenen Begriff lebendiger Ewigkeit anschlussfähig.97 Als Beispiele für eine aktuell im Übergreifen der Zeit sich herstellende Gegenwart führt Augustin gerne das Beispiel des Hörens einer Melodie an, das sukzessiv und simultan zugleich ist.98 Signifikant ist auch die verborgene Dialektik im Vernehmen eines sprachlichen Satzes, der sich über das Nacheinander sinnvoller Einzelwörter aufbaut, die ihrerseits erst vom Ende des Satzes her ihre letzte Bestimmtheit erhalten.99 Diese Interpretation von Ewigkeit von der sprachlichen Dialektik (in der Erkenntnis) her findet eine überraschende Bestätigung bei einem dezidiert anti-metaphysischen Autor, A. Ritschl: Diese Vorstellung [sc. Ewigkeit] würde gar keine Bedeutung für uns haben, … wenn die beiden gangbaren Definitionen der Ewigkeit als der Zeitlosigkeit100 und als der anfangsund endlosen Zeit101 richtig wären. … Aber wie die Zeit unsere Anschauung und Vorstellung ist, in welcher wir zunächst unsere Vorstellungen von einander unterscheiden …, so heben wir sie wieder in jedem Erkenntnisakt auf, indem wir die nacheinander gehörten Worte zur Einheit des Urteils … verknüpfen.102 Das Setzen und Aufheben der Zeit in den einfachsten … Akten des Erkennens ist schon ein Fall der Ewigkeit des Geistes. … Denn die Ewigkeit ist im Allgemeinen die Macht des Geistes über die Zeit.103 97 Cf. Enn. in Ps 121,6 und 101, II 10 (PL 37, 1623 und 1311) sowie insbesondere Conf. XI 13,16. 98 Cf. Conf. XI 28,38. Zur distentio animi (als zeitüberbrückend im Zugleich von Erinnerung und Erwartung) cf. Conf. XI 26,33 sowie ähnliche Stellen: De civ. Dei XI 18 (PL 41, 332); C. Secundinum Manichaeum 15 (PL 42, 591); De vera rel. 22,42 (PL 34, 140); Ep. CLXVI 5,13 (PL 33, 726). 99 Cf. Conf. IV 10,15 und 11,17. Zur Satzdialektik cf. J. STENZEL, Philosophie der Sprache, Handbuch der Philosophie, München 1934, 14ff.44f.48f. Über Ewigkeit und den sprachlichen Satz cf. auch G. WOHLFART, Hegel. Zeit und Aufhebung der Zeit, in: ders., Der Augenblick, Freiburg 1982, 65–93, bes. 92f. 100 Schleiermacher bestimmt Ewigkeit als die »schlechthin zeitlose Ursächlichkeit Gottes« (SCHLEIERMACHER, CG2, § 52 [Leitsatz]; cf. auch ebd. 1. und 2.). Hier wird die Ewigkeit (als auch die Zeit selber bedingende) zum bloßen Moment einer zeitlosen Korrelation. 101 Dabei wird Ewigkeit mit abstrakter Endlosigkeit verwechselt. 102 Für diese »allmähliche Verfertigung« der Gedanken Gottes, die als sein Gedanke ewig sind, »beim Reden« (in Zeit und Geschichte) könnte das bekannte Kleist’sche Motiv zur Interpretation von Hebr 1,1f in Anspruch genommen werden! Cf. dazu J. RINGLEBEN, Reden – Denken – Beten. Überlegungen im Anschluß an Humboldt und Kleist, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. I, 137–157, hier 142ff, und zu Hebr 1,1f: a.a.O. 262ff. 103 A. RITSCHL, Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. III, Bonn 41895 (Nachdr. Hildesheim 1978), 223 (Hervorhebungen J. R.). Gegen eine begriffliche Interpretation des Ewigen wendet sich gerade wegen der Sprachgebundenheit des Denkens H. Arendt mit Bezug auf Platon (H. ARENDT, Vita activa oder Vom tätigen Leben, Stuttgart 1960, 25). Auch G. Ebeling behauptet abstrakt-unsprachlich, »daß in Anbetracht der Ewigkeit Gottes auch

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W. Pannenberg, der das augustinische Motiv zeitübergreifender Gegenwart herausgestellt hat, gibt ihm, d. h. diesem Begriff von Ewigkeit, zugleich eine eschatologische Deutung, die auch für unsere Gotteslehre relevant ist: »Alle zeitüberbrückende Dauer und die Erfahrung solcher Dauer im Strom der Zeit kann als Antizipation der eschatologischen Zukunft einer Teilhabe der Geschöpfe an der Ewigkeit Gottes aufgefaßt werden.«104 Die uns hier weiter beschäftigende Frage wird sein, wie solche »Teilhabe« von der lebendigen Ewigkeit selber her begriffen werden kann (s. u. Abschnitt D.). 4. Vor dem Hintergrund des Ewigkeitsverständnisses bei Plotin (2.) und Augustinus (3.) soll nun die umfassende Definition, die Boethius für den Begriff der Ewigkeit gegeben hat, im Rahmen unserer Gotteslehre interpretiert und angeeignet werden.105 Es zeichnete sich bereits ab: Ewigkeit ist – christlich gedacht – nicht abstrakte Zeitlosigkeit, sondern schöpferische Verwindung der Zeit. Dafür hat Luther den Begriff der collatio; demnach ist die göttliche Selbstgegenwart nicht reine Zeitenthobenheit, sondern gerade »das Zusammenbringen des Ewigen und des Vergänglichen«.106 Gottes ewiges Leben wird so denkbar als schöpferisches Versammeln der zeitlichen Verläufe in der lebendigen »Gleichzeitigkeit« des Ewigen. Gottes Leben geht aus der Zeitlichkeit (der Schöpfung) ewig mit sich zusammen. Indem der Ewige sich aus der Zeit entgegenkommt, »besitzt« er als ihr Herr nicht nur die geschaffene Zeit (Ps 31,16), sondern »besitzt« darin auch ewig sich selber. Die klassisch gewordene Formulierung bei Boethius drückt dies aus; sie lautet: Aeternitas igitur est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio.107

die temporale Struktur der Sprache entfällt« (G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. I, Tübingen 1979, 160). 104 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 53), 442f, cf. zu Conf. IX: a.a.O. III, Göttingen 1993, 644f. 105 Cf. dazu Thomas von Aquin, STh I, q. 10, a. 1 und zur theologischen Würdigung BARTH, KD II/1, 688; zur Nachwirkung der Formel siehe BEIERWALTES, Plotin. Über Ewigkeit und Zeit (wie oben Anm. 75), 200. 106 »collatio est eterni et perituri« (WA 14, 117,5). Cf. auch oben Anm. 82. Das übersteigt den eindimensionalen Verstand: »Ratio hec non intelligit« (ebd.). Cf. auch Augustin: Gottes ewiger Blick »haec omnia stabili ac sempiterni praesentia comprehendat« (De civ. Dei XI 21; PL 41, 344). 107 »Ewigkeit also ist der vollständig-gleichzeitige und vollendete Besitz unbegrenzbaren Lebens« (Cons. philos. V 6. [p.] 4.; CChr.SL 94 [1957], 101,8f = PL 63, 858). Cf. damit Plotin, Enn. III 7,3 (s. o. 2.) und BEIERWALTES, a.a.O. 198–200 (enger Bezug zu Plotin), sowie den Kommentar zur Schrift des Boethius von J. GRUBER (Kommentar zu Boethius, De consolatione philosophiae, Berlin 22006); cf. auch W. MESCH, Ewigkeit bei Boethius, in: A. B. Neschke-Hentschke (Hg.), Platos Timaios. Beiträge zu seiner Rezeptionsgeschichte, BPhL 53, Louvain-la-Neuve 2000, 109–137.

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Boethius denkt die Ewigkeit als unendliche Lebendigkeit. Sie besteht im absoluten Selbstbesitz Gottes,108 seiner unbedingten Selbstmacht.109 Sie ist die Weise, wie Gott sein Leben besitzt, d. h. seiner eigenen unendlichen Lebendigkeit mächtig ist und in ihr seiner selbst inne ist, mit ihr (bzw. sich) ewig eins ist. Darum ist hier possessio (sc. seiner selbst) der Begriff, der das göttliche Selbstsein in seiner Fülle formal bestimmt.110 Die Fülle, die in Gott ist, ist er zugleich absolut und in allem selber. Dieses »Besitzen« dessen, was Gott in sich selbst ist, bezeichnet jeden dabei auftretenden Unterschied als mit ihm absolut geeinten. Demgemäß ist auch die Zeit mit ihren Unterschieden, ihrer Negativität und ihren Diskontinuitäten in Gott selber ewig aufgehoben, mithin durch Unterschiede bestimmt, die in Gott selber keine Selbständigkeit (mehr) besitzen. Die Ewigkeit ist hier der Zeit nicht nur entgegengesetzt,111 sondern zugleich positiv auf sie bezogen, indem sie sie in ihrer lebendigen Totalität umfasst.112 Der Inhalt dieses ewigen Selbstbesitzes ist interminabilis vita.113 Die Unendlichkeit göttlicher Lebendigkeit, der auch die Zeitlichkeit entspringt, ist wahre Unendlichkeit,114 sofern sie unbegrenzbar und doch in Gottes eigenem »Besitz« ist, d. h. unerschöpflich reich und unabsehbar vielfältig und doch geeint, ewig werdend und doch ewig ruhend ist.115 Nur insofern die Ewigkeit an ihr selber der »vitae immobilis praesentarius status« ist,116 wird sie dem endlosen Verlauf zeitlicher Dinge entgegengesetzt,117 der sie freilich »nachahmt«.118 108

Cf. Thomas von Gott: »Nec solum est aeternus, sed est sua aeternitas« (STh I, q. 10, a. 2 concl.); ebenso SCHELLING, Die Weltalter (1811), in: ders., SW I/8, 237 (= Nachdr. 43). 109 Cf. Boethius: »sui compos« (Cons. philos. V 6.8.; a.a.O. 101,26). Das stimmt besonders zur ersten Hälfte des vorliegenden Unterkapitels unserer Darstellung unter dem Titel: »Allmächtiges Leben«; cf. auch oben § 5. 110 Cf.: »totam pariter vitae suae plenitudinem … possidere« (Cons. philos. V 6.12.; a.a.O. 102,41f). Zum Terminus abwegig die Bedenken bei W. HÄRLE, Dogmatik, Berlin/ New York 1995, 646. 111 Zu Kontrastierung der Zeitlichkeit gegenüber dem Ewigen cf. Boethius, Cons. philos. V 6.5.–8. (a.a.O. 101,10–27). 112 I. A. Dorner nannte das Gottes »Zeitfreiheit« (I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 230 und 582). 113 Zu Boethius cf. auch J. HALFWASSEN, Sein als uneingeschränkte Fülle, ZPhF 56 (2002), 497–516, hier 515f. 114 Cf. dazu PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 53), 441. 115 Damit ist ebenso eine abstrakte Anfangs- und Endlosigkeit verneint (Cons. philos. V 6.6.; a.a.O. 101,16–20), wie umgekehrt vom Zeitlichen (wegen des Noch-nicht und Nichtmehr) gilt: »Non enim totum simul infinitae … vitae spatium comprehendit atque complectitur« (V 6.7.; a.a.O. 101,20–22). 116 Cons. philos. V 6.12. (a.a.O. 101,36–102,37). Cf. »simplicitas praesentiae« (a.a.O. 102,39f). 117 »infinitus ille temporalium rerum motus« (Cons. philos. V 6.12.; a.a.O. 102,37f). 118 »imitatur« (ebd.); das erinnert an Platons Rede von der Zeit als »Bild« der Ewigkeit (s. o. A. 2. [S. 511]).

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Gottes Selbstbesitz als Inbegriff seines unendlichen Lebens wird von Boethius durch drei Attribute näher charakterisiert: »tota simul et perfecta«.119 Das Stichwort tota weist auf die All-Macht hin:120 Gottes allmächtiges Selbstsein, seine allübergreifende und so unverlierbare Ganzheit.121 Sie ist auch Allzeitlichkeit, sofern Gott in allen Zeiten und Zeitmomenten ganz da ist, nämlich als er selber.122 Damit ist bereits das zweite Kennzeichen gesetzt: Der göttliche Selbstbesitz ist uneingeschränkt mit sich selber »gleichzeitig«: simul.123 Für den ewig lebendigen Gott in seiner Selbstmächtigkeit gilt: »necesse est et sui compos praesens sibi semper adsistere et infinitatem [sc. die schlechte Endlosigkeit] mobilis temporis habere praesentem«.124 Damit ist Ewigkeit als schöpferische Synthese der Zeitmomente (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) begriffen, als ihre Einheit in Gott und absolute Integration zu seinem unendlichen Leben, indem sie trotz ihrer Bewegtheit unendlich gegenwärtig (gehalten) sind.125

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Nach Plotin kommt einer Definition (ὁρίζεσθαι) von Ewigkeit (αἰών) nahe, wer sagen würde, τὸν αἰῶνα … ζωὴν ἄπειρον ἤδη τῷ πᾶσαν εἶναι καὶ µηδὲν ἀναλίσκειν αὑτῆς (Enn. III 7,5; »die Ewigkeit sei vollendet-unendliches Leben dadurch, daß es schon ganz ist (was es ist) und nichts von sich selbst aufzehrt [sc. durch Vergänglichkeit]«; Übers. Beierwaltes). 120 Auch Tillich fasst Ewigkeit als göttliche Allmacht in Bezug zur Zeit (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 58], 314). 121 Im Unterschied dazu gilt vom vergänglich Seienden: »nihil est in tempore …, quod totum vitae suae spatium pariter possit amplecti« (Cons. philos. V 6.5.; a.a.O. 101,12f). 122 Gottes Ewigkeit ist das vollkommene Selbstsein seines Zeitlichseins, und seine Ewigkeit restituiert sich aus seinem Unterwegssein in der Zeit zu sich selbst. Uns Geschöpfen entgeht unsere Ganzheit, weil wir nur von Augenblick zu Augenblick sind, was wir sind: »in hodierna quoque vita non amplius vivitis quam in illo mobili transitorioque momento« (Cons. philos. V 6.5.; a.a.O. 101,14–16). 123 Cf. (wenn auch undialektisch) Plotin, Enn. V 1,4 (gegenüber dem Nacheinander in der Seele): »Der Geist (νοῦς) dagegen ist alles; so hat er alles als auf derselben Stelle ruhendes; er ist nur, immer gilt von ihm das ›ist‹, niemals das ›wird sein‹, denn auch in der Zukunft ›ist‹ er, noch das ›vergangen‹, denn nichts geht in der oberen Welt vorbei, sondern alles steht immerdar in Ewigkeit (ἀεί), da es immer dasselbe bleibt gleichsam zufrieden (ἀγαπῶντα) mit seinem Zustand« (Übers. Harder). 124 Cons. philos. V 6.8. (a.a.O. 101,25–27). Cf. auch die Betonung der ewigen Selbstgegenwart Gottes als einer wissenden im Geist: »aliud interminabilis vitae totam pariter complexum esse praesentiam, quod divinae mentis proprium esse manifestum est« (V 6.10.; a.a.O. 101,32–34). 125 Im Gegensatz dazu machen wir innerzeitlich die Erfahrung, dass wir es zu keiner echten Lebensganzheit bringen, die wir selbst völlig umfassen könnten. Denn jede Gegenwart versinkt uns in Vergangenheit und wird unaufhaltsam in eine Zukunft gestoßen. Daher ist sie auf einen »Augenblick« begrenzt, in dem das Zukünftige noch verborgen und das Vergangene schon wieder verloren ist. Für uns endliche Wesen ist die Gegenwart selber ein flüchtiger Moment, der nur im Vorübergehen da ist, d. h. indem er ist, auch schon nicht mehr ist.

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Die Ewigkeit ist als vollendete »possessio« zugleich ein In-Besitz-Nehmen,126 und darin besteht die (zeitbezogene) Lebendigkeit von Gottes ewigem Leben. Gottes Lebendigkeit ist ein nunc aeternum, d. h. ewige Gleich-Zeitigkeit bzw. Zeithaftigkeit ohne Vergänglichkeit, aber sie ist entschieden kein nunc stans!127 Christlich gedacht kann Ewigkeit nicht als schlechthin zeitlos (wie mathematische Wahrheiten), sondern muss als lebendige Ewigkeit gefasst werden. Gott hat als ewiger und ewig Lebendiger ein Verhältnis zur Zeit, und zwar ein schöpferisches, indem er in allen Zeiten und aus ihnen er selbst ist; lebendig derselbe, »der da ist und der da war und der da kommt« (Apc 1,8)128 – in Zeit und Ewigkeit zugleich (»simul«): der lebendige Gott der Bibel. Als in der Vergangenheit und in der Gegenwart und in der Zukunft Seiender und darin sich Gegenwärtiger ist er zugleich der vor aller Vergangenheit und über jeder Gegenwart und nach aller Zukunft Seiende und bei sich selbst Seiende.129 Mit der Charakterisierung des unendlichen Lebens der Ewigkeit als perfecta wird schließlich negativ unterstrichen, dass sie nicht Endlosigkeit130 oder end-

126

S. o. A. 4. (S. 515 bei Anm. 31). Gott als der Lebendige handelt in der Zeit mit und an der Zeit (den zeitlich existierenden Menschen); indem er sie zu sich ruft und führt, überführt er ihre Zeitlichkeit in seine Ewigkeit, verwindet die Zeit ins ewige Leben. 127 Dieses wird traditionell ohne irgendein Verhältnis zur Zeit aufgefasst; cf. Anselm von Canterbury, Prosl. 19, und die Augustin-Stellen, die Barth anführt (BARTH, KD II/1, 686 und 691). Cf. M. Heidegger: »Daß der traditionelle Begriff der Ewigkeit in der Bedeutung des ›stehenden Jetzt‹ (nunc stans) aus dem vulgären Zeitverständnis geschöpft und in der Orientierung an der Idee der ›ständigen‹ Vorhandenheit umgrenzt ist, bedarf keiner ausführlichen Erörterung. Wenn die Ewigkeit Gottes sich philosophisch ›konstruieren‹ ließe, dann dürfte sie nur als ursprünglichere und ›unendliche‹ Zeitlichkeit verstanden werden« (M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 101963, 427 Anm. 1). 128 Pausanias vom Ewigen: der »war, ist und sein wird« (Dodona; Descr. X 12). 129 Cf. BARTH, KD II/1, 698f. Cf. auch zur »Perichorese«, dem Ineinandersein und Ineinanderwirken der drei Gestalten der Ewigkeit (sc. die sog. »Vorzeitlichkeit, Überzeitlichkeit u. Nachzeitlichkeit«), zwischen denen es keine Trennungen, keine Ferne, kein Entbehren bei Gott gibt (KD II/1, 721). Cf. auch zur »Zeitlichkeit der Ewigkeit« überhaupt (a.a.O. 698–722), zum Angrenzen unserer Zeit an Gott selbst (KD III/2, 639f und 690) und zu »Jesus, der Herr der Zeit« (a.a.O. 524–616). 130 Auch P. Tillich unterstreicht, dass Ewigkeit »weder Zeitlosigkeit noch die Endlosigkeit der Zeit« ist (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 58], 315). In Gott sind die Zeitmomente nicht getrennt; zu ihm als dem Ewigen gehört vielmehr wesentlich »die Kraft, alle Zeitmomente zu umgreifen« (ebd.). So kann es definitorisch heißen: »Ewigkeit ist die transzendente Einheit der getrennten Momente existentieller Zeit« (ebd.). Auch für Tillich ist diese »Einheit« nicht als bewegungslose Selbstgleichheit zu verstehen; zu Hegel schreibt er: »sein Gedanke einer dialektischen Bewegtheit innerhalb des Absoluten stimmt mit dem echten Sinn von Ewigkeit überein« (a.a.O. 316). Zu Hegels Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit s. u. D. 2. (S. 534ff).

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lose Wiederholung desselben ist.131 Gottes selbstmächtiger Besitz des eigenen Lebens ist schlechthin vollkommen, weil Gott es sich schöpferisch so zu eigen macht, dass er es mit sich selber völlig durchdringt, d. h. es immer neu zur Stätte seiner selbsthaft-eigenen Lebendigkeit macht (cf. 2Kor 4,16; Apc 21,5).132 Die letztgültige Vollkommenheit besteht also positiv darin, dass das göttliche Leben vollkommen in sich ist: Alle Unterschiede sind in ihm entfaltet und zurückgenommen; sie durchdringen einander »simultan«. Seine Ewigkeit ist zugleich die Bewegung der Zeitmomente und die ruhige Einheit derselben: Was hier zerteilt ist, ist dort eins.133 Gottes Ewigkeit ist absolute Vollendung, und dies nicht im Sinne toten Fertigseins (z. B. endgültig abgeschlossener Vergangenheit),134 sondern schöpferisch in jeder Zeitdimension.135 Daher ist auch die Vergangenheit noch Moment gegenwärtigen schöpferischen Handelns;136 andererseits kann auch keine Zukunft bei all ihrer Offenheit nach vorn nicht aus der lebendigen Einheit des göttlichen Lebens herausfallen: seine »interminabilis vita« bleibt in Gottes Selbstmächtig-

131 Diese wäre eher ein Symbol der Unerlöstheit (cf. »ewiger Jude«). Bei Pred 2,16 sprechen Feldmeier/Spieckermann von einer leeren und fälschlichen »Ewigkeitsprädikation« für die Vergangenheit, »die die ewige und erinnerungslose Wiederkehr des Gleichen im Sinne des Einerlei unterstreicht« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 512 Anm. 11], 412). Man könnte auch an die hoffnungslose »Ewigkeit« der Höllenstrafen in Dantes »Inferno« denken. Zu Nietzsches »ewiger Wiederkehr des Gleichen« ist wohl zu sagen: Sie ist hier unspezifisch, weil sie von endloser Dauer eigentlich nicht zu unterscheiden ist und objektiv eine Vergleichgültigung allen Geschehens bedeutet; sodann hat sie einen mythischen Ursprung und Charakter. Zur genauen Interpretation cf. aber T. KLEFFMANN, Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie, BHTh 120, Tübingen 2003, 289–293 und 295ff. 132 Cf. auch den Choral: »All Morgen ist ganz frisch und neu …« (EG, Nr. 440). Nach Pannenberg ist die eschatologische Vollendung derart konstitutiv für die Ewigkeit Gottes, dass sie wesentlich zum Begriff der Ewigkeit gehört (cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 53], 359); cf. auch 423 (Verhältnis zur Schöpfung). 133 Bei Hölderlin heißt es: »Die Linien des Lebens sind verschieden, / Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. / Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen / mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden« (HÖLDERLIN, KlStA 2, 276). 134 Wie Ex 3,14 zu denken gibt, ist seine Ewigkeit nicht eine undifferenzierte Selbstidentität Gottes, sondern sie stellt ebenso den Unterschied des lebendigen Gottes von der Zeitlichkeit alles Geschaffenen wie auch seine Lebensbewegung als Einbeziehung des zeitlich Seienden in die eigene Ewigkeit dar. In diesem »sowohl – als auch« wiederholt sich der Zusammenhang von immanenter und ökonomischer Trinität, d. h. deren gegenseitiges Ineinanderübergehen. 135 Es ist christlich unvermeidlich, »daß wir für die Vollendung Nichtmehrwerden und Werden in Einem behaupten« müssen (TH. HAERING, Der christliche Glaube. Dogmatik, Calw/Stuttgart 21912, 665). Diese Einheit kann nur eine dialektische sein. 136 Cf. den geistreichen ersten Satz bei Günter Grass (»Das Treffen in Telgte«): »Gestern wird sein, was morgen gewesen ist.«

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keit aufgehoben.137 Er selber ist mit seiner ewig-lebendigen Gegenwart zugleich in unserer Vergangenheit, unserer Gegenwart und unserer Zukunft schöpferisch tätig.138 Der Ewige ist lebendiges Werden zu sich und so auch zugleich ewige Ruhe: die absolute Einheit von Zeitdurchdringung und Zeitüberlegenheit139 bzw. Zeitenthobenheit.140 Rückblickend ist zur Formel des Boethius systematisch festzuhalten: Die Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit des göttlichen Lebens, die interne Bewegtheit, die darin ist, wird in seine ewige Selbstgegenwart hinein aufgehoben, so dass Gott vollkommen bei sich ist. Indem zu seinem Leben auch die Zeitlichkeit, d. h. seine Lebendigkeit als Schöpfer und sein Leben in der Schöpfung (als ihr Erlösender, Auferweckender und Vollendender), gehört, wird auch sie in die Ewigkeit vollkommenen Selbstbesitzes integriert. Gott hebt die Zeitlichkeit schöpferisch in sein ewiges Leben hinein, um auch darin sein überzeitliches Leben zu gewinnen. Das bedeutet, ewig ist Gottes eigenes Leben, indem es auch aus der endlichen Lebendigkeit (und der Verwandlung) unseres geschaffenen, zeitlichen Lebens seine Unendlichkeit immer neu hervorbringt. »Wenn wir Gott einen lebendigen Gott nennen, behaupten wir, dass er Zeitlichkeit und damit eine Beziehung zu den Modi der Zeit in sich begreift.«141 Zugleich aber, so ist weiterführend zu sagen, besitzt Gott schöpferische Freiheit gegenüber der Zeit und so auch im Verhältnis zur Vergangenheit; das ist insbesondere eschatologisch wichtig. Was für uns eine endgültige Grenze ist (im Tode), das ist für ihn nur Ort seines schaffenden Lebens: »Für Gott ist die Vergangenheit nicht abgeschlossen, weil er durch sie die Zukunft schafft, und im Erschaffen der Zukunft schafft er die Vergangenheit neu.«142 Wird 137

Cf. Thomas: »Aeternitas autem tota simul existens ambit totum tempus«; daraus folgt: »omnia quae sunt in tempore, sunt Deo ab aeterno praesentia« (STh I, q. 14, a. 13 resp.). Tillich hat mit einer tiefsinnigen Metapher Gottes Erinnerung als Symbol der Zeiteinheit gedeutet (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 58], 316f). 138 Wie Augustinus sagt: »Novit quiescens agere et agens quiescere« (De civ. Dei XII 17,2; PL 41, 367). 139 Cf. Kierkegaard: »In der Ewigkeit hingegen ist aller Widerspruch behoben, ist die Zeitlichkeit von der Ewigkeit durchdrungen und in ihr bewahrt« (S. KIERKEGAARD, Der Begriff Angst, in: ders., GW 11, 160). 140 Darin ist ihm unter anderem auch Anselm gefolgt: »Videtur enim eius aeternitas esse interminabilis vita simul perfecte existens« (Monol. 24), so dass von der göttlichen Substanz gilt: »non sit aliud quam vita sua et aeternitas sua« (ebd.). Wir begreifen wie bei Boethius: Interminabilis besagt: über allen Unterschied hinweg; vita ist als in sich bewegt das »Simul« von Ewigkeit und Zeit, als existens im Sich-unterscheiden von Zeit und Ewigkeit zugleich deren Einheit, die selber, weil vita, interminabilis ist. Christlich und inhaltlich besagt das: Gottes Leben als Bewegung in sich umfasst auch unser Leben im Leben Jesu Christi. 141 TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 58), 315. 142 A.a.O. 317. Cf. unten § 16.

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derart Gottes Ewigkeit in ihrer Einheit mit seiner Kreativität begriffen, dann kann er aus unserer endenden Zeit unendlich Neues schaffen und auch aus dem Tode sein unbegrenzbares Leben gewinnen. Für ihn ist in seinem ewigen Leben absolut (und schöpferisch) vereinigt, was bei uns getrennt ist: Der Ewige ist seine eigene Vergangenheit143 und seine eigene Zukunft144 in der lebendigen Einheit des Sich-Hervorbringens.145

D. Zur Zeit-Ewigkeit-Dialektik146 1. Von Ewigkeit zu Ewigkeit Schon Ex 3,14 führt notwendig auf den Begriff von Ewigkeit und von ihr als einer lebendigen. Denn »Ich bin, der ich bin« – das besagt: ewig derselbe in absolutem Selbstbesitz, und das schließt auch alle Zukunft mit ein: »Ich werde immer der sein, der ich bin«147 – in unabsehbarer Zukunft, d. h. über alle Zeit und Geschichte hinweg (cf. Hebr 1,12c; Ps 102,28).148 In der Selbstaussage von Ex 3,14 ist weiterhin, wie früher gezeigt,149 eine Selbstunterscheidung bzw. Selbstverdoppelung der eigenen Einheit Gottes spekulativ zu bedenken. Eben eine solche hat S. Kierkegaard für den Ewigkeitsbegriff ausdrücklich gemacht: 143

Im Selbstbewusstsein des ewig lebendigen Gottessohnes kommt das in Apc 1,18 zum Ausdruck: »Ich war« (sc. tot) entspricht der Zeit und »Ich bin« (sc. lebendig) der Ewigkeit. 144 Gott ist als seine eigene Mitte auch die eigene Vergangenheit und die eigene Zukunft. Er geht in beiden Richtungen nur mit sich selber zusammen. So in sich sich entzweiend und ebendamit seine Einheit herstellend, ist Gott der Lebendige. Dem entspricht sein Sich-Hervorbringen in seiner Ewigkeit, bzw. Gottes Ewigkeit ist sein Sich-Hervorbringen. Nach Pannenberg ist in einem bestimmten Sinn einzuräumen, »daß die Ewigkeit Gottes selbst noch abhängt von der Zukunft der Welt« (W. PANNENBERG, Das Glaubensbekenntnis ausgelegt, GTBS 165, Hamburg 1972, 181). Damit ist pointiert Gottes Werden zu sich zum Ausdruck gebracht, d. h., dass die Geschichte für ihn bedeutsam ist; cf. auch oben Anm. 134. 145 Gott ist selbst die Zukunft seiner selbst und alles von ihm Verschiedenen. Dass er keine Zukunft vor sich hat, die von seiner lebendigen Selbstgegenwart verschieden wäre, bedeutet seine vollkommene Freiheit. Barths diesbezügliche Aussagen (BARTH, KD II/1, 687) lassen sich dialektisch weiterdenken. 146 Bei dem Thema Ewigkeit gilt wie kaum sonst der Satz E. Brunners: Das Neue Testament ist »›dialektisch‹ in einem bisher noch von keiner dialektischen Theologie erreichten Maße« (E. BRUNNER, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, Zürich 1953, 145). 147 Das »Immer«-Sein des Ewigen ist nicht im Sinne eines zeitlosen oder zeitjenseitigen Immer, sondern als schöpferisches Mitgehen zu verstehen. Gottes »Immer«-Sein geht in die Zeitekstasen mit ein. 148 So ist Gott Anfang, Mitte und Ende von allem, wie die Orphiker-Fragmente sagen (Orphicorum fragmenta, hg. von O. Kern, Berlin 1922, Nr. 21). 149 S. o. § 1 B. (S. 108ff).

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Wenn jedoch das Ewige in einem Menschen zugegen ist, so verdoppelt dieses Ewige sich dergestalt in ihm, daß es, jeden Augenblick, da es in ihm zugegen ist, auf eine doppelte Weise zugegen ist: in der Richtung nach außen hin und in der Richtung nach innen zurück in sich selbst, aber dergestalt, daß dies ein und dasselbe ist; denn sonst ist es keine Verdoppelung.150

Am Ort des Menschen (und seiner Liebe) ist das Ewige somit als Verdoppelung seiner selbst anwesend, dies aber so, dass es dabei gerade mit sich eins, das Ewige, ist.151 Kierkegaard begreift in dialektisch-spekulativer Weise das Ewige als das, was so in Einheit mit sich selber ist, dass es, indem es nach außen gerichtet ist, zugleich in sich zurückkehrt. Es ist im Anderen bei sich selbst, d. h. im Anderen seiner selbst nur so, dass es immer auch in sich zurückreflektiert ist,152 und so unendlich. Im Sinne solcher Selbstverdoppelung lässt sich sachlogisch auch die biblische Formel für den lebendigen Gott begreifen: »von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Ps 90,2; Dan 6,27; Apc 10,6; 11,15; 15,7; cf. auch 2Kor 3,18b: ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν).153 Denn man kann im »von … zu«, nimmt man es beim Wort, einen zeitübergreifenden Bezug (sozusagen A und Ω) des ewig Lebendigen finden.154 Das wäre mehr als bloß unbegrenzte Dauer (ʿolam), sondern formulierte Gottes Ewigkeit eben als seine immanente Lebendigkeit.155 Legt man das zugrunde, so lässt sich auch biblisch vertreten, was die systematische These behauptet: »Gottes Wesen, obwohl von Ewigkeit zu Ewigkeit dasselbe, hat in der Zeit eine Geschichte«.156 Das muss so verstanden werden, dass Gottes zeitliches Werden (als Werden zu sich aus der Zeit) sich ständig 150

S. KIERKEGAARD, Der Liebe Tun, in: ders., GW 19, 309. Der Text geht weiter: »Das Ewige ist nicht bloß in seinen Eigenschaften gegenwärtig, sondern ist in seinen Eigenschaften bei sich selbst, es hat nicht bloß Eigenschaften, sondern ist bei sich selbst, indem es die Eigenschaften hat« (ebd.); man kann das als Präzisierung des oben in Anm. 108 Zitierten lesen. 151 Ex 3,14 bringt also, genau genommen, nicht Gottes ewiges Selbstsein allein zur Sprache, sondern es in spezifischem Bezug auf den Hörer (Mose) oder Leser, d. h. »nach außen«. Das Sprachereignis von Gottes Sich-Vergegenwärtigen ist als solches auch im zur Sprache Gebrachten schon präsent, bzw. die »Gottesgleichung« steht von vornherein in Korrelation zum Menschen; darum sprechen FELDMEIER/SPIECKERMANN (Der Gott der Lebendigen [wie oben S. 512 Anm. 11]) von Gottes »Beziehungswillen«. 152 Es gilt hier das dialektische Bewegungsgesetz: »daß es gleichsam mit einem rückwärts geht, indes man voranschreitet« (KIERKEGAARD, a.a.O. 370). 153 Zur alttestamentlichen Grundbedeutung von hebr. ʿolam (LXX: αἰών) cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 407 und 370. Zur Formulierung »von Ewigkeit zu Ewigkeit« bemerken die Verfasser grundsätzlich nur, es »sprengt alle Dimensionen menschlicher Zeiterfahrung« (a.a.O. 413). 154 Cf. für das meʿaz (»von jeher«) und beʾorek yamin (»auf ewig«) von Ps 93,2 bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 409 (bes. zu Ps 21,5); cf. auch 413. 155 Diese ist als die Ewigkeit selbst unsichtbar (2Kor 4,18b), weil aus der Zeitlichkeit des Sichtbaren sich zu sich vermittelnd. 156 W. PANNENBERG, Offenbarung als Geschichte, Göttingen 21963, 97.

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– dialektisch umschlagend – aufhebt in ewige Gleichheit (seines Wesens) mit sich als Vollendetheit. Gottes Ewigkeit stößt sich ewig vom zeitlichen Werden zu sich ab. In diesem Sinne kann man vom Gedanken der Selbsthervorbringung aus von einem »Lebenslauf Gottes« als des Ewigen sprechen.157 Dem lebendigen Gott kann keine aeternitas fixa, sondern nur eine aeternitas successiva zu eigen sein.158 2. Zeitlos vergangen (Hegel) 2.1. Die Dialektik von Zeit und Ewigkeit kann als das dialektische Umschlagen des zeitlichen Übergehens in ein immer schon Übergegangensein begriffen werden. Das Entscheidende, das diese Hegel’sche Formulierung zum Ausdruck bringt, ist der interne »Gegenstoß« in der (zunächst) einsinnigen Bewegungsrichtung des »Übergehens«, die sich in sich umkehrt bzw. immer schon umgekehrt hat und so erst eigentlich »Werden« ist.159 Dadurch ist sie logisch überholt und geht auf ihr Ziel oder Ende als ihren wahren Anfang zu.160 Für das Zeit-Ewigkeit-Verhältnis ist damit eine logische Umkehrung der normalen Zeitrichtung gegeben, die als retroaktive Bewegung im Werden zu sich impliziert ist, d. h. das logische »Gesetz«, »daß es gleichsam mit einem rückwärts geht, indes man voranschreitet« (Kierkegaard).161 Solches Gehen in zwei Richtungen zugleich, bei dem das Nacheinander zum Zusammengehen mit sich selber wird und das Ende der Ursprung des Anfangs,162 kann gedacht, aber nur paradox veranschaulicht werden: »Nächtens entquillt der Strom der Stunden / seinem ursprünglichen Born: dem ewigen Morgen« (M. de Unamuno).163 Man könnte demnach sagen, die Ewigkeit ist das eigentliche Geheimnis der Zeit und ihres Fließens, nämlich ihre Wahrheit.164 157

So Hegel in seinem »Wastebook« mit Bezug auf Böhme (HEGEL, Werke 2, 553). Cf.: »Wenn Gott keine Succession in sich hätte, so müßte er kein Wesen sein, das sich selbst generirt« (F. Ch. Oetinger, zitiert nach CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik, Bd. I, Leipzig 1855, 581). 159 Cf. meinen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Die logische Bewegung der Zeit, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben Anm. 102), 210–229 über die diesbezügliche Figur des Übergehens als Übergegangenseins bei Hegel (HEGEL, Werke 5, 83 u. ö.). Zur Wendung »zeitlos vergangen« (Werke 6, 13) cf. a.a.O. 220ff und zum Gedanken der Ewigkeit a.a.O. 228f (mit Anm. 53). 160 Das hat neutestamentlich in der µετάβασις (Perfekt!) von Joh 5,24 seinen Ausdruck gefunden; zur Interpretation cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 69), 528ff. 161 S. o. Anm. 152. 162 »Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende« (E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Bd. III, Frankfurt 1967, 1628). 163 »Nocturno el rio de las horas fluye / desde su manantial que es el manana eterno«, zitiert nach J. L. BORGES, Geschichte der Ewigkeit, in: ders., Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Bd. III, Fischer Tb 10579, Frankfurt 1991, 102. 164 Dazu s. o. S. 517 und unten S. 545. 158

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Davon hat auch ein Denker wie Platon schon etwas gewusst, wenn er das Eins als älter als es selber beschreibt: ἔστι δὲ πρεσβύτερον ἆρ’ … ὅταν κατὰ τὸν νῦν χρόνον ᾖ γιγνόµενον τὸν µεταξὺ τοῦ ἦν τε καὶ ἔσται (Parm. 152b).165 Das kann als Dialektik von Werden und Sein, Übergehen und Übergegangensein bzw. Jetzt und Ewigkeit gedeutet werden.166 2.2. Die Einsichten des späten Platon nötigen zu der Frage, wie der in dieser Gotteslehre vorgeschlagene Begriff von Ewigkeit auch an der Zeit selber auszuweisen ist. Man muss sich, will man theologisch überhaupt und insbesondere so von Ewigkeit reden, wie hier bisher geschehen, der philosophischen Überlegung stellen, wie denn die Zeit zu denken ist, soll sie von sich her für ein solches Verständnis der Ewigkeit anschlussfähig sein. Diese Frage soll kurz an Hegels Begriff der Zeit erörtert werden.167 Zeit ist für Hegel nicht »gleichsam ein Behälter, worin alles wie in einen Strom gestellt ist, der fließt und von dem es fortgerissen … wird«; sondern weil »die Dinge selbst … das Zeitliche (sind)«, ist sie »nur diese Abstraktion des Verzehrens«.168 Denn »nicht in der Zeit entsteht und vergeht alles, sondern die Zeit selbst ist dies Werden, Entstehen und Vergehen, das seiende Abstrahieren«.169 Zeitlich sein heißt, »das an sich selbst Negative« zu sein und in der Widersprüchlichkeit eines Sich-äußerlich-Seins zu existieren,170 die »Unruhe 165 »Es ist aber älter …, wenn es werdend in der Zeit des Jetzt ist zwischen dem ›war‹ und ›wird sein‹« (Übers. Schleiermacher). 166 So bei B. Liebrucks: »Auf dem Grunde des Zeitflusses entsteht das Jetzt als ein perennierendes, immer gleich bleibendes, sich als Jetzt Durchhaltendes. Da dieses Jetzt nicht einmal auftritt und dann wieder verschwindet, sondern immer, und durch dieses sein ständiges Werden auch perennierendes Sein hat, ist in jedem Augenblicke des Werdensprozesses das Älter- und Jünger-[sc. Sein] des Einen nicht nur werdenderweise, sondern auch seienderweise. Hier tritt also das dialektische Moment … auch an der Zeit selbst (zutage), die in sich etwas hat, die aus sich etwas hervortreibt, das sich über dem Flußcharakter erbaut, was aber andererseits nur aus ihm kommen kann und deshalb gar nichts mehr mit dem eleatischen ἀεὶ ὄν zu tun hat, obwohl es doch ein Immerseiendes ist: das perennierende Jetzt. Gerade in diesem Jetzt wird die Überwindung das alternativen Charakters von Sein und Werden zugunsten ihres ursprünglichen dialektischen Aufeinanderbezogenseins insofern deutlich, als das Jetzt nur dadurch ein Immerseiendes ist, daß es ein Immerwerdendes ist« (B. LIEBRUCKS, Platons Entwicklung zur Dialektik, Frankfurt 1949, 227; Hervorhebungen J. R.). Gleich danach ist von der »dialektischen Struktur der Zeit selbst« die Rede, »die das Moment der Beharrung aus dem der Veränderlichkeit hervortreibt« (ebd.). Zu Parm. 152b–d cf. auch a.a.O. 228 und RINGLEBEN, Die logische Bewegung der Zeit [wie oben Anm. 159], 222f (Anm. 35). 167 Ich übernehme im Folgenden Formulierungen aus meinem Aufsatz: J. RINGLEBEN, Lebendige Ewigkeit, in: O. Reinke (Hg.), Ewigkeit? Klärungsversuche aus Natur- und Geisteswissenschaften, Göttingen 2004, 140–156, hier 153. 168 HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, in: ders., Werke 9, 50 (§ 258). 169 A.a.O. 49. 170 Cf. a.a.O. 48 und 51 (§ 259).

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[dessen] ist die Zeit«.171 So lautet der Begriff der Zeit: »Sie ist das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist; das angeschaute Werden«.172 Auch die Dimensionen der Zeit lassen sich aus diesem Werden begreifen: Die Vergangenheit muss – vom gegenwärtig Da-Sein aus – als Übergehen ins Nichts und in die Zukunft – vom noch nicht Sein aus – als Übergehen ins Sein gedacht werden.173 Ihre unmittelbare Einheit haben sie in der Einzelheit der Gegenwart als Jetzt.174 Aber diese Einheit ist zeitlich: »selbst nur dies Verschwinden seines Seins in Nichts und des Nichts in sein Sein«,175 also eine unmittelbar sich zersetzende Unmittelbarkeit. Das unmittelbare Jetzt ist existierende Dialektik: »daß das Jetzt eben dieses ist: indem es ist, schon nicht mehr zu sein«;176 so stellt es an ihm selber in nuce das Sein der Zeit dar. Denn die Zeit ist »seiend« nur in ihrem Vorübergehen: Sie ist »eben das Dasein dieses beständigen Sichaufhebens«.177 Aber das unaufhaltsame Weitergehen des Jetzt zu einem anderen Jetzt, das unmittelbar wieder vergeht, ist zugleich – das ist die entscheidende Einsicht – nur das Zurückgehen des einzelnen Jetzt in ein allgemeines Jetzt.178 Denn auch das gewesene Jetzt ist aufgehoben in einem bleibenden, allgemeinen »Jetzt«: Indem das Einzel-Jetzt übergeht zu einem anderen, bleibt Jetzt überhaupt. Als solches allgemeines Jetzt ist es »ein in sich Reflektiertes oder Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist [nämlich: Jetzt]«.179 Indem das einzelne Jetzt in ein nächstes übergeht, ist es zugleich immer schon in das allgemeine Jetzt übergegangen. Sein zeitliches Vergehen ist zugleich (sich von sich selber abstoßend) »zeitloses Vergangensein«. Es geht, indem es sich (als einzelnes) von sich unterscheidet, d. h. sich von sich entzweit in ein anderes, doch nur mit sich (als allgemeinem) zusammen. 171

A.a.O. 49. A.a.O. 48 (§ 258). In der »Phänomenologie« heißt es: »wie die Zeit, unmittelbar nicht mehr da [ist], indem sie da ist« (HEGEL, Werke 3, 521). 173 HEGEL, Werke 9, 51 (§ 259) und 54f (Zus.). 174 »Das unmittelbare Verschwinden dieser Unterschiede [sc. Vergangenheit und Zukünftigkeit] in die Einzelheit ist die Gegenwart als Jetzt …« (a.a.O. 52 [§ 259]). 175 Ebd. Eindrucksvoll hat Augustin die ausdehnungslose Gegenwart des Jetzt, das ständig zerfällt, beschrieben: Conf. XI 15,20. 176 HEGEL, Werke 3, 88. 177 HEGEL, Werke 9, 48 (§ 257, Zus.). Cf.: »Es wird das Jetzt gezeigt, dieses Jetzt. Jetzt; es hat schon aufgehört zu sein, indem es gezeigt wird; das Jetzt, das ist, ist ein anderes als das gezeigte, und wir sehen, daß das Jetzt eben dieses ist, indem es ist, schon nicht mehr zu sein« (Werke 3, 88). Zu dieser als Redeerfahrung interpretierten Zeiterfahrung cf. RINGLEBEN, Die logische Bewegung der Zeit (wie oben Anm. 159), 226ff. 178 Genauer gesagt: Das allgemeine Jetzt bringt sich im Vergehen des je einzelnen Jetzt ständig als Allgemeines hervor. 179 HEGEL, Werke 3, 89. Cf.: »Dieses sich erhaltende Jetzt ist daher nicht ein unmittelbares, sondern ein vermitteltes« (a.a.O. 84). 172

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Genau dieser dialektische Prozess des sich Zurücknehmens des zeitlichen Momentes in seine übergreifende Allgemeinheit ist für Hegel schon ein Vorschein des Ewigen: »Das Allgemeine … hat auch einen Prozeß in sich selbst und lebt nur als Prozeß; aber es ist nicht Teil des Prozesses, nicht im Prozeß, sondern … ist selbst prozeßlos.«180 Das Allgemeine ist also selber das SichZurücknehmen aus dem Prozess, dessen (für sich) prozessloses, umfassendes Selbst. In diesem Sinne ist »die Ewigkeit sie selbst nur als diese Rückkehr aus der Zeit«.181 Weil die Dialektik der Zeit als ein sich im Aufgehobensein selber aufhebendes Vergehen, als Bewegung zum Zeitlosen hin, als zeitliches Sich-Übersetzen ins Nicht-Zeitliche begriffen werden muss, kann Hegel die Ewigkeit (als Rückkehr aus der Zeitlichkeit in sich) denken als die »unendliche, d. h. nicht relative, sondern in sich reflektierte Dauer«.182 So und nur so ist sie absolute Gegenwart: »Die Ewigkeit wird nicht sein, noch war sie; sondern sie ist.«183 Freilich enthält diese Gegenwart – eben als absolute – gerade die Negativität der Zeit in sich,184 und Hegel betont: »Der Begriff der Ewigkeit muß aber nicht [nur] so gefaßt werden als die Abstraktion von der Zeit, daß sie außerhalb derselben [sc. der Zeitlichkeit abstrakt nur gegenüber] gleichsam existiere«185 – so wenig die Zeit außerhalb der Ewigkeit sein kann, in die sie sich aufhebt bzw. die sich aus der Zeit entgegenkommt. Zeit ist hier nur als Selbstunterscheidung der Ewigkeit und Ewigkeit als das Sich-aufgehoben-Haben der Zeit (in ihrem Übergehen als Übergegangensein) zu verstehen.186 Wo Ewigkeit ist, ist die Zeit nicht mehr – als Zeit187 –, sondern sie ist nur, als der Weg der Ewigkeit zu sich selber, in dieser als ihr lebendiges Werdemoment aufbewahrt. 180

HEGEL, Werke 9, 51 (§ 258). B. LAKEBRINK, Hegels Metaphysik der Zeit, in: ders., Studien zur Metaphysik Hegels, Freiburg 1969, 135–148, hier 138. Hier heißt es auch: »die Zeit und Geschichte überwindende Rückkehr ins Ewige, das als eben diese Rückkehr selbst ist« (147). Cf. auch G. WOHLFART, Zeit und Ewigkeit in der Philosophie Hegels, WJP 13 (1980), 141– 165. Über Zeit und Aufhebung der Zeit bei Hegel cf. DERS., Der Augenblick (wie oben Anm. 99), 65–93. 182 HEGEL, Werke 9, 50 (§ 258, Zus.). 183 Ebd. und 55 (§ 259, Zus.): »Die wahrhafte Gegenwart ist somit die Ewigkeit«. Dem entspricht auf seine Weise L. Wittgenstein (cf. unten S. 548 Anm. 254). 184 Cf. Marheineke: »die Ewigkeit aber ist die Zeit in der Negation aller Unterschiede ihrer Dimensionen oder die unendliche, absolute Gegenwart. Ps. 102,25ff. Jes. 44,6. Hebr. 1,11.12. Jac 1,17.« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 81 [§ 135]). 185 HEGEL, Werke 9, 50 (§ 258, Anm.). 186 Cf.: »Zeit usf. sind Ausdehnungen, Vielheiten, die ein Außer-sich-gehen, ein Strömen sind, das aber … als Außersichkommen ein perennierendes Selbstproduzieren ihrer Einheit sind« (HEGEL, Werke 5, 214f). 187 Vom zeitlichen Sein nach seiner Wahrheit gilt: »Das Nichtsein des Endlichen ist das Sein des Absoluten« (HEGEL, Werke 6, 80). 181

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Dass die Zeit in ihrem Vergehen an sich selber sich abstößt ins Nichtmehr-Zeitliche (»zeitlos vergangen«), ist die Bewegung der Ewigkeit, die, indem sie die Zeitlichkeit an sich zieht, mit sich selbst eins, sich absolut gegenwärtig ist.188 In der internen Dialektik der Zeit setzt sich das Kommen der Ewigkeit durch.189 Hegel nennt dies »die ewige Bewegung« selbst190 bzw. das absolute Tun, das Gott selber ist: Gott ist »dies ganze Tun selbst … Gott ist der Anfang, er tut dies, aber er ist ebenso auch nur das Ende, die Totalität: so als Totalität ist Gott der Geist«.191 Das absolute Tun in dieser ewigen Bewegtheit ist das schöpferische Verhältnis des Ewigen zur Zeit: »Es setzt die Zeit als sein Anderes, um durch Aufheben der Zeit und nur so es selbst zu sein. So ist Gott Anfang, aber der Anfang ist nur, sofern er ganz und gar Rückkehr … ist«.192 In Ewigkeit ist Gott in sich selbst vollendet,193 insofern er sein eigener Anfang und sein eigenes Ende oder Ziel zugleich ist.194 Die Ewigkeit Gottes ist dermaßen ausschließlich »seine eigene«,195 dass er sie im Aufheben der Zeit (d. h. in der Zeit und an ihr und aus ihr) lebendig hervorbringt: als seine mehr-als-zeitliche Selbstgegenwart, in der alles zeitlich und zeitlos Vergangene ewig »aufgehoben« ist.196

188

Dass Gott damit zugleich überhaupt »alles gegenwärtig« ist, unterstreicht Luthers sprach- und ewigkeitstheologische Deutung der Schöpfungsgeschichte; cf. oben § 8 (S. 451 Anm. 102). 189 Zur Dialektik des Kommens cf. die eschatologische »Stunde« bei Johannes, wo es heißt: »kommt … und ist schon jetzt da« (Joh 4,23; 5,25) bzw. »kommt nicht [in das Gericht], sondern ist [schon vom Tode zum Leben] übergegangen« (Joh 5,24; cf. 1Joh 3,14; dazu s. o. Anm. 160). 190 HEGEL, Werke 10, 232 (§ 441). Cf. die Ausführungen über die »göttliche Geschichte« (Werke 17, 214f) und die »ewige Geschichte, die ewige Bewegung, die Gott selbst ist« (Werke 17, 298 u. ö.). 191 HEGEL, Werke 10, 223. 192 LAKEBRINK, Hegels Metaphysik der Zeit (wie oben Anm. 181), 141. 193 Der Ewigkeit als »perfecta possessio« bei Boethius (s. o. C. 4. [S. 526ff]) entspricht negativ bei Hegel die Zeitlichkeit als das in sich nicht Vollendete: »Die Zeit erscheint daher als das Schicksal und die Notwendigkeit des Geistes, der nicht in sich vollendet ist« (HEGEL, Werke 3, 584f). 194 In diesem Sinne kann es im Kirchenlied heißen: »ein wahrer Gott ohn Ende« (J. Mühlmann, 1618; EG, Nr. 399,1); cf. oben § 1 (S. 135 Anm. 262). Gott ist un-endlich, weil sein eigener Anfang. 195 Cf. oben S. 532 Anm. 144. 196 »Was wahr ist, ist ewig an und für sich, … schlechthin gegenwärtig, ›itzt‹ im Sinne der absoluten Gegenwart. In der Idee ist, was auch vergangen scheint, ewig unverloren« (HEGEL, Die Vernunft in der Geschichte, hg. von J. Hoffmeister, PhB 171a, Hamburg 1955, 182).

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3. Von der Schöpfung zur Ewigkeit (Luther) Im vorigen Paragraphen wurde Luthers Auffassung vom Verhältnis der zeithaften Schöpfung zur Ewigkeit dargestellt;197 um diesen Zusammenhang von Schöpfungshandeln und ewigem Einssein Gottes noch weiter zu verdeutlichen, bietet Luther zwei Gedankengänge an. 3.1. Indem Gott durch sein Wort schafft (Gen 1,3; Joh 1,3) und sein Erschaffen ein schöpferisches Sprechen ist (Ps 33,9), nimmt auch dieses Worthandeln wie alles Reden einen zeitlichen Verlauf. So begründet Luther das Nacheinander der Schöpfungswerke: »quia in sermone ita est, ut unum verbum post alterum loquitur, non enim potest una res ita loquitur, ut in uno momento fit, ita intelligendum, quod quarto die fecerit solem et lunam … sed quod simul factum est, simul dici non potuit.«198 Danach schließt also die Einheit seines schöpferischen Tuns für Gott selber die zeithafte Ausführung seines Sprechens nicht aus. Gottes Kreativität im Wort ist schöpferisches Sich-Artikulieren, und Gottes Schaffen ist die zeitliche Artikulation seines ewigen Schöpfungswortes. Daher kann es sich wie das Geschaffene selber allein in Gottes Ewigkeit vollenden. Die göttliche Liebe ist als fortgesetzte Erhaltung wirksam (conservatio continuata) – mit dem Ziel: »donec absorbeantur [Aufhebung!] in suum principium divinum … extra deum esse … et esse perfectum sint contraria«.199 Wie die Schöpfungsgeschichte am siebten Tag (Gen 2,2f), so vollendet sich Gottes zeithaftes Handeln mit seinen Geschöpfen im ewigen »Sabbat«.200 Die Vollendung ist das endgültige Aufgehobenwerden des zeithaften Schöpfungshandelns in Gott hinein, der Zeitlichkeit in die Ewigkeit. Das gilt auch für Gottes schöpferisches Reden durch die Zeit hindurch: »Ita Deus per verbum suum currit [sc. omnia] ab initio usque ad finem mundi.«201 Das Ziel seines schöpferischen Redens liegt völlig in Gott selber (cf. 1Petr 1,23.25; Jes 40,8; Ps 119,89). Aber wie das göttliche Leben ganz etwas anderes ist als unser irdisches,202 so ist auch seine Ewigkeit in sich bewegt, und das besagt, dass ihre Vollendung und Vollkommenheit aus der Zeitlich197

§ 8 B. 1. (S. 449ff). WA 14, 106,7–9.27f. Luther argumentiert also gegen Augustins Simul-These der Schöpfung von der Sprache her. Cf. auch die Fortsetzung, oben zitiert S. 450 bei Anm. 94. 199 WA 1, 563,11.12f. 200 »Iste dies wirt erst rechtschaffen und volkommen am jungsten tage … Sic ergo perpetuum est illud Sabbatum apud deum« (WA 14, 117,25–27). 201 WA 42, 57,41f. Luther gibt zur Erläuterung den Vergleich mit dem Flug eines Pfeiles, der gleichsam wie in einem Augenblick (quasi uno momento) beim Ziel angelangt ist und doch eine gewisse Raumstrecke (certum intervallum) durchmessen hat (cf. Z. 39–41). 202 Cf. WA 12, 444,25f; darum muss man, um die Ewigkeit zu denken, die Zeitlichkeit gerade radikal überschreiten: »Darumb wenn man daran hangt, kann man nicht gedencken, was ewikeyt ist« (a.a.O. 444,27–445,1). »Radikal« bedeutet: Ewigkeit nicht im Modus des »vorher« oder »danach«, sondern dialektisch zu denken. 198

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keit zu sich kommt und insofern zugleich noch im Werden zu sich ist. Daher sagt Luther von den Werken der Schöpfung: »wenn es Gott ausgericht und volendet hat, so synd sy volkomen, aber [die]weyl er noch das werck vor yhm hatt und daran macht, so ist es nit volkomen. Nun ist das vor unsern augen, das er ymer dar macht und schafft«.203 Luther vergleicht das zur Veranschaulichung mit dem Werden des Kindes im Mutterleib, das noch nicht vollkommen (fertig) ist und doch schon nur auf seine Vollendung zugeht.204 Dergestalt können also »Schon« und »Noch nicht«, ewig Vollendetsein bei Gott und zeitliches Werden auf Vollendung zu zusammengedacht werden. Die Ewigkeit, die im zeithaften Werden auf sich noch zugeht, ist dabei sie selbst im Unterschied von sich, also lebendig mit sich eins. Im zeithaften Werden des Vollkommenen geht das ewig Vollendete nur mit sich selber zusammen. Wie sich zeigt, ist die Weise, in der Luther die Ewigkeit Gottes mit einem schöpferischen Reden in der Zeit zusammenbringt, genauestens auf die Sprache bezogen. Denn schon in jedem Satz, den wir sprechen, d. h. in seiner internen Dialektik von Bewegung und Ende,205 leuchtet Ewigkeit auf.206 Jedes Wort im Satz erhält von dessen Einheit und Ganzheit her, die erst an seinem Ende erreicht ist, seinen genauen Sinn; zugleich trägt es zu dessen Aufbau selber erst bei.207 Auf das Ende zugehen (sc. in normaler bzw. auch antizipierender Zeitrichtung) und von ihm her sich erst bestimmen (sc. in umgekehrter, d. h. rückläufiger und »retroaktiver« Zeitrichtung), sukzessives Entwickeln und vorgreifend Bestimmtsein, Werden und Vollendung durchdringen sich dabei dialektisch. Dass der ewige Gott sich in der Schöpfung zeithaft aus-spricht, hat einen genuin sprachlichen Sinn.208 203

A.a.O. 440,28–441,3 = WA 24, 20,24–27. Cf. a.a.O. 440,24–26 und 441,14f; so heißt es: »wie das Kind im Uterus der Mutter ein Kind ist und [noch] nicht ein Kind ist« (WA 14, 99,21f). 205 S. o. zu Augustin (S. 524f bei Anm. 93ff). 206 Was B. Liebrucks von der Sprache sagt: »Der Weg vom einzelnen Wort zum Satz war immer zugleich der Weg vom Satz zum einzelnen Wort« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. II, Frankfurt 1965, 330), das gibt eine Dialektik zu denken, in der das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit vorabgebildet ist. Cf. auch das bemerkenswerte RitschlZitat oben S. 525 (bei Anm. 103). 207 Cf. Liebrucks: »Alle Vorstellungen werden während des Sprechens im Modus der Möglichkeit gehalten, bis der letzte Laut im Satz verklingt. Erst dann tritt rückwirkend die Bestimmtheit des Ganzen ein« und: »Eine gewisse Sinnbestimmtheit wird am Ende jedes Satzes, am Ende jeder Periode erreicht. Von da ab wird zwar alles Gesagte immer wieder mit rückwirkender und vorausweisender Kraft überfärbt, aber immer größere Bestände stehen fest« (LIEBRUCKS, a.a.O. 134 und 369). In größter Nähe zu diesen sprachlichen Verhältnissen ist Hegels berühmter Satz gedacht: »Das Wahre ist das Ganze«, wie aus dem ihm folgenden hervorgeht: »Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen« (»Phänomenologie«-Vorrede, in: HEGEL, Werke 3, 24). 208 Diese besonderen Verhältnisse bleiben unbedacht, wo man versichert, Ewigkeit könne nicht vernünftig ausgesprochen werden, sondern nur der (unerreichbare) Gegen204

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3.2. Die andere Verdeutlichung des Zusammenhangs von Gottes zeithaftem Schaffen mit seiner Ewigkeit, die sich bei Luther findet, wird uns den Blick auf einen definitiven Begriff vom Ewigen freigeben. Es heißt über das zeitliche Nacheinander und Auseinander der Schöpfungswerke: »omnia sunt eius oculis praesentia«.209 Gottes Ewigkeit realisiert sich also als ein das zeitlich Unterschiedene zusammenschauender Blick. Dieser göttliche Blick ist von übergreifender, absoluter Allgemeinheit, d. h., er geht nicht von einem zum anderen, sondern fasst das räumlich und zeitlich Differente in eins zusammen. Darin ist er unserm Sehen schlechthin überlegen: »Es sein zwen anblick, einer beym menschen, der andere vor Gott«.210 Denn während wir nur sehen können, was schon da ist, erschafft das göttliche Anschauen allererst das, was es erblickt.211 Andererseits fasst auch unser menschlicher Blick in sich zusammen, indem wir beim Sehen hier und dort zugleich sind und unser Sehen ein Sein beim (räumlich) Entfernten ist; Luther zieht von daher einen Vergleich mit Gott: »dann er sieht dy zeit also an, wie des menschen auge zway dinge, die weyt von eynander synd, yn eym augenplick zusamen bringt«.212 Gottes Sehen ist demgegenüber allerdings schöpferisch, indem es das zeitlich Differente in die Einheit des eigenen Lebens aufhebt. Seine Ewigkeit, als die Macht seines Geistes über die Zeit, ist die Macht schöpferischer Integration des Zeitlichen in die lebendige Ewigkeit, die sein Gottsein ausmacht. Darin liegt auch, dass Gottes schaffendes und neuschaffendes Handeln einen Zusammenhang zwischen Zeit und Ewigkeit stiftet, und zwar über ihre abgründige Geschiedenheit im Tode hinweg: »Ja, das naturlich leben ist eyn stuck vom ewigen leben und eyn anfang, aber es nympt durch den todt seyn end … [zu Joh 11,25 und 8,52] das naturlich leben wirt gestreckt ynß ewige leben, das es den todt nymmermehr schmeckt«.213 4. Das Ineinanderübergehen von Zeit und Ewigkeit Schon biblisch gilt, dass wegen des auf seine Schöpfung gerichteten »Beziehungswillens« des Schöpfers dieser als der Ewige »entschieden die Verbin-

stand metaphorischer oder »symbolischer« Aussagen sein. Dagegen steht christlich: »Im Anfang war das Wort« (Joh 1,1). 209 WA 42, 58,1f. Wenn Luther zur Begründung sagt: Gott sei »simpliciter extra temporis rationem« (a.a.O. 58,2), so verträgt sich das gerade damit, dass Gott auch eine Beziehung zur Zeitlichkeit unterhält, indem er an deren endliches Nacheinander nicht gebunden ist. Bei Thomas ist (mit Bezug auf Boethius) zu lesen: »Omnia quae sunt in tempore, sunt Deo ab aeterno praesentia« (STh I, q. 14, a. 13, resp.). 210 WA 14, 117,24f. 211 Cf. oben § 8 (S. 488 bei Anm. 313). 212 WA 12, 445,3–5. 213 WA 10 I/1, 200,3f.7f.

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dung mit der Zeit eingeht«.214 Es verdankt sich mithin der eigenen Lebendigkeit Gottes, dass im Alten und Neuen Testament »Ewigkeit und Zeit … in einem ursprünglichen und unmittelbaren, nicht in einem abgeleiteten, primär die Distanz wahrenden Verhältnis (stehen)«.215 Nur wenn Gottes Ewigkeit eine auch positive Beziehung zur Zeitlichkeit unterhält, und zwar dergestalt, dass sie sich (als solche) aus der Zeitlichkeit hervorbringt, indem sie sich von ihr abstößt – dies geschieht grundlegend am Ort des Menschen Jesus und seines Gottesverhältnisses –, ist sichergestellt, dass der Ewige wirklich der Lebendige ist, weil nur so sein eigenes Leben wirklich lebendiges Leben ist.216 Weil christlich festzuhalten ist, wie alles Bisherige gezeigt hat: »Ewigkeit ist immer Gegenwart göttlicher Essenz im Raum geschichtlicher Kontingenz«,217 lässt sich dieses lebendige Verhältnis komplementär als Übergehen bzw. Übergegangensein des Einen ins jeweils Andere beschreiben. 4.1. Ewigkeit kommt in die Zeit Weil Gott nur im Kommen in die Zeit, von ihr sich ewig unterscheidend, sich von ihr zu sich selber abstößt, geht seine Ewigkeit ihr nicht im vorstellungsmäßigen Sinne abstrakt voraus.218 Darin liegt, dass Gottes Ewigkeit kein bloß negatives Verhältnis zur Zeitlichkeit hat,219 vielmehr Gott selber (als Gott) in Jesus Christus in die Zeit kommen konnte.220 Genau so aber wurde unsere Zeit die der Ewigkeit.221 Der Ewige wurde geschichtlicher Mensch, Ewigkeit selber erschien als Zeitlichkeit bzw. setzte sich selber von der Zeitlichkeit aus 214

FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 512 Anm. 11),

407. 215

A.a.O. 405. Dies lässt sich mit dem Gedanken der »ewigen« Gleichzeitigkeit im Nunc stans der traditionellen Metaphysik eben nicht verbinden. Der Hebräerbrief hingegen bringt das ewige »Heute« Gottes in einen Zusammenhang mit wechselnden geschichtlichen Situationen; cf. Hebr 3,7ff und 4,6f. 217 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 407. 218 Man muss also sagen, die Zeit »präexistiert« in Gott (cf. KD II/1, 98) nur so, dass sie zugleich ihm präexistiert: indem er sie sich voraus-setzt. 219 Wie umgekehrt die Zeitlichkeit es, nimmt man sie abstrakt für sich, gegenüber dem Ewigen hat; cf. Kierkegaard zum Begriff der Zeitlichkeit: »allwo die Zeit fort und fort die Ewigkeit abriegelt und die Ewigkeit fort und fort die Zeit durchdringt« (KIERKEGAARD, Der Begriff Angst [wie oben Anm. 139], 90). Cf. auch oben S. 531 Anm. 139. 220 »Denn überzeitlich in sich, setzt er [Gott] sich, nachdem eine zeitliche Welt ist, auch in ein positives Verhältniß zu ihr und zur Zeit« (DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I [wie oben S. 527 Anm. 112], 473). 221 Auch K. Rahner redet faktisch vom Werden Gottes unter den Bedingungen der Christologie, nämlich der Menschwerdung: »… daß der ›Logos‹ Mensch ›wurde‹, daß die Werdegeschichte dieser menschlichen Wirklichkeit ›seine‹ eigene Geschichte, unsere Zeit die Zeit des Ewigen, unser Tod der Tod des unsterblichen Gottes selbst wurde« (K. RAHNER, Grundkurs des Glaubens, Freiburg u. a. 1976, 217f). 216

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als Ewigkeit. Darum vor allem muss man (christlich) von Gottes »ewiger« Einheit mit der Zeit reden. In Jesus dem Christus nimmt der lebendige Gott selber das Kleid der Zeitlichkeit an und hat seine Identität mit sich nicht nur im Wechseln und Abwerfen solcher Kleider;222 sondern er hat seine Identität gerade darin, in den Leib der Zeit- und Geschichtlichkeit einzugehen.223 Damit aber zeigt sich unsere Zeit als für die Ewigkeit bestimmt und wird unser Leben hin zum ewigen geöffnet: »Die ›Verzeitlichung‹ des ewigen Gottes zielt auf die ›Verewigung‹ derer, die zu ihm gehören.«224 Ewiges Leben bedeutet daher, dass Gott (in Christus) das Subjekt der Erfahrung von unserem zeitlichen Leben wird und wir dessen Subjekte (gemäß Gal 2,20) nur sind in ihm.225 Der ewige Gott erweist sich in Christus vollends als der Lebendige, als der, der »offenbar in sich selber zeitlos und zeitlich zugleich ist«.226 Weil die Ewigkeit als die des (eo ipso) lebendigen Gottes sich herunterlässt zu unserer Zeitlichkeit, vermag unser Leben im Verhältnis zum zeitgewordenen Ewigen die Teilhabe am ewigen Leben zu gewinnen, und dies Verhältnis zum Ewigen ist irdisch der Glaube. Ihm entspricht von Seiten Gottes eine ewige Liebe.227 Diese setzt sich als solche in der Zeit durch, wofür Joh 3,16 die klassische Formulierung gibt.228 4.2. Zeitlichkeit geht in die Ewigkeit229 Die Voraussetzung für diese Bewegungsrichtung liegt darin, dass der ewige Gott die Zeit überhaupt aus sich hat werden lassen: terrarum caelique sator, qui tempus ab aevo / ire iubes.230 Damit kann auch unsere Zeit als in Gottes ewiges Leben zurückholbar bzw. überhaupt integrierbar verstanden werden: »Gott vollzieht seine unbegrenzte 222

Cf. oben S. 516f (A. 4. a.) zu Ps 101. Cf. Joh 1,14aβ: καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡµῖν. 224 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 512 Anm. 11), 417 (im Original kursiv). 225 Dazu genauer unten § 16 C. 2.1. (S. 892ff). 226 KD II/1, 696; Hervorh. J. R. Das »zugleich« muss aber dialektisch begriffen werden. 227 S. u. § 11. Zur Ewigkeitsprädikation der Liebe cf. auch FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 410 (zu Ps 136). 228 Eine eingehende Auslegung bei RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 521 Anm. 69), 276–286. 229 Zeitlichkeit wird hier immer verstanden als spezifisch »unsere Zeit«, menschliche Lebenszeit, die erlebte Zeit unserer Existenz. Der im Vorhergehenden öfter gebrauchte Terminus »zeithaft« soll hingegen die in Gottes Lebensbewegung einbezogene Zeit bezeichnen. 230 Boethius, Cons. philos. III 9. (CChr.SL 94, Turnhout 1957, 51,93f). Im Anschluss daran spricht Meister Eckhart sogar von einer Kondeszendenz des Schöpfers zur Zeit: »quasi diceret [sc. Boethius]: quod deus iubet tempus descendere immediate ab ipso aevo, quod est aeternitas ipsa vel nunc aeternitatis, ut tempus et aeternitas sint quasi quaedam continua et contigua sibimet mutuo« (M. Eckhart, LW 3, 181,15–17). 223

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Gegenwart und Ganzheit, indem er anderes, endliches, menschliches Leben … werden läßt, um mit ihm zu kommunizieren und es so in sein Leben zu integrieren [und d. h. auch: durch dessen Endenlassen im Tod; J. R.]«.231 Vollzieht Gott demgemäß seine Einheit mit sich im Verhältnis zum zeitlich existierenden Menschen (einschließlich der Schöpfung und durch Christus vermittelt),232 so ist dieser Vollzug sein Werden zu sich233 bzw. sein ewiges Sich-Hervorbringen als der ewig Lebendige, der von seinem Anderen her auf sich zurückkommt. Jedes zeitliche Anfangen Gottes (am Orte Jesu und dann der glaubenden Menschen überhaupt)234 hebt sich in seine voranfängliche Ewigkeit auf. Diese hat so die Zeit (wie auch den Raum) als aufgehobene Bestimmungen (»Momente«) an ihr,235 und Gott ist dergestalt auch als der Ewige reine »Bewegung aus sich«, mithin »das freieste Wesen«:236 Als der a se Lebendige ist er der Ewige. Die Selbst-Bewegung Gottes des Schöpfers und des Vollenders bringt auch uns Menschen auf den Weg, denn das Geschehen des Proton schon stellt uns ins kommende Eschaton. Christliches Glauben, christliches Leben und christliche Wirklichkeitserfahrung (Weltsicht) sind in diesem Sinne eschatologisch, d. h. im »Werdestand«: unterwegs von dem, was ist, hin zu dem, was als ganz Neues endgültig sein wird. Das hat Luther unvergesslich formuliert: Der selb new sawr teyg [Mt 13,33] ist der glawb und gnade des geistes, aber er machts nit auff ein mal durch sawr, szondern feyn und seuberlich mit der weile macht er unsz gar yhm gleich new und ein brot gottis. Das alszo diß leben nit ist ein frumkeit, szondern ein frumb werden, nit ein gesuntheit, szondern eyn gesunt werden, nit eyn weszen, sondern ein werden, nit ein ruge [Ruhe], szondern eyn ubunge, wyr seyns noch nit, wyr werdens aber. Es ist noch nit gethan unnd geschehen, es ist aber ym gang unnd schwank. Es ist nit das end, es ist aber der weg, es gluwet [glüht] und glintzt [glänzt] noch nit allesz, es fegt [reinigt] sich aber allesz.237

231 T. KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 242. 232 Cf. ebd. 233 Cf. a.a.O. 243: die Ewigkeit Gottes »integriert … es [sc. das zeitliche Leben] als ihre eigene Vorwegnahme in der Zeit« bzw. 11: »Ewigkeit heißt insofern, daß Gott die endliche Geschichte des menschlichen Lebens in sein Leben integriert – und immer schon integriert hat«. 234 Für Gott handelt es sich nicht um viele verschiedene solcher »Anfänge«; vielmehr gilt: Aus der Ungleichheit bzw. dem Nacheinander je neuen Anfangens mit sich selbst am Ort des Glaubens stößt sich Gott ab zur ewigen Gleichzeitigkeit mit sich selbst, so dass er an diesen zahllosen, verschiedenen »Orten« überall unendlich mit sich eins sein kann. 235 Cf. MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 184), 111 (§ 191). Das muss bei den rein über Gottes »Wesen« als zeitfrei an sich selber gemachten Aussagen Marheinekes, a.a.O. 136 (§ 232), kritisch mitgedacht werden. 236 A.a.O. 112 (§ 192). 237 WA 7, 337,28–35 (»Grund und Ursach aller Artikel …«, 1521). Dies wird von Hamann 1780 als Zeugnis für das »Fiat« angeführt (HAMANN, Briefwechsel 4, 182,24ff).

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Gottes Kommen bringt uns also auf den Weg, d. h. lässt uns im Glauben nur noch als homo viator existieren: »Ein Tag, der sagt dem andern, / mein Leben sei ein Wandern / zur großen Ewigkeit.«238 Das Ziel aller Zeitlichkeit mit ihrem unruhigen Unterwegssein ist die Ruhe in Gott (Augustin); das gilt auch für die Zeit selber: »Die Zeit wird ausmünden in die Ewigkeit«.239 In ihr wird der lebendige Gott endgültig alles in allem sein,240 so dass sie sein ewiges Leben ist, obwohl doch gelten wird: χρόνος οὐκέτι ἔσται (Apc 10,6). So ist die Zeit im Leben des ewigen Gottes schöpferisch verwunden (cf. Apc 21,4): »Die wahre Ewigkeit ist nicht die, welche alle Zeit ausschließt, sondern welche die Zeit (die ewige Zeit) selbst sich unterworfen enthält. Wirkliche Ewigkeit ist Ueberwindung der Zeit«.241 Dieses Geschehen als Sich-Setzen der Ewigkeit ist die letzte Wahrheit der Zeitlichkeit und unserer Lebenszeit.242 Diese Wahrheit ist aber eine nur im Zusammenhang mit dem Weg zu ihr, d. h., sie ist lebendig (cf. Apc 21,4). Denn im ewigen Leben gilt gerade nicht: »Ewig still steht die Vergangenheit«.243 Weil Gott der »Gott der Lebendigen« ist (Mk 12,27), gilt auch für die Toten, »dass ihr vergangenes Leben mit seiner schöpferischen Lebendigkeit verbunden bleibt«.244 Das Vergangene ist für Gott nicht bloß vergangen und somit unveränderlich, sondern wird zum Moment seines sich daraus Hervorbringens und somit dies Vergangene schöpferisch neu Bestimmens.245

Das wird 1784 so aufgenommen: »daß wir noch in der Mache sind, und unser Leben noch verborgen mit Christo in Gott [Kol 3,3]« (a.a.O. 5, 264,28f). 238 G. Tersteegen, »Nun sich der Tag geendet« (EG, Nr. 481,5). 239 DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 527 Anm. 112), 471. 240 Cf. dazu a.a.O. 470f. 241 SCHELLING, Die Weltalter (1813), in: ders., SW I/8, 262 (= Nachdr. 66). Schelling versteht Ex 3,14 als den einzig angemessenen Ausdruck des (Gott eigenen) Bewusstseins solcher Ewigkeit (cf. a.a.O. 263f [= Nachdr. 69f]; zitiert oben § 1 [S. 116 Anm. 159]). Zu »Gott und Zeit in Schellings System der Weltalter« cf. A. FRANZ, in: R. Langthaler/ M. Hofer, Michael Theunissen = WJP 43 (2011), 20–32. 242 Eine Ahnung von der sich herstellenden Unveränderlichkeit des Ewigen scheint bei F. Schiller auf, liest man das Epigramm »Das Unwandelbare« theologisch: »›Unaufhaltsam enteilet die Zeit.‹ – Sie sucht das Beständ’ge. / Sei getreu, und du legst ewige Fesseln ihr an.« Im »Bestand« der Ewigkeit erst findet die entschwindende Zeit ihre Vollendung und Erfüllung, und sie vergeht, weil sie diese nicht in ihr selber finden kann (entsprechend Augustins »cor inquietum«). In der Treue Gottes (1Thess 5,24; 1Kor 10,13) und der Treue des Glaubens bis in den Tod (Apc 2,10) wird die Zeit verewigt. 243 F. SCHILLER, Sprüche des Konfucius 1. (»Dreifach ist der Schritt der Zeit«). Cf. Pred 1,10. Freilich wird auch empirisch die Vergangenheit selber und als solche durch das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit ständig angereichert, wobei ein Umschlagen von Bewegtheit in Statik stattfindet. 244 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 512 Anm. 11), 417. 245 Cf. oben S. 531 bei Anm. 142.

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Statt leere Gleichheit mit sich zu sein,246 ist die lebendige Ewigkeit ein immer neues Transformationsgeschehen;247 denn der Ewige ist der, der mitgeht. 5. Antinomie des Ewigkeitsglaubens Das in 4.1. und 4.2. Dargelegte bedeutet für uns konkret eine Spannung, die man eine Antinomie des Glaubens nennen kann, der in der Zeit schon vom Ewigen bestimmt leben soll.248 Die Einheit der beiden Bewegungsrichtungen (4.1. und 4.2.) ist faktisch nur antinomisch widereinander gespannt lebbar. Primär und unmittelbar besteht die menschliche Existenz in der Erfahrung unserer irdischen Wirklichkeit mit ihrer Fülle und Beirrung, ihrem Glück und ihren Versagungen, ihrer Konkretheit und Nähe. Zunächst erscheint der Glaube als das zur Immanenz und Endlichkeit Hinzukommende und insofern als sekundäre Einstellung (oder »Deutung«), nämlich der Glaube an die Ewigkeit, das religiös-fromme Überschreiten der Weltwirklichkeit, das Hinausstreben über die Todesgrenze. Gott soll aber dem Glaubenden die wahre Wirklichkeit sein, wiewohl er zunächst nur als eine fragliche andere (neben oder hinter der empirischen) erscheint. Daraus entspringt ein antinomischer Widerstreit, weil keine dieser beiden Seiten einfach preisgegeben werden kann oder darf. So gibt es einerseits (a.) einen falschen Ewigkeitsglauben (als Ausweichen vor der Antinomie), nämlich in Gestalt einer Flucht ins Jenseits, die Vergleichgültigung des Diesseits bedeutet. Mit einer künstlichen Negation unserer irdischen Bindungen und des unmittelbaren Lebensgefühls (radikale Askese) geht eine Abstraktion vom menschlichen Wirklichkeitsverhältnis einher. Oder es kommt andererseits (b.) zu einer verkrampften Diesseitigkeit, die sich als Leugnung des Ewigen, als Verdächtigung des Ewigkeitsglaubens als Lebensflucht oder auch als dessen Verharmlosung (konventionell-religiöse Verbrämung des Lebens, abgeblasste Bildungsreligion) darstellen kann. Faktisch geht damit die Verdrängung des menschlichen Ewigkeitsbezugs einher.249 Die einzige christlich legitime Möglichkeit besteht darin, die beschriebene Spannung im vollen Maße auszutragen: als einen leidenschaftlich empfundenen Widerspruch unserer Existenz zwischen Wirklichkeitsgebundenheit und 246

Der Topos von der »Langweiligkeit« des ewigen Lebens ist abwegig und gedankenlos. Er findet sich suggestiv ausgemalt in den »Nachtwachen des Bonaventura« (s. o. § 8 [S. 441 Anm. 27) oder, um ein neueres Beispiel zu nennen, bei PASCAL MERCIER [d.i. P. Bieri], Nachtzug nach Lissabon, München 2004, 200f. Über das kritische Verhältnis von Schriftstellern zur Unsterblichkeit cf. K. S. GUTHKE, Lebenszeit ohne Ende. Kulturgeschichte eines Gedankenexperiments in der Literatur, Würzburg 2015. 247 Was das für das ewige Leben des Individuums bedeutet, wird § 16 weiter ausführen. 248 Cf. oben Anm. 216 und 220. 249 Die schlechteste Möglichkeit wäre das Abwechseln zwischen (a.) und (b.), z. B. als Verteilung beider Haltungen auf Sonntag und Alltag.

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Ewigkeitshoffnung, Liebe zum geschaffenen Irdischen und Vollendungssehnsucht. Solches Durchleben der Antinomie kann gelingen, weil christlich das Ewige selber als zugleich in den Dingen und über den Dingen gewusst wird. Denn nur, wenn beides gilt, hat man es mit dem christlichen Gott zu tun, der die ewige Liebe ist. Christlich gibt es mithin ein Doppelgesetz der Ewigkeitsbeziehung: – Je tiefer die Liebe Gott in der Lebenswirklichkeit entdeckt, desto mehr führt uns der Glaube selbst aus der Zeitlichkeit ins Ewige hinein – als unsere letzte Wahrheit. Und: – Je ernsthafter der Glaube Gottes Ewigkeit vergegenwärtigt, desto mehr werden wir in der Liebe an die Zeitlichkeit und irdische Wirklichkeit zurückgebunden – als den Ort solcher Gottesbegegnung. Gerade in der Hingabe an die vergängliche Wirklichkeit wird mir Gott zur ewigen Wirklichkeit, und die liebende Zuwendung zum sterblichen Irdischen wird für einen der Weg in die Ewigkeit.250 Christlich heißt gerade, dem Himmel treu zu werden, der Erde treu zu bleiben – eben weil der Ewige selbst Liebe ist, die das Vergängliche sucht. 6. Ewigkeit und Augenblick 6.1. Der Kairos Seit dem Neuen Testament verbindet sich mit dem Begriff des καιρός das Verständnis der im Auftreten Jesu von Gott zur Erfüllung gebrachten Zeit: als Anbruch des Ewigen bzw. seines Reiches in der Geschichte (Mk 1,15; Gal 4,4f).251 Wie Zeit und Geschichte in diesem Kairos erfüllt sind, so ist der Kairos selber die in sich erfüllte Zeit.252 Dieser einzigartige Kairos ist systematisch-theologisch als der der Selbsthervorbringung Gottes aus der Zeit (am Orte Jesu) zu begreifen,253 d. h. als das dialektische Ereignis, dass Ewigkeit die Zeit berührt und Zeit durchlässig wird für die Ewigkeit (sc. im Augen-

250

Der Ewigkeitsglaube heiligt das irdische Leben, und er nimmt die alltägliche Wirklichkeit als Ort der Gottesbegegnung wahr; cf. paradigmatisch Luther: »Wenn Du Dein tägliche Hauserbeit tuest, das besser ist denn aller Monche Heiligkeit und strenges Leben« (Großer Katechismus, 4. Gebot, in: BSLK 598,1–3). 251 Cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 512 Anm. 11), 415 und 417 (zum Alten Testament: 408), sowie RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 521 Anm. 71), 79ff. 252 Cf. insbesondere das Kairos-Denken des frühen TILLICH: Gesammelte Werke, Bd. IV, Stuttgart 1961, 43ff und Bd. VI, 1963, 9ff. 253 Cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 521 Anm. 71), 652ff.

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blick des Glaubens) und Gott sich so bei uns hervorbringt: als göttliche Gegenwart für uns.254 Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, dass der Augenblick theologisch als Moment der Ewigkeit (cf. 1Kor 15,52) eine besondere Auszeichnung erfuhr.255 Dafür seien hier exemplarisch drei signifikante Belege angeführt. – Pascal schreibt im »Mémorial«: »Éternellement en joie pour un jour d’exercise sur la terre«.256 Hat hier der zeitliche Moment (verborgen) die Fülle des Ewigen selber in sich, so oszilliert dies Verhältnis noch zwischen einem präsentischen und einem zukünftig-eschatologischen Sinn. – Ohne eigentliche Eschatologie, in einem radikal präsentischen Sinn257 heißt es beim jungen Schleiermacher: »Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion«.258 – Nach Heidegger war es Kierkegaard, der »das existenzielle Phänomen des Augenblicks wohl am eindringlichsten gesehen (hat)«.259 Kierkegaard hat in seinen einschlägigen Ausführungen den Augenblick von der sich vergegenwärtigenden Ewigkeit her gedacht: »Sollen hingegen Zeit und Ewigkeit einander berühren, so muß es in der Zeit sein, und nun stehen wir beim Augenblick.«260 Und nur als »jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren«, gibt es den Augenblick überhaupt.261 Er ist als »Atom der Ewigkeit«, und dies nur als »der Ewigkeit erster Widerschein in der Zeit, ihr erster Versuch, die Zeit gleichsam anzuhalten«.262 Darum darf der 254

In diesem Sinne ließe sich Wittgensteins Satz theologisch (dialektisch gebrochen) aufnehmen: »Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt« (WITTGENSTEIN, Tractatus logicophilosophicus, Nr. 6.4311). 255 Zum philosophischen und ästhetischen Konzept cf. WOHLFART, Der Augenblick (wie oben Anm. 99). 256 Vorletzter Satz. 257 Vielleicht bestimmt durch einseitig rezipierte johanneische Aussagen zum Jetztschon des ewigen Lebens (z. B. Joh 3,18; 5,24 u. ö.). 258 SCHLEIERMACHER, Reden über die Religion (1799), Uraufl. 133 (Schluss der 2. Rede). 259 HEIDEGGER, Sein und Zeit (wie oben S. 529 Anm. 127), 338 Anm. 1. Nicht überzeugend ist freilich Heideggers Behauptung, Kierkegaard sei am »vulgären Zeitbegriff haften« geblieben (ebd.). 260 KIERKEGAARD, Der Begriff Angst (1844) (wie oben Anm. 139), 88. Cf. auch (unter anderem zu Platon) 89ff. 261 A.a.O. 90. Zum traditionellen Terminus des »Berührens« cf. a.a.O. 89 sowie J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 379 Anm. 614. Was hier »das Zweideutige« genannt wird, heißt kurz darauf discrimen (Hirsch: »Grenzscheide«; 92). Cf. auch oben Anm. 219. 262 A.a.O. 90.

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»Augenblick« nicht wie im Griechentum »rücklings«, sondern muss »vorlings«, d. h. nach vorne gewandt, bestimmt werden.263 Statt dass wie dort die Ewigkeit sich im Augenblick erschöpfend darstellt,264 muss dieser christlich eschatologisch gefasst werden,265 so dass hier »das Ewige zuerst das Zukünftige bedeutet«.266 Somit lautet der volle theologische Begriff des Augenblicks als Gegenwart des Ewigen in nuce: »Ist der Augenblick gesetzt, so ist das Ewige, ist aber zugleich das Zukünftige, welches wiederkommt als das Vergangene.«267 6.2. Vom existenziellen Geheimnis der Ewigkeit (Kierkegaard) Das Geheimnis ihrer Lebendigkeit besteht darin, dass einerseits die Zeit uns nicht von der Ewigkeit trennt, so dass die Ewigkeit erst hinterher (nach dem Tode) käme, dass andererseits aber auch kein Aussteigen aus der Zeit in ein »ewiges Jetzt« (als das eines zeitlosen Ideenhimmels oder einer mystischen Zeitenthobenheit) unmittelbar in sie versetzt. Sondern christlich ist das irdisch-vergängliche Leben als der Ort wahrgenommen, wo das ewige Leben erworben wird (s. o. Unterabschnitt 5.). Auch bei S. Kierkegaard führt der Sieg des Glaubens über die Welt im Ewigkeitsbezug immer tiefer in diese Welt hinein.268 In diesem Horizont beschreibt er das lebendige Geheimnis der Ewigkeit bemerkenswerterweise so, dass die Zeit uns die Ewigkeit gerade zu verlängern vermag. So heißt es paradigmatisch vom treuen Ehemann (bzw. der ehelichen Liebe): Sein Besitz ist kein totes Eigentum gewesen, sondern er hat seinen Besitz fort und fort erworben. … er hat die Ewigkeit gehabt in der Zeit, die Ewigkeit bewahrt in der Zeit. Darum hat er über die Zeit gesiegt … Der Ehemann hat als ein rechter Sieger die Zeit nicht getötet [sc. in abstrakter Negation], sondern sie erlöst und bewahrt in der Ewigkeit. … er löst das große Rätsel, in der Ewigkeit zu leben und dennoch die Stubenuhr schlagen zu hören, so daß dieser Schlag ihm die Ewigkeit nicht verkürzt, sondern verlängert …269

Hier wird die Zeit als Geschenk erfahren: Inmitten des zeitlich verfließenden Lebens ist Ewigkeit schon nahe und nähert sich. Der treue Glaube lebt im 263

Ebd. Zur Anamnesis-Kritik cf. auch a.a.O. 91. A.a.O. 90. 265 Cf. den Bezug auf 1Kor 15,52 (a.a.O. 89 Fn.). 266 A.a.O. 91; cf. auch GW 19, 275. 267 A.a.O. 92; es folgt der Bezug auf Gal 4,4. Cf. auch oben bei Anm. 150. 268 Daher bestimmt Kierkegaard den Glauben als einen »Sieg, der da kämpft« (S. KIERKEGAARD, Über den Begriff der Ironie, in: ders., GW 31, 325). Dazu passt die Formel vom Werden zu sich (d. h. einer Ewigkeit, die zugleich zeitlich ist): »die wahre Wirklichkeit wird, was sie ist« (ebd.). 269 S. KIERKEGAARD, Entweder/Oder II, in: ders., GW 2, 147. Cf. dazu J. RINGLEBEN, Aneignung. Die spekulative Theologie Sören Kierkegaards, TBT 40, Berlin/New York 1983, 176ff. 264

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Werden auf das Ewige zu, und sein Leben in der Zeit »verlängert« ihm die Ewigkeit; denn jeder Schritt auf dem Wege der Zeit kann für den Glaubenden ein Schritt weiter in der Ewigkeit sein und zugleich ein Schritt auf sie hin, in der die Zeitlichkeit sich aufhebt.270 Unser Weg auf das Ewige (bzw. den Ewigen) zu ist schon die Bewegung der Ewigkeit zu uns hin. Zeit ist der ewige Weg, ist für den Glauben das SichEinleben in die Ewigkeit, und der Glaube erwirbt und bewahrt die Ewigkeit im Zeitlichen. Ewigkeitsglaube ist wahrer und bewährter Schöpfungsglaube. Das Geheimnis der Ewigkeit besteht darin, dass der Schlag der Uhr uns existenziell nicht von der Ewigkeit ausschließt, sondern sie uns lebendig macht. Der Glaube lebt in der Zeit von der Ewigkeit; in unserer Zeit empfangen wir in Geduld und Treue fort und fort die Ewigkeit. Daraufhin kann der Christ auch in Geduld und getrost sterben. Zusammenfassend ist zu sagen: Die Treue des Glaubens »verlängert« uns die Ewigkeit, weil die Zeit als Geschenk (des Schöpfers) erfahren wird. Wo der Glaube sich treu bewährt, da trennt uns die verfließende Zeit nicht nur von der Ewigkeit, so dass diese auf ein Danach zu reduzieren oder mystisch zu transzendieren wäre. Das wahre Geheimnis der Ewigkeit als lebendiger ist vielmehr, dass sie inmitten unseres unaufhaltsam fortgehenden und uns entgleitenden Lebens uns schon nahekommt. Der Glaube lebt im Werden auf das kommende Ewige bzw. den kommenden Ewigen zu, und daher verlängert ihm seine zeitliche Beständigkeit lebendig die Ewigkeit, reichert sie gleichsam an. Wir haben Zeit: um uns einzuleben in die Ewigkeit.

270

Cf.: »Sie ist eine Ewigkeit, in welcher das Zeitliche nicht als ideales Moment verschwunden ist, sondern … als reales Moment ständig gegenwärtig ist« (a.a.O. 146).

§ 10 Der Offenbare Offenbarung ist Gottes im Unterschied sich erschließendes Sein für uns und so sein Entgegenkommen: unsere innerste Wahrheit im Wort von außen, seine Selbstmitteilung: Gott selber am Ort unseres Glaubens und unsere Gotteserkenntnis als Erkanntsein von Gott.

A. Der Offenbarungsbegriff 1. Der Begriff Offenbarung im Allgemeinen1 Es gibt – empirisch und systematisch – fast keine Religion ohne eine Offenbarung, in der sie sich irgendwie begründet weiß.2 Denn Religion ist in erster Linie ein Reflex des Absoluten am Menschen und (erst) in zweiter Hinsicht die Antwort des Menschen darauf.3 Daher hat der Begriff Offenbarung eine unverzichtbare Bedeutung für die Religion und das Verständnis von ihr. Niemand hat Religion (oder ist »religiös«) nur aus sich allein oder nur als Erzeugnis seiner Innerlichkeit. »Offenbarung« hat die strukturelle Bedeutung, Religion als etwas dem Menschen von außerhalb seiner selbst Zukommendes zu bestimmen. Ohne eine Offenbarung des Göttlichen (von sich her) würde man gar nicht von Gott reden oder von ihm wissen4 – in welcher Entstellung 1 Da der Offenbarungsbegriff zu den am meisten behandelten Begriffen der Theologie gehört, kann ich mich in diesem Abschnitt mit einigen allgemeinen Hinweisen begnügen. Der Schwerpunkt dieses Paragraphen liegt auf den Abschnitten B. und F. (S. 561ff.581ff). Cf. aber die reichhaltige und lehrreiche Darstellung von E. HERMS, Art. Offenbarung. V. Theologiegeschichtlich und dogmatisch, TRE 25 (1995), 146–210. 2 Weil und indem das religiöse Bewusstsein »zuerst und unmittelbar auf ein Objekt außer mir« ausgerichtet ist (R. OTTO, Das Heilige [1917], München 351963, 11), versteht es sich notwendig als in einer Offenbarung begründet. 3 Man kann Religion überhaupt als die aufnehmende Seite im Offenbarungsgeschehen beschreiben; in diesem Sinne hat P. Tillich von einer »Offenbarungskorrelation« gesprochen; cf. P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 134 und 152 sowie DERS., Gesammelte Werke, Bd. VIII, Stuttgart 1970, 59. Zu Offenbarung als Grund und Voraussetzung des religiösen Bewusstseins überhaupt cf. (mit Bezug auf W. Pannenberg) CH. AXT-PISCALAR, Das religiöse Bewusstsein und sein Grund. Zum Verhältnis von Religion und Offenbarung in STh I, in: G. Wenz (Hg.), »Eine neue Menschheit darstellen« – Religionsphilosophie als Weltverantwortung und Weltgestaltung, Pannenberg-Studien 1, Göttingen 2015, 113–141. 4 Über die Funktion des Wortes »Gott« dabei s. u. Abschnitt F. (S. 581ff).

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oder menschlichen Verkehrung auch immer –, bzw. ohne sie gäbe es Religion gar nicht.5 In diesem Sinne markiert der Offenbarungsbegriff die wesentliche »Umkehrung« im Gottesverhältnis, die Religion und Glaube konstitutiv zu dem machen, was sie sind.6 Schon im allgemeinen außerreligiösen Sprachgebrauch besagt »Offenbaren« immer ein Geschehen, das sich von sich her und aus sich heraus ereignet und das von außen nicht erwirkt oder erzwungen werden kann, mit dem sich Verborgenes kundtut und manifestiert. Theologisch bedeutet der Grundbegriff von Offenbarung ein Sich-Vergegenwärtigen Gottes bei uns, woraufhin wir uns überhaupt auf Gott beziehen können. Offenbarung sichert die Gegenstandsbeziehung des religiösen Bewusstseins in einer dem »Gegenstand« dieser Beziehung angemessenen Weise, weil sie diesen Gegenstand als einen von sich selbst her sich gebenden zu erkennen gibt. Es geht bei »Offenbarung« also nicht um irgendwelche spektakulären einzelnen Erlebnisse oder bestimmte inhaltliche Erfahrungen,7 sondern um eine durch Gott selber vermittelte Unmittelbarkeit zu Gott (cf. Joh 6,45.65). Der sich offenbarende Gott meint Gott selber als den sich uns Vergegenwärtigenden, sich Erschließenden, an uns Handelnden; Offenbarung besagt: Gott ist da (bei uns) bzw. kommt selber. Offenbarung heißt, dass uns etwas zur Gottesbegegnung wird und Gott uns und wir Gott darin begegnen. Insofern ist Offenbarung für uns stets auch ein Bestimmtwerden in unserem Selbstverhältnis als ein Erschließungsmodus Gottes. Das gilt christlich im Vollmaße: »Christlich verstanden ist Offenbarung ein mich in meinem persönlichen mich Vernehmen vor Gott bestimmendes und mir darin Gott erschließendes gegenwärtiges Handeln Gottes an mir«.8 Damit ist der Offenbarungsbegriff in eine unhintergehbare »Korrelation« eingeschrieben,9 die übrigens ganz als sprachlich vermittelt zu denken ist. Sie besagt, genau verstanden, ein unauflösliches Ineinander der Bezüge: Erst und nur, indem Gott der ist, der mich in meinem eigenen Selbstverhältnis persönlich bestimmt, erschließt er sich mir dadurch als Gott (sc. im Sinne Luthers als »mein« Gott) und sich selber als den gegenwärtig an mir Handelnden und mich mir selber gegenwärtig Machenden. Ich vernehme mich dabei (eodem actu) so als »vor 5 Es kann schon logisch nicht gelingen, »aus dem Proceß der Entstehung der Religion Gott und seine That [sc. der Selbstoffenbarung] auszuschließen« (I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 24). Die Rede von Religion als bloßer »Deutung« der Wirklichkeit verkennt die Sachlogik bzw. die Bezogenheit jeder subjektiven Deutung auf ein ihr (sozusagen objektiv) Vorgegebenes und in diesem Fall sogar Unbedingtes. 6 Cf. dazu oben Prolegomena, S. 7f.68.72 u. ö. 7 Schon gar nicht wird so etwas wie ein Inbegriff von theologischen »Lehren« offenbart: Offenbarung ist keine Information. 8 E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, 132 (§ 73). 9 Cf. oben Prolegomena, § 4 (S. 60ff).

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Gott«, dass er der von sich her sich mir Erschließende, d. h. der sich an mir und für mich Offenbarende ist.10 In diesem Sinne ist systematisch aufzunehmen, dass auch das Neue Testament wie die ganze Bibel betont: Gott hat sich uns von sich her zu erkennen gegeben (Mk 4,11; 1Kor 2,11; Act 17,28) und ist so offenbar für das menschliche Bewusstsein (Ps 145,18; Jes 55,6; Jak 4,8). Damit ist gesagt: Das letzte Geheimnis aller Wirklichkeit gibt sich selber zu erkennen, und die alles bestimmende Wirklichkeit bleibt nicht unerkennbar im Hintergrund, sondern erscheint aus ihrer Verborgenheit als solche, macht sich offenbar.11 In diesem Sinne ist, jedenfalls christlich verstanden, Gott wesentlich der Offenbare.12 Das bedeutet sowohl etwas für den Begriff des Glaubens wie auch den der Theologie. Offenbarung ist somit ein konstitutives Moment im Glauben, nämlich das Moment unbedingter Gewissheit des Glaubens, oder besser: das Moment der Gewissheit des Unbedingten im Glauben.13 Das besagt, dass sich in unserer Endlichkeit und Bedingtheit etwas Absolutes als am Werk erweist, nämlich für uns.14 Damit ist eine Schwerpunktverlagerung bzw. Gewichtungsumkehrung gegeben: etwas Bestimmtes nicht nur unbefangen als es selber zu erfassen, sondern darin auch Gott, d. h. es von Gott aus zu erfassen. Erst »Offenbarung« ermöglicht insofern die bei uns wirksame Unterscheidung von Absolutem und Relativem.15 10 Im Sinne S. Kierkegaards (cf. S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., Gesammelte Werke, 24.Abt. [1957]), 77ff sowie G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. I, Tübingen 1979, 348ff [coram Deo]). 11 S. u. A. 3. (S. 557ff). 12 Der Satz K. Barths: »Daß Gott mit uns redet, das ist unter allen Umständen schon an sich Gnade« (K. BARTH, Evangelium und Gesetz, TEH 32, München 1935, 4; cf. auch DERS., KD IV/1, 600 sowie I. SPIECKERMANN, Gotteserkenntnis, BEvTh 97, München 1985) gilt in einem sehr weiten Sinne, sofern es dabei um Gottes »Beziehungswillen« und sein sich uns Erschließen überhaupt geht. Differenzierter die berühmte Passage bei Luther (zu Jes 26,19): »Ubi igitur et cum quocunque loquitur Deus, sive in ira, sive in gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter« (WA 43, 481,32–35; zur Interpretation: J. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. I, 324). Luther denkt von Gottes Reden nach dem Sündenfall her (cf. WA 42, 135,18–20); zum Unterschied zwischen ihm und Barth in dieser Frage cf. J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 192f (Anm. 4). 13 Cf. P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. I, Stuttgart 21959, 355f. 14 Empirisch mag sich das oft nur als die Gewissheit darstellen: »Da ist wirklich irgendetwas Unbedingtes daran« (solche Unbestimmtheit erscheint als Index möglicher Unbedingtheit). 15 Kierkegaard hat von »Gegenzeichnen« (Gottes) gesprochen. Damit soll sichergestellt werden, dass der Gottesglaube nicht ein Linienziehen ins Leere hinein oder nur der Bezug

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Daraufhin, dass Gott sich an ihm offenbart und zu erkennen gibt, wird der Glaube unausweichlich zur fides quaerens intellectum (cf. 1Kor 1,5; 2,12; 14,20[16] und 2Kor 5,13). Ein wahres Erkennen Gottes gibt es aber nur unter der Bedingung des von ihm Erkanntseins (Gal 4,8f; 1Kor 8,3; 13,12 u. ö.).16 Das hat grundlegende Folgen für das Verständnis von Theologie. Offenbarung ist derjenige theologische Begriff, mit dem die Theologie (und dogmatische Gotteslehre) ihre prinzipielle und faktische Ermöglichung ständig mit thematisiert.17 Im Offenbarungsbegriff transzendiert die theologische Gotteslehre ihre bloß menschliche Verfassung, bzw. sie überschreitet sich in ihrem Reden von ihrem Gegenstand (dem Thema »Gott«) auf diesen Gegenstand selber hin: als Möglichkeitsgrund dieses Redens. Weil mit Gott etwas Thema wird, was eo ipso nie nur von uns aus unser Thema sein oder werden kann, sichert die Theologie im Offenbarungsbegriff die Gegenständlichkeit ihres Gegenstandes, d. h. dessen eigene Subjekthaftigkeit (bzw. auf den Menschen bezogen: Subjektunabhängigkeit) im Vollzug seiner Thematisierung durch uns. Zugleich bringt die Gotteslehre damit zur Geltung, dass sie ihren Gegenstand wirklich als solchen (und d. h. von ihm selber her) erreicht.18 Diese Selbstzurücknahme theologischer Rede als bloß einer solchen zugunsten und in Kraft dessen, worauf diese Rede zielt, d. h. ihres Gegenstandes an ihm selber, bzw. die Selbstunterscheidung der Theologie von ihrem Gegenstand als solchem,19 in dem sie sich begründet weiß,20 dient der Verge-

auf einen unbestimmten Horizont ist. Zwar ist jedes Erkennen und Begreifen konstruktiv, aber es ist stets mehr als eine rein subjektive Konstruktivität (»Deutung«). 16 S. o. Prolegomena, § 2 A. 2. (S. 19f). 17 Insofern ist der Begriff der Offenbarung nicht einfach eine »dogmatische« oder »positivistische« Setzung. Zur falschen Prinzipialisierung von »Offenbarung« s. u. Anm. 107. 18 Gerade wenn religiöses oder theologisches Reden als spezifische (d. h. spezifisch angemessene) Weise, vom »Unerforschlichen« zu reden, verstanden werden soll, gehört ein Offenbarungskonzept unvermeidlich dazu. Denn vom Unerforschlichen an ihm selber kann man – wie historisch kontingent und partikular auch immer – offensichtlich nur zutreffend reden, wenn es sich als solches von sich her erschließt. Das heißt, auch und gerade der sich offenbarende Gott bleibt darin, dass er sich öffnet, zugleich selber immer auch der »Unerforschliche«: sowohl darin, dass er sich offenbart, wie auch im Wie des SichErschließens für ihn selber. Cf. zum »Deus absconditus« unten Abschnitt B. 1.2. (S. 563ff). 19 Eine Unterscheidung in ihr von ihr bloß als solcher. 20 Nach G. W. F. Hegel würde jeder menschliche Versuch scheitern müssen, das Absolute von uns aus zu erreichen, »wenn es nicht an und für sich schon bei uns wäre und sein wollte« (HEGEL, Phänomenologie, in: ders., Werke 3, 69). Cf. auch mit Anklang an Pascal (wie oben S. 23 bei Anm. 32) a.a.O. 2, 24.

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wisserung der spezifischen Sachhaltigkeit (»Objektivität«) theologischen und religiösen Redens.21 2. Der spekulative Begriff von Offenbarung Die Eigenaussage von Ex 3,14: »Ich bin, der ich bin« wird in dieser Gotteslehre als die maßgebende Selbst-Offenbarung des Gottes der Bibel zugrunde gelegt.22 Der gedankliche Status dieser Selbstartikulation des lebendigen Gottes als Offenbarung ist in diesem Paragraphen noch einmal zu reflektieren. 2.1. »Ich bin, der ich bin, und ich werde sein, der ich sein werde« – diese Gottesgleichung ist formal als Selbstvorstellung, inhaltlich als Selbstdarstellung zu bezeichnen. Beides zusammen erfüllt den Begriff der göttlichen Selbst-Vergegenwärtigung. Der jenseitige Gott des hermetischen »Ich bin, der ich bin« manifestiert sich zugleich als der hier und jetzt im Sich-Aussprechen und für Mose sich Nennen als der Diesseitige, d. h. als der Offenbare. Damit ist Gottes Selbstsein als ein nicht einfach schon Vorhandensein, sondern als Sein im Kommen manifestiert. Sein Sich-Hervorbringen überhaupt ist auch sein Kommen zu uns. Gott ist nicht nur an sich, kein reines An-sich-Sein, sondern immer auch für uns:23 sein Pro-me- bzw. Pro-nobis-Sein. Derart sind »wir« der Ort seines Kommens bzw. seiner Selbsthervorbringung und insofern auch Moment seines aktuellen Lebens. Wir in unserm Verhältnis zu Gott sind mit einbezogen in die lebendige Aus-einander-setzung von Zeit und Ewigkeit, als deren lebendige Einheit Gott sein Sein hat.24 Damit lässt sich das Verhältnis von Gottes Sich-Hervorbringen und SichOffenbaren näher charakterisieren.25 Indem Gott sich ewig (a se und per se) hervorbringt, ist er sich als absolutes Selbst zugleich absolut durchsichtig. Diese vollkommene Selbsterschlossenheit für sich und in sich wiederholt er unter den Bedingungen der geschaffenen Welt im Offenbarwerden und -sein für diese. Zugleich bleibt diese »Wiederholung« der innergöttlichen Erschlossenheit für sich selber Gott nicht nur äußerlich, weil die Offenbarungsgeschichte in der Erscheinung eines eigenen Sohnes – in ihm als dem Logos ist ja schon innertrinitarisch Gottes Selbsterkenntnis instantiiert – zu ihrer absoluten Form findet.26 Denn dieser ist das wahre »Ebenbild« Gottes (2Kor 4,4; Kol 1,15; cf. Hebr 1,3), in dem und seinem Bewusstsein vom Vater Gott absolut bei sich ist und sich endgültig selber hervorgebracht hat und weiß. 21 Zu solcher »Umkehrung« als Grundakt des religiösen Bewusstseins (bzw. der Korrelation von Offenbarung und Glaube) s. o. Anm. 6. 22 S. o. § 1 und § 2. 23 Das bedeutet: Er ist an sich für uns, und auch sein An-sich-Sein ist es für uns. 24 Cf. oben § 9. 25 Cf. auch unten bei Anm. 37. 26 S. u. Abschnitt E. (S. 578ff).

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Insofern vollendet sich die Offenbarung im Selbstbewusstsein Gottes selber und ist nicht nur ein Instrument für seine Mitteilung an die geschaffene Welt, sondern das Sich-durchsichtig-Werden des Sich-Hervorbringenden. 2.2. Eine kurze Wiederholung soll das in § 1 Erkannte für das hier Folgende in Erinnerung rufen. Der Satz Ex 3,14 stellt nicht nur eine Aussage über … dar, sondern ist sprachlicher Vollzug (sogar Selbst-Vollzug!) dessen, wovon da die Rede ist. Gott ist in Ex 3,14, was der Satz sagt; er kommt als er selber im Satz, und Gott selber spricht, indem der Satz ihm entspricht.27 In diesem Satz »ent-spricht« Gott sich selber. In Ex 3,14 ist Gottes Wort identisch mit seinem Sein: als einem Sichselbst-Erschließen, und d. h. auch: Benennbar- und Aussprechbarwerden. Gottes »Name« nach Ex 3,14 ist der Logos (Begriff), in dem er existiert. »Ich bin, der ich bin« meint also: Ich bin in Wahrheit der, der ich jetzt bin, nämlich der seinen Namen und sich in seinem Namen Mitteilende. Ich bin, was ich hier und jetzt tue: Ich bin der, der sich offenbart; mein Sein ist (sprachlich) Offenbarung, ich bin »der Offenbare«.28 2.3. Begreift man Ex 3,14 als die Offenbarung des lebendigen Gottes, so ist zu beachten: Hier liegt eine einzigartige Einheit von Sich-Öffnen und Sich-in-sich-Zurücknehmen vor – Gott ist bei uns nur, indem er zugleich bei sich ist –, und beides ist eins in einem lebendigen Vollzug.29 Das kommt mit Ex 3,14 in der spezifischen Weise zum Ausdruck, dass Gott sich nur so vergegenwärtigt, dass er eodem actu über den Ort dieses aktuellen Da-Seins unabsehbar hinausreicht bzw. hinausgeht, wie es besonders die futurische Fassung: »Ich werde sein, der ich sein werde« expliziert.

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Cf. das unten in Abschnitt F. 6.2. (S. 598f) zum »spekulativen Satz« Gesagte. Heißt es bei K. Barth: »Gottes Wort ist Gott selbst in seiner Offenbarung. … daß Gott selbst … der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein ist« (BARTH, KD I/1, 311, § 8 Leitsatz), so gilt das Letzte jedenfalls innertrinitarisch, und dadurch ist Gottes »Selbst-Offenbarung« zunächst seine immanent-trinitarische Selbstdurchsichtigkeit, d. h., so ist er offenbar für sich selber. Das Offenbarung glaubende Subjekt wird davon entweder nur tangential berührt oder distanzlos integriert. Was Barth formuliert, ist im Blick darauf doch wohl zu sehr ein »geschlossener Kreis« (cf. a.a.O. 322, 305 und 222), bei dessen Konzeption Gottes Sein-für-… bzw. das »Sein für« der Offenbarung unterbelichtet bleibt. Das aber ist wesentlich für einen religiösen Begriff von Offenbarung. Mit W. Pannenberg gilt: »Dieses Modell einer Offenbarungstrinität ist unschwer als strukturell identisch mit dem des seiner selbst bewußten Absoluten erkennbar, zumal wenn das Offenbarsein Gottes in seiner Offenbarung primär als ein Sichselbstoffenbaren gedacht werden muß« (W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 322). 29 K. Barth hat eine wechselseitige Bezogenheit von Enthüllung und Verhüllung Gottes (in seinem Wort) betont, so dass die eine nie sei ohne die andere (BARTH, KD I/1, 175; cf. auch 180 und 338f!). Freilich hat er dies Verhältnis nicht nach seiner sprachlichen Struktur reflektiert. Lutherisch hat dies Thema in der Opposition von Deus revelatus (praedicatus) und Deus absconditus seine Entsprechung; siehe dazu unten B. 1.2. (S. 563ff). 28

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Das besagt: Gott stößt sich von seiner bestimmten Anwesenheit, indem er sie setzt (bzw. sich an ihrem Orte setzt), zugleich ins Unendliche ab – wie aus der Zeit in seine Ewigkeit (§ 9). Er ist jetzt und hier (redend) nur so da, dass er auch im Werden zu sich ist. 2.4. Damit, dass Ex 3,14 als eine sprachlich verfasste Selbst-Offenbarung zu verstehen ist,30 ist auch gegeben, dass bei dieser für alles Weitere maßgeblichen Offenbarung Gott nicht irgendein Etwas (an ihm) offenbart, sondern sich selber und dies als von sich (ihm) her. Das gilt auch – von der futurischen Dimension in Ex 3,14 her gedacht – für die Geschichte der Offenbarung bzw. für Offenbarung als (eine) Geschichte.31 3. Selbstoffenbarung als ein Sich-Offenbaren Der (wohl aus der nachkantischen Religionsphilosophie stammende) emphatische Begriff der »Selbst-Offenbarung« kann sowohl Gott selber als das Subjekt des Offenbarungsereignisses (d. h. dass es von ihm selbst ausgeht) wie auch ihn als das Objekt (bzw. den Inhalt) der Offenbarung bezeichnen (d. h. dass er darin sich selbst erschließt). Im Terminus »Sich-Offenbaren« steht die zweite Bedeutung im Vordergrund.32 Dabei liegt der Ton auf dem Unterschied zwischen etwas offenbaren (z. B. Wahrheiten, Sätze) und sich (sc. selbst als »Inhalt«); nur mit dem Letzteren ist eine neue Wirklichkeit gegeben: Gott selber bei uns. 3.1. Offenbarung (im Sinne der Offenbarung an uns bzw. die Welt) gründet im inneren Offenbarsein Gottes für sich,33 seinem ewigen Selbstverhältnis als sich logoshaft erschlossen, d. h. in seinem wesentlichen Verhältnis zu sich als »Wort«, in dem Gott völlig bei sich ist (Joh 1,1f). Es ist die innertrinitarische Voraussetzung für Offenbarung überhaupt, dass Gott sich in seinem eigenen Wort, dem Sohn, selber durchsichtig bzw. selbsthaft offenbar ist und bleibt.34 30 Selbst eine an der Grenze des Sprachlichen angesiedelte Gotteserfahrung wie die von 1Kön 19,12 (φωνὴ αὔρας λεπτῆς: »ein stilles, sanftes Sausen« [Luther] bzw. »eine Stimme verschwebenden Schweigens« [Buber]), gewinnt ihre Aussagekraft im Kontrast zu den außersprachlichen Phänomenen (Sturm, Erdbeben, Feuer; V. 11f). Inhaltlich gehört sie in den Bereich göttlicher Kondeszendenz als Theophanie sub contrario. 31 S. u. Abschnitt C. (S. 568ff). 32 In vergleichbarer Weise redet Platon von einer Selbsterschließung des göttlichen Sinns philosophischer Wahrheit, die sich dann in der Seele aus sich heraus weiter nährt (7. Brief; 340c/d); cf. auch die Schilderung von dem sich im NU (ἐξαίφνης) von sich aus zeigenden Schönen (Symp. 210e). 33 Ex 3,14 redet auch von einer internen Beziehung Gottes zu sich selbst. 34 »Gott ist sich selbst nicht verborgen und dunkel, sondern klar und durchsichtig. Er ist das Licht …« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik, Berlin 21827, 126 [§ 211]). Er offenbart in innerer Selbstoffenbarung »ewig sich (semet ipsi)« (ebd.). Weiterhin gilt dann: »Der Mensch kann mit Gott nur dann wahrhaft vereint

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Was Gottes Selbsterkennen nach innen ist (Sein für sich), das ist seine Selbstoffenbarung nach außen, im Bereich der Schöpfung (Sein für Anderes).35 Sich zur Welt herablassend, wird Gott auch in ihr und für sie offenbar. Diese Offenbarung »nach außen« – als die radikale Entäußerung seines im Anderen bei sich selbst Seins, gemäß dem, wie es schon im Verhältnis zum Logos besteht und unter den Bedingungen der Schöpfung noch einmal (bis hin zur Entfremdung) entäußert wird – hat freilich mannigfaltige Formen und Grade (Röm 1,18–20; Hebr 1,1f).36 Zugleich gilt: Als der sich Offenbarende offenbart Gott zwar sich selbst (als absolutes Selbst) für uns, bleibt aber dabei auch in sich reflektiert als er selber bzw. in sein eigenes Selbstsein, sozusagen als der »Herr« auch seines Offenbarwerdens für uns.37 3.2. Sein sich Offenbaren gehört so wesentlich zu Gott selber, dass es eine Weise für ihn ist, er selber zu sein. Das Offenbarsein ist ihm nicht akzidentiell – er wäre sonst eine in sich verschlossene Substanz –; vielmehr zeigt er bereits, indem er sich offenbart, wie und was (wer) er ist: der Offenbare. Das besagt: Er ist, indem er sein Sein manifestiert;38 »Ich bin, der ich bin« zeigt Gottes Sein als Selbst-Manifestation dieses Seins, und »Sein« ist hier das sich Manifestierende. Darin hat Gott seine Freiheit als Gott: »Frei und aus sich selber seyend wird Gott begriffen als hervorgehend aus sich, sich mittheilend und offenbarend«.39 Die Selbstoffenbarung ist so etwas wie der geistig-gnoseologische Vollzug der göttlichen Selbsthervorbringung unter den Bedingungen der Schöpfung und der Kondeszendenz Gottes. 3.3. Sich Offenbaren heißt: Gott selbst ist gegenwärtig, macht sich gegenwärtig. Das ist, auch wenn Gott dabei das absolute Subjekt bzw. Selbst bleibt,40 keine bloß attributive Tätigkeit, sondern ihm durchaus wesentlich. Es geht dabei um sein Subjektsein als Tätiger bzw. Tätigkeit von Selbstdarstelsein, wenn solche Gemeinschaft im ewigen Wesen Gottes selbst begründet ist, das sich durch seine Selbstoffenbarung [sc. in Jesus Christus, dem Menschgewordenen] dem Menschen erschlossen hat« (W. PANNENBERG, Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland, UTB 1979, Göttingen 1997, 274). 35 Beiderlei »Sein« ist aber als lebendiger Selbstvollzug und nicht als ein statisches Vorhandensein zu denken. 36 S. u. Abschnitt C. (S. 568ff). 37 Das gehört in den Zusammenhang der Rede vom »Deus absconditus« (s. u. B. 1.2. [S. 563ff]). 38 Cf. F. Wagner über Gott als die absolut sich selbst bestimmende Macht: »Das Bestimmbare von der Bestimmung ›Selbstbestimmung‹ ist aber nur das Bestimmbare von der Bestimmung ›Selbstbestimmung‹, wenn das Bestimmbare von sich aus zeigt (manifestiert, offenbart), daß es Selbstbestimmen ist« (und daher muß auch der Begriff Gottes [sc. als des Offenbaren] in dessen Selbstbestimmung gründen) (F. WAGNER, Was ist Religion?, Gütersloh 21991, 578). 39 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 34), 81 (§ 135); cf. 112 (§ 192). 40 S. u. B. 1.2. (S. 563ff).

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lung für uns.41 In seinem Sich-Offenbaren ist Gott der wirkliche Gott, der Lebendige. Das bedeutet zunächst: Eine Offenbarung als solche zu erfahren, heißt nicht, ein Ereignis oder Etwas als Offenbarung nur aufzufassen oder zu beurteilen – so wenig wie wir, gesprochene Worte hörend, sie als sprachliche Worte bloß auffassen.42 Offenbarung ist für uns unmittelbar selbstgebend bzw. selbstevident. Darum sind wir, ereignet sich Offenbarung, immer schon undistanzierbar involviert. Das meint der Begriff der Korrelation von Offenbarung und Glaube: Offenbarung ist, was sie von sich her (als Ereignis bzw. Sich-Vergegenwärtigen Gottes) ist, nur, indem sie es für uns (bei uns) ist. Nur wenn wir sie (als solche) erfahren, gibt sie sich nach ihrem eigenen Gehalt.43 41

Aufschlussreich dafür ist auch, wie Hegel, für den das »Wesen« das sich Offenbarende ist (cf. HEGEL, Werke 6, 185), die Logik der »Auslegung des Absoluten« darlegt (a.a.O. 187ff). Das Absolute überhaupt ist zunächst als reine Einheit oder »indifferente Identität« zu denken (a.a.O. 194) und bleibt so das reine Jenseits der negativen Theologie (cf. a.a.O. 189). Von menschlich-endlicher Seite ist eben nur eine negative Bestimmung des Absoluten als »Abgrund« aller Bestimmungen möglich: »Insofern fällt das Bestimmen dessen, was das Absolute sei, negativ aus, und das Absolute selbst erscheint nur als die Negation aller Prädikate und als das Leere« (a.a.O. 187). Aber dies ist evidentermaßen ein dem Absoluten selbst äußerliches Verfahren. Eine positive Kehrseite gewinnt dies negative Tun allererst dadurch, dass seine Negativität als Ausdruck der Selbsthervorbringung des Absoluten begriffen wird, das zugleich auch der Grund aller (von ihm selber ausgeschlossenen, aber gesetzten) Bestimmungen ist: »daß sie nämlich das Absolute zu ihrem Abgrunde, aber auch zu ihrem Grunde haben oder daß das, was ihnen, dem Schein, ein Bestehen gibt, das Absolute selbst ist« (a.a.O. 189f). Das bedeutet, es geht um die eigene Auslegung des Absoluten durch sich: in seinen Bestimmungen, die es zugleich negiert, und indem es das tut, legt das Absolute sich selber aus. Weil es sui ipsius interpres ist, sind jene »Ausdruck und Abbild des Absoluten« (a.a.O. 190). Denn »das wahrhaft Positive, was sie und der ausgelegte Inhalt enthält, ist das Absolute selbst« (ebd.). Daher folgt: Die Durchsichtigkeit des Endlichen (sc. auf das Absolute hin) »endigt in gänzliches Verschwinden; … es ist ein Medium, das von dem, was durch es scheint, absorbiert wird« (ebd.). Das aber heißt, die Selbstaufhebung der endlichen Bestimmungen im Absoluten ist dessen Selbsthervorbringung und Selbstauslegung. Die eigene Auslegung des Absoluten darf mithin nicht eine sein, durch die beim Absoluten »nur angekommen wird« (ebd.). Als das wahrhaft »Absolut-Absolute« (ebd.) ist es das sich selbst Verabsolutierende: »das bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt« (ebd.). So ist es die selbsttätige Beziehung auf sich, und die wahre Auslegung des Absoluten kann nur seine Selbstauslegung sein: »eine Bewegung aus sich heraus, aber so, daß dies Sein-nach-Außen ebensosehr die Innerlichkeit selbst ist« und der Inhalt des Absoluten darin besteht, »sich zu manifestieren« (a.a.O. 194). So ist es das sich Hervorbringende »als absolutes sich für sich selbst Manifestieren« (a.a.O. 195). 42 Es hängt mit der unerklärlichen Einheit von sinnlichem Laut und sinnhaftem Wort zusammen, dass wir nicht erst Schallwellen empfinden und sie nachträglich dann als gesprochene Worte auffassen oder beurteilen. 43 Eine genauere Interpretation dieser »Korrelation« könnte sich, passend übertragen, an den Formulierungen von J. König orientieren: »Das fragliche Wirken wirkt sozusagen in der Richtung auf mich zu; es hat seinen Ausgangspunkt jenseits meiner und ist insofern

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3.4. Diese eigentümlichen logischen Verhältnisse sollen im Anschluss an J. König einer weiteren Präzisierung zugeführt werden.44 Von da aus lässt sich sagen: Die Offenbarung (als ein Sich-Offenbaren) bringt selber ihr Subjekt (den sich Offenbarenden) mit, macht ihn uns sozusagen »objektiv«. Das Offenbarungsereignis (bzw. die Offenbarung) selber »ist in gewisser Weise in der Tat Subjekt des offenbarenden oder objektivierenden oder vergegenwärtigenden Tuns; nicht nur drücken wir das so aus«.45 Das bedeutet zugleich: Die Offenbarung offenbart an ihr selber ihr Wovon, und dies Wovon der Offenbarung (sc. Gott selber) wird zur »führenden« Bestimmtheit46 dessen, was da an uns kommt und für uns wird. Das ereignet sich, weil und indem der Eindruck von einer Offenbarung sich bei uns als ein solcher einstellt: »Wenn wir ihn haben, gibt er sein Wovon.«47 Zugleich liegt in dem Gesagten: Offenbarung wird Gott nicht aufgrund eines vorausgehenden Wissens von ihm als seine zugeschrieben; vielmehr erschließt sich in ihr selber allererst und ursprünglich das, wovon sie Offenbarung ist, nämlich Gott. Ihr »Wovon« wohnt – mit J. König gesprochen – der Offenbarung in echter Weise ein.48 von mir unabhängig. Zugleich jedoch ist die von außen kommende Bewegung dieses Wirkens notwendig gehalten und wie umfaßt von einer entgegengesetzt gerichteten Bewegung: der Eindruck offenbart, macht ansichtig; er, der in mich irgendwie hineinkommt, offenbart mir in einer Bewegung, die von ihm her auf das ansichtig Gemachte zugeht« (J. KÖNIG, Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, Tübingen 21969, 24 [§ 6.3.]). Cf. auch: »der erwirkte Eindruck-von ist sozusagen der Ort, in dem man sich befinden muß, um das so-Wirkende und sein so-Wirken gewahren zu können« (a.a.O. 38 [§ 8.7.]). 44 König analysiert in subtilster Weise logisch und sprachphilosophisch zwar unmittelbar allein den »bestimmten Eindruck, der äquivalent ist dem Eindruck von einem Bestimmten« (a.a.O. 7ff [§ 3ff]); aber einerseits kommt dabei – nicht zufällig – immer wieder Offenbarungsterminologie ins Spiel, andererseits bezieht er sich auch ausdrücklich auf religionsverwandte Verhältnisse (cf. die vorige Anmerkung, 2. Zitat), zumal den sprachlichen Ausdruck »Gott« (z. B. a.a.O. 73) und sagt: »Die Idee ›Gott‹ entspringt wesentlich nur als Einlagerung in ein konkretes Erlebnis der … vergegenwärtigten Art« (132 [§ 25.2.]). Cf. auch den Satz: »Daß-sein und Was-sein sind bei ihm [sc. dem König’schen So-Wirkenden] ursprünglich vereint« (69; cf. 161 Anm. 1) mit oben § 7 C. (S. 424ff bei Anm. 116ff). 45 A.a.O. 21 (§ 5.4.). 46 Cf. dazu a.a.O. 13 (§ 4.1.). 47 A.a.O. 21 (§ 5.4.). Der dialektische Satz hat eine gewisse Nähe zu Hegels Feststellung: »Es zeigt sich, daß hinter dem sogenannten Vorhange, welcher das Innere verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahintergehen, ebenso sehr damit gesehen werde, als daß etwas dahinter sei, das gesehen werden kann« (HEGEL, Phänomenologie A. III. [Ende], in: ders., Werke 3, 135f). Zur sprachlichen Vermittlung dabei (im Falle der israelitischen Prophetie) cf. oben § 1 B. 2.1 (S. 113 Anm. 145). 48 A.a.O. 13f (§ 4.1.).

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3.5. Sein Sich-Offenbaren bedeutet ein sich Auslegen und sich Vergegenwärtigen Gottes, d. h. sein Sich-Öffnen für uns. So ist Offenbarung immer ein sich selbst Mitteilen Gottes; sie ist nicht nur gnoseologisch, d. h. für unser Erkennen relevant – dies nicht einmal in erster Linie –, sondern primär auch als Erschließung von Gottes lebendigem Sein zur Teilnahme daran.49 Gott hält sich, sein Sein, sein Leben und seinen inneren Reichtum (Pleroma) nicht in sich verschlossen, sondern gibt davon Mitteilung und lässt uns daran teilhaben.50 Offenbarung ist das Sich-Öffnen Gottes für uns, d. h., sie ist ein dem Menschen angemessenes Sein Gottes, seine Selbstaufschließung: »Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis«51 – das gilt immer, wenn Gott kommt, wo Offenbarung geschieht.

B. Der Offenbare Weil Gott christlich als der sich selbst lebendig Offenbarende und so als der Offenbare erfahren wurde und wird, ist das Christentum die »offenbare Religion«. 1. Der offenbare Gott 1.1. »Der Offenbare«, das ist der christlich erfahrene und begriffene Gott; denn es besagt: der Offenbare schlechthin, und ebendas ist der menschgewordene Gott,52 der Gott des Neuen Testaments und des Christentums. Luther stellt demgemäß fest, dass in der Hl. Schrift (von der geschehenen Auferstehung Jesu Christi her!)53 nichts Wesentliches mehr für den christlichen Glauben nicht offenbar sein könne: »illud summum mysterium proditum est, Christum filium Dei factum hominem, Esse deum trinum et unum, Christum pro nobis passum et regnaturum aeternaliter«.54 Gott ist der für uns Offenbare schlechthin, weil er im Christusgeschehen sein inneres und äußeres Leben völlig artikuliert hat. Das bedeutet die Vollendung dessen, was von Gott

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Das liegt bereits darin, dass Gott sich am Ort des (ihn vernehmenden) Glaubens hervorbringt. 50 Cf. das Luther-Zitat unten bei Anm. 80–81. 51 EG, Nr. 27,6. 52 Cf. unten Abschnitt E. (S. 578ff). 53 »postquam fractis signaculis et voluto ab hostio sepulchri lapide [Mt 27,66 und 28,2]« (WA 18, 606,25f). 54 A.a.O. 606,26–29.

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überhaupt zu erkennen und zu wissen ist, weil er sich in diesem Geschehen in der Geschichte selbst zu erkennen gegeben hat.55 In solcher definitiven Selbstoffenbarung ist Gott der, der nicht nur irgendwie für unsern Glauben da ist, sondern der selber als er selbst bei uns da sein will bzw. sich vergegenwärtigt hat und vergegenwärtigt. Der Offenbare, das ist mithin der sich Offenbarende: der sich offenbar gemacht hat; seine Offenbarung ist also keine bloße Faktizität,56 sondern sein aktuoses Sein als SichHervorbringen am Ort des Glaubens. Dass Gott der Offenbare ist, besagt, dass auch seine Aseität nicht bewegungslose Gleichheit mit sich ist, sondern göttliche Lebendigkeit, ewiges Leben als ein sich uns erschließendes.57 Der Offenbare ist Gott zunächst auch für sich selber. Er ist der, der sich selber in und mit seinem Sein selbsttätig offenbar ist, d. h. selbst sich selbst offenbart.58 In solcher aktiven Selbstbezüglichkeit ist er – wie man in lockerem Anschluss an Hegel59 bzw. K. Barth (kritisch)60 sagen kann: – notwendig der Offenbarer, – und als lebendige Einheit von sich selber Offenbarsein und selber sich Offenbarmachen selbst auch das (für sich) Geoffenbarte, d. h. selbst nur das, was er sich von sich offenbart; – so dreieinig in sich selbst ist Gott an ihm selber der Sich-selbst-Offenbare;61 – er ist der wahre Gott (der sich an sein Anderes, die Schöpfung, mitteilt), und nicht nur – die Wahrheit selbst (als wahre Wirklichkeit alles Seins: begründend und richtend), sondern auch – wahrhaftig (als der sich rückhaltlos Aufschließende: sich mitteilende Liebe und sich bewusste Liebe: »Veracitas, per quam Deus constans est et dicendo vero et promissis servandis« (Num 23,19; Hebr 6,18).62

55 Das impliziert sachlich auch die Vollendung der Religionsgeschichte als Geschichte vorlaufender Offenbarung. 56 Darum kann es theologisch keinen »Offenbarungspositivismus« (Bonhoeffer, Hirsch) geben. 57 Cf. R. Rothe: »So ist Gott … unter dem Modus seines aktuellen Seins der offenbare (aussprechbare, benennbare) Gott, der λόγος« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 139 [§ 35]). 58 »In dem menschlichen Geiste ist Gott sich nicht durch diesen, sondern durch sich selbst offenbar, und so auch dem menschlichen Geiste offenbar« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 34], 67 [§ 115]). 59 S. u. B. 2. (S. 565ff). 60 Cf. oben Anm. 28. 61 Trotzdem folgt daraus methodisch keine Prinzipialisierung des Offenbarungsbegriffs, s. u. Anm. 107. 62 J. W. BAIER, Compendium theologiae positivae, Jena 1686, 202.

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1.2. Die hier betonte Rede von Gott als »dem Offenbaren« schlechthin legt es nahe, kurz das vieldiskutierte Problem der Rede Luthers vom »deus absconditus« zu berühren. Als Erstes ist festzuhalten: Die diesbezüglichen Aussagen in der Schrift »De servo arbitrio« (1525)63 müssen vereinbar sein mit Luthers Erklärung über das definitive Offenbar-geworden-Sein des göttlichen Mysteriums.64 Geht es beim deus absconditus um »Deus in maiestate sua« bzw. den »Deus nudus«,65 so legt sich systematisch nahe, das Verhältnis des verborgenen zum offenbaren Gott von der Selbstbeschränkung der göttlichen Allmacht her zu deuten.66 Der Absconditus ist für Luther entschieden außersprachlich,67 und der »Deus revelatus« ist ebender deus praedicatus.68 Die kondeszendente Selbstbegrenzung Gottes in seinem Wort hebt nicht sein Gott-Sein, d. h. seine absolute Unbegrenztheit und Unendlichkeit für ihn selber (»absconditus in maiestate sua«),69 auf. Zu uns zu reden, erschöpft sein Gottsein so wenig wie sein Erschaffen: Auch als Schöpfer ist Gott immer mehr als dies.70 Von seiner Einheit für uns ist um seiner Gottheit willen die eigene Einheit Gottes (im Verhältnis zu sich selber) notwendig abzuheben. Nur so lässt sich Gott selber von einem bloß menschlichen Konstrukt unterscheiden. Er bleibt Gott, indem er auch »supra nos« ist.71 Das besagt: Der Deus pro nobis muss auch als solcher wirklich Deus bleiben. Als »absconditus« ist er in sein Gottsein zurückreflektiert.72 »In Deo esse multa abscondita, quae ignoremus«.73 Gott ist nur dann wahrhaft Gott für uns, wenn er selbst nicht nur »für uns« ist.74

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Cf. eingehender RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 12), 46f (Anm. 1). S. o. 1.1. (S. 561f). 65 WA 18, 685,13 bzw. 40 II, 320f. Biblisch kann man an die Erfahrungen einer schrecklichen Verborgenheit Gottes bzw. von dessen sich Entziehen erinnern; cf. die Klagepsalmen oder Thr 3. 66 Cf. oben § 5 F. (S. 365ff; S. Kierkegaard; I. A. Dorner). Für Luther hat auch die unbedingte Verlässlichkeit des Evangeliumswortes an der göttlichen Allmacht teil. 67 Als »Deus absconditus« außerhalb des Wortes: WA 11, 606,12ff. 68 WA 18, 685,25ff. 69 WA 18, 685,21f. 70 Auch dies spricht gegen eine theologische Prinzipialisierung der Offenbarung. 71 Cf. WA 18, 605,20f; 685,6f. 72 Von da aus ist wohl der Satz zu verstehen: »Si credis in Deum revelatum, et recipis verbum eius, paulatim etiam absconditum Deum revelabit« (WA 43, 460,26–28). 73 WA 18, 606,12f. 74 Cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 12), 454. Man könnte fragen: Kann der sündige Mensch als einen Begriff von Gott bildender überhaupt einen einheitlichen Begriff Gottes haben, wenn er nicht von sich als einem von Gott heillos Geschiedenen abstrahieren will?! 64

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Gleichwohl gibt er selbst (als Selbst) in seiner Offenbarung sich selber und ist der Offenbare.75 Aber als das Selbst, das sich (uns) gibt, ist er von sich als dem Selbst, das er gibt, (für sich) noch einmal unterschieden. Als dieses sozusagen in Distanz bleibende Selbst seines selbsthaften Lebens kann er mehr und anderes sein als das sich äußernde und entäußernde bzw. geäußerte und entäußerte Selbst. Darum kann Luther an einer letzten Einheit von Deus absconditus und revelatus festhalten.76 Sie ist letztlich trinitarisch verortet, und darum ist Christus, und er allein, der Ort, an dem der göttliche »Abgrund« sich auf heilvolle Weise für uns erschließt: »Denn da hat er selbs offenbaret und aufgetan den tieffsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechliche Liebe in allen drei Artikeln.«77 Christus ist – gegen alle Welterfahrung, in deren Grauen Gott als bloßer »deus nudus« oder »absconditus« sich uns verdunkelt78 – der wahre »Spiegel … des väterlichen Herzens, außer welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter«.79 Der Menschensohn Gottes ist Gottes konkretes Für-uns-Sein (Pro nobis) in Person. Hier allein gilt absolut, dass Gott der uns Offenbare ist und sein will: »wie er sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe«.80 Als der so in seinem Sohn ganz und gar Offenbare will er in Christus »sich finden lassen« und »sich uns anbinden«.81 In diesem Sinne gilt es von Gott zu

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Weil das Offenbarungsgeschehen nicht »als seinem Wesen äußerlich gedacht werden kann«, lässt es sich »nicht trennen vom Wesen Gottes selbst« (W. PANNENBERG, Offenbarung als Geschichte, Göttingen 21963, 97 und 105). Dem entspricht bei J. König die Aussage: »Infolgedessen besteht eine sonderbar innige, identitätshafte Verknüpfung zwischen dem so-Wirken und dem so-Wirkenden (recht verstanden zwischen Sein und Seiendem!)«, die freilich »nicht einfach dasselbe« sind (KÖNIG, Sein und Denken [wie oben Anm. 43], 35 [§ 8.4. und 5.]). 76 WA 43, 459,24f. Die Spannung zwischen deus absconditus und revelatus entspricht Gottes eigener Lebendigkeit. 77 BSLK 660,28–32 (»Großer Katechismus«). Zur Liebe Gottes im Abgrund seiner Natur cf. unten § 11, Zitat S. 619 bei Anm. 42. 78 Zur sich gerade beim Thema des »deus absconditus« stellenden Theodizeefrage ist hier kurz festzuhalten: Die Frage »Warum hat Gott das zugelassen« ist unbeantwortbar, auch deswegen, weil jede erklärende Antwort etwas Zynisches an sich hätte. Die Frage kann allein sein: Wie ist Gott bei dem schrecklichen Geschehen dabei? Theologisch steht jede denkbare Antwort erstens im Horizont des Kreuzes des Menschgewordenen – auch Christus erfährt dort antwortlos den »Deus absconditus« –, und das Kreuz ist der Ort von Gottes Teilnahme am Leiden der Welt und dessen Hineinnahme in das eigene Leben (s. u. § 11 C. 6. [S. 639ff]). Zweitens gilt: Indem Gott der ist, der auch an diesem Ort sich selber hervorbringt, kann nichts die Leidenden an ewiger Vollendung hindern (cf. TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben S. 551 Anm. 2], 306f). 79 BSLK 660,42–44. 80 BSLK 651,13–15. 81 WA 23, 151,14f.29f.

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Gott zu fliehen: vor der abgründig unbestimmten Allwirksamkeit zur bestimmten, sich uns erschließenden Macht der Liebe. Im Blick auf Christus, das ewige Wort, das Gott auch selber ist (Joh 1,1), gilt für unser Gottesverhältnis im Glauben, dass es nicht mit dem deus absconditus, sondern dem Gott, der als praedicatus auch revelatus ist, zu tun hat; denn Deus »nec habet commercium cum nobis absolute, sed indutus aliqua forma«,82 und ebensolche menschennahe »forma« ist das sprachliche Wort.83 Bleibt es für unsere Erfahrung bei der irdisch unauflöslichen Spannung zwischen dem »deus absconditus« und dem »deus revelatus«, so hat Luther zweifelsfrei doch an Gottes selbsthafter Einheit unverbrüchlich festgehalten.84 Er thematisiert diese absolute Einheit Gottes unter den Bedingungen seiner Theologie als eine lebendige und darum eschatologisch zu begreifende Einheit.85 Dass der für uns existenziell nicht auflösbare Zwiespalt in der Gotteserfahrung einer eschatologischen Lösung zugeführt wird, so dass der Absconditus zuletzt sich als eins mit dem Revelatus erweist, besagt, systematisch betrachtet, zweierlei. Zum einen zeigt sich somit (indirekt), dass die Erfahrung des Deus absconditus eine Erfahrung von Momenten am Sich-Hervorbringen Gottes aus den Weltereignissen ist. Zum andern wird deutlich: Auch Gottes Sich-Offenbaren wohnt eine Dynamik ein, die allein eschatologisch abgegolten wird.86 Offenbarung überhaupt ist angelegt auf die endgültige SelbstOffenbarung Gottes: dann, wenn er »alles in allem« sein wird. Dann wird er absolut »der Offenbare« sein und auch für uns das eintreten, was für ihn immer der Fall ist: absolute Durchsichtigkeit. 2. Die offenbare Religion Die christliche Religion ist Religion der Offenbarung, Offenbarungsreligion schlechthin, und das, weil sie Religion des Gottes ist, der selber absolut der Offenbare ist. Gott als dem Offenbaren entspricht die »offenbare Religion«.87 Es ist festzuhalten: »Die geoffenbarte Religion ist die offenbare, weil in ihr Gott ganz offenbar geworden ist«.88 Ganz offenbar ist Gott am Ort der christ82

WA 31 II, 77,22f. Cf. dazu: RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 12), 570ff. 84 Die Meinung, seine Unterscheidung laufe auf einen (dämonischen) Zwiespalt in Gott selber (wenn nicht gar auf zwei »Götter«) hinaus, ist abwegig. Als der sich Bestimmende und zugleich auch durch sich Bestimmte ist Gott lebendig mit sich eins (cf. oben § 3 D. 1. (S. 277 nach Anm. 173). 85 Cf. WA 18, 784–786 und dazu RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 12), 557f. 86 In dieser Dynamik des Kommens Gottes sind die strukturellen Momente: Wort (und Glaube), Jesus Christus und endgültige Schau (visio; cf. 2Kor 5,7; 1Joh 3,2) zu verorten. 87 Insofern ist sie mehr als eine »geoffenbarte Religion«, d. h. eine unter anderen. Die christliche ist die offenbare Religion, weil sie die von Gott selbst offenbarte ist. 88 HEGEL, Werke 16, 88. Cf. auch: »In der christlichen Religion wird es gewußt, daß Gott sich geoffenbart hat, und Gott ist gerade dieses, sich zu offenbaren; offenbaren ist 83

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lichen Religion, indem er hier als selber Menschgewordener (und so als Geist) gewusst wird: »Diese Menschwerdung des göttlichen Wesens, oder daß es wesentlich und unmittelbar die Gestalt des Selbstbewußtseins hat [sc. am Orte Jesu], ist der einfache Inhalt der absoluten Religion.«89 Damit ist weiterhin gegeben: »In dieser Religion ist deswegen das göttliche Wesen geoffenbart. Sein Offenbarsein besteht … darin, daß gewußt wird, was es ist [sc. wirklicher Geist]« – ohne alles Geheimnis,90 so dass auch das menschliche Selbst darin sich wiederfinden kann.91 So entspricht Gott als offenbarer dem »reinen Begriff« von sich: Er »ist also das wahrhaft und allein Offenbare«.92 Vom Christentum ist mithin zu sagen. »Gott ist also hier offenbar, wie er ist; er ist so da, wie er an sich ist; er ist da, als Geist.«93 Mit diesem geisthaften Wesen des Christentums ist etwas Weiteres gegeben: Indem Gott selber es ist, ist auch offenbar, was das Verhältnis zu Gott in Wahrheit ist:94 »Die absolute Religion ist die offenbare, die Religion, die sich selbst zu ihrem Inhalt, Erfüllung hat.«95 Das besagt: In der offenbaren Religion ist auch offenbar, was Religion überhaupt bzw. was sie in ihrer Wahrheit ist.96 In der (als solche) offenbaren Religion findet die Religion mithin zu ihrem Selbstbewusstsein, und die »offenbare« Religion, das ist die, von der gilt (und aufgezeigt werden kann): »Der Begriff der Religion ist in der Religion sich selbst gegenständlich geworden.«97 Man kann dafür auch mit dem jungen Schleiermacher sagen, das Christentum sei die »Religion der sich unterscheiden; das Offenbarte ist eben dieses, daß Gott der offenbare ist« (HEGEL, Werke 17, 534). 89 HEGEL, Werke 3, 552 (Phänomenologie des Geistes VII, C.: »Die offenbare Religion«). Hegel favorisiert diesen Ausdruck, den er möglicherweise auch selber geprägt hat. Zur Kondeszendenz Gottes cf. a.a.O. 553f (zitiert oben § 6 A. [S. 375 Anm. 15]). 90 Ebd. 91 Cf.: »dieses weiß unmittelbar sich darin, oder es ist sich in ihm offenbar« (ebd.). 92 A.a.O. 553. Vom Begriff, in dem Gott existiert bzw. der Offenbare ist, heißt es, er vermag »die Form der Gegenständlichkeit in ihm [d. h. sich] ganz aufzulösen, in ihm, der ebenso sein Gegenteil in sich schließt« (a.a.O. 503). 93 A.a.O. 554. Zu diesem Sachverhalt als Erfüllung der Religionsgeschichte cf. ebd. und schon 549. 94 Darum gilt im Christentum auch die strenge Korrelation von Gott und Glaube. 95 HEGEL, Werke 17, 189. 96 K. Barths Inanspruchnahme des von der Offenbarung her gedachten Christentums als der »wahren Religion« leidet unter der Ungeklärtheit der Frage: Bedeutet das »die wahre Religion schlechthin« oder, was erhebliche Weiterungen mit sich brächte, »die Wahrheit der Religion« (bzw. der Religionen)? Zur Diskussion dieser Frage cf. J. RINGLEBEN, Gott denken, Tillich-Studien 8, Münster 2003, 74ff. 97 HEGEL, Werke 16, 87 (zum trinitarischen Hintergrund cf. a.a.O. 199f). Cf. Werke 17, 189: die als Religion vollendete Religion ist »die Religion, in welcher sie selbst sich objektiv geworden ist«.

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Religionen«,98 und hier werde die Religion selber sich gegenständlich, indem das Christentum »die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet, und so gleichsam eine höhere Potenz derselben ist«.99 Diejenige Religion, welche das Selbstbewusstsein von Religion ist,100 meint der sachliche Begriff von »absoluter Religion«.101 Als offenbare Religion ist sie die, in der Gott in seiner wahren Beziehung zum Menschen für uns und für sich selber offenbar ist, sofern er sich im Bewusstsein Jesu von seinem himmlischen Vater selber hervorbringt. Das jeweils Geoffenbarte ist nicht einfach Gott schlechthin, aber auch nicht etwas von ihm oder über ihn (z. B. so etwas wie eine Lehre), sondern es ist Gottes Beziehung zum Offenbarungsempfänger, d. h. zum Menschen. Daher kann das Christentum die »offenbare« Religion sein, d. h. die als Religion geoffenbarte Religion102 bzw. deren Wahrheit, mag diese empirisch noch so entstellt oder verkehrt sein. Man darf also sagen, in der Selbst-Offenbarung schlägt auch Religion, indem sie sich ihrer selbst nach ihrer Wahrheit bewusst wird, ihre Augen auf: Sie weiß sich in sich als mehr, als sie selber ist. Von ihrem Ursprung her ist die christliche Religion die, in der die Religion über sich hinausgeht, sofern sie sich nämlich als das Selbstbewusstsein aller Religion (oder Religiosität) und von sich selber (bloß) als Religion erfasst, d. h. aufhebt. So ist sie Religion und als Wissen von sich zugleich Kritik von sich als Religion.103

98

F. D. E. SCHLEIERMACHER, Reden über die Religion, Uraufl. 310. A.a.O. 293f. Schleiermacher hat selbst diesen Ansatz später nicht fortgeführt, wie PANNENBERG feststellt (PANNENBERG, Offenbarung als Geschichte [wie oben Anm. 75], 18 Anm. 21). 100 In seinen religionsphilosophischen Vorlesungen redet Hegel vom Christentum als der »Absoluten Religion«, handelt aber zunächst von ihr als der »offenbaren Religion« (HEGEL, Werke 17, 188ff), die er auch die »vollendete Religion« nennt (189); zum Begriff »geoffenbarte Religion« cf. a.a.O. 194ff. 101 Die gängige Rede von einem »Absolutheitsanspruch« verkennt, dass es sich um einen argumentativ entwickelten Begriff von Absolutheit (des Christentums) handelt und dass dieser erst auf dem Hintergrund aufgeklärter Relativierung durch die Erkenntnis der Religionsgeschichte (d. h. des Pluralismus von Religionen) gedanklich konzipiert werden konnte, also beileibe nicht Ausdruck einer naturwüchsigen Selbstaffirmation oder unmittelbarer Suprematieansprüche ist. Cf. zur Auseinandersetzung mit E. Troeltsch die zu wenig bekannte Schrift von F. BRUNSTÄD, Über die Absolutheit des Christentums, Leipzig 1905. 102 Sprachlich kann man zur Not auch den Ausdruck »geoffenbarte Religion« in dem Sinne verstehen, dass hier offenbart ist, was Religion eigentlich ist. Von der »geoffenbarten Religion« als der wesentlich wahrhaften spricht Hegel in der »Enzyklopädie« (§ 564, in: DERS., Werke 10, 372f); cf. dazu M. THEUNISSEN, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970, 216ff. 103 Jesu Kritik an der praktizierten Religion seiner Väter im Namen seines himmlischen Vaters ist der religionsgeschichtlich erste Fall einer inner-religiösen Religionskritik; cf. dazu J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 189f. 99

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Die offenbare Religion weiß den offenbaren Gott, und daher weiß sie (selbstkritisch) den religiösen Weg des Menschen zu Gott als Gottes Weg zum Menschen; d. h., sie weiß am Orte Jesu das Gottesverhältnis des Menschen als die Menschwerdung Gottes, und sie weiß den Menschgewordenen als die Wahrheit der Religion.104

C. Der Gottesweg Es handelt sich um einen in sich gedoppelten Weg, weil Gott der Lebendige ist.105 Der Weg des Menschen zu Gott ist an ihm selber der Weg Gottes zum Menschen. Ist jener auch der Weg des Menschen zu sich, so dieser, wie der Weg Gottes zu sich, so auch der wahre Weg des Menschen zu sich. Der menschliche (vom Menschen ausgehende) Weg ist ein vorläufiger, der Gottesweg selber der endgültige Weg. Ist jener in Wahrheit ein nachfolgender Weg, so dieser der (führend) vorlaufende (gratia praeveniens). Beide Richtungen durchdringen sich im einen Gottesweg. 1. Offenbarung als Geschichte (Pannenberg) Für den Begriff »Offenbarung« gilt wie für alle sprachlichen Konzepte: »Begriff und Wort teilen nur dem die in ihnen gemeinte Erkenntnis mit, der durch sie hindurchzugreifen vermag zu dem ursprünglichen geistigen Akt, durch den sie geworden sind«.106 Das stimmt dazu, dass für uns als geschichtliche, d. h. in der Geschichte existierende Wesen, auch Offenbarung in einer Geschichte bzw. Offenbarung als Geschichte (sc. ihrer selbst) an uns kommt.107 104 So gilt: »Die Wahrheit der Religion als Gottesverehrung beruht … darauf, daß sie dem wahren Gott und seiner Offenbarung entspricht« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 556 Anm. 28], 189). S. u. Abschnitt E. (S. 578ff). 105 Daher ist für die spekulative Erkenntnis »der Fortgang ein Strom mit entgegengesetzter Richtung fortleitend zum Anderen, aber so zugleich rückwirkend« (HEGEL, Werke 16, 111); in der Logik Hegels ist vom »Vorwärtsgehen« als einem »Rückgang in den Grund« die Rede (Werke 5, 70). Das darin eigentlich Lebendige ist der »Gegenstoß der Bewegung …, die zugleich vorwärtsgeht und ebenso zurückstößt« (a.a.O. 70); zur Logik dieser Selbstbewegung s. o. § 2 (S. 213 bei Anm. 294). 106 HIRSCH, Leitfaden (wie oben S. 552 Anm. 8), 2 (§ 2 A.); Hervorh. J. R. Über den Zusammenhang von Sprachlichkeit der Offenbarung und ihrer Geschichtlichkeit cf. T. KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 117 und 121. Zu den historischen Variationen der Beziehung von Sprache und Religion in der abendländischen Religionsgeschichte (von Moses bis Lyotard) cf. U. WELBERS, Religiöse Semantik. Eine sprachphilosophische Grundlegung, Paderborn 2014. 107 Auch dieser Sachverhalt spricht gegen eine einseitige Prinzipialisierung der »Offenbarung« als axiomatischem Schlüsselbegriff für die Gotteslehre (im Sinne K. Barths; cf. unten Anm. 112). Ist »Offenbarung als Geschichte« zu denken, d. h. als Prozessualität im

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Die in Jesus Christus vollendete Offenbarung setzt faktisch schon geschehene Offenbarung voraus: zunächst nämlich die Gottes als Schöpfers und Bundesgottes Israels, wie Gott im Alten Testament auch inhaltlich als Richter und Erretter erfahren wird. Freilich lässt sich Offenbarung nicht auf das Alte Testament beschränken, sondern ereignet sich vor der Selbstoffenbarung an Israel (Heidentum)108 – z. B. als Vorgeschichte des alttestamentlichen Monotheismus – und neben ihr, nämlich überall, wo es Religion gibt – wenn auch immer von Verkehrung bedroht oder faktisch bestimmt.109 Im Anschluss an Hegel ließe sich die Geschichte der Religion (bzw. die Offenbarungsgeschichte) als Gottes »eigene Geschichte« lesen.110 Für W. Pannenberg kann der offenbare Gott erst am Ende einer Offenbarungsgeschichte111 sich als das wahre Subjekt dieses Prozesses herausgestellt haben,112 d. h. als ihr »Resultat«, aber ein Resultat, das die zu ihm führende Werden zu sich zu begreifen, kann sie nicht in unmittelbarer (»positivistischer«) Setzung zugrunde gelegt werden; dafür bietet sich systematisch der prinzipiell wichtigere Begriff der Selbsthervorbringung Gottes an, der den gedanklichen Gehalt auch von Ex 3,14 expliziert. Historisch ist außerdem zu bedenken, dass die reformatorische Theologie auch den Begriff »Wort Gottes« nicht so sehr prinzipiell thematisiert, sondern konkret in der Doppelgestalt von Gesetz und Evangelium. 108 Zu einer überraschenden Parallele zwischen dem Dioskurenmythos und dem neutestamentlichen Philipperhymnus bei Pindar cf. J. RINGLEBEN, Pindars Friedensfeier. Eine Interpretation der zehnten Nemeischen Ode, NGWG.PH 2002/2, 123–169 (bes. 146f.155.161f). 109 Zur Idee einer universalen Offenbarungsgeschichte (unter Einbeziehung der neutestamentlichen Zeugnisse zu diesem Thema cf. KLEFFMANN, Grundriß 123ff. 110 KLEFFMANN, a.a.O. 130. 111 Weil gilt: »Jedes einzelne Geschehen, als Tat Gottes genommen, beleuchtet das Wesen Gottes doch nur partiell«, ist – nicht etwa der ganze Geschichtsverlauf, sondern – »erst ihr Ende als Offenbarung Gottes mit seinem Wesen eins, aber insofern das Ende als Vollendung der Geschichte deren Verlauf voraussetzt, gehört sie, die von ihrem Ende her ihre Einheit empfängt, wesentlich zur Gottesoffenbarung hinzu« (PANNENBERG, Offenbarung als Geschichte [wie oben Anm. 75], 97). So hat »das Wesen Gottes, obwohl von Ewigkeit zu Ewigkeit dasselbe, … in der Zeit eine Geschichte« (ebd.; cf. oben § 9). Cf. auch die 2. These: »Die Offenbarung findet nicht am Anfang, sondern am Ende der offenbarenden Geschichte statt« (a.a.O. 95). 112 Diese These impliziert eine Kritik am unmittelbaren, »positiven« Einsatz der Karl Barth’schen Offenbarungslehre mit Gott als unhintergehbarem, absoluten Subjekt (KD I/1). Cf. dazu meine Ausführungen in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 553 Anm. 12), 207f. Dass die Offenbarung nicht einfach als dem denkenden Nachvollzug äußerlich vorgeordnet behauptet werden kann, hat zu Recht Traugott Koch unterstrichen: »Es kann überhaupt nicht gedacht – und also nicht sinnvoll gesagt – werden, was die Offenbarung abgesehen vom Denken, was sie als ›erster Akt‹ [nach K. E. Bockmühl] sein soll. Nach meiner Überzeugung kann die Theologie durch keine Distinktion der Aufgabe ausweichen zu denken, was der offenbare Gott als Gott ist« (T. KOCH, Differenz und Versöhnung, Gütersloh 1967, 123). Nur im Denken als solchem kann die Offenbarung als sein Anderes allererst zur Geltung gebracht werden – so wie die Sprache nur in sich bei dem ist, was sie nicht ist.

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Geschichte in sich aufgehoben und sich als deren wahrer Anfang gezeigt hat: »Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.«113 Am ihr zunächst Anderen, durch Sich-Abstoßen von einer vorläufigen ersten Manifestation, stellt sich in geschichtlicher Selbstvermittlung erst her, was als Resultat dieses Werdens das wahre Selbst des Prozesses ist. So gilt, dass Offenbarung ein »eschatologischer Begriff ist: »das Endgeschehen enthüllt nicht nur, sondern entscheidet auch erst die Bedeutung alles Vorläufigen«.114 Die endgültige Offenbarung in Jesus Christus (Hebr 1,1f), d. h. ihr »Ein für alle Mal«, bedeutet rückwirkend (der Satzlogik entsprechend) die schöpferische Aufhebung der Vergangenheit (des Alten Testaments) und zugleich eine Neubestimmung Gottes in Ewigkeit. Indem dies impliziert, dass, christlich gesehen, das Wesen Gottes sich aus der Geschichte Jesu Christi konstituiert, folgt, dass diese geschichtliche Person »zur Gottheit Gottes selbst gehören« muss.115 Diese Überlegungen schließen sich offensichtlich an die Hegel’sche Logik des Voraussetzens an: »dies Erste, Unmittelbare, nicht gesetzt Erscheinende wird in dem Resultat selbst gesetzt als ein Gesetztes, nicht Unmittelbares, und degradiert vom Unmittelbaren zum Gesetzten, so daß der absolute Geist vielmehr das Wahre ist«.116 2. Vorläufige und letztgültige Offenbarung (Tillich) Auch bei P. Tillich gibt es (die christliche als) eine, systematisch gesehen, letztgültige Offenbarung: »die entscheidende, erfüllende, unüberholbare Offenbarung«.117 In ihr kulminiert die ganze »Offenbarungsgeschichte«, die als solche faktisch mit der Religionsgeschichte (oder gewissen Ereignissen in ihr) koinzidiert.118 113

HEGEL, Werke 3, 24. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 556 Anm. 28), 142 Anm. 25 (Hervorh. J. R.). Cf. auch: »Vielmehr entscheidet sich erst vom Ende her, was der Sinn des ganzen Weges und seiner einzelnen Begebenheiten war« (ebd.). Das entspricht genauestens der Logik des sprachlichen Satzes; s. o. § 9 (S. 540 bei Anm. 207). 115 Ebd. 116 HEGEL, Werke 16, 199. Cf. auch (vom Gehen in zwei Richtungen zugleich wie oben bei Anm. 105): »so zugleich rückwirkend, daß dasjenige, was als das Letzte, als im Vorhergehenden begründet erscheint, vielmehr als das Erste, als der Grund erscheint« (a.a.O. 111). 117 TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben S. 551 Anm. 2), 159. Die Begründung für dieses christlichen Anspruch fällt sehr formal und theologisch nicht unproblematisch aus (cf. a.a.O. 159f). 118 Cf. dazu a.a.O. 164ff. Tillichs Begriff der »Offenbarungsgeschichte« meint insofern zunächst etwas anderes als das Konzept von »Offenbarung als Geschichte« (im Sinne von oben C. 1. [S. 568ff]). 114

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Die Geschichte von Offenbarungen, die in vorchristlichen Religionen sozusagen beginnt, ist durch die Unterscheidung von »vorbereitender« Offenbarung (bzw. deren Pluralität) und »letztgültiger Offenbarung« (als der einen, nämlich christlichen) strukturiert.119 Diese Unterscheidung ist für Tillich unverzichtbar bzw. sachlich notwendig, weil die letztgültige Offenbarung, die sich im Rückblick auch als normgebend für alle vorausgegangenen Offenbarungen erweist, ihrerseits nicht ohne deren Auftreten und nicht, ohne als Offenbarung aufgenommen worden zu sein, sich als solche hätte erweisen können. Für das Auftreten einer »letztgültigen« (alles Vorherige erfüllenden) Offenbarung ist eine geschichtliche Vorbereitung in »relativen« Offenbarungen nötig gewesen, die auch die »unüberholbare« Offenbarung (als Abschluss der Offenbarungsgeschichte) nicht ignorieren kann, sondern in ihren Begriff mit aufnehmen muss. Dies Ziel der Geschichte aller Offenbarung (nämlich das absolute Offenbarsein Gottes selber) ist von ihr sozusagen verheißen, bzw. sie hat als ihre vorantreibende Kraft (objektiv) die Intention auf eine vollkommene Offenbarung in sich.120 Begreift man es so, so ist auch Tillichs Begriff einer »Offenbarungsgeschichte« als Prozess des Werdens zu sich zu interpretieren,121 zumal sie auch Antizipationen des Endgültigen bereits im Vorläufigen enthält.122 Die »vorbereitende« Offenbarung muss als das Sich-Vorlaufen und Auf-sich-zu-Gehen der endgültigen Offenbarung begriffen werden. Das hat sie mit dem Konzept von Offenbarung als Geschichte gemeinsam. Trifft dies Verständnis aber zu, so kann Offenbarungsgeschichte nicht nur als »Geschichte, die im Lichte der letztgültigen Offenbarung gedeutet ist«, bestimmt werden,123 sondern ist von ihrer Wahrheit her zu begreifen, auf die sie zugeht, dem »Zentrum, Ziel und Ursprung jedes Offenbarungsereignisses«.124 3. Allgemeine und besondere Offenbarung Jeder Weg des Menschen zu Gott (als Religion) ist ein Weg Gottes zum Menschen (als Offenbarung). Dieser dialektische, d. h. auch Spannungen in sich schließende, lebendige Zusammenhang darf, will man sowohl die Religion in ihrer Vielfalt wie auch die Offenbarung in ihrer Geschichte begreifen, keinesfalls zerrissen werden.125 Dieser Gefahr ist zweifellos die traditionelle Unter119

A.a.O. 164ff. Über deren Verhältnis zur Erlösung cf. a.a.O. 172ff. 121 So möchte ich die Aussage verstehen: »Offenbarungsgeschichte ist ein notwendiges Korrelat zur letztgültigen Offenbarung« (a.a.O. 165). 122 A.a.O. 169. 123 So a.a.O. 165 (Hervorh. J. R.). 124 Ebd. 125 Man könnte sagen: Was Gott zusammengefügt hat, sollen die Theologen nicht scheiden. 120

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scheidung von »natürlicher« und »übernatürlicher« Offenbarung erlegen.126 Stattdessen sollen hier Zusammenhang und Differenz mit den Begriffen von allgemeiner und besonderer Offenbarung (diese als in Christus verortet) dargestellt werden, dies freilich in einer spekulativen Fassung der Begriffe. Unter »allgemeiner Offenbarung« (a.) soll hier so etwas wie die eigene »Auffangform« der besonderen (absoluten) Gehaltsoffenbarung im Christusereignis (b.) verstanden werden.127 Genauer ist damit gemeint: (a.) ist die Selbstvoraussetzung von (b.), d. h., (b.) bereitet sich in (a.) selber die Voraus-

126 »Natürliche Offenbarung« und die ihr zugeordnete »natürliche Theologie« sind, in Gegenstellung zu so etwas wie einer exklusiven »Offenbarungstheologie« gebracht, unsachgemäße und geschichtlich höchst relative Begriffsbildungen (cf. dazu den klassischen Aufsatz von H.-J. BIRKNER, Natürliche Theologie und Offenbarungstheologie [1961], in: ders., Schleiermacher-Studien, SchlAr 16, Berlin/New York 1996, 3–22). Offenbarung als solche ist nie »natürlich«, sondern es gibt allenfalls so etwas wie eine Offenbarung in oder »durch« die Natur (wie auch Geschichte und Kultur); cf. Röm 1,20 sowie den Topos vom »Buch der Natur« (und Geschichte). Gottes Schöpferwirken zeigt sich lebendig auch am Ort der Natur (s. o. § 8 A. 3. [S. 441]), d. h., im Leben der Natur scheint etwas von dem auf, was »Offenbarung« (im eigentlichen, religiösen Sinne) heißt. Der Glanz, der über der Natur in bestimmten Phänomenen (z. B. Landschaften) liegen kann (cf. Joh 4,35), ist ein Vorschein göttlicher Herrlichkeit. Erfasst und erkennbar wird das aber erst von der endgültigen Selbstoffenbarung des Schöpfers als des Erlösers in Jesus Christus her, d. h. in eschatologischem Licht. So erklärt sich, dass auch Jesu Reich-Gottes-Gleichnisse an ein eschatologisches Wirken Gottes im Leben der Natur anknüpfen (z. B. Mt 6,26ff), um das Geheimnis des kommenden Gottes des Evangeliums zu veranschaulichen (cf. RINGLEBEN, Jesus [wie oben Anm. 103], 366ff und 444ff). Dem liegt eine Erfahrung von der Sprachlichkeit der Natur zugrunde, wie sie sich beipielsweise in M. Heideggers Rede vom »schweigenden Zuruf der Erde« oder in dem von R. Otto beigebrachten Beleg (cf. OTTO, Das Heilige [wie oben S. 551 Anm. 2], 26f) eindrucksvoll und vor allem weit verbreitet in der Dichtung findet (z. B. in B. H. Brockes »Irdischem Vergnügen in Gott« oder in der weltfrommen Lyrik Wilhelm Lehmanns). Es gilt auch hier, was W. Weischedel in einer inspirierten Formel im Blick auf die Kunst »Die Tiefe im Antlitz der Welt« genannt hat. Zur theologischen Deutung der Schönheit cf. KLEFFMANN, Grundriß (wie oben Anm. 106), 171f und 181. Man mag auch an die numinose Aura von Kirchengebäuden denken, wie sie von vielen Menschen unmittelbar empfunden wird: als ob Gott in schweigender Rede sich »aus Steinen Kinder erwecke« (cf. Mt 3,9; Lk 3,8). So spricht sich etwa in Barockkirchen eine theologia gloriae aus, deren Pracht und jubelnder Überschwang ein Stück Himmel auf die Erde zu bringen scheint (Zur Theologie des Kirchenbaus in lutherischer Perspektive cf. J. RINGLEBEN, Das Gotteshaus – Raumerfahrung als religiöse Erfahrung, in: Th. Henkel u. a. (Hgg.), Kultraum, Kulturraum. Kirchliche Denkmalpflege [Ausstellungskatalog], Königslutter 2012, 25ff [Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz/Erzbischöfliches Ordinariat München]). Im Ganzen ist für solche Phänomene in Natur und Kunst theologisch der Begriff der Andacht in Anschlag zu bringen (cf. HIRSCH, Leitfaden [wie oben S. 552 Anm. 8], 89f [§ 55: Andacht und Gebet]). 127 Die Begriffe von Form und Gehalt sind nur hier vorläufig gebraucht; zu ihrer Dialektik im christlichen Zusammenhang cf. oben Prolegomena, Exkurs I (S. 75ff).

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setzung ihrer selbst,128 durch deren Aufhebung sie sich mit sich vermittelt und endgültig zu sich kommt.129 Umgekehrt gibt es (b.) nur in der Selbstunterscheidung der Position (a.) von sich, und dies am Ort von (a.), um (a.), diesen Ort transzendierend, zu (b.) ziehen zu lassen. (a.) ist das Sich-Vorlaufen bzw. die eigene Voraussetzung oder der Vorschein von (b.), und (b.) nicht irgendein Fall unter anderen der Erfüllung des Allgemeinen (a.), sondern (b.) ist die konkrete, wirkliche Vollendung von (a.), ohne die jedes (a.) abstrakt-formal bleibt. Damit ist bereits ersichtlich: Die Frage nach dem Verhältnis allgemeiner und besonderer (einzelner) Offenbarung ist logisch in einer Sphäre angesiedelt, die aus dem Gegensatz von vorstellungsmäßiger (formal gedachter) Allgemeinheit und seiender Einzelheit nicht zu begreifen ist. Wenn »Offenbarung« nur ein formallogischer Allgemeinbegriff ist (Gattung), so ist jeder spezielle Fall von Offenbarung (deren Arten) jedem beliebigen anderen prinzipiell gleichrangig. Dann kann keine Einzeloffenbarung einen begründeten Allgemeinheitsanspruch erheben, dergestalt, dass sie das letzte Kriterium für jede Offenbarung sei. Demgegenüber wird hier wahre Allgemeinheit als eine in der Geschichte ihrer Besonderungen sich allererst herstellende begriffen130 und, was Offenbarung betrifft, als die Erfüllung und Vollendung ihrer Geschichte, auf die diese zuführt, sich ausweisende. Die wahre Allgemeinheit von Offenbarung ist mithin ihr Subjekt bzw. das Subjekt ihrer Geschichte, das erst an deren Ende zu sich kommt.131 Die von ihr unterschiedenen besonderen Einzeloffenbarungen sind nur Momente im Werden zu sich absoluter Offenbarung. Anders gesagt: Die unspezifisch allgemeine Offenbarung – die im Tillich’schen Sinn »vorbereitende« – erfüllt sich in einer besonderen, in der auch ihre (vorläufige) Allgemeinheit aufgehoben ist. Ist das wahre Allgemeine auch der Ort eines Besonderen – so im Falle des Christentums –, so ist die Allgemeinheit sie selbst und zugleich ihr Anderes, d. h., sie läuft auf ihre eigene Konkretion in einer besonderen Offenbarung zu, ist alle Besonderungen übergreifend im Werden zu sich, als absolute Allgemeinheit. Im Anschluss an das oben entwickelte Schema132 heißt das: (b.) ist es selbst und (a.), insofern (a.) nur der Selbstunterschied von (b.) ist, und (b.) ist das konkret Allgemeine, das sich in sich als besonderer Gehalt (b.) und als 128

Cf. das oben bei 2. (S. 570f) zur »vorbereitenden« Offenbarung (Tillich) Gesagte. In dieser Weise kann die umstrittene Rede von einem »Anknüpfungspunkt« dialektisch interpretiert werden: Die Offenbarung bringt selber den Ort ihres Seins-für-… und Ankommens-bei-… am Menschen hervor. Zur Auseinandersetzung mit K. Barth cf. J. RINGLEBEN, Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her, FSÖTh 150, Göttingen 2015, 23f. 130 Das heißt als die den Prozess ihres Zustandekommens von seinem Ziel her in Gang setzende und regelnde Vollendung: sein Ende als seinen wahren Anfang (Ursprung). 131 Cf. oben bei Anm. 113. 132 S. 572. 129

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abstrakte Allgemeinheit (a.) unterscheidet, um sich als deren absolute Einheit darzustellen. In diesem Sinne gehört die »allgemeine Offenbarung« zur eigenen Darstellungslogik von absoluter Offenbarung. »Religion« überhaupt ist also das eigene Andere des Christentums und dieses ihr Selbstbewusstsein.133 Zusammenfassend ist zu sagen: Die eine göttliche Offenbarung (verstanden als Gottes lebendiges Sein im Kommen zur Welt) ist eine sich in sich unterscheidende. Ihre absolute Einheit legt sich für uns in der Dialektik von allgemeiner und konkret-absoluter (d. h. »besonderer« im nur formalen Sinne) Offenbarung aus. Es gibt keine »natürliche Theologie«, sondern es gibt in Wirklichkeit nur die dialektische Selbstentfaltung der einen Theologie der Offenbarung in momenthaften Selbstunterschieden.134 4. Vergangene und gegenwärtige Offenbarung Christlich gibt es Offenbarung immer in der Doppelheit als vergangene, einmalige (im Christusereignis), die aber nicht einfach »objektiv« ist, was sie ist, und als heutige, persönliche, die aber (als im Glauben) nicht einfach »subjektiv« ist. Beides ist wesentlich zusammengehörig: Ohne heutige kann ich die vergangene nicht als Offenbarung erfahren – der Glaube hat es immer mit der eigenen Gegenwart zu tun –, und ohne die Offenbarung in der Vergangenheit (am Orte Jesu) wird die heutige (für mich) nicht eindeutig und bestimmt. Kurz: Christliche Offenbarung und Glaube gehören zusammen wie Glaube und Gebet. Gerade in der Spannung von Geschichte und Gegenwart, Vergangenheit und mich heute Betreffendem, in der Lessing nur einen »garstigen Graben« sehen konnte, erzeugt sich die Erfahrung einer »übergegenständlichen« Einheit von Damals und Jetzt (in Gott) bzw. von extra nos und pro me. Genau das Koinzidieren dieser Momente meint der Begriff des Hl. Geistes. Er bezeichnet die Erfahrung des Einsseins im Anderen, des mir gegenüber geschichtlich Entfernten und des mich darin Wiederfindens, also meiner »Gleichzeitigkeit« mit dem mir zunächst als Vergangenes Begegnenden. Hl. Geist ist die lebendige Überbrückung dieser Differenzen im Glauben, und er vergegenwärtigt so Offenbarung als eine für mich. Inhaltlich gewendet besagt das: Im Glauben erzeugt sich eine Ahnung und dann Gewissheit vom Sein Jesu Christi als alle Zeiten umgreifend (Hebr 13,8), von seiner Geschichte als der »Geschichte der Ewigkeit«. Dabei verhalten sich geschichtliche Vergangenheit (mit ihrem ἐφάπαξ: Röm 6,10; Hebr 7,27; 9,28; 1Petr 3,18; cf. Hebr 9,26) und gegenwärtige »Aneignung« (pro me) wie Zeitlichkeit und Ewigkeit. Der geschichtliche Charakter der Offen133

Cf. oben B. 2. (S. 565ff). Ebenso wenig gibt es das Aufklärungskonstrukt einer »natürlichen Religion«; für Schleiermacher und Hegel war sie ein bloßes Abstraktionsprodukt. Religion gibt es geschichtlich nur als »positive« Religion. 134

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barung Gottes (extra nos) bedeutet: Das Kontingente des Damals ist als das Absolute zu begreifen, bzw. der ewige Gott lässt sich (kondeszendent) in diesem damaligen Einzelnen, das unendlich Allgemeine in einem Diesen-da finden.135 Diese »paradoxe« Koinzidenz ist Erscheinung und Ausdruck des SichHervorbringens Gottes, seiner Lebendigkeit als Einheit von im Werden sein und ewig vollendet sein. Die Geschichte ist somit der Ort, wo Gott (stets immer wieder, sei es in grundlegender Neubestimmung am Orte Jesu, sei es in abgeleiteter Weise bei uns im Glauben) mit sich anfängt, d. h. sich offenbart,136 und Ewigkeit der Ort, wo Gott immer schon vollendet mit sich eins, absolut bei sich ist.137 Beides zusammen besagt: Gottes Sein im Werden, sein sich aus sich Hervorbringen als ein von sich … zu sich Sein. Unser stets neu sich an Gottes Offenbarung und Offenbarsein vergewissernder Glaube repräsentiert dabei (auch in Gott) die Zeitlichkeit (Werdestand), das ein für alle Mal uns vorgegebene Damals des Heilsereignisses repräsentiert die Ewigkeit (Vollendung). Die Vergangenheit ist Gottes Weg zu uns (als uneinholbar zuvorkommend), die Gegenwart des Glaubens ist unser Weg zu Gott. Aber auch umgekehrt gilt: Die Aneignung des Vergangenen im Glauben ist unser Weg zu Gott und Gottes ewige Gegenwart (im Auferstandenen) Gottes Kommen zu uns im Hl. Geist. Wie für den erhöhten Herrn gilt für Gott, der uns in der Geschichte begegnet: »Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?« (Lk 24,5) Denn Gott ist Geist – der Offenbare.

135

Cf. oben C. 3. (S. 571ff). Für diese uns vorausgehende und vorgegebene Geschichte steht die Hl. Schrift als das Extra nos κατ’ ἐξοχήν ein. Indes wird auch sie uns zur Offenbarung nur, indem sie lebendige Anrede an den Leser oder Hörer ist. Sie verdankt sich als Schrift, d. h. als eine auf Dauer gestellte, immer neu wiederholbar anzueignende Instanz, ihrerseits einem lebendigen Reden Gottes (zu den Autoren), durch die er als »Schriftsteller« (Hamann) wirkt. Zu Luthers Schriftverständnis cf. ausführlich RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 12), Kap. 9: Wort und Schrift, S. 252–443. Das Vierte Evangelium gehört auch in dem Sinne zur göttlichen Offenbarung, dass es spezifisch den letzten Tiefensinn des Christusereignisses explizit ausformuliert, d. h. die Jesus-Geschichte in Wort und Tat von Gott selber her begreift: als Menschengestalt des ewigen Gotteswortes, als Offenbarung für uns (Joh 1,18; cf. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, Tübingen 2014, 115ff). 137 Cf. oben § 9 C. 4. (S. 526ff). 136

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D. Schöpfung und Offenbarung Der göttliche Endzweck der Welt ist absolut und ewig, wie Gott selbst. … Weil die Welt aus der ewigen Liebe Gottes zur Welt hervorgegangen, und sie an ihr das Prinzip ihres Daseyns hat, geht ewig die Liebe Gottes auch aus der Welt hervor. Die Welt ist geschaffen zu Gottes Verherrlichung, zu Gottes Ruhm und Ehre. Sie ist geschaffen um der Religion willen, damit Erkenntniß und Verehrung Gottes sey. Sie ist geschaffen von Gott, um sich zu offenbaren, zu zeigen, daß er sey und so ist es nun auch der Welt Bestimmung, in dieser Offenbarung Gottes zu leben, … dem göttlichen Wort, das alles Werdende und Gewordene ins Daseyn ruft, gelassen [sc. überlassen] zu bleiben, damit es sich und seine göttliche Macht und Herrlichkeit darin aussprechen kann. Röm. 1,20. Apoc. 4,11. Ps 8,2– 10. 1. Cor. 3,22.138

1. Im Anschluss an diese umfassende theologische Einordnung der Offenbarung lässt sich hier das Folgende sagen: In der Offenbarung, zumal als einer im Wort kulminierenden und sich explizit machenden, kommt das Schöpfungswort139 als solches an den Tag, d. h. ans Licht des Bewusstseins;140 damit wird die immanente Sprachlichkeit von Offenbarung menschensprachlich manifest und artikulierbar, und der Offenbarungsglaube wird so Glaube im eigentlichen Sinne.141 Der Logos als Schöpfungsmittler wird christlich zum Mittler der Erlösung. Das besagt, auch die Bewegung der Schöpfung vom Ende her auf es als ihren wahren Anfang zu142 ist ihrem eschatologischen Ziel in höherer Potenz nähergekommen. Im Wort der Offenbarung wird der Gottesweg für uns als solcher erkennbar und sozusagen transparent, und in Offenbarung und Glaube schlägt die Schöpfung die Augen auf, wird ihrer selbst endgültig bewusst. Man kann sagen: Schöpfung ist an sich seiende Offenbarung und Offenbarung das Fürsich-Werden der Schöpfung. Wie die Schöpfung das Anderswerden Gottes ist, so seine Offenbarung in ihr sein Für-sich-Werden.143 Die Schöpfung ist theologisch als Anfang und Vorbereitung der (Selbst-)Offenbarung Gottes zu verstehen, und in ihr bereitet die Offenbarung sich vorweg ihre eigene Erscheinungsbedingung bzw. den Ort ihres Sich-Manifestierens. 2. Damit wird eine systematische Verortung des Themas dieses Paragraphen in der Begriffsentwicklung der vorliegenden Gotteslehre möglich. Zum Verhältnis von § 8 und dem gegenwärtigen § 10 ist also Folgendes zu sagen: Offenbarung liegt systematisch auf der Linie von der Schöpfung zum Eschaton und gehorcht wesentlich deren Entwicklungslogik. Sie setzt nicht nur faktisch Geschaffenes als Adressat voraus, sondern auch strukturell. Das 138

MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 557 Anm. 34), 142f (§ 243). S. o. § 8 E. (S. 479ff). 140 S. u. Abschnitt E. (S. 578ff). 141 S. u. Abschnitt G. (S. 609ff). 142 S. o. § 8 C. (S. 456ff). 143 Cf. oben B. 1.1. zum Sich-offenbar-Sein (S. 561f). 139

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heißt: In seiner Offenbarung macht Gott sich zum Sein-für-… bzw. gegenständlich für Anderes. Das ist nur möglich, indem er sich zugleich für sich selber in gewisser Weise gegenständlich macht (sc. im »Sohn«); d. h., er reflektiert das Anderssein, das die geschaffene Welt überhaupt für ihn ist, in sich, um so auch für sie als Sich-Offenbarender sein zu können. Hat er als Schöpfer die erschaffene Welt von sich distanziert, um sie als das ihm gegenüber Andere sein zu lassen, so nimmt er in der Offenbarung an diese Welt eine gewisse Distanz zu sich ein, um als er selber für sie manifest zu werden. In der Mitte zwischen Schöpfung und Vollendung steht Gottes Gemeinschaft mit dem Menschen in Jesus Christus. Seine »Selbstoffenbarung« impliziert Selbstdistanz. Mit der göttlichen Selbsthervorbringung hat das immanente Negativität gemeinsam und das vom Andern her in sich selbst Sein. Schöpfung ist an sich schon ein Offenbarwerden Gottes, denn sie ist seine Selbstmanifestation im Seinlassen des Unterschiedes von sich (nach außen: in der geschichtlichen Welt). Die Schöpfung wird so von der Offenbarung aufgeschlossen und in gewisser Weise (voreschatologisch, aber in Richtung auf das Eschaton) vollendet. Man kann sagen: Wie sich Natur und Mensch zueinander verhalten, so Schöpfung und Offenbarung. Ist der Mensch überhaupt der Ort, wo die Natur zu sich erwacht, so die Offenbarung der Ort, wo das Geheimnis der Schöpfung, sonst allenfalls erahnbar, zum definitiven Wort findet; dieses offenbarende »Wort« ist sozusagen das Siegel auf die Schöpfung. 3. Nimmt man die göttliche Liebe als gemeinsamen Grund für Gottes Schaffen und Sich-Offenbaren hinzu,144 so ergibt sich für die Begriffsentwicklung im vorliegenden Kapitel III der sich fortleitende Zusammenhang der Paragraphen 8 (Schöpfung),145 10 (Offenbarung) und 11 (Liebe) in der folgenden Weise: Die Schöpfung Gottes ist schon an sich seiende Gemeinschaft, nämlich als Ermöglichung und Begründung einer Gemeinschaft von Gott und Mensch durch Gottes Hervorbringen seines eigenen Gegenübers (Joh 1,3.10a). Die Selbst-Offenbarung gewährt uns eine für uns seiende (offenbare) Gemeinschaft mit dem Schöpfer und Vollender, nämlich als Verwirklichung und Vollzug dieser Gemeinschaft durch göttliche Selbsterschließung an dieses Gegenüber: als Kommunikation im Glauben (Joh 1,4.9.12). Gottes ewige Liebe schafft eine solche wirkliche Gemeinschaft als eine, die (in Christus) unsern Widerstand gegen ihn überwindet, nämlich als Vollendung durch Versöhnung und Erlösung in seiner Selbsthingabe an dies Gegenüber (Joh 1,14 und 3,16).

144 145

S. o. das einleitende Marheineke-Zitat (bei Anm. 138). Im Zusammenhang mit dem »dynamischen« Begriff von Ewigkeit (§ 9).

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E. Offenbarung und Menschwerdung 1. Gott offenbart sich (nur) an die Menschen und für sie; damit wiederholt er sein Sein lebendig in ihrem Wissen von ihm.146 Das besagt, Offenbarung ist das, worin und womit Gott als er selber den Menschen als Menschen anspricht.147 Daraus aber folgt: Gott ist dann, und nur dann, absolut offenbar, wenn er dabei in sich selber eins ist mit den Menschen, für die er offenbar ist, und so göttlich-menschlich offenbar für uns Menschen. Darin macht Gott den Menschen noch einmal und potenziert zu seinem Ebenbild: eben als den, der von ihm, Gott, weiß. Gottes Ebenbild zu sein, das heißt im absoluten Sinne, ein (wahres) wissendes Verhältnis zu ihm zu haben.148 2. Vor dieser Überlegung wird einleuchtend, wenn man bei M. Heidegger liest: Es bedarf eines Menschen, »kraft dessen der Gott allein sich offenbaren kann, wenn er sich offenbart«.149 Das gilt unter der doppelten Bedingung, dass dergestalt erstens Gott sich für Menschen offenbart und zweitens sich dabei für die Menschen als Gott offenbart.150 Nur so bleibt in Kraft: Gottes Sein, sofern es auf den Menschen aus ist und hinzielt – das ist Offenbarung.151 Dass Gott Licht und Leben ist, der Offenbare, ist erst die volle Manifestation (formell und inhaltlich) seines Seins: »für uns« (Joh 1,4). In dem, was Gott für uns ist, und indem er als der Offenbare für uns ist, ist er erst ganz Gott; dies auch für sich, insofern er darin nach außen ist, was er ewig in sich schon ist: vollendet, d. h. vollkommen Er selbst. Indes, inwiefern bedarf es dabei (im Heidegger’schen Sinne) auch eines Menschen? 3. Offenbarung besagt, Gott selber will zum Menschen kommen; sie ist so ein Taterweis dafür, dass Gottes Sein der Wille zu lebendiger Gemeinschaft mit uns ist. Weil Offenbarung Gottes Sein beim Menschen ist, vollendet sich alle Offenbarung darin, sich als den zu offenbaren, der er ist: als Menschwerdender bzw. als Dreieiniger. So versteht sich die Aussage:

146

Sonst ist er nur im Sein der Geschöpfe anwesend, wenn auch das noch für uns. Cf. T. KOCH, Das göttliche Gesetz der Natur, ThSt(B) 136, Zürich 1991. 147 S. u. Abschnitt F. 6.4. (S. 601f). 148 Hierbei steht »Wissen« natürlich nicht im Gegensatz zum Glauben. 149 HEIDEGGER, GA 42, Frankfurt 1988, 284. 150 So kann christlich der alte Gedanke aufgenommen werden, dass Gott nicht direkt zu erkennen ist, so wie man nicht unmittelbar in die Sonne selber schauen kann (Platon, Phaidon 99d–e; Origenes, De princ. I 1,5f), sondern dass seine Herrlichkeit nur in der Offenbarung im fleischgewordenen Logos zu erschauen ist (Joh 1,14b; cf. Mt 17,2). 151 Ein Licht, das schon aus der geschaffenen Welt für uns hervorzugehen beginnt.

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Als ein Geschehenseyn oder geschichtlich ist diese Einheit Gottes mit dem Menschen offenbar und wirklich in der Person Jesu Christi; in ihm ist die göttliche Offenbarung vollkommen menschlich geworden.152 Ist Religion so etwas wie die Beziehung von Gott und Mensch (zumal als wechselseitige Beziehung), so ist Offenbarung als der menschgewordene Gott die existierende Wahrheit des menschlichen Gottesverhältnisses überhaupt.153 In Jesus Christus tritt uns unser eigenes Verhältnis zu Gott und Gottes Verhältnis zu uns personhaft entgegen. Das bedeutet zugleich: Der Begriff der »Menschwerdung« ist identisch mit dem Begriff der wahren Religion.154 Der Menschgewordene ist die Vollendung des Begriffs von Religion und so die vollkommene, überhaupt denkmögliche Offenbarung. Der Gottmensch ist Inbegriff dessen, dass Gott sich mit dem Menschen identifiziert und so seine Offenbarung vollendet. Genau in diesem Sinne ist der christliche Glaube die »offenbare Religion«.155 Diese erfüllt sich im Verhältnis Gottes zu seinem »Menschensohn« als der absoluten Selbst-Offenbarung. Vollkommen erfüllt sich hier der Begriff von Religion, weil Gott in der Menschwerdung seinen absoluten Begriff verwirklicht und darstellt, und vollendet ist dieser darin, dass an diesem Orte Gott in einem menschlichen Bewusstsein von ihm sich ewig selber weiß – so wie im Menschen überhaupt die Schöpfung zum Bewusstsein ihrer selbst gelangt – und so am Ort dieses Menschen Jesus seinen absoluten Begriff von sich selber hat, in dem er als Gott existiert.156 Insofern Offenbarung immer auf den Menschen zielt, ist der Menschgewordene (als existierende Einheit von Gott und Mensch) die vollendete Offenbarung; denn sie ist unüberbietbar Gottes Sein »für« den Menschen, und hier vereint Gott sich mit dem Menschen, für den er sich offenbart.157

152 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 557 Anm. 34), 193 (§ 326). Der Paragraph wird so fortgesetzt: »Der Begriff des Gottmenschen in der historischen Person Jesu Christi enthält in sich die beiden Momente in eins: das eine, nur durch den Menschen [sc. den »Menschensohn«] ist Gott offenbar, … das andere: in diesem Menschen, Jesus Christus, ist Gott offenbar, wie in keinem anderen; dieser offenbare Mensch ist der offenbare Gott« (ebd.). 153 Das bedeutet, »in Christus ist der Sinn der Offenbarung Gottes überhaupt erschienen« (KLEFFMANN, Grundriß [wie oben Anm. 106], 111). 154 Cf. MARHEINEKE, a.a.O. 198 (§ 332). 155 S. o. B. 2. (S. 565ff). 156 In diesem Sinne lässt sich der Satz des jungen Schleiermacher spekulativ-christologisch aufnehmen: »Das Universum bildet sich selbst seine Betrachter und Bewunderer« (SCHLEIERMACHER, Über die Religion, Uraufl. 143). 157 Von hier aus wird nochmals ersichtlich, dass die Vollendung der Offenbarung in Jesus Christus auch der Geschichte einen neuen Sinn einstiftet.

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4. Die Menschwerdung Gottes offenbart mithin nur die letzte Wahrheit aller Offenbarung: Gottes Kommen zum Menschen, den »Gottesweg«. Und das heißt noch einmal, die Menschwerdung als Offenbarung der Offenbarung offenbart nur, was Gott selber ist und sein will: der Offenbare. Allein der menschgewordene Gott ist auch selber ganz der offenbare Gott. Als solcher ist Gott, zunächst als der Vater Jesu Christi, in Wahrheit und exklusiv der »Vater im Himmel«, der in seinem »Sohn« offenbar ist (Joh 14,6b; Mt 11,27).158 Der ganz offenbare Gott ist er auch insofern, als er sich erst in Jesus als er selbst ausspricht: menschlich und menschensprachlich.159 Behauptet man die Menschwerdung als die innere Vollendung aller Offenbarung, so daraufhin, dass sich hier im Sein Gottes bei den Menschen und mit den Menschen die Antizipation ewiger Lebensgemeinschaft von Gott und Mensch im Eschaton manifestiert (cf. Apc 21,3f). 5. Als absolute enthält die christliche Offenbarung freilich auch eine Paradoxie: Die Menschwerdung ist die tiefste Offenbarung Gottes von seinem Wesen und zugleich die größte Entfernung Gottes von sich. Denn sie ist Offenbarung wesentlich auch deswegen, weil es nach ihr keine Tiefe, Verlorenheit oder Abgründigkeit menschlichen Seins gibt, die nicht am Ort des gekreuzigten Gottmenschen ihren Ort fände und in der Gott nicht »dabei« wäre. Durch die Auferweckung des Gekreuzigten zu Gott ist bei ihm, was bei uns Dunkelheit und undurchdringlich finster ist, schon Licht (Ps 139,11f).160 Die Selbstoffenbarung Gottes im Menschen Jesus ist coincidentia oppositorum, des Höchsten und Niedrigsten, der Ewigkeit und der Zeit, und eben als menschgewordener ist Gott »der Lebendige« und, indem er sich endlich macht, der Unendliche.161 Die christliche Religion ist absolut gerade darin, dass sie den größten Gegensatz umfasst, indem sie den lebendigen Gott kennt, der in sein eigenes Gegenteil eingeht und so schlechthin »der Offenbare« ist.

158 Aus der unbestimmt-erbaulichen Metapher von Gott als Vater wird erst christlich (und d. h. trinitarisch) ein Wesensbegriff Gottes. 159 S. u. Abschnitt F. 6.4. (S. 601f). 160 Unter den Bedingungen von Inkarnation und Erhöhung gewinnt Offenbarung (als die des Auferstandenen) die Form des ὤφθη; cf. dazu J. RINGLEBEN, Wahrhaft auferstanden. Zur Begründung der Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen 1998, 55ff (bes. 59). 161 Cf. zur Kondeszendenz das Hegel-Zitat oben § 6 A. (S. 375 Anm. 15); die Fortsetzung lautet: »Das Niedrigste ist also zugleich das Höchste; das ganz an die Oberfläche herausgetretene Offenbare ist eben darin das Tiefste. Daß das höchste Wesen als ein seiendes Selbstbewußtsein gesehen, gehört usf. wird [1Joh 1,1], dies ist also in der Tat die Vollendung seines Begriffes; und durch diese Vollendung ist das Wesen so unmittelbar da, als es Wesen ist« (HEGEL, Werke 3, 553f).

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F. Das Wort »Gott« Gibt es Gott? – für eine Antwort auf diese Frage ist zumindest eine notwendige Bedingung, dass man sinnvoll über ihn reden kann. Das aber ist nicht möglich, ohne das Wort »Gott« in Anspruch zu nehmen. Was hat dieses Wort Gott mit Gottes Existenz zu tun? Wir sprechen religiös und theologisch auch vom Worte Gottes und gebrauchen dabei unausweichlich immer auch das Wort »Gott«.162 Gottes Wort gilt als Gottes eigenes Reden, wenn auch in unserer Sprache, in den Worten menschlicher Sprache. Ein grundlegendes, das grundlegende Wort dabei ist das Wort Gott. Damit stellt sich die theologische Aufgabe einer genuinen Rekonstruktion oder Wiedergewinnung des Wortes »Gott« aus dem Wort Gottes.163 Was hat das Wort »Gott« systematisch mit dem Worte Gottes zu tun, sofern das Wort Gottes in menschlicher Rede zur Sprache kommt? Ist es so, dass man vom Wort Gottes nicht reden kann, ohne zugleich das Wort Gott zu verwenden, weil auch im Weitersagen des göttlichen Wortes immer dies Wort vorkommt, so drängt sich die Vermutung auf: Das Wort »Gott« bezeichnet nicht nur eine hinreichende Bedingung, sondern der Sache nach auch schon den Ursprung des Redens vom Worte Gottes.164 1. Meditation über das Wort »Gott« (Erste These)165 Gott – das ist ein Menschenwort, mit dem der Mensch in einzigartiger Weise über sich und seine Welt hinausgeht und damit auch über seine gewöhnliche Sprache und ihre Bezugsgrößen hinausgreift. Von diesem ganz Anderen her, auf das das Wort »Gott« sich richtet, kommt dies Wort selber aber zugleich wieder so auf den sprechenden Menschen zurück, dass es ihn und seine Welt, 162

Cf. die Überlegungen zu Gott als Wort unserer Sprache bei E. Jüngel und T. Rendtorff a.a.O. (Prolegomena, § 3 B. 1. [S. 39 Anm. 22]). 163 G. EBELING, Wort und Glaube, Bd. II, Tübingen 1969, 432; cf. 421. Das ist kein schlechter Zirkel, denn in Gestalt des Wortes Gottes ist – in unserer Tradition – Gott selber (als Wort) überhaupt erst für uns da, d. h. sprachlich. Was das Wort »Gott« besagt, sagt uns das Wort Gottes. Wenn gilt, dass im Sprechen des Wortes Gottes zu uns der offenbarende Gott sich selber ausspricht, so geschieht das auch so, dass dabei das Wort »Gott« sich zu explizieren beginnt. Erst im »Gebrauch« (L. Wittgenstein; cf. EBELING, a.a.O. 420 und 417 Anm.) erhellt seine Bedeutung. 164 Darum gehört dieser Abschnitt F. in den Paragraphen über die Offenbarung Gottes. Zur Auseinandersetzung mit der These des frühen K. Barth über die menschliche Unmöglichkeit, von Gott zu reden, und die Rolle des Wortes »Gott« dabei cf. RINGLEBEN, Sprachloses Wort? (wie oben Anm. 129), 12ff. 165 Cf. die Meditation K. Rahners über das »blinde Wort ›Gott‹« (K. RAHNER, Grundkurs des Glaubens, Freiburg u. a. 1976, 54–61). Zu dem beschädigten Wort »Gott« cf. auch M. BUBER, Gottesfinsternis, Zürich 1953.

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überhaupt alles, als von daher gründend und abhängig aussagt,166 d. h., mit dem Wort »Gott« macht der Mensch einen unendlichen »Umweg« zu sich selber.167 Er ist nicht oder bleibt nicht einfach unmittelbar bei sich selber, sondern greift absolut aus und kommt von einem absoluten Außen, seinem und aller Dinge letztem Woher, wie vor einem absoluten Spiegel, so auf sich zurück, dass er darin ein anderer ist, nämlich ein Begründeter und Abhängiger, ein Geschöpf.168 Das tut die menschliche Sprache, indem sie religiös von Gott spricht oder auch zu ihm spricht.169 Dies alles aber kann die menschliche Sprache nur tun, weil bzw. wenn und insofern schon in diesem Wort »Gott« bereits Gott zu ihr kommt und in ihr und an ihr da ist. Das Wort »Gott« überschreitet als dies Wort sich selber.170 Denn indem der Gott sagende Mensch sich sprachlich so absolut verlässt – ein Verlassen, das ein neues zu sich Zurückkommen ist –, zeigt sich nur, dass er schon immer im schlechthin Offenen sich aufhält, darauf angelegt ist, und d. h. nicht unbeweglich festgelegt ist auf sich selber in seiner puren Unmittelbarkeit und auf die Welt des positiv Gegebenen überhaupt: das »nicht festgestellte Tier« (Nietzsche). Es erweist sich so, dass er schon ist, wohin ihn das Wort »Gott« führt, sonst könnte er es gar nicht sprechen. Das sprachliche Wort »Gott« ist also immer zweierlei: ein unendliches Sich-Überschreiten dessen, der es mit Sinn 166

Cf. dazu H. V. SASS, Gott als Ereignis des Seins. Versuch einer hermeneutischen Onto-Theologie, HUTh 62, Tübingen 2013. Wegen ihrer hermeneutischen Ausrichtung bleibt dieser Untersuchung (trotz ihres Titels) der spekulative Gedanke von Gottes Selbsthervorbringung fern. 167 Mit Bezug auf Hölderlins Begriff von Religion als einer Wiederholung des wirklichen Lebens (HÖLDERLIN, KlStA 4, 288) schreibt W. Michel: »… daß Lebensbejahung durch den menschlichen Geist unausweichlich ein Akt des Sprechens ist. Sie ist Wort«, und er (W. M.) fährt fort: »damit ergibt sich, daß das einzige echte Wort, zu welchem der Mensch fähig und verpflichtet ist, nur in dem Wort des Bekenntnisses zu seinem eignen Leben gesprochen wird, also im Worte Gott« (W. MICHEL, Das Leben Friedrich Hölderlins [1940], Frankfurt 1967, 203). 168 So gilt mit Bezug auf das Wort »Gott« wie kaum eines sonst: »Allein: du mit den Worten / und das ist wirklich allein« (G. BENN, Worte, in: ders., Gesammelte Werke in vier Bänden, hg. von D. Wellershoff, Bd. III, Stuttgart 1960, 299). 169 Cf. die eindrückliche Beschreibung der Gottesanrede im Gebet bei Ebeling, zitiert oben (»Einführende Überlegungen«, S. 4 bei Anm. 21 und 22). 170 Cf. Augustin, der schon im Zusammenhang mit Joh 1,1 gesehen hat, dass es um dies geringe (»vile«) Wort von vier Buchstaben »magna res est«: »Ecce verbum dico, cum dico, Deus. Quam breve est quod dixi, quatuor litteras, et duas syllabas. Numquid hoc totum est Deus, quatuor litterae, et duae syllabae? An quantum hoc vile est, tantum charum est quod in eis intelligitur? Quid factum est in corde tuo, cum audisses, Deus? Quid factum est in corde meo, cum dicerem, Deus? Magna et summa quaedam substantia cogitata est, quae transcendat omne mutabilem creaturam. … Hoc verbum transit, quod sonat« (Tract. ev. Ioan. I 8; PL 35, 1383; Hervorhebungen J. R.).

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spricht, in eine ihn neu qualifizierende Offenheit hinein und ein Eröffnen dieser einzigartigen Möglichkeit dadurch, dass sein absolutes Jenseits in Gestalt der Möglichkeit zu dieser Offenheit bereits bei ihm ist.171 Das Wort »Gott« macht uns mit sich selbst bekannt, und so macht es selber schon uns mit der Sache bekannt, die es »zur Sprache bringt« und die als solche zunächst nur mit diesem Wort da ist. Wenn es Gott »gibt«, dann ist er unmittelbar als dies Wort für uns da. Insofern ist dies Wort der spezifisch angemessene Ausdruck für das, wofür es steht – wenn es denn überhaupt »für etwas« steht.172 Es gibt uns an ihm selbst und von ihm aus zu entdecken, was es mit dem auf sich hat, wovon es als Wort spricht: Dies Wort »gibt zu denken« (P. Ricœur); es ist selber der Leitfaden, unter Rekurs auf den wir uns von ihm ansprechen und zu ihm und seiner Wahrheit hinführen lassen. Im Worte »Gott« schon sind Gott und Mensch beieinander; besser: Das Wort »Gott« bereits ist (»in einem Atemzug«) der Weg des Menschen zu Gott und der Weg Gottes zum Menschen.173 Das führt zu der ersten theologischen These: Das Wort »Gott« ist das erste Wort Gottes.174 Weil überhaupt gilt, dass Gott wesentlich nur in der menschlichen Sprache spricht, ist es folgerichtig festzuhalten: »Im Wort ›Gott‹ offenbart sich Gott selbst«.175 Indem Gott »Gott« sagt bzw. sagt: Ich bin Gott, also es sagend ist, was er sagt, sagt er im Wort Gott der Sache nach schon, was in Ex 3,14 explizit von ihm ausgesprochen wird: Ich bin, der ich bin. Insofern ist im Wort »Gott« bereits ein wirklicher Begriff von Gott angelegt.176 171

»Vielmehr ist die Frage nach Gott schon eine Art und Weise, in der Gott selber – der im fragenden Menschen Gegenwärtige – sich bewußtseinsmäßig zur Geltung bringt. So ist die unendliche Frage des Menschen nach Gott immer schon von Gott mit der unendlichen Antwort, die er selber ist, beantwortet« (H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 36; cf. oben Prolegomena, § 2 A. 3.2. [S. 23 bei Anm. 32] [B. Pascal]). Das geht offenkundig nicht, ohne dabei das Wort Gott in Anspruch zu nehmen, in welchem »Gott« Frage und Antwort zugleich, d. h. im nach ihm suchenden Bewusstsein sprachlich schon gegenwärtig ist. 172 S. u. Unterabschnitt 7. (S. 603ff). 173 Erinnert sei auch an die Auffassung von Louis de Bonald, nach dem das Wort (überhaupt) als Selbstgegebenheit Gottes im Geist verstanden werden muss. Cf. H.-W. REINERZ, Bonald als Politiker, Philosoph und Mensch, Borna-Leipzig 1940. 174 Cf. auch unten die ergänzende 2. These (Unterabschnitt 6. [S. 595ff]). 175 T. H. JØRGENSEN, Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späteren Schleiermacher, BHTh 53, Tübingen 1977, 259f. (cf. a.a.O., § 9 c.: Gottesoffenbarung und Sprache, S. 247–270). Dort heißt es auch: »im Worte ›Gott‹ sich als sein [sc. des sprachlichen Menschen] Gott offenbarend«. Cf. auch das Jüngel-Zitat unten S. 595 bei Anm. 233. 176 Diesen auszuarbeiten, erlaubt aber nicht, den für diese ganze Gotteslehre grundlegenden Umstand zu überspringen, dass sich auch Ex 3,14 unmittelbar nicht als Begriff,

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Die Orientierung am Wort »Gott« (als Orientierung an Gott selber) sichert von Anfang an die Sprachlichkeit des zu erarbeitenden Gottesbegriffs. Noch ehe man einen Begriff von Gott hat oder bilden kann, hat man das Wort Gott (mit verschiedenen Ausdrücken in den verschiedenen Sprachen). Gott kommt im Wort und zuerst in diesem zu uns. Dieses Wort hat sich uns – durch welche Tradition auch immer vermittelt – schon immer zugesprochen, und keiner fängt mit Gott von sich allein her an. Jeder folgt in seinem Fühlen, Ahnen und Nachdenken immer schon den durch das Wort »Gott« selber gelegten Bahnen.177 2. Das Wort »Gott« und die Sprache Hier ist zunächst dreierlei festzuhalten: Einmal die Bedeutung des Wortes »Gott« bzw. seines Namens für die Sprache überhaupt.178 Sie kann auch – charakteristischerweise – von Schriftstellern wahrgenommen werden, und zwar als Erfüllung oder Vollendung dessen, wozu es überhaupt die Sprache gibt: »Die Entwicklung der Sprache führt ganz von selbst zur Erschaffung von so etwas wie Gott. Gott ist wahrscheinlich das reinste Wort, das es gibt. Die pure Wortwörtlichkeit. Das vollkommene Sprachwesen. Das Sprachliche schlechthin. In GOTT kommt die Sprache zu sich selbst … Das Höchste, was wir haben, ist also aus der Sprache«.179 Zu Gott als dem »absoluten Nomen« heißt es bei F. Pessoa: »Indem wir dieses Wesen Gott nennen, sagen wir alles, da wir mit dem Wort Gott, das keinen genauen Sinn hat [sc. anders als die Bezeichnung innerweltlicher Dinge], Gott bestätigen, ohne etwas zu sagen«.180 Ähnlich urteilt man in der sondern als der biblische Name Gottes ausspricht. Diesen Namen zu begreifen, führte in einem zweiten, systematischen Schritt zu einem sachhaltigen Begriff von Gott, der für alles Weitere leitend wurde (s. o. § 2 A. [S. 171ff]). Zu Ex 3,14 in sprachphilosophischer Hinsicht siehe unten 8. (S. 606f). 177 Cf. Humboldts sog. Ersten Hauptsatz über die Sprachlichkeit: »Durch denselben Act, vermöge welches der Mensch die Sprache aus sich heraus spinnt, spinnt er sich in dieselbe ein« (HUMBOLDT, GS 6, 180 und 7, 60). 178 »Gottes Name ist da unter die anderen Worte getreten und zu einem Teil der Sprache geworden – und nun stand der Gottesname und mit ihm Gott selbst in der Menschengeschichte. Er war ein Teil jener Gestaltenwelt, die den Menschen aufnimmt und prägt, der Sprache; er ging in den Menschen ein [so!], und wirkte [so!] in ihm, bis in die Wurzeln seines Daseins hinab« (R. GUARDINI, Das Gebet des Herrn, 5. Aufl., Mainz o. J., 40f; Hervorhebungen J. R.). 179 M. WALSER, Tagebuch, 6. März 1981; zit. nach: ders., Über Rechtfertigung, Reinbek bei Hamburg 2012, 98. 180 F. PESSOA, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Revidierte und definitive Ausgabe, hg. von R. Zenith, übersetzt von I. Koebel, Zürich 2003, 444 (Nr. 473; 26.7.1934). Wenn wir mit dem »fremden« Wort Gott unmittelbar nichts Einzelnes oder Bestimmtes in der Welt aussagen, kann die Folge nur sein, dass es sich selber auslegen muss.

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Philosophie: »So handelt die Sprache schließlich von Gott, aber nicht von Gott als einem spekulativen Wesen [sc. im Sinne der traditionellen Metaphysik], sondern von ihm als dem Wort, dem Logos.«181 Hier ist Joh 1,1 sprachphilosophisch eingeholt: Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, … καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος. Sodann der Bezug des Wortes »Gott« auf die Sprachlichkeit des Menschen. Dieses geheimnisvolle, »fremde« Wort Gott182 ist ein radikaler Index dafür, dass der Mensch sich in seiner Sprachlichkeit nicht selber begründen kann, sondern darauf angewiesen ist, von außen angesprochen zu werden;183 d. h., er kann wesentlich selber nur sprechen, um zu hören.184 Insbesondere verantwortliches Reden setzt Hören voraus, denn Reden heißt immer irgendwie Antworten.185 Schließlich ist zu sehen: Das Wort »Gott« ist auch ein paradigmatischer Fall dessen, dass das Denken auf Sprache angewiesen ist und in einer Auseinander-setzung mit dem sprachlich Vorgegebenen zu sich als Denken kommt. Kein Wort unserer Sprache ist in dem Maße wie das uns immer schon zugesprochene Wort Gott »ein Mittel …, die vorher unerkannte [sc. Wahrheit] zu entdecken«.186 Denn eben an der empirischen Unbestimmtheit dieses Wortes entzündet sich die Bestimmungskraft des Denkens.187 3. Das Wort »Gott« und die religiöse Erfahrung (I. T. Ramsey) Inwiefern kann die religiöse Erfahrung als Entdeckungsfeld für eine Bedeutungsbestimmung des Wortes Gott dienen?188 3.1. Theologiegeschichtlich sind hier drei Modelle namhaft zu machen bzw. kurz in Erinnerung zu rufen. Bei Luther erschließt sich Gott unmittelbar durch die Erfahrung mit dem »Gesetz« bzw. der Verzweiflung über seine Unerfüllbarkeit; die Botschaft 181

B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. II, Frankfurt 1965, 151. Es sei daran erinnert, dass nach der klassischen Theologie »Deus definiri nequit« (cf. Thomas, STh I, q. 3, a. 5 [3.] sowie ScG I 14 und 25). 183 Cf. EBELING, Wort und Glaube II (wie oben Anm. 163), 417ff. 184 Diese kommunikative Verfassung des Menschen schließt eine echte Autarkie des einzelnen Subjektes aus. 185 In der Perspektive M. Bubers heißt das: »Denn wer das Wort Gott spricht und wirklich Du im Sinn hat, spricht … das wahre Du seines Lebens an« (M. BUBER, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 41979, 77 [= Ich und Du, 3. Teil]). Das wahre Du seines »Lebens« ist dasjenige, was den Sprechenden zum Ich macht. 186 HUMBOLDT, GS 4, 27. Luther begriff die Sprachen als »die Scheiden, darin das Messer des Geistes steckt« (cf. dazu RINGLEBEN, Gott im Wort [wie oben S. 553 Anm. 12], 288ff). 187 Umgekehrt will I. Kant, unsprachlich denkend, »meinen Vernunftbegriff von Gott« als Richtschnur voraussetzen, um an ihm zu prüfen, ob eine unmittelbare Eingebung, eine religiöse Erscheinung oder auktoriale Botschaft ihm adäquat ist (cf. Kant-AA 8, 142). 188 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 556 Anm. 28), 73–83. 182

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des Evangeliums spricht demgegenüber etwas Neues und nicht Ableitbares von Gott her zu, so dass der Glaube an Christus gegen die Erfahrung zu stehen kommt: Gott ist größer als mein Herz. Im Pietismus steht die persönliche Gewissenserfahrung in der »Wiedergeburt« im Zentrum (Gnadenminute). Nur der so erfahrene Glaube ist wahrer Glaube. Aber der Gottesgedanke wird hier nicht darauf gegründet, sondern für die unvertretbar eigene Erfahrung immer schon in Anspruch genommen. Bei Schleiermacher schließlich gewinnt die Frage eine methodische Fassung. Im Ausgang vom frommen Selbstbewusstsein als dem Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit wird ein Wissen von Gott nicht schon vorausgesetzt, sondern umgekehrt dient das Wort »Gott« hier nur sozusagen sekundär dazu, »das in dem ursprünglichen, schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl Mitgesetzte« zu bezeichnen.189 Soweit auch das Wort Gott (wie jedes Wort) eine Vorstellung bei sich führt, so soll in Schleiermachers Konzeption nur gesagt werden, daß diese, welche nichts anders ist als nur das Aussprechen des schlechthinigen Abhängigkeitsgefühls die unmittelbarste Reflexion über dasselbe, die ursprünglichste Vorstellung sei, mit welcher wir es hier zu thun haben, ganz unabhängig von jenem … eigentlichen Wissen [sc. von Gott an ihm selbst], und nur bedingt durch unser schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl, so daß Gott uns [sc. methodisch] nur das bedeutet was in diesem Gefühl das mitbestimmende ist, und worauf wir dieses unser Sosein zurückschieben«.190

Das Wort »Gott« vertritt hier das unbestimmbare Woher des frommen Gefühls, und zwar einzig und allein so, wie es in diesem Gefühl selber unmittelbar »erfahren« wird, und ohne dass Schleiermacher dabei auf die Notwendigkeit solchen »Zurückschiebens« als eine dem religiösen Gefühl selber immanente »Reflexion« aufmerksam würde.191 3.2. Für die zeitgenössische Debatte über das Wort »Gott« beziehen wir uns auf einen weiteren Begriff von religiöser Erfahrung, wie er in der modernen englischen Religionsphilosophie sprachanalytisch entwickelt worden ist.192 Ramsey geht dabei von spezifisch religiösen Situationen als solchen aus, in denen jemandem plötzlich etwas Entscheidendes – P. Tillich würde sagen: 189 SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. I, 38 Fn. 28 (§ 4.3.). Ähnlich formuliert der Haupttext: »daß eben das in diesem Selbstbewußtsein mit gesetzte Woher unseres empfänglichen und selbstthätigen Daseins durch den Ausdruck Gott bezeichnet werden soll« (a.a.O. 38f [§ 4.4.]). 190 A.a.O. 39,27–40,3. 191 Zur Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen der ›Glaubenslehre‹ cf. R. LEUZE, Sprache und frommes Selbstbewußtsein. Bemerkungen zu Schleiermachers Glaubenslehre, in: K.-V. Selge (Hg.), Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, Teilbd. 2, SchlAr 1/2, Berlin/New York 1985, 917–922 und weitere Kritik unten 3.3. (S. 588 Anm. 201). 192 I. T. RAMSEY, Religious Language. An Empirical Placing of Theological Phrases, London 1957 (Paperback 1963).

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Unbedingtes – aufgeht, und charakterisiert sie so durch das Moment von »disclosure«.193 Dies Sich-Erschließen wird aber nicht in distanzierter Beobachterhaltung wahrgenommen, sondern geht uns unbedingt an, vereinnahmt uns in seiner Wahrnehmung, und die hier implizierte Selbstwahrnehmung erschließt umgekehrt zugleich das Seiende im Ganzen (uns selber eingeschlossen). Es handelt sich um das spezifische »religious commitment as a total commitment to the whole universe«, wie Ramsey formuliert.194 Wesentlich ist dabei auch der Umstand, dass die Totalität dieses subjektiven Involviertseins bzw. Engagements nicht aus Einzelwahrnehmungen ableitbar, sondern ursprünglich in solchen Erfahrungen mitgesetzt ist. Entscheidend ist nun die unersetzbare Erschließungsfunktion des Wortes »Gott« für solche Situationen von »disclosure«: Gott ist hierbei ein alles überhaupt erst bestimmendes (d. h. einer Bestimmtheit zuführendes) »keyword«.195 Das bedeutet, das Wort »Gott« ist grundsätzlich und an sich selber »ein einzigartiges, nicht weiter auf andere Ausdrücke zurückführbares Schlüsselwort, das das theistische Sprachschema insgesamt dominiert«.196 Ist das zutreffend, so folgt unmittelbar zweierlei. Einmal erklärt sich einerseits der letztinstanzlich singuläre Gebrauch von Gott (ohne bestimmten Artikel). »Gott« ist nicht so etwas wie ein Allgemeinbegriff, der zur Beschreibung oder Erklärung von Einzelerfahrungen herangezogen werden könnte, um diese unter ihn zu subsumieren. Andererseits ist mit diesem »Schlüsselwort« notwendig Totalität verbunden, handelt es sich doch um eine »letzte Erklärung« wie z. B. bei den Schöpfungsaussagen,197 die Begründung und zugleich auch Ausdruck von »total commitment« sind. Hier wird eine Einsicht eröffnet, der unbedingtes Beteiligtsein entspricht bzw. antwortet.198 Sodann ist ohne Weiteres klar, dass »Gott« ein Wort ist, das nicht ersetzbar ist, um z. B. seinen Sinn dem »modernen Menschen« näher zu bringen, wie es in der protestantischen Theologie immer wieder versucht wurde.199 Es

193 A.a.O. 28f und 25f. Für die Disclosure-Situation sind zwei Momente kennzeichnend: 1. das Plötzliche ihres Eintretens: unerzeugbar und unableitbar spontan, von reinem Ereignischarakter; 2. die sich dabei erzeugende Einsicht ist mit subjektivem Beteiligtsein notwendig verknüpft: »odd discernment« bzw. »total commitment«. 194 A.a.O. 41. Der Anklang an Schleiermachers »Reden« (1799) ist unüberhörbar, wenn auch die Funktion des Wortes »Gott« gerade anders bestimmt wird als beim jungen (und reifen) Schleiermacher. 195 A.a.O. 51. 196 A.a.O. 59. 197 A.a.O. 83. 198 Cf. ähnlich oben § 8 A. 1. (S. 437f). 199 Ein prominentes Beispiel dafür ist P. Tillichs Rede von Gott als dem »Sein-selbst«. Zur Kritik dieser ontologisierenden Hermeneutik, in der die Dialektik von Sätzen über Gott verkannt ist, cf. J. RINGLEBEN, Sätze über Gott und der spekulative Satz, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 553 Anm. 12), 192ff und s. u. 3.4.

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ist selbstexplikativ,200 und alle näherungsweise versuchten »Übersetzungen« oder Umschreibungen müssen zuletzt doch wieder das Wort Gott selber in Anspruch nehmen, um religiös zu bleiben und nicht etwa in andersartige »Sprachspiele« abzudriften. 3.3. Mit dem Dargelegten ist auch gesagt: Der Gottesgedanke ist nicht aus irgendeiner »Erfahrung« erst abzuleiten, sondern er wird zur Interpretation einer Erfahrung als religiöser immer schon vorausgesetzt. Ich muss den Gottesgedanken, instantiiert im Wort »Gott«, schon mitbringen, um religiöse Erfahrungen zu haben bzw. zu »machen«.201 Erst dies Wort bringt religiöse Erfahrung zur Sprache, und d. h. auch, macht sie zu einer menschlichen Erfahrung, die es überhaupt nur im Raum der Sprache gibt.202 Religiöse Erfahrung ist wie alle Erfahrung auf eine simultane Interpretation angewiesen, bei der etwas als etwas wahrgenommen und verstanden wird.203 Das heißt: Eine religiöse Erfahrung als »Begegnung« mit Gott (oder einem Gott) kommt als solche erst in einer spontanen »Interpretation« zustande, die ihrerseits über den (bzw. einen) Gottesgedanken in Gestalt des Wortes Gott bereits verfügt. Alle Erfahrungsinhalte sind nur durch »concepts« (als »social products« der jeweiligen Sprachwelt) identifizierbar.204 Mithin ist jede Deutung von unmittelbaren Einzelerfahrungen »auf allgemeine Kennzeichen angewiesen, die das Momentane und Vereinzelte des Eindrucks überschreiten und ihrerseits in weiteren Verstehenszusammenhängen verortet sind«.205 200 Es ist nur teilweise richtig, wenn es (im Anschluss an L. Wittgenstein) bei G. Ebeling heißt, das Wort Gott sei kein »Autosemantikon …, sondern ein Synsemantikon; ein Wort, das seine Bedeutung erst durch die Redewendung, in der es gebraucht wird, erhält« (EBELING, Wort und Glaube II [wie oben Anm. 163], 416, Hervorh. J. R.); dazu s. u. 6.2. (S. 598f). Denn »Gott« ist zugleich ein »key-word«, d. h., es qualifiziert auch den Kontext bzw. die Redewendung, in der es auftritt, spezifisch neu. Das Wort »Gott« hat sein sprachliches Sein als die Bewegung vom Syn- zum Autosemantikon. 201 Genau das spricht gegen Schleiermachers Ansatz, das Wort »Gott« zum indirekten Ausdruck einer Gegebenheit des religiösen Bewusstseins bzw. einer Bewusstseinstatsache herabzustufen (s. o. 3.1.). Vielmehr ist das Wort »Gott« (als keyword) ursprüngliche Offenbarung, und so kommt es zum schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl erst unter dem Eindruck dieses Wortes. Außerdem ist ein solches »Gefühl« als schlechthinnig schon kein unmittelbares Gefühl mehr, sondern ein Gedanke. 202 Cf. dazu ähnlich J. HICKS, Religious Faith as Experiencing – As, in: G. N. A. Vesey (Hg.), Talk of God, London 1969, 20–35. 203 Cf. zum hermeneutischen »Als« bei M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 10 1963, § 32 (Verstehen und Auslegung), bes. S. 149 und 158. Anders beim »einfach von Gott reden« (s. u. 7.3. [S. 604f]). 204 Zur Bedeutung metaphysischer Rahmenkonzepte für das Verstehen von Erfahrungen cf. auch A. JEFFNER, The Study of Religious Language, London 1972, 112ff. 205 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 556 Anm. 28), 77. Auch für die Erfahrung gilt Hegels Satz, dass es nichts gibt, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält wie auch die Vermittlung.

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Daraus ergibt sich: Erfahrung als solche ist nicht die Basis des Redens von Gott bzw. des Wortes »Gott«. Das Wort Gott hat im Zusammenhang religiöser Erfahrung eine wesentliche Funktion, es ist aber selber nicht aus ihr abzuleiten. Vielmehr dient es gerade zu ihrer bestimmten Erfassung, also dem Verstehen dessen, worum es in einer solchen Erschließungssituation (»disclosure«) geht, d. h. dessen, was darin begegnet. 3.4. Handelt es sich bei dem Wort Gott um ein »Schlüsselwort« (keyword) im eminenten Sinn, so ist noch einmal zu fragen: Wie fasst der Ausdruck »Gott« und wie qualifiziert er dasjenige, was sich in einer signifikanten religiösen Situation erschließt? Dazu ist zweierlei festzuhalten: – einmal, dass Gott nicht nur qualifizierend eine Situation erschließt,206 sondern darin und von da aus eine Eigenenergie entfaltet, die lebendig weiterträgt.207 – Sodann bezeichnet Gott ein Gegenüber, das in der religiös, d. h. durch ebendies Wort qualifizierten Situation erfahren wird (bzw. sich zu erfahren gibt). Das besagt: Wenn jemand im Zusammenhang einer solchen Situation von »Gott« spricht, bedeutet das, er erfasst sie als »Begegnung« mit einem wirklichen Gegenüber, und das Wort »Gott« benennt dies Gegenüber im Kontext einer Situation, die genau dadurch qualifiziert ist. Das Wort »Gott« ist also nicht nur Ausdruck, Chiffre (Jaspers), Symbol (Tillich) für ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis, eine Lebensanschauung oder existenzielle Handlungsorientierung.208 Vielmehr kommt in diesem Wort, statt etwa nur eine subjektive religiöse Befindlichkeit (Schleiermacher), vielmehr eine Gegenstandsbeziehung mit eigenem Sachgehalt definitiv zur Sprache.209 Die schon kurz berührte210 allgemeine Folge alles Ausgeführten ist, dass das Wort »Gott« prinzipiell nicht übersetzbar, d. h. durch einen sachhaltigen Ausdruck wie z. B. »Sein-selbst«, das Absolute, absoluter Geist, das Universum u. ä. restlos ersetzbar, ist. Denn unvermeidlich beraubt jedes solches Substitut das Wort Gott seiner grundlegenden und exklusiven Eigenart, uns 206

Der Ausdruck »offenbart« wird hier vermieden, um den phänomenologischen Charakter der Erörterung zu wahren. 207 S. u. zu δύναµις (vis) 5.2. (S. 593f). 208 Cf. seinerzeit vorgeschlagene funktionale Deutungen bzw. formalisierende »Übersetzungen« des Gottesgedankens wie z. B. das »Woher unseres Umgetriebenseins« (H. Braun) oder (kantianisierend) das »Woher unseres unbedingten in die Plicht Genommenseins« (G. Otto). 209 Cf. auch F. KAMBARTEL, Theo-logisches. Definitorische Vorschläge zu einigen Grundtermini im Zusammenhang christlicher Rede von Gott, ZEE 15 (1971), 32–35 und dazu F. WAGNER, Propädeutische Bemerkungen zum Ausdruck ›Gott‹, in: ders., Zur Revolutionierung des Gottesgedankens, hg. von C. Danz/M. Murrmann-Kahl, Tübingen 2014, 164–172. 210 Cf. oben bei Anm. 199.

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(von sich aus) mit dem bekannt zu machen, wovon es redet. Jeder solche Versuch einer Ersetzung durch angeblich verständlichere Termini verfährt so, als sei »Gott« nur eine mögliche (äußerliche) Bezeichnung neben anderen für einen Sachverhalt, der unabhängig von den jeweiligen Benennungen für sich und an sich ist, was er ist. Demgegenüber ist es prinzipiell unmöglich, von Gott adäquat anders zu sprechen als eben mit diesem Wort »Gott« (bzw. seiner anderssprachigen Äquivalente).211 Die Unvertretbarkeit bzw. Unübersetzbarkeit von Gott besagt, dass nur dieses Wort aussagt, was gesagt werden soll, nämlich Gott selber.212 Das Wort »Gott« ist unersetzlich, weil es, und nur es, selber spricht und so vor das (bzw. den) bringt, von dem es spricht. Indem dies Wort selbst spricht und von sich selber spricht, bringt es Gott selber zur Sprache. Es zu »übersetzen«, würde genau davon ablenken; stattdessen soll das selbst sprechende Wort bzw. Gott gehört und ihm nachgedacht werden. 3.5. Zusammenfassung. Religiöse Erfahrung beginnt nur zu sprechen, weil und insofern das Wort »Gott« selber etwas sagt, und dies, weil es von Gott selbst spricht. Daher trägt religiöse Erfahrung für eine Klärung der Bedeutung des Wortes »Gott« nur relativ wenig und sehr bedingt etwas aus, weil dies Wort umgekehrt die prinzipiell wichtige Funktion hat, religiöse Erfahrung über sich selber zu verständigen, sie für den in ihr Begriffenen nach ihrem Gehalt aufzuklären. »Dieu parle bien de Dieu«.213 Das bedeutet: Der Gottesgedanke wird möglich, weil wir von Gott immer schon angesprochen sind, und die grundlegende Weise dieses von Gott Angesprochenseins ist das Wort Gott. Gott selber zu denken, heißt, von diesem Angesprochenwerden her Gott als den zu denken, der von sich aus redet bzw. sich zur Sprache bringt. Weil eine adäquate Gotteserkenntnis nur von Gott selber ausgehen kann,214 muss das vor Gott bringende Wort »Gott« selber schon ein Wort sein, in dem 211

Inhaltliche Übersetzungsvorschläge für das Wort »Gott« in hermeneutischer Absicht können bestenfalls Fingerzeige in die gemeinte Richtung sein, für die das unersetzbare Wort selber allein einsteht. 212 So wendet Pannenberg gegen Descartes ein, »daß die allen endlichen Vorstellungen vorausgehende Intuition des Unendlichen nicht als expliziter Gedanke gegeben, sondern nur unthematisch … mitgegeben ist«, und kritisiert, dass in dieser »verworrenen Intuition des Unendlichen« Gott »noch nicht ausdrücklich … als Gott gewußt wird« (W. PANNENBERG, Metaphysik und Gottesgedanke, KVR 1532, Göttingen 1988, 23 und 25; cf. unten Anm. 245). Das könne nicht anders sein, solange nicht »der Gottesgedanke schon anderweitig, nämlich aus der religiösen Überlieferung gegeben ist« (a.a.O. 24). Damit aber kommt notwendig das Wort »Gott« ins Spiel, um die unbestimmte Intuition des Unendlichen religiös zu identifizieren. 213 B. PASCAL, Pensées, Frgm. 799. 214 »Ein Gott, der nur Product des subjektiven Geistes, aber nicht Producent der Gottesidee wäre, wäre auch nicht Gott« (DORNER, Glaubenslehre I [wie oben S. 552 Anm. 5], 24f).

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und durch das man Gott kennenlernt, ihm begegnet, d. h. ein Wort, mit dem und in dem Gott kommt,215 also selber ein Wort Gottes. 4. Die Einheit des Wortes »Gott« und die Einheit Gottes Will man weiter klären, wie Gott als sich im Wort »Gott« vergegenwärtigender für uns ein Gegenüber ist, so gelangt man zunächst vor die Frage nach dem logischen Status dieses Wortes. Wir sagen normalerweise: »Gott hat mich geführt« und nicht: »der Gott«. Handelt es sich um einen Eigennamen oder eine identifizierende Beschreibung bzw. Kennzeichnung?216 Als Eigenname (nomen appellativum) wäre dies Wort genau nur einem Gegenstand zu eigen, als Prädikator würde es mehreren Gegenständen zugesprochen und wäre ein Wort unter gewöhnlichen Wörtern.217 Handelt es sich um eine allgemeine (philosophische) Kategorie (unter Umständen mit nur einem Anwendungsfall) oder den religiösen Namen des einzigartigen, einzig wahren Gottes? Theologisch kann man zu dieser Frage zunächst sagen, das Wort »Gott« steht in gewisser Weise für beides, wenn auch nicht unverbunden einfach nebeneinander (s. u.). Es handelt sich (biblisch) um einen Eigennamen; er wird aber auch prädikativ gebraucht.218 4.1. Als Eigenname ist Gott nur in Verbindung mit der Gattungsbezeichnung verständlich. Dementsprechend ist der vor- und außerchristliche Gebrauch die (notwendige, wenngleich nicht hinreichende) Bedingung für seine Verstehbarkeit; das gilt auch noch für den Fall der Behauptung von der alleinigen Gottheit (dem Gottsein) des biblischen Gottes.219 Paradigmatisch ist dafür die Aufnahme des Logos-Begriffs im Vierten Evangelium (cf. Joh 1,1 mit 1,14). Damit ist eine fundamentale Korrektur des außerchristlichen Sprachgebrauchs zwar impliziert, aber auch in der Abstoßung von ihm doch von »Demselben« die Rede, von Gott schlechthin, wenn auch in anderer und neuer Weise. 4.2. Die allgemeine Gattungsbezeichnung »(ein) Gott« wird transformiert zur Rede von dem einen Gott der monotheistischen Religion; d. h., die Kategorie wird eingeschränkt auf einen einzigen (wahren) Fall ihres Gebrauchs. 215

Oder auch: sich bei uns hervorbringt. Cf. dazu R. LEUZE, Gotteslehre, Stuttgart 1988, 18ff sowie J. TRACK, Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott, FSÖTh 37, Göttingen 1977, 175ff.185 und I. U. DALFERTH, Religiöse Rede von Gott, BEvTh 87, München 1981, 571– 583. 217 Cf. W. KAMLAH/P. LORENZEN, Logische Propädeutik, Mannheim 21973, 31ff. 218 Altes Testament: Jahwe; Neues Testament: die Gottheit Jesu Christi. 219 Urchristlich gilt Gott als der Schöpfer der ganzen Welt, der allen Menschen irgendwie offenbar ist (Röm 1,19f) und sich in Jesus Christus endgültig als der eine Gott geoffenbart hat (1Thess 1,9f; Röm 3,29). 216

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So lässt sich im Alten Testament die Entwicklung von einer Monolatrie (bzw. Henotheismus) zum strengen Monotheismus studieren; der relativ späte Schöpfungsgedanke bedeutet die alleinige, exklusive Gottheit Jahwes (cf. Jes 40,12f; 45,18–21).220 Der Ausformung des Glaubens Israels an den einen Gott entspricht auch eine neue Beziehung zur Welt und ein Begriff von ihrer Einheit. Auch in der philosophischen Theologie der Griechen wird die Einheit Gottes im Gegensatz zur Vielheit mythologischer Götter gedacht. Die Kritik am polytheistischen Volksglauben erwächst hier daraus, dass die Einheit des »Kosmos« aus der Einheit eines Ursprungs (ἀρχή) begriffen wird und die Pluralität von Göttern nicht mit der Einheit und Ganzheit der Welt vereinbar ist. 4.3. Εs ist ersichtlich: Der metaphysische Gottesbegriff konnte, allgemein gesehen, dieselbe Funktion erfüllen wie der alttestamentliche Allgemeinbegriff Elohim. So wird religionsgeschichtlich das singuläre Wort »Gott« zu einem Schlüsselwort für das Bewusstsein von der einen Welt im Ganzen und von der Ganzheit des menschlichen Lebens.221 In der jüdisch-christlichen Tradition wird, wenn auch anknüpfend, der allgemeine Gedanke des Göttlichen (als Gattungsbezeichnung für Götter) abgelöst durch einen singulären, biblisch-metaphysischen Gottesbegriff, der zugleich die Einheit Gottes als des einen Ursprungs der einen Welt freisetzt.222 Entsprechend redet die urchristliche Missionsbotschaft in ihrer Verkündigung von der Selbstoffenbarung des einen Gottes aller Menschen und Herrn der ganzen Welt doch von demselben Gott, den die Menschen auch vorher schon unter dem Namen »Gott« kennen (cf. Act 17,22–31). Christlich existiert der alttestamentlich bezeugte und philosophisch gedachte Eine real als der Vater Jesu Christi. 4.4. Zusammenfassung. Es lässt sich religionsgeschichtlich eine Tendenz ausmachen, die auf die prinzipielle Singularität Gottes, d. h. seine Einheit und Einzigkeit zielt.223 Das Bewusstsein von Gottes Einheit bringt sich geschichtlich selber hervor. Die Rolle, die in diesem Prozess das Wort »Gott« spielt, lässt sich so bestimmen: Gott als Wort hat eine innere Richtung auf Einheit und Universalität, d. h. eine selbstwirksame Tendenz, von einer Kategorie zum Eigennamen zu werden. Das Wort »Gott« ist somit weder nur auf das eine oder das andere zu reduzieren, sondern es übt seine sprachliche (d. h. 220

Cf. bei Luther (im Großen und Kleinen Katechismus) das Verhältnis von »ein Gott« und »der rechte einige Gott«; dazu: J. RINGLEBEN, Der Eine und nicht die Vielen. Konkreter Monotheismus, in: G. Palmer (Hg.), Fragen nach dem einen Gott. Die Monotheismusdebatte im Kontext, Religion und Aufklärung 14, Tübingen 2007, 149–152. 221 Freilich wird solche Ganzheit als sozusagen empirisch vorgegebene religiös auch transzendiert. 222 Paradigmatisch steht dafür wiederum der johanneische Begriff des Logos. 223 Cf. oben § 3 B. 1. (S. 251ff).

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auch: gedankliche) Macht gerade in der Dynamik der Bewegung vom Allgemeinen zum Besonderen und umgekehrt (!) aus. Das führt zu den folgenden Überlegungen. 5. Zur Dialektik des Wortes »Gott« 5.1. Gott ist als Wort (bzw. Begriff) konkret (Eigenname) und universal (als für das Ganze bzw. Absolute stehend) zugleich. Als bestimmtes einzelnes Wort unter Wörtern ist es partikular, und als auf ein Mehr-als-Welt (sogar ein Jenseits der Alltagssprache) zielend, das Unendliche, ist es schlechthin allgemein. So vereinigt es in sich spannungsvoll Faktizität (als ein empirisch vorkommendes Wort in je einer bestimmten Sprache; z. B. im Deutschen als ein Wort mit vier Buchstaben) und Intentionalität (insofern es jede sprachliche und gedankliche Realisierung transzendiert: als das, quo maius cogitari non possit). Zu diesen strukturellen Spannungen ist die innere Bewegtheit dieses Wortes: vom Allgemeinen zum Besonderen bzw. von der Gattungsbezeichnung (»ein Gott«, »der Gott«) zum singulären Namen des einzigen Gottes gegenläufig. Daher kann man hier von Dialektik reden; denn das Wort »Gott« stößt sich von der Konkretheit des Einzelwortes ab zu universaler Bedeutung, aber auch umgekehrt: von kategorialer Allgemeinheit zu exklusiver Einzigkeit. Sprachanalytisch ist Gott als eigene (»ontologische«) Kategorie mit nur einem einzigen Anwendungsfall zu begreifen.224 Freilich gilt das unter der Voraussetzung, dass dies Wort sich (als Begriff) erst dazu herausgebildet hat. Ähnlich hat man von einer »absolut gesetzten Genusbezeichnung« gesprochen.225 Theologisch entscheidend ist indes die Einsicht, dass das Wort »Gott« selber zu dieser seiner Absolutsetzung anleitet, und im Wort »Gott« stellt sich Gottes eigene Absolutheit als sein sich absolut Setzen bzw. sein absolutes Sich-Setzen sprachlich dar. Die Bewegung von Allgemeinheit zur Einzigkeit und von sprachlicher Besonderheit zu geistiger Universalität manifestiert die absolute Selbstheit, die selbsthafte Subjektivität Gottes. 5.2. Das Wort »Gott« hat eine religiös wirksame »Aura« (im Benjamin’schen Sinne), nämlich die Kraft zur annäherungsweisen Vergegenwärtigung des mit ihm Gemeinten von uns aus bzw. der Selbstvergegenwärtigung von Gott aus, und so eine numinose Mächtigkeit. Um diese genauer zu bestimmen, ist nochmals auf Folgendes hinzuweisen. Das Wort »Gott« bezeichnet (im Allgemeinen) das Zweifache erstens einer Differenz zur vorfindlichen Wirklichkeit überhaupt und zweitens einer Art Versprechen unbegrenzter Positivität und Fülle. Aus der Spannung dieser beiden Momente ergibt sich, 224 M. DURRANT, The Logical Status of »God« and the Function of Theological Sentences, London 1973, 15 und 41. 225 J. VAN ESS, Der Name Gottes im Islam, in: H. v. Stietencron (Hg.), Der Name Gottes, Düsseldorf 1975, 156–175, hier 156 (= R. LEUZE, Gotteslehre 24).

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dass dies Wort (Gott) in sich eine Kraft enthält, die auf die Überwindung der Spannung drängt, bzw. dass es deren sukzessive Aufhebung verheißt. Es ist sozusagen grundsätzlich schon eschatologisch aufgeladen. Wer »Gott« sagt, muss an ein Ende der Welt, d. h. eine Realisierung ihrer »Vorläufigkeit«, wenigstens ahnungsweise denken bzw. glauben. Der Gottesglaube impliziert an sich eine geschichtlich vermittelte Eschatologie.226 Systematisch gesehen ist es letztlich diese ihm innewohnende eschatologische Triebkraft, die dem Wort »Gott« seine sprachliche Dynamik verleiht. So wird begreiflich, dass der Apostel Paulus das Wort des Evangeliums, in dem sich christlich der Sinn des Wortes »Gott« definitiv erfüllt, als die absolute δύναµις θεοῦ εἰς σωτηρίαν bestimmt (Röm 1,16; 1Kor 1,18).227 In solcher dynamis erweist sich Gott, vermittelt durch das eine Wort »Gott«, als der eine Gott (Röm 3,29f).228 Im Worte Gottes ist dieselbe Kraft am Werk, die schon im Wort »Gott« wirksam ist. Anselm von Canterbury hat gezeigt, dass es diese eigentümliche vis des Wortes »Gott« ist, die auch das Denken von Gott zu sich selber bringt.229 Freilich erweist sich diese dynamische Kraft zuerst bereits im Glauben selber; von ihr als einer »virtus … inestimabilis et infinita« hat Luther die Teilhabe an der göttlichen Allmacht behauptet: »fides sit res omnipotens«.230 Das damit Aufgezeigte wirkt auch als Potenzial einer produktiven Aneignungsbemühung in Gestalt von immer angemesseneren, Gott Gott sein lassenden Verstehensversuchen (z. B. in der Gotteslehre). 226 Biblisch stellt sich das im letzten Buch der Bibel (Apokalypse) dar, die es als eine Folge geschichtlicher Katastrophen (bis hin zur consummatio mundi) als negative Vorbereitung eines von Gott heraufgeführten, schlechthin Neuen zur Anschauung bringt: einer neuen Schöpfung (eines neuen Himmels und einer neuen Erde bzw. des neuen Jerusalems), die alles Alte destruiert und endgültig ersetzt (cf. auch 1Kor 7,31b). 227 Im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des Glaubenden in Christus wird hier Gottes Sich-Hervorbringen zu unserer Rettung erkennbar, was wiederum die christliche Weiterschreibung von Ex 3,14 ist. 228 Auch für Luther hat das lebendig vernommene Evangelium »plus energiae … ad convertendum« bei sich (WA 7, 526,15f), denn nach Hieronymus »habet enim nescio quid latentis ενεργειας viva vox« (cf. WA 54, 74 Fn. 7). 229 Am Ende seiner Antwort an Gaunilo unterstreicht Anselm noch einmal, dass bereits das Denken seiner Formel quo maius cogitari non possit als Argument für Gottes Wirklichkeit hinreicht: »Tantam enim vim huius prolationis in se continet significatio, ut hoc ipsum quod dicitur, ex necessitate eo ipso quod intelligitur vel cogitatur, et re vera probetur existere et id ipsum esse quidquid de divina substantia oportet credere« (Op. omn. 1, 138,30–139,3; Hervorh. J. R.). Die vis der Bedeutung von Anselms Formel ist eben die »vis existendi per se«, die dem Unum allein zukommt (cf. Monol. 3; a.a.O. 16,7). Von Beginn seines Argumentes an hat Anselm im Proslogion diese vis als die des Wortes »Gott« in Anspruch genommen: »Et quidem credimus te esse aliquid, quo nihil maius cogitari possit« (Prosl. 2; a.a.O. 101,4f). Cf. J. RINGLEBEN, Erfahrung Gottes im Denken. Zu einer neuen Lesart des Anselmschen Argumentes (Proslogion 2–4), NGWG.PH 2000/1, 4–36. 230 WA 40 I, 360, 19f.

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Jedenfalls weist das Wort »Gott« prinzipiell über sich hinaus, d. h. über das, was unmittelbar jeweils bei ihm vorzustellen oder zu denken ist. So hat Gott eine eigentümliche Negativität an sich: Dies Wort ist nicht geradezu und auf einmal erschöpfend zu erfassen. Es setzt einen Prozess der Aufhebung aller sich (immer wieder) unmittelbar einstellenden Bedeutungsfixierungen in Gang bzw. frei. Das Wort »Gott« impliziert mithin die eigene (auf es selbst bezogene) Selbstkritik.231 Diese ihm inhärente »Perfektibilität« bedingt die prinzipielle Schwierigkeit, Gott zu definieren. Zugleich aber ist dies einzigartige Wort unersetzbar und auch, wie gesagt, nie endgültig zu »übersetzen«.232 Des ungeachtet kann und muss die Theologie (und Verkündigung) immer von Neuem versuchen, das Wort »Gott« zum Sprechen zu bringen. Aber das kann sachgemäß nur geschehen, indem und weil aus diesem Wort und durch es schon Gott selber spricht, d. h. indem es uns zur eigenen Anrede Gottes wird, zum »ersten Wort Gottes«.233 Darum ist dies Wort durch kein Übersetzen zu ersetzen. Denn alles »Übersetzen« ist theologisch wahr nur als immer noch intensiveres Hinhören auf das Wort »Gott« als ein Wort, in dem Gott schon spricht bzw. gesprochen hat.234 6. Das Wort »Gott« und das Wort Gottes (Zweite These) 6.1. »Wort Gottes« ist ein Wort (sprachlicher Ausdruck), und es handelt sich dabei um Worte oder Sätze, die auf Gott zu beziehen sind, in denen mithin das Wort »Gott« wesentlich vorkommt oder die notwendig zu dem Wort »Gott« in Beziehung stehen. Es gibt also kein Verständnis dessen, was Wort Gottes ist, ohne ein Verständnis des Wortes »Gott«. Das Wort »Gott« meint Gott selber. Es meint nicht einfach nur »unser« Wort als eins unserer Sprache. Es meint Gott auch nicht als von uns gemeinten Sachverhalt, der etwa auch unabhängig von solchem Meinen vor unser aller Augen stünde, wie beispielsweise das Wort »Baum«. Das Wort »Gott« nennt von sich selber her auch nicht eine »Projektion« unseres Bewusstseins, eine bloße Vorstellung (von einem »Gott«), eine Idee o. ä. Das Wort »Gott« sagt in seiner Unmittelbarkeit nur: Gott selber. Das heißt, es spricht von

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S. o. Vorwort (S. IX bei Anm. 8). Dies haben auch die Schwierigkeiten einer rein säkularen »Theologie nach dem Tode Gottes« bewiesen. 233 Nach Jüngel vermag das Wort »Gott« zwar von sich aus nichts, aber doch von Gott aus etwas auszusagen: »Wer Gott ist, verrät das Wort ›Gott‹ nicht. Wer Gott ist, verrät nur Gott selbst« (E. JÜNGEL, Gott – als Wort unserer Sprache, in: ders., Unterwegs zur Sache, BEvTh 61, München 1972, 84); cf. auch: »Der christliche Glaube versteht den durch das Wort ›Gott‹ bezeichneten Gott selber als Redenden, als von sich aus Redenden« (a.a.O. 94). 234 Cf. F. EBNER, Das Wort und die geistigen Realitäten (1921), BS 689, Frankfurt 1980, 178f (Der hebräische Gottesname [Ex 3,14]). 232

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etwas, was in gar keiner Weise nur unser Produkt ist und uns auch sonst bekannt wäre. Den Sinn des Wortes Gott verstehen heißt vernehmen, dass dies einzige Wort von etwas spricht, das nur von ihm selber her es wahr machen und erfüllen kann. Das aber bedeutet, dies Wort »Gott« besagt, dass Gott selber bei diesem Wort sein muss, damit es besagen kann, was es sagen will, d. h. damit es überhaupt zu uns spricht. Dies Wort selber schon besagt: Gott ist bei, mit und in dem Wort »Gott«, damit es spricht. Das Wort »Gott« ist eine Zusage, eine Verheißung von Gott selbst.235 Es wirklich hören heißt Gott glauben.236 So gehören Gott und Glaube »zuhauff« (Luther;237 cf. Röm 1,16 und 1Kor 1,18; 2,23), und das besagt, dass das Wort »Gott« einen bestimmten Umgang mit ihm verlangt und so wesentlich auf das menschliche Subjekt bezogen ist, das so oder so mit ihm umgeht. Genau dies ist rein sprachlich schon damit gegeben (oder vorbereitet), dass »Gott« als bloßes Wort keine bestimmte eigene Bedeutung aufweist, so dass es sprechend erst in dem jeweiligen Gebrauch (usus) wird, den wir davon machen,238 d. h. sprachlich in seinem Kontext.239 Dem aber liegt, es ermöglichend, prinzipiell zugrunde: das Wort »Gott« – als von Gott selber redend vernommen – sagt immer zugleich schon: Gott kommt.240 Nämlich: Gott kommt ins Wort, zunächst und zuerst in dies Wort »Gott«, Gott kommt selbst zur Sprache.241 So sagt auch das Wort »Gott« immer schon: »Gott sprach«.242 Gott ist der, der selber von sich aus zur Sprache kommen muss, damit das Wort »Gott« von ihm selber redet. Und das Wort »Gott« beginnt nur von Gott zu reden, wenn es uns zum Worte Gottes wird.243 235

Im äußeren Wort kommt Gott zu uns, solange wir in diesem Leben (unter irdischen Bedingungen) sind: im Glauben und noch nicht im Schauen (1Kor 13,12a; 2Kor 5,7). 236 Entweder ist das Wort »Gott« ein Selbsterweis Gottes oder nur ein flatus vocis. 237 S. o. Prolegomena, § 4, 2. (S. 62ff). 238 Gerade indem es nicht auf ein gegenständlich vorliegendes Signifikat beziehbar ist, kann das Wort »Gott« von selber zu sprechen und so von Gott zu sprechen beginnen. Es entfaltet im Hören und Denken eine sozusagen offenbarende Kraft. Indem aber das Wort »Gott« von ihm selber spricht, spricht damit Gott, und dies Wort »Gott« ist das erste Wort Gottes (in unserer Sprache). 239 Dazu s. u. 6.2. 240 Zu denken gibt auch die folgende Anmerkung bei Pannenberg: »Nach Gregor von Nyssa bezeichnet das Wort ›Gott‹ geradezu die eine Bewegung göttlichen Handelns, die vom Vater durch den Sohn und den Geist auf die Geschöpfe zukommt (Quod non sint tres dii; PG 45, 128 AC)« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 556 Anm. 28], 416 Anm. 113). 241 Heißt es bei Kleffmann: »Das Kommen Gottes setzt sein Wort voraus« (KLEFFMANN, Grundriß [wie oben Anm. 106], 131), so ist zu begreifen: Gott setzt sich selbst im Wort (bzw. als Wort) voraus. 242 Zum Dominus dixit s. u. 6.3. 243 Darum ist das Wort Gottes zugleich auch »Interpret der Funktion des Wortes ›Gott‹ in unsrer Sprache« (JÜNGEL, Unterwegs zur Sache [wie oben Anm. 233], 94; cf. 96.98).

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Das »Wort Gottes« ist Ausdruck der prinzipiellen Zugangsbedingung zu Gott selber. Von Gott wissen wir überhaupt nur, weil er selbst immer schon geredet hat, und daher ist »Wort Gottes« (einschließlich des Wortes »Gott«) der Inbegriff theologischer Erkenntnisbedingungen. Das Wort »Gott« redet nur dann von Gott, wenn Gott der ist, der von sich aus in dies Wort kommt bzw. gekommen ist, d. h., der von sich aus Wort werden will. Das führt zu der zweiten theologischen These: Das Wort »Gott« bezeugt, dass Gott als Wort (für uns) da sein will, dass Gott spricht und dass es so etwas wie ein Gotteswort gibt.244 Gäbe es kein eigentliches Wort Gottes (d. h. ein Sprechen als Zur-SpracheKommen bzw. -Werden Gottes), so gäbe es auch nicht das Wort »Gott«.245 Dies Wort Gott ist das erste Wort Gottes, und es ist auch begleitendes, konstitutives Moment aller Worte Gottes bzw. von jedem Gotteswort als solchem.246 244

Cf. JÜNGEL, a.a.O. 94: Das Wort »Gott« wird eindeutig als ein »Wortgeschehen, das aber als solches ein unserer Sprache nicht eigenes Wortgeschehen ist, sondern das Ereignis des Wortes Gottes«. Die dogmatische Aufgabe, »das Wort ›Gott‹ aus der Vieldeutigkeit in die Eindeutigkeit zu bringen« (H. GOLLWITZER, Gottes Offenbarung und unsere Vorstellung von Gott, München 1964, 8), ist somit theologisch erfüllt, wenn das Wort »Gott« als das erste Wort Gottes begriffen wird. 245 Man könnte die These über den Zusammenhang des Wortes »Gott« mit dem Wort Gottes als eine sprachliche Wendung des sog. »Physikotheologischen« Gottesbeweises ansehen; cf. Marheineke: »aus jedem verständigen Wort [cf. 1Kor 14,19] ist Gott besser zu erkennen und mehr zu bewundern, als aus ihr [sc. der stummen Natur]« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 557 Anm. 34], 93f [§ 158]); das gilt sinngemäß auch für das Wort »Gott«. Unsere These, dies Wort sei das erste »Wort« Gottes, hat auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Cartesianischen »Gottesbeweis«, dem gemäß der Begriff des Unendlichen dem des Endlichen, d. i. der Begriff Gottes dem Begriff meiner selbst notwendig vorauszusetzen ist und dass ich so die Idee Gottes von Gott selbst erhalten haben muss bzw. ich sie mir nicht ausgedacht haben kann (cf. die dritte der »Meditationen«, hg. von A. Buchenau, PhB 27, Hamburg 1915, 37 [28.] und 42 [41.]). Zu Pannenbergs entschiedener Aufnahme dieses Gedankens in der Form, dass die Idee des Unendlichen nach Descartes »Bedingung der Erfassung irgendwelcher endlichen Gegenstände einschließlich des eigenen Ich ist« (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 556 Anm. 28], 127), hat Ch. Axt-Piscalar interpretierend bemerkt, diese Idee sei von der Art, »dass sie nicht als aus dem Ich abgeleitet gedacht werden kann, sondern als sich von sich her im endlichen Bewusstsein manifestierend zu begreifen ist« (CH. AXT-PISCALAR, Das wahrhaft Unendliche, in: J. Lauster/B. Oberdorfer [Hgg.], Der Gott der Vernunft, RPT 41, Tübingen 2009, 319–337, hier 335). Damit ist der für die Gotteslehre entscheidend wichtige Gesichtspunkt prägnant festgehalten, dass die Idee des unendlichen Gottes nicht vom menschlichen Bewusstsein aus sich allein erzeugt werden kann. Cf. aber auch oben S. 590 Anm. 212. 246 »Gott« zu sagen, schließt nach Joh 1,1c notwendig ein, dass er Logos, der sich artikulierende Gott, ist; cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 575 Anm. 136), 26.

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Das bedeutet: Das Wort »Gott« als Wort der Religion ist, systematisch gesehen, die grundlegende Sprachgestalt des Wortes Gottes als der Offenbarung. Offenbarung ist so wesentlich das zur Sprache Kommen Gottes in der Religion und ihrer Sprache.247 6.2. Sprachlich gilt nun aber: Jedes Einzelwort ist nur im Zusammenhang eines Satzes erst wirklich sprechend; davon macht auch das Wort »Gott« keine Ausnahme. Das Wort »Gott« ist das erste Wort Gottes nur, sofern es spricht, und sprechen tut es wie jedes einzelne Wort erst, wenn es in einem ganzen Satz gebraucht wird.248 Gleichwohl ist es Gott als Wort selber, der in Sätzen über ihn (sowie auch zu ihm: Gebet) zu sprechen beginnt.249 Der Sinn (λόγος) der Einzelwörter im Satz hebt sich auf, um bei seiner Wahrheit, d. h. ihrem sprachlichen Sinn anzukommen, zugleich trägt er aber ständig zum Sinn des ganzen Satzes entscheidend bei.250 Wenn man mit P. Ricœur sagen darf,251 das Wort »Gott« verstehen heißt, dem »Richtungspfeil seines Sinnes« zu folgen,252 und gleichzeitig setze das Wort »Gott« den durch das ganze Kraftfeld (sc. der biblischen Texte) gebildeten umfassenden Kontext voraus, so kommt diesem Wort die zweifache wirksame Fähigkeit zu, alle Bedeutungen (in Einzelaussagen) zu vereinen253 und doch einen Horizont zu eröffnen, der sich einem Abschluss der Rede (über Gott) entzieht.254 247 Als der Offenbare kommt Gott sprachlich an uns und gegen uns – als die Wahrheit unseres Seins als Sprach-Geschöpfe. Nur so lässt sich begreifen, dass Offenbarung wesentlich eine im oder als Wort ist: Wort Gottes. 248 Cf. auch das oben S. 588 in Anm. 200 Zitierte (G. Ebeling). 249 Cf. das oben (5.2.) über die eigene dynamis und vis des Wortes »Gott« Gesagte. U. Wilckens behauptet demgemäß, dass man »in den Aussagen über Gott der Wirklichkeit Gottes selbst begegnet« (U. WILCKENS, Theologie des Neuen Testaments, Bd. I/1, Neukirchen-Vluyn 2002, 1). 250 Dabei gilt auch hier die dialektische Feststellung von B. Liebrucks: »Der Weg vom einzelnen Wort zum Satz war immer zugleich der Weg vom Satz zum einzelnen Wort« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein II [wie oben Anm. 181], 330). 251 Cf. P. RICŒUR, Philosophische und theologische Hermeneutik, in: ders./E. Jüngel, Metapher, EvTh.S, München 1974, 24–45, hier 42. 252 Was hier »Richtungspfeil« heißt, wurde oben in 5.2. als δύναµις und vis behandelt. 253 So vermag beispielsweise die christliche Verkündigung von Kreuz und Auferstehung dem Wort »Gott« eine Dichte zu geben, die der Begriff »Sein« nicht in sich schließt (cf. RICŒUR, a.a.O.). 254 Das Wort »Gott« verweigert von sich her eine bestimmte Instantiierung, indem es über jede unmittelbar vorstellbare (als eine unangemessene Verendlichung) hinausweist. Es hat in sich eine Dynamik, die sich tendenziell von jeder direkten Festlegung von selber abstößt. Was auch immer zur Identifizierung der Bedeutung dieses Wortes angeboten werden mag: Es erweist sich daran – kraft seiner eigentümlichen (sprachlichen) »vis« (Anselm) – aktuell als das »immer noch Größere«. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass Gott als der sich a se Hervorbringende begriffen werden muss. Man kann und sollte auch fragen: Wie und wie weit weist die Rede von Gott auch über die kommunika-

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Zu diesen sprachphilosophischen Überlegungen tritt eine spezifisch theologische Erwägung. Ein einzelnes Wort bzw. ein bloßer »Begriff« kann auch aus spezifischen Gründen der Gotteslehre Gott prinzipiell nicht zureichend benennen, weil und sofern er Subjekt ist: der aus sich selber Lebende – von Ewigkeit zu Ewigkeit. Als absolutes Subjekt ist Gott auch das lebendige Subjekt seiner Selbst-Darstellung oder -Auslegung und so auch nicht einfach das grammatische Subjekt eines Satzes, wie er in der formalen Urteilslogik aus einzelnem, fest zugrunde liegendem Subjekt und äußerlich hinzutretendem allgemeinen Prädikat gebildet verstanden wird. Sondern die Subjektivität des lebendigen Gottes kann, wie Hegel (in der »Phänomenologie«-Vorrede gerade an Sätzen über Gott) in der Theorie des »spekulativen Satzes« nachgewiesen hat, nur in der dialektischen Bewegung eines ganzen Satzes als absolute Subjektivität zur Darstellung gelangen bzw. sich bringen. Hier kommt das Subjekt aus seiner Selbstentäußerung ins Prädikat (als seiner eigenen »Substanz«) lebendig auf sich zurück, um in dieser Bewegung wirklich Subjekt zu sein.255 Aus dem Gesagten wird auch deutlich, warum ein wahrer und wirklicher Begriff von Gott nicht ein »Begriff« im formallogischen Sinne sein kann, weil ein solcher nämlich von der genuinen Sprachlichkeit des Gottesbegriffs immer schon abstrahiert hat. Entsprechend gilt vom Wort »Gott«, dass es ein leerer Name bleibt, solange er nicht in der sprachlichen Bewegung eines ganzen Satzes dialektisch seine Bestimmtheit gewinnt256 und so Gott wirklich als das Subjekt ausspricht, das er in solchem Sprechen selber ist.257 tive Absicht der Verfasser von Texten, in denen das Wort »Gott« prominent vorkommt, hinaus und relativiert so die Realisierungsbedingungen (bzw. deren historische Erforschung) jener Absicht mit diesen Texten (cf. dazu A. MAUZ, Machtworte. Studien zur Poetik des ›heiligen Textes‹, HUTh 70, Tübingen 2016)? In vergleichbarer Weise sollte auch die Jesus von Nazareth eigentümliche Rede von »meinem himmlischen Vater« nicht allzu umstandslos mit »Gott« (als einer scheinbar fraglos bekannten religiösen Instanz) gleichgesetzt werden; cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 567 Anm. 103), 6f. 255 Cf. dazu meine oben S. 587 in Anm. 199 genannte Arbeit. 256 Nach Hegel ist Gott, der an sich »das unbestrittenste Recht hätte …, daß mit ihm der Anfang gemacht werde«, aber »im Anfange nur leeres Wort« (HEGEL, Werke 5, 79), das erst in einem Satz seine Erfüllung gewinnt. Daher ist der der vorliegenden Gotteslehre zugrunde gelegte Satz: »Gott – das ist der sich Hervorbringende« eine Selbstauslegung des Wortes »Gott« bzw. eine sprachliche Artikulation dessen, was geschieht, wenn das Wort »Gott« ausgesprochen wird – ebenso wie Ex 3,14 eine solche performative Selbstauslegung ist. 257 Cf. Marheineke (mit Anklang an Hegels Theorem des »spekulativen Satzes«): »In der Vorstellung, welche den Namen: Gott aussagt, ist Gott noch das durchaus Unbestimmte und sie an sich hat kaum mehr, als diesen Klang und Namen. … In dieser Unbestimmtheit ist Gott das Gedankenlose, die noch in sich selbst beharrende, unmittelbare Einheit des Seyns und Nichtseyns und kann Alles, was von Gott bejaht wird, ebenso sehr verneint werden. … Denn der Unterschied [sc. an Gott] ist noch nicht gesetzt und das Denken am

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6.3. Die Einsicht in die spekulative Natur von Sätzen über Gott, d. h. mit dem grammatischen Subjekt Gott, realisiert an der Sprache, dass Gott nicht als starre Substanz, sondern zugleich als lebendiges Subjekt zu denken ist. Das hat bereits Luther (als theologischer Sprachdenker) verstanden. Denn für ihn ist es zwingend, das Nomen Deus als bewegtes verbum zu »konjugieren«, d. h. Gott als Gott notwendig als den Redenden zu begreifen: »deus dixit, Et dictus est«.258 Hier ist konsequent zur Geltung gebracht, dass Gott selber im Wort zu uns kommt, sprachlich, und so sich das Wort »Gott« (als Nomen) in das lebendige Wort Gottes (Verbum) übersetzt.259 Die theologische Grundaussage: Dominus dixit260 besagt, dass die Gotteslehre nur von Gott reden kann, weil Gott selber sich immer schon als der Redende ins Spiel gebracht hat, und dass sie auch nur daraufhin wirklich von Gott reden kann. Das impliziert: Gott ist ein Gegenstand unseres Redens über ihn (bzw. ein Thema der Theologie), dessen Thematisierbarkeit sich – sofern es um diesen »Gegenstand« selbst und als solchen geht – nicht ohne Weiteres »von selbst« versteht. Vielmehr geht die Theologie (zumal als Gotteslehre) unausweichlich von Offenbarung aus und muss diesen Begriff notwendig konzipieren, um die Bedingung der Möglichkeit ihres eigenen Redens von Gott selber namhaft zu machen bzw. das zu artikulieren, was sie von diesem Gegenstand in Anspruch nehmen muss, um überhaupt von ihm als solchem reden zu können. Der Offenbarungsbegriff hat die theoretische Funktion, das theologische Reden von Gott und unser Reden von Gott überhaupt nach seiner Ermöglichung von Gott selber her verständlich zu machen.261 Weil Gott von sich her redet, gibt es überhaupt Offenbarung; d. h., es ist das Wort Gottes, das Offenbarung zur Offenbarung macht,262 und das Wort Gottes als Gesetz und EvanSeyn noch nicht hervorgekommen« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 557 Anm. 34], 75f [§ 125]). Das Denken kommt am unmittelbaren Sein des Wortes »Gott« allererst hervor, wenn dies Wort zu sprechen beginnt und so in die Bewegung des »Unterschieds« (als die der Selbst-Konkretion) eintritt. Der bei Marheineke hier anklingende Bezug auf den Anfang von Hegels Logik (der Dialektik von Sein und Nichts; cf. auch a.a.O. 88 [§ 148]) ist durchaus sachgemäß und systematisch aufschlussreich für den Zusammenhang von Sprache und spekulativer Logik bei Hegel. 258 WA 48, 203,3–5, cf. dazu die lehrreiche Studie von J. V. LÜPKE, Theologie als »Grammatik der Sprache der heiligen Schrift«, NZSTh 34 (1992), 227–250. 259 Man fühlt sich an den Aphorismus K. Martis erinnert, er wünsche, dass Gott ein »Tätigkeitswort« werde. 260 Schon A. Calov hat sie als »Principium cognoscendi« der Theologie verstanden (A. CALOV, Systema locorum theologicorum, Bd. I, Wittenberg 1655, 268). 261 Darin ist impliziert: Gott ist nur unser »Objekt« als Subjekt; er ist (per definitionem) in menschlicher Rezeption unabhängig von dieser Rezeption; er ist nicht allein vom Menschen her zu entwerfen; cf. oben Anm. 214. 262 Das Wort muss als die »forma« von Offenbarung gedacht werden, d. h. als das für sie als Offenbarung Formgebende. Wegen der Sprachabhängigkeit aller Vernunft ist auch

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gelium (in lutherischem Verständnis) ist als die Selbststrukturierung göttlichen Redens mit dem sündigen Menschen zu seinem Heil zu begreifen. Die Worthaftigkeit der Offenbarung – das gilt selbst für die in der »Natur« – ist demnach nicht eine akzidentielle Eigenschaft oder bloße Ausdrucksgestalt von Offenbarung unter anderen, sondern deren Wesen als Selbst-Offenbarung des dreieinigen Gottes (als Logos) und Schöpfers aller Dinge per verbum sowie als des in Christus menschgewordenen ewigen Wortes. Als worthaft (und im verbum externum) gelangt sie spezifisch an den Menschen als das von Gott abgefallene, wenn auch zu seinem Ebenbild geschaffene und bestimmte Wort-Geschöpf. 6.4. Gottes Wort ist die Unterbrechung unserer Sprache in unserer Sprache. Es kommt als (unsere) Wahrheit zu uns gegen uns. Denn es ist der absolute Einspruch gegen den Verstrickungs- und Verblendungszusammenhang, den unser Sprechen miteinander, übereinander und über Gott für gewöhnlich und immer schon darstellt und weiterspinnt. Indem der Einzelne seine Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich (immer tiefer) in dieselbe ein (W. v. Humboldt). Dass seine Rede als quasi-natürlicher, allgemeiner Zusammenhang auf ihn zurückschlägt, verstrickt das Sprechersubjekt unentrinnlich, und was der sprachlich existierende Mensch ererbt von seinen Vätern, besitzt er, indem er es mit allen seinen »Kräften« erwirbt, ohne dass er sich »aus eigener Kraft« davon lösen könnte.263 Weil so kein Mensch von sich aus zu Gott bzw. in seine Wahrheit kommen kann, kann nur Gott selber kommen und wurde Mensch.264 Damit kommt Gott auch von sich her zur Sprache und begegnet uns in der Menschensprache. Da Gottes Kondeszendenz ins Wort des Menschen seine Antwort auf unsere Sünde als Widerspruch gegen ihn ist, kann in diesem Paragraphen nicht aus einem zeitlos-apriorischen Wesen Gottes deduziert werden, was »Wort Gottes« und was die Bedingung seiner Möglichkeit ist. Vielmehr muss theologisch vom Einspruch des Evangeliums aus auch von Gott als dessen auktorialem Sprecher geredet werden. Wo aber Gott als Ursprung seines Wortes an uns zunächst selber zur Sprache gebracht wird, ist dieser Kontext unserer theologischen Aussagen über ihn – auch über ihn in seiner ewigen Dreieinigkeit – immer vorauszusetzen, und er schimmert (in dieser Gotteslehre) bisher

in der Theologie das Wort (als Offenbarung bzw. Hl. Schrift) vorgängig vor der Vernunft, die als vernehmende selber geschichtlich vermittelt ist; man hat daher von der Bibel als »historischem Apriori« gesprochen (O. Bayer). Zum Wort als »forma« bei Luther cf. ausführlich RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 553 Anm. 12), 564ff. 263 Cf. T. KLEFFMANN, Die Erbsündenlehre in sprachtheologischem Horizont, BHTh 86, Tübingen 1994. 264 Cf. Kierkegaard über Jesus als den »einzigen Menschen …, der die menschliche Sprache richtig spricht, ihn, den von sich zu stoßen das ganze Geschlecht einig ist« (S. KIERKEGAARD, Das Evangelium der Leiden, in: ders., GW 18, 347).

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auch gelegentlich durch, bis er schließlich bei der Erörterung von »Gesetz und Evangelium« als solcher thematisch wird (cf. Röm 1,16–18).265 Theologisch kann die Lehre vom Worte Gottes also nicht direkt aus Gottes ewigem Wesen (als einer immer schon vorausgesetzten Bedingung seiner [ihrer] Möglichkeit) einfach abgeleitet werden. Sondern was hier über »Gott und die Sprache« gesagt wird, kommt immer schon her von Gottes heilsamer Unterbrechung unserer verkehrten Sprache als einer incurvata in seipsa, vom Widerspruch des Evangeliums gegen unsere Bestreitung des Gottseins Gottes, und bleibt darauf zurückbezogen.266 6.5. In solchen wesentlichen Zusammenhängen wird das Ereignis des Wortes Gottes zum Ereignis Gottes. Dessen erste sprachliche Manifestation ist das Wort »Gott«. Dabei hat man sich stets klarzumachen: Das Wort ist nicht ein bloß dienendes Mittel,267 um Gott selbst sozusagen indirekt zugänglich zu machen – so als hätte es selber nur die Funktion eines Verweisens oder einer äußeren Vermittlung, das Gott je und je zum Zeichen seiner Selbstvergegenwärtigung wählte.268 Vielmehr ist das Wort (Gottes und das Wort »Gott«) als sprechendes Wort selbst das »Ereignis« dieser Gegenwart Gottes selber:269 Indem es von Gott redet (d. h. Gott zur Sprache bringt bzw. Gott als Wort zur Sprache kommt), ist Gott im Wort und als Wort selber da. Sein Sein ist, insofern er der Deus loquens oder verbosus (Luther) ist, das Sein dieses seines Wortes. Die biblische Sprache hat für dies Sprachgeschehen als solches die »Wortereignisformel« geprägt: »Und es geschah das Wort des Herrn« (‫)ויהי דבר יהוה‬. 265

Cf. dazu RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 553 Anm. 12), 193–251. Hier ist zu diesem Thema kurz das Folgende zu sagen: Die Gesetzesoffenbarung identifiziert den verschärften Widerspruch göttlicher Offenbarungswahrheit gegen den sie empfangenden und verkehrenden Menschen, der sich vor ihr als in der Unwahrheit befindlich und sie festhaltend vernimmt (aufdeckende Seinserhellung aus Gottes Heiligkeit und Zorn). Die Evangeliumsoffenbarung (in Christus) ist das Geschehen von Gottes den Glaubenden von Gesetz, Sünde und Tod befreiender und über den Abgrund von Gottentfremdung und widergöttlicher Selbstbehauptung hinweg in die Gemeinschaft seines eigenen, ewigen Lebens hineinziehender Liebe (antithetische Neubestimmung bzw. Seinsverwandlung durch Gottes Barmherzigkeit und Gnade). – Worauf alle Offenbarung in mannigfach gebrochener Weise aus ist: das Kommen Gottes zum Menschen gegen dessen Widerstand, das ist im Evangelium von Gottes Vergebung endgültig manifestiert. 266 Zur Frage, wie sich Gottes zeithafte Neubestimmung in Jesus Christus und dessen Evangelium zu seiner Ewigkeit verhält, cf. oben § 9. Jedenfalls ist der »postlapsarische« Ansatz als der einzige uns in Anbetracht unserer wirklichen Situation als Sünder mögliche uns theologisch aufgegeben. 267 Die Wendung in CA V: »tamquam per instrumenta« ist als leicht unterbestimmt aufzufassen. 268 Zu dieser unsprachlichen Konzeption und dem sogenannten »Selbstwort« Gottes bei K. Barth cf. RINGLEBEN, Sprachloses Wort? (wie oben S. 573 Anm. 129), 79ff. 269 Cf. oben Anm. 238.

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Darin kommt zum Ausdruck, dass im Hebräischen ‫ דבר‬als Wort und Ereignis zugleich verstanden wird (cf. in Septuaginta und im Neuen Testament z. B. ἐγένετο τὸ ῥῆµα, Lk 2,15). Die sprachliche Grundbedingung dafür ist, dass das Wort als solches, zumal in einem Satz, kein Ding oder eine bloß gegenständliche Instanz ist, sondern das Ereignis von Sinn (logos), ein Sich-Vermittelndes, das Geschehen von Anrede, das sprachlich nur im Vernommenwerden und in dieser Hinsicht selber lebendiges Sich-Vergegenwärtigen ist: ein von außen an uns kommendes Geschehen, das an ihm selbst und von ihm selber her zugleich für uns ist. 7. Das Wort »Gott« und Gott (J. König) Wir gehen hier davon aus, dass uns im Wort oder Ausdruck »Gott« Gott selber begegnet. Gott ist uns somit in dem und durch dieses Wort gegeben und so wirklich für uns da. Es dient noch einmal anders der logischen Klärung dieser vielleicht ungewöhnlich oder befremdlich anmutenden These, sich vergleichbare sprachphilosophische Überlegungen von J. König270 zu vergegenwärtigen.271 In passender Übertragung des von König sorgfältigst Dargelegten und in engem (zum Teil paraphrasierendem) Anschluss an seine Formulierungen ist demnach Folgendes zu sagen:272 7.1. Es gibt Gott für uns, weil und insofern es das Wort Gott gibt. Für das Wort »Gott« wie für die von König behandelten Ausdrücke gilt, dass sie »eigenbedeutend sich schon anhören«, sie klingen also nach einer »vorausgesetzten Eigenbedeutung« (79). Zumindest aber ist es so, dass das sprachliche Vorkommen des Wortes »Gott« Grundlage und Ermöglichung aller unserer (religiösen und theologischen) Aussagen über Gott ist. Wie aber ist nun die Möglichkeit zu verstehen, dass es Gott gibt, sofern es den Ausdruck Gott gibt? König fragt in seinem Kontext, was für den unseren eminent gilt: »Heißt das nicht geradezu Wortvergötzung treiben?273 Ist es 270 J. KÖNIG, Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, Tübingen 21969, 71ff (§ 12. Das Verhältnis zwischen dem Ausdruck Eindruck-von und dem Eindruck-von mit Rücksicht auf die Relation von Ausdruck und Ausgedrücktem). Zu König cf. schon oben bei 3.4. (S. 589f). 271 Die Übernahme der Argumentation J. Königs in den hier vorliegenden Kontext geht natürlich ausschließlich auf das Konto des Verfassers (J. R.). Cf. auch Königs eigenen Satz: »Gedanken und Lehren verschiedener Herkunft miteinander zu konfrontieren, ist in der Philosophie meist nur annährungsweise möglich« (KÖNIG, a.a.O. 78). 272 König, der hier selber als ein besonderes Beispiel anführt: »man spricht von Gott« (a.a.O. 73), betont, dass es sich bei dem Bedenken gegen seine These an sich um ein »Problemgebiet von großem Umfang und größter Bedeutung handelt«; er will sich nur »auf das unbedingt Notwendige beschränken« (71). 273 Zur sprachphilosophischen Radikalkritik an der religiösen Hypostasierung des Wortes »Gott« bzw. eines bloß menschlichen Wortes zum Gotteswort einerseits bei F. Mauth-

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überhaupt denkbar, dass es ein Ausgedrücktes deshalb gibt, weil es den Ausdruck gibt, der es ausdrückt?« (71) Theologisch ist es denkbar, wenn, wie in dieser Gotteslehre, gilt: Gott bringt sich im Wort »Gott« nicht nur zur Sprache, sondern bringt sich darin (als seinem ersten Wort) auch selber sprachlich hervor.274 Doch zurück in den Kontext der König’schen Überlegungen. 7.2. In Analogie dazu, dass eine Offenbarungserfahrung als sich selbst gebende nicht als eine von uns als Offenbarung bloß aufgefasste oder beurteilte (»gedeutete«) Erfahrung verstanden werden kann,275 sondern wir sie als Offenbarung auffassen, weil sie eine Offenbarung ist (d. h. sich selber uns als solche imponiert), muss im Falle des Wortes »Gott« gesagt werden: Das Wofür des Ausdrucks Gott, das durch diesen Ausdruck Ausgedrückte, ist nicht als dem Sprechen von Gott schon so vorausgesetzt zu denken, wie wir es bei sonstigen Ausdrücken für etwas tun, wo für das Ausgedrückte eindeutig klar ist, dass »es als solches … mehr und anderes ist als Ausgedrücktes« (72). In diesem Sinn nämlich hat der (nur in der Korrelation von Gott und Glaube als Gott begegnende!) Ausdruck Gott »kein vorausgesetztes Wofür« (ebd.).276 Andererseits kann auch der Ausdruck Gott nicht Ausdruck sein, »ohne daß ihm ein Ausgedrücktes korrespondierte« (ebd.). So ist er als Ausdruck »eine Art Garant des Ausgedrückten« (ebd.). Aber worauf lässt sich diese Überzeugung gründen? Muss hier etwa gelten: »Gesetzt es wäre möglich, daraus daß etwas ein Ausdruck ist, zu folgern, daß es das gibt, wofür er Ausdruck ist …« (ebd.)? Demnach muss der Ausdruck Gott – mit einer spezifisch JosefKönig’schen Formulierung gesprochen – schon als Ausdruck ein (von anderen Ausdrücken) verschiedener Ausdruck sein. 7.3. Wie wir eine Offenbarung »nicht beurteilen als …« (sc. Offenbarung; s. o.), so handelt es sich hier auch nicht darum, zu »sprechen von Gott als …«;277 vielmehr geht es um ein einfaches »von etwas sprechen«, und so auch »spricht man von Gott« (73). Dies allerdings im Unterschied von einem Sprechen z. B. von N.N., den man bereits kennt. Von diesem (einfachhin) zu sprechen, ist möglich, weil ich von ihm (schon vorher, d. h., ehe ich von ihm spreche) weiß; von Gott hingegen »wissen wir nur, weil und insofern wir von ihm sprechen« (73). Freilich kann auch ein gewöhnliches Sprechen von N.N. als solches nicht garantieren, dass es N.N. auch gibt (74). Aber auf die beschriebene Weise ner cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 553 Anm. 12), 4f und zur Vergöttlichung des Namens Gottes andererseits cf. oben § 1 B. 2. (S. 112ff). 274 Siehe dazu noch einmal unten 9.2. (S. 607ff). 275 S. o. S. 559 bei Anm. 42. 276 Von einem nivellierenden Gebrauch des Wortes »Gott« ist hier nicht die Rede; er kann nur von dem ursprünglichen, religiösen Gebrauch her als Nivellierung begriffen werden. 277 Zur Erläuterung solchen Sprechens unter Bezug auf die Humboldt’sche Unterscheidung von »Bedeutung« und »Gegenstand« cf. KÖNIG, a.a.O. 78f.

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liegt eine entsprechende Voraussetzung gar nicht in dem Sprechen von Gott. Genau deshalb aber »hat es nun auch keinen angebbaren Sinn, die Möglichkeit zu denken, daß man von ihm spräche …, ohne daß es ihn gäbe« (ebd.).278 Damit aber wird die Rede von einer »Wortvergötzung« hinfällig (ebd.),279 wie sie im Falle des (seine Existenz garantieren sollenden) Redens von N.N. und bloß auf dies Reden hin vorläge, falls es ihn gar nicht gibt. Zwar kann das Wort »Gott« das Es-Geben Gottes (seine »Existenz«) nicht garantieren – das wäre widersinnig –; »aber es ist eben entsprechend widersinnig«, die Statuierung, dass Gott eine im Ausdruck »Gott« gegebene Sache ist, für eine Wortvergötzung zu halten (75). 7.4. Der Unterschied zwischen dem Ausdruck Gott und Gott muss »auf dessen eigenem Boden« gemacht werden (75). Wenn aber Gott »eine unverkennbare, ursprüngliche Beziehung zum Wort und Ausdruck« Gott hat, »ist die Frage, wie hier das Verhältnis von Ausdruck und Ausgedrücktem zu beurteilen sei, unausweichlich« (ebd.). Das Eigentümliche der fraglichen Sachlage besteht, wie gesagt, in Folgendem: Wenn man von dem Ausdruck für irgendeinen N.N. oder irgendein beliebiges Etwas (z. B. einen Baum) abstrahiert, ist man nicht genötigt, auch N.N. oder dieses Etwas wegzudenken. Der Ausdruck kommt zu ihnen lediglich hinzu. Beim Wort »Gott« hingegen ist es einleuchtend, dass der Ausdruck Gott nicht lediglich nur hinzukommt oder dass es Gott für uns geben könnte, ohne dass es diesen Ausdruck – oder einen ihm adäquaten – gäbe (75). »Gleichwohl besteht auch hier der Unterschied zwischen dem Ausdruck und dem Ausgedrückten« – wenn auch »auf dessen eigenem Boden«. Denn auch hier ist der Ausdruck »Gott« Ausdruck für etwas. Im ersten Fall (sozusagen der üblichen Sachlage bei N.N. oder Baum etc.) ist ein Ausgedrücktes »nicht sich selbst nach« dies, d. h. ein Ausgedrücktes.280 Der Ausdruck Gott hingegen »stellt uns vor das allerdings rätselhafte Etwas eines sich selbst nach Ausgedrückten« (75), und d. h. eines Seienden, zu dessen Was es gehört, Ausgedrücktes (bzw. Offenbares) zu sein. Da hier das Ausgedrückte (Gott) relativ ist auf den Ausdruck Gott (bzw. korrelativ dazu), so ist das Wort »Gott« ein Beispiel für ein »sich selbst nach bezogen-S e i e n d e s« (ebd.).281 278

König redet hier nicht ausdrücklich von Gott. S. o. 7.1. 280 Es ist dies sozusagen nur κατὰ συµβεβηκός. 281 Man könnte formulieren: eines καθ’ αὑτὸ πρός τι ὄν (ens ad aliquid) bzw. πρός τι λεγόµενον. Zur Erläuterung des Verhältnisses zu Aristoteles (Met. V 15, 1020b–1021b) cf. KÖNIG, a.a.O. 75–77 (Anm. 1). Über Husserls Unterscheidung von »anzeigenden« und »bedeutsamen« Zeichen (E. HUSSERL, Logische Untersuchungen, Tübingen 51968, Bd. II/1, 1. Kap. [§ 5]) cf. zur Problemvertiefung KÖNIG, a.a.O. 76–79. Erinnert sei an Gottes »Beziehungswillen« bzw. »-namen«. 279

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7.5. Wir fragen resümierend: In welcher Weise ist das Wort »Gott« ein Ausgedrücktes? Es ist Ausgedrücktes »weder rein als ›ausgedrückter Gegenstand‹ noch rein als ›ausgedrückte Bedeutung‹ des Wortes« (79). Das Fazit lautet mithin: Der Ausdruck Gott ist dadurch ausgezeichnet, dass er »ausgedrückter Gegenstand und ausgedrückte Bedeutung in ursprünglichem Zugleich ist« (79).282 8. Das Wort »Gott« und Gottes Name (Ex 3,14) Es seien hier noch die Folgerungen des eben (Unterabschnitt 7.) Ausgeführten für ein sprachphilosophisches Verständnis von Ex 3,14 (begriffen als Explikation des Wortes »Gott«) angedeutet. Man kann nach dem Dargelegten sagen (und muss es sogar): Gott ist kein (bloßes) Wort, denn Gott ist wesentlich in dem Wort »Gott« enthalten und gegenwärtig.283 In Ex 3,14 wird das Wort »Gott« zu einem Eigen-Namen, und dieser ist als in einem mehrfachen Sinn sprachlich verfasster in einem sehr besonderen Sinn »Name«.284 Das heißt: Was ein Gegenstand unserer Bezeichnung zu sein scheint (Gott als er selber), erweist sich zugleich auch, Inhalt des Gedankens von Gott zu sein: als in dem Wort »Gott« enthalten. Die (Selbst-)Aussage von Ex 3,14: »Ich bin, der ich bin« legt das Wort »Gott« ursprünglich aus, bzw. darin legt sich das Wort »Gott« selber (und durch sich: sui ipsius interpres) aus, und zwar als ein sich selbst Auslegendes (Wort). Damit ist gesagt: »Ich bin als der Sich-Sagende der, der ich bin.« Ex 3,14 definiert, was wir tun, wenn wir das Wort »Gott« aussprechen, nämlich Gott als den sich selber zur Sprache Bringenden und sich selbst Auslegenden zur Sprache kommen zu lassen. Im neutestamentlichen Weitersprechen von Ex 3,14 kommt die sprachliche »Selbst«-Offenbarung spezifisch in den ἐγώ-εἰµι-Worten des Johannesevangeliums vor, d. h. als unmittelbar menschensprachliche Rede.285 Ist schon Ex 3,14 theologisch nur als ein »Sprachgeschehen« zu begreifen, so stellt sich dies in den Selbstaussagen des johanneischen Christus als wirkliche Rede aus Menschenmund dar.286 Das besagt theologisch: Der Logos der Schöpfung (Joh 1,3f) kommt für uns zur Sprache; er wird, indem er Mensch wird, zugleich auch im Menschenwort gegenwärtig. 282 Damit ist Luthers »zuhauff«-Gehören von Gott und Glaube auch sprachphilosophisch eingeholt. 283 So wie Gott auch in dem Gedanken von Gott wesentlich enthalten und gegenwärtig ist, weil dieser Gedanke immer von Gott her mit ermöglicht ist (s. o. die Prolegomena). 284 S. o. § 1 (passim). 285 Siehe dazu RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 575 Anm. 136), 435ff. 286 Cf. auch Mt 11,27 und dazu ausführlich RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 567 Anm. 103), 272ff.

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Ex 3,14 (und seine Fortschreibung bei Johannes) ist als sprachliche Manifestation des göttlichen »Beziehungswillens« (Feldmeier/Spieckermann) zu begreifen, d. h. als das »rätselhafte Etwas eines sich selbst nach Ausgedrückten, d. h. e i n e s S e i e n d e n , d e s s e n W a s d a r i n b e s t e h t , A u s g e d r ü c k t e s z u s e i n«.287 Damit ist die abstrakt-distanzierte Frage: »Existiert Gott?«, d. h. als außerhalb unseres Sprechens von ihm und als unabhängig davon vorauszusetzender Gegenstand, als irreführend erwiesen. 9. Abschließende Überlegungen 9.1. Das Wort »Gott« selber, und eigentlich nur es, macht uns – zumindest zunächst – mit der Sache bekannt, die es ausspricht, und bringt uns vor sie.288 Eben weil und indem dies Wort etwas aussagt (»ausdrückt«), was sonst nirgends vorhanden (gar sichtbar vorhanden) ist, und weil es vielmehr so ist, dass alles, was wir als ein Vorhandenes (und irgendwie auch unabhängig von solchem Aussprechen Vorhandenes) aussprechen, nicht das ist, was dieses Wort ausspricht, weist das Wort Gott von sich aus über die bezeichenbare und besprechbare Welt hinaus. Im Verhältnis zu dem, was dies Wort ausdrückt, ist alles sonstige Bezeichen- und Besprechbare gerade erst nur »Welt«.289 Das Wort »Gott« verhält sich zu den Worten (und Sätzen), die auf Welthaftes zielen, durch einen Unterschied, wie ihn – im Religiösen selber – das Verhältnis des (überweltlichen) Schöpfers zur Schöpfung (geschaffene Welt) darstellt. 9.2. Was tun wir, wenn wir das Wort Gott (ernsthaft) aussprechen? Wir nennen ein Geheimnis, etwas ganz Anderes, als wir sonst mit unseren Worten besprechen, das Absolute. Worte verweisen gewöhnlich auf etwas Vorhandenes, Seiendes, und nur deshalb kann man auch fragen, ob sie es auch wirklich tun oder ob sie es nicht tun, also über etwas reden, was es nicht gibt. Nur deshalb entsteht die Frage, ob es Gott gibt, ob er existiert. Denn er ist nicht so gegeben oder da wie anderes, über das wir reden. Gewöhnlich bedeuten Worte etwas oder geben zumindest vor, dies zu tun. Ganz anders bei diesem geheimnisvollen Wort »Gott«. Es weist nicht auf etwas hin, das es (sozusagen »objektiv«) gibt oder vielleicht auch nicht gibt: Gott ist kein Signifikat eines sprachlichen

287

KÖNIG, a.a.O. 75. Es ist also nicht nur die äußerliche Bezeichnung von etwas, das auch anders zugänglich wäre. 289 Das Wort »Gott« ist der Tatbeweis dafür, dass unsere Sprache nicht auf Welthaftes (sichtbare oder unsichtbare Tatbestände, d. h. alles, »was der Fall ist« [Wittgenstein]), beschränkt ist. In der Sprache können wir auch noch jenseits allem überhaupt sonst Beredbaren sein. 288

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Bezeichnens, d. h. eines »significat«. Das Wort »Gott« bedeutet nicht den (irgendwie und vielleicht nur problematisch gegebenen) Sachverhalt Gott. Sondern vielmehr ist es so, dass das Wort Gott Gott als solchen überhaupt erst zur Sprache bringt. Das aber besagt: Wenn das Wort »Gott« gesprochen (gebraucht) wird, bringt Gott sich selber dabei hervor. Im Wort unserer Sprache (»Gott«) kommt Gott allererst (zu uns, die Sprechenden bzw. dies Wort Hörenden oder Lesenden). Gott bringt sich selber mit dem Wort »Gott« zur Sprache. Er ist nicht sozusagen erst da, und daraufhin könnten wir über ihn reden. Er bringt sich bei uns hervor, indem wir von ihm reden. Im Wort »Gott« sagt Gott sich selber an: als jetzt dabei gegenwärtig bzw. sich vergegenwärtigend. Daher »bedeutet« das Wort »Gott« nicht irgendetwas (mehr oder weniger Problematisches), sondern dies Wort ist Gott;290 es ist sein Kommen zur Sprache, indem er sich in und mit diesem Wort hervorbringt. Wer das Wort »Gott« ausspricht, gebraucht nicht ein Wort, das etwas schon Vorgegebenes »bedeutet« (significat), sondern ein Wort, das ein Da-Sein (mit und in ihm Da-Sein) zur Sprache bringt (est). Das Wort »Gott« ist ein absolutes Performativ: Es bringt mit sich, was es ausdrückt, indem Gott sich darin selbst hervorbringt. Weil Gott der Sich-Hervorbringende ist, gibt es ihn nicht einfach, oder existiert er sozusagen immer schon, sondern ist er der aktuell mit dem Wort Gegenwärtige, d. h. sich jetzt Ereignende oder selbst Verwirklichende. Dies ist das Geheimnis des Wortes Gott bzw. das Geheimnis von Gottes Sein, dass er immer der sich Hervorbringende ist. Wo Gott angesagt oder ausgesagt wird, fängt etwas absolut neu an, bzw. fängt das absolut Neue an. Denn Gott in seinem Wort von sich, d. h. unserem Wort »Gott«, unterbricht radikal den gewohnten und vorgegebenen Weltzusammenhang. Im Lichte seines Sich-Hervorbringens wird die Welt allererst als seine Schöpfung erfahrbar und aussagbar. Denn die Selbstverständlichkeit der uns bekannten Welt wird hier unterbrochen, und die Welt wird ihres selbständigen Eigenseins enthoben; sie wird überholt durch Gottes eigenes Kommen im Wort und so dazu relativiert, nur geschaffene Welt, Gottes Geschöpf, zu sein. Alles uns gegebene Sein, die uns vorliegende und verfügbare Welt, gerät damit in die Dynamik des sich – an der Welt und über sie hinaus (uns eingeschlossen) – hervorbringenden Gottes: Sie wird in die Dynamik seines Sich-Hervorbringens (»Ich werde sein, der ich sein werde«) hineingerissen und ist nur (wie wir selbst auch nur sind als) Moment in der unendlichen Bewegung dieses seines, des lebendigen Gottes, Kommens (inquietus actor). Gott – das ist der absolute Neuanfang von allem, und dieser absolute Anfang geht mit allem mit, ist der eigentlich Anfangende in allem und der über alles unendlich Hinausgehende. Weil und insofern Gott in allem, was ist, 290

Joh 1,1c: »und Gott war das Wort« besagt: Er ist der ewige Grund seines bei uns Seins als Wort.

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mit sich selber anfängt (d. h. sich hervorbringt), darum ist die Schöpfung kein Ereignis einer unvordenklichen Vergangenheit, sondern sie geschieht (immer neu) im Jetzt, das zugleich ein ewiges Jetzt ist.291 Gott ist nur so im Hier und Heute seiner Schöpfung (seines Schaffens und Erhaltens), dass er sich dabei hervorbringt und so unendlich über seine Schöpfung hinaus ist: bei sich in Ewigkeit. In seinem Sich-Hervorbringen als einem »Werden zu sich« ist er so bei seiner Schöpfung, dass er zugleich unendlich bei sich selber ist. Sein Aufsich-Zugehen ist die wahre Bewegung in allem geschaffenen Sein. Die Lebendigkeit seines Aus-sich- und Zu-sich-Seins (Aseität) ist die unendliche Dynamik, in die alles einbegriffen ist, was sonst ist, bzw. in die einbezogen alles sonst ist, was es schon ist und was es noch nicht ist.292 Der Glaube ist die Art und Weise, in diese Dynamik sich selbsthaft einbezogen zu wissen. Daher wird hier die These vertreten: Gott fängt bei jedem im Glauben mit sich selber an. Der grundlegende und entscheidende, diese Dynamik beim Menschen freisetzende Faktor ist die Bedeutung, die dem Wort »Gott« dabei zukommt – als dem Ort, an dem Gott sich in unserer Sprache hervorbringt.

G. Offenbarung und Glaube Nicht nur die grundsätzliche Frage nach der Wirklichkeit Gottes gewinnt ein anderes Aussehen, wenn man Gott als den Sich-Hervorbringenden (bzw. sein Sein als Sich-Hervorbringen) denkt, sondern dadurch wird auch die Eigentümlichkeit des Gottesgedankens begreiflich, die in dieser Gotteslehre von Anfang an als für ihn wesentlich und eigentümlich erklärt wurde.293 Man kann sich nämlich nicht zu Gott verhalten (wenn man von ihm redet oder das Wort »Gott« eigentlich gebraucht), ohne dass man dabei wesentlich selbst (als man selber) beteiligt ist oder wird. Verhält man sich zu Gott, so fordert dies (bzw. fordert Gott) ein bestimmtes Verhalten zu ihm. Für dies spezifische sich selbst zu Gott Verhalten steht fundamental das Wort »Glaube« ein. Er ist die Antwort, d. h. das sich einbeziehen und bestimmen Lassen, auf Gottes für uns sich Vergegenwärtigen, d.h sein sich uns Offenbaren als er selbst. Der Glaube wird wesentlich erweckt, nämlich durch ein Handeln des sich selbst vergegenwärtigenden und so sich beim Glaubenden hervorbringenden Gottes in dessen Selbstvollzug.294 Dergestalt ist der Offenbarungsglaube ein 291 Cf. Joh 1,1a: »Im Anfang war [immer schon] das Wort« mit V. 3a: »Alles ist durch dasselbe gemacht worden«. 292 Cf. oben § 5 C. (S. 356 Anm. 92). 293 S. o. Prolegomena § 4 (S. 60ff). 294 Das geschieht in gewisser Analogie zur Auferweckung des vergangenen Lebens Jesu durch Gott selbst.

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sich Öffnen (Lassen) für die Selbstvergegenwärtigung des Göttlichen bei einem, und er ist wesentlich passiv konstituiert: ein Empfangen. Offenbarung (bzw. Gott als der sich Offenbarende) ist das, was in jedem einzelnen Fall den Glauben begründet und von woher der Glaube sich auf den Weg gebracht erfährt. Weil sich in solchem von dem Offenbaren selber zu sich kommenden (bzw. sich zu Gott unterwegs wissenden) Glauben sich an ebendiesem Ort des Glaubenden das Sich-Hervorbringen Gottes überhaupt individuell reflektiert, hat der Glaube des Einzelnen selber eine Geschichte und erfährt der Glaube sich in eine (ihn umgreifende und über seine einzelne Subjektivität hinausreichende) Offenbarungsgeschichte einbezogen.295 Der Glaubende weiß immer, dass er nicht auf diesen Einzelmoment der ihm persönlich aufgehenden Offenbarungserfahrung beschränkt ist, sondern dass sein Glaube von weit her kommt. Daher drückt sich dieser auch in einer durch Überlieferung an ihn kommenden Sprache aus, in die der Glaubende sich selbsttätig einstimmt. Für den Glauben, indem er durch das Ereignis von Offenbarung, d. h. letztlich durch den sich an seinem Ort hervorbringenden Gott, sich erzeugt weiß, gibt es also zugleich einen »Mehrwert« der Offenbarung über ihre aktuelle Gestalt für ihn hinaus – als das Geheimnis, aus dem er hervorgerufen wird und von dem daher gilt: quo maius cogitari non possit. Daher weiß der Glaube sich als auf einen Weg gebracht. Faktisch ist solcher Glaube unausweichlich am Wort orientiert, das ihn über sich selber verständigt. Das gilt auch für das Wort »Gott«, sofern dies in allem »Wort Gottes« mitgesetzt ist und zur Eigenentfaltung gebracht wird.296 Als konstitutiv am Wort orientiert, ist der Glaube wesentlich sprachlich verfasst. Der (in einer Gotteslehre zu entfaltende, die Offenbarung und den Glauben einbeziehende) »Begriff« Gottes schließt daher notwendig die lehrmäßige Verständigung über alles auf Gott selber bezogene »Wort Gottes« (wie z. B. fundamental Ex 3,14) und mithin auch das Wort »Gott« ein. Man glaubt zwar nicht an einen Gottesbegriff als ausgearbeiteten theologischen Begriff, sondern an Gott selber, sofern er den so zum Glauben Kommenden anredet. Aber der dogmatische Gottesbegriff ist der theoretische Inbegriff dieses sich offenbarenden Gottes, sofern er ein solcher ist, der in seinem Wort (und dem Wort Gott) selber da ist und vom Glauben an seinem Wort und in diesem Wort erkannt werden kann. Im vom Wort Gottes zu sich erweckten Glauben (bzw. als dieser) gelangt unsere innerste Wahrheit (als Wort-Geschöpfe; cf. Joh 1,9–11) von außen (extra nos) an uns. So ist der Glaube Gottes, des Offenbaren, Sein bei uns: sein Sich-Hervorbringen und Sich-Mitteilen am Orte unseres Selbstseins. 295 296

Cf. oben Abschnitt C. (S. 568ff). Cf. oben F. 6. (S. 595ff).

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Die Korrelation von Gott und Glaube ist sachlich identisch mit der Korrelation von Glaube und Offenbarung.297 Gottes Sich-Offenbaren ist sein SichHervorbringen am Ort des Glaubens und so zugleich ein sich in solchem Selbstvollzug in sich Zurückreflektieren als ewiger Gott. Wegen dieser »Korrelation« ist noch einmal zu sagen: Es existiert nicht zuerst Gott (sozusagen an sich), um sich dann (gelegentlich) auch zu offenbaren; sondern in seinem Sich-Offenbaren-für-… ist er, sich selbst verwirklichend, was er als Gott ist. Er ist der Offenbare, d. h. wesentlich als der zu uns Kommende.

297 Cf. dazu in E. HERMS, Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen 1992, die Darlegungen zu »Offenbarung« (168ff), »Offenbarung und Erfahrung« (246ff) und »Offenbarung und Wahrheit« (272ff).

§ 11 Der Liebende Gottes Liebe ist die umfassende Wirklichkeit seines Schöpfer- und Offenbarerseins: die freie Selbsthingabe an sein unversöhntes Gegenüber, um in der durch Selbsterschließung und Selbstmitteilung schöpferischen Vereinigung mit ihm dies Andere in die ewige Gemeinschaft einzubeziehen und so versöhnt an der eigenen Selbstliebe teilhaben zu lassen.

A. Einleitung In der Tiefe jeder Religion gibt es eine Ahnung davon, dass Gott Liebe ist. Der christliche Glaube ist, was er ist, als ausdrückliches und zu letzter Eindeutigkeit erhobenes Bekenntnis zur Liebe Gottes und zu Gott als der ewigen Liebe selbst. Wird Gott selber als der Liebende bzw. als die Liebe geglaubt, so werden damit das letzte Ziel der Schöpfung, das Wesen der Ewigkeit und der Gehalt der Offenbarung gedacht. Vom Christentum ist als der »absoluten Religion« zu reden,1 a) insofern sie vollendet, was in den Religionen der Menschheit angelegt ist bzw. worauf die Religionsgeschichte suchend und tastend aus ist; b) insofern als mit dem Satz »Gott ist Liebe« behauptet wird, dass das Menschlichste am Menschen zugleich das Göttlichste an Gott ist. Wird Gott als der Liebende gedacht, so die Liebe als das Absolute und d. h. der überempirische Sinn der Wirklichkeit im Ganzen.2 »Sinn« besagt hier ihre Bestimmung als das Zugleich von konstitutiver Wahrheit und letztgültigem Ziel. Umgekehrt ist zu sagen: Ist das Absolute als die ewige Liebe zu denken, so als ein aus sich selbst Lebendiges.3 So wird aus einem rein philosophischen Begriff ein auch theologisch anschlussfähiger Begriff. 1

Cf. dazu oben § 10 B. 2. (S. 565ff). Liebe ist somit kein »anthropomorphes« Prädikat Gottes (im religionskritischen Sinn) – wenngleich sie in der Anthropomorphie des menschgewordenen Gottes real ist (cf. Phil 2,7) –, sondern umgekehrt bezieht sie sich auf das absolute Wesen allen Seins bzw. des Seienden im Ganzen (cf. Eph 3,14f) und hat damit eschatologische Letztbedeutung (cf. 1Kor 13,13). 3 Aseität als Inbegriff von Absolutheit wird, wenn sie wie hier als causa sui (d. h. Gott als Sich-Hervorbringender) gedacht wird, durch die Konkretion als Liebe als eine von ihr selbst her offene, für Andersheit überhaupt aufgeschlossene Absolutheit begriffen. Das 2

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Sprachgeschichtlich entspricht der (gewordenen) Absolutheit des christlichen Liebesbegriffs der Umstand, dass sich im Christentum (vermittelt durch die Septuaginta) ein neues Wort für »Liebe« durchsetzt, das Wort ἀγάπη.4 Agape ist (neben πίστις) der christliche Begriff schlechthin, weil es in einem Wort die Einheit aller absoluten Verhältnisse in sich begreift: ἀγάπη ist sowohl die Liebe Gottes zum Menschen und der Menschen zu Gott wie auch die Liebe der Menschen untereinander (Nächstenliebe). Daran ist das Auffällige, dass die eine grundlegende Liebesbeziehung (die Gottes zum Menschen) sich beim Menschen bzw. in seiner begründeten Liebesbeziehung doppelt darstellt.5

B. Der Liebende Der locus classicus für die definitive Bestimmung Gottes als Liebe steht in 1Joh 4,16b und 8b: Ὁ θεὸς ἀγάπη ἐστίν.6 Die folgende systematische Interpretation dieser Aussage7 reflektiert nacheinander die Haupttermini des zentralen Satzes, um so ihre internen Bezüge möglichst vielseitig auszuloten, und beginnt dabei mit der Kopula. 1. Gott ist Liebe 1.1. Hier ist zunächst auf eine grundsätzliche Kritik dieses Satzes Rücksicht zu nehmen, die sich bei L. Feuerbach findet. Er fragt, was es heiße, Gott sei heißt auch: Es geht nicht um eine »egozentrische« Selbstliebe Gottes, sondern um eine im Anderen als solchen bei sich seiende Liebe. 4 In der klassischen Gräzität dominierten Termini wie eros, epithymia (Phaidr. 237d, cf. 238c), philia, pothos u. a. den Sprachgebrauch (zu Aristoteles s. u. S. 628 Anm. 103), und im Lateinischen der Vulgata tritt caritas an die Stelle von amor. Für die Antike (und weit darüber hinaus) cf. das nahezu unerschöpfliche Werk von E. A. SCHMIDT, Das süßbittre Tier. Liebe in Dichtung und Philosophie der Antike, Frankfurt 2016. Zu den alttestamentlichen Entsprechungen cf. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen, TOBITH 1, Tübingen 2011, 131 Anm. 18. 5 Das hat Konsequenzen für die Anlage dieses Paragraphen und ist besonders unten in Abschnitt D. (S. 644ff) zu erörtern. 6 Die beiden anderen definitionsartigen Bestimmungen von Gottes Sein finden sich ebenfalls im johanneischen Schrifttum: Joh 4,24: Gott ist Geist (πνεῦµα) und 1Joh 1,5b: Gott ist Licht (φῶς). 7 Zur neutestamentlichen Deutung cf. TH. SÖDING, Gott ist Liebe. 1Joh 4,8.16 als Spitzensatz Biblischer Theologie, in: ders. (Hg.), Der lebendige Gott (FS W. Thüsing), NTA 31, Münster 1996, 306–357. Zur Liebe im Neuen Testament überhaupt cf. FELDMEIER/ SPIECKERMANN, a.a.O. 127–130.

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die Liebe: »Ist Gott noch etwas außer der Liebe? ein von der Liebe unterschiedenes Wesen?«8 Die Folge wäre: »Die Liebe wird so zurück- und herabgesetzt, verfinstert durch den dunklen Hintergrund: Gott. Sie wird nur zu einer … Eigenschaft«.9 Sollte aber das gelten, »so lange lauert im Hintergrund der Liebe ein Subjekt, das auch ohne Liebe noch etwas für sich ist, ein liebloses Ungeheuer, ein dämonisches Wesen, dessen von der Liebe unterscheidbare und wirklich unterschiedene Persönlichkeit … das Phantom des religiösen Fanatismus«.10 Den logischen Fehler in einem solchen Verständnis des Satzes erblickt Feuerbach darin, dass in ihm Liebe dabei »den Rang nur eines Prädikats, nicht des Subjekts, nicht der Substanz« behält.11 Daher sei um der Absolutheit der Liebe willen der Gottesgedanke preiszugeben: »denn opfern wir nicht Gott der Liebe auf, so opfern wir die Liebe Gott auf«.12 Zu dem von Feuerbach konstruierten Dilemma kommt es allerdings nur, weil er den Satz von Gott als der Liebe als ein Urteil (im formallogischen Sinne) missversteht und dabei die Dialektik der Kopula: (Gott) ist … verkennt, weil er meint, hier werde ein allgemeines Prädikat (Liebe) einem besonderen Subjekt (Gott) zugesprochen. In Wahrheit handelt es sich bei der Aussage von 1Joh 4,16 aber um kein Urteil, sondern um das, was G. W. F. Hegel – und dies gerade im Ausgang von den Eingangssätzen des JohannesPrologs13 – als einen »spekulativen Satz« begriffen hat.14 Danach verliert das Subjekt des Satzes in der Kopula seine Substanzialität, übersetzt sich selber in das Prädikat, das so seine freischwebende Allgemeinheit einbüßt, und gewinnt am Orte des Prädikates seine wirkliche (sprachlich lebendige) Subjekthaftigkeit. In der Kopula »ist« kommt mithin zum Ausdruck, dass Gottes Sein

8 L. FEUERBACH, Das Wesen des Christentums (1841), Erster Teil, (2. Abschnitt), in: ders., Werke in sechs Bänden (Theorie-Werkausgabe), hg. von E. Thies, Bd. V, Frankfurt 1976, 59. Cf. dazu auch E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 430ff (§ 20). 9 FEUERBACH, ebd. 10 A.a.O. 60. Feuerbach mag an die potentia Dei absoluta des Nominalismus denken. Aber auch der Gedanke des deus absconditus ist vor diesem Missverständnis zu schützen (s. o. § 10 B. 1.2. [S. 563ff]). 11 A.a.O. 59. 12 A.a.O. 61. So wirft Feuerbach dem Glauben vor, er opfere »die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott als einem vom Menschen unterschiednen persönlichen Wesen auf« (a.a.O. 381). Der Widerspruch von Glaube und Liebe ist demnach der eigentliche Widerspruch der christlichen Religion (ebd.). 13 Cf. dazu J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, Tübingen 2014, 24f Anm. 39. 14 Cf. ausführlich J. RINGLEBEN, Sätze über Gott und spekulativer Satz, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. II, 192–209.

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sein eigenes Übergehen zum Anderen seiner selbst ist, er also er selbst (als wahres Subjekt) ist, indem er die Liebe ist.15 Gott ist somit nach 1Joh 4,16b und 4,8 nur Subjekt im »Haben« dieses Prädikates (das in Wahrheit kein bloßes solches mehr ist), und sein Sein ist die Selbstwiederholung des Subjektes im Prädikat. Er ist so als der Liebende der Lebendige, absolutes Selbst, ewige Persönlichkeit. Gott ist Liebe und »hat« sie nicht nur, so dass er selber noch etwas anderes wäre als die ewige Liebe selbst. Man kann in diesem Sinne mit einer Paraphrase von Anselm von Canterbury sagen: Quod Deus sit ipse amor, quo amat.16 Seine »Liebe« ist mithin so etwas wie ein »essenzielles Attribut« Gottes, also kein »Attribut« im äußerlichen Sinne, sondern allein mit dem Sein Gottes selber zu identifizieren. Denn die ontologische Differenz von esse und essentia entfällt hier,17 bzw. Gott selber hebt sie auf, indem er der Lebendige und so die Liebe ist. »Gott ist … das ausstrahlende Geschehen der Liebe selbst« – und nicht nur in der Liebe gegenwärtig.18 1.2. Als solches sich selbst hingebende Geschehen seiner selbst (in seinem eigenen ewigen Sohn) ist Gottes Sein als die Liebe ein geschichtliches Geschehen bzw. Ereignis seines vorbehaltlosen Selbsteinsatzes bzw. seiner wirklichen Selbst-Investition zu denken. Das ist in Joh 3,16 prinzipiell formuliert: Denn so (sehr) hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen [einzigen und geliebten] Sohn dahingegeben hat, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.19 1.2.1. Dieser christliche Grund-Satz ist theologisch nicht zu verstehen, ohne ihn bereits im Gedanken der Schöpfung angelegt und vorbereitet zu finden. 15 Weil ihm das entgeht, zieht Feuerbach aus einer an sich richtigen Feststellung eine falsche Konsequenz, indem er Subjekt und Prädikat undialektisch gegeneinander festhält: »Die Liebe bestimmt Gott zur Entäußerung seiner Gottheit. Nicht aus seiner Gottheit als solcher, nach welcher er das Subjekt ist in dem Satze: Gott ist die Liebe, sondern aus der Liebe, dem Prädikat, kam die Verleugnung seiner Gottheit; also ist die Liebe die höhere Macht als die Macht der Gottheit« (FEUERBACH, a.a.O. 60). Wer sagt: »Ich bete an die Macht der Liebe«, betet sie, recht verstanden, als die sich hingebende Allmacht der Gottheit an. 16 Cf. Anselm, Prosl. 12 (wo es entsprechend von Gottes Leben [vita] gesagt wird; s. o. § 3 C. 1.4. [S. 270 bei Anm. 131]). 17 S. o. § 3 C. 1.1. (S. 269f). 18 Cf. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt (wie oben Anm. 8), 449. 19 Luther. Zur Auslegung im Einzelnen cf. J. RINGLEBEN, »Der Gott der Liebe«, in: ders., Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 13), 276–286.

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Denn schon die Schöpfung der Welt und insbes. des Menschen ist christlich nur als Manifestation der sich entäußernden göttlichen Liebe und als Selbstpreisgabe Gottes adäquat begriffen.20 Die geschaffene Welt hat sowohl als Natur wie als personales Menschengeschöpf, theologisch gedacht, die ewige Liebe als das »Prinzip der Welt« in sich (cf. Weish 11,24).21 So ist in der Schöpfung nicht nur Vernunft erkennbar,22 sondern im Glauben auch die schöpferische Liebe erfahrbar. Mit dieser Einsicht endet die Dante’sche Gottesschau: »L’Amor che muove il sole e l’altre stelle« (Par. 33,145); cf. dazu E. A. Schmidt, Das süßbittre Tier (wie oben Anm. 4), 229f. Die göttliche Liebe ist selber schöpferisch (protologisch schaffend), sofern sie auf die Erschaffung eines persönlich zu Liebenden (des Menschen) als ihr spezifisches Ebenbild abzielt (Gen 1,27: in der liebenden Bezogenheit von Mann und Frau!); diese Gottebenbildlichkeit erfüllt sich ihrerseits in der menschlichen Gottesliebe. Indem ferner Gottes Liebe es ist, die alles Geschaffene auch zu der ihm spezifisch zubestimmten Erfüllung bringt (eschatologisch schaffend), ist diese ewige Liebe der letzte Sinn der Schöpfung.23 Die göttliche Liebe ist eine Bewegung auf das Reich Gottes zu, d. h. die Gemeinschaft unbeschränkter Kommunikation Gottes mit den Vollendeten24 und dieser untereinander – wenn dann Gott »alles in allem/n« sein wird (1Kor 15,28). Damit ist das Ziel der ewigen Liebe die absolute Form von Vereinigung überhaupt; deren endliches Abbild die christliche Nächstenliebe25 und der notwendige Zusammenschluss der Glaubenden zu einer Gemeinde ist. 20

S. o. § 8, bes. F. 4. (S. 500ff). Cf. dort auch Anm. 157 und 158. »Diese göttliche Liebe, als das Prinzip der Welt oder der Einheit der Natur und des Bewußtseyns, ist das Göttliche der Natur und des Bewußtseyns und die beide erschaffende Macht« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Berlin 21827, 141 [§ 241]). Diese alles erschaffende Liebe bestimmt mithin auch die Schöpfung als Werk des eigenen Geistseins Gottes: »Die Liebe, aus der in Gott die Welt hervorgegangen, ist der Antheil des Geistes an der Weltschöpfung, und diese somit die ewige geistige Thätigkeit Gottes« (a.a.O. 145 [§ 247]). 22 Theologisch ist freilich die in Natur und Geschichte erkennbare oder spurenhaft ablesbare Vernunft nur ein irdischer Abglanz der unendlichen göttlichen Weisheit (cf. Röm 11,33–36). Deshalb sind Gottes »Gedanken« denen der Menschen unerreichbar überlegen (Jes 55,8f) und ist seine lebendige Vorsehung für sie uneinholbar (cf. Gen 50,20). Die Furcht des Herrn ist genau darum der »Anfang der Weisheit« (Spr 9,10; cf. 1,7: »… der Erkenntnis«), weil Gott der Herr selber Inbegriff der Weisheit ist. Darum auch ist die σοφία in Gestalt des Logos die zweite Person in der Trinität des lebendigen Gottes. Als eine notwendige Bedingung für die Weisheit Gottes ist die göttliche »Allwissenheit« zu verstehen (s. u. § 12). 23 Für die Antike cf. das 7. Kapitel bei SCHMIDT, Das süßbittre Tier (wie oben Anm. 4), 209ff. 24 Es geht also beim Gottesverhältnis prinzipiell nicht um eine individuell verengte, exklusive Zweierbeziehung. 25 S. u. Abschnitt D. 2. (S. 648ff). 21

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Gottes schöpferische Liebe zielt somit auf eine intime Lebensgemeinschaft in der Teilhabe aller Menschen am ewigen Leben des Schöpfers und Vollenders. Umgekehrt ist zu sagen: Gottes Wesen als der Lebendige26 konzentriert sich in der Intentionaliät seiner Liebe zum Geschaffenen. Und Gottes Wesen als der Allmächtige27 konkretisiert sich in seiner liebenden Solidarität mit den Ohnmächtigen, unter die Räder Gekommenen, uneinholbar Benachteiligten, den Opfern der Geschichte, den in Verlassenheit Sterbenden. Von daher gewinnt das abschließende göttliche Urteil über die Schöpfung – von Liebe erleuchtet – seine umfassende Bedeutung: »und siehe da, es war sehr gut« (Gen 1,31). Gott ist der Schaffende, weil er der Liebende und selber die Liebe ist. 1.2.2. Insbesondere durch seine schöpferische Liebe und seine Selbstmitteilung in der Offenbarung28 ist Gott nicht der »leblos Einsame«.29 Gott als der Schaffende bringt mit sich auch ein geschöpfliches Gegenüber, den leiblich-personhaften Menschen, hervor, um in ihm bei sich zu sein, und dies als »der Offenbare«, in der geistigen Einheit des Glaubens (irdisch) und des ewigen Lebens (eschatologisch). Er bringt diese Einheit in seiner versöhnenden Liebe hervor, indem er kondeszendent als der Ewige in der Zeit (Menschwerdung) und als der Liebende im Tode ewige Gemeinschaft mit den gerechtfertigten Sündern bewirkt.

26

S. o. § 4. S. o. § 5. 28 S. o. § 10. 29 HEGEL, Werke 3, 591; cf. auch 19, 454 (Plotin). Cf. »Fides Damasi«: »non sic unum Deum, quasi solitarium« (DS 71); ähnlich BARTH, KD I/1, 373 und III/2, 390 (vom Menschen: 384); zu »solitarius« in Ciceros »Hortensius« cf. Lactanz, Div. inst. I 7; PL 6, 149). Hegels anschließendes (freies) Zitat: »aus dem Kelche dieses Geisterreiches / schäumt ihm seine Unendlichkeit« stammt aus F. Schillers Gedicht »Die Freundschaft« (gedr. 1786), letzte Strophe, hier: »Seelenreiches«; cf. auch Schillers »Philosophische Briefe« (»Theosophie des Julius«; Gott): »aus dem Kelch des ganzen Wesensreiches«; Schillers Sämtliche Werke (Tempel-Klassiker), Bd. XII, hg. von F. Strich, Leipzig o. J., 365. Hegel dazu nochmals (mit Bezug auf Mt 22,32): HEGEL, Werke 18, 96. Cf. auch J. W. GOETHE, Die Leiden des jungen Werthers. Erste Fassung (1773/74), Erstes Buch (18. August): »aus dem schäumenden Becher des Unendlichen, jene schwellende Lebenswonne zu trinken« (ders., GA 4, 315, cf. [2. Fassung] 431). Im »West-Östlichen Divan« steht: »Stumm war alles, still und öde, / Einsam Gott zum erstenmal! / Da erschuf er Morgenröte, / Die erbarmte sich der Qual; / Sie entwickelte dem Trüben / Ein erklingend Farbenspiel, / Und nun konnte wieder lieben, / Was erst auseinanderfiel« (»Wiederfinden« [24. IX. 1815], 4. Str., Buch Suleika; a.a.O., 3, 365). Anders Schelling (vorläufig) vom selbstgenügsamen, absoluten Geist: »Er ist der durch sich selbst, durch seine Natur Einsame (solitarius), für den es noch gar kein Außer-ihm gibt« (F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I [12. Vorl.], in: ders., SW 13, 260). 27

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Als der in Christus Offenbare ist er der Liebende,30 und d. h., die göttliche Liebe ist der wesentliche Gehalt der Offenbarung und bezeichnet ihr letztes Ziel sachhaltig-konkret: »Weil Gott Liebe ist, darum hat er schließlich, nachdem er einmal in seiner Freiheit eine Welt geschaffen hat, auch sein eigenes Dasein nicht mehr ohne diese Welt, sondern ihr gegenüber und in ihr im Prozeß ihrer sie verwandelnden Vollendung.«31 Ebendies ereignet sich durch den Geschehenszusammenhang seiner Offenbarung als Manifestation von Gottes ewiger Liebe, durch deren Vollzug er seine »wahre Unendlichkeit« (als übergreifende Einheit) konstituiert.32 1.2.3. Vor dem Hintergrund von Schöpfung und Offenbarung gewinnt der Satz von Joh 3,16 seinen geschichtlichen Sinn. Er artikuliert Gottes LiebeSein als die definitive Einheit von Sein und Tun: »Sein Sein als Gott ist Sein im Geschehen dieser seiner eigenen Geschichte.«33 Entsprechend ist die Geschichte Jesu Christi »die ewige Geschichte, die ewige Bewegung, die Gott selbst ist.«34 Diese eigene Geschichte Gottes ist die Geschichte seines Sich-Verschenkens an die Lieblosigkeit selbst (den johanneischen κόσµος; cf. Joh 1,11). Als diese Geschichte bzw. in diesem Prozess hat Gott sich definiert (cf. Hebr 1,1f),35 und der Glaube an Gottes Liebe ist nur aufgrund der geschichtlichen Erscheinung Jesu entscheidend möglich geworden. In dieser Geschichte spricht Gott an ihrem Abschluss sein definitives Wort: »Ich bin, der ich hier (sc. am Orte Jesu) bin«.36 In der Lebens- und (vor allem) Leidensgeschichte Jesu schreibt Gott seine Liebesgeschichte, ist er offenbar als die ewige Liebe. Die Geschichte von Wort und Tod Jesu ist Gottes eigene Passionsgeschichte. Diese Liebe ist also keine bloße »Passion« Gottes, sondern seinem eigenen Sein so wesentlich

30

S. u. Abschnitt C. (S. 632ff). W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 482. R. Rothe will eine innere Notwendigkeit der göttlichen Liebe zum freien Erschaffen ihres Anderen und der Selbstmitteilung an es behaupten: »weil Gott seinem Wesen nach die Liebe ist, muß er (als nothwendige Folge dieser schon vorhandenen Bestimmtheit seines Wesens) eine Welt hervorbringen«, das schließe aber die Behauptung aus, »daß Gott, um Liebe zu werden, die Welt hervorbringen müsse« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 2 1869, 168 [§ 41 Anm.]). Danach ist die ewige Liebe per se (bzw. analytisch) schaffend, und die »Notwendigkeit« göttlicher Liebe liegt darin, Gott wesensgemäß, also nicht beliebig (willkürlich) oder grundlos, zu sein. 32 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 480. 33 BARTH, KD IV/1, 224. 34 HEGEL, Werke 17, 298f, cf. 294 u. ö. 35 Und zwar neu. Zu Gottes eigener Neubestimmung in dieser Geschichte seiner selbst s. u. C. 1. (S. 633f). 36 Cf. dazu oben § 1 D. 2. (S. 128 bei Anm. 219). 31

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eingeschrieben, dass er sie bis in die Passion seines Sohnes durchhält.37 Der Satz: Gott ist Liebe (s. o.) versteht Gottes Sein in dieser Geschichte. Weil Gottes Handeln mit der Welt von dieser sich durchsetzenden Liebe bestimmt ist, ist es die bewegende Kraft der Geschichte als Heilsgeschichte. Wie bei jeder (gelingenden) Liebesgeschichte die Momente von SichErblicken, Sich-Versprechen und Sich-Vereinigen vorkommen,38 so auch bei der göttlichen, und zwar in der theologischen Gestalt der drei Momente: 1) als vorlaufende Offenbarung; gratia praeveniens in der ahnungsvollen Liebeserfahrung: »ubi amor, ibi oculus«.39 2) als das göttliche Wort (promissio bzw. Gottes Sich-Binden in seiner Selbstoffenbarung). 3) als endgültige Gnade (unio mystica; Flamme des Geistes). Zur Zusammenfassung dieses ersten Interpretationsganges zu 1Joh 4,16b und 8: »Gott ist Liebe« soll Luther angeführt werden, der vor dem Hintergrund der Aussage, dass die natürliche Vernunft irgendwie weiß, dass Gott ist, aber nicht, wer er ist,40 für den Gott der Liebe den unübertrefflichen Ausdruck gefunden hat: ein glüender backofen voller liebe.41 Damit ist Sein und Wesen des lebendigen Gottes als ewige und ewig tätige Liebe zutiefst beschrieben: »im abgrund seiner Gottlichen natur nihil aliud est quam ein feur und brunst, quae dicitur lieb zun leuten«.42 2. Gott ist Liebe Wer und was Gott ist, dass er die ewige Liebe selbst und wie er dies ist, zeigt sich an Wort und Geschichte Jesu von Nazareth.43 Hier gilt absolut: »Talis est quisque, qualis eius dilectio«.44 2.1. Dass Gott selber sich in dieser seiner Liebe definiert hat, dass also an die Liebe als an Gott geglaubt wird, das gibt dieser Liebe ihren letzten Ernst und ihre Letztwirklichkeit. Sie ist die absolute Wirklichkeit bzw. die Wirklichkeit des Absoluten und nicht etwa eine bloße Zutat zum Gottesgedanken.

37

Joh 3,16: οὕτως …, ὥστε … ἔδωκεν. Zum Thema Passion und Pathos cf. PH. STOELLGER, Passivität aus Passion, HUTh 56, Tübingen 2010. 38 Cf. dazu H. TIMM, Zwischenfälle. Die religiöse Grundierung des All-Tags, Gütersloh 1983, Kap. 6. 39 Richard von St. Viktor, De praeparatione animi ad contemplationem 13; PL 196, 10. 40 Cf. WA 19, 206,31–207,13. 41 WA 36, 425,13. Cf. 426,5: »sind eytel flammen und feur charitatis in deo«. 42 A.a.O. 424,3f. 43 Siehe dazu genauer unten Abschnitt C. (S. 632ff). 44 Augustin, In ep. Joan. ad Parthos 2,14; PL 35, 1997.

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Diesen »Ernst« hat insbesondere Hegel der Theologie – einer sentimentalen Vorstellung vom »lieben Gott« gegensteuernd45 – eindringlich vorgehalten: »das Leben Gottes und das göttliche Erkennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochen werden; diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die Geduld und die Arbeit des Negativen darin fehlt.«46 Hiermit wird mit Nachdruck die theologia crucis als der erst wahre Zugang zum Begriff des lebendigen Gottes, der Liebe ist, eingefordert.47 Christlich wird demgemäß das Leiden und Sterben Jesu (als geschichtliches Ereignis) konstitutiv in den Begriff der ewigen göttlichen Liebe aufgenommen – so, wie es auch Joh 3,16 (s. o.) und 1Joh 4,9f (s. u.) entspricht. Was Hegel genuin lutherisch einklagt, ist auch die unabdingbare Voraussetzung, unter der allein angesichts der erdrückenden Macht der Lieblosigkeit im menschlichen Leben und in der geschichtlichen Welt überhaupt relevant von der Liebe Gottes geredet werden kann. Die »Wirklichkeit« der Liebe Gottes hat sich als seine Menschwerdung manifestiert, und sie ist als solche Offenbarung unwiderruflich: »factum est«. Diesen Zusammenhang hält wiederum der 1. Johannesbrief fest: Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. / Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er selber uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. (1Joh 4,9f) Als solche (ewige und geschichtliche) Wirklichkeit ist die göttliche Liebe nicht so etwas wie ein Ideal, eine Forderung oder ein abstraktes Prinzip, sondern die reale Überwindung der Gottwidrigkeit von Gott her: als schöpferisches Übernehmen und Aushalten der Lieblosigkeit in der Welt. Gleichermaßen ist sie auch für das Gottsein Gottes konstitutiv, denn die Inkarnation gehört wesentlich in das Leben der göttlichen Dreieinigkeit.48 45

Auch zum dogmatischen Axiom, mit dessen Hilfe (d. h. unter Berufung auf den allgemeinen Satz: »Gott ist Liebe«) theologische Probleme allzu leicht auflösbar erscheinen, darf 1Joh 4,8.16 nicht gemacht werden. Von dieser Gefahr hält sich die »Dogmatik« von W. HÄRLE (Berlin/New York 1995) nicht immer frei. 46 HEGEL, Werke 3, 24. 47 Siehe auch HEGEL, Werke 2, 495. 48 In einer allgemeinen Perspektive schreibt H. Blumenberg: »Es ist kein Zufall, daß Leiblichkeit hierfür [sc. die Selbsterfüllung Gottes bis zur Objektivität] ebenso der absolute Garant geblieben ist, wie schon – in der dogmengeschichtlichen Ausbildung des europäischen Standards von ›Realismus‹ – für die Abwehr aller doketistischen Auffassungen der Welterscheinung des Gottessohnes. Das ist etwas Bleibendes … Es genügt also nicht ein denkender Gott, wenn schon nicht ein sich selbst denkender genügen kann, um der metaphysischen Drohung des Solipsismus zu entgehen. Im Gegenteil: Er muß … eine Welt

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Als Wirklichkeit bestimmt sich das Geschehen der Liebe Gottes so, dass sie zugleich schöpferisch und leidend ist. Sie ist göttliche Schöpfertat,49 weil sie einseitig und zuvorkommend ist: »Denn er hat uns zuerst geliebt« (1Joh 4,19b). Als diese weltüberlegene »Macht« ist Gottes Liebe unvermeidlich auch leidend:50 Sie lässt sich real auf die Welt ein, entzieht sich nicht der Lieblosigkeit, die sie liebend überwinden will. Sie ist also als schöpferische nicht einfaches Mit-leiden; als kontrafaktische ist sie aber die verborgene Wahrheit aller Wirklichkeit, und ihre erste Folge ist der Glaube als Vertrauen in Gottes ewige Liebe. 2.2. Als der, der selber die Liebe und die Liebe selbst ist, ist Gott in einem unüberbietbaren Sinne der Liebende (Gal 2,20b; Röm 8,32.35–39; Joh 3,14– 16). Damit wird akzentuiert: Es handelt sich bei dem Gedanken göttlicher Liebe nicht um ein sozusagen anonymes Sich-Ereignen von allumfassender Liebe, ein subjektloses Liebesgeschehen als Vereinigungsprozess (quasi naturhaft), sondern Gott ist selber seine Liebe, d. h. der (aktiv) Liebende, persönlicher Liebeswille. Er ist der sich selber als Liebender von Ewigkeit zu Ewigkeit Hervorbringende,51 wie er auch der Sich-Aufschließende (der Offenbare) ist.52 Was Gott in seiner Liebe zum verlorenen Menschen und zur ihm abgewendeten Welt gibt, das ist nicht ein Etwas (ein summum bonum), sondern er gibt sich selbst.53 Das hat Luther im »Großen Katechismus« auf den lebendigsten Ausdruck gebracht, der von Christus sagt, er sei der »Spiegel des väterlichen Herzens« Gottes selber.54 Seine Liebe ist Gottes ureigenste, selbsthafte Beziehung auf das von ihm ins Sein gesetzte und zur Vollendung bestimmte Geschaffene, daher und so ist er »der« Liebende. Gottes Unveränderlichkeit ist nichts anderes als die Unveränderlichkeit seiner Liebe (cf. Jak 1,17 mit 1Joh 1,5). Zugleich ist er auch dabei im Werden (zu sich), sofern er als Liebender auf die von ihm geliebte Menschenwelt (johanneisch κόσµος) eingeht (Joh 3,16). So ist er der ewig Liebende, der sich von Ewigkeit zu Ewigkeit

(haben), … wenn ihm nicht ein wesentlicher Mangel soll nachgesagt werden können, wie es sich mit dem Begriff eines Gottes nicht verträgt« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 152). 49 Dazu s. u. 3.2. (S. 627f). 50 Auch bei Gott gibt es einen Zusammenhang von Liebe und Schmerz; dafür steht der Ausdruck »Passion« (cf. oben bei Anm. 37). 51 In diesem Sinne gilt das Unvordenkliche: »Er hat uns zuerst geliebt« (1Joh 4,19b). 52 § 10 A. 3. und B. 1. (S. 557ff.561ff). 53 Dies lutherische Theologumenon findet sich auch bei BARTH, KD II/1, 306ff. Cf. auch Röm 8,32. 54 BSLK 660,42; zu Gottes überströmendem Sich-Geben cf. a.a.O. 651,13–15; 660,28– 38. Cf. auch die neutestamentliche Rede von σπλάγχνα und σπλαγχνίζεσθαι (cf. Lk 1,78; 1Joh 3,17 und Lk 15,20 u. ö.).

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seinen Geschöpfen (als den »Seinen«) in Liebe tätig verbunden weiß und sie in die Ewigkeit seines Lebens hineinziehen will.55 Weil und insofern Gott, christlich verstanden, der Liebende (und so die Liebe selbst) ist, ist die ewige Liebe nicht bloß eine »Eigenschaft« Gottes, sondern die wesentliche und zentrale Seinsbewegung des lebendigen Gottes, das eigentliche Angesicht des in Jesus Christus offenbaren Schöpfergottes (cf. 2Kor 4,6). So kann gesagt werden: »das gesammte Leben und Wirken Gottes ad extra ist Ein Lieben«.56 Ist seine Liebe zur Schöpfung auch selber nicht eine Eigenschaft Gottes im üblichen Sinne,57 so sind ihr als das Wesen Gottes bestimmender doch andere biblische Eigenschaften Gottes wie Güte (bonitas, Mt 7,11), Gnade, Barmherzigkeit (cf. Mt 18,14), Geduld, Langmut, Treue (1Joh 1,9) und Seligkeit (beatitudo) zugeordnet, die sie als Liebe in sich begreift.58 Sie fällt auch mit der göttlichen Gerechtigkeit in eins, sofern diese (im reformatorischen Sinne) als schenkende Gerechtigkeit verstanden wird (cf. Röm 3,21–28).59 Freilich kann in dieser Hinsicht von der Liebe Gottes nur angemessen geredet werden, wenn die Rede von seinem Gesetz60 und Zorn 61 (im Unterschied zu Schleiermacher u. a.) nicht ausgeblendet wird. 55

In Jesus Christus gilt von Gott selber: Er hat sie εἰς τέλος geliebt (Joh 13,1b). ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 31), 167 (§ 41). Dort heißt es auch: »Sie ist so ein Transeuntes in dem immanenten Sein Gottes, und damit das Band, welches in Gott die [von Rothe unterschiedenen] immanenten und die transeunten Eigenschaften verknüpft. Sie selbst aber ist in Gott mehr als eine Eigenschaft … Sie ist eine wesentliche Bestimmtheit unmittelbar seiner Persönlichkeit« (ebd.). 57 Zur Problematik des Eigenschaftsbegriffs überhaupt s. o. § 7 A. (S. 403ff). 58 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 31), Kap. 6.7b (466ff). Auch die Aufzählung der Eigenschaften der Liebe durch Paulus (1Kor 13,4–7) schreibt sich sozusagen von der göttlichen Liebe selber her, an der zwischenmenschliche Liebe ihren Grund und ihr Maß findet. 59 Gottes lebendige Gerechtigkeit ist danach nicht eine messende oder konstatierende, sondern eine schaffende Gerechtigkeit. In ihr teilt Gott seine eigene Gerechtigkeit mit – auch Gerechtigkeit ist eine »kommunikative Eigenschaft« –, und d. h., seine Gerechtigkeit, zugeeignet in der Rechtfertigung des Sünders, hat ein eschatologisches Ziel. So ist Gerechtigkeit Gottes als schenkende ein eschatologischer Begriff und die Rechtfertigung sola fide ein eschatologisches Geschehen. Gott will uns in seine Gerechtigkeit hineinziehen und gibt uns daher in der Gerechtmachung sich selber. Er allein ist gerecht, und er allein kann seiner Gerechtigkeit Genüge tun, denn einzig er selber genügt ewig sich selbst. Seine schöpferische Gerechtigkeit ist Ausdruck seiner Liebe, nämlich seines Willens, sich selber nicht ohne uns genügen zu wollen. 60 Zur Gerechtigkeit Gottes im Alten Testament cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 4), 135 Anm. 29, und zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium bei Luther cf. J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 193–252 (8. Kap.). Cf. auch oben § 8 F. 4. (S. 500 Anm. 398). 61 Cf. W. HÄRLE, Die Rede von der Liebe und vom Zorn Gottes, in: Die Heilsbedeutung des Kreuzes für Glaube und Hoffnung der Christen (= ZThK.B 8), Tübingen 1990, 50–69. 56

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Zum Verhältnis von Gottes Zorn zum Sieg seiner Liebe62 sei hier beispielhaft Hos 11,8f angeführt: Wie kann ich dich preisgeben, Ephraim, dich, Israel, dahingeben? … Mein Herz dreht sich um gegen mich, es entbrennt zumal mein Erbarmen:63 Ich gebe nicht nach der Glut meines Zornes64 … Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch,65 ein Heiliger in deiner Mitte, nicht komme ich, um zu vertilgen.66 Schon im Alten Testament (Alten Bund) verhalten sich Zorn und Gnade in Gott asymmetrisch zueinander. Aber erst hier (Hos 11,9) ist das Gottsein Gottes als des Heiligen durch sein barmherziges »Herz«67 definiert – und dies im Gegensatz zum Menschen.68 Gottes wahre Heiligkeit ist die seiner ewigen Liebe (cf. Ex 33,19; Röm 9,15),69 die sich in seinem Sohn offenbart.70 2.3. Für eine Liebesreligion wie das Christentum stellt sich – zumal wegen der engen Verklammerung von Gottesliebe und Nächstenliebe71 – die Frage einer Umkehrung: Wenn Gott die Liebe ist, heißt das nicht, dass die Liebe selber – Gott ist?72 Dies Problem lässt sich von daher klären, in welchem Sinne Gott »die Liebe« ist. 62

Cf. 1Kor 15,55 mit Röm 6,12 (5,23). Cf. Jer 31,20. Zur Reue Gottes cf. Gen 6,6; 1Sam 15,11; 2Sam 14,16; Ps 106,45; Jer 18,8; 26,3.13; 42,10; Joel 2,13f; Am 7,3; Jon 3,9f. (anders: Num 23,19; 1Sam 15,29; Ez 24,14). 64 Zum gewendeten göttlichen Zorn cf. Hos 14,5 sowie Ps 30,6; 78,38; 85,4; 103,8f; Jes 12,1; 54,8. 65 V. 9: διότι θεὸς ἐγώ εἰµι καὶ οὐκ ἄνθρωπος: ἐν σοὶ ἅγιος (LXX). Hier klingt ebendas »Ego eimi« von Ex 3,14 an, das sich in Jesu ego-eimi-Worten fortspricht (s. o. § 1 D. [S. 126ff]). 66 Übersetzung A. Weiser. 67 V. 8c: ‫לבי … נחומי‬, ἡ καρδία µου … µεταµέλειά µου). Cf. Hos 11,1.4; Jer 31,3 sowie oben bei Anm. 54. 68 Cf. oben Anm. 65. Der oberflächliche Vorwurf des »Anthropomorphischen« der Rede von Zorn, Reue und Liebe wird hier schon genau dadurch inhaltlich widerlegt. Dieser Linie folgt der größte Anthropomorphismus Gottes, seine Menschwerdung: cf. Joh 3,17! Durch sie hat Gott selber am Orte Jesu ein menschliches Herz. 69 Cf. BARTH, KD IV/2, 860. A.a.O. 566 heißt es auch: »Zuerst und in seiner Weise (jedenfalls im AT) einzigartig hat der Prophet Hosea gerade jenen in sich Heiligen als den sein Volk Liebenden verstanden und beschrieben.« Cf. auch Lev 20,8 und 1Thess 5,23. Zu Gottes Liebe im Alten Testament cf. besonders ausführlich FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 4), 130–148, allerdings zuletzt mit dem Resümee: »Ein letztes, endgültiges Wort des Gottes, der sich selbst zur Liebe bestimmt hat, fällt nicht« (147); anders im Neuen Testament: Röm 8,31–39! 70 Cf. Joh 17,11 mit Mk 1,24; Lk 4,34 und Apc 3,7 (6,10). 71 Cf. 1Joh 4,7ff. 72 So könnte man z. B. 1Joh 4,12.16b missdeuten. 63

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Die Antwort liegt in der uneinholbaren Priorität göttlicher Liebe zu uns: Er ist der, der uns »zuerst« geliebt hat (1Joh 4,10.19); dem kann unsere Liebe (zu ihm und untereinander) nur nachfolgen: so und in dieser Ordnung (1Joh 4,11; cf. Joh 15,12), damit wir von ihm her in Gottes Liebe bleiben (1Joh 4,16b). Als der von sich her, uranfänglich und absolut Liebende ist Gott der »Vater«, der unserm Lieben unendlich zuvorkommt und in dem es nach seiner Wahrheit gründet (cf. Eph 1,4): »Eben in Gott lernen wir nun auch die Liebe in ihrer vollen Wahrheit und den Begriff derselben in seiner ganzen Schärfe kennen (und zwar allein in ihm)« (cf. Eph 3,14f).73 Zu dieser »Schärfe« des christlichen Begriffs von Gottes Liebe gehört, jedes unmittelbare Verständnis negierend, konstitutiv auch, dass sie sich in der Hingabe des ewigen Sohnes in den Tod am Kreuz realisiert. Das unterstreicht unüberbietbar, dass wir sie nur »ohn all Verdienst und Würdigkeit« empfangen können.74 Darum ist der Glaube der Ort – und gehört so mit der Liebe untrennbar zusammen –, wo die qualitative Differenz zwischen unserer (uns möglichen) Liebe und Gott, der die Liebe selber ist, wahrgenommen wird. Es gibt keine Göttlichkeit der menschlichen Liebe schlechthin und als solcher.75 Allein im Glauben bleibt unsere Liebe menschliche und von Gott her sich verdankende Liebe (zum Nächsten).76 Eine schwärmerische Deifizierung der Liebe an sich schlägt unausweichlich in die Entgottung Gottes um;77 sie droht auch (durch Überforderung) zur Entmenschlichung des Menschen zu führen und steht immer in der Gefahr, durch unmittelbare Selbstaffirmation die Liebe in Lieblosigkeit zu verkehren. Die Liebe bleibt wahr und wirkliche Liebe nur in ihrer Ausrichtung an der vorgängigen Liebe Gottes: »die Umkehrung: die Liebe ist Gott, [ist uns] solange verwehrt und verboten, als nicht von Gottes Sein und also von Gottes Tat her ermittelt und geklärt ist, was die Liebe ist, die nun ihrerseits legitim mit Gott identifiziert werden kann und muß«.78 Das gilt theologisch unbedingt, weil Gottes Liebe nur als Liebe-erweckende Liebe richtig verstanden ist: »Affectus autem sive Requisitus Dei Est ipsa Charitas Dei, quae facit nos velle et amare, quod intellectus fecit intelligere«.79

73

ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 31), 167. Cf. die 28. These in Luthers Heidelberger Disputation (1518): »Amor Dei non invenit sed creat suum diligibile, Amor hominis fit a suo diligibili« (WA 1, 354,35f). 75 Unmittelbare Verschmelzungsmystik ist schnell erotisch getönt und steht immer in Gefahr, die geschöpflichen Momente der unmittelbaren Geschlechtsliebe mit dem geistigen Verhältnis der Gottesliebe (ἀγάπη) enthusiastisch in eins fallen zu lassen. 76 Siehe Näheres unten Abschnitt D. 2. (S. 648ff). 77 Das Wort »Gott« wird dabei schließlich funktionslos. 78 BARTH, KD II/1, 310. 79 LUTHER, Römerbrief-Vorlesung; Coroll. zu Röm 3,11 (WA 56, 239,10f). 74

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3. Gott ist Liebe Im Leitsatz dieses Paragraphen ist ein Begriff von Liebe überhaupt impliziert, der jetzt zu entfalten ist. Danach gilt allgemein: Liebe ist freie Selbsthingabe an einen Anderen, um in der schöpferischen Vereinigung mit ihm selbst (als ein Selbst) zu sein. Das ist hier theologisch auszuarbeiten. Der Satz »Gott ist Liebe« (1Joh 4,8b und 16b) setzt eine lange Geschichte des Gottesbewusstseins und religiöser Erfahrung (auch vorchristlicher Art) voraus, ohne die er nicht hätte formuliert werden können und die in ihm zu abschließender Erfüllung gelangt. Er ist einerseits von einer auf ihn hinzielenden Ahnung, mehr oder weniger in allen Religionen spürbar, bestimmt,80 andererseits aber doch kontraintuitiv, d. h. empirisch eher unglaubhaft, sieht man auf den faktischen Weltlauf mit seinen Schrecknissen und individuellen Schicksalen allein.81 Durch das »menschlichste« Attribut der Liebe wird der Gott wesentlich charakterisiert,82 der christlich selber als Menschgewordener geglaubt wird. Das bedeutet: Der Satz Gott ist Liebe wird zu einer christlichen Wahrheit allein, wenn der Begriff von Liebe christologisch bzw. kreuzestheologisch vermittelt ist; so erst ist er ein theologisch zureichender Begriff. Er setzt für sein spezifisch christliches Verständnis die Geschichte von Gottes Menschwerdung, Leiden und Tod in Jesus Christus voraus (Joh 3,16), die in das göttliche Leben hinein aufgehoben werden. Durch seine schöpferische Verwindung von Sünde, Gesetz und Tod fordert dieser christliche Begriff eine Neubestimmung Gottes selber und ebenso des Begriffs von seiner Liebe und seiner Lebendigkeit (Auferweckung) im Werden zu sich. Darum bezieht sich der hier zugrunde gelegte Satz auf das Sein Gottes selber und meint keine bloße »Eigenschaft«.83 Als lebendig alles Andere übergreifende Liebe erfüllt sich dieses Sein Gottes, wenn er »alles in allem« sein wird (1Kor 15,28). 80

Auch in aller wahren zwischenmenschlichen Liebe lebt eine Ahnung vom göttlichen Ursprung der Liebe. 81 Im Blick darauf ist er eher kontrafaktisch und fordert Glauben, und zwar einen anfechtungsbeladenen Glauben als »Hoffnung wider alle Hoffnung« (cf. Röm 4,18) über alles Sichtbare und Erfahrbare hinaus. Seine Gültigkeit ist nicht allgemein zu erweisen, denn der wirkliche Weltlauf gibt – individuell wie auch im Ganzen – eher die Abgründigkeit des »Deus absconditus« zu erfahren. Die Hoffnung des Glaubens ist allein kreuzestheologisch zu begründen, weil Jesus selber am Kreuz der Erfahrung von Gottverlassenheit ausgesetzt war (zu Mk 15,34 cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 604ff). 82 Dabei ist biblisch vorausgesetzt, dass Liebe in die Grundverfassung menschlichen Daseins so unverzichtbar hineingehört, dass es sich darin human erfüllt (s. u. bei Anm. 108); ebendaraufhin wurden Mann und Frau zusammen erschaffen (cf. Gen 1,27; 2,23a; Mt 19,4). 83 S. o. 2.2. (S. 621ff). Dass Gottes Liebe mit seiner Allmacht zusammenfällt, die selber die der Liebe ist, wurde bereits betont (s. o. S. 615 Anm. 15): Sie ist lebendige Allmacht auch in der Ohnmacht (Gottverlassenheit); cf. auch 2Kor 12,9.

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3.1. Liebe als Vereinigung. Dieser Wesenszug aller Liebe findet sich – auf Platon zurückgehend – auch bei Ps.-Dionysius (Areopagita): »Intelligimus per nomen amoris quandam virtutem unitivam … Est enim amor unitio secundum quod amans et amatum conveniunt in aliquo uno.«84 So kann die Liebe förmlich dadurch definiert werden: »Amor est vis unitiva et concretiva.«85 Genau diese Wesensbestimmung der Liebe ist es aber, die es in der Folge dem Areopagiten verbietet, Gott selber Liebe zuzuschreiben, die nicht in ihm sein kann, weil er (im Sinne der negativen Theologie) schlechthin »einfach« (simplex) ist.86 Entgegen dieser unbiblischen Folgerung spricht Thomas von Aquin Gott, der »absque compositione« ist, gleichwohl beides entschieden zu: 1. sein »amor« ist eine vis unitiva, weil Gott, indem er einen anderen liebt, sich selbst liebt;87 2. Gottes »amor« ist vis concretiva,88 »quia alium aggregat sibi; habens se ad eum sicut an seipsum«.89 Dies vereinigende Kraft der Liebe gilt sogar als die der Erkenntnis (cf. 1Kor 8,2f).90 In dieser Tradition hat auch Luther die Liebe (Gottes) mit Berufung auf Augustin gedacht: »Amor enim vis est unitiva ex amante et amato unum quid constituens«.91 In der altprotestantischen Orthodoxie konnte das ausdrücklich auf die von Gott bewirkte liebende Vereinigung mit ihm selber bezogen werden: »Amor Dei est, quo ipse cum objecto amabili se suaviter unit.«92 Eine auch philosophisch wirkmächtige Wiederentdeckung des Christentums als der Liebesreligion (Jesu) geschah nachkantisch (unter dem Einfluss

84

Ps.-Dionysius Areopagita, De div. nom., c. 4, § 16 (PG 3, 714). A.a.O. 15 (PG 3, 317). 86 Cf. dazu Thomas von Aquin, STh I, q. 20, a. 1. Weiteres s. u. 3.3. 87 Indem die göttliche Liebe die Geliebten untereinander verbindet, verbindet sie sie so auch mit sich. 88 »seu commixtiva, συνκρατικη«. 89 A.a.O., a. 1, ad tert. Cf. auch STh I-II, q. 26, a. 2. ad sec. 90 »amor facit quod ipsa res quae amatur, amanti aliquo modo uniatur … Unde amor est magis unitivus quam cognitio« (STh I-II, q. 28, a. 1. ad tert.). In Abwandlung dessen hat U. Eco der Liebe sogar eine größere Erkenntniskraft als der Erkenntnis selber zugesprochen: »amor facit quod ipsae res quae amantur, amanti aliquo modo uniantur, et amor est magis cognitivus quam cognitio« (U. ECO, Der Name der Rose, Vierter Tag. Tertia, München o. J., 358). 91 WA 56, 241,5. Frei nach Augustinus, Tract. ep. Ioann. 2,14; PL 35, 1997; cf. Ps 81,6). Cf. auch WA 4, 263,38f und J. TAULER: Die Predigten Taulers, hg. von F. Vetter, Berlin 1910 [Nachdr. Augsburg 2000]), 232,4. Zu Augustin cf. HANNAH ARENDT, Der Liebesbegriff bei Augustin, Berlin 1929 (Neuausg. Berlin 2003). 92 J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, Bd. I, Wittenberg 1685, c. 8, sect. I, th. 30. 85

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Hölderlins) durch den jungen Hegel.93 Hier wird die Liebe als die Macht begriffen, die alles Getrennte, Abgesonderte, Zerstörte, Unerfüllte ewig versöhnt; indem sie jede Entzweiung, Entfremdung überbrückt und die Zerstörungen der Endlichkeit heilt, liegt etwas Versöhnendes in ihrem Wesen.94 Solche unbedingte Liebe realisiert sich in Kraft unendlichen Lebens, das Gott selber ist. Bezieht man das Angeführte auf den Satz: Gott ist Liebe, so wird grundsätzlich deutlich: Liebe ist die theologisch-metaphysische Grundkategorie einer wirksamen Gemeinschafts- und Vereinigungstendenz Gottes, des Schöpfers und Vollenders, in die alle geschaffene Wirklichkeit einbezogen und wie in eine bergende Atmosphäre hinein geborgen ist, die sie ihrer Vollendung entgegenträgt und sich in einer lebendigen All-Einheit (gemäß 1Kor 15,28) erfüllt. Weil aber die Menschenwelt (johanneisch κόσµος) sich der göttlichen Liebe gegenüber als verschlossen erweist (Joh 3,19), ist Gottes Liebe als vereinigende Macht auch versöhnend und ist nicht ohne Leiden. 3.2. Liebe als schöpferische Macht. Diese kommt der göttlichen Liebe schon insofern immer zu, als sie eine integrierende (Joh 17,11), eine einladende (cf. 2Kor 5,20) und zuvorkommende Macht (1Joh 4,19) ist. Eine Näherbestimmung dieser Schöpferkraft ergibt sich indes aus der NichtLiebenswürdigkeit des von Gott Geliebten, des amabile.95 Auch Luther liegt entscheidend an dieser Präzisierung: dass Gott sich das von ihm Geliebte allererst als liebenswert erschafft im Unterschied zur menschlichen Liebe.96 Dieser rechtfertigenden Liebe als Gottes schöpferischer Gerechtigkeit entspricht der »amor crucis«, der »ex cruce natus [est]«.97 So ist Gottes vis unitiva als schöpferische Liebe wortvermittelt real: »Et ita nos in verbum suum, non autem verbum suum in nos mutat. Facit autem tales tunc, quando nos verbum suum tale credimus esse, sc. Iustum, verum. Tunc enim iam similis forma est in verbo et in credente, i.e. veritas et Iustitia.«98 Dies liegt christlich in dem Satz: Gott ist Liebe, sofern sie als schöpferische Wiederherstellung von Einheit auch das kreative Vermögen für Neues 93

Cf. die »Frankfurter Fragmente über Religion und Liebe« (HEGEL, Werke 1, 239ff) und »Der Geist des Christentums« (1798–1800) (a.a.O. 317ff). Beispielhaft die Zitate unten bei Anm. 109 und 112. 94 Im 20. Jahrhundert hat insbesondere P. Tillich die Liebe ontologisch als Wiedervereinigung des Getrennten begriffen; cf. unter anderem P. TILLICH, Liebe, Macht, Gerechtigkeit (1954), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. XI, Stuttgart 1969, 143ff. Cf. auch DERS., Der junge Hegel und das Schicksal Deutschlands (1932), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. XII, Stuttgart 1971, 125ff. 95 Cf. oben Anm. 92. 96 Zitiert oben bei Anm. 74. Luther fährt a.a.O. fort: »quia amor Dei in homine vivens diligit peccatores, malos, stultos, infirmos, ut faciat iustos, bonos, sapientes, robustos«. 97 A.a.O. 365,13f. 98 WA 56, 227,4–7.

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notwendig impliziert und statt am Vergangenen an Zukunft orientiert ist. Insofern dies gilt, enthält auch schon Ex 3,14 (im futurischen Verständnis), zumal in der christlichen Wiederaufnahme,99 die Verheißung göttlicher Liebe. 3.3. Dieser Bezug ist auch darin enthalten, dass Liebe immer Liebe zum Anderen (als solchen) ist. Der Liebe eignet wesentlich das Begehren und die Kraft, in dem Anderen bei sich und bei sich in dem Anderen zu sein.100 Weil so die Liebe das sich dem Anderen Mitteilende ist, wird, indem christlich Liebe absolut und das Absolute selbst ist, der endliche Mensch, wenn ihn die göttliche Liebe erreicht, von ihr selber ins Absolute erhoben. Der oben hervorgehobene »Beziehungswille« Gottes (R. Feldmeier/ H. Spieckermann)101 manifestiert sich konkret und endgültig in Gestalt der göttlichen Liebe zum Anderen des geschaffenen Menschen und der Welt. Weil Gott als der Liebende in wesentlicher Beziehung zu seiner Schöpfung steht, ist er als der, der die Liebe ist, niemals der »leblos Einsame«.102 Im Gegensatz dazu gilt vom Gott des Aristoteles, dass er in der Vollkommenheit seines Seins als der »Unbewegte Beweger« nur sich selber liebt und ohne Verlust seiner Göttlichkeit dem Unvollkommenen, d. h. dem Menschen, der niedriger ist als er, keine Liebe entgegenbringen kann, so wenig wie dieser ihm.103 Auch für Spinoza steht fest: »Deus proprie loquendo neminem amat«.104 Dieser »Gott der Philosophen« – more geometrico gedacht – kennt 99

S. o. § 1 D. (S. 126ff). I. A. DORNER, Ueber die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs der Unveränderlichkeit Gottes, mit besonderer Beziehung auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Gottes übergeschichtlichem und geschichtlichem Leben, in: ders., Gesammelte Schriften aus dem Gebiet der systematischen Theologie, Berlin 1883, 355. Cf. ähnlich Hegel unten 3.4. Vom schlechthin übergreifenden Allgemeinen sagt Hegel: »Wie es die freie Macht genannt worden, so könnte es auch die freie Liebe und schrankenlose Seligkeit genannt werden, denn es ist ein Verhalten seiner zu dem Unterschiedenen nur als zu sich selbst; in demselben ist es zu sich selbst zurückgekehrt« (HEGEL, Werke 6, 277). Cf. dazu M. Theunissen: »Gegen bloße Fremdbeziehung einerseits und gegen die Abstraktion eines unmittelbaren Für-sich-Seins andererseits macht Hegel ein In-Beziehung-Sein geltend, das als Im-Anderen-bei-sich-selbst-Sein Freiheit und als Bei-sich-selbst-Sein im Anderen Liebe ist« (M. THEUNISSEN, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, stw 314, Frankfurt 1980, 49). 101 S. o. § 1 (S. 129 bei Anm. 222). 102 Cf. oben S. 617 bei Anm. 29. 103 Cf. Aristoteles, Magn. moralia II 11; 1208b 28–30: »Zuerst nun wird zu bestimmen sein, welche Form von Freundschaft wir im Auge haben. Es gilt nämlich, so meinen sie [sc. οἱ πολλοί], auch Freundschaft mit Gott und mit Unbeseeltem [!] – was ein Irrtum ist. Denn Freundschaft, so sagen wir, ist da, wo es Gegenliebe gibt. Bei der Freundschaft mit Gott aber ist kein Raum für Gegenliebe, noch überhaupt für Liebe. Denn es wäre absurd, wenn jemand behauptete, er liebe den Zeus. Und natürlich ist auch von seiten des Unbeseelten keine Gegenliebe möglich …« (Übersetzung F. Dirlmeier). Cf. hingegen Joh 15,12–17. 104 SPINOZA, Eth. V, prop. 17, cor. 100

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keine »Passio«, während er christlich gerade in der passio magna sich als der Liebende erweist.105 Ebenso weiß zwar auch Pseudo-Dionysios: »Amor amantem extra se ponit, et eum quomodo in amatum transfert«;106 aber das lässt sich gerade nicht auf Gott übertragen: »inconveniens … dicere quod Deus alia a se amet«.107 3.4. Gemäß dem eben Gesagten über das liebende Bei-sich-Sein im Anderen ist die Liebe als lebendige Einheit von Selbsthingabe und Selbsthabe zu denken. Dadurch kommt ihr etwas Unendliches zu: »My bounty is as boundless as the sea, / My love as deep: the more I give to thee / The more I have, for both are infinite.«108 Diese innere Unendlichkeit der Liebe hat eine Wahlverwandtschaft zum Religiösen, was der junge Hegel hervorhebt: »Die Religion ist eins mit der Liebe. Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm [d. h.: uns nur in ihm], und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen.«109 Aber genau dies Wunderbare der Liebe ist das tief Vernünftige an ihr, wie Hegel früh – gegen Kants Verständnis der Liebe als etwas »Pathologischem«110 – begriff: »das Grundprinzip des empirischen Charakters ist Liebe, die etwas Analoges mit der Vernunft hat,111 insofern als die Liebe in anderen Menschen sich selbst findet oder vielmehr sich selbst vergessend sich aus seiner Existenz heraussetzt, gleichsam in anderen lebt, empfindet und tätig ist – so wie die Vernunft als Prinzip allgemein geltender Gesetze, sich selbst wieder in jedem vernünftigen Wesen erkennt, als Mitbürgerin einer intelligiblen Welt«.112 Liebe ist damit als Grundprinzip des Lebens und seiner 105

Cf. N. LUHMANN, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, stw 1124, Frankfurt 41998. 106 A.a.O. (wie oben Anm. 84). 107 Bei Thomas referiert: STh I, q. 20, a. 2. Dieser betont dagegen: »… dicendum, quod amans sic fit extra se in amatum translatus, inquantum vult amato bonum, et operatur per suam providentiam, sicut et sibi« (a.a.O. ad primum); cf. kritisch dazu BARTH, KD II/1, 311). 108 W. SHAKESPEARE, Romeo and Juliet, II,2, 133–135. Von Hegel zitiert: HEGEL, Werke 1, 248 und 13, 310. 109 HEGEL, Werke 1, 244. Dann heißt es auch: »In der Liebe hat der Mensch sich selbst in einem anderen wiedergefunden« (a.a.O. 394). Cf. ebenso W. V. HUMBOLDT: »Des Menschen Wesen aber ist es, sich erkennen in einem andern; daraus entspringt sein Bedürfnis und seine Liebe« (Der Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt, hg. von S. Seidel, Bd. II, Berlin [Ost] 1962, 208). 110 Cf. HEGEL, Werke 1, 262. 111 Schon Bonaventura schreibt. »Amor et notitia animae connaturales sunt« (I Sent., dist. 3a, 2.2a, concl. 4, in: ders., Op. omn. 1, 92). 112 HEGEL, Werke 1, 30. Die Liebe tritt hier an die Stelle des abstrakten Vernunftgesetzes, wie es Kants Kategorischer Imperativ formuliert hat und wie Hegel es im Judentum vorgebildet sieht. Zu »Liebe gegen Vernunft« cf. LUHMANN, Liebe als Passion (wie oben Anm. 105), 119ff.

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lebendigen Einheit erkannt: »in der Liebe … findet sich das Leben selbst, als eine Verdoppelung seiner selbst, und Einigkeit desselben«.113 Gehört zum wahren Begriff der Liebe ihre Unendlichkeit (s. o.), so ist das zugleich auch für Gott zutreffend, dem unerschöpflichen »Meer der Liebe« (πέλαγος τῆς ἀγάπης). Der Wesenszug innerer Unendlichkeit bedeutet die Dialektik von Geben und Nehmen,114 Hingeben und Empfangen, SichEntäußern und Sich-Gewinnen; in ihr spielt das einige Leben der Liebe. Auch was in Lk 17,33 steht, entspricht dem Lebensrhythmus der göttlichen Liebe, und der conatus sese conservare ist nicht identisch mit dem Selbstbesitz des lebendigen Gottes. Gottes Selbstliebe ist keine »egozentrische« Selbstliebe; genau die hat in der Trinität keinen Platz. Gottes Liebe ist Selbstliebe ebendarin, dass er die »Welt« (den κόσµος) geliebt hat (Joh 3,16), und das heißt, er liebt sich selbst, indem er »das Törichte und Schwache, das Unedle, Niedrige und Verachtete« erwählt und liebt (cf. 1Kor 1,27). So ist sie kein unmittelbarer, exklusiver Selbstbesitz, sondern gerade sein Sich-Hingeben an den sündigen Menschen, für die Welt. Entsprechend hat Augustin zwischen amor sui (bzw. cupiditas) und amor Dei (bzw. charitas) strikt unterschieden.115 Für Gott gilt: Sein amor sui ist – absque cupiditate – zugleich amor hominis (Genetivus objectivus) bzw. charitas erga hominem lapsum. Für den Menschen bedeutet das gemäß Mt 5,48: Seine wahre Selbstliebe ist Nächstenliebe.116 Denn wahre Liebe ist das, was nicht an sich festhält, sondern ist ein Sich-Wegschenken, um sich im Geliebten neu zu gewinnen. 3.5. Aus diesem Begriff göttlicher Liebe als vermittelter Selbstliebe versteht sich auch, dass die Liebe als Gottes wirkliches Selbstsein gedacht werden muss. Gott ist selbst Liebe, indem er nicht nur (innertrinitarisch) die Liebeseinheit als Liebender (Vater) und Geliebter (µονογενής), als immanente Einigkeit von göttlichem Ich und Du ist, sondern in der absoluten Liebe sind die relationes ad intra zugleich auch relationes ad extra; das eine entspricht sich im andern.117 Das besagt: Gott ist er selber, absolutes Selbst, als die ewige Liebe 113

HEGEL, Werke 1, 246. Cf.: »In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes, [sondern] als Einiges, und das Lebendige fühlt das Lebendige« (ebd.). Cf. ähnlich W. V. HUMBOLDT (zitiert oben Anm. 109). 114 Das in Act 20,35 als (sonst unbekanntes) Herren-Logion Angeführte »Geben ist seliger als nehmen« gründet darin, dass der selige Gott der schlechthin Gebende ist; cf. oben S. 621 bei Anm. 53. 115 Augustin, De doctr. chr. I 22–29 (PL 34, 26–30). 116 S. u. Abschnitt D. 2.2. (S. 649). 117 So wie die innertrinitarische Lebendigkeit Gottes in der Schöpfung sich nach außen frei fortsetzt (bzw. in ein dafür allererst geschaffenes Außen überfließt), ebenso erweitert sich die ewige Liebesgemeinschaft von Vater und Sohn im Hl. Geist (durch die ökonomische Trinität vermittelt; cf. Joh 3,16) zum universalen Teilhaben-Lassen der geschaffenen Menschheit und Welt daran: als eschatologisches Sein in der absoluten Liebe.

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im Überströmen seines Lebens und Liebens auf sein Geschöpf, im Ausstrahlen seines Wesens. Er ist selbst Liebe als ihr Geschehen auch für die Welt (ihr zugute) und in ihr. So kann von Gottes Selbstsein gesagt werden: – Gott ist die Liebe als liebende Einbeziehung des Menschen, als Teilgeben an seinem Sich-selbst-Lieben, als Versöhnung mit dem Nicht-Liebenswerten und Gottwidrigen, das durch die Schöpferliebe verwandelt wird.118 In dieser Erfüllung aller Liebe ist vollkommene Seligkeit. – Als ewige Liebe ist Gott der eine und lebendige Gott, und er hat sein Selbstsein in der Dahingabe des eigenen Sohnes, das ist seiner selbst,119 in der schöpferischen Zuwendung zum von Sünde und Tod gezeichneten Menschen und in dessen Einbeziehung in sein ewiges Leben. Denn aus Liebe will er sie alle zu sich »ziehen« (Joh 12,32); das ist vielleicht der hervorstechendste Wesenszug göttlichen Liebens: sich seines Anderen anzunehmen und es an sich zu nehmen, in sein eigenes Leben hineinzuholen, d. h. es eschatologisch zu sich zu bringen. Auf diese Weise ist Gott lebendig und tätig, selbsthaftes Wirken, und eben so ist er selber in das Liebesgeschehen mit seiner eigenen Geschichte selber einbezogen.120 – Die Liebe lässt erst eigentlich Gottes absolute Selbstgenügsamkeit (zeitlich und ewig) lebendig werden, d. h. nicht »monadisch« selbstbezogen sein. Seine Liebe ist ein gesteigertes Sich-selber-Leben, »Denn das Leben ist die Liebe, / Und des Lebens Leben Geist« (Goethe).121 Darum ist die göttliche Liebe als lebendiges Sein des ewigen Gottes selber allmächtig122 und allgegenwärtig123 wie sein Leben selber. – In der göttlichen Liebe als dem allesbestimmenden Wesenszug von Gottes Leben sind seine eigene innere Notwendigkeit und unbedingte Freiheit absolut eins.124 Das unterscheidet das Sein Gottes von jedem endlichen Sein: 118 Gottes innertrinitarische Liebe zum Sohn (amor als vinculum trinitatis; Augustin, Richard von St. Viktor) wiederholt sich nach außen in der Menschenliebe Jesu, die ihrerseits die Liebe des Schöpfers zu seiner Schöpfung reflektiert und zu Ende führt (cf. Joh 13,1 mit 19,30). 119 S. u. Abschnitt C. 6. (S. 639ff). 120 Dieses »Ziehen« entspricht auch Gottes Sich-Hervorbringen. 121 J. W. GOETHE, West-Östlicher Divan. Suleika Nameh (»Nimmer will ich dich verlieren«). 122 S. o. Anm. 83. 123 »Die Allgegenwart, das ist die Gottheit – und meinst du nicht, daß wir alle einmal allgegenwärtig werden müssen, alle einer in dem andern, ohne deswegen Eins zu sein? Denn Eins dürfen wir nicht werden, weißt du wohl, dann würde das Streben sich Eins zu machen ja aufhören« (CAROLINE SCHELLING, Brief an F. J. W. Schelling, Braunschweig, Ende Dezember 1800, in: dies., Briefe – Kapitel 8 [VII], Brief 88; Projekt Gutenberg-DE). 124 Cf. ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 31), 166–168 (§ 41). Bei Marheineke heißt es: »Die freie Bewegung Gottes aus sich ist das reinste Handeln, dieses aber ohne Unterschied von seinem Seyn, und somit absolut und nothwendig« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 616 Anm. 21], 112 [§ 192]).

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162. Der Unterschied einer göttlichen Identität von einer bloß endlichen ist, daß in jener nicht Entgegengesetzte verbunden werden, die der Verbindung bedürfen, sondern solche, deren jedes für sich seyn könnte, und doch nicht ist ohne das andere. 163. Dieß ist das Geheimniß der ewigen Liebe, daß, was für sich absolut seyn [ver]möchte, dennoch es für keinen Raub achtet, es für sich zu seyn [Phil 2,6], sondern es nur in und mit den andern ist. Wäre nicht jedes ein Ganzes, sondern nur Theil des Ganzen, so wäre nicht Liebe: darum aber ist Liebe, weil jedes ein Ganzes ist, und dennoch nicht ist, und nicht seyn kann ohne das andere.125

– Wahre Liebe ist an der Freiheit des geliebten Anderen gelegen, und sie will ihn zu sich selbst befreien.126 Die Liebe des lebendigen Gottes kann indes vom Menschen – zumal als Sünder – immer nur als ungeschuldet freies Geschenk einer gnädigen Zuwendung erfahren werden. Solche Erfahrung des Glaubens wird vertieft durch die von da aus zurückgreifende Einsicht, dass es eben diese Liebe schon gewesen ist, die das eigene Selbst erschaffen hat. Daran schließt sich naturgemäß auch die Hoffnung an, dieser Liebeswille werde einen auch auf die endgültige Vollendung zuführen.

C. Der Geliebte Der Satz: Gott ist Liebe, so wurde mehrfach verdeutlicht, ist christlich wesentlich begründet durch Gottes Inkarnation, d. h., er ist durch eine spezifisch christologische Bestimmung vermittelt.127 Das gilt ebenso trinitarisch-immanent, denn Jesus Christus ist der göttliche Geliebte, weil Gott der Vater in ihm sich selber liebt, wie zugleich nach außen: Gottes Liebe zur Schöpfung entlässt als ihre größte Tat aus sich, dass er in das Liebesverhältnis zu seinem ewigen Sohn den sterblichen Menschen hineinzieht, indem er mit ihm zusammen eine Lebenseinheit herstellt.128 Durch den geliebten Sohn ist er auch im geschaffenen Menschen ganz bei sich. Oder auch: Gott bringt sich absolut als der Liebende schlechthin hervor, indem er sich am Ort des Menschen Jesus, und zwar leibhaft als Mensch unter Menschen,129 für sich in Ewigkeit hervorbringt.130 Denn Gottes Menschwerdung ist eodem actu seine definitive Selbst125 SCHELLING, Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie (1806), in: ders., SW I/7, 174 (= Nachdr. 161). 126 Zur Freiheit in menschlicher Liebe cf. U. POTHAST, Liebe und Unverfügbarkeit, in: H. Meier/G. Neumann (Hgg.), Über die Liebe, Serie Piper 3233, München 2001, 305–331. 127 Cf. R. PRENTER, Der Gott, der Liebe ist. (Das Verhältnis der Gotteslehre zur Christologie), ThLZ 96 (1971), 401–413. 128 Cf.: »Ja, wer vermag einzusehen, / Wie ihn der Menschen Leid bewegte? / Des Höchsten Sohn kömmt in die Welt, / Weil ihm ihr Heil so wohl gefällt, / So will er selbst als Mensch geboren werden« (J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, Kantate I, 7 Rezitation). S. u. Anm. 136. 129 Joh 1,14a.: καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡµῖν. 130 Zur Kritik am Gottesbegriff von H. Jonas cf. oben § 2 E. 1. (S. 231 Anm. 388).

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hervorbringung aus Zeit und Geschichte für alle Ewigkeit. Weil so die geschichtliche Menschheit endgültig ein Moment seines ewigen Lebens wird, bringt er sich im Sohn bzw. in Jesu Verhältnis zu seinem himmlischen Vater auch definitiv als der Liebende hervor.131 Das bedarf einer näheren Entfaltung. 1. Gottes Neubestimmung in Jesus Ist die Geschichte Jesu Christi »die ewige Geschichte, die ewige Bewegung, die Gott selbst ist«,132 so vollzieht sich in ihr das, was man eine Neubestimmung Gottes in Jesus Christus nennen muss.133 Dieses sich selbst neu Bestimmen Gottes im Menschen Jesus von Nazareth kann nur im Zusammenhang seines absoluten Sich-Hervorbringens begriffen werden.134 In solcher »Neubestimmung« Gottes selber wird das exklusive Ego sum qui sum (Ex 3,14) zum neutestamentlichen Ego eimi umgesprochen, nämlich »Ich bin ›das Brot des Lebens‹ (Joh 6,35) bzw. »das Leben« (14,6), »das Licht der Welt« (8,12), »die Tür« (10,7) bzw. »der Weg« (14,6), »der wahre Weinstock« (15,1) bzw. »die Wahrheit« (14,6) überhaupt.135 Damit artikuliert sich das Absolute als ein sich mitteilendes, kommunikatives und gemeinschaftstiftendes Ego, als Geist. Dieser Weg von Jahwe zu Jesus, vom »Gott der Väter« zum Gott des Sohnes, vom lebendigen alten Ego zum leibhaften neuen Ego, dem bedingungsloser Liebe, das ist Gottes Neubestimmung als die Liebe im Werden zu sich.136 Ex 3,14 ist von daher so zu lesen: »Ich werde (das Ich) sein, der (das) ich als ein neues Ich sein werde«.137 Weil es hierbei um die ewige Geschichte Gottes geht, gilt entschieden: »Kann Geschichte gründlicher gedacht werden als [als] Veränderungsgeschich-

131

Mit Hos 11,8f (s. o. B. 2.2. [S. 623]) gegen Num 23,19. HEGEL, Werke 17, 298; cf.: »das Leben, das Gott selbst ist« (299; cf. 294 u. ö.). 133 Cf. zu diesem Ausdruck J. BAUR, Luther und seine klassischen Erben, Tübingen 1993, 112.167.173 u. ö. »Neubestimmung« gilt zunächst im Verhältnis zum Gott des Alten Bundes (Altes Testament), dann aber auch schlechthin. Cf. aber Luther zu Gen 8,21: »Nunc incipit alius esse Deus, quam hactenus fuerat« (WA 42, 345,32). 134 Damit wird die sonst sich einstellende schlechte Alternative überwunden, dass Gott entweder immer schon der lebendige Dreieinige war, und der Glaube Israels hätte es nur noch nicht gewusst (ein schwacher Begriff von Offenbarung!), oder dass seine Neubestimmung in dem Sinne kontingent bleibt, dass weitere Neubestimmungen nicht auszuschließen sind (ein falscher Begriff von Gottes Veränderlichkeit). 135 Zur Deutung im Einzelnen cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 614 Anm. 13), 455ff und 512ff. 136 Cf.: »Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen / Tröstet uns und macht uns frei. / Deine wundersamen Triebe / Machen deine Vatertreu / wieder neu« (J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, Kantate III. 29, Arie; Hervorh. J. R.). S. o. Anm. 128. 137 S. o. § 1 D. 1. (S. 126ff) und S. 132 zwischen Anm. 244 und 245. 132

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te Gottes selbst?«138 »Veränderungsgeschichte« will auch sagen, dass Gott, der die unveränderliche Liebe ist, durch die Liebe des Geliebten (Jesu Vaterliebe) verändert wird – zu seiner (ihrer) lebendigen Wahrheit.139 So gehört Jesus mit seinem Gottesverhältnis wesentlich in Gottes Werden zu sich hinein.140 2. Glaube und Gebet Gottes Selbsthervorbringung ist christologisch vermittelt. Indem Gott sich in Jesus von Nazareth ewig hervorbringt, gibt es auch ein Sich-Hervorbringen Gottes bei uns. Dieses hat durch Jesus Christus seinen Reflex am Ort unseres Glaubens darin, dass in diesem (als Werk Gottes) Gott bei jedem von uns mit sich anfängt.141 Die religiöse Bedeutung von Gottes Sich-Hervorbringen am Ort des Glaubens besteht in unserm Mitgenommenwerden auf den Weg Gottes bzw. seines Aufbruchs zu sich. Diesem entspricht unser Aufbruch mit dem Wort »Gott«142 oder schon mit dem göttlichen Namen – hin zu seiner Gegenwart.143 Hier ist wiederum die besondere Bedeutung des Gebetes im Glauben zu beachten.144 Wenn es bei Luther zur ersten Bitte des Vaterunsers heißt: »Gottes Name ist zwar an ihm selbs [sc. von selbst] heilig, aber wir bitten in diesem Gebet, daß er bei uns auch heilig werde«,145 so denkt eine spekulative 138 BAUR, Luther und seine klassischen Erben (wie oben Anm. 133), 262. Dort heißt es auch, »die entscheidende Veränderung Gottes« ist in Christus eingetreten, insofern Gott mit ihm den Tod in sich hineinnimmt (305). 139 Cf. R. FELDMEIER, Gottvater. Neutestamentliche Gotteslehre zwischen Theologie und Religionsgeschichte, in: F. Schweitzer (Hg.), Kommunikation über Grenzen, VWGTh 33, Gütersloh 2009, 302–323 und dazu J. LAUSTER, Gott als Vater, a.a.O. 324–335. 140 Das in Phil 2,6ff Gesagte entspricht dieser lebendigen und wirklichen Liebe Gottes (s. o. § 6 C. [S. 378ff]). 141 Dies ist der tiefste Sinn der lutherischen Bestimmung, dass Gott und Glaube zusammengehören (s. o. Prolegomena, § 4 [S. 60ff]) Der Satz von B. Liebrucks: »In der Geburt jedes Menschen ist dieser immerseiende ewige Anfang« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. VI/3, Frankfurt 1974, 612) muss mit Luthers Verständnis des Glaubens als der »fides creatrix divinitatis« zusammengedacht werden (s. o. Prolegomena, § 4, 2., S. 72 Anm. 65). 142 Cf. oben § 10 F. 1. (S. 581ff). 143 Cf. Jes 60,1: »Mache dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.« 144 Zum Gebet bei Platon cf. Tim. 27c–28a (im Zusammenhang mit Sein und Werden); nach Phaidr. 279b/c soll das Gebet einen innerlich schön machen. Für Aristoteles war das Gebet identisch mit Gotteserkenntnis (so in der verlorenen Schrift »Über das Gebet« [Περὶ εὐχῆς]); im Übrigen ist das Beten für ihn kein logos apophantikos, also weder wahr noch falsch (Peri herm. 17a [c. 4]); cf. auch M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 101963, 32 (§ 7 B.). 145 BSLK 512,28–30 (»Kleiner Katechismus«); cf. 671,2–5. Luthers Deutung entspricht dem Verhältnis von erster Bitte und der (später zugefügten) Doxologie: »Denn dein ist das Reich …« (Mt 6,13).

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Interpretation beides als das eine Ereignis von Gottes Sich-Hervorbringen am Ort unseres Glaubens. Indem er bei uns mit sich anfängt, ist er eodem actu ewig »heilig« etc.146 Das An-sich-heilig-Sein (»an ihm selbs«) kommt Gott selbst zu, sofern er als Gott für sich selber bei uns ist: indem aktuell bei uns, zugleich ewig bei sich. Von Gottes Sich-Hervorbringen am Ort des Glaubens aus ist auch verständlich zu machen, dass der Betende sich von Gott selber gehört und erhört weiß, auch wenn seine Bitte inhaltlich nicht im wörtlichen Sinne »erhört« wird.147 Hier gilt gemäß der klassischen apostolischen Formulierung und christusförmig 2Kor 12,8f: ἡ γὰρ δύναµις (ἐν ἀσθενείᾳ) τελεῖται. Im Zuge göttlichen Sich-Hervorbringens am Ort des Glaubens ereignet sich in eins das Zweifache, dass Gott selber uns unendlich nahe kommt (sc. übergegenständlich) und dass er zugleich aus der zeitlichen Gegenwart (bei uns) in die unendliche Ewigkeit als seine Selbstgegenwart (für sich) reflektiert ist. Von Gott aus gesehen heißt das: Er ist dem Menschen näher, als dieser sich selbst je sein könnte;148 vom Menschen aus: Gott wahrt dabei seine ewige Gottheit im unendlichen qualitativen Abstand. So sind hier Allgegenwart und Unerreichbarkeit (wie Abwesenheit) vereint,149 und insbesondere das Gebet ist vom Geheimnis der Ewigkeit im Augenblick durchwaltet, ohne dies doch weder mystisch noch enthusiastisch zu sein.150 3. Die Gottesgeburt Als Inkarnation ist Gottes Selbsthervorbringung im vollen Sinne geschichtlich. Die Geburt Jesu Christi aus Maria, von Paulus als Schwangerschaft der Zeit begriffen (Gal 4,4: τὸ πλήρωµα τοῦ χρόνου, plenitudo temporis),151 ist die zeithafte Weise von Gottes Werden zu sich.152 Maria heißt daher völlig zu Recht – und im Sinne des hier vertretenen Gottesbegriffs – θεότοκος, die Gottesgebärerin:153 »Denn solt er Gottes son sein, so muste er natürlich und 146

Cf. oben bei Anm. 141. Zum »allmählichen Verfertigen der Gedanken« beim Beten cf. oben »Einführende Überlegungen« (1.), S. 4 bei Anm. 19. 148 Cf. dazu Näheres unten § 12 E. 2. (S. 677ff). 149 Cf. die Hamann’sche Einheit von Gottes »dem Nichts gleich«-Sein und seiner »innigsten Zuthätigkeit«: J. G. HAMANN, SW 2, 204,11.13f; vollständig zitiert oben § 6 G. 2. (S. 396 bei Anm. 146). 150 Cf. oben § 9 D. 6. (S. 547ff). 151 Luther zu Gal 4,4 (1516/17): »Non enim tempus fecit filium mitti, sed econtra missio filii fecit tempus plenitudinem« (WA 57, 30,15f). Gottes Kommen in die Zeit – als ein Kommen zu sich – schafft die »Mitte der Zeit«. 152 Hier gilt in spezifischer Weise das oben in Anm. 141 angeführte Liebrucks-Zitat. 153 Der Bezug zu Ex 3,14 ist in mittelalterlichen Bildern wahrgenommen, die Maria mit Kind im brennenden Dornbusch darstellen, so unter anderem das Gemälde von Nicolas Froment (Kathedrale von Aix-en-Provence; 1476) und das Deckenfresko in Urschalling bei Prien (Bayern; Ende 14. Jh.). 147

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personlich ynn mutter leibe sein und mensch werden«.154 Als Mutter des Gottes, der zugleich wahrer Mensch ist, verbindet sich mit ihrem Namen die Zeitumkehrung, dass aus einer geschaffenen Frau sich der Unerschaffene hervorbringt.155 Der geschichtliche Vorgang der Geburt Jesu von Nazareth ist zugleich in die Ewigkeit Gottes zurückreflektiert, und er ist die zeitliche Erscheinung von Gottes Selbstunterscheidung im ewigen Logos, der Fleisch wird (Joh 1,14a).156 Daher ist es in einem nicht-mystischen, sondern aus der Dialektik von Zeit und Ewigkeit gedachten Sinne wahr, was Johannes Tauler in einer Weihnachtspredigt über die eine Nacht der Christusgeburt in der dreifachen Bedeutung des zeitlich-ewigen Heute schreibt: Am heutigen Tage gedenkt die heilige Christenheit dreier Geburten, die jeden Christen … freuen und ergötzen müßten … Die erste und oberste Geburt ist die, daß der himmlische Vater seinen eingeborenen Sohn in göttlicher Wesenheit, doch in Unterscheidung der Person gebiert.157 Die zweite Geburt, deren man heute gedenkt, ist die mütterliche Fruchtbarkeit, die [sc. Maria] … in wahrhafter Lauterkeit zuteil ward. Die dritte Geburt besteht darin, daß Gott alle Tage und zu jeglicher Stunde in wahrer und geistiger Weise durch Gnade und aus Liebe in einer guten Seele geboren wird.158 Diese drei Geburten begeht man heute …159

154 WA 26, 332,26–28. Mensch werden besagt: Gottes menschlicher Sohn, Menschensohn werden; dies, damit Gott in Wahrheit »Vater« sei und einen Sohn aus dem Leibe einer Mutter habe. Dem korrespondiert der andere Gedanke: »Gott ist selbst in allen Dingen persönlich; ohn welche Gegenwärtigkeit auch nicht hätte mögen [d.i. können] Mensch … werden; denn er mußte zuvor im Mutterleib da sein, wie er an ihm selber ist in der Gottheit« (WA 23, 142,1–6). Man könnte sagen: aus dem »Schoß« (κόλπος) Gottes, des ewigen Vaters, in den Schoß der Maria und umgekehrt. 155 Zu den damit gegebenen, literarisch formulierten Inkarnationsparadoxien cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 614 Anm. 14), 329 Anm. 154, und DERS., Das philosophische Evangelium (wie oben S. 614 Anm. 13), 2. Kap., Anm. 65. 156 Luther notiert zu verbum caro factum est die Paradoxie: »quod in natura non werden kan, sed semper fuit, et per id existunt omnia, et tamen das unwerdlich wort ist worden« WA 47, 633,22–24). Mag es wohl unbegreiflich sein, dass (oder wie) in »unwerdlicher« Ewigkeit ein Werden anfängt, so ist es nicht, in umgekehrter Richtung gedacht, unbegreiflich, dass zeitliches Werden (sc. des Wortes, das Jesus ist) sich in die überzeitliche Ewigkeit reflektiert und so das zeitliche Werden zugleich (eodem actu) ewiges (Geworden-)Sein ist. 157 Die sog. »ewige Zeugung«. Sie besagt: Der Sohn ist gleichewig wie der Vater selber, der daher nie ohne den Logos (gewesen) ist, welcher vielmehr schon ἐν ἀρχῇ bei Gott und auch Gott (immer schon) »war« (Joh 1,1: ἦν). So ist die ewige »Zeugung« nichts anderes als die Selbstunterscheidung des (so) lebendigen Gottes; cf. unten § 15 G. 3.1. (S. 824ff). 158 »Seele« steht hier dafür, dass Gott im Glauben jedes Menschen bei diesem mit sich anfängt. 159 J. TAULER, Predigten, hg. von G. Hofmann, Bd. I, CMe 2, Einsiedeln 1979, 13. Ähnlich auch J. GERSON, Sermo in natali Domini, in: ders., Œuvres complètes, Bd. V, Paris 1963, 601; Nikolaus Cusanus 1431 in Koblenz, in: Nikolaus von Kues, Predigten 1430–

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Diese dialektisch-spekulative Deutung der Gottesgeburt verfällt nicht einer (römisch-katholischen) Hypostasierung der Maria.160 Denn am Orte des Menschensohnes aus Maria stößt sich der ewige Gottessohn zugleich von der bloßen Menschheit ab, indem er an ihr teilgewinnt.161 Daher hat Maria selbst (als diese Frau) in keiner Weise Anteil an seiner Göttlichkeit (Gottheit); sie ist die menschliche Mutter des Gottes, der auch Mensch ist.162 4. Jesu Personsein als communicatio idiomatum Der menschgewordene Logos ist der Gottmensch Jesus Christus in seinem Wort, und dies insbesondere in seinem Gebet für die Seinen (cf. unter anderem Joh 17).163 Indem er an ihm selber das existierende Gebet in Person ist,164 1441. Dt.: J. Sikora/E. Bohnenstädt (Schriften II), Heidelberg 1952, 85–90. Luther unterscheidet zweierlei Geburt: »1. In ewigkeit a patre und 2. zeitlich von der virgine« und fährt fort: »Et tamen is unicus est filius, qui a patre et matre genitus ac idem est. Ipsa non tulit alium filium in mundum, quam pater ab eterno gebracht hat. Alia quidem nativitas ex Matre et patre, et tamen unicus filius. Quem Maria vocat verum naturalem filium, eundem etiam pater. Mirabiles sermones isti. Ja freilich« (WA 49, 234,11–235,5; Hervorhebungen J. R.). 160 Cf. zur historischen Frage H. GESE, Natus ex virgine, in: H. W. Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie (FS G. v. Rad), München 1971, 73–89. 161 Mit dieser Dialektik ist die (schon früh nachweisbare) Verbildlichung unvereinbar, wonach Jesus durch Maria (mit seinem »himmlischen Leib«) nur hindurchgegangen sei. Das führt Augustinus (im Gefolge von Epiphanius und Johannes Damascenus) als valentinianische Häresie an: »nihilque assumpsisse [sc. Christum] de virgine Maria, sed per illam tamquam per rivum aut per fistulam sine ulla de illa assumpta carne transisse« (De haer. XI; PL 42, 28). Diese doketische Vorstellung widerstreitet ebenso dem Realismus der Inkarnation (cf. oben S. 620 Anm. 48) wie der Vergleich für die Jungfrauengeburt, der in der Mariendichtung sehr gebräuchlich war: wie ein Strahl der Sonne durch ein Glas. Cf. z. B. W. v. d. Vogelweide: »also diu sunne schinet durch ein gewohrtes [d. i. gewirktes] glas, also gebar diu reine Krist, diu magt und muoter was« (Gedichte, hg. von. K. Lachmann, Berlin 21843, 4,10); ähnlich Dante, Par. 29,25–27 (cf. A. SALZER, Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters, Linz 1893, s. v. »Glas«). Aus diesen theologischen Gründen hat Luther das Bild stets abgelehnt (cf. WA 10 I,1, 236,8–10 [1522]; 18, 707,30 [1525]; 45, 545,16f [1538]; 46, 136,7f [1538]). Anders der Vergleich der Allgegenwart des erhöhten Christus mit Licht im Glaskristall (cf. WA 28, 336,2ff und 337,30ff [1528] sowie Studienausgabe, hg. von H.-U. Delius, Bd. IV, Berlin [Ost] 1986, 96 Anm. 1046 und 1047). 162 Hegel redet, sich der Metapher natürlicher Zeugung bedienend, davon, dass der Gottmensch »eine wirkliche Mutter, aber einen ansichseienden Vater hat« (HEGEL, Werke 3, 550 und 574). Es geht theologisch bei der »Jungfrauengeburt« (statt um ein biologisches Mirakel) darum, dass Gott in der wirklichen Menschheit neu mit sich bzw. etwas schlechthin Neues angefangen hat. Cf. unten § 12 (S. 662 Anm. 42 [Bonaventura]) und § 15 (S. 822 Anm. 301). 163 Cf. (als Gebet Christi um Sündenvergebung gelesen) Ps 6, die »oratio Christi pro nobis«. 164 Cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 625 Anm. 81), 265f.

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sind sein Sein und Bewusstsein sprachlich verfasst. So, und nicht aus zwei »Naturen« zusammengesetzt,165 ist er als der Gottessohn da und das fleischgewordene Wort Gottes. Das bedeutet: Die communicatio idiomatum ist der Ort der persönlichen Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus, und diese Einheit wiederum ist als eine sprachliche zu denken.166 »Communicatio idiomatum« – das ist echte sprachliche Kommunikation, ein Zeit und Ewigkeit durchwaltender und übergreifender »Wort-Wechsel« (Hamann).167 Diese Idiomen-Kommunikation ist, als Vollzug des Personseins Jesu, selber die gottmenschliche Person.168 Diese konstituiert sich, sprachlich vermittelt, im reziproken (bzw. perichoretischen) Austausch der Eigenschaften göttlicher und menschlicher »Natur« als ihre wechselseitige Mit-teilung.169 Die Person Jesu Christi ist mithin das wirkliche Ganze beider »Naturen« in ihrer sprachlich lebendigen Einheit, sofern sie sich, als im Anderen bei sich selbst seiend, von beiden Seiten aus hervorbringen.170

165

Die bekannten vier Abwehrformeln des Chalcedonense (cf. BSLK 1105,6f.22) sind entsprechend nur sprachlich zu begreifen; sie artikulieren eine »kommunikative Einheit« (von [negativ] zweifach ausgesagter Einheit und [negativ] zweifach ausgesagtem Unterschied) und sind mithin prozessual verstehbar. 166 Nach Humboldt ist es das Werk der sprachlich-schöpferischen Einbildungskraft, »Vermittlerin der entgegengesetzten Naturen in der Menschheit« zu sein, und dieses Gebiet ist »eigentlich die Sphäre, in welcher das Wort schwebt« (HUMBOLDT, GS 5, 420). Auch sonst heißt es von der produktiven Einbildungskraft: »welche widersprechende Eigenschaften zu verbinden im Stande ist« (a.a.O. 2, 127). So kann E. Heintel feststellen, Humboldt habe die Sprache wesentlich von der Vermittlung her verstanden (E. HEINTEL, Einführung in die Sprachphilosophie, Darmstadt 21975, 5). 167 Cf. zu Jesu Gottesverhältnis als Gespräch (nach Johannes): RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 614 Anm. 13), 176, 158 und 242. 168 H. Ch. Knuth hat 1971 in seiner gelehrten und historisch differenzierten Dissertation (H. CH. KNUTH, Zur Auslegungsgeschichte von Psalm 6, BGBE 11, Tübingen 1971) gezeigt, wie Luther in seiner ersten Psalmenvorlesung (1513–1516), und zwar insbesondere im Summarium (»De mediatore«; cf. KNUTH, a.a.O. 136–142 und 153–157), ein neues christologisches Verständnis dadurch eröffnet, dass er Christus in eigenartiger Weise als Mittler versteht (141), nämlich als den Beter, der für uns Sünder eintritt (153, 4.), so dass Christi Mittleramt betont mit seinem Wort (oratio) als Zwiegespräch mit Gott verknüpft wird (156). Es erscheint systematisch nur konsequent, von hier aus das Lehrstück der communicatio idiomatum worttheologisch zu entwickeln. 169 Die Konkordienformel verwirft ausdrücklich die Vorstellung der Einheit von menschlicher und göttlicher Natur in Christus als die zweier »zusammengeleimter Bretter« (Epitome VIII,5 und Solida Declaratio VIII,14; BSLK 806,10f und 1021,29f); das bezieht sich wohl auf Gregor von Nyssa: καθάπερ τινὶ κολλῇ (veluti glutinam; Or. Cat.; PG 45, 52B 9. 170 Cf. zu einem neuen Verständnis von Chalcedon auch J. BAUR, Lutherische Christologie im Streit um die neue Bestimmung von Gott und Mensch, in: ders., Luther und seine klassischen Erben (wie oben Anm. 133), 145–163, hier 148f.

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5. Gott weiß sich in Jesus Geht man von dem Satz Hegels über den wirklichen Logos aus: »Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frei ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtsein«,171 so wirft er auch ein erhellendes Licht auf das Bewusstwerden Gottes von sich selbst in Jesus,172 d. h. sein absolutes Sein im Begriff (Logos). In dem sprachlich verfassten Bewusstsein Jesu von Gott als seinem himmlischen Vater hat Gott sich »neu bestimmt« (s. o. 1.) bzw. ewig hervorgebracht. Das bedeutet auch: Gott bringt sich in Jesu Sohnesbewusstsein als Selbstbewusstsein hervor, denn dieses Sohnesbewusstsein geht (sozusagen rückwirkend) konstitutiv in Gottes eigenes, ewiges Leben ein.173 6. Die Liebe am Kreuz Wie Joh 3,16 zu verstehen gibt, vollzieht sich die Liebe Gottes grundlegend in der Dahingabe seines Geliebten. Im Sinne der communicatio idiomatum (s. o. 5.) bedeutet das das Leiden und Sterben des wahren Gottessohnes uns zugut (cf. Röm 8,32),174 und zwar auch nach seiner göttlichen Natur.175 Am Kreuz Jesu nimmt Gottes Liebe zum Leben auch das Leiden und den Tod auf sich176

171

HEGEL, Werke 6, 253. Cf. auch: »Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist« (ebd.). 172 Cf. Schelling: »Die Offenbarung ist also von Seiten Gottes nicht möglich, ohne daß er im Bewußtseyn unmittelbar ein anderer, ja sich selbst ungleicher ist – aber indem er sich in diesem unmittelbaren Seyn aufhebt, sich selbst zu sich selbst vermittelt und so in der That im Bewußtseyn hervorbringt. Ohne ein solches sich Hervorbringen im Bewußtseyn wäre gar keine Offenbarung Gottes« (SCHELLING, Philosophie der Offenbarung II, in: ders., SW II/4 (= Nachdr. 123f.). 173 Cf.: »daß das Hinausgehen Gottes in die Endlichkeit der Schöpfung und in die Endlichkeit des Sohnes die Bewußtwerdung Gottes selbst war, sein Sichauseinanderlegen in die Reflexion« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. III, Frankfurt 1966, 205). Dies muss wohl die Annahme einschließen, dass Gott auch vor Jesus in der Geschichte des religiösen Bewusstseins ein Bewusstsein von sich gehabt hat, das in Jesus sich (auch sprachlich) vollendet hat. 174 »Und so fort an alle werck, wort, leiden und was Christus thut, das thut, wirckt, redet, leidet der warhafftige Gottes son, und ist recht gered: Gottes son ist fur uns gestorben« (WA 26, 320,31–33). 175 A.a.O. 319,37f. 176 Cf. C.-A. SCHEIER, Gestalten des Todes in Hegels »Phänomenologie des Geistes«, in: D. v. Engelhardt/W. Neuser/W. Lenski (Hg.), Sterben und Tod bei Hegel, Würzburg 2015, 43–53. Cf. hier das Hegel-Zitat zum Tode Jesu (a.a.O. 53 bei Anm. 48 = HEGEL, Werke 3, 566.570f) sowie die Aussage Scheiers: »Die Rede vom Opfer durchzieht die ganze Phänomenologie, indem alle Gestalten des Geistes vom Geschehen der offenbaren Religion her zu begreifen sind« (a.a.O. 50 Anm. 38).

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bzw. in sich hinein und bejaht so selber das Leiden in sich um der Zukunft der Sünder und des ewigen Lebens willen.177 Heißt es noch im Alten Testament: »Aber du, Herr, mein Gott … der du von Ewigkeit her bist, lass uns nicht sterben« (Hab 1,12), weil er der Gott ist, der selber nicht stirbt, so geht die christliche Gotteslehre konsequent den entscheidenden Schritt weiter mit der Einsicht, dass, weil Christus auch Gott ist, Gott selber, als mit dem Menschen Jesus eins geworden, gestorben ist, d. h. den Tod auf sich genommen hat: »Christus ist gestorben, Und Christus ist Gott, drumb ist Gott gestorben, Nicht der abgesonderte Gott, sondern der vereinigte Gott mit der Menschheit«.178 In der Menschwerdung Gottes »wird der unsterbliche Gott dasjenige, so sterben, leiden und alle menschliche idiomata haben mus«.179 Weil dieser Tod Gottes am Ort des Menschensohnes180 die absolute Wende (und Neubestimmung) im göttlichen Leben ist, gilt lutherisch: »CRUX sola est nostra theologia«.181 Die Selbstinvestition Gottes (gemäß Joh 3,16) besagt mithin: Der lebendige Gott setzt sich im Tode seines eigenen Sohnes dem Nichts aus – um es in der Kraft seines ewigen Lebens durch die Auferstehung zu verwinden.182 Im Geschick Jesu Christi sind göttliches Ja und Nein eigentümlich ineinander »verschlungen« (cf. 1Kor 15,54; 2Kor 5,4b):183 »Diese Botschaft [sc. von Tod und Auferstehung Jesu] besagt, daß da, wo Gottes Sein im Werden mit dem Vergehen verschlungen war, das Vergehen in das Werden verschlungen wurde«.184 Verschlungen wird hiernach der Tod in Gottes Leben wie schon

177

Zum stellvertretenden Leiden im Alten Testament cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben S. 613 Anm. 4), 140; hier gibt es keinen »Mittler« (a.a.O. 147); cf. oben S. 623 Anm. 68. 178 WA 50, 589,24–26. Cf. unten Anm. 194. Von Christus als dem sterbendem Gott ist in WA 51, 46,28 die Rede. 179 A.a.O. 589, 30f. Zum entsprechenden Verständnis von Gottes Unveränderlichkeit s. o. § 2 E. 2. (S. 232ff). 180 Cf. ausführlich JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt (wie oben S. 614 Anm. 8), 72ff (§ 7. Die Rede vom Tode Gottes als theologische Antwort auf die Frage: Wo ist Gott?, bes. 83ff). 181 WA 5, 176,32f. Cf. schon WA 1, 362,18f: »Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei« (1518) und Z. 28f: »Deum non inveniri nisi in passionibus et cruce«. 182 Hegel hat, wie gesagt, eingefordert, dass eine Theologie der Liebe Gottes niemals den Schmerz und die Arbeit des Negativen überspielen dürfe (s. o. S. 620 bei Anm. 46). 183 Gleichwohl gilt das apostolische Wort: »Der Sohn Gottes [sc. selbst] … war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm« (2Kor 1,19). Jenes lautere Ja ist das des liebenden Weltschöpfers, und endgültig war kein Nein bei ihm, sofern an ihm die Macht des Todes überwunden (als »Tod des Todes«) und jegliche Negativität in den Sieg verschlungen wurde. In ihm war letztlich nur Ja, weil »alle Verheißungen Gottes in ihm Ja und durch ihn Amen« geworden sind (2Kor 1,20). 184 E. JÜNGEL, Gottes Sein ist im Werden, Tübingen 31976, 122.

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das Nichts in die Schöpfung.185 Das Vergehen ist nur als Übergehen (bzw. Übergegangensein) ein Moment in Gottes Werden zu sich. In der Auferstehung wird das Zu-Ende-Gehen eines endlichen Seins zum Sich-Setzen unendlichen Seins.186 Darum ist das »Verschlungen«-Werden die göttliche Bewegung, durch die ein Zunichtewerden sich übersetzt in ein Neuwerden bzw. dazu umgebogen oder »verwandelt« wird. Das heißt, dass das Nichts hierbei Moment einer neuen Schöpfung ist; es verliert seine nichtende Macht, indem diese einbezogen wird in die Macht eschatologischen Werdens. So ist für den ewigen Gott selbst das Nichts immer schon übergegangen ins eigene Sein und in dessen unvergänglicher Lebendigkeit (Hebr 7,16: κατὰ δύναµιν ζωῆς ἀκαταλύτου) aufgehoben.187 Jesu Tod am Kreuz steht für die Nicht-Positivität Gottes, der eben nichts Gegebenes (das Ungegebene schlechthin) oder einfach »existierend« ist, sondern absolut freies mit sich selber Anfangen (a se), sein lebendiges SichHervorbringen, und daher ist die »Torheit Gottes weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes stärker, als die Menschen sind« (1Kor 1,25). Wegen dieser Einheit von Vergegenständlichung und Entgegenständlichung – sie ist nur sprachlich zu begreifen – bedeutet das Kreuz das Zerbrechen jedes einsinnigen Bildes von Gott (cf. 1Sam 2,6)188 und fordert den Glauben.189 Als der Sich-Hervorbringende ist der lebendige Gott notwendig übergegenständlich. Zum Verhältnis des Kreuzes von Golgatha zur Selbsthervorbringung Gottes ist mithin Folgendes zu sagen: Der lebendige Gott entäußert sein eigenes Leben in das Sterben und den Tod des Menschensohnes und hat so die tiefste Entzweiung von sich in der Gottverlassenheit seines geliebten Sohnes.190 Mit der Auferweckung Jesu aus dem Tode schlägt diese extreme Negativität in der Macht göttlicher Lebendigkeit in die radikalste Neubestimmung Gottes um: als ewiges Leben zusammen mit diesem Menschen. So bringt sich Gott (rückwirkend) für alle Ewigkeit als der in unzertrennbarer Einheit mit seinem Sohn ewig Lebendige selbst hervor (cf. Joh 5,26).191 Gott (der Vater) stößt 185

Cf. oben § 8 D. (S. 465ff). Cf. Hegel: »Das Nichtsein des Endlichen ist das Sein des Absoluten« (HEGEL, Werke 6, 80). 187 Das stellen in der christlichen Kunst die zahlreichen (trinitarischen) »Gnadenstuhl«Bilder dar; besonders eindrucksvoll, weil hier der Vater um den toten Sohn trauert, das Bild »Die Heilige Dreifaltigkeit« (»Not Gottes«), Ungarische Nationalgalerie Budapest (um 1440). 188 Cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 625 Anm. 81), 616f. 189 Über die dem Glauben seinen »Ort« gebende Verborgenheit Gottes unter dem Gegenteil cf. WA 18, 633,7f.14–23. 190 Cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 625 Anm. 81), 604–619. 191 Zu dieser theologisch zentralen Stelle cf. ausführlich RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 614 Anm. 13), 502–511. 186

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sich von diesem Toten ab (Mk 15,34) – in sein ewiges Leben, um ihn als den lebenden Gott-Menschen daran teilhaben zu lassen.192 Die Ohnmacht des Gekreuzigten wird in die Allmacht des göttlichen Lebens hinein aufgehoben. Der Weg des lebendigen Gottes (zu sich), seine via regia, ist der Kreuzweg. Das ist immer auch der Weg unserer Wahrheit: »Auf dem Berge des Christentums stehen drei Kreuze. Ohne sie wüßten wir auch philosophisch nicht, wer wir sind … Ohne sie wüßten wir nicht um die Sprachlichkeit unserer Existenz, unseren Logoscharakter«.193 Damit ist auch gesagt: Indem Gott sich bei uns hervorbringt, kann er ganz in unserer Negativität sein und an ihr teilhaben – »bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz« (Phil 2,8).194 Sein »fremdes Werk« ist so zur Voraussetzung seines eigenen und eigentlichen Werkes herabgestuft (Jes 28,21).195 Die größte Liebe besteht darin, sein Leben zu lassen für die Seinen (Joh 15,13; cf. 1Joh 4,16a). Darin vollendet sich das exklusive »Ich« von Ex 3,14: als die Selbsthingabe für uns – so als hieße es: »Ich werde der sein, der ich für euch sein werde, euch zugut«.196 So macht sich Gott in seinem Menschensohn zum dienenden Gott für uns, seine in Christus Geliebten (cf. Joh 13,1– 17).197 In der Selbsthingabe dessen, der »das Brot des Lebens« ist (Joh 6,22– 58), wird die ewige göttliche Liebe noch einmal definitiv leibhaft,198 sofern Jesus sich in den Einsetzungsworten beim letzten Mahl selber den Seinen, sprachlich vermittelt, zueignet (Mk 14,22–24 parr; 1Kor 11,23–25). 192

Jesu wirkliches Verlassensein vom Vater hat zur (von Jesus nicht gewussten) Kehrseite die neu hervorgebrachte, schöpferische und lebendige Einheit Gottes mit ihm, die sich als seine Auferweckung darstellt. 193 B. LIEBRUCKS, Irrationaler Logos und rationaler Mythos, Würzburg 1982, 294. Cf. entsprechend zu Gottes Hingabe seines Sohnes aus Liebe a.a.O. 298. 194 Cf. Luther: »Wo es nicht sollt heissen, Gott ist fur uns gestorben, sondern allein ein mensch, so sind wir verloren, Aber wenn Gottes tod und Gott gestorben in der woge[sc. Waag]schüssel ligt, so sincket er unter und wir faren empor, als eine leichte ledige schüssel, Aber er [selbst] kann wol auch wider emporfaren oder aus seiner schüssel springen« (WA 50, 590,13–17). 195 Cf. dazu WA 1, 357,6–9. 196 Mit Dschelaleddin Rumi gesprochen: »Denn wo die Lieb’ erwachet, stirbt / Das Ich, der dunkele Despot« (Mewlana, Str. 15; Übersetzung F. Rückert [1821], zitiert bei HEGEL, Werke 10, 388). Jede unmittelbare Ich-Behauptung bedeutet, mit Liebe unvereinbar, Tod; daher gilt dialektisch, dass »die höchste Form des Selbstbewusstseins nichts anderes ist als sein eigener Untergang« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. V, Frankfurt 1970, 103 [zur »Phänomenologie des Geistes«]). 197 Zur Auslegung cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 614 Anm. 13), 286ff. 198 Cf. die schönen Formulierungen in dem Gedicht »Mio fiume anche tu« von G. Ungaretti: »Cristo, pensoso palpito« (Christus, denkender Herzschlag) und: »Il Tuo cuore è la sede appassionata / Dell’ amore non vano« (Dein Herz ist der leidenschaftliche Ort / Der nicht vergeblichen Liebe; Übers. I. Bachmann), in: G. UNGARETTI, Vita d’un uomo. Tutte le poesie, Monadori 1969, 228 (1.) und 229 (3.).

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7. Eschatologische Kindschaft Jesus Christus ist als die menschgewordene Liebe Gottes die Mitte der Geschichte, die sich in ihm neu bestimmt (cf. Mk 1,15a; Gal 4,4). Diese »Mitte« (bzw. er als der Schöpfungsmittler) bestimmt (rückwärts) den Anfang von allem und (vorwärts) das Ende der Geschichte, Proton und Eschaton: »Jesus ist kommen, … / A und O, Anfang und Ende steht da«.199 Als solche Mitte ist der Gottmensch der dialektische Wendepunkt in Gottes Werden zu sich. Die in ihm offenbare göttliche Liebe manifestiert Gottes ewige Verbundenheit mit der Menschenwelt und der Erde, der er treu bleibt. Indem Jesus als der Christus der endgültige Ort einer allumfassenden Liebe Gottes des Vaters ist, ist der Menschensohn in Wahrheit nur der »Erstgeborene« unter vielen Gotteskindern (cf. Joh 1,12 mit Röm 8,29; Kol 1,15.18; Hebr 1,6). Das gibt dem Glauben an ihn und seine göttliche Liebe seine eschatologische Dimension; denn als Gottes eigenes Sein beim Menschen in Christus wohnt der Hl. Geist in den Herzen der Glaubenden, um in ihnen Neues zu schaffen bzw. sie selber zu etwas Neuem umzuschaffen: »und uns des Geistes Kinder macht«.200 Von hier aus ist auch Jesu Preis der Kinder eschatologisch zu begreifen.201 Er selber, dessen Geburt christlich nicht zufällig erinnernd gefeiert wird,202 ist Kind gewesen,203 und, wie ein Kind (als noch nicht fertig) im Werden zu sich ist, ist seine Menschwerdung als die Gottwerdung Gottes ebenfalls im Werden zu sich begriffen (cf. Lk 2,52).204 Jesu Lebensgeschichte im Ganzen, und sofern sie sich für den Menschen- und Gottessohn in der Auferstehung vollendet (Röm 1,4), ist als Gottes Werden zu sich ein Moment in Gottes eigenem Lebenslauf.205 Überhaupt auch ist die eigentliche ἐξουσία, um im Glauben ein Kind Gottes zu werden (Joh 1,12), – wie das Evangelium selber (Röm 1,16b) – die Dynamik von Gottes Sich-Hervorbringen an diesem Ort.

199

J. L. K. Allendorf (EG, Nr. 66,1). In Luthers Weihnachtslied »Gelobet seist du, Jesu Christ« heißt es: »des Lichtes Kinder« (EG, Nr. 23,4). 201 Cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 625 Anm. 81), 459ff. 202 Zur Bedeutung dieser Natalität cf. H. ARENDT, Vita activa oder Vom tätigen Leben, Stuttgart 1960, 243. Hier wird J. P. Hebel mit seiner Rede von Christus als dem »Geborenen« schlechthin zitiert (ebd.). 203 In jedem noch im Werden befindlichen Kind ist Gott sich selber voraus (cf. Jer 1,5 und Ps 139,16). 204 Bekanntlich hat Schleiermacher die urbildliche Würde Christi (als »ein eigentliches Sein Gottes in ihm«) auf den »Gesamtverlauf seines Lebens« beziehen und mit einer natürlichen menschlichen Entwicklung im Einklang befindlich darstellen wollen (SCHLEIERMACHER, CG2, § 93, 1., 3. und 4.). 205 Von Gottes »Lebenslauf« spricht Hegel; cf. HEGEL, Gesammelte Werke, Bd. V, Hamburg 1998, 498,3. 200

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8. Liebe und Gegenliebe Der Gottesliebe kann wahrhaft nur die Antwort menschlicher Liebe entsprechen – auf dass sie alle in Liebe eins seien (cf. Joh 17,23.26). Damit ist der Anschluss an den vierten Abschnitt dieses Paragraphen (D.) gegeben. Gott ist in einem umfassenden Sinn der Liebende, weil er in Christus uns liebt,206 wie er zu Jesus Christus schon vor der Erschaffung der Welt ewige Liebe hegte (Joh 17,24b). Aus der Fülle seiner Liebe hat er sich in seinem Sohn zum AllVersöhner gemacht (Kol 1,19f). Diesem unendlichen Sich-Verschenken des lebendigen Gottes (Joh 3,16) entspricht das Leben der Glaubenden in christlicher Liebe. Ihre Liebe wird durch die göttliche Liebe gleichsam hervorgeliebt.

D. Die Liebenden Aus dem Verhältnis Gottes zu seinem geliebten Sohn entspringt auch die Liebe der von Vater und Sohn Geliebten untereinander und zu Gott selber.207 Der liebende Gott erweckt die Glaubenden zu Liebenden, die ihn in freier Gegenliebe widerlieben und die seine ewige Liebe in irdischer Nächstenliebe weitertragen. Das ist in 1Joh 4,11 formuliert: Ἀγαπητοί, εἰ οὕτως ὁ θεὸς ἠγάπησεν ἡµᾶς, καὶ ἡµεῖς ὀφείλοµεν ἀλλήλους ἀγαπᾶν. 1. Glaube und Liebe So eng beides christlich zusammengehört, so ist doch eins nicht auf das andere zu reduzieren, und dies genau wegen des Gottesbezugs auch in der Liebe zu den Nächsten. Der Glaube an den liebenden Gott hat zwar – durch Christus vermittelt – nur zum Inhalt, was die Liebe ist und tut (cf. Joh 3,16), hält sie aber im Bezug auf Gott selber, um nicht die eigene Liebe zu Gott zu machen.208 Das regelt das richtige Verständnis der paulinischen Formel von der πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουµένη (Gal 5,6).209

206

Cf. J. Scheffler: »Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht …« (EG, Nr. 401). 207 Cf. oben S. 613 nach Anm. 4 zur Dreidimensionalität des neutestamentlichen Wortes ἀγάπη. 208 Cf. dazu oben B. 2.3. (S. 623f). 209 Hier muss ἀγάπη primär als die Liebe zu Gott begriffen werden. Zu Luthers Kritik am scholastischen Verständnis von fides charitate formata (im Sinne des dem Glauben allererst Wirklichkeit verleihenden forma-Begriffs) cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 622 Anm. 60), 569 Anm. 90. (Von Luther wird richtiger die fides als forma charitatis begriffen.)

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1.1. Luther hat das fragliche Verhältnis von Liebe und Glaube 1520 am Schluss des Freiheitstraktates (30.) in differenzierter Weise klassisch formuliert: Aus dem allenn folget der beschluß, das eyn Christen mensch lebt nit ynn yhm selb, sondern ynn Christo und seynem nehstenn, ynn Christo durch den glauben, ym nehsten durch die liebe: durch den glauben feret er uber sich yn gott, auß gott feret er widder unter sich durch die liebe, und bleybt doch ymmer ynn gott und gottlicher liebe.210

Diese verdichtete Zusammenfassung ist folgendermaßen zu interpretieren:211 Das Sein des Christenmenschen im Glauben wird als ein Außer-sich-Sein (ek-zentrische Existenz) gefasst. Er »lebt nicht in sich selbst«, eben weil er so nicht in seiner Wahrheit wäre (cf. Gal 2,20). Unmittelbares Bei-sich-selbstSein ist gerade kein Leben, sondern leere Identität. Die Freiheit ist, indem sie bei sich nicht nur bei sich ist, sondern im Herausgehen aus sich kommt sie erst zu sich. Dieses »Heraus« wird von Luther doppelt namhaft gemacht: als Leben in Christus und in seinem Nächsten. In dieser Doppelheit reflektiert sich die von Herrsein über alles und Knechtsein für alles.212 Denn das Herrsein des Christen ist gerade vermittelt durch sein Leben in Christus, wie sein Knechtsein sich im Leben für seinen Nächsten ausdrückt (cf. Joh 13,14; 2Kor 8,9). Dieses doppelte Sein bei einem Anderen (Christus, Nächster) soll nun als einiges Ineinander aufgefasst werden. Beide Bezüge stehen nicht beziehungslos oder konkurrierend nebeneinander, sondern durchdringen sich so innig, dass beide nur in ihrem Zusammenhang ihren Sinn haben. Für seinen Nächsten leben, das heißt gerade erst wirklich in Christus sein, und das Leben in Christus ist von sich her angelegt auf ein Dasein dem Nächsten zugute. Um das verständlich zu machen, ist auf Luthers Näherbestimmungen zu achten. Vom Sein in Christus heißt es erläuternd: »durch den Glauben fährt er über sich in Gott«; vom Leben für den Nächsten gilt: »aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe«.213 Glaube und Liebe werden mithin unterscheidend von Gott her in Bezug zueinander gesetzt. Darin wiederholen sich gleichsam der status exaltationis und der status exinanitionis. Bei Luther ist hier die exaltatio das Erste und Fundierende; außerdem spricht er nicht von »status«, sondern von Bewegungen: einem »Fahren« des Glaubenssubjektes über sich hinaus und unter sich, also von Vollzügen einer Selbstentäußerung. Das verweist bereits auf die Frage nach der Einheit, in der diese Bewegungen als unterschiedene allererst spielen können. Jedenfalls sind nicht substanziell 210

WA 7, 38,6–10. Dazu schon kurz oben § 4 D. 3.3. (S. 319f). Ich übernehme im Folgenden eigene Formulierungen (mit Ergänzungen) nach RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 614 Anm. 14), 15–17. 212 Gemäß der berühmten Doppelthese zu Beginn der Schrift; cf. WA 7, 21,1–4. 213 Dies »unter sich« meint die Kondeszendenz zur konkreten Bedürftigkeit des Nächsten. 211

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getrennte Zustände gedacht, sondern Bewegungsvollzüge als aktuelle Momente eines lebendigen Ganzen.214 »Über sich in Gott«, das ist die – durch Christus vermittelte – Selbstentäußerung des Selbst, in der es sich nicht-endlich begründet findet. Indes ist die Bewegungsrichtung hin auf Gott als unendlicher Abstand des Subjektes von sich doch die Weise, frei auf sich zurückzukommen. Ebendies nennt Luther Glaube. Zum eigenen Seinssinn der Bewegung unendlicher Selbstunterscheidung gehört auch der Rückbezug auf sich in endlicher Daseinskonkretion. Denn sonst ginge das Über-sich-hinaus ins abstrakt Leere. Es ist wahrhafte Bewegung nur im aktuellen Unterschied zu ihrem subjektiven Ausgangspunkt, d. h. aber, wenn sie zugleich bei dem bleibt, von wo aus sie sich fortbewegt. Das bedeutet, die Bewegung auf Gott zu ist in sich selbst die Umkehrung, auch schon Bewegung zurück zu sich selbst zu sein.215 Das wahrhafte Übersich-Sein in Gott ist schon selber die Bewegung (von da aus gesehen) unter sich aus Gott. Bei Gott zu sein, ist nicht die abstrakte Alternative zum Sein bei Endlichkeiten, sondern eine qualifizierte Weise, selbst in der Endlichkeit zu sein. Glaube ist die unendliche Bewegung im und am Endlichen. Als dies unendliche Endlichwerden heißt er bei Luther Liebe. Liebe ist somit die konkrete Erscheinung des Glaubens selbst,216 nicht aber eine bloß nachträgliche Folge. Das Fahren über sich ist immer auch das Fahren unter sich – eine nicht mehr vorstellbare, nur noch zu denkende Bewegung. Glaube und Liebe sind so eine Bewegung,217 die sich in sich unterscheidet und nur als Einheit ihrer beiden Richtungen ein Ganzes ist: konkrete Freiheit. Das unterstreicht unübersehbar die abschließende Wendung: »und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe«. Das und doch meint hier: Auch wenn der Glaube »aus Gott« sich zurück in die Daseinskonkretionen, zu den Mitmenschen bewegt, verlässt er nicht die Höhe des bei Gott Seins.218 Hier ist von einem Oben die Rede, in dem man nur »bleiben« kann, wenn man zugleich auch beim Unten ist, einem Himmel, der auf der Erde erscheinen muss, um Himmel zu sein.219

214

Erst dies Ganze ist für Luther die Wirklichkeit der Freiheit. Bereits in den Prolegomena wurde wiederholt auf diese »Umkehrung« aufmerksam gemacht, bei der sich die menschliche Richtung auf Gott hin ermöglicht und aufgehoben erfährt in der Bewegung Gottes auf uns zu; s. o. S. 5f. 216 Nicht aber die forma, die dem (für sich unwirklichen, keimhaften) Glauben allererst wirkliches Sein verliehe; s. o. Anm. 209. 217 Cf. WA 7, 35,12–19 (Phil 2,5ff). 218 Cf. Kierkegaard: »die Aufgabe ist, daß du, indem du vom Altare fortgehst, beim Altare bleibest« (S. KIERKEGAARD, Christliche Reden 1848, in: ders., GW 20, 294). 219 Oder im Duktus des Freiheitstraktates gesprochen: von einem Herrsein, das nur es selbst bleibt, wenn es auch das Knechtsein auf sich nimmt. 215

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Damit ist etwas Entscheidendes über Gott selbst ausgesagt: Wenn man »in ihm« nur bleiben kann, indem man nicht einfach in ihm bleibt, dann ist Gott selber diese unendliche Bewegung (oder Bewegtheit).220 In ihm abstrakt zur Ruhe kommen zu wollen, hieße gerade, aus ihm herauszufallen.221 Darum erläutert Luther das In-Gott-Sein durch den Zusatz: »und in göttlicher Liebe«. Gott selber ist der absolute Grund und die absolute Einheit dieser Bewegung,222 und die Liebe kommt zu seinem Sein nicht hinzu, sondern ist der Seinsvollzug göttlichen Lebens selber.223 Ist Gott selber die Liebe, so möchte man fragen: Warum bedarf es dann noch des Glaubens; warum reicht für uns nicht ein Sein in der Liebe? Wäre, einfach und unbegrenzt zu lieben, nicht wahres Sein in Gott, praktizierter Glaube und Freiheit in einem? Luthers Antwort auf diese Frage wäre sicher: Wir sind Menschen, nicht Gott, bzw. wir sind Sünder, nicht die Liebe selbst.224 Dieser Unterschied muss auch in der Einheit mit Gott noch gewahrt bleiben und zur Geltung kommen, soll diese Einheit wahr und frei bleiben. Also darf um Gottes und der wirklichen Einheit mit ihm wie um unserer realen Menschlichkeit willen die Unterscheidung von Glaube und Liebe nicht eingezogen werden. Glaube ist das Lebenszentrum unserer Liebe, die als menschliche nie selber schon ist, wovon allein sie doch lebt, die unausdenkliche Einheit göttlicher Liebe. Liebe ist der konkrete Lebensnachvollzug des Glaubens, der gerade darin frei bleibt, dass er sich von göttlicher Freiheit unterschieden weiß. 1.2. Als das wahrhaft und im Christenleben grundlegend Bleibende werden von Paulus »Glaube, Hoffnung, Liebe« genannt – diese drei allein (1Kor 13,13a), dabei wird aber die Liebe vor den anderen beiden Bestimmungen des christlichen Daseins als die »größere« entschieden ausgezeichnet: µείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη (V. 13b). Diese Höchststellung der Liebe ist nur von daher zu verstehen, dass Gott selber sein Sein als Liebe und als der unbedingt Liebende hat.225 Von Gott als 220

Das stimmt wiederum zum hier vertretenen Gedanken göttlicher Selbsthervorbringung, d. h. des Seins Gottes im Werden zu sich. 221 Cf. Act 17,28: »In ipso enim … movemur«. 222 In Gott ist die lebendige Einheit von Ruhe und Bewegung (s. o. § 4 D. 3.1. [S. 317f]). Daher ist auch das ewige Leben in Gottes bewegter Ruhe niemals »langweilig«. 223 Cf. entsprechend von den Christgläubigen: »Das heyssen auch rechte Christen, die Christus leben und namen also yn yhr leben zyhen, wie S. Paulus sagt [Gal 5,24]: Die do Christo zugehören, die haben yhr fleysch … gecreuzigt mit Christo. Dann Christus leyden muß nit mit worten und scheyn, sondern mit dem leben und warhafftig gehandelt werden« (WA 2, 141,35–142,1). 224 Die »All«-Aussagen über die Liebe 1Kor in 13,7 können letztlich, soll der Mensch nicht überfordert sein, nur von Gott selber her verstanden werden, der die Liebe ist. 225 S. o. Abschnitt B. (S. 613ff).

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der Liebe selber teilt sich auch menschlicher Liebe religiös etwas Unbedingtes und Ewiges mit. Sie ist – im Glauben – »protologisch« bestimmt, nämlich als ursprüngliche (trinitarische) Setzung des Schöpfergottes, als Gehaltenund Bewegtsein in ihm und so als Liebe aus Gott, und sie hat zugleich – in der Hoffnung – eine »eschatologische« Bestimmung, sofern sie als Gottes Ziel mit der Welt jetzt noch in Differenz zur Gegenwart (auch bei den Liebenden) steht und von Leiden (an der Entfremdung) mitbestimmt wird.226 So gehören zwar Glaube und Hoffnung in die christliche Liebe mit hinein, werden aber in der Endvollendung nicht mehr sein, weil dann die göttlichmenschliche Liebe alles bzw. der liebende Gott »alles in allen« sein wird (1Kor 15,28). Die Liebe der christlich Glaubenden und Hoffenden (als »die größte« unter den dreien) ist so etwas wie die menschliche Antizipation des Pleromas, eine Antizipation, die zugleich Partizipation an Gottes ewiger Liebe ist. Sie ist auch nur in Kraft solcher Teilhabe möglich, die im Leiden an der Lieblosigkeit doch Liebe bleibt und im unversöhnten Fragment doch das versöhnte Ganze aufscheinen sieht.227 2. Gottesliebe und Nächstenliebe Ihre Zusammengehörigkeit wird in 1Joh 4,21 eingefordert: καὶ ταύτην τὴν ἐντολὴν ἔχοµεν ἀπ’ αὐτοῦ, ἵνα ὁ ἀγαπῶν τὸν θεὸν ἀγαπᾷ καὶ τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ. Das ist ein Rückverweis auf Jesu sog. Doppelgebot der Liebe (Mk 12,18ff; Mt 22,35ff).228 Weil in Gott die Einheit von Selbstliebe und Menschenliebe herrscht229 und weil es beim Menschen um die Einheit von Gottesliebe (Genetivus objectivus) und Menschenliebe (als Nächsten- und Selbstliebe) geht, entspricht dies eine, in sich unterschiedene »Doppelgebot« Gottes eigenem Lieben und Leben.

226

Diese eschatologische Dimension der Liebe enthält auch ein kritisches Moment gegen alles, was Liebe hindert. 227 Das gilt nach Th. W. Adorno selbst noch für das philosophische Denken: »Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint« (TH. W. ADORNO, Minima Moralia, BS 236, Frankfurt 1970, Nr. 153 [»Zum Ende«]). 228 Zur systematischen Auslegung cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 625 Anm. 81), 177ff. 229 S. o. S. 612 (Leitsatz) und 628.

§ 11 Der Liebende

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2.1. Coincidentia oppositorum In solchem Verständnis der Liebe vom Glauben aus fallen ein Maximum und ein Minimum zusammen, sofern der allmächtige, ewige Herr und Gott und der »erste beste« Mitmensch hier in einen Zusammenhang gebracht werden. Das unerhörte Wort: »Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40) spricht der Kosmokrator!230 Echos davon finden sich auch in den apostolischen Paradoxien 1Kor 1,27f (cf. V. 20b), 2Kor 12,9231 und 1Kor 1,25.232 Überhaupt gilt neutestamentlich das Gesetz des Geistes (Röm 8,2; 3,27) und der Liebe: im Kleinsten das Größte (cf. Mk 4,30–32). Es ist ebendie Eigenart der Agape, dass sie im Einzelnen und Konkretesten das Universale realisiert.233 Indem das Eine nur mit dem Andern (und nicht ohne es) ist, was es ist, geht es bei der hier gemeinten Zusammengehörigkeit von Größtem und Kleinstem um die Darstellung einer dialektischen Totalität der Liebe, die unendliches Leben ausmacht. 2.2. Nächstenliebe und Selbstliebe Dass der christliche Begriff des »Nächsten« sich über den Gottesbezug vermittelt und so Verschiedenheit (bzw. Fremdheit) sich in geisthafte Einheit übersetzt,234 hat Jesus im Gleichnis vom »Barmherzigen Samariter« ein für alle Mal aufgezeigt (Lk 10,30–37).235 Das darin implizierte: den Nächsten zu lieben gleich wie dich selbst im Doppelgebot (Lk 10,27b: ὡς σεαυτόν) meint weder: »statt« (dich selbst) noch: »nach deinem Maßstab«; denn beides ist jeweils einseitig zentriert (wie etwa Altruismus und Egoismus). Es bedeutet auch nicht: zuerst mich (sc. lieben), dann den Anderen, oder: erst diesen und dann mich selber; vielmehr besagt ὡς hier so viel wie: »gleichwie«, so dass man formulieren müsste: ihn lieben »als dich selbst«. Die Nächstenliebe hat ihre Wahrheit darin, dass ich im Anderen mein eigenes Leben liebe bzw. im Anderen mein eigenes Leben verletze.236

230

Genaueres dazu s. u. § 14 F. 2. (S. 770f). Die Vollendung göttlicher Kraft (δύναµις) in der Schwachheit. 232 Die göttliche »Torheit« weiser als die Menschen, die göttliche Schwachheit stärker als die Menschen. 233 Cf. P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 180f (»Gesetz der Liebe«). 234 Liebe ist sprachförmig gemäß dem Humboldt’schen: »dass auch aus dem fremdesten Laut … innige Verwandtschaft entgegenklingt« (HUMBOLDT, GS 6, 121). 235 Cf. meine Auslegung in: RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 625 Anm. 81), 181ff. 236 Das habe ich (mit Bezug auf Hegel) näher ausgeführt in dem Vortrag »Logos und Agape. Kierkegaards Auslegung des Gebotes der Nächstenliebe« (2010). 231

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2.3. Ein Gott – zwei Gebote Das Eine, was nottut, stellt sich christlich als ein in sich Gedoppeltes dar, als Zweieinigkeit. Beidem, dem Gebot der Gottesliebe und dem der Nächstenliebe, eignet religiös eine Gleichursprünglichkeit, dies aber nur in dialektischer Zusammengehörigkeit: nämlich der des absolut Anderen (Gottes) und des »Nächsten« (cf. »wie dich selbst«), der von Ferne (Transzendenz) und Nähe (Immanenz), Passivität (Glaube) und Aktivität (Liebe). Es kommen hier überein: das Absolute (als Geist) und die Intersubjektivität bzw. der Monotheismus237 und das »dialogische Prinzip«.238 Geht es dabei um einerseits den Einen und andererseits um das je Besondere: wir beide, so entspricht das Doppelgebot der Liebe systematisch dem konkreten, trinitarischen Monotheismus, in dem es sachlich auch seine Begründung findet, nämlich durch das Liebesverhältnis von Vater und Sohn. So kann man diese spezifisch christliche Einheit der Liebe im Zweifachen beider Gebote als die Darstellung von absoluter Einheit als Freiheit und in Freiheit verstehen.239 3. Liebe und Ewigkeit (Kierkegaard) Die Doppelung im Gebot der Liebe lässt sich von Kierkegaard her aus dem Theorem einer Selbstverdoppelung des Ewigen selbst (in: »Der Liebe Tun«) begreifen.240 Darin findet er den theologischen Logos der Agape.241 Ist das Ewige in seiner Selbstverdoppelung, die eine Selbstunterscheidung einschließt, wahrhaft mit sich eins, so lässt es sich vierfach näher charakterisieren, was jeweils auch die Nächstenliebe mitbestimmt. 3.1. Das Ewige ist in sich selbst bewegt: als die lebendige Einheit von aus sich Herausgehen und in sich Zurückkehren. Entsprechend gilt von der Liebe: »ihr verborgenes Leben ist in sich selbst Bewegung, und hat die Ewigkeit in sich«.242 Vom liebenden Menschen kann es daher heißen: »da du ja in der Bewegtheit dem gehörst, der dich bewegt«, d. h. dem ewigen Gott.243 3.2. Das Ewige ist, fasst man es im Begriff der Verdoppelung seiner selbst, das absolut Lebendige, weil im zeitlichen Anderen menschlicher Liebe mit sich zusammengehend. In solcher Lebendigkeit ist Gott selbst als der zu denken, der selber Liebe ist, d. h. als Liebe sein Sein hat.

237

Als abstrakt exklusiver gehorcht er nur einer Herrschaftslogik. Dazu gehören irreduzible und freie Selbste. 239 S. o. 1.1. (S. 645ff). 240 Cf. die oben in § 9 D. 1. (S. 533 bei Anm. 150) zitierte Aussage. 241 Cf. dazu meine oben in Anm. 236 genannte Arbeit, auf deren Formulierungen ich auch im Folgenden zurückgreife. 242 S. KIERKEGAARD, Der Liebe Tun, in: ders., GW 19, 13. 243 A.a.O. 15. 238

§ 11 Der Liebende

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3.3. In seinem Gegenüber und Gegenstand nur sich selber wiederzufinden bzw. darin zu sich selber zu kommen, das bedeutet, unendlich zu sein. Das Ewige als die Liebe ist somit auf eine sein Anderes schlechthin einbeziehende Weise lebendige Unendlichkeit. So gilt bezüglich des Menschen wie für seinen Glauben, so auch für seine Liebe: »Gottes Verhältnis zum Menschen besteht darin, daß er in jedem Augenblick unendlich macht, was in jedem Augenblick vorhanden ist«.244 Wie ein ewiges »Echo« der menschlichen Liebe »wiederholt« Gott sie »in der Vergrößerung der Unendlichkeit«.245 3.4. Als lebendige Einheit mit sich im Unterschied von sich ist die Liebe – wie Gott selber (Joh 4,24) – Geist, und die Gottes Wesen entsprechende Nächstenliebe ist eine geisthafte Liebe, im Unterschied zur erotischen.246 Wie die Liebe überhaupt Ursprung und Grund des Geistes ist,247 so stiftet die geistige Liebe den Bezug zum Ewigen: »Denn in der Geistesliebe selber entspringt der Quell, der ins ewige Leben fließt.«248 In der geisthaften Nächstenliebe249 wird das sich isolierende, rein für sich seiende Ich transzendiert: »Liebe zum Nächsten ist Geistesliebe, aber Geist und Geist können niemals in selbstischem Sinne zu einem einzigen Selbst werden«,250 sondern sie sind nur eins im Unterschied voneinander, geisthaft. Das rein Selbstische hingegen kann eine Verdoppelung um keinen Preis ertragen.251 3.5. Zusammenfassung. In diesen vier Merkmalen (Bewegtheit in sich, Lebendigkeit, Unendlichkeit, Geist) fasst Kierkegaard den Logos der Agape. Der Begriff der Nächstenliebe (entsprechend dem »Doppelgebot«) reflektiert die Gegenwart des Ewigen in ihr als Selbstverdoppelung. Auch die Liebe selber ist wie das Ewige die geisthaft-lebendige Einheit von aus sich Herausgehen und in sich Zurückkehren: Ebenso steht es nun mit der Liebe. Was Liebe tut, das ist sie; was sie ist, das tut sie – und zwar in ein und demselben Augenblick; im selben Augenblick, da sie aus sich herausgeht (die Richtung nach außen hin), ist sie bei sich selbst (die Richtung nach innen hin); und im selben Augenblick, da sie bei sich ist, geht sie damit aus sich heraus, dergestalt, daß dies Herausgehen und dies Zurückkehren, dies Zurückkehren und dies Herausgehen das gleichzeitige ein und selbige ist.252

244 A.a.O. 421. Dieser Gedanke ist wiederum in besonderer Weise mit dem von Gottes Selbsthervorbringung am Ort des Glaubens kompatibel. 245 Ebd.; cf. Mt 18,18. 246 Cf. a.a.O. 345 und 52. Kurz zum Verhältnis von agape, eros und philia cf. TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 233), 322–324. 247 S. KIERKEGAARD, a.a.O. 240.249.250. 248 A.a.O. 343. 249 Cf. a.a.O. 155.159.161 u. ö. 250 A.a.O. 64, cf. 297. Das Verneinte wäre ein Liebespantheismus. 251 A.a.O. 26. 252 A.a.O. 309.

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Damit ist die Nächstenliebe zu ihrem theologischen Logos erhoben: »sie hat das Gesetz ihres Daseins in eben diesem Verhältnis der Liebe zum Ewigen«.253 Die Agape hat teil an der geisthaften Unendlichkeit des Ewigen, »da die Liebe in sich selbst eine Verdoppelung ist, so wie des Geistes Verdoppelung unterschieden ist von der Einfachheit des Naturlebens«.254 Die Nächstenliebe hat mithin teil an der göttlichen Liebe, die selber sich in ihr zur Darstellung bringt, eben weil jene als menschlich-zeitliche Liebe »die Wahrheit der Ewigkeit in sich« hat,255 und die Ewigkeit ist selber die Wahrheit.256 Als das, was ewig gegenwärtig ist,257 ist die Liebe das, was nach des Apostels Wort in Wahrheit bzw. ewig »bleibt«258 – ebenso wie Gottes Liebe selber.259

253

A.a.O. 45. A.a.O. 201. 255 A.a.O. 10 und 13. 256 A.a.O. 98, 99 und 97. 257 A.a.O. 332. 258 A.a.O. 312ff; cf. oben 1.2. (S. 647) zu 1Kor 13,13. 259 A.a.O. 332. 254

Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht § 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende Gottes Allgegenwart und Allwissenheit machen zusammen die Lebendigkeit seiner Allmacht aus: seine absolute Wirksamkeit in der Welt und deren absolute Durchdringung mit seinem Selbstsein – als bewegte Einheit von Außersich-Sein und In-sich-Sein. Die im vorigen Paragraphen erörterte göttliche Liebe ist verbunden mit einer Selbstvergegenwärtigung Gottes, die zugleich Selbstmitteilung ist. Besonders auch als dem absoluten Wesen der Wirklichkeit kommt Gottes Liebe eine unbegrenzte Gegenwart zu; sie reflektiert der Begriff »Allgegenwart« (s. u. Abschnitt B.). Die Liebe Gottes ist, wie § 11 gezeigt hat, eine spezielle und besonders prägnante Konkretion dessen, was als Gottes Sein bei seiner Schöpfung als Erhaltender und Sich-Offenbarender zu denken ist.1 Dieses eigene Sein bei der Welt als Sein bei sich reflektiert der Begriff »Allwissenheit« (s. u. Abschnitt C.). Genauer gesagt, die göttliche Liebe ist lebendig und schöpferisch, indem sie Nähe und Verbindung zu den Geliebten herstellt. Weil die Gegenwart der Liebe die Gegenwart Gottes selbst ist, muss Gottes intime Nähe und diese als die Nähe Gottes aus dem lebendigen Sein Gottes selber begriffen werden, und genau das leistet der Begriff der Allgegenwart. Sofern Gottes Gegenwart als freie und geisthafte und auf geisthafte Subjekte bezogen zu denken ist, gehört zum Thema der Allgegenwart auch der Begriff der Allwissenheit. Insbesondere ist die ewige Liebe auch eine Konkretion der Einheit von Allmacht und Lebendigkeit in Gott.2 Das bedeutet, dass neben dem unmittel-

1 Cf. oben § 8 F. 2. (S. 489ff) und § 10 A. 3. (S. 557ff). Weil die Schöpfung kein abständiges Einmal bedeutet, sondern – zumal als creatio continuata – lebendiges Mitgehen Gottes ist, ist seine »Allgegenwart« notwendig als sein Sein, und zwar als selbst-bewegtes Sein Gottes, zu denken. 2 Gemäß § 4 und § 5 sind Allgegenwart und Allwissenheit als Gestalten der Allmacht und vom Leben Gottes her zu begreifen. Der Allmacht entspricht Gottes Herrsein (s. u. § 14) und der Allgegenwart und Allwissenheit sein Geistsein (s. u. § 13). Auch das in dieser Gotteslehre leitende Konzept der Selbsthervorbringung Gottes erfährt an dieser Stelle durch den § 12 eine wesentliche inhaltliche Präzisierung bzw. Konkretion. Denn

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baren Anschluss an § 11 hier auch ein Rückgriff auf das Thema »Allmacht« (§ 5) erfolgt bzw. dessen Weiterführung.3 Dies Letzte gilt, sofern, ganz allgemein gesprochen, »Allgegenwart« so etwas ist wie Gottes Allmacht, gedacht in Bezug auf den Raum,4 und seine »Allwissenheit« die Allmacht (bzw. allmächtige Gegenwart) in Bezug auf den Geist.5

Allmacht ist eigentlich die Macht Gottes, er selbst zu sein, d. h. sich aus sich selber hervorbringend zu sein, also die Macht seiner ewigen Lebendigkeit. 3 Schon die göttliche Allmacht hat einen Bezug zum Thema »Liebe«, insofern sie sich zugunsten des Anderen zurücknimmt (cf. oben § 5 F. und G. [S. 365ff.367ff]), so dass man sagen kann, Gottes Allmacht ist die Macht der Liebe. Der christliche Begriff göttlicher Allgegenwart spricht von der Unüberwindlichkeit dieser Liebe Gottes, die sich unausweichlich bei uns vergegenwärtigt und durchsetzt, ohne durch etwas beschränkt zu werden. Diese (auch als Allwissenheit lebendige) Allgegenwart der göttlichen Liebe bewegt das Innerste der Weltwirklichkeit aktiv und dynamisch. 4 Zwar gilt unmittelbar: »Der Raum, das reine Außereinanderseyn, ist nicht Bedingung des göttlichen Seyns. … Gott ist nicht der Raum, als die reine Ausdehnung und er ist nicht in Gott oder Gottes Attribut« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik, Berlin 21827, 136 [§ 231]), aber gleichwohl unterhält der lebendige Gott ein (selbsthaftes) Verhältnis zum geschaffenen Raum (cf. 79 [§ 133] und 111 [§ 191] und s. u. E. 1. [S. 669ff]). K. Barths Ausführungen zur Allgegenwart (BARTH, KD II/1; § 31) ziehen allerdings Kritik auf sich: Weder wird der auch zeitliche Sinn von All-Gegenwart noch die Spannung von Allheit und Punktualität berücksichtigt. Schwerer wiegt, dass Formulierungen wie »Raum in Gott«, »Gottes Raum« (»Thron«), die für K. Barth als Ur- oder Primärraum den eigentlichen Raum bezeichnen sollen, »theologische« Zurechtlegungen sind – ohne Bezug auf die reale Dialektik des erfahrenen Raumes und seiner Phänomene. So entsteht zwangsläufig eine quasi-räumliche Verdoppelung, zu der Barths programmatische Vermeidung jeder »Analogie« unfreiwillig umschlägt und die, wenn nicht gar quasimythologisch, so jedenfalls eine bloße und bloß gemeinte Vorstellungsräumlichkeit bedeutet. Weiterhin werden Ferne und Nähe als etwas nur faktisch im Raum Vorfindliches vorgestellt, aber nicht als selber der Struktur von Räumlichkeit eigentümlich gedacht. Das Verhältnis von Allgemeinheit des Raumes und besonderer Gegenwart gehört zur Dialektik der Räumlichkeit selbst und darf nicht (wie bei Barth) unmittelbar christologisch privilegiert werden. Er unterlegt hier einer dem Raum als Raum eigenen Dialektik willkürlich eine exklusive theologische Vorstellung; das entspricht seinem auch sonst (z. B. in der Anthropologie) geübten Verfahren, das Allgemeine einlinig aus dem Besonderen zu konstruieren. 5 Gottes Ewigkeit wurde entsprechend als seine schöpferische Allmacht bezüglich der Zeit begriffen (§ 9). Ähnlich wie beim Raum kann man aber nur abstrakt sagen: »Wie Gott über den Raum hinaus und hiemit die Macht ist über jeden Raum, so ist auch sein Wesen, weder in der Zeit oder Zeitliches, noch die Zeit selbst zu seyn und sie in sich zu haben« (MARHEINEKE, a.a.O. 136 [§ 232]). Das Verständnis von Allgegenwart, Allwissenheit und Ewigkeit von Gottes Allmacht her findet sich bei P. TILLICH; cf. Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 313ff.

§ 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende

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A. Die Dialektik von Allgegenwart und Allwissenheit 1. Die Begriffe 1.1. Die Vorsilbe »All« in den Termini Allgegenwart und Allwissenheit akzentuiert nicht nur das All-Umfassende dieser Bestimmungen Gottes, sondern entspricht dem Sachverhalt, dass Gott in seinem Sich-Hervorbringen auch sich selbst (a se und per se) uneingeschränkt das Absolute ist und schrankenlos überall als er selbst ist: der Gott »von Ewigkeit zu Ewigkeit«6 – gemäß Ex 3,14. Indem er so schlechthin der Allumfassende ist, gehört zum Gottsein Gottes, dass er auch ein Außerhalb seiner überhaupt erst sein lässt, so etwas also nicht einfach neben sich vorfindet. Demgemäß schließt der Begriff »Allgegenwart« ein, dass Gott sich selber das »All« (bzw. alles) ist und dass seine Gegenwart für sich (bzw. ihn) selber sein Alles ist. Oder umgekehrt: Gottes eigene Gegenwart ist durch ihn selbst absolut erfüllt, sein Alles. Entsprechend gilt für den Begriff »Allwissenheit«: Indem Gott sich absolut selber weiß – sein Sein ist sein Wissen von sich7 –, ist er lebendiger Inbegriff alles Wissbaren überhaupt, sofern er auch in dem, was er nicht ist, sich selber weiß.8 Das »All« seines schrankenlosen Wissens ist er selber – für sich, sofern er »alles in allem« ist und sein wird.9 Beide Begriffe zielen mithin weder auf eine göttliche Fähigkeit im Sinne eines bloßen »Vermögens« noch auf einzelne »Eigenschaften« Gottes, sondern betreffen den Selbstvollzug des eigenen göttlichen Seins.10 6

Cf. dazu oben § 9 D. 1. (S. 532ff). Cf. den alten Satz: »Deus est, qui solus suo intellectu vivit« (Lib. 24 philosophorum 20; zitiert bei M. Eckhart, DW 1, 142,7; 150,5f). Theologisch kann daher nicht von Gott als einem »Alleswisser« oder von seinem »Alles-Wissen« die Rede sein, sondern korrekt eben von Allwissenheit. Beispielhaft für ein Missverständnis des Begriffs Allwissenheit P. Valéry: »Es gibt einen Mythos des Wissens …, der seinen deutlichsten und stärksten Ausdruck darin fand, daß er Gott ein Gesamtwissen – ›Gott weiß alles‹ – und zwar ein unmittelbares – ›Gott sieht alles‹ – zuschrieb usw. // großartige Formeln, bei denen das Wort ALLES eine schöne ›Integration‹ ist« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, Bd. II, Frankfurt 1988, 588). Zu Gottes intellektuellem Sein als Denken cf. M. Eckhart,, Erste Pariser Quaestio (nr. 4), in: ders., LW 5, 37ff: »Quia intelligat, ideo est« sowie: »ipsum intelligere fundamentum ipsius esse« (40,5–7). Dazu ausführlich J. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff, Bd. I, Tübingen 2004, 189ff, bes. 194ff. 8 Allwissenheit ist im Grunde Gottes seiner selbst Innesein und Sich-selbst-Wissen im Sich-Hervorbringen. In allem, was er weiß, weiß er ewig sich selber. Das gilt auch bezüglich des menschlichen Wissens (von irgendetwas und auch von Gott): In allem solchen Wissen ist Gott bei sich selbst, weiß er ewig sich selber, und das bedeutet, alles solches (wahre) Wissen ist Moment göttlichen Wissens bzw. Sich-Erschlossenseins. 9 Wegen dieser Selbstdurchsichtigkeit kann es heißen, dass er selber reines Licht ist (1Joh 1,5b) und auch, was bei uns (noch) ein Dunkel ist, für ihn (schon) Licht ist (Ps 139,12, dazu s. u. Abschnitt D. [S. 666ff]). 10 S. o. § 7 C. (S. 424ff). 7

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Zweiter Teil, Kapitel III, Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht

1.2. Freilich ist auch nicht zu übersehen, dass schon beide Termini dialektisch gebildet sind: All-Gegenwart und All-Wissenheit. Sie vereinen in sich spannungsvoll die Momente von Totalität und Konkretheit, eines Maximums und Minimums, und ihre allumfassende Position ist mit exklusiver Negation verbunden. Beim Begriff Allgegenwart soll ein Jetzt als Punkt bzw. ein Hier als Nicht-dort zusammengedacht werden mit einem Überall;11 das kann nur in dialektischer Bewegtheit geschehen bzw. wenn Gottes Da-Sein als transitorisch hier und jetzt gedacht wird (s. u.).12 Der Begriff von göttlicher Allwissenheit negiert die alles endliche Wissen charakterisierende Subjekt-ObjektSpaltung bzw. die Nichtidentität von Wissen und Gewusstem. Denn bei uns ist einer nur Wissender, sofern er gerade nicht das Gewusste ist, bzw. als Gewusstes ist er nicht zugleich auch das Wissen davon.13 Was bei uns also bruchstückhaft auseinanderfällt und unabschließbar bleibt, das soll im Begriff der Allwissenheit sub specie Dei dialektisch zusammenfallen, sofern er als der Wissende auch das Wissen selbst und selber ebenso auch das Gewusste ist. Gleichwohl können bei Gott die (relativen) Unterschiede von Wissendem, Wissen und Gewusstem nicht völlig fehlen, wenngleich sie in ihm momenthaft nur so auftreten, dass sie sich zugleich in ihre absolute Einheit auflösen, mithin dialektisch. 1.3. Aus dem Gesagten ergibt sich eine erste Folgerung: Die hier in Rede stehenden Begriffe sind nicht eine abstrakte Ver-allgemeinerung endlicher Gegenwart bzw. endlichen Wissens. Allgegenwart bedeutet theologisch nicht einfach: »überall zugegen sein«14 und Allwissenheit ebenso wenig die Fähigkeit, als ein unentrinnliches höchstes Subjekt alles nur Irgendmögliche zu »wissen«.15 Eher kann man sachgemäß von Allgegenwart als dem ewigen Ort 11

Cf. die Wendung: »centrum ubique« (oben § 4 F. [S. 322ff] und unten E. 1. [S. 669ff]). 12 Augustin sagt von Gott: »secretissime et praesentissime« (Conf. VI 3,4). Cf. Hölderlins: »Nah ist / und schwer zu fassen der Gott« (F. HÖLDERLIN, »Patmos«). Bei Valéry heißt es (von Gott als »Quantum«): »Es ist stets gegenwärtig und zugleich immer abwesend« (VALÉRY, Cahiers/Hefte II [wie oben Anm. 7], 487). 13 Dies gilt für alles gegenständliche Wissen von »etwas«; das Selbstbewusstsein ist zwar anders verfasst, aber eben auch kein Fall von »Wissen«. 14 So könnte man unhistorisch den einfachen Begriff der Ubiquität missverstehen. 15 Gegen die einer passiven Optik entsprechende (falsche) »Idealisierung … der aktiven Optik: der Gott, der alles sieht« macht H. Blumenberg geltend, »daß die Weisheit oder Allwissenheit eines Gottes nicht in der Ausweitung ins Unnütze bestehen kann« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, cf. 284 mit 366). Man denke auch an F. Nietzsches Vision »Der hässlichste Mensch«, der der Mörder des allwissenden Gottes wurde, denn »Du ertrugst Den nicht, der dich sah, – der dich immer und durch und durch sah, … Du nahmst Rache an diesem Zeugen« (NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra IV, 7). Ähnlich unerträglich G. Orwells »big brother watching you«. Cf. auch die bei Blumenberg angeführten angstbesetzten Gefühle wegen unentrinnlicher Sichtbarkeit, über die J.-P. Sartre und S. Kierkegaard berichtet haben (BLUMENBERG, a.a.O.

§ 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende

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aller (zeitlichen) Gegenwart und von Allwissenheit als dem göttlich-geistigen Ort allen Wissens, d. h. allen Wissbaren, Gewussten und aller Wissenden sprechen. Die Vorsilbe »All…« in diesen theologisch wichtigen Begriffen ist also auch nicht einfach quantitativ-summarisch im Sinne von »alles« zu verstehen; worum es bei beiden Begriffen geht, das ist der ewige Grund, die schöpferische Einheit und vollendete Totalität von Gegenwart und geistigem Wissen. 1.3.1. Das besagt im Blick auf das menschliche Dasein als raum-zeitliches: Wir erfahren es im Auseinander- und Getrenntsein sowie in vielerlei Begrenztheiten, d. h. als ein physisches Hiersein, das nicht zugleich ein Dortsein ist, bzw. ein Jetztsein, das andere Gegenwart im vergangenen Damals oder zukünftigen Einst ausschließt. Auch wegen unseres Seins in immer wieder anderen Räumen und Zeiten stellt sich für uns die Frage unserer Identität für uns.16 Dieses reale Dasein ist schließlich vom »endlichen« Aufhören unseres (leibhaft) bestimmten Raumes und unserer Lebenszeit bestimmt, so dass, wenn wir gestorben und nur noch Vergangenheit sein werden, von uns gilt: »Ihre Stätte kennet sie nicht mehr« (Ps 103,16b). Denn uns selber entgeht diese dann endgültig. Der Begriff Allgegenwart redet davon, dass diese Erfahrung vorläufiger und endgültiger Ortlosigkeit in der Vergänglichkeit aller Dinge in letzter Einheit gründet und schöpferisch von ewiger Gegenwart umfasst wird.17 Gott ist hier als das göttliche Kontinuum in unserer Diskontinuität, als der Umgreifende in unserer Isoliertheit gemeint. Kennen wir die berührende, gleichsam symbolische Erfahrung beim Reisen, dass man auch im Fremden heimisch werden kann, so verspricht die »Allgegenwart« ein göttliches Zuhause in aller Fremde, ein im Anderen schlechthin bei sich selber sein Können. Gottes Allgegenwart – das ist der Raum aller Räume, die Zeit aller Zeiten, unsere wahre Heimat und das endgültige Zuhause (cf. Hebr 13,14).18 1.3.2. Der Begriff Allwissenheit redet im Blick auf unser bruchstückhaftes und immer nur vorläufiges menschliches Wissen a) zum einen von dessen ewigem Grund: einer ursprünglichen und unvordenklichen Zusammengehörigkeit von Wissen und Seiendem (Gewusstem), so dass es keine letzte, 808ff). Hierbei ist freilich zu differenzieren: Gegen die unentrinnliche eigene Sichtbarkeit für andere Menschen – cf. dazu Blumenberg: »daß er [der leibhaft existierende Mensch] vom Sehenkönnen der anderen ständig durchdrungen und bestimmt ist, sie als Sehende im Dauerkalkül seiner Lebensformen und Lebensverrichtungen hat« (a.a.O. 778; cf. 804 und 810) – hat Jesus (auch für den Fall, dass sie sogar gewollt ist) den Rückzug ins nicht einsehbare »Kämmerlein« empfohlen (Mt 6,5f), um im Gebet allein vor Gott zu sein, d. h. in einer Verborgenheit des eigenen Ich wie »meines« Gottes. 16 Cf. oben § 1 C. 2. (S. 124ff). 17 Gott »ist die alle Zeit und allen Raum [sc. bewältigende] und somit die weltbewältigende Macht« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 4], 79 [§ 133], cf. 111 [§ 191]). 18 Unser wahrer Vater ist im »Himmel« (Mt 6,9).

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absolute Fremdheit zwischen ihnen gibt, sie vielmehr aufeinander angelegt sind und das All des Seins letztlich nicht verschlossen ist, weil es LogosStruktur hat.19 Gottes Allwissenheit bedeutet: Es gibt kein absolutes Dunkel oder letztes Isoliertsein. b) Zum andern redet Allwissenheit von schöpferischer Einheit im Noetischen: Das Wissen lässt uns heimisch werden in der Welt. Indem wir uns fremde Wirklichkeit noetisch »aneignen«, finden wir in der Welt etwas von uns wieder. Die Vernunft ist überall zu Hause, und wahres Wissen ist die Wirklichkeit der Vernunft. c) Schließlich weist der Begriff Allwissenheit auf eine vollendete Totalität: Unser stückwerkhaftes Wissen ist ewig vollendet in einer absoluten Vollkommenheit, aus der es stammt und von der es lebt:20 einer letzten Durchsichtigkeit allen Seins für Gott und einem endgültigen Erfülltsein allen Wissens bei ihm, das sich bei uns nur vorläufig und im Fragment realisiert.21 »Allwissenheit« steht dafür, dass im Bruchstück unseres Wissens das Ganze göttlicher Erkenntnis mit anwesend ist und im wirklichen menschlichen Wissen das göttliche in seiner Unendlichkeit. Die Selbsterkenntnis Gottes (in allem Wissen) ist absolut, weil sie seiner Selbstursprünglichkeit entspricht.22 Der Begriff der omniscientia meint ein ewiges Miteinander-durchdrungenSein von Selbst und Sein, Leben und dessen sich wissender Einheit, d. h. Gott als Geist. Unser Wissen gehört in den Zusammenhang dessen, dass Gott selber »Geist« ist (Joh 4,24) und als solcher absolut selbstdurchsichtig und durchdringend, lebendig und alles schöpferisch in Klarheit verwandelnd.23 2. Ihre Zusammengehörigkeit Allgegenwart und Allwissenheit betreffen die vollkommene Einheit des göttlichen Lebens, aus dessen Allmacht nichts herausfällt und zu dessen vollkommenem Bei-sich-Sein alles gehören soll und kann. Beide Begriffe gehören 19

»Als der wahre ist Gott … der allwissende, der an und für sich Alles alleinwissende, so daß auch alles Wissen vom Seyn, alle Wahrheit, in Wesen, die nicht Gott selber sind, nur durch ihn in ihnen ist. Die Allwissenheit selbst ist nur der, der Gott ist, und Gott ist, d. h. der, in welchem das absolute Wesen und Seyn eins sind« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 4], 110 [§ 188]). 20 Existenziell gewendet bedeutet das: Ebenso wie die Angst vor unentrinnlicher Überwachung (s. o. Anm. 15) ist die Resignation oder Verzweiflung über eine mögliche Vergeblichkeit menschlichen Denkens, Erkennens und Wissens, das durch den Tod des Individuums wieder ausgelöscht zu werden und ins Nichts zu fallen scheint, im Glauben überwunden, denn unser Wissen kommt aus Gottes Logizität und hat daran auf endliche Weise Anteil. 21 Über das Verhältnis von Allwissenheit und Zeitlichkeit (Veränderung) cf. I. A. DORNER, Ueber die richtige Fassung (wie unten Anm. 31), 320–322. 22 Bei Gott ist sozusagen absolut das Axiom eingelöst, man könne nur erkennen, was man selbst hervorgebracht hat. 23 Cf. oben Anm. 7.

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also zusammen, weil sie nur gemeinsam und in wechselseitiger Bezogenheit aufeinander die lebendige Allmacht Gottes für das Ganze ontisch-noetischen Seins auslegen: im Doppelschlag von Sich-gegeben-Sein und Wissen, Innesein und Aktuosität, Für-sich-Bestehen und Handeln. So ist Allgegenwart auch die Gegenwart Gottes als Geist (d. h., es gibt keine Allgegenwart, die nicht auch Allwissenheit wäre, denn Gottes Gegenwart ist sein Geistsein), und Allwissenheit ist die göttliche Weise von Gegenwart (d. h., es gibt keine Allwissenheit, die nicht allgegenwärtig wäre, denn sie ist schöpferisch wirksam und nicht distanziert). Indem die Begriffe von Allwissenheit und Allgegenwart sich gegenseitig interpretieren, stellen sie dar, was Gott als Geist ist. Wegen der Allwissenheit ist Allgegenwart nicht als die Unausweichlichkeit eines toten Dabeiseins – das hieße, Gott als so etwas wie die »Materie« zu denken –, sondern als lebendiges göttliches Wirken zu begreifen. Und indem Allwissenheit zugleich Gottes eigene Allgegenwart ist, kann sie nicht als ein unmenschliches Überwachungsauge missverstanden, sondern muss als die Helle göttlichen Lebens begriffen werden, in der kein letztes Dunkel ist.24 Diese absolute Einheit von göttlichem Lebensall und göttlicher Selbstdurchsichtigkeit – das ist Gott als Geist.25 Allgegenwart als der aktuelle Modus von Gottes Sich-Hervorbringen »am Ort des Glaubens« hat eine besondere Beziehung zu Gottes geisthaftem Bei-uns-Sein als er selbst, als persönlicher Gott in seinem Wort.26 Diese koinzidiert am Orte des Gebetes wiederum besonders mit der göttlichen Allwissenheit.27 24

Cf. TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 5), 320. Schon nach Xenophanes ist Gott ganz Auge, ganz Geist, ganz Ohr: οὗλος ὁραῖ, οὖλος δὲ νοεῖ, οὗλος δέ τ’ ἀκούει (B 24; DK I, 135,7). Das hat Clemens Alexandrinus auf Christus angewendet: In Strom. VII C (PG 9, 407) spricht er vom παντεπόπτης λόγος (Paed. III 8 [PG 8, 616]). 26 Luther hat das (im Kontext der Abendmahlsgegenwart) auf die Formel gebracht: »Darumb, das ein anders ist, wenn Gott da ist, und wenn er dir da ist. Denn aber ist er dir da, wenn er sein wort dazu thut und bindet sich damit an und spricht, Hie soltu mich finden … Gleich als ich von der rechten Gotts sage: wie wol die selbige allenthalben ist, … Noch weil sie auch nirgent ist [dazu s. u. 1.], kanstu sie warlich nirgend ergreiffen, sie binde sich denn dir zu gut und bescheide dich an einen ort« (WA 23, 151,13–20). Damit hat Luther der Sache nach Augustins Unterscheidung weitergedacht: »quod cum Deus ubique sit totus, non tamen in omnibus habitat« (Ep. 97 [Ad Dardanus], 5,16f; PL 33, 837f). 27 Tillich hat mit Bezug auf Röm 8,26f (!) als das Paradox des Gebetes ausgeführt, dass wir dabei nicht jemandem eine Bitte vortragen, der diese kraft seiner Allwissenheit schon längst weiß, sondern dass im Gebet es das Handeln Gottes ist, »mit dem er in uns wirkt und unser ganzes Sein zu sich erhebt« (P. TILLICH, Das neue Sein. Religiöse Reden, 2. Folge, Stuttgart 31959, 130) und mit dem er, »der uns näher ist, als wir uns selbst sind« [dazu s. u. E. 2. (S. 677ff)], in der Kraft seines sich vergegenwärtigenden Geistes die Subjekt-Objekt-Spaltung überwindet (a.a.O. 129 sowie DERS., Systematische Theologie I [wie oben Anm. 5], 331). 25

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Zusammenfassend ist zunächst zu sagen: Allgegenwart, das ist Gottes Gegenwart in der Welt, sofern er darin bei sich und in sich selbst sich gegenwärtig ist.28 Allwissenheit bedeutet Gottes Wissen von sich in seinem Anderen, sofern er auch darin sich selber weiß.29 Es geht also bei beiden Begriffen zuletzt immer um Gottes Sein-bei-sich, sein Wissen-von-sich, seine ewige Gegenwart-für-sich. Dabei steht das »All« (von Allgegenwart und Allwissenheit) für die absolute Einheit von Gottes Selbstsein, und mit »-Gegenwart« und »-Wissenheit« ist die geisthafte Lebendigkeit seiner Allmacht artikuliert.

B. Näherbestimmungen zur Allgegenwart »Daß Gott, wo er einem Geschöpfe einwohnt, es nur als wirksam kann, liegt in seinem Begriffe« – diese Feststellung R. Rothes30 enthält nicht nur eine wesentliche Bestimmung der Allgegenwart des lebendigen Gottes, zumal wenn er wie hier als der sich selbst Hervorbringende gedacht werden soll, sondern er gibt auch einen Maßstab zur Einschätzung traditioneller Aussagen zu diesem Begriff.31 1. Dogmatisch In der altprotestantischen Dogmatik bedeutet der Begriff der omnipraesentia Dei nicht ein einfaches überall Zugegen-Sein, sondern zugleich die göttliche »Allwirksamkeit« (omnipraesentia operativa), meint also ein attributum ἐνεργητικόν.32 Von Gottes substantialis adessentia ad creaturas (ἀδιστασία) 28

Selbstgegenwart in ihrem absoluten Begriff ist Gottes Dreieinigkeit (§ 15). Zum Sich-selber-Wissen Gottes als solchem cf. Jer 29,11f; 1Kor 2,10b; vermittelt: Mt 11,27. 30 R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 183 (§ 47 Anm. 1). 31 Für die Gotteslehre der mittelalterlichen Theologie cf. M. FRICKEL, Deus totus ubique simul. Untersuchungen zur allgemeinen Gottesgegenwart im Rahmen der Gotteslehre Gregors des Großen, FThSt 69, Freiburg 1956. Zur Allgegenwart bei Philo Alexandrinus cf. Imm. 57; bei Luther s. o. § 4 F. 2. (S. 325ff); cf. auch I. A. DORNER, Ueber die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs der Unveränderlichkeit Gottes, mit besonderer Beziehung auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Gottes übergeschichtlichem und geschichtlichem Leben, in: ders., Gesammelte Schriften aus dem Gebiet der systematischen Theologie, Berlin 1883, 325–328. 32 Cf. D. HOLLAZ, Examen theologicum acroamaticum, Bd. I, Stargard 1707 (Nachdr. Darmstadt 1971), 391 (47.): »attributum divinum ἐνεργητικόν«. Im Neuen Testament ist ἐνέργεια (Luther: »Kraft«) Gottes schöpferische Wirkmacht (cf. plerophor Eph 1,19; 3,17) und steht dem Begriff der δύναµις (Gottes lebendige Macht) nahe (Kol 1,29; Ps 21,14); es kommt auch im Zusammenhang der Auferweckung Jesu Christi vor (Phil 3,21; Kol 2,12). Zu dem entsprechenden Verb und Adjektiv cf. 1Kor 16,9; Phlm 6; von Gott: 1Kor 12,6.11; Eph 1,11. Der Begriff lässt sich systematisch auf Gottes Sich-Erwirken beziehen. 29

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wird also die Selbstvergegenwärtigung im Sinne einer ἐνέργεια (efficax operatio) akzentuiert unterschieden. Damit wird der für die vorliegende Gotteslehre wesentliche Gedanke zum Ausdruck gebracht, dass Gott nicht allgegenwärtig ist im Sinne eines sozusagen statischen Seins-bei-… (sc. den Dingen), sondern eines stetigen Mitgehens mit ihnen, das nur ein schöpferisches sein kann, indem es Moment in Gottes selbstgenerativem Werden zu sich ist, der sich an ihnen und aus ihnen selber hervorbringt.33 Vor diesem Hintergrund sind auch die weiteren Unterscheidungen der überkommenen Allgegenwartslehre zu begreifen, nämlich die zwischen omnipraesentia generalis (sc. in allen Geschöpfen; cf. Act 17,27f: Leben!) und specialis (in den Gläubigen, d. h. als omnipraesentia gratiae [Joh 14,23; 1Kor 3,16] und omnipraesentia gloriae [1Kor 13,12; Apc 21,23]). Beide Weisen von Allgegenwart werden vermittelt in der (sie aufeinander beziehenden) omnipraesentia singularis, deren ausgezeichneter Ort der Gottmensch Jesus Christus ist (Kol 2,9). 2. Biblisch Betrachtet man die einschlägigen biblischen Aussagen, so wird »Allgegenwart« als die Gegenwart des lebendigen Gottes, d. h. als eine bewegte und bewegende Gegenwart ausgesagt; cf. bes. Ps 68,17–20 (hier in Einheit mit Allzeitigkeit).34 Dass die Gegenwart Gottes den geschaffenen Raum schöpferisch umfasst und ihn als Medium seiner Selbstvergegenwärtigung relativiert, an dessen Dimensionen er nicht gebunden ist, kommt an Stellen wie Eph 4,6 (»über … durch … in allen«) oder Eph 3,18 (Breite, Länge, Tiefe, Höhe) zum Ausdruck, wie auch z. B. in Röm 10,6–8 (Himmel/Hölle – Wort).35 Systematisch aufschlussreich ist, dass auch biblisch hierbei die dialektische Gegensatzeinheit der Bestimmungen nicht übersehen wird. a) So findet sich die Koinzidenz von Größe und Kleinheit:36 Einerseits füllt die immensitas Dei Himmel und Erde (Jer 23,24; 1Kön 8,27), andererseits ist seine

33

Entsprechend meint die göttliche Allwissenheit auch nicht ein allumfassendes Bewusstsein von allem, sondern, indem Gott sich an den Dingen und aus ihnen als den in sein Wissen von sich einbezogenen selbst hervorbringt, d. h. sich im Sich-Abstoßen davon darauf bezieht, ist auch seine Allwissenheit eine dynamisch und schöpferisch mit ihnen mitgehende, und dies schließlich reflexiv im (von Gott wissenden) geschaffenen Menschen. 34 G. Tersteegens Lied: »Gott ist gegenwärtig« (EG, Nr. 165) stellt eine fromme Meditation zum Thema göttlicher Allgegenwart dar (bes. Str. 5, 6 und 8). Zum mystischen Gottesverhältnis als Suchen und Finden des lebendigen Gottes im Widerspiel von dessen Nähe und Ferne, Sich-Gewähren und Entzug cf. M. Eckhart, Die rede der underscheidunge [22], in: ders., DW 5, 289,12–290,3. 35 Cf. dazu Am 9,2 und Hi 11,7–9 (Wissen!). 36 Siehe dazu Näheres unter E. 3. (S. 680ff).

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Gegenwart äußerst unscheinbar: »ein stilles, sanftes Sausen« (1Kön 19,12).37 b) Auch Ferne und Nähe38 fallen bei Gott zusammen (cf. Jer 23,23): »In Gott selber aber ist Ferne und Nähe eins.«39 So ist Gott im Verhältnis zu seiner Schöpfung nah und fern, frei (als er selbst) und ganz gegenwärtig: der Herr und die Liebe. Es geht um die Gegenwart seiner Einheit in aller Vielfalt.40 c) In Gott ist auch lebendig vereint, was wir als »hoch« und »niedrig« auseinanderhalten; cf. Jes 57,15. In dieser Gegensatzeinheit ist Jesus Christus als die lebendige »Mitte« der göttlichen Allgegenwart zu begreifen.41 Sofern er die existierende Dialektik von Allgemeinheit und Gegenwart in einem einzelnen Diesen-da ist, ist er die existierende Dialektik von Allgegenwart selber.42

C. Näherbestimmungen zur Allwissenheit43 1. Biblisches44 Grundsätzlich stimmen hier das Alte und das Neue Testament überein: »Der Herr ist der Gott, der alles weiß, von ihm werden die Taten geprüft« (1Sam 2,3)45 und »Gott ist größer als unser Herz und erkennt alle Dinge« (1Joh 3,20). So ist Gott der »Herzenskündiger« (Act 15,8),46 und seine Allwissenheit hat die Doppelseitigkeit, uns einerseits Schutz und Geborgenheit zu bieten (a.), andererseits aber unsere Sünde vor ihm unentrinnlich zu durchleuchten (b.). 37

Buber/Rosenzweig übersetzen: »eine Stimme verschwebenden Schweigens«. Überhaupt muss der Begriff der Allgegenwart selber mit Gottes Unsichtbarkeit vereinbar gehalten werden (Joh 1,18a; 1Joh 4,12a). 38 S. u. E. 1. (S. 669ff). 39 BARTH, KD II/1, 519; cf. 529. Es bleibt die Frage, wie sie es sind bzw. wie ihr Ineinander gedacht werden kann. 40 Cf. die Zitate bei BARTH, a.a.O. 529f. 41 Cf. die Zitate a.a.O. 544f. Systematisch hängt dieser Gesichtspunkt engstens mit dem Kondeszendenz-Motiv bzw. Phil 2 zusammen; cf. oben § 6 C. (S. 378ff). 42 Bonaventura sagt von Christus das Erstaunliche (mirabile) aus, dass »in ipso principium primum iunctum est cum postremo, Deus cum homine …, aeternum … cum homine temporali, in plenitudine temporum de Virgine nato, simplicissimum cum summe composito, actualissimum cum summe passo et mortuo, perfectissimum et immensum cum modico, summe unum et omnimodum cum individuo composito et a caeteris distincto, homine scilicet Jesu Christo« (Itiner. VI 5). 43 Cf. W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. I, Göttingen 1988, 411. 44 Antike Zeugnisse zur Allwissenheit finden sich beispielsweise bei Xenophanes (s. o. Anm. 25); Platon, Nomoi X, 901d 2ff, und dann Aristeas 132; Josephus, Ant. II 129 und VIII 114 (Nähe Gottes im Geist). Zum göttlichen »Weitblick« cf. Homer, Il. V 770–772. 45 Sir 42,18f: »Der Herr weiß alle Dinge und sieht, zu welcher Zeit ein jegliches geschehen wird« (cf. Prov 24,12). Zum eschatologischen Aspekt cf. Mk 4,22 parr. 46 Cf. Kant-AA 6, 99,13–16.

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Für (a.) stehe hier Ps 121,4: »Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht« und für (b.) Ps 90,8b: »unsre unerkannte Sünde (stellst du) ins Licht vor deinem Angesicht«. Beides, (a.) und (b.), kommt zusammen in Jer 16,17: »Denn meine Augen sehen auf alle ihre Wege, dass sie vor mir sich nicht verstecken können, und ihre Missetat ist vor meinen Augen nicht verborgen.« An solchen Stellen kommt konsequent zum Ausdruck, was es mit dem persönlichen Gottesglauben – einen andern möchte es schwerlich geben – auf sich hat: »Mit dem Glauben an das Dasein Gottes oder an ein letztes Gericht verpflichten wir uns auf ein Leben, das sich dem göttlichen Blick und Urteil aussetzt« (M. Theunissen).47 Der Sache nach verbindet sich vom lebendigen Gott her seine Allwissenheit unlöslich mit seiner Allgegenwart: »Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der Herr [cf. Ps 139,7–16]. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der Herr« (Jer 23,24). Wegen ihrer göttlichen Lebendigkeit ist die Allwissenheit Gottes auch eins mit seiner (lenkenden) Weisheit (σοφία): »Denn die Weisheit ist regsamer als alles, was sich regt, sie geht und dringt durch alles – so rein ist sie« (Weish 7,24; cf. V. 23b).48 Gottes Allwissenheit steht, wie oben gesagt,49 auch für die absolute Begründung und Vollendung unseres Wissens ein: »Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören? Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?« (Ps 94,9)50 Auch bei der Allwissenheit finden wir die Gegensatzeinheit, die das Erhabenste und das Geringste, es in sich bergend, fürsorglich umfasst: cf. Mt 10,29–31.51 Sosehr mit Gottes Allwissenheit unsere Durchsichtigkeit vor seinem Blick verbunden ist, so sehr gehört auch der tröstende und helfende Aspekt dazu.52 So betonen Jesu Worte über die göttliche Sicht ins Verborgene diese ebenso als die Wahrheit für uns (Mt 6,4.18) wie als die Möglichkeit letzter Authentizität (6,6) sowie als schützende Geborgenheit (6,8.32). Gerade die (mit47

M. THEUNISSEN, Religiöse Philosophie, in: K. Dethloff u. a. (Hgg.), Orte der Religion im philosophischen Diskurs der Gegenwart, Berlin 2004, 101–120, hier 109. 48 Das begreift sich letztlich aus der »Energie« der göttlichen Selbsthervorbringung (cf. oben B. 1. [S. 660f]). 49 Abschnitt A. 1.3.2. (S. 657f). 50 Cf. oben Anm. 25. 51 Cf. dazu J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 458 mit Anm. 94 (Hey und Hippel). Bei Nikolaus von Kues heißt es vom Allsehenden: »habet diligentissimam curam minimae creaturae, quasi maximae et totius universi« (Nikolaus von Kues, Phil.-theol. Schr. 3, 98). 52 Es hat vor allem etwas Tröstliches, dass Gott »alles weiß«, und d. h. genauer und besser, als wir als endliches Bewusstsein wissen können. Wo wir z. B. nur äußerliche Vorstellungen, Eindrücke, Vermutungen über das Innenleben anderer Menschen haben, da weiß Gott, wie es wirklich in ihnen aussieht und dass möglicherweise gewisse Unterschiede, die wir in der Einschätzung von Anderen machen, in Wahrheit gar nicht bestehen oder dass wir alle mehr zusammengehören, als wir uns vorstellen.

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gehende) Allwissenheit des persönlichen Gottes entlastet uns also vom Augenschein im Sein für Andere53 und vom Selbsterhaltungstrieb als »Sorge« (6,19ff). Sie gewährt eine intime Gemeinschaft mit Gott selber gerade im Sein als unvertretbar Einzelner.54 Die damit verbundene Unentrinnlichkeit göttlichen Wissens von uns begegnet uns, die wir darin gesehen werden55 – als Lesende von ihm gelesen56 – , gemäß der Geisthaftigkeit des lebendigen Gottes insbesondere in der Anrede seines Wortes für uns (cf. Röm 10,8), und dies auch als richtend: Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen (Hebr 4,12f).57

2. Theologisches In erbaulicher Anwendung hat dies S. Kierkegaard für die Wahrheit der Hl. Schrift in Anspruch genommen. »Die christliche Wahrheit hat … selber Augen, damit zu sehen, ja, sie ist wie lauter Auge«.58 Systematisch gilt mithin vom Allwissenden: »Er hat nicht ein Auge, sondern er ist Auge, sein Wesen ist sein Wissen«.59 Denn Gottes Sein ist das Licht absoluten Sich-erschlossenSeins, und so ist er der auch für sich durch und durch Offenbare.60 Sein Selbstvollzug als Gott, d. h. als lebendige Allmacht, ist sein ewiges SichWissen.

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Cf. oben Anm. 15. Gott ist, mit einer ingeniösen Formulierung von P. Gerhardt, »in Einsamkeit mein Sprachgesell / zu Haus und auch auf Reisen« (EG, Nr. 83,6); cf. dazu J. RINGLEBEN, »In Einsamkeit mein Sprachgesell«. Das Gebet als Thema der Dogmatik, ZThK 79 [1982], 230–248. 55 Beim Cusaner heißt es: »Quid aliud, Domine, est videre tuum, … quam [te] a me videri? Videndo me, das te a me videri, qui es Deus absconditus. … Nec est aliud te videri quam quod tu videas videntem te« (a.a.O. 108). Diese Thesen sind von Meister Eckhart beeinflusst; s. o. Prolegomena, § 2 A. 3.3. (S. 23ff). 56 Cf. dazu ausführlich den Abschnitt: Die Schrift – Tui ipsius interpres (Kap. 9.7.) in: J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 435ff. 57 Zu Luthers systematischer Interpretation s. u. E. 3. (S. 680ff). 58 S. KIERKEGAARD, Einübung im Christentum, Nr. III (VI), in: ders., GW 26, 225; vom Ohr und Hören a.a.O. 226. Schon Luther sagt: »Os et oculus Dei videndus in scriptura« (WA 39 I, 69,22f). 59 H. L. MARTENSEN, Christliche Dogmatik, Berlin 1856, 87. 60 S. o. § 10 A. 3. (S. 557ff). 54

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3. Ein spekulatives Gleichnis (Nikolaus von Kues) In seiner Schrift »De visione Dei«61 gibt Nikolaus von Kues, per speculum et in aenigmate, ein Denkbild des Alles-Sehenden (figura cuncta videntis) anhand eines Bildwerkes, dessen Blick von jedem Betrachter so gesehen wird, dass er sich dabei angeschaut erlebt.62 Das wird im Einzelnen ausgeführt.63 Stehen die Betrachter im Halbkreis um das Bildwerk, so zeigt sich das Folgende: 1. Jeder erblickt sich als ein Angeblickter. 2. Jeder sieht sich überall, d. h. auf welchem Standpunkt auf jenem Halbkreis auch immer, und auch, wenn er sich selber weiterbewegt, von jenem Blick erfasst. 3. Alle sehen gleichzeitig und von überall her den sie umfassenden und treffenden Blick. 4. Der eine und selbe Blick umfasst alle Betrachter, und weil er simultan in alle Richtungen geht, sieht jeder, wo immer er auch steht, sich selber angeblickt. 5. Er richtet sich auf jeden Einzelnen besonders und auf alle zugleich. 6. Dieser Blick ist also als zugleich unwandelbar und wandelbar zu erfahren: immobiliter movebatur. 7. Der all-sehende Blick geht selber mit jedem (sc. auf ihn Schauenden) mit: continue … secum pergere. 8. Bei entgegengesetzter Richtung zweier sich (auf dem Halbkreis) Bewegender bewegt der eine Blick sich selber simultan auch sozusagen in entgegengesetzter Richtung: similiter opposito modo moveri. Diese cusanische meditative Veranschaulichung zeigt ein dynamisches Verständnis von Allwissenheit (bzw. auch geistiger Allgegenwart) Gottes, in dem die formallogischen Unterschiede von Einzelnem und Allgemeinem, von Subjekt und Objekt, Einheit und Vielheit, Identität und Gegensatz dialektisch ineinander verkehrt werden.64 Diese Lebendigkeit, die auch eine des SichDurchdringens von Allgegenwart und Allwissenheit ist, hat uns in den folgenden Abschnitten noch weiter zu beschäftigen.

61

Der Genitiv des Titels ist als Genetivus objectivus und subjectivus zu lesen (s. o. Anm. 55). 62 Die Ausführungen finden sich in der Praefatio, a.a.O. 96/98. 63 Ein an den Cusaner erinnerndes Gedankenexperiment stellt Luther an: WA 26, 414,32–415,5. Zur raumübergreifenden Allgemeinheit des Blicks als Zeigfeld göttlicher Allgegenwart schon a.a.O. 330,29–33; entsprechend von der Allgemeinheit einer Stimme: a.a.O. 337,32–338,2 (mit Berufung auf Laurentius Valla; zitiert a.a.O. 656). 64 Darin liegt die Wahrheit des »spekulativen« Gleichnisses: »quod videt in illo aeternitatis speculo non est figura, sed veritas, cuius ipse videns [sc. der menschliche Betrachter] est figura [›Darstellung‹]« (De vis. Dei XV, in: a.a.O. [wie oben Anm. 51], 160).

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D. Der 139. Psalm Dieser einzigartige Psalm ist ein klassisches Dokument religiöser Erfahrung von Gottes Allgegenwart und Allwissenheit in ihrem Zusammenhang, das auch religionsgeschichtlich singulär ist.65 Alle wichtigen Dimensionen der Wirklichkeit überhaupt und der konkreten menschlichen Existenz (wie Dasein, Sprache und Praxis) werden ins Licht des lebendig gegenwärtigen Gottes und in das Geheimnis seines absoluten Geistes gestellt, der alles Innere und Äußere übergreift.66 Das kann hier nur im Überblick dargestellt werden. 1. Die Verse 1–6 haben den Allwissenden zum Thema. Gott ist der intimste Zeuge des Ich-Seins (V. 1).67 Mit V. 2f werden sein Dabeisein und Mitgehen räumlich ausgelegt; unsere Bewegungs- und Handlungsstrukturen im natürlichen Lebensraum erscheinen als Wege zu Gott, der dabei allgegenwärtig ist (cf. V. 5).68 Die Verse 2b und 4 heben auf den geisthaften Charakter (Gedanken und Sprache) der Allgegenwart als Allwissenheit ab.69 Ist Gott derart innen wie außen gegenwärtig, so gibt es kein Refugium, das sich ihm entziehen könnte, und auch das eigene (für Andere unzugängliche) Innere ist kein solches.70 Mein Selbstsein ist auch Gottes Blick auf mich,71 und mein Widerstand gegen Gott wäre einer gegen letzte Selbsterkenntnis (cf. V. 23f).72 Gottes Unentrinnlichkeit ist aber gemäß V. 5 auch positiv zu erleben: als ein vorgängig Umgreifendes, ein absoluter Horizont, der sich immer schon bei mir vergegenwärtigt hat – als der lebendig-Allgegenwärtige. Diese göttliche Gegenwart bietet auch unbedingte Gewissheit und Geborgenheit, einen letzten Schutz »von allen Seiten«; was immer einem zustoßen mag: Gott ist 65 Exegetisch relativ kurz dazu R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 160–162. Systematisch ergiebiger sind P. TILLICH, Flucht vor Gott, in: ders., In der Tiefe ist Wahrheit. Religiöse Reden, 1. Folge, Stuttgart 31952, 39–50 sowie D. SÖLLE, Die Hinreise, Stuttgart 1975, 155ff. 66 Es ist von theologischer Bedeutung, dass hier die Aussagen über Gott im Beten zu ihm entwickelt und nicht etwa schon fertige Prädikate auf ihn nur angewendet werden; dies geschieht auf einer geistigen Entdeckungsreise, die zu Gott selber allererst hinführt. 67 Den Grund benennt V. 13. Sich Gott zuzuwenden, heißt auch, des eigenen Ichs ansichtig zu werden. Und sich vor Gott selber zu finden, heißt, von ihm gefunden zu werden: »Cognoscam te, cognitor meus, ›cognoscam, sicut et cognitus sum‹ [1Kor 13,12]« (Augustinus, Conf. X 1,1). 68 Newton abwandelnd, könnte man unsern Raum, in dem wir uns bewegen oder ruhen, als das »sensorium« Gottes bezeichnen. 69 Besonders vom Beten gilt, dass der himmlische Vater »weiß, was wir nötig haben, noch bevor wir ihn bitten« (Mt 6,8b). Wie von Gott, so gilt auch von der Sprache, dass wir darin »leben, weben und sind« (Act 17,28). 70 S. u. E. 2. (S. 677ff). 71 Cf. die Frage Gen 3,9. Nach Meister Eckhart ist das Auge, mit dem wir Gott sehen, das Auge, mit dem Gott uns sieht (s. o. Prolegomena, § 2 A. 3.3., S. 24 bei Anm. 35). 72 Cf. Clemens Alexandrinus: ἑαυτὸν γάρ τις γνῷ θεὸν εἴσεται (Paed. III 1).

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noch näher. Die wunderbare Selbstvergegenwärtigung Gottes kann nur mit frommem Staunen über das Unverfügbare erlebt werden (V. 6),73 in dessen Ehrfurcht vielleicht leise auch etwas Unheimliches mitschwingt. 2. In den Versen 7–12 geht es um den unentrinnlich Allgegenwärtigen. Von ihm zu wissen, kann einen Fluchtimpuls auslösen (V. 7). Er gehört zur Erfahrung des lebendigen Gottes als Moment hinzu.74 Aber hier hilft weder »standhalten« noch »fliehen« (H.-E. Richter), denn Gott ist ganz Geist und Auge: Wir nehmen das mit, wovor wir uns verstecken möchten (cf. Gen 3,8). Darum hilft kein Weglaufen, weder (sozusagen vertikal) ins Höchste (Himmel) noch in die Tiefe der Unterwelt (V. 8), noch (horizontal) an die äußersten irdischen Grenzen von Osten oder Westen (V. 9);75 denn Gott ist jenseits und diesseits dieser Extreme von Raum- und Zeitgrenzen: Sein lebendiges Mit-Sein ist all dem und uns immer schon voraus (V. 10), sozusagen mit unendlicher Geschwindigkeit – größer als die des Lichtes.76 Jedenfalls bringe ich selber ihn als den Uneinholbaren immer schon mit.77 So kann er auch die Dunkelheit selber schöpferisch durchleuchten, weil sie und ihr Gegensatz, das Licht, in ihm lebendig koinzidieren (V. 12),78 und infolgedessen ist für den Menschen selbst in der Dunkelheit kein Verstecken vor Gott möglich (V. 11),79 als könnte er sich darin isolieren, verbergen, der Vergessenheit oder einem »Verdrängen« überlassen und gleichsam für den Allgegenwärtigen nicht mehr da sein.80 73

Augustins Formel: »Tu eras interior intimo meo« wird das auf den Begriff bringen (s. u. E. 2. [S. 677ff]). 74 Als Zeugen dafür kann man Luther heranziehen, aber auch Nietzsche (s. o. Anm. 15). 75 Cf. Horaz: »patriae quis exsul / Se quoque fugit?« (Od. II 16,19f). 76 Cf. PASCAL, Frgm. 231 (Brunschvicg); cf. oben Exkurs VII (S. 336 bei Anm. 256). 77 »Mecum eras, et tecum non eram« (Conf. X 27,38). 78 Man denkt an das mystische Paradox der »leuchtenden Finsternis«. 79 »Tibi ergo, domine, ›manifestum sum‹ [2Kor 5,11], quicumque sim« (Conf. X 2,2). 80 P. Tillich begreift den Erfahrungsgehalt der Begriffe Allgegenwart und Allwissenheit so: »Wir wissen alle, daß wir uns niemals loslösen können von der Welt, zu der wir gehören. Es gibt keine letzte Verborgenheit und letzte Isoliertheit. Wir sind immer gehalten und umfangen durch etwas, das größer ist als wir, das einen Anspruch an uns hat und das Antwort von uns erheischt. Die verborgensten Regungen in der Tiefe unserer Seele sind nicht ganz die unseren, denn sie gehören auch unseren Freunden, der Menschheit, dem Universum und dem Grund alles Seins, dem letzten Ziel unseres Lebens. Nichts kann im letzten verborgen bleiben. Es wird in dem Spiegel reflektiert, in dem nichts verheimlicht werden kann. Könnte jemand wirklich glauben, daß seine geheimsten Gedanken und Wünsche nicht in das Ganze des Seins eingehen oder daß die Dinge, die sich im Dunkel seines Unbewußten oder in der Einsamkeit seines Bewußtseins abspielen, nicht ein ewiges Echo bewirken? … Allwissenheit bedeutet, daß unser Geheimnis offenbar wird [Mk 4,22 parr]. Allgegenwart bedeutet, daß unsere Verborgenheit erkannt wird. Das Zentrum unseres ganzen Seins ist eingeschlossen in das Zentrum alles Seins, und das Zentrum alles Seins ruht in dem Zentrum unseres Seins« (TILLICH, In der Tiefe ist Wahrheit [wie oben Anm. 65], 45f).

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3. Die Verse 13–15 beziehen das Gesagte auf Gott als den Allwirksamen zurück – durch Einkehr bei sich selbst. Er ist der schöpferische Grund unseres persönlichen Seins, des eigenen Ich-Seins (V. 13), und sein Schaffen und Erhalten gehen auf sein lebendiges Wissen auch unserer pränatalen Konstitution zurück: für uns dunkel und unerforschlich (V. 15).81 Gott hat uns zu uns selbst gebracht. In der Erkenntnis dieser wunderbaren Verfasstheit unseres Selbst werden wir mit Staunen und Dank der letzten Wahrheit unseres Seins inne (V. 14). 4. So ist Gott in V. 16–18 als der Allweise erkannt, in dem das schöpferische Ziel (bzw. der Sinn) und die letzte Bestimmung unseres Daseins gründen. Gottes lebendige Vor-sehung umgreift – noch vor unser In-der-WeltSein zurückgreifend (V. 16a)82 – unsere Vergangenheit und unsere Zukunft83 und bedeutet für uns eine unausdenkliche persönliche Identität und Ganzheit: in Gottes lebendigem »Buch des Lebens« (V. 16b). Gottes Mitgehen in der Dynamik seines Seins ist als sein auf den Einzelnen zielendes »Planen« der unerschöpfliche Sinngrund unseres wie allen Seins und entzieht sich in seiner unendlichen Fülle unserer Einsicht (V. 17 und 18a).84 Was uns allein zukommt und auch hält, ist das Bleiben vor Gott und bei ihm (V. 18b),85 dem absolut Gegenwärtigen, der uns von Ewigkeit her sieht und umhegt. 5. In den Versen 19–22 nimmt dieser einzigartige Psalm plötzlich eine aggressive Wendung. Es ist, als ob sich das Schwer- oder Nicht-Ertragen des verborgenen Gottes, seine als Beengung erlebte Unentrinnlichkeit, in den Hass auf die Gottlosen umschlägt. Man könnte fragen, ob hier nicht eine falsche Identifikation mit Gott, ein geheimer Wunsch, sich des ebenso nahen wie ungreifbaren Gottes zu bemächtigen, ja sogar eine Art Angriff auf diesen unbequemen Gott auf seine »Feinde« projiziert wird. 6. Eine Ahnung davon beim Psalmbeter selber schimmert in dem abschließenden Gebet V. 23 und 24 durch.86 Das »Erforsche mich« (V. 23a) löst ein, womit der ganze Psalm begann (V. 1). Wird mit der Gott anheimgestellten Prüfung des eigenen, menschlichen Herzens (in seiner Undurchschaubarkeit für das Ich selber)87 vielleicht auch eine eigene Aggression gegenüber Gott für nicht ausschließbar gehalten (V. 24a)? Am Ende bleibt es für den Beter dabei, sich rückhaltlos Gott selber auszusetzen und sich auf seine allwissende 81

Dies Wissen Gottes um unser Sein endet auch nicht mit unserem Tode (cf. V. 8b). »tu omnipotens, qui mecum es et priusquam tecum sim« (Augustinus, Conf. X 4,6). 83 Cf. Ps 31,16a. 84 Cf. Ps 40,6 und Röm 11,33–36. 85 Übersetzt man hier mit der Zürcher Bibel: »wache ich auf, so ist mein Sinn noch bei dir« (V. 18b), so betont der Psalm, dass da, wo wir uns im Schlaf entgleiten, immer noch gilt, was in Ps 121,4 steht. 86 Jedenfalls gilt: Je mehr wir über Gottes Gegenwart erfahren, desto mehr erfahren wir auch über uns selber. 87 Cf. 1Joh 3,20. 82

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Allgegenwart einzulassen, zu deren Unentrinnlichkeit eine Spannung von letzter Sinngebung und radikaler Infragestellung gehört; so allein bleibt man »auf ewigem Wege« (V. 24b). In dieser Spannung auszuhalten – gemäß 1Kor 13,12 –, das nur kann die eigenen Dunkelheiten im Lichte Gottes schließlich zur Auflösung bringen: »Wo Es war, soll Ich werden« (S. Freud).88 7. Zusammenfassend gesagt, spiegelt der 139. Psalm die religiöse Erfahrung göttlicher Allgegenwart und Allwissenheit in eins. Es geht um das Erfragen und Erfahren der eigenen Identität des Ich im Horizont göttlicher Allwissenheit als seinem absoluten Grund. Von dessen unentrinnlicher Gegenwart wird das menschliche Ich in seiner Selbsterfahrung im Für und Wider überwältigend bestimmt: dem von sich hingeben und fliehen wollen, von nicht standhalten können und doch keine Fluchtmöglichkeit finden, von Ehrfurcht, Lob und Dankbarkeit, aber auch ständigem Versuchtsein, alle Möglichkeiten des Ausweichens durchzuprobieren. Aber genau dies Aufsuchen der Grenzen führt nur tiefer in die Einsicht in das Gestelltsein vor Gott, d. h. die Einsicht: Gott ist mir näher als ich mir selbst.

E. Gottes geistige Anwesenheit (Einheit von Allgegenwart und Allwissenheit) 1. Allgegenwart im Raum 1.1. Sie wird stets paradox ausgesagt; so (wohl zuerst) schon von Plotin: πανταχοῦ καὶ οὐδαµοῦ.89 Im Lateinischen heißt das: »ubique et nusquam«90 und steht prominent bei Augustinus: »ubique totus es et nusquam locorum es«.91 88

Dazu s. u. E. 2. (S. 677ff) und Augustinus: »quod de me scio, te mihi lucente scio, et quod de me nescio, tamdiu nescio, donec ›fiant tenebrae‹ meae ›sicut meridies‹ [Jes 18,10; Ps 139,12] in vultu tuo« (Conf. X 5,7); cf. unten S. 679 Anm. 159. Tillich schreibt vom allgegenwärtigen Gott: »Als Geist ist er der schöpferischen Finsternis des Unbewußten ebenso nahe wie der kritischen Helle der erkennenden Vernunft« (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 5], 288). 89 Εnn. III 9,4; V 2,2 u. ö. Der genaue Kontext der zuerst genannten Stelle betrifft das Sein des Eins (ἕν): ὅτι πανταχοῦ: οὐ γάρ ἐστιν ὅπου οὔ. πάντα οὖν πληροῖ … ἐπεὶ δὲ καὶ οὐδαµοῦ, τὰ πάντα γίνεται µὲν δι’ αὐτὸν, ὅτι πανταχοῦ ἐκεῖνος, ἕτερα δὲ αὐτοῦ, ὅτι αὐτὸς οὐδαµοῦ (cf. a.a.O. 1–9). Cf. J. TROUILLARD, La présence de Dieu selon Plotin, RMM 59 (1954), 38–45. Cf. auch Porphyrios, Aphorm. (Sent.) 27,12; 34,12; 38,7f sowie Proklos, In Parm. 1087,32f; 1133,19 und Theol. Plat. II 5; 93,43ff. Auch Platon hatte von der (geschaffenen) »Weltseele« gesagt, sie sei überall von der Mitte bis zum Äußersten und sowohl innen wie außerhalb (Τim. 36e 2–4), und dies κινουµένη διὰ πάσης ἑαυτῆς (37a 7f). 90 Redensartlich auf den endlichen Menschen übertragen: »Nusquam est, qui ubique est« (Seneca, Ad Luc. ep. I 2,2) und »Quisquis ubique habitat, Maxime, nusquam habitat« (Martial VII 73). 91 Conf. VI 3,4; X 26,37; cf. I 3,3. Zum »in seipso ubique totus« s. u. Anm. 99. Dies »totus« wird besonders bei Luther wiederkehren, s. u. bei Anm. 164.

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In der Scholastik wird das weitergeführt: »ubique et semper et nusquam et numquam«92 bzw. »Deus igitur essentialiter est ubique, nusquam autem localiter«.93 Auch bei Meister Eckhart findet sich, charakteristisch zugespitzt, diese Formel: »Gott ist ein solcher, dessen Nichts die ganze Welt erfüllt, sein Etwas aber ist nirgends«.94 So wird die Wendung ubique et nusquam zum klassischen Topos der Lehre von Gottes Allgegenwart.95 Die Formel verhindert jedenfalls ein statisches Verständnis von Allgegenwart. Wie aber ist die hier zum Ausdruck kommende lebendige Dynamik göttlichen Seins mit dem Leitgedanken von Gottes Selbsthervorbringung zu verbinden? Das ist die sich bei dieser Paradoxie stellende systematische Frage. Die Antwort lautet: Im Zuge seines Sich-Hervorbringens ist der schaffende Gott »überall« in seinen Geschöpfen bzw. in der Welt präsent.96 Insofern aber der sich am Orte des Anderen seiner selbst Hervorbringende in der Dynamik seines Aus-sichheraus-Gehens der zugleich in sich Zurückkehrende ist, ist er so »nirgends« (sc. sozusagen »dingfest« zu machen).97 Denn er stößt sich von jedem Ort, an dem er anwesend ist, eodem actu von diesem ab98 – zu sich selbst.99 Derge92 Anselm, Monolog. 22 (cf. »cum loco et tempus quam in loco et tempore«), in: ders., Op. omn. 1, 41. 93 Alanus, De arte seu articulis catholicae fidei I 22 (PL 210, 603; Nr. 438B). 94 Zitiert nach: Meister Eckharts deutsche Predigten und Traktate, hg. von F. SchulzeMaizier, Leipzig 21934), 341. Cf. C. BAEUMKER, Studien und Charakteristiken zur Geschichte der Philosophie insbesondere des Mittelalters, Münster 1927, 211. Im JohannesKommentar findet sich: »quod Deus ubique est, nusquam est« und »ubique autem est, qui nusquam est, nulli, inquam, loco … Sic in omnibus est, qui nullo hoc aliquo sive creato afficitur« (M. Eckhart, LW 4, 177,10 [nr. 210] und 97,10ff [nr. 112]). Bei Bernhard von Clairvaux wird der Gedanke mit der gegenseitigen Durchdringung von Gott und Geschöpfen begründet: »omnia in ipso, … ipse in omnibus« und dann so formuliert: »quod nusquam sit, qui non clauditur loco, et nusquam non sit, qui non excluditur loco« (De consid. V 6,14; PL 182, 796D). 95 Ein Echo findet sich noch in Goethes »Mahomet« (1773): »HALIMA. Wo ist seine Wohnung? / MAHOMET. Überall. / H. Das ist nirgends« (GOETHE, GA 4, 182f). Das ist freilich nach der Logik von Etwas-Sein, nicht aber von Gottes absoluter Lebendigkeit aus gedacht. 96 Das ist besonders von Luther unterstrichen worden; s. u. 3.1. bei Anm. 164. 97 So lässt sich auch Meister Eckhart verstehen, wenn es heißt: »Deus est distinctissimus ab omni et quolibet creato« und »deus et creatum quodlibet indistincta« (M. Eckhart, Expos. Libr. Sap. Nr. 154 und 15, in: ders., LW 2, 489,12 und 491,10; Hervorh. J. R.). 98 Augustin betont: »sic est Deus per cuncta diffusus, ut non sit qualitas mundi, sed substantia creatrix mundi, sine labore regens, et sine onere continuens mundum« (Ep. 97 [Ad Dard.], 4,14; PL 33, 837). 99 Bei Augustin kurzgefasst: »in seipso ubique totus« (a.a.O. 4,14; PL 33, 837). A.a.O. 6,18 heißt es zur Erklärung: »Quomodo enim ubique, si in seipso? Ubique scilicet, quia nusquam est absens. In seipso autem, quia non continetur ab eis quibus est praesens, tamquam sine eis esse non possit« (PL 33, 838).

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stalt kann er als »der Lebendige« zugleich überall sein und doch auch nirgends.100 1.2. Eine Folgefigur dieses Gedankens von »überall und nirgends« ist die Wendung, Gott sei »totus intra« und »totus extra« von allem, was nicht er ist, d. h. dem Geschaffenen. Auch hier geht Plotin voran, wenn es von Gott heißt: τὸ γὰρ ἔξω αὐτός ἐστι, περίληψις πάντων … ἢ εἴσω ἐν βάθει, τὸ δ’ ἔξω αὐτοῦ.101 Augustinus sagt vom Schöpfer: »incommutabili excellentique potentia et interior omni re, quia in ipso sunt omnia, et exterior omni re, quia ipse est super omnia«.102 Dadurch, dass alles in Gott ist, ist er kraft seiner lebendigen potentia (δύναµις) selber allem zuinnerst nahe;103 sofern er aber als er selbst »über allem« ist, ist er diesem zugleich ein unerreichbares Außen. Indem er es erfüllt, schließt er es auch in sich: »Nec solum loca cuncta replet, sed singula solus / Infra se claudit, quasi meta locusque locorum / … Principium sine principio, finis sine fine, / … Immensus sine mensura«.104 Bonaventura folgt Augustin: »[deum] intra omnia, non inclusum, extra omnia, non exclusum«.105 Hier wird der räumliche Bezug des Allgegenwärtigen so beschrieben, dass er als der lebendige Gott zugleich frei davon bleibt, und auch dies lässt sich nur aus der Dynamik seines Seins begreifen. Das genannte Motiv findet sich auch bei Meister Eckhart, allerdings (thomasisch) von Gott als dem ipsum esse, von dem alles Seiende »zehrt« und nach dem es »hungert«, her gedacht: »deus est rebus omnibus intimus, utpote esse, et sic ipsum edit omne ens; est et extimus, quia supra omnia et sic extra omnia. Ipsum igitur edunt omnia, quia intimus, esuriunt, quia extimus; edunt, quia intus totus, esuriunt, quia extra totus«.106 Ähnlich zur Ubiquität Gottes, aber mit Bezug auf Röm 11,36 das Dynamische des göttlichen Seins mehr erkennen lassend: »deus est in quolibet creato per potentiam, praesentiam et essentiam, in quolibet totus, totus intra, totus extra«.107 100

Cf. auch Petrus Lombardus, Sent. I, d. 37, c. 5, n. 344. Plotin, Εnn. VI 8,18. Entsprechend kann auch von ὁ ἐν ἑκάστῳ ἡµῶν θεός die Rede sein (Enn. VI 5,1). 102 De Gen. ad litt. VIII 26,48 (PL 34, 391). Cf. auch unten Abschnitt E. 2. (S. 677ff). 103 Weil er in allem ist, ist es auch in ihm. Er ist in dem, was in ihm ist, denn er ist darin bei sich bzw. in sich; das ist, genau verstanden, der Sinn von »alles in allem« (1Kor 15,28). Dies erinnert an die johaneische Perichorese (bzw. reziproke Immanenz); cf. dazu J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, Tübingen 2014, 243ff. 104 Alanus, Anticlaud. V 3 (PL 210, 532 [Nr. 369A] und 531 [Nr. 368D]). 105 Bonaventura, Itiner. V 8. Cf. auch Richard von St. Viktor: »Si igitur extra omnem locum est totus, in nullo loco concluditur. Si in omni loco est totus, a nullo loco secluditur; localiter igitur nusquam est, qui a nullo loco concludi, a nullo loco secludi potest« (De trin. II 23). 106 M. Eckhart, Serm. et lect. super Eccl., nr. 54, in: ders., LW 2, 282,13–283,3. Zur Allgegenwart des Seins-Selbst (wie bei Thomas) cf. auch: »Deus … ubique et in omnibus, utpote esse« (DERS., Expos. S. Evang. sec. Ioann., nr. 96, in: ders., LW 4, 83,2). 107 M. Eckhart, Expos. libr. Exod., nr. 163, in: ders., LW 2, 143,5f. 101

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Luther bezieht sich für das Motiv auf Augustinus: »Et sic est extra omnia et tamen intra omnia; quomodo et beatus Augustinus libro 1 De vera religione disputat.«108 In einer Disputation bei Tisch (1532) über die Frage, ob Gott wirklich in einer allergeringsten (minutissima) Kreatur, wie Grashalm oder Baum, anwesend sei, antwortet Luther: »Ita, quia Deus a nullo loco excluditur et in nullum concluditur. Est ubique et est nusquam.«109 Mit Entleihungen beim Cusaner hat auch G. Bruno von den genannten Motiven eklektisch Gebrauch gemacht, wobei die Intention sein dürfte, dem Verdacht des Pantheismus zu begegnen: Deus »ubique et nusquam, infra omnia fundans, super omnia gubernans, intra omnia non inclusa, extra omnia non exclusus … in quo sunt omnia, et qui in nullo est … ipse«.110 Kurz gefasst kann es auch heißen: »et simul in cunctis totum manet et super ipsa«.111 Bis in die Frühaufklärung hält sich dieses Motiv durch; so kann es bei Herbert von Cherbury heißen: »supremum aliquod numen agnoscamus, quod ubique existat, nullibi tamen … deprehenditur«.112 1.3. In seiner allumfassenden Gegenwart hat Gott nach allem Angeführten also durchaus einen lebendigen Bezug zur Räumlichkeit, ohne dabei doch selber räumlich zu sein oder zu werden.113 In der ersten Hinsicht ist er der »locus locorum«114 bzw. der »locus omnium«.115 In der zweiten Hinsicht gilt, dass er in seiner Selbstgenugsamkeit für sich sein eigener »Raum« ist: αὐτὸς ἑαυτοῦ τόπος καὶ αὐτὸς ἑαυτοῦ πλήρης καὶ ἱκανὸς ἑαυτῷ ὁ θεός.116 Gerade 108

WA 59, 426,7f (mit Bezug auf Platons »Parmenides«); cf. Augustin, De vera rel. 32,60 (von der Einheit selber): »Non ergo ista continetur loco; et cum adest ubicumque judicanti, nusquam est per spatia locorum, et per potentiam nusquam non est« (PL 34, 149). 109 WA.TR 1, 101,27–30 (Nr. 240). Ähnlich (mit Bezug auf die sphaera intelligibilis) a.a.O. (Nr. 1165); 575f. Cf. unten 3.1. bei Anm. 165. 110 G. Bruno, De triplici minimo et mensura, in: Jordani Bruni Nolani Opera latine conscripta, hg. von F. Fiorentino, Bd. I/3, Neapel 1889 (Neudr. Stuttgart-Bad Cannstatt 1962), 147,5ff. 111 A.a.O. 146,13. Cf. auch: »est enim omnia in omnibus, quia dat esse omnibus: et est nullum omnium, quia est super omnia, singula et universa essentia et nobilitate et virtute praetergrediens« (G. Bruno, Summa termin. Metaph., in: a.a.O., Bd. I/4, Neapel 1889 [Neudr. Stuttgart-Bad Cannstatt 1962], 86,13ff.). 112 De veritate (31656), 137 (zit. nach W. DILTHEY, Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Gesammelte Schriften II, Leipzig 21921, 253 Anm. 1). 113 »Deus … nulla corporali loco clauditur« (Thomas von Aquin, STh II/1, q. 102, a. 4, ad 1.). 114 So Johannes Eriugena, De divis. nat. (Periphyseon, hg. von I. P. Sheldon-Williams, Dublin 1968), I 21; 98,2; in III 9 heißt es: »locus omnium« (PL 122, 643C). 115 Meister Eckhart zur Frage: »ubi habitas?«: »tu es ubi et locus omnium« (M. Eckhart, LW 3, 168,3 [nr. 199]). Cf. a.a.O. 170,5: »omnia in deum tendunt et recurrunt« (nr. 202); denn Gott ist sein locus proprius, finis et quies. 116 Philo Alexandrinus, All. I 44. Zum ubique et nusquam bei Philo cf. Leg. III 4; Migrat. 183; Sacr. 67; Conf. ling. 136.

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der Allgegenwärtige ist sein eigener Ort, weil er als der alles Umschließende selber von nichts umschlossen wird.117 Diese, auch als Ubivoliquität bezeichnete Auffassung ist ebenfalls alt,118 und sie wird schon in der Patristik oft in Anspruch genommen.119 Irenäus verbindet es mit einem Argument: Gott ist von nichts umschlossen, weil sonst etwas größer wäre als er.120 Eine präzisere Ausführung findet sich bei Johannes Damascenus: »Circumscriptum hoc est quod loco vel tempore vel animi perceptione comprehenditur; incircumscriptum autem quod nullo horum continetur. Quamobrem solus Deus incircumscriptus est qui principio et fine careat, atque omnia complectatur (περιέχον), nullatenus ipse comprehensus (περιεχόµενος)«.121 Mannigfaltige Echos dieses Motivs lassen sich bei Dante antreffen: »Non circonscritto, et tutto circonscrive«.122 Als »dem wahren Spiegel, der alle anderen Dinge spiegelt und selber von keinem andern gespiegelt wird«,123 kommt Gott das Attribut der Unendlichkeit zu: »egli è limitatore Colui che da nulla è limitato … che solo colla infinita capacità l’Infinito comprende«.124 Schließlich sei noch für die unendliche Dynamik Gottes Marsilio Ficino angeführt: »Ich erfülle und durchdringe und enthalte den Himmel und die Erde … Ich erfülle und werde nicht erfüllt, weil ich die Fülle selbst bin. Ich durchdringe und werde nicht durchdrungen, weil ich die Kraft des Durchdringens selbst bin. Ich umfasse und werde nicht umfaßt, weil ich selber das Vermögen des Umfassens bin.«125 117 Theophilus, Ad Autol. II 10. Cf. Gregor d. Gr.: »Incircumscriptus namque spiritus omnia intra semetipsum habet« (Moral. 16, 31). Ähnlich Isidor von Sevilla: »Ut incircumscripta magnitudinis suae immensitate omnia concludet« (Sent. I 2); weitere Parallelen bei. J. TATLOCK, Purgatorio XI.2–3 and Paradiso XIV.30, RomR 10 (1919), 274–276. 118 Gott, der alles umfasst, ist aber als er selber unumfassbar: Hermas, mand. 1. 119 Cf. z. B. Aristides: Deum »ab nullo comprehensum esse, sed ipsum omnia comprehendere« (Apol. 1,4); ähnlich schon Philo Alexandrinus: ὅτι ὁ µὲν Θεὸς ὀυχί που οὐ γὰρ περιέχεται, ἄλλα περιέχει τὸ πᾶν (All. III 17; I 97; s. u. Dante) und Theophilus, Ad Autol. I 5. 120 Irenäus, Adv. haer. II 1,2; cf. 30,9 und IV 20,2. Man denkt schon an das Anselm’sche quo nihil maius cogitari possit. 121 Johannes Damascenus, De fide orth. I 13 (PG 94, 854). 122 Dante, Par. 14,30. Cf. ähnlich Purg. 11,2 und ausführlicher Par. 27,112ff. Eine wechselseitige Umschließung wird in Par. 30,11f in Anspruch genommen: »al punto … / Parendo inchiuso da quel ch’egli inchiude«. 123 Par. 26,106–108. 124 Cf. Marsilio Ficino, Ep. XIII 25: »per suum omnia continere et a nullo contineri«. 125 Marsilio Ficino, Dialogus inter Deum et animam Theologicus. Epistol. Lib. I (Op., fol. 610), zitiert nach: E. CASSIRER, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig/Berlin 1927 (Nachdr. Darmstadt 41974), 201. Cassirer unterstreicht, dass alle diese Aussagen über die Allgegenwart von Ficino gleichermaßen auch für die menschliche Seele (als Erkenntnissubjekt) in Anspruch genommen werden (ebd.); cf. unten Anm. 134 (Kant).

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1.4. Die hier in Abschnitt 1 behandelten Formulierungen für die göttliche Allgegenwart stehen in einem unübersehbaren sachlichen Zusammenhang mit der traditionellen Formel für Gott und seine lebendige Unendlichkeit,126 wie sie im Denkbild von der Sphaera infinita seu intelligibilis zum Ausdruck gekommen ist.127 Dieser systematische Zusammenhang kommt am deutlichsten in einer einschlägigen Formulierung des Cusaners zur Sprache; er sagt von der »machina mundi«: quasi habens undique centrum et nullibi circumferentiam, quoniam eius circumferentia et centrum est Deus, qui est undique et nullibi.128

Das wohl erste Vorkommen dieser Allgegenwartsformel findet sich in einem Zenon-Referat bei Aristoteles:129 Indem er einer ist, so ist er überall gleich, hört, sieht und hat auch die übrigen Empfindungen überall; … Da Gott sich allenthalben gleich ist, so hat er Kugelform [σφαιροειδῆ]; denn er ist nicht hier so, anders anderswo, sondern allenthalben so. … Da er ewig und Einer und kugelförmig ist, so ist er weder unendlich [unbegrenzt (ἄπειρον)] noch begrenzt. Denn unbegrenzt ist das Nichtseiende; denn dieses hat weder Mitte noch Anfang und Ende, noch einen Teil …130

Da hier die dem Kugelbilde innewohnende Dialektik eher verhüllt ist und das Interesse einer negativen Theologie die Aussagen überlagert, ist für die christliche Gotteslehre eine spezifische Weiterführung der Rede von Gott als Mittelpunkt und Umkreis zugleich eher bei Dante zu finden, der mit einer entsprechenden Gottesschau seine »Commedia« beendet.131 Die dafür notwendige Dynamisierung des Denkbildes hat Dante erreicht, indem er es mit der Metaphorik des Lichtes durchdrungen hat. Dementsprechend redet er vom allgegenwärtigen Gott als von dem unendlich ausstrahlenden Punkt: »Un punto vidi che raggiava lume / Acuto sì, che il viso ch’egli affoca / Chiuder convisensi per lo forte acume.«132 Dies blendende, sich von sich her unaufhaltsam ausbreitende Licht ist als Koinzidenz von Allmittelpunkt und unendlicher Sphäre ein Bild von Gottes lebendiger Allgegenwart, das auch mit dem Gedanken seines Sich-Hervorbringens kompatibel ist.

126

S. o. § 4 E. (S. 320ff). S. o. § 4 F. (S. 322ff). 128 Nikolaus von Kues, Doct. ign. II 12 (in: ders., Phil.-theol. Schr. 1, 396). Zu dieser Stelle siehe auch oben § 4 Exkurs VII (S. 334 bei Anm. 239). 129 Aristoteles, Peri Xenophanes. Peri Zenon; 977a 36–b 5. 130 Zitiert nach HEGEL, Werke 18, 298. 131 Cf. Par. 33,109ff (bes. 127) und dazu den Kommentar von H. GMELIN, Die göttliche Komödie, Bd. VI, dtv 2107, München 1988, 574 und 484f. 132 Par. 28,16–18. Zum »leuchtenden Punkt« u. ä. cf. GMELIN im Kommentar, a.a.O. 574–576. 127

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1.5. Bezieht man das Bild vom sich selbst bewegenden Punkt133 auf das Verhältnis von Gott und Weltschöpfung, so ist Folgendes zu sagen: Gottes Sein ist (als absolut eins) der genetische Mittel-»Punkt«, der aus sich herausgeht, um er selbst zu sein als das Zentrum seiner »Peripherie«. Zum einen gilt: Dies Zentrumsein ist vollendete Darstellung von Gottes Selbstmächtigkeit, das wirkliche Eine zu sein bzw. die dargestellte Vollkommenheit des lebendigen Punktes, der erst als Mittelpunkt wirklich ist, was er alles sein kann. Im Übergehen bzw. immer schon Übergegangensein in die Peripherie offenbart sich der Punkt als Zentrum von allem.134 Zum andern: Die »Peripherie« hat ihr Sein, um das »Centrum« zu manifestieren; sie ist Leben aus seiner Fülle und Leben zu seiner Einheit hin.135 Durch ihre Teilhabe am Zentrum ist die Peripherie selber, aber indem sie es nur lebendig darstellt, ist ihr Sein in Wahrheit sein Sein. Ihr eigenes Sein ist erscheinende Manifestation und endlicher Abglanz seines ausstrahlenden Lichtes.136 133

Zum »punctum saliens« cf. oben § 4 F. 2.2. (S. 330 Anm. 211 und S. 310 Anm. 87). Das hat eine Analogie in der »Allgegenwart« der Seele im Leib: »Et ideo sicut anima est tota in qualibet parte corporis, ita deus totus est in omnibus et singulis« (Thomas, STh I, q. 8, a. 2 ad 3.); ähnlich Meister Eckhart von der lebendigen Seele: »Quaelibet enim pars ignis ignis est, et anima tota in qualibet parte minima corporis animati« (M. Eckhart, LW 2, 93,7f [In Exod., nr. 92]), und weiter ausgeführt in Predigt 9 (»Quasi stella matutina«): »Diu sele ist ganz und ungeteilet alzemale in dem vuoze und alzemale in dem ougen und in jeglichem glide« (ders., DW 1, 143,5–7). Zu der Frage: Wo ist der Ort der Seele im Körper? erklärt I. Kant (gegen die falsche Voraussetzung, dass mein Ich an einem von den Örtern anderer Teile des eigenen Körpers unterschiedenen Orte sei, mit Berufung auf die allgemeine Erfahrung): »Wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin ebenso in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich bin es selbst, der in der Ferse leidet und welchem das Herz im Affekte klopft. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich mein Leichdorn [›Hühnerauge‹] peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Daher …: Meine Seele ist ganz im ganzen Körper und ganz in jedem seiner Teile« (KANT, Träume eines Geistersehers [1766], Erster Teil, 1. Hauptstück, in: Kant-AA 2, 324f). Die »Schullehrer«, auf die Kant sich dabei beruft, sagen z. B.: »hominis anima aliqua parte corporis laesa illuc festine meat quasi impatiens laesionis corporis, cui firma et proportionaliter iuncta est« (Heraklit B 67a bei Hisdosus Scholasticus, zitiert nach: DK I, 166,8–11) und genau dazu Tertullian: »nam ipsi [sc. Heraclitus et al.] unitatem animae tuentur, quae in totum corpus diffusa est et ubique ipsa« (De anim. 14). Cf. mit Kant auch Augustinus über die Seele (im Zusammenhang mit Gottes Einheit): »Nam ideo simplicior est corpore, quia non mole diffunditur per spatium loci, sed in unoquoque corpore, et in toto tota est, et in qualibet eius parte tota est; et ideo cum fit aliquid in quavis exigua particula corporis quod sentiat anima, … illa tamen tota sentit« (De trin. VI 6,8; PL 42, 929). 135 Die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit, was diese Manifestation in der Schöpfung angeht, ist im Rahmen dieses »Bildes« nicht zu klären; cf. dazu oben § 8 F. 1. (S. 487 bei Anm. 309) und § 11 B. 3.5. (S. 631 bei Anm. 124). 136 Cf. Röm 1,19f: »quia quod notum est Dei, manifestum est in illis. Deus enim illis manifestavit (ἐφανέρωσεν). Invisibilia enim ipsius, a creatura mundi, per ea quae facta sunt, intellecta, conspiciuntur. Sempiterna quoque eius virtus (δύναµις), et divinitas (θειότης).« 134

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Das besagt: Indem Gott das Zentrum ist (sein Sein als er selbst), ist er zugleich seine Peripherie (sein Sein als Schöpfer in der Welt). Zugleich aber gilt wegen der lebendigen Dynamik des Bildes von Mittelpunkt und Umkreis: Die schaffende Macht ist stets noch »kleiner« als jedes Geschaffene, weil sie es in seinem innersten Sein noch durchwirkt,137 sein schöpferisch-lebendiger »Seinskern« ist, und ist stets unvergleichlich »größer« als jedes Geschaffene, weil sie nur durch es hindurch sich manifestiert und über es unendlich hinaus wirkt.138 1.6. Zum Abschluss stehe hier ein Zitat, das Gottes selbstgenügsame Aseität und Unendlichkeit mit seiner Allgegenwart verbindet: »eius esse in sese est, non aliunde quod est sumens, sed id quod est, ex se atque in se obtinens. Infinitus, quia non ipse in aliquo, sed intra eum omnia, … Deus autem et ubique est et totus ubicumque est.«139 Diese Unendlichkeit ist, wie die paradoxen Allgegenwartsformeln zu denken geben, nur eine wahrhafte Unendlichkeit, wenn sie als lebendige, und d. h. als im Werden zu sich begriffene, verstanden wird. Dazu Hegel: Diese Bestimmung des wahrhaft Unendlichen kann nicht in die schon gerügte Formel einer [sc. statisch vorgestellten] Einheit des Endlichen und Unendlichen gefaßt werden; die Einheit ist abstrakte bewegungslose Sichselbstgleichheit, und die Momente sind ebenso als unbewegte Seiende. Das Unendliche aber ist, wie seine beiden Momente, vielmehr nur als Werden, aber das nun in seinen Momenten weiter bestimmte Werden. Dieses hat … nun als Unendliches, Endliches und Unendliches [sc. zu seinen Bestimmungen], selbst als Werdende. Dieses Unendliche als In-sich-Zurückgekehrtsein, Beziehung seiner auf sich selbst, ist [sc. konkretes] Sein … Es ist und ist da, präsent, gegenwärtig.140

Das wahre Unendliche, als Identität der Identität und der Nichtidentität, ist Leben und so absolute Gegenwart. Dass Gott sich selber hervorbringt, bedeutet gerade, dass er lebendig da ist. Allgegenwärtig, d. h. im Zuge seines SichHervorbringens »immer da« zu sein, ist nicht eine nur partielle Anwesenheit (verbunden mit einer ebenso partiellen Abwesenheit), sondern ewig lebendige Gegenwart. Dass Gott, der Allgegenwärtige, immer wenn wir an ihn denken (am Ort unseres Glaubens), als der erfahren wird, der schon da gewesen ist, besagt: Er ist uns immer schon zuvorgekommen – an jedem Punkte schon dessen unendlicher Umkreis. Seine Selbsthervorbringung als Selbstvergegenwärtigung an unserm bestimmten Ort ermöglicht erst unser Innewerden und Gewahren Gottes, bzw. dieses setzt jene voraus. Er ist bei uns da als der, der von sich aus zu uns gekommen ist, d. h. sich selber bei uns hervorgebracht hat, damit wir uns zu ihm verhalten können. 137

Cf. dazu unten Abschnitt E. 2. (S. 677ff). Zur Dialektik von minimum und maximum s. u. E. 3.3. (S. 680ff). 139 Hilarius von Poitiers, De trin. II 6 (PL 10, 55); Hervorh. J. R. Unendlichkeit und Allgegenwart gehören hiernach zusammen. 140 HEGEL, Werke 5, 163f. 138

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2. Allgegenwart im Ich (Augustin) Augustinus findet im Rückblick auf seine beirrte, von Gott sich entfernende Vergangenheit zu einer Formulierung für Gottes geistige Allgegenwart von siegelhafter Prägnanz: Tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo.141 Die Wendung interior intimo meo ist vorbildlos142 und hat selber eine unabsehbare Nachwirkung gehabt, die bis in die Gegenwart reicht.143 2.1. Zur Interpretation sei hier kurz das Folgende festgehalten.144 – Gott übersteigt als Allgegenwärtiger auch noch unsere Extreme (intimum/ summum meum).145 – Gott ist als solcher die lebendige Einheit146 dieser äußersten Gegensätze (wie z. B. »altissimum/proximum«).147 – Er ist zuinnerst allgegenwärtig (»ubique totus«), weil zugleich unbeschränkt allgegenwärtig (»nusquam locorum«).148 141 Conf. III 6,11. Cf. auch VI 3,4: »Tu autem, altissime et proxime, secretissime et praesentissime, … ubique totus es et nusquam locorum es.« 142 Sie findet sich z. B. nicht bei Plotin. Ein angebliches Sophokles-Zitat lautet: »Zeus, der alles fasst, in alles dringt, ist uns näher verwandt als Vater, Mutter, Bruder, Schwester.« (Es ist bei Sophokles nicht nachweisbar, wird aber angeführt bei W. HEINSE, Ardinghello und die glückseligen Inseln, Stuttgart 51961, 247/248.) Bei Seneca heißt es einmal, dass Gott »dir nahe ist, mit dir ist, in dir ist« (Ep. 41,1; zitiert bei FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen [wie oben Anm. 64], 246). Im Koran liest man, Gott sei uns »näher als die Halsschlagader« (übers. von M. Henning, RUB 4206/4210c, Stuttgart 1960; Sure 50,15), und der Prophet stehe den Gläubigen »näher als sie sich selber« (Sure 33,6); cf. S. WILD, Mensch, Prophet und Gott im Koran. Exegeten des 20. Jahrhunderts und das Menschenbild der Moderne, Münster 2001. Auf die eigene Wirkungsgeschichte von Sure 50,15 in der islamischen Mystik weist auch H. RITTER, Das Meer der Seele, Nachdr. Leiden 1978, hin, cf. 331ff.618ff; er führt die Formulierung (unbestimmt) auf neuplatonischen Einfluss zurück (618 u. ö.); man könnte sich auch an Hebr 4,13b: τετραχηλισµένα erinnert fühlen. Jedenfalls geht es darum, dass das pulsierende Blut der eigenen Lebendigkeit nicht mir selber gehört und schlechthin von Allahs Willen abhängig ist: So ist jeder Mensch in seinem unmittelbaren Dasein sich selbst entnommen. 143 Cf. unten Exkurs VIII (S. 685ff, mit weiteren Augustin-Stellen). 144 Eine ausführliche Interpretation der Stelle im Zusammenhang mit Menschenbild und Gotteslehre der »Konfessionen« habe ich 1988 vorgelegt: J. RINGLEBEN, Interior intimo meo. Die Nähe Gottes nach den Konfessionen Augustins, ThSt(B) 135, Zürich 1988. 145 Meister Eckhart wird der Satz zugeschrieben: Wie es nichts Innigeres als Gott gibt, so gibt es auch nichts Unterschiedeneres (zit. bei H. SCHOLZ, Religionsphilosophie, Berlin 2 1922, 107). Bei Luther steht: »in intimis extremum et e diverso« (WA 5, 170,6). 146 »coincidentia oppositorum« als Übergang der Gegensätze ineinander. Cf. Hamann über die Einheit von Ruhe und innigster Zuthätigkeit (zit. oben S. 396 bei Anm. 146). 147 Zitiert oben in Anm. 141. 148 Augustin, Conf. VI 3,4.

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– Derart lassen sich Gottes Ferne149 und seine unbedingte Nähe150 zwanglos verbinden bzw. sind lebendig vermittelt: »proxime … et praesentissime«.151 – Seine Präsenz ist so absolut (Omnipräsenz),152 dass sie verborgen ist und ein Geheimnis (»secretissime«).153 – Er ist interior omni re, weil alles in ihm selber ist, und exterior omni re, weil er selbst über allem ist.154 – Als der alles absolut Umfassende ist er notwendig auch der alles absolut Durchdringende: omnisciens. Sonst könnte er dem menschlichen Ich geistig nicht näher sein als dieses sich selbst. 2.2. Weiter ist zu beachten: interior intimo meo ist selber schon – als Komparativ zu einem Superlativ! – eine paradoxe Formel der göttlichen Allgegenwart.155 – Zunächst gilt: Das Ich hat zu sich größte Nähe: »quid autem propinquius me ipso mihi?«156 149 E. Husserls Dictum: »Gott ist der unendlich ferne Mensch« (Krisis, in: ders., Husserliana, Bd. VI, Dordrecht u. a. 1954, 67) gilt christlich nur, wenn er zugleich als der unendlich nahe Mensch gewusst wird: in Christus (cf. Mt 25,40). In beidem ist er mir näher als ich mir selber – in meinem Innersten (intimo) und meinem Höchsten (summo). 150 Nach Platon ist das Göttliche der Seele am nächsten (οἰκειότατον, Nomoi V, 726a 3). Th. Mann schreibt: »ferner als fern und doch nah in demselben Maß – näher als nah« und hat dafür die ingeniöse Formulierung von Gottes »Außennähe« gefunden (TH. MANN, Joseph und seine Brüder, in: ders., Frankfurter Ausgabe, Bd. IV: Joseph der Ernährer, Frankfurt 1983, 197, und Bd. II: Der junge Joseph, Frankfurt 1983, 46). 151 Conf. VI 3,4. Der lebendige Zusammenhang von Nahsein und Fernsein Gottes wird verständlich, sobald Gott als der Sich-Hervorbringende gedacht wird. Als sich bei uns, und besonders am Ort des Glaubens, herstellende ist Gottes Nähe zugleich eine ewige. Es handelt sich also bei seiner »Nähe« nicht um ein gleichmäßig überall vorhandenes »Fluidum« (gleichsam wie etwas »Objektives«), sondern um ein undistanzierbares Nahewerden bzw. -kommen, das als solcherart »dynamisches« gänzlich den strukturellen Vollzügen menschlichen Selbstseins einwohnen kann. Es geht dabei um das sich herstellende, lebendige Sein Gottes selber, der darum überall »ganz« (totus) da ist. 152 Cf. R. SEEBERG, Nähe und Allgegenwart Gottes, BZSF VII/1, Gr. LichterfeldeBerlin 1911. Über Gottes absolute Nähe heißt es wegen seiner Nichtgegenständlichkeit bei K. Heim: der »uns so nahe ist, daß wir nicht mehr imstande sind, es uns anschauend gegenüberzustellen« (K. HEIM, Glaubensgewißheit, Leipzig 31923, 79). 153 Augustin, Conf. VI 3,4. »Interior« (Conf. III 6,11) spricht davon, dass Gott immer noch »kleiner« ist als alles sonst, und »superior« davon, dass er immer noch »größer« ist als alles sonst. Cf. unten E. 3.3. (S. 682 bei Anm. 180). 154 Cf. Augustinus, De Gen. ad litt. VIII 26,48 (PL 34, 391f). 155 D. Mahnke schreibt zu Conf. III 6,11: »Das ist genau der Grundgedanke des pseudohermetischen Satzes von der unendlichen Kugel, nur ohne die geometrische Symbolik« (D. MAHNKE, Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt, Halle 1937, 182f). 156 Conf. X 16,25. Cf. auch: »quid tam menti adest, quam ipsa mens?« (De trin. XI 7,10; PL 42, 979) oder: »nec menti magis quidquam praesto est, quam ipsa sibi« (a.a.O. XIV 4,7; PL 42, 1040).

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– »Nähe« aber ist zugleich Distanz und Mangel an Distanz; daher kommen die Schwierigkeiten eines Zugangs zu »sich« bzw. die, sich zu durchdringen: »laboro in me ipso: factus sum mihi terra difficultatis et sudoris nimii«.157 – Gott ist mir innerlicher als alles sonst (sowie auch äußerlicher!), d. h. auch als mein »Herz«, als ich selbst: »et teipso interior est«.158 – Ist das überhaupt »Intimste« von allem die »All«-Gegenwart Gottes selbst, so bedeutet das einerseits seine »Unentrinnlichkeit«, vor des es kein SichEntziehen gibt (gerade auch nicht ins Unzugängliche des eigenen Innersten). Denn Gott ist mir immer noch innerlicher bzw. näher: quo interior cogitari non possit. – Es bedeutet andererseits eine Geborgenheit, weil das von mir, was mir selbst entgeht, in Gottes gegenwärtigem Wissen aufgehoben ist, und bedeutet den Trost, dass Gott auch da noch bei mir ist, wo ich mir selbst unzugänglich und dunkel bin. In dem, was der Helligkeit meines Selbstverhältnisses sich entzieht, ist doch kein Dunkel für Gott (Ps 139,12). Für den allwissenden Gott ist, wo bei uns noch Es ist, schon Ich.159 – Das besagt fernerhin: Meine wahre Identität liegt noch vor mir: »in Gott«: »Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden« (1Joh 3,2). 2.3. Gott ist meinem Selbst näher als dies sich selber ist und sein kann. Dies gilt darum, weil er in meinem Selbstsein Er selber ist und sich selber weiß, d. h. weil Gott im Begründen (bzw. Schaffen) von meinem Selbstsein sich vorgängig immer schon zu sich selbst verhält.160 Das setzende Selbstsein Gottes ist dem gesetzten Selbstsein des Menschen näher als dieses sich selber, weil es das in ihm eigentlich Lebendige und Tragende ist, während dieses sich geschaffen und »schlechthin abhängig« vorfindet.161 Gott durchdringt als der absolut Sich-selbst-Setzende absolut das von ihm Gesetzte. 157 Augustinus, Conf. X 16,25. Cf. dazu M. Heidegger: »Das ontisch Nächste und Bekannte ist das ontologisch Fernste, Unerkannte und in seiner ontologischen Bedeutung ständig Übersehene. Wenn Augustinus fragt: Quid autem propinquus meipso mihi? und antworten muß: ego certe laboro hic et laboro in meipso: factus sum mihi terra difficultatis et sudoris nimii, dann gilt das nicht nur von der ontischen und vorontologischen Undurchsichtigkeit des Daseins, sondern in einem noch erhöhten Maße von der ontologischen Aufgabe …« (M. HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 101963, 43f [§ 9]). A.a.O. 15 heißt es: »Das Dasein ist zwar ontisch nicht nur nahe oder gar das Nächste – wir sind es sogar je selbst. Trotzdem oder gerade deshalb ist es ontologisch das Fernste« (§ 5). 158 Augustin, Enn. in Ps 74,9 (PL 36, 952f). Cf. damit auch 1Kor 8,3; 13,12; Gal 4,10. 159 Cf. Augustinus: »est aliquid hominis, quod nec ipse scit spiritus hominis, qui in ipso est, tu autem, domine, scis eius omnia« (Conf. X 5,7); cf. oben Anm. 88. 160 Gott ist dem Ich innerlicher als dieses sich, weil er am Ort seiner Gegenwart (zumal im Glauben) sich selber gegenwärtig ist und unendlich bzw. ewig bei sich. Für uns ist er nur so da, dass er uns uneinholbar voraus ist. 161 Keiji Nishitani hat den christlichen Gedanken der Allgegenwart mit der Schöpfung aus dem Nichts in Zusammenhang gebracht; cf. K. NISHITANI, Was ist Religion?, Frankfurt 21986, 87–89.

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3. Allgegenwart als coincidentia oppositorum (Luther) Luthers Aussagen zur Nähe Gottes bzw. zur praesentia dei gelten im Anschluss an die Tradition ebenso seiner besonderen Gegenwart im Glauben (bzw. in anima) wie seiner Weltgegenwart als Schöpfer.162 In spezifischer Weise betont er dabei die unendliche Spannung im Begriff All-Gegenwart. 3.1. Die göttliche Allgegenwart sprengt die Kategorien (bzw. Vorstellungen) von Größe und Kleinheit.163 Gottes Sein in … wird so absolut betont wie zugleich die unfassbare Erhabenheit seines Selbstseins: »ein ubernatürlich unerforschlich wesen, das zu gleich ynn eym iglichen körnlin gantz und gar164 und dennoch ynn allen und uber allen und ausser allen Creaturn sey«.165 Solche starken Aussagen unterscheiden sich von Pantheismus nicht nur durch die mit aller Immanenzbehauptung einhergehende Betonung gleichzeitiger Transzendenz, sondern auch durch Luthers Aufmerksamkeit auf die Dynamik göttlichen Seins, dessen lebendige Fülle alle räumlichen Kategorien, indem sie sie reflektiert, in Anspruch nimmt, zugleich auch in bestimmter Negation transzendiert: »In« – das ist im Verständnis des Glaubens bei Gott so viel wie »uber, ausser, unter, durch und widder herdurch und allenthalben«.166 So kann und muss beides von Gott ausgesagt werden: totus intra und totus extra: »Das Gott sey wesentlich gegenwertig an allen enden ynn und durch alle creatur ynn allen yhren stucken und orten, das also die wellt Gottes vol ist und er sie alle fullet, Aber doch nicht von yhr beschlossen odder umbfangen ist, sonder auch zugleich ausser und uber alle Creatur ist«.167 162

Cf. allgemein WA 20, 521,16; 23, 146,22 und WA 5, 118,1–22; 123,27–29; 128,31f; 145,1–10; 159,32f; 360,8–11. 163 Siehe auch unten 3.2. Auch Angelus Silesius schreibt: »Mein Gott, wie groß ist Gott! mein Gott, wie klein ist Gott! / Klein als das kleinste Ding und groß wie all’s von Not« (ANGELUS SILESIUS, Cherubinischer Wandersmann II, 40: »Gott ist das Kleinst’ und Größte«). 164 Hier kommt das augustinische »totus« zur Geltung (s. o. 1.2. bei Anm. 91). 165 WA 26, 339,34–36. Ähnlich an anderen Stellen, wo die Dynamik göttlicher Präsenz betont wird: »Es ist nicht ein steublin noch tröpflin, damit Gott nicht zu schaffen habe und dasselbige treibe« (WA 24, 39,16f). Cf. auch WA 23, 137,8–19: »Das die Göttliche maiestet so klein sey, das sie ynn eym körnlin, an eym körnlin, uber eym körnlin, durch ein körnlin, ynnwendig und auswendig, gegenwertig und wesentlich sey, und, obs wol ein einige maiestet ist, dennoch gantz und gar ynn eym iglichen besonders, der so unzelich viel sind, sein kann … Denn er macht ja ein iglich körnlin besonders ynn allen stucken, ynnwendig und allenthalben, So mus ja seine gewalt daselbs allenthalben … sein. … Widderumb, das auch die selbige maiestet so gros ist, das sie widder diese wellt noch eitel tausent welt mag umbfahen und sagen; sihe, da ist er?« 166 WA 26, 341,18f. Cf. entsprechend von der »virtus et maiestas« des göttlichen Seins, die sich der formalen Logik nicht fügt: »extra, intra, supra, infra, citra, ultra omnem veritatem dialecticam« (WA 39 II, 4,34f; Th. 21). 167 WA 23, 135,35–136,2. Diese und ähnliche Stellen führt auch Tillich unter der Überschrift: »Die treibende Kraft in allem Sein« an; cf. P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. VII, Stuttgart 1962, 177f.

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Luther nimmt auch schöpfungstheologisch das augustinische interior intimo – superior summo auf: »Drumb mus er ja ynn einer iglichen creatur ynn yhrem allerynnwendigsten, auswendigsten umb und umb, durch und durch, unden und oben, forn und hinden selbs da sein, [so] das nichts gegenwertigers noch ynnerlichers sein kan ynn allen creaturen denn Gott selbs mit seiner gewallt«.168 3.2. Es ist für Luthers Gotteslehre bezeichnend, dass er das Motiv Augustins: »interior intimo meo« auf die Gegenwart Gottes in seinem schöpferischen Wort bezieht. So heißt es bereits früh: »verbum Dei … magis intimior est animae quam ipsa sibi«.169 Zu Hebr 4,12, dem locus classicus von Gottes Allgegenwart und Allwissenheit im Wort, heißt es in Luthers Vorlesung: »quia intimior et praesentior omnibus quam res ipsae sibi«.170 Er hat also Augustins geniale Formulierung streng worttheologisch weitergedacht171 und damit einem abstrakt-mystischen Verständnis prinzipiell gewehrt.172 Dass das keine einseitige »Vergeistigung« der göttlichen Gegenwart,173 die völlig Luthers Schöpfungsrealismus widerspräche, bedeutet, zeigt die entsprechende christologische Anwendung des Dictums beim Sakrament.174 168 WA 23, 135,3–6. Es folgen detaillierte Aussagen über Gottes Schöpferhandeln im Einzelnen und Kleinsten (a.a.O. 6–11). 169 WA 9, 103 (Randbemerkungen zu Tauler; 1516). Cf. J. TAULER, Predigten, hg. von G. Hofmann, Bd. II, CMe 3, Einsiedeln 1979, 377f. Der Augustin-Bezug scheint auch durch Bernhard von Clairvaux vermittelt zu sein (cf. unten Exkurs VIII, 2., S. 688 bei Anm. 219). TILLICH (a.a.O. 178) hat den Bezug auf das göttliche Wort weggelassen. 170 WA 57 III, 161,1f. Hier wird die Allgegenwart des göttlichen Wortes ähnlich plerophor charakterisiert wie die Gottes selber (cf. a.a.O. 162,2–4 mit oben bei Anm. 166). Cf. auch WA 51, 286,34f. 171 Bei Blumenberg heißt es von der Sprache: »Danach ist sie, bevor wir ihr auf die Sprünge kommen, noch mehr wir selbst als wir selbst« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 531). 172 Von der Hl. Schrift sagt Luther im »Großen Katechismus«: »als die Dein Fleisch besser kennet denn du selbs« (BSLK 723,3f). Darum gilt auch vom (in der Schrift) gegenwärtigen und uns sehenden, allwissendenden Christus-Gott: »et maiore cura super te vigilat, quam tu super teipsum« (WA 5, 279,22) bzw. »du must doch gott lassenn gott seyn, das er wisse mehr von dir dan du selbs« (WA 2, 690,16f; cf. ebenso WA 10 I,1, 26,5f). Von Gott wie von Christus ist zu sagen, dass er »viel tieffer ynn deyn hertz sehet denn du selbs« bzw. »sihet … ynn des hertzen grund tieffer denn wir selbs« (WA 12, 501,23.33f). Zur allerinnersten Nähe Gottes in unsern innersten Gedanken cf. auch WA 56, 203,27–35 und 24,14–17 (Röm 2,15). 173 »Non enim possumus spiritualiter comprehendere tam proxime et intime Christum haerere et manere in nobis, quam lux vel albedo in pariete haeret« (WA 40 I, 283,28f zu Gal 2,20). 174 Vorausgesetzt ist für den Gottmenschen: »Die menscheit ist neher vereiniget mit Gott, denn unser haut mit unserm fleische, ia neher denn leib und seele« (WA 26, 333,11f). Christi Nähe und Tiefe in allen Kreaturen ist Gottes Nähe und Tiefe darin (cf. a.a.O. 340,22–24). Daher gilt ebenso von Gott: »Et mirabilis altitudo maiestatis, quae

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Danach werden Leib und Blut Christi (als des fleischgewordenen Wortes) dem Empfänger mehr zu eigen, als es sein eigen Blut ist: »Ita ut sanguis meus, quem habeo in hoc digito et toto corpore meo, non tam proprie meus sit quam ille sanguis Christi in coena mihi exhibitus.«175 Wegen der Teilnahme des erhöhten Gottmenschen an der Ubiquität Gottes selber gilt: »ita proponendus est Christus, ut praeter eum plane nihil videas, nihil tibi esse proprius et intimius ipso credas.«176 Als der selber wie »Gottes Rechte« Allgegenwärtige hat Christus (über allen Kreaturen und in allen und außer allen) »nu alle ding fur augen, mehr denn ich dich habe, ist uns neher denn keine creatur der andern«.177 3.3. Auch Luther denkt den lebendigen Gott von einer coincidentia oppositorum her.178 Das führt zu augenscheinlich paradoxen Formulierungen der Allgegenwart: Das Gott nicht ein solch ausgereckt, lang, breit, dick, hoch, tieff wesen sey, … denn ein leib ist der Gottheit viel, viel zu weit, … Widderumb auch viel, viel zu enge … Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner,179 Nichts ist so gros, Gott ist noch grösser, Nichts ist so kurtz, Gott ist noch kürtzer, Nichts ist so lang, Gott ist noch lenger … und so fort an, Ists ein unaussprechlich wesen uber und ausser allem, das man nennen odder dencken kan.180

Ehe dieser Text für unsere Gotteslehre interpretiert wird,181 ist zunächst die Tradition, in der solche Aussagen über das In-eins-Setzen von UnendlichGrößtem und Unendlich-Kleinstem im Gottesbegriff zu verstehen sind,182 etiam in infimis praesens est et operatur et loquitur cum illis«, denn »deus est super et subter, intra et extra, ante et retro« (WA 3, 407,23f.26). 175 WA 17 I, 174,17–19; d. h., man begegnet im eucharistischen Leibe der Wahrheit des eigenen: in einer Selbstunterscheidung (cf. a.a.O. 175,15f.31). Cf. oben Anm. 141. In WA 2, 748,29f heißt es: »keyn ynniger tiefer unzuteiliger voreynigung ist ubir die voreynigung der speyß mit dem der gespeyßet wird« (1519). 176 WA 40 I, 545,26f. Cf. auch: »gleube … mir undt meinem wortt, dan ich bin dir gewisser, dan dein eigen hertz undt gewissen ist« (WA 33, 88,25–29). Auch der Cusaner hat gesagt: »Christus est cuiusque proximus, immo multo proximior quam pater aut frater carnalis, quoniam est ipse substantialis intimitas cuiusque« (Predigt nr. 1: Dies sanctificatur [Weihnachten 1440], in: Cusanus-Texte, Bd. I, hg. von E. Hoffmann/R. Klibansky, Heidelberg 1929 = Sermones I, serm. XXII, nr. 37). Luther kann von Christus auch sagen: »der Euch [sc. seinen Vater Hans Luther] lieber hat, denn Ihr Euch selbs« (WA.Br 5, 240,71f; Nr. 1529). 177 WA 19, 492,12f. 178 Cf. Mk 4,31f. 179 Marheineke schreibt, dass »das unendlich Kleine … ebenso sehr an Gottes Majestät erinnert, als der gestirnte Himmel« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 654 Anm. 4], 115 [§ 196]). 180 WA 26, 339,33–340,2. Cf. auch WA 23, 137,8–19, zit. oben Anm. 165. 181 S. u. 3.4. 182 Cf. dazu H. SCHWARZ, Der Gottesgedanke in der Geschichte der Philosophie, Bd. I, Synthesis 4/1, Heidelberg 1913, 459ff (»Gott als das absolute Differenzial«).

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selber kurz namhaft zu machen.183 Schon die einschlägigen Überbietungsformeln sind der Tradition geläufig,184 aber insbesondere lässt der zitierte Text (wie auch andere Stellen in Luthers betreffender Schrift von 1528) an Nikolaus von Kues denken.185 Das soll hier am Thema: Maximum – Minimum etwas genauer gezeigt werden.186 Zunächst erklärt der Cusaner im Anschluss an Anselm von Canterbury (Prosl. 2): »Maximum autem hoc dico, quo nihil maius esse potest«.187 Dazu weiter: »Maximum itaque absolutum unum est, quod est omnia; in quo omnia, quia maximum. Et quoniam nihil sibi opponitur, secum simul coincidit minimum; quare et in omnibus«.188 So kann es allgemein heißen: »manifestum est minimum maximo coincidere«.189 Nimmt man die Augustin zugeschriebene 183

Damit erweist sich die Aussage von H. Bornkamm bezüglich des eben zitierten Textes (WA 26, 339,25ff) als nicht völlig haltbar: »Man darf dabei wohl einmal daran erinnern, daß auch Luther diese Erkenntnis, die mit Recht als eine der großen Entdeckungen dieser Epoche für den Gottesbegriff gilt, wie mir scheint, selbständig gefunden und als kritischen Einwand gegen die Abendmahlslehre Zwinglis und der Spiritualisten benutzt hat« (H. BORNKAMM, Renaissancemystik. Luther und Böhme, LuJ 9 [1927], 156–197, hier 195 Anm. 48; Hervorh. J. R.). Richtiger wäre zu sagen, dass insbesondere in Luthers Abendmahlstheologie etwas von der Gottesmystik Meister Eckharts und der »docta ignorantia« des Cusaners weiterlebt, die das Zusammenfallen der Gegensätze (wie die von Minimum und Maximum und andere der Vernunft überhaupt) im Unendlich-Einen und Absoluten denkt. 184 Beispielhaft Marius Victorinus über das Eine als absolutes Prae: »bewegter als jede Bewegung, ständiger als jeder Stand …, dichter als jede Kontinuität, höher als jeder Abstand …, durchdringender als jedes Denken und jeder Körper« (Adv. Ar. 49,30ff). 185 Leider ist das Verhältnis Luthers zum Cusaner, den er kannte, in den hier anstehenden Fragen nicht befriedigend aufgeklärt, cf. R. WEIER, Das Thema vom verborgenen Gott von Nikolaus von Kues zu Martin Luther, Münster 1967. 186 Dem Cusaner folgt dann, wie häufig, G. Bruno: »das erste und absolute Prinzip zeigt Erhabenheit und Größe, und zwar solche Erhabenheit und Größe, daß es alles ist, was es sein kann. Es ist nicht auf solche Weise groß, daß es etwa noch größer oder auch kleiner sein könnte, … sondern es ist die größte, kleinste, unendliche, unteilbare und alles Maß umfassende Größe. Es ist nicht das Größte, weil es auch das Kleinste ist; es ist nicht das Kleinste, weil es zugleich das Größte ist. Es ist über jeden Vergleich erhaben …« (G. BRUNO, Über die Ursache, das Prinzip und das Eine. Dritter Dialog, übers. von Ph. Rippel, RUB 5113, Stuttgart 1986, 99f). 187 Nikolaus von Kues, Doct. ign. I 2 (in ders.: Phil.-theol. Schr. 1, 198). Anselm hatte freilich vom »nihil maius cogitari possit« gesprochen. 188 Ebd. Zum gegenseitigen In-Sein cf. auch (von der mens): »se in omnibus atque omnia in ipse esse concludit, ut [sc. zugleich] extra ipsam« (Nikolaus von Kues, De coni. I 6, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 14). S. o. S. 670 Anm. 99. 189 Doct. ign. I 4 (a.a.O. 204). Zugleich wird auch die Transzendenz des Einen über dem Gegensatz ausgesprochen: »Principium … est ante maximum et minimum pariter omnium affirmationem; … Praecedit enim ens [!], quod pariter est minime et maxime ens sive sic non ens quod maxime ens« (Nikolaus von Kues, De princ., in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 252).

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Sentenz hinzu: Deus in minimis maximus,190 so liest es sich wie ein seltsames Echo auf die dargelegte Koinzidenz von Maximum und Minimum, wenn Hölderlin im »Fragment von Hyperion« vom Menschen schreibt. Er »möchte gerne in allem und über allem sein«191 und dazu aus der Grabschrift des Ignatius von Loyola zitiert: »non coerceri maximo, contineri tamen a minimo [divinum est]«.192 3.4. Zur abschließenden Interpretation des oben zitierten Textes (3.3.)193 sei dessen letzter Satz wieder aufgegriffen: »Ist ein unaussprechlich wesen uber und ausser allem, das man nennen odder dencken kan«. In einer Art docta ignorantia lässt sich Folgendes festhalten, um Luthers Verständnis von Allgegenwart zu charakterisieren. – Allgegenwärtig ist Gott als der Lebendige, d. h. übergegenständlich-dynamisch. – Er umfasst die allergrößten Gegensätze und ist doch kein Gegensatz in sich. – Er ist selber das Zusammenfallen der Gegensätze und jenseits ihrer eins. – Er durchdringt und transzendiert schöpferisch alle Räumlichkeit und deren Extreme. – Er ist zugleich sinnlich gegenwärtig (Abendmahl)194 und absolut (wortvermittelt) Geist.195

190

Bei Plinius heißt es schon: »Quum rerum natura nusquam magis quam in minimis« (Hist. nat. XI 2). James Joyce formuliert: »Putting Allspace in a Notshall« (J. JOYCE, Finnegans Wake 445,29; Ausgabe: es 1439, Frankfurt 1987, 455); cf. dazu SHAKESPEARE, Hamlet II, 2, 253f. 191 HÖLDERLIN, KlStA 3, 169. Gegen die übliche Redensart kann auch gesagt werden, dass Gott im Detail steckt: »Ex minimis patet ipse Deus« (Motto zu einem Kupferstich), in: ADRIAN VAN DE VERNE, Seeländische Nachtigall, Middelburg 1623). »Der liebe Gott wohnt im Detail« – nach diesem Dictum, das wohl auf Aby Warburg zurückgeht (1925), erkundigt sich Gershom Scholem; cf. TH. W. ADORNO/G. SCHOLEM, Briefwechsel, hg. von A. Angermann, Berlin 2015, 183 (Scholem an Adorno; 6.12.1959) und 186 (Adorno an Scholem; 17.12.1959). Adorno erwägt (a.a.O.) einen sachlichen Bezug zu Hegel, Angermann zum Motiv der Schechina (187f)! Scholem verweist auf einen Brief G. Flauberts als ursprüngliche Quelle (188), der bisher aber nicht nachweisbar ist. Cf. auch S. WEIGEL/ W. SCHÄFFNER/TH. MACHO (Hgg.), »Der liebe Gott steckt im Detail«, München 2003. 192 Ebd. Cf. H. RAHNER, Die Grabschrift des Loyola, StZ 139 (1946/47), 321–337. Zur ungeklärten Frage, wie Hölderlin auf den anonymen Epitaph gestoßen ist, cf. F. BEIẞNER, in: Hölderlin, KlStA 3, 346f; zu Hölderlins Intention hierbei cf. F. STRACK, Ästhetik und Freiheit. Hölderlins Idee von Schönheit, Sittlichkeit und Geschichte in der Frühzeit, Tübingen 1976, 213. Zur Sentenz selber cf. auch J. RATZINGER, Einführung in das Christentum, München 1968, 111 Anm. 18. Auf eine Parallele macht P. KUHN aufmerksam: Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen, StANT 17, München 1968, 13–22. 193 WA 26, 339,33–340,2. 194 Cf. oben bei Anm. 175. 195 Cf. oben bei Anm. 169 und 170.

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– Er hat seine Einheit in Gegensätzen, die den gewöhnlichen Verstand übersteigen und in ihrer Dialektik nur spekulativ zu begreifen sind: »wer weis, was ist, das Gott heist? Es ist uber leib, uber geist, uber alles was man sagen, hören und dencken kan«.196 Schließlich ist der Bezug zu unserem spekulativen Gottesbegriff noch an den beiden Aussagen zu verdeutlichen, Gott sei a) kleiner als das Kleinste und b) größer als das Größte.197 Zu a): Der sich aus sich Hervorbringende ist, weil ein für sich (in sich) geschlossenes Singulum, unendlich »kleiner« als das kleinste Geschaffene, das sich selber (als eine für sich unhintergehbare Größe, d. h. ein Etwas) undurchdringlich vorgegeben ist.198 Denn das in seinem Sein Abhängige ist eo ipso ein Außer-sich-Sein, d. h. prinzipiell räumlich und so »größer« als ein absolutes In-sich-Sein. Zu b): Der sich absolut selber Hervorbringende und Vollendende ist (in der selbstgenerativen Totalität seiner selbst) unendlich »größer« als das größte Erschaffene, das als solches ein begrenztes ist. Das in seinem Sein Abhängige ist eo ipso nie eine solche Totalität, d. h. prinzipiell ein »Kleineres«. Gehört zum Geschöpf eine Größe (d. h. quantitativ ausgedehnt und teilbar zu sein) (a.), so ist Gott absolut Einheit in sich; ist das Geschöpf als solches endlich, so der lebendige Gott die Unendlichkeit selber (b.).

Exkurs VIII: Zur Geschichte des Weiterwirkens von »interior intimo« Naturgemäß ist die Geschichte dieses prominenten augustinischen Motivs unübersehbar, und hier kann nur ein knapper Überblick gegeben werden, der sie beispielhaft belegt. Dabei ist eine Wirkungsgeschichte in der Theologie eigentlich ebenso selbstverständlich (s. u. 2., 5. und 6.) wie in der Mystik (3.). Dass sich durch dieses Motiv auch Dichter und Schriftsteller zu einem tieferen Blick in das menschliche oder religiöse Innenleben haben inspirieren lassen (8.), ist gut nachvollziehbar. Aber auch philosophische Denker unserer Tradition nahmen die geniale Formulierung des Kirchenvaters auf (4. und 7.); sie bot gleichsam einen Anreiz, die endlichen Denkbestimmungen des bloßen Verstandes zu überwinden. Vor diesem Überblick soll aber die Bedeutung,

196

WA 23, 137,25f. S. o. 3.3. bei Anm. 180. Cf. sachlich oben E. 1.5. (S. 675f). 198 Selbst das menschliche Selbstbewusstsein hat, als sich vorfindend, für sich immer auch etwas Opakes an sich. 197

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die der (spätere) Topos schon bei Augustin selber hat,199 noch etwas weiter entfaltet werden. 1. Der eigentliche Entdeckungsort des Topos ist bei Augustinus das menschliche Innere, insbesondere in religiöser Hinsicht;200 darum kommt es bei existenzieller »Extrovertiertheit« zum Selbstverlust durch Gottentfremdung: »Exterior enim conantur ire, et interiora sua deserunt, quibus interior est Deus.«201 Auch die Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes besteht nur im Entfernen des Äußerlichen und nicht in der Meinung, dies sei Selbstverlust: »Cum igitur ei praecipitur ut se ipsam cognoscat [γνῶθι σεαυτόν], non se tanquam sibi detracta sit quaerat; sed id quod sibi addidit detrahat. Interior est enim ipsa … quam ista sensibilia quae manifeste foris sunt«.202 Die menschliche mens als solche ist sich privilegiert nahe,203 und daher ist nur rhetorisch zu fragen: »Quid enim tam in mente quam mens est?«204 Und doch ist Gott als der Schöpfer und Herr seines Menschengeschöpfes diesem noch näher, als dies sich je sein könnte, indem er sich ihm zuvorkommend bezeugt hat: »Tu interior intimis meis, tu intus in corde legem posuisti mihi spirito tuo, tamquam digito tuo«.205 Daher ist auch keine Flucht vor dem, der »corde tuo interior est« bzw. »teipso interior est«,206 zu irgendeinem Geschaffenen möglich. Denn: »Propinquior nobis est qui fecit, quam multa quae facta sunt. In illo enim vivimus et movemur et sumus [Act 17,28]«.207 Weil aber Gott der Schöpfer von allem ist und er als solcher sowohl »in seipso ubique totus«208 wie auch »super animam«209 ist, ist er in allem Geschaffenen, auch dem außermenschlichen, mit seiner übergegenständlichen Nähe machtvoll gegenwärtig: »incommutabili excellentique potentia et interior omni re,

199

Zur zentralen Stelle Conf. III 6,11 s. o. § 12 E. 2. (S. 677ff). Gemäß der Regel: »Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat veritas, et … transcende et te ipsum« (De vera rel. 39; PL 34, 154), cf. Plotin, Enn. I 3,9. 201 De trin. VIII 7,11 (PL 42, 957). Cf. Plotin, Enn. VI 9,7: Οὐδενὸς, φησίν, ἐστιν ἔξω, ἀλλὰ πᾶσιν σύνεστιν οὐκ εἰδόσι. φεύγουσι γὰρ αὐτοὶ αὐτοῦ ἔξω, µᾶλλον δὲ αὑτῶν ἔξω. 202 De trin. X 8,11 (PL 42, 979); cf. IX 3,3 (PL 42, 963). Cf. Plotin, Enn. I 6,9: εἰ εἶδες αὐτὸ καὶ σαυτῷ καθαρὸς συνεγένου οὐδὲν ἔχων ἐµπόδιον πρὸς τὸ εἷς οὕτω γενέσθαι, οὐδὲ σὺν αὑτῷ ἄλλο τι ἐντὸς µεµιγµένον ἔχων, ἀλλ’ ὅλος αὐτὸς φῶς ἀληθινὸν µόνον. Zur Möglichkeit von Selbsterkenntnis wegen der Selbstvertrautheit des Geistes (mens) bei Augustin cf. auch De trin. VIII 6,9 (PL 42, 953 und 954); X 7,10 (PL 42, 979). 203 Cf. De trin. X 10,16 (PL 42, 982); IX 4,4 (PL 42, 963); IX 5,8 (PL 42, 965) u. ö. 204 De trin. X 8,11 (PL 42, 979); X 3,5 (PL 42, 975); X 4,6 (PL 42, 977) und XIV 4,7 (PL 42, 1040). 205 Enn. in Ps. 118; serm. XXII (6.) (PL 37, 1565). Zur Nähe des Betenden zu Gott cf. Ps.-Dionysius Areopagita, De div. nom. III 1 (PG 3, 680B; lat. 679). 206 Enn. in Ps. 74 (9.) (PL 36, 952f). 207 De Gen. ad litt. V 16,34 (PL 34, 333). 208 Ep. 187,4,14 (PL 33, 837); cf. ebd.: »Deus ubique totus« (5,16). 209 Enn. in ps. 41 (8.) (PL 36, 469). 200

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quia in ipso sunt omnia, et exterior omni re, quia ipse est super omnia«.210 So lebt wie der Mensch auch jedes Geschöpf überhaupt von der »intima potentia sui Creatoris«.211 Es gilt mithin von der göttlichen »substantia incommutabilis« des allgegenwärtigen Schöpfers: »[est] omnibusque spiritibus, quos creavit, interius secretiusque sublimior«.212 2. In der mittelalterlichen Scholastik beruft sich Bonaventura ausdrücklich auf Augustin: »ad intimum animae nullus potest intrare, nisi sit simplex; … quia, secundum Augustinum, intimum animae est eius summum; quanto potentia intimior, tanto sublimior«.213 Auch hier gilt von Gott als der ersten Ursache – unendlich an »Kraft« (virtus) –: »Haec lux est inaccessibilis [1Tim 6,16], et tamen proxima animae, et plus quam ipsa sibi. Est etiam inalligabilis, et tamen summe intima«.214 Es ist der allgemeine Lichtcharakter Gottes (cf. 1Joh 1,5b), der ihm solche innerste Präsenz im Geschöpf ermöglicht.215 So kommt es zu der verbreiteten plerophoren Bestimmung von Gottes Allgegenwart: »Quia perfectissimum et immensum, ideo est intra omnia, non inclusum, extra omnia, non exclusum, supra omnia, non elatum, infra omnia, non prostratum. – Quia vero est summe unum et omnimodum, ideo est omnia in omnibus [1Kor 15,28]«.216 Thomas von Aquino wendet das augustinische Motiv endgültig ins Ontologische und formuliert: »esse autem est magis intimum cuilibet rei quam ea per quae esse determinatur … Unde operatio creatoris magis pertingit ad intima rei quam operatio causarum secundarum«.217 Mit dieser gleichsam aristotelischen Umdeutung droht aber der ursprünglich geistige Charakter der schöpferischen Allgegenwart Gottes als der causa prima in den Hintergrund zu treten,218 den das »interior intimo meo« bei Augustin hatte. Damit hängt 210

De Gen. ad litt. VIII 24,48 (PL 34, 391). De trin. III 8,15 (PL 42, 877). 212 De trin. III 4,10 (PL 42, 874). 213 Bonaventura, Coll. in Hex. XII 16. Cf. auch vom dreieinigen Gott: »Ipse enim est qui intimior intimo tuo esse perhibetur, sicut Augustinus testatur« (Soliloq. I 5). 214 Coll. in Hex. XII 11. 215 Cf. Bonaventura, De scient. Christi IV: »illa lucis influentia … est generalis, quantum Deus influit in omnibus creaturis« (in: ders., Op. omn. 5, 23). 216 Bonaventura, Itiner. V 8 (hier auch zur sphaera intelligibilis); cf. auch VI 5: »simplicissimum et maximum … totum ubique et nusquam comprehensum« und VI 7: »primum et ultimum, summum et imum, circumferentia et centrum, alpha et omega«. 217 Thomas von Aquin, Sent. II, d. 1 q. 1, a. 4. In der »Summa theologica« heißt es: »Esse autem est illud quod est magis intimum cuilibet, et quod profundius omnibus inest; … Unde oportet quod Deus sit in omnibus rebus et intime« (I, q. 8, concl.). 218 Im »Liber de causis« wird Sein als erste Kreatur gedacht: »Prima rerum creatarum est esse et non est ante ipsum creatum aliquid. Quod est quia esse est supra sensum et supra animam et supra intelligentiam: et non est post causam primam latius neque prius causatum ipso. Propter illud ergo factum est superius creatis rebus omnibus et vehementius unitum« (prop. [§] 4). 211

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zusammen, dass die paradoxe rhetorische Spannung der augustinischen Formulierung (ein Komparativ zu einem Superlativ) zugunsten einer superlativischen Eindeutigkeit aufgelöst wird. Demgegenüber findet sich bei Bernhard von Clairvaux eine wort-theologische Fassung des Topos: Ascendi etiam superius meum et ecce supra hoc verbum eminens. Ad inferius quoque meum curiosus exploratur descendi, et nihilominus infra inventum est. Si foras aspexi, extra omne exterius meum comperi illud esse; si intus, et ipsum interius erat. Et cognovi verum quidem quod legerem, quia in ipso vivimus, movemur et sumus (Act XVII, 28). Sed ille beatus est, in quo est ipsum, qui illi vivit, qui eo movetur.219

Diese Stelle ist offensichtlich das Bindeglied zwischen dem augustinischen Dictum und Luthers Worttheologie.220 Den Aufstieg der Seele zu Gott bestimmt in ähnlicher Weise auch Hugo von St. Viktor, wenn auch (augustinisch) in Einheit mit der Selbsteinkehr: »Ascendere ergo ad Deum, hoc est intrare ad semetipsum, et non solum ad se intrare, sed ineffabili quodammodo in intimis etiam seipsum transire. Qui ergo seipsum, ut ita dicam, interius intrans et intrinsecus penetrans transcendit, ille veraciter in Deum ascendit«.221 Dabei ist vorausgesetzt, dass überhaupt gilt: »In spiritualibus ergo et invisibilibus cum aliquid supremum dicitur, non quasi localiter supra culmen aut verticem coeli constitutum, sed intimum omnium significatur. … Quod ergo intimum est, hoc est proximum et supremum et aeternum«.222 Schließlich sei noch Johannes von Kastl (1390–1414) angeführt: »qui omnia complet, universa singulaque se toto essentialiter implet. Cuique rei intimior est et praesentialior per essentiam quam res sibi ipsi: in quo omnia simul sunt unita, et in eo sempiterne vivunt«.223 3. Erwartungsgemäß hat Augustins ingeniöse Formel in der deutschen Mystik eine sehr starke Rezeption erfahren. Das sei an ihren drei Hauptvertretern nachgewiesen. Am häufigsten dürfte das Motiv sich bei Meister Eckhart wiederfinden. Die folgende Auswahl an Stellen lässt zwei Rezeptionslinien erkennen: einerseits die unmittelbar augustinische, die andererseits von der thomasischontologischen überlagert wird:224 »creatura foris est, deus autem intimus et in 219 In Cant. cant., sermo 74,5 (PL 183, 243); Hervorh. J. R. Cf. Bernhard von Clairvaux, Das Hohelied, 2. Buch (Die Schriften des Honigfließenden Lehrers, hg. von A. Wolters/E. Friedrich, Bd. VI, Wittlich 1938, 229 [5.]). Deutsch zitiert auch bei M. BUBER, Ekstatische Konfessionen, Jena 1909, XXI. 220 S. o. § 12 E. 3.2. (S. 681f). 221 Hugo von St. Viktor, De vanitate mundi II (PL 176, 715). 222 Ebd. 223 Johannes von Kastl, De adhaer. Deo 9. 224 Cf. das oben in § 12 Zitierte (E. 1.2. [S. 671 Anm. 106 und 107).

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intimis est. Patet hoc in effectu deo proprio, qui est esse, intimus omnibus, in intimis omnium. Et hoc est quod deus solus dicitur illabi animae ab Augustino, sed et illabitur essentiis omnium; essentia vero nullius creati illabitur essentiae alterius, sed foris stat et distincta«.225 Noch in der Rechtfertigungsschrift heißt es von Gott selbst, dem ungeteilten und einzigen Gott: »per essentiam intimus est et proximus unicuique nostrum«.226 Augustin und Thomas werden zusammengesprochen, wenn es heißt: »Nihil tam prope enti, nihil tam intimum quam esse, deus autem esse est et ab ipso immediate omne esse. … esse intimius est unicuique etiam quam ipsa essentia illius«.227 Im augustinischen Sinne wird auch die Nähe des menschlichen Wesens bzw. der Seele zu sich selber mystisch gedeutet: »notandum quod natura humana est cuilibet homini intimior quam ille sibi. In quo docemur quod in intimis cuiuslibet, non foris celebrantur istae nuptiae [sc. mit Gott], Luc 1 [35]: ›spiritus s. superveniet in te‹. Augustinus De vera religione … [37,72; PL 34, 154]«.228 Aber es wird auch direkt auf den Kirchenvater verwiesen: »Als sant Augustinus sprichet: got ist der sele naeher dan si ir selber si«.229 Indes heißt es ebenso allgemein, »daz got ungescheiden ist von allen dingen, wan got ist in allen dingen, wan er ist in inniger, dan sie in selben sint«.230 Das führt auf die Ontologie von Gott als Sein-selbst. Denn im thomasischen Sinne heißt es von Gott: »qui est esse, omnium intimum«231 bzw.: »quia esse, deus scilicet, est intimum omni enti«232 und entsprechend: »sic omnis creatura immediate se habet ad deum quantum ad esse«.233 Mit dem Begriff des wahren Esse (als Existenz- und Wesensgrund zuinnerst im Seienden) soll die Einheit Gottes gewahrt werden: »Deus est in intimis cuiuslibet et solum in intimis, et ipse solus unus est«.234 Zugleich gilt 225

M. Eckhart, LW 3, 253,5–9 (nr. 304). Cf. LW 4, 376,7f (nr. 452): »[deus] ipse secundum Augustinum illabitur animae et est intimior animae quam ipsa sibi«. 226 LW 5, 352,26f (nr. 145). Cf. auch O. KARRER/H. PIETZSCH, Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift vom Jahre 1326, Erfurt 1927, 131.134.170. 227 LW 2, 199,3–7 (nr. 238). 228 LW 3, 241f (nr. 289). Cf. auch: »quod sit intima deo anima et deus animae« (LW 4, 55,8f [nr. 56]). In den »Reden der Unterscheidung« heißt es (20.): »swa die sele, da got. Nie enwart so nahiu einunge, wan diu sele ist vil naeher mit gote vereinet dan lip und sele, die einen menschen machen« (DW 5, 269,27f). 229 DW 1, 161,8–162,1; cf. 162,4f. DW 3, 142,2: »Got ist mir naeher, dan ich mir selber bin«. 230 DW 3, 340,1f. Cf.: »Er ist den dingen inniger und neherer, dan si in selben sein« (345,18f). 231 LW3, 28,7 (nr. 34), mit Bezug auf Augustin: »intus eras et ego foras« (Conf. X 27,38). Cf. auch oben bei Anm. 219. 232 LW 4, 30,3f (nr. 29). 233 LW 4, 240,9f (nr. 264) und LW 1 (Prol. in opus propos.), 168,9 (nr. 4): »quod solus deus proprie est ens«. Cf. H. EBELING, Meister Eckharts Mystik, Stuttgart 1941, 56ff. 234 LW 4, 264,2f (nr. 296).

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auch: »Deus autem, utpote [est] causa prima et finis ultimus, intimus est omnibus quae movet.«235 Bei J. Tauler gibt es ebenso Anklänge an Augustins Formulierung, so in der 37. Predigt; dort heißt es vom Sein des Reiches Gottes in uns (Lk 17,21), es befinde sich »im innersten Grunde [der Seele], wo Gott der Seele näher und inwendiger ist, weit mehr als sie sich selbst«.236 In Aufnahme der augustinisch-neuplatonischen Illuminationslehre wird das Motiv von Tauler auch auf den Topos vom »Seelenfünklein« (scintilla animi) als der habituellen, unbewussten Gegenwart der ewigen Wahrheit bzw. Gottes selber als göttliches Licht im Menschen bezogen: Es ist »das edle, gottfarbene Seelenfünklein, das uns viel innerer und näher ist als wir uns selbst und uns [doch] gar fremd und unbekannt«, das von Gott her »eine große Verwandtschaft« mit ihm stiftet.237 H. Seuse erinnert ebenfalls an Augustin, wenn er schreibt: »Wem Innerlichkeit auch im Äußeren zuteil wird, dem wird Innerliches im stärkeren Maße zuteil als dem, welchem Innerlichkeit nur im Innerlichen gegeben wird«.238 Hier wird – in einer Augustin und Luther wahlverwandten Weise – Innerlichkeit durch ein Extra nos zur Wahrheit geisthafter Gottesgegenwart qualifiziert. 4. Auch bei den Denkern der Renaissance lässt sich das Nachwirken Augustins feststellen. Bei Nikolaus von Kues fällt die christologische Wendung auf, die er dem Motiv gibt: »Christus est cuiusque proximus, immo multo proximior quam pater aut frater carnalis, quoniam est ipsa substantialis intimitas cuiusque«.239 Sie verdankt sich freilich der Überzeugung Meister Eckharts vom »illabi« Gottes als des Seins-selbst in allem Seienden (cf. oben bei Anm. 225); der Cusaner hat zu der Eckhart-Stelle als Marginalie notiert: »deus illabitur omnibus, essentia cuius non illabitur alteri«. G. Bruno schreibt von der Nähe der Gottheit:240 »est insita rebus, intimius cunctis, quam sint sibi quaeque, vigens est, entis principium, cunctarum fons specierum, Mens, Deus«.241 Denn Gott ist hier begriffen als die »substantia 235

LW 2, 520,2f (nr. 184). J. TAULER, Predigten, hg. von G. Hofmann, Bd. I, CMe 2, Einsiedeln 1979, 274. Zu Luthers Bezug auf Tauler s. o. § 12 E. 3. 2. (S. 681 Anm. 169). 237 A.a.O. 252. 238 Deutsche mystische Schriften, hg. von G. Hoffmann, Düsseldorf 1966, 49. Kap., 173 (statt »in stärkerem Maße zuteil« heißt es originaliter: »dem wird Innerkeit innerlicher«). Traditioneller klingen aber, was den Vorrang der Innerlichkeit angeht, Stellen wie a.a.O. 170 oder 395. 239 Predigt »Dies sanctificatus« (Weihnachten 1440), in: Gedruckte Cusanus Texte, hg. von E. Hoffmann/R. Klibansky, Bd. I, Heidelberg 1929, Pred. 1 = Sermones I, serm. XXII, nr. 37). Cf. auch oben § 12 E. 1.4. (S. 674 bei Anm. 128) und 3.3. (S. 683 bei Anm. 188). 240 Cf. schon oben § 12 E. 1.2. (S. 671 bei Anm. 110 und 111). 241 G. Bruno, De imm. VIII 10 (in: Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta, hg. von F. Tocco u. a., Bd. I/2, Florenz 1889, 312/314). 236

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universalis in essendo«: »intima omni enti magis quam sua forma et sua natura unicuique esse possit«.242 In der Schrift: »Cena delle ceneri« heißt es zur göttlichen Nähe spezifisch: »denn sie ist mehr in uns, als wir selber in uns sind«.243 Der vom Cusaner beeinflusste Marsilio Ficino bezieht das augustinische Dictum ausdrücklich auf die sphaera infinita (als einem ins Unendliche reichenden »geistigen Kreise«) und versteht von da aus Gott als wahres Zentrum der Welt: Gott ist »cuique rei interior quam ipsamet sibi« und als Peripherie der Welt »supereminet universa, ut cuiusque rei summum apicem dignitate excellat immensa« und so beides zugleich: »minimus quantitate … virtute maximus; in omnibus non inclusus, … extra omnia quoque non exclusus«.244 Auf die menschliche Seele bezogen, heißt es in einer Epistel: »familiarior tibi quam ipsa [anima] tibi; … angustissimus … amplissimus«.245 V. Weigel schließt sich offensichtlich Tauler an,246 wenn er schreibt: »Der Himmel, das Reich Gottes [ist] uns viel näher als wir uns selbst«, und das in eine Klimax einordnet, nach der der eigene Leib mir näher ist als mein Kleid, die Seele noch näher als mein Leib; »aber Gott ist mir viel näher, wohnt in der allerinnersten Tiefe meines Geistes«.247 5. Wenden wir uns zunächst insbesondere der protestantischen Theologie zu, so ist hier für die Periode der lutherischen Orthodoxie mit J. A. Quenstedt einzusetzen. Er hat das augustinische Motiv in der Lehre von der göttlichen Erhaltung (als Zusammenspiel göttlichen und menschlichen Wirkens) aufgegriffen: »ita ut idem effectus non a solo Deo nec a sola creatura, sed una eademque efficientia totali simul a Deo et creatura producatur … actum dico [sc. concursum Dei] non praevium actioni causae secundae nec subsequentem … sed talis est actus, qui intime in ipsa actione creaturae includitur, imo eadem actio creaturae est«.248 Die bemerkenswerte Neuanwendung besteht darin, dass die Dynamik von Gottes Handeln dem eigenen Handeln des Geschöpfs so eingeschrieben wird, dass sie faktisch koinzidieren. 242 G. Bruno, Summa termin. metaph. (a.a.O., Bd. I/4, 73,20f); cf. a.a.O. 21f: »Sicut enim natura est unicuique fundamentum entitatis, ita profundius naturae uniuscuiusque fundamentum est Deus«. 243 Zitiert nach J. L. BORGES, Die Sphäre Pascals (!), in: ders., Inquisitionen. Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Bd. VII, Fischer Tb 10583, Frankfurt 1992, 17. 244 M. Ficino, Theol. Plat. XVIII 3, in: ders., Opera, Bd. I, Paris 1641, 393b. Cf. a.a.O. 680a: »immensum bonum … universum et omnino intrinsecus imbuit et infinite extrinsecus ambit« (Ep.). 245 A.a.O. 595b/596a. 246 S. o. bei Anm. 236. 247 J. WEIGEL, Ein nützliches Tractätlein Vom Ort der Welt, c. 14 und 26/29, Halle 2 1613, 56 und 89/91. 248 J. A. QUENSTEDT, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum, Wittenberg 1685 (1691), 761.

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Bei dem dezidierten Luther-Schüler im 18. Jahrhundert, J. G. Hamann, scheint sich zwar keine direkte Wiederholung der augustinischen Wendung zu finden, dafür aber eine wahlverwandte Sicht in der längeren Auslegung des sachlich naheliegenden Bibelspruchs: »Denn es ist das Wort gar nahe bei dir, in deinem Munde und deinem Herzen, dass du es tust« (Dtn 30,14; Röm 10,6).249 Hamann kombiniert hier sinnreich die göttliche Wortnähe250 mit Adams Sich-Wiedererkennen in Eva (Gen 2,23),251 also der Intersubjektivität, und schreibt dann von der intimen Nähe: »Fragt euer eigen Herz, woran es die Stimme des Bluts kennt, das kräftiger redt als Abels.«252 Die innere Stimme der ureigensten Lebendigkeit (»Blut«) ist mithin für Hamann hier dem menschlichen Herzen näher als dieses sich selber im Vernehmen »sprechender« äußerer Sachverhalte. Für das 19. Jahrhundert sollen zwei Stimmen zu Gehör kommen. Einmal die S. Kierkegaards. Auch er wendet das Motiv intersubjektiv, um die Nächstenliebe mit seiner Hilfe indirekt zu bestimmen. »Der Nächste ist dir also näher als alle anderen. Aber ist er dir auch näher als du dir selbst bist? Nein, das ist er nicht, aber er ist dir, oder soll dir gerade ebenso nahe sein.«253 Diese Differenz lässt ersichtlich genau den Raum offen, den der allgegenwärtige Gott einnimmt, der einem noch näher ist als der Nächste (und man sich selber), eben weil er die »Zwischenbestimmung« ist. Was das menschliche Selbstverhältnis angeht, so kennt Kierkegaard (als Constantin Constantius) auch da »eine Heimlichkeit, die innerlicher ist als die allerinnerlichste«, nämlich in der Leidenschaft der Eifersucht.254 Das menschliche Gottesverhältnis betreffend, denkt Kierkegaard die göttliche Allgegenwart mit Allwissenheit zusammen: »so ist Gott in seiner unendlichen Erhabenheit dir ganz nahe, näher als du dir selbst bist, sofern er von deinen Gedanken sogar den versteht und entdeckt, den du selbst nicht verstehst [cf. Ps 139,2b]«.255 Sodann ist der Dogmatiker I. A. Dorner zu beachten, der die menschliche Glaubensgewissheit auf Gottes lebendiges Handeln an uns zurückführt, das in 249

J. G. HAMANN, Biblische Betrachtungen. Den 7. May 1758, in: ders., SW 1, 291– 297. Cf. dazu O. BAYER, Vernunft ist Sprache. Hamanns Metakritik Kants, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 390 Anm. 59. 250 A.a.O. 291,23f; 294,40–295,1. Von der Nähe Christi als des Wortes Gottes (296,6f.29f) heißt es dann: »Derjenige ist also in unserm Munde und Herzen, in dem wir leben, bewegen und sind [Act 17,28]« (296,36f). 251 A.a.O. 295,26f: »Adam fand also das Wort in seinem Munde und Herzen, mit dem er sich die Eva zueignete«. 252 A.a.O. 295,12–14. 253 S. KIERKEGAARD, Der Liebe Tun (1847). Erste Folge I, in: ders., GW 19, 25. 254 Cf. S. KIERKEGAARD, Die Wiederholung (1843), in: ders., GW 5, 55; dän.: »der er inderligere end den inderligste«. 255 S. KIERKEGAARD, Christliche Reden 1848 (C. I.) , in: ders., GW 20, 177.

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uns Wissen von ihr bzw. Gott hervorruft: »Solches uns Wissen und Lieben Gottes ist zugleich wirksame That, Wissen in uns setzend. So ist das Gottesbewußtsein erst die wahre Feste unseres Selbstbewußtseins. Gott ist unserm wahren Selbst, wenn es hervorgeboren ist, näher als dieses wahre Selbst unserer empirischen … Persönlichkeit, unserem äußeren Menschen ist«.256 Die religiöse Korrelation von Selbst- und Gottesbewusstsein bedeutet hiernach eine Selbstunterscheidung des homo interior (Röm 7,22; Eph 3,16) vom homo exterior, d. h. »qui foris est« (cf. 2Kor 4,16): Im Glauben nimmt uns Gott, sich bei uns hervorbringend, auf seine Seite bzw. auf seinen Weg mit. 6. Im 20. Jahrhundert häufen sich die theologischen Bezugnahmen überraschend. K. Barth verwendet die Formel, um prinzipiell zu bestreiten, dass der Mensch (als Erkenntnissubjekt) »sich selber näher ist als das Wort Gottes« (sc. ihm), also diesem gegenüber als eigene Instanz in Frage kommen könnte.257 Die entsprechende positive, theologische Verwendung findet sich aber auch bei Barth; er schreibt von der freien »Inseitigkeit« Gottes (ebenfalls mit Bezug auf Act 17,28): Gott könne dem Geschöpf »tatsächlich näher sein als es sich selber ist, es besser verstehen als es sich selbst versteht, es intimer bewegen als es sich selbst bewegt: unendlich viel näher, besser, intimer sogar«,258 und weiter heißt es traditionell: »Gott ist frei, der Kreatur ganz innerlich und zugleich als Er selbst ganz äußerlich zu sein: totus intra et totus extra«.259 Der Kritiker der »dialektischen Theologie«, Th. Siegfried, bezieht sich in soteriologischem Zusammenhang auf die Formel: »Im gemeinsamen Aufblick zur Heilsmitte weiß man um die schaffend gegenwärtige, ›innerliche‹ Heilsmacht Gottes und um die ihr lebendig entspringende Selbstheit der Iche zugleich«.260 Zu dem Wort »innerlich« erklärt Siegfried in einer Anmerkung: »Gott ist den Wesen innerlicher, als sie sich selbst sind (Luther). Dieses Wirken Gottes in den Wesen tritt im Kreis des Heilsgeschehens und der Heilserhaltung an den Tag«.261 Indes kann Siegfried die Formel auch freier bzw. allgemeiner verwenden; so schreibt er von der dem Denken als solchem einwohnenden existenziellen Haltung, die sich jeder vorgegebenen Normierung entzieht: »Die existentielle Verwurzelung ist dem Denken so einge256

I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 61 (§ 4,

6.). 257 BARTH, KD I/1, 223. Zum gleichwohl bestehenden Unterschied zu Luther cf. J. RINGLEBEN, Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her, FSÖTh 150, Göttingen 2015, 146 Anm. 297. 258 KD II/1, 353. 259 A.a.O. 354. 260 TH. SIEGFRIED, Das Wort und die Existenz, Bd. III, Gotha 1933, 152f. 261 A.a.O. 152f (Anm. 1). Siegfried bezieht sich offensichtlich auf Luthers Schrift »Das diese wort Christi (Das ist mein leib etce) noch fest stehen widder die Schwermgeister« (1527); cf. a.a.O. 154 Anm. 1.

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schmolzen, daß sie schlechterdings nicht von außen herangehalten werden kann. In Variation einer mystischen Formel kann man sagen: sie ist dem Denken innerlicher, als es sich selbst ist.«262 P. Tillich hat sich relativ häufig auf die augustinische Wendung bezogen, und er scheint sie bei Luther kennengelernt zu haben. Er zitiert 1950 insbesondere aus der Abendmahlsschrift von 1527: »Gott ist seinen Geschöpfen näher, als sie sich selbst sind«.263 Von Gott als dem schöpferischen Grund heißt es später in ontologischer Abwandlung (1957), er sei »weder ›neben‹ noch ›über‹ dem Seienden, er ist jedem Seienden näher als dieses sich selbst«.264 Auch sonst beruft Tillich sich hierfür auf Luther, der sage, »daß Gott den Geschöpfen näher sei, als sie sich selbst sind, oder daß Gott in einem Sandkorn ganz und gar gegenwärtig sei und doch zu gleicher Zeit vom ganzen All nicht umschlossen werden könne« (1955).265 Tillich zog daraus die Folgerung, dass wirklicher Atheismus keine menschliche Möglichkeit sei, »denn Gott ist dem Menschen näher als der Mensch sich selbst«.266 In der Gotteslehre der »Systematischen Theologie« (1951) wird Gott als der beschrieben, der die Subjekt-Objekt-Relation transzendiert; er als das göttliche Du »umfaßt das Ich und folglich die ganze Beziehung«. Daher »gibt es keinen Ort, an den der Mensch sich vor dem göttlichen Du zurückziehen kann [cf. Ps 139], denn es schließt das Ich ein und ist dem Ich näher als das Ich sich selbst«.267 Genau diese Einsicht macht Tillich im folgenden Jahr für das Gebet und dessen paradoxen Charakter fruchtbar: »in dem man ›Du‹ zu jemandem sagt, der dem Ich näher ist als das Ich sich selbst«.268 Die Nähe Gottes betont auch kurz G. Ebeling in dieser Tradition269 für die spezifische Situation des Betens. Gott wird als der »Vater« angerufen, »der dem Beter näher ist als dieser sich selbst, der den Menschen unendlich genauer kennt als dieser sich selbst erkennt«.270

262

A.a.O. 48. P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. VII, Stuttgart 1962, 178 (mit Bezug auf WA 9, 103; es folgen Zitate zur Allgegenwart WA 23, 137 und 26, 339). 264 P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. II, Stuttgart 21958, 13. 265 P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. V, Stuttgart 1964, 183. 266 TILLICH, In der Tiefe ist Wahrheit (wie oben S. 666 Anm. 65), 122. 267 P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 312. 268 P. TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. XI, Stuttgart 1969, 138. Tillich findet darin einen Gott, der über dem Gott des Theismus ist (ebd.). Cf. auch: DERS., Das neue Sein. Religiöse Reden, 2. Folge, Stuttgart 31959, 129. O. Bayer hat das mit der These kritisiert: »Gott kommt, im Wort, zum Menschen als der, der ihm, im Wort, immer schon zuvorgekommen ist« (O. BAYER, Theologie, HST 1, Gütersloh 1994, 242). 269 Es sei daran erinnert, dass auch Augustin in den »Confessiones« betend zu Gott redet: »Tu eras …«. 270 G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. I, Tübingen 1979, 242. 263

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D. Sölle hat in ihrem farbigen Plädoyer für die Mystik, »Die Hinreise«, das augustinische Motiv im Zusammenhang mit Ps 139 zur Geltung gebracht.271 Durch viele Veröffentlichungen von E. Jüngel zieht sich die Bezugnahme auf Augustins Dictum hindurch. So hat er 1971 zu einem Satz K. Barths über die Menschlichkeit Gottes gesagt, er »ermöglicht … die tröstliche Gewißheit, daß auch der gottloseste und gottfernste Mensch Gott näher ist als sich selbst«, und das durch den andern, den Menschen geradezu definierenden Satz präzisiert, »daß Gott ihm näher ist als er sich selbst«.272 Im selben Jahr wird das christologisch gewendet und damit gleichsam Augustins religiöse Erfahrung von Jesus her begründet: »Jesus, so wird man sagen dürfen, war sich der Nähe Gottes gewisser als seiner selbst«.273 Im Zusammenhang mit seinem theologischen Verständnis der Gleichnisse Jesu274 überträgt Jüngel den Gedanken auf das von Jesus verkündete Reich Gottes: »In der Pointe des Gleichnisses kommt die Gottesherrschaft dem Hörer in einer unüberbietbaren Weise nahe. Am Ende ist sie mir sogar näher, als ich mir selbst bin«; hier bleibe der Hörer eben nicht sich selbst der Nächste, sondern »Gott kommt ihm näher: deus interior intimo meo«.275 An einer anderen Stelle seines systematischen Hauptwerkes bringt Jüngel die augustinische Doppelaussage (superior, interior) gegen Feuerbachs Anthropologieverdacht in Stellung.276 Zum Thema der Gottesgewissheit wird Augustin ebenfalls wichtig: »In Jesus Christus ist der weltüberlegene Gott der Welt näher gekommen, ist … der Menschheit näher gekommen, als sie sich selber nahe zu sein vermag« (1979).277 Auch im Zusammenhang mit der Theologie Luthers hat Jüngel sich wiederholt auf das Motiv bezogen, so in seiner Interpretation der Freiheitsschrift Luthers278 und in seinem Rechtfertigungsbuch.279 In ähnlichem Zusammenhang bezieht er sich zustimmend auf Augustins religiöse Erfahrung und überaus treffende Aussage in seiner Stellungnahme zur ersten Enzyklika von 271

D. SÖLLE, Die Hinreise, Stuttgart 1975, 159. E. JÜNGEL, Barth-Studien, Gütersloh 1982, 346. Cf. ähnlich Tillich oben bei Anm. 266. 273 E. JÜNGEL, Tod, GTBS 339, Gütersloh 1979, 129. 274 Cf. auch: »Jesus ließ sich Gott näher kommen, als er sich selbst nahe war« (E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 490). Hier soll der Vollzugscharakter von Gottes Sein bei Jesus unterstrichen werden. 275 JÜNGEL, a.a.O., 404. In Anm. 26 weist Jüngel selber präzisierend auf Augustin, Tillich, M. Buber und J. Calvin hin (a.a.O. 404f). 276 Cf. a.a.O. 467. 277 E. JÜNGEL, Entsprechungen. Gott – Wahrheit – Mensch, München 21986, 258, zur Auslegung cf. 259f und 264 (im Wort des Evangeliums unüberbietbar nahe). Auch für Jüngel gilt: »Wo Gott interior intimo meo ist, da ist er so in mir, daß ich außer mir bin« (260). 278 E. JÜNGEL, Zur Freiheit eines Christenmenschen, München 1978, 31991, 26f.97. 279 E. JÜNGEL, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen 1998, 167 und 181. 272

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Papst Benedikt XVI. »Deus caritas est«, die unter dem Titel »Caritas fide formata« 2006 erschienen ist.280 Dort war unter Nr. 17 (S. 26 der deutschen Fassung) Augustins Doppelformel angeführt worden. Auch bei Schülern Jüngels gibt es Echos auf Augustin; so schreibt H. Weder vom mich ansprechenden Wort Gottes, es überwinde sozusagen die Distanz zwischen mir und mir: »Auf diese Weise bringt es mich mir selbst näher, als ich mir in all den Versuchen, ich selbst zu werden, kommen könnte. … es macht erst wahr, daß ich mir selbst der Nächste bin«.281 Ebenso greift auch I. U. Dalferth das Motiv gelegentlich auf: »Gott [kann] allem übrigen näher sein … als dieses sich selber«.282 Natürlich findet sich der Augustin-Bezug auch in der katholischen Theologie. Erwähnt wurde schon das Zitat in der päpstlichen Enzyklika von 2006;283 aber J. Ratzinger hat sich schon früher auf dies Motiv bezogen284 und dann wieder in seiner Jesus-Darstellung.285 Bei G. Greshake liest man, dass »Gott selbst nicht in einer fernen Region abseits der Welt …, sondern ihr ›interior intimo suo‹ … ist«.286 Schließlich hat das Motiv anonym auch Eingang in eine evangelische, kirchenamtliche Verlautbarung gefunden; dort wird das Motiv der innerlichen Erfahrbarkeit Gottes angesprochen, der uns sogar näher kommt als wir uns selbst.287 Ganz zum Schluss dieser Auflistung von Echos auf Augustins ingeniöse Formulierung soll hier auch ein eher banales Vorkommen nicht unterdrückt werden. Auf einem Autoaufkleber konnte man 1995 lesen: »Gott ist dir näher als meine Stoßstange«; das ist offensichtlich ein frommer Versuch, sogar im Alltagsverkehr auf den Allgegenwärtigen aufmerksam zu machen.

280

BENEDIKT XVI., Caritas fide formata, in: J. H. Tück (Hg.), Der Theologenpapst. Eine kritische Würdigung Benedikts XVI., Freiburg 2013, 39 = Orden pour le mérite 35. Band (2006–2007), Sonderdruck o.J., 10f. 281 H. WEDER, Neutestamentliche Hermeneutik, Zürich 1986, 216. Cf. oben bei Anm. 277. 282 I. U. DALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte, Tübingen 1994, 171. Cf. in: H.-J. Eckstein/M. Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 42010, 308 und ZThK 95 (1998), 408. 283 S. o. bei Anm. 280. 284 J. RATZINGER, Einführung in das Christentum, München 51968, 199 und 251. 285 J. RATZINGER, Jesus von Nazareth, Bd. I, Freiburg 22007, 51. 286 G. GRESHAKE, Zur Frage nach dem »Jenseits«, in: ders. (Hg.), Ungewisses Jenseits?, Düsseldorf 1986, 7–15, hier 8. 287 Kirchenamt der EKD/Geschäftsstelle der VEF (Hgg.), Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert, Hannover 1999, 27 (1.4.1.) (EKD-Texte Nr. 64).

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7. Auch die neuzeitliche Philosophie nimmt das augustinische Motiv immer wieder auf bzw. lässt es anklingen. So 1630 schon G. Gibieuf: Er schreibt von der »divinité«, sie sei »intimior intimo nostro«,288 und Nicolas de Malebranche bezieht sich ebenfalls, wie zu erwarten, darauf.289 Bei I. Kant wird, eine paradoxe Zuspitzung vermeidend, die göttliche Omnipräsenz so definiert: »die innigste Gegenwart;290 d. h., Gott erhält das Substanziale, das Innere der Substanzen selbst. Denn ebendas ist zu ihrer Fortdauer nothwendig, und ohne dass diese Innere und wesentliche Substanziale der Dinge in der Welt selbst von Gott unaufhörlich actuirt würde, müßten die Dinge aufhörn zu seyn«.291 Offensichtlich wird hier die thomasische Lehre vom intimum des Seins selbst substanzontologisch fortgeschrieben. Ein leiser Anklang, und sicher nicht bewusst, findet sich bei Caroline v. Humboldt in einem Liebesbrief an Wilhelm: »Näher als ich mir meine Seele fühle, fühl ich Dich, Du Unaussprechlicher, in dem inneren Leben und Weben meines Geistes«;292 die religiöse Färbung dieser Liebesphilosophie ist auch sonst im Briefwechsel der beiden zu beobachten. Mit ausdrücklichem Verweis auf Augustin und Malebranche zitiert L. Feuerbach frei: »Gott … ist uns näher als wir uns selbst. Gott ist enger mit uns verbunden als der Leib mit der Seele, als wir mit uns selbst«; so ist er »ein intimer, ja der allerintimste, der allernächste Gegenstand«.293 Näher als die Seele dem Leib, das erinnert an Luther. Einen erstaunlichen Beleg für das undurchschaute (indirekte) Weiterwirken des Topos bei jemandem, der nur sein eigenes religiöses Empfinden persönlich zum Ausdruck bringen will, hat W. James nachgewiesen: »Gott umgibt mich wie die physische Atmosphäre. Er ist mir näher als mein eigener Atem. In ihm lebe ich im wahrsten Sinne des Wortes, und in ihm habe ich mein Wesen.«294 An anderer Stelle zitiert James einen Vertreter des Mindcure-Denkens: »Dem Ego kommt nach und nach zum Bewußtsein, daß es der 288

G. GIBIEUF, De libertate Dei et creaturae, Paris 1630, 130. N. DE MALEBRANCHE, Entretiens sur la mort, in: ders., Œuvres complètes, Bd. XIII, Paris 31984, 401 und DERS., Réponse à la 3e lettre de M. Arnauld touchant les idées et les plaisirs, in: a.a.O., Bd. VI, Paris 1978, 93. 290 Das ist die »intima praesentia« der Schulphilosophie. 291 I. KANT, Pölitzsche Religionslehre (ca. 1783/84), in: Kant-AA 28, 1106. Cf. L. KREIMENDAHL, Kants Kolleg über Rationaltheologie. Fragmente einer bislang unbekannten Vorlesungsnachschrift, Kant-Studien 79 (1988), 318–328. 292 Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von A. v. Sydow, Bd. I, Berlin 1906, 247. 293 L. FEUERBACH, Das Wesen des Christentums (1841), in: Werke in sechs Bänden (Theorie-Werkausgabe), hg. von E. Thies, Bd. V, Frankfurt 1976, 30 (»Das Wesen der Religion im Allgemeinen«). 294 W. JAMES, Die Vielfalt religiöser Erfahrung, hg. von E. Herms, Olten 1979, 81 (aus der handschriftlichen Sammlung von Prof. Edwin M. Starbuck, Stanford University). 289

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göttlichen Gegenwart von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht; jenem mächtigen, heilenden, liebenden, väterlichen Leben, das uns näher ist, als wir uns selber sind«.295 Blickt man in die Philosophie des 20. Jahrhunderts, so wird das Motiv auch bei Denkern in jüdischer Tradition rezipiert. M. Buber schreibt: »Gewiß ist Gott ›das ganz Andere‹; aber er ist auch das ganz Selbe: das ganz Gegenwärtige. … er ist auch das Geheimnis des Selbstverständlichen, das mir näher ist als mein Ich.«296 Der Topos war Buber spätestens seit seiner Herausgabe der »Ekstatischen Konfessionen« (1909) bekannt297 und kommt auch in der jüdischen Mystik schon vor.298 Mit Bezug auf die Mystik des »NU« schreibt E. Bloch: »das letzte Jenseits ist unser nächstes Diesseits, unsere immanenteste Nähe« und resümiert als eine der Formeln »berührten Fürsichseins«: »intimum, summum, apex mentis bei Richard von St. Viktor«.299 Mit Bezug auf Schellings Spätphilosophie hat W. Schulz dargelegt, hier sei Gott der Vernunft näher, als sie sich selbst zu sein vermöge, nämlich als deren uneinholbare Bewegtheit.300 Auch in der französischen Philosophie taucht das Motiv auf; bei M. Merleau-Ponty gewinnt es die Form der hypothetischen Erwähnung »eines mir selbst noch innerlicheren Ich als ich selbst«;301 auch J. Derrida berührt es im Vorübergehn.302

295

A.a.O. 122 (HENRY WOOD, Ideal Suggestion through Mental Photography; S. 70). M. BUBER, Ich und Du (1923), in: ders., Das dialogische Prinzip, Heidelberg 41979, 80 (a.a.O. 83 ist von coincidentia oppositorum die Rede) = ders., Werke, Bd. I, München 1962, 131. 297 Cf. a.a.O. XXI (Bernhard von Clairveaux). Hier werden auch Dsalal-ed-Din-Rumi (»Einen suche ich, Einen kenne ich, … Er ist der Erste, Er ist der Letzte, Er ist der Äusserste, Er ist der Innerste«; a.a.O. 30) und Juliana von Norwich (1773; »Gott ist uns viel näher als unsere eigene Seele, denn er ist der Grund, in dem unsere Seele steht«; a.a.O. 130). 298 Cf. z. B. (vom Gebet): »Findest du einen Gott, der dir näher wäre als dieser?! Ja, nah ist er seinen Geschöpfen, wie der Mund dem Ohr« (j. Berachot 56a und Dewarim Rabba II,6, zitiert nach: N. N. GLATZER [Hg.], Gespräche der Weisen, Berlin 1935, 37f). G. Scholem zitiert aus einem kabbalistischen Traktat (zu Dtn 7,21): »denn der Herr dein Gott ist mitten in dir [sc. als Einzelnem]« (G. SCHOLEM, Die jüdische Mystik, stw 330, Frankfurt 1980, 119). 299 E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Bd. III, Frankfurt 1967, 1534 und 1536. 300 W. SCHULZ, Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 21975, 80.242ff und 326–328. Cf. dazu M. D. KRÜGER, Vernunftkritik, Gottesgedanke und Zeiterlebnis, in: R. Langthaler/M. Hofer (Hgg.), Michael Theunissen = WJPF 43 (2011), 83–112, hier 86. 301 M. MERLEAU-PONTY, Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966, 337. 302 J. DERRIDA, Den Tod geben, zitiert in: A. Haverkamp (Hg.), Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida – Benjamin, Frankfurt 1994, 434. 296

§ 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende

699

Es seien hier auch zwei religionsphilosophische Erwähnungen festgehalten. Der japanische Denker der Kyoto-Schule, Keji Nishitani, spricht von dem Gott, der »absolut transzendent« und als solcher »absolut immanent« ist, und erläutert die letzte Bestimmung an dem Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts, die er – gegen die thomasische Tradition von der Intimität des Seins in allem Seienden – so erläutert: »daß dieses ›Nichts‹ dem Sein jenes [geschaffenen] Dings immanent ist – weit mehr immanent, als das ›Sein‹ dieses Dings ihm selbst immanent ist«.303 R. Panikkar hat den wenig überzeugenden Versuch unternommen, Augustins (inkorrekt wiedergegebenes) intimior intimo meo durch ein intimissimum zu überbieten, und überhaupt die Rede von einer Immanenz des transzendenten Gottes in einer Weise kritisiert, die wenig Verständnis verrät.304 H. Blumenberg hat 1957 in seiner berühmten Abhandlung »Licht als Metapher der Wahrheit« den augustinischen Topos im Anschluss an Bonaventura aufgegriffen305 und Gottes Licht-Gegenwart im Subjekt mit dessen Wahrheitsbezug in Zusammenhang gebracht: »Das Licht geht über und wird eins mit dem Identitätsgrund des Subjekts selbst; so ist Gott secundem veritatem in anima, aber nicht als deren Gegenstand oder Idee, sondern als ihre Wahrheitsfähigkeit selbst und insofern intimior animae quam ipsa sibi«; dies sei die »kühnste Formel der Verinnerlichung der illuminatio«.306 In seinem Werk »Sphären«, das auch die sphaera intelligibilis ausführlich behandelt,307 hat P. Sloterdijk das augustinische Motiv im 8. Kapitel: »Mir näher als ich selbst« als eine »Theologische Vorschule zur Theorie des gemeinsamen Innen« intensiv zum Thema gemacht.308 8. Schaut man sich bei den Dichtern und Schriftstellern um, so fehlen auch hier die Echos auf die augustinische Formel nicht. So heißt in einem Gedicht Michelangelos: »O Dio, o Dio; o Dio, / Chi m’ha tolto a me stesso, / Ch’a me fusse più presso / O più di me potessi, che poss’io?«309 303

K. NISHITANI, Was ist Religion?, Frankfurt 21986, 90; cf. zur Allgegenwart und zu Augustinus (Conf. XI 4,6) a.a.O. 88, zu Meister Eckhart 162 und 241, zur sphaera intelligibilis 236 und 394, 304 R. PANIKKAR, Trinität. Über das Zentrum menschlicher Erfahrung, München 1993, 58f. 305 Dazu s. o. 2. 306 H. BLUMENBERG, Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. von A. Haverkamp, stw 1513, Frankfurt 2001, 165. Blumenberg bezieht sich auf Bonaventura, I Sent., dist. 1, a. 3, q. 2 concl. Außerdem verweist er auf Luthers worttheologische Wendung des Motivs (a.a.O. Anm. 79); dazu s. o. § 12 E. 3. (S. 680ff). 307 S. o. Exkurs VII (S. 332ff). 308 P. SLOTERDIJK, Sphären, Bd. I, Frankfurt 1998, 549–631. 309 »O Gott, o Gott; o Gott! / Wer hat mich mir selber weggenommen, / Ist näher mir gekommen, als ich es kann?« (zitiert bei J. Ortega y Gasset, Gesammelte Werke, Stuttgart 1978, Bd. I, 371; ders., Come può esser ch’io sia non più mio, in: Michelangelo Poeta, hg. von F. Rizzi, Mailand 1924, 25f [Madrigal VI]).

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Zweiter Teil, Kapitel III, Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht

Auch der protestantische Lieddichter G. Tersteegen weiß: »Gott ist uns näher als unsere eigene Seele uns sein kann, Gott, in dem wir leben, schweben und sind [Act 17,28], dessen Augen unaufhörlich, Tag und Nacht, auf uns gerichtet und über uns offen stehen.«310 Hier verbindet sich Gottes Allgegenwart zwanglos mit seiner Allwissenheit.311 Von dieser heißt es bei F. G. Klopstock, unsere menschliche Selbsterkenntnis begrenzend: »Und Wer ist kühn genug zu wähnen: Er kenne, / Wie Gott ihn kennet, sich? Auch selber Der, / Den Stolz nicht hebt und nicht Verzweiflung stürzt, / Kennt sich nicht genug, verkennt sich weniger nur!«312 F. Hölderlin betont die göttliche Nähe, ohne freilich die augustinische Überbietung nachzuvollziehen, und so mit leicht pantheistischem Klang: »Den Einen, dem wir huldigen, nennen wir nicht, ob er gleich uns nah ist, wie wir uns selbst sind, wir sprechen ihn nicht aus.«313 Vom (lesenden) Dichter selber heißt es bei R. M. Rilke: »Aber dort weiltest du und warst gebückt, wo unser Geschehen kocht und sich niederschlägt und die Farbe verändert, innen. Innerer als dort, wo je einer war«.314 Von dem polnischen Dichter Zbigniew Bienkowski gibt es ein Gedicht, in dem die Verse stehen: »Du wohnst dort, wo niemand außer dir hinkommt, in meiner Träne. / Nah, näher als die nächsten Worte, die ich nicht erraten kann. / So nah, wie ich dir nah sein möchte. / … / Du bist mir so nah, daß du näher bist als die Nacht dem Tag / und das Licht dem Schatten.«315 Hier wird der traditionelle Topos lyrisch umspielt. In charakteristischer Umkehrung des religiösen Sinns, den es bei Augustinus hat, zur rein anthropologischen Bestimmung notiert P. Valéry: »›Mein Körper‹ ist mir ebenso fremd wie ein beliebiger Gegenstand – … und ist mir gleichwohl innerlicher, ist mir vorrangiger und ursprünglicher ICH als jeglicher Gedanke«.316 Ferne und Nähe zu sich werden hier in phänomenologischer Reduktion vom Gottesverhältnis auf das leibhaft/körperliche Selbstverhältnis des Menschen übertragen. Vom einen Schöpfer des Alls lässt Th. Mann Josef zum Pharao sagen: »Ist nicht etwas in mir von dem, wofür alles Seiende zeugt, vom Sein des Seins, das größer ist als seine Werke, und ist außer ihnen? Es ist außer der Welt, und ist es der Raum der Welt, so ist doch die Welt nicht sein Raum. Fern ist

310

G. TERSTEEGEN, Gesammelte Schriften, Bd. VIII, Stuttgart 1845, 222f. Zu Tersteegen siehe schon oben § 12 A. 2. (S. 661 Anm. 34). 312 F. G. KLOPSTOCK, Salomo. Ein Trauerspiel. V, 7. 313 F. HÖLDERLIN, Hyperions Jugend (1795), Fünftes Kapitel, in: ders., KlStA 3, 237. Cf aber den Anfang der Patmos-Hymne, zitiert oben § 12 A. 1.2. (S. 656 Anm. 12). 314 R. M. RILKE, Sämtliche Werke, hg. von E. Zinn, Bd. VI, Frankfurt 1966, 784. 315 Z. BIENKOWSKI, In deinem Namen 2 (1913), in: Polnische Poesie, hg. von K. Dedecius, dtv 535, München 1968, 101. 316 P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. III, Frankfurt 1989, 330. 311

§ 12 Der Allgegenwärtige und Allwissende

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die Sonne, … und ihre Strahlen sind doch bei uns. Der ihr aber die Wege wies, ist ferner als fern und doch nah in demselben Maß – näher als nah«.317 Um einer Verwechslung bürgerlicher »Interieurs« mit Intimität zu wehren, bezieht sich W. v. Niebelschütz präzis auf die grammatische Form des augustinischen Dictums, ohne den Kirchenvater selber zu nennen: »ließen uns vergessen, was wir im unbürgerlichen Barock noch wußten: daß, wie der lateinische Superlativ intimus es ausdrückt, nur das Innerste intim ist, während das Innere, interior, einen Komparativ darstellt, wo die Gegensätze sich ergänzen«.318 Dabei kommt freilich nicht mehr deutlich zur Geltung, dass der Komparativ Augustins das Innerste an Intimität gerade überbietet. Bei H. Laxness, der mit katholischer Theologie vertraut war, bezieht sich eine Romanfigur als Laie auf die augustinische Tradition und wagt »im Namen seines Lehrers«, der Gott selber ist, von diesem zu sagen: »der auf den Erden der Spiralnebel wohnt und uns dennoch näher ist, als wir uns selber sind, und von dort mit den Augen der Allweisheit und Allherrschaft auf alles herniedersieht, was in der Zeit geschieht«.319 Der schon zitierte Koran-Vers (50,15) von Gott, der einem näher ist als die Halsschlagader,320 wird von Arnold Stadler in einem Roman zitiert;321 auch von hier aus eröffnet sich der Blick auf ein eigenes Metaphernspiel.322 Der französisch-schweizerische Dichter und Essayist Philippe Jaccottet kommt ebenso Einsichten Luthers, was das Wort, wie solchen von Hegel nahe, was das Verhältnis von sog. Innen und sog. Außen betrifft, wenn er in seinen Aphorismen schreibt:

317

TH. MANN, Joseph und seine Brüder (Frankfurter Ausgabe) IV Joseph der Ernährer (1983), 197. Cf. dazu schon oben § 12 (S. 678 Anm. 150). Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich M. Ohst. 318 W. V. NIEBELSCHÜTZ, Freies Spiel des Geistes. Reden und Essais, Düsseldorf 1961, 576. 319 H. LAXNESS, Am Gletscher (1968), Kap. 35, in: ders., Werkausgabe, hg. von H. Seelow, Bd. II, Göttingen 2002, 133. 320 S. o. § 12 E. 2. (S. 677 Anm. 142). 321 A. STADLER, Ein hinreissender Schrotthändler, Köln 1999, 224. 322 So zitiert J.-J. Rousseau als Motto zum Ersten Buch seiner »Confessions« – selber ein Echo auf Augustins Titel – aus Persius: »Intus, et in cute« (Persius, Sat. III 30), das er zu Beginn des Zweiten Teils wiederholt und das vollständig lautet: »Ego te intus et in cute novi«. Rousseau suggeriert damit eine vorbehaltlose Selbsterkenntnis. Ein unter die sichtbare Oberfläche eindringendes Sehen dessen, was sich unter der Haut des Andern verbirgt, sprach sich, wie mit einem Röntgenauge ausgestattet, G. Benn selber zu: den subkutanen »dunklen Kreis der organischen Belange, wo die logischen Systeme vergehn« (so zitiert von F. W. Oelze, in: Gottfried Benn, Briefe an F. W. Oelze 1932–1945, Bd. I, Frankfurt 1979, 9). Cf. G. BENN, Gesammelte Werke in vier Bänden, hg. von D. Wellershoff, Bd. I, Stuttgart 41977, 77 und 76.

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Zweiter Teil, Kapitel III, Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht

Das Innere aber, das wir dem Außen entgegenstellen (so wenn wir zum Beispiel von Innenleben sprechen), ist gar nichts Inneres, auch nichts Äußeres; oder besser, es ist nur in einem gewissen Sinne innen: wie ausgesandte oder empfangene Wellen zirkuliert es und materialisiert sich, wenn es auf das Außen stößt. Deus interior intimo meo, Gott mir innerlicher als ich selbst, absolut innen, absolut nicht draußen. Gott, Innen des Worts, Atem. Wer das Wort handhabt, ist Gott näher, … weil es den Atem trägt … Das Wort: durchlässig, offen für den Atem.323

323

PH. JACCOTTET, Der Unwissende. Gedichte und Prosa, München 2003, 36 (1961). Der Zusammenhang von Wort und Atem verweist auf den Begriff des Geistes (s. u. § 13).

§ 13 Der Geist Gottes Geistsein ist seine sich selbst beim Menschen in der Begegnung mit Jesus hervorbringende lebendige Gegenwart und so seine eigene schöpferische, personal vermittelte und freie Einheit mit uns in unserem Wissen von ihm.

A. Einleitung: Der Herr und der Geist (Zum Verhältnis von § 13 und § 14) Mit diesen letzten beiden Paragraphen wird das III. Kapitel dieser Gotteslehre über das »konkrete Sein Gottes« zum Abschluss gebracht. Es geht im vorliegenden § 13 noch nicht explizit um das Thema des Hl. Geistes als dritter Person der Trinität – dort wird der Geist als innergöttliche Instanz im »absoluten Sein« Gottes erörtert –, sondern um Gott selber in der Wirklichkeit seines Wesens, sofern sie überhaupt geisthaft ist. Geist wird hier zum Thema gemacht, sofern er der umfassendste Begriff für das konkrete Wesen Gottes ist und aussagt, was er überhaupt und im Ganzen ist: Geist, absoluter Geist.1 Ein solcher Begriff von Gott kann letztlich, d. h. absolut gefasst, nur als trinitarischer Begriff konzipiert werden,2 und er führt auf diesen auch hin, aber zunächst ist er für sich zu erörtern. Ein Grund dafür ist, dass die Rede von Gott als an sich Geist zunächst im Zusammenhang mit Gottes Herrsein zu entfalten ist.3 1. Zum Ausgangspunkt der Verhältnisbestimmung beider konkreten Letztbegriffe für das Wesen Gottes kann 2Kor 3,17a dienen: ὁ δὲ κύριος τὸ πνεῦµά ἐστιν.4 Demnach ist, liest man den Satz in doppelter Richtung (spekulativ), zu sagen: Wenn der Geist der Herr ist, so ist er als Geist die bestimmende Wahrheit aller Wirklichkeit, und wenn der Herr selber Geist ist, so ist er allbeherrschend als die Macht ewigen Lebens und der Liebe (§ 11). 1

Darin vollendet sich die hier gewählte Form der sog. Eigenschaftslehre. S. u. § 15 I. (S. 782ff). 3 Dazu s. u. § 14 C. (S. 758ff). 4 »Dominus autem spiritus est«. Der paulinische Vers bezieht sich zwar unmittelbar auf Christus, gilt aber von ihm nur in Einheit mit Gott selber: dem κύριος schlechthin. Zum Verhältnis des christlichen Geistbegriffs zu Jesus s. u. E. 4. (S. 743ff). 2

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Zweiter Teil, Kapitel III, Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht

In beiden Leitbegriffen kehrt hier die grundlegende Unterscheidung von Gott als dem Lebendigen und dem Allmächtigen wieder (§§ 4 und 5). Ist die Grundbewegung des göttlichen Seins die von (als Gott) Aus-sich-Herausgehen und ewigem In-sich-Zurückkehren (Gott bleiben), so entspricht dem ersten Gottes Geist-Sein, dem zweiten sein Herr-Sein – in der Einheit seines allmächtigen Lebens. Überhaupt muss man sagen: Geist ist die absolut potenzierte Form von Leben überhaupt.5 In den Begriffen von Gott als Herr und Geist verdichten sich konkret alle seine bisherigen Wesensbestimmungen. So entspricht primär das Herr-Sein Gottes Sein als der Eine (§ 3 B. und C.) und seiner Allwirksamkeit als der Schöpfer (§ 8), der indes zugleich allmächtige Liebe (§ 11) ist. Seinem GeistSein entsprechen primär Gottes Selbstsein als Persönlicher Gott (§ 3 D. und E.) und seine Fähigkeit zur Selbstherablassung (§ 6). Als der Schöpfer ist Gott Herr und Geist, als der Ewige Geist (aus der Zeit zu sich kommend) und Herr (bei sich selber). Ebenso ist Gott als der Offenbare (§ 10) Geist (weil mit seinem Geist bei uns) und auch er Herr (weil seine Schöpfung eschatologisch vollendend). Insbesondere in den Begriffen von Gottes Allgegenwart und Allwissenheit (§ 12) kommt das lebendige Geist-Sein Gottes zum Ausdruck.6 2. Gott zugleich als den Herrn und den Geist zu denken, bringt eine existenziale Spannung zum Ausdruck,7 die in unserm menschlichen Gottesverhältnis irdisch nicht auflösbar ist.8 Denn wir haben es mit Gott selber als dem zu tun, der sich gegenwärtig zu uns verhält, uns persönlich nahekommt 5

S. u. B. 3. (S. 711ff). Die lebendige Allgegenwart kann von Gott nur ausgesagt werden, wenn er als Geist (und z. B. nicht als das »Sein« oder ein »Höchstes Wesen«) begriffen wird. Für seine Allwissenheit versteht sich das ohnehin (s. o. § 12). 7 E. Hirsch hat die doppelte Rede von Gott als dem Herrn und dem Geist als die nur in einem leidenschaftlichen, persönlichen Gottesverhältnis zu durchlebende »Antinomie der Religion« gedeutet (E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, 86–89 [§ 54]); cf. zum Herr-Sein und Geist-Sein Gottes insbesondere Abschnitt B. (a.a.O. 87f). Diese Antithetik, in der der allbedingende Gott zwar als ein unergründliches Geheimnis, jedoch zugleich als ein »gleichsam sprechendes Geheimnis« erfahren wird (a.a.O. 87), gründet in der doppelten, jede rationale Eindeutigkeit sprengenden Paradoxie, dass hier der unendliche Gott und das endliche, bedingte Selbst »als Glieder einer Beziehung, Partner eines Verhältnisses einander begegnen« und dass – ebenso paradox – das Bedingte »im Nein und im Ja zum Allbedingenden sich zu verhalten vermag« (a.a.O. 86). Die oben im Text folgende Erläuterung ist den Ausführungen Hirschs (a.a.O.) verpflichtet. 8 Nach Luther löst sich die Spannung zwischen dem Deus praedicatus und dem Deus absconditus in unserer endlichen Gotteserfahrung allererst eschatologisch im »lumen gloriae« auf (WA 18, 785,16f). Weil dann gelten wird: »Tunc dicetur ›deus meus‹ in re, quod nunc in spe dicitur« (WA 5, 129,6f), wird im Eschaton die jetzt immer noch futurische Aussage Gottes: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14) sich endgültig in absoluter Selbstgegenwart erfüllen: »Ich bin, der ich bin.« 6

§ 13 Der Geist

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und dabei doch immer Gott bleibt, bzw. der uns näher ist als wir selber9 und zugleich der in aller Vertrautheit unerreichbar Ferne und Fremde ist.10 Beides gehört um der Wahrheit des Gottesbegriffs in unserem Verhältnis zu Gott selber untrennbar zusammen: dass Gott einerseits der Herr ist, d. h. der Alleinwirksame (Luther) und so immer auch schlechthin Verborgene (deus absconditus),11 der unser Leben in endlicher Immanenz und unser Denken über ihn aufbricht und eine unübersteigbare Grenze unserer Selbstgewissheit und Freiheit markiert.12 Sodann ist wahrzunehmen, dass Gott selbst Geist ist und sein Sein geisthaft. Als der, der Geist ist, ist Gott uns und sind wir ihm innerlich verwandt (Gen 1,27) und sind wir in ihm auch bei uns selbst und erst wahrhaft frei wir selbst. Er ist uns als der Offenbare auch innerlich erschlossen. Unser Gottesverhältnis ist geisthaft verfasst – und nicht nur unbestimmt »geistig« –, denn Gott wendet sich personhaft an unsern Sinn und Geist, und dies insbesondere im Wort, also sprachlich, als von sich frei überzeugende Macht, und dies insbesondere im Gewissen. So kommt er uns nahe: als die schöpferische Tiefe unseres Lebens und Denkens – der Grund unserer Freiheit und Selbstgewissheit. So ist Gott als Geist beides selber für uns: die geisthafte Wahrheit (das Absolute)13 und die geisthafte Liebe (im persönlichen Verhältnis).14

9

Cf. oben § 12 E. 2. (S. 677ff). Dass der allwirksame Schöpfer für uns zugleich Grund und Grenze unseres Seins ist, sind sich gegenseitig erklärende Wechselaussagen. Ihnen liegt die Existenzialdialektik zugrunde, dass wir im Schöpfungsglauben uns selber gerade in einer Grenzerfahrung, gleichsam negativ, begründen und dass der absolute Grund unseres Seins sich nur in unserer Abhängigkeit von ihm, also unserm In-uns-selber-unbegründet-Sein, kundgibt (cf. oben § 8). 11 Nach dem oben in § 10 B. 1.2. (S. 563ff) Ausgeführten handelt es sich bei dem allmächtigen Deus absconditus (im Sinne Luthers) um einen korrektiven Grenzgedanken der Gotteslehre: um Gott, wie er anonym außerhalb des christlichen Glaubens erfahren wird. Dieser Gedanke reflektiert mithin die Situation des irdischen Menschen in der Zeit. Für Luther steht aber an sich außer Frage, dass auch das Heilswerk des Deus revelatus das Wirken von Gottes schöpferischer Allmacht ist. Demgemäß setzt Luther fraglos die Einheit von Deus absconditus und Deus revelatus voraus, die sich im Eschaton auch für uns als solche erweisen wird (s. o. Anm. 8). Dann und dort wird auch für uns offenbar sein, dass auch das undurchschaubare Wirken des Deus absconditus nur der alles vollendenden Herrlichkeit des Gottes, der Liebe ist, gedient hat. 12 Näheres zum Herr-Sein Gottes s. u. § 14. 13 Ohne sein Geist-Sein überfremdeten das Gottesbild sinnzerstörende, dämonische Züge. 14 Ohne das Herr-Sein wäre Gott als Geist eine leere Idealität und von bloßer Verklärung des Menschlichen nicht zu unterscheiden (der Gott der »Bildungsreligion«) oder das abstrakt Eine (der Gott unpersönlicher Mystik). 10

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Zweiter Teil, Kapitel III, Zweite Hälfte: Lebendige Allmacht

B. Philosophische Propädeutik Eine theologische Gotteslehre, die das Geist-Sein Gottes begreifen will, kann vorab auf eine philosophische Verständigung über den Begriff des Geistes, so schwierig sie sein mag, nicht verzichten. Das gilt zum einen systematisch bzw. hermeneutisch: »Nur dann kann vom heiligen Geist sinnvoll gesprochen werden, wenn dies nicht die einzige Weise ist, wie das Wort Geist vorkommt, und wenn das Verhältnis zu anderen Weisen, vom Geist zu reden, im Blick ist«.15 Denn nur so kann die Sachgemäßheit und Notwendigkeit dieses Begriffs auch in einer theologischen Pneumatologie verständlich gemacht werden.16 Somit ist für die Lehre von Gott als Geist bzw. von seinem Geist die Spannung zweier Pole konstitutiv: Sie enthält, um sachgemäß zu sein, sowohl ein allgemein-anthropologisches wie auch ein theologisch-christologisches Moment, ohne dass doch das eine einfach vom anderen abhängig wäre.17 Zum andern ist die philosophische Perspektive auf ein Konzept von »Geist« aus historischen Gründen unverzichtbar, weil der Paulinismus, was die Begriffe Geist, Freiheit und Liebe angeht, eine wirkungsgeschichtliche Macht im abendländischen Denken entbunden hat,18 die auch in der Philosophie bis heute nachwirkt. Dabei kann aber der paulinische (oder auch johanneische) Geistbegriff unter den Bedingungen neuzeitlichen Denkens nicht einfach nur wiederholt werden, sondern es sind bei seiner theologischen Exposition immer auch inzwischen geschichtlich hervorgetretene Problemdimensionen oder neuartige Sinnimplikationen von allgemein humaner Bedeutung mit zu berücksichtigen. 15 G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979, Bd. III, 90. Ähnlich P. Tillich: »Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Symbol ›Heiliger Geist‹ wenigstens zum Teil deswegen aus dem lebendigen Bewußtsein der Christenheit verschwunden ist, weil man nicht mehr versteht, was menschlicher Geist ist« (P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, 33). 16 Cf. EBELING, a.a.O. 61. Anders K. Barth: s. u. 3.6.2. (S. 721ff). 17 Als Paulus in Ephesos auf einige christliche Jünger trifft und sie fragt, ob sie, als sie gläubig wurden, den Hl. Geist empfangen hätten, antworten sie erstaunlicherweise: »Wir haben noch nie gehört, dass es einen heiligen Geist (πνεῦµα ἅγιον) gibt« (Act 19,2). 18 Cf. dazu HIRSCH, Leitfaden (wie oben Anm. 7), 29 (§ 24, M. 3.). Entsprechend gilt vom Johannesevangelium: »Indem das vierte Evangelium den Begriff der Wahrheit aufnimmt …, macht es das Sichöffnen für die Reflexion des abendländischen Geistes zum unentrinnlichen Schicksal der christlichen Religion, und umgekehrt das Fragen nach der christlichen Erkenntnis vom Verhältnis Gottes zum Menschen zum unentrinnlichen Schicksal unsrer abendländischen Geistigkeit« (a.a.O. 36 [§ 29, M. 2.]). Andererseits kann der johanneische Wahrheitsbegriff in seiner Eigenart auch nicht aus der biblischen Religion allein erläutert werden (cf. a.a.O. 35 [§ 35, M. 1.]). Hierbei ist auch überhaupt zu bedenken, dass es religionsgeschichtlich gesehen dem Christentum eigentümlich und wesentlich ist, in seinen heiligen Schriften selber Begriffe wie Wahrheit, Freiheit und Geist in Anspruch zu nehmen, was durchaus nicht für jede Religion zutrifft.

§ 13 Der Geist

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1. Ein philologischer Zugang Der bei dieser Thematik übliche Ausgang von der Etymologie der Ausdrücke: Pneuma, spiritus, Geist19 enthebt einen nicht der Notwendigkeit, diese Etymologie und den Sprachgebrauch selber sachlich zu begreifen: »So läßt sich vom Grundbegriff ›Geist‹ in der Philosophie vielleicht mehr erfahren als in einer immer geistlos bleibenden Aneinanderreihung dessen, was man … alles als ›Geist‹ bezeichnet hat«.20 Getreu dieser Maxime kann es am Anfang der Erörterung nicht darum gehen, in einer Definition apriori »Geist« in einem einzelnen Begriff zu umgrenzen oder zu fixieren, sondern der Gedanke muss sich offenhalten für die Vielfalt einschlägiger Phänomene, um an ihnen ihren Logos zu erheben und so zu begreifen, was Geist ist. Anders gesagt: Man muss die Phänomene, um die es hier zu tun ist, immer schon »mit Geist« auffassen und verstehen, weil es ohne das bei einer »geistlosen Aneinanderreihung« bleiben würde. In passender Übertragung geben genau das die bekannten Goethe’schen Verse zu denken: Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, Sucht erst den Geist herauszutreiben, Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das geistige Band.21 Demnach ist Geist nur als das »Band« seiner Teile, d. h. als das Ganze, das mehr ist als die Summe seiner eigenen Teile und an ihnen das ist, was sie in Wahrheit sein, und zwar als Teile sein, lässt.22 Entsprechend kann »Geist« nur in der synthetischen Leistung eines (ganzheitlichen) Begreifens überhaupt gefunden werden. Nur Geist erkennt mithin sich selber, gemäß der Erfahrung: »Das ist Geist von meinem Geist.« Geist »gibt« es allein als Geistes-Gegenwart: Er ist sich selbst gegenwärtig und nie irgendwo objektiv vorliegend. Wenn wir nicht hinzutreten und schöpferisch-geistig begreifen bzw. ihn denkend erfahren, ist der Geist nicht da.23 Dem übergegenständlichen Sein 19

Dazu kurz s. u. 2. H. BUCHNER, Art. Geist, in: HPhG 2 (1973), 539. Buchner orientiert sich im Folgenden exemplarisch an Hegel. 21 J. W. GOETHE, Faust. Erster Teil, Studierzimmer, V. 1936–1939. Über den Zusammenhang von Leben und Geist s. u. 3.2.–3.4. (S. 712ff). 22 Cf. Luther: »quia spiritualia habent hanc naturam, ut non possint dividi in diversa, sed diversos et divisos colligunt in unum« (WA 4, 401,3f). Von »Teilen« des Geistes ist hier nur uneigentlich zu reden; immerhin signalisiert diese Redeweise, dass zum Geist so etwas wie interne Differenz gehört. 23 Sofern der Geist das wahre »Innere« des äußerlich Erscheinenden ist, gilt auch hier die Feststellung Hegels: »Es zeigt sich, daß hinter dem sogenannten Vorhange, welcher das Innere verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahintergehen, ebenso sehr damit gesehen werde, als daß etwas dahinter sei, das gesehen werden kann« 20

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des Geistes entspricht ein Begreifen, in dem der Begreifende sich selber immer mit begreifen muss, um wirklich Geist zu begreifen und dessen lebendigen Begriff nicht zu verfehlen. Die hier gewählte Annäherung an ein philosophisches Konzept von Geist über eine dichterische Aussage (und im Folgenden über etymologische Hinweise), also über die Sprache, ist nicht zufällig oder ein bloßer Umweg, sondern hat mit der Sache selber zu tun, insofern Geist in der sprachlichen Opposition von »Buchstabe und Geist« zum Thema gemacht wird und die Sprache überhaupt als das »Dasein des Geistes« bzw. als »das geistigste Dasein des geistigen« (Hegel)24 verstanden werden kann.25 Strukturell haben Sprache und Geist auch gemeinsam, dass es bei ihnen um die Einheit von Vielfalt und Einheit geht. 2. Minima Etymologica 2.1. Bekanntermaßen beziehen sich die einschlägigen Begriffe für Geist in der Tradition (πνεῦµα, spiritus, x:Wr)26 auf das Phänomen von Luft in Bewegung (κίνησις ἀέρος) bzw. eingeatmeter Luft, also Atem, Hauch, Wind.27 Die sich hierbei stellende philosophische Frage lautet: Wie ist es zu verstehen, dass diese Ausdrücke zur (übertragenen) Bezeichnung des »Geist« genannten Sachverhaltes werden konnten? Ηauch, Wehen, Atem, Atmen28 bezeichnen eine reale Beweglichkeit, die, obzwar meist unsichtbar oder unbemerkt, doch an der von ihrer Kraft ausgehenden Wirkung erkennbar ist, obwohl man sie, ungreifbar, nicht festhalten kann.29 Real sind die Phänomene auch, weil sie als Luft oder Atem eine

(HEGEL, Werke 3, 135f). Ähnlich wie mit dem Geist verhält es sich mit Gott überhaupt, sofern Gott und Glaube »zuhauf« gehören (s. o. Prolegomena, § 4 [S. 60ff]). 24 HEGEL, Werke 3, 478 und 7, 315 (§ 164) u. ö. 25 Überhaupt ist der normale Sprachgebrauch des Terminus »Geist« durch philosophisches Begreifen schon mitbestimmt und geschichtlich jeweils umgeprägt. Gegen die rationalistische Verflachung zu einer bloßen »Geistigkeit« (im 19. Jahrhundert) hat R. Bultmann zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß bei Hegel und ihm folgend Baur Geist nicht eine über dem geschichtlichen Leben stehende, theoretische Betrachtung« sei, sondern ein Denken betreffe, »in dem das Leben selbst sich vollzieht« (BULTMANN, Zur Geschichte der Paulus-Forschung, ThR NF 1 [1929], 26–59, hier 36). 26 Das jeweilige Verb ist πνέω bzw. spirare. Verwandt sind auch Ausdrücke wie ψυχή und anima. Erinnert sei an Redewendungen wie »aushauchen«, »den Geist aufgeben« (animam reddere/tradere; cf. Joh 20,30). 27 Für die energiegeladene Bewegung der Luft (»Brausen«) cf. z. B. Joh 3,8 und Act 2,2. 28 Zu Wind und Atmung cf. Platon, Phaidon 112b; zur von außen kommenden Luft Seneca, zitiert HWP 3 (1974), 158f. 29 Über den Zusammenhang von Atem und Sprechen cf. W. V. HUMBOLDT, Über den Geist der Menschheit (wie unten Anm. 50), und Anm. 50.

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Leben begründende Funktion haben.30 Dabei geht es um den Austausch zwischen Außen und Innen, bei dem sich Materielles und Leben vermitteln, indem Empfangen und Hergeben sich durchdringen.31 Die so verstandene Lebendigkeit hat insofern etwas mit Geist zu tun, als es um die selbsttätige Teilhabe an einem allgemeinen, umgreifenden Medium geht, also die konstitutive Angewiesenheit auf und Öffnung für etwas Äußeres – als conditio sine qua non eigenen Lebens.32 Das Atmen ist als eine elementare Aneignung dieses notwendig von außen Kommenden die Aktualisierung dessen, was, zwar als bloß passive Möglichkeit vorgegeben, doch eigentlich erst ist, indem es selbsttätig ergriffen wird; das lebendige Subjekt realisiert sich beim Atmen vital als es selber: lebendig in der Einheit von Spontaneität und immer schon darin Sein. Leben ist nicht einseitig von sich aus zu erhalten oder festzuhalten, weil es nur in diesem Austausch »lebt«.33 Dergestalt ist der Geist wie die Luft zum Atmen etwas Allgemeines, d. h. das mit anderen Geteilte und Gemeinsame.34 Immer aber geht es dabei auch um den lebendigen Vollzug, in dem bzw. als der der Geist allererst aktuell und real da ist.35

30 Cf. im Neuen Testament ξῳοποιεῖν (1Kor 15,45; 2Kor 3,6). Übertragen nennt Kant den Geist »das belebende Princip im Gemüthe« (KANT, KU § 49, in: Kant-AA 5, 313,30f). Es geht um ein sich selbst erhaltendes und die eigenen Kräfte dazu stärkendes »Spiel« (a.a.O. 313,33f). 31 Für das anthropologische Geistverständnis sei auf Goethe verwiesen: »Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen; / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich preßt, / Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt« (GOETHE, West-Östlicher Divan [Buch des Sängers], »Talismane«). Der religiöse Ton ist nicht zufällig und hat sachlich zweifellos mit dem zu tun, worauf auch der Begriff des Geistes zielt. Cf. auch Ph. Jaccottet: »Das Grenzenlose ist der Atem, der uns belebt … Gott ist Atem« (PH. JACCOTTET, Der Unwissende. Gedichte und Prosa, München 2003, 33). G. Flaubert umspielt den Begriff der (künstlerischen) »Inspiration«, wenn er im Blick auf die »Dünung des Geistes« bzw. »apollinische Winde« schreibt: »Wir sind nur etwas wert, weil Gott in uns atmet« (An L. Colet, 27./28. Febr. 1853, in: G. FLAUBERT, Briefe, hg. von H. Scheffel, detebe 143, Zürich 1977, 233). 32 Gegenüber dem Begriff des Geistes beschreibt der Ausdruck »psyche« eher eine Selbstzentrierung. 33 Man denke z. B. an das Phänomen des Erstickens. 34 So redet man nicht zufällig vom »Geist« eines Volkes oder einer Epoche und davon, dass irgendwo ein bestimmter Geist herrscht oder ein anderer Wind weht. 35 Das bestimmt noch die Rede vom »Hauchen« (spirare) des Hl. Geistes durch Gott in der Trinitätslehre: »Potest … intelligi in nomine [sc. spiritus sancti] aliqua relatio, si Spiritus sanctus intelligatur, quasi spiratus« (Thomas von Aquin, STh I, q. 36, a. 1, ad sec.). Kurz bei Bonaventura: »Spiritus dicitur, quia spiratur« (I Sent. 10,2,3).

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2.2. Was nun das deutsche Wort »Geist« betrifft, so ist seine Etymologie bekanntlich nicht unumstritten.36 Eine heute gängige Ableitung37 geht von indogermanisch gheizd aus, was »sich lebhaft bewegen, antreiben« bedeutet.38 Von der Bedeutung gesteigerter Lebendigkeit,39 Aufgeregtheit und Wüten40 ergibt sich eine Nähe zum Phänomen des Feuers.41 Sachlich scheint sich mit dem Wort die Erfahrung des Außer-sich-Seins zu verbinden,42 d. h. des an eine Grenze und darüber hinaus Geratens, ja des aus seinem gewöhnlichen Ort Getriebenseins.43 Im ursprünglichen Gebrauch wäre also mit Geist das jähe Herausgerissensein aus dem Gewohnten, Fixierten, Begrenzten, vertrauten Bestimmtsein und jeglicher Ruhe gemeint: das Widerfahrnis des Hingerissenseins zu etwas Neuem. Diese etymologischen Hintergründe geben also der Sache nach die ekstatische Natur des Geistes zu denken.44 Mit »Geist« ist eine Transzendenzbewegung über endliche Vorgegebenheiten hinaus gemeint, eine Lebendigkeit als sich selbst überschreitende, wobei eine Grenze gesetzt und zugleich überschritten und das Gegebene (als das Andere des Geistes) in eine Schwebe gebracht wird. Weil damit für den Geist der Bezug auf etwas konstitutiv ist, was zunächst nicht er selber ist, führen abgespaltene Auffassungen ins Abwegige, wie sie insbesondere in der dämonologischen, »spiritistischen« Deutung vorliegen: (ein!) »Geist« als Gespenst, Geistererscheinung.45 Dieses abstrakte Geistverständnis lässt sich sogar noch in philosophischen Zusammenhängen auffinden.46 Die folgenden Ausführungen zeigen demgegenüber, dass ein konkreter 36

Zum Sprachgebrauch in der Literatur siehe den unerschöpflichen Artikel »Geist« von R. HILDEBRAND in J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. V, Leipzig 1873, Sp. 2623–2741 (Sonderdruck Halle/Saale 1926). 37 Siehe z. B. Trübners Deutsches Wörterbuch, Bd. III, Berlin 1939, 68 und F. KLUGE, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York 221989, 253. 38 Germanisch bedeutet gaista (m.) bzw. gaistaz (n.) so viel wie: »lebhaft bewegt, aufgebracht, erschreckt sein«. Gotisch heißt us geisnan: »erschrecken, außer sich sein«. 39 Wo die Vulgata spiritus schreibt, haben altdeutsche Bibelübersetzungen zunächst: atum, später dann (vielleicht unter angelsächsischem Einfluss): keist. 40 Entsprechend altindisch heda(h): »Erregung, Zorn«. 41 Cf. Mt 3,11; Act 2,3. 42 Eine Nähe dazu hat das griechische Wort θυµός, das Lebendigkeit, Leidenschaft, Glut, Zorn aussagt und sodann Geist und Herz bedeuten kann. 43 Cf. »Ent-setzen«. 44 Der Begriff der ἔκστασις hat sachlich mit dem ἐνθουσιασµός zu tun, d. h. dem ἔνθεος-Sein. 45 Cf. englisch ghost. Im Neuen Testament auch πνεῦµα (Lk 24,37.39). 46 So schreibt L. Feuerbach: »Der ›absolute Geist‹ ist der ›abgeschiedene Geist‹ der Theologie, welcher in der Hegelschen Philosophie noch als Gespenst umgeht« (L. FEUERBACH, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie [1843], in: ders., Werke in sechs Bänden [Theorie-Werkausgabe], hg. von E. Thies, Bd. III, Frankfurt 1975, 226). Bei

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Begriff von Geist nicht dualistisch, sondern dialektisch konzipiert werden muss. 3. Grundzüge eines allgemeinen Geistbegriffs 3.1. Es gibt zu denken, dass der Terminus Geist überwiegend in komplementären oder konkurrierenden Doppelformulierungen vorkommt: so in der Opposition Geist und Materie,47 Geist und Leben,48 Geist und Körper.49 Diese Verkoppelung des Geistes mit polaren Gegenbegriffen zeigt: Es ist für den Begriff des Geistes konstitutiv, dass er sich über ein Anderes definiert, sein Sein in der Abstoßung von ihm hat. Nicht zufällig hat ebendies der Sprachdenker W. v. Humboldt im Verständnis des Geistes grundlegend zur Geltung gebracht; Geist ist demnach »dasjenige Unsinnliche …, dem wir gerade noch genügend Körperliches einräumen, um erscheinen zu können«.50 Geist gibt es danach nur in der Selbstunterscheidung von dem, was er nicht selbst ist, an dem er sich indes immer nur als dessen Anderes manifestiert. Er ist als solcher mithin indirekt, etwas

Nietzsche heißt es: »Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und Gespenst« (F. NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra I. Vorrede [3.], in: ders., KSA 4, 14,25f). In einem cartesianischen Dualismus befangen, spricht G. Ryle vom Geist im Verhältnis zum Körper als »the ghost in the machine« (G. RYLE, The Concept of Mind [1949]; cf. die deutsche Ausgabe: Der Begriff des Geistes, RUB 8331–8336, Stuttgart 1969, 13ff.17.19.22 u. ö.). 47 Dies wird traditionell mit der Alternative von philosophischem Dualismus bzw. Monismus verbunden. 48 Dabei werden Logos und Bios entgegengesetzt, z. B. bei F. Nietzsche, L. Klages und O. Spengler. 49 Diesem eher vulgären Dualismus widerspricht in bemerkenswerter Weise der paulinische Begriff des σῶµα πνευµατικόν (1Kor 15,44). Wohl vor diesem Hintergrund hat K. Barth 1940 die Einsicht formuliert, »daß das Wesen Gottes, wenn wir es als Geist bezeichnen, … jedenfalls nicht … [sc. idealistisch und nur] unter Ausschluß und Negation der Natur beschrieben werden darf« (KD II/1, 298). 50 W. V. HUMBOLDT, Über den Geist der Menschheit (1797), in: ders., GS 2, 332f. Cf. auch über den Zusammenhang von Geist und Atem bzw. Sprache: »In dem … menschlichen Wesen … findet [sc. das Streben der Äußerung], durch die Vermittlung der Sprachwerkzeuge, in der Luft, dem feinsten und am leichtesten bewegbaren aller Elemente, dessen scheinbare Unkörperlichkeit dem Geiste auch sinnlich entspricht, einen ihm wundervoll angemessenen Stoff« (GS 5, 377). Bei B. Liebrucks steht: »Der Sprachlaut bedient sich des leichtesten Elementes, der so gegenständlich gesehenen Luft, und lebt in ihm als dem Elemente der größten Plastizität, das dem Artikulationsdrange des Menschen zur Verfügung steht« (B. LIEBRUCKS, Erkenntnis und Dialektik, Den Haag 1972, 14). Cf. auch unten S. 747 bei Anm. 279.

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Sich-Unterscheidendes – Geist hat sein Sein im Sich-Unterscheiden –, ein (im logischen Sinne) Negatives.51 3.2. Es folgen hier Beobachtungen an geistvollen Denkbildern, die den Begriff des Geistes weiter zu konturieren geeignet sind. Das leibhaft Vorgegebene, an dem sich der Geist als dessen spezifisch Anderes zur Erscheinung bringt, ist ganz allgemein das Leben, sowohl im organischen wie im geschichtlichen Sinn, als ζωή wie als βίος. Von diesem Zusammenhang sprechen wiederum Verse Goethes:52 Denn das Leben ist die Liebe, und des Lebens Leben Geist.53 Die Liebe wird hier als kosmische Lebensmacht zur Sprache gebracht, als die wahre Wirklichkeit des Lebens, das damit seinerseits als Bewegung auf Vereinigung und Einheit hin verstanden wird.54 Die eigentliche Lebendigkeit der Liebe indes ist der Geist.55 Leben ist hiernach als ein sich Verdoppelndes: als »des Lebens Leben«, und so ist es Geist. Mit diesem Begriff ist also gemeint, was das Leben zum Leben macht, sein innerster Lebensquell, das eigentlich Lebendige am Leben: Geist als das Belebende schlechthin.56 Man kann darin ein säkulares Echo auf Stellen des Neuen Testamentes finden wie: τὸ δὲ πνεῦµα ζῳοποιεῖ (2Kor 3,6b; cf. 1Kor 15,45b), »Gott ist Liebe«, »Gott ist Geist« (1Joh 4,8b.16b).57

51

Die Aussage: »Ich bin der Geist, der stets verneint« (J. W. GOETHE, Faust I, V. 1339) ist mithin analytisch bzw. als selbst-exegetisch zu verstehen. Zur Negativität im Geist s. u. bei Anm. 62.70.71.78.82.83 u. ö. 52 Nach E. Rosenstock-Huessy knüpfen diese Verse unmittelbar an die christliche Gotteslehre an (cf. E. ROSENSTOCK-HUESSY, Die Sprache des Menschengeschlechts, Bd. I, Heidelberg 1963, 126). Es gehe hier um die Abwandlung des Lebens selbst im Geist (a.a.O. 125). 53 West-Östlicher Divan (Suleika Nameh): Nimmer will ich dich verlieren (1815). Zur Interpretation (mit Hinweis auf neutestamentliche Stellen und Literaturangeben) cf. J. W. GOETHE, West-Östlicher Divan. Teil 2, in: ders., Sämtliche Werke, hg. von H. Birus, I. Abt.: 3/2, Frankfurt 1994, 1242–1244. Ähnlich wird die Liebe als geisthaft verstanden, wenn es bei F. de La Rochefoucauld heißt: »Die Liebe ist für die Seele des Liebenden, was die Seele für den Leib, den sie beseelt« (in: Die französischen Moralisten, hg. von F. Schalk, Sammlung Dieterich 22, Bremen 1962, 131). 54 Cf. dazu oben § 11. 55 Ähnlich heißt es schon früher bei F. H. Jacobi: »Die eigentliche, wahre, ächte Liebe, in einer edlen Seele zur Vollkommenheit gediehen, … ist im Lebendigen ein zweites höheres und besseres Leben: sie gibt dem Leben erst den Geist« (F. H. JACOBI, Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung [1810/11], in: ders., Werke 3, 297f). 56 Cf. oben Anm. 30. 57 Cf. auch Joh 1,4; 11,25; 14,6 sowie 5,26.

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Ist die eigentümliche Selbstverdoppelung oder innere Selbsttranszendenz des Lebens im Geist58 bei Goethe noch harmonisch und klassisch beruhigt gesehen,59 so wird dessen Entzweiung bis zur Dissonanz gesteigert, wenn Hölderlin schreibt: Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor, und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände.60 Hier ist der Antagonismus von Ich und Wirklichkeit bzw. Innerlichkeit und Geschichte61 für das Verständnis von Geist leitend geworden und damit die für ihn konstitutive Negativität.62 Im existenziellen Einsatz gegen das »blinde« Geschick bzw. am begegnenden Widerspruch entzündet sich die persönliche Leidenschaft des ihm ausgesetzten Einzelnen,63 und das bedeutet: In einem Bereich von Gefahr oder möglichem Untergang erst gewinnt »Geist« sein spezifisches Profil.64 Dabei geht es aber um eine Leidenschaft, die sich in ihrer Unmittelbarkeit selbst noch transzendiert und über sich hinausreicht: »empor«. Das hier sich einstellende Brausen (»schäumte«) benennt den Geist als das Flüchtige und Aktuose, nicht fassbar Bewegte, das eine »durchsichti-

58

Cf. die groß angelegte Analyse bei P. TILLICH, in dessen »Systematischer Theologie« (Bd. III [wie oben Anm. 15]) das Thema: »Das Leben und der Geist« den vierten Teil des Systems ausmacht (a.a.O. 19–337). Freilich lässt der von Tillich favorisierte Begriff der »Dimension« (a.a.O. 25ff), den er gegenüber dem ontologischen Begriff der »Schicht« (N. Hartmann) bevorzugt (cf. a.a.O. 23–25), die Dialektik im Verhältnis von Leben und Geist nicht erkennbar werden, er nivelliert sie selber ontologisch. Nachdrücklich ist auch auf T. KOCH hinzuweisen: Das Leben und der Geist, Stuttgart 2016, 37ff. 59 Gegenüber J. W. Goethe heißt es christlich vertieft im Passionslied: »Jesu, meines Lebens Leben, Jesu, meines Todes Tod« (E. G. Homburg, 1659; EG, Nr. 86,1). 60 F. HÖLDERLIN, Hyperion. 1. Band, 1. Buch, in: ders., KlStA 3, 43. Eine humanistisch temperierte, weil den Einklang zwischen Selbst und Geschick postulierende Parallele findet sich in einem Brief W. v. Humboldts (31.5.1819): »Die Woge des Glücks muß sich, wenn es dem Menschen gut werden soll, an etwas brechen, aber das Schicksal muß das so herbeiführen, daß das Hindernis nicht feindselig, nicht mutwillig erschaffen erscheint« (in: Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von A. v. Sydow, Bd. VI, Berlin 1913, 557). 61 In jeder Biographie (als Lebensgeschichte) reflektiert sich irgendwie das spannungsvolle Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit; wird es produktiv, so kann man von »Geist« reden. 62 Mit »entgegenstände« sind Widerspruch, Schmerz, Konflikt und Kampf angesprochen. 63 Intellektuell gewendet handelt S. Kierkegaard von der Leidenschaft des Verstandes zum Paradox, das seine Grenze und seinen Untergang bedeutet (cf. S. KIERKEGAARD, Philosophische Brocken, in: ders., GW 10, 35); cf. dazu oben Prolegomena, § 3 B. 2. (S. 43 bei Anm. 39. 64 Cf. »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch« (F. HÖLDERLIN, Patmos, V. 3f, in: ders., KlStA 2, 173).

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ge«, höchst dynamische Realität65 und etwas Atmosphärisches an sich hat.66 Der anschauliche »alte stumme Fels« wird damit zum Gegenbild des Geistes als etwas Neuem und einer sprachentbindenden Wirklichkeitsbegegnung, sprachlichem Weltumgang. 3.3. Prägnant hat F. Nietzsche Geist als immanente Dialektik des Lebens erfasst. Dazu führte ihn seine Polemik gegen einen christlich verbrämten Platonismus, zu dem er ein Korrektiv suchte. Nietzsche will sich davon abstoßen, »dass man eine ›Seele‹, einen ›Geist‹ erlog, um den Leib zuschanden zu machen«,67 und er will die Umkehrung der Tradition: »Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens.«68 Vor diesem Hintergrund formuliert Nietzsche seinen Begriff vom Geist als der Dialektik des Lebens: Geist ist das Leben, das selber in’s Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt es sich das eigne Wissen, – wusstet ihr das schon?69 Leben ist, so ist hier erkannt, nicht einfach oder einsinnig hinströmende Lebendigkeit, sondern lebt geradezu von der Möglichkeit, sich gegen sich selbst zu wenden und mehr zu sein als unmittelbar es selber: »Geist«. Geist ist demnach das Leben als wesentlich sich entzweiendes Leben und d. h. als dialektisch sich von sich abstoßende Unmittelbarkeit.70 So impliziert Leben, 65 Lehrreich ist hier der Vergleich mit Nietzsche: »Mit dem Sturme, welcher ›Geist‹ heisst, blies ich über deine [sc. der Seele] wogende See; alle Wolken blies ich davon, ich erwürgte selbst die Würgerin, die ›Sünde‹ heisst« (NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra III: Von der grossen Sehnsucht, in: ders., KSA 4, 278,10–12). 66 Die Formulierung »so schön« gehört in eine Ästhetik der Widerspruchsharmonie, die Hölderlin – im Gefolge von Heraklit und Plotin – selber als Versöhnung im Geist formuliert hat: »Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder« (HÖLDERLIN, Hyperion, 2. Band, 2. Buch, Ende, in: ders., KlStA 3, 166). 67 F. NIETZSCHE, Ecce homo (Warum ich ein Schicksal bin. 7.), in: ders., KSA 6, 372,14f; cf. auch 374,5–7 (8.). Von hier aus ist es auch zu verstehen, wenn es noch im Nachlass heißt: »im Begriff ›Gott als Geist‹ ist Gott als Vollkommenheit negiert …« (F. NIETZSCHE, Der Wille zur Macht, KTA 78, Stuttgart 1964, Nr. 525, 360), und wenn Nietzsche von der »Asketen-Philosophie des Satzes ›Gott ist ein Geist‹« spricht (F. NIETZSCHE, Werke in drei Bänden, hg. von K. Schlechta, Bd. III, München 1956, 463). 68 NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra I (Von den Verächtern des Leibes), in: ders., KSA 4, 40,23f. Hier wird freilich schon die Frage nach dem Ursprung des Geistes aus seinem Andern (dem Leib) erkennbar. 69 NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra I (Von den berühmten Weisen), in: ders., KSA 4, 134,3–5. Cf. die Wiederholung, Also sprach Zarathustra IV, in: a.a.O. 312,9–12. Von TILLICH zitiert: Systematische Theologie III (wie oben Anm. 15), 39. 70 Bei S. Kierkegaard heißt es: »Geist ist Verneinung der einfachen Unmittelbarkeit« (S. KIERKEGAARD, Einübung im Christentum. Nr. II, § 3., in: ders., GW 26, 130; siehe auch unten im Text). Das ist bei Hegel vorgedacht: »Der Geist ist überhaupt nicht unmittelbar; unmittelbar sind die natürlichen Dinge und bleiben bei diesem Sein« (HEGEL, Werke 16, 78f).

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um als Geist zu sein, wesentlich Negativität, Leiden.71 Darin kommt das Leben so zu sich, dass es schon mehr ist als einfach nur unmittelbares Leben. Leben ist mithin da erst Geist, wo es im schmerzhaften Unterschied von sich wahres Wissen von sich ist: »das eigne Wissen [sc. von sich] – wusstet ihr das schon?« Geist ist also das negativitätsvermittelte – um nicht zu sagen: negativitätsdurchsetzte – Selbstbewusstsein des Lebens.72 In vergleichbarer Weise hat S. Kierkegaard dialektische Formulierungen von Gesundheit und Krankheit gebraucht, um das nicht-unmittelbare Wesen des subjektiven Geistes auszusagen.73 Danach gilt überhaupt: »es gibt keine unmittelbare Gesundheit des Geistes«,74 denn der Zustand des Menschen, als Geist betrachtet, ist »allezeit kritisch«.75 Eine Gesundheit des Geistes kann es mithin erst und nur im Glauben geben, indem darin nämlich die Widersprüche gelöst sind, und geistige »Gesundheit ist überhaupt, daß man Widersprüche lösen kann«.76 Nach Kierkegaard sind Geist und Selbstsein also dialektisch verfasst, denn er versteht, obwohl Anti-Hegelianer, unter Dialektik, dass »das Eine stets das sich Entgegengesetzte ist«.77

71

Ist bei L. Klages vom »Geist als Widersacher der Seele« die Rede, so wird damit einem undialektischen Biologismus das Wort geredet. Wie Nietzsche hier vom Leben, so redet Hegel vom Moment des Negativen im Begriff der Liebe; s. o. § 11 B. 2.1. (S. 620 bei Anm. 46. 72 Bekanntlich hat Luther die Freiheit des Christseins als einen Widerspruch (sc. von Herr und Knecht bzw. von geistlichem, innerem, neuem und fleischlichem, äußerem, altem Menschen) begriffen, der im geisthaften Glauben vermittelt ist: »Haec diversitas facit, ut in scripturis pugnantia in eodem homine dicantur, cum et ipsi duo homines in eodem homine sibi pugnant« (WA 7, 50,10f; Hervorh. J. R.). Zur genauen Interpretation cf. J. RINGLEBEN, Freiheit im Widerspruch, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, Bd. I, Tübingen 2004, 3–17. 73 Das ist vor dem Hintergrund seines spannungsvollen Begriffs vom menschlichen Selbst als Geist zu verstehen, das »ein Verhältnis [ist], das sich zu sich selbst verhält« und das, seine Komplexität noch steigernd, darin (im Glauben) sich zu Gott verhält als dem »Anderen«, das das ganze Verhältnis gesetzt hat: »indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchsichtig in der Macht, welche es gesetzt hat« (S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 24, 8–10; Hervorh. J. R.). Zur genauen Interpretation cf. J. RINGLEBEN, Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard. Erklärung und Kommentar, Göttingen 1995, 50ff. 74 A.a.O. 21; cf. oben Anm. 70. 75 A.a.O. 21. Daher ist auch »Verzweiflung« als die Krankheit im Grunde des Selbst ganz und gar dialektisch: »diejenige Krankheit, von der gilt: es ist das größte Unglück sie nie gehabt zu haben – eine wahre Gottesgabe sie zu bekommen, wiewohl sie die allergefährlichste Krankheit ist, wenn man sich von ihr nicht heilen lassen will« (a.a.O. 22). 76 A.a.O. 37. 77 A.a.O. 26 und 29. Auch für diese genuin Hegelianische Formulierung gilt: »Kierkegaard findet den eigenen Hegelschen Gedanken erst in der ›Krankheit zum Tode‹, nach-

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3.4. In der sozusagen paradigmatischen Geist-Philosophie Hegels wird der Geist ganz von der Überwindung interner Gegensätze her konzipiert, so dass Phänomene wie Schmerz, Leiden, Kampf, Arbeit, Tod für seinen Begriff konstitutiv sind.78 In aphoristischer Prägnanz schreibt Hegel in sein »Wastebook« (1803– 1806): Ein geflickter Strumpf [ist] besser als ein zerrissener; nicht so das Selbstbewußtsein.79 Dass es allererst als in sich entzweites zu seiner geisthaften Einheit mit sich gelangt, hat das Selbstbewusstsein mit dem Leben überhaupt gemeinsam, das erst im Aushalten des äußersten Gegensatzes, seiner internen Negativität, zu seiner Wahrheit als Geist findet: »Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet.«80 Geist ist, was im Gegenteil seiner selbst bei sich zu sein vermag,81 und wenn er in der Fähigkeit besteht, »dem Negativen ins Angesicht« zu schauen,82 so wird die

dem er den von ihm mißverstandenen Hegel aus sich herausgerungen hat« (LIEBRUCKS, Erkenntnis und Dialektik [wie oben Anm. 50], 341). 78 Cf. den Hinweis oben bei und in Anm. 71. 79 HEGEL, Werke 2, 558. Schon die sprachliche Gestaltung und Bildwahl ist hier geistvoll: Die geistige Wahrheit wird im Kontrast, also indirekt, ausgesagt, d. h. durch Anknüpfung im Gegensatz; im Banalen erscheint der Geist als das Un-triviale und am Materiellen das Geistige, die positive Aussage im Modus der Verneinung ihres Gegenteils. 80 HEGEL, Phänomenologie-Vorrede (1807), in: ders., Werke 3, 36. Den ersten Satz des Zitierten führt noch 1951 Gottfried Benn am Schluss seines Vortrags »Probleme der Lyrik« als ein großartiges und wahrhaft abendländisches Wort an, »das, vor hundert Jahren ausgesprochen, die ganzen Komplikationen unseres Schicksals in dieser Jahrhundertmitte schon umschließt« (G. BENN, Gesammelte Werke in vier Bänden, hg. von D. Wellershoff, Bd. I, Stuttgart 41977, 532). 81 Das gilt im absoluten Sinne von Gott als Geist (cf. oben § 6). 82 HEGEL, Werke 3, 36. Nietzsche hat dies Aushalten und Verwinden des Negativen als Mut zum Sein beschrieben: »Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, – wer mit Adlers-Krallen den Abgrund fasst: der hat Muth« (NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra IV: Vom höheren Menschen [4.], in: ders., KSA 4, 358,26f). P. TILLICH hat das in seinem Buch »Der Mut zum Sein« (Stuttgart 1953) zitiert und in sein eigenes Konzept mit Berufung auf den am Kreuz von Gott verlassenen Jesus als die Kraft des Aushaltens extremer Negativität aufgenommen: »Der Mut, die Angst vor der Sinnlosigkeit auf sich zu nehmen, ist die Grenze, bis zu der der Mut zum Sein gehen kann« (TILLICH, Gesammelte Werke, Bd. XI, Stuttgart 1969, 32.138.139). Über dies Tillich’sche Motiv und seinen Zusammenhang mit Meister Eckhart und Luther cf. meinen Aufsatz: J. RINGLEBEN, Die Macht des Negativen. Paul Tillichs Ontologie und Theologie des Lebendigen, in: ders., Gott denken, Tillich-Studien 8, Münster 2003, 103–120.

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»Macht des Negativen«83 zur Macht des göttlichen Lebens als Liebe.84 Als solche ist dies »Verweilen« (sc. beim Negativen) »die Zauberkraft, die es [sc. das Negative] in das Sein umkehrt«.85 Was hier als wunderbare Macht des Übergehens vom Nichts ins (wahre) Sein angesprochen ist, ist als die Macht göttlichen Sich-Hervorbringens als Einheit in der Entzweiung, d. h. als Geist (im Werden zu sich), zu begreifen. Dass, was seine »Aussenbeziehung« angeht, der Geist das sich an seinem Anderen im Unterschied davon Manifestierende (im Sinne Humboldts86) ist, zeigt sich in seiner allgemeinen Beziehung zur Natur überhaupt: »der [Bestimmtheit] des Geistes überhaupt steht zunächst die der Natur gegenüber; jene ist daher nur zugleich mit dieser zu fassen«.87 Dies Verhältnis wäre aber völlig verkannt, würde man es als einen statischen Dualismus oder gar als eine Art von einsinniger (von der Natur ausgehender) Kausalität auffassen:88 »Der Schein, als ob der Geist durch ein Anderes vermittelt sei, wird vom Geiste selber aufgehoben, da dieser sozusagen die souveräne Undankbarkeit hat, dasjenige, durch welches er vermittelt scheint, aufzuheben, zu mediatisieren, zu einem nur durch ihn Bestehenden herabzusetzen und sich auf diese Weise vollkommen selbständig zu machen«.89 Vielmehr ist der Geist das Sich-Hervorbringende: Er »bringt sich selber aus den Voraussetzungen, die er sich macht, … hervor«.90 »Der Geist geht nicht auf natürliche Weise aus der Natur hervor«,91 denn er ist »das absolute Sichselbstbestimmen«,92 d. h., sein Sein besteht darin, als das durch Aufheben des scheinbaren Andersseins, das er zu seiner Voraussetzung herabsetzt, an und für sich Seiende sich darzustellen. Geist ist mithin das im aus seinem Anderen auf sich Zurückkommen sich Hervorbringende, 83

HEGEL, Werke 3, 36. Cf. a.a.O. 24 (Nachweis oben Anm. 71). 85 A.a.O. 36. 86 S. o. bei Anm. 50. 87 HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, in: ders., Werke 10, 18 (§ 381 Zus.). Statt von »Natur« könnte der Sache nach auch konkret von Leben die Rede sein. 88 Das Hervorgehen des Geistes aus der Natur darf nicht so gefasst werden, »als ob die Natur das absolut Unmittelbare, Erste, ursprünglich Setzende, der Geist dagegen nur ein von ihr Gesetztes wäre. … Der an und für sich seiende Geist ist nicht das bloße Resultat der Natur, sondern in Wahrheit sein eigenes Resultat« (a.a.O. 24). 89 A.a.O. 25. 90 A.a.O. 24. Cf. a.a.O. 237f über die Wesensnatur des Geistes: »… da dieser nicht ein Seiendes, unmittelbar Vollendetes, sondern vielmehr das Sichselbsthervorbringende, die reine Tätigkeit, Aufheben der an sich von ihm selbst gemachten Voraussetzung … ist« (§ 443 Zus.). In diesem Sinne soll hier Gott überhaupt, und insbesondere er als Geist, als im Werden zu sich begriffen gedacht werden. 91 A.a.O. 25. 92 A.a.O. 235 (§ 442 Zus.). 84

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seine Selbstvermittlung ist als Umkehrung jedes unmittelbaren Fundierungsverhältnisses bzw. auch des Sinns von »Fundierung« selber.93 Um zu begreifen, was Geist ist, ist also eine negative Selbstkonstitution zu denken: »Das Sein des Geistes ist nicht so unmittelbar, sondern nur als sich selbst produzierend, sich für sich machend durch Negation als Subjekt, sonst ist er nur Substanz; und dies Zusichkommen des Geistes ist Bewegung, Tätigkeit und Vermittlung seiner selbst mit sich.«94 3.5. Zwei Wesenszüge des hier exponierten Geistbegriffes seien noch kurz hervorgehoben: seine wesentliche Indirektheit und sein Bei-sich-Sein im Andern. Die schon berührte Indirektheit seines Seins macht die spezifische Lebendigkeit des Geistes aus, ein Leben gerade aus der Gebrochenheit unmittelbarer Lebendigkeit.95 Ins Räumliche übertragen, legt sich für diese Dialektik des Geistes die Formel nahe: Sein Weg ist der Umweg. … nämlich zu Haus ist der Geist Nicht im Anfang, nicht an der Quell. Ihn zehret die Heimat, Kolonie liebt, und tapfer Vergessen der Geist. (Hölderlin)96 Der Geist ist der sich herstellende Anfang seiner selbst,97 und dieser als sein Ziel ist das Sich-Abstoßen von seiner Unmittelbarkeit. Im Fremden kommt er erst zu sich.98 So wird »exzentrische Positionalität« als das Sein des Geistes begreifbar: Nur außer sich ist er bei sich bzw. bei sich nie nur bei sich. Damit ist der Geistbegriff gegen jegliches Ursprungsdenken oder eine emphatische Ursprungsphilosophie in Stellung gebracht.99 Hier gilt, vorwärtsgerichtet, dass der Geist erst auf sich zugeht und insofern »tapfer Vergessen« liebt.100 93

Cf.: »Der Geist hat für uns die Natur zu seiner Voraussetzung, deren Wahrheit und damit deren absolut Erstes er ist. In dieser Wahrheit ist die Natur verschwunden [sc. als scheinbar Erstes und Unmittelbares aufgehoben], und der Geist hat sich als die zu ihrem Fürsichsein gelangte Idee ergeben … absolute Negativität« (a.a.O. 17 [§ 381]). 94 HEGEL, Werke 16, 79 (Hervorh. J. R.). Auch diese Formulierung ist von grundsätzlicher Bedeutung für eine Lehre vom lebendigen Gott. 95 S. o. 3.3. zu Nietzsche. 96 HÖLDERLIN, Brot und Wein (Str. 9, späteste Fassung; V. 16–18), in: ders., KlStA 2, 413. 97 Cf. zum »Anfang« der Schöpfung oben § 8 C. 98 Der Geist als »Kolonist« erinnert daran, dass die griechische Philosophie in Ionien und Elea entstand. 99 Wie es im romantischen Denken (auch als politische Romantik) rückwärtsgerichtet aufgetreten ist und sich von einem sog. »Verlust der Mitte« her versteht. 100 Man ist an Luthers Aufforderung: »pecca fortiter« erinnert, aber auch an Hegels Satz: »Die Wunden des Geistes heilen, ohne daß Narben bleiben« (HEGEL, Werke 3, 492). Zur Diskussion theologischer Kritik an diesem Satz cf. J. RINGLEBEN, E. Hirschs Verhältnis zu Hegels Philosophie, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, Bd. II, Tübingen 2005, 243– 271, bes. 266ff.

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Denkt man an Lk 9,62, so wird hier theologisch auch eine eschatologische Dimension spürbar, insofern nämlich die Heimat oder das Vaterland des Geistes vor ihm liegt, als auf dem Weg dahin er er selbst als Geist ist.101 Damit wird der Exodus zur Seinsweise des Geistes: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14)! In knappest möglicher Formulierung lässt sich also sagen: »der Weg des Geistes ist die Vermittlung, der Umweg«.102 Sein Sein ist die dialektische Brechung jeden unmittelbaren Seins: »Die Entwicklung des Geistes ist Herausgehen, Sichauseinanderlegen und zugleich Zusichkommen.«103 Geist hat eine wesentliche Indirektheit, sofern er das Gehen in zwei Richtungen zugleich ist: als Selbstentzweiung der Weg in die Einheit mit sich und so lebendiges Werden zu sich zu sein. Zu den Strukturmomenten des Geistes gehört sodann das Bei-sich-selbstSein im Anderen seiner. So schreibt, sicherlich von Hegel bestimmt, H.-G. Gadamer: »im Fremden das Eigene zu erkennen, in ihm heimisch zu werden, ist die Grundbewegung des Geistes, dessen Sein nur Rückkehr zu sich selbst aus dem Anderssein ist«.104 Auch solchen Theologen, die Hegel eher fernstehen, ist dieser Gedanke nicht unvertraut; so heißt es bei G. Ebeling105 (vielleicht durch Gadamer beeinflusst): »Partizipieren besagt: Der Geist kann überhaupt nur in der Weise bei sich selbst sein und zu sich selbst kommen, daß er bei anderem ist, ohne freilich sich in das andere zu verlieren, sondern so, daß er jeweils aus dem Anderssein in das Selbstsein zurückkehrt«.106 101

Bei Hölderlin steht ähnlich dem im Text Zitierten (mit geistreicher Anspielung auf Gen 3) anderswo: »Verbotene Frucht, wie der Lorbeer, aber ist / Am meisten das Vaterland. Die aber kost / Ein jeder zuletzt« (HÖLDERLIN, Einst hab ich die Muse gefragt …, 1. Str., in: ders., KlStA 2, 229). 102 HEGEL, Werke 18, 55. 103 A.a.O. 41. 104 H.-G. GADAMER, Wahrheit und Methode, Tübingen 41975, 11. Cf. auch die einschlägige Aussage vom »geistigen Hervorgehen« des Sohnes in der Trinität: »Solches Herausgehen ist zugleich ein gänzliches Insichbleiben« (a.a.O. 400). 105 Ebeling vertritt bekanntlich gegenüber einer »Substanzontologie« eine Ontologie der Relation (EBELING, Dogmatik I [wie oben S. 706 Anm. 15] 215.233 mit 220f u. ö.) und begreift von daher Sein als Zusammensein (a.a.O. 222) bzw. Partizipation, ohne sich freilich auf die darin implizierten dialektischen Momente einzulassen (zur Kritik cf. J. RINGLEBEN, »In Einsamkeit mein Sprachgesell«. Das Gebet als Thema der Dogmatik, ZThK 79 [1982], 230–248, hier 244f). In der folgenden theologischen Literatur ist das Motiv einer »Relationsontologie«, als deren Ausarbeitung z. B. M. Theunissen die ganze Hegel’sche Logik begriffen hat (!), zum gedankenlosen Schlagwort verkommen. 106 EBELING, Dogmatik III (wie oben S. 706 Anm. 15), 91. Hier fehlt jeglicher sachhaltige Hinweis auf Hegel; cf. aber: »daß diese Philosophie im Gewande spekulativer Theologie selber den Geistbegriff unterhöhlt, indem sie ihm das Moment der Fundamentalunterscheidung [sc. von Gott und Mensch, Zeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits,

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Freilich ist gerade Hegels Begriff von Geist (bzw. dieser selber) keineswegs substanzialistisch misszuverstehen.107 Geist hat nicht (oder macht) Bewegungen an sich, sondern ist als qualifiziert-selbstbezügliche Bewegtheit, Selbst-Bewegung: »Denn der Geist ist das Wissen seiner selbst in seiner Entäußerung; das Wesen, das die Bewegung ist, in seinem Anderssein die Gleichheit mit sich selbst zu behalten.«108 3.6. Ist vor allem Hegel die Einsetzung des Geistbegriffs zum »regierenden Fundamentalprinzip« zuzuschreiben,109 so ist es, zum Teil unter dem Einfluss von Positivismus und Materialismus, im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Verfall des Begriffs gekommen, dem auch im 20. Jahrhundert mit großer Reserve begegnet wird, sei es in der philosophischen Anthropologie, sei es in der frühen sog. dialektischen Theologie K. Barths. Das ist hier kurz zu diskutieren. 3.6.1. In Absetzung vom (ideologieverdächtigen) Geist-Idealismus, dem er die These entgegensetzt: Das Ganze ist das Unwahre,110 versucht Th. W. Adorno im Sinne seiner sog. »Negativen Dialektik« den Geist in einer Schwebe zwischen dem Bestehenden und einer kritischen Distanz dazu anzusiedeln: »So wenig der Geist das Absolute ist, so wenig geht er auf im Seienden. Nur dann wird er erkennen, was ist, wenn er sich nicht durchstreicht.«111 Der eigentliche »Mehrwert« des Geistes über das Seiende hinaus wird in seiner kritischen Potenz ihm gegenüber gesehen. Freilich unterbleibt dabei die Anstrengung des Begriffs, den Geist selber in dieser Negativität zu denken. Natur und Gnade] durch deren dialektische Aufhebung entzieht« (a.a.O. 89). Diese Kritik wird nicht ins Verhältnis gesetzt zu Ebelings eigenem Anspruch, dass das Verhältnis von Gott und Welt usw. als »ihr Unterschiedensein im Zusammensein selbst erfaßt wird«, bzw. der Forderung, »im Zusammensein als Unterschiedensein gewissermaßen die Grundformel des Lebens zu erkennen, die auch und gerade für das Verhältnis von Gott und Welt gilt« (a.a.O. I, 233). Die latente Dialektik darin bleibt unexpliziert. 107 Es ist gerade das eigentliche denkerische Programm Hegels, »das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken« (HEGEL, Werke 3, 23). Entsprechend wendet er gegen die »natürliche Theologie« ein, dass sie Gott nur als Gegenstand des Bewusstseins fasse, ohne dabei das Wort »Geist« auch nach der Seite des menschlichen Subjektes auszudenken (Werke 16, 72f). 108 HEGEL, Werke 3, 552. Zur Analogie dieses Geist-Konzeptes mit dem Verständnis von Liebe beim jungen Hegel cf. oben § 11 B. 3.4. (S. 629 bei Anm. 109 und 112). 109 HWP 3 (1974), 188 (O. MARQUARD). 110 TH. W. ADORNO, Minima Moralia, BS 236, Frankfurt 1970, 57 (29.). Zur Richtigstellung des derart missverstandenen Hegel (cf. HEGEL, Werke 3, 24) B. LIEBRUCKS, Reflexionen über den Satz Hegels »Das Wahre ist das Ganze«, in: M. Horkheimer (Hg.), Zeugnisse (FS Adorno), Frankfurt 1963, 74–114 (= ders., Erkenntnis und Dialektik, Den Haag 1972, 152–195). 111 TH. W. ADORNO, Eingriffe, Frankfurt 1963, 25. Wahlverwandt zur »Negativen Dialektik« (Frankfurt 1966) erschien 1969 von U. SONNEMANN: Negative Anthropologie, Reinbek bei Hamburg 1969.

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Was die Zurückhaltung in der modernen philosophischen Anthropologie wegen des Metaphysikverdachtes anbelangt (A. Gehlen, H. Plessner),112 so resümiert W. Pannenberg sie auch im Blick auf seine eigene theologische Anthropologie: Der Geistbegriff ist heute ungeklärt und mit einer unüberschaubaren Vielzahl von Assoziationen beladen, die einer kritischen Durchsicht bedürften, bevor sich ein Urteil über seine Brauchbarkeit bilden läßt. Stellen wir daher den Geistbegriff einstweilen zurück, und halten uns an die Eigentümlichkeit menschlichen Verhaltens, die Scheler durch Einführung des Geistbegriffs zu erklären suchte: Der Mensch ist ursprünglich immer schon beim andern seiner selbst.113

Dazu ist hier zu sagen: Mag man auch um der phänomenologischen Konkretion willen den Terminus Geist zunächst vermeiden, so kann das gerade im Interesse der Sache sein, um die es bei dem Begriff Geist geht. Diese methodische Zurückhaltung entspricht ein Stück weit sogar der wesentlichen »Indirektheit« dessen, was Geist ist. Pannenbergs Votum spiegelt insofern einen für das Thema Geist wesentlichen Sachverhalt, insbesondere wo es um die Vermeidung weltanschaulich nivellierten Gebrauchs des Ausdrucks »Geist« geht.114 Andererseits dürfte die oben exponierte streng begriffliche Erfassung des Geistkonzeptes von seiner internen Negativität115 und der Struktur der Selbstexplikation im Anderen her plausibel und darüber hinaus umso weniger verzichtbar sein, als der biblische Begriff von (Hl.) Geist – seinerseits theologisch unverzichtbar und unbedingt wieder aufzunehmen – dadurch einen unbestreitbaren Interpretationszuwachs erhält.116 3.6.2. Bekanntermaßen hat K. Barth in seiner frühen und seiner reifen Theologie eine radikale theologische Kritik am philosophischen Geistbegriff

112 Mit Ausnahme des Katholiken M. SCHELER: Die Stellung des Menschen im Kosmos, Darmstadt 1928. Freilich sind H. Plessners »exzentrische Positionalität« und A. Gehlens emphatischer Anschluss an J. G. Herder der Sache nach Erben der Geistthematik. Denn der Geistbegriff ist auch heute prinzipiell geeignet, das Menschliche am Menschen zu bezeichnen, bedenkt man, dass der Mensch mitten in der Natur und zu ihr gehörig mehr ist als bloße Natur, nämlich ein zugleich sprachlich verfasstes Wesen: »Schon als Thier, hat der Mensch Sprache« (J. G. HERDER, SW 5, 5). Ein solcher Geistbegriff empfiehlt sich besonders, will man das Wesen des Menschen über die für ihn konstitutive Intersubjektivität fassen. 113 W. PANNENBERG, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 58. Zum Thema Geist cf. a.a.O. 507ff und bei A. GEHLEN, Der Mensch, Frankfurt 91971, 381ff. 114 Vordergründig bleibt allerdings das a.a.O. 360 Ausgeführte. 115 Es ließe sich zeigen, dass das scharfsinnige Buch von P. BIERI, Analytische Philosophie des Geistes, Königstein/Ts. 1981, genau am Verständnis dieser Negativität an eine Grenze kommt. 116 Das hängt auch damit zusammen, dass der philosophische Geistbegriff seinerseits durch paulinische und johanneische Vorgaben bestimmt ist (s. o. S. 706 bei Anm. 18).

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geübt.117 Entsprechend seinem bekannten, einen unendlichen qualitativen Unterschied von Gott und Mensch behauptenden (alttestamentlichen) Axiom: Gott ist im Himmel und der Mensch auf der Erde (Pred 5,1)118 geht er von einer unüberwindlichen Trennung von menschlichem und heiligem Geist aus.119 Indem Barth hier theologisch eine Diastase statt wirklicher Dialektik konstruiert, kann er den Geist selber nicht als gerade in der Spannung zwischen menschlicher Geisterfahrung und Erfahrung des Hl. Geistes lebendig sich realisierend begreifen.120 Deshalb fixiert seine Entgegensetzung von menschlichem und göttlichem Geist abstrakt gegeneinander,121 was im Begriff des Geistes gerade (dialektisch) zusammengehört,122 d. h. als in aller Unterschiedenheit doch lebendig füreinander geöffnet gedacht werden kann und muss: menschlicher Geist und Gottes Geist.123 117 Cf. K. BARTH/H. BARTH, Zur Lehre vom heiligen Geist, ZZ.B 1, München 1930. Der alte K. Barth hat hingegen gesprächsweise das hypothetische Projekt einer Theologie vom Dritten Artikel aus erwogen und hier sogar eine Theologie des Hl. Geistes als das möglicherweise eigentliche Anliegen von Schleiermachers Glaubenslehre in Betracht gezogen (cf. K. BARTH, Nachwort, in: H. BOLLI [Hg.], Schleiermacher-Auswahl. GTBS 113/114, München 1968, 311; auf S. 307 fragt Barth: »habe ich ihn richtig verstanden?«). 118 K. BARTH, Der Römerbrief, München 51926, XIII (mit fragwürdiger Berufung auf S. Kierkegaard: 72); Barth spricht hier selber von »Dialektik« (ebd.). Zur dergestalt »negativen« Theologie des Geistes als des »ganz Anderen« cf. a.a.O. 134f und 299. 119 Die beiden wesentlichen kritischen Motive Barths sind dabei einmal die drohende Anthropologisierung oder Psychologisierung der Theologie, nach der Gott »der ganz Andere« ist – obwohl doch gerade der Geist auch als Hl. Geist fraglos mit dem Menschen und seinem Geist zu tun hat –, und sodann die Gefahr, mit dem »Geist« eine falsche, weil, indem ungöttliche oder gott-lose, auch eine geist-lose Totalität (im Sinne einer abschließenden Synthese, die zur falschen Selbstverständlichkeit des Geistbesitzes führt) zu etablieren – obwohl doch gerade der Begriff des Geistes aufgrund seiner internen Negativität (bzw. Selbstunterscheidung) zwischen umfassender Wirklichkeit und schöpferischem neuen Geschehen (Joh 3,8) ausgespannt zu denken ist. 120 Dazu gehört theologisch auch die Spannung zwischen Schöpfung und eschatologischer Vollendung. 121 Dass entsprechend in Barths Wort-Theologie (biblisches) Menschenwort und Gottes sog. »Selbstwort« auseinandergerissen werden (KD I/1) und so eine Entsprachlichung des Wortes Gottes droht, habe ich detailliert in meinem Buch gezeigt: J. RINGLEBEN, Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her, FSÖTh 150, Göttingen 2015. 122 Cf. systematisch oben S. 706 Anm. 15 und 16 (G. Ebeling) und historisch oben Anm. 18 (E. Hirsch). Auch bei Tillich heißt es: »es gibt keine Lehre vom göttlichen Geist ohne ein Verständnis des Geistes als einer Dimension des Lebens« (TILLICH, Systematische Theologie III [wie oben Anm. 15], 134). 123 Die Gegenwart des göttlichen Geistes (Spiritual Presence) bedeutet nach Tillich »die Gegenwart des göttlichen Lebens im kreatürlichen Leben oder ›Gott ist dem menschlichen Geist gegenwärtig‹« (TILLICH, a.a.O. 131). Zur Manifestation des göttlichen Geistes »im« menschlichen Geist cf. a.a.O. 134ff. Cf. auch Tillichs religiöse Reden: »Die Gegenwart des göttlichen Geistes« (in: P. TILLICH, Das Ewige im Jetzt. Religiöse Reden,

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Bemerkenswerterweise hat sich der Philosoph Heinrich Barth der diastatischen Sicht seines Bruders angeschlossen.124 Auch er spricht von einer »Dialektik«, die den Begriff des Hl. Geistes auszeichne.125 Diese bringt er so zur Geltung, dass er bei allen einschlägigen theologischen Aussagen (wie der, dass der Geist der Schöpfer der christlichen Geschichte sei, im Glauben wohne, als Tröster gegenwärtig sei, das Leben erneuere, die Kirche erhalte)126 als cantus firmus einfach dagegenhält: »Aber er ist Gott«127 (und das soll heißen: als solcher nicht in der Geschichte, dem Glauben nicht »immanent«, der »religiösen Erfahrung« nicht gegenwärtig [als Geist!] usw.).128 Von dieser von H. Barth so genannten »paradoxen Dialektik« des Geistbegriffes behauptet er, sie sei dem »Geistkultus« des 19. Jahrhunderts völlig unbekannt gewesen. H. Barth kann alles dies nur formulieren, weil er sich auf einen Begriff vom Geist als Geist gar nicht einlässt, sondern es bei abstrakten Alternativen sein Bewenden haben lässt wie dieser: »Aber der Geist ist Gott. Geschichtlich wird daher seine Wirkung, nicht er selbst«.129 Als kritisierte Gegenposition wird (kontextlos) Hegel zitiert: »Die Kraft des Geistes ist nur so groß als ihre Äußerung«.130 Wird dagegen in schlichter Affirmation versichert: »Die Kraft des Hl. Geistes ist prinzipiell größer als seine Äußerung«,131 so bleibt wiederum das Verständnis von Geist selber unerläutert.132 Der Gedanke kommt nicht in den Blick, dass dies »prinzipiell größer«-Sein selber – und gerade es – die

3. Folge, Stuttgart 1964, 81ff) und: »Der Geist gibt Zeugnis unserem Geist« (in: ders., In der Tiefe ist Wahrheit. Religiöse Reden, 1. Folge, Stuttgart 31952, 124–140). 124 H. BARTH, Die Geistfrage im deutschen Idealismus, in: a.a.O. (wie oben Anm. 117), 1–38. 125 A.a.O. 34. 126 Cf. ebd. und 35. 127 Ebd. Das theologische Grundaxiom kommt in der Formulierung von der »Unverhältnismäßigkeit, die zwischen Schöpfer und Geschöpf vorliegt« (35), zum Ausdruck. 128 Cf. ebd. Wirklich dialektisch beschreibt Tillich das Verhältnis: »Das ›in‹ des göttlichen Geistes bedeutet ein ›über sich hinaus‹ des menschlichen Geistes« (TILLICH, Systematische Theologie III [wie oben Anm. 15], 135). Dies entspricht auch der »wechselseitigen Immanenz« bei Johannes und Paulus: Ich in euch und ihr in mir, die nur vom Geist aus verständlich gemacht werden kann (cf. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, Tübingen 2014, 243ff). Bei Tillich entspricht dem der Status des Glaubens: »Glaube stammt nicht vom Menschen, aber er lebt im Menschen« (a.a.O. 158). 129 H. BARTH, a.a.O. (wie oben Anm. 117), 35. Ein Verständnis von Gottes Selbstsein als lebendiger Gott und geisthaft lebendig ist so freilich nicht zu entfalten. 130 A.a.O. 35; cf. HEGEL, Werke 3, 18 (zur theologischen Dimension des Satzes cf. a.a.O. 553f: Selbstentäußerung Gottes). 131 A.a.O. 35. Angeblich stehen Hl. Geist und seine Äußerung »in keinem kommensurablen Verhältnis« (ebd.). 132 Zu Hegels dialektischer Deutung des Verhältnisses von Kraft und ihrer Äußerung cf. HEGEL, Werke 3, 109f und 6, 172–179.

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Äußerung des Geistes ist; er ist, in seinem Sein als Geist verstanden, stets mehr als er selbst und ist nur als der sich von sich Abstoßende bzw. Unterscheidende.133

C. Probleme der Tradition Exemplarisch sollen hier theoretische Probleme kurz diskutiert werden, die sich in der Theologiegeschichte bei der Fassung des Begriffs von Gott als Geist einstellen. 1. Alte Kirche Tatian schreibt im 2. Jahrhundert: Deus noster non esse coepit in tempore, cum, solus sine principio, ipse omnium sit principium. Spiritus est Deus [Joh 4,24], non tamen materiam permeans spiritus, sed materialium spiritum et figurarum, quae in materia sunt, opifex; et visu et tactu indeprehensus, quippe cum ipse sensibilium et invisibilium exstiterit parens. Hunc ex his quae creavit cognoscimus et potentiam invisibilem ex operibus apprehendimus [Röm 1,20].134

Für den christlichen Begriff von Gott als Geist fällt hier der Gesichtspunkt aus, dass der lebendige Gott mit sich auch in der Zeit anfängt, um als der ewige Anfang der Schöpfer von allem zu sein.135 Als Schöpfer (opifex) auch der zu sein, der seine materielle Schöpfung »durchdringt« (permeans), wird verneint, weil Tatian permeare undialektisch damit identifiziert, an die durchdrungene Materie gebunden zu sein. Dass Gott nicht »visu et tactu« erfassbar ist, widerspricht der christlichen Aussage 1Joh 1,1; d. h., der Geistbegriff ist hier nicht christologisch oder trinitarisch vermittelt. Der letzte Satz des Zitierten könnte an sich die Möglichkeit eröffnen, Gott als den sich von sei-

133

K. Barth und H. Barth verfehlen durch ihr Festhalten abstrakter Oppositionen ebendie Dialektik, die gerade im Begriff des Geistes ihren spezifischen Ort hat. Cf. hingegen H. Vorgrimler: »Der Begriff des ›Geistes‹ ermöglichte es, bei allem Festhalten an der Transzendenz Gottes seine Immanenz in Menschen und Welt auszusagen« (VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 73). Das entspricht Augustin: »Spiritus ergo et Dei est qui dedit, et noster qui accepimus« (De trin. V 14,15; PL 42, 921). 134 Tatian, Adv. Graec. orat. (ca. 165 n. Chr.); PG 6, 813: Θεὸς ὁ καθ’ ἡµᾶς οὐκ ἔχει σύστασιν ἐν χρόνῳ, µόνος ἄναρχος ὤν, καὶ αὐτὸς ὑπάρχων τῶν ὅλων ἀρχή. Πνεῦµα ὁ θεός, οὐ διῆκον διὰ τῆς ὕλης, πνευµάτων δὲ ὑλικῶν καὶ τῶν ἐν αὐτῇ σχηµάτων κατασκευαστής, ἀόρατός τε καὶ ἀναφής, αἰσθητῶν καὶ ἀοράτων αὐτὸς γεγονὼς πατήρ. Τοῦτον διὰ τῆς ποιήσεως αὐτοῦ ἴσµεν, καὶ τῆς δυνάµεως αὐτοῦ τὸ ἀόρατον τοῖς ποιήµασι καταλαµβανόµεθα. 135 Tatian versteht »Anfang« (ἀρχή, principium) nur im äußerlichen Sinne.

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nem Geschaffenen zu sich selber Abstoßenden (ex his quae creavit … ex operibus) und so als Geist zu denken (cf. potentia invisibilis). Auch bei Origenes steht die Unkörperlichkeit Gottes im Fokus der Überlegungen: Quia ergo mens nostra ipsum per se ipsum deum sicut est non potest intueri, ex pulchritudine operum et decore creaturarum parentem universitatis intelligit. Non ergo corpus aliquid aut in corpore (ἐνσώµατος) esse putandus est deus, sed intellectualis natura simplex, nihil omnino in se adiunctionis admittens; uti ne maius aliquid et inferius in se habere credatur, sed ut sit ex omni parte µονάς, et ut ita dicam ἑνάς, et mens ac fons, ex quo initium totius intellectualis naturae vel mentis est.136

Weil Gott als reine Einheit bzw. Einsheit und eben nicht als Geist gedacht wird, ist eine adäquate Gotteserkenntnis nicht möglich und auch nicht nachvollziehbar, inwiefern das rein Eine sich als Geist darstellen kann und inwiefern es soll der Ursprung jedes anderen Geistes soll sein können. Entsprechend wird auch jeder Zusammenhang der mens (als Geist oder auch als Vernunft verstanden) mit allem irgendwie Sinnlichen oder Körperlichen bestritten.137 Als Dritter sei Hilarius angeführt: Primum intelligendum est Deum incorporalem esse neque ex partibus quibusdam atque officiis membrorum, ex quibus unum corpus efficitur, consistere. Legimus enim in evangelio: Quoniam Deus spiritus est [Joh 4,24], invisibilis scilicet et immensa atque intra se manens et aeterna natura. Scriptum quoque est: Quoniam spiritus carnem et ossa non habet [Lk 24,39]. Ex his enim corporis membra consistent, quibus substantia Dei non eget. Deus autem, qui et ubique et in omnibus est, totus videt, totus efficit, totus incedit.138

Hier ist mindestens einzuwenden, dass Gott als Geist gerade nicht als (abstrakt) »intra se manens« gedacht werden kann und dass mit dieser Behauptung die andere seiner Allgegenwart (ubique et in omnibus) nicht ohne ein dynamisches Geistverständnis ausgeglichen werden kann.139 Stehen die angeführten Autoren für eine traditionell vorherrschende Sicht, so gibt es doch zumindest eine interessante Ausnahme; sie findet sich bei Tertullian. Er statiert grundsätzlich: »Si habet aliquid per quod est, hoc erit corpus eius. Omne quod est, corpus est sui generis: nihil est incorporale, nisi

136 Origenes, De princ. (ca. 230 n. Chr.) I 1,6 (PG 11, 124 = H. Görgemanns/H. Karpp [Hgg.], Vier Bücher von den Prinzipien, TzF 24, Darmstadt 21985, 108/110). 137 Cf. a.a.O.: »Mens vero ut moveatur vel operetur, non indiget loco corporeo neque sensibili magnitudine vel corporali habitu …, neque alio ullo prorsus indigent horum, quae corporis vel materiae propria sunt.« Das ist zumindest für den menschlichen Geist kontraintuitiv. 138 Hilarius, Tract. sup. Psalm. (ca. 365 n. Chr.) 129,3 ( PL 9, 719). 139 Bei der angeführten Stelle Lk 24,39 bedeutet πνεῦµα eher Gespenst als Geist; cf. die Variante φάντασµα.

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quod non est«.140 Das Sein von etwas wird hier als wesentlich vermittelt begriffen und »corpus« als dies eigene Andere von etwas. Daher kann »corpus« auf verschiedene Weise als etwas sui generis und muss nicht stets als materiell gedacht werden. In der Anwendung auf den Gottesgedanken heißt das nun: Quis negabit Deum corpus esse, etsi Deus spiritus est? Spiritus enim corpus sui generis in sua effigie.141 Sed si et invisibilia illa, quaecumque sunt, habent apud Deum et suum corpus et suam formam, per quae soli Deo visibilia sunt, quanto magis, quod ex ipsius substantia emissum est, sine substantia non erit? Quaecumque ergo substantia Sermonis fuit, illam dico personam et illi nomen Filii vindico et, dum Filium agnosco, secundum a Patre defendo.142

Tertullian vermittelt das klassische Gottesattribut der Unsichtbarkeit mit dem im Anderen ihrer bei sich selbst Sein und unternimmt das christlich von der Trinität her. Damit ist auch ein konkretes Verständnis von Geist ermöglicht.143 Anders als bei dieser Ausnahme hat die Tradition die Bestimmungen Gottes als unsichtbar, unkörperlich, immateriell überwiegend nur negativ verstanden und Gottes Geistsein sozusagen als ein Gegending, d. h. als ein undialektisch bloß Anderes, was zu einem abstrakten, unlebendigen Begriff von Geist führt. Insofern ist hier das Problem des geistigen Seins nicht gelöst worden. Konkret und als lebendig wäre Geist erst begriffen als das SichAbstoßende, Indirekte und eigene Andere. 2. Altprotestantische Orthodoxie Im Anschluss an bestimmte Schriftaussagen und im Lichte der patristischen Autoren definieren die orthodoxen Väter Gott als essentia spiritualis infinita144 bzw. auch als ens spirituale a se subsistens.145 Dabei ist ausdrücklich Gottes Wesen überhaupt im Blick und nicht etwa die dritte Person der Trinität.146 Der Terminus spiritus kommt dabei analog für 140

Tertullian, De carne Christi (208/211 n. Chr.) 11 (PL 2, 774); Hervorh. J. R. Bei dieser Aussage stehen wahrscheinlich Kol 1,15 und 2,9 im Hintergrund. 142 Tertullian, Adv. Praxeam (213/218 n. Chr.) 7 (PL 2, 162). 143 Es bleibt freilich bei Tertullian noch die Frage der eigenen Differenz (per quod) weiterzudenken; für den Geistbegriff hieße das: diesen Unterschied als einen in sich und geistiges Sein als Einheit durch den Unterschied hindurch zu begreifen. 144 So A. Calov, J. A. Quenstedt, J. König u. a.; s. o. § 2 A. 1. (S. 171f). 145 Kurz auch: spiritus independens. 146 Entsprechend verfährt der gegenwärtige § 13. 141

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Gott selber, die Engel und die Menschen zur Anwendung: »analogice … ita, ut Deo πρώτως et absolute, creaturis δευτέρως et per dependentiam convenit«.147 Daher ist Geist Gott und den geschaffenen Menschen »communis, sed inaequaliter«. Die angeführten biblischen Belege sind vor allem Joh 4,24 (Deus spiritus est) und Lk 24,39 (incorporeus).148 Gottes Geistsein begründet sodann seine Unsichtbarkeit (bzw. diese wird von daher verstanden): »tum quod invisibilis sit Deus, cum omnis spiritus qua talis invisibilis … vide: Joh 1,18. Kol 1,15. 1Tim 1,7. 6,16«. Eine stärker inhaltlich, als diese ganz formalen Aussagen es sind, ergiebige Bestimmung ergibt sich von Gottes Erkenntnis und Willen her. Zur Ersten heißt es mit Bezug auf Act 15,18: »tum quod deus intellectu praeditus … quo et seipsum et omnia alia per se ipsum simul et semel cognoscit, et uno actu intuetur«. Der Zusammenhang von Geist und (Selbst-)Erkenntnis ist hier zwar angedeutet, aber nicht eigentlich für den Geistbegriff selber (bzw. seine innere Struktur) fruchtbar gemacht.149 Zum zweiten Moment heißt es dann: »ut et voluntate, qua deus seipsum, tamquam summum bonum amplectitur, et ea, quae bona sunt, vult, decernit, praecipit et facit« (cf. Ps 118,3; Jak 1,18). Gottes Geist wird hier als absolute Selbstaffirmation und Inbegriff des Guten schlechthin gefasst, das sich an die Geschöpfe weitergibt.150 Wie beim Erkennen, so ist auch beim Wollen Gottes die Selbstbezüglichkeit seines Geistes ein wesentliches Moment. Freilich müsste auch der Zusammenhang von Erkennen und Wollen, d. h. Reflexivität und aktiver Lebendigkeit, aus dem Begriff des Geistes begriffen werden, soll denn dieser für Gottes Sein überhaupt wesentlich sein. Im Ganzen ist zu dem hier Vorgebrachten zu sagen: Auch die altprotestantische Orthodoxie bleibt im Bann des Geistverständnisses der Kirchenväter bzw. der Antike. Geist wird teils nur negativ gefasst, teils ganz formell. Im Verweis auf die Allwissenheit Gottes (»intellectus praeditus«) liegt im Übrigen eine petitio principii vor, denn was »Allwissenheit« ist, wird erst von einem strukturierten Begriff des Geistes her ganz verstehbar.151 Festzuhalten ist aber, dass es die Erfahrung des biblischen Glaubens ist, die die Entdeckung und Thematisierung des Geistbegriffs motiviert hat – bei den Orthodoxen ebenso wie dann in der neuzeitlichen Wirkungsgeschichte.

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Dieser und die folgenden Belege nach A. Calov. Zit. oben bei Anm. 138. 149 Cf. Näheres unten E. 4. (S. 743ff). 150 Ein Zusammenhang von Geist und Leben scheint nicht thematisiert zu werden. 151 Cf. oben § 12 und unten D. 1.3. 148

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D. Biblische Orientierung 1. Altes Testament 1.1. Hier ist vor allem der Gedanke von Gott als spiritus creator einschlägig.152 Geht man von Gen 1,2b (Priesterschrift) aus: »Und die x:Wr elohim (der Geist Gottes) schwebte auf den Wassern«,153 so wird das exegetisch heute als die belebende Gegenwart Gottes beim Schöpfungshandeln und so diesem selbst innewohnend verstanden.154 Diese Vorstellung von einem belebenden Atem Gottes selber155 besagt hier wegen der textlichen Nähe zu Gen 1,3a (»und Gott sprach …«): Der göttliche »Geist« ist in engster Verbindung mit dem göttlichen Schöpferwort zu sehen und nimmt dieses ganz in Gottes eigenes Geistsein hinein: »der Atem Gottes, der in Affinität zum Sprechen steht«.156 Diese wird in Ps 33,6 explizit: »Durch das Wort (rbd) Jahwes sind die Himmel gemacht und durch den Hauch (x:Wr) seines Mundes ihr ganzes Heer.«157 Bei diesem Geistgeschehen handelt es sich nicht um einen Vorgang sozusagen nur in der Innerlichkeit Gottes, sondern systematisch ist zu sagen: »Gottes Atemholen ist ein aufwühlender Sturm, und aus seiner Dynamik heraus ergeht das schöpferische ›Sprechen‹«.158 152 Cf. F. K. SCHUMANN, Vom Geheimnis der Schöpfung. Creator spiritus und imago Dei, in: DERS., Wort und Gestalt, Witten 1956, 226ff. Zu Geist und Schöpfung (Gen 1,1– 5) cf. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen, TOBITH 1, Tübingen 2011, 206ff. Für das spätere Judentum cf. P. SCHÄFER, Die Vorstellung vom Heiligen Geist in der rabbinischen Literatur, München 1972. 153 Augustin hat das »über« (sc. den Wassern) betont: Vom Geist Gottes (spiritus tuus) ist erst nach Gen 1,1 und 1,2a die Rede, »quia oportet sic eum insinuari, ut diceretur superferri«, und von Gott selber gilt: »quem non oportet aliter conmemorari, nisi ut superferri diceretur« (Conf. XIII 6,7). Zur Begründung, warum hier so geredet werden musste, greift Augustin auf Röm 5,5; 1Kor 12,1.31 und Eph 3,14.19 (d. h. die göttliche Liebe) vor, und sagt im Blick auf diese: »Ideoque ab initio ›supereminens‹ ›superferebatur‹ super aquas« (Conf. XIII 7,8). 154 Um die Dynamik der göttlichen ruach auch etymologisch zu unterstreichen, hat K. Koch die (umstrittene) Übersetzung mit »Geistwind« vorgeschlagen – G. v. Rad sprach sogar von »Gottessturm« –, denn auch pneuma ist gleich »Wind« (Joh 3,8). FELDMEIER/ SPIECKERMANN sagen vom Schöpfergeist, er sei »eine transsubjektive, dynamisch-erfüllende und mitreißende Macht« (a.a.O. 204f). 155 Cf. zu ruach als Atem und Pneuma FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 205 Anm. 11, sowie zur Schöpfung (Ps 104,29f) a.a.O. 210. Cf. auch Gen 2,7: πνοή. 156 O. H. STECK, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, FRLANT 115, Göttingen 1975, 236. FELDMEIER/SPIECKERMANN sprechen von einer »Synergie von Gottes Geist und seinem wirksamen Wort« (a.a.O. 207 Anm. 17). 157 Cf. oben § 8 E. (S. 479ff). 158 W. PANNENBERG, Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988, 1991, 1993, Bd. II, 98f; cf. 214. Pannenberg macht hier auch auf den wichtigen Sachverhalt aufmerksam, dass Gottes Geist das schöpferische Prinzip nicht nur des Lebens, sondern auch

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In der zweiten Fassung des Schöpfungsberichtes (Jahwist) steht der Bezug von Geist und Leben im Vordergrund: »Und er blies ihm den Lebenshauch (von ~vn = atmen) in die Nase ein, und so wurde der Mensch zu einem atmend-lebendigen Wesen (vpn)« (Gen 2,7b). Hier erfolgt die eigentliche Belebung des Menschengeschöpfes durch das Weitergeben des Lebensgeistes: Geist als die konstitutive »Leben gewährende und bewahrende Beziehung Gottes zum Menschen«.159 Geist wird in solcher Selbstmitteilung als göttliche Selbstunterscheidung im Gemeinsamen des Lebensgeistes verstanden: »eine dynamische, Anderes bewegende Kraft«,160 und dies Andere als in bleibender Abhängigkeit davon (cf. Hi 33,4 und 12,10). Das lebendige Geschöpf ist nur als in der Unterscheidung bleibend zurückbezogen auf den Schöpferhauch (cf. Ps 104,29b; Hi 34,14f; Pred 12,7 mit Jes 40,7). »Geist« zeigt sich hiernach als der lebendige Zusammenhang von Unterschied (belebender – belebter Geist) und Bezogenheit (Abhängigkeit, Gegenübersein des Herrn: Hi 33,4). Als Geist übergreift der lebendige Gott den unendlichen Unterschied von Geschöpf, das selbständig vom Andern her ist, und dem Schöpfer, der durch Selbstmitteilung sich gegenüber ein Anderes sein lässt. 1.2. Als der schöpferische ist der göttliche Geist auch der erhaltende: als »stetige renovatio sive recreatio«.161 Vor allem nachexilisch wird der Geist Gottes im Alten Testament als protologisch begründet und eschatologisch Hoffnung stiftend aufgefasst.162 Seine Zukunftsbezogenheit163 drückt sich (alttestamentlich singulär) in der Erwartung eines »reinen Herzens« aus (Ps 51,12;164 cf. auch Ez 36,26 und Jer 31,33f). Indem der Gott der Bibel eine »bewegende und belebende Gegenwart ist, die sich als Geist den Glaubenden mitteilt« (cf. 1Kor 2,12),165 besteht dessen eschatologische Dynamik darin,

schon der Bewegung ist (a.a.O. 99); zum Verhältnis von Geist und Selbsthervorbringung s. u. E. 5. (S. 745ff). 159 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 206. Cf. auch die Formulierung von »Gottes Beziehungswillen und die daraus folgende Anteilgabe« (ebd.). 160 A.a.O. 204. 161 A.a.O. 211. Auch dieser Aspekt gehört zur Selbsthervorbringung Gottes als Geist, s. u. E. 5. (S. 745ff). 162 A.a.O. 206. 163 Sie kommt in der Prophetie zum Ausdruck; cf. Num 11,25: 2Kön 2,15; Ez 11,5 und 13,3; Jes 48,16 und Ez 37,1 (an dieser Stelle besonders wird der Geist als Subjekt und Organ [Medium] seiner Verwirklichung erkennbar: als der sich selbst durch sich selbst sich Verwirklichende). 164 Cf. a.a.O. 212. Da hier der singuläre Schöpfungsterminus baraʾ gebraucht wird, ist eine radikale Neuschöpfung ohne die Spur eines Anknüpfungspunktes auf menschlicher Seite gemeint (213). 165 A.a.O. 203. Der Geist Gottes ist identitätsstiftend für den Einzelnen wie für die Gemeinde. Der göttliche Geist ist als ein neuer bzw. neu machender die Kraft des Eschaton;

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die »von Gott gewährte Partizipation an seinem eigenen Leben gegen den Tod« zu sein.166 1.3. Vom Proton bis zum Eschaton ist Gott als Geist das schlechthin Umgreifende und somit überall präsent (Weish 1,7 und 12,1). So omnipräsent, ist der göttliche Geist eine unausweichliche Wirklichkeit: »Wo soll ich hingehen vor deinem Geist (x:Wr) und wo hinfliehen vor deinem Angesicht?« (Ps 139,7)167 Hierbei ist entscheidend wichtig, dass Gottes Allgegenwart geisthaft, geistiger Art ist – in Einheit mit seiner Allwissenheit. Die göttliche Unentrinnlichkeit ist die Gottes als Geist (cf. Ps 139,3). So ist der schöpferische Geist Gottes das Umfassende, aus dem wir leben, atmen und sind (cf. Act 17,28 und 17,25). Der menschliche »Geist« kommt insofern als wissender Bezug auf seinen geisthaften Seinsgrund (cf. Hi 32,8 und Sach 12,1) und dessen innigste Nähe zu uns ins Spiel.168 Als Geist ist Gott die letzte Wirklichkeit und das letzte Geheimnis aller Wirklichkeit, mit dem die »Macht des Geistes« gegen alle bloß physische Macht steht (Jes 31,3): also das Unsichtbare gegen das Berechenbare und das Schöpferische gegen das Verfügbare und mit Gewalt Machbare. Es geht dabei um das Geheimnis der absoluten Freiheit Gottes. 2. Neues Testament Wenn man zunächst von der zentralen und das Geistverständnis durchgehend beherrschenden christologischen Vermittlung des Geistes im Neuen Testament absieht,169 sind hier kurz einige Dimensionen des Verhältnisses von Gott und Geist in Erinnerung zu rufen. 2.1. Schöpfermacht. Es ist der göttliche Geist, der Jesus von den Toten auferweckt hat (Röm 8,11; cf. 1,4 u. ö.), ebenso wie seine neu schaffende Macht schon bei Jesu Entstehung die entscheidende Rolle gespielt hat (cf. Mt 1,18.29; Lk 1,15.35). In der Kraft ebendieses Geistes hat Jesus dann seine Vollmacht und z. B. die Macht über die unreinen Geister, denen er gebietet (Mk 1,23 u. ö.; cf. Act 16,18).170 Dieser Auferstehungsgeist hilft auch unserer Schwachheit auf (Röm 8,26; cf. Eph 3,16). Aus allen solchen Stellen geht hervor: Geist ist die wunderbare Macht, die aus der eigenen Gegenwart Gottes neues Leben schenkt. cf. Ez 11,19; 18,31; 36,26f sowie 39,29; Joel 3,1 (Act 2,17f) und Jes 32,15; 44,3. Er bringt Vollmacht mit sich; cf. Mi 3,8 sowie Lk 1,17 und Act 1,8. 166 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 211. 167 Zu Ps 139 (V. 1–6) cf. oben § 12 D. (S. 666ff). 168 S. u. E. 4. (S. 743ff). 169 Dazu genauer unten E. 2. (S. 739ff). Auch zu der wichtigen Stelle Joh 4,24 s. u. E. 1. (S. 736ff). 170 Cf. zu diesem Thema FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 248f, und zum allgemeinen Sprachgebrauch 203 und 205.

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2.2. Leben. Weil der Geist der Geist Gottes des Schöpfers ist, macht er lebendig, zu wem er kommt (Joh 6,63; Röm 8,2.6.10f.13b; cf. 1Petr 3,18 und 1Kor 15,45). Wie des geschaffenen Lebens, so ist der Geist auch Prinzip des neuen Lebens im Glauben auf die Vollendung zu. Wenn der Geist mit der Schrift an uns gelangt, so ist doch deren Buchstabe selber nur sein Vehikel, und der an ihm sich von ihm unterscheidende Geist ist erst eigentlich der, der lebendig macht (2Kor 3,6; Joh 6,63a). Der Geist ist wesentlich wortvermittelt,171 und Christi Worte sind an sich schon »Geist und Leben« (Joh 6,63b) oder auch schon »ewiges Leben« (Joh 6,68b), ist er doch das schöpferische Wort in Person, der Logos, der selber im Verhältnis des Geistes zu Gott steht.172 Der von Vater und Sohn ausgehende Geist ist bei den Glaubenden Ursprung und Leitprinzip ihres neuen Seins; denn sie leben vom Geist und im Geist (Gal 5,25).173 In solcher lebendigen Geistgemeinschaft (als gesteigertes Sein als Gottesgeschöpf) wirkt der Geist durch die Glaubenden unerschöpflich weiter (Joh 7,38f).174 Dieser Geist strebt unaufhaltsam einer endgültigen Erneuerung des Lebens entgegen.175 2.3. Wahrheit. Sie wird im Christentum als einer »denkenden Religion« (C. H. Ratschow) ausdrücklich in Anspruch genommen – und kann es –, weil und sofern Gott, der Vater Jesu Christi, selber als Geist gewusst wird (Joh 4,24).176 Im Glauben kommt an uns der »Geist der Wahrheit« (Joh 14,17): Geist von seinem Geist. Da er vom Vater ausgeht (Joh 15,26) und dieser selber als Geist gegenwärtig ist, kann es heißen: Der Geist ist die Wahrheit (1Joh 5,6; cf. 4,6). Weil mit dem Geist die göttliche Wahrheit selber, als Selbst, gekommen ist, wird im Geist alles auf neue Weise wiederholt bzw. kommt alles in seine Wahrheit; so ist z. B. die Taufe als Geisttaufe die Wahrheit der alten Wassertaufe (Mt 3,11 parr Joh 1,33 und Act 1,5; 11,16; cf. trinitarisch Mt 28,19), und so geschieht die Beschneidung jetzt im Geist (Röm 2,29).177 171 Dass der christliche Geist wortvermittelt und sprachbestimmt ist, zeigt auch das Pfingstereignis, das die »babylonische Sprachverwirrung« beendet (Act 2). Cf. den Geistbegriff W. v. Humboldts (s. o. S. 711 bei Anm. 50). Schon bei Johannes von Damaskus ist zu lesen: »Suus quoque verbo spiritus [Hauch und Geist] oportet. Nam ne nostrum quidem sermo spiritus est expers« (De fide orth. I 7: ∆εῖ δὲ τὸν Λόγον καὶ Πνεῦµα ἔχειν. καὶ γὰρ καὶ ὁ ἡµέτερος λόγος οὐκ ἄµοιρός ἐστι τοῦ πνεύµατος; PG 94, 803/804). 172 Cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 128), 30f. 173 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 152), 231f. 174 Die Metapher des Fließens ist (bis hin zu Luther) dafür besonders bezeichnend, cf. Röm 5,5. 175 S. u. 2.10. 176 Dazu unten E. 1. (S. 736ff). 177 Auch so zeigt sich: Geist ist dasselbe anders, die Vermittlung von Anknüpfung und neuer Unmittelbarkeit.

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Die Teilhabe am Geist als Sein in der Wahrheit und aus der Wahrheit Gottes setzt sich fort als 2.4. Gewissheit des Glaubens. Sie verdankt sich einem inneren Überführtwerden von der Wahrheit, denn Geist ist als inneres Sich-Erschließen, was er ist. Der Glaube erfährt sich als geisthaft, indem er Geist von Gottes Geist ist (Joh 3,6b). Darum liegt alles an der Anbetung Gottes »im Geist und in der Wahrheit« (Joh 4,23f; cf. 1Kor 14,14f; Eph 6,18), und nur im Geist kann man dem lebendigen Gott wahrhaft dienen (Phil 3,3; 1Petr 4,6). Der Geist der Wahrheit (cf. Joh 14,17; 15,26; 16,13) führt selber auch zum Bezeugen dieser Wahrheit nach außen,178 und nur durch den Hl. Geist kann man Jesus als den Herrn bekennen (1Kor 12,3; cf. 1Joh 4,2; Act 18,5). Von Gott her gilt, dass der Geist, der zugleich der Geist Jesu ist, uns in alle Wahrheit leiten wird (Joh 16,13; cf. 14,26 und Lk 12,12).179 Zugleich vertritt er uns vor Gott (Röm 8,20), bzw. als Geist tritt Gott selber für uns ein (Röm 8,26). Die Wahrheitsmächtigkeit des Geistes, das ist seine lebendig sich unserm Wahrheitsbewusstsein bezeugende und Gewissheit erweckende Gegenwart (cf. Röm 9,1); er gibt Zeugnis unserm Geist (Röm 8,16; cf. 1Joh 5,6): testimonium spiritus sancti internum.180 Geist ist – das wird auch hier sichtbar – eine Selbstdurchsichtigkeit im Unterschied (Anderen), und ebendarin besteht die Wahrheitserschlossenheit des Geistes. Vom Verhältnis Glaube und Geist gilt mithin: Er ist nur so intra nos, dass er zugleich extra nos, und so pro nobis ist.181 Gott hat uns mit dem Glauben wirklich von seinem Geist gegeben (1Joh 4,13; Gal 3,14)182 bzw. den Geist seines Sohnes (Gal 4,6). So ist die Wahrheit des Glaubens der Geist, nämlich Gottes Wahrheit bei uns als Kontinuität trotz des unendlichen Unterschiedes zu uns. Gott im Geist, das ist sein Kommen zu uns als Geist; so hat er sich selber unserm Geist mitgeteilt, und Geist ist die Wirklichkeit der Offenbarung bzw. Selbstoffenbarung Gottes (1Kor 2,10;183 cf. Eph 3,5).

178 Die primäre Äußerung des Geist-»Besitzes« ist das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn (1Kor 12,3). 179 Schon Jesus lehrte Wahrheit des Geistes über alle menschliche Weisheit hinaus (1Kor 2,13); daher prüft und unterscheidet der Geist die Geister (1Kor 2,13–15; 12,10; 1Joh 4,1). 180 In diesem Sinne gilt, dass der natürliche Mensch nichts vom Geiste Gottes vernimmt (1Kor 2,14). 181 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 247. Diese Spannung zeigte sich schon für den Begriff der Allgegenwart Gottes, die eben so geisthaft ist (s. o. § 12 E. 2. [S. 677ff]). 182 Im Glauben ist nicht Geist der Welt, sondern Geist aus Gott wirksam (1Kor 2,12; Joh 14,17). 183 Zu dieser Stelle s. u. E 4.2. (S. 744f).

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2.5. Freiheit des Geistes ist christlich nichts anderes als Sein in der Wahrheit. Diese Freiheit hat teil an der unbedingten Freiheit, die Gott selber ist und hat: als der sich aus sich Hervorbringende und absolut Lebendige. Sie teilt sich dem Glaubenden mit, sofern, selber der Wahrheit gewiss zu sein, nichts anderes als Freiheit ist (Joh 8,32). Das bedeutet religiös-inhaltlich auch die Freiheit vom »Gesetz«, denn »vom Geist bestimmt zu werden«, heißt eben, nicht mehr unter dem Nomos zu stehen (Gal 5,18), sondern unter dem (antithetisch so genannten) »Gesetz des Geistes des Lebens in Christus« (Röm 8,2), das das Gesetz der Freiheit ist (cf. Gal 3,5). Denn der »Geist des Herrn«, das ist Freiheit (2Kor 3,17b; cf. V. 18).184 Es gilt auch die Umkehrung: Geist – das ist der wahre Herr, die wirkliche Macht Gottes selber. 2.6. Gotteskindschaft ist die Anteilhabe an der Freiheit Gottes, die wir im Geist von seinem Geist glaubend empfangen (Röm 8,15; Joh 1,12). Von daher bestimmt sich für uns, »wes Geistes Kinder« wir sind (cf. Lk 9,55 App.), denn Geist ist, was das Woher und Woraufhin unserer menschlichen Existenz qualifiziert. Als schöpferisch-lebendige Macht ist es der Geist Gottes, welcher seine (dadurch bestimmten) Kinder »antreibt« (Röm 8,14: ἄγονται), und ebendieser von Gott stammende und im Anrufen des Vaters im Himmel sprachlich realisierte Geist bezeugt unserm Geist, dass wir wirklich Gottes freie Kinder sind (Röm 8,16; cf. Eph 2,18). So vermittelt die Erfahrung des göttlichen Geistes die Geborgenheit unseres endlichen Freiheitslebens in der väterlichen Liebe Gottes als Umfangensein unseres Selbsts von Gottes eigenem Leben: Röm 5,5. 2.7. Innerlichkeit. Geist meint christlich Gottes innigste Nähe zu uns: interior intimo meo (Augustin).185 Sein eigener Geist wohnt in den Glaubenden, ihrem Geist (Röm 8,11; cf. 1Kor 3,16; 6,19; Eph 2,22). Sein »in uns Sein« ist aber, weil geisthaft, zugleich (perichoretisch) unser »in ihm Sein«.186 Jedenfalls ist mit der Gemeinschaft im Geist gegeben, dass unser Freiheitsleben Stätte und Organ des Absoluten wird. 2.8. Exzentrischer Charakter. Weil und insofern Geist immer ein Sein beim Anderen und von ihm her bzw. ein Selbstsein beim Anderen ist, ist die Einheit des Geistes mit Gott durch Unterschiedenheit bzw. ein Aus-sichHerausgehen vermittelt (1Kor 6,17; Röm 8,9).187 Der Glaube als wahres Selbstsein im Geist (von Gott her) ist ein Sein bei Christus als Selbstsein von Christus her (als unserm wahren Selbst: Gal 2,20), im Verhältnis zu dem wir wir selber sind: geisthaft.

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Dazu genauer unten E. 2. (S. 739ff). Cf. oben § 12 E. 2. (S. 677ff). 186 S. o. Anm. 128. 187 Cf. oben bei Anm. 181. 185

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2.9. Was der göttliche Geist stiftet, weil er selber so ist, ist Einheit in Mannigfaltigkeit. Darum gibt es durch den Bezug auf den einen Herrn, der individuell unterschiedlich aussehen mag, auch nur einen Glauben (Eph 4,5), denn alle Glaubenden haben im Glauben denselben Geist (2Kor 4,12; Phil 1,27; Eph 4,3). Der eine göttliche Geist stellt sich in mancherlei verschiedenen »Gaben« dar (1Kor 12,4.11). Aus dem einen Geist kommt die Gemeinschaft des Geistes (cf. Phil 2,1; 2Kor 13,13; Eph 2,18 und 4,4). Geisthaft ist solche Einheit als übergegenständliche, extern begründete und freie Vielfalt in sich vermittelnde Einheit.188 2.10. Peregrinatio. Geist ist nur zu denken als lebendige Bewegung über sich hinaus, als Unterwegssein zu sich – wie das Sein Gottes. Weil der Geist immer mehr ist als seine Äußerung, kommt er unter den Bedingungen von Zeit und Endlichkeit auch für die Glaubenden nur als Anfang, Aus-Sein-auf… zur Erfahrung (cf. Röm 8,23; 2Kor 1,22; 5,5; Eph 1,14 [Angeld, ἀπαρχή, ἀρραβών, primitiae]). Darum stiftet der göttliche Geist Hoffnung (Röm 15,13; Gal 5,5). Darin spiegelt sich die zum Glauben gehörende Ungesichertheit bzw. das Sein des Geistes als krisenhaftes Unterwegssein.189 Geist ist (bei uns) nur als ständige Überwindung dessen, was er nicht ist, und man kann sich in ihm nicht einhausen, ihn nicht besitzen; wo er ist, begründet er nur den Anspruch darauf, es zu sein,190 und sein Leben in uns will sich umsetzen in unser Leben von ihm her (Gal 5,25).191 2.11. Eschatologische Ausrichtung.192 Der selber auf die Zukunft bezogene bzw. aus ihr kommende Gott (Ex 3,14 futurisch gelesen) macht sich bei den Glaubenden als Geist der Verheißung und der Hoffnung gegenwärtig (Eph 1,1).193 Der göttliche Geist bzw. Gott als Geist erneuert im Glauben und Geist, so dass wir schon neu sind, wenn auch noch nicht endgültig (Eph 4,23). Worauf das Werden des homo viator im Glauben hin unterwegs ist, das 188 »Geist« bedeutet geradezu, indem er das Ich mit dem Gemeinsamen besetzt, κοινωνία (2Kor 13,13; Phil 2,1), wie sie sich im Bekenntnis äußert. 189 S. o. B. 3.3. (S. 715 bei Anm. 73–75) zu Kierkegaard. Hierin kommt die wesentliche Negativität des Geistes zur Geltung (s. o. bei Anm. 70.71.79.115), die sich biblisch im Widereinander (Kampf) von Geist und Fleisch ausdrückt (cf. Gal 5,17; 3,3; Röm 8,13 und 8,1; zur Negativität des Geistes: 1Kor 15,46; 2Kor 3,6; Hebr 10,9b; zur δύναµις cf. ThWNT VI, 405,18f). 190 Das dürfte die Spannung von Indikativ und Imperativ bei Paulus erklären. 191 In den sog. »Früchten des Geistes«, vor allem der Liebe (Röm 15,30; 1Kor 4,21; cf. 1Kor 12,8–10; Gal 6,1; Phil 2,1; Röm 8,6 und 14,17; Eph 5,9; cf. auch Joh 15,8 mit 15,9; 16,33; 14,27), stellt sich der Gott, der selber Liebe ist, als belebender Geist in den Glaubenden wirksam dar. Bestehen nach Gal 5,22 diese Früchte des Geistes wesentlich in »Liebe (ἀγάπη), Freude (χαρά) und Friede (εἰρήνη)«, so ist das Geisthafte daran das Sein im Andern als sich selbst, die Erfüllung des eigenen Seins und die Gemeinschaft über Differenz hinweg. 192 Cf. dazu FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 232f. 193 Cf. Röm 15,13; dazu gehört auch die Prophetie (Lk 1,67; 2Petr 1,21).

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ist aber die vollkommene Teilhabe an Gottes eigener Lebendigkeit (Röm 8,11). Sollen wir im Eschaton als »geistlicher Leib« (σῶµα πνευµατικόν) auferstehen (1Kor 15,44), so erweist sich darin der Geist als absolute Aufhebung seines Gegenteils in versöhnter Einheit damit. Als die Mitte der Geschichte und Antizipation des Eschaton ist der menschgewordene Gott im Geist der Sohnschaft und Auferstehung zu begreifen.194 Die Geschichte, die sich in ihm konzentriert darstellt, ist die von der Schöpfung zur Erlösung, schematisiert in der Geschichte von der (passiv konstituierten) »Seele« (cf. Gen 2,7) zum (selber auch lebendig-schöpferischen) »Geist« (1Kor 15,45). In diesem Werden zu sich – vom ersten Adam zum letzten Adam (Röm 5) – ist der wahre Mensch gleichsam doppelt da und existiert der Mensch überhaupt (anthropologisch) als diese Geschichte.

E. Spiritus est Deus (Der konkrete Geistbegriff)195 Gegen den Deismus hat I. Kant formuliert: »Gott als ein geistiges wesen (intelligentz) zum Unterschied von der ewigen und nothwendigen Natur heißt der lebendige Gott«.196 Konkreter lässt sich Gottes Sein als Geist so begreifen: »Gott wird sich selbst ein Anderer, um in seiner Identifikation mit dem Menschen, um im Leben ihrer Gemeinschaft er selbst zu sein. Denn daß er sich selbst ein Anderer wird und in Ewigkeit ist, heißt, daß er als sich so selbst Unterscheidender zugleich seine lebendige Einheit vollzieht.«197 194 Jesus Christus ist als existierende Dialektik und Einheit von Gott und Mensch wahrer und wirklicher Geist und so die Vollendung der Schöpfung. 195 Aus der reichen Literatur seien hier nur genannt: a) philosophisch: W. BRÖCKER/ H. BUHR, Zur Theologie des Geistes, Pfullingen 1960; H. J. KRÄMER, Der Ursprung der Geistmetaphysik, Amsterdam 1967; M. THEUNISSEN, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970; E. DÜSING/H.-D. KLEIN (Hgg.), Geist und Heiliger Geist. Philosophische und theologische Modelle von Paulus und Johannes bis K. Barth und H. U. v. Balthasar, Würzburg 2009; b) theologisch: R. PRENTER, Spiritus creator. Studien zu Luthers Theologie, München 1954; (kath.) CH. SCHÜTZ, Einführung in die Pneumatologie, Darmstadt 1985; M. WELKER, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn 1992; E. MAURER, Der Mensch im Geist. Untersuchungen zur Anthropologie bei Hegel und Luther, Gütersloh 1996; CH. HENNING, Die evangelische Lehre vom Heiligen Geist und seiner Person. Zur Architektur protestantischer Pneumatologie im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2000. 196 I. Kants handschriftlicher Nachlaß, Bd. IV, Berlin 1926, Nr. 4344 = Kant-AA 17, 513,25–27. 197 T. KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 11; Hervorh. J. R. Das Zitat geht weiter: »Das ist Gott als Geist: der Vollzug seiner Einheit mit sich, zugleich die Gemeinschaft von Gott und Mensch, wie sie mit Christus verkündigt ist, und schließlich der Vollzug dieser Gemeinschaft in Glauben und Lieben

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Es ist vorab ersichtlich, dass nur, wenn der lebendige Gott selber als Geist gedacht wird, auch die Korrelation von Gottesbewusstsein und menschlichem Selbstbewusstsein begriffen werden kann, die mit Luthers grundlegender Aussage formuliert ist: »Denn die zwei gehören zuhaufe, Glaube und Gott« (Großer Katechismus, 1. Gebot).198 Zugleich ist wahrzunehmen, dass Gott selber als geisthaft existierend auszusagen, religionsgeschichtlich gesehen eine radikale Entmythologisierung der Gottesvorstellung bedeutet. Darum soll hier zunächst noch einmal an das Neue Testament angeknüpft werden. 1. Gegenwart Gottes im Geist (Joh 4,24) 1.1. Diese Aussage ist schlechthin universal,199 zugleich aber auch, wie der Kontext beweist, persönlich bestimmt.200 Dass Gott Geist ist, ist hier nicht als Gegenstand einer metaphysischen Substanzaussage formuliert, sondern in strenger Korrelation zu einem bestimmten Verhalten zu ihm: Weil er Geist ist, entspricht ihm nur ein bestimmtes Verhalten zu ihm bzw. fordert er ein solches, und nur für den geisthaften Umgang mit ihm ist Gott, der Geist, überhaupt da. Was das Geistsein Gottes besagt, wird primär deutlich an seiner »Anbetung im Geist und in der Wahrheit« (ἐν πνεύµατι καὶ ἀληθείᾳ, Joh 4,23). Diese wird bestimmt durch den Geist, der in alle Wahrheit leitet (Joh 16,13) und so ein wahres Gottesverhältnis ermöglicht, weil es dem »Geist der Wahrheit« (14,17; 15,26) und dem »wahren Gott« (17,3) entspricht. Die Perikope Joh 4,20ff stellt die Frage nach der wahren Gottesverehrung und beantwortet sie, indem sie jeden räumlich (Garizim) oder historisch ausgezeichneten Ort (Tempel)201 transzendiert (V. 21).202 Zugleich aber ist das πνεῦµα-Sein Gottes durch seine Wirklichkeit in Jesus vermittelt (καὶ νῦν ἐστιν, Joh 4,23), und das Gebet im Geist und in der Wahrheit ist eins in der Gemeinde« (ebd.); damit sind wesentliche Gesichtspunkte der hier folgenden Entfaltung genannt. 198 Dazu ausführlich oben Prolegomena § 4 (S. 60ff). 199 Insofern entspricht sie Gal 3,28. 200 Es geht um ein subjektiv wahrhaftes Verhalten zu Gott (cf. Joh 4,21). 201 Die wahre Tempelreinigung wird in Joh 2,14ff erzählt – mit Jesus als dem neuen Tempel (V. 19 und 21). 202 Das heißt: Gott als Geist ist nicht ausschließlich in einem äußerlich in Raum oder Zeit abgrenzbaren Heiligtum (wie ein Tempel oder ein heiliger Berg) gegenüber einem sog. bloß »Profanen« zu finden, auch nicht in speziellen Kultzeremonien oder besonderem »Gottesdienst«, sondern »innerlich« im Glauben, im Gewissen und Tun des Guten sowie durch das Gebet in eigenen Worten, wodurch die Glaubenden selber ein Tempel Gottes werden (1Kor 3,16; 6,19). Als Geist ist Gott auch nicht den herkömmlichen religiösen Scheidungen unterworfen (Samaritaner – Juden; cf. Gal 5,6; 6,15; Eph 2,18), ebenso wenig wie hier individuell-natürliche oder soziale Verschiedenheiten Geltung besitzen (1Kor 12,4–6; Gal 3,28).

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seinem Namen (14,23f), also durch sein lebendiges Geist-Wort (6,68) vermittelt, weil er selber voller Gnade und Wahrheit ist (1,17b).203 Ist aber dieser Mensch mit seinem Wort und seiner Geschichte, seinem Leben und Leiden Bezugspunkt des geisthaften Glaubens,204 so wird dieser zu einem Verhältnis von Geist zu Geist205 und zu einem »vernünftigen Gottesdienst« (Röm 12,1) in der Mitmenschlichkeit des Alltags. Die Gott als πνεῦµα entsprechende Anbetung im Geist und in der Wahrheit ist als geisthafte sprachlich vermittelt, denn Sprache ist das »Dasein des Geistes« (Hegel). »Geist« ist zunächst Gottes Gegenwart und Wahrheit in Jesu Rede; cf. Joh 4,26 und 18,37.206 Sodann macht der Geist auch unsere Worte lebendig und wahr (2Kor 3,6b), bzw. umgekehrt ist die Wahrheit des Geistes nur im wahren, lebendigen Wort (Joh 6,63). Sprachlich ist die Weise, wie Gott als Geist in unserm Geist da ist. So lehrt uns Gottes Geist in Wahrheit beten und erhebt im Gebet unsern Geist in die Gegenwart Gottes, der Geist ist; ja, er betet durch uns und in uns (Röm 8,26; cf. Mt 7,7f). Solches Beten »im Geist und in der Wahrheit« ist wahr, weil es das wahre Verhältnis zu dem selber als Geist »unsichtbaren« Gott (Joh 1,18a) ist und bleibt, indem es vor Gott Gott Gott sein lässt – als spezifisch »meinen Gott« (im Sinne Luthers).207 Dass dies Verhältnis zu Gott dem absoluten Geist durch den Fleischgewordenen vermittelt ist, entspricht einem belastbaren Begriff von Geist208 und verhindert ein (weltanschaulich nivelliertes) »idealistisches« Geistverständnis.209 Es besagt, Gott als Geist ist der im glaubenden 203

Insofern das gilt, kann von Joh 2,24 gesagt werden: »daß die eschatologische Stunde, in der sich ›Oben‹ und ›Unten‹, Geist und Fleisch, Gott und Welt begegnen – so sehr ihre Vollendung noch aussteht – doch schon da ist« (ThWNT VI, 437). 204 Und d. h. kein Tempel (cf. Mt 27,51), kein Altar, keine Bundeslade, kein Gesetz, kein heiliges Buch. Zur Freiheit christlichen Betens cf. eindrücklich E. HIRSCH, Der Sinn des Gebets, Göttingen 21928, 28f. 205 Der Glaube (cf. Joh 4,21a: πίστευέ µοι) ist eine Unmittelbarkeit zu Gott im Geist, die eine Vermittlung durch Jesus (im Geist) nicht aus-, sondern einschließt; cf. Eph 2,18! 206 Cf. zu den Ego-eimi-Worten RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 128), 435ff sowie zum Gespräch unten F. 1. (S. 749f). 207 Nach Hegel ist in der Reformation Joh 4,24 zur Erfüllung gelangt (HEGEL, Werke 20, 53). 208 Der Begriff Geist gewinnt dadurch die (von ihm zugleich übergriffene) interne Spannung von Individualität und Allgemeinheit, historischer Kontingenz und schöpferischer, ewiger Wahrheit (aus Gott), Fremdheit und Nähe, personhaftem Gegenüber und unausdenkbarer Universalität (als Logos). 209 Cf. B. Liebrucks: »Nachdem von Christus gesagt worden ist, dass in ihm Gottes Geist leiblich, also sinnlich, auf dieser Erde erschienen ist, können wir die Aufforderung, Gott im Geiste zu verehren, als das Herausrufen in die Gegend auffassen, in der das Verhältnis Gottes zu seinem Sohne gedacht wird, in der dieses Verhältnis Eingang in das Leben und das Herz der Menschen findet« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. II, Frankfurt 1965, 61).

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Verhältnis zum Menschen Jesus sich erschließende Gott und als solcher nicht schlechthin »unsichtbar« oder »nicht abbildbar«, sondern wesentlich intersubjektiv vermittelt (Joh 17,3).210 1.2. Nach Johannes ist Gott Geist, er selbst in seinem Sein bei uns, und hat ihn nicht nur.211 Göttlicher Geist zu sein oder ihn zu haben, ist nicht eine »Eigenschaft« Gottes, sozusagen irgendein Etwas, das von ihm selber wie ein Akzidenz unterschieden wäre, nicht ein spezifisches Tun Gottes (also nicht die Sendung eines besonderen Etwas von ihm zu uns), sondern Geist ist die Seinsweise Gottes selber, insofern er auch für uns ist. Gottes Sein als Geist, das ist sein göttliches (gotthaftes) Sein bei einem Anderen als Sein bei sich.212 Denn Geist (zumal als göttlicher) ist überhaupt nichts anderes als die Fähigkeit (Gottes), beim Anderen als er selbst zu sein. In diesem Kontext lassen sich auch die drei definitionsartigen Bestimmungen von Gott, die sich (einzigartig) im johanneischen Schrifttum finden, erläutern und in ihrem Zusammenhang verständlich machen. Der Grundaussage: πνεῦµα ὁ θεός (Joh 4,24a) entspricht die ebenso grundsätzliche Gottesaussage: ὁ θεὸς ἀγάπη ἐστίν (1Joh 4,8.16).213 Denkt man beides zusammen, so ist demgemäß der Geist inhaltlich die lebendige Liebeseinheit der Vater-Sohn-Liebe und der Liebe zwischen Jesus und den Glaubenden (Joh 17,22f).214 Gott ist absoluter Geist, indem er in sich dreieinige Liebeseinheit und zugleich die alles umgreifende, dreidimensionale Agape ist.215 Als absoluter Geist der Liebe und absolut liebender Geist ist Gott zugleich das, was die dritte johanneische Seinsbestimmung von ihm aussagt:

210 Gott begegnet im Andern als der »Nächste« (Lk 10,30ff) und darum in Jesus (Mt 25,40.45). 211 Sofern Gottes Geistsein und Geisthaben relativ auch unterschieden werden können, so handelt es sich um einen Selbstunterschied: Als das Ganze ist er zugleich Moment seiner selbst (cf. oben § 10 B. 1.2. [S. 563ff]). Das heißt, der Geist (als solcher) ist das Ganze, in dem der Bezug auf es als Ganzes selber integriert ist (s. u. E. 4. [S. 743ff]) und das ohne dies (also diesen Bezug ausblendend) gerade nicht als geistiges Ganzes gedacht würde. Logisch gilt: Jedes einfachhin vermeinte »Ganze« ist es nur relativ und so gerade nicht das wirkliche Ganze, sondern sozusagen nur die »Hälfte«, weil die Perspektive, von der aus es als Ganzes thematisiert wird, nicht in ihm selber verortet werden kann. Wer sich, vom »Ganzen« redend, von ihm ausnimmt, verfehlt es notwendig. Theologisch ist genau deswegen die Rede vom Hl. Geist, der selbst auch Gott ist bzw. der Gott (trinitarisch) auch ist, unverzichtbar, weil so der Bezug auf Gott in Gott selber hineingenommen und er wirklich als Geist (als wirklicher Geist) gedacht wird. 212 Dies Andere ist 1. (innertrinitarisch) er selbst und 2. sind es die an ihn Glaubenden. 213 Cf. dazu ausführlich oben § 11 B. (S. 613ff). Dem antwortet die Liebe der Glaubenden zum Nächsten ἐν ἔργῳ καὶ ἀληθείᾳ (1Joh 3,18). 214 »Veni, sancte spiritus, reple tuorum corda fidelium et tui amoris in eis ignem accende« (cf. EG, Nr. 156). 215 Dazu s. o. § 11 B. 1.–3. (s. o. S. 613ff).

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ὁ θεὸς φῶς ἐστιν (1Joh 1,5).216 Damit ist der Grundcharakter des göttlichen Geistes, der sich Offenbarende und an ihm selber Wahrheit zu sein,217 und ebenso der Grundcharakter der göttlichen Liebe, sich mitteilendes Sein zu sein, definitiv »ins Licht« gesetzt.218 Man kann auch sagen: So wird Geist als Einheit von Leben und Licht verstanden. Spezifisch christlich an diesen drei Grundbestimmungen ist indes, dass Geist, Liebe (Leben) und Licht immer als christologisch vermittelt begriffen werden müssen. Das hat der folgende Abschnitt genauer in den Blick zu nehmen. 2. Dominus spiritus est (2Kor 3,17) Prinzipiell ist die Christologie der Evangelien eine pneumatische Christologie.219 Daher gilt: »In gewisser Weise geht das Wirken des Geistes dem Kommen Christi voraus220 und ermöglicht es erst«.221 So wird neutestamentlich auch die Gottessohnschaft Jesu auf den Geist zurückgeführt, und es ist (im Zusammenhang des Theorems vom Werden zu sich) aufschlussreich, dass »die Einsetzung zum Gottessohn zunächst bei der Auferstehung stattfindet (Röm 1,4)«.222 2.1. Zur entschiedenen begrifflichen Durchklärung kommen diese Verhältnisse im Johannesevangelium, wo durchweg gilt, »dass der sich im Sohn offenbarende Gott in der Zuwendung zum Anderen er selbst ist«, also Geist.223 Gott ist Geist, und er ist das in sich selbst (trinitarisch), bzw. er ist als Geist er selber. Dies gilt auch, insofern er der ist, der in dem Menschen Jesus selbst (für uns) da ist. Gott ist auch darin Geist, dass er zugleich auch Mensch ist: in seinem eigenen Anderen bei sich ist und zugleich unendlich 216

Cf. Jak 1,17; cf. Ps 36,10 u. ö. Darin gründet auch der Zusammenhang von Erkennen und Erkanntsein im Gottesverhältnis; cf. Gal 4,9; 1Kor 8,3. 218 Cf. Hegel: »Gott als Geist oder als Liebe ist dies, daß Gott sich besondert, den Sohn erzeugt, die Welt erschafft, ein Anderes seiner und in diesem sich selbst hat, mit sich identisch ist« (HEGEL, Werke 17, 525). 219 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 152), 234– 236. 220 Zur Eigenständigkeit des Geistes (neben Gottvater und Christus) cf. die a.a.O. 243f. genannten Stellen; sie kulminiert, insbesondere was die »Personalität« des Geistes angeht, bei Johannes (cf. auch a.a.O. 245 und H. MÜHLEN, Der Heilige Geist als Person, Münster 1980). 221 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 235 (mit Bezug auf Lk 3f). Das gilt grundsätzlich schon innertrinitarisch. Bereitet der Geist auch zeitlich die Geschichte Jesu vor, so ist das wiederum als ein »Werden zu sich« zu begreifen. Denn Gottes Selbsthervorbringung aus der Geschichte ist sozusagen retroaktiv, indem er sich so als Ewiger und Dreieiniger hervorbringt. 222 A.a.O. 228. 223 A.a.O. 241. 217

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darüber hinaus. Das wiederholt sich potenziert darin, dass der »Paraklet«224 als der eigene Geist Jesu bei seinem Kommen Jesu Weggehen zur Voraussetzung hat (cf. Joh 16,7).225 Derart ist der Geist bei den Glaubenden als Umgang mit dem abwesenden Jesus als einem Anwesenden.226 2.2. Vor diesem Hintergrund gilt systematisch auch von Jesus Christus: ὁ δὲ κύριος τὸ πνεῦµά ἐστιν (2Kor 3,17a).227 Der Geist ist christlich immer auch »der Geist des Herrn« (2Kor 3,17b), und diese Formel ist im Sinne eines Genetivus subjectivus sowie eines Genetivus objectivus zu verstehen.228 Als solcher »wohnt« er in den Glaubenden und ist einer in der Vielfalt seiner Geistesgaben (1Kor 12,4f), wie Gott selber als Geist (V. 6).229 Er ist der »Geist Jesu Christi« (Phil 1,19b),230 und er hat oder ist wesentlich eine »gemeinschaftsbildende Kraft« (F. W. Horn).231 Ist in 2Kor 3,17a πνεῦµα als die eigentliche Existenzweise Christi, des Gottes- und Menschensohnes, verstanden,232 so ist beides zu sagen: Der Herr ist Geist (auch in der Gemeinschaft mit ihm: 1Kor 6,17), und: Der Geist ist

224

Cf. a.a.O. 244. Cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 128), 254f und 328–356. 226 Die christliche Trauer um den toten Herrn, die ängstigende, unmittelbare Erfahrung von seiner Abwesenheit, die anfechtende Situation, in der man scheinbar allein seinen Weg gehen muss – dies alles prägt es einem unerbittlich ein, dass der Herr der Geist ist. Gibt es eine wirksamere Verhinderung von enthusiastischer Unmittelbarkeit in JesusNachahmung, von selbstgenügsamer Christus-Mystik, von welt- und streitentnommener Glaubenssicherheit als diese Rede vom Geist, der in Trauer, Verlassenheit und Unruhe sich als der Herr erweist (cf. Joh 16,20.33)? Von »Geist« ist gerade die Rede, um zur rückhaltlosen Wahrhaftigkeit in der eigenen Situation zu ernüchtern (cf. 1Kor 14,19), und vom Herrn ist die Rede, um in dieser Wehrlosigkeit unbegreiflichen Schutz und Trost zu finden (cf. 2Kor 12,9 mit 13,4). Es ist das nicht die Ernüchterung der Resignation, sondern eine Nüchternheit des gläubigen Realismus. Diese Nüchternheit ist »heilig«, weil sie die des Hl. Geistes ist, und dieser Geist ist heilig, weil er an seinem Gegenteil erscheint und selbstsüchtige Indienstnahme verhindert. 227 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 241f. Die christologische Durchklärung der urchristlichen Geisterfahrung (unter dem Kriterium des »Geistes Christi«) darf als das Werk des Paulus und als ein Zentrum seiner Theologie überhaupt gelten. Dabei ist solche gedankliche Durchklärung selber »ein wesentliches Moment des urchristlichen Geistgeschehens selbst« (EBELING, Dogmatik III [wie oben S. 706 Anm. 15], 102), d. h., Theologie als gedanklich-begriffliche Reflexion ist die vernünftige Selbstklärung (und Selbstreinigung) der Geisterfahrung und hat selber eine pneumatische Dimension. 228 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 229. 229 Cf. oben D. 2.9. (S. 734). 230 A.a.O. 240f. 231 A.a.O. 229 Anm. 79. Cf. für das Neue Testament überhaupt oben 2.2. bei Anm. 173 und 174. 232 Der Mensch Jesus ist zugleich »Kyrios« wie Gott (cf. Joh 20,28 und 1Joh 5,20). 225

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Herr.233 Für die paulinische Theologie ist wesentlich, dass der Geist als das πνεῦµα des Herrn Jesus Christus das ganze Leben und Tun der neuen, in ihm angefangenen Menschheit trägt und umfasst. Dabei gilt grundsätzlich: Wo dieser Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (ἐλευθερία, V. 17b).234 Denn der Gegensatz, in dem schon Jesus von Nazareth gegen die Gesetzesreligion stand, erstreckt sich auf das ganze religiöse und ethische Leben der Christen (cf. Gal 5,1.13). Sie haben im Glauben keine Regeln und Vorschriften zu befolgen, denn Christus – als lebendiger Herr und lebendig machender Geist – bewegt sie innerlich, bestimmt sie geisthaft,235 treibt sie, lehrt und leitet sie: in der Freiheit der Gotteskindschaft (Röm 8,14.16).236 Geist als der mitgehende Ursprung und Anfang (ἀρχή)237 ist die gewaltlose Macht, die uns ins ewige Leben führt (Röm 8,11).238 3. Der sich offenbarende Geist 3.1. Offenbarung ist Gottes sich uns erschließendes und mitteilendes Sein, d. h., sein Selbstsein in einem Anderen und für ein Anderes in dessen Bewusstsein (Wissen) davon zu haben.239 Genau so ist Gott Geist. Gott ist selber der sich Offenbarende: als Subjekt seiner Tätigkeit und er selbst als lebendig sich Äußernder, uns Entgegenkommender. Gott offenbart in diesem Tun, was er selbst ist, und seine Selbstoffenbarung ist, wie der Geist überhaupt, sein eigener »Tat-beweis« dafür,240 dass er der Offenbare (sich uns Offenbarende) bzw. dass er Geist ist.241 Der Hl. Geist, der selber Gott ist, ist die Erfahrung von Gottes Offenbarung in unserem Geist bzw. von seiner Selbsterschließung an unseren Geist. Darin (im Glauben) wird unser Selbst (neu) konstituiert als Vernehmen von Gottes Selbstsein (uns gegenüber), als Sich-Verstehen aus der aktuellen Unterscheidung zwischen Gott und uns, insofern sie »in« uns geschieht.

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Cf. unten § 14. Dazu gehört theologisch auch die Rede vom Gericht. Cf. oben D. 2.5. (S. 733). 235 Christus kommt durch sein Wort nicht nur an uns, sondern ist darin auch selber wirklich, d. h., er ist Geist; cf. Luther: »Verbum habemus et scimus Christum adesse, non videmus, sed credimus« (WA 17 I, 101,12f; Hervorh. J. R.). 236 Nach Luther heißt der Hl. Geist wesentlich darum so, weil es sein Wirken ist, »daß er heilig machet« (BSLK 653,35f; cf. 647,17; 583,33f). 237 »Der Geist ist gleichsam das geschichtlich wirksame Jenseits der Geschichte« (FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 422). 238 Cf. oben Anm. 203. 239 Das hat oben § 10 genauer dargelegt. Zum Thema »Geist« s. o. § 10 B. 2. (S. 566 bei Anm. 89, 90 und 93). 240 Cf. das Novalis-Zitat unten bei Anm. 268. 241 Hegel schreibt vom Christentum: »Gott ist also hier offenbar, wie er ist; er ist so da, wie er an sich ist; er ist da, als Geist« (HEGEL, Werke 3, 554). 234

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Inhaltlich wird das in der Inkarnation Gottes in dem Menschen Jesus gewusst,242 und der Hl. Geist ist immer eine Art fortsetzende »Wiederholung« der Menschwerdung, zumal er als der Geist Jesu an uns kommt.243 Indes ist die Vermittlung des Geistes durch den Menschen Jesus nur eine in die neue Unmittelbarkeit zu Gott: »Und sie werden alle von Gott gelehrt sein« (Joh 6,45). Diese Gottunmittelbarkeit ist eine sich bei uns erzeugende und so geisthaft. Es ist hier festzuhalten: Offenbarung ist immer Gegenwart Gottes als Geist und begründet so im Glauben mich in geistiger Selbstdurchsichtigkeit. Denn der göttliche Geist wird nur gegenwärtig als Selbstoffenbarung Gottes an unsern Geist (»in« diesem).244 3.2. Der sachliche Zusammenhang von Geist und Offenbarung ist konkret im (göttlichen) Wort gegeben.245 Diesen unlöslichen Zusammenhang hat Luther grundlegend durch die Korrelation von Wort und Glaube bestimmt: »Neque enim deus … aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam verbo promissionis. Rursus, nec nos cum deo unquam agere aliter possumus quam fide in verbum promissionis eius«.246 Weil das äußere Wort an ihm selber Vehikel des Geistes ist und der Glaube an Gottes Verheißung sich an dies Wort allein hält und so geisthaft (vom Geist erweckt) ist, ist Luthers Geistverständnis entschieden gegen das Postulat eines sog. »reinen« Geistes gekehrt, das vom leiblichen Wort abstrahiert.247 Von den Geistenthusiasten seiner Zeit sagt er: »Sie wöllen Gottes wort vom leiblichen yns geistlich keren, und keren eben da mit sich selbs vom geistlichen yns leibliche.«248 Zum nächsten Abschnitt (4.) überleitend, sei hier noch auf das JesusLogion Mt 11,27 verwiesen: »Alles ist mir von meinem Vater übergeben, und niemand erkennt den Sohn außer der Vater, und niemand erkennt den Vater außer der Sohn und wem es der Sohn etwa offenbaren will.«249 Hier wird Offenbarung aus dem wechselseitigen Erkennen von Vater und Sohn, das ein 242

Dazu, inwiefern das die absolute Offenbarung ist, s. o. § 10. E. (S. 578ff). Dazu cf. oben Abschnitt D. 2.2. (S. 731). 244 Hegel bestimmt als den einfachen Inhalt der absoluten Religion: »In ihr wird das Wesen [sc. Gott] als Geist gewußt, oder sie ist sein Bewußtsein über sich, Geist zu sein« (HEGEL, Werke 3, 552). 245 Zur Wortvermitteltheit des Geistes siehe auch unten E. 5.2. (S. 746ff). 246 WA 6, 516,30–32. 247 Cf.: »wie er dyr mit den worten geyst, geyst, geyst das maul auff sperret und doch die weyl, beyde brucken, steg und weg, leytter und alles umbreysst, dadurch der geyst zu dyr kommen soll« (WA 18, 137,12–14). Dagegen: »Das wort, das wort, das wort, hörestu du lügen geyst auch, das wort thuts« (a.a.O. 202,37f). 248 WA 26, 466,19f. Zum Verhältnis Geist und Wort und zur unfreiwilligen Dialektik des schwärmerischen Geistenthusiasmus nach Luther cf. genauer J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 485–536. 249 Zur ausführlichen Interpretation cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 272–290. 243

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geisthaftes ist, erklärt und als im Geist von Jesu Wortverkündigung sich weiter vermittelnd gedacht. 4. Der sich erkennende Geist 4.1. »Geist« hat immer mit Bewusstsein und Verstehen, Selbstbewusstsein und Sich-Verstehen, mit Einsicht (Wissen) und Selbsterkenntnis (Sichdurchsichtig-Sein) zu tun.250 Das heißt: Die Gegenwart des Geistes (Geistesgegenwart) ist immer auch Selbstgegenwart. Darum wird der Geist stets als von innen her von sich überzeugend und von seiner Wirklichkeit überführend erfahren. Bekanntlich hat Aristoteles das göttliche Sein als Vernunft und so als ein Sich-selbst-Denken (νόησις νοήσεως) bestimmt.251 Auch für die abendländische Theologie gilt, dass Gott sich selber denkt und darin sein Sein hat.252 So heißt es bei Thomas von Aquin: »Quod intelligere Dei est sua essentia«253 und: »Quod Deus intelligit perfecte seipsum«.254 Wegen der Unendlichkeit des Geistes255 ist auch der an ihm teilhabende endliche Geist nicht abstrakte Selbstreflexion, sondern vermittelt durch Anderes, religiös den Anderen schlechthin,256 da wir Menschen nicht einfach Vernunft sind, sondern bestenfalls haben. Wir haben an ihr als der gemeinsamen Anteil, und so schließt unser Geist den Bezug auf Anderes immer ein.257 Die Vernunft ist selber geisthaft, sofern sie ὁ λογικὸς πλοῦτος ist,258 und dieser Reichtum der Vernunft ist ein Reflex des Pleromas göttlichen Seins. Biblisch gewendet bedeutet das für das schöpferische Leben Gottes, die Gabe des Hl. Geistes kommt »den Lebendigen zugute, in denen er sich selbst erkennen will«.259 250

Zu Luther cf. J. RINGLEBEN, Die Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 715 Anm. 72), 18–28. 251 Met. XII, 1074b 34f. Zum Geist der Selbsterkenntnis cf. auch Plotin, Enn. VI 3,2. 252 Zu Meister Eckharts These von Gottes Sein als reinem intelligere cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 715 Anm. 72), 189ff. 253 Cf. Thomas von Aquin, ScG I 45. 254 Cf. ScG I 47; dort auch: »maxime seipsum intelligit«. 255 Zu einem sachhaltigen Begriff von Unendlichkeit (als im Anderen seiner bei sich sein) cf. PANNENBERG, Systematische Theologie II (wie oben S. 728 Anm. 158), 225f. 256 FELDMEIER/SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen (wie oben Anm. 152), 227, weisen darauf hin, dass späte biblische Stellen wie Weish 1,5 (ἅγιον πνεῦµα παιδείας) oder 1,6 (φιλάνθρωπον πνεῦµα) in ihrer Synthese der biblischen mit der stoischen und mittelplatonischen Pneumatologie für die Anfänge christlicher Theologie bedeutsam waren. 257 Cf.: »seseque adgnovit in illo« (Statius, Theb. VIII 753). 258 Cf. Gregor von Nyssa, De vita Moysis (Gregorii Nysseni Opera, Bd. VII/1, hg. von W. Jaeger, Leiden u. a. 1964, 67,9–69,3). 259 FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 213 (cf. Ps 51,13). Entsprechend ist der Geist des Auferstandenen ein sich kommunizierender Geist (cf. Joh 20,21–23 und dazu RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium [wie oben S. 723 Anm. 128], 400ff).

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4.2. Dass im Pneuma (bzw. Pneumatischen) eine kognitive Funktion integriert ist, geben auch neutestamentliche Stellen zu denken. So geben 1Kor 14,14f und 14,19 (cf. 14,13–20) eine Zusammengehörigkeit von πνεῦµα und νοῦς im gläubigen Selbst zu erkennen.260 Ein reifes Christsein (wie das des Apostels) kennt sogar einen Vorrang des vernünftigen Wortes vor dem unverständlichen Reichtum der Glossolalie (V. 19), die immer auf nachvollziehbare Auslegung angewiesen ist (V. 13).261 So wird auch die von Paulus postulierte λογικὴ λατρεία (Röm 12,1) nicht ohne einen Anteil an der Vernunft überhaupt zu begreifen sein. Gilt nach Röm 8,16, dass der eigene Hl. Geist Gottes es ist, der in unserm menschlichen Geist das Zeugnis aufkommen lässt, dass wir »Kinder Gottes« sind – und dies insbesondere als dieses Hl. Geistes Kinder262 –, so verdankt sich das dem Vernehmen des göttlichen Wortes bzw. dem schöpferischen Zuspruch Gottes, bei dem die Vernunft, vermittelt durch Schrift und Tradition, »vernehmende« Vernunft ist. Eine kaum anders als spekulativ zu nennende, relevante Stelle findet sich in 1Kor 2,11. Nachdem Paulus die rhetorische Frage gestellt hat: »Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, außer der Geist des Menschen?« (V. 11a), überträgt er diese Selbstbeziehung des Geistes auf Gott: οὕτως καὶ τὰ τοῦ θεοῦ οὐδεὶς ἔγνωκεν εἰ µὴ τὸ πνεῦµα τοῦ θεοῦ. (V. 11b)263 Ist schon die Erkenntnis des Menschen nur durch den in ihm wirksamen Geist, d. h. als Selbsterkenntnis, möglich, so die Erkenntnis Gottes allein im Geiste Gottes selber.264 Denkt man beide Sätze zusammen, so legt sich zwingend die Folgerung nahe, dass auch die im Geiste Gottes sich vollziehende Gotteserkenntnis (des Menschen) letztlich nur eine Selbsterkenntnis Gottes ist.265 Wendland resümiert entsprechend:

260 Cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 204 Anm. 4 (mit dem Seneca-Zitat: »Ratio autem nihil aliud est quam in corpus humanum pars divini spiritus«; Ep. 66,12). Zur Rezeption von Pneuma und Nus in der frühen Theologiegeschichte cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 728 Anm. 158), 405f. 261 Cf. ähnlich Platon, Tim. 71e 3–72b 5. 262 Cf. dazu den höchst eindringlichen Aufsatz von S. VOLLENWEIDER, Der Geist Gottes als Selbst des Glaubenden, ZThK 93 (1996), 163–192, bes. 178f. 263 Die Prämisse solcher Übertragung ist: τὸ γὰρ πνεῦµα πάντα ἐραυνᾷ, καὶ τὰ βάθη τοῦ θεοῦ (1Kor 2,10b). H.-D. Wendland nennt das »das christliche Erkenntnisprinzip des Paulus« (H.-D. WENDLAND, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 71954, 25). 264 Auch WENDLAND formuliert. »Gott kann nur durch Gott erkannt werden« (a.a.O. 25). Das entspricht der Grundeinsicht unserer Prolegomena; siehe § 2 (Abschnitte A. und B. [S. 17ff.28ff]). 265 So wird auch Röm 8,27 verständlich.

§ 13 Der Geist

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Also ist der göttliche Geist einerseits als das Selbstbewußtsein Gottes gedacht,266 andererseits aber als in den Glaubenden wohnend, die Gott durch Gott, d. h. seinen ihnen verliehenen Geist erkennen. Hier wird es deutlich, daß der Geist die Funktion … des Zusammenschließens hat: Gottes Geist wird Geist im Menschen, und bleibt doch heiliger, göttlicher Geist. Gott selber schafft die Gotteserkenntnis durch die Gabe des Geistes.267

5. Der sich hervorbringende Geist Die Abschnitte E. 1.1. und 1.2. haben gezeigt: Gottes Geistsein ist diejenige Gegenwart Gottes beim Menschen, die sich in der geisthaften Begegnung mit Jesus Christus hervorbringt. Es stellt sich mithin abschließend die Frage, wie sich der christliche Begriff des Geistes überhaupt zu dem in dieser Gotteslehre leitenden Gedanken der Selbsthervorbringung Gottes verhält. 5.1. »Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis.«268 Von »Beweis« ist hier die Rede, weil wahrer Geist etwas ist, was sich nicht einfach imponiert, sondern in seiner Unmittelbarkeit sich einem Vermittlungsgeschehen verdankt. So schreibt Hegel mit Bezug auf die ratio Anselmi: »Es sind endliche Geister; aber das Endliche hat keine Wahrheit; die Wahrheit des endlichen Geistes ist der absolute Geist. Das Endliche der Geister ist kein wahrhaftes Sein, ist an ihm selbst die Dialektik, sich aufzuheben, zu negieren, und die Negation dieses Endlichen ist die Affirmation des Unendlichen … Dies ist der höchste Übergang; denn der Übergang ist hier der Geist selbst.«269 Die »Wissenschaft der Logik« wendet das ausdrücklich auf den Gottesbegriff an: »So ist auch Gott in seinem unmittelbaren Begriffe nicht Geist; der Geist ist nicht das Unmittelbare, der Vermittlung Entgegengesetzte, sondern vielmehr das seine Unmittelbarkeit ewig setzende und ewig aus ihr in sich zurückkehrende Wesen«.270 Kann man das als religionsphilosophische und logische Inter266 Cf. R. Rothe: »daß Gott dadurch, daß oder indem er sich von sich unterscheidet oder sich denkt, und umgekehrt, daß er sich von sich unterscheidet oder sich denkt dadurch, daß er sich setzt … [ist] der spekulative Begriff des Geistes … Gott, das absolute reine Sein, … bestimmt sich als Geist« (R. ROTHE, Dogmatik, 2 Bde., hg. von D. Schenkel, Bd. I, Heidelberg 1870, 78). Cf. unten bei Anm. 271. 267 WENDLAND, a.a.O. 26. Cf. Hegel: »Der tätige subjektive Geist, der den göttlichen Geist vernimmt – und insofern er den göttlichen Geist vernimmt –, ist der göttliche Geist selber. … Dies Vernehmen ist [sc. lutherisch] Glaube genannt worden« (HEGEL, Werke 18, 93f) und zum Selbstbewusstsein Gottes, das sich im Wissen des Menschen von ihm weiß (Werke 17, 385 und 480). Zu 1Kor 2,10b cf. a.a.O. 411. 268 NOVALIS, Vermischte Bemerkungen (5.), in: ders., Schriften, hg. von R. Samuel, Bd. II, Stuttgart 1965, 412. Das entspricht dem theologischen Begriff der Selbstoffenbarung; cf. oben § 10 A. 3. (S. 557ff) sowie den vorvorigen Abschnitt 3. (S. 741ff). 269 HEGEL, Werke 17, 522. Zugleich gilt für Hegel: »Das Wesen [= Gott] ist Geist, nicht ein Abstraktum; ›Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen‹ [Mt 22,32], und zwar der lebendigen Geister« (Werke 18, 96); zu Gott als »Vater der Geister« cf. Hebr 12,9 und Num 16,22. 270 HEGEL, Werke 6, 184.

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pretation des Aphorismus von Novalis lesen, so lautet die theologisch nicht weniger belangvolle, spezifisch Hegel’sche Folgerung daraus: »Das Sein des Geistes ist nicht so unmittelbar, sondern nur als sich selbst produzierend, sich für sich machend durch Negation als Subjekt, sonst ist er nur Substanz; und dies Zusichkommen des Geistes ist Bewegung, Tätigkeit und Vermittlung seiner selbst mit sich«.271 Dieser Geistgedanke wird in der spekulativen Theologie schlechthin als am Orte Gottes, des sich absolut Hervorbringenden, instantiiert gedacht: »Nur dadurch, daß ein Sein selbst sich denkt und setzt, wird es Geist; der Geist ist also seinem Begriff zufolge sui ipsius effectus und mithin auch causa sui«.272 Von hier aus wird auch Gottes Subjektivität (Selbstsein) begriffen: »Grade als persönlicher Geist kann Gott nur als perennirend durch sich selbst werdend gedacht werden.«273 Der glaubende Bezug auf Gott als Geist bedeutet daher, als ein von diesem Geist Ergriffenwerden (»Inspiriertwerden«) in die nach vorn gerichtete, weil sich hervorbringende Lebensbewegung des göttlichen Seins einbezogen zu werden.274 5.2. Für den Gedanken, dass der (göttliche) Geist sich selber hervorbringt, ist neutestamentlich der Zusammenhang von Joh 3,6b und 3,8 besonders aufschlussreich.275 Heißt es in 3,6b: τὸ γεγεννηµένον ἐκ τοῦ πνεύµατος πνεῦµά ἐστιν (cf. V. 8c), so ist das keine Tautologie. Vielmehr enthält diese Aussage das SichVorlaufen dessen, was da πνεῦµα ist, in dem, woraus es sich entgegenkommt; kommt Geist nur aus Geist, so bedeutet das: Er ist sein eigener Ursprung (ἐκ). Denn schon das, woraus der Geist herkommt, ist selber πνεῦµα, und wo dieses (V. 6bβ) entspringt (V. 6bα), setzt es sich selber voraus. Im Sich-Hervorbringen aus dem Geist ist es selber Geist (und nur so): Geist, der so auf sich zukommt und mit sich zusammengeht. So wird er zu dem, was er ist, und ist im Unterschied von sich mit sich eins: als lebendiges πνεῦµα.276 Das, woran sich das Geschehen des »aus dem Geist Geborenwerdens« ereignet, 271 HEGEL, Werke 16, 79 (Hervorh. J. R.). A.a.O. 78 heißt es: »Der Geist, dem das absolute, höchste Sein zukommt, ist nur als Tätigkeit, d. h. insofern er sich selbst setzt, für sich ist und sich selbst hervorbringt.« 272 R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 137 (§ 34). Cf. auch: »der Geist aber ist ein aus sich selbst und durch sich selbst Gewordenes« (a.a.O. 139 Anm. 2). 273 A.a.O. 141 (§ 36). 274 Bei K. Jaspers heißt es vom Leben des Geistes umfassend: »Das unendliche Ganze des Geistes ist also niemals, sondern wird, und zwar wird es in dem immer neuen Schaffen des Zusammenhangs … [es] nimmt die Gegensätze in sich auf« (K. JASPERS, Psychologie der Weltanschauungen, Serie Piper 393, München 61985, 328). 275 Die Verse erlauben, die beliebte Rede von der »Unverfügbarkeit« nicht nur negativ zu fassen. 276 »Der Geist zeugt sich selbst und erst im Zeugnis; er ist nur, indem er sich zeugt, sich bezeugt und … sich manifestiert« (HEGEL, Werke 18, 94).

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kann dabei selber zunächst noch etwas anderes als Geist sein, nämlich (beim Menschen) die vorgegebene σάρξ (cf. V. 6a). »Geist« und »Fleisch« werden bei Johannes antithetisch unterschieden (cf. Joh 6,63a); d. h., das πνεῦµα stößt sich von der σάρξ ab, um so als πνεῦµα zu sein. Ἐκ τοῦ πνεύµατος-Sein heißt πνεῦµα sein, und damit ist das Sein des Geistes in Identität mit seinem Sein-Woher gedacht. Das πνεῦµα ist mithin es selbst und sein Ursprung; d. h., es ist nur so es selber (als Geist), dass es im Verhältnis zu seinem Ursprung steht und sich darin voraussetzt. Auch Joh 3,8 unterstreicht diese Selbstbezüglichkeit des Geistes: ὅπου θέλει (V. 8aα).277 Sein »Wehen« (πνεῖν) geschieht, um neues πνεῦµα zu generieren, Geist zu erwecken. Dabei ist er nur dem eigenen Sein (als Wollen zu sich) entspringend278 und unverfügbar, weil durch sich selbst bestimmt und aus sich selber da. Das verbindet Geist und Sprache.279 Daher ist auch bei Johannes mit der Mehrdeutigkeit des Wortes πνεῦµα (Wind, Atem, Geist) das Thema »Geist« zugleich ganz sprachlich gedacht und formuliert.280 Der Geist redet (cf. 3,11), und zwar vernehmlich: τὴν φωνὴν αὐτοῦ ἀκούεις (V. 8aβ). Die Stimme (φωνή) ist eine spezifische Weise des Sich-Manifestierens von Geist: als aktuelle Selbstpräsenz mit eigener Herkunft und eigenem Ziel. In dem Genitiv φωνὴ αὐτοῦ (sc. des πνεῦµα) drückt sich exakt das Verhältnis des Geistes zu dem sinnlich Anderen aus, das er sich selbst voraussetzt, um zu sein. In dieser Bewegtheit seines Erscheinens ist der Geist von seiner Stimme, und insbesondere dieser als erklingender und wieder verklingender,281 relativ zu unterscheiden: Das heißt, er geht (als eine δύναµις) nicht in seinem Erscheinen auf und ist so einmal mehr »ungreifbar«, obwohl als Stimme ganz präsent.282

277 Das »Wollen« betont auch, dass es sich beim πνεῦµα nicht um ein Naturphänomen handelt. Im Folgenden nehme ich Formulierungen aus meinem Buch auf: RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 128), 205–208. 278 Als Geist bringt er sich zugleich aus seinem Anderen hervor, indem er sich daran entzündet (cf. Joh 3,6a und b), und sein »Wehen« bedeutet: Was er berührt, qualifiziert er durch sich selbst, macht es zu sich. So ist er »überall Anfang und Ende« (F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 239). 279 »Wir besitzen sie [die Sprache] so wenig wie den Geist« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein I [wie oben Anm. 209], 214). Geistig im eigentlichen Sinne ist die Sprache strukturell darin, dass sie als sie selbst bei der Sache bzw. in sich zugleich außer sich ist. 280 Cf. oben S. 711 bei Anm. 50. 281 Cf. Rilke: »Ein Hauch um Nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind« (R. M. RILKE, Die Sonette an Orpheus, Erster Teil, III). 282 Cf. LUTHER, WA 12, 300,15–17 und 18, 187,37–188,8.

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Hört man im Wort πνεῦµα hier den Atem mit,283 so liegt der Bezug von Joh 3,8 – wie das ganze Gespräch mit Nikodemus zeigt284 – auf das Reden nahe. Der Vers 8 gestattet eine Erweiterung auf die spontane Anrede von Gott (bzw. dem Logos) her,285 die unableitbar aus göttlicher Selbstvergegenwärtigung bzw. Gottes Sich-Hervorbringen für den Hörenden an diesen kommt.286 Für Nikodemus ist jetzt der Gottesgeist als Jesu Stimme da,287 und sie könnte das Hören wahr machen. Aber Nikodemus denkt im Rückschluss (3,2) – gemäß dem alten Satz: scire est causam rei cognoscere, der (auch in der Form einer Frage nach der »Bedingung der Möglichkeit«) immer nach einem logisch Vergangenen fragt –, während Jesus dagegen den sich hier und jetzt (in der Begegnung mit ihm) erzeugenden Geist aufbietet, der nach vorn ins Neue weist. Entsprechend kommt es zum Nicht-Vernehmen (ἀλλ’ οὐκ οἶδας πόθεν ἔρχεται καὶ ποῦ ὑπάγει, V. 8b),288 weil der Geist Gottes kein äußeres Woher und Wohin hat, sondern sein eigener Ursprung und sein eigenes Ziel ist: α und ω für sich. Auch als Geist sagt Gott von sich: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14) – von mir her und auf mich zu. In solcher Bewegtheit des Werdens zu sich ist Gott als Geist absoluter Selbstbesitz.289 283 Zu Luther über das Verhältnis von Atem und Stimme (WA 9, 632,34–633,10) cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 248), 528f. Cf. zum Medium der Luft auch I. Kant: »Durch die Luft … können sich Menschen am leichtesten und vollständigsten mit andern in Gemeinschaft der Gedanken und Empfindungen bringen, vornehmlich wenn die Laute, die jeder den andern hören lässt, articuliert sind und in ihrer gesetzlichen Verbindung durch den Verstand eine Sprache ausmachen« (I. KANT, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht …, 1. Theil, 1. Buch, § 18, in: Kant-AA 7, 155, 14–21). 284 Cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 128), 206f. 285 Es sei darin erinnert, dass Gott als Geist zugleich Logos ist (Joh 1,1a und b); bzw. er ist in einer Selbstunterscheidung zugleich ewiges Wort, oder auch: Das ewige Wort ist zugleich auch Gott (1,1c); cf. dazu RINGLEBEN, a.a.O. 30f. 286 Das spontane Bekenntnis: »Mein Herr und mein Gott« (Joh 20,28) konstatiert nicht ein Faktum, sondern darin bringt Gott sich lebendig am Ort des Glaubens als der Gott des Sohnes aktuell hervor; zum Sich-Abstoßen von der sinnlichen Erfahrung dabei cf. a.a.O. 408f. 287 Cf. Joh 4,26. 288 B. Liebrucks schreibt in philosophischer Hinsicht: »Der Geist weht, wo er will, und wir hören sein Sausen wohl, aber wir wissen nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Der Logos hat sein Dasein nur im zeitlichen Augenblick des plötzlichen Einfalls … Das dem Nicodemus in der Nacht zugesprochene Wort ist auch heute noch das Wort, das in die Nacht unserer verwissenschaftlichten Zeit scheint« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein [wie oben Anm. 209], Bd. VI/3, 1974, 591f). 289 Cf.: »In diesem absoluten, ursprünglichen und durch nichts eingeschränkten Selbstbesitz gründet die reine Geistigkeit Gottes; er ist ›spiritus purus‹« (VORGRIMLER, Gotteslehre [wie oben S. 724 Anm. 133], 59). Die Formulierung oben im Text impliziert allerdings eine Abgrenzung gegen den thomasischen Gedanke vom actus purus, auf den Vorgrimler sich a.a.O. bezieht. Außerdem ist festzuhalten, dass der eine Gott trinitarisch ist, indem er als Geist der sich in seinen Gaben Mitteilende ist (cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 183 und 230).

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F. Zum Begriff des absoluten Geistes Vom »absoluten Geist« kann theologisch deswegen die Rede sein, weil und insofern, christlich verstanden, Gott als Geist das Absolute ist: »Das aktuelle Sein des Absoluten oder Gottes ist also sein Geistsein, – Gott ist actu der absolute Geist«.290 1. Geist und Gespräch (Joh 3,1–10) Hier soll der Zusammenhang beider Begriffe in kommunikativer Intersubjektivität im Anschluss an die johanneische Perikope dargelegt und deren summarische Interpretation in systematischer Absicht unternommen werden.291 Dabei ergeben sich folgende dogmatische Sätze zum absoluten Geistsein Gottes in der Begegnung des Menschen mit dem Gottmenschen.292 – Geist ist die primäre Wirklichkeit des Intersubjektiven. Deswegen kann er nicht objektiv vorausgewusst (cf. Joh 3,2) – die Tradition bietet keine Sicherheit – oder nicht bloß in seiner Möglichkeit vorweggenommen werden; er ist nur als gegenwärtiger ernst genommen.293 – Gott als Geist schließt neutrale Distanz zu ihm aus. Je selbstvergessener einer ist, desto unwirklicher ist (ihm) der Geist. Gott erschließt sich nur dem, der sich ihm bis ins Letzte öffnet.294 – Geist wird absolut nur im Glauben verstanden und nicht mit formaler Logik (cf. Joh 3,4 und 3,9).295 – Gott als Geist erschließt sich konkret in der geisthaften Begegnung mit dem Menschen Jesus: Im Wort Jesu, das er selber spricht (so dass wahres Hören bedeutet, ihn zu hören), ist das »Reich Gottes nahe herbeigekommen«. Darum gilt es, »mit Geist« auf Jesus zu hören, um ihn wahrhaft zu begreifen.296 Geist ist Jesu Wort als »Handlung« (Sprachereignis),297 und

290

ROTHE, Theologische Ethik I (wie oben Anm. 272), 108. Zur eigentlichen Exegese cf. FELDMEIER/SPIECKERMANN, a.a.O. 237f, und ausführlich RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 128), 196ff. 292 Das 4. Evangelium versteht durchweg die Begegnung mit Jesus als Gottesbegegnung. 293 Wer sein Sich-Ereignen unter Vorgegebenes nur subsumieren will, verfehlt den Geist als solchen. 294 Das entspricht der schon oben in den Prolegomena dargestellten Einheit der Wege: Wenn wir auf ihn zugehen, kommt er uns entgegen, und im Geist ist unsere Selbsthingabe an Gott zugleich Gottes Hingabe an uns. 295 Der Geist ist nicht Gegenstand distanzierter Belehrung. 296 Nikodemus klammert sich wortwörtlich an das Gesagte und verfehlt so – das Wort bzw. im Buchstaben den Geist (cf. 2Kor 3,6b). 297 In Joh 3 redet Jesus in Negationen, d. h., er hält für seinen Gesprächspartner (Nikodemus) die Möglichkeit geisthafter Aneignung offen. 291

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Geist ist Jesu Wort selber als sich verdoppelndes: in seiner »Stimme« (Joh 3,8),298 die die Gottes ist. Geist ist seine eigene Möglichkeit und Wirklichkeit, sofern er der sich in der wirklichen Begegnung und persönlichen Gemeinschaft mit Jesus hervorbringende299 und so schon die Bedingung für eine echte zwischenmenschliche Nähe ist. Geist verwirklicht sich in einer schöpferischen Erfahrung, so dass man im Sich-Loslassen sich verwandelt und neu identifiziert und geborgen weiß (Joh 3,3: »Wiedergeburt«). Ein solches Neuwerden ist immer das, dem man zunächst, ihm widerstehend, selber im Wege steht bzw. die Einsicht darein, dass man es tut: im Sich-Festhalten gegenüber dem Geist. Gottes Nähe ist Geistes-Gegenwart. Dabei geht es um den lebendigen Einstand dreier geisthafter Bezüge: das Sich-Einlassen auf den Anderen (Jesus), das sich selber vorbehaltlos, ohne reservatio mentalis und schutzlos Einbringen und das Sich-hineinnehmen-Lassen in die neue Unmittelbarkeit von Gottes Wirklichkeit (als die eigene Wahrheit).300 Dieser Geist wird hier auch als das Paradigma eines gelingenden Gesprächs bzw. authentischer Kommunikation verständlich.301 Denn im in Wahrheit gelingenden Gespräch vollzieht sich »eine Verwandlung ins Gemeinsame hin, in der man nicht bleibt, was man war«.302 Gott als absoluter Geist erschließt sich absolut in der Geschichte Jesu und der wahren Begegnung mit ihm, der »das Wort« vom Anfang ist (Joh 1,1). Darum und derart ist Gott der Geist, »Seit ein Gespräch wir sind / Und hören können voneinander«.303 Geist ist der absolute Inbegriff des Kommens des Wortes, seiner lebendigen Anrede und unseres Vernehmens dieses Wortes und unserer Antwort darauf. Das ist so, weil Gott selber als der Dreieinige in sich selbst ein Gespräch ist.304

2. Geist und Verzeihung Heiliger Geist, das ist Gottes Geist in unserem Geist, ein lebendiger Zusammenhang im Unterschied, wie er für den Begriff des Geistes überhaupt kennzeichnend ist. Dem göttlichen Geist entspricht unter den Bedingungen der 298

Cf. dazu oben E. 5.2. (S. 746ff). Cf. ebd. 300 Cf. oben E. 1. zu Joh 4,24 (S. 736ff). 301 Dazu weiter unten Abschnitt 2.2. 302 H.-G. GADAMER, Wahrheit und Methode (wie oben S. 719 Anm. 104), 360. 303 HÖLDERLIN, Versöhnender, der du nimmer geglaubt (3. Fassung), in: ders., KlStA 2, 143. 304 Zu diesem trinitarischen Begriff bei Luther s. u. § 15 und cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 248), 70ff und (mit Bezug auf W. v. Humboldt) DERS., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 718 Anm. 100), 329ff. 299

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Endlichkeit das menschliche Verhältnis zwischen Selbst als Geist und anderem Selbst als Geist. Bekanntlich ist »Absoluter Geist« das zentrale Thema des Hegel’schen Denkens.305 Diese Konzeption ist theologisch und für die Gotteslehre relevant, weil es Hegel mit dem Fassen Gottes als absoluten Geistes (gegenüber Fichte und Spinoza) gelungen ist, »die Gottesidee so zu bestimmen, daß der Mensch mit der ganzen Tiefe seines persönlichen Lebens Raum hat in Gottes Leben«.306 Es soll im Folgenden gezeigt werden, wie die intersubjektiven Phänomene von Anerkennung (2.1.) und Verzeihung (2.2.) sich im Anschluss an Hegel als Erscheinungen des absoluten Geistes begreifen lassen, weil in ihnen grundlegend die Wahrheit des göttlichen Geistes bzw. Gottes als Geist erscheint. 2.1. Geist und Intersubjektivität. Für den Hegel’schen Begriff des Geistes ist konstitutiv, dass er elementar im Verhältnis von Ich zu anderem Ich, also im Selbstverhältnis als Verhältnis zu einer Instanz, die dasselbe anders ist, seinen Ort hat, denn es ist wesentlich »ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein«.307 So gewinnt das menschliche Selbst die Wahrheit seiner Gewissheit (von sich) nur im Verhältnis der »Anerkennung« eines anderen Selbst als solchen und der Anerkennung durch es: »das Selbstbewußtsein ist an und für sich, indem und dadurch, daß es für ein Anderes an und für sich ist; d. h. es ist nur als ein Anerkanntes«.308 Im Falle des Gelingens solcher Intersubjektivität gewinnt das menschliche Bewusstsein die grundlegende Erfahrung dessen, was Geist ist, bzw. entspringt für Hegel eigentlich der Begriff des Geistes, nämlich »diese absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e] die Einheit derselben ist: Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist«.309 Insofern Gott der absolut Andere (das absolute Selbst oder Ich) im Gegenüber zum menschlichen Selbst (oder Ich) ist, ist sein göttlicher Geist die unverfügbare »Mitte«, in der Gott und Mensch einander selbsthaft begegnen.310 Zugleich ist dieser Geist auch die Mitte der Intersubjektivität, das lebendige 305

THEUNISSEN, Hegels Lehre vom absoluten Geist (wie oben S. 735 Anm. 195). E. HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V, Gütersloh 3 1964, 239. 307 HEGEL, Werke 3, 144. Formelhaft: IA – AI. 308 A.a.O. 145. Zur Dialektik der Anerkennung, in der ein Selbstbewusstsein sich als solches konstituiert, cf. a.a.O. 145–147. Diese Dialektik endet zunächst in der Asymmetrie des Kampfes auf Leben und Tod bzw. des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft (a.a.O. 147ff). 309 A.a.O. 145. 310 Dieser Begriff der »Mitte« Selbständiger (cf. a.a.O. 479) wird in § 15 entscheidende Bedeutung für die Logik der Dreieinigkeit, d. h. Gottes absolutes Selbstverhältnis im Geist, gewinnen. 306

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Zwischen der Begegnung zweier Iche.311 Geist wird überhaupt und absolut als schöpferischer Gottesgeist als das umgreifende Allgemeine schlechthin verstanden, aus dem ich Ich bin und der absolut Andere (Gott) sowie die anderen Iche konstitutiv für mich und mein Selbstsein sind. Christlich vergegenwärtigt sich dieser Geist spezifisch – vermittelt durch das Verhältnis zu Jesus und seinem Gottesverhältnis – im Geist der Gemeinde. 2.2. Verzeihung als Entdeckungsfeld des absoluten Geistes. Eben in dem genannten Zusammenhang der christlichen Ostergemeinde hat Hegel die zwischenmenschliche Verzeihung als das endgültige Phänomen gelingender »Anerkennung« namhaft gemacht.312 Verzeihung ist für ihn zugleich sozusagen der höchste Fall wahrhafter Sprachlichkeit bzw. die absolute Wahrheit der Sprache und so zugleich die grundlegende Erfahrung des »absoluten Geistes«:313 »›Das Wort der Versöhnung‹ [2Kor 5,19]314 ist der daseiende Geist,315 der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem Wissen seiner als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist.«316 Der Zusammenhang von menschlichem und göttlichem Geist wird von Hegel abschließend noch einmal artikuliert,317 wenn er den Herrn der christlichen Gemeinde – »mitten unter ihnen« (cf. Mt 18,20; Lk 17,21)318 – als die vermittelnde Gegenwart des absoluten Geistes begreift: »Das versöhnende Ja, worin beide Ich von ihrem entgegengesetzten Dasein ablassen,319 ist das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs, das darin sich gleich bleibt und in seiner vollkommenen Entäußerung und Gegenteile die Gewißheit seiner 311

Es ist für Hegel immer sprachlich verfasst. A.a.O. 491–494. Zur Verzeihung in der Philosophie überhaupt cf. K.-M. KODALLE, Verzeihung denken. Die verkannte Grundlage humaner Verhältnisse, München u. a. 2013; zu Hegel relativ kurz 204–212. 313 Der Begriff des absoluten Geistes tritt hier in der »Phänomenologie des Geistes« zum ersten Mal signifikant auf; cf. auch HEGEL, Werke 3, 327. 314 Cf. dazu nochmals a.a.O. 565. 315 Für Hegel ist die Sprache überhaupt das »Dasein des Geistes« (a.a.O. 478f). 316 A.a.O. 493. Der oben (2.1. bei Anm. 309) exponierte Begriff des intersubjektiven Geistes ist hier (nach einer langen, krisenhaften Geschichte misslingender Anerkennungsverhältnisse) christlich-religiös realisiert. 317 In der »Phänomenologie des Geistes« folgt im Anschluss das große Religionskapitel, das seinerseits im Christentum als der »Offenbaren Religion« kulminiert. Man könnte sagen: Die absolute Religion macht gegenständlich und zeigt in seiner Ermöglichung in Gott und seinem Geist auf, was unmittelbar im Phänomen der Verzeihung gelebt wird. So lässt sich hier die Feststellung von Hirsch (s. o. bei Anm. 306) konkretisieren. 318 Cf. oben Anm. 310. 319 Diese Selbstentäußerung besteht real im Verzicht auf das trennende und die Asymmetrie zwischen den Ichen zementierende »Ur-teil« (cf. dazu a.a.O. 487f und schon früh HEGEL, Werke 1, 352 und 335). 312

§ 13 Der Geist

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selbst hat; – es ist der erscheinende Gott mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen.«320 Auch hier ist der Geist der Geist des absoluten Herrn.321

320

A.a.O. 494; cf. den Rückblick 572. Der »Herr« in der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft ist es in Wahrheit gerade nicht, weil er nicht zugleich sich hingebend und dienend, also nicht geisthaft Herr ist (cf. anders Joh 13,1–17 und 15,12–17). 321

§ 14 Der Herr Wie Gott als Geist der Herr ist, so ist seine ewige Liebe selber auch richtend: die Wahrheit unseres Lebens als Gericht und Gnade.

A. Einleitende Bemerkungen In einer christlichen Gotteslehre ist, auch von der Bibel her, ein Paragraph über Gott den Herrn unverzichtbar, und das sogar grundsätzlich. Dennoch kommt ihm systematisch nicht dasselbe sachliche Gewicht zu wie dem Paragraphen über Gott als Geist. Dies gilt, weil zwar Gott als der Eine der absolute Herr ist, der Gott des christlichen Glaubens aber spezifisch als Menschgewordener und Dreieiniger wesentlich Geist ist.1 An sich ist die Rede von Gott dem Herrn Inbegriff für eine Reihe von »Eigenschaften« des lebendigen Gottes wie: Freiheit, Heiligkeit (sanctitas), Gerechtigkeit (iustitia), Ehre (gloria),2 biblisch auch: der König, der Höchste. Alle diese Prädikate reden von der unerreichbaren Majestät des allmächtigen und ewigen Gottes, von seinem unermesslichen Abstand zum Geschöpf, von seiner Herr-lichkeit (kabod, doxa, gloria) in ihm und für sich selber.3 Dabei bedeutet seine Freiheit das absolute In-sich-Sein Gottes, nämlich dass er in und aus seiner eigenen Freiheit liebt, dass er in seiner Liebe Gott bleibt und als Liebe zu uns der Freie schlechthin und dass seine Freiheit sich selber als Liebe darstellt.4 Dem entspricht: Als Herr ist er der Geist, als Geist bleibt er der Herr, und sein Geistsein, das ist die Form seiner Herrschaft.5

1

Cf. oben § 13 E. 1. (S. 736ff) zu Joh 4,24. Zur Einheit von Gottes Herrsein und Geistsein s. u. Abschnitt C. (S. 758ff). 2 Zu hebr. kabod cf. Jes 6,3; Ps 72,19; Jes 40,5. Zu δόξα: Röm 6,4; Lk 2,14; Joh 11,4. Zur Verherrlichung des Gottessohnes cf. Joh 13,31 und 1,14b. 3 »Die göttliche Willensthätigkeit, die absolute Freiheit Gottes reflektirt sich in seinem Bewußtsein als seine Herrlichkeit oder Majestät, welche eben wesentlich die Bestimmtheit Gottes, absolut selbstthätig oder absolut frei, absolut souveräner Wille zu sein, als in seinem Bewußtsein gesetzte ist« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 145 [§ 38]). 4 Cf. oben § 11 B. 1.–3. (S. 613ff). 5 Cf. F. W. J. Schelling: »Erst als Herr, ein von dem seinen verschiedenes Seyn hervorzubringen, erst darin ist Gott ganz von sich hinweg; in diesem von sich Hinwegseynkönnen besteht aber für Gott wie seine absolute Freiheit so seine absolute Seligkeit«

§ 14 Der Herr

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Gott ist der Herr als der schlechthin Heilige (cf. Lev 19,2b; Jes 6,3); der absolute Wille (cf. Ps 135,5f; 33,8f; Hi 23,13f) und so die alles bestimmende Wirklichkeit (cf. Ps 72,19). Derart ist er als der Herr auch der Richter (Hebr 12,23).6 Als Geist der Liebe ist Gott indes in und aus seiner Gerechtigkeit gnädig, in aller Gnade ist er doch der Gerechte, und als Gnade vollzieht er seine göttliche Gerechtigkeit; so hat man von »strenger Gnade« gesprochen (E. Hirsch).

B. Gott der Herr 1. Der Herr als der Eine Als der absolut Eine ist Gott der Herr;7 das aber ist christlich verstanden keine Monarchie.8 Der Herr ist der absolut Selbstmächtige (αὐτάρκης), und dies als der Sich-Hervorbringende. Gleichwohl ist er als der Eine der, den bzw. dem wir »über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen« (Luther, Kleiner Katechismus) sollen und können. Und nur bezüglich des Einen, der der Lebendige ist, kann es heißen: »Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde« (Ps 73,25).9 Die im Alten Testament wegen der Heilighaltung des unaussprechbaren hebräischen Gottesnamens übliche Überschreibung durch die Vokale des Wortes »Herr« (adonai) hat zwar zu der philologisch unrichtigen Wortgestalt Jehovah geführt, aber in diesem Namen durchdringen sich sachlich bezeichnend »Gott« (Jahwe) und »Herr«. Da nun Jahwe in Ex 3,14 ausgelegt wird,10 impliziert auch schon die »Gottesgleichung« Gottes Herrsein und bringt es lebendig zum Ausdruck. 2. Der Herr als der Schöpfer Gott als der Herr muss, um absolut der Herr bzw. der absolute Herr zu sein, allmächtig und mithin allgegenwärtig und allwissend sein. So ist er »der Herr« (schlechthin) und nicht ein Herr, also der Herr von allem, und der Begriff »Herr« bringt den Allmächtigen und den Schöpfer auf einen Nenner.11 (F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Offenbarung II, in: ders., SW 14 [1858] = Nachdr. 351). 6 Zum Herrn und Richter des Lebens s. u. zu »Gesetz und Evangelium« Abschnitt E. (S. 764ff). 7 Zur Einheit des lebendigen Gottes cf. oben § 3 B. und C. (S. 250ff.268ff). 8 Etwa im Sinne von Homer, Il. II 204f: εἷς κοίρανος ἔστω, / εἷς βασιλεύς. 9 Cf. dazu oben § 3, Exkurs VI (S. 263 bei Anm. 88). 10 S. o. § 1 A. (S. 92ff). 11 Gleichwohl ist es christlich nicht hinreichend, in diesem Sinne den einen Gott nur abstrakt als das Höchste Wesen zu fassen: »Betrachten wir Gott nur als das Wesen

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Indes ist, wie früher ausgeführt, Gott der Herr der Welt nicht nur als ihr Schöpfer, sondern auch als ihr Erhalter, d. h. als der, der lebendig und schöpferisch mit ihr mitgeht.12 So ist der eine Herr auch der die Welt (mit seiner Vorsehung) Lenkende (κυβερνήτης).13 In seinem Handeln absolut bei sich zu sein, ist Inbegriff seiner Herrlichkeit, und diese hat somit auch eine eschatologische Dimension: Wenn er in seinem »Reich« endgültig alles in allem sein wird (1Kor 15,28), ist er in seiner ewigen Doxa auch vollendet bei sich selber der Herr. 3. Der Herr als der Vater14 Das Herrsein Gottes ist eines der Liebe und entspricht so, durch Jesus und seine einzigartige Gottesanrede »Abba« vermittelt (cf. Mk 14,36 mit Röm 8,15; Gal 4,6), dem »Vater«-Namen für Gott, bzw. dieser legt jenes aus. Seit seiner Auferstehung und Teilhabe als Erhöhter an Gottes »Rechter« ist auch Christus der »Herr«, Kyrios wie Gott (cf. Joh 20,28).15 So ist er der »Pantokrator« (ὁ κύριος πάντων), und im Himmel regiert (gemäß Mt 28,18) ein Mensch!16 Daher ist jener Ausdruck von allen politischen Implikationen (z. B. einer »Königsherrschaft Jesu Christi«) freizuhalten.17 schlechthin und bleiben dabei stehen, so wissen wir ihn nur erst als die allgemeine, widerstandslose Macht oder … als den Herrn. Nun ist aber die Furcht des Herrn wohl der Anfang, aber auch nur der Anfang der Weisheit [Spr 1,7; 15,33]« (HEGEL, Werke 8, 233); so erreicht man nicht die »Tiefe der christlichen Vorstellung von Gott« (ebd.). Immerhin ist, Gott zu fürchten, der Anfang der religiösen Weisheit, weil so für uns alles sein richtiges Maß bekommt (cf. HEGEL, Werke 18, 118f). 12 S. o. § 8 F. 2. (S. 489ff). 13 »Gott sitzt im Regimente / und führet alles wohl« (EG, Nr. 361,7). 14 Cf. hierzu auch allgemeiner den Abschnitt: »Gott als der Herr und Vater« bei P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 329f, sowie neutestamentlich R. FELDMEIER, Gottvater. Neutestamentliche Gotteslehre zwischen Theologie und Religionsgeschichte, in: F. Schweitzer (Hg.), Kommunikation über Grenzen, VWGTh 33, Gütersloh 2009, 302–323. Dazu systematisch J. LAUSTER, Gott als Vater (a.a.O. 324– 335). 15 Damit ist endgültig eingelöst, was in Joh 10,30 und 14,9b steht. Gott bzw. Christus ist der eine Herr, weil vor ihm alle gleich sind. »Mein« Herr (wie »mein Gott«) bezeichnet ein persönliches Gottesverhältnis (coram Deo), das das eigene Selbstsein bestimmt bzw. dafür konstitutiv ist (cf. S. KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode, in: ders., GW 24, 77ff). Doch ist, obwohl Gott der Herr schlechthin ist, ihn als »meinen Herrn« zu wissen, nicht einfach eine logische Subsumtion: weil Herr von allem, folglich auch meiner. Sondern das individuelle Vor-Gott-Sein hat eine spezifische Erschließungsfunktion, sofern Gott damit primär als Herr über das eigene Selbstsein und so als Herr subjektiv zugeeignet und realisiert wird und so geisthaft für einen der Herr ist. 16 Cf. BSLK 1040,25ff u. ö. sowie HAMANN, Briefwechsel 1, 394,3f. 17 Auch die Bezeichnung als »Lord« für ihn oder Gott ist ohne sozial-hierarchische Implikationen zu verwenden.

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Indem der eine Herr Gott der Vater in Liebeseinheit mit dem Sohn ist, ist er Geist und seine Herrschaft eine geisthafte. Am Orte Jesu, an dem der ewige Gott sich selber und sein Reich hervorbringt, hat sein Herrsein menschliche Züge, indem er mit Jesus zugleich unser Bruder, d. h. Freund und Diener wird (cf. Joh 13,1–17; 15,12–17).18 So ist Gott als der Herr und der Geist die Liebe selbst.19 Man darf sogar sagen: Der Herr wird Knecht (cf. Phil 2,6ff). Als der stärkste Ausdruck dieser sich mit den Erniedrigten und Gequälten identifizierenden Liebe des Herrn dürfen Mt 25,40 und 25,45 gelten.20 4. Der Herr als der Dreieinige Die Rede von Gott als dem Herrn betont die Alleinherrschaft und -wirksamkeit Gottes. Diese wird aber christlich – im wesentlichen Unterschied zu einem abstrakten Monotheismus21 – näher bestimmt als eine durch den Menschen Jesus vermittelte und so als das Sein des (im eigentlichen Sinne) lebendigen Gottes in der Dreifaltigkeit seiner Lebensbewegung (konkreter Monotheismus).22 Trinitätstheologisch formuliert: Weil Gott selber auch Logos ist bzw. der Logos Gott selbst, findet hier ein Herrschaftsdenken keinen Ort oder keine theologische Begründung. Denn eine »Herrschaftslogik« widerspricht der Logik der Liebe.23 Nur in diesem trinitarischen Kontext lässt sich mithin sagen: Die christliche Gotteslehre als Logos von dem einen und lebendigen Theos ist Theologie von Gott als dem Herrn und einen Kyrios schlechthin, Kyriologie. Das Theologumenon »Der Herr« ist also abschließend entschieden trinitarisch zu denken:24 als die lebendige Einheit von absoluter Selbständigkeit und absolutem Umgreifen, d. h. als selber Geist, der als solcher immer die andere Seite, sein Gegenüber, mitbestimmt.

18

Zur Auslegung cf. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 286ff. 19 Das findet, was die Vermittlung durch den Herrn Jesus angeht, seinen Ausdruck in dem organologischen Bild für die lebendige Gemeinschaft vom Haupt und seinen Gliedern (1Kor 12,12ff). Zu Joh 15,1ff cf. RINGLEBEN, a.a.O. 481–501. 20 Dazu s. u. F 2. (S. 770f). 21 Für den der Name Allah exklusiv einsteht. 22 Zu trinitarischen Formeln wie 1 Kor 8,6 cf. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gottt der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 114f. Zur trinitarischen Logik Joh 1,1 cf. RINGLEBEN, a.a.O. 24f. 23 Cf. die Hegel-Zitate (Werke 1, 30 und 246) oben § 11 B. 3.4. (S. 629 bei Anm. 112 und 113). 24 Das leistet ausführlich § 15.

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C. Der Herr als Geist 1. Herrsein als Geistsein Das Herrsein Gottes ist insofern der in dieser Gotteslehre von Anfang an leitende Gedanke gewesen, als von den Prolegomena an alles darauf bezogen wurde, dass Gott selber das Verhältnis zu ihm (einschließlich der theologischen Lehre von ihm) eröffnen und bestimmen muss, damit die Gotteslehre sachhaltig und wahr sein kann.25 Indem der Herr der ist, der immer schon bei uns sein will, ist er – in dieser Verdoppelung seiner Präsenz26 – immer auch Geist. Beide Aussagen finden sich gleich wesentlich: »(credo) … et in spiritum sanctum, Dominum et vivificantem«27 und: »Dominus autem Spiritus est« (2Kor 3,17).28 Ihr Verhältnis ist hier eher schöpfungstheologisch29 und später trinitätstheologisch zu thematisieren.30 Zunächst ist Folgendes zu bedenken: »Der Herr«, das ist trotz der ihm inhärenten Beziehung auf alles, für das er der Herr ist, kein (bloß) relativer (relationaler) Begriff, sondern es handelt sich primär um den Begriff absoluten Herrseins, d. h. auch des Herrseins über sein Herrsein.31 Weil es bei diesem Herrsein um keinen relativen Begriff geht, wenngleich er auch Relation selber einschließt, findet hier die Hegel’sche Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft als ein Kampf auf Leben und Tod32 keinen Anhalt.33 Als zugleich der absolute Geist transzendiert Gott als Herr die Dialektik abstrakter Herrschaft. Darum verfällt der christliche Glaube nicht dem unmittelbaren Verhältnis von Herrsein und Knechtsein,34 gemäß dessen Dialektik der

25

Cf. oben Prolegomena, § 2 A. und B. (S. 17ff.28ff) u. ö. Cf. K. Barths Rede von der (Selbst-)»Wiederholung« Gottes als des Herrn (BARTH, KD I/1, 396 u. ö., sowie den Leitsatz zu § 9). Gegen Gottes Wiederholung seiner selbst in den drei trinitarischen Personen cf. I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 377 und 393. 27 Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum (BSLK 27,1f). 28 Als solcher ist er der Grund von Freiheit (ebd.); zur systematischen Deutung cf. oben § 13 E. 2. (S. 739ff). 29 S. u. C. 2. (S. 759ff). 30 S. u. § 15 I. (S. 844ff). 31 Cf. entsprechend oben § 5 F. (S. 365ff). 32 Wenn der lebendige Gott der Herr ist, dann ist zuletzt nicht der Tod »der absolute Herr« (HEGEL, Werke 3, 153 und 438). 33 Cf. HEGEL, Werke 3, 150ff. Hegel hat entsprechend nicht das Christentum, wohl aber das Judentum als die Religion des Herrn begriffen (a.a.O. 80ff) sowie auch den Islam (Werke 8, 233f). 34 Wie M. Luther es im »Freiheitstraktat« durchkreuzt; cf. dazu J. RINGLEBEN, Freiheit im Widerspruch, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, Bd. I, Tübingen 2004, 3–17. 26

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Knecht die Wahrheit des Herrn ist.35 Hier hingegen versöhnt sich der Herr mit den Knechten,36 indem er sich selber zum Knecht der Knechte macht,37 so dass der Herr die Wahrheit des Knechtseins ist. 2. Zur Logik der Einheit von Herr und Geist Gott ist im lebendigen Gottesverhältnis immer beides zugleich: der Herr und der Geist.38 Das ist ein antinomisches Verhältnis, nämlich ein Verhältnis zu dem, der absolut ist, d. h. bei dem jedes »Verhältnis« eigentlich aufhört.39 Denn hier sollen der Unendliche, Allbedingende und ein endlicher Mensch in Relation zueinander treten, als Glieder eines Beziehungsverhältnisses.40 Nun lebt der Glaube des geschaffenen Menschen in einem (endlichen) Selbst, das sich zu dem (unendlichen) Grund seines Selbstseins verhält. Daher ist das gelebte Gottesverhältnis ausgespannt zwischen den Polen, das eigene Selbst aufzugeben vor Gott, seinem allbedingenden Grund, und das eigene Selbst (neu) zu empfangen aus der tragenden Nähe dieses Grundes. Als »Grund« ist der schaffende Gott zugleich Instanz der Begründung für das geschöpfliche Selbst und abgründige Instanz von dessen Negation, das als begründetes nicht autark ist.41 Demgemäß wird Gott erfahren als (tragender) Grund und (uns negierende) Grenze, als uns innerlich nah, ja verwandt (Act 17,28), und zugleich als absolut verborgen, als der schlechthin Allwirksame, der unser Begreifen sprengt:42 das heißt, als Geist und der Herr. Die Erfahrung des christlichen Glaubens vereint diese Antinomie lebendig in sich, denn der unergründliche Gott ist dem Glauben innerlich erschlossen; für unser Selbstsein geöffnet, ohne es zu zerstören, und sich uns erschließend, so dass wir in dem Gott bei uns selber 35 HEGEL, Werke 3, 152. Kierkegaard schreibt: »ein Herrscher, welcher Knechten gegenüber ein Selbst ist, … ist eigentlich kein Selbst« (KIERKEGAARD, Die Krankheit zum Tode [wie oben Anm. 15], 78). 36 Cf. J. Kleppers Lied: »Was ich von ihm empfahe, / gibt sonst kein Herr dem Knecht. / Wie wohl hat’s hier der Sklave, / der Herr hält sich bereit, / daß er ihn aus dem Schlafe / zu seinem Dienst geleit« (EG, Nr. 452,4). Cf. auch oben bei Anm. 16. 37 Cf. oben § 6 C. (S. 378ff, zu Phil 2,6ff) und 2Kor 8,9. 38 In lockerer und etwas schematischer Zuordnung ließe sich sagen: Gott ist als der Schöpfer Herr und Geist, als der Ewige Geist (aus der Zeit) und Herr (bei sich selbst). Nach Hegel ist Gott nicht nur der Herr über die Natur, sondern mehr noch »der Herr über das Geistige oder (indem er selbst geistig) der Herr im Geistigen« (HEGEL, Werke 18, 87). 39 Dazu schon kurz oben § 13 A. 2. (S. 704f) und der Hinweis auf E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, 86–89 [§ 54]); cf. auch ausführlicher E. HIRSCH, Christliche Rechenschaft, hg. von H. Gerdes, Bd. I, Berlin u. a. 1978, 213ff. 40 Kann der ewige Schöpfergott ein »Partner« sein? 41 Cf. oben § 13 A. 2. (S. 705 Anm. 10). 42 Zum Thema »deus absconditus« cf. oben § 13 A. 2. (S. 705 bei Anm. 11) und § 10 B. 1.2. (S. 563ff).

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bleiben, aus dem wir frei zu sein vermögen. Trotz der genannten Antinomie begegnen wir christlich in Gott dem Herrn keiner dämonischen, destruktiv fremden Macht, der man sich blind überlassen oder beugen müsste.43 Gottes Geistsein und sein Herrsein gehören nach allem Gesagten lebendig zusammen. Als Geist und ohne sein Herrsein verstanden, handelte es sich um eine blasse Idealität und Verklärung des bloß Menschlichen (Gott der Bildungsreligion) oder um unpersönliche Mystik (abstrakte Einheit). Wird Gott nur als der Herr und ohne Geist zu sein aufgefasst, so erscheint er als Sinn und Freiheit bedrohender Dämon, bei dem weder von Wahrheit noch von Gewissheit die Rede sein kann und der den Glauben nicht innerlich von sich überführt. Erst die antinomische Spannung und das Aufeinander-verwiesen-Sein beider Bestimmungen bzw. Erfahrungsweisen Gottes macht gemeinsam Gottes Geistsein aus. Denn Geist ist als die Einheit von Unterschiedensein (der Herr) und innerem Nahesein (der Geist) der absolute Geist Gottes. Man kann auch sagen: Erst als Herr und Geist ist Gott wahrhaft Herr, und nur als Geist und Herr ist Gott göttlicher Geist. Es geht um das Herrsein Gottes, aber für uns. Und das Geistsein Gottes selber ist uns vertraut und fremd zugleich: als sein πνεῦµα. Gottes Herrsein ist die Weise, wie man mit Ihm als Gott eins sein kann. Gottes Geistsein ermöglicht zwar die Einheit mit uns, aber als eine nicht von uns herstellbare und bleibend unverfügbare Einheit. Der Herr soll und kann geistig erfahren werden, und der Geist bleibt immer Gott der Herr. So greift jede Seite über die andere über, ist sie selbst und die andere, und die vorgestellte Antinomie ist unsere endliche Weise, Gott den Herr und Geist zu erfahren. Eine konkrete Gestalt solcher Glaubenserfahrung ist die Antinomie von Gottes Reden und Schweigen für uns. In den harten Zeiten göttlichen »Tiefschweigens«,44 den tempora tristia (Luther) oder der »Gottesfinsternis« (M. Buber), gilt es für den Glauben und eine »Theologie in dürftiger Zeit«, in solcher Spannung sich die Hoffnung und die Geduld zu bewahren. Die Erfahrung der Anfechtung, »alls were keyn Gott da«,45 gehört aber schon in die Ursprungssituation des christlichen Glaubens (Mk 15,34).46 Im geduldi43

Glaube ist keine »Heteronomie«, sondern Theonomie als wahre Autonomie. Hamann stellt 1784 fest: »Freylich ist es eine harte Zeit; aber unsere Pflicht, sich darein zu schicken, und Sein Tiefschweigen nachzuahmen, weil unser Vielreden Ihn nicht zum Wort kommen läßt. Der Herr wird für uns streiten; aber wir müssen still seyn« (HAMANN, Briefwechsel 5, 142,6–9; cf. auch 136,4f). Danach ist es trotz allem die Pflicht des Christen, stille zu sein und auf Gott zu hören, weil sonst gerade unsere (religiöse oder kirchliche) Vielrednerei uns stumm macht und unser Reden von Gott erschwert, weil sie ihn gar nicht zu Wort kommen lässt. 45 LUTHER, WA 15, 373,3f. 46 Nach Hamann gehört in die Einheit des göttlichen »Dialektes« auch »Ein Ton von unermäslicher … Tiefe! Ein Beweiß der … leersten Entäußerung!«, was fast unausweich44

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gen und beharrlichen Hören auf Gottes Wort realisiert sich die Hoffnung, die Sehnsucht und Erwartung, dass er sich darin vernehmen lasse und wieder »zur Sprache komme«. Solches Hören vermag wenigstens einen Funken von Glauben zu entfachen, ist es doch dessen inne: Gott hat schon geredet, zu unsern Vätern und irgendwie immer auch zu uns; sonst würden wir nicht darauf aus sein. So versteht sich der Glaube gerade in der Situation angefochtener Erfahrung vom Schweigen Gottes als in die Spannung versetzt zwischen der Verheißung »Klopfet an« (Mt 7,7; Lk 11,9) und dem vernehmenden Hören gemäß einem »Tue dich auf« (cf. Mk 7,34f mit Mt 7,8; Lk 11,10).47 Und kein Gebet um Gottes Sich-Vergegenwärtigen ist wahrhaft, wenn es nicht in der Spannung zwischen unserer Schwachheit und Gottes in uns mächtig werdender Kraft geschieht (2Kor 12,9f).

D. Der Herr des Lebens Gott ist in einem spezifischen Sinn der Herr des Lebens. Denn als der sich selbst Hervorbringende und gemäß Ex 3,14 seine Einheit mit sich ewig Verwirklichende hat Gott das Leben absolut in sich selber (ἐν ἑαυτῷ, Joh 5,26a).48 Gottes Herrsein ist mithin seine absolute Herrschaft, wie über die gesamte Wirklichkeit, so auch über alles Leben. Indem er das Leben überhaupt aus seinem eigenen Leben begründet und daran teilhaben lässt und indem er eben so auch das innere Telos (vollendete Ziel) aller Schöpfung – »der Gott der Lebendigen« – ist, ist er der Herr schlechthin, der uns zugleich mit der Fülle seiner lebendigen Gottheit auch gegenübersteht. So ist er: 1. Die heilige Macht über unser Leben: der Vater Weil Gott als Vater49 der Herr ist, ist das Verhältnis zu ihm weder durch Auflehnung noch durch Unterwürfigkeit, sondern allein in der Freiheit aus Gott wahrhaft ein Verhältnis zu ihm.50 Denn das Gottes Vatersein entsprechende Sein als Geist bewahrt das authentische Verhältnis zu ihm vor einer autoritären Verzerrung des Herrseins. Der Herr als – durch den Herrn Jesus vermittelt – unser himmlischer Vater (Mt 6,9b) setzt uns in die Freiheit unseres Lebens als Kinder Gottes ein und lich zur Leugnung Gottes drängt (HAMANN, SW 2, 204,7–12); cf. dazu oben § 6 G. 2. (S. 396ff). 47 Cf. O. BAYER, Schöpfung als Anrede, Tübingen 21990, 62ff. 48 Dazu genauer RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben Anm. 18), 502ff. 49 Siehe auch oben B. 3. (S. 756f). 50 Cf. oben B. 3. (S. 756f).

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will, dass unsere Freiheit in seinem Leben aufgeht;51 er bestimmt uns unser Leben (als individuelles Sosein) und gibt uns damit eine Bestimmung. Wenn wir unsere Lebenswirklichkeit konkret als Bestimmung Gottes auffassen, wird sie uns zur Anrede, d. h. zum Ausdruck seines Willens mit uns, den wir hören und dem wir entsprechen (antworten) sollen: in der Freiheit unserer Lebensgestaltung. Der immer schon Herr ist, will es auch bei uns sein, in freier Wiederholung.52 Gott redet mit uns, indem er uns für uns selber zur Aufgabe macht – inmitten der anderen Menschen, unserer Nächsten und der ganzen Wirklichkeit. Gott als den Herrn unseres Lebens zu wissen, heißt, dass uns unser bestimmtes, konkretes Sein als seine Absicht mit uns durchsichtig wird. »Alles, was Gott an uns tut, ist Ruf zur Freiheit und Liebe«, kann man frei nach Fichte sagen. Der »Herr« ist der, der alles so fügt, wie es für uns da ist, und der uns damit auf einen Weg zu ihm ruft. So ist er uneinholbarer Grund und unausdenkbares Ziel, und so ist er: 2. Die heilige Macht gegenüber unserm Leben: der Fordernde Als Geist ist Gott unser Herr. Darum ist er in der (immer auch persönlichen) Ich-Du-Beziehung zu ihm zugleich ein forderndes Gegenüber. Als der uns das eigene Leben Gewährender und Erhaltender ist er der zugleich dessen Bewahrung Fordernder und selber Schenkender.53 Seine »Forderung« entspricht dem Lebenssinn des Lebens selbst, denn jedem Leben ist die Tendenz eigen, sich als Leben zu erhalten und zu steigern – auch unter den Bedingungen der Negation unmittelbarer Lebendigkeit. Diese Selbstbejahung des Lebens ist erfahrbar als die ihm zugehörige »Lust«, und wird sie absolut (im Falle göttlichen Lebens), ist sie Seligkeit.54 Jedenfalls gründen sie und Gottes Forderung darin, dass Gott sein Leben bei seinen Geschöpfen fortsetzen will und daher von ihm aus gilt: »Ich lebe, und ihr sollt auch leben« (Joh 14,19). Weil indes Gott als Geist auch Herr ist, leben wir selbsthaft nicht in einem anonymen Prozess eines unbestimmt so genannten »absoluten Geistes«, in welchem unser persönliches Leben und individuelles Selbstsein ertränken, sondern im Verhältnis zum persönlichen Gott als einem unaufhebbaren Gegenüber und einer schlechthin überlegenen Instanz. Damit ist gesagt: Die 51 Der lebendige Gott ist, sich selber hervorbringend, die Einheit von Sich-Setzen und Sich-Wollen. 52 Glaube ist dergestalt: Gott Gott sein lassen. 53 Cf. unten Abschnitt E. (Gesetz und Evangelium, S. 764ff). 54 Cf. Nietzsche: »Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit« (F. NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra IV. Das Nachtwandler-Lied [11.], in: ders., KSA 4, 403,20f) und das bekannte Lied selber (a.a.O. 404 [12.]). Das christliche Kirchenlied kennt »das Land der süßen Wonne, / da die Lust, die uns erhöht, / nie vergeht« (EG, Nr. 450,5) bzw. eine »Liebe, die mir hat erstritten / ewge Lust und Seligkeit« (a.a.O. Nr. 401,3).

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geisthafte Einheit mit Gott als dem Geist55 ist nicht unpersönlich oder unterpersönlich, sondern eine auch im bewussten Gegenüber eines von uns aus unaufhebbaren Abstandes.56 Gott ist aber gerade deswegen der Herr, weil er nicht nur ein übermächtiger Herrscher, sondern zugleich selber auch Geist und uns von sich her innerlich nah und verwandt ist (Act 17,28). Als Geist eben ist Gott die alles bestimmende Wirklichkeit: der Herr. Die Einheit mit ihm bzw. unsere Zugehörigkeit zu ihm wird als unentrinnliche Forderung gerade auch im Abstand zu ihm gewusst. Aber auch so ist er: 3. Der Herr als die Wahrheit unseres Seins Gottes Herrsein bzw. Herrschaft ist seine Herrlichkeit (Röm 11,36).57 Mit diesem Begriff der gloria Dei ist der Inbegriff aller göttlichen Vollkommenheiten, Gottes Pleroma, angesprochen.58 Besteht die Herrlichkeit formal in Gottes suisufficientia bzw. omnisufficientia, woraus sich seine Wahrheit, nämlich Vermögen und Aktuierung seiner Selbstkundgabe als Gott, in seiner Gottheit, ergibt, so wird sie inhaltlich real als die absolute Freiheit zu lieben, als seine göttliche Freiheit in der Liebe (Herrsein) und Freiheit als Liebe (Geistsein). Über Gottes Herrsein sagt Röm 11,36 aus: Gott ist Ursprung des Lebens überhaupt, weil er als der Lebendige schlechthin ist: Inbegriff ewigen Lebens. Weltschöpferischer Ursprung des Lebens zu sein bzw. überhaupt schöpferisch zu sein, das ist selber Inbegriff von Gottes höchster Lebendigkeit – und ebenso von deren Ziel: der Durchsetzung seines eigenen Lebens gegen den Tod der Geschöpfe und zu deren Einbeziehung in sein ewiges Leben. So ist Gott der Herr: unser absolutes Woher und Wohin, unser Lebenselement und letztes Lebensziel: Mit jedem Atemzug, jeder noch so verborgenen Regung, jedem Gefühl und jedem Gedanken, jedem Wort und jedem Tun oder Lassen »leben, weben und sind wir« (Act 17,28) in dieser unserer Wahrheit, in ihm und vor ihm.59 Es geht somit nicht um eine von außen gesetzte Wahrheit, der wir uns willkürlich anzumessen hätten (also nicht eine bloße Forderung oder ein abstraktes Gesetz), sondern um unsere wahre Wirklichkeit, um gerade die Wahrheit unserer Freiheit. 55

Im Sinne von oben § 13 E. 1. und 2. (S. 736ff.739ff). »Geist« ist gerade eine Einheit über alle Distanz hinweg. 57 Cf. dazu oben Anm. 2 und 3. 58 Cf. J. Gerhard: »quae nihil aliud est, quam Dei essentia et essentiales eius proprietates« (J. GERHARD, Loci theologici, loc. sec., c. VIII, sect. XVIII [hg. von E. Preuss, Bd. I, Berlin 1863, 366]). Polanus schreibt von der essentialen gloria Dei: »sunt virtutes in ipso Deo existentes et in operibus eius relucentes« (A. POLANUS V. POLANSDORF, Syntagma theologiae christianae, Hannover 1609, col. 1213). 59 Cf. oben § 12 E. 2. (S. 677ff). 56

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Freilich ist Gott als diese Wahrheit auch der Herr: unsere Wahrheit uns gegenüber, die wir sie zunächst und zumeist schon verfehlt haben. Von diesem Herrn, der die absolute Instanz unserer Wahrheit ist, und vor ihm sagen wir, ihm allein alle gloria zusprechend: »Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit« (Mt 6,13 App.). Genau so ist dieser Herr der Ort unserer eigensten Wahrheit; weil er der Vater ist, vergleicht er uns nur mit uns selber und ist seine Forderung wirklich unsere Wahrheit. Schließlich darf man sagen: Gott als Geist, das ist unsere absolute Erfüllung; Gott als Herr, das ist das Maß dieser Erfüllung.60 Gott ist selbst die wahre, lebendige Wirklichkeit, an deren Maß unser menschliches Selbstsein selber gemessen werden kann und gemessen wird. Gott ist dies ewige Maß unserer Freiheit in seinem selbsthaften Leben und Lieben, einem Selbstsein in allmächtiger Einheit mit sich bzw. der lebendigen Einheit, die er selber ist.61 Als absolute Gleichheit mit sich selber ist Gott der Herr; als sein Gleichwerden mit uns in ewiger Liebe ist er der Geist. Und so ist er auch das ewige Maß unserer Gleichheit mit uns selber. Insofern der Herr des Lebens relativ vom Leben selber zu unterscheiden ist, verweist die Formulierung »Herr des Lebens« auf die Bestimmung des Lebens, sich im (oder: als) Geist selber zu transzendieren62 und zu erfüllen.63 So gilt auch im Blick auf das Leben überhaupt: »Der Herr ist der Geist« (2Kor 3,17a).64

E. Der Herr des Wortes (Gesetz und Evangelium) Die Souveränität Gottes als des Herrn erweist sich auch in dem Wort seiner Anrede an uns, d. h. in der machtvollen Sprachlichkeit seiner Selbstoffenbarung.65 Sie wird christlich in der Doppelgestalt von Gesetz und Evangelium erfahren, und genau diese Doppelgestalt artikuliert das Herrsein Gottes spezifisch. Dies gilt nicht nur von Gott an sich selber, sofern er Herr ist als der im Gesetz Fordernde und zugleich Herr als der uns im Evangelium Rechtfertigende. Sondern es gilt insbesondere für unser Verhältnis zu Gott als dem

60 Leben muss theologisch als die Selbstvoraussetzung des Geistes gedacht werden, und der Ausdruck »Geistesleben« ist in diesem Sinne keine bloße Metapher. 61 Cf. oben § 3 D. (S. 274ff). 62 P. Tillich zählt die Selbst-Transzendierung des Lebens zu dessen Hauptfunktionen; cf. P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. III, Stuttgart 1966, 107ff. 63 Cf. das Nietzsche-Zitat oben § 13 B. 3.3. (S. 714 bei Anm. 69). 64 Dazu s. o. § 13 E. 2. (S. 739ff). 65 Zur Offenbarung überhaupt s. o. § 10 und zum Ursprungsort ihrer Sprachlichkeit § 10 F. (S. 581ff).

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Herrn schlechthin, der in seinem Wort zu uns kommt und bei uns als jeweils »mein Gott« der Herr sein will.66 Die Doppelheit von Gesetz und Evangelium in der Perspektive unseres Gottesverhältnisses ist grundlegend und am einfachsten von Luther in der »Freiheitsschrift« (1520) dargelegt worden.67 Er betont, dass von diesem doppelten Wort des einen Gottes gilt: »du hörist deynen gott zu dir reden«,68 d. h. als den Herrn deines Lebens und deiner Wahrheit. Er redet gegen uns (als Sünder) und für uns (als Begnadigte), um uns in unsere Wahrheit zu versetzen. Im Gesetz erfahren wir Gottes Nein. Denn angesichts der unbedingten Forderung69 müssen wir einsehen, »Wie alle deyn leben und werck nichts seyn fur gott, sondern müßist mit allen dem das ynn dir ist, ewiglich vorterben«.70 In der erfahrenen Negation durch das Gesetz, dem keiner völlig Genüge tut, kommt es zur radikalen Selbstnegation: »so mußtu an dir selber vortzweyffelnn«.71 In dieser totalen »Nullpunktsituation« bleibt dem Menschen nichts übrig, als alles von ebendem Herrn zu erwarten und sich im Glauben ganz auf den zu werfen, der einen radikal negiert: »alleyn aber yn mir [Gott] steht deyn hulff«.72 Darin wird sichtbar: Die mitten ins menschliche Selbstsein treffende Negation bewirkt eine grundsätzliche Abstandnahme des Menschen von sich: »das du aber auß dir und von dir … kommen mügist«.73

66 Das vermag spezifisch das Wort, denn dieses ist als solches zugleich außer und in uns: extra nos und so pro nobis. 67 Ich beziehe mich im Folgenden auf Formulierungen in: J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 196–198. Zu Gesetz und Evangelium in Luthers »De servo arbitrio« (1525) cf. a.a.O. 199–231. 68 WA 7, 22,26. 69 Paradigmatisch der Anfang des Dekalogs: »Ich bin der Herr, dein Gott … Du sollst keine anderen Götter haben neben mir« (Ex 20, 2f; Dtn 5,6f). Indem Luther alle anderen Gebote auf das Erste Gebot konzentriert, hat er die religiöse Situierung des Sollens im Vor-Gott-Sein des Geschöpfes verankert. Ist das Grundverhältnis des Schöpfers zu uns ein dreifaches Sich-Geben (s. u. § 15 H. 2. [S. 833ff]), so ist Sünde im Kern ein Sich-Verweigern des Menschen gegen den Kommunikationswillen seines Schöpfers. So verkehrt die Sünde den Sich-Gebenden (in Reaktion auf das sich In-sich-Verschließen des Menschen als incurvatio in seipsum) zum fordernden Herrn. Sein Gesetz als eindeutig Gottesliebe forderndes macht den Sünder zu etwas in sich Unmöglichem, wie insbesondere das Alte Testament immer wieder zeigt. 70 WA 7, 22,26–28. 71 A.a.O. 22,29. 72 A.a.O. 22,30f. 73 A.a.O. 22,31f.

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Die Doppelheit von Gesetz und Evangelium zielt mit ihrer Widerspannung auf die Befreiung des Menschen von sich, indem sie – schon als Gesetz – den Menschen von sich (in seiner Unmittelbarkeit) unterscheidet.74 Das im Evangelium erfahrene Ja Gottes dient so der unverfügbaren »Neubegründung« des im Angesicht des unerfüllbaren Gesetzes und seiner unbedingten Negation von seiner natürlichen Selbstaffirmation losgekommenen Menschen: »ßo setzt er dir fur seynen lieben ßon Jhesum Christum, und leßsit dir durch [ihn] seyn lebendigs trostlichs wort sagen«.75 Dies appelliert an unser Glauben und Vertrauen, denn wir sollen durchs Gesetz aus uns kommen, um im Evangelium wahrhaft und von Gott her zu uns zu finden: »Du solt ynn den selben [Jesus Christus] mit festem glauben dich ergeben und frisch ynn yhn vertrawen«.76 Das Evangelium ist ja nichts anderes, »denn die predigt von Christo geschehen«.77 Im Evangelium erwirbt der Glaube die Freiheit der gerechtfertigten Kinder Gottes. So ist Gott doppelt unser Herr: im Gesetz, das uns schlechthin von ihm abhängig sein lässt, und im Evangelium, indem der zornige Wille in Gottes Gnade »aufgehoben« ist. Wie ist diese Um- oder Neubestimmung Gottes von Gott selber her zu verstehen?78 Will man sie wort-theologisch denken, so darf man sagen: Gott spricht sich fort – zu sich hin; das ist bereits im Verhältnis von Ex 3,14 zu 33,19 vorgebildet.79 Sein Herrsein und Geistsein sind Momente von Gottes sich für sich (ihn) selbst herstellenden Gottseins, gemäß der Bedeutung von Ex 3,14: »Ich werde sein, der ich sein werde, und bin darin der, der ich bin.« Denkt man darüber hinaus die Neubestimmung vom Gott des Gesetzes zum Gott des Evangeliums in den spezifischen Bezügen dieser Gotteslehre von Gott als dem Herrn und dem Geist her, so ist Gott für den im Versagen vor dem Gesetz sich findenden Menschen der Herr als unbedingt Fordernder und für den im Glauben sich neu geschenkt erfahrenden Menschen der Geist als ihn umschaffende Lebensmacht. Für den christlich Glaubenden konzentriert sich dabei das Verhältnis von tötendem Gesetz und lebendig machendem Evangelium im Verhältnis von Tod Christi am Kreuz und seiner Auf74 Diese Unterscheidung hat ihren radikalen Ausdruck in der Bestimmung: simul iustus et peccator gefunden, von dessen Widerspruchsgestalt Luther selber feststellt: »Duo contraria in uno subjecto et in eodem puncto temporis« (WA 39 I, 508,1f). 75 WA 7, 22,32. Darum heißt es: »suche dich nur in Christo und nit yn dir, ßo wirstu dich ewiglich yn yhm finden« (WA 2, 690,24f). Ein alttestamentliches Vorspiel findet Luther in Gen 8,21: »Nunc incipit alius esse Deus, quam hactenus fuerat« (WA 42, 345,32). 76 WA 7, 22,34f. 77 A.a.O. 22,25. 78 Zum Verhältnis von opus alienum und opus proprium cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 67), 235ff. 79 Cf. dazu RINGLEBEN, a.a.O. 231ff (Zeitliche Ordnung und Sprachlichkeit) und 243ff (das Verhältnis zu Hebr 1,1f).

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erstehung ins Leben Gottes (Röm 6,3–5).80 In diesem Horizont entspricht der Differenz von Gesetz und Evangelium auch eine Differenz in Gottes Einheit mit sich,81 und seine »Neubestimmung« ist seine Einigung mit sich selber über die Differenz hinweg.82 Bezieht man das zu Gottes Werden in seiner Neubestimmung bzw. zu seinem Anderswerden Gesagte auf den Grundgedanken von Gottes SichHervorbringen, so gilt: Indem Gott sich – als Herr und Geist, in Gesetz und Evangelium, Zorn und Gnade83 – bei uns und für uns hervorbringt, bringt er sich auch für sich selber hervor: als der Herr, d. h. in exklusiver Einheit mit sich (Erhabenheit und Zorn), und als Geist, d. h. in lebendiger und für uns offener Einheit mit uns (Liebe εἰς τέλος, bis ins Eschaton: Joh 13,1c). Gottes Neubestimmung in Christus und im Evangelium ist die ewige Vollendung seiner lebendigen Einheit mit sich. Aber für uns ist er in beidem, Gesetz und Evangelium, notwendig sozusagen zweimal ganz Gott und Herr bzw. ist jedes Mal Gott ganz anders Herr, weil wir diese Differenz, den erfahrenen Hiatus von Gott und Gott,84 von Gesetzesgott und Evangeliumsgott, Zorn und Liebe, Sünde und Gnade, Tod und Leben von uns aus nicht zu überbrücken vermögen.85 Denn dazu gehört eben die Allmacht göttlicher Selbsthervorbringung.

F. Der Richter des Lebens Von Gott dem Herrn als »Richter« zu reden, ist christlich daran auszurichten, dass Gott Maßstab der Wahrheit bzw. wahren Lebens ist.86 Zu dieser Unterscheidung zwischen unserm Leben und seinem Maßstab kommt es, weil Gott der Schöpfer und Herr des Lebens und selber Inbegriff wahren, ewigen Lebens ist und wir, seine Geschöpfe, als Sünder vor ihm Inbegriff (nicht etwa nur endlichen, sondern) sich verfehlenden Lebens sind.

80

Zum Verhältnis Gesetz/Evangelium und Tod/Auferstehung cf. RINGLEBEN, a.a.O.

239f. 81 Diese Differenz trotz ewiger Einheit mit sich reflektiert sich im Verhältnis von Jesu Gottverlassenheit (Mk 15,34) und seiner Erhöhung zur Rechten des Vaters (Mk 16,19); cf. dazu J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 615–618. 82 Cf. dazu auch Jer 31,2f und 31,31–34 sowie Hos 11,8f (Umkehrung der rachamim!). 83 Zur Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Hl. Geist cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben Anm. 67), 240ff. 84 Auch am Kreuz Jesu steht Gott gegen sich selber. 85 Dass dies doppelte Wirken in Gesetz und Evangelium das Wirken des Einen ist, ist nur eschatologisch einzuholen und entzieht sich einem unmittelbar einheitlichen Gottesbegriff. 86 Cf. oben D. 3. (S. 763f).

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1. Der Herr als Richter 1.1. An Gott zu glauben, schließt ein, an die lebendige Wahrheit selber zu glauben und somit an ein Gericht als die endgültige Selbstdurchsetzung dieser Wahrheit zu glauben. Vom »Gericht« ist also christlich nicht als einem zusätzlichen Akt, gleichsam einem äußerlichen Schlussdrama, zu reden,87 das sozusagen weltanschaulich zum christlichen Glauben hinzukäme. Denn der christliche Gottesglaube ist an sich selber eschatologisch, auf ein Ende von Welt und Geschichte (als etwas Vor-läufiges) bezogen. Der Glaube an Gott als den absoluten Herrn über Zeit und Ewigkeit ist selber eschatologisch,88 und darum gehört zum Proton auch schon das Eschaton.89 Das Gericht ist eigentlich nur Gottes lebendig sich vollziehendes bzw. durchsetzendes Sein selber (cf. Hebr 10,31). Gott als Richter, das meint den Herrn in seiner Unentrinnlichkeit und Unwiderstehlichkeit.90 Der Glaube an ein Gericht ist mithin Glaube an das End-gültige, den ewigen Gott, und d. h. auch, es ist der Glaube an eine letzte Eindeutigkeit für unser vielfach beirrtes und in Vieldeutigkeit verstricktes Leben (s. u. 1.2.). Versteht man theologisch das Gericht als das des »Herrn«, so wird dabei seine Wahrheit nicht als ein an sich seiender, unerreichbarer oder, weil bloß idealer, machtloser Tatbestand aufgefasst, sondern als das lebendig SichDurchsetzende und sich absolut Realisierende. Gericht ist die Selbstdurchsetzung der lebendigen ewigen Wahrheit Gottes (cf. Hebr 4,12f). 1.2. Man muss das Gericht also als Offenbarwerden des Geheimnisses in aller Wirklichkeit begreifen (cf. Mk 4,22 und Lk 12,3).91 Stellt sich die »Welt« (johanneisch κόσµος) als zweideutiges Gemisch von Gottes Tun und unserm Handeln, von Wahrheit und Sünde, von Licht und Finsternis (Joh 1,5 u. ö.) dar, so steht Gott für die ewige Entschiedenheit dessen ein, was wahr und gut ist, bzw. für das Zutagekommen des ganz Eindeutigen und Letztwirklichen. Das wahre Selbstsein Gottes, das ist die Wahrheit selbst. Gericht bedeutet nichts anderes als die große Scheidung (κρίσις) von Wahr und Unwahr, Gut und Böse im Zuge von Gottes eigenem Kommen (Dan 4,34). An den Herrn als den Richter zu glauben, ist mithin der Glaube an eine letzte Eindeutigkeit in allem zweideutigen, d. h. weltlichen Dasein, bzw. zu glauben, dass nicht alles ewig unentschieden und vieldeutig, relativ und 87

Dafür stehen beispielsweise Stellen wie Joh 3,18f; 5,24 u. ö. Cf. unten § 16 F. (S. 950ff). 88 Cf. unten § 16 G. (S. 955ff). 89 Zumal wenn, wie hier, das Proton ganz vom Eschaton her begriffen wird; s. o. § 8 F. 6. (S. 505 bei Anm. 421). 90 Gott in seiner Allgegenwart und Allwissenheit (oben § 12) ist auch der Richter, bzw. dieses sein Sein ist richtend. 91 Dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 81), 446–449.

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gleichgültig ist. Der Gottesglaube impliziert die Erwartung und Hoffnung, dass letztlich und endlich alles zu seiner Wahrheit kommt und dass Gott, der All-Eine, alle Wirklichkeit sein wird. Das Gericht als Tag der Wahrheit ist der »Tag des Herrn«: die wirkliche Gegenwart des wahren Gottes, die alles zur Selbstdurchsichtigkeit bringt. 1.3. So verstanden, ist der Glaube an Gott als den Richter tröstlich; denn es ist der Glaube an einen Ort von Eindeutigkeit, Unverstelltheit und Unentstellbarkeit, Unversehrtheit und Gerechtigkeit, der Ganzheit und des Wiederfindens. Das Gericht bedeutet den Sieg der Wahrheit Gottes, und darin liegt die Hoffnung für alle hier Unterlegenen, Zukurzgekommenen, Unterdrückten, Niedergetretenen, Gequälten, ungerecht Leidenden, kurz: für alle Opfer der Geschichte.92 So ist es Gegenstand der christlichen Hoffnung auf den treuen und wahrhaftigen Gott. Zugleich will solcher Glaube uns demütig machen. Er ist ein unverzichtbarer Ausdruck echter Gottesfurcht, Vergebungsbedürftigkeit, der Angewiesenheit auf die Gnade und Barmherzigkeit des Herrn. Denn wer kann sich als fleckenlos ansehen – vor dem Licht der Wahrheit selbst (cf. Joh 8,7b). 1.4. In gewisser Weise ist das Gericht auch jetzt schon da, nämlich im Glauben an den Herrn und unsern Richter.93 Darin unterscheiden wir uns von uns bzw. werden von uns selbst unterschieden;94 wir vernehmen uns in unserer Unwahrheit, wenn uns und weil uns die Macht der Wahrheit berührt. So ist das Endgericht immer auch schon gegenwärtig. Ein Selbstbetrug »vor Gott« (coram Deo) ist nicht mehr möglich, sofern das Gericht mit dem Innewerden des Richters bei uns, im Gewissen, beginnt. Die Selbstprüfung und Selbsterkenntnis im Lichte des Vor-Gott-Seins zerstört unsere Illusionen über uns, macht uns wehrlos vor Gottes Wahrheit und unabhängig vom Urteil Anderer über uns. 1.5. Zusammenfassung. Gott als unser Richter ist der Grund unseres Zutrauens und unseres Bangens, denn seine Wahrheit ist immer Gericht und Gnade. Dass wir sie glauben können, das ist Gnade; dass wir sie auch fürchten müssen, das ist Gericht (bzw. dessen Beginn). Gott, der Herr unseres Lebens, zieht uns an, zu sich – mit dem höchsten Gut, das wir ersehnen können: seinem ewigen Leben mit seiner Ganzheit und Eindeutigkeit. Aber er stößt uns auch ab, hält uns auf Abstand mit der absoluten Wahrheit über uns. So bleibt Gott als Richter der absolute Herr unseres Lebens gerade, wo wir ihn als dessen letzte Erfüllung ahnen. Dem Unnahbaren kindlich doch zu vertrauen, aber auch nie zu vergessen, dass der himmlische Vater zugleich die Wahrheit selbst ist – das ist die Lebensdialektik des Glaubens an Gott den Herrn. 92

Zur Hoffnung für die Opfer s. u. § 16 E. 2. (S. 929ff). Cf. oben Anm. 87. 94 Cf. oben Anm. 74. 93

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2. Das Gericht der Liebe (Mt 25,31–46)95 2.1. Auch hier gilt: Das Gericht deckt nur auf, was wir wirklich gewesen sind: unser eigenstes Leben im Licht der Wahrheit. Es ist der aufdeckende Vollzug dessen, was wir getan und gelassen haben.96 Sein Maß ist die Liebe zum Nächsten als Liebe zu Gott bzw. dem Herrn Christus, also letztlich die göttliche Liebe selber. Sie bedeutet ein unendliches Maß. Darum manifestiert es sich hier am Bezug auf die geringsten der Brüder und Schwestern. Denn Gott identifiziert sich mit dem Leiden: Daran wird das Maß seiner Liebe offenbar – und der unsrigen. 2.2. Das Gericht wird möglich wegen der Unendlichkeit der göttlichen Liebe, nämlich dem Zusammenfallen der äußersten Gegensätze in ihr. Von diesen sind zu nennen: elementare Nöte – letzte Wahrheit; geringe Hilfe – Gottes Weltplan; alltägliche Situationen – Bedeutung für die Ewigkeit; im geringsten Nächsten – der Herr der Welt (Kosmokrator); ein unscheinbares Tun (im Weltlauf ein verschwindendes Nichts) – der Schöpferwille Gottes; im Unauffälligsten – das Gewaltigste; im kaum Gewussten – das Absolute; im Senfkorn wirklicher Liebe – Gottes Reich. 2.3. Umgekehrt stellt sich diese coincidentia oppositorum auf folgende Weise dar: das Endgericht (Weltgericht) in der Ferne der Zeiten – dies Kommende immer schon dagewesen, in unserer Mitte und Nähe sich vollziehend; die himmlische Herrlichkeit – als gegenwärtiger Wahrheitsgehalt des realen Lebens; der Welt-Herrscher (Pantokrator) – als Menschensohn in Niedrigkeit und Unkenntlichkeit; der Richter – der Gute Hirte (als Stellvertreter noch des geringsten Mitmenschen bei oder vor uns); in zugespitzter Enge (Verhältnis zu Christus: enger Weg oder Nadelöhr) – denkbar größte Weite: jeder beliebige Menschenbruder als umfassender Spielraum der Liebe, d. h. die Universalität unserer Möglichkeiten. 2.4. Die absolute Liebe als Gottes ewiges Sein und Wesen, sie ist, christlich verstanden, die letzte Wahrheit und das letzte Ziel aller Wirklichkeit.97 Wo Liebe geübt wird bzw. sich ereignet, wie gering und unbedeutend, wie anspruchslos und irdisch-alltäglich auch immer, da geschieht sie in Entsprechung zu Gottes eigenem Leben und ist – in letztem Betracht – Teilhabe an seinem ewigen Selbstvollzug (1Joh 4,12b).98 Daher ist das »Gericht« nichts anderes als der endgültige Vollzug und die Durchsetzung der Liebe Gottes: das Gericht der Liebe. Daher ist auch das 95 Zu diesem Text cf. schon oben § 11 (S. 649 bei Anm. 230) und § 12 (S. 678 Anm. 149). 96 Man wird gemäß Hebr 4,12f die Bewegungen unseres inneren Lebens davon nicht ausnehmen dürfen. 97 S. o. § 11 B. (S. 613ff). 98 Ewiges Leben heißt nichts anderes, als an Gottes Leben und Liebe teilzuhaben (cf. unten § 16).

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einzige Kriterium dieses Gerichtes bzw. der Maßstab des Richters die Liebe selbst (cf. 1Joh 4,16; cf. V. 7f) oder auch: der menschliche Gott selber. Solche Liebe ist in dem Sinne »selbstlos«, wie die Gerechten in Mt 25,37– 39 nicht wussten, was sie eigentlich taten; ihr Liebesdienst war nicht zweckhaft oder auf eigenen Nutzen aus und kannte kein »um … willen« (wie Lohn oder »religiöses« Verdienst). Ihre Liebe war ebenso unbedingt wie auf das konkret Nötige konzentriert (cf. das unmittelbare Zupacken des »barmherzigen Samariters« Lk 10,33f).99 Wenn in der Entschuldigung der Verurteilten in Mt 25,44 andeutend mitgesagt sein sollte: »Hätten wir geahnt oder gewusst …, dann hätten wir …«, so würde das ihr schuldhaftes Versagen nur vergrößern. 2.5. Gilt christlich: »Die Liebe höret nimmer auf« (1Kor 13,8), so, weil sie ewig bleibt, als das Absolute, und auch am Ende von allem übrig bleibt, absolut; aber darum ist sie gerade das Gericht.

99

185.

Zur Auslegung dieses Gleichnisses cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 81), 181–

Kapitel IV: Das absolute Sein Gottes § 15 Der Dreieinige Gottes Dreieinigkeit ist die vollkommene Form seines absoluten Lebens und so die wahre Wirklichkeit seines absoluten Begriffs als der Eine.

Abschnitt I: Hinführung: Problematik und Ansatz der Trinitätslehre A. Allgemeine Vorbemerkungen 1. Die Perspektive Die christliche Lehre von Gottes Dreieinigkeit (Dreifaltigkeit) kann in der hier vorgelegten Gotteslehre nur nach ihren formalen Prinzipien und allgemeinen Grundlinien und nicht in allen sachlich denkbaren Hinsichten entfaltet werden.1 Sie soll nur als vollendender Abschluss dieser Gotteslehre bzw. ihres Begriffs von Gott zur Sprache kommen; als solcher ist sie sachlich unverzichtbar.2 Eine vollständig ausgeführte Trinitätslehre würde eine detaillierte Darstellung ihrer dogmengeschichtlichen Entwicklung wie auch die Diskussion der biblisch-neutestamentlichen Vorstufen und (inkl. religionsgeschichtlicher Voraussetzungen und Analogien) Anknüpfungspunkte des trinitarischen Gedan-

1 Gleichwohl wird hier mehr geboten als etwa in P. Tillichs abstrakter Benennung der »trinitarischen Prinzipien« (P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 288–290); auch dessen Bd. III (Stuttgart 1966) bietet mit der »Neuerschließung des trinitarischen Symbolismus« (333ff) keine eigentliche Trinitätslehre. Für eine solche ist der Entwurf von W. PANNENBERG, Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988, 1991, 1993, Bd. I, 283–364 zurzeit wohl unübertroffen; cf. dazu den Überblick von CH. AXTPISCALAR, Wolfhart Pannenberg – Der trinitarische Gott als Ursprung und Ziel von Mensch und Welt, ThZ 71 (2015), 219–238. 2 Cf. unten 2.

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kens erfordern,3 was hier nicht zu leisten ist. Außerdem impliziert die Trinitätslehre auch eine ganze Christologie.4 Warum aber ist überhaupt eine Trinitätslehre oder der Entwurf einer solchen in einer christlichen Gotteslehre unverzichtbar?5 Hier ist, noch abgesehen von den im nächsten Abschnitt zu erläuternden spezifischen Gründen für den vorliegenden Traktat »De Deo«, zunächst zu sagen: Weil Gottes Dreieinigkeit der Inbegriff eines sich vollkommen verstehenden Glaubens ist, muss die Rede von Gott dem Dreieinen notwendig expliziert werden.6 Denn die Gotteslehre ist christlich – als begreifende Darstellung des Seins des lebendigen Gottes – immer auch Glaubenslehre.7 Wenn der Glaube sich in seiner Wahrheit vollständig verstehen will, um sich durchsichtig in Gott selber zu gründen, dann muss er sich, wie zu zeigen sein wird, im Leben des dreieinig lebendigen Gottes ermöglicht und begründet wissen.8 Der sachlichen Unausweichlichkeit, das Thema »Trinität« hier zu behandeln, stehen aber nicht unerhebliche Probleme im Wege. Man steht dabei vor dem Dilemma, dass einerseits die traditionelle Trinitätslehre nicht mehr unmittelbar nachzuvollziehen ist.9 Das zeigen insbesondere schon die problematischen Grundbegriffe von οὐσία (substantia) und ὑπόστασις (persona) an, die bereits Augustin und Luther kritisiert haben. Darin ist das zentrale Sachproblem des Verhältnisses von Einheit (Gottes) und Selbststand (der »Drei«) bzw. von Kontinuität und Differenz (konkret verstanden) enthalten, das einer Lösung zugeführt werden muss, will man die Lehre unter gegenwärtigen Denkbedingungen vertreten. Andererseits ist das dogmatische Anliegen dieser Lehre unaufgebbar, ist sie doch die zentrale christliche Lehre über Gott. Denn auch wenn sie nicht selber explizit biblisch ist, wenngleich unübersehbar biblisch stärkstens motiviert,10 ist sie doch der Sache nach unverzichtbar

3 Zur langen Vorgeschichte des Trinitarismus cf. W. BURKERT, Weisheit und Wissenschaft, Nürnberg 1962, 63ff und 170ff. 4 Cf. immerhin das unten in Abschnitt E. (S. 808ff) Ausgeführte. 5 Zur Frage: Warum drei? s. u. Abschnitt J. 3. (S. 863ff). 6 Sie hat es, vorgreifend gesagt, mit dem Ursprung des Glaubens (»Vater«), mit seiner Vermittlung in Jesus Christus (»Sohn«) und seiner Wirklichkeit bei uns (»Hl. Geist«) zu tun. Philosophisch hat wohl als Erster Marius Victorinus die christliche Trinitätslehre zu rekonstruieren versucht. 7 Cf. oben Prolegomena, § 3 A. 1. (S. 33f). 8 Luthers Ausgangssatz: »Gott und Glaube gehören zuhauff« (s. o. Prolegomena, § 4 [S. 60ff]) gilt systematisch spezifisch von der Beziehung des christlichen Glaubens zum dreieinen Gott (siehe auch unten C. 2. [S. 785] und E. 2.1. [S. 809f]). Cf. die einschlägige Fallstudie von CH. AXT-PISCALAR, Der Grund des Glaubens. Eine theologiegeschichtliche Untersuchung zum Verhältnis von Glaube und Trinität in der Theologie Isaak August Dorners, BHTh 79, Tübingen 1990. 9 Siehe Genaueres unter Abschnitt B. (S. 776ff). 10 Zu dieser Frage siehe unter C. 2. (S. 785f) Näheres.

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Zweiter Teil, Kapitel IV: Das absolute Sein Gottes

und notwendig als Inbegriff der christlichen Wahrheit selber.11 Hinzu kommt, dass auch die systematische Stellung der Trinitätslehre nicht unumstritten ist; denn sie scheint weder als kerygmatische Prämisse einfach zu Beginn der Gotteslehre (bzw. Dogmatik) vorausgesetzt werden zu können (K. Barth, KD I/1) noch auch auf ein abschließendes, bloß äußerliches Ordnungsschema zurückgestuft werden zu dürfen (Schleiermacher; G. Ebeling).12 Hier soll der Versuch unternommen werden, den Begriff Gottes als des Dreieinigen als die letzte Konsequenz und Vollendung der Einheit des lebendigen Gottes zu denken.13 Dabei müssen die von der Tradition überkommenen Probleme wenigstens prinzipiell einer gedanklichen Lösung zugeführt werden. Das Hauptproblem dabei dürfte sein: Wie ist Gottes Dreieinigkeit als solche zu denken, ohne sie als bloß interne Selbstentwicklung seiner Einheit zu fassen, so dass nicht mehr von einer wahren Dreiheit geredet werden könnte?14 2. § 15 im Zusammenhang dieser Gotteslehre Als vollendeter Begriff von Gott musste die Trinität in den vorausgehenden Paragraphen schon vielerorts angesprochen werden oder war unausdrücklich präsent. Denn überall ging es um die innere Unendlichkeit des einen und lebendigen Gottes. Das gegenwärtige Kapitel IV: »Das absolute Sein Gottes« bezeichnet in der Aufbaulogik meiner Darstellung den Status seines Begriffs, in dem die vorläufige Unterscheidung von Gottes abstrakt-formalem (Kapitel II) und seinem konkreten Sein (Kapitel III) aufgehoben bzw. in ihre umgreifende Wahrheit zurückgegangen ist. Es handelt sich hier also um einen sukzessiven 11

Ihre Wiederentdeckung als solche nach einer aufgeklärt-historistischen Relativierung verdankt die Theologie dem Lutheraner G. W. F. Hegel, und im 20. Jahrhundert hat seine philosophische Rekonstruktion dieser Lehre zu einem neuen trinitarischen Denken in der evangelischen Theologie geführt (K. Barth, J. Moltmann, W. Pannenberg). Zur Kritik an Hegel cf. W. PANNENBERG, Die Subjektivität Gottes und die Trinitätslehre. Ein Beitrag zur Beziehung zwischen Karl Barth und der Philosophie Hegels, in: ders., Grundfragen systematischer Theologie, Bd. II, Göttingen 1980, 96–111. Zu dieser Kritik ist gegen Pannenberg zu sagen, dass bei Hegel das wahre Subjekt sich erst am Ende ganz dargestellt bzw. hervorgebracht hat, also gerade nicht unmittelbar vorausgesetzt wird (cf. a.a.O. 106). 12 SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. II, § 170–172 bzw. G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. III, Tübingen 1979, 544–546. 13 Zu Gottes Einheit mit sich cf. oben § 3 C. (S. 268ff). 14 Diese Aufgabe legt sich besonders im Blick auf K. Barths Trinitätslehre und seine Rede von den drei »Seinsweisen« desselben Gottes (BARTH, KD I/1, § 9, S. 367ff) nahe. Aber das genannte Problem ist natürlich auch bei der hier leitenden Rede von Gottes Selbsthervorbringung brisant. Ob K. Rahners Formulierung von »drei distinkten Subsistenzweisen« des einen Gottes das mit dem Modalismus gestellte Problem wirklich löst, ist nicht ganz klar; cf. dazu H. VORGRIMLER, Theologische Gotteslehre, Düsseldorf 31993, 173; cf. unten Anm. 136.

§ 15 Der Dreieinige

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Erkenntnisweg, der im Zuge fortschreitender Anreicherung und Totalisierung am Ende seinen absoluten Ursprung erreicht.15 Dafür waren im Vorausgehenden folgende Erkenntnisschritte wegweisend: 1) Gott als der Eine (§ 3)16 muss zugleich als lebendig begriffen werden (§ 4).17 2) Die Einheit des lebendigen Gottes mit sich ist absolut als sich hervorbringend und begründend (§ 2). 3) Leben ist unendlich als ein sich von sich Unterscheiden und darin zu sich Zurückkehren: im Unterschied von sich mit sich eins (§ 4).18 4) Gottes wahre Einheit ist ewig lebendig (§ 9), und dies als sich allmächtig selbst bestimmende (§ 5). Daraus ergibt sich theologisch: 5) Der lebendige Gott ist trinitarisch, und die Trinität ist sein absolutes Sein, wenn anders diese überhaupt gedacht werden kann.19 Dem entspricht ein angereichertes Verständnis von Gottes Aseität:20 als einer, die lebendig ist durch sich selbst und die als absolute Lebendigkeit nicht auf den »Vater« beschränkt werden kann.21

15

In vergleichbarer Weise hat schon W. Pannenberg gegen K. Barths Vorgehen in der »Kirchlichen Dogmatik« eingewendet: Die lebendige Subjektivität Gottes (bzw. er als das absolute Subjekt von allem) könne nicht durch eine unmittelbare Setzung am Anfang erreicht werden, sondern sie müsse sich als wahre und wirkliche solche am Ende selber erweisen (in einem Selbsterweis), d. h. im Durchschreiten eines Weges, bei dem sich kraft ihrer alles Vorläufige und auf sie erst Hinführende in sie hinein aufhebt und der sich so (vorgreifend) ganz von ihr bestimmt erweist: als absolutes Subjekt im Werden zu sich; cf. W. PANNENBERG u. a., Offenbarung als Geschichte, Göttingen 21963, 97 und 104 sowie 17. Bei Hegel heißt es dazu: »Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein« (HEGEL, Werke 3, 24). 16 Wohlgemerkt: als Einer nicht abstrakt einfach und mit sich nur identisch als starre Substanz! 17 Das wurde dann in Kapitel III entfaltet. 18 Dies, weil das Unendliche logisch die Bewegung ist, im Übergreifen über das Endliche erst bei sich zu sein (cf. HEGEL, Werke 5, 150), d. h.: als das lebendig Eine und Prozess des Werdens zu sich, bei dem das wahre Unendliche aus sich herausgeht (theologisch: in Schöpfung und Inkarnation), um so sich mit sich zu vermitteln und un-endlich bei sich zu sein (theologisch als Trinität). Cf. auch W. PANNENBERG, Der eine Gott als der wahrhaft Unendliche und die Trinitätslehre, in: F. Menegoni/L. Illetterati (Hgg.), Das Endliche und das Unendliche, Stuttgart 2004, 175–185. 19 Als Vollendung aller seiner »Eigenschaften« (cf. Kapitel II und bes. § 7) ist die Trinität selber keine einzelne, besondere Eigenschaft Gottes, sondern Gottes absolutes Sein selber. Zum Verhältnis von Trinität und Eigenschaftslehre cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 1), 365ff (c. 6). 20 Cf. oben § 2 B. (S. 180ff) und unten Abschnitt J. 1. (S. 857ff). 21 S. u. Abschnitt H. 3. (S. 837ff) zu Joh 5,26.

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Zweiter Teil, Kapitel IV: Das absolute Sein Gottes

Von einer »Vollendung« des Gottesbegriffs ist mithin zu reden, weil erst im gegenwärtigen § 15 das anfangs zu Gott als dem Lebendigen Ausgeführte (§ 4) nicht nur weitergeführt, sondern spezifisch christlich und theologisch in seinem absoluten Sinn artikuliert und in Gottes eigenem Sein (in Ewigkeit und Zeit) verortet und so auch die Lebensthematik auf ihren absoluten Begriff gebracht wird. An dieser Stelle lassen sich vorweg schon zwei allgemeinere Folgerungen für die anschließenden Darlegungen absehen. Die eine: Gottes Wesen (als lebendige Allmacht seiner Aseität) bringt sein eigenes Dasein (als dreieiniger Gott) selbst hervor, bzw. es bringt sich in diesem seinen Dasein selbst hervor.22 Die andere: Gott ist er selbst (absolutes Selbst) gerade nicht als ein in sich geschlossenes Subjekt (sozusagen ein Super-Ich), sondern als der Lebendige ist er Sein-Lassen eines Anderen in sich und für sich (des »Sohnes«) und eines nochmals Anderen (des »Geistes« als des Für-ihn-Seins des ersten Anderen als solchen). Vater/Sohn/Geist ihrerseits sind also nicht einfach drei Einzelsubjekte, sondern drei »Aktzentren« (Pannenberg) des kommunikativen Selbst-Seins bzw. Einer-Seins Gottes.23 Gott hat und ist aber, christlich verstanden, sein absolutes Selbstsein nur als die Unterschiedenheit dieser drei. Seine Drei-Einheit ist seine absolute Einheit als er selber, der lebendige Gott.

B. Zum trinitarischen Dogma 1. Altkirchliche Lehrbestimmungen Hier sollen anstelle des eigentlichen Trinitätsdogmas24 die Thesen eines der großen altkirchlichen Symbole, des »Symbolum Athanasianum« (ca. um 500?),25 als repräsentatives Beispiel analysiert werden, weil es sich wegen seiner logischen Differenziertheit dafür besonders eignet.26

22 Nach Hegel ist die »Einheit« von Begriff und Sein Gottes in Wahrheit »als absoluter Prozeß, als die Lebendigkeit Gottes so zu fassen, … daß sie … die absolute Tätigkeit ist, sich ewig hervorzubringen« (HEGEL, Werke 17, 533). 23 Diese Instanzen werden unten in Abschnitt D. 2. (S. 794ff) als »Mitten« des göttlichen Lebens begriffen werden. 24 Cf. die differenzierten Ausführungen bei P. GEMEINHARDT, Der Tomus ad Antiochenos (362) und die Vielfalt orthodoxer Theologien im 4. Jahrhundert, ZKG 117 (2006), 169–196. 25 BSLK 28f. Zur Herkunft und Datierung cf. a.a.O. XIV. 26 Meine Ausführungen sind (hier und in B. 2.) wegen der beabsichtigten Übersichtlichkeit im Herausarbeiten der gedanklichen Grundprobleme des trinitarischen Dogmas notgedrungen vereinfacht.

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Die alles bestimmende Grundaussage des Dogmas ist die Einheit von Gottes Einheit und Dreifaltigkeit: »unum Deum in trinitate et trinitatem in unitate« (Th. 3).27 Einheit und Dreieinigkeit durchdringen sich demnach wechselseitig, so dass die Einheit nur als Dreifaltigkeit und diese gar nicht anders denn als Einheit gedacht werden kann. Das lässt eigentlich nur die Annahme zu, dass so bei Gott die Dreieinigkeit als wahre Einheit zu begreifen ist.28 Es folgt daraus unmittelbar das Postulat: »neque confundentes personas, neque substantiam separantes« (Th. 4).29 Wegen der trinitas sind also die drei Instanzen (»personas«) einerseits nicht »ineinanderzumengen« (Th. 4a), d. h., sie sind auch als distinkte zu unterscheiden,30 andererseits darf dadurch die eine göttliche Wesenheit (»substantia«) in ihrer unitas nicht zertrennt werden (Th. 4b).31 Th. 5 betont (gemäß Th. 4a), dass die »Personen« jeweils andere gegeneinander sind: »Alia est enim persona patris, alia filii, alia spiritus sancti«;32 das bedeutet: Jede ist auch eine je eigenständige Instanz und für sich.33 Gemäß Th. 4b behauptet Th. 6 zugleich, dass die Drei miteinander die eine (bzw. einige) Gottheit gemeinsam haben: »Sed patris et filii et spiritus sancti una est divinitas«,34 und dies in gleicher Herrlichkeit und gleich ewiger göttlicher Majestät.35 In den Thesen 8–10 wird diese ταυτότης ausdrücklich für alle drei göttlichen »Personen« gleichermaßen festgehalten: Jede von ihnen besitzt alle Eigenschaften, und dies vollkommen,36 die für Gottes Gottheit wesentlich sind: Unerschaffenheit, Unendlichkeit, Ewigkeit, Allmacht.37 Dessen unbeschadet behauptet Th. 11, es handele sich gleichwohl (»tamen«) nicht um drei Ewige,

27

BSLK 28,11f.; cf. auch wiederholt in Th. 25 (a.a.O. 29,31f). Siehe dazu unten Abschnitt C. (S. 782ff). 29 A.a.O. 28,13f. 30 Siehe dazu Th. 5. 31 Siehe dazu Th. 6. 32 A.a.O. 28,15f. 33 Präziser formuliert Tertullian: »alium esse patrem et alium filium et alium spiritum sanctum … non tamen diversitate alium filium a patre, sed distributione, nec divisione alium, sed distinctione, quia non sint idem pater et filus … [Joh 14,28b]« (Ad Prax. 9; PL 2, 164). Die Begriffe distributio und distinctio meinen einen Zusammenhang im Differenten und eben nicht eine äußerliche Andersheit oder mechanische Teilung (diversitas, divisio). 34 A.a.O. 28,18f. 35 »aequalis gloria, coaeterna maiestas« (a.a.O. 28,19f). 36 Cf.: »qualis pater, talis …« (Th. 7; a.a.O. 28,21f). 37 »increatus … immensus … aeternus … omnipotens« (a.a.O. 28,23f.26f.28f und [Th. 13] 28,35f). 28

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sondern immer nur um (den) einen Ewigen,38 und entsprechend bei den anderen Eigenschaften.39 Weil Th. 5 gelten soll, muss wiederum auch Th. 15 behauptet werden: »Ita Deus pater, Deus filius, Deus spiritus sanctus«.40 Das heißt: Jede »Person« ist der ganze Gott bzw. ganz Gott. Und das wiederum besagt mit allem Nachdruck: »et tamen non tres Dii, sed unus Deus« (Th. 16).41 Es wird (gemäß Th. 6) vom Dogma entschieden und grundsätzlich bestritten, dass die Trinität so etwas sei wie Tritheismus, also eine Art polytheistischer Drei-GötterLehre.42 Entsprechendes gilt von Gottes Sein als der »Herr«.43 Wegen der innergöttlichen (der lebendigen Trinität als solcher immanenten) Relationen44 ist nun wiederum auch zu sagen: Es gibt nur einen Vater, ebenso nur einen Sohn und nur einen Hl. Geist, und nicht etwa jeweils drei (Th. 23).45 Weil z. B. Vater und Sohn spezifisch verschieden und einander gegenüber selbständig sind, kann es sich, wie hier schon ersichtlich wird, bei der Trinität nicht um die interne Entwicklung eines höchsten Subjektes handeln.46 Trotz der verschiedenen internen Ursprungsverhältnisse in ihr47 sind damit in der Trinität selber keine zeitlichen Differenzen verbunden, wie Th. 24 sie zum Schluss abwehrt: »in hac trinitate nihil prius aut posterius« sowie auch keine einsinnige Hierarchie (»nihil maius aut minus«).48 Vielmehr sind alle drei in der Trinität ein für alle Mal gleichursprünglich, wie Th. 25 abschlie38

A.a.O. 28,30f. Cf. Th. 12 (28,32f) und Th. 14 (28,38f). 40 A.a.O. 29,1f. 41 A.a.O. 29,3. 42 Wie sie z. B. in der hinduistischen Göttertrias (trimurti: Brahma, Shiva, Vishnu) vorkommt. Die kompromisslose Eindeutigkeit dieser christlichen Grundaussage von der absoluten Einheit Gottes wird bei allen, (seit dem Koran) bis heute vorgebrachten Unterstellungen eines Tritheismus nicht ernst genug in Rechnung gestellt. 43 Cf. Th. 17–19 (a.a.O. 29,5–14). Zum einen Herrn cf. auch oben § 14. 44 Dazu in den Th. 21–22 und s. u. Abschnitt G. 3. (S. 823ff). 45 A.a.O. 29,22–24. 46 Cf. oben bei Anm. 15. Für die Selbständigkeit auch des Geistes als des »Dritten« in der Trinität votiert implizit auch Hegel in Abgrenzung vom Neuplatonismus im Namen des Konkreten: HEGEL, Werke 19, 495. 47 Cf. bei Anm. 44. 48 A.a.O. 29,25. Der Vater darf also nicht, wie in der Ostkirche, als die (alleinige) »Quelle der Gottheit« (ῥίζα καὶ πηγὴ πάσης θεότητος) behauptet werden; cf. dazu I. A. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre, Bd. I, Berlin 21886, 368; entsprechend haben subordinatianisch auch die Arminianer und andere die Aseität auf den Vater beschränkt (cf. a.a.O. 381 mit Anm. 1; 392 und 394 mit Anm. 2). Kritisch zur Monarchie des Vaters in der Trinität PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 1), 298f.352–355 sowie 304 und 340 (bei Anm. 170); zum Bild des Vaters als »Quelle« cf. die Nachweise a.a.O. 304 Anm. 69. 39

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ßend feststellt: »sed totae tres personae coaeternae sibi sunt et coaequales«.49 Für die vorliegende Gotteslehre ergibt sich aus den beiden Thesen 24 und 25 schon hier eine Folgerung: Wenn die Trinität im Zuge der göttlichen Selbsthervorbringung zu denken ist, dann als ewig simultan: als ein sich selbst organisierender und tragender Lebenszusammenhang.50 Kritischer Rückblick. Das Trinitätsdogma fordert, wie am »Symbolum Athanasii« aufgezeigt, scheinbar Unvereinbares unmittelbar zusammenzudenken: »Qui vult ergo salvus esse, ita de trinitate sentiat« (Th. 26).51 Aber es tut dies im Modus rein thetischer Setzungen und behauptet einfach die Einheit des einander diametral Entgegengesetzten, ohne eine positive Anleitung, wie das zu denken sei. Vielmehr wehrt es nur den Abgleitungen nach der jeweils falschen Seite,52 indem es immer der einen Aussage die konträre entgegenstellt. Offenbar soll so das positive »Mysterium« als (an sich selber) unaussagbare Mitte vor Missdeutungen geschützt werden, indem diese Mitte einfach frei (oder offen) gelassen wird.53 Inhaltlich sind hier, als Ergebnis unserer Analyse, drei kritische Vorbehalte gegen die traditionellen Formulierungen des Dogmas geltend zu machen. (1.) Die Formulierungen sind von starren Unterscheidungen bestimmt, die abstrakt festgehalten werden und die deutlich von einer außerbiblischen Ontologie bzw. Metaphysik geleitet sind. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern mit diesen verstandesmäßig »richtigen« Festsetzungen der lebendige Gott als solcher soll begriffen werden können. Dies gilt beispielsweise für das Fixieren der abstrakten Bestimmungen »alia … alia … alia«,54 die ohne Berücksichtigung möglicher Relationen zwischen ihnen einander kontrastiert werden. Auch ist schwerlich abzusehen, wie mit der ontologischen Rede von »substantia« oder »divinitas«55 Gottes Lebendigkeit zu vereinbaren sein soll. 49

A.a.O. 29,28f. Freilich ergibt sich dabei auch die Frage, wie die immanente Trinität mit der ein zeitliches Vorher und Nachher einschließenden »ökonomischen« Trinität zu vereinbaren ist (s. u. Abschnitt K. [S. 865ff]). 51 A.a.O. 29,33f. 52 Diese Abwehr gilt insbesondere den beiden falschen (nicht eigentlich christlichen) Zurechtlegungen des Dogmas im Sinne des »Modalismus« (sabellianischer Herkunft) und des Tritheismus (wie sie von jüdischer und islamischer Seite vorgebracht wird). 53 Die scheinbar naheliegende Auskunft, es handele sich bei der Trinität eben um ein »Paradox«, ist nicht nur gedanklich unbefriedigend (cf. J. RINGLEBEN, Paradox und Dialektik. Bemerkungen zu Kierkegaards Christologie, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, Bd. II, Tübingen 2005, 131ff), sondern auch ein Missverständnis des Mysteriums als irrational bzw. a-logisch. Es ist a priori nicht einzusehen, inwiefern eine behauptete Paradoxie mehr dem göttlichen Mysterium entsprechen können soll als der Gedanke von Gottes ewiger Lebendigkeit. 54 S. o. zu Th. 5. Der spekulative Gedanke eines Sich-anders-Werdens ist hier nicht konzipierbar. 55 S. o. zu Th. 4 und 6. Zur »divinitas« siehe auch unten (3.). 50

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(2.) Weiterhin fällt auf, dass Begriffe wie Allmacht, Herrsein, Ewigkeit 56 Gott als dem ihnen zugrundeliegenden Subjekt nur wie »Eigenschaften« zugesprochen werden, und dies äußerlich, weil auf einen für sie spezifischen Bezug zum Thema Trinität selber dabei nicht reflektiert wird. (3.) Die gemeinsame Gottheit (deitas) kann nicht als ein der Differenzierung in drei Instanzen (personae) formal-allgemein zugrunde liegendes Substrat verstanden werden, sondern es muss gemeint sein bzw. gedacht werden, dass die eine Gottheit im strengen Sinne nur als (in Gestalt von) drei(en) existiert,57 die jeder Gott sind, d. h. jeder der (bzw. dieser) eine Gott. Und ebendies muss als Manifestation dessen begriffen werden, dass Gott an sich und durch sich und in sich (a se et per se et in se) der Lebendige ist (cf. Joh 5,26).58 Aus dem Gesagten ergibt sich für alles Folgende die systematische Frage, ob die Statik des unmittelbar sich Widersprechenden im lebendigen Zusammenhang einer sich herstellenden Einheit (also prozessual) gedacht werden kann, und so der unus deus triunus. 2. Altprotestantische Orthodoxie59 Gott wird trinitarisch als die eine »natura divina« (bzw. essentia, substantia, οὐσία, φύσις) und der eine Gott (»unus deus«) gefasst, der zugleich in Gestalt von »tres personae« (πρόσωπα, ὑποστάσεις) existiert. Dementsprechend gilt theologisch das Doppelte: 1. Die eine göttliche Substanz besteht nur in (bzw. aus) den drei Hypostasen. Die »Gottheit« ist mithin kein bloß abstrakt gemeinsames Wesen oder nur ein Allgemeinbegriff für das Göttliche in allen drei »Personen«.60 Die drei subsistieren zwar in der göttlichen Essentia, sind aber für sich seiende Hypostasen (mit ihren ἰδιότητες), deren »relationes« (innerhalb ihrer Einheit) die trinitas ausmachen. 2. gilt von diesen Personen und ihren Relationen einerseits »aequalitas« (ὁµοουσία): Jede ist die ganze essentia divina indivisa. Und daher gilt auch: nur »unus Deus est«, aber jede »Person« ist (dieser) unus Deus. Andererseits ist ihre »distinctio« (nicht aber: diversitas)61 zu betonen: Jeder der drei hat einen besonderen »character hypostaticus«, der durch spezifische notae internae (bezüglich des Wie der Subsistenz) und notae externae (ihre »Appropriationen«) ausgewiesen wird.

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S. o. zu Th. 13f, 17f und 10f. S. o. zu Th. 3. 58 Zu dieser johanneischen Zentralstelle s. u. Abschnitt H. 3. (S. 837ff). 59 Auch hier geht es nur um einen kurzen, aufs Allerwesentlichste zurückgeführten Überblick, der dem gedanklichen Reichtum dieses Lehrstücks bei den orthodoxen Vätern in keiner Weise gerecht wird. 60 Das würde auf vier gottheitliche Instanzen führen (Tetradismus). 61 Cf. oben Anm. 33 (Tertullian). 57

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Die wesentlichen Desiderate dieser Lehrformeln sind die wirkliche Einheit in Gott bzw. Gottes (überall ist es derselbe, der da ist62) und die wirkliche Dreiheit in Gott bzw. Gottes selber (überall ist er anders da, d. h., ist es etwas anderes oder ein Anderer, als was dieser selbe da ist;63 der Andere ist jeweils als solcher nicht ein bloßer Name, sondern meint eine reale Verschiedenheit der jeweiligen »Person«).64 Festzuhalten ist das eine Selbst des göttlichen Seins (»Substanz«) – auch logisch und grammatisch – und zugleich ein dreifaches, wenn auch dreieiniges Dasein dieses Seins als substanziell wesentlich.65 Sowenig man also in einen Tritheismus zurückfallen darf, der tatsächlich drei besondere Götter mit einem abstrakt gemeinsamen göttlichen Wesen annimmt, an dem (als einer unbestimmten Gottheit [divinitas]) sie (nur) teilhaben, so wenig liegt die christliche Lösung des trinitarischen Problems in der Annahme eines einheitlichen göttlichen Wesens, das faktisch nur in drei »Modifikationen« seiner da ist,66 wobei sich auch die Frage stellte: Warum nur drei?! Sondern die theologische (und logische) Aufgabe besteht darin, streng die Dreieinigkeit als wahre Darstellung der Einheit Gottes zu verstehen. Ein solcher absoluter Monotheismus bedeutet: Der eine Gott ist dreieinig als der konkret Lebendige, der absoluter Geist ist.67 3. Grundbedingungen eines Begriffs göttlicher Dreieinigkeit Allgemein ergeben sich aus den Beobachtungen zur traditionellen Trinitätslehre die folgenden Erfordernisse, denen ein vernünftiger Begriff von ihr Genüge tun muss. 1) Gottes Einheit (und diese als seine eigene Einheit mit sich) ist konkret zu denken.68 62

Cf. VORGRIMLER, Gotteslehre (wie oben Anm. 14), 111. »Denn überall ist es derselbe, der da ist, und überall ist es etwas anderes, was dieser selbige ist« (R. ROTHE, Theologische Ethik, Bd. I, Wittenberg 21869, 143 [§ 37, Anm. 1]). 64 Cf. unten C. 4. (S. 788f bei Anm. 110ff). 65 Dieses Dasein wurde in der Tradition (verständlicherweise) immer wieder als »Modus« des einen Seins Gottes bezeichnet (modus subsistendi; τρόπος ὑπάρξεως), so bei Basilius d. Gr. und Johannes von Damaskus (De fide orth. I 2,10–13). DORNER (System der Christlichen Glaubenslehre I [wie oben Anm. 48], 364.366.431 u. ö.) und K. BARTH sprachen von »Seinsweise«, um hervorzuheben, dass es sich bei der Dreiheit um die Selbstexplikation des Einen handele (cf. KD I/1, 378f; cf. 352.374 u. ö.). Da damit die Abgleitung in einen »Modalismus« nicht wirklich gebannt erscheint, wird hier ein anderer, neuer terminologischer Vorschlag unterbreitet (s. u. D. 2. [S. 794ff]). 66 Etwa als offenbarungstheologischer Modalismus. 67 Zum Begriff Gottes als Absoluter Geist cf. A. E. BIEDERMANN, Christliche Dogmatik, Bd. II, Berlin 21885, 516f (§§ 699f). 68 Als solche impliziert sie Differenz in sich. In dieser Perspektive kann auch Ex 3,14 als eine Art alttestamentlicher Voraussetzung des trinitarischen Gedankens aufgefasst werden; cf. oben § 1 A. 4.2. (S. 106f) und D. 2.2. (S. 130 bei Anm. 232). 63

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2) Gottes Einheit ist als eine in den drei Instanzen Vater, Sohn und Hl. Geist lebendige Einheit zu begreifen. 3) Zu klären ist, wie die Unterschiedlichkeit der Relationen in Gott mit der bruchlosen Einheit Gottes selber zu vereinbaren ist.69 4) Die innergöttlichen Relationen sind nicht als (ontologisch) sekundär zwischen diesen Instanzen stattfindend zu verstehen.70 Denn so würden die innergöttlichen Instanzen selber als substanzielle Größen vorgestellt, die Beziehungen zwischen ihnen aber als nur nachträglich eintretend. 5) Stattdessen ist ein sich selbst tragendes Beziehungsgefüge zu denken, in dem, und in dem allein, die Relationen und ihre Relate (die »Personen«) ihr wahres Sein haben.71 6) Weiter ist zu erörtern, wie die Unterschiede zwischen den Relaten und den Beziehungen, in denen sie ihr eigenständiges Sein haben, und wie die Unterschiede zwischen den Relaten selber (ihre spezifische Verschiedenheit) zu erklären sind. 7) Zu erklären ist auch, warum gerade diese drei Größen und nicht mehr oder andere anzunehmen sind.

C. Der Dreieine als Wahrheit des Monotheismus (Das Grundpostulat) »Nichts ist so recht Eins, was nicht Drei ist; warum sollte es bei Gott anders sein …?«72

1. Konsequenter Monotheismus Zumindest implizit findet sich bei K. Barth die These, dass die Trinität die christliche Gestalt eines wahren Monotheismus ist: »Von diesem Wesen Gottes ist nun zu sagen, … dass vielmehr gerade in der Dreiheit der ›Per-

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Gemäß der Anselm’schen Formulierung, die vom Konzil von Florenz (1442) übernommen wurde: »In divinis omnia sunt unum, ubi non obviat relationis oppositio« (Anselm, De proc. Spir. S. 1, in: ders., Op. omn. 2, 180,24ff; DS 1330). 70 Auch daher ist der Terminus »Person« zu ihrer begrifflichen Fassung ungeeignet (s. u. D. 1.1. [S. 789ff]). 71 Auch in dieser Hinsicht bedeutet der trinitarische Gedanke die Kritik jeder metaphysischen Ontologie, mithin auch einer »Onto-Theologie«. 72 F. SCHLEGEL, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von E. Behler u. a., 2. Abt., Bd. XVIII, Paderborn u. a. 1963, 85 (Nr. 661; 1797). Das Zitierte mag ein Echo auf die traditionelle Lehre von den vestigia trinitatis sein.

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sonen‹ seine Einheit besteht«.73 Weiter heißt es: »es … geht auch und gerade in der kirchlichen Trinitätslehre als solcher auch und gerade um den christlichen Monotheismus«.74 Noch deutlicher vertritt das W. Pannenberg mit der Behauptung, »daß der Gedanke der Einheit Gottes ohne Trinität gar nicht sachgemäß und konsistent gedacht werden kann«.75 Daraus folgt, dass »erst die Trinitätslehre die vollständige und in sich konsistente Darstellung der Einheit des sich in Christus offenbarenden Gottes ist«.76 Vorbereitet sind solche Thesen schon bei M. Luther. Dieser hat einerseits die göttliche Einheit gerade von ihrer internen Differenzierung her gedacht77 und andererseits diese Einheit Gottes (in Christus) als absolute Form von Einheit überhaupt verstanden.78 Für Luther steht somit wegen Gottes einigem 73 BARTH, KD I/1, 369. Schon Schelling hat die Trinitätslehre als den wahren Monotheismus verstanden; cf. SCHELLING, Philosophie der Mythologie II, in: ders., SW 12, 79 und DERS., Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 316f und 338. 74 A.a.O. 371. Cf. 368: »Dreieinigkeit Gottes besagt nicht nur keine Bedrohung, sondern vielmehr geradezu die Begründung des christlichen Gedankens der Einheit Gottes.« 75 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 317. 76 A.a.O. 318. Zum »konkreten Monotheismus« cf. auch 363 mit Anm. 220. 77 »dum se multiplicat, maxime idem manet et fit« (WA 1, 27,18; Hervorh. J. R.). Ähnlich zuvor auch der Cusaner: »Maxima enim nequaquam recte intelligi poterit [sc. ipsa unitas Dei], si non intelligatur trina« (Nikolaus von Kues, Doct. ign. I 10; cf, auch I 19, in: ders., Phil.-theol. Schr. 1, 224, cf. auch 260). Der neuplatonische Versuch Meister Eckharts, hinter der Dreieinigkeit noch eine letzte Einheit der Gottheit aufzufinden (Eckhart, DW 1, 43,28–44,38 mit DERS., LW 2, 66,6), kann trinitätstheologisch nur als ein Irrweg beurteilt werden, der die wahre Einheit gedanklich nicht erreicht. Mit dem Axiom bezüglich des Seins: »nihil se ipsum deserit« (LW 2, 78,3; nach Augustin, De imm. an. 7,15; PL 32, 1028) verhindert die Ontologie einen Begriff vom lebendigen Gott. 78 Die göttliche Einheit-mit-sich ist 1. der eines abstrakten Unteilbaren überlegen: »divinitas multo minus est divisibilis quam punctum« (WA 39 II, 299,9f; cf. 40 I, 527,24– 27); 2. ist sie als eine maxima unitas größer und stärker als jede bloß natürliche bzw. materielle Einheit: »Denn freylich holtz an yhm selber nicht so ein einig wesen hat als die Gottheit, Und widerumb holtz und stein nicht so gewis und unvermischlich unterschieden sind, als die personen [sc. der Trinität] sind« (WA 26, 440,25–28). 3. Gegenüber der mathematischen und dinglichen Einheit stellt die Einheit des Lebendigen eine noch höhere Form von Einheit, ein Mehr an Einheit, dar, ist sie doch untrennbare Einheit zweier Unterschiedener, wenn auch noch hinter der Einheit Gottes mit sich zurückbleibend: »die einigste einigkeit gegen alles, das hi niden ist, das leib und seel nicht so einiglich beysammen sind, als Gott einig ist« (WA 41, 272,3–5), denn er ist der absolute Ort von Leben. Diese ontologische Klimax von Weisen denkbarer Einheit gipfelt in einem christologischen Maximum, das seinerseits Grundvoraussetzung für die trinitarische Einheit Gottes ist: »Die menscheit ist [trotz des unendlichen Abstandes von Mensch und Gott] neher vereiniget mit Gott, denn unser haut mit unserm fleische, ja neher denn leib und seele« (WA 26, 333,11–13; cf. 340,22–24). Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen über die Dreieinheit oben im Text (bei Anm. 74 und 75) zu lesen. Ausdrücklich sagt Luther: »Haec unitas trinitatis … est magis una, quam ullius creaturae, etiam mathematicae unitas. …

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Wesen »in sich selber« argumentativ fest: »fatemur fester unum deum quam gentiles«.79 Darum wird mit größtem Nachdruck Gottes absolute Einheit behauptet: »Non solum enim docemus et credimus unum, sed simplicissima simplicitate et unissima unitate. Non dividimus istos tres. Patrem, filium, spiritum sanctum. Non faciamus diversos deos, sed unissime unum et simplicissimum Deum credimus«.80 Für die hier zu entwerfende Gotteslehre sind aus dem Angeführten zunächst zwei Einsichten stark zu machen: 1) Wahre Einheit ist erst gedacht, wenn sie als absolut aus sich und durch sich sich bestimmende, sich selber hervorbringende Einheit gedacht wird;81 2) weil dazu auch der christologische Ursprung des christlichen Gottesgedankens nötigt, ist dieser eigens zu thematisieren, um die Trinität zu begreifen.82

unitas … multo maior est in divinitate et divinitas multo minus est divisibilis quam punctum. Ergo Pater et Filius magis sunt unum quam punctum« (WA 39 II, 287,17f [Th. VII] und 299,9f). 79 WA 49, 238,7. Die »gentiles« – Luther nennt hier immer wieder die Anhänger des Islam (»Turci«; cf. auch WA 43, 479,3–5) – thematisieren mit dem »einen Gott« nur eine notwendige Bedingung des Gottesbegriffs (nämlich was Gott den Schöpfer sozusagen nach außen von allen Kreaturen definitiv unterscheidet), nicht aber die allererst hinreichende Bedingung, nämlich »was Gott in bzw. bei sich selber ist« (cf. a.a.O. 238,4– 20). Diese aus der Hl. Schrift hervorleuchtende Selbstunterscheidung Gottes in sich selber ist darum die erst zureichende Bedingung für seinen wahren Begriff, weil nur, wenn seine interne Differenz gedacht wird, auch seine Differenz zu der von ihm geschaffenen Welt (als der des äußerlich Differenten) in ihm selber verortet werden kann. Nur der in sich unterschiedene Gott ist wahrhaft von der Welt unterschieden: »Außen ist Er Creator, Sed intus est pater dicens verbum dictum. Spiritus sanctus williget drein, Do ist ein gedritts«« (a.a.O. 238,21f). Zu Luthers Kritik am Ausdruck Dreifaltigkeit als ein »stammeln« cf. WA 41, 270,6–8; 29, 385,5–14; »Trinität« nennt er einmal »ein wust wort, velim nos habere melius«, WA 27, 187,3; cf. 39 II, 305,14–20). 80 WA 43, 479,5–8. Die Terminologie (dividere, diversi) erinnert an Tertullian (s. o. Anm. 33). Gott ist trotz der Dreiheit »simplicissime unum« (39 II, 253,2). 81 Cf. § 2 A. 3.2. (S. 175f). Das Verständnis der Trinität gehorcht nach dem oben von Luther Angeführten der Regel: Je tiefer der Gedanke in das innere Leben Gottes eindringt, desto präziser wird seine absolute Einheit erfasst. Cf. in diesem Sinne Luther: »Non solum inspiciendus deus ab extra in operibus. Sed … etiam ab intra« (WA 49, 239,6f) und der Sache nach ähnlich I. A. Dorner: Es gehöre historisch zum »Urbewußtsein der Kirche …, daß der Unterschied, der im Christenthum gegebenen Offenbarung in dem Sohn und dem H. Geist von allem Vorchristlichen so groß und tief sei, um in die Tiefen Gottes selber zurückzureichen und auf ewige Unterschiede in Gott selbst zurückzuweisen« (DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre [wie oben Anm. 48], 347). 82 S. u. Abschnitt E. (S. 808ff).

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2. Zu den biblischen Wurzeln Wegen der christlich unaufgeblich und fundamental anzunehmenden und theologisch grundsätzlich zu denkenden Einheit von Gott und Jesus Christus83 schließt der trinitarische Gedanke notwendig (zumindest84) an das Neue Testament an.85 So richtig es ist, dass das Dogma von der Trinität als solches im Neuen Testament nicht unmittelbar explizit wird,86 so wenig sind (mindestens) deutliche Spuren des trinitarischen Gedankens an vielen Stellen zu übersehen (z. B. Mt 28,19; Joh 1,1; Röm 11,36; 1Kor 12,4–6; 2Kor 13,13 u. ö.).87 Systematisch verstanden, ist der Gedanke vom dreieinigen Gott dem biblischen Glauben jedenfalls nicht äußerlich implantiert.88 Im Konzept der Dreifaltigkeit des einen Gottes wird vielmehr die wirkliche Erfahrung des Glaubens an den sich in der Hl. Schrift bezeugenden Gott (in deren vieltöniger narrativer Entfaltung) auf den ihr einwohnenden bzw. zugrunde liegenden theologischen Begriff gebracht, oder, anders ausgedrückt, es wird hier der Logos des neutestamentlichen Glaubens ins Licht der Vernunft gehoben. Man könnte auch sagen, der trinitarische Gedanke von Gott ist die intellektuelle Aneignung der biblischen Glaubenszeugnisse durch die sich darin selber begreifende theologische Vernunft. Der theologische Gedanke als solcher kommt hier aus der religiösen Erfahrung zu sich. Dass im Dogma der Trinität die absolute Wirklichkeit des lebendigen Gottes im Begriff ihrer selbst zu sich kommt, reflektiert auch (im Medium der denkenden Vernunft) das Werden zu sich Gottes selber, sofern er aus der »ökonomischen« Trinität zugleich in seine »immanente« Trinität zurückreflektiert ist.

83 Cf. Kol 1,15–18 und Hebr 1,3. Bei dieser Einheit wird meist die Einheit und Einzigkeit des einen Gottes ausdrücklich festgehalten: εἷς θεός (Mk 12,29 [Dtn 6,4]; Mt 23,9; Joh 17,3; Röm 3,30; 1Kor 8,4; Gal 3,20b; Eph 4,6; Jak 2,19; 4,12 u. ö. Werden der Eine Gott (Vater) und der Eine Herr (Jesus Christus) nebeneinander genannt, so erzwingt das geradezu eine gedankliche (theologische) Klärung ihres Verhältnisses (cf. z. B. 1Kor 8,4; 1Tim 2,5 sowie 2Kor 1,3; 1Joh 5,20; ein Geist: 1Kor 12,11). 84 Zu Ex 3,14 cf. oben S. 773 Anm. 8. 85 Zur christologischen Vermittlung der Trinitätslehre s. u. Abschnitte E. und G. (S. 808ff.819ff). 86 Was auch K. Barth konzediert (cf. BARTH, KD I/1, 326); er behauptet aber, dass die Trinitätslehre christlich und theologisch notwendig und sachgemäß ist (326f). 87 Auffällig ist auch 1Joh 5,8b. Cf. H.-J. ECKSTEIN, Die Anfänge trinitarischer Rede von Gott im Neuen Testament, in: M. Welker/M. Volf (Hgg.), Der lebendige Gott als Trinität (FS J. Moltmann), Gütersloh 2006, 85–113. 88 Bei R. Feldmeier/H. Spieckermann heißt es vom trinitarischen Dogma: »Bei aller Gebundenheit an Gedankengänge einer späteren Zeit ist [es] deshalb … keine spekulative Entgleisung …, sondern hat seinen Grund in der spezifischen Gestalt des neutestamentlichen Monotheismus, der auch die Einheit und Einzigkeit Gottes wie alle anderen göttlichen Eigenschaften inklusiv versteht« (R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011, 97).

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3. Gegen abstrakten Monotheismus Ein reiner Monotheismus, wie er eindeutig im Islam, im Judentum nur in bedingter Hinsicht vorliegt,89 statuiert logisch nur ein letztes formales Einheitsprinzip, das, logisch gesehen, in sich leer ist.90 Wenn Gottes Einheit nicht als aus ihm (sich) selbst bestimmt begriffen wird, wird sie Gott nur äußerlich »angetan« bzw. ihm rein faktisch nur zugeschrieben.91 Abstrakter Monotheismus geht von einer bloß vorgefundenen Einheit aus92 und denkt sie nicht als eine in sich lebendige, d. h. sich mit sich selber einigende Einheit;93 das aber wäre eine Einheit, die es auch für sich selber (und nicht nur für uns) ist: absolute und so wahre Einheit. Eine Gott hingegen nur zugesprochene, an ihr selbst (als Einheit) bestimmungslose Einheit bzw. ein abstraktes Einssein impliziert, dass sie bzw. es systematisch ausschließlich als Negation von Differenz fungiert.94 Der Eine ist dann so mit sich eins, dass er alles andere (bzw. alles, was nicht er ist) strukturell von sich ausschließt.95 Eine Einheit, die sich über abstrakte Negation von Unterschieden definiert, ist aber, logisch gesehen, das Prinzip von Herrschaft.96 Der Dreieinige ist demgegenüber, als

89 Insbesondere für das Alte Testament und das streng monotheistische Judentum gilt, was Hegel von bestimmten Religionen schreibt, dass sie »in der inneren Konsequenz des konkreten Geistes reicher, mannigfaltiger werden, als das abstrakte Prinzip zunächst mit sich bringt; in der Erscheinung und in dem Bewußtsein fügen sich die weiteren Momente der erfüllteren Idee, inkonsequent gegen jenes abstrakte Prinzip, hinzu« (HEGEL, Werke 17, 488). 90 Hegel, der den Islam für »wesentlich fanatisch« hielt, behauptet: »Der Mohammedaner haßt und verbannt alles Konkrete [sc. in Gott selber]; Gott ist der absolut Eine« (HEGEL, Werke 17, 337). 91 Cf. den religionslogischen Vergleich beider Gottesbegriffe in meinem Beitrag: J. RINGLEBEN, Systematisch-theologische Anfragen an den Islam, in: JAWG 2016/1, 130– 136. 92 Cf. oben bei Anm. 79 zu Luther. Mit seiner abstrakten Einheit (bzw. Sich-selbstGleichheit) findet also Gott sich gleichsam selber nur vor: ein sozusagen ewiges Faktum. 93 So hat beispielsweise Augustin die innere Trinität als Zusammenspiel verschiedener Weisen von Mit-sich-einig-Sein beschrieben: unitas (Vater), aequalitas (Sohn), concordia bzw. connexio (Geist); cf. De doctr. chr. I 5; PL 42, 21; cf. auch De trin. IX 3/5; PL 42, 962–965. 94 Cf. Hegel: »Diese abstrakte Negativität, mit dem verharrenden Einen verbunden, ist so ein Grundbegriff der orientalischen Vorstellungsweise« (HEGEL, Werke 19, 521f). 95 »Der Eine, die Macht ist das [sc. gedanklich] Mangelhafte, weil es nur die abstrakte Macht ist, seinem Inhalte nach nicht absolute Subjektivität ist, nur abstrakte Notwendigkeit, abstrakt einfaches Beisichselbstsein« (HEGEL, Werke 17, 204). 96 So kann der abstrakte Einheitsgedanke tendenziell oder latent Züge struktureller Gewalt gewinnen: als die unbedingte Negation alles Nicht-Identischen. Cf. (im Anschluss an die eher historischen Thesen von J. Assmann): P. WALTER (Hg.), Das Gewaltpotential des Monotheismus und der dreieine Gott, Freiburg 2005. Cf. die abgewogene, den religiösen Anliegen des Islam differenziert gerecht zu werden versuchende Studie von J. BAUR, Der

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in sich selber kommunikativ verfasst, das Prinzip sich aufschließender und an seinem Sein teilgebender Liebe.97 Sachlich ist für die christliche Gotteslehre festzuhalten: »unum multiplex in seipso«.98 Also ist auch Gottes Aseität als an ihr selber trinitarisch zu denken99 – und dies von Gott als causa sui aus.100 Wenn die wesentliche Einheit Gottes nicht von vornherein als »fertig«, sondern als lebendig im Werden zu sich begriffen zu denken ist, dann besteht (zumindest) die Möglichkeit, dass sie sich unter den Bedingungen des Auftretens der Dreiheit erst herstellt. Dabei darf die Dreiheit aber nicht, wie gesagt, als Entfaltung schon gegebener (vorausgesetzter) Einheit, sondern muss als Weg der Einheit zu sich als wahrer und konkreter Einheit begriffen werden. Bezieht man sie auf den lebendigen Gott, sind in diesem Sinne einschlägige Formeln Augustins aufzunehmen: »deus, una trinitas et trinia unitas«101 oder auch: »videre trinitatem unitatis et unitatem trinitatis«.102 Dies lässt ein Verständnis von einer Dreiheit in der Einheit und von der Einheit als der Wahrheit der Dreiheit jedenfalls zu.103 Wird, um die Dreiheit zur Einheit zurückzuführen,104 Gott als selber Hl. Geist zugeschrieben: »trinitas dualitatem ad unitatem reducit«,105 so ist

christliche Gottesglaube angesichts der Herausforderung durch den Islam (1992), in: ders., Einsicht und Glaube, Bd. II, Göttingen 1994, 155–172. 97 Cf. oben gegen die Auffassung von Gott als dem »leblos Einsamen« § 11 B. 1.2.2. (S. 617 bei Anm. 29). 98 Johannes Scotus Eriugena, De divis. nat. III 17 (PL 122, 674C). Cf. oben Anm. 77. 99 Cf. oben Anm. 48. 100 W. PANNENBERG (Systematische Theologie I [wie oben S. 772 Anm. 1], 423) möchte das Theorem der causa sui nicht ohne Weiteres auf die innertrinitarischen Beziehungen anwenden – seine Begründung, dass ja der Vater im Sohn ein anderes seiner selbst zeuge, leuchtet nicht ein, da auch die causa sui eine Differenz und mithin Negativität, ein Sich-anders-Werden, impliziert –, hält es dagegen für angemessener, was die Beschreibung des Verhältnisses von immanenter und ökonomischer Trinität angeht. Denn hier sei in der Tat »die Gleichheit von Ausgangspunkt und Resultat« gegeben, die die Formel causa sui fordere (ebd.). Weiter heißt es dann: »Und dennoch ist der trinitarische Gott schon vor seiner Beziehung zur Welt in sich selber vollendet, wie es wiederum Voraussetzung des Gedankens der causa sui ist« (ebd.). Ebendiese Vorstellung eines »schon vor« ist aber aus der Dialektik der »causa sui« selber zu denken, um gerade so »die innere Dynamik der Selbstidentität des trinitarischen Gottes« konsequent zur Geltung zu bringen. 101 Conf. XII 7,7. 102 Conf. XIII 22,32. 103 Cf.: »simplex multiplicitas … multiplex simplicitas« (De trin. VI 4,6; PL 42, 927); cf. oben Anm. 77. 104 Freilich arbeitet sich in der Dreiheit auch schon die Einheit aus. 105 Zitiert nach DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben Anm. 48), 404.

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damit die trinitarische Selbstbegründung Gottes formuliert.106 Die Einheit wird so als eine durch die Zweiheit hindurch sich mit sich vermittelnde gedacht, so dass in der Dreiheit Einheit sich wahrhaft darstellt und die Dreiheit als in Einheit bewahrte deren Dasein ist. Das kommt in der (umgekehrten) Formulierung des Gregor von Nazianz pointiert zum Ausdruck: »(ohne Spaltung … wie ohne ungeordnete Vielfalt) bewegte sich die Monas vom Anfang [bzw. von Anfang an] in die Dyas, bis sie in der Trias zum Stillstand kam«.107 Im Sinne einer solchen ewigen Geschichte soll hier die Dreieinigkeit als Gottes eigener »Lebensverlauf« gedeutet werden.108 4. Zusammenfassung Überblickt man das bisher Erarbeitete, so lässt sich Folgendes bereits sagen. Gottes Einheit realisiert sich als absolute Einheit, die sich im dreifachen Auftreten (jeweils neu und spezifisch, d. h. zu ihrer Bewahrheitung, anders) als Einheit realisiert.109 Vater, Sohn und Geist sind selbständige Momente der sich in ihnen bzw. als sie zu vollkommener Existenz bringenden göttlichen Wesenseinheit. Es geht nicht um »Seinsweisen« einer für sich schon fertigen Einheit, die sich aus sich (sich abwandelnd) nur entwickelt,110 sondern um integrale und notwendig auch unterschieden bleibende Momente dieser Einheit,111 die sich aus ihnen gleichsam aufbaut und doch jedem von ihnen als Einheit auch gegenübersteht, ebenso wie diese in ihnen jeweils ganz da ist. Das heißt, die Einheit ist nicht nur als formales Einigungsband »in« ihnen da. 106

Dazu ausführlich unten Abschnitt J. 2. (S. 859ff). Orat. 29,2ff; PG 36, 76: ∆ιὰ τοῦτο µονὰς [ἀπ’ ἀρχῆς] εἰς δυάδα κινηθεῖσα µέχρι τριάδος ἔστη. 108 Zu diesem Ausdruck (in christologischem Kontext) cf. HEGEL, Werke 17, 287 sowie (unter Einbeziehung des Menschen) E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 472 und 475. 109 Nochmals sei unterstrichen, dass es sich dabei weder nur um die Selbstentfaltung oder -darstellung (qua Offenbarung) eines göttlichen Subjektes (K. Barth) handeln kann noch auch nur um die dreifache Wiederholung desselben (cf. oben § 13 [S. 709 Anm. 35]). 110 K. Barths Ansatz bei der Einheit von Offenbarer, Offenbarung und Offenbarsein (BARTH, KD I/1, 311ff; § 8) lässt keine wirkliche innere Differenz zu, sondern führt zu einer Überbetonung des geschlossenen (323) Subjektes Gott (»Herr«: 323.331), der sich in einem in sich geschlossenen Kreis (322; cf. 222) nur selber wiederholt (315.333.369). »Weise« (modus) ist eben notwendig (nur) eine Abwandlung desselben. Einerseits ist zu fragen: Wie können Seinsweisen zugleich »Relate« der göttlichen Liebesrelationen sein? Cf. CH. SCHWÖBEL, God is Love. The Model of Love and the Trinity, NZSTh 40 (1998), 307–328, hier 324; andererseits ist Jesus von Nazareth eine geschichtliche Person, was wegen des geschichtlichen Ansatzes der Trinitätslehre wichtig ist (cf. BARTH, KD I/1, 333). Zur Kritik cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 322 und 331. 111 Sie werden unten in Abschnitt D. 2. (S. 794ff) als »Mitten« eingeführt werden. 107

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Sie gehen ihrerseits auch in der resultierenden Einheit nicht so auf, dass sie nur Etappen des Weges zu ihr, Stufen ihres Prozesses, wären; vielmehr hat diese Einheit ihr Sein als absolute nur als diese drei. Gottes wahre und absolute Einheit ist eine in sich vermittelte, d. h. unbeschadet ihrer Einheit an sich selber differenzierte, also lebendige Einheit. Gottes Selbsthervorbringung ist dreifaltig, um so wahrhaft eins mit sich selber, sein absolutes Selbst zu sein. Gottes Einheit legt sich selber als Dreiheit aus, und seine Dreiheit ist das absolute Dasein in ihrer sich für sich manifestierender Einheit. Das bedeutet: Die Einheit des göttlichen Wesens existiert (auch an ihr selber) nur in ihren konkreten Lebensäußerungen, und so ist sie als ein wirkliches, in sich differenziertes Leben der Einheit Gottes »konkreter Monotheismus«.

D. Ein neuer Vorschlag zur trinitarischen Begrifflichkeit 1. Terminologische Probleme Diese betreffen insbesondere zwei traditionelle Begriffe. 1.1. Persona Mit dem Terminus persona – ursprünglich wohl von den Modalisten für den einen Gott eingeführt112 – sieht schon Augustin sachliche Probleme verbunden (s. u.).113 Da eine »Person« als Hypostase mit individueller Subsistenz selber eine »substantia« ist, ergibt sich für die Trinitätslehre das Problem einer »substanziellen« Verschiedenheit in Gott,114 und diese ist mit der Einheit der göttlichen essentia nicht vereinbar.115 Im Protestantismus wird mit persona in altkirchlicher Tradition vor allem die ontologische Eigenständigkeit der innergöttlichen Instanzen betont: »quod proprie subsistit« (CA I, 4).116 112

Cf. VORGRIMLER, Gotteslehre (wie oben S. 774 Anm. 14), 125. Siehe für die Antike den Artikel von M. FUHRMANN, HWP 7 (1989), 269–283; zur Scholastik und zu Luther cf. a.a.O. 283–300 (KIBLE). Cf. auch S. SCHLOSSMANN, Persona und Πρόσωπον im Recht und im christlichen Dogma, Kiel 1906 (2., unveränd. Aufl. Darmstadt 1968), sowie die gelehrte und theologisch einschlägige Abhandlung von O. BEHRENDS, Die Person im Recht. Zu den philosophischen und religiösen Quellen eines antiken und modernen Fundamentalbegriffs, in: K. Seelmann (Hg.), Menschenrechte, Colloquia Raurica 15, Berlin/Boston 2017, 187–221. Cf. insbesondere auch unten S. 856 Anm. 508. 114 Augustin, De trin. VII 5f (10 und 11) (PL 42, 942–945). Für Thomas von Aquin cf. unten Anm. 137. 115 Augustin, De trin. VII 4,8ff (PL 42, 940–942). 116 BSLK 50,15–19. 113

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Außer den Schwierigkeiten, die sich hier von einem neuzeitlichen Personverständnis aus ergeben,117 stellt sich theologisch das systematische Problem, wie die Rede von den drei trinitarischen Personen mit dem gegenwärtigen Gedanken der »Persönlichkeit« Gottes118 soll vereinbart werden können.119 Aber auch der trinitarische Personbegriff selber ist – gerade trinitätstheologisch – bedenklich.120 Liest man: »ad personalitatem requiritur ultima solitudo«,121 so ist ein Konflikt sowohl mit der alten Lehre, dass Gott christlich nicht als »solitarius« oder als der »leblos Einsame« (Hegel) aufgefasst werden dürfe, weil er die Liebe ist,122 ebenso unvermeidlich wie mit einem vertieften Verständnis von Personhaftigkeit.123 Weil man also sagen muss: Der Terminus »Person« ist in der Trinitätslehre ein relativ zufällig zur Anwendung gelangter, vor allem aber in seiner theologischen Relevanz und seinem logischen Status völlig ungeklärter Begriff – er ist auch unbiblisch, allenfalls durch die religiöse Erfahrung im biblischen Kontext vage motiviert –; daher legt sich die Aufgabe einer systematischen Neuinterpretation unabweisbar nahe.124 Dies Bedürfnis ist auch in der Tradition immer deutlich empfunden worden, weil man sich meistens über die sachliche Unzulänglichkeit der Bezeichnung der innergöttlichen Instanzen als »tres personae« durchaus im Klaren

117

Cf. HWP 7 (1989), 300ff. W. Pannenberg hat sie durch Einführung des (ursprünglich physikalischen) Feld-Begriffes zu umgehen versucht; cf. dazu R. LEUZE, Drei Personen oder Feldtheorie? Bemerkungen zur Trinitätslehre von W. Pannenberg, in: G. Wenz (Hg.), »Eine neue Menschheit darstellen«. Religionsphilosophie als Weltverantwortung und Weltgestaltung, Pannenberg-Studien 1, Göttingen 2015, 131–141. 118 Cf. oben § 3 E. (S. 281ff). 119 Zu den schwierigen Versuchen in dieser Richtung cf. DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben Anm. 48), 396ff (§ 31; zuvor schon R. Rothe, dazu Dorner, a.a.O. 390f). Cf. auch VORGRIMLER, Gotteslehre (wie oben S. 774 Anm. 14), 124ff. 120 Zum antiken und patristischen Begriff der persona (bis zum Mittelalter) cf. den ausführlichen Artikel von M. FUHRMANN, HWP 7 (1989), 269–283. Allerdings hat C. Andresen nachzuweisen versucht, dass der trinitarische Personbegriff ursprünglich mit einer prosopographischen Exegese verknüpft war, also eine spezifische sprachliche Genese hat (C. ANDRESEN, Zur Entstehung und Geschichte des trinitarischen Personbegriffs, ZNW 52 [1961], 1–39, hier 25 und 38); dazu J. RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 71 Anm. 66. 121 Duns Scotus, Ord. III, d. 1, q. 1, n. 17. 122 S. o. § 11 B. 1.2.2 (S. 617 bei Anm. 29). Demgegenüber behauptet Schelling sogar, Gott als Geist sei der seiner Natur nach Einsame (solitarius) (SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 260). 123 Mit Bezug auf die Liebe schreibt Hegel: »Das Wahre der Persönlichkeit ist also eben dies, sie durch dies Versenken, Versenktsein in das Andere zu gewinnen« (HEGEL, Werke 17, 233). 124 Siehe dazu unten Abschnitt 2.

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war. So kann man bereits bei Augustin selber schon lesen: »Dictum est tamen tres personae non ut illud diceretur, sed ne taceretur«!125 In seiner Nachfolge bringt Anselm von Canterbury die sich mit dem Terminus persona verbindenden Sachprobleme präzis auf den Begriff: »Non enim putandae sunt tres personae, quia omnes plures personae sic subsistunt separatim ab invicem, ut tot necesse sit esse substantias quot sunt personae; … Quare in summa essentia sicut non sunt plures substantiae, ita nec plures personae.«126 So bekennt auch dieser scharfe Denker und Kirchenlehrer seine Verlegenheit darüber ein, was denn mit den drei in der Trinität eigentlich gemeint sei bzw. gedacht werden könne: »trinitatem propter tres – nescio quid«.127 Ähnlich ist sich Luther des Unzureichenden des trinitarischen Personbegriffs bewusst: »Nenne du es, wie du wilt, wir heissen es eine person, ist wol nicht gnug geredt, sondern gestamlet«.128 Seine diesbezüglichen Einsichten weisen zugleich auf die theologische Aufgabe hin, eine Neuformulierung zu versuchen, die dem vollen gedanklichen Gehalt des Dogmas eher gerecht wird.129 Auch mit dem traditionellen Begriff der innertrinitarischen Relation sind theoretische Schwierigkeiten verbunden, die ihm von seiner Herkunft aus der traditionellen Ontologie anhaften. 1.2. Relatio Augustin hat (wie schon die großen Kappadokier) die Verschiedenheiten der »Personen« als durch ihre gegenseitigen Relationen bedingt verstanden: »ea dici proprie in illa trinitate distincte ad singulas personas pertinentia, quae relative dicuntur ad invicem«.130 Das ist – gegenüber der traditionellen Ontologie – zweifellos ein gedanklicher Fortschritt. Er führt aber für die Theologie der ewigen Dreifaltigkeit eine spezifische neue Schwierigkeit mit sich: »tamen relativum non est accidens, quia non est mutabile«.131 Im göttlichen Wesen können mithin die innertrinitarischen Relationen keine Akzidentien 125

Augustin, De trin. V 9,10 (PL 42, 918; cf. 943). Anselm, Monol. 79. 127 Ebd. (Hervorh. und Gedankenstrich von J. R. eingefügt). Cf. dazu auch BARTH, KD I/1, 375 und 387f. 128 WA 41, 272,36–38; cf. auch 52, 338,4–6 sowie grundsätzlicher schon 9, 47,9ff. Zu Luthers Zurückhaltung gegenüber Termini wie »Trinität« (!) und »persona« cf. auch bei R. SEEBERG, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. IV/1, Darmstadt 61959, 232f. 129 Cf. auch CH. SCHWÖBEL, Trinitätslehre als Rahmentheorie des christlichen Glaubens, in: W. Härle/R. Preul (Hgg.), Trinität, MThSt 10/MJTh 10, Marburg 1998, 129– 154, hier 149. 130 Augustin, De trin. VIII 1 Prooem. (PL 42, 947); cf. auch V 9,10–12.13 (PL 42, 917–919). 131 De trin. V 5,6 (PL 42, 914). 126

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sein – was sie ontologisch eigentlich sein müssten, da sie nicht Substanzen sind132 –, sondern müssen als von Ewigkeit her bestehend gedacht werden.133 Damit entsteht gegenüber der augustinischen, äußerst elaborierten Interpretation der Trinitätslehre134 die Frage, wie es dennoch überhaupt zu den Unterschieden der Relationen in Gott kommen kann, d. h. in der Sache: wie Entgegensetzung (qua Selbständigkeit der Personen) gleichwohl als konstitutive Beziehung (qua Einheit) verständlich gemacht werden kann. Nun lässt sich an den (hier nicht en détail nachzuzeichnenden) ungemein subtilen Überlegungen Augustins zur Trinität schließlich zeigen, dass er bis zu einer solchen »Aufwertung« der Relation gelangt wie wohl kein Metaphysiker vor ihm und sie theologisch für gleichrangig mit den (substanziellen) Relaten erachtet, dass er aber letztlich der antiken Substanzontologie darin verhaftet bleibt, dass er die Relate (»Vater«, »Sohn« und »Geist«) nicht als durch die zwischen ihnen bestehenden Relationen konstituiert denken kann.135 Erst mit 132 Maßgeblich blieben lange die Festlegungen des Aristoteles: τὸ δὲ καθ’ αὑτὸ καὶ ἡ οὐσία πρότερον τῇ φύσει τοῦ πρός τι (παραφυάδε γὰρ τοῦτ’ ἔοικε καὶ συµβεβηκότι τοῦ ὄντος) (E.N. I 4; 1096a 20–22); in theologischer Anwendung: καὶ γὰρ ἐν τῷ τί [sc. in der Kategorie der Substanz] λέγεται οἷον ὁ θεός (a.a.O. 24). Thomas von Aquin bestimmte die Beziehung als »praedicamentum relationis« (STh I, q. 28; De pot. q. 7, a. 9 corp.), nach Meister Eckhart aber hat eine »Beziehung« ihr Sein nicht vom Sein des Trägers, sondern vom Gerichtetsein auf etwas (M. Eckhart, LW 2, 231ff) (beim Cusaner Marg. 37); cf. auch Augustin, De trin. V 11,12 (PL 42, 918f); Petrus Lombardus, Sent. I, d. 26, c. 3, n. 229; Thomas, Sent. I, d. 8, q. 4, a. 59. Entsprechend fordert Luther anti-aristotelisch: »Sane est intelligenda relatio in divinis, et longe alia quam in creatura vel philosophia« (Th. 11); »Relatio in rebus non efficit rem, ut dicunt, relatio est minimae entitatis, et non per se subsistens, imo secundum Modernos est nihil« (Th. 12); »In divinis relatio est res, id est hypostasis et subsistentia. Nempe idem, quod ipsa divinitas; tres enim personae, tres hypostases et res subsistentes sunt« (Th. 13) (WA 39 II, 339,26–340,5). Demgemäß will Luther – wie später Hegel – die Substanz von den Relationen aus und so als Subjekt denken: »Sed debemus esse Dialectici et … nos debemus nos ex simplici et absoluto substantiae praedicamento transferre in praedicamentum relationis« (WA 40 III, 334,23–26; folgt Anwendung für den Glauben. Cf. dazu auch WA 39 II, 141,1–6; 40 II, 354,2–5; WA.TR 5, 345,22–346,3, Nr. 5755). Es ist hier wieder anzumerken, dass die sog. »Relationsontologie« (G. Ebeling) nur dialektisch wirklich gedacht werden kann; dafür steht M. Theunissens Interpretation der Hegel’schen Logik: M. THEUNISSEN, Sein und Schein, stw 314, Frankfurt 1980. 133 Cf. genauer Augustin, De trin. V 4f.5f; PL 42, 913f. 134 Cf. J. BRACHTENDORF (Hg.), Gott und sein Bild – Augustins De trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung, Paderborn u. a. 2000, sowie die eindringliche, philosophisch weit ausgreifende Studie (insbesondere zum Verhältnis Bild und Reflexivität) von J. KREUZER, Wozu drei? Überlegungen zu Augustinus’ Trinitätsspekulation, in: J. Assmann/H. Strohm (Hgg.), Echnaton und Zarathustra. Zur Genese und Dynamik des Monotheismus, München u. a. 2012, 273–292. 135 Siehe dazu unten Abschnitt H. 4.3. (S. 842). Zur zum Teil sehr kritischen Auseinandersetzung mit Augustins Trinitätslehre überhaupt cf. R. KANY, Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu »De trinitate«, STAC 22, Tübingen 2007.

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diesem letzten Schritt wäre indes die Trinität als ein sich selbst tragendes Gefüge begriffen.136 Nun hat Thomas von Aquin anscheinend eben einen solchen Schritt vollzogen: »Relatio autem in divinis non est sicut accidens inhaerens subjecto, sed est ipsa divina essentia. Unde est subsistens, sicut essentia divina subsistit«.137 Somit sind für ihn auch die Personen nicht Substanzen, sondern »subsistente Relationen«.138 W. Pannenberg hat zu Recht gegen diese Lösung eingewandt, dass derart die Relation »in den Aussagen über die Gottheit ununterscheidbar mit dem göttlichen Wesen zusammenfällt« und mithin die mit der relatio verbundene Entgegensetzung der Relata gerade nicht bestehen bleiben könne; so kommt er (nach eingehender Diskussion) zu dem überzeugenden Ergebnis: »Daher ist es Thomas nicht gelungen, die Selbständigkeit der Personen als subsistierende Relationen als denkbar erscheinen zu lassen«.139 1.3. Problemformulierung Es geht nach allem Ausgeführten innertrinitarisch um so etwas wie die »Lebensvollzüge selbständiger Aktzentren« – mit Pannenberg gesprochen.140 Das heißt auf jeden Fall, es ist hier nicht um bloße »Seinsweisen« eines einzigen göttlichen Subjektes zu tun,141 aber auch nicht um verschiedene Exemplare (»Gott-Personen«) einer gemeinsamen Gattung (»Gottheit«). 136

Dies wird erst bei Hegel logisch eingeholt, der ein System absoluter Relationalität gedacht hat, in welchem die Relate nur durch ihre Relation konstituiert sind. Ch. Iber schreibt darüber: »Hier entfaltet sich die wesenslogische Dialektik des Ganzen, welches zugleich sein eigenes Moment ist: Jedes Relat ist das Ganze der Relation und zugleich Moment dieser Relation und impliziert deswegen das andere Relat als Moment seines Selbstverhältnisses, obgleich es von der Selbständigkeit seines Anderen doch auch wieder dependiert. Die Reflexionsbestimmung ist somit das prozessuale, zirkuläre Verhältnis eines Relats, das sich in seinem Korrelat selbst voraussetzt. Der fehlerhafte Zirkel der Verstandesreflexion [sc. der traditionellen Metaphysik], wonach die Relation nicht ohne die selbständigen Relate zu denken ist, sowie umgekehrt die Relata nur durch ihre Relation bestehen und ohne sie keine Bedeutung haben, löst sich im spekulativen Begriff der Reflexionsbestimmung auf, demzufolge jedes Relat die ganze Relation wie auch ihre eine Seite darstellt« (CHR. IBER, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York 1990, 214f; cf. auch unten Anm. 152). Der dialektische Begriff der »Mitte« soll diese Konstellation trinitätstheologisch einholen, um unter anderem zeigen zu können, inwiefern jede einzelne göttliche »Person« der Trinität zugleich der ganze Gott ist (s. u. Abschnitt 2.). 137 Thomas von Aquin, STh I, 29,4 resp. 138 Subsistenz bedeutet so viel wie »konkret Existieren«; cf. VORGRIMLER, Gotteslehre (wie oben S. 774 Anm. 14), 127. 139 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 321 Anm. 124. 140 A.a.O. 347. 141 Solche Seinsmodi können nur zu dem reduzierten Monotheismus eines einpersönlichen Gottes führen.

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Somit steht man vor der entscheidenden Frage: Wie müssen diese zentralen Instanzen sich als selbständige derart vollziehen, dass sich dabei die Einheit aufbaut, aus der heraus sie sind, was sie sind? Oder auch: Wie können sie Momente der Einheit sein, die nicht vor, außer oder bloß in ihnen schon immer ist, sondern durch sie und in ihrem Zusammenspiel erst wird, d. h. sich erzeugt? Es leuchtet ein: dazu müssen sie, indem sie bei sich und sie selbst sind, zugleich auch nicht bei sich sein.142 Ehe ein Antwortversuch formuliert wird (2.), sollen hier noch einmal vorweg die logischen Bedingungen benannt werden, die für eine überzeugende Lösung der trinitarischen Frage erfüllt sein müssen.143 Es ist absehbar, dass ein Zug von Heterodoxie bei dieser, wie bei jeder modernen Reformulierung der Trinität unter neuzeitlichen Denkbedingungen, sich nicht vermeiden lässt, will man nicht gedankenlos die aporetischen Formulierungen des Dogmas einfach nur wiederholen, sondern sich etwas dabei denken.144 Solche logischen Grundbedingungen sind (mindestens) vier, und gedacht werden soll: 1) Ein im Andern bei sich selbst Sein, und d. h. 2) vom Andern her auf sich zurück; so ist jeder Bezug lebendig und impliziert einen Unterschied von sich selbst. 3) Der Bezug des Einen auf den Anderen muss immer schon selbstbezüglich sein, d. h. (a.) ein Bezug des einen auf sich selber und (b.) zugleich ein Bezug des einen auf den Bezug zum anderen. 4) Von daher muss sich (besonders auch wegen [3)b.]) eine Dreifachheit im Beziehungsgefüge notwendig ergeben. 2. Statt Person »Mitte« – ein Lösungsvorschlag 2.1. Vorblick Jede der drei göttlichen Personen (Hypostasen) ist für sich schon eine eigentümliche Gestalt der Einheit Gottes, die zugleich aus ihnen (von ihnen her) erst absolut zu sich kommt und in ihnen bei sich selbst ist. Das heißt: Alle drei sind wesentliche Vermittlungsinstanzen der ganzen Einheit selbst, 142

Diesem Postulat soll der Begriff der »Selbstunterscheidung« gerecht werden (s. u. Abschnitt F. [S. 817ff]). 143 Sie werden sich als angemessen erweisen, auch die biblischen Befunde zum Thema konsistent zu denken. 144 Zu den prominenten neuzeitlichen Umdeutungen des trinitarischen Dogmas cf. E. HIRSCH, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Gütersloh 31964, Bd. I, 199– 263; Bd. II, 214; Bd. IV, 96–98.40–42.98–102; Bd. V, 254f.326.382. Zur sinnvollen Unterscheidung von »orthodox« und »heterodox« cf. F. SCHLEIERMACHER, Kurze Darstellung des theologischen Studiums (21830), hg. von H. Scholz, Leipzig 31910 (Nachdr. Darmstadt 1993), §§ 203–207.

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bzw. jede der einzelnen Instanzen ist ein eigentümlicher »Einheitspunkt«, an dem sich die »ganze« Gottheit als lebendige Einheit mit sich selber vermittelt: »ein focus oder centrum« des dreieinigen Lebens Gottes.145 So gibt es drei »Relative Centra« oder Durchgangs- bzw. »Vermittlungspunkte« des ewigen göttlichen Lebens.146 Diese erlöschen oder verschwinden nicht im Resultat ihrer »Tätigkeit«, d. h. der Einheit Gottes, weil Gott lebendig in sich ist (Joh 5,26a) und sich nur durch ihre Unterschiede ewig selbst setzt; d. h., gerade indem sie zur Einheit Gottes beitragen, werden sie als unterschiedene ewig erhalten: »so ergibt sich auch die Bestätigung und ewige Fortdauer der Unterschiede durch die göttliche Einheit«.147 Mag es also zumindest religiös eine gewisse Plausibilität besitzen, statt von Personen in Gott von »Seinsmitten«, d. h. göttlichen Lebenszentren zu reden – von jeder der innertrinitarischen Instanzen gilt dann: »Gott ist in der Mitte«148 –, so kommt es nun entscheidend darauf an, ob sich dieser terminologische Vorschlag auch logisch einholen lässt, um theologisch valid zu sein. Das soll im Folgenden versucht werden. 2.2. Die Logik der drei Mitten Hegel schreibt von der Sprache: Sie »tritt nur als die Mitte selbständiger und anerkannter Selbstbewußtsein[e] hervor«.149 Das ist, genau betrachtet, eine dialektische Gedankenfigur, die ein (im streng logischen Sinn) unendliches Verhältnis oder Beziehungsgefüge formuliert.150 Ihre immanente Dialektik ist nun zu artikulieren.151 Hier ist eine Mitte als die Einheit von Selbständigen gedacht, die über diese dialektische Mitte vermittelt sind und die gerade eins sind, indem ihre 145

DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben Anm. 48), 434. A.a.O. 434.436 und 409. 147 A.a.O. 435f (Hervorh. J. R.). 148 EG, Nr. 165,1. Zu K. Barth cf. auch S. ZOSKE, Die Mitte der Trinität, RheinbachMerzbach 1984. 149 HEGEL, Werke 3, 479. Die Einbettung dieser Formulierung in die Dialektik der Anerkennung (cf. a.a.O. 145ff) erweist sich im Verlaufe der »Phänomenologie des Geistes« als schließlich selber nur religiös artikulierbar und fundiert (»Verzeihung des Bösen« als Übergang zum Religionskapitel: a.a.O. 492–494); sie soll, was Hegel so nicht tut, hier trinitarisch weitergedacht werden. Zu Hegels Rekonstruktion der Trinität cf. J. DIERKEN, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, BHTh 92, Tübingen 1996, 258–268. 150 Bei einer endlich konzipierten Mitte träte das Dilemma auf, dass entweder die in ihr verbundenen Relate (im Folgenden = »Extreme« im logischen Sinn) eo ipso unselbständig sind oder dass sie, wenn sie denn selbständig sind, ohne eine ihnen wesentliche Mitte bleiben. 151 Cf. überhaupt W. KERN, Dialektik und Trinität in der Religionsphilosophie Hegels, ZKTh 102 (1980), 129–155. 146

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Mitte sie aus eigener Kraft als selbständige sein lässt, so dass gilt: »sie sind Selbständige, aber damit nur als solche, die in ihrer Einheit miteinander sind«.152 Es geht um eine verbindende Mitte dergestalt, dass sie dasjenige, für das sie dies ist, zugleich in seine Eigenständigkeit entlässt.153 Von den durch die Mitte vermittelten »Extremen« ist zu sagen: »was sie sind, sind sie nur in dieser Mitte und Berührung«.154 Die Selbständigen und ihre Einheit miteinander sind indes nur, insofern die gegen sie gleichfalls eigenständige Mitte zugleich nichts für sich selber ist oder behält; d. h.: Diese Mitte ist als selbständige nicht statisch fixierbar, insofern sie als Mitte ist und aktiv die Anderen (Extreme) über sich bzw. durch sich (hindurch) eint.155 Derart übersetzt sie sich ständig, um ihre Extreme sein zu lassen: Die Momente des dialektischen Gefüges »sind ebenso wohl in einer Einheit, als diese Einheit, welche gegen die für sich seienden Extreme als die Mitte erscheint, sich immer in ebendiese Extreme zersetzt, die erst dadurch sind«.156 Um Mitte, d. h. Ver152 HEGEL, Werke 6, 15. Cf. zu dieser Stelle der Hegel’schen »Wissenschaft der Logik II« bei Ch. Iber über ein solches »substratloses« Gefüge: »So wie die Bezogenheit der Bestimmungen aufeinander aus ihrer Selbständigkeit resultiert, so erwächst ihre Selbständigkeit [sc. über die Mitte] aus ihrer Relativität. Die Selbständigkeit der Relate … ist [hier] rein relational verfaßt« (IBER, Metaphysik absoluter Relationalität [wie oben Anm. 136], 46). Demgemäß gilt dialektisch: Hier »ist jedes Relat ebensosehr die ganze Relation wie auch eine Seite von ihr« (a.a.O. 47). Die trinitarische Relevanz eines »absolut relationalen« Systems von Gedankenbestimmungen liegt auf der Hand; s. o. Anm. 136. 153 Hegel weist das im Kontext der Stelle phänomenologisch an der Sprache aus; s. u. Anm. 157. 154 HEGEL, Werke 3, 114. 155 Cf. die Parallele bei Kant von drei verschiedenen Formeln, »deren die eine die anderen zwei von selbst in sich vereinigt« (KANT, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Zweiter Abschnitt …). In passender Übertragung lässt sich hier auch aufnehmen, was J. König in anderem Zusammenhang so formuliert hat: »… steht als eines in der Mitte und ist wie eine Brücke und Kopula; allein es ist nichts für sich selbst [sc. bleibend] und es ist auch nicht Grenze; es sei denn, man dächte den Gedanken einer solchen Grenze, die sich über sich selbst hinaus so erweitert, daß sie die beiden Bewegungen, die in ihr aufeinanderstoßen, zugleich auch umfaßt« (J. KÖNIG, Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, Tübingen 21969, 25f). 156 HEGEL, Werke 3, 111. Am Beispiel des Selbstbewusstseins: »Die Mitte ist das Selbstbewußtsein, welches sich in die Extreme zersetzt« (a.a.O. 147). Das ist indes schon ein Vorschein des Geistes: »der Geist, der die Gewißheit hat, in der Verdoppelung seines Selbstbewußtseins und in der Selbständigkeit beider seine Einheit mit sich selbst zu haben« (a.a.O. 263). Hegel interpretiert die Kantische Synthesis a priori des Selbstbewusstseins als »die Tätigkeit dieser Einheit, sich zu dirimieren und in dieser Diremtion sich zu erhalten« (HEGEL, Werke 5, 102). Ein eher zufälliges Echo sei hier notiert: »Wie jede Mitte hat der Mensch an der Natur der Extreme teil« (DANTE ALIGHIERI, Monarchia. Lateinisch-deutsch, Einleitung, Übersetzung und Kommentar von R. Imbach/Ch. Flüeler, RUB 8531, Stuttgart 1989, 243). Der am Kreuz für sie sterbende Jesus hängt in der Mitte zwischen den Extremen des unbekehrbaren Sünders und des reuigen, dem die Gnade zuteil wird (Lk 23,32f.39–43).

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einigung der Selbständigen bzw. Einheit des Differenten (als solchen), sein zu können, muss sie für sich die Kraft der Selbstentäußerung bzw. (theologieaffin geredet) der Selbstaufopferung haben,157 in der sie sich aber als Mitte auch erhält. Man erkennt in dieser dialektischen Figur also: Es geht bei der »Mitte« um eine Instanz, die nur so ist, dass in ihrer Kraft selbständige Andere sind, und die derart nichts für sich allein ist. Die andern leben als Selbständige aus der Macht dieser sich ständig an sie hingebenden,158 in sie hinein sich übersetzenden Mitte, die sie vereint, d. h. in ihre gemeinsame Einheit bringt, und doch zugleich jedes für sich es selbst bzw. eigenständig sein lässt.159 Genau so aber behauptet sich die einigende Mitte als etwas für sich: »Die Einheit tritt daher als eine Mitte hervor, welche von der … Wirklichkeit der Seiten ausgeschlossen und unterschieden wird; sie hat daher selbst eine wirkliche, von ihren Seiten unterschiedene Gegenständlichkeit und ist für sie, d. h. sie ist Daseiendes«.160 In Wahrheit geht es um ein sich mit seinen Momenten wechselseitig erzeugendes Ganzes, das Hegel sachgemäß als »Geist« fasst: »Er ist so die Mitte, welche jene Extreme voraussetzt und durch ihr Dasein erzeugt wird, – aber ebenso das zwischen ihnen hervorbrechende geistige Ganze, das sich in sich entzweit und jedes erst durch diese Berührung zum Ganzen in seinem Prinzip erzeugt«.161 157

Im Blick darauf, dass Hegels dialektisches Konzept der Mitte ursprünglich genuin sprachlich, spezifisch von der Sprache als »Dasein des Geistes« gedacht ist (cf. den Kontext unseres Basiszitates oben: HEGEL, Werke 3, 478f), sei noch Folgendes zitiert: »Die Einheit des Begriffs … wird in dieser vermittelnden Bewegung wirklich, deren einfaches Dasein, als Mitte, die Sprache ist« (a.a.O. 378). Auch sonst werden Geist und Sprache zusammengebracht: »Der wahre Geist aber ist eben diese Einheit des absolut Getrennten, und zwar kommt er eben durch die freie Wirklichkeit dieser selbstlosen Extreme selbst als ihre Mitte zur Existenz. Sein Dasein ist das allgemeine Sprechen …« (a.a.O. 386). Vor diesem Hintergrund kann, was das Sich-Aufopfern angeht, hier schon B. Liebrucks zitiert werden: das »Verbergen der der Sprache eigenen Dialektik ihrer Bewegungen gehört zu den größten Leistungen der Sprache« (B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, 7 Bde., Frankfurt 1964–1979, Bd. II, 1965, 343). Zur Sprachlichkeit der Trinität s. u. Abschnitt G. 3.2. (S. 826ff). 158 Das Konzept der sich hingebenden Mitte ist die innertrinitarische Entsprechung (und Voraussetzung) zu Gottes Selbstherablassung; cf. dazu oben § 6. 159 Genau dies lässt sich phänomenologisch am wirklichen Sprechen ausweisen: was einer redet (und dabei auch selber hört) manifestiert sich in der Sprache als einer freien Mitte, durch die der ihn Hörende auf den Sprecher bezogen und zugleich (frei) in sich zurück reflektiert ist; cf. auch das Liebrucks-Zitat in Anm. 157. 160 HEGEL, Werke 3, 377. 161 Ebd. Trinitarisch relevant dürfte auch die Fortsetzung dieser Stelle sein: »Daß die beiden Extreme schon an sich aufgehoben und zersetzt sind [d. h. nur sind als sich zugunsten der (jeweiligen) Mitte selber aufhebend], bringt ihre Einheit hervor, und diese ist die Bewegung, welche beide zusammenschließt, ihre Bestimmungen austauscht und sie,

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War bisher vor allem das Verhältnis zwischen der Mitte und ihren Extremen im Blick, so ist auch noch die Beziehung der Extreme zueinander, sofern sie durch die Mitte vermittelt wird, zu betrachten, um ein vollständiges Bild der hier obwaltenden Dialektik zu gewinnen – und die Relevanz für den trinitarischen Gedanken noch zu verstärken. Denn auch für jedes der Extreme gilt: Es »ist diese Austauschung seiner Bestimmtheit und absoluter Übergang in das Entgegengesetzte«.162 Jede der Instanzen ist als die eine »bestimmte Seite« zugleich auch »die Beziehung dieser bestimmten Seite«.163 Das Beziehungsgefüge verliert also jegliche Asymmetrie, indem jedes Extrem jeweils auch die Bestimmtheit als Mitte bekommt und so seine Selbständigkeit bewährt, indem es sich auch in sein jeweiliges Anderes übersetzt: »Jedes ist dem Anderen die Mitte, durch welche jedes sich mit sich selbst vermittelt und zusammenschließt, und jedes sich und dem Anderen unmittelbares für sich seiendes Wesen, welches zugleich nur durch diese Vermittlung so für sich ist.«164 Es ergeben sich aus dieser und zwar in jedem Extreme, zusammenschließt« (ebd.; erste Hervorh. J. R.). Zum »Austausch« siehe gleich unten. 162 HEGEL, Werke 3, 147. 163 HEGEL, Werke 6, 35. Dies leuchtet unmittelbar beim »Vater«- bzw. »Sohn«-Sein ein. Überhaupt aber gilt: Jede der drei Instanzen (bzw. Mitten) ist die ganze Gottheit (der eine Gott) wie auch bestimmte göttliche Instanz (traditionell: »Person«) sowie gleichfalls deren Beziehung (als ein bestimmtes Wesensmoment Gottes). 164 Ebd. Eine überraschende Vorgestalt und Bestätigung dieser Konzeption findet sich modellhaft bei Platon: »Daß sich zwei Bestandteile allein ohne einen dritten wohl verbinden, ist nicht möglich; denn ein bestimmtes Band (δεσµόν) in der Mitte (ἐν µέσῳ) muß die Verbindung zwischen beiden schaffen (τίνα ἀµφοῖν συναγωγὸν γίνεσθαι). Das schönste aller Bänder ist aber das, welches sich selbst und das Verbundene, so weit möglich, zu einem (ἕν) macht. Das vermag aber ihrer Natur nach am besten die Proportion (ἀναλογία) zu bewirken. Wenn nämlich von (Zahlen) … sich die mittlere so zur letzten verhält wie die erste sich zu ihr und wiederum wie die letzte sich zur mittleren so die mittlere zur ersten, dann wird, da die mittlere zur ersten und letzten wird, die letzte und erste aber beide zu mittleren, daraus notwendig folgen, daß alle dieselben (τὰ αὐτά) seien. Indem sie aber untereinander zu demselben wurden, [folgt,] daß alle eins (ἕν πάντα) sein werden« (Tim. 31b 9–32a 7; Übersetzung Schleiermacher). Hegel bespricht diese Stelle in seinen Vorlesungen zur Philosophiegeschichte (cf. HEGEL, Werke 19, 89f) und sagt: »Das ist vortrefflich, das behalten wir noch jetzt in der Philosophie« (90); cf. auch DERS., Gesammelte Werke, Bd. IV, Hamburg 1968, 65 Anm. 1 und unten Anm. 169. Trinitätstheologisch sind Platons Bemerkungen relevant, weil auch bei ihm die analogia im folgenden Text stets als πρός τι (»Relation«) bezeichnet wird (cf. a.a.O. 32a 1–3; 32b 4–6). Passend übertragen gilt: Indem die drei wechselseitig zu demselben werden (Deus), sind sie auch alle drei eins (Deitas). Der dreieinige Gott stimmt durch innergöttlich-gegenseitige Relationen lebendig mit sich überein (δι’ ἀναλογίας ὁµολογῆς, 32c 1f, bzw. εἰς ταὐτὸν αὑτῷ συνελθόν, 32c 2f), wobei ein liebevolles Verhältnis der innergöttlichen Instanzen zueinander entspringt (φιλίαν τε ἔσχεν ἐκ τούτων, 32c 2). Vor allem aber ist so die absolute Einheit Gottes mit sich als »unauflöslich« (ἄλυτον, 32c 3) konstituiert (cf. Hebr 7,16: ζωὴ

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dialektischen Bewegung also drei Mitten eines derart lebendigen Ganzen, die zwischen den jeweils beiden anderen Instanzen (als ihren momentanen »Extremen«) vermitteln. So führt das Konzept der Mitte, zu Ende gedacht, auf einen Kreislauf sich selbst tragender Relationen, die zugleich auch ihre Relate konstituieren,165 und beschreibt eine Einheit, die spezifisch in sich unterschieden und als sich hervorbringende selbst-bewegt ist.166 Die Bewegung in diesem Konzept einer dialektischen Mitte führt dazu, dass Hegel sie logisch als »Schluss« begreift: »Indem aber unmittelbar diese Einheit selbst als die vereinigende Mitte und die Momente als selbständige Extreme zunächst einander gegenüberstehen, so hebt dies widersprechende Verhältnis, das im formalen Schlusse stattfindet, sich auf«, nämlich als die »Vollständigkeit des Begriffs« zur »Einheit der Totalität«.167 Hegel resümiert die besprochene Dialektik der Mitte so: »Die Mitte macht die Extreme aufs Höchste eins, sie bleiben nicht selbständig, weder gegen sich noch gegen die Mitte. Die Mitte wird die beiden Extreme, und diese werden zur Mitte«.168 Darum gilt logisch: »Der Schluß ist das Spekulative, welches sich in den Extremen mit sich selbst zusammenschließt, indem alle Termini alle Stellen durchlaufen.«169 Dies Spekulative, dass im Vernunftschluss eine Instanz »durch das Andere und im Anderen sich mit sich selbst zusammenschließend« ist, das ist (mit anderen Worten) »die Natur Gottes«.170 Darum ist, logisch gesehen, zu sagen, »daß Gott ein Schluß ist, der sich mit sich selbst zusammenschließt«.171 Denn »dieser lebendige Prozeß – dies ἀκατάλυτος). Hingegen ist die Einheit der Welt für den, der sie begründet hat, durchaus auflösbar (cf. 32c 3f und oben § 8 E. [S. 483 bei Anm. 286]). 165 Cf.: »Die Art der Beziehung kann nicht weiter bestimmt sein, ohne daß zugleich die bezogenen Seiten weiter bestimmt würden« (HEGEL, Werke 5, 109). 166 Cf. das schöne Bild von den drei Schalen einer (wohl römischen) Fontäne: »Und jede nimmt und gibt zugleich / Und strömt und alles ruht« (C. F. MEYER, Der schöne Brunnen, V. 7f); es konkretisiert trinitarisch die Rede vom »Wasser des Lebens« (cf. Joh 4,10.14). In der Alten Kirche gab es die Veranschaulichung durch drei Jungfrauen, die sich gegenseitig ankleiden, wobei zwei der dritten helfen, die passiv, aber, indem sie es auch allein tut, zugleich aktiv ist (cf. bei LUTHER: WA 39 II, 95,19ff; 54, 60,31–61,6). 167 HEGEL, Werke 6, 272. Die logische Schlussform ist so lange noch einseitig, als die »Identität des Begriffes noch inneres Band, somit als Beziehung noch Notwendigkeit« und »die Allgemeinheit der Mitte … [sc. noch] gediegene, positive Identität, nicht ebensosehr als Negativität ihrer Extreme« ist (a.a.O. 394), was ihre vollkommene Freiheit bedeuten würde. 168 HEGEL, Werke 19, 90. Cf. auch J. VAN DER MEULEN, Die gebrochene Mitte, Hamburg 1958. 169 HEGEL, Werke 19, 90. So ist im Schluss »die ganze Vernünftigkeit, Idee enthalten«, und ebendies »ist in der Platonischen Philosophie [sc. des ›Timaios‹] aufgehoben, und das Spekulative macht darin die eigentliche, wahrhafte Form des Schlusses aus« (ebd.). 170 A.a.O. 91. 171 Ebd.

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Unterscheiden und das Unterschiedene identisch mit sich zu setzen –, dies ist der lebendige Gott«.172 2.3. Theologische Auswertung173 Das vorgestellte Konzept einer lebendigen Dialektik von Einheit und Dreiheit bzw. einer wechselnden Mitte und ihrer jeweiligen Extreme hat zunächst ganz allgemein den theoretischen Vorzug, übervorstellungsmäßig, d. h. geisthaftungegenständlich zu sein, weil sich keine der in diesem Gefüge (transitorisch) unterscheidbaren Instanzen für sich (gegen die beiden anderen) substanzhaft fixieren lässt: Es geht um eine in sich bewegte Unendlichkeit.174 172

A.a.O. 92. Die trinitätstheologische Anwendung wird von Hegel selber so nicht vorgenommen; immerhin findet sich aber im zuletzt zitierten Zusammenhang der Satz: »Das Eine ist Gott, das Zweite, das Vermittelnde, ist der Sohn, das Dritte ist der Geist; hier ist die Mitte einfach« (a.a.O. 92) – was freilich den vollen trinitarischen Gedanken nicht erreicht. Cf. E. SCHMIDT, Hegel und die kirchliche Trinitätslehre, NZSTh 24 (1982), 241–260. 174 Da Gott nicht ein »Eines« im abzählbaren Sinne ist, gehört es nach Hegel zur »Arbeit der Verrücktheit«, begreifen zu wollen, wie Eins Drei und Drei Eins ist; denn »bei dem Namen der Dreieinigkeit ist freilich nicht darauf gerechnet worden, daß vom Verstand das Eins und die Zahl als die wesentliche Bestimmtheit des Inhalts betrachtet werden würde« (HEGEL, Werke 5, 247). Rechnerisch 3 als 1 und 1 als 3 fassen zu wollen, »ist darum diese harte Zumutung, weil das Eins das Beziehungslose ist, also nicht an ihm selbst die Bestimmung zeigt, wodurch es in sein Entgegengesetztes übergeht, sondern vielmehr dies ist, eine solche Beziehung schlechthin auszuschließen und zu verweigern« (ebd; cf. dazu LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein VI/1 [wie oben Anm. 157], 1974, 500). Die Trinität ist vielmehr etwas in sich Unendliches, weil sie auch nach Hegel »die Bewegung des Begriffs [ist], als durch welche er allein Begriff ist« (ebd.). Die Frage nach dem Begriff der Dreieinigkeit ist nicht eine Frage der Vorstellbarkeit, sondern – im Rahmen einer Gotteslehre als Arbeit am Begriff – im Kern eine logische Frage (d. h. auch: primär keine sozusagen ontologische Frage oder die Frage nach der Vereinbarkeit von drei »Personen« in dem einen Gott). Als logische ist die Frage: Wie kann 1 zugleich 3 sein? an sich gar nicht nur eine Frage der Zahl (Ps 146,5b: »sapientiae eius non est numerus« [Vg.]; cf. TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben S. 772 Anm. 1], 265), muss aber auch auf dieser Ebene diskutiert werden (z. B.: Warum drei?), obwohl es eigentlich nicht um die Frage nach einer numerischen Eins, sondern um die metaphysische Frage nach (begrifflich-logisch) wahrer, durch sich selbst bestimmter Einheit geht (cf. dazu Cusanus gegen die Drei-Zahl beim Dreieinigen als absolutem Ursprung (Nikolaus von Kues, De possest, in: ders., Phil.-theol. Schr. 2, 1982, 322; cf. F. RESCH, Triunitas. Die Trinitätsspekulation des Nikolaus von Kues, Münster 2014). Indem in Gott der Selbstverdoppelung des Einen der Unterschied als solcher gegenübertritt, verhält die Einheit sich zu sich und zu diesem ihrem Verhältnis zu sich: als »ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält« (S. Kierkegaard). Will man diese realisierte Einheit – mit allem gebotenen Vorbehalt – zahlenmäßig schematisieren, so könnte man das Verhältnis von Pater – Filius – Spiritus S. so anschreiben 1 : (1 : 1/ 1). So ließe sich sehr äußerlich veranschaulichen, dass die Selbstrealisierung des Einsseins zugleich eine Selbstdifferenzierung (des Einen als Eines) ist; die Selbstarti173

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Spezifisch angemessen für die Rekonstruktion des trinitarischen Gedankens ist es deswegen, weil mit ihm jede der drei Mitten so gedacht werden kann, dass sie als »Mitte«, d. h. als verbindend die jeweils andern sein lassende Instanz, selber das Ganze ist, d. h. die beiden anderen einend und zugleich sie selbst.175 Theologisch heißt das: Jede Mitte konstituiert die Einheit Gottes und ist ganz Gott und der ganze Gott.176 Darin ist impliziert: Jede Mitte (Gottes) ist als selbständige notwendig bezogen auf die beiden anderen177 als ihre (für sich eigenständigen) »Extreme«.178 Jede innergöttliche Instanz ist so auch zugleich Mitte und Extrem für die jeweils andere Mitte. Gerade durch die wesentliche Bezogenheit aufeinander haben sie ihre Unterschiedenheit voneinander. Demnach existiert der dreieine Gott in drei Mitten, die so miteinander vermittelt sind (d. h. sich wechselseitig zu Extremen werden), dass sie ein in sich lebendig gegliedertes und (als untrennbare Einheit Verschiedener) sich selber in interner Bewegtheit tragendes Ganzes ausmachen.179 Es geht um kulation der Einheit ist eine absolute, indem zugleich vollkommene Selbstdurchdringung, bzw. ihr Sich-Manifestieren (nach außen und für sich selbst) ist ein selbsthaftes SichVertiefen in sich selbst. 175 Zur gelegentlichen Verwendung des Terminus »Mitte« in anderem Sinne bei BARTH (KD I/1, 384) cf. kritisch DIERKEN, Glaube und Lehre (wie oben Anm. 149), 55. 176 Möglicherweise war dies die Funktion des traditionellen »Person«-Begriffs in der Trinitätslehre, die er aber nicht erfüllen konnte. Cf. Hegel: »jedes ist eben durch sein Anderes, was es an sich ist, die Totalität des Verhältnisses« (HEGEL, Werke 6, 185), d. h. der ganze eine Gott. Auch trinitarisch gilt: Der eine Gott ist »alles in allen (sc. dreien)«. 177 Dass die beiden anderen jeweils notwendig mitzudenken sind, entspricht der Glaubenserfahrung der ersten Christen. 178 Der Terminus »Extrem« hat zunächst einen rein logischen Sinn (inhaltlich geht es um die Relate des von jeder »Mitte« ausgehenden Relationengefüges). Dem Ausdruck lässt sich indes auch theologisch ein sachlicher Sinn abgewinnen. Wenn nämlich Gottvater als »Mitte« gefasst wird, so ist der Sohn (als ewiger und zugleich Mensch) in der Tat der denkbar extremste Gegenpol dazu; ebenso gilt das für den Fall, dass Jesus Christus als »Mitte« angesetzt wird, für die Beziehung des geschichtlichen Menschen aus Nazareth zum ewigen Gott. Entsprechend stellt für Gott als die Mitte der Hl. Geist als sein Sein auch beim geschaffenen Anderen, dem endlichen Geist, einen extremen Unterschied zum ewigen Vater dar; und dies gilt auch umgekehrt, wenn vom Geist als Mitte ausgegangen wird. Was das Verhältnis zwischen Sohn und Hl. Geist betrifft, so hat der Sohn Jesus Christus als Mitte im Geist sein Extrem, insofern dieser eine geschichtlich universal entschränkte Wiederholung seines individuellen Daseins (als ein einmaliger »Dieser da« in einer bestimmten historischen Zeit) vollzieht (cf. Joh 14,16f.26; 16,13). Wird hingegen der Geist selber als Mitte gesetzt, so gewinnt er als »Geist« eine extreme Daseinsweise in einer sinnlich-leiblichen Existenz: der des personhaft als Mensch unter Menschen lebenden Jesus, der der fleischgewordene Logos ist (Joh 1,14). 179 Dieser lebendige »Struktur«-Zusammenhang besteht aus jeweils drei Momenten, die immer die Beziehung zwischen sich und zwei anderen Bezugsinstanzen stiften. Daraus beantwortet sich die Frage: Warum drei? Denn wenn jedes dieser Momente einmal die Mitte

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Instanzen, die vollen Eigenstatus besitzen, aber dies zugleich nur in Relation zu zwei notwendigen anderen (auch selbständigen180) Bezugsgrößen; genau das definiert eine »Mitte«.181 Daher ist mit dem Begriff einer göttlichen »Seinsmitte« gegeben, dass sie eine je eigene Mitte ist, die die Einheit Gottes gegenüber den beiden anderen Instanzen repräsentiert, dass sie dies aber auch nur im Zusammenhang von drei solchen Mitten ist, die in versöhnter Verschiedenheit »Lebenszentren« des einen lebendigen Seins Gottes sind. Ihr im gegenseitig sich austauschenden Bewegtsein lebendiges Verhältnis zueinander (als ein interner »kommunikativer« Zusammenhang) ist das wirkliche Sein des Einen Gottes selber – und nicht ein von ihnen unterscheidbares und abstrakt gemeinsames göttliches Wesen.182 Seine Einheit ist das Sichineinander-Übersetzen der ihm immanenten drei Instanzen; denn jede ist nur, was sie ist, im Sich-Übersetzen hin zu den beiden anderen, und d. h. selbständig in der Hingabe an sie und für sie. So ist jede göttliche Seinsmitte nur, indem sie zugleich sich übersetzt (bzw. immer schon übergegangen ist) in ihr Anderes.183 Auf diese Weise kann die lebendige Einheit Gottes als das immanente Beziehungsgefüge der drei (trinitarisch) gedacht werden: Indem hier jede eigenständige Mitte zugleich auch selbständiges Extrem ist, ist sie nur im Übergehen an das Andere; d. h., sie ist sie selbst und auch ihr Anderes, und so sind die drei eins, ohne dass diese Einheit von ihrem Verhältnis zueinander substanzialistisch (oder essenzialistisch) als ein bloß gemeinsames »Wesen« abgehoben werden könnte.184 Auch der Vorwurf eines »Modalismus« kann diesem Konzept nicht gemacht werden, da es hier jedes Mal um das Ganze (sc. der Beziehung) zwischen den beiden anderen sein soll, kann es nur (und braucht nicht mehr als) drei Konstellationen geben: Vater – Sohn – Geist; Sohn – Vater – Geist; Vater – Geist – Sohn. 180 »Selbständige« sind die Instanzen als – im Sich-Unterscheiden voneinander – sich Verselbständigende; so tragen sie zum Sein der Mitte als solcher bei. Die göttliche Dreieinigkeit lebt als ein dreifach-eines Sich-Hervorbringen: als die betreffenden Selbständigen und jeweils ihre Mitten. Cf. dazu unten Abschnitt J. (S. 857ff). 181 Auch zum vollen Sinn von »Person« gehört eigentlich, dass sie erst vom Andern her wird, was sie ist (cf. HWP 7 [1989], 318 u. ö. [SCHERER] und oben Anm. 123) – gegen BARTH, KD I/1, 143. G. Greshake hat von der »väterlichen Mitte« Gottes erklärt, dass sie (in der Liebestrinität) nicht ohne die Relation auf die anderen (Sohn und Geist) denkbar sei (G. GRESHAKE, Der dreieine Gott, Freiburg u. a. 2007, 207ff). 182 Das wäre dann eine vierte Instanz. 183 Dass jede Instanz zugleich bzw. abwechselnd (eine) »Mitte« und Relat (»Extrem«) ist, das bedeutet ihre Selbstunterscheidung; cf. dazu unten Abschnitt F. (S. 817ff). 184 Man könnte dieses lebendige, kommunikative Binnenverhältnis bzw. diese innergöttliche Gemeinschaft – zum Ich-Du-Verhältnis in Gott s. u. S. 826 Anm. 325 – auch mit der Hegel’schen Formulierung für den Geist wiedergeben: »Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist« (HEGEL, Werke 3, 145); dabei kann »Ich« sowohl für Gott im Ganzen wie auch für jede der drei »Personen« einstehen und »Wir« für die Trinität selber.

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von Gottes Sein selber geht, indem zu jeder Mitte der Bezug auf die beiden anderen gehört. Die logische Figur von »Mitte« und ihren »Extremen« expliziert drei verschiedene Weisen, wie das Ganze es selbst ist, die doch eins sind und in ihrer verschiedenen Ausgestaltung nur gemeinsam die Selbstartikulation und Selbstkonstitution des einen Ganzen von göttlichem Leben erzeugen.185 Der Begriff »Mitte« ist zwar eine aus räumlichen Verhältnissen entlehnte Metapher, ist aber, wie sich gezeigt hat, einer logischen Präzisierung fähig, die räumliche Assoziationen ausschließt und dadurch theologisch anschlussfähig wird.186 Die Rede von trinitarischen Mitten ist wegen ihrer Dialektik im Verhältnis zu den Extremen nur scheinbar räumlich, d. h. sich als räumlich aufhebend, wenn sie begrifflich gebraucht wird. Es handelt sich dann um einen logisch-spekulativen Begriff.187 Dieser hat, wie dargelegt, sachlich den 185

Zur Frage des Modalismus siehe nochmals unten den Abschnitt J. 3. (S. 863 Anm. 562). 186 Man mag sich bei dem Begriff der Mitte auch an die aristotelische µεσότης als Vermittlung zweier Extreme (ἄκρα) erinnern (cf. Pol. IV 9, 1294b 18; Phys. V 5, 229b 1f; Mot. an. 9, 702b 17), die als solche einander entgegengesetzt, weil jeweils sich gleich sind (cf. E.N. II 5f sowie zu weiteren Ausformungen des µέσον-Theorems bei Aristoteles (wie z. B. signifikant: Rhet. III 1, 1403b 29f; Phys. V 1, 224a 30–32); cf. O. HÖFFE, Aristoteles-Lexikon, KTA 459, Stuttgart 2005, 344–346). Hegel hat das womöglich (auch in der Syllogistik!) dialektisch weitergedacht. Theologisch gewendet, ließe sich sagen: Eine »Mitte« überhaupt ist der Vater zwischen Unterschiedenheit bzw. Andersheit (Sohn) und Einheit (Geist); der Sohn zwischen Ferne (§ 13: Der Herr) und Nähe (§ 14: Der Geist) und der Hl. Geist zwischen Gott und Mensch. 187 In vergleichbarer Weise ist die Rede von der »sphaera infinita« nur in paradoxer Weise geometrisch (cf. oben § 4 F. 2.1. [S. 326ff]), die ein Denkbild für Gottes »Allgegenwärtigkeit« ist. Der Sache nach lässt sich über das Verhältnis des in diesem Paragraphen verhandelten Begriffs der »Mitte« zu der Allmittelpunktsformel Folgendes sagen: Heißt es in ihr: centrum ubique, so wird das in trinitarischer Interpretation präzisiert, indem die Mitte der Gottheit in drei »Mitten« existiert, weil jede innergöttliche Instanz der ganze Gott ist bzw. die Gottheit nicht nur eine einzige Mitte als ein den dreien abstrakt gemeinsames Wesen. So ist jede göttliche »Person« oder »Hypostase« Mitte für die jeweils anderen beiden. Wenn es in der Formel weiter heißt: circumferentia nusquam, kommt das trinitarisch darin zur Geltung, dass jede der drei Instanzen nur im Über-sich-Hinausgehen bzw. – gegangen-Sein zu den beiden anderen überhaupt ist; d. h., sie ist nur in (als) Relation zu ihnen und in ihnen bei sich bzw. sie selbst, und so ist jede Mitte in den Extremen, was sie ist, d. h. auch als Peripherie. Diese sind ebenfalls nicht nur ihre »Peripherie« oder Begrenzung, da sich in jedem von ihnen die Mitte wiederholt. Ist die Mitte »überall«, so hat sie auch ihre Peripherie überall, d. h. trinitarisch: in den beiden anderen Instanzen. Sowohl bei der sphaera infinita wie im Gedanken der Trinität hat man es mit wahrer Unendlichkeit zu tun; d. h., indem sie nur als lebendige Dialektik eines Ineinanderübergehens der Bestimmungen existieren, ist das quasi-räumliche Auseinander der Instanzen aufgehoben. Darum kann man sogar sagen: Gottes »Allgegenwart« gründet in seiner Dreieinigkeit. Zum Verhältnis von Trinität und unendlicher Sphäre cf. auch U. BEUTTLER, Gott und Raum – Theologie der Weltgegenwart Gottes, FSÖTh 127, Göttingen 2010, Kap. 5 (bes. 55 und 56).

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Vorteil für die Theologie, dass er kein unbeweglich selbständiges (substanzielles) Zentrum meint, sondern ein Relationsbegriff ist.188 So konnte er sich als die »Vermittlungs«-Kategorie schlechthin erweisen. Wird es durch den Begriff der Mitte zwar möglich, die göttliche Substanz selber als ein autonomes Relationsgefüge zu denken, so könnte religiös die Frage aufgeworfen werden, ob so nicht der persönliche Charakter der drei göttlichen Hypostasen verloren gehe. Zugespitzt gefragt: Kann man zu Vater, Sohn und Hl. Geist als »Mitten« beten? Dazu ist zunächst zu sagen: »Mitte« ist der sachlich angemessene Terminus für die innertrinitarische Dialektik. Der Begriff dient hier nicht unmittelbar dem religiösen Leben, sondern der logischen Klärung der immanenten Verhältnisse im göttlichen Leben selber und hat insofern nur ein theologisch-theoretisches Interesse.189 Religiösinhaltlich hat der Begriff »Mitte« den Vorzug darzustellen, dass, indem man zu einem der Drei betet, darin (vermittelt durch ihn) auch die beiden jeweils anderen unvermeidlich mit angesprochen werden, wie mehr oder weniger das auch dem Betenden im Moment bewusst sein mag. Auch in Bezug auf das Gebet gilt von Gottes dreieiniger Gegenwart: »ad extra indivisa«. Ein weiterer Einwand betrifft die Frage der Appropriationen: Verlieren Vater, Sohn und Geist nicht ihr (innergöttlich) Spezifisches, wenn sie als gleichberechtigte »Mitten« gedacht werden? Nivelliert der logische Gedanke von drei Mitten nicht notwendig die traditionellen Attributionen, die das je Eigene der drei Personen erfassen sollen,190 zumal, wenn überdies auch der Sohn für das Gottsein des Vaters mit konstitutiv sein soll?191 Die hier vorgetragene Dialektik von Mitte und Extremen ist logisch gesehen in der Tat formal und kann auch nur so die Grundfrage der Trinitätslehre präzis klären, schließt aber eine konkrete Näherbestimmung der drei wirklichen Verhältnisse der Personen untereinander nicht aus. Die »Appropriationen« bestimmen deren inhaltliche Seite. Die Frage lautet also: Was ist jede der drei Mitten jeweils, sofern sie als der »Vater« oder als der »Sohn« oder als der »Hl. Geist« 188 Vom Vorrang der innertrinitarischen Relationen muss gesprochen werden, weil jede der drei Instanzen nur ist, indem sie stets auch die anderen beiden ist (s. u. Abschnitt L. zur »Perichorese« [S. 871ff]). 189 Was das Gebet im Blick auf den dreieinigen Gott angeht, so ist zu sagen: Man betet zu Gott (insbesondere dem Vater) als persönlichem Gegenüber (s. o. § 3 E. [S. 281ff]), zu Jesus Christus als dem allgegenwärtigen Herrn und zum Hl. Geist, sich in ihm meditativ versenkend, als dem lebendigen, absoluten Grund unseres Geistes (cf. Röm 8,26f). 190 Zur Ordnung der Appropriationen cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 338f (Anm. 167). 191 Pannenberg plädierte schon 1977 (gegen Augustin und im Anschluss an Athanasius) für eine Ausweitung der Appropriationenlehre in dem Sinne, dass er über die Zuordnung bestimmter Werke der göttlichen Ökonomie zu einzelnen Personen der Trinität hinausging und die Zuordnung nicht göttlicher Eigenschaften, sondern der Gottheit selbst durch eine Person an die beiden anderen stark machte (W. PANNENBERG, Der Gott der Geschichte, in: ders., Grundfragen systematischer Theologie II [wie oben S. 774 Anm. 11], 124f).

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bestimmt wird, und was die jeweils beiden anderen Mitten nicht sind? Auszugehen ist von der Grundeinsicht, dass der Vater den Sohn »zeugt« und der Sohn sich – obwohl selbst auch eine Mitte der Trinität – selber, für ihn konstitutiv, als Sohn des Vaters weiß. Der Vater Jesu Christi, des Menschensohnes, zu sein, ist nicht identisch damit, Gott als Sich-Hervorbringender zu sein,192 denn dass der Vater a seipso ist, ist eine unumkehrbare Beziehung, unbeschadet dessen, dass er dabei in gewisser Beziehung auch vom Sohn abhängt. Gottvater ist als Ursprung und Grund seines lebendigen Seins, Gottsohn als vom Vater ins eigene Dasein Entlassener und Geliebter, während Gott der Geist als lebendiges Band ihrer Einheit in der Unterschiedenheit existiert. Indem der Vater den Sohn und den Geist in die Welt »sendet«, ist er so als Vater, dass der Sohn zugleich mit der wirklichen Ausübung der göttlichen Herrschaft betraut ist (Joh 5,23).193 So hängen die innergöttlichen »Personen« nicht nur hinsichtlich ihrer Gottheit voneinander ab,194 sondern gewinnen darin auch ihre jeweilige Appropriation: Die des Vaters besteht darin, Jesus als seinen Sohn zu zeugen und zu lieben, die des Sohnes, den Vater als den Einen a se sein zu lassen und ihn so »über alle Dinge zu lieben«, und die des Geistes, die Liebe zwischen Vater und Sohn in der Einheit und Unterschiedenheit beider zu sein. So kann das Verhältnis der jeweiligen »Mitten« und ihrer »Extreme« – unbeschadet seiner logisch-dialektischen Grundverfassung – als ein je spezifisches im Sinne von Appropriationen beschrieben werden; denn der Vater verhält sich als Mitte zu Sohn und Geist anders als der Sohn als Mitte von Vater und Geist und der Hl. Geist als die Mitte zwischen Vater und Sohn.195 2.4. Der absolute Begriff Gottes (Zusammenfassung) Die Dialektik des Begriffs von drei göttlichen »Mitten« ergibt: Sie setzen sich gegenseitig voraus, bzw. jede von ihnen nimmt, um als Mitte zu sein, auch die beiden anderen Instanzen in Anspruch. Das bedeutet eine vollständige Selbstartikulation des göttlichen Lebens.196 Im Austausch der Mitte-Position mit den jeweils anderen wird die Trinität als ein sich selbst genügendes und sich tragendes Gefüge von Relationen begreifbar. Dabei muss jede Mitte auch ihr eigenes Anderes und dies zweifach werden und sein. Dieses lebendige 192 Wenn auch Gottes Selbsthervorbringung in Beziehung steht zu ihrem konkreten Ort, der Person Jesu. 193 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 338f. 194 PANNENBERG, a.a.O. 357. 195 Dies werden die folgenden Abschnitte G., H. 4. und I. 1. (S. 819ff.839ff.845ff) weiter ausführen; cf. auch oben Anm. 178. 196 Gäbe es sozusagen nur eine Mitte, so würde das faktisch eine Hierarchisierung zwischen der Mitte und ihren Extremen bedeuten (eine Art »Monarchianismus«). Nur wenn jedes Extrem selber auch Mitte ist, kann das vermieden werden.

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Sich-gegeneinander-Austauschen zwischen der jeweiligen Mitte und den von ihr (transitorisch) unterschiedenen, selbständigen Extremen ist als ein stetiger Wechsel von eigenständigen Instanzen (»Relaten«) und der Relationen zwischen ihnen die lebendige Einheit von Ruhe und Bewegung:197 der immanente Kreislauf absoluten Lebens. Im »perichoretischen« Sich-Durchdringen seiner Momente von Füreinandersein und einigem In-sich-Sein198 ist es wirkliches, pulsierendes Leben und zugleich unveränderliches Sich-gleich-Sein (Selbstsein), dreieinig und absolut eins.199 Vom »absoluten Sein Gottes« kann im Blick auf die Trinität geredet werden, weil der trinitarische Gedanke alles Vorherige in sich hinein aufhebt200 bzw. weil er der am Ende begriffene wahre Grund der ganzen Gedankenentwicklung dieser Gotteslehre von § 1 bis § 14 ist.201 Spezifisch wird die 197 Dazu s. o. § 4 (S. 318 bei Anm. 138). Es ist die Einheit von Sich-Hervorbringen und Von-sich-Herkommen, von Werden zu sich und ewigem Bei-sich-Sein, aktuellem Übergehen und immer schon Übergegangensein. 198 Dies lässt sich in Beziehung setzen zu einem Hauptwort des späten Hölderlin: »Innigkeit«, das nach Heidegger »höchste Kraft des Daseins« meint, die sich »bewährt … im Bestehen der äußersten Widerstreite des Seyns von Grund aus« bzw. im Innestehen und Austragen der wesentlichen Widerstreite dessen, was in der Entgegensetzung eine ursprüngliche Einheit hat, das ›Harmonischentgegengesetzte‹« (HEIDEGGER, GA 39, 117; cf. auch 249: »Die ursprüngliche Einheit … ist jene, die im Entspringenlassen und als solches einigt und damit zugleich das Entsprungene … auseinanderhält«). In der dreifachen Realisierung von drei Mitten in Gott bringt sich, wie wir sahen, eine absolute Einheit im Unterschied unendlich zur Geltung, die mithin ein unauflösbarer, immanenter Lebenszusammenhang ist. Von »Innigkeit« kann im Blick auf die Trinität geredet werden, indem sie ein Innen für sich selbst (und als solches) ist. Wegen dieses In-sich-beschlossen-Seins (sc. nach »außen«), also seiner Absolutheit, eignet ihm gerade auch unbeschränkte Offenheit seiner internen Größen füreinander: Es ist schlechthin kommunikativ nach »innen«, absolute Liebe. 199 Der eine Gott setzt sich in der Dreiheit mit sich selber gleich. Da die Mitten, indem sie sind, auch immer schon ihr Anderes sind (also nicht erst im Sinne einer Entwicklung oder (modalen) Abwandlung dazu »werden«), sind sie mit ihnen im gleichen Sinne lebendig eins (die eine Gottheit), in dem sie sie selbst sind; d. h., ihre Einheit mit den anderen ist so absolut Einheit (Einssein) wie nichts sonst (cf. Luther zur Einheit oben S. 784 Anm. 80 u. ö.). 200 Das gilt insbesondere auch für die vorläufige Unterscheidung von (grundlegendem) Ausgangsbegriff, formalem und konkretem Sein Gottes. Der trinitarische Gedanke ist die integrale Summe der bisherigen Paragraphen dieser Gotteslehre und ihr notwendiger systematischer Abschluss, weil (1.) die Dreieinigkeit als absolute Identität der Identität und der Nichtidentität begriffen werden muss und insofern Gottes Leben und Allmacht wie auch seine Kondeszendenz, Offenbarung, Inkarnation und Liebe, kurz: sein Geistsein als der, Herr hier zu Ende gedacht werden; und weil (2.) trinitarisch der lebendige Gott als in sich unterschieden (Vater – Sohn) und zugleich mit sich eins (Hl. Geist) verstanden wird. 201 Vollständig wird sich das in der Entwicklung dieses § 15 zeigen, wenn die Verhältnisbestimmung von immanenter und ökonomischer Trinität (unten Abschnitt K. [S. 865ff])

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Grundbestimmung Gottes als des »Lebendigen« schlechthin (§ 4) im Gedanken der Dreieinigkeit auf ihren absoluten Begriff gebracht.202 Von absolutem Sein muss indes auch schon deswegen geredet werden, weil die Trinität in unüberbietbarer Vollendung und Vollkommenheit Gottes »Aseität«, die seine Gottheit ausmacht,203 in ihrem konkreten (christlichen) Sinn ausartikuliert. Die Dreieinigkeit gibt das göttliche Aus-sich-, Durch-sich- und Für-sich-Sein abschließend zu denken, denn sie erweist die Aseität des lebendigen Gottes als ein sich selbst tragendes, indem durch sich selbst hervorgebrachtes Lebens-Ganzes.204 Es ist schon an sich »die abstrakte Definition Gottes … eben dies, daß sein Begriff und sein Sein ungetrennt und untrennbar sind«.205 Diese lebendige Einheit von Gottes Sein und seinem Begriff potenziert sich abschließend zur absoluten Lebensform der Dreieinigkeit. Denn als der Dreieine existiert Gott (bzw. hat sein Sein als lebendiges Für-sich-Sein) im Begriff (Logos) seiner selbst206 – als ein sich absolut zu sich selber verhaltender.207 Als in sich und durch sich bewegter Begriff seiner selbst durchdringt er sich gänzlich (d. h. dreifältig) mit sich selber: in ungetrübter Selbstdurchsichtigkeit und -erkenntnis (1Kor 2,10b);208 so ist er im Unterschied von sich bei sich.209 Umgekehrt ist es sein Sein, als Begriff seiner selbst als schlechthin selbstgenügsames Inund deren christologische Vermittlung (unten Abschnitt E. und G. [S. 808ff.819ff]) sowie auch der eschatologische Ausblick (§ 16) ausgeführt worden sind. 202 Zum Thema: Trinität und göttliches Leben siehe auch unten Abschnitt H. 2. und 3. (S. 833ff). 203 Cf. dazu grundlegend oben § 2 B. (S. 180ff). 204 Das hängt freilich daran, dass die Trinität so absolut gedacht werden kann, wie es oben versucht wurde (Abschnitt 2.2. und 2.3.). 205 HEGEL, Werke 5, 92 (»Wissenschaft der Logik I«). 206 Dieser wurde oben als »Schluss« namhaft gemacht (2.2.). Zum Logos als Instanz des expliziten Selbstverhältnisses Gottes s. u. Abschnitte G. 2.2.; 3.2. und H. 3. (S. 821ff. 826ff.837ff). 207 Bereits in der göttlichen Selbstaussage von Ex 3,14 ist diese Selbstbeziehung Gottes wesentlich eingezeichnet (s. o. § 1 B. [S. 108ff]). Sie wird in Joh 1,1a–c expliziert (cf. dazu eingehend RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 11–27); das ist zwar noch keine Trinitätslehre, aber doch so etwas wie eine trinitarische Logik (a.a.O. 25). Joh 17 gibt faktisch einen Einblick in die innertrinitarischen Verhältnisse (cf. a.a.O. 302ff). 208 Cf. Dante: »O luce eterna che sola in te sidi, / Sola t’intendi, e da te intelletta / Ed intendente te ami ed arridi!« (Par. 33,124–126; Übers. Gmelin: »O ewiges Licht, das sich selber bewohnet, / Nur sich selbst begreift, und von sich selbst begriffen / Und sich begreifend sich auch liebt und lächelt!«). Nimmt man hier die νόησις νοήσεως des Aristoteles und die interne Offenheit (arridi) zusammen, kann man sagen, bei Dante sei das aristotelische Denken »in die innertrinitarische Beziehung Gottes umgedeutet« (E. A. SCHMIDT, Das süßbittre Tier. Liebe in Dichtung und Philosophie der Antike, Frankfurt 2016, 230). 209 Dadurch ist auch unser Begriff von Gott ermöglicht, weil er daran, wie gebrochen auch immer, teilhat.

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sich-Sein in sich selber aus sich herauszugehen und so in seiner Selbstunterscheidung ein für sich selber vollkommen ausartikuliertes und nur durch sich selbst bestimmtes Sein zu haben: drei-einig. In dieser vollendeten Einheit seines Begriffs von sich und seines eigenen Seins ist der trinitarische Gott (erst)210 absolute Subjektivität bzw. hat er sich selber als solche ewig hervorgebracht.211 Der solcherart absolute Begriff Gottes ist der trinitarische212 oder, mit Schelling zu reden, Gott »in seinem erhabensten Begriff«.213

Abschnitt II: Grundzüge: Trinitätslehre und Christologie E. Der christologische Ursprung des trinitarischen Gedankens 1. Einleitung Der Christusglaube (bzw. die ihn, im Neuen Testament beginnend, artikulierende Christologie) ist das Entdeckungsfeld des dreieinigen Gottes.214 Der Glaube an Jesus Christus, Gottes eigenen Sohn und menschgewordenen Gott, kommt nicht äußerlich (oder aus rein theoretischen Gründen) zum Glauben an den einen Gott, Schöpfer Himmels und der Erde, hinzu, sondern ist die konsequente Gestalt seiner Erfahrung (sc. Gottes selber) als des Lebendigen, und zwar (durch Kreuz und Auferweckung Jesu von den Toten) spezifisch gerade in und mit Christus Lebendigen.215 Systematisch bedeutet das: Bereits in der Christozentrik aller christlichen Theologie (und faktisch auch einer Gotteslehre, wie der vorliegenden) bringt sich die Wahrheit zur Geltung, dass Gott vom Andern seiner selbst, dem Menschen Jesus von Nazareth, mit sich ewig anfängt, also als Dreieiniger ist. Entsprechend muss vom »Urbewußtsein« der Kirche gesagt werden, »daß der Unterschied der im Christentum gegebenen Offenbarung in dem Sohn und dem Hl. Geist von allem Vorchristlichen so groß und tief sei, um in die

210

Cf. das (hier trinitätstheologisch zu lesende) Hegel-Zitat oben S. 775 Anm. 15. S. u. Abschnitt J. (S. 857ff). 212 Von ihm gilt, was Hegel von der »absoluten Idee« sagt: »Alles Übrige ist Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist Sein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit« (HEGEL, Werke 6, 549). 213 Bezüglich der trinitarischen Sukzession; cf. SCHELLING, System der Weltalter. Münchener Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hg. von S. Peetz, Frankfurt 21998, 211. 214 Cf. unten S. 830 Anm. 346 (Kreuzer). 215 Zu Trinität und Leben s. u. H. 2. und 3. (S. 833ff). 211

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Tiefen Gottes selber zurückzureichen und auf ewige Unterschiede in Gott selbst zurückzuweisen«.216 Das ist im Folgenden konkreter auszuführen. Zunächst ist auch das Umgekehrte schon abzusehen: Erst der dreieine Gott ist der (vermittelt durch seinen Menschensohn und seinen eigenen Geist) ganz bei uns Seiende und uns durch seine Liebe Erlösende, so dass auch die Christologie in der Trinitätslehre ihren letzten Grund findet: »Gott ist allein als Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heilige Geist für uns Gott. Gott ist Liebe, Gott ist der dreieinige Gott – dieser Satz bildet die Voraussetzung aller Christologie.«217 2. Trinität und die Jesusüberlieferung 2.1. Es ist die grundlegende Glaubenserfahrung der frühen Jüngerschaft Jesu und ersten Christen gewesen, dass Jesus für sie an die Stelle Gottes trat (cf. Mk 2,7),218 jedenfalls ganz auf die Seite Gottes trat, so dass sie Gott nicht mehr ohne ihn bzw. seine Vermittlung als Gott verstehen konnten. Ihr Glaube wurde an ihm einer letzten Einheit seiner Person mit Gott inne, so dass für sie mit ihm Gott selber da war. Da Jesus für sie (zumindest die Jünger der ersten Generation) aber zugleich als ein wirklicher Mensch unter ihnen (cf. Joh 1,14aβ: ἐν ἡµῖν) da und ihnen so bekannt war, erlebten sie eine ungeheuere Spannung zwischen seiner Einheit mit Gott (bzw. dessen exklusiver Nähe) und dem unbezweifelbaren, unendlichen Unterschied dieses Menschen da zu Gott.219 Aus dieser abgründigen Erfahrung erwuchs (zumal unter den Bedingungen des selbstverständlichen, alttestamentlichen Glaubens an den einen Gott) unausweichlich die theologische Frage, wie dies von Gott her zu denken ist bzw. was Jesu besonderes Gottesverhältnis für Gott selber bedeutet, und dies als die spezifische Frage nach der internen Verfassung des göttlichen Seins bzw. Lebens selber, die einer solchen Veränderung des Gottesglaubens, wie er im Neuen Testament dokumentiert ist, entspricht. Indem zur Beantwortung dieser sachlichen Grundfrage aufgrund der Begegnung des Glaubens mit Jesus bzw. des Entstehens eines Glaubens an Jesus die Trinitätslehre ausgebildet wurde, setzte der trinitarische Gedanke auch den absoluten Begriff der Glaubenserfahrung (bzw. auch religiöser Erfahrung überhaupt) frei. Denn diese Lehre reflektiert die letzte Wahrheit, Struktur und Ermöglichung von Glauben als (im Hl. Geist erweckt) in Gott selber gegründet. Jede eigentliche Glaubenserfahrung ist trinitarisch verwurzelt und reicht 216 DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 778 Anm. 48), 347. Zum Judentum cf. diesbezüglich PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 283 und 326! 217 R. PRENTER, Der Gott, der Liebe ist, ThLZ 96 (1971), 401–413, hier 406. 218 Jesus wagt es, »Gottes Willen so geltend zu machen, als stünde er selbst an Gottes Stelle« (E. FUCHS, Zur Frage nach dem historischen Jesus, Tübingen 21965, 154). 219 Sie kommt stilisiert in Joh 20,28b zu Wort.

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in Gottes eigenes Leben zurück, sofern sie auf ihre theologische Letztbegründung hin reflektiert wird. So ist beispielsweise der Hl. Geist als Gottes Selbsterkenntnis (1Kor 2,10f)220 Bedingung unseres Zu-Gott-Findens und der Glaube als unser Teilhaben am Geist von Gott her ermöglicht, Gottes eigenes Werk in uns. Die Trinitätslehre kann als »Summe des Evangeliums« (J. Baur) gelten,221 insofern wir an der unzerstörbaren Einheit von Identität und Kommunikation im göttlichen Leben des Dreieinigen, die Gott als ewige Liebe in sich selber ist,222 als Glaubende auf endliche, gebrochene oder getrübte, immer auch angefochtene Weise Anteil gewinnen – eben aufgrund dieser Liebe und durch das Kreuz Christi vermittelt. Es folgt: »Somit trägt der christliche Glaube in und an sich selbst die Spur einer göttlichen Dreiheit.«223 Sosehr sich die Trinitätslehre der Erfahrung mit der Jesus-Geschichte verdankt, es ist gleichwohl der Glaubenssinn nicht diese theologische Lehre als solche, sondern der dreieine Gott selber, dessen absolutes Leben ewige Liebe ist. Gottes Dreieinigkeit selbst ist sowohl der Grund des Glaubens (sofern der Glaube Erfahrung dieser Liebe ist) wie auch der Inhalt des Glaubens (sofern er an die Liebe glaubt, von der er lebt).224 2.2. Kann man auch über das Verhältnis Jesu selber zum trinitarischen Gedanken etwas sagen?225 Hierfür ist zunächst die exklusive Gottesbeziehung Jesu ins Auge zu fassen.226 Unbestreitbar lassen sich (spurenhaft) Reflexe dieses besonderen Verhältnisses zu Gott (und eines entsprechenden Wissens Jesu von Gott) in Jesu Verkündigung ausmachen. Da ist als Erstes der eigentümliche Sachverhalt zu nennen, dass Jesus sich in der Berufung auf seinen »himmlischen Vater« nie mit den Jüngern so zusammennimmt, dass er »unser« Vater sagt.227 Es gibt historisch eine spezifische Verbindung zwischen der Botschaft

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Cf. dazu oben § 13 E. 4.2. (S. 744f). So auch A. Schlatter und E. Jüngel. 222 Cf. oben § 11 B. (S. 613ff). 223 DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 778 Anm. 48), 399 (cf. 398 und 400). Dorner sagt auch ausdrücklich vom reformatorischen Glauben, dass sich »in dessen Sinn und Wissen … die Spuren einer dreifachen göttlichen Heilscausalität ausdrücken« (350). 224 Cf. oben Prolegomena, Exkurs I (S. 75ff). 225 Das kann hier nur in reduzierter Weise versucht werden, cf. ausführlich PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 283ff: Der Gott Jesu und die Anfänge der Trinitätslehre; cf. auch 335ff. 226 Dabei kann es nicht um eine quasi-psychologische Ausmalung des Innenlebens Jesu gehen, sondern darum, wie sich sein Gottesverhältnis in den über ihn überlieferten Texten reflektiert. Im Übrigen ist Jesu Selbstverhältnis bzw. Selbstbewusstsein nur als sprachlich verfasst angemessen zu verstehen; cf. dazu J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 311f u. ö. 227 Das Herrengebet ist für die Jünger und deren »Wir« formuliert. 221

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Jesu und der exklusiven Verwendung des Vaternamens,228 dessen auffällige, einzigartige Intimität in der Anrede »Abba« zum Ausdruck kommt.229 Weiterhin ist allgemein anerkannt, dass für die Herausbildung des christlichen trinitarischen Gedankens der Begriff von dem Menschen Jesus als Gottes »Sohn« – entsprechend dessen Verhältnis zu seinem Vater im Himmel – eine entscheidend wichtige theologische Bedingung war. In Jesu eigenem Verständnis reflektiert sich das in seinem Sich-Verstehen von der Taufe her (Mk 1,11), bei der der Menschensohn als ewiger Gottessohn konstituiert wird (bzw. sich fortan so begreift), und Gott selber sich ein für alle Mal als der himmlische Vater seines geliebten Sohnes, als der »Gott des Sohnes«, definiert.230 Von hier wie von dem zuerst genannten Gesichtspunkt aus lässt sich sagen, dass Jesu Verhältnis zu Gott sich auch für ihn selber als eine einzigartige Verbindung von Einheit (mit dem himmlischen Vater) und Unterschiedenheit (insbesondere in der Erfahrung der Gottverlassenheit: Mk 15,34) dargestellt hat.231 Das erweist auch ein genaueres Verständnis der berühmten Feststellung von A. v. Harnack: »Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie Jesus es verkündigt hat, hinein.232 … Aber so, wie er den Vater kennt, hat ihn noch niemand erkannt, und er bringt den andern diese Erkenntnis«.233 Hier ist zwar in dem ersten Satz, wie Harnack selber weiß,234 der Begriff »Evangelium« unterbestimmt, da er ohne Bezug zu Kreuz und Auferstehung Jesu (auch in Jesu Mund) nicht zureichend bestimmbar ist. Der zweite Satz aber darf hermeneutisch nicht von dem ersten getrennt werden, weil er eine notwendige, präzisierende Ergänzung zu ihm bringt und unübersehbar die Exklusivität von Jesu Verhältnis zu Gott betont.235 Es leuchtet 228 Cf. PANNENBERG, a.a.O., 287. Die exklusive Vateranrede artikuliert ein einzigartiges Gottesverhältnis Jesu, »das man als ›Sohnesgeheimnis‹ bezeichnen könnte und das untrennbar mit seiner messianischen Sendung zusammenhängt« (M. HENGEL/A. M. SCHWEMER, Jesus und das Judentum. Geschichte des frühen Christentums I, Tübingen 2007, 458). 229 Cf. Mk 14,36 parr. (Hier ist trotz der Unergründlichkeit Gottes doch eine Willenseinheit mit dem Vater unübersehbar.) Cf. grundlegend J. JEREMIAS, Abba, Göttingen 1966. Zur Gethsemane-Perikope cf. R. FELDMEIER, Die Krisis des Gottesssohnes, WUNT II/21, Tübingen 1987. 230 Cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 30–52. 231 J. Moltmann hat von daher das Kreuz Jesu als den Ursprungsort der Trinität denken können; cf. J. MOLTMANN, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1972 (u. ö.). 232 Das ist der Einwand liberaler Theologie gegen die Trinitätslehre bis heute; auf diesen Satz kann sich auch eine jüdische Aneignung der Gestalt Jesu berufen. 233 A. V. HARNACK, Das Wesen des Christentums, Leipzig 21900, 91 (cf. 81f) = Neuedition, hg. von C.-D. Osthövener, Tübingen 2005, 85 (cf. 77). 234 Cf. in der Neuedition a.a.O. 85 Anm. 1. 235 Für dieses allererst hinreichende Verständnis dieser Harnack-Stelle hat überzeugend CH. AXT-PISCALAR plädiert: Der Sohn des Vaters. Adolf von Harnacks Christologie, ThZ 63 (2007), 420–447.

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jedenfalls ein, dass der »Vater« nicht ablösbar ist von der Person Jesu von Nazareth, d. h. diesem als dem »Sohn«, weil nur in Jesu Wort und Geschichte die Herrschaft des Vaters kommt und schon beginnt, d. h., sofern er der Sohn ist.236 Sodann impliziert die eigentümliche Wendung Jesu selber vom »Naheherbeigekommen-Sein« des Reiches Gottes (Mk 1,15) fraglos auch ein Nähergekommensein Gottes selber,237 d. h. eine Neubestimmung seines Seins für uns und bei uns am Orte Jesu;238 das gestattet, einen Zusammenhang von Jesu Reich-Gottes-Verkündigung und Trinität (als ihrem letzten Horizont) in Anschlag zu bringen.239 Freilich ist auch hier bei aller eigenen Verbundenheit Jesu mit dem kommenden Gott doch eine Unterordnung unter seinen Willen nicht zu verkennen.240 Schließlich betrifft der Umstand, dass das neue, durch Jesus als seinen »Träger« (seit der Taufe: Mt 3,16) vermittelte Auftreten des Hl. Geistes (cf. Mk 1,10; Lk 4,1.18) auch ein neues geisthaft-geschwisterliches Verhältnis der glaubenden Jünger untereinander in der Gemeinde stiftet (cf. Mk 13,11b; Lk 11,13; 12,12 [Joh 14,26] und 9,55; Apc 1,8; Röm 8,9.14; Joh 3,6; 20,22; 4,23f u. ö.), ein Sachverhalt, der sich auch im Gottesbegriff selber reflektieren muss, also tendenziell trinitarisch relevant ist. 2.3. Abschließend sind noch einige besonders einschlägige Jesus-Logien (und ihre johanneischen Weiterschreibungen) zu behandeln, die für die Ursprünge des trinitarischen Gedankens im Neuen Testament sachlich (oder: systematisch) von besonderer Bedeutung sind. Als Erstes ist Mk 10,18 zu behandeln: »Was nennst du mich gut? Niemand ist gut, außer der eine Gott!«241 Diese häufig als starkes Argument gegen die neutestamentliche Legitimation der Trinität – dazu noch aus Jesu eigenem Munde! – angeführte, anscheinend streng »monotheistische« Stelle lässt sich freilich gerade nicht in diesem Sinne beanspruchen. Denn zum einen ist der Satz als Argument gegen die 236

»Der heimliche Hauptakteur im MkEv ist Gott« (L. SCHENKE, Das Markusevangelium, UB 405, Stuttgart 1988, 87). 237 Cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 93ff. Zu der hier auch einschlägigen Stelle Lk 10,16 cf. a.a.O. 60–75. 238 S. o. Anm. 218. 239 Cf. J. MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes, München 1980 (u. ö.). Cf. unten Abschnitt K. 3. (S. 870f). 240 Cf. die Zukünftigkeit der Basileia und die drei ersten Vaterunser-Bitten; dazu PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 335. 241 εἷς ὁ θεός. Cf. Mt 19,17; Lk 18,19. Εine eingehende Interpretation der Stelle findet sich bei RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 321–324. Cf. auch DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 778 Anm. 48), 418f. und oben § 3 B. 1.4. (S. 255ff).

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Trinität (bzw. Jesu Einbezogensein in sie) unvollständig, da es zu dieser selber genuin gehört, auch eine Differenz zu Gott dem Vater zu implizieren.242 Zum anderen ist zu bedenken: Der irdische Jesus selber konnte vor seiner Auferweckung sich (noch) nicht endgültig als Gottes eigener Sohn wissen (cf. Röm 1,4);243 gleichwohl kann sein Verhältnis zum himmlischen Vater als sein Hineingenommenwerden in die Trinität begriffen werden.244 Denn für diese ist die geschichtliche Selbstunterscheidung Jesu von Gott dem Vater eine grundlegende Bedingung.245 Der Sache nach versteht sich Jesus im angeführten Logion selber gänzlich von dem her, der absolut gut ist (ἀγαθός) als die Quelle alles Guten (Mt 7,11; Jak 1,17) und aus bzw. in dem er als seinem Vater im Himmel lebt, west und ist (cf. Mk 4,10b mit Dtn 6,13).246 Gerade indem er sich von diesem unterscheidet und ihn bei sich als den sein lässt, der er ist, ist er mit ihm eins wie niemand sonst. In diesem Sinne widerspricht Mk 10,18 durchaus nicht dem trinitarischen Gedanken, sondern ist, anstatt ihn auszuschließen, gerade ein konstitutives Moment davon.247 Artikuliert dieses Logion Jesu seine wesentliche Selbstunterscheidung von Gott Vater, so findet sich in seinem Munde zweitens auch ein Zeugnis für die engste Verbundenheit mit ihm; es steht in Mt 11,27: Alles ist mir von meinem Vater übergeben, und niemand (er)kennt den Sohn außer nur der Vater, und niemand (er)kennt den Vater außer der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.248 Diese johanneisch anmutende Stelle (cf. Joh 8,19b; 17,2; 14,6b) lässt sich mit Gründen durchaus Jesus selber zuschreiben, hat also historisch für echt zu

242 Ähnlich sind johanneische Stellen wie: »Ich gehe zum Vater, denn der Vater ist größer als ich« (Joh 14,28 u. ö.) zu sehen. Es geht stets um Jesu Unterordnung unter Gottes alleinigen Willen, der doch gerade in ihm da ist (cf. auch Mk 14,36 parr; oben Anm. 218 sowie Anm. 229). 243 Zu Gottes Einheit mit Jesus, die diesem am Kreuz notwendig verborgen sein musste, gerade in der Erfahrung der Gottverlassenheit cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 618. 244 Diese als am Orte Jesu als im Werden zu sich gedacht. 245 Das hat insbesondere PANNENBERG für die Trinität fruchtbar gemacht; cf. Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 287.296f.335ff u. ö. Zum Begriff der »Selbstunterscheidung« ausführlich unten Abschnitt F. (S. 817ff). 246 Daher kann es auch heißen: Wer mich sieht, sieht den Vater (Joh 14,9; 12,45). 247 Das gilt umso entschiedener, wenn – wie in dieser Gotteslehre – der lebendige Gott als der gedacht wird, der sich am Orte Jesu endgültig und so auch als Dreieiniger hervorbringt; dann ist die Selbstunterscheidung Jesu von Gott geradezu konstitutiv für ihre ewige Einheit. S. u. G. 2.1. (S. 820f). 248 Zur ausführlichen theologischen Interpretation cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 272–290.

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gelten.249 Inhaltlich wird es eindeutig, dass nach Jesu Selbstwahrnehmung er in einer das Ganze seines Lebens, d. h. Auftretens und Wirkens, umgreifenden Verbundenheit mit dem ewigen Gott sein eigentliches Dasein hat. An seinen (exklusiv so genannten) Himmlischen Vater ist er in seinem Wort und seiner Geschichte derart angeschlossen, dass Gott, von dem her er ist, was er wesentlich ist, nur an ihm als sein Vater erkennbar wird. Die Gotteserkenntnis nimmt konkret ihren Ausgang von ihm als dem Sohn.250 Man kann mit W. Pannenberg als Resümée dieser Überlegungen festhalten: »die Unterscheidung von Vater und Sohn [ist] in ein und demselben Geschehen, in der Botschaft Jesu von Gott und seinem kommenden Reich, begründet, und auch die Rede vom Heiligen Geist ist diesem Geschehen zugeordnet«.251 2.4. Das 4. Evangelium lässt sich kaum anders verstehen denn als ein theologisch vertieftes, Zeit und Ewigkeit umgreifendes reflektiertes Begreifen der Jesus-Geschichte, wie sie in den drei synoptischen Evangelien überliefert wurde. Unverkennbar bereitet sich bei Johannes in dieser denkenden Durchdringung der geschichtlichen Überlieferung eine trinitarische Logik vor, an die die spätere Trinitätslehre anknüpfen konnte.252 In unserem Zusammenhang soll exemplarisch nur eine Konstellation betrachtet werden, die auch so etwas wie eine trinitarische Logik im Hintergrund erkennen lässt.253 Es gibt hier einerseits die Spitzenaussage im Munde

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So J. Jeremias und W. Grundmann, E. Stauffer, O. Cullmann, zuvor schon A. V. HARWesen des Christentums (wie oben Anm. 233), 81 (Neuausgabe 77 Fn. 1). R. Bultmann bleibt unentschieden. Zur theologischen Bewertung der Historizitätsfrage (besonders in diesem Falle) cf. RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 288–290. 250 Entsprechend von Johannes eingelöst in der Formulierung: »Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; wenn ihr mich kenntet, kenntet ihr auch meinen Vater« (Joh 8,19b). Zugleich denkt das 4. Evangelium das so weiter, dass auch nur durch den Vater der Sohn als solcher erkannt wird (Joh 17,2f u. ö.); andererseits gilt ebenso: »Niemand kommt zum Vater denn durch mich« (Joh 14,6b). 251 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 296. Zur detaillierten biblisch-neutestamentlichen Ausführung cf. a.a.O. 336 u. ö. Der »Geist« wurde bei den hier oben vorgestellten Stellen nicht explizit thematisiert. Aber was da jeweils faktisch beschrieben wird, setzt strukturell (und für das theologisch eindringende Verständnis) in der Sache immer das »unsichtbare« Band des Geistes voraus, wenn man es zu Ende denkt. 252 Cf. oben S. 807 Anm. 207. Cf. auch die im bisherigen Text dieses Abschnitts verschiedentlich angeführten johanneischen Stellen. 253 Zu den hier auch einschlägigen Stellen einer »Perichorese«, d. h. einem gegenseitigen In-Sein von Vater, Sohn und Glaubenden (»reziproke Immanenz«), die auch der (inner)göttlichen Liebe entspricht, cf. ausführlich RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 243–251. NACK,

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des johanneischen Christus: ἐγὼ καὶ ὁ πατὴρ ἕν ἐσµεν (Joh 10,30).254 In dieser Selbstaussage hat der 4. Evangelist das Vater-Sohn-Verhältnis der synoptischen Jesus-Überlieferung systematisch zu Ende gedacht bzw. auf den definitiven Begriff gebracht, der das lebendige Eins-Sein beider prä-trinitarisch begreift. Für die hier sich aussprechende Einheit (cf. auch 17,11bβ) ist andererseits wesentlich, dass Jesus sich dabei als der »Sohn« definiert (10,33b), der sich auf Gott als seinen (ewigen) »Vater« bezieht (10,33a). Joh 10,30 beschreibt also den lebendigen Zusammenhang von geschichtlich existierendem Sohn255 und dem ewigen Gott als ihr Eins-Sein: ἕν, aber nicht εἷς!256 Das lässt nur das Verständnis zu, Jesus stehe hier als mit »Gott gleich« (5,18bβ).257 Genauer betrachtet ergibt sich:258 Der Satzaufbau von 10,30 selber artikuliert Unterschiedenheit (ἐγώ – πατήρ) und Einheit (ἕν) nacheinander in ihrer untrennbaren259 Zusammengehörigkeit (ἐσµεν). Die Selbstunterscheidung Jesu von seinem himmlischen Vater ist hier die Voraussetzung ihres Eins-Seins, und es handelt sich bei dem ἕν um eine durch einen unendlichen Unterschied vermittelte, lebendige Einheit, der bei Jesus eben seine Selbstunterscheidung von Gott entspricht. Genau damit aber ist hier (unausgesprochen) der Begriff des »Geistes« als solche Vermittlungsinstanz impliziert.260 Dabei ist Jesu Gottesverhältnis an sich und für ihn Gottes Sein bei ihm bzw. (johanneisch) »in ihm«.261 Das ist die Einheit wechselseitiger Liebe (Joh 10,38b; 14,10f; 17,20). Das alles ist auch trinitätstheologisch und für den christologischen Ursprung des Trinitätsdogmas relevant. Zwar geht es in Joh 10,30 unmittelbar um die Gemeinschaft des menschlichen Ichs Jesu auf Erden und in der Zeit mit Gott selber; genau so aber vollzieht sich (auch nach Johannes) die inner254

Zur systematischen und sprachlichen Interpretation cf. a.a.O. 235–242. Cf. auch K. SCHOLTISSEK, »Ich und der Vater, wir sind eins« (Joh 10,30). Zum theologischen Potential und zur hermeneutischen Kompetenz der johanneischen Christologie, in: G. van Belle u. a. (Hgg.), Theology and Christology in the Fourth Gospel, BEThL 184, Leuven 2005, 315–345. 255 Dies entspricht Joh 1,14; cf. auch 10,33: ἄνθρωπος. 256 Meint ἕν: untrennbar eins in Einem, so erfüllt das den Begriff des Geistes; cf. auch oben Anm. 251. 257 Joh 10,30 zieht sofort den Vorwurf der Blasphemie auf sich (10,33). 258 Zur sprachlichen Auslegung der Satzbewegung cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 237. 259 Cf. die bekannte Luther-Stelle: »wo du kanst sagen: Hie ist Gott, da mustu auch sagen: So ist Christus der mensch auch da« (WA 26, 332,31f). 260 Den Zusammenhang von ἐγώ und ἐσµεν betreffend ist hier auf Hegels Begriff des Geistes zu verweisen: die »absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes … die Einheit derselben ist; Ich, das Wir und Wir, das Ich ist« (HEGEL, Werke 3, 145). Der enge Bezug zum trinitarischen Theorem der »Mitte Selbständiger« ist evident (cf. oben Abschnitt D. 2.2. [S. 795ff]). 261 Jesus ist nicht »allein« (Joh 8,16b; 16,32b), sondern Gott ist »mit mir« (8,29).

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göttliche Gemeinschaft gemäß den ewigen Verhältnissen von Joh 1,1b und c.262 Daher ist auch in 10,30 im Blick auf die innergöttlichen Beziehungen von Bedeutung, und das macht die Stelle auch trinitarisch interessant. Gehört nach Joh 10,30 Christus – in einem differenzierten Beziehungsgefüge – ganz auf die Seite des ewigen Gottes: »Ego et pater unum sumus«, so entspricht das dem deus des christologischen Dogmas. Mit Joh 14,28: »Pater maior me est« wird sozusagen ein Strukturmoment dieser lebendigen Einheit, nämlich der bleibende Unterschied von Vater und Sohn, noch einmal für sich namhaft gemacht und hervorgehoben,263 und das entspricht dem homo des Gottmenschen im christologischen Dogma.264 Auch der Zusammenhang beider Stellen ergibt im Horizont der Trinität gelesen: Die Einheit (bzw. Gottheit) Gottes impliziert als lebendiges Vater-Sohn-Verhältnis (10,30) die Selbstunterscheidung Jesu (14,28).265 Gott als Gott zu wissen, das heißt, sich (als diesen Wissenden) von ihm unterschieden zu wissen; das aber ist im Falle des Sohnes die Weise, sich mit ihm eins zu wissen. Oder auch: Im zeitlichen Unterschied (von Vater und Sohn) wird zugleich ihre ewige Einheit gewusst. 2.5. Offenbarungstheologische Betrachtung. Die theologische Erkenntnis der trinitarischen Beziehungen kann (und soll hier auch weiterhin und inhaltlich) also nur christologisch, von der Offenbarung des Sohnes, d. h., insofern sie in der Verkündigung Jesu und in der urchristlichen (spezifisch johanneischen) Christusbotschaft sich artikuliert, gewonnen werden.266 Damit entspricht der Ansatz der Trinitätslehre auch dem reformatorischen Glaubensdenken von der Offenbarung her.267 Damit ist gegeben: »Die Geschichte Jesu als des Sohnes, und zwar in seiner Selbstunterscheidung vom Vater einerseits, vom Geist andererseits, bleibt daher der Ausgangspunkt für die Begründung der trinitarischen Unterschiede«.268 Umgekehrt ist auch festzuhalten, dass die aufgezeigte christologische Vermittlung des trinitarischen Gedankens letztlich bedeutet: Jesus von Nazareth und sein exklusives Gottesverhältnis kön262 Zur trinitätsaffinen Auslegung dieser dialektisch zu begreifenden innergöttlichen Verhältnisse nach Joh 1,1 cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 18–27. 263 Cf. schon oben bei Anm. 242. 264 Dem deus-Sein entsprechen Joh 1,3 und 1,14: creator; dem homo-Sein Röm 1,3 und Phil 2,7: creatus. 265 Ihr entspricht eine Selbstunterscheidung Gottes selber; s. u. G. 2.2. (S. 821ff). 266 Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 325; cf. 331. Die Trinitätslehre ist also aus der Offenbarung abzuleiten (DERS., Theologie und Philosophie, UTB 1925, Göttingen 1996, 284 und 290). 267 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 315ff. 268 A.a.O. 297; cf. 331. Es heißt ebenso: »Eine Begründung der Trinitätslehre muß darum ausgehen von der Art und Weise, wie Vater, Sohn und Geist im Offenbarungsgeschehen in Erscheinung treten und sich zueinander verhalten« (a.a.O. 325).

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nen erst im Horizont der trinitarischen Wirklichkeit des lebendigen Gottes theologisch zureichend begriffen werden.269 Meine daran anschließende These lautet – in Übereinstimmung mit dem diese ganze Gotteslehre leitenden Gedanken von Gottes Sich-Hervorbringen am Ort des Glaubens –: Der historische Ursprung der Trinität in Wort und Geschichte Jesu von Nazareth ist zugleich auch ihr ewiger Ursprung. Der theologische Ausgang vom Offenbarungsgeschehen (christologisch) vollzieht Gottes trinitarische Selbsthervorbringung nach,270 und die ewige Trinität selber ist in der geschichtlichen Offenbarung nicht nur »in Erscheinung« getreten (Pannenberg), sondern hat sich so als sie selber auch begründet. Die Geschichte Jesu Christi ist nicht nur das Entdeckungsfeld, sondern der (dialektische) Konstitutionsort der Dreieinigkeit als solcher.271 Im Auftreten des Menschensohnes Jesus hat Gott sich selbst als der dreieinige Gott hervorgebracht.272

F. Der Begriff »Selbstunterscheidung«273 Dieser Begriff wird hier aufgeboten, um die abstrakte Andersheit (»alius esse«), mit der z. B. Tertullian und die Tradition überhaupt die Differenz der innergöttlichen Instanzen beschrieben haben,274 durch den Gedanken des Sich-anders-Werdens bzw. In-sich-unterschieden-Seins eines an sich Einen zu ersetzen: »Die einfache Substanz ist also der absolute Unterschied von sich selbst, dieser aber sein reines Seyn als ein anderer.«275 Von »Selbstunterscheidung« ist zu reden, wenn etwas in den Unterschied zu sich selbst tritt, 269 Daher habe ich in RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), vom »Gott des Sohnes« gesprochen (passim); cf. auch dort die Bemerkungen zur Selbsthervorbringung Gottes am Orte Jesu (siehe Register). 270 Cf. Ph. K. Marheineke: »die Lehre von Gott, der ewig aus sich selbst hervorgeht, ist die von der innern Selbstoffenbarung Gottes« (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik, Berlin 21827, 134). 271 Nicht zufällig wird die ökonomische Trinität theologisch in engstem sachlichen Zusammenhang mit der immanenten Trinität begriffen, s. u. Abschnitt K. (S. 865ff). Bei D. Korsch heißt es zutreffend: »die Trinitätslehre ist also eine hermeneutische Anweisung, die Offenbarung Gottes als seine Selbstoffenbarung zu verstehen« (D. KORSCH, Antwort auf Grundfragen christlichen Glaubens, UTB 4560, Tübingen 2016, 71). 272 S. u. Abschnitt J. (S. 857ff). Erinnert sei auch an Moltmanns Ansatz: s. o. Anm. 231. 273 Der Terminus wurde zur Charakterisierung von Jesu Verhältnis zu seinem himmlischen Vater schon früher benutzt (I. A. Dorner, W. Pannenberg), s. o. Abschnitt E. (S. 808ff). Sonst kommt er als trinitätstheologischer Begriff im 19. Jahrhundert meist einseitig verwendet vor: für die Hervorbringung der 2. und 3. Person durch den Vater (was keine echte Dreieinigkeit ergibt; s. o. S. 778 Anm. 48). 274 S. o. S. 777 Anm. 33. 275 MARHEINEKE, Grundlehren (wie Anm. 270), 125 (§ 210) mit Bezug auf das trinitarische Vater-Sohn-Verhältnis.

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um so es selbst, mit sich eins zu sein.276 Es unterscheidet sich von sich selber und ist ebendarin es selbst: Identität der Identität und der Nichtidentität.277 Mit Bezug auf Heraklits einschlägige Formulierung278 gibt Hegel den Gedanken der Selbstunterscheidung so wieder: »Das Eine, von sich selbst unterschieden, eint sich mit sich selbst«.279 In diesem dialektischen Sinne eines dynamischen, sich herstellenden Mit-sich-eins-Seins über die Differenz zu sich hinweg soll der Begriff im Folgenden trinitätstheologisch erläutert werden.280 1) Wir gehen hier von der Selbstunterscheidung des Sohnes (Jesu) gegenüber dem Vater aus.281 2) Selbstunterscheidung ist zugleich als eine spezifische Weise von Beziehung zu verstehen. Das bedeutet: im Vollzug des sich selber von seinem eigenen Anderen Unterscheidens zugleich sich selber als von diesem Anderen auch abhängig zu bestimmen. 3) Dabei ist die Selbstunterscheidung vom Anderen immer auch Selbstunterscheidung von sich selbst; d. h., es geht um ein Sein im Unterschied von einem Anderen gerade als Sein bei diesem Anderen bzw. um ein Sein beim Anderen, also nicht nur bei sich, als Sein eben bei sich selbst.282 »Selbst276 Genau darin findet K. Barth die Freiheit Gottes, nämlich »sich von sich selbst zu unterscheiden, sich selber ungleich zu werden, und doch dergleiche zu bleiben, ja noch mehr: gerade darin der eine sich selbst gleiche Gott zu sein, gerade darin als der einzige Gott zu existieren« (KD I/1, 337). Dieses »der sich selbst gleiche zu sein« ist faktisch ein Sein Gottes im Werden zu sich. 277 Die vorstellungsmäßige Alternative von Eins-Sein oder Zwei-Sein ist in Goethes Gedicht »Gingo Biloba« (West-Östlicher Divan, Buch Suleika) schon transzendiert, wenn es heißt (Str. 2): »Ist es Ein lebendig Wesen, / Das sich in sich selbst getrennt?« – was theologisch der Selbstunterscheidung Gottes entsprechen würde –, »Sind es zwei, die sich erlesen, / Daß man sie als Eines kennt?« – was dem Vater-Sohn-Verhältnis entspräche. Vollends gilt aber auch vom lebendigen Gott, wenn Str. 3 endgültig formuliert: »Daß ich Eins und doppelt bin« (V. 4). Auch hier steht die Selbstunterscheidung für die lebendige Einheit in der Zweiheit. Hinzu kommt für das Ganze der Kontext der Liebe (»vinculum caritatis«), so dass man sagen könnte, auch »Dieses Baumes Blatt« ist ein vestigium trinitatis. 278 Τὸ ἕν … διαφερόµενον αὐτὸ αὑτῷ ξυµφέρεσθαι (DK 1, 152 [B 8] und 162 [B 51]); cf. Platon, Symp. 187a. 279 HEGEL, Werke 18, 326f. 280 Das schlagendste, weil logisch klarste neutestamentliche Paradigma für ein nur als Selbstunterscheidung verständlich zu machendes Binnen- oder Selbstverhältnis Gottes ist (prä-trinitarisch) Joh 1,1a–c; cf. meine diesbezügliche Auslegung: Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 11–27. Auch Ex 3,14 ist als ein biblisch prominenter Fall von Selbstunterscheidung zu verstehen (s. o. § 2). 281 S. o. E. 2.3. (S. 812ff) und zu Johannes E. 2.4. (S. 814ff) sowie unten G. 2.1. (S. 820f). 282 Von dem Begriff der Selbstunterscheidung aus erklärt sich auch die hier häufig gebrauchte Redewendung (vom Sich-Hervorbringen Gottes) »am Orte Jesu« bzw. »am Orte des Glaubens«. Sofern darin ein Moment von Räumlichkeit impliziert ist, ist damit Gottes dialektische Allgegenwart angesprochen (s. o. § 12 E. 1. [S. 669ff]).

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unterscheidung« ist mithin eine (durch das eigene Andere) vermittelte Selbstbeziehung. Das bedeutet trinitarisch: – Der Sohn ist ganz und gar er selbst in der Beziehung zum Vater (und durch sie bzw. auf Grund ihrer), und der Vater ist ganz und gar er selber in der Beziehung zum Sohn (und durch sie); – jeder (von beiden) ist das in sich selbst, was er im Zeugnis des Geistes und so für den Anderen ist.283 4) Die Relation zum Gegenüber ist (gemäß 2]) konstitutiv für das eigene Selbstsein, mithin ihm nicht akzidentiell.284 5) Ihrem Status als jeweilige »Mitte« entsprechend sind die innertrinitarischen Instanzen (Vater, Sohn und Geist) und ihre Beziehungen zueinander als wechselseitige Selbstunterscheidung zu begreifen: Indem jede sich von den beiden anderen her empfängt, vermittelt es sie mit ihnen selber, und weil so die trinitarischen Relationen das eine Wesen Gottes konstituieren, existiert die göttliche Substanz (deitas) nur als Wechselverhältnis der drei »Personen«, d. h. als sich an sie entäußernde Mitten. Aus der allseitigen Selbstunterscheidung kommt die sie tragende Einheit zustande. Im folgenden Abschnitt findet das seine christologische und trinitarische Konkretion.285

G. Der Vater Jesu Christi (Der Gott des Sohnes) 1. Vorbemerkung: Zur Vater-Terminologie Würde von einem Mutter-Sohn-Verhältnis geredet, so wäre, zumal da das Verhältnis Jesu zu seiner Mutter nicht religiös qualifiziert war (cf. Mk 3,33f parr; Joh 2,4), stärker das biologisch-natürliche Verhältnis betont. Im Verhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater, der auch ein Maß ist für irdische Vaterschaft (cf. Eph 3,15), steht der Vatername einerseits exklusiv für ein individuell-persönliches Gottesverhältnis (ist also kein allgemeines religionsgeschichtliches Symbol), bedeutet andererseits bei innigster Nähe zugleich, dass jeder bloße Naturzusammenhang abgebrochen ist (cf. Mk 1,11 par; 9,7) und es um eine Einheit im (personbestimmenden) Geistsein geht.286 Die Tran-

283

Cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 466. Zur Zwei-Naturen-Lehre in diesem Zusammenhang cf. a.a.O. 338. 284 Cf. oben Abschnitt D. 2.2. und 2.3. (S. 795ff). 285 Dieser Abschnitt G. ist in sachlichem Zusammenhang mit dem dann folgenden Abschnitt H. zu lesen. 286 Das Verhältnis von Abhängigkeit Jesu von Gott und Eigenständigkeit ihm gegenüber kann nur im Horizont des Hl. Geistes richtig gewürdigt werden. Jesus war in der seiner Einheit mit Gott entsprechenden Abhängigkeit von ihm zugleich völlig frei, d. h.

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szendierung des Natürlichen gilt auch in Bezug auf Jesus als den Christus selber: In der Inkarnation wurde Gott ἄνθρωπος, und niemals wurde in der Alten Kirche gesagt: ἀνήρ. Denn das Mannsein Jesu gehört zu seiner Endlichkeit bzw. Partikularität, wie sie auch durch sein Judesein, seine Sprache, sein Zeitalter etc. die Inkarnation konkret macht. Christologisch und trinitätstheologisch gilt überdies: Weil Jesus als wahrer Mensch ein Mann war, muss er nicht auch als Gott Mann sein.. Der dreieinige Gott selber schließlich ist eine absolute Gemeinschaft, und zwar kein männliches »Gedritt«, sondern Gemeinschaft des Geistes und ewiger Liebe.287 2. Der Sohn in der Selbstunterscheidung vom Vater 2.1. Die Selbstunterscheidung Jesu von Gott Hierbei ist – im Anschluss an den Abschnitt E. – davon auszugehen, dass Jesus sich gerade in der Selbstunterscheidung von Gott als der Sohn Gottes erweist;288 das ist auch die Dialektik in der Einheitsaussage Joh 10,30.289 Dieser Ausgangspunkt ist zweifach zu erläutern. Jesus unterscheidet sich als dieser Mensch von Gott, »seinem« himmlischen Vater, und das ist konstitutiv für seine Gemeinschaft bzw. Einheit mit dem ewigen Gott.290 Dies geschieht aber als Entsprechung zum Verhältnis und besonderen Anspruch des Vaters zu ihm und an ihn: demgemäß Jesus selbst mit dem Vater so zusammengehört, dass Gott in Ewigkeit nicht anders Vater (und Gott291) sein will, als im Verhältnis zu ihm.292 Indem Jesus sich als der dem Vatersein Gottes Entsprechende weiß, ist er der Sohn: Er weiß wesentlich, dass der Vater in ihm (an dem Ort, der er, Jesus, ist) als der Vater sein will. In ihm ist der ewige Gott offenbar als der, der nur in Beziehung zu diesem Sohn Vater sein will (und durch ihn dies für wusste sich im Gegenüber zum Vater und wiederholte so auch ihrer beider Einheit frei – in einer Selbstunterscheidung. 287 Zu diesen Fragen cf. die Klarstellungen bei CH. AXT-PISCALAR, Trinitarische Entzauberung des patriarchalen Vatergottes. Eine Verständigung über die Bedeutung der Trinitätslehre als Beitrag zum Gespräch mit der feministischen Theologie, ZThK 91 (1994), 476–486. 288 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 337; zur Selbstunterscheidung Jesu vom Vater überhaupt a.a.O. 283–294. 289 Cf. oben Abschnitt E. 2.4. (bei Anm. 259 und 265). 290 K. Rahner hat auch die Inkarnation von der Selbstunterscheidung Jesu von Gott in der Beziehung zu ihm verstanden: »Die Menschwerdung Gottes ist … der einmalig höchste Fall des Wesensvollzugs der menschlichen Wirklichkeit, der darin besteht, daß der Mensch [sc. Jesus] ist, indem er sich weggibt in das absolute Geheimnis hinein, das wir Gott nennen« (K. RAHNER, Grundkurs des Glaubens, Freiburg u. a. 1976, 216). 291 Cf. meine Interpretation der Taufe Jesu (Mk 1,11): RINGLEBEN, Jesus (wie oben Anm. 226), 43–46.49f. 292 Die Formulierung meines Satzes paraphrasiert PANNENBERG, a.a.O. 337.

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alle Menschen): der Gott des Sohnes. So aber teilt der Sohn gerade als das zeitliche Gegenüber des Vaters in Ewigkeit dessen Gottheit.293 Jesus unterscheidet von sich selber (bzw. seiner irdischen Person) zugleich sich als ewiges »Korrelat« der Gottheit des Vaters, und in dieser Selbstunterscheidung ist er der ewige Sohn, der zugleich Mensch ist. Wenn es bei Pannenberg heißt: »es muß der Aspekt der Zugehörigkeit Jesu zur ewigen Gottheit des Vaters, als dessen ebenso ewiges Korrelat, von seiner menschlichen, geschöpflichen Wirklichkeit unterschieden werden«,294 so ist es entscheidend wichtig hervorzuheben – was so bei Pannenberg nicht geschieht –: Diese Unterscheidung ist Jesu eigene, also sein Sich-von-sich-selbst-Unterscheiden, und in dieser Unterscheidung als Selbstvollzug ist er zugleich geschichtlicher Menschensohn und ewiger Gottessohn. Wird das Gottesverhältnis Jesu von Gott her verstanden, der in Jesus ewig bei sich ist, so impliziert das, damit Gott bei Jesus (im Rückbezug auf sich) bei sich sein kann, die Selbstunterscheidung Jesu von Gott, die nur als Selbstunterscheidung Jesu von sich selber wahr ist. Jesus identifiziert sich (ewig) in Gott, indem er sich (zeitlich) von sich unterscheidet. Er ist mit Gott eins, sofern er als dieser Mensch sich als Gottes Sohn von Ewigkeit her weiß. Das heißt, er entzweit sich von seiner unmittelbaren (selbsthaften) Einheit mit sich, um Gott als den Einen absolut seinen ewigen Vater sein zu lassen,295 der dies ist im Bezug zu ihm als auch seinem ewigen Sohn.296 2.2. Die Selbstunterscheidung vom Vater her Heißt es bei Pannenberg: »die Selbstunterscheidung vom Vater [ist] auch konstitutiv für den ewigen Sohn in seiner Beziehung zum Vater«,297 so besagt 293 Das reflektiert sich innertrinitarisch als die 2. Person der Trinität bzw. als »ewige Zeugung« (s. u. 3.1.). 294 PANNENBERG, a.a.O. 338. Pannenberg formuliert hier gleichsam im Sinne der ZweiNaturen-Lehre. 295 Pannenberg schreibt über Jesu Selbstunterscheidung vom ewigen Gott als seiner ewigen Selbstbegründung als der Sohn: »Nur im Fall des Sohnes ist es ihr [sc. der Selbstunterscheidung] Sinn, daß die andere Person, von der der Sohn sich unterscheidet, nämlich der Vater, für ihn der alleinige Gott ist [cf. oben E. 2.3. zu Mk 10,18 und nochmals unten Abschnitt H. (S. 832ff)] und daß gerade darin die Gottheit des Sohnes selbst gründet, daß er sich so der Gottheit des Vaters unterwirft« (PANNENBERG, a.a.O. 349). Man kann also sagen: Der »Gehorsam« des Sohnes ist die sich aufhebende Andersheit desselben (bzw. ein sich selber nach seiner Wahrheit in Gott Wiederfinden Jesu; cf. auch Joh 8,32 und Lk 2,49), und die »Freiheit« des Sohnes (cf. auch Joh 8,29) wird selber zum Ort der Gegenwart Gottes selber, indem sie sich aus der Notwendigkeit des Vaters begründet. 296 Der Selbstunterscheidung Jesu von sich (als ewigem Gottessohn) entspricht (gleichsam spiegelbildlich) die Selbstunterscheidung Gottes von seinem Logos (cf. Joh 1,1). 297 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 338.

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das trinitätstheologisch: Jesu Selbstunterscheidung (sozusagen auf Erden) ist seine ewige Identifikation von Gott her (durch den Vater), und eben so (eodem actu) ist Jesu Identifikation Gottes (als des Vaters) dessen Unterscheidung (als trinitarische Selbstunterscheidung) in Vater und Sohn. So lässt sich begreifen, dass in der Unterscheidung, die Jesus in sich vor Gott vollzieht, Gott selber sich absolut hervorbringt: als der Vater dieses Sohnes und so als der Dreieinige.298 Trinitarisch gesprochen: Wie Gott sich im Logos ausspricht und artikuliert,299 um als er selbst zu sein, so hat er im Bewusstsein (bzw. Wissen) von ihm sein Bewusstsein (Wissen) von sich, und dies, weil und indem Jesu Bewusstsein von Gott, das ihn als den Vater sein lässt, dessen Selbstunterscheidung von sich als sein ewiges Zu-sich-Kommen einschließt. Weil Jesu Verhältnis zu seinem himmlischen Vater die in Ewigkeit gültige Einheit von Verbundenheit (Einheit) und Unterschiedensein (qua wechselseitiger Selbstunterscheidung300) ist, entspricht sich der trinitarische Gott in diesem Verhältnis – Jesu zu Gott und Gottes zu Jesus – völlig selbst. Jesu Sohnesbewusstsein ist der Ort der Selbstentsprechung des Dreieinigen. Denn indem Jesus sich von sich unterscheidet, ist er lebendiges Konstitutionsmoment im Sein des dreieinen Gottes. Der Selbstunterscheidung Jesu von Gott als Weise seiner Beziehung zu ihm entspricht notwendig (und begründet sie sogar damit) eine Selbstunterscheidung Gottes von Jesus als die Weise, ihn als den ewigen Sohn sein zu lassen.301 Demgemäß erwägt Pannenberg: »Wenn nun die Selbstunterscheidung Jesu vom Vater konstitutiv dafür ist, daß auch im ewigen Gott selber ein Gegenüber, das Gegenüber des Sohnes zum Vater, angenommen werden muß, und wenn dies Gegenüber als Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater zu denken ist, dann erhebt sich die Frage, ob Ähnliches auch umgekehrt für das Verhältnis des Vaters zum Sohne gilt, so daß auch von der Seite des Vaters aus der Unterschied zum Sohne durch eine Selbstunterscheidung des Vaters vom Sohne gesetzt wäre«.302 In der vorliegenden Gotteslehre wird versucht, diese Frage (ähnlich wie Pannenberg) bejahend zu beantworten, dies indes im Rahmen des Theorems von der göttlichen Selbsthervorbringung. Wo es im zitierten Text heißt: »konstitutiv dafür …, daß auch im ewigen Gott selber … 298

S. u. Abschnitt J. (S. 857ff). Zur Sprachlichkeit der Trinität s. u. 3.2. und 3.4. 300 Cf. dazu PANNENBERG, a.a.O., 335–347. 301 Auch der Philosoph B. Liebrucks erkennt: »Der Sohn ist dasselbe Wesen wie der Vater, wie er auch dasselbe Wesen wie der Vater ist. Sowohl im Vater wie im Sohn muß [sc. daher] die Einheit von Vater und Sohn sein, wenn sie für sich Sohn oder Vater sein können sollen« (LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein [wie oben Anm. 157] III, 1966, 202). Diese Einheit von Vater und Sohn als eine sowohl im Vater wie im Sohn zu verortende reflektiert sich auch in der Unterscheidung von immanenter und ökonomischer Trinität. 302 PANNENBERG, a.a.O. 338. Zur Selbstunterscheidung des Vaters vom Sohne cf. auch a.a.O. 340 und ausführlicher unten Abschnitt H. (S. 832ff). 299

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angenommen werden muß« (s. o.), da erkennen wir einen ewigen Reflex bzw. einen konstitutiven »Rückstoß« des Sich-Hervorbringens Gottes am Orte Jesu, also das Geschehen der Entzweiung von Zeit und Ewigkeit, worin Gott der Lebendige ist. Das bedeutet, dass der Vater als Vater nicht ein abstrakt unbedingter Anfang ist; sondern indem er im Sohn in sich zurückkehrt, ist er lebendig als die Bewegung – genauer: Selbstbewegung –, die, indem sie die Rückkehr ist, erst darin auch das ist, was anfängt oder was zurückkehrt.303 Jedenfalls ist auch die Frage unumgänglich: Was bedeutet die Selbstunterscheidung Gottes zum Sohn hin für Gottes Gottheit selber? 3. Innergöttliche Hervorgänge Gottes einiges Selbstsein ist »dreipersönlich«, d. h. durch drei sich aneinander hingebende Mitten konstituiert, und ist so ewige Kommunikation und Liebe. Die von diesen Mitten jeweils unterschiedenen Instanzen (»Extreme«) werden wechselseitig auch zur jeweiligen Mitte, d. h. nehmen abwechselnd deren Ort ein und sind so auch selber Gott. Diese innergöttlichen Relationen sind aber nicht einfach identisch mit dem, was traditionell als die spezifischen »Hervorgänge« (processiones) im dreieinen Gott unterschieden wurde, nämlich die »ewige Zeugung« des Sohnes und die »Hauchung« des Hl. Geistes. Vielmehr sind diese Hervorgänge als die genetischen Voraussetzungen für die internen Relationen in Gott zu denken. Die Bedingung dafür ist: Diese Hervorbringungen müssen so geartet sein, dass das Hervorgebrachte (Sohn, Geist) nur in den wechselseitigen Relationen zueinander ist, was es für sich ist.304 Das bedeutet generell: Diese genetischen Vorgänge sind Momente der Selbsthervorbringung Gottes als des Dreieinigen.305 Damit sind die wechselseitigen Relationen deren Resultat als die Wahrheit des ganzen Lebens Gottes,306 nämlich als eines sich selber hervorbringenden und sich selbst tragenden Relationengefüges, in dem sich die Instanzen des Hervorgehens (Vater, Sohn und Hl. Geist) als seine Relate aufgehoben haben. Gottes Werden zu sich ist in der Dreifaltigkeit ewig bei sich angekommen. Von hier aus gewinnt es grundsätzliche Bedeutung, dass die innertrinitarischen Begriffe der »Zeugung« (des ewigen Sohnes) und der »Hauchung« 303

Formulierung angelehnt an HEGEL, Werke 6, 26. Von hier aus ist auch zu erklären, warum nur der Vater den Sohn zeugt und warum Vater und Sohn gemeinsam den Geist hervorbringen. 305 Dazu s. u. Abschnitt J. (S. 857ff). 306 Ein weiteres Mal gewinnt hier der Hegel’sche Satz theologische Bedeutung: »Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine [dialektisch zu verstehende!] Entwicklung sich vollendende Wesen« (HEGEL, Werke 3, 24; cf. oben S. 775 Anm. 15). Trinitätstheologisch relevant ist auch die Feststellung: »Die Einheit des Subjekts mit sich wird um so intensiver, in je weitere Unterschiede es ausgelegt ist; das weitere Fortbestimmen ist zugleich ein Insichgehen des Subjekts, ein Vertiefen seiner in sich selbst« (HEGEL, Werke 17, 397). 304

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(des Hl. Geistes) als Weisen der Selbstunterscheidung verstanden werden müssen.307 Unmittelbar aufgefasst, und das ist von weitreichender Bedeutung, verweisen sie beide bereits terminologisch auf elementare Lebensvollzüge (generatio, spiratio) und somit eine interne Bewegtheit. Handelt es sich an sich um Begriffe, die wirkliche Lebendigkeit beschreiben und so dem lebendigen Gott als solchem gerecht zu werden versuchen,308 so werden sie trinitätstheologisch eher »metaphorisch« verwendet,309 wobei der biologische Sinn durch den Zusatz »ewig« unübersehbar transzendiert wird und nur durch die aus dem natürlichen Sprachgebrauch entlehnten Begriffe Vater/Sohn motiviert ist.310 Aus dem Verständnis von »Zeugung« und »Hauchung« als Begriffen für das innergöttliche Leben in sich selber ergeben sich im Einzelnen die folgenden Einsichten. 3.1. Ewige Zeugung (cf. Joh 3,18b; 1Joh 5,1; Hebr 1,5 mit Ps 2,7) Sie ist logisch und theologisch als »Selbstunterscheidung« zu begreifen.311 Damit sind zwei Fehldeutungen ausgeschlossen. Der Hervorgang des Sohnes 307 Zum Verhältnis beider Hervorgänge ist vorweg zu sagen: Die ewige Zeugung entspricht der Fleischwerdung des Logos (sozusagen retroaktiv), die Hauchung des Geistes dem Sein von Vater und Sohn bei allen Glaubenden (was nur im Geist möglich ist). Dabei kann die Hauchung nicht einfache Wiederholung der ewigen Zeugung sein, weil es nur eine Menschwerdung und diese »ein für alle Mal« gibt. Freilich sind die Zeugung des ewigen Sohnes und dieser selbst die Voraussetzung für das Ausgehen des Geistes, insofern Vater und Sohn auch eine gemeinsame Tätigkeit haben müssen, um ganz eins zu sein. Das gemeinsame von Sohn und Hl. Geist ist das Seinlassen des Vaters als Vater und die Erweckung des Glaubens (an ihn). Im Ganzen gilt: Die ewige Genese in Gott (immanente Trinität) ist der ewige Reflex seiner geschichtlichen Genese (ökonomische Trinität). In diesem Sinne ließe sich hier auch von »Theogonie« reden. 308 Zur Trinität als absolutem Begriff des lebendigen Gottes s. u. Abschnitt N. (S. 878ff). 309 Die Charakterisierung als »metaphorisch« ist nicht völlig zutreffend, da, was im natürlichen Leben Zeugen und Hauchen (Atmen) ist, selber im göttlichen Leben seinen ewigen, schöpferischen Grund hat. Das gilt auch für das Vater-Sohn-Verhältnis; cf. dazu MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 270), 127 (§ 214). 310 Hegel stellt fest: »Es kann auch nur von dem Begriffe dieser Dreiheit die Rede sein, nicht von den Vorstellungen eines Vaters, Sohnes; natürliche Verhältnisse gehen uns nichts an« (HEGEL, Werke 18, 253) bzw. »Daß Gott seinen Sohn gezeugt – ein aus der natürlichen Lebendigkeit genommenes Verhältnis –, so werden wir uns in der Philosophie nicht ausdrücken« (a.a.O. 97); dahinter sollte die Theologie nicht zurückbleiben. Bei Schelling heißt es lakonisch: »Zeugung, d. h. Setzen eines Selbständigen« (F. W. J. SCHELLING, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit [1809], in: ders., SW I/7, 346 [= Nachdr. 290]). 311 »Scholastisch ist die Vorstellung des innertrinitarischen Prozesses als Geburtsakt, denn Gott gebiert; in ihm ist generatio: perfectum est quod patet generare sibi simile« (G. LÜERS, Die Sprache der deutschen Mystik des Mittelalters im Werke der Mechthild von Magdeburg, München 1926 [Nachdr. Darmstadt 1966], 152). Hierbei ist anzumerken,

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aus dem Vater durch »ewige Zeugung« ist keine unmittelbare (kontinuierliche) Selbstentwicklung eines einzigen und identisch zugrunde liegen bleibenden göttlichen Subjektes, sondern Seinlassen eines Andern, mit dem zusammen und in lebendiger Beziehung auf den der Vater ein Gott und er selbst ist.312 Sodann ist diese Zeugung nicht so vorzustellen, als ob erst Gott schon da sei und er dann erst (in einem eigenen, gesonderten Akt) den Sohn hervorbringe.313 In Ewigkeit (Joh 1,1: ἐν ἀρχῇ ἦν) ist Gott einer in der Selbstunterscheidung von seinem Anderen, dem Logos,314 und dieser ist die explizit gemachte (artikulierte) Verfassung seines eigenen Seins, so dass der Vater in diesem eigenen Anderen bei sich ist.315 Demgemäß gilt: »Die ewige Existenz Gottes kann daher nur als ewiger Exitus gedacht werden, welches das Seyn des Sohnes aus dem Vater ist … Die einfache Substanz ist also der absolute Unterschied von sich selbst, dieser aber sein reines Sein als ein anderer«.316 Ewig ist die Zeugung des Sohnes insofern, als Gott (als immerwährender Anfang seines Anderen) ewig in dieser Zeugung begriffen ist;317 da das ein Wesenszug seiner wirklichen Lebendigkeit ist – sogar der grundlegende –, ist der »Sohn« nie nur ein blo-

dass auch sonst das doppelsinnige Wort γεννηθέντα (Nicaenum; BSLK 26) durch (ex patre) natum wie auch durch genitum wiedergegeben wird (cf. Näheres: RINGLEBEN, Gott im Wort [wie oben S. 790 Anm. 120], 175 Anm. 21). 312 Es handelt sich gewissermaßen um eine Selbstverdoppelung (des Vaters im Sohne), um so erst gemeinsam und einig (dies im Geist) als der eine Gott da zu sein. 313 Vielmehr muss der Vorgang im Zuge von Gottes Selbsthervorbringung überhaupt und spezifisch als Dreieiniger gedacht werden. 314 Zur Unterscheidung des Hervorgehens des Sohnes aus Gott von dem der Welt cf. MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben Anm. 270), 144 (§ 246). 315 Es ist ja grundsätzlich zu fragen, was die ewige Zeugung für Gott selber bedeutet bzw. inwiefern er sich selber darin auslegt. Freilich kann man nicht im eigentlichen Sinne sagen, Gott, der ἀγεννητος ist, habe sich selbst »gezeugt« (cf. dazu MARHEINEKE, a.a.O. 127 [§ 213]). 316 MARHEINEKE, a.a.O. 125 (§ 210). Statt von »Exitus« wäre vielleicht besser von Exodus zu reden, wollte man den Bezug zu Ex 3,14 hier mitdenken. 317 Gott ist der Ursprung, der mitgeht: als Vater im Sohn und für den Sohn. Dieser ist ein Reinentsprungener; zu Hölderlins »ein Rätsel ist Reinentsprungenes« (HÖLDERLIN, Der Rhein, Str. 4,1, in: ders., KlStA 2, 150) schreibt Heidegger: Es »ist ein Rätsel in seinem Ursprung, aber eben deshalb in seinem ganzen Seyn, als welches dann das Entsprungene ist. Die Weite des Geheimnisses erstreckt sich auch auf das Entsprungene, nicht auf das für sich genommene ›woher‹ … Erst in diesem selbst [sc. dem Reinentsprungenen] ist je auch der Ursprung voll als Ursprung« (HEIDEGGER, GA II/39, 234). Als ein solcher »Reinentsprungener« ist Gottes Menschensohn der Jungfrauensohn, und zwar einzig und allein wegen des Verhältnisses des sich zu ihm in Selbstunterscheidung verhaltenden väterlichen Ursprungs (cf. oben S. 805 Anm. 192 und oben § 11 C. 3. [S. 637 bei Anm. 162]). Auch für Jesu Dasein gilt, dass »aller Anfang in der Religion geheimnisvoll ist« (F. SCHLEIERMACHER, Über die Religion [1799], 301).

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ßes »Resultat« dieses Vorgangs, sondern allein zusammen mit seiner ewigen Genesis ist er, was er ist.318 Da es sich bei der innergöttlichen Selbstunterscheidung vom Sohn um ein lebendiges Geschehen für alle Ewigkeit handelt, ist die ewige Zeugung logisch bzw. begrifflich am besten mit der »unendlichen Bewegung« zu fassen, die Hegel mit der Formulierung »zeitlos vergangen« denkt.319 Es handelt sich um die interne Dialektik eines »Übergehens als immer schon Übergegangensein«.320 3.2. Der Sohn als Wort Auch wegen des Bezugs zum weiter unten folgenden Unterabschnitt 3.4. ist hier zunächst noch die Sprachlichkeit der Zeugung des Sohnes zu bedenken. »Loqui enim Dei est verbum genuisse«.321 Das stimmt gänzlich überein mit Augustins Satz: »Ergo quod dicitur, dedit Filio, tale est ac si diceretur, genuit filium: generando enim dedit«,322 und impliziert sachlich ein (gegenseitiges) Erkennen.323 Mit einem von Luther favorisierten Ausdruck: Gott hat sich trinitarisch ewig »ins Wort gefasst«: im Logos.324 Dieser eigene Logos Gottes ist Subjekt und Grund allen Werdens (als »Schöpfungsmittler«: Joh 1,3.10), und das ist so, weil er selber einem absoluten Werden entsprungen ist: dem Wort Gottes zu sich selber als trinitarischer Lebensgemeinschaft325 und 318

Cf. oben Anm. 306. Cf. HEGEL, Werke 6, 14 und 24 mit 13 (ein Begriff, der übrigens sozusagen in umgekehrter Richtung auch für die Auferstehung Jesu in Anschlag gebracht werden kann, die ihrerseits mit der ewigen Zeugung zusammenhängt; cf. Röm 1,4). Zur Formulierung cf. auch oben § 9 D. 2. 320 Cf. zu dieser Hegel’schen Denkfigur ausführlich und mit Bezug auf die Ewigkeitsthematik J. RINGLEBEN, Die logische Bewegung der Zeit, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 779 Anm. 53), 210–229. 321 Gregor, Moral. XXIII 19,35 (PL 76, 272); cf. auch: »verbum nascitur ex substantia patris« (Moral. XLII 45,7). 322 Augustin, Tract. ev. Ioan. XXII 10 (PL 35, 1580) zu Joh 5,26; dazu s. u. H. 3. (S. 837ff). 323 Cf. die hebräische Wurzel [dy. Marheineke schreibt von der (menschlichen) Vorstellung von Gott als dem Zeugenden und Gezeugten, ihr liege »die ursprüngliche Einheit des Begriffs von Zeugen und Erkennen zum Grunde: Gott erkennet sich nur als sein anderer; dieser ist als die Vernunft (λογος) die Offenbarung seines Wesens. Ebenso weiset die … Vorstellung von Gott als dem Geist und Wort auf die Analogie des menschlichen Sprechens oder sich Aussprechens hin« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben Anm. 270], 129f [§ 218]). Zur Erkennbarkeit Gottes, die trinitarisch selber Moment des zu denkenden Gottes sein muss, cf. KREUZER, Wozu drei? (wie oben S. 792 Anm. 134). 324 Deswegen ist Augustins Behauptung, die communio von Vater und Sohn im Geist sei »unaussprechbar« (ineffabilis) (De trin. V 11; PL 42, 919) schwerlich nachvollziehbar, eben weil die Trinität vom Logos aus sprachlich verfasst ist; s. u. H. 3. (S. 837ff). 325 Zu Luthers Verständnis der Trinität als eines »Gesprächs« Gottes mit sich selber (WA 46, 59f u. ö.) cf. genauer RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 790 Anm. 120), 319

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absoluter Form seines Sich-Hervorbringens. In der Zeugung des ewigen Wortes und der Hauchung des Geistes, die der lebendigen Einheit von Wort und Geist entspricht, ereignet sich die Weitergabe der eigenen göttlichen Wesensnatur durch den Vater, und dies Sich-Weitergeben ist als solches auch ein Sich-Hervorbringen (als Dreieiniger). Im Rahmen dieser Gotteslehre ist dies auch darum besonders relevant, weil die logische Klärung der innertrinitarischen Verhältnisse ihren Ausgang von einem dezidiert sprachlichen Gedanken Hegels nimmt.326 Auch so ergibt sich, dass die Logizität des dreieinigen Gottes eine sprachlich-worthafte ist, was zur Logoshaftigkeit des göttlichen Lebens überhaupt stimmt, wie sie Joh 1,1f vorgedacht hat.327 Das dialektische Konzept der »Mitte« ist genuin sprachlich und hängt mit dem Gedanken des Mittlers eng zusammen.328 Die Mitte als sprachlich verstanden ist insbesondere christologisch relevant, bedenkt man, dass nach W. v. Humboldt die sprachliche »Einbildungskraft« als »die Sphäre, in welcher das Wort schwebt«, aufgrund ihrer Fähigkeit, »widersprechende Eigenschaften zu verbinden«, als die »Vermittlerin der entgegengesetzten Naturen in der Menschheit« begriffen werden muss.329 Die Sprache ist als solche auch darum wesentlich Mitte, weil sie trennt und vereint zugleich.330 Der Zusammenhang von Sprache und Trinität ist immer wieder gesehen worden;331 entsprechend hat man, was die trinitarische Formel angeht, von ei70ff, und zur Rekonstruktion dieses Gedankens von W. v. Humboldts sprachlichem IchDu-Denken her RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff II (wie oben S. 779 Anm. 53), 329ff. Cf. auch K. Barth: »Er ist der Sprecher, ohne den es kein Wort und keinen Sinn gibt, das Wort, das das Wort des Sprechers und Träger des Sinnes ist, der Sinn, der ebenso der Sinn des Sprechers wie seines Wortes ist« (KD I/1, 384; dies soll aber kein vestigium trinitatis sein). Zur hier liegenden Grenze von G. E. Lessings Trinitätstheorie als ein Sich-Spiegeln Gottes in einem Anderen (in: G. E. LESSING, Die Erziehung des Menschengeschlechts, Berlin 1780, § 73): Das Andere bei Gott ist Wort und als solches durchsichtig; ein »Spiegel« bliebe für Gott gerade opak; cf. dazu auch RINGLEBEN, Gott im Wort 73 mit Anm. 72 sowie unten bei Anm. 336. 326 S. o. Abschnitt D. 2.2. (z. B. S. 795 Anm. 149). 327 Das zeigt meine eingehende Deutung in: RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 11–31. 328 Für Joh 15,1ff habe ich das a.a.O. 491ff zu zeigen versucht. Zur Schriftlehre überhaupt cf. diesbezüglich I. U. DALFERTH, Die Mitte ist außen. Anmerkungen zum Wirklichkeitsbezug evangelischer Schriftauslegung, in: C. Landmesser (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift, BZNW 86, Berlin/New York 1997, 173–198. 329 HUMBOLDT, GS 2, 127 und 5, 420. Nach E. Heintel hat Humboldt die Sprache überhaupt wesentlich von der Vermittlung her verstanden (E. HEINTEL, Einführung in die Sprachphilosophie, Darmstadt 1975, 5). Siehe auch oben § 11 (S. 638 bei Anm. 166). 330 Cf. Schillers »Votivtafel« An den Dichter: »Laß die Sprache dir sein, was der Körper den Liebenden: er nur / Ist’s, der die Wesen trennt, und der die Wesen vereint«. Statt von Körper redet Hegel von der Sprache als »Dasein« des Geistes. 331 Auch Nikolaus von Kues sieht die Prinzipien der Trinität: Einheit, Gleichheit, nexus in Analogie zur Sprache (cf. De beryllo XXIV).

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nem »Triumph der Grammatik echter Sprachschöpfung über die Logik reiner Denkbarkeit« sprechen können.332 Der sprachlichen Sensibilität eines Dichters entgeht auch der umgekehrte Zusammenhang ebenfalls nicht: »Ich muß nur ein Wort denken, und schon verstehe ich den Gedanken der Trinität«.333 Was sich im Medium der Vorstellung als Sich-ein-Anderes-Erzeugen darstellt, ist für Hegel ganz vom Wort (als der »Mitte«) her zu interpretieren: Das Wesen schaut nur sich selbst in seinem Fürsichsein an; es ist in dieser Entäußerung nur bei sich; das Fürsichsein, das sich von dem Wesen ausschließt, ist das Wissen des Wesens seiner selbst; es ist das Wort, das ausgesprochen den Aussprechenden entäußert und ausgeleert zurückläßt, aber ebenso unmittelbar vernommen ist, und nur dieses Sichselbstvernehmen ist das Dasein des Wortes. So daß die Unterschiede, die gemacht sind, ebenso unmittelbar aufgelöst als sie gemacht … sind, und das Wahre und Wirkliche eben diese in sich kreisende Bewegung ist.334

Durch die Zeugung des ewigen Wortes als seines eigenen Anderen ist Gott der (für sich und uns) Offenbare,335 und so allererst ist er Geist, und zwar der Geist, der in seinem Worte sich realisiert: denn der Geist ist nicht das Unmittelbare, der [sprachlich zu denkenden] Vermittlung Entgegengesetzte, sondern vielmehr das seine Unmittelbarkeit ewig setzende und ewig aus ihr in sich zurückkehrende Wesen. … Gott ist im [sprachfreien] Denken, als erstem Denken, nur das reine Sein oder auch das Wesen, das abstrakte Absolute, nicht aber Gott als absoluter Geist, als welcher allein die wahrhafte [sc. sprachliche] Natur Gottes ist«.336

3.3. Zusammenfassung (zu 3.1. und 3.2.) Der sich hervorbringende Gott hat in Ewigkeit sein eigenes Wort (Logos) hervorgebracht, d. h. sich als das Wort (Joh 1,1c), in dem er bei sich selbst ist (»ewige Zeugung«). Die ewige Zeugung des Sohnes wiederholt gleichsam die Selbsthervorbringung in ihm selber. In diesem ewigen Hervorbringen macht sich Gott, indem er aktuell als Vater und Sohn ist, was er ist, zum dreieinig »lebendigen« Gott bzw. realisiert und erweist sich als der absolut Lebendige 332 E. ROSENSTOCK-HUESSY, Die Sprache des Menschengeschlechts, Bd. I, Heidelberg 1963, 124. 333 F. PESSOA, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Revidierte und definitive Ausgabe, hg. von R. Zenith, übersetzt von I. Koebel, Zürich 2003, 546. Zur Begründung heißt es: »Der Rhythmus des Wortes, das Bild, das es wachruft, und sein Sinn als Vorstellung, alle notwendigerweise in einem Wort miteinander verbunden, sind für mich getrennt verbunden« (a.a.O. 545f). 334 HEGEL, Werke 3, 559. Cf. auch zur Selbstbewegung des »ursprünglichen Wortes« a.a.O. 6, 550. Dies lässt sich an der Einheit von Hören und Reden Jesu bei Johannes konkretisieren; cf. dazu RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 145ff. 335 »Es ist das Offenbaren seines Wesens, so daß dies Wesen eben nur darin besteht, das sich Offenbarende zu sein« (HEGEL, Werke 6, 185). 336 A.a.O. 184.

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(Joh 5,26). Das Leben Gottes ist so ἐν ἀρχῇ schon ein sprachlich verfasstes: λογικῶς.337 Diese trinitarisch relevante sprachliche Produktivität setzt sich unter den Bedingungen von Zeit und Geschichte inkarnatorisch fort: im performativen Reden Jesu von Gott als seinem Vater, dessen Wort er selber ist und menschensprachlich weiterspricht. So existiert er als der »Exeget« des unsichtbaren Gottes (Joh 1,18), und in seinen logoi artikuliert sich der ewige Logos. Das aber schließt den göttlichen Geist immer schon ein (cf. Joh 6,63.68; 16,13 und 14,26). 3.4. Hauchung des Geistes338 Indem der Begriff der göttlichen spiratio eine besondere Nähe zum Phänomen des Atems unterstellt, ist zum einen die Hervorbringung des Hl. Geistes als eine selbsttätige Lebensbewegung Gottes betont, zum andern auch die Nähe zur Sprachlichkeit.339 Genauer gesagt, die Hauchung des Geistes ist als sprachaffines Geschehen selber schon spezifisch auf Geist bezogen, sofern einerseits Geist überhaupt nur als Äußerung eines gemeinsamen Lebens verstanden werden kann. Darum ist die im Westen tradierte Formel »filioque« sachlich unverzichtbar und gedanklich-systematisch in der Trinitätslehre konsequent. Der Hl. Geist, der selber ganz Gott ist,340 kann als solcher nur vom Vater und Sohn gemeinsam ausgehen. Er ist als gehauchter immer Ausdruck und Vermittlung von kommunikativer Gemeinschaft (cf. Joh 20,22). Andererseits ist der Geist, wenn auch einer Selbstunterscheidung Gottes bzw. in Gott entspringend, nicht einfach nur ein Anderes (gegenüber Vater und Sohn) für sich, sondern ein Anderes gerade im Rückbezug auf seine Herkunft; er ist so eine Vermittlungsinstanz, die auf beides von ihm Vermittelte wesentlich bezogen ist.341 Der Vater bringt mit dem Sohn zusammen auch das hervor, was ihn und den Sohn verbindet, und genau an dessen Hervorbringung muss der Sohn selber notwendig auch beteiligt sein, damit das Hervorgebrachte beide (wechselseitig) verbindet. So ist der gehauchte Geist ein ungegenständliches Medium von Einheit, d. h. eine sich an die Geeinten hingebende Mitte.

337 Die göttliche Selbsthervorbringung hat überhaupt ein Analogon in der Selbsterzeugung eines sprachlichen Satzes in der Dialektik von Vorausgreifen und RückwärtsBestimmen (cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium [wie oben S. 807 Anm. 207], 489f). 338 Cf. oben § 13 (S. 709 Anm. 35). 339 Dies auch im Hinblick auf die Zeugung des Sohnes als ewiges Wort (s. o. 3.2.). 340 Cf. Augustin: »Sed in tota natura mentis ita trinitatem reperiri opus est ut … in una nusquam dispertita mente trinitas inveniatur« (De trin. XII 4,4; PL 42, 1000). 341 Die ewige Zeugung bedeutet mehr das Seinlassen eines Anderen als Anderen.

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Fragt man, wie der Vater eine Mitte sein kann, wenn doch von ihm und dem Sohn der Geist gemeinsam ausgeht, so ist zu sagen: Weil der Vater im Sohn in sich zurückreflektiert ist, geht der Hl. Geist von beiden zusammen nur aus, indem der Vater zugleich auch die Mitte von Sohn und Geist ist. Vom Sohn geht der Geist auch aus, sofern er als Sohn die Mitte von Vater und Geist ist.342 »Hauchung des Geistes« (spiritum spirare) ist eine figura etymologica,343 und sie bringt zum Ausdruck, dass »Hauchen« den Vorgang selber und sein Resultat meint (cf. Joh 3,6b).344 Derart holt Gott mit der Hauchung des Hl. Geistes die Bewegung seines Lebens so in sich zurück – es sich aneignend –, dass er – es lebendig übergreifend – es vollendet selber ist. Mithin ist er sozusagen immer auch auf der anderen Seite – dies schließlich auch bei uns –, und zwar als Gott.345 Er ist er selbst und der sein Gegenüber (in Gestalt des Sohnes und des ebendies leistenden Geistes) mit sich Verbindende. Das spezifische Werk des (vom Vater und Sohn ausgehenden) Geistes ist nach allem Gesagten: die sie miteinander geisthaft vermittelnde und verbindende »Mitte« ihres voneinander Unterschieden- und gegeneinander Selbständigseins zu sein.346 Der Hl. Geist bringt sich am Sohn in dessen Selbstunterscheidung vom Vater347 und von sich selber348 hervor.349 Und vom Vater aus ist der Hl. Geist als seine Selbstvermittlung im Seinlassen des Logos (Joh 1,1) implizit mitzudenken.350 Mithin existiert der Geist als die Mitte, in der Vater und Sohn unterschieden und ewig eins sind.

342

Siehe auch unten Abschnitt L. (S. 871ff). Cf. Joh 3,8: τὸ πνεῦµα … πνεῖ. 344 Dazu s. o. § 13 E. 5.2. (S. 746ff). 345 Zum Hl. Geist siehe nochmals unten Abschnitt I. (S. 844ff). 346 Zu diesem Begriff von Geist s. o. § 13. Bei J. Kreuzer heißt es entsprechend bezüglich der Trinität: »›Geist‹ erweist sich als jene Instanz oder als jenes Dritte, in dem sich die Einsicht in die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur verdoppelt zur Einsicht in die Einheit von beider Differenz und Einheit« (KREUZER, Wozu drei? [wie oben S. 792 Anm. 134], 280). 347 Das heißt als Mitte ihrer Selbständigkeit gegeneinander. 348 Das heißt als Mitte zwischen dem Menschen Jesus und dem ewigen Logos, der er in Ewigkeit ist. Aber beides (sc. das bei Anm. 341 und das in dieser Anmerkung Gesagte) ist in Wahrheit eins, d. h. nur eine Mitte der Trinität. 349 Cf. die johanneischen Aussagen über den eigenen Geist Jesu, der als ein anderer Paraklet wiederkommt; siehe dazu RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 252ff. 350 Joh 1,1a–c entspricht genau dem dialektischen Begriff des Geistes; cf. dazu RINGLEBEN, a.a.O. 30f. 343

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3.5. Zwei processiones Mit den beiden Ursprungsverhältnissen – der sprachlich verfassten »Zeugung« des Sohnes durch den Vater und der gemeinsamen »Hauchung« des Hl. Geistes351 – sind die innergöttlichen »Hervorgänge« benannt, die Gott als den in sich Lebendigen beschreiben. Diese »processiones« artikulieren erschöpfend die immanente Prozessualität des göttlichen Seins – anfangslos und mitgehend. Der Begriff der »Hervorgänge« meint: Gott geht aus sich selber hervor (aseitas) und geht dabei in sich aus sich heraus. Diese interne Produktivität des göttlichen Lebens ist zugleich die ewige Voraussetzung für seine externe Produktivität als Schöpfung einer Welt. Hierbei wird das interne Andere Gottes, sein Logos, kreativ »verandert« (M. Theunissen) zum äußeren Andern der geschaffenen Welt; diese ist nicht selber der »Sohn Gottes«, sondern ebendieser ist (wesensnotwendig) der Mittler der Schöpfung (als Entäußerung Gottes in ein qualitativ Anderes, Nichtgöttliches).352 Die processiones hin zu Gott dem Sohn und zu Gott dem Geist artikulieren – Logos-vermittelt – das interne Fortschreiten der Selbsthervorbringung Gottes im Werden zu sich.353 Sie sind integrale Momente der eigenen Geschichte 351

Es sei nochmals auf die biblischen Ursprünge dieser Begriffe hingewiesen. Zur Schöpfungsmittlerschaft s. o. § 8 F. 1. (S. 484ff). H. Blumenberg instruktiv zu dieser Frage im Blick auf das Thema der Reflexivität: »Die schon vorchristliche Sophiaund Logosspekulation aufnehmend, wird die Hervorbringung des Sohnes eine Art idealer Schöpfung: die Selbsterkenntnis des Vaters ist im Logos hypostasiert, durch dessen Inhaltsmächtigkeit die Welt geschaffen werden konnte. Es wird ausgeschöpft, weshalb dies nicht demiurgisch, sondern durch das Wort geschehen war. Dieser Logos ist seinem Begriff nach nicht Reflexion, sondern Produktion einer Welt. Hätte Gott wirklich sich selbst – und nicht die Welt in nuce – gedacht, so hätte er auch in der Schöpfung nur etwas Seinesgleichen hervorbringen können: ein unendliches Universum an Stelle des Sohnes [= Pantheismus im Sinne von G. Bruno]« (H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 137). Allerdings scheint Blumenberg hier doch das Moment der Selbstunterscheidung in der Reflexivität Gottes zu unterschätzen, die eben im Logos (und gerade als Wort) instantiiert ist. 353 Cf. K. Barth: »in der Weise ist er Gott, daß er in diesen [sc. innertrinitarischen] Beziehungen zu sich selber ist. Er ist sein eigener Hervorbringer und er ist in doppelter, und zwar in verschiedener Hinsicht, sein eigenes Hervorgebrachtes« (KD I/1, 384). So lassen sich drei Ursprungsverhältnisse in Gott bzw. genetische Beziehungen in der Trinität ausmachen (cf. KD I/1, 414), um die Einheit seines einen Wesens zu begreifen: (1.) der Vater ist aus sich selbst (unmittelbare Aseität), (2.) der Sohn geht aus dem Vater hervor (»ewige Zeugung«), (3.) der Geist geht aus dem Vater und dem Sohn zugleich – zum filioque cf. KD I/1, 503f – hervor (»Hauchung«). Dabei sind aber (1.) – (3.) als ein unlöslicher Zusammenhang zu denken, bei dem jede Relation auch die beiden anderen voraussetzt, um selber zu sein, oder fordert, weil sie nur in der Einheit des Wesens geschieht und diese gerade mit konstituiert. Damit erweitert sich der Begriff der »Aseität« auf die ganze Trinität (s. u. J. 1. [S. 857ff]). Wenn demnach gilt: (1.) nicht ohne (2.) und (3.) und (2.) 352

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Gottes, die zugleich in ewiger Simultaneität aufgehoben sind.354 Damit markieren beide Hervorgänge die eigene Ausdifferenzierung des göttlichen Lebens in sich und für sich als absolute Realisierung seiner Dreifaltigkeit.355

H. Der eine Gott 1. Monotheismus und Trinität In der vorliegenden Gotteslehre wird versucht, vom göttlichen Namen im Alten Testament gemäß Ex 3,14 über das Neue Testament mit seinem Begriff vom lebendigen Gott einen konsequenten gedanklichen Weg bis zur Trinität zu gehen.356 Damit lässt sich der Spannungsbogen vom Namen Gottes bis zur Trinität als die Lebendigkeit seiner durch interne Gleichheit mit sich im Unterschied von sich vermittelte, absolute Einheit verständlich machen.357

nicht ohne (1.) und (3.) und (3.) nicht ohne (1.) und (2.), so liegt die Logik dieser Zusammengehörigkeit darin, dass (1.), (2.) und (3.) sich wechselweise voraussetzen und sich jeweils selber durch den Unterschied von den beiden je Anderen explizieren. So gestaltet sich konkret die absolute Urheberschaft Gottes: (1.) in Bezug unmittelbar auf sich selbst (als Vater): als unmittelbare Einheit von Leben und Allmacht, (2.) in Bezug auf sein eigenes Anderes (den Sohn): als Unterscheidung und Vermittlung von Leben und Allmacht im Zugehen auf das Andere und sein Seinlassen, und (3.) in Bezug auf die Gemeinschaft im Geist (als einiges Selbstsein im Anderen): als Sphäre lebendiger, selbsthafter Einheit mit dem Anderen als solchem die absolute Einheit von Leben und Allmacht. Zusammengefasst: Insofern die Verschiedenheiten in Gott auf diesen ungleichen Ursprungsverhältnissen beruhen (cf. KD I/1, 382), artikulieren gerade diese Gottes Einheit mit sich. 354 Das gilt auch für die »ökonomische« Trinität. 355 Vielleicht darf man die processiones gleichsam »metaphorisch« als Wegstrecken, die zuletzt freilich lebendig eins sind, weil im Aus-sich-heraus zugleich ein Zurück-zusich, bzw. genauer als innere Wege Gottes zu sich bezeichnen, die sich in ihrem Begangenwerden allererst als diese bestimmten Wege öffnen und darstellen; cf. dazu Kierkegaard: »Im geistigen Sinne … entsteht der Weg … erst, oder entsteht mit … [sc. dem], der ihn geht; der Weg ist: auf welche Weise er gegangen wird« (KIERKEGAARD, GW 18, 303). Es handelt sich, sit venia verbi, um Prozessionen, d. h. heilige Weg-Abschreitungen, ein Wandeln Gottes im unerschöpflichen Raum seiner göttlichen Fülle. Als Ziel jeder dieser beiden »Hauptwege« steht über ihnen, sie vorantreibend, die absolute Selbstgewissheit des lebendigen Gottes: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14). Bei jeder dieser »Processionen« im unendlichen Raum innergöttlichen Lebens geht als Allerheiligstes der Anfang ewig mit. Es sind Gottes Wege »von Ewigkeit zu Ewigkeit« (s. o. § 9 D. 1. [S. 532ff]). 356 Cf. R. K. SOULEN, Der trinitarische Name Gottes in seinem Verhältnis zum Tetragramm, EvTh 64 (2004), 327–347 und H. ASSEL, Der Name Gottes bei Martin Luther. Trinität und Tetragramm, a.a.O. 363–378. Zum Verhältnis: Name – Begriff – Trinität cf. auch I. U. DALFERTH/PH. STOELLGER, Gott Nennen, Tübingen 2008. 357 Cf. dazu auch Nikolaus von Kues, De doct. ign. I, 24 (in: ders., Phil.-theol. Schr. 1, 278ff [bes. 284/286]).

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Gottes Dreieinigkeit soll also hier als konsequenter Monotheismus begriffen werden.358 Blickt man auf den Monotheismus in Israel, dem übrigens auch die eine Hl. Schrift (Tenach) entspricht, so sind hier Erfahrungen von Negativität entscheidend für seine Entstehung.359 Als solche kommen historisch insbesondere der Untergang der Eigenstaatlichkeit Judas (587 v. Chr.) und die damit verbundene radikale Krise von Königtum, Tempel und Land in Betracht. Systematisch gesehen entspringen hier also – in einer sozusagen negativen Konstitution – der konkreten Negativität der Gedanke einer unbedingten Einheit und die ihm entsprechende Universalisierung Gottes. Der Wegfall des geschichtlich Partikularen schlägt um in schlechthinnige Allgemeinheit, d. h. die prinzipielle Unabhängigkeit von Zeit, Ort, Raum. Man kann nun sagen: Ebendiese Momente von Konkretheit (Inkarnation) und Negativität (Kreuz) werden christlich, d. h. christologisch, im Gedanken der unbedingten Einheit eines ewigen Lebenszusammenhanges Gottes aufgehoben, eben dem trinitarischen Gedanken des Einen als des absolut Lebendigen, der sich selber am Orte seines Menschensohnes diesen Bedingungen unterwirft, um so ewig er selbst zu sein. 2. Der lebendige Schöpfer (Luther) 2.1. Entsprechend, wie auch der alttestamentliche Monotheismus sich vom Neuen Testament im trinitarischen Dogma weiter- und neu bestimmt, geschieht es auch mit dem Verständnis Gottes als des Schöpfers. Christlich verstanden ist Gottes Herstellen seiner lebendigen Einheit in sich und aus sich zugleich auch ihre schöpferische Mitteilung nach außen, d. h. an und für uns.360 Das hat insbesondere Luther gesehen, als er in einer ingeniösen Neu-

358

Cf. oben S. 774 Anm. 13 und S. 775 Anm. 16 sowie Abschnitt C. 1. (S. 782ff). Ich übernehme diese These von E. AURELIUS, »Ich bin der Herr, dein Gott. Israel und sein Gott zwischen Katastrophe und Neuanfang, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hgg.), Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder. Polytheismus und Monotheismus in der Welt der Antike, Bd. I, FAT 17, Tübingen 22009, 325–345, ohne dabei freilich seinen literargeschichtlichen Thesen im Einzelnen zu folgen. 360 In dieser Perspektive hat F. Rosenzweig die Trinitätslehre von der Einheit Gottes in seinem Einssein mit dem unmittelbar persönlich erfahrenen Gott aus gesehen: »ihre, sozusagen monotheistische Pointe erhält jene heidnische Einheit [sc. Gottes] erst durch die jüdische Ineinssetzung des fernen mit dem nahen, des ›ganzen‹ mit dem ›eigenen‹ Gott. Diese Ineinssetzung erst ist das ›Wesen des Judentums‹ und durch das trinitarische Dogma, wie sehr auch gebrochen und in Gefahr des Rückfalls in die vor- und außerjüdische Spaltung, auch das Wesen des Christentums« (F. ROSENZWEIG, »Der Ewige«, in: ders., Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, hg. von R. und A. Mayer, Bd. III: Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken, Den Haag 1984, 810; Hervorh. J. R.). 359

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formulierung bzw. -interpretation der klassischen Trinitätslehre361 den dreieinen Gott als den sich selber dreifach Gebenden dargestellt hat. Er beschreibt 1528 Gott als den sich uns mit seinem Leben vorbehaltlos Erschließenden und Anteilgebenden: Das [sc. Vater, Sohn und Hl. Geist] sind die drey person und ein Gott, der sich uns allen selbs gantz und gar gegeben hat mit allem, das er ist und hat.362 Der Vater gibt sich uns mit hymel und erden sampt allen creaturen, das sie dienen und nütze sein müssen.363 … Darumb [sc. wegen Adams Fall] hat darnach364 der son sich selbs auch uns gegeben, alle sein werck, leiden, weisheit und gerechtickeit geschenckt und uns dem Vater versunet [versöhnt], damit wir widder lebendig und gerecht, auch den Vater mit seinen gaben erkennen und haben möchten.365 … So [sc. um das Werk der Gnade in Christus zu offenbaren] kompt der heilige geist und gibt sich auch uns gantz und gar,366 der leret uns solche wolthat Christi … erkennen, hilfft sie empfahen und behalten … Ynnerlich durch den glauben … Eusserlich aber durchs Euangelion [sowie durch die Wortsakramente Taufe und Abendmahl].367

Parallele Formulierungen finden sich im »Großen Katechismus« (entstanden 1528) in der (trinitarisch angelegten) Auslegung der drei Artikel des Credo: »Denn da [sc. im Artikel von der Schöpfung] sehen wir, wie sich der Vater uns gegeben hat sampt allen Kreaturen …«368 Im zweiten Artikel »lernen wir die andere Person der Gottheit kennen, daß wir sehen …, wie er sich ganz und gar ausgeschüttet hat und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe«.369 Diese restlose Selbstentäußerung von Gottvater und Gottsohn uns 361 Zu Luthers Trinitätslehre überhaupt cf. F. KATTENBUSCH, Luthers Stellung zu den oecumenischen Symbolen (FS der Universität Gießen), Gießen 1883; W. KÖHLER, Luther und die Kirchengeschichte, Erlangen 1900 (Nachdr. Hildesheim 1984), 76ff; A. PETERS, Die Trinitätslehre in der reformatorischen Christenheit, ThLZ 94 (1969), 561–570; E. KYNDAL, Luthers Umgang mit der Trinitätstheologie, in: J. Heubach, Zur Trinitätslehre in der lutherischen Kirche, VLAR 26, Erlangen 1996, 37–54. 362 Der dreieinige Schöpfergott ist (gemäß Mk 10,18) das bonum diffusivum sui: BSLK 565f; cf. 676,3f. 363 »Denn die Kreaturn sind nur die Hand, Rohre und Mittel, dadurch Gott alles gibt …« (BSLK 566,20–22). 364 Eine Hindeutung auf die ökonomische Trinität. 365 Im Sohn ist auch der Vater zu erkennen, und dieser erschließt real oder inhaltlich den Vater als den Sich-Gebenden, der das zentral im Sohn ist. Der Hl. Geist erschließt dies kommunikativ (im Glauben) oder formal. 366 Der Hl. Geist lässt uns an Gott und Christus im Geist Gottes teilhaben, indem er sich unserem Geist erschließt. 367 LUTHER, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis, in: WA 26, 505,38–506,10. 368 BSLK 650,27–29. 369 A.a.O. 651,10–15. So ist Christus »ein Spiegel des väterlichen Herzens« (a.a.O. 660,41f). Cf. auch: »Nun haben wir von got eyttel liebe und wolthat empfangen, denn Christus hat für uns gesatzt und geben gerechtickeit und alles, was er hatt, alle seyne güter uber uns außgeschüttet, welche nyemants ermessen kann, … denn got ist ein glüender backofen foller liebe« (WA 10 III, 55,12–56,3).

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zuzueignen, ist das Werk des Hl. Geistes, »weil wir hie sehen, wie sich Gott ganz und gar mit allem, das er hat und vermag, uns gibt zu Hülfe und Steuer«.370 Das theologisch genial Neue in dieser Sicht auf die Trinität besteht zum einen in einer soteriologischen Dynamisierung der eher statischen Rede des Dogmas von den drei Personen,371 d. h. einer Verflüssigung des göttlichen Seins. Luther übersetzt die trinitarischen Instanzen in Vollzüge, wobei die innertrinitarischen Instanzen zugleich als nach außen gerichtet begriffen werden.372 Der trinitätslogische Sinn von Luthers Aussagen, die für ihn definitiven theologischen Charakter haben,373 besteht zum andern darin, dass sein dreifaches Sich-Geben,374 weil Gottes Sich-Geben ein Sich-selbst-Realisieren ist,375 ein immer reicheres und endgültiges (weil uns endgültig in sein Leben einbeziehendes) Sich-Gewinnen des dreieinig lebendigen Gottes ist, der dabei nur wird, was er ist. Zugleich manifestiert sich sodann in diesem göttlichen Sich-Geben376 auch das Pleroma der Liebe Gottes,377 die als ein lebendiger, dreieiniger Selbstvollzug Gottes mit entschiedener Stoßrichtung auf uns geschaffene Menschen hin erscheint. Weiterhin ist zu sagen: In seinem dreifachen Sich-Geben kommt Gott, nämlich zur Gegenwart in der Zeit.378

370 BSLK 661,37–40. Hauptwerk des Geistes ist »zu dem HERRN Christo bringen« (a.a.O. 654,40). 371 Cf. oben Prolegomena, § 4, 4.2 (S. 72 bei Anm. 64). Dabei werden Schöpfung, Erlösung und Heiligung als aus dem innersten Selbstsein Gottes fließend verstanden, eben als ein Sich-selber-Geben. 372 So erkennt Luther z. B. den kommunikativen Charakter göttlicher Eigenschaften: Der Hl. Geist ist genau darin heilig, dass er uns heilig macht (BSLK 653,33–36). 373 Cf. WA 26, 499,16–23! 374 Ein Sich-Geben sowohl als in Ewigkeit (immanent) eines wie auch in der Heilsgeschichte als sukzessiv (ökonomisch) sich entfaltend. 375 Das dreiphasige, auf Anderes ausgreifende Sich-Weitergeben Gottes kann zum letzten Ziel nur ihn selber, den lebendigen Gott, haben. 376 Als christologischer Hintergrund der Rede vom in Liebe sich (hin)gebenden Gott dürfte vor allem Joh 3,16 (ἔδωκεν) infrage kommen. Zur Prominenz von διδόναι bei Johannes (s. u. [3.] zu Joh 5,26) cf. R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium, Bd. II, HThKNT IV/2, Freiburg u. a. 1971, 108 Anm. 2. 377 »Siehe, da hast Du das ganze göttliche Wesen, Willen und Werk mit ganz kurzen und doch reichen Worten aufs allerfeineste abgemalet, darin alle unser Weisheit stehet … Denn da hat er selbs offenbaret und aufgetan den tieffsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel unaussprechlicher Liebe in allen dreien Artikeln« (BSLK 660,18–21 und 28–32). Bekanntlich hat Richard von St. Viktor (gest. 1173) in seinen sechs Büchern »De trinitate« die göttliche Dreieinigkeit als Liebestrinität dargestellt; zur Mehrheit und Einheit in der Trinität cf. bes. De trin. III 2. 378 So gilt das von Luther Gesagte spezifisch von der ökonomischen Trinität, in der Gott aber auch als mit sich eins bleibend gedacht werden muss (s. u. Abschnitt K. [S. 865ff]).

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Schaffend entäußert Gott sich in seine Geschöpfe,379 in seinem Sohn ist er am Orte dieses Menschen Mensch und ganz bei sich (2Kor 4,4; Kol 1,15), und mit seinem Hl. Geist kehrt er endgültig in sich zurück – so sind die »Personen« der Trinität Momente seines Selbstseins. Schließlich kann Luther hier auch den Heils- und Glaubenssinn der Trinitätslehre plausibel machen.380 Denn Schöpfung, Erlösung und Heiligung sind für ihn jeweils ein spezifisches Werk des einen trinitarischen Gottes.381 2.2. Vor diesem Hintergrund ist auch auf die Lehre von den vestigia trinitatis hinzuweisen. Es klingt geradezu wie ein Echo auf Luthers Rede vom dreifachen Sich-Geben Gottes, wenn es dazu bei E. Rosenstock-Huessy heißt: »die drei Atemzüge des göttlichen Schöpfers, Offenbarers, Erlösers spiegelt das Ebenbild des dreieinigen Gottes [sc. Christus; cf. 2Kor 4,4; Kol 1,15] in Leben, Lehre und Wirken. Geschöpf des Vaters, Bruder des Sohnes, Mitwirker des Reiches – das ist die Dreifaltigkeit in uns Menschen«.382 Hier wird zum Ausgangspunkt dieser Lehre die Inkarnation gemacht: Jesus Christus, Schöpfungsmittler (Logos) und Gottes eigener Menschensohn (Jesus), ist das welthaft existierende Abbild der Trinität, und durch ihn sind deren Ausstrahlungen auch in dem Leben von uns Menschen sowie in der Schöpfung überhaupt gegenwärtig.383 In solcher christologischen Vermittlung wird die traditionelle Lehre von den trinitarischen »vestigia« in aller Schöpfungswirklichkeit,384 die insbesondere bei Augustin intensiv ausgearbeitet worden ist,385 379

Das wird im nächsten Unterabschnitt 2.2. thematisiert. Dabei wird der Glaube als Werk des Hl. Geistes in uns definiert. 381 BSLK 647,5–12. Der Grundsatz: opera divina ad extra esse indivisa braucht wegen dieser »Appropriationen« nicht außer Kraft gesetzt zu sein. 382 ROSENSTOCK-HUESSY, Die Sprache des Menschengeschlechts I (wie Anm. 332), 142. 383 Dass Jesus Christus als »Schöpfungsmittler« zu begreifen ist, gehört auch zu seinem Mitte-Sein, sofern er zwischen dem ewigen Vater und der irdischen, endlichen Welt vermittelt. Die zu Ende gedachte Schöpfungsmittlerschaft des Logos bezüglich der geschaffenen Welt ist somit wesentlich nicht ohne dessen Inkarnation zu denken. 384 Cf. darüber DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 778 Anm. 48), 374ff sowie K. BARTH (mit vielen Belegen), KD I/1, 352ff; Barth will in der in sich differenzierten Offenbarung das einzig theologisch legitime »vestigium trinitatis« sehen (a.a.O. 366f; cf. auch 124f). 385 Cf. z. B. Augustin, De trin. VIII 10,14 (PL 42, 960): »amans, et quod amatur, et amor« oder XIV 6,8 (PL 42, 1041: »memoria, intelligentia, voluntas«; cf. Isidor, Etym. VII 4,1); cf. auch X 12,19; XI 1,1ff (PL 42, 983ff). Klassisch dazu M. SCHMAUS, Die psychologische Trinitätslehre des hl. Augustinus, Münster 1927 (Nachdr. a.a.O. 1967, 1969), bes. Teil II. Zur Dreiheit »memoria, intellegentia, providentia« cf. auch Cicero, De invent. II 53,160. Von der »mens« heißt es bei Nikolaus von Kues: »Sic omnis mens etiam et nostra … a Deo habet, ut modo quo potest sit artis infinitae perfecta et viva imago. Quare est trina et una habens potentiam, sapientiam et utriusque nexum« (Nikolaus von Kues, De mente XIII, in: ders., Phil.-theol. Schr. 3, 592). Zu den »vestigia« bei Luther cf. WA 4, 597,8–600,21: WA.TR 1, 396,9ff und 563,26–29 (Nr. 1143) u. ö.; s. u. Anm. 387; 380

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theologisch konzentriert auf ihr eigentliches Anliegen: die unausdenkbare Weltgegenwart des lebendigen Gottes an den Spuren in seinem »Eigentum« (Joh 1,11a) aufzuzeigen,386 die nicht nicht behauptet werden kann.387 In Christus als vestigium trinitatis allein lassen sich auch Gottes Transzendenz und seine welthafte Immanenz konkret zusammendenken, ohne ihren Unterschied zu verwischen. Systematisch gesehen ist Gott indes auch protologisch (als Schöpfer) schon in gewisser Weise »alles in allem«; denn seine »vestigia« müssen von seiner Allgegenwart her verstanden werden, der gemäß er totus in allem ist.388 Das bedeutet allerdings, dass sie nicht gegenständlich fixierbar sind: Es handelt sich um »Spuren« des kommenden und in der Schöpfung auf dem Wege zu sich begriffenen, lebendigen Gottes. 3. Das Leben Gottes im Logos (Joh 5,26) Von grundlegender Bedeutung für das innertrinitarische Leben des einen Gottes ist die johanneische Aussage, die ihn als den absolut Lebendigen zu erkennen gibt:389 ὥσπερ γὰρ ὁ πατὴρ ἔχει ζωὴν ἐν ἑαυτῷ, οὕτως καὶ τῷ υἱῷ ἔδωκεν ζωὴν ἔχειν ἐν ἑαυτῷ (Joh 5,26). Das Leben »in sich selber« (in semetipso) zu haben (V. 26a), macht Gottes Gottsein, seine lebendige Aseität aus und unterscheidet ihn als Ursprung aller

cf. dazu A. PETERS, Verborgener Gott – dreieiniger Gott nach Martin Luther, in: K. Rahner (Hg.), Der eine Gott und der dreieine Gott, München u. a. 1983, 117–140, hier 127. 386 Als Beweis für die Einheit in einer Dreiheit können die klassischen Analogien (physischer, grammatischer, psychologischer Art) freilich nicht gelten: Sie »können höchstens für die Möglichkeit einstehen« (DORNER, a.a.O. 375). 387 Dass alle Geschöpfe trinitarisch verfasst sind, steht bei Bonaventura, Quaest. disp., De myst. trin. 1,2 (concl.). Nach Luther hat Gott sich als »die göttliche Dreifaltigkeit in alle Creaturen verkrochen und versteckt« (WA.TR 1, 395,22f [Nr. 815]). In gewissem Sinne kann die ganze Hegel’sche Philosophie als eine universale Ausarbeitung der vestigia-Lehre angesehen werden. 388 Cf. oben § 12 (S. 669 bei Anm. 91und S. 680 bei Anm. 164). 389 Dass der Dreieinige als der Lebendige zu denken ist, kann nicht, wie P. Tillich meint, zu einer »symbolischen« Aussage über sein Geistsein abgeschwächt werden (cf. TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben S. 772 Anm. 1], 265 und 288). Im Übrigen ist zu bedenken: Was hier wie eine neuzeitliche Rekonstruktion des trinitarischen Gedankens (dynamisch betrachtet) aussehen könnte, ist in Wahrheit eher Ausdruck dessen, dass das trinitarische Dogma selber schon nur als der erste Formulierungsversuch für die Logik des Lebendigen zu begreifen ist. Schließlich ist »Leben« ein im Neuen Testament zentral wichtiger Begriff! Cf. auch die Schrift von G. W. LEIBNIZ, Defensio trinitatis per nova reperta logica (= Ep. ad Loeflerum; 1671), in: ders., Die philosophischen Schriften, hg. von K. I. Gerhardt, Bd. IV, Berlin 1880, 111–125.

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lebendigen Wesen schlechthin von diesen.390 Von ihm stammt die Selbstlebendigkeit allen geschaffenen Lebens bzw. das, was es am Leben erhält, weil er der ist, der sich durch sich selbst am Leben erhält, und der lebendige Gott ist so das eigentlich Belebende in allem Leben sonst.391 Als Leben in sich selbst schon ist Gottes eigenstes Sein durch eine Selbstunterscheidung bestimmt. Ihr innergöttlicher Ausdruck ist das Weitergeben des eigenen absoluten Lebens des Vaters an den Sohn (als Sich-Artikulieren im Logos; V. 26b);392 hier wird die göttliche Selbstunterscheidung explizit und entsteht (in ewiger »Zeugung«) die trinitarische Lebendigkeit als solche.393 Denkt man beide Halbverse zusammen, so besagen sie systematisch: Der lebendige Gott ist in sich selber, indem er sein eigenes Leben an den Sohn mit-teilt.394 Als weitergegebenes ist es auch in ihm selber, d. h., es handelt sich um eine Einheit in der Selbstverdoppelung.395 Das besagt: Das absolute Leben Gottes ist ein über sich (als Vater) und sein Anderes (den Sohn) übergreifendes Leben und genau so auch Geist. Der lebendige Gott ist er selbst und sein internes Anderes und ist so mit sich eins als dreieinig.396 Das bedeutet auch, dass Gott nicht der »leblos Einsame«, sondern, weil er in sich selber lebendige Gemeinschaft und ein kommunikatives Sein ist, er auch für uns (im Logos und seinem Geist) kommunikativ erschlossen ist: als dreieiniger Grund unseres allgenügsamen Heils (cf. Joh 6,53). Auch vor diesem neutestamentlichen Hintergrund wird noch einmal deutlich: Die Trinität ist als das eigene Leben Gottes und so als ewiges Sichselbst-Bewegen zu denken.397 Diese Selbstbewegung ist als lebendiges Selbst390

Zur ausführlichen Interpretation dieser einzigartigen johanneischen Formulierung cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 502–504. 391 So belebend, ist er der Geist des Lebens; cf. neutestamentlich oben § 13 D. 2.2. (S. 731). 392 Cf. dazu das Augustin-Zitat oben bei Anm. 322. Die Selbstunterscheidung des Vaters vom Sohn (als Seinlassen seines Anderen) ist der ewige Lebensvollzug Gottes. Bezieht man Joh 5,26 systematisch auf die Trinitätslehre, so muss das Seinlassen des Sohnes auch im Rahmen der Selbsthervorbringung Gottes (des Vaters) selber und seiner lebendigen Ewigkeit gedacht werden. 393 Cf.: »Deum de Deo, θεὸν ἀληθινὸν ἐκ θεοῦ ἀληθινοῦ« (Symbolum Nicaenum). 394 Zu Joh 5,26b cf. RINGLEBEN, a.a.O. 504–508; auf S. 508–510 geht es um die Lebensmacht des Sohnes. Weil Christus ζωὴν ἐν ἑαυτῷ ἔχει (Joh 5,26b), gilt auch von ihm (als ewigem Logos bzw. Gottessohn, der ἐν ἀρχῇ schon war, Joh 1,1): µήτε ἀρχὴν ἡµερῶν µήτε ζωῆς τέλος ἔχων (Hebr 7,3b) bw. gilt: γέγονεν κατὰ δύναµιν ζωῆς ἀκαταλύτου (Hebr 7,16). 395 Cf. auch meine zusammenfassende Betrachtung a.a.O. 517f. Gottes Selbstunterscheidung gemäß Joh 5,26 macht seine ζωὴ ἀκάταλυτος aus. 396 Er ist sozusagen der »Ganze« (Gott) und zugleich sein eigener »Teil« (als trinitarische »Person«). 397 Cf.: »Pleno coruscat Trinitas mysterio« (Paulinus Nolan; PL 61, 335C). Das Verb corusco hat hier den Sinn sowohl von »sich schnell bewegen« (bzw. »schwingen«) als auch von »blitzartig leuchten«.

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sein das Sich-Herstellen der eigenen Einheit Gottes398 in sich und mit sich und als Einheit über die lebendige Selbstunterscheidung vermittelt. So ist die Heilige Dreieinigkeit ein sich selbst tragendes Leben aus sich und durch sich; denn es gilt, dass »das absolute Leben sich ewig erst aus den trinitarischen Unterschieden selbst constituiert, nur in ihnen sein Bestehen hat«.399 4. Der eine Gott und Jesus Gott der Vater gilt traditionell als »ursprungsloser Ursprung« (αὐτόθεος) und seine »Monarchie«400 im Blick auf die Trinität als deren »Quelle« überhaupt.401 Das muss aber, trinitätstheologisch konsequent, gerade auch von der Beziehung des Sohnes zu ihm bzw. vom Geist her gedeutet und gedacht werden.402 Wenn Pannenberg betont, Jesus und sein Gottesverhältnis seien auch für das Gottsein Gottes konstitutiv,403 und so die traditionelle (einseitige) »Monarchie« des Vaters um der vollständigen Wechselseitigkeit der innertrinitarischen Beziehungen willen bestreitet,404 so setzt auch dieser konsequente Gedanke natürlich eine Selbstunterscheidung Gottes voraus, der sich (als Gott) in Jesus selber gegenübersteht. In jedem Fall aber ist auch die besondere Stellung des Vaters405 nicht als fixe Gegebenheit einfach vorauszusetzen, sondern dies Voraussetzen ist gerade trinitarisch lebendig zu denken, d. h. zu »dynamisieren« bzw. dialektisch zu machen.406 398

Cf. oben S. 776 Anm. 22. I. A. DORNER, Ueber die richtige Fassung des dogmatischen Begriffs der Unveränderlichkeit Gottes, mit besonderer Beziehung auf das gegenseitige Verhältniß zwischen Gottes übergeschichtlichem und geschichtlichem Leben, in: ders., Gesammelte Schriften aus dem Gebiet der systematischen Theologie, Berlin 1883, 188–377, hier 306. 400 Cf. dazu historisch PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 298ff. 401 Zur Kritik an dieser Auffassung cf. oben S. 778 Anm. 48. 402 So gelangt man auch zu einem tieferen Verständnis der »Perichorese« und davon, worin sie eigentlich, im Blick auf die Trinität als solche, besteht, s. u. Abschnitt L. (S. 871ff). 403 Cf. »daß … damit seine eigene Gottheit nun vom Sohn abhängt« (PANNENBERG, a.a.O. 340 zu 1Kor 15,14–28); cf. auch die geschichtsbezogene vergleichbare Aussage über Gottes Sich-abhängig-Machen, a.a.O. 527. 404 Anders noch im Sinne der Tradition H. Vorgrimler: »Und doch ist nicht der Vater vom Sohn, so wie der Sohn vom Vater. … der Vater aber ist Gott, doch nicht vom Sohn« (VORGRIMLER Gotteslehre [wie oben S. 774 Anm. 14], 109). 405 Siehe dazu unten 4.4. 406 Gegen ein metaphysisches Ursprungsdenken wendet sich zu Recht MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes (wie oben S. 812 Anm. 239), 182. Unbefriedigend bleibt bei ihm dessen ungeachtet die doppelte Bestimmtheit des Vaters (ebd.), die ein Nebeneinander suggeriert – Was ist der Unterschied zur »Konstitution der Trinität«? –, und daneben die Rede vom »ewigen Kreislauf des göttlichen Lebens« bzw. »perichoretischer Einigkeit« (a.a.O. 192.194[!].199f) wie auch die Unterscheidung von Existenz und Beziehung (199.202) bzw. Ursache und Bedingung (200 u. ö.); cf. die logische Prämisse: 203. 399

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Dieser Problemkreis ist hier in drei eingehenden Reflexionsgängen zu entfalten.407 4.1. Es ist zunächst davon auszugehen: In der Selbstunterscheidung Jesu vom Vater ist Gott »auch für ihn der eine Gott«.408 Aber dies Sein Gottes als der Eine ist nur im oder als Vater-Sohn-Verhältnis konkret da. Somit stellt sich die Frage, wie sich Gott der Dreieinige (d. h. der mit Jesus Christus einige Gott) und Gott der Eine (d. h. der Jesus als der Eine gegenüberstehende Gott) zueinander verhalten. Zur Antwort ist zu sagen: Als Jesu Gottesverhältnis ist Gott (gemäß der Selbstunterscheidung Jesu von ihm) so der Eine, dass er es vom Sohn her ist, und das bedeutet, dass er auch die Seite seines Seins-als-Einer-für … noch bestimmt und umfasst. Er ist der Eine nicht nur an und bei sich, sondern auch bei Jesus, in dessen Selbstunterscheidung von ihm. In Jesu Selbstunterscheidung ist Gott Einer und ein sie Übergreifender und so mit dem Sohn eines Seiender. Gott ist absolut eins: nicht nur als die von Jesus gewusste (ihm gleichsam gegenüberstehende) Einheit-mit-sich, sondern auch als bzw. im Selbstverhältnis dieser Einheit, die durch Jesus Gottesverhältnis vermittelt, Selbstverhältnis Gottes am Orte Jesu ist. Das Gottesverhältnis Jesu ist in Wahrheit Gottes Selbstverhältnis. Gerade indem Gott der absolut Eine ist, ist er nicht nur (für sich allein) einer, sondern in Gestalt des Verhältnisses von Vater und Sohn. Dass Jesus Gott als den Einen weiß und sein lässt, ist nur möglich, weil und insofern Gottes absolute Einheit Jesu Verhältnis zu ihm noch umgreift; daher kann Gott als der Eine (»Vater«) zugleich dreieinig sein.409 Hierbei ist freilich, wie schon gesagt,410 der Gedanke unverzichtbar, dass Jesu Selbstunterscheidung von Gott zugleich notwendig seine Selbstunterscheidung von sich einschließt. Nur so wird nachvollziehbar, wenn es bei Pannenberg heißt: Der Übergang vom Gottesverhältnis Jesu zum Gedanken des ewigen Sohnes und damit zur Differenz von Vater und Sohn im ewigen Wesen Gottes selbst hängt daran und geschieht dadurch, daß Gott als Vater in Jesu Verhältnis zu ihm offenbar und darum in Ewigkeit nur so der Vater ist, wie er es im Verhältnis zu Jesus ist, darum auch im ewigen Gegenüber zu Jesus als dem Sohn.411

Offenbar ist Gott als der Vater und der Eine aber definitiv in Jesu Verhältnis zu ihm zugleich auch für sich selbst; d. h., er ist es selber aufgrund dessen und dadurch und darin. 407 Wegen der sachlichen Nähe zu seinen Überlegungen ist dabei der Bezug auf Thesen Pannenbergs zweckmäßig. 408 PANNENBERG, a.a.O. 338. Dies wurde oben mit Bezug auf Mk 10,18 neutestamentlich begründet (E. 2.3. [S. 809f]). 409 Sozusagen Vater im Verhältnis zum Sohn und weiterhin auch zum Geist. 410 S. o. G. 2.1. (S. 820f und Anm. 294). 411 PANNENBERG, a.a.O. 338.

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4.2. Jesus empfängt in einem Akt der (wechselseitigen) Selbstunterscheidung vom Vater seine Gottheit.412 So bleibt der (von Jesus als der Eine gewusste) eine Gott einer, d. h. eins mit sich, auch bei seinem Anderen (Jesus). Das besagt: Gott bestimmt sich selbst als Einer, indem er Jesus in die Einheit des göttlichen Lebens (zwischen Vater und Sohn) hineinnimmt.413 Ihn den ewigen Sohn sein zu lassen, das ist die Weise, wie Gott am Orte Jesu seine ewige Einheit hervorbringt. In diesem Sinne ist auch die eine Gottheit des Vaters (in seiner Selbstunterscheidung) abhängig von seiner Beziehung zum Sohn; damit ist gegeben, dass auch die Aseität nicht dem Vater allein (schon) zukommt. Zur echten Gegenseitigkeit der innertrinitarischen Beziehungen gehört also, dass die Gottheit Gottes des Vaters auch vom Sohn abhängt.414 Diese Abhängigkeit der Gottheit des Einen auch vom ewigen Sohn, der in Jesus Mensch ist, bedeutet, dass der Vater nur in Beziehung zum Sohn (als Gottmenschen) ist, was er von Ewigkeit ist.415 Biblisch-inhaltlich kommt das in der paulinischen Eschatologie zum Ausdruck, der gemäß der Vater seine Herrschaft an den Sohn übertragen hat und sie in einer Art Rückerstattung wieder vom Sohn empfängt (1Kor 15,24.28).416 Für das innertrinitarische Leben lässt sich somit sagen: »Da der Vater alles dem Sohn gegeben hat, besitzt der Vater im Sohn alles von Neuem.«417 Man muss dementsprechend trinitätstheologisch sagen: Der Vater erkennt im Sohn den einen Gott im Unterschied von sich selber. Zwar gilt: »In der Person des Sohnes … tritt der eine Gott aus seiner Gottheit heraus«,418 aber das ist zugleich als die absolute Realisierung dieser einen Gottheit zu begreifen. Wie einerseits festzustellen ist: »Er [sc. Jesus oder auch: Gott] tritt der Gottheit in ihrer Vatergestalt gegenüber«,419 so gilt andererseits, dass Gott gerade dadurch in Jesus durch die Selbstunterscheidung beider, die lebendig eine ist, mit sich als Vater vereint bleibt.

412

Cf. PANNENBERG, a.a.O. 338. Davon spricht als der »ewigen Zeugung« Joh 5,26; s. o. Abschnitt 3. 414 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 340. 415 Pannenberg formuliert: »Zwar ist auch der Vater nur in der Beziehung zum Sohn, was er von Ewigkeit ist, aber weil er dabei das göttliche Wesen in seiner Funktion als Ursprung [sc. der ewigen Zeugung] darstellt, ist die Abhängigkeit vom Sohn beim Vater weniger offensichtlich« (PANNENBERG, a.a.O. 464). Hier ist die Frage der trinitarischen Appropriationen berührt; s. u. Anm. 431. 416 Dazu PANNENBERG, a.a.O. 339f. 417 Athanasius, C. Arian. III 36 (PG 24, 401C). Jedenfalls ist dogmatisch festzuhalten, dass Jesus auch nach seiner Menschheit der Trinität im eigentlichen Sinne »einverleibt« ist: Im Himmel regiert (auch) ein Mensch; cf. unten § 16 (S. 931 Anm. 308). 418 PANNENBERG, a.a.O. 464. 419 Ebd. 413

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4.3. Im Sohn hat die Gottheit des Vaters eine (von ihr hervorgebrachte) Bedingung ihrer selbst. Wenn allerdings Athanasius sogar behauptet, dass Christus nach Joh 14,6 auch die Wahrheit und das Leben des Vaters selber sei,420 so könnte er damit zwar dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass die Gegenseitigkeit der drei Personen in der Trinität auch das Verhältnis einer jeden zur Gottheit bestimmt, faktisch könnte seine Behauptung diesen Sachverhalt aber gerade unmöglich machen. Daher hat sich Augustin dagegen trinitätstheologisch gewandt: Wenn der Vater nicht weise von sich aus, sondern es nur durch den Sohn sei, dann sind weder der Vater noch der Sohn »ad se« Gott.421 Augustin zieht daraus die (von ihm abgelehnte) Konsequenz: »Si haec ita sunt, iam ergo nec Deus est Pater sine Filio, nec Filius Deus sine Patre, sed ambo simul Deus.«422 Augustin sieht darin eine Verletzung der gleichen, d. h. eigenständigen Gottheit von Vater und Sohn je für sich, und lehnt das »ambo simul« deswegen ab, weil er es nur als Verhältnis gegenseitiger Relativität verstehen kann,423 das der je eigenen Gottheit von Vater und Sohn widerspreche.424 Weiterhin argumentiert Augustin vor dem geschilderten Hintergrund mit einer daraus abgeleiteten Aporie: »aut Patrem non esse aliquid ad se ipsum, et non solum quod Pater est, sed omnino quod est, ad Filium relative dici. Quomodo ergo eiusdem essentiae Filius cuius Pater, quandoquidem ad se ipsum, nec essentia est, nec omnino est ad se ipsum, sed etiam esse ad Filium illi est?«425 Die Aporie wird für Augustin zum Selbstwiderspruch, der sich selbst ad absurdum führt: »Restat itaque ut etiam essentia Filius relative dicatur ad Patrem. Ex quo conficitur inopinatissimus [ironisch: der »unvermutete« bzw. »undenkbare«] sensus, ut ipsa essentia non sit essentia, vel certe cum dicitur essentia, non essentia, sed relativum indicetur.«426 Es zeigt sich paradigmatisch, dass hier (noch) nicht denkbar ist, dass die Beziehungen zwischen den Personen (relationes) auch als konstitutiv für die Gottheit selbst (substantia) gedacht werden können und müssen.427

420

C. Arian. I 20 (PG 26, 53/54; Nr. 335B). Cf. Augustin, De trin. VI 1,2 (PL 42, 924). Zum »ad se« s. u. bei Anm. 425. 422 A.a.O. VI 2,3 (PL 42, 925; Hervorh. J. R.). 423 »Neuter ergo ad se est, et uterque ad invicem relative dicitur« (a.a.O. VII 1,2; PL 42, 934). 424 Da Augustin sich stets gegen jedes gignere in Gott erklärt hat (cf. z. B. a.a.O. VII 1,1; PL 42, 933), entgeht ihm die Möglichkeit, das »Zugleich« dialektisch: als eine sich durchdringende Selbstunterscheidung von beiden Seiten her, zu verstehen. 425 A.a.O. VII 1,2 (PL 42, 934). 426 Ebd. 427 Nach R. W. Jenson war ebendas eine Pointe von Nicäa: »The original point of trinitarian dialectics is to make the relations … constitutive in God« (R. W. JENSON, The Triune Identity, Philadelphia 1982, 119; zitiert nach PANNENBERG, a.a.O. 351 Anm. 197). 421

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4.4. Wenn die Gottheit des Vaters auch als solche abhängig ist vom Sohn (und Geist) bzw. wenn die drei Personen auch hinsichtlich ihrer einen Gottheit (und nicht nur ihrer personalen Identität) wechselseitig voneinander abhängig sind, so entsteht anscheinend das Problem einer möglichen Zerstörung der Monarchie des Vaters: Ist der Vater (als in seiner Gottheit vom Sohn abhängig) dann noch Vater?428 Dazu ist zunächst zu sagen: Durch das Wirken des Sohnes wird das Reich des Vaters (bzw. seine »Monarchie«) in der Welt der Schöpfung und Geschichte gerade aufgerichtet und vom Geist vollendet. Indem Sohn und Hl. Geist der Monarchie des Vaters dienen, »setzen sie [sie] ins Werk«.429 Der Vater hat seine Monarchie überhaupt, sein Reich, nicht ohne den Sohn, sondern nur durch Sohn und Geist bzw. mit ihnen zusammen. Trinitarisch bedeutet das: Im Zusammenwirken der drei Personen resultiert gerade die Monarchie des Vaters. Der trinitarische Gott ist kein anderer als der von Jesus verkündigte (eine) Gott, sein himmlischer Vater, dessen Reich mit ihm selber »nahe herbeigekommen ist« (Mk 1,15). Es ist also nicht eine Monarchie des Vaters im Blick auf die ganze Trinität zu behaupten, so dass er als deren (einziger) Ursprung zu gelten hätte;430 sondern innerhalb der trinitarischen Relationen kommt ihm – konzentriert im Verhältnis Jesu zu seinem Himmlischen Vater – ein Vorrang zu, den er eben als »Vater« (vor dem Sohn und dem Geist) besitzt. Diese spezifische Monarchie ist identisch mit seiner proprietas als Vater.431 Andererseits ist der »Vater« es nicht abgelöst oder ablösbar von der Person Jesu, weil nur in Jesu Wort und Werk, in seinem spezifischen Gottesverhältnis auch die Herrschaft des Vaters schon beginnt, d. h., sofern er der »Sohn« ist.432 Im Sohn wird die Monarchie des Vaters wirkliche Gegenwart und hat insofern auch der Vater sein Sein als Vater. In der Selbstunterscheidung des Sohnes unterwirft dieser sich dem Vater (cf. Mk 14,36 parr) und ist darin in Ewigkeit »der Ort der Monarchie des Vaters«.433 Genau darin ist der Sohn eins mit dem Vater durch den Hl. Geist (bzw. in ihm). Derart ist die Monarchie des Vaters selber durch die innertrinitarischen Relationen vermittelt. 428

Es geht dabei auch um das Problem der substanziellen Einheit der Gottheit. PANNENBERG, a.a.O. 352. 430 S. o. S. 778 bei Anm. 48. 431 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 352ff. Die traditionelle Lehre von den »Approriationen«, d. h. der spezifischen Zuordnung bestimmter Werke an einzelne Personen (z. B. an Gottvater die Schöpfung, an Christus die Erlösung etc.) darf die echte Wechselseitigkeit der innertrinitarischen Beziehungen nicht ausschließen (cf. PANNENBERG, a.a.O. 338f mit Anm. 167 und 357 Anm. 208). Außerdem greift hier auch der Grundsatz: opera divina ad extra indivisa. Zur Frage der Appropriationen cf. schon oben Abschnitt D. 2.3. (S. 804f ab Anm. 190). 432 Cf. das prominente Harnack-Zitat oben Abschnitt E. 2.2. (S. 811 bei Anm. 233). 433 PANNENBERG, a.a.O. 352f. 429

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Gottes Einheit (bzw. Monarchie) ist nur sie selbst, wenn und insofern sie auch den Ort ihres Sich-Durchsetzens (Erscheinens) noch in sich hat, in ihm bei sich ist. Erst indem sie für ein Anderes ist (für Jesus), was sie an sich ist, ist die Einheit Gottes absolut, d. h. in diesem Anderen ganz bei sich (als Einer). So ist die Beziehung des Anderen zu ihr (Jesu Selbstunterscheidung vom einen Gott und Vater) ihre Beziehung zu sich selber. Sie verhält sich (als Einheit) in ihm zu sich (als Einheit); d. h., dieser Andere ist ihr eigenes lebendiges Moment gerade als absolute Einheit. Die Einheit des lebendigen Gottes umfasst sich selbst (sc. als der eine von Jesus gewusste Gott) und ihr Anderes (sc. Jesus selber, für den sie solche Einheit ist). So allein ist sie die sich selber absolute bestimmende Einheit. 4.5. Zusammenfassung. Trinitarisch ist der »Sohn« (der Gottes- und Menschensohn) Gott als die aus sich herausgehende, sich in sich unterscheidende und so sich selber gegenübertretende Einheit. Der »Hl. Geist« ist Gott als die in sich zurückkehrende bzw. zurückgekehrte Einheit. Das heißt, diese Einheit ist Gottes Geistsein als voll aktualisiert; denn Gott ist Geist und hat auch den Hl. Geist.434 Der »Vater« ist Gott als ewig aus sich und bei sich seiende Einheit.

I. Versuch über den Heiligen Geist Der lebendige Gott ist in seinem absoluten Sein nicht allein durch das VaterSohn-Verhältnis zu beschreiben, sondern zu ihm als Drei-Einigem gehört dabei immer auch notwendig, wie im Bisherigen mehrfach anklang, der Hl. Geist.435 Dass Gott in seinem Sein überhaupt Geist ist und welcher Begriff des Geistes dafür in Anspruch zu nehmen ist, hat allgemein bereits § 13 dargelegt.436 Hier geht es um eine spezifisch trinitarische Näherbestimmung von Gott als Geist. Deshalb ist an dieser Stelle genauer auszuführen, inwiefern der Hl. Geist als die dritte innergöttliche Instanz zur Gottheit Gottes gehört437 bzw. dass Gott nicht ohne den Hl. Geist Gott ist, weil dieser selber Gott ist.438 Die bisherigen Ausführungen dieses Paragraphen haben – auf dem Hintergrund des Geistbegriffes von § 13 – gezeigt, dass für das Verständnis des Hl. Geistes als dritter Gestalt bzw. »Mitte« im göttlichen Leben Unterschied 434

Dazu s. u. den folgenden Abschnitt I. Über den Geist als Implikation des Vater-Sohn-Verhältnisses cf. PANNENBERG, a.a.O. 290–292. 436 Geist als im Anderen bei sich selbst Sein hat im trinitarischen Vater-SohnVerhältnis seine lebendige Einheit im Selbstunterschied. 437 Dies, insofern er vom Vater und Sohn (filioque) ausgeht und Gott ihn somit als seinen (ihren) Geist hat. 438 Das soll hier immer die Großschreibung: Hl. Geist signalisieren. 435

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und Verbundenheit Jesu im Verhältnis zum Vater aufgrund ihrer wechselseitigen Selbstunterscheidung grundlegend und unverzichtbar sind.439 Der Hl. Geist gehört mit der Gemeinschaft von Vater und Sohn unlösbar zusammen, weil er die Vermittlung dieser Gemeinschaft selber ist.440 1. Der Geist als eigene Instanz (»Hypostase«) 1.1. In biblisch-neutestamentlicher Hinsicht kommen hierzu vorrangig drei Perspektiven in Betracht:441 Zum einen: Der Hl. Geist ist Subjekt der Auferweckung Jesu von den Toten (Röm 8,11; cf. 1Petr 3,18), insofern Gott deren Subjekt in der Kraft des Geistes ist.442 Von Ostern her erweist sich Gott selber als spiritus creator:443 »Indem die Ostererfahrung an den Glauben gebunden ist, ist sie eine Geisterfahrung. Schon im frühesten Christentum erhielt die Osterbotschaft ›Überzeugungskraft durch gegenwärtige Eigenerfahrungen‹ vom Wirken des göttlichen Geistes im Gottesdienst und im Gebet.«444 Damit ist systematisch gesagt: Der Hl. Geist ist der in neuer Weise Leben-schaffende Lebensgeist Gottes. In der Trinität hat er die Funktion, eschatologisch-schöpferisch zu sein, indem er als Geist der Auferweckung Jesu Leben aus dem Tode hervorbringt. Gott vermittelt im Hl. Geist sein eigenes Leben an uns, und die schöpferische δύναµις des Geistes kommt in unserem endgültigen Geist-Werden zur eschatologischen Vollendung, und zwar als σῶµα πνευµατικόν (1Kor 15,44).445 Zum andern: Der Hl. Geist bewirkt und ist das Sein Jesu bei den Glaubenden (1Kor 12,3).446 439

Umgekehrt strukturiert und konturiert ebendies Verhältnis auch den christlichen Begriff des Geistes. 440 Bei Gregor von Nazianz findet sich die klassische Differenzierung, der gemäß der Vater »ungezeugt« (als Voraussetzung der generatio des Sohnes) und der Sohn »ewig gezeugt« ist, während der Geist für das Hervorgehen selber (spiratio) zuständig ist. 441 Als wichtige Basisaussagen für die Trinitätslehre sind unter anderem außerdem noch zu berücksichtigen: Joh 4,26 (Jesus als die Stimme Gottes), Joh 3,5–11 (Verweis auf den Geist als Geist Gottes selber) und Joh 4,25 (Christus und der Geist als nicht nur ein Medium der Gottesbeziehung, sondern als wesentlich zu Gott selber gehörig). 442 Cf. dazu genauer PANNENBERG, a.a.O. 342. 443 Cf. oben § 13 D. 1. (S. 728ff). 444 P. G. KLUMBIES, Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2015, 112. Das von Klumbies Zitierte: J. BECKER, Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament, Tübingen 2007, 238. 445 Nur als πνεῦµα kann Gott »alles in allen/allem« sein (1Kor 15,28); dazu unten § 16 H. (S. 957ff). 446 Über Geist und Glaube s. u. 3.2. Zu Geist und Christus cf. PANNENBERG, a.a.O. 343f; zum Verhältnis: Jesus und der Paraklet cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 252ff.

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Schließlich: Die Verherrlichung des Sohnes (und mit ihm die des Vaters) geschieht durch den Hl. Geist (Joh 13,31; 17,1.4).447 1.2. Insofern Vater und Sohn der Sache nach auf das Werk des Geistes angewiesen sind,448 ist er eine eigene (eigenständige) Bedingung449 und das spezifische Medium, die »Mitte« der Gemeinschaft von Vater und Sohn: »er vermittelt die Gemeinschaft beider«.450 Man könnte auch sagen, der Hl. Geist belebt im eigentlichen Sinne das Vater-Sohn-Verhältnis, bzw. er ist die Belebtheit dieses Verhältnisses als eines wirklich geisthaft-lebendigen. So ist er auch die ewig lebendige Einheit mit sich am Ort seiner Unterschiedenheit von Vater und Sohn. Indem dabei Vater und Sohn sich wechselseitig aufeinander beziehen, beziehen sie sich zugleich immer auch auf ein Drittes – den Geist als die sie ins Verhältnis setzende »Mitte« ihnen gegenüber. Der Geist ist eine eigene Instanz im innergöttlichen Leben, sofern er eine dialektische Mitte darin ist.451 Dass der Geist das Vater-Sohn-Verhältnis als 447

Cf. PANNENBERG, a.a.O. 342, und RINGLEBEN, a.a.O. 413ff. Bekanntlich hat Pannenberg versucht, den göttlichen Geist als »Feld« (im Sinne der Feldtheorie) zu beschreiben (PANNENBERG, a.a.O. 464); cf. LEUZE, Drei Personen oder Feldtheorie? (wie oben S. 790 Anm. 117). Das steht in Spannung zur »Personalität« des Geistes; es ist aber zu bedenken, dass noch »bei Paulus jeder Ansatz zu einer Personalisierung des Geistes fehlt« (F. HAHN, Das biblische Verständnis des Heiligen Geistes, in: C. Heitmann/H. Mühlen [Hgg.], Erfahrung und Theologie des Heiligen Geistes, Hamburg 1974, 131–147, hier 143f) und erst in den johanneischen Schriften sich langsam die Vorstellung von der Personalität des Geistes anbahnt. Die sich anschließende Sachfrage lautet für uns hier: Was bedeutet diese Genese der »Personalität« aus der geisthaften »Dynamik« im Kontext des trinitarischen Verhältnisses von Person und Relation systematisch? Es ist auch zu erwägen, ob der Geist als eigenes Subjekt aus seinem Wirken im Gegenüber zu Vater und Sohn (gemäß dem oben unter 1.1. Gesagten) erschlossen wurde oder ob sein Personsein aus der »personbildenden« Kraft des Geistwirkens bei den Glaubenden als deren Grund im Rückschluss anzunehmen ist. Zu fragen ist weiterhin, was der Geist als ein »Aktzentrum« (Pannenberg) bzw. was ein solches überhaupt ist. Fest steht: Der Hl. Geist ist Gott selber (bzw. selber Gott) als der absolut Vereinigende und Verherrlichende im Verhältnis von Vater und Sohn. Er ist Subjekt, sofern Gott und Christus von ihm (d. h. seiner von ihm ausgehenden Aktivität) auch empfangen (cf. MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes [wie oben S. 812 Anm. 239], 141). Somit ist der Hl. Geist als ein Gegenüber (Subjekt) zu Gott in ihm selber zu begreifen; für das damit gegebene lebendige Verhältnis von Selbständigkeit und Relativität steht der hier vorgeschlagene Begriff einer dialektischen »Mitte« ein (s. o. D. 2.1.–3. [S. 794–805]). 449 Zur Unterschiedenheit und Eigenart des Hl. Geistes cf. LUTHER, WA 46, 59f; 66,23–35; 68,3–7; auch 28, 51,20–53,24. 450 PANNENBERG, a.a.O. 388. 451 Hier ist nur trinitätstheologisch vom Hl. Geist zu handeln, nicht aber von der Pneumatologie überhaupt. Aber auch diese würde den Hl. Geist als Mitte zwischen Jesus und den Glaubenden (bzw. Vergangenheit und Gegenwart) und als Mitte der Glaubenden zu begreifen haben (s. u. 3.2.). Gerade als sprachliches Kommunikationsgeschehen ist der 448

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solches vermittelt, ist in zweifacher Weise zu konkretisieren.452 Der Hl. Geist lässt vom Sohn her den Vater als Ursprung und tragenden Grund sein und realisiert so die »ewige Zeugung« im Bewusstsein des Sohnes als dessen Selbstunterscheidung. Zugleich lässt der Hl. Geist vom Vater her den Sohn als dessen eigenes Anderes sein und instantiiert so Gottes Liebe und Logizität als das, worin der Vater und er selber ewig bei sich sein können. Beide Vollzüge des Verhältnisses sind Grundbewegungen des göttlichen Lebens, sofern es geisthaft (im Sinne von § 13) ist. Daher ist der Hl. Geist als lebendige »Mitte« im Leben des dreieinigen Gottes selber auch Gott und der ganze Gott.453 Dass der Hl. Geist auch da mitgedacht werden muss, wo der Vater und der Sohn jeweils eine Mitte sind, also zu deren Gottsein immer dazu gehört, das wird im eigenen Mitte-Sein des Geistes noch einmal für sich explizit.454 Weil Vater und Sohn sich beide im Hl. Geist miteinander und mit sich selber vermitteln, lassen sie ihn auch beide gemeinsam als ihre Mitte sein (filioque). So »gehört er als von Vater und Sohn unterschieden zugleich mit beiden zusammen«.455 Das heißt, gerade als die Gemeinschaft von Vater und Sohn Vermittelnder bzw. in dieser Vermittlung hat der Geist seine Selbstunterscheidung als besondere eigene Instanz (Mitte). Gleichwohl ist er als sich vom Sohn Unterscheidender zugleich mit ihm auch identisch. So kann beides gesagt werden: »Das ganze Wirken Jesu also … ist als ein Werk des Geistes in ihm zu verstehen«,456 wie auch: »Das schließt nicht aus, daß es zugleich das Werk des Sohnes ist«.457 Dies »Zugleich« ist genauestens die Selbstunterscheidung Jesu von sich als ewigem Sohn – eben in Kraft des Geistes. Insofern empfängt der Sohn, um der ewige Sohn zu sein, den Hl. Geist.458 Geist eine »Mitte« (siehe zu Hegels Formulierung von der Sprache oben D 2.2. [S. 795 bei Anm. 149]), und das Wort Gottes ist das absolute »Dasein des Geistes«. In dem sprachlichen Verständnis der Trinität, wie z. B. bei Luther (s. o. S. 826 Anm. 325), entspricht der Hl. Geist der Mitte des gegenseitigen Sich-Vernehmens von Vater und Sohn. 452 Cf. dazu auch PANNENBERG, a.a.O. 349f. 453 Cf. Schelling: »der vollkommene Geist ist nothwendig der all-einige Geist, der alleinige, weil er nicht bloß Eines (unum quid), und auch nicht das abstrakte Eine, sondern eine wahre lebendige Allheit ist; der all-einige, weil er als der Geist doch nur Einer; und weil er nicht die zufällige, sondern die nothwendige Einheit dieser Allheit ist, darum ist er der alleinige« (F. W. J. SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I [12. Vorl.], in: ders., SW 13 (Nachdr. 260). 454 Auch so bestätigt sich, dass die Trinität nichts anderes ist als die vollkommene Ausartikulation des Einerseins Gottes und insofern der wahre Monotheismus (s. o. Abschnitt C. 1. [S. 782ff] und H. 1. [S. 832f]). 455 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 343. 456 A.a.O. 344. 457 Ebd. 458 Das ereignet sich (konstitutiv) bei der Taufe Jesu. Zu dieser cf. LUTHER, WA 37, 252,5–11; 49, 123,32–40 und 308,4–9.

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Der Hl. Geist ist als schöpferische Vermittlung mithin nicht bloß das »Wir« ihrer Gemeinschaft (H. Mühlen), sondern die caritas, die den Vater und den Sohn aktiv verbindet.459 Deren Verhältnis ist keine bloß vorhandene, statische Beziehung, sondern »Energie«,460 und der Hl. Geist ist als πνεῦµα die absolute δύναµις ἑνωτική.461 Der Geist als »Band« (vinculum) der innertrinitarischen Verhältnisse zwischen ewigem Vater und ewigem Sohn ist ein übergegenständliches, lebendiges Band,462 indem er (bzw. es) selber Gott ist – als an und für sich Vermittler seiner mit sich, und so ein Band, das absolute Einheit (Gottes Einer-Sein) schafft.463 Vom Hl. Geist als vinculum trinitatis gilt, dass er der Geist der Liebe ist: »vinculum caritatis«.464 Von ihm kann gesagt werden, was bei Cicero steht: »Et se ipse diligit et alterum inquirit, cuius animum ita cum suo misceat, ut efficiat paene unum ex duabus.«465 Die drei innergöttlichen Instanzen sind einvernommen und umhüllt von gegenseitiger Liebe, und »Geist« steht für deren unendliche Erfüllung, durch die beide, Vater und Sohn, sich bejahend zueinander verhalten als bejaht. Das vinculum der Liebe ist ein freilassendes »Band«, weil eine dialektische Mitte, und es ist als vinculum caritatis eine sich hingebende Mitte. So kann man vom lebendigen Gott in Ewigkeit und in der Zeit als von einer Liebes-Trinität sprechen.466

459

Cf. PANNENBERG, a.a.O. 343 und Anm. 178. Zur neutestamentlichen Rede von göttlicher Energie (auch in sprachlicher Hinsicht) cf. den Schlussabschnitt (V.) meines Aufsatzes: J. RINGLEBEN, »In deinem Lichte sehen wir das Licht«. Theologisch-Philosophische Überlegungen zum Licht vom Gottesgedanken her, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft LIX (2008), 267–279, hier 277f. 461 Philon von Alexandria, Opif. 131. 462 Dies »Band« wird durch die Perichorese noch dynamisiert; s. u. Abschnitt L. (S. 871ff). 463 Cf. bei Platon: ∆εσµῶν δὲ κάλλιστος ὃς ἄν αὑτὸν καὶ τὰ συνδούµενα ὅτι µάλιστα ἓν ποιῇ (Tim. 31c). 464 So hat ihn bereits Augustinus in »De trinitate« dargestellt und dann monographisch Richard von St. Viktor (s. o. Anm. 377). 465 Cicero, De amicitia 21,81. 466 Cf. das Gebet, mit dem Kierkegaard sein Werk »Der Liebe Tun« (1847) eröffnet: »Wie sollte man auf rechte Art von Liebe reden können, falls du vergessen wärst, du Gott der Liebe, von dem alle Liebe herkommt im Himmel und auf Erden; du, der nichts schonte, sondern alles in Liebe hingab; … Wie sollte man auf rechte Art von Liebe reden können, falls du vergessen wärest, du, der offenbar gemacht hat, was Liebe ist, du unser Heiland und Versöhner, der sich selbst hingab … Wie sollte man auf rechte Art von Liebe reden können, falls du vergessen wärst, du Geist der Liebe, der nichts von ihm selber nimmt [Joh 16,13b], sondern an jenes Opfer der Liebe erinnert [Joh 14,26]« (KIERKEGAARD, GW 19, 6; Hervorh. J. R.). Cf. vom dreifachen Sich-Geben Gottes bei Luther oben Abschnitt H. 2.1. (S. 833ff). 460

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1.3. Zusammenfassung. Der Hl. Geist existiert dadurch als eigene Instanz (»Hypostase«) in der Trinität, dass er dem Sohn und dem Vater gegenübertritt, d. h. sich von ihnen unterscheidet, als das beiden – in Gestalt einer sie verbindend und unterscheidend aufeinander beziehende Mitte – gemeinsame gottheitliche Wesen. Demgemäß gelten von ihm die beiden Näherbestimmungen: – dass er Gottvater und Gottsohn real und »geisthaft« vereint. Man könnte sagen, er »vergeistigt« die Vater-Sohn-Beziehung, indem er sie zu einem lebendigen innergöttlichen Verhältnis macht. Der Hl. Geist als spiratio und inspiratio ist so etwas wie eine Sublimation des Vater-Sohn-Verhältnisses, dessen ewige Lebendigkeit (gemäß Joh 5,26) in höherer Potenz, sozusagen absolut »vergeistigt«. Geisthaft-übergegenständlich ist er, indem er schlechthin »volatil« ist (Joh 3,8): entschieden eher eine lebendige Sphäre, eine nicht-greifbare »Aura« als eine Substanz.467 – dass er für Vater und Sohn (d. h. ihnen selber) angesichts ihrer Unterschiedenheit bzw. ihres Sich-voneinander-Unterscheidens ihre Einheit bezeugt, sie an ihnen behauptet und sie beide in ihr bewahrt.468 2. Die Einheit des Dreieinigen im Heiligen Geist 2.1. Als geisthafte ist diese Einheit eine im göttlichen Sich-Wissen überhaupt. Das bedeutet genauer: Der Vater weiß den Geist als eigenen, indem er sich im Sohn weiß, und der Sohn kennt ebenfalls den Geist, sofern er im Verhältnis des Vaters zu ihm sich selber weiß. Anders gewendet: Indem der Sohn im Vater in gewisser Weise sich selber weiß (als von ihm »gezeugt«), weiß er Gott auch als Geist. Indem der Vater im Sohn seine eigene Gottheit hervorgebracht und realisiert (»verherrlicht«) weiß, weiß er auch sein eigenes Sein als Geist. Hinter diesen Formulierungen steht die Einsicht, dass »Dreieinigkeit« als eine absolut selbstbezügliche Struktur zu begreifen ist:469 Gott ist nur dadurch selbstbezüglich, dass er als Geist in Beziehung zu sich selbst steht, indem er selbst schon im Vater-Sohn-Verhältnis eine geisthafte Beziehung zu sich unterhält. Man kann auch sagen, der göttliche Geist ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst (als Verhältnis) verhält und so ein absolutes Selbstverhältnis ist.470 467 »Aura« (αὔρα) bedeutet: strömender Lufthauch. Cf. den dialektischen (dynamisch verstandenen) Begriff der Aura bei W. Benjamin: »einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag« (W. BENJAMIN, Gesammelte Schriften, Bd. I/2, Frankfurt 1974, 440). 468 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 463f. 469 Der Ausdruck »Struktur« ist freilich mit Blick auf die dialektische Lebendigkeit des göttlichen Seins unangemessen. 470 Diese Formulierung nimmt die berühmte Bestimmung von »Geist« auf, die sich bei Kierkegaard am Anfang der »Krankheit zum Tode« (1849) findet, von S. Kierkegaard aber auf das subjektive Selbstsein des Menschen bezogen wird (cf. KIERKEGAARD, GW 24, 8). Auch vom lebendigen Gott ließe sich sagen, dass er eine »Synthese« von Zeitlichem und Ewigem ist, freilich wiederum in anderem Sinne als bei Kierkegaard (cf. ebd.).

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In wissender Selbstbeziehung auf sich ist Gott Geist bzw. besitzt er sein geistiges Sein, und zugleich hat er auch den Hl. Geist als dritte Instanz in sich – im Bezug auf den Menschensohn und auf uns. Daher ist nach Hegel »die Wahrheit anzuerkennen, die darin liegt, daß Gott nicht betrachtet wird getrennt vom subjektiven Geiste,471 … deswegen, weil Gott wesentlich Geist, als wissender ist. Es ist also eine Beziehung von Geist zu Geist.«472 Als sich Wissender ist Gott ganz Geist (in Beziehung auf sich), und als sich auf Jesus und weiterhin auf uns sich Beziehender hat er den Geist, der dem Geiste Jesu und unserm Geist als der Hl. Geist gegenwärtig ist. Freilich gehört beides im Dreieinigen lebendig zusammen: »Die Idee des Wesens Gottes nicht nur zu haben, sondern zu seyn, ist das Wesen und die Bestimmtheit des Geistes. Er soll aber, was er ist, welches die göttliche Bestimmtheit oder der göttliche Gedanke des Geistes ist, auch werden, und dieses ist seine Bestimmung«.473 Solches Werden als Werden zu sich gestaltet sich in der Trinität als die »Mitte« des Vaters, »Mitte« des Sohnes und »Mitte« des Geistes und ist so erst auch das Sein des Geistes überhaupt. Dieser umfasst als Ganzes (der Geist, der Gott ist) sich als sein eigenes Moment (der Geist, den Gott hat). So ist das Auseinandertreten der drei Instanzen (ihre trinitarische Ausdifferenzierung) zugleich ihre Ineinanderbildung bzw. ihre Vereinigung zum Einen lebendigen Gott. 2.2. Der Hl. Geist ist die Instanz (oder »Mitte«) der eigenen schöpferischen Einheit Gottes, die Gott selber ist und die selbst Gott ist. Gottes Einheit mit sich wird durch die Vermittlung eines Dritten (d. h. eines Anderen, als der Sohn ist), das sie beide (Vater und Sohn) ebenso in der Unterschiedenheit erhält wie auch lebendig verbindet, d. h., ihre Unterschiede zugleich bestätigt und zur Einheit zurückführt;474 durch seine Vermittlung werden Dreiheit und Einheit eins: »trinitas dualitatem ad unitatem reducit«.475 Der Hl. Geist ist als in die Einheit zurückführendes Prinzip das Prinzip im Leben Gottes, das als solches selber auch aus dem göttlichen Wesen von Vater und Sohn stammt. Die Einheit von Gottes sich zu sich verhaltendem Leben ist Geist;476 daher hat der dreieinige Gott seine wahre Einheit im Hl. Geist bzw. als dieser. So ist die Einheit Gottes das übergreifende Einssein der drei Instanzen, als die er der Eine und absolut das göttliche Selbst ist.

471

Cf. dazu oben Prolegomena § 4 (S. 60ff). HEGEL, Werke 16, 102. Es heißt weiter: »Dieses Verhältnis von Geist zu Geist liegt der Religion zugrunde« (ebd.). 473 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 817 Anm. 270), 76 (§ 127). 474 Sonst drohte eine unendliche Iteration des Hervorbringens. 475 Im Zusammenhang mit der Selbstbegründung Gottes angeführt bei DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I (wie oben S. 778 Anm. 48), 404. 476 S. o. § 13 B 3.2. und 3. (S. 712ff, J. W. v. Goethe und F. Nietzsche). 472

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Das setzt die Unterschiede voraus; genauer: Das Prinzip der Einigung setzt sich die Unterschiede voraus,477 und umgekehrt setzen die Unterschiede auch das Prinzip ihrer Einigung (sich) voraus. Das heißt, sie sind als wesenseins durch »ihre« Hervorbringung des Geistes bedingt, der an ihnen die Rückkehr zur Einheit leistet.478 Daran wird deutlich: Der Geist als das »Dritte« ist nicht von außen hinzugefügt – eigentlich ist ja Gott selber als Geist das Einigende, d. h. sich mit sich selbst Einigende –, sondern kommt aus ihnen beiden (Vater und Sohn), die selber auf die Einheit mit dem Anderen hin leben. Als Hl. Geist bringen Vater und Sohn nur hervor, was sie selber in ihrer Gemeinschaft ermöglicht. Der Hl. Geist ist die Selbstunterscheidung der Selbstunterscheidungen und so das Ausdrücklichwerden der Wesensgemeinschaft in beiden für sich. So ist auch die Einheit Gottes bzw. sein Einer-Sein als vollkommene Gemeinschaft, d. h. als Einheit ewigen Lebens und ewiger Liebe, zu verstehen. 2.3. Zusammenfassung. Der dreieinige Gott ist die wahre Wirklichkeit von Gottes absolutem Begriff, nämlich der absoluten Selbstvermittlung und Selbstverwirklichung seines Begriffs. Jede der drei Instanzen oder Mitten ist zugleich Ursprung und Resultat, so dass für eine einseitige genetische Konstitution (im Sinne einer einlinigen »Entwicklung«) kein Platz ist. Als (auch) Geist ist Gott das absolute Sein schlechthin, das sich selber als absoluter Geist hervorbringt und vollzieht. 3. Der Geist Gottes und der Glaube Gott der Hl. Geist gehört zu Gottes lebendigem Sein, indem er sich auch am Ort des Glaubens hervorbringt.479 Gott selber kommt im Geist zu uns, um auch so vollendet bei sich zu sein, und Hl. Geist ist für uns die Weise, wie Gott bei uns ankommt und für uns ist.480 Das aber kann von den Glaubenden nur ausgesagt werden, sofern der lebendige Gott sich am Orte Jesu ἐφ’ ἅπαξ für alle Ewigkeit hervorgebracht hat.481 Das Sich-Hervorbringen am Orte der Glaubenden ist ein Sich-Verdoppeln des Geistes, als welches er gerade Geist ist: sofern er im Wort (Gottes) zum Menschen kommt (extra nos) und sofern 477

Das heißt, der Hl. Geist geht aus Vater und Sohn hervor (filioque). Die beiderseitige Selbstunterscheidung ist ein wechselseitiges Sich-Voraussetzen. 479 »Geist« ist das Sich-Hervorbringende par excellence (s. o. § 13 E. 5. [S. 745ff]). Zum Sich-Hervorbringen Gottes als Dreieiniger s. u. Abschnitt J. (S. 857ff). 480 Darum hat Luther die abstrakte Diskussion der Trinität bei den Scholastikern kritisiert: Deren tröstlichen »Brauch und Nutzen« habe niemand erfahren können (cf. WA 45, 567,15–19); dabei gehe es doch darum, was das alles für uns bedeute (cf. 17 I, 260,2–5), und sei nicht allein die Frage der »Substanz« zu erörtern (45, 588,35–589,24). Die Beziehung des christlich Glaubenden zu Gott ist eine Beziehung zum Vater durch den Sohn im Geist (cf. Röm 8,11–17 und C. SCHWÖBEL, Trinitätslehre [wie oben S. 791 Anm. 129), 139). Das »Vaterunser« ist ein Hineingenommenwerden in Jesu Sohnesverhältnis zum Vater. 481 Cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 810 Anm. 226), 652ff u. ö. 478

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er den Glauben an Gott im Wort erzeugt, d. h. das Hören des Glaubens bzw. den Glauben selber als Ort seiner Gegenwart (pro nobis) erweckt. Hl. Geist ist das Sich-Ergreifen des Geistes Gottes am Ort menschlichen Glaubens.482 3.1. Als vom Vater und vom Sohn in einer »Hauchung« (spiratio) hervorgebrachter stellt der Hl. Geist so etwas dar wie die Atemzüge des schon zweieinig lebendigen Gottes, und der Geist ist Gottes Lebensatem.483 Damit ist auch der Bezug des Geistes zum Glauben erweckenden göttlichen Wort angedeutet.484 »Hl. Geist« besagt konkret, dass Gott selber (in Person)485 bei, mit und im menschensprachlichen Wort ist (und sein kann). Dem entspricht ein pneumatologisches Verständnis der Sprachlichkeit des Gotteswortes bzw. von Gottes (als des trinitarischen Grundes der Sprache) wirklichem SichVergegenwärtigen in unserer Sprache.486 Gott kommt zur Sprache – insofern er selber auch Geist ist. 3.2. Es wurde hier mehrfach herausgestellt: Als Gott ist der Hl. Geist die Vermittlung zwischen Gottvater und Gottsohn; d. h., Gott ist er selbst auch im Gegenüber zu sich, bzw. er ist er selber und auch im Anderen seiner bei sich, bzw. es heißt, dass er in einer Selbstunterscheidung in Einheit mit sich ist, indem er über sein Anderes übergreift. Ist dies das absolute Sein Gottes als Geist, so entsprechen dem der Glaube und die Erkenntnis Gottes, die nur von Gott her sind, was sie sind: durch ihn als Verhältnis zu ihm ermöglicht und bestimmt, so dass Gott als Geist immer auch sozusagen auf der anderen Seite ist: beim Menschen, um diesem den Zugang zu sich »im Geist« zu eröffnen.487 So ist der Hl. Geist die Wahrheit und zugleich der Weg zu ihr (cf. Joh 14,6). Die Trinität ist auch und spezifisch der Grund ihres Seins beim Anderen ihrer selbst und so auch im religiösen Bewusstsein des Menschen.488 Der Hl. Geist ist mithin das Ausgreifen von Vater und Sohn auf die in das göttliche Leben einzubeziehenden Glaubenden. Er ist das Für-uns-Sein des lebendigen Gottes, und in seiner Vermittlung kommt der ewige Gott als Vater 482

Zum Verhältnis von Geist und Glaube s. o. § 13 D. 2.2.–2.11. (S. 731ff) u. ö. S. o. Abschnitt G. 3.4. (S. 829f). Cf. Rilkes »Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind« (R. M. RILKE, Die Sonette an Orpheus I, 3) mit Joh 3,8. 484 Dazu s. o. § 13 B. 1.; D. 1.; E. 1.; E. 3.2.; F. 2.2. (S. 707f.728ff.736ff.742f.752f) u. ö. 485 Der Hl. Geist ist Gott in Person – als anwesend bei uns bzw. »in« unserem Geist. 486 Wie es exemplarisch in Luthers Theologie durchgeführt worden ist, cf. dazu RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 790 Anm. 120). 487 Das haben grundlegend die Prolegomena gezeigt; s. o. Erster Teil. 488 Ch. Axt-Piscalar schreibt entsprechend zu W. Pannenberg: »Dem entspricht im Zusammenhang der Gotteslehre, dass die ›Vorausgesetztheit‹ der göttlichen Wirklichkeit nicht als abstrakt vorausgesetzt gedacht werden darf, sondern so, dass sie zugleich als Grund ihres Seins beim Anderen ihrer selbst und so auch im religiösen Bewusstsein des Menschen gedacht werden kann. Eingeholt wird dieser Gottesgedanke … erst durch die Trinitätslehre« (CH. AXT-PISCALAR, Das religiöse Bewusstsein und sein Grund. Zum Verhältnis von Religion und Offenbarung in STh I, in: G. Wenz [Hg.], »Eine neue Menschheit darstellen« [wie oben S. 790 Anm. 117], 113–129, hier 118 Anm. 20). 483

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und Sohn zu uns. Insofern ist der Hl. Geist immer die schöpferische und versöhnende Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes. »Glaube« im christlichen Sinn ist menschliches Sein im Geist Gottes – von Gott her und so Erfahrung des göttlichen Geistes als Teilgabe am Leben Gottes. Im Glauben, sofern er die Gegenwart des Gottesgeistes »in« unserm Geist ist,489 hat der Glaubende strukturell einen Abstand zu sich:490 Er ist nur so sein eigener Glaube, dass er ihn sich von Gott her im Geist erweckt weiß.491 Geist ist so die wirkliche Wahrheit des Menschseins im Gottesverhältnis bzw. vor Gott, der im Kommen ist.492 Der Trinität entspricht ein Gottesverständnis, wie es im christlichen Glauben impliziert ist. Die Trinitätslehre expliziert mithin die intrinsische Voraussetzung des Glaubens selber, der sich von Gott bzw. seinem Geist her versteht.493 Glaube als Werk des Hl. Geistes in uns ist ein Handeln des 489

Cf. oben § 13 B. 3.6.2. (S. 722 Anm. 123 und S. 723 Anm. 128 (P. Tillich). Er entspricht der Selbstunterscheidung im Bezug auf Gott bzw. unseres Geistes von seinem Geist. 491 Cf. Luthers Auslegung des 3. Artikels oben Prolegomena, § 4, 3. (S. 67ff). 492 Sofern das zum Werden Gottes zu sich gehört, kann man sagen: Der Glaube lässt Gott Zeit, sich an ihm zu identifizieren – im Unterschied zum Unglauben. 493 Hier ist kurz Schleiermachers bekannter Ausschluss der Trinität aus der Glaubenslehre zu diskutieren. Seinen methodischen Grundsätzen entsprechend ist sie in der Dogmatik nicht zu behandeln, teils weil sie keine »unmittelbare Aussage über christliches Selbstbewußtsein« darstellt (SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. II, § 170), teils weil sie etwas Nichtvorstellbares behauptet (§ 171), teils weil sie als nicht abgeschlossen anzusehen ist (§ 172). Systematisch steht dahinter Schleiermachers Meinung: »zur vollkommenen Wahrheit würde gehören, daß Gott sich kund machte, wie er an und für sich ist« (DERS., CG2, Bd. I, 92,22f; Hervorh. J. R.). Da das aber nicht der Fall sein soll, scheint methodisch zu folgen: »Eine Kundmachung Gottes die an und in uns wirksam sein soll, kann nur Gott in seinem Verhältniß zu uns aussagen« (a.a.O. 92,29f; Hervorh. J. R.). Diese exklusive Alternative – K. Barth akzentuiert die andere Einseitigkeit, wenn er den Rückschritt vom Sein Gottes für uns zu Gottes Sein an und in sich selbst (wenn auch durch Gott ermöglicht) stark macht (cf. KD I/1, 411ff.435ff.489–514) – besteht so schon nicht (cf. aber SCHLEIERMACHER, a.a.O., Bd. II, 528,15–18), wenn man bedenkt, dass solche göttliche Kundmachung eine im Wort ist und die Sprache als solche in sich zugleich außer sich ist. Systematisch ist gegen Schleiermachers Option geltend zu machen: Gottes An-sich-Sein erschließt sich in der Tat nur in seinem Für-uns-Sein. Aber das bedeutet eben (noetisch), dass im Glaubensbewusstsein sich am Für-uns-Sein das An-sich vom Für-uns unterscheidet. Diese Unterscheidung ist für das Bewusstsein, zumal als sprachliches, wesentlich bzw. sogar konstitutiv. Denn ohne ein Eigen- oder An-sich-Sein dessen, was für uns ist, kann es gar kein Etwas geben, was für uns ist, und dessen selber gewahr zu sein, macht gerade das Bewusstsein von etwas aus. Anders gesagt, (ontisch) gilt: Wahr kann das Für-uns-Sein (für uns) nur sein, wenn es nicht nur »für uns« ist, d. h. wenn das Ansich selber (bzw. von ihm selbst her) sich als solches in unserm Bewusstsein bekundet, d. h. aber jene Unterscheidung selber für uns im Bewusstsein von ihm kundmacht bzw. durchsetzt. Das Für-uns muss sich in unserm Bewusstsein als selber von seinem An-sich her bestimmt erfassen, d. h. dieses als sich in ihm (für es) selbst vergegenwärtigend (Barth 490

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dreieinigen Gottes an uns.494 Anders gesagt: Im notwendigen Gedanken des dreieinigen Gottes – als des wahren Begriffs des einen Gottes – ist Gottes Aus-sich-heraus- und Auf-uns-zu-Gehen (in Gestalt ebendieses Glaubensgedankens) selber verortet und begründet. Genau das heißt, dass der trinitarische Gottesgedanke selber noch die Bedingung der Möglichkeit reflektiert, diesen Gott (und keinen anderen) zu denken, indem er diese Möglichkeit in Gott (als dem gedachten) selber verortet.495 3.3. Das trinitarische Sein Gottes ist ein für sich selbst erschlossenes, weil sich absolut in seinen »Mitten« selber durchdringendes Sein: Der lebendige Gott ist sich durchsichtig als im internen Unterschied von sich mit sich eins (immanente Trinität); zugleich ist er ein sich für uns (im Geist bzw. trinitarisch) erschließendes Sein (ökonomische Trinität).496 Sein Sich-Erschließen ist sein Sich-Explizieren.497 Der Hl. Geist hat es insbesondere mit diesem spezifischen Offenbaren nach außen (an uns) zu tun (cf. Joh 4,24)498 und seiner Freiheit (Joh 3,8). denkt entsprechend die Gegenständlichkeit Gottes als Selbstvergegenständlichung: KD I/1, 93f). Cf. auch die folgende Anmerkung. Schleiermacher verkennt also im Ganzen – unter Vernachlässigung der Wortbezogenheit des Glaubens – die geisthafte Verfassung des Glaubens an den Gott, der sich »kundmacht, wie er an und für sich ist«, als trinitarisch grundiert; K. Barth hingegen versteht die πίστις als »eine Möglichkeit aus einer Seinsweise Gottes« (KD I/1, 484; cf. 258). 494 Gegen Schleiermacher ist theologisch zu fragen, ob sein Ausschluss der Trinitätslehre aus der Dogmatik (siehe die vorige Anmerkung) inhaltlich richtig ist bzw. ob nicht eine sachliche Analyse des konkreten Glaubensbewusstseins alle drei Instanzen der Trinität darin nachweisen müsste (cf. oben S. 773 bei Anm. 8). Schleiermachers eigene Formel, dass im Christentum »alles … bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung« (SCHLEIERMACHER, CG2, Bd. I, § 11), impliziert, theologisch gedacht, der Sache nach Gott, Jesus und den Hl. Geist. Das zu sehen, ist Schleiermacher dadurch gehindert, dass er 1. von einem abstrakten (und unsprachlichen) Begriff der Frömmigkeit ausgeht, dem als einem Allgemeinen der christliche Glaube formal nur untergeordnet wird, und 2. weil Gott nicht als den Glauben an ihn selber hervorbringend, d. h. der Glaube nicht als geisthaft gefasst wird – wie es z. B. Hegel im Anschluss an Luther tut. Freilich bleibt zu erwägen, ob die von Schleiermacher in Aussicht gestellte »auf ihre ersten Anfänge zurückgehende Umgestaltung« der Trinitätslehre (a.a.O. § 172) sich etwa an Markell von Ankyra anschließen könnte; cf. M. TETZ, Zur Theologie des Markell von Ankyra, ZKG 75 (1964), 217–270; 79 (1968), 3–42; 83 (1972), 145–194 und K. SEIBT, Die Theologie des Markell von Ankyra, AKG 59, Berlin/New York 1994. 495 Dieser Gedanke ist konkret vermittelt durch die Verkündigung Jesu Christi von seinem Vater und dem kommenden Geist (cf. Joh 16,13). Cf. auch F. D. E. SCHLEIERMACHER, Ueber den Gegensatz zwischen der Sabellianischen und der Athanasianischen Vorstellung von der Trinität (1822), in: ders., KGA I/10, 295ff. 496 S. u. Abschnitt K. (S. 865ff). 497 Sofern das im göttlichen Geist-Wort geschieht, kann man auch sagen: sein sich sprachlich Artikulieren. 498 Cf. dazu oben § 13 E. 1. (S. 736ff).

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Dieses Wirken auf uns hin im Geist, der unsern Glauben erweckt, wirkt sich bei uns konkret als eine Anziehungskraft bzw. Ausrichtung auf Gott hin aus. Von dem uns das Leben Gottes nahebringenden und uns in sich einbeziehenden Hl. Geist – als dem Geist göttlicher Liebe (cf. Gal 5,22; Phil 2,1) bzw. der Liebe des göttlichen Geistes (cf. Röm 15,30; Kol 1,8)499 – geht auf uns eine (Gegen-)Liebe erregende Wirkung aus, ein göttlicher Lieb-Reiz, der dem Hl. Geiste eignet. Verallgemeinert kann man mit Meister Eckhart – in christlicher Umprägung der aristotelischen Formel – sagen: der dreieinige Gott ist der lebendige Grund, der in einer Stille unbeweglich in sich selber ruht und von dem doch alle Dinge bewegt werden,500 nämlich auf ihn hin (cf. Joh 6,44; 12,32). Das lässt sich zu dem Satz erweitern: Die ganze Schöpfung bewegt sich auf den trinitarischen Gott zu – kraft seiner Lebendigkeit als Geist.501 3.4. Als Dreieiniger hat sich Gott, statt der exklusiv Eine zu sein, der allem anderen nur gegenübersteht, als der hervorgebracht, der der Lebendige ist, indem er sich zum Gott der Gemeinschaft und Kommunikation bestimmt hat. Der ewige Sohn ist (nach innen) Gottes Gemeinschaft mit sich selber, und er ist als der Menschensohn (nach außen) Gottes Gemeinschaft mit uns.502 Von daher lässt sich die Auszeichnung des Menschen als ζῷον πολιτικόν theologisch begreifen: »Deus enim, quoniam pius est, animal nos voluit esse sociale. Itaque in aliis hominibus nos ipsos cogitare debemus.«503 Am Orte seines 499

Hegel formuliert: »Jene Liebe ist eben der Begriff des Geistes selbst« (HEGEL, Werke 17, 304). 500 M. Eckhart, Predigten, Traktate, Sprüche, hg. von M. Holzinger, Berlin 42016, 89 (Berliner Ausgabe). 501 J. Baur sprach von »Gott als Sturm, der durch alle Dinge geht«. 502 Von dem Sich-Mitteilen des inneren göttlichen Lebens nach außen handelt die sog. »ökonomische« Trinität (s. u. Abschnitt K. [S. 865ff]), von der aus sich Gott als auch immanent in sich lebendig erweist. Überhaupt muss vom lebendigen Gott ausgesagt werden: »Von Gott vielmehr allein … kann gesagt werden: er sey absolut in sich selbst und aus keinem andern … oder Vater … und doch nichts desto weniger absolut auch aus sich selbst oder der Sohn« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 817 Anm. 270], 127 [§ 214]; cf. 130 [§ 219] zur Offenbarung). Zur Konkretion von Gottes Einheit nach außen in der Patristik cf. PANNENBERG, Systematische Theologie II (wie oben S. 772 Anm. 1), 15f, und zum Grundsatz: opera trinitatis ad extra sunt indivisa (cf. a.a.O. 17f). Ob Inkarnation und Geistausgießung (Pfingsten) wirklich Ausnahmen von dieser Regel darstellen, ist fraglich; denn können diese »ökonomischen« Ereignisse ohne Bezug zur göttlichen Differenzierung ad intra trinitätstheologisch zureichend verstanden werden? 503 Lactanz, Div. inst. VI 10 (PL 6, 667/668). Dazu schreibt H. Blumenberg: »dieses pius ›übersetze‹ erst mal einer so, daß der kausale Sinn auch wirklich vollziehbar wird. Der Kern dessen, was wir im Nachhall unserer theologischen Tradition Personalität nennen, wird in all diesen Bestimmungen eher umspielt als getroffen. Aber was trifft den Kern dieses Begriffes eigentlich, dessen Bedeutung wir doch mehr zu kennen glauben als wirklich kennen?« (H. BLUMENBERG, Kritik und Rezeption antiker Philosophie in der Patristik [1959], in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. von A. Haverkamp,

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Sohnes aber ist Gott selber die Gemeinschaft mit uns im Hl. Geist.504 Dieser ist die Kommunikation Gottes in seinem geisthaften Leben in sich und für sich, und er ist die Kommunikation (und communio) seines menschgewordenen Wortes an uns. In diesem trinitarischen Horizont ist das Christentum die Religion des Geistes. Denn im Hl. Geist übersetzt sich Gottes Menschensohn in die Gemeinde der an ihn Glaubenden: »Die Einzelheit der göttlichen Idee, die göttliche Idee als ein Mensch, vollendet sich erst in der Wirklichkeit, indem sie zunächst zu ihrem Gegenüber die vielen Einzelnen hat und diese zur Einheit des Geistes, zur Gemeinde zurückbringt«.505 Mit ausdrücklichem Bezug auf Mt 18,20 heißt es weiter: »Das ist der Geist Gottes oder Gott als gegenwärtiger, wirklicher Geist, Gott in seiner Gemeinde wohnend.«506 So wird in Gestalt des Hl. Geistes bei der Gemeinschaft aller Glaubenden trinitarisch eingelöst, dass Gott nicht der »leblos Einsame« ist,507 sondern der in seiner Gemeinde dreieinig Lebendige.508 stw 1513, Frankfurt 2001, 287) Theologisch müssen wir das fragliche »pius« von Gottes sein Leben an uns weitergebender Liebe her verstehen. 504 Das wird von T. KLEFFMANN mehrfach ausgeführt: Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, passim. 505 HEGEL, Werke 17, 299. Der Satz steht auch gegen das (Hegel missverstehende) Dictum von D. F. Strauß, es sei nicht die Eigenart der Idee, sich in ein einzelnes Exemplar der Gattung Mensch zu entäußern. 506 A.a.O. 305, cf. auch 327. Cf. dazu die ausgezeichnete Darstellung bei T. RENDTORFF, Kirche und Theologie. Die systematische Funktion des Kirchenbegriffs in der neueren Theologie, Gütersloh 21970, 96–111. 507 Cf. HEGEL, Werke 3, 591 (dazu siehe auch oben § 11 B. 1.2.2. [S. 617 bei Anm. 29]); cf. a.a.O. 559 (gegen die Vorstellung eines absoluten Wesens, das, nicht als Geist begriffen, nur »das abstrakt Leere« ist. Cf. auch die folgende Anmerkung. 508 Wendet man das, mit einem kurzen Ausblick, ins Politische, so ist demgegenüber der absolute Monarch als der eine, alles Bestimmende, »schlechthin von allen abgesondert, ausgenommen und einsam« (HEGEL, a.a.O. 379). Andererseits lässt sich durchaus eine Wirkung des christlichen Glaubens an den dreieinigen Gott auf die staatlich-gesellschaftliche Struktur z. B. des deutschen Reiches aufzeigen; cf. RICARDA HUCH, Stein. Der Erwecker des Reichsgedankens (1925; Berlin 31932), 6–8; cf. dazu R. STAATS, »Kein Fürchten soll mich lähmen«. Bonhoeffer, Luther und andere gute Christen im Geschichtswerk Ricarda Huchs, DtPfrBl 8 (2015), 437–441. Nachhaltiger noch scheint die Bedeutung des trinitarischen Gedankens für das Recht zu sein. O. Behrends hat 2015 in einer eindringlichen Abhandlung (BEHRENDS, Die Person im Recht [wie oben S. 789 Anm. 113]) gezeigt, dass nach Justinian das römische Recht eine Schöpfung der Trinität sei (a.a.O. 212ff) und dass dieser als Rechtserneuerer selber sich durch den dreieinigen Gott inspiriert verstanden hat, indem für ihn galt: »omnem spem ad solam referamus summae providentiam trinitatis: unde et mundi totius elementa processerunt« (zit. a.a.O. 212). Was diese Rechtsbegründung angeht, so hat Justinian, »der zugleich als der größte Theologe seiner Zeit gilt«, dafür der orthodoxen Trinitätslehre »einen eigenständigen in der Welt wirksamen Aspekt der Trinität des Rechts« an die Seite gestellt (215; zu der Differenz auch 217;

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Abschnitt III: Durchführung: Gottes absolutes Sein als Dreieinigkeit J. Gottes trinitarische Selbsthervorbringung Mit dieser Thematik wird am Ende der durchgeführten Gotteslehre ihr absoluter Anfang erreicht.509 Die Frage, wie Gottes Selbsthervorbringung als eine trinitarische zu denken ist, stellt allerdings ein Hauptproblem der hier versuchten Darstellung der Gotteslehre dar.510 Insofern sich die Trinität nicht ohne das Vater-Sohn-Verhältnis des irdischen Jesus denken lässt,511 muss sie als in einem zeitlich-geschichtlichen Ereignis die eigene Ewigkeit konstituierend gedacht werden.512 Diese Mitte der Trinität, die am Orte des Sohnes existiert, entzweit sich in ihren voranfänglichen, sich eodem actu voraussetzenden Anfang und ihr Ende, in dem der Anfang mit sich zusammengeht. 1. Aseität und Werden in Gott Von seinem gesprächstheologischen Modell der Trinität aus513 reserviert Luther die aseitas für Gottvater: »das tzweyerley da sind und der sprecher nit sey das wort, auch das wortt nit sey der sprecher, ßondernn das wortt kome von dem sprecher und habe seyn weßen nit von yhm selbs, ßondern von dem sprecher, der sprecher aber kompt nit [sc. von etwas], hatt auch seyn weßen nit von dem wortt, ßondern von yhm selbs«.514 Da Luther hier vom Verhältnis von Sprecher und gesprochenem Wort redet, bezieht sich der Ausdruck »Wesen« auf diese als solche.515 Luther selber konterkariert diese einseitige Hierarchie, wenn er das »Wort« nicht nur als ein ausgesprochenes, sondern

cf. auch unten Anm. 574). Hierbei kommt es, weil im lateinischen Westen die Trinität mithilfe des »Person«-Begriffs definiert wurde (statt οὐσία), zu einer »den individuellen Menschen als solchen erhöhende[n] Wirkung des Rechts, deren Bedeutung für die europäische Geschichte gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann« (217). 509 Dass der »Anfang« immer schon angefangen hat, ist ein Gedanke, der in Joh 1,1 (ἐν ἀρχῇ) ἦν ausgesprochen ist, sich aber auch schon in Mk 1,1–3 findet (cf. dazu RINGLEBEN, Jesus [wie oben S. 810 Anm. 226], 11–13). 510 Denn die Trinität soll ja nicht als Ausdifferenzierung einer schon »fertigen« Gottheit gedacht werden; zur Modalismusfrage s. u. 3. Anm. 562. 511 S. o. die Abschnitte E. und G. 2.1. (S. 808ff und 820f). 512 Es sei daran erinnert, dass J. Moltmann das Kreuz Jesu als diesen Ursprungsort der Trinität versteht; s. o. S. 811 Anm. 231. 513 Cf. oben S. 826 Anm. 325. 514 WA 10 I/1, 183,22–25. 515 Entsprechendes könnte man auch vom Verhältnis des Vaters zum Sohn sagen; aber auch dabei gilt, dass der Sohn auch den Vater zum Vater macht. Es geht hier nur um die Appropriationen; dazu s. o. S. 843 Anm. 431.

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auch als ein wesentlich selber hörendes versteht.516 Er bestreitet faktisch nicht die genetischen Verhältnisse in der Trinität, und »Wesen« gilt hier nicht vom Wesen der Gottheit als solcher. Für die innertrinitarischen Instanzen als solche aber muss die wechselseitige Konstitution aufgrund des jeweiligen »Mitte-Seins« aller drei Instanzen gedacht werden.517 Einen Gegensatz von Sein und Werden für Gott behauptet A. Ritschl – überraschenderweise im Zusammenhang seines Begriffs der Liebe, die für ihn »nothwendig auf gleichartige Wesen beschränkt ist«518 –, wenn er ausführt, »daß alles was wir mit Gott als gleichartig setzen, immer aus Gott wird; während Gott, was er ist, nicht wird, sondern ewig ist, und daß nichts Gott Gleichartiges jemals das Merkmal der Aseität erreicht«.519 Hier wird nicht verständlich, wie es aus dem bloß seienden Gott zu einem »Werden aus« ihm kommen kann und dies doch ein ihm »Gleichartiges« soll sein können.520 Dem Zitierten getreu fährt Ritschl nun fort: »Dem kommt die theologische Ueberlieferung insofern entgegen, als sie die Aseität gerade ausschließt, indem sie die Gottheit Christi behauptet,521 und in dem Prädicat der ewigen Zeugung die Form des Werdens im Unterschiede vom Sein auf das Wesen anwendet, welches als ewiges Object der göttlichen Liebe bezeichnet werden soll«.522 Hier wird der traditionell-metaphysische Unterschied von Werden und Sein in die Theologie importiert und der Gedanke einer Selbstunterscheidung in Gott nicht erreicht;523 die Folge ist, dass nicht einsichtig wird, wie die »Gottheit« Christi ohne Aseität behauptet werden kann und doch etwas Gott ewig Gleichartiges sein soll, was konsequentermaßen die Aseität auch von der Trinität ausschlösse, die allerdings bei Ritschl nicht vorkommt. Um die Aseität Gottes als im Werden zu sich begreifen und so als trinitarisch in sich bewegt zu denken, sei hier an eine Einsicht Hegels angeknüpft: »Überhaupt ist alles Reale in seinem Anfange eine solche nur unmittelbare Identität;524 denn in seinem Anfange hat es die Momente noch nicht entgegen516

WA 28, 51,25f; cf. dazu RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 790 Anm. 120),

72. 517

S. o. und bes. S. 801 bei Anm. 176, S. 822 bei Anm. 304 und S. 839 bei Anm. 399. A. RITSCHL, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. III, Bonn 41895, 442. 519 A.a.O. 443. 520 Cf. Ritschl zur causa sui a.a.O. 205. 521 Zu Ritschls eigener, modifizierter Auffassung von der Gottheit Christi cf. a.a.O. 443 und (monarchianisch?) sowie auch § 44 (S. 364ff) und § 49 (S. 426ff). 522 A.a.O. 443. 523 Ritschl kann Gottes ewiges Sein und »die Form des Werdens« beim Sohn nicht vereinbaren; oder unterstellt er hier der theologischen Überlieferung einen Widerspruch? 524 Solche unmittelbare Identität ist, wie Hegel in diesem Zusammenhang selber anmerkt, ihr eigenes Gegenteil: »So ist das reine Sein unmittelbar das Nichts« (HEGEL, Werke 6, 183). Von dieser Einheit des »Seins« (als unmittelbares Sich-selbst-gleich-Sein) hat Hegel zu Beginn der Logik gezeigt, dass es unmittelbar ins »Nichts« übergeht bzw. 518

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gesetzt und entwickelt; einerseits aus der Äußerlichkeit sich noch nicht erinnert, andererseits sich aus der Innerlichkeit durch seine Tätigkeit noch nicht entäußert und hervorgebracht«.525 Gott geht in seiner Aseität schon trinitarisch in sich, indem er sich durch seine sich hervorbringende Tätigkeit in sich für sich »entäußert«, d. h. sich (im Sohn und Geist) ein Anderes wird.526 So enthält schon die Aseität des lebendigen Gottes in sich »die Negativität …, welche die Tätigkeit der Entwicklung« ist.527 Um die Aseität selber schon als »Werden« (zu sich) zu denken,528 ist die Einsicht entscheidend, dass es sich dabei nicht um eine Gott vorausgesetzte (oder übergeordnete) Notwendigkeit handelt, sondern um die eigene Notwendigkeit seiner Freiheit: »Solus igitur deus est, qui factus non est … Ex seipso est … et ideo talis est, qualem se esse voluit.«529 Sofern auch die Schöpfung in der Folge dieses internen Werdens Gottes zu denken ist – wenn auch per hiatum irrationalem –, so handelt es sich bei ihr um den sich erweiternden Bereich der Selbsthingabe Gottes an sein (äußerlich) Anderes, das er an dem Bewegungsgeschehen in ihm selbst teilhaben lässt,530 und eben nicht um das einmalige (deistisch gedachte) Setzen einer fertig gegebenen Welt.531 Das bedeutet für das Geschöpf eine (im Glauben stattfindende) Teilhabe an der temporalen (»zeithaften«)532 Unterschiedenheit in Gottes eigenem ewigen Sein selbst (Werden zu sich). 2. Trinitarisches Sich-selbst-Hervorbringen Um dieses zu begreifen, kommt alles darauf an, dass das »Sich« (bzw. Selbst) nicht von vornherein als monologische, allem Weiteren zugrunde liegende Instanz (sei es die Gottheit oder der Vater) verstanden wird. Vielmehr muss der theologische Gedanke sich dafür offenhalten, dass dieses »Sich« als das sich in der innergöttlichen Differenzierung und über sie allererst ausbildende trini-

genauer: immer schon in es übergegangen ist (cf. dazu oben S. 826 Anm. 320). Diese dialektische Einheit – und nicht etwa so etwas wie eine Entwicklung! – ist bei Hegel das »Werden« (a.a.O. 83), das als erste logische Kategorie eine Definition des Absoluten ist. 525 HEGEL, Werke 6, 183. 526 Sofern die Bestimmtheiten des In-sich- und Aus-sich-heraus-Gehens unter den Bedingungen der Schöpfung auseinandertreten, kommt es zu dem »unendlichen qualitativen Unterschied« von Schöpfer und Geschöpf, den die Versöhnung verwindet. 527 A.a.O. 183. 528 Dafür steht hier der Begriff der causa sui; dazu s. o. § 2 C. (S. 192ff). 529 Lactanz, Div. inst. II 9 (PL 6, 302). H. Blumenberg unterstreicht, dass dies jenseits antiker Ontologie ist und Gott wirklich als »ens infinitum« denkt (BLUMENBERG, Kritik und Rezeption [wie oben Anm. 503], 288). 530 Cf. oben § 8 F. 1. (S. 484ff). 531 Cf. oben Anm. 501. 532 Zu diesem Begriff (im Unterschied von zeitlich) cf. oben § 9 (S. 543 Anm. 229).

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tarische Selbstsein begriffen werden kann. Es geht um die Selbsthervorbringung als ein dreieines Selbst,533 und deren Subjekt ist der Dreifaltige als solcher. 2.1. Die Vater-Sohn-Einheit Bisher wurde dargelegt: Gott bringt sich als Vater ewig im Sohn hervor,534 in welchem er zugleich (als seinem eigenen Anderen) die ewige Einheit oder Gleichheit mit sich anschaut und weiß und hat bzw. ist.535 In der Selbstanschauung in seinem Anderen und so als Wissen seines Wesens in sich zurückgehend (bzw. immer schon zurückgegangen) ist Gott der, der »in der Bewegung zu seinem andern Seyn zugleich sich [sich] selbst gleich macht«.536 Das heißt, Gottes Selbsthervorbringung ist notwendig trinitarisch,537 sofern er nur als dreieiniger Gott mit sich absolut gleich ist, und zwar durch sich selbst (gemäß Ex 3,14). Gott macht sich zum Vater bzw. wird es durch sich selber in sich selber, indem er in Ewigkeit den Sohn »zeugt«. Das ist nichts anderes als Gottes eigene Weiterbestimmung seiner Substanz schon in ihrem Sich-Hervorbringen zu einem lebendigen Unterschied von Ich und Du in ihm selber (bzw. als er selber). Er bringt sich dabei mithin (sozusagen zunächst) nicht einfach als Gott hervor, sondern gleichursprünglich bzw. simultan als absolut Lebendiger, der im immanenten Unterschied von sich absolut mit sich eins ist: ewiges Selbst im Gegenüber zu sich (übergreifend) und so Geist schlechthin.538 Es ist also festzuhalten: Gott bringt sich als Vater im Sohn hervor, d. h. anscheinend: nicht nach seiner Gottheit überhaupt (in abstracto). Aber insofern er erst im Sohn der »Vater« ist, der das Leben in sich selber hat, indem er es auch dem Sohn weitergibt, das Leben in sich selber zu haben (Joh 5,26),539 bringt er erst im Sohn sein ewiges Leben konkret als betätigtes (ewig zeugendes) Leben hervor. 533

Zur Selbstkonstitution der Trinität cf. auch Marius Victorinus, Ad Ar. I 55; cf. 57 (PL 8, 1082; cf. 1083). 534 Sofern das für Gottes Sein (als Dreieiniger) überhaupt definitiv ist, handelt es sich dabei nicht um die bloße »Entwicklung« eines sozusagen schon fertigen abstrakteinzelnen Gottes als zugrunde liegendes Subjekt. 535 Marheineke formuliert: »Die ewige Existenz Gottes kann … nur als ewiger Exitus gedacht werden, welches das Seyn des Sohnes aus dem Vater ist« (MARHEINEKE, Grundlehren [wie oben S. 817 Anm. 270], 125 [§ 210]; cf. Ex 3,14!). 536 Ebd. 537 Der Hl. Geist ist hier systematisch immer mitzudenken (»Wissen« von sich). 538 Im Zuge des Sich-Hervorbringens Gottes – wegen des Hl. Geistes auch und gerade am Ort des Glaubens – ist sein absolutes Sein überhaupt immer zugleich ein absolventes Werden: Gottes Sich-Abstoßen zu sich selbst – von dem her, was er sich voraussetzt (Schöpfung, Geschichte, ökonomische Trinität): als den Weg zu sich in seiner Absolutheit (ewiges Leben, immanente Trinität). 539 Dazu s. o. Abschnitt H. 3. (S. 837ff).

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2.2. Gottes Selbsthervorbringung als Dreieiniger Man kann demnach sagen: Gottes Sich-Hervorbringen fasst sich im Sohne;540 hier ergreift es sich als Werden zu sich, bzw. hier hat der innergöttliche Werdeprozess sein »Herz«.541 Dies Sich-Ergreifen Gottes am Orte des Sohnes hat die Implikation, dass der Sohn, indem er sich aus dem Vater »hervorgegangen« weiß, darin Gott selber (nach seinem absoluten Sein) ist und sich weiß. Das besagt: Der Vater weiß im Sohn (am Ort des Sohnes) das Hervorbringen bzw. -gebrachtsein seiner ewigen Gottheit (divinitas) überhaupt, und: Der Sohn weiß im Vater (zusammen mit seinem eigenen Hervorgegangensein) Gottes Werden zu sich (in der absoluten Einheit der Liebe) bzw. dessen Sich-Hervorbringen bei ihm. Gott schafft sich in Jesu Verhältnis zu ihm als dem Vater den Ort seiner absoluten Selbstentsprechung und hat so (erst) seine absolute Einheit als Dreieiner.542 Selbsthervorbringung und Trinität sind eins, sofern es bei dieser um die Selbstkonstruktion wahrer Einheit (mit sich) a se (aus sich und durch sich) geht.543 Gerade als dreieiniger ist Gott der eine Gott (der Eine bzw. Alleine) in seiner Monarchie, und diese ist »Resultat« des Sich-selbst-hervorgebracht-Habens in und aus Jesus Christus.544 Erst als Dreieiniger, der sich durch seine absolute Tätigkeit selber als solcher hervorbringt, ist Gott christlich zureichend als der lebendige Gott gedacht. Dafür stehe hier zusammenfassend ein längeres Zitat von H. Schell: »Der dreipersönliche Gott ist von jedem Hauch müßigen, tatenlosen Scheinlebens, von jeder Mutmaßung eines Bedürfnisses der Weltschöpfung frei, denn er begründet ewig sich selbst in unendlicher Wesensfülle durch eine Denk- und Willenstat von unendlicher Kraft; er erzeugt ewig sein Wort und atmet mit diesem seine Liebe aus, wie diese ewig in ihr Prinzip zurückkehren. Die Ausgänge in Gott bestätigen die Selbstverwirklichung des Unendlichen durch sein eigenes Denken und Wollen, indem sie in den hervorbringenden Personen die Tat der ewigen Selbstbegründung, in den hervorgehenden die Tat des ewigen Selbstbegründetseins dartun«.545

540

Als diese gefasste Kraft ist Gott Logos. Dem entspricht die Bewegung des Hl. Geistes, sofern dies Herz in Gottes sich aussprechendem Wort lebendig ist. 542 S. u. 2.3. 543 Diese vollzieht sich, um es noch einmal zusagen, als Werden zu sich: Selbstvoraussetzung im Anderen und Zurückkommen zu sich vom Anderen her. R. Borchardt sprach vom kondeszendenten »Gott im Aufbruch zu seiner Offenbarung …, Trinität im Werden, Trinität im Durchgange durch die Welt, und zwar … durch keine heilige Welt, sondern durch eine sehr unheilige, sehr grobe, sehr schwache« (R. BORCHARDT, Reden. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Stuttgart o.J., 176). 544 Cf. oben S. 838 bei Anm. 394, S. 843 bei Anm. 432 und S. 843 bei Anm. 433. 545 H. SCHELL, Katholische Dogmatik, Bd. I (1889), kritische Ausgabe hg., eingeleitet und kommentiert von J. Hasenfuß/H. Petri, München 1968, 228f. Das Zitat geht, die Eigenschaftslehre mit der Trinität verknüpfend, so weiter: »(dartun;) indem sie in den 541

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Hier wird die gedankliche Fruchtbarkeit des Prinzips der causa sui für die Trinitätstheologie sichtbar.546 2.3. Ewige Trinität und die Mitte der Geschichte Ist der trinitarische Gedanke einer, »der [sc. auch bei Gott] seinen eigenen Ursprung erzeugt und erzeugen muss«,547 so findet mit ihm, was den Gottesgedanken überhaupt betrifft, ein »fundamentaler Kategorienwechsel« statt,548 sofern von der Christologie her »ein kontingentes Moment der Geschichte das Wesen Gottes mitkonstituiert«.549 Gottes (dreieinig lebendige) Ewigkeit kommt aus der Geschichte Jesu von Nazareth absolut zu sich selber. Diese ist als Mitte der Geschichte zugleich eine »Mitte« im Leben des trinitarischen Gottes. Ist also die Zeit der Weg der sich mit sich vermittelnden Ewigkeit zu sich,550 so ereignet sich das in einer radikalen Selbstunterscheidung Gottes551 – nämlich der ewigen Gottheit in der zeitlichen Geschichte Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz (Phil 2,8)552 – hin auf die absolute Einheit eines in unreduzierbarer Verschiedenheit (sc. der drei »Mitten«) unzerstörbar innigst vereinten Lebens: »Dieser lebendige Prozeß –

hervorbringenden Personen zeigen, wie das Sein von der Weisheit und Heiligkeit getragen werde, und in den hervorgehenden, wie die Wahrheit und Heiligkeit vom Sein getragen werde, beides [sc. auch der Unterschied von hervorbringenden und hervorgehenden Personen] in der Einheit vollkommenen Wesens« (ebd.). Cf. auch Schells frühes großes Werk: DERS., Das Wirken des Dreieinigen Gottes, Mainz 1885 (Nachdr. Frankfurt 1968). 546 Eine Keimzelle dieses Prinzips lässt sich schon bei Athanasius entdecken: »Diese göttliche Selbstbegründung in der er [sc. Gott] αἴτιον und αἰτιατόν ist, verwendet Athanasius für die trinitarischen Unterschiede« (DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I [wie oben S. 778 Anm. 48], 360 [oben Nachweis]; cf. 367 Anm. 1); cf. Athanasius, C. Arian. III 28, wo es von Gott heißt, er sei »effector« bzw. »opifex« der aeterna (PG 26, 383/384; Nr. 458B). 547 B. WUNDER, Zwei Religionen – ein Gott? Zum Status des »Jüdischen« in der Trinitätstheologie des 20. Jahrhunderts, Paderborn 2004, 106. 548 A.a.O. 37. Die Selbsthervorbringung des Dreieinigen am Orte Jesu ist etwas ganz anderes als die »Schechina«. 549 A.a.O. 38. 550 S. o. § 9 D. (S. 532ff). 551 Damit grenzt sich unsere Auffassung entschieden von der des Eriugena ab, der (schon terminologisch problematisch) von der ewigen Selbsterschaffung des trinitarischen Gottes aus der überseienden Nichtigkeit der »Übergottheit« gesprochen hat (cf. J. HALFWASSEN, Die Unverwüstlichkeit der Metaphysik, PhR 57 [2010], 97–124, hier 116; cf. auch W. BEIERWALTES, Eriugena, Frankfurt 1994, 180–204; DERS., Denken des Einen, Frankfurt 1985, 358ff). 552 Das Sich-Hervorbringen Gottes am Orte Jesu für alle Ewigkeit ist grundsätzlich auch die Vollendung der »Person« Jesu Christi (auch im trinitarischen Sinn) durch Tod und Auferweckung in Gott.

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dies Unterscheiden und das Unterschiedene identisch mit sich zu setzen –, dies ist der lebendige Gott.«553 Dass der Vater sein Reich und seine Monarchie allein durch den Sohn und den Geist hat, ist nicht nur offenbarungstheologisch aufzufassen, »sondern ist auf Grund des geschichtlichen Verhältnisses Jesu zum Vater auch für das innere Leben des dreieinigen Gottes zu behaupten«.554 Es ist also nicht nur von uns rückwärts aus der Offenbarung zu erschließen und als Rückschluss zu behaupten,555 sondern konstituiert sich (cf. »auf Grund des geschichtlichen …«) gerade in dem und durch das Verhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater als Ewigkeit des inneren Lebens der Trinität.556 3. Warum drei? (Lebendige Einheit der drei Mitten) Von Gott gilt christlich auf dem Wege seiner Selbsthervorbringung: ἐκ τριῶν ποιησάµενος ἕν;557 dies freilich hier so, dass er die »drei« im Zuge der Her553

HEGEL, Werke 19, 92. PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 352. 555 Cf. K. Barth: »In der Weise ist Gott nach der Schrift offenbar, in der Weise ist er Gott, daß er in diesen Beziehungen zu sich selber ist. Er ist sein eigener Hervorbringer und er ist in doppelter, und zwar in verschiedener Hinsicht, sein eigenes Hervorgebrachtes« (KD I/1, 384). Allerdings schränkt Barth das »nach der Schrift« Gesagte wieder ein: »Auch wir können nicht angeben, wie ein Wesen zugleich sein eigener Hervorbringer und in doppelter Weise sein eigenes Hervorgebrachtes sein kann« (a.a.O. 387; cf. auch die folgenden Sätze zum Verhältnis: Ursprungsbeziehungen [Relationen] – Wesen). 556 Gegen eine geschichtliche Konstitution der ewigen Trinität könnte eingewandt werden: Der ewige Gott sei immer schon er selber gewesen (auch im Alten Testament) und habe sich nur sukzessive für uns Menschen offenbart. Dieser Einwand verdankt sich einer vorstellungsmäßigen Fassung von »Ewigkeit« und ist theologisch erheblichen Problemen ausgesetzt. Offenbarung würde so nur noetisch aufgefasst, nicht aber ihre Bedeutung für Gott selber reflektiert. Dagegen spricht das »Heute habe ich dich gezeugt« (Ps 2,7), das in Act 13,33 von der Auferstehung Jesu ausgesagt wird (cf. auch Röm 1,4 sowie das »ewige Heute«, Hebr 1,5 und 5,6f). Sodann ergeben sich massive Probleme mit dem Verständnis der Inkarnation: Was war »vor« ihr? Ist sie nur nicht-ewig bzw. nicht-trinitarisch? Aber 1. gibt es in der Ewigkeit kein Vorher (zeitlicher Art) mehr; 2. nur für uns gibt es ein zeitliches Nacheinander von Jahwe und dem Vater Jesu Christi; 3. ist Jahwe die in Ewigkeit aufgehobene Vergangenheit des sich in Jesus neu bestimmenden Gottes – sonst hätte Israel den Dreieinigen nur noch nicht erkannt, obwohl er es immer war – und so nur von der christlichen Gegenwart aus durchsichtig; 4. wenn die Ewigkeit sich einmal (hier in der Geschichte Jesu) konstituiert hat, ist sie alles und immer (cf. B. Pascal, oben § 2 D. 4.2. [S. 220 Anm. 339]); 5. das Neue Testament bezeugt selber eine »Umkehrung« der Zeitrichtung (Mk 12,35–37a parr; Joh 8,58), die es mit der Ewigkeit zusammenzudenken gilt; cf. dazu RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 810 Anm. 226), 329f und DERS., Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 319ff. Diesen theologischen Anliegen wird man eher gerecht, wenn der Weg der Geschichte Jesu als Weg der Ewigkeit zu sich als lebendiger Ewigkeit begriffen wird. 557 Platon, Tim. 35b 1. 554

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stellung seiner als »Einer« auch erst (durch Selbstunterscheidung) hat sein lassen.558 Wenn auch richtig ist, dass der Sich-Hervorbringende sich von sich unterscheiden und darin auf sich zurückkommen muss, um so erst wahrhaft bei sich zu sein, so ist das zwar eine notwendige, aber noch nicht die hinreichende Bedingung, um die Frage: Warum drei? zu beantworten. Dafür muss in allen drei unterschiedenen (d. h. sich voneinander unterscheidenden) Instanzen auch ein Bezug Gottes auf sich selber (ein Selbstverhältnis) angenommen werden können.559 So ergäbe sich dreimal das Ganze von Dreiheit, dies aber als eine Dreiheit.560 Genau dies leistet das hier vorgeschlagene Konzept der dreifachen »Mitte« im göttlichen Leben.561 In jeder der drei Mitten ist (nach ihrer Unterschiedenheit bzw. ihrem Sich-Unterscheiden) der ganze Gott gegenwärtig und weiß sich, d. h. bringt sich ewig hervor, indem er von jeder der Mitten aus, in denen er sich selbst weiß, auf sich zugeht. Zugleich (und genau darum) ist gleichermaßen erst die ganze Dreiheit der eine wahre Gott, indem die drei Mitten ihr Wesen und Leben haben. Der ganze Gott (die Gottheit) ist dergestalt nicht dreimal (nebeneinander) da, weil keine der drei Mitten ohne die jeweils beiden anderen (als Korrelate ihrer Selbstunterscheidung) besteht, sondern jede nur im Übergang (Übergegangensein) von sich zu ihnen, d. h. als ihr Sich-Übersetzen in sie. Also von jeder der drei Mitten aus bringt Gott sich in einem Zuge hervor; sein Sich-Hervorbringen ist das dialektische Ineinandergreifen und Sich-Durchdringen dieser drei Selbstunterscheidungen, so dass jede Mitte erst mit den beiden anderen zusammen (und nie in abstrakter Isoliertheit von ihnen) ewig der Eine Gott lebendig ist. Gottes Einheit realisiert sich als absolute Einheit, die sich im dreifachen internen Auftreten (jeweils neu und spezifisch anders) als Einheit realisiert. Vater, Sohn und Hl. Geist sind selbständige Mitten der sich in ihnen bzw. als sie zu vollkommenem Sein bringenden göttlichen Wesenheit. Die »Mitten« sind integrale und notwendig auch unterschieden bleibende Momente dieser Einheit, die sich aus ihnen gleichsam aufbaut und doch jeder von ihnen als Einheit auch gegenübersteht, d. h. nicht nur formales Einigungsband »in« ihnen ist. Sie sind auch nicht »Phasen« der sich herstellenden Einheit, sondern diese hat ihr Sein als absolute Einheit nur als diese drei. Die Einheit Gottes (sein Einer-Sein) legt sich selber als Dreiheit aus, und diese Dreiheit ist die absolute Wirklichkeit der in ihr sich für sich vergegen-

558 Werden zu sich meint immer: eine lebendige Einheit von Einssein und in sich Unterschiedensein. 559 Jede innertrinitarische »Mitte« bezieht sich als solche auch auf sich selber, und in ihnen allen tut es Gott selbst. 560 Nicht etwa neun Instanzen. Cf. auch oben S. 801 Anm. 179. 561 S. o. Abschnitt D. 2. (S. 794ff).

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wärtigenden Einheit.562 Das besagt: Die Einheit des göttlichen Wesens existiert (auch an ihr selber) nur in ihren konkreten Lebensäußerungen, und sie ist als ein absolutes, in sich differenziertes Leben die Einheit Gottes – konkreter Monotheismus.

K. Ökonomische und immanente Trinität Der trinitarische Glaube ist Geist-bezogen, sofern er sich als Glaube »im Hl. Geist« auf Jesus bezieht, dessen Geist seinerseits in der Hingabe an den himmlischen Vater und einem Sein ganz aus Gott bestand; so gibt es den christlichen Bezug auf Gott selber nur in geisthafter Weise (Joh 4,24). Der Hl. Geist selber ist die ewige Einheit Jesu mit Gott, wie sie in der Geschichte erschienen ist bzw. sich zeitlich realisiert hat. Konkret ist dieser Geist als Jesu Selbsthingabe an Gott (sein sich mit dem Vater eins Wissen) da gewesen, das zugleich Gottes Sich-mit-sich-Einigen war. Diese göttliche Bewegung auf sich zu als Zugleich von werdender Einheit und schon Einssein (lebendige Einheit) ist ewig, indem das zeitlich-irdische Gottesverhältnis Jesu der Weg der ewigen Wahrheit zu sich selber gewesen ist. Derart sind Vater, Sohn und Hl. Geist (in Differenz und Einheit) ganz in der Geschichte da gewesen und doch als interne Dreieinigkeit zugleich auch Gottes eigene Ewigkeit. Bringt sich Gott am Orte Jesu hervor, so besagt das die Selbstkonstitution des trinitarischen Gottes in der Zeit als ewig Dreieiner. Dieser für Gott als den Lebendigen spezifische Konstitutionszusammenhang ist fundamentaler als die sich daraus ergebende (gängige) Unterscheidung von »immanenter« und »ökonomischer« Trinität und dieser im christlichen Begriff von Gott vorgeordnet. Von ihm aus stellt sich die systematische Frage, wie sich die »immanente« Trinität zu jener (heils- bzw. offenbarungsgeschichtlichen) »ökonomischen« Trinität verhält.

562 Zur Frage, inwiefern das hier vorgestellte Konzept von Gottes trinitarischer Selbsthervorbringung der Gefahr des Modalismus entgeht, ist dreierlei zu sagen. 1. Statt von »Seinsweise« ist hier (mit präzis anderem Begriffsgehalt) von drei Mitten die Rede. 2. Gott bringt sich als Dreieiniger gerade hervor, indem er allein im Sich-Unterscheiden in drei gegeneinander selbständige und relativ voneinander unabhängige Instanzen (nicht also: Modi desselben zugrunde liegenden Wesens) ist, was er ist. Das ist deutlich etwas anderes als die Entwicklung einer vorauszusetzenden Substanz. Außerdem verstärkt, wenn die ökonomische Trinität sich in die immanente zurückreflektiert, das geschichtliche Nach- und Auseinander die Selbständigkeit der drei gegeneinander; sie sind nicht Abwandlungen desselben). 3. Was sich im Zuge der Selbsthervorbringung Gottes konstituiert, sind nicht primär drei Abwandlungen der einen substanziellen Gottheit (deitas), sondern Relationen.

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1. Lebendige Einheit Die Einheit von »Wesenstrinität« und »Offenbarungstrinität« ist im Anschluss an K. Rahner mehrfach behauptet worden;563 gleichwohl bleibt die Frage, wie sie genauer zu verstehen ist. 1.1. Wenn es bei W. Pannenberg heißt: »So wie Gott sich offenbart, so ist er auch in seiner ewigen Gottheit«,564 dann verstehe ich dies »so wie … so ist er«: In seinem geschichtlichen Handeln ist Gott ewig. Meine These ist also: Mit seinem geschichtlichen Tun, d. h. im Zusammenhang mit der Offenbarung in Jesus von Nazareth, bringt Gott sich ewig hervor, und zwar in seiner Ewigkeit.565 Heißt es weiter: »Die Beziehungen zwischen der Person Jesu, dem Vater und dem Geist … als nicht nur geschichtliche, heilsökonomische, sondern darin zugleich das ewige Wesen Gottes kennzeichnende Beziehungen …«,566 so bedeutet das (im Sinne meiner These): als geschichtliche zugleich auch ewige Beziehungen. Dies »Zugleich« muss als konstitutives SichUnterscheiden gedacht werden,567 so dass in den geschichtlich heilsökonomischen Beziehungen Gott seine ewige Selbstbeziehung hervorbringt, indem er diese davon absolut – d. h. im Sich-Verhalten dazu – unterscheidet bzw. sich in seiner geschichtlichen Erscheinung abstößt zu sich in seiner Ewigkeit. Die zeitlich-geschichtlichen Bestimmungen Gottes in seiner Offenbarung als Vater (Schöpfer), Sohn (Jesus) und Hl. Geist heben sich somit als zeitlich differente auf, worin sich die ewige, immanente Trinität (sozusagen im Rückstoß)568 als das konstituiert, worin jene endgültig zu sich kommen und sich immer schon aufgehoben haben.569 Aus der ökonomischen Trinität stellt 563

So auch von E. Jüngel; cf. dazu PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 334f und 355. 564 A.a.O. 327. 565 Das meint die christologische Konstitution der ewigen Dreieinigkeit in der Zeit. 566 A.a.O. 334; Hervorh. J. R. 567 »Nicht nur« besagt kein bloßes Nebeneinander. 568 Zur Rückwirkung des zeitlichen Kreuzes auf die Ewigkeit cf. BARTH, KD II/2, 132 und 181ff sowie P. EVDOKIMOV, Christus im russischen Denken, Trier 1977, 62ff und 222f. Über die Folgen für das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität cf. J. MOLTMANN, Der gekreuzigte Gott, München 21973, 222–227. 569 Auch nach J. Moltmann offenbart die ökonomische Trinität nicht nur die immanente, sondern »wirkt auch auf diese zurück« (MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes [wie oben S. 812 Anm. 239], 178). Zur Metapher eines »Rückstoßes« sei hier nochmals an die denkwürdigen Sätze Hegels angeknüpft, um das »Wie« der Einheit von ökonomischer und immanenter Trinität sicherzustellen: »Das Leben Gottes … mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochen werden; aber diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt. … Aber dies Ansich [sc. einer ungetrübten Gleichheit und Einheit Gottes mit sich selbst] ist [nur] die abstrakte Allgemeinheit, in welcher von der Selbstbewegung der Form abgesehen wird [d. h. vom wirklichen göttlichen Leben]« (HEGEL, Werke 3, 24). Die theologische Frage ist: Wie kann der »Schmerz« anders als als »Rück-

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sich die immanente selber für alle Ewigkeit selber her, bzw. diese setzt sich in jener (zeithaft) voraus. »Immanente Trinität« ist die Formel für die Endgültigkeit des ökonomisch erfahrenen lebendigen Gottes.570 Gerade auch in der ökonomischen Trinität entfaltet Gott daher, umgekehrt betrachtet, nicht einfach nur sukzessiv die ihm innewohnenden, unterschiedenen Bestimmungen, so dass diese als Entwicklung eines zugrunde liegenden Subjektes verstanden werden könnten. 1.2. Die immanente Trinität ist die Selbstunterscheidung der ökonomischen bzw. diese die Selbstunterscheidung von jener, und die ökonomische Trinität reflektiert sich konstitutiv in der immanenten.571 Die heilsgeschichtliche Selbstunterscheidung von Vater, Sohn und Hl. Geist in der Geschichte der biblischen Religion ist zugleich die Selbstunterscheidung der Ewigkeit von der Zeit und des trinitarischen Gottes von der Geschichte.572 Die Offenwirkung« des Heilsgeschehens von Kreuz und Auferstehung aus der Zeit auf die immanente Trinität ihr integriert werden? Das aber impliziert, dass diese nicht schon vorher als sozusagen »fertig« vorgestellt werden darf. Analog stand die traditionelle Dogmatik vor dem (nicht gelösten) Problem, ob eine »Anreicherung« der Trinität durch den inkarnierten Logos anzunehmen sei (cf. dazu A. E. BIEDERMANN, Christliche Dogmatik, Bd. II, Berlin 2 1885, 220 [§ 401] u. ö.). Auch die traditionelle Auskunft, »nur einer aus der Trinität« habe am Kreuz gelitten, beseitigt die genannte Schwierigkeit nicht, zumal fraglich ist, ob die Zweite Person der Trinität so isolierbar ist. Wenn also der Entwurf der Trinitätslehre überhaupt von der ökonomischen Trinität aus geleistet werden soll, dann kann die immanente Trinität nur als ewiger Reflex bzw. ewige Integration auch von Leiden und Tod in das göttliche Leben (und deren Verwindung) begriffen werden. 570 Auch J. Moltmann hat gedacht, dass sich die ökonomische Trinität gleichsam prozesshaft zur immanenten vollende (MOLTMANN, a.a.O. 177f). Das damit behauptete temporale Moment in Gott findet seinen Ausdruck z. B. in Hos 3–8 (ein Umsturz in Gott) oder in der Liedzeile Luthers: »Da jammert Gott in Ewigkeit / mein Elend übermaßen« (EG, Nr. 341,4). Umgekehrt gilt: Die im Glauben neu bestimmte Subjektivität wird in den trinitarischen Gott versetzt und gewinnt (eschatologisch) Anteil an seinem innersten Leben. 571 Gottes Selbstunterscheidung unterscheidet sich in sich noch einmal in seine immanente und ökonomische Trinität (diese als in Schöpfung, Inkarnation und Versöhnung wirksam). Beide sind nicht abstrakt zu trennen (oder nur abstrakt als identisch zu behaupten), so dass etwa die immanente Trinität einfach vorauszusetzen wäre. Vielmehr ist die immanente Trinität die (sozusagen simultane) Selbstreflexion der ökonomischen. Als göttliches Leben ist die immanente Trinität das Selbstsein Gottes in der ökonomischen, bzw. dieses Selbstsein ist absolut lebendig im Sich-Unterscheiden der immanenten von der ökonomischen Trinität. Diese ist ihrerseits das Sich-Äußern des inneren Lebens Gottes, d. h. geschichtlicher Ausdruck seiner ewigen Selbstbewegung, seines Handelns und SichMitteilens nach außen, für uns. 572 Mit Bezug auf den kritischen Satz von W. Kasper: »Die immanente Trinität verselbständigte sich gegenüber der ökonomischen …« schreibt W. Pannenberg, »daß … mit dem Dogma von Nicäa 325 und Konstantinopel 381 der Gedanke der ewigen Wesenstrinität sich von seinem geschichtlichen Boden ablöste« (cf. PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 772 Anm. 1], 360f). Das besagt unabhängig von ihrer Einschätzung

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barungstrinität ist das Sich-geschichtlich-sich-selbst-Voraussetzen und so Werden zu sich der ewigen Wesenstrinität. Derart ist Gottes ökonomisches Aus-sich-heraus-Gehen zugleich sein immanentes In-sich-Zurückgehen, und Gott ist absolut er selbst auch in der trinitarischen Heilsökonomie.573 Gottes absolutes Für-sich-Werden (in der ewigen Kommunikationsgemeinschaft der Trinität) ist ein Übergehen (im zeitlichen Prozess der Geschichte Jesu Christi) als Übergegangensein (ewiges Vater-Sohn-Verhältnis im Hl. Geist). Die göttliche Selbsthervorbringung in der Selbstunterscheidung ist Konstitution von Gottes eigener Ewigkeit an der Geschichte.574 Derart ist Gottes ewiges An-sich-Sein nur da in der Entzweiung von sich und als Weg zum Für-sich-Sein, und so hebt seine lebendige Ewigkeit die Zeit (als eigene Selbstvoraussetzung) in sich hinein auf: Jesus wird der ewige Sohn (in der immanenten Trinität).575 2. Geschichte der Trinität 2.1. Es gibt mithin eine trinitarische Geschichte in dem Sinne, dass die Trinität in ihrer doppelt-einen Gestalt (als ökonomische und immanente Trinität) als theologisch problematisch: Die dogmengeschichtliche Entwicklung reflektiert die ewige Selbstunterscheidung Gottes von seiner Offenbarungsgeschichte. 573 Zu Gottes dreifachem Sich-Geben nach Luther cf. oben H. 2.1. (S. 833ff). 574 Auch die Trias von memoria, intellegentia, providentia (nach Cicero, De inv. II 53,160) ließe sich auf die ökonomische Trinität beziehen, zumal wenn man berücksichtigt, dass nach Augustin der in den drei Zeitekstasen von erinnerter Vergangenheit, wahrgenommener Gegenwart und willensmäßig gestaltbarer Zukunft lebende Mensch »ein Abbild der weltgeschichtlich wirkenden Trinität« ist (BEHRENDS, Die Person im Recht [wie oben S. 789 Anm. 113], 213 mit Anm. 75; cf. Augustin, De trin. XV 23,43; PL 42, 1090f). 575 Pannenberg scheint das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität im Grunde anders bestimmt zu haben, als hier vorgeschlagen wird. Liest man: »Sinn und Bedeutung hat sie [die ökonomische Trinität] nur, wenn Gott in der Heilsgeschichte als der da ist, der er von Ewigkeit ist … [mit zustimmenden Zitaten von W. Kasper]« (PANNENBERG, a.a.O. 359; cf. den Kontext 360), so ist das eigentlich die traditionelle Auffassung (undeutlich die Aussagen 359 und 361; cf. 361 oben)! Andererseits heißt es dann auch, »daß die Ereignisse der Geschichte wirklich etwas austragen für die Identität seines ewigen Wesens« (362; Hervorh. J. R.). Die Behauptung, die Offenbarungstrinität »impliziere« die der Wesenstrinität (360), muss dementsprechend (im Sinne meiner These) so verstanden werden, dass »Implikation« konkret die Selbstunterscheidung von Zeit und Ewigkeit als konstitutiv bedeutet. Der Satz »Das Wesen des einen Gottes wird offenbar durch beide, Vater und Sohn, und durch ihre Gemeinschaft in einem Dritten, dem Geist« (388), muss nach meinem Verständnis so interpretiert werden: Diese dreieinige Gemeinschaft kann nur spezifisch »offenbar« werden, weil sie sich darin hervorbringt und so das Wesen des einen Gottes konstituiert. Meine leitende Prämisse bei dieser Diskussion mit Pannenberg ist: Redet man von innergöttlicher »Konstitution« und überhaupt von Selbsthervorbringung, so kann man »Zeit« nicht abstrakt von der Ewigkeit fernhalten und muss folglich die Offenbarungsgeschichte als die Zeit ansehen, in der Zeit sich abstößt zur Ewigkeit – im Übergehen als Übergegangensein.

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selber als (ihre) Geschichte ist.576 Jesus Christus ist als die »Mitte der Zeit« (H. Conzelmann) deren Mitte, und zugleich ist er eine der drei »Mitten« der ewigen Trinität. Das bedeutet: Auch als Mitte ist er als Selbstunterscheidung.577 Jesus ist als Mitte der Geschichte auch die der Lebensgeschichte des dreieinigen Gottes.578 Die Frage, ob es »Mitten«579 auch in der ökonomischen Trinität gibt, muss also bejaht werden: Jesus Christus ist eine solche Mitte im Vater-SohnVerhältnis und in der Weitergabe seines Geistes; der Vater ist es im SichHervorbringen am Orte Jesu (geschichtliche Inkarnation) und in der Auferweckung des gekreuzigten Menschen Jesus zu seinem eigenen Leben; und der Hl. Geist ist es im Handeln des lebendigen Gottes an Jesus und im Erwecken des christlichen Glaubens an Gott und Christus in der Gemeinde und im einzelnen Glaubenden. 2.2. Fragt man weiter, wie denn, im Rahmen ökonomischer Trinität gedacht, die drei innergöttlichen »Personen« jeweils konkret Mitte sind, so kann man sagen: – Der »Vater« entäußert sich in dem Sohn an uns (für uns) und verbindet als Geist sich mit dem Sohn (bzw. mit uns). – Der »Sohn« opfert sich für uns auf,580 d. h., er wird in den Riss zwischen Gottvater und sündigem Menschen dahingegeben und schafft als Menschgewordener (in der Selbstunterscheidung vom Vater) so eine neue Verbindung von Mensch und Gott. – Gott der »Geist« verbindet (wie immanent Vater und Sohn, so nach außen) Gott und uns Menschen in der Unterscheidung voneinander, d. h., er unterscheidet sie, indem er sie zueinander in Gemeinschaft bringt. Das geschichtliche Werden Gottes in sich zu den drei »Personen« schlägt um (und hat dies jeweils immer schon getan) in deren Gleichewigkeit (ὁµοῦ πάντα, simul), ist Übergehen im Übergegangensein. Gottes Werden zu sich übersetzt sich – kraft der Dynamis göttlichen Seins im Sich-Hervorbringen – in seine Ewigkeit, und das heißt: Wie sich in der Zeit Ewigkeit konstituiert, so konstituiert sich in Gottes Einheit gleichursprünglich seine Dreieinheit.

576 Cf. J. MOLTMANN, Gedanken zur »trinitarischen Geschichte Gottes«, EvTh 35 (1975), 208–223. Freilich setzt Moltmann hier noch undialektisch eine anfängliche Einheit Gottes voraus, die sich in einer Vereinigung am Schluss wiedergewinnt (219). 577 Im Blick auf Hegels Logik hat man von der »gebrochenen Mitte« sprechen können; cf. oben S. 799 Anm. 168. 578 Das ist der absolute Sinn des neutestamentlichen Kairos-Begriffs bzw. des paulinischen νῦν (Röm 3,26 u. ö.). 579 Im Sinne von oben D. 2.3. (S. 800ff) und J. 2.3. (S. 862f). 580 Cf. die Selbstentäußerung nach Phil 2.

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Die gottesgeschichtliche Bewegung ist eine, die zugleich rückwärts und vorwärts (auch auf das Eschaton zu)581 verläuft.582 Auch christlich kann man daher sagen: Gott ist »Anfang, Mitte und Ende«.583 3. Trinität und Eschatologie Der dreieinige Gott ist selber die absolute Mitte584 des Geschichtsprozesses, sofern er auch dessen Anfang und dessen Ende ist.585 3.1. Von Anfang an wirksam ist Gott als der Schöpfer, Versöhner und Heiligende, was Luther ingeniös als ein dreifaches Sich-Geben Gottes gedeutet hat.586 Dies ist – im Zuge des Sich-Hervorbringens Gottes – ein freies Verhältnis zur Schöpfung, und diese ist nicht äußerlich notwendig für Gott, um überhaupt zu sein.587 Man darf aber sagen: Gott bringt sich als er selbst nicht sozusagen nur um seiner selbst willen hervor – dies zwar primär auch, und insofern hat er die Welt nicht nötig –, sondern zugleich immer schon für das Andere seiner, die Welt. Weil der Dreieinige ökonomisch ein dreifaches Sich-Geben ist (und sein will), bringt er sich immanent in dreieiner Weise hervor, d. h., sein internes Anderes (der Sohn) ist als »Schöpfungsmittler« (die in die Ewigkeit reflektierte) Bedingung der Möglichkeit seines externen Anderen (der geschaffenen Welt). Zur Logik des Sich-Gebens gehört es, dass es erst als so geartet Dreifaches ein vollendetes bzw. rückhaltloses Sichselber-Geben ist. Denn nur so geht es anfänglich vom absoluten Ursprung aus (Vater), geht als dieser geschichtlich mit der Schöpfung mit (Sohn) und findet sich am Ende vollendet in ihr wieder bzw. sie in sich (Geist). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der trinitarische Gottesgedanke als zeithaft-ewige Voraussetzung der Inkarnation, die sich von dieser aus konstituiert, nicht auf eine heile Welt in selbstgenügsamer Ganzheit bezogen ist, die es christlich gesehen gerade nicht gibt, sondern dass er vom Heil Gottes für die unversöhnte Welt her zu verstehen ist. Insofern steht Gott für eine Ganzheit ein, die uns noch entzogen und in der Zeitlichkeit unverfügbar ist: »Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden« (1Joh 3,2). 581

H. Vorgrimler formuliert im Anschluss an K. Rahner, dass die Zukunft der Geschichte »auch die wahre Zukunft des Gottes (ist), der auf sein und unser gemeinsames Ziel hin ein Werdender ist« (VORGRIMLER, Gotteslehre [wie oben S. 774 Anm. 14], 164). 582 Cf. dazu z. B. oben § 11 C. 7. (S. 643 bei Anm. 199). 583 Orph. Fragm. (O. Kern, Orphicorum fragmente, Berlin 1922 [Nachdr. 21963]), Nr. 22; daher kann Weish 7,18a formuliert werden. Hier schließt sachlich § 16 an. 584 Cf. auch Platon, Tim. 36e 2–5: ἡ δ’ ἐκ µέσου πρὸς τὸν ἔσχατον οὐρανὸν πάντῃ διαπλεκεῖσα κύκλῳ τε αὐτὸν ἔξωθεν περικαλύψασα, αὐτὴ ἐν αὑτῇ στρεφοµένη, θείαν ἀρχὴν ἤρξατο ἀπάυστου καὶ ἔµφρονος βίου πρὸς τὸν σύµπαντα χρόνον. 585 Cf. bei der vorvorigen Anmerkung. Erinnert sei auch, dass Hegel die lebendige Totalität logisch als »Schluss« gedacht hat; cf. oben S. 799 bei Anm. 169 und 170. 586 Cf. dazu oben Abschnitt H. 2.1. (S. 833ff). 587 Cf. oben § 8 F. 3.1. (S. 492ff).

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3.2. Darum steht der dreieinige Gott auch für eine Ganzheit am Ende, in der er sich mit sich und uns eschatologisch vollkommen geeinigt und so absolut verwirklicht hat.588 Gott kann sich indes nur in eschatologischer Vollendung hervorbringen, weil er sich in sich zugleich immer schon ewig vollendet hervorgebracht hat: als trinitarisch lebendiger Gott. So kann, diesen Unterabschnitt resümierend, gesagt werden, Gott hat seine Einheit mit sich dreifach: – zum einen in Ewigkeit (d. h. im ewigen Logos; Joh 1,1: ἐν ἀρχῇ); – sodann in der Zeit (in der Inkarnation, d. h. im Menschensohn: Joh 1,14); – schließlich eschatologisch (im Geist der Vollendung, wenn er »alles in allem« ist: 1Kor 15,28). So ist Gottes Einheit eine dreifach durch ihn selbst bestimmte und dergestalt seine lebendige Einheit. Oder kurz gesagt: Gott bestimmt sich als der Lebendige, indem er dreifältig mit sich eins ist.

L. Zur Perichorese 1. Dieser Begriff (περιχώρησις, circumincessio)589 meint trinitätstheologisch eine wechselseitige Immanentia (oder inexistentia) der drei trinitarischen Instanzen (»Hypostasen«), also ihr lebendiges Ineinander, und zwar derart, dass das gegenseitige In-Sein jeder Person in jeder der anderen ihr als Ganzer eigentümlich ist.590 Darin wird die Verschiedenheit der drei ebenso bestätigt und bewahrt, wie sie zugleich zu einer absoluten Einheit zurückgeführt ist.591 Es kommt so ausdrücklich noch einmal zur Geltung: Jede der drei Instanzen ist zugleich Mitte und »Extrem« im wechselseitigen Sich-miteinander-Austauschen und Sich-ineinander-Übersetzen.592

588 Bei der Rede von Gottes eigener ὑπόστασις (Hebr 1,3; cf. Diognet 2,1) ist an sein wirk-liches Wesen zu denken, und Hypostasis kann überhaupt auch »Verwirklichung« bedeuten (Hebr 11,1; cf. mit weiteren Belegen W. BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, Berlin 51958, 1675). 589 Cf. insbes. Johannes von Damaskus, De fide orth. I 8; dazu BARTH, KD I/1, 390f. 590 »Wegen dieser Einheit ist der Vater ganz (totus) im Sohn, ganz im Heiligen Geist; ist der Sohn ganz im Vater, ganz im Heiligen Geist, ist der Heilige Geist ganz im Vater, ganz im Sohn« (Decr. pro Iacob. 1442 [mit Bezug auf Anselm]; DS 1331 [ 341967, 338,1– 3]; zitiert nach VORGRIMLER, a.a.O. 122). 591 Cf. auch MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes (wie oben S. 812 Anm. 239), 191f. 592 Hier werden die beiden Grundpostulate des trinitarischen Dogmas eingelöst: dass keine der drei Mitten in Gott ohne die andere sein kann und dass jede von ihnen auf ihre besondere Weise der ganze Gott (bzw. dieser in jeder von ihnen selbst anders) ist (s. o. B. 1. [S. 776ff]). Zum Wechselverhältnis der Personen cf. Augustin, De trin. VI (PL 42, 923ff). Anselm von Canterbury spricht von »in se invicem« (Monol. 59).

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Die »Perichorese« bezeichnet das Leben Gottes als ein absolutes Beziehungsgeflecht, in dem bzw. als das sich die Einheit des einen Gottes konstituiert. Durch diese reine Bewegtheit und ihren immanenten Prozess wechselseitiger Vereinigung ohne Vermischung ist der dreieine Gott unübersehbar unterschieden von irgendeinem »Tritheismus« (und Tetradismus) bzw. unterscheidet er sich selbsttätig von derartigen (statischen) Verhältnissen. 2. Aus dem Angeführten folgt theologisch insbesondere, dass die biblische Rede vom »lebendigen Gott« nicht nur als metaphorisch verstanden werden kann, weil es sich bei der circumincessio um ein lebendiges Ineinander handelt, in dem Unterschiede nur so auftreten, dass sie, um die Identität ihrer Totalität zu bewahren, zugleich wieder zurückgenommen werden.593 Es handelt sich um ein innigstes gegenseitiges Sich-Durchdringen. Wo Gott der Vater zutiefst in sein Inneres geht (intimum suum), da trifft er im Sohn immer schon sich als den Geist. Und: Wo Gott der Sohn am weitesten über sich hinausgeht (superior summo meo),594 da begegnet er im Vater immer schon sich als Gott dem Geist. Insofern ist der Hl. Geist interior und exterior als Gottes eigenes intimum und summum. Mithin ist der Hl. Geist selber die ewige Transzendenz in Gottes ewiger Immanenz; so lässt sich auch perichoretisch eine innertrinitarische »Allgegenwart« ausmachen. Als der solcherart Lebendige lässt sich Gott bereits im Neuen Testament erkennen, wo insbesondere Paulus und vor allem dann Johannes vom »InSein« ausdrücklich reden.595 Hier sei zusätzlich nur auf folgende Stellen noch besonders hingewiesen: Kol 1,15; Joh 1,18 (Christus in Gott bzw. Gott in Christus); 1Kor 2,11 (Geist in Gott); Joh 10,36; 14,9f; 17,21 und 11 (Vater und Geist in Christus). 3. Da die trinitarischen Relationen das eine Wesen Gottes konstituieren, existiert die göttliche »Substanz« (deitas) nur als Wechselverhältnis der drei »Personen« (Hypostasen), und d. h. – dem logischen Begriff der »Mitte« entsprechend – als ihre Hingabe und Erfüllung im jeweils Anderen. Die gegenseitige Verbundenheit als wechselseitiges Sich-Durchdringen ist ein Leben von und in den beiden Anderen und mit ihnen und für sie: »Jede von ihnen empfängt sich selbst von der anderen her neu«, und dieses Geheimnis [sc. des »Zwischen«] »ist die beide verbindende Macht der Liebe, allgemeiner 593

Es gilt, »daß die Hypostasen als solche, d. h. als verschiedene durch sich miteinander verbunden, alle aber so geartet seien, daß jede durch sich auf die andere weist und zu ihr tendiert. Damit ist denn auch das Unterscheidende in Gott zum Verbindenden geworden, und der Kreislauf des göttlichen Lebens schließt sich zur ewigen Vollkommenheit ab, indem er sich ewig … durch seine Vermittelungspunkte hindurch bewegt« (DORNER, System der Christlichen Glaubenslehre I [wie oben S. 778 Anm. 48], 371f). 594 Cf. Augustin, Conf. III 6,3. 595 Zur Logik der »reziproken Immanenz« im Vierten Evangelium (und zur Interpretation der einschlägigen Stellen) cf. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 807 Anm. 207), 243ff (systematisch bes. 244 und 249f).

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gesprochen der Geist der Gemeinschaft [sc. zwischen den innergöttlichen Personen]«.596 Dabei hebt die gegenseitige Liebe »die Person über sich selbst hinaus und konstituiert sie dadurch in ihrem Selbstsein«.597 Diesem Begriff von Liebe entspricht das Konzept der trinitarischen »Mitte« genauestens. Von Liebe (im Sinne der sich entäußernden Mitte) kann hier auch insofern die Rede sein, als es sich jeweils um keine einseitige Abhängigkeit handelt: »Es ist die Kraft der Liebe, die das andere ›sein läßt‹.«598 Die trinitarische Perichorese ist die gegenseitige »Einwohnung« der drei Personen, um so als der eine Gott zu sein: lebendig als innige und ewige Liebesgemeinschaft.599 Als diese ist der Dreieinige der absolute Geist der Liebe: »die eine Geistwirklichkeit Gottes [hat] nur in den wechselseitigen Beziehungen der trinitarischen Personen ihr Dasein und [ist] gerade darin als Liebe bestimmt«.600 Zusammengefasst kann über Trinität und Liebe gesagt werden: Liebe ist ja die Einheit freier Personen. Die Liebe Gottes ist die vollkommene Liebe, in der bei der Freiheit beider keine Trennung mehr übrig bleibt. D. h. daß die Liebe Gottes nur in der Begrifflichkeit des Dreieinigkeitsdogmas ausgesagt werden kann. Denn Gott so lieben, wie er selbst liebt, kann nur Gott selbst.601

M. Absolute Korrelativität (Rekapitulation) Diese ergibt sich aus den vorhergehenden Abschnitten des Paragraphen, die hier unter diesem Aspekt noch einmal durch Wiederholung und Variation und gebündelt vergegenwärtigt werden sollen. In den voranstehenden Ausführungen zur Dreieinigkeit des lebendigen Gottes hat sich die Möglichkeit gezeigt – vor allem durch das Zusammendenken der Begriffe »Selbstunterscheidung« (oben Abschnitt F.), »Mitte« (oben Abschnitt D.) und »Selbsthervorbringung« (oben Abschnitt J.) – die Trinität so zu denken, dass dem Begriff des Wesens (Gottes) die Kategorie der Relation nicht mehr äußerlich ist, sondern das göttliche Wesen (deitas) selber als Inbegriff der (es konstituierenden) Relationen von Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Geist verstanden werden kann.602 596

PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 772 Anm. 1), 461. Ebd. 598 Ebd. 599 Zur Metaphysik der Liebe cf. DORNER, a.a.O. 427f, und PANNENBERG, a.a.O. 455ff (»Liebe und Trinität«). 600 PANNENBERG, a.a.O. 465. 601 R. PRENTER, Der Gott, der Liebe ist, ThLZ 96 (1971), 401–413, hier 406. 602 Es ist insbesondere die Hegel’sche »Logik«, die einen solchen Begriff von Gottes Wesen bzw. Substanz als ein sich selbst tragendes Relationsgefüge ausgearbeitet hat, bei dem weder die Relate primär sind (so dass kein einheitliches Wesen gedacht werden kann) 597

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1. »Person« und Beziehung In der genannten formalen Hinsicht ist der erarbeitete Begriff der Trinität zu charakterisieren. 1.1. Es ist bereits bei Gregor von Nyssa ein Anliegen herauszustellen, dass die Gottheit selber in der gemeinsamen Tätigkeit besteht, durch die Vater, Sohn und Hl. Geist miteinander verbunden sind.603 Hier wird dann auch die Besonderheit der Personen durch ihre Beziehungen zueinander bestimmt,604 d. h. in einer wechselseitigen Konstitution ihres spezifischen Personseins: Jede der Hypostasen ist nur durch die anderen Personen und in ihnen selber Person.605 Damit ist jeglicher Subordinatianismus ausgeschlossen, wonach der Vater allein »Quelle und Wurzel« der Gottheit ist.606 1.2. Auf die genannte Weise kann auch vermieden werden, die trinitarischen Unterschiede durch interne Selbstentwicklung des göttlichen Selbstseins o. ä. zu erklären, was zum Modalismus oder zur Reduktion auf einen nicht-trinitarischen Monotheismus führen würde.607 Vermieden wird so überhaupt eine Ableitungs-Theorie für die Trinität, denn Vater, Sohn und Geist sind nicht von etwas Anderem und von ihnen Verschiedenem herleitbar (auch nicht aus dem Begriff eines gottheitlichen Wesens [divinitas]), sondern konstituieren sich allein von sich (untereinander) her; das bedeutet ihre gemeinsame Aseität.608 Dies impliziert: Die innergöttlichen Hypostasen sind überhaupt nicht auf die einsinnigen (traditionell unterschiedenen) Ursprungsrelationen zurückzuführen, die von Vater und Sohn prädiziert werden (»Zeugen, Hauchen«) und das Personsein von Sohn und Geist konstituieren sollen.609

noch die eine Wesenssubstanz vorausgeht (so dass die Relationen ihr nur sekundär zukommen können); cf. dazu oben S. 793 Anm. 136 und S. 796 Anm. 152. Begriffe wie: Sich-selbst-Voraussetzen, Selbstunterschied, Sich-von-sich-Abstoßen, dialektische Mitte sind dabei maßgeblich. 603 Gregor von Nyssa, C. Eun. 2,149 (nach PANNENBERG, a.a.O. 303f Anm. 67; mit einer kritisch präzisierenden Anfrage). 604 Nachweise bei den großen Kappadokiern PANNENBERG, a.a.O. 304 Anm. 68. 605 S. o. L. 1. (S. 871f). 606 PANNENBERG, a.a.O. 304 Anm. 69 und 70. 607 Cf. a.a.O. 322 und 330f zu K. Barth (Gott als einzige wirkliche Subjektivität). 608 S. o. J. 1. (S. 857ff). 609 »In Gott sind die einzelnen Momente seines trinitarischen Lebens, die Personen, nicht derart als real verschieden zu denken, daß die eine als Ursache der andern zu verstehen wäre, weil die drei Personen wechselseitig aufeinander bezogen sind und einander dadurch in alle Ewigkeit wechselseitig bedingen. Die Einheit Gottes ist also lebendige Wirklichkeit nur in den drei Personen und ihrer gegenseitigen Vermittlung« (W. PANNENBERG, Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland, UTB 1979, Göttingen 1997, 289).

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1.3. Vielmehr kann keine innertrinitarische Instanz ohne die anderen beiden sein (und gedacht werden): Jede ist nur so für sich (bzw. ebendarin), dass sie zugleich in die andere übergeht. In diesem dynamischen Sinne sind Vater, Sohn und Hl. Geist »Korrelationsbegriffe«; keiner dieser drei ist richtig verstanden, ohne dass zugleich die beiden anderen mitgedacht würden. Das heißt: Jeder ist als ein Sich-Unterscheidendes (bzw. in der als Bezug auf die anderen begriffenen Selbstunterscheidung) er selbst. Dieser dialektische Bezug auf die je anderen ist ihr gemeinsames Wesen: ihre Korrelativität als lebendige. Damit ist gegeben: – Es werden nicht drei Substanzen nachträglich durch Relationen in Beziehung gesetzt bzw. verbunden, so wenig wie es sich um unselbständige, bloße Bezugspunkte in einem a priori einheitlichen Ganzen oder dessen modale Abwandlungen (»Seinsweise«) handelt. – Jede trinitarische Instanz hat ihre Selbständigkeit gerade im Bezug (d. h. von sich weg) auf die andere, d. h. als Selbstunterscheidung. – Es handelt sich bei der Trinität um eine durch das Sich-Unterscheiden ihrer »Momente« (Personen als »Mitten«) sich erst herstellende Einheit; d. h., die »absolute Korrelativität« ist deren Substanz. Daher ist die göttliche Einheit weder außerhalb der drei (als sie umgreifendes Viertes) noch bloß »in« ihnen (als ihre formale Gattung), so dass sie faktisch in drei Exemplare einer Gattung auseinanderfielen, das, was hier gedacht werden soll. Sondern jede Person ist gerade im Bezug auf die anderen sie selbst und der ganze Gott. 2. »Person« und Gemeinschaft Zusammenfassend lässt sich sagen: »Die Personen selbst konstituieren ihre Unterschiede wie ihre Einheit«.610 Damit steht fest, dass die »Monarchie des Vaters nicht Voraussetzung, sondern Resultat ihres Zusammenwirkens ist611 – nämlich der drei Personen (oder Mitten), die in ihrer relationalen Vereinigung zu ihr beitragen, so dass die »Vermittlung« zur Einheit der Gottheit nicht äußerlich ist.612 Das ist noch einmal zweifach zu erläutern. 2.1. Jede der trinitarischen Personen ist »ekstatisch«, d. h. durch Selbstunterscheidung auf einen der beiden anderen bzw. beide bezogen, und hat in dieser Beziehung ihre personale Eigenart.613 So sind die Beziehungen zwischen den Personen (die gegenseitige »Einwohnung« oder Perichorese) für ihr spezifisches Personsein konstitutiv, und das Dasein dieser Hypostasen als

610

MOLTMANN, Trinität und Reich Gottes (wie oben S. 812 Anm. 239), 192. Cf. oben Abschnitt H. 4. (S. 839ff). 612 Cf. PANNENBERG, a.a.O. 355. 613 A.a.O. 462. 611

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»Mitten« ist völlig durch die wechselseitigen Beziehungen erfüllt und außer ihnen nichts für sich. Indem die innertrinitarischen Relationen konstitutiv sind für die unterschiedlichen Eigentümlichkeiten der drei Instanzen im göttlichen Leben, gilt: »Diese sind … nur, was sie in ihren Beziehungen zueinander sind, durch die sie sich sowohl voneinander unterscheiden als auch miteinander vergemeinschaften.«614 2.2. Sofern jede »Person«, indem sie sich zu den anderen beiden verhält, sich zugleich auch zu ihrer aller Einheit verhält, konstituiert sich auf genau diese Weise die Dreieinheit dieser drei als der eine Gott. Durch die Beziehungen zu den beiden anderen Personen vermittelt sich auch der Bezug »auf das ihre je einzelne Personalität übersteigende göttliche Wesen«,615 oder anders gesagt, es müssen »die Beziehungen zwischen den Personen als konstitutiv nicht nur für deren Eigentümlichkeiten, sondern auch für ihre Gottheit« gedacht werden.616 Wendet man das geschichtlich (bzw. auf die ökonomische Trinität) an, so gilt, dass die in der Hl. Schrift bezeugten aktuellen Beziehungen des Sohnes und Geistes zum Vater auch für ihre Identität insgesamt konstitutiv sind. In der Selbstunterscheidung jeder der drei von den jeweils anderen beziehen sie sich zugleich auf die Gottheit als Ganze. 3. »Person« und der lebendige Gott Die Trinität ist als Einheit nicht so etwas wie die »Summe« von Vater, Sohn und Geist, sondern ein einiges Leben in der Dreiheit als immanenter Relationszusammenhang,617 so dass hier weder eine vorgängige Unabhängigkeit der in Relation lebenden Instanzen noch auch eine undifferenzierte Einheit ihres Zusammenhangs infrage kommt.618 Es handelt sich um eine sich herstellende, und d. h. eine sich als absolute, durch wirkliche, aber immanent bleibende Differenzierung hindurch manifestierende Einheit. 3.1. Daraus folgt, dass in jeder der drei Personen als »Mitten« zugleich das Ganze ihrer Gottheit präsent ist. Deswegen ist auch weder ihre »Summe« größer als jede Einzelne von ihnen,619 noch ist ihre Verschiedenheit so groß, dass sie wie Exemplare einer Gattung addierbar wären.620

614

A.a.O. 348. A.a.O. 464. 616 A.a.O. 351. 617 Hier entspricht die Relation der Differenz, die Immanenz der Einheit. 618 Schon Athanasius wusste: Der Vater kann nicht gedacht werden, ohne auch den Sohn und den Geist mitzudenken. 619 Cf. Augustin, De trin. VI 7,9 (PL 42, 929). 620 Cf. a.a.O. VI 4,7ff (PL 42, 927ff). 615

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3.2. Andererseits ist keine dieser drei als je Einzelne abstrakt für sich genommen mit dem einen (persönlichen) Gott identisch, der in ihnen nur da ist, d. h., indem sie in ihrer Gemeinschaft miteinander der eine wahre und lebendige Gott sind. Es handelt sich auch nicht um drei gesonderte göttliche »Persönlichkeiten«621 oder eine dreimalige Wiederholung des einen und ganzen Gottes. Umgekehrt aber werden die Unterschiede gleichsam bestätigt von der göttlichen Einheit (Gott selbst), und diese ist in ihnen allen, allerdings in jeder Hypostase (oder Mitte) auf eine spezifisch andere Weise, gegenwärtig und wirksam. Das heißt, der eine und wahre Gott gibt jeder der drei Personen (vermittelt durch die beiden anderen) lebendigen Anteil an sich, während er zugleich aus ihr bzw. von ihr her seine ewige Einheit konstruiert (oder: rekonstruiert) und aus ihr (an ihrem Orte) sich hervorbringt. Gott kommt aus jeder der drei »Mitten« auf sich selber zu (wie auch auf die beiden anderen), indem er zugleich an ihr schon seine Dreieinigkeit ganz hat und in ihr sich selber findet. 3.3. Indem die Hypostasen als solche (verschiedene) durch sich miteinander verbunden sind,622 ist das Unterscheidende in Gott zugleich auch (eodem actu) das Verbindende. Das bedeutet einen lebendigen Kreislauf ewiger Vollkommenheit und Selbstgenügsamkeit, der sich durch seine drei Mitten als Vermittlungsinstanzen seiner selbst hindurch bewegt.623 Indem die drei wechselweise aufeinander bezogen sind und nicht ohne einander sein können, was sie sind, handelt es sich um reale, lebendig miteinander vollzogene Relationen des Einen Gottes zu sich und in sich selbst. Er ist es, der in ihnen als er selber absolut »selbst-korrelativ« ist. Die göttliche Einheit bzw. Gott als der Lebendige existiert nicht besonders für sich und separat gegenüber den drei; sondern in der göttlichen οὐσία (als der Einheit) selber geht die Dreiheit ewig hervor624 bzw. unterscheidet sich in ihr von ihr und führt simultan das Sich-Unterscheiden der drei durch sich selbst zur Einheit zurück. Diese Einheit der drei ist ewig als das durch die drei Hervorgebrachte: Indem sie sich von ihr unterscheiden, heben sie sich zugleich in sie hinein auf bzw. lassen sie so als Einheit sein. Entscheidend ist dabei, dass die Unterschiede durch sich selbst zur Einheit zurückstreben und sie ständig aktuell hervorbringen,625 so dass nicht nur 621

Jesus Christus ist »Person«, indem er sein Sein im strengen Sinne in Gott dem Vater hat; cf. oben S. 790 Anm. 123. 622 Das heißt, indem jede von sich her auf die andere durch Selbstunterscheidung sich bezieht. 623 Cf. oben Anm. 584. 624 Von einer »Selbstwiederholung« des Einen in der Dreiheit sollte nur gesprochen werden, wenn zugleich die wirkliche Kommunikation der drei untereinander und diese als ihre wirkliche Einheit mitgedacht werden. 625 Dies gilt auch von den zeithaften Unterschieden (ökonomische Trinität) bezüglich der ewigen Einheit Gottes; s. o. Abschnitt K. (S. 865ff).

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unbeschadet oder trotz der Unterschiede, sondern gerade durch sie die wahre und lebendig-absolute, mithin göttliche Einheit »besteht«.

N. Beschluss: Gottes Name als absolute Form des Begriffs 1. Gottes Dreieinigkeit, so konnte hier aufgewiesen werden, ist die sich selbst hervorbringende und bestimmende absolute Einheit. Als perichoretisches Leben des Gottes, der selber die ewige Liebe ist626 und sich selber unendlich liebt, ist die Trinität die Selbstbestimmung von Gottes Wesen in seiner Dreiheit (von dialektischen Mitten) bzw. die Selbstbestimmung seines substanziellen Inhaltes zu seiner wirklichen Form.627 Damit ist gesagt: Der absolute Begriff Gottes als sich selber dreieinig zur Wirklichkeit bringend ist Gottes »vollkommene Form« (K. Barth).628 Diese absolut zu nennende Form entspricht dem konsequent zu Ende gedachten und spekulativ begriffenen Namen Gottes, von dem diese Gotteslehre ihren Ausgang genommen hat: Ich bin, der ich bin, und werde sein, der ich sein werde. (Ex 3,14) Dieser absolute Name des lebendigen Gottes artikuliert den Begriff des sich Hervorbringenden und so im Werden zu sich Lebendigen: als selbst hervorgebrachte, unbedingte Einheit mit sich in dem selbstgesetzten Unterschied von sich. Der so begriffene göttliche Name schon gibt zu denken, dass Gott als der im Sohn Offenbare zugleich der als Vater in sich Verborgene und als die Einheit dieser Bewegung der Geist des Dreieinigen ist. Auch vom biblischen Namen Gottes aus lässt sich die Trinität mithin als absolute Einheit von Inhalt und Form begreifen: »der Inhalt ist die Form selbst, insofern sie sich als Verschiedenheit bestimmt und sich selbst zu einer ihrer Seiten, als Äußerlichkeit, zu der anderen aber als in sich reflektierte Unmittelbarkeit oder zum Inneren macht«.629 Vater, Sohn und Hl. Geist sind 626

S. o. § 11 B. (S. 613ff). Cf. K. Barth: Gott »ist der vollkommene Inhalt des göttlichen Wesens, der auch seine Form vollkommen macht. Oder: es ist die Vollkommenheit seiner Form nur die Ausstrahlung der Vollkommenheit seines Inhaltes und also Gottes selber« (KD II/1, 743; cf. anschließend zur Dreieinigkeit a.a.O. 743f). 628 »Die Form des vollkommenen Wesens Gottes ist … jene wunderbare, immer wieder rätselhafte und auch immer wieder in sich klare Einheit von Identität und Nicht-Identität, von Einfachheit und Vielfachheit, von Innen und Außen, von Gott selbst und von der Fülle dessen, was er als Gott ist« (KD II/1, 741). 629 Cf. HEGEL, Werke 6, 184. Die Seite der »Äußerlichkeit« ließe sich auch auf die ökonomische Trinität, die des »Inneren« auf die immanente beziehen; unmittelbar aber ist der Satz für die trinitarischen Momente des Sohnes und des Vaters und ihrer Einheit im »Sich-Machen« als Geist in Anspruch zu nehmen. 627

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nur inhaltliche Instanzen (»Personen«), sofern sie zugleich auch als Momente der Form des göttlichen Lebens (»Mitten«) gedacht werden müssen.630 Damit ist trinitätstheologisch der absolute Begriff von Gottes Wirklichkeit (als Identität von Erscheinung und Innerem, von Wesen und wirklichem Leben) eingeholt: »Seine Erscheinung ist nicht nur die Reflexion in Anderes, sondern in sich, und seine Äußerlichkeit daher die Äußerung dessen, was es an sich ist; und indem so sein Inhalt und seine Form schlechthin identisch sind, so ist es nichts an und für sich als dies, sich zu äußern.«631 In solcher absoluten Begriffsform kommt, seinem Namen (Ex 3,14) entsprechend, Gott trinitarisch zu sich als dem, der er ewig als der Lebendige ist, und es ergibt sich, daß in der wahren Religion die Mehrheit nicht mehr die Negation der Einheit, sondern die Differenz, die Einheit nicht mehr die Negation der Mehrheit, sondern die Identität des Unterschiedenen ist. In der christlichen Religion ist Gott in seiner abstracten Unterschiedslosigkeit und grundlosen Unmittelbarkeit vorgestellt als Vater: Er ist in der Unterscheidung seiner von sich unendlich mit sich identisch, Gott i n Gott. Gott aber, in seiner Identität mit sich, sich von sich ewig unterscheidend, ist vorgestellt als Sohn: er ist der unendliche Unterschied in der unendlichen Identität, Gott a u s Gott. Gott aber die Identität der Identität und Differenz ist vorgestellt als Geist: er ist der in und aus Gott seyende, und so [Gott] f ü r sich. In der wahren Religion, welches die christliche ist, offenbaret sich Gott als der Dreieinige.632

2. Rückblick und Übergang. Der in der vorliegenden Gotteslehre erarbeitete Begriff von Gott als dem sich in Zeit und Ewigkeit – in der Zeit für alle Ewigkeit – selbst Hervorbringenden ergab sich aus einer spekulativen Interpretation des Namens Gottes gemäß Ex 3,14.633 Dieses Ausdenken von Ex 3,14 hat (auch von der Sprache her) einen Gottesbegriff ergeben, der sich als tragfähig für die ganze dogmatische Lehre von Gott bis in die Trinitätslehre erweist und somit als relevant und fruchtbar auch für das spezifisch Neue, das dieser Begriff von Gott her zu denken gibt, und es theologisch legitimiert.634 630 Im Horizont des Formbegriffs ist die Formel des »Symbolum Athanasii« zu begreifen, dass jede der drei innertrinitarischen Instanzen zugleich der ganze Gott ist. 631 Cf. HEGEL, a.a.O. 185. 632 MARHEINEKE, Grundlehren (wie oben S. 817 Anm. 270), 120 (§ 205). 633 S. o. §§ 1 und 2. 634 Das Gesagte gewinnt darin Kontur, dass auch die Anlage und Gliederung der durchgeführten Gotteslehre sich aus der Grundstruktur von Ex 3,14 herleiten bzw. darin sinnvoll anschließen lässt (Kap. I). Gott als der Lebendige und Allmächtige kam zunächst nach seinem formalen Sein in den Blick (Kap. II). Damit soll sein eigenes In-sich-Sein thematisiert werden, in dem er auch schon uns ewig zugewandt ist (§ 6). »Formal« heißt aber nicht inhaltsleer – sonst wäre es nicht Leben. Vielmehr bezeichnet der Ausdruck hier die allumfassende und allbestimmende Grundverfassung des göttlichen Seins als solchen. Dass dieses Sein nicht inhaltsleer ist, zeigt sich auch daran, dass in Kapitel III aus dem Zusammenspiel von Leben und Allmacht das konkrete Sein Gottes herleitbar ist. In diesem Kapitel II entfaltet sich der innere Reichtum des göttlichen Seins für uns und bei uns

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Zweiter Teil, Kapitel IV: Das absolute Sein Gottes

In ihrer Ausarbeitung wurde das an zwei christlich zentralen Themenkomplexen grundlegend durchgeführt. Gott bringt sich selber hervor: 1) in der Schöpfung bzw. aus ihr, welche ihrerseits sich im Menschen vollendet, in dem als die Schöpfung und Gott Erkennenden die Schöpfung zu sich kommt bzw. ihrer selbst innewird, nämlich Gottes in der Wirklichkeit des Menschen.635 2) in Jesus Christus, d. h. am Ort des Menschen als vollkommenem Ebenbild Gottes (und Höhepunkt der Schöpfung), um so in der Schöpfung absolut bei sich zu sein, indem er am Orte des Menschen Jesus, der als der Sohn zugleich Gott ist, ganz bei sich ist, weil dieser nur in vollendeter Gottesbeziehung ist, was er ist, nämlich Gott in der Wahrheit des Menschen.636 Diese Selbsthervorbringung kommt im Eschaton (als Vollendung von Mensch und Schöpfung überhaupt) zu ihrem Ziel, denn Gott bringt sich darin endgültig so hervor, dass er 3) dann »alles in allem (und allen)« ist (1Kor 15,28), und d. h., dass er derart in allem und allen bei sich ist und alles und alle ewig in Gott sind. Dabei trägt Gott, durch Jesus, den Christus, vermittelt, die vollendete Schöpfung als Ort seines eigenen Lebens ewig in sich, wie er zugleich in ihr (vom Menschen aus) als seinem eigenen Anderen durchsichtig bei sich selber ist.

(konzentriert in den §§ 13 und 14): ein differenzierter Selbsterschließungskomplex, der sich bei uns durchsetzt. In der Perspektive von Gottes absolutem Sein führt das Kapitel IV unter den Bedingungen von Kapitel III gleichsam wieder zu Kapitel II zurück, und das Verhältnis von »ökonomischer« und »immanenter« Trinität wiederholt im göttlichen Leben selber noch einmal das Verhältnis von Kapitel III zu Kapitel II, und diese sind hier in Kapitel IV absolut eins. Der trinitarische Begriff von Gott (als sein absoluter Begriff bzw. Begriff seines Absolut-Seins) ist auch der absolute Begriff von »Sein« überhaupt – die Seinsfrage ist theologisch statt ontologisch zu beantworten –, und er ist der Inbegriff absoluter (§ 15) und letzter (§ 16) Wirklichkeit, in die auch wir einbegriffen sind. Der Gedankengang der drei Kapitel in dieser Gotteslehre reflektiert von Kapitel II zu Kapitel III Gottes lebendiges Aus-sich-Herausgehen und im Erreichen von Kapitel IV die allmächtige Einigung beider Dimensionen in Gott selber (als immanente und ökonomische Trinität). 635 Auch die Lehre von Gottes Wort und die vom Gebet gewinnen vom Begriff göttlicher Selbsthervorbringung, wie sich immer wieder zeigen ließ, ein neues Profil. 636 Wenn Gott sich selber in der Geschichte als der Ewige hervorbringt (s. o. § 9), muss ein besonderes theologisches Gewicht auf seiner Menschwerdung in Jesus von Nazareth zu liegen kommen (bzw. diese erschließt maßgeblich jenes Geschehen) – ein Gewicht, das die christlich zentrale Bedeutung Jesu Christi wirklich theologisch begreifen lässt und die Gotteslehre in gewisser Weise »christozentrisch« macht.

§ 15 Der Dreieinige

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Dem ist der folgende letzte Paragraph 16 dieser Gotteslehre gewidmet. Dabei ist zu beachten, dass dieser letzte Gesichtspunkt (3]) nur darum möglich ist, weil und sofern Gott sowohl bei der Schöpfung (1]) wie bei der Inkarnation (2]) bereits sich immer schon sein ewiges Leben aus Zeit und Geschichte, d. h. aus der irdischen Welt und den zeitlich existierenden Menschen, sich selber hervorbringend, bereitet hat und auch darin immer schon zu sich zurückgekehrt ist.637 Erst mit dem abschließenden Paragraphen 16 vollendet sich der göttliche »Name« absolut und erweist sich das in Ex 3,14 ankündigend (futurisch) Ausgesprochene als endgültig realisiert. Erst wo Ex 3,14 sich zu Ende artikuliert hat, ist auch der Begriff Gottes zu Ende gedacht.

637

S. o. § 9 D. 1. (S. 532ff).

§ 16 Der Erste und der Letzte Ich werde sein, der ich sein werde. (Ex 3,14)

Der dreieinig lebendige Gott ist als sich Hervorbringender sein eigener Anfang und sein eigenes Ende und ist als im Werden zu sich begriffen der eschatologisch Kommende – für uns aus dem Tode mit seinem ewigen Leben.

A.Theologie und Eschatologie 1. Eschatologie und Gotteslehre Die christliche Rede vom Eschaton1 ist kein mythologischer oder weltanschaulicher (und so eigentlich überflüssiger) Anhang zur Theologie oder nur dem menschlichen Denkzwang geschuldet, alles tendenziell zu Ende denken bzw. bei allem zeitlich Seienden auch ein Ende vorstellen zu müssen. Sie ist vielmehr ein theoretisch wesensnotwendiger Ausdruck des lebendigen Gottes als eines solchen, nämlich sich selbst Hervorbringenden. Der sich hervorbringende Gott ist in seinem Sein so eschatologisch wie nichts sonst, und wer vom lebendigen Gott reden will, muss immer auch eschatologisch von ihm reden.2 Das dogmatische Lehrstück der Eschatologie behandelt mithin kein bloß traditionell mitgeführtes oder gar kontingentes theologisches Thema, sondern es ist so eng mit der Gotteslehre verbunden, dass diese ohne es nicht mehr christlich wäre und es nicht mit dem lebendigen Gott zu tun hätte.3 Dies Thema ist schon im Gedanken der Schöpfung angelegt. Außerdem hängt es in dieser Gotteslehre historisch und systematisch eng mit dem Ausgang vom biblischen Gottesnamen zusammen;4 diese muss deswegen hier mit einer Grundlegung der Eschatologie schließen.5 1

Cf. oben § 8 C. (S. 456ff). Gerade als Lehre von den »letzten Dingen« ist die Eschatologie wesentlich Theologie. 3 Cf. D. LANGE, Die Notwendigkeit der Eschatologie, ZThK 112 (2015), 83–99. 4 Eschatologie heißt für diese Gotteslehre, die Wirklichkeit von Welt und Geschichte im Licht von Ex 3,14 zu betrachten. Cf. oben § 1 D. 5. (S. 134ff) und unten Abschnitt B. (S. 887ff). 5 Im vorliegenden Rahmen können nur theologische Grundzüge der Eschatologie angesprochen, kann aber nicht eine »Lehre von den letzten Dingen« umfassend durchgeführt werden. Cf. dazu P. ALTHAUS, Die letzten Dinge, Gütersloh 51949 u. ö.; W. PANNENBERG, 2

§ 16 Der Erste und der Letzte

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Dass die Eschatologie ein integrales, spezifisch theo-logisches Thema ist, zeigt auch der Zusammenhang von »Name« und »Reich Gottes« im von Jesus für uns formulierten Vaterunser. An die erste Bitte des Herrengebetes um die Heiligung des göttlichen Namens schließt sich unmittelbar und in engstem sachlichen Zusammenhang die zweite um das endgültige Kommen von Gottes Reich6 an (Mt 6,9f; Lk 11,4).7 In beiden Bitten geht es um die volle Selbstverwirklichung Gottes selbst bzw. um die vollendete Realisierung dessen, was Gottes Name Ex 3,14 (futurisch) verheißt. Als in seinem Sein selber eschatologisch verstanden, ist Gott erst vollkommen als der lebendige Gott verstanden, d. h. als der absolut Lebendige.8 Gottes Leben ist es, das den dynamischen Zusammenhang von Protologie und Eschatologie stiftet. Daher ist hier, wie der § 8 und der § 9 gezeigt haben, die Lehre vom Anfang (d. h. der Schöpfung bzw. der Zeit) gemäß Ex 3,14 (in futurischer Fassung) ganz vom Ende her entworfen und gedacht (d. h. der Vollendung bzw. der Ewigkeit).9 Die Protologie der Sache nach von der Eschatologie aus zu konzipieren und in dieser systematisch den wahren Anfang (als einen sich entzweienden bzw. sich selber sich vorauslaufenden) zu begreifen, ist eine Weise von »Letztbegründung«, die nicht mehr einer Ursprungslogik gehorcht,10 sondern eschatologisch, vom Letzten her (als »Zuletztbegründung«), entworfen ist.11 Von der protologischen Schöpfung (als creatio ex nihilo) reicht der Spannungsbogen des einen göttlichen Lebens bis zur eschatologischen Neuschöpfung. Den Wendepunkt auf diese hin stellt die Auferweckung Jesu Christi Systematische Theologie, 3 Bde., Göttingen 1988, 1991, 1993, Bd. III, 569–694 (15. Kap.); F. BEIẞER, Hoffnung und Vollendung, HST 15, Gütersloh 1993; J. MOLTMANN, Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995. 6 Jesu Ansage des Reiches Gottes als »nahe herbeigekommen« (Mk 1,15) muss von dessen Werden zu sich und dies als spezifisch am Orte Jesu ereignet begriffen werden; cf. J. RINGLEBEN, Jesus. Ein Versuch zu begreifen, Tübingen 2008, 110ff. 7 Zur Auslegung und Aufbaulogik cf. a.a.O. 255f und 267f. 8 Ebendeswegen kann diese Gotteslehre, der es wesentlich um Gott als den »lebendigen Gott« geht (s. o. Vorwort, S. X [3.]), nicht ohne eine theologische Grundlegung der Eschatologie zu Ende gebracht werden. 9 Der vorliegende eschatologische Paragraph vollendet gleichsam das mit der Selbstaussage: »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ex 3,14) in Aussicht gestellte Ziel göttlichen Werdens zu sich. Wegen der hier gewählten Platzierung der Eschatologie am Ende der dogmatischen Gotteslehre – die an sich auch mit ihr beginnen und gleichsam analytisch verfahren könnte und jedenfalls von Anfang an mit im Blick war – könnte der falsche Eindruck entstehen, die Begriffe τὰ ἔσχατα bzw. novissima besagten, dass die Ewigkeit erst nach dem irdischen Leben käme; zur Korrektur dessen s. u. E. 1.2.1. (S. 921ff) und S. 942 bei Anm. 368. 10 Eine solche lässt sich nicht mit dem lebendigen Gott als dem mitgehenden Anfang vereinbaren. 11 Cf. unten B. 2.1. (S. 889).

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(vom Tode) als proleptische Überwindung des Todes und Einbruch des Eschaton ins Irdische dar.12 Faktisch gibt es somit zwei grundlegende Anknüpfungspunkte für den Entwurf einer christlichen Eschatologie: 1) das spezifisch christliche Wirklichkeitsverständnis, nach dem die wahre Wirklichkeit noch nicht erschienen13 bzw. im Erscheinen begriffen ist (1Joh 3,2),14 d. h., dass das menschliche Verhältnis zur Welt (wie diese selber) und zu sich noch im Unterschied zu sich und seiner Wahrheit befindlich ist; 2) die Auferweckung Jesu aus dem Tode zu eschatologischem Leben (cf. Joh 11,25; 1Kor 15,54f).15 Durch sie ist er schlechthin der ἀρχηγὸς τῆς ζωῆς (Act 3,15; Hebr 2,10: τῆς σωτηρίας) und so τῆς πίστεως ἀρχηγὸς καὶ τελειωτής (Hebr 12,2).16

12 Mit der Auferweckung Jesu ist – ebenfalls in eschatologischer Perspektive – die Rechtfertigung des Sünders (als Befreiung vom tötenden Gesetz) in diese Bewegung auf die Vollendung hin einbezogen (cf. Röm 4,17 mit V. 23–25). Cf. LUTHER, WA 40 I, 487,32–488,19. Zum Motiv der eschatologischen Antizipation in der heilvollen Gegenwart Christi cf. M. Theunissen: »Das Ganze des … Lebens ist Antizipation, nicht die durch den Menschen zu leistende Antizipation der Zukunft in der Gegenwart, sondern die Gegenwart selbst als Vorwegnahme der Zukunft, als Hineinscheinen der Zukunft in sie« (M. THEUNISSEN, Ὁ αἰτῶν λαµβάνει. Der Gebetsglaube Jesu und die Zeitlichkeit des Christseins [1976], in: ders., Negative Theologie der Zeit, stw 938, Frankfurt 1991, 356). Dem entspricht, dass Jesu Erwartung des kommenden Gottesreiches christlich abgelöst wird durch die Erwartung der Wiederkunft Christi selber (cf. R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen, TOBITH 1, Tübingen 2011, 416) – so wie das von Jesus verkündete Reich Gottes an ihm selber bei seiner Auferstehung sich schon realisiert hat. 13 Gerade auch alles Unabgegoltene, quälend Ungelöste, nach vorwärts Drängende in der erfahrbaren Wirklichkeit zielt theologisch gesehen auf eine Eschatologie; dem haben E. BLOCH mit seiner »Ontologie des Noch-nicht-seins« (Frankfurt 1961) und J. MOLTMANNs »Theologie der Hoffnung« (München 1964) sowie G. SAUTER (Zukunft und Verheißung, Zürich 1965) zu entsprechen versucht. Cf. auch Th. W. Adorno: »Perspektiven müßten hergestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird« (TH. W. ADORNO, Minima Moralia. Nr. 153, BS 236, Frankfurt 1970, 334 = DERS., Gesammelte Schriften, Bd. IV, Frankfurt 1980, 281); cf. den Beginn des Zitats unten S. 902 Anm. 113. 14 Dazu cf. genauer unten D. 1. (S. 897ff). Für Luther wäre auf WA 7, 337 zu verweisen (s. o. § 9 [S. 544 bei Anm. 237]) sowie auf seine Ausführungen zur expectatio creaturae (Röm 8,19: WA 56, 371,1ff und dazu RINGLEBEN, Gott im Wort. Luthers Theologie – von der Sprache her, HUTh 57, Tübingen 2010, 544ff). 15 Cf. dazu mein Buch: J. RINGLEBEN, Wahrhaft auferstanden. Zur Begründung der Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen 1998. 16 In Kraft seiner Auferstehung ist er die ἀπαρχὴ τῶν κεκοιµηµένων geworden (1Kor 15,20), und d. h. auch überhaupt der πρωτότοκος unter vielen Menschengeschwistern (Röm 8,29) bzw. genauer: Er ist als der πρῶτος ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν (Act 26,23) bzw.

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In beiden Hinsichten bringt sich zur Geltung: Die Eschatologie löst nur ein, dass ebenso wie das menschliche Welt- und Selbstverhältnis auch Gottes Verhältnis zu sich selber und zu seiner Schöpfung ganz von Antizipation (verstanden als ein Sich-Voraussetzen) bestimmt und so in das göttliche SichHervorbringen als Werden zu sich eingezeichnet ist.17 Gott selber als der, der als auf sich zukommender eschatologisch ist, bestimmt auch seine Welt und uns als Unterwegssein zu sich.18 2. Beobachtungen zur Terminologie 2.1. Die Eschatologie ist die dogmatische Lehre von den »letzten Dingen«.19 Dabei gibt bereits zu denken, dass, was griechisch τὰ ἔσχατα heißt, lateinisch auch mit novissima wiedergegeben werden kann.20 Darin deutet sich an, dass eschatologisch das Letzte gerade ein Neuanfang (von Gott her) ist bzw. dass mit dem Ende (des Lebens, der Welt) keine Vernichtung, sondern ein unüberbietbarer Anfang verheißen ist.21 Andererseits gilt: Das schlechthin Neue kann nur als das Letzte von allem kommen. In dieser terminologischen Auffälligkeit reflektiert sich der Sache nach, dass die ἔσχατα als novissima, der πρωτότοκος ἐκ τῶν νεκρῶν (Kol 1,18; Apc 1,5) auch der πρωτότοκος πάσης κτίσεως (Kol 1,15), und d. h. auch ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ überhaupt (Apc 3,14). 17 Die faktischen »zufälligen Geschichtswahrheiten« (G. E. Lessing) sind theologisch von der Selbstsetzung der ewigen Wahrheit her zu begreifen, und die Inkarnation im geschichtlichen Menschen Jesus ist die vollendete Offenbarung Gottes selber. Ohne diese Offenbarung gibt es keine Eschatologie, sondern nur den Platonismus ewig »notwendiger Vernunftwahrheiten« (G. E. Lessing) oder aufgeklärten Moralismus (M. Mendelsssohn). 18 Eschatologie wird also in dieser Gotteslehre als das Ewigkeit-Zeit-Verhältnis, explizit übertragen auf die Geschichte (unter Einbeziehung der individuellen Lebensgeschichten), verstanden. Es wird sich zeigen, wie irrig die Meinung von P. Valéry war: »Die beiden spiegelbildlichen Lehren, die eine, die vom ewigen Leben handelt, und die andere, die uns ein für allemal zugrunde gehen läßt, führen zum selben Ergebnis: beide sprechen den menschlichen Erfindungen und Schöpfungen jegliche Bedeutung ab. Die eine vergleicht die endlichen Werke mit dem Unendlichen und macht sie dadurch zunichte. Die andere läßt uns auf null zustreben und mit uns alles übrige. Wären allesamt echte Christen oder allesamt echte Heiden, so wären alle tot, tot ohne irgend etwas geleistet zu haben« (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte, hg. von H. Köhler/J. Schmidt-Radefeldt, Bd. II, Frankfurt 1988, 481). Zur Frage des im ewigen Leben bleibenden, weil schöpferisch aufgehobenen »Lebensertrages« des Einzelnen s. u. E. 4.1.3. (S. 942f). 19 So seit A. CALOV, Systema locorum theologicorum, Bd. X, Wittenberg 1677. 20 Im Deutschen entspricht dem, dass der »jüngste Sohn« der letzte ist (so Luther im Alten und Neuen Testament; cf. Gen 43,29: νεώτερος [LXX; lat. minor) u. ö.]); ähnlich I. KANT in »Das Ende aller Dinge« (1794), in: Kant-AA 8, 328,2f. 21 Cf. dazu unten Abschnitt B. 1. (S. 887ff). Als »Tiefe des Unbekannten, etwas Neues zu erfahren« (Au fond de l’Inconnu pour trouver du nouveau) preist Ch. Baudelaire in den »Fleurs du Mal« den Tod (Nr. VIII der Gedichtfolge »Le Voyage«: »O Mort, vieux capitaine …«).

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d. h. als das absolut Neue, nichts anderes darstellen als Gott selbst in seiner vollendeten Wirklichkeit und Selbstsetzung, die zugleich die Wahrheit der Welt und ihrer Geschichte sowie allen Menschenlebens ist, sofern sie sich gegen deren bisherige Unwahrheit endgültig durchgesetzt hat (cf. 1Joh 3,2). 2.2. Vergleichbares zeigt sich, betrachtet man neutestamentliche Ausdrücke für den »Jüngsten Tag« (Luther) wie Joh 6,39; 11,24 (Auferstehung);22 12,48 (Gericht):23 ἐν τῇ ἐσχάτῃ ἡµέρᾳ bzw. in novissimo die.24 »Eschatos« bzw. »novissimus« kann es von der Zeit überhaupt heißen (1Kor 15,8) bzw. der »letzten Stunde« (1Joh 2,18), von Adam (1Kor 15,45) oder vom Tode (1Kor 15,26).25 Der Ausdruck »Jüngstes Gericht«26 ist Luthers (wohl wegen des Zusammenhangs mit dem »Jüngsten Tag« gewählte) Wiedergabe von ἡµέρα τῆς κρίσεως (dies iudicii; Mt 10,15; 11,22.24; Mk 6,11 App.) bzw. einfach κρίσις (Mt 12,36.41f). Sonst ist auch einmal die Rede vom »ewigen Gericht« (αἰώνιος κρίσις, Μk 3,29 v.l.); von der Gerichtsposaune heißt es dann in 1Kor 15,52 wieder: ἐσχάτη σάλπιγξ (novissima tuba). Auch diese philologischen Beobachtungen ordnen sich der oben formulierten systematischen These ein: Das »Letzte« ist zugleich »das Neueste«, weil es unüberholbar und ein absoluter Anfang ist. »Nach« dem Letzten kann nur das ganz Andere, Noch-nie-Dagewesene »kommen« bzw. sein.

22 Cf. Seneca d. J. zu jenem zukünftigen Tag (dies ille), der den menschlichen Körper vom göttlichen Anteil trennt: Ep. mor. 102,22; cf. auch 102,28: Licht). Umgekehrt vom Tod: »sitque oculis lux ista novissima nostris« (Ovid, Metam. I 772). Cf. auch der Letzte als novissimus: Metam. II 115; letzte Worte: verba novissima (II 363; III 361) sowie: extremos annos (IV 48). 23 Zur Vorgeschichte im Alten Testament cf. H. SPIECKERMANN, Dies irae. Der alttestamentliche Befund und seine Vorgeschichte, in: ders., Gottes Liebe zu Israel, FAT 33, Tübingen 2001, 34–46. Zu der alten Sequenz: »Dies irae, dies ille« cf. F. RÄDLE, Dies irae, in: H. Becker u. a. (Hgg.), Im Angesicht des Todes, Bd. I, PiLi 3, St. Ottilien 1987, 331–340. 24 Ähnlich steht für ἔσχατα novissima bei den »letzten Tagen« (Act 2,17; 2 Tim 3,1; Jak 5,3; 2Petr 3,3; cf. schon Dtn 4,30 LXX [Sg.]) oder dem »letzten der Tage« (Hebr 1,2) bzw. der »letzten Stunde« (1Joh 2,18; 1Petr 1,5). Zu »letzten Zeiten« cf. ebenso: 1Petr 1,20; Jud 18 (Sg.; cf. Jes 2,2; Jer 23,20); 1Tim 4,1 (ὑστέροις). 25 »In den letzten Zügen« (liegen) heißt in Mk 5,23: ἐσχάτως ἔχειν (in extremis est) oder 2Makk 3,31 und 7,9: ἐν ἐσχάτῃ πνοῇ (in supremo spiritu). Horaz nennt das Lebensende (den Tod) »suprema dies« (Od. I 13,20). 26 Die Dogmatik sprach traditionell vom iudicium extremum.

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B. Der Erste und der Letzte Von der Erscheinung des menschgewordenen Gottes aus gilt: A und O, Anfang und Ende steht da.27 1. Gott als der Anfang und das Ende (Apc 1,8; 21,6) »Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein.«28 Dieser Satz Hegels soll hier in einem eschatologischen Sinn in Anspruch genommen werden. Der lebendige Gott hat ein eschatologisches Sein, sofern er als im Werden zu sich begriffen »Resultat« seiner selbst ist.29 Dies ist er »am Ende« einerseits in Ewigkeit, insofern er sein eigener Anfang ist und aus dessen Sich-Voraussetzen auf sich zu und mit sich als Ende zusammengeht. So heißt das »Ende«, die Wahrheit des Anfangs zu sein.30 Andererseits ist Gott das »Ende« auch in der Zeit (eschatologisch), sofern sich seine Ewigkeit aus ihr hervorbringt und sie in der Vollendung lebendig mit sich zusammengeführt haben wird.31 Von diesem Ende her sind auch wir als seine Geschöpfe in Kraft des mitgehenden Anfangs32 in Wahrheit lebendig: »Gott ist von allem, was wir sind, 27

EG, Nr. 66,1. Mit der Rede von Gott als dem Anfang und Ende (B. 1.) bzw. dem Ersten und dem Letzten (A und Ω, Β. 2.) wird hier die Fortschreibung von Ex 3,14 im Neuen Testament eschatologisch aufgenommen (s. o. § 1 D. 5. [S. 134ff]). 28 HEGEL, Werke 3, 24. 29 Bei J. König ist über das Konkretwerden zu lesen: »Aber werden zum eigenen ursprünglichen Wesen hin: ein sich selbst negierendes Werden also« (J. KÖNIG, Der Begriff der Intuition, Halle/Saale 1926 [Nachdr. Hildesheim 1981], 132 Anm. 1). 30 »Ursprung ist das Ziel« (K. KRAUS, Worte in Versen [1959], in: ders., Werke, hg. von H. Fischer, Bd. VII, München 1959, 59; cf. J. EBACH, Ursprung und Ziel, Neukirchen-Vluyn 1986, 1f). Ähnlich E. Bloch: »alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende« (E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Frankfurt 1967, Bd. III, 1628). 31 Das unterscheidet sich durch seine Dialektik von einer traditionellen Bestimmung im Sinne der restitutio in integrum, wie sie sich z. B. bei Thomas findet: »Finis rerum respondet principio; Deus enim est principium et finis rerum. Ergo exitus rerum a principio respondet reductionem rerum in finem« (STh I, q. 90, a. 3, ad 2.; cf. Sent. d. 14, q. 2, ad 2.). 32 E. Bloch spricht von der Front, »wo die Genesis weitergeht, ja wo sie, als die des Rechten, immer noch erst im Begriff ist, mit dem Anfang zu beginnen« (E. BLOCH, Das Prinzip Hoffnung III [wie oben Anm. 30], 144). Es wäre zu erwägen, ob das nicht eine eschatologische Reformulierung des Okkasionalismus erlaubt: in dem Sinne, dass jeder Augenblick sein Gegebensein von einer immer neuen Schöpfertat Gottes als einer in Kraft des Endes bzw. in Richtung auf Vollendung gewinnt. Rilke schreibt es »Göttern« zu: »Die Welt steht auf mit euch, und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens …«

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wir ewig Anfangende, der verletzte Schluß, das offene Ende, durch das wir denken und atmen können«.33 Indem Gott der Lebendige ein »offenes« Ende sein kann, ist unser Ende bei ihm zugleich ein neuer Anfang, weil er darin auch mit sich anfängt.34 Dies Ende (im Tod) kann für uns zugleich ein neuer Anfang desselben sein35 – in einem neuen, unendlich schöpferischen Leben, sofern die Vergangenheit für Gott nicht unveränderlich ist.36 Auch und gerade vom lebendigen Gott gilt: »Ganz ist, was Anfang, Mitte und Ende besitzt.«37 Freilich ist das Drama, von dem dies gesagt ist, zugleich nicht im absoluten Sinne das Ganze, weil seine »Ganzheit« nur faktisch vorhanden und von außen wahrgenommen ist, was sie ist. Die wahre Ganzheit ist eine sich herstellende, d. h. selbsthafte oder geisthaft-lebendige (cf. Röm 11,36).38 Von Gott gilt der aristotelische Satz also nur, sofern er kein Zuschauer, sondern Handelnder ist. Sein lebendiges Sich-Hervorbringen erreicht den Anfang erst am Ende, aber über eine wesentlich geschichtliche »Mitte«, den Inkarnierten, am Kreuz Gestorbenen und wieder Auferweckten, in dem Gott selber sich für alle Ewigkeit setzt: εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς δι’ αὐτοῦ (1Kor 8,6b). Mehr noch: Von dieser Mitte aus konstituieren sich in einem Entzweiungsvorgang allererst Anfang und Ende (Hebr 10,9b und 8,13).39 Indem Gott als Schöpfer der alles Vergangene und (R. M. RILKE, Jetzt wär es Zeit [1925], in: ders., Sämtliche Werke, hg. von E. Zinn, Bd. II, Frankfurt 1956, 185). 33 BOTHO STRAUSS, Paare, Passanten, München 1981; Süddeutsche Zeitung, Bibliothek 38 (2004), 137. Vom göttlichen Geist (Joh 3,8) heißt es bei Schelling: »du kannst in ihm den Anfang nicht von dem Ende trennen, er ist überall Anfang und überall Ende« (SCHELLING, Philosophie der Offenbarung I, in: ders., SW 13, 239). 34 Diese Umkehrung hat eine literarische Entsprechung darin, dass am Ende des letzten Buches der Bibel (bzw. des christlichen Kanons) ein neuer Anfang als Wiederkommen dessen im Blick ist, der als ω zugleich das α (d. h. der wahre Anfang, der vom Ende her auf sich zukommt) und der zugleich nach seinem wahren Namen der λόγος τοῦ θεοῦ ist (Apc 19,13). 35 Kierkegaard hat demgemäß die Ewigkeit als eine »Wiederholung« gedacht; cf. dazu J. RINGLEBEN, Kierkegaards Begriff der Wiederholung. Ein eschatologischer Versuch, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, 2 Bde., Tübingen 2004–2005, Bd. II, 103–130. 36 Dazu s. u. E. 2. (S. 929ff). 37 Aristoteles, Poetik 7, 1450b 26f: Ὅλον δέ ἐστιν τὸ ἔχον ἀρχὴν καὶ µέσον καὶ τελευτήν. 38 Cf. das mehrfach angeführte Hegelwort: »Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen« (HEGEL, Werke 3, 24). Es folgt der oben bei Anm. 28 zitierte Satz. 39 Der isolierte Augenblick ist, wie man gesagt hat, »nur ein toter Rumpf, dem Kopf und Füße fehlen«. Der Lebendige ist als die lebendige Entzweiung in Anfang und Ende, und sein Erster- und Letzter-Sein ist die Verwirklichung seines Mit-sich-eins-Seins. In ihm versammelt sich die »Fülle der Zeit« (Mk 1,15; Gal 4,4; Eph 1,10) als ihre Mitte, die zwischen »alter« Zeit und eschatologisch bestimmter »Neuzeit« (post Christum natum, crucifixum et resuscitatum) eine endgültige Zäsur setzt; cf. dazu I. U. DALFERTH, Zeit der

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Zukünftige bedingende gegenwärtige Grund ist: ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς εἰς αὐτόν (1Kor 8,6a), setzt er auch Anfang und Ende, und das Ende ist als sein vollkommenes Zu-sich-selbst-Kommen (bzw. -gekommen-Sein) die alle Zeit in sich aufhebende Ewigkeit. »Anfang und Ende« ist Gott letztlich in Bezug auf sich selber: Weil er sein eigener Anfang ist, ist er auch sein eigenes Ende, und der sich Hervorbringende ist sein eigenes Anfangen mit sich und seine eigene Vollendung. Als der Sich-Hervorbringende ist Gott auch am Anfang immer schon am Ende bzw. als Erster auch schlechthin der Letzte, weil in der Zeit immer schon ewig (von ihr aus) und im Werden zu sich auch vollendet er selbst. Das führt zum folgenden Abschnitt. 2. Gott als der Erste und der Letzte (Apc 1,8; 21,6)40 2.1. Als der Sich-Hervorbringende ist Gott nicht nur faktisch der Erste, sondern absolut, weil auch noch über das Ende mächtig; ebenso ist er nicht nur faktisch der Letzte, sondern als sich hervorbringend auch schon am Anfang bzw. absolut der Anfang. Der in Wahrheit Letzte kann nur der sein, der auch schon der Erste war; denn um absolut der Letzte zu sein, muss er von Anfang an (oder: als der Anfang) alles bestimmt haben, und der Letzte, das ist notwendigerweise der, der alles umfasst. Gott umfasst als der Erste und Letzte alle Zeit bzw. die Zeit, und so ist er der Ewige.41 »Erster« und »Letzter« ist Gott in Bezug auf sich selber und so auch auf seine Geschöpfe und die geschaffene Welt.42 Indem der Erste der der mit Allem Mitgehende ist, ist er als der, der zugleich alles immer schon überholt hat, auch der Letzte.43 Gott ist der »Letzte« aber nicht so (d. h. Zeichen. Vom Anfang der Zeichen und dem Ende der Zeiten, in: W. Härle u. a. (Hgg.), Unsere Welt – Gottes Schöpfung (FS E. Wölfel), MThSt 32, Marburg 1992, 161–179, hier 178. 40 Cf. auch Apc 1,4 und 4,8. 41 Cf. das Polanus-Zitat bei K. Barth: »omni tempore antiquior et omni fine posterior« (BARTH, KD II/1, 686). 42 Daher gilt: »Das Ende der Dinge ist der Grund, aus dem alle Dinge in ihrer Wahrheit erkannt werden« (TH. SIEGFRIED, Die Idee der Vollendung, ThBl 6 [1927], 85–95, hier 85). W. Pannenberg hat bekanntlich das Programm, »das Eschaton als den schöpferischen Ursprung des Weltprozesses überhaupt zu denken« (PANNENBERG, Systematische Theologie II [wie oben S. 882 Anm. 5], 171; cf. auch DERS. u. a., Offenbarung als Geschichte, Göttingen 21963, 142 und Anm. 25). Bei Aristoteles schon steht: τὸ δ’ ἔσχατον ἀρχὴ τῆς πράξεως (De an. 3,10; 433a 16f). 43 Darum muss der Zeitverlauf eschatologisch wie ein unterirdischer Strom gegenläufig zu ihrem empirischen Nacheinander ausgesagt werden: »Nächtlich fließt der Strom der Stunden / aus seiner Quelle, dem ewigen Morgen« (M. DE UNAMUNO, zitiert nach J. L. BORGES, Geschichte der Ewigkeit, Werke in 20 Bänden, hg. von G. Haefs/F. Arnold, Bd. III, Fischer Tb 10579, Frankfurt 1991, 102).

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relativ), dass nach ihm nichts mehr kommt. Sondern er ist es in dem absoluten Sinn, dass er alles vollendet und so in sich hinein aufhebt. Der Letzte ist er als unüberbietbare Erfüllung von allem: absolutes τέλος (1Kor 15,28). 2.2. Es überrascht nicht, dass beides, Anfang und Ende, Erster und Letzter zu sein, auch von Jesus Christus selber, dem erhöhten Herrn, auszusagen ist (Apc 1,11.17; 22,13). Er, der der Erste der Schöpfung und der Auferstehung ist,44 ist auch der Letzte, sofern er jenseits des Todes und so wie Gott der absolut »Lebendige« ist – lebendig »von Ewigkeit zu Ewigkeit«.45 Das entscheidende theologische Paradigma dafür steht in Apc 1,18: »(Ich bin) … der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit.«46 Im (gleichsam rückblickenden) »Ich war« und im ewig gegenwärtigen »ich bin« reflektiert sich Gottes eigenes Sich-Hervorbringen aus dem Tode Jesu – am Ort des Kreuzes, das für das »Vergangene« steht, und als das sich von Ewigkeit zu Ewigkeit sich hervorgebracht habende Leben schlechthin, die ewige »Gegenwart«. Im »Ich bin« holt der Auferstandene die Vergangenheit seines »Ich war tot« in seine lebendige Gegenwart hinein, und der Tod ist darin ewig »aufgehoben«.47 Man darf sogar sagen: Sein ewiges Leben ist als ewiges der aufhebende, d. h. ihn schöpferisch verwindende Rückbezug auf die Vergangenheit seines Todes in der Ewigkeit seines neuen Lebens. Christus ist als der Erste des neuen Lebens der Auferstehung,48 d. h. mit seinem eigenen irdischen Leben in der Wahrheit des göttlichen Lebens selbst ewig Bestätigte, auch der Letzte, nämlich als der Richter im Endgericht.49 Dieser Gedanke – ebenso wie die Vorstellung des Gerichtes am Jüngsten Tag – enthält für den Glauben das Tröstliche, dass es derselbe ist, der als liebevoller Menschensohn Jesus bei uns war und der als dieser auch unser Richter sein wird.50 Sein Gericht ist das des Glaubens und der Liebe (Mt 25,31ff; cf. Röm 8,1).51

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S. o. Anm. 16. Siehe dazu oben § 9 D. 1. (S. 532ff). Daher kann er sagen: »Ich lebe, und ihr sollt auch leben« (Joh 14,19b); die Begründung dieser Zusage für uns steht in Joh 5,24. 46 Die kurzen Erläuterungen hier müssen im Zusammenhang des oben in § 1 D. 5.3. (S. 136f) schon zu dieser Stelle Ausgeführten gelesen werden. 47 Was das für das Verhältnis unseres Todes zum ewigen Leben bedeutet, wird unten weiter ausgeführt; s. u. E. 1.2. (S. 921). 48 S. o. bei Anm. 16. 49 Zum Gericht s. u. F. 2. (S. 951). 50 Cf. unten S. 951 Anm. 431. 51 S. o. § 14 F. 2. (S. 770f). In Joh 21,4 steht: »Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer«; cf. damit Joh 16,22. 45

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C. Gott und das eschatologisch Neue 1. Die Selbstverwirklichung nach Ex 3,14 Die Selbsthervorbringung Gottes muss von Anfang an als Selbstkonstruktion und produktiver Selbstvollzug verstanden werden: als οἰκοδοµή seiner selbst.52 Das ist schon in Ex 3,14 impliziert, sofern dieser Selbstmanifestation Gottes in seinem Namen – zumal in der futurischen Fassung der Gottesgleichung – eine eschatologische Ausrichtung bzw. sogar Zugkraft innewohnt. Denn diese »Selbstvorstellung« besagt (und vollzieht zugleich) ein Zweifaches: »Ich bin« verhält sich ausdrücklich, das eigene Sein konstatierend, zu sich; »der ich bin« ist dessen Selbstvollzug, um sich darin ausdrücklich mit sich selber zu identifizieren und (in einer »Tathandlung«) zu ergreifen. Gott eignet sich sich selber aktiv zu, und darum durchdringen sich hier ewig Präsens und Futur: Ich bin absolut, der ich bin, und daher werde ich auch der sein, der ich sein werde. So spricht in Ex 3,14 Gott sich als Anfang und Ende bzw. als der Erste und der Letzte aus: der Ewige und der für alle Ewigkeit schlechthin Neue. Wie alles wirklich Neue nur aus dem Geheimnis der Kreativität zu erwarten ist, so ist der sich hervorbringende Erste das absolut Neue, und umgekehrt kann nur der Letzte dieses sein: novissimus. Als solcher ist er unüberholbar, unvergleichlich, einzig. Der Gott vom Anfang und Ende ist selber der aus sich Neue, der »Ganz Andere« (aber nicht abstrakt), das Nochnie-da-Gewesene, Unvorhersehbare und Nichtvorstellbare. Was auch sonst über die novissima zu sagen sein wird, vor allem und in erster Hinsicht geht es bei ihnen um Gottes absolute Eindeutigkeit als er selbst. So ist er der »Gott vom Ende der Tage, mit Futurum als Seinsbeschaffenheit«53 (cf. Jes 46,9f). Dieses absolut Neue, das Gott selber ist, ist seine eigene »Wiederholung« bzw. die Wiederholung seiner selbst in seinem Namen zu vollendeter Ewigkeit – das Eschaton als novissimum schlechthin: »Und er, der … unbekannt / Zukünftiges bereitet, der Gott, der Geist / Im Menschenwort, am schönen Tage / Wieder mit Namen, wie einst, sich nennet.«54 52

Das göttliche Hervorbringen seiner selbst wurde in den bisherigen Paragraphen zunächst immer wieder als es selber behandelt und dann in vierfacher Hinsicht konkretisiert: 1. in der Schöpfung durch Wort und Licht – Gott bringt auch sich selber hervor, indem er spricht – und mit dem Ausblick auf einen endgültigen Sabbat; 2. im religiösen Bewusstsein überhaupt als seinem ausgezeichneten Ort; 3. im Gottesverhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater, das in der Neuschöpfung durch die Auferstehung verewigt wird; 4. (im Sinne von 2. und 3.) im Glauben jedes Einzelnen, der zum Glauben kommt. Jetzt ist 5. die vollendete (eschatologische) Selbsthervorbringung im ewigen Leben thematisch (als der letzte Grund bzw. das Ziel von 1. bis 4.). 53 BLOCH, Das Prinzip Hoffnung III (wie oben Anm. 30), 1457f; cf. a.a.O. 1516 (mit Bezug auf Ex 3,14). 54 F. HÖLDERLIN, Ermunterung, Str. 7 (in: ders., KlStA 2, 35); in der Zweiten Fassung: »wie einst, sich ausspricht« (a.a.O. 37).

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In diesem Zusammenhang erhält auch die im Judentum gepflegte scheue Zurückhaltung vor der ausdrücklichen Nennung des Gottesnamens55 eine eschatologische Dimension: »Wer sich den Namen [sc. auszusprechen] anmaßt, verliert seinen Namen …, und wer sich der Krone [in der Tora bzw. des Gottesnamens] bedient [sc. wohl: magisch], verliert sich und geht dahin. Wie ist das gemeint? Dass jeder, der sich des unaussprechlichen Namens [sc. des Tetragramms] bedient, keinen Anteil hat an der zukünftigen Welt (abh ~lA[l).«56 Das Gleiche ist auch kurz gefasst als talmudisches Sprichwort bekannt: »Wer den Namen ausspricht, verliert seinen Anteil an der künftigen Welt.« »Aussprechen« meint hier, systematisch begriffen, ihn vermeintlich abschließend zu Ende sprechen, definitiv aussagen zu können – ohne eschatologischen Vorbehalt.57 Weil man so das (noch ausstehende) Transzendente (cf. Hebr 11,1) schon subjektiv transzendiert hat (bzw. darüber »verfügt«), lässt man seinem eigenen endgültigen Kommen keinen Raum mehr – bei sich. 2. »Ich mache alles neu« (Apc 21,5) 2.1. Das Neue des Eschaton ist vom lebendigen Gott aus human antizipiert in Jesus Christus als dem »Neuen (bzw. Letzten) Adam« (1Kor 15,45; Röm 5,14.17), und der »Jüngste Tag« ist das universal realisierte Ostern, weil er bzw. Jesu Wiederkommen mit seiner Auferweckung schon antizipiert ist. »Vetus homo« sind wir als todgeweihte Sünder (Röm 6,23; Jak 1,15b) auch im Blick auf die vergehende, uns mit sich ins Vergehen ziehende Zeit; vom »homo novus« (cf. Eph 4,24; Kol 3,10) aber ist von der Gemeinschaft mit Christus her zu sagen: »nos, qui credimus, sumus ›novi homines‹, non senescimus in aeternum«.58 Daher ist das »In Christus Sein« (cf. Gal 2,20)59 Teilhabe an der eschatologischen Neuwerdung, die im Glauben irdisch beginnt und sich im ewigen Leben vollendet: »Daher, wenn einer in Christus ist: eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden« (2Kor 5,17; cf. Gal 6,15).60

55

Cf. dazu oben § 1 A. 2. (S. 94 Anm. 26. Avot de-Rabbi Natan A 12 (= außerkanonischer Traktat des Babylonischen Talmuds); ähnlich: Mischna Avot 1,13; Mischna Sanhedrin 10,1. 57 Cf. analog von der Bezeichnung Jesu als »Menschensohn«: Mt 24,30; Lk 17,24. Nach E. Peterson ist Jesus als »Menschensohn« transitorisch (E. PETERSON, Der Brief an die Römer, Ausgewählte Schriften 6, hg. von B. Nichtweiß/F. Hahn, Würzburg 1997, 12); cf. aber unten S. 931 Anm. 308. 58 WA 40 III, 564,4f. 59 Über den Zusammenhang dieser Stelle mit der Rechtfertigung als »Identitätsbruch« cf. H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen, stw 2091, Berlin 2014, 805f. 60 Var.: »alles ist neu geworden« (App.). Dieser Satz ist gleichsam die eschatologische Summe des »Neuen Testaments« (καινὴ διαθήκη = »neuer Bund«), ein Ausdruck, den im Neuen Testament Paulus geprägt hat (2Kor 3,6). 56

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Damit ist proleptisch eingelöst,61 was endgültig Gott selber im Eschaton wirkt und performativ ausspricht: »Siehe, ich mache alles neu« (Apc 21,5; cf. Jes 42,9; 43,19).62 Indem Gott »alles neu« macht, ist er als der Letzte unüberholbar der Erste schlechthin. Eben mit dieser Verheißung ist die göttliche Selbstverheißung von Ex 3,14: »Ich werde sein, der ich sein werde« absolut zur Erfüllung gelangt. Freilich schließt dies »alles« auch »einen neuen Himmel und eine neue Erde« ein (Apc 21,1; Jes 65,17; 66,22; 2Petr 3,13).63 Das impliziert eine eschatologische Erneuerung auch der Natur.64 Im Zuge seines Sich-Hervorbringens nimmt Gott die geschaffene Welt erneuernd mit – auf seinem Wege zu sich in Ewigkeit. Das Eschaton ist die Vollendung der Schöpfung, weil im Eschaton alle Entfremdung zwischen Schöpfer und Geschöpf endgültig aufgehoben bzw. der Schöpfer mit seinen Geschöpfen in ewigem Leben vereint sein wird.65 Dass auch die Natur in die eschatologische Vollendung einbezogen sein wird (Röm 8,20–23),66 setzt voraus, dass schon protologisch die geschaffene Natur für Gottes eigene Lebendigkeit nicht ohne Bedeutung ist.67 Die verheißene endgültige Teilhabe an der »Freiheit der Kinder Gottes« hat wie deren Freiheit selber einen Bezug zu der Freiheit göttlichen Lebens, in der Gott am Ende »alles in allem« sein wird. Daraus geht auch hervor, dass das eschatologisch Neue nicht abstrakt vorzustellen ist (als ein unbestimmt »ganz Anderes«),68 sondern in bestimmter Negation: dasselbe (d. h. das einmal schon Geschaffene und jetzt Vergangene bzw. im Vergehen Begriffene) anders wieder,69 nämlich in seiner Wahrheit aus der Einheit mit Gott in Christus. Auch im Judentum ist das Wissen darum konkret lebendig: 61

Cf. Röm 6,4; 7,6 und 2Kor 3,18. Auf dies Neue zu ist der Glaube auf dem Wege: διὰ πίστεως γὰρ περιπατοῦµεν (2Kor 5,7). 62 Zum Performativ cf. Hebr 8,13. 63 Hier ist ersichtlich, dass das (innerweltlich) Letzte zugleich das (eschatologisch verwandelte) Neue ist. 64 Diese Vollendung der Natur ist auch in den Elementen des Sakraments vorweggenommen: Brot und Wein vertreten die (bereits kulturell geformten) Elemente des Kosmos als eines in Christus erneuerten. 65 Cf. unten S. 935 Anm. 329 zu Apc 21,3f und Abschnitt H. 2.2. (S. 959) u. ö. 66 Zur genaueren Auslegung cf. unten D. 3. (S. 906ff). 67 Vielleicht stiftet der Wesenszug von »Selbstorganisation« in der Natur diese Beziehung; cf. dazu T. KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, UTB 3912, Tübingen 2013, 157f.163.165.180. 68 Dieses ist nämlich von »demselben« gar nicht zu unterscheiden! 69 »Die Welt, in die wir kommen …, ist also keine andere Welt, sie ist diese Welt, dieser Himmel, diese Erde, aber bereits vergangen und neu geworden. Diese Wälder, diese Felder, diese Städte, diese Straßen, diese Menschen werden es sein, die der Schauplatz der Erlösung sein werden. Jetzt sind es Schlachtfelder, … dereinst werden es Siegesfelder sein« (E. THURNEYSEN, Christus und seine Zukunft, ZZ 9 [1931], 187–211, hier 209).

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Und ein anderer Rabbi … sagte einmal: Um das Reich des Friedens herzustellen, werden nicht alle Dinge zu zerstören sein, und eine ganz neue Welt fängt an; sondern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge sind nur ein wenig zu verrücken. Weil aber dieses Wenige so schwer zu tun und sein Maß so schwierig zu finden ist, können das, was die Welt angeht, nicht die Menschen, sondern dazu kommt der Messias.70

Schlechthin »neu« ist es, weil es so noch nicht (bzw. nie) war und jetzt schöpferisch verwandelt ist, was es ist.71 2.2. Es kann die Frage aufgeworfen werden: Ist Apc 21,5 »Ich mache alles neu« nur ein zukünftiges Wort? Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gott der ist, der stets wieder bedingungslos anfangen kann – wie mit sich, so mit uns. So geht er, wie oben gesagt wurde, schöpferisch mit der geschaffenen Welt mit. Daher ist, wie bekanntlich das Vierte Evangelium unterstrichen hat, das Eschaton nicht undialektisch nur als rein zukünftig zu begreifen.72 Seine Dialektik ist – als eine neue Zeit-Ewigkeits-Dialektik – definitiv mit der Menschwerdung und Geschichtlichkeit des ewigen Logos verbunden. Das führt zu der weiteren Frage, was unter diesen Umständen der Topos vom »Ende der Welt« (consummatio mundi) besagt.73 Das Ende der Welt bedeutet theologisch, dass Gott im Eschaton sein Ziel mit der Schöpfung definitiv erreicht hat und selber endgültig (in Ewigkeit) bei sich angekommen ist.74 Auf keinen Fall bedeutet ein »Ende« der Welt aber, dass Gott dadurch in seinem Leben verendlicht würde, das wesentlich un-endlich ist.75 Darin liegt schon, dass es wegen dieser inneren Unendlichkeit des göttlichen Lebens, das

70 E. BLOCH, Die glückliche Hand, in: ders., Spuren [1930], BS 54, Frankfurt 1964, 260. Vielleicht durch diese Stelle inspiriert, schrieb W. Benjamin 1934: »… wenn der Messias kommt, von dem ein großer Rabbi gesagt hat, daß er nicht mit Gewalt die Welt verändern wolle, sondern nur um ein Geringes sie zurechtstellen werde« (W. BENJAMIN, Gesammelte Schriften, Bd. II/2, Frankfurt 1977, 432). Daher ist für jüdisches Denken die Zukunft so wichtig: »Denn in ihr war jede Sekunde die kleine Pforte, durch die der Messias eintreten konnte« (a.a.O. I/2, 1974, 704). Cf. »Heute, wenn ihr seine Stimme hört« (Hebr 3,15). 71 Zum Beispiel das σῶµα als σῶµα πνευµατικόν. 72 Cf. das große Werk von J. FREY, Die johanneische Eschatologie, 3 Bde., WUNT 96, 110, 117, Tübingen 1997, 1998, 2000. 73 Cf. Kant: »Warum erwarten aber die Menschen überhaupt ein Ende der Welt? … Der Grund … scheint darin zu liegen, weil die Vernunft ihnen sagt, daß die Dauer der Welt nur insofern einen Wert hat, als die vernünftigen [sc. moralischen] Wesen in ihr dem Endzweck ihres Wesens gemäß sind, wenn dieser aber nicht erreicht werden sollte, die Schöpfung selbst ihnen zwecklos zu sein scheint …« (KANT, Das Ende aller Dinge [wie oben S. 885 Anm. 20], 330,34–334,4). 74 Die eschatologische Bewegung besteht, was Gott selber betrifft, im Einholen der ökonomischen Trinität in die Einheit mit der immanenten Trinität; s. o. § 15 K. (S. 865ff). 75 Cf. dazu unten H. 2. (S. 958f).

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aus dem Vergangenen unendlich Neues macht, für dessen »Weitergehen« grundsätzlich keiner fortgesetzten Schöpfung im Äußeren bedarf.76 Das Ende der Welt, ihr Aufhören im Eschaton (als Verwandlung ins Neue) heißt mithin auch nicht, dass es »danach« so etwas wie ein Weitergehen der Zeit gäbe – Zeit gehört wesentlich zur geschaffenen Welt77 –, sondern auch sie wird im göttlichen Leben (wie Himmel und Erde als »neue«) aufgehoben und so in ihre geschöpfliche Wahrheit bei Gott zurückgenommen, dass Gottes zeithaftes Außer-sich-Sein in ihr zu einem ewigen Bei-sich-selbst-Sein in ihr wird. Das heißt, der »Untergang der Welt« ist theologisch nur als ihr Zurückgehen in Gott überhaupt zu denken.78 3. Der Weg Gottes zu sich 3.1. Die christliche Gotteslehre ist insofern wesentlich eschatologisch, als sie es mit dem Weg des lebendigen Gottes von sich zu sich zu tun hat, dem Werden zu sich als Weg von anfänglicher Identität (»Ich bin, der ich bin«) zu endgültiger Selbstidentität (»Ich werde sein, der ich sein werde«). Darin reflektiert sich, was man die »Geschichte der Ewigkeit« nennen könnte. Wird das unter der logischen Herrschaft des »Satzes vom zureichenden Grund« betrachtet, nach dem in der Folge nicht mehr sein kann als in ihrem Grund, so wäre bei diesem prozessualen Sein Gott sich selber ein reiner Selbstzweck, und d. h., er ist am Ende exklusiv nur mit sich identisch und ohne Gemeinschaft mit dem, was nicht er ist.79 Nach Maßgabe dieses logischen Axioms würde Gott zum bloßen Ermöglichungsgrund der Offenbarung vereinheitlicht, ohne dass wir daran leibhaften Anteil gewinnen könnten. Eine völlig andere Logik gilt christlich, denkt man Gottes Sich-Hervorbringen aus seiner Selbstvoraussetzung bei uns, am Orte unseres Glaubens. Dann muss gesagt werden: Gott nimmt uns mit auf seinem Weg zu sich. Dabei ist er am Ziel nicht ein Anderer (ein anderer Gott), sondern derselbe anders, um so erst lebendig ganz er selbst zu sein. Sagt Paulus von sich: »Ich vergesse, was da hinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist« (Phil 3,13b), so steht es bei dem lebendigen Gott wesentlich anders: Er hat im Werden zu sich das Ziel (τέλος), das er selber ist, immer schon ewig erreicht. Zugleich aber »streckt er sich« im Verlauf der zeitlichen Geschichte »nach dem aus, was vorne ist«, nämlich er selbst in der Fülle seiner Gottheit – gemäß dem »Ich werde sein, der ich sein 76 Die hier in eschatologischer Perspektive wieder auftauchende Frage nach der »Ewigkeit der Welt« muss in derselben Weise beantwortet werden wie oben in § 8 F. 5. (S. 502ff). 77 Die Zeit geht z. B. weiter, wenn wir jeweils gestorben und nicht mehr sind. 78 Eine Aussage über ein empirisches Weltende (z. B. in einer kosmischen Katastrophe) ist damit nicht gemacht. 79 Dem widerspricht unter anderem 1Kor 15,28; dazu s. u. Abschnitt H. 2.2. (S. 959).

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werde«. Ebendabei vergisst er indes gerade nicht, »was da hinten ist«, sondern hebt es, absolut sich erinnernd, zu sich selber auf, macht es zum Moment auf dem Weg zu sich selber.80 So gilt von ihm als dem Lebendigen unbedingt: »Tel qu’en Lui-meme enfin l’éternité le change« (»Wie endlich in Ihm selbst die Ewigkeit ihn wandelt«).81 Das Ziel dieses Werdens Gottes zu sich ist die »Verherrlichung« bzw. Herrlichkeit schlechthin. Sie betrifft einmal die wechselseitige Verherrlichung zwischen Jesus und Gott (δοξασθῆναι), wie sie besonders im Johannesevangelium konzipiert wird (Joh 17,1.4f; 13,31 u. ö.),82 und unsere Aussicht auf Verherrlichung bei der Wiederkunft Christi (cf. Kol 1,27; 3,4; Tit 2,13 sowie Röm 5,2; 8,17; 1Kor 15,43; Apc 21,23), sodann die Verherrlichung Gottes durch die Geschöpfe im Glauben mit Lob und Dank, und schließlich Gottes Sich-selbst-Verherrlichen in dem allem (1Kor 15,28). Dergestalt ist das Eschaton die endgültige Erfüllung der göttlichen Liebe83 in vollendeter Gemeinschaft und so das Telos der protologischen Schöpfung und der Neuschöpfung in Christus.84 Der Begriff des göttlichen Werdens zu sich zielt mit dem allem eschatologisch auf ein lebendiges Verständnis der wesenhaften Suisuffizienz Gottes: »infinito in se sibi fine, quo ›est‹ et sibi notum est et sibi sufficit inconmutabiliter id ipsum copiosa unitatis magnitudine« – wie Augustin (mit Anspielung auf Ex 3,14) von der Trinität sagt.85 3.2. Der Weg Gottes zu sich ist bestimmt von der eschatologischen Schöpferkraft seines Wortes.86 Denn der Logos in den ἔσχατα ist derselbe, der ἐν ἀρχῇ schon war.87 Gott als der Erste ist auch der, der das letzte Wort behält.88 Sein ewiges Wort vom Anfang realisiert sich als eschatologische Triebkraft durch die Zeit und Geschichte hindurch, um am Ende alle Wirklichkeit zu 80 Cf. dazu unten E. 2. (S. 929ff). Cf. E. Fuchs: Es kann durchaus »eine in der Zeit erst später erscheinende Folge, ein Späteres, in [oder: als] Wahrheit das den Anfang hervortreibende Frühere sein« (zit. bei E. JÜNGEL, Unterwegs zur Sache, BEvTh 61, München 1972, 139). 81 ST. MALLARMÉ, Le tombeau d’Edgar Poe (1877), in: ders., Gedichte. Französisch und deutsch, hg. von G. Goebel, Gerlingen 1993, 126/127. 82 Cf. dazu J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium, HUTh 64, Tübingen 2014, 413–423. 83 Cf. oben § 11 A. und B. (S. 612f.613ff). 84 Die christliche Eschatologie kann auch als die Lehre von der sich durchsetzenden Allmacht der Liebe als der absoluten Wirklichkeit beschrieben werden. 85 Augustin, Conf. XIII 11,12. Cf. oben Anm. 74. 86 Zur Eschatologie des Wortes bei Luther cf. RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 884 Anm. 14), 550–620. 87 Gottes Wort hat nach Luther weder Anfang noch Ende wie wir Menschen und alle Kreatur sonst (WA 46, 568,12f). 88 Cf. das geistreiche Plädoyer J. G. Hamanns für das α und ω, angeführt bei RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 888 Anm. 35), 115.

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sein89 und so endgültig dabar, Wort und Geschehen zugleich zu sein.90 So gilt nicht nur von uns Menschen, sondern absolut von Gott selber: ἐν πᾶσι τοῖς λόγοις σου µιµνῄσκου τὰ ἔσχατά σου (Sir 7,36 LXX).91

D. Die werdende Welt Was auch immer Gott gibt, das ist immerfort im Werden begriffen gewesen; Sein Werden ist in diesem Nun neu und frisch und völlig in einem ewigen Nun. (Meister Eckhart)92

1. Im Werden (1Joh 3,2) 1.1. Eine eschatologische Stelle im Neuen Testament, die für die christliche Anthropologie und das Verständnis von der Wirklichkeit im Ganzen (auch in der Gegenwart) sowie für das Gottesverständnis überhaupt zentral ist, ist der Vers 1Joh 3,2: οὔπω ἐφανερώθη τί ἐσόµεθα. οἴδαµεν ὅτι ἐὰν ἐφανερωθῇ, ὅµοιοι αὐτῷ ἐσόµεθα, ὁτι ὀψόµεθα αὐτὸν καθώς ἐστιν. Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen (aber), dass, wenn es [oder: er, d. h. Christus] erscheinen wird, werden wir ihm gleich sein, weil wir ihn sehen werden, wie er ist.93 Mit der Einsicht: »Es ist noch nicht erschienen …« distanziert der Glaube sich von seiner unmittelbaren Vorfindlichkeit und tut das im Bewusstsein,

89 Cf. E. Bloch: »das Omega des Wohin erläutert sich nicht an einem ungewesenen, angeblich allerrealsten Alpha des Woher, des Ursprungs, sondern konträr: dieser Ursprung erläutert sich selbst erst am Novum des Endes, ja er tritt … erst mit diesem Ultimatum in Realität« (BLOCH, Das Prinzip Hoffnung I [wie oben Anm. 30], 235; cf. auch 17 sowie noch 355f: »der völlig unerschienene Ursprung, … den er [der Archetyp des Glücks] durch sein Omega erst zum Alpha bringt, zur erscheinenden Genesis von Alpha und Omega zugleich«. 90 Zu diesem Sprachgebrauch cf. z. B. Lk 2,15 u. ö. 91 Die Vulgata hat statt der λόγοι: »In omnibus operibus tuis memorare novissima tua« (7,40). 92 Predigt 20, in: Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, hg. von J. Quint, München 31969, 244 (= ders., DW 1, 335,3–5). 93 Diese Verse sind der Grund-Satz christlicher Hoffnung auf den eschatologisch kommenden Gott; s. u. Abschnitt G. 3. (S. 956).

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vorläufiger Ort des kommenden Gottes zu sein.94 Er begreift sich selber als die Antizipationsgestalt (Erscheinung) einer noch ausstehenden endgültigen Zukunft (des Eschaton), die mit seinem eigenen Zustandekommen im Ausstrahlungsbereich des Christusereignisses schon begonnen hat. Die Einleitungsformulierung von V. 2a »es ist noch nicht erschienen« impliziert jedenfalls ein spezifisches Wirklichkeitsverständnis. Es geht um das im Kommen begriffene Erscheinen dessen, was wir sein werden, nämlich als in Wahrheit τέκνα θεοῦ (τί [V. 2b] besagt: ὅµοιοι αὐτῷ). Wenn es [sc. ebendas] aber »erscheinen« wird, werden wir ihm gleich sein: als sein Ebenbild (ὅµοιοι, V. 2c); denn »wir werden ihn [sc. Christus oder Gott: αὐτόν] sehen, wie er ist« (V. 2d). Das aber besagt, auch darin werden wir ihm ὅµοιοι sein, dass an uns, so wie (oder: indem) wir ihn in seiner Wahrheit sehen, zugleich auch erschienen sein wird, was wir selber in Wahrheit sind. Das heißt: Die endgültige Gottes- bzw. Christusschau ist auch die wahrhafte Sicht unserer selbst bzw. auf uns selbst, oder auch: In Gott werden wir dann unsere endgültige Wahrheit erkennen. Die in unserm Zusammenhang relevante Frage ist: Inwiefern ist das »Noch nicht« (οὔπω) mit Gott selber in Verbindung zu bringen oder gar auf ihn zu beziehen? Auch von Gott ist, solange seine Wirklichkeit unter irdischen Bedingungen »strittig« ist (Pannenberg),95 noch nicht vollendet »erschienen«, 94 Cf. auch Phil 3,12a: »Nicht dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollendet bin …«. Cf. dazu Kants Paraphrase (KANT, Das Ende aller Dinge [wie oben S. 885 Anm. 20], 336,9–11). 95 Wenn W. Pannenberg die Sätze des Glaubens wissenschaftstheoretisch als »Hypothesen« versteht und die wesentliche »Strittigkeit« des Gottesgedankens für unter irdischgeschichtlichen Bedingungen unaufhebbar und als erst im Eschaton sich bewährend erklärt (PANNENBERG, Systematische Theologie I [wie oben S. 882 Anm. 5], 66ff; cf. auch DERS., Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt 1973, 334ff), so ist dagegen dreierlei einzuwenden (cf. dazu J. RINGLEBEN, Pannenbergs Systematische Theologie, ThR 63 [1998], 337–350, hier 338–340). Erstens kann es nicht als eine Lösung des Problems angesehen werden, wenn sie unter Bedingungen auftritt, unter denen das Problem als solches gar nicht mehr besteht; denn im Eschaton wird es definitiv keine »Strittigkeit« mehr geben, als deren Beseitigung es erfahren werden könnte. Zweitens: Auch die endgültige Wahrheit, die sich am Ende der Geschichte vollkommen herausstellen wird, muss sich freilich als Wahrheit zu erkennen geben und kann nicht bloß alle endgültige Wirklichkeit sein. Die eschatologische Wirklichkeit muss also selber die Bedingungen mit bereit- bzw. darstellen, unter denen sie als Wahrheit zu erfahren ist; denn Wahrheit ist nie bloße Unmittelbarkeit (cf. a.a.O. 419). 3. Was Pannenbergs Wahrheitsverständnis betrifft, ist zu sagen: Dass noch nichts in seiner Wahrheit ist und alles noch auf seine eigene Wahrheit zugeht, kann nur unter der Bedingung gedacht werden, dass diese Wahrheit schon irgendwie da ist. Das heißt, die Bedingung für das Denken eines noch Ausstehens der Wahrheit ist gerade ihre (ungreifbare) Anwesenheit. Denn soll alles auf seine Wahrheit kritisch bezogen bzw. an ihr gemessen werden können, so setzt das voraus: Sein Werde-Stand muss als die Macht seiner Wahrheit über es (an ihm) begriffen werden. Für Pannenbergs Begriff der Prolepse bzw. Antizipation (in Christi Auferstehung) besagen diese Einwände: Sie kann

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was er sein wird (cf. 1Kor 13,12a), und nur im verklärten Sein des Auferstandenen ist es (für uns) antizipiert.96 Das »Noch nicht« (sc. erschienen)97 gilt insbesondere für uns,98 sofern auch Gott selber für uns und an ihm selbst noch im Werden zu sich begriffen ist – als der Ewige und so der Letzte. Mit dem οἴδαµεν ist gesagt: Im glaubenden Bezug auf Jesus Christus ist die Einsicht impliziert, dass seit dem Auftreten Jesu von Nazareth, verstanden als Gottes Menschwerdung, das eigene Kommen Gottes – als »Gott des Sohnes«, der post Christum natum nur mit diesem Menschen zusammen Gott sein will – am Ende der Tage unabtrennbar auch das Wiederkommen Jesu Christi ist (cf. 1Kor 15,20–28). Dies Glaubenswissen ist wesentlich auf die Zukunft Gottes bezogen (Hebr 11,1), der als der Kommende (und nicht im platonischen Sinne) »unsichtbar« ist (cf. 2Kor 4,18).99 Der gegenwärtige Gott nicht als ein vereinzeltes, sozusagen zufälliges Ereignis dessen verstanden werden, was für alle und alles sonst erst später kommt, d. h. als ein bloß faktisches, zeitliches Vorweg, als eine faktische Ausnahme, sondern als ein absolutes Ereignis, das zugleich auch Prinzip alles Folgenden ist. Christus ist nur so das »Vorweg« der Endvollendung, dass diese einzig die allgemeine Durchsetzung und Realisierung von Christi absoluter Wahrheit ist (cf. Joh 14,6). Dass Christus als der Menschgewordene schon Gottes Selbst-Offenbarung ist, bedeutet: Er ist nur so Antizipation des Eschaton, dass er auch dessen Inbegriff und die »Mitte« der Geschichte ist. Mit der Endvollendung »erscheint« nur, dass in Christus Gottes absolute Wahrheit schon vollkommen da gewesen ist. Pannenbergs Begriff von der Endvollendung steht in der Gefahr, als eine Art universalhistorischer Empirismus aufgefasst werden zu können; aber die Wahrheit selber ist nicht empirisch verifizierbar. 96 »Erscheinen« (griech. φανεροῦσθαι, lat. manifestum esse) – endzeitlich von Christus: Kol 3,4 (!); 1Petr 1,2; cf. insbes. 1Joh 1,2; 2,28; 3,5.8 – muss hier systematisch auch auf das endgültige Sich-zur-Wirklichkeit-Bringen Gottes selber bezogen werden, sofern wir »in Christus« darin einbezogen sind. Damit erst ist absolut eingelöst, was Ex 3,14 heißt: »Ich werde sein, der ich sein werde.« Proleptisch steht dafür das österliche Sichzur-Erscheinung-Bringen des Auferstandenen (griech. ὤφθη, 1Κor 15,5–8). In dem erhöht lebendigen Jesus Christus ist das Alte vergangen und hat Gott grundlegend alles neu gemacht (cf. 2Kor 5,17 mit Apc 21,5). 97 Gleichwohl ist schon unser »Leben verborgen mit Christus in Gott (Kol 3,3); denn wir sind im Glauben schon »Kinder Gottes« (1Joh 3,2a; Röm 8,17). Zugleich gilt, »daß wir noch in der Mache sind« (HAMANN, Briefwechsel 5, 265,28). 98 οὔπω enthält den theo-logischen Grund der Eschatologie; in 1Joh 3,3 ist daher von »Hoffnung« die Rede (s. u. G. 3. [S. 956]). Dies οὔπω, d. h., dass für uns noch aussteht, was er schon ist, ist einbezogen in die bekannte Dialektik von »Schon« und »Noch nicht«, die Jesu Reich-Gottes-Verkündigung bestimmt hat (cf. RINGLEBEN, Jesus [wie oben S. 883 Anm. 6], 313ff); es gilt auch nach Jesu Auferweckung, und erst das Eschaton vollendet das »nahe herbeigekommen« (Mk 1,15) zur vollkommenen Gegenwart Gottes im ewigen Leben. Das heißt, das ἤγγικεν (lat. appropinquavit) wird zum endgültigen »interior intimum meum« (Augustin). Derart ist unser menschliches Sein ausgespannt zwischen dem, was wir »schon« sind (νῦν) und zugleich »noch nicht« sind (οὔπω), aber ἐσόµεθα, bzw. im Werden zwischen heilvollem Jetzt und eschatologischem Dann. 99 Luther erkennt darin »ein seltzame Sprache und newe grammatica … Denn er will, weil wir sollen newe menschen sein, daß wir auch ander und new gedanken, verstand und

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kann christlich (insbesondere wegen der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu und seiner antizipativen Auferstehung von den Toten) nur als der immer noch kommende erfahren werden.100 Die eschatologische Hoffnung: »Wir werden ihn sehen,101 wie er ist« (V. 2b), meint: als Kinder Gottes im vollen, endgültigen Sinne (1Joh 3,2a) und »von Angesicht zu Angesicht« (1Kor 13,12aβ).102 Christus (und mithin auch Gott) im Eschaton wahrhaft als den zu schauen, der hier erst nur geglaubt wurde (2Kor 5,7, wozu 1Joh 3,2 eine Art Kommentar darstellt), das bedeutet zugleich, unserer endgültigen Wahrheit ansichtig zu werden bzw. uns selber in unserer Wahrheit zu sehen und in unsere eigene Wahrheit zu gelangen.103 Sein endgültiges »Erscheinen« bringt auch uns zur Erscheinung – für uns selbst – in unserer letztgültigen Identität (Kol 3,4).104 Was Gott selber betrifft, so wird er am Ende, wenn er »alles in allem« ist,105 sich selber auch

sinne haben und kein ding ansehen nach der vernunfft, wie es fur der welt stehet, sondern wie es fur seinen augen ist, und uns richten nach dem zukünftigen, unsichtbaren newen wesen, des wir zu hoffen haben und nach diesem leiden und elenden wesen folgen sol« (WA 34 II, 480f). 100 Insofern bedeutet das »Noch nicht« von 1Joh 3,2 auch eine gewisse Entlastung vom Druck des unmittelbar Augenscheinlichen oder bloß Tatsächlichen, was der Fall ist – in der Hoffnung auf Gottes Zukunft. 101 Wie er verheißen hat, dass er »uns wiedersehen« will (cf. Joh 16,22). »Ihn sehen« bedeutet: im Lichte seiner eschatologischen Wahrheit, die hier schon aufschien (Joh 1,14b), und so daran ewig teilzuhaben. 102 Das heißt wahrhaft »auf Augenhöhe« bzw. »unter vier Augen«. Weiterhin gilt: Gott sieht uns in Christus und sieht Christus in uns. Dies Sehen als Gesehenwerden schließt auch ein Erkennen ein: nämlich »wie ich erkannt bin« (1Kor 13,12bβ.c; cf. Phil 3,12b und Joh 17,3). Cf. zu dieser Konstellation als einer auch anthropologisch grundlegenden, intersubjektiven G. SIMMEL, Soziologie, Leipzig 1908, 723ff, in: ders., Gesamtausgabe, Bd. XI, stw 811, Frankfurt 1992, 724–726; J.-P. SARTRE, Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg 1991, 457ff (III,1,IV: »Der Blick«); H. BLUMENBERG, Beschreibung des Menschen (wie oben S. 892 Anm. 59), 859ff. J. W. v. Goethes Frage: »Warum gabst du uns die tiefen Blicke, / Unsre Zukunft ahnungsvoll zu schaun …?« (GOETHE, GA 1, 43) spricht davon, sich im Blick des Andern liebend zu verlieren und nichts anderes mehr zu sehen. 103 Umgekehrt gibt es für uns auch kein wahrhaftes Sehen Christi und Gottes, ohne dass wir selber in unserer Wahrheit sind, indem wir »ihm gleich« sein werden (cf. Phil 3,21); beides fällt zusammen, bzw. jenes ist der Grund für dieses. Das Wissen um dies ist auch das Wissen um jenes (cf. οἴδαµεν). 104 Ihn zu sehen, »wie er ist«, d. h., dass am Ende die menschheitlich universale Bedeutung des göttlichen »Menschensohnes« als des Gottesmenschen, die in der historischen Partikularität Jesu impliziert ist, dann explizit sein wird bzw. seine vergangene Besonderheit (als ein Dieser-da) sich als dialektischer Ort schlechthinniger Allgemeinheit für alle Ewigkeit herausstellt, worin eine letzte Einheit aller Menschen (und ihrer Religionen) in Christus als dem »Herrn« begründet ist (cf. Phil 2,10; Röm 14,7f; Joh 17,21). 105 S. u. Abschnitt H. (S. 957ff).

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in der (aufgehobenen) zeithaft-bewegten Geschichte der Welt so vollendet durchsichtig sein, wie er es an sich in Ewigkeit immer schon (gewesen) ist.106 1.2. Unsere eschatologische Identität, d. h. Wahrheit, ist nur sinnvoll zu begreifen als eingelassen in Gottes eschatologische Bewegtheit, und das heißt: in den eschatologischen Prozess der Wirklichkeit im Ganzen, dessen objektive Seite Röm 13,12 gültig formuliert, während seine subjektive Seite wie in 1Joh 3,2, so auch in Phil 3,13 zum Ausdruck kommt.107 Noch nichts in der Welt ist schon mit sich identisch,108 sondern alles geht auf seine eigentliche Wahrheit erst noch zu.109 Unser wahres Sein steht also noch aus110 und wird im Glauben antizipiert.111 Man könnte vom Eschaton her gesehen auch sagen, es ist noch nicht am Tag (»erschienen«), was wir gewesen sein werden. Denn unsere eschatologische Zukunft definiert erst endgül-

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Auch für Luther ist die Schöpfung Gottes »work in progress«, denn er arbeitet an der Vollendung in seiner »Ruhe«, zu der hin sein Werk noch unterwegs ist. Schöpfung ist die Eröffnung einer Geschichte hin auf das endgültige Heil; daher ist auch das Geschöpf kein (im ontologischen Sinne) Seiendes, sondern ein Werdendes. Gleichwohl schaut der ewige Gott das zeitlich Auseinanderliegende schöpferisch zusammen: »Für Gott ist der anfang der welt ja so nahe als das ende, tausent jar als ein tag [Ps 90,4; 2Petr 3,8], Und Adam, der am ersten geschaffen ist, als der letzte mensch, der da wird geporn werden, denn er sihet die zeit also an, wie des menschen auge zwey ding, die weit von einander sind, ynn einem augenblick zusammen bringt« (WA 24, 25,16–20); cf. oben § 8 (S. 451 bei Anm. 95 und S. 451 Anm. 101. 107 Cf. auch Jes 46,9 sowie neutestamentlich insbesondere Lk 9,62! 108 Darum gilt 1Kor 13,12a. 109 Cf. E. Bloch: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst« (E. BLOCH, Tübinger Einleitung in die Philosophie, es 11, Frankfurt 21964, 11; Hervorh. J. R.). Ähnlich W. Joest: »Wir sind nicht, die wir sind, sondern die wir sein werden …« (von der eschatologisch-finalen Anthropologie Luthers), in: W. JOEST, Ontologie der Person bei Luther, Göttingen 1967, 436. Was die Logik dieser Sicht angeht, so ließe sie sich durch die Selbstaufhebung des »Seins« in den Kategorien von »Wesen« und »Erscheinung« bei HEGEL (»Wissenschaft der Logik«) verdeutlichen. 110 E. Bloch beschließt sein Hauptwerk mit dem Satz: (Wenn der Mensch nicht mehr selbstentfremdet ist,) »so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat« (BLOCH, Das Prinzip Hoffnung III [wie oben S. 887 Anm. 30], 1628). Cf. dazu christlich Hebr 13,14! Cf. M. Claudius: »O du Land des Wesens und der Wahrheit, / Unvergänglich für und für! / Mich verlangt nach dir und deiner Klarheit« (M. CLAUDIUS, Mit den vielen andern, Groß und Kleinen. Letzte Strophe, in: ders., Sämtliche Werke, München 61987, 451). Dass im Eschaton erst die Wahrheit selbst erschienen sein wird, gilt auch von der Schönheit im Sinne der Ästhetik: »Was wir als Schönheit hier empfinden, / wird einst als Wahrheit uns entgegengehn« (F. SCHILLER, Die Künstler). In frommer Weise zitiert Caroline v. Humboldt diese Verse aus dem Gedächtnis in einem Brief an ihren Mann (5.4.1810), nachdem sie, gleichsam als Gebet, geschrieben hat: »Gott! wie hast Du die Erde so schön gemacht« (Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von A. v. Sydow, Bd. III, Berlin 1909, 368). 111 Cf. Luthers »peccator in re, iustus in spe«.

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tig auch unsere Vergangenheit,112 und erst von der Erlösung her fällt uns unsere wahre Vergangenheit (bzw. die Wahrheit unserer Vergangenheit) zu.113 Was es für die Wirklichkeit im Ganzen bedeutet, eschatologisch im Werden zu sich begriffen zu sein bzw. so biblisch begriffen werden zu müssen, hat paradigmatisch F. Rosenzweig (in messianischer Sicht) dargelegt. Die Welt ist noch nicht fertig. Es ist noch Lachen und Weinen in ihr. Noch ist die Träne nicht weggewischt von jeglichem Angesicht [cf. Jes 25,8; Apc 7,17; 21,4]. Dieser Zustand des Werdens, der Unfertigkeit, läßt sich nun nur fassen durch eine Umdrehung des objektiven Zeitverhältnisses.114 Wäh-rend nämlich das Vergangene, das schon Fertige [sc. für uns] daliegt von seinem Anfang bis zu seinem Ende und daher er-zählt werden kann – und alles Zählen hebt von Anfang der Reihe an –, ist das Zukünftige als das was es ist, nämlich als Zukünftiges, nur zu fassen durch das Mittel der Vorweg-nahme [»Antizipation«].115 Wollte man auch das Zukünftige er-zählen, so würde man es unabwendbar zum starren Vergangenen machen.116 Das Zukünftige will vorausgesagt werden. Die Zukunft wird erlebt nur in der Erwartung.117 Das Letzte muß hier in Gedanken das Erste sein. So muß [sc. gegenwärtig] in der Welt als dem noch Werdenden die natürliche Reihenfolge der Selbstgestaltung, der Weg von innen nach außen, vom Wesen zur Erscheinung, von der Schöpfung zur [sc. endgültigen] Offenbarung, sich [dialektisch] umdrehen; … die Welt ist von Anfang an ganz Selbstoffenbarung und doch noch ganz unwesenhaft; wie ihr Gerüste, die »Natur«, ist sie am lichten Tag und doch geheimnisvoll am lichten Tag118 – geheimnisvoll, weil sie sich offenbart ehe ihr Wesen da ist [!]. So ist sie jeden Zoll ein Kommendes, nein: ein Kommen [sc. auch Gottes]. Sie ist, was kommen soll. Sie ist das Reich [sc. als neuer Himmel und neue Erde].119 112

Zur Vergangenheit s. u. E. 2. (S. 929ff) und zum Gericht F. 2. (S. 951ff). Cf. W. Benjamin: »Freilich fällt erst der erlösten Menschheit ihre Vergangenheit vollauf zu« (W. BENJAMIN, Über den Begriff der Geschichte [III], in: ders., Gesammelte Schriften [wie oben S. 894 Anm. 70] I/2, 1974, 694); cf. Hebr 1,1f. In eher subjektiver Wendung Th. W. Adorno: »Zum Ende. – Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint« (ADORNO, Minima Moralia [wie oben S. 884 Anm. 13], Nr. 153, 333 = DERS., Gesammelte Schriften IV [wie oben Anm. 13], 281); cf. auch oben Anm. 13 und E. THAIDIGSMANN, Der Blick der Erlösung, ZThK 81 (1984), 491–513. 114 Das heißt dialektisch; siehe dazu unten S. 923 bei Anm. 256 und schon oben § 9 D. (S. 532ff). 115 Das heißt logisch: als Sich-Vorweglaufen des Letzten als vom Ersten her endgültig zu sich Kommenden. 116 Auch die Vergangenheit ist (eschatologisch) vom Zukünftigen her zu verflüssigen, was nur Gott vermag; s. u. E. 2. (S. 929ff). 117 Cf. E. Bloch: »Das Wirkliche ist Prozeß; dieser ist die weitverzweigte Vermittlung zwischen Gegenwart, unerledigter Vergangenheit und vor allem: möglicher Zukunft« (BLOCH, Das Prinzip Hoffnung I [wie oben S. 887 Anm. 30], 225). Zum Zukünftigen im Vergangenen cf. a.a.O. 7.11.230.387. 118 Cf. J. W. Goethes »offenbar Geheimnis«. 119 F. ROSENZWEIG, Der Stern der Erlösung (1921), BS 973, 1988, 244f; Fußnoten und Hervorhebungen J. R. Es geht um das Werden des endgültigen Gottesreiches, das eine 113

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1.3. Hier ist noch kurz darauf hinzuweisen, dass Jesu eigenes Wirklichkeitsverständnis eschatologisch gewesen ist und die Welt als zwischen Schöpfung und Eschaton, Anfang und Ende im Werden begriffen gesehen und so Protologie und Eschatologie miteinander vermittelt hat; nur in diesem Horizont sind auch Jesu Naturgleichnisse richtig zu verstehen.120 Bei der Verifikation der von Jesus verkündigten »Nähe der Basileia« ist nicht primär an die zeitliche »Naherwartung« Jesu zu denken.121 Systematisch (und für den Glauben) entscheidend ist vielmehr, dass die von Jesus angekündigte Gottesherrschaft in seiner Auferstehung an ihm selber (bzw. mit ihm) realisiert worden ist (daher: 1Kor 15,24).122 Jesu Auferweckung von den Toten bedeutet: Gott ist mit seinem Reich bzw. seiner Herrschaft dieser Welt dergestalt »nahegekommen«, dass er diese in ihre eschatologische Vollendung in ihm selber aufnimmt, darauf zuführt und in sein Leben hineinzieht. Daher kann es auch heißen: πάντων δὲ τὸ τέλος ἤγγικεν (1Petr 4,7). Gott macht diese Welt am Ort des mit Christus verbundenen Glaubenden zu einem Moment seines eigenen, ewigen Lebens. In Luthers eschatologischem Denken123 spielen im Zusammenhang mit dem Neuen Testament und seiner Rede über die Nähe der »Ernte« (cf. Mk 4,29 und Mt 13,39; Mt 9,37 par; Joh 4,35 u. ö.) die Metaphern der »Morgenröte« und des »Sommers« eine große Rolle.124 So die bekannte Darlegung bei Tisch (30er-Jahre): »Wir … sind jtzt in der Morgenröthe des künftigen Lebens …«125 Oder vom nahen Gottesreich mit 2Sam 23,4: »Und, wie das Liecht des Morgens, wenn die Sonn auffgehet, Des Morgens on wolcken, da

Verwandlung der Welt in Gottes eigenes Leben ist. Das schließt ein, dass auch die schwer behinderten Menschen (z. B. solche mit Down-Syndrom), wie ein Prediger es einmal ausdrückte, jetzt noch »verzauberte Prinzen und Prinzessinnen« sind, die Gott am Jüngsten Tag auferwecken wird zur »Freiheit der Kinder Gottes in Herrlichkeit« (Röm 8,21). 120 Cf. dazu grundsätzlich RINGLEBEN, Jesus (wie oben S. 883 Anm. 6), 366ff.444ff sowie die ausführlichen Gleichnisauslegungen a.a.O. 373ff. 121 In Jesu Gleichnissen ist überhaupt ein anderes Verhältnis zur Zeit wirksam als das normal-chronologische; cf. E. JÜNGEL, Paulus und Jesus, Tübingen 31967, 139–142.146f. 150 Anm. 3 u. ö. Das ἤγγικεν der Gottesherrschaft (Mk 1,15; cf. 4,27) besagt, dass die Gottesherrschaft »sich in unserer Zeit ihre Zeit zeitigt«: als eschatologische Zukunft (JÜNGEL, Unterwegs zur Sache [wie oben Anm. 80], 131). Das entspricht als Ende der Zeit in der Zeit unserer Formulierung vom »Übergehen als schon Übergegangensein«; cf. auch Jüngel zum Werden, Unterwegs zur Sache 137f und Anm. 32. 122 Das hat I. U. Dalferth immer wieder betont; cf. I. U. DALFERTH, Der auferweckte Gekreuzigte, Tübingen 1994, 25.83.202 u. ö. 123 Cf. oben S. 896 Anm. 86. Auch in den beiden Katechismen lässt sich ihre eschatologische Ausrichtung nachweisen. 124 Cf. systematisch dazu J. RINGLEBEN, Metapher und Eschatologie bei Luther, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 888 Anm. 35), 96ff. 125 WA.TR 1, 574,8ff.

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vom glantz nach dem Regen das gras aus der Erden wechst …«126 Ähnlich wird der nahende Sommer als Zeichen eschatologischer Vollendung wahrgenommen.127 Diese und ähnliche Stellen zeigen, dass Luther die eschatologische »Nähe« mit dem neuen »Erscheinen« des machtvoll und schöpferisch wirksamen Gotteswortes zu seiner Zeit im Zusammenhang gesehen hat: »Wyr sollen dancken Gott daryn, / seyn wort ist wyder kommen. / Der Sommer ist hardt für der thür, / der Wynter ist vergangen, / die zarten blumen gehn herfür, / der das hat angefangen, / der wirdt es woll volenden« (Phil 1,6).128 2. Im Vergehen (1Kor 7,31b) Zwischen dem gegenwärtigen Noch-nicht (1Joh 3,2b) und dem eschatologischen Dann ist das Irdische vergehend bewegt,129 und der Aufbau des Neuen setzt (sich) den Abbau des Alten voraus (2Kor 5,17b; Hebr 10,9b). In diesem Horizont ist es grundsätzlich zu verstehen, wenn Paulus in 1Kor 7,31b schreibt: παράγει γὰρ τὸ σχῆµα τοῦ κόσµου τούτου. Die Gestalt dieser Welt vergeht.130 Das ist in einem entschieden eschatologischen Horizont gesagt (cf. 1Kor 7,29a; 10,11b)131 und begründet einen eschatologischen Vorbehalt (gegenüber letzter Identifikation mit dieser Welt; cf. 1Kor 4,5), erfordert vielmehr ein spezifisches Verhalten der Glaubenden (1Kor 5,10b; 6,12; Röm 12,2).132 Es geht hierbei um ebendas, was auch in 1Joh 2,17a formuliert ist: καὶ ὁ κόσµος παράγεται, und betrifft »die vorfindliche Welt als ganze«133 bzw. sie 126

Cf. WA 54, 95,25–96,13. WA 12, 71,10. Cf. auch Hhld 2,12 und dazu Bernhard von Clairvaux, Serm. in Cant. (PL 183, 1062–1066), sowie P. Gerhardts »Geh’ aus mein Herz« (EG, Nr. 503, bes. Str. 9–11 und 15) oder J. Walters »Gar herzlich tut mich erfreuen« (EG, Nr. 148). Zu diesen Aspekten der Eschatologie Luthers cf. U. ASENDORF, Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967, 210ff. 128 LUTHER, Eyn newes lyed wyr heben an, in: WA 35, 414,12–18. 129 Auch 1Kor 13,8 entspricht der theologia viatorum. 130 Beziehungsweise: ist im Vorübergehen begriffen (Röm 13,11f; 1Joh 2,8b); cf. W. Bauer: »diese Welt in ihrer eigentümlichen Erscheinung ist im Hinschwinden begriffen« (W. BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, Berlin 51958, 1578). »Begriffen sein in …« besagt hier systematisch: im Begriff Gottes von ihr als Begriff ihrer Wahrheit. 131 Und entspricht so genauestens 1Joh 3,2. Cf. auch 1Joh 2,17 (παράγεται). 132 Dem entspricht auch das spezifische ὡς µή im Umgang mit den innerweltlichen Gegebenheiten (cf. 1Kor 7,30.31a; Mt 6,25). Grundsätzlich gilt: Erst in der eschatologischen Schau hat das Sehen Gottes (Gen. obj.) in sich, was der Glaube des »homo viator« noch außer sich hat (2Kor 5,7). Insofern ist auch das Glauben selber ein »Haben«, als hätte man nicht, bzw. ein »Nichthaben«, als hätte man. 133 EWNT III (21999), 762 (PÖHLMANN). 127

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in ihrer »äußeren Erscheinung«134 bzw. sie als äußere Erscheinung.135 Diese vergehende Welt (und das Vergehen jedes einzelnen Menschen in ihr) ist uns immer nur fragmentarisch, als »Stückwerk« (τὸ ἐκ µέρους), zugänglich;136 aber genau so – in ihrem Gegenteil, das sie sukzessive wegräumt (καταργηθήσεται) – kündigt sich die eschatologische Vollendung an: »Wenn aber das Vollkommene (τὸ τέλειον) kommen wird, so wird das Stückwerk aufhören« (1Kor 13,10).137 Das zur Aufhebung bestimmte σχῆµα (eine Art »Baugerüst«) soll in das Vollkommene verwandelt und in seine Wahrheit transformiert werden. Es ist das Kommen Gottes selber, das unsere Zeit und Geschichte zum Ort und Anfang des im Kommen begriffenen Reiches Gottes bzw. seiner endgültigen Welt bestimmt und bewirkt, dass unsere vergehende Welt als bloßes »Schema« des Zukünftigen von Gottes ewigem Leben durchdrungen, überformt, abgelöst und auf Vollendung darin zubewegt wird. Die »Eitelkeit« (µαταιότης), der die geschaffene Welt von Gott (um der Hoffnung willen) unterworfen ist (Röm 8,20),138 ist das Negativ ihres von Gottes Lebensdynamik durchdrungenen Werdens auf ihn hin. Weil Gottes eigenes Sein – gemäß Ex 3,14 (futurisch) – im Werden zu sich begriffen ist, genau darum gilt, dass das »schema dieser Welt vergeht« (1Kor 7,31b; 1Joh 2,1). Dies vergehende σχῆµα ist als solches gerade nicht die endgültige Gestalt oder Erscheinung der Wahrheit (1Joh 3,2; s. o. Abschnitt 1.), sondern diese besteht in der »Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes« (Röm 8,21), d. h. aller zu ihrem wahren σχῆµα befreiten Lebensfülle.

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W. BAUER, a.a.O. 1578. Zur einzigen Parallele zu σχῆµα im Neuen Testament (Phil 2,7) cf. PÖHLMANN, in: EWNT III (21999), 762 (Käsemann). 135 Betont man das paulinische »die Gestalt dieser Welt« (τούτου), so ist die Aussage von 1Kor 7,31b durchaus mit der Erwartung vom Kommen eines neuen Himmels und einer neuen Erde kompatibel. 136 Cf. die apokalyptische Schau beim Propheten: von der Welt als einem »weiten Feld voller Totengebeine« und ihrem wieder Lebendigwerden (Ez 37,1ff). Cf. dazu J. G. HAMANN, Biblische Betrachtungen, in: ders., SW 1, 178,22–32, der aus dem EzechielKapitel die Summe zieht, »daß Gott der Herr ist«. Später heißt es bei ihm: »Das Feld der Geschichte ist mir daher immer wie jenes weite Feld vorgekommen, das voller Beine lag, – – und siehe! sie waren sehr verdorret. Niemand als ein Prophet kann von diesen Beinen weissagen, daß Adern und Fleisch darauf wachsen und Haut sie überziehe. – – Noch ist kein Odem in ihnen – – … bis des Herrn Wort zum Winde spricht [Ez 1,4]« (a.a.O., Bd. II, 1950, 176,11–16). 137 In den folgenden Versen 11f wird das auch auf das Erkennen Gottes bezogen. 138 Siehe auch den nächsten Abschnitt 3.

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3. Das Warten der Schöpfung (Röm 8,18–24 und 1Kor 15,35ff) Eine die geschaffene und vergehende Welt betreffende eschatologische These Luthers war: »Sicut et tota creatura, nunc subiecta vanitati [Röm 8,20], materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam.«139 Damit ist nicht nur gesagt, dass die gesamte Schöpfung wartet, sondern dass ihr gegenwärtiger Status (objektiv) der eines Wartens, eines Aus-Seinsauf-… ist.140 In diesem Horizont eines Wartestandes aller Dinge muss die Schöpfung theologisch als etwas (auch in Gottes Augen) »Vorläufiges«, nicht in sich selber Vollendetes begriffen werden.141 Dieses eschatologische Nochnicht-Sein und sein Ziel sollen hier in einer Kombination von Röm 8,18–24a mit 1Kor 15,35ff näher bedacht werden. Das systematische Zusammendenken beider Texte ist dadurch motiviert, dass es auch in diesem RömerbriefKapitel wie in 1Kor 15 trotz im Ganzen unterschiedlicher Perspektive um den Zusammenhang einerseits von Tod und Auferweckung (cf. Röm 8,11b.34), andererseits um irdisches Leiden und Verherrlichung (Röm 8,17) geht. Außerdem ist diesen Texten auch gemeinsam, dass sie ihren thematischen Skopus auf die geschaffene Natur ausweiten, d. h. das Heilsgeschehen in einen kosmologischen Zusammenhang stellen. 3.1. Christusglaube Die im Glauben an Christus Hängenden sind υἱοὶ θεοῦ (Röm 8,14), denn sie werden »leben« – in seinem Geist (V. 13b; cf. V. 6b.10b). Ihnen ist das πνεῦµα υἱοθεσίας (als »Angeld des Geistes«, V. 23a) proleptisch zu eigen geworden (V. 15a),142 und sie »seufzen« (στενάζωµεν) in Erwartung der endgültigen υἱοθεσία (V. 23). Vom Geiste Gottes »getrieben« (oder »bewegt«; ἄγονται, V. 14), bestimmt sie das πνεῦµα τῆς ζωῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (V. 2).143 Sie »sind« ἐν πνεύµατι, sofern der Geist Gottes »in« ihnen »wohnt«

139 LUTHER, Disputatio de homine (1536), Th. 36, in: WA 39 I, 177,5f. Dass der »homo huius vitae« ebenfalls eine »pura materia Dei« für das Leben seiner zukünftigen Form ist, hat die vorausgehende These 35 (a.a.O. 3f) formuliert. Zur Interpretation dieser Mensch und Welt umspannenden Eschatologie cf. G. EBELING, Disputatio de homine. 3. Teil (Lutherstudien II), Tübingen 1989, 507ff und 485ff sowie RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 884 Anm. 14), 574–578. 140 U. Wilckens spricht davon, dass die Christen mit ihrer Hoffnung »die stumme Sehnsucht und Erwartung der Schöpfung zu Wort kommen lassen« (U. WILCKENS, Der Brief an die Römer, Bd. II: Röm 6–11, EKK VI/2, Neukirchen-Vluyn/Zürich 31993, 159). 141 Cf. den Abschnitt »Geburtswehe der Schöpfung«, in: RINGLEBEN, Gott im Wort (wie oben S. 884 Anm. 14), 553ff, sowie Joh 16,21 (dazu: RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium [wie oben S. 896 Anm. 82], 337–340). S. u. zu Röm 8,22. 142 In diesem Geiste »schreien« sie: αββα ὁ πατήρ (V. 15b). 143 Als »vom Gesetz der Sünde und des Todes« Befreite (Röm 8,2b) »wandeln« sie (περιπατοῦσιν) κατὰ πνεῦµα (V. 4b; cf. V. 14).

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(V. 9; cf. V. 11c und Joh 14,2f.23). Dieser selbst bezeugt unserm Geist, »dass wir Gottes Kinder sind« (V. 16).144 Darauf gründet sich die christliche Hoffnung, »Erben Gottes« (cf. V. 9b) bzw. »Miterben Christi« zu sein: dann, wenn unser Mit-Christus-Leiden zu seiner Wahrheit als mit ihm Verherrlichtwerden (συνδοξασθῶµεν) gelangt (V. 17; cf. V. 29 und Phil 3,10). Damit ist der Anschluss an das eschatologische Thema der µέλλουσα δόξα (V. 18) erreicht. 3.2. Der mit-genommene Kosmos Paulus begreift (λογίζοµαι) in Röm 8,18 die Situation gegenwärtigen irdischen Leidens (τὰ παθήµατα τοῦ νῦν καιροῦ)145 – gemäß 1Kor 7,31: παράγει – als eine, die auch durch die δουλεία τῆς φθορᾶς (Genetivus epexegeticus) der Schöpfung überhaupt gekennzeichnet ist (8,21),146 die aber gegen die µέλλουσα δόξα des Eschaton nicht endgültig ins Gewicht fällt (οὐκ ἄξια, V. 18; cf. 2Kor 4,17). Dies kann behauptet werden, weil gilt, was in 1Kor 15,42ff.54 steht (s. u.): Die Negativitäten im gegenwärtigen »Noch-nicht« können gegen die eschatologische Herrlichkeit letztlich nicht aufkommen, weil sie in der δόξα als Endvollendung aufgehoben sein werden – wie der Tod vom Leben »verschlungen« wird (1Kor 15,54c; 2Kor 5,4c). Diese kommende δόξα wird an uns »offenbart« (ἀποκαλυφθῆναι, Röm 8,18), indem wir an der ἀποκάλυψις τῶν υἱῶν τοῦ θεοῦ teilhaben (V. 19) bzw. der ἐλευθερία τῆς δόξης τῶν τέκνων τοῦ θεοῦ (V. 21b). Diese υἱοθεσία (V. 23bα; cf. V. 15) besteht eschatologisch in der ἀπολύτρωσις τοῦ σώµατος ἡµῶν (V. 23bβ; cf. 3,24 mit 7,24).147 Die durch Leiden stigmatisierte Situation in der vergehenden Welt des Irdischen ist aber in der eschatologischen Perspektive des Apostels nicht nur die unsere (menschliche) allein, sondern mit uns und wie wir148 ist nach V. 19 das Geschaffene überhaupt (κτίσις) durch sein »ängstliches Harren« (Luther)149 144

Darin besteht die ἀπαρχή (V. 23a). Cf auch V. 22: ἄχρι τοῦ νῦν. 146 Cf. Hebr 2,15. Zu φθορά cf. auch 1Kor 15,43b. Anders das πνεῦµα δουλείας (Röm 8,15). Ähnlich die µαταιότης (Röm 8,20); in 1Kor 15,43a steht: ἀτιµία. Der Philosoph H. Schmitz hat in Röm 8,21 ein radikales Geschehen ausgemacht: die »Wandlung der Zeitform der Welt überhaupt, nämlich Erlösung der ganzen Schöpfung aus der Knechtschaft des Vergehens« (H. SCHMITZ, System der Philosophie V [wie unten S. 950 Anm. 427], 182). 147 Über das σῶµα hängen wir mit der ganzen geschaffenen Natur (πᾶσα ἡ κτίσις, V. 22) zusammen. 148 Cf. ἡµεῖς καὶ αὐτοί (V. 23). 8,19–21 formuliert im Vorgriff etwas, was in V. 22 seine Begründung erhält. 149 ἀποκαραδοκία bedeutet eine »sehnsüchtige Erwartung« bzw. »erwartungsvolles Harren« (BAUER, Wörterbuch [wie oben Anm. 130], 183; cf. Phil 1,20). Röm 8,19 sieht die ganze Schöpfung »in einer Spannung zwischen Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit 145

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und die »Erwartung«150 der an uns geschehenden Offenbarung endgültiger Gotteskindschaft geprägt.151 Daher ist die verheißene Herrlichkeit auch darum so überschwänglich groß, weil außer uns an ihr auch alle Schöpfung sonst irgendwie Anteil gewinnen soll.152 Den Grund für die ἀποκαραδοκία auch der Natur benennt V. 20: Die ganze Schöpfung ist einer µαταιότης »unterworfen«, die offensichtlich den menschlichen παθήµατα im irdischen Leben entspricht (V. 18).153 Dieser Zustand der »Eitelkeit« (Luther; Vg: vanitas), d. h. Vergänglichkeit und Substanzlosigkeit,154 bezeichnet offensichtlich eine Nichtigkeit, die der wahren Bestimmung der Geschöpfe nicht gemäß ist.155 In diesem Zustand befindet sich die Schöpfung aber nicht »freiwillig«, d. h. aus sich allein heraus (V. 20bα), sondern sie ist von Gott als dem sie »Unterwerfenden« (διὰ τὸν ὑποτάξαντα) aus darin (V. 20bβ).156 Genau in dieser göttlichen Lenkung ihres Geschicks einerseits und der Freiheit, die in der Verherrlichung der Gotteskinder besteht, andererseits« (EWNT I [ 21992], 318 [BALZ]). 150 ἀπεκδέχοµαι heißt »erwarten, warten auf«; cf. gleichbedeutend Röm 8,23; in V. 25 ist eine hoffnungsvolle Gewissheit mit gemeint (EWNT I, 990 [GLASSWELL]). Cf. auch Phil 1,20. Zur »expectatio creaturae« cf. oben S. 884 Anm. 14. 151 Cf. Schelling, der entsprechend von der »allem endlichen Leben anklebenden Traurigkeit« schreibt: »Daher der Schleier der Schwermuth, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens« (F. W. J. SCHELLING, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit [1809], in: ders., SW I/7, 399 = Nachdr. 1968 [Schriften von 1806–1813], 343). Das geht vermutlich auf J. Böhme zurück. S. Kierkegaard hat im Anschluss daran unter Bezug auf Röm 8,19 von »objektiver Angst« gesprochen (S. KIERKEGAARD, Der Begriff Angst, 2. Kap. § 1, in: ders., GW 11, 55ff). Cf. auch Paulus, der von der τοῦ κόσµου λύπη sagt, dass sie den Tod wirkt (2Kor 7,10b). 152 Offenbar kann Paulus von der Zukunftshoffnung der Erlösten (cf. Röm 5,2.5) nicht sprechen, ohne die Natur als mit zu erlösende einzubeziehen; cf. die folgende Anmerkung. Bezeichnend der Wechsel von Aussagen über unsere Erlösung mit solchen über die Schöpfung: V. 18 (Mensch), V. 19 (Natur), V. 20 (Natur und Gott), V. 21 (Natur und Mensch), V. 22 (Natur), V. 23 (Mensch), V. 24 (Mensch). 153 Wahrscheinlich denkt Paulus an die Folgen des menschlichen Sündenfalls für die dadurch mit betroffene Natur (Gen 3,15–19) und nimmt an, diese heillose Entfremdung von Mensch und Natur werde durch die Erlösung in einem endgültigen Frieden wieder aufgehoben (cf. Jes 11,6–9; 65,25); dazu WILCKENS, Brief an die Römer II (wie oben Anm. 140), 154f. Cf. auch Röm 1,23 (Anheimgabe der Sünder an die Nichtigkeit). 154 Es handelt sich für die Natur um die δουλεία τῆς φθορᾶς (V. 21). Luther hat das als bloßes Materie-Sein für Gottes schöpferisches Handeln gefasst (s. o. bei Anm. 139). 155 Für diese steht der Ausblick auf einen »neuen Himmel und eine neue Erde«, wozu µαταιότης der Gegenbegriff wäre. Diese »Nichtigkeit« (µαταιότης) ist die Scheinhaftigkeit des nur als vergehendes (s. o. [2.] zu 1Kor 7,31b) überhaupt seienden, endlichen Daseins. Seine Wahrheit, d. h. die darin vor-scheinende, endgültige Wirklichkeit, ist noch nicht »erschienen«, wird aber eschatologisch zur Erscheinung kommen (s. o. 1.2. zu 1Joh 3,2). 156 Ist Gott hier der »Unterwerfende«, so heißt das: Die Entfremdung bzw. Korruption der Natur aufgrund des menschlichen Sündenfalls (s. o. Anm. 153) wird vom Schöpfer

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gründet aber zugleich auch die »Hoffnung« für die geschaffene Natur (cf. 15,13):157 Sie ist in dem Status der Nichtigkeit nur vorläufig und ἐφ’ ἐλπίδι (cf. V. 24f und 4,18).158 Derselbe, der sie ihm »unterworfen« hat, ist auch der, der sie für ein eschatologische Leben in den Tod »gesät« hat (σπείρεται, cf. 1Κοr 15,36.42b),159 so dass sie dann von der »Sklaverei der Vergänglichkeit« befreit sein wird (V. 21).160 Hier wird dieser Knechtung unter die Nichtigkeit die Teilhabe an der überschwänglichen eschatologischen Freiheit der Gotteskinder entgegengestellt: als Anteil Gewinnen auch der geschaffenen Natur an »unserem« Erbe (V. 17),161 zu welcher »Kindschaft« (V. 23b) ja auch die »Erlösung des [natürlichen] Leibes« (V. 23c; cf. 1Kor 15,44) gehört. Diese Hoffnung des natürlichen Seienden auf den vollendeten Status der »Kinder Gottes« entspricht in eschatologischer Wiederholung dem Sachverhalt, dass schon protologisch im Menschen die Natur ihre Augen aufschlägt.162 Die φθορά (V. 21) der Jetztzeit (V. 22) soll selber in der δόξα (V. 21) der eschatologischen Zukunft vergangen sein.163 Diese »Herrlichkeit« im Eschaton besteht in Lichtglanz (cf. 2Kor 4,6) und kraftvoller Neuheit des Lebens (Röm 6,4). Beides hat wesentlich zu tun mit der seligen Freiheit Gottes selber, der dann »alles in allem« sein wird (1Kor 15,28).

selbst konterkariert und korrigiert durch die Bestimmung der geschaffenen Natur zur Teilhabe an der Erlösung des Menschen (V. 21). 157 ἀποκαραδοκία und ἐλπίς sind nur zwei Aspekte der einen eschatologischen Aussage über die »Unerlöstheit der Schöpfung als Zustand des ihr innewohnenden inständigen Wartens auf Befreiung und … der von Gott der geknechteten Schöpfung gewährten Hoffnung auf künftige Freiheit« (EWNT I [ 21992], 318f [BALZ]). 158 Diese Wendung hat nach O. Michel einen »objektiven Klang« (bei WILCKENS, Brief an die Römer II (wie oben Anm. 140), 155 Anm. 679; cf. auch 159). Zur Erwartung künftiger Befreiung cf. 4Esr 7,11f. Ὑπετάγη … ἐπί heißt, dieser Zustand der Entfremdung ist transitorisch und eschatologisch zielgerichtet, und dass die Natur ihm »unterworfen« ist, heißt, sie erleidet einen Prozess, der sie auf ihr endgültiges Sein zuführen wird. 159 Hier entspricht ἀποθάνῃ (V. 36) der φθορά (V. 42b). 160 Die ausnahmslose irdische Vergänglichkeit ist also nach Paulus – wie auch Hegel – nicht rückwärtsgerichtet zu begreifen: als bloßes Verschlungenwerden durch die nichtende Zeit (»Chronos«), als zu einem bloß Vergangen- und Nichtseiendwerden, sondern – da umgekehrt eben der Tod selber »verschlungen« ist (1Kor 15,54b; Jes 25,8) – sie entspricht dem Sich-Manifestieren der noch ausstehenden Wahrheit von allem an ihm, sofern es von ihr noch unterschieden (cf. 1Joh 3,2) und in destruktiver Differenz zu ihr ist. Alles geht nur an seiner (auf es zukommenden und an ihm wirksamen) Wahrheit zugrunde. 161 Von der Schöpfung überhaupt könnte man übertragen sagen, was in Hebr 11,40b steht: »dass sie nicht ohne uns vollendet werden« soll. 162 Cf. oben § 8 F. 3.2. (S. 494ff). 163 Nach 1Kor 15,42b wird bei der Totenauferstehung die φθορά durch ἀφθαρσία, nach V. 43a ἀτιµία durch die δόξα und nach V. 43b ἀσθενεία (cf. Röm 8,26; bezieht sich auf V. 23 zurück, cf. auch 6,19 und 8,3) durch δύναµις abgelöst.

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Zu einer großartigen eschatologischen Deutungsmetapher findet Paulus mit V. 22: »Wir wissen [sc. im Glauben], dass die ganze Schöpfung164 mit [uns] seufzt165 und mit [uns] im Geburtsschmerz stöhnt166 bis zu diesem Augenblick.«167 Der Apostel begreift die Gegenwart der Glaubenden wie der ganzen Schöpfung als in einer »Geburtswehe« (ὠδίνειν) bzw. deren »Schmerz« (ὠδίν) im Übergang von dieser Todeswelt168 in das absolut Neue des Eschaton begriffen.169 Er denkt so anschaulich das Krisenhafte der eschatologischen Neuwerdung bzw. des Übergangs zum Endgültigen überhaupt. Daraus geht hervor, dass auch ἀποκαραδοκία (V. 19) zu den schmerzlichen Wehen170 und dem »Stöhnen« bzw. »Seufzen« bei einer Geburt gehört.171 Indes eine jede Geburt führt über Trübsal, Angst und Bedrängnis (λύπη, θλῖψις) dahin, dass ein neues, selbständig-freies Geschöpf ans Licht der (für es neuen) Welt tritt, was Freude mit sich bringt (cf. Joh 16,21).172 Diese Geburtsmetapher ist in 1Kor 15,36ff vorbereitet durch die des Säens und den Durchgang des Samenkorns durch das Ersterben zu neuem Leben (cf. auch Joh 12,24). Vers 23 formuliert gleichsam abschließend diesen Zusammenhang noch einmal ausdrücklich: Die Negativität der »Geburtswehe« betrifft danach nicht die geschaffene Natur allein (οὐ µόνον δέ), »sondern auch wir selbst seufzen (στενάζοµεν) in uns selber als die, die die Kindschaft (υἱοθεσία) erwarten (ἀπεκδεχόµενοι), [nämlich] die Erlösung unseres Leibes (σῶµα)«.173 Diese inständige und sehnsüchtige Erwartung gehört zu der Hoffnung des Glaubens auf die Auferstehung, wie Paulus sie in 1Kor 15 als universales Heilsziel entfaltet hat.174 Diese ἐλπίς (V. 24f) lebt verborgen schon in der seufzenden Klage, über die Leiden der Gegenwart hinaus zu gelangen (2Kor 5,2): als die ἀπαρχή des Geistes, der auch in »uns« am Werke ist (cf. V. 14.26 und 1Kor 15,20.23). Diese eschatologische »Erstlingsgabe« ist allein in Gottes rechtfertigendem Wort (3,28) für uns offenkundig gegenwärtig (1,16b),175 mit dem

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Von πᾶσα ἡ κτίσις will WILCKENS, a.a.O. 153, die nichtchristliche Menschheit ausnehmen. 165 συστενάζει, von uns: ἡµεῖς … στενάζοµεν (V. 23; cf. auch V. 26b). Man könnte von diesem Seufzen aus das »Gebet der materia um ihre forma« bei Luther verständlich machen (cf. WA 56, 378,2–5). 166 Luther übersetzt unbestimmter: »sich ängstet«. 167 Cf. Phil 1,5. 168 Von den »Schmerzen des Todes« ist in Act 2,24 die Rede. Cf. auch 1Thess 5,3. 169 Von den Wehen beim »Gebären« seiner Gemeinde durch den Apostel cf. Gal 4,19. Cf. protologisch: Ps 90,2. 170 Cf. τὰ παθήµατα (Röm 8,18). 171 Cf. Apc 12,2: κράζει. 172 Cf. oben Anm. 141. 173 Cf. Röm 7,24. 174 Cf. WILCKENS, a.a.O. 158. 175 Cf. a.a.O. 157.

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uns der auferstandene Christus hier nahekommt,176 und wird am Ende in Herrlichkeit leibhaftig an uns realisiert sein (1Kor 15,43, cf. 1Petr 1,11).177 Daher gilt: So wie die ganze Schöpfung ἐπ’ ἐλπίδι der vanitas unterworfen ist (V. 20), so sind wir im Glauben vorerst »auf Hoffnung« (τῇ ἐλπίδι) gerettet (V. 24a) – in ausharrender Geduld (V. 25).178 Diese ist umso nötiger und setzt den Glauben der Anfechtung aus, weil das christlich zu Erhoffende, das ewige Leben im Eschaton, nicht-sichtbar ist (V. 24b und 25; cf. 2Kor 4,18 [ewig] und 5,7 sowie 1Petr 1,8f).179 3.3. Die künftige Auferstehung in kosmischem Zusammenhang Zeigt Röm 8,19ff das Sich-Reflekieren der Glaubensgewissheit (V. 22: οἴδαµεν) in der geschöpflichen Welt (V. 22: πᾶσα ἡ κτίσις), so erörtert 1Kor 15,35ff in pointierter Weise die Frage der Auferstehung der Toten180 vor einem explizit kosmischen Hintergrund.181 Beide Texte konvergieren im thematisch festgehaltenen Zusammenhang von Eschatologie und geschaffenem Kosmos, der sich im Begriff des σῶµα verdichtet (cf. Röm 8,10.23c und 7,24b).182 1Kor 15,35ff beantwortet die skeptische Frage nach dem »Wie« der leiblichen Auferstehung vom Tode (V. 35a),183 was sich in der Frage nach dem σῶµα 176 Zu ihm als dem »Erstgeborenen« (cf. 8,29) und so dem zweiten bzw. letzten Adam (1Kor 15,45–47). 177 Die Vollendung besteht für uns im Wort-Werden – dem das σῶµα πνευµατικόν entspricht –, d. h. darin, die forma Christi »anzuziehen« (cf. RINGLEBEN, Gott im Wort [wie oben S. 884 Anm. 14], 606ff und 570ff. Die Kirche singt: »Christi Blut und Gerechtigkeit, / das ist mein Schmuck und Ehrenkleid« (EG, Nr. 350,1). 178 Zur christlichen Glaubenshoffnung s. u. G. 3. (S. 956). 179 Diese Unsichtbarkeit als eine des Kommenden ist in Hebr 11,1 in die neutestamentliche Definition des Glaubens strukturell eingegangen. 180 Wie des Apostels Aussagen zum »Dass« der Auferstehung ganz von Christus her argumentieren (1Kor 15,13.16.20), so sind auch die Aussagen über ihr »Wie« (15,36ff) gänzlich an Tod und Auferstehung Christi selber orientiert, was insbesondere auch für die Rede vom σῶµα πνευµατικόν gilt (V. 44); cf. 15,8 und 9,1b. Das besagt: Paulus deutet in 1Kor 15,35ff die Schöpfung aus der Perspektive der Neuschöpfung in Christi Auferweckung; cf. dazu unten Anm. 187 und schon oben § 9 C. 1. (S. 522f). 181 Cf. Röm 8,17c: συµπάσχοµεν ἵνα καὶ συνδοξασθῶµεν. 182 Der berühmte Satz F. Ch. Oetingers: »Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes« (F. CH. OETINGER, Biblisches und emblematisches Wörterbuch, Stuttgart 1776 [Nachdr. Hildesheim 1969, 407) ist mithin prägnant paulinisch gedacht; cf. M. KRIEG/H. WEDER, Leiblichkeit, ThSt(B) 128, Zürich 1983, 51ff. Demnach kann ein »Somatismus« als die spezifisch christliche »Häresie vom Ende der Zeiten« angesehen werden (P. VALÉRY, Cahiers/Hefte [wie oben S. 885 Anm. 18] III, 1989, 314). Nietzsche hätte dem zustimmen müssen. Das Schiller-Zitat (oben S. 901 Anm. 110) dürfte auch auf den Leib zu beziehen sein. 183 In der »Elektra« des Sophokles gilt eine Totenauferstehung als Torheit (V. 940f); anders Heraklit, Frgm. B 63 (DK I, 164).

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der Auferstandenen zuspitzt (V. 35b).184 Es geht mithin durchgehend um die Denkbarkeit eines (»postmortalen«) σῶµα γενησόµενον (V. 37), das im Begriff eines (zukünftigen) σῶµα πνευµατικόν zur Erfüllung kommt (V. 44b). 3.3.1. Paulus setzt in V. 36f bei einer alltäglichen Erfahrung mit Vorgängen organischer Lebendigkeit ein:185 am »nackten (γυµνόν)186 Samenkorn«, das in der Erde »vergehen« (ἀποθάνῃ) muss,187 um wieder lebendig zu werden.188 Dabei schon ist allgemein die theologische Voraussetzung: Es gibt eine göttliche Bestimmung aller Geschöpfe zu einem σῶµα (V. 38),189 die Gott selber schöpferisch ausführt.190 Dabei zeigt sich eine lebendige Diversität bzw. Vielfältigkeit von leiblichen Gestaltungen (V. 39), die, vom Menschen ausgehend (V. 39a), über die Tiere, die Vögel und Fische (V. 39b) hinabreicht und bis auf Sonne, Mond und Sterne (V. 41) sich erstreckt. Diesen verschiedenen σώµατα (bzw. ihrer σάρξ) entspricht auch eine jeweils unterschiedliche, abgestufte δόξα, je nachdem, ob es sich um »himmlische« oder »irdische« Leiblichkeiten (σώµατα) handelt (V. 40). Diese Stufenfolge im als sinnhaft gegliedert begriffenen Kosmos spiegelt eine schöpferische Vielfalt, der als ihr immanentes τέλος die Auferstehung zugeordnet werden kann. Wie das Sein des Seienden sich als auf jeder Stufe leibhaft verfasst zeigt, so kann auch das Wunder der Auferstehung, unbeschadet seiner Einzigartigkeit, auf diese kos184 Damit sind eigentlich zwei Fragen gestellt: 1. die (unter der Opposition von: tot/lebendig stehende) Frage: Wie können Tote wieder lebendig werden, da sie doch endgültig tot sind? Und 2. die (von der Opposition: vergangen/leibhaft-gegenwärtig geleitete) Frage: Wie sollen sie das sein, da ihr Leib doch gerade verwest ist? Hier ist zunächst zu betonen: Es geht um das ewige Leben für unsere Lebensganzheit, konzentriert im Begriff des σῶµα πνευµατικόν, das nicht auf die bloße Körperlichkeit reduziert werden sollte. 185 In den Evangelien steht als Parallele Joh 12,24; cf. Lk 13,24. Während der ἄφρων (1Kor 15,36) durch seine Gedankenlosigkeit die Natur stumm macht, ist für den Apostel die erschaffene Natur »die Versichtbarung des göttlichen Wirkens; Gott offenbart durch sie die Unerschöpflichkeit seiner Leben erzeugenden Macht« (A. SCHLATTER, Paulus der Bote Jesu, Stuttgart 31962, 433). 186 Vom menschlichen Leib im Tode: 2Kor 5,3! 187 Der Einwand: Das Samenkorn stirbt nicht wirklich; es handelt sich nur um einen Gestaltwandel des lebendigen Keims selber, verfehlt die am Phänomenalen (und seinen Differenzen) interessierte Sicht des Apostels. Theologisch gilt: Eben so, wie der Einwand es ausspricht, sind unser Leben und Tod Gegenstände des göttlichen Schöpferhandelns. 188 Cf. zu dieser Diskontinuität Ps.-Okellos, den Philo in »De aetate mundi« zitiert, und Aristoteles, »Peri geneseos kai phthoras«. Sofern κόκκος als κόκκος σίτου zu verstehen ist, dürfte hier eine (polemische) Anknüpfung an die Mysterien der Demeter und Kore in Korinth enthalten sein; auch πλανᾶσθε (V. 33) ist ein Terminus in den Mysterien. 189 Cf. oben Anm. 182. 190 Cf. die Tätigkeitsausdrücke: δίδωσιν (V. 38), σπείρειν (V. 37), ζῳοποιεῖν (V. 36), die in Wahrheit gerade kein natürliches Wachstum, sondern göttliches Handeln, und dies vor allem als ein »Lebendigmachen«, meinen (cf. V. 45b: Christus). R. Feldmeier hat verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht, dass in 1Kor 15 Gott überhaupt durch Verben der Tätigkeit charakterisiert wird (z. B. ἐγείρειν) bzw. häufig auch durch Partizipien.

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mische Gliederung des Seienden in verschiedene σώµατα bezogen werden. Theologisch gesehen, kulminiert diese »Naturtheologie« mit ihrer kosmologischen Stufenfolge – die Sprünge nicht ausschließt – in der Auferstehung des Menschen als σῶµα πνευµατικόν, bezieht dieses aber trotz aller qualitativen Neuheit in die Ordnung der Schöpfung (eschatologisch) mit ein.191 Das besagt: Theologisch zielt die Gliederung des Kosmos (nach σώµατα und δόξαι) für Paulus auf eine Vollendung in der Totenauferstehung, und das σῶµα πνευµατικόν vollendet die ganze Schöpfung192 – so wie nach Röm 8,18ff die Erlösungssehnsucht der κτίσις als Ganzer sich in der eschatologischen Bestimmung zur Freiheit der υἱοὶ τοῦ θεοῦ (V. 19) erfüllt.193 Röm 8 zeigt gegenüber 1Kor 15 aber deutlicher, dass das σῶµα πνευµατικόν nur so das τέλος der Schöpfung ist, dass zwischen ihm und den vorausgehenden (untergeordneten, rein fleischlichen σώµατα) ein eschatologischer Bruch bzw. Sprung und qualitativer Abstand besteht. 3.3.2. Allerdings kann Paulus eine Analogie194 zur Auferstehung formulieren (cf. V. 42: οὕτως):195 Das Sterben ist eine Durchgangsbedingung zum neuen (endgültigen) Leben (wie V. 36b: ἐὰν µὴ ἀποθάνῃ).196 Das Stichwort des Sterbenmüssens bzw. der Vergänglichkeit197 kehrt – der µαταιότης von

191 Nietzsche schreibt: »Das züchtigste Wort, das ich gehört habe: ›Dans le véritable amour c’est l’âme, qui enveloppe le corps‹« (F. NIETZSCHE, Jenseits von Gut und Böse IV, Nr. 142, in: ders., KSA 5, 98). Wendet man das anthropologisch, so gilt grundsätzlich: Der Leib des Menschen ist immer schon seelisch »eingekleidet« bzw. eingehüllt. Menschliche Leibhaftigkeit ist immer transzendierte Körperlichkeit und insofern forma des σῶµα, wie nach Luther die Stimme »anima verbi« ist (WA 5, 379,6f). Theologisch gewendet gilt: Das σῶµα ψυχικόν ist von daher anschlussfähig für seine endgültige Überformung im σῶµα πνευµατικόν. Worthaftes πνεῦµα ist die wahre forma auch des eschatologischen σῶµα und dieses darin eschatologisch »aufgehoben«. 192 Im Menschen wird die Schöpfung durch Teilhabe mitvollendet, wie es auch in Röm 8 gedacht wird. Umgekehrt gilt von unserem eschatologischen Naturbezug: »Wie sollte er uns mit ihm [Christus, seinem Sohn] nicht alles schenken!« (V. 32b). 193 Wie sich nach 1Kor 15 der kosmische Stufenbau, dessen Anlage und Ausrichtung in der eschatologischen Verfassung des Menschen zum Ziele kommt, in »Unvergänglichkeit, Herrlichkeit und Kraft« erfüllt (V. 42f), so »wartet alle Kreatur sehnsüchtig« auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes im Eschaton (Röm 8,19). Ihr »ängstliches Harren« entspricht dem Umstand, dass sie nicht nur an der Verfallenheit des Menschen teilhat (cf. V. 20), sondern auch darauf angelegt ist, an dessen Vollendung zu partizipieren. 194 Cf. oben Anm. 187. 195 Cf. schon V. 36: ζῳοποιεῖται. 196 Hier wird von der Notwendigkeit des Sterbens (am Beispiel des γυµνὸς κόκκος für alle Geschöpfe; V. 37) als Voraussetzung und Durchgangsmoment des endgültigen Lebendig-gemacht-Werdens (ζῳοποιεῖν bzw. ἐγείρειν) gesprochen. 197 Verstanden als von Gott »Gesätwerden« (V. 42–44); cf. Röm 8,20 und Klopstock: »Saat von Gott gesät, dem Tage der Garben zu reifen« (F. G. KLOPSTOCK, Der Messias, XI. Gesang, V. 845).

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Röm 8,20 entsprechend – in der φθορά (V. 42b) wieder198 und wird in V. 43 durch ἀτιµία und ἀσθένεια näher bestimmt. Positiv entsprechen dem im Eschaton: ἀφθαρσία, δόξα, δύναµις (V. 42f). Aber zunächst gilt, dass alle σώµατα früherer Stufen im geschaffenen Kosmos ebenfalls durch φθορά, ἀτιµία und ἀσθένεια stigmatisiert sind, wie es Röm 8,21 auf den Ausdruck der δουλεία τῆς φθορᾶς bringt. Das besagt: Die negativen Prädikate des irdischen Lebens (1Kor 15,42b–43) stimmen mit dem Bild, das Röm 8,20ff von der Schöpfung als Ganzer (insbesondere der Natur) zeichnet, im Wesentlichen überein. Die Duale von 1Kor 15,42f bilden den Hintergrund und die Voraussetzung für die in Röm 8,20.24 dargelegte Hoffnung auf Miterlösung der ganzen Schöpfung im Zusammenhang mit uns. 3.3.3. Was schließlich die Auferstehung des Menschen betrifft, so stellt sich die wunderbare Verwandlung (cf. V. 51b) – der creatio ex nihilo entsprechend – beim Säen des Vergänglichen199 und Auferwecken des Unvergänglichen (V. 42f)200 an ihm als eine durch Negativität hindurch Neues bzw. aus dem Tode Zukünftiges hervorbringende Schöpfung dar (cf. 1,28b und Röm 4,17 sowie Hebr 10,9b). Es handelt sich dabei konkret darum, dass Gott aus dem »irdischen« σῶµα ψυχικόν das endgültige σῶµα πνευµατικόν werden lässt (V. 44).201 Diese (faktisch antiplatonische) Reihenfolge bezeichnet das Verhältnis von Protologie und Eschatologie.202 Ausdrücklich heißt es dann vom »irdischen« Fleisch und Blut, dass sie das Reich Gottes nicht »ererben« (cf. Röm 8,17) können, da es sich dabei in Wahrheit um eine βασιλεία τοῦ πνεύµατος handelt (V. 50). In dem entsprechenden Dual von ἐκ γῆς χοϊκός und ἐπουράνιος (V. 47f) wiederholt sich anthropologisch der kosmologische von ἐπίγεια und ἐπουράνια (V. 40).203 Bei dem verwandelten204 und ins Ewige verklärten Leib der Auferstehung (σῶµα πνευµατικόν)205 handelt es sich um das vom auferstandenen Christus – 198

Der Tod als »letzter Feind«: 1Kor 15,26; cf. auch »Sieg« (15,54). In V. 53f ist mit dem Vorigen übereinstimmend die Rede von: φθαρτός und θνητός. 200 Cf. auch V. 52b: ἀφθαρτοί sowie V. 53: ἀφθαρσία und ἀθανασία. 201 Wenn der Duktus von 15,38ff besagt: Alles hat seinen ihm angemessenen »Leib«, der Mensch soll ihn gleichwohl erst noch bekommen (V. 44) – obwohl er doch schon mit einem irdischen Körper existiert –, so heißt das: Er hat seinen wahren Leib noch nicht, sondern dieser wird ihm zukünftig bei der Auferstehung erst von Gott in Christus verliehen. Auch für unsern Leib gilt 1Joh 3,2! 202 Paulus beruft sich in V. 45 auf ein abgewandeltes Zitat von Gen 2,7 LXX. Überhaupt bezeichnet der Ausdruck σῶµα πνευµατικόν selber schon die Einheit von Schöpfung und Erlösung. 203 Die weltlichen ἐπουράνια (V. 40a) werden hier (V. 48) zu geisthaften, und die welthafte δόξα (des Glanzes; V. 40b.41) wird hier zur eschatologischen »Herrlichkeit« (V. 47). 204 Cf. µετασχηµατίζειν (Phil 3,21). 205 Es stellt auch die Vollendung der ἀπαρχή des Geistes dar (Röm 8,23). Es ist vom Geist bestimmt und bewegt (Röm 8,14). Zum Verhältnis von σῶµα πνευµατικόν und eschatologischem Wort cf. den Nachweis oben Anm. 177. 199

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als dem δεύτερος ἄνθρωπος ἐξ οὐρανοῦ (V. 47b) bzw. ἐπουράνιος (V. 48) – uns eschatologisch anerschaffene »Bild« (εἰκών) seiner selbst (V. 49). Denn in seiner Auferstehung von den Toten gründet die unsere (cf. Röm 8,10f.17b; 1Petr 3,18). Diese eschatologische Hoffnung auf den für uns Gekreuzigten und Auferweckten hat der Apostel in Phil 3,21 ebenfalls formuliert, was sich wie eine Zusammenfassung von 1Kor 15 liest: »der unseren Leib der Nichtigkeit (τῆς ταπεινώσεως) verwandeln wird (µετασχηµατίσει) zur Gleichgestalt (σύµµορφον) mit dem Leib seiner Herrlichkeit (τῆς δόξης αὐτοῦ), gemäß der Kraft (ἐνέργεια), mit der er sich auch alles unterwerfen (ὑποτάξαι) kann«. Auch hier erweist sich wieder, dass die christliche Lehre von den »letzten Dingen« aus der Christologie zu begründen ist. 4. Eschatologische Zukunft Alle in 1.–3. besprochenen Texte (1Joh 3,2; 1Kor 7,31b; 15,35ff; Röm 8,19ff) nehmen die Zukunft eschatologisch in Anspruch. Darum sind hier schon einige (eher formale) Überlegungen zu diesem Hauptthema jeder christlichen Eschatologie vorzutragen. Eschatologisch kommt die Zukunft primär von Gott selber her und so als unsere absolute Zukunft in den Blick. Denn Gott ist gemäß Ex 3,14 seine eigene Zukunft: »selber die Zukunft seiner selbst«206 – der Gott »mit Futurum als Seinsbeschaffenheit«.207 Von hieraus gestaltet sich in der Perspektive auf das Eschaton theologisch auch das gegenseitige Verhältnis von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft spezifisch.208 Das ist hier kurz darzulegen. Im ewigen Gott ist alle Zukunft in gewisser Weise schon geschehen, was für uns noch aussteht: »Et iam in Deo factum fuit, quod in tempore futurum erat«,209 so dass gilt: »Sunt autem coram eo omnes [sc. dies] preteriti et consumpti«.210 Demgemäß ist für die Christen auch die Zukunft in der Glaubensgewissheit von der Gegenwart (bei Gott) aufgehoben.211 Der ewige Gott ist der, »der alle Zeiten als der eine Herr in seiner Gewalt hat und alle Zeiten zu unserm Besten braucht«.212 Von ihm selber, als im Werden zu sich begriffen, aber gilt, während bei uns das Vergangene dem Gegenwärtigen vorausgeht: »bey Gott ist das Gegenwärtige der Grund des 206 PANNENBERG, Systematische Theologie I (wie oben S. 882 Anm. 5), 443. Gott ist so »der freie Ursprung seiner selbst« und »in vollkommener Freiheit« (ebd.) im strengen Sinne des Begriffs »Selbstverwirklichung« (a.a.O. 422f; II, 436f). 207 S. o. S. 891 Anm. 53. 208 Cf. auch oben S. 902 bei Anm. 115. 209 LUTHER, WA 4, 50,31 (mit Bezug auf Joh 8,58!). Zu der »Paradoxie«, dass Gottes eigene Einheit durch die Zeit hindurch wurde und zugleich doch immer schon war, cf. PANNENBERG, a.a.O. II, 437. 210 WA 4, 149,29. Luther bringt damit Ps 90,4 und Phil 3,13 in Zusammenhang. 211 Cf. Luther zu Ps 6,5 und 10: WA 5, 208,30ff und 215,13ff sowie Kol 3,3. 212 HAMANN, SW 1, 180,32–34.

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Vergangenen und Zukünftigen«.213 Die »Gegenwart« meint hier Gottes eigene ewig-lebendige Gegenwart für sich. Sie ist insofern »Grund«, als Gott von ihr aus entwirft, was für ihn Vergangenheit und Zukunft ist. Das heißt, aus seiner Vergangenheit kommt er zu sich in seiner ewigen Gegenwart: »Ich bin immer schon (bzw. war), der ich bin«, und seine eigene Zukunft ist nur Wiederholung seiner Gegenwart, d. h. sein lebendiges Mit-sich-eins-Sein in ihr (als Zukunft): »Ich werde sein, der ich sein werde.« Gottes Selbstgegenwart stößt sich also in zwei Richtungen von sich ab, um so als der »lebendige Gott« (in der Unterschiedenheit) zu sich zu kommen und bei sich zu sein. Was im Zitierten »Grund« heißt, ist der Ursprung des Auseinandergehens und (eodem actu) Zusammengehens in der eigenen Gegenwart. Dabei kommt es aber – wegen des Primats der Zukunft im eschatologischen Sein Gottes als des Ersten und des Letzten (cf. Apc 1,4.8) – immer auch zu einem Aufdecken der latenten (bzw. latent gebliebenen) und zukunftsträchtigen Potenzen aller Vergangenheit214 und insbesondere unserer eigenen.215 Der absolute Geist Gottes sieht in der versunkenen Vergangenheit schon die letzte Zukunft: Es gehört beynahe eben die Sagacität und vis divinandi dazu, das Vergangene als die Zukunft zu lesen. … Kann man aber das Vergangene kennen, wenn man das Gegenwärtige nicht einmal versteht? – – Und wer will vom Gegenwärtigen richtige Begriffe nehmen, ohne das Zukünftige zu wissen? Das Zukünftige bestimmt das Gegenwärtige, und dieses das Vergangene, wie die Absicht Beschaffenheit und den Gebrauch der Mittel – – Wir sind gleichwohl hierin schon an ein υστερον προτερον in unserer Denkungsart gewohnt, das wir alle Augenblicke durch unsere Handlungen, wie die Bilder im Auge, umkehren ohne selbst etwas davon zu merken.216

Während wir von der Vergangenheit und vermittelt durch die Gegenwart auf das Zukünftige zu schließen versuchen, besteht die wahre Seins- und Erkenntnisordnung in Gottes Augen in einer Umkehrung dieser Verhältnisse: vom Ende her das Vorausgegangene zu bestimmen.217 Damit wird in absoluter Weise für Gott in Anspruch genommen, was für alle Erfahrung im Fortschreiten der Zeit gilt: ἁµέραι δ’ἐπίλοιποι/µάρτυρες 213

A.a.O. 248,31f. Es folgt Apc 1,4. Cf. E. Bloch: »Die starren Scheidungen zwischen Zukunft und Vergangenheit stürzen so selber ein, ungewordene Zukunft wird in der Vergangenheit sichtbar, … beerbte, vermittelte und erfüllte Vergangenheit in der Zukunft« (BLOCH, Das Prinzip Hoffnung I [wie oben S. 887 Anm. 30], 7). 215 Von hier aus ist auch der Gerichtsgedanke zu verstehen; s. u. F. 2. (S. 951ff). Cf. auch das folgende Pindar-Zitat. 216 HAMANN, Kleeblatt hellenistischer Briefe (2), in: ders., SW 2, 175,29–40 (2. Hervorh. J. R.). Zur abweichenden Interpretation cf. kurz: K. H. LÖHRER, Kleeblatt Hellenistischer Briefe [Text und Kommentar], Regensburger Beiträge zur Deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Reihe A. 8, Frankfurt 1994, 78). 217 Zur Umkehrung der Zeitrichtung in unserem Tode s. u. S. 923 bei Anm. 257. 214

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σοφώτατοι.218 Mehr noch: Gerade auch theologisch gesehen, ist alle Gegenwart aus dem auf uns Zukommen des Eschaton bestimmt und nur von daher zu verstehen. So lässt sich die Einsicht des Dichters vom Vorrang der Zukunft aufnehmen: »Wie kann / das Geringste geschehn, wenn nicht die Fülle der Zukunft, / alle vollzählige Zeit, sich uns entgegenbewegt?«219 Als Neubestimmung der Gegenwart und der Vergangenheit ist die Menschwerdung Gottes in Christus die Antizipation der »Fülle der Zukunft« und so die dialektische Mitte der Zeit.220 Damit sind, von der lebendigen Ewigkeit her, alle normalen Zeitrelationen konfundiert (cf. Joh 8,58);221 über die nicht in dem üblichen Zeitschema zu begreifende Geburt Christi heißt es daher bei Luther: »Quare sive futurum sive praesens sive praeteritum accipias, semper est verum, semper nascitur, natus et nascetur; heißts in praeterito, so ists in futuro; heißts in futuro, so ists in praeterito; heißts in praeterito, so ists in praesenti, semper idem est. Hic [sc. beim ewigen Gott] non est tempus.«222 Eschatologisch erstreckt sich die Wirkung vom kommenden Ende her auf alles Vorausgehende allerdings nicht nur auf das geschehende Gegenwärtige, sondern sogar auch auf das geschehene Vergangene – »Zukunft in der Ver-

218 Pindar, Ol. I, 32f. Cf. den Kommentar von M. Bernard: »das ist gesagt vom Standpunkt des Beginnes mit dem Blick auf die aus der Zukunft herankommende Zeit [cf. Ol. X, 7]« (M. BERNARD, Pindars Denken in Bildern, Pfullingen 1963, 77 Anm. 48). Weiter heißt es: »Der Sinn des Satzes ließe sich demnach etwa umschreiben: die Tage, die sich in die Zukunft hinein entwickeln oder entwickelt haben, sind das beste Mittel … zwischen echt und unecht, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu scheiden« (a.a.O.). Cf. auch zu diesen Versen: »Chronos … teils segenbringend, indem das eigentlich Zukunftsträchtige und Echte einer großen Tat erst im Laufe der Zeit ans Licht kommt« (a.a.O. 48). Dass Zeit Wahrheit enthüllt, konstatiert mit Bezug auf diese Verse auch M. THEUNISSEN, Pindar. Menschenlos und Wende der Zeit, München 2000, 627; hier findet sich auch die Rede von dem Pindar zugeschriebenen »Paradox einer Erzeugung des Früheren durch das Spätere« bzw. von geschichtlicher Tat, die »im Ausgriff auf eine überindividuelle Zukunft zugleich auf eine überindividuelle Vergangenheit zurückgreift« (a.a.O. 579). 219 R. M. RILKE, Perlen entrollen (1912), in: ders., Sämtliche Werke (wie oben S. 887 Anm. 32), Bd. II, 1956, 42. 220 Cf. Nietzsche: »Historia abscondita. – Jeder grosse Mensch hat eine rückwirkende Kraft: alle Geschichte wird um seinetwillen wieder auf die Wage gestellt, und tausend Geheimnisse kriechen aus ihren Schlupfwinkeln – hinein in seine Sonne. Es ist gar nicht abzusehen, was Alles einmal noch Geschichte sein wird. Die Vergangenheit ist vielleicht immer noch wesentlich unentdeckt! Es bedarf noch so vieler rückwirkender Kräfte!« (F. NIETZSCHE, Die fröhliche Wissenschaft. Erstes Buch, Nr. 34, in: ders., KSA 3, 404). Für wen gilt das theologisch so absolut wie für Jesus Christus und sein Gericht! 221 Siehe meine Auslegung: RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 896 Anm. 82), 319ff. 222 WA 39 II, 293,23–26.

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gangenheit«223 –, so dass man von einer schöpferischen Erneuerung auch der Vergangenheit durch den kommenden, lebendigen Gott sprechen muss:224 Was wäre die genauste, sorgfältigste Erkenntnis des Gegenwärtigen, ohne eine göttliche Erneuerung des Vergangenen, ohne eine [antizipierende] Ahndung des Künftigen … Was für ein Labyrinth würde das Gegenwärtige für den Geist der Beobachtung seyn, ohne den Geist der Weissagung [cf. Apc 19,10c] und seine Leitfäden der Vergangenheit und der Zukunft … um den Wetterhahn philosophischer Speculation zu orientieren und nach dem Winde zu richten [Joh 3,8].225

Daran hat sich eschatologisches Denken auszurichten.226

E. Tod und ewiges Leben »Ich lebe? Ich sitze dem Porträt, der mit der Sensenspitze malt!«227

1. Unser Tod und das ewige Leben 228 1.1. Der eigene Tod 229 Der eigene Tod setzt uns im Allgemeinen der ambivalenten Alternative aus, auf ihn entweder als die unausweichliche Konfrontation mit einem unvertretbaren existenziellen Alleinsein als dieses einzelne und einmalige Selbst230

223

So der Historiker R. KOSELLECK, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, stw 757, Frankfurt 1979, 349ff. 224 Das ist für den Begriff unseres ewigen Lebens eine entscheidende Bestimmung; s. u. E. 2. (S. 929ff). 225 HAMANN, Ein fliegender Brief, in: ders., SW 3, 398,10–25 (Hervorh. J. R.). 226 Hier gilt auch Hamanns Satz: »die ganze Historie … gleich der Natur ein versiegeltes Buch, ein verdecktes Zeugnis [cf. Jes 29,11], ein Räthsel, das sich nicht auflösen läßt, ohne mit einem andern Kalbe [Ri 14,18], als unserer Vernunft zu pflügen« (SW 2, 65,10–13). 227 BOTHO STRAUẞ, Das Partikular, dtv 13031, München 2002, 66. Es geht wohl um die Redewendung: »vom Tode gezeichnet«. Cf. dazu D. STELAND, »der mit der Sensenspitze malt«. Motivgeschichtlicher Versuch über einen Aphorismus von Botho Strauß, Wirkendes Wort 63 (2013), 241–250. 228 Cf. H. WOHLGSCHAFT, Hoffnung angesichts des Todes. Das Todesproblem bei Karl Barth und in der zeitgenössischen Theologie deutschen Sprachraums, BÖTh 14, München u. a. 1977; cf. T. KOCH, Das ewige Leben und der Tod, Stuttgart 2009. 229 Cf. dazu das interdisziplinär umfassende Kompendium: H. BECKER u. a. (Hgg.), Im Angesicht des Todes, PiLi 3, St. Ottilien 1987. 230 Höchst eindringlich von Luther am Beginn der ersten Invokavitpredigt 1522 formuliert: »Wir seindt allsampt zu dem tod gefodert und wirt keyner für den andern sterben, Sondern ein yglicher in eygner person für sich mit dem todt kempffen. In die oren künden

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oder aber auf ihn als eine spezifische, harmonische Abrundung des eigenen Lebens zuzugehen.231 In jedem Fall bedeutet das für das eigene Verhältnis zur Welt bzw. meinem In-der-Welt-Sein: »Das geht mich alles nicht mehr an«,232 denn Sterbenmüssen heißt, »der Welt abhanden« zu kommen. Im Tode endet das wirkliche irdische Leben definitiv. Man kann zwar sagen, dass sich so ein bestimmter, einmaliger Lebenslauf zu einer gewissen Vollständigkeit in sich ab- bzw. zusammenschließt,233 aber ein solcher faktischer Abschluss ist beileibe noch keine »Vollendung«, sondern eben nur ein Ende, das in vielen Fällen sogar als mehr oder weniger sinnloser Abbruch erscheinen muss. Auch kann man zwar sagen, dass im vorlaufenden Wissen um den je eigenen Tod menschliches Dasein, im Sein zum Tode234 »vereinzelt … auf es selbst«, zu seiner Eigentlichkeit findet;235 aber das als seine »unüberholbare Ganzheit« zu verstehen,236 ist allenfalls bei methodischer (fundamentalontologischer) Ausklammerung des Gottesgedankens möglich.237 Jenes Wissen ist vielmehr als solches über die so gewusste Grenze schon irgendwie hinaus. Einerseits gilt: Nichts Sichtbares wirft so unvermeidlich die Frage nach dem Unsichtbaren, über alles Sichtbare Hinausgehenden auf wie der Tod oder

wir woll schreyen, Aber ein yeglicher muß für sich selber geschickt sein in der zeyt des todts: ich würd denn nit bey dir sein noch du bei mir« (WA 10/III, 1,7–2,1). 231 Cf. der Wunsch beim frühen Rilke (1903): »O Herr, gieb jedem seinen eignen Tod. / Das Sterben, das aus dem Leben geht, / darin er Liebe hatte, Sinn und Not« (R. M. RILKE, Das Stunden-Buch III. Von der Armut und vom Tode). Das mag eine Erinnerung an die alttestamentliche Rede vom »alt und lebenssatt Sterben« beinhalten (cf. Gen 25,8). 232 Wenn Gott das ist, »was mich unbedingt angeht« (P. Tillich), so entspricht dem im Tode, dass und was ich als ich selber und für mich allein bin. So wird dann für mich Gott unüberbietbar »mein Gott«. 233 So spricht Hegel von dem Toten, »der aus der langen Reihe seines zerstreuten Daseins sich in die vollendete eine Gestaltung zusammengefaßt und aus der Unruhe des zufälligen Lebens sich in die Ruhe der einfachen Allgemeinheit erhoben hat« (HEGEL, Werke 3, 332). Dann ist sozusagen das »Porträt … mit der Sensenspitze« fertig. Genau dies aber eröffnet theologisch den Blick auf das unfassbare Geheimnis »jenseits« dieses geendeten Lebens. 234 Von diesem redet auch das Dictum von B. STRAUẞ, oben bei Anm. 227. 235 Cf. dazu von L. TOLSTOI die späte, eindringliche Erzählung: Der Tod des Iwan Iljitsch (1886), auf die HEIDEGGER in »Sein und Zeit« ausdrücklich hingewiesen hat (Tübingen 101963, 254 Anm. 1). 236 Cf. HEIDEGGER, a.a.O. 260ff (§ 53). Kritisch dazu W. PANNENBERG, Metaphysik und Gottesgedanke, KVR 1532, Göttingen 1988, 62f. 237 Cf. HEIDEGGER, a.a.O. 10 (§ 3) und 48f (§ 10), 93 (§ 20). Ist die Alternative Heideggers für das Dasein, sich entweder (verfallend) »aus der Welt« her zu verstehen (a.a.O. 15 [§ 5]) oder aber (eigentlich) aus dem Vorlaufen in die eigenste Möglichkeit des Todes, ontologisch wirklich erschöpfend? Lässt sich der Gottesgedanke begrifflich auf das »Ontische« beschränken? Cf. dazu oben § 2, S. 231 Anm. 385.

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ein toter Mensch.238 Am Sarg kann man zu ahnen beginnen, was Glauben ist – gemäß Hebr 11,1. Jedenfalls bedeutet der Tod unmittelbar den Verlust des eigenen Weltbezugs mit seiner unerschöpflichen Vielfalt und Differenziertheit, mithin die Reduktion auf das eigene »nackte« Ich (cf. 2Kor 5,3) gegenüber dem Nichts (Nicht-mehr) von Welt. Diese Reduktion auf das reine, unvertretbare Ich, das sterben muss, entspricht offensichtlich dem Geheimnis des einen Gottes, der allem weltlichen Sein in seiner bunten Vielfalt als der Unsichtbare und der Herr gegenübersteht (cf. Joh 1,18a und Ex 33,20 sowie 2Kor 4,18; Hebr 11,27b). Andererseits ist auch zu sagen: Kein Lebender kann über den Tod hinausblicken. Allein das Wort »Gott« verspricht uns – und nur es239 – durch sich selbst, dass, was wir als unser irdisches Leben sehen, erleben und vorstellen können, nicht alles ist – ohne dass wir deswegen schon von einem »Danach« (im zeitlichen Sinne) reden dürften oder müssten – bzw. dass es nicht die letzte Wahrheit unseres endlichen Daseins ist. Wie kann man also theologisch von einem solchen »Mehr« reden, ohne das Jenseits unserer Todesgrenze einfach zeitlich als etwas »nach« dem Tode Kommendes zu schematisieren? – das ist eine wichtige Frage der Eschatologie, und dies umso mehr, wenn man nicht bei einer negativen Aussage wie z. B. der von der »Nacht der Bildlosigkeit« (E. Hirsch) innehalten will, die zwar die Grenze des Todes für das gegenwärtige Bewusstsein suggestiv herausstellt, aber der eschatologischen Rede vom ewigen Leben und damit von Gottes lebendiger Ewigkeit jeden Eigengehalt entzieht. Freilich sind die theologischen Aussagen über das, was »nach« dem Tode kommt (insbesondere über die Auferstehung von den Toten und ihren Zusammenhang mit dem Sterben), auch dazu da, bzw. sie sollen nicht zuletzt auch dazu dienen, das unfassliche Geheimnis des Todes (oder: Sterbens) als Geheimnis erscheinen zu lassen.240 Das muss gegen den abstrakten Vorwurf geltend gemacht werden, eschatologische Aussagen wollten zu viel wissen und über etwas Aussagen machen, worüber man schlechterdings nichts sagen, also gar »nicht sprechen« (Wittgenstein) könne. Aber der Tod des Menschen ist weder ein kahles und plattes Faktum – oder gerade als dies ein Geheimnis – noch ein eschatologisch zu marginalisierender Sachverhalt, etwa als bloßes Durchgangsmoment in ein »Leben nach dem Tode«; diese falsche Alternative scheitert theologisch schon am Kreuz Jesu.

238 Hier bricht die scheinbar selbstverständliche Plausibilität des alltäglichen In-derWelt-Seins definitiv zusammen: Der Tote ist der Ort, wo alles Sichtbare im wahrsten Sinne zu Ende kommt. 239 Auch die österlichen Erscheinungen des Auferstandenen sind nur als von Gott her kommend eine Verheißung über den Tod hinaus. 240 Cf. oben Anm. 233 letzter Satz.

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Eschatologisch ist zunächst nur festzuhalten, dass der Tod als spezifische Gottesbegegnung (E. Hirsch) zu denken ist und das Vertrauen im Glauben und in seiner Ewigkeitshoffnung als ein radikales Geworfensein auf Gott selber, der uns uns selber wegnimmt.241 Sterbend glauben heißt, im Moment der Entselbstung Gott als Gott bejahen, dann seine Liebe und Gabe preisen, wenn uns alles genommen wird [Hi 1,21], wenn wir selbst uns genommen werden.242 Dieser Glaube hat sonderliche Größe und Herrlichkeit, weil ihm kein Schauen mehr zur Seite steht [2Kor 5,7 in extremis], keine Erfahrung hilft …, weil er einzig auf Gott schaut, einzig ihn meint, einzig in ihm seine Begründung hat.243

So ist die Hoffnung beschaffen, die über den Tod – gegen allen Augenschein (cf. Röm 4,18 und 8,24) – hinausreicht: »spes purissima in purissimum deum«.244 Ein Bild für den Tod als die angstbesetzte »enge Pforte«, in der für den Glauben sich der Zugang ins ewige Leben eröffnet, ist z. B. bei Luther die Geburt: »gleych wie ein kind auß der cleynen wonung seyner mutter leyb mit gefar und engsten geboren wird yn dißenn weyten hymell und erden, das ist auff diße welt, Alßo geht der mensch durch die enge pforten des todts auß dißem leben, … Aber der enge gangk des todts macht, das unß diß leben weyt und yhenes enge dunckt«. Aber gemäß Joh 16,21 muss man im Sterben wissen, »das darnach eyn großer raum und freud seyn wirt«.245 Das ewige Leben ist demnach der »weite Raum« von Ps 31,9b.246 Was aber bedeutet solche Begegnung mit dem lebendigen Gott im eigenen Tode, wenn man sie eschatologisch von Gott her zu denken versucht? 1.2. Sterben ins Leben247 1.2.1. Was zu denken ist. Der Begriff des ewigen Lebens ist mit der Tatsache unseres wirklichen Todes zusammenzudenken. Zumal da es sich bei dem 241

Zum Tod als Gotteserfahrung cf. RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 888 Anm. 35), 287f. 242 Cf. Luther: »Sic cum morior, vado in nihilum, nihil video, nihil sentio. Tunc primum noscitur deus, hic agnosco, quid sit, scilicet quod ex nihilo aliquid faciat [Röm 4,17]. Sunt mecum tenebrae. Ipse dicit ›fiat lux et vita‹, tum fit, ut ex nihilo, ex morte vita fiam« (WA 11, 182,23–27). 243 A. SCHLATTER, Jesu Gottheit und das Kreuz, Gütersloh 21913, 61; cf. auch DERS., Die christliche Ethik, Stuttgart 31929, 390f. 244 LUTHER, WA 5, 166,18. 245 LUTHER, Ein Sermon von der bereytung zum sterben (1519), in: WA 2, 685,24–686,8. 246 Cf. auch Ps 18,37. Dieser Raum ist für Gott unsere Vergangenheit (s. u. 2.), und so kann er wirklich auch bei uns »alles in allem« sein (1Kor 15,28; dazu unten Abschnitt H. [S. 957ff]). 247 Im Folgenden nehme ich Formulierungen meiner Abhandlung: J. RINGLEBEN, Gott und das ewige Leben (1994), in: ders., Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 888 Anm. 35), 295–340, wieder auf.

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ewigen Leben nicht um eine Verlängerung unserer zeitlichen Existenz bzw. die Kontinuität einer »unsterblichen Seele« ins Jenseits hinein handelt – eine Vorstellung, nach der man, mit L. Feuerbachs treffender Formulierung geredet, nur die Pferde wechselt – und die Ewigkeit gerade nicht eine endlos verlängerte Zeit ist, wie die Theologie stets betont hat,248 kommt es für die Eschatologie darauf an, beim Übergang vom Sterben zum ewigen Leben »für die Vollendung Nichtmehrwerden und Werden in Einem zu behaupten«.249 Wenn unser Sterben ins ewige Leben führt, dann heißt das: Unser zeitlich verlaufendes und endendes Leben ist ein Hingelangen zu dem, was keine zeitliche Fortsetzung »mehr« ist, sondern was »dann« immer schon war. So muss man sagen: »der Tod ist das Ende des Sterbens, welches [sc. Ende] selber das Leben ist und mit dem Tode zur Fülle des Lebens durchbricht«.250 Denn nachdem Christus da war, ist unser zeitliches Sein auf dem Weg in die Ewigkeit in Wahrheit ein gewesenes. Die absolute Zukunft des ewigen Lebens macht unser irdisches Leben zu einem immer schon vergangenen. Sterben heißt, davon frei zu werden, das Gewesene »da hinten« zu lassen (Phil 3,13; cf. Lk 9,62).251 Das Eschaton ist auch, was unser Leben betrifft, ein völliges Anderswerden desselben.252 Dafür als eine µετάβασις εἰς τὸ ἄλλο γένος stehen im Neuen Testament Stellen wie Joh 5,24 (µεταβέβηκεν),253 1Joh 3,14 und der Metaschematismus von Phil 3,21.

248 Zum Beispiel P. TILLICH, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 31956, 315f und Bd. III, Stuttgart 1966, 131 u. ö. Auch Kant fordert, den Ausdruck: »aus der Zeit in die Ewigkeit gehen« nicht im Sinne einer »ins Unendliche fortgehenden Zeit« vorzustellen, weil er überhaupt nicht als »unter Zeitbedingungen stehend« gedacht werden dürfe (KANT, Das Ende aller Dinge [wie oben S. 885 Anm. 20], 327). 249 TH. HAERING, Der christliche Glaube. Dogmatik, Calw/Stuttgart 21912, 655. 250 TH. SIEGFRIED, Die Idee der Vollendung, ThBl 6 (1927), 85–95, hier 87. Cf. auch das Dictum von A. Schlatter: »Es gibt ein Sterben, das die Voraussetzung des Lebens ist« (A. SCHLATTER, Paulus der Bote Jesu [wie oben S. 912 Anm. 185], 433). 251 Was unser altes Leben betrifft, so gilt Röm 6,4.8; was das neue, 1Joh 3,2 und Kol 3,3. Nach K. Barth versetzt Gott den Menschen im Tode »nicht ins Dunkel eines Nichtmehrseins, sondern vielmehr aus allem Dunkel seines jetzigen Nochnichtseins heraus in das Licht seiner vollendeten Offenbarung« (BARTH, KD IV/3, 2. Hälfte, 1065). 252 Das ewige Leben ist nicht einfach das »ganz Andere« im abstrakten Sinne völliger Neuschaffung. Denn: Wenn ich vom abstrakt »ganz Anderen« nichts weiß, weiß ich auch nicht, ob es wirklich anders ist als das »Alte«; d. h., das ganz Andere lässt sich von demselben nicht unterscheiden (cf. B. LIEBRUCKS, Sprache und Bewußtsein, Bd. IV, Frankfurt 1968, 389). 253 Cf. unten Anm. 258 und RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium (wie oben S. 896 Anm. 82), 528ff.

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Die Ewigkeit als unsere absolute Zukunft ist gerade keine zukünftige Zeit mehr.254 Von der Gegenwart aus betrachtet, muss man eher sagen, unsere Zukunft im ewigen Leben ist (bzw. umfasst auch) unsere Vergangenheit, d. h. die ewige Ganzheit unseres Lebens.255 Damit ist der Gang ins ewige Leben als eine Umkehrung der Zeit zu denken.256 1.2.2. Umkehrung. Sie bedeutet: Unser sterbliches Leben geht auf seinen wahren Anfang zu (cf. 1Joh 3,2), und das »Danach« überholt das Frühere, indem es es rückwärts integriert und in sich hinein aufhebt.257 Das Ewige ist so das sich herstellende Zuvor.258 In diesem Sinne ist der Tod unsere »letzte Konversion« (M. Josuttis); bei ihr ist eine Umkehrung durch die lebendige Ewigkeit zu denken: Unser Ende ist nicht Vernichtung, sondern umfassende Erneuerung, d. h. ein Ende des Endens, Vergehen der Vergänglichkeit, mors mortis.259 Indem die Vergangenheit als Vergangensein bzw. das Vergehen selber wegfällt, sterben wir ins ewige Leben hinein;260 das wird von Paulus in 1Kor 15,53 und 2Kor 5,4 mit der Metapher des ἐνδύσασθαι zum Ausdruck ge254 Kant sagt zu Recht, dass der Jüngste Tag »das eigentliche Ende aller Dinge in der Zeit, und zugleich der Anfang der … Ewigkeit« sei (KANT, Das Ende aller Dinge [wie oben S. 885 Anm. 20], 328,10f). 255 Nach Kierkegaard ist »das Ewige zuerst das Zukünftige«, aber in Wahrheit ist es »das Zukünftige, welches wiederkommt als das Vergangene« (S. KIERKEGAARD, Der Begriff Angst, in: ders., GW 11, 91 und 92). Cf. auch Kierkegaards Begriff der »Wiederholung«, »durch welche man vorlings in die Ewigkeit kommt« (a.a.O. 92 Fn.), die aber die »wahre Wiederholung« ist (a.a.O. 157 Fn.). 256 Es handelt sich um die eschatologische Entsprechung zu der »Umkehrung«, die für das Gottesverhältnis im Glauben überhaupt konstitutiv ist (s. o. Einführende Überlegungen [2.], S. 7 bei Anm. 34). 257 F. Pessoa schrieb: »Wir sind Tod. Was wir als Leben ansehen, ist der Schlaf des wirklichen Lebens, der Tod dessen, was wir wirklich sind. Die Toten werden geboren, sie sterben nicht. Die Welten sind für uns vertauscht. Wenn wir zu leben meinen, sind wir tot; wenn wir sterben, beginnen wir zu leben« (F. PESSOA, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Revidierte und definitive Ausgabe, hg. von R. Zenith, übersetzt von I. Koebel, Zürich 2003, 183 [Nr. 178]). Zum Wecken s. u. Anm. 318. 258 Vom Neuen Testament gilt in diesem Sinne: Es ist dialektisch »in einem bisher noch von keiner dialektischen Theologie erreichten Maße« (E. BRUNNER, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart, Zürich 1953, 144f). 259 A. Schlatter schreibt zu 1Kor 15,53–55: »Das ergibt die wirkliche Überwindung des Todes, nicht daß unser Wesen in der Ewigkeit unverändert bleibt, sondern daß das, was jetzt dem Verderben und Sterben verfällt, so verwandelt und verherrlicht wird, daß es kein Sterben und Verderben mehr berührt« (A. SCHLATTER, Erläuterungen zum Neuen Testament, Bd. II, Stuttgart 31923, 150). 260 Demgemäß kann man mit W. Pannenberg sagen, dass die Kontinuität unseres jetzigen Lebens mit dem künftigen »nicht auf der Linie des Zeitverlaufs gesucht werden muß, sondern in der Verborgenheit des ewigen Gottes liegt« bzw. seiner Zukunft (W. PANNENBERG, Das Glaubensbekenntnis ausgelegt, GTBS 165, Hamburg 1972, 106f).

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bracht. Derart ist der Tod Übergang zu …261 bzw. Rückkehr in ein sich unendlich gegenwärtiges Leben,262 das auch in der Gegenwart des Glaubens schon einen Vor-Schein hat (2Kor 5,5 und 3,18). Es bleibt ewige Gegenwart übrig,263 und auch wir selbst werden uns ewig gegenwärtig sein.264 Die Umkehrung im ewigen Leben besteht darin, dass wir nach dem Tode ewig leben, d. h. auch vor ihm.265 Sein Jenseits ist das »jenseitige« Diesseits von ihm.266 So ist der Tod ein Umschlagpunkt; denn das Vergehen mündet in sein Gegenteil, reine göttliche Gegenwart, und im Sterben werden wir mit unserm Leben – durch Unterscheidung von ihm – endgültig identisch, kommen wir ewig zu uns selbst.267 Diese Dialektik am Ort des Individuums und seines Sterbens hat ihre universale Entsprechung im Kosmos: Indem ὁ κόσµος παράγεται (1Joh 2,17; 1Kor 7,31),268 konstituiert sich die Vollendung der Schöpfung,269 und das Vergehen der Zeitlichkeit ist an sich selber (d. h. in

261 Das Eschaton ist überhaupt zu denken als ein Übergehen als schon Übergegangensein bzw. Schon-sein-in (cf. Joh 5,24; 11,25b). Ewiges Leben denken heißt diesen »Gegenstoß« denken; also nicht eine bruchlose Weiterentwicklung, sondern eine Entzweiung des Übergehens im Tode an ihm selber, seine Umkehr in ein Schon-Sein. Bei Philo heißt es: »damit sie leben und unvergängliches Leben (ἄφθαρτον τὸν βίον) eintauschten, indem sie vom Gewordenen (τοῦ γενοµένου) zum Ungewordenen (ἀγένητον) übergingen« (Fug. 59); cf. auch neutestamentlich die µετάθεσις Hebr 12,27. 262 In diesem Sinne, d. h. im Horizont von Apc 1,18, ist theologisch zu bejahen, was bei P. Valéry so ausgedrückt wird: »Der Tod an sich ist im Grunde ein Faktum ohne eigene Bedeutung, im Hinblick auf das Leben, worin er ein normales Vorkommnis und wirklich nur Nebensache ist« (VALÉRY, Cahiers/Hefte [wie oben S. 885 Anm. 18] II, 1988, 481). Valéry zieht daraus die (einseitige) Konsequenz: »Angst vor dem Tod. Die Prediger haben den Tod mit der Moral verknüpft. Sie haben verhindert, daß der Mensch lebt, als brauchte er nicht zu sterben« (a.a.O. 495); eben so sollte in gewissem Sinne der Glaubende leben. 263 So heißt es bei K. Barth, nach dem Tod sei für uns nur Gott (cf. BARTH, KD IV/3 [1. Hälfte], 358f) bzw. Gott allein das Jenseits des Menschen (KD III/2, 770). 264 Cf. Apc 1,18; Röm 6,9 und das Postulat des Philosophen K. Cramer, zitiert oben § 1, S. 136 Anm. 265. 265 Der Tod ist »ein Schritt durch das Tor [sc. zum Heiligen], und nie ist [sc. dann] eine Grenze gewesen« (C. F. V. WEIZSÄCKER, Der Garten des Menschlichen. Beiträge zur geschichtlichen Anthropologie, München 31977, 161). 266 Unser irdisches (vorstellungsmäßiges) Aufteilen in Diesseits und Jenseits entspricht dem ἐκ µέρους von 1Kor 13,12b, und der rätselhaft verstellende »Spiegel« dort (V. 12a) ist die Zeit. So kann in Apc 10,6c vom Ende der Zeit im Eschaton die Rede sein. 267 So kann Luther (in Umkehrung des alten »media vita in morte sumus«) sagen: »Ey mitten in dem todt will ich das leben finden« (WA 12, 609,17). 268 Cf. dazu oben Abschnitt D. 2. (S. 904f). 269 Die kommende Schöpfung (das Eschaton) steht durch Abbruch hindurch in Entsprechung zur gewesenen: Beide sind sozusagen Phasen eines schöpferischen Prozesses, in dem Gott auf zunächst vor-läufige und schließlich endgültige Weise selber kommt, selber sich öffnet, hingibt und mitteilt und so selber sich ewig hervorbringt, indem er am Ende

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der Dynamis des kommenden Gottes)270 das Sich-Gestalten der Ewigkeit, wo der Tod nicht mehr sein wird (Apc 21,4; cf. 20,14). Das ewige Leben in der Vollendung ist demgemäß einerseits als das Neue schlechthin zu begreifen – wenn auch nicht beziehungslos zu unserem irdischen Leben –, andererseits führt zu ihm nur der endgültige Abbruch im Tode.271 Es geht um einen durch extreme Negativität und Diskontinuität272 hindurch sich (wieder) herstellenden Zusammenhang, der nur in Gottes eigener schöpferischer Lebendigkeit zu vermitteln ist,273 bzw. es geht um die »die Zeit selbst durch eine reale Machtübung aufhebende Ewigkeit«,274 d. h. um das im Sich-Abstoßen von der Zeitlichkeit sich herstellende ewige Leben oder einfach: um Gott als den Lebendigen. Dies Geschehen ist empirisch nur paradox auszudrücken: Die Zeit fließt (eschatologisch gedacht) im Verhältnis zur lebendigen Ewigkeit gegen ihren natürlichen Richtungssinn, und im Vorwärtsgehen entzweit sie sich von sich. Die Zeitlichkeit wird zur nichtgewordenen Ewigkeit, oder auch: Die Zeit ist Ewigkeit im Werden zu sich.275 Der Abbruch im Tode ist selber schon die Zugangseröffnung zum anderen, wahren Leben,276 und Sterben heißt, zurückzukehren ins eigene Leben nach seiner Wahrheit bei Gott.277 Das Neue ist konkret: das uns eröffnete und die ganze Schöpfung in sich hinein aufhebt. Dies endgültige Kommen Gottes hat sich indes in Christus schon vorweg ereignet. 270 »Auferstehung aber kommt aus der Bewegung, dem Kommen Gottes, der sich bewegungslosen Toten zuwendet« (J. BAUR, Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung von den Toten, in: ders., Einsicht und Glaube, Göttingen 1978, 25–49, hier 46). Baur bezieht sich hierzu auf Joh 11 und Ez 37 und stellt das dem Gedanken der sich selbst bewegenden Seele bei Platon (Phaidr. 245e) entgegen. Cf. auch: »… alles Beständige in den Sog seiner kommenden Gottheit bringt« (a.a.O. 29). 271 Cf. oben Anm. 242. Der Tod als Abbruch und wirkliches Ende unseres Lebens entspricht der prinzipiellen »Unterbrechung« der Weltimmanenz durch unser Verhältnis zum Schöpfer (s. o. § 8 A. 4. [S. 442ff]), indem im Sterben Gott uns von uns selbst entzweit bzw. uns uns selber entfremdet oder auch: wegnimmt. 272 Demgemäß betont J. Baur, dass die Gewissheit christlicher Hoffnung »nur im Zerbrechen bisheriger Selbstübereinstimmung … (auf Hoffnung gegen Hoffnung, Röm 4,18)« zu gewinnen ist, also angesichts der Erfahrung von »Auflösung, Entzug und Gericht« (a.a.O. 27). 273 Der neue eschatologische »Zusammenhang« des göttlichen Lebens mit unserer Vergangenheit (s. u. 2.) vermittelt sich im Sich-Abstoßen und In-sich-Aufheben dieser negierten Voraussetzungen. Cf. oben S. 889 Anm. 43. 274 CH. H. WEISSE, Philosophische Dogmatik, Bd. I, Leipzig 1855, 580 (§ 495). 275 S. o. § 9 D. 2. (S. 534ff). 276 Dieses ist ein Leben in Gott und aus ihm (cf. 1Tim 6,19): »Jesus lebt! Nun ist der Tod / mir der Eingang in das Leben« (Ch. F. Gellert; EG, Nr. 115,6). 277 Paulus drückt dies so aus, dass unser zukünftiges Vollendetsein (1Kor 15,42f) bei Gott schon »fertig« ist (2Kor 5,1; cf. 1Petr 1,4). Das heißt: Was kommen wird, ist die wahre Gegenwart, und das Letzte wird das Erste sein und das Ende unseres irdischen Lebens der Anfang seiner als des wahren.

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zugänglich werdende Alte – aber dies als Leben rein vor und für Gott.278 Die Neuheit des ewigen Lebens ist (für uns) nur dieses unser (schon gelebtes) Leben im Modus seiner ewigen Lebendigkeit (d. h. teilhabend an Gottes ewigem und schöpferischem Leben) und seiner ewigen Wahrheit und darum unausweichlich vermittelt durch »Auflösung, Entzug und Gericht« (J. Baur).279 1.2.3. Zur Unsterblichkeit. Ist im Sinne dieser Umkehrung unser Tod ein Sterben ins wahre Leben hinein, so löst dieser Gedanke das ab, was früher als Trennung von Leib und (unsterblicher) Seele vorgestellt wurde.280 Entsprechend ist auch die paulinische Rede vom Vergehen unseres Leibes (1Kor 15,36f)281 und vom »Nacktsein« im Tode (1Kor 15,37; 2Kor 5,3) so zu verstehen, dass uns im Tode alles genommen wird und wir in ihm nicht nur von irgendetwas, sondern von uns selbst entblößt werden, so dass wir dem Verfallen unseres Lebens ans Nichts oder in Nichtigkeit von uns aus nichts entgegenzusetzen haben.282 Die Hoffnung des Glaubens auf die wahre, erst noch 278

Zur καινότης ζωῆς cf. Röm 6,4; 2Kor 13,4. Cf. P. Valéry: »Deshalb [sc. wegen der Undurchschaubarkeit und Bruchstückhaftigkeit der eigenen Existenz] hat eine Religion [sc. die christliche] ans Ende der Existenz eine andere, befriedigende gestellt und die Bedingung, diese hier zu durchleiden« (VALÉRY, Cahiers/Hefte [wie oben S. 885 Anm. 18] II, 371). 280 Gleichwohl ist eine theologische Überbetonung der Sterbestunde nicht angemessen, weil das ganze menschliche Leben »an der Todesgrenze zwischen Zeit und Ewigkeit steht« (E. HIRSCH, Leitfaden zur christlichen Lehre, Tübingen 1938, 175 [§ 90 M. 4.]). 281 S. o. Abschnitt D. 3.3. (S. 911ff). 282 Freilich ist genauer zu sagen, dass wir im Tode nicht schlechthin zu nichts werden. Zwar werden wir uns selber weggenommen und gehen so auf das Nichts unserer selbst (als empirisches Dasein und Bewusstsein) zu, aber dies Zunichtewerden ist nur für uns ein solches. Denn 1. bleibt die materielle Substanz unseres Leibes (auch in den physischen Veränderungen bei der Verwesung, d. h. als das Substrat physikalisch-chemischer Prozesse) als solche; und 2. bleibt unser beendetes Leben als ein Stück Vergangenheit; denn unser Tod bedeutet gerade, dass wir nur noch Vergangenheit sind. Beide Hinsichten sind unmittelbar darauf bezogen, dass Andere uns überleben. Wenn auch der Tod für uns selber kein Ereignis (sc. in unserem Leben: L. WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus, Nr. 6. 4311) ist, so ist er es sehr wohl für Andere. Sie haben, auch wenn wir nicht mehr »wir selber« sind, gleichwohl noch konkrete Anschauung von »uns«, d. h. z. B. dem Leichnam der Person, die wir waren (cf. Platon, Phaidon 115c). Und sie haben, auch wenn wir selber nicht mehr gegenwärtig sind, gleichwohl noch konkrete Erinnerung an unser (gewesenes) Leben. Außerdem überleben wir selbst im Laufe des Lebens den Tod anderer. Wir wissen vom Tod überhaupt (sc. anderer und unserer selbst) nur so, dass wir zugleich von etwas wissen, das ihn (und sei es von außen, d. h. von einer dem Toten selber entzogenen Seite aus) als Tod überdauert und verhindert, dass dieser als absolute Nichtigung bzw. spurlose Auslöschung ist. Zur theologischen Deutung: Das oben bei 1. und 2. Gesagte verweist auf die seinsgebende und seinserhaltende Macht des Schöpfers. Kein Geschöpf kann von sich her, und auch nicht (sogar gerade nicht) mit seinem Tode, z. B. auch nicht durch Suizid, die Grenze zum Nichts überschreiten, d. h. selber sein Sein als Geschöpf rückgängig machen. Gottes Schöpfermacht bzw. der Logos, der die Kreatur im Sein hält, ist uneinholbar größer als die 279

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kommende Leiblichkeit (1Kor 15,44) entzieht uns gerade mit dem irdischen Leib das Substrat unserer Identität und legt die Garantie für jene ausschließlich in Gottes schöpferische Macht.283 Der neue Leib ist geisthaft (σῶµα πνευµατικόν), eben weil er die ewige Fassung ist, die Gott unserem vergehenden Leben geben will, d. h. seine schöpferische Einbeziehung in Gottes eigenes Leben.284 Darum ist »Sterben mir ein Gewinn« (Phil 1,21). Nur weil und indem unser irdisches Leben im Tode endet und über ihn hinaus nicht (zeitlich) weitergeht, können wir in unser wahres Leben als ewiges einkehren.285 Wegen der wirklichen Diskontinuität im Tode ist auch die (griechische) Vorstellung einer »Unsterblichkeit« der Seele theologisch zu kritisieren bzw.

unser Dasein als empirisches Selbst destruierende Macht des Todes. Der Tod zeigt sowohl, dass wir nicht Herr unseres Seins, wie auch dass wir nicht Herr unseres Nichtseins sind. Auch Vergangenes ist nicht nichts, sondern hat sein (Gewesen-)Sein im Gedächtnis, wenn auch, menschlich gesehen, nur ein relatives, vorläufiges, weil zeitlich begrenztes Sein. Aber der Sachverhalt, dass, wo wir selber uns unmittelbar entzogen sind, wir doch für Andere noch als Erinnerte irgendwie sind, ist theologisch als eine schwache Abschattung dessen zu deuten, dass auch unser Tod in den Augen des Schöpfers unser Sein und Gewesensein nicht absolut rückgängig, d. h. zu nichts, machen kann. So wie andere Menschen sich in endlicher Weise (eine Zeitlang) unserer erinnern, so erinnert sich Gott unserer unendlich (s. u. 2.). Er ist der Schöpfer und Erhalter unseres Seins, »der nicht fahren lässt das Werk seiner Hände, sondern hält Treue ewiglich« (cf. Ps 138,8; Phil 1,6). 283 Die Auferstehung besagt, dass sie »das einmalige, individuelle Dasein des mit Gott verbundenen Menschen der Vergänglichkeit entreißt und ihm Gemeinschaft mit dem ewigen Gott ohne Auflösung der kreatürlichen Identität in das göttliche Wesen zuspricht« (PANNENBERG, Metaphysik und Gottesgedanke [wie oben S. 919 Anm. 236], 49). Man fragt, was die eigene eschatologische Identität betrifft, naturgemäß: Können wir nach unserm Tod noch sehen, hören, fühlen usw., d. h., haben wir dann überhaupt noch Bewusstsein oder Selbstbewusstsein? Solche Fragen setzen indes ein (noch immer) vorhandenes »Ich« als festen Bezugspunkt voraus! Muss aber nicht im ewigen Leben dies alles nicht von uns her, sondern von Gott aus gedacht werden? In ihm wird unser Bewusstsein (von etwas) und unser Bewusstsein sein (d. h. als Moment seines Wissens von sich) – so wie unser ganzes Leben nach seiner Wahrheit in ihm ist. Bei der Frage der Ich-Identität im ewigen Leben ist zu bedenken, dass erstens unser »Ich« immer schon in Gottes SichWissen konstituiert war und dass zweitens, wenn unser vergangenes Leben von Gott rekonstruiert wird (s. u. 2.), dann auch unser Ich oder Selbst. Cf. dazu meine Überlegungen in: RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I (wie oben S. 888 Anm. 35), 325–328. 284 Ph. K. Marheinekes Einschätzung, dass das Bedürfnis eines (wenn auch verklärten) Leibes noch ganz sinnlich bestimmt sei (PH. K. MARHEINEKE, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik, Berlin 21827, 388 [§ 602]), ist im schlechten Sinne idealistisch; es geht um die Identität unseres wirklichen Lebens. 285 P. Althaus schreibt: »Es ist Liebe Gottes, daß wir ihm sterben [Röm 14,8b] dürfen. Wir müssen nicht nur sterben, wir dürfen auch sterben« (P. ALTHAUS, Theologische Aufsätze, Bd. II, Gütersloh 1935, 59). Zum positiven Sinn der zeitlichen Bestimmtheit und Begrenztheit unseres Lebens cf. eindringlich BARTH, KD III/4, 656f.

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zu modifizieren.286 Weil ewiges Leben zwar heißt, dass wir nicht im Tode bleiben, aber entschieden ausschließt, dass wir gar nicht in ihn kommen, indem sich etwas wie die Seele von ihm unberührt durchhielte, überdauert auch nicht die Seele einfach – gleichsam als naturwüchsige Gegebenheit287 – den Tod, sondern der Tod muss gerade erst als das gottgewirkte Geschenk der Seele als unsterblicher und ihr eschatologisches Entstehen (als ewiges Zusich-Kommen und Sich-Ergreifen) begriffen werden.288 Dies freilich als von Gott gestiftetes, unsterbliches Beieinander von Körper und Seele: »corpus vero ex impuriore mortale [sc. Deus producit], cum tamen suo tempore et ex misericordia sua immensa sicut animae immortalitatem communicat.«289 Durch den wirklichen Tod (unserer leib-seelischen Ganzheit) werden wir ins unvergängliche (pneumatische) Leben hinübergegangen sein (1Joh 3,14). 1.2.4. Gottes Lebendigkeit. Die zentrale theologische These der beschriebenen »Umkehrung« (1.2.2.) lautet: Die Macht dieser Zeitumwendung im Tode ist die Dynamik der Selbsthervorbringung Gottes selber.290 Der beschriebene »Gegenstoß« ist nichts anderes als die Macht seiner ewigen Lebendigkeit;291 diese göttliche Lebensbewegung (oder: Selbstrestitution Gottes) reflektiert sich paradigmatisch am Orte Jesu Christi gemäß Apc

286 Cf. F. HEIDLER, Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Sterben, Tod und ewiges Leben im Aspekt lutherischer Anthropologie, FSÖTh 45, Göttingen 1983; H. SONNEMANS, Seele, Unsterblichkeit und Auferstehung. Zur griechischen und christlichen Anthropologie und Eschatologie, FThSt 128, Freiburg u. a. 1984; O. CULLMANN, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Antwort des Neuen Testaments, durchges. Neuaufl., Stuttgart 1986. 287 Unsterblichkeit (ἀθανασία) kommt an sich nur Gott selber allein zu (1Tim 6,16; cf. 1,17), uns allererst von ihm her (1Kor 15,53f; cf. Weish 2,23). Cf. auch R. FELDMEIER, »Unvergänglichkeit«. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus, in: ders., Der Höchste, WUNT 330, Tübingen 2014, 228–242. 288 Die Lehre von der Auferstehung der Toten ist die Wahrheit der Lehre von der Unsterblichkeit. 289 WA 39 II, 401,6–8 (1545). Cf. auch die bekannten Ausführungen zu Jes 26,19, wonach Gott dem, mit dem er redet, ebendurch sein lebenschaffendes Wort Unsterblichkeit auch im Tode verleiht (WA 43, 481,25ff und dazu RINGLEBEN, Arbeit am Gottesbegriff I [wie oben S. 888 Anm. 35], 324 sowie den erwähnten Aufsatz von J. BAUR, Unsterblichkeit der Seele [wie oben Anm. 270], 25ff). Cf. 2Tim 1,10. Luther meinte, die Unsterblichkeit der Seele sei welthaft uneinsehbar und unglaublich (WA 20, 70,23f), wenn auch eigentlich »notwendig«, weil wir in Wahrheit nicht sterben können (WA 38, 505,35f; mit Berufung auf Mt 22,31f). Zum skeptischen Vorbehalt I. Kants gegen die eigene ungewisse und leere »Unsterblichkeit« cf. das bei H. BLUMENBERG angeführte Zitat, in: Beschreibung des Menschen (wie oben S. 892 Anm. 59), 645. 290 Dieser dialektische Umschlag ist – am Orte des vergehenden Lebens des Glaubenden – der »springende Punkt« (punctum saliens) göttlicher Lebendigkeit, gemäß dem paulinischen ἐν ἀτόµῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλµοῦ (1Kor 15,52a). 291 S. o. § 2 D. 1. (S. 213 bei Anm. 297 und 298).

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1,18.292 Gottes eigene Lebendigkeit ist also genauestens als Vollzug dieser Dialektik von aus dem Tode sich erzeugendem ewigen Leben des darin einen Gottes zu verstehen,293 und so ist seine lebenerweckende Schöpferkraft nichts anderes als die Macht göttlichen Lebens selber,294 seine ewige Dynamis und Gottheit (Röm 1,20). In dieser, und in dieser allein, entspringt also die Möglichkeit, dass es trotz unseres wirklichen Sterbens einen schöpferischen Zusammenhang zwischen unserm irdischen und dem ewigen Leben gibt.295 2. Gott und unsere Vergangenheit 2.1. Einleitend. Sind wir gestorben, so sind wir innerweltlich nur noch Vergangenheit. Das bedeutet, dem »Reich der Schatten« (cf. Mt 4,16b; Lk 1,79 mit Jes 9,1)296 und Land ohne Heimkehr anzugehören (Hi 7,9f; 10,21; 16,22)297 und derart in der Welt »ortlos« zu sein: »ihre Stätte kennet sie nicht mehr« (Ps 103,16). Von der zurückliegenden Zeit scheint ausnahmslos zu gelten: »Ewig still steht die Vergangenheit« (F. Schiller).298 Theologisch muss aber davon der lebendige Gott mit seinem Verhältnis zur Zeit aus-

292 Ich möchte G. Ebelings Feststellung: »Was Auferstehung von den Toten heißt, ist eine Frage des Gottesverständnisses« (G. EBELING, Wort und Glaube, Bd. III, Tübingen 1975, 452) in dem Sinne theologisch stark machen, dass das ewige Leben für uns ganz aus dem sich ewig hervorbringenden Leben Gottes selber zu denken ist. Die Auferweckung der Toten ist somit auch ein Wirken Gottes auf sich selber. 293 Wie Gottes ewiges Leben sich zu seinen Voraussetzungen (in der Zeit) verhält, so verhält sich das neue Leben in Ewigkeit zu unserem alten in der Zeit. 294 Darum ist die exklusive Prädikation Gottes als des »lebendigen Gottes« erst aufgrund der Auferweckung Jesu von den Toten zum Leben in Herrlichkeit (cf. Röm 6,4; Kol 2,12 [ἐνεργεία; cf. 1Kor 15,43: δύναµις], lebendiges Pneuma: Röm 8,11; 1Kor 15,45), d. h. im Neuen Testament, endgültig über den Status einer bloßen Metapher hinausgelangt (cf. auch Hebr 7,16b). Für diese Neuschöpfung von etwas wesentlich Anderem, das doch in Entsprechung zum Vergangenen und »Alten« bleibt, hat Paulus, was unsern Tod angeht, die Bilder vom sterbenden und wieder zum Leben gerufenen Weizenkorn (1Kor 15,36f und Joh 12,24) und die Antithesen von verweslich Säen und unverweslich und in Kraft wieder Auferwecktwerden (1Kor 15,37.42–44) gebraucht; siehe dazu oben D. 3.3. (S. 911ff). 295 Auch Luther hat betont, dass Gottes Schaffen als solches nicht nur »erhaltend« sei, »sed etiam mutando et novando« (WA 42, 58,26f). 296 Im Neuen Testament ist ganz anders vom »Schatten des Zukünftigen« die Rede (cf. Kol 2,17 und Hebr 8,5), mithin von einem Vorschein des kommenden Lichtes im Irdischen. 297 Von dem es im Alten Testament heißt: »Die Toten werden dich nicht loben« (Ps 115,17); cf. dagegen 2Tim 1,10. 298 F. SCHILLER, Sprüche des Konfucius (1.).

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genommen werden.299 Er hat in seinem ewigen Leben auch zur Vergangenheit ein schöpferisches Verhältnis.300 Eine Ahnung dessen lässt sich bei F. Kafka ausmachen; er schreibt zum »Ansturm gegen die letzte irdische Grenze« am 17.1.1922 in sein Tagebuch: »Diese ganze Litteratur ist Ansturm gegen die Grenze … Allerdings ein wie unbegreifliches Genie wird hier verlangt, das neu seine Wurzeln in die alten Jahrhunderte treibt oder die alten Jahrhunderte neu erschafft und mit dem allen sich nicht ausgibt, sondern jetzt erst sich auszugeben beginnt.«301 Als dieses schöpferische »Genie«302 hatte schon J. G. Hamann den Gott der Bibel und sein Verhältnis zur Zeit entdeckt: Was gewesen ist, ist gegenwärtig vor Gott, und was seyn soll, ist als vergangen vor ihm. Er ist nicht nur Herr des Zukünftigen sondern auch des Vergangenen, indem dasjenige, was im Strom der Zeit fortgetrieben ist, auf seinen Ruff zurückkommt [cf. Ps 90,3] und von neuem erscheint. Wie ungleich gemäßer ist dies der Größe Gottes als der Zusammenhang, der nothwendige aller Dinge, da dieser Zusammenhang mit der Freyheit Gottes und der Allmacht seines Willens mehr besteht.303

Indem der lebendige Gott die Vergangenheit zurückzurufen vermag,304 ist er dem Zeitverlauf nicht ausgesetzt wie wir Menschen; denn von unsereinem gilt: »non tamen inritum / Ouodcumque retro est efficiet neque / Diffinget infectumque reddet, / Quod fugiens semel hora vexit.«305 Für Gott als die ewige Liebe hingegen ist, wie das Zukünftige schon da, so das Vergangene nicht vergangen: »apud quem nec praeterita transierunt, et futura iam facta sunt«.306 Mehr noch: Es ist die Allmacht seiner Lebendigkeit, die es Gott möglich macht, die Vergangenheit sogar zu ändern, d. h. ihrem definitiven Vergangen299 Tillich bestimmt zu Recht Ewigkeit als »Allmacht in Beziehung zur Zeit« (TILLICH, Systematische Theologie I [wie oben Anm. 248], 314). 300 Für uns hingegen stellt sich jetzt das ewige Leben als ein »Danach« in Bezug auf dieses Leben dar, als zeitliches Jenseits des Todes, im Verhältnis wozu »dann« das jetzige irdische Leben eine bloß noch zu erinnernde Vergangenheit sein würde. Für die Ewigkeit selber aber gibt es keine andere »Vergangenheit« als sie selber. Indem sie ist, ist sie alles und immer. 301 F. KAFKA, Tagebücher in der Fassung der Handschrift, hg. von H.-G. Koch u. a., Frankfurt 1990, 878. 302 HAMANN, SW 2, 140,30; 294,26 u. ö.; cf. »Der Poet am Anfange der Tage« (a.a.O. 206,20). 303 HAMANN, SW 1, 170,11–18. Cf. zur göttlichen Erneuerung des Vergangenen schon oben D. 4. (S. 918 bei Anm. 225); auch ihretwegen gilt: »Das Vergangene muß uns offenbart werden und das Zukünftige gleichfalls« (a.a.O. 125,33–35). 304 In einem anderen Sinne bleibt durch Gottes neuschaffendes Handeln, z. B. in der Vergebung, die Vergangenheit auch bloße Vergangenheit (cf. Lk 15,21f.24). 305 Horaz, Od. III 29,45–48 (»nie kann er vereiteln, was / Dahinten liegt, und nimmer gestaltet er / das um und macht das ungeschehn, was / Fliehend die Stunde einmal entführt hat« [H. Färber]). 306 Augustin, De trin. V 16,17 (PL 42, 924).

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sein zu entreißen: »nec recte … dicitur impossiblile deo esse, ut faciat quod praeteritum est non esse praeteritum«.307 Im Anschluss an Ps 139,11f verstanden als Verwandlung unserer Vergangenheit von Dunkel zu Licht, könnte man sagen: Weil die schöpferische Liebe, die unser Leben birgt, eine ewige Liebe ist, ist sie auch verewigend.308 2.2. Systematisch. Insbesondere P. Tillich hat den Gedanken aufgenommen, dass »für Gott … die Vergangenheit nicht abgeschlossen« ist, weil er »im Erschaffen der Zukunft … die Vergangenheit neu (schafft)«.309 Für den lebendigen Gott gilt nämlich: »Von der Ewigkeit her gesehen sind sowohl Vergangenheit wie Zukunft offen.«310 Daher ist theologisch zu behaupten: »Die schaffende Kraft, die in die Zukunft führt, formt auch die Vergangenheit um.«311 Wir entnehmen diesen Einsichten: 1. Gott birgt das Vergangene in seinem ewigen Leben, hebt es als dessen Moment in es hinein auf (»erinnert sich«); 2. zugleich ist das eine schöpferische Erneuerung und Weitergestaltung, weil er sein ewiges Leben ständig neu hervorbringt bzw. sich darin seine eigene Vergangenheit gibt.312 Genauer besagt das das Folgende:

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Anselm von Canterbury, Cur deus homo II 17. Für den besonders von K. Barth vertretenen Begriff der »Verewigung« unseres endlichen Lebens (cf. eindringlichst BARTH, KD III/2, 770f) lässt sich geltend machen: Auch Jesu irdisches Sein und Handeln ist zugleich Inhalt seiner himmlischen Wirksamkeit. Das Tun des Erhöhten ist das Tun des Irdischen, und sein zeitliches Leben wiederholt sich als sein ewiges Leben. Mit den Bekenntnisschriften und Hamann kann man sagen: Im Himmel herrscht ein Mensch (BSLK 1040, 29ff [SD VIII, 70]) und HAMANN, Briefwechsel 1, 394,3f; cf. Lk 22,69). Von Gott selber gilt: Er hebt Zeit und Geschichte nicht abstrakt negierend in sich auf, sondern so, dass er sich daraus entgegenkommt. Darum werden Zeit und Geschichte, im Sich-Abstoßen der Ewigkeit davon, auch mitgenommen und aufbewahrt. Das unendliche Zu-sich-Kommen der Ewigkeit ist so ein Verewigen gelebten endlichen Lebens in seiner Einmaligkeit; cf. das viermalige paulinische τοῦτο in 1Kor 15,53f: Es geht um Dieselbigkeit dieses unseres gelebten Lebens im ewigen Leben. 309 TILLICH, Systematische Theologie I (wie oben Anm. 248), 317. Er betont generell: »Die Vergangenheit wird durch alles Neue, was geschieht, etwas anderes« (ebd.); das gilt im absoluten Sinn für das endgültig Neue (novissima), das Gott eschatologisch werden lässt. 310 Ebd. Die göttliche Ewigkeit muss »in Einheit mit Gottes Kreativität verstanden« werden (ebd.). 311 Ebd. Gott besitzt wesentliche »Freiheit … gegenüber der Vergangenheit und ihren Möglichkeiten« (ebd.). 312 Relativ gilt schon vom menschlichen Verhältnis zur geschichtlichen Zeit: »Nicht die buchstäbliche Vergangenheit ist es, die uns regiert – es wäre denn, möglicherweise, in biologischem Sinn. Vielmehr sind es die Vorstellungen von solcher Vergangenheit. Sie aber sind oftmals so komplex strukturiert und so selektiv wie die Mythen … Jedes neue Zeitalter der Geschichte bespiegelt sich im Bilde und in der weiterwirkenden Mythologie der eigenen Vergangenheit« (G. STEINER, In Blaubarts Burg. Anmerkungen zur Neudefini308

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Die Wieder-holung unserer Vergangenheit, dessen, was wir gewesen sind, ist im göttlichen Leben die schöpferische Einheit von Retention und Protention, d. h. die Erinnerung an die Zukunft im Vergangenen als dessen Wahrheit. Gott bringt aus unserm (vergangenen) Leben das hervor, was ewig mit ihm »gemeint« war, seine Wahrheit bzw. seine Wahrheit: Derart verwirklicht er in jedem persönlichen Leben sein »Ebenbild«, und dies aus der unerschöpflichen Vielfalt, die seinem eigenen unendlichen Pleroma entspricht.313 So werden wir lebendiges Moment im eigenen Leben Gottes, in dem er ewig und lebendig bei sich selbst ist. Im Tod und aus unserem Totsein werden wir von Gott »zum Leben zurückgerufen« (Ps 30,4; cf. 49,16); denn der lebendige Gott hat, wenn schon »kein Gefallen am [endgültigen] Tode der Gottlosen« (Ez 33,11; 18,23.32),314 um wie viel weniger an dem der Glaubenden. Indem Gott unsere Vergangenheit, d. h. unser mit dem Tode definitiv endendes Leben,315 schöpferisch tion der Kultur, Berlin 2014, 11). Absolut »spiegelt« sich Gott in unserer Vergangenheit, und dies lebendig. 313 Jedes Menschenleben enthält als Geschaffenes Spuren der unendlichen Fülle des göttlichen Lebens, aus dem es stammt und in die es zurückkehrt. Unserm Sterben entspricht in Ewigkeit Gottes Leben, und daher ist das Kreuz die zentrale Wahrheit des Christentums. Zugleich geht es bei unserm vergehenden Leben nicht nur um ein SichZeigen und Wiederverschwinden einer ewigen Fülle, sondern in Wahrheit um einen gerichteten Prozess der Fülle selber, als die Gottes Leben ein Werden zu sich ist: das Entspringen von unableitbar neuem und individuellem Leben aus ihm. Dies entspricht Gottes Sich-Hervorbringen (in seiner Ewigkeit) aus der Zeit, und im Durchgang durch die Zeitlichkeit ist Gottes Ewigkeit auf dem Wege zu sich und wahrhaft lebendig. So wie Gott bei jedem von uns mit sich selber (gleichsam neu) anfängt, so kehrt er aus jedem von uns ewig in sich selber zurück. Wegen dieser Zielgerichtetheit gibt es eine Auferstehung der Toten, d. h. die Verewigung und Verklärung ihres irdisch-zeitlichen Lebens zu einem Moment des göttlichen. 314 So spricht der wahrhaft Lebendige (Ez 18,3), obwohl der Tod von Gott verordnet ist, zumal der Tod des Sünders (V. 26; cf. Röm 6,23). Die Voraussetzung für das SichBekehren des Sünders in Gott selber ist eine Umkehrung Gottes vom Tod zum Leben (mors mortis), d. h. eine Umkehr auf Gottes eigenem Weg als Sieg des Lebens über den Tod (1Kor 15,54f). Dem entspricht eine allmächtige Neubestimmung der Vergangenheit: auch aus ihr (bzw. in ihr) wird der Tod zu bleibendem Leben umbestimmt. 315 Gerade der Gedanke einer schöpferisch-lebendigen Verewigung unseres wirklichen Lebens sollte zum Ernstnehmen und entschlossenen Übernehmen der eigenen Endlichkeit und Einmaligkeit (cf. M. Heidegger) führen. In dieser Hoffnung auf das ewige Leben aus Gott wird so etwas wie ein vorlaufendes »Ganzsein« im Sein zum Tode allererst möglich. Denn sich selbst von seinem Ende her verstehen – man lebt in der Tat »nur einmal«! –, ist im Glauben ganz identisch damit, sich ganz von Gott her zu verstehen, so dass hier »Leben-Können und Sterben-Können« letztlich eins geworden sind (EBELING, Wort und Glaube III [wie oben Anm. 292], 453). Man könnte sogar sagen, die auch dem Christen unabdingbare Fähigkeit, dem eigenen Tode illusionslos ins Auge zu blicken und dem Blick ins eigene Nichtsein standzuhalten, ist nicht nur ein »Mut zum Sein«, sondern auch so etwas wie eine schwache Abschattung ewigen Lebens.

§ 16 Der Erste und der Letzte

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neu macht und unabsehbar Neues aus ihm erschafft, gilt: »der Tod ist nicht mehr« (cf. Apc 21,4 [Jes 25,8] mit Röm 6,9; 1Kor 15,26 und Joh 8,51). Insofern haben wir schon im Glauben den Tod eigentlich hinter uns (Joh 5,24; 1Joh 3,14).316 Macht Gott unsere endliche (irdisch abgeschlossene oder abgebrochene) Vergangenheit un-endlich neu, so entspricht das einer schöpferischen »Wiederbringung aller Dinge« (cf. Act 3,21).317 Wir sind als Glaubende bei Gott in Ewigkeit nicht vergessen (cf. Joh 14,21b), sondern er übernimmt uns und unser Leben schöpferisch in seine »Erinnerung«.318 Gott will – anders als wir nach vorne ausgestreckt Lebenden und Glaubenden – nicht »vergessen, was da hinten ist« (Phil 3,13);319 denn er ist lebendig und ewig durch die wahrhaft »unendlichen Räume des Gedächtnisses«,320 in denen er sich lebendig seiner selbst er-innert.321 »Schöpferische Erinnerung« besagt, Gott nimmt uns mit 316

Luther sagt einmal, dass im Glauben der Tod wie ein Fünklein im Meer ausgelöscht sei (WA 17 I, 421,14f). 317 Gegen die »Apokatastasis panton« (im dogmatischen Sinne) cf. LUTHER, WA 18, 708,4ff. Zur Apokatastasis-Frage cf. auch LANGE, Die Notwendigkeit der Eschatologie [wie oben S. 882 Anm. 3], 96–99. Was indes die Einheit der erlösten Menschheit betrifft, so sind alle Gläubigen in dem einen Mittler Christus miteinander verbunden (Joh 17,11), und es wird auch der Einzelne nur in Gemeinschaft mit allen Erlösten vollendet werden; cf. unten S. 950 bei Anm. 426. 318 Statt von Gottes Erinnern könnte man auch von seinem schöpferischen Sehen sprechen. Cf. Augustin: »Tu autem quia vides sunt« (Conf. XIII 38,53) und Nikolaus von Kues: »videre tuum est creare tuum« (De vis. Dei XII). Der Übergang vom Tod zum ewigen Leben lässt sich auch von der gedachten Metapher des Weckens her begreifen (cf. das Pessoa-Zitat oben S. 923 Anm. 257), folgt man J. Königs logischer Analyse: Danach ist ein Wecken, »das wirklich Wecken ist, d. h. das Erfolg hat, eines …, obgleich auch es sich wesentlich darstellt als Zweiheit: nämlich als die Zweiheit 1. einer von dem Erfolg unabhängigen Veranstaltung und 2. einer Bewegung, die erst im Erfolg und sozusagen von diesem her zu sich selber wird oder sich zu sich verwandelt« (J. KÖNIG, Sein und Denken. Studien im Grenzgebiet von Logik, Ontologie und Sprachphilosophie, Tübingen 21969, 56). Diese Beschreibung steht auch bei König im Horizont des Werdens zu sich: »Ein zeitlich Erstes ermöglicht also ein Folgendes, rücksichtlich dessen gilt, daß es nun auch seinerseits dieses Erste allererst zu dem macht, als welches wir es kennen … [Dies ist der] Begriff einer innersten und gleichsam unterirdischen Rückwirkung eines wesentlich Folgenden auf ein wesentlich Anfangendes« (J. KÖNIG, Bemerkungen zur Metapher, in: ders., Kleine Schriften, hg. von G. Dahms, Freiburg 1994, 174). 319 Cf. oben S. 896 bei Anm. 80. 320 Cf. Augustins »campi et lata praetoria memoriae« (Conf. X 8,12). Der augustinischen Trias von memoria, intelligentia und voluntas als »vestigia trinitatis« in der menschlichen Seele entspricht in Gott selber, dass er als der Vater das Gedächtnis darstellt, und zwar als memoria rerum, d. h. Gedächtnis vom Insgesamt der Schöpfung; cf. dazu H. WEINRICH, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, München 1997, 40. 321 Gottes Sich-Erinnern ist schöpferisch, und die Verewigung unseres Lebens kein statisches Aufbewahren oder »Festschreiben« der Vergangenheit. Seine Erinnerung ist also kein bloßer »Rückblick« (BARTH, KD II/1, 710), und Gott ist nicht der passive Leser

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unserm wahren Leben ganz mit in sein Sein hinein, durchdringt es »richtend« mit seinem gegenwärtigen Sich-Wissen, lebt selber darin und daraus als seiner ewigen Gegenwart. Darin sind wir als zeitliches Werdemoment seines ewigen Selbstseins erhalten. Unser Bewusstsein von Gott und von uns ist lebendiges Moment in diesem ewigen Selbstbewusstsein Gottes. In seiner Erinnerung werden wir wir selber und mit unserm Leben wahrhaft identisch sein, denn »es gibt Momente, … die im eigentlichsten Verstande erst unter dem Brennglase der Erinnerung in ihrer Bedeutung, ihrem Reichtum, aufgehen. Mancher dieser Momente mag mit einer Stunde, die uns erst jenseits des Grabes erwartet, korrespondieren«.322 In diesem Sinne wird dann vom »Jüngsten Tag« absolut gelten, was man hier schon gelegentlich erfährt: »Der Mensch kann plötzlich einen Tag, einen Moment erleben, der ihm seine ganze Vergangenheit aufklärt.«323 So ist es für den Glauben Gott selber, der »im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen« die Macht hat.324 In solchem Sinne ist das ewige Leben unsere »aufgehobene Vergangenheit«. Das besagt vom lebendigen Gott her: Seine ewige Lebendigkeit reproduziert sich in jedem ihrer (für sich genommen endlichen) Momente, zu denen auch unsere Vergangenheit gehört, selber unendlich, d. h. auf stets unerschöpflich neue Weise. Von da her ist der Satz zu begreifen: »ihre Werke des schon fertigen Buches bzw. toter Buchstaben unseres Lebens (so CH. HARTSHORNE, A Natural Theology for Our Time, LaSalle 1967, 112; zitiert nach B. LANG/C. MCDANELL, Der Himmel – Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, es NF 586, Frankfurt 1990, 465). Eher ist das ewige Leben als »le temps retrouvé« zu beschreiben. Auch schon die sich verstehende menschliche Existenz ist der Versuch, im »Buch« des eigenen Lebens zu lesen, d. h. als eine Bewegung des Durchdringens zur eigenen Wahrheit, die aber nicht zum Abschluss gelangt. Cf. dazu über die Seele: »Man kann freilich sagen, daß sie diese Sphäre [sc. des Irdischen, d. h. ihr vergangenes Leben vor dem Tod] im geringsten noch nicht erschöpft hat, … aber weiß man denn, daß diese Sphäre für sie verloren ist? Wir legen jetzo manches Buch weg, was wir nicht verstehen, aber vielleicht verstehen wir es in einigen Jahren besser« (F. SCHILLER, Ueber den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen, Stuttgart 1780; Schlußsatz von § 27). Wenn Gott zum Leser im Buch unseres Lebens wird, so werden auch wir erneut darin Lesende sein, dann aber in endgültiger Wahrheit. 322 F. HEBBEL, Tagebücher I, Nr. 1084, in: ders., Werke, hg. von G. Fricke u. a., Bd. IV, München 1966, 205. 323 A.a.O. Nr. 1059 (S. 202). 324 Cf. W. BENJAMIN, Über den Begriff der Geschichte, These VI, in: ders., Gesammelte Schriften [wie oben S. 894 Anm. 70] I/2, 695. Vorbereitet ist ein solcher Gedanke in den temporalen Implikationen des hebräischen Wortes ~d