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German Pages 166 [168] Year 2001
Hans-Christoph Schmidt am Busch Hegels Begriff der Arbeit
Hegel-Forschungen Herausgegeben von Andreas Arndt Karol Bai Henning Ottmann
Hans-Christoph Schmidt am Busch
Hegels Begriff der Arbeit
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-05-003626-5 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN / ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Satz: Veit Friemert, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany
Meinen Eltern
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
11
Einleitung
13
I.
Arbeit als intentionale Tätigkeit
1.
Der Begriff des Willens
21
2.
Die absichtliche Tätigkeit
24
2.1
DieZwecksetzung
24
2.1.1
Der „im Ich" gesetzte Schluß
24
2.1.2
Der Zweck
26
2.2
Die Verwirklichung des Zwecks
27
2.3
Der verwirklichte Zweck
30
2.4
Ergebnis
31
3.
Arbeit und Tätigkeit
32
3.1
„Das disseitige sich zum Dinge machen"
32
3.2
Die „blosse Thätigkeit"
34
3.3
Die „in sich reflectirte" Tätigkeit
38
3.4
Ergebnis
39
Exkurs: Ernst Michael Langes Hegel-Kritik
40
4.
Das Arbeitsmittel
47
4.1
Das Werkzeug
47
4.1.1
Das Werkzeug als Arbeitsmittel
48
8
INHALTSVERZEICHNIS
4.1.2
Das Werkzeug als Ding
49
4.2
Die Maschine
50
4.2.1
Die Behebung des ersten Mangels
51
4.2.2
Die Behebung des zweiten Mangels
55
4.3
Ergebnis
57
II.
Arbeit im sozialen Kontext
5.
Das „unmittelbare anerkanntseyn"
59
5.1
Das Gelten des einzelnen
60
5.2
Die „Arbeit Aller und für Alle"
63
5.2.1
Die Arbeitsteilung
65
5.2.1.1
Die „concrete" Arbeit
65
5.2.1.2
Die „abstracte" Arbeit
67
5.2.2
Der Tausch
71
5.2.3
Arbeit und Tausch als „Entaüsserung"
73
5.3
Ergebnis
77
6.
„Das Gewalt habende Gesetz"
78
6.1
Ein Willensverhältnis
78
6.2
Die Erwerbsarbeit
80
6.3
Die Gesellschaft als „elementarische blinde Bewegung"
83
6.3.1
Was heißt,Aufopferung des einzelnen'?
83
6.3.2
Warum wird der einzelne ,aufgeopfert'?
85
6.3.2.1
Steigerung der Produktivität
85
6.3.2.2
Vervielfältigung der Bedürfnisse
86
6.3.2.3
Mechanisierung der Arbeit
87
6.3.2.4
Mode
90
6.3.2.5
Die völlige Verwicklung des Zufalls des Ganzen
91
6.3.2.6
Die „Anhaüffung des Reichthums"
93
6.3.2.7
Die höchste Zerrissenheit des Willens
94
6.4
Ergebnis
95
INHALTSVERZEICHNIS
7.
9
Die Aktualität der Hegeischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft
96
7.1
Smith, Hegel und die Neoklassik
96
7.2
Hegel und Marx
104
7.2.1
Die unbezahlte Aneignung fremder Arbeitskraft
104
7.2.2
Das gegenständliche Gattungswesen
111
7.2.3
Bewertung der Marxschen „Kritik der politischen Ökonomie" . . .
115
7.2.3.1 Ansätze einer Kritik der Kritik der politischen Ökonomie
115
7.2.3.2 Hegels Marx-Kritik
118
7.3
„Drift", „Risikoregime" und „Notwendigkeit"
123
7.4
Ergebnis
127
8.
Der „sich in sich selbst gliedernde Geist"
128
8.1
„Geist" und „Willen"
128
8.2
Die Struktur des „sich in sich selbst gliedernden Geistes"
129
8.3
Die „bürgerlichen" Stände
132
8.3.1
Der Bauernstand
132
8.3.2
Der Bürgerstand
133
8.3.3
Der Kaufmannsstand
135
8.4
Bewertung der Hegeischen Lösung
138
8.5
Ergebnis
141
Ausblick auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts . . 142 Die bürgerliche Gesellschaft im Lichte der Grundlinien der Philosophie des Rechts
143
Bewertung der in den Grundlinien vorgelegten Theorie der bürgerlichen Gesellschaft
150
Schluß
154
Literatur- und Siglenverzeichnis Personenverzeichnis
160 165
Abbildungsnachweise
167
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung ist eine erweiterte Fassung einer Arbeit, die im Wintersemester 1999/2000 am Philosophischen Seminar der Universität Münster als Dissertation angenommen wurde. An ihrem Zustandekommen waren einige Personen beteiligt. Ihnen möchte ich hierfür herzlich danken. Frau Prof. Dr. Marlene Zarader (Montpellier/Frankreich), deren Veranstaltungen zur Phänomenologie des Geistes mein Interesse an Hegel weckten, danke ich für ihre Empfehlung, den Hegeischen Arbeitsbegriff im Rahmen einer Dissertation zu untersuchen. Für kritische Hinweise zu Vorstudien dieser Arbeit, die mir bei der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes von Nutzen waren, danke ich Herrn Dr. Hans-Christian Lucas (Bochum). Den Teilnehmern des Seminars "Hegels Philosophie des Geistes", das ich gemeinsam mit Herrn H.-Doz. Dr. Michael Quante im Wintersemester 1996/97 an der Universität Münster betreut habe, sowie den Teilnehmern eines Blockseminars zur Phänomenologie des Geistes, das ich mit Frau Prof. Dr. Erzsebet Rosza im Sommer 1998 an der Kossuth-Lajos-Universität in Debrecen (Ungarn) geleitet habe, danke ich für Fragen, Hinweise und Anregungen. Frau Professor Rosza danke ich insbesondere dafür, daß sie diese Veranstaltung ermöglicht hat. Frau Prof. Dr. Theresia Theurl (Münster) danke ich für ihre Lektüre der ökonomischen Passagen' meiner Arbeit. Herrn H.-Doz. Dr. Michael Quante verdanke ich methodisch und inhaltlich entscheidende Hinweise. Für seine kritische Unterstützung meines Forschungsprojekts danke ich ihm herzlich. Für wertvolle inhaltliche Hinweise sowie für seine Begutachtung meiner Arbeit danke ich Herrn Prof. Dr. Peter Rohs (Münster). Mein besonderer Dank gilt dem Betreuer meiner Arbeit, Herrn Prof. Dr. Ludwig Siep. In seinen Veranstaltungen habe ich vor allem gelernt, wie Hegel zu
12
VORWORT
lesen ist. Seiner gründlichen Auseinandersetzung mit den im Verlauf meines Forschungsprojekts entstandenen Studien verdanke ich richtungsweisende Klärungen. Für Mitarbeit bei der Erstellung des Manuskripts danke ich Sabine Bzodek, Dr. Veit Friemert, Jutta Joseph, N i c o l e Schlieper und Sandra Schröter.
Münster, im Oktober 2001
Hans-Christoph Schmidt am Busch
Einleitung
Seit Marxens Ökonomisch-philosophischen Manuskripten ist der Hegeische Arbeitsbegriff in zahlreichen Abhandlungen untersucht worden. Die einflußreichsten Studien, die zu diesem Thema im 20. Jahrhundert entstanden, sind ohne Zweifel Alexandre Kojeves Introduction ä la lecture de Hegel und Georg Lukacs' Der junge Hegel. Diese Werke datieren aus den 30er beziehungsweise 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Seine Introduction diente Kojeve als Grundlage einer in den Jahren 1933 bis 1939 an der „Ecole des hautes etudes pratiques" gehaltenen Vorlesungsreihe, während Der junge Hegel von Lukacs im sowjetischen Exil verfaßt und 1947 erstveröffentlicht wurde. Gegenstand der Introduction ist die Phänomenologie des Geistes, in der nach Kojeve die Weltgeschichte als eine im napoleonischen Staat zum Abschluß kommende Auseinandersetzung zwischen dem Arbeiter-Knecht und dem Krieger-Herrn gedeutet wird; demgegenüber untersucht Der junge Hegel die bis 1807 entstandenen Schriften Hegels aus marxistischer Perspektive unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Ökonomie und Dialektik. Arbeiten jüngeren Datums zu diesem Themenkomplex sind zum einen Norbert Waszeks The Scottish Enlightenment and Hegel's Account o f , Civil Society' sowie Birger P. Priddats Hegel als Ökonom1 - gemeinsam ist diesen Autoren, daß sie ihren Gegenstand auf der Grundlage des Hegeischen Gesamtwerks untersuchen. Zum anderen sind in den zurückliegenden 30 Jahren zahlreiche Aufsätze veröffentlicht worden, welche die ökonomischen Überlegungen beleuchten, die sich in den zwischen 1801 und 1806 entstandenen, von Hegel selbst nicht publizierten Jenaer Schriften finden. Im Zentrum des Interesses steht hier die 1805/06 als Vorlesungsmanuskript verfaßte Philosophie des Geistes2, in der Hegel die Arbeit als „das (dis-
1 2
Vgl. Waszek (1988) und Priddat (1990). Dieses Manuskript wird auch als „Realphilosophie II" bezeichnet.
14
EINLEITUNG
seitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen des Bewußtseyns"3 definiert. Zwar ist weitgehend anerkannt, daß Hegel erst mit diesem Konzept als Urheber eines eigenen Arbeitsbegriffs auftritt4 - umstritten ist jedoch, welche Bedeutung dieser Begriffhat und welches Interesse er verdient. So wird erstens die Auffassung vertreten, daß die Arbeit ein „sich zum Dinge machen" ist, weil ihr Resultat ein materieller Gegenstand, mithin ein Ding sei; nach dieser - explizit von Manfred Riedel und Gerhard Göhler vertretenen5 - Annahme begreift Hegel die Arbeit als einen poietischen Herstellungsprozeß. Zweitens wird „das sich zum Dinge machen" als eine Verdinglichung verstanden, die darin bestehe, daß der Arbeitende sich den Gesetzen der von ihm bearbeiteten Natur zu unterwerfen und auf eine unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse zu verzichten habe; diese Interpretation wird zum Beispiel von Georg Lukacs, Jürgen Habermas und Axel Honneth vertreten.6 Schließlich wird drittens „das sich zum Dinge machen" als ein begriffliches Konstrukt abgetan, durch das Hegel die wirkliche, naturverhaftete Arbeit nach den Erfordernissen seiner Bewußtseinstheorie zur Arbeit des Geistes stilisiere, die im Gegenteil ein Hinwegarbeiten alles Natürlichen sei; diese Position hat zuletzt Andreas Arndt bezogen7. Es fällt auf, daß nicht nur umstritten ist, welche Bedeutung das „sich zum Dinge machen" hat, sondern auch die Frage, worin das „disseitige" sich zum Dinge machen bestehe, von den meisten Autoren weder gestellt noch beantwortet wird.8 Auch unter ideengeschichtlicher Perspektive wird der Begriff der Arbeit als „das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen" unterschiedlich interpretiert: Nach Paul Chamley ist er das Ergebnis der Hegeischen Rezeption von Lockes politischer Philosophie9, in der die Arbeit als eine Tätigkeit bestimmt wird, die einem natürlichen Zustand hinzugefügt beziehungsweise mit diesem vermischt wird10; demgegenüber versucht Hegel nach Manfred Riedel im Begriff des „(disseitigen) sich zum Dinge/Gegenstande machens" die für seine frühen politischen Entwürfe charakteristische, an Aristoteles orientierte Unterordnung der poiesis unter die praxis zu revidieren und ein dem Standpunkt der klassischen Ökonomie entsprechendes, modernes „Modell" der Arbeit zu entwickeln.11 3
Vgl. z.B. 205,15f.: „Arbeit ist das disseitige sich zum Dinge machen, die Entzweyung des Triebseyenden Ich ist ebendiß sich zum Gegenstande machen" oder 224,9f.: „Diß Verarbeiten aber ist selbst ein Vielfaches; es ist das sich zum Dinge machen des Bewußtseyns". 4 Eine Ausnahme bildet hier Andreas Arndt, nach dem allein der frühe Jenaer Arbeitsbegriff Hegels von Interesse ist. Vgl. Arndt (1985) und Arndt (1988). 5 Vgl. z.B. Riedel (1970a), S. 288 und Göhler (1974), S. 487. 6 Vgl. Lukäcs (1973), S. 505, Habermas (1968), S. 26 und Honneth (1992), S. 61. 7 Vgl. Arndt (1985), S. 144 f. Eine entsprechende Position bezieht Adorno (1991), S. 27-29. 8 Eine Ausnahme bildet hier Klaus Roth, der „das disseitige sich zum Dinge machen" als einen innerweltlichen Arbeitsvorgang interpretiert. Vgl. Roth (1991), S. 103. 9 Vgl. Chamley (1969), S. 154. Zum Verhältnis von Steuart und Hegel vgl. Chamley (1963). 10 Vgl. Locke (1992), § 2 7 . " Vgl. Riedel (1970a), S. 288.
EINLEITUNG
15
Doch auch die Antwort auf die Frage, ob der Begriff der Arbeit als „das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen" in diesem Sinne ein modernes Konzept sei, ist umstritten: Während sie von Manfred Riedel bejaht 12 und von Andreas Arndt verneint wird 13 , vertreten Gerhard Göhler 14 und, ihm folgend, Klaus Roth 15 die Ansicht, daß sowohl der im System der Sittlichkeit als auch der in der Philosophie des Geistes entwickelte Arbeitsbegriff antike und moderne Aspekte hat. Die Lektüre der in Rede stehenden Arbeiten vermittelt nicht den Eindruck einer Diskussion, durch die Positionen geklärt und Ergebnisse gesichert werden. Vielmehr werden bestimmte Positionen immer wieder vertreten, ohne daß eine Auseinandersetzung mit alternativen Auffassungen stattfände. 16 Auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß der Begriff der Arbeit als „das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen" vielfach unter Ausblendung der Willensbewegung, deren Analyse der „praktische" Teil 17 der Philosophie des Geistes von 1805/06 ist, interpretiert wird; unter einer solchen - kontextunabhängigen - Perspektive ist aber letztlich nicht zu entscheiden, welche Bedeutung er als Hegelscher Begriff hat, mithin, ob er ein „antikes" oder „modernes" Konzept ist und welche ideengeschichtlichen Bezüge er enthält. Nach unserer Auffassung ist der Begriff der Arbeit als „das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen" ein leistungsstarkes Konzept, auf dessen Grundlage in der Philosophie des Geistes von 1805/06 eine aus heutiger Sicht aufschlußreiche Analyse und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt wird. Der Nachweis dieser These ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Zu diesem Zweck wird eine eingehende Analyse der diesbezüglich relevanten Textstellen aus der Philosophie des Geistes vorgenommen, auf deren Grundlage die folgenden Beweisziele erreicht werden sollen: Der I. Teil unserer Untersuchung dient dem Nachweis, daß das Phänomen der Arbeit im Begriff des „(disseitigen) sich zum Dinge/Gegenstande machens" als eine intentionale Tätigkeit bestimmt wird. Da die Arbeit als „das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen" ein Willensverhältnis ist, hat eine Analyse ihres Begriffs in dem in der Philosophie des Geistes zugrunde gelegten Willensbegriff ihren Ausgang zu nehmen. Als Ergebnis der in Kapitel 1 geführten Untersuchung dieses Begriffs wird sich erweisen, daß der
12 13 14 15 16
17
Ebd. Vgl. Arndt (1988). Vgl. Göhler (1974), S. 4 8 9 ff. Vgl. Roth (1991), S. 117. Vgl. z.B. die von Lukäcs (1973), Habermas (1968) und Honneth (1992) vertretene Auffassung, die Arbeit als „das sich zum Dinge machen" sei - in dem oben angegebenen Sinne - eine Verdinglichung. Er umfaßt die Abschnitte „b. Willen" bis „Constitution".
16
EINLEITUNG
Wille für Hegel eine Schlußstruktur ist, deren telos darin besteht, sich auf eine selbstbewußte Weise raumzeitliche Wirklichkeit zu geben. Während die in der Philosophie des Geistes unter „Willen", „anerkanntseyn" sowie „Das Gewalt habende Gesetz" behandelten Phänomene in Hegels Verständnis (mehr oder weniger) unvollkommene Vergegenständlichungen der in Rede stehenden Willensstruktur sind, wird deren - nichtpsychologisches - Bestreben nach Hegel durch den „sich in sich selbst gliedernden Geist", dessen Untersuchung die Philosophie des Geistes beschließt, erfüllt. Demnach wird in Kapitel 1 die dem gesamten „praktischen" Teil der Philosophie des Geistes zugrunde liegende metaphysische Prämisse untersucht - ihr Verständnis ist folglich auch im Hinblick auf Teil II unserer Untersuchung unverzichtbar.18 Absichtlich ist eine Tätigkeit für Hegel als planmäßige, selbstbewußte Verwirklichung eines Zwecks. Die in Kapitel 2 vorgenommene Analyse des Hegeischen Begriffs der absichtlichen Tätigkeit wird zeigen, daß Hegel diese als eine Folge dreier Schlüsse versteht. Nach diesem Begriff ist ein wollendes Ich zunächst durch den Willensakt, sodann durch die Tätigkeit der Zweckverwirklichung und schließlich durch das intersubjektive „Seyn" auf einen Sachverhalt bezogen. Durch die Verwirklichung seines Zwecks macht sich dieses Ich in dem Sinne zum Gegenstand, daß es die von ihm in absichtlicher Tätigkeit bewirkte Tatsache als Handlungsresultat weiß. Zwar ist seine Tätigkeit unter dieser Bedingung von seinem Standpunkt ein Erfolg; wie unsere Untersuchung deutlich machen wird, ist sie gleichwohl keine adäquate Vergegenständlichung der in Kapitel 1 analysierten Willensstruktur. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird in Kapitel 3 gezeigt, daß die Arbeit in der Philosophie des Geistes als absichtliche Tätigkeit bestimmt wird. Die Bestandteile dieses Begriffs sind zum einen die Zwecksetzung oder „das disseitige sich zum Dinge/Gegenstande machen", zum anderen die Zweckverwirklichung oder „das sich zum Dinge/Gegenstande machen". Vom Standpunkt des wollenden Ich ist die Zwecksetzung „das disseitige sich zum Dinge/Gegenstande machen", weil der Zweck aus dieser Perspektive zum einen als das Resultat eigener voluntativer Tätigkeit, zum anderen als ein dem Bewußtsein internes Objekt gewußt wird; indem dieses Ich seine praktische Tätigkeit als Zweckverwirklichung interpretiert, ist sie wiederum aus seiner Perspektive - ein „sich zum Dinge/Gegenstande machen" dieses Bewußtseins. Dieses Ergebnis ist insofern hervorzuheben, als es die eingangs genannten Interpretationen widerlegt: „Das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen" ist notwendigerweise weder ein poietischer Herstellungsprozeß noch eine verdingli-
18
Der in der Philosophie des Geistes entwickelte Willensbegriff wird von uns nur in dem Maße berücksichtigt werden, wie es im Hinblick auf die angestrebte Analyse des Hegeischen Arbeitsbegriffs erforderlich ist. Eine erschöpfende Untersuchung seiner Struktur erforderte unseres Erachtens eine selbständige Forschungsarbeit.
EINLEITUNG
17
chende Tätigkeit, und es ist auch nicht als eine „Entnaturalisierung" (Andreas Arndt) der wirklichen Arbeit anzusehen. Gegenüber punktuellen absichtlichen Tätigkeiten zeichnet sich die Arbeit durch den systematischen Einsatz von Arbeitsmitteln aus. Für Hegel dient die in der Absicht, sich von der Anstrengung der Zweckverwirklichung zu dispensieren, erfolgende Entwicklung von Werkzeugen und Maschinen zugleich der Selbsterkenntnis des arbeitenden Bewußtseins: In der Tätigkeit der Maschine ist diesem Bewußtsein nach Hegel seine Struktur auf anschauliche Weise gegeben, und durch die Nutzung von Wind- und Wasserkraft als Maschinenantrieb erfahrt es, daß es nur deshalb absichtlich tätig sein kann, weil das menschliche Denken die in der ,Wirklichkeit' instantiierten ,Gedanken' prinzipiell zu erkennen vermag. Die diesem Nachweis dienende Hegeische Untersuchung des Arbeitsmittels soll in Kapitel 4 verständlich und - so weit wie möglich - plausibel gemacht werden. Der II. Teil unserer Untersuchung dient dem Nachweis, daß Hegel im Ausgang des in Teil I analysierten Arbeitsbegriffs eine aus heutiger Sicht aufschlußreiche Kritik der bürgerlichen Gesellschaft formuliert. Diese These soll in Auseinandersetzung mit Hegels Untersuchung des „unmittelbaren anerkanntseyns" und des „Gewalt habenden Gesetzes" verifiziert werden. Im „unmittelbaren anerkanntseyn" - so wird in Kapitel 5 gezeigt - etablieren sich auf der Grundlage des „anerkanntseyns" des einzelnen als selbständiges Subjekt eine gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie eine marktregulierte Güterverteilung („Tausch"). Auf der Stufe dieses Willensverhältnisses ist die Arbeit ein „sich zum Dinge machen" des einzelnen, durch das dieser sich als ein mit besonderen, gesellschaftlich wertvollen Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt erweist und anerkannt wird. Seine aus Arbeit und Tausch bestehende wirtschaftliche Aktivität bestimmt Hegel als „Entaüsserung", mithin als eine absichtliche Tätigkeit, durch die er seinen Güterbedarf auf kontrollierte Weise deckt. Der Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung" unterstellt, daß die Preise der gehandelten Güter fur die Marktteilnehmer kalkulierbare Daten sind denn andernfalls könnte der einzelne seine Absicht, durch Herstellung und Tausch einer bestimmten Gütermenge die von ihm benötigten Produkte zu erwerben, nicht planmäßig verwirklichen. Durch Auswertung der ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen die Individuen im „unmittelbaren anerkanntseyn" agieren, läßt sich zeigen, warum die in Rede stehende Annahme hier zutreffend ist. Unsere Untersuchung dieser Frage wird deutlich machen, daß die Marktpreise für den einzelnen deshalb berechenbare Größen sind, weil sich auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" eine nichtkapitalistische Tauschgesellschaft etabliert, die durch eine weitgehende Invarianz der Nachfrage sowie ein flexibles Güterangebot ausgezeichnet ist. Unter dieser Bedingung - so lautet das Ergebnis der in Kapitel 5 geführten Untersuchung - sind Arbeit und Tausch für den einzelnen eine zweckverwirklichende
18
EINLEITUNG
„Entaüsserung", mithin das Mittel, sich als ein selbständiges, mit gesellschaftlich nützlichen Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt zu erweisen. Die als das „Gewalt habende Gesetz" analysierte bürgerliche Gesellschaft ist demgegenüber für Hegel „die höchste Zerrissenheit des Willens", mithin ein widersprüchliches, sich selbst unterminierendes Willensverhältnis. Unsere in Kapitel 6 durchgeführte Analyse dieses Willensverhältnisses hat zwei Funktionen: Zum einen wird durch sie geklärt, in welchem Sinne die bürgerliche Gesellschaft nach Hegel gleichsam in sich zerrissen ist. Im Zuge dieser Untersuchung wird sich zeigen, daß das im „Gewalt habenden Gesetz" realisierte Willensverhältnis durch einen Umschlag rechtlicher Freiheit in tatsächliche Unfreiheit charakterisiert ist. Indem es den einzelnen - durch Sicherung der privatrechtlichen Institutionen des Eigentums und der Vertragsfreiheit - als „Person" uneingeschränkt schützt, bewirkt das „Gesetz" im Gegenteil, daß er als selbständiges Subjekt „aufgeopfert" wird. Die durch das „Gesetz" protegierte kapitalistische Wirtschaftsordnung ist nämlich nach Hegel durch unvorhersehbare, zum Teil abrupte Schwankungen von Güter- und Faktorpreisen ausgezeichnet, die verhindern, daß der einzelne durch seine Arbeit seinen Lebensunterhalt planmäßig sichern und als ein mit besonderen, gesellschaftlich wertvollen produktiven Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt Anerkennung finden kann. Die Notwendigkeit ständiger Anpassung an sich rasch wandelnde ökonomische Gegebenheiten sowie die Gefahr materieller Not äußern sich nach Hegel in „Empörung" und „Haß", die gegen dieses Wirtschaftssystem sowie das ihm zugrunde liegende „Gesetz" gerichtet sind. Aufgrund dieses Prozesses stellt die bürgerliche Gesellschaft für Hegel ein gleichsam in sich zerrissenes Willensverhältnis dar. Zum anderen wird gezeigt, daß der normative Maßstab der Beurteilung der die „Zerrissenheit des Willens" bewirkenden „Aufopferung" des einzelnen der in Kapitel 5 analysierte Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung" ist: Während im „unmittelbaren anerkanntseyn" der einzelne als arbeitender „sich zum Dinge macht", existiert er im „Gewalt habenden Gesetz" - aufgrund der in der personellen Trennung von Planung und Ausführung radikalisierten betrieblichen Arbeitsteilung„nach der Weise der Dingheit"; und während er in der nichtkapitalistischen Tauschgesellschaft als Marktteilnehmer seine Selbständigkeit dokumentiert, manifestiert sich in den für die bürgerliche Gesellschaft charakteristischen preislichen Fluktuationen seine Unmöglichkeit, durch Erwerb und Ausübung einer beruflichen Qualifikation seinen Lebensunterhalt auf Dauer sichern zu können. Die in der Philosophie des Geistes vorgenommene Analyse der bürgerlichen Gesellschaft - so wird in Kapitel 7 gezeigt - hebt sich sowohl gegenüber der (neo)klassischen Ökonomie als auch gegenüber der Marxschen „Kritik der politischen Ökonomie" ab. Das Kriterium ihrer Beurteilung der bürgerlichen Gesellschaft ist nämlich nicht das reale Pro-Kopf-Einkommen, sondern der Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung", mithin die Handlungsfreiheit, die der einzelne als
EINLEITUNG
19
Wirtschaftssubjekt hat. Unter dieser Perspektive ist die freie Marktwirtschaft - unbeschadet der durch sie bewirkten Steigerung der Produktivität - nach Hegel gleichsam nicht gesellschaftsfähig. Es wird sich zeigen, daß diese Kritik der bürgerlichen Gesellschaft auch durch die eventuelle Gültigkeit der neoklassischen Gleichgewichtstheorie nicht widerlegt werden kann. Gesellschaftliche Arbeitsteilung und marktregulierte Güterverteilung begründen als solche für Hegel keine gesellschaftliche Entfremdung - unter den auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" gegebenen ökonomischen Bedingungen lassen sie den einzelnen im Gegenteil seine Selbständigkeit unter Beweis stellen. Da der Schutz der Privatautonomie vom Hegeischen Standpunkt ein Merkmal des modernen Staates ist, und da sich diese Autonomie für Hegel im Bereich der gesellschaftlichen Arbeit zu entfalten hat, ist eine Ersetzung der Marktwirtschaft durch eine Planwirtschaft mit der Position der Philosophie des Geistes nicht vereinbar. Weil sich die Hegeische Analyse der bürgerlichen Gesellschaft damit von der Marxschen „Kritik der politischen Ökonomie" abgrenzt, ist im Hinblick auf eine Ermittlung ihrer Aktualität zu untersuchen, welche Gültigkeit die Marxsche „Kritik" hat. Unter 7.2 wird - zum Teil unter Rückgriff auf von Michael Quante und Ernst Michael Lange erzielte Untersuchungsergebnisse - gezeigt, daß die Marxsche „Kritik" von ökonomietheoretischen und philosophischen Problemen belastet wird und als ganze keinen Fortschritt gegenüber der Hegeischen Position darstellt. Kapitel 8 strebt eine Bewertung der in der Philosophie des Geistes formulierten „Lösung" des von Hegel analysierten „Problems" der bürgerlichen Gesellschaft an. Im Anschluß an eine Klärung der Frage, in welchem Sinne der „sich in sich selbst gliedernde Geist" nach Hegel eine adäquate Vergegenständlichung der in Kapitel 1 analysierten Willensstruktur ist, wird zu untersuchen sein, ob mit ihm ein Konzept vorgelegt wird, das zu erkennen gibt, wie der einzelne als „Person" geschützt werden kann, ohne daß der die bürgerliche Gesellschaft unterminierende Umschlag rechtlicher Freiheit in tatsächliche Unfreiheit eintritt. Unsere in dieser Absicht vorgenommene Untersuchung des „sich in sich selbst gliedernden Geistes" wird deutlich machen, warum Hegel das von ihm diagnostizierte Problem in der Philosophie des Geistes nicht zufriedenstellend löst. Abschließend soll in einem Ausblick auf die Grundlinien der Philosophie des Rechts geklärt werden, ob sich - wie in diesem Werk behauptet - durch die Institutionen der (Wohlfahrts)„Polizei" und der „Korporation" der in Kapitel 6 diskutierte Umschlag rechtlicher Freiheit in faktische Unfreiheit vermeiden läßt.
I.
Arbeit als intentionale Tätigkeit
1.
Der Begriff des Willens
Der „Begriff des Willens" (202,10) wird von Hegel als „das Wollende" analysiert: „Das Wollende will, d.h. es will sich setzen, sich als sich zum Gegenstande machen. [...] Es ist in sich beschlossen, oder es ist der Schluß in sich selbst; α) ist es das allgemeine, Z w e c k ; ß) ist [es] das Einzelne, Selbst, Thätigkeit, Wirklichkeit γ) ist es die Mitte dieser beyden der Trieb; er ist das Zweyseitige, das den Inhalt hat, Allgemeines, der Zweck ist, und das thätige Selbst desselben." (202,1-7)
Der Ausdruck „das Wollende" enthält zwei wichtige Informationen: Zum einen gibt er zu erkennen, daß der von ihm bezeichnete Gegenstand kein Vermögen, sondern eine Tätigkeit ist; denn als Substantivierung des Partizips Präsens „wollend" ist das Wollende das, was dabei ist zu wollen beziehungsweise aktual will. Zum anderen ist „das Wollende" nicht „der Wollende"; wie wir im Rahmen unserer Analyse der oben zitierten These „Es ist in sich beschlossen [...] desselben" im einzelnen sehen werden, bezeichnet „das Wollende" in der Tat nicht ein wollendes Individuum, sondern eine Struktur, die Schlußform hat. Die Aussage „Das Wollende will, d.h. es will sich setzen, sich als sich zum Gegenstande machen" gibt an, worin die Tätigkeit des Wollenden besteht. Da das Wollende eine Schlußstruktur ist (s.u.), ist die ihm zugeschriebene Aktivität ein nichtpsychologisches Bestreben. Dieses besteht darin, „sich [zu] setzen" beziehungsweise „sich zum Gegenstande [zu] machen". Hierin liegt: Das Wollende ist ein zielgerichteter Prozeß, durch den es raumzeitliche Gegenständlichkeit oder Wirklichkeit gewinnt. Das Fehlen der Information „als sich" in der Aussage „es will sich setzen" legt nahe, daß erst mit „sich als sich zum Gegenstande machen" das Ziel des Wollenden adäquat bezeichnet wird. Nach dieser These ist das Wollende
22
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
also das teleologische Bestreben, sich auf eine ihm selbst bewußte Weise („als sich") zu verwirklichen. Das Wollende ist eine Schlußstruktur; es ist (α) „das allgemeine", (ß) „das Einzelne" sowie (γ) „die Mitte dieser beyden". Selbstverständlich sind (α), (β) und (γ) nicht als separate Eigenschaften des Wollenden zu verstehen - „das allgemeine" wäre unter dieser Annahme nämlich im Hegeischen Sinne abstrakt, mithin das Wollende kein Schluß. Damit das Wollende „in sich beschlossen" beziehungsweise „der Schluß in sich selbst" ist, muß sich „das allgemeine" durch „das Einzelne" und „die Mitte dieser beyden" bestimmen. Wie ist dieser Vorgang aus Sicht der Philosophie des Geistes zu denken? Als „das allgemeine" ist das Wollende „Zweck". In dieser Bestimmung ist es ein affirmativer Selbstbezug beziehungsweise ein Sich-Wollen. Seine Schreibweise macht deutlich, daß der „Zweck" - im Gegensatz zu dem unter (γ) genannten „Zweck" (s.u.) - kein intentionales Objekt bezeichnet. In der Tat ist es nicht möglich, sich ohne weiteres selbst zu wollen. Aus diesem Grunde kann der mit „Zweck" bezeichnete affirmative Selbstbezug nicht in Gestalt der propositionalen Einstellung „Ich will, daß ich" vorliegen. Da der „Zweck" ausschließlich die nach Hegel jedem konkreten Willensakt eigene Form der affirmativen Selbstbezüglichkeit thematisiert, ist das Wollende in dieser Bestimmung gleichsam unvollständig es ist ein Allgemeines, das sich durch die Momente (ß) und (γ) zu bestimmen hat. Nach (ß) ist das Wollende „das Einzelne, Selbst, Thätigkeit, Wirklichkeit". Das „Selbst" beziehungsweise Selbstbewußtsein ist für Hegel zum einen ein Universale, das in der Wissenschaft der Logik mit dem reinen Begriff identifiziert wird, zum anderen ein für sich individuiertes Selbstbewußtsein.19 In jener Eigenschaft ist es das reine Selbstbewußtsein, durch dessen Bewegung sich „der reine Begriff expliziert und bestimmt. Es ist eine „reine sich auf sich beziehende Einheit", die nicht „unmittelbar" gegeben ist, sondern dadurch entsteht, daß „es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahirt und in die Freyheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht".20 Dieses universale „Selbst" ist nach Hegel zugleich einzelnes „Selbst". Als solches besteht es in der Referenz auf sich mit „ich". Aufgrund dieser Bestimmung ist es keine (cartesische) Substanz, sondern eine „Thätigkeit", die „Wirklichkeit" im Sinne der Aristotelischen energeia ist: „Und ,wirklich' - Hegels Aufnahme der energeia von Aristoteles - ist diese Selbstreferenz, weil das Referieren zugleich sein Referenzobjekt ist: ein Ich ist nichts anderes als der Akt, im erstpersönlichen Modus auf sich zu referieren." 21
19
20 21
Ob diese Individuation bereits vom Standpunkt der WdL eine raumzeitliche ist, läßt sich nicht eindeutig entscheiden. Vgl. Quante (1997). Auch die in der PhdG zugrunde gelegte Passage ,,ß) ist [es] das Einzelne, Selbst, Thätigkeit, Wirklichkeit" ist in dieser Hinsicht nicht klärend. Vgl. GW, Bd. 12, S. 17. Vgl. Quante (2001), S. 62.
DER BEGRIFF DES WILLENS
23
Zwar interpretiert Hegel die in der Referenz auf sich zum Ausdruck kommende Spontaneität auch voluntativ; nach der obigen Analyse des Wollenden als „ Z w e c k " ist sie jedoch allein nicht geeignet, einen Willensakt zu begründen. Hierzu bedarf es vielmehr eines konkreten Inhalts, der nach Hegel durch den „Trieb" gegeben ist. Der Trieb ist „die Mitte dieser beyden", nämlich der Schlußmomente (α) und (ß). In welchem Sinne ist er ihre Vermittlung? Der Trieb ist Spontaneität. Er ist einerseits das „Selbst", also mit Schlußmoment (ß) identisch, andererseits das, was „den Inhalt hat, Allgemeines, der Zweck ist". Nach dieser Seite hat der Trieb einen Zweck, dessen Inhalt aufgrund seiner propositionalen Struktur „Allgemeines" ist. Dieser Inhalt wird durch den Trieb beziehungsweise das Selbst spontan gesetzt; in dieser Eigenschaft ist der Trieb „das thätige Selbst desselben", nämlich des Zwecks. Gemäß dieser „Vermittlung" weiß das Selbst den Zweck als Resultat eigener voluntativer Tätigkeit. In diesem Wissen ist es nicht nur affirmativ auf den Zweck, sondern zugleich auf sich als das den Zweck Setzende bezogen. Damit bejaht es sich als die den bestimmten Inhalt setzende Instanz, mithin den „Grund, das Allgemeine, worauf das Bestimmen, die Unterschiede aufgetragen sind" (201,15f.). Demnach besteht die Vermittlungsleistung des Triebs in der Wahl eines einzelnen Inhalts als Zweck, durch die zugleich der unter (α) thematisierte affirmative Selbstbezug gesetzt wird. Folglich ist diese Struktur „in sich beschlossen" oder „der Schluß in sich selbst", weil sich „das allgemeine" auf die soeben explizierte Weise durch die anderen Schlußmomente bestimmt beziehungsweise - mit einem Hegeischen Ausdruck - mit sich zusammenschließt. Nach der eingangs analysierten - metaphysischen - These will diese Struktur „sich setzen" beziehungsweise „sich als sich zum Gegenstande machen". Demnach will sie sich nicht nur raumzeitliche Wirklichkeit geben, sondern sich auf eine ihr selbst bewußte Weise verwirklichen. Gemäß diesem letzten Kriterium wird sich das Wollende nicht in jedem konkreten Willensakt adäquat „zum Gegenstande machen". Vielmehr wird das als Zweck Gewollte kein beliebiger „Inhalt" sein dürfen, sondern selbst Schlußstruktur haben müssen. Es wird sich zeigen, daß vom Standpunkt der Philosophie des Geistes - deren „praktischer" Teil als Explikation dieses Bestrebens zu verstehen ist - diese Bedingung dadurch erfüllt wird, daß sich „der Geist" durch das Handeln der „Regierung" bestimmt und erhält (vgl. Kapitel 8); ohne die Struktur des Geistes unter dem Aspekt der Selbstverwirklichung des Wollenden untersucht zu haben, ist damit gesagt, daß es für Hegel eine soziale Entität ist, durch die sich die von uns analysierte Schlußstruktur „als sich zum Gegenstande mach[t]". In Anbetracht dieses Ergebnisses der in der Philosophie des Geistes geführten Untersuchung mag es verständlich erscheinen, warum Hegel die hier analysierte Schlußstruktur als „das Wollende" bezeichnet.
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A R B E I T ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
2.
Die absichtliche Tätigkeit
Hegels Begriff der absichtlichen Tätigkeit ist im Rahmen unserer Untersuchung von besonderem Interesse, weil die Arbeit im Begriff des „in sich reflectirten" Hervorbringens als eine solche Tätigkeit bestimmt wird. Absichtlich ist nach Hegel eine Tätigkeit als das Bestreben eines Ich, einen Zweck planmäßig zu verwirklichen. Entsprechend hat die in der Philosopie des Geistes geführte Untersuchung dieser Tätigkeit drei Gegenstände: die Zwecksetzung (202,12-203,16), die Zweckverwirklichung (203,17-204,22) sowie den verwirklichten Zweck (205,1-13). Jeder dieser drei Gegenstände entspricht nach Hegel einem bestimmten Schlußverhältnis. Das Ziel der in diesem Kapitel geführten Untersuchung ist es, durch Analyse dieser drei begrifflichen Verhältnisse den Hegeischen Begriff der absichtlichen Tätigkeit zu bestimmen. Hierbei wird sich zeigen, daß das Resultat einer solchen Tätigkeit, der verwirklichte Zweck, eine unvollkommene Vergegenständlichung der Struktur des Wollenden ist.
2.1
DieZwecksetzung
2.1.1 Der „im Ich" gesetzte Schluß Die in einer propositionalen Einstellung der Art „ich will, daß p" resultierende Zwecksetzung wird von Hegel auf der Grundlage seiner unter 1 thematisierten Bestimmung der Struktur des Wollenden untersucht. Hegel unterscheidet zwei einander entgegengesetzte Weisen, auf welche diese Willensstruktur „im Ich" vorliegt. Zum einen ist „die bestimmte Weise, wie jener Schluß im Ich gesetzt ist, [...] so daß alle Momente desselben in dem Selbst als dem Allgemeinen oder der Kugel befaßt svc\d\ jetzt (= jedes; SaB) das Ganze ist, und ihr Gegensatz nur leere Form für das Selbstbewußtseyn. Diß macht eben die Krafft seines Schlusses, seines Willens, daß es insofern [es] eine Seite hinausbietet, in dieser in sich zurükgenommen ist, dadurch nicht eine Bestimmtheit ausstellt, an der es gefaßt werden kann, es sind p a t t e s de v e l o u r , die gegen den andern Krallen sind, aber wie er sich dagegen wendet, greifft er in den flüssigen Sammt, den er nicht festkriegen kann. - Er ist also darin Ganzheit und eben darum unangreiffbar." (202,12-203,2)
Die hier untersuchte Gegebenheitsweise der Willensstruktur ist dadurch ausgezeichnet, daß jedes ihrer Momente „das Ganze" beziehungsweise der Gegensatz dieser Momente „nur leere Form für das Selbstbewußtseyn" ist. Gemäß dieser These sind die unter 1 analysierten Momente (α), (β) und (γ) keine separaten Komponenten der Willensstruktur, sondern Aspekte einer und derselben spontanen Tätig-
DIE ABSICHTLICHE TÄTIGKEIT
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keit. Jedes Moment ist also deshalb „das Ganze", weil es von den jeweils anderen Momenten untrennbar ist: Das Sich-Wollen (α) ist nur als spontane Zwecksetzung (γ) des Selbst (ß) gegeben, und das Selbst ist nichts anderes als diese Spontaneität beziehungsweise der Trieb. Selbstbezug und Zweckbezug22 bilden nach dieser Bestimmung auch „für das Selbstbewußtseyn" keinen „Gegensatz", sondern sind Aspekte des Triebs. Da dieser „das thätige Selbst" ist, gilt nach Hegel: „an Allem" beziehungsweise an allen Momenten „ist Selbst unmittelbar - (die; SaB) Thätigkeit ist die seinige" (202,23f.). In diesem Sinne ist das Selbst hier das den Schluß tragende Moment, mithin das „Allgemeine" oder - bildlich - die Kugel, in der die Momente der Willensstruktur befaßt sind. Offenbar versucht Hegel das Phänomen der Willenskraft beziehungsweise der Willensstärke auf der Grundlage dieser Gegebenheitsweise der Schlußstruktur zu erklären. Nach Hegels oben zitierten Überlegungen besteht es darin, daß ein Selbst, „insofern [es] eine Seite hinaus bietet, in dieser in sich zurükgenommen ist". Dadurch weiß dieses Selbst sich als zwecksetzende Instanz beziehungsweise seinen Zweck („Seite") als eine ihm nicht natürlicherweise zukommende, sondern von ihm gesetzte Bestimmtheit. Die „Krafft seines Schlusses, seines Willens" besteht nach Hegel also offenbar in der sich aus diesem Selbstverhältnis erklärenden Beharrlichkeit der Zweckverfolgung. Daß dieses Ich in seinem Zweck „in sich zurükgenommen" ist, beinhaltet, daß es sich von ihm distanzieren kann. Aus diesem Grunde kann es an seinem Zweck nicht „gefaßt" werden. Während andere der Überzeugung sein mögen, daß es ρ will, mag es sich in Wirklichkeit von diesem Zweck bereits distanziert haben. Aufgrund dieser Möglichkeit läßt sich gegen es kein Zwang ausüben, dem es sich nicht entziehen kann. Denn auch in dem Zweck, am Leben zu bleiben, ist es in dem angegebenen Sinne „in sich zurükgenommen". In dem Wissen um die Möglichkeit, das eigene Leben beenden zu können,23 ist ihm bewußt, daß es sich von jedem Zweck distanzieren, mithin von jedem Zwang befreien kann. In diesem Sinne weiß es sich als „unangreiffbar". Zum anderen ist die Willensstruktur so „im Ich gesetzt", daß folgendes Binnenverhältnis vorliegt: „[Am Rande: Setzen des Schlusses in seine Extreme, sodaß sie durch ein andres Verhältniß vermittelt sind.] (dieser in sich geründete Schluß ist zugleich nach aussen gekehrt, oder er ist eigentliches Bewußtseyn, das aber hier in Ich eingeschlossen betrachtet wird.) Nemlich der Willen ist fürsichseyn, das allen fremden seyenden Inhalt in sich getilgt hat; dadurch aber ist es das anderslose, das Inhaltslose, und fühlt diesen Mangel [...] Das negative, ausschließende ist so im Willen selbst, daß er darin nur auf sich gerichtet ist; er das von sich ausgeschlossne ist; - der Zweck dem Selbst gegenübersteht; Einzelnheit, Wirklichkeit dem Allgemeinen." (203,3-7,9-11 u. 22f.)
22 23
„Zweck" hat hier die Bedeutung des Schlußmoments γ; vgl. in unserer Untersuchung Kapitel 1. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Siep (1974) und (1979) sowie Schmidt am Busch (2001a).
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ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
,,[F]ürsichseyn" ist der Wille vom Standpunkt des Schlußmoments (ß). Wie gesehen, ist das Selbstbewußtsein als „Allgemeinheit" eine „reine sich auf sich beziehende Einheit", die durch Abstraktion von „aller Bestimmtheit und Inhalt" entsteht. Durch diese Bewegung des „Selbst" hat der Wille also „allen fremden seyenden Inhalt in sich getilgt", so daß er „das anderslose, das Inhaltslose" ist. Diese Abstraktion von aller Bestimmtheit manifestiert sich in der Referenz auf sich mit „ich", durch die ein „Selbst" in dem Sinne auf sich als allgemeines bezogen ist, daß es sich als inhaltlich nicht bestimmt, wohl aber als durch Setzung eines Zweckes selbst bestimmbar weiß. In diesem Wissen hat es sich von seinen eventuellen Zwecken distanziert und weiß den „Inhalt" als mögliche Zwecke beziehungsweise als Sachverhalte, deren Realisiertheit es wollen kann. Dieses „Verhältniß" ist ein „Mangel" mit Bezug auf den Willen als kompletten Schluß. In dieser Eigenschaft hat der Wille nämlich - qua Trieb - einen „Inhalt". Daß er als „ffirsichseyn" allen fremden seyenden Inhalt in „sich" getilgt hat beziehungsweise das von „sich" Ausgeschlossene ist, ist also nur auf der Grundlage der unter 1 analysierten Willensstruktur verständlich. Unter ihrer Annahme läßt sich demnach erklären, warum das „Selbst" durch die in Rede stehende Abstraktion von aller Bestimmtheit ein internes „Bewußtseyn" beziehungsweise Willensverhältnis begründet.24 Daß der Wille als „fürsichseyn" - wie Hegel behauptet - diesen Mangel „fühlt", zeigt an, daß dieses „fursichseyn" ein instantiiertes ist. Hegels mit dieser - nicht näher erläuterten - Aussage geäußertes Argument lautet offenbar: Die Aktualisierung des hier untersuchten „Verhältnißes" der Schlußstruktur durch ein auf sich referierendes, raumzeitlich individuiertes Selbstbewußtsein wird von diesem als Mangel empfunden, weil es seine Freiheit, sich durch Wahl eines Zweckes zu bestimmen, zwar erkennt, nicht aber aktualisiert.
2.1.2 Der Zweck Hiervon zu unterscheiden ist der Mangel, der nach Hegel dem Zweck als solchen zukommt: ,,[E]s ist aber ein Mangel, der ebenso positiv ist; (er ist der Zweck·, die Form, daß er nur Zweck ist, ist das mangelnde Seyn. Seyn als solches ist eben zur Form geworden.)" (203,7-9)
Diese Passage schließt sich im Hegeischen Vorlesungsmanuskript an die unter 2.1.1 analysierte These „Nemlich der Willen [...] fühlt diesen Mangel" an, so daß sich „Es" auf „das anderslose, das Inhaltslose" bezieht.25 Demnach ist „das anderslose, 24
25
Würde der Wille hingegen als ein bloßes Vermögen verstanden, so wäre seine Beziehung zu (möglichen) Zwecken als ein ihm äußerliches Verhältnis aufzufassen. „fiirsichseyn" (203,5) scheidet aus inhaltlichen Gründen als Referent aus.
D I E ABSICHTLICHE TÄTIGKEIT
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das Inhaltslose" ein Mangel, der als „Zweck", also in Gestalt einer intentionalen Einstellung der Art „ich will, daß p", „positiv" beziehungsweise gegeben ist. Der Aussage: „die Form, daß er (der Zweck; SaB) nur Zweck ist, ist das mangelnde Seyn" ist zu entnehmen, daß der Zweck eine sich entwickelnde Entität ist. Sofern er „nur Zweck" ist, also die „Form": „Ich will, daß p" hat, ist er „das mangelnde Seyn". Die Entwicklung des Zwecks wird demnach darin bestehen, daß er eine Form annimmt, in der er nicht „nur Zweck" ist; da das ihm zunächst zukommende Defizit ein Mangel an „Seyn" ist, wird er durch diese Entwicklung zu einem Seienden werden. Nach diesen Überlegungen ist der Zweck ein Mangel, weil er einen Sachverhalt darstellt, dessen Realisiertheit zwar angestrebt wird, nicht aber gegeben ist.26 Durch seine Verwirklichung begibt sich der Zweck dieses Mangels. Er gewinnt eine Form, in der er nicht „nur Zweck", sondern auch „Seyn", nämlich eine Tatsache ist, die von dem Selbst, das ihn absichtlich realisiert hat, als Handlungsresultat gewußt wird. Damit ist ein wollendes Selbst nach Hegel durch den Zweck auf das „Seyn als solches" beziehungsweise auf eine Außenwelt27 bezogen. Dieses „Seyn" ist in dem Sinne „zur Form" geworden, daß es vom Standpunkt dieses Selbst als inhaltlich veränderbar gilt. Nur unter dieser prinzipiellen Annahme kann ein Selbst nach Hegel überhaupt wollen. Da es seinen Zweck unmittelbar als „das mangelnde Seyn" weiß, wird es zudem ohne weiteres versuchen, ihn zu verwirklichen. Der individuelle Willensakt beinhaltet nach Hegel also das Bestreben, den Zweck durch absichtli28
che Tätigkeit zu realisieren. Damit begründet der Zweck ein praktisches Verhältnis zwischen einem Selbst und dessen Außenwelt.
2.2
Die Verwirklichung des Zwecks
Die Verwirklichung des Zwecks ist die „Befriedigung des Triebs". Für Hegel ist sie „der zweyte Schluß": „Aber hier ist Seyn nur Form, oder was Ich ist, als Ganzes ist der Trieb; diesen trennt es ab, und macht ihn sich zum Gegenstande [...] was verschwindet, ist die reine Form der
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27 28
Diese Interpretation von „Seyn" entspricht sowohl dem Beginn der PhdG - „Das Bestehen des Gegenstandes, sein Raum ist im Geiste Seyn" (Hervorhebung von Hegel) - als auch der in 204,11-14 von Hegel vorgenommenen Rekapitulation des hier thematisierten Verhältnisses; vgl. hierzu 2.2. Vgl. GPhR, § 8. Diese Position wird auch in der gegenwärtigen Handlungstheorie vertreten. Vgl. z.B. Anscombe (1986), nach der Wollen - im Gegensatz zu Wünschen und Hoffen - entweder eine „Bewegung auf eine Sache zu" oder - sofern das Gewollte in einem zukünftigen Sachverhalt besteht - „eine Art der Handlung oder Bewegung, die (so nimmt der Handelnde zumindest an) der Hinfuhrung auf etwas dient" (§ 36), ist.
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ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
Gleichgültigkeit der Extreme des Triebs, oder der Zweck, Inhalt, welcher der Einzelnheit entgegengesetzt ist, und diß Verschwinden dieser Gleichgültigkeit ist als Verschwinden des Gegensatzes Seyn, aber erfülltes Seyn. a) es wird anschauend, durch die Unmittelbarkeit, welche wird durch das Aufheben des Gegensatzes [...] ß) die Hauptsache ist der Inhalt des Gegenstandes; er trennt sich von seinem Triebe ab, dadurch erhält er eine andre Form; er ist der beruhigte sich selbst gewordne mit sich erfüllte Trieb; der Mangel war das Anschauen des leeren Ich. [Am Rande: sich selbst als unterschieden in sich - (nicht einen aüssern Gegenstand)]; denn dieses war sich Gegenstand; es hielt die Unterschiede des Schlusses zusammen, war ihre Gleichgültigkeit, ihr Bestehen - nicht Seyn als solches, es war das erste unmittelbare Ich, aber als solches. Der vom Ich abgetrennte Trieb ist er aus dem Selbst freygelassen, oder die blosse Erfüllung durch das Seyn zusammen gehalten - Werk des Ich, es weiß sein Thun darin, d.h. sich als das Ich, das vorher im Innern das Seyn war." (203,21-204,17)
Die These „hier ist Seyn nur Form" entspricht dem oben analysierten „Seyn als solches ist eben zur Form geworden". „Seyn", also die einem einzelnen Selbst qua Wahrnehmung gegebene Außenwelt, wird von diesem als inhaltlich veränderbar angenommen - unter dieser Perspektive ist es „nur Form". Wie gesehen, liegt dieses Wissen der propositionalen Einstellung „ich will, daß p" zugrunde. Durch sie ist dieses Ich „der Trieb". Nach 2.1.2 ist es damit das Bestreben, den von ihm gewollten Sachverhalt ρ in absichtlicher Tätigkeit zu verwirklichen. Durch diese Tätigkeit „trennt es" den Trieb „ab" und „macht ihn sich zum Gegenstande". Für es ist die Zweckverwirklichung eine Vergegenständlichung des Triebs, weil es den Sachverhalt ρ als von ihm gewollten realisiert. Entsprechend weiß es das Ergebnis dieser Vergegenständlichung, den tatsächlich bestehenden Sachverhalt p, als das Resultat seiner zweckgerichteten Tätigkeit. In ihm hat es also den Trieb gleichsam abgetrennt. Die „Befriedigung des Triebs" ist nach Hegel „der zweyte Schluss". Gemäß diesem Verhältnis ist ein Ich durch die praktische Tätigkeit der Zweckverwirklichung auf einen Sachverhalt ρ bezogen. Begrifflich ist diese Tätigkeit also das dieses Ich und das von ihm Gewollte vermittelnde Schlußmoment. Durch sie „verschwindet" nach Hegel „die reine Form der Gleichgültigkeit der Extreme des Triebs, oder der Zweck, Inhalt, welcher der Einzelnheit entgegengesetzt ist". Die „reine Form" ihrer „Gleichgültigkeit" bezeichnet das Bestehen der Extreme des Triebs im individuellen Willensakt. Durch die intentionale Einstellung „ich will, daß p" ist ein Ich („Einzelnheit") auf einen Sachverhalt ρ bezogen; in dem Wissen, daß es diesen „Zweck, Inhalt" gewählt hat, ist es ihm zugleich „entgegengesetzt". Diese allein durch den Willensakt getragene Beziehung der Extreme des Triebs verschwindet durch die Tätigkeit der Zweckverwirklichung. Deren Resultat ist wie gesehen der vergegenständlichte Trieb. Indem der Sachverhalt ρ zu einem bestehenden gemacht wird, ist 29
Daß „Gleichgültigkeit" hier in der Bedeutung von Bestehen verwendet wird, folgt auch aus 204,12f.: „es hielt die Unterschiede des Schlusses zusammen, war ihre Gleichgültigkeit, ihr Bestehen".
DIE ABSICHTLICHE TÄTIGKEIT
29
er nicht nur „Seyn", also eine auch für andere feststellbare Tatsache, sondern „erfülltes Seyn", nämlich das Resultat einer absichtlichen Tätigkeit, mithin ein Gegenstand, in dem das tätige Selbst auf sich bezogen ist.30 Hierdurch hört er auf, dessen Zweck zu sein, so daß „die reine Form der Gleichgültigkeit der Extreme des Triebs" beziehungsweise der durch den individuellen Willensakt bestehende „Gegensatz" von Ich und Zweck verschwindet. Mit Bezug auf das den Zweck ρ verwirklichende Ich stellt Hegel fest: ,,[E]s wird anschauend, durch die Unmittelbarkeit, welche wird durch das Aufheben des Gegensatzes." Das Aufheben des dem individuellen Willensakt internen „Gegensatzes" zwischen einem Ich und einem Sachverhalt p, das heißt: die absichtliche Realisierung des Zwecks ρ begründet eine „Unmittelbarkeit", durch die „es", das tätige Ich, „anschauend" wird. Unseres Erachtens charakterisiert die in Rede stehende „Unmittelbarkeit" die Art des Wissens, die dieses Ich von seiner Tätigkeit in deren Vollzug hat. Daß es dabei ist, seinen Zweck ρ zu realisieren, weiß es nämlich - mit einem modernen Begriff - „ohne Beobachtung" 31 . Da sein Wissen der von ihm ausgeführten Handlung nicht durch Beobachtung vermittelt ist, verhält es sich mit Bezug auf sie nicht wahrnehmend, sondern „anschauend". Der „Inhalt des Gegenstandes" ist derjenige Sachverhalt p, dessen Realisiertheit gewollt wird. Durch seine Verwirklichung wird er zu einem tatsächlich bestehenden, also auch für andere wahrnehmbaren Sachverhalt. Damit „erhält er eine andre Form": Als tatsächlich existierender kann er nicht länger Zweck sein - in diesem Sinne „trennt [er] sich von seinem Triebe ab". Dadurch ist er „der beruhigte, sich selbst gewordne mit sich erfüllte Trieb". Durch die Realisierung des Sachverhaltes ρ ist der Trieb „beruhigt", weil er die Tätigkeit der Zweckverwirklichung als abgeschlossen, und „sich selbst geworden" beziehungsweise „mit sich erfüllt", weil er diesen Sachverhalt zugleich als das Resultat seiner eigenen voluntativen und praktischen Tätigkeit weiß. Der „Mangel" - so rekapituliert Hegel32 - besteht in der Nichtrealisiertheit des Zwecks. Mit seinem Zweck bezieht sich ein einzelnes Ich auf einen Sachverhalt p. Entsprechend hält es - in Gestalt der intentionalen Einstellung „ich will, daß p" „die Unterschiede des Schlusses zusammen" beziehungsweise ist „ihre Gleichgültigkeit, ihr Bestehen" - nicht aber „Seyn als solches". Dieses Mangels ist es sich bewußt, denn es ist auf sich als ein „leeres Ich" bezogen.33 Damit weiß es seinen Zweck als „das mangelnde Seyn" beziehungsweise sich als den Trieb, der sich noch 30
31 32
33
„[Erfülltes Seyn" ist diese Tatsache also nur vom Standpunkt des handelnden Ich; vgl. auch in unserer Untersuchung den Exkurs zu Ernst Michael Lange. Vgl. z.B. Anscombe (1986), § 10. Vgl. auch Quante (1993), S. 161. Der Gebrauch des Imperfekts („war", „hielt") zeigt an, daß diese Passage einer solchen Rekapitulation dient. Vgl. an dieser Stelle die Hegeische Randnotiz: „sich selbst als unterschieden in sich - (nicht einen aüssern Gegenstand)".
30
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
nicht in einem intersubjektiv feststellbaren Sachverhalt vergegenständlicht hat. Zugleich weiß es, daß es selbst den Zweck gesetzt hat. Als dieses Selbstverhältnis ist die im Willensakt gegebene Beziehung zugleich erfüllt: Sie ist - vom Standpunkt des den Zweck setzenden Ich - „blosse Erfüllung", die durch die Vergegenständlichung des Triebs zu einer gleichsam ,seyenden' Erfüllung beziehungsweise zu „erf ü l l t e ^ ] Seyn" wird. „Werk des Ich" ist dieses „Seyn" im Sinne des Resultats einer von einem Ich ausgeführten absichtlichen Tätigkeit - denn dieses Ich „weiß sein Thun darin, d.h. sich als das Ich, das vorher im Innern [nämlich im Willsensakt; SaB] das Seyn [nämlich das Bestehen der Unterschiede des Schlusses; SaB] war".
2.3
Der verwirklichte Zweck
Der „Gegenstand" ist das Resultat der in Abschnitt 2.2 analysierten Tätigkeit. Seine „Bestimmung" nimmt Hegel in der folgenden Passage vor: „Bestimmung des Gegenstandes; er ist also Inhalt, Unterschied, und zwar des Schlusses; Einzelnheit und Allgemeinheit, und eine Mitte derselben. Aber α) seyend, unmittelbar, seine Mitte ist todte Allgemeinheit, Dingheit, Andersseyn; und ß) seine Extreme sind Besonderheit, Bestimmtheit, und Individualität - Insofern es das Andre ist, ist seine Thätigkeit die des Ich; es hat keine eigne; diß Extrem fällt ausser ihm; als Dingheit, ist es Passivität, Mittheilung dieser Thätigkeit, hat als flüssiges sie aber als fremdes in ihm. Sein anderes Extrem ist der Gegensatz - (die Besonderheit) dieses seines Seyns und der Thätigkeit; es ist passiv, es [ist] für anderes, berührt dasselbe, ist (Saüre) überhaupt aufzureibendes, Mittheilung des Andern, diß ist sein Seyn, aber zugleich thätige Gestalt gegen es. Umgekehrtes Verhältniß, nach einer Seite ist die Thätigkeit nur ein mitgetheiltes, und es die Mittheilung, das rein aufnehmende, nach der andern ist es thätig gegen Andres." (205,1-13)
„Inhalt, Unterschied, und zwar des Schlusses" ist der „Gegenstand" für das tätige Ich. Von dessen Standpunkt ist er nämlich der vergegenständlichte Trieb oder das Resultat der absichtlichen Realisierung des Zwecks p. Unter dieser Perspektive wird der „Inhalt" des Gegenstandes also durch den „Inhalt" des Schlusses beziehungsweise der Zwecksetzung festgelegt (vgl. Abschnitt 2.1). Indem der Gegenstand in dieser Interpretation als Handlungsresultat das tätige Ich und den Sachverhalt ρ vermittelt, ist er selbst der Schluß: Er ist „Einzelnheit und Allgemeinheit, und eine Mitte derselben". Seine Schlußstruktur vermag der Gegenstand als „seyend, unmittelbar" jedoch nicht adäquat zu aktualisieren. In dieser Eigenschaft ist er nämlich ein raumzeitliches Einzelding, mithin eine intersubjektiv feststellbare Gegebenheit, die auf letztlich unendlich viele Weisen beschrieben werden kann. Indem seine Mitte in diesem Sinne „Dingheit, Andersseyn" ist, vermag der Gegenstand seine Extreme, nämlich einerseits die „Besonderheit, Bestimmtheit", andererseits die „Individualität", nicht durch sich zu vermitteln. Denn als „Dingheit, Andersseyn" gibt der Gegenstand j a
D I E ABSICHTLICHE TÄTIGKEIT
31
gerade nicht zu erkennen, ob er ein Handlungsresultat ist oder nicht, so daß er die „Bestimmtheit" ρ nicht zur „Individualität" als zu einem eventuellen Individuum, das ihn in absichtlicher Tätigkeit bewirkt hat, in Beziehung setzt. Aus diesem Grunde ist „seine Thätigkeit (der Vermittlung der Extreme; SaB) die des Ich". Diese Tätigkeit besteht darin, den Gegenstand als Resultat einer eigenen Handlung zu behaupten oder ihn als Ergebnis einer von (einem) anderen ausgeführten Tätigkeit zu deuten. ,,[D]iß Extrem fällt ausser ihm", den Gegenstand als ,bloße' Gegebenheit. Zwar ist er in dem Sinne „Mittheilung" der in Rede stehenden „Thätigkeit", daß er aufgrund seiner Eigenschaften bestimmte Deutungen als unzutreffend erweisen kann; letztlich ist ihm aber nicht entnehmbar, welcher Zweck durch ihn realisiert worden ist - aus diesem Grunde ist er „Passivität" und hat die erklärende beziehungsweise interpretierende „Thätigkeit" als „fremdes in ihm". Zugleich ist der Gegenstand „passiv", „für anderes" und „berührt dasselbe". Als Ereignis ist er im Verbund mit anderen Ereignissen kausal wirksam. „Passiv" ist er in dem Sinne, daß er nicht allein aufgrund seiner Eigenschaften eine Wirkung hervorruft, also keine Entität ist, die sich durch sich selbst, mithin nach Maßgabe ihres Begriffs verändert. Vielmehr ist es seine Kookkurrenz mit anderen Ereignissen, mithin sein Sein-für-anderes, wodurch seine kausale Wirksamkeit begründet wird. Er ist „überhaupt aufzureibendes", weil er als ein einzelnes Ereignis seinerseits zu einem Nichtbestehenden wird. ,,[D]iß ist sein Seyn", manifestiert sich doch hierin für Hegel seine ihm begrifflich zukommende Bezogenheit auf andere Sachverhalte (sein Sein-fur-anderes). Zugleich aber ist er „thätig gegen Andres" beziehungsweise „thätige Gestalt gegen es". Da er im Verbund mit anderen Ereignissen eine Wirkung zeitigt, ist er nämlich seinerseits ein Ursache-Faktor. Ist er als Handlungsresultat also nur „passiver" Gegenstand der erklärenden beziehungsweise interpretierenden Tätigkeit, so ist er als Ereignis auch selbst kausal „thätig", so daß gilt: „Umgekehrtes Verhältniß, nach einer Seite ist die Thätigkeit nur ein mitgetheiltes, und es die Mittheilung, das rein aufnehmende, nach der andern ist es thätig gegen Andres."
2.4
Ergebnis
Die absichtliche Tätigkeit entspricht nach Hegel einer Folge dreier Schlüsse: Die Extreme des Triebs, ein Ich einerseits sowie ein Sachverhalt ρ andererseits, werden zunächst durch den Willensakt, sodann durch die Tätigkeit der Zweckverwirklichung und schließlich durch das „Seyn" beziehungsweise die intersubjektiv feststellbare Wirklichkeit vermittelt'. Durch planmäßige Verwirklichung seiner Absicht macht sich ein Ich in dem Sinne zum Gegenstand, daß es in dem verwirklichten Zweck seine voluntative und praktische Tätigkeit erkennt. Von seinem Standpunkt ist die Tätigkeit unter dieser Bedingung ein ,Erfolg'. Demgegenüber ist sie
32
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
keine adäquate Vergegenständlichung der in Kapitel 1 analysierten Schlußstruktur. Da der Sachverhalt p, dessen Realisiertheit gewollt und absichtlich bewirkt wird, nicht seinerseits Schlußstruktur hat, kann sich durch diese Tätigkeit das Wollende nicht „als sich", also auf eine ihm selbst bewußte Weise verwirklichen.
3.
Arbeit und Tätigkeit
Der Begriff der Arbeit wird von Hegel mit Bezug auf die in Kapitel 2 analysierte absichtliche Tätigkeit bestimmt: „(Der befriedigte Trieb ist die aufgehobne Arbeit des Ich, diß ist dieser Gegenstand; der an seiner Statt arbeitet. Arbeit ist das disseitige sich zum Dinge machen, die Entzweyung des Triebseyenden Ich ist ebendiß sich zum Gegenstande machen - (Begierde muß immer von vorne anfangen, sie kommt nicht dazu die Arbeit von sich abzutrennen) der Trieb aber ist Einheit des Ich als zum Dinge gemachten.)" „Die blosse Thätigkeit ist reine Vermittlung Bewegung; - die blosse Befriedigung der Begierde ist reines Vernichten des Gegenstandes." „Die Arbeit selbst als solche ist nicht nur Thätigkeit, (Saüre); sondern in sich reflectirte, Hervorbringen; einseitige Form des Inhalts einzelnes Moment; aber hier bringt sich der Trieb hervor, er bringt die Arbeit selbst hervor - er befriedigt sich." ( 2 0 5 , 1 4 - 2 0 6 , 3 )
Auf der Grundlage des ersten Abschnitts dieses Textes wird unter 3.1 der Begriff „des disseitigen sich zum Dinge/Gegenstande machens" bestimmt; es wird sich zeigen, daß nach ihm die Arbeit eine Tätigkeit ist, die in der Setzung eines Zwecks ρ durch ein Ich ihren Ausgang nimmt. Unter Berücksichtigung der Hegeischen Naturphilosophie von 1805/06 wird in Abschnitt 3.2 der Begriff der „blossen Thätigkeit" analysiert; von dieser nämlich grenzt Hegel die Arbeit als eine „in sich reflectirte" Tätigkeit ab. Deren Begriff wird unter 3.3 durch Analyse des dritten Abschnitts des hier zitierten Textes bestimmt. Als Ergebnis der in diesem Kapitel geführten Untersuchung wird sich erweisen, daß die Arbeit als eine „in sich reflectirte" Tätigkeit eine absichtliche Tätigkeit in der oben explizierten Bedeutung ist.
3.1
„Das disseitige sich zum Dinge machen"
Hegels Bestimmung des Begriffs der Arbeit nimmt ihren Ausgang in folgender These: „Der befriedigte Trieb ist die aufgehobne Arbeit des Ich", die aufgehobene Arbeit des Ich („diß") ist der unter 2.3 analysierte („dieser") „Gegenstand". Wie gesehen, ist die „Befriedigung des Triebs" die Verwirklichung eines Zwecks durch
ARBEIT UND TÄTIGKEIT
33
ein Ich. Befriedigt ist der in einer propositionalen Einstellung der Art „ich will, daß p" bestehende Trieb also genau dann, wenn der gewollte Sachverhalt in absichtlicher Tätigkeit zu einem bestehenden gemacht worden ist. Folglich impliziert die Aussage „Der befriedigte Trieb ist die aufgehobne Arbeit des Ich", daß der Trieb die Arbeit des Ich im Sinne der Verwirklichung eines von einem Ich gesetzten Zwecks ist. Die Hervorhebung von „aufgehoben" im Hegeischen Manuskript zeigt an, daß dieser Terminus hier begrifflich verwendet wird. Demnach hat er die dreifache Bedeutung von negare, conservare und elevare. Negiert ist die Arbeit deshalb, weil sie als Tätigkeit der Verwirklichung des Zwecks abgeschlossen ist; unter diesem Aspekt ist sie zugleich erhalten, weiß doch das tätige Individuum den „Gegenstand" als das Resultat seiner Zwecksetzung und -Verwirklichung; schließlich wird hierdurch in dem Sinne eine Vervollkommnung des Zwecks bewirkt, daß dieser als „das mangelnde Seyn" negiert, als Bestimmtheit ρ aber in Gestalt des Handlungsresultats erhalten bleibt. Als „die aufgehobne Arbeit" ist der „Gegenstand" demnach der - in Abschnitt 2.2 explizierte - „beruhigte, sich selbst gewordne mit sich erfüllte Trieb" beziehungsweise das Ich, das einen bestehenden Sachverhalt ρ als das Resultat seiner ab-
sichtlichen Tätigkeit weiß. Die These „Arbeit ist das disseitige sich zum Dinge machen" wird parallelisiert und expliziert durch die Aussage „die Entzweyung des Triebseyenden Ich ist ebendiß sich zum Gegenstande machen". Die „Entzweyung" besteht in dem unter 2.1.1 erläuterten Sich-Zurückziehen des Willens auf das Selbst, eine Bewegung, die eine Preisgabe allen „Inhalts" bedeutet. In der Selbstreferenz mit „ich", durch die sich - wie gesehen - dieses „fürsichseyn" des Willens manifestiert, weiß das Ich nach Hegel, daß es frei ist, sich von seinen jeweiligen Zwecken zu distanzieren und andere mögliche Zwecke zu tatsächlich von ihm verfolgten zu machen. Dieses Bewußtsein eigener Wahlfreiheit liegt „dem disseitigen sich zum Dinge machen" beziehungsweise ebendiesem 34 , nämlich dem diesseitigen, „sich zum Gegenstande machen" zugrunde. Die in Rede stehende Tätigkeit ist nämlich die Aktualisierung dieser Wahlfreiheit, also die Setzung eines Zwecks ρ durch ein Ich. Ein „sich zum Dinge/Gegenstande machen" ist sie in dem Sinne, daß dieses Ich in seinem Zweck auf sich als das ihn setzende Ich bezogen ist; sie ist „disseitig" als ein dem individuellen Bewußtsein interner Willensakt. Gemäß dieser Identifizierung der Arbeit mit der unter 2.1 analysierten Tätigkeit der Zwecksetzung ist die „Einheit des Ich als zum Dinge gemachten" nichts anderes als der sich im individuellen Willensakt manifestierende „Trieb". 35
35
„Arbeit ist das disseitige sich zum Dinge machen, die Entzweyung des Triebseyenden Ich ist ebendiß sich zum Gegenstande machen." (Hervorhebung von mir; SaB) Damit ist das arbeitende Bewußtsein nach dieser Textstelle nicht - wie Jürgen Habermas behauptet - in eine realitätsprüfende Ichinstanz sowie die reprimierten Triebansprüche entzweit: „Arbeit ist das diesseitige Sich-zum-Dinge-Machen. Die Entzweiung des Triebseienden Ich (nämlich: in eine realitätsprüfende Ichinstanz und in die reprimierten Triebansprüche J.H.) ist ebendies Sich-zum-Gegenstande-Machen." Vgl. Habermas (1968), S. 26.
34
A R B E I T ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
Demgegenüber muß die Begierde „immer von vorne anfangen, sie kommt nicht dazu die Arbeit von sich abzutrennen". Die Arbeit als „das disseitige sich zum Dinge machen" besteht in der propositionalen Einstellung „ich will, daß p". Dieses Ich ist sich seiner Beziehung zu dem Sachverhalt ρ bewußt, so daß gilt: „ich will, daß p" impliziert „ich weiß, daß ich will, daß p". In diesem Sinne hat ein wollendes Ich die Arbeit immer schon von sich abgetrennt beziehungsweise sich zum Gegenstande gemacht. Die Begierde hingegen kommt nicht dazu, die Arbeit von sich abzutrennen, weil sie „thierisch" (203,18), also ihrer selbst nicht bewußt ist.36 Legt man das gesamte Vorlesungsmanuskript von 1805/06 zugrunde, so besteht die tierische Begierde in einem „Selbstgefühl", das nur in Verbindung mit dem Gefühl eines bestimmten „Mangels", etwa einem Hungergefühl auftritt. Hieraus folgt für Hegel, daß ein „thierischer" Organismus durch die Begierde auf Anderes, nämlich äußere Gegenstände bezogen ist, die er unter dem Aspekt ihrer Eignung, den fraglichen Mangel zu beheben, „auffaßt". Entscheidend ist, daß mit der „thierischen" Begierde keine begrifflichen Leistungen aktualisiert werden. Ein Tier ist also seiner selbst nicht bewußt, es referiert nicht mit „ich" auf sich; ebensowenig vermag es Zwecke zu setzen, ist doch Wollen eine erstpersönliche propositionale Einstellung; und der Gegenstand, auf den es durch die Begierde gerichtet ist, hat für es als kategorial nicht strukturierter die „Form des eigentlichen Seyns, der Aüsserlichkeit" (203,19). In diesem Sinne ist die Begierde instinktiv. Hieraus folgt, daß ihre Befriedigung in einem Gefühl ,,leere[r] Sattheit" (204,1) besteht. Die Befriedigung der Begierde, in obigem Beispiel: die Stillung des Hungers, ist für ein Tier kein Vorgang, den es als das Resultat seiner Tätigkeit, etwa des Aufspürens der Nahrung, erkennte, denn hierzu bedürfte es begrifflicher Vermögen wie der Erinnerung. Statt dessen geht mit ihr die qua Gefühl gegebene Unterscheidung zwischen ihm selbst und dem äußeren Gegenstand verloren. Die Befriedigung der Begierde resultiert also in einem Zustand der Leere - sie ist nicht aufhebendes, sondern „reines Vernichten des Gegenstandes" und muß aus diesem Grunde „immer von vorne anfangen".
3.2
Die „blosse Thätigkeit"
Die weiteren der Arbeit nach der zu Beginn dieses Kapitels 3 zitierten Passage zukommenden Bestimmungen lassen sich nur in Auseinandersetzung mit dem Hegelschen Begriff der „blossen Thätigkeit" explizieren. Nach Hegel ist die „blosse Thätigkeit" 1. „reine Vermittlung", 2. „Bewegung" und 3. „Säure". Eine Klärung des Begriffs der „blossen Thätigkeit" anhand dieser Informationen ist nur unter Berücksichtigung der Hegeischen Naturphilosophie von 1805/06 möglich. 36
Vgl. demgegenüber unsere Analyse des Hegeischen Begriffs der menschlichen „Begierde" in Kapitel 5.
A R B E I T UND TÄTIGKEIT
3 5
1. Die Bestimmung „reine Vermittlung" verweist auf die Kategorie der Zeit. Von dieser nämlich heißt es in der Naturphilosophie, sie sei „reine Vermittlung" (14,12). Die Zeit ist nach dem Raum die zweite im Hegeischen Manuskript behandelte Kategorie. Wie der euklidische Raum hat sie drei Dimensionen; diese sind: die Gegenwart, die Zukunft und die Vergangenheit. Im Gegensatz zu den Dimensionen des Raumes sind Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit aber nicht statische („gleichgültige"), sondern prozeßhafte Momente einer Struktur. Diese Eigentümlichkeit der Zeit analysiert Hegel im Ausgang von einem vorphilosophischen („unmittelbaren"), dem seinigen entgegengesetzten Verständnis, nach dem Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit „feste" beziehungsweise „isolirte" Zeitdimensionen sind. Unter dieser Perspektive ist die Zeit „seyend" in der Form der Gegenwart: „Das Itzt ist, diß ist die unmittelbare Bestimmtheit der Zeit, oder ihre erste Dimension." (12,4f.) „Das Itzt" ist die Substantivierung des Indexwortes „jetzt". Sein Gegenstand ist also das jeweils mit „jetzt" Bezeichnete. Da wir mit diesem Ausdruck auf „diejenige Zeit" referieren, die die Eigenschaft hat zu sein, ist der Bezugsgegenstand von „das Itzt" dadurch ausgezeichnet, „seyend" zu sein. In diesem Sinne gilt: „Das Itzt ist." Hierin, im „Seyn" ihres Gegenstandes, besteht gemäß ihrer „unmittelbaren" Bestimmtheit die erste Dimension der Zeit, nämlich die Gegenwart. Demgegenüber ist die Zukunft, wiederum „unmittelbar", „das Nichtseyn ihres (der Zeit; SaB) Seyns". Nach dieser Definition ist die Zukunft gleichsam das Dann; sie hat einen Gegenstand, der nicht mit „jetzt" bezeichnet wird und nicht die Eigenschaft hat, „seyend" zu sein. In diesem Sinne ist die Zukunft das „Negiren" der Gegenwart. Hegel geht über das „unmittelbare" Zeitverständnis hinaus, indem er diese Bestimmung als Prozeß interpretiert: „Ihr wahrhafftes Seyn ist, Itzt zu sein; eben wie das Positive, das Itzt diß ist, sein Seyn unmittelbar aufzuheben, so ist [das] Negative diß sein Nichtseyn unmittelbar zu verneinen und zu seyn, es ist selbst Itzt, wie die Fläche als Gräntze des Raums selbst räumlich ist." (12,11-14)
Für Hegel ist der als ,jetzt" beziehungsweise als „seyend" behauptete Zeitpunkt ein vergehender, besser: ein immer schon vergangener. In diesem Sinne ist „das Itzt diß, sein Seyn unmittelbar aufzuheben". Doch vergeht „das Itzt" nicht mit dem als „seyend" ausgesagten Gegenstand. Vielmehr gilt: So wie „dieses Itzt" unmittelbar ein gewesenes ist, ist ein anderes an seine Stelle getreten. Damit aber ist ein zunächst nichtseiender, mit „dann" bezeichneter Gegenstand zu einem „seyenden" geworden. Hieraus folgert Hegel, daß die Zukunft das „Negative", nämlich „diß [ist], sein Nichtseyn unmittelbar zu verneinen und zu seyn, es ist selbst Itzt". Demnach stehen Gegenwart und Zukunft nicht in einer statischen, quasiräumlichen Beziehung37. Weder ist die Gegenwart ausschließlich „Seyn", noch ist die Zukunft 37
Vgl. in diesem Zusammenhang Rohs (1996), der im Rahmen seiner „feldtheoretischen Transzendentalphilosophie" geltend macht, daß „das zeitliche Werden weder ein Gebiet des Feldes
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ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
ausschließlich „Nichtseyn". Vielmehr sind Gegenwart und Zukunft einander entgegengesetzte und komplementäre Übergänge: Die Gegenwart ist Umschlag von Sein in Gewesensein, die Zukunft von Nichtsein in Sein38. Durch diese „Unmittelbarkeit des sich aufhebens der Momente" (14,9) ist die Zeit „reine Vermittlung"; sie, „das absolut gegenwärtig[e] oder ewigfe]", ist ein Prozeß, „worin alles nur als verschwindendes Moment ist". 2. „Bewegung", das zweite oben genannte Explikat der „blossen Thätigkeit", versteht Hegel als „die Wahrheit des dauernden" (18,5f.). Hiermit ist behauptet, daß das Dauernde tatsächlich Bewegung ist. Dieser These liegt Hegels soeben analysierter Zeitbegriff zugrunde. Das Dauernde ist hier der „Ort", das ist: die „Einheit des Hier und des Itzt" (15,24f.). Der Ort ist demgemäß ein Punkt, ein räumliches Individuum („Hier"), das „ebensowohl Zeit" ist. Als Punkt, als „das sich auf sich beziehende daseyende Eins" (15,17) ist der Ort nur durch Unterscheidung von anderen Punkten. Seine räumliche Identität ist also bedingt durch seine Beziehung-aufAnderes; „das Hier" ist gleichursprünglich mit dem Dort 39 . Da diese Beziehung statisch ist, ist der Ort in räumlicher Hinsicht „das gleichgültige feste, sich nicht verändernde, das aber schlechthin auf ein anderes hinweist" (15,29-16,1). Als „Itzt" verkörpert er demgegenüber die Struktur der Zeit. Er ist also der Prozeß des SichAufhebens des „daseyenden Itzt" (17,15) beziehungsweise dessen Übergang in ein anderes „Itzt". In dieser Eigenschaft ist der Ort immer schon ein „anderer": „Es sind drey unterschiedene Örter, der Itzt ist, der nachher einzunehmende, und der verlassene [...] Aber es ist zugleich nur Ein Ort; ein allgemeines unverändertes; derselben in aller Veränderung." (17,17-21) Die Folgerung, die Hegel aus dieser Analyse zieht, ist für seine weiteren Überlegungen von grundlegender Natur. Sie lautet: Die Bewegung ist „Subject" (18,9), und zwar im Sinne des Aristotelischen hypokeimenon. Diese scheinbar paradoxe These folgt für Hegel daraus, daß die Bewegung sich im Verschwinden des jeweils „daseyenden Itzt" erhält. Denn „was dauert ist die Bewegung" (18,6), so daß gilt: „Sie ist das Bleiben eben des Verschwindens" (18,11 f.). Wie der Ort, so ist auch das ihn einnehmende Individuum aufgrund seiner zeitlichen „Dimension" Bewegung beziehungsweise Übergang in Anderes. Damit ist für Hegel nachgewiesen, daß nicht nur die sich räumlich verändernden, sondern auch die an ihrem Ort verharrenden Individuen Bewegung sind. Diese Erkenntnis widerspricht dem Wahrheitsgehalt unserer Gewohnheit, „sie (die Bewegung; SaB) als Prädicat, Zustand anzusehen, als das reale aber das sich bewegende oder bewegte" (18,7f.). Nicht das - ruhende oder
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39
noch eine Eigenschaft eines Gebietes noch eine Relation zwischen Gebieten (oder Ereignissen)" (S. 34), sondern „ein Prozeß sui generis" (S. 13) ist. Die in der Naturphilosophie vorgenommene begriffliche Abgrenzung zwischen Gewesensein und Nochnichtsein kann in Anbetracht unserer Beweisziele hier außer acht bleiben. Vgl. die entsprechenden Überlegungen in Tugendhat (1997), S.73f.
ARBEIT UND TÄTIGKEIT
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bewegte - Individuum, sondern die Bewegung selbst ist also für Hegel das „Subject". Gemäß diesem Begriff ist zu erwarten, daß auch die „Saüre", deren Analyse wir uns nun zuwenden, eine in Anderes übergehende Entität ist. Worin besteht die Besonderheit ihrer Bewegung? 3. Säure und Base sind als solche „rein entgegengesetzt" (94,4), denn es gilt: „keins hat besondre Eigenschafften ausser seinem Verhältnisse oder Processe" (94,4f.). Gemäß dieser Bestimmung ist eine chemische Substanz dadurch Säure (Base), daß sie bestimmte Wirkungen zeitigt. Ob das der Fall ist oder nicht, hängt aber nicht allein von ihren Eigenschaften ab, sondern ebensosehr von den Eigenschaften derjenigen chemischen Substanz, auf die sie wirkt. Zudem gilt, daß Säure und Base komplementär sind beziehungsweise einander bedingen. Das heißt: Ist eine chemische Substanz Säure (Base), dann ist diejenige Substanz, auf die sie wirkt, relativ zu ihr Base (Säure). Durch ihre Reaktion bringen Säure und Base einen „neutralen Körper" (94,6) hervor: „Sie heben sich auf und ihr Wesen ist der neutrale Körper, eine Einheit differenter, welche nicht reine Abstractionen sind, sondern ein physisches Daseyn haben [...]." (94,5-7)
Säure und Base sind demnach Übergang in einen „neutralen Körper"; dieser ist ihre, also der relativ zueinander „differenten", „Einheit". Hegel zieht hieraus den (Aristotelischen) Schluß, daß der neutrale Körper in dieser Bestimmung „ihr Wesen" ist: Er ist ihr telos beziehungsweise ihre ousia. Versteht man Säure und Base als „rein entgegengesetzt", so ist dieses Argument in der Tat zwingend. Auf der Grundlage dieser Bestimmung läßt sich nämlich die Frage, was die Säure (Base) ist, durch Angabe solcher Eigenschaften, die ihr als „physischem Daseyn", also auch außerhalb ihres „Verhältnisses" zur Base (Säure), zukommen, nicht beantworten. Da Säure und Base als solche nur als ein bipolares „Verhältnis" existieren, ist vielmehr dieses, also „eine Einheit differenter", ihr Inhalt beziehungsweise „Wesen". Jedoch entspricht „der neutrale Körper" diesem Begriff nicht durch sich selbst. An sich beziehungsweise potentiell ist er „eine Einheit differenter", was daran zu erkennen ist, daß er unter bestimmten Bedingungen seinerseits in differente chemische Substanzen übergeht. Aber selbsttätig vermag er eine solche Differenz nicht auszubilden, so daß gilt: „als neutrales (Ding; SaB) sind es (Säure und Base; SaB) nicht mehr getrennte" (94,11). Hierin besteht das Defizit der Säure-Base-Reaktion: In dem von ihnen hervorgebrachten Körper sind Säure und Base neutralisiert, das heißt als „besondre Eigenschafften" habende, „differente" chemische Substanzen verschwunden. Aus diesem Grunde ist „der neutrale Körper" keine „Einheit differenter", sondern ein „Ding" (94,9); mit ihm „ist die gleichgültige (= gegenständliche; SaB) Wirklichkeit absolut differenter noch nicht vorhanden. Die Neutralität ist hier physischer Körper, Salz" (94,11-13). Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß Gegenstände durch ihr „anders werden" beziehungsweise ihren Übergang in Anderes unter den Begriff der „blossen Thätig-
38
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
keit" fallen. Das „Itzt" besteht im Vergehen des jeweils gegenwärtigen „Itzt", und der Ort, das bestimmte „Hier", ist als daseiendes „Itzt" immer schon ein anderer geworden. Säure und Base schließlich sind als solche die unselbständigen Relata einer Beziehung, durch die sie in einen „neutralen Körper" übergehen. Ihr „anders werden" hat zugleich eine besondere Struktur: Während nämlich im Fall des (daseienden) „Itzt" der Übergang in Anderes in dem Sinne gleichsam linear ist, daß das (daseiende) „Itzt" in ein neues, noch nie dagewesenes „Itzt" übergeht, ist er im Fall von Säure und Base an sich „zirkulär": zirkulär, weil Säure und Base in einen Körper übergehen, der seinerseits Übergang in Säure und Base ist; an sich zirkulär, weil dieser Körper als neutraler hierzu katalysiert werden muß.
3.3
Die „in sich reflectirte" Tätigkeit
Nach der eingangs zitierten Passage ist die Arbeit eine „in sich reflectirte" Tätigkeit: „Die Arbeit selbst als solche ist nicht nur Thätigkeit, (Saüre); sondern in sich reflectirte, Hervorbringen; einseitige Form des Inhalts einzelnes Moment; aber hier bringt sich der Trieb hervor, er bringt die Arbeit selbst hervor - er befriedigt sich." (205,21-206,3)
Die Aussage „die Arbeit selbst als solche ist nicht nur Thätigkeit, (Saüre)" impliziert, daß die Arbeit begrifflich („als solche") auch „Thätigkeit, (Saüre)" ist. Nach unseren bisherigen Überlegungen ist die Arbeit „das disseitige sich zum Dinge machen" und der Zweck „das mangelnde Seyn". Hieraus folgt, daß die Arbeit eine propositionale Einstellung begründet, die als solche ohne Bestand ist. Denn mein pWollen impliziert, daß ich versuchen werde, den Sachverhalt ρ zu einem bestehenden zu machen, so daß seine Realisiertheit von mir nicht länger gewollt werden kann. Wie das „Itzt" ist der Zweck also „Thätigkeit", nämlich „diß, sein Seyn unmittelbar aufzuheben"; da er zudem per definitionem auf ein bestimmtes Anderes, nämlich „Seyn" im Sinne der intersubjektiv feststellbaren Wirklichkeit, bezogen ist, ist er - gleich der „Saüre" - Moment einer bipolaren Struktur. Zugleich ist die Arbeit „nicht nur Thätigkeit, (Saüre)", sondern „in sich reflectirte" Tätigkeit beziehungsweise „Hervorbringen". Den von ihm absichtlich zu einem bestehenden gemachten Sachverhalt ρ weiß das arbeitende Individuum als das Resultat seiner Tätigkeit. Aufgrund dieses Selbstverhältnisses ist die Arbeit - vom Standpunkt dieses Ich - eine „in sich reflectirte" Tätigkeit beziehungsweise ein „Hervorbringen". Entsprechend ist die „einseitige Form des Inhalts" nur „einzelnes Moment". Sie bezeichnet den als Zweck gegebenen Sachverhalt p. In dieser Form ist ρ in dem Sinne „einseitig", daß es - als „das mangelnde Seyn" - der intersubjektiv feststellbaren Wirklichkeit entgegengesetzt ist. Diese „Form des Inhalts" ist „einzelnes Moment", weil der Zweck eine sich vervollkommnende Entität ist. In-
ARBEIT UND TÄTIGKEIT
39
dem der Sachverhalt ρ durch die Verwirklichung des Zwecks zu einem bestehenden gemacht wird, erhält der „Inhalt" gleichsam die „Form des Seyns". Indem er in dieser Form als Handlungsresultat gewußt wird, ist der tatsächliche Sachverhalt ρ „eine Einheit differenter". Denn in diesem Wissen ist er derjenige „Gegenstand", durch den der Gegensatz zwischen dem Zweck als dem „mangelnden Seyn" und der intersubjektiven Wirklichkeit - in dem unter 3.1 explizierten Sinne - aufgehoben ist. Im Gegensatz zu dem neutralen Körper, in dem die Differenz von Säure und Base verschwunden ist, ist das Handlungsresultat als solches also „eine Einheit differenter", die diese nicht neutralisiert, sondern bewahrt. Wie gesehen (vgl. 3.1), besteht der „Trieb" oder die „Arbeit" als „das disseitige sich zum Dinge machen" in der propositionalen Einstellung „ich will, daß p". ,,[H]ervor" bringt sich der „Trieb" oder die „Arbeit" also durch absichtliche Erfüllung der in Rede stehenden Absicht - in dieser Tätigkeit „befriedigt" sich der „Trieb" oder die „Arbeit".
3.4
Ergebnis
Als eine „in sich reflectirte" Tätigkeit beziehungsweise ein „Hervorbringen" ist die Arbeit eine absichtliche Tätigkeit in der in Kapitel 2 explizierten Bedeutung. Ihre Bestandteile sind zum einen die Zwecksetzung oder „das disseitige sich zum Dinge/Gegenstande machen", zum anderen die Zweckverwirklichung oder „das sich zum Dinge/Gegenstande machen"; durch sie „befriedigt" sich ein Individuum in dem Sinne, daß es den durch Arbeit zu einem bestehenden gemachten Sachverhalt als das Resultat eigener zweckgerichteter Tätigkeit weiß. Dieses Ergebnis ist deshalb hervorzuheben, weil es die - fast einstimmig vertretene 40 - Ansicht widerlegt, Hegel interpretiere die Arbeit im Begriff des „sich zum Dinge machens" als einen poietischen Herstellungsprozeß, dessen Resultat ein materieller Gegenstand, mithin ein Ding sei. Diese Auffassung ist nach dem in diesem Kapitel analysierten Begriff eine unzulässige Einschränkung. Denn es ist zwar möglich, daß das von einem Ich Gewollte und durch Arbeit Bewirkte die Herstellung eines materiellen Gegenstandes ist; ebensosehr entspricht aber eine absichtliche Tätigkeit, die nicht in einer solchen (handwerklichen) Produktion besteht, dem Begriff der Arbeit als „das (disseitige) sich zum Dinge/Gegenstande machen". Damit eignet sich der Hegeische Arbeitsbegriff prinzipiell auch zur Bestimmung solcher Tätigkeiten, die heute üblicherweise dem sogenannten Dienstleistungssektor zugerechnet werden.
40
Eine Ausnahme bildet unseres Wissens hier nur Lange (1980). Zu Langes Position vgl. auch den folgenden Exkurs.
40
A R B E I T ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
Ebensowenig ist die Arbeit nach unseren Überlegungen eine Verdinglichung im Sinne von Entfremdung. Zwar ist es richtig, daß das arbeitende Bewußtsein - als ein immer auch körperlich agierendes Individuum (vgl. 2.2) - objektiven, kausal analysierbaren Gegebenheiten unterworfen ist; nicht zulässig ist es jedoch, hierin wie Georg Lukäcs, Jürgen Habermas und Axel Honneth - eine Ursache von Verdinglichung zu erkennen 41 . Da das Bewußtsein in jeder Handlung körperliche Bewegungen vollzieht, wäre nämlich aus diesem Argument zu folgern, daß es in jeder solchen Lebensäußerung verdinglicht ist. Für das arbeitende Individuum ist nach unseren bisherigen Überlegungen die Tätigkeit der Zweckverwirklichung nichts, was es negativ bewerten würde, sondern im Gegenteil eine - in dem unter 2.2 explizierten Sinne - erfüllende Aktivität. Wie wir sehen werden, wird die durch Arbeit bewirkte Verdinglichung im Hegeischen Manuskript als Existenz „nach der Weise der Dingheit" bezeichnet.
Exkurs: Ernst Michael Langes Hegel-Kritik Im ersten Kapitel seiner Untersuchung Das Prinzip Arbeit beansprucht Ernst Michael Lange, die von Marx vorgenommene „Explikation von ,Arbeit' mit Hilfe der Ausdrücke ,Entäußerung' und ,Vergegenständlichung' argumentativ nachzuvollziehen und in ihrem sachlichen Recht zu diskutieren" (S. 11). Daß Marx - gemäß seinem Diktum, Hegels Dialektik sei „unbedingt das letzte Wort aller Philosophie" - „zur Philosophie gehörende grundbegriffliche Erwägungen selber nicht angestellt und sich dafür wie selbstverständlich auf Hegel bezogen hat" (S. 13), dokumentiert nach Lange der Marxsche Arbeitsbegriff, in dem das von Hegel entwickelte, wenngleich von ihm nicht so genannte Entäußerungsmodell des Handelns „ungebrochen wirksam" (S. 37) sei. Unter dieser Perspektive diskutiert Lange „die Hegel und
41
Vgl. Lukäcs (1973): „In der Arbeit entfremdet sich der Mensch von sich selbst, er wird, w i e Hegel sagt, sich zum Dinge. Darin drückt sich die objektive Eigengesetzlichkeit der Arbeit aus, die von den Wünschen und Neigungen des Individuums unabhängig ist, ihnen fremd und objektiv gegenübersteht" (S. 505). Habermas ( 1 9 6 8 ) sieht in dem „sich zum Dinge machen" des Bewußtseins eine „Unterwerfung des Subjekts unter die Gewalt der äußeren Natur" beziehungsweise eine „Unterwerfung unter die Kausalität der Natur" (S. 26). Honneth ( 1 9 9 2 ) betont den Erfahrungsgehalt dieser Unterwerfung: ,,[I]m Vollzug der Arbeit" vermag sich das Bewußtsein nach Honneth „nur als ein tätiges ,Ding' kennenzulernen [...] als ein Wesen nämlich, das zur Handlungsfähigkeit nur durch Anpassung an die Naturkausalität gelangt"; „im Ergebnis der Arbeitstätigkeit erfährt sich der subjektive Geist als ein durch Selbstzwang zur Tätigkeit fähiges Wesen. Daher spricht Hegel von der Arbeit resümierend auch als von einer Erfahrung des ,Sich-zum-Dinge-machens"' (S.61).
EXKURS: ERNST MICHAEL LANGES HEGEL-KRITIK
41
Marx betreffenden sachlichen Probleme" (ebd.) des Entäußerungsmodells in Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Hegeischen Begriff. Die in dieser Diskussion formulierte Kritik des Hegeischen Arbeitsbegriffs soll im folgenden dargestellt und - unter Bezugnahme auf unsere bisherige Untersuchung - beurteilt werden. Demgegenüber kann Langes These, das Hegeische Entäußerungsmodell sei bei Marx „ungebrochen wirksam", hier außer acht bleiben. Unter Bezugnahme auf die Phänomenologie des Geistes sowie die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften behauptet Lange, daß „,Handeln', ,Tun' und auch ,Arbeit'" nach Hegel „durch drei Momente charakterisiert [sind]: einen subjektiven, dem Bewußtsein des Handelnden zugehörenden, damit inneren Zweck; eine Bewegung des Zwecks in Form eines Überganges in die Wirklichkeit, also aus dem Innern in das Äußere, der seine Verwirklichung ist; und schließlich durch den herbeigeführten Zustand, der nicht mehr innerer und subjektiver, sondern äußerer und objektiver Zweck ist" (S. 27). Dieses „konstruktive Modell" nennt Lange „das Entäußerungsmodell des Handelns" (S. 28). Im Hinblick auf die von uns angestrebte Darstellung und Beurteilung der Langeschen Kritik dieses Modells ist es ratsam, die folgende längere Textstelle aus dem Prinzip Arbeit zugrundezulegen: „Hegel behauptet nun, die Verwirklichung des Zwecks durch seinen Übergang aus dem Inneren ins Äußere sei: ,eine bloße Formänderung desselben Inhalts und Wesens, einmal vorgestellt als Inhalt und Wesen des Bewußtseins, das andere Mal als Gegenstand oder angeschautes Wesen seiner selbst.' [...] Für den Versuch, Hegels Identitätsthese über den Handlungszweck (die These, die Verwirklichung des Zwecks durch Ent-Äußerung sei ,eine bloße Formänderung desselben Inhalts und Wesens') verständlich zu machen, ist es sinnvoll, sich an den sprachlichen Beschreibungen eines subjektiven sowie des zu ihm gehörenden objektiven Zwecks zu orientieren. Hegels von Aristoteles entlehntes Lieblingsbeispiel ist das Bauen eines Hauses. Für dieses Beispiel spezifizieren die folgenden Sätze (1) - (3) die drei Momente, durch die Hegels angeführter allgemeiner Explikation zufolge alles Handeln und Tun zu charakterisieren ist. (1) Α beabsichtigt, ein Haus zu bauen. (2) Α baut ein Haus. (3) Α hat ein Haus gebaut. (1) beschreibt die Absicht oder den subjektiven Zweck von A. (2) beschreibt die Verwirklichung dieses subjektiven Zwecks (im Prozeßsinn von Verwirklichung). (3) beschreibt den verwirklichten oder objektiven Zweck in der Weise, daß er Α kausal zugeschrieben wird. Wenn nun (1) - (3) ein wenig weiter formalisiert werden, wird das sprachliche Fundament für die Identitätsthese über den Handlungszweck greifbar: Aus (1): (4) Α beabsichtigt, daß p. Aus (2): (5) Α führt herbei, daß p. Aus (3): (6) Α hat herbeigeführt, daß p.
42
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT Hegels Behauptung, daß der Inhalt des Zwecks in seiner als Entäußerung zu verstehenden Verwirklichung derselbe bleibe, beruht offenbar auf dem Umstand, daß in (4) - (6) der propositionale Bestandteil ,daß p ' , wenn Probleme einer grammatisch korrekten Temporalisierung vernachlässigt werden, in der Beschreibung der drei Momente des Handelns derselbe bleiben kann. Daraus folgt aber nicht, daß sich ,daß p ' in (4) auf dasselbe bezieht wie in (6). Wenn ,daß p ' in (1) und (4) überhaupt ein Objekt hat, dann nicht dasselbe wie in (3) und (6). Für das Beispiel des Hausbaus: Damit (1) und (4) wahr sind, ist es nicht erforderlich, sondern ausgeschlossen, daß das Haus, das Α zu bauen beabsichtigt, schon existiert. Damit (3) und (6) wahr sind, muß es existieren (oder existiert haben). Wenn sich (1) und (4) auf dasselbe Ereignis bezögen, das (3) und (6) wahr macht, dann müßte (3) aus (1) und (6) aus (4) logisch zu folgern sein - was ganz offensichtlich Unsinn ist. Hegels Identitätsthese hinsichtlich des Handlungszwecks ist eine zu starke Version des in der Handlungstheorie sog. Logischen-Verknüpfungs-Arguments. Dieses Argument führt gegen die These, Handlungsgründe seien Humesche Ursachen der von ihnen begründeten Handlungen, ins Feld, daß zwischen Gründen, besonders Absichten, und den zu ihnen gehörigen Handlungen eine logische Verknüpfung bestehe. Denn eine Beschreibung der Absicht und eine Beschreibung der ihr entsprechenden Handlung können dieselbe handlungscharakterisierende Komponente enthalten. Hegel interpretiert diesen die Ebene der sprachlichen Beschreibung betreffenden Umstand so, daß er die beschriebenen Entitäten selber betreffen soll, er interpretiert ihn ,gegenstandstheoretisch'." (S. 28f.)
Die Aussage, die Verwirklichung des Zwecks sei „eine bloße Formänderung desselben Inhalts und Wesens" (Hervorhebung von Lange), besagt nach Lange, daß „der Inhalt des Zwecks in seiner als Entäußerung zu verstehenden Verwirklichung derselbe bleib[t]". In diesem Sinne sei die „Identitätsthese über den Handlungszweck" für das Hegeische Entäußerungsmodell des Handelns charakteristisch. Zwar habe diese These nach Lange daran einen sprachlichen Anhalt, daß der die Handlung spezifizierende propositionale Bestandteil „daß p" in der Beschreibung der für das Entäußerungsmodell maßgeblichen drei Momente (s.o.) derselbe sein könne; sie sei jedoch deshalb falsch, weil sich „daß p" in der Beschreibung des subjektiven Zwecks nicht auf dasselbe beziehe wie „daß p" in der Beschreibung des objektiven Zwecks. Letzteres folgt für Lange daraus, daß die Aussagen (1) und (4) nur wahr sein können, wenn das Haus, das Α zu bauen beabsichtigt, nicht existiert, während die Wahrheit der Aussagen (3) und (6) im Gegenteil erfordere, daß dieses Haus existiere beziehungsweise existiert habe; aus diesem Grunde könne es kein Ereignis geben, das sowohl (1) und (4) als auch (3) und (6) wahr macht. Nach Lange interpretiert Hegel den Umstand, daß eine Absicht sowie die ihr entsprechende Handlung durch dieselbe handlungscharakterisierende Komponente („daß p") beschrieben werden können, so, „daß er (dieser Umstand, SaB) die beschriebenen Entitäten selber betreffen soll". Gäbe es aber - wie von Hegels Position nach Langes Interpretation gefordert - ein Ereignis, das sowohl die Aussagen (1) und (4) als auch die Aussagen (3) und (6) wahr machte, so ließe sich (3) aus (1) und (6) aus (4) logisch folgern, „was ganz offensichtlich Unsinn" wäre42. 42
Zum Logischen-Verknüpfungs-Argument vgl. von Wright (1971), S. 9 I f f .
EXKURS : ERNST MICHAEL LANGES HEGEL-KRITIK
43
Zunächst sei angemerkt, daß die Lange als Beleg dienende Textstelle aus der Phänomenologie des Geistes dem Satz: „Das Bewußtsein ist sich daher durch seine Erfahrung, worin ihm seine Wahrheit werden sollte, vielmehr ein Rätsel geworden, die Folgen seiner Taten sind ihm nicht seine Taten selbst; was ihm widerfährt, [ist] für es nicht die Erfahrung dessen, was es an sich ist; der Übergang nicht eine bloße Formänderung desselben Inhalts und Wesens, einmal vorgestellt als Inhalt und Wesen des Bewußtseins, das andere Mal als Gegenstand oder angeschautes Wesen seiner selbst." (Hervorhebung von mir; SaB) (Phän, S. 274)
entnommen ist. Zur Stützung der These, daß nach Hegel „der Inhalt des Zwecks in seiner als Entäusserung zu verstehenden Verwirklichung derselbe bleibe", dürfte sie sich demnach ohne nähere Erklärung kaum eignen. Unabhängig von diesem - im folgenden nicht berücksichtigten - Einwand stellt sich die Frage, ob Langes Interpretation der - unterstelltermaßen - von Hegel vertretenen These, die Verwirklichung des Zwecks sei „eine bloße Formänderung desselben Inhalts", haltbar oder alternativlos ist. Nach Lange impliziert diese These, daß sich „daß p" in den Aussagen (1) und (4) sowie in den Aussagen (3) und (6) auf dasselbe bezieht, was wiederum bedeute, daß es ein Ereignis gebe, das alle diese Aussagen wahr macht. Nun läßt sich aber nach dieser Lesart die von Hegel behauptete „Formänderung" nicht ausweisen. Gäbe es nämlich ein Ereignis, das sowohl die Aussagen (1) und (4) als auch die Aussagen (3) und (6) wahr machte - worin bestünde dann dessen Formänderung'? Nach Maßgabe der Hegel von Lange zugeschriebenen gegenstandstheoretischen Interpretation des Umstandes, daß eine Beschreibung der Absicht sowie eine Beschreibung der dieser entsprechenden Handlung dieselbe handlungscharakterisierende Komponente haben können, kann diese Formänderung nicht im ,Wechsel' der Beschreibungen dieses Ereignisses bestehen. 43 Folglich wäre nach Langes Interpretation die These, die Verwirklichung des Zwecks sei „eine bloße Formänderung desselben Inhalts", auch dann unhaltbar, wenn es ein Ereignis gäbe, das die Aussagen (1) und (3) sowie (4) und (6) verifizierte. Damit hätte die in Rede stehende Hegeische These nicht nur eine Implikation, die „ganz offensichtlich Unsinn" ist - vielmehr stünden ihre ,Komponenten', die Formänderung des Inhalts einerseits und die Selbigkeit des Inhalts andererseits, zueinander in kontradiktorischem Verhältnis. Dieser Befund aber wirft die Frage auf, ob Langes Interpretation überhaupt berechtigt ist. Langes Kritik liegt die These zugrunde, daß Hegel die Zweckverwirklichung als eine Bewegung „aus dem Innern in das Äußere", mithin „den herbeigeführten Zustand" als denjenigen Zweck verstehe, der „nicht mehr innerer und subjektiver" sei. Insbesondere im Lichte der von Lange selbst als Beleg angeführten Textstellen aus Hegels Werken erscheint diese Annahme jedoch fraglich. Neben der oben zitierten Aussage, die Verwirklichung des Zwecks sei 43
Damit aber ist unklar, in welchem Sinne es überhaupt ein Inhalt ist, der derselbe bleibt.
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ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
„eine bloße Formänderung desselben Inhalts und Wesens, einmal vorgestellt als Inhalt und Wesen des Bewußtseins, das andere Mal als Gegenstand oder angeschautes Wesen seiner selbst", stützt sich L a n g e in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g z u m einen a u f eine P a s s a g e aus d e m Kapitel „Selbständigkeit und Unselbständigkeit d e s Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft": „In dem Momente, welches der Begierde im Bewußtsein des Herrn entspricht, schien dem dienenden Bewußtsein zwar die unwesentliche Beziehung auf das Ding zugefallen zu sein, indem das Ding darin seine Selbständigkeit behält. Die Begierde hat sich das reine Negieren des Gegenstandes und dadurch das unvermischte Selbstgefühl vorbehalten. Diese Befriedigung ist aber deswegen selbst nur ein Verschwinden, denn es fehlt ihr die gegenständliche Seite oder das Bestehen. Die Arbeit dagegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben und zu einem Bleibenden, weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat. Diese negative Mitte oder das formierende Tun ist zugleich die Einzelheit oder das reine Fürsichsein des Bewußtseins, welches nun in der Arbeit außer es in das Element des Bleibens tritt; das arbeitende Bewußtsein kommt also hierdurch zur Anschauung des selbständigen Seins als seiner selbst." (Phän, S. 153f.) Z u m anderen dient ihm die f o l g e n d e , e b e n f a l l s der Phänomenologie
des
Geistes
e n t n o m m e n e T e x t s t e l l e als B e l e g : ,,[D]as Tun ist selbst nichts anderes als die Negativität; an der tuenden Individualität ist also die Bestimmtheit aufgelöst in Negativität Uberhaupt oder den Inbegriff aller Bestimmtheit." „Die einfache ursprüngliche Natur nun tritt in dem Tun und dem Bewußtsein des Tuns in den Unterschied, welcher diesem zukommt. Es ist zuerst als Gegenstand, und zwar als Gegenstand, wie er noch dem Bewußtsein angehört, als Zweck vorhanden, und somit entgegengesetzt einer vorhandenen Wirklichkeit. Das andere Moment ist die Bewegung des als ruhend vorgestellten Zwecks, die Verwirklichung als die Beziehung des Zwecks auf die ganz formelle Wirklichkeit, hiermit die Vorstellung des Überganges selbst, oder das Mittel. Das dritte ist endlich der Gegenstand, wie er nicht mehr Zweck, dessen das Tuende unmittelbar als des seinigen sich bewußt ist, sondern wie er aus ihm heraus und für es als ein Anderes ist." (Phän, S. 295) N u n ist d i e s e n Textstellen gerade nicht zu entnehmen, daß der verwirklichte b e z i e h u n g s w e i s e entäußerte Z w e c k nicht mehr „innerer und subjektiver" sei. D e r K n e c h t nämlich k o m m t durch die Arbeit „zur Anschauung
d e s selbständigen S e i n s als sei-
ner selbst"; entsprechend ist das Resultat der Z w e c k v e r w i r k l i c h u n g nach der zuletzt w i e d e r g e g e b e n e n T e x t s t e l l e der Gegenstand, w i e er „für es", nämlich „das Tuende", „als ein A n d e r e s ist"; und schließlich enthält auch die als erste zitierte P a s s a g e die A u s s a g e , daß der fragliche G e g e n s t a n d („Inhalt und W e s e n " ) j e w e i l s „vorgestellt" • * 44 ist. L a n g e s Interpretation wird auch durch die Philosophie des Geistes nicht gestützt. Zwar läßt sich die Passage: 44
Angemerkt sei, daß insbesondere diese Textstelle kontextunabhängig kaum verständlich ist.
EXKURS: ERNST MICHAEL LANGES HEGEL-KRITIK
45
„die Hauptsache ist der Inhalt des Gegenstandes; er trennt sich von seinem Triebe ab, dadurch erhält er eine andre Form" (204,9f.)
so verstehen, daß der „Inhalt" im Zuge seiner Verwirklichung lediglich eine andere „Form" erhält, doch folgt hieraus nicht, daß er dadurch zu einem nichtsubjektiven Äußeren wird. Vielmehr ist der „Inhalt", der diese andere „Form" erhalten hat, „der beruhigte, sich selbst gewordne mit sich erfüllte Trieb": ,,[D]ie Hauptsache ist der Inhalt des Gegenstandes; er trennt sich von seinem Triebe ab, dadurch erhält er eine andre Form; er ist der beruhigte, sich selbst gewordne mit sich erfüllte Trieb" (204,9-11).
Daß - wie in den Kapiteln 2 und 3 gezeigt - „das sich zum Dinge/Gegenstande machen" den Vorgang der Zweckverwirklichung aus der Perspektive des Handelnden bestimmt, soll im folgenden anhand des von Ernst Michael Lange gewählten Beispiels des Baus eines Hauses verdeutlicht werden. Bei dieser Gelegenheit wird zugleich die in jenen Kapiteln verwendete Formel „ich will, daß p" zu präzisieren sein. Das von einem Ich Gewollte ist eine Handlung. Genauer als durch „Ich will, daß p" wird die Absicht demnach durch „Ich will, daß ich f tue" bezeichnet. Entsprechend beabsichtigt Α in Langes Beispiel, „ein Haus zu bauen" oder - ausfuhrlich „daß es ein Haus baut". Daß der hierin bestehende „Inhalt" sich - in Hegels Worten - von seinem Triebe abtrennt und auf diese Weise eine andere „Form" erhält, besagt, daß Α die von ihm beabsichtigte Handlung ausfuhrt, also f tut beziehungsweise ein Haus baut. Entscheidend ist, daß dieser Vorgang nur aus der Perspektive von Α eine Verwirklichung (im Prozeßsinn) seiner Absicht, f zu tun beziehungsweise ein Haus zu bauen, und damit eine Handlung 45 ist; von jedem anderen Standpunkt ist er demgegenüber ein Ereignis, von dem zwar angenommen werden darf, daß es beabsichtigt ist, das jedoch nicht zu erkennen gibt, welcher „Inhalt" mit ihm verwirklicht wird. 46 Entsprechend unterschiedlich wird derjenige Zustand, der das Resultat dieses Ereignisses ist, interpretiert. Für Α ist er die Existenz desjenigen Hauses, das es zu bauen beabsichtigte und gebaut hat, während er für jeden anderen Interpreten die Existenz eines Hauses ist, dem nicht entnommen werden kann, ob seine jeweiligen Eigenschaften beabsichtigt waren oder nicht. Mit Bezug auf Ernst Michael Lange folgt hieraus, daß die von Hegel behauptete Identität des Inhalts an die Beschreibung des Akteurs gebunden ist. Sie besteht in dem Umstand, daß ein Ich seine Tätigkeit sowie deren Resultat unter Verwendung derselben handlungscharakterisierenden Komponente beschreibt wie die - diese Tätigkeit auslösende - Absicht. In diesem Fall besteht die „Formänderung" des Inhalts darin, daß dieser einmal als beabsichtigter, sodann als beabsichtigter und im 45 46
Zu Hegels Begriff der Handlung vgl. Quante (1992). Unter dieser - externen - Perspektive ist das in Rede stehende Ereignis der „Gegenstand", dessen Mitte „seyend, unmittelbar" ist. Vgl. in unserer Untersuchung 2.3.
46
A R B E I T ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
Zustande der Ausführung befindlicher und schließlich als ausgeführter beschrieben wird. In dem von Lange gewählten Beispiel des Baus eines Hauses ist es die Existenz desselben, die Α durch seine Tätigkeit zu bewirken beabsichtigt. Demnach steht diese Tätigkeit zu dem durch jene Existenz ausgezeichnetem Zustand für Α in einer Mittel-Zweck-Relation. Entsprechend macht sich Α in diesem Fall dadurch zum Dinge/Gegenstande, daß es in eigener Tätigkeit einen Zustand bewirkt, den es als Verwirklichung seiner Absicht, ein Haus zu bauen, interpretiert. Eine solche Interpretation beinhaltet auf seiten dieses Ich die Überzeugung, daß seine Tätigkeit unter den gegebenen Umständen - eine hinreichende Bedingung 47 des von ihm beabsichtigten Zustandes ist. Zudem muß diese Tätigkeit selbst intendiert gewesen sein. Sofern diese Bedingungen erfüllt sind, wird es seine Tätigkeit als ein „sich zum Dinge/Gegenstande machen", mithin den nach seinem Verständnis durch diese Tätigkeit herbeigeführten Zustand als sein „Werk" (204,16) interpretieren. 48 Aufgrund der ihm eigenen Perspektivität ist „das sich zum Dinge/Gegenstande machen" entscheidend vom Wissen des Akteurs abhängig. Folglich besteht „das sich zum Dinge/Gegenstande machen" in einer prinzipiell korrigierbaren Interpretation eines Handlungsereignisses. Sowohl von seiner Absicht als auch von seiner Tätigkeit kann der Akteur eine Beschreibung geben, die er zu einem späteren Zeitpunkt als unzureichend oder als unzutreffend erkennt.
47
48
Sie kann deshalb nicht notwendig sein, weil es unendlich viele Weisen gibt, den beabsichtigten Zustand herbeizufuhren. Vgl. Quante (1992). In Gestalt des Bauern wird uns ein Ich begegnen, aus dessen Perspektive das Gelingen seiner Arbeit von Faktoren abhängt, die es nicht kontrolliert. Da es seine Tätigkeit dementsprechend als notwendige, nicht aber als hinreichende Bedingung desjenigen Zustandes, den es herbeiführen möchte, interpretiert, ist dieser Zustand für es nicht sein Werk. Vgl. in unserer Untersuchung den Abschnitt 8.3.1.
DAS ARBEITSMITTEL
4.
47
Das Arbeitsmittel
Das Ergebnis der absichtlichen Tätigkeit beziehungsweise der Arbeit ist ein „Gegenstand", der „thätig" im Sinne von kausal wirksam ist. Diese Eigenschaft des Gegenstandes macht sich das arbeitende Individuum zunutze, indem es Arbeitsmittel entwickelt, durch deren Einsatz es eine von ihm beabsichtigte Wirkung erzielt. Während das Werkzeug für es lediglich eine Erleichterung seiner Arbeit darstellt, dispensiert es die Maschine von der Anstrengung der Zweckverwirklichung beziehungsweise von dem „sich zum Dinge/Gegenstande machen". Damit verfugt es über einen materiellen Gegenstand, „der an seiner Statt arbeitet" (205,15). In 206,3 bis 207,3 wird das Arbeitsmittel unter Ausklammerung icher sozialer Beziehungen analysiert. Das Ziel der Hegeischen Untersuchung ist der Nachweis, daß die Entwicklung des Arbeitsmittels der Selbsterkenntnis des arbeitenden Individuums dient. In der Absicht, diesen Zusammenhang verständlich und - so weit wie möglich - plausibel zu machen, werden im folgenden der Hegeische Begriff des Werkzeugs (4.1) und der Maschine (4.2) analysiert.
4.1
Das Werkzeug
Der Begriff des Werkzeugs wird von Hegel in der folgenden Passage bestimmt: „Es ist der Inhalt auch insofern als es das gewollte ist, und Mittel der Begierde, die bestimmte Möglichkeit desselben; in dem Werkzeuge oder in dem bebauten fruchtbar gemachten Acker besitze ich die Möglichkeit, den Inhalt als einen allgemeinen; darum das Werkzeug, Mittel vortrefflicher als der Zweck der Begierde, der einzelner ist; - es umfaßt alle jene Einzelnheiten." „Aber das Werkzeug hat die Thätigkeit noch nicht selbst an ihm; es ist träges Ding, kehrt nicht in ihm selbst [zurük] - Ich muß noch damit arbeiten; ich habe die List, zwischen mich und die aüssre Dingheit hineingestellt, - mich zu schonen und meine Bestimmtheit damit zu bedeken und es sich abnutzen zu lassen; ich erspare dabey aber nur der Quantität nach - bekomme aber doch Schwülen; das mich zum Dinge machen, ist noch n o t w e n d i ges Moment; die eigne Thätigkeit des Triebs noch nicht im Dinge. Es ist in das Werkzeug auch eigne Thätigkeit zu legen; es zu einem selbsttätigen zu machen." (206,3-206,16)
Hegels Untersuchung des Werkzeugs gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil („Es ist der Inhalt [...] Einzelnheiten") wird das Werkzeug als Arbeitsmittel, im zweiten Teil („Aber das Werkzeug [...] machen") als materieller Gegenstand („Ding") thematisiert. Diese beiden Aspekte des Werkzeugs werden im folgenden untersucht.
A R B E I T ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
48
4.1.1 Das Werkzeug als Arbeitsmittel Das Werkzeug ist ein materieller Gegenstand beziehungsweise ein Ding („es"), dessen Bestehen als „das gewollte" das Resultat einer absichtlichen Tätigkeit ist. Nach Hegel ist es „die bestimmte Möglichkeit desselben", nämlich des „Inhalts", mithin „die Möglichkeit, de[r] Inhalt als ein [...] allgemeine[r]". Demnach verkörpert ein Werkzeug die Möglichkeit einer bestimmten Art von Tätigkeit; so wird zum Beispiel eine Axt hergestellt, um Bäume fallen, und eine Säge, um Holz (zer)sägen zu können. Wie diese Beispiele zeigen, besteht diejenige Tätigkeitsart, deren Möglichkeit ein Werkzeug ist, in einer bestimmten Veränderung von materiellen Gegenständen einer bestimmten Art. Dem entspricht die von Hegel genannte Eigenschaft des Werkzeugs, „zwischen mich und die aüssre Dingheit hineingestellt", also auf materielle Gegenstände bezogen zu sein. Gemäß diesen Überlegungen verkörpert das Werkzeug die Möglichkeit eines „Inhalts" im Sinne eines fTuns, das seinerseits eine bestimmte Veränderung gleichartiger materieller Gegenstände ist. Aus welchem Grunde ist dieser Inhalt „ein allgemeiner"? Nach Hegel ist „das Werkzeug, Mittel" aufgrund der Allgemeinheit seines Inhalts „vortrefflicher als der Zweck der Begierde, der einzelner ist; - es umfaßt alle jene Einzelnheiten". Der Zweck der Begierde ist „einzelner" als ein vom raumzeitlich individuierten Ich gesetzter Zweck; er besteht in einer propositionalen Einstellung der Art „ich will, daß ich f tue", wobei dieses f-Tun eine bestimmte Veränderung raumzeitlich bestimmter Dinge ist: Ich will, daß ich diesen Baum falle beziehungsweise dieses Holz(stück) zersäge. Demgegenüber ist der durch das Werkzeug verkörperte „Inhalt" in dem Sinne „ein allgemeiner", daß er raumzeitlich nicht vereinzelt ist: ,,[I]n dem Werkzeuge" habe ich zum Beispiel die Möglichkeit, Bäume zu fallen oder Holz zu (zer)sägen. Daß das Werkzeug als die Möglichkeit des f-Tuns „alle jene Einzelnheiten", also alle absichtlichen Tätigkeiten dieser Art „umfaßt", impliziert zum einen, daß sie nur unter Gebrauch eines entsprechenden Werkzeugs ausgeführt werden können. Zum anderen wird damit ausgesagt, daß sich das Werkzeug gerade durch diese „Einzelnheiten" als ein solches erweist. Damit aber ist es ein allgemeiner „Inhalt", der sich vereinzelt.49 Aufgrund dieser Struktur seines „In49
D i e s e Struktur des im Werkzeug verkörperten Inhalts liegt der gesellschaftlichen Bedeutung, die Hegel dem Werkzeug zuschreibt, zugrunde. D i e s e Bedeutung des Werkzeugs ist von vielen Kommentatoren - jedoch ohne Beachtung der von uns herausgestellten Struktur - thematisiert worden. Vgl. z.B. Lukäcs (1973): „In der Arbeit, im Werkzeug usw. kommt ein allgemeineres, höheres, gesellschaftlicheres Prinzip zum Ausdruck. Hier wird ein neues Terrain der breiteren und tieferen Erkenntnis der Natur erobert, und zwar nicht für den einzelnen Menschen, sondern für die Entwicklung der ganzen Menschheit. Indem dieser Prozeß sich ununterbrochen reproduziert, entsteht kein langweiliger unendlicher Progreß, sondern die ständige Selbstreproduktion der menschlichen Gesellschaft auf einer sich zwar ungleichmäßig, aber immer erhöhenden Stufenleiter. Darum kann Hegel mit Recht sagen, daß das Werkzeug, das Mittel höher steht als der Zweck, für den es verwendet wird, als die Begierde, als der Trieb
DAS ARBEITSMITTEL
49
halts" ist das Werkzeug vom Hegeischen Standpunkt „vortrefflicher" als eine einzelne absichtliche Tätigkeit. Daß eine solche Handlung die Verwirklichung eines „Zwecks der Begierde" ist, 50 besagt, daß ein Werkzeug nicht um seiner selbst willen, sondern in der Absicht der Produktion von Konsumgütern gebraucht wird. Hieraus folgt, daß die (Werkzeug)Arbeit in Hegels Verständnis eine instrumenteile Tätigkeit ist.
4.1.2 Das Werkzeug als Ding Das Werkzeug ist nur potentiell ein allgemeiner Inhalt, der sich selbst vereinzelt. Denn als „ein träges Ding" hat es „die Thätigkeit (des Sich-Vereinzelns; SaB) noch nicht selbst an ihm". Aus diesem Grunde vereinzelt sich der durch es verkörperte Inhalt nur, sofern es von einem Ich gebraucht wird. Das geschieht, indem es „zwischen mich und die aüssre Dingheit hineingestellt" wird. Damit wirkt ein arbeitendes Individuum über sein Werkzeug auf einen materiellen Gegenstand. Die Entwicklung und der Einsatz von Werkzeugen im Arbeitsprozeß erfolgt in der Absicht, die mit der Bearbeitung materieller Gegenstände verbundene, für den Arbeitenden körperlich belastende Kraftaufwendung zu reduzieren: „mich zu schonen und meine Bestimmtheit damit zu bedeken und es sich abnutzen zu lassen" - so läßt sich vom Standpunkt des einzelnen die dem Werkzeuggebrauch zugrunde liegende Motivation beschreiben. Indem er über ein Werkzeug auf den von ihm bearbeiteten Gegenstand wirkt, vermindert sich die von dem einzelnen zu diesem Zweck aufzuwendende Kraft. Damit kann er ,,[s]eine Bestimmtheit" mit dem Werkzeug „bedeken", also den eigenen körperlichen Verschleiß verringern und seine handwerklichen Fähigkeiten („Bestimmtheit") erhalten. Statt seiner nutzt sich nunmehr das von ihm eingesetzte Werkzeug ab, so daß die Wirkung der Arbeit auf den Arbeitenden von diesem gleichsam auf das Werkzeug übertragen wird. Aufgrund dieser Substitution ist seine Tätigkeit eine Anwendung von List, ist doch deren Begriff nach Hegel wie folgt definiert: ,,[E]r (der Trieb; SaB) läßt die Natur sich abreiben, sieht ruhig zu, und regiert nur mit leichter Mühe das Ganze - List." (207,4f.) Doch ist die im Werkzeuggebrauch angewandte List unvollkommen. Denn das Werkzeug ist nicht die vorgefundene „Natur" und das es gebrauchende Individuum kein „ruhig zusehendes". Vielmehr kann ein Werkzeug als das „zwischen (es; SaB) und die aüssre Dingheit hineingestellte" auf diese nur wirken, sofern jenes auf es wirkt. Statt mit der „aüssren Dingheit" steht dieses Individuum nun mit dem Werk-
50
zur Befriedigung der Bedürfnisse." (S. 539f.) Da das Arbeitsmittel in 206,3-207,4 unter Ausklammerung sozialer Beziehungen analysiert wird, ist Lukäcs zuzustimmen, wenn er die Entwicklung des Arbeitsmittels gattungsgeschichtlich, nämlich im Hinblick auf „die Entwicklung der ganzen Menschheit", interpretiert. Zum Begriff der menschlichen „Begierde" vgl. Kapitel 5.
50
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
zeug in physischem Kontakt. Diese Substitution verringert zwar die von ihm aufzuwendende Kraft, dispensiert es aber nicht von aller Anstrengung. Aus diesem Grunde geht mit dem Werkzeuggebrauch lediglich eine Arbeitserleichterung einher - „ich erspare dabey aber nur der Quantität nach - bekomme aber doch Schwülen", so daß „das mich zum Dinge machen", also die Tätigkeit der Zweckverwirklichung, „noch nothwendiges Moment" ist. Als Ergebnis unserer Untersuchung ist festzuhalten, daß das Werkzeug aus zwei Gründen keine adäquate Vergegenständlichung der Struktur des arbeitenden Ich ist: 1. Es ist strukturell defizitär, weil der in ihm verkörperte Inhalt sich als eine Vielzahl gleichartiger Tätigkeiten vereinzelt, die zueinander lediglich in der Beziehung verschiedener Ereignisse stehen, nicht aber - wie Säure und Base - sich als „Momente" einer Einheit erweisen. Aus diesem Grunde ist dieser Inhalt eher dem „Itzt" als der „in sich reflectirten" Arbeit verwandt. So wie das „Itzt" nur als gleichsam linearer Übergang des jeweiligen „Itzt" in ein anderes, noch nicht gewesenes „Itzt" existiert, besteht der im Werkzeug verkörperte allgemeine Inhalt nur als ein in einem jeweils anderen Ereignis derselben Art vereinzelter. Aus diesem Grunde kann ein arbeitendes Individuum in seinem Werkzeug nicht zur Anschauung seiner selbst gelangen. 2. Das Werkzeug verwirklicht diese Struktur nicht durch sich selbst, sondern nur als von einem Ich gebrauchtes. Von dessen Standpunkt ist das Werkzeug eine Arbeitserleichterung. Seine Absicht, sich von der Anstrengung der Zweckverwirklichung zu befreien, kann es jedoch nur dadurch vollständig erfüllen, daß es das Werkzeug zu einem „selbstthätigen" macht. Aus diesem Bestreben erklärt sich seinerseits der Übergang vom Werkzeug zur Maschine.
4.2
Die Maschine
Das Werkzeug wird dadurch zu einem „selbsttätigen" beziehungsweise zur Maschine, daß (α) sich seine „Passivität" in „Thätigkeit" verwandelt und (ß) „die eigne Thätigkeit der Natur" zu einer „zweckmässigen" gemacht wird. Von den dem Werkzeug zukommenden „Defiziten" ist die Maschine aufgrund dieser beiden Eigenschaften frei. Wie im folgenden gezeigt werden wird, entspricht in diesem Zusammenhang die Eigenschaft (α) der Behebung des ersten unter 4.1 festgestellten Mangels, die Eigenschaft (ß) der des zweiten. Dem Gedankengang der Philosophie des Geistes folgend, werden wir (α) und (ß) getrennt voneinander analysieren.
DAS ARBEITSMITTEL
51
4.2.1 Die Behebung des ersten Mangels Mit Bezug auf die erste der oben genannten Eigenschaften der Maschine notiert Hegel: „Diß (der Übergang vom Werkzeug zur Maschine; SaB) geschieht so, daß es (α) so verschlungen ist, an der Linie Faden, seine Zweyseitigkeit benutzt wird, um in diesem Gegensatze ihn in sich zurükgehen zu machen - überhaupt die Passivität, verwandelt sich in Thätigkeit, in festhalten des Zusammengehen." (206,16-19)
Versuchen wir zunächst, die im ersten Teil dieser Aussage („Diß [...] machen") enthaltenen Thesen deutlich zu fassen. 1. Der Faden bildet eine (gerade) Linie. 2. Das „selbsttätige" Werkzeug („es") ist so mit dem Faden verbunden („verschlungen"), daß dessen „Zweyseitigkeit" benutzt wird. 3. Diese Benutzung der „Zweyseitigkeit" des Fadens begründet einen „Gegensatz". 4. Dieser Vorgang dient dem Zweck, den Faden „in sich zurükgehen zu machen". Offenbar besteht die Leistung der Maschine darin, den Faden ihm selbst entgegenzusetzen und ihn „in diesem Gegensatze in sich zurükgehen zu machen". Die Verständnisschwierigkeiten, die diese These bietet, gründen zum einen darin, daß die Bestimmung des Begriffs der Maschine zum Teil in logischen Termini („Gegensatz", „in sich zurükgehen machen") erfolgt, und zum anderen darin, daß sich Hegel an zeitgenössischen, heutigen Lesern eher unvertrauten Produktionsverfahren orientiert. Das Wort „Faden" legt nahe, daß diese mit der Herstellung von Textilien im Zusammenhang stehen. Diesem Hinweis nachgehend, werden wir im folgenden zeigen, daß sich Hegels in den obigen Thesen wiedergegebene Überlegungen auf Maschinen beziehen, die im 18. Jahrhundert im Bereich der Spinnerei eingesetzt wurden. Einige allgemeine Bemerkungen zur Spinnerei sind an dieser Stelle unerläßlich.51 Die Spinnerei dient der Produktion von Garn. Ihr Ausgangsmaterial ist ein Vlies, bestehend aus einer Vielzahl parallel gelegter Fasern. Das Handspinnen besteht im wesentlichen aus drei Vorgängen: Durch (1.) Strecken und (2.) Zusammendrehen entsteht aus einer Menge kurzer Fasern ein beliebig langer Faden, der (3.) aufgewickelt wird. Der Übergang von der Hand- zur Maschinenspinnerei erfolgte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der Entwicklung der sogenannten „spinning Jenny" sowie der „waterframe". Die Leistung der 1764 erfundenen „spinning Jenny" bestand darin, an einem vorgestreckten Fasernbündel die genannten drei Operationen auszuführen. Durch die Bewegung einer Klemmvorrichtung wurden die Fasern zunächst gestreckt und zusammengedreht und in einem zweiten Arbeitsschritt
51
Zum folgenden vgl. Troitzsch, U.; Weber, W. (Hg.), (1987), S. 234-244.
52
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
aufgewickelt (vgl. Abbildungen S. 53). Demgegenüber nutzte die vier Jahre später entwickelte „waterframe" zum Strecken des Fasernbündels mehrere Walzenpaare und zum Zusammendrehen und Aufwickeln sogenannte Flügelspindeln (vgl. Abbildungen S. 54). Während im Fall der „spinning Jenny" sowohl der Antrieb der Spindeln als auch die Bewegung der Klemmvorrichtung manuell war, wurde die „waterframe" in der Regel durch eine Kraftmaschine angetrieben. Bezieht man Hegels Begriff der Maschine auf diese technischen Neuerungen, so lassen sich die oben genannten vier Aussagen als zusammenhängende Beschreibung eines bestimmten Produktionsverfahrens verstehen. Unter dieser Annahme gewinnt man die folgende Lesart: Über die Klemmvorrichtungen/Streckwalzen ist die „spinning Jenny"/„waterframe" mit dem Faden verbunden („verschlungen"); der Faden bildet eine gerade Linie, weil seine „Zweyseitigkeit" dazu benutzt wird, ihn zu strecken; in diesem Zustand befindet er sich in einem „Gegensatze", was daran ersichtlich ist, daß er bei fortgesetzter Erhöhung der Spannung reißt, also aufhört, ein Gegenstand zu sein beziehungsweise in zwei Fäden übergeht; dieser Vorgang dient dem Zweck, den Faden „in sich zurükgehen zu machen", was durch Aufwickeln des gestreckten Fadens auf die Spindel geschieht. Hiermit endet die von der „spinning Jenny"/„waterframe" ausgeführte Tätigkeit: Der Faden ist Garn, also seinerseits Ausgangsmaterial eines Verarbeitungsprozesses, nämlich der Weberei. Von Interesse ist das vorgestellte Produktionsverfahren für Hegel als Vergegenständlichung der Struktur des arbeitenden Bewußtseins. Unter dieser Perspektive ist es Erzeugung und Aufhebung eines „Gegensatzes", besteht es doch darin, den einen Gegenstand, nämlich den Faden, sich selbst entgegenzusetzen und „in diesem Gegensatze in sich zurükgehen zu machen". Zweierlei ist in diesem Zusammenhang zu beachten: Erstens kann der Faden unter Benutzung seiner zwei Enden nur gestreckt werden, solange er als einer gegeben ist; der „Gegensatz" bezeichnet folglich einen Zustand des Gegenstandes. Zweitens ist dieser Zustand Mittel der Hervorbringung eines anderen Zustande; denn der Gegenstand wird sich entgegengesetzt, um ihn „in diesem Gegensatze in sich zurükgehen zu machen". Das heißt: Der Faden wird gestreckt, um ihn durch Aufwickeln zu Garn zu verarbeiten. Demnach wird der „Gegensatz" im Hegeischen Sinne „aufgehoben", ist doch das Resultat dieses Prozesses Garn, also der gestreckte und aufgewickelte Faden. Aufgrund dieser Eigenschaft ist die Maschine „festhalten des Zusammengehen" von „Gegensatz" und „Einheit". Sie gibt auf anschauliche Weise zu erkennen, daß der „Gegensatz" einerseits nicht selbständig, sondern Moment der Entwicklung eines und desselben Gegenstandes, andererseits im Resultat dieses Prozesses zugleich erhalten ist. Da der Trieb darin besteht, mit der Zwecksetzung einen „Gegensatz", nämlich den von Zweck und Wirklichkeit, zu begründen und durch Arbeit „aufzuheben", kann Hegel den Schluß ziehen, daß die „Thätigkeit" der Maschine eine Instantiierung der Struktur des arbeitenden Bewußtseins ist. Besteht in dieser Hinsicht das Defizit des Werkzeugs darin, in den durch es hervorgebrachten „Ge-
DAS ARBEITSMITTEL
53
Die „spinning Jenny" mit 16 Spindeln und Antriebsrad mit Kurbel, davor Klemmvorrichtung. Spindelantrieb über Rolle. Bild links: Schematische Darstellung der Arbeitsschritte: (1) Vorgang zwischen Klemme und Spindel, (2) Beginn und (3) Ende des Auszugs: des Streckens und Drehens der Faser zum Garn, (4) Anfang und (5) Ende des Aufwindens.
Die „water-frame", Bild links Funktionsschema: Das Vorgespinst (oben links) wird durch das Streckwerk (oben 4 Walzenpaare) gestreckt und durch die Flügelspindel (unten rechts) selbsttätig gedreht und auf die Spulen gewickelt.
DAS ARBEITSMITTEL
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genständen" nicht in sich „zurükzukehren", so macht die Maschine genau diese Rückkehr sinnfällig. Denn als Erzeugung und Aufhebung eines internen „Gegensatzes" ist sie nicht, wie das Werkzeug, „eine Einheit vieler", sondern Veranschaulichung „einer Einheit differenter". In diesem Sinne gilt: Mit der Maschine bringt der Trieb die „Arbeit selbst" hervor; „die eigne Thätigkeit des Triebs" ist auf das „Dinge" übergegangen.
4.2.2 Die Behebung des zweiten Mangels Blicken wir zurück auf die Analyse des Werkzeugs, so stellt sich mit Bezug auf die Maschine die Frage, ob ich „noch damit arbeiten" muß. Ist die Tätigkeit der Zweckverwirklichung beziehungsweise „das mich zum Dinge machen" auch im Fall der Maschinenarbeit „noch nothwendiges Moment"? Die zweite von der Philosophie des Geistes genannte Eigenschaft der Maschine ist in dieser Hinsicht klärend: ,,ß) überhaupt daß die eigne Thätigkeit der Natur, Elasticität der Uhrfeder, Wasser, Wind, angewendet wird, um in ihrem sinnlichen Daseyn etwas ganz anderes zu thun, als sie thun wollten - ihr blindes Thun zu einem zweckmässigen gemacht wird; - zum Gegentheile ihrer selbst - vernünftiges Verhalten der NaturGese/ze in ihrem aüssern Daseyn." (206,19-207,2)
Nach den im Text genannten Beispielen liegt „die eigne Thätigkeit der Natur" als „Elasticität der Uhrfeder", als „Wasser" und als „Wind" vor. Von diesen Phänomenen gilt nach Hegel einerseits, daß sie etwas „thun wollten", andererseits, daß sie „blindes Thun" sind. Problematisch ist die These „vernünftiges Verhalten der NaturGesetze in ihrem aüssern Daseyn" - denn worin sollte das „innere Daseyn" der Naturgesetze bestehen? Aus Gründen, die erst aus dem folgenden erhellen, ist diese im Hinblick auf die Bestimmung der „eignen Thätigkeit der Natur" relevante These zu lesen als: „vernünftiges Verhalten der Natur in ihrem aüssern Daseyn", wobei sich der Ausdruck „Natur in ihrem aüssern Daseyn" auf den im Hegeischen Manuskript offenbar „unter der Zeile"52 stehenden Terminus „Gesetze" bezieht. Die „eigne Thätigkeit der Natur" ist die „blosse Thätigkeit". Wie gesehen, ist die Natur nach Hegel nicht die Summe der natürlichen Tatsachen, sondern „Bewegung" beziehungsweise Übergang in Anderes53 - sie ist also „blosse Thätigkeit", und insofern ist ihr diese „eigen". Als „blosse Thätigkeit" ist die Natur freilich nur in Gestalt bestimmter Phänomene gegeben. Im Fall des von Hegel genannten Wassers ist ihre Bewegung sinnfällig, etwa als Fluß oder als Wechsel der Gezeiten. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, daß der fortwährende Zustandswechsel des Wassers nicht von diesem allein bewirkt wird. Vielmehr hängt er von äußeren Umständen, 52 53
Vgl. diesbezüglich den in der PhdG, S. 207 gegebenen Hinweis. Vgl. in unserer Untersuchung den Abschnitt 3.2.
56
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
etwa der Mondanziehung ab. Hieraus folgt, daß Wasser Veränderungen nur unter bestimmten Bedingungen hervorruft. Welche Küstengebiete etwa vom Meer überflutet werden und welche Folgen ein solches Ereignis hat, wird nicht zuletzt von der Beschaffenheit dieser Landstriche abhängen. In diesem Sinne ist Wasser ein „blindes Thun": Welche Wirkungen es zeitigt, wird nicht allein von seinen Eigenschaften, sondern ebensosehr von nicht von ihm gesetzten, somit ihm äußerlichen Umständen festgelegt. Aufgrund dieser Äußerlichkeit der Zustände und Ereignisse, deren gemeinsames Vorkommnis die Veränderung bewirkt, befindet sich die Natur in einem „aüssern Daseyn", das durch „Gesetze" erfaßt werden kann. Gemäß diesem, zeitgenössischen Theorien verwandten 54 Begriff ist ein Naturgesetz nach Hegel also eine (allgemeine) Verknüpfung selbständiger Ursache-Faktoren mit einem Wirkungs-Faktor. Die Anwendung der „eignen Thätigkeit der Natur, Elasticität der Uhrfeder, Wasser, Wind" besteht darin, „in ihrem sinnlichen Daseyn etwas ganz anderes zu thun, als sie thun wollten" 55 ; hierdurch wird ihr „blindes Tun zu einem zweckmässigen gemacht", so daß ein „vernünftiges Verhalten der Natur in ihrem aüssern Daseyn" gegeben ist. Demnach beläßt ihre Anwendung die „eigne Thätigkeit der Natur" in ihrem „sinnlichen", qua Wahrnehmung gegebenen „aüssern Daseyn". Nach wie vor zeitigt etwa Wasser unter gesetzlich erfaßbaren Umständen Wirkungen einer bestimmten Art. Zugleich aber tut es „etwas ganz anderes", als es „thun wollte". Das heißt: Seine Anwendung besteht darin, es unter solchen Umständen wirken zu lassen, unter denen es eine von einem Ich gewünschte Wirkung hervorruft. Dadurch bewirkt dieses Wasser in seinem „aüssern Daseyn" „etwas anderes", als es in Abwesenheit dieser Umstände bewirkt hätte („thun wollte"). Möglich ist diese Anwendung nur deshalb, weil die von dem Wasser hervorgerufenen Veränderungen (1.) nicht immanent aus seinem Begriff folgen, sondern von ihm äußerlichen, somit manipulierbaren Umständen abhängen, und (2.) gesetzlich erfaßbar sind. Denn nur in dem Wissen, daß ein Ereignis einer bestimmten Art unter Umständen einer bestimmten Art eintritt, kann ein Ich beabsichtigen, ein solches Ereignis durch ihr Gegebensein zu bewirken. Auf diesem Wege wird das „blinde Thun" des Wassers zu einem „zweckmässigen" gemacht. Der Zweck, dem es gemäß ist, ist ein von einem Ich gesetzter. Damit ist das „Thun" des Wassers die Erfullungsbedingung dieses Zwecks, so daß das diesen Zweck setzende Ich von der Tätigkeit der Zweckverwirklichung, mithin dem „sich zum Dinge/Gegenstande machen" dispensiert wird. Bereits in der Philosophie des Geistes analysiert Hegel die „Vernunft" als strukturelle Identität zwischen den in der ,,eigne[n] Tätigkeit der Natur" wirklichen „Gesetzen" und dem menschlichen Denken. In ihr erkennt er zugleich die Bedingung 54
55
Vgl. Carl Gustav Hempels Begriff der deduktiv-nomologischen Erklärung in: Hempel (1977), S. 5-54. „Wollen" bezeichnet hier ein nichtselbstbewußtes Bestreben; vgl. in diesem Zusammenhang unsere Erörterung der nach Hegel der Natur eigenen „blossen Thätigkeit" (3.2).
DAS ARBEITSMITTEL
57
der Möglichkeit absichtlicher Tätigkeit: ,,[S]ie [d.h. die „Intelligenz" als „Vernunft"; SaB] ist wirklich, darum kann sie wirken" - nämlich in Gestalt eines Ich Zwecke setzen und verwirklichen. Daß sich die Natur „in ihrem aüssern Daseyn" vernünftig verhält, besagt demnach, daß sie sich dem Arbeitenden als eine gesetzliche, für den Menschen prinzipiell erkennbare „Thätigkeit" darstellt. Wenngleich die Maschinenarbeit keine begriffliche Erkenntnis der Struktur der Vernunft begründet, läßt sie den Arbeitenden doch erfahren, daß die Natur Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die von ihm denkend erfaßt werden können. Zugleich gibt sie ihm zu erkennen, daß er, als das seiner selbst bewußte Denken, die Natur für seine Zwecke indienst nehmen kann. Indem er sich auf diese Weise als das „die Nichtigkeit dieses Seyns wissende Ich" (207,14f.) erweist, hat sich sein Selbst- und Naturverständnis gewandelt. 56 Hegels Beispiele der „eignen Thätigkeit der Natur" geben zu erkennen, daß deren Anwendung in der Absicht vorgenommen wird, Maschinen zu betreiben. In der Tat sind „Wasser" und „Wind" natürliche Kräfte, die im 18. Jahrhundert als Antrieb fast aller in der Spinnerei und Weberei eingesetzter Maschinen fungierten. Damit ist die Maschine nach ihrem in 206,16 bis 207,3 entwickelten Begriff ein Gerät, das Materialien einer bestimmten Art auf eine bestimmte Weise bearbeitet und eine nichtmenschliche natürliche Kraft als Antrieb hat 57 . Wie gesehen, ist sie in jener Eigenschaft nach Hegel eine Vergegenständlichung der Struktur des arbeitenden Bewußtseins, während sie den Arbeitenden in dieser Eigenschaft erfahren läßt, warum er die äußere Natur für seine Zwecke indienst nehmen kann.
4.3
Ergebnis
Das arbeitende Individuum entwickelt Arbeitsmittel, um sich von der Anstrengung der Zweckverwirklichung zu befreien. Während das Werkzeug für es nur eine Arbeitserleichterung ist, verfugt es mit der Maschine über einen Gegenstand, der „an seiner Statt arbeitet". Wie gesehen, beschränkt sich die Tätigkeit des Arbeitenden hier weitgehend auf „das disseitige sich zum Dinge machen", besteht sie doch in der Ermittlung und Einrichtung solcher Umstände, unter denen die Maschine „selbstthätig", also natürlicherweise betrieben, einen von jenem Individuum gewünschten Arbeitsvorgang ausführt. Die These, daß sich in der Maschine die Struktur des arbeitenden Bewußtseins vergegenständliche, ist offenkundig eine unzulässige Verallgemeinerung. Zwar mag 56
57
In diesem Wissen besteht die - für das moderne Bewußtsein charakteristische - Gewißheit, die äußere Natur zu beherrschen. Nach Marx hat die Maschine demgegenüber drei Komponenten: (1.) die Bewegungsmaschine, (2.) den Transmissionsmechanismus sowie (3.) die Werkzeug- oder Arbeitsmaschine. Vgl. К I, S. 393.
58
ARBEIT ALS INTENTIONALE TÄTIGKEIT
es - wie Hegels Beispiele zeigen - Maschinen geben, denen diese Eigenschaft zukommt; die meisten - zu produktiven oder konsumtiven Zwecken eingesetzten Maschinen dürften diese Funktion jedoch nicht erfüllen. Naheliegenderweise dürfte es jedoch weniger die Anschauung der Struktur des eigenen Bewußtseins in dem Arbeitsmittel als vielmehr die Erfahrung der systematischen Indienstnahme der Natur sein, durch die sich das Selbst- und Naturverständnis des Arbeitenden in der von Hegel genannten Weise verändert. Da Hegel in diesem Zusammenhang - wie die Ausblendung jeglicher sozialer Beziehungen anzeigt - gattungsgeschichtlich argumentiert, dürfte die Existenz von Arbeitsmitteln, die eine Vergegenständlichung der Struktur des arbeitenden Bewußtseins sind, mit Bezug auf die Gültigkeit seines hier zentralen Arguments hinreichend sein; nicht erforderlich ist es in diesem Zusammenhang, daß jeder Maschine die Eigenschaft zukommt, diese Struktur zu instantiieren.
II.
Arbeit im sozialen Kontext
5.
Das „unmittelbare anerkanntseyn"
Im Rahmen unserer Untersuchung ist das „unmittelbare anerkanntseyn" 58 deshalb von Interesse, weil sich auf der Grundlage dieses Willensverhältnisses eine gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie eine marktregulierte Güterverteilung („Tausch") etablieren. Nach Hegel sind die Arbeit und der Tausch auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" dadurch ausgezeichnet, eine zweckverwirklichende „Entaüsserung" des tätigen Subjekts zu sein; wie wir sehen werden, entsprechen sie damit dem in Kapitel 3 analysierten Begriff des „sich zum Dinge machens" des Bewußtseins (vgl. 5.2.3). Das Ziel der in diesem Teil geführten Untersuchung ist eine Klärung derjenigen Bedingungen, aufgrund derer die wirtschaftliche Aktivität im „unmittelbaren anerkanntseyn" - wie von Hegel behauptet - als „Entaüsserung" des einzelnen zu verstehen ist. Zu diesem Zweck wird zunächst eine Bestimmung des ihr zugrunde liegenden „anerkanntseyns" sowie der Bedeutung, die die Arbeit für dessen Zustandekommen hat, vorgenommen (5.1); sodann werden die beiden Komponenten der wirtschaftlichen Tätigkeit, die gesellschaftlich geteilte „Arbeit" sowie der „Tausch", analysiert (5.2.1 und 5.2.2); unter Rückgriff auf die hier erzielten Ergebnisse wird schließlich unter 5.3 gezeigt, warum auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" Arbeit und Tausch eine „Entaüsserung" des einzelnen sind.
58
Zur Bedeutung der Anerkennung in Hegels Jenaer Schriften vgl. Honneth (1992), Siep (1979) und Wildt (1982). Zu Axel Honneths Anerkennungstheorie vgl. auch Schmidt am Busch (2002).
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
5.1
Das Gelten des einzelnen
Das „unmittelbare anerkanntseyn" ist ein Willensverhältnis, das gegenüber dem ihm vorausgehenden „Verhältniß" durch das „anerkanntseyn" des einzelnen als „fürsichseyn überhaupt" ausgezeichnet ist: „Das anerkanntseyn ist unmittelbare Wirklichkeit, und in ihrem Elemente die Person, zuerst als flirsichseyn überhaupt; sie ist geniessend und arbeitend. - Erst hier hat die Begierde das Recht aufzutreten', denn sie ist wirklich, d.h. sie selbst hat allgemeines, geistiges Seyn." (223,12-15)
Anerkennen ist ein dreistelliges Prädikat: χ wird von у in einer Hinsicht ζ anerkannt. „Das anerkanntseyn" ist grammatisch die Substantivierung des aus anerkannt' und ,sein' gebildeten Infinitivs. Durch diese Substativierung wird die durch das Adjektiv ,anerkannt' ausgedrückte Eigenschaft in dem Sinne verselbständigt, daß sie von keinem Gegenstand ausgesagt wird. Andererseits kann „das anerkanntseyn" nur „Wirklichkeit" sein, wenn es einen Gegenstand gibt, der anerkennt, und einen Gegenstand, der anerkannt wird/ist. Dieser Gegenstand ist der Mensch als selbständiges Subjekt. In dieser Hinsicht ζ anerkennen sich χ und у unabhängig von ihren besonderen Eigenschaften und Leistungen. Aufgrund dieser Abstraktion von aller Besonderheit betont Hegel das Bestehen der Anerkennungsrelation. Sie, „das anerkanntseyn", ist das Bleibende, während die konkreten Subjekte, die durch sie verbunden sind, verschwindende Entitäten sind. Diese Interpretation wird bestätigt durch den zweiten Teil des hier untersuchten Hegeischen Satzes. Nach ihm ist „die Person, zunächst als fürsichseyn überhaupt" derjenige Gegenstand, der anerkannt ist.59 „Person" wird von Hegel zum einen in der Bedeutung von „Willen"60, zum anderen in der Bedeutung von Rechtssubjekt verwandt. In beiden Fällen bezeichnet dieser Teminus eine Eigenschaft eines konkreten Subjekts. Da auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" noch keine rechtlichen Institutionen bestehen, ist in vorliegendem Zusammenhang jene Bedeutung von „Person" einschlägig. Dementsprechend ist „die Person" hier „fursichseyn". In dieser Eigenschaft aktualisiert ein konkretes Subjekt die unter 2.1 analysierte Struktur, so daß es - als ein mit „ich" auf sich referierendes Individuum - sich von aller Bestimmtheit frei weiß beziehungsweise für sich die Freiheit hat, sich auf dem Wege der Zwecksetzung zu bestimmen. In diesem Wissen beziehen sich die verschiedenen konkreten Subjekte aber in derselben Weise auf sich, so daß jedes sich als allgemeines gegeben ist. Damit ist „das anerkanntseyn" des einzelnen als „fürsichseyen" von keinen besonderen individuellen Eigenschaften oder Leistungen abhängig. „Unmittelbare 59
60
Zum Begriff der Person in den GPhR vgl. Ludwig Siep, „Personbegriff und praktische Philosophie bei Locke, Kant und Hegel", in: Siep (1992), S.98-112. Vgl. PhdG, 238,22; 239,11; 240,4.
DAS „UNMITTELBARE ANERKANNTSEYN"
61
Wirklichkeit" ist es also in dem Sinne, daß es durch keine individuelle Besonderheit vermittelt ist. Folglich ist „das anerkanntseyn" eine Beziehung, die sich gleichsam im Wechsel der durch sie aufeinander bezogenen konkreten Subjekte erhält. Die Tatsache, daß der einzelne als „fürsichseyn überhaupt" anerkannt ist, beinhaltet für Hegel, daß er „geniessend und arbeitend" ist und in dieser Eigenschaft von den anderen anerkannt wird. Dieses - in der Philosophie des Geistes auch an anderer Stelle nicht begründete - Argument läßt sich durch folgende Überlegung stützen: Das konkrete Subjekt ist als „fürsichseyn überhaupt" für es selbst ein „Mangel"61, weil es seine Freiheit, sich zu bestimmen, zwar erkennt, nicht aber aktualisiert; eine solche Aktualisierung erfolgt nun durch absichtliche Tätigkeiten produktiver und konsumtiver Art, so daß sich durch sie der fragliche „Mangel" für das handelnde Subjekt behebt. Zu beachten ist freilich, daß der „Mangel", den dieses Subjekt „fühlt", nur auf der Grundlage der Hegeischen Willenstheorie ausweisbar ist; zudem wäre zu untersuchen, warum sich „das fürsichseyn überhaupt" gerade in der Gestalt von „Begierde" und „Arbeit" aktualisiert.62 Nach Hegel ist das „unmittelbare anerkanntseyn" also durch „das anerkanntseyn" des einzelnen als „fürsichseyn überhaupt", näher: als „geniessend und arbeitend" ausgezeichnet. Anerkannt wird damit der Anspruch des einzelnen, zum Zwecke der Befriedigung seiner Bedürfnisse bewegliche und unbewegliche Dinge (Grund und Boden) in Besitz zu nehmen und zu bearbeiten. In diesem Sinne hat „die Begierde" des einzelnen „das Recht aufzutreten"; indem sie allgemein anerkannt ist, hat sie „allgemeines geistiges Seyn" und ist „wirklich". Durch dieses Recht unterscheidet sich das „unmittelbare anerkanntseyn" von dem ihm vorausgehenden Willensverhältnis. Hier erfolgt die Inbesitznahme beweglicher und unbeweglicher Dinge noch „unmittelbar", das heißt ohne Berücksichtigung eventueller Ansprüche anderer, so daß dieses „Verhältniß" nach Hegel dem entspricht, „was der Naturzustand genannt wird" (214,8). Den Übergang vom Naturzustand zum „anerkanntseyn" bildet ein „Kampf auf Leben und Tod" (221,17),63 in dessen von Hegel angenommenem Verlauf*4 die Arbeit eine wichtige Rolle spielt. Unter Berücksichtigung der in Teil 3 erzielten Ergebnisse läßt sich ihr Bedeutung ermitteln. Nach Hegel ist die „Besitznahme" (216,3) im Naturzustand deshalb defizitär, weil die ihr begrifflich zukommende intersubjektive Bedeutung hier noch nicht ausdrücklich „gesetzt" ist. Im Naturzustand bestehen zwar innerhalb der Familie, nicht aber zwischen den Mitgliedern verschiedener Familien Anerkennungsverhältnisse: „Die Individuen, wie sie gegeneinander sind, anerkennen sich noch nicht" 61 62 63
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Vgl. in unserer Untersuchung den Abschnitt 2.1.1. Vgl. zu diesem Argument mit Bezug auf die GPhR auch Quante (1993), S. 49. Zur Bedeutung des Kampfes aufbeben und Tod in Hegels Jenaer Schriften vgl. Siep (1974) und Schmidt am Busch (2001a). Vgl. PhdG, 218,19-222.
62
ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
(215,19). Unter dieser Bedingung erachtet der einzelne die „Besitznahme" von nicht privat besessenen Dingen als eine die Interessen der anderen nicht berührende Tätigkeit; nach seinem Verständnis ist sie „gegen die Dinge, nicht gegen einen dritten" (215,21-216,1) gerichtet. Da er tatsächlich aber beansprucht, die in Besitz genommenen „Dinge" fortan exklusiv zu nutzen, hat seine Tat nach Hegel „auch die Bedeutung einen dritten auszuschliessen" (216,4). Die „Besitznahme" hat demnach aus begrifflichen Gründen einen intersubjektiven Gehalt, der nach Hegel in „rechtlicher" Form ausdrücklich „gesetzt" werden muß. Damit stellt sich die Frage, wodurch eine entsprechende Anerkennung der Interessen der anderen - wie sie auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" gegeben ist - zustande kommen kann. Aufgrund ihrer - in Kapitel 3 analysierten - Bedeutung ist es kaum überraschend, daß die Arbeit kein Kandidat ist, der das in Rede stehende Defizit beheben und den Übergang vom „Naturzustand" zum „anerkanntseyn" sicherstellen könnte. Als „ein sich zum Dinge machen" ist die Arbeit nämlich eine Tätigkeit eines einzelnen Subjekts; der durch sie verwirklichte Zweck kann, muß aber nicht in Absprache mit anderen gesetzt worden sein. Da dies definitionsgemäß im Naturzustand nicht der Fall ist, kann die „Bearbeitung" (217,6) der Dinge deren „Besitznahme" nicht rechtfertigen65. Die von ihr unterstellte exklusive Verfügungsgewalt über den bearbeiteten Gegenstand, die nur seinem „Besitz" entspringen kann, wirft vielmehr ihrerseits die Frage auf, unter welchen Bedingungen die Bildung von Besitz rechtmäßig ist. Aus diesem Grunde wird durch seine „Bearbeitung" die „Besitznahme" des Gegenstandes nicht legitimiert, sondern problematisiert. Doch gerade aufgrund dieser Eigenschaft ist die Arbeit im Rahmen des „Kampfes auf Leben und Tod" von Bedeutung. Nach Hegel wird die „Bearbeitung" des bis dahin unbesessenen Gegenstandes im Naturzustand unterschiedlich interpretiert. Für das tätige Subjekt Α ist sie eine absichtliche Herstellung von Gebrauchs- und Verbrauchsgegenständen zum Zwecke der Befriedigung eigener Bedürfnisse - im Resultat seiner Tätigkeit erkennt A also sich selbst, nämlich seine technischen Fertigkeiten sowie die ihnen geschuldete Beherrschung seiner natürlichen Umwelt. Für den anderen (B) bedeutet diese Tat zugleich und in erster Linie die Mißachtung seiner Ansprüche - im Resultat von A's Handlung erkennt sich also auch B, aber als „durch den andern ausgeschlossen" (219,1 f.). Entsprechend reagiert В auf A's „Besitznahme" wie folgt: „Der ausgeschlossne verletzt den Besitz des Andern, er setzt sein ausgeschlossenes Für sich seyn darein, sein Mein-, er verdirbt etwas daran, - vernichten, wie das der Begierde, 65
Das von Hegel an dieser Stelle kritisierte Argument John Lockes lautet: Im Naturzustand sind alle Güter den Menschen gemeinsam gegeben; um sein Überleben zu sichern, muß der einzelne sich die hierfür benötigten Güter aus dem gemeinsamen Besitz aneignen; das Mittel dieser Aneignung ist die Arbeit. Da das Naturgesetz/Vernunftgesetz/Gesetz Gottes fordert, daß die Menschen sich selbst erhalten, gebietet es ihnen, durch Arbeit die zu diesem Zweck benötigten Güter in Besitz zu nehmen. Vgl. Locke (1992).
D A S „UNMITTELBARE ANERKANNTSEYN"
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um sein Selbstgefühl sich zu geben, aber nicht sein leeres Selbstgefühl, sondern sein Selbst in einem Anderen selbst setzend, in das Wissen, eines Andern [...] was er vernichtete war nicht die eigne Form des Dings, sondern die Form der Arbeit oder das Thun des Andern." (219,3-6 u. 219,15-17)
Der Akt der Zerstörung richtet sich demnach gegen das „Ding" als Resultat einer Handlung, die eine exklusive Verfügungsgewalt über das Bearbeitete unterstellt. Indem es an dem von Α bearbeiteten „Ding" etwas „verdirbt" beziehungsweise „vernichtet", bestreitet В die Gültigkeit dieser Unterstellung. Es macht deutlich, daß die Verfügung über das von Α bearbeitete „Ding" auch ihn, B, betrifft - in diesem Sinne setzt es durch seine Tat „sein ausgeschlossenes Für sich Seyn" beziehungsweise „sein Mein" in den „Besitz" sowie in das Wissen des anderen. Falsch ist jedoch B's Annahme, von Α absichtlich ausgeschlossen worden zu sein - „denn dieser meynte nicht jenen in seiner Besitznehmung" (219,14f.). Aus diesem Grunde fühlt sich Α nicht als „Beleidiger", sondern im Gegenteil als der von В „Beleidigte" - „dieser aber Beleidigte, er meynte ihn was er vernichtete war nicht die eigne Form des Dings, sondern die Form der Arbeit oder das Thun des Andern" (219,15-17). Gemäß dieser Einschätzung kann sich Α nicht mit einer sachlichen Entschädigung zufriedengeben; da es sich von В als selbständig handelndes Subjekt infrage gestellt sieht, ist es vielmehr bestrebt, als ein solches beziehungsweise als „Fürsichseyn" (220,17) anerkannt zu werden. Damit will jedes von dem anderen als selbständiges Subjekt anerkannt werden. Zu diesem Zweck muß es nach Hegel seine Unabhängigkeit von allem materiellen Besitz, ja vom eigenen Leben selbst dokumentieren. Das - hier nicht näher untersuchte Mittel dieses Nachweises ist ein „Kampf auf Leben und Tod". Indem sie ihr Leben aufs Spiel setzen, um von dem anderen anerkannt zu werden, erweisen sich die diesen Kampf Bestreitenden einander als „fürsichseyn". Dieses Gelten des einzelnen als „fürsichseyn", das Resultat des Kampfes auf Leben und Tod, bildet seinerseits die Grundlage des „unmittelbaren anerkanntseyns".
5.2
Die „Arbeit Aller und für Alle"
Auf der Grundlage des „unmittelbaren anerkanntseyns" entwickelt sich eine Zusammenarbeit der Individuen: „Der Besitz verwandelt sich dadurch in das Recht, so wie die Arbeit vorher in allgemeine; was Familiengut war, worin die Ehgenossen sich wußten, wird allgemeines Werk und Genuß aller [...] Arbeit Aller und für Alle, und Genuß - Genuß Aller; jeder dient dem andern, und leistet Hülfe." (223,6-8 u. 223,15f.)
Das „allgemeine Werk" besteht auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" in einer arbeitsteiligen Güterproduktion zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung „aller". Ausgezeichnet ist dieses gesellschaftliche Verhältnis durch
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
1. eine sich ungeplant entwickelnde (gesellschaftliche) Arbeitsteilung, 2. einen die Güterverteilung regulierenden Markt („Tausch"), 3. eine geringe Produktivität, 4. eine weitgehende Invarianz der gesellschaftlichen Bedürfnisse sowie 5. das Fehlen staatlicher Institutionen. Die hier nur behaupteten Eigenschaften (1.) und (2.) werden in den Abschnitten 5.2.1 und 5.2.2 als Merkmale des im „unmittelbaren anerkanntseyn" sich entwickelnden gesellschaftlichen Verhältnisses nachgewiesen. Eigenschaft (3.) folgt aus der unter 5.2.3 erörterten Tatsache, daß im „unmittelbaren anerkanntseyn" der einzelne Produzent die von ihm hergestellten Güter selbst am Markt tauscht. Daß die gesellschaftlichen Bedürfnisse hier weitgehend invariant sind (4.), wird zum einen durch die eingangs zitierte Hegeische Behauptung: „was Familiengut war, worin die Ehgenossen sich wußten, wird allgemeines Werk und Genuß aller" nahegelegt; zum anderen folgt sie aus der Tatsache, daß eine Vervielfältigung und systematische Erzeugung gesellschaftlicher Bedürfnisse erst auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" von Hegel thematisiert wird.66 Eigenschaft (5.) ergibt sich schließlich aus der unter 5.1 geführten Untersuchung. Während die komplementären 67 Institutionen der Arbeitsteilung und des Tausches auch im „Gewalt habenden Gesetz" bestehen, sind die unter (3.), (4.) und (5.) genannten Bestimmungen für das „unmittelbare anerkanntseyn" charakteristisch. Sie weisen das auf dieser Stufe sich entwickelnde gesellschaftliche Verhältnis als eine nichtkapitalistische Tauschwirtschaft aus. Das folgt aus jeder dieser drei Bestimmungen: So impliziert Eigenschaft (3.), daß der Markt, räumlich und hinsichtlich seiner Teilnehmerzahl, eng begrenzt sein wird; denn für den einzelnen ist er nur insofern interessant, als die Transaktionskosten des Tausches niedriger sind als die durch die Arbeitsteilung bedingten Kostenvorteile. Dieser Faktor ist ebensowenig wie die nach Eigenschaft (4.) gegebene weitgehende Invarianz der gesellschaftlichen Bedürfnisse beziehungsweise der gesamten Nachfrage mit der Entfaltung einer modernen kapitalistischen Wirtschaft vereinbar68. Schließlich können sich bei Abwesenheit staatlicher Institutionen, mithin rechtlicher Sicherheit, die für die moderne kapitalistische Marktwirtschaft charakteristischen Arbeitsverhältnisse nicht ausbilden.69 66 67
68
69
Vgl. in unserer Untersuchung den Abschnitt 6.3. Es ist denkbar, daß die (gesellschaftliche) Arbeitsteilung sowie die Verteilung der wirtschaftlichen Güter Gegenstand einer (zentralen) Planung sind. Selbstverständlich sind die Institutionen der Arbeitsteilung und des Tausches nur dann komplementär, wenn sich die (gesellschaftliche) Arbeitsteilung - wie im „unmittelbaren anerkanntseyn" - ungeplant entwickelt. Entsprechend basiert die moderne MikroÖkonomie auf dem sogenannten Nichtsättigungsaxom, nach dem es keinen maximalen Nutzen gibt. Vgl. z.B. Reiß (1997), S. 224-227. Vgl. Weber (1991), der zu den „Voraussetzungen des Kapitalismus" ein „rationales, d.h. berechenbares Recht" zählt: „Der kapitalistische Wirtschaftsbetrieb muß sich, wenn er rational
D A S „UNMITTELBARE ANERKANNTSEYN"
65
5.2.1 Die Arbeitsteilung 5.2.1.1 Die „ concrete " Arbeit Der Begriff der „concreten Arbeit" 70 bildet den Maßstab der Hegeischen Analyse der Arbeitsteilung. Als „concrete Arbeit" erfüllt eine Tätigkeit die folgenden Kriterien: „Dem Ich, als abstractem Fürsichseyn steht ebenso seine unorganische Natur als seyend gegenüber; es verhält sich negativ dagegen, und hebt [als] Einheit beyder diß auf; aber so daß er es zuerst formirt, es als sein Selbst, die eigne Form anschaut, sich selbst also ebenso verzehrt. Das Daseyn, der Umfang der natürlichen Bedürfnisse, ist im Elemente des Seyns überhaupt eine Menge von Bedürfnissen; die Dinge die zu ihrer Befriedigung dienen, werden verarbeitet; ihre allgemeine innre Möglichkeit, als aüssre, als Form gesetzt. Diß Verarbeiten aber ist selbst ein Vielfaches; es ist das sich zum Dinge machen des Bewußtseyns." (224,2-10)
Folgende Bestimmungen sind an dieser Stelle festzuhalten: Das in Rede stehende „Ich" ist ein sich selbst versorgendes Individuum. Als Instantiierung der unter 2.1.2 analysierten Struktur ist es „Fürsichseyn", nämlich ein mit „ich" auf sich referierendes, selbständiges Subjekt, das als solches jedoch noch nicht anerkannt und damit „abstract" ist. Gemäß dieser Bestimmung ist die an dieser Stelle von Hegel thematisierte Arbeitsweise nicht dem „unmittelbaren anerkanntseyn", sondern dem vorgesellschaftlichen Naturzustand eigentümlich.71 Seine „unorganische Natur" bezeichnet die vom Standpunkt dieses Individuums äußere Natur, auf die es durch seine „natürlichen Bedürfnisse" bezogen ist. Diese Natur steht ihm „ebenso", nämlich „abstract" beziehungsweise „seyend" gegenüber. Gemäß dieser Bestimmung erfaßt dieses Ich die von ihm vorgefundene Natur als eine Menge einzelner, unabhängig von ihm bestehender Sachverhalte. Gegen dieses - qua (theoretische) Betrachtung gegebene - ,Gegenüberstehen' der ihm äußeren Natur „verhält sich" das Ich „negativ"; durch praktische Tätigkeit hebt es nämlich dieses Verhältnis („diß") auf und erweist sich als „Einheit beyder", also seiner selbst und der aüßeren Natur. Seine Tätigkeit hat zwei Komponenten, die Arbeit und die Bedürfnisbefriedigung. Sie besteht darin, daß es „es", das „Seyn", auf absichtliche Weise verändert. Der mit dieser Tätigkeit verfolgte Zweck ist die Her- oder Bereitstellung von Konsumgütern. Indem es die durch es bewirkten Veränderungen als Resultat eigener absichtlicher Tätigkeit interpretiert, schaut dieses Ich - in Hegelscher Terminologie - den veränderten Zustand „als sein Selbst, die eigne Form" an. Unter dieser Perspektive ist die Natur keine Menge vorgefun-
70 71
wirtschaften soll, darauf verlassen können, daß berechenbar judiziert und verwaltet wird." (S. 238ff.) Zu diesem Terminus selbst vgl. PhdG, 225,7. Damit ist sie gerade nicht - wie Paul Chamley behauptet - ein Beleg für den intersubjektiven Charakter des „sich zum Dinge machens". Vgl. Chamley (1969), S. 154-157.
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
dener Tatbestände, sondern ein Gegenstand, in dessen Beschaffenheit das Ich seiner praktischen Tätigkeit bewußt ist. Durch Konsum der von ihm produzierten Güter, insbesondere durch Verzehr von Verbrauchsgütern, vernichtet dieses Ich diejenigen (materiellen) Gegenstände, deren Existenz sicherstellte, daß es in der Natur „sein Selbst" erkannte. Zwar ist auch dieser veränderte (äußere) Zustand durch das Ich beziehungsweise dessen konsumtive Tätigkeit bewirkt; im Gegensatz zu dem durch die Arbeit begründeten Zustand wurde er jedoch nicht beabsichtigt, sondern lediglich als Folge (im kausalen Sinne) der Ausführung der konsumtiven Tätigkeit gewußt. So wird ein Ich nicht deshalb trinken, um das Glas, in dem sich das Getränk befindet, zu leeren, sondern um seinen Durst zu stillen. Demnach interpretiert es die Änderung seiner Befindlichkeit als Verwirklichung seiner Absicht; das entsprechende Ergebnis ist für es also eine Gegebenheit, die es durch seine konsumtive Tätigkeit absichtlich bewirkt hat. So wie es in dieser Tätigkeit „sein Selbst [...] verzehrt", also seiner Arbeit bewußt ist, arbeitet es umgekehrt in der Absicht, die produzierten Güter zu einem späteren Zeitpunkt zu konsumieren. Entsprechend ist die Arbeit für es eine instrumentelle Tätigkeit beziehungsweise ein Mittel der Befriedigung seiner konsumtiven Bedürfnisse. Im Begriff des „Verarbeitens" bestimmt Hegel die Arbeit in Aristotelischen Kategorien. Durch die absichtliche Veränderung materieller Gegenstände wird nach Hegel deren „allgemeine innre Möglichkeit, als aüssre, als Form gesetzt". Gemäß diesem Argument ist das Ding der Möglichkeit nach das, wozu es durch die Arbeit gemacht wird. Folglich ist die „allgemeine innre Möglichkeit" eine Übersetzung der Aristotelischen dynamis, die „äussre Form" des eidos. Daß die ,J?orm" durch die Arbeit „gesetzt" wird, macht deutlich, daß die Existenz des durch sie bestimmten materiellen Gegenstandes nach Hegel das von dem arbeitenden Individuum Gewollte ist. Ein „Vielfaches" ist diese Tätigkeit als ein Komplex planender und ausführender Tätigkeiten; während jene unter den Begriff des „disseitigen sich zum Dinge machens" fallen, entsprechen diese dem Begriff des „sich zum Dinge machens des Bewußtseyns". Zusammenfassend bestimmt Hegel den „concret" Arbeitenden „als umfassendefn] inhaltreiche[n], umsichtige[n] Geist, der einen grossen Umfang beherrscht, und über ihn Meister ist" (225,6f.).
„Umfassend" ist die „concrete" Arbeit als Mittel der Sicherung der Existenz des Arbeitenden, „inhaltsreich", weil sie entsprechend vielfaltige Kenntnisse und Qualifikationen voraussetzt. Das sich selbst versorgende Individuum ist „umsichtig", da es nur in Kenntnis seiner - von wandelbaren natürlichen Gegebenheiten abhängigen - Produktionsmöglichkeiten entscheiden kann, welche Güter es produziert beziehungsweise auf welche Weise es seine Bedürfnisse befriedigt. In diesem Sinne ist der „Umfang", den es aufgrund seiner Arbeit „beherrscht", „das Daseyn, der Umfang der natürlichen Bedürfnisse" - über ihn ist es „Meister".
DAS „UNMITTELBARE ANERKANNTSEYN"
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5.2.1.2 Die „ abstracte " Arbeit Unter Zugrundelegung des Begriffs der „concreten Arbeit" bestimmt Hegel die Arbeitsteilung als „Abstraction": „Das Bedürfniß überhaupt wird analysirt in seine vielen Seiten; das abstracte in seiner Bewegung ist das Fürsichseyn, das Thun, arbeiten. - Weil nur für das Bedürfniß als abstractes Fürsichseyn gearbeitet wird, so wird auch nur abstract gearbeitet, diß ist der Begriff, die Wahrheit der Begierde, die hier existirt. Jeder einzelne, weil er hier einzelner ist, also arbeitet für Ein Bedürfniß; der Inhalt seiner Arbeit geht über sein Bedürfniß hinaus, er arbeitet für die Bedürfnisse Vieler, - und so jeder. Jeder befriedigt also die Bedürfnisse Vieler, und die Befriedigung seiner vielen besondern Bedürfnisse ist die Arbeit vieler anderer. [...] Sein Arbeiten selbst wird ganz mechanisch, oder gehört einer vielfachen Bestimmtheit an, aber je abstracter sie wird, desto mehr ist er nur die abstracte Thätigkeit, und dadurch ist er im Stande sich aus der Arbeit heraus zu ziehen, und an die Stelle seiner Thätigkeit die der aüssern Natur zu substituiren - er braucht blosse Bewegung, und diese findet er in der aüssern Natur; oder die reine Bewegung ist eben das Verhältniß der abstracten Formen des Raums und der Zeit; - die abstracte aüssre Thätigkeit - Maschine." (224,14-225,15)
Folgende Aspekte sind in diesem Zusammenhang zu unterscheiden: 1. „Das Bedürfniß überhaupt wird analysirt in seine vielen Seiten; das abstracte in seiner Bewegung ist das Fürsichseyn, das Thun, arbeiten." - „Das Bedürfnis überhaupt" beziehungsweise das, wessen die Individuen bedürfen, ist eine „Menge" von Bedürfnissen (vgl. 5.2.1.1); aus diesem Grunde läßt es sich „in seine vielen Seiten" beziehungsweise diejenigen Teilbedürfnisse, deren Summe es ist, „analysiren". Das „abstracte" Bedürfnis ist ein solches Teilbedürfnis, seine „Bewegung" diejenige Tätigkeit, durch die Güter her- und bereitgestellt werden, deren Konsum eine Befriedigung dieses Bedürfnisses gestattet. Nach Hegel besteht auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" das „Fürsichseyn", also „das Thun" beziehungsweise „arbeiten" des einzelnen, in einer solchen Tätigkeit. Damit dient die von dem einzelnen verrichtete Arbeit der Produktion von Gütern nur einer Art. Unter dieser Bedingung ist die Arbeit allein kein Mittel der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Während die in „concreter Arbeit" hergestellten Güter für ihren Produzenten Gebrauchswerte sind, dient die Arbeit als „Bewegung" eines „abstracten" Bedürfnisses der Herstellung von Gütern, die für ihren Produzenten - zumindest weitgehend - ohne unmittelbaren Nutzen sind. Relativ zu seinen Bedürfnissen hat sich die in der „Bewegung" eines „abstracten" Bedürfnisses bestehende Arbeit des einzelnen also verselbständigt; aus diesem Grunde ist sie „abstract". 2. Es wird „nur für das Bedürfniß als abstractes fürsichseyn gearbeitet". Anders als im Fall der „concreten Arbeit", die in der Absicht ausgeführt wird, die Befriedigung der Bedürfnisse bestimmter Personen (nämlich der des Arbeitenden selbst und seiner Familie) zu ermöglichen, wird auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" für ein Bedürfnis gearbeitet, von dem der Arbeitende glaubt, daß es das Be-
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
dürfnis (irgendeines) Ich ist. Demnach weiß der einzelne Produzent nicht, ob und, wenn ja, von wem die von ihm hergestellten Güter konsumiert werden. Auf der Stufe der Produktion gibt es also im „unmittelbaren anerkanntseyn" lediglich antizipierte Bedürfnisse beziehungsweise potentielle Konsumenten. Wie wir sehen werden, entscheidet nicht die gesellschaftlich geteilte Arbeit, sondern der ihr komplementäre Tausch darüber, ob die von einem einzelnen hergestellten Güter tatsächlich zur Befriedigung eines gesellschaftlichen Teilbedürfnisses beitragen. Aus (1.) und (2.) folgt: 3. „Hier wird auch nur abstract gearbeitet, diß ist der Begriff, die Wahrheit der Begierde, die hier existirt. Jeder einzelne, weil er hier einzelner ist, also arbeitet für Ein Bedürfniß; der Inhalt seiner Arbeit geht über sein Bedürfnis hinaus, er arbeitet für die Bedürfnisse Vieler, - und so jeder. Jeder befriedigt also die Bedürfnisse Vieler, und die Befriedigung seiner vielen besondern Bedürfnisse ist die Arbeit vieler anderer." (224,16-225,4) „Abstract" ist die Arbeit des einzelnen als Produktion von Gütern nur einer Art beziehungsweise als „Bewegung" eines „abstracten" Bedürfnisses. In dieser Eigenschaft hat sie sich nämlich gegenüber den Bedürfnissen des Arbeitenden verselbständigt - „ihr Inhalt [...] geht über sein Bedürfnis hinaus". Statt dessen dient sie mittels der Institution des „Tausches" (vgl. 5.2.2) - der Befriedigung der „Bedürfnisse Vieler", während umgekehrt „die Befriedigung seiner vielen besonderen Bedürfnisse die Arbeit vieler anderer" ist. Hierin besteht „das allgemeine Werk", das sich nach der eingangs zitierten Passage (vgl. 5.2) auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" etabliert: „Arbeit Aller und für Alle und Genuß - Genuß Aller." Entsprechend stellt Hegel mit Bezug auf das unter (1.) bis (3.) analysierte gesellschaftliche Verhältnis fest: ,,[D]iß ist der Begriff, die Wahrheit der Begierde, die hier existirt". 4. „Sein Arbeiten selbst wird ganz mechanisch, oder gehört einer vielfachen Bestimmtheit an, aber je abstracter sie wird, desto mehr ist er nur die abstracte Thätigkeit, und dadurch ist er im Stande sich aus der Arbeit heraus zu ziehen, und an die Stelle seiner Thätigkeit die der aüssern Natur zu substituiren - er braucht blosse Bewegung, und diese findet er in der aüssern Natur; oder die reine Bewegung ist eben das Verhältniß der abstracten Formen des Raums und der Zeit; - die abstracte aüssre Thätigkeit - Maschine." Nach diesem Argument erlaubt derjenige Arbeitsprozeß, der „ganz mechanisch" beziehungsweise nur „die abstracte Thätigkeit" ist, eine Substitution menschlicher durch nichtmenschliche Arbeit. Die Tätigkeit eines „concret" arbeitenden Ich ist ein Komplex qualitativ verschiedener Elemente, nämlich sowohl koordinierender als auch ausführender handwerklicher Tätigkeiten. Aufgrund dieser Eigenschaft ist das „Verarbeiten" - wie unter 5.2.1.1 gesehen - ein „Vielfaches"; es „gehört einer vielfachen Bestimmtheit an". „Mechanisch" ist demgegenüber nach der oben zitierten
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Passage dasjenige „Arbeiten", das einer so „abstracten" Bestimmtheit angehört, daß es nur die „abstracte Thätigkeit" ist. Ein solches „Arbeiten" ist offenbar in dem Sinne „abstract", daß es - abgesehen von der Zwecksetzung - keine spezifisch menschlichen Leistungen beinhaltet, also auf Seiten des Arbeitenden weder geistige noch handwerkliche Vermögen voraussetzt. Zur Verrichtung einer „abstracten Thätigkeit" wird demnach lediglich eine bestimmte Kraft aufzuwenden sein. Sinnfällig entsprechen diesem Begriff zum Beispiel Arbeiten, die dem Antrieb von Maschinen dienen. Unter dieser Bedingung ist die Tätigkeit der Zweckverwirklichung so beschaffen, daß sie grundsätzlich durch natürliche Kräfte oder auf maschinelle Weise verrichtet werden kann. Eine Substitution menschlicher durch nichtmenschliche Arbeit ist also deshalb möglich, weil das „Arbeiten selbst" „mechanisch" beziehungsweise bloße Bewegung oder reine Kraftaufwendung ist. In diesem Wissen ist der Arbeitende „im Stande sich aus der Arbeit (d.h. der Tätigkeit der Zweckverwirklichung; SaB) heraus zu ziehen, und an die Stelle seiner Thätigkeit die der aüssern Natur zu substituiren". Im Gegensatz zu der sich ungeplant entwickelnden gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist die Substitution menschlicher durch nichtmenschliche Arbeit das Ergebnis absichtlicher Tätigkeit. Zu ihrer Durchführung ist nämlich zu prüfen, ob bereits angewandte Produktionsverfahren Tätigkeiten enthalten, die aufgrund ihrer Beschaffenheit für eine solche Substitution infrage kommen, oder ob es in dieser Hinsicht vorteilhaftere alternative Produktionsverfahren gibt. Handlungstheoretisch wird damit versucht, ein beabsichtigtes Ergebnis unter möglichst weitgehender Indienstnahme beziehungsweise Manipulation nichtmenschlicher natürlicher Faktoren zu erzielen. Nach diesen Überlegungen scheint die Substitution menschlicher durch nichtmenschliche Arbeit ein rein technisches, kein gesellschaftliches Phänomen zu sein. Denn diese Möglichkeit eröffnet eine Tätigkeit durch die - von ihrem sozialen Kontext scheinbar unabhängige - Eigenschaft, keine spezifisch menschlichen Leistungen, sondern lediglich einen bestimmten Kraftaufwand zu beinhalten. Dieses Ergebnis ist jedoch unvollständig. Durch die oben zitierte These „sein Arbeiten selbst wird ganz mechanisch" wird nämlich zum einen ausgesagt, daß das Arbeiten immer auch mechanisch, also Kraftaufwand ist - eine These, die dem unter 2.2 analysierten Umstand Rechnung trägt, daß jede Arbeit eine körperliche Tätigkeit ist - , zum anderen, daß es sich hierin erschöpfen kann. Unter dieser Bedingung ist die von dem einzelnen verrichtete Arbeit „ganz mechanisch". Sie besteht also vollständig aus „Bewegungen", die prinzipiell auch von der „aüssern Natur" oder auf maschinelle Weise ausgeführt werden können. Das so bestimmte Arbeiten ist nun sehr wohl ein gesellschaftliches Phänomen. Damit die Arbeit „ganz mechanisch" werde, ist es nämlich notwendig, daß eine Vielzahl von Personen bei der Herstellung eines Gutes so kooperiert, daß jede von ihnen ausschließlich für einen Abschnitt des gesamten Produktionsprozesses zuständig ist. Da eine solche Kooperation erfahrungsgemäß nur unter der Bedingung
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
einer kapitalintensiven betrieblichen Produktion vorteilhaft ist, hängt der gesellschaftliche Umfang der „ganz mechanischen" Arbeit zudem von der gesamtgesellschaftlichen Kapitalausstattung ab. Offensichtlich können die hier genannten Bedingungen ihrerseits nur in einem durch das Gelten (arbeits)rechtlicher Bestimmungen ausgezeichneten sozialen Raum erfüllt sein. Da auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" entsprechende Institutionen nicht gegeben sind (vgl. 5.1), kann die von dem einzelnen verrichtete Arbeit auf dieser Stufe nicht „ganz mechanisch" werden. 72 Da sich diese Arbeitsweise in der Tat erst in der als „Gewalt habendes Gesetz" analysierten bürgerlichen Gesellschaft etabliert, wird sie unsererseits erst bei Erörterung dieses Willensverhältnisses eingehend behandelt werden (vgl. 6.3). Halten wir fest: Auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" etabliert sich die unter (1.) bis (3.) analysierte gesellschaftliche Arbeitsteilung. Eine „Abstraction" ist sie vom Standpunkt des einzelnen, der im Zuge dieser beruflichen Spezialisierung Güter herstellt, die für ihn ohne unmittelbaren Nutzen beziehungsweise Gebrauchswert sind und deren Konsumenten er nicht kennt. Anders als der „concret" Arbeitende vermag er also allein durch die Güterproduktion seinen „Stoffwechsel mit der Natur" (Marx) nicht zu kontrollieren; gemessen an seinem Ziel, der Befriedigung seiner „Begierde" beziehungsweise der Sicherung seines Lebensunterhaltes, ist seine Tätigkeit damit unvollständig oder „abstract". Hegel thematisiert die „ganz mechanische" Arbeit bereits an dieser Stelle, weil sie eine Radikalisierung der mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einhergehenden „Abstraction" ist. Der gemäß (1.) bis (3.) „abstract" Arbeitende vermag zwar seine Existenz nicht allein durch diese Tätigkeit zu sichern, ist aber - wie der „concret" Arbeitende - als arbeitender in dem Sinne selbständig, daß er selbst das Produktionsziel sowie die von ihm angewendeten Produktionsmethoden festlegt (vgl. 5.2.3). Wie wir sehen werden, ist dem „mechanisch" Arbeitenden genau diese Zuständigkeit genommen. Vom Standpunkt des tätigen Individuums bedeutet diese Arbeitsweise aus diesem Grunde einen Kontrollverlust, der auch die eigene Arbeit betrifft und damit weiter reicht als der unter (1.) bis (3.) thematisierte. Zwar mag im „unmittelbaren anerkanntseyn" eine sporadische Substituierung menschlicher durch nichtmenschliche Arbeit stattfinden; „ganz mechanisch" aber kann die von dem einzelnen geleistete Arbeit hier nicht werden, weil diese Arbeitsweise (institutionelle und soziale) Voraussetzungen hat, die erst auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" erfüllt sind. Entsprechend notiert Hegel vor der Analyse der „ganz mechanischen" Arbeit mit Bezug auf das unter (1.) bis (3.) themati-
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Dieses Argument folgt auch aus Hegels These, daß auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" der einzelne im Resultat seiner Arbeit seines „unmittelbaren Ich" beziehungsweise seines „unmittelbaren Selbst" bewußt ist. Vgl. zu dieser These in unserer Untersuchung den Abschnitt 5.2.3, Anmerkung 75.
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sierte gesellschaftliche Verhältnis: ,,[D]iß ist der Begriff, die Wahrheit der Begierde, die hier existirt." (224,18) (Hervorhebung von mir; SaB)
5.2.2 Der Tausch Die der Arbeitsteilung komplementäre Institution, der „Tausch", ist nach Hegel eine „Rückkehr zur Concretion" (225,22). Wie gesehen, sind die von dem einzelnen hergestellten Güter in dem Sinne „abstract", daß sie seinen Bedürfnissen nicht und denen anderer nur möglicherweise entsprechen. Diese „Abstraction" wird durch den Tausch aufgehoben. Durch ihn erwirbt nämlich jeder der beiden Tauschpartner solche Güter, die zur Befriedigung seiner Bedürfnisse beitragen. Zugleich finden die „nur für das Bedürfniß als abstractes Fürsichseyn" hergestellten Güter auf diesem Wege einen Abnehmer, so daß sie tatsächlich einen Nutzen stiften. In diesem Sinne werden sie durch den Tausch „zum concreten Bedürfnisse [...] d. h. zum Bedürfnisse eines Einzelnen" (225,17f.). Ausgangspunkt des Tausches sind die einander auf einem Markt „als bestimmte Abstractionen" (225,19f.) gegenüberstehenden Produkte. Das in gesellschaftlich geteilter Arbeit hergestellte Gut ist „bestimmt" aufgrund seiner (physischen) Eigenschaften, durch die es sich von anderen Gütern unterscheidet beziehungsweise ein Mittel der Befriedigung eines anderen Bedürfnisses ist als sie. Daß es ihnen als „Abstraction" gegenübersteht, besagt, daß es in der Absicht entstand, getauscht zu werden. Sein Produzent hat es also hergestellt in dem Wissen, daß es für ihn ohne unmittelbaren Nutzen ist, und in der Erwartung, daß es den Bedürfnissen anderer entspricht. Findet sich für es kein Abnehmer, stiftet es also niemandem Nutzen, so entspricht es nicht seinem Begriff, ein Gut zu sein. In diesem Sinne gilt: „Das abstracte Ding stellt im Tausche dar, was es ist." (226,1) (Hervorhebung von mir; SaB) Der Tausch vollzieht sich unter Gleichsetzung der „vielerley abstracten bearbeiteten" (225,16): ,,[I]hre Allgemeinheit [...] ist die Gleichheit derselben, oder der Werth. In diesem sind sie dasselbe." (225,20f.) Der „Werth" ist in dem Sinne eine relationale Kategorie, daß er qualitativ verschiedene Güter einander gleichsetzt. Falls gilt: 1 Biber = 2 Hirsche bzw. χ Ware А = у Ware В, so gilt auch umgekehrt: 2 Hirsche = 1 Biber bzw. у Ware Β = χ Ware A. Die aufeinander bezogenen Dinge sind in dem Sinne „dasselbe", daß jedes nicht es selbst, sondern das andere wert ist. Folglich ist der „Werth" für ein in „abstracter Arbeit" hergestelltes Gut die Möglichkeit, seinem Begriff zu entsprechen, also gegen
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ein anderes Gut getauscht zu werden, um tatsächlich einen Nutzen zu stiften. Damit stellt sich die Frage, unter welcher Bedingung ein Werturteil (gesellschaftlich) gültig ist. Wann sind Güter äquivalent beziehungsweise austauschbar und wann nicht? Durch die im Tausch vollzogene „Rückkehr zur Concretion" manifestiert sich nach Hegel den Tauschpartnern das im „unmittelbaren anerkanntseyn" grundlegende Willensverhältnis. Wie unter 5.1 gezeigt, ist die Bildung von Besitz im vorgesellschaftlichen Naturzustand deshalb defizitär, weil sie ohne Zustimmung der anderen, nämlich in Form einer unmittelbaren „Besitzergreiffung" erfolgt. Voraussetzung des Tausches ist demgegenüber der Verzicht auf gewaltsame Aneignung von Gütern, mithin das „anerkanntseyn" des einzelnen als Besitzer. Dementsprechend findet ein Tausch genau dann statt, wenn beide Parteien ihn wollen. Nach unseren bisherigen Überlegungen bedeutet das: Es muß ein Werturteil gefunden werden, dem die potentiellen Tauschpartner zustimmen. In der Tat notiert Hegel: „Jedes gibt selbst seinen Besitz, hebt sein Daseyn auf, und so, daß es darin anerkannt ist, der andre es mit Einwilligung des Erstem erhält; sie sind anerkannt; jeder erhält von dem andern den Besitz des andern, so daß er nur insofern bekommt, insofern der andre selbst, diß negative seiner selbst [ist] - oder als Eigenthum durch Vermittlung. - Es ist jeder das negirende seines Seyns, seiner Habe, und diese ist vermittelt durch das Negiren des anderen; nur weil der Andre seine Sache losschlägt, thue ich es - und diese Gleichheit im Dinge, als sein Innres, ist sein W e r t h , der vollkommen meine Einstimmung und die Meynung des Andern hat, - das positive Mein, und ebenso das Sein; die Einheit meines und seines Willens·, und mein [Willen] gilt als wirklicher, daseyender, das Anerkanntseyn ist das Daseyn." ( 2 2 6 , 3 - 1 4 )
Demnach ist das dem Tausch zugrunde liegende Werturteil eine Übereinkunft potentieller Tauschpartner. Die in ihm ausgedrückte Gleichheit verschiedener Dinge ist also genau dann (gesellschaftlich) gültig, wenn deren Besitzer sie bejahen. In diesem Sinne ist der „Werth" nicht nur eine relationale, sondern zugleich eine intersubjektive Kategorie, nämlich der Ausdruck eines „gemeinsamen Willens" (237,20) der Tauschpartner beziehungsweise der „Einheit meines und seines Willens". Durch die Bildung eines „gemeinsamen Willens" im Zuge der Findung eines entsprechenden Werturteils erfahrt also jede der am Tausch beteiligten Parteien, daß ohne ihre „Einwilligung" keine Besitzübertragung stattfindet, mithin: daß sie als Besitzer anerkannt ist. Als das „Innre" der getauschten „Dinge" ist der „Werth" zugleich ihre Aufhebung als sinnlich-konkreter Entitäten; er ist eine „Allgemeinheit", zu der man vom Standpunkt der Wahrnehmung der Güter als Träger „bestimmter" (physischer) Eigenschaften gleichsam „hinaufsteigt" (225,20). In dieser Eigenschaft gleicht das Werturteil einem naturwissenschaftlichen Gesetz, das nach Hegel ja ebenfalls die Überwindung einer wahrnehmenden zugunsten einer verstandesmäßigen Erfassung der Dinge bezeichnet 73 . Da das „Innre" notwendigerweise eine bestimmte Gleichheit beziehungsweise Austauschrelation ist, also bei Gültigkeit von : 73
Vgl. Phän, „Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt".
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1 Biber = 2 Hirsche bzw. χ Ware А = у Ware В jedes andere Verhältnis dieser Güter ungültig ist, stellt sich die Frage nach eventuellen Bestimmungsfaktoren dieses „Innren". Haben die Güter eine „Eigenschaft", die ihre Austauschrelation erklären könnte? Gibt es - mit anderen Worten - einen Faktor, der die Werturteilsbildung der Tauschpartner bewußt oder unbewußt leitet? Diese Frage wird im Hegeischen Manuskript nicht explizit behandelt; es wird also nicht versucht, die „Gleichheit" der getauschten Güter beispielsweise (grenz)nutzentheoretisch oder auf Basis der zu ihrer Herstellung notwendigen Arbeit(szeit) zu fundieren. Doch wie im folgenden gezeigt werden wird, enthält Hegels Charakterisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" gleichwohl eine in dieser Hinsicht einschlägige Implikation.
5.2.3 Arbeit und Tausch als „Entaüsserung" Auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" hat die gesellschaftliche Tätigkeit zwei Komponenten: die Arbeit und den Tausch. Diese entsprechen nach Hegel dem Begriff der „Entaüsserung"; sie sind „dieselbe Entaüsserung. α ) ich mache mich unmittelbar zum Dinge, Form die Seyn ist, in der Arbeit ß) dieses meines Daseyns entaüssre ich mich ebenso, mache es zu einem mir Fremden, und erhalte mich darin; eben darin schaue ich mein Anerkanntseyn an; Seyn als wissendes, - dort mein unmittelbares Ich-, hier mein fürmichseyn, meine Person." (227,16-20)
Mit Bezug auf die Arbeit gilt demnach: Durch sie „mache [ich] mich unmittelbar zum Dinge" beziehungsweise zur „Form die Seyn ist". Zwar ist sie in dem Sinne „abstract", daß sie der Herstellung von Gütern nur einer Art dient; da ihre Planung und Ausführung aber gleichermaßen das Werk eines „Ich" sind, entspricht die Arbeit auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" dem in Kapitel 3 analysierten Begriff. Charakteristisch für seine Arbeitsweise ist, daß sich der einzelne „unmittelbar" zum Dinge macht und entsprechend im Resultat seiner Tätigkeit sein „unmittelbares" Ich anschaut. In Übereinstimmung mit der Randnotiz „Ich bin die Zufälligkeit des Besitzes meiner Geschiklichkeit, Neigung, Talent" (227,25f.) bedeutet dies, daß sich das arbeitende „Ich" im Resultat seiner Tätigkeit solcher Fertigkeiten bewußt ist, die es persönlich unter Entfaltung seiner natürlichen Anlagen ausgebildet hat74. 74
Da die „ganz mechanische" Arbeit eine Aktualisierung standardisierter Qualifikationen ist, kann sich ein sie verrichtendes Ich im Resultat einer solchen Tätigkeit nicht seines „unmittelbaren Ich" beziehungsweise seines „unmittelbaren Selbst" bewußt sein. Die Aussage, daß auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" der einzelne im Resultat seiner Arbeit sein „unmittelbares Ich" anschaut, verifiziert also die unter 5.2.1.2 formulierte These, daß sich die „ganz mechanische" Arbeit hier nicht etablieren kann.
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
Entsprechend weiß es - durch Tausch seiner Produkte - sich als ein mit besonderen, für andere wertvollen Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt anerkannt. Zugleich schaut der einzelne „in seiner abstracten Arbeit [...] die Allgemeinheit seiner selbst an, seiner Form, oder daß es für anderes ist". (226,18f.)
Auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" ist der einzelne kein Selbstversorger, der eventuell anfallende Überschüsse auf einem Markt anbietet, sondern ein Produzent, der in der Absicht tätig ist, die von ihm hergestellten Güter zu tauschen. Entsprechend ist das Arbeitsprodukt aus seiner Perspektive „für anderes", nämlich bezogen auf die von anderen angebotenen Güter. Denn „es" ist für ihn ohne unmittelbaren Nutzen und kann seinem Begriff, ein Gut zu sein, nur durch Tausch entsprechen. Demgemäß ist es für seinen Produzenten ein Gegenstand, der mit anderen gleichgesetzt werden kann. In dieser Kommensurabilität mit anderen Gütern besteht die „Allgemeinheit seiner Form". In seiner „abstracten", auf die Herstellung von Gütern einer Art spezialisierten Arbeit ist dem einzelnen demnach zugleich „die Allgemeinheit seiner selbst" beziehungsweise sein Anerkanntsein als allgemeines Subjekt gegenwärtig. Denn für andere produziert er nur deshalb, weil er sich von ihnen als Besitzer anerkannt weiß, also nicht befürchten muß, seine Güter gewaltsam zu verlieren. Dieser seiner Tätigkeit zugrunde liegenden Gewißheit ist er sich im Produkt seiner Arbeit bewußt. Halten wir fest: Auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" erkennt der einzelne im Resultat seiner Arbeit zum einen seine persönliche „Geschiklichkeit, Neigung, Talent", welche die Grundlage seiner Anerkennung als besonderes Subjekt bilden. Zum anderen weiß er sich durch sie als allgemeines Subjekt, nämlich als Besitzer der von ihm produzierten Güter, gesellschaftlich anerkannt. Nach Hegels oben zitierten Ausführungen sind im „unmittelbaren anerkanntseyn" Arbeit und Tausch „dieselbe Entaüssserung", nämlich Handlungen, durch die „ich" offenbar etwas Eigenes „zu einem mir Fremden [mache] und mich darin [erhalte]". Angesichts des unter 5.2.2 analysierten Hegeischen Begriffs des Tausches ist diese These frappierend. Gewiß, der durch die Arbeit verwirklichte Zweck und der im Tausch gehandelte Besitz sind gleichermaßen etwas einem „Ich" Eigenes: So wie der Zweck allein dem ihn setzenden Ich unmittelbar bekannt ist, ist der Besitz ausschließlich der Verfügungsgewalt des Besitzers unterstellt. Zudem entspricht der Allgemeinheit des Zwecks als propositionaler Entität die Allgemeinheit des gesellschaftlich anerkannten Besitzes. Zwar ließe sich auf der Grundlage der in Kapitel 3 geführten Untersuchung behaupten, daß durch seine Verwirklichung der Zweck zu etwas vom Standpunkt des arbeitenden Ich „Fremden", nämlich einem auch für andere feststellbaren Sachverhalt wird, in dem sich das tätige Subjekt als dem Resultat seiner Handlung gleichwohl „erhält" - eine analoge Interpretation des Tau-
DAS „UNMITTELBARE ANERKANNTSEYN"
75
sches ist jedoch deshalb problematisch, weil dieser im Unterschied zur Arbeit nicht
die Tätigkeit eines einzelnen ist. Daß „ich gewollt habe", „mein Ding als Werth gesetzt" (227,14) habe, ist gemäß 5.2.2 eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung des Tausches. Wie dort gezeigt, vollzieht sich der Tausch nämlich nur unter Bildung eines „gemeinsamen Willens", mithin durch „Einwilligung" beider an ihm beteiligter Parteien. Damit aber hat er eine Bedingung, die - vom Standpunkt jedes der beiden (potentiellen) Tauschpartner - nur durch das Tun des anderen erfüllt werden kann. Diesen Sachverhalt anerkennt jeder der beiden (potentiellen) Tauschpartner, indem er den anderen als selbständigen Anbieter von Gütern anerkennt. Da ich demnach meinen Besitz nicht eigenmächtig veräußern beziehungsweise „mein Daseyn" nicht allein „zu einem mir Fremden" machen kann, ist es erstaunlich, daß der Tausch nach Hegel „dieselbe Entaüsserung" wie die Arbeit ist. Es soll im folgenden gezeigt werden, warum diese These mit Bezug auf das „ unmittelbare anerkanntseyn " gleichwohl plausibel ist. Aus den im „unmittelbaren anerkanntseyn" geltenden Rahmenbedingungen läßt sich ableiten, daß die Tauschrelationen (Preise) durch die zur Produktion der gehandelten Güter notwendigen Quanten menschlicher Arbeit reguliert werden. 75 Im „unmittelbaren anerkanntseyn" ist die Arbeit Mittel der Befriedigung der im vorgesellschaftlichen Zustand durch die Familienarbeit befriedigten Bedürfnisse. Arbeitsteilung und Tausch werden sich demnach genau dann befestigen, wenn sie dem einzelnen erlauben, durch weniger Arbeitsaufwand als bei einer möglichen Selbstversorgung seine Bedürfnisse zu befriedigen. Daß sie diese Bedingung erfüllen, darf angenommen werden, weil die mit ihnen einhergehende berufliche Spezialisierung eine Steigerung der Produktivität bewirken wird76. Aus dem Fehlen kapital- und ausbildungsintensiver Produktionsweisen sowie dem ausreichenden Vorhandensein von Grund und Boden - letzteres darf angenommen werden, weil seitens der Individuen keine Motivation besteht, mehr Land als von ihnen bearbeitbar in Besitz zu nehmen - folgt, daß es für den einzelnen relativ unproblematisch ist, eine andere als seine gegenwärtige Arbeit auszuüben beziehungsweise Güter einer anderen Art zu produzieren. Denn die Kosten, gemessen in Arbeitszeit, die der Erwerb der hierfür notwendigen Arbeitsmittel und Qualifikationen erfordert, sind unter den im „unmittelbaren anerkanntseyn" gegebenen Bedingungen sehr gering. Diejenigen Tauschrelationen (Preise), die eine Funktion der zur Herstellung der gehandelten Güter notwendigen Arbeitszeit sind, bilden im ökonomischen Sinne ein Gleichgewicht. Tauschrelationen (Preise), die nicht dem Verhältnis der durchschnittlich für die Produktion der fraglichen Güter aufgewandten Arbeitszeit entsprechen, sind Ungleichgewichtsrelationen, die sich kurzfristig ins Gleichgewicht setzen. Im
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Diese These wird von Smith im WN mit Bezug auf den „rude state" vertreten. Vgl. Buch 1, Kapitel 6. Vgl. ebd.
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
Falle einer Abweichung von einer Gleichgewichtsrelation läßt sich nämlich ein Gut gegen solche Güter tauschen, deren Produktion arbeitsaufwendiger (weniger arbeitsaufwendig) als seine eigene ist. Der Produzent dieses Gutes wird also weniger (mehr) Arbeit als die anderen aufwenden müssen, um eine gleiche Menge an Bedürfnissen zu befriedigen. Aufgrund der Zielsetzung der Akteure, durch möglichst geringen Arbeitsaufwand eine Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sicherzustellen, sowie der Möglichkeit, ohne nennenswerte Verzögerung andere Produkte anzubieten, wird dieses Gut umgehend verstärkt (vermindert) angeboten werden, mithin sein Preis, gemessen in Arbeitszeit, solange fallen (steigen), bis ein Gleichgewicht im oben genannten Sinne erreicht ist. Aufgrund des durch diesen Mechanismus bewirkten unverzüglichen Umschlags eines jeden Nichtgleichgewichtpreises in einen Gleichgewichtpreis wird für keinen Marktteilnehmer der Versuch erfolgreich sein, für die von ihm produzierten Güter einen höheren als den Gleichgewichtspreis zu erzielen. Da zudem die Nachfrage weitgehend invariant ist, werden sich unter den genannten Bedingungen relativ stabile Tauschrelationen (Preise) herausbilden, so daß Krisen eher aus natürlichen Veränderungen (Naturkatastrophen) als aus wirtschaftlichen Ereignissen resultieren.77 Der einzelne ist demnach nicht gezwungen, als Marktteilnehmer aufzutreten, sondern entscheidet sich hierzu, weil er auf diesem Wege größere Kostenvorteile hat als im Falle einer möglichen Selbstversorgung. Da die Tauschrelationen (Preise) auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" von beträchtlicher Stabilität sind, weiß der einzelne, welche Gütermengen er anbieten muß, um die von ihm gewünschten Produkte durch Tausch (Verkauf und Kauf) zu erwerben. Die eingespielten Tauschrelationen (Preise) sind für ihn also kalkulierbare Daten, die ihm anzeigen, unter welchen Bedingungen die Produzenten der von ihm begehrten Güter einem Tausch (Verkauf und Kauf) zustimmen werden. Damit entspricht die von seinem Tun prinzipiell unabhängige „Einwilligung" des anderen hier Bedingungen, die zu erfüllen ihm freisteht. Demnach sind die dem Tausch zugrunde liegenden sozialen Gegebenheiten ähnlich konstant und erkennbar wie die natürlichen Bedingungen, unter denen der einzelne arbeitet. Auf der Basis der ihm bekannten Tauschrelationen (Preise) kann er also die Absicht verfolgen, durch Herstellung und Tausch entsprechender Gütermengen) die zur Befriedigung seiner Bedürfnisse notwendigen Produkte zu erwerben. Folglich ist es zulässig, die Arbeit und den Tausch auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" als „dieselbe Entaüsserung" zu bezeichnen. Umgekehrt impliziert diese These, daß der Tausch kalkulierbar, die Marktpreise also stabil sind. Wie wir sehen werden, ist genau diese Bedingung in der bürgerlichen Gesellschaft nach Hegel nicht erfüllt.
77
Vgl. in diesem Zusammenhang Sweezy (1972), S. 64-66.
DAS „UNMITTELBARE ANERKANNTSEYN"
5.3
77
Ergebnis
Auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" bilden sich eine gesellschaftliche Arbeitsteilung und ein marktregulierter „Tausch" aus. Charakteristisch für dieses Willensverhältnis ist, daß der einzelne als allgemeines und besonderes Subjekt anerkannt ist und seine wirtschaftliche Aktivität dem Begriff der „Entaüsserung" entspricht. Zwar ist die gesellschaftlich geteilte Arbeit in dem Sinne „abstract", daß die durch sie hergestellten Güter für den Arbeitenden ohne unmittelbaren Nutzen beziehungsweise „Gebrauchswert" sind. Gleich dem sich selbst versorgenden Individuum ist der einzelne aber als arbeitender selbständig, weil er selbst das Produktionsziel sowie die Produktionsmethoden festlegt. Zudem aktualisiert er im Zuge der Realisierung des Produktionszieles nichtstandardisierte „Geschiklichkeiten". Aus diesem Grunde „macht er sich" durch diese Tätigkeit auf „unmittelbare" Weise „zum Dinge". Durch den Tausch manifestiert sich für die individuellen Akteure zum einen ihr Anerkanntsein als allgemeines Subjekt beziehungsweise als Person und Eigentümer. Zum anderen erfahren sie auf diesem Wege, daß die von ihnen hergestellten Güter, mithin ihre spezifischen „Geschiklichkeiten", gesellschaftlich wertvoll sind. Damit wissen sich die Akteure zugleich als besondere Subjekte gesellschaftlich anerkannt. Da die Tauschrelationen (Preise) der gehandelten Güter hier von so großer Stabilität sind, daß der einzelne auf ihrer Grundlage seine Bedürfhisse planmäßig befriedigen kann, sind Arbeit und Tausch auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" ein Tätigkeitskomplex, der dem Begriff der „Entaüsserung" entspricht. In Kenntnis seiner Bedürfnisse, seiner Produktionsmöglichkeiten sowie der Preise der von ihm angebotenen und nachgefragten Güter trifft der einzelne die Entscheidung, genau diejenige Gütermenge anzubieten, deren Preis mit den Preisen der von ihm benötigten Produkte identisch ist. Aufgrund der Stabilität der Güterpreise ermöglicht der Markt („Tausch") eine kontrollierte Sicherung des individuellen Güterbedarfs, mithin ein strategisches Verhalten, das der einzelne als Verwirklichung selbstgewählter Zwecke interpretiert. Aus diesem Grunde wird die Arbeit und der Tausch auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" von Hegel als zweckverwirklichende „Entaüsserung" des einzelnen bestimmt.
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
6.
„Das Gewalt habende Gesetz"
Das „Gewalt habende Gesetz" entspricht dem Modell einer wirtschaftsliberalen Gesellschaft. 78 Es zeichnet sich aus durch das Gelten des einzelnen als Person sowie den uneingeschränkten Schutz der privatrechtlichen Institutionen des Eigentums und der Vertragsfreiheit. In dieser Eigenschaft dient das „Gesetz" der Sicherung der privaten Autonomie: Es hat die Funktion, dem einzelnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Das Ziel der Hegeischen Untersuchung ist der Nachweis, daß ein so verfaßtes Gemeinwesen - in Verkehrung seiner raison d'etre - den einzelnen tatsächlich „bey seiner Rechtsfreyheit aufopfert". Die in diesem Kapitel geführte Untersuchung verfolgt zwei Ziele: Zum einen versucht sie deutlich zu machen, worin der Umschlag von rechtlicher Freiheit in faktische Unfreiheit besteht und wodurch er verursacht wird; zum anderen dient sie dem Nachweis, daß Hegels Kritik der bürgerlichen Gesellschaft ihren normativen Maßstab in dem in Kapitel 5 analysierten Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung" hat. Zunächst wird das „Gewalt habende Gesetz" als Willensverhältnis analysiert (6.1) sowie mit dem Erwerbsstreben die Ursache der in Rede stehenden Verkehrung identifiziert (6.2). Im Abschnitt 6.3 wird rekonstruiert, welche Wirkung das Erwerbsstreben unter den mit dem „Gewalt habenden Gesetz" gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im einzelnen hat. Zugleich wird deutlich werden, daß der einzelne nach Hegel in dem Sinne „aufgeopfert" wird, daß ihm eine selbständige, kontrollierte Sicherung des eigenen Lebensunterhalts nicht möglich ist. Damit liegt Hegels Kritik der bürgerlichen Gesellschaft - wie abschließend gezeigt werden wird (6.4) - als impliziter normativer Maßstab der Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung" zugrunde.
6.1
Ein Willensverhältnis
Das „Gewalt habende Gesetz" ist ein Willensverhältnis, also eine Vergegenständlichung der in Kapitel 1 analysierten Schlußstruktur. Es wird demnach zu untersuchen sein, in welchem Sinne es „das allgemeine", „das Einzelne" sowie „die Mitte dieser beyden" ist. ,,[D]as allgemeine" ist das „Gewalt habende Gesetz" als der „allgemeine Willen" (236,14) der seinem Geltungsbereich angehörenden Personen. In dem Gesetz 79 werden auf verbindliche Weise die Kriterien des gesellschaftlich gültigen Verhaltens benannt. Dieses Verhalten wird durch das Gesetz gleichsam ex negativo, nämlich durch Festlegung des nichtzulässigen Verhaltens bestimmt, so 78 79
In dieser Bedeutung wird im folgenden der Terminus „bürgerliche Gesellschaft" verwendet. Der Ausdruck „Gesetz" bezeichnet im folgenden das „Gewalt habende Gesetz".
„DAS GEWALT HABENDE GESETZ"
79
daß im Sinne des Gesetzes jedes Tun und Unterlassen rechtens ist, das von ihm nicht verboten wird. „Das Einzelne" ist die Menge derjenigen Individuen, deren „allgemeiner Willen" das Gesetz ist. Die „Einzelnen" (238,4) sind selbstbewußte, mit „ich" auf sich referierende Individuen, die sich - als „fürsichseyn" - grundsätzlich für frei halten, zu entscheiden, welche Ziele sie verfolgen und welche nicht. Damit stellt sich die Frage, warum die in diesem Bewußtsein lebenden Individuen das Gesetz als gesellschaftliche Grundlage ihres Zusammenlebens anerkennen. Aufgrund welcher Bestimmung(en) ist das Gesetz ihr „allgemeiner Willen"? Die Individuen anerkennen das Gesetz, weil sie durch es als Person geschützt werden. Wie unter 5.1 gesehen, ist ein konkretes Subjekt „zunächst" dadurch „Person", daß es als „fürsichseyn überhaupt" anerkannt ist. Dieses „fürsichseyn" manifestiert sich auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" in der Inbesitznahme und Bearbeitung von Dingen zum Zwecke der Befriedigung eigener Bedürfnisse. Durch das Gesetz wird nun dieser Tätigkeitsbereich als die Sphäre der Privatautonomie ausdrücklich geschützt: ,,[D]er einzelne gilt als Eigenthum besitzend, das allgemeine ist die Substanz des Vertrags, oder eben dieses Daseyn, dieses Gelten des gemeinsamen Willens. Er ist Person, Sicherheit derselben, - Gerechtigkeit, die Macht, die ihn als reines Seyn enthält, die Macht seins Lebens wie über sein Leben, wie über die Erhaltung seines subsistirenden Daseyns." (237,5-9)
„Person" ist der einzelne auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" als ein Rechtssubjekt, dessen Privatautonomie durch die Institutionen des Eigentums und der Vertragsfreiheit gesetzlich geschützt wird. „Eigenthum" ist in Hegelschem Verständnis ein Rechtsverhältnis, durch das die im „Besitz" von einem einzelnen beanspruchte exklusive Verfügung allgemein anerkannt wird. Gemäß dieser Bestimmung kann ein „als Eigenthum" besessener Gegenstand nur unter Zustimmung seines Eigentümers veräußert beziehungsweise erworben werden. Die hierfür gesetzlich vorgesehene Form ist der „Vertrag". Als „gemeinsamer Willen verschiedener über eine einzelne Sache" (238,19) ist der Vertrag der Abschluß eines Rechtsgeschäftes, dessen Inhalt von den Vertragsparteien frei vereinbart worden ist. „Das allgemeine" beziehungsweise das „Gewalt habende Gesetz" ist „die Substanz des Vertrags", weil es die formalen Bedingungen definiert, denen ein gültiger Vertrag zu genügen hat, und die Vertragspartner gegebenenfalls zur Erfüllung des von ihnen stipulierten Rechtsgeschäftes nötigt. Damit ist es zugleich ihre rechtliche „Sicherheit", nämlich diejenige „Macht", die den Vertrag als bindende Willenserklärung der ihn schließenden Parteien interpretiert und auf dieser Basis Recht spricht beziehungsweise „Gerechtigkeit" übt. Indem es dem einzelnen als „reines Seyn", das heißt als sich in seinen Rechtsgeschäften erklärender Wille, Geltung sichert, ist das „Gewalt habende Gesetz" die „Macht seines Lebens" beziehungsweise diejenige Institution, die ihm erlaubt, seine Lebensverhältnisse nach eigenem Willen einzurichten. In diesem
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
Sinne ist es „dieses Daseyn, dieses Gelten des gemeinsamen Willens". Entsprechend ist das Gesetz „das Existiren des gemeinsamen Willens verschiedner über eine einzelne Sache; sie treten da für das Gesetz [ein], wo sie zu einem gemeinsamen Willen gekommen, über ein bestimmtes Verhältniß, und dieses zu erklären, die Freyheit hebt sich dadurch auf, den Contract zu halten oder nicht - insofern der einzelne reine Person Leben ist, Willen als solcher, ist er unmittelbar Gegenstand des Gesetzes". (238,19-23)
Für den „Einzelnen" ist das Gesetz also die Möglichkeit, sein „fursichseyn" in einem gesetzlich geschützten Raum zu manifestieren. Durch das Gesetz ist er befugt, Eigentum zu erwerben, zu nutzen und zu veräußern - ob und in welchem Umfang er von diesem Recht Gebrauch macht, ist demgegenüber nicht Gegenstand des Gesetzes. Aus diesem Grunde kann er „das allgemeine" nicht ohne weiteres wollen. Vielmehr ist es der Abschluß bestimmter Rechtsgeschäfte, durch den „der Einzelne" zugleich die im Gesetz festgelegten allgemeinen Bestimmungen, mithin sich als ein „das allgemeine" anerkennendes Ich, bejaht. Aufgrund seines bestimmten Inhalts bildet ein solches Rechtsgeschäft „die Mitte" zwischen einem einzelnen und dem allgemeinen Willen; in ihm erklärt sich ein Ich als ein besonderer, „das allgemeine" beachtender Wille.
6.2
Die Erwerbsarbeit
Der uneingeschränkte Schutz des Eigentums ist eines der Merkmale des „Gewalt habenden Gesetzes": Es ist „das allgemeine Recht, Eigenthum überhaupt, schützt jeden bey seinem unmittelbaren Besitz, Erbschafft und Tausch. Aber diß ist nur formales Recht, das in Ansehung [des Inhalts] ganz frey bleibt. - (Zufälligkeit des Erbens) - Das Individuum tritt als erwerbend durch Arbeit auf; hier ist sein Gesetz bloß, daß ihm gehört, was er bearbeitet, und was er eintauscht." (242,18-22)
Unterschieden wird in der hier wiedergegebenen Passage zwischen dem „unmittelbaren" und dem „durch Arbeit" erworbenen Besitz. In welchem Sinne das Gesetz „das allgemeine Recht, Eigenthum überhaupt" ist und Jeden bei seinem unmittelbaren Besitz, Erbschaft und Tausch" schützt, ist dargelegt worden. Daß das Gesetz in dieser Eigenschaft „nur formales Recht [ist], das in Ansehung [des Inhalts] ganz frey bleibt", besagt, daß es die private Vermögensbildung nicht beschränkt, sondern Vermögensunterschiede gleich welcher Größe zuläßt. Auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" dient die Arbeit dem Erwerb. Daß der einzelne „als erwerbend durch Arbeit auftritt", ist eine scheinbar selbstverständliche, tatsächlich aber sehr informative Aussage. Sie ist scheinbar selbstverständlich, weil auch im „unmittelbaren anerkanntseyn" der einzelne „als erwerbend durch Arbeit" auftritt. Wie gesehen, erwirbt er hier durch Tausch der von ihm her-
,DAS GEWALT HABENDE GESETZ"
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gestellten Güter Produkte, die für ihn von Nutzen sind. Nach obigen Überlegungen (vgl. 5.2) sind seine Bedürfnisse dadurch ausgezeichnet, weitgehend invariant zu sein und sich durch Konsum einer bestimmten Gütermenge befriedigen zu lassen. Gesamtgesellschaftlich besteht demnach im „unmittelbaren anerkanntseyn" ein begrenzter Güterbedarf. Da die Arbeit das Mittel der Deckung eben dieses Bedarfs ist, ist auch ihr Umfang begrenzt; bei gegebener Produktivität ist die „Menge" der gesellschaftlich zu leistenden Arbeit also konstant. Folglich gibt es auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" - in volkswirtschaftlicher Terminologie - einen maximalen Nutzen beziehungsweise Sättigungspunkt80, durch den die Menge der gesamtgesellschaftlichen Arbeit beschränkt wird. Genau das ist im „Gewalt habenden Gesetz" nicht der Fall. Hier tritt der einzelne „als erwerbend durch Arbeit" auf - welchem Zweck diese Tätigkeit dient, bleibt nach der oben zitierten Passage offen. Daß der Erwerb nicht - wie vom Standpunkt des „unmittelbaren anerkanntseyns" zu erwarten wäre - als Mittel auf anderes bezogen wird, läßt es denkbar erscheinen, daß er selbst das zu befriedigende Bedürfnis ist. Wie unter 6.4 gezeigt werden wird, basiert Hegels Analyse und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft in der Tat auf der Annahme eines nicht im Dienste anderer Bedürfnisse stehenden Erwerbsstrebens. Ein solches Bestreben - so ist bereits an dieser Stelle festzuhalten - zeichnet sich dadurch aus, nicht abschließend befriedigt werden zu können. Denn definitionsgemäß besteht es ja nicht in der Absicht, etwas zu erwerben, sondern in der Absicht zu erwerben. Keine Gütermenge ist demnach geeignet, dieses Erwerbsstreben letztlich zu befriedigen. Aus diesem Grunde kennzeichnet es Hegel im System der Sittlichkeit als den „Trieb nach Vergrößerung des Reichtums" (S. 83), der „empirisch unendlich" (S. 82) sei. Begriffsgeschichtlich knüpft er damit an die Aristotelische Theorie der Chrematistik an. In der Politik unterscheidet Aristoteles zwischen einer naturgemäßen und einer nichtnaturgemäßen Erwerbskunst. Jene versteht er als einen Teil der Hausverwaltungskunde; denn ihre Aufgabe ist es, „einen Vorrat zu sammeln von Gegenständen, die notwendig zum Leben und nützlich für die staatliche und häusliche Gemeinschaft sind und die daher auch entweder schon vorhanden sein oder durch die Hausverwaltungskunst herbeigeschafft werden müssen". (I 8, 1256 b 30-32)
Sofern er dem Erwerb solcher Gegenstände dient, ist auch der Tausch naturgemäß. Demgegenüber ist die nichtnaturgemäße Erwerbskunst darauf gerichtet, „wie und mit welchen Mitteln man beim Umsatz möglichst viel Gewinn machen könne". (I 9, 1257 b 4)
Der alleinige Zweck dieser Form des Erwerbs ist also die „Vermehrung" (I 9, 1257 b 37) des eigenen Vermögens durch Abschluß entsprechender Handelsgeschäfte. 80
Vgl. zu diesem Terminus ζ. B. Reiß (1997), S. 224-227.
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
Während Art und Umfang der naturgemäß zu erwerbenden Gegenstände durch deren oben genannten Zweck festgelegt werden, hat der naturwidrige Erwerb keine Grenze, sondern geht „ins Endlose". Daß im Hinblick auf das als erwerbend auftretende Individuum gilt: „hier ist sein Gesetz bloß, daß ihm gehört, was er bearbeitet, und eintauscht", ist ohne nähere Erläuterung mißverständlich. Kontextunabhängig scheint diese These nahezulegen, daß die Arbeit beziehungsweise die Bearbeitung sowie der Tausch Weisen der rechtmäßigen Bildung von Besitz sind. In Anbetracht der unter 5.1 behandelten Hegeischen Locke-Kritik scheidet diese Interpretation jedoch aus. Plausibel erscheinen demgegenüber die folgenden beiden Lesarten: 1. Das „Gesetz" überläßt wirtschaftliche Aktivitäten vollständig der Initiative der seinem Geltungsbereich angehörenden Personen. In dieser Hinsicht enthält es lediglich („bloß") die Bestimmung, daß dem einzelnen, der von ihm „bearbeitete" Güter am Markt „eintauscht", der hierbei erzielte Erlös „gehört". Ob und in welchem Umfang er als Anbieter von Gütern auftritt, ist nicht Gegenstand des „Gesetzes". 2. Offenbar lautete die hier untersuchte Hegeische These zunächst: „hier ist sein Gesetz bloß, das ihm gehört, was er erarbeitet, und was er eintauscht"; das jedenfalls besagt die diesbezügliche Anmerkung der Herausgeber.81 Unter Zugrundelegung dieser Aussage scheint das Gesetz zwei verschiedene Arten des Erwerbs durch Arbeit vorzusehen. Der einzelne ist durch das „Gesetz" befugt, ein Einkommen einerseits zu „erarbeiten", also als Entgelt für das Zurverfügungstellen seiner Arbeitskraft) zu empfangen, andererseits durch Tausch von eventuell unter Nutzung fremder Arbeit(skraft) hergestellter Güter zu erzielen. Jede der beiden Lesarten weist das „Gewalt habende Gesetz" als eine wirtschaftsliberale Gesellschaft aus. Da das (produktive) Vermögen keiner sozialen Bindung unterliegt82, dient das Gesetz nämlich ausschließlich der Sicherung der (wirtschaftlichen) Privatautonomie. Die zweite Lesart geht dadurch über die erste Lesart hinaus, daß sie die Möglichkeit von Lohnarbeit als durch das Gesetz ausdrücklich vorgesehen erachtet. Daß Hegel mit Bezug auf das „Gewalt habende Gesetz" in der Tat die Bildung eines entsprechenden Faktormarktes unterstellt, ist nicht erst seinen weiteren, von uns unter 6.4 behandelten Überlegungen zu entnehmen. Vielmehr enthält bereits die These, daß das Recht „in Ansehung des Inhalts ganz frey bleibt", einen Hinweis auf beträchtliche Vermögensunterschiede, die auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" nur durch Verkauf von unter Nutzung fremder Arbeitskraft) produzierter Waren gebildet sein können.
81 82
Vgl. PhdG, S. 242. Vgl. im Gegensatz dazu Art. 14 Abs. 2 GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
„DAS GEWALT HABENDE GESETZ"
6.3
83
Die Gesellschaft als „elementarische blinde Bewegung"
Hegels Kritik der bürgerlichen Gesellschaft ist in der folgenden Passage zusammengefaßt: „Aber das Allgemeine ist zugleich seine Notwendigkeit, die ihn bey seiner Rechtsfreyheit aufopfert." „Das Allgemeine ist reine Nothwendigkeit am einzelnen Arbeitenden; - er hat seine bewußtlose Existenz in dem Allgemeinen, die Gesellschafft ist seine Natur, von deren elementarischer blinder Bewegung er abhängt, die ihn geistig und physisch erhält oder aufhebt." (242,22-243,4)
Es soll zunächst expliziert werden, welche Aussagen in dieser zentralen Passage getroffen werden; im Anschluß daran wird zu untersuchen sein, wodurch sie in der Philosophie des Geistes begründet werden.
6.3.1 Was heißt,Aufopferung des einzelnen'? Im Hegeischen Manuskript folgt die hier wiedergegebene Passage unmittelbar auf die erörterte These „das Individuum tritt als erwerbend durch Arbeit auf; hier ist sein Gesetz bloß, daß ihm gehört, was er bearbeitet und was er eintauscht". Demnach ist das „Allgemeine" die „Nothwendigkeit" des einzelnen, sofern dieser als ,,einzelne[r] Arbeitende[r]" oder „als erwerbend durch Arbeit auftritt" - in dieser Eigenschaft opfert es ihn „bei seiner Rechtsfreyheit" auf. Erläutert wird diese These durch den auf den Gedankenstrich folgenden Teil „er hat [...] aufhebt". Der Gegenstand der hier zitierten Passage - soviel ist bereits ersichtlich - ist die von uns eingangs genannte Verkehrung: Das Gesetz, das dem einzelnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen soll, opfert ihn „bey seiner Rechtsfreyheit" auf. Wie gesehen, besteht die „Rechtsfreyheit" in der Befugnis, nach eigenem Willen Rechtsgeschäfte abzuschließen; sie beinhaltet insbesondere das Recht, durch Arbeit und Tausch uneingeschränkt zu erwerben beziehungsweise Vermögen zu bilden. Garantiert wird sie durch den staatlichen Schutz der Institutionen des Eigentums und des Vertrags. Als „Gewalt habendes Gesetz" hat „das Allgemeine" also die Funktion, dem einzelnen ein auch in wirtschaftlicher Hinsicht autonomes Leben zu ermöglichen - damit aber stellt sich die Frage, in welchem Sinne es zugleich die ihn „bei seiner Rechtsfreyheit" aufopfernde „Nothwendigkeit" sein kann. Die Kategorie der Notwendigkeit dient Hegel zur Bestimmung des Kausalverhältnisses. Notwendig ist nach Hegel die Beziehung zwischen einer Menge einander äußerlicher beziehungsweise logisch voneinander unabhängiger Ereignisse E0 bis Em und einem Ereignis En, dessen hinreichende Bedingung diese Menge ist. In unserem Zusammenhang ist entscheidend, daß keines der Ereignisse E0 bis Em allein En bewirkt, so daß En als Resultat einer immanenten Entwicklung dieses Ereignisses
84
A R B E I T IM SOZIALEN K O N T E X T
zu interpretieren wäre. Sofern E 0 bis Em hingegen gemeinsam gegeben sind, haben sie als solche kein Bestehen, sondern gehen in E„ über - aus diesem Grunde ist es für Hegel ein und derselbe Inhalt, der zunächst in gleichsam verstreuter Form 83 , nämlich in Gestalt von E 0 bis E m , und sodann als ein Ereignis, nämlich E n , vorliegt. Da die wirtschaftliche Produktion zum einen arbeitsteilig und zum anderen frei von staatlichen Eingriffen ist, wird die Güterverteilung durch einen Markt („Tausch") reguliert. Entsprechend ist der „Werth" der gehandelten Güter eine Funktion der Tauschbereitschaften aller Marktteilnehmer. Aufgrund des uneingeschränkten staatlichen Schutzes des (privaten) Eigentums dient allein der Markt der Koordinierung der individuellen wirtschaftlichen Aktivitäten. Mit anderen Worten: Als das unter 6.1 analysierte Gesetz ist „das Allgemeine" zugleich ein marktwirtschaftliches Preisbildungsverfahren. Als Ort des „Übergangs" beziehungsweise des Umschlags unabhängig voneinander bestehender Tauschbereitschaften in Preise entspricht der Markt dem Hegelschen Begriff der Notwendigkeit. Begrifflich unterstellt der Markt nämlich die vollständige Konkurrenz 84 seiner Teilnehmer beziehungsweise deren „vollkommenen" Wettbewerb 85 . Als nicht marktgerecht gilt demnach eine Situation, in der einer oder einige wenige Anbieter den Preis eines Gutes bestimmen oder verändern können. Unter der Annahme vollständiger Konkurrenz ist der Preis also ein Datum, das durch das gemeinsame Vorkommen der zu diesem Zeitpunkt am Markt gegebenen Tauschbereitschaften verursacht wird. Zusammen bestimmen demnach die Marktteilnehmer durch ihr jeweiliges Angebot und ihre jeweilige Nachfrage die Preise der von ihnen gehandelten Güter. Da die Summe ihrer Tauschbereitschaften eine hinreichende Bedingung der Güterpreise ist, läßt sie sich als ein prinzipiell gesetzlich erfaßbares Umschlagen in diese interpretieren. Nun entspricht diesem Begriff aber auch der auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" sich vollziehende Tausch. Der jeweilige Güterpreis wird nämlich auch hier nicht von einem einzelnen Anbieter bestimmt, sondern ist eine Funktion sämtlicher zum fraglichen Zeitpunkt am Markt gegebener Tauschbereitschaften. Damit vollzieht sich der Tausch im „unmittelbaren anerkanntseyn" unter der Bedingung vollständiger Konkurrenz. Doch wenngleich die Güterpreise von keinem Marktteilnehmer allein festgelegt oder verändert werden können, sind sie auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" nicht „seine Nothwendigkeit, die ihn bey seiner Rechtsfreyheit aufopfert". Wie gesehen, sind die Güterpreise hier relativ stabil, so daß sie dem einzelnen - in der Regel - erlauben, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit und Tausch planmäßig zu sichern, mithin sich als selbständiges, mit besonderen gesellschaftlichen Fähig-
83 84 85
Vgl. hierzu Quante (1993), S. 155f. sowie Schick (1994), S. 157. Vgl. zu diesem Begriff Schumann (1987), S. 177-179. Vgl. Samuelson/Nordhaus (1987), Bd. 1, S. 93.
85
,DAS GEWALT HABENDE GESETZ"
keiten ausgestattetes Subjekt zu erweisen. Damit ist der Markt im „unmittelbaren anerkanntseyn" ein für den einzelnen kalkulierbares Mittel der eigenen Bedürfnisbefriedigung. Genau dies ist offenbar auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" nicht der Fall. Denn hier hat der einzelne „seine bewußtlose Existenz in dem Allgemeinen, die Gesellschaft ist seine Natur, von deren elementarischer blinder Bewegung er abhängt, die ihn geistig und physisch erhält oder aufhebt". Die „Gesellschaft" ist die Gesamtheit der dem Geltungsbereich des „Gewalt habenden Gesetzes" angehören86
den Personen sowie die Gesamtheit ihrer (wirtschaftlichen) Beziehungen . Letztere sind zusammengefaßt in den jeweiligen Marktpreisen. Daß die Gesellschaft in „elementarischer blinder Bewegung" ist, besagt also, daß diese Preise eine solche Bewegung beschreiben. Nach Hegels hier expliziertem Argument haben die Preisschwankungen ein solches Ausmaß, daß der einzelne „geistig und physisch" durch sie bedroht ist. Das heißt: Der einzelne hat keinen Grund zu der Annahme, durch Arbeit und Tausch seinen Lebensunterhalt planmäßig sichern zu können. Der Markt ist für ihn kein kalkulierbares Medium einer effizienten Bedürfnisbefriedigung. Weil seine Existenz einerseits marktabhängig ist, andererseits durch den mechanisch funktionierenden Markt nicht gesichert wird, hat der einzelne „seine bewußtlose Existenz in dem Allgemeinen". Die ungeplant zustande kommenden, stark fluktuierenden Marktpreise sind in diesem Sinne seine „Notwendigkeit, die ihn bey seiner Rechtsfreyheit aufopfer[t]".
6.3.2 Warum wird der einzelne ,aufgeopfert'? Hegels weitere Überlegungen zu diesem Thema (PhdG, 243,4-244,22) scheinen wie etwa der häufige Gebrauch von Gedankenstrichen andeutet - fragmentarisch zu sein. Gleichwohl sind sie keine unzusammenhängenden Notizen zur bürgerlichen Gesellschaft, sondern eine stringente Analyse des Erwerbsstrebens unter den mit dem „Gewalt habenden Gesetz" gegebenen Bedingungen. Wie wir sehen werden, dienen sie zugleich der Begründung der These, „das Allgemeine" sei die „Notwendigkeit" des einzelnen, „die ihn bey seiner Rechtsfreyheit aufopfert". Diese Begründung läßt sich wie folgt rekonstruieren: 6.3.2.1 Steigerung der
Produktivität
„Er (der einzelne; SaB) arbeitet eine abstracte Arbeit, er gewinnt der Natur um so viel ab; [...] er kann mehr verarbeiten; aber diß vermindert den Werth seiner Arbeit, er tritt damit nicht aus dem allgemeinen Verhältnisse heraus." (243,5-8)
86
Vgl. Göhler (1974), S. 543.
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Hegels Argument unterstellt zum einen, daß die Möglichkeit, mehr zu verarbeiten, genutzt, also in der Tat mehr produziert wird; zum anderen, daß die Gesamtnachfrage nach dem somit verstärkt angebotenen Gut konstant ist. Nur unter dieser Bedingung bildet sich ein Angebotsüberhang87, der zu einer „Werth"- beziehungsweise Preisminderung fuhrt. Nun ist die Erfüllung der erstgenannten Annahme keineswegs selbstverständlich. Denn die zum Beispiel aus einer technischen Verbesserung resultierende Fähigkeit, in einem gegebenen Zeitraum mehr zu produzieren, ist ja gleichbedeutend mit der Möglichkeit, bei konstantem Output weniger zu arbeiten. Diente die Arbeit der Befriedigung traditionell gewachsener Bedürfnisse, hätte eine Innovation vermutlich diese Wirkung. Der von dem einzelnen getroffenen Entscheidung, mehr zu „verarbeiten", liegt offenbar die Erwartung einer Erwerbs- beziehungsweise Gewinnsteigerung zugrunde. Aufgrund der von Hegels Argument unterstellten konstanten Gesamtnachfrage erfüllt sich diese Erwartung zunächst nicht. Damit die beabsichtigte Erwerbssteigerung eintritt, muß vielmehr eine entsprechende Nachfrage geschaffen werden: 6.3.2.2 Vervielfältigung der Bedürfnisse ,,[D]ie Bedürfnisse werden dadurch vervielfältigt - jedes einzelne ist in mehrere abgetheilt; der Geschmack ist verfeinert; er macht mehr Unterschiede; eine Zubereitung ist gefodert, die das zu brauchende Ding dem leichten Gebrauche immer näher bringe, und daß für alle Seiten seines Misverhältnisses gesorgt werde (Kork, Korkzieher, Lichtputze) er wird gebildet als natürlich geniessendes." (243,8-13)
Damit die vermehrt hergestellten Güter ohne Wertminderung verkauft werden können, werden entsprechende Bedürfnisse erzeugt88. In der bürgerlichen Gesellschaft verkehrt sich demnach das im „unmittelbaren anerkanntseyn" gegebene Verhältnis von Produktion und Konsumtion. Wird hier der Umfang der gesellschaftlich zu leistenden Arbeit von den durch sie zu befriedigenden Bedürfnissen bestimmt89, so ist in der bürgerlichen Gesellschaft der Umfang der Bedürfnisse eine Funktion der gesamtgesellschaftlichen Produktionsmöglichkeiten. Hegel interpretiert die Vervielfältigung der Bedürfnisse sowie die Verfeinerung des Geschmacks als einen natürlichen Bildungsprozeß. In der Tat bedeuten sie eine Emanzipation von natürlichen Beschränkungen. Aufgrund des geringen Kapitaleinsatzes sowie der räumlichen Begrenztheit des Marktes werden auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" die Bedürfnisse sowie die Weisen ihrer Befriedigung von natürlichen Faktoren (den lokalen Umweltbedingungen) stark beeinflußt. Demgegenüber vollzieht sich die in der bürgerlichen Gesellschaft stattfindende 87 88
89
Vgl. zu diesem Terminus z.B. Siebert (1996), S. 70. An dieser Stelle wird nicht gesagt, wodurch die Bedürfnisse vervielfältigt werden. Ein Mittel, für das in der bürgerlichen Gesellschaft stark vermehrte Güterangebot Abnehmer zu finden, ist die - unter 6.3.2.4 thematisierte - Mode. Vgl. in unserer Untersuchung den Abschnitt 5.2.
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87
Steigerung der Produktivität unter Ausweitung der bestehenden Märkte. Entsprechend dem erweiterten Güterangebot „verfeinert" sich der „Geschmack", „er macht mehr Unterschiede". Da trotz dieser Differenzierung die von dem einzelnen getroffene Konsumentscheidung der Befriedigung letztlich biologisch bedingter Bedürfnisse dient, bleibt dieser Bildungsprozeß aber dem Natürlichen verhaftet.90 Aus diesem Grunde wird der einzelne also „gebildet als natürlich geniessendes". 6.3.2.3 Mechanisierung der Arbeit „[A]ber ebenso durch die Abstraction der Arbeit mechanischer, abgestumpfter, geistloser. - Das Geistige, diß erfüllte selbstbewußte Leben wird ein leeres Thun, die Krafft des Selbst besteht in dem reichen Umfassen, diese geht verloren. - Er kann einige Arbeit als Maschine freylassen, um so formaler wird sein eignes Thun. - Sein stumpfes Arbeiten beschränkt ihn auf einen Punkt; - und die Arbeit ist um so vollkommner, j e einseitiger sie ist [...] Ebenso unablässig ist das Ringen nach Vereinfachung der Arbeit, Erfindung anderer Maschinen u.s.f." (243,13-18 u. 244,2f.)
Die „Abstraction der Arbeit", durch die der einzelne „mechanischer, abgestumpfter, geistloser" wird, bezeichnet den unter 5.2.1.2 thematisierten Prozeß der Mechanisierung der Arbeit. Dort wurde Hegels Analyse dieses Prozesses deshalb nicht näher untersucht, weil er auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" nicht stattfinden kann (ebd.). Mit dem „Gewalt habenden Gesetz" sind nun diejenigen Bedingungen gegeben, unter denen die von einem einzelnen verrichtete Arbeit „ganz mechanisch" werden kann. Denn die unter diesem Titel analysierte bürgerliche Gesellschaft ist ausgezeichnet durch das Gelten (arbeits)rechtlicher Bestimmungen, den auch in wirtschaftlicher Hinsicht uneingeschränkten Schutz der Privatautonomie, die Möglichkeit der Lohnarbeit sowie ein Erwerbsstreben, das die Bildung auch großer produktiver Vermögen zu erklären vermag. Unter diesen Bedingungen resultiert die „Abstraction der Arbeit" aus dem unternehmerischen Bestreben einer größtmöglichen Senkung der Produktionskosten. Unsere folgende Analyse dieser „Abstraction" wird sich nicht nur auf die oben zitierte Textstelle, sondern auch auf diesbezüglich relevante Passagen aus Hegels Analyse des „unmittelbaren anerkanntseyns" stützen. Gemäß dem in Rede stehenden unternehmerischen Kalkül werden in der bürgerlichen Gesellschaft Produktionsverfahren entwickelt, die auf einer personellen Trennung von planender und ausführender Arbeit sowie einer „Zerlegung" dieser letzteren in wissenschaftlich definierte Bewegungen basieren. Zwar wurde dieses Konzept erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Ingenieuren wie Frederick W. 90
Hervorzuheben ist, daß sich im Zuge der Vervielfältigung der Bedürfnisse nicht nur die gesamtgesellschaftliche Nachfrage nach materiellen Gütern ändert. Vielmehr entsteht nach Hegel zugleich ein Bedürfnis nach Dienstleistungen, die sowohl im Smithschen als auch im Marxschen Verständnis unproduktiv sind; in diesem Sinne ist „eine Zubereitung [...] gefodert, die das zu brauchende Ding dem leichten Gebrauche immer näher bringe".
88
ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
Taylor und Frank B. Gilbreth91 ausgearbeitet und ins Zentrum einer effizienten Betriebsorganisation gestellt, doch liegt es bereits der von Adam Smith im Wealth of Nations vorgenommenen Analyse der Arbeitsteilung zugrunde. Nach Smith bewirkt nämlich die - von ihm am Beispiel einer pin factory erläuterte - betriebliche Arbeitsteilung, daß sich die Tätigkeit eines jeden Arbeiters auf eine „Operation" beschränkt.92 In diesem Begriff wird das Ideal eines Produktionsverfahrens formuliert, das an keinerlei persönliche „Geschiklichkeit" gebunden ist und folglich unabhängig von ,subjektiven' Faktoren konzipiert und implementiert werden kann. Zwar ist dieses Konzept erst durch den fordistischen Industriebetrieb adäquat verwirklicht worden; doch bereits in der von Smith untersuchten Manufaktur wird die Ausführung einer „Operation" ein standardisierter Prozeß gewesen sein und in der Verrichtung einiger weniger, leicht erlernbarer Handgriffe bestanden haben93. Entsprechend notiert Hegel im Hinblick auf diese Produktionsform: „Da seine Arbeit diese abstracte ist, so verhält er sich als abstractes Ich, oder nach der Weise der Dingheit" (225,4f.),
und in einer auf Smith bezogenen Randnotiz heißt es, daß unter diesen Umständen das Arbeiten des einzelnen „nicht [ist] wie er sich zum Gegenstande in seinem Daseyn wird, das von ihm hervorgebracht ist. Allgemeine Arbeit, Theilung der Arbeit, - Ersparniß - 10 können so viel Stecknadeln machen, als 100" (224,24-26) (Hervorhebungen von mir; SaB).
Vom Hegeischen Standpunkt verhält sich der unter den von Smith untersuchten Produktionsbedingungen tätige Arbeiter „nach der Weise der Dingheit" beziehungsweise „als abstractes Ich", weil seine Tätigkeit spezifisch menschlicher, also intellektueller und handwerklicher Qualitäten weitgehend entbehrt. Zwar entscheidet er sich, seine Arbeit(skraft) auf einem entsprechenden Faktormarkt anzubieten; als mit einer rein ausführenden Tätigkeit beschäftigter Arbeiter ist er aber auf eine ihm fest vorgegebene, repetitive Weise tätig, so daß er durch seine Arbeit weder technische Fertigkeiten unter Beweis stellen noch ein von ihm selbst gesetztes Produktionsziel verwirklichen kann. Ferner dürfte er von dem Produktionsziel sowie den zu seiner Erreichung angewandten Produktionsmethoden allenfalls ungenaue Kenntnisse besitzen. Aus diesem Grunde ist sein Arbeiten „nicht wie er sich zum Gegenstande in seinem Daseyn
91 92
93
Vgl. z.B. Taylor (1977). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Philippe Zarifions, „Le travail: du modele de 1'operation au modele de Taction", insbesondere den Abschnitt „De Smith ä Taylor, le modele de l'operation" in: Bidet/Texier (1995), S. 186-190. Nach der in К I vorgenommenen begrifflichen Abgrenzung erfordert die Manufakturarbeit eine einseitige, die Industriearbeit hingegen keinerlei handwerkliche „Geschiklichkeit". Vgl. Kap. 12 u. 13.
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89
wird, das von ihm hervorgebracht ist"94. Vielmehr weiß er, daß das „Daseyn", zu dessen Hervorbringung er durch seine Arbeit beiträgt, die Verwirklichung eines von der ihn beschäftigenden Unternehmung sowie den für die Implementierung des Produktionsverfahrens zuständigen Ingenieuren gesetzten Zwecks ist. Aus diesem Grunde gilt mit Bezug auf seine Arbeit: „Das Geistige, diß erfüllte selbstbewußte Leben wird ein leeres Thun, die Krafft des Selbsts besteht in dem reichen Umfassen, diese geht verloren." Dieses Ergebnis ist zu Hegels unter 4.2 behandelter Erörterung der Maschinenarbeit in Beziehung zu setzen. Wie dort gezeigt worden ist, erkennt das arbeitende Bewußtsein durch die Maschine und die List zum einen die „aüssre Natur" als kausal analysierbare „blosse Thätigkeit", zum anderen sich selbst als „in sich reflectirte" beziehungsweise zweckverwirklichende Tätigkeit. Mit fortschreitender Manipulierung und Indienstnahme der „aüssren Natur" im Zuge der Verwirklichung seiner eigenen Zwecke erfährt das arbeitende Bewußtsein sich als „eine Einheit differenter", nämlich der menschlichen und natürlichen „Thätigkeit", und in Gestalt einiger von ihm hergestellter Maschinen ist ihm diese „Struktur" auf anschauliche Weise gegeben. Durch die List und die Maschinenarbeit erkennt das arbeitende Bewußtsein also seine Macht über die „aüssre Natur". Im Rahmen des hier skizzierten tayloristisch-fordistischen Modells entspricht dem unter 4.2 gewonnenen Begriff der Standpunkt des Ingenieurs. Für den für die Entwicklung und Implementierung des Produktionsverfahrens zuständigen Ingenieur ist die „aüssre Natur" in der Tat eine kausal analysierbare und für eigene Zwekke indienst nehmbare „blosse Thätigkeit", und die von ihm konzipierten Maschinen und Verfahren sind Ausweise der eigenen Macht. 95 Folglich ist sein „Leben" in dem Sinne geistig, daß es in einer „erfüllten, selbstbewußten" Tätigkeit sowie im „reichen Umfassen" der die Produktion betreffenden Faktoren 9 6 besteht. Durch die personelle Trennung von planender und ausführender Arbeit werden also zwei entgegengesetzte Standpunkte ausgebildet: der des „reichen Umfassens" 94
95
96
Diese Textstelle verdeutlicht, daß „das sich zum Dinge/Gegenstande machen" nicht - wie z.B. von Georg Lukäcs, Jürgen Habermas und Axel Honneth behauptet (vgl. Anmerkung 6) - eine Tätigkeit bezeichnet, durch die sich das arbeitende Bewußtsein als verdinglicht beziehungsweise als entfremdet erführe. Als „ein träges ,Ding"' - um eine Formulierung Honneths aufzugreifen - erfahrt sich dieses Bewußtsein nicht als arbeitendes, sondern dadurch, daß seine berufliche Tätigkeit infolge der personellen Trennung von Planung und Ausführung zu einer rein ausführenden geworden ist. Unter dieser Bedingung kann es seine Arbeit nämlich nicht als eine Verwirklichung eigener Zwecke interpretieren. Folglich macht es sich hier durch seine Arbeit nicht zum Dinge/Gegenstande, sondern existiert im Gegenteil (für sich) „nach der Weise der Dingheit". Ob der einzelne Ingenieur mit dem Unternehmer identisch ist oder nicht, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Hierzu zählen auch diejenigen Arbeit(nehm)er, deren Tätigkeiten als rein ausfuhrende von ihm definiert und koordiniert werden.
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und der des „leeren Thuns". In jener Position erkennt der Mensch seine Macht über die „aüssre Natur" sowie die mit rein ausfuhrenden Tätigkeiten beschäftigten Arbeiter, in dieser ist er auf eine von der natürlichen Bewegung kaum unterschiedene Weise tätig. Im Rahmen des hier untersuchten Produktionsverfahrens bedingen einander also das „Geistige" und die Existenz „nach der Weise der Dingheit". 6.3.2.4 Mode „Aber diese Vielheit erzeugt die Mode, die Veränderlichkeit die Freyheit im Gebrauche der Formen; - diese Dinge, Schnitt der Kleidung, Art des Ameublements sind nicht beständiges - ihre Veränderung ist wesentlich und vernünftig - viel vernünftiger, als bey einer Mode bleiben, in solchen einzelnen Formen etwas festes behaupten wollen - das Schöne ist keiner Mode unterworfen - aber hier findet keine freye Schönheit statt, sondern eine reitzende, d.h. die Zierrath eines Andern ist, und sich auf anderes bezieht Trieb, Begierde erregen will, also Zufälligkeit an ihr hat." (243,19-244,2)
Die Mode ist ein Mittel, für das aufgrund der unter 6.3.2.3 thematisierten Rationalisierung der Produktion stark vermehrte Güterangebot Abnehmer zu finden. Gleich der Vervielfältigung der Bedürfnisse wird sie also durch eine Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Outputs („diese Vielheit") „erzeugt". Die Mode ist ein gesellschaftliches Phänomen, das in einer zu Verkaufszwecken vorgenommenen ästhetischen Veränderung funktional identischer Gebrauchsgegenstände besteht. In ihr bekundet sich die „Freyheit" des Geistes, ohne Rücksicht auf eventuelle Traditionen festzulegen, welchen ästhetischen Ansprüchen ein Gebrauchsgegenstand zu genügen hat, um gleichsam gesellschaftlich gültig zu sein. Der Gegenstand, dessen die Mode sich bemächtigt, „Schnitt der Kleidung, Art des Ameublements", ist nach Hegel „nichts Beständiges" oder „Festes", sondern Ausdruck sich wandelnder Präferenzen. In der Mode manifestiert sich nach Hegel genau dieses Wissen. Denn ,in Mode' ist j a gerade, was für die Produzenten wie für die Konsumenten entsprechender Artikel zwar gegenwärtig, nicht aber dauerhaft gesellschaftlich favorisiert wird. Durch die Mode wird nach Hegel also die Willkür, die den „Schnitt der Kleidung" oder die „Art des Ameublements" prägt, ihrer selbst bewußt. Hierin besteht vom Hegeischen Standpunkt die Überlegenheit der Mode gegenüber traditionsgebundenen Produktionen, durch die „in solchen einzelnen Formen etwas Festes behauptet" wird. Anders als das Kunstwerk ist der modische Gebrauchsgegenstand „keine freye Schönheit", „sondern eine reitzende, d.h. die Zierrath eines Andern ist, und sich auf anderes bezieht". Während jenes aufgrund des Verhältnisses seiner Teile zu ihm als ganzen, also aus immanenten Gründen schön ist, unterliegt dieser dem geschmacklichen Urteil der Konsumenten. Deren willkürliche Präferenzen („Trieb, Begierde") will der Modeschöpfer mit seinen Creationen „erregen". Aufgrund dieses - ökonomisch motivierten - Umstandes hat die Mode „Zufälligkeit an ihr".
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6.3.2.5 Die völlige Verwicklung des Zufalls des Ganzen „Die Geschicklichkeit des einzelnen ist die Möglichkeit der Erhaltung seiner Existenz. Diese ist der völligen Verwicklung des Zufalls des Ganzen unterworfen - Es werden also eine Menge zu den ganz abstumpfenden ungesunden und unsichern und die Geschiklichkeit beschränkenden Fabrik- Manufacturarbeiten - Bergwerken u.s.f. verdammt, - und Zweige der Industrie, die eine grosse Klasse Menschen erhielten, versiegen auf einmal wegen der Mode - oder Wohlfeilerwerden durch Erfindungen in andern Ländern, u.s.f. und diese ganze Menge ist der Armuth, die sich nicht helfen kann, preisgeben. - Der Gegensatz grossen Reichthums und grosser Armuth tritt [auf] - die Armuth, der es unmöglich wird, etwas vor sich zu bringen." (244,4-12)
Mit der Möglichkeit, ihre Lebensverhältnisse nach eigenem Willen einzurichten, geht für die dem Geltungsbereich des Gesetzes angehörenden Personen die Verpflichtung einher, ihre Existenz selbsttätig zu sichern. Sofern zu diesem Zweck kein ausreichendes privates Vermögen zur Verfügung steht, hat der einzelne die für seinen Unterhalt notwendigen Mittel durch Arbeit zu erwerben. In diesem Fall ist seine berufliche Qualifikation („Geschiklichkeit") die „Möglichkeit der Erhaltung seiner Existenz". Diese aber ist nach Hegel der „völligen Verwicklung des Zufalls des Ganzen unterworfen". Als die Summe der im „Gewalt habenden Gesetz" gegebenen wirtschaftlichen Beziehungen hat das „Ganze" zwei Komponenten, das Angebot an sowie die Nachfrage nach Gütern und Produktionsfaktoren; es ist zusammengefaßt in den jeweiligen Marktpreisen. Hegels These, daß der einzelne im Hinblick auf die „Möglichkeit der Erhaltung seiner Existenz" diesem „Ganzen" unterworfen sei, entspricht dem eingangs zitierten Argument, der einzelne habe „seine bewußtlose Existenz in dem allgemeinen, die Gesellschafft ist seine Natur, von deren elementarischer blinder Bewegung er abhängt, die ihn geistig und physisch erhält oder aufhebt". Unter Rückgriff auf das oben Angeführte (vgl. 6.3.2.1 bis 6.3.2.4) lassen sich diese Aussagen wie folgt begründen: Das „Ganze" ist die „völlige Verwicklung des Zufalls", weil sowohl das gesamtgesellschaftliche Angebot als auch die gesamtgesellschaftliche Nachfrage starken, für den einzelnen nicht vorhersehbaren Veränderungen unterliegen. Aus Hegels Analyse der Mode folgt, daß die Nachfrage eine Funktion von Präferenzen ist, die nicht durch Gewohnheit oder Tausch stabilisiert sind, sondern sich schlagartig ändern können. Auch das gesamtgesellschaftliche Angebot läßt sich nicht im voraus bestimmen, da es von Faktoren abhängt, die weder von einzelnen Betrieben noch vom Staat kontrolliert werden, also von ihrem Standpunkt „zufallig" sind. So kann - mit Hegels Beispiel - das „Wohlfeilerwerden durch Erfindungen in andern Ländern" sehr wohl das inländische Güterangebot beeinflussen. Aufgrund dieser Eigenschaft des gesamtgesellschaftlichen Angebots und der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage fluktuieren sowohl die Güter- als auch die Faktorpreise auf unvorhersehbare Weise. Aus diesem Grunde ist es nach Hegel für den einzelnen nicht möglich, seinen Lebensunterhalt planmäßig zu sichern. Vielmehr ist
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er der „völligen Verwicklung des Zufalls" preisgegeben, weil seine berufliche Qualifikation derart speziell beziehungsweise „beschränkt" ist, daß sie den Erfordernissen anderer Tätigkeiten nicht entspricht. Bei Verlust seines Arbeitsplatzes beziehungsweise sinkender Nachfrage nach seiner „Geschicklichkeit" verhindert also die Einseitigkeit seiner Qualifikation eine schnelle Reintegration in den Arbeitsprozeß. Eine solche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt kann durch eine Änderung des gesellschaftlichen Geschmacks („Mode"), mithin der Nachfrage nach denjenigen Gütern, an deren Produktion er beteiligt ist, aber auch durch eine innovationsbedingte Produktionsumstellung beziehungsweise Angebotsänderung verursacht werden. Da die „Geschicklichkeit des einzelnen" in der bürgerlichen Gesellschaft die Basis der „Erhaltung seiner Existenz" ist, ist der einzelne, dessen „Geschicklichkeit" auf dem Arbeitsmarkt nicht nachgefragt wird, nach Hegel der „Armuth, die sich nicht helfen kann, preisgegeben". Während auf der Stufe des „unmittelbaren anerkanntseyns" die Marktpreise von so großer Stabilität sind, daß sie dem einzelnen eine kontrollierte Sicherung seines Lebensunterhalts erlauben, unterminiert ihr unvorhersehbares Schwanken im „Gewalt habenden Gesetz" die Möglichkeit eines entsprechenden zweckrationalen Handelns. Hier kann der einzelne nicht nach Maßgabe derjenigen Güter, die er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse erwerben möchte, feststellen, in welchem Umfang er arbeiten beziehungsweise seine Arbeit(skraft) anbieten muß - denn sowohl der Preis jener Güter als auch der Preis seiner Arbeit(skraft) unterliegen nichtprognostizierbaren Veränderungen. Aus diesem Grunde ist er nach Hegel der „völligen Verwicklung des Zufalls" unterworfen beziehungsweise hat „seine bewußtlose Existenz in dem allgemeinen". Mit Bezug auf Hegels Überlegungen wäre zu fragen, ob nicht die industrielle Produktion gemäß dem unter 6.3.2.3 analysierten Begriff eine branchenübergreifende Vereinheitlichung der „abstracten" Arbeit bewirkt, so daß Arbeitnehmer auf der Basis ihrer „Geschicklichkeit" in verschiedenen Unternehmen eine Anstellung finden können.97 Offenbar war Hegel jedoch der Ansicht, daß eventuelle Angebotsüberhänge auf dem Arbeitsmarkt nicht durch preisliche Anpassungen umgehend beseitigt werden 98 . Das ist seiner eingangs zitierten Schlußfolgerung „diese ganze Menge ist der Armuth, die sich nicht helfen kann, preisgegeben" ebenso wie seiner Forderung, der Staat müsse „die leidenden Klassen anders beschäftigen" (245,1 f.), zu entnehmen. Naheliegenderweise sind es insbesondere gering qualifizierte Er97
98
Diese Überzeugung liegt dem Marxschen Begriff des Universalarbeiters zugrunde. Gegenwärtig wird von einigen Autoren die These vertreten, daß die elektronische Datenverarbeitung eine entsprechende branchenübergreifende Vereinheitlichung der gesellschaftlichen Arbeit bewirke; vgl. in diesem Zusammenhang z.B. Perret, В., „L'avenir du travail: des tendances contradictoires", in Mongin (1997), S. 1-33. Dieses Argument wird von Hegel jedoch ökonomisch nicht ausgewiesen; vgl. in unserer Untersuchung den Abschnitt 7.1.
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werbsuchende, denen es unter dieser Bedingung unmöglich wird, „etwas vor sich zu bringen". 6.3.2.6 Die „Anhaüffung des Reichthums " ,,[D]er Reichthum wie jede Masse macht sich zur Kraffit, - Anhaüffung des Reichthums theils durch Zufall, - theils durch die Allgemeinheit durch die Vertheilung - ein Anziehender Punkt einer Art, der [seinen] Blik über das Allgemeine weitere wirft, sammelt um sich her - wie eine grosse Masse die kleinern an sich zieht; - wer da hat, dem wird gegeben. - Der Erwerb wird ein vielseitiges System, das nach allen Seiten einbringt, die ein kleineres Geschaffte nicht benutzen kann\ - oder die höchste Abstraction der Arbeit greiffi durch desto mehr einzelne Arten durch, und erhält einen um so weitern Umfang." (244,12-20)
Der „Reichthum" steht nicht für Konsumzwecke zur Verfugung, sondern ist produktives Vermögen oder Kapital. Als ein in Geldeinheiten gemessener Gegenstand ist es der Vermehrung beziehungsweise „Anhaüffung" fähig. Gemäß Hegels physikalischer Beschreibung wohnt dem „Reichthum" das Bestreben inne, sich zu vergrößern - aufgrund seiner „Masse" mache er sich zur „Krafft" und wirke als „anziehender Punkt". Diesem Bestreben entspricht das oben genannte unternehmerische Ziel der Gewinnmaximierung (vgl. 6.3.2.3). Der zu Erwerbszwecken eingesetzte „Reichthum" vergrößert sich nach Hegel „theils durch Zufall, - theils durch die Allgemeinheit durch die Vertheilung". Zufallig ist die „Anhaüffung des Reichthums", sofern sie aus Gegebenheiten resultiert, die von den fraglichen Unternehmen nicht kontrolliert werden (z.B. Rohstoffpreisänderungen oder politische Ereignisse wie Embargo oder Krieg). Zugleich wird eine „Anhäuffung des Reichthums" durch die Gesetzmäßigkeiten („Allgemeinheit") des wirtschaftlichen Systems selbst begünstigt. Wie gesehen, versuchen die güteranbietenden Unternehmen, ihren Gewinn zu maximieren, während es das Bestreben der diese Güter konsumierenden Haushalte ist, ihren Nutzen zu maximieren. Nun haben nach Hegel auf der Stufe des „Gewalt habenden Gesetzes" große Unternehmen Wettbewerbsvorteile. Denn sie sind zum einen gegenüber konjunkturellen Schwankungen resistenter als kleinere, zum anderen haben sie gegenüber diesen Skalenvorteile. Allein die „Masse" ihrer Produktion erlaubt es ihnen also, kostengünstiger als kleinere Unternehmen zu arbeiten. Aus diesem Grunde besteht in der bürgerlichen Gesellschaft nach Hegel die Tendenz, daß große Unternehmen ihre kleineren Konkurrenten sei es vom Markt verdrängen, sei es absorbieren; gleich „einer großen Masse" zieht der große „Reichthum" demnach „die kleinern an sich" und „sammelt um sich her". Auf diese Weise begünstigt „die Allgemeinheit" beziehungsweise die Art der „Vertheilung" eine „Anhaüffung des Reichthums" in den Händen weniger: ,,[W]er da hat, dem wird gegeben". Im Zuge dieser Oligopolisierung und Monopolisierung wird die unter 6.3.2.3 beschriebene Rationalisierung der Produktion forciert; diese „höchste Abstraction der Arbeit" ist keineswegs auf den industriellen Sektor beschränkt, sondern greift
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ARBEIT IM SOZIALEN KONTEXT
„durch desto mehr einzelne Arten durch, und erhält einen um so weitern Umfang". Indem sich der „Erwerb" als „ein vielseitiges System" etabliert, „das nach allen Seiten einbringt, die ein kleineres Geschaffte nicht benutzen kann", erfolgt nach Hegel zum einen eine Erweiterung des gesellschaftlichen Umfangs der die „Geschiklichkeit" beschränkenden beruflichen Arbeiten, zum anderen - zumindest vorübergehend - eine Verminderung der gesamtgesellschaftlichen Nachfrage nach Arbeit." Durch diese Entwicklung wird der „Gegensatz grossen Reichthums und grosser Armuth" 100 so sehr verstärkt, daß „die höchste Zerrissenheit des Willens" droht.
6.3.2.7 Die höchste Zerrissenheit des Willens „Diese Ungleichheit des Reichthums und der Armuth, - diese Noth und Nothwendigkeit wird die höchste Zerrissenheit des Willens, - innre Empörung und Haß - Diese Nothwendigkeit, welche die vollkommne Zufälligkeit des einzelnen Daseyns ist [...]." (244,20-23)
Der Wille ist die im Kapitel 1 analysierte Schlußstruktur, deren telos es ist, sich auf eine ihr selbst bewußte Weise raumzeitliche Wirklichkeit zu geben. In Gestalt des „Gewalt habenden Gesetzes" befindet sich dieser Wille in einem Zustand „höchste[r] Zerrissenheit", der nach der oben zitierten Passage durch die von uns analysierte „Noth" und „Nothwendigkeit" bewirkt wird (vgl. 6.3). Die höchste Zerrissenheit des Willens ist das „Gewalt habende Gesetz" als ein in sich widersprüchliches Willensverhältnis. Dieser Widerspruch gründet darin, daß „das allgemeine" zum einen das Gesetz als solches, zum anderen ein kapitalistischer Preisbildungsmechanismus ist. In jener Eigenschaft hat „das allgemeine" die Funktion, dem einzelnen ein auch in wirtschaftlicher Hinsicht selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Diesem Zweck dient der Schutz des einzelnen als Person beziehungsweise die Sicherung der privatrechtlichen Institutionen des Eigentums und der Vertragsfreiheit. In dieser Eigenschaft verhindert es jedoch, daß sich der einzelne als ein selbstbestimmtes Subjekt erweist. Aufgrund der starken, für ihn nicht vorhersehbaren Fluktuationen von Güter- und Faktorpreisen ist es ihm nämlich nicht möglich, seinen Lebensunterhalt planmäßig zu sichern. Die „Nothwendigkeit" der Anpassung an sich zum Teil abrupt ändernde, in den jeweiligen Preisen ausgedrückte wirtschaftliche Gegebenheiten sowie die Gefahr materieller „Noth" äußern sich auf Seiten des einzelnen in „Empörung" und „Haß". Diese richten sich unmittelbar gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem und mittelbar gegen das dieses System protegierende Gesetz. Damit wird durch sie „das allgemeine" selbst infrage gestellt.
99 100
Nach dem unter 6.3.2.6 genannten und unter 7.1 kritisierten Hegeischen Argument. Waszek( 1988), S. 220ff.
,DAS GEWALT HABENDE GESETZ"
6.4
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Ergebnis
Das im „Gewalt habenden Gesetz" realisierte Willensverhältnis ist durch einen Umschlag rechtlicher Freiheit in faktische Unfreiheit ausgezeichnet. Gerade indem es den einzelnen als Person uneingeschränkt schützt, ist das Gesetz die den einzelnen ,aufopfernde' Notwendigkeit. In Verkehrung seiner Funktion - der Sicherung der Privatautonomie - bewirkt es also auf seiten des einzelnen einen tatsächlichen Freiheitsverlust. Da sich dieser Umschlag in „Empörung" und „Haß", die gegen das Gesetz gerichtet sind, manifestiert, ist das „Gewalt habende Gesetz" ein in sich zerrissenes, tendentiell sich auflösendes Willensverhältnis. Der normative Maßstab dieser Kritik der wirtschaftsliberalen bürgerlichen Gesellschaft ist der in Kapitel 5 analysierte Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung", besteht doch die „Aufopferung" des einzelnen darin, sich nicht als selbständiges, mit gesellschaftlich wertvollen Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt erweisen zu können. In diesem Sinne ist das Allgemeine für ihn „reine N o t w e n digkeit". Als arbeitender „macht sich" der einzelne nicht „zum Dinge" und stellt keine besonderen „Geschiklichkeiten" unter Beweis. Aufgrund der „Mechanisierung" der Verbrauchsgüterproduktion realisiert der Arbeitende nämlich keine von ihm gesetzten Zwecke, sondern ist auf eine durch den Produktionsapparat genau vorgegebene Weise tätig. Aus diesem Grunde existiert er nach Hegel in der „Weise der Dingheit". Durch die Arbeit kann er sich also nicht als selbständiges, mit gesellschaftlich wertvollen Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt erfahren; vielmehr ist seine Arbeit für den einzelnen allein ein Mittel der Subsistenzsicherung. Zwar ist der einzelne als allgemeines Subjekt, nämlich als Person und Eigentümer materieller Güter sowie persönlicher Leistungen gesetzlich anerkannt; tatsächlich wird er jedoch als selbständiges Subjekt „aufgeopfert". Da in der bürgerlichen Gesellschaft alle Märkte starke, für ihn nicht vorhersehbare Fluktuationen aufweisen, ist der einzelne nach Hegel nämlich außerstande, durch Erwerb und Anwendung einer beruflichen Qualifikation seinen Lebensunterhalt planmäßig zu sichern. In Anbetracht der Unmöglichkeit eines entsprechenden strategischen Verhaltens wird er seine Ausstattung mit (Konsum)Gütern nicht als das Resultat eigener zweckgerichteter Tätigkeit, sondern vielmehr zufälliger wirtschaftlicher Gegebenheiten interpretieren. Nach dieser Kritik ist der einzelne nicht deshalb entfremdet, weil seine wirtschaftliche Tätigkeit durch einen Markt, also einen von niemandem kontrollierten Koordinator, mit denen der anderen in Beziehung gesetzt wird. Daß die Marktpreise keine intendierten Handlungsresultate sind, ist also kein Umstand, durch den der marktwirtschaftliche „Tausch" aus Hegelscher Perspektive grundsätzlich unvollkommen und durch eine sichtbare Hand beziehungsweise eine absichtliche Güterverteilung zu ersetzen wäre. Der normative Maßstab der Hegeischen Kritik der bür-
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gerlichen Gesellschaft, der Begriff der Arbeit und des Tausches als „Entaüsserung", impliziert vielmehr eine prinzipielle Befürwortung marktwirtschaftlicher Strukturen. Da Hegel das „fiirsichseyn" des einzelnen für das Merkmal des modernen Gemeinwesens hält101 und offenbar der Ansicht ist, daß sich dieses „fiirsichseyn" in der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts zu manifestieren habe (vgl. 5.1), wird er zu zeigen haben, wie sich dieses Prinzip institutionell befestigen läßt, ohne durch den von uns analysierten Umschlag rechtlicher Freiheit in faktische Notwendigkeit eine das Gemeinwesen unterminierende Wirkung zu zeitigen. Bevor Hegels „Lösung" dieser Aufgabe untersucht werden wird, soll die Aktualität der Hegeischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft deutlich gemacht werden.
7.
Die Aktualität der Hegeischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft
Das Ziel dieses Kapitels ist der Nachweis, daß Hegels Kritik der bürgerlichen Gesellschaft aus heutiger Sicht von großem Interesse ist. Zu diesem Zweck wird Hegels Position zunächst gegen die (neo)klassische Ökonomie abgegrenzt (7.1). Als Ergebnis dieser Untersuchung wird sich erweisen, daß Hegels Kritik des von Adam Smith analysierten marktwirtschaftlichen Systems auch durch die eventuelle Gültigkeit der neoklassischen Gleichgewichtstheorie nicht widerlegt wird. 102 Abschnitt 7.2 dient dem Nachweis, daß die Marxsche „Kritik der politischen Ökonomie" als ganze gegenüber der Hegeischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft keinen Fortschritt darstellt. Die Aktualität der Hegeischen Position wird abschließend anhand prominenter soziologischer Überlegungen zur modernen Arbeitsgesellschaft zumindest ansatzweise gezeigt werden können (7.3).
7.1
Smith, Hegel und die Neoklassik
Für Adam Smith ist der Tausch ein eigennütziges, anthropologisch fundiertes Verhalten. Nach Smith hat jeder Mensch „almost constant occasion for the help of his brethren" (WN, I. 1, S. 118). Da sich der Mensch - gemäß den in der Theory of
101 102
Vgl. den Abschnitt 7.2.3.2 unserer Arbeit. Zu den Übereinstimmungen zwischen Smiths und Hegels Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft vgl. grundlegend Waszek (1988).
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Moral Sentiments analysierten „selfish propensities" - jedoch weitgehend eigennützig verhalte, kann der einzelne nicht hoffen, daß ihm die von ihm benötigte Hilfe aus Wohlwollen zuteil werde. Vielmehr muß er andere davon überzeugen, „that it is for their own advantage to do for him what he requires of them" (ebd.)· Die von ihm benötigte Hilfe wird ihm nach Smith nur dann gewährt, wenn er jenen, deren Hilfe er bedarf, im Gegenzug eine für sie vorteilhafte Leistung anbieten kann. Da der auf diese Weise zustande kommende Tausch an die „faculties of reason and speach" (ebd.) gebunden sei, versteht ihn Smith als spezifisch menschliches Verhalten, das fur jede an ihm beteiligte Partei von Vorteil ist: „Whoever offers to another a bargain of any kind, proposes to do this. Give me that which I want, and you shall have this which you want, is the meaning of every such offer; and it is in this manner that we obtain from one another the far greater part of those goods and offices which we stand in need of." (WN, I. 1, S. 118f.)
Der marktwirtschaftliche Tausch, der gemäß dem Prinzip der vollständigen Konkurrenz eine Vielzahl von Anbietern und Nachfragern voraussetzt, ist nach Smith geeignet, dem einzelnen auf die effizienteste Weise die von ihm benötigte Hilfe zuteil werden zu lassen. Diese These begründet Smith durch Analyse der Preisbildung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. Grundlegend sind in diesem Zusammenhang die Begriffe market price und natural price. Jener ist der tatsächlich gezahlte Preis; er ist eine Funktion des gesamten Angebots des fraglichen Gutes sowie der gesamten Nachfrage nach ihm. Der natürliche Preis ist demgegenüber der niedrigste Preis, zu dem ein Unternehmer aufgrund seiner Produktionskosten ein Gut auf Dauer herzustellen und anzubieten bereit ist. In einer „civil society" 103 haben diese Kosten nach Smith drei Komponenten: die dem Eigentümer des gewerblich genutzten Bodens gezahlte Rente, der den Arbeitern gezahlte Lohn sowie der dem Unternehmer zukommende Profit. Auch mit Bezug auf diese Faktorentgelte unterscheidet Smith zwischen Marktpreisen und natürlichen Preisen; diese gelten für die jeweilige „society or neighborhood" (WN, I. 7, S. 157) und sind wie folgt definiert: „[The] ordinary or average rates may be called the natural rates of wages, profit, and rent, at the time and place in which they commonly prevail." (WN, I. 7, S. 158)
Auf der Basis der natürlichen Faktorpreise bestimmt Smith den Begriff des natürlichen Güterpreises: „When the price of any commodity is neither more nor less than what is sufficient to pay the rent of the land, the wages of the labour, and the profits of the stock employed in raising, preparing, and bringing it to market, according to their natural rates, the commodity is then sold for what may be called its natural price." (Ebd.)
103
Der Gegenbegriff zur „civil society" ist für Smith der „rude state".
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Smiths zentrales Argument lautet: Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen - das heißt bei Abwesenheit von Monopolen sowie staatlichen Eingriffen in die Preisbildung - wird sich der Marktpreis dem natürlichen Preis auf Dauer angleichen: „The natural price, therefore, is, as it were, the central price, to which the prices of all commodities are continually gravitating. Different accidents may sometimes keep them suspended a good deal above it, and sometimes force them down even somewhat below it. But whatever may be the obstacles which hinder them from settling in this centre of repose and continuance, they are constantly tending towards it." (WN, I. 7, S. 160)
Der Smithschen Konvergenzthese liegt die Annahme zugrunde, daß sowohl die Käufer als auch die Verkäufer von Gütern und Faktorleistungen egoistisch handeln, also ihr Einkommen zu maximieren bestrebt sind. Unter dieser Prämisse kann ein Marktpreis, der höher oder niedriger ist als der natürliche Preis, nach Smith nicht von Dauer sein. Ist er höher als dieser, so ist der Marktpreis mindestens eines Produktionsfaktors höher als sein natürlicher Preis. Da die Höhe der Bodenrente nach Smith in der Regel mittelfristig vertraglich festgelegt ist, sind hiervon der Unternehmerprofit und/oder der Arbeitslohn betroffen. In diesem Fall besteht für Unternehmer/Arbeiter aus anderen Branchen ein Anreiz, ihr Kapital/ihre Arbeits(krafit) zur Herstellung des fraglichen Gutes einzusetzen. Die hierdurch ausgelöste Faktorenverlagerung bewirkt ein verstärktes Angebot dieses Gutes, das bei konstanter Nachfrage einen Fall seines Marktpreises zur Folge hat. Da der Anreiz einer Ressourcenverlagerung solange besteht, als der Marktpreis höher als der natürliche Preis ist, wird diese Tendenz damit enden, daß sich jener diesem angeglichen hat. Ist der Marktpreis demgegenüber niedriger als der natürliche Preis, so wird nach Smith eine entgegengesetzte Faktorenverschiebung stattfinden, die ihrerseits eine Angleichung des Marktpreises an den natürlichen Preis bewirkt. Der natürliche Preis eines Gutes ist also der einzige Preis, der - unter den genannten Umständen - keine Reallokation von Produktionsfaktoren bewirkt. Als ein „centre of repose and continuance" bildet er - im ökonomischen Sinne - ein Gleichgewicht. Diese Überlegungen bezieht Smith nicht nur auf einzelne Märkte, sondern auf die Volkswirtschaft als ganze: „The whole quantity of industry annually employed in order to bring any commodity to market naturally suits itself in this manner to the effectual demand. It naturally aims at bringing always that precise quantity thither which may be sufficient to supply, and no more than supply, that demand." (WN, I. 7, S. 161)
Ein volkswirtschaftliches Gleichgewicht liegt genau dann vor, wenn alle einzelnen Güter zu ihrem natürlichen Preis verkauft werden, mithin keine Tendenz zu einer Verlagerung von Produktionsfaktoren gegeben ist. Da Ungleichgewichte auf einzelnen Märkten nach Smith aufgrund des oben genannten Reallokationsmechanismus ausgeglichen werden, wohne auch der Volkswirtschaft als ganzer das Bestreben inne, einen Zustand des Gleichgewichts zu erreichen. Gemäß dieser Überlegung kann es
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unter marktwirtschaftlichen Bedingungen keine dauerhafte Über- oder Unterversorgung des Marktes mit Gütern geben. Durch die auf diese Weise garantierte Vermeidung von Fehlallokationen (von Produktionsfaktoren) wird nach Smith letztlich jeder materiell begünstigt; selbst „the very meanest person" (WN, I. 1, S. 117) verfuge über eine bessere Güterausstattung als „many an African king" 104 . Ist der Tausch aus Sicht des Wealth of Nations im allgemeinen ein anthropologisch fundiertes Verhalten, so ist er unter marktwirtschaftlichen Bedingungen der Garant einer effizienten, für jeden vorteilhaften Güterversorgung. In diesem Sinne mehrt die freie Marktwirtschaft nicht nur das Wohl der Nationen, sondern auch ihrer Bürger. Daß Hegel die Smithsche Gleichgewichtstheorie des Preises mit Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft für gültig erachtet, ist deutlicher als der Philosophie des Geistes dem bereits 1802/03 verfaßten System der Sittlichkeit zu entnehmen. Einschlägig sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel die folgenden Textstellen: „Diese Wechselwirkung des Einzelnen auf das Ganze, was aus dem Einzelnen besteht, und des Ganzen wieder als Ideelles auf das Einzelne, als den Wert bestimmend, ist ein beständig auf- und niedersteigendes Wogen, in welchem die Einzelheit, bestimmt durch das Ganze als einen hohen Wert habend, seine Masse anhäuft, und dadurch im Ganzen ein Überfluß, ins Ganze des Bedürfnisses aufgenommen wird. Durch diese Bestimmtheit erscheint die Indifferenz des Ganzen, angesehen als eine Menge von den übrigen Qualitäten, als ein Verhältnis derselben, und dieses hat sich geändert. Diese übrigen sind notwendig in Beziehung zu jener überflüssigen, und diese, die vorher in höherem Werte war, sinkt herab." (S. 80) „Es geschieht von selbst durch die Natur, daß sich das richtige Gleichgewicht teils unter unbedeutenden Schwankungen erhält, teils, wenn es durch äußere Umstände stärker gestört ist, durch größere[s] Schwanken sich wiederherstellt." (S. 81) „Die Abstraktion des Gleichgewichts ist wohl sicher, daß eine Art von Überfluß, die nicht mehr die Angemessenheit zur Totalität der Bedürfnisse hat, diese wieder erhalten, also daß erfolgen wird, daß einesteils sich nur so viele damit beschäftigen, als davon leben können, daß ihr Wert steigen wird, andernteils, daß, wenn ihrer zu wenig sind, für diejenigen, denen dieser Überfluß Bedürfnis ist, ihr Wert fallen wird." (S. 82)
Der „Wert" einer Ware ist nach Hegel das, „was die Beziehung des Überflusses auf das Bedürfnis", lies: des Angebots auf die Nachfrage, „ausdrückt" - folglich ist er identisch mit ihrem Preis. Der Wert/Preis einer Ware wird also durch das „Ganze" des gesellschaftlichen Angebots und der gesellschaftlichen Nachfrage bestimmt und „erscheint [...] als eine Menge von den übrigen Qualitäten" beziehungsweise von anderen Gütern: 1 Biber = 2 Hirsche, χ Ware А = у Ware В. Nach Hegel ändert sich dieses „Verhältnis", wenn ein Gut „durch das Ganze als einen hohen Wert habend" bestimmt wird; daß in diesem Fall die „Masse" beziehungsweise das Angebot des fraglichen Gutes steigt und sein Wert „sinkt", ist eine These, die unterstellt, daß aufgrund relativ guter Erwerbsmöglichkeiten eine Faktorenverlagerung stattfindet, 104
Vgl. in diesem Zusammenhang John Rawls' Maximin-Argument.
100
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die ihrerseits - bei konstanter Nachfrage - einen Ausgleich der Profitraten und Lohnsätze bewirkt. Aufgrund dieses Mechanismus ist „wohl sicher, daß eine Art von Überfluß, die nicht mehr die Angemessenheit zur Totalität der Bedürfnisse hat, diese wieder erhalten" wird. Für den Fall, daß dieser „Überfluß" größer als das entsprechende gesamtgesellschaftliche „Bedürfnis" ist, bedeutet dies, daß Produktionsfaktoren zur Herstellung anderer ,,Art[en] von Überfluß" eingesetzt werden, so „daß erfolgen wird, daß [...] sich nur so viele damit (mit der Produktion des fraglichen „Überflusses"; SaB) beschäftigen, als davon leben können, daß ihr Wert steigen wird". Demgegenüber bewirkt der „hohe Wert", der für eine einzelne Ware („Einzelheit") am Markt erzielt wird, daß sich ihre „Masse" anhäuft, mithin ihr Wert „sinkt", so daß „für diejenigen, denen dieser Überfluß Bedürfnis", mit anderen Worten: Tauschmittel zum Erwerb der von ihnen benötigten Waren, „ist, ihr Wert fallen wird". In diesem Sinne „geschieht von selbst durch die Natur, daß sich das richtige Gleichgewicht [...] wieder herstellt". Das „richtige Gleichgewicht" ist für Hegel also derjenige Zustand, in dem die an der Herstellung eines Gutes beteiligten Personen „davon leben können". Entsprechend wird im Fall eines hohen „Wertes" des von ihnen produzierten Gutes ihr Lohn über, im Fall eines niedrigen Werts unter dem zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes notwendigen Niveau liegen105. Im Verständnis des Systems der Sittlichkeit geht das Funktionieren des kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Systems mit dem Entstehen von Arbeitslosigkeit und Armut einher. Aufgrund nationaler und internationaler Konkurrenz werden diejenigen Unternehmen, deren Produktionskosten vergleichsweise hoch sind, vom Markt verdrängt; da sie Empfanger eines Subsistenzlohnes waren, also keine Ersparnisse haben bilden können, sind die in einem solchen Fall freigesetzten' Arbeiter von materieller Armut betroffen. Die durch den „zu niedrigen Wert" beziehungsweise Preis eines Gutes bewirkte Verminderung des Angebots dieser „Art von Überschuß", mithin der auf diesem Sektor eingesetzten Produktionsfaktoren, hat nach Hegel zur Folge, daß ein „Teil, dessen physische Existenz vom Ganzen sich abhängig gemacht hat [...] itzt durch dies Ganze ganz ruiniert wird [...] Denn das Sinken des Werts einer Art von Überfluß und die Unfähigkeit desselben, die Totalität des Bedürfnisses zu vertreten, da an diese Fähigkeit ein Teil des Volkes im Vertrauen auf das Allgemeine seine Existenz geknüpft hat, zerstört diese und betrübt sein Zutrauen." (S.81f.)
Mit dieser These wird implizit - in moderner Terminologie - die Annahme bestritten, daß die auf einem Sektor freigesetzten Produktionsfaktoren umgehend in einer anderen Branche zum Einsatz kommen. Vielmehr können vom Standpunkt des Systems der Sittlichkeit zum Beispiel Produktionsausfalle in der Landwirtschaft („unfruchtbare 105
Dem entspricht Smiths These, daß der „natürliche Preis" des Faktors Arbeit ein Entgelt in Höhe des Subsistenzlohns sei; vgl. WN, 1.7.
D I E AKTUALITÄT DER HEGELSCHEN KRITIK
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Jahre") oder die Einführung kostensparender Herstellungsverfahren zu einem erheblichen Anstieg der Zahl der Arbeitslosen fuhren. Ob diese Personen in anderen Bereichen eine Anstellung finden werden, hängt nun offenbar davon ab, ob es Waren gibt, deren Wert so hoch ist, daß sich ihre „Masse" anhäufen läßt - eine Bedingung, die aus Sicht des Systems der Sittlichkeit keineswegs notwendigerweise erfüllt ist. Wie gesehen, legt die Philosophie des Geistes sogar nahe, daß „das unablässig[e] Ringen nach Vereinfachung der Arbeit" zumindest phasenweise einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosenzahl bewirkt. Die Einschätzung: „das Gewerbe wird freylich verlassen von selbst, - aber mit Aufopferung dieser Generation, und Vermehrung der Armut" (245,3f.) liegt der Forderung zugrunde, die Staatsgewalt müsse dafür „sorgen, daß jede Sphäre erhalten werde, ins Mittel treten; Auswege, neue Canäle des Verkauffs in andern Ländern aufsuchen - u.s.f." (244,24-26). Zwar ist Hegels These, unter modernen marktwirtschaftlichen Bedingungen bewirke das Erwerbsstreben zum einen Absatzkrisen, zum anderen das Entstehen von (Massen)Arbeitslosigkeit und materieller Armut, insofern aufschlußreich, als sie Licht auf die im Wealth of Nations nicht untersuchte Frage nach den Bedingungen eines Gleichgewichts auf allen Teilmärkten, also Güter-, Faktor- und Kapitalmärkten, mithin nach den Bedingungen eines Gleichgewichts auf dem Arbeitsmarkt, wirft; nicht zu übersehen ist indes, daß diese These weder in der Philosophie des Geistes noch an einem anderen Ort von Hegel ökonomisch begründet wird. Setzt man Hegels oben zitierte Argumente zueinander in Beziehung, so gelangt man zu der folgenden Position: Die - in der Absicht einer Reduzierung der Produktionskosten vorgenommene - Substituierung menschlicher durch nichtmenschliche Arbeit bewirkt einen Anstieg der Zahl der Erwerbslosen, mithin einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, was sich wiederum in Absatzschwierigkeiten fur die Warenanbieter äußert.106 Eine solche Position ist ökonomisch umstritten. Gemäß der herrschenden neoklassischen Theorie ist die freie Marktwirtschaft nämlich ein System, in dem sowohl Absatzschwierigkeiten als auch Arbeitslosigkeit nur vorübergehender Natur sein können. Dieser Auffassung liegt die - üblicherweise als Saysches Theorem oder Gesetz bezeichnete107 - Auffassung zugrunde, daß unter marktwirtschaftlichen
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Zur maschinell bedingten Arbeitslosigkeit vgl. auch David Ricardos Untersuchung in Ricardo (1994). Vgl. insbesondere das Kapitel „On Machinery". 107 Nach Kolb (1997) ist es fraglich, ob dieses Gesetz tatsächlich auf Say zurückgeht: „Umstritten ist zudem, ob das Gesetz der (verstopften) Absatzwege tatsächlich ursprünglich von Say stammt, zumal es nach nur vagen und verstreuten Andeutungen in der Erstauflage des ,Traite' (1803) erst in der elf Jahre später erschienenen 2. Auflage seine Ausformulierung erfuhr. Vollständig dargestellt findet man es 1808 in einem Rezensionsartikel bei James Mill; Baumol glaubt, im ,Wealth of Nations' mindestens drei Passagen entdeckt zu haben, ,die eine vollständigere Erklärung des starren ,Say's Law' anbieten, als sie in der ersten Auflage des Traite erschienen' (1986, S. 36). Außerdem - ,hielt Say nicht starr an der Doktrin fest und ließ damit
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Bedingungen eine dauerhafte Überproduktion beziehungsweise eine „Verstopfung der Absatzwege"108 unmöglich sei. Nach Say erfolgt die Herstellung von Gütern in der Absicht, konsumtive oder produktive Güter derselben Wertgröße zu erwerben; aus diesem Grunde ist die Produktion von Gütern mit der Schaffung einer ihr quantitativ entsprechenden Nachfrage identisch, so daß lediglich die qualitative Zusammensetzung, nicht aber die Größe des gesamtgesellschaftlichen Angebots der Nachfrage unangemessen sein könne; da sich in diesem Fall aber das Angebot gemäß der Smithschen Gleichgewichtstheorie des Preises der Nachfrage anpasse, können Absatzschwierigkeiten in einer marktwirtschaftlich eingerichteten Volkswirtschaft nicht von Dauer sein. Die neoklassische Doktrin trägt dem Umstand Rechnung, daß Says Theorie nur dann einleuchtend ist, wenn das durch Veräußerung von Gütern eingenommene Geld unverzüglich als Kaufmittel eingesetzt wird. Diese Bedingung ist nach Ansicht der Neoklassiker aufgrund der Flexibilität des Realzinses erfüllt. Hierdurch werde sichergestellt, daß das von den Haushalten gesparte, also nicht für Konsumgüter ausgegebene Einkommen nicht dem Markt entzogen, sondern von den Unternehmen zu Investitionszwecken verwendet wird.109 Da auf diese Weise jedes Güterangebot komplett absorbiert werde, gilt das Saysche Theorem nach neoklassischer Auffassung auch unter modernen Bedingungen. Entsprechend garantiere die Flexibilität des Reallohnsatzes Vollbeschäftigung. Sie koordiniere die vom Reallohn negativ abhängige Nachfrage nach Arbeitslei-
seine Mitverfechter des Gesetzes an seiner Zuverlässigkeit zweifeln' (ebd, S. 34)." Vgl. Kolb (1997), S. 72. 108 Vgl. Say (1827), Bd. 1, Kap. XV, „Von den Absatzwegen": „Es ist eine interessante Bemerkung, daß jedes Product vom Augenblick seiner Erzeugung an für den ganzen Betrag seines Werthes anderen Producten einen Absatzweg eröffnet. In der That, wenn der letzte Producent ein Product vollendet hat, so geht sein höchstes Streben nach dessen Verkauf: damit der Werth dieses Products in seiner Hand nicht brach liege. Allein nicht minder eilt er, sich des Geldes, das sein Verkauf ihm einträgt, zu entledigen, damit der Werth des Geldes ebenso wenig in seiner Hand müssig liege. Nun kann man aber seines Geldes nicht anders los werden, als indem man irgend ein Product zu erkaufen sucht. Folglich sieht man, daß die bloße Thatsache der Bildung eines Productes, sogleich wie sie erfolgt ist, für andere Producte einen Absatz herbeyführt." (S. 244f.) 109 Dieser These liegt - stark vereinfacht - folgende Überlegung zugrunde: Die Spartätigkeit beziehungsweise das Angebot an Realersparnis ist positiv abhängig vom realen Zinssatz i/p, so daß gilt: S = S(i/p) mit dS/d (i/p) >0. Da nach dieser Doktrin zum einen die Grenzproduktivität des Kapitals bei Erhöhung des Kapitalbestandes beziehungsweise bei Zunahme der Investitionen abnehme (δ2Υ/9Κ2