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German Pages 247 Year 2006
Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss
Herausgegeben von Andreas Arndt, Christian Iber und Günter Kruck
Hegel-Forschungen Herausgegeben von Andreas Arndt Paul Cruysberghs
Andrzej Przylebski
Hegels Lehre vom Begriff,
Urteil und Schluss Herausgegeben von
Andreas Arndt, Cristian Iber und Günter Kruck
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Akademie Verlag
ISBN-10: 3-05-004004-1 ISBN-13: 978-3-05-004004-2 © Akademie Das
Verlag GmbH, Berlin 2006
eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN / ISO 9706.
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -
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Lektorat: Mischka Dammaschke Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Satz: Veit Friemert, Berlin Druck: MB Medienhaus Berlin GmbH Bindung: LUderitz & Bauer, Berlin Printed in the Federal
Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Einführung. Erster Teil:
7
Begriff
Andreas Arndt Die Subjektivität des
Begriffs.
11
Pirmin Stekeler-Weithofer Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?.
24
Zweiter Teil: Urteil Rainer Schäfer Hegels identitätstheoretische
Deutung des Urteils.
Alexander Grau Die Röte der Rose Hegel über Neubeschreibungen und
48
Bedeutungsverschiebung.
69
Hegeische Konzeption.
80
Chong-Fuk Lau
Urteilsformen und Kategorienlehre Die Aristotelisch-Kantische und die
Alexander Oberauer Zur Bestimmung des Verhältnisses von Urteil und Schluss in Hegels Wissenschaft der Logik.100
Dritter Teil: Schluss Christian Iber Zum erkenntnistheoretischen Programm der Schlusslehre Hegels mit Blick auf seine Kritik am Verstandesschluss.119
Friedrike Schick Der Schluss der Allheit
.137
Dirk Stederoth Hegels Kritik der Induktion und ihre Bedeutung für (s)eine Kritik der Erfahrungswissenschaften
Günter Kruck Der Schluss der Notwendigkeit
.150
.164
Konrad Utz
„Alles Vernünftige ist ein Schluß"
Zur Bedeutung der
Hegeischen Schlusslehre für das spekulative Denken
Anton Friedrich Koch Die Problematik des Übergangs
von
der Schlusslehre
zur
...
Objektivität
181 205
....
Georg Sans Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
.216
Siglen. Auswahlbibliographie.
233
Hinweise
241
zu
den Autoren.
Personenverzeichnis
.
234
245
Einführung
Eine Einführung in einen Band zu Hegels Wissenschaft der Logik und speziell der Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss wäre sicherlich überfordert, wenn man von ihr eine Einführung in die Logik Hegels insgesamt erwarten würde. Denn zu unterschiedlich scheinen die drei Teile der Logik, die Seins- bzw. die Wesens- und die Begriffslogik, auch und gerade auf dem von Hegel selbst festgehaltenen Reformbedarf, den die Wissenschaft der Logik kompensieren soll: Die Logik ist nämlich nicht nur gemäß Hegels Vorrede in dem, was sie reflektiert, zur vormaligen Metaphysik ins Verhältnis zu setzen, wenn sie denn adäquat verstanden werden will. Die Logik ist darüber hinaus auch nach Hegels Einleitung zu dieser Wissenschaft nur aus ihrer Beziehung zur klassischen Logik zu verstehen, weil sie die Regeln und Gesetze des Denkens nicht voraussetzen kann, sondern diese in ihr begründet werden sollen. Wie allein diese beiden Vorgaben zu harmonisieren und mit dem Aufbau der Logik in Übereinstimmung zu bringen sind, scheint einen Diskussionsbedarf zu erzeugen, der in jedem Fall den Umfang einer Einführung übersteigt. Es kann aber in einer Einführung noch nicht einmal um viel weniger als um eine erste Orientierung hinsichtlich der Logik Hegels insgesamt gehen: Eine einführende Einleitung unter das berechtigte Vorzeichen zu stellen, doch wenigstens das entscheidend Gemeinsame zum Projekt von Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss zu benennen, muss zwangsläufig fehlgehen: Denn das entscheidend Gemeinsame des letzten Teils der Hegelschen Logik zu identifizieren, setzt voraus, dass eindeutig klar ist, worum es sich wirklich handelt. Für den dritten Teil der Logik Hegels ist genau dies aber nicht nur unter den Hegel-Experten, sondern auch im Blick auf Hegel selbst umstritten: Hält man sich nämlich an den Vorbericht zu diesen Partien der Hegelschen Logik, von dem man sich doch eine Aufklärung bezüglich der Sachverhalte, die im folgenden behandelt werden, versprechen kann, dann fällt zunächst auf, dass es eine Unscharfe hinsichtlich der Nomenklatur dieses dritten Teils der Logik gibt: Die Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss wird als ganzes in ihrem dritten Teil auch als ,die Lehre von Begriff bezeichnet. Die Lehre vom Begriff ist also selbst nicht nur ein Segment des dritten Teils von Hegels Wissenschaft der Logik, sondern ein Name für diesen gesamten Abschnitt, um den es in diesem Band geht. Wie dieser Befund jenseits einer Aporie zu verstehen ist, wird im Vorbericht, von dem man doch eine klare Stellungnahme in dieser Hinsicht erwarten könnte, nicht aufgeklärt.
8
Einführung
Noch kryptischer oder dunkler wird es, wenn Hegel diesen gesamten dritten Teil auch unter den Begriff der subjektiven Logik' stellt, während die Seins- und die Wesenslogik als ,objektive Logik' bezeichnet werden. Dunkel oder kryptisch, weil nach dem Vorbericht nämlich weder deutlich wird, was die Bezeichnung der Lehre vom Begriff mit dem Titel ,subjektive Logik' für diesen Teil miteinander zu tun haben, noch was Hegels Namensgebung definitiv begründet was ebenfalls für einen Vorbericht eigentlich doch zu erwarten wäre. Ein einziger Hinweis findet sich für die von Hegel gewählte Bezeichnung der subjektiven Logik: Der Begriff ,subjektive Logik' sei aus Bequemlichkeit für diejenigen gewählt, die für die „gewöhnlich [in der] so genannten Logik befaßten Materien ein grösseres Interesse zu haben gewöhnt sind [...]." (GW 12, 5) Nimmt man diesen Hinweis auf, und fragt sich nochmals nach dem Gegenstand dieses Teils der Logik, dann scheint es inhaltlich um die schon zu Beginn genannten Gegenstände der sogenannten formalen Logik zu gehen: Um das Logische Schließen mit den Elementen einer Urteilslehre und einer Syllogistik. Dass diese vor allem seit Aristoteles bekannten Sachverhalte von Hegel unter dem Titel ,subjektive Logik' verhandelt werden, könnte auf die Spur Kants führen, da Hegel bereits auch in seiner Vorrede zur Logik insgesamt auf Kants Philosophie anspielt: Können wir das An-sichSein der Dinge nicht erkennen und muss sich unsere Erkenntnis zunächst als Kritik unserer Erkenntnisfähigkeit artikulieren, dann ist das Logische Schließen eben gut Kantisch unter den Bedingungen eines denkenden Subjekts zu betrachten. Damit würde im dritten Teil der Wissenschaft der Logik von Hegel sozusagen ein philosophiehistorisches Amalgam verschiedener Autoren mit diversen Inhalten präsentiert. Die Wissenschaft der Logik wäre also in ihrem dritten Teil, pointiert gesprochen ein Lehrbuch der formalen Logik unter dem Vorzeichen der kopernikanischen Wende Kants. Genau auf dieser Linie wäre dann auch zu verstehen, wenn Hegel im schon erwähnten Vorbericht fordert, das ,verknöcherte Material' oder den ,toten Stoff ,in Flüssigkeit zu bringen'. Dem scheint Hegels Verwendung der Bezeichnung der ,Lehre vom Begriff für den gesamten dritten Teil aber zu widersprechen: Denn nach der Lesart als ,subjektive Logik' würde sich eher der Gedanke nahe legen, dass ein Ich Begriffe hat, so wie es über die Fähigkeit zum Logischen Schließen verfügt, oder wie ein Ich nach einem Zitat von Hegel aus den Reflexionen zum begriff im Allgemeinen' in demselben sachlichen Zusammenhang „auch einen Rock, Farbe und andere äusserliche Eigenschaften habe" (GW 12, 17). Wenn man Begriffe hat, ist das aber offensichtlich nicht mit der Tatsache zu identifizieren, dass der Begriff selbst die Grundlage dieses Teils der Logik ist und dieser Abschnitt deshalb unter dem Titel ,die Lehre vom Begriff im Singular firmiert. Diese Annäherung zum Gegenstand der Logik wird dadurch unterstützt, dass mit dem Stichwort des Begriffs von Hegel die Erkenntnis der Wahrheit überhaupt verbunden ist: Die Entschuldigung Hegels bezüglich einer unvollkommenen Ausführung dieses Teils der Logik hat zunächst für Hegel ihren Grund in der Größe und Erhabenheit des Gegenstands', der eben der Begriff der Wahrheit selbst ist. Wenn aber der Begriff als die Wahrheit selbst vorgestellt wird, dann kann es sich abgesehen davon, was auch immer das heißen mag jedenfalls nicht um eine bloße Aufsammlung philo,
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,
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Einführung
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sophiehistorischer Brocken handeln, wie dies die angedeutete Interpretation zum Titel ,subjektive Logik' nahe legt. Der Begriff als die Wahrheit scheint sich demnach gerade angesichts des von Hegel erwähnten Mangels der Durchführung gegen ein Verständnis der Logik zu sperren, das unter dem Titel ,subjektive Logik' auftritt. Denn die Wahrheit bedarf doch als Zusammenstellung der Wahrheit geschichtlicher Einsichten (wenn das unter Wahrheit zu verstehen wäre) nicht einer Entschuldigung bezüglich ihrer eventuell mangelhaften Ausführung. Eine solche philosophiehistorische Einsichten konservierende Wahrheit wird nicht unwahr, wenn sie nicht geschickt dargestellt wird. Der von Hegel emphatisch verwendete Begriff der Wahrheit, den er mit ,dem Begriff identifiziert, scheint also gegen die Vereinbarkeit der Titel ,subjektive Logik' und ,die Lehre von dem Begriff zu sprechen. Vollends unsicher wird man hinsichtlich des Gegenstands, um den es im dritten Teil der Logik geht, wenn Hegel im Konzert der Titel ,subjektive Logik' oder ,die Lehre von Begriff für diesen Teil der Logik im Zusammenhang des Begriffs der Wahrheit auf die biblische Frage des Pilatus nach der Wahrheit Bezug nimmt: Verbirgt sich hinter der Wahrheit als Wahrheit des Begriffs damit eigentlich ein christlich-religiöser Inhalt, der dem Johannesevangelium zu entnehmen ist, in dem die Frage des Pilatus (Joh. 18,38) vorkommt? Ist die Wahrheit als ,Lehre vom Begriff also religiös imprägniert zu verstehen, so dass der eigentliche Inhalt dieser Partien der Logik ein religiöser ist? Die Frage, die dann aber zu beantworten wäre, beträfe das Verhältnis zwischen dem religiösen Gehalt und seiner logischen Form für diese Abschnitte der Wissenschaft der Logik: Wenn es sich eigentlich um eine schlichte Inhaltsidentität von religiösem Gehalt und logischer Form handelt, der nicht explizit als solcher auch auftritt, sondern nur implizit zu erschließen ist, wie ist dann diese Aufhebung der religiösen Vorstellung in den Begriff zu verstehen? Ein solches Verständnis der Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss hätte dann aber unter dem Titel der Wahrheit des Begriffs sicherlich nichts mehr mit dem zu tun, was zu Beginn unter dem Etikett ,subjektive Logik' beschrieben -
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wurde. Als Zwischenbemerkung nach dem Vorbericht Hegels zu den hier interessierenden Abschnitten der Wissenschaft der Logik ist deshalb festzuhalten, dass mehr Fragen zum Gegenstand des dritten Teils der Logik zu notieren sind, als der Text selbst Antworten bereithält. In jedem Fall stellt sich damit für einen Band, der sich mit seinen Beiträgen als kommentierende Diskussionsplattform für den dritten Teil der Hegelschen Logik versteht, die Frage nach dem, was der eigentliche Gegenstand dieser Partien der Logik ist; was in diesem Zusammenhang Subjektivität oder subjektive Logik heißt, und in welchem Verhältnis dieser Titel zur ,Lehre vom Begriff steht, die Hegel beide als Titel durch ein ,oder' verbindet und demnach offensichtlich für synonym hält. Da speziell diese Verbindung nach den bisherigen Überlegungen völlig unverständlich ist, ergibt sich hier ein erheblicher Klärungsbedarf hinsichtlich des Verständnisses ,der Lehre vom Begriff als Wahrheit im Verhältnis zu bzw. gegenüber einer Wissenschaft, die unter dem Titel ,subjektive Logik' firmiert. Wie dieses Konzept der Lehre vom Begriff als der Wahrheit zur religiösen Wahrheit in Beziehung gesetzt werden kann, wäre ein
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Einführung
weiteres Problemfeld, das aufgrund der Bemerkungen des Vorberichts behandelt werden müsste. Dass das philosophische Fragen aus der Nacht, in der alle Kühe schwarz sind, zum Licht der Erkenntnis über den dritten Teil der Wissenschaft der Logik führt, ist die Hoffnung, die die Herausgeber mit dem Band verbinden, auch wenn vor allem die Frage nach dem Verhältnis der religiösen Wahrheit zur Wahrheit des Begriffs angesichts der komplexen Grundprobleme im Verstehen der Hegeischen Logik nur am Rande behandelt wird. Thematisch konzentriert sich der Sammelband auf den ersten Teil der Begriffslogik, Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss. Nicht nur die Gesamtkonzeption der Begriffslogik, auch ihr erster Teil birgt Probleme in sich. Nirgends scheint Hegel so wie in diesem Teil der Logik abhängig zu sein von vorgegebenen Theorien. So wird ihm eine Abhängigkeit von Kant in der Urteilstheorie und eine Abhängigkeit von Aristoteles in der Schlusslehre bescheinigt. Einige Interpreten werfen ihm einen Rückfall in eine Begriffsmetaphysik oder eine Vergöttlichung des Begriffs vor. Die zum Standardvorwurf gewordene Kritik an Hegels Lehre vom Urteil lautet, er habe die Kopula mit Identität verwechselt. „The portion of Hegel's dialectic [...] seems to rest throughout on a confusion between two meanings of the word is". Und der Hegelianer Vittorio Hösle kommt in bezug auf die Schlusslehre zu folgendem niederschmetternden Befund: „In noch höherem Maße als Hegels Urteilslogik muß seine Schlußlogik als überholt gel-
ten".2
Im Lichte all dieser Befunde scheint eine
eingehendere Beschäftigung mit Hegels Urteilsund Schlusslehre Begriffs-, wenig vielversprechend zu sein. Die hier versammelten Beiträge prüfen, ob solche und ähnliche Diagnosen tatsächlich zutreffen, oder ob solche gängig gewordenen Auffassungen in bezug auf die Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss an entscheidenden Punkten zu revidieren sind. Während die Seins- und Wesenslogik relativ gut erforscht sind, ist Hegels Begriffslogik von der Forschung bisher eher stiefmütterlich behandelt worden. Es ist unseres Erachtens ein Desiderat der Hegel-Forschung, diesen Teil von Hegels Logik kritisch aufzuarbeiten. Der vorgelegte Band geht in seinen wesentlichen Teilen auf eine Tagung zurück, die die Herausgeber im Oktober 2003 am Erbacher Hof, der Akademie des Bistums Mainz, vor allem durch das Engagement der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bzw. die logistische respektive finanzielle Unterstützung dieser Institution durchführen konnten. Hierfür sei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Erbacher Hofes und vor allem dem Akademiedirektor gedankt, aber auch dem Bischof, Karl Kardinal Lehmann, der als Ortsordinarius maßgeblich den Freiraum für eine solche Tagung durch sein Interesse auch an diesen Themen offen hält.
B. Russell, Logical and Philosophical Papers 1909-13, ed. John G. Slater, London/New York (Routledge) 1992, 365. V. Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität. Band 1 : Systementwicklung und Logik, Hamburg 1988, 238.
Erster Teil:
Begriff
Andreas Arndt
Die
Subjektivität des Begriffs
Der zweite Band der Wissenschaft der Logik, der im Anschluss an die Lehre vom Sein und die Lehre vom Wesen deren dritten Teil (nach Hegels Gliederung: deren drittes Buch) umfasst, wurde von Hegel gewissermaßen mit einer doppelten Überschrift versehen: „Die subjektive Logik oder die Lehre vom Begriff. Dass es sich um die subjektive Logik handelt, charakterisiert diesen Band gegenüber dem ersten, denn Seinslogik und Wesenslogik bilden zusammen den ersten Band, der mit dem Titel „Die objektive Logik" überschrieben ist. Was die Subjektivität der subjektiven Logik oder des Begriffs meint, ist gleichwohl nicht eindeutig. In seinen Ausführungen zum problematischen Urteil weist Hegel eher beiläufig darauf hin, dass der Terminus „Subjektivität" überhaupt zweideutig ist, indem ,jede der beyden Seiten des Subjekts, sein Begriff und seine Beschaffenheit, dessen Subjectivität genannt werden könne. Der Begriff ist das in sich gegangene allgemeine Wesen einer Sache, ihre negative Einheit mit sich selbst; diese macht ihre Subjectivität aus. Aber eine Sache ist auch wesentlich zufällig und hat eine äusserliche Beschaffenheit; diese heißt ebenso sehr deren blosse Subjectivität, jener -
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Objectivität gegenüber." In der ersten Bedeutung meint Subjektivität die negative Einheit mit sich selbst, also die dialektische Form der Selbstbezüglichkeit. In der zweiten Bedeutung dagegen meint Subjektivität die Äußerlichkeit gegenüber der Objektivität des Wesens. Ausdrücklich bemerkt Hegel an der zitierten Stelle, dass die „entgegengesetzte Bedeutung des Subjektiven" auch „in dem Räsonnement der gewöhnlichen Reflexion" vorkomme und darauf aufmerksam mache, dass jede dieser Bedeutungen „einzeln für sich einseitig" seien.2 Eben deshalb ist es auch keine ungenaue Ausdrucksweise, wenn Hegel die Subjektivität einmal als Wesen und dann als ebenso wesentliche Äußerlichkeit bezeich1
2
GW 12, 87. Ebd.
Andreas Arndt
12
Die
subjektive Logik, so lässt sich von hier aus absehen, wird die Subjektivität des Begriffs in beiden Hinsichten bestimmen und zeigen, dass und wie beide Bedeutungen von Subjektivität im Begriff selbst zur Einheit gebracht sind. Im Rahmen der Hegeischen Philosophie mag es nicht weiter überraschen, dass in dieser Weise zwei einseitige Bestimmungen synthetisiert werden. Die Konsequenz einer solchen Synthese jedoch ist für unser gewöhnliches Verständnis des Logischen und des Begreifens nur schwer zu vermitteln. Die formale Logik ist ja gerade dadurch
net.
charakterisiert, dass sie von allen bestimmten Inhalten des Erkennens absieht und allein
die Stimmigkeit der Verknüpfung von Argumentationsformen als solchen beurteilt. Und das Begreifen wird gewöhnlich als das Begreifen von etwas verstanden, das Gegenstand des Begriffs, aber keinesfalls mit diesem schlechthin identisch ist (selbst das Begreifen des Begriffs wäre ja eine Metatheorie des Begriffs, in welcher dieser der Gegenstand des Begreifens wäre). In beiden Fällen bleibt für die subjektive Seite so etwas wie eine konstitutive Äußerlichkeit oder Differenz zum Gegenstand. In dieser Weise etwa haben die Bewusstseinstheorien des 18. Jahrhunderts das Erkennen bestimmt, und sofern in dieser Tradition das Selbstbewusstsein nur als Spezialfall des Gegenstandsbewusstseins angesehen wird, wäre auch die Subjektivität als Selbstbezüglichkeit nach diesem Modell reflexiv zu verstehen, d.h.: als Selbstbeziehung durch Beziehung auf Anderes. Auch in diesem Falle wäre die Rede von „Subjektivität" als Selbstbeziehung an eine für sie konstitutive Äußerlichkeit gebunden. Von diesem Standpunkt aus könnte von einer „entgegengesetzten Bedeutung" des Subjektiven, von der Hegel spricht, gar keine Rede sein: die Bedeutung bestünde in beiden Fällen gleichermaßen darin, Subjektivität in Differenz oder Äußerlichkeit zu Objektivität anzuzeigen. Und auch das „Räsonnement der gewöhnlichen Reflexion" würde eine entgegengesetzte Bedeutung nur insofern annehmen wollen, als die „bloße Subjektivität" die Differenz zur Objektivität verabsolutiert, d.h. sich in einen willkürlichen Gegensatz zur Objektivität begeben und die objektive Bindung des Begriffs aufgegeben habe. Eine solche Subjektivität indessen kann hier nicht gemeint sein, denn sie hätte kein logisches, sondern bloß pathologisches Interesse. Demnach verbindet Hegel offenbar einen spezifischen Sinn mit der Rede von der Subjektivität des Begriffs; wie aber auch immer die „entgegengesetzten" Bestimmungen gefasst werden mögen, zielt er dabei auf eine Subjektivität des Begriffs, welche jede Äußerlichkeit getilgt hat, so dass der Begriff allein intern generierte Differenzen bearbeitet. Die Möglichkeit und Stimmigkeit einer solchen Konzeption der Subjektivität des Begriffs, wie sie sich nach Hegel in der absoluten Idee als absoluter Methode erfüllt, ist das, was in der Lehre vom Begriff letztlich auf dem Spiel steht. Ich möchte mich dieser Problematik nähern, indem ich zunächst verschiedene Ebenen der Thematisierung von „Subjektivität" innerhalb der Begriffslogik unterscheide. In einem zweiten Schritt gehe ich sodann auf die Genese und den Begriff des Begriffs im Allgemeinen ein. Und drittens schließlich frage ich danach, wie sich Hegels Auffassung von der Subjektivität des Begriffs rechtfertigen lässt.
Vgl. hierzu Falk New York 2005.
Wunderlich, Kant
und die
Bewußtseinstheorien des
18. Jahrhunderts, Berlin und
Die Subjektivität des Begriffs
1. Ebenen
von
13
Subjektivität
Im „Vorbericht" zur Lehre vom Begriff kündigt Hegel an, dieser Teil der Logik werde auch „unter dem besondern Titel: System der subjectiven Logik zur Bequemlichkeit derjenigen Freunde dieser Wissenschaft ausgegeben, die für die hier abgehandelten, in dem Umfang der gewöhnlich so genannten Logik befaßten Materien ein grösseres Interesse zu haben gewöhnt sind".4 Hiermit spielt Hegel auf das traditionelle Verständnis der formalen Logik an, wie es auch von Kant zugrundegelegt worden war. Danach ist die Logik subjektiv insofern, als sie es mit der subjektiven Seite des Erkennens zu tun hat und von den besonderen Gegenständen des Denkens absieht, d.h. eben: sofern sie formal ist.5 Tatsächlich behandelt Hegel dann ja nach einleitenden Ausführungen in einem „ersten Abschnitt" der Lehre vom Begriff unter zum Begriff im Allgemeinen dem Titel „Die Subjektivität" Begriff, Urteil und Schluss, also die Gegenstände der -
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traditionellen, formalen Logik.
Nun ist diese Subjektivität nicht „bloß subjektiv" in dem Sinne, dass die logischen in das Belieben des erkennenden Subjekts gestellt sind. Auch Kant hatte ausdrücklich daraufhingewiesen, dass die Logik als „Wissenschaft des richtigen Verstandes- und Vernunftgebrauchs" diesen „nicht subjectiv" zum Gegenstand habe, „d.h. nicht nach empirischen (psychologischen) Principien, wie der Verstand denkt, sondern objectiv, d.i. nach Principien a priori, wie er denken soll." Die Subjektivität, die Hegel im ersten Abschnitt der Lehre vom Begriff zunächst meint, ist also subjektiv in dem Sinne, dass sie nicht auf bestimmte Gegenstände geht, sondern die subjektiven Bedingungen der logischen Thematisierung von Gegenständen überhaupt betrifft. Indessen will Hegel auch den Freunden der Wissenschaft der subjektiven Logik einsichtig machen, dass diese Wissenschaft nicht einen äußerlich bleibenden Formalismus präsentiert, der auf beliebige Gegenstände bezogen werden kann, sondern einen eigentümlichen Inhalt im Logischen selbst hat, d.h. in dem Zusammenhang der reinen Gedankenbestimmungen. Die Wissenschaft der Logik ist für Hegel keine formale Wissenschaft, sondern Wissenschaft der logischen Formbestimmtheit, welche die logischen Formen nach der Bestimmtheit ihres logischen Inhalts betrachtet. Sie ist also Wissenschaft der Logik in dem Sinne, dass sie die Logik selbst zum Gegenstand hat oder (Selbst-)Reflexion der Logik hinsichtlich ihrer Gehalte ist. Die bloße Subjektivität dieser Logik ist daher aus der Sicht Hegels ein bloßer Schein. Tatsächlich hat sie es, soweit sie mit der traditionellen formalen Logik übereinkommt, d.h. als Theorie des Begriffs, des Urteils und des Schlusses auftritt, nicht nur mit einer Gegenständlichkeit überhaupt zu tun, sondern mit einer in einer bestimmten Weise logisch strukturierten Wirklichkeit. Die subjektive Logik hat, wie eingangs erinnert, bereits einen bestimmten Inhalt hinter sich an derjenigen Objektivität, zu der sie sich als Subjektivität überhaupt verhält. Diese Objektivität ist die der objektiven Logik als Seins- und Wesenslogik. Sofern die subjektive Logik aus der Wesenslogik herkommt, ist sie also subjektiv zu-
Operationen
4
5 6
GW 12, 5.
Vgl. Kant, Logik, Ebd.
AA
9, 16.
Andreas Arndt
14
nächst präzise in dem von Hegel angegebenen Sinne als Äußerlichkeit gegen die Objektivität des Wesens. Nun ist diese Objektivität aber, wie schon erwähnt, logisch vorstrukturiert, und insofern bleibt es nicht bei der Bestimmung der bloßen Äußerlichkeit allein, sondern die subjektive Logik hat zugleich und von Anfang an auch die andere Bestimmung der Subjektivität, nämlich die (negative) Selbstbeziehung in sich. Diese andere Bedeutung von Subjektivität liegt in dem Resultat der objektiven Logik und bildet im eigentlichen Sinne den Übergang zur Logik des Begriffs, also zu der subjektiven Logik. „Die objective Logik, welche das Seyn und Wesen betrachtet, macht [...] eigentlich die genetische Exposition des Begriffes aus. Näher ist die Substanz schon das reale Wesen oder das Wesen, insofern es mit dem Seyn vereinigt und in Wirklichkeit getreten ist."7 In dem Begriff der Substanz als dem abschließenden Resultat der objektiven Logik liegt aber, Hegel zufolge, bereits an sich die negative Selbstbezüglichkeit, also die andere der beiden Bestimmungen von Subjektivität. An sich, sofern die Selbstbeziehung hier gleichsam objektiven Charakter hat (sie steht unter den Kategorien der Notwendigkeit und der Wechselwirkung) und im Begriff erst zum Bewusstsein, d.h. zum Selbstbewusstsein kommen muss. Die Substanz, so heißt es bei Hegel, sei „das Absolute [...]; an sich als die einfache Identität der Möglichkeit und Wirklichkeit, absolutes, alle Wirklichkeit und Möglichkeit in sich enthaltendes Wesen; für sich, diese Identität als absolute Macht oder schlechthin sich auf sich beziehende Vor diesem Hintergrund ist der Begriff, sofern er der Subjektivität im Sinne der Äußerlichkeit gegen die Objektivität des Wesens (hier genauer: der Substanz als Einheit des Seins und des Wesens) angehört, zugleich Moment der Selbstvergewisserung des Absoluten, in welcher es sich zum anundfürsichseienden Absoluten realisiert. Daraus erhellt, dass wir noch in einer anderen als der von Hegel angegebenen Hinsicht, welche eingangs zitiert wurde, von einer doppelten Bedeutung der Subjektivität sprechen können, nämlich von der (endlichen) Subjektivität der philosophisch Reflektierenden einerseits, welche die Wissenschaft der Logik subjektiv als Erkenntnismittel gebrauchen, und von der absoluten Subjektivität andererseits, welche aus der Substanz hervorgeht, indem diese wie es Hegel zuerst nachdrücklich in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes proklamiert hatte „eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken"
Negativität"%
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ist.9
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Diese Formen von Subjektivität sind auf eine eigentümliche Weise miteinander verschränkt. Zunächst einmal ist es ja unser Gedankenvollzug, der Gedankenvollzug der endlichen Subjektivität(en), in dem das Wahre nicht (nur) als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt zu denken ist. Die endliche Subjektivität ist es also, in welcher die absolute Subjektivität zum Bewusstsein dessen kommt, was sie an und für sich, d.h. in Wahrheit ist. Wenn dies so ist, dann ist leicht einzusehen, dass hiermit auch die beiden von Hegel explizit gemachten Bestimmungen von Subjektivität konvergieren. Denn das subjektive Denken der endlichen Subjektivität(en) ist dann der Substanz nicht mehr äußerlich, sondern Vollzug von deren Selbstauslegung im Medium des sich selbst erfas7
8 9
GW 12, 11. Ebd., 12. GW 9, 18.
Die Subjektivität des Begriffs
15
senden Begriffs. Wohl deshalb macht Hegel auch weiter kein Aufheben von dem Verhältnis der endlichen zur absoluten Subjektivität. Wenn also die bisher unterschiedenen Bedeutungen von Subjektivität konvergieren und ihre Wahrheit in der Selbstbezüglichkeit des Absoluten finden, so ist der Weg der subjektiven Logik oder der Begriffslogik vorgezeichnet. Mit der Substanz als selbstbezüglichem Negativitätsverhältnis ist dem subjektiven Gebrauch der logischen Formen subjektiv im Sinne der endlichen Subjektivität und Äußerlichkeit gleichsam ein objektives Telos vorgegeben, was nun auch subjektiv durch unser Denken als Moment der Selbsterfassung des Absoluten zu realisieren ist. In dieser Perspektive leuchtet ein, weshalb Hegel die ganze Lehre vom Begriff unter den Titel einer subjektiven Logik stellt. Sie hat es insgesamt mit der Subjektivität in der Bedeutung der Selbstbezüglichkeit des Absoluten zu tun, wobei diese eine sich schrittweise dialektisch realisierende ist, welche die Subjektivität im Sinne der Äußerlichkeit als sich aufhebendes Moment enthält. Der Gang der subjektiven Logik durch die logischen Formen des Begriffs, Urteils und Schlusses ist demnach als Realisation der Selbstbezüglichkeit des Begriffs für den Begriff selbst zu betrachten, als Prozess der bewussten Wiederaneignung der Selbstbezüglichkeit der Substanz für den Begriff selbst. Indem der Begriff im logischen Begreifen schrittweise die Äußerlichkeit der Momente der logischen Formen des Begreifens aufhebt des Subjekts und des Prädikats im Urteil, des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen im Schluss erfasst er sich selbst als Inhalt, und zwar als den Inhalt des subjektiven Begreifens im Sinne der Äußerlichkeit. Das wahre Subjekt des subjektiven Begreifens im Durchgang durch die logischen Formen ist nicht das endliche Subjekt als das, was den Gedanken vollzieht, sondern der Begriff selbst, der ihm als ein objektives telos vorgegeben ist und der gleichsam in ihm denkt und die äußerliche Subjektivität des Denkenden überwältigt. Hier tritt dasjenige Verhältnis ein, worin wie Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes schreibt „uns [...] nur das reine Zusehen -
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bleibt."10
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Begriff nun als die Objektivität für das subjektive, Denken und erwiesen, begreifende demgemäß thematisiert das auf den Abschnitt über die Subjektivität folgende Mittelstück der Lehre vom Begriff nunmehr die Objektivität. Von der Objektivität der objektiven Logik ist diese wenn man will „zweite" Objektivität insofern unterschieden, als sie aus dem Begriff hervorgeht und nicht als ein Unmittelbares vorgefunden wird. Die Rede von der Objektivität ist, so betont Hegel, ebenso zweideutig wie die Rede von der Subjektivität. Sie habe „die gedoppelte Bedeutung, dem selbständigen Begriffgegenüber zu stehen, aber auch das an und für sichseyende zu sein".11 Letzteres ist hier der Fall: die Objektivität in diesem Sinne meint „das Object, wie es als Object frei von subjectiver Reflexion" ist.1 Dieses Objekt ist der Begriff, sofern er die Sache des subjektiven Denkens selbst ist. In ihm ist keine Äußerlichkeit mehr vorhanden, und indem er die Sache unseres subjektiven Denkens selbst ist, ist er zugleich nicht äußerlich gegen dieses Denken. Gleichwohl steht die anundfürsichseiende Objektivität des Begriffs nach Hegel dem selbständigen Begriff insofern gegenIn dieser Hinsicht hat sich der
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10
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Ebd., 59. GW 12, 131. Ebd.
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Andreas Arndt
über, als der Begriff darin noch nicht „das freie Fürsichseyn seiner Subjectivität" hergestellt hat.
Wie das Anundfürsichsein des Begriffs das objektive Telos der bisher bezunächst äußerlichen Subjektivität des Begriffs bildete, so bildet der Begriff trachteten, als die reine, objektlose Selbstbezüglichkeit oder das freie Fürsichsein nun das Telos der Objektivität; der Begriff tritt in das Verhältnis des ,¿Zwecks zur Objectivität ein", worin die Objektivität „die andere Bedeutung, das an und für sich Nichtige, insofern es dem
Begriff gegenübersteht, zu seyn, erhält".14 Hieraus ergibt sich der weitere Gang der Lehre vom Begriff'zur Idee welche letztlich das Absolute selbst ist als Einheit des Subjektiven und Objektiven. Darauf, mit welcher Berechtigung diese Einheit dann selbst noch einmal unter den Titel der Subjektivität gestellt werden kann, werde ich zum Schluss meiner Ausführungen zurückkommen. Zuvor aber möchte ich auf die Genese des Begriffs eingehen, weil diese den weiteren Ablauf strukturiert und dem Begriff das Absolute als Ziel setzt. -
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2. Die
Subjektivität der Substanz
Wenn Hegel in der Wissenschaft der Logik den Begriff und mit ihm die Subjektivität auf allen bisher betrachteten Ebenen aus der Substanz hervorgehen lässt, dann rechtfertigt er damit, wie erinnert, auch seine bereits in der Phänomenologie proklamierte Überzeugung, dass das Wahre nicht (nur) als Substanz, sondern „eben so sehr" als Subjekt aufzufassen sei. Sofern für Hegel das Wahre in letzter Instanz das Absolute und jede Wahrheit vom Absoluten her zu denken ist, geht es bei dieser Subjektwerdung der Substanz um die absolute Subjektivität oder das absolute Subjekt. Wir befinden uns hiermit nicht nur im Zentrum des Hegeischen Denkens, sondern ebenso im Zentrum aller Kritiken und wohl auch Missverständnisse der Hegeischen Philosophie. Bereits das spätere 19. Jahrhundert war sich weitgehend darin einig, dass ein absolutes Wissen sich einfach über die Bedingtheit unseres Denkens und Wissens hinwegsetze und folglich eine Hybris der Vernunft anzeige. Diese Hybris kommt für Viele besonders darin zum Ausdruck, dass für Hegel der Inhalt der Logik „die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist."15 Dies hat Hegel von religionskritisch orientierter Seite (z.B. Feuerbach) den Vorwurf eingetragen, die Philosophie des Absoluten sei säkulare Theologie; von Seiten eines an der Bewahrung der göttlichen Geheimnisse interessierten theistischen Denkens dagegen wurde eingewandt, die Philosophie des Absoluten ziehe die Transzendenz zugunsten einer omnipotenten intelligiblen Vernunft ein.16 Für das metaphysikkritische Denken des 19. und 20. Jahrhunderts galt entsprechend selbst bei wohlwollenden Kritikern -
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Ebd. Ebd. GW 11,21
(Einleitung zur ersten Auflage; gleichlautend in der 2. Auflage GW 21, 34). Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der ReligionsphiloVgl. sophie Hegels, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986; ders., Die Religionsphilosophie Hegels, Darmstadt Walter
1984.
Die Subjektivität des Begriffs
17
Hegels das Absolute als ein unverdaulicher, nicht mehr affirmierbarer Klotz im Hegelschen System.17 Auf diese Kontroversen näher einzugehen, ist hier nicht der Ort. Wohl aber lohnt es sich, Hegels eigene programmatische Einlassungen über das Absolute heranzuziehen, -
nicht von vornherein Missverständnissen über die Natur dieses Absoluten und damit über die Natur des Begriffs aufzusitzen. Ich gehe hierzu zunächst noch einmal auf die Vorrede zur Phänomenologie des Geistes zurück, in der im Zusammenhang mit dem Denken des Wahren als Subjekt einige der möglichen Fehldeutungen ausdrücklich abgewehrt werden. Die „lebendige Substanz" ist „das Seyn, welches in Wahrheit Subject'' sei;18 die Bezeichnung dieses absoluten Subjekts als „Gott" ist Hegel zufolge aber nur der Ausdruck einer Vorstellung (und nicht ein Begriff), denn „Gott" sei „für sich ein sinnloser Laut, ein bloßer Name", dem Bedeutung erst durch beizulegende Bestimmungen gegeben werden müsse, zu denen der „sinnlose Laut" ein überflüssiger Zusatz sei.19 Zudem erzeuge die Fixierung eines Subjekts mit dem Namen „Gott", dem Prädikate beigelegt werden, eine falsche Vorstellung von der Natur des Subjekts überhaupt. Das absolute Subjekt sei kein „fester" oder „ruhender Punkt", sondern „Selbstbewegung". Diese aber ist, Hegel zufolge, nichts anderes als der sich selbst erzeugende und zum Bewusstsein seiner selbst bringende Geist.20 Indem die Wirklichkeit des Absoluten erst im Resultat der Geistesphilosophie dem sich wissenden Geist als philosophischer Wissenschaft vollständig herausgebracht ist, wird deutlich, dass auch die Wissenschaft der Logik als „Darstellung Gottes vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes" noch nicht die Darstellung des Wahren in seiner Wirklichkeit ist, denn das Wahre ist „nur als System wirklich". Die Logik bringt das Absolute daher nur als ein in der natürlichen und geistigen Wirklichkeit allererst zu realisierendes auf den Begriff, und erst der Prozess der Realisation des Begriffs in seiner Totalität von der Selbsterfassung des Begriffs in der Logik bis zur vollständigen Selbstreflexion seiner Wirklichkeit im System der philosophischen Wissenschaften ist die „Selbstbewegung", in welcher allein die Subjektivität des Absoluten besteht. Auch die Wissenschaft der Logik insgesamt darf daher nicht gegenüber den Realphilosophien der Natur und des Geistes als ein „ruhender Punkt" fixiert werden. um
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17
18 19 20
Zu den Problemen mit dem Begriff des absoluten Wissens vgl. auch Walter Jaeschke, „Das absolute Wissen", in Phänomenologie des Geistes I. Hegel-Jahrbuch 2001, hg. v. A. Arndt, K. Bai und H. Ottmann, Berlin 2002, 286-295. Konrad Utz, „Absolute Methode?", in: Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik", hg. v. A. F. Koch, A. Oberauer und K. Utz, Paderborn u.a. 2003, 189-221. GW 9, 18. Vgl., auch zum folgenden, ebd., 20f. Ebd., 22. Hiermit dürfte auch der eigentümliche Status der Phänomenologie zusammenhängen, die den Begriff des absoluten Wissens auf der Ebene der erscheinenden Gestalten des Geistigen qua Bewusstsein als Resultat gewinnt, von dem aus sich Logik und Realphilosophie erst anschließen lassen. Die Verselbständigung der Logik zum Anfang des Systems führt dagegen immer das Missverständnis mit sich, in ihr sei die Wirklichkeit des Absoluten schon erreicht, während sie das Absolute doch nur als ein real- und vor allem geistesphilosophisch erst zu realisierendes auf den Be-
21
griff bringt. GW 9, 22.
18
Andreas Arndt
dies, dann
wie „Gott" ein leerer Name, der gegenüber den realphilosophischen Bestimmungen leer und nichtssagend bliebe. Tatsächlich bestimmt sich bei Hegel die absolute Idee deshalb auch als absolute Methode, welche den Weg der Realisierung des Begriffs aber nicht dessen vollständige Wirklichkeit anzeigt. Viele, wohl sogar die meisten Missverständnisse des Absoluten bei Hegel beruhen m.E. darauf, dass das absolute Subjekt wenigstens im Resultat der Logik als ein fixierbares, ruhendes unterstellt wird. Gehen wir auf Genese des Begriffs in der Wissenschaft der Logik zurück, so wird dort die Substanz als ein zu realisierendes Absolutes ins Spiel gebracht: „Die Substanz ist das Absolute [...]; an sich als [...] absolutes, alle Wirklichkeit und Möglichkeit in sich enthaltendes Wesen; für sich diese Identität als absolute Macht, oder schlechthin 22 sich auf sich beziehende Negativität." Beide Momente Ansichsein und Fürsichsein der Substanz werden nun als passive bzw. aktive Substanz bestimmt und zueinander so ins Verhältnis gesetzt, dass der Schein ihrer Selbständigkeit (der im Kausalitätsverhältnis besteht, in dem eine aktive Ursache an einem passiven Substrat etwas bewirkt), aufgehoben wird zugunsten einer Wechselwirkung, in der sich beide Momente vollständig durchdringen, so dass eine „unendliche Reflexion in sich selbst" stattfindet, in welcher sich die Substanz nicht mehr als Substanz selbst, sondern als Begriff oder als „Subject" „vollendet". Damit sei, so Hegel, der Begriff als die Wahrheit der Subnämlich die Selbstbezüglichkeit als die Wahrheit der Notstanz und die Freiheit erwiesen. Mit dem Begriff hat sich „das Reich der Freiheit eröffnet".24 wendigkeit Näherhin exponiert Hegel den ,ßegriff des Begriffes"15 in drei Momenten. Er ist zunächst „in seiner einfachen Beziehung auf sich selbst, absolute Bestimmtheit" als „unmittelbar einfache Identität". Zweitens aber ist der Begriff Negation der Bestimmtheit oder das (abstrakte, für sich gestellte) Allgemeine, indem die Bestimmtheit nur mit sich selbst zusammengeht und demnach keinen Unterschied an ihr selbst hat, gegenüber dem sie sich bestimmen könnte. Damit ist der Begriff drittens negative Selbstbeziehung, Bestimmtheit als Negation oder Einzelnes.26 Unschwer erkennt man hierin die Transformation der spinozistischen Substanz in eine negative Selbstbezüglichkeit des Begriffs durch die spinozistische Formel omnis determinatio est negatio. Der Begriff des Begriffs ist damit als die Identität des Allgemeinen und des Besonderen bestimmt, denn, wie Hegel betont, ist jedes Moment „die Totalität, jedes enthält die Bestimmung des Anderen in sich", und darum sind diese Totalitäten „schlechthin nur Eine". Damit ist die weitere Entwicklung des Begriffs in der Weise vorgezeichnet, dass Allgemeinheit und Einzelheit als Momente des Begriffs in ihrem Verhältnis zueinander bestimmt und zu einer Identität gebracht werden müssen, welche nicht mehr einfache Selbstbeziehung mit der Konsequenz der Negation der Bestimmtheit, sondern in sich konkrete, d.h. unterschiedene Allgemeinheit oder Identität der Identität und der Nichtidentität ist. Täte
man
wäre auch das Absolute
nur
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GW 12, 12.
Ebd., 14; vgl. zur Entwicklung 12-14. Ebd., 15. Ebd., 16. Ebd. Ebd.
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19
Die Subjektivität des Begriffs
An dieser Stelle weist Hegel zugleich daraufhin, „daß der Begriff als solcher noch nicht vollständig ist", sondern er sich erst und zwar als Begriff aus dem Begriff selbst eine Realität geben muss. Entgegen der gängigen Auffassung seiner Philosophie als „Idealismus", die er selbst überhaupt nicht teilt, gesteht Hegel dabei durchaus zu, dass „Anschauung oder Seyn [...] der Natur nach das Erste oder die Bedingung für den Begriff' ist,3 jedoch sei das der Natur nach Erste nicht auch „das Wahre und im Begriff Erste". Daraus folgt aber auch, dass die Erkenntnis nicht „bei dem Begriff rein als solchem" stehen bleiben kann, sondern sich selbst so zur Realität bestimmen muss, dass diese aus dem Begriff entwickelte Realität zugleich die begriffene Realität ist, die nicht außer oder vor dem Begriff, sondern nur in der Identität mit ihm Wahrheit hat. Gleiches gilt dann, mutatis mutandis, für die Idee, welche zur vollen Wirklichkeit in Natur und Geist gebracht werden muss. Die Subjektivität des Begriffs als das Absolute ist nichts anderes, als die begriffene Selbstbewegung oder Selbstvermittlung der Wirklichkeit. Im Blick auf diese Ausführungen sind zwei forcierte Lesarten möglich. Man kann Hegel so verstehen, dass er in der Tat einen Schöpfungsakt aus dem Begriff konstruieren will. Dies hat z.B. der spätere Schelling getan, indem er der negativen Philosophie (des Begriffs) die Positivität eines unvordenklichen Seins voraus- und zugrundelegte, welches als ein unvordenkliches freilich stumm bliebe und den Begriff nichts angehen könnte. Auch Marx scheint Hegel in dieser Weise verstehen zu wollen, wenn er ihm vorwirft, er verwandle den Denkprozess unter dem Titel „Idee" in ein „selbständiges Subjekt" und mache sie zum „Demiurg des Wirklichen", während es in Wahrheit nur um die „ideelle Widerspiegelung" des (empirischen) Stoffs im Denken Dagegen ließe sich einwenden, auch Hegel gehe es um eine ideelle Reproduktion der empirischen Wirklichkeit, die aber deshalb aus dem Begriff vorzunehmen sei, weil sie nur als eine dem Begriff zugängliche überhaupt begriffen werden könne. Anders gesagt: die geistige oder ideelle Reproduktion der Wirklichkeit gelingt nur deshalb, weil die Wirklichkeit als natürliche und geistige schon immer im Sinne des Begriffs strukturiert und der Begriff damit zwar nicht zeitlich, aber logisch als deren Prius anzusehen ist. Die letztere Lesart setzt jedoch voraus, dass die erscheinende Wirklichkeit im umfassenden Sinne als Totalität alles Natürlichen und Geschichtlichen sinnvoll als eine rein selbstbezügliche Struktur nach dem Modell der Subjektivität rekonstruiert werden kann. Zu fragen ist also nach den Bedingungen und Chancen eines solchen Unterneh-
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gehe.33
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mens.
Ebd., 20.
einzige Stelle, wo er dies angeblich tut, ist eine Äußerung in einer nicht mehr nachprüfbaren Vorlesungsnachschrift; vgl. den „Zusatz" zum § 160 der Enzyklopädie (1830), wonach Hegel den Standpunkt eines „absoluten Idealismus" in Anspruch nimmt (TW 8, 307). Die
GW 12,22. Ebd. Ebd., 24.
„Nachwort zur zweiten Auflage des .Kapital'", in: Karl Marx / Friedrich Engels, Werke, Berlin 1956 ff, Bd. 23, 27.
Andreas Arndt
20
3.
Selbstbezüglichkeit und Teleologie
Hegels Auffassung von der Subjektivität des Begriffs beruht darauf, dass sich die Äußerlichkeit der subjektiven Reflexion und mit ihr die endlichen Subjekte als „Träger" dieser Reflexion in eine absolute Subjektivität aufheben lassen. Dies erfolgt, wie wir gesehen haben, in zwei Schritten. Zunächst geht es darum, die Äußerlichkeit der subjektiven Reflexion gegenüber ihren Inhalten so aufzuheben, dass die Reflexion zum (Nach-)Vollzug einer Sache wird, die ihr gegenüber als objektiv erscheint. Diesem Nachweis dient die Thematisierung der logischen Formen in dem Subjektivitätsabschnitt der Lehre vom Begriff, der den Übergang in die Objektivität herbeiführt. In einem weiteren Schritt soll dann gezeigt werden, dass die innere Strukturiertheit dieser Objektivität wiederum als Subjektivität, nämlich als reine Selbstbezüglichkeit, gefasst werden muss. Diese Selbstbezüglichkeit wird als Idee gedacht, welche sowohl die endliche Subjektivität als auch die Objektivität vollständig integriert und zu Momenten der absoluten Subjektivität macht. Wir hatten gesehen, dass diese absolute Subjektivität, in welcher sich der Begriff als Begriff realisiert, nicht gegenüber dem Prozess ihrer Realisation fixiert und für sich gestellt werden darf; dies gilt m.E. auch für die Wirklichkeit der Idee in Natur und Geist. Weiterhin ist daran zu erinnern, dass die Entwicklung der Realität aus dem Begriff zunächst als eine logisch-genetische Rekonstruktion der Wirklichkeit im Sinne ihrer internen (für Hegel: begrifflichen) Strukturiertheit angesehen werden muss. Damit diese Rekonstruktion aber in eine Selbstbezüglichkeit des Begriffs im Sinne absoluter Subjektivität münden kann, ist erfordert, dass diese Wirklichkeit selbst auf den Begriff als Zweck hin angelegt ist und diesen auch so zu realisieren vermag, dass am Ende der Zweck nur mit sich selbst zusammengeht, d.h.: der Begriff sich zu sich selbst als seinem Zweck verhält und damit in der Tat jede Äußerlichkeit getilgt hat. Die Behauptung einer absoluten Subjektivität bei Hegel hängt demnach, so meine These, an der Möglichkeit einer solchen universellen Teleologie. Und in der Tat entwickelt ja der Objektivitätsabschnitt der Lehre vom Begriff aie Stufen des Mechanismus, des Chemismus und der Teleologie, wobei letztere den Übergang zur Idee gerade dadurch bildet, dass in ihr der Begriff als Zweck mit sich selbst zusammengeht. Im Rahmen dieses teleologischen Denkens, das seine ganze Philosophie durchzieht, sofern Hegel in einem umfassenden Sinne den Begriff als das Wahre erweisen will, rekurriert Hegel gewöhnlich auf zwei Modelle. Zum einen benutzt er ein organologisches Entwicklungsmodell. In einer „Existenz", die „den Begriff nicht bloß als abstraktes Ansichsein, sondern als für sich seiende Totalität, als Trieb, als Leben, Empfindung, Vorstellen usf." enthält, bewirkt der Begriff ihre Realisation im Hinausgehen über die Schranken ihrer jeweiligen bestimmten Existenz: „Die Pflanze geht über die Schranke, als Keim zu sein, ebenso über die, als Blüte, als Frucht, als Blatt zu sein, hinaus; der Keim wird entfaltete Pflanze, die Blüte verblüht usf."34 Nach dieser Vorstellung wäre der Begriff so etwas wie ein genetischer Code oder ein Entwicklungsprogramm. Ob GW 21, 132.
21
Die Subjektivität des Begriffs
sich die Totalität des Wirklichen sinnvoll nach einem solchen Modell rekonstruieren lässt, kann mit starken Argumenten bezweifelt werden.35 Ein zweites Modell bezieht sich auf die Setzung und Realisierung von Zwecken in der Arbeit. Demgemäß spricht Hegel an vielen Stellen seines Werkes von der Arbeit des Begriffs, um den Prozess seiner Realisation zu beschreiben. Die Arbeit fungiert dabei jedoch nicht nur als Metapher, sondern gewinnt selbst begrifflichen Status in der Realisierung des Begriffs, indem in der Lehre vom Begriff der Übergang zur Idee durch die teleologische Struktur der Arbeit gemacht wird. Nach diesem Modell, das mir in jeder Hinsicht angemessener zu sein scheint als das organologische, wäre der Begriff so etwas wie ein kategoriales Werkzeug oder Denkmittel, durch das sich das subjektive Erkennen mit seinen Gegenständen zusammenschließt.36 Arbeit wird in einer langen, mit Aristoteles einsetzenden und bis auf die Gegenwart reichenden Tradition als zweckgerichtete und zweckmäßige Tätigkeit verstanden. Der Zweck wird realisiert, indem der zu bearbeitende Gegenstand zweckentsprechend umgeformt wird, wofür sich das arbeitende Subjekt zweckdienlicher Mittel bedient, mit deren Hilfe die Zwecksetzung sich ausführen lässt. Damit dies gelingen kann, muss (1) der zu bearbeitende Gegenstand die angestrebte Formveränderung ermöglichen und (2) die Beschaffenheit des Werkzeugs im Verhältnis zu dem zu bearbeitenden Gegenstand ebenso wie das so sein, dass dessen Umformung sich durchführen lässt. Dies sind Gegebensein von Arbeitsmitteln und Arbeitsgegenständen überhaupt für das Subjekt objektive Bedingungen des Arbeitsprozesses. Die Tätigkeit des Subjekts schließlich besteht darin, den Zweck zu bestimmen, die Arbeitsmittel zweckentsprechend einzusetzen und den ausgeführten im Verhältnis zu dem anfänglich gesetzten Zweck zu bewerten. Auf den ersten Blick also kehrt der Prozess im ausgeführten Zweck gewissermaßen zu seinem Ausgangspunkt zurück und der bewusste Zweck, der den Arbeitsprozess antizipiert, leitet und bewertet, also das intellektuelle Moment des Arbeitsprozesses, erscheint als dessen entscheidendes Merkmal. Die subjektive Zwecksetzung beruht indessen auf objektiven Bedingungen, die durch die Beschaffenheit des Arbeitsgegenstandes und des Arbeitsmittels vorgegeben sind. Hierbei kommt dem Mittel eine entscheidende Funktion zu. Das Mittel ist keineswegs, wie es die Charakteristik der Arbeit als zweckgerichtetes Handeln nahezulegen scheint, bloßes Mittel zum Zweck und damit verschwindendes Moment seiner Realisierung. Es ist vielmehr allgemeiner als die jeweils besonderen Zwecksetzungen, indem es den einzelnen Arbeitsprozess überdauert und in der Regel auch verschiedene Zwecke zu realisieren vermag. Mehr noch: es ist nicht nur dasjenige, was Zwecke auf den Gegenstand überträgt, sondern auch dasjenige, was im Gebrauch neue Möglichkeiten der Zwecksetzung freilegt. Die Mittel selbst sind ja Resultate von Arbeitsprozessen und für bestimmte, zum Zeitpunkt ihrer Herstellung antizipierte Zwecke geschaffen. Sie enthalten jedoch gewöhnlich einen ,Überschuss' über die ursprüngliche Zwecksetzung hinaus, indem sie zum Zeitpunkt ihrer Herstellung noch nicht antizipierbare Anwendungs-
-
Vgl. generell
zur
Kritik solcher
ideologischer Konstruktionen Nicolai Hartmann, Teleologisches
Denken, Berlin "1966.
Konzeption und Philosophie, Berlin 2003. Zu dieser
auch
zum
folgenden vgl. ausführlicher
Andreas Arndt, Die Arbeit der
Andreas Arndt
22
möglichkeiten erschließen
und in andere Wirkzusammenhänge übertragen werden können. Die Geschichte der experimentellen Naturwissenschaften und der Technik 7 bietet hierfür eine Fülle von Beispielen. Diese Zwecke allererst erschließende Funktion des Mittels beruht darauf, dass es nicht nur Ergebnis einer subjektiven Zwecksetzung ist und diese gegenständlich repräsentiert, sondern dass es in seiner Gegenständlichkeit gesetzmäßigen Zusammenhängen angehört, die wie es Johannes Rohbeck formuliert hat „komplexer" sind „als die jeweils bezweckte Wirkweise".38 Im objektiven Verhältnis zu den jeweiligen Gesetzmäßigkeiten des Arbeitsgegenstandes treten damit auch andere als die ursprünglich bezweckten Wirkweisen hervor. Das Arbeitsmittel ist, um in der Theoriesprache der klassischen deutschen Philosophie zu reden, ein Subjekt-Objekt und damit sowohl allgemeiner als das subjektiv Intendierte als auch dem unmittelbaren Gegebensein der Gegenstände überhoben. Diese Auffassung wird auch von Hegel geteilt. Das Werkzeug repräsentiert für ihn die erste, elementare Struktur einer als vernünftig anzusprechenden Allgemeinheit, in welcher der Geist aus der Form bloßer Subjektivität heraustritt. Und eben deshalb kann Hegel dann auch den ganzen Bildungsgang des Geistes, wie er sich geschichtlich realisiert, als Arbeit des Geistes verstehen, der auf diesem Wege sich selbst in seiner allgemeinen Natur erfasst. Die Pointe seiner Auffassung im Teleologie-Kapitel der Lehre vom Begrijfbesteht darin, dass der Zweck wesentlich Mittel ist; dieses Mittel wird von Hegel nun aber als der médius terminus eines regelrechten Schlusses interpretiert, in dem sich der Zweck mit sich selbst zusammenschließt.39 „Der Zweck als der Begriff der frey gegen das Object und dessen Proceß existirt, und sich selbst bestimmende Thätigkeit ist, geht, da er ebensosehr die an und für sich seyende Wahrheit des Mechanismus ist, in demselben nur mit sich selbst zusammen"; er ist „die Wahrheit des Processes und als negative Einheit das Aufheben des Scheins der Aeusserlichkeit."40 Dieses Zusammengehen des Zwecks mit sich erfolgt nach Hegel in der dritten Figur des Schlusses, in der das Besondere durch das Allgemeine als médius terminus mit dem Einzelnen zusammengeschlossen wird (B-A-E). Der subjektive Zweck hat sich hier als antizipierte Einheit des Subjekts und Objekts gemäß der vermittelnden Allgemeinheit als Besonderes bestimmt und das Mittel als Allgemeinheit, und zwar nicht als Einheit von natürlichen und intellektuellen Momenten des Arbeitsprozesses, sondern als Einheit des subjektiven und objektiven Zwecks. Damit ist dann der zu bearbeitende Gegenstand als das Einzelne gesetzt: der realisierte einzelne Zweck. Die hier skizzierte Konstruktion hängt offenkundig daran, dass das Mittel Einheit des Subjektiven und Objektiven nur auf der Ebene des Zwecks ist. Dagegen könnte geltend gemacht werden, dass das Mittel sich zwar als Einheit von Subjektivität und Objektivität erweisen ließe, Zwecke jedoch nur im Verhältnis zu einer bleibenden Objektivität freilegen und realisieren könne. Hegel würde vermutlich entgegnen, dass er sehr wohl von einer Äußerlichkeit und Zufälligkeit wisse, die nicht im Begriff aufgehe, die aber -
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Vgl. Johannes Rohbeck, Technologische Urteilskraft, Frankfurt/M. 1993, der auch die Struktur der Mittel umfassend analysiert hat. Ebd., 232. Vgl. GW 12, 166.
v. a. -
im VI.
Kap. -
23
Die Subjektivität des Begriffs
eben darum den Begriff auch nichts angehe. Aber auch hierbei müssten wir voraussetkönnen, dass der Begriff als Zweck wie er in der Logik als Instrumentarium des Denkens gedacht wird bereits alle möglichen Zwecke herausgebracht und realisiert habe. Nur dann wäre der Begriff absolut selbstbezüglich und auf Anderes angewiesen, um zu sich selbst als Begriff zu kommen. Der Begriff nach dieser Auffassung wäre ein absolutes Werkzeug. Teilt man diese Auffassung nicht, so bliebe das kategoriale Netz, das Hegel geknüpft hat, gleichwohl ein immer neu zu erprobendes Denkmittel, und es ließe sich über den Charakter des Begriffs als Mittel auch rechtfertigen, unseren Gebrauch dieser Mittel als ein nicht bloß äußerliches subjektives Tun anzusehen. Gleichwohl würde die Differenz zur Objektivität immer wieder aufbrechen und es bliebe eine konstitutive Äußerlichkeit, weil auch die elaboriertesten Mittel immer nur Realität vermitteln, d.h. umformen, nicht aber Realität erzeugen können.
zen
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Literatur Arndt, A.: Die Arbeit der Philosophie, Berlin 2003. Hartmann, N.: Ideologisches Denken, Berlin 21966. Jaeschke, W.: Die Religionsphilosophie Hegels, Darmstadt 1984.
Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986. Ders.: „Das absolute Wissen", in: Phänomenologie des Geistes I. Hegel-Jahrbuch 2001, hg. v. A. Ders.: Die
Arndt, K. Bai und H. Ottmann, Berlin 2002, 286-295. Marx, K./Engels, F.: Werke, Berlin 1956 ff. Rohbeck, J.: Technologische Urteilskraft, Frankfurt/M. 1993. Utz, K.: „Absolute Methode?", in: Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik", hg. v. A. F. Koch, A. Oberauer und K. Utz, Paderborn u.a. 2003, 189-221. Wunderlich, F.: Kant und die Bewußtseinstheorien des 18. Jahrhunderts, Berlin und New York 2005.
PlRMIN STEKELER-WEITHOFER
Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
1. Das Problem Die folgenden Textpassagen aus Hegels kleiner und großer Logik erscheinen uns zumindest zunächst als rätselhaft. Ihre Entzifferung bleibt eine Aufgabe. Dabei sollte die Maxime sein, sich gerade in der Logik nicht mit Sätzen von Hegel selbst oder seinen Interpreten abspeisen zu lassen, solange deren Sinn noch opak ist. Im § 166 der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften schreibt Hegel zum Beispiel: Das Urteil ist der Begriff in seiner Besonderheit, als unterscheidende Beziehung seiner Momente, die als fürsichseiende und zugleich mit sich, nicht mit einander identisch gesetzt sind.
§ 178 steht: „Das Urteil des Begriffs hat den Begriff, die Totalität in einfacher Form, seinem Inhalte, das Allgemeine mit seiner vollständigen Bestimmtheit." Im § 181 finden wir: „Der Schluss ist die Einheit des Begriffs und des Urteils; er ist der Begriff als die einfache Identität, in welche die Formunterschiede des Urteils zurückgegangen sind, und Urteil, insofern er zugleich in Realität, nämlich in dem Unterschiede seiner Bestimmungen gesetzt ist. Der Schluss ist das Vernünftige und Alles Im
zu
-
Vernünftige."
In der Lehre vom Begriff der Wissenschaft der Logik, lautet der erste Satz des 2. Kapitels: „Das Urteil ist die am Begriffe selbst gesetzte Bestimmtheit desselben."1 Der erste Satz des 3. Kapitels lautet dann: „Der Schluss hat sich als die Wiederherstellung des Begriffes im Urteile und somit als die Einheit und Wahrheit beider ergeben." Etwas später sagt Hegel: „Der Schluss ist somit der vollständig gesetzte Begriff; er ist daher das Der erste Satz des 3. Abschnitts Die Idee lautet dann noch: „Die Idee ist der adäquate Begriff, das objektive Wahre oder das Wahre als solches."3 Wovon redet Hegel hier? Was ist bei ihm Begriff, Urteil und Schluss?
Vernünftige."2
1
2
3
Vgl.
GW 12, 81. GW 12, 132. GW 12, 267.
Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
2.
25
Hegel im Kontext der Immanenzphilosophie der Moderne
Robert Brandom und ich führen, wenn ich das einmal so sagen darf, eine Art Wettstreit darum, wer von uns beiden mehr Kritik dafür verdient, dass er, wie man sagt, seine eigenen Ansichten zu Fragen der philosophischen Semantik als Ansichten Hegels ausgebe. Andererseits widerspricht meine Rekonstruktion des argumentativen Sinns von Hegels stenographischer Logik4 all denen, welche mit Herbert Schnädelbach angebliche Rückschritte in Hegels ,metaphysischer' Logik etwa im Vergleich zu Kant erkannt haben wollen. Mein zentrales Argument lässt sich am besten in Bezugnahme auf den Aufsatz „Fünf Marksteine des Empirismus"5 erläutern. Dort sieht W. V. Quine den ersten Markstein des ,Empirismus' in der folgenden These von John Hörne Tooke6: „Der größte Teil der Essays des Herrn Locke, d.h. alles, was, wie er es nennt, die Abstraktion, Komplexität, Verallgemeinerung, Beziehung usw. von Ideen betrifft bezieht sich eigentlich nur auf die Sprache." Quine erklärt dann weiter, der zweite Markstein bestehe in Jeremy Benthams Einsicht in die synkategorematische Bedeutungsbestimmung von Wörtern, die keine realen Gegenständen benennen wie z.B. grammatische Partikel oder Namen für abstrakte Entitäten wie Zahlen. Benthams Methode der Paraphrasis oder kontextuellen Definition ist in der Tat ein mächtiges Mittel, ontische Mystifizierungen zu vermeiden, ohne die Ausdruckskraft der Sprache unnötig zu beschneiden: „In der Semantik", so schreibt Quine, „wurde durch die Kontextdefinition eine Revolution ausgelöst, weniger plötzlich vielleicht als die kopernikanische Revolution in der Astronomie, doch dieser ähnlich, insofern sie das Zentrum verschob." Und weiter: „Benthams Beitrag war nicht die ganze Zeit ohne Wirkung geblieben. Im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts bildet sich in der Differentialrechnung eine Praxis heraus, Differentialoperatoren als simulierte Koeffizienten zu gebrauchen, während man anerkennt, dass die Operatoren eigentlich nur als Bruchstücke umfassender Termini verständlich waren." „In der Tat war es dieser Sprachgebrauch [...] der Russell unmittelbar zu seinen Kontextdefinitionen anregte." Nun hat aber schon Hegel im Nachgang zu Lagrange die rein kontextuell bestimmte Funktion der Ausdrücke „dx" oder „dy" (etwa im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Summenzeichen J der Integration) nicht als Namen, sondern als Teil oder foment' eines Gesamtausdruck erkannt. Auf dieser Grundlage entmystifiziert er die Reden von infinitesimalen Größen und Kräften und erkennt am Ende sogar, lange vor Frege, die synkategorematische Konstitution von abstrakten Gegenständen wie von Zahlen und Proportionen überhaupt, und zwar im Kontext der Festlegung von Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen. Gegenstände der Rede gibt es immer nur in einem System von Differenzierungen (Negationen), passend zur Bestimmung des Bereiches. Ein 4
Vgl.
6
Bei Quine zitiert nach John Hörne Tooke, EPEA PTEREONTA London 1786, Boston 1806, 92. W. V. Quine, „Fünf Marksteine des Empirismus", a.a.O., 90. W. V. Quine, „Fünf Marksteine des Empirismus", a.a.O., 92.
8
Pirmin Stekeler-Weithofer, Hegels Analytische Philosophie, Paderborn 1992. W. V. Quine, „Fünf Marksteine des Empirismus" in: ders., Theorien und Dinge, Frankfurt/M.
1991,89-95. or,
The Diversions
ofPurley, vol.
1
26
PlRMIN STEKELER-WEITHOFER
Gegenstand ist dabei durch eine ,Negation der Negation' definiert. Modern ausgedrückt handelt es sich um die Festlegung der Wahrheit von Gleichungen zwischen verschiedenen Präsentationen oder Repräsentationen. Eine wahre Gleichung N=M erlaubt Substitutionen in Aussageformen A(x) salva veritate, wobei eben diese Aussageformen die relevanten Unterscheidungen oder Prädikate definieren. Dass Hegel eben dies sieht, habe ich in einer Auslegung der Passagen zur „Quantitativen Unendlichkeit" in Hegels ,Seinslogik' auf m.E. unwiderlegbare Weise gezeigt.10 Ob Hegel dabei auch durch Bentham beeinflusst ist, bleibe dahingestellt, zumal er wohl eher von Kant gelernt hat. Denn R. Brandom hat ganz Recht, wenn er schreibt: „Für Kant muß [...] jede Diskussion des Gehalts bei den Gehalten von Urteilen anfangen, denn alles andere besitzt nur insofern Gehalt, als es zu den Gehalten von Urteilen beiträgt. Genau deshalb kann eine transzendentale Logik die Voraussetzungen des Gehaltvollseins anhand der Kategorien, d.h. der ,Funktion(en) der Einheiten in den Urteilen' (KrV A69/B94) untersuchen".11 Kant und Hegel haben daher mindestens so klar wie Bentham erkannt, dass die Bedeuvon Worten und insbesondere die Referenz von Namen im Kontext von Satz und Urteil bestimmt sind. Sie sind daher auch in diesem Kontext zu analysieren und entsprechend explizit zu machen.1 Das Folgende ist daher ein Versuch zu zeigen, wie sich bei Hegel die Einsicht in die konstitutive Rolle des Urteilens für den Inhalt von Worten ausweitet zur Einsicht in die konstitutive Rolle des Schließens für den Inhalt von Sätzen, Aussagen und Urteilen.
tung
3. Die Transformation synthetischer Urteile in materialbegriffliche Urteile
a
priori
Hegels Reflexion auf die Methode sinnkritischer Philosophie beginnt mit Kants Unterscheidung zwischen (formal)analytischen, synthetisch-apriorischen und empirischaposteriorischen Aussagen. Dabei ist die erste Aussage die, dass formalanalytische Aussagen nichts über die Welt sagen. Es handelt sich dabei um konventionell etablierte verbale Schlussformen, die man gedankenlos anwenden kann. Diese sind einfach per 9
10
Vgl. GW 21, 276-430. Pirmin Stekeler-Weithofer, „Hegels Philosophie der Mathematik", in: C. Demmerling/ F. Kambartel (eds.), Vernunftkritik nach Hegel, Frankfurt/M. 1992, 214-249; vgl. dazu auch die Zusammenfassungen in: Pirmin Stekeler-Weithofer, Hegels Analytische Philosophie, a.a.O., 157-162, 173— 175,189f.
12
R. B. Brandom. Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus, Frankfurt/M. 2001, 209. Vgl. dazu auch Pirmin Stekeler-Weithofer, Sinnkriterien, Paderborn 1995, 177ff, 194ff, ferner, Pirmin Stekeler-Weithofer, „Categorical forms in objective judgments. Limitations and results of Kant's transcendental logic", in: Cinzia Ferrini, (ed.), Eredità kantiane (1804-2004): questioni aperte eproblemi irrisolti, Trieste 2004. Ich verstehe freilich subjektiv sehr gut, wenn jemand wie Bertrand Russell oder John Dewey mit seinem Ärger über die Artikulationsform bei Hegel ein für allemal fertig werden möchte. Dazu ist wenig geeigneter, als Hegel zum transzendenten Metaphysiker des Weltgeistes zu erklären. Was mich von dieser vielleicht sehr gesunden Abkehr von Hegel bisher abgehalten hat, ist meine Skepsis, Hegels Anliegen schon angemessen verstanden zu haben.
Warum
ist der
Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
27
In eben diesem Sinn sind sie gesetzt. Sie sind formale Schemata des deduktiven Rechnens auf der Ausdrucksebene. Dass es in Sprach(re)konstruktionen derartige Aussagen gibt, anerkennen im Grunde alle, z.B. Hume, Kant, oder dann auch Carnap und Quine. Eine rein formalanalytische Setzung kann im Prinzip ohne weitere Begründung geschehen, wenn man nur die Fragen nach der inferentiellen Konsistenz oder deduktiven (Hegel sagt dafür noch: apagogischen) Widerspruchsfreiheit des terminologischen Systems, nach der mnemotechnischen Einfachheit und der gemeinsamen Anerkennung der vorgeschlagenen Normierungen befriedigend beantworten kann.13 Darüber hinaus gibt es kein Problem mit den analytischen Aussagen im Sinn Kants, die ja Folgen rein konventionell gesetzter Regelungen für Verbalinferenzen sind. Quines ebenso oft zitierte wie selten in ihrem Status begriffene Kritik am Begriff des analytischen Urteils trifft die formalanalytischen Aussagen im genannten Sinn und das ist gerade der Sinn, den Kant mit dem analytischen Urteil verbindet gerade nicht. Der Begriff der analytischen Aussage, gegen den Quine Stellung nimmt, ist bei genauerer Betrachtung der Dinge vielmehr ein Begriff der synthetisch-apriorischen Aussage. Quines Angriff auf die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen entpuppt sich damit im Grunde als bloße Reformulierung der schon viel älteren Kritik an der Unterscheidung zwischen synthetisch-apriorischen und synthetischaposteriorischen Aussagen. Dass dem so ist, braucht hier nicht näher nachgewiesen werden. Quines Kritik wird nämlich zumindest dann fragwürdig, wenn an der Unterscheidung zwischen synthetisch-apriorischen und synthetisch-aposteriorischen Aussagen etwas Wichtiges dran sein sollte. Immerhin hat Quine recht, dass Begriffsexplikationen keine rein konventionellen Sprachregelungen oder Normierungsvorschläge sind, da in ihnen ja etwas über den rechten Umgang mit Wort und Begriff behauptet wird. Was aber heißt das? Was ist der Status einer begriffsexplikativen Aussage, die nach meinem Verständnis bei Hegel „Urteil des Begriffs" heißt? Quine erklärt, dass es sich bei jedem begrifflichen Urteil dieser Art um eine im Grunde empirische Aussage handelt, aber um eine solche, die nach Quines eigenem holistischem Bild von einem empirisch-begrifflichen (Spinnen-)Netz des Wissens näher im Zentrum des Netzes als an der Peripherie liegt. Das Bild vom Netz mit Zentrum und Peripherie scheint dabei die Stetigkeit des Übergangs von empirischen zu begrifflichen Dieser Übergang wird als Setzung Aussagen sehr schön zum Ausdruck zu von Merksätzen etwa in einem Sachwörterbuch oder einer Enzyklopädie auf der Basis einer allgemeinen, eben daher immer etwas diffusen, Erfahrung begriffen. Die Merksätze artikulieren generische Schlussregeln. Eine Setzung verwandelt also materialempirische Urteile und Schlüsse irgendwie in material-begriffliche Urteile und Schlüsse. Verwandelt werden dabei Urteile und Schlüsse im Modus des Einzelnen in generische Urteile und Schlüsse im Modus des Allgemeinen. Die Titelworte „Einzelnes" und „Allgemeines" sind dabei als Titel für verschiedene logisch-kategoriale Redeformen zu
Festsetzung gültig gemacht.
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bringen.14
13
Anerkennung brauchen wir, weil der Vorschlag terminologischer Regelungen nichts nutzt, niemand sie befolgt. Das Bild passt zugleich zu einem Aphorismus von Novalis, den Karl Popper als Motto seiner Logik der Forschung vorangestellt hat: „Begriffe sind wie Netze. Nur wer auswirft, wird fangen". Diese wenn
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Pirmin Stekeler-Weithofer
2,S
begreifen.
Sie verweisen nicht einfach auf die verschiedenen
„für alle" in der komplexen Nominalphrase.
Quantoren
„es
gibt"
und
Schlussformen und Folgerungen „materialbegrifflich", wenn sie nicht bloß formal (konventionell) im erläuterten Sinn sind, aber auch nicht einfach bloß ,empirisch zufällig' gelten.15 Sprechen wir von empirischer Wahrheit, so ist in der Regel zweierlei involviert: Erstens wird schon unterstellt, dass eine verbal artikulierte Unterscheidung zusammen mit entsprechenden materialbegrifflichen Schlussschemata oder Inferenzformen bekannt, beherrscht und gemeinsam als wenigstens prima facie erlaubt anerkannt sind. Zweitens wird gesagt, dass die zugehörigen Klassifikationsbedingungen auf gewisse konkrete Situationen oder phänomenal aufgewiesene Gegenstände hinreichend zutrifft. Dass zum Beispiel eine reale Figur oder eine bestimmte Relativbewegung hinreichend gerade oder kreisförmig ist, so dass entsprechende materialbegriffliche Folgerungen (in gewissen Grenzen) gezogen werden können, ist demnach immer eine empirische Wahrheit (im Modus der Einzelheit). Materialbegriffliche Urteile über Kreise und Geraden werden dagegen in idealbegriffliche Aussagen der mathematischen Geometrie verwandelt, wenn wir mit den Sätzen der Geometrie formal, etwa deduktiv, schließen und dabei geometrische Formen an sich zum Thema machen. Ich behaupte nun: In einer durchaus analogen Weise wie sein selbsternannter Widerpart Popper und dann auch wie Quine fasst schon Hegel das Begriffliche auf. Das Begriffliche oder der Begriff ist allgemeiner Kernbereich eines materialbegrifflichen Netzes bzw. eines Systems materialbegrifflich gültiger Schlüsse. Es ist in besonderen Artikulationen einzelner empirischer Erfahrungen je schon vorausgesetzt. Allerdings ist für Hegel (wie später für Quine) die Differenzierung zwischen Erfahrungsaussagen und begrifflichen Aussagen weder scharf, noch kontextfrei, noch absolut situationsinvariant. Sie ist in einem gewissen Sinn vage, in Bewegung, je zu beziehen auf den Redekontext. Sie bleibt abhängig von situationsbezogener Urteilskraft. Im Übrigen kann man einem Satz als solchen oft nicht ansehen, ob er im Modus oder Kategorie oder Aussageform des Einzelnen, also etwa empirisch, oder im Modus der Kategorie des Allgemeinen, also generisch, oder gar in der Kategorie des Absoluten, also rein ideal zu verstehen oder gemeint, i.e. in einem entsprechenden Sprechakt gebraucht ist. Im letzten Fall handelt es sich um spekulative' Aussagen über platonische Ideen', wie wir sie aus der Geometrie kennen. Zur Erläuterung des ersten Teils dieser Unterscheidung ist der Satz „Die Katze hat vier Beine" inzwischen (etwa in den Arbeiten von Sebastian Rödl ) schon zum Standardbeispiel avanciert. In einer besonderen Äußerungssituation können wir mit ihm eine empirische Aussage über eine einzelne Katze artikulieren, etwa wenn wir ausdrücken möchten, dass diese nicht, wie vielleicht viele andere Katzen einer gegebenen Katzenpopulation, den Defekt hat, bloß drei Beine zu haben. Normalerweise aber artikuliert der Satz eine generische, d.h. speziesspezifische, Aussage und damit eine materialbegrifflich für gültig erklärte Schlussform, die man, wie man sagt, auswendig lernen Ich
nenne
-
15
16
Hiermit und mit der gelegentlichen Rede von materialempirischen Aussagen versuche ich die Verwendungen des Wortes „material" bei Sellars und Brandom in gewisser Weise zu disambiguieren. „Interne Normen", in: G. Schönrich, U. Balzer (Hg.), Institutionen und Regelfolgen, Paderborn 2002, 177-192.
Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
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kann. Das bedeutet dann: Höre ich von der Katze Emily, so darf ich einfach davon ausgehen, dass diese vier Beine hat, jedenfalls solange niemand mich eines anderen belehrt. Sollte diese Schlussform fragwürdig sein, so hat uns der Sprecher nach Möglichkeit darüber aufzuklären, dass Emily eine kranke Katze ist oder einen Unfall hatte o.a. Wie man daher sieht, muss man die Kategorie des Einzelnen und die des Allgemeinen auf Aussagen anwenden und nicht einfach auf Sätze. Und es muss im (materialbegrifflichen) Schließen, wie Brandom in seinem Meisterwerk ,J\laking It Explicit" ganz richtig gezeigt hat, das dialogische Moment viel mehr berücksichtigt werden, als dies in
satzbezogenen Logik von Deduktionsregeln möglich ist. Denn Sätze sind gerade deswegen, weil sie invariant sind in Bezug auf die Redesituation, insensitiv für die Unterscheidung zwischen der empirischen Kategorie des Einzelnen und der logischgenerischen Kategorie des Allgemeinen. (Sie gehören daher immer irgendwie zur Kategorie des Absoluten, in die Sphäre der von der realen Welt losgelösten Rede über ideale Formen, platonische Ideen oder rein formalmathematische Gegenstände und Strukturen.) Hegel verteidigt nun die These, dass das Begriffliche, obwohl nicht absolut erfahrungsunabhängig und ewig, dennoch inhalts-, gegenstands- und erfahrungskonstitutiv ist. Das ist ein modifizierter Kantianismus. Die Modifikation besteht darin, dass synthetische Urteile und Schlüsse a priori in ihrer Doppelrolle als materialempirische Wahrheiten und als materialbegriffliche Präsuppositionen begriffen werden. Es gibt demnach nicht bloß, wie bei Quine, irgendwelche vagen Stetigkeiten im Verhältnis von begrifflichem Kern und empirischer Peripherie des enzyklopädischen Netzes des Wissens, sondern auch gestufte Präsuppositionen im Aufbau der Artikulationsformen des Wissens und der Kompetenzformen des individuellen und gemeinsamen Handelns, der Formen institutioneller Praxen und des Lebens überhaupt. Eben diese Feinstruktur der präsuppositionslogischen Aufbauten und Sinnbedingungen ist von Quine nicht genauer analysiert worden, und das mit (scheinbar) gutem Grund. Denn das widerspräche der von Carnap übernommenen Grundüberzeugung, dass Wissen in formalen Theorien artikuliert ist. Derartige Theorien sind axiomatische Systeme. Sie werden bei Quine ebenso wie bei Popper oder dann etwa auch bei Davidson im Grund immer als prädikatenlogische Deduktionssysteme erster Stufe vorgestellt. Daher kann es die präsuppositionslogischen Aufbauten, von denen ich hier rede, bei diesen Autoren gar nicht geben. Diese Aufbauten hängen nämlich eng mit der Konstitution von Gegenstandsbereichen zusammen und damit mit der Konstitution von ,Ontologien', d.h. von Variablenbereichen, auf denen quantorenlogisch elementare und dann auch quantorenlogisch komplexe Prädikate definiert werden. Wie alle Anhänger des Hilbertschen ,Formalismus' in der Philosophie der Mathematik, Logik und Sprache, müssen auch Quine oder Davidson, wie zuvor schon Carnap, die ,ontologische' Frage nach der Konstitution der Gegenstands- bzw. Variablenbereiche einem bloß impliziten ,ontologischen Commitment oder aber einem reinem Glauben an Axiome als implizite Definitionen von ,Strukturen' überlassen. Aber eben dieser Glaube an die implizit unterstellten, nicht weiter kritisch einer rein
17
Robert Brandom, Making It bridge, London 1994.
Explicit. Reasoning, Representing,
and Discursive Commitment, Cam-
Pirmin Stekeler-Weithofer
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analysierten Gegenstandsbereiche ,an sich' ist es, den schon Hegel angreift, nämlich als Meinungsphilosophie oder (Krypto-)Dogmatik. Gerade empiristische Fallibilisten und Skeptiker wie Hume werden schnell zu holis-
tischen ,Fideisten' oder eben zu Meinungsphilosophen, die ihr Denken und Schließen mit Axiomen und Postulaten beginnen. Die Konstitution der Gegenstände unseres Redens, unseres Urteilens und Wissens wird nicht analysiert. Aber nur dann kann man sehen, welche anderen Urteile schon als wahr präsupponiert oder unterstellt werden, wenn man überhaupt auf einen Gegenstandsbereich Bezug nimmt. So wird z.B. in der Rede von Dingen eine gewisse überzeitliche Identiflzierbarkeit unterstellt. Quine hat zwar die Revolution der Denkungsart erkannt, welche sich aus der Einsicht in die kontextbezogene, synkategorematische, Verfassung des sprachlichen Gegenstandbezug ergibt. Aber er hat ihre Folgen für eine sinn- und referenzkritische Philosophie immer noch unterschätzt. Dies liegt daran, dass seine allgemeinen Erklärungen zum ,ontologischen Commitment weiterhin als Basisüberzeugungen behandelt werden und nicht als Stufungen des Wissens, die sich aus den gestuften Präsuppositionen oder transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Artikulation von höherstufigem Wissen ergeben. Im Vergleich zu niederstufigen, je nur präsentisch in der Kategorie des Daseins oder Hierseins zu deutenden Anschauungsurteilen sind zum Beispiel schon Aussagen über überzeitliche Dinge in gewissem Sinn höherstufig. Wenn man diese Stufüngen übersieht, dann kann man kaum noch zwischen einem sinnlosen und einem vernünftigen Glauben in eine ,Ontologie' unterscheiden. Der Unterschied zwischen willkürlichen und begründeten Theorien löst sich inbesondere dann auf, wenn man sich auf ein vages hand-waving-argument der pragmatistischen Art einlässt und sagt, dass diejenige Theorie die beste sei, die in einer ganz diffusen Weise insgesamt am meisten Nutzen bringe. Wenn es eine Postmoderne in der analytischen Philosophie nach Quine gibt, dann liegt sie in dieser relativistischen Auflösung von Kriterien der Sinnkritik. -
4. Der Schluss als der gesetzte
Begriff
§ 181 der Enzyklopädie findet sich nun eine der wichtigsten Erläuterungen des Verhältnisses von Begriff, Urteil und Schluss aus der Sicht Hegels. Hegel sagt, der [materialbegriffliche!] Schluss sei Im
nichts anderes als der gesetzte, (zunächst formell-jreale der wesentliche Grund alles Wahren:
Begriff [...]
Der Schluß ist
deswegen
Ich lese das so: In der Wir-Gruppe der begriffsgebrauchenden Wesen ist der formelle und zugleich materialbegriffliche Schluss dadurch gesetzt, als er implizit als Norm des rechten generischen Schließens anerkannt ist. Im System je heutigen enzyklopädischen Wissens werden derartige Schlüsse satzartig artikuliert und damit explizit gemacht. In diesem Sinn ,definiert' eine Enzyklopädie ein System materialbegrifflicher Schlüsse. Zu beachten ist dabei, dass Sätze bzw. Urteile selbst dann Schlussregeln oder Schlussformen artikulieren, wenn sie nicht in der Form „wenn p, dann q" verfasst sind, sondern etwa in der Form „N ist P". Das sieht man schon an der einfachen Umformung in: „was
Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
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,N' heißt, ist P". Wenn wir, umgekehrt, Schlussformen explizit machen, müssen wir Sätze bzw. Urteile benutzen. Der materialbegriffliche Schluss ist deswegen der wesentliche Grund alles Wahren, weil es der Wissenschaft um (relativ) situationsinvariantes Wissen im Modus der Allgemeinheit geht. Dabei nennen wir im realbegrifflichen Sinn wahr, was in der aktualen Wissenschaft als Wissen gilt, im idealbegrifflichen oder absoluten Sinn dagegen nur das, was in einer idealen Wissenschaft als wahr gelten würde. Die Wissenschaft als autonome Praxis ist daher als Projekt der realen Bestimmung bzw. der Suche nach dem nachhaltig Wahren zu begreifen, wobei wir mit Hegel zwischen bloß richtigen empirischen Aussagen im Modus der Einzelheit und wahren generischen Aussagen in der Kategorie der Allgemeinheit unterscheiden müssen. Warum aber ist, wie Hegel stenographisch sagt, das Absolute der Schluss? Nun, das ist deswegen so, weil sich die Kategorie des Absoluten gerade als System formaler Schlüsse etabliert, wie wir dies im Fall der idealen mathematischen Geometrie schon erläutert haben. (In einem schwächeren Sinn muss jeder von uns das System materialbegrifflicher Schlüsse bzw. materialbegrifflichen Wissens in seinem eigenen Denken je hier und heute als absolut anerkennen, wenn er denn vernünftig denken will, soweit dieses für sein eigenes Verstehen konstitutiv ist.) Als Satz wird diese Bestimmung von Hegel selbst wie folgt „ausgesprochen: ,Alles ist ein Schluss'. Alles ist Begriff [...]." (Enz. § 181). Die Schwierigkeit dieser These besteht darin, dass wir uns angewöhnt haben, anders zwischen Begriff, Urteil und Schluss zu unterscheiden als Hegel. Wir denken immer noch, ein Begriff sei durch willkürliche, konventionelle, deflnitorische Festsetzungen bestimmt, wie dies etwa in dem Text von Alice Ambrose „Linguistic Approaches to Philosophical Problems" in R. Rortys Sammelband The Linguistic Turn sehr klar auseinandergelegt wird.19 Wir denken außerdem, dass Wissen, das zur Kategorie des Allgemeinen, der generischen Schlüsse, gehört, bloß eine starke Variante der Gewissheit sei. Wir verwechseln damit Wissen mit einem immer bloß subjektiven und empirischen Erkennen. Letzteres gehört immer zur Kategorie des Einzelnen. Wir unterscheiden damit gerade nicht zwischen individuellem Erkennen (cognition), auf Einzelnes bezogenes Wissen {knowledge) und allgemeiner Wissenschaft (science). Für Hegel ist Wissenschaft das, was ich „Episteme" nennen möchte, und das ist das stehende bzw. in mündlicher, schriftlicher oder implizit empraktischer Tradition festgesetzte generische Wissen im Modus bzw. der Kategorie des Allgemeinen. Idealiter ist Wissen ewiges Wissen und artikuliert dann eine ewige Wahrheit, aber dies eben nur im idealen Modus, also in der kategorialen Redeform des Absoluten. Realwissen dagegen ist immer artikuliert in einem System materialbegrifflicher Sätze, die ihrerseits als gültig gesetzte generische Schlüsse artikulieren. Diese Schlüsse sind, wie alle generischen Sätze, nicht einfach schematisch zu gebrauchen, sondern im besonderen Anwendungsfall mit erfahrener Urteilskraft und auf der Basis des besonderen Wissens über den Einzelfall zu verwenden. Wenn ich daher zum Beispiel weiß, dass Emily in einen Autounfall verwi-
"
Vgl. dazu Pirmin Stekeler-Weithofer, „Regellogik/Satzlogik", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 8, Basel, 465-473. Cf. R. Rorty (ed.), The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method, 1967, '1992, 147-155.
Pirmin Stekeler-Weithofer
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ekelt gewesen ist, werde ich vielleicht nicht mehr ungeprüft annehmen, dass sie vier Beine hat. Und wenn ich von einem Haus oder einem Rad oder einer Glaskugel sage, dass sie rund sind, werde ich nicht dieselben, und schon gar nicht alle idealen, Kriterien des Kreisförmigen auf sie anwenden. Wissenschaft in Hegels radikal realistischem und damit immanentem Sinn ist ein allgemeines System begrifflicher oder generischer Inhalte an sich und zugleich die kooperative Institution der gemeinsamen Entwicklung dieser Inhalte zum gemeinsamen Gebrauch. Wenn wir diesen Gedanken in einem Merksatz zum Ausdruck bringen wollen und dabei parte pro toto und jeweils als Singulare Tantum die Ausdrücke ,der Begriff für das Begriffliche und ,der Schluss' für das Inferentielle bzw. das System der materialbegrifflichen Inferenzen gebrauchen, dann könn(t)en wir den stenographischen Merksatz bilden: „der Begriff ist der Schluss". Hegel sortiert demnach die Dinge so: Auf der einen Seite steht die Wissenschaft, das Begriffliche, Epistemische, das stehende generische Urteil und der stehende generische Schluss. Auf der anderen Seite findet sich die individuelle Erkenntnis und die zunächst auf Einzelnes gerichtete je besondere Empirie. Wir erweitern oder verändern die Episteme dadurch, dass wir situationsübergreifende generische Sätze hinzufügen oder austauschen. Damit erweitern oder verändern wir immer zugleich den Begriff, das System der generischen Schlüsse. Betrachten wir diese Entwicklung in ihrer Form, dann können wir mit Hegel (Enz. § 178, wie oben zitiert) sagen: Das Urteil des Begriffs hat die Totalität oder das ganze Wissen, das mit dem Begriff zusammenhängt in der einfachen Form eines Systems materialbegrifflicher Sätze zu seinem Inhalte: das Allgemeine mit seiner vollständigen Bestimmtheit. Die übliche Vorstellung führt demnach in die Irre, der zufolge auf der einen Seite leere Worte und rein willkürlich gesetzte Verbaldefinitionen stehen, auf der anderen die Welt der objektiven Gegenstände oder auch realen Erfahrung im Sinn einer je aktualen Wahrnehmung oder einer Welt der Empfindungen. Diese Gegenüberstellung von Rationalismus und Empirismus, reinem Denken als einem formalen Operieren mit Worten und materialem Empfindungsgehalten ist heillos: Am Ende kommt das reine Denken, der Umgang mit Wörtern, nie zu den Dingen, die objektive Welt nie in das Denken. Das Denken und Reden bleibt ewig unwahr20 wie dies konsequenterweise Nietzsche dann auch so sieht, der die von Hegel hier vehement in Frage gestellte Prämisse teilt. Es ist die Prämisse Humes. Begriffliche Aussagen sind als Folgen willkürlicher Inferenzregelungen im Umgang mit Wörtern gehaltsleer. (Aus solchen Begriffsbestimmungen lässt sich die Existenz der durch sie zu bestimmenden Gegenstände keineswegs folgern oder beweisen. Aber, und das ist Hegels Punkt von Beginn an, diese Vorstellung davon, was eine Begriffsbestimmung sei, ist einseitig, rein formal, und geht an den Tatsachen materialbegrifflichen Urteilens und Schließens gänzlich vorbei.) Das rationale Denken ist nach Hegel nicht einfach als konventionelles oder behaviorales Spiel mit Worten zu begreifen, dem auf der anderen Seite die Welt gegenübersteht, die sich durch Vermittlung der Sinne bei uns bemerkbar macht, indem sie Impressionen in Haut oder Netzhaut erzeugt, die dann irgendwie weiter verarbeitet -
Vgl.
GW 12, 196.
Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
33
werden. Die Welt ist vielmehr längst schon das, was wir an ihr und in ihr unterscheiden und unterscheiden können. Die Sprache ist längst schon ein Medium, in dem wir gemeinsam getroffene Unterschiede festhalten, unsere reale Unterscheidungspraxis als solche artikulieren, gemeinsam kontrollierte oder kontrollierbare Unterschiede anderen Personen mitteilen, und damit das Bestehen von Bestimmtheiten kommunizieren können. So wie das Wasser ein Medium für die chemische Reaktion von Stoffen ist, ist nach Hegel die Sprache bzw. allgemeiner das repräsentative Zeichen das Medium sowohl für die Interaktion zwischen verschiedenen Personen im Unterscheiden, Urteilen, Informieren, und Schließen, als auch im selbständigen Rollenspiel des individuellen
Denkens.21
5. Das Urteil als der Begriff in seiner Besonderheit Was aber heißt es, dass das Urteil der Begriff in seiner Besonderheit sei? Ich denke, es handelt sich wieder um eine Art Merksatz. Er besagt, dass in einem Urteil ausgedrückt wird, dass etwas, das Beurteilte, in einem durch besondere Momente wie den konkreten Kontext, die Situation und die Sprecher resp. Hörer näher spezifizierten Sinn ,unter den Begriff fällt. Dieses heißt nicht nur, dass man das Wort oder den komplexen Ausdruck,
mit dem wir den Begriff an sich artikulieren, dem Beurteilten zugesprochen wird oder zukommt. Es heißt, dass das zum Wort und Begriff gehörige inferentielle Netzwerk in einem je für den konkreten Fall zu modifizierenden Sinn auf den zu beurteilenden Fall passt. Mit anderen Worten, der Begriff selbst enthält die Form seiner korrekten Anwendungen im urteilenden Unterscheiden und im entsprechend allgemein vorartikulierten und vorbestimmten Folgern. Wer urteilt, der sagt, dass der Begriff, den er dem Beurteilten zuordnet, diesem in folgendem Sinn zukommt: Die relevanten Schlüsse, welche den Begriff an sich, in seiner Allgemeinheit, und den Begriff für sich, in seiner konkreten und damit immer besonderen Anwendung bestimmen, werden als gültig oder verlässlich behauptet. Das heißt, der Urteilende übernimmt eine bedingte Verpflichtung (ein Commitment), in einem allfälligen Kontrolldiskurs. Er muss ggf. begründen (können), dass bzw. warum er so urteilen kann, bzw. dass bzw. warum die Inferenzen, die er im Urteil für gültig erklärt, tatsächlich gültig bzw. verlässlich sind. Aber auch in dem Fall, dass es zu keinem Kontrolldiskurs kommt, in dem Begründungen auftreten, übernimmt der Urteilende eine Verpflichtung, für die Verlässlichkeit seines Urteils einzustehen, und das heißt: für die mit ihm begrifflich verbundenen Inferenzen. Er tut dies empraktisch, implizit, und zwar sowohl im explizit artikulierten Urteil der informativen Aussage, als auch im stillen Reden mit sich selbst. Im ersten Fall steht er dafür ein, dass sich der Hörer auf die (in der Regel gemeinsamen, d.h. beiden im Prinzip bekannten oder von beiden eruierbaren) materialbegrifflichen Normalfolgen des Urteils verlassen kann. Im zweiten Fall steht er dafür ein, dass er selbst sich darauf verlassen kann. In beiden Fällen ist das Urteilen viel mehr als ein Klassifizieren: Auf der Grundlage der als bekannt und ver-
Vgl.
GW 12,229.
Pirmin Stekeler-Weithofer
34
lässlich unterstellten materialbegrifflichen Folgerungen ist jedes Urteilen ein gemeinsames bzw. individuelles Sich-in-der-Welt-Orientieren. Da nun aber alle materialbegrifflichen Inferenzen aufgrund des Fortgangs der Kontrolle der allgemeinen Verlässlichkeit der betreffenden begrifflichen Orientierungen sich selber mehr oder weniger kontinuierlich verschieben und langsam oder manchmal auch ruckartig bewegen, ist immer zu unterscheiden zwischen der Entwicklung des (per definitionem: allgemeinen) Begriffs bzw. der (ebenfalls per definitionem: generischen Wissenschaft) auf der einen Seite, der Erweiterung materialempirischer Kenntnis etwa des Einzelnen oder eines Kollektivs auf der anderen Seite. Das heißt, es gibt eine Entwicklung der zu einem Begriff im Allgemeinen gehörigen kanonischen oder generischen Urteils- und Schlussformen. Sie ist eine Entwicklung des Begriffs. Und es gibt eine Entwicklung der bloßen Kenntnis. Hegel unterscheidet entsprechend zwischen der Entwicklung des allgemeinen begrifflichen Rahmens und der Entwicklung der einzelnen und besonderen empirischen Inhalte. Letztere hängen von Ersterem ab. Denn ein empirischer Inhalt hat, wie oben schon angedeutet und skizziert, in aller Regel einen deiktischen Bezug auf in Hier oder Dort, Jetzt oder Damals oder Dann. Zugleich aber enthält er begriffliche Urteile: etwas wird als dieses oder jenes angeschaut, erfahren, beurteilt. Der Unterschied zwischen der empirischen Aussage und dem begrifflichen Urteil, eines auf Einzelnes und eines auf Allgemeines oder Generisches bezogenen Satzes ist natürlich nicht scharf definiert. Hierin würden nach meinem Verständnis Hegel und Quine übereinstimmen. Während Quine aber erklärt, alles sei Empirie, scheint Hegel zu erklären, alles sei Begriff und daher Urteil und Schluss. Sind das nicht zwei völlig entgegengesetzte Extreme, die, als Extreme, beide falsch sind? Hegel differenziert offenbar anders als Quine. Denn für Hegel kollabiert Wissen weder auf eine wahre und ggf. irgendwie begründete individuelle Überzeugung (wie dies etwa bei Hume und allen ihm folgenden Empiristen der Fall ist), noch ist es eine Art Durchschnittsglaube, noch eine kollektive Sammlung einzelner empirischer Erfahrungen', sondern ein, wie ich es gerne nenne, enzyklopädisches System. Das subjektive Fortschreiten in der empirischen Erfahrung ist abhängig von diesem System. Es setzt die Teilnahme an dem Gemeinschaftsprojekt artikulierten und kontrollierten Wissens voraus und die Beherrschung zugehöriger begrifflicher Kompetenzstufen. In einer zu flachen Auffassung der Wissenschaft, die diese als Systemoid axiomatischer Theorien auffasst, können diese Stufen gar nicht artikuliert werden. Die (vernünftige) Entwicklung des allgemeinen Wissens ist außerdem von anderer Form als die bloße Erweiterung individueller empirischer Kenntnisse. Im ersten Fall geht es um die Entwicklung ,des Begriffs' im Sinne eines generischen, enzyklopädischen, Systems allgemeiner materialbegrifflicher Inferenzen. Sie bilden den begrifflichen Rahmen gemeinsamen Sprachverstehens. Bei Hume oder in den modernen empirischen und psychologischen Kognitionstheorien ist dagegen bloß die Entwicklung individueller Erkenntnis oder Kenntnis Thema. Hegel dagegen erkennt das Begriffliche, das Allgemeine und Generische als präsuppositionslogische Voraussetzung empirischen Einzelwissens. Was eine materialbegriffliche Wahrheit bzw. eine materialbegriffliche Schlussform ist, wird übrigens nirgends so deutlich wie im negativen Fall des Paradoxen, wenn eine -
Warum
ist der
35
Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
Normalfallerwartung enttäuscht wird und wir an die Grenzen der Orientierung am Normalfall gelangen. Paradox ist, wie das Wort para-doxa schon sagt, was neben den Gemeinplätzen liegt. Gemeinplätze bestimmen einen Bereich von kanonischen' Normalfolgen. Derartige Normalfolgen gibt es oft schon aufgrund einer als bekannt unterstellten Übersicht in einem Anschauungsbereich. Materialbegrifflichen Schlüsse sind kanonische Normalfolgen. Ihre Existenz und Bedeutsamkeit fällt gerade am Fall des Paradoxen auf. Besonders im Kontext des Gebrauchs analoger Darstellungsformen benutzen wir nichtformale Normalfolgen im materialen Schließen. Man bewegt sich in einem anschauungsbasierten Urbild oder Modell und unterstellt gewisse kanonische Projektionen in einen Bildbereich. Dabei kann es immer geschehen, dass man überraschenderweise auf strukturelle Differenzen zwischen Urbild oder Primärgegenstand (Max Black) und dem durch die Projektion strukturierten Bereich, den Sekundärgegenstand trifft. Damit stößt man auf Grenzen sinnvoller Anwendungsbedingungen der analogen Bilder. 6. Der Schluss im Urteil, das Urteil im Begriff Jetzt können wir auch unseren Text aus der Enzyklopädie (§ 181, siehe oben) plausibel machen: Der Schluss etwa dass dieser Kreis da und diese Geraden da zwei Schnittpunkte haben ist der Begriff- nämlich des Kreises und der sie schneidenden Geraden als die einfache Identität, in welche die Formunterschiede des Urteils d.h. der Urteile: das hier ist ein Kreis, das hier ist eine Gerade, die ihn schneidet zurückgegangen sind. Er ist Urteil, insofern er zugleich in Realität, nämlich in dem Unterschiede seiner Bestimmungen also in den Einzelurteilen gesetzt ist. Dabei ist das Urteil die am Begriffe selbst gesetzte Bestimmtheit des Begriffs in seiner Anwendung auf einen -
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Einzelfall.22
-
Die Idee ist der adäquate Begriff das objektive Wahre oder das Wahre als solches vorzugsweise betrachtet im Modus des Absoluten. Das heißt, wir reden über das Wahre unter Absehung der im realen Urteilen und Schließen aus systemischen Gründen immer möglichen ,Fehlern' oder »Unrichtigkeiten' des Urteilens. Derartige Fehler können natürlich auch schon bei der Subsumtion eines Einzelfalls unter einen Begriff auftreten. Im Realfall sind daher derartige mögliche Fehler oder Unrichtigkeiten immer zu berücksichtigen. Das ist die Wahrheit des Fallibilismus. Wie im Fall des angemessenen Verstehens einer Analogie haben wir daher insbesondere auch als Hörer oder Leser die relevanten Schlussformen aus dem Gesamtbegriff qua System von materialbegrifflichen Urteilen und Schlüssen auf angemessene Weise auszuwählen. Das heißt insbesondere, -
„Wäre das Ist der Copula, schon gesetzt als jene bestimmte und erfüllte Einheit des Subjekts und Prädikats, als ihr Begriff wie etwa im Urteil, dass der Winkel im Halbkreis ein rechter ist „50 nämlich dass alle Winkel im Halbkreis rechte Winkel sind.
daGW 12,81. Vgl. dazu die Überlegungen in Pirmin Stekeler-Weithofer, „Analogie als semantisches Prinzip", in: Analyomen 2. Perspektiven der Analytischen Philosophie, Vol. II, hg. von Georg Meggle und Julian Nida-Rümelin, Berlin, New York 1997, 262-289 wäre
bereits der Schluss" -
es
-
zu
Vgl.
-
36
Pirmin Stekeler-Weithofer
dass der Sprecher oder Autor nicht die Gesamtverantwortung für ein allfälliges Fehlverständnis eines Hörers oder Lesers trägt. Verstehen ist ein kooperativer Prozess im Fall von schriftlichen Texten selbst über Zeiten hinweg. Als Handlung ist sowohl das Urteil als auch der Schluss frei. Insofern er Ergebnis von Handlungen des Setzens ist, und zwar zur allgemeinen Orientierung im Urteilen und Schließen, ist auch der Begriff frei. -
7. Vernunftschluss und Verstandesschluss
gewissem Sinn versteht sich jetzt von selbst, was es heißt, wenn Hegel sagt: Der Schluss ist die Wiederherstellung des Begriffs im Urteil, der vollständig gesetzte Begriff. Denn Einzelnes wird nur im besonderen Urteil als etwas Allgemeines auffassbar, das eine gewisse Form des materialbegrifflichen Schließens erlaubt. Im Urteil schließt sich sozusagen das Einzelne mit dem Allgemeinen zusammen, das Einzelne wird als besonderer Fall des Allgemeinen aufgefasst. Die Frage ist dann, was es heißt, etwas, ein Einzelnes, im Urteil als etwas Allgemeines aufzufassen und dies auf eine vernünftige, richtige, und nicht etwa falsche oder irreführende Weise zu tun. Die Antwort ist, das dieses Urteilen als Folge oder als Prämisse von Schlüssen zu verstehen ist. Als Folge ist das Urteil in anderen Urteilen begründet vermittelt durch entsprechende Schlüsse, die einen vernünftigen, verlässlichen, Übergang zu dem Urteil sichern (helfen). Als Prämisse spielt das Urteil die Rolle einer Inferenzerlaubnis: Indem ich das Urteil fälle, die Aussage mache, gebe ich anderen die Berechtigung, sich auf dieses in ihrem weiteren Schließen zu stützen unter Beachtung der erwähnten Verpflichtung zum selbständigen Urteilen, insbesondere im Blick auf das Relevante. Das Schließen selbst kann dabei durchaus schematischen Regeln oder formallogischen Gesetzen folgen, nämlich im Fall von reinen ,Verstandesschlüssen'. Im Fall materialbegrifflicher Schlussformen, generischer Gesetze, ist dagegen immer die dialogische Gesprächssituation und der relevante gemeinsame Weltbezug zu berücksichtigen. Dies hat mit möglichst erfahrener und kompetenter Urteilskraft zu geschehen. Eben das ist es, was ,Vernunftschlüsse' von Verstandesschlüssen unterscheidet. Hegel stellt nun die Frage, wie die Vernunft, welche schließt, und die Vernunft als Quelle der Gesetze und sonstiger ewiger Wahrheiten miteinander zusammenhängen. Dabei unterscheidet er die ,logische Vernunft' als bloße formelle und fragt, wie sie mit der inhaltlichen Vernunft zusammenhängt. Allgemeiner lautet die Frage in Bezug auf schematisch Gesetze des Schließens oder begriffliche Regeln, „was es in allen jenen Gegenständen ist, um dessen willen sie vernünftig sind?"25 Seine Antwort lautet: In
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Es ist dies, daß das Unendliche derselben nicht die leere Abstraktion vom Endlichen und die inhalts- und bestimmungslose Allgemeinheit ist, sondern die erfüllte Allgemeinheit, der Begriff, der bestimmt ist und seine Bestimmtheit auf diese wahrhafte Weise an ihm hat, daß er sich in sich unterscheidet und als die Einheit von diesen seinen verständigen und bestimmten
GW 12, 132-133. GW 12, 133.
Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
37
Unterschieden ist. Nur so erhebt sich die Vernunft über das Endliche, Bedingte, Sinnliche, [...] und ist [...] inhaltsvoll [...]; so aber ist das Vernünftige nur der Schluß26
Das heißt, das Unendliche und Ewige, Situationsinvariante und Objektive im Wissen und Begriff schaffen wir nur durch Schematisierungen, und durch Setzungen formaler, schematischer und generischer Sätze und Gesetze. Nur dadurch entsteht Episteme. Das Vernünftige aber, die Unterscheidung zwischen vernünftigen und untauglichen Setzungen einerseits, vernünftigen und angemessenen Anwendungen von Schemata des Urteilens und satzartig artikulierten Regeln des inferentiellen Schließens, liegt in einer qualifizierten (Meta-)Beurteilung des Schlusses, d.h. der argumentativen Begründung für das Urteil, um das es in der Konklusion geht. Im Bereich der Verstandesschlüsse unterscheidet Hegel zunächst Schlüsse dès Daseins, der Reflexion, der Notwendigkeit und der Objektivität. Die letzteren gehören dann schon zu den Formen des objektiven Wissens über Dinge und Dingbewegungen (Mechanismus), Stoffe und Stofftimwandlungen (Chemismus) und zielgerichtetes Verhalten und Handeln (Teleologie). Der dialogisch-dialektische 7 Vernunftschluss als ein 8 bzw. zur Idee, zum Unbeding„Schluss des Handelns" gehört zum ten, zum guten Leben. Hegel spricht zum Beispiel vom „ursprünglichen Urteil des Lebens". Es besteht darin, „daß es sich als individuelles Subjekt gegen das Objektive abscheidet, [...], und er sagt, dass im Schlusssatz einer dialektischen Aufhebung von Widersprüchen oder Paradoxien bisherigen enzyklopädischen Wissens als Bestimmungen des Begriffs „[...] das Allgemeine und Identische seiner Momente gesetzt ist."31 Dazu kommen wir aber erst später noch einmal zurück. Die Schlüsse des Daseins sind im wesentlichen die normalen deduktiven Schlüsse der Syllogistik und dann auch der Gleichheitslogik. Wenn wir alle Details gerade auch der idiosynkratischen Darstellungsweise Hegels beiseite lassen, so argumentiert Hegel dahingehend, dass diese Schlussform immer nur das, was als Berechtigung schon anderweitig begründet ist, von den Prämissen auf die Konklusionen überträgt. Wenn man von der scheinbar oder wirklich syllogistischen Darstellungsform absieht, ist es also einfach das axiomatische Verfahren, das Hegel hier in einer Ausdrucksweise parte pro toto darstellt. Er erinnert einfach mit Aristoteles daran, dass die Begründung der ersten Sätze, der Axiome, nicht deduktiv sein kann. Die Schlüsse der Reflexion versuchen allgemeine Urteile zu begründen, und zwar entweder durch vollständige Induktion (,Schluss der Allheit'), wie er nur für überschaubar-endlich viele Fälle anwendbar ist, oder durch unvollständige, bloß partielle Induktion, ergänzt durch ein „und so weiter" oder aber per analogiam. Offenbar sind alle diese Schluss-, Begründungs- oder Argumentationsformen problematisch.
Vernunftbegriff,29
GW GW GW
12, 133-134. 12, 381ff, besonders aber 391f. 12, 367: „In dem Schlüsse des Handelns
ist die eine Prämisse die unmittelbare
guten Zwecks zur Wirklichkeit, deren er sich bemächtigt GW 12,265. GW 12, 280. GW 12,391.
[...]."
Beziehung des
Pirmin Stekeler-Weithofer
3S
Die Schlüsse der Notwendigkeit sind kategorisch, hypothetisch oder disjunktiv. Sie sind kategorisch, wenn die Prämissen als kategorische Substanz- oder Wesensaussagen vorausgesetzt werden können. Sie sind hypothetisch, wenn es sich um die Anwendung der Schlussform des Modus Ponens handelt (also: wenn A, dann B und A, so B). Hier muss sowohl das hypothetische Urteil ,wenn A, dann B' als auch das (ggf. kategorische) Urteil ,A' als schon begründet vorausgesetzt werden. Schlüsse der Notwendigkeit sind disjunktiv, wenn man als Prämisse schon weiß, dass eine Gattung G vollständig in (ggf. disjunkte) Teilarten G\, Gn zerfällt oder in einem System von Sätzen mindestens einer wahr ist. Dann kann man ggf. etwas über eine vollständige Fallunterscheidung ,mit Notwendigkeit' begründen. Die Schlüsse der Objektivität sind Thema des nächsten Abschnitts. ...
-
8.
Mechanismus, Chemismus und Teleologie als
logische Formen objektbezogenen Wissens
Die Passagen in Hegels Logik, in denen dieser den ontologischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury oder Descartes zu verteidigen scheint gegen Gaunilos bzw. Kants Argument, dass man aus der Vorstellung einer entferntesten Insel oder von viel Geld in seiner Börse nicht auf die Existenz einer solchen Insel oder der betreffenden Geldsumme schließen kann, gehören zu den verstörendsten des ganzen Textes. Das Argument wird oft so dargestellt: Da Gott begrifflich als das vollkommenste Wesen bestimmt ist und zur Vollkommenheit das Dasein gehört, kommt Gott das Dasein zu, also existiert Gott. Hegel scheint nun sagen zu wollen, dass bei Anselm, Descartes oder dann auch bei Spinoza oder Leibniz die Rede von Gott als Rede über das Ganze der Welt bzw. ihre ,unendliche Totalität' zu begreifen ist. Dann hat es einfach keinen Sinn, an dem Sein bzw. der objektiven Existenz eben dieses Ganzen, dieser Totalität zu zweifeln; auch wenn damit noch fast nichts gesagt ist, wie Hegel selbst gleich hinzufügt. Denn erstens ist Gott zunächst, wie jeder singuläre Terminus N in einem Satz der Form „N ist P", trotz aller ihn begleitenden Vorstellungen „für das begreifende Erkennen nur ein Name".32 Erst die materialbegrifflichen Aussagen über die Identität und wesentlichen Eigenschaften des benannten Gegenstandes bestimmen für das begreifende, begriffliche, Erkennen, wovon eigentlich die Rede ist. Zweitens gilt: „Das Sein für sich und gar das Dasein ist eine so arme [...] Bestimmung, daß die Schwierigkeit, sie im Begriffe zu finden, wohl nur daher hat kommen können, daß nicht betrachtet worden ist, was denn das Sein oder Dasein selbst ist." Um nicht einfach mit Hegels eigenen Worten fortzufahren, die ohne Beispiel ohnehin zu abstrakt sind, gebe ich eine paradigmatisch zu verstehende Erläuterung. Ein möglicher Streit darüber, ob die Zahl 7 oder die idealen Formen des Kreises und der Geraden mit ihren euklidischen Eigenschaften existieren, wie ihn Protagoras, Hume und viele andere ,Empiristen' geführt haben, wäre für Hegel einfach sinnlos, und zwar weil nie-
GW 12, 194. GW 12, 194.
Warum
ist der
Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
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mand ernsthaft daran zweifelt, dass die betreffenden Worte gerade auch als Namen in sinnvollen arithmetischen bzw. geometrischen Aussagen auftauchen dürfen. Nur das meint man in der Logik, wenn man ganz abstrakt sagt, dass es die betreffenden Gegenstände gibt. Wenn man freilich, wie etwa Wittgenstein im Tractatus, die kriterialen Daumenschrauben zum Gebrauch der Worte „sinnvoll" und „Dasein" so anzieht, dass nur diejenigen Aussagen „sinnvoll" heißen, mit denen man in einer möglichen Anschauung nichtleere Differenzierungen artikulieren und damit ,Tatsachen' im indiosykratischen Sinn Wittgensteins ausdrücken kann, dann haben die betreffenden Namen natürlich keinen ,Sinn' mehr, da ein solcher eine ,empirische' Unterscheidung ausdrücken müsste. In dieser, längst schon nicht mehr rein abstrakten, formalen, und daher eben nicht mehr rein logischen, Betrachtung dessen was „Sein", „Dasein" und „Sinn" heißt, wird es falsch oder wenigstens zu einer scheinbar merkwürdigen bloßen façon de parier zu sagen, dass es Zahlen und Formen gibt. Rein logisch betrachtet aber ist die These, dass es Gott gibt oder die Welt oder die Natur für Hegel nichts anderes als die These, dass diese Wörter in spekulativen Sätzen an Namenstelle auftreten dürfen. Dass spekulative Sätze in anderer Weise sinnvoll sind als empirische Sätze und auch in anderer Weise als mathematische Sätze, das eben ist die tiefe Einsicht Hegels, die sich als solche von den Einsichten Wittgensteins durchaus nicht so stark unterscheidet, wie die Wortlaute der entsprechenden These sagen. Um dieses zu sehen, muss man freilich die verschiedenen Definitionen der Wörter „Sinn" und „sinnvoll" bzw. die verschiedenen Gebrauchsweisen der Ausdrücke „es gibt" und „es gibt wirklich" erkennen und die verschiedenen Sätze gleichen Gehalts einander zuordnen. Das aber ist hier nicht Thema. Es ergibt sich für Hegel: Ein Zweifel in Bezug auf eine aktuale objektive Existenz ist immer nur für endliche Bestimmungen möglich. Eine solche endliche Bestimmung bezieht sich das würde ich als Definition ansehen in schon wohlbestimmter Weise auf die empirisch erfahrbare Welt; sie sagt nichts über die Welt im Ganzen und Allgemeinen aus, sondern bezieht sich schon auf Einzelnes und Besonderes. Sie bezieht sich daher nicht auf den Gesamtbereich aller Möglichkeiten bzw. Wirklichkeiten, sondern auf einen schon herausgegriffenen, in eben diesem Sinn begrenzten oder ,endlichen' Teilbereich oder Teilaspekt. Ein derart endlicher Bereich kann die Anschauung in der Gegenwart sein. Aber er kann auch so umfangreich sein wie das Gesamtsystem der Körperdinge im Weltall, wie wir gleich sehen werden. Eine endliche Möglichkeit muss dann freilich immer erst als wirklich bestehend, als Tatsache, nachgewiesen werden. Hierin stimmt Hegel Kant völlig zu. Er meint nur, dass Kant den Status der Rede von Gott in der Tradition völlig falsch versteht. Kant bestimmt ihn nach Hegel ebenso abergläubisch wie alle diejenigen, welche das Wort „Gott" als Namen einer realen Person verstehen. Der logische Fehler liegt nach Hegel nicht erst darin, vom bloßen Wort „Gott" zur Existenz eines Gottes fortzuschreiten, wie Kant meint. Der Fehler liegt nach Hegel schon darin, „Gott" oder dann auch „Natur" oder „Welt" als Gegenstandsnamen aufzufassen, die angeblich eine Art großes und mächtiges Objekt benennen. Die Wörter „Erde" und „Sonne" sind solche Wörter: sie benennen in der Tat Gegenstände. Das gilt aber schon nicht mehr für das Wort „Weltall". Die Funktion dieser anderen Wörter ist eher, Reflexionen auf das Ganze des Seins, Lebens, Wissens usf. artikulierbar zu machen. Dazu benutzen wir eine spekulative' -
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Redeform, in der die syntaktische Subjekt-Prädikat-Struktur gerade nicht so zu verstehen ist, dass die Subjektphrase einen Gegenstand oder eine Gegenstandmenge benennt und die Prädikatphrase diesen Gegenstand oder diese Menge klassifiziert und damit von anderen unterscheidet. Der spekulative Satz' funktioniert semantisch ganz anders als normale (ein oder mehrstellige) Prädikationen. Die normalen Prädikate und Relationen sind ,endlich' in dem Sinn, dass sie in einem schon nach gewissen logisch Prinzipien konstituierten Gegenstandsbereich definiert sind, etwa den Dingen oder Gestalten, den Zahlen oder geometrischen Formen, den Raumzeitpunkten oder irgendwelchen Gegen-
standsmengen.
Wie nun im einzelnen die Form des spekulativen Satzes zu verstehen ist, welches seine Geltungsbedingungen sind und zu welchen Schlüssen, inferentiellen Übergängen, ein solcher Satz uns bei angemessenem Verständnis ermächtigen würde, zu welchen aber nicht, ist hier allerdings nicht Thema und würde zu weit führen. Aber warum sollte gerade die Betrachtung des spekulativen Satzes und die Argumentations- oder Schlussform des ontologischen Gottesbeweises überleiten von den Überlegungen zu den Grundformen des subjektiven Schließens die mit dem kategorischen, hypothetischen und insbesondere dem disjunktiven Schluss enden zur Betrachtung des ,objektiven Wissens' unter den Titeln des Mechanismus, Chemismus und der Teleologie? Die Antwort liegt fast auf der Hand, wenn man nur die Frage ernsthaft genug stellt und anhand des Gesamttextes überlegt, was eine befriedigende Antwort sein könnte. Denn mit dem Disjunktionsschluss des vorhergehenden Kapitels hängt das Schema des Mechanismus deswegen zusammen, weil ihm zufolge die ganze objektive Welt zerfallt in die Klasse der in der Welt existierenden Individuen. Um die konkreten Eigenschaften' des als existent erwiesenen objektiven Ganzen zu bestimmen, wird in der Betrachtungsart des „Mechanismus" das Ganze, die Welt, oder, um mit Spinoza zu reden, ,deus sive natura', in endliche, begrenzte Bereiche oder Aspekte zerlegt. Ein solche Zerlegung eines Ganzen in Teile ist immer die Grundlage eines disjunktiven Schlusses. Daher führt, umgekehrt, die Frage nach den Voraussetzungen des disjunktiven Schließens zur Frage nach den objektiven Voraussetzungen dafür, dass diese ,subjektive' Schlussweise der Fallunterscheidung objektiv verlässlich ist. Im ,Mechanismus' soll die Objektivität entsprechend zerlegt werden. Der disjunktive Schluss sagt dann, dass etwas nur dann objektiv existiert, wenn es als ein Bewegungsprozess eines Individuums darstellbar bzw. erklärbar ist. Hegel erkennt nun aber, dass es ein logisch-kategorialer Fehler ist, dieses System der Körperdinge für die ganze Welt zu halten. Das eben geschieht in Newtons Mechanik, wenn man sie als eine gesamte Welttheorie versteht. Der Fehler besteht darin, dass Aussagen, die als Aussagen der endlichen und beschränkten Kategorie des ,Mechanismus' in der Physik ganz berechtigt sind, als Aussagen über die ganze Natur und Welt missverstanden werden. Die Endlichkeit der Darstellungsform des ,Mechanismus' in der Physik besteht im Folgenden: Nur solange, wie wir sinnvollerweise in dieser Kategorie reden, urteilen und schließen können, sind wir berechtigt, nach den Bewegungsursachen für ein Ereignis zu forschen, wobei Ereignisse selbst als laufende Bewegungsprozesse von Körpern zu begreifen sind. Die Aussage, dass es zu jedem Ereignis E eine zureichende kausale Ursache gibt, ist dagegen schon transzendent, überschwänglich, ohne jede Begründung, -
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Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
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ja sogar falsch, und zwar weil man in ihr die endliche Kategorie des Mechanismus ohne
Ausweis auf die ,unendliche' Welt im Ganzen anwendet.34 Der Ausdruck „Mechanismus" steht, wie schon angedeutet, bei Hegel für eine Kategorie oder logische Form. Genauer steht er für ein Schema des Versuchs der Darstellung der ganzen Welt. Es handelt sich um den Versuch der Zerlegung der ganzen Welt in Gegenstände. Dieser Form zufolge zerfallt das Weltall in Köperdinge, am Ende in Atome. Die Lebenswelt der Pflanzen und Tiere zerfallt in Gattungen, Arten und am Ende in einzelne Individuen. Die Menschheit zerfallt in die einzelnen individuellen Personen, am Ende in die individuellen lebenden Körper und ihr Verhalten. Der Mechanismus erweist sich damit als die Vorstellung, dass der Bereich der Objektivität durch das System der real existierenden Dinge als körperliche Individuen gegeben ist, wobei die Individuen als solche immer nur in einer gewissen Zeit in ihrer Identität bestimmt sind. Danach zerfallen sie in körperliche Bestandteile, so dass die einzigen nachhaltigen Individuen atomare Partikel sind. Diese Betrachtungsart führt dann weiter zum Gedanken einer Totalbeschreibung der Welt in der Form von zeitinvarianten (insofern ewigen) Bewegungsgesetzen für atomare Partikel, wie wir sie aus der cartesischnewtonianischen Dynamik kennen. Leibniz fügt dann in seiner Monadologie nur noch den Gedanken hinzu, dass die Partikel immer auch eine Innenperspektive und eine gewisse performative Kraft haben und daher als Monaden aufzufassen sind, aus deren ,Sicht' die Welt je verschieden erscheint, da jede Monade anders durch die Außenwelt affiziert wird. Jede Monade reagiert aber auch auf die Umwelt. Damit inkorporiert Leibniz eine epistemische und eine performative Ebene von der ,Wahrnehmung' bis zum ,Erkennen', von der Reaktion etwa eines Thermostats bis zum planenden Handeln der Menschen in ein totales metaphysischen Weltbild, das aber immer noch ein solches des ,Mechanismus' im Sinne Hegels ist.35 Die Beziehungen oder Relationen zwischen den Dingen werden in den Darstellungsformen des Descartes oder Leibniz in gewisser Hinsicht von außen an die Gegenstände herangetragen. Das heißt, es wird so geredet, als seien die Gegenstände in ihrer Identität und in ihren Unterschieden schon bestimmt und als gehe es in der wissenschaftlichen Erklärung nur noch darum, die externen Relationen zwischen ihnen darzustellen, z.B. ihr relatives Bewegungsverhalten oder, wenn es um Menschen geht, ihre handelnden Beziehungen zueinander. Es ist am Ende das Darstellungsschema des ,Atomismus' und ,methodischen Individualismus', das bei Hegel unter dem Titel „Mechanismus" thematisiert und in seiner begrenzten Erklärungsleistung analysiert. Jetzt können wir auch die folgende sonst wohl recht mystifizierende Formel zur Charakterisierung des .Mechanismus' als Form der Darstellung von Objektivität verstehen. Hegel sagt zu dem damit erreichten Stand: „die Objektivität ist noch nicht als Urteil Das heißt: es wird auf der Ebene der Sprache eigentlich nur ein Naauf der Ebene des Bezugs ein Gegenstandssystem unterstellt, als wäre mensystem und
gesetzt."36
Im mechanischen Materialismus und dann auch im modernen, quantenmechanischen Physikalismus wird einfach behauptet, dass die Darstellungsform des ,Mechanismus' im Prinzip ausreiche, um die ganze Welt zu beschreiben und zu erklären. GW 12, 203 ff. GW 12,202.
Pirmin Stekeler-Weithofer
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die Welt voller Dinge, die es zu benennen gibt. Aber die Urteile kommen sozusagen von außen hinzu. Das heißt nicht, dass es keine Urteile gibt. Aber es bedeutet, dass man noch nicht bemerkt, dass es immer schon (material)begriffliche Urteile geben muss, die allererst bestimmen, um welche Gegenstände es sich jeweils handelt. Was oben zum 2. Markstein des ,Empirismus' bzw. zu einer kritischen Immanenzphilosophie gesagt worden ist, kann jetzt so verstärkt werden: Nicht nur für abstrakte oder theoretische Termini gilt das von Frege und Wittgenstein mit Recht so hervorgehobene Kontextprinzip, dass sie nur im Zusammenhang von Sätzen, genauer: von Urteilen und Schlüssen Sinn, Bedeutung und bestimmte Referenz haben. Es gilt für alle namenartigen Ausdrücke. Da Hegel in seiner Logik dies sieht, ist diese eine Logik des Kontextprinzips avant la lettre, die sogar noch über Freges Satzfixierung hinaus reicht. Die impliziten Präsuppositionen oder explizit gemachten Urteile, die bestimmen, wovon die Rede ist, wenn ein Name gebraucht wird, beziehen sich also nicht nur auf das ,Innere' der Gegenstände, sondern auf ihre Beziehungen untereinander. Ich bin zum Beispiel die Person, die ich bin, nicht nur auf der Basis dessen, was in mir, in meinem Leib von den Gedärmen bis zum Gehirn sich befindet. Die Betrachtungsart des Mechanismus sieht eben dies nicht ein. Noch die heutige gehirnphysiologisch fundierte Kognitionstheorie und die neuen evolutionären Humanwissenschaften befinden sich auf dem logisch gesehen primitiven Reflexionsstand des ,Mechanismus'. In dieser Denk- und Sprachform wird schon die folgende Tatsache nicht mehr artikulierbar bzw. begriffen: Person bin ich nur in und durch meine sozialen Beziehung zu anderen Personen in einer Personengemeinschaft. Manchem Leser wird die allgemeine logische Einsicht, die in dem Satz steckt, durch eine weniger belastete Analogie vielleicht klarer werden: Die Zahl 5 ist nicht nur dadurch definiert, welche anderen Zahlausdrücke, etwa 7-2 oder 3+2 die gleiche Zahl repräsentieren. Die Zahl 5 ist vielmehr wesentlich dadurch definiert, welchen Platz sie in der gesamten Zahlenreihe und d.h. welchen Platz der Ausdruck „5" und mit ihm alle mit ihm als ersetzungsgleich gesetzten Ausdrücke und Repräsentationen in dem Gesamtsystem aller Zahlausdrücke (gemäß der GrößerKleiner-Ordnung der Zahlen und der Ordnung der Nachfolgerzahlen) einnimmt. Die Betrachtungsart der Gegenstände, welche diese Tatsache berücksichtigt, heißt bei Hegel „Chemismus". Im Chemismus wird anerkannt, dass die Identität der Gegenstände immer auch schon durch Relationen zu anderen Gegenständen definiert ist. Hegels Formel lautet: „Der Chemismus macht im Ganzen der Objektivität das Moment des Urteils [...] aus." Wie im Fall der Rede vom Mechanismus stammt auch hier die Benennung der logischen Form bzw. des zugehörigen logischen Formbewusstseins aus einem Beispiel. Dort war es die ,mechanische', äußere, Form der Bewegung zwischen zunächst scheinbar in sich selbst genügsamen und nicht aufeinander in einem System bezogenen Körperdingen. Hier ist es die Chemie der Stoffe und Stoffumwandlungen. Denn der Begriff des chemischen Stoffes ist ja gerade dadurch definiert, welche Prozesse mit anderen Stoffen stattfinden oder nicht stattfinden, also durch die damals noch so genannten (Wahl-)Verwandtschaften der Stoffe. Chemische Substanzen als Gegenstände des Chemismus sind in ihrer Identität dadurch definiert, wie sie sich zueinander verhalten. -
GW 12,226.
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Warum ist der Begriff sowohl Urteil als auch Schluss?
Das eben ist das Besondere des Chemismus, dass man die Identität etwa einer chemischen Substanz ohne ein System von Urteilen über mögliche chemische Prozesse gar nicht deflnitorisch und daher erst recht nicht epistemisch bestimmen kann. Damit wird auch klar, dass prognostische Urteile und Möglichkeitsurteile, also inferentielle Commitments bzw. Entitlements im objektiven Sinn, begriffs- und identitätskonstitutiv sind und nicht etwa bloß als eine Frage des subjektiven Wissen und Erkennens verstanden werden können. Was aber heißt es, wenn Hegel dann weiter sagt: „[der] objektive freie Begriff ist der Zweck."38 Und weiter: „Die Zweckbeziehung ist [...] mehr als Urteil; sie ist der Schluß des selbständigen freien Begriffs, der sich durch die Objektivität mit sich selbst zusammenschließt"? Nun, die Urteile, die im Modus des Mechanismus und Chemismus sind zweckorientierte Urteile. Sie sind dies gerade deswegen, weil der gefallt werden, Mechanismus die Relationen zwischen den Dingen von außen setzt. Genauer, wir setzen Kausalbeziehungen nach Maßgabe dessen, was wir an reproduzierbaren Bewegungsprozessen herstellen bzw. was ohne unser Zutun oder auch gegen unsere Wünsche an typischen Bewegungsprozessen reproduziert wird. Im Chemismus waren nur die relationalen Urteile als gegenstandkonstitutiv anerkannt, noch nicht pragmatische Zweckerfüllungen. Diese erweisen sich jetzt aber für eine objektiven und doch nicht -
transzendenten, damit sinn-, orientierungs- und erfahrungsbezogenen Wahrheitsbegriff als unbedingt notwendig. Der Begriff ist dabei frei, weil die Kriterien frei gesetzt und
ihre Erfüllung frei kontrolliert wird. Aber man braucht schon teleologische Betrachtungen, um überhaupt laufende Prozesse auf ein erwartbares Ende und in diesem Sinn auf ein mögliches Ziel hin bestimmen zu können. In der Tat sind Prozesse zeitlich und modal bestimmt. Sie dauern so lange in der Gegenwart, bis ihr Ende erreicht ist. Der Begriff des Endes und der Begriff des Zwecks fallen dann insofern zusammen, als jedes Ende eines Prozesses als das Ziel einer Handlung und damit als Zweck im Handeln gesetzt werden kann, sofern nur der Prozess von uns willkürlich begonnen werden kann. Im Begriff des auf ein Ende oder Ziel hin beschriebenen Prozess ob es sich um einen chemischen Prozess handelt oder um den Prozess des Lebens oder auch eine in der Regel im Blick auf das Ende, in diesem Sinn ,perfektiv', beschriebenen Handlung findet Hegel die Kategorie der Teleologie. Diese spielt immer auch eine Rolle in der reflektierenden Urteilskraft, eine Einsicht, die Hegel explizit Kant zuschreibt. Bei Kant ging es um die Bestimmung eines Gegenstandes als von dieser und nicht von jener Art, als dieser und nicht als jener. Bei Hegel geht es dann aber immer auch schon um mehr, nämlich um das Reden über Prozesse. Ein Wissen um Notmalprozesse wiederum ist materialbegrifflich eng verbunden mit dem Begriff selbst. So setzt der Begriff des Tieres voraus, dass wir schon wissen, wie tierisches Leben verläuft. Ein totes Tier ist in diesem Sinn kein Tier (mehr), so wie ein Teddybär eben kein Bär ist. Wenn es daher nicht bloß um die (ggf. bloß analogische) Zuordnung eines (Begriffs-)Wortes geht, sondern um die Subsumtion eines Falles unter den vollen Begriff, und das heißt, unter ein mit dem Wort begrifflich verbundenem System materialbegrifflicher Schlüsse, sind -
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GW 12, 235. GW 12, 244.
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insbesondere dort ideologische' Kenntnisse über Normalprozesse vorausgesetzt, wo es Leben geht. Aber auch schon die begriffliche Bestimmung der Richtigkeit oder Wahrheit irgendwelcher anderer Aussagen findet statt im Bezug auf Erfüllungsbedingungen. Die Erfüllungen zeigen sich im erfolgreichen Handeln. Am Ende dieser Überlegung steht der Schluss des freien Begriffs. Dieser ist ein Schluss auf die beste Erklärung, in dem ,dialektische' Widersprüche im Begriffssystem aufgehoben werden. Es ist der dialektische oder abduktive Schluss, der Paradoxien und andere auftretende inferentielle Orientierungsprobleme im Gebrauch des bisherigen enzyklopädischen und generischen Wissenssystems aufhebt. um
9. Der dialektische Schluss und die Idee als Sitz im Leben Dialektisches Argumentieren, dialektisches Begründen und dialektisches Schließen sind im Grunde drei Varianten dessen, was seit Charles Sanders Peirce als „abduktives Schließen" bekannt ist. Es handelt sich dabei, erstens, um die Suche nach der besten Erklärung eines Phänomens im Rahmen einer schon fix und fertig gegebenen und anerkannten Theorie. Zum vernünftigen Umgang mit jedem tradierten generischem Wissen gehört, dass dieses in seiner Anwendung ,exhaurierf und in einem hegelschen Doppelsinn ,aufgehoben' werden muss. Denn sonst könnten wir die in ihnen artikulierten Erfahrungen überhaupt nicht nutzen. Das gilt insbesondere für das in der Form deduktiver Theorien oder axiomatischer Systeme artikulierten und tradierten (Erfahrungs-)Wissen. Das Verfahren des Exhaustion und Aufhebung bedeutet, dass man auf die Vernunft in der Tradition hört, die dort erarbeiteten Orientierungsvorschläge vernimmt, nicht einfach beim ersten auftretenden Problem oder Widerspruch verwirft, und seine eigenen weiteren Orientierungen im Urteilen, Schließen, Handeln und insbesondere beim Entwurf neuer theoretischer Ordnungen an diese anpasst. Wie die Probleme der besonderen Anwendung generischen Wissens, ggf. artikuliert in einer ,Theorie', im Einzelnen zu lösen sind, muss in einer bloß allgemeinen, strukturellen, eben daher logischen Betrachtung, wie sie hier Thema ist, natürlich offen bleiben. Es kann dies durch Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls oder durch Berücksichtigung allgemeiner Momente in Erklärungen geschehen. Man denke zum Beispiel an die Folgen der Reibung für Bewegungsabläufe. Oder es kann durch partielle Änderung der Rahmentheorie geschehen. Man denke zum Beispiel an Einsteins Aufhebung der Widersprüche' zwischen Maxwells Elektrodynamik und Newtons Mechanik oder an die Quantenmechanik.40 Dialektisches Begründen und abduktives Schließen geht dabei, zweitens, insofern immer auch über die Methode der Exhaustion gegebener Theorien hinaus, als es sich auch auf die Einrichtung der Wissenschaft im Ganzen und dabei immer auch um die arbeitsteilige Organisation und die ,topologische' Platzierung von partiellen Disziplinen handelt, wie wir dies schon am Beispiel der mechanischen, chemischen und biologischen Phänomene und Erklärungsformen gesehen haben. Es handelt sich in beiden Fällen nicht um Revolutionen im Weltbild der Physik, sondern um Aufhebungen von Desorientierungen durch die bisherigen Theorien ganz in Hegels Sinn des dialek-
tischen Schlusses.
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Dabei ist der oberste Gesichtspunkt der vernünftigen Aufhebung von Problemen ein Eben daher rückt, wie dann auch wieder William James gesehen hat, Piatons Idee des Guten und des guten Lebens an die Stelle eines obersten Wahrheitskriteriums.41 Das heißt, die formellen Kriterien des Richtigen und Wahren bzw. des besten Wissens, das zu einer Zeit in einem Gebiet zu erreichen ist, sind alle begrenzt und endlich. Sie erlauben zwar eine relativ autonome und relativ absolute Beurteilung der Wahrheit, relativ losgelöst vom Interesse, das wir an dieser Wahrheit als der Erfüllung von uns gesetzter Kriterien haben. So ist zum Beispiel die Wahrheit eines mathematischen Satzes wie zum Beispiel des letzten Satzes von Fermât in der Arithmetik durch autonome Kriterien bestimmt, und zwar partiell unabhängig von unserer realen Möglichkeiten der schematischen Überprüfung der Erfülltheit der Wahrheitsbedingung. Daher ist auch der mathematische Beweis dieses Satzes absolut im Blick auf die autonomen und formalen Wahrheitsbedingungen. Analoges gilt durchaus für historische Tatsachenurteile, zumindest soweit diese nicht schon ,dichte' intentionale und ethische Urteile enthalten. Denn es können per definitionem des neuen philosophischen Begriffs der Dichtheit dichte Aussagen nicht ohne normative Beurteilung des Guten im Urteilen und Handeln der Akteure getroffen werden. Am Ende sind aber nicht einmal die mathematischen Kriterien der Wahrheit wirklich ganz und gar autonom, absolut, d.i. losgelöst von einer Idee des Guten, der funktionstüchtigen gemeinsamen Praxis und des guten gemeinsamen Lebens. Darauf hat uns Wittgenstein aufmerksam gemacht. Denn wir wollen ja mit den wahren arithmetischen Sätzen nicht die Wände tapezieren, sondern sie sollten ,zu etwas gut sein'. Das sind sie aber nur, wenn man sie als zulässige Rechen- und Schlussregeln bzw. als Hilfsmittel für den Nachweis der Zulässigkeit derartiger Regeln deuten kann auf der Basis einer Praxis des Zählens mit irgendeinem System von Zählsymbolen, das so eingerichtet ist, dass es für das Zählen taugt. Die elementaren arithmetischen Wahrheiten, wie z.B. die Wahrheit, dass 2+1=3 ist bzw. dass für den Ausdruck „2+1=3" durch uns der Wert das Wahre fest gesetzt ist, sind gerade so eingerichtet, dass durch sie das Symbolsystem gut für das Zählen wird. Schon daher sind die arithmetischen Wahrheiten im Blick auf die Idee des Guten und das heißt: auf ihre Brauchbarkeit in unserer Praxis des Zählens und Rechnens verfasst. Dialektik im Sinn Hegels ist dann immer wesentlich Reflexion auf die Kriterien, mit denen wir eine rein kontingente Entwicklungsgeschichte menschlicher Institutionen und dabei insbesondere der Institution der Wissenschaft, des artikulierten und schematisch gelehrten Wissens bzw. des zugehörigen generischen Schließens von einer Entwicklung unterscheiden können, die der Idee des Projekts gemäß ist. Eine (kulturelle) Entwicklung einer Idee ist nach Hegel nur dann vernünftig, wenn sie not-wendig ist, und das heißt nicht, dass sie unausweichlich ist, sondern eine Not oder ein Problem besser als die Tradition löst. Das ist im Grunde nichts anderes als eine (wie ich denke: höchst angemessene) Erläuterung des rechten Gebrauchs des Wortes „vernünftig" (bzw. „unvernünftig") in bezug auf (metastufige Beurteilungen von) Entwicklungen kultureller Formen, Normen und Kriterien des Urteilens und Schließens. Die Idee oder das Projekt der Vernunft ,enthält' daher, wie man sich im traditionalen Bild der Kriterieninklusion seit Piaton ausdrückt, eben diese Form der Entwicklung.
pragmatischer.
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GW 12,263.
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In der Enzyklopädie § 214 sagt Hegel, dass die Idee als die Vernunft und zugleich als Einheit des Ideellen und Reellen" begriffen werden könne und als solche wesentlich
Prozess sei. Es handelt sich um den Prozess dialogisch-dialektischer Entwicklung begrifflicher Formen des richtigen Urteilens, Schließens und Handelns im Projekt der Vernunft. In Enz. § 216 steht entsprechend: „Die unmittelbare Idee ist das Leben". Das heißt, das empraktische Leben der Menschen in der Welt ist das aktual Wirkliche in allem Begrifflichen. Ohne die hier vorgetragene Betrachtung ist insbesondere Hegels Naturphilosophie' nicht Dort geht es weniger um die Methode der technisch-mathematischen Naturwissenschaften als um eine Verortung unserer begrifflichen Zugänge zur Welt. Es geht dabei um eine Darstellung der Entwicklung materialbegrifflicher Basisaussagen. So wie es die Aussagen über ideale Formen der Geometrie möglich machen, missratene Gebilde oder Gestalten zu identifizieren, gibt es immer auch formen- oder typenbestimmende Aussagen in unserer Rede über die Natur und Welt. Auch sie artikulieren einen Kanon inferentieller Basisnormen. Sie sind daher nicht einfach als empirische Berichte darüber zu verstehen, was es so alles gibt, sondern enthalten als eine Art normative Komponente ein Normalfall-Wissen. Hegel erläutert diese platonischaristotelische Idee, in welcher die Ideenlehre zu einer Art Prototypensemantik wird, ex
begreifbar.42
negativo am Beispiel von Missgeburten:
Um dergleichen Gebilde als mangelhaft, schlecht, missförmig betrachten zu können, dafür wird ein fester Typus vorausgesetzt, der aber nicht aus der Erfahrung geschöpft werden könnte, denn diese gibt auch jene sogenannten Mißgeburten an die Hand (Enz. § 250).
Dabei wäre noch viel dazu zu sagen, was es heißt, dass wir diese Normen nicht willkürlich aus (je meiner) ,Erfahrung' schöpfen, sondern dass ,die Idee sich als das setze, was sie an sich ist' (Enz. § 251). Schon in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes hatte Hegel das Problem benannt: Einerseits scheinen wir zu untersuchen, was an sich ist. Andererseits gilt: An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das Ansich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen daran zu messen. Nennen wir das Wissen den Begriff, das Wesen oder das Wahre aber das Seiende oder den Gegenstand, so besteht die Prüfung darin, zuzusehen, ob der Begriff dem Gegenstande entspricht. Nennen wir aber das Wesen oder das Ansich des Gegenstandes den Begriff und verstehen dagegen unter dem Gegenstande, ihn als Gegenstand, nämlich wie er für ein anderes ist, so besteht die Prüfung darin, daß wir zusehen, ob der Gegenstand seinem Begriff entspricht.43
Hegels Naturphilosophie mag als gescheitert gelten. Sie ist dennoch als Versuch der Reflexion darauf zu begreifen, wie wir Formen des Denkens in und aus der Naturbetrachtung entwickeln. Es handelt sich um begrifflich-strukturelle Formen der Darstellung, die an dem Realen ein Invariantes gegenüber verschiedenen empirischen Aspekten aus subjektiven Perspektiven festzuhalten erlauben. Wir brauchen und gebrauchen sie dazu, die Natur, diesen sich scheinbar unaufhörlich wandelnden und daher nie fass- und begreifbaren Proteus, zu zwingen, seine Verwandlungen einzustellen (Enz. § 244). Ohne sie könnten wir nichts Allgemeines und Gemeinsames über die Natur sagen und würden damit nichts wissen. Phän., 59
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Jede immanente und in diesem Sinn anti-metaphysische (besser: anti-transzendente) Betrachtung der Begriffe ,Wahrheit', ,Wesen' oder ,Wirklichkeit an sich' muss zugeben, dass es unsere eigenen Kriterien sind, deren Erfüllung wir prüfen, wenn wir eine Aussage auf Richtigkeit überprüfen. Dabei prüfen wir immer auch zugleich die Gemeinsamkeit bzw. das rechte Verständnis der Kriterien, unseres Maßstabs, und seine Brauchbarkeit im Rahmen gemeinsamer Formen des rechten Urteilens und Handelns. Im Einzelfall prüfen wir, wie weit der je vorliegende Fall von der Norm des Normalfalls abliegt, welche Normalinferenzen daher gelten bzw. nicht gelten. Die zentrale Schwierigkeit einer zugehörigen philosophischen Analyse liegen dann offenbar, wie gerade die Kritiker Piatons bemerken, im Begriff der Form oder des eidos selbst. Da jeder Begriff selbst eine Form ist, liegt das Problem im Begriff des Begriffs. Das Problem betrifft den rechten Umgang mit reflektierenden Aussagen über abstrakte Formen, Begriffe oder Bedeutungen als explizit gemachte Formen einerseits, das rechte Verständnis dieser Reden im Bezug auf die ,realen Existenzweisen' von (,impliziten') Formen und Begriffen in der Praxis des Redens, Urteilens und praktischen Lebens andererseits. Am Ende aber ist die Erfüllung von Formen des Urteilens und Schließens konstitutiv für individuelle oder personale Rationalität. Die Erfüllung der dialektischen' Vernunftformen in der Entwicklung ganzer Praxisformen oder Institutionen wie zum Beispiel des generischen und gemeinschaftlichen Wissens als begrifflicher Basis individueller empirischer Erkenntnis und damit das ,abduktive Schließen' in der ,Aufhebung von Erfahrungen' ist dagegen konstitutiv für einen überpersonalen Begriff der Vernunft. -
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Zweiter Teil: Urteil
Rainer Schäfer
Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils Einleitung Den folgenden Ausführungen liegt die These zugrunde: In Hegels Wissenschaft der Logik bildet die Lehre vom Urteil eine dialektische Herleitung und Strukturbeschreibung einiger wesentlicher logischer Aspekte des endlichen Denkens; dabei vollzieht sich das endliche Denken in logischer Hinsicht vermittels der Setzung von relativen Identitäten zwischen den drei Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. Identität spielt in zwei verschiedenen Bedeutungen eine zentrale Rolle für das Urteil: Einerseits handelt es sich um die Identität des Denkenden, d.h. der Subjektivität, die der Vollzugsakteur des Urteils ist, und andererseits handelt es sich um die Identität im gedachten Inhalt, d.h. im Gedanken. Die Identität im Gedankeninhalt bildet die jeweilige spezifische Einheitsfunktion des Urteils. Die Urteilsfunktion ergibt sich also aus der gedachten Identität. In Hegels Theorie des Urteils ist die Allgemeinheit von zentraler Bedeutung: Die Identität (sowohl die des Denkenden als auch die des Denkinhalts) realisiert sich im Urteil in verschiedenen Typen von Allgemeinheit, die in den verschiedenen Urteilsftinktionen gesetzt werden. Für die Setzung der Allgemeinheit und damit für die Identität des Begriffs hat das disjunktive Urteil eine zentrale Rolle inne. Der die Urteilsfunktionen dialektisch vermittelnde und fundamentale Widerspruch besteht darin, dass einerseits in jedem Urteil Urteilssubjekt und Prädikat miteinander identisch und dass andererseits beide auch voneinander unterschieden sind (vgl. GW 12, 59). Durch diesen Widerspruch werden die verschiedenen Typen von Allgemeinheit gesetzt. In einem ersten Teil dieser Ausführungen wird Hegels Konzeption des Urteils nach der Lehre vom Begriff aus der Wissenschaft der Logik gegen andere Urteilstheorien präzisierend und konturierend abgegrenzt. Im zweiten Teil wird dann die spezifische
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Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils
der Identität im Urteil untersucht. Darauf werden in einem dritten Teil die Urteilselemente Subjekt, Prädikat und Kopula hinsichtlich ihrer Identitätsbedeutung näher betrachtet. Die Urteilsidentität wird im vierten Teil durch eine Analyse der verschiedenen Formen von Allgemeinheit, die im Urteil vollzogen werden, weiter differenziert. Ein fünfter Teil widmet sich spezifisch der Setzung der objektiven Allgemeinheit im disjunktiven Urteil. Den Abschluss bildet ein Resümee.
Bedeutung
1.
Hegels Urteilskonzeption in Abhebung von anderen Urteilstheorien
wendet sich gegen eine äußerliche Vorstellung des Urteils: Das Urteil ist nicht einfach eine „Ur-teilung", die darin besteht, dass Subjekt und Prädikat voneinander unterschiedene und getrennte Bestimmungen sind, die durch diverse Formen und Arten der Verknüpfung, d.h. durch Urteilsfunktionen miteinander verbunden werden, die aber auch genauso hätten unverbunden bleiben können (vgl. GW 12, 55f.; vgl. zu Hegels Urteilskonzeption: Schick 2002). Hegel argumentiert in diesem Kontext gegen eine repräsentationalistische Urteilstheorie, also dagegen, dass das Subjekt eines Urteils als der Name für einen extramentalen, individuellen Gegenstand gilt und das Prädikat als die innermentale, allgemeine Vorstellung verstanden wird, wobei das Urteil dann die Verbindung von Repräsentation im Subjekt und Gegenstand außerhalb des Subjekts leisten soll.1 Hiermit dürfte Hegel wohl Locke vor Augen haben. Gegen diese Urteilstheorie erhebt Hegel den Einwand, dass sie eine einseitige Versubjektivierung des Urteils ist (vgl. GW 12, 55), denn in dieser Theorie ist das Urteil nicht wirklich objektiv gültig, sondern nur für das vorstellende Subjekt, das willkürlich einem Gegenstand ein Prädikat zuzuordnen bereit ist. Der Repräsentationalismus führt also in einen schlechten Subjektivismus. Der eigentliche Sinn des Urteils wird damit jedoch verfehlt, denn dieser besteht darin, dass einem Urteilssubjekt ein Prädikat als wirklich zukommend beurteilt wird; d.h., im Urteil sind Subjekt und Prädikat in einer Hinsicht identisch. Diese Identität kann aber bei der Repräsentationstheorie hinsichtlich des Verhältnisses von extramentalem Gegenstand und innermental, allgemeiner Eigenschaft nie der Fall sein. Diese Theorie kann objektive Geltung, d.h. wirkliche Identität von Subjekt und Prädikat und damit das Phänomen des Urteils nicht erklären. Für Hegel besagt objektive Gültigkeit eines Urteils also, dass einem Subjekt ein Prädikat wirklich und identisch zukommt. Das Urteil ist eine Setzung und ein Vollzug im Horizont der logischen Identität der Subjektivität. Im Urteil realisieren sich auf der Ebene begrifflicher Selbstbestimmung sowohl Identität als auch Unterschied spezifischerer gedanklicher Begriffsbestimmungen. Gleichwohl sagt Hegel: „alle Dinge sind ein Urteil" (vgl. Enz. § 167). Damit betont Hegel, dass sich das Urteil nicht im Kopf eines Indivi-
Hegel
-
-
kann Hegel auch zwischen Richtigkeit und Wahrheit differenzieren: bloße ist die Übereinstimmung zwischen subjektiver Vorstellung (dies kann auch eine Richtigkeit Anschauung oder Wahrnehmung sein) und objektiv an einem Gegenstand befindlichem Merkmal (vgl. GW 12, 65). Wahrheit geht jedoch über die Richtigkeit hinaus, da sie in fundamentalerer Form Objektivität und Identität von Gegenstand und Erkenntnis (Begriff) impliziert. In diesem
Zusammenhang
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Rainer Schäfer
sondern eine fundamentale Struktur mit onto-logischer Bedeutung ist. in einem umfassenden Sinn als Ding verstanden werden kann, ist Urteilshaft Alles, bedeutet in diesem Kontext, dass es sich um eine Entität handelt, die als gegliedert. Ding eine Einzelheit allgemeinere Eigenschaften in sich hat, die seine wesentlichen Aspekte ausmachen. Das Urteil ist also ein Vollzug der logischen Subjektivität und (daher) gleichermaßen auch eine ontologische Fundamentalstruktur aller vorhandenen Dinge. Wenn sich Hegel gegen ein äußerliches, repräsentationalistisches Verständnis des Urteils als Teilung wendet (vgl. GW 12, 55f), dann heißt dies nicht, dass er gegen Hölderlins Deutung des Urteils als „Ur-Teilung" Hölderlin deutet das Urteil (falsch etymologisierend) als „Ur-Teilung", was bei ihm besagt, dass im Urteilsvollzug die Identität auf ursprüngliche Weise immer schon durch den Unterschied gesetzt wird. Im Urteil wird also eine endliche, derivative Form von Ganzheit vollzogen, die darin besteht, dass Beziehung durch Unterscheidung der verschiedenen Funktionen der Urteilstermini gedacht wird. In dieser Hinsicht, dass Beziehung und Unterscheidung Wechselbestimmungen sind, schließt sich Hölderlin offensichtlich der Urteilstheorie Fichtes an, der in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) ebenfalls entwirft, dass Antithesis (Entgegensetzung) und Synthesis (Beziehung) die für den Urteilsvollzug konstitutiven Wechselbestimmungen sind.3 Nach duums
abspielt,
was
polemisiert.2
2
F. Hölderlin konzipiert das Urteil keineswegs im Rahmen eines repräsentationalistischen Ansatzes; vielmehr begreift er das Urteil als die sich von sich unterscheidende, ursprüngliche Tätigkeit des Selbstbewusstseins, das sich in paradigmatischer Weise durch die Selbstunterscheidung auf sich in dem Urteil: Ich Ich bezieht. Daher wird nach Hölderlin in der Identität des Selbstbewusstseins der Unterschied immanent immer schon ursprünglich mitvollzogen; weshalb die Identität des Selbstbewusstseins nur eine relative und abkünftige ist, die mit dem absoluten Sein, das ein völlig Untrennbares bildet, nicht verwechselt werden darf. Das absolute Sein wird in der intellektuellen Anschauung als Eines vollzogen, das Subjekt und Objekt völlig ununterschieden und daher untrennbar enthält. Dieses Sein ist nach Hölderlin eine schlechthinnige Ganzheit, d.i. ein Ganzes, das keine Teile enthält, denn sonst wäre etwas Trennbares in ihm. Das Sein als ursprüngliche Ganzheit muss daher völlig einfach sein; es unterscheidet sich somit von allen bloß relativen, endlichen Ganzheiten, die sich aus (mindestens der gedanklichen Möglichkeit nach trennbaren) Teilen zusammensetzten. Hölderlin folgert daraus gegen Fichte -, dass weder die Selbstidentität des Ich noch die relationale Selbstbeziehung des Selbstbewusstseins das absolute Sein der intellektuellen Anschauung erreichen kann. Vgl. zu Hölderlins Urteilskonzeption den Entwurf Urteil und Sein von 1795 (in: Hölderlin Sämtliche Werke, Bd. 4, Hg. F. Beißner, Stuttgart 1962, 226). Konsequent folgert Hölderlin, in einer weiter gehenden Auseinandersetzung mit Fichte, dann auch bezüglich des Absoluten, des Seins, dass diesem kein Bewusstsein oder Selbstbewusstsein zukommen kann. Diesen Gedanken teilt Hölderlin Hegel in seinem Brief vom 26.1.1795 mit (in: Hölderlin Sämtliche Werke, Bd. 6, Hg. F. Beißner, Stuttgart 1969, 168f). Dort identifiziert Hölderlin fälschlicherweise auch Fichtes absolutes Ich mit der absoluten Substanz Spinozas; Fichte selbst differenziert allerdings deutlich zwischen dem absoluten Ich und Gott (vgl. Fichte Werke, Hg. I. H. Fichte, Berlin 1971, Bd. I, 278). Vgl. Fichte Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95); in: Werke, Bd. I, 109f. Allerdings wendet Hölderlin diese antithetisch-synthetische Urteilsstruktur offensichtlich auch auf den ersIch an (vgl. hierzu: Hölderlin Urteil und Sein. In: ders. Sämtliche Werke, ten Grundsatz Fichtes Ich Bd. 4, Hg. F. Beißner, Stuttgart 1962, 226). Diesem hätte Fichte allerdings widersprochen, da die Thesis bzw. die Ursetzung des Ich Ich noch gar kein synthetisch-antithetisches Urteil ist, sondern die Voraussetzung allen Urteilens bildet. Das Spezifikum bei dem Ich Ich ist nach Fichte gerade die =
-
3
=
=
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Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils
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Fichte sind im Urteil also immer Entgegensetzung und Beziehung gleichermaßen gedacht; in einem bewussten Urteil kann die eine Denkhandlung nicht ohne die andere vollzogen werden. Mit Hölderlins Ur-Teilungskonzeption des Urteils sieht Hegel offensichtlich analog, dass dem Urteil eine ursprüngliche Einheit zugrunde liegt, die sich aufspaltet: „Das Urteil ist die Diremtion des Begriffs durch sich selbst; diese Einheit ist daher der Grund, von welchem aus es nach seiner wahrhaften Objektivität betrachtet wird. Es ist insofern die ursprüngliche Teilung des ursprünglich Einen; das Wort: Urteil bezieht sich hiermit auf das, was es an und für sich ist" (GW 12, 55; ähnlich äußert sich Hegel in der Enz. § 166 A). In anderer Richtung etymologisierend kann gesagt werden, dass für Hegel das Ur-teil ein „ursprünglicher Teil", d.h. ein fundamentales Element des Begriffs ist. Allerdings besteht auch ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Urteilstheorien Hölderlins und Hegels: Für Hölderlin ist die Einheit, die der Urteilung zugrunde liegt, selbst gar nicht Urteilshaft zu vollziehen und kann daher auch kein Bewusstsein haben oder Selbstbewusstsein von sich erlangen. Dem entgegen ist für Hegel aber die im Urteil vollzogene Teilung gerade ein wesentlicher Schritt für die der Trennung zugrundeliegende Einheit, um von sich selbst Bewusstsein und Selbstbewusstsein zu erhalten. Wenn Fichte also für das Urteil eine antithetisch-synthetische Grundstruktur konzipiert, dann schließt sich Hegel diesem an und entwirft im Unterschied zu Hölderlin -, dass die der Urteilung zugrundeliegende Einheit sich gerade im antithetischsynthetischen Urteilsvollzug selbst setzt und so für sich selbstbezügliches Wissen erhält. Die der Urteilung zugrundeliegende Einheit ist nach Hegel der Begriff und nicht ein opakes, sich selbst unbewusstes Sein. In Orientierung an Kants Urteilstafel kennt Hegel vier verschiedene Urteilsklassen mit jeweils drei verschiedenen Urteilsfunktionen. Die 1. Klasse bildet das „Urteil des Daseins", das der „Qualität" bei Kant entspricht; es besteht in den Urteilsfunktionen des positiven, des negativen und des unendlichen Urteils. Die 2. Klasse ist das „Urteil der Reflexion", welches der „Quantität" bei Kant entspricht; es enthält die Urteilsfunktionen des singulären, des partikulären und des universellen Urteils. Die 3. Klasse ist das „Urteil der Notwendigkeit", welches bei Kant der „Relation" entspricht; es besteht in den Urteilsfunktionen des kategorischen, des hypothetischen und des disjunktiven Urteils. Die 4. Klasse bildet das „Urteil des Begriffs", dieses entspricht der „Modalität" bei Kant; es enthält die Urteilsfunktionen des assertorischen, des problematischen und des apodiktischen Urteils. Auffällig ist, dass Hegel die Quantität der Qualität vorordnet, was wohl mit dem Gedanken zusammenhängt, dass die Qualität die Voraussetzung für die Quantität bildet; etwas kann nur eine Quantität haben, wenn es vorgängig überhaupt ein qualitativ bestimmtes Etwas gibt, an dem die Quantität gesetzt werden kann. Weshalb es gerade vier Urteilsklassen gibt, begründet Hegel nicht. Hinsichtlich der Vierzahl der Urteilsklassen kann auf zweierlei Weise argumentiert werden: a) Die Vierteilung ist eine Inkonse-
Ununterschiedenheit und Nichtentgegensetzung zwischen dem Subjekt- und dem Prädikat-Ich; beide sind logisch und numerisch selbig. Es ist nur in der Struktur des endlichen, begrifflich-abstrakten und einseitigen Verstandes begründet, zwischen Subjekt- und Prädikat-Ich im ersten Grundsatz zu unterscheiden.
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52
quenz
Hegels,
da sie
von
der sonst üblichen
Dreiteilung
von
logischen Bestimmungen
Kants Urteilstafel geschuldet. Eine andere Argumentation, die Hegel wohl angemessener ist, besagt: b) An der Vierereinteilung der Urteilsklassen zeigt sich, dass ein äußerlich zählendes Unterscheiden in Dreier- oder Vierergruppen für Hegels dialektisches Denken irrelevant ist. Diese letztere Argumentation deutet Hegel selbst bezüglich der „absoluten Idee" an (vgl. GW 12, 247). Die prozessuale Selbstbestimmung bildet die Identität des Begriffs aus. Da der Begriff bzw. die Subjektivität das sich im Urteil Vollziehende ist, können die Elemente des Urteils auch nicht bloß äußerlich miteinander zusammenhängen, sie bilden vielmehr eine Einheit, die in der Identität der Subjektivität begründet ist. Dies ist eine Einsicht, die Hegel von Kant weiterführend übernimmt. Nach Hegels Interpretation ist bereits Kant über ein äußerliches Verhältnis von Begriff und Urteil hinausgegangen, sofern nach Kant die Einheit des Selbstbewusstseins als synthetische Einheit der Apperzeption in nichts anderem als in der synthesisleistenden Aktuosität der Urteilsfunktionen besteht (vgl. GW 12, 17f., 23). In Hegels Deutung des reinen Selbstbewusstseins aus Kants Konzeption der „transzendentalen Deduktion" ist es die synthetische Einheit der Apperzeption, die sich diversifizierend in den verschiedenen Urteilsfunktionen selbst setzt. Die Urteilsfunktionen sind dann nur jeweils spezifizierende Artikulationen verschiedener Aspekte der Einheit des „Ich denke". Vor diesem Kant-Hintergrund ist zu verstehen, weshalb Hegel betont, dass das Urteil eine „Funktion" (GW 12, 53) des Begriffs ist. Bereits Kant sieht die Urteile als Funktionen an, d.h. als spontan einheitliche Vollzugsformen, die verschiedene Vorstellungen unter eine gemeinschaftliche ordnen; mittels dieser Ordnungsformen aktualisiert sich die Einheit des Selbstbewusstseins. Die Funktion ist also nach Kant eine formale Ordnungsregel für objektive Vorstellungsverknüpfungen, die vom reinen Subjekt vollzogen wird. Es gehört nach Hegel wesentlich zur Identität des Begriffs, dass sie ein kontinuierlicher Prozess ist. Diese kontinuierliche Prozessualität zeigt sich daran, dass alle spezifischeren Urteilsfunktionen auseinander folgen sollen und somit einen fortlaufend herleitenden Zusammenhang bilden, in dem die Urteilsfunktionen aufeinander aufbauende, jeweils höherstufige Formen von Identität artikulieren. Daher beansprucht Hegel, über die äußerliche Urteilstafel Kants hinausgegangen zu sein. Zwar hat Kant generell die Einheit von Begriff und Urteil gesehen, also dass sich Subjektivität Urteilshaft vollzieht; aber nach ihm sind die Urteilsfunktionen koordiniert, d.h. sie stehen bloß nebeneinander. Wenngleich natürlich nach Kant jeweils die dritte Urteilsfunktion einer Urteilsklasse durch die Synthese der beiden ersten Urteilsfunktionen entsteht; so entsteht z.B. nach Kant das unendliche Urteil aus einer Verknüpfung von bejahendem und verneinendem Urteil. Dennoch bildet auch diese jeweils dritte Urteilsfunktion einen ursprünglichen, nicht auf die anderen beiden Urteilsfunktionen reduzierbaren, selbständigen Verknüpfungstypus, der koordiniert neben den anderen Verknüpfungsarten steht (vgl. hierzu: Kant KrV, B 110f). Hegel versucht dagegen, die verschiedenen Arten der Verknüpfung in Urteilen genetisch und dialektisch auseinander herzuleiten, woraus sich bei ihm eine aufsteigende Hierarchie der Urteilsfunktionen ergibt, die stufenweise von niedrigeren, deflzienteren Identitätsformen zu höheren, perfekteren aufsteigt, bis sich schließlich das Urteil in den Schluss aufhebt.
abweicht, und ist wohl der Orientierung
an
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Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils
2. Die Urteilsidentität als endliche Setzung der Selbstdifferenzierung des Begriffs Der Begriff setzt seine Identität im Urteil, indem er seine voneinander unterschiedenen Momente: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gegeneinander in Bestimmungsrelationen setzt (vgl. GW 12, 53). So ist z.B. im Urteil: „Die Rose ist rot" eigentlich die
Begriffsrelation: „Die Einzelheit ist allgemein" gesetzt. „Rose" und „rot" bilden die Mannigfaltigkeit, an der sich der begriffliche Gehalt realisiert. Die Identität und der Unterschied sind hier also nicht einfach im Sinne der Wesensbestimmungen Identität/Unterschied zu verstehen, sondern als weitergeführte Momente in der selbstbezüglichen Erkenntnis und Realisation des Begriffs. Hegel parallelisiert auf höherer Ebene die Begriffsbestimmungen mit den niedrigeren Reflexionsbestimmungen aus der Lehre vom Wesen: Die Allgemeinheit entspricht der Identität, die Besonderheit dem Unterschied, und die Einzelheit entspricht der in den Grund zurückgehenden Entgegensetzung, d.h. dem Widerspruch (vgl. GW 12, 46). Der Begriff, d.h. die Subjektivität in einem allgemeinen Sinn vollzieht sich mittels einer prozessualen Selbstbestimmung. Diese prozessuale Selbstbestimmung findet sich auch in spezifischer Form auf der Ebene des Urteils; so definiert Hegel das Urteil als: das „Setzen der bestimmten Begriffe durch den Begriff selbst" (GW 12, 53). Darin kommt einerseits die Aktuosität des Begriffs als tätiges Setzen zum Ausdruck, andererseits aber auch, dass der Begriff ein Gesetztes hervorbringt, nämlich spezifische Begriffsbestimmungsrelationen, die der Begriff von sich als der generellen Tätigkeit unterscheidet. Mit den bestimmten Begriffen sind offensichtlich die spezifischen gedanklichen Relationen gemeint, in welche Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gebracht werden. Diese spezifischen Relationen der Begriffsbestimmungen bilden dann die Urteilsfunktionen. Im Unterschied dazu bezeichnet der Begriff selbst die die Tätigkeit des Denkens überhaupt vollziehende Subjektivität in einem allgemeineren Sinn. Es gibt nicht zuerst die spezifischen Urteilsfunktionen und dann werden anschließend dazu passende Begriffsbestimmungsrelationen von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit gesucht, sondern umgekehrt: Es gibt zunächst die Relationen der Begriffsbestimmungen, und diese lassen sich dann jeweils als spezifische Urteilsfunktionen fixieren. Die Einheit des Begriffs bzw. der Subjektivität realisiert sich nach Hegel in den -
-
verschiedenen Urteilsformen auf verschiedenen Intensitätsstufen. Diese verschiedenen 4
Diese Begriffsbestimmungsrelationen der verschiedenen Urteile sind (Allgemeinheit A, Besonderheit B und Einzelheit E): 1. Daseinsurteil: positives Urteil: E-A, A-E; negatives U: E*A ( E-B), A*E ( A-B); unendliches U: E-E, A-A; 2. Reflexionsurteil: singulares U. : E-A; partikuläres U. : iE(B)-A, (—» iE*A); universelles U : aA-aE (—» A-A); 3. Notwendigkeitsurteil: kategorisches U: E(B)-A; hypothetisches U: A-B (Wenn-dann-Verknüpfung); disjunktives U: A-B =
=
=
(Entweder-oder-Verknüpfung); 4. Begriffsurteil: assertorisches U.: E-A; problematisches U.: E-A; apodiktisches U.: E-A.
Rainer Schäfer
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Intensitätsstufen der Identität des Begriffs bilden jeweils eine Diversifizierung und Differenzierung des Begriffs. Indem die Subjektivität sich als den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Formen von Identität in den Urteilsfunktionen begreift, erlangt sie einen höheren Grad an Bestimmtheit für sich. Im Urteil werden Urteilssubjekt und Prädikat also gerade nicht nur äußerlich zusammengebracht, sondern sie bilden von vornherein eine Trennung, die sich im Horizont einer sich selbst differenzierenden Identität ereignet. Diese Identität des Begriffs, die sich in verschiedenen Intensitätsstufen realisiert, wird von Hegel als „Entwicklung" und „Kontinuation" (vgl. GW 12, 66, 67, 70f.) beschrieben; wobei die Entwicklung und die Kontinuation zugleich die spezifische Form der Dialektik des Begriffs überhaupt sind (vgl. Enz. §§ 161, 240). Hinsichtlich der Identität sind im Urteil zwei Aspekte zu unterscheiden: Einerseits gibt es die Identität des Begriffs selbst. Diese kann als die noetische, setzende Identität bezeichnet werden, denn sie bezieht sich auf die Selbstidentität der Subjektivität im Vollzug des Urteils. Und andererseits gibt es die im Urteil als Inhalt gedachte Identität; also z.B.: „Die Einzelheit ist allgemein" oder „Die Besonderheit ist allgemein". Dies ist die noematische, gesetzte Identität. Die setzende, noetische und die gesetzte, noematische Identität stehen nach Hegel nicht in einem äußerlichen Verhältnis, sondern sind Wechselbestimmungen. Die noetische Identität realisiert sich in der noematischen Identität, und die noematische Identität bedarf der noetischen Identität, um überhaupt vollzogen zu werden. Der „Unterschied" von noetischer und noematischer Identität bildet die Abstraktheit des Begriffs, die in der gesamten Lehre vom Begriff'dessen ursprüngliche Defizienz und Endlichkeit ausmacht. Diese Defizienz besteht darin, dass die tätige, noetische Subjektivität sich selbst noch nicht für sich mit der von ihr hervorgebrachten, noematischen Bestimmtheitsstruktur als identisch gesetzt hat; an sich ist diese Einheit zwar bereits mit dem Abschluss der Lehre vom Wesen erreicht; aber sie ist noch nicht explizit, für sich gesetzt. Diese für den Begriff selbst noch nicht gesetzte Identität von Denken und Gedanke macht die Abstraktheit aus, die der Begriff allererst in der „Idee" vollständig überwindet.
3.
Subjekt, Prädikat und Kopula
Die Urteilslehre stellt die Defizienz der Selbstidentität des Begriffs auf einer spezifischen Stufe dar: nämlich auf der Stufe der Unterschiedenheit der Momente des Begriffs gegeneinander. Im Urteil stehen sich daher trotz der eigentlich vorliegenden Begriffsidentität gleichermaßen auch zwei scheinbar Selbständige gegenüber. Dies sind Subjekt und Prädikat. Diese beiden bestimmt Hegel in einer generell das Urteil charakterisierenden Weise als Einzelheit und Allgemeinheit (vgl. GW 12, 53, 72, 77). Hier steht offensichtlich das traditionelle Verständnis im Hintergrund, dass im Urteil das Subjekt ein Einzelnes, ein singulärer Terminus ist und diesem das Prädikat als eine allgemeine Eigenschaft oder als ein allgemeines Merkmal mittels der Kopula „ist" beigelegt wird (vgl. GW 12, 55). Das Prädikat gibt die Wasbestimmung der Subjekteinzelheit an (vgl. GW 12, 54).
Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils
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Die Selbständigkeit beider Urteilselemente besteht darin, dass das Subjekt ein einzelnes, für sich existierendes Ding ist und das Prädikat als allgemeines Merkmal eine
Eigenschaft aussagt, die einer Vielzahl von möglichen weiteren Urteilssubjekten auch noch zukommen kann; das Prädikat gilt also nicht nur spezifisch von diesem einen Urteilssubjekt. Daher sind sich beide äußerlich. Die Selbständigkeit der beiden Urteilselemente gegeneinander ist eigentlich nichts anderes als deren Äußerlichkeit. Aufgrund dieser Selbständigkeit bzw. Äußerlichkeit der Urteilselemente bezeichnet Hegel Urteilssubjekt und Prädikat auch als „Totalitäten" (vgl. GW 12, 53): „Das Urteil hat zu seinen Seiten überhaupt Totalitäten, welche zunächst als wesentlich selbständig sind. Die Einheit des Begriffs ist daher nur erst eine Beziehung von Selbständigen; noch nicht die konkrete, aus dieser Realität in sich zurückgekehrte, erfüllte Einheit, sondern außer der sie als nicht in ihr aufgehobene Extreme bestehen" (GW 12, 54f). Die aufsteigenden Urteilsfünktionen haben nun die Aufgabe, diese anfängliche Äußerlichkeit von Subjekt und Prädikat zu überwinden und deren Identität in jeweils perfekteren Formen zu setzen.
Das
Subjekt ist gegenüber dem Prädikat zunächst selbständig, weil das Prädikat nur Eigenschaft des Subjekts artikuliert, dieses aber auch noch eine Vielzahl anderer Eigenschaften hat; das Subjekt geht also nicht vollständig im Prädikat auf. Umgekehrt gilt aber auch das Prädikat nicht spezifisch nur für dieses Subjekt, sondern für eine Vielzahl anderer Urteilssubjekte (vgl. GW 12, 58). Hier wird die Identität und Unterschiedenheit von Subjekt und Prädikat als den Extremen des Urteils auch hinsichtlich einer quantitativen Auffassung des Urteils deutlich. Die Klassen von Subjekt und Prädikat entsprechen einander und entsprechen einander auch nicht. Dabei betrachtet Hegel offensichtlich auch das Subjekt als quantifizierbare Klasse, denn in gewissem Sinn ist auch das Urteilssubjekt eine Allgemeinheit, nämlich als Klasse aller Eigenschaften, die einem Zugrundeliegenden bzw. Ding zukommen. Die dialektische Bewegung des Urteils besteht nun darin, dass sich die Allgemeinheitsformen von Subjekt und Prädikat gleichsetzen, was insbesondere in der Überwindung des quantitativen Reflexionsurteils geschieht: „Insofern nämlich das Subjekt sich in die Allgemeinheit erhoben hat, ist es in dieser Bestimmung dem Prädikat gleich geworden, welches als die reflektierte Allgemeinheit auch die Besonderheit in sich begreift; Subjekt und Prädikat sind daher identisch, d.i. sie sind in der Kopula zusammengegangen. Diese Identität ist die Gattung oder an und für sich seiende Natur eines Dings" (GW 12, 77). Welche Bedeutung der Allgemeinheit bzw. der Gattungsallgeeine
meinheit zukommt, ist später noch zu klären. Hegel beschreibt den Urteilsprozess auf genereller Ebene auch als eine Vermittlung von „Fürsichsein" und „Ansichsein" (vgl. GW 12, 56f.). Das Urteilssubjekt ist als das zu Bestimmende, Konkrete zunächst ein für sich selbst Bestehendes, d.h., es ist gegen anderes abgegrenzt, das es selbst nicht ist. Im Urteil wird diese für sich seiende, abgegrenzte Bestimmtheit aber mit einem anderen vermittelt; es wird ausgesagt, dass das Fürsichseiende allererst durch dieses andere seine Bestimmtheit erhält, die sein eigentliches Wesen ausmacht. Das Prädikat ist insofern in einem Platonischen Sinn das kath' hautó, das Ansichsein; d.h., es ist dasjenige, welches sich nicht in kontingent individueller Bestimmtheit verläuft, sondern das wesentliche und eigentliche Sein von -
-
-
-
56 etwas bildet. Somit wird im Urteil ein Fürsichsein durch ein Ansichsein
Rainer Schäfer
ausgesagt, d.h.,
das Subjekt wird durch das Prädikat bestimmt. Gleichermaßen gilt aber umgekehrt auch in einem Aristotelischen Sinn -, dass sich das Ansichsein in einem konkreten Fürsichsein realisieren muss. Das Ansichsein muss sich Fürsichsein geben; d.h., das Prädikat muss Bestimmung eines Subjekts sein: „Insofern wird vom Einzelnen als dem Ersten, Unmittelbaren ausgegangen und dasselbe durch das Urteil in die Allgemeinheit erhoben, so wie umgekehrt das nur an sich seiende Allgemeine im Einzelnen ins Dasein heruntersteigt oder ein Für-sich-seiendes wird" (GW 12, 57). Damit gelingt es Hegel also, in der Urteilstheorie platonische und aristotelische Elemente des Prozesses der Bestimmungssetzung gleichermaßen miteinander zu vereinen. Die spezifische Objektivität des Urteils besteht genau darin, dass sich eine Allgemeinheit in einem Konkreten eine begriffliche Wirklichkeit gibt und dass umgekehrt ein vereinzelt Wirkliches seine Wesentlichkeit in der Allgemeinheit setzt und dass beide trotz dieser Beziehung doch unterschieden Getrennte bleiben (vgl. GW 12, 57). Das „Ur-Teilen" des Begriffs besteht also darin, dass explizit der wechselseitige Bezug eines Fürsichseienden, Einzelnen zu einem Ansichsein, einem Allgemeinen gegliedert und artikuliert gesetzt wird. Der wechselseitige Bezug ist allerdings nicht nur als Identität beider Bestimmungen zu sehen; auf diese Weise wären in der Urteilstheorie Hegels keine negativen und auch keine unendlichen Urteile zu erklären; in dem wechselseitigen Bezug zweier Bestimmungen im Urteil ist auch deren Unterschiedenheit mitgesetzt; d.h., das Subjekt ist mit dem Prädikat nicht vollständig identisch. In den verneinenden und unendlichen Urteilen prävaliert der Aspekt der Nichtidentität, der in der grundlegenden Urteilsstruktur bereits mitenthalten ist; in den bejahenden Urteilen dagegen der Aspekt der Identität. Zunächst soll im Urteil jedoch diese Selbständigkeit der beiden Urteilselemente überwunden werden, sofern beide vermittels der Kopula „ist" als (zumindest in einer Hinsicht) identisch gesetzt werden (vgl. GW 12, 55). Die Äußerlichkeit der Relation von Urteilssubjekt und Prädikat kommt aber auch noch in der Kopula zum Ausdruck, die doch beide Urteilselemente eigentlich miteinander verbindet. Das „ist" verbindet nämlich nur formal, d.h., es gilt für eine unbeschränkte Anzahl möglicher weiterer Urteile in gleichem Maße. Die Verknüpfungsart der Urteilskopula ist daher unspezifisch; inhaltlich hat sie keine bestimmte Bedeutung. Die Kopula drückt somit die Identität von Subjekt und Prädikat auf eine unerfüllte Weise aus (erst im Schluss ist die Kopula erfüllt, nämlich im spezifischen, mit inhaltlicher Bedeutung angereicherten Mittelbegriff; vgl. hierzu: Düsing 1986). Allerdings bildet die Kopula im Urteil trotz ihrer äußerlichen Verknüpfungs- und Vermittlungsform bereits ein wesentliches Merkmal der logischen Subjektivität. Denn die Kopula ist eine Setzung der Vermittlungsbewegung zwischen zwei Bestimmungen bzw. Extremen. Die Vermittlung wird mit der ist-Kopula nicht mehr bloß unthematisch geradehin vollzogen, wie dies in allen vorangehenden Bestimmungen der Logik in der Lehre vom Sein und in der Lehre vom Wesen der Fall war. Die Urteilskopula ist spezifisch der erste Ort in der Logik, an dem die Tätigkeit der Vermittlung zwischen zwei Bestimmungen selbst thematisch und explizit gesetzt wird (vgl. GW 12, 66). Daran zeigt sich die spezifische Entwicklungs- bzw. Kontinuationsdialektik des Begriffs: Eine Vermittlung zwischen Bestimmungen findet -
Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils
57
geradehin statt, sondern die Vermittlung wird selbst auch thematisch explizit gesetzt, so dass die kontinuierliche Entwicklung einer Bestimmung zur anderen sich selbst mitdokumentiert und der Begriff sich in seiner dynamischen Wandlungsidentität begreifen kann. nicht
nur
4. Die Urteilsidentität als von
Allgemeinheit
Vollzug verschiedener Typen
Die Identität des Begriffs setzt sich im Urteil vermittels verschiedener Typen von Allgemeinheit. Hegel kennt also nicht nur eine Form von Allgemeinheit, sondern eine Vielzahl, aus der sich eine ganze Typologie der Allgemeinheiten ableiten lässt. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die verschiedenen Urteilsformen eine Ent-wicklung von der abstrakten Allgemeinheit zur objektiv-kontinuierenden Allgemeinheit vollziehen. Die abstrakte
Allgemeinheit findet sich insbesondere in der ersten Urteilsklasse, dem qualitativen „Urteil des Daseins". Aber bereits in den drei Urteilsfunktionen des Daseinsurteils findet eine Entwicklung von einer äußerlich abstrakten Allgemeinheit zu einer Unterschiedene zusammenfassenden Allgemeinheit statt. Im positiven Urteil (z.B.: „Die Rose ist rot") wird abstrakt ein Einzelnes mit einer (allgemeinen) Eigenschaft verbunden (vgl. GW 12, 60ff.). Die Abstraktheit der Eigenschaft im Prädikat ergibt sich daraus, dass es sich um nur eine einzige Eigenschaft des Subjekts handelt; das Subjekt wird also nur in einem Aspekt ausgesagt, und dabei kann es sich um eine so äußerliche Eigenschaft wie die Farbe oder um beliebige andere Eigenschaften handeln. Eigentlich ist das Urteilssubjekt eine ganzheitliche Komplexion von unterschiedenen Eigenschaften; dennoch sagt das bejahende Urteil jeweils nur eine Eigenschaft aus; daher wird diese Aussageart dem Urteilssubjekt auch nur bedingt gerecht. Die Identität von Subjekt und Prädikat ist sehr defizient gesetzt bzw. ausgesagt. Die Allgemeinheit ist im bejahenden Daseinsurteil aufgrund dieser Einseitigkeit und Willkür äußerlich. Ähnliches gilt auch noch für das verneinende Urteil, doch wird dort bereits gesetzt, dass einem Etwas eine Eigenschaft nicht zukommt, eine andere aber doch: So gilt das verneinende Urteil „Die Rose ist nicht rot" nach Hegel aufgrund des positiven, allgemeineren Urteils, dass „die Rose überhaupt farbig ist"; die nächst höhere, allgemeinere Gattung („Farbigkeit") kommt der „Rose" also sehr wohl zu, nur diese spezifische Art („rot") kommt ihr nicht zu, wohl aber eine andere Art dieser Gattung (z.B. „gelb"; vgl. hierzu GW 12, 68). Ebenso hätten andere allgemeine Eigenschaften im Daseinsurteil ausgesagt werden können, wie z.B. bei der „Rose" „wohlriechend", „dornig", „langstielig" etc. In der zweiten Urteilsklasse, dem quantitativen „Urteil der Reflexion" wird bereits eine höhere Form von Allgemeinheit vollzogen: eine Allgemeinheit, in der Unterschiedene in einer Einheit zusammengefasst werden (vgl. GW 12, 72). Das „Zusammenfassen Unterschiedener" bildet die quantitativ-mathematisierbare Subsumtionsallgemeinheit. In den quantitativen Reflexionsurteilen werden Verschiedene unter einem Gesichtspunkt durch Kollektion zusammengefasst; diese Einheit kann daher auch als
5S
Rainer Schäfer
Kollektionsallgemeinheit bezeichnet werden; allerdings wird dabei von der Verschiedenheit der Vielen untereinander abgesehen, die Verschiedenheit ist hier „konsummiert". Im singulären Urteil wird lediglich ein konkret Einzelnes unter eine Klasse gezählt, d.i. subsumiert. In partikulären Urteilen gibt es darüber hinausgehend eine komprehensive Allgemeinheit, d.h., einige Einzelne gehören einer bestimmten Klasse an. Diese Art der Allgemeinheit setzt voraus, dass einerseits einige Einzelne miteinander verglichen werden und diese andererseits auf eine sie umfassende Allgemeinheit bezogen werden, welche die spezifischen Unterschiede der Einzelnen ausblendet. Die komprehensive Allgemeinheit wird im universellen Urteil zugunsten einer Allgemeinheit als Allheit weiterentwickelt; d.h., alle Einzelnen gehören einer bestimmten Klasse an. Die äußere Reflexionsallgemeinheit strebt damit eine Totalitätsallgemeinheit im Sinne der „Allheit" an (vgl. zu dieser Urteilsfunktion Wohlfart 1985). Die Allheit kommt durch den reflexiven Akt des Vergleichens zustande; dieser Vergleichsakt besteht in der Feststellung, dass mehreren etwas Gemeinschaftliches zukommt (vgl. GW 12, 74); insofern setzt die Allheit die komprehensive Allgemeinheit voraus. Dabei wird jeweils vorausgesetzt, dass es existierende Entitäten gibt, denen bestimmte Eigenschaften zukommen. Hegel würde wohl die moderne, mathematisierte Logistik, die mit Klassenkalkül, Existenz- und Allquantor operiert, hier im Reflexionsurteil verorten. Die wahre Allgemeinheit ist allerdings keine quantitativ-kollektive Allheit (vgl. GW 12, 75), welche sich in Wirklichkeit immer wieder bloß als eine Vielheit erweist, die ihre Vollständigkeit, ihren Anspruch, für alle Fälle zu gelten, nur anstrebt, aber in einem definitiv abgeschlossenen Sinn nicht erreichen kann, was sich bei der Realisierung der Allheit in der „empirischen Allgemeinheit" (GW 12, 75) bekundet, in der die Allheit immer nur ein Gesolltes ist. Diese quantitativ gesollte Allheitsallgemeinheit setzt jedoch nach Hegel implizit und latent die „objektive Allgemeinheit" voraus. Die objektive Allgemeinheit bildet den ursprünglicheren und perfekteren Horizont, vor dem sich die defizientere Allheitsallgemeinheit überhaupt setzen kann. Hinter der quantitativen Allheit als vermeintlicher Totalität steht also eigentlich und sie ermöglichend die objektive Allgemeinheit. Die objektive Allgemeinheit ist ein Typus von Allgemeinheit, der in sich abgeschlossen und mit sich identisch ist. Dabei ist diese Art der Identität gerade nicht mehr einseitig abstrakt und entsteht daher nicht durch das Absehen von der Unterschiedenheit, sondern umgekehrt durch die Einbeziehung der Unterschiedenheit. Die objektive Allgemeinheit ist eine Gattungsallgemeinheit in einem höheren Sinn. Diese Art der Gattungsallgemeinheit im Sinne Hegels darf also nicht mit der traditionellen abstrakten Gattungsallgemeinheit verwechselt werden. Der traditionelle Gattungsbegriff impliziert, dass die umfangsgrößere, allgemeinere Gattung zwar vom umfangsengeren Artbegriff prädiziert werden kann, aber umgekehrt kann der umfangsengere Artbegriff vom umfangsgrößeren Gattungsbegriff nicht prädiziert werden (einen Ausnahmefall bildet natürlich die Gleichumfänglichkeit eines Gattungs- und eines Artbegriffs; bei dem dann beide Prädikationsformen möglich sind; z.B. „wiehernd" und „Pferd"). Die abstrakte, generisch quantitative Allgemeinheit besteht nach Hegel nur im Absehen von der Unterschiedenheit der Subsumtionselemente. Gegen dieses Allgemeinheitskonzept könnte man allerdings Hegel weiterführend argumentieren, dass das Absehen von der -
-
Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils
Unterschiedenheit bereits voraussetzt, dass
vorgängig
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die Unterschiedenheit erkannt
wurde, und zwar nicht logisch-konditional abhängig von der abstrakten Gemeinsamkeit,
sondern das Absehen ist umgekehrt konditional abhängig von der vorgängigen Erkenntnis der Unterschiedenheit; diese Unterschiedenheit darf aber auch nicht in eine bloße Mannigfaltigkeit auseinanderfallen; sonst ließe sich aus ihr von vornherein keine Begriffseinheit herauslesen, sondern diese Unterschiedenheit muss in ursprünglicher Weise schon ein in sich einheitlich Bezogenes und Ganzes sein; was wiederum in Hegels Sicht ein Moment von Einheit und Allgemeinheit ist. Deshalb setzt das abstrakte Absehen von der Unterschiedenheit die Allgemeinheit bereits voraus und kann sie nicht erklären. Nach Hegel wird die objektive Allgemeinheit als Gattungsallgemeinheit mit der Überwindung des quantitativen Reflexionsurteils und in der Entwicklung zum relationalen „Urteil der Notwendigkeit" erreicht. Für Hegel ist die Gattung diejenige Allgemeinheit, die sich in sich selbst bereits als konkret erweist, weil hier die Allgemeinheit vermittels der Art in den Einzelwesen realisiert ist, die unter die Gattung fallen. Gleichermaßen ist aber auch die einzelne Konkretion in der Gattung in substantieller Weise aufgehoben. Die substantielle Aufgehobenheit besagt, dass nicht irgendeine allgemeine Eigenschaft, die austauschbar wäre, das Einzelne akzidentell bestimmt, sondern die Gattung bildet die Wesensbestimmung, ohne die das Einzelne nicht das wäre, was es ist. Daher ist der Bezug des Einzelnen auf seine Allgemeinheit nicht äußerlich. Die Äußerlichkeit des Daseinsurteils soll somit überwunden sein. Weder ist das Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit das der Inhärenz, wie im Daseinsurteil, noch das der Subsumtion, wie im Reflexionsurteil (vgl. GW 12, 76). Die Gattungsallgemeinheit ist objektive Allgemeinheit, weil ihre Realisation im Einzelnen ihr wesentlich ist; diese Realisation kommt ihr nicht nur äußerlich zu oder geschieht mit ihr, sondern sie ist diese Realisationsbewegung. Die „Ur-Teilung" ist der Gattungsallgemeinheit daher wesentlich, und sie vollzieht sich ursprünglich, d.h. immer schon, urteilshaft; nämlich in der Selbstdifferenzierung einer Allgemeinheit in ihre Bestimmtheiten. Die objektive Allgemeinheit ist an und für sich, denn sie ist nicht nur das wesentliche An-sich-Sein, sondern sie setzt auch die wesentliche Bestimmtheit und Besonderung thematisch-explizit, d.h., sie ist auch für sich (vgl. GW 12, 77). Die Besonderung besteht in den Arten einer Gattung. Die Arten sind der Gattung notwendig, wie auch umgekehrt die Gattung für die Arten notwendig ist. Gleichermaßen sind für die Realisation der Arten aber auch wieder die Einzelnen notwendig, und umgekehrt sind auch die Arten für die Einzelnen notwendig, nämlich als deren spezifisches Wassein. Daher legitimiert sich der Titel dieser Urteilsklasse als „Urteil der Notwendigkeit": Hier liegen mit Gattung und Art zwei Relata vor, die sich wechselseitig implizieren, und jedes hätte jeweils ohne das andere keinen Bestand; sie sind also streng notwendig aufeinander verwiesen (vgl. GW 12, 77f.). Die Allgemeinheit besteht nun nicht mehr in einem vorliegenden Gemeinsamen, sondern in der durchgängigen (identischen) Verbindung von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit; die Allgemeinheit hat sich damit zu einer einheitlichen Synthesis der drei Begriffsbestimmungen umgebildet. Allgemeinheit ist also Synthesis, d.i. die Verbundenheit Unterschiedener in einer sich selbst vermittelnden Einheit.
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Problematisch ist allerdings, dass Hegel im „Urteil der Notwendigkeit" offensichtlich einen Selbsteinteilungsprozess der Gattung in ihre Arten vor Augen hat, der sich in gewissem Sinne spontan in der Gattung selbst vollzieht. Damit wird von Hegel eine Tätigkeitsform in den Gattungsprozess hineingedeutet, die nicht zwingend ist. Die Gattung und ihre Unterteilung in Arten lässt sich auch als eine konzeptionelle Setzung des endlichen Verstandes erklären, der Subsumtionsleistungen vollzieht, indem er einzelne Exemplare unter allgemeineren Bestimmungen subsumiert, die intensional definitiv für die Einzelexemplare sind, welche die Arten bilden, die der Verstand dann wiederum in noch allgemeineren Gattungen zusammenfasst. Daher könnte man versuchen, in Hegels Urteilsklassifizierung die Einteilung in Gattungen und Arten durch das quantitative „Urteil der Reflexion" zu deuten. Damit gewinnt man quantitative Urteilskriterien für die Einteilung in Gattung und Art und könnte es vermeiden, einem Gattungsbegriff selbstunterscheidende Tätigkeit zuzuschreiben. Dies entspräche der Auffassung der formalen, traditionellen Logik, dass sich Begriffe und Urteile nicht selbsttätig verhalten. Dagegen könnte Hegel natürlich einwenden, dass quantitative Subsumtionen keine Kriterien angeben können, ob eine Bestimmung für eine Einzelheit ein wesentliches Merkmal oder nur eine zufällige Äußerlichkeit ist; und darüber hinaus bleibt bei einem bloßen Subsumieren der Zusammenhang mehrerer Arten in einer Gattung auch äußerlich, denn es ist dann nicht die Gattung selbst, die sich in ihre Arten spezifiziert und besondert. Man würde sich in Hegels Sicht also nie bis zur Notwendigkeit eines Urteils erheben können, die doch gerade für das relationale Urteilen, also die dritte Klasse der Urteilsfunktionen, definitiv ist; sonst wäre der Titel des „Urteils der Notwendigkeit" unangemessen. Notwendige Geltung wird zwar auch von der formalen, traditionellen Logik angestrebt, doch in Hegels Sicht wäre eine solche quantitativsubsumierende Bestimmung von Gattung und Arten äußerlich. Aus Hegels Sicht kann auch gesagt werden, dass das Gegenargument zu seiner Konzeption der selbsttätigen Gattungsallgemeinheit einer Gattungs- und Arteinteilung kommt keine Selbsttätigkeit zu, d.h., die Gattung unterteilt sich nicht selbst in Arten darauf hinausläuft, dass Begriffen und Urteilen generell keine Selbsttätigkeit und Aktuosität zukommt. Dagegen kann allerdings aus Hegels Perspektive gesagt werden, dass Begriffe und Urteile sich als ursprüngliche Elemente der Subjektivität per se mit einer Aktuosität vollziehen. Die Betonung der Selbsteinteilung der Gattungsallgemeinheit im „Urteil der Notwendigkeit" ist daher gerade die Hervorhebung der Subjektivitätsstruktur der Urteile; aus Hegels Perspektive wird diese Subjektivitätsstruktur sowohl von der formalen traditionellen Logik als auch von der modernen, rein quantifizierenden Logistik übersehen; und daher müssen beide platonisierend ihre Zuflucht zu logischen Ansich-Geltungen nehmen. Es ist auch kein Gegenargument zu Hegels Konzeption der Gattungsallgemeinheit, dass er mit diesem Typus von Allgemeinheit fälschlicherweise eine biologische Bestimmung in den Kontext der Urteilslogik eingeführt habe. Die sich selbst einteilende Gattungsallgemeinheit, wie sie Hegel konzipiert, ist eine rein Urteils- und begriffslogische Bestimmung, denn sie operiert lediglich mit den Begriffsbestimmungen der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, aber nicht mit biologischen Spezifika. Hegel würde wohl zu Recht argumentieren, dass der biologische Gattungsprozess ein konkret -
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empirischer Spezialfall des allgemeineren und fundamentaleren logischen Gattungsprozesses ist. Hegel begeht daher keine biologistische Fehlbestimmung in der Urteilslogik.5 Wie ist nun die Gattungsallgemeinheit im Urteil der Notwendigkeit genau zu bestimmen? Zunächst bringt das kategorische Urteil die „substantielle Identität des Subjekts und Prädikats" (GW 12, 78) zum Ausdruck. Dies zeigt sich z.B. in dem Urteil: „Die Rose ist eine Pflanze"; hier wird nicht mehr, wie im bejahenden Daseinsurteil: „Die Rose ist rot", eine mögliche, vereinzelte Eigenschaft ausgesagt, sondern im kategorischen Urteil wird eine substantielle Allgemeinheit ausgesagt, oder, wie Hegel es
ausdrückt: die „immanente Natur" (GW 12, 78); dadurch wird ein Einzelnes in seine wesentliche Allgemeinheit aufgehoben. Die Rose ist durchaus ohne Röte denkmöglich, aber ohne die Pflanzlichkeit wäre die Rose nicht Rose. Die substantielle Identität im kategorischen Urteil ergibt sich aus der wechselseitigen Implikation von Gattung und Art. Die Art ist (zumindest in einer Hinsicht) mit der Gattung identisch. Weil Gattung und Art ineinander wechselseitig identisch enthalten sind, kommt ein spezifischer Typus von Allgemeinheit zustande. Dieses Allgemeine ist nicht mehr nur einfach ein solches, das Vielen zukommt, darüber hinausgehend ist es für diesen Allgemeinheitstypus vielmehr wesentlich, dass er mit seinem von ihm Unterschiedenen identisch ist. Die Gattung ist mit dem anderen ihrer selbst, den Arten identisch. Im Gegensatz zur abstrakten Allgemeinheit, die von den Unterschieden absieht, enthält die objektive Allgemeinheit gerade die Unterschiede in sich. Daher besteht diese Allgemeinheit eigentlich in einer Synthesis, nämlich in der Kraft des Verbindens Unterschiedener zu einer Einheit, ohne einerseits die Unterschiedenheit zu nivellieren und ohne sich andererseits in der Unterschiedenheit in bloße Mannigfaltigkeit zu verlieren; vielmehr bleibt die Einheit der Allgemeinheit in der Unterschiedenheit erhalten. Bei der objektiven Allgemeinheit bilden Einheit und Vielfältigkeit der Unterschiedenheit ein
Gleichgewicht.
Diese Einheit der Allgemeinheit artikuliert sich im Urteil als Verbindung von Subjekt und Prädikat. Im kategorischen Urteil erhält daher auch die Kopula eine neue Bedeutung. Sie ist nicht mehr äußerliche Verbindung von Unterschiedenen, sondern das „ist" des kategorischen Urteils bringt die selbstgesetzte Unterscheidung im Allgemeinen zum Ausdruck. Die Kopula setzt die Selbstdifferenzierung des Gattungsallgemeinen in seine Arten. Ein Einwand der traditionellen Logik gegen Hegel lautet, dass Gattung und Art nicht in einem symmetrisch wechselseitigen Verhältnis stehen. Nach traditioneller Logik gilt, dass die Gattung als allgemeinerer Begriff die spezifischen Differenzen gerade nicht in sich enthält. So wie sich Inhalt und Umfang der Begriffe reziprok zuein-
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Der Gattungsprozess wird im Rahmen der Logik bei der „Idee des Lebens" wieder eine wichtige Rolle spielen (vgl. GW 12, 189ff); dort sind dann begriffslogische und objektiv-biologische Bestimmungen miteinander vereint. Dabei sind es allerdings logische Grundbestimmungen des biologischen Gattungsprozesses, die Hegel in der Ideenlehre konzipiert. Er vertritt also auch dort keinen Biologismus in der Logik, sondern macht auf logische Grundstrukturen aufmerksam, die z.B. für die Biologie gelten. Daran wird deutlich, was es bedeutet, dass die Idee die Einheit von Subjekt und Objekt ist; dies heißt dann z.B., dass ein (objektiver) biologischer Gattungsprozess in seiner (subjektiven) begriffslogischen Struktur nachvollzogen und gesetzt wird.
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ander verhalten, so verhalten sich auch Gattung und Art zueinander reziprok: Die Gattung umfasst gerade deswegen eine größere Klasse von Individuen, weil sie inhaltlich unbestimmter ist, und weil die Arten durch die differentia specifica inhaltlich bestimmter sind, können sie jeweils nicht eine so große Individuenklasse wie ihr Gattungsbegriff umfassen. Die spezifischen Unterschiede kommen vielmehr nur den Arten als den bestimmteren Begriffen zu, nicht der Gattung. Diese kann sich daher auch nicht immanent in Arten besondern, weil die Artbegriffe nur hinsichtlich des ihnen Gemeinsamen unter der Gattung subsumiert sind, nicht aber hinsichtlich der spezifischen Differenz. Insofern enthält der allgemeinere Begriff nicht die Besonderen in sich, sie werden nur unter ihn subsumiert. Hegels Theorie der objektiven Allgemeinheit bzw. der Gattungsallgemeinheit widerspricht also der traditionellen Lehre von der Reziprozität von Inhalt und Umfang der Begriffe und dem Verhältnis von Gattung und Art; denn nach Hegel hat der allgemeinere Gattungsbegriff nicht weniger spezifische Merkmale, Besonderheiten als die Arten. Im kategorischen Urteil ist nach Hegel zwar die Notwendigkeit zwischen den Relata Urteilssubjekt und Prädikat gesetzt, nämlich als die Identität beider, die die Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit des Urteils bildet, aber diese Verknüpfungsnotwendigkeit wird selbst nur unvollständig in der Kopula „ist" re-präsentiert, es handelt sich lediglich um innere und nicht auch zugleich um äußere Notwendigkeit. Die ist-Kopula im kategorischen Urteil artikuliert zwar nach Hegel eine Verknüpfungsnotwendigkeit schon viel differenzierter, als dies im einfachen, bejahenden Urteil der Fall ist (obwohl man dies dem bloßen „ist" nicht ansieht), aber wie diese Verknüpfungsnotwendigkeit zustande kommt, ist im kategorischen Urteil noch nicht mitgesetzt. Darin dokumentiert sich die Defizienz des kategorischen Urteils: Es ist nicht adäquat geeignet, die objektive Allgemeinheit für sich zu setzen. Die Setzung der auch äußeren Notwendigkeit der Verknüpfung der Urteilsrelata vollzieht das hypothetische Urteil mit seiner Wenn-dann-Verknüpfung (vgl. GW 12, 78f). Im hypothetischen Urteil wird nach Hegel nicht mehr die Identität von einem Etwas mit sich selbst gesetzt, sondern die Identität von etwas mit etwas anderem, denn die Wenn-dann-Verknüpfung sagt aus, dass etwas nur dann ist, wenn etwas anderes ist (vgl. GW 12, 80). Dies ist eine Bedeutung des hypothetischen Urteils, die ihm in der traditionellen formalen Logik nicht zukommt. Die traditionelle formale Logik versteht unter der hypothetischen Urteilsfunktion ein Bedingungsgefüge von Antezedens und Konsequens. Dieses Bedingungsgefüge kann eine Implikation (hinreichende Bedingung) oder eine Replikation (notwendige Bedingung) sein. Jedenfalls bringt das hypothetische Urteil nach der traditionellen Logik nicht die Identität von etwas mit etwas anderem zum Ausdruck; vielmehr ist jedes Urteilsrelatum mit sich selbst identisch; es werden zwei voneinander Verschiedene in eine konditionale Relation gebracht, wobei sie nur jeweils mit sich selbst identisch sind, nicht mit ihrem anderen. Weil im hypothetischen Urteil nach Hegel etwas durch seine Identität mit etwas anderem als mit sich identisch gesetzt wird, gestaltet sich in dieser Urteilsfunktion die objektive Identität von Urteilssubjekt und Prädikat auf eine differenziertere Weise als zuvor im kategorischen Urteil, denn im hypothetischen Urteil wird die Allgemeinheit -
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als die Selbigkeit Unterschiedener explizit gesetzt. Diese Selbigkeit besteht nicht mehr nur in der vergleichend erkannten Gemeinsamkeit und auch nicht mehr bloß in der Subsumtion, sondern darin, dass sich etwas in etwas anderes fortsetzt, kontinuiert. Es wird nun ausdrücklich gesetzt, dass etwas mit sich gerade dadurch identisch ist, dass es sich zu einem anderen entwickelt. Allgemeinheit bedeutet hier also die Selbigkeit Unterschiedener. Die Wenn-dann-Verknüpfung betont den Synthesischarakter der Allgemeinheit. In diesem Sinne führt Hegel über die hypothetische Urteilsfunktion und deren Aufhebung zur disjunktiven Urteilsfunktion folgendes aus: „Doch an sich ist das Sein, da es das Sein des Anderen ist, eben dadurch Einheit seiner selbst und des Anderen und hiermit Allgemeinheit; es ist damit zugleich eigentlich nur ein Besonderes, da es Bestimmtes und in seiner Bestimmtheit sich nicht bloß auf sich Beziehendes ist. Es ist aber nicht die einfache abstrakte Besonderheit gesetzt, sondern durch die Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheiten haben, sind die Momente derselben als unterschiedene; zugleich durch die Einheit derselben, die ihre Beziehung ausmacht, ist die Besonderheit auch als die Totalität derselben. Was in Wahrheit daher in diesem Urteil gesetzt ist, ist die Allgemeinheit als die konkrete Identität des Begriffs, dessen Bestimmungen kein Bestehen für sich haben, sondern nur in ihr gesetzte Besonderheiten sind. So ist es das disjunktive Urteil" (GW 12, 80). Sofern im disjunktiven Urteil die konkrete Identität des Begriffs gesetzt wird, verdient es besondere Aufmerksamkeit; es ist nämlich zentral für die Realisation des Begriffs im Urteil. -
5. Die
Allgemeinheit im disjunktiven Urteil
Im disjunktiven Urteil steht nach Hegel an der Stelle des Urteilssubjekts die Gattung, und die Stelle des Prädikats haben die Arten inne: „A ist entweder B oder C" (GW 12, 80). Die Urteilskopula „ist" als Verbindung dieser Extreme wird durch die EntwederOder-Verknüpfung zwischen den Disjunktionsgliedern ergänzt. Die Begriffsbestimmungen, die im disjunktiven Urteil verbunden werden, sind: AllgemeinheitBesonderheiten). Das Urteilssubjekt ist als Gattung die Allgemeinheit, und das Prädikat setzt sich aus den verschiedenen Arten zusammen, die eine Pluralisierung der Besonderheit bilden. Das disjunktive Urteil verwirklicht zwei verschiedene Aspekte der Allgemeinheit: Auf der Seite des Urteilssubjekts steht die Gattung als einfache Einheit, die ihre Arten unmittelbar umfasst; d.h., die Gattung ist insofern Allgemeinheit, als sie den Arten jeweils gleichermaßen und einheitlich zugrunde liegt. Auf der Seite des Prädikats ist die Allgemeinheit dagegen als in sich differenzierte Totalität zu verstehen; bei dem Prädikat des disjunktiven Urteils handelt es sich um eine Einteilung und Pluralisierung in Besondere, d.h. in Arten, die vollumfanglich zusammengenommen wieder die Einheit der Gattung ergeben. Die verschiedenen Arten bilden die Totalität der Gattung, sofern sie deren disjungiert-unterschiedene Separierung sind. Im disjunktiven Urteil liegen daher auf Seiten des Urteilssubjekts der Einheitsaspekt der Allgemeinheit vor, und auf Seiten des Prädikats zeigt sich ihr Totalitätsaspekt.
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Sofern es die Allgemeinheit selbst ist, die sich in ihre Arten besondert und sich darin einer Totalität ausbildet, ist diese Allgemeinheit objektiv: Die Allgemeinheit liegt nicht einfach nur abstrakt außerhalb und jenseits des Besonderen von ihm getrennt vor, sondern verwirklicht sich in ihren Besonderungen. Allgemeinheit und Besondere sind einander dadurch nicht mehr äußerlich. Durch die Besonderung in den Arten des Prädikats ist die Gattung als Urteilssubjekt „konkrete wesentlich bestimmte Allgemeinheit" zu
(GW 12, 82). Das disjunktive Urteil sagt nach Hegel die Identität der einfach-einheitlichen Allgemeinheit mit der diversifiziert-disjungierten Totalität aus: „Dies ist die Notwendigkeit des Begriffs, worin [...] die Dieselbigkeit beider Extreme, einerlei Umfang, Inhalt und Allgemeinheit ist" (GW 12, 80). Damit wird der Titel dieser Urteilsklasse gerechtfertigt: Durch die strikte Identität, die im disjunktiven Urteil zwischen Urteilssubjekt und Prädikat(en) gilt, wird die notwendige Geltung des Urteils vollzogen. Offensichtlich hat Hegel bei dem disjunktiven Urteil nur vollständige Disjunktionen vor Augen, denn bei unvollständigen Disjunktionen muss es eben offen bleiben, ob die Sphäre der Disjunktionsglieder abgeschlossen ist oder nicht; daher lässt sich bei diesen dann auch keine strikte Identität von Urteilssubjekt und Prädikat im Sinne einer vollständigen Deckungsgleichheit von Urteilssubjekt und Prädikat(en) aussagen, denn die Disjunktionsglieder bilden für sich gesehen keine Totalität. Im Prädikat des disjunktiven Urteils, wie Hegel es konzipiert, kommt dem gegenüber der Totalitätsaspekt der Allgemeinheit dadurch zum Ausdruck, dass alle möglichen Arten einer Gattung vollumfänglich angegeben werden, was nur eine vollständige Disjunktion zu leisten vermag. Im disjunktiven Urteil werden sowohl Identität als auch Unterschied des Begriffs vollzogen: Einerseits wird die Identität dadurch vollzogen, dass die Gattung mit ihren Arten als den Disjunktionsgliedern gleichumfänglich ist. Andererseits wird aber auch der Unterschied des Begriffs mitvollzogen: Die Arten sind voneinander durch ihre jeweilige spezifische Differenz unterschieden. D.h., die Arten bilden zwar zusammen'
Aus diesem Aspekt der Vollständigkeit der Disjunktion folgt eine Konsequenz für die Erkenntnis der empirischen Wirklichkeit, die Hegel selbst auch zumindest skizziert: Nach einer Andeutung Hegels (vgl. GW 12, 81, 83) kann es eigentlich auf empirischer Ebene keine disjunktiven Urteile im vollen Sinn geben, denn dort lässt sich eine Totalität von Arten nicht mit logischer Gewissheit konstatieren; auf empirischer Ebene kann es immer nur relativ abgeschlossene Vollständigkeit geben, aber keine absolute Abgeschlossenheit, die von einer Gattung dann auch mit logischer Gewissheit vollumfänglich bestimmt wird. Z.B. ist es bei einer biologischen Gattung immer möglich, weitere Arten aufzufinden. Daran zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen Urteilen auf der Ebene der Logik und auf der Ebene der empirischen Wirklichkeit. Die empirische Wirklichkeit ist in dieser Hinsicht, sofern sie sich z.B. in der Natur in unzählige verschiedene Arten verläuft, ohne zur Totalitätseinheit des (Gattungs-)Begriffs in Hegels Sinn zu gelangen, nicht begriffsgemäß und daher in seiner Sicht defizient und kontingent. Defizienz und Kontingenz bestehen in dieser Hinsicht also darin, dass eine begriffsähnliche Einheit zu denken ist, die allerdings möglicherweise unendlich offen weiter vermehrbar ist. Dabei besteht diese Unendlichkeit in einer unabschließbaren Vermehrung von Spezifika, die nicht zu einer abschließenden Vollendung des Gattungsbegriffs beitragen. Dass Hegel damit die unendliche Vielfalt der Arten in der Natur nicht angemessen würdigt, kann berechtigterweise kritisiert werden, denn für ihn handelt es sich bei einer solchen unabschließbaren Vielfalt bloß um eine schlechte Unendlichkeit.
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Einheit, aber es handelt sich dabei um eine dynamische Einheit, die in sich selbst spezifiziert ist: „Die Besonderheit in ihrer Entwicklung macht das Prädikat aus, weil sie insofern das Allgemeinere ist, als sie die ganze allgemeine Sphäre des Subjekts, aber auch dieselbe in der Auseinandersetzung der Besonderung enthält" (GW 12, 80). Die Einheit der Arten besteht nach Hegel gerade nicht nur darin, dass von ihren Unterscheidungsmerkmalen abgesehen wird, sondern zum Disjungieren, d.h. zum trennend unterscheidenden Einteilen auf Seiten des Prädikats gehört es wesentlich, die Unterschiedenheit mitzusetzen, sofern die Unterschiedenheit selbst eine Einheit bildet. Die Disjunktion in spezifische Bestimmungen ist nämlich eine einheitliche Setzung der Allgemeinheit selbst. Die Disjunktion bildet eine tätige Selbstdifferenzierung. Mit dieser Selbstdifferenzierung ist eine Form der Aktuosität der noetischen Subjektivität genommen eine
explizit gesetzt. „Diese Besonderung näher betrachtet, so macht vors erste die Gattung die substantielle Allgemeinheit der Arten aus; das Subjekt ist daher sowohl B als C; dieses Sowohl-Als bezeichnet die positive Identität des Besonderen mit dem Allgemeinen; dieses objektive Allgemeine erhält sich vollkommen in seiner Besonderheit. Die Arten zweitens schließen sich gegenseitig aus; A ist entweder B oder C, denn sie sind der bestimmte Unterschied der allgemeinen Sphäre. Dieses Entweder-Oder ist die negative Beziehung derselben. In dieser sind sie aber ebenso identisch als in jener" (GW 12, 80f.). Offensichtlich unterscheidet Hegel bei dem „oder" des disjunktiven Urteils eine einschließende und eine ausschließende Bedeutung. Das einschließende „oder" gilt hinsichtlich der Einheit der Gattungsallgemeinheit. Die Arten sind aufgrund des Fallens unter das genus proximum mit der Gattung identisch. Diese (Gattungs-)Einheit durchzieht gleichermaßen alle Arten als deren gemeinsames Merkmal. Die Gattung ist daher sowohl die Art B als auch die Art C. Demgegenüber sind die Arten aber auch aufgrund der differentia specifica untereinander unterschieden. Dies ist ein Unterschied, der in der Relation der Arten zueinander auftritt. Aus Sicht der traditionellen formalen Logik ist hierzu zu sagen, dass es einerseits richtig ist, zwischen dem einschließenden „oder", welches eine Adjunktion bildet, und dem ausschließenden „oder", welches entweder eine Exklusion oder eine Kontravalenz sein kann, zu unterscheiden.7 Allerdings ist es andererseits undifferenziert und problematisch, wenn Hegel hinsichtlich des ausschließenden „oder" sagt, „A ist entweder B oder C". Damit kann offensichtlich nicht mehr die Gattung gemeint sein, denn diese zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sowohl B als auch C ist (einschließendes „oder"). Die Gattung ist mit den Arten hinsichtlich des genus proximum identisch. Aus Sicht der traditionellen formalen Logik unterscheidet sich die Gattung von den Arten -
Ein einschließendes „oder" bildet in dem Sinn eine Adjunktion, als einem Urteilssubjekt von mindestens zwei Prädikaten mindestens eines zukommen kann, oder auch beide. Ein ausschließendes „oder" ist dagegen entweder a) eine Exklusion, d.h., von mindestens zwei Prädikaten können nicht beide dem Urteilssubjekt zukommen, mindestens eines muss zutreffen; es kann aber auch sein, dass keines der Prädikate zukommt; oder es liegt b) eine Kontravalenz vor, d.h. ein strikt ausschließendes „oder", bei dem einerseits auszuschließen ist, dass beide Prädikate dem Urteilssubjekt gleichermaßen zukommen, aber ebenso ist auszuschließen, dass beide Prädikate dem Urteilssubjekt gleichermaßen nicht zukommen können, d.h., eines der beiden muss zutreffen.
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dadurch, dass ihr eben die differentiae specificae der Arten nicht zukommen. Die Gattung ist deswegen inhaltsärmer, aber umfangsreicher als die einzelne Art. Die spezifi-
schen Differenzen kommen nur den Arten zu, die sich deswegen auch untereinander unterscheiden. Die Disjunktion teilt nun nur die Gattung in ihre Arten ein, sagt aber natürlich nicht aus, dass die Gattung bloß eine der Arten ist. Die Bestimmung Hegels: „A ist entweder B oder C" macht nach traditioneller formaler Logik allererst Sinn, wenn hinsichtlich einer konkreten Entität, die unter die Gattung fällt, gefragt wird, welcher der Arten sie denn nun zukommt. An der Stelle des A müsste nun also nicht mehr die Gattung stehen, sondern eine konkrete Entität, von der die Gattung ausgesagt wird, wogegen noch unbestimmt ist, unter welche Art sie fällt. Da sich die Arten aufgrund der differentiae specificae gegenseitig ausschließen, kann die konkrete Entität nur unter eine der Arten fallen, nicht aber unter mehrere oder alle, weshalb hier das ausschließende „oder" gilt; dieses kann also nicht hinsichtlich der Gattungsallgemeinheit gelten. Im Rahmen der traditionellen formalen Logik kann daher das ausschließende „oder" auch nicht mit Hegel als negative Einheit in der Besonderung der Gattung selbst gesehen werden. Die traditionelle formale Logik würde Hegels Konzeption des disjunktiven Urteils als unzulässige Vermischung zweier verschiedener Urteilsformen zu einem Urteil kritisieren. Hegel würde danach also mit seinem Entwurf des disjunktiven Urteils keine einheitliche Urteilsfunktion konzipieren, sondern eine in sich widersprüchliche Verbindung von zwei einander ausschließenden Urteilsfunktionen. Dass sich die beiden Urteilsformen des ein- und des ausschließenden „oder" gegenseitig ausschließen, zeigen in der traditionellen formalen Logik die unterschiedlichen Verläufe ihrer Wahrheitswerttabellen. Von daher können die beiden Urteilsformen nicht zu einem Urteil zusammengefasst werden. Nach traditioneller formaler Logik gilt das ausschließende „oder" nur hinsichtlich der Arten untereinander, sofern sie sich durch ihre jeweilige spezifische Differenz unterscheiden. Auch hinsichtlich einer konkreten Entität, die einer Art zugeordnet werden soll, gilt das ausschließende „oder", denn ein Individuum kann nur der einen oder der anderen Art angehören. Hegel will dagegen offensichtlich mit dem ausschließenden „oder" einen sich im Gattungsbegriff selbst abspielenden Differenzierungsprozess zum Ausdruck bringen, den die traditionelle Logik nicht akzeptiert. Nach Hegel wird im disjunktiven Urteil auf begriffslogischer Ebene ein Gattungsprozess vollzogen. Dieser Prozess ist allerdings noch insofern defizient, als das dritte Begriffselement, die Einzelheit, noch nicht aktuell gesetzt wurde. Dies wird in der vierten Urteilsklasse geschehen, im „Urteil des Begriffs". Dort wird die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit explizit gesetzt, insbesondere im apodiktischen Urteil: „Dieses Urteil ist nun wahrhaft objektiv; oder es ist die Wahrheit des Urteils überhaupt. Subjekt und Prädikat entsprechen sich und haben denselben Inhalt, und dieser Inhalt ist selbst die gesetzte konkrete Allgemeinheit; er enthält nämlich die zwei Momente, das objektive Allgemeine oder die Gattung und das Vereinzelte. Es ist hier also das Allgemeine, welches es selbst ist und durch sein Gegenteil sich kontinuiert und als Einheit mit diesem erst Allgemeines ist" (GW 12, 88). Die Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit ist die Einzelheit. In urteilslogischer Hinsicht bilden diejenige Allgemeinheit, die sich selbst in der Besonderheit vollumfassend bestimmt, und umgekehrt die Besonderheit, die selbst Allgemeinheit ist, die -
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Einzelheit. Damit geht das Urteil zu einer perfekteren Bestimmtheit über, zu der konkreten Allgemeinheit noch höherer Stufe. Die Allgemeinheit als Totalität, wie wir sie aus dem disjunktiven Urteil kennen, realisiert sich im „Urteil des Begriffs" auf noch konkreterer Ebene, nämlich in der Einzelheit. Dabei bildet das disjunktive Urteil die Grundlage für den Realisationsprozess der konkreten Allgemeinheit im apodiktischen Begriffsurteil. Die zentrale Rolle des disjunktiven Urteils für Hegels gesamte Urteilstheorie betont er selbst sehr deutlich: „So ist die konkrete Identität des Begriffs, welche das Resultat des disjunktiven Urteils war und welche die innere Grundlage des Begriffsurteils ausmacht, im Ganzen hergestellt, die zunächst nur im Prädikat gesetzt war" (GW 12, 88f.). Letzteres bedeutet, dass im Begriffsurteil die Spezifikation der Arten im Besonderungsprozess, wie wir sie aus der Pluralisierung im Prädikat aus dem disjunktiDas „Urteil des ven Urteil kennen, sich nun auch im Urteilssubjekt selbst ereignet. kann hier nicht mehr differenziert aus Begriffs" allerdings Platzgründen dargestellt werden. -
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6. Resümee Es ist deutlich geworden, dass sich in Hegels Konzeption des Urteils die Identität der Subjektivität durch verschiedene Formen von Allgemeinheit realisiert. Diese Formen von Allgemeinheit sind z.B. äußerlich-abstrakte Allgemeinheit, Subsumtions- und
Kollektionsallgemeinheit, komprehensive Allgemeinheit, Allheit, empirische Allgemeinheit, objektive Allgemeinheit, Gattungsallgemeinheit, Totalität und konkrete Allgemeinheit. In diesen verschiedenen Allgemeinheitsformen artikuliert sich in einem aufsteigenden Prozess die Einheit und Identität der Subjektivität, die ihren noematischen Inhalt im Urteil in immer differenzierterer Weise durch die komplexer werdenden Allgemeinheitsformen erfassen kann. Gleichursprünglich expliziert sich in dieser noematischen Einheit des Gedankens im Urteil zugleich die noetische Einheit der Subjektivität, welche diese Urteile fällt. Hegel sind daher bezüglich seiner Urteilskonzeption weder ein einseitiger Subjektivismus noch ein einseitiger Objektivismus vorzuwerfen; er berücksichtigt auf komplexe Weise sowohl den noetischen als auch den noematischen Aspekt des Urteils. Damit besteht Urteilswahrheit für Hegel nicht einfach nur in der Selbstübereinstimmung des Begriffs, sondern in der Selbstübereinstimmung des Begriffs, sofern er Vollzugsakteur von inhaltsbestimmten Gedanken ist, die objektive Geltung haben. Kritisch einzuwenden ist folgendes: Nach Hegel sollen die endlichen logischen Denkbestimmungen in der Urteilslehre aufgehoben enthalten sein. Damit erhielte auch die endliche traditionelle formale Logik im Rahmen der Wissenschaft der Logik ihr Recht (vgl. hierzu: Bucher 1983 und Krohn 1972). Die endliche Logik soll also nicht nur äußerlich kritisiert und übergangen, sondern im dreifachen Sinne Hegels „aufgehoben" werden. Sofern Hegel allerdings von vornherein die Gattungsallgemeinheit als sich spezifizierende, vollumfassende Totalität konzipiert (was eigentlich bereits seit dem kategorischen Urteil und nicht erst im disjunktiven Urteil der Fall ist), verletzt er die für das diskursiv endliche Begriffskonzept zentrale Lehre von der Reziprozität von
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Umfang der Begriffe. In dieser Hinsicht hebt Hegel die Lehre vom diskursiBegriff nicht auf, sondern lässt sie gerade dort von vornherein nicht gelten, wo sie eigentlich allererst herzuleiten wäre, nämlich im Rahmen der Urteilslehre. Bei Hegels Konzeption des endlichen Denkens steht jedoch von vornherein das spekulativ unendliche Denken der konkreten Allgemeinheit konstitutiv im Hintergrund; und zwar steht es auf die Weise konstitutiv im Hintergrund, dass die eigentlichen Spezifika des endlichen Denkens gar nicht erst zu ihrem wenn auch beschränkten Recht gelangen. Nach Maßgabe der spekulativen, konkreten Allgemeinheit wird von Hegel das endliche begrifflich logische Denken umgedeutet. Ohne dass diesem vorgängig auch sein Recht widerfahrt, wird es in seiner eigentlichen Struktur von Hegel gar nicht korrekt erfasst. Das endliche Denken vollzieht im disjunktiven Urteil, wie es die traditionelle formale Logik konzipiert, nämlich gar keine Gattungsallgemeinheit als vollumfassende Totalität. Und die Gattungsallgemeinheit im disjunktiven Urteil, wie Hegel es entwirft, impliziert gar keine endliche Begrifflichkeit mehr, sondern bereits unendlich-spekulative Begrifflichkeit. Diesem würde die formale Logik, auch die moderne mathematisierte Logistik, allerdings nicht zustimmen können. Somit widerlegt Hegel die formale, endliche Urteilslogik zwar nicht immanent, sondern behandelt sie nur äußerlich; allerdings hätte umgekehrt die formale Logik von Hegel die enge Beziehung von logischer Subjektivität und objektiver Urteilsgeltung zu leinen. Inhalt und
ven
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Literatur Bucher, T.: „Zur formallogischen Identität im Urteil
von Hegel", in: Philosophia Naturalis 20 (1983), 453-473. Düsing, K.: „Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik", in: Hegels Wissenschaft der Logik: Formation und Rekonstruktion. Hg. D. Henrich, Stuttgart 1986, 15-38. Krohn, W.: Die formale Logik in Hegels „Wissenschaft der Logik1. Untersuchungen zur Schlußlehre. München 1972. Schick, F.: „Die Urteilslehre". In: Klassiker Auslegen G. W. F. Hegel Wissenschaft der Logik. Hg. A. F. Koch und F. Schick, Berlin 2002, 203-224. Wohlfart, G.: „Das unendliche Urteil. Zur Interpretation eines Kapitels aus Hegels ,Wissenschaft der Logik'", in: Zeitschriftfür philosophische Forschung 39 (1985), 85-100.
Alexander Grau
Die Röte der Rose
Hegel über Neubeschreibungen und Bedeutungsverschiebung
Hegel hat Rosen ganz offensichtlich gemocht. Deshalb werde ich hier über Rosen sprechen. Ich werde über die Farben der Rosen sprechen, über ihre Metamorphosen und über die Frage, wofür Rosen stehen. Und ich werde darüber sprechen, wie Hegel über Rosen spricht. Zugleich werde ich versuchen, etwas zur Urteils- und Schlusslogik bei Hegel zu sagen. Ich werde vorschlagen, sie nicht als Teil einer Logik zu lesen, sondern als Aspekte einer Theorie des Bedeutungswandels. Ich werde dafür plädieren, Hegel als jemanden zu verstehen, der zeigen möchte, dass es keine referenzielle Bedeutung gibt, dass wir aber trotzdem zwischen wörtlichen und figurativen Bedeutungen unterscheiden müssen. Letztere sind notwendig für die Umstrukturierung unserer Überzeugungen, wenngleich diese nicht mehr sind, als Neuordnungen und Transformationen unseres semantischen Systems. Hegel weist damit zugleich den Kantischen Gedanken zurück, dass es dort eine Welt gibt und hier unsere Sprache und dazwischen ein Schema oder ein Kategoriensystem, das dafür sorgt, dass die eine zu der anderen passt. Damit verabschiedet er die traditionelle Idee, dass Sätze aufgrund ihres Bezuges zur Welt wahr oder falsch sind. Gleichwohl zieht Hegel nicht die Rortysche Konsequenz, die Unterscheidung in Ausdrücke mit einer buchstäblichen und solche mit einer figurativen Bedeutung aufzugeben. Das funktioniert allerdings nur, weil eine buchstäbliche Bedeutung zu haben, für Hegel nicht bedeutet eine referenzielle Bedeutung zu haben. Rose referiert nicht auf eine Rose. Weshalb das seiner Meinung nach so ist, erklärt uns Hegel in den
Lehren vom Urteil und vom Schluss. Urteile und Schlüsse sind buchstäbliche, aber nichtrefrenzielle Aussagen. Und dann gibt es noch figurativen Aussagen. Sie haben die syntaktische Form von Urteilen. Das sind die Metaphern. Wenn man von Urteilen bei Hegel redet, muss man auch von Metaphern bei Hegel reden. Ohne das eine nicht das andere. Daher werde ich nicht nur von Urteilen und Schlüssen reden, sondern auch von Metaphern und Vergleichen. Und natürlich von Rosen.
Ausführlicheres
zu
meiner Sicht der
Dinge findet sich in Grau (2001), 199ff
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Alexander Grau
1. Die Farben der Rose Urteil und die Lehre vom Schluss bilden zusammen mit der Lehre den ersten Teil dessen, was Hegel die subjektive Logik nennt. Bevor wir Begriffuns also Gedanken über Rosen und ihre Farbe machen, zunächst einen Schnelldurchlauf durch Hegels Anliegen in der subjektiven Logik im Allgemeinen und der Lehre vom Begriff- nicht der Begriffslogik! im Besonderen. Zunächst zur subjektiven Logik: Die Wissenschaft der Logik ist, so Hegel, „die Wissenschaft des reinen Denkens".2 Das bedeutet, dass sie „die Wissenschaft des Denkens, seiner Bestimmungen und Gesetze" ist. Die Logik handelt also nicht von Denkinhalten das macht, wie wir wissen, die Realphilosophie -, sondern von deren Relationen, deren Struktur und deren Transformationen. Eine solche Wissenschaft vom Denken sieht sich aber mit einem Phänomen konfrontiert, dass von Philosophen traditionellerweise für ein sehr ernsthaftes Problem gehalten wird. Man kann wahrscheinlich sogar sagen, dass sich kaum jemand Philosoph' nennt, der dieses Phänomen nicht als ein wichtiges Problem erkannt hat: Eine Theorie des Denkens, der Gedanken oder der Struktur der Denkinhalte arbeitet immer schon mit dem, was sie klären möchte. Denken und Gedachtes, Bezeichnendes und Bezeichnetes fallen zusammen. Hegels Anspruch ist es, diesem Dilemma zu entkommen, da die Logik den „Gegensatz des Bewusstseins von einem subjektiv für sich Seienden, und einem zweiten solchen Seienden, einem Objektiven"4 überwindet. Das Problem aller Hegel-Exegese ist es, diesem Anspruch gerecht zu werden, beziehungsweise ihm überhaupt einen Sinn zu verleihen. Was soll das eigentlich heißen, Subjektives und Objektives zusammenzudenken? Die Hegel-Deutung entledigt sich des Problems, indem sie in aller letzter Konsequenz sich der einen oder anderen Seite zuschlägt. Hier die transzendentalphilosophische oder Brandom pragmatische Deutungstradition, dort die idealistische oder auch religiöse. Beide werden Hegel nicht gerecht. Doch zurück zum Text: Zunächst unternimmt Hegel zwei Schachzüge, um sich des Problems vorläufig zu entledigen. Erstens sagt er: Irgendwie müssen wir halt anfangen, und das ist auch richtig so. Schwimmen lernen, ohne ins Wasser zu springen, bringt ja auch nichts. Wenn wir etwas über das Denken erfahren wollen, müssen wir eben anfangen zu denken. Zweitens: Wenn wir anfangen zu denken, stellen wir fest, dass wir unsere Gedanken, respektive deren Gehalt, als Objekte betrachten können, also hinsichtlich ihrer Konstitutionsbedingungen und ihrer logischen Relationen. Wir können sie aber auch von innen, gleichsam als Subjekt betrachten und dabei den Wandel und die Verschiebung von Bedeutungen beschreiben. Das ist die Aufgabe der subjektiven Logik. Die Lehre des Begriffs, mit der die subjektive Logik beginnt, zeigt kurz gesagt nur eines: Dass etwas nur ist, wenn ein Begriff von ihm existiert. Also erst die >Rosediese Rose ist rotdieses Gemälde ist schöndiese Rose ist rotistdie .
richtig14.
.
u
13 14 15 16
WdL./TW 6, 322. Ebd., 323. Vgl. Enz. § 172 A/TW8,323. Ebd. Vgl. Enz. § 177 Z/TW 8, 329.
Die Röte der Rose
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rotist wie< oder >ist< lautet"39. Deshalb auch ist für Goodman ich nehme seine vielleicht berühmteste Formulierung eine Metapher „eine Affäre zwischen einem Prädikat mit Vergangenheit und einem Gegenstand, der Für den Kantianer Goodman ist eine Metapher „eine kalsich unter Protest die damit bei den verglichenen Gegenständen „ein kulierte bestimmtes gemeinsames Merkmal zur Geltung Was Hegel und Davidson im gewissen Sinne kritisieren, ist, dass eine solche Metapherntheorien schon ihrem Ansatz nach nicht ganz widerspruchsfrei ist. Einerseits behauptet sie, die Metapher leiste etwas, was normale Prosa nicht zu leisten im Stande sei, andererseits in den Worten Davidsons „will sie die Leistung der Metapher dadurch erklären, dass sie sich auf einen kognitiven Gehalt beruft also genau das, zu dessen Ausdruck die schlichte Prosa da ist" -
-
.
-
-
-
hingibt"40. Kategorienverwechslung"41,
bringt"42.
-
-
-
.
Ebd., 346. Ebd., 357. Ebd.
Ebd., 369. Goodman (1995), 81. Ebd., 74. Ebd., 77. Ebd., 81. Davidson (1986), 366.
Alexander Grau
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Metaphern sind Spiele der Phantasie, die bei dem Leser Gedanken auslösen können. Der Inhalt dieser Gedanken ist allerdings nicht der Gehalt der Metapher. Hegel weist darauf hin, dass Metaphern, anders als die syntaktisch gleich gebauten Urteile, eben keine Explikation starrer semantischer Relationen sind. Der Witz der Metapher ist es eben, dass sie aus semantischer Perspektive etwas nebeneinander stellt, was nichts miteinander zu tun hat. Hände und Rosen beispielsweise. Metaphern funktionieren überhaupt nur, weil sie keine zweite Bedeutung haben. „Rose" bedeutet eben Rose und sonst nichts. Und das Interessante ist, dass sowohl Hegels Lehre vom Urteil, als auch Hegels Metapherntheorie zu dem gleichen Ergebnis kommt. Und noch spannender ist, das dieses Ergebnis die Basis bildet für zwei unterschiedliche, sich aber ergänzende Schlussfolgerungen. Rosen sind Rosen, und Rosen sind die Summe aller Prädikate, die man Rosen zusprechen kann. Die Explikation dieses semantischen Feldes übernehmen Urteil und Schluss. Doch allein mit so schönen Feststellungen, wie, dass Rosen rot sind oder dass zudem Rot eine Farbe und Rosen daher farbig sind, lässt sich kaum eine Wandel des semantischen Systems erklären. Dafür bedarf es unkonventioneller Anwendungen, die ebenfalls die syntaktische Form eines Urteils haben, also den Schein erwecken, etwas zu teilen, das eigentlich eines ist, dessen Elemente aber erkennbarerweise nichts miteinander zu tun haben: die Metapher. Als Urteil ist die Metapher absoluter Blödsinn. Hegel Er nennt so etwas ein unendbringt das schöne Beispiel „die Rose ist kein liches Urteil, weil ein solches Urteil banalerweise richtig, aber in Grunde vollkommen unsinnig ist. Oder wie Hegel sagt: „widersinnig und Man könnte dieses Urteil natürlich auch als Metapher lesen. Dann wäre es eben kein Urteil. Es wäre deshalb kein Urteil, weil nicht der Anspruch erhoben würde, zwei semantische Felder miteinander in eine bedeutungskonstituierende Verbindung zu setzen, sondern den Leser aufhorchen zu lassen, seine Phantasie anzuregen und neue Bedeutungen zu finden. Ohne Metaphern kein Bedeutungswandel. Ohne Urteile und Schlüsse allerdings auch keine Metaphern. Urteile und Schlüsse sind aus Hegels Sicht der semantische Normalfall, der die Ausnahmesituation von der Möglichkeit für Neubeschreibungen und Bedeutungsverschiebungen schafft. Oder anders und etwas zugespitzt: Metaphern sind metaphorische Neubeschreibungen und Urteile sind tote Metaphern. Bleibt zum Schluss die Frage: Was soll man von all dem halten? Hegels wichtige Einsicht ist, dass Metaphern keine kognitive Funktion haben. Damit stünde er heutzutage mit Davidson ziemlich allein. Kantianer wie Goodman oder Mary Hesse, wie Max Black oder Ricceur haben immer darauf gepocht, dass Metaphern eine kognitive Funktion haben. Ausgangsbasis dabei ist Blacks alte Interaktionsvorstellung. Metaphern sind zwei Bedeutungen, die sich im Moment ihrer Anwendung gegenseitig bestimmen. Das ist die tropologische Variante der kantianischen Vorstellung des Begriffsschemas. Hegel kritisiert sie zu Recht. Leider zieht er daraus die falschen Konsequenzen. Mit dem Begriffsschema kassiert Hegel auch noch gleich den Bezug. Urteile und Schlüsse sind dann nur noch mehr oder minder richtige Vermessungen des semantischen Systems. Da dieses System jedoch unglaublich starr wäre, braucht Hegel die Metapher. Sie
Elephant"4 abgeschmackt"45. .
WdL./TW 6, 324.
Die Röte
der
Rose
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garantiert neue Verknüpfungen und neue Beschreibungen. Allerdings sind diese Neubeschreibungen selbst nicht kognitiv. Sie eröffnen bestenfalls Erkenntnis. Insofern bereiten Metaphern und Vergleiche Urteile und Schlüsse vor. Beide sind für Hegel aufeinander angewiesen. Dies wäre sogar richtig gewesen, wenn Hegel einfache gesagt hätte, dass „Rose" in Urteilen sich auf Rosen bezieht und „Rose" in figurativen Ausdrücken überhaupt keinen Extensionsbereich hat, sondern einen intensionalen, attributiven Kontext, dessen semantische Grammatik auf einen anderen Ausdruck übertragen wird. Hätte Hegel das gesagt, dann wäre allerdings sein gesamtes System zusammengebrochen, sowohl die Logik als Theorie der Bedeutungskonstitution, als auch die Realphilosophie als Hermeneutik des Bedeutungswandels. Und so hat Hegel lieber die Röte der Rose geopfert, die eigentlich gar keine wahre Röte ist, sondern ein bisschen so wie eine Rose eine Hand ist. Das ist vielleicht keine Vorstellung, mit der man einen Semantiker beeindrucken kann, doch poetisch ist sie allemal.
Literatur Davidson, D.: „Was Metaphern bedeuten", in: ders.: Wahrheit und Interpretation, Frankfurt/M. 1986. Goodman, N.: Sprachen der Kunst, Frankfurt/M. 1995. Grau, A.: Ein Kreis von Kreisen. Hegels postanalytische Erkenntnistheorie, Paderborn 2001.
Chong-Fuk Lau
Urteilsformen und Kategorienlehre Die Aristotelisch-Kantische und die
Hegeische Konzeption
I Das Seiende, insofern es seiend ist, zu betrachten und zu erfassen gehört ohne Zweifel zu den grundlegenden Aufgaben der Philosophie. Als Wissenschaft vom Seienden bzw. vom Sein überhaupt hat sich die Ontologie schon früh ihren zentralen Platz in der abendländischen Philosophie gesichert. Während Piaton die ontologische Grundfrage in seiner Ideenlehre als eine Frage nach dem wahrhaften Sein {ontos on) auslegt, versucht Aristoteles den vielfältigen Seinsweisen gerecht zu werden, indem er eine Kategorienlehre entwickelt, die die Grundstrukturen dessen, was Seiendes als solches ausmacht und was diesem an sich zukommen kann, erfassen soll. Um diesem ontologischen Problem nachzugehen, hat sich Aristoteles äußerst eng an dem orientiert, was in der Sprache vorliegt. Ohnehin legt der griechische Logos-Begriff eine Einheit von Sein und Sprache bzw. Denken nahe, die die ontologischen und die (sprach-)logischen Fragestellungen bei Aristoteles untrennbar macht. Es geht nämlich nicht um die Sprache als solche, sondern um Seiendes, das aber wesentlich in der Sprache zum Ausdruck kommt. Das janusköpfige Anliegen des Aristoteles spitzt sich besonders in seiner Kategorienlehre zu, bei der die ontologische Motivation in der sprachlogisch orientierten Untersuchung unübersehbar wird. In der Überzeugung, dass sich die Strukturen der Wirklichkeit gleichsam in den Grundformen der möglichen Prädikation widerspiegeln, versucht Aristoteles die ontologischen Kategorien vor allem durch Analyse der Aussageformen zu erschließen. „Kategorie" wird von Aristoteles zu einem zentralen Begriff der Philosophie gemacht, bei dem es nicht nur um die sprachlogische Frage geht, auf welche Weisen es sich über etwas aussagen lässt, sondern ebenso sehr um das ontologische Problem, welche Seinsweisen es überhaupt gibt. Einen wichtigen Zugang zur ganzen Problematik bietet dabei die Analyse der sprachlichen Konstruktionen, mittels derer wir uns auf Dinge und Sachverhalte beziehen. Und das elementare sprachliche Gebilde dafür ist Aristoteles zufolge das Urteil, das zugleich die elementare Einheit der Wahrheit ausmacht (De int. 1, 16a 12-16). Mit der Form des einfachen Urteils, das sich sprachlich darin ausdrückt, dass einem „Subjekt" {hypokeimenori), das auf einen Gegenstand Bezug nimmt, hinsichtlich einer seiner Eigenschaften ein „Prädikat" {kategoroumenon) zugesprochen wird, ist auch das Grundprinzip der traditionellen
Substanzontologie gegeben.
Urteilsformen und Kategorienlehre
XI
Die Aristotelische Kategorienlehre ist in erster Linie durch die in der Kategorienschrift aufgeführte Liste von zehn Kategorien bekannt, in der die Substanz (ousia) als die erste Kategorie eine logisch-ontologische Vorrangstellung einnimmt. In seinem Werk lässt sich aber eine kontinuierliche Entwicklung der Kategorienlehre beobachten, die sich etwa in drei Stadien einteilen lässt, denen drei Schriften bzw. Schriftengruppen entsprechen: Das erste Stadium wird vertreten durch die Darstellung der Kategorien in der Topik (I 9, 103b22ff), das zweite durch die in der Kategorienschrift (4, lb26ff.) sowie in der zweiten Analytik (I 22, 83a21 ff.) und das dritte durch die in der Metaphysik (A 7, 1017a25ff.), Physik (I 7, 190a33ff), De anima (I 1, 402a24f.) und Nikomachischen Ethik (I 4, 1096a24ff.).' Wie bei vielen Problemen, die von Aristoteles behandelt werden, geht der Anstoß zur Untersuchung der Prädikation und Kategorien auch auf die Auseinandersetzung mit Piaton zurück (Gillespie 1925). Im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit des falschen Satzes (pseudos logos) hat Piaton im Sophistes Überlegungen zum Problem der Prädikation gemacht (Soph. 251). Aus dem von Piaton nur knapp berührten Problem wird bei Aristoteles ein Schwerpunkt seines umfangreichen Denkunternehmens. Vor diesem Hintergrund werden zunächst in der Topik zehn Arten der Prädikate zur Diskussion gestellt.2 Die Besonderheit der Kategorienlehre in der Topik liegt darin, dass das Satzsubjekt noch nicht als Substanz thematisiert wird. Hier wird die erste Kategorie noch als eine Art Prädikation begriffen, die auf die Frage „Was ist es?" (ti esti) antwortet, wenngleich sich die Kategorie des „Was-es-ist" gegenüber den übrigen akzidentellen Kategorien als essentielle Prädikation auszeichnet. Erst in der Kategorienschrift wird die ontologische Sonderstellung der ersten Kategorie erkannt. Denn Substanz ist keine Antwort mehr auf die Frage „Was-ist-es", die am ehesten mit einem Gattungsbegriff zu beantworten ist; Substanz ist vielmehr das Zugrundeliegende (hypokeimenon), das selber kein Prädikat ist, sondern das, worauf sich alle möglichen Prädikate beziehen. Den Primat hat die sogenannte erste Substanz (prote ousia), d.h. das sinnlich wahrnehmbare Einzelding oder das, was als ein „Diesesda" (tode ti) bezeichnet werden kann (Cat. 5, 2al3ff). Dabei kommt Gattungsbegriffen die Bezeichnung der Substanz nur im sekundären Sinne zu; die zweiten Substanzen werden im engeren Sinne nicht zur Substanz gerechnet, weil ihre Bestimmung eher etwas Qualitatives ausdrückt (Cat. 5, 3b 1 Iff). Dass sich die Aristotelische Ontologie sehr stark an der Urteilslogik orientiert, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich die ontologische Dichotomie von Substanz und Akzidenz im wesentlichen von der logischen Asymmetrie von Subjekt und Prädikat herleiten lässt. Die erste Substanz zeichnet sich dadurch aus, dass sie als Singulares aufgrund der Struktur des prädikativen Satzes nur als Satzsubjekt, nicht aber als Prädikat auftreten kann. Die Möglichkeit, dass etwas „von etwas als einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird" (Cat. 2, la20), ist nämlich ein Ausschlusskriterium für Substantialität (Patzig 1
2
Vgl. die Einleitung von Oehler zu Aristoteles ( 1984), 82ff. Kapp ist der Meinung, dass die in der Topik dargestellten Kategorien nicht als allgemeinste Gattungen, die alles, was es gibt, unter sich befassen, verstanden werden sollen, sondern vielmehr Typen von Prädikation bezeichnen, die voneinander unterschieden werden müssen, um philosophisch wichtige Formen von Mehrdeutigkeiten zu vermeiden (Kapp 1968, 222ff).
82
Chong-Fuk Lau
1996, 96ff). Gegenüber der Substanzkategorie dokumentieren die sonstigen Kategorien die elementaren Formen dessen, wie etwas von der Substanz ausgesagt werden kann, und daher auch die möglichen Eigenschaften, die als Akzidenzen einer Substanz zukommen können. Alle Akzidenzkategorien sind in logisch-ontologischer Hinsicht von der Substanz bzw. von der ersten Substanz abhängig. „Wenn also die ersten Substanzen nicht existieren, ist es unmöglich, daß etwas von dem anderen existiert." (Cat. 5, 2b5-7) Mit der Lehre von der ersten Substanz in der Kategorienschrift erreicht die Aristotelische Ontologie ihre „antiplatonische" Spitze, da anstelle von Ideen, die allgemein sind, nun den konkreten Einzeldingen die absolute Priorität zuerkannt wird. Demgegenüber ist die Ontologie in der Metaphysik „platonischer", insofern der absolute Primat der Einzeldinge im Sinne der ersten Substanz nicht mehr vertreten wird. Stattdessen entwickelt Aristoteles in der Metaphysik einen Leitbegriff des „Was es heißt, dies zu sein" {to ti en einaíf, mit dem sich die Bedeutung der Substanz im Sinne der Wesenheit näher beleuchten lässt. Festgehalten wird aber in den beiden Schriften an dem Ansatzpunkt, dass die Kategorie der Substanz als primäres Sein gegenüber den übrigen Akzidenzkategorien eine vorrangige Stellung einnimmt, die in der Metaphysik noch in dreifacher Hinsicht, nämlich „sowohl dem Begriff, wie der Erkenntnis und der Zeit nach" (Met. Z 1, 1028a32fi), präzisiert wird. Die Ontologie der Metaphysik zeichnet sich besonders durch eine differenziertere, nach dem Prinzip der sogenannten Pros-henBeziehung entwickelte Theorie der Ordnungshierarchie von unselbständigen Eigenschaften zu selbständigen Substanzen aus. Mit Hilfe der Begriffe Form {eidos) und Materie {hyle) sowie der Möglichkeit {dynamis) und Wirklichkeit {energeid) versucht Aristoteles, nicht nur der Vielfältigkeit der Seinsweisen und der Sachhaltigkeit der Substanz, sondern auch dem dynamischen Entwicklungspotential der Realität gerecht zu werden. Es hat sich gezeigt, dass in der Entwicklung der Aristotelischen Kategorienlehre der ontologische Aspekt gegenüber dem sprachlogischen immer mehr in den Vordergrund rückt. Die überwiegende Präsenz der sprachlogischen Betrachtungsweise im ersten Entwicklungsstadium drückt sich darin aus, dass die Liste der zehn Kategorien in der Topik hauptsächlich nur als Arten von möglicher Prädikation verstanden wird, in denen jedoch eine Analyse der Substanz als des Zugrundeliegenden der Prädikation noch fehlt. Ein entscheidender Schritt zur „Ontologisierung" der Kategorien wird in der Kategorienschrift getan, indem Aristoteles die Lehre der ersten Substanz entwickelt. In der Metaphysik zeigt sich der ontologische Akzent der Kategorienlehre noch präsenter, indem eine Ontologie dargestellt wird, die das Sein als nach dem Schema der Kategorien strukturiert auffasst. Mit seiner urteilslogisch orientierten Kategorienlehre versucht Aristoteles die Grundstruktur der Wirklichkeit zu erfassen, ohne jedoch einen Vollständigkeits- bzw. Absolutheitsanspruch erheben zu wollen. Daher kann sich Aristoteles auch erlauben, sich in verschiedenen Schriften je nach Zweckdienlichkeit mit kürzeren Kategorienlisten zu begnügen.4 Für die Aristotelische Kategorienlehre ist zwar das methodische Vorgehen der Abstraktion von vorhandenem Sprachverhalten in der Ur3 4
Zur Übersetzung des Ausdrucks vgl. Aristoteles (1988), 34f. So findet man z.B. in Metaphysik V 7 (1017a25-27) eine Liste von acht, in Metaphysik XX 1 (1069a21) eine Liste von drei und in der Ethik (I 4, 1096a24-27) eine Liste von sechs Kategorien.
Urteilsformen und Kategorienlehre
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teilsbildung entscheidend, aber es gibt streng genommen kein übergeordnetes Prinzip, aus dem alle Kategorien abzuleiten wären. Die Analyse der logischen Struktur der Prädikation bietet vielmehr einen heuristischen Leitfaden, anhand dessen die Mannigfaltigkeit des Seienden und der Reichtum der Realität kategorisiert werden können. 11 Neben der Aristotelischen zählt die Kantische Kategorienlehre wohl zu den wichtigsten in der Philosophiegeschichte. In der Kritik der reinen Vernunft schließt sich Kant an eines der Grundanliegen des Aristoteles an, indem er, um die Möglichkeit objektiver Erkenntnis zu begründen, nach den Grundbegriffen sucht, mit denen sich das Mannigfaltige aus der Erfahrungswelt zu einer objektiven Einheit verbinden lässt. Die Grundbegriffe bezeichnet Kant nach Aristoteles ebenfalls als Kategorien, weil er davon überzeugt ist, dass seine eigene Absicht „uranfanglich" mit der des Aristoteles übereinstimmt (KrV A 80/B 105). Für Kant sind Kategorien in erster Linie Formen des Denkens, die aber trotz ihrer subjektiven Wurzel nicht lediglich subjektiv, sondern objektiv gültig sind. Sie gelten notwendigerweise für alle Gegenstände, weil sie eben diejenigen Formen darstellen, die die Gegenständlichkeit möglicher Gegenstände überhaupt ausmachen. Denn „die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung" (KrV A 158/B 197). Insofern sind die Grundbegriffe des Verstandes auch Grundformen des Seienden, wobei „der stolze Name einer Ontologie [...] dem bescheidenen einer bloßen Analytik des reinen Verstandes Platz machen" muss (KrV A 247/B 303). Was die Aristotelische Kategorienlehre angeht, so liegt Kant zufolge das entscheidende Manko darin, dass sie über kein Prinzip verfügt, nach dem alle Kategorien systematisch darzustellen sind (KrV A 81/B Die Tatsache, dass Aristoteles verschiedene Versionen der Kategorienlehre entwickelt und dann noch fünf sogenannte Postprädikamente (Cat. lOff, llbl5ff.) hinzugefügt hat, sieht Kant als einen eindeutigen Hinweis darauf, dass die Liste der Kategorien insgesamt unvollständig und mangelhaft sei, ganz zu schweigen von dem inhaltlichen Mangel, der darin bestehen soll, dass sie Bestimmungen enthalten, die nicht „als die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes" (KrV A 81/B 107) gerechnet werden dürfen. Anders als Aristoteles strebt Kant offenkundig eine vollständige Auflistung aller Kategorien an, die die fundamentale Denk- und Seinsweise festlegen sollen. Darum darf Kant nicht „auf gut Glück" (KrV A 81/B 106) nach Kategorien suchen, sondern muß unbedingt ein zuverlässiges Prinzip als Leitfaden finden, „nach welchem der Verstand völlig ausgemessen und alle Functionen desselben, daraus seine reine Begriffe entspringen, vollzählig und mit Präcision bestimmt werden könnten." (AA 4, 323) Um ein solches Prinzip zu finden, hat sich Kant nach einer Verstandeshandlung umgesehen, die allen sonstigen Funktionen des Verstandes zugrunde liegt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die fundamentale Verstandeshandlung eben im Urteilen be-
106).5
5
Vgl. auch Kants Brief an Marus Herz vom 21.2.1772 (AA 10, 132) und § 4, 323f).
39 der Prolegomena
(AA
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steht. „Wir können [...] alle Handlungen des Verstandes auf Urtheile zurückführen, so daß der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urtheilen vorgestellt werden kann." (KrV A 69/B 94)6 Im Unterschied zu Aristoteles, dessen Logik sich schwerpunktmäßig auf den Syllogismus, also auf die Lehre von Schluss, richtet (Kapp 1968, 261), bildet die Urteilslehre den eigentlichen Kern der Kantischen Logik. Sie fungiert nicht lediglich als heuristischer Leitfaden zur Entdeckung der Kategorien, sondern steht im Mittelpunkt der Problemhorizonte der Kritik. Im Gegensatz zur Sinnlichkeit, die sich als intuitives Erkenntnisvermögen der Anschauung bedient, ist der Verstand ein Denkvermögen, das uns diskursiv durch Begriffe Erkenntnisse verschafft. Während sich Anschauung als Einzelnes unmittelbar auf einen Gegenstand bezieht, sind Begriffe Vorstellungen von etwas, das als gemeinsames Merkmal unbestimmt vielen Einzeldingen zukommen kann (KrV A 320/B 377). So definiert Kant in der Jäsche-Logik (§1) „Begriff als „allgemeine Vorstellung" im Sinne von „repraesentatio per notas communes" (AA 9, 91). Denken durch Begriffe ist die Leistung, „verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen" (KrV A 68/B 93), wobei sich diese wesentliche Handlung des Verstandes im Urteilen vollzieht. Formal gesehen ist Urteilen ein Verbinden verschiedener Vorstellungen, das Kant als Synthesis bezeichnet. Zur Synthesis gehören notwendigerweise drei Momente: 1. das gegebene Mannigfaltige, das zu verbinden ist, 2. das Verbinden und 3. die Einheit, zu der das Gegebene verbunden wird (Bubner 1992, 104). Für die Kantische Kategorienlehre sowie die transzendentale Deduktion der Kategorien ist es von grundlegender Bedeutung, dass diese drei Elemente getrennt analysierbar sein müssen. Während das Mannigfaltige als das Material der Erkenntnis in der Anschauung gegeben wird, kann die Verbindung des Mannigfaltigen nicht wiederum von außen kommen. Das Verbinden kann sozusagen niemals gegeben, sondern nur vom Subjekt selbst geleistet werden. Diese synthetische Leistung des Verstandes bezeichnet Kant als „Actus der Spontaneität" oder der „Selbstthätigkeit" (KrV B 130), der sich aus sich heraus nach den vom Verstand stammenden Begriffen auf das gegebene Material ausübt. Urteil ist dabei das von der Spontaneität des Verstandes zu einer Einheit geformte Gebilde, das sich auf einen Gegenstand bezieht. „Das Urtheil ist also die mittelbare Erkenntniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben." (KrV A 68/B 93) Trotz des „subjektiven" Ursprungs bestimmt sich das Urteil nach Kant als „ein Verhältniß, das objectiv gültig ist" (KrV B 142) bzw. „als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen." (KrV B 141) Denn es liegt im Wesen des Urteils, sich auf die Wirklichkeit zu beziehen, indem das Urteil behauptet, der Gegenstand verhielte sich in Wirklichkeit so, wie er durch die sich in der Sprache als Satz ausdrückende Begriffsverknüpfung dargestellt wird. Jedes Urteil stellt daher eine Einheit dar, die mit einem objektiven Wahrheitsanspruch verbunden ist. 6
Bereits in einer frühen vorkritischen Abhandlung Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren von 1762 bemerkt Kant, „daß die obere Erkenntnißkraft schlechterdings nur auf dem Vermögen zu urtheilen beruhe" (AA 2, 59). Unter Synthesis versteht Kant „in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntniß zu begreifen." (KrV A 77/B 103)
Urteilsformen und Kategorienlehre
S5
Dieses Urteilsverständnis ist nicht nur für Kant selbst, sondern auch für die Entwicklung der Kategorienlehre im allgemeinen von großer Bedeutung, indem es ermöglicht, für die auf Aristoteles zurückgehende urteilslogische Orientierung der Kategorienlehre eine systematische Begründung zu geben. Während die klassische Logik die Urteilslehre auf der Lehre vom Begriff aufzubauen pflegt, der als grundlegende logische Einheit angesehen wird,8 versucht Kant nun die logische Struktur der Begriffe umgekehrt auf ihre Urteilstauglichkeit hin zu erklären. Nach Kant sind alle Begriffe dem Wesen nach darauf angelegt, „als Prädicate möglicher Urtheile" (KrV A 69/B 94) zu dienen.9 Da sich die Erkenntnisfunktion der Begriffe nur im Urteil erklären lässt, sind Begriffe im Hinblick auf ihren logischen Gebrauch in die Urteilslehre integriert, wobei der Gebrauch von Begriffen und das Urteilen für Kant schließlich ein und dieselbe synthetische Funktion des Verstandes sind (KrV A 68/B 93). Mit der Orientierung der Begriffe an deren Urteilsfunktion hat Kant den „Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe" (KrV A 66ff./B 9Iff) gewonnen. Gesucht sind diejenigen Begriffe, die bei jeder Gegentandserkenntnis in Anspruch genommen werden müssen und so für die Konstruktion eines Gegenstandes überhaupt unentbehrlich sind. Da sich die Einheit eines Gegenstandes letzten Endes der synthetischen Leistung des Verstandes verdankt, die mannigfaltige Vorstellungen des Gegebenen zu einer Einheit verknüpft, liegt die Vermutung nahe, dass die Formen der im Urteilen vollzogenen Vorstellungsverknüpftingen zugleich die Strukturen möglicher Gegenstände ausmachen. So kommt Kant zu der Einsicht: „Die Functionen des Verstandes können also insgesammt gefunden werden, wenn man die Functionen der Einheit in den Urtheilen vollständig darstellen kann." (KrV A 69/B 94; vgl. KrV A 79/B
104f.)
vollständige Tafel der Urteilsformen, so auch der gebracht werden kann, deren jeder drei Momente unter sich enthält. Davon, „daß gerade nur diese und ihrer nur so viel, nicht mehr noch weniger, unser ganzes Erkenntniß der Dinge aus bloßem Verstände ausmachen können" (AA 4, 324), scheint Kant vollkommen überzeugt zu sein. Indes stellt sich natürlich die Frage, wie diese Überzeugung überhaupt begründet werden kann. Das ist die Aufgabe derjenigen Argumentation, die Kant nachträglich in der zweiten Auflage der Kritik als die „metaphysische Deduktion" (KrV B 160) bezeichnet.10 Diese muss nämlich zuminKant ist der Meinung, dass die genau unter vier Titel
Kategorien,
8
9
10
Der Aufbau der klassischen Logik besteht der Reihe nach aus der Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss. Vgl. die bemühte Logik von Port Royal (La Logique ou L'Art de penser, 1662) von Ar-
nauld(1972).
Damit hat Kant in gewisser Weise schon die Fregesche Einsicht, dass nicht der Begriff, sondern erst der Satz die elementare logische Einheit bildet, antizipiert. Denn sofern Begriffe nur als Prädikate möglicher Urteile auszulegen und daher nur im Hinblick auf ihre Urteilsfunktion zu erklären sind, bilden sie an sich noch keine logische Einheit, aus der sich das Urteil zusammensetzen würde. Allerdings ist dieser „modernere" Ansatz nur in der „transzendentalen", nicht aber in der „allgemeinen Logik" zu beobachten. Besonders in seiner Logik- Vorlesung stimmt Kant mit der klassischen Urteilslehre weitgehend überein. Die „metaphysische Deduktion" stellt den ersten Teil des gesamten Programms der Kategoriendeduktion dar, dessen zweiter Teil in der „transzendentalen Deduktion" ausgeführt wird, in der
Sí)
Chong-Fuk Lau
dest zwei Beweisschritte liefern: Zuerst muss gezeigt werden, welche die Formen des Urteils sind, die aller Erkenntnis notwendigerweise zugrunde liegen. Sodann muss gezeigt werden, wie der Übergang von der Urteilstafel zur Kategorientafel tatsächlich erfolgt. Diese zwei Beweisschritte sind in der Kritik allerdings nur sehr knapp ausgeführt. Was den Übergang von Urteilsformen zu Kategorien angeht, so sieht man sich von Kant nur an die Parallelität der beiden Tafeln verwiesen, deren Entsprechung intuitiv einleuchtend sein soll. Bei näherer Betrachtung stößt man jedoch auf Viel problematischer ist dennoch der erforderliche Beweisschritt für die Vollständigkeit der Urteilstafel, der schon seit den Anfangen der Kant-Rezeption als eine der meist kritisierten Stellen gilt. Der Vorwurf lautet, der Vollständigkeitsanspruch sei unbegründet, weil Kant die Urteilstafel nicht, wie er behauptet, „systematisch aus einem gemeinschaftlichen Princip" (KrV A 80/B 106) abgeleitet, sondern einfach dem Lehrbestand der formalen Logik seiner Zeit mit minimaler Modifikation entnommen habe. Den Verdacht scheint Kant selbst zumindest mit der folgenden Bemerkung in Prolegomena erhärten zu wollen: „Hier lag nun schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker vor mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel reiner Verstandesfunctionen, die aber in Ansehung alles Objects unbestimmt waren, darzustellen." (AA 4, 323f.) Es lässt sich mit Recht bezweifeln, ob die Urteilstafel überhaupt begründbar ist (Heidegger 1991, 55f). Fest steht zumindest, dass Kant nach einer äußerst knappen Einleitung „Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt" (KrV A 67-69/B 9294) gleich im anschließenden Paragraph (§ 9) die Urteilstafel nicht argumentativ, sondern nur schematisch dargestellt hat. Es sind aber auch Versuche unternommen worden, diese Lücke im Beweisgang der Kritik zu schließen. Reich (1986) z.B. hält sich an Kants Vollständigkeitsanspruch fest und rekonstruiert für diesen einen von einem Prinzip aus schrittweise fortschreitenden Beweis, der zwar von Kant selbst nicht vorgelegt wurde, aber seiner ursprünglichen Absicht entsprechen soll. Durch ein zweistufiges Verfahren, in dem die Argumentation einerseits rein analytisch aus der Kantischen Definition des Urteils entwickelt und anderseits mit den Texten aus Kants vorkritischer
Schwierigkeiten."
11
12
schließlich die objektive Realität der Kategorien gerechtfertigt werden soll. Zum Argumentationsziel der „metaphysischen Deduktion" vgl. Horstmann (1984). Die Korrespondenz der Relationskategorien zu den entsprechenden Urteilsformen ist besonders fragwürdig. Warum soll z.B. das Kausalverhältnis der Form des hypothetischen Urteils entsprechen, wenn die Ursache-Wirkungsbeziehung auch in einem assertorischen Urteil, wie etwa „der Regen macht die Straße nass", formuliert werden kann? Unsicher scheint Kant selber aber nicht so sehr bezüglich der Kausalkategorie als vielmehr bezüglich der Kategorie der Gemeinschaft (Wechselwirkung) zu sein (KrV B 11 lf). Nicht umstritten ist, dass die Auswahl der Kantischen Kategorien mit den Fundamentalbegriffen der Schulontologie, vor allem von Wolffund Baumgarten, eng zusammenhängt. Es spricht viel dafür, dass Kant die Urteilstafel nach der Kategorientafel modelliert hat (Tonelli 1966). In dieser Beziehung wirft Hegel Kant „eine irrationelle Erkenntniß des Rationellen''' vor, weil die Kantische Philosophie „für die transcendentale Logik die Kategorien als sogenannte Stammbegriffe aus der subjectiven Logik [entlehnt], in welcher sie empirisch aufgenommen worden" (GW 12, 44). Dennoch übernimmt Hegel auch fast die vollständigen zwölf Urteilsformen in der Begriffslogik.
Urteilsformen und Kategorienlehre
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Zeit bis zu den späten Reflexionen und Vorlesungsmanuskripten belegt wird, lässt sich nach Reich zeigen, dass die Urteilstafel vollständig aus der objektiven Einheit der Apperzeption ableitbar ist. Zu bedenken ist aber schon der interpretationsmethodologische Ansatz, dass Reich seine Rekonstruktion in erster Linie auf eine Textbasis stützt, die aus den späteren Reflexionen und privaten Notizen Kants stammt, die für die vorgesehenen Leser der Kritik in der ersten Auflage nicht zugänglich waren.13 Noch bedenklicher ist die Annahme, dass alle Momente der Urteilsfunktionen durch Analyse der Urteilsdefinition zu gewinnen wären. Denn die Möglichkeit einer erschöpfenden Definitionsanalyse besteht Kant zufolge nur innerhalb der Mathematik, indem diese Erkenntnisse „aus der Construction der Begriffe" gewinnt. Philosophie hingegen als „Vernunfterkenntniß aus Begriffen" (KrV A 713/B 741) kann ihre Begriffe, seien sie empirisch oder a priori gegeben, in keiner Weise erschöpfend analysieren, weil sie unvermeidlich dunkle Bestimmungen in sich enthalten, deren vollständige Gegenstandsadäquatheit niemals mit Gewissheit nachgewiesen werden kann. Aber selbst wenn es Reich gelingen sollte, die Definition erschöpfend zu analysieren, ist die Vollständigkeit der Urteilstafel damit noch nicht bewiesen, weil immer noch ein Kriterium für den Vollständigkeitsanspruch fehlt, um mögliche Alternativen auszuschließen (Krüger 1968, 334-336; vgl. auch Lenk
1968, 14-37).
Man kann sogar, wie Krüger, die Ausgangsvoraussetzung in Frage stellen, ob Kant überhaupt die Vollständigkeit der Urteilstafel beweisen wolle (Krüger 1968). In der Tat scheint Kant gelegentlich auch gegen die Begründungsmöglichkeit zu sprechen: „Von der Eigenthümlichkeit unseres Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperception a priori zu Stande zu bringen, läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade
diese und keine andere Functionen zu Urtheilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind." (KrV B 145f.) Krüger ist der Meinung, dass Kant nur in einem „bescheideneren Sinne" einen „Beweis" für den Vollständigkeitsanspruch liefern wollte und konnte (Krüger 1968, 337). Kant schließe zwar die strenge Ableitbarkeit der Urteilstafel in ihrer Vollständigkeit aus, räume jedoch die Möglichkeit ein, die Urteilsformen nach einem Prinzip herauszufinden. „Als die ,Idee des Ganzen'", so Krüger, spielt das Prinzip „die Rolle eines Entscheidungskriteriums für die Frage, welche Formen des Denkens für das Denken als solches charakteristisch und überdies irreduzibel sind" (Krüger 1968, 342).14 Dass Kant die Argumentation zur Entdeckung der Urteils- und Kategorientafel in der zweiten Auflage der Kritik als „metaphysische Deduktion" bezeichnet, kann als Indiz dafür gesehen werden, dass Kant die Tafel als a priori gegeben akzeptiert. Denn Kant scheint eine durchgängige Unterscheidung von einer „metaphysisch" und „transzenden13
14
Dieses Verfahren verteidigt Reich mit der Annahme, Kant habe seinen Vollständigkeitsbeweis mit Absicht den Lesern der Kritik vorenthalten und für das System der Transzendentalphilosophie, das letztendlich nicht geschrieben worden ist, vorgesehen (Reich 1986, 93). Diese Annahme wird jedoch von Krüger entscheidend widerlegt (Krüger 1968, 336). Zu weiteren methodischen Bedenken gegen das Reichsche Verfahren vgl. Brandt (1991), 14-37. Zur Kritik an Krügers Interpretation vgl. Wolff (1995), 180ff.
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tal" genannten Argumentationsweise machen zu wollen, die zumindest in der transzendentalen Ästhetik zu finden ist. Dort unterscheidet Kant in bezug auf die Raum-ZeitArgumente die metaphysische von der transzendentalen Erörterung: „metaphysisch", so Kant, „ist die Erörterung, wenn sie dasjenige enthält, was den Begriff als a priori gegeben darstellt" (KrV B 38).15 Krügers Deutung scheint zwar Kants ursprünglicher Absicht näherzustehen, hilft aber der Problematik auch nicht weiter. Solange sich das als Entscheidungskriterium konzipierte Prinzip nicht operationalisieren lässt, ist nicht auszumachen, welche die Formen sind, die uns a priori gegeben und für die Einheit der Apperzeption unentbehrlich sind (Brandt 1991, 11-13). Die Einwände, die gegen die beanspruchte Vollständigkeit der Kantischen Urteilsund Kategorientafel erhoben wurden, sind in der Kant-Literatur weitgehend als berechtigt aufgenommen worden. Trotz der sympathisierenden Rekonstruktionsversuche ist dem Vorwurf doch Recht zu geben, dass der Vollständigkeitsanspruch der Kantischen Kategorienlehre in der Tat unbegründet, wenn nicht gar prinzipiell unbegründbar ist. Denn fraglich ist allein schon der Ansatz, dass das Denken gegenüber einem „unmittelbaren" Material nur nachträglich synthetische Leistungen zu vollbringen hätte, deren apriorische Formen vom gegebenen Material vollkommen unabhängig und dann durch philosophische Reflexion zu „entdecken" wären. Mit der abstrakten Trennung von Formellem und Materiellem im Kantischen Begriff der Synthesis ist es unberücksichtigt geblieben, dass dem rein Formellen in der Urteilsbildung sprachliche, geschichtliche oder andere kontextabhängige Bedingungen zugrunde liegen können, in denen auch die philosophische Reflexion selbst befangen ist.
III Wenn es um Kategorienlehre geht, ist es nicht gerade selbstverständlich, dass man neben Aristoteles und Kant auch an Hegel denkt. Dies scheint aber um so merkwürdiger, wenn man bedenkt, dass die ganze Wissenschaft der Logik gerade als eine höchst entwickelte und ausführlich begründete Kategorienlehre zu verstehen ist. Während sich Aristoteles mit einer Kategorienlehre begnügt, die keinen Vollständigkeitsanspruch erhebt, und Kant die angeblich vollständige Liste von zwölf Kategorien einfach aufzählt, ohne sie wirklich zu begründen, bemüht sich Hegel in seiner Logik unermüdlich darum, jede einzelne Kategorie systematisch voneinander herzuleiten und zu analysieren. Die Logik handelt ja von nahezu allen wichtigen Begriffen in der traditionellen Metaphysik. So gesehen kann man die Hegeische Logik, insbesondere aber die objektive Logik, die mit der Lehre vom Sein und vom Wesen „an die Stelle der vormaligen Metaphysik" (GW 21, 48) treten soll, geradezu als die Kategorienlehre par excellence betrachten. Mit Blick auf die Aristotelische und die Kantische Kategorienlehre stellt sich erneut die Frage, ob und inwiefern die Hegeische Logik eine vollständige Darstellung aller 15
Gegensatz dazu ist die transzendentale Erörterung „die Erklärung eines Begriffs als eines Princips, woraus die Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden
Im
kann."
(KrV B 40)
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Kategorien sei. Unbestritten ist zunächst einmal, dass Hegel wie Kant im Gegensatz zu Aristoteles auf die Vollständigkeit abzielt, zumal Hegel immer wieder von der absoluten Wahrheit spricht, die wie der Gedanke Gottes in seiner Logik erschöpfend und systematisch dargestellt werden soll (GW 21, 34). Gemessen an der Unfassendheit der abgehandelten Kategorien und Schlüssigkeit ihrer internen Verweisungszusammenhänge steht Hegels Entwurf freilich keinem nach. Dennoch scheint der Absolutheitsanspruch bei Hegel doch nicht so wörtlich genommen werden zu können. In der Vorrede zur zweiten Auflage der Logik äußert Hegel nämlich in Anlehnung an Piaton, der seine Bücher über den Staat siebenmal umgearbeitet haben soll, den Wunsch, ein so schwieriges und umfangsreiches Werk wie die Logik siebenundsiebzigmal durchzuarbeiten (GW 21, 20). Tatsächlich hat Hegel in den verschiedenen Neuauflagen der Logik bzw. der enzyklopädischen Logik Veränderungen vorgenommen, die über bloße Umschreibungen hinaus seine Kategorienlehre nicht unerheblich ergänzen und umstrukturieren. Damit darf Hegel doch nicht ernsthaft behaupten, dass die dargestellten Kategorien absolut vollständig und letztgültig seien, wenn sie ja im wesentlichen noch überarbeitungsbedürftig sind. Aber das Eigentümliche der Hegelschen Kategorienkonzeption zeichnet sich, wie es sich zeigen wird, gerade dadurch aus, dass ihr Absolutheitsanspruch mit der Notwendigkeit zur ständigen Überarbeitung in Einklang stehen kann. Hegel ist davon überzeugt, dass die Grundbegriffe der Metaphysik systematisch hergeleitet und begründet werden müssen und können. Dies ist aber aus seiner Sicht Eine nicht unwichtige Gemeinsamkeit bei weder Aristoteles noch Kant Aristoteles und Kant ist die urteilslogische Orientierung der Kategorienlehre, indem sie aus den Grundstrukturen dessen, wie wir uns auf Objekte urteilend beziehen, die Kategorien zu gewinnen versuchen. Freilich wird dabei vorausgesetzt, dass die Formen der Aussage über die Wirklichkeit im Grunde mit den allgemeinen Strukturen übereinstimmen, in denen sich die Wirklichkeit konstituiert. Aber genau diese Voraussetzung zieht Hegel in Zweifel, weil er der Ansicht ist, dass das Urteil aufgrund seiner Form grundsätzlich unangemessen sei, das Wahre darzustellen. „Ohnehin ist die Form des Satzes oder bestimmter des Urtheils ungeschickt, das Concrete, und das Wahre ist concret, und Speculative auszudrücken; das Urtheil ist durch seine Form einseitig und insofern falsch." (Enz. I § 31A) Mit seiner urteilskritischen Position stellt Hegel eine für selbstverständlich gehaltene Voraussetzung der Philosophie in Frage. Denn um auf irgendwas in der Welt Bezug zu nehmen und darüber Erkenntnisse zu formulieren, kommt man nicht darum herum, sich der Form des Urteils zu bedienen. Die Form des Urteils wird daher, wenn es um Erkenntnis und Wahrheit geht, immer schon vorausgesetzt, und zwar als die Elementareinheit überhaupt, der die Eigenschaft der Wahrheit zugesprochen werden kann.17
gelungen.16
-
-
16
17
Hegel macht Kant den Vorwurf, dass „für die transcendentale Logik die Kategorien als sogenannte Stammbegriffe aus der subjectiven Logik [entlehnt werden], in welcher sie empirisch aufgenommen worden". Insofern sei die Kantische Philosophie nur „eine irrationelle Erkenntniß des Rationellen" (GW 12,43f). Aristoteles hat bereits in De interpretatione gezeigt, dass Wahrheit oder Falschheit dem Wesen nach nicht auf isolierte Worte oder Begriffe bezogen ist, sondern vielmehr auf deren Verbindung oder Trennung, die im Urteil als Behauptungssatz zum Ausdruck kommt (De int. 1, 16a 12-16).
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Hegel aus irgendeinem Grund davon überzeugt ist, dass das Urteil „wahrheitsunfähig" sei, so kann er logischerweise auch nicht, wie Aristoteles und Kant, die ontologischen Kategorien in den Urteilsformen suchen. Damit wird nicht nur die Übereinstimmung zwischen dem sich im Urteil ausdrückenden Gedanken und der in einer entsprechenden allgemeinen Struktur konstituierten Wirklichkeit, sondern grundsätzlich auch die Möglichkeit der Darstellung der wahren Wirklichkeit durch die Sprache in Frage gestellt. Aber wenn auch Hegel sich mitten in einer philosophischen Strömung befindet, die der Leistungsfähigkeit der Sprache und des diskursiven Denkens mit großer Skepsis Wenn
nun
gegenübersteht,1
so macht er doch nie einen Ansatz, auf die Urteilsform bzw. die menschlichen Sprache zu verzichten und stattdessen auf etwas zurückzugreifen, das der Beschränktheit der endlichen Sprachform enthoben wäre (Wieland 1978, 204). Schellings Lehre der intellektuellen Anschauung z.B., die unter Umgehung des diskursiven Denkens das Absolute direkt zu erfassen verspricht, ist gewiss keine Lösung für Hegel, jedenfalls nicht für den reifen Hegel.19 Schließlich ist seine Logik auch in der Sprache, und zwar in einer menschlichen Sprache, geschrieben worden. In Wahrheit will bzw. kann Hegel weder eine Kunstsprache noch ein neues, außersprachliches Organon einführen, die für die Darstellung des Spekulativen geeignet wäre, ja auch nicht mit seiner berühmten Lehre vom spekulativen Satz, die verschiedentlich missdeutet wird als ein Versuch, eine spezielle Satzform zu entwickeln, die der natürlichen, prädikativen Satzform gegenüber eine ausgezeichnete Struktur hätte und so der Anforderung der spekulativen Philosophie gewachsen wäre.20 Obwohl Hegel in der Tat verschiedene kritische Bemerkungen über die Sprache gemacht hat, ist ihm doch von vornherein klar, dass die Philosophie als eine „Anstrengung des Begriffs" (Phän., 41) nicht um die menschliche Sprache herumkommt, in der sich das Denken vollzieht und ausdrückt. Dabei spricht Hegel sogar wortwörtlich von der „göttlichen Natur" der Sprache (Phän., 70), in der das bloß Gemeinte, das Unwahre widerlegen wird. Die Sprache verfügt nämlich über die Möglichkeit, ihre eigenen Bedingtheiten reflexiv zu thematisieren und einzuholen. Gegen denjenigen, der das Absolute im Außersprachlichen erfassen zu können glaubt, wendet Hegel ein, dass das, „was das Unaussprechliche genannt wird, nichts anderes ist als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeynte." (Phän., 70; vgl. Enz. I § 20A)
19
20
So schreibt z.B. Schelling in einer frühen Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), „daß jenes Absolute in uns durch kein bloßes Wort einer menschlichen Sprache gefesselt wird, und daß nur selbsterrungenes Anschauen des Intellektualen in uns dem Stückwerk unsrer Sprache zu Hülfe kommt". (SW I, 1,216) Obwohl Hegel in der Differenzschrift noch Schellings philosophische Position favorisiert hatte, hat er sich schon in der Phänomenologie gegen Schellings Identitätsphilosophie gewandt, deren Leerheit Hegel bekanntlich kritisiert als die „Nacht", worin „alle Kühe schwarz sind" (Phän., 17). Diese Auffassung vertritt z.B. Düsing, indem er den spekulativen Satz in Anlehnung an die Aristotelische Unterscheidung von der Akzidenz- und der Wesensbestimmung als den „philosophischen Wesenssatz" charakterisiert, „in dem das Prädikat den Wesensbegriff (das Aristotelische /;' en einai) des Subjekts (der ersten ousia) enthält" (Düsing 1986, 20). Vgl. auch Düsing (1995). Eine ausführliche Kritik an Düsings Interpretation findet sich bei Lau (2004), 177-182.
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Wie Aristoteles und Kant geht Hegel auch davon aus, dass sich das Wirkliche oder das Wahre grundsätzlich in der natürlichen Sprache darstellen lässt, die ihrerseits die unhintergehbare Basis dafür ausmacht, dass überhaupt etwas zu verstehen ist. „Da der Mensch die Sprache hat", so Hegel, „ist es ein müssiger Einfall, sich nach einer unvollkommenem Darstellungsweise umsehen und damit quälen zu wollen." (GW 12, 48) Die Lehre vom spekulativen Satz ist in Wahrheit gar keine alternative Satz- oder Urteilslehre, sondern vielmehr eine Urteilskritik, eine kritische Reflexion über die Bedingungen und Beschränkungen der fundamentalen Ausdruckform, der sich die Philosophie unreflektiert bedient hat (Lau 2004). Die unreflektierte Haltung gegenüber der Urteilsform in der traditionellen Philosophie führt dazu, dass auch die metaphysischen Fragestellungen von einer unhinterfragten Voraussetzung ausgegangen sind. Daher bemängelt Hegel: „Jene Metaphysik setzte überhaupt voraus, daß die Erkenntniß des Absoluten in der Weise geschehen könne, daß ihm Prädicate beigelegt werden, und untersuchte weder die Verstandesbestimmungen ihrem eigenthümlichen Inhalte und Werthe nach, noch auch diese Form, das Absolute durch Beilegung von Prädicaten zu bestimmen." (Enz. I § 28) Mit der Kritik der elementaren Urteilsform will Hegel somit auch ihre ontologischen Implikationen einer kritischen Betrachtung unterziehen, vor allem die aus der logischen Asymmetrie von Subjekt und Prädikat hypostasierte Dichotomie von Substanz und Akzidenz, die von Aristoteles geprägt und in der traditionellen Metaphysik vorausgesetzt wurde. Dennoch befindet sich Hegel mit seinem Vorhaben in einem wesentlichen Dilemma, das, um mit Gadamer zu sprechen, auf die „Unaufhebbarkeit unserer Sprachgebundenheit" (Gadamer 1990, 425) zurückzuführen ist. Im Gegensatz zu Kant glaubt Hegel nicht, dass das Formelle und das Materielle in der Urteilsbildung abstrakt voneinander zu trennen sind. Hegel will gerade diejenigen fundamentalen Bedingungen des Denkens untersuchen, in denen nicht nur die traditionelle Philosophie, sondern auch seine Untersuchung selbst unvermeidlich befangen ist. Es gibt keinen Standpunkt, von dem aus die Untersuchung „objektiv" durchzuführen wäre; denn „wir sind mittendrin" (Gamm 1997, 96). Dieser Umstand macht die schwierige Aufgabenstellung aus, die Hegel mit seiner Lehre vom spekulativen Satz zu bewältigen versucht. Um über das zu reflektieren, unter dessen Bedingungen die Reflexion selbst operiert, bleibt Hegel keine andere Wahl übrig, als auf eine destruktive Strategie zurückzugreifen. Hegels Strategie ist es, Sätze absichtlich so normwidrig zu verwenden, dass die Vorstellung der gewohnten, syntaktisch geregelten Urteilsbildung „gehemmt" (Phän., 43) und dadurch das latente Selbstverständnis der Urteilsform sichtbar wird. Die Destruktionsstrategie des spekulativen Satzes bezeichnet Kulenkampff zu Recht als ein systematisches Falschmachen" (Kulenkampff 1970, 44).21 In diesem Sinne schreibt Hegel, „daß die Natur des Unheils oder Satzes überhaupt, die den Unterschied des Subjects und Prädicats in sich schließt, durch den speculativen Satz zerstört wird" (Phän., 43).
In ähnlicher Weise schreibt Heede: „der spekulative Gebrauch des Urteils läßt dieses nicht so, wie seinem Wesen nach ist, sondern verstößt methodisch bewußt gegen die immanenten Gesetzlichkeiten des Urteils, so daß diese in der Zerstörung ihres endlichen Sinnes die spekulativen Strukturen hervortreten lassen." (Heede 1967, 206) Vgl. auch W. Marx (1967), 25. es
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Die durch den spekulativen Satz ausgelöste Zerstörung bezieht sich auf die gewöhnliche Vorstellung vom Satzverhältnis, die von einem fertig gegebenen Subjekt ausgeht, an das verschiedene Prädikate dann „angeheftet" werden können. Zu diesem Verhältnis enthalt der spekulativ gebrauchte Satz einen „Gegenstoß" (Phän., 43), der das Denken von seinem unreflektierten Verständnis aufhält und ihm auf die Bedingungen und Beschränkungen seiner Denkformen aufmerksam macht. Zugleich gibt der Gegenstoß dem Denken aber auch einen „Anstoß", in den Inhalt der Sache selbst „vertieft zu seyn" (Phän., 44). In diesem Zusammenhang zeigt sich, worin sich der spekulative Satz eigentlich von dem gewöhnlichen unterscheidet: Beim gewöhnlichen geht es darum, eine Aussage zu machen, die sich als eine für sich wahrheitsfähige Einheit darstellt; beim spekulativen aber primär um eine Bewegung, die diese vermeintlich wahrhafte Einheit zerstört und dadurch den Erkenntnisprozess vorantreibt, in dessen Zusammenhang jene Einheit ihre wahre Bedeutung Das Wesentliche ist somit nicht das einzelne Urteil, sondern der Übergang von dem einen zu dem anderen. Solange ein Urteil bei einer verfestigten Subjekt-Prädikat-Beziehung stehen bleibt, ist es Hegel zufolge „durch seine Form einseitig und in sofern falsch". (Enz. I § 31A) An der Stelle einer „äußerlichen" Betrachtung von der logischen Form des Urteils setzt Hegel mit dem spekulativen Satz den wirklichen, konkreten Sprachgebrauch, in dem sich nicht die Möglichkeit der Urteilsbildung rein von der logischen Syntax oder von einem fixierten semantischen System her versteht, sondern umgekehrt sich die Urteilsbildung im Hinblick auf einen unbegrenzten Erkenntnisprozess über ihre eigenen Voraussetzungen und Konsequenzen aufklärt. Aus dieser Konzeption ergibt sich natürlich auch eine andere Art von Kategorienlehre: „Die Kategorie im spekulativen Satz'", so Simon, „ist nicht Form der Verknüpfung gewohnter Vorstellungen, sondern der Reflexion auf die Form solcher Verknüpfungen, insofern diese Form zugleich die Vorstellungen auseinanderhalten und damit im gewohnten Sinn bewahren soll, d.h. ,rein' formal verstanden wird. Die Kategorie im spekulativen Satz' ist das Kategoriale reflektierende Kategorie." (Simon 1970, 27) Der spekulative Satz in der Vorrede zur Phänomenologie fasst nun im Vorfeld zusammen, was in der Logik vor sich geht (Bubner 1980, 98). Die Kategorien, die in Hegels Logik dargestellt werden, werden zwar nicht direkt von den Urteilsformen hergeleitet, aber interessanterweise dient das Urteil wenngleich in ganz anderer Weise als es bei Aristoteles und Kant der Fall ist für Hegel doch als Leitfaden zur Entwicklung und Darstellung der Kategorien. Denn Hegels kritische Reflexion über die Urteilsform und deren ontologische Implikation vollzieht sich eben im konkreten, ja spekulativen Gebrauch des Urteils, der die Bewegung des Begriffs in der Logik notwendig macht. Die Bewegung verdankt sich gerade dem Umstand, dass es eine fortwährende Differenz gibt zwischen dem Wahren als dem intentionalen Korrelat der Darstellung und dem im Urteil tatsächlich Dargestellten, eine wesentliche Diskrepanz, die Hegel als Widerspruch auffasst.
zurückgewinnt.22
-
-
Damit wendet sich Hegel gegen die gewöhnliche Auffassung, dass der Satz oder das Urteil die elementare logische Einheit ausmache, und setzt sich stattdessen für eine holistische Position ein, der zufolge erst das System des Begriffs als Ganzes als die elementare „wahrheitsfáhige" Einheit angesehen wird. Denn „das Wahre ist das Ganze" (Phän., 19).
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In Wahrheit erweist sich das Urteil, oder genauer gesagt, die Unzulänglichkeit der Urteilsform, als das Movens der dialektischen Bewegung überhaupt. Denn die „dialektische Bewegung des Satzes selbst" ist eben das, was für Hegel „das wirkliche Speculative" (Phän., 45) ist. Wenn die Aristotelisch-Kantische Tradition von einer Übereinstim-
Entsprechung zwischen Kategorien und Urteilsformen ausgeht, so sieht wesentlich einen Widerspruch, der das Dynamische und das Offene in darin Hegel auszeichnet. Kategorien sind für Hegel nicht Formen, die fertig Konzeption Hegels vorlägen und nur darauf warteten, anhand eines Leitfadens entdeckt zu werden, sondern entwickeln sich erst von der einen zu der anderen in kritischer Auseinandersetzung mit ihren unreflektiert vorausgesetzten Bestimmungen. Daher ist die Aufgabe der Logik nicht sosehr die Kategorien aufzufinden, als vielmehr der immanenten dialektischen Entwicklung der Kategorien zuzusehen. In Hegels System gibt es kein übergeordnetes Prinzip, aus dem die Kategorien abzuleiten wären. Ein solches Prinzip wird aber gar nicht benötigt, weil die Entwicklung der Kategorien nichts anderes ist als die Selbstentfaltung des Systems, das sich in seiner jeweiligen Konkretisierung als eine bestimmte Kategorie darstellt. Das System als Ganzes ist der Begriff, der nicht nur die absolute Grundlage alles Denkens, sondern auch der Wirklichkeit als solcher ausmacht, wobei zwischen einem einzelnen bestimmten Begriff und dem Begriff als Ganzem zu unterscheiden ist.23 Für Hegel ist der Begriff die wahre Substanz, die aber wesentlich Subjekt ist. Denn „die Vollendung der Substanz", wie es im Anfang der Begriffslogik heißt, „ist nicht mehr die Substanz selbst, sondern ist ein höheres, der Begriff das Subject." (GW 12, 14) Anders ausgedrückt: für Hegel ist der Begriff keineswegs eine subjektive Vorstellung oder ein rein logisches Gebilde, sondern der objektive, dialektische Gesamtzusammenhang, in dem Substantialität und Subjektivität zu vereinigen sind. Als solcher ist der Begriff wesentlich ein Singulares, ein holistisches System, das sich in einem unendlichen, randlosen Reflexionsprozeß realisiert. Mit diesem Begriff des Begriffs ist weder eine einzelne Kategorie noch ein einzelnes Urteil als eine „wahrheitsfähige" Einheit anzusehen, sondern erst das Begriffssystem als Ganzes macht die elementare und zugleich die einzige Einheit der Wahrheit aus. Dennoch ist in jede vermeintlich isolierbare Kategorie der gesamte Begriff immer schon eingeflossen, in bezug auf den sich die Bedeutung einer einzelnen Kategorie bestimmen lässt. Andererseits ist dadurch jede einzelne Kategorie als ein Moment des gesamten Begriffs selber wesentlich eine Totalität, weil in ihr der Begriff als Ganzes bereits in gewisser Weise reflektiert ist. Jede Kategorie ist als eine bestimmte Selbstbestimmung des holistischen Begriffs zu verstehen, die man sogar in Anlehnung an Leibniz als eine mung oder
so schreibt Hegel in der Vorrede zur zweiten Auflage der Logik, ist „erstens der Begriff ihm selbst, und dieser ist nur Einer, und ist die substantielle Grundlage; vors andere aber ist er wohl ein bestimmter Begriff, welche Bestimmtheit an ihm das ist, was als Inhalt erscheint, die Bestimmtheit des Begriffs aber ist eine Formbestimmung dieser substantiellen Einheit, ein Moment der Form als Totalität, des Begriffes selbst, der die Grundlage der bestimmten Begriffe ist." (GW 21, 17) Vgl. Fulda (1978), 129ff
„Begriff, an
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„Monade" bezeichnen kann, in der das unendliche Universum des Denkens
jeweils bestimmten Blickwinkel zum Vorschein kommt.24
aus
dem
Die entscheidende Rolle des Urteils besteht nun darin, dass es eben das ist, in dem sich die Selbstbestimmung des Begriffs vollzieht. „Das Urtheil ist die am Begriffe selbst gesetzte Bestimmtheit desselben" bzw. „das Bestimmen des Begriffes durch sich selbst" (GW 12, 53). Auch in der etymologischen Bedeutung des Wortes „Urteil" sieht Hegel im Anschluss an Hölderlin einen Hinweis darauf, dass sich der Begriff durch die „ursprüngliche Teilung" im Urteil von sich selbst unterscheidet und zu einem gegen sich Bestimmten macht. Jedes Urteil drückt einen bestimmten, aber dadurch auch nur einseitigen Aspekt des Begriffs aus, wodurch der Begriff zu einem bestimmten Begriff wird. Indem ein bestimmter Begriff als eine Kategorie in der Logik auftritt, ist er durch seine Unterschiede zu anderen Kategorien zu bestimmen. Da es in der Logik durchweg nur um ein und denselben Begriff geht, sind die Unterschiede wesentlich als Momente des Begriffs selbst mit seiner Identität in eins zu denken. Eben daraus, dass Differenz und Identität in einem zusammengedacht werden, entstehen Widersprüche, die in der Bewegung des Begriffs überwunden werden sollen. Freilich ist der Widerspruch, an den Hegel in der Logik denkt, primär nicht, wie in der formalen Logik, ein Verhältnis zwischen Urteilen oder Aussagen, sondern vielmehr ein Verhältnis des Begriffs zu sich selbst, also ein Selbstverhältnis des Begriffs, das sich im Urteil äußert.26 Nur in der vollkommenen Wahrheit entfallt der Widerspruch, der sonst auf jeder Entwicklungsstufe des Begriffs immer wieder auftaucht. Denn das Selbstverhältnis des Begriffs ist solange durch Widersprüche gekennzeichnet, bis er mit sich selbst vollkommen übereinstimmt und seine Wahrheit realisiert. Das, was Hegel als Widerspruch bezeichnet, erweist sich dabei als die Differenz zwischen dem Begriff, der So wie jede Monade für sich „ein lebender, immerwährender Spiegel des Universums (un miroir vivant perpétuel de l'univers)" (Leibniz 1966, § 56, 448) ist, ist jeder bestimmte Begriff an sich auch eine gleichursprüngliche Einheit, in der sich der ganze Begriff mit allen seinen Bestimmtheiten in gewisser Weise widerspiegelt. Dennoch unterscheidet sich der bestimmte Begriff in der spekulativen Logik von der Monade wesentlich dadurch, dass er nicht „fernsterlos" (Leibniz 1966, § 7, 435f.) ist. Die innere Systematik des Begriffs wird bei Hegel nicht durch eine äußerliche bzw. himmlische „prästabilierte Harmonie" (Leibniz 1966, §§ 51, 52, 60) gewährgeleistet, sondern vielmehr durch die immanente Dialektik, die jeder bestimmte Begriff als Moment des systematischen Ganzen in sich hat. Für Hölderlin ist das Urteil, wie er es im Fragment über Urtheil und Seyn darstellt, „im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche Trennung des in der intellectualen Anschauung innigst vereinigten Objects und Subjects" (Hölderlin 1961, 216f). Diese Hölderlinsche Konzeption hat Hegel offenkundig im Blick, wenn er schreibt: „Die etymologische Bedeutung des Unheils in unsrer Sprache ist tiefer und drückt die Einheit des Begriffs als das Erste, und dessen Unterscheidung als die ursprüngliche Theilung aus, was das Urtheil in Wahrheit ist." (Enz. I § 166 A) „Es ist", worauf Wolff zu Recht hinweist, „ein bemerkenswertes, aber kaum beachtetes Faktum, daß in den verschiedenen Epochen der Geschichte der Logik sehr unterschiedliche logische Verwendungsweisen (und wenn man so will: Bedeutungen) von ,Widerspruch' vorkommen." (Wolff 1986, 111) Fulda ist auch der Meinung, „daß das Paradigma für Hegels Auffassung vom Widerspruch nicht die formallogische Unvereinbarkeit von Sätzen ist, sondern die Unhaltbarkeit einer mit ihren eigenen Normen in Konflikt stehenden Einrichtung." (Fulda 1978, 64)
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Weg zur Wahrheit ist, und demselben Begriff in seiner Wahrheit. Anders ausgedrückt: Widerspruch ist vorhanden, wenn es eine Diskrepanz gibt zwischen
noch auf dem
Ein
tatsächlich ist, und dem, was es der Wahrheit nach sein soll. Diesen internen Konflikt kann man in verschiedener Hinsicht näher charakterisieren. Wieland
dem,
was
etwas
z.B. bezeichnet den Hegeischen Widerspruch als eine Diskrepanz „zwischen dem, was der Satz behauptet, und dem, was dieser Satz selbst ist bzw. was er tut, indem er etwas behauptet" (Wieland 1978, 196), oder als einen „Gegensatz von semantischer Betrachtung einerseits und pragmatischer Betrachtung andererseits" (Wieland 1978, 199). In ähnlichem Sinne spricht Bubner von „Diskrepanz zwischen Anspruch und Leistung"
(Bubner 1980, 29).
7
Sofern sich der Begriff nicht als ein Bestimmtes setzt, ist der Widerspruch nur implizit vorhanden. Da sich das Sichbestimmen des Begriffs im Urteil vollzieht, ist der Widerspruch ebenfalls erst im Urteil zu artikulieren. Wenn der Widerspruch des Begriffs im Unterschied des bestimmten Begriffs zu dessen wahrhafter Norm besteht, so lässt sich der Widerspruch erst durch Vergleichung der beiden Seiten konkretisieren. Das Vergleichen geschieht aber eben im Urteil, indem es die Verschiedenen als identisch aussagt. „Das eigentliche Urteilen über einen Gegenstand", so schreibt Hegel in § 168 der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808ff), „ist das Vergleichen seiner Natur oder wahren Allgemeinheit mit seiner Einzelheit oder mit der Beschaffenheit seines Denkens, das Vergleichen dessen, was er ist, mit dem, was er sein soll." (TW 4, 54f.) Aufgrund der Struktur des Urteils können das Sein und das Sollen nicht vollkommen miteinander übereinstimmen, weil jedes einzelne Urteil nur je eine bestimmte Seite des Begriffs zum Ausdruck zu bringen vermag. Im Urteil muss der Begriff sozusagen einseitig werden, insofern er sich darin nicht vollständig ausgedrückt findet (Hösle 1998, 173). Aus dieser strukturellen Besonderheit ist das Urteil für Hegel schon von seiner Form her zum Widerspruch verurteilt. ,JDas Subject ist das Prädicat, ist zunächst das, was das Urtheil aussagt; aber da das Prädicat nicht das seyn soll, was das Subject ist, so ist ein Widerspruch vorhanden, der sich auflösen, in ein Resultat übergehen muß." (GW 12, 59) Jedes einzelne Urteil in der Logik ist daher ein sich selbst auflösender Widerspruch. Jede einzelne Bestimmung des Begriffs im Urteil ist gleichsam ein Ausdruck seiner Differenz zur Wahrheit, so dass sich die Bestimmung auflösen, zugrunde gehen bzw. in eine andere übergehen muss, die freilich selbst wiederum mit einem neuen Widerspruch behaftet ist. Denn ein Urteil, das einen Widerspruch in sich trägt, ist unwahr und zwingt zu einem Fortgehen zum nächsten, das zwar diesen Widersprüchen enthoben ist, sich aber gleichwohl in einen anderen, komplexeren Widerspruch verwickelt. In diesem Prozess der Aufdeckung und Auflösung der Widersprüche vollzieht sich die Entwicklung der Kategorien, in der sich die zunächst vagen Bestimmungen jeder einzelnen Kategorie sowie deren Zusammenhänge miteinander durchsichtig machen. Jeder Übergang von der einen zu der andern Kategorie trägt dazu bei, den Begriff zu realisieren. Die Bewegung wird dem Begriff jedoch nicht von außen aufgedrängt, es handelt sich Auch Hösle meint, „daß der Widerspruch in den isolierten Kategorien nicht unmittelbar in dem besteht, was sie bedeuten, sondern vielmehr zwischen dem besteht, was sie bedeuten, und dem, was sie sind." (Hösle 1998, 174)
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vielmehr um die innere Dialektik des Begriffs selbst, die allerdings für das gewöhnliche Denken aufgrund seines unreflektierten Verhaltens unzugänglich ist. Was Hegel in seiner Lehre vom spekulativen Satz programmatisch vorgestellt und dann in der Logik ausgeführt hat, ist eine kritische Umgangsweise mit dem gewöhnlichen Denk- und Sprachverhalten, um die immanente Dialektik des Begriffs in Gang kommen zu lassen.
IV Jede Kategorienlehre wird unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob oder inwiefern sie tatsächlich die „wahren" Formen darstellt, in denen die Wirklichkeit als solche konstituiert ist. Während sich Aristoteles mit einem bescheidenen Anspruch begnügt, glaubt Kant daran, alle Grundbegriffe des Verstandes durch Analyse der Urteilsformen entdeckt zu haben. Allerdings wird nicht nur an seine Kategorientafel zu recht gezweifelt, sondern schon die dahintersteckende Konzeption ist fraglich. Strawson z.B. hat Kants Kategorienlehre vorgeworfen, dass aus der Sicht der modernen Logik nicht nur die Tafel der Kategorien fehlerhaft, sondern schon die Idee der Auflistung aller Kategorien als solche unhaltbar sei. Die Frage danach, welche die Formen sind, aus denen sich ein System der Logik konstruieren lässt, ist nach Strawson letztendlich eine Frage der Wahl, weil man nicht nur die Grundbegriffe eines logischen Systems, sondern sogar das Mit dem ganze System durch ein anderes ersetzen kann (Strawson 1966, methodischen Vorgehen der Abstraktion von vorhandenem Sprachverhalten bietet sich zwar ein nützlicher Leitfaden an, dieser kann aber prinzipiell nicht gewährleisten, dass die faktisch geltenden Formen der Urteilsbildung nicht von Faktoren abhängen, die selber nur von kontingenter Natur sind. Auf Hegels Konzeption würde aber ein solcher Vorwurf gar nicht zutreffen, weil sie sich nicht auf eine Wahl von Kategorien festlegt, sondern gerade jede denkbare Kategorie zur Selbstthematisierung zwingt, aus der sich neue Kategorien herauskristallisieren können. Anders ausgedrückt: Bei Hegels Problemstellung kommt es nicht sosehr darauf an, welche die Kategorien sind, die die fundamentale Denk- und Seinsweise ausmachen sollen, als vielmehr darauf, wie sich die Kategorien auseinander entwickeln oder ineinander übergehen. Es geht ja in erster Linie um die Bewegung, in der sich jede einzelne Kategorie mit anderen zu einem dialektischen System zusammenschließt und der Begriff sich dadurch durchsichtig macht. Der entscheidende Unterschied zwischen der Aristotelisch-Kantischen und der Hegelschen Kategorienkonzeption besteht also nicht primär darin, ob zehn, zwölf oder fünfzig Kategorien aufgeführt werden, sondern wie sich die Kategorien zueinander verhalten. Anders formuliert: Nicht die Kategorien, sondern, wenn man so will, die Übergänge machen das Spekulative der Hegelschen
74-82).28
Logik aus.
Zudem hängt die Auswahl der Grundbegriffe in einer Kategorienlehre nicht nur vom geschichtlichen Stand der Logik ab, sondern auch von der Struktur der jeweiligen Sprache oder gar vom besonderen Anliegen der jeweiligen Kultur. Vgl. eine vergleichende Untersuchung zu den „Kategorienlehren" in verschiedenen Traditionen von Kwan (1995).
Urteilsformen und Kategorienlehre
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Wenn auch die traditionelle Kategorienlehre, wie sie besonders von Aristoteles und Kant geleistet wurde, schon vom Ansatz her unzulänglich ist,29 so ist sie doch für Hegels eigenen Entwurf unentbehrlich. Denn Hegels Kategorien sind nicht Ergebnisse abstrakter Analyse von den logischen Formen des Urteils oder syntaktischen Regeln der Aussage, sondern entwickeln sich eben in kritischer Auseinandersetzung mit den inhärenten, aber noch nicht durchsichtigen Bestimmungen der Kategorien, die sich in der Geschichte der Philosophie herausgebildet haben. Hegels Kategorien, so schreibt Simon zu Recht, „sind nicht, wie die Kantischen Kategorien, Kategorien der Formung einzelner Urteile, mit dem Anspruch auf unmittelbare objektive Relevanz, sondern Kategorien, die zugleich ihre Vorläufigkeit reflektieren und den mit ihnen gebildeten Satz als aufgehobenes Element auf dem Weg der Erarbeitung von Bedeutungen der Möglichkeit objektiver Relevanz ausweisen. Sie sind insgesamt so zugleich Formen der Reflexion ihres eigenen Gewordenseins und ihrer traditionellen Bedingtheit oder der Unwahrheit des sich durch sie aufspreizenden Urteils" (Simon 1970, 32). In Hegels Konzeption ist die Wirklichkeit selber eine Kategorie, die es auch zu thematisieren gilt. Natürlich hat Hegels Kategorienlehre den Anspruch nicht aufgegeben, durch die Kategorien die Wirklichkeit zu erfassen, sondern mit seinem konsequent kritischen Ansatz versucht Hegel gerade die mit den Kategorien zu konstituierende Wirklichkeit als die „wirkliche Wirklichkeit" zu sichern. In dieser Konzeption gibt es keine Kategorie, die für sich die absolute Wahrheit beanspruchen könnte. Absolut wahr ist nur das System der Kategorien, d.h. der Begriff als Ganzes, der sich aber gerade als ein unendlicher selbstreflektierender Reflexionsprozess auszeichnet. Das ist eben die Denkweise, die Hegel in Polemik gegen seine philosophischen Opponenten als Spekulation bezeichnet (Lau 2002). In dieser Beziehung erweist sich Hegels spekulative Kategoriekonzeption als ein wahrlich offenes System. Die Aktualität dieser Konzeption dürfte schließlich darin liegen, dass sie ihre eigenen Voraussetzungen reflexiv einzuholen vermag und sich als die Logik einer sich entwickelnden und selbsttranszendierenden Wissenschaft bewährt.
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Eine umfassende Studie
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zur
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Chong-Fuk Lau
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Urteilsformen und Kategorienlehre
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Alexander Oberauer
Zur Bestimmung des Verhältnisses in Hegels Wissenschaft der Logik
von
Urteil und Schluss
Der Schluß hat sich als die Wiederherstellung des Begriffes im Urteil und somit als die Einheit beider ergeben. Der Begriff als solcher hält seine Momente in der Einheit aufgehoben; im Urteil ist diese Einheit ein Innerliches oder, was dasselbe ist, ein Äußerliches, und die Momente sind zwar bezogen, aber sie sind als selbständige Extreme gesetzt. Im Schlüsse sind die Begriffsbestimmungen wie die Extreme des Urteils, zugleich ist die bestimmte Einheit derselben
gesetzt. (GW 12,90)
Sieht man von der eigenwilligen Ausdrucksweise ab, scheint Hegel einfach festzuhalten, dass in Urteilen zwei als selbständig unterstellte Begriffe aufeinander bezogen werden, aber nicht angegeben wird, wodurch sie aufeinander bezogen sind, während Schlüsse letzteres leisten. So offensichtlich nun die Differenz ist, so problematisch erscheint die Hegels Urteilslehre zu entnehmende Begründung dafür, dass diese Differenz dem Urteil zum Mangel gereicht: Weil nur Werturteile den Begriff des Urteils erfüllen, diese aber verdeckte Schlüsse sind, sei der Schluss die Wahrheit des Urteils. Damit droht Hegel die Angelegenheit aber auf den Kopf zu stellen: Scheint es sich doch vielmehr so zu verhalten, dass gerade ob der Werturteilen eigentümlichen Schlussstruktur zwischen theoretischen und praktischen Urteilen unterschieden werden muss. Entsprechend ist zur Beantwortung der Frage, ob Hegels Bestimmung des Verhältnisses zwischen Urteil und Schluss vernünftig ist, zunächst zu klären, ob und wenn ja in welchem Sinn eigentlich davon die Rede sein kann, dass Urteile wesentlich Beurteilungen sind. Dabei soll von der genuin Hegelschen These, das Urteil sei die Realisierung des Begriffs und stehe somit unter der Anforderung, dessen Einheit darzustellen, abstrahiert und statt dessen gefragt werden, welcher Sinn und Zweck dem Urteilsakt aus einer gewöhnlichen', d.i. dezidiert nicht hegelschen Perspektive zuzuschreiben ist. Ausgehend von dem hier auszuweisenden Telos des Urteils einem als an sich bestimmt unterstellten Gegenstand, die ihm eigentümliche Bestimmung zuzusprechen soll dann gezeigt werden, inwiefern hierin die Notwendigkeit der Entwicklung des Urteils begründet liegt und weshalb gerade Werturteile den, wenn auch nur vorläufigen, Endpunkt dieser Entwicklung darstellen. -
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Das Verhältnis von Urteil und Schluss in Hegels Wissenschaft der Logik
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I Die Geschichte der Philosophie bietet auf die Frage, was ein Urteil ist, zwei auf den ersten Blick recht unterschiedliche Antworten: Die Tradition, in der noch Hegel die Frage stellen konnte, ob das Verhältnis von Subjekt und Prädikat in jedem Urteil stets dasselbe ist, bricht zwar mit Russells Warnung nicht unvermittelt ab, wer sich an der prädikativen Gliederung des Urteils orientiere, habe schon eine (wie Russell meint: unhaltbare) Substanzontologie eingekauft.' Wohl aber sieht sich die Rede von der prädikativen Gliederung des Urteils doch genötigt, ihre Position in der Auseinandersetzung mit der ontologisch unverdächtigeren zu behaupten, dass sich Quine formuliert diesen Punkt eindringlich als ersten Grundsatz der Logik Sätze von anderen sprachlichen Ausdrücken darin unterscheiden, dass sie wahr oder falsch sein können. Allzu entschieden scheint die Opposition zwischen wahr/falsch-Dichotomie und prädikativer Gliederung dann allerdings auch wieder nicht zu sein: Auf der einen Seite steht am Beginn der älteren Tradition in Piatons Sophistes die These, dass Aussagen {logoi) überhaupt nur aufgrund ihrer prädikativen Gliederung wahr oder falsch sein können; auf der anderen Seite scheint auch in der modernen formalen Logik nicht unbedingt geleugnet, dass es Sätzen wesentlich ist, (prädikativ) gegliedert zu sein. Ob solch vermeintlicher Einmütigkeit wirken Hegels Ausführungen in der Lehre vom Begriff mehr als befremdlich: Zum einen soll zwar gelten, dass das prädikativ gegliederte Urteil der Ort der Wahrheit ist das Urteil ist die „nächste Realisierung des Begriffs" (GW 12, 53), den Hegel im ersten Kapitel der Lehre vom Begriff mit der Wahrheit gleichsetzt -, zum anderen aber auch, dass es Urteile gibt, die einzig aufgrund ihrer Form nicht wahr sind. Es scheint also Fälle von Wahrheit geben zu müssen, die nicht wahr sind. Anders gefasst: Hegel scheint die These vertreten zu müssen, dass eine Sache nicht nur unter einen Begriff gebracht werden kann, dem sie nicht entspricht, sondern dass dies der Sache ob ihrer Beschaffenheit auch angemessen sein kann. Es genügt also nicht der Hinweis darauf, dass wir von einem Haus sagen können, dass es ein Krokodil ist; Hegel scheint zeigen können zu müssen, dass es in irgendeinem Sinne notwendig ist, eine Sache, die dem Begriff ,Krokodil' nicht entspricht, als Krokodil zu bestimmen. Ob der Befremdlichkeit dieser Hegeischen Lehre scheint es angebracht, zunächst einige Worte zu ihr zu verlieren. Man könnte im Sinn dieser These argumentieren, dass dann, wenn einerseits Wahrheit als die Übereinstimmung von Begriff und Beschaffenheit einer Sache aufzufassen ist, als wahr aber andererseits primär ein Urteil und nicht die Beziehung zwischen Urteil und Realität bestimmt wird, tatsächlich die Übereinstimmung der beiden begrifflichen Bestimmungen Subjekt und Prädikat gemeint sein muss. Dann aber müssten wir etwas, wenn wir es als Krokodil bestimmen, zuvor schon in anderer Weise bestimmt haben, d.i. von ihm bereits behauptet haben, dass es unter einen anderen Begrifffällt und infolge dessen dem Begriff ,Krokodil' auch nicht entspricht. Die allzu dialektisch anmutende These, eine Sache könne unter einen Begriff -
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(1986), 184. Vgl. Quine (1974), 25. Platon, Sophistes 262b/c. Russell
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fallen, ohne ihm zu entsprechen, wäre hierin durch die noch wagemutigere ersetzt, dass eine Sache, um als ihrem Begriff entsprechend bestimmt werden zu können, als diesem
nicht entsprechend bestimmt werden muss. Eine derartige Dialektik scheint freilich selbst Hegel zuviel gewesen zu sein, weist er doch in den einleitenden Bemerkungen des Unterkapitels „Das Urteil des Daseins" darauf hin, wie sich diese Konsequenz umgehen lässt: Im subjektiven Urteil will man einen und denselben Gegenstand doppelt sehen, das eine Mal in seiner einzelnen Wirklichkeit, das andere Mal in seiner wesentlichen Identität oder in seinem Begriff: das Einzelne in seine Allgemeinheit erhoben oder, was dasselbe ist, das Allgemeine in seine Wirklichkeit vereinzelt. (GW 12, 59f).
Die angeführten Schwierigkeiten lösen sich demnach auf, wenn wir statt von begrifflichen Bestimmungen von bloßen Bestimmungen einer Sache reden und den Ausdruck ,Begriff (der Sache)' für die Angabe dessen reservieren, was die Sache, abgesehen davon ist, dass sie aktual zufällig so und so ist. Die These, es gäbe Urteile, die schon aufgrund ihrer Form nicht wahr sind, ließe sich dann so verstehen, dass Urteile, die nur von einer zufälligen Beschaffenheit der Sache handeln, wenigstens dann falsch sind, wenn sie diese nicht zugleich als bloß zufällig aussprechen. Darin wäre auch schon der Haken an Hegels Lösungsvorschlag genannt: Scheinbar können wir diesen nur akzeptieren, wenn wir bereit sind, die Unterscheidung zwischen zufälligen und wesentlichen Eigenschaften einer Sache als rational zu verbuchen. Ich lasse deshalb die Angelegenheit zunächst auf sich beruhen, um das Problem von der anderen Seite aus anzugehen. Gezeigt werden soll, dass die wahr/falsch-Dichotomie nur unter der oben als problematisch unterstellten Bedingung als ein allen Urteilen gemeinsames Kennzeichen betrachtet werden kann: Es muss entweder mit Urteilen gerechnet werden, die dem Begriff des Urteils nicht entsprechen oder aber mit Fällen von Wahrheit, die dem Begriff der Wahrheit nicht entsprechen. Der unterstellte Begriff des Begriffs lautet daher: Etwas ist genau dann Fall eines Begriffs, wenn es diesem entspricht oder nicht entspricht.
II Was ist damit gemeint, dass Sätze sich von anderen sprachlichen Formen darin unterscheiden, dass sie wahr oder falsch sein können? Offensichtlich handelt diese Bestimmung zunächst einfach von dem Verhältnis zwischen einer Gattung und ihren Arten und nimmt so ebenfalls die oben als problematisch unterstellte Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften in Anspruch. Quines berühmtes Diktum, die Frage, was eine wesentliche Eigenschaft der Sache ist, sei ausschließlich von der Art unserer Betrachtung der Sache abhängig, scheint freilich einen Ausweg aus dem Dilemma anzuzeigen: Von Urteilen zu behaupten, dass sie wahr oder falsch sein können, meint, einzig von dem zu reden, was an Urteilen in logischer Perspektive interessant ist. Diese logische Perspektive kümmert sich aber einzig um das, was von der Sache im allgemeinen, d.i. unter Abstraktion ihrer besonderen (d.i. hier einfach der aus
anderer Perspektive zu berücksichtigenden) Eigenschaften.
Das Verhältnis von Urteil und Schluss in Hegels Wissenschaft der Logik
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Natürlich weckt diese Formulierung sogleich den Verdacht, dass die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften hierin überhaupt nicht deobjektiviert ist, gehört es nun doch offenbar zum Wesen der Sache, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden zu können. Aber das mag schlicht auch meiner Formulierung des Sachverhaltes geschuldet sein, so dass ich mich zunächst an die Frage halten will, was es denn nun heißen soll, dass Urteile in logischer Perspektive als der Möglichkeit nach wahr oder falsch zu betrachten sind. Insofern nun aber die logische Perspektive gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass sie Aussagen betrachtet, insofern sie wahr oder falsch sein können, scheint die Antwort auf die Frage, was diese Perspektive ist, vorauszusetzen, dass wir bereits wissen, was es für eine Aussage heißt, wahr oder falsch sein zu können. In Freges einprägsamen Worten: „Wie das Wort ,schön' der Ästhetik und ,gut' der Ethik, so weist ,wahr' der Logik die Ich muss gestehen, dass sich in mir, vor dieser Situation stehend, nicht so sehr der Wunsch regt, sogleich „das Gebiet enger abzugrenzen, auf dem die Wahrheit ausgesagt werden, wo überhaupt Wahrheit in Frage kommen könnte"5, sondern eher der, ausgehend von einem Vorverständnis dessen, was Wahrheit ist, zu klären, was eine der Wahrheit angemessene Darstellungsform wäre. Dies schon deshalb, weil ich nicht so recht sehe, wie ich eine nicht beliebige Eingrenzung vornehmen sollte, wenn nicht der Begriff der Sache diese Eingrenzung leitet. Freilich ist mir auch die Gefahr bekannt, die sich unmittelbar aus meinem Wunsch ergibt: Scheint doch Wahrheit, gefasst als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand, ihre Darstellung in der Darstellung der Einheit Unterschiedener als Einheit finden zu müssen, worin sich das Urteil als eine der Wahrheit nicht besonders angemessene Darstellungsform zu erweisen droht. Es sei daher zur Aufklärung dessen, was mit der These gemeint ist, Sätze unterschieden sich von anderen sprachlichen Formen genau darin, dass sie wahr oder falsch sein können, Freges Vorschlag zunächst einmal klaglos akzeptiert und davon ausgegangen, dass der Satz die natürliche Heimstatt des Wahren ist. Es bleibt die Frage, was damit gesagt ist. Frege skizziert in seiner Begriffsschrift eine Sprache, die ihren Ursprung in der Vermutung hat, dass zwar in der mathematischen Formelsprache Subjekt und Prädikat nicht eindeutig auseinander gehalten werden können, man aber jenen Komplex, der für gewöhnlich als prädikativ gegliedert betrachtet wird, einfach als das Subjekt eines Urteils und den Ausdruck „ist eine Tatsache" als das gemeinsame Prädikat aller Urteile betrachten könne (§ 3). Nun will Frege hierin natürlich nicht einfach den Wahrheitsträgern, den Subjekten, die Binnengliederung streitig machen, hält es aber offensichtlich für angemessener, diese nicht als prädikativ gegliedert aufzufassen, sondern das Subjekt als die Anwendung einer Funktion auf ein Argument zu bestimmen (§ 9). Dass diese Interpretation der Binnengliederung der Wahrheitsträger problematisch ist, ist offensichtlich: Die Bewertung der Anwendung einer Funktion auf ein Argument erfolgt in Beziehung auf eine vorausgesetzte Regel. Die Frage, ob die Regel richtig ist, stellt sich für gewöhnlich nicht. Dies sollte nicht so verstanden werden, dass die Regel nicht falsch sein kann, weil mit der Regel andernfalls ein Satz gefunden wäre, der dem Begriff des Satzes, wahr oder falsch sein zu können, nicht entspricht. Ebenso würde der
Richtung."4
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Frege (1993), 30. Ebd., 31.
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Versuch, die Möglichkeit, dass die vorausgesetzte Regel falsch sein kann, in der Frage nach deren Passungsverhältnis zu einer ihr vorausgesetzten Regel zu verankern, das Problem nicht lösen, weil sich nun bei der vorausgesetzten Regel wieder die Frage stellte, ob diese richtig/wahr oder falsch ist. Lassen wir dagegen einfach zu, dass Regeln in einem anderen Sinn wahr sind, bleiben wir die Antwort auf die Frage schuldig, was die beiden Sinne von ,wahr' miteinander zu tun haben. Der Punkt ist nicht nur ebenso alt wie trivial. Es ist auch offensichtlich, dass dann, wenn wir eine der beiden Verwendungsweisen des Wahrheitsprädikates als die eigentliche betrachten, in der anderen
einen Abweichung vom Begriff der Wahrheit vorliegt. Festzuhalten wäre demnach, dass jedenfalls diese Transformation von ,echten' Sätzen in eine formale Sprache allenfalls dann mit dem Bivalenzprinzip verträglich ist, wenn die Möglichkeit zugestanden wird, dass eine Sache ihrem Begriff nicht entsprechen kann. Da aber genau diese These als problematisch unterstellt ist, bleibt zu klären, ob sich nicht doch auch auf anderem Wege angeben lässt, was Sätze sind. Lassen wir Freges eigene Lösung (oder, wie ich angesichts der hier nicht auf ihre Kontinuität hin zu erörternden Wandlungen in Freges Denken formulieren sollte: die Frege für gewöhnlich zugeschrieben Lösung) die Interpretation des Wahrheitsprädikates als Ausdruck des Anspruches, der so bestimmte Satz beziehe sich auf ,das Wahre' für den Moment beiseite, wird es freilich schwierig, zu klären, wohin wir uns eigentlich noch wenden sollen. Man könnte die entwickelte Aporie einfach zur Pointe erheben: Dass die Wahrheitskriterien nicht im selben Sinn als wahr oder falsch bestimmt werden können wie die gemäß ihrer zu beurteilenden Sätze, könnte in einem ersten Schritt darauf zurückgeführt werden, dass wir diese aus welchen Gründen auch immer ungern zur Disposition stellen. Dieser ,harte Kern unseres Begriffsschemas' wie man die fraglichen Sätze in hier keinesfalls unerwünschtem Anklang an die Position Quines bezeichnen könnte soll demnach aus Sätzen bestehen, die zwar wahr oder falsch sein können, von uns aber so betrachtet werden, als ob sie nicht falsch sein können. Tatsächlich hilft der Lösungsvorschlag überhaupt nicht weiter: Aus welchen Gründen auch immer wir hier die vermeintlichen Wahrheitskriterien für falsch erklären, steigen jedenfalls diese Gründe als Gründe unmittelbar in den Rang derer auf, die als auch nicht der Möglichkeit nach falsch zu betrachten sind. Insofern es dann aber auch nicht möglich ist, dass alle Sätze gleichzeitig in ein und demselben Sinn wahr oder falsch sind, gibt es denn auch keinen Standpunkt, von dem aus behauptet werden kann, dass Sätze durch die Bank wahr oder falsch sind. Wer sich also nicht mit der These anfreunden will, dass sich die Beschaffenheit einer Sache von ihrem Begriff auch unterscheiden muss, dem scheint gar nichts anderes übrig zu bleiben, als auch noch die These zu verabschieden, dass es ein allgemeines Merkmal von Sätzen ist, wahr oder falsch sein zu können. Soll die Frage, was ein Urteil ist, darin nicht einfach zum unlösbaren Rätsel erklärt werden, -
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Nichts anderes besagt ja Tarskis These, eine rekursive Definition des Wahrheitsprädikates sei nur für eine formale Sprache möglich. Natürlich vertritt Quine die zur Debatte stehende Position nicht nur nicht explizit, sondern bestreitet sogar, dass der Begriff der Wahrheit kohärenztheoretisch gefasst werden kann (vgl. Quine 1992, §39). Gleichviel folgt der Wahrheitsrelativismus wie Davidson (1990), 306 gezeigt hat unmittelbar
aus
Quines Empirismus.
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geht die Verabschiedung
der These, die wahr/falsch-Dichotomie sei ein allgemeines Merkmal von Urteilen, ineins mit der Behauptung, der eigentliche Orientierungspunkt für die Frage, was ein Urteil ist, sei das Phänomen der Binnengliederung. Ehe diese näher zu betrachten ist, muss jedoch noch kurz darauf eingegangen werden, was es mit dem gemeinhin Frege zugeschriebenen Vorschlag auf sich hat, die wahr/falsch-Dichotomie besage nichts anderes als dies, dass sich Sätze entweder auf das Wahre oder auf das Falsche beziehen. Weshalb uns auch dieser Vorschlag nur auf die Frage zurückwirft, was es mit der Binnengliederung des Urteils auf sich habe, führt Frege mit der Rede von der Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens selbst an: ,wahr' ist ein Erfolgswort wir müssen mithin zwar nicht wissen, unter welchen Bedingungen ein Satz wahr ist, es muss aber doch möglich sein, dass ein Satz wahr ist. Es muss also möglich sein, von einem Satz wahrheitsgemäß zu behaupten, dass er wahr ist. Weil aber darin das Wahrheitsprädikat auch als Funktion auftritt, gerät das Wahre unvermittelt zu einer sich auf sich beziehender Entität, so dass wir Wahrheit nun doch wieder gefasst hätten als Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand. Es steht zu erwarten, dass dies Konsequenzen für die Frage hat, wie das Wahre angemessen darzustellen ist. Die Frage, welche dies sind, sollte hier freilich ausgespart bleiben. -
III Die These, die wahr/falsch-Dichotomie sei ein allen Urteilen gemeinsames Kennzeichen, war oben nur unter der Voraussetzung preiszugeben, dass die prädikative Gliederung auf das Funktion/Argument-Muster reduziert wird. Nur unter dieser Voraussetzung war die Antwort auf die Frage, ob ein Satz wahr ist, in der Klärung der Frage zu finden, ob der Satz zu unseren übrigen Sätzen passt, was zu der misslichen Konsequenz führte, dass entweder nicht mehr alle Sätze als wahr oder falsch oder als nicht mehr im selben Sinne wahr bestimmt werden konnten. Um das Bivalenzprinzip aufrechtzuerhalten sollte es folglich genügen, einen über die Kohärenz hinausgehenden „realistischen" Stachel der Wahrheit in Rechnung zu stellen. Weil so nicht mehr zu sehen ist, weshalb es Fälle von Wahrheit geben sollte, die dem Begriff der Wahrheit nicht entsprechen, wäre dann auch der oben zur Stützung von Hegels These, es gäbe Urteile, die dem Begriff des Urteils nicht entsprechen, angeführten Argumentation das Wasser abgegraben. Tatsächlich verhält sich die Angelegenheit etwas anders: Wird vorausgesetzt, dass dem das prädikative Sein regierenden veritativen Sein der Ausgriff auf ein jenseits des begrifflichen Inhalts des Urteils liegendes Moment eigentümlich ist, sind wir, weil die sich hier scheinbar aufdrängende Interpretation der Korrespondenztheorie der Wahrheit die Bestimmung eines Urteils als wahr fordere einen Vergleich zwischen begrifflichem und außerbegrifflichem Inhalt ein katastrophale Konsequenzen hätte, auf die Position festgelegt, die Hegel in der Wissenschaft der Logik vertritt: das ,ist' der Kopula sei in dem Sinn als Identitätsbehauptung aufzufassen, dass Prädikaten die Funktion zukommt, anzugeben, was das Subjekt ist. Dieses Resultat besagt zwar auch, dass es Urteile gibt und geben muss, die dem Begriff des Urteils nicht entsprechen. Es besagt aber auch, dass die oben zu Hegels Gunsten angeführte Argumentation
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sich wesentlich dem Verzicht auf die von Hegel vehement eingeklagte Unterscheidung zwischen dem Begriff einer Sache und deren Bestimmung verdankt. Aber zunächst zur Katastrophe: Wenn es einerseits den begrifflichen Inhalt noch einmal geben muss, andererseits aber die prädikative Gliederung diesem wesentlich ist, steht zu erwarten, dass das gesuchte Duplikat des begrifflichen Inhalts ebenfalls (prädikativ) gegliedert ist. Katastrophal ist dies, weil nun nicht mehr zu sehen ist, wie Urteile noch falsch sein können. Soll gelten, dass die Sätze „Schnee ist weiß" und „Gras ist grün" wahr sind, muss es irgendwo dort draußen Schnee, weiß, Gras und Grün geben. Nichts anderes verlangt in diesem Bild nicht nur der Satz „Schnee ist grün". Gemäß dieser Konzeption wären auch alle sinnvollen d.i. verstehbaren Sätze unmittelbar als wahr zu bestimmen. Das ließe sich allenfalls verhindern, wenn dem begrifflichen Inhalt nicht irgendein außerbegrifflicher Komplex, sondern nur ein wenig bis gar nicht disparater entsprechen soll. Dass ein solcher schon im Falle des weißen Schnees auf grasgrünem Untergrund nicht zu haben ist, mag hier als Argument schon deshalb genügen, weil der in diesem Bild geforderte Vergleich für gewöhnlich auch gar nicht gemeint ist,8 wenn von einem realistischen Wahrheitsbegriff oder schlicht von einem realistischen Stachel der Wahrheit die Rede ist: Vielmehr gerät das realistische Moment der Wahrheit zunächst einfach ins Blickfeld, um der von Kant im § 19 der Kritik der reinen Vernunft als Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Einheit der Vorstellungen gekennzeichneten Differenz zwischen der willkürlichen Verbindung von Vorstellungen und dem Urteilen eigentümlichen Anspruch, dass das Prädikat eines Urteils dessen Subjekt tatsächlich -
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zukommt, Rechnung zu tragen.
Lassen wir die Kantische Formulierung, die mit der Rede von der Einheit der Vorstellungen entschieden in die Richtung der umstrittenen Hegelschen Interpretation der Kopula weist, für den Moment beiseite und halten uns nur an die zweite. Diese wirkt, ob der Abwesenheit der Einheitsforderung, einerseits harmloser, andererseits aber, ob der Abwesenheit der Differenz zwischen Subjektivem und Objektivem, auch missverständlicher. Anders formuliert: Ausgefallen ist die als Unterscheidungsgrund zwischen tatsächlichem und nicht tatsächlichem Zukommen scheinbar in Anspruch zu nehmende Differenz zwischen grammatischem Subjekt und dem Subjekt alias der Sache, von der das Urteil handelt. Daher scheint es sinnvoll, die harmlosere Formulierung wie folgt zu korrigieren: In einem Urteil soll das Prädikat dem durch den Subjektbegriff bezeichneten Subjekt zukommen. Allerdings ist auch diese Korrektur nicht ganz unproblematisch: Erhalten wir an Subjektstelle keine Angabe dessen, was der Gegenstand ist, scheint der Möglichkeit einer sinnvollen Entscheidung der Frage, ob ihm diese oder jene Eigenschaft tatsächlich zukommt, einfach der Boden entzogen. Ein und derselbe Name kann auf verschiedene Gegenstände zutreffen, so dass die Beantwortung der Frage, ob ein mit diesem Namen -
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Vielleicht wäre es besser, davon zu reden, dass dieser Vergleich in der Regel nicht gemeint sein soll. So belässt es etwa Habermas, von dem ich den Ausdruck .realistischer Stachel der Wahrheit' (vgl. Habermas 1999, 288) übernehme, einfach deshalb bei einem realistischen Stachel, weil er einerseits die Kohärenztheorie für unzureichend, andererseits aber auch die Korrespondenztheorie aufgrund der ihr s.E. innewohnenden Vergleichsforderung für inakzeptabel hält.
Das Verhältnis von Urteil und Schluss in Hegels Wissenschaft der Logik
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Gegenstand über diese oder jene Eigenschaft verfügt, die Klärung der Frage vorauszusetzen scheint, welcher Gegenstand eigentlich gemeint ist. Ich lasse die Frage dahingestellt, ob dieser Einwand zutreffend ist, um zunächst zu klären, was es mit der in Aussicht gestellten Alternative auf sich hat. Gemäß dieser soll die Frage nach dem Wahrheitswert einer Aussage nur dann zu entscheiden sein, wenn uns der Subjektbegriff bereits darüber aufklärt, was der Gegenstand ist. Dann freilich droht, dass nicht nur die Frage, ob ein Gegenstand über eine Eigenschaft verfügt, einfach als die Frage zu verstehen ist, ob das Prädikat versteckt im Subjektbegriff enthalten ist. Ebenso scheint für die geforderte vollständige Angabe dessen, was der Gegenstand ist, auch immer noch die Schwierigkeit zu bleiben, dass jedes Moment dieser Beschreibung dem Gegenstand als einem noch nicht vollständig beschriebenen zugeschrieben werden muss, womit wir bezeichneter
entweder auf Los zurückzufallen drohen, oder die offensichtlich absurde These vertreten müssten, dass die zuzuschreibenden Bestimmungen daraufhin zu überprüfen sind, ob sie in der Beschreibung enthalten sind, die jeder Gegenstand als Gegenstand erfüllt: die, ein Gegenstand zu sein. Angesichts dieser Alternativen scheint es sinnvoll, noch einmal zu der Frage zurückzukehren, was eigentlich der Haken an der These ist, ein Gegenstand werde durch einen Subjektausdruck nur bezeichnet, nicht aber gekennzeichnet. Der Gegenstand wird darin als ein einzelner angesprochen, ohne dass ausgesprochen würde, was ihn eigentlich zu einem bestimmten Einzelnen macht. Ausgehend hiervon könnte man nun einfach die Forderung, das Prädikat solle dem Gegenstand tatsächlich zukommen, mit Hegel so verstehen, dass das Prädikat eben anzugeben hat, was den als ein bestimmtes Einzelnes unterstellten Gegenstand zu einem bestimmten Einzelnen macht.9 Gegen diesen Vorschlag scheint jedoch einzuwenden, dass wenigstens Prädikate, die qualitative Bestimmungen ausdrücken, einzig mit dem Anspruch auftreten irgendeine Bestimmung des Gegenstandes anzugeben. In eine Formel gepackt: Qualitative Bestimmungen geben nicht an, was der Gegenstand ist, sondern einzig wie er unter anderem beschaffen ist. Dass qualitative Bestimmungen zur Angabe dessen, was ein Gegenstand ist, ungeeignet sind, sei nicht bestritten. Dem Einwand ist aber dennoch zu entgegnen, dass dann, wenn der Subjektbegriff nicht angibt, was der Gegenstand ist, Prädikate einfach deshalb mit dem Anspruch auftreten, anzugeben, was das Subjekt ist, weil sie in diesem Fall die einzige Möglichkeit der Unterscheidung des Gegenstandes von anderen darstellen. Mittels qualitativer Bestimmungen soll natürlich nicht angegeben werden, was ein als Einheit einer Mannigfaltigkeit von Bestimmungen gedachter Gegenstand ist. Aber der Versuch der Unterscheidung des Gegenstandes von anderen mittels qualitativer Bestimmungen impliziert umgekehrt auch, dass von dieser bislang ohnehin nur unterstellten Beschaffenheit eines Gegenstandes abstrahiert werden kann.10 -
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Auf die Frage, welche Funktion dem Prädikat zuzuschreiben sei, wenn das Subjekt bereits die konkrete Beschaffenheit des Gegenstandes angibt, und weshalb dem Anschein entgegen auch damit zu rechnen ist, dass wir es mit derartigen Urteilen zu tun haben, wird in der Diskussion der Urteile des Begriffs näher einzugehen sein. Zur Frage, weshalb es notwendig ist, qualitative Bestimmungen eines Gegenstandes als Versuch der Bestimmung dessen, was der Gegenstand ist, aufzufassen, vgl. ausführlicher: Kruck/Schick
(1996).
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IV Die Erörterung der Frage, was ein Urteil ist, hatte zu zwei auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Zunächst war aufgezeigt worden, dass die wahr/falsch-Dichotomie nur dann als allgemeines Kennzeichen von Sätzen bestimmt werden kann, wenn vorausgesetzt wird, dass es sinnvoll ist, davon zu reden, dass eine Sache ihrem Begriff nicht entspricht. Dagegen war im letzten Abschnitt gezeigt worden, dass die These, ein Urteil liege nur dann vor, wenn das Prädikat dem Subjekt tatsächlich zukommt, auf die zweigliedrige These führt, einerseits weise jedes Urteil auf ein Urteil zurück, dessen Subjektausdruck eine rein benennende Funktion hat, andererseits aber sei Prädikaten die Aufgabe zuzuschreiben, anzugeben, was das Subjekt ist. Die erste These besagt, dass eine eingangs nur als von Hegel in Anspruch zu nehmend behauptete These auch unabhängig von Hegel in Anspruch zu nehmen ist. Mit der zweiten These ist der Ausgangspunkt der Hegelschen Urteilslehre erreicht das Prädikat ist in dem Sinne mit dem Subjekt identisch, dass ihm die Funktion zukommt, anzugeben, was das Subjekt ist. Gleichviel ist dieses Resultat eher problematisch als erfreulich. Scheint es doch nun so, als ob wir, wenn wir angeben wollen, was ein Urteil ist, die Wahl haben, uns für eine der durch die beiden Thesen gekennzeichneten Positionen zu entscheiden. Der Nachweis, dass dieser Anschein trügt, wird, wie angekündigt, sogleich Gelegenheit geben, mit Hegel eine terminologische Korrektur vorzunehmen: Die Unterscheidung zwischen Begriff und Bestimmung einer Sache. Beginnen wir mit der engeren, zweiten Fassung: Soll erst das Prädikat angeben, was das Subjekt ist, tritt der Subjektbegriff dennoch mit dem Anspruch auf, den Gegenstand als von anderen unterschieden zu bezeichnen. Unterstellt man nun Begriffen die Funktion, ein Unterscheidungsmerkmal anzugeben, so kann einerseits dem Prädikat nur noch die Funktion zugeschrieben werden, den eigentlichen Begriff der Sache zu benennen, andererseits aber wird die Suche nach dem eigentlichen Begriff allererst notwendig, wenn die Sache zuvor bereits unter einen anderen Begriff gebracht wurde. Nach dieser Seite fällt die engere, zweite Fassung mit der weiteren ersten zusammen. Freilich stellt sich hier natürlich bereits die Frage, ob es nicht einfach sinnvoll ist, anstelle der schwammigen Unterscheidung zwischen eigentlichem und uneigentlichem Begriff zwischen der Bestimmung des Gegenstandes an Subjektstelle und dessen Begriff an Prädikatsstelle zu unterscheiden. Nachhaltiger empfiehlt sich dies ob des der ersten Fassung immanenten Rückbezugs auf die zweite: Nach der ersten soll gelten, dass etwas seinem Begriff nicht entsprechen kann. In einem ersten Schritt bietet sich hier zwar auch an, diese These mittels der Unterscheidung zwischen eigentlichen und uneigentlichen Begriffen plausibler zu machen. Beider Unterscheidungsgrund besteht dann aber genau darin, dass der uneigentliche Begriff an Subjektstelle als uneigentlicher gerade nicht angibt, was die Sache ist, sondern sie nur als eine noch näher zu bestimmende präsentiert. Der Subjektbegriff unterscheidet sich demnach vom Prädikatsbegriff gerade darin, dass die Sache in ihm nicht begriffen sein soll, in jenem aber doch. Um dem Krokodil, das wir eingangs -
wohl etwas verwirrt zurückgelassen haben, etwas aus der Klemme zu helfen: Wenn wir es als Krokodil bestimmen, dann bringen wir es nicht erst unter den Begriff „es", um es -
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dann unter den Begriff „Krokodil" zu bringen. Wir bestimmen es zunächst als ein noch näher zu bestimmendes eben als ein Es um dann wenigstens zu versuchen, anzugeben, als was es zu begreifen ist. Aber auch ohne das Krokodil werden die Probleme kaum geringer: Einerseits nämlich ist bislang nicht abzusehen, weshalb das Urteil eine Entwicklung durchlaufen sollte. Andererseits, und weit gewichtiger, scheint es sich auch so zu verhalten, dass Hegel aufgrund der Funktion des Subjekts den Gegenstand unbestimmt als bestimmt zu präsentieren eine solche Entwicklung nur unter an sich zwar scheinbar harmlosen, in ihrem Gültigkeitsanspruch aber durch diese Funktion des Subjekts nachhaltig bedrohten, ontologischen Voraussetzungen in Gang bringen kann. Gilt nämlich, dass der Gegenstand mittels des Subjekts nur als ein an sich bestimmter präsentiert wird, ohne dass das Subjekt zugleich die dem Gegenstand eigentümliche Bestimmtheit ausspricht, droht der Verlust des dem Urteil internen Prüfsteins der Frage, ob das Prädikat der Sache nun zukommt oder nicht. Dann aber scheint das zugeschriebene Prädikat und nur dieses angeben zu müssen, was der Gegenstand ist, ohne dass dieser sich hiergegen noch irgend wehren könnte. Gegen Hegels These, mit einem Urteil sei die Absicht verbunden, ein und denselben Gegenstand doppelt sehen zu wollen, „das eine Mal in seiner einzelnen Wirklichkeit, das andere Mal in seiner wesentlichen Identität oder in seinem Begriff (GW 12, 59), wäre so nicht nur einzuwenden, dass in ihr einfach vorausgesetzt ist, dass ein Gegenstand als eine Einheit von Bestimmungen, die in wesentliche und unwesentliche unterschieden werden können, aufgefasst werden muss. Problematisch erscheint schon die Unterstellung, dass Gegenstände überhaupt als eine Einheit von Bestimmungen aufzufassen sind. Diesem Befund kann nun nicht einfach das Argument entgegengestellt werden, eine Entwicklung des Urteils müsse sich schon deshalb einstellen, weil wir, wenn wir schon nicht der Intuition gerecht werden können müssen, dass Gegenstände gleichermaßen über wesentliche wie unwesentliche Eigenschaften verfügen, so doch wenigstens der, dass sie über eine Vielzahl von Eigenschaften verfügen. Der wie auch immer anderweitig zu erbringende Nachweis, dass Gegenstände über eine Vielzahl von Eigenschaften verfügen, würde nicht weiter helfen, weil dann einfach festzuhalten wäre, dass Urteile eben nicht dafür geeignet sind, anzugeben, was ein Gegenstand ist. Von einer Entwicklung des Urteils kann entsprechend nur dann die Rede sein, wenn gezeigt werden kann, dass sich die Bestimmtheit der Pole des Urteils aufgrund der Bestimmung ihres Verhältnisses ändern muss. Entsprechend wäre zu klären, ob sich aus dem Scheitern des Versuch, mittels qualitativer Bestimmungen anzugeben, was das unbestimmt als bestimmt gekennzeichnete Subjekt ist, eine nähere Bestimmung der Pole des Urteils ergibt. Dieser der von Hegel in der Logik eingeschlagene Weg (der seinen Ausgangspunkt in dem Nachweis findet, dass die qualitative Bestimmung eines Gegenstandes diesen als eine Einheit von Bestimmungen voraussetzt) hat, gemessen an der hier verfolgten Fragestellung, ob die Entwicklung des Urteils den Schluss als dessen Wahrheit ausweist, freilich den für den gegebenen Rahmen enormen Nachteil, eine vollständige Rekonstruktion der Urteilslehre einzufordern. Deshalb sei im Folgenden ein anderer Weg gewählt: Gezeigt -
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werden soll zunächst, dass wir dann, wenn wir umgangssprachlich den Anspruch erheben, von dem zu reden, was die Sache ist, diese tatsächlich beurteilen. Für dieses Hegels These, der Schluss sei die Wahrheit des Urteils verifizierende Resultat ist dann zu klären, weshalb mit ihm nicht sogleich die gesamte Entwicklung innerhalb der Urteilslehre im besten Fall als zu vernachlässigend oder im für Hegel schlechtesten Fall als eine äußerliche Subsumtion des Themas einer allgemeinen Urteilslehre zu bestimmen ist.
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V Wenn wir ankündigen, Klartext, Tácheles oder von dem, was Sache ist, zu reden, dann, so scheint es auf den ersten Blick, unterscheiden wir einfach zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften einer Sache. Wie sinnvoll diese Unterscheidung auch immer sein mag mit Beurteilungen oder gar Schlüssen scheint dies jedenfalls wenig zu tun haben. Versuchen wir die Sachlage zunächst an einem Beispiel, dem wohl häufigsten Fall, etwas zu erhellen. Eltern, die, ob irgendwelcher Missetaten, ihren Zöglingen Vorhaltungen über deren Lebenswandel machen, führen zu diesem Zweck zunächst die ihnen bekannten Verfehlungen an, um dann, nachdem sie für diese und jene Verfehlung eine mehr oder minder dürftige Entschuldigung erhalten haben zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt nicht länger über die Verfehlungen im Einzelnen zu diskutieren wünschen, sondern über deren allgemeinen Zug. Der Zögling, der diesen allgemeinen Zug tatsächlich nicht sieht oder nicht sehen will, tut dies nicht, weil er einfach der besonderen Beschaffenheit der Sache, den Taten, die Existenz bestreiten will (verhandelt werden ohnehin nur die, die nicht mehr abzustreiten sind). Er meint nur eben weil er für die eine, die andere oder für alle Entschuldigungen anführen kann -, dass die Taten in anderer Weise zusammengehören als von der Gegenseite unterstellt. Er sieht einen anderen allgemeinen Zug, betrachtet andere Eigenschaften der Sache als deren wesentliche. Das Beispiel scheint zunächst einfach das schon erwähnte Diktum Quines zu bestätigen: „Being necessarily or possibly thus an so is a trait not of the object concerned, but depends on the manner of referring to the object." Sehen wir trotzdem etwas genauer hin. Zunächst ist festzuhalten, dass es nicht darum geht, einen Begriff zu finden, unter den die Handlungen abgesehen von ihren spezifischen Unterschieden gebracht werden können der ist bereits gefunden: Verfehlung. In einem Sinn ist auch noch eine weitere von beiden Seiten akzeptierte Gemeinsamkeit gefunden: Offensichtlich haben wir es mit an sich zwar nicht, aber aufgrund der jeweiligen Umstände wenigstens in der Mehrzahl der Fälle dann doch entschuldbaren Verfehlungen zu tun. Um das Beispiel etwas zu vereinfachen, sei davon ausgegangen, dass tatsächlich alle verhandelten Verfehlungen entschuldbar sind. Zu klären wäre demnach die Frage, ob die Entschuldbarkeit zufällig ist oder ob sie zum Wesen der Sache gehört. Die Begleitumstände sind zur Genüge bekannt, jetzt geht es darum, was die Sache abgesehen von diesen ist, oder ob von diesen Begleitumständen gerade nicht abgesehen werden kann. Es geht mithin um -
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Quine (2001), 148.
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die Frage, ob eine Sache das ist, was sie zu sein scheint. In diesem und nur in diesem Fall kann sinnvoll davon die Rede sein, dass wir, wenn wir Klartext, Tácheles oder von dem, was Sache ist, reden, immer noch von der Sache reden, obgleich wir uns in gewisser Weise nicht um das kümmern, was wir von ihr wissen. Was also kann es heißen, dass eine Sache nicht das ist, was sie zu sein scheint? Vorausgesetzt ist hier offensichtlich, dass die Sache in unterschiedlicher Weise erscheinen kann. Nur dann, wenn wir mit ein und derselben Sache in unterschiedlicher Gestalt bekannt werden, können wir sinnvoll danach fragen, ob sie denn so, wie sie gerade ist, auch so ist, wie sie eigentlich ist. Dieses Zwischenresultat hat eine erfreuliche und eine weniger erfreuliche Seite: Erfreulich ist, dass wir nun tatsächlich, wie von Hegel eingangs der Urteilslehre angekündigt, ein und dieselbe Sache doppelt sehen wollen, einmal so, wie sie aktual ist in ihrer konkreten Wirklichkeit und einmal so, wie sie, abgesehen davon, dass sie sich zufällig in der und der Weise zeigt, an sich ist in ihrer wesentlichen Identität. Weniger erfreulich ist dieses Ergebnis selbst wenn wir einmal davon absehen, dass wir bislang nur näher bestimmt haben, welche Voraussetzungen mit dem Anspruch verbunden sind, davon zu reden, wie die Sache eigentlich ist, aber sich noch keine Antwort auf die Frage abzeichnet, ob die Rede vom eigentlichen Wesen der Sache auch sinnvoll ist in wenigstens zweifacher Hinsicht. Einerseits nämlich spricht Hegel davon, dass die anvisierte Verhältnisbestimmung am offensichtlich vom objektiven Urteil unterschiedenen und deshalb wohl auch defizitären subjektiven Urteil als Absicht auszumachen ist. Entsprechend stellt dieses Verhältnis von Subjekt und Prädikat auch nicht den Abschluss der Entwicklung des Urteils dar. Andererseits fällt unmittelbar auf, dass Hegel das Verhältnis zwischen konkreter Wirklichkeit des Gegenstandes und dessen wesentlicher Identität nicht als das Verhältnis zwischen so und so erscheinendem Einzelding und dessen eigentlichem Sosein erörtert, sondern als das Verhältnis zwischen Art und Gattung. Freilich kann Hegels Ausführungen auch sogleich entnommen werden, dass die zweifache Abweichung unserer Diagnose der Unvollständigkeit unserer Analyse geschuldet ist: Dass wir den Gegenstand zweimal benötigen, verdient tatsächlich nicht objektiv genannt zu werden, weil wir nur das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Weisen des Gegenstandes zu sein einmal als Erscheinung und einmal als Ding an sich, als Phänomen und als Idee, oder wie auch immer man die Unterscheidung treffen will thematisieren, diesen aber nicht, wie darin offensichtlich in Anspruch genommen, als dieses Verhältnis bestimmen. Anders formuliert: Wenn wir danach fragen, wie das Verhältnis zwischen den verschiedenen Weisen des Gegenstandes zu sein beschaffen ist, dann reden wir nicht von dem Gegenstand selbst. Allerdings stellen wir, insofern wir in Anspruch nehmen, auch dann noch von dem Gegenstand zu reden, wenn wir von diesem Verhältnis reden, implizit die Behauptung auf, dass das, was der Gegenstand als Fall eines Allgemeinen ist, in dieser Verhältnisbestimmung angegeben ist. Das assertorische Urteil spricht diesen internen Mangel der Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften aus: Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften einmal vorausgesetzt, gestaltet sich beider Verhältnis derart, dass die zu bestimmende Sache zu fassen ist als noch näher zu bestimmende Beziehung zwischen ihrer Beschaffenheit und ihrem Begriff, d.i. -
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der
Angabe ihres
Wesens. Oder, um noch einmal auf Quines Vorschlag zurückzukomGerade dann, wenn die Antwort auf die Frage, was die wesentlichen Eigenschaften einer Sache sind, abhängig ist von unserer Betrachtungsweise ihrer, ist die Bestimmung des Wesens der Sache doch nicht von dem Rückbezug auf die konkreten Beschaffenheit der Sache dispensiert. men:
VI Das Urteil des Begriffs ist zuerst unmittelbar; so ist es das assertorische Urteil. Das Subjekt ist ein konkretes Einzelnes überhaupt, das Prädikat drückt dasselbe als die Beziehung seiner Wirklichkeit, Bestimmtheit oder Beschaffenheit auf seinen Begriff aus. (Dieses Haus ist schlecht, diese Handlung ist gut). Näher enthält es also, a) daß das Subjekt etwas sein soll; seine allgemeine Natur hat sich als der selbständige Begriff gesetzt; b) die Besonderheit, welche nicht nur um ihrer Unmittelbarkeit, sondern um ihrer ausdrücklichen Unterscheidung willen von ihrer selbständigen allgemeinen Natur als Beschaffenheit und äußerliche Existenz ist; diese ist um der Selbständigkeit des Begriffs willen ihrerseits auch gleichgültig gegen das Allgemeine und kann ihm angemessen oder auch nicht sein. (GW 12, 85).
Nachzutragen ist zunächst, ob und wie die für Hegels Argumentation offensichtlich zentralen Kategorien Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit auf die erreichte Bestimmung der Sache als Verhältnis von Begriff und Beschaffenheit Anwendung
finden. Die Kategorie der Allgemeinheit, um mit ihr zu beginnen, scheint problemlos dem, was uns der Begriff der Sache war, zuzuordnen, soll dieser doch angeben, was die Sache ist, unbeschadet dessen, dass sie in mannigfaltiger Gestalt erscheint. Er ist gedacht als das Allgemeine seiner Vereinzelungen. In diesem Sinn ist er dann auch als die selbständige allgemeinen Natur gesetzt. Was der Begriff der Sache ist, ist, wenn nicht nur, so doch jedenfalls auch, anderen Gestalten dieser zu entnehmen als der aktual zu bestimmenden. Mit der Kategorie der Besonderheit scheint dagegen zweierlei bezeichnet werden zu können: Zum einen sind Vereinzelungen des Allgemeinen gegeneinander Besondere. Zum anderen soll die konkrete Beschaffenheit der Sache von ihrem Begriff unterschieden, Besonderes gegen diesen sein. Wenn ich richtig sehe, entscheidet sich die Frage, inwiefern hier von Besonderheit die Rede ist, aus diesem Dilemma. Solange nicht begriffen ist, wie das Verhältnis von Begriff und Beschaffenheit zu bestimmen ist, scheint auch die besondere Beschaffenheit der Vereinzelungen des Allgemeinen gegeneinander einfach deshalb nicht zu begreifen, weil vorausgesetzt ist, dass es den Vereinzelungen wesentlich ist, eine Beziehung zwischen Begriff und Beschaffenheit darzustellen. Für die zweite Lesart spricht weiter, dass sie zugleich eine Erklärung für Hegels Bestimmung der Besonderheit als äußerliche Existenz erlaubt. Die Besonderheit wäre demnach einfach das als eigens zu berücksichtigende herausgetretene Moment der Allgemeinheit. Wie weit diese Überlegung trägt, wird freilich erst noch zu prüfen sein. Eine erste Schwierigkeit stellt sich bereits ein, wenn wir eine weitere Eigentümlichkeit der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Begriff und Beschaffenheit der Sache in die Rechnung mit aufnehmen. Wenn wir davon reden, dass etwas schlecht ist, dann
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wollen wir zu verstehen geben, dass es seinem Begriff und nicht einfach irgendeinem Begriff nicht entspricht: Wollten wir letzteres, wäre die Behauptung, unser arg geschundenes Krokodil sei ein schlechtes Haus, als sinnvolle sprachliche Äußerung zu verbuchen. Die Bewertung einer Sache setzt demnach voraus, dass eine Sache bereits als Fall eines Begriffs bestimmt ist und dennoch diesem Begriff nicht entspricht. Wir haben also neben der Vereinzelung des Allgemeinen auch noch mit dessen Besonderung zu rechnen: Es gibt verschiedene und näher genau zwei Weisen, Fall eines Begriffs zu sein. Dem lässt sich zunächst entnehmen, dass der Begriff der Sache, gedacht als sich in bestimmte Arten zu erscheinen, besondernd, jedenfalls eine Art Gattungsbegriff darstellt. Wenn nun aber der Gattungsbegriff, mit dem die Beschaffenheit der Sache verglichen werden soll, bereits als sich in Arten besondernd und näher als sich in genau zwei Arten besondernd gedacht ist, dann muss, soll die einzelne Sache ebenfalls als Besonderung des Allgemeinen gedacht werden können, offenbar mit zwei Formen der Besonderung dessen gerechnet werden: Einerseits die Besonderung in Arten, die, insofern sie zu einem bestimmten Ergebnis führt, dem Gattungsbegriff entnommen werden können muss. Etwas als Lebewesen zu bestimmen, hieße demnach bereits zu behaupten, dass dem dergestalt bestimmten nur noch die Wahl bleibt, vernünftig oder unvernünftig zu sein. Dieser Begriff erweist sich, andererseits, aber offensichtlich als für die ihm zugedachte Aufgabe anzugeben, was die Sache ist als unzureichend. Wenn es eine erst noch zu klärende Frage ist, ob die Sache ihrem Begriff entspricht, diese aber, um die Frage überhaupt sinnvoll klären zu können, bereits als Fall dieses Begriffs, d.i. als Exemplar einer Gattung, bestimmt ist, dann ist offenbar vorausgesetzt, dass die Sache einfachhin als Fall eines Allgemeinen gedacht wird, von dem unterstellt ist, dass seine Bestimmtheit nicht hinreicht, um die Sache als Einzelne zu erfassen, d.i., dass sich die Gattung nicht auch noch in der Weise besondert, Prinzip der vollständigen Disjunktion ihrer Exemplare zu sein. Hegels Reaktion hierauf wirkt etwas überraschend: Das konstatierte Ungenügen des Begriffs sei keinesfalls dem Begriff anzulasten, sondern der Sache. Dem scheint nun einfach zu entgegnen, dass wir, wenn wir mit dem Anspruch antreten, im Begriff der Sache die Angabe dessen zu liefern, was die Sache ist, dann, wenn wir es mit einem Begriff zu tun haben, der diesem Anspruch nicht gerecht wird, diesen Begriff näher bestimmen müssen. Hegel selbst kann sich hier einfach darauf berufen, dass er bereits gezeigt hat, dass eine solche nähere Bestimmung des Begriffs gar nicht möglich ist.13 -
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Begriff der Sache bloß ,eine Art Gattungsbegriff zu sein. Teilt er mit unsegewöhnlichen Verwendung des Begriffs Gattung zwar, das die Unterschiede seiner Arten Umgreifende anzugeben, während die weitergehende Forderung, es müsse dem Gattungsbegriff auch entnommen werden können, in welche Arten sich die Gattung unterscheidet, eine Überforderung der gewöhnlichen Verwendungsweise dieses Begriffs darzustellen scheint. Ob dem so ist, kann hier dahingestellt bleiben. Dass dem nicht so ist, und der Begriff der Sache folglich nicht eine bloße Art Gattungsbegriff ist, sondern tatsächlich der Gattungsbegriff, hat Schick (2002), 216ff. gezeigt. Vgl. die Zurückweisung der Frage, ob das problematische Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat nicht zu einer Weiterbestimmung des das Subjekt als Beziehung zwischen Begriff und BeschafInsofern erscheint der
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Allerdings müssen wir uns auf diese Versicherung Hegels nicht einfach verlassen. Erstens wäre hier einfach ein Plausibilitätsargument anzuführen: Dass wir den Gattungsbegriff um der Möglichkeit der Bewertung einer Sache willen bereits als das Prinzip seiner vollständigen Disjunktion in Arten begreifen müssen, dürfte gemessen an der gewöhnlichen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Art und Gattung schon genug der Zumutung sein. Dem Gattungsbegriff auch noch das Prinzip der vollständigen Disjunktion seiner Exemplare aufzubürden d.i. die Behauptung aufzustellen, dem Gattungsbegriff müsse bereits entnommen werden können, welche und wie viel Exemplare einer Gattung es gibt -, scheint denn doch zuviel des Guten. Zweitens kann es unter den gegebenen Bedingungen einfach deshalb nicht darum gehen, den Begriff der Sache näher zu bestimmen, weil uns die Diskussion der Frage wie es um das Verhältnis zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften einer Sache bestellt sei, gerade mit dem Ergebnis zurückgelassen hatte, dass der Gegenstand in der Thematisierung dieses Verhältnisses als Beziehung zwischen Begriff und Beschaffenheit bestimmt ist. Darin ist offensichtlich vorausgesetzt, dass wir bereits abschließend wissen, was der Begriff der Sache ist. Drittens gibt es auch gar keinen Grund, dem Begriff die Schuld an unserem Dilemma zuzuschustern: Das Ungenügen der Darstellung der als Fall eines Allgemeinen bestimmten Sache als Beziehung zwischen Begriff und Beschaffenheit ist ja auch problemlos dem Subjekt zuzuschustern. Dieses ist als Fall zwar schon implizit als ein Besonderes in Anspruch genommen, aber eben nicht als ein solches bestimmt. Die beiden letzten Argumente weisen freilich darauf hin, dass das geschilderte Dilemma schlicht auf eine ungenügende Schilderung dessen zurückzuführen ist, was es heißt, eine Sache zu beurteilen. Wenn wir eine Sache beurteilen, dann für gewöhnlich nicht in der Form des assertorischen Urteils ,Dieses Allgemeine ist gut', sondern in einer Form, in der wir explizit das Einzelne als besonderen Fall des Allgemeinen ansprechen „Dieses 50 und so beschaffene Haus ist gut". Weil wir hier schlicht darauf hinwiesen können, dass es uns nicht darum geht, herauszufinden, was es heißt, eine Sache zu beurteilen, sondern zunächst um die Frage, was es heißt, eine Sache als Beziehung zwischen Begriff und Beschaffenheit zu bestimmen, wäre dem Einwand allerdings nur zu entnehmen, dass Aussagen der Form „Dieses Exemplar einer Gattung ist gut/schön/wahr usf." nicht als Bewertungen der Sache aufzufassen sind. Es wird in diesen nichts anderes als die Möglichkeit der Bewertung der Sache in Aussicht gestellt. Ob diese Bewertung zutrifft, ist einfach dem Zufall anheim gestellt. Insofern hätten wir hier nun das, was eingangs als die Grundform eines falschen Urteils angeführt wurde. Das assertorische Urteil ist falsch, weil es Zufall ist, ob das Prädikat zutrifft oder nicht, ohne dass diese Zufälligkeit an dem Urteil gesetzt ist (insofern gibt Hegels Bemerkung in der Enzyklopädie, der Versicherung, diese Sache sei wahr/gut/schön usf., stehe die entgegengesetzte „mit gleichem Rechte oder vielmehr Unrechte gegenüber" (Enz. § 179) den Sachverhalt besser wieder als die zwar auch wertende, aber die Wertung nicht unbedingt als Wertung kenntlich machende Darstellung in der großen Logik). -
fenheit darstellenden Prädikats führen müsse, mittels des Hinweises, dieses sei schon die konkrete Allgemeinheit (GW 12, 86).
objektive,
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Dieser Mangel des assertorischen Urteils ist zunächst jedoch einfach ein Mangel, den dieses gegenüber dem apodiktischen hat, ohne dass doch schon klar wäre, weshalb dieses als Maßstab von jenem betrachtet werden darf und muss. Näher zeigt sich die Schwierigkeit darin, dass wir am assertorischen Urteil zunächst einfach zu bemängeln hatten, dass in diesem die besondere Beschaffenheit zwar in Anspruch genommen ist, aber nicht als in Anspruch genommen ausgesprochen ist, während die Beschaffenheit der Sache im apodiktischen Urteil offenbar als Rechtsgrund der Zuschreibung des Prädikats auftritt. Mit dem unmittelbaren Übergang vom assertorischen zum apodiktischen Urteil wäre folglich grundlos eine Bedingung der Bewertung zu deren Grund erhoben. Der spezifische Mangel des assertorischen Urteils war zunächst darin zu finden, dass in diesem die Sache als in besonderer Weise beschaffen in Anspruch genommen wird, diese besondere Beschaffenheit aber nicht zum Ausdruck gebracht wird. Die Aufhebung dieses Mangels führt uns dann zwar dazu, das Subjekt als in besonderer Weise beschaffen zu bestimmen. Aber diese Bestimmung des Subjekts scheint einfach nur zu verlangen, dass wir irgendeine besondere Eigenschaft der Sache heranziehen müssen, wenn wir die Sache als Beziehung zwischen Begriff und Beschaffenheit darstellen möchten. Dass diese Fortbestimmung des Subjekts nicht gemeint war, ist wohl offensichtlich. Weshalb sie auch nicht gemeint sein kann, erläutert Hegel in gewohnt kryptischer Manier: Im problematischen Urteil als solchem ist aber dieses Setzen immanenter als in den erwähnten Urteilen [dem partikulären und dem hypothetischen, A. O.], weil in jenem der Inhalt des Prädikates die Beziehung des Subjektes auf den Begriff ist, hier hiermit die Bestimmung des Unmittelbaren als eines Zufälligen selbst vorhanden ist. (GW 12, 86).
Urteile wie ,dieses A ist diesem oder jenem Zweck zuträglich' oder ,Diese Art gehört jener Gattung' an, weisen zunächst denselben Mangel wie Urteile der Form ,dieses A ist gut' auf: Weil wir gerne wissen würden, von welchem A die Rede ist, sind sie allesamt problematisch: sie geben vor, von einem Besonderen zu handeln, ohne dieses in seiner Besonderheit zu fassen. Insofern wäre der oben angeführte Lösungsvorschlag allen drei Urteilsformen gleichermaßen angemessen, wie auch, ob der Missachtung der jeweils spezifischen Problematik, allen dreien unangemessen. Das spezifische Problem von Urteilen der zuletzt genannten Form sieht Hegel nun offensichtlich darin, dass die an Subjektstelle nicht mit dem Begriff der Sache in Beziehung gesetzte Beschaffenheit dieser bereits als ein Zufälliges gesetzt ist. Weshalb dem so ist, hatten wir bereits gesehen: Wenn die spezifische Beschaffenheit des Subjektes als nicht aus dessen Begriff abzuleitend gesetzt ist, dann ist es zwar notwendig, dass das Subjekt über eine von seinem Begriff unterschiedene Beschaffenheit verfügt, dagegen ist es nicht notwendig, dass das Subjekt genau so und so beschaffen ist. Mit dieser Einsicht allein, scheint aber noch kein Staat zu machen. Vielmehr soll sich die aus der Problematik des assertorischen Urteils resultierende Bestimmtheit des Subjekts erst aus der weitergehenden Einsicht ergeben, dass nicht nur das Unmittelbare selbst, die Beschaffenheit der Sache, zufällig ist, sondern infolgedessen auch die Unmittelbarkeit des Subjekts, „welche hierdurch als Zufälligkeit bestimmt wird" (GW 12, 86). Wenn es Zufall ist, ob die Beschaffenheit der Sache ihrem Begriff entspricht, dann
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hängt die Frage, ob etwas gut/schön/wahr ist, eben davon ab, wie die Sache beschaffen ist, worin die Beschaffenheit der Sache unmittelbar in den Rang des Grundes aufrückt, der angibt „warum dem ganzen Subjekt ein Prädikat des Begriffsurteils zukommt oder nicht" (GW 12, 88).
Wie gesagt: wenn dem so ist. Tatsächlich scheint dieser Übergang zunächst alles andere als plausibel: Dass es Zufall ist, ob eine Sache so oder so beschaffen ist, scheint nämlich nicht nur die Möglichkeit zu umfassen, dass eine Sache zwar in mannigfaltiger Gestalt auftritt, aber keine dieser Gestalten ihrem Begriff entspricht. Insofern es darin gerade so scheint, dass es Zufall ist, wenn die Sache ihrem Begriff entspricht, kämen wir einfach zu einem Hegels These, die Unmittelbarkeit des Subjekts sei als Zufälligkeit bestimmt, entgegengesetzten Resultat. Wie also kommen wir von diesem Befund zurück zu dem Befund Hegels? Wenn ich richtig sehe, versteckt sich die Lösung in den Ausgangsbedingungen: Um eine Sache bewerten zu können, müssen wir eben nicht nur wissen, wie sie aktual beschaffen ist, wir benötigen auch den Begriff, an dem wir diese Beschaffenheit der Sache messen. Wie aber sollten wir über diesen Begriff verfügen, wenn wir nicht mit Exemplaren der Gattung vertraut wären, die ihrem Begriff entsprechen? Dann aber hängt die Frage, ob eine Sache gut/wahr/schön usf. ist, auch nicht mehr unbestimmt davon ab, wie sie beschaffen ist, vielmehr hängt die Bestimmung der Sache als gut näher davon ab, dass wir wissen, wie die Sache beschaffen ist, wenn sie gut ist.14 Darin schlägt dann freilich der Versuch, anzugeben, was etwas ist, streng aristotelisch endgültig um in die Angabe dessen, warum etwas ist, was es ist: Weil die Sache so und so beschaffen ist, ist sie als Übereinstimmung von Begriff und Beschaf-
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adäquat dargestellt.
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Frage, ob Hegels These vernünftig ist, dem Urteil sei eine Entwicklung eingeschrieben, die den Schluss als die Wahrheit des Urteils auszeichnet, war oben, kurz gefasst, dahingehend beantwortet worden, dass der Urteilen eigentümliche Anspruch anzugeben, was etwas ist, die Darstellbarkeit des Gegenstandes als Beziehung zwischen der Beschaffenheit einer Sache und ihrem Begriff einfordert, sich darin aber das Wissen um die Beschaffenheit als Grund der Darstellbarkeit dessen, was ein Einzelnes ist, erweist. Von einer Entwicklung des Urteils ist so einzig in dem Sinn die Rede, dass wir Die
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Notwendigkeit des Wissens um die konkrete Beschaffenheit der Sache erweist sich dann auch rückwirkend das oben als die eigentliche Form einer Bewertung angegebene Schema „Dieses A so und so beschaffen ist gut" als bestenfalls irreführend. Scheint das Demonstrativpronomen doch darauf hinzuweisen, dass die angegebene Beschaffenheit der Sache noch nicht hinreicht, um zu erfassen, was die Sache ist. Zweitens kann darauf hingewiesen werden, dass der Nachweis, um der Bewertung der Sache willen sei ein Wissen, von der konkreten Beschaffenheit der Sache notwendig, den spezifischen Mangel des Lügnerparadoxons aufdeckt: Für den ominösen Satz (1) ,Satz (1) ist falsch', gilt gerade, dass wir nicht wissen, wie das Subjekt beschaffen ist, soll sich doch die Kenntnis seiner besonderen Beschaffenheit erst aus seiner Bewertung ergeben, für die aber vielmehr die Kenntnis seiner besonderen Beschaffenheit vorausgesetzt ist. Ob der erstens
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was wir eigentlich zu tun beabsichtigen, wenn wir urteilen und wie wir dieser Absicht nachkommen können. Gleichviel nur gezeigt werden konnte, dass der dem Urteil als solchem eigentümliche Anspruch erst in der Form des apodiktischen Urteils eingelöst ist, sollte auf dem gleichen Weg auch eine vollständige Entwicklung der Urteilsformen möglich sein: Die einzelnen Urteilsformen wären um das Reizwort botanisierend aufzugreifen, um dann im Einzelfall zu klären, ob wir, wenn zu nennen wir etwa eine Sache als auf diesen oder jenen Gesichtspunkt hin beziehbar bestimmen oder ihre Gattungszugehörigkeit angeben, tatsächlich immer angeben wollen, was sie ist, und ob dieser Anspruch sich dann immer auch als in dieser Form nicht erfüllbar erweist. Das ist natürlich nicht der Sinn, in dem Hegel von einer Entwicklung des Urteils spricht, so dass hier noch zu klären ist, ob aufgrund des Gesagten auch in dem stärkeren Sinn von der Entwicklung des Urteils die Rede sein kann, dass die Urteilsformen nicht als faktisch gegeben aufzunehmen sind, sondern auch auseinander abgeleitet werden können. Erste Schritte hierzu waren in der Argumentation bereits angeklungen. So lässt etwa der Nachweis, dass der Begriff der Sache zunächst einfach gefasst als die Angabe des Wesens der Sache näher als Gattungsbegriff aufzufassen ist, darauf schließen, dass der an die Sache als Maßstab anzulegende Begriff allererst aus den vielfältigen Bestimmungen der Sache zu gewinnen ist. (Was wiederum den Rückschluss zulässt, dass Hegel qualitative Bestimmungen einer Sache, insofern er sie als nicht wahr bestimmt, zugleich als in gewisser Weise nicht falsch bestimmen muss. Soll nämlich der Begriff der Sache generiert werden, sind wir offensichtlich auf Bestimmungen der Sache zurückverwiesen, die zwar nicht angeben, was die Sache ist, wohl aber auf diese zutreffen. Erst von diesem als gesichert zu unterstellenden Boden aus, scheint sinnvoll gefragt werden zu können, was die Sache als dasjenige ist, was über die Vielzahl ihr zugeschriebener Bestimmungen verfügt. Die vollständige Ableitung der Urteilsformen sollte sich daher auch aus der hier nicht verhandelten Frage ergeben, was eigentlich der Begriff der Sache ist.15) Der eigentliche Ansatzpunkt für eine vollständige Genese der Urteilsformen liegt freilich in der Unterstellung begründet, der Begriff der Sache gebe deren Wesen an. Zwar war gezeigt worden, dass die Frage, was ein Urteil ist, die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften einer Sache notwendig macht. Dieser Nachweis blieb jedoch von der Voraussetzung abhängig, dass angegeben werden kann, was ein Urteil ist. Gezeigt wurde zwar auch, dass der Urteilen eigentümliche Wahrheitsanspruch interpretiert werden muss als der Anspruch, in Urteilsform angeben zu können, was etwas ist. Nur ist darin nicht nur noch nicht gezeigt, dass dieser Anspruch auch eingelöst werden kann. Wenn es sich so verhält, dass der Anspruch, anzugeben, was etwas ist, nur in Form eines Schlusses eingelöst werden kann, dann scheint darüber hinaus auch festzuhalten, dass nicht sinnvoll davon die Rede sein kann,
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Einige Schritte auf diesem Weg hatten sich in die Argumentation, wenn auch ohne Nachweis der Notwendigkeit ihrer, bereits eingeschlichen: Es galt zu klären, wie die Zweiwertigkeit des Urteils aufzufassen sei. Mit der Rede von der bloßen Relevanz ihrer in logischer Perspektive, wird diese zu einer besonderen Eigenschaft. Mit dem Nachweis, dass das Ungenügen dieser Bestimmung ihrer nicht die Unmöglichkeit der Bestimmung dessen, was ein Urteil ist, nach sich zieht, ist der im unendlichen Urteil liegende Übergang zum singulären Urteil bestritten.
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dass Urteile wahr oder falsch sind. Die neuzeitliche Formulierung, dass Sätze wahr oder falsch sein können, erwiese sich so tatsächlich als die angemessenere, weil sie sich auch auf unsere aktuellen Kandidaten wahrheitsfähiger Aussagen erstreckt auf Schlüsse. Sind wir nach dieser Seite einfach deshalb auf den von Hegel in der Logik eingeschlagenen Weg zurückverwiesen, weil die als notwendig in Anspruch genommene Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften erst noch als aus dem Versuch, ein unbestimmt als bestimmt präsentiertes Subjekt zu bestimmen, notwendig zu erweisen ist, ist dem erzielten Resultat zugleich zu entnehmen, dass sich die vermisste Ableitung der Urteilsformen auch einfach aus der Frage ergibt, wie denn das Verhältnis der Bestimmungen Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit zu denken ist, soll die besondere Beschaffenheit der Sache die Bestimmung ihrer als Fall eines Allgemeinen erlauben. Wenn nämlich die Angabe der besonderen Beschaffenheit der Sache als Vermittlungsgrund auftreten soll, dann muss sie offenbar als eine von der Bestimmtheit der Sache auch unterschiedene und insofern bloß besondere Bestimmung ihrer gedacht werden. Ebenso fällt auch der Begriff der Sache, unterstellt als mit dieser zu vermittelnd, wieder auf den Status einer unbestimmt von der Bestimmtheit der Sache unterschiedenen allgemeinen Bestimmung ihrer zurück. Die Unwahrheit der so resultierenden Behauptung, ein Einzelnes könne aufgrund irgendeiner seiner Bestimmungen als Fall eines Allgemeinen bestimmt werden, zeigt schon, dass das Urteil im Schluss so gut aufgehoben ist, dass die Urteilsformen auch im Schluss ihre Ableitung finden werden. -
Literatur Davidson, D.: „The Structure and Content of Truth", in: The Journal of Philosophy 87/6, 1990, 279326. v. I. Angelelli, 2Hildesheim 1998. Ders.: „Der Gedanke", in: ders.: Logische Untersuchungen, hg. v. G. Patzig, Göttingen 41993, 30-53. Habermas, J.: „Richtigkeit versus Wahrheit", in: ders.: Wahrheit und Rechtfertigung, Frankfurt/M.
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Dritter Teil: Schluss
Christian Iber
Zum erkenntnistheoretischen Programm der Schlusslehre Hegels mit Blick auf seine Kritik am Verstandesschluss Um dem erkenntnistheoretischen Programm der Hegeischen Schlusslogik auf die Spur zu kommen, versuche ich in einem ersten Schritt, die erkenntnistheoretische Dimension der Schlusslehre freizulegen. In einem zweiten Schritt beleuchte ich Hegels Kritik am Verstandesschluss in zwei Anläufen. Seine Kritik am Daseinsschluss behandele ich unter dem Titel „petitio principii der Daseinsschlüsse", seine Kritik am Reflexionsschluss unter dem Titel „Antizipation des Begriffs im Zirkel des Reflexionsschlusses". In einem dritten Schritt ziehe ich das Fazit aus Hegels Kritik am Verstandesschluss, und zwar in Gestalt einer aporetischen Diskussion der Begründung der Selbstbegründung des vernünftigen Schließens des begreifenden Denkens.
I. Zur erkenntnistheoretischen Dimension der Hegeischen Schlusslehre lässt sich nur dann angemessen verstehen, wenn man ihre erkenntnistheoretische Dimension berücksichtigt. Die Begriffslogik erörtert die Denkformen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, in denen das Denken an sein Ziel kommt, nämlich die wahre Natur der Sache zu ermitteln und damit deren Wesen explizit zu machen. Auch in bezug auf die Urteilslehre lässt sich eine erkenntnistheoretische Lesart geltend machen. Hegel nimmt eine erkenntnistheoretische Interpretation des Urteils vor, wenn er es als immanentes Unterscheiden oder Bestimmen des Begriffs fasst (vgl. Enz. § 165). Er besteht darauf, dass das Urteil vom bloßen Satz unterschieden ist und eine Form objektiven Wissens darstellt (vgl. Enz. § 167). Das Urteil enthält einen Objektivitätsanspruch des Wissens. Und dies ist es, was Hegel interessiert. Deshalb analysiert er die Urteilsformen, d.h. die logischen Verhältnisse von Subjekt und
Hegels subjektive Begriffslehre
120
Christian Iber
Prädikat im Urteil. Denn wusste auf den
von diesen hängt es ab, Begriff gebracht ist oder nicht.
ob die Sache
getroffen,
d.h. als ge-
Zweck des Urteils ist, die Identität der Sache zu erfassen. Daher behandelt Hegel das kopulative Verhältnis von Subjekt und Prädikat als eines der Identität in der Differenz. Identität bezeichnet hier nicht die numerische Identität eines Gegenstandes, der Träger verschiedener Kennzeichnungen ist, sondern das Verhältnis von Bestimmung und zu bestimmender Sache. Die Leistung des Urteils besteht darin, die zu bestimmende Sache von ihren Bestimmungen zu unterscheiden, um die Identität mit ihren Bestimmungen als gewusste erst zustandezubringen. Durch seine Form, die behauptete Identität von Subjekt und Prädikat, verspricht das Urteil zwar anzugeben, was sein Gegenstand ist. Doch die meisten Urteilsformen lösen dieses Versprechen nicht ein. Die in ihnen fehlende inhaltliche Deckungsgleichheit zwischen Subjekt und Prädikat widerspricht der formal behaupteten Identität beider. In diesem Widerspruch liegt der Mangel des Urteils begründet. Die Aufhebung des Widerspruchs zwischen behaupteter Identität von Subjekt und Prädikat und noch vorhandener inhaltlicher Differenz ist die Weise, wie sich die Urteilslogik zum Begriff der Sache vorarbeitet. Der Begriff der Sache, der Zweck der Erkenntnis, tritt am Ende der Urteilslogik in der „erfüllte[n] oder inhaltsvolle[n] Copula" (GW 12, 89/TW, 351)
hervor. Auch das vollendete Urteil hat noch einen Mangel, die Identität zwischen Subjekt und Prädikat ist eine nur behauptete. Den Beweis dieser Behauptung liefert der Schluss. Hegel fasst den Begriff als latentes Urteil und das Urteil als latenten Schluss auf. Die Überführung des Urteils in die begründete Form des Schlusses ist die „Erfüllung des leeren: Ist, der Copula" (Enz. § 180). Hegel orientiert sich dabei an dem Sachverhalt, dass jeder Syllogismus vereinfacht als Begriffstrias dargestellt werden kann, nämlich so, dass die Kopula im Urteil ,S ist P' erfüllt wird durch den médius terminus Q der Prämissen dieses Urteils. Der Syllogismus hat dann die Form S-Q-P. Das bedeutet: ,S als Q ist P'. Der Schluss beweist, dass das Subjekt des Urteils nichts anderes ist als das, was im Prädikat behauptet wird, indem er den Grund benennt, welcher Subjekt und Prädikat vermittelt. Erkenntnistheoretisch formuliert: Der Schluss zeigt die im Urteil behauptete Objektivität des Wissens in ihrer Notwendigkeit auf. Die Schlusslogik beantwortet die Frage, inwiefern das Wissen über eine Sache zureichend begründet ist. Erst im Schluss realisiert das begreifende Erkennen seinen Zweck. Der Schluss hat daher eine Affinität zu dem Vermögen, das nach Kant über Erfahrung hinausgehend Erkenntnis zu geben verspricht, der Vernunft. Hegel kritisiert den nach seiner Auffassung zu Unrecht gemachten Unterschied zwischen einer formalen, bloß schließenden und einer inhaltlichen Vernunft. Die schließende Vernunft müsse 1
2
Vgl. Kruck/Schick (1996), 177f. Hegels Annahme, die Kopula werde durch ihre inhaltliche Erfüllung zur Mitte des Schlusses, gehört nach Theunissen zu „dem im schlechten Sinne Spekulativen seiner Urteilslehre" (Theunissen 1978, 457). Nun ist es gerade eine Stärke Hegels, dass er den im Urteil enthaltenen Objektivitätsanspruch des Wissens unter Begründungserfordernisse stellt. Hegels Schlusslehre ist daher auch keine „Restauration der formalen Logik" (ebd.), sondern ergänzt das im Urteil behauptete objektive Wissen um die Begründung seiner Notwendigkeit.
Zum erkenntnistheoretischen Programm
der
121
Schlusslehre Hegels
„auch in der Vernunft, die es mit einem Inhalte zu thun hat, zu erkennen seyn" (GW 12, 90/TW 6, 352). Der sich mit seinem Gegenstand inhaltlich befassende vernünftig betä-
muss seine Urteile begründen. Und dies geschieht in der Form von Schlüssen. Der Ausdruck ,Schluss' bedeutet also nicht nur formale Folgerichtigkeit, sondern die Realisierung des Zwecks des begreifenden Denkens. Ziel der Schlusslehre Hegels ist, den Schluss dem begreifenden Denken zu vindizieren. Obgleich der Schluss seinem Begriffe nach die Begründungsform der inhaltlich erkennenden Vernunft ist, ist er, wie er zunächst in seiner Anfangsgestalt auftritt, ein Formales, der Verstandesschluss, wie ihn die traditionelle Syllogistik vor sich hat. Den Verstandesschluss handelt Hegel unter dem Titel Daseins- und Reflexionsschluss ab. Der Schluss ist also nicht bei seinem ersten Auftreten das, was er in Wahrheit ist. Er muss daher eine dialektische Bewegung durch verschiedene Formen durchlaufen, durch die er der traditionellen Syllogistik entrissen und dem begreifenden Denken überantwortet wird, in welchem er zu seinem Ziel, zur Entsprechung mit seinem Begriffe
tigende Verstand
kommt. Die einzelnen Schlussformen teilt Hegel, den drei ersten Urteilsformen entsprechend, in drei Gattungen ein, den Schluss des Daseins, den Schluss der Reflexion und den Schluss der Notwendigkeit, die wie in der Urteilslehre den Kategorien Qualität, Quantität und Relation zugeordnet sind. Der ,Schluss des Begriffs', der dem Urteil des Begriffs entspräche wie die anderen Schluss- den anderen Urteilsformen, fehlt, weil im Verlauf der Notwendigkeitsschlüsse der Begriff der Sache seine Realisierung erfahrt. Da es Hegel auch hier, wie bei der Analyse der Urteilsformen, auf den logischen Forminhalt der Schlüsse ankommt, der in den Begriffsbestimmungen und ihrem Verhältnis zueinander liegt, werden in die formalen Termini des Schlusses Ober-, Unter- und Mittelbegriff die Bestimmungen des Begriffs Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit eingesetzt und jedem Schluss ein Schema, eine Figur von Begriffsverhältnissen -
-
zugeordnet.
Die drei Schlussfiguren E-B-A, B-E-A, E-A-B gelten nicht nur für die Variation innerhalb der Schlussgattungen, sondern artikulieren für die drei verschiedenen Schlussgattungen jeweils die Grundfiguren, woraus sich neun Schlussformen ergeben (mit Ausnahme des mathematischen Schlusses). Die Schlusslehre bildet ein System von drei Schlussgattungen. Allerdings ist dies nicht im formallogischen Sinne gemeint, sondern als das Insgesamt der Forminhalte der Schlüsse. Hegel war sich klar darüber, dass es zur Beurteilung der Schlussformen darauf ankommt, die Schlüsse auf ihren Forminhalt zu untersuchen. Den erkenntnistheoretischen Wert der Syllogistik konnte die traditionelle Logik nicht berücksichtigen, weil sie die logische Form vom gedachten Inhalt eines Schlusses absonderte. Hegel hielt diese Trennung der logischen Form vom gedachten Inhalt der Schlüsse für einen Fehler: 3
Der Sachverhalt, dass der Schluss die Begründung des im Urteil festgehaltenen objektiven Wissens über die Sache ist, hat Hegel dazu bewogen, dem Schluss zugleich eine ontologische Deutung zu geben: „Alle Dinge sind der Schluß" (GW 12, 95/TW, 359). Das ist natürlich sowenig der Fall, wie „alle Dinge [...] ein Urtheil [sind]" (Enz. § 167). Nicht sind die Dinge Urteile, sondern das Nachdenken über Dinge besteht aus Urteilen. Das Urteil ist eine Form objektiven Wissens über Dinge und der Schluss die Begründung dieses Wissens.
Christian Iber
122
deswegen schon, weil ein Logiker, der diese Trennung vornimmt, in seiner Befassung mit den von allem Inhalt abstrahierten Formen eben diese zum Inhalt seiner Gedanken macht. Zweitens aber vor allem deswegen, weil diese Trennung von der Logik nichts übrig lässt. Abstrahiert man nämlich von dem Inhalt eines Schlusses, so abstrahiert man damit auch von den logischen Formbestimmungen dieses Inhalts, die sprachlich in den verschiedenen Konjunktionen (,wenn dann', ,weil' etc.) ausgedrückt werden. Sie reduzieren sich dann auf bloß festgelegte Hegel sagt ,,erfunden[e]" (GW 12, 108/TW 6, 377) Regeln der Wahrheitserhaltung miteinander kombinierter Sätze. Die logische Form steht zwar nach wie vor der Trennung von ihrem Inhalt auch in der formalen Logik für die Notwendigkeit des Denkens der formalen Logik geht es ja um ,korrektes Schließen' aber die Notwendigkeit ist explizit keine des gedachten Inhalts und hat daher auch keine objektive Wahrheit. Zwar bekennen sich die formalen Logiker mit ihrem Begriff der logischen Wahrheit zu einer Wahrheit, die aber nicht objektiv ist. Wahrheit bedeutet dann nichts weiter als die Übereinstimmung mit den Regeln der Wahrheitserhaltung miteinander verbundener Sätze: Wahrheit regelrecht. Doch diese Regeln haben mit der Gesetzmäßigkeit der gedachten Sache nichts mehr zu tun. Der Anspruch auf logische Wahrheit wird damit dem Anspruch auf Objektivität, auf Wissen über die Welt gegenübergestellt. Das Denken ist in diesem Weltbild zweigeteilt: erstens als Notwendigkeit ohne Objektivität und zweitens als Objektivität ohne Notwendigkeit. Formale Logik und empirische Erkenntnis stehen sich dualistisch gegenüber.4 Diesem Zusammenhang von formaler Logik und erkenntnistheoretischem Empirismus gilt Hegels Kritik in der Schlusslehre. Erstens
...
-
-
-
,
-
=
Der erkenntnistheoretische Wert der Schlussformen bemisst sich an zweierlei: ersan der kategorialen Verfassung der Begriffsmomente und zweitens an der Art und Weise ihrer Vermittlung. Die erkenntnistheoretische Bedeutung der Schlussformen tritt zu tage, wenn wir sie unter diesen beiden Gesichtspunkten betrachten. Der Verstandesschluss ist zunächst eine Form des Zusammenschließens qualitativ verschiedener Inhalte, für die im Daseinsschluss die drei Terme Einzelnes, Besonderes und Allgemeines stehen. Aufgrund ihrer qualitativen Verschiedenheit wird ihre Vermittlung nicht an ihnen selbst gesucht, sondern in einer ihnen gemeinsamen Beziehung auf ein Drittes, das als ein von ihnen selbst verschiedener Beziehungsgrund fungiert. Diese Konstellation reflektiert die Gleichgültigkeit von Form und Inhalt der Terme im Daseinsschluss. An einem in der Einheit seiner Bestimmungen unbegriffenen Einzelnen wird irgendeine wahrnehmbare besondere Bestimmung herausgegriffen, aufgrund derer das Einzelne einer allgemeineren Bestimmung subsumiert werden kann, die ebenfalls irgendeine durch Abstraktion herausgehobene weitere Bestimmung am Besonderen ist. Zwar ist das Einzelne als dieses Besondere jenes Allgemeine, aber weder ist das Allgetens
in der Erkenntnis sind selbstfabriziert und damit für die Erfassung der Wirklichkeit wertlos" (Albert 1980, 30). Diesem Grundsatz korrespondiert der andere: ,J£s ist unmöglich, durch reines Nachdenken und ohne empirische Kontrolle (mittels Beobachtungen) einen Aufschluß über die Beschaffenheit und über die Gesetze der wirklichen Welt zu gewinnen" (Stegmüller 1969, 346). Dieser Dualismus im modernen logischen Empirismus geht auf den Kontrast zwischen dem Bereich unbedingt sicherer Erkenntnis des wahrhaft Seienden und dem der Meinungen in bezug auf die scheinhafte Erscheinungswelt in Parmenides' Lehrgedicht zurück.
,AHe Sicherheiten
Zum erkenntnistheoretischen Programm der Schlusslehre Hegels
meine das
Allgemeine Allgemeinen.
des
Gegenstandes
123
noch ist das Besondere das Besondere des
Der Schluss der Reflexion überwindet den Mangel des Daseinsschlusses, insofern seine Mitte an sich selbst schon die Beziehung auf die Extreme enthält. Die Termini treten somit in ein wesentliches Verhältnis. Doch bleibt die Mitte auch im Reflexionsschluss noch formell. Die Mitte nimmt zwar ausdrücklich die Beziehung auf die Extreme in sich auf, so aber, dass diese Beziehung den Inhalt der Extreme noch genauso unbegriffen und äußerlich belässt wie zuvor. Der Zusammenschluss des Einzelnen mit einer allgemeinen Bestimmung erfolgt nicht mehr durch ein Drittes, irgendein Besonderes, sondern ist durch die Umfangsallgemeinheit des Einzelnen vermittelt, die die Pluralität seiner qualitativen Bestimmungen übergreift. Im Reflexionsschluss ist daher nicht der qualitativ verschiedene Inhalt der Begriffsbestimmungen, sondern das quantitative Verhältnis ihrer Umfange zueinander entscheidend. Weiterhin jedoch wird die Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem von einem inhaltlich unbegriffenen Einzelnen
geleistet. Der Mangel des Reflexionsschlusses wird behoben, wenn die Konstellation der Begriffsbestimmungen Einzelnes, Besonderes und Allgemeines nicht mehr als äußerliches Verhältnis von Begriffsumfangen, sondern als Zusammenhang ihres allgemeinen Begriffsinhalts gedacht wird. Das setzt voraus, dass die komprehensive Allgemeinheit einer inhaltlichen Allgemeinheit weicht, die am Einzelnen herausgearbeitet wird. Im Vernunftschluss werden an einer Sache nicht mehr wie im Daseinsschluss fragmentartig qualitativ verschiedene Inhalte aufeinander bezogen noch wird wie im Reflexionsschluss eine in ihren qualitativ beschreibbaren Zuständen mit sich identische Sache relativ auf ihre komprehensive und inhaltliche Allgemeinheit näher bestimmt. Vielmehr wird in ihm eine inhaltlich mit sich identische Sache aufgrund ihrer erkannten allgemeinen Natur in ihrer Spezifik erschlossen. Das Verhältnis der Begriffe im Vernunftschluss als Verhältnis ihrer allgemeinen Begriffsinhalte zueinander setzt eine weitere Reform der Mitte voraus. Im Schluss der Notwendigkeit ist die Formvermittlung der Mitte kein bloßes Scheinen in die inhaltlichen Extreme, sondern am Inhalt der Extreme selbst gesetzt. Nur so kann an den Termen Einzelnes, Allgemeines und Besonderes ein inhaltlich notwendiger Zusammenhang freigelegt werden. Das Besondere erweist sich im Verhältnis zum Einzelnen als eine allgemeine Bestimmung, die das Einzelne in seiner Totalität erfasst, im Verhältnis zum Allgemeinen erweist sich das Besondere als interne, notwendige Spezifikation des Allgemeinen. II.
Hegels Kritik des Verstandesschlusses:
/. Die petitio principii der Daseinsschlüsse 1. Die Grundfigur und damit die 1. Figur des Daseinsschlusses wird notiert mit E-B-A. Ein einzelnes, empirisch gegebenes Subjekt (E) wird aufgrund irgendeiner wahrnehmbaren besonderen Qualität (B) an ihm unter Ausblendung anderer mit einer allgemeineren Bestimmung (A), die ein beliebiges Element der besonderen ist, zusammengeschlossen. Hegels Beispiel in der Enzyklopädie: „diese Rose ist rot; Rot ist eine Farbe,
124
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also ist diese Rose ein Farbiges" (§ 183 Zus./TW 8, 335). Hegel zielt mit seiner 1. Figur auf die Rekonstruktion der 1. Aristotelischen Figur im Modus Barbara ab, in welchem der Mittelbegriff einmal an Prädikat- und einmal an Subjektstelle vorkommt. Im ersten qualitativen Schluss werden kategorial verschiedene Dinge, ein Wirkliches und eine allgemeine prädikative Bestimmung durch eine wahrnehmbare besondere Qualität, die zufällig zum einen etwas mit dem Wirklichen, zum anderen etwas mit der allgemeinen Bestimmung gemeinsam hat, in ein Inhärenz- bzw. Subsumtionsverhältnis gebracht. Hegel arbeitet heraus, dass die Vermittlungs- oder Begründungsstruktur dieses Schlusses noch keine logische Form darstellt, die ein notwendiges Verhältnis dieser inhaltlichen Bestimmungen bezeichnet. Das doppelte Inhärenz- bzw. Subsumtionsverhältnis ist bloß eine terminologische Regel zur formalen Herleitung eines Satzes, über den wir ohnehin schon verfügen. Die Schlusssätze sind Aussagen, die ihren Grund, ihren Inhalt und ihre Bestätigung in der Wahrnehmung haben, so dass die ganze schlussförmige Darstellung derselben ebenso hätte unterbleiben können. Der Inhalt ist der Schlussform völlig unangemessen. Der Trennung der Form vom Inhalt des Schlusses korrespondiert, dass der Schluss selbst nur auf das Konto des schließenden Subjekts geht. Er ist nicht im Begriff der Sache begründet. Hegel ist nun zunächst folgendes aufgefallen: Während der Schluss in der Spätantike und im Mittelalter als Verhältnis dreier Sätze gefasst wurde, wobei die logische Vermittlungsstruktur als eine „im Subjecte vorgegangene Folgerung" erscheint, „welche aus der subjectiven Einsicht in das Verhältniß der beiden unmittelbaren Prämissen abgeleitet werde" (GW 12, 94/TW 6, 357), herrscht bei Aristoteles eine Form vor, die die logische Vermittlungsstruktur deutlicher hervortreten lässt. Der Schluss ist eine einzige dreigliedrige Vermittlungsstruktur, die sich als Begriffstrias darstellen lässt, die nur der sprachlichen Ausdrucksform nach aus zwei Vordersätzen und einem SchlussSatz besteht.6 Wenn also der Schluss als „aus drey Urtheilen bestehend" (GW 12, 94/TW 6, 358) angeführt wird, so wird bei dieser Auffassung das in der Beziehung der Extreme zur Mitte liegende Begründungsverhältnis nicht ausdrücklich gemacht. Deshalb notiert Hegel die grundlegende 1. Figur des Daseinsschlusses mit dem Schema EB-A, die zu erkennen gibt, dass die Besonderheit als Mittelbegriff die Vermittlung leistet. Aber auch Aristoteles hat nach Hegel die fomal-deduktiven Schlüsse nicht auf ihren Forminhalt hin untersucht. Da nach Aristoteles nur die Schlüsse der 1. Figur vollkommene Schlüsse sind, sind die unvollkommenen Schlüsse der 2. und 3. Figur nur indirekt, 5
6
Im Rekurs auf Anal. Prior. I 4, 25b32-35 erklärt Hegel, dass sich Aristoteles mehr an das Verhältnis der Inhärenz, während er selbst sich eher an das der Subsumtion halte. Doch auch Aristoteles fasst das Verhältnis der Schlussterme sowohl als Inhärenz als auch als Subsumtion, denn er versteht den Begriff der Inhärenz als Zukommen eines Prädikats, wofür er auch den Begriff des „Enthaltenseins in" {en to einai) (24b28f.) verwendet. Wenn A einem B zukommt, ist B in A enthalten oder B ist A sub-
sumiert (vgl. Krohn 1972, 99ff). Die Schlussfiguren werden von Aristoteles nach der Stellung des terminus maior (Prädikat P), terminus médius (M) und terminus minor (Subjekt S) unterschieden und dann als dreigliedrige Begriffsstruktur von Ober-, Unter- und Mittelbegriff formuliert (vgl. Anal. Prior. I 3, 25b32ff). Allerdings versucht er Individuenbegriffe zu vermeiden.
Zum erkenntnistheoretischen Programm
der
Schlusslehre Hegels
125
Zurückführung auf vollkommene Schlüsse der 1. Figur evident, denen daher Auch nach Hegel beruhen die Schlüsse der 2. und 3. Figur, „sofern der Vorrang sie richtige Schlüsse seyn sollen", „auf der wesentlichen Form des Schlusses überhaupt, welche die erste Figur ist" (GW 12, 94/TW 6, 357). Andererseits sind ihm zufolge die 2. und 3. Figur „nicht verschiedene Arten von Figuren, die neben der ersten stehen", sondern „Umformungen, in welche jene erste abstráete Form nothwendig übergeht" (ebd.). Hegel beansprucht also, eine Ableitung der deduktiv-formalen Schlussformen zu geben. Die abgeleiteten Figuren stehen daher auch in einer anderen Reihenfolge als bei Aristoteles. Die 2. Hegeische Figur entspricht der 3. Aristotelischen, die 3. Hegeische Figur der 2. Aristotelischen. Diese Ableitung das ist das Entscheidende erfolgt durch eine Reflexion auf das spezifische Defizit des Forminhalts der 1. Figur des Daseinsschlusses. Deshalb legt Hegel den Mangel des Daseinsschlusses in zwei Schritten dar. 1. Dem Inhalt nach ist es zufallig, welche besonderen Bestimmungen des Gegenstandes aufgefasst und herausgegriffen werden und in ein doppeltes Subsumtionsverhältnis mit dem Gegenstand einerseits und dem allgemeineren Prädikat andererseits gebracht werden, so dass auch die Formbeziehung der miteinander zusammengeschlossenen Bestimmungen selbst zufällig ist. Dieser Mangel des Daseinsschlusses gründet darin, dass in ihm ein Subjekt (E) als unbegriffene Einheit seiner Bestimmungen zugrunde liegt. 2. Der Form nach besteht der Mangel des Daseinsschlusses darin, dass nur die Konklusion vermittelt, die Prämissen aber unmittelbar sind, was dem Zweck des Schlusses widerspricht, das bloß behauptete Urteil in seiner Notwendigkeit zu begründen, was a fortiori für die Prämissen dieses Schlusses gilt. Die Forderung nach Notwendigkeit der Begründung tritt daher „gewöhnlich" (GW 12, 98/TW 6, 362) in Gestalt der Forderung nach Prämissenbeweis auf. Denn nur wenn ein gültiger Schluss wahre Prämissen hat, erhebt er sich
erst nach
gebührt.7
-
zum
-
Beweis.8
Werden nun die Prämissen der Schlussform E-B-A, nämlich E-B und B-A durch dieselbe Schlussform bewiesen, so wird nur die defizitäre Form E-B-A ins Unendliche vervielfältigt. Zur Behebung des Begründungsregresses schlägt Hegel das Verfahren vor, wonach die beiden neuen Schlussformen (die 2. und 3. Hegeische Figur) die verbleibenden Prämissen der 1. Figur (B-A, E-B) als Konklusionen erweisen. An keiner Stelle spricht Hegel davon, dass es ihm in der Logik des Daseinsschlusses um einen „ringförmigen Beweis der Prämissen"9 im formallogischen Sinne geht. Und bereits Trendelenburg hat gezeigt, dass die Schließung des Kreises gar nicht gelingen kann, wenn man die formallogisch gültigen Schlussmodi zugrundelegt. Denn die Schlusssätze der (Hegeischen) 2. Figur sind partikulär und die der (Hegeischen) 3. Prior. I 1 und Anal. Prior. I 7, 29bff. Die gültigen Modi der 1. Figur treten bei Aristoteles als Axiome auf, aus denen die anderen Syllogismen als Theoreme abgeleitet werden. Die Verfahren der Ableitung bzw. Zurückführung sind analytische Umformungen, Konversionsregeln und einige Annahmen über die Kontradiktion. Aristoteles gibt daher für die Ungültigkeit seiner unvollkommenen Syllogismen die tautologische Auskunft, sie seien keine vollkommenen. Zur Reduktionsproblematik in Anal. Prior I 4-6 vgl. Patzig (1959), 137ff. Den Mangel der 1. Figur des Daseinsschlusses diskutiert ausführlich Schick (2003), 90-100. Hartmann (1999), 337.
Vgl. Aristoteles, Anal.
9
126
Christian Iber
Figur negativ,
sofern sie um formal richtig zu sein auf die 1. Figur zurückgeführt werden müssen. Im übrigen rekurriert Hegel beim Übergang der Schlussfiguren nicht auf die gelingende Beweisbarkeit ihrer Prämissen, sondern auf den spezifischen Mangel ihres Forminhalts. Der Übergang zeigt deutlich, dass sich der Gedanke der gegenseitigen Voraussetzung der Figuren des Daseinsschlusses aus dem Defizit seines Forminhalts ergibt und auch das Defizit dieses Forminhalts dokumentiert, keineswegs jedoch im formallogischen Sinne zu verstehen ist. E-B-A vermittelt E-A, setzt dieses jedoch zugleich als Unmittelbares voraus, das zugleich als E die Vermittlung für die Figur B-E-A abgibt. Entsprechendes gilt für die 2. Figur B-E-A. Sie vermittelt B-A, setzt dieses jedoch zugleich als Unmittelbares voraus, das zugleich als A die Vermittlung für die Figur BA-E abgibt. Und dieser Vermittlungsgedanke ist tatsächlich eine petitio principii. Aber diese petitio principii des wechselseitigen Voraussetzens der Schlussfiguren macht nur deren Mangel offenkundig. -
Übergang zur 2. Figur B-E-A
-
macht das Defizit des ersten so Hegels These Schlusses offenbar. Seine beruht dass seine Grundlage darauf, qualitativen Zufälligkeit das in seiner Einheit nicht begriffene Einzelne ist. Daher ist es nur konsequent, das in der 1. Figur als Allgemeines bestimmte Einzelne zur Mitte der neuen Schlussfigur zu machen. Mit seiner 2. Figur, deren Prämissen E-B und E-A sind, rekonstruiert Hegel die Aristotelische 3. Figur, wo der Mittelbegriff zweimal an der Subjektstelle steht. Die Analyse des Forminhalts der 2. Figur gibt zu erkennen, dass ihre Extreme, das Allgemeine und das Besondere, nicht notwendig zusammengeschlossen sind, weil sie nur zufällig an irgendeinem Einzelnen vorkommen. Damit hat Hegel den Grund freigelegt, warum seine 2. Figur bzw. die Aristotelische 3. Figur formal unrichtig ist. Denn wenn ein und dasselbe Einzelne zufällig zwei allgemeinen Bestimmungen, dem Besonderen und dem Allgemeinen, subsumiert wird, so folgt daraus nicht notwendig, dass die beiden allgemeinen Bestimmungen, die Extreme dieses Schlusses, unter sich in einem Subsumtionsverhältnis stehen. Formallogisch richtig wird die 2. Figur nur unter der Bedingung, dass seine zweite Prämisse zur Partikularität eingeschränkt wird: Nur einige Einzelne sind das Besondere, was auch die Partikularität des Schlusssatzes zur Folge hat: Da nur einige Einzelne, die unter das Besondere fallen, unter das Allgemeine fallen, fallen nur einige Besondere unter das Allgemeine. Hegel rekonstruiert damit seine 2. Figur als Modus Datisi der 3. Aristotelische Figur, die eine partikuläre Prämisse und eine partikuläre Konklusion hat. 2. Der
Beispiel:
E-A (a) E-B (i) B-A (i)
-
-
Staubsauger sind nützlich Einige Dinge sind Staubsauger Also: Einige Dinge sind nützlich
Die Partikularität des Schlusssatzes gibt zu erkennen, dass es unbestimmt ist, welche Dinge nützlich sind und welche nicht. Fest steht nur, dass einige Dinge nützlich sind,
Vgl. Trendelenburg (1870), 366f; Düsing (1986), 28 Anm. 18;
Hösle
(1988), 182.
Zum erkenntnistheoretischen Programm
der
Schlusslehre Hegels
127
andere nicht. Dies gilt aber ganz unabhängig von diesem Schluss. Was der Schluss vermittelt, gilt gegen ihn unvermittelt. Damit wird am Forminhalt der 2. Figur die Zufälligkeit und Nicht-Notwendigkeit der Vermittlung der 1. Figur explizit. Da durch das Einzelne ein Zusammenschluss von Besonderem und Allgemeinem nicht bzw. nur durch den Verlust der Bestimmtheit der Besonderheit zustandekommt, hat der médius terminus Einzelnes, der für die zufällige Einheit von Besonderem und Allgemeinem steht, in Wahrheit den Sinn der „abstractefn] Allgemeinheit" (GW 12, 102/TW 6, 396), wodurch eine weitere Form des Schlusses zustandekommt. 3. Die 3. Figur E-A-B ist für Hegel die „Wahrheit des formalen Schlusses" (GW 12, 104/TW 6, 369), weil sie dessen ganzes Defizit zutage fördert. Mit seiner 3. Figur, deren Prämissen E-A und B-A sind, zielt Hegel auf die Rekonstruktion der 2. Aristotelischen Figur ab, in der der Mittelbegriff beide Mal in Prädikatstellung steht. In ihrem Forminhalt drückt die 3. Figur aus, dass dessen Extreme Einzelnes und Besonderes nicht durch ihre Bestimmtheit, sondern durch das abstrakt Allgemeine, das von ihrer Bestimmtheit abstrahiert, verbunden werden. Da hier aus dem Umstand, dass das Einzelne und Besondere je für sich unter das abstrakt Allgemeine fallen, nicht notwendig folgt, dass das Einzelne unter das Besondere fällt, ist auch dieser Schluss formallogisch
unrichtig. Formallogisch richtig wird die 3. Hegeische Figur nur unter Voraussetzung einer negativen Prämisse und entsprechender negativer Konklusion. Denn nur wenn das Einzelne nicht unter das Allgemeine fallt, das das Besondere subsumiert, oder das Einzelne unter das Allgemeine fällt, das das Besondere nicht subsumiert, schließen das Einzelne und das Besondere einander notwendig aus. Damit ist die 2. Aristotelische Figur etwa im Modus Camestres rekonstruiert, welche eine e-Prämisse und eine eKonklusion hat." Beispiel: E-A (a): B-A (e): E-B (e):
Alle Menschen sind sterblich kein Stein ist sterblich kein Mensch ist ein Stein
So wie die zweite
Figur die geforderte Notwendigkeit der Vermittlung der Prämisse BFigur aufgrund der Partikularität ihrer Konklusion nicht erbringt, denn dass das Besondere unter das Allgemeine fällt, folgt nicht aus dem Umstand, dass Teile des Besonderen unter das Allgemeine fallen, so erbringt die dritte Figur nicht die geforderte Notwendigkeit der Vermittlung der Prämisse E-B der ersten Figur aufgrund der NegatiA der ersten
Hegel hebt in der Anmerkung hervor, dass er, obgleich er die Frage nach den gültigen Modi der Aristotelischen Figuren nur partiell berücksichtigt, dabei das „Hauptmoment" (GW 12, 106/TW 6, 374) angeben habe. Auch wenn er „im vierzehnten Jahre sämtliche Figuren und Regeln der Schlüsse" (TW 11, 18) beherrschte, hält er es für überflüssig, die gültigen Schlussmodi der einzelnen Figuren vollständig aufzuführen, da sie für die Denkpraxis des Schließens keine Rolle spielen. Wert und Bedeutung der gültigen Modi, die die mittelalterliche Schulphilosophie mit dreisilbigen Merkwörtern bezeichnete, werden zumeist überschätzt. Aus demselben Grund kritisiert Hegel die Formalisierungsbemühungen der Syllogistik bei Leibniz und Ploucquet.
128
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vität ihrer Konklusion. Vielmehr dokumentiert sie nur die Notwendigkeit ihres Nichtvermitteltseins. Damit ist die Zufälligkeit und Nicht-Notwendigkeit des Schließens im Daseinsschluss selbst in seiner Notwendigkeit bewiesen. Für alle Figuren des Daseinsschlusses gilt, dass die Vermittlung durch den terminus médius nur gelingt, wenn die Extreme schon anderweitig zusammengeschlossen sind. Was erschlossen wird, ist dem Schluss bereits vorausgesetzt. Die Gültigkeit der formalen Schlüsse beruht allein auf der logischen Form, der gegenüber der Inhalt gleichgültig ist, also auf einer Trennung von Form und Inhalt. Der begriffslose Inhalt, der in die Form eines Schlusses gegossen ist, ist in einer petitio principii diesen formalen Schluss-
formen bereits vorausgesetzt.12 Das Resultat der Daseinsschlusslogik ist mithin ein völliger Gegensatz von Logik und Erkenntnis, was sich für Hegel in der völligen Begriffslosigkeit des mathematischen Schlusses dokumentiert, in den die 3. Figur aufgrund der in ihrer Mitte liegenden Abstraktion übergeht: A-A-A: „Wenn zwey Dinge oder Bestimmungen einem dritten gleich sind, so sind sie unter sich gleich" (GW 12, 104/TW 6, 371). Er markiert den Endpunkt der Tendenz der Daseinsschlüsse, die notwendige Vermittlungsforderung nur auf Kosten der Bestimmtheit der Terme Einzelnes, Besonderes und Allgemeines einzulösen. Somit ergibt sich erstens, dass der Schlusssatz der Daseinsschlüsse nur richtig ist, insofern er für sich selbst bereits richtig ist. Der vermittelte, bewiesene Schlusssatz ist also in einer petitio principii als ein unmittelbarer, nicht-bewiesener zugleich vorausgesetzt. Nur als solcher geht er in die Prämisse des Schlusses ein, in den der jeweils vorhergehende übergeht. Durch die wechselseitige Vermittlung der Prämissen der Figuren durch die jeweils anderen Figuren wird zwar dem Begründungsregress entgangen, jedoch nur um den Preis, dass die petitio principii des Daseinsschlusses in den Kreis des gegenseitigen Voraussetzens, den diese drei Schlüsse miteinander bilden, integriert wird. Somit scheint die kritische Diagnose zutreffend zu sein, dass die petitio principii der allseitigen Vermittlung der Daseinsschlüsse den Mangel des Daseinsschlusses zusammenfassend zum Ausdruck bringt. Nun soll aber nach Hegel zweitens das Resultat der Daseinsschlusslogik nicht nur dieses negative sein, sondern auch etwas Positives enthalten, das zum Schluss der Reflexion überleitet. Zunächst scheint es, dass wir mit dem negativen Resultat des Daseinsschlusses, wonach die Vermittlung die Konklusion voraussetzt, hinter die Schlussform selbst auf unmittelbare Urteile zurückgefallen sind. Diesem Befund steht jedoch der bleibende Vermittlungsbedarf gegenüber. Eingelöst werden kann er nur durch eine Formveränderung des Schlusses, in dem die Extreme nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach miteinander vermittelt werden.
12
Die petitio principii der Daseinsschlüsse verweist auf die historische Entstehung der Syllogistik aus dem Bedürfnis, formale Regeln aufzufinden, um im Streitgespräch einen vorgegebenen, bekannten Satz ohne Trugschlüsse aus respektablen Ansichten, sog. endoxa, erfolgreich zu verteidigen (vgl. Aristoteles, Top. I 1, 100al8ff).
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2.
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Antizipation des Begriffs im Zirkel des Reflexionsschlusses
Die Ebene des Reflexionsschlusses ist erreicht, sobald ein Ineinander-Scheinen der Terme des Schlusses gegeben ist. Der Schluss der Reflexion überwindet die Abstraktheit der Mitte des Daseinsschlusses in Richtung auf eine Mitte, der die Extreme wesentlich zugehören. Damit verlieren auch Einzelheit und Allgemeinheit ihre abstrakte Gestalt. Die Allgemeinheit wird zur Allgemeinheit, die die unterstellte Pluralität der qualitativen Bestimmungen des Einzelnen übergreift, das Einzelne wird umgekehrt zu einem Sonderfall der Allgemeinheit. Der Mittelbegriff erhält zunächst eine reflexionslogische, dann eine begriffslogische Deutung. Er beinhaltet 1. die Einzelnen als Alle und 2. die allgemeine Gattungsnatur der betreffenden Einzelnen. Der Reflexionsschluss ist in drei Unterabteilungen gegliedert, denen jeweils eine Figur zugeordnet ist. Grundfigur des Reflexionsschlusses ist B-E-A. Auf dem Boden dieser Grundfigur werden den einzelnen Reflexionsschlüssen die Figuren E-B-A (Schluss der Allheit), B-E-A (Schluss der Induktion) und E-A-B (Schluss der Analogie)
zugeordnet.
1. Die erste Gestalt des Reflexionsschlusses ist der Schluss der Allheit mit der Notierung E-B-A. Im Schluss der Allheit ist die Zufälligkeit des Daseinsschlusses behoben, weil hier der médius terminus nicht eine einzelne besondere Eigenschaft eines Einzelnen ist. Vielmehr ist in ihm das Einzelne in eine Allaussage erhoben: Alle Einzelne. Die Reflexionsallgemeinheit ist jedoch noch nicht die „Allgemeinheit des Begriffs" (GW 12, 1111/TW 6, 382), welche das Ziel der Erkenntnis ist. Die Zufälligkeit des Daseinschlusses beruhte darauf, dass der Mittelbegriff als eine einzelne Bestimmtheit des konkreten Subjekts beliebig viele andere Mittelbegriffe zulässt, so dass auf diese Weise von einem Subjekt einander widersprechende Eigenschaften erschlossen werden können. Diese Zufälligkeit der erschlossenen Prädikation ist nun durch die Erhebung des konkreten Einzelnen in Allaussagen beseitigt. Was im Schlusssatz vom Einzelnen prädiziert wird, wird notwendig von ihm als Repräsentant einer Kollektion gleichgearteter Einzelfalle prädiziert. Mit der Erhebung des Einzelnen in einen Allsatz ist zwar der Mangel des Daseinsschlusses behoben, jedoch nur um den Preis eines neuen Defizits. Dieses Defizit besteht darin, dass Alle im Obersatz impliziert, dass das Einzelne im Alle nur unbegriffen einbegriffen ist. Dies hat zur Konsequenz, dass das allgemeine Prädikat, das dem Einzelnen im Schlusssatz zugesprochen wird, nur das sein kann, was im Obersatz von allen Einzelnen ausgesagt wird. Der Obersatz enthält also bereits in sich, was im Schlusssatz erschlossen wird und umgekehrt setzt der Obersatz selbst schon den Schlusssatz, dessen Grund er sein soll, voraus. Im Allheitsschluss begründen sich Obersatz und Schlusssatz in einem fehlerhaften Zirkel wechselseitig. Einerseits begründet die Richtigkeit des Obersatzes die Richtigkeit des Schlusssatzes, umgekehrt ist der Obersatz nur richtig, insofern der Schlusssatz richtig ist. Der Schlusssatz ist also umgekehrt Grund des Obersatzes. Der Obersatz ist mithin vom Schlusssatz abhängig, der die Rückbeziehung auf das Einzelne enthält. Der leere Formalismus dieser Art zu schließen macht ihn daher nach Hegel zum „Verstandesschluss in seiner Vollkommenheit" (GW 12, 111/TW 6, 381). Hegel erläutert diesen fehlerhaften Zirkel am Cajus-Beispiel:
Christian Iber
130
Alle Menschen sind sterblich
Cajus ein Mensch Ergo ist Cajus sterblich (GW 12,
Nun ist
112/TW 6,
336)
Nur wenn alle Menschen sterblich sind, darf man diesem Schluss zufolge die Sterblichkeit des Cajus für eine Tatsache halten; und ob jene Prämisse stimmt, das hängt wieder davon ab, ob dieser Cajus sterblich ist oder nicht.13 Bei Schlüssen dieses Kalibers gründet die logische Wahrheit und Notwendigkeit darauf, dass in ihnen gar kein Inhalt erschlossen wird, der wahr und notwendig sein könnte. Erkenntnistheoretischer Empirismus und formale Logik, die die Schlüssigkeit der Schlussformen getrennt vom Inhalt der Gedanken ganz äußerlich an der Stellung der Terme überprüft, ergänzen sich hier. Dem Empirismus ist zwar bekannt, dass Erkenntnisaussagen den Charakter der Allgemeinheit haben. Seiner Ansicht nach besteht diese Allgemeinheit im Verhältnis der Einzelexistenz zur Allheit. Die Leistung der Erkenntnis, die Phänomene auf ihre allgemeine Natur zurückzuführen, identifiziert er mit der Auffassung, Erkenntnis würde das Reich der unbegriffenen Erfahrungen in Allsätze gleichen Inhalts übersetzen, damit dann umgekehrt aus diesen Allsätzen über jedes Einzelne, das unter einen solchen Satz fällt, das entsprechende Erfahrungsurteil abgeleitet werden kann. Unbeantwortet lässt dieser Schluss insbesondere die Frage, warum Cajus sterblich ist. Cajus ist nicht deswegen sterblich, weil er ein Mensch ist, sondern weil er als Mensch zur Gattung der Lebewesen gehört. Dem Einzelnen einer besonderen Art liegt implizit eine allgemeine Gattungsnatur zugrunde, die im Allheitsschluss noch nicht explizit und deswegen an die äußere Reflexionsallgemeinheit, die Allgemeinheit als Allheit gebunden ist. Der Gang des Reflexionsschlusses zielt auf die Überwindung des anfänglichen, bloß innerlichen Charakters der Gattungsallgemeinheit der Einzelheit. Sie als gewusste hervorzubringen, ist das Ziel der Bewegung des Reflexionsschlusses. Während bei den Daseinsschlüssen die Forderung der Vermittlung in jeweils anderen Schlüssen liegt, die sie voraussetzen, liegt hier ein fehlerhaft zirkuläres Voraussetzungsverhältnis im Schluss selbst vor. Der Schluss der Allheit ist daher „ein äusserlicher leerer Schein des Schliessens" (GW 12, 113/TW 6, 383), der darauf beruht, dass das schließende Subjekt die von ihm in Betracht gezogenen Einzeldinge in einen Allsatz erhebt. Da eine Allaussage über Einzelnes nur durch die vollständige Betrachtung der Einzelfälle begründet werden kann, verweist der Allheitsschluss auf den Schluss der Induktion, in dem sich die empirische Verallgemeinerung der Einzelheit vollzieht. 2. Im Schluss der Induktion, der unter dem Schema des 2. Figur A-E-B steht, aber als Variante des Reflexionsschlusses B-E-A gilt, wird aus der Eigenschaft einer Vielzahl beobachtbarer Einzelfälle auf die Eigenschaft ihrer Gattungsallgemeinheit geschlossen. Er ist die Methode, mit der der Empirismus zu allgemeiner Erkenntnis gelangen will. Im Unterschied zur 2. Figur des Daseinsschlusses ist der Schluss der Induktion nicht der 13
Bereits Sextus Empiricus behauptet, der Schluss „Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist er sterblich" sei eine „Dialelle", weil sich hier Obersatz und Konklusion wechselseitig voraussetzen (vgl. Sextus Empiricus, Grundriß II, 204; vgl. auch Aristoteles, Anal. Post. I, 3,
72b25-32).
Zum erkenntnistheoretischen Programm der Schlusslehre Hegels
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Schluss der bloßen Wahrnehmung, sondern der Schluss der Erfahrung. Der Unterschied 2. Figur des Daseinsschlusses liegt in der anderen Gestalt der Mitte. War dort ein Einzelgegenstand Mitte, so hier die Gesamtheit der Einzelnen oder ,^4lle Einzelne" (GW 12, 114/TW 6, 385). Das eine Extrem des Besonderen ist ein den Einzelnen, die die Mitte ausmachen, gemeinsames Prädikat, das andere Extrem ist die „unmittelbare Gattung" (GW 12, 113/TW 6, 384), die im Subjekt des Obersatzes des Allheitsschlusses als Zusammenfassung aller Einzelnen vorhanden war. zur
Beispiel:
A-E: Gattung der Säugetiere: Löwe, Elefant usf. E-B: Löwe, Elefant etc. haben vier Beine A-B: Säugetiere haben vier Beine
Im Induktionsschluss wird auf eine allgemeine Eigenschaft der Gattung der Einzelnen weil sie in der Erfahrung bei allen Einzelnen angetroffen wird. Weil aber die „Totalität der Einzelheit" (GW 12, 114/TW 6, 385) nicht erfahrbar ist, bleibt die Erschließung der allgemeinen Eigenschaft der Gattung ein unerreichbares Wissensideal. Der Mangel des Induktionsschlusses als wesentlich subjektiver gründet darin, dass die Gattungsallgemeinheit der Einzelnen in der von ihrem Inhalt unterschiedenen Gesamtheit der Einzelnen ausgedrückt wird, die ihre Grundlage am beobachtbaren Einzelfall hat. Da kein Einzelnes für sich als Grund der Gattungsallgemeinheit zählt, enthalten die Einzelnen aber auch in ihrer vollständigen Summe nicht die Gattungsallgemeinheit. Da die Gattung so ihr Kriterium nur in der Vollständigkeit der Einzelnen hat, bleibt sie beständig eine Aufgabe" (GW 12, 114/TW 6, 385), der Schlusssatz „insofern proble-
geschlossen,
matisch" (GW 12, 114/TW 6, 386).14 Indem der Induktionsschlusses mit seinem Kriterium der Vollständigkeit zum Ausdruck bringt, dass das Durchspielen der Einzelfälle „ins unendliche fortgesetzt werden soll" (GW 12, 114/TW 6, 386 ), ist vorausgesetzt, dass die besondere Eigenschaft der Gattung der Einzelexemplare selbst zukommt. Der Induktionsschluss setzt damit seinen Schlusssatz, den er niemals erweisen kann, in einem fehlerhaften Zirkel voraus und ist damit genauso ein Zirkel wie der Schluss der Allheit, aber gleichsam auf höherer Ebene. Zirkulär setzt er voraus, dass die allgemeine Eigenschaft der Gattung selbst zukommt, denn nur dann kann sie von allen Einzelexemplaren behauptet werden. Da das 14
Da der sog. vollkommene Induktionsschluss, der wie Aristoteles sagt, eine epagoge dia panton ist Anal. Prior. II 23, 68b27ff), ein unerfüllbares Ideal ist, das als realisiert unterstellt ihn zu einem bloßen Abzählritus (vgl. Heinrich 1981, 89f, 97) machen würde, ist er faktisch immer nur ein sog. unvollkommener, d.h. er stützt sich nur auf einen Teil der Gesamtheit der beobachtbaren Einzelnen. Die „Erfahrung, die auf Induction beruht, wird als gültig angenommen, obgleich die Wahrnehmung zugestandenermaßen nicht vollendet ist" (GW 12, 114/TW 6, 386). Darin liegt die unbegründete Voraussetzung, dass die Erfahrung „an und für sich wahr sey" (GW 12, 115/TW 6, 386). Nach dem Durchspielen einer Anzahl von Einzelfällen, geht man davon aus, dass die an ihnen wahrgenommene Eigenschaft die Eigenschaft ihrer Gattungsallgemeinheit ist. Auch an seiner unvollkommenen Version zeigt sich nach Hegel, dass der Induktionsschluss gar nicht auf der Unmittelbarkeit beruht, auf der er beruhen sollte, der empirischen Unmittelbarkeit der Einzelnen, sondern auf der Unmittelbarkeit ihrer generischen Allgemeinheit, d.h. ihrer noch nicht erkannten allgemeinen Natur.
(vgl.
132
Christian Iber
Durchspielen der Einzelexemplare aber nie zu einem Abschluss kommt, kann nicht davon die Rede sein, dass der Gattung das Prädikat notwendig zukomme. Der Induktionsschluss negiert also, was er voraussetzt. Er beruht auf der Erfahrung, geht aber zugleich über sie hinaus, ohne über sie hinauszugelangen. Am sog. Induktionsproblem scheitert der Empirismus bei der Erklärung von Wissen mit seiner großen Ehrfurcht vor der Erfahrung, in der er das Reich der Wahrheit der Gedanken erblickt. Er belegt darin sein Misstrauen in Gedanken, die die Erfahrung dadurch übersteigen, dass sie auf Objektivität und Allgemeinheit der Erkenntnis dringen, statt an der Erfahrung Maß zu nehmen. Unter dieser Voraussetzung muss tatsächlich die Einzelerfahrung die objektive Geltung des Wissens erweisen, die gleichwohl auf diese Weise nicht aufgewiesen werden kann. Zugleich setzt der Empirismus die Notwendigkeit der objektiven Allgemeinheit voraus, der er in seinem Denken niemals gerecht werden kann. An diesem Widerspruch scheitern nach Hegel alle Verfahren, die das Induktionsproblem lösen wollen, von der Verifikation bis zur Falsifikation, denn sie beseitigen diesen Widerspruch nicht.15 Der Empirismus registriert zwar, dass die Suche nach einem sicheren Fundament für empirische Erkenntnis aussichtslos ist. Doch kommt er wegen der Undurchführbarkeit der vorgeschlagenen Lösung nicht dazu, diese samt dem Induktionsproblem zu verwerfen, sondern hält am Problem als einem Resultat fest. Er bekennt sich zum Skeptizismus. Gewissheit gibt es nur für die Ungewissheit der Erkenntnis. Alles Wissen einschließlich des wissenschaftstheoretischen ist hypothetisch. Der Zirkel des Induktionsschlusses führt zu der Einsicht, dass die Eigenschaft der Gattung der Einzelnen nicht deswegen zukommt, weil sie jedem Einzelexemplar zukommt, sondern umgekehrt, dass sie jedem Einzelnen zukommt, weil sie ihnen aufgrund ihrer Gattung zukommt. Das Einzelne muss also schon in sich die Gattungsallgemeinheit enthalten, die die komprehensive Allgemeinheit noch in der Summe der Einzelnen gesucht hat. Daraus erwächst die Aufgabe, die im Induktionsschluss bloß zugrundeliegende Gattungsallgemeinheit der Einzelnen explizit zu machen. Dies geschieht zum ersten Mal im Schluss der Analogie, der Einzelexemplare zum Thema hat, die unmittelbar identisch mit ihrer Gattungsallgemeinheit sind. Dass die Gattungsallgemeinheit der Einzelnen hier unmittelbar genommen wird, bedeutet jedoch: sie ist noch nicht in befriedigender Weise in Ansatz gebracht. 3. Normalerweise wird im Analogieschluss von einem Einzelnen auf ein anderes Einzelnes aufgrund irgendeiner Ähnlichkeit zwischen beiden geschlossen. Hegel fasst den Analogieschluss strikter, indem er das vermittelnde Allgemeine nicht als bloße Qualität oder Merkmal, sondern als wesentliche Allgemeinheit fasst, die die allgemeine Natur des Einzelnen zum Ausdruck bringt. Der Schluss der Analogie hat die 3. Figur des Daseinsschlusses E-A-B zum Schema, die jedoch als Variante der Grundfigur des Reflexionsschlusses B-E-A gilt. Hier ist das eine Extrem ein Einzelnes, das unmittelbar identisch mit seiner Gattungsallgemeinheit Hume, der das Induktionsproblem nicht auflösen konnte, weil er die Induktion für einen Weg von der Erfahrung zum Wissen ansah, hat diesen Weg gleichwohl für ungangbar gehalten. Für ihn ist daher die Erfahrung zu einem unauflöslichen Problem geworden (vgl. Hume 1984, 42-51, 52- 69).
Zum erkenntnistheoretischen Programm der Schlusslehre Hegels
133
während das andere Extrem ein anderes Einzelnes ist, welches mit jenem dieselbe allgemeine Natur hat. Das Gattungsallgemeine, das eine Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Besonderen herstellen soll, taucht als Mitte also zweimal auf. Hegel
ist,
gibt folgendes Beispiel:
Die Erde hat Bewohner der Mond ist eine Erde Also hat der Mond Bewohner
(GW 12, 115/TW 6, 387).
Dieser Analogieschluss besagt: Weil die Erde als Exemplar der Gattung Weltkörper eine Eigenschaft aufweist (Bewohner), kann auch dem Mond als anderem Exemplar derselben Gattung, dieselbe Eigenschaft zugesprochen werden. Der Mangel dieses Reflexionsschlusses ist, dass es unbestimmt ist, ob die besondere Eigenschaft, die für das zweite Exemplar derselben Gattung erschlossen wird, dem ersten Exemplar aufgrund seiner allgemeinen Natur oder vermöge seiner Besonderheit zukommt. Im Beispiel: ob die Erde als Weltkörper überhaupt oder nur als dieser besondere Weltkörper die Eigenschaft hat, bewohnt zu sein. Der Grund dieses Mangels liegt darin, dass in der Mitte des Analogieschlusses nur eine unmittelbare Koinzidenz von Allgemeinem und besonderer Eigenschaft in einem Einzelnen vorliegt. Daher können beim Zusammenschluss seiner Extreme immer Fehler passieren, was Hegel mit der angeführten falschen Analogie verdeutlicht. Darüber hinaus zeigt sich: Zwar soll der Schlusssatz der Analogie E-B („der Mond hat Bewohner") eine erschlossene Vermittlung sein, doch unterscheidet er sich in nichts von der unmittelbaren Form der 1. Prämisse E-B („die Erde hat Bewohner"). Der Schluss der Analogie enthält also in sich selbst die Forderung gegen die in ihm enthaltene unmittelbare Prämisse („die Erde hat Bewohner"), dass diese Schlusssatz sein soll. Warum hat die Erde Bewohner? Wenn der Analogieschluss aber die Forderung enthält, dass seine Prämisse selbst Schlusssatz sei, also bewiesen werde, dann setzt er auch seinen Schlusssatz („der Mond hat Bewohner") als unbewiesene Annahme voraus. Wieder zeigt sich: Während die Daseinsschlüsse ihre Voraussetzung außer sich in anderen Schlüssen haben, ist in den Reflexionsschlüssen die Voraussetzung in den Schluss „hinein gerückt" (GW 12, 117/TW 6, 390). Resümee: Der Analogieschluss ist wie der Reflexionsschluss überhaupt ein nicht selbst begründeter, weil ein in der Erfahrung begründeter Schluss über die Erfahrung hinaus, ohne über sie wirklich hinauszugelangen und als solcher notwendig mangelhaft. Solange keine sichere Erkenntnis über das empirisch Einzelne, das das Denken aus dessen allgemeiner Gattungsnatur gewinnt, vorliegt, bleiben die Schlüsse defizitär. Die dialektische Entwicklung des Schlusses ist also mit der Weiterentwicklung der denkenden Erkenntnis der Sache untrennbar verbunden. Gefordert ist an dieser Stelle, dass der 16
„Quaternio terminorum" (GW 12, 117/TW 6, 389) als solche macht die Analogie nach Hegel zu einem unvollkommenen Schluss, sondern weil sie „unbestimmt" ist. Unbestimmt ist nämlich, „ob dem einen Subject die Bestimmtheit, die auch für das andere erschlossen wird, vermöge
Nicht die
seiner Natur, oder vermöge seiner Besonderheit zukommt" (ebd.). Eine fehlerhafte quaternio par excellence ist z.B. folgender Schluss: „Odysseus ist ein schlauer Fuchs. Der Fuchs hat vier Beine. Also hat Odysseus vier Beine".
Christian Iber
134
Schluss die Spezifik der Sache aus ihrer allgemeinen Natur oder ihrem Begriff begründet. Erst auf diese Weise wird der Schluss ein selbst begründeter und begründender Schluss.
III. Fazit Auf dem Boden des Daseins- und des Reflexionsschlusses gibt es nur das Trilemma: unendlicher Begründungsregress der Prämissen, axiomatische Setzung erster Sätze, die unmittelbar als wahr einleuchten oder petitio principii. Dieses sog. Münchhausentriwurde von dem kritilemma, das auf den hellenistischen Skeptizismus schen Rationalisten Hans Albert gegen die Idee einer reflexiven Letzt-, weil SelbstbeDoch das Trilemma gründung des vernünftig argumentierenden Denkens ist selbst inkonsistent, denn es setzt voraus, dass das Denken nur deduktiv-axiomatisch verfahren kann, also hypothetisch ist. Der Beweis des erkenntnistheoretischen Empirismus misslingt also. Der Widerspruch des Trilemmas besteht darin, dass es apodiktisch behauptet, es gebe nur hypothetisches Denken. Der Einwand gegen die Selbstbegründungsstruktur des vernünftigen Denkens des Begriffs reduziert sich auf die Tautologie: Setzt man voraus, es gibt nur deduktiv-axiomatisches Denken, dann kann es kein unhintergehbares, selbstbegründetes Denken geben. Was nun die Selbstbegründungsstruktur des Begriffs angeht: Dessen Zirkularität ist von einer petitio principii zu unterscheiden, die zu Recht als ein Fehler gilt, der zu vermeiden ist. Bei der Unhintergehbarkeit des vernünftigen Denkens tritt nämlich die Bedingung, immer schon vorausgesetzt zu sein, zusammen mit der Bedingung auf, nicht konsistent negiert werden zu können. Gerade das gilt von der petitio principii nicht. Während die sich selbst konstituierende Begründungsstruktur des Begriffs ein unhintergehbarer Zirkel des Erkennens ist, der darauf beruht, dass das Denken seinen Zweck, die Wahrheit auszumachen, in sich trägt, ist die petitio principii ein fehlerhafter Zirkel, an dem die Realisierung des Zwecks des Erkennens scheitert. Der Witz ist, dass die Selbstbegründungsstrukur des Begriffs nicht direkt bewiesen werden kann; das wäre eine petitio principii, sondern nur indirekt oder negativ, d.h. in der Widerlegung vermittels des Nachweises der Selbstwidersprüchlichkeit ihrer Verleugnung. So erweisen sich die Daseinsschlüsse der Wahrnehmung und die Reflexionsschlüsse der Erfahrung als zu überwindende Bedingung von über sie hinausgehenden
zurückgeht18, angeführt.19
17
18
19
Es ist daher Hösle nicht zuzustimmen, wenn er erklärt, dass Hegel „am Ende des ersten Abschnitts der Begriffslogik dem Regressproblem nichts anderes entgegenzusetzen hat als eine ganz untaugliche Reflexion, die im wesentlichen eine umständliche Einkleidung eines einfachen Zirkels darstellt" (Hösle 1988, 182). Das Trilemma ist bei Aristoteles (Anal, post., I 3, 72b5ff) angelegt. Der 2. (unendlicher Regress), 4. (Abbruch des Beweisverfahrens bei einer bestimmten als axiomatisch gesetzten Hypothese) und 5. Tropus (Dialelle, Zirkel im Beweis) des Agrippa (vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen XI, 88f; Sextus Empiricus, Grundriß I, 120ff.) korrespondieren den drei Seiten des Trilemmas. Vgl. Albert (1980), 13ff.
Zum erkenntnistheoretischen Programm
der
Schlusslehre Hegels
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Vernunftschüssen der begreifenden Erkenntnis der Sache. Daher steht der ,Begriff in Hegels Logik auch am Ende. Hegels idealistische Prämissen muss man m.E. allerdings nicht teilen, nämlich dass aus der Selbstbegründungsstruktur des Begriffs die reale Welt ableitbar ist. Das betrifft den Übergang des Begriffs aus seiner Subjektivität in die Objektivität am Ende der Schlusslogik. Hegelkritisch ist zu sagen, dass die Objektivität eine Eigenschaft der Gedanken über eine Sache bleibt, wenn sie durch den Schluss in ihrer Notwendigkeit bewiesen ist. Dieses Argument spricht gegen Hegels Behauptung, dass der Begriff in reale Objektivität übertritt.20
Literatur Albert, H: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 4. Aufl. 1980. Aristoteles: Die Lehre vom Schluß oder Erste Analytik, hg. von E. Rolfes, neu eingeleitet von H. G. Zekl, Hamburg 1992 (zit.: Anal, prior.). Aristoteles: Die Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik, hg. von E. Rolfes; neu eingeleitet mit Bibliogr. von O. Hoffe, 11. verbesserte Neuauflage Hamburg 1992 (zit: Anal. post.). Aristoteles: Topik, hg. von E. Rolfes; neu eingeleitet von H. G. Zekl, Hamburg 1992 (zit.: Top.). Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, übers, von O. Apelt, Hamburg 1990 (zit.: Diogenes Laertius, Leben und Meinungen). Düsing, K: „Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik", in: Henrich, D. (Hg.): Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 15-38. Hartmann, K.: Hegels Logik, Berlin/New York 1999. Heinrich, K.: Tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik, Frankfurt/M. 1981. Hösle, V.: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der InterSubjektivität, 2. Bde., Hamburg 1988. Hume, D.: Untersuchungen über den menschlichen Verstand, übersetzt von R. Richter, eingeleitet und hg. von J. Kulenkampff, Hamburg 1984. Krohn, W.: Die formale Logik in Hegels Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zur Schlußlehre, München 1972. Kruck, G./Schick, F.: „Identität im prädikativen Urteil? Überlegungen zu einem alten Streit am Fall des ,positiven Urteils' in Hegels .Wissenschaft der Logik'", in: Jahrbuch fir Philosophie des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover 7 (1996), 175-196. Patzig, G.: Die Aristotelische Syllogistik. Logisch-philologische Untersuchungen über das Buch A der „Ersten Analytiken", Göttingen 1959. Schick, F.: Hegels Wissenschaft der Logik metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen? Freiburg/München 1994. Schick, F.: „Begriff und Mangel des formellen Schließens. Hegels Kritik des Verstandesschlusses", in: Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegeischen „Subjektiven Logik", hg. von A. F. Koch u.a., Paderborn 2003, 85-100. „
-
Zu Hegels Ableitung der realen Objektivität aus der ,Jiealisirung des Begriffs" (Enz. § 193) am Ende der Schlusslogik vgl. die kritischen Überlegungen von Schick (1994), 255ff. Bereits Trendelenburg (1870), 383 hat diesen Übergang treffend kritisiert: „Auf diese Weise ist der Schluß real und das Wirkliche logisch geworden". Erkenntnis ist für Hegel nicht nur die vernünftige Erfassung der Wirklichkeit, sondern der Beweis, dass der Begriff und damit die Vernunft das Prinzip der Wirklichkeit ist.
Christian Iber
136
Sextus
Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Einleitung und Übersetzung von
M. Hossen-
felder, Frankfurt/M. 1968,21985 (zit.: Sextus Empiricus, Grundriß).
Stegmüller, 4. Aufl.
Hauptströmungen Stuttgart 1969. W.:
der
Gegenwartsphilosophie.
Eine kritische
Einführung,
Bd. I,
Theunissen, M. : Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt/M. 1978. Trendelenburg, A.: Logische Untersuchungen. Bd. 2, 3. Aufl. Leipzig 1870.
Friedrike Schick
Der Schluss der Allheit
1.
Einleitung: Barbaras Reize und Schwächen
Es gibt Tatsachen, für die niemand einen Beweis verlangt und die dennoch beharrlich erschlossen werden. Ein prominentes Beispiel ist die Tatsache, dass auch Sokrates hat sterben müssen. Der bekannte Schluss dazu lautet: Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch; also ist Sokrates sterblich.
Und natürlich wird er nicht vorgeführt, um seine Konklusion zu beweisen, sondern um im Rahmen von Logik-Einführungen zu illustrieren, wie ein gültiger Schluss funktioniert. Wenn seine Prämissen wahr sind, kann seine Konklusion nicht falsch sein, und damit erfüllt er das Kriterium der Gültigkeit, die Wahrheitserhaltung. Im Rahmen der älteren Syllogistik ist dieser Schluss noch in einer näheren Hinsicht beispielhaft gewesen: Als singulärer Sonderfall von modus Barbara exemplifiziert er das dictum de omni, das zusammen mit seinem Gegenstück, dem dictum de nullo, das Prinzip syllogistischer Schlüsse überhaupt bildet und in umfangslogischer Fassung besagt, dass von jedem bestimmten Element einer Klasse gilt, was von ihr als ganzer gilt. Doch ungeachtet der musterhaften Gültigkeit, die ihnen nach älteren und neuen Schlusslehren zukommt, sind solche Schlüsse vom Allgemeinen auf das Einzelne immer wieder einmal dem Vorwurf der petitio principii ausgesetzt worden. Stellvertretend für diese Kritik, die sich ähnlich schon in der Pyrrhonischen Skepsis formuliert findet, sei das Zeugnis John Stuart Mills
angeführt:
zugeben, daß in jedem Syllogismus, wenn man ihn als einen Beweis ansieht, der den Schlußsatz darthun soll, eme petitio principii liegt. Wenn wir sagen: Alle Menschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, folglich Sokrates ist sterblich, so bringen die Gegner der syllogistischen Lehre die unwiderlegliche Einwendung vor, daß der Satz: Sokrates ist sterblich, in der allgemeineren Annahme: alle Menschen sind sterblich, mit vorausgesetzt ist; daß wir der Sterblichkeit aller Menschen nicht sicher sein können, außer wir seien es bereits auch der Sterblichkeit jedes einzelnen Menschen; [...] daß mit einem Worte kein Schluß vom Allgemeinen auf Besonderes als solcher etwas beweisen kann, daß wir aus einem allgemeinen Satz Man muß
Friedrike Schick
138 keine anderen Einzelheiten
voraussetzt.1
folgern können,
als solche, die der Satz selbst schon als bekannt
Aussage zeigt, liegt dieser Kritik die Forderung an syllogistische Schlüsse zugrunde, eine besondere epistemische Leistung zu erbringen, die sich in formaler Gültigkeit oder Wahrheitserhaltung nicht erschöpft: Die Kritik geht davon aus, dass die Erschließung eines Urteils dem Beweis oder der Begründung seiner Annahme dient, und macht gerade in dieser Hinsicht die Unselbständigkeit des Obersatzes gegenüber der Konklusion geltend. Wenn es zutrifft, dass der Obersatz solcher Schlüsse nicht unabhängig von der Voraussetzung für den zu beweisenden Einzelfall als wahr eingesehen werden kann, so scheidet der Obersatz in der Tat als Beweisgrund aus. Nehmen wir beide Einschätzungen zusammen, so scheint unser Schlussbeispiel ein hervorragendes Muster gültigen Schließens zu sein, aber zugleich ein Muster ohne Erkenntnis-Wert. Wenn sich nun noch in Schlüssen dieser Art das Prinzip von modus Barbara und in diesem das Prinzip syllogistischen Schließens überhaupt realisiert, dann scheint mit der eben vorgestellten Kritik nicht nur einzelnen Formen, sondern dem syllogistischen Schluss im allgemeinen jede Beweiskraft abgesprochen zu sein. Auf diese Herausforderung bieten sich prima facie zwei gegenläufige Antworten an: Die eine besteht darin, Schlüsse vom Allgemeinen auf das Einzelne direkt gegen den Vorwurf zu verteidigen, indem für den Obersatz die Möglichkeit eigenständiger Rechtfertigung reklamiert wird. Gibt es denn nicht von Einzelbefunden unabhängige apriorische Intuitionen und Beweise, solche, die rein begriffliche Inklusions- und Exklusionsverhältnisse zum Inhalt haben? Bezogen auf das Beispiel hieße das Votum: Im Begriff Mensch ist der Begriff der Sterblichkeit enthalten, der Allsatz hat eigentlich diesen begrifflichen Zusammenhang zum Inhalt, nur eben am Einzelnen ausgedrückt, und diesen Zusammenhang können wir erkennen, ohne auf vollständige oder unvollständige Einzelfallsammlungen zu rekurrieren. Die andere naheliegende Antwort folgt der Kritik ein Stück weiter als der Vertreter des Apriori; sie sieht mit der Kritik die Möglichkeit, Schlüsse vom Allgemeinen aufs Einzelne als Begründung ihrer Konklusion gelten zu lassen, endgültig verabschiedet. Wie Mills
Was diese zweite Antwort aber aufrechterhält, ist die Annahme, dass Einzelbefunde in Schlussform begründet werden können. Nur sind es nicht deduktive, sondern induktive Schlüsse, in denen die Begründungen erfolgen. Eine Durchführung dieser Antwort sie findet sich wieder in John Stuart Mills System der Logik- sieht so aus: Der Obersatz ist nichts, woraus bewiesen werden könnte oder sollte, sondern eine Devise, die an eigentliche Beweisgründe nur erinnert, und festhält, wie weit der Umkreis der Gegenstände ist, für die jene Beweisgründe gelten. Die eigentlichen Gründe liegen woanders, nämlich in unserem Wissen um Fälle, in denen Elemente der entsprechenden Klasse das entsprechende Prädikat aufgewiesen haben. In diesem Wissen um bekannte Fälle muss irgendwie der Grund dafür liegen, dasselbe Prädikat auf die ganze Klasse und mit den gleichen Gründen auf ein beliebiges weiteres Element der Klasse auszudehnen. Angewandt auf unser Standard-Beispiel heißt das: Dass Sokrates sterblich ist, können wir -
-
-
Mill
(1884), 21 Of.
Der Schluss
der
Allheit
139
bekannten Fällen, in denen andere Menschen sich schon als sterblich erwiesen haben, erschließen. Natürlich stehen wir damit erst am Anfang der Debatte, und natürlich sind beide Antworten nur in ihren gröbsten Zügen umrissen. Trotzdem lohnt es sich, mit dieser aus
Problemskizze im Hintergrund Hegels Bestimmung und Kritik des Schlusses der Allheit zu verfolgen. Hegels Ausführungen sind dafür in mehrfacher Hinsicht interessant: Erstens trägt er selbst den Vorwurf der petitio principii vor; darin liegt überhaupt der Grund der Beziehung auf das skizzierte Problem. Zweitens leitet Hegel von der kritischen Diagnose direkt zum Schluss der Induktion über, ohne diesen jedoch zur „eigentlichen" Begründungs- oder Beweisform zu erheben, wie Mill es tut. Drittens lässt sich zeigen, dass der Rückzug in die Gefilde reiner begrifflicher Wahrheiten für Hegel an dieser Stelle ebenfalls nicht als allgemeine Lösung in Frage kommt. Wenn sich Hegel tatsächlich, wie freilich im einzelnen gezeigt werden muss, keiner der beiden skizzierten Antworten auf die kritische Herausforderung anschließt, könnte man viertens ein generelles Verdikt gegen die Beweiskraft syllogistischer Schlüsse von ihm erwarten. Doch auch diese Erwartung erfüllt sich nicht: Mit der Kritik des Schlusses der Allheit verabschiedet Hegel durchaus nicht die Möglichkeit begründender Schlüsse vom Allgemeinen auf das Besondere oder das Einzelne. Wie es zu dieser besonderen Position kommt, worin sie besteht und welche Einsichten daraus zu gewinnen sind, möchte ich nun verfolgen. Dabei werde ich zunächst in vier Zügen Hegels Argumentation zum Schluss der Allheit vorstellen, um in einem letzten Teil die Ergebnisse auf die eben skizzierte Alternative zwischen radikaler Kritik, apriorischer und induktiver Lösung zurückzubeziehen.
2.
Begriff und Mangel des Schlusses der Allheit
2.1 Der Schluss der Allheit im System der Hegelschen Schlusslehre In einem ersten Schritt soll zunächst die Stellung des Schlusses der Allheit im System der Hegelschen Schlusslehre charakterisiert werden. Zu einer vergleichenden Betrachtung bietet nämlich die allgemeine Darstellung des Schlusses der Allheit selbst einen Grund. Ein Schluss der Allheit in Hegels Sinn lässt sich durch das Schema charakterisieren:
G; (ein Einzelnes) ist ein F;
Alle F sind a
also ist a ein G.
Es
geht also um Schlüsse des modus Barbara mit der Besonderheit, dass Untersatz und Konklusion durch singuläre Urteile besetzt sind. Hegel selbst gibt als schematische Charakterisierung an: Ein Einzelnes wird durch eine Besonderheit mit einer Allgemeinheit zusammengeschlossen, abgekürzt E-B-A. Hält man sich nun allein an diesen allgemeinen Steckbrief, entsteht die Frage, wie sich der Schluss der Allheit von zwei 2
Vgl Mill (1884), II.iii.3; 213-222.
Friedrike Schick
140
anderen Schlussformen unterscheidet, die Hegel gesondert behandelt: Demselben Schema E-B-A gehören auch die erste Figur des Daseinsschlusses und die erste Form des Schlusses der Notwendigkeit, der kategorische Schluss, an. Was also ist das Besondere am Schluss der Allheit? Die Antwort muss darin liegen, dass er im Unterschied zu den beiden genannten Schlussformen ein Schluss der Reflexion ist. Was das heißt, lässt sich auf Basis eines Vergleichs angeben, der dem allgemeinen Vorspann zum Schluss der Reflexion entnommen ist: Die Mitte war die abstráete Besonderheit, für sich eine einfache Bestimmtheit, und Mitte nur äusserlich und relativ gegen die selbstständigen Extreme. Nunmehr ist sie gesetzt als die Totalität der Bestimmungen; so ist sie die gesetzte Einheit der Extreme; zunächst aber die Einheit der Reflexion, welche sie in sich befaßt; ein Befassen, welches als erstes Aufheben der Unmittelbarkeit und erstes Beziehen der Bestimmungen, noch nicht die absolute Identität des Begriffes ist. (GW 12, 110/TW 6, 380) -
Im ersten, rückblickenden Teil dieses Vergleichs ist die Abgrenzung des Schlusses der Reflexion gegen den Schluss des Daseins ausgesprochen. Zum besseren Verständnis der Abgrenzung sei kurz die allgemeine Charakteristik des Schlusses des Daseins erinnert: Die Grundfigur des Daseinsschlusses bestand darin, dass irgendeine der unterstellten vielen Eigenschaften eines Gegenstands kraft irgendeiner aus ihr zu abstrahierenden Teilbestimmung diese abstraktere oder Teilbestimmung an den Gegenstand vermittelt, der unter anderen und unter anderem diese Eigenschaft hat. Als Mitte des Schlusses fungiert die vermittelnde Eigenschaft hier einfach dank der Kombination zweier Verhältnisse, in denen sie zum Gegenstand einerseits, zur abstrakteren zweiten Bestimmung andererseits steht. Diese zwei Verhältnisse die Inhärenz und die Subsumtion haben nur das eine miteinander zu tun, dass sie Verhältnisse sind, in denen diese eine Eigenschaft steht. Genau darin tritt diese Eigenschaft nur als „abstrakte Besonderheit" auf: Sie ist Besonderheit, insofern sie allgemeiner und unbestimmter ist als der einzelne Gegenstand und weniger allgemein und bestimmter als die zweite allgemeine Bestimmung. Dass so gestaffelte Umfangsverhältnisse bestehen, qualifiziert den terminus médius aber nicht zur Besonderheit in weitergehendem, nämlich inhaltlichem Sinn: Die im Schluss des Daseins eingesetzte Eigenschaft ist nicht (oder muss nicht sein) die Besonderheit des Einzelnen, nicht diejenige Bestimmung, in der sich die Eigenart oder das Eigentümliche des Gegenstands zusammenfassen würde. Ebenso wenig stellt der terminus médius hier die Besonderheit des Allgemeinen dar; weder gibt er das Eigentümliche des Allgemeinen selbst an noch muss er in einer systematischen Einteilung dieses Allgemeinen als nähere Spezifikation desselben verortet sein. Wie hat sich demgegenüber die Mitte im Schluss der Reflexion verändert? Ein Unterschied ist an seinen drei Formen ablesbar: In allen drei Formen tritt in der Mitte nicht einfach eine allgemeine Bestimmung auf, die einmal als Prädikat und das andere Mal als Subjekt fungiert (wie noch in: Die Rose ist rot; Rot ist eine Farbe). Vielmehr tritt der terminus médius im Schluss der Allheit zwar noch einmal als Prädikat auf, das andere Mal erscheint er jedoch unmittelbar als Kennzeichnung derjenigen, die dieses -
4
Vgl. Tabelle 1 im Anhang dieses Beitrags. Vgl. Tabelle 2 im Anhang dieses Beitrags.
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Der Schluss
141
der Allheit
Prädikat haben (wie im Ausgangsbeispiel: Sokrates ist Mensch; alle Menschen sind sterblich). Damit ist die Mitte tatsächlich nicht mehr ein Inhalt, von dem getrennt voneinander zwei Verhältnisse einmal zum Einzelnen, einmal zum Allgemeinen ausgesagt werden, sondern das Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen ist selbst schon zum expliziten Inhalt der Mitte geworden. Näher sind es im Schluss der Allheit alle Einzelnen eines Allgemeinen, im Schluss der Induktion (nach einer sich auflösenden Anfangsfassung bei der Allheit) sind es einige Einzelne eines Allgemeinen, und im Schluss der Analogie ist es schließlich ein Einzelnes eines Allgemeinen, die zur Mitte -
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gehören.5
Als ersten, noch formellen Unterschied zwischen dem Schluss der Allheit als einem Schluss der Reflexion und dem ersten Schluss des Daseins lässt sich festhalten, dass in jenem, anders als in diesem, der Mittelterm in einer Prämisse in der distributiven Fassung „alle F" auftritt. Ohne diesen Unterschied gleich weiter zu analysieren, wenden wir uns zunächst der zweiten Seite der Abgrenzung zu: Wie sich der Schluss der Allheit als Reflexionsschluss durch die dargestellte Veränderung der Mitte der Umstellung nicht vom Allgemeinen zu den konkreten Einzelnen, die das Allgemeine instantiieren nur vom Schluss des Daseins, sondern auch vom kategorischen Schluss der Notwendigkeit unterscheiden, geht aus dem letzten Teil des oben zitierten Vergleichs hervor: Die gesetzte Einheit der Extreme sei „zunächst aber die Einheit der Reflexion, welche sie in sich befasst, ein Befassen, welches als erstes Aufheben der Unmittelbarkeit und erstes Beziehen der Bestimmungen noch nicht die absolute Identität des Begriffs ist." (GW 12, 11 O/TW 6, 380) Worin in den Mittelbegriffen von Reflexionsschlüssen über Unmittelbarkeit hinausgegangen ist, haben wir eben schon gesehen. Die Besonderheit tritt hier explizit auch als Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit auf. In einer solchen Mitte des Schlusses tritt ein Allgemeines gleich als Allgemeines einer Reihe von Einzelnen, als Kriterium einer Klasse, auf und das Einzelne nicht als „Dieses", nicht oder nicht nur unter seinem Namen, sondern immer auch als Fall, als Instanz eines Allgemeinen. Worin ist dieser Schritt über die Unmittelbarkeit hinaus aber auch bloß ein erster Schritt, wie Hegel nahe legt? Soviel lässt sich an dieser Stelle schon sagen: Damit, dass Einzelne als unter einem allgemeinen Gesichtspunkt zusammengefasste auftreten, ändert sich nichts daran, dass sie, im Unterschied zu dem Gesichtspunkt ihrer Zusammenfassung, zum begrifflichen Element des terminus médius, den Maßstab der Wahrheit von Urteilen bilden. Dass die Einzelnen diese eine Hinsicht erfüllen, ist freilich vorausgesetzt wie sie sich aber zu anderen Prädikaten verhalten, muss mit dieser einen Hinsicht noch nicht entschieden sein. (Ob Menschen qua Mensch sterblich sind, bleibt gegenüber dem All-
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Der Schluss der Reflexion durchläuft also die quantitativen Bestimmungen des Singulären, Partikulären und Universellen in umgekehrter Reihenfolge wie das Urteil der Reflexion. Formal ist auch klar, weshalb mit der Allheit begonnen wird: In der Behandlung des Reflexionsschlusses entwickelt Hegel den Übergang von gültigen syllogistischen zu nicht mehr wahrheitserhaltenden Schlüssen, vom Syllogismus zu Induktion und Analogie. Als Obersätze eines Syllogismus, von dem dieser Übergang ausgeht, kommen aber nur universelle Urteile in Frage. Was von einigen B gilt (oder nicht gilt), hilft ja nichts für die Bestimmung dessen, was von diesen B gilt (oder nicht gilt). Da ist erst die Frage, ob diese B zu jener unbestimmt angegebenen Teilklasse von B gehören.
Friedrike Schick
142
urteil eine eigene Frage.) Das unterscheidet die Mitte eines Reflexionsschlusses von der eines Schlusses der Notwendigkeit: Denn dort ist das Allgemeine beansprucht als Grund dafür, dass einem Einzelnen ein bestimmtes Prädikat zukommt. Auf den knappsten formellen Nenner gebracht, zeichnet sich also der Schluss der Allheit als Schluss der Reflexion nach beiden Seiten durch die quantitative Bestimmung des Subjekts seines Obersatzes aus. Allerdings scheint damit der Sinn des Übergangs von Schlüssen des Daseins zum Schluss der Allheit als erstem Schluss der Reflexion noch nicht vollständig erfasst zu sein. Haben wir uns bislang allein an dem neuen Schema von Obersätzen „Alle F sind G" orientiert, ohne uns um Qualifikationen der Kandidaten für „F" und „G" zu kümmern, so spricht hier bereits der allgemeine Vorspann zum Schluss der Reflexion eine etwas andere Sprache. Wenn in Schlüssen der Reflexion Urteile der Form vorkommen: „Ein/manche/alle F sind G", dann ist an Stelle des F Hegel zufolge „die zum Grunde liegende, Einzelnheit und abstráete Allgemeinheit schlechthin in sich vereinigende Allgemeinheit, die Gattung" (GW 12, 111/TW 6, 381) zu denken und an Stelle des G das Reflexionsallgemeine, die Allgemeinheit als Verhältnißbestimmung, oder eine Mannichfaltiges in sich zusammenfassende Reflexion" (ebd.). Wie die zunächst rein formell charakterisierte Besonderheit des Schlusses der Reflexion mit dieser inhaltlichen Neubestimmung der Termini zusammenhängt, möchte ich nun für den Schluss der Allheit näher verfolgen.
2.2 „Der Schluß der Allheit ist der Verstandesschluß in seiner
Vollkommenheit"1
Den Fortschritt in der Bestimmung der Termini des Schlusses arbeitet Hegel in einem Vergleich zwischen dem Schluss der Allheit und dem Schluss des Daseins heraus. Als nächster Vergleichsgegenstand bietet sich wiederum dessen erste Figur an. Dort hatten wir folgende Konstellation: Aus der Menge der Eigenschaften eines Gegenstands wird eine herausgegriffen, an dieser wiederum eine abstraktere Bestimmung herausgegriffen und der Gegenstand mittels dieser doppelten Beziehung des Mittelbegriffs unter die abstraktere Bestimmung subsumiert. Dass der Gegenstand dann gerade unter diese abstraktere Bestimmung fällt, hat, zufolge dieses Schlusses, etwas Zufälliges. Hätten wir eine andere Eigenschaft herausgegriffen, wären wir mittelbar auf andere abstraktere Bestimmungen gestoßen. Die Konklusion ist damit auch eine Funktion des gegen den Gegenstand beliebigen Fixierens auf bestimmte Züge und des Abblendens anderer. So zufällig sollen sich Subjekt und Prädikat des Obersatzes eines Schlusses der Allheit nicht mehr zueinander verhalten. Warum? Hegels Antwort lautet: Indem die Mitte aber nunmehr die Einzelnheit enthält, und hiedurch selbst concret ist, so kann durch sie mit dem Subject nur ein Prädicat verbunden werden, das ihm als concretem zukommt. (GW 12, 112f./TW 6, 382)
6
Auf den
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GW 12, 111/TW 6, 381.
Begriff des Reflexionsallgemeinen wird im folgenden noch eingegangen. Vgl. dazu auch Hegels Bestimmung der Prädikate in Reflexionsurteilen, GW 12, 71f./TW 6, 326f; vgl. auch Schick (2002), 212-216.
143
Der Schluss der Allheit
Folgen wir zur Erläuterung zunächst Hegels Illustration in Beispielen: Wenn von einem Einzelnen das Prädikat „schön" oder das Prädikat „angenehm" erschlossen werden soll, so macht es einen Unterschied, ob der Obersatz lautet: ,J)as Grüne ist angenehm" oder aber ,¿4lles Grüne ist angenehm".8 Im ersten Fall liegt nur ein Urteil darüber vor, was von dem Gegenstand gilt, insofern er unter Abbiendung anderer Eigenschaften nur als Fall des Grünen betrachtet wird. Wie er sich ansonsten zum Maßstab des Angenehmen
verhält, bleibt offen. Hätten wir nicht die Farbe, sondern eine andere Hinsicht zum Ausgangspunkt genommen, hätte unsere Konklusion nicht nur anders, sondern auch entgegengesetzt ausfallen können. Der entsprechende Schluss des Daseins: „Das Grüne
ist angenehm; die Biotonne ist grün; also ist sie angenehm" ist ein Fehlschluss. Dass in der Konklusion der Bezug auf den Mittelbegriff, die Einschränkung auf die besondere Hinsicht, in der das Prädikat tatsächlich gilt, verschwunden ist, macht die Konklusion unhaltbar bei vorausgesetzter Wahrheit der Prämissen. Dass sich die Beliebigkeit oder Zufälligkeit der ausgewählten abstrakten Hinsicht hier in Fehlschlüssen niederschlägt, hat damit zu tun, wie die Prädikate der Konklusion in Hegels Beispielen gewählt sind so nämlich, dass sie selbst schon die Rücksicht auf das Subjekt in der Totalität seiner Bestimmungen verlangen. „Schön" und „angenehm" sind nicht mehr abstraktere Teilbestimmungen einzelner Eigenschaften, sondern allgemeine Gesichtspunkte, auf die das Subjekt nicht nur in einer Hinsicht, sondern in der Mannigfaltigkeit seiner Eigenschaften beziehbar sein muss, wenn das Prädikat von ihm gelten soll. Genau dieser Zug nun macht ein Prädikat zu einem „Reflexionsallgemeinen": Ein Reflexionsallgemeines ist nicht eine unter vielen Eigenschaften eines Gegenstands, sondern eine Bestimmung, die ihm erstens in veränderlichen Eigenschaftskonstellationen konstant in diesem Sinn: allgemein zukommt und ihn zweitens in ein Verhältnis zu anderem setzt (in den Beispielen „schön" und „angenehm" etwa zu den Maßstäben des Betrachters). Sollen nun von einem einzelnen Gegenstand solche Prädikate erschlossen werden, macht sich die Zufälligkeit des Daseinsschlusses, wie am Beispiel gezeigt, in Fehlern und Widersprüchen geltend. Eine Eigenart der Form des Daseinsschlusses zeigt hier ihren Mangel durch den Einsatz eines bestimmten inhaltlichen Typs von Prädikaten, eben den reflexionsallgemeinen. Was ändert sich nun, wenn im Subjekt des Obersatzes nicht mehr die Eigenschaft selbst oder nicht mehr ein Gegenstand sub specie dieser einen Eigenschaft steht, sondern alle diejenigen, die die Eigenschaft haben? Im Ausgriff auf alle, die in einer Hinsicht übereinkommen, steckt nach wie vor: Diese eine Hinsicht wird fixiert, als bleibend festgehalten. Aber die vielen anderen Hinsichten, die zuvor ausgeblendet waren, kommen nun wieder ins Spiel, obwohl sie unausgesprochen bleiben. Mit der Betrachtung aller Träger der einen Eigenschaft sind die Variationen, die in möglichen anderen Hinsichten durchlaufen werden können, nicht mehr gleichgültig für die Wahrheit des Obersatzes. Der Allheit entspricht tatsächlich nur ein Prädikat, das über die sonstigen, frei gelassenen Variationsmöglichkeiten, über die sonstigen Unterschiede zwischen den Elementen der Klasse hinweg konstant zukommt. Insofern wirkt der Schritt von „das Grüne" (ein Grünes als solches) zu „allen Grünen" als Korrektiv gegen die selektive Abstraktion, mit der wir begonnen haben. -
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8
Vgl. GW 12,
112/TW 6, 382.
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Friedrike Schick
144
Aber diese Korrektur ist leichter verlangt als durchgeführt. Bleiben wir im Beispiel, ist die Hinsicht, unter der viele Einzelne nun versammelt sind die Eigenschaft, grün zu sein -, nach wie vor eine unter unbestimmt vielen anderen Hinsichten; also wird es auch zufällig sein, ob wir sämtliche für das Allurteil „Alles Grüne ist angenehm" relevanten Variationsmöglichkeiten grüner Gegenstände auch tatsächlich berücksichtigen. Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Erstens verweist die Schwierigkeit zu ihrer Lösung auf ein anders verfasstes Allgemeines im Subjektbegriff. Wenn sich das Prädikat als ein Reflexionsallgemeines schon auf das Subjekt als Einheit seiner vielen Eigenschaften bezieht, dann hat es auch erst in einem Subjektbegriff sein passendes Pendant, das nicht irgendeine Hinsicht, sondern die substantielle Bestimmung des Einzelnen ist. Das kann man sich klarmachen, wenn man die zweite Seite des Reflexionsallgemeinen mitbedenkt: dass es sich bei ihnen um Verhältnisbestimmungen handelt. Angesichts ihrer lässt sich immer fragen, wodurch der Gegenstand in dieses Verhältnis eintritt etwa: wodurch oder worin er schön oder angenehm sei. Dieser Grund muss dann seinerseits so verfasst sein, dass er sich in qualitativen Unterschieden und Veränderungen des Gegenstands unverändert geltend macht, allgemein durchsetzt. (An diesem Desiderat scheiterte ja gerade die einzelne Bestimmung „grüne Farbe"). Dem Reflexionsallgemeinen als Prädikat entspricht auf Seiten des Subjekts keine solche einzelne Bestimmung mehr, sondern dessen Allgemeinheit: die Gattung. Zweitens aber zeichnet sich ab, dass die im Schluss der Allheit anvisierte Rückkehr zur Konkretion durch diesen Schluss selbst nicht eingelöst wird, und zwar auch dann nicht, wenn wir als Mittelbegriff ein Gattungs-Allgemeines und als Außenbegriff ein Reflexions-Allgemeines einsetzen. Das lässt sich im Nachvollzug von Hegels Kritik des Schlusses der Allheit zeigen. so
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2.3 Der vollkommene Verstandesschluss: ein Blendwerk Diese Reflexions-Vollkommenheit des Schlusses macht ihn aber eben hiemit zu einem blossen Blendwerk. Der Médius Terminus hat die Bestimmtheit: Alle; diesen kommt im Obersatze das Prädicat unmittelbar zu, das mit dem Subjekte zusammengeschlossen wird. Aber Alle sind alle Einzelne; darin hat also das einzelne Subject jenes Prädicat schon unmittelbar und erhält es nicht erst durch den Schluß. (GW 12, 112/TW 6, 382f.)
Was heißt es, dass den Einzelnen, die als erfüllende Instanzen unter einen Begriff zusammengefasst sind, im Obersatz das Prädikat unmittelbar zukommt? Zunächst heißt es einfach, dass der Obersatz eines Schlusses der Allheit in dem betreffenden Schluss selbst nicht erschlossen, sondern vorausgesetzt wird. Aber es besagt auch etwas Näheres darüber, wie das prädikative Verhältnis, wie das Zukommen hier gedacht ist. Das ergibt sich aus dem angezielten Fortschritt, dessen Begründung wir im letzten Abschnitt verfolgt haben. Von allen Trägern einer Bestimmung statt von der Bestimmung (oder dem Bestimmten als eben nur in dieser Hinsicht Bestimmtem) zu handeln, hat seine
Wenigstens im Vorbeigehen sei darauf hingewiesen, dass nicht zuletzt unser beliebtes Ausgangsbeispiel der Schluss auf Sokrates' Sterblichkeit diese beiden Bestimmungen des Reflexionsallgemeinen („sterblich") bzw. des Gattungsallgemeinen („Mensch") aufweist. -
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Der Schluss der Allheit
145
Pointe darin, die selektive Abstraktion zu korrigieren. Wenn wir wissen wollen, was einem bestimmten Einzelnen als konkretem gilt, dann hilft es nichts, eine herausgenommene Hinsicht weiter zu analysieren, sondern dann müssen die sonstigen möglichen Hinsichten, in denen ein Einzelnes dieses Allgemeinen variieren kann, wieder in die Betrachtung aufgenommen werden. Das war der Grund für den Ausgriff auf alle F. Wenn nun aber die abstrakte Hinsichtnahme auch nur dadurch abgelöst wird, dass statt des Allgemeinen alle Einzelnen dieses Allgemeinen Thema des Obersatzes sind, dann wird es im Obersatz wohl auch auf das Gefalle zwischen dem Allgemeinen und denen, die seine Einzelnen sind, wesentlich ankommen. Dass sie Fälle des einen Allgemeinen (des Mittelbegriffs) sind, ist der Grund dafür, dass sie für den Schluss auf den Einzelfall in Betracht gezogen werden; im F-Sein liegt so zwar der Beziehungsgrund zwischen allen und dem einen fraglichen Einzelnen; zugleich gilt aber, wenn es auf die Form der Allheit ankommt, F zu sein, noch nicht als Grund dafür, G zu sein; erst indem die einzelnen F zuzüglich zu ihrem F-Sein auch noch unter G fallen, wird der Schluss der Allheit komplett. Das hängt damit zusammen, dass Allheit und Allgemeinheit nicht ganz dasselbe sind. Fasse ich durch eine Kennzeichnung Einzelne zu einer Klasse zusammen und spreche über sie dann nicht mehr im einzelnen, sondern unbestimmterweise als Mitglieder dieser Klasse, dann liegt in dieser Form die Voraussetzung der Verschiedenheit der Elemente voneinander bei ausdrücklicher Angabe einer Hinsicht, in der die Verschiedenen auch gleich sind. Das Allgemeine ist einfach eine neben ungenannten Unterschieden vorkommende Gemeinsamkeit.10 Dass ein Einzelnes im Allurteil als eines unter anderen, als ein anderen in einer Hinsicht Gleiches gedacht wird, lässt die Frage, wie es sich denn in anderen Hinsichten zu diesen anderen verhält, ob wiederum gleich oder ungleich, offen. Wenn es ihnen dann in anderem gleicht, wie ein Allurteil besagt, dann liegt eben neben der ersten, schon vorausgesetzten Gemeinsamkeit eine zweite vor. Dass den Einzelnen eines Allgemeinen das Prädikat des Obersatzes unmittelbar zukommt, bezeichnet damit auch ein unbestimmtes und weiterer Bestimmung bedürftiges Verhältnis der zwei Begriffe, unter die da subsumiert wird, zueinander. Dass eine weitere Gemeinsamkeit vorliegt, scheint mit dem Vorliegen der ersten nur in dem äußeren Verhältnis zu stehen, dass beide an denselben Einzelnen vorkommen. Ob sie zusammen vorkommen, entscheidet sich dann aber an den Einzelnen. Indem die Einzelnen vergleichsweise betrachtet werden, bleiben sie die dem Vergleich vorausgesetzte Grundlage desselben. Einfache singuläre Urteile des Zukommens oder Nichtzukommens bleiben das logisch Erste, die Grundlage des Allurteils, und damit auch des Schlusses der Allheit. Das gilt auch dann, wenn in der Form des Allurteils Bestimmungen einer Gattung ausgesagt werden (z.B. „Alle Menschen sind sterblich"). In der Form der Allheit ist die Gattung von abstrakten einzelnen Hinsichten nämlich nicht unterschieden. Die Gattung von
Vgl. Hegels Ausführungen zum Allurteil: „Die Allgemeinheit, wie sie am Subjekte des universellen Urteils ist, ist die äußere Reflexionsallgemeinheit, Allheit; Alle sind alle Einzelnen; das Einzelne ist unverändert darin. Diese Allgemeinheit ist daher nur ein Zusammenfassen der für sich bestehenden Einzelnen; sie ist eine Gemeinschaftlichkeit, welche ihnen nur in der Vergleichung zukommt." (TW 6, 330f.)
146
Friedrike Schick
mag tatsächlich Grund oder wenigstens Grundlage der im Prädikat zugesprochenen Besonderheit sein im Allurteil ist sie einfach nicht in dieser Begründungsfunktion
eingesetzt. Sie hat
so gut wie jedes beliebige intensionale Klassenbildungskriterium die Form des zusammenfassenden Gesichtspunkts, nicht mehr. An diesem unmittelbaren was auch hieß: ungeklärten Verhältnis von Subjekt und Prädikat des Obersatzes haben wir aber schon die eine Seite der petitio principii, die vollständig wird, wenn wir den Umstand hinzudenken, dass der Schluss als ganzer darin besteht, für ein bestimmtes Einzelnes das fragliche Prädikat zu erschließen. „Sokrates ist sterblich" war unsere Konklusion. Aber wenn für den Obersatz die Form des Allurteils wesentlich ist, dann ist nicht vorauszusetzen, dass ein Mensch als Mensch sterblich ist, sondern dann kommt es darauf an, was von denen, die den Begriff Mensch erfüllen, sonst noch gilt. Dass Sokrates unter allen anderen Menschen den Begriff der Sterblichkeit erfüllt, gehört also ebenso gut zu den Voraussetzungen des Obersatzes wie es erst Konklusion sein soll. Hegel fasst dieses umgekehrte Voraussetzungsverhältnis zwischen Obersatz und Konklusion noch einmal allgemein: -
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Der Satz, welcher Schlußsatz seyn sollte, muß schon unmittelbar für sich richtig seyn, weil der Obersatz sonst nicht Alle Einzelne befassen könnte; ehe der Obersatz als richtig gelten kann, ist vorher die Frage, ob nicht jener Schlußsatz selbst eine Instanz gegen ihn sey. (GW 12, 112/TW 6, 383)
2.4 Der
Übergang zum Schluss der Induktion
Die Kritik des „vollkommenen Verstandesschlusses" bildet nicht den negativen Schlussakkord der Hegeischen Schlusslehre, sondern leitet über zum induktiven Schluss. Die Überleitung setzt direkt an der konstatierten petitio principii an: Wenn im Schluss der Allheit der Obersatz die Konklusion voraussetzt, so hat sich das Verhältnis von Voraussetzung und Resultat umgekehrt. Das Allurteil ist dann nicht als Prämisse eines Schlusses auf entsprechende singuläre Urteile zu nehmen, sondern als deren Resultat. Nichts anderes als die zweifache Subsumierbarkeit Einzelner ist die Grundlage allgemeiner Befunde. Ein Allgemeines wird durch weitere Prädikate bestimmt mittels der Prädikate seiner Instanzen, der Totalität derer, die die Sphäre seines Umfangs ausmachen. Weil jede einzelne Instanz eines Begriffs auch einen zweiten erfüllt, gilt der zweite Begriff auch von der durch den ersten intensional gebildeten Klasse. Das ist aber nichts anderes als die allgemeine Form vollständiger enumerativer Induktionen. Diese Wendung zur Induktion macht einerseits ernst mit der verselbständigenden Unterscheidung aller Einzelnen von dem Allgemeinen, unter das sie gefasst sind. In der Aufzählung sind sie ja, jedes für sich, unabhängig von ihrem Verhältnis zu dem vorausgesetzten Allgemeinen thematisch. Schon für den Obersatz des Schlusses der Allheit galt: Die Versammlung Einzelner unter einen Gesichtspunkt lässt offen, wie sich der versammelnde Gesichtspunkt zu weiteren Prädikaten der Einzelnen verhält. Dass sich an den Einzelnen, unabhängig von diesem ersten Gesichtspunkt, entscheidet, was ihnen gemeinsam zukommt, ist im Schluss der Induktion ausdrücklich gemacht. Die Induktion in diesem Sinn versetzt uns auf den Standpunkt: Ob der erste versammelnde Gesichtspunkt mehr gewesen ist als ein partieller Gesichtspunkt, zeigt sich erst, wenn wir
Der Schluss
der
147
Allheit
untersuchen,
was die unter diesem Gesichtspunkt Versammelten sonst noch gemein haben. Wenn es aber andererseits auch nur darauf ankommt, was die Fälle des ersten Allgemeinen abgesehen davon miteinander gemein haben, ist auf allgemeine Befunde das erklärte Ziel des Induktionsschlusses auch nicht mehr zurückzukommen. Ist die Zusammenfassung den sonstigen Beschaffenheiten der Einzelnen äußerlich oder ist sie jedenfalls so aufgefasst, wird die Einlösung des Vollständigkeitsanspruchs zu einer unabschließbaren Dauerfrage. -
-
3. Fazit
Erklärung und Kritik des Schlusses der Allheit für die Einschätzung der eingangs vorgestellten Alternativen aus? Die Alternative stellte sich so: 1. Entweder an der konstatierten und von Hegel geteilten Kritik einer petitio principii scheitert der Schluss der Allheit und mit ihm der Anspruch, durch Schlüsse Urteile zu begründen; Was tragen
nun
-
-
oder 2. der Schluss der Allheit ist gegen die Kritik immun, weil sein Obersatz unabhängig von Einzelfällen, rein allgemein, zu begründen ist; oder 3. als Begründung seiner Konklusion ist der Schluss der Allheit definitiv nicht geeignet; aber seine Konklusion ist wirklich eine Konklusion nur die eines induktiven Schlusses. Stellen wir dem Hegels Diagnose gegenüber: Es war die Ambivalenz der Form der Allheit, die den zugehörigen Schluss zum Scheitern verurteilte. Die Mitte solcher Schlüsse trennt sich in zwei separierte Hinsichtnahmen auf denselben Gegenstandsbereich: Das Allgemeine ist sowohl als Prädikat präsent als auch als ein in seinem Umfang Ausgelegtes. Dass es in seinen Umfang ausgelegt wurde, sollte es seiner Rolle als terminus médius in Schlüssen auf allgemeine Bestimmungen eines Einzelnen adäquat machen dass es erst noch so ausgelegt werden musste, widersprach aber eben dieser Rolle. In seinen Instanzen hat das Allgemeine in dieser Betrachtungsweise ein Verhältnis zum Außenbegriff- ob es an sich eines hat, steht in den Sternen. Die Einzelnen, die seinen Umfang konstituieren, sind unter dieser Hinsicht eingeführt, werden aber für den Schluss nicht in dieser Hinsicht entscheidend: Als Fälle des Begriffs kommen sie ins Spiel; aber als Einzelne haben sie das fragliche zweite Prädikat. Die beiden Alternativantworten lassen sich dieser Ambivalenz der Allheit zuordnen: Jede bezieht ihren Standpunkt exklusiv auf einer der beiden Seiten, in die die Mitte des Schlusses hier zerfällt: Der Freund apriorischer Begründung schlägt sich auf die Seite des Allgemeinen, der Freund induktiver Begründung auf die des Einzelnen. Aber im Licht der Hegelschen Diagnose kann man auch sehen, dass beide Entscheidungen das Richtige einseitig treffen und infolge dessen auf ihre Weise die petitio principii wiederholen: Der Rekurs auf rein begriffliche Verhältnisse überspringt den Grund, dem sich die Umstellung von der Betrachtung eines Einzelnen als abstrakten Falls eines Allgemeinen auf die Allheit der Einzelnen dieses Allgemeinen verdankte: Das Einzelne bloß als -
-
"
Hegels Kritik des Schlusses der enumerativen Induktion vgl. den Beitrag von Dirk Stederoth im vorliegenden Band.
Zu
Friedrike Schick
148
Anwendungsfeld allgemeiner Wahrheiten in Gestalt von Begriff und Teilbegriff wird das grüne Einzelne ist als von diesen begrifflichen Verhältnissen sicher mitbetroffen grünes farbig, kein Zweifel -, aber mit dieser Erinnerung ist das am Fall des Reflexionsallgemeinen aufbrechende Problem einer Vermittlung im Schluss, die dem Einzelnen in der Totalität seiner Bestimmungen gerecht wird, nicht zu lösen. Im Rückgang auf abstraktere Teilbestimmungen, bleibt, was das Einzelne ist, bleibt seine Substanz unbestimmt. Wollte man beanspruchen, in einem der Abstraktionsprodukte, die aus einer einzelnen Eigenschaft herausgezogen werden können, tatsächlich die substantielle Bestimmung des Einzelnen oder ein Merkmal desselben zu haben, dann wäre das an dieser Stelle eben auch nur ein vorausgesetzter Anspruch eine petitio. Die Flucht in den Begriff gegen die Rücksicht auf die konkreten Einzelnen würde uns nur auf die Stufe der ersten Figur des Daseinsschlusses zurückversetzen. Der Vertreter der Induktion weiß dagegen Allurteile als Resultat singulärer Befunde. Wenn er nun aber das Einzelne anstatt des Allgemeinen, unter dem es zur Klasse gebündelt war, zur Mitte begründender Schlüsse erklärt, wird die Vollständigkeit zum bloßen Anspruch, der die Substantialität des Allgemeinen voraussetzen muss. An Mills Konzeption lässt sich diese Konsequenz einer Vorordnung des Einzelnen auf Kosten des Allgemeinen gut ablesen. Für Mill geht es in erkenntnisträchtigen Schlüssen darum, das, was wir von manchen einer Art schon wissen, zu übertragen auf andere derselben Art, von denen wir es unmittelbar nicht wissen, um den quantitativen Ausbau des Wissens. Das in Allurteilen vorausgesetzte Allgemeine erhält entsprechend nur die Rolle zugeteilt, den Radius der berechtigten Erweiterung zu fixieren. Das kann aber nicht die ganze Wahrheit sein. Wenn das begriffliche Kriterium der Klassenbildung sich zum -
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Inhalt des Beweises gar nicht verhält, wird vollkommen dunkel, warum sich die an den bestimmten Einzelnen gewonnene Erkenntnis gerade auf solche übertragen lassen soll, die diesen Begriff erfüllen. Dass sich das fragliche Prädikat just auf solche überträgt, die wir als Fälle dieses Begriffs annehmen, von denen wir aber nichts sonst wissen, setzt voraus, dass mit der Erfüllung dieses Begriffs das Zukommen des Prädikats entschieden ist. So realisiert das Votum für den Ausgang vom Einzelnen statt vom Allgemeinen auf seine Weise aie petitio. Wenn mit Hegels Diagnose nun weder der Rückgang auf a priori zu erkennende Verhältnisse zwischen Begriffen noch die Induktion die petitio principii aufhebt bleibt dann nur die schlimmste Alternative, die Annahme, dass Schlüsse vollkommen oder unvollkommen, syllogistisch oder nicht Urteile nicht zirkelfrei begründen können? Es wäre merkwürdig, sollte das das Resultat sein, denn die Skepsis gegen den Schluss überhaupt ist ja durch Schlüsse begründet. Ein solches Resultat folgt aber auch nicht aus Hegels Bestimmung und Kritik des Schlusses der Allheit: Sie verlangt nicht, dass die Mitte des Schlusses entweder vom Einzelnen oder vom Allgemeinen besetzt werden müsste; dass im Schluss der Allheit beide zusammen die Mitte bilden, war nicht der Mangel. Der Mangel lag darin, wie sie zusammen vorkommen, nämlich in Form der äußerlichen Zusammenfassung. Dann ist der Mangel zu überwinden, indem, was nach dieser Form als ein möglicher Gesichtspunkt der Zusammenfassung unter unbestimmt vielen anderen erscheint, auch seinem Inhalt nach als diejenige Bestimmung gezeigt wird, die den Zusammenhang des Einzelnen mit seinen besonderen Bestimmungen -
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149
Der Schluss der Allheit
In der Ambivalenz der Allheit zeichnet sich der Anspruch ab, ein Allgemeierkennen, das nicht bloß darin allgemein ist, dass es Einzelnes unter sich hat, sondern sich auch darin als allgemein bewährt, dass es zu erkennen gibt, wie und warum seine Fälle die besonderen Züge haben, die im Schluss der Allheit nur erst die Stellung weiterer Gemeinsamkeiten haben.
begründet. nes zu
Anhang Tabelle 1: Der Schluss der Allheit im
Vergleich mit dem ersten
Schluss des Daseins und dem ersten Schluss der
Notwendigkeit Die erste Figur des Daseinsschlusses
Der Schluss der Allheit
Der kategorische Schluss
1. Rot ist eine Farbe.
1. Alle Menschen sind sterblich.
1. Metall ist elektrisch
2. Diese Rose ist rot
2. Sokrates ist ein Mensch.
2. Gold ist ein Metall.
3. Sokrates ist sterblich.
3. Gold ist elektrisch
3. Diese Rose ist ein
Farbiges.
Tabelle 2: Der Schluss der Allheit im
leitfähig.
leitfähig.
Vergleich mit den beiden anderen Formen des Schlusses der Reflexion
Der Schluss der Allheit
Der Schluss der Induktion
Alle Menschen sind sterblich. 2. Sokrates ist ein Mensch.
Der Schluss der Analogie
1.
Kupfer, Silber, Eisen etc. sind elektrisch leitfähig.
1. Das Metall Kupfer ist elektrisch leitfähig.
2.
Kupfer, Silber, Eisen etc.
2. Eisen ist ein Metall.
sind Metalle. 3. Metalle sind elektrisch leitfähig.
3. Sokrates ist sterblich.
3. Eisen ist elektrisch
leitfähig.
Literatur Krohn, W.: Die formale Logik München 1972. Mill, John Stuart:
Leipzig 21884.
System
in
Hegels Wissenschaft
der
der deductiven und inductiven
Logik. Untersuchungen
Logik,
übersetzt
von
zur
Schlußlehre,
Theodor
Gomperz,
Schick, F.: „Die Urteilslehre", in: Koch, A. F., Schick, F. (Hg.): G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Berlin 2002, 203-224.
Dirk Stederoth
Hegels Kritik der Induktion und ihre Bedeutung für (s)eine Kritik der Erfahrungswissenschaften
Der folgende Text ist, wie es sich für eine Hegel-Interpretation wohl auch gehört, in drei Teile gegliedert, wobei in einem ersten Schritt zunächst die systematische Stellung des Induktionsschlusses innerhalb der Schlusslehre sowie Hegels kritische Stellungnahme zum „Schluß der Erfahrung" (GW 12, 114), wie er diesen Schluss auch nennt, erörtert werden soll. Der zweite Schritt neigt sich dann insofern in die Äußerlichkeit, als am Beispiel der Neurowissenschaft die Bedeutung dieser kritischen Bemerkungen für eine Kritik der Erfahrungswissenschaften angedeutet wird, um dann in einem dritten, gleichsam aufhebenden Schritt danach zu fragen, ob dieser „Schluß der Erfahrung" für Hegels Systemkonzeption gerade in ihren realphilosophischen Teilstücken nicht viel bedeutsamer ist, als es zunächst scheint.
1. Die
Stellung des Induktionsschlusses in der Bewegung der Schlüsse
Die Erörterungen zur systematischen Stellung des Induktionsschlusses sollen mit einer kleinen Fiktion beginnen: Neulich stöberte ich in Kassel in der Handschriftenabteilung der Murhardschen Landesbibliothek herum und stieß auf einen kleinen Zettel, der unübersehbar Hegels Handschrift trug. Auf ihm stand unter der Überschrift: „Zur Schlusslehre", eine formale Systematik der Schlüsse sowie zwei kurze Bemerkungen. Über die Herkunft dieses Zettelchen war nichts bekannt, jedoch ist zu vermuten, dass ihn Hegel während seines kurzen Aufenthaltes in Kassel im Jahre 1822 irgendwo liegengelassen hat und irgendein aufmerksamer Mensch diesen Zettel zum hiesigen Bibliothekar gebracht hat. Vielleicht war es auch der Wirt des kleinen Hauses in der Karlsaue, „wo man", wie Hegel in einem Bericht von 1822 lobend erwähnt, „im Freien Kaffee trinken kann." Wer weiß?! Viel interessanter ist jedoch der Inhalt des Zettels. Er lautet:
Zit. n.: Kassel. Das geistige Profil einer tausendjährigen Stadt. Bilder und Dokumente, ausgew. und komm. v. Herfried Homburg, Kassel 1977, 93.
Hegels Kritik der Induktion
151
„Zur Schlußlehre. (E-B-A) [Schluß des Daseins]
I.
a.) E-B-A
[1. formaler Schluß] b.) E-A-B [3. formaler Schluß] c.) A-E-B [2. formaler Schluß]
(A-E-B) [Reflexionsschluß] a.) A-E-B [Induktionsschluß] b.) E-B-A [Schluß der Allheit] II.
c.) E-A-B
[Schluß der Analogie]
III.(E-A-B)
[Schluß der Notwendigkeit] a.) E-A-B [disjunktiver Schluß] b.) A-E-B [hypothetischer Schluß] c.) E-B-A [kategorischer Schluß]
Bewegung ist Vermittlung wie in I. (Logik) Ende vermittelter Anfang." Zum Vergleich sei hier auch eine schematische Darstellung senschaft der Logik von 1816 wiedergegeben:
(E-B-A) [Schluß des Daseins] a.) E-B-A [ 1. formaler Schluß] b.) A-E-B [2. formaler Schluß] c.) E-A-B [3. formaler Schluß] I.
der Schlusslehre
aus
der Wis-
II.
(A-E-B) [Reflexionsschluß] a.) E-B-A [Schluß der Allheit] b.) A-E-B [Induktionsschluß]
(E-A-B) [Schluß der Notwendigkeit] a.) E-B-A [kategorischer Schluß] b.) A-E-B [hypothetischer Schluß]
c.) E-A-B [Schluß der Analogie]
c.) E-A-B
III.
[disjunktiver Schluß]
Es gäbe nun viel zu dieser Umsystematisierung der Schlusslehre zu sagen, jedoch will ich mich auf ein paar Hinweise beschränken, um auf die Stellung des Induktionsschlusses ausführlicher einzugehen. Auffällig ist zunächst, dass hier die Übergänge der Stufen anders gestaltet sind, insofern jeweils am Ende der I. und II. Stufe das Schlussschema der nächsten Stufe bereits vorliegt, das dann auf eben dieser nächsten Stufe unmittelbar fortgeführt wird. Also am Ende der ersten Stufe, dem Schluss des Daseins, steht die Schlussform A-E-B, die dann die Grundform der zweiten Stufe, des Reflexionsschlusses, bildet, dessen unvermittelte Form dann der Induktionsschluss, auch A-E-B, ist. Ebenso ist es beim Übergang zur dritten Stufe. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass am Schluss der gesamten Bewegung der kategorische Schluss entwickelt wird, der in seiner Schlussform E-B-A die Schlussform des Daseins hat, wodurch der Satz des Zettels seine Bedeutung bekäme, dass das Ende vermittelter Anfang ist. Es soll hier nicht die gesamte Systematik näher untersucht werden, sondern vielmehr die Frage, ob dem Induktionsschluss eher die eine oder die andere systematische Stellung zukommt, ob er also eher an den Anfang, wie auf dem Zettel, oder eher in die Mitte der Entfaltung des Reflexionsschlusses gehört, wie es in der Wissenschaft der Logik von 1816 der Fall ist. Hierfür sei zunächst ein Versuch für eine Argumentation der Zettelsys-
Dirk Stederoth
152
tematik unternommen, in der ja der Induktionsschluss den Anfang der Entfaltung der Reflexionsschlüsse bildet. Einen Wink für eine solche Argumentation findet sich in der Wissenschaft der Logik von 1816 in den einleitenden Erörterungen zum Reflexionsschluss. Hegel schreibt hier über den ,,nähere[n] Inhalt der Mitte, auf die es wesentlich beym Schlüsse ankommt" (GW 12, 111): „Sie enthält 1) die Einzelnheit, 2) aber zur Allgemeinheit erweitert, als Alle, 3) die zum Grunde liegende, Einzelnheit und abstráete Allgemeinheit schlechthin in sich vereinigende Allgemeinheit, die Gattung." (Ebd.) Dies vorausgesetzt, könnte man sich für die Zettelsystematisierung folgende Argumentation vorstellen: In der unmittelbaren Form des Reflexionsschlusses bildet die Einzelheit die Mitte des Schlusses, und zwar als unvermittelte Einzelheit, wie sie im Induktionsschluss vorkommt. Die Wahrheit der Aussage, um Hegels Beispiel zu verwenden, dass alle Metalle elektrische Leiter sind, hängt nämlich gemäß induktivem Schließens davon ab, dass sich die einzelnen Metalle, Gold, Silber, Kupfer etc. als solche elektrische Leiter erweisen. Die Stichhaltigkeit dieser Wahrheit liegt nun aber darin, dass allen einzelnen Metallen eben diese Eigenschaft zukommt, sie also hinsichtlich dieser Eigenschaft einer Allgemeinheit im Sinne einer Allheit angehören, und diese systematische Bestimmung kommt der Einzelheit nun im Schluss der Allheit zu. „Alle Metalle sind elektrische Leiter, das Kupfer ist ein Metall, also ist auch das Kupfer ein elektrischer Leiter." Hier sind die einzelnen Metalle durch eine äußerliche Eigenschaft zu einer Allheit verbunden. Allerdings, so argumentiert Hegel in der Logik, setzt die Aussage: „Alle Metalle sind elektrische Leiter", bereits voraus, dass das Kupfer hierfür kein Gegenbeispiel darstellt, weshalb diesem Schluss der Allheit nur dann Wahrheit zukommen kann, wenn dem einzelnen Metall die Eigenschaft elektrischer Leitfähigkeit nicht nur äußerlich, sondern als innerliche oder wesentliche Eigenschaft, also als Gattungseigenschaft beigelegt ist, das Einzelne mithin in der Bestimmung einer Allgemeinheit ist, die, wie Hegel sich in dem Zitat aus der Einleitung zum Reflexionsschluss ausdrückt, „Einzelheit und abstrakte Allgemeinheit schlechthin in sich vereinigende Allgemeinheit" ist, eben Gattung. Diese Bestimmung kommt der Mitte jedoch erst im dritten Reflexionsschluss zu, dem Schluss der Analogie, der damit die Wahrheit und Aufhebung der beiden vorhergehenden Schlüsse bildet. „Alle bisher bekannten Metalle sind elektrische Leiter, also werden qua Gattungszugehörigkeit auch alle zukünftig aufzufindenden Metalle elektrische Leiter sein." Mit der Allgemeinheit als Mitte, wie sie in diesem Analogieschluss vorherrscht, ist jedoch eine höhere Schlussform angedeutet, die nun in der dritten Stufe unter dem Titel „Schluß der Notwendigkeit" weiter entfaltet wird. So, oder so ähnlich könnte eine Argumentation für die Zettel Systematik der Reflexionsschlüsse aussehen. -
2
G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften I (= TW 8), § 190, Zusatz. Das Beispiel findet sich auch in seiner Logik-Vorlesung von 1831 wieder: „Erstens durch Induktion muß festgelegt werden, das Einzelne, Platin, Gold, Silber usw., das sind Metalle; 2. das Platin, Gold usf. sind elektrische Leiter auf empirische, unmittelbare Weise: Also sind alle Metalle elektrische Leiter, das ist der Schluß der Erfahrung." (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Logik. Berlin 1831. Nachgeschrieben von Karl Hegel, hg. v. Udo Rameil, Hamburg 2001, 197)
Vgl.
153
Hegels Kritik der Induktion
Zum
Vergleich sei kurz die Systematik der Wissenschaft der Logik von
1816
nachge-
zeichnet, um dann die Frage anzuschließen, welche systematische Stellung der Indukti-
legitimer Weise zukommt. Die Entfaltung beginnt bekanntlich mit dem Schluss der Allheit. In ihm setzt, so die bereits erwähnte Argumentation Hegels, die Prämisse die Conclusio insofern voraus, als die im Schlusssatz vorkommende Einzelheit kein Gegenbeispiel zu der in der Prämisse konstatierten Allheit sein darf. Damit die Prämisse wahr ist, muss die Einzelheit, die durch diesen Schluss bestimmt wird, schon im voraus als dieser Allheit zugehörig bestimmt sein. Diese Zugehörigkeit, wird jedoch nicht vom Schluss der Allheit bewerkstelligt, sondern es ist vielmehr die Induktion, die von einer gleichsam additiven Vollständigkeit von Einzelheiten auf eine Allgemeinheit schließt. Diese Vollständigkeit verbleibt jedoch, da sie lediglich auf empirischem Wege zustande gebracht werden kann, eine unendliche Aufgabe. „Alle Metalle sind Gold, Silber, Kupfer etc. Gold, Silber, Kupfer etc. sind elektrische Leiter. Also sind alle Metalle elektrische Leiter." Hier hängt die Wahrheit des Schlusssatzes an der Vollständigkeit des empirischen Aufweises der einzelnen Metalle und ihrer Leitfähigkeit ab, der jedoch deshalb niemals abgeschlossen sein kann, da kein vernünftiger Grund angebbar ist, warum nicht Morgen oder in Zukunft ein Metall gefunden werden sollte, dem die Leitfähigkeit nicht zukommt. „Der Schlußsatz der Induction", so resümiert Hegel, „bleibt insofern problematisch." (GW 12, 114) In der Forderung einer unendlichen Fortsetzung des empirischen Aufweises liegt jedoch die Voraussetzung, so argumentiert Hegel weiter, dass es sich etwa bei der Leitfähigkeit der Metalle nicht bloß um ein äußerliches Merkmal, sondern vielmehr ebenso um ein innerliches, also ein Gattungsmerkmal handelt. Wie eine solche Gattungsallgemeinheit näher zu verstehen ist, sagt Hegel recht bündig in seiner Logik-Vorlesung von 1817: „Um ein Gesetz, um eine Wahrheit zu finden, braucht man eigentlich gar nicht alle Fälle zu kennen, weil in dem Einzelnen das Ganze enthalten ist. Es darf daher nur dieses Einzelne recht aufgefasst und erkannt werden, so hat man die Wahrheit oder das Gesetz auch für alle Fälle gleich erkannt." (LM, 162) In der Forderung nach unendlicher Fortsetzung liegt demnach, dass mit dem durch die bisher aufgewiesenen Einzelfällen bereits das Wesentliche derselben aufgefasst wurde, mithin die Fortsetzung zwar gefordert ist, sich qua Gattungsallgemeinheit jedoch eigentlich erübrigt. Damit wäre aber der Schlusssatz selbst schon als Voraussetzung in die Forderung der unendlichen Fortsetzung eingegangen, wie es auch schon beim Schluss der Allheit der Fall war. Die Gattungsallgemeinheit nun, die sich als Wahrheit der Induktion erwiesen hat, bildet die Mitte des Schlusses der der dann zum Schluss der Notwendigkeit übergeht, wie oben bereits dargestellt. Soweit die kurze Darstellung der Systematik von 1816. on
Analogie,3 -
3
Die Argumentation, dass die Induktion auf einem Analogieschluss beruht, findet sich implizit bereits bei Hume, wenn er in seinem Abstract zum Treatise of Human Nature schreibt: „Alle wahrscheinlichen Argumente beruhen auf der Voraussetzung, daß es zwischen der Zukunft und der Vergangenheit eine Übereinstimmung gibt, und können daher dieselbe niemals beweisen." (David Hume, An Abstract of a Book lately published entiteld A Treatise of Human Nature. 1740, hg. v. J. M. Keynes u. P. Straffa, 1938, 15; zit. n. Karl R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1971, 320) Bei Hume ist es zwar nicht explizit ein Analogieschluss, der die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft herstellt, sondern vielmehr dient hier sein Begriff der „Gewohnheit" als Brü-
154
Dirk Stederoth
Doch wo gehört die Induktion nun hin? An den Anfang oder in die Mitte der Entfaltung der Reflexionsschlüsse? Rein schematisch gesehen scheint hier ein leichter Vorteil
bei der Zettelsystematik zu liegen, denn in der Systematik von 1816 werden die Schlüsse der zweiten und dritten Stufe in gleicher Weise systematisiert wie auf der ersten Stufe, während in der Zettelsystematik sich das geänderte Grundschema auch auf die systematische Entfaltung auswirkt. Aber in der Hegelschen Dialektik soll es ja keineswegs um abstrakte Schemata gehen, sondern um den konkreten Inhalt, der seine eigene Bewegung aus sich herausbringt. Und hier lässt sich ein relativ eindeutiges Votum für die Systematik von 1816 argumentieren. Folgende Frage kann diese Argumentation einleiten: Liegt die Wahrheit der Induktion in der dem Allheitsschluss zugrunde liegenden Allheit oder der dem Analogieschluss zugrunde liegenden Gattungsallgemeinheit? Läge ersteres vor, so würde das der Zettelsystematik recht geben, wenn letzteres, so viele das Votum für die Systematik von 1816 aus. Um mit der ersten Alternative zu beginnen, so kann man sagen, dass die Allheit allein deshalb nicht die Wahrheit der Induktion sein kann, weil sie in ihr bereits impliziert ist. Der Induktionsschluss selbst macht überhaupt nur dann einen Sinn, wenn er die Vollständigkeit der Einzelheiten impliziert und diese vollständige Aufzählung der Einzelheiten ist zunächst nichts anderes als die abstrakte Allgemeinheit der Allheit, und zwar im Sinne von ,^4lle Einzelne" (GW 12, 114). „Zunächst", deshalb, weil sich bei näherer Bestimmung der Induktion ergibt, dass die in der Unmöglichkeit einer empirischen Vollständigkeit liegende Forderung einer empirischen Fortsetzung der Reihe der Einzelheiten eine Allgemeinheit voraussetzt, die nicht mehr die einer abstrakten Allheit sein kann, sondern vielmehr die einer dem Einzelnen inhärierenden Allgemeinheit oder eben Gattungsallgemeinheit. Wenn nun aber die Allheit in der Induktion bereits impliziert ist, so muss die Bestimmung der Allheit der Induktion logisch vorausgehen, was somit eindeutig für die Systematik von 1816 spräche. Hier seien sie systematischen Erörterungen zunächst abgebrochen, um mit dem zweiten Teil fortzusetzen, jedoch nicht ohne eine kleine Anmerkung zum bisherigen Vorgehen: Zwar war die Geschichte, die ich oben erzählt habe, fiktiv und die Zettelsystematik ist natürlich nicht am Kaffeetisch in der Kasseler Karlsaue im Jahre 1822 entstanden, sondern an meinem Schreibtisch im Jahre 2003. Aber wer weiß, wie auch die Induktion nie sicher gehen kann, dass nicht in Zukunft ein Gegenbeispiel sich findet, so kann auch die Hegelforschung nie sicher sein, dass in Zukunft kein Zettelchen sich finden wird, auf dem Hegel selbst eine neue Systematik für die Schlusslehre versuchte. In anderen Systemteilen sind solche Neustrukturierungen jedenfalls fast eher die Regel als eine Ausnahme.4 cke, jedoch ist Hegels Argument der Struktur nach schon anwesend, denn logisch gesehen, ist die
4
Humesche Verwendung der Gewohnheit in diesem Zusammenhang nichts anderes als ein Schließen gemäß Analogie. Vgl. auch zu Humes Kritik der Induktion: David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Abschn. VI., hg. v. Raoul Richter, Leipzig 1911, 70 ff.; Karl R. Popper, Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1974, 15 ff. u. 100 ff.; Wilhelm K. Essler, Induktive Logik. Grundlagen und Voraussetzungen, Freiburg/München 1970, 36 ff. Vgl. zu den Systematisierungen in der Philosophie des subjektiven Geistes: Dirk Stederoth, Hegels Philosophie des subjektiven Geistes. Ein komparatorischer Kommentar, Berlin 2001.
Hegels Kritik der Induktion
155
2. Wer's faustdick hinter den Ohren hat... Der Induktionsschluss und die Kritik der Erfahrungswissenschaften Um nun mit der Frage fort zu fahren, welche Bedeutung die geschilderte Kritik am Induktionsschluss für Hegels Kritik der Erfahrungswissenschaften hat, seien nochmals kurz die Kritikpunkte zusammengestellt. Der erste Kritikpunkt ist, dass der vollständige Aufweis der Einzelheiten eine unendliche Aufgabe und deshalb der Schlusssatz des Induktionsschlusses lediglich problematisch ist. Zweitens zeigt Hegel am Induktionsschluss auf, dass in der Forderung nach Fortsetzung der empirischen Vervollständigung bereits davon ausgegangen wird, dass der Gattung ihre Bestimmtheit bereits implizit ist, also das, was durch Erfahrung induktiv erst erschlossen werden soll und sich im Schlusssatz ausdrückt, von der Induktion immer schon vorausgesetzt wird. Und hieran knüpft sich drittens, dass der Induktionsschluss damit auf dem Analogieschluss beruht, dass das bisher Aufgewiesene auch für das in aller Zukunft Aufzuweisende gelten wird. Inwieweit diese Kritikpunkte sich in Hegels konkreter Kritik der Erfahrungswissenschaft wieder finden, soll nun erörtert werden, wobei sich hier auf den Bereich der Neurowissenschaften und näher den kognitiven Neurowissenschaften beschränkt werden soll, die ja auch nach der ausgerufenen „Dekade des Gehirns" in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts noch weitreichend diskutiert werden. Hegels Position zu den Ergebnissen und Theorien kognitiver Neurowissenschaft findet sich in seiner Auseinandersetzung mit der Galischen Kraniologie in dem Kapitel „Beobachtung der Beziehung des Selbstbewusstseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit" in der Phänomenologie des Geistes. Bevor jedoch diese Auseinandersetzung näher ins Blickfeld tritt, sei kurz etwas zu Gall und der Kraniologie gesagt. Die Hirnforschung vor Gall hatte lange Zeit nach einem Organ der Seele gesucht, das die Mittlerfunktion zwischen der Sinnestätigkeit und der Seele herzustellen vermag, wofür Descartes Zirbeldrüse wohl das berühmteste Beispiel darstellt. Mit Franz Joseph Gall tritt dann allerdings eine grundlegende Neuorientierung in der Hirnforschung ein, insofern für ihn das Gehirn selbst Träger elementarer psychischer Funktionen ist, die räumlich abgrenzbar auf dem Cortex verteilt sind und sich je nach psychischer Anlage stärker oder schwächer ausprägen. Dieser quantitative Ansatz führte ihn dann zu der physiognomischen These, dass die verschieden starke Ausprägung der Cortexregionen sich in der Form der Schädeloberfläche widerspiegelt und somit die individuelle Formung dieser Oberfläche Rückschlüsse auf die individuelle Ausprägung der psychischen Funktionen und somit letztlich auf den individuellen Charakter zulässt.5 Gall machte zwischen 1805 und 1807 Demonstrationsreisen, die ihn auch nach Jena führten, wo Hegel gerade mit der Abfassung seiner Phänomenologie beschäftigt war. Hegel hatte, wie es seinem Wastebook zu entnehmen ist, (vgl. TW 2, 566f.) Kenntnis von diesen öffentlichen Demonstrationen, bei denen Gall nicht nur Gehirne sezierte und Schädel-
hierzu: Michael Hagner, Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn, Darmstadt 1997, insb. 89-118. Zum Verhältnis von Gall zu gegenwärtigen Ansätzen siehe: Antonio R. Damasio, Descartes Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, München 1995, 93 ff.
Vgl.
'
Dirk Stederoth
156
knochen vorführte, sondern darüber hinaus die Schädel von Zuschauern abtastete, um ihnen dann etwas über ihren Charakter zu unterbreiten. Hegel reagierte nun in seiner Phänomenologie mit einer spitzen Polemik, die sich insbesondere auf Galls Lokalisierung eines Mordsinns richtet. Nur nebenbei: Die Mörder hatten es bei Gall gleichsam „faustdick hinter den Ohren", denn dort lokalisierte er den Mordsinn und nahm damit den in dieser Redewendung sich ausdrückenden Volksglauben auf, dass hinter dem Ohr die Dämonen hausen, der wahrscheinlich daher rührt, dass das Ohr von Alters her als Eingang u.a. für dämonische Geister galt. Doch nun zu Hegels Polemik, die etwas ausführlicher zitiert sei: „Der Schädel des Mörders hat dieses nicht Organ, auch nicht Zeichen, sondern diesen Knorren; aber dieser Mörder hat noch eine Menge anderer Eigenschafften, so wie andere Knorren, und mit den Knorren auch Vertieffungen; man hat die Wahl unter Knorren und Vertieffungen. Und wieder kann sein Mordsinn, auf welchen Knorren oder Vertieffung es sey, und hinwiederum diese, auf welche Eigenschafft es sey, bezogen werden; denn weder ist der Mörder nur diß Abstrae tum eines Mörders, noch hat er nur Eine Erhabenheit und Eine Vertieffung. Die Beobachtungen, welche hierüber angestellt werden, müssen darum gerade auch so gut lauten, als der Regen des Krämers und der Hausfrau am Jahrmarkte und bey der Wäsche. Krämer und Hausfrau konnten auch die Beobachtung machen, daß es immer regnet, wenn dieser Nachbar vorbeygeht, oder wenn Schweinsbraten gegessen wird. Wie der Regen gegen diese Umstände so gleichgültig ist für die Beobachtung diese Bestimmtheit des Geistes gegen dieses bestimmte Seyn des Schädels." (GW 9, 185f.) Und Hegel greift diese Polemik wieder auf in seiner Kritik an dem Umgang mit Gegenbeispielen: „Widersprächen also Beobachtungen demjenigen, was irgend einem als Gesetz zu versichern einfällt, wäre es schön Wetter am Jahrmarkte oder bey der Wäsche, so könnten Krämer und Hausfrau sprechen, daß es eigentlich regnen sollte, und die Anlage doch dazu vorhanden sey; ebenso das Schädelbeobachten, daß diß Individuum eigentlich so seyn sollte, wie der Schädel nach dem Gesetze aussagt, und eine ursprüngliche Anlage habe, die aber nicht ausgebildet worden sey; vorhanden ist diese Qualität nicht, aber sie sollte vorhanden seyn. Das Gesetz und das Sollen gründet sich auf das Beobachten des wirklichen Regens, und des wirklichen Sinnes bey dieser Bestimmtheit des Schädels; ist aber die Wirklichkeit nicht vorhanden; so gilt die leere Möglichkeit für eben soviel." (GW 9, -
-
-
-
-
187)
Auch wenn hier von Induktion explizit keine Rede ist, so ist doch die Hegeische Induktionskritik implizit anwesend, denn der Übergang von der Wahrnehmung (oder Beobachtung), dass bei diesem einzelnen Mörder der Schädelknochen hinter dem Ohr ausgewölbt ist oder eben an diesem Regentag Schweinebraten gegessen wird, zu der allgemeinen Aussage bzw. dem Gesetz, dass alle Mörder eine solche Wölbung haben bzw. es immer regnet, wenn Schweinebraten auf dem Tisch serviert wird, kennzeichnet für Hegel den wesentlichen Unterschied zwischen dem Schluss der Wahrnehmung, wie er die zweite Form des Daseinsschlusses auch nennt, und dem Schluss der Erfahrung, der Induktion. (Vgl. GW 12, 113f.) „Ein Mörder (unter vielen) ist Mensch X. Mensch X hat eine Wölbung hinter dem Ohr. Also haben alle Mörder eine Wölbung hinter dem Ohr." 6
Vgl.
Alexander R.
1992, 16.
Lurija,
Das Gehirn in Aktion.
Einführung
in die
Neuropsychologie,
Reinbek
Hegels Kritik
der
Induktion
157
Es wird sofort deutlich, dass der Schlusssatz dieses Schlusses der Wahrnehmung letztlich zufällig ist, oder besser, wie Hegel es ausdrückt: „Wenn der Schlußsatz in der zweyten Figur [...] richtig ist, so ist er es, weil er es für sich ist, nicht weil er Schlußsatz dieses Schlusses ist." (GW 12, 101) Diese bloße Einzelbeobachtung, die in den Schluss der Wahrnehmung eingeht, ist jedoch in Hegels Kritik der Kraniologie nicht gemeint. Vielmehr sind es mehrere Einzelbeispiele, die Gall zu dem gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen Hinterohrwölbung und Mordsinn bringen. „Alle Mörder sind X[, X2, X3, Xn. Xi, X2, X3, X„ haben eine Wölbung hinter dem Ohr. Also haben alle Mörder eine Wölbung hinter dem Ohr." Dies ist nun der Induktionsschluss, der der kraniologischen Theorie des Mordsinns zugrunde liegt und auf die sich Hegel in seiner Kritik implizit bezieht. Um nun auf die erwähnten drei Kritikebenen der Induktion zurück zu kommen, so findet sich die erste Kritik, dass eine Induktion niemals vollständig sein kann, zwar nicht in der Kritik der Kraniologie, jedoch ließe sie sich hier ohne Probleme ergänzen. Die zweite und dritte Kritikebene, dass in der Induktion gleichsam von einer Gattungsallgemeinheit ausgegangen wird und ihr deshalb ein Analogieschluss zugrunde liegt, wird von Hegel in zweifacher Hinsicht in seiner Kritik der Kraniologie berührt. Einmal richtet sich Hegels Kritik darauf, dass die Größe der Wölbung hinter dem Ohr und damit des diesem Schädelabschnitt korrespondierenden Teils des Cortex von der Kraniologie als ein wesentliches Merkmal eines Mörders angesehen wird, diese Wölbung also gleichsam ein Gattungsmerkmal von Mördern darstelle. Dies nun wird von Hegel scharf in Frage gestellt, denn erstens kann man von einzelnen Beobachtungen, die einen Zusammenhang zwischen Hinterohrwölbung und Mordsinn nahe legen, lediglich auf den problematischen Schlusssatz kommen, dass alle Mörder eine solche Wölbung haben; zweitens ist damit noch lange nicht bewiesen, dass sich die Hinterohrwölbung als wesentliche Eigenschaft eines Mörders bestimmen lässt. Die kraniologische Induktion des Mordsinns setzt vielmehr das „Abstractum eines Mörders" voraus, dem diese Wölbung als wesentliche Eigenschaft zukommt. Der Schlusssatz: „Also haben alle Mörder eine Wölbung hinter dem Ohr", wird somit immer schon vorausgesetzt. Weiterhin findet sich die dritte Kritikebene, dass die Induktion auf einem Analogieschluss beruht, insbesondere in Hegels polemischen Bemerkungen zu dem Umgang der Kraniologie mit Gegenbeispielen. Allein die Demonstrationen Galls waren so angelegt, dass es wohl nicht darum ging, die Beobachtungsreihe, die in die Induktion eingeht, einer jeweils erneuten Überprüfung zu unterziehen bzw. sie weiter zu vervollständigen, sondern vielmehr liegt in der Art solcher Demonstrationen die feste, auf einem Analogieschluss beruhende Annahme, dass alle zukünftig zu beobachtenden Mörder ebenfalls dieses Gattungsmerkmal tragen. In dem Umgang mit Gegenbeispielen zeigt sich dann noch deutlicher, wie sehr die Kraniologie zu Hegels Zeiten auf solchen Analogieschlüssen beruhte, insofern ein Nichtvorhandensein eines Merkmals doch gemäß der Analogie als ein bloßes der Anlage nach Vorhandensein gedeutet wurde. Es ist nebenbei bemerkt gut möglich, dass bei solchen Demonstrationen wie denen Galls ein solcher Umgang mit Gegenbeispielen gepflegt wurde und Hegel wenn nicht unmittelbar so doch vermittelt Kenntnis hiervon hatte. ...
...
-
-
Dirk Stederoth
158
Doch stellt sich hier die Frage: Was hat die Kraniologie noch mit den Forschungen in der Dekade des Gehirns bzw. unserer heutigen kognitiven Neurowissenschaft zu tun? Der Neurowissenschaftler Detlef Bernhard Linke findet in seiner Auseinandersetzung mit Hegels Gall-Kritik relativ eindeutige Worte, wenn er schreibt: „Wie vieles ließe sich auch hier noch auf die gegenwärtige Lokalisationslehre übertragen, die in der Psychometrie den Verbündeten gefunden hat, um eine Ontologie des Stückwerks zu fundamentieren." Zwar richtet sich diese Bemerkung auf die hier noch nicht erwähnte Hegeische Kritik, dass eine Kraniologie und mithin eine kognitive Neurowissenschaft nur so gut sein kann wie die ihr zugrunde liegende Psychologie, und darüber hinaus will weder Linke noch der vorliegende Text die gegenwärtigen neurowissenschaftlichen Bemühungen via Hegel auf den wissenschaftlichen Stand von Bauernregel reduzieren. Jedoch lassen sich elementare Ähnlichkeiten in den methodologischen Problemen zwischen der Kraniologie und der gegenwärtigen kognitiven Neurowissenschaft nicht von der Hand weisen. Auch der gegenwärtigen kognitiven Neurowissenschaft bleibt kein anderer Weg, als über bildgebende Verfahren Korrelationen zwischen Cortexarealen und psychischen Funktionen aufzuweisen und aus diesen induktiv auf einen allgemein-gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen diesen zu schließen. Und wenn etwa der Hirnforscher Gerhard Roth in einem Interview auf die Frage, ob die bildgebenden Verfahren und die mit ihnen erzielten Lokalisationen psychischer Prozesse „irgendwann zu einem perfekten Lügendetektor" führen würden, ohne Zögern mit einem: „Ja, natürlich", antwortet, so fragt sich ebenso „natürlich" -, ob hinter dieser Sicherheit nicht ein Analogieschluss im Sinne Hegels liegt, der in der Rechtspraxis zu fatalen Folgen führen könnte. Gleichermaßen könnte die Sicherheit, mit der etwa Wolf Singer öffentlich propagiert, dass sich das Konzept der Willensfreiheit neurowissenschaftlich erledigt habe, in diese Richtung gedeutet werden. In eigentümlichem aber methodologisch doch sehr interessantem Kontrast hierzu steht die Bemerkung von Thomas Münte und Hans-Jochen Heinze, denen zufolge neuere Untersuchungen gezeigt hätten, „daß es erhebliche interindividuelle Unterschiede in der kortikalen Anatomie gibt, so daß in Zukunft einerseits verstärkt mit Datensätzen einzelner Probanden gearbeitet werden wird, andererseits modifizierte kortikale Atlanten Verwendung finden werden."9 Wenn Münte und Heinze hier den Trend wirklich richtig beschreiben, dass also aufgrund der weitreichenden individuellen anatomischen Differenzen vermehrt mit einzelnen Pro-
8
Detlef Bernhard Linke, „Empirische und theoretische Explikation des Korrelationistischen Psychocerebralen Parallelismus", in: ders./Martin Kurthen, Parallelität von Gehirn und Seele. Neurowissenschaft und Leib-Seele-Problem, Stuttgart 1988, 39. Vgl. das Interview mit Gerhard Roth im Rahmen der Radiosendung „Der Tag Die Revolution läuft bereits Neues aus der Hirnforschung", HR 1, 05.07.2002 (1800-1900 Uhr). Es sei hier noch angemerkt, dass Roth im Anschluss an diese Frage berichtet, dass er und seine Kollegen bereits jetzt an einem neurophysiologisch basierten Verfahren arbeiten, mit dem überprüft werden könne, ob man etwa Gewaltstraftäter aus der Haft entlassen darf, „ob die sich irgendwie gebessert haben oder ob sie sich nicht gebessert haben ob die nicht dann weggeschlossen werden müssen, in Sicherheitsverwahrung gegeben werden müssen". (Ebd.) Thomas F. Münte/Hans-Jochen Heinze, „Beitrag neurowissenschaftlicher Verfahren zur Bewußtseinsforschung", in: Michael Pauen/Gerhard Roth (Hg.), Neurowissenschaften und Philosophie. Eine Einführung, München 2001, 305. -
-
-
Hegels Kritik
der
159
Induktion
banden gearbeitet werden wird, so stellt sich hier natürlich die Frage, inwieweit aus einer solchen Experimentalpraxis überhaupt noch allgemeine Schlüsse gezogen werden können, denn dann befände man sich nicht mehr auf der induktiven Ebene, sondern vielmehr auf der Ebene von Schlüssen, die Hegel als zweite Form des Daseinsschlusses beschreibt, für die es ja das schöne Beispiel gibt: „Ein Lebewesen (unter vielen) ist Sokrates. Sokrates hat eine Nase. Also haben alle Lebewesen eine Nase." Nun, es bleibt zu hoffen, dass die Neurowissenschaften auch in Zukunft nicht solche Schlüsse als Fundament ihrer Theorien gelten lassen werden, wie es auch zu hoffen ist, dass aufgrund einer solchen Datenlage kein Gericht einen neurophysiologisch basierten Lügendetektor akzeptieren wird. Doch auch das sei nur nebenbei gesagt. Vielmehr sei noch in einem abschließenden Schritt danach gefragt, ob Hegels Induktionskritik nicht auch Auswirkungen für seine Systemkonzeption hat, und zwar insbesondere in ihren realphilosophischen Teilstücken. -
3. Der Prinzipienreiter und sein
erfahrungswissenschaftliches Fußvolk
Bereits Aristoteles bestimmte in seiner zweiten
Analytik
die Induktion als
dasjenige
Verfahren, durch das die Prinzipien herbeigeschafft werden, das also nicht wie die
solchen Prinzipien ausgeht, sondern von den Einzelfällen auf die PrinziBei Hegel nun findet sich dieses Verhältnis gewissermaßen wieder, wenn er in der Anmerkung zu § 12 der Enzyklopädie das Verhältnis von Philosophie und Erfahrungswissenschaft zu bestimmen sucht, denn er führt hier aus, „daß der Erfahrung die Entwicklung der Philosophie zu verdanken ist. Die empirischen Wissenschaften bleiben einerseits nicht bei dem Wahrnehmen der Einzelnheiten der Erscheinung stehen, sondern denkend haben sie der Philosophie den Stoff entgegen gearbeitet, indem sie die allgemeinen Bestimmungen, Gattungen und Gesetze finden; sie vorbereiten so jenen Inhalt des Besonderen dazu, in die Philosophie aufgenommen werden zu können. Andererseits enthalten sie damit die Nöthigung für das Denken selbst zu diesen concreten Bestimmungen fortzugehen. Das Aufnehmen dieses Inhalts, in dem durch das Denken die noch anklebende Unmittelbarkeit und das Gegebenseyn aufgehoben wird, ist zugleich ein Entwickeln des Denkens aus sich selbst. Indem die Philosophie so ihre Entwickelung den empirischen Wissenschaften verdankt, gibt sie deren Inhalte die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens und die Bewährung der Nothwendigkeit, statt der Beglaubigung des Vorfindens und der erfahrnen Thatsache, daß die Thatsache zur Darstellung und Nachbildung der ursprünglichen und vollkommen selbständigen Thätigkeit des Denkens werde." (Enz, § 12 Anm., 54) Deduktion
von
pien schließt.10
10
100 b: „Man sieht also, daß wir die ersten Prinzipien durch Induktion kennen lernen müssen. Denn so bildet auch die Wahrnehmung uns das Allgemeine ein." (Zit. n. Aristoteles, Lehre vom Beweis. Des Organon vierter Teil oder Zweite Analytik, übers, v. E. Rolfes, Leipzig 1948, 107). Zur Gegenüberstellung von Induktion und Deduktion siehe die Erste Analytik: Aristoteles, Organon, 68 b. Vgl. zu Aristoteles Bestimmung der Induktion: W. K. Essler, Iduktive Logik, a.a.O., 13 ff.
Vgl. Aristoteles, Organon,
Dirk Stederoth
160
Es sei hier nochmals kurz zusammengefasst, wie Hegel hier das Verhältnis von Philosophie und Erfahrungswissenschaft bestimmt. Die Erfahrungswissenschaften gewinnen durch ihre Beobachtungen und Experimentalpraxis Daten (Hegel spricht von Tatsachen), von denen ausgehend sie denkend Bestimmungen, Gattungen und Gesetze hervorbringen. Die Philosophie hat dann den auf diese Weise vorbereiteten Inhalt (also die Bestimmungen, Gattungen und Gesetze) aufzunehmen und in einen notwendigen Zusammenhang zu stellen, in dem diese Inhalte dann die „Gestalt der Freiheit" bzw. „des Apriorischen" und statt bloßer empirischer Bewährung eine notwendige Bestimmung erhalten. Dieser notwendige Zusammenhang ist nun aber nichts anderes als die begriffs-dialektische Entfaltung des Systems, in der diese Inhalte begriffsnotwendig abgeleitet werden, denn gegenüber den empirischen Beweisen der Erfahrungswissenschaften muss „noch ein höheres Beweisen dieser Gesetze gefordert werden" (GW 21, 340), und diesen „höheren Beweis" liefert die Systementfaltung. Es muss für die folgende Argumentation nicht gleich angenommen werden, dass es sich bei Hegels Dialektik um ein deduktives Verfahren handelt (was sicherlich streitbar ist), vielmehr reicht als Basis die Annahme aus, dass das Verfahren, mit dem die Erfahrungswissenschaften aus den beobachteten Daten Bestimmungen, Gattungen und Gesetze denkend hervorbringen, ein induktives Verfahren ist, das von Hegels Kritik grundlegend berührt wird." Wäre dies hegelimmanent, und damit vom Ballast der Induktionsdiskussionen im 20. Jh. von Carnap über Popper zu Stegmüller befreit, zugestanden, so hätte die Hegeische Systemkonzeption, sofern sie als absolut geschlossen interpretiert wird, ernste Probleme zu überwinden. Denn wenn man den Erfahrungswissenschaften lediglich ein induktives Wissen zuordnet, so wären nach Hegels Kritik all diejenigen Inhalte, die von der Erfahrungswissenschaft gefunden worden sind und in die Philosophie aufgenommen werden können, problematischer Natur und es müssten von Hegel plausible Gründe angegeben werden, wie es möglich ist, dass in der PhilosoDass dies der Fall ist, dafür sprechen einschlägige Passagen aus Hegels Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, die Francis Bacon betreffen. Sie konkretisieren nochmals, was Hegel in dem zitierten § 12 der Enzyklopädie bereits andeutete: „Die Empirie ist nicht bloß Aufnehmen der Sinne, sondern geht wesentlich darauf, das Allgemeine, die Gesetze, Gattungen zu finden, und indem sie diese hervorbringt, so erzeugt sie ein solches, was dem Boden der Idee, des Begriffs angehört, in den Boden des Begriffs aufgenommen werden kann. Wenn die Wissenschaft fertig ist, fängt sie allerdings nicht mehr vom Empirischen an, aber daß sie zur Existenz komme, dazu gehört der Gang vom Einzelnen, vom Besonderen zum Allgemeinen, und ohne die Ausbildung der Erfahrungswissenschaften für sich hätte die Philosophie nicht weiter kommen können als sie bei den Alten gekommen ist." (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4. Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit, hg. v. P. Garniron u. W. Jaeschke, Hamburg 1986, 76) In Folge ist dann auch explizit von Induktion die Rede, denn Bacon „dringt [gegenüber dem scholastischen Schließen D. S.] auf die Induktion, die er dem Schließen entgegensetzt. Aber diese ist auch Schließen, was auch Aristoteles bekannt war. Sie hat den Sinn, daß Beobachtungen angestellt, Versuche gemacht werden, auf die Erfahrung gesehen wird und daß aus dieser Erfahrung allgemeine Bestimmungen abgeleitet werden. Diese allgemeinen Bestimmungen nennt er nun formas und dringt darauf, daß diese Formen erfunden und erkannt werden, und diese formae heißen nichts anderes als die allgemeinen Bestimmungen, Gattungen, Gesetze." (Ebd., 77) -
161
Hegels Kritik der Induktion
bzw. im System aus diesem problematischen Wissen ein notwendiges wird, ohne dass man einen Analogieschluss voraussetzt, was Hegel zurecht an der Kraniologie kritisierte. Ein Beispiel wird dieses Problem vielleicht verdeutlichen können: Sowohl in der Naturphilosophie als auch in der Philosophie des subjektiven Geistes findet sich eine begriffsdialektische Entfaltung der Notwendigkeit der Fünfzahl der Sinne. Die Erfahrung zu Hegels Zeiten hatte es lediglich dazu gebracht, fünf Sinne bei allen Lebewesen aufzuweisen, was Hegel zu dieser Bestimmung der Notwendigkeit der Fünfzahl der Sinne veranlasste. Doch diese Bestimmung beruhte letztlich auf dem Analogieschluss, dass diese Fünfzahl auch für alle zukünftig auffindbaren Lebewesen gelten würde und dass auch alle zukünftige Erfahrungswissenschaft nichts anderes als diese Fünfzahl finden werden wird. Dieser Analogieschluss hat sich nun aber bekanntlich als falsch erwiesen, denn mittlerweile kennt man auch magnetische und elektrische Sinne. Ein ähnlich gearteter Analogieschluss findet sich etwa auch in Hegels Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23, wenn er über Amerika sagt: „Amerika als neues Land Nordamerika ist aber erst ein sich könnte [als] ein Land der Zukunft erscheinen. bildender Staat, ein Staat im Werden, der das Bedürfnis der Monarchie noch nicht hat, weil er so weit noch nicht gebildet ist."13 Es wäre nichts weniger als ein Treppenwitz der Geschichte, über den sich nicht nur Donald Rumsfeld ärgern würde, wenn die „neue Welt" sich doch noch zum „old europe" wandeln sollte, jedoch ist das weder zu erwarten, noch mit der Monarchie das „alte Europa" adäquat charakterisiert, was allerdings auf einem anderen Blatt steht. Doch was bedeutet dieses Problem für das Hegeische Konzept eines Systems der philosophischen Wissenschaften und insbesondere für das System der „realen Wissenschaften der Philosophie"? Die eine Richtung ist diejenige, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts, am gebräuchlichsten ist. Man reduziert Hegel auf die Zementierung seiner Philosophie in der Ausgabe der „Freunde des Verewigten" und stellt ihn als Bronzebüste in die heilige Halle vergangener Philosophien, die für gegenwärtige Probleme lediglich historisches Schmückwerk beitragen können. Eine andere Richtung wäre die, Hegels Konzept von Anfang an als ein Projekt zu verstehen, das mit seiner Durchführung durch Hegel keineswegs beendet ist. Folgt man der Vorrede der ersten Auflage der Enzyklopädie, so sieht sich Hegel selbst zunächst lediglich als den Entdecker eines Prinzips, welches „eine neue Bearbeitung der Philosophie nach einer Methode aufstellt, welche noch, wie ich hoffe, als die einzig wahrhafte, mit dem Inhalt identische, anerkannt werden wird"14. Auch wenn man das Wörtchen „anerkannt" hier
phie
...
12 13
Vgl. hierzu: Dirk Stederoth, Hegels Philosophie des subjektiven Geistes, a. a. O., 170 ff. und 184 ff. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23. Nachschrif-
von Griesheim, Heinrich Gustav Hotho und Friedrich Carl Hermann Karl Heinz Ilting, Karl Brehmer u. Hoo Nam Seelmann, Hamburg 1996, 94f. Vgl. auch: Dirk Stederoth, „Das Ende am Anfang. Anmerkungen zu Hegels Geschichtsbegriff', in: Heinz Eidam/Frank Hermenau/Dirk Stederoth (Hg.), Die Zukunft der Geschichte. Reflexionen zur Logik des Werdens, Kassel 2002, 64 ff. G. W. F. Hegel, Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zum Gebrauch seiner Vorlesungen, 1. Aufl. Heidelberg 1817, IV f. (reprogr. Nachdruck in: G. W. F. Hegel, Samt-
ten von
Victor
Karl Gustav Julius
von
Kehler, hg.
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14
v.
Dirk Stederoth
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Zementierung des Freundeskreises deuten könnte, so sprechen doch Hegels eigenen Umsystematisierungen deutlich dafür, dass es ihm vielmehr um die Anerkennung seiner Methode im Sinne einer fortgesetzten Anwendung und Fortführung ging, die mit seinem frühen Ableben allein deshalb nicht beendet sein kann, weil der Erfahrungsschatz der nachfolgenden Generationen natürlich auch auf den Begriff gebracht sein will. Dies hieße dann aber, dass im Systemkonzept selbst ein problematisches Moment anwesend wäre, es trotz seiner allgemeinen Geschlossenheit gleichsam immanent für den in Zukunft induktiv zu gewinnenden Erfahrungsreichtum geöffnet ist und damit ein permanentes Projekt philosophischer Begriffsbildung darstellt. Hierzu würde es dann nicht nur gehören, historisch manifestierte Projektierungen, wie diejenige Hegels, auszulegen, sondern insbesondere verschiedene Systematisierungen vergleichend zu diskutieren, auch wenn man nicht immer gleich eine Geschichte dazu auch im Sinne der
erfinden muss.
Literatur Aristoteles: Lehre vom Beweis. Des Organon vierter Teil oder Zweite Analytik, übers, v. E. Rolfes, Leipzig 1948. Damasio, A. R.: Descartes Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, München 1995. Essler, W. K: Induktive Logik. Grundlagen und Voraussetzungen, Freiburg/München 1970. Hagner, M.: Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn, Darmstadt 1997. Hegel, G. W. F.: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, hg. v. Hermann Glockner, Bd. 6, Stuttgart 1927. Ders., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4. Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit, hg. v. P. Garniron u. W. Jaeschke, Hamburg 1986. Ders., Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23. Nachschriften von Karl Gustav Julius von Griesheim, Heinrich Gustav Hotho und Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler, hg. v. Karl Heinz Ilting, Karl Brehmer u. Hoo Nam Seelmann, Hamburg 1996. Ders., Vorlesungen über die Logik. Berlin 1831. Nachgeschrieben von Karl Hegel, hg. v. Udo Rameil, Hamburg 2001. Hume, D., Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Abschn. VI., hg. v. Raoul Richter, Leipzig 1911. Kassel. Das geistige Profil einer tausendjährigen Stadt. Bilder und Dokumente, ausgew. und komm. v. Herfried Homburg, Kassel 1977. Linke, D. B.: „Empirische und theoretische Explikation des Korrelationistischen Psychocerebralen Parallelismus", in: ders./Kurthen, Martin, Parallelität von Gehirn und Seele. Neurowissenschaft und Leib-Seele-Problem, Stuttgart 1988. Lurija, A. R.: Das Gehirn in Aktion. Einführung in die Neuropsychologie, Reinbek 1992. Münte, T. F./Heinze, H.-J.: „Beitrag neurowissenschaftlicher Verfahren zur Bewußtseinsforschung", in: Pauen, Michael/Roth, Gerhard (Hg.), Neurowissenschaften und Philosophie. Eine Einführung, München 2001. Popper, K. R.: Logik der Forschung, Tübingen 1971. '
liehe Werke.
1927).
Jubiläumsausgabe
in
zwanzig Bänden, hg.
v.
Hermann
Glockner, Bd. 6, Stuttgart
Hegels Kritik
der
Induktion
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Ders., Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf, Hamburg 1974. Stederoth, D.: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes. Ein komparatorischer Kommentar, Berlin 2001.
Ders., „Das Ende am Anfang. Anmerkungen zu Hegels Geschichtsbegriff', in: Eidam, Heinz/Hermenau, Frank/Stederoth, Dirk (Hg.), Die Zukunft der Geschichte. Reflexionen zur Logik des Werdens, Kassel 2002.
GÜNTER KRUCK
Der Schluss der Notwendigkeit
Wenn man Aussagen über eine Sache zu machen beansprucht, die diese Sache erfassen, dann gibt es in Anlehnung an Hegel offenbar grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder hält man für diese Sache eine ihrer unmittelbaren Bestimmungen fest, oder man bringt die Sache auf ihren Begriff. Eine Sache auf den Begriff zu bringen, heißt dann in einem zunächst unprätentiösen wenn man so will nicht Hegelschen Sinn, die Sache in ihrer wirklichen Eigenart zu bestimmen. Dass die Eigenart einer Sache sich nicht in einer ihrer Bestimmungen oder Eigenschaften erschöpft, liegt daran, dass sie selbst ein vielfältig Bestimmtes ist. Greift man eine ihrer Bestimmungen heraus, hat man die Sache zwar beschrieben, sie vielleicht auch zu anderen Dingen mit der gleichen Eigenschaft ins Verhältnis gesetzt, man hat sie damit aber nicht in dem, was sie wirklich ist, erfasst: Die Röte hat die Rose auch mit einem Ziegelstein gemeinsam, ohne mit ihm sonst aber noch irgendeine andere Bestimmung zu teilen. Die Gemeinsamkeit der Eigenart in der Farbe gibt also keine Auskunft darüber, was die Rose als Rose ist. Aus diesem Grund scheint man mit Hegel zur Feststellung der Eigenart einer Sache auf eine ganz andere Form von Aussagen in der Diktion Hegels: von Urteilen zurückgreifen zu müssen. Es genügen in diesem Kontext auch nicht solche Urteile, in denen das Subjekt des Urteils in einen Zusammenhang mit anderen seinesgleichen gestellt wird, die eine gemeinsame Bestimmtheit vereint und nicht trennt wie die Rose und den Ziegelstein. Denn auch eine allgemeine gemeinsame Eigenart (wie etwa die Heilsamkeit einer speziellen Pflanze), die eine Sache mit anderen teilt, erfasst sie nur unter dieser allgemeinen Rücksicht und nicht an sich in ihrem Begriff, in ihrer Identität. Die in diesem Zusammenhang aussichtsreichsten Kandidaten zur Bestimmung von etwas in seiner Eigenart sind nach der Meinung Hegels zumindest annäherungsweise solche Urteile, in denen es gelingt, eben diese substantielle Identität' oder ,die Natur' der Sache als solche zum Thema zu erheben. In diesen Urteilen wird dann eben weder eine einzelne Eigenschaft noch eine mit anderen gemeinschaftliche Bestimmtheit, sondern sie selbst ausgedrückt (Gold ist Metall; Gajus ist ein Mensch etc.). Auch wenn diese Überlegungen zur Bestimmung von etwas als etwas nicht das letzte Wort Hegels im Kontext der Urteilslehre sind, ist mit solchen Urteilen doch das zu Beginn beschriebene Erfassen einer Sache eingeläutet. -
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Der Schluss der Notwendigkeit
Nimmt man diesen Anspruch Hegels ernst, dann stellt sich aber die Frage, wie sich die Erklärungsleistung solcher Urteile verdeutlichen lässt? Wie der Inhalt, den Urteile des vorgestellten Typs enthalten, sich reflektiert verstehen lässt? Genau diese Forderung will Hegel mit der Schlusslehre im ganzen und dem Schluss der Notwendigkeit unter der Rücksicht der zuletzt genannten Urteile einlösen. Damit erweist sich Hegels Schlusslehre als Entfaltung seiner Urteilslehre und als (letztgültige weil auf die Urteilslehre folgende) Antwort auf die Frage, was etwas ist. Handelt es sich beim Schluss der Notwendigkeit damit um die Erklärung der Form eines Urteils von der Art ,Gold ist Metall', dann fordert aber eine solche Erläuterung nicht nur ein zweites bzw. drittes Urteil gleicher Fasson: ,Gold ist ein durch Quecksilber löslicher Stoff. In diesem Fall wäre gerade nicht zu verstehen, inwiefern das erste Urteil seinem Anspruch nachkommt, da das zweite bzw. ein drittes Folgeurteil keine Antwort auf die gestellte Frage nach der Erläuterung der Metallnatur des Goldes bereithält. Im vorgelegten Beispiel handelt es sich also schlicht um die Verdopplung eines schon vorliegenden Urteils gleicher Machart, ohne dass die Forderung der Erläuterung solcher Urteile im konkreten Fall und grundsätzlich eingelöst wäre. Wendet man diese Überlegungen nun zur Beschreibung des Schlusses der Notwendigkeit an, dann muss es in diesem Schluss darum gehen, die ,Natur' oder die substantielle Identität' von etwas so zu illustrieren, dass die im Urteil behauptete Eigenart von etwas mit ihm vermittelt wird. Kann diese Vermittlung nicht dadurch gelingen, dass man auf etwas ganz anderes ebenso allgemeiner Natur (z.B. die Quecksilberlöslichkeit des Goldes) zurückgreift, dann muss diese Vermittlung von Subjekt und Prädikat aus der Kenntnis des Verhältnisses beider erwachsen. Dieses Verhältnis muss etwas implizieren, was expliziert die Erklärung eines Urteils vom Typ: ,Gold ist Metall' erlaubt. Damit hat man aber gewissermaßen den Steckbrief des Schlusses der Notwendigkeit vorliegen, um den es in diesem Beitrag geht: Im Schluss der Notwendigkeit ist die „Mitte kein sonstiger unmittelbarer Inhalt, sondern die Reflexion der Bestimmtheit der Extreme in sich [...] Diese haben an der Mitte ihre innere Identität, deren Inhaltsbestimmungen die Formbestimmungen der Extreme sind." (GW 12, 118f.) Kann es um beim gewählten Beispiel zu bleiben nicht gelingen, aus der Quecksilberlöslichkeit des Goldes seine Metallnatur zur erläutern, weil es sich hierbei um unmittelbar unterschiedene Sachverhalte handelt, deren Beziehung selbst separat aufgeklärt werden müsste, dann muss die Metallnatur des Goldes selbst als Grund zur Erläuterung der Subsumtion des Goldes unter sie aufkommen. Es gibt also keinen anderen unmittelbaren Inhalt, durch den Gold als Metall bestimmt werden kann, außer dem Metallsein selbst. Damit enthält aber die Metallnatur die Bestimmung des Goldes so, dass diese als das eine Extrem des Schlusses durch die Natur selbst begründet ist. Wie aber das Metallsein des Goldes nur im Rückgriff auf die Metallnatur begründbar ist, so ist auch jede weitere Schlussfolgerung (als zweite Prämisse oder Untersatz des Schlusses bzw. die Konklusion) als Erläuterung des genannten Urteils an dieselbe substantielle Identität zurückgebunden: Dass Metalle beispielsweise elektrische Leiter sind und Gold deshalb auch ein Leiter ist (als exemplarische Beschreibung des Schlusses der Notwendigkeit), sind Urteile, die nur aufgrund der Mitte der Metallnatur zustande kommen. Die Metallnatur subsumiert also nicht nur Gold unter sich, sondern enthält auch die Tatsa-
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Günter Kruck
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che der elektrischen Leitfähigkeit, so dass die Extreme des Schlusses (Gold und Leitfähigkeit) durch die Mitte zusammengeschlossen sind, weil sie an ihr ihre Bestimmung haben. Die Mitte ist so die von Hegel bezeichnete Inhaltsbestimmung der Extreme, die zugleich in derselben Hinsicht sagen, was dieser Inhalt (als Mitte) ist. Mit dieser schematisch kurzen Charakterisierung des Schlusses der Notwendigkeit lässt sich aber auch das Problem andeuten, das mit dieser Form des Schlusses gemäß ihrem Begriff verbunden ist: Besteht die Klassifikation der Notwendigkeit dieses Schlusstyps darin, dass die Formalität des Schlusses in der beschriebenen Weise am Inhalt der Mitte festgemacht wird, dann scheint dies einer maßlosen Überdehnung der Schlussform gleichzukommen. Der Schluss in diesem Fall der Schluss der Notwendigkeit muss als formaler für etwas aufkommen, was mit ihm nur aufgrund eines vorausgesetzten Inhalts verbunden ist. Hegels begriffliche Fassung des Schlusses der Notwendigkeit sieht sich daher dem Einwand ausgesetzt, dass die Rekonstruktion des Schlusses der Notwendigkeit die Form des Schlusses instrumentalisiert, um seine eigene Deutung zu legitimieren, die dieser Form allerdings nicht einfachhin unterschoben werden kann. Hegels Deutung des Schlusses und dessen formallogische Natur müssten also doch dezidiert geschieden werden. Will man diesem Einwand Paroli bieten, muss zumindest gezeigt werden, inwiefern Hegel den Anspruch, den er mit dem Schluss der Notwendigkeit verbindet, rechtfertigen kann. Aus diesem Grund gliedert sich mein Beitrag zunächst in einen Teil, in dem die Genese des Schlusses der Notwendigkeit nachgezeichnet wird, um Hegels Intuition hinsichtlich dieser Schlussform als legitim ausweisen zu können. In einem zweiten Teil soll zumindest ein anfänglicher Blick auf die drei Schlüsse der Notwendigkeit in ihrer Abfolge geworfen werden. Die einheitliche Deutung dieser drei Schlüsse ergibt sich dabei aus dem bereits erwähnten Steckbrief des Schlusses der Notwendigkeit. Dass der Schluss der Notwendigkeit im besonderen und Hegels Konzeption der Schlusslehre im allgemeinen damit eine konsistente Revolution der traditionell formellen Denkungsart im Rahmen der Schlusslehre darstellen, wird durch die folgenden Analysen in thematischer Beschränkung herausgearbeitet werden. Die generelle Ausweitung dieser These bedürfte allerdings einer eingehenderen Untersuchung der Schlusslehre insgesamt unter der Rücksicht der hier gewählten Optik. Wie in diesem Zusammenhang im Sinne der noch größeren Erweiterung des Blickfelds Hegels Logik insgesamt konsistent zu interpretieren oder eine solche Interpretation zu heutigen philosophischen Bemühungen ins Verhältnis zu setzen ist, bleibt aufgrund der selbst auferlegten restriktiven Rekapitulation der Argumentation Hegels als Kommentar zu einem bisher dunklen Kapitel der Hegelschen Logik -
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unberücksichtigt.1
Einen Versuch in der zuletzt genannten Hinsicht hat der Verfasser im hier interessanten Zusam-
menhang für einen speziellen Kontext von Hegels Urteilslehre vorgelegt: Vgl. Kruck (2003). Eine Abhandlung über Hegels Lehre vom Schluss ist als Kommentar und Rekonstruktion der Argumentation der Logik weiterhin ein Desiderat. Man vgl. lediglich die Arbeit von Krohn (1972).
Der Schluss
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der Notwendigkeit
1. Zur Genese des Schlusses der Notwendigkeit Als das spezifische Kennzeichen des Schlusses der Notwendigkeit wird von Hegel nach dem bereits vorgelegten Steckbrief eine bestimmte inhaltliche Fassung des terminus médius herausgestellt. Hegel fasst das beschriebene Verhältnis für die Mitte, in dessen Kontext der terminus médius den Inhalt der Extreme abgibt, die ihrerseits als Formbestimmungen die Mitte reflektieren, auch unter dem Begriff der objektiven Allgemeinheit. Dass Allgemeinheiten als Mitte eines Schlusses überhaupt auftauchen, scheint zunächst unproblematisch zu sein. Am Fall des von Hegel sogenannten Schlusses des Daseins in seiner ersten Fassung ließen sich hierfür verschiedene illustrative Beispiele finden: Im Zentrum steht hierbei für die Mitte in inhaltlicher Hinsicht, dass sie als abstrakte Qualität eines Subjekts (in der ersten Prämisse) im Rahmen eines solchen Schlusses eine seiner Bestimmtheiten herausgreift (Die Rose ist rot). Als solche allgemeine Bestimmtheit eines Subjekts, die auch anderen zukommt, ist sie selbst nur eine einzelne Eigenschaft dieses in sich vielfältig bestimmten Subjekts. Als eine solche einzelne Eigenschaft wird die festgehaltene Qualität selbst zugleich unter ein Allgemeines abstrakterer Fasson subsumierbar (Rot ist eine Farbe). Kommt durch diese Subsumtion ein entsprechender Schluss des Daseins zustande (Die Rose ist ein Farbiges), hat man freilich ein vorausgesetztes Subjekt unter der Perspektive von Allgemeinheiten verhandelt, die ihm in seiner Vielfältigkeit gerade nicht gerecht werden. Man blendet in diesem Verfahren aber nicht nur den restlichen Kranz von Eigenschaften aus, die einem Subjekt eigentlich auch noch zukommen und verengt somit die Optik auf dieses Subjekt. Die herausgegriffene Allgemeinheit, z.B. die einer bestimmten Farbe, die als Mitte eines entsprechenden Schlusses fungiert, ist dabei ihrerseits rein zufällig. Als Mitte könnte genauso eine andere Qualität figurieren, die dann denselben Gegenstand in der Schlussfolgerung einer zweiten möglicherweise sogar zur ersten gegensätzlichen Allgemeinheit zuordnet. Hegel bezeichnet diese Schlussform deshalb auch als ,subjektiv', weil die Zufälligkeit der abstrakten Hinsichten durch das Festhalten von allgemeinen Qualitäten niemals so behoben werden kann, dass der einzelne Gegenstand mit diesem Schlusstyp vollständig bestimmt werden kann. Ließen sich demnach die ,subjektiven Allgemeinheiten' beim Begreifen von etwas ins Unendliche vermehren, so beabsichtigt Hegel mit dem Begriff der ,objektiven Allgemeinheit' dem offensichtlich einen Riegel vorzuschieben. Dass bzw. wie dies gelingt, lässt sich am Schluss der Analogie, dem letzten Schluss der Reflexion, mit dem Hegel den Übergang zum Schluss der Notwendigkeit vorbereitet, zeigen. Damit ist zugleich entsprechend auch der vorangestellten Einführung die Behauptung verbunden, dass Hegels Begriff der ,objektiven Allgemeinheit' mit dem Begreifen einer Sache identifiziert werden kann. Auch diese These kann am Schluss der Analogie durch die Konzentration auf die Mitte und die Verhältnisse dieses Schlusses verdeutlicht werden. Dadurch ist aber sowohl der genannte Übergang als auch das Spezifikum des Schlusses der Notwendigkeit unter der Prämisse einer erkenntnistheoretischen These als Begründung von Hegels Schlusskonzeption in diesem Bereich begründet. -
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Beschreibung der Verhältnisse der Version des
Schlusses der Analogie, die Helässt sich mit seinen festhalten: Worten gel bietet, Seine „Mitte ist nicht mehr irgend eine einzelne Qualität, sondern eine Allgemeinheit, welche die Reflexion-in-sich eines Concreten, somit die Natur desselben ist; und umgekehrt, weil sie so die Allgemeinheit als eines Concreten ist, ist sie zugleich an sich selbst diß Concrete." (GW 12, 115) Dass das Herausgreifen von einzelnen Qualitäten zunächst nicht zum Erfolg bei der Beantwortung der Frage führt, was etwas ist, zeigt sich schon durch das bereits beschriebene Verhältnis im Schluss des Daseins: Im Fortschreiten zu immer abstrakteren qualitativen Allgemeinheiten hat man nämlich die vielfältige Bestimmtheit eines Subjekts, über das eine Aussage gemacht wird, im Schluss so vorausgesetzt, dass diese niemals eingeholt werden kann. Denn auch mit der unendlichen Vermehrung von noch so vielen abstrakt allgemeinen Hinsichten, unter denen etwas zu betrachten ist, konstatiert man immer nur einzelne Züge oder zufällig aufgefundene Eigenschaften im Rahmen einer schlussförmigen Aussage über etwas. Damit liegt aber in der Zufälligkeit von im Schluss festgehaltenen Hinsichten die Kritik dieser Schlussform als Schluss vor, insofern die unterstellte und vorausgesetzte mannigfaltige Bestimmtheit von etwas als Gegenstand eines Schlusses auch die Iteration von Schlüssen der beschriebenen Art zur Folge hat. Damit gilt aber als Maßstab der Kritik am Schluss des Daseins, dass das Begreifen von etwas nur bedingt gelingt. Als Kehrseite dieser Einsicht ist dann aber auch zu konstatieren, dass der Grund dieses nur annähernden Gelingens die als médius terminus festgehaltene Allgemeinheit ist. Ein Fortschritt kann für den Schluss selbst deshalb nur darin liegen, die Allgemeinheit so zu fassen, dass sie selbst ein Konkretes als Gegenstand eines Schlusses in seiner vielfältigen Bestimmtheit in sich reflektiert. Dieser Fortschritt im Blick auf die Mitte des Schlusses ist damit im Verhältnis zum Schluss des Daseins einer, bei dem der terminus médius das realisiert, was er im Schluss des Daseins zunächst verspricht: Nämlich ein wirklich Allgemeines eines Subjekts zu sein, wie dies in der ersten Prämisse deutlich und beansprucht wird (Die Rose ist rot), das nicht selbst bloß eine abstrakte einzelne Eigenschaft ist, wie dies in der zweiten Prämisse zum Vorschein kommt (Rot ist eine Farbe). Das Profil der Allgemeinheit, die als médius terminus daher nicht mehr nur einen zufälligen Aspekt von etwas festhält, muss so beschaffen sein, dass sie dieses etwas selbst in sich reflektiert. Die Abhilfe für das Problem der lediglich subjektivzufälligen' Allgemeinheit im Schluss des Daseins besteht also im von Hegel so gefassten Schluss der Analogie darin, die ganze Bestimmtheit des Gegenstands dieses Schlusses so aufzunehmen, dass die allgemeine Mitte ausspricht, was der Gegenstand ist. Im Blick auf den Mangel bzw. den Fortschritt der Mitte des Schlusses des Daseins muss diese ganze Bestimmtheit des Gegenstands des Schlusses zugleich also als dessen allgemeine Natur' ausgesprochen und nicht bloß eine Facette seiner Bestimmtheit ausgewählt werden. Diese allgemeine Natur' ist als Allgemeinheit der Mitte aber zugleich so konkret, dass das Konkrete in seiner Besonderheit erfasst wird. In diesem Sinn ist Hegels Begriff der ,objektiven Allgemeinheit' zu verstehen. Als
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Der Schluss der Notwendigkeit
Zur näheren Charakteristik dieses Schlusses und seiner Illustration schreibt selbst:
Hegel
Es ist hier also ein Einzelnes die Mitte, aber nach seiner allgemeinen Natur; ferner ist ein andeEinzelnes Extrem, welches mit jenem dieselbe allgemeine Natur hat. Z.B.: Die Erde hat Bewohner, Der Mond ist eine Erde, Also hat der Mond Bewohner. (GW 12, 115)
res
Der Schluss der
Analogie realisiert also zunächst die Forderung nach einer ,objektiven Allgemeinheit' dahingehend, dass nicht irgendeine Qualität eines vorausgesetzten Subjekts, sondern dieses als Konkretes in zugleich seiner Allgemeinheit die Mitte ausmacht. Weil ein konkretes Einzelnes (in unserem Fall die Erde) in seiner Allgemeinheit (als eine Erde) gefasst wird, kann dieses Einzelne mit einem anderen Einzelnen (dem Mond) ins Verhältnis gesetzt werden. Der Schluss der Analogie geht genau darin als Schluss über den Schluss des Daseins hinaus und expliziert aufgrund des gewählten terminus médius, was im Schluss des Daseins nur implizit war: Bestand die Auszeichnung des Schlusses des Daseins darin, eine Qualität von etwas zu isolieren (z.B. die Rose als
rote), um es dann als etwas in einer noch abstrakteren Hinsicht (z.B. die Rose als Farbige) zu bestimmen, dann hatte man dadurch implizit z.B. die Rose der Klasse der farbigen Dinge zugeordnet. Diese Zuordnung ist durch den Schluss selbst im Blick auf seine Mitte insofern ermöglicht, als die allgemeine Qualität der Rose (ausgesprochen im Obersatz) eine einzelne Eigenschaft (expliziert im Untersatz) an verschiedenen Dingen ist. Entspricht aber die Allgemeinheit der Mitte als einzelne Eigenschaft nicht ihrer Allgemeinheit als Klassifikation eines Gegenstands (wie in der Prämisse des Daseinsschlusses eigentlich nahegelegt), dann ist mit dieser Kritik an der speziellen Schlussform eine ,objektive Allgemeinheit' als Mitte gefordert. Durch eine solche ,objektive Allgemeinheit' als Mitte, die die ganze und nicht nur eine einzelne Bestimmtheit des Konkreten enthält, kann dieses Konkrete selbst mit anderen Einzelnen ausdrücklich in Beziehung gesetzt werden. Was am Beispiel der Rose als Farbige mit dem Schluss selbst nicht verbunden war, dass sie nämlich in die Klasse der Farbigen einzuordnen ist, ist für den Mond am Beispiel des Schlusses der Analogie möglich, weil die Erde als ,eine Erde' festgehalten ist, so dass sie in ihrer ganzen Bestimmtheit einen entsprechenden Schluss als Verbindung zweier unterschiedener Einzelner explizit legitimiert. Da der Schluss der Analogie in der dargelegten Form als Kritik und Entfaltung des Schlusses des Daseins im Blick auf die Bestimmung seiner Mitte zu deuten ist, firmiert der Schluss unter einem abstrakten Schema E-A-B (in der Abfolge der Urteile E-A; AB; E-B), das bereits von dorther bekannt ist: Die Mitte vermittelt nicht als irgendeine abstrakte Qualität an etwas, sondern als wirkliche Allgemeinheit eines Konkreten dieses Einzelne mit einem anderen, weil mit dem terminus médius zugleich die Besonderheit dieses Einzelnen festgehalten ist, worin es einem anderen gleicht. Mit dieser anspruchsvollen Lesart des Schlusses der Analogie versucht Hegel diesen Schluss gegen landläufig-oberflächliche Deutungen zu verteidigen. In diesem Zusammenhang scheint Hegel drei Varianten von Verkürzungen abzulehnen, die alle darin übereinstimmen, dass sie dem vorgeschlagenen Verständnis der Mitte dieses Schlusses zuwiderlaufen:
Günter Kruck
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Die simpelste Variante scheint die Version zu sein, nach der zwei unterschiedene Einzelne deshalb gleich sind, weil sie gleiche Qualitäten besitzen. Dass aber qualitative Übereinstimmungen nichts über eine Sache an sich in ihrem Verhältnis zu einer anderen aussagen, war der Grund der Kritik am Schluss des Daseins aufgrund der abstrakten Fassung seines terminus médius, der in dieser Form zugleich nur eine einzelne Eigenschaft festhält: Aus einem Hund wird keine Katze, selbst wenn man noch so viele ana-
loge Qualitäten benennt.
Auch eine noch näher zu spezifizierende Umdeutung des Schlusses der Analogie unterbietet seine eigentliche Leistungsfähigkeit, weil die Analogie in der von Hegel vorgestellten Form es demgegenüber erlaubt, zwei an sich unabhängige Einzelne (Mond und Erde) aufgrund ihrer gemeinsamen Natur, ihrer substantiellen Identität', in ein Verhältnis zu setzen. Die nach Hegel zu kritisierende Transformation des Schlusses besteht darin, den Begriff der Analogie als dem Begriff der Ähnlichkeit synonym auszugeben. Auch in diesem Fall geht aber die Pointe des Schlusses der Analogie verloren, da im Schluss selbst wie das Hegeische Beispiel zeigt nicht nur eine Ähnlichkeit zwischen Erde und Mond herausgestellt wird, die (entsprechend einer Qualität) zufällig wäre. In diesem Sinn ließen sich Ähnlichkeiten zwischen allem und jedem finden, wenn man nur lang genug suchte. Im Gegensatz dazu ging es in der Relation zwischen Erde und Mond nicht um eine zufällige Ähnlichkeit, die sie vielleicht mit unzähligen anderen Planeten teilen, sondern um ihre ,objektiv allgemein' verbindliche Natur, durch die vielleicht nur sie verbunden sind. Eine raffiniertere dritte Deutung des Schlusses der Analogie besteht als Kombination der vorherigen Varianten darin, eine verkürzte Charakteristik des Schlusses selbst nur als Obersatz zu nehmen, der durch einen empirisch gefassten Untersatz als eigentlicher Inhalt ergänzt wird. In dieser Fassung würde der Obersatz nach Hegel lauten: „Was einem Objecte in einigen Merkmahlen ähnlich ist, das ist ihm auch in andern ähn-
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lich."(GW 12, 116)
Nun lassen sich aber zwischen Hund und Katze Ähnlichkeiten als gleiche Merkmale so dass letztlich aufgrund der gesamten Merkmalsgleichheit Hund und Katze identisch sind. Der Fehler dieser Modifikation des Schlusses der Analogie besteht für Hegel darin, in der Empirie das vermittelnde Moment des Schlusses zu suchen, obwohl doch die Kritik am Schluss des Daseins und seiner Mitte gezeigt hat, dass dies grundsätzlich unmöglich ist: Denn als Mitte kann für die Bestimmung von etwas als etwas nur eine Allgemeinheit füngieren, die ein Einzelnes nicht segmentiert nur als Sammelsurium von an sich getrennten Hinsichten betrachtet, sondern die es als Einzelnes in seiner Allgemeinheit begreift. Greifen aus diesem Grund die genannten Variationen des Schlusses der Analogie zu kurz, dann könnte man sozusagen als zweiten Generalvorbehalt gegen die beschriebene ,objektive Allgemeinheit' der Mitte den Vorwurf der quaternio terminorum erheben:
beobachten,
Es sind zwey
schaft, und
Einzelne, drittens eine unmittelbar als gemeinschaftlich angenommene Eigenhat, die das an-
viertens die andere Eigenschaft, die das eine Einzelne unmittelbar dere aber erst durch den Schluß erhält. (GW 12, 116f.)
Der Schluss
der
Notwendigkeit
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Tauchen im Schluss der Analogie aber tatsächlich vier Terme auf, wie dies de facto durch die Begriffe der Erde, des Mondes, des Erde-Seins und des Bewohntseins am vorgestellten Beispiel angezeigt ist, dann scheint dieser Schluss unter das schon genannte formallogische Verdikt zu fallen, so dass sich der Schluss als solcher diskreditiert. Denn aus mehr als drei Begriffen ergibt sich eben kein formallogisch korrekter Schluss. Die quaternio terminorum scheint damit aber zugleich ein Indiz dafür zu sein, dass Hegels Forderung nach einer objektiven Allgemeinheit für die Mitte auf einer Voraussetzung beruht, die durch die Schlussform als solche nicht gedeckt ist. Hegel muss deshalb den Vorwurf der quaternio terminorum ausräumen, wenn seine Deutung des Schlusses der Analogie ihre Berechtigung haben soll. Es ist daher auch nicht erstaunlich, dass Hegel offensichtlich den Vorwurf der quaternio terminorum nicht einfachhin teilt. Dass die Erde als konkrete und zugleich in allgemeinerer Form als Begriff Verwendung findet, hält Hegel nicht für eine Äquivokation, die den vorgetragenen Schluss aufgrund der dadurch entstehenden vier Terme grundsätzlich korrumpiert, sondern nur für den Hinweis auf einen spezifischen Mangel dieser Schlussform. Das formallogische Verdikt der quaternio terminorum ist also nur der Lackmustest für Hegels Kritik an diesem Schluss. Genau dadurch sieht Hegel aber seine Deutung dieses Schlusses bestätigt und zugleich den Übergang zum Schluss der Notwendigkeit vorbereitet. Inhaltlich betrifft diese Kritik die Unbestimmtheit der Mitte: Diese hat zunächst darin ihre Voraussetzung, dass der exemplarische Schluss auf das Bewohntsein des Mondes aus seiner Vergleichbarkeit mit der Erde resultiert. Ob die Erde selbst allerdings an sich als Weltkörper überhaupt oder nur als dieser besondere Weltkörper Bewohner hat, ist als Voraussetzung nicht geklärt. Aus den eigentlich nur drei zulässigen Termini für einen Schluss werden deshalb nach Hegel vier, weil die Äquivokation im Blick auf den zweifach vorkommenden Terminus Erde darin besteht, dass die inhaltliche Vereinbarkeit dieser beiden Termini unzureichend reflektiert ist bzw. im Schluss im terminus médius einfach unterstellt wird. Eine ausreichende Reflexion und damit die Aufhebung der quaternio terminorum kann nach Hegel demzufolge auch nur darin bestehen, die sachliche Übereinstimmung der Erde als konkreter und der Erde als Begriff für eine substantielle Identität reflexiv zu entfalten. Der Vorwurf der quaternio terminorum ist für Hegel offensichtlich also kein Vorwurf eines bloß formallogischen Ungenügens jenseits dessen, was auch immer im Schluss behauptet wird. Dieser Vorwurf kann damit nicht abstrakt im Blick auf einen Inhalt überhaupt in Anschlag gebracht werden, sondern dieser Vorwurf gewinnt nur Gestalt in der Form der unzureichenden Reflexion der Mitte im Verhältnis des durch und mit ihr Erfassten: Dass im Erde-Sein die Erde mitgesetzt ist, ist inhaltlich tatsächlich schon mit dem Erde-Sein angezeigt. Wie dieses Verhältnis aber genauer artikuliert werden kann, ist im Schluss der Analogie durch die unmittelbare Konnotation beider Begriffe in der Mitte nur angedeutet. Der mehrfach genannte formallogische Vorwurf ist also nur die Rückseite der Medaille der eigentlich ungenügenden Klärung des Verhältnisses von Erde-Sein und Erde im Zusammenhang des médius terminus und nicht als grundsätzlicher Angriff auf die objektive Allgemeinheit der Mitte zu missdeuten.
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Dass diese Überlegungen zum Schluss der Analogie, in denen sowohl die Leistung dieses Schlusses wie seine Kritik angedeutet wurden, keine hypertrophe Forderung bezüglich der geforderten objektiven Allgemeinheit der Mitte darstellen, lässt sich für Hegel an den beteiligten Urteilen ersehen: War es der Mangel des Schlusses der Analogie, dass die Mitte aufgrund ihrer unmittelbaren Verbindung von Erde-Sein und Erde eine Aufklärung verlangt, so gilt diese Forderung prinzipiell für jedes der involvierten Urteile des Schlusses. Die Urteile des Schlusses selbst reflektieren also nochmals das Ungenügen der Mitte, wodurch sowohl die Forderung nach der objektiven Allgemeinheit der Mitte unterstützt wie der Übergang in eine andere Schlussform (dem Schluss der Notwendigkeit) gefordert wird: Beruht nämlich der Schlusssatz, dass der Mond Bewohner hat, u.a. auf der ersten Prämisse, dass die Erde Bewohner hat, dann enthält die Konklusion dieselbe Forderung, die eigentlich auch an die Prämisse gerichtet werden könnte. Denn auch die genannte Prämisse fordert eine Begründung, in der sie als Konklusion eines vorausgehenden Schlusses erscheint: Das Bewohntsein der Erde bedarf wie das mögliche Bewohntsein des Mondes einer expliziten Klärung. In einem solchen Urteil als Prämisse wird nämlich eine Besonderheit für ein Subjekt behauptet, die als unmittelbare genauso begründungsbedürftig ist, wie der Schluss auf das Bewohntsein des Mondes. Insofern zeigt sich im Blick auf die erste Prämisse und die Konklusion des Schlusses der Analogie, was sich für die Mitte (als Kritik Hegels an dieser Schlussform) ebenso herausgestellt hatte: Besteht das Defizit des terminus médius darin, dass die Allgemeinheit des Erde-Seins nicht weiter spezifiziert ist, d.h. nicht geklärt ist, in welcher Form die Einzelheit und die Allgemeinheit vermittelt sind, wie also die Besonderheit eines Weltkörpers sich zu seiner allgemeinen Natur verhält, so enthält die Prämisse bzw. die Konklusion dieses Schlusses eine analoge Unbestimmtheit. Deren Unbestimmtheit besteht nämlich darin, dass in beiden ebenso unaufgeklärt bleibt, ob die Unmittelbarkeit des Bewohntseins von Erde bzw. Mond nur ihrer Besonderheit zuzurechnen ist, oder ihnen aufgrund ihrer allgemeinen Natur zukommt. Diese Frage kann der Schluss der Analogie grundsätzlich nicht beantworten. Deshalb kann Hegel auch in der Optik auf diese Schlussform grundsätzlich festhalten: Indem also der Schluß der Analogie die Forderung seiner Vermittlung gegen die Unmittelbarkeit ist, mit welcher seine Vermittlung behaftet ist, so ist es das Moment der Einzelnheit, dessen Aufhebung er fordert. (GW 12, 117)
Besteht die Hegeische Kritik des Schlusses der Analogie darin, dass die Verhältnisse zwischen den Bestimmungen der Erde als Weltkörper und der Erde als dieser besondere Weltkörper unaufgeklärt bleiben bzw. in der Mitte nur unterstellt werden, dann ist dies von Hegel als Forderung der Vermittlung gegen seine Unmittelbarkeit gedeutet. Der Schluss der Analogie enthält also in der Unmittelbarkeit der Identifikation der Erde und des Erde-Seins als Mitte eine Forderung nach einer weitergehenden Vermittlung. Dieser weiterreichende Vermittlungsbedarf kann aber als Reflexion nur an dem Punkt ansetzen, der als Kritik festgehalten wurde. Insofern expliziert der in der Wissenschaft der Logik nun folgende Schluss der Notwendigkeit, was als kritisches Desiderat im Rahmen des Schlusses der Analogie konstatiert wurde.
Der Schluss der Notwendigkeit
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Der dabei bereits von Hegel eingeschlagene Weg im Rahmen der Bestimmung der Mitte wird auch durch die zuletzt geäußerte Kritik nicht verlassen. Denn will man bestimmen, was etwas ist und es damit zugleich ins Verhältnis zu einem anderen Etwas setzen, kann die Mitte keine abstrakte und zugleich einzelne Qualität nur herausgreifen, sondern muss als ,objektive Allgemeinheit' bestimmt sein. In diesem Sinn fordert der Schluss der Analogie die Aufhebung der Einzelheit, im bereits genannten Fall des konkreten Terms Erde, um seinen eigenen konkludenten Fortgang zu gewährleisten. Damit scheint der Schluss der Analogie im Blick auf seine Mitte als Schluss von der Negation der Einzelheit zu leben. Die Einzelheit kann nicht als das Vermittelnde dieses Schlusses fungieren. Hält man diese Einsicht unter der von Hegel so gewählten Formulierung der ersten Negation fest, dann ist mit ihr aber eine zweite Negation unmittelbar verbunden: Der Schluss der Analogie verlangt also für seine Mitte nicht nur die bestimmte Negation der Einzelheit, durch die dieser Schluss erst zum Schluss wird. Mit dieser Negation ist zugleich die Einsicht verbunden, dass die vom Schluss der Analogie selbst her geforderte Verbindung der Terme von Erde und Mond eine Verbindung sein muss, die diese als Einzelne aufgrund einer ihnen gemeinsamen allgemeinen Natur als besondere vermittelt. Für die Vermittlungsinstanz ist also die Erkenntnis kanonisiert, dass die Mitte selbst nicht nur von den Einzelnen absehen muss, sondern dass diese durch die Mitte gemäß der Forderung des Schlusses vermittelt sind. Die konkrete Einzelheit von Erde und Mond ist damit so negiert, dass sie als solche besondere Einzelne nur aufeinander beziehbar sind, wenn eine verbindende Gemeinsamkeit zwischen beiden gefunden wird. Dieses verbindende Moment muss aber nun ein solches sein, das beide im Absehen (der Negation) von ihrer Besonderheit vermittelt, indem sie diese Besonderheit damit zugleich aber (als Negation der Negation) berücksichtigt. Mit diesen Überlegungen ist für Hegel der Übergang von den Schlüssen der Reflexion zu den Schlüssen der Notwendigkeit vollzogen, insofern die ,objektive Allgemeinheit' der Mitte selbst bestimmte Konsequenzen impliziert: Vermittelt die aufgrund der Kritik am Schluss der Analogie zu suchende Allgemeinheit der Mitte (als Negation der Negation) tatsächlich die Einzelnen, dann nur aufgrund einer ihnen gemeinsamen Natur, die in ihrer Besonderheit bestimmt sein muss. Ging es im Zwielicht der Mitte im Schluss der Analogie darum, nicht klären zu können, ob die Erde und der Mond an sich oder als besondere vermittelt sind, so verlangt die Klärung dieser Frage nicht nur das Festhalten der Einzelnen, sondern auch das Festhalten einer Besonderheit (dieser Einzelnen) in der Mitte, um beide in Beziehung zu setzen. Allgemein gilt damit also für einen Schluss, der als Nachfolger des Schlusses der Analogie auftritt, dass alle Einzelnen, die im Sinne des médius terminus vermittelt werden, nur vermittelbar sind, wenn zugleich mit und in dieser Mitte deren Besonderheit fixiert ist: Auf der Folie des Schlusses der Analogie muss demnach sowohl die Erde als auch der Mond und deren Bewohntsein durch einen entsprechenden terminus médius vermittelt sein, wenn die mit diesem Schluss verbundene Begründung eines Inhalts eingelöst werden soll. Damit haben die Extreme des auf den Schluss der Analogie folgenden Schlusses aber ihre Zufälligkeit im Sinne ihrer selbständigen Unmittelbarkeit eingebüßt: Waren im
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Kontext des Schlusses der Analogie Erde und Mond noch an sich voneinander unabhängige und damit selbständige Momente des Schlusses, so sind die nun auftretenden Einzelnen nur als Filiationen einer allgemeinen Natur' zu begreifen. Diese Einzelnen sind deshalb nicht mehr unabhängig voneinander, weil sie durch eine gemeinsame Natur verbunden sind, deren Besonderheit als das andere Extrem des Schlusses erscheint. Die Mitte des Schlusses setzt daher die Extreme des Schlusses zu sich und dadurch zueinander ins Verhältnis. Genau hierin besteht die Notwendigkeit der nun folgenden
Schlusstypen.
Wie dieses Verhältnis der Extreme zur Mitte und der Extreme untereinander verstanden werden muss, ist aufklärungsbedürftig. Diese Klärung ist das Thema der Schlüsse der Notwendigkeit. In jedem Fall aber ist mit der von Hegel bis dato vorgelegten Analyse der Anspruch verbunden, aus der immanenten Kritik des Schlusses der Analogie im Rahmen der Konsultation seiner Leistungsfähigkeit eine Bestimmung der Mitte gewonnen zu haben, von der her die Schlüsse der Notwendigkeit verstanden werden können. Hegels Schlusslehre erscheint aus dieser Optik nach seinem eigenen Verständnis daher als Rekonstruktion und Revolution des traditionellen (formallogischen) Schließens und nicht als davon unterschiedenes (allerdings zugleich subkutanes) Unter-
fangen.
2. Der Schluss der Notwendigkeit und seine Verlaufs formen Wie der erreichte Standpunkt im Zusammenhang des Schlusses der Notwendigkeit sich im Sinne Hegels schlusslogisch fortbestimmt, hängt nach dem bisher Gesagten vor allem an Hegels immanenter Kritik der Mitte des Schlusses der Analogie, aus der sich zugleich die Schlüsse der Notwendigkeit entwickeln. Für den Schluss der Notwendigkeit in seinem Auftakt hält Hegel dabei folgende grundsätzliche Kennzeichnung als Verhältnisbestimmung der Terme für maßgebend: „Zunächst ist dieser Schluss der unmittelbare, und insofern so formale, dass der Zusammenhang der Terminorum die wesentliche Natur ist, als Inhalt, und dieser an den unterschiedenen Terminis nur in verschiedener Form, und die Extreme für sich nur als ein unwesentliches Bestehen sind." (GW 12, 119) Hat sich die Mitte als komprehensive Allgemeinheit der Einzelnen für das Gelingen des Schlusses der Analogie als notwendig erwiesen, so verbindet diese Mitte die Einzelnen aufgrund ihrer Besonderheit. Die Einzelnen als das eine Extrem des Schlusses werden dadurch über die Mitte aufgrund der mit ihr konstatierten Besonderheit als anderes Extrem in ihrer besonderen Einzelheit zusammengeschlossen. In den Terminorum des Schlusses taucht deshalb nach Hegel ein und derselbe Inhalt zunächst unmittelbar als identischer sozusagen an verschiedenen Stellen auf, weil die Einzelnen, ihre allgemeine Natur und die mit ihr konstatierte Besonderheit nur formal durch ihre Verteilung auf verschiedene Urteile unterschieden sind. Dieser formale Unterschied, der zunächst in der Schlussform als solcher zu suchen ist, dokumentiert aber einen Mangel der unmittelbaren Einheit des Inhalts im Ausgangspunkt des Schlusses der Notwendigkeit. Das Defizit, das deshalb in der Verlaufs-
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Der Schluss der Notwendigkeit
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form dieses Schlusses behoben wird, besteht darin, dass von den Einzelnen und von der Besonderheit zunächst kein Weg zur Mitte führt: Wie die Einzelnen in ihrer ausschließlichen Betrachtung nicht unmittelbar eine Antwort auf die sie verbindende Natur geben, so kann diese auch von der Besonderheit her nicht unmittelbar eindeutig identifiziert werden. Sowohl die Einzelnen wie eine festgehaltene Besonderheit brauchen zu ihrer Verbindung den Rekurs auf eine ,objektive Allgemeinheit' der Mitte. Muss also an den Extremen gezeigt werden, wie der eine unmittelbare Inhalt der Mitte an ihnen vorkommt, dann ist der status quo im Ausgangspunkt des Schlusses der Notwendigkeit nur als implizite Behauptung für den Schluss selbst zu interpretieren, die in seinen folgenden drei Fassungen eingeholt wird. An den Extremen muss also gezeigt werden, wie der eine Inhalt der Mitte (als unmittelbare Behauptung) von diesen Extremen selbst aus begründet zu erschließen ist. In der Formulierung Hegels: Die
Realisirung dieses Schlusses hat ihn so zu bestimmen, daß die Extreme gleichfalls als dieTotalität, welche zunächst die Mitte ist, gesetzt werden, und die Nothwendigkeit der Beziehung, welche zunächst nur der substantielle Inhalt ist, eine Beziehung der gesetzten Form sey. (GW 12, 119) se
Der Unterschied in der Form trägt demnach zur notwendigen Entwicklung des einen unmittelbaren Inhalts bei und ist deshalb selbst notwendig, weil sowohl aus der Sicht der Einzelnen als auch aus der Perspektive des Umkreises der Besonderheiten gezeigt werden muss, wie der eine Inhalt an ihnen vorkommt. Entfiele eine solche Reflexion, hätte der Schluss der Notwendigkeit die mit ihm in seinem Eingang behauptete objektive Allgemeinheit' selbst korrumpiert, da sie nicht aus den Extremen als Mitte rekonstruiert werden kann, für die die Mitte als terminus médius doch in Anspruch genommen wird. Insofern realisiert die Form des Schlusses der Notwendigkeit nach den Vorstellungen Hegels, was einerseits als Mangel des Schlusses der Analogie für die Mitte festgehalten wurde und was andererseits damit zugleich als Resultat bzw. erster Schluss der Notwendigkeit auftritt. Dieser erste Schluss der Schlüsse der Notwendigkeit ist der kategorische Schluss: Das kategorische Moment dieses Schlusses besteht offensichtlich für Hegel darin, dass das vorgestellte Verhältnis der Einheit des Inhalts in seiner formalen Verteilung auf die Terme diesen Schluss als einen unmittelbaren und unbedingten' kennzeichnet. Unbedingt heißt in diesem Zusammenhang, dass die Terme Einzelheit, Allgemeinheit und Besonderheit sich zu ihrem Verständnis notwendig gegenseitig implizieren und ohne diese Relation nicht verständlich sind. Genau darin liegt auch ihre Unmittelbarkeit, weil über den formalen Unterschied im Schlussverfahren hinweg ein Inhalt präsentiert wird. Der nähere Steckbrief dieses Schlusses sieht für Hegel daher folgendermaßen aus: Das te
eigentlich unmittelbare des Schlusses ist das Einzelne. Diß ist unter seine Gattung als Mit-
subsumirt; aber unter derselben stehen noch andere, unbestimmt viele Einzelne;
es ist daher daß nur dieses Einzelne darunter als subsumirt gesetzt ist [...] Dasselbe Verhältniß findet auch zwischen der Mitte und dem anderen Extreme Statt; denn diß hat gleichfalls die Bestimmung der Unmittelbarkeit, somit eines zufälligen Seyn gegen seine Mitte. (GW 12,
zufällig,
120f.)
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Was den
kategorischen Schluss der Notwendigkeit noch mit dem Schluss der Analogie
verbindet, ist daher nach Hegel die Zufälligkeit der subsumierten Einzelnen und die
der festgehaltenen Besonderheit als Extreme des Schlusses: Wie an der Stelle des Mondes auch andere Planeten stehen könnten, so könnte als Besonderheit auch eine andere als das Bewohntsein fungieren. Wichtig für einen beabsichtigten Schluss ist nur, dass die Mitte eine komprehensive Allgemeinheit ist, die die unbestimmt vielen Einzelnen (als zufällige) vereint, und die es erlaubt, eine Besonderheit zu konstatieren, die diesen Einzelnen zukommt. Genau in diesem Sinne ist das Verhältnis der Mitte zu ihren Extremen als unmittelbar bezeichnet worden. Als illustratives Beispiel für einen solchen von Hegel vorgestellten Schluss müsste deshalb ein Schluss fungieren, bei dem eine Gattungsallgemeinheit als Mitte unbestimmt viele Einzelexemplare unter sich befasste, die durch eine zufällige spezifische Differenz verbunden sind. Dass z.B. Löwen als Raubtiere mit einem für diese Gattung spezifischen Gebiss neben anderen (nicht nur Löwen, sondern z.B. auch Tiger) unter diese Gattung fallen und vielleicht noch andere Besonderheiten von Raubtieren außer ihrem Gebiss die Gattung auszeichnen, ist zugleich aber der Mangel dieses Schlusses: Denn nicht nur Löwen sind Raubtiere, und Raubtiere haben außerdem auch noch hochentwickelte Sinnesorgane. Der schielende Löwe Klärenz könnte damit aber unter Umständen nicht als Löwe identifiziert werden, obwohl er ein solcher ist. Der Mangel der dargestellten Schlussform besteht also darin, dass mit der Zufälligkeit der Extreme ihre Gleichgültigkeit verbunden ist, die sich wie das erwähnte Beispiel zeigt als Einwand gegen den Schluss mit seiner Mitte geltend macht. Dieser Einwand ist aber nichts anderes als der Widerspruch des kategorischen Schlusses, durch den dieser nach Hegel zum hypothetischen Schluss der Notwendigkeit wird: Auch wenn die Extreme dieses Schlusses als zufällige Einzelexemplare einer Gattung mit einer ebenso zufälligen Besonderheit ausgezeichnet sind und daher Fälle konstruiert werden können (der zahnlose Tiger), bei denen diese Zufälligkeit als Möglichkeit zum Einwand gegen diesen Schluss (mit seiner eigentlich behaupteten Notwendigkeit) wird, gilt ,im Prinzip' aufgrund der Mitte (in ihrer ,objektiven Gattungsallgemeinheit'), was der Schluss behauptet: Dass nämlich z.B. der Löwe und die Besonderheit eines bestimmten Gebisses als Extreme durch die Mitte zusammengehören. In der Formulierung des Obersatzes nimmt der von Hegel sogenannte hypothetische Schluss genau dieses Verhältnis auf:
Zufälligkeit
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Wenn A ist, so ist B; oder das Seyn des A ist auch ebensosehr das Seyn eines andern, des B; damit ist noch nicht gesagt, weder daß A ist, noch daß B ist. (GW 12, 121)
hypothetische Schluss ist damit zunächst als Nachfolgeschluss zum kategorischen Notwendigkeit zu interpretieren, weil die zufälligen Extreme, die dadurch gegeneinander gleichgütig sind, einerseits expressis verbis auseinandergehalten werden und andererseits ihre (als Erinnerung an den kategorischen Schluss hypothetische) Verbindung behauptet wird. Dass diese Verbindung zurecht als hypothetisch formulierte besteht, muss sich im vorliegenden Schluss ergeben. Denn im kategorischen Schluss ist diese Verbindung der Extreme über die Mitte nur unmittelbar behauptet worden, ohne allerdings bewiesen zu sein. Der hypothetische Schluss der Notwendigkeit nimmt also im Obersatz die im kategorischen Schluss implizite Verbindung der Extreme als OberDer
Schluss der
Der Schluss
der
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Notwendigkeit
auf und macht damit zum Thema, was im kategorischen Schluss der Notwendigkeit (von der Mitte her) unterstellt wurde. Dass ein solcher Beweis der Verbindung der Extreme angetreten werden kann, liegt wiederum an der Mitte des hypothetischen Schlusses, die sich in dieser Fassung der Einsicht des kategorischen Schlusses verdankt: Dass A nun wirklich ist, ist als zweite Prämisse dieses Schlusses so zu verstehen, dass A unmittelbar nicht ein Einzelnes, sondern eines als Exemplar einer Gattung ist. Diese Einsicht war aber eine, die durch die ,objektive Allgemeinheit' der Mitte des kategorischen Schlusses festgehalten wurde: Löwen sind als Löwen Raubtiere und keine Schmusekatzen, daher ist das Sein des A unmittelbar sein Sein als Exemplar einer Gattung. Wenn man um den Schluss an dem gewählten Beispiel rekapitulierend zu komplettieren deshalb von Löwen spricht, denkt man sofort u.a. an eine bestimmte Gebissform (1. Prämisse), da Löwen als Löwen Raubtiere sind (2. Prämisse). Weil aber beides zutrifft, gibt es dieses B, d.h. diese Gebissform, aber im Sinne entsprechend der Reflexion im Blick auf den Löwen ihrer ,objektiven Allgemeinheit' als Charakteristikum einer Gattung. Gibt es also die Bedingung des Löwen als Exemplar einer Gattung, dann gibt es auch das (hypothetisch) Bedingte als Besonderheit einer Gattung. Beides gilt aber nur auf der Folie einer festgestellten Notwendigkeit der Gattung selbst, die im kategorischen Schluss der Notwendigkeit fixiert wurde. Damit enthält der zweite Schluss der Notwendigkeit die Reflexion der zunächst festgehaltenen Notwendigkeit der ,objektiven Mitte' als Gattungsallgemeinheit im ersten Schluss: War es das Defizit des kategorischen Schlusses, die Extreme als lediglich Zufällige aus der Perspektive der Mitte zu sistieren, so wird diese Notwendigkeit des einen Inhalts im zweiten Schluss der Notwendigkeit reflektiert. Gilt von den zufälligen Extremen, dass sie unmittelbar zur Gattungsallgemeinheit gehören, dann gilt, dass sie als Zufällige Möglichkeiten dieser Gattungswirklichkeit sind. Als unmittelbare erschlossene Möglichkeiten der Wirklichkeit der Gattung (im kategorischen Schluss) sind die Extreme als Wirkliche selbst aber notwendig. Denn es gibt zwar mehrere Exemplare, die unter die Gattung der Raubtiere fallen und vielleicht auch weitere im Schluss nicht genannte Besonderheiten dieser Gattung, aber der Schluss setzt diese Zufälligkeit der Extreme als Möglichkeiten von der Mitte her in die Klammer der Ausschließlichkeit. Über diese weiteren Möglichkeiten wird im Schluss gerade keine Auskunft gegeben. Daher ist die Zufälligkeit als Möglichkeit verschiedener Extreme an diesen selbst im Blick auf ihr Verhältnis zur Mitte zugleich notwendig. Beziehen damit die Extreme ihre Notwendigkeit aus der Tatsache, dass ihre Wirklichkeit aus der Gattung ableitbar ist, dann sind sie als Wirkliche, die notwendig zur Gattung gehören, auch notwendig zueinander ins Verhältnis zu setzen. Die Zufälligkeit der Extreme an ihnen selbst ist durch den Schluss überführt in die Notwendigkeit ihrer Beziehung, weil sie notwendige Momente der Mitte sind. Dieses Verhältnis wird im Konditional in der ersten Prämisse des hypothetischen Schlusses ausgedrückt (,Wenn dann ...'). Der hypothetische Schluss drückt damit (formal) in seiner ersten Prämisse die Notwendigkeit aus, die dem Inhalt nach als Notwendigkeit der Mitte des kategorischen Schlusses besteht. Damit zeigt sich aber der hypothetische Schluss als Reflexion der Notwendigkeit des kategorischen Schlusses. satz
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...,
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Verlieren die Extreme in dieser Form ihre Zufälligkeit und werden zueinander ins Verhältnis gesetzt, dann lässt sich dieses Verhältnis aufgrund der bisherigen Überlegungen noch näher klassifizieren: Als notwendige Momente der Mitte sind die Extreme nur in dieser Bestimmung relevant. Was die Extreme an sich an weiteren zufälligen Unterschieden von der Mitte noch besitzen, wird im Schluss wie bereits erwähnt abgeblendet. Macht genau dies die Notwendigkeit der Extreme aus, dann sind die Extreme in der Hinsicht, auf die es im Schluss ankommt, aufgrund ihres Verhältnisses zur Mitte wechselseitig sowohl als Bedingung als auch als Bedingtes zu nehmen: Aus der Notwendigkeit der Extreme in ihrer Relation zur Mitte folgt nämlich, dass diese Extreme für sich im Sinne des Konditionals des einen für das andere austauschbar sind. Diese Austauschbarkeit resultiert aus ihrem eigenen Sein aus der Mitte. Für sich genommen sind die Extreme nur Extreme der Mitte, so dass sowohl vom einen wie vom anderen Extrem her ihr ,Sein aus der Mitte' erschlossen werden kann. Wenn feststeht, was die bei aller verbleibenden Unterschiedenheit der Extreme Extreme verbindet, kann genau diese Verbindung ausdrücklich gemacht werden. Dass dies unter dem Verhältnis der Bedingung und des Bedingten geschieht, zeigt aber zugleich an, dass ein Unterschied zwischen den Extremen besteht, der nicht ausreichend zum Thema des Schlusses gemacht wird. Denn die Extreme sind nicht an sich als Bedingung und Bedingtes zu denken, da sie abstrahiert von der Mitte zufällig sind. Die Extreme sind nur unter diesem Verhältnis zu fassen, wenn auf ihr ,(notwendiges) Sein aus der Mitte' reflektiert wird. Es besteht deshalb beim hypothetischen Schluss der Notwendigkeit das Dilemma, dass die reflektierte Notwendigkeit der Verbindung der Extreme aufgrund der Mitte einen Reflexionsbedarf produziert. Eine weiterreichende Reflexion muss nämlich im Sinne der Fortbestimmung der Notwendigkeit des Verhältnisses aufklären, wie das hypothetisch konstruierte Verhältnis der Extreme aufgrund ihres nicht zu leugnenden Unterschieds zu denken ist. Dass dieses Verhältnis durchaus eine weiterführende Reflexion gestattet, ist nicht nur das Versprechen des hypothetischen Schlusses in seinem Obersatz, sondern auch die Voraussetzung aufgrund der prinzipiell im Schluss der Notwendigkeit festgehaltenen ,objektiven Allgemeinheit' der Mitte. Der letzte Schluss der Notwendigkeit, der disjunktive Schluss, behebt nach Hegel nun genau den Mangel, dass der Rest der verbleibenden Unterschiedenheit der Extreme in gewissem Sinn ausgemerzt wird. Damit wird der Schluss der Notwendigkeit als Schlusstyp zu einem Abschluss gebracht, weil die ,objektive Allgemeinheit' der Mitte zu Beginn dieses Schlusses nun mit der Zufälligkeit der Besonderheit und der Einzelheit, d.h. den Extremen des Schlusses, letztgültig vermittelt ist. An jeder Stelle des Schlusses taucht somit der vollständige Inhalt des Schlusses notwendig (durch die Schlussform bedingt) wieder auf, weil auch die Extreme als Beseitigung des Unterschieds zwischen ihnen in ihrem ,Sein aus der Mitte' bedacht werden. Der allgemeine Steckbrief des disjunktiven Schlusses der Notwendigkeit lautet da-
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her: Der Médius Terminus ist daher sowohl Allgemeinheit, als Besonderheit und Einzelnheit. Als jene ist er erstlich die substantielle Identität der Gattung, aber zweytens als eine solche, in welche die Besonderheit, aber als ihr gleich, aufgenommen ist, also als allgemeine Sphäre, die ih-
Der Schluss der Notwendigkeit
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die in ihre Arten zerlegte Gattung: A, welches sowohl B als C re totale Besonderung enthält, als D ist. Die Besonderung ist aber als Unterscheidung ebensosehr das Entweder Oder des B, C und D, negative Einheit, das gegenseitige Ausschliessen der Bestimmungen. Diß Ausschüssen ist [...] ebensosehr wesentlich sich auf sich beziehende Bestimmung; das Besondere als Einzelnheit mit Ausschliessung der andern. (GW 12, 124) -
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Wenn die conclusio des hypothetischen Schlusses lautet, dass B ist, weil A ist und insofern die Extreme des Schlusses aufgrund ihrer Bestimmung als Momente einer Gattungsallgemeinheit vermittelt sind, dann können die weiterreichenden Unterschiede zwischen den genannten Extremen nicht relevant für das beschriebene Verhältnis sein. Sind die Extreme unter der Perspektive ihrer Gattungszugehörigkeit im hypothetischen Schluss der Notwendigkeit von Interesse, wird auf ihre sonstige Besonderheit gerade verzichtet. Dieser Verzicht ist als Mangel der Bestimmung ihres Unterschieds im hypothetischen Schluss zugleich als Einsicht schlusslogisch für Hegel im disjunktiven Schluss kanonisiert: Weil die Extreme nur als Extreme einer Mitte genommen sind, erhalten sie in dieser Negation zugleich (als Negation der Negation) ihre Bestimmung. Nur so können die Extreme aber überhaupt zum Thema gemacht werden: Der negative Ausschluss der Arten der Gattung aufgrund der Gattung ist zugleich ihr Einschluss, weil sie sonst nicht Arten einer Gattung wären. Zugleich können dadurch aber nicht nur Arten einer Gattung, sondern auch Einzelne als unterschiedene Einzelne dieser Gattung identifiziert werden. Aus diesem Grund ist die Mitte des disjunktiven Schlusses die Allgemeinheit einer Gattung, in der die Besonderheiten der Extreme aufgesogen oder enthalten sind, weil es auf diese nicht ankommt. Im hypothetischen Schluss der Notwendigkeit war dies schon dadurch angedeutet, dass die Mitte die Extreme ,aus sich heraus setzt'. Setzt die Mitte diese Extreme aber aus sich heraus, dann ist der médius terminus Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zugleich, da es keinen weiteren Inhalt gibt, der als besonderer noch neben der ,objektiven Allgemeinheit' der Mitte in ihren Extremen überhaupt noch gemeint sein kann. Weil die Allgemeinheit der Gattung A deshalb sowohl B, C, oder D ist, ist mit dieser Allgemeinheit zugleich der Unterschied angezeigt, der zwischen den Arten als Arten einer Gattung besteht. Es gibt keinen Unterschied der Arten zu ihrer Gattung, der nicht durch die Gattung festgelegt wäre. Deshalb ist (aus der Perspektive der Besonderheit) A entweder B, C oder D. Das gegenseitige Ausschließen ist in der ersten Prämisse des disjunktiven Schlusses aber ein solches, das zugleich das Einschließen beinhaltet, weil die Negation einer Art diese als negierte bestimmt und sie so zu A ins Verhältnis setzt. Impliziert damit die ,Disjunktion' im Sinne des Entweder-Oder der ersten Prämisse, dass sowohl die Gattung als auch die Arten sich in ihrer Bestimmung gegenseitig erschließen, dann ist auch die zweite Prämisse dieses Schlusses und die Konklusion nichts anderes als die Rekapitulation dieser Einsicht: Dass A aber B ist und deshalb (als conclusio) A nicht C noch D ist, sind Sätze, die auch in der Negation im Ausschließen als Betonung der Besonderheit von C und D in diesem Fall also den Unterschied zu A negieren. Als unterschieden von A sind C und D nur in ihrer Bestimmung durch A festgehalten. Damit hat sich für Hegel aber der Unterschied der Extreme, der an sich im hypothetischen Schluss noch unreflektiert mitgeschleppt wurde, aufgehoben. Die Besonderheiten -
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C und D, die als Unterschiedene von A festgehalten wurden, sind genauso im disjunktiven Schluss durch A als ,objektive Allgemeinheit' vermittelt, wie die Besonderheit eines B, das zu A ausdrücklich ins Verhältnis gesetzt werden kann. Dadurch hat sich für Hegel aber bestätigt, dass durch die Mitte als ,objektiver Allgemeinheit' des Schlusses ein Begreifen möglich ist, bei dem etwas, das in seiner Besonderheit von einem Allgemeinen unterschieden ist, durch dieses Allgemeine in eben seiner Besonderheit ,objektiv' erklärt wird. Ob in diesem Zusammenhang freilich unter Objektivität nicht mehr zu verstehen ist, wenn man Hegels Intuition folgt, muss im Kontext einer Diskussion um Hegels Logik insgesamt geklärt werden. von
Literatur Hösle, V.: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, 2. Bde., Hamburg21998. Krohn, W.: Die formale Logik in Hegels Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zur Schlußlehre, „
München 1972. Kruck, G: „Selbständigkeit und notwendige Vergewisserung. Hegels Urteilslehre im Vergleich zu Brandoms Verstehenstheorie", in: Koch, A. F., Oberauer, A., Utz. K. (Hg.): Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik", Paderborn 2003, 69-84. Schick, F.: „Begriff und Mangel des formellen Schließens. Hegels Kritik des Verstandesschlusses", in: Koch, A. F., Oberauer, A., Utz. K. (Hg.): Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik", Paderborn 2003, 85-100.
Konrad Utz
„Alles Vernünftige ist ein Schluß" Zur Bedeutung der Hegeischen Schlusslehre für das
spekulative Denken
Der Vernunftbegriff gehört zweifellos zu den zentralen der Hegeischen Philosophie. Wenn es um die Vernunft und ihre Würde geht, dann steigert sich Hegel zu leidenschaftlichem Pathos und sogar weihevoll-erhabenem Stil. Seine vielleicht höchste Verdichtung erhält all dies in dem berühmten Diktum, „was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig" (Rph. XIX), in dem man die Grandformel des absoluten Idealismus erkennen mag. Dementsprechend sollte es ausgesprochen interessant werden, wenn Hegel uns erklärt, was denn die Vernunft ihrem Wesen nach ist. Und genau dies scheint uns der Satz „der Schluß ist das Vernünftige und alles Vernünftige" (Enz. § 181 ) zu versprechen. Diesen Satz kann man nun nach Hegel einmal auf das subjektiv Vernünftige hin deuten, nämlich hin auf die Vernunft, welche schließt; zum andern aber auch auf das objektiv Vernünftige, nämlich hin auf die Vernunft, „welche Quelle von Gesetzen und sonstigen ewigen Wahrheiten und absoluten Gedanken ist" (GW 12, 90). Die Unterscheidung bezieht sich vermutlich zunächst auf Kant, denn schon bei diesem gibt es nicht nur die Vernunft als das Schlussvermögen, sondern auch die reine Vernunft als Quelle von „absoluten", nämlich zumindest nichtempirischen Gedanken. Mittelbar jedoch bezieht sich die Differenzierung auf das Grundthema des objektiven Idealismus, die Wirklichkeit und Objektivität des Idealen. Wenn es Hegel tatsächlich gelingen sollte, einen notwendigen Zusammenhang der formellen schlusslogischen Vernünftigkeit, deren Gültigkeit kaum jemand anzweifelt, mit der objektiv-inhaltlichen Vernünftigkeit zu etablieren und so die Objektivität und Geltung reiner Vernunftwahrheiten zu begründen, dann würde die Lehre vom Schluss einen grundlegenden Beitrag zu seinem philosophischen Projekt leisten. Der subjektive Aspekt des Satzes von der Schlussartigkeit alles Vernünftigen birgt noch nicht viel Erklärungskraft, denn die subjektive Vernunftbetätigung wurde auch schon von der Tradition mit dem Schluss verbunden, wie Hegel vermerkt (ebd.). Er ist in der Auseinandersetzung mit Kant wie mit Nichtidealisten gewissermaßen der unfragliche Ausgangspunkt. Allerdings ergeben sich schon aus diesem, im Grunde analytischen, Zusammenhang von Vernunft und Schluss Aufklärungen wie auch Anfragen bezüglich Hegels eigener Schlusslehre. Deshalb werde ich zunächst auf diesen Aspekt des Satzes eingehen. Dabei zeigt sich dann schnell, dass sich der Übergang zum zweiten Aspekt, dem objektiv Vernünftigen, nach der Hegeischen Systematik in abstracto un-
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Konrad Utz
mittelbar und
zwingend ergeben sollte. Allerdings geschieht dies im Gang der WdL den Problemen liegt, die bereits die Schlussform als subjektive kennzeichnen. So harrt der Schluss bis ganz ans Ende der WdL seiner Vollendung und der Satz von der Schlussförmigkeit alles Vernünftigen seiner Einlösung. Dass diese und damit die Vollendung der WdL selbst dort noch problematisch bleibt, lässt sich aus der Perspektive der Schlussproblematik einmal mehr markant darlegen. nicht,
was an
Schluss und Vernunft Seinen Grundsatz, dass der Schluss das Vernünftige sei, expliziert Hegel vor dem Hintergrund seiner bekannten Differenzierung zwischen Vernunft und Verstand, die er im Grunde aus der Tradition, spezieller von Kant übernimmt (um auf ihrer Grundlage seine Einwände gegen diesen geltend zu machen). Bekanntlich kann man der Interpretation dieses Begriffspaares allein für sich schon weitläufige Abhandlungen widmen, zumal in WdL (GW 12, 32) noch die Urteilskraft hinzuzutreten scheint. Für unsere Zwecke genügt jedoch die Bestimmung des Verstands als dasjenige, was Bestimmungen von Begriffen in ihrer Allgemeinheit/es/tó/r, die Bestimmung der Vernunft dagegen als dasjenige, worin das Denken fortschreitet (vgl. z.B. GW 21,8). Im bloßen Festhalten ist das Denken selbstverständlich unselbständig, es ist darauf angewiesen, dass etwas in ihm schon gegeben ist oder aber in es einfällt letzteres naheliegenderweise durch die Sinnlichkeit. Die Vernunft ist demnach die Fakultät des spekulativen Denkens, wenn man die Spekulation als dasjenige Erkennen fasst, das allein im Denken ohne (weitere) äußere Eingaben fortschreitet. Zu unterscheiden ist dann noch zwischen einem bloß formal und einem auch material spekulativen Denken. Ersteres geht von empirischen Grundsätzen aus, entwickelt dann aber Theorien, die nicht mehr unmittelbar der Empirie entlehnt oder an ihr verifiziert sind. In diesem Sinn ist etwa die Stringtheorie (derzeit noch) spekulativ. Wahrhaft spekulativ, nämlich auch materialiter spekulativ, ist freilich nur das Denken, das auch in seinen Ausgangsbestimmungen nichts Äußeres hinzunimmt wie eben das reine Denken der WdL. Im Erfolgsfall dieses Denkens ist mit der reinen Spekulation unmittelbar diejenige Vernunft gegeben, welche „Quellen von Gesetzen und ewigen Wahrheiten ist": die Vernunft, die apriorische Inhalte liefert. Eine Vernunft, die das ihr allgemein zugestandene syllogistische Fortschreiten in der Erkenntnis ohne fremden Input operationalisieren kann, würde unmittelbar das (erste) Versprechen des objektiven Idealismus einlösen. Wenn die Vernunft also das spekulative Denken vollzieht, dann sollte der Schluss als das Vernünftige die große Bedeutung haben, die wahre Philosophie, nämlich die absolute Wissenschaft Hegels zu ermöglichen und ihr Wesen auszumachen. -
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
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Begriff, Urteil, Schluss Die Frage ist also zunächst, wie die Schlussform zu nicht vernunftäußerlichen, sondern vernunfteigenen Inhalten kommen kann. Dazu ist es notwendig, die klassische Trias von Begriff, Urteil und Schluss im Zusammenhang der Hegeischen Theorie zu rekapitulieren. Besehen wir den Sachverhalt zur Verdeutlichung vor dem Hintergrund der Kantschen Theorie. Für Kant ist zusammen mit der europäischen Tradition seit Sokrates der Begriff die Grundeinheit des Denkens. Dies gilt sowohl für die Objekte, die nämlich durch ihren Begriff gedacht werden, wie auch für die apriorischen Kategorien, deren Begriffen gemäß der Gegenstand gedacht wird (KrV B 125). Denken ist demnach immer begrifflich. Daraus gewinnt nun Hegel den Grundgedanken, dass das Denken gegen Kant auch dann, wenn es rein, i.e. völlig inhaltsleer denkt, einen Gedanken fasst: den des reinen Seins. Dieser Gedanke ist zumindest insofern begrifflich, als er einheitliche Gedankenbestimmung darstellt; Gedanke (im Unterschied zur Vorstellung) ist also immer Begriff (vgl. Enz. § 162 A aus der VL), auch wenn er zunächst nur Begriff an sich und nicht an und für sich ist, nämlich nicht als Begriff gesetzter Begriff ist (vgl. GW 12, 240f) und auch wenn sich die Erkenntnis, dass jeder reine Gedanke, und mithin auch schon das reine Sein, Begriff ist, erst sehr viel später im Gang des rei-
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Denkens einstellen mag. Im Urteil wird dann der Begriff in Relation auf anderes gesetzt. Da der
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Begriff das kann dieses andere wiederum nur Begriff sein (nämlich entweder, nach dem äußerlichen Verständnis, ein anderer Begriff, oder, nach dem Verständnis Hegels, der selbe Begriff in seinen eigenen, ihrerseits begrifflichen Bestimmungen). Dieses Verhältnis von Bestimmungen im Denken selbst, das dergestalt gegeben ist, war bekanntlich für Kant der Urvollzug des Denkens. Zwar ist der Begriff die Urform des Denkens. Aber weil die Apperzeption notwendigerweise auf einen „Input", nämlich die Mannigfaltigkeit der Anschauung verwiesen ist, deshalb kann sie Begriffe ursprünglich nur in Bezug auf jene konzipieren. Der Gegenstandsbegriff muss allererst formiert werden. Dazu ist es aber notwendig, die Mannigfaltigkeit der apriorischen formalen Verfassung des Denkens, nämlich seiner Einheit, gemäß zu machen, i.e. das Mannigfaltige zu synthetisieren. Wenn nun aber das Mannigfaltige begriffen werden soll, wenn also in der Einheit, die hergestellt wird, der Bezug auf den „Input" erhalten sein soll, i.e. wenn in dieser Einheit ihre Herkunft ausdrücklich sein soll (und ohne dies wäre sie nicht empirisch), dann muss die Synthesis nicht nur tatsächlich vollzogen werden, sie muss auch als solche in ihrem Ergebnis enthalten sein. Die Einheit im Denken muss Einheit im Bewusstsein ihrer Synthesis sein (KrV § 16, B 133). Als solche ist sie aber schon nicht mehr die einfache Denkeinheit, i.e. der Begriff, sondern sie ist zusammengesetzte Denkeinheit: Sie ist Urteil und die logische Form „Urteil" ist nichts anderes als die (bewusst) synthetische Einheit der Apperzeption (KrV § 19). Dergestalt beginnt das Denken für Kant realiter mit dem Urteilen, auch wenn die einfachere Form des Begriffs die logisch frühere ist. Für Hegel besteht diese Notwendigkeit, dass das Denken urteilend beginnen müsse und mithin auf die Empirie (oder, formaler ausgedrückt, auf den äußeren Einfall von Mannigfaltigem ins Denken) festgeschrieben sei, nicht. Dergestalt rückt das Urteil vom Ursprüngliche ist,
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der Tafel an den Katzentisch. Es behält zwar immer noch eine wichtige Rolle, aber es hat seine Bedeutung als das zumindest realiter Ursprüngliche des Denkens verloren. Der Begriff ist nun nicht mehr nur das logisch Erste, er ist auch ein mögliches Erstes im Denkvollzug: Er kann (im „reinen Sein") voraussetzungslos gedacht werden. Erst daraufhin geschieht es bei Hegel, dass sich der Begriff auseinanderlegt, dass das Denken sich ur-teilt in ein Begriffsverhältnis (GW 12, 54f). Dies geschieht allerdings sogar mit Notwendigkeit. Die Grundfunktion des Urteils wird demnach geradewegs umgekehrt: Das Urteil ist in erster Linie analytisch und nicht synthetisch, wie bei Kant. Das Urteil kann dergestalt auch für Hegel nicht aus dem spekulativen Denken verbannt werden. Es ist aber nicht mehr das Erste und es ist auch nicht das Letzte. Dass beim Urteil stehengeblieben werde, verhindert nämlich ein Makel, den es an seinem Wesen hat. Das Urteil ist erst unmittelbare Beziehung von Begriffen aufeinander, i.e. eine Vereinigung, die die Ratio ihres Vereinigens nicht in ihr selbst hat. Bei Kant kann sie dies auch gar nicht haben, denn die Vereinigung wurde ja aus dem Nicht-Denkförmigen, der Anschauung hergestellt. Damit ist aber die Urteilssynthesis eine zufällige Vereinigung. Sie fällt bei Kant ganz anschaulich dem Denken zu (ihre Notwendigkeit liegt allein in der Form, die aber aus dem Denken selbst stammt). In der Zufälligkeit ist aber keine Wissenschaftlichkeit. Und so darf sich das wissenschaftliche Denken nach Hegel mit dem Urteilen nicht zufrieden geben, ja mehr noch, die Urteilsform ist grundsätzlich ungeeignet dazu, die Wahrheit zu fassen (GW 12, 245). Diese Rolle fällt nun dem Schluss zu. Der Schluss gelangt allein aus Begriffen zu neuen Begriffssynthesen. Er ist also dasjenige, worin das Denken „frei" wird, nämlich nicht nur dasjenige begreift, was ihm zufallt, sondern selbst Gedanken entwickelt. Diese Vollzugsweise des Denkens fällt in die Vernunft im Unterschied zum Verstand, welcher nur Begriffe in ihren Bestimmungen festhält. Auch Kant hat selbstverständlich nichts gegen das formale Schließen einzuwenden. Aber er wendet sich dagegen, dass die theoretische Vernunft in ihrer Freiheit des selbstmächtigen Fortschreitens über das dem Verstand Zugefallene hinaus jemals vom „Urteilszufall", i.e. von der Empirie frei werden könne. Das Material der Vernunft können nur die (aus der Mannigfaltigkeit der Anschauung) unmittelbar synthetisierten Urteile sein, nicht aber reine Begriffe. Die äußerste Freiheit des Denkens der theoretischen Vernunft zumindest ist die der transzendentalen Reflexion, die auf den Anschauungsinput nicht mehr in concreto, sondern nur noch als abstrakte, allgemeine Möglichkeit überhaupt bezogen ist. Jede darüber hinausgehende Befreiung der Vernunft führt in die Haltlosigkeit spekulativer Ideen. Bei Hegel dagegen ist die absolute Freiheit des Denkens, nämlich das Fortschreiten der Vernunft allein in sich selbst möglich, weil der reine Begriff möglich ist. Daher gewinnt nun das Medium der Vernunft, das Schließen, einen neuen Stellenwert: Es wird zur Vollzugsform wahrhafter rein-spekulativer Erkenntnis. Allerdings ist dabei zu beachten, dass sich dadurch die Stoßrichtung des Schlusses gegenüber seinem herkömmlichen Verständnis umkehrt in ähnlicher Weise, wie im rein-spekulativen Denken aus dem Urteil als eine Begriffszusammensetzung das Urteil als Begriffsdiremtion wurde. In der herkömmlichen Anwendung des Syllogismus dient das Schließen dazu, neue Begriffszusammensetzungen, nämlich neue Urteile zu gewinnen. Dagegen hat der Schluss
Haupt
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in der Hegeischen Spekulation nicht die Funktion, zu neuen Ufern aufzubrechen, sondern vornehmlich diejenige, Vorangegangenes abzuschließen. Der Schluss führt zurück auf die Einheit des Begriffs, nachdem sich dieser im Urteil auseinandergelegt hat. Er schließt die Urteilung und damit den Begriff wieder mit sich selbst zusammen, allerdings ohne dabei den Gewinn der Auseinandersetzung, nämlich das Gesetztsein der inneren Konkretion des Begriffs, zu verlieren: Die Schlussform stellt die Einheit als Zusammenschluss ihrer Momente dar, der Notwendigkeit hat. Der Schluss „schließt den Kreis" (vgl. GW 12, 252) den Kreis der immanenten Entwicklung des Begriffs. Diese Verhältnisweise und diese Bedeutung des Schlusses ergibt sich, wie beim Urteil, wiederum unmittelbar aus der spekulativen Verfasstheit des reinen Denkens und seiner immanenten Notwendigkeit. Urteil und Schluss können nicht so zustande kommen, dass verschiedene Begriffe miteinander in Verbindung gebracht werden. Denn selbst wenn diese Begriffe apriorische Begriffe wären, wie etwa die Kantschen Kategorien, dann wären sie doch als Verschiedene nur zufällig aufgenommen und nicht notwendig miteinander vermittelt. Bei einem solchen zufalligen Zusammenstellen kann die Notwendigkeit des Schlusses aber immer nur eine formelle bleiben. Notwendig nämlich auch material unbedingt kann der Zusammenschluss nur dann sein, wenn er eine notwendige Einheit im Denken vollzieht bzw. nachvollzieht. I.e. der Schluss muss bereits auf notwendiger Einheit beruhen. Diese ursprünglich-notwendige Einheit kann nur der Begriff sein, und zwar der eine Begriff. Die Herausforderung ist dann nicht, von der Vielheit zur Einheit zu gelangen wie bei Kant -, sondern von der Einheit zur Differenz, nämlich zu Bestimmung und Konkretion. Dies leistet das eigene Ur-teilen des Begriffs. Damit verliert sich der Begriff allerdings in gewisser Weise, denn selbstbestimmend-autonom kann er nur sein, solange er Selbst ist, i.e. in sich einige Identität. Diese Identität stellt nun der spekulative Schluss wieder her. Insofern stellt auch im spekulativen Denken das Schließen den autonomen Vernunftvollzug dar oder präziser: Er stellt die Autonomie des Vernunftvollzugs her. Allerdings bewerkstelligt es dies in der begreifenden Rückkehr auf den Begriff, und nicht im eigenmächtigen Hinausschreiten über die Vielheit gegebener Begriffe und Urteile hin zu neuen Urteilen, wie es die nur formell-spekulative Vernunft tut. Daran wird zugleich nochmals deutlich, dass für Hegel der Schluss in erster Linie nicht eine bestimmte Verhältnisweise von Urteilen, sondern von Begriffen ist (vgl. GW 12, 94, auch 90-92). Solange nämlich das Schließen nur auf Urteile zurückgeht, muss es formell bleiben, denn immer bleibt ihm die Verbindung der einzelnen Begriffe untereinander zufällig. Nur wenn das Urteil seinerseits als Ur-Teilung auf einen Begriff zurückgeht, kann die Beziehung der Urteilsextreme eine apriorisch notwendige sein. Und nicht als eine Beziehungssetzung von verschiedenen Urteinur dann kann der Schluss sondern als len, begriffliche Explikation der Kopula eines Urteils des Begriffs selbst als Zusammenschließen des Begriffs mit sich selbst nicht nur formal, sondern auch inhaltlich notwendig sein und spekulative Wahrheit erheben. -
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Bedeutung und Begrenztheit der Hegelschen Schlusslehre Insofern das Grundverhältnis des Verstands gegen die schließende Vernunft schon bei Kant gegeben ist, sagt uns das Diktum „alles Vernünftige ist ein Schluß" unter seinem subjektiven Aspekt gar nichts Neues und gar nichts spezifisch Hegelsches. Aber seine Explikation spezifiziert die Erwartung, die man an die Hegeische Schlusslehre haben dürfen sollte: Sie sollte uns erklären, wie sich das vernunfthafte Fortschreiten des Erkennens genauerhin vollzieht. Als vollständige Schlusslehre sollte sie dabei nicht nur die Formen des rein spekulative Denkens darstellen, sondern auch diejenigen des nur begrenzt autonomen, formellen Vernunftgebrauchs. Damit ist auch erklärt, was die Hegeische Lehre vom Schluss gegenüber formalen Schlusslehren darstellt: Sie ist ein' Organon des Vernunftgebrauchs und nicht ein Regelwerk richtigen Schlussfolgerns. Allerdings kann sie sich auf den wahren, nämlich den wissenschaftlichen Vernunftgebrauch beschränken, sie muss nicht auch die rhetorischen und eristischen Schlüsse mitaufnehmen, wie Aristoteles es tat. Das Versprechen eines Organon des Vernunftgebrauchs erfüllt Hegel zunächst auch. Der Verstandesschluss erklärt uns den formellen spekulativen Erkenntnisfortschritt, etwa in der formalen Logik und auch in der Mathematik. Der Schluss der Reflexion erklärt uns grob gesprochen den empirischen Erkenntnisfortschritt, nämlich wie wir aus dem einzelnen Erfahrungsdatum zu allgemeinen Gesetzen und Wahrheiten kommen bzw. zu kommen meinen. Damit ersetzt Hegel übrigens die Kantsche Theorie der Allgemeinheit der empirischen Erkenntnis, die bei diesem in der Notwendigkeit der transzendentalen Apperzeption begründet Der Schluss der Notwendigkeit erklärt uns in etwa das, wofür bei Kant die subsumierende Urteilskraft aufkommt: den Erkenntnisfortschritt, der sich aus dem Zusammenschluss eines Einzelnen mit einem allgemeinen Notwendigkeitszusammenhang ergibt. Kant fasst freilich den Notwendigkeitszusammenhang nicht seinerseits als Urteil, deshalb erscheint die Einbindung des Einzelnen in ihn als schiere Subsumtion und nicht als Schluss. Mit dem Schluss der Notwendigkeit endet die Hegeische Schlusslehre, und damit wird schon ihr Mangel deutlich: Sie löst das Versprechen, das Organon des spekulativen Denkens zu liefern, nur bezüglich der formalen Spekulation ein, nicht bezüglich des wahrhaft spekulativen reinen Denkens, das keine dem Denken äußerliche Voraussetzungen macht. Auch in der letzten Schlussform, dem disjunktiven Schluss, ist die Vernunft noch auf äußerliche Eingaben angewiesen. Diese Äußerlichkeit macht sich sowohl formal wie inhaltlich geltend: Formal setzt der Schluss Begriff und Urteil voraus. -
liegt.2
Vgl. Hegels Polemik gegen die Schlusslehren, die nur letzteres intendieren GW 12, 106-110. Wenn dies zutrifft, dann ersetzt Hegel die Kantsche Theorie der empirischen Erkenntnis als einer Theorie des Urteilens durch eine Theorie der empirischen Erkenntnis als einer Theorie des Schließens. Er ist damit m.E. näher an der heute allgemein verbreiteten Auffassung. Weiter könnte man mutmaßen: wenn es bei Kant die apriorische Notwendigkeit der Urteilssynthesis ist, die den empirischen Urteilen den Charakter objektiver Gültigkeit verleiht, dann könnte es bei Hegel der apriorische Notwendigkeitscharakter des Schlusses sein, der das Denken dazu verleitet, aus der Induktion allgemeine Notwendigkeit zu erheben, obwohl der Refiexionsschluss diese niemals vollständig liefert.
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss'
Er gibt sich nicht selbst die Begriffe und die Beziehung der Begriffe aufeinander. Selbst wenn es der reinen Vernunft gelingen sollte, diese zustandezubringen, dann ist es imund damit nicht diejemer noch nicht die schließende Vernunft die dies allein vermag nige Vernünftigkeit, der auch von Nichtidealisten uneingeschränkte Gültigkeit zugestanden wird. Das Hervorbringen von Urteil und Schluss müsste dazu selbst in die Schlussform eingeholt bzw. aus ihr entwickelt werden. Dies geschieht aber in der Schlusslehre klarerweise nicht. Die inhaltliche Äußerlichkeit, die in der Hegeischen Schlusslehre bestehen bleibt, ist noch banaler und offensichtlicher. Zwar tritt mit der fortschreitenden Entwicklung der Schlusstypen die Form selbst mehr und mehr in den Gesichtskreis des schließenden Denkens und wird damit selbst auch zum Gehalt der Schlussform. Aber neben diesem Gehalt ihrer selbst verbleibt in dieser Form bis zuletzt immer noch Inhalt, der nicht reine Bestimmung der Form selbst ist, der also der Form zufällig ist. Diesem Inhalt gegenüber bleibt die Schlussform bloße Form. Immer bleibt dieser zufällige Inhalt übrigens zweifach. Im Verstandesschluss sind die beiden Prämissen, also die beiden ersten Im Reflexionsschluss tritt ins Bewusstsein ein, dass mit Begriffsverbindungen dieser Zufälligkeit auch die Konklusion, die dritte Begriffsverbindung zufällig ist und sich als zufällige bewähren kann oder auch nicht. Dergestalt wird sie nun zusammen mit der zweiten Prämisse zur Zufallszweiheit, die die erste Prämisse als problematischen Satz und mithin wenigstens als gedankliche Verbindung und nicht mehr als äußerlich-zufällige erhärtet oder widerlegt. Das Zufallsmoment der Reflexion, der Rückbeziehung des Schlussresultats auf seine Voraussetzung, wandert dann in die Mitte des Schlusses und schließlich in den Obersatz. Entscheidend ist aber, dass die Zufälligkeit wiederum in ihrer Doppelung auch im Schluss der Notwendigkeit erhalten bleibt. Zwar ist in diesem Schluss das Notwendigkeitsverhältnis ausdrücklich gesetzt, nämlich im Obersatz. Aber zum einen ist die Begriffsverbindung des Untersatzes dem Obersatz zufällig. Aber nicht nur dies, vollkommen zufallig ist der Schlussform auch, welcher disjunktive Satz als Obersatz gesetzt wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die Disjunktion auf diejenige von reinen Vernunftbegriffen beschränkt denn auch deren gibt es mehrere. Auch der disjunktive Schluss ist daher eine bloße Form, in die alles mögliche, bzw. alles spekulativ mögliche eingesetzt werden kann, und die deshalb nicht für die Wahrheit dessen verbürgen kann, was in sie eingesetzt wird.5 Genauer besehen bleibt die Zufälligkeit im Schluss der Notwendigkeit nicht nur erhalten. Sie macht, da die Notwendigkeit als ausdrücklich gesetzte nun schon in einer der Prämissen residiert, den ganzen Schluss zu etwas Uninteressantem und Läppischem -
zufällig.3
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Man kann dabei sogar noch eine weitere, formale Doppelung der Zufälligkeit diagnostizieren: zufällig ist sowohl die Auswahl der Begriffe, wie auch die Verbindung zwischen ihnen wiederum bleibt der Schluss also zufällig in Bezug auf Begriff einerseits und Urteil andererseits. Vgl. Schick (2003), 85-100. Zwar wäre eine gewisse Garantie der Vernünftigkeit des Obersatzes dadurch gewährleistet, dass die Disjunktion dem Allgemeinbegriff kategorial angemessen und außerdem vollständig sein muss. Man geriete dann auf das sokratische Begriffsbestimmungsverfahren. Aber diese Vorschriften der Vernünftigkeit fallen klarerweise nicht mehr in die Schlussform selbst. -
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und dies wieder mit jeder neuen Schlussform zunehmend. Der disjunktive Schluss ist der Sache nach der leerste und überflüssigste überhaupt. Kein Wunder, so möchte man sagen, dass diese logische Form zugrundegehen muss. Im Grunde stehen sich in dieser Form eine formelle, subjektive, dem Schluss selbst zufällige Notwendigkeit und eine gegen diese Notwendigkeit nochmals äußerliche objektive Zufälligkeit schroff gegenüber: Die Disjunktion und die Tatsache der Gegebenheit (oder Nichtgegebenheit) eines der Disjunktionsglieder. Die Konklusion erbringt nichts Neues mehr an Information. (Schon im hypothetischen Schluss war der Informationszuwachs gering, der Schlusssatz bot nämlich begrifflich nichts Neues; aber zumindest wurde auf die Existenz, das tatsächliche Gegebensein eines im Obersatz begrifflich Gesetzten geschlossen auch dies entfällt im disjunktiven Schluss).6 -
Die Formalität der subjektiven Schlusslehre Die Hegeische Schlusslehre führt also nicht wirklich über den Formalismus des Schließens hinaus. Wohl bezieht sie die allgemeine Form auf einen Inhalt und unterscheidet sich dadurch von der formalen Logik. Aber dieser Inhalt ist nur erst das Besondere, bis zum Einzelnen gelangt die Schlusslehre nicht so zumindest kann man in Hegels eigener Terminologie differenzieren. Die allgemeine Form wird mit besonderen Allge-
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6
Man kann auch noch weitere formale Mängel von Hegels Darstellung des disjunktiven Schlusses anführen: die Interpretation der Form A-B, A-E, B-E entspricht nicht dem bisherigen Schema, nach dem jedem Buchstaben ein Begriff fest zuzuordnen war. Der Oberbegriff soll nun einmal A, dann B und dann E sein womit übrigens, im Unterschied zu allen anderen Schlussformen, ein und derselbe Begriff in allen Sätzen Subjekt ist (vgl. GW 12, 124f). Hegel versäumt es, genauer darzutun, wie es zu diesem bisher noch nicht dagewesenen Sachverhalt bzw. zu der neuen Interpretationsweise der Form kommt. Auch ist nicht ganz einsichtig, wie B einmal, im Obersatz, für die gesamte Disjunktion stehen kann und dann ein andermal, in der Konklusion, für die durch E ausgeschlosse-
Disjunktionsglieder. Hegel verwendet die Unterscheidung nen
von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem zwar selbst die Defizienz der Formalität des subjektiven Begriffs, Urteils und Schlusses zu benennen. Aber dies legt sich insofern nahe, als dasjenige, was hier noch fehlt und durch die „Objektivität" erreicht wird, die Realität ist (GW 12, 20). Vom Einzelnen sagt Hegel aber, es sei „dasselbe, was das Wirkliche ist" (Enz. § 163 Z; m.E. darf man dies durchaus als allgemeingültige Aussage verstehen und nicht nur als eine, die bloß für eine bestimmte Entwicklungsstufe des Systems gilt, denn sie wird nicht entwickelt, sondern erklärend herangezogen). Freilich ist die „Realität", die in der Objektivität liegt, nicht einfachhin zu identifizieren mit der wesenslogischen „Wirklichkeit", aber die Nähe ist doch groß (vgl. Enz. § 193 A) und beide nehmen die gleiche „systemfunktionale Rolle" ein (vgl. GW 12, 130), wenn auch auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen der WdL. Eindeutiger, aber interpretatorisch schwieriger ist Hegels Aussage, dass in den Produkten der Abstraktion „das Einzelne als Inhalt und das Allgemeine als Form voneinander unterschieden sind" (GW 12, 50). Dies muss dann unmittelbar auf Urteil und Schluss bezogen werden, wenn man beachtet, dass das „Urteil" sich im Übergang aus der „Begriff als „die gesetzte Abstraktion" (GW 12, 52) bestimmt, die innerhalb des Abschnitts „die Subjektivität" nicht mehr aufgehoben wird, weil die Entwicklung dort nicht wieder beim Begriff anlangt. Denn der Schluss ist, obwohl die „Wiederherstellung des Begriffs" (GW 12, 90), „zunächst" ebenso abstrakt wie das Urteil (vgl. GW 12,
nicht,
um
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meinbestimmungen der einzelnen
Stellen im Schlussschema und ihrer Beziehungssetzueinander verbunden. Aber weiterhin bleibt völlig offen, was diese Stellen im zung einzelnen ausfüllt. Das Einzelne wird nur formal in die Einheit mit dem Allgemeinen und dem Besonderen aufgehoben, nämlich insofern es überhaupt immer Einzelnes ist, das unter die Form fällt und in dem diese sich darstellt. Damit ist es aber von vornherein ausgeschlossen, dass uns die Schlusslehre erklärt, worauf Hegel in ihrer Einleitung so vehement besteht: dass das einzelne, objektiv Vernünftige mit dem FormellVernünftigen des subjektiven Schließens identisch sei. Genau bei diesem inhaltlichobjektiv Vernunftbestimmten langt der Schluss nicht an, solange er nicht auch die Einzelheit zu integrieren vermag. Dass die Schlusslehre unvollständig ist und dass die höchste Form des spekulativen Denkens noch aussteht, sieht man auch daran, dass Hegels eigene dialektische Methode in ihr nicht zu finden ist. Dies hat bereits Wolfgang Krohn Krohn hat auch eine sehr elegante, fast salomonische Erklärung für diesen Sachverhalt angeboten: die Hegeische Dialektik sei als solche gar nicht darstellungsfähig, weil alles Darstellen in Festsetzungen operiert, die Hegeische Dialektik aber schlechthin dynamisch sei. Die Schlusslehre sei daher das Äußerste, was sich festlegend über das Vorgehen des reinen Denkens sagen lässt.10 Dagegen ist allerdings schon formal einzuwenden, dass der Fortgang der WdL auch in ihrer äußerlich festgelegten Form nirgends einem der Typen der Schlusslehre entspricht. Wichtiger ist aber, dass Hegel nicht nur in den Einleitungen von einer spezifischen Methodenform des spekulativen Denkens in der WdL spricht, sondern diese auch innerhalb der Logik expliziert (GW 12, 237ff). Man mag von der Darstellung der „absoluten Methode" halten was man will, zumindest insinuiert sie, dass es tatsächlich eine spezifische Vorgehensweise des reinen Denkens gibt. Dies ist auch der Sache nach erforderlich, denn wäre die Dialektik der reinen Vernunft, wie Krohn meint, tatsächlich nicht begrifflich einholbar, dann scheiterte das Projekt der vollendeten Selbstaufklärang der Vernunft und es dürfte keine absolute Idee geben, die „sich wissende Wahrheit" (GW 12, 236) ist.
festgestellt.9
8
91) und überwindet diese Abstraktheit erst im Übertritt in die Objektivität, in dem Schluss verlischt. Die volle Einheit der Begriffs ist erst wieder in der Idee erreicht.
er
aber als
Selbstverständlich sind im disjunktiven Schluss die Momente der Allgemeinheit, der Besonderheit und der Einzelheit formell vollständig miteinander vermittelt bereits der Begriff stellt die Einheit dieser drei Momente dar und ist als absolute Bestimmtheit insbesondere Einzelheit (GW 12, 23). Da aber die Formalität selbst Signum der Sphäre der Allgemeinheit und der Vermittlung ist, hat der Schluss noch nicht das Einzelne als Einzelnes und das Unmittelbare als Unmittelbares in sich auf-
9
10 1'
gehoben
Krohn (1972), 7. Ebd., lOf. Nur die verschiedenen formalen Verhältnisse der Momente A, B und E tauchen in ihr auf und werden vor allem in Enz nach dem Schlussschema dargestellt.
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190
Zwei
mögliche Lösungswege
Wenn man davon ausgehen möchte, dass Hegels Diktum, das Vernünftige sei der Schluss und nur der Schluss, uneingeschränkt Geltung habe und nicht nur die Wahrheit eines bestimmten, vorläufigen Standpunkts in der Entwicklung des reinen Denkens markiert, dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man depotenziert den Begriff des Vernünftigen. Es gibt durchaus Anhaltspunkte dafür, dass das „Vernünftige" gar nicht das Höchste des Hegelschen Denkens bezeichnet. Freilich steht dies im Kontrast zu vielfältigen Exkursen zur Vernunft und zur Beschreibung der höchsten Form des absoluten Geistes als „sich wissende Vernunft" (Enz. § 577). Die andere Möglichkeit ist, dass der Schluss mit der Schlusslehre im ersten Teil der Begriffslogik noch gar nicht erschöpfend behandelt ist. Der erste Weg scheint mir letztlich nicht gangbar, aber er eröffnet einige interessante Perspektiven. Deshalb möchte ich zunächst auf ihn eingehen. Die zweite Option ist m.E. die zwangsläufige, wenn man die Konsistenz des Hegelschen Textes und letztlich auch die seines systematischen Anspruchs wahren will. Aber sie führt auf Probleme, die m.E. nicht lösbar sind.
Zur Problematik des
Vernunftbegriffs
der Nähe des Vernunftbegriffs zum Logos, zum Logischen, zum Begriffs Idee mag erstaunen, welchen Ort der Vernunftbegriff im philosophischen System Hegels einnimmt. Er taucht in der Enz unter der phänomenologie des Geistes" auf, steht an deren Ende und leitet zum Begriff des Geistes selbst erst über (Enz. § 438f). Seine Explikation fällt äußerst knapp aus und bespricht eigentlich nur die Vereinigung der vorherigen Momente ,Bewusstsein' und ,Selbstbewusstsein'. Im übrigen scheint in der Vernunft noch eine Differenz eines „nur gegebenem [wenngleich allgemeinen] [...] Objekts" und der „es in sich befassenden reinen Form" vorzuliegen (Enz. § 438), deren völlige Überwindung erst der „Geist" darstellt. Die Vernunft scheint an der Schwelle der vollkommenen Identität von Subjektivität und Objektivität sowie von Form und Inhalt zu stehen. Sie ist diese Identität auch bereits (nämlich als „einfache" (ebd.) was u.U. auch einschränkend zu verstehen ist) bzw. sie bewerkstelligt sie. Dennoch scheint sie dann, wenn die Schwelle vollends überschritten ist, einem höheren Begriff zu weichen, eben dem „Geist" bzw. der „Idee" Dies kann u.U. helfen, die Defizienz des Schlusses zu verstehen, die sich ähnlich darstellt. Der Schluss taucht übrigens in Enz. § 438ff. gar nicht auf. Dagegen findet man einen Verweis auf die Idee, wo die Vernunft ihren logischen Ort habe. Und tatsächlich erfahrt freilich als einiges andeman dort, dass die Idee als die Vernunft gefasst werden kann res auch (Enz. § 213, vgl. auch GW 12, 30). In WdL findet man sogar den Satz „die Idee [ist] das Vernünftige" (GW 12, 173 allerdings durch ein „in diesem Sinne" eingeschränkt). Demnach müsste die Idee der Schluss sein. Wiederum taucht der Schluss aber in der Exposition der Idee gar nicht auf, dagegen aber das Urteil, wenn auch nicht mehr als Verstandesurteil, sondern als „absolutes" bzw. „unendliches Urteil" (GW 12,
Angesichts und
zur
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
176). Immerhin wird die Prozessualität der Idee gegen den Verstand herausgestellt, was zumindest in die Richtung des Schlusses weist (GW 12, 177). Diese Verhältnislage, dass die Vernunft und das Vernünftige die Vorstufe und das Hinüberleitende zur Vollendung des Denkens bzw. des Geistes darstellt, bestätigt sich m.E. an der kürzeren aber konzentrierteren Einleitung in die Schlusslehre, die die später entstandene Enz. bietet (Enz. § 181 A). Hegel stellt dort zunächst wie auch in der WdL fest (in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen Meinung), dass der Schluss die Form des Vernünftigen sei wenn auch nicht als eine bloß subjektive und auch nicht als eine solche, die ohne Zusammenhang zum vernünftigen Inhalt wäre. Dennoch kann man hier festhalten, dass das Vernünftige offensichtlich (nur) seiner Form nach ein Schluss ist.12 Weiter wird der Schluss beschrieben als der wesentliche Grand alles Wahren. Damit, so wird man konstatieren dürfen, ist er jedoch noch nicht die Wahrheit selbst bzw. alle Wahrheit, wie die absolute Idee. Mit „wesentlich" und „Grand" sind im übrigen defiziente Kategorien der Wesenslogik angegeben, Denkformen der Sphäre der Reflexion also. Der Schluss wird demnach zur Reflexion der Wahrheit dienlich sein bzw. die Grundlage derjenigen Reflexion sein, die auf die Wahrheit führt, sie aber nicht selbst sein. Interessanterweise folgt dann eine Ausführung zum Wirklichen, durch die Hegels Diktum „was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig" über den Zusammenhang von Vernünftigem und Schluss gestützt werden könnte. Wenn nämlich alles ein Schluss ist, dann ist der Schluss ein „Alles", also eine Totalität von Einzelheiten und das Einzelne ist das Wirkliche (vgl. Enz. § 163 A). Zwar ist alles zunächst Begriff. Aber der Schluss setzt den Begriff in die Einzelnheit und damit ins Dasein: Im Schluss werden die unterschiedlichen Momente des Begriffs als Einzelne gesetzt, und damit gibt sich die allgemeine Natur des Begriffs in ihrer Selbstbesonderung in die Momente äußerliche Realität. Im Schluss gibt der Begriffsich selbst Wirklichkeit. Und umgekehrt ist nur solches ein Wirkliches, das nicht nur schlechthin Einzelnes ist, sondern solches Einzelnes, das „durch die Besonderheit sich in die Allgemeinheit" erhebt also gewissermaßen die Bewegung, die der Begriff im Schluss vollzieht, rückwärts durchläuft. Und auch dies bewerkstelligt die Schlussform. Allerdings wird damit der Schluss instrumental zur Wirklichkeit und zum Begriff sowie zu deren Einheit er ist diese nicht selbst und somit ist er nicht selbst die Wahrheit (sondern nur deren wesentlicher Grand). Denn das Wirkliche, so sagt Hegel, ist Eines und nicht ein schlussartiges Dreiergefuge (Enz. § 181). Dann muss aber auch die Idee als Einheit von Begriff und Wirklichkeit Eine sein. Also liegt die Vollendung im Einen (in der absoluten Idee bzw. im absoluten Geist) und nicht in der formellen Dreiheit. Bei dieser Einheit langt der Schluss aber nicht an. Zwar liegt im Schluss an sich, dass die Dreiheit zur -
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Die Form des Schlusses darf freilich nicht als bloße Form genommen werden, wie es das formelle Schließen tut. Es muss begriffen werden, dass sie die eigene Form der Vernunft ist, und damit die Bestimmtheit der Vernunft selbst. Das Denken ist Vernunft in der Bestimmtheit des Schließens. Weil aber die Vernunft ihren ursprünglichen Ort im Denken hat, können etwaige vernünftige Inhalte vernünftig nur sein durch die Form, also durch den Schluss. Dennoch sind damit die Inhalte nicht einfachhin identisch mit der Schlussform, solange denn diese Form noch irgend etwas anderes enthält, als sich selbst. Dies ist, wie dargestellt, selbst im disjunktiven Schluss noch der Fall.
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Einheit zusammengeschlossen wird. Aber die Identität ist nicht als solche gesetzt, die Form ist weiterhin die der Unterschiedenheit, die Einheit ist noch nicht an und für sich. In der Systematik der subjektiven Logik kann man auch formulieren: Der Schluss langt nicht wieder beim Begriff, beim Logos selbst an. Der Schluss schließt also nicht selbst den Kreis, er ist nur die Form des Schließens des Kreises. Das wahrhafte und absolute sich in sich selbst Schließen bleibt der Idee bzw. absoluten Idee vorbehalten. Allerdings, so wendet Hegel zugunsten des Schlusses ein, gibt es noch eine zweite Seite. Das Wirkliche ist ebenso sehr wie es das unmittelbar-Eine ist das Auseinandertreten der Begriffsmomente. Zugleich aber müssen diese Momente auch in ihrer Einheit begriffen werden. Dies bedeutet aber nun: Sie müssen als Einzelne in ihrer Einheit begriffen werden. Und dies ist nur dann möglich, wenn ihre Vermittlung begriffen wird, und das heißt: wenn diese Vermittlung im Denken gesetzt wird. Genau diese gesetzte Vermittlung der gesetzten Diremtion des Begriffs samt ihrer Rückführung auf die Einheit ist der Schluss. Durch diese Vermittlung der Selbstdifferenzierung des Begriffs wird aber überhaupt erst das Eine als Eines gesetzt. Der Schluss ist also deshalb das Vernünftige, weil in ihm die Vereinzelung der Begriffsmomente und damit die Wirklichkeit des Begriffs gesetzt ist, andererseits aber auch die Vermittlung dieser Momente gesetzt wird, durch die wiederum die Einheit gesetzt werden wird also die Wirklichkeit vernünftig wird. Damit ist der Schluss dasjenige, das die Idee als Einheit von Begriff und Wirklichkeit und damit als die eigentliche Wahrheit zuwege bringt. Wenn die Idee als das eigentliche Vernünftige erreicht ist, dann ist die Schlussform unmittelbar aufgehoben. Sie bleibt aber in der Idee mittelbar erhalten als die Form ihres eigenen Sich-Zuwegebringens. Denn auf dem Standpunkt der Idee wird ihr Zustandekommen nicht als ein Gewordensein aus anderem, sondern als eigenes Hervorbringen begriffen (dessen Aktuosität im übrigen in der absoluten Idee aufgehoben, i.e. bewahrt ist). So ergibt sich: Das Wahre, nämlich die Idee und die absolute Idee ist konkretes Eines. Sie ist aber ein Eines, das sich selbst in Momente diremiert und dann aus dieser Differenzierung sich vermittelt und als Eines setzt. Dieser Zusammenschluss seiner selbst durch sich selbst aus der Selbstdifferenzierung vollzieht der Begriff bzw. der Geist in der Schlussform. Der Schluss ist „der Kreislauf der Vermittlung seiner Momente" (ebd.), durch den die Setzung der Einheit vollzogen wird. Da nun die Selbstvermittlung des Absoluten wesentliches Moment des Absoluten ist, deshalb gehört dem Absoluten der Schluss bzw. die Vernünftigkeit wesentlich an wenngleich als Moment. Der Schluss ist demnach einerseits dasjenige, was dann, wenn Denken und Geist die Wahrheit erreicht haben, schon hinter ihnen liegt. Absolute Idee und absoluter Geist haben die Form des Schlusses nicht mehr als unmittelbare. Sie stellen sich nicht mehr als ein (Dreier-)Gefüge von Totalitäten dar, sondern als Identisch-Eine. Wohl aber enthalten sie Vernunft und Schluss mittelbar als ihre Form, nämlich als das, wodurch sie sich selbst hergestellt haben, bzw. worin sie sich unzeitlich unaufhörlich selbst herstellen. In der absoluten Idee bzw. im absoluten Geist selbst haben Vernunft und Schluss die Bestimmung der perennierten Schwelle zur Vollendung. Deshalb erscheint im Kapitel „absolute Idee" an der Vermittlungsstelle die absolute Methode als die vollendete Schlussform und expliziert die Selbstvermittlung der absoluten Idee, aus der diese unzeitlich immer schon, aber auch unaufhörlich geworden ist und in der sie lebendig -
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
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bleibt. In einer ähnlichen Funktion taucht der Schluss auch im Kapitel zur absoluten Idee als absolutem Geist nochmals auf: Nach der Schlussform wird erklärt, wie sich die Einheit des Geistes aus seinen Momenten herstellt.13
Zur Problematik der formellen Schlusslehre Die des
Erklärung des Satzes „Alles Vernünftige ist ein Schluss" über die Depotenzierang Vernünftigen als der Schwelle zur sich wissenden Vernunft und damit zum Geist,
Wahrheit entlastet die Schlusslehre zwar zunächst vom Vollkommenkann man sich mit dieser Erklärung nicht ganz zufrieden geben; zum einen deshalb, weil der Schluss in der absoluten Idee dann letztlich doch nicht nur untergegangen, sondern als die Gestalt deren eigenen Sich-Hervorbringens auch aufgehoben sein muss. Demnach stellt sich von Neuem die Frage nach der Vollendung des Schlusses selbst: nämlich nach derjenigen Form, die er als Schluss „in der Idee" (Enz. § 575) hat. Zum andern aber befriedigt die Erklärung des Schlusses als der Vorstufe bzw. des letzten Entwicklungsgangs vor der absoluten Vollendung deshalb nicht, weil er dann nicht selbst die Einheit von subjektiv Vernünftigem und objektiv Vernünftigem zuwege bringt, die Hegel bezüglich der Schlussform so betont. Also bleibt letztlich doch nur die Interpretation, dass es eine Vollendung des Schlusses selbst jenseits der Schlusslehre im Abschnitt „die Subjektivität" gibt. Dies ergibt sich auch dann unmittelbar, wenn man Enz. § 182 auf die dann folgenden Ausführungen bis Enz. § 191 bezieht.14 Dieser Bezug wird aus den dortigen Formulierungen vielleicht nicht mit voller Klarheit deutlich, obwohl die Bezugnahme auf die „folgenden Betrachtungen" im Zusatz kaum anders zu verstehen ist. Versteht man sie so, dann verhandeln Enz. §§ 183-191 den ,,unmittelbare[n] Schluß", in dem „die Begriffsbestimmungen als abstrakte gegeneinander nur in äußerem Verhältnis" stehen. zur
Idee und
zur
heitsanspruch. Dennoch
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Die „Bewegung, welche die Philosophie ist, findet sich schon vollbracht, indem sie am Schluss ihren eigenen Begriff erfasst, d.i. nur auf ihr Wissen zurücksieht" Enz. § 573; § 574 expliziert daraufhin „die sich denkende Idee" zunächst als Urteil, woraufhin Enz. §§ 575-577 sie als Schluss bzw. als drei Schlüsse darstellen; dabei ist der jeweilige Prozeß im Schluss im ersten, Enz. § 575, das notwendige Schlussfolgern, im zweiten, Enz. § 576, das „Erkennen" bzw. Begreifen und im dritten, Enz. § 577, das „Sich-Urteilen der Idee". Zu dieser Interpretation passt auch, dass die Schlussform als objektiv Vernünftiges, nämlich als objektive Wirklichkeit am klarsten in der Sphäre des objektiven Geistes hervortritt, nämlich im Staat. Der Staat ist tatsächlich wie ein Schluss strukturiert, als Dreiergefüge von Totalitäten, das von seinem Mittleren, die Extreme verbindenden dominiert wird. Und der Staat steht an der Schwelle zum absoluten Geist, in dem der Geist erst in seine volle Wahrheit gelangt. Was zugleich bedeutet, dass man auch in der WdL den Absatz GW 12, 91 „Zunächst ist nun der Schluß [...]" auf die gesamte folgende Schlusslehre beziehen muss, wie es sich eigentlich auch interpretatorisch zwingend durch den unmittelbaren Anschluss der Einteilung ergibt. Überwunden wird der „Verstandesschluß" erst, wenn der „Schluß zum Entsprechen seines Begriffs oder der Mitte und seines Daseins oder der extremen Unterschiede, zu seiner Wahrheit gelangt". Wenn dies geschieht, dann ist er aber bereits „in die Objektivität übergetreten" und (zunächst) nicht mehr Schluss (GW 12,92).
Konrad Utz
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der formelle VerstanSchluss ist „das Vernünftige als begrifflos besteht dass das Der Vernunftschluss darin, Subjekt ,¿ich mit sich dagegen desschluß". selbst zusammenschließt", „das Subjekt ist erst an ihm selbst der Vernunftschluß" (ebd.). Dieses Subjekt ist aber eindeutig erst mit der Idee bzw. mit der absoluten Idee gegeben. Die Schlusslehre dagegen erklärt nur ein „subjektives Schließen", ganz wie es der Teil-Überschrift „Der subjektive Begriff entspricht. Die Vernünftigkeit zeigt sich an diesen Formen allein daran, dass sie zugrundegehen bzw. daran, dass die subjektive Schlusslehre insgesamt und mit ihr der subjektive Begriffsich auflöst,15 nämlich in die Objektivität. Am Übergang zu dieser, in Enz. § 192, scheint auch kurz schon die positive Seite der Vernünftigkeit dieses Sich-Auflösens auf. Vernünftig ist der Schluss als Kreislauf der Schlüsse, in dem sie sich einer in den andern aufheben, i.e. als Begreifen der subjektiven Schlusslehre als eine Ganzheit. Obwohl dies zunächst zur Identität an sich und zu deren Fürsichsein als Eine, Einzige hinführt, in welcher das Schlussverhältnis aufgehoben ist und welche die Objektivität darstellt, sieht man am Ergebnis der subjektiven Schlusslehre zugleich auch schon ein, dass in ihrer Ganzheit positiv das „Zusammenschließen des Subjekts [...] mit sich selbst liegt. Von einem Schluss, der auch seiner Form nach über die Schlussformen der subjektiven Schlusslehre hinausgeht, ist in der Vorlesungsmitschrift zu Enz. § 187 als dem „absoluten Schluß" die Rede. Auch wird hier der Grundsatz „alles Vernünftige ist ein Schluß" dahingehend spezifiziert, „daß alles Vernünftige sich als ein dreifacher Schluss erweist, und zwar dergestalt, daß ein jedes seiner Glieder ebenso wohl die Stelle eines Extrems als auch die der vermittelnden Mitte einnimmt". Vernünftig ist also, wie bereits dargestellt, der Kreislauf der Schlusslehre insgesamt (bzw. auch schon die Kreisläufe innerhalb von deren drei Abschnitten) und dieser dynamischen Dreierstruktur muss das Vernünftige entsprechen. Ausdrücklich als „absoluter Schluß" wird allerdings nur der bereits dargestellte „Schluß in der Idee" (Enz. §§ 575-577) benannt. Dieser ist formal genau durch ebendiese Struktur bestimmt, nämlich dadurch, dass jeder dieser Begriffe zugleich die Funktion der Mitte wie die der Extreme hat (wie dies ja auch a.a.O. durchgeführt wird; allerdings ist diese Durchführung ihrerseits „schlußförmig", i.e. sie hat eine logische Reihenfolge und muss diese wohl auch bewahren, damit aus der Verwechselbarkeit der Stellen keine Gleichgültigkeit und keine Bewegungslosigkeit wird, wie im mathematischen Schluss). Darüber hinaus ist er aber auch inhaltlich durch die Grundbegriffe des Systems, Idee, Natur und Geist bestimmt (dergestalt stellt dieser Schluss allerdings nur einen Fall, wenn auch den „namentlichen" bzw. höchsten Fall, des Vernunftschlusses dar). Dieser „absolute Schluß" ist somit der Form nach identisch mit dem in Enz. § 192 formulierten Endergebnis" des Schlusskapitels insgesamt, nicht aber mit irgendeiner der einzelnen darin explizierten Schlussformen, i.e. auch nicht mit dem disjunktiven Schluss. Er stellt also eine (spezifische) Schlussform jenseits der formellen Schlussformen dar. Insofern am absoluten Schluss die Form vom spezifischen Inhalt zu unterscheiden ist (oder besser: insofern nicht schon begriffen ist, dass alle Inhalte des spekulativen Denkens in Idee, Natur und Geist aufgehoben sind), die Form aber dazu tauglich sein muss,
Diese Art
von
-
-
15
Vgl. Burbidge (1981), tion."
192: „thus
symbolic logic
makes
explicit
the limitations of its
own
forma-
195
„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
allgemeinen Vorgehensweise des spekulativen Denkens durch alle seine Inhalte darzustellen, wird man diese allgemeine Form mit dem Vernunftschluss identifizieren dürfen, und dessen Explikation in der „absoluten Methode" suchen müssen. Diese präsentiert Hegel in GW 12, 237 nämlich als die allgemeine Form des Inhalts (der WdL, i.e. der spekulativen Begriffe). Als Schluss wird die absolute Methode ausdrücklich in
die
GW 12, 247
bezeichnet"6
Die absolute Methode als der Vernunftschluss Wenn also die eigentliche Vollendung des Schlusses in der absoluten Methode liegt, dann sollte sich auch ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen deren Gestalt und den Schlussformen der Schlusslehre aufweisen lassen denn die Vollendungsgestalt muss
in der Systematik der Hegeischen Philosophie bekanntermaßen die Vorgängergestalten in sich aufhebend bewahren und sich als deren spezifische Erfüllung zur Geltung bringen. Naheliegenderweise sollte sich ein Zusammenhang vor allem zu der letzten und innerhalb der subjektiven Schlusslehre höchsten Schlussform herstellen lassen: zum disjunktiven Schluss. Tatsächlich ist dies m.E. möglich. Der Zusammenhang ergibt sich sogar recht unmittelbar, wenn man beachtet, dass im reinen spekulativen Denken die Stoßrichtung des Schlusses, wie oben dargestellt wurde, umgekehrt wird nämlich vom erschließenden Fortschreiten zum abschließenden und zusammenschließenden Zurückführen auf den Begriff. Wenn man nun im disjunktiven Schluss die erste Prämisse zu Konklusion macht, dann ergibt sich ein Vermittlungszusammenhang der Form A-B-E, den man als den der absoluten Methode auslegen kann. Man folgt damit im übrigen auch der formalen Umformungsregel der Schlussfiguren ineinander (E-B-A zu B-E-A zu E-A-B), nach der B wieder zum Mittelglied werden müsste. Es ergibt sich also wieder die (Anfangs-)Figur A-B-E17. Der Kreis des Schließens schließt sich. Dies stimmt gut damit zusammen, dass die Form A-B-E tatsächlich das Einteilungsschema der Triaden des Hegeischen Systems abgibt. -
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1
merkwürdigen Sachverhalt, dass ein Begriff des Hegeischen Systems an seinem genuinen Systemort noch gar nicht seine volle Explikation erfahrt, gibt es mehrere strukturelle Parallelen, von denen allerdings wenige im Text ausdrücklich gemacht werden. In der Rph. z.B. wird das Gewissen in der Moralität eingeführt (§ 137 A). Dort aber kann es sich nur als uneigentliches GewisFür den
sen
bestimmen. Das wahre Gewissen
das dann auch nicht
zu
der Unfreiheit und Gedrücktheit
fuhrt, wie dasjenige in der Sphäre der Moralität kommt erst in der Sphäre der Sittlichkeit zur Gel-
tung. So informiert
in einer Anmerkung. Innerhalb der Sittlichkeit wird dann allerdings nichts Weiteres mehr weiter zum Gewissen ausgeführt und schon gar nicht zur spezifischen Form des wahren Gewissens. Eine weitere Parallele zu einem derartigen systematischen Sachverhalt gibt es beim Urteil, auch wenn dort das Verhältnis nicht so ausdrücklich angesprochen wird, wie in der Rph.: In der „Idee" stoßen wir auf das absolute Urteil, nämlich als sich Ur-teilen des Begriffs selbst (GW 12, 176). Auch hier scheint also erst später im System etwas vollständig eingelöst zu werden, das seinem Begriff nach seinen systematischen Ort schon früher hat. So ist es nicht vollkommend überraschend, dass auch das absolute Sich-Schließen, nämlich das Sich-Erschließen und SichAbschließen des Begriffs erst in der Idee (bzw. in der absoluten Idee als absoluter Geist) statthat. Bzw. E-B-A dass die Extremglieder vertauscht werden können, ist bekannt. uns
Hegel
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17
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Ein Grundproblem bei all dem ist freilich, dass über die Interpretation der absoluten Methode selbst große Uneinigkeit herrscht. Die Differenzen gehen so weit, dass von einigen eine dezidierte Mefhodenform, wie sie hier unterstellt wird, völlig abgestritten wird. Diese Frage zu erörtern ist hier nicht der Platz. Die folgende Interpretation beruht auf der Annahme, es gebe eine spezifische Methodenform des dialektischen Ganges, der grundsätzlich durch drei Stationen verläuft, nämlich die Unmittelbarkeit, die Vermittlung und die vermittelte Unmittelbarkeit oder „Aufhebung". Diese Stationen sind vermittelt durch Negation und doppelte oder „absolute" Negation. Die Trias SeinNichts-Werden ist die erste Instanz dieser Methodenform in der WdL.18 Besehen wir nun also trotz dieser Einschränkungen den disjunktiven Notwendigkeitsschluss hin auf einen möglichen Zusammenhang mit der dialektischen Methode als „vollkommenem Schluß". In beiden Fällen, im disjunktiven Schluss wie in dem der Methode, ist der Schluss als ganzer nichts als die Explikation der Totalität des Begriffs und jedes seiner Momente ist selbst „als die Totalität der Vermittelten" (GW 12, 125). Der Schluss ist im disjunktiven Schluss bereits an-sich, in der Methode an-und-fürsich nicht mehr eine äußerliche, subjektive Tätigkeit an den Begriffen, sondern die eigene Tätigkeit des Begriffs, die Bewegung der Sache selbst. Und so stellen sich in der absoluten Methode, ganz ähnlich wie im disjunktiven Schluss, die folgenden Glieder dar: Zum einen ein verschiedene sich negierende Momente in sich aufhebender Begriff; zum zweiten eines dieser Momente für sich alleine; und zum dritten das durch dieses Moment negierte Moment für sich alleine. Es stellt sich also ein komplexer Begriff in der Auseinanderlegung und im Zusammenschluss seiner Momente dar. -
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Erwähnung des Schlusses im Kapitel „die absolute Idee" selbst verwirrt in diesem Zusammenhang eher. Nur ein einziges mal verwendet Hegel in der Darstellung seiner Methode den Schluss als Explanans, und dies kurz und eher beiläufig, in der Art einer Anmerkung (GW 12, 246f). Er unterscheidet als die beiden Prämissen auch nicht die Beziehung des Unmittelbaren auf die Negation und dann diejenige der Negation auf die Aufhebung. Er legt stattdessen nach dem Schlussschema die beiden Negationen, die erste und die zweite (die Negation der Negation, die absolute Negation) auseinander. Dieser Aufgliederung tritt dann im nächsten Absatz das Unmittelbare noch hinzu, wodurch sich Hegel plötzlich vier Termini ergeben. Das Unmittelbare ist also in diese Schlussform nicht eingebunden, zumindest nicht vollständig. Dann ist der hier dargestellte Schluss aber offensichtlich nicht derjenige, der den ganzen Methodengang expliziert. Man gewinnt zudem, wie noch darzustellen sein wird, den Eindruck, dass Hegel den Schluss hier vom Urteil her konzipiert ganz im Gegensatz um Schlusskapitel. Die Negativen stellen nämlich an ihnen selbst Urteile dar und nicht, wie man sonst vermuten sollte, das Verhältnis des Negativen zum Unmittelbaren bzw. zum vermittelten Unmittelbaren. Weiter wird das erste Moment als das Allgemeine bezeichnet, das zweite, vermittelnde (sogar absolut vermittelnde), aber mit der Einzelheit identifiziert. Damit ergäbe sich als drittes Moment die Besonderheit und insgesamt der Schluss A-E-B, der Schluss der Reflexion also. Dies entspricht weder der allgemeinen Einteilung nach dem Schema A-B-E, noch dem Schluss der Notwendigkeit E-A-B. Allerdings scheint an dieser Stelle auch weniger die Frage des Schlussschemas im Vordergrund zu stehen, als vielmehr die von analytischem und synthetischem Urteil. Die erste Prämisse ist analytisch, die zweite synthetisch (wiewohl beide auch das jeweils andere Moment enthalten). Der Schluss ist daher insgesamt analytisch und synthetisch zugleich und verbürgt so echte spekulative Erkenntnis.
Auch die
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
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Allerdings beginnen die Methodenschritte in der Hegeischen Systementwicklung, wie bereits angedeutet, nicht wie im disjunktiven Schluss mit dem aufhebenden Begriff, sondern mit dem einen (dem positiven) seiner Momente. Die Prämisse A-E („A ist entweder B oder C"), i.e. die ausdrückliche gemachte konkrete Allgemeinheit des Begriffs steht dagegen am Ende der Methodenbewegung. Begonnen wird also mit A-B, i.e. der Gegebenheit eines positiven (Denk-)Sachverhaltes, dem dann E-B folgt, i.e. die Gegebenheit eines negativen (Denk-)Sachverhaltes. Das Urteil A-E ergibt sich erst auf diese hin, nämlich als Aufhebung ihrer Entgegensetzung in die Einheit des höheren Begriffs, in dem die Dynamik des gegenseitigen Ausschlusses aber zugleich bewahrt ist. Die Totalität der Disjunktion ist also nicht vorausgesetzt, sondern ergibt sich im Gegenteil gerade durch dem Prozess des Schließens und verliert so ihre Äußerlichkeit und Zufälligkeit gegen diesen. So zumindest scheint die Interpretation am schlüssigsten. Am Beispiel des Anfangsdreischritts der WdL sei dies kurz illustriert. Im reinen Denken steht zunächst nur „Sein". Damit ist freilich erst ein Begriff gegeben und noch kein Urteil, keine Prämisse. Man darf aber als Subjekt dasjenige ergänzen, was „Sein" seiner Allgemeinheit nach ist: Es ist Denken oder Gedankenbestimmung. Denn das reine Denken war ja der Ausgangspunkt. Alternativ bietet Hegel auch an, „das Absolute" als Urteilssubjekt einzusetzen (Enz. § 85). Hier ist aber nur entscheidend, dass man den bloßen Begriff überhaupt durch Ergänzung eines Subjekts zum Urteil erweitern darf wenn auch nur in der Reflexion und dass dieses Subjekt dann verhältnismäßig gegen das Prädikat das schiere Allgemeine ist.19 Also lautet die Prämisse: „das Absolute ist Sein" oder eben: „der Gedanke ist Sein", oder auch, da „das Absolute", „Gedanke" oder „reines Denken" noch nicht irgendetwas Gehaltvolles bezeichnen (können), sondern, um die bekannte Metapher zu verwenden, den schieren logischen Raum: [...] ist Sein. Wenn aber [...] Sein, reines Sein ist, dann folgt im spekulativen Denken etwas: [...] hat keinerlei Bestimmung, es ist ununterschieden gegen anderes und ununterschieden in sich etc. etc. (GW 21, 68f). Das Sein ist also nicht und nicht und nicht In die Leerstelle, so macht Hegel deutlich, kann aber schlechthin alles eingetragen werden, denn Sein als Sein ist nicht irgendetwas Spezifisches. Also ist das, was das Sein ist, i.e. die Gedankenbestimmung, die mit dem Denken von „Sein" im reinen Denken vorliegt, die Identifikation oder, wenn man will, die Erfüllung von [...] mit nichts. Die zweite Prämisse lautet: „Also ist [...] Nichts".20 Daraus ergibt sich als Konklusion „[...] ist Einheit von Sein und Nichts" allerdings ihre Einheit als die Einheit von „Sein oder Nichts" und „Sein also Nichts" bzw. -
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...
...
...
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Man kann freilich auch interpretieren, dass in der absoluten Methode der Schluss derjenige von Begriff, Urteil und Schluss selbst ist, dass also der „absolute Schluß" nicht mit einer urteilsförmigen Prämisse, sondern mit dem schieren Begriff beginnt (im Bsp. „Sein"), dann als zweite Prämisse das Urteil aufweist („Sein ist Nichts") und als conclusio den vollen Schluss („Sein ist in Nichts übergegangen, also ist Werden" bzw. „Werden ist übergehen von Sein in Nichts und Nichts in
Sein").
Hieraus
ergibt sich übrigens die Nominalisierung des „nichts": Das „nichts" ist dasjenige, was das [...] ist, i.e. was es vollkommen ausmacht; weil [...] aber ein Sachverhalt ist, wenngleich auch nur ein Denksachverhalt, i.e. eine Gedankenbestimmung, ist auch das „nichts" als Sachverhalt, als bestimmte Gegebenheit aufzufassen bzw. unmittelbar als solche im reinen Denken gegeben
Konrad Utz
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Übergangs inDamit ist nun [...] verstandenen Einheit ihrer die einander: Disjunktion. dynamisch erhält mithin ist selbst Als es einen es konkret bestimmtes Allgemeines, Begriff Begriff. normalen Namen, und zwar naheliegenderweise aus unserer Sprache. Der Name, der ist Einheit von Sein ist das Werden seiner Umgangsverwendung nach passt, „Werden": und Nichts in ihrer dynamischen Disjunktion. Abgesehen von der Veränderung der Reihenfolge ist als entscheidender Unterschied von disjunktivem Schluss und absoluter Methode zu vermerken, dass Negativität und Positivität im ersterem formal sind, i.e. dass sie sich gleichgültig gegen den Inhalt (die Disjunktionsglieder B, C, D) verhalten und nur die Urteilsform betreffen (i.e. das formale Verhältnis der Begriffe zueinander), während in der absoluten Methode Positivität und Negativität den Inhalt betreffen, nämlich die Begriffe (z.B. „Sein" „Nichts" oder „Identität" „Unterschied") determinieren (i.e. sie in ihrem inhaltlichen Verhältnis auseinander bestimmen). Die formale Negativität des Urteils erscheint daher in der Methode nicht (die zweite Prämisse lautet nicht: „[...] ist nicht Nichts"), die Negativität ist sozusagen in den Begriff selbst gewandert (im Bsp. in das „Nichts" bzw. den „Unterschied"). Daraus ergibt sich unmittelbar, dass es nur zwei Disjunktionsglieder gibt, denn diese sind ja durch die einfache, bestimmte Negation überhaupt erst bestimmt. Die einfache, bestimme Negation kann aber nur zwei Bestimmungen gegeneinander differenzieren. So ergibt sich mit der dargestellten Interpretation der Hegelschen Methode auf die Schlussform hin eine neue, der Art nach andere und höhere Schlussform, als Hegel sie in seinem Schlusskapitel darstellt, die aber dennoch deren höchste Form, den disjunktiven Schluss aufzunehmen imstande ist und so als ihre vollendende Aufhebung verstanden werden könnte. Da Hegel dazu selbst nichts ausführt, muss dies allerdings Mutmaßung bleiben. „Nichts, also Sein", also als die Einheit ihrer Abwechslung, bzw. ihres
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Schwierigkeiten einer Vollendung des Schlusses in der Idee Allerdings ergeben sich auch für die „Heilung" oder Vollendung der Schlussform in der absoluten Methode Probleme (ganz gleich, ob man sie sich nach dem eben vorgeschlaDie Prämisse „[...] ist Sein" entspricht also der zweiten Prämisse des (ersten) disjunktiven Schlus(A-B; in Hegels Beispiel „A ist [aber] B"), i.e. dem einfachen positiven Urteil über eines der Disjunktionsglieder. In diesem ist das allen Sätzen gemeinsame Subjekt ([...], „das Denken", „das Absolute") „als Bestimmtes" gesetzt (GW 12, 124). Die zweite Prämisse „[...] ist (also) Nichts" entspricht dann der Konklusion des disjunktiven Schlusses (E-B; „also ist A nicht C noch D"), i.e. dem einfachen negativen Urteil über das andere (bzw. die anderen) Disjunktionsglied(er), wobei die Negativität der Sache nach nichts anderes ausdrückt als das Ausschlussverhältnis gegen das erste Disjunktionsglied (also dessen bestimmte Negation). In diesem Satz ist das Subjekt „als ausschließende [...] Bestimmtheit gesetzt" (ebd.). Die Konklusion „Werden ist Einheit/Abwechslung von Sein und Nichts" entspricht der ersten Prämisse (A-E; „A ist entweder B oder C oder D"), i.e. dem komplexen oder ,kon-kreten' positiven Urteil über die Disjunktion als ganze. In ihr ist das Subjekt „Allgemeins und [zwar als] [...] in die Totalität ihrer Arten [bzw. allgemeiner: ihrer Disjunktionsglieder] besonderte allgemeine Sphäre" (ebd.). ses
„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
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genen Modell vorstellen möchte oder auf eine andere Weise). Sie beziehen sich auf die dargelegten drei grundlegende Mängel, die der Schluss im Abschnitt „die Subjektivität" aufweist und die selbstverständlich miteinander zusammenhängen. Die ersten beiden Probleme können behoben werden, allerdings nicht durch die Schlussform selbst und damit nicht in einer Weise, die den Schluss autonom macht und die unmittelbar die nichtidealistischen formalen Logiker überzeugt. Das dritte Problem kann nur durch eine Setzung behoben werden, die ihrerseits nicht mehr als vernünftig ausweisbar ist. Die Mängel des Schlusses im Abschnitt „die Subjektivität" sind: 1. In ihm ist nicht die Selbsthervorbringung, die Selbstbewegung und die Selbsterkenntnis des Begriffs gesetzt, also die wahrhafte Spekulativität. Auch im disjunktiven Schließen wird sowohl formaliter unterstellt, dass der Begriff überhaupt gegeben ist, als auch materialiter, dass der jeweilige, bestimmte Begriffe gegeben ist. Dies ist der Mangel des Schlusses bezüglich des Begriffs. 2. Im Schluss ist nicht das Prinzip von Teilung und Vermittlung, von Analyse und Synthese gesetzt, die „Seele" der Form und die Grundlage ihrer Notwendigkeit und Prozessualität also. Auch im disjunktiven Schluss ist nicht gesetzt, weshalb sich B, C und D ausschließen und weshalb sie in A vereinigt sind. Dies ist der Mangel des Schlusses bezüglich des Urteils. 3. Im Schluss ist nicht die vollständige Identität von Form und Inhalt gesetzt; es ist erst die Identität von Allgemeinheit und Besonderheit gesetzt, nicht aber auch die Identität der Einzelheit mit diesen. Dies ist der Mangel der Schlussform bezüglich des Zusammenschließens selbst. Beginnen wir mit dem ersten Punkt. Die Defizienz der ungesetzten Selbsttätigkeit im Schluss lässt sich als Mangel des An-und-für-sich-Seins des Begriffs in der Schlussform fassen. Dies wiederum lässt sich aus der Systematik des ersten Abschnitts der Begriffslogik erklären. Begriff, Urteil und Schluss stehen dort im Verhältnis des Schlusses des Daseins zueinander, nämlich in der Form A-B-E. Also kann der Begriff als das Allgemeine noch nicht als dasjenige auftreten, das sich selbst in Urteil und Schluss hinein setzt, nämlich absolut sich selbst ur-teilt und sich selbst in sich schließt. Diese Verhältnismäßigkeit ergibt sich erst in der Idee bzw. in der absoluten Idee. Der Mangel bleibt am Schluss allerdings auch dort bestehen. Er wird nicht dadurch behoben, dass der Schluss aufgewertet würde, sondern dadurch, dass er seine Stelle als Moment der Selbsttätigkeit des Begriffs, nämlich als das Formprinzip dieser Tätigkeit erhält. Das Inhalts- oder Bestimmungsprinzip ist demgegenüber das Sich-Urteilen, das Identitätsprinzip beider ist der Begriff als Idee. Die sich wissende Vernunft ist als Vernünftiges also nur insofern ein „Schluß und nur der Schluß", als dieser das formale Moment ihrer Selbsttätigkeit darstellt, dasjenige, worin sie selbst 1. resultiert, nämlich sich (selbst) als Ergebnis setzt; 2. worin sie sich absolviert, nämlich unendliche Selbstbewegung bleibt; und 3. worin sie ihre Absolutheit setzt, nämlich die Abgeschlossenheit in sich ihrer Konkretion durch deren Momente selbst setzt. Die anderen beiden Momente, das materiale wie das identifikative jedoch enthält der Schluss nicht in ihm selbst, sondern nur insofern er in der Einheit mit (spekulativem) Urteil und Begriff steht, wobei das Einheitsmoment selbst dem Begriff zukommt. -
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Der zweite Mangel des Schlusses liegt darin, dass er das Prinzip seiner Konkretion nicht in sich trägt. Die Differenzierung des Begriffs überhaupt nämlich gibt ihm das Urteil vor. Auch das formelle Urteil des ersten Abschnitts der Begriffslogik kann allerdings das Prinzip der Selbstdifferenzierung des Begriffs noch nicht liefern, denn auch dort ist die Selbsttätigkeit des Begriffs nämlich beim Urteil: als Selbstbestimmung noch nicht gesetzt. Dies ist erst im absoluten sich Urteilen der Idee der Fall. Und auch dort ist die Selbstdiremtion zunächst nur an sich gesetzt. Es ist nämlich noch nicht begriffen, worin sich dieses Urteilen absolut vollzieht. Diese Erklärung liefert die Methodendarstellung im Schlusskapitel der WdL. Hier wird der Schluss besprochen, und zwar diesmal nicht als ein Verhältnis von Begriffen, sondern als eines von Urteilen. Genau dieser Aspekt (wenn man will: die Betrachtung des Schlusses unter der Form 5-E-A) ist aber vonnöten, um das Prinzip der Selbstdiremtion des Begriffs im Urteil zu erfassen, um darin zugleich das Schlussprinzip der Einheit als Einheit der Selbstunterscheidung begreifen zu können. Der Schluss wird nämlich dargestellt als ein Verhältnis von einem analytischen und einem synthetischen Urteil. So wird in die Schlussform genau das eingesetzt, was ihr nach dem zweiten Mangel fehlt: das Prinzip von Auseinanderlegung und Zusammenschluss der Begriffe im Schluss selbst. Damit wird die doppelte Zufälligkeit der Bestimmtheit der Begriffe im Schluss einerseits und ihrer bestimmten Bezogenheit aufeinander andererseits behoben. Das Prinzip dieses absoluten Urteilens ist, wenig erstaunlich, die Negation. Sie ist es einmal als bestimmte Negation und einmal als synthetische Negation der Negation oder absolute Negation. Wiederum gilt, dass der Mangel des Schlusses dergestalt nicht am Schluss selbst behoben wird. Anstelle dessen wird in den Schluss dasjenige eingesetzt, was ihm fehlt: das autonome, ursprüngliche, absolute Urteil also dasjenige Urteil, das sich nicht, wie im ersten Abschnitt der Begriffslogik, in die Schlussform hinein auflöst, indem in dem einen Urteil die Kopula zum Begriff wird, sondern dasjenige Urteil, das in der Schlussform einsetzt, indem die Beziehungen der Extreme auf die Mitte als zwei ursprüngliche Urteile verstanden werden. Der Schluss muss deshalb immer eine tote Form der Vernünftigkeit bleiben, solange das Prinzip seiner Lebendigkeit, die Negation nicht begriffen ist. Die Behebung des ersten und des zweiten Mangels des Schlusses kann selbstverständlich dann in den Schluss selbst integriert werden, wenn dargelegt wird, dass Begriff, Urteil und Schluss im Grunde in Identität stehen, dass sie notwendig gegebene und notwendig differenzierte Momente der einen Vernunft sind. Wenn dann diese Vernunft und mit ihr das Prinzip ihrer Selbstdiremtion wieder als Schluss begriffen werden kann, dann ist der Mangel des Schlusses an ihm selbst behoben. Ganz fraglos ist dies die Strategie Hegels, denn der Schluss ist ja nichts anderes als der in seine Momente auseinandergesetzte, also sozusagen der „geurteilte" Begriff. Allerdings gerät man so auf ein Voraussetzungsproblem: Wenn man den Schluss schon von vornherein als dasjenige ansetzt, das Begriff und Urteil durch sich selbst hervorbringt, dann ist das Resultat, dass der Schluss sich durch sich selbst Inhalt gebe und objektiv werde, bereits vor-
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GW 12, 247: dem Schluss „im formellen Sinne [...] fehlt [...] das wesentliche, dialektische Moment, die Negativität". Auf dieses Moment leitet auch das Resümee aus der Schlusslehre in Enz. § 192 hin. Vgl. auch GW 21, 38.
Vgl.
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
ausgesetzt und alle Nichtidealisten werden sagen, dass ein solche Schluss mit demjeni-
gen logischen Schließen, dem sie uneingeschränkte Gültigkeit zugestehen, nichts zu tun hat. Will man aber aus dem formalen Schluss der Hegeischen Schlusslehre erst noch auf den absoluten Schluss der dialektischen Methode kommen, dann muss man Begriff und Urteil in Anspruch nehmen. Diese können nur dann zusammen mit dem Schluss in die eine und damit absolute und objektive Vernunft integriert werden, wenn die Vernünftigkeit von Begriff und Urteil unabhängig von der des Schlusses schon feststeht wenn es also reine Vernunftbegriffe und -urteile gibt. Dafür mag Hegel gute Argumente anbieten, aber sie stammen dann klarerweise nicht mehr aus dem Schluss und dessen logischer Stringenz. Bleibt noch die mangelhafte Inhaltlichkeit des Schlusses zu betrachten. Dieser Mangel betrifft wie bereits angedeutet nicht nur den Schluss, sondern auch Begriff und Urteil im Abschnitt „die Subjektivität" der Begriffslogik. Auch sie werden dort noch formell betrachtet. Zur wahrhaften Selbstgegebenheit gelangt das Denken erst in der Idee eben durch seine Selbsttätigkeit, die oben besprochen wurde. An dem Schluss ist der Mangel der Zufälligkeit seines Inhalts allerdings besonders eklatant, weil er gerade die Aufgabe des Zusammenschließens seiner Momente oder des Setzens der Einheit des Begriffs mit seinen Momenten hat. Er ist also Vollbringer der Identität von Form und Inhalt oder sollte es sein. Tatsächlich erfüllt die Schlusslehre diese Aufgabe ja auch zum Teil, indem sie nämlich im disjunktiven Schluss zumindest Allgemeinheit und Besonderheit in Übereinstimmung bringt. Damit steht allerdings die grundlegendere der Vermittlungen des Allgemeinen mit den übrigen Begriffsmomenten noch aus: diejenige mit der Einzelheit und damit die Vermittlung des Begriffs mit der Wirklichkeit, die bekanntlich die Idee ausmacht. Insofern insinuiert die Einleitung der Schlusslehre in Enz. ein Versprechen, das der Schluss nicht einlöst: In ihm ist zwar die Einheit von Begriff und Wirklichkeit an sich (nämlich der Form nach) gegeben, aber nicht an und für sich -
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gesetzt.
Damit tut sich aber ein grundlegenderes Problem der WdL auf. Die Wahrheit, nämlich die volle Identität von Begriff und Wirklichkeit ist noch gar nicht unbedingt dann erreicht, wenn eine erste Identität von Form und Inhalt gegeben ist. Es ist nämlich möglich, dass es sich erst um eine Identität von A und B handelt, aber noch nicht um eine von A, B und E. Um es weniger formell auszudrücken: Die autonome Inhaltlichkeit der Allgemeinheit oder die Selbstgegebenheit des Begriffs beginnt bereits dann, wenn eine Form als allgemeine sich selbst als besondere enthält. In diesem Verhältnis ist aber immer noch nur Form gegeben, nämlich einmal allgemeine und einmal besondere allgemeine Form. Die zweite Form stellt zwar Inhalt dar, insofern sie in der ersten enthalten ist; aber sie stellt erst formellen Inhalt dar, nämlich allgemeine Bestimmung des Inhalts, nicht einzelne. Damit ist aber die Form noch nicht autosuffizient, noch nicht tatsächlich in sich abgeschlossen, denn immer ist sie noch auf eines bezogen, das ihr nicht integriert ist und das ihr damit zufällig bleibt und zufallen muss: das Einzelne. Logische Formen können also durchaus schon dadurch Inhalt haben, dass sie selbst wiederum logische Formen enthalten. Und sie können darin sogar in gewissem Sinn autonom sein, dass sie mit ihnen als ihren Momenten straktural identisch sind. Es ist dann aber immer noch nicht ausgemacht, auf welche Einzelnen sich diese Formen
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wahrhaft beziehen und deshalb ist noch nicht gewährleistet, dass das Denken in dieser ersten Identität absolut ist. Dies bedeutet: Solange die Form-Inhalt-Identität nur für A-B, nicht aber für A-B-E gilt, stellt die WdL eine bloß transzendentale Logik zu mannigfaltigen zufälligen einzelnen Inhalten dar, wie auch die Kantische. Ihr einziger allerdings beträchtlicher Vorteil gegenüber der Kantischen ist der, dass wenigstens die Bestimmung dieser Formen und ihrer Beziehungen zueinander nicht mehr zufällig ist.23 Es besteht allerdings die Gefahr, dass die erste Selbstreflexivität der Form und ihre relative Autosuffizienz in dieser darüber hinwegtäuscht, dass die Form noch nicht wahrhaft selbständig ist, nämlich zwar intern nur sich selbst voraussetzt, aber zur Operationalisierung ebendieses Selbstvoraussetzens bzw. Selbstbegründens und Selbstsetzens eines anderen, ihm Zufälligen bedarf. Oder einfacher: der Hinweis darauf, dass die Form sich selbst Inhalt sein kann, genügt noch nicht dazu, sie letztgültig zu autonomisieren. Wenn also auf der Höhe des Abschnitts „die Subjektivität" die notwendige Beziehung auf die Einzelheit selbst am Ende, im disjunktiven Schluss noch fehlt, dann stellt sich die Frage, wodurch sie erreicht werden kann. Es stellt sich nämlich nun das Problem, dass der Mangel nicht mehr durch Begriff oder Urteil behoben werden kann, wie bei den ersten beiden Mangelhaftigkeiten. Nicht nur, dass diese mit ihrem Einsatz bei den vorherigen Mängeln bereits systematisch aufgebraucht sind. Es hatte sich ja bereits zu Anfang der Schlusslehre ergeben, dass ihre spezifische Aufgabe das Zusammenschließen der Momente in die Einheit ist. In der Enz. wurde diese Aufgabe sogar ausdrücklich hin auf den Zusammenschluss von Begriff und Wirklichkeit spezifiziert. Es ist also die eigene Funktion des Schlusses, die er nicht vollständig erfüllen kann. Systematisch betrachtet kann die Schlusslehre die Aufgabe schon deshalb nicht integrieren, weil sie selbst noch Teil des formellen Begriffs ist. Im formellen Begriff ist aber zugrundegelegt, dass der Begriff „nur" Begriff ist und nicht auch selbst schon Wirklichkeit. Es steht also dasjenige noch gar nicht konzeptuell zur Verfügung, worauf sich das vollständige Zusammenschließen des Begriffs mit sich selbst im Schluss beziehen könnte: die Einzelheit als solche. Diese muss also erst noch im Gang des reinen Denkens hergestellt werden bzw. dieser muss sich zu ihr hin entwickeln. Genau dies geschieht im Überschritt zum Abschnitt „die Objektivität". In ihr bringt sich dann zwangsläufig das zur Geltung, was dem Schluss als in der Sphäre des formellen Begriffs behaftet als Mangel anhing: die Zufälligkeit einerseits und die Formalität des Notwendigkeitszusammenhangs, das Mechanische des Schließens andererseits. Aus diesen muss sich die Objektivität erst wieder zum Begriff erheben oder sie muss den Begriff, dessen Fürsichsein sie darstellt, zum An-und-für-sich-Sein entwickeln. Dieses erreicht die Entwicklung bekanntlich in der Idee. Auch in der Idee ist die Einzelheit zunächst allerdings noch als zufallige Individualität gegeben, wenn diese nun auch an ihr selbst begrifflich entwickelt ist. Und dies bleibt so bis zu Idee des Erkennens. In der Idee des Guten ist der Mangel der Zufälligkeit behoben, allerdings fehlt dort wiederum, dass die Einzelheit bzw. Wirklichkeit des Begriffs vollgültig Wirklichkeit sei, „daß nämlich das Moment der Wirklichkeit im Begriff für sich die Bestimmung des äußerlichen Seins erreicht hätte" (GW 12, 233). Das Gute -
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Unter diesem
Gesichtspunkt hat etwa Hartmann (1999) die WdL interpretiert.
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„Alles Vernünftige ist ein Schluss"
soll noch verwirklicht werden. Erst in der absoluten Idee ist also erreicht, was sich als Mangel des Schlusses gezeigt hatte, die volle Übereinstimmung des Begriffs mit sich in all seinen Momenten A, B und E und damit die vollständige Identität seiner mit seiner Wirklichkeit. Und folgerichtig ist die absolute Idee und nur sie ,¿ich wissende Wahrheit und [...] alle Wahrheit" (GW 12, 236). Womit ist aber so die Stelle der Einzelheit ausgefüllt nämlich in der Weise ausgefüllt, dass die Allgemeinheit sich auf sich selbst nicht nur als Besonderes bezieht, sondern auch auf Einzelnes? Die Antwort ist banal, und auch Hegel beansprucht nicht, dass in ihr irgendein Überraschungsmoment liege: Es ist die Form, nämlich der Begriff selbst. Insofern hat es tatsächlich der Schluss selbst zuwege gebracht, sich auch noch mit seinem letzten Moment, dem der Einzelheit zusammenzuschließen nämlich darin, dass er sich selbst zunächst zur schieren Einzelheit entwickelt hat. Dies bedeutet nun aber, dass die volle Wahrheit der WdL auf eine einzige Einzelheit beschränkt ist: auf die Einzelheit der Begriffsform selbst. Selbstverständlich stellt die Form des Begriffs als solche auch ein Einzelnes dar, der Begriff des Begriffs ist auch ein Begriff, ein Etwas. Aber wenn dem so ist, dann ist der Begriff selbst der einzige Inhalt, mit dem der Mangel des Schlusses und damit der Mangel der Vernunft behoben ist. Der Mangel der Vernunft, dass sie formell ist und dass ihr der Inhalt zufällig bleibt, ist nur in demjenigen Gedanken behoben, in dem die Vernunft sich selbst denkt und zwar sich selbst denkt in ihrer Formalität und Allgemeinheit. Eben dieser Gedanke ist die absolute Idee. Für alle anderen einzelnen Inhalte muss die Hegeische Logik ein transzendentales System bleiben. Zutreffend ist freilich, dass die absolute Wahrheit auf diesen Gedanken beschränkt bleiben muss. Für alle anderen Inhaltsbeziehungen als die Selbstbezüglichkeit der Form bleibt ein Moment der Zufälligkeit des Inhalts gegen die Form erhalten. Wenn nun aber die absolute Idee alle Wahrheit sein soll, also auch die Wahrheit über anderes Einzelnes als sie selbst, dann kann sie dies nur in der Weise sein, dass diejenigen Formen, unter denen auch das zufällige Einzelne formiert ist, in ihr die volle Wahrheit haben, nämlich nicht nur transzendentale Formen sind. Für die Angemessenheit der Formen und Begriffe für andere Einzelne als sie selbst kann die absolute Idee nichts Wenn also dass die absolute Idee auch in dem Sinn alle Wahrheit dass es Hegel behauptet, sei, ihrer keine Wahrheiten dann den Wahrheitscharakter zufällimuss er jenseits gibt, gar ger Wahrheiten, nämlich den Wahrheitscharakter des Erkennens und Begreifens des -
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austragen.25
Insofern ist es dann tatsächlich richtig, dass der „absolute Schluß" nur derjenige von Idee, Natur und Geist ist, s.o., i.e. dass die Gültigkeit der allgemeineren Methode beschränkt ist auf die Selbstgegebenheit des Denkens in Idee und Geist, was allerdings wiederum die (Se\bst-)Gegebenheit, damit aber die Natürlichkeit des Denkens voraussetzt. Der „absolute Schluß" von Idee, Natur und Geist wäre also, gegen Hegels Intention, nicht dadurch ausgezeichnet, dass er der höchste, alles einschließende ist, der die volle intellektuelle Kraft des objektiven Idealismus offenbart, sondern dadurch, dass er der einzige ist, den das rein spekulative Denken erreichen kann (und noch nicht einmal das allein aus eigener Kraft), der also die Machtlosigkeit und Beschränktheit des objektiven Idealismus offenbart. Zugegebenermaßen ist dies für die Real- und Geistphilosophie etwas differenzierter darzustellen. Der Grundsachverhalt ändert sich aber auch dort nicht.
Konrad Utz
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Einzelnen abstreiten oder wenigstens depotenzieren. Dies tut er auch mehrfach ausdrücklich. Allerdings gibt die Wissenschaft der Logik diese Depotenzierung selbst nicht her. In ihr selbst taucht die Wahrheit des Zufällig-Einzelnen zwar nicht auf, aber nur deshalb, weil sie in der WdL nicht auftauchen kann. Dies ist nach deren Konstitutionsprinzip als reinem Denken ausgeschlossen. Aber sie kann deshalb intern auch kein Urteil mehr über die Wahrheiten jenseits der Wahrheit der absoluten Idee fallen. Der Ausschluss des dem Denken Zufälligen aus der Wissenschaft der Logik muss vor dieser Wissenschaft liegen, denn er konstituiert sie. Damit kann der Ausschluss selbst aber nicht wissenschaftlich sein und die Beschränkung der Wahrheit auf die Wahrheit der absoluten Idee ist nicht eine Wahrheit, die die absolute Vernunft belegen könnte. Die Mangelhaftigkeit des Schlusses lässt sich nicht dadurch beheben, dass man all diejenigen Fälle, in denen er sich zeigt, aus der Wahrheit ausschließt, denn zu diesem Ausschluss taugt der Schluss nicht. Der Mangel des Schlusses bleibt der Mangel der Vernunft: dass sie dann, wenn sie absolut sein will, sich auf sich selbst beschränken muss. Der Reichtum, der der Vernunft in dieser Selbstbeschränkung noch aufscheint ist nur die Diversität von leeren Formen. Der Gehalt bleibt immer ein einziwenn auch immerhin transzendentalen sich selbst kann das Denken sich absolut die schiere in Nur Selbstgegebenheit. ger: abschließen. Dass dieser Abschluss in sich selbst vielleicht möglich ist, zeigt die Hegeische Philosophie auf. Ob wir ihn wählen wollen, das müssen wir als denkende Wesen selbst entscheiden. (- Und vielleicht liegt in dieser Entscheidung die einzig wahrhafte Autonomie des Denkens).
zufälligen
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Literatur
Burbidge, J. W.: On Hegel's Logic. Fragments of a Commentary, New Jersey 1981. Hartmann, K.: Hegels Logik, hg. v. O. Müller, Berlin/New York 1999. Krohn, W.: Die formale Logik in Hegels Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zur Schlußlehre, „
München 1972. Schick, F.: Begriff und Mangel des formellen Schließens. Hegels Kritik des Verstandesschlusses, in: A. F. Koch u. a. (Hg.): Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik", Paderborn 2003, 85-100. Utz, K.: Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der Wissenschaft der Logik", Paderborn 2001. „
Dass letztlich noch nicht einmal dieser interne Abschluss zuweisen versucht.
möglich ist, habe ich in Utz (2001) nach-
Anton Friedrich Koch
Die Problematik des
Objektivität
Übergangs von der Schlusslehre zur
Alle Übergänge in der Hegeischen Logik sind schwierig, und derjenige, dessen Problematik mein Thema bildet, von der Schlusslehre zur Objektivität, macht keine Ausnahme. Im Gegenteil, an ihm entscheidet sich, ob die Wissenschaft der Logik kurz vor ihrem Abschluss auf Abwege gerät oder ob sie ein gutes Ende nehmen kann. Dass sie auf Abwege gerät, auf metaphysische Abwege, nachdem sie bis dahin eine fruchtbare Theorie logischer Formen war, ist die Position, die Friedrike Schick in ihrem Buch über Hegels Wissenschaft der Logik vertritt.1 Ich möchte hier nicht die Gegenposition beziehen, sondern nur fragen, unter welchen vielleicht kontrafaktischen Bedingungen eine optimistischere Sicht zu rechtfertigen wäre. Welche Anforderungen müsste eine Theorie erfüllen, die nach besagtem Übergang vom Schluss zur Objektivität noch ungefähr so fortfahren dürfte, wie die Hegeische Logik es wirklich tut? Dass Hegels eigene Theorie diese Anforderungen erfüllt, ist zwar meine theoretische Hoffnung, mag aber dahingestellt bleiben. Auf metaphysische Abwege zu geraten, hieße für die Logik, dass sie von kritischer Darstellung der Metaphysik, die sie nach allgemeiner Einschätzung in ihren ersten beiden Teilen, als Seins- und Wesenslehre, ist (oder auch ist), zu affirmativer metaphysischer Theoriebildung überginge. Nun ist der Terminus „Metaphysik" sehr weit so weit, dass Theoreme unter ihn fallen mögen, gegen die gar nichts einzuwenden ist. Wo also liegt die Grenze zwischen akzeptabler und inakzeptabler Metaphysik, wo genau beginnen die metaphysischen Abwege? Ich werde im folgenden dafür plädieren, dass eine akzeptable Metaphysik sich durchaus in Letztbegründung versuchen und sich als eine Theorie des Absoluten verstehen darf. Nicht hingegen darf sie einem Dualismus von Begriffsschema und außerlogischem Gehalt das Wort reden, also einem Dualismus des Typs, den Davidson als das dritte und finale Dogma des Empirismus kritisiert hat.2 Dieses Plädoyer entspricht auch dem Hegeischen Selbstverständnis. Ein Begriffsschema würde das Denken begrenzen, es endlich oder unfrei machen. Wenn das seins- und das wesenslogische Denken tatsächlich allenthalben an kategoriale Grenzen stößt, so ist es gerade der Triumph der Hegeischen Theorie, das Denken aus der seins- und wesenslogischen Enge und Not-
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Schick (1994). Vgl. Davidson
(1984).
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wendigkeit zum Begriff zu befreien.
Anton Friedrich Koch
Auch aus Hegels Sicht wird eine Kategorienlehre also nicht als affirmative, sondern nur als kritische Darstellung akzeptabel sein können; und in der Tat macht sich die Hegeische Logik anheischig, auf systematische Weise zu zeigen, dass die Kategorien des Seins und die Bestimmungen des Wesens nicht geeignet sind, das Absolute zutreffend zu charakterisieren. Die Zielsetzung, das Absolute zu begreifen, gibt sie indes nicht preis, sondern beruft sich vielmehr auf sie gegen metaphysische Kategorienlehren, d.h. gegen das Dogma eines Dualismus von Begriffsschema und Gehalt. Eine positive Theorie des Absoluten kann sie dann selber aber nur auf indirekte Weise sein; und so ist es einem Absoluten auch angemessen, welches sich auf dem Weg über unsere Theorie zugleich als Subjekt begreifen soll. Nach dieser kurzen Abschweifung und Vorwegnahme kehre ich zum Ausgangspunkt zurück. Friedrike Schick akzeptiert die Wissenschaft der Logik als Theorie logischer Formen, nicht jedoch als Theorie des Absoluten. Eine Version des Dualismus von Schema und Gehalt brauchen wir hier nicht zu befürchten, denn die logischen Formen sollen dem Realen keineswegs als äußere Zutaten gegenübergestellt werden. Für den Übergang zur Objektivität indessen ergibt sich die schon erwähnte Konsequenz, dass mit ihm die Logik ihr glückliches Ende erreichen würde. Die beiden letzten Abschnitte der Begriffslogik, in denen die Formen der Objektivität und die Idee betrachtet werden, werden so zu einem überflüssigen und irreführenden Anhang, in welchem eine inakzeptable Theorie des Absoluten sich mit vorzeitiger Realphilosophie mischt. Auch ich glaube, dass die Hegeische Gesamtkonzeption nicht aufgehen kann, so wenig wie irgendeine philosophische Gesamtkonzeption. Es wird wohl kein Zufall und kein bloßes Missverständnis gewesen sein, dass man alsbald nach Hegels Tod damit begann, die Rechte des Individuellen, Zufälligen, Nichtidentischen gegen sein System geltend zu machen. Wenn das Wahre das Ganze und Heile ist, so ist ebenso sehr das Ganze und Totale auch das Unwahre. Aber ich möchte bis auf weiteres versuchen, an der Logik festzuhalten und das Scheitern des Systems möglichst weit nach hinten zu schieben, in die Realphilosophie. Ob diese Strategie zum Ziel führt, weiß ich nicht, weil dies von vielen Einzelfragen abhängt, den Gang der Logik betreffend, auf die ich noch keine Antwort habe. Insofern sind die nachfolgenden Ausführungen eher programmatischer Natur. Stellen wir uns einmal probeweise auf den Standpunkt, dass die Logik mit dem Übergang zur Objektivität tatsächlich schon ihr gutes, bestmögliches Ende erreicht. Sie bestünde also aus der objektiven Logik und dem subjektiven Teil der Begriffslogik. Als objektive Logik wäre sie, nach wie vor, eine kritische Darstellung der kategorialen, einschließlich der wesenslogischen Formen, die in eine affirmative Betrachtung des Begriffs mündete. Schon hier dürfte man ihr gutes Ende erwarten, wenn nicht innerhalb des Begriffs ein Rückfall, sogar in seinslogische Verhältnisse, einträte, nämlich im sogenannten Selbstverlust des Begriffs und in seiner ursprünglichen Teilung in zwei Seiten, die zunächst durch das unmittelbare Sein verbunden sind, das die Kopula des Urteils ausdrückt. Durch den Rückfall wird eine weitere kritische Darstellung möglich, dieses Mal eine Darstellung der formallogischen Formen, die am Urteil und am Schluss vorkommen. Wie die Kritik der Kategorien sich in den Begriff hinein aufhob und sich in ihm affirmativ vollendete, so würde sich nun die Kritik der formallogischen Formen
Die Problematik des Übergangs von
der
Schlusslehre zur Objektivität
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im Gedanken der an und für sich seienden Sache, also der Objektivität, affirmativ vollenden. Eine weitere Klasse logischer Formen, die noch der Kritik und Vollendung harrte, gibt es nicht. Auch aus diesem äußeren Grund liegt es nahe, die Logik mit dem Gedanken der Objektivität enden zu lassen. Ganz unabhängig von der Frage, ob sie tatsächlich hier endet, lässt sich die Urteilsund Schlusslehre im ganzen als eine kritische Theorie unserer diskursiven Wahrheitsansprüche interpretieren. Als Ansprach wäre Objektivität demnach von vornherein mit von der Partie, denn in unseren Urteilen beanspruchen wir ganz allgemein, dass es sich unabhängig von unserem Urteilen, also an und für sich bzw. objektiv, so verhalte, wie wir jeweils urteilen. Nicht dadurch, dass wir einem Einzelnen eine allgemeine Bestimmung zusprechen, hat das Einzelne die betreffende Bestimmung, sondern wenn es objektiv die Bestimmung hat, die wir ihm zusprechen, so ist unser Wahrheitsansprach eingelöst, unser Urteil wahr. Dies ist unsere informelle Objektivitätsthese bzw. der realistische Aspekt unseres vortheoretischen Verständnisses von Wahrheit. Natürlich ist es nicht Aufgabe der logischen Theorie, einzelne Wahrheitsansprüche zu bewerten. Wohl aber wäre es die Aufgabe der hier betrachteten Theorie, unsere informelle Objektivitätsthese zu prüfen, d.h. kritisch unseren allgemeinen Ansprach zu untersuchen, dass wir in unseren Urteilen grundsätzlich die Sache an und für sich treffen, auch wenn wir uns im Einzelfall bisweilen täuschen mögen. In Hegels Konzeption wird dieser Ansprach durch die verschiedenen Formen des Urteils hindurch verfolgt, nämlich durch die jeweils drei Formen des Urteils des Daseins, des Urteils der Reflexion, des Urteils der Notwendigkeit und des Urteils des Begriffs. Dabei zeigt sich, dass sich der allgemeine Wahrheitsansprach des Urteils jedenfalls nicht in der Weise einlösen lässt, wie ein naiver Realismus sich dies vorstellen mag. Die erste Form des Urteils des Daseins ist bekanntlich das positive Urteil, in welchem einem abstrakt Einzelnen eine abstrakt allgemeine Bestimmung zugesprochen wird: „E ist A". Ein naiver Realismus würde hier annehmen, dass ein Urteil dieser Form dann und nur dann wahr ist, wenn es ein Einzelnes, E, und ein Allgemeines, A, gibt, derart, dass A dem E inhäriert. Durch die Beziehung der Inhärenz würden die selbständigen Entitäten E und A also zu einem Komplex verbunden, der ein sogenannter Wahrmacher des Satzes „E ist A" wäre. Natürlich ist nicht jede Position naiv zu nennen, die sich ontologisch auf Universalien festlegt. Es lassen sich im Gegenteil sehr subtile Gründe für allerlei Versionen des Universalienrealismus anführen. Nichtsdestoweniger zeigt Hegels Logik des Urteils, wenn sie denn haltbar ist, dass auch der subtilste Universalienrealismus insofern scheitert, als er an der falschen Stelle nach der Einlösung des allgemeinen Wahrheitsanspruchs des positiven Urteils sucht. Mit dem Wahrheits- und Objektivitätsversprechen des Urteils ist es wie mit einem Schuldschein, der erst lange von einer Hand zur nächsten wandert, bevor der Gläubiger sein Geld erhält. Das positive Urteil verweist für die Einlösung seines Wahrheitsansprachs auf das negative Urteil, dieses auf das unendliche Urteil und so fort, bis schließlich im apodiktischen Urteil die Bipolarität des Urteils als solche sich zugunsten der Triplizität des Schlusses auflöst bzw. aufhebt. Dass erst der Schluss halten kann, was das Urteil verspricht, muss uns nicht verwundern; denn Urteile bedürfen der Begründung durch Schlüsse. Für den Schluss, den Syllogismus, aber stellt sich nun die Realismusfrage von neuem. Wenn die Realität -
Anton Friedrich Koch
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keine bipolare, propositionale Struktur hat, dann vielleicht eine triadische, syllogistische. Es zeigt sich aber, dass der Gläubiger mit dem Übergang vom Urteil zum Schluss zunächst nur eine Banknote für den Schuldschein erworben hat, die ihrerseits von Bank zu Bank wandert, bevor sie in barer Münze ausgezahlt wird. Der Schuldschein in diesem Bild ist das Urteil, die Banknote der Schluss, und die verschiedenen Stationen sind die verschiedenen Formen des Urteils bzw. des Schlusses. Die Auszahlung schließlich erfolgt mit dem Übergang vom disjunktiven Schluss zur Sache an und für sich, d.h. mit dem Übergang von der Schlusslehre zur Objektivität. In der Sache selbst, dem Objekt, ist die propositionale Form des Urteils und ist die syllogistische Form des Schlusses aufgehoben im negativen wie im positiven Sinn. Im negativen Sinn, denn das Objekt ist keine propositionale Verbindung in rebus zwischen einem Einzelnen und einem Allgemeinen und auch keine syllogistische Verbindung zwischen einem Einzelnen und einem Allgemeinen durch die Vermittlung eines Dritten, nämlich eines Besonderen. Insoweit ist dem Anliegen des Nominalismus Genüge getan. Aufgehoben ist die propositional-syllogistische Form allerdings zugleich im positiven Sinn, denn jedes Objekt ist auch ein Urteil: Einheit eines Einzelnen und seines Gattungsallgemeinen, bzw. ein Schluss: Einheit eines Einzelnen durch sein Besonderes mit seinem Gattungsallgemeinen. Insoweit trifft der Universalienrealismus zu. Aber in der Einheit des Einzelnen mit seinem Gattungsallgemeinen gibt es keine Inkongruenz mehr zwischen diesen Seiten. Keine ragt mehr über die andere hinaus, sondern sie sind vollständig zur Deckung gekommen. In diesem Sinn hat die Realität keine propositionale oder syllogistische, keine diskursive Form. Gleichwohl ist sie begreifbar, begriffsförmig: konkrete Einheit der drei Begriffsmomente. Sojedenfalls sollte es sich verhalten an der Schnittstelle von Schluss und Objektivität. Und damit könnte die Wissenschaft der Logik ihr gutes Ende genommen haben. Faktisch aber geht sie weiter, und wir fragen: Mit welchem Recht? Um der Antwort näher zu kommen, wenden wir uns nun zurück an den Anfang, ja noch weiter zurück zu den Methodenfragen, die wir vor dem Anfang zu erwägen haben. Das Prinzip für uns ist der Entschluss, rein denken zu wollen, d.h. das Interesse an einer streng voraussetzungslosen Theorie. Sofort stellen wir jedoch fest, dass wir das Ziel nicht erreichen können, jedenfalls auf keinem direkten Weg. Denn wir sind endliche Theoretiker und notwendigerweise befangen in vielerlei Voraussetzungen, von denen wir immer nur einzeln absehen können, nicht aber von allen auf einmal. Dies ist der systematische Punkt, an dem wir unsere ehrgeizige Zielsetzung nominell ermäßigen müssen, um auf einem Umweg womöglich doch noch ans Ziel zu gelangen. Da wir selber nicht voraussetzungslos zu denken vermögen, lassen wir uns durch ein möglicherweise fiktives reines Denken vertreten, das per defmitionem voraussetzungslos beginnt und auch ohne weitere Voraussetzungen fortfährt. Wir müssen damit rechnen, dass dieses Denken ein reines Konstrukt ist und bleibt, ja auch damit, dass wir in seiner Konstruktion nicht weit kommen, weil wir Unmögliches wollen. Im erwünschten Fall aber lässt sich die Konstruktion durchführen, im günstigsten Fall sogar bis zu dem Punkt, an dem wir in dem vermeintlichen Konstrukt unser eigenes Denken wiedererkennen, das sich somit in sich selbst rekonstruiert hätte. Zweifellos meint Hegel, der günstigste Fall trete ein. Die absolute Idee, mit der er die Logik enden lässt, hat zum Inhalt die Methode der Logik -
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und damit die logische Theoriebildung selber, die also den logischen Inhalten nicht äußerlich bleibt, sondern sie als abschließender Inhalt krönt. So würde sich unsere Hintergrandtheorie (des reinen Denkens) mit derjenigen Objekttheorie (des Absoluten), welche das reine Denken selber ist, am Ende zusammenschließen. Und hier finden wir schon ein zugegeben: äußerliches Motiv, die Logik nicht mit der erreichten Objektivität, sondern erst mit der absoluten Idee abzuschließen. Man kann zeigen, dass der erwünschte Fall jedenfalls insoweit eintritt, als sich ein reines Denken konstruieren lässt, das im großen und ganzen den Prinzipien gehorcht, die in der Wissenschaft der Logik (der Theorie) bzw. der Wissenschaft der Logik (dem Buch) am Werk sind. Ein reines Denken muss sich anfänglich auf einen alternativlosen und singulären, dabei unbestimmten und unmittelbaren Gegenstand beziehen, also auf den logischen Raum selber oder das Absolute, gedacht als reines, homogenes Sein. Man kann zweitens zeigen, dass dieser einfache Gehalt des Denkens von dem Akt, in dem er gedacht wird, und dem Akteur, der den Akt vollzieht, nicht ablösbar ist. Das reine Denken fallt am logischen Anfang also mit seinem Gegenstand, dem reinen Sein, nahtlos zusammen. Auf ganz unmittelbare, abstrakte, unentwickelte Weise ist unter der Hand also schon zu Beginn dem Postulat Rechnung getragen, dass die absolute Substanz als Subjekt gefasst werden müsse. Man kann drittens zeigen, dass das reine Sein ein inkonsistenter Gehalt und instabiler Akt ist, der in das Werden übergeht, welches aber seinerseits inkonsistent und flüchtig ist und sogleich wieder in ruhiges Sein, genannt Dasein, zusammensinkt. Diese Zusammenhänge zu untersuchen, ist hier nicht der Ort. Genüge es festzuhalten, dass das reine Denken des Seins dank seiner Inkonsistenz bzw. Instabilität sich als ein Prozess der Selbstkorrektur entpuppt, an dessen Ziel die Aufhebung der Inkonsistenz stehen sollte. Folglich ist auch das zu denkende Absolute, als vom Denken zunächst nicht ablösbar, prozessual. Dieser prätemporale Prozess ist die Evolution des logischen Raumes in zunächst subjektiv-objektiver Einheit. Von den vielerlei Wendungen, die jene Evolution im einzelnen nimmt, sei hier nur kurz an die beiden wichtigsten erinnert, nämlich an den Übergang vom Sein zum Wesen und an den Übergang vom Wesen zum Begriff. Zu Beginn der Seinslogik investieren wir, die Hintergrandtheoretiker, einen unmittelbaren Sachverhalt, das singuläre Sein, und eine als alternativlos erkannte logische Operation, die Negation. Indem die Negation am Sein operiert, erzeugt sie nicht nur ein bestimmtes Negativ und damit eine neue Gestalt des Seins, sondern modifiziert sich auch selbst jeweils zu neuen Gestalten, bis sich zuletzt das Sein als der stehende, ewige Widersprach seiner selbst erweist. Der Übergang zum Wesen erfolgt dann durch die Preisgabe des Seins als des unmittelbaren Gehaltes, der sein kontradiktorisches Gegenteil ist. In der Wesenslogik halten wir von unseren beiden anfänglichen Investitionen die Operation der Negation aufrecht. Diese ist nun, mangels eines Operandums, absolut zu denken: als die unfundierte Negation bzw. die Negation ihrer selbst. In ihrem Selbstbezug bringt sie in der Folge das Sein als Resultat neu hervor. So führt der Gang der Wesenslogik bis zu dem logischen Sachverhalt Substanz, der sowohl das Sein als auch die selbstbezügliche Negation ist und der sich in der Wechselwirkung auch in dieser doppelten Gestalt setzt. Nachfolger der Wechselwirkung ist dann der Begriff, der die Vorgängerin vor allem darin beerbt, dass er als vermittelnde Tätigkeit mit jedem seiner beiden Relata identisch und somit dieje-
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Anton Friedrich Koch
nige Operation ist, die ihr eigenes Operandum und Resultat, oder diejenige Relation, die jedes ihrer Relata ist. So wird am Ende der wesenslogischen Entwicklung wiederum die Rücknahme einer theoretischen Investition möglich und fällig, diesmal die der Operation der Negation. Alle unsere operativen Voraussetzungen, die des Seins als Operandums und die der Negation als Operation, sind nun vollständig zurückgenommen, d.h. als Voraussetzungen aufgehoben. So kann sich die Begriffslogik als ein theoretisches Geschäft ohne Investitionen entfalten, das lauter Reingewinn abzuwerfen verspricht. Dem Anspruch nach hat unser eigenes Denken das betrachtete reine Denken in puncto Voraussetzungslosigkeit nun eingeholt. Zugleich sind auf der Objektebene alle unmittelbaren Gegebenheiten des reinen Denkens abgebaut zugunsten von dessen transparenter Selbstvermittlung, in der jedes seiner Momente das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne jeweils auch das Ganze ist. Dem entspricht, dass wir auch abseits der Hegelschen Theorie vom Logischen erwarten (so etwa Wittgenstein in der LogischPhilosophischen Abhandlung), dass es sich in Transparenz auflöst, ohne ein festes Begriffsschema zu hinterlassen. Diese Erwartung ist hier erfüllt. Als harte Struktur bleibt allenfalls die kontingente Struktur der Natur übrig, die in den exakten Wissenschaften beschrieben wird. Mag diese ein naturgesetzliches Gerüst der Welt bilden, so gibt es doch kein logisch-metaphysisches Weltgerüst und erst recht kein subjektives Begriffsschema, das unser Denken einschränkte. Bei alledem ist das Logische aber nicht weniger real als das Natürliche, sondern im Gegenteil das eigentlich Reale und Absolute. Als eine strukturierende Macht des Denkens und der Welt gibt es sich indessen nur indirekt zu erkennen, nur dadurch nämlich, dass es sich als die kategoriale Struktur wieder abbaut, als die es sich zuvor immer schon aufgebaut hat. Dieses Zusammenspiel von logischem Aufbau und Abbau ist die Selbstvermittlung, von der die Wissenschaft der Logik handelt: die des Begriffs bzw. der Idee. Das Absolute kann demzufolge gar nicht anders erkannt werden als nur in kritischer Darstellung der Metaphysik. Jede metaphysische Theorie ist inkonsistent und -
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weist über sich hinaus auf eine sie überbietende Alternative, die ihrerseits inkonsistent ist. Alle metaphysischen Alternativen zusammen aber weisen über sich hinaus auf den Abbau der Metaphysik als solcher in der Selbstvermittlung des Begriffs. Diese ganze Bewegung der Logik, die am Ende als der binnenlogische Sachverhalt der absoluten Idee fassbar wird, ist die freie und letztbegründete Erkenntnis des Absoluten. Eine Pointe dieses Hegelschen Programms ist es, dass wir anfangs darauf verzichtet haben, eine Theorie des Absoluten in unserem eigenen Namen zu entwerfen, und statt dessen nun einem fremden Subjekt, dem reinen Denken, bei der Entwicklung seiner Theorie des Absoluten zusehen. Vor unseren kritischen Blicken entsteht auf diese Weise eine Theorie der logischen Formen eines Denkens, das sich seinerseits in Letztbegründung übt. Wir sind also vom Gebrauch zur Erwähnung, von der Sache selbst zum Denken über die Sache aufgestiegen. Doch obwohl das fremde Subjekt uns anfangs nicht im geringsten ähnelt, da es jeweils mit seinen ganz einfachen Gehalten zusammenfällt, zum Beispiel als reines Denken mit dem reinen Sein, zeigt sich sehr bald etwas Erstaunliches: dass nämlich die Formen und Bestimmungen dieses fremdartigen Denkens auch in unserem eigenen Denken vorkommen. Wider alles Erwarten erweist sich unser Konstrukt, eben jenes fremdartige reine Denken, als Erzeuger und zugleich
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Überwinder der vertrauten metaphysischen Kategorien, in denen es sukzessiv das Absolute jeweils zu fassen versucht. Trotz aller Verfremdungseffekte stellen wir fest, und zwar schon in der Logik des Daseins: nostra res agitur.
Indem wir die Wissenschaft der Logik als eine Theorie des reinen Denkens auffassen, das seinerseits eine Theorie des Absoluten ist, können wir sie also zugleich als eine Theorie logischer Formen gelten lassen und können inzwischen auch präzisieren, inwiefern sie dies ist. Was das reine Denken betrachtet, das Absolute, ist selbst keine Form an etwas anderem, sondern ein allumfassendes Singularetantum jenseits der Unterscheidung von Form und Inhalt: der logische Raum, der sich als reines Denken selber denkt. Eine Vielfalt logischer Formen kommt aber deswegen ins Spiel, weil sich der logische Raum entwickelt, weil das Absolute Prozess ist; und sie kommt zusätzlich dadurch ins Spiel, dass auf manchen Stufen der Entwicklung der logische Raum sich teilt, zum Beispiel auf der Stufe des Daseins in Etwas und ein Anderes oder auf der Stufe des Fürsichseins durch Repulsion in viele Eins oder (im thematisch nächstgelegenen Fall) auf der Stufe der Objektivität in viele Objekte, deren Einheit sich dann äußerlich, als Mechanismus, vollzieht. Die Logik kennt also sowohl serielle, zeitanaloge als auch parallele, raumanaloge Vielfalt. Aber und damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt sie kennt noch keine Zeit und keinen Raum, folglich auch keine vorbegriffliche, raumzeitliche Mannigfaltigkeit. Letztere ist vielmehr definitorisch für die Natur, mit deren Betrachtung Hegel die Realphilosophie einsetzen lässt. Innerhalb der Logik kann die logische Pluralität daher nicht als Formenvielfalt an möglichen außerlogischen Gehalten, sondern nur an ihr selber betrachtet werden. Dasjenige Denken, das sich auf eine außerlogische Mannigfaltigkeit möglicher Gegenstände bezieht, ist hingegen Thema der philosophischen Psychologie und wird von Hegel an der entsprechenden Stelle der Philosophie des Geistes betrachtet. Erst in der Realphilosophie wird die genuin logische Mannigfaltigkeit zu einer Mannigfaltigkeit von Formen in Beziehung auf außerlogische Gehalte: die seins- und wesenslogische Mannigfaltigkeit zu einer Mannigfaltigkeit allgemeiner, kategorialer Prädikate von Gegenständen und die subjektiv begriffslogische Mannigfaltigkeit zu einer Mannigfaltigkeit inferentieller Muster von Aussagesätzen. Aristoteles botanisierte die kategorialen Prädikate und die inferentiellen Muster unabhängig voneinander und ohne Rücksicht auf ihre jeweilige serielle logische Ordnung. Kant las die kategoriale Vielfalt systematisch an der inferentiellen Vielfalt ab, aber Rücksicht auf die serielle logische Ordnung nahm auch er nicht. Diese ist im Rahmen der Realphilosophie auch schwer zu erkennen, viel schwerer als in einer Theorie des reinen Denkens; denn die Theorie des reinen Denkens ist wegen der manifesten Inkonsistenz, in welcher das Denken beginnt, notwendigerweise seriell verfasst und betrachtet das Denken bei seiner schrittweisen Selbstkorrektur. So stößt sie zuerst auf die Qualität, dann auf die Quantität, dann auf das Maß usf., bzw. zuerst auf das positive Urteil des Daseins, dann auf das negative, dann auf das unendliche usf. Im äußeren Raum hingegen finden wir logisch ungleichzeitige Formen gleichzeitig vor, als Kategorien an Gegenständen und als inferentielle Muster an Sätzen. Es bedarf daher der Wissenschaft der Logik, um ursprünglich den Blick für die logische -
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Vgl. Enz III, Die Philosophie des Geistes / Erste Abteilung. Der subjektive Geist / C. logie / a. Der Theoretische Geist / y. Das Denken, §§ 465^168.
Die
Psycho-
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logischen Formen des raumzeitlich Realen zu schärfen. Ist der Blick aber einmal geschärft, so könnten wir versucht sein, die Wissenschaft der Logik als Theorie des reinen Denkens abzustoßen wie eine nutzlos gewordene Leiter. Oder vielmehr sind wir versucht, die Wissenschaft der Logik von vornherein nur noch in Beziehung auf das raumzeitliche Mannigfaltige zu entwickeln, was ihrer Eingängigkeit Ungleichzeitigkeit
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und Plausibilität natürlich nur förderlich sein kann. Wenn wir dieses Programm einer abgespeckten minder spekulativen Logik verfolgen, dann, denke ich, sind wir gut beraten, Schicks Interpretationsangebot zu ergreifen und die Logik, soweit wir sie akzeptieren, mit dem Übergang zur Objektivität enden zu lassen. Immer weiter schiebe ich die Frage vor mir her, was uns denn am spekulativen Überschuss letztlich liegen könnte. Mit Blick auf den Gedanken der Objektivität zum Beispiel folgendes. Wenn die Logik mit dem Erreichen der Objektivität endet, wird ein Äquivalent des zweiten Beweisschrittes von Kants transzendentaler Deduktion (in der B-Auflage der Kritik der reinen Vernunft) erforderlich, und zwar um zu zeigen, dass das Spiel der logischen Formen ins raumzeitlich Reale überhaupt eingreift und sich nicht nebenher verläuft. Liefe es nur nebenher, so wäre auch seine Selbstaufhebung in die Objektivität funktionslos und trivial. Der Schlusscharakter der Objektivität wäre an ihr nur ein ganz äußerlicher und haltloser Schein. Wenn das Objekt an und für sich der aufgehobene Schluss und der realisierte Begriff sein soll, so muss diese seine logische Natur sich auch an ihm selber bemerkbar machen. Der Nachweis aber, dass das Objekt an ihm selber der aufgehobene Schluss ist, entspricht dem zweiten Beweisschritt der transzendentalen Deduktion. Dieser Nachweis gehört wesentlich in die Logik und wird zur Konsequenz haben, eben dass der Schlusscharakter des Objektes sich an diesem als logische Entwicklung manifestieren muss, dass die Logik also weitergeht. Falls sie jedoch nicht weitergeht, muss der besagte Nachweis denn doch außerhalb der Logik erbracht werden, vermutlich zu Beginn der Realphilosophie und vermutlich unter Rückgriff auf eine metaphysische Erörterung des Raumes und der Zeit nach Art der Kantischen transzendentalen Ästhetik. Entweder nämlich übergreift das Logische als Absolutes alles Raumzeitliche, schließt es ein und gibt es als sein Anderes zugleich frei. Wenn dies innerhalb der Logik gezeigt werden kann, ist man einer separaten transzendentalen Deduktion überhoben. Oder das Logische macht als eine Formenvielfalt, die sich am Ende selbst in die Einheit des Gedankens der Objektivität aufhebt, vor dem Realen halt, und dieses bleibt außen vor. Dann ist eine separate Deduktion fallig, wenn man nämlich zeigen möchte, dass das Spiel der logischen Formen und seine Selbstaufhebung dem Realen dennoch nicht äußerlich ist. Ein Wort des Vergleichs mit Kant ist an dieser Stelle angezeigt. Dass das Objekt als solches in der Logik seinen Platz hat, und zwar im Anschluss an Begriff, Urteil und Schluss, war von der transzendentalen Deduktion her eigentlich zu erwarten. Deren Prinzip ist die ursprünglich-synthetische Einheit des Bewusstseins, die in der Ich-denkeBegleitung explizit hervortritt; und Hegel rühmt es als eine „der tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden, dass die Einheit, die das Wesen des Begriffs ausmacht, als die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperception, als Einheit des: Ich denke, oder des Selbstbewußtseyns erkannt wird". Die Pointe des -
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GW 12, 17f./TW6,254.
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Die Problematik des Übergangs von der Schlusslehre zur Objektivität
ersten Schrittes der Kantischen
213
Deduktion, den Hegel für die ganze Deduktion nimmt,
besteht aber gerade darin, dass die synthetische Einheit des Bewusstseins notwendig und hinreichend ist für die objektive Einheit des Bewusstseins, d.h. dafür, dass wir unsere mannigfachen Vorstellungsgehalte als Bestimmungen von Objekten konzeptualisieren. Die Synthesis, die unser Bewusstsein einigt, ist die objektivierende Synthesis des Urteils. Dies gezeigt, konnte Kant im Rekurs auf die metaphysische Deduktion weiter zeigen, dass den Weisen der Urteilssynthesis kategoriale Bestimmungen entsprechen, die wir jedem Objekt als solchem zusprechen müssen. Auch in der transzendentalen Deduktion wird also ein Übergang vom Begriff und Urteil zur Objektivität vollzogen. Hegels Innovation besteht, so gesehen, zunächst nur darin, dass er zwischen Begriff und Urteil auf der einen und Objektivität auf der anderen Seite noch den Schluss einschiebt und warum auch nicht, gehört doch der Schluss gleichsam als dritte Dimension ebenso wesentlich zum Diskurs wie die Dimensionen des Begriffs und des Urteils. Aber die transzendentale Deduktion findet bei Kant noch eine Fortsetzung in dem schon erwähnten zweiten Beweisschritt. Hegel vernachlässigt ihn und darf ihn dann vernachlässigen, wenn die Wissenschaft der Logik als eine wie auch immer indirekte Theorie des Absoluten gelten kann. Dann nämlich tritt das Logische dem Realen nicht als eine Form unseres Denkens gegenüber, von der noch zu fragen wäre, ob sie ihm wirklich zukommt. Mit dem Abschluss des ersten Beweisschrittes, in § 20 der Kritik der reinen Vernunft, hat Kant gezeigt, dass die objektive Geltung der Kategorien so weit reicht wie die Möglichkeit der Ich-denke-Begleitung. Was immer uns bewusst werden kann, hat sich ohne unser Zutun unser Zurüsten, Abschneiden, Eingreifen immer schon von selbst nach unseren reinen Verstandesbegriffen gerichtet. Freilich ist das, was uns bewusst werden kann, uns unabhängig von unserem Verstand in der Sinnlichkeit gegeben, und so muss es wie ein Wunder oder eine göttliche Fügung und Gnade scheinen, dass unser Verstand am sinnlich Gegebenen nicht Schiffbruch erleidet. So konfrontiert uns das Gelingen des ersten Beweisschrittes mit dem Rätsel unseres Erfolgs im Synthetisieren des sinnlich Gegebenen. Wir wissen nun zwar, dass uns alle unsere sinnlichen Vorstellungen so gegeben werden, dass sie einer kategorialen Synthesis unterworfen und deswegen von der Vorstellung „Ich denke" begleitet werden können. Aber wir wissen noch nicht, warum sie uns so gegeben werden müssen bzw. ob sie wider alle Wahrscheinlichkeit uns auch künftig so gegeben werden. Es fehlt noch der Rechtstitel, den die Deduktion verspricht. Im zweiten Beweisschritt zeigt Kant daher aus der Art und Weise, wie uns die Gegenstände gegeben werden, nämlich gemäß Anschauungsformen, die ihrerseits zu reinen Anschauungen erst synthetisiert werden müssen, dass die Synthesis des Verstandes mit der Gegebenheitsweise der Gegenstände intern verflochten ist. Also kann uns weder jetzt noch in Zukunft irgend etwas sinnlich gegeben werden, was nicht schon mit dem Gegebenwerden (wenn auch nicht kraft des Gegebenwerdens) auf unseren Verstand und seine reinen Begriffe bezogen wäre. Wenn Kants erstem Beweisschritt in der Hegeischen Logik näher der Übergang vom Begriff über Urteil und Schluss zur Objektivität entspricht, so entspricht dem zweiten Beweisschritt nicht etwa der Fortgang der Logik durch die Formen der Objektivität zur Idee. Vielmehr ist die Möglichkeit dieses Fortgangs, wie schon gesagt, eine Konsequenz dessen, dass ein zweiter Beweisschritt als separate Theoriemaßnahme gar nicht nötig ist, -
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214
Anton Friedrich Koch
weil er bereits damit abgegolten ist, dass wir die Logik als (indirekte) Theorie des Absoluten lesen dürfen. Dies aber dürfen wir nur, wenn sich das betrachtete reine Denken mit in der absoluten Idee. unserem betrachtenden Denken am Ende zusammenschließt Eine Wissenschaft der Logik, die mit dem Erreichen der Objektivität endete, wäre insofern denn doch einer transzendentalen Deduktion der Verstandesbegriffe zu vergleichen, die mit § 20 endete. Sie wäre ein Rückfall hinter Kantische Errungenschaften. Soll sie kein Rückfall sein, so werden wir sie als eine indirekte Theorie des Absoluten der umrissenen Art lesen müssen. Dann aber können wir übrigens noch wie folgt argumentieren. Die logischen Bestimmungen sind ursprünglich keine Prädikate, sondern logische Sachverhalte, nämlich Gestalten des Absoluten, die einander ablösen und überbieten. Will man sie dennoch als Prädikate fassen, so wird man sie nach Hegels eigenem Vorschlag dem Absoluten als dem logischen Subjekt zusprechen müssen und dann von ihm quasidefinitorisch aussagen, dass es das reine Sein bzw. das Werden oder aber das Wesen, die Substanz, der Begriff oder, nunmehr, das Objekt sei. Dass aber das Absolute Objekt sei, ist ersichtlich nicht das letzte Wort, das wir von irgendeiner Theorie erwarten und am wenigsten von einer Theorie, die das Absolute als Subjekt zu fassen beabsichtigt. Auch dies mag uns also darin bestärken, von der Logik einen Fortgang über das Erreichen der Objektivität hinaus zu verlangen. Allerdings ist dies kein unabhängiges Argument, da es von dem Resultat Gebrauch macht, dass die Logik als Theorie des Absoluten gelesen werden kann. Auf jenem Resultat ruht also die Last des Beweises, einem Resultat, von dem man zugeben muss, dass es weniger dies als vielmehr ein Programm ist. Wenn sich der schiere Entschluss, rein denken zu wollen, als methodisch fruchtbar erweist, und zwar näher so, dass er zu einer Theorie des reinen Denkens des Absoluten führt, die an ihrem Ende mit ihrem Gegenstand konvergiert, so kann die Logik nicht vor dem Erreichen der absoluten Idee enden. Andererseits kann sie auch die Objektivität nicht überspringen oder ganz der Realphilosophie überlassen, wenn sie denn eine Theorie des Wahrheitsanspruchs des Urteils und in der Folge des Schlusses einschließen soll. Mit dem Fortgang zur absoluten Idee, falls er sich ungezwungen und zwingend einstellt, ist zugleich dafür gesorgt, dass die Logik nicht hinter die Kantische Deduktion der Kategorien zurückfällt. Denn es ist dann sichergestellt, dass die logischen Bestimmungen Bestimmungen des Absoluten, somit des Realen selber, sind, und ferner, dass die systematische Kritik der logischen Bestimmungen mehr ist als eine Kritik metaphysischer Theorien, nämlich eine Kritik des Realen selber, soweit dieses zu schlechter Metaphysik den Anlass gibt. Der logische Auf- und Abbau, die Selbstvermittlung der Idee, findet also nicht nur in intellectu, sondern ebenso sehr in rebus statt. Die Dinge selbst sind in einem gewissen Sinn schlechte Metaphysik und zugleich deren Aufhebung. Wenn man demgegenüber auf Bescheidenheit setzt und die Logik von dem Anspruch entlastet, eine Theorie des Absoluten zu sein, und ihre Aufgabe darin erfüllt sieht, dass sie eine Theorie logischer Formen ist, so wird man etwas darüber mitteilen müssen, wie sich Hegel zu dem Desiderat eines zweiten Beweisschrittes der transzendentalen Deduktion verhält. Bleibt er uns das Äquivalent dieses Schrittes schuldig, und ist das vielleicht sogar gut so? Oder findet sich das Äquivalent in der Realphilosophie oder -
5
Vgl. EnzI, §
194 A.
Die Problematik des Übergangs
von der
Schlusslehre zur Objektivität
215
sich, da dem faktisch wohl nicht so ist, wenigstens dort finden, wenn es mit rechten Dingen zuginge, etwa gleich zu Beginn, wenn die Äußerlichkeit des Raums und der Zeit als die Form der Bestimmtheit der Natur eingeführt und entwickelt wird? Aber würde die Hegeische Philosophie dann nicht in einen unaufgelösten Dualismus von Sinnlichkeit und Verstand zurückfallen, nicht hinter Kant zwar dieses Mal, aber doch zurück zu Kant? Ist etwa das „Zurück zu Kant" ohnehin als Heilmittel gegen theoretische Unbescheidenheit zu empfehlen? Ich lasse diese Fragen offen, weil ihre Beantwortung gründlichere Untersuchungen voraussetzt, als sie hier geleistet werden konnten. Ich will zum Schluss nur kurz noch etwas dazu sagen, warum auch ich glaube, dass Hegels philosophische Gesamtkonzeption nicht aufgehen kann. Mein Bemühen war es, den Übergang von der Schlusslehre zur Objektivität unter die binnenlogischen Übergänge einzureihen. Den Übergang von der absoluten Idee zur Natur sollten wir demgegenüber als einen wirklichen Bruch betrachten. Die Natur ist nicht bloß die Objektivität unter neuem Namen, sondern die Objektivität in der freien Äußerlichkeit des Raumes und der Zeit. Raum und Zeit aber auch dies halte ich für eine Kantische Errungenschaft erkennen wir ursprünglich nicht im Begriff, sondern in der Anschauung. Der entscheidende Schritt über Kant hinaus muss nun darin bestehen, die Anschauung, um die es hier geht, als das Andere des Begriffs zu erweisen (um den drohenden Dualismus von Verstand und Sinnlichkeit zu vermeiden). Es ist bemerkenswert, dass Hegel den Begriff der Freiheit heranzieht, um die Verbindung zwischen beiden Seiten herzustellen. Die Idee, so lesen wir am Ende der Logik, entlässt sich selbst, nämlich sich als das ihr immanente Moment der Besonderheit, frei aus sich. Und gerade um dieser Freiheit willen, sagt Hegel, sei die Form der Bestimmtheit der Idee, also die Form der Natur „eben so schlechthin frey, die absolut für sich selbst ohne Subjectivität seyende Aeusserlichkeit des Raums und der Zeit". In diesem Akt der Freiheit aber gibt die Idee gegen Hegel sei es gesagt dann unwiederbringlich sich selber preis. Was sich in der freien Äußerlichkeit von Raum und Zeit als Subjektivität wiederherstellt je kontingente, individuelle, personale Subjektivität -, ist nicht mehr vollständig mit der absoluten Idee zusammenzuschließen. Es bleibt am Ende eine Kluft: Die Idee kann als solche nicht personal, nicht zum Subjekt, und die endliche Person nicht ideal, nicht zur Idee, werden. Aber dieses Scheitern ist eines der Hegeischen Theorie nur in zweiter Linie. In erster Linie ist es, aus der Sicht individueller Personen, das Scheitern des Absoluten. Ihm folgt das Scheitern der Natur und das Scheitern des Menschen. Kein gutes Ende? Wenn der Mensch scheitert, scheitert auch seine Sicht als die einer individuellen Person. Vielleicht liegt darin ein schwacher Trost. müsste
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Literatur Schick, F.: Hegels Wissenschaft der Logik metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, Freiburg/München 1994. Davidson, D.: On the Very Idea of a Conceptual Scheme (1974), in: Davidson, D.: Inquiries into Truth and Interpretation, Oxford 1984, 183-198. -
6
GW 12, 253/TW6, 573.
Georg Sans
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
Dass die
logische Form des Schlusses Hegels besondere Hochschätzung genießt, ist ein
Umstand, der dem Leser schon bei der oberflächlichen Lektüre seiner Werke ins Auge
stechen muss. An prominenter Stelle der Enzyklopädie und der Rechtsphilosophie bedient er sich des Schlusses als Mittel zur Darstellung systematischer Zusammenhänge. In der subjektiven Logik versteigt er sich gar zu der Behauptung: „Alles Vernünftige ist ein Schluss." (GW 12, 90) Natürlich ist dieser Satz vor dem Hintergrund der kantischen Psychologie der Erkenntniskräfte zu lesen, der zufolge die Vernunft „das Vermögen mittelbar zu schließen" bedeutet. Aber damit ist noch nichts über die systematische Funktion gesagt, die der Schluss als das Schibboleth des Vernünftigen im Rahmen von Hegels eigener Philosophie besitzt. Fragt man, an welcher Stelle Hegel möglicherweise Auskunft über die Bedeutung des Schlusses gibt, bietet sich der Verweis auf das gleichnamige Kapitel der Wissenschaft der Logik an. In dem folgenden Beitrag möchte ich einen Vorschlag unterbreiten, wie sich Hegels logische Schlusslehre als ein integraler Bestandteil seiner Theorie des Begriffs verstehen lässt. Ich werde die These vertreten, dass es Hegel bei der Abhandlung der insgesamt neun Formen des Schließens keineswegs auf irgendwelche Erkenntnisse im Gebiet der formalen Logik abgesehen hat, sondern dass die Erörterung des Schlusses ganz im Dienst der Klärung der Natur dessen steht, was Hegel selbst ,den Begriff nennt. Im Zentrum der hier vorgetragenen Interpretation der Schlusslehre steht der mittlere Term. Liegt der Zweck des Schließens in der Begründung der Konklusion durch einen Begriff, hängt es offenbar von diesem mittleren Term ab, ob der Schluss seine Funktion erfüllt. Den Anstoß zu meinen Überlegungen bilden einerseits die Definition des Schlusses und andererseits die Beobachtung, dass Hegel dem mittleren Term im Verlauf der Schlusslehre unterschiedliche Bedeutungen zuweist. Das legt die Vermutung nahe, es könnte sich bei den Schlüssen nicht einfach um mehrere Formen handeln, wie die Terme zueinander in Beziehung gesetzt werden, sondern Hegel verbinde mit den wechselnden Formen eine fortschreitende Bestimmung der Natur des Mittelbegriffs. In dem Sinn dient die Schlusslehre meines Erachtens zur Erläuterung der Verfassung des Begriffs dienen. Dagegen besitzen die von Hegel selbst ebenso wie die von mir gebrauchten Beispiele lediglich eine illustrative Funktion. Die Terme des Schlusses dürfen KrV B
355; vgl. B 386.
217
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
nicht als Variable verstanden werden, die irgendwelche Gegenstände bezeichnen. Hegel will mit seiner Schlusslehre nicht die Beziehungen klären, die zwischen beliebigen außerhalb des Begriffs liegenden Sachverhalten herrschen, sondern die Verfassung des Begriffs selbst. Dass die Form des Schlusses im weiteren Gang der Logik wie auch in der Realphilosophie vielfältige Anwendung findet, verdankt sich demzufolge weniger dem besonderen epistemischen Wert des Schlusses als der Tatsache, dass er die Natur des Begriffs zum Ausdruck bringt. Daher tut man nach meinem Dafürhalten nicht gut daran, von der Schlusslehre neue Einsichten in die formale Logik des Schließens oder in die inferentiellen Beziehungen unserer Begriffe zu erwarten. Soll die Schlusslehre nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen werden, hat man vielmehr den metaphysischen Anspruch der Wissenschaft der Logik zu berücksichtigen. Er ist nicht zu übersehen, wenn Hegel den Begriff am Ende des Kapitels in ,das Objekt' übergehen lässt. Spätestens an dem Punkt erscheint der Begriff nicht mehr als etwas, das sich auf einen außer ihm liegenden Gegenstand bezieht, sondern als etwas, das selbst real existiert. Doch beginnen wir der Reihe nach.
1. Die Definition des Schlusses
Hegels knappe Definition besagt, der Schluss sei „die Wiederherstellung des Begriffs im Urteil" (GW 12, 90). Die Bestimmung ist gleichermaßen merkwürdig wie für ein angemessenes Verständnis der Schlusslehre unverzichtbar. Merkwürdig ist sie deshalb, weil unter einem Schluss in aller Regel ein Verfahren verstanden wird, mittels dessen wir die Behauptung eines bestimmten Satzes, nämlich der Konklusion, rechtfertigen. Dabei spielen Begriffe zwar insofern eine Rolle, als sie die Bestandteile von Sätzen bilden, aber es geht beim Schließen nicht um die Wiederherstellung' irgendeines Begriffs in welchem Sinn auch immer. Ebenso merkwürdig ist die Rede von der Wiederherstellung des Begriffs ,im Urteil'. Nach der gängigen Vorstellung verknüpft das Urteil im paradigmatischen Fall zwei Begriffe, ein Subjekt und ein Prädikat.3 In der Syllogistik wird das Subjekt des Schlusssatzes gewöhnlich als der Unterbegriff {terminus minor), das Prädikat des Schlusssatzes als der Oberbegriff {terminus maior) bezeichnet. Mit dem Begriff ,im Urteil' meint Hegel jedoch weder das Subjekt noch das Prädikat der Konklusion, sondern den so genanten mittleren Term {terminus médius). Der Ausdruck ist zunächst einmal als die Angabe eines Ortes zu verstehen. Stellt man die Form des Schlusses wie Hegel als die Aneinanderreihung der drei Terme E
Einzelnes
3
B
Besonderes
A
Allgemeines
Für eine ausführlichere Darstellung der folgenden Überlegungen erlaube ich mir den Verweis auf meine Studie Die Realisierung des Begriffs. Eine Untersuchung zu Hegels Schlusslehre, Berlin 2004. Die Frage nach Urteilsformen, die nicht in die Subjekt-Prädikat-Form gebracht werden können, werde ich im Folgenden unberücksichtigt lassen.
Georg Sans
218
dar, steht der mittlere Term zwischen den beiden äußeren, das heißt zwischen dem Subjekt und dem Prädikat der Konklusion, also genau an der Stelle, die ,im Urteil' die Ko-
pula einnimmt.
etwas bei der wörtlichen Bedeutung der Definition. Der Mittelbenur steht nicht Urteil', sondern er scheint außerdem etwas zu sein, das zuvor in ,im griff zerstört Weise wurde, denn andernfalls könnte er nicht wiederhergestellt' irgendeiner werden. Um Hegels Punkt zu verstehen, muss man einen Blick auf seine Urteilslehre werfen. Einer in der nachkantischen Ära weit verbreiteten Ansicht folgend, deutet Hegel den Ausdruck ,Urteil' als ursprüngliche Teilung'. War bei Kant das Vermögen zu urteilen ein Kennzeichen unserer Fähigkeit der Synthesis von Vorstellungen, wurde das Urteil später zum Inbegriff der Trennung und des Gegensatzes. Hegel wendet sich ausdrücklich gegen die Auffassung, wonach das Urteil in erster Linie die Verbindung von Subjekt und Prädikat bewerkstelligen soll. „Die etymologische Bedeutung des Urteils in unserer Sprache ist tiefer und drückt die Einheit des Begriffs als das Erste und dessen Unterscheidung als die ursprüngliche Teilung aus, was das Urteil in Wahrheit ist." (Enz. § 166 Anm.) Wie wir inzwischen wissen, war es zuerst Hölderlin, der aus Unzufriedenheit mit der transzendentalen Deduktion Kants einerseits und Fichtes Wissenschaftslehre andererseits jedweder Art von Urteil ein absolutes Sein voraussetzte, dessen man sich allenfalls in der intellektuellen Anschauung gewahr werden kann. In seinem 1795 entstandenen Fragment über Unheil und Seyn führt er die in dem Grundsatz ,Ich bin Ich' zum Ausdruck kommende Trennung von Subjekt und Objekt auf die ,Ur-Teilung' des absoluten Seins zurück.4 Aber auch Fichte bediente sich in seinen Vorlesungen der übrigens unzutreffenden Etymologie des ursprünglich Teilens'.5 Für die metaphysische Urteilslehre Hölderlins wurde Hegel durch die gemeinsame Überzeugung eingenommen, dass eine Philosophie nur ihren Namen verdient, wenn sie bei keinen als unvereinbar geglaubten Bestimmungen halt macht, seien es Denken und Sein, Sinnlichkeit und Verstand, theoretische und praktische Philosophie oder Wissen und Glauben. Im Unterschied zu Hölderlin war Hegel jedoch keineswegs bereit, die Einheit der Gegensätze aus dem Bereich dessen zu verbannen, was sich denken und begreifen lässt. Deshalb entwickelt er eine spekulative Logik, die zugleich die metaphysische Darstellung des Absoluten enthalten sollte. Die Wissenschaft der Logik stellt also Formen und Verfahren bereit, mit deren Hilfe die in allen Gegensätzen herrschende Einheit verständlich gemacht werden soll. Hegel geht ferner so vor, dass er keine außerhalb der Logik liegenden Ressourcen in Anspruch nimmt, das heißt keine Bestimmungen, die sich nicht am Ende als Bestimmungen ,des Begriffs' erweisen. Daraus ergibt sich zwanglos, dass es sich bei der durch die ursprüngliche Teilung zerstörten Einheit nicht wie bei Hölderlin um das absolute Sein, sondern um den Begriff handeln muss. Aus Platzgründen kann ich nicht im Einzelnen darlegen, wie Hegel von dem
Bleiben wir noch
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4
5
F. Hölderlin, Unheil und Seyn, in: Sämtliche Werke, Bd. IV/1, Stuttgart 1961, 216f, sowie dazu Dieter Henrich, Der Grund im Bewusstsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (17941795), Stuttgart 1992. Vgl. J. G. Fichte, Vorlesungen über Platners „Philosophische Aphorismen" 1794-1812 (= Gesamtausgabe, Bd. II/4), Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, 182, sowie dazu Violetta L. Waibel, Hölderlin und Fichte. 1794-1800, Paderborn 2000, 140-146.
Vgl.
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
219
reinen Sein am Anfang der Logik über die absolute Substanz zum Begriff und von dort über das Urteil zur Form des Schlusses gelangt. Für meine Zwecke muss die Feststellung genügen, dass die Definition des Schlusses auf den vorangehenden Übergang vom Begriff zum Urteil anspielt. Die in der ursprünglichen Teilung zerstörte Einheit des Begriffs stellt der Schluss wieder her. Die bisher gegebene Beschreibung scheint freilich einen eher metaphorischen Wert zu besitzen. Größere Klarheit über die Bedeutung der Form des Schlusses gewinnt man, wenn man eine weitere Überlegung in Betracht zieht, die Hegel hinsichtlich des Urteils anstellt. In dem Urteil erscheint nicht nur eine ursprüngliche Einheit als in Subjekt und Prädikat getrennt, sondern nach der gängigen Sicht bezieht sich das Subjekt auf einen einzelnen Gegenstand, das Prädikat hingegen auf ein allgemeines Merkmal, das dem Gegenstand zukommt. Demnach ist die Form des prädikativen Urteils unlöslich mit dem Schema von Substanz und Akzidens oder Ding und Eigenschaft verbunden. Sobald wir urteilen, können wir nicht umhin, uns die Wirklichkeit als eine Menge von Substanzen vorzustellen, denen gewisse Bestimmungen inhärieren. Auf die Art, so Hegels tiefe Überzeugung, werden wir der wahren Natur dessen, was ist, freilich nicht gerecht.6 Viel angemessener wäre es, die Wirklichkeit als eine Totalität zu denken, die uns zwar in unterschiedlicher Weise erscheint, deren Momente aber selbst jedes das Ganze sind. Trifft die Ansicht zu, dürfte das Urteil nicht ein Verhältnis von Ding und Eigenschaft ausdrücken, sondern es müsste mehrere an sich gleichwertige Momente verbinden, die zusammen den beurteilten Sachverhalt ausmachen. Genau das ist paradigmatisch bei einem spekulativen Satz wie ,Gott ist das Sein' oder ,das Wirkliche ist das Allgemeine' der Fall. Will man der Synthesis des Urteils einen Sinn abgewinnen, kann er Hegel zufolge nur in der Ineinssetzung der einander entgegengesetzten Momente dessen, was ist, bestehen. Doch die fragliche Art von Identität, so Hegel weiter, wird durch nichts besser zum Ausdruck gebracht als durch den Begriff. Der Begriff ist, wie er bündig schreibt, „Totalität, indem jedes der Momente das Ganze ist" (Enz. § 160). Damit haben wir den Mangel des Urteils erreicht, der durch den Übergang zu der Form des Schlusses wettgemacht werden soll. Geht es in Wahrheit darum, die Momente dessen, was ist, auf angemessene Art zueinander in Beziehung zu setzen, ist die Kopula des Urteils zu unbestimmt. Der Grund liegt keineswegs darin, dass man die Kopula gar nicht als ein Zeichen der Identität auffassen muss, sondern die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Prädikat ebenso gut als ein Verhältnis der Subsumtion oder der Inhärenz deuten könnte. Hegel meint vielmehr, dass der Mittelbegriff des Schlusses die zwischen den verschiedenen Momenten eines Ganzen herrschende Art von Identität genauer zum Ausdruck bringt. Der Schluss ist „nicht eine durch die bloße Kopula oder das leere Ist gemachte Beziehung, sondern durch die bestimmte, inhaltsvolle Mitte" (GW 12, 94).8 6
7
8
Eine
eingängige Darstellung
von
Hegels
Kritik der Form des
prädikativen
Urteils bietet R.-P.
Horstmann, Wahrheit aus dem Begriff. Eine Einführung in Hegel, Frankfurt/M. 1990, 26-34. Vgl. GW 9, 44.
Bereits in dem Jenaer Journalaufsatz über Glauben und Wissen schreibt Hegel mit Bezug auf Kants synthetische Urteile a priori: „Die absolute Identität als Mittelbegriff stellt sich aber im Urteil nicht,
Georg Sans
220
entsprechend nennt Hegel den mittleren Term auch die „erfüllte oder inhaltsvolle Kopula" (89). Nehmen wir das Standardbeispiel, dessen Konklusion lautet ,Gaius ist sterblich'. Als der mittlere Term dient der Begriff des Menschen, der im Obersatz des Syllogismus als Subjekt und im Untersatz als Prädikat fungiert. Der Begriff ,Mensch' erfüllt seine vermittelnde Funktion offenbar deshalb, weil einerseits das Subjekt unter ihn fällt und andererseits das Prädikat eine die unter ihn fallenden Gegenstände kennzeichnende Bestimmung bildet. Der mittlere Term bezeichnet gleichsam das Wesen des Gaius und schließt das Subjekt mit einem für diese Art von Gegenstand spezifischen Merkmal zusammen. Auf die Weise entsteht eine notwendige und in der Natur der Sache begründete Beziehung zwischen dem Subjekt ,Gaius' und dem Prädikat ,sterblich'. Das erlaubt Hegel zu sagen, durch den Begriff des Menschen werde die Verbindung der beiden Terme bestimmt und mit Inhalt erfüllt. Gleichzeitig wendet er sich der Frage zu, welche Anforderungen der Mittelbegriff erfüllen muss, damit eine entsprechende Beziehung tatsächlich zustande kommt. Wie ich in den nächsten Abschnitten zeigen will, verfolgt Hegel mit der Entwicklung der verschiedenen Formen des Schließens das ehrgeizige Ziel zu beweisen, dass gewöhnliche Schlüsse wie das Standardbeispiel ein Verständnis von der Natur des Begriffs voraussetzen, das weitgehend seiner eigenen, bisher nur im Ansatz geschilderten Konzeption entspricht. Was hingegen die Definition des Schlusses angeht, lässt sich vorläufig festhalten, dass Hegel durch sie eine Reihe von Mängeln zu überwinden hofft, mit denen er die Form des prädikativen Urteils behaftet sieht. Der Schluss besitzt kurz gesagt den Vorzug, dass er sowohl in den beiden ExDem
die einander entgegengesetzten Momente als auch in dem mittleren Term die Einheit eines in sich differenzierten Ganzen zum Ausdruck zu bringen vermag. -
tremen
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-
2. Die Formen des Schließens Nehmen wir einmal an, der aufgezeigte Zusammenhang zwischen Hegels Definition des Schlusses und der metaphysischen Urteilslehre Hölderlins bestünde tatsächlich und es träfe weiterhin zu, dass Hegels Überlegungen zu den Formen des Urteils und des Schlusses mit dem Versuch in Verbindung stehen, die substanzontologischen Implikationen zu überwinden, die er hinter unserer gewöhnlichen Sicht der Formen des Denkens vermutet. Dann muss einen der Umstand einigermaßen verwundern, dass die Formen des Schließens in der Wissenschaft der Logik auf eine Weise abgehandelt werden, die sich, zumindest dem ersten Anschein nach, an Konventionalität kaum überbieten lässt. Die Gliederung des Schluss-Kapitels liest sich wie ein Aufguss aller verfügbaren Handbücher der formalen Logik. Da geht es zunächst um die klassischen drei bzw. vier Figuren des Syllogismus; es folgen die empirischen Schlüsse der Induktion und der Analogie; am Ende stehen die aus der rationalistischen Schullogik bekannten Formen des kategorischen, des hypothetischen und des disjunktiven Vernunftschlusses. Das aufgezählte Material wird notdürftig der Ordnung der kantischen Tafel der Kategorien angesondern im Schluss dar." (GW 4, 328) Vgl. dazu meinen Urteilslehre", in: Hegel-Jahrbuch 2005, 204-209.
Beitrag „Hegels
Variation der kantischen
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
221
passt, die bereits für Hegels Urteilslehre Pate gestanden hatte. So ergeben sich entsprechend den Titeln der Qualität, der Quantität und der Relation die drei Schlüsse des Daseins, der Reflexion und der Notwendigkeit.
Gattungen
der
2.1 Die drei Figuren und Gattungen. Trotz der vielen disparaten Elemente suggeriert Hegel, die einzelnen Formen des Schließens voneinander abgeleitet zu haben. Wie immer die Ableitung genau vor sich gehen mag, so lässt sich zumindest das zugrunde liegende Prinzip leicht angeben. Ähnlich wie Aristoteles unterscheidet Hegel die Schlüsse je nach der Stellung der Terme. Dabei zählt nicht etwa ihre jeweilige Funktion als Subjekt oder Prädikat in den beiden Prämissen, sondern die räumliche Anordnung in dem allgemeinen Schema des Schlusses. Steht das Besondere in der Mitte, handelt es sich um einen Syllogismus der ersten Figur; fungiert das Einzelne als Mittelbegriff, liegt ein Schluss der zweiten Figur vor; bildet das Allgemeine den mittlere Term, hat man es mit der dritten Figur zu tun: E-B-A E
B -
E
A -
B
A -
(erste Figur) (zweite Figur) (dritte Figur)
-
leicht sieht, entsteht der Kreis der drei Figuren des Schlusses durch die vollPermutation des mittleren Terms.10 Dass nicht nur das Besondere, sondern auch das Einzelne und das Allgemeine als der mittlere Term fungieren können, ist das Beweisziel des ersten Abschnitts der Schlusslehre. Hegel schreibt resümierend: „Die Figuren des Schlusses stellen jede Bestimmtheit des Begriffs einzeln als die Mitte dar, welche zugleich der Begriff als Sollen ist, als Forderung, dass das Vermittelnde seine Totalität sei." (GW 12, 125) Die Rede von dem Begriff als einem Sollen kann man sich wie folgt verdeutlichen: Die wahre Natur des Schlusses und damit auch das Wesen des mittleren Terms kommen erst zum Vorschein, wenn man die drei Figuren gleichsam in eins setzt. Dann wird sichtbar, dass der Begriff seine vermittelnde Funktion nur deshalb zu erfüllen imstande ist, weil es sich bei dem Besonderen, Einzelnen und Allgemeinen um die Momente ein und derselben Totalität handelt. Die Folgerung, die Hegel daraus meint ziehen zu dürfen und die den weiteren Gang seiner Argumentation bestimmt, ist die These von der Identität der drei Terme. Die These erlaubt eine schwache und eine starker Lesart. Der ersten zufolge zeigt sich die Identität des Besonderen, Einzelnen und Allgemeinen formal darin, dass jeder der Terme in einer anderen Figur die Stelle der Mitte einnimmt. Nach der stärkeren, von Hegel letzten Endes angezielten Lesart sind Wie
man
ständige
9
10
Dass sich Aristoteles zur Definition der zweiten und dritten Figur auf die räumliche Anordnung der Terme in gewissen „Standardformulierungen" bezieht, hat Günther Patzig gezeigt (vgl. Die aristotelische Syllogistik. Logisch-philologische Untersuchungen über das Buch A der „Ersten Analyti-
ken", Göttingen 31969, 108-113).
Theoretisch lassen sich auch die äußeren Terme des Schlusses miteinander vertauschen. Dem entsprechend lauten die Schemata der zweiten und dritten Figur in der enzyklopädischen Logik A-E-B und B-A-E. Auf den Unterschied kommt es für meine Zwecke jedoch nicht an. Zu dem Grund für die Austauschbarkeit der Extreme vgl. Wolfgang Krohn, Die formale Logik in Hegels Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zur Schlusslehre, München 1972, 44f. „
222
Georg Sans
die drei Terme nicht bloß in funktionaler Hinsicht, sondern auch insofern identisch, als sie die Momente eines Ganzen bilden. Die zweite Art von Identität kommt in den so genannten Schlüssen der Notwendigkeit zum Ausdruck, auf die ich im dritten Abschnitt
eingehen werde."
Im Blick auf die gängigen Beispiele, so ließe sich sofort einwenden, tritt die Identität der drei Terme nicht zu Tage. Weder können die Terme ohne weiteres vertauscht werden, noch lassen sie sich in sonst einer sinnvollen Hinsicht als miteinander identisch verstehen. Deshalb ist von vornherein einzuräumen, dass Hegel es auf ein revisionäres Verständnis dessen abgesehen hat, was ,der Begriff sein und leisten soll. Für eine vorläufige Verständigung über Hegels Projekt mag es nichtsdestoweniger nützlich sein zu fragen, ob wir über eine Art von Begriffen verfügen, für die annähernd gilt, was er in Bezug auf den mittleren Term des Schlusses behauptet. Wie sich zeigen lässt, genügen die Terme für natürliche Arten wenigstens zu einem gewissen Grad seinen Anforderungen. Mit dem Begriff des Menschen können wir uns beispielsweise sowohl auf einzelne Gegenstände als auch auf die besondere Natur einer bestimmten Art von Dingen als auch auf eine Reihe allgemeiner Merkmale beziehen. In einem Satz wie ,der Mensch ist sterblich' bleibt offen, ob das Subjekt ein Individuum, das Wesen der Gattung oder ein Bündel von Merkmalen bezeichnet. Meint das Subjekt ein Individuum bzw. eine Klasse von Individuen, wird ihnen das Attribut der Sterblichkeit zugeschrieben, ohne dass es eine Rolle spielt, ob der Mensch zufällig oder notwendigerweise sterblich ist, ob die Sterblichkeit also unter die Wesenseigenschaften des Menschen fällt oder nicht. Bezöge sich das Subjekt hingegen auf die Natur des Menschen, müsste es sich bei dem Urteil um eine Wesensaussage und bei dem Prädikat um eine notwendige Bestimmung handeln. Wieder anders verhielte es sich in dem Fall, dass der Begriff des Menschen ein Bündel von Merkmalen bezeichnet, die in der Regel zusammen auftreten. Dann könnte mit dem Prädikat ,sterblich' eines der koinstantiierten Merkmale gemeint sein. Wie das Beispiel zeigt, ist die Deutung des prädikativen Urteils ontologisch keineswegs neutral. Es ist nicht dasselbe, ob ich von einem einzelnen Ding eine Eigenschaft, von einer natürlichen Art ein spezifisches Merkmal oder von einem Bündel von Bestimmungen ein allgemeines Kennzeichen aussage. Entsprechend unterschiedlich sind die ontologischen Verpflichtungen, die ich mit dem Urteil ,der Mensch ist sterblich' übernehme.12 Hegel hebt indes noch einen anderen Aspekt hervor. Demnach ist der Mensch ein Wesen, das nur in dem unauflöslichen Zusammenhang von Einzelnem und Allgemeinem, von Individuum und Gattung überhaupt existiert. So verdankt das lebendige Individuum sein Dasein im wörtlichen Sinn dem Zusammenschluss seiner beiden Eltern und schließt sich seinerseits wieder mit einem anderen zusammen, um abermals ein Individuum zu erzeugen. Das im Hinblick auf das Verhältnis von Individuen und Gattung Gesagte gilt in ähnlicher Weise von der Verfassung des menschlichen Organismus.
disjunktiven Schluss als der letzten Form des Schließens ist „die ganze Formbestimmung des Begriffs [...] in ihrem bestimmten Unterschied und zugleich in der einfachen Identität des Begriffes gesetzt" (GW 12, 125). Das Entsprechende gilt ftir den Satz .Gaius ist ein Mensch'. Auch hier bleibt zunächst unbestimmt, ob es sich bei dem Begriff des Menschen um das Wesen, um ein notwendiges Merkmal oder um eine zufallige Eigenschaft des Gaius handelt. Im
12
Hegels Schlusslehre als Theorie
des
Begriffs
223
Die einzelnen Glieder und Organe könnten ebenso wenig außerhalb des Ganzen existiewie ein lebendiges Wesen außerhalb der Reihe seiner Abstammung. Für Hegel entscheidet die geschilderte Art des Zusammenhangs von Einzelheit und Allgemeinheit darüber, wie wir die Natur des Menschen zu fassen haben. Demzufolge gibt es kein von der besagten Einheit von Individuum und Gattung bzw. von Organen und Organismus verschiedenes ,Wesen' des Menschen. Damit nähern wir uns der im ersten Abschnitt geschilderten Konzeption des Begriffs. Individuum und Gattung oder Organe und Organismus oder Einzelnes und Allgemeines sind verschiedene Momente, in denen ein und dasselbe Ganze, nämlich ,der Mensch' erscheint. Was endlich die spezifischen Merkmale des Menschen anbelangt, müssen sie ebenfalls in seiner organischen Natur grundgelegt sein. Das heißt in Bezug auf das Attribut der Sterblichkeit: Wie das lebendige Individuum aus dem Zusammenschluss zweier Wesen seinesgleichen entstanden ist, so geht es, nachdem es die Gattung fortgepflanzt hat, unter und stirbt.13 Blicken wir von hier aus zurück auf die Definition des Schlusses, sollte deutlicher geworden sein, warum Hegel den Zusammenschluss des Subjekts ,Gaius' mit dem Prädikat ,sterblich' mittels des Begriffs des Menschen für inhaltsvoller' erachtet als ihre bloße Verknüpfung durch die Kopula ,ist' (vgl. GW 12, 94). Darüber hinaus lässt das Beispiel des Begriffs einer natürlichen Art besser verstehen, in welchem Sinn Hegel von der ,Identität' der drei Tenne des Schlusses spricht. Wie die Gattung in ihren Individuen, so erscheint der Begriff als das Einzelne, das Besondere und das Allgemeine. Und ebenso wenig wie es außer den Individuen noch ,die Gattung' oder zusätzlich zu den spezifischen Merkmalen noch ,das Wesen' des Menschen gibt, ist ,der Begriff etwas von seinen Momenten Verschiedenes. Fragen wir deshalb, wie Hegel seine Theorie im Rahmen der Schlusslehre rechtfertigt. Der Ansatz zu der richtigen Antwort ergibt sich meines Erachtens aus dem Umstand, dass der mittlere Term in den drei Gattungen von Schlüssen jeweils eine andere Bedeutung besitzt. Tatsächlich reichert Hegel den Sinn des Mittelbegriffs im Verlauf der Schlusslehre schrittweise an. Erst in den letzten Formen von Schlüssen erreicht der mittlere Term die wahre Bedeutung dessen, was Hegel ,den Begriff nennt. Dass die Interpretation der Schlusslehre als die Entwicklung der Bedeutung des Begriffs nicht aus der Luft gegriffen ist, belegt die zusammenfassende Feststellung: „Die verschiedenen Gattungen der Schlüsse aber stellen die Stufen der Erfüllung oder Konkretion der Mitte dar." (GW 12, 125) Demnach findet die Bestimmung des mittleren Terms als die erfüllte Kopula erst am Ende der Schlusslehre ihre ren
vollständige Einlösung.
2.2 Die Schlüsse des Daseins und der Reflexion. Das Verständnis der Schlusslehre wird erschwert durch den Gebrauch, den Hegel von den Ausdrücken des Einzelnen, des Besonderen und des Allgemeinen macht. Offenbar dienen sie weder der Quantifizierung irgendwelcher mit ihnen verbundenen Begriffe, noch fungieren sie einfach als Variable 13
„In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der lebendigen Individualität; der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des Geistes." (GW 12, 191) Zur Erläuterung der rätselhaften Verbindung der
Fortpflanzung mit dem Tod des Individuums einerseits und dem Hervorgehen des Geistes andererseits vgl. meinen Aufsatz „Hegels Idee des individuellen Lebens", in: Theologie und Philosophie -
11
(2002), 54-72, 68f.
224
Georg Sans
wie die Buchstaben A, B und T in der Logik des Aristoteles. Sie stehen also weder für Griechen, Menschen oder Lebewesen noch für alle A, einige B oder ein C. Vielmehr besitzen die drei Terme in jeder Gattung von Schlüssen eine spezifische Bedeutung, die Hegel in dem jeweiligen Abschnitt des Schluss-Kapitels ausdrücklich benennt. An seinen Erklärungen lässt sich die Entwicklung der Bedeutung des mittleren Terms recht gut verfolgen. So schreibt Hegel in Bezug auf den Schluss des Daseins der ersten Figur: „Das Einzelne ist irgendein unmittelbarer konkreter Gegenstand, die Besonderheit eine einzelne von dessen Bestimmtheiten, Eigenschaften oder Verhältnissen, die Allgemeinheit wieder eine noch abstraktere, einzelnere Bestimmtheit an dem Besonderen." (GW 12, 95) Indem er die Terme des Schlusses mit einem Gegenstand und dessen Merkmalen in Verbindung bringt, geht Hegel selbst von der substanzontologischen Deutung der logischen Form aus, die er zu überwinden trachtet. Der Grund liegt zweifellos in der Auffassung, dass die Deutung nach dem Schema von Substanz und Akzidenzen unserer gewöhnlichen Ansicht von der Bedeutung des Schlusses und seiner Terme am nächsten kommt. Anders als Aristoteles und im Einklang mit der Logik seiner Zeit setzt Hegel wie selbstverständlich voraus, dass es sich bei dem Subjekt des Schlusses um einen singulären Term handelt. Während sich das Subjekt auf einen einzelnen Gegenstand bezieht, bezeichnen die beiden anderen Terme zwei Merkmale mit unterschiedlichen Graden der Abstraktion. Das Prinzip des Schließens scheint daher klar: Wenn einem konkreten Gegenstand ein bestimmtes Merkmal zukommt, muss von ihm auch ein allgemeines Kennzeichen dieses Merkmals prädiziert werden können. Wenn der Mensch zum Beispiel ein handelndes Wesen ist und die Bestimmung des Handelns unter den Begriff der Veränderlichkeit fällt, bin ich berechtigt zu folgern, der Mensch sei ein veränderliches Wesen. Nichtsdestoweniger erklärt Hegel den Schluss mittels eines bestimmten Merkmals für etwas Zufälliges. Das soll eine Reihe von Beispielen belegen, in denen wir ,richtig' auf eine falsche Konklusion schließen. Ich greife das sinnfälligste heraus: „Aus dem Médius Terminus der Schwere der Planeten, Trabanten und Kometen gegen die Sonne folgt richtig, dass diese Körper in die Sonne fallen; aber sie fallen nicht in sie, da sie ebenso sehr für sich ein eigenes Zentrum der Schwere sind oder, wie man es nennt, von der Zentrifugalkraft getrieben werden." (GW 12, 96) Das Beispiel passt genau auf die oben zitierte Beschreibung. Dem konkreten Himmelskörper werden die beiden Bestimmungen ,schwer' und ,fällt in die Sonne' zugeschrieben. Dahinter steht die Vorstellung, dass alles Schwere von der Sonne als dem Zentrum unseres Planetensystems angezogen wird. Falsch wird die Konklusion durch die der Anziehung entgegen wirkende Fliehkraft. Doch auch der Schluss, dass der Gegenstand das Zentrum flieht, ist solange verfehlt, wie die zentripetale und zentrifugale Kraft einander die Waage halten und der Himmelskörper um die Sonne kreist. Die Theorie der Gravitation macht einsichtig, warum das Prädikat der Schwere für sich genommen nicht ausreicht, um Folgerungen hinsichtlich des Verhaltens einzelner Himmelskörper zu ziehen. Formal betrachtet liegt die Schwierigkeit der Schlüsse des Daseins in der Begründung ihrer Prämissen. In dem genannten Beispiel müsste etwa die Prämisse ,ein schwerer Gegenstand fällt in die Sonne' gerechtfertigt werden. Bedient man sich dazu wiederum eines Syllogismus der ersten Figur, gerät man unweigerlich in einen Regress.
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
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die Prämissen des ersten Schlusses durch zwei neue Schlüsse begrünsich auf vier statt zwei Prämissen stützen, die ihrerseits wieder jede den, der Begründung bedürfen. Angesichts des drohenden Regresses schlägt Hegel vor, zur Rechtfertigung der Prämissen auf die zweite und dritte Figur zurückzugreifen. Schließt man die drei Figuren zu einem Kreis zusammen, so die Überlegung, kann die ursprüngliche Konklusion als vollständig begrifflich begründet angesehen werden.14 Wie sich sofort zeigt, ist mit der Strategie für den konkreten Anwendungsfall nichts gewonnen. Würde die Schwere eines Planeten mit Hilfe der Tatsache begründet, dass er in die Sonne fällt bzw. dass er die Sonne flieht, landete man in einem Zirkel, da auf die Begründung zugleich geschlossen werden soll. Es liegt deshalb nahe zu vermuten, dass Hegel mit dem Beispiel etwas anderes bezweckt. Aus dem Umstand, dass zu der vollständigen Vermittlung des Subjekts mit dem Prädikat der Konklusion formal gesehen ein Kreis von drei Figuren erforderlich ist, folgert Hegel, dass der Schluss ,in Wahrheit' nicht auf einem einzelnen Moment, sondern auf der Einheit aller drei Momente des Begriffs beruht. Am Ende der Abhandlung über die Figuren des Schließens schreibt er: „Was wahrhaft vorhanden ist, ist das positive Resultat, dass die Vermittlung nicht durch eine einzelne, qualitative Formbestimmtheit geschieht, sondern durch die konkrete Identität derselben." (GW 12, 106) Methodisch geht Hegel so vor, dass er aus der Reflexion auf die Bedeutung des Mittelbegriffs der verschiedenen Formen des Schließens die jeweils nächste gewinnt. So ist „die Wahrheit" der ersten Figur, dass es sich bei dem besonderen Merkmal, das die Mitte des Schlusses bildet, um „eine Zufälligkeit", das heißt „eine Einzelheit" handelt (GW 12, 99f). Damit ist gemeint, dass für den Schluss des Daseins ein beliebiges Merkmal des konkreten Gegenstands herausgegriffen und aus ihm irgendein allgemeines Kennzeichen gefolgert wird. Insofern das Merkmal jedoch etwas Zufälliges ist, bedeutet der mittlere Term die „abstrakte Allgemeinheit". Versteht man die Mitte des Schlusses in der Weise, kommt „ihre Wahrheit" in der dritten Figur zum Ausdruck (102). Eine detaillierte Beschreibung von Hegels Vorgehen hätte natürlich außer dem mittleren auch die Veränderung der beiden äußeren Terme zu berücksichtigen. Aus Platzgründen muss ich es aber bei den Andeutungen zu der zweiten und dritten Figur belassen. Halten wir daher fest: In dem Schluss des Daseins sollen das Subjekt und das Prädikat durch ein bestimmtes Merkmal des konkreten Gegenstands begrifflich vermittelt werden. Weil der Schluss sonst auf unbegründeten Prämissen beruhte, müssen die drei Momente des Begriffs zusammen die vermittelnde Funktion übernehmen. Nimmt man die letzte Einsicht wörtlich, bezeichnet der mittlere Term nicht eine, sondern eine ganze Klasse von Bestimmungen, nämlich die Einheit des Einzelnen, des Besonderen und des Allgemeinen. Mit dieser Überlegung begründet Hegel den Schritt zu der zweiten Gattung der Schlüsse. Die am Ende des ersten Abschnitts der Schlusslehre erreichte Art von Identität der drei Momente des Begriffs bezeichnet Hegel als „Einheit der Reflexion" (GW 12, 110). Der Titel weist darauf hin, dass die Zusammenfassung der Bestimmungen gleichsam Denn wollte
man
müsste
man
14
In der enzyklopädischen Logik spricht Hegel von den drei Figuren als einem „Kreis sich gegenseitig voraussetzender Vermittlungen. In der ersten Figur E-B-A sind die beiden Prämissen, E-B und B-A, noch unvermittelt; jene wird in der dritten, diese in der zweiten Figur vermittelt." (Enz. § 189.)
Georg Sans
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außen, durch unser Denken erfolgt. Die Zugehörigkeit der Elemente zu ihrer Klasse beruht nicht auf der Natur der Sache, sondern wird durch das urteilende und schlussfolgernde Subjekt gesetzt. Das Ergebnis einer solchen Setzung nennt Hegel die ,Allheit': „Die Form der Allheit fasst das Einzelne zunächst nur äußerlich in die Allgemeinheit zusammen." (111) Das Problem eines Schlusses, der sich auf die Form der Allheit stützt, besteht offenbar in der fehlenden Gewähr für seine Vollständigkeit. Wie kann ich zum Beispiel wissen, dass wirklich alle Menschen sterblich sind? Abermals stellt sich die Frage, auf welchem Weg wir zu unseren Prämissen gelangen. Denn stünde von jedem einzelnen Menschen bereits fest, dass er sterben muss, brauchten wir nicht mehr von der Sterblichkeit aller Menschen auf die Sterblichkeit des Gaius zu schließen. Soll der Schluss nicht auf eine Petitio Principii hinauslaufen, darf die Konklusion Gaius ist sterblich' nicht als versteckte Prämisse des Obersatzes vorausgesetzt werden. Der Weg, den Hegel aus der geschilderten Lage weist, führt über die beiden Schlüsse der Induktion und der Analogie. Habe ich beispielsweise in allen mir bekannten Fällen beobachten können, dass ein Mensch, nachdem er ein gewisses Alter erreicht hat, stirbt, mag ich mich berechtigt fühlen, alle Menschen für sterblich zu halten. Doch worauf gründet sich die Annahme? Ausschließen, dass sie durch eine künftige Instanz widerlegt wird, kann ich nur, wenn ich mich auf die analoge Beschaffenheit einer ganzen Klasse von Gegenständen stütze. Allerdings nennt Hegel sofort ein Gegenbeispiel: „Die Erde hat Bewohner. Der Mond ist eine Erde. Also hat der Mond Bewohner." (GW 12, will Hegel klar machen, dass die „bloße 115) Mit dem polemisch gemeinten Ähnlichkeit" nicht genügt, um entscheiden zu können, ob zwei Dinge auch sonst in ihren Merkmalen übereinstimmen. Dazu braucht es vielmehr die Kenntnis der „allgemeinen Natur" des konkreten Gegenstands (ebd.). Dass nicht alle Planeten bewohnt, wohl aber alle Menschen sterblich sind, hat seinen Grand darin, dass es sich bei der Sterblichkeit um eine im Begriff des Menschen gelegene notwendige Bestimmung handelt. Gaius ist nicht sterblich aufgrund seiner individuellen Merkmale oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse von Gegenständen, sondern weil die Sterblichkeit in der Natur seiner Gattung liegt. Damit ein gültiger Schluss zustande kommt, darf sich der mittlere Term weder auf eine ,abstrakte Allgemeinheit' noch auf eine ,Allheit' beziehen. Deshalb geht Hegel zu der dritten Gattung von Schlüssen über. Dabei ändert der Mittelbegriff abermals seine Bedeutung. Hegel spricht nun von dem mittleren Term als der „an und für sich seienden" oder „objektiven Allgemeinheit" (118f). von
,
Beispiel15
3. Die
Realisierung des Begriffs
Aristoteles beginnt das vierte Buch der Metaphysik mit der berühmten Feststellung, ,seiend' werde auf vielerlei Weise ausgesagt.1 Dasselbe könnte man auch im Hinblick auf die Rede Hegels von dem Begriff behaupten. Natürlich ist sich Hegel bewusst, dass In der Phänomenologie des Geistes bemerkt Hegel ironisch: „Die Analogie gibt nicht nur kein volles Recht, sondern sie widerlegt, um ihrer Natur willen, sich so oft, dass, nach der Analogie selbst zu schließen, die Analogie vielmehr keinen Schluss zu machen erlaubt." (GW 9, 143.) Aristoteles, Metaphysik, IV 2 (1003a33).
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
227
von Merkmalen wie ,rot' oder Klassen von Dingen wie ,der Planet' Doch nur verfügen. gelegentlich stellt er diese Arten von Begriffen ausdrücklich ,dem im Sinn seiner Begriff spekulativen Metaphysik gegenüber. In solchen Fällen spricht er nicht von Begriffen, sondern von Vorstellungen. 7 Man wird Hegels Wissenschaft der Logik im Ganzen und seine Lehre vom Begriff im Besonderen nicht verstehen, wenn man ihm einen univoken oder an unserem üblichen Verständnis orientierten Gebrauch des Ausdrucks Begriff unterstellt. Das betrifft nicht nur die absonderlich anmutende These, die Idee sei „der objektive oder reale Begriff und zugleich „die Einheit des Begriffs und der Objektivität, das Wahre" (GW 12, 174). Auch demjenigen Teil der subjektiven Logik, der dem Anschein nach von Begriffen im üblichen Sinn des Wortes handelt, nämlich die Lehre vom formellen Begriff, Urteil und Schluss, liegt eine spekulative Auffassung des Begriffs zugrunde. Andernfalls bliebe weitgehend unverständlich, warum der Begriff aus dem Wesen, genauer aus den Kategorien der Relation hervorund warum die Form des Schlusses am Ende in die Kategorie der Objektivität übergehen sollte. Betrachtet man die Schlusslehre für sich, entwickelt Hegel die Bedeutung des mittleren Terms von der eines allgemeinen Merkmals über die einer Allheit von Gegenständen hin zu der eines ,objektiven Allgemeinen'. Mit dem letzten meint Hegel zweifellos etwas real Existierendes. Der hegelsche Begriff dient deshalb nicht nur zur Bestimmung der wahren Natur dessen, was ist, sondern der Begriff ist selbst etwas, das existiert. Dabei geht Hegel weit über das hinaus, was man als eine universalienrealistische Position bezeichnen könnte. Letzten Endes mündet seine Philosophie in einen, wie Rolf-Peter Horstmann es genannt hat, subjektivitätsontologischen Monismus. Alles, was es in Wahrheit gibt, ist der Begriff.18 Bevor ich auf die Frage zu sprechen komme, welchen Sinn man einer solchen Theorie des Begriffs möglicherweise abgewinnen kann, will ich erläutern, wie Hegel die besagte Konzeption aus der Entwicklung der Formen des Schließens gewinnt. Das Bemerkenswerte an dem Vorgehen Hegels ist, dass er mit der in seinen Augen gewöhnlichen Bedeutung des mittleren Terms beginnt und in den ersten beiden Teilen der Schlusslehre die Schwierigkeiten diskutiert, vor die auch jede Theorie des natürlichen Schließens gestellt ist. Der Zusammenhang der Schlusslehre mit der Theorie des Begriffs ist also in der Sache begründet und keine Idiosynkrasie Hegels. Knapp gefasst lautet das Problem: Welche Anforderungen sind an den mittleren Term zu stellen, wenn der Schluss zu begrifflich begründeter Erkenntnis führen soll? Angewandt auf das Standardbeispiel: Was muss ,der Mensch' bedeuten, damit vom Menschsein des Gaius auf seine Sterblichkeit geschlossen werden kann? Wie ich in den ersten beiden Abschnitten dargelegt habe, besagt die Antwort Hegels: Nur wenn der Mittelbegriff mehr als bloß ein bestimmtes Merkmal oder eine Klasse von Gegenständen bezeichnet, bestehen Aussichten, den Schlusssatz tatsächlich mittels eines Begriffs zu begründen. Hegel zufolge muss sich der mittlere Term auf „die allgemeine Natur der Sache, die Gattung" bezie-
wir über
Begriffe
,
17
„Wenn bei dem Weißen, Roten, als sinnlichen Vorstellungen, stehen geblieben wird, so wird, wie gewöhnlich, etwas Begriff genannt, was nur Vorstellungsbestimmung ist." (GW 12, 67) „Was auch Begriffe, und zwar bestimmte Begriffe genannt werden, z.B. Mensch, Haus, Tier usf., sind -
einfache 18
Bestimmungen und abstrakte Vorstellungen." (Enz. § 164 Anm.) Vgl. Horstmann, Wahrheit aus dem Begriff, a.a.O. (Anm. 7), 75-81.
228
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hen (GW 12, 118). Ähnlich wie bei unseren Begriffen für natürliche Arten dürfen den Individuen ihre Bestimmungen weder bloß zufällig noch einfach aufgrund analytischer Notwendigkeit zukommen. Vielmehr muss es sich um notwendige Eigenschaften de re handeln. Nur so ist sichergestellt, dass unsere Schlüsse informativ sind und der Zuwachs der Erkenntnis auf dem mittleren Term beruht. Infolgedessen darf das Standardbeispiel streng genommen weder als ein Schluss des Daseins der ersten Figur noch als ein Schluss der Allheit angesehen werden. Soll der mittlere Term die allgemeine Natur oder die Gattung des Subjekts bezeichnen, muss es sich um einen kategorischen Schluss handeln. Die Mitte des kategorischen Schlusses ist „die wesentliche Natur des Einzelnen" und das Prädikat „nicht irgendein abstraktes Allgemeines", sondern „das Spezifische des Unterschiedes der Gattung" (120). Als das Ergebnis der Überlegungen Hegels lässt sich daher festhalten: Auch von den gewöhnlichen Schlüssen unseres Alltags kann eine echte Erkenntnis mittels Begriffen nur erwarten, wer hinsichtlich der Bedeutung der Terme ganz bestimmte ontologische Verpflichtungen einzugehen bereit ist. Mit dem kategorischen Schluss ist das Kapitel freilich nicht beendet, sondern der entscheidende Schritt zur Realisierung des Begriffs liegt noch vor uns. Er erfolgt im Rahmen der Abhandlung über die Formen des hypothetischen und des disjunktiven Schlusses. Anders als in den vorhergehenden Abschnitten ist hier kaum noch zu erkennen, was die genannten Formen mit dem allgemeinen Schema und den Figuren des Schlusses zu tun haben. Methodisch bleibt sich Hegel dagegen insofern treu, als er die neuen Formen ausgehend von der Bedeutung der vorhergehenden gewinnt. Auch in dem kategorischen Schluss, erklärt Hegel, bleibt ein Rest von Zufälligkeit. Betrachtet man wieder das Standardbeispiel, ist das Zufällige nicht die Verbindung von Subjekt und Prädikat durch den Begriff des Menschen, sondern der Umstand, dass das Beispiel gerade von Gaius und nicht von Tullia spricht, und dass dem Gaius das Attribut der Sterblichkeit und nicht etwa das der Sittlichkeit oder der Vernunft beigelegt wird. Der kategorische Schluss greift offenbar ein beliebiges Individuum heraus und schließt es mit einem von mehreren spezifischen Merkmalen der Gattung zusammen. So gesehen handelt es sich bei den Extremen des Schlusses um etwas begrifflich nicht Vermitteltes, das heißt in der Terminologie Hegels: etwas Unmittelbares. Die beiden Aspekte der Unmittelbarkeit einerseits und der Vermittlung andererseits kommen Hegel zufolge in dem hypothetischen Schluss zum Ausdruck, dessen Schema lautet: Wenn A ist,
so
ist B.
Nun ist A.
Also ist B.
Im Unterschied zu den bisher behandelten Formen des Schließens stellen der Untersatz und die Konklusion des hypothetischen Schlusses keine prädikativen Urteile, sondern Existenzaussagen dar. Obwohl es nun nahe läge, Hegel die Verwechslung der Kopula mit dem existenziellen ,ist' zu unterstellen und in der Entwicklung der Formen des Schließens einen unzulässigen Übergang vom Begriff zum Sein zu vermuten, lässt sich ein solcher Vorwurf unter den Voraussetzungen der hegelschen Logik schwer erhärten. Denn der Satz ,A ist' knüpft an frühere Bestimmungen des Unmittelbaren an, nämlich
229
Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs
die Kategorien des Seins, der Existenz und der Wirklichkeit. Der hypothetische Schluss behauptet keineswegs die reale Existenz von etwas, das zuvor bloß einen idealen Status besaß. Vielmehr bringen der Untersatz und die Konklusion die „Unmittelbarkeit des Seins" der beiden Extreme des kategorischen Schlusses zum Ausdruck (GW
an
12, 121).
Mit einem
vergleichbaren Argument bewerkstelligt Hegel
den nächsten und letzten
Übergang. Der hypothetische Schluss stellt die „notwendige Beziehung" zwischen dem
unmittelbaren Sein des A und dem unmittelbaren Sein des B dar (ebd.). Insofern zwischen ihnen ein notwendiger Zusammenhang besteht, handelt es sich bei den Termen A und B des hypothetischen Schlusses gleichsam um verschiedene Seiten einer Medaille. Die Verfassung eines solchen Ganzen, so Hegel weiter, kommt in der Form des disjunktiven Schlusses zum Ausdruck: A ist entweder B oder C oder D. A ist aber B.
Also ist A nicht C noch D.
Der Term A besitzt genau die Eigenheiten, die auch dem hegelschen Begriff zugeschrieben werden müssen. Wie die Gattung aus einer Mehrzahl von Individuen und der Organismus aus mehreren Organen besteht, so bildet ,der Begriff die Einheit des Einzelnen, des Besonderen und des Allgemeinen. Infolgedessen versteht man den Obersatz des Schlusses nur richtig, wenn man ihn zugleich als die Konjunktion ,A ist sowohl B als C als D' liest.20 Zugleich liegt es aber in der Natur des Begriffs, stets nur in einem seiner Momente zu erscheinen. Deswegen schließt dasjenige, was der Begriff unmittelbar ,ist', die beiden anderen Momente aus. Als Einzelnes ,ist' der Begriff nicht das Besondere noch das Allgemeine. Die gewöhnlichen Beispiele versagen an diesem Punkt von Hegels Schlusslehre, weil es sich bei den disjunkten Bestimmungen nicht um die Arten einer Gattung, sondern um die einzelnen Momente des Begriffs handelt. Recht verstanden stellt die Form des disjunktiven Schlusses daher die Verfassung des hegelschen Begriffs dar. Hegel spricht von der „Mitte" des disjunktiven Schlusses gemeint ist der Term A als der „entwickelten objektiven Allgemeinheit", weil deutlich wird, dass der Begriff als in einem seiner verschiedenen Momente unmittelbar erscheinendes Ganzes aufgefasst werden muss. Weil es sich bei den Momenten des Einzelnen, des Besonderen und des Allgemeinen um die spezifischen Merkmale des Begriffs handelt, ist es nicht mehr eine Frage des Zufalls, welche Bestimmungen die Terme des Schlusses bilden. Deshalb kann Hegel von der Mitte behaupten, sie enthalte „die beiden Extreme in ihrer vollständigen Bestimmtheit" (GW 12, 123f). Damit hat er sein Ziel erreicht. Die Form des Schlusses kann als vollständig aus sich selbst, das heißt durch die Natur des Begriffs bestimmt gelten. Zu der Natur des Begriffs gehört nicht bloß die geschilderte Art der Identität seiner Momente, sondern auch der Prozess seiner ursprünglichen Teilung und Wiederherstellung. Der systematische Anspruch von Hegels Wissenschaft der Logik beruht auf der -
-
19
20
Vgl. etwa E§ 142 Anm. Vgl. den entsprechenden Hinweis Hegels zu der Form des disjunktiven Urteils (GW 12, 80f).
230
Georg Sans
Annahme eines Zusammenhangs zwischen der Verfassung des Begriffs als einer aus mehreren Momenten bestehenden Totalität auf der einen und dem Prozess seiner Manifestation auf der anderen Seite. Im Zuge der spekulativen Logik bestimmt der Begriff sich selbst zu einer komplexen selbstbezüglichen Struktur. Auf die mit dem hegelschen Projekt einer Wissenschaft des reinen Denkens verbundenen grundsätzlichen Schwierigkeiten will ich hier nicht eingehen, sondern lediglich den letzten Schritt der Schlusslehre einer genaueren Betrachtung unterziehen. In der enzyklopädischen Logik verkündet Hegel: „Diese Realisierung des Begriffs, in welcher das Allgemeine diese eine in sich zurückgegangene Totalität ist, deren Unterschiede ebenso diese Totalität sind und die durch Aufheben der Vermittlung als unmittelbare Einheit sich bestimmt hat, ist das Objekt." (Enz. § 193) Der Relativsatz enthält offenbar nichts weiter als die Zusammenfassung dessen, was Hegel als die Verfassung des Terms A des disjunktiven Schlusses und damit als die wahre Natur der Mitte des Schlusses überhaupt ansieht. Der Begriff realisiert sich als ein in mehreren Momenten unmittelbar erscheinendes Ganzes. Die Rede von der Realisierung des Begriffs bezieht sich auf die Entwicklung der Formen des Schließens, in deren Verlauf sich die besagte Natur des Begriffs ergeben hat. Das eigentliche Gewicht ruht indes auf dem Ende des Satzes, wo Hegel den realisierten Begriff als ,das Objekt' identifiziert. Der Schritt ist deshalb von der größten Bedeutung, weil Hegel hier unmissverständlich beansprucht gezeigt zu haben, dass ,der Begriff etwas real Existierendes darstellt. Er geht so weit, dass er den Übergang vom subjektiven Begriff zum Objekt mit dem ontologischen Gottesbeweis der Tradition vergleicht. Das Stichwort ist freilich geeignet, einen in doppelter Hinsicht irrezuführen. Denn weder steuert Hegel geradewegs auf eine philosophische Theologie zu, noch geht er einfach von etwas bisher bloß in Gedanken Vorhandenem zu etwas unabhängig von unserem Denken Existierendem über. Die Objektivität ist genauso eine logische Kategorie wie die subjektiven Formen des Urteilens und Schließens. Inwiefern also ,ist' der Be-
griff,das Objekt'? Beginnen wir mit der Feststellung, dass Hegel den Unterschied zwischen den Formen des subjektiven Denkens und den Bestimmungen des Objekts keineswegs leugnet. Subjektivität und Objektivität bilden ihrerseits die Momente eines Ganzen, das Hegel ,die Idee' nennt. Weiter ist zu erinnern, dass Hegel nicht nur den Begriff und das Objekt,
sondern auch die Idee für etwas hält, das real existiert. Was die Konnotationen betrifft, die Hegel mit dem Begriff des Objekts verbindet, so fügen sie sich zu dem bisher Gesagten. Unter einem Objekt, notiert Hegel, pflege man „nicht bloß ein abstraktes Seiendes oder existierendes Ding oder ein Wirkliches überhaupt zu verstehen, sondern ein konkretes, in sich vollständiges Selbständiges" (Enz. § 193 Anm.). Mit der Rede von der Selbständigkeit des Objekts knüpft er an die Kategorie der absoluten Substanz vom Ende der objektiven Logik an. Konkret wird das Objekt durch die Mehrzahl der Bestimmungen, in denen es erscheint. Wie sich ferner an der Bemerkung ersehen lässt, ist mit dem Objekt nicht in erster Linie etwas gemeint, das einem erkennenden Subjekt gegenüberstünde. Die Pointe der hegelschen Konzeption des Objekts liegt vielmehr in der These, dass der Begriff und das Objekt analog verfasst sind. Subjektivität und Objektivität bilden nicht bloß die Momente eines Ganzen, das Hegel die Idee nennt, son21
Vgl. E§
157ff.
Hegels Schlusslehre als Theorie
des
Begriffs
231
dem dank ihrer identischen Struktur lassen sich das Objekt und die Idee mit Hilfe der Formen des subjektiven Denkens darstellen. ,Alles Vernünftige ist ein Schluss' bedeutet demnach in einer ersten Annäherung: Etwas kann insoweit als vernünftig gelten, wie seine Verfassung formal derjenigen des Begriffs entspricht, und es sich als ein Schluss oder ein Kreis von Schlüssen beschreiben lässt. Bekanntlich macht Hegel von der Strategie sowohl im weiteren Verlauf der Logik als auch in der Realphilosophie reichlichen Gebrauch.22 Leider kommt der sachliche Ertrag dieses Vorgehens nicht immer klar zum Vorschein, so dass in jedem einzelnen Fall zu prüfen bleibt, was durch die systematische Darstellung eines bestimmten Sachverhalts in der Form des Schlusses gewonnen ist. Da eine solche Klärung die Grenzen des vorliegenden Beitrags bei weitem sprengen würde, will ich im Folgenden nur noch auf die weitergehende Bedeutung der Behauptung ,Alles Vernünftige ist ein Schluss' hinweisen. Hegel beansprucht keineswegs nur, etwas über die schlussförmige Verfassung der Wirklichkeit zu sagen, sondern hat es auf die metaphysische These abgesehen, wonach das in der Form des Schlusses erscheinende Vernünftige alles ist, was es wirklich gibt. Demzufolge bezeichnet ,der Begriff gleichermaßen alles, was ist, wie die Natur alles dessen, was ist. Anders ausgedrückt: Alles, was es gibt, ist in den Augen Hegels eine Weise der Realisierung des Begriffs. Diese ambitionierte metaphysische Kernthese steht auch im Hintergrund der Schlusslehre. Daher ist Vorsicht gegenüber allen Versuchen geboten, sie als eine Abhandlung über formale Logik oder als eine Theorie der Bedeutung zu lesen. Für Hegels Projekt spielen die Probleme der Logik des Schließens und der Bedeutung der Terme lediglich insofern eine Rolle, als sich mit ihrer Hilfe die wahre Verfassung des Begriffs klären lassen soll. Indem er sich auf die gewöhnlichen Formen des Schlusses bezieht, wirkt Hegel dem Eindruck entgegen, seine Theorie des Begriffs entspringe einer wilden Spekulation. Stattdessen stellt er die Lage so dar, dass er auf spezifische Defizite der gängigen Auffassung von der Bedeutung insbesondere des mittleren Terms reagiert. Angesichts des seit Kripke neu erwachten Interesses an notwendigen Aussagen de re und den mit ihnen übernommenen ontologischen Verpflichtungen wird man Hegels Anliegen nicht leicht von der Hand weisen können. Soll es tatsächlich so etwas wie begrifflich erschlossenes Wissen geben, reicht eine Theorie des Allgemeinen, die mit abstrakten Merkmalen oder Klassen von Gegenständen operiert, nicht aus. Solange Begriffe nichts über die Natur der Sache aussagen, lässt sich mit ihnen nichts erkennen, das nicht auf irgendeine Weise empirisch gegeben wäre. Doch genau darum ist es Hegel zu tun. Wie die Wissenschaft der Logik insgesamt, so ist auch die Schlusslehre von der Absicht getragen, mittels des reinen Denkens, das heißt auf rein begrifflichem Weg, zu philosophisch gehaltvollen Einsichten zu gelangen. Dabei will Hegel nicht bloß alles, was ist, mit begrifflichen Mitteln beschreiben. Er räumt dem Begriff nicht nur die Stellung einer ontologischen Grundbestimmung ein und begnügt sich ansonsten mit der Behauptung, Natur und Geist seien auf eine dem 22
23
nur an den absoluten Mechanismus (GW 12, 143ff), an die Darstellung der absoluten Methode (246ff.) und an die drei Schlüsse des Systems (Enz. § 575ff). Ich erinnere nur an Hegels Verbeugung vor der Metaphysik, sie stehe mit der Annahme, „dass das, was ist, damit, dass es gedacht wird, an sich erkannt werde", höher als die kritische Philosophie
Man denke
(Enz. § 28).
Georg Sans
232
Begriff analoge Weise verfasst. In der subjektiven Logik hebt Hegel ,den Begriff vielmehr selbst in den Rang einer Entität und erklärt ihn zu etwas real Existierendem. Mit seiner Logik verfolgt Hegel eine durch und durch revisionäre Zielsetzung. Angesichts der fortschreitenden Parzellierung des Wissens und des drohenden Auseinanderfallens unserer Beschreibungen der Welt und der Realität plädiert Hegel für ein Verständnis des Wirklichen als Vernünftigen. Zwischen Vernunft und Wirklichkeit, Denken und Sein herrscht keine unüberbrückbare Kluft, sondern besteht eine ursprüngliche und begrifflich darstellbare Einheit. Dass dem so ist, lässt sich Hegel zufolge an der Entwicklung der Bestimmungen des Denkens, sprich: an der Realisierung des Begriffs ablesen. Die hier vorgeschlagene Interpretation der Schlusslehre besitzt nach meinem Dafürhalten den Vorzug, dass sie den Beitrag der Formen des Schließens zur Realisierung des Begriffs verdeutlicht und so dem programmatischen Anliegen Hegels Rechnung trägt. Dem gegenüber steht zweifellos die Schwierigkeit, die Konzeption eines sich selbst bestimmenden und objektivierenden Begriffs unabhängig von dem metaphysischen Anspruch Hegels einsichtig zu machen. Sollte man Metaphysik indes als ein in sich lohnendes Unterfangen betrachten, lässt sich die Wissenschaft der Logik nicht nur dem breiten Strom der neuplatonischen Einheitslehren zuordnen, sondern vielleicht sogar gegen Alternativen verteidigen, die Begriff und Wirklichkeit auf eine wie immer geartete Weise auseinander reißen.24
Literatur Fichte, J. G.: Vorlesungen über Platners „Philosophische Aphorismen" 1794-1812 (Gesamtausgabe, Bd.
II/4), Stuttgart-Bad Cannstatt 1976.
Henrich, D.: Der Grund im Bewusstsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794-1795), Stuttgart 1992. Hölderlin, F.: Unheil und Seyn, in Sämtliche Werke, Bd. IV/1, Stuttgart 1961, 216f. Horstmann, R.-P.: Wahrheit aus dem Begriff. Eine Einführung in Hegel, Frankfurt/M. 1990. Krohn, W.: Die formale Logik in Hegels Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zur Schlusslehre, „
München 1972. Patzig, G.: Die aristotelische
Syllogistik. Logisch-philologische Untersuchungen über das Buch A
der
„Ersten Analytiken", Göttingen 31969. Sans, G.: Die Realisierung des Begriffs. Eine Untersuchung zu Hegels Schlusslehre, Berlin 2004. Ders.: „Hegels Variation der kantischen Urteilslehre", in: Hegel-Jahrbuch 2005, 204-209. Ders.: „Hegels Idee des individuellen Lebens", in: Theologie und Philosophie 11 (2002), 54-72, 68f. Waibel, V.: Hölderlin und Fichte. 1794-1800, Paderborn 2000.
Für wertvolle Hinweise danke ich Herrn Ulrich Schlösser.
Siglen
Ästh.
Hegel, G. W. F., Vorlesungen über die Ästhetik.
Era.
Hegel, G. W. F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften.
GW
Hegel, G. W. F., Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hg. v. derNordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg.
JA
Hegel,
G. W. F.,
Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden, hg.
v.
H.
Glockner, Stuttgart 1927-
1931.
KpV
Kant, I., Kritik der praktischen Vernunft.
KrV
Kant, L, Kritik der reinen Vernunft.
KU
Kant, I., Kritik der Urteilskraft.
LM
Hegel, G. W. F., Vorlesungen über Logik und Metaphysik (1817). hg. v. Gloy, K., Hamburg 1992.
MEW
Marx, K./Engels, F., Werke, Berlin 1956ff.
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Hegel, G. W. F., Phänomenologie des Geistes.
Rph.
Hegel, G. W. F., Grundlinien der Philosophie des Rechts.
TW
Hegel,
G. W. F., Werke in zwanzig Bänden.
Werke
von
1832-1845, hg.
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Nachschrift F. A. Good,
Theorie-Werkausgabe.
Auf der
Grundlage
der
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Hinweise
zu
den Autoren
Arndt, Andreas, Prof. Dr. phil., geb. 1949; apl. Prof.
am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin und Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe), Vorsitzender der Internationalen Hegel-Gesellschaft seit 1992, Mitherausgeber des Hegel-Jahrbuchs und der
Hegel-Forschungen. Wichtigste Buchveröffentlichungen: Lenin Politik und Philosophie (1982); Karl Marx. Versuch über den Zusammenhang seiner Theorie (1985), Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs (1994); Die Arbeit der Philosophie (2003); Unmittelbarkeit (2004). Herausgeber: Friedrich Schleiermacher, Briefwechsel (7 Bde., 1985-2005); Schleiermacher: Schriften (1996); Schleiermacher: Vorlesungen über die Dialektik (2002). Mitherausgeber: Materialismus und Spiritualismus. Philosophie und Wissenschaften nach 1848 (2000); Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven (2000); Hegels .Phänomenologie des Geistes heute (2004). -
'
Grau, Alexander, Dr. phil., geb. 1968, arbeitet zur Zeit an einem Forschungsprojekt über die konstituierende Funktion von Metaphern in der analytische Erkenntnistheorie. Zudem Autor u.a. für die Wissenschaftsseiten der Frankfurter Allgemeinen Sonntags-
zeitung.
Buchveröffentlichung: Ein Kreis von Kreisen. Hegels postanalytische Erkenntnisthe(2001). Aufsätze: ,„No Entity without Identity'. Schellings Identitätsbegriff im Lichte der analytischen Philosophie" (1998); „Zwischen Korrespondenz und Kohärenz. Kants Kampf mit der Wahrheit" (2001); „Glauben, Wissen: Ironie. Hegels postanalyti-
orie
sche
Überwindung der Erkenntnistheorie" (2004).
am Institut für Philosound Berlin. Jena Gastprofessuren Prag, phie Buchveröffentlichungen: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik (1990); Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos (1994); Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus (1999); Grundzüge der Marx'sehen Kapitalismustheorie (2005). Mitherausge-
Iber, Christian, PD Dr. phil., geb. 1957; lehrt als Privatdozent der FU Berlin.
in
242
Hinweise zu den Autoren
ber: Dialektischer Negativismus (1992); Selbstbesinnung der philosophischen Moderne. Beiträge zur kritischen Hermeneutik ihrer Grundbegriffe (1998); Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven (2000); Der Sinn der Zeit (2002).
Koch, Anton Friedrich, Prof. Dr. phil., geb. 1952, seit 1996 Professor für Philosophie an
der Universität Tübingen. Aufsätze zur Hegelschen Logik: „Die Selbstbeziehung der Negation in Hegels Logik", in: Zeitschrift für philosophische Forschung 53 1999, 1-29; „Sein Nichts Werden", in: A. Arndt und Chr. Iber (Hg.), Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven (2000), 140-157; „Dasein und Fürsichsein (Hegels Logik der Qualität)", in: A. F. Koch und F. Schick (Hg.), G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik (2002), 27-49; „Sein Wesen Begriff, in: A. F. Koch, A. Oberauer und K. Utz (Hg.), Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik" (2003), 17-30. -
-
-
-
Kruck, Günter, Dr. theol. habil., geb. 1960, Lehrstuhlvertreter für Fundamentaltheologie
Religionswissenschaft in Mainz, Studienleiter an der Akademie Erbacher Hof in Mainz, Lehrbeauftragter für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule und
Sankt
Georgen. Buchveröffentlichungen: Hegels Religionsphilosophie der absoluten Subjektivität und die Grundzüge des spekulativen Theismus Christian Hermann Weißes (1994); Das absolute Geheimnis vor der Wahrheitsfrage. Über den Sinn und die Bedeutung der Rede von Gott (2002). Herausgeber: Gottesglaube, Gotteserfahrung, Gotteserkenntnis. Begründungsformen religiöser Erfahrungen in der Gegenwart (2003); zus. mit Veronika Schlör: Medienphilosophie Medienethik. Zwei Tagungen eine Dokumentation (2003). Aufsätze: „Moment und Monade. Eine systematische Untersuchung zum Verhältnis von G. W. Leibniz und G. W. F. Hegel am Beispiel des Fürsichseins", in: A. Arndt und Chr. Iber (Hg.), Hegels Seinslogik Interpretationen und Perspektiven (2000), 215-234; „Die Logik des Grundes und die bedingte Unbedingtheit der Existenz", in: A. F. Koch und F. Schick (Hg.), G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik -
-
-
(2002), 118-140.
Lau, Chong-Fuk, Dr. phil., geb. 1973, Humboldt-Forschungsstipendiat und Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie der Technischen Universität Darmstadt, ab August 2004 Assistant Professor
am
Department
of
Philosophy
of the Chinese
University
of
Hong Kong.
Buchveröffentlichung: Hegels Urteilskritik. Systematische Untersuchungen zum Grundproblem der spekulativen Logik (2004). Aufsätze: „Voraussetzungs- und Bestimmungslosigkeit. Bemerkungen zum Problem des Anfangs in Hegels Wissenschaft der Logik" (2000); „Transzendenz in der Immanenz. Die Dialektik der Grenze und Hegels Idee einer spekulativen Metaphysik" (2002); „Language and Metaphysics. The Dialectics of Hegel's Speculative Proposition" (im Erscheinen). Oberauer, Alexander, geb. 1972, Studium der Deutschen Literaturwissenschaft und
Philosophie
in
Tübingen.
Dissertation über den
Begriff der Wahrheit
in der Aristoteli-
243
Hinweise zu den Autoren
Metaphysik. Mitherausgeber: Der Begriff als Hegelschen „Subjektiven Logik" (2003). sehen
die Wahrheit. Zum
Anspruch
der
Sans, Georg, S. J., Prof. Dr. phil., geb. 1967, lehrt seit 2004 Geschichte der Philosophie
an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Ist Kants Ontologie naturalistisch? Die „Analogien der ErfahVeröffentlichungen: reinen in der der „Kritik Vernunft" (2000); Hegels Idee des individuellen Lebens rung" des Die Begriffs. Eine Untersuchung zu Hegels Schlußlehre, Realisierung (2002); (2004); Hegels Variation der Kantischen Urteilslehre (2005).
des 19. und 20. Jahrhunderts
Schäfer, Rainer, Dr., geb. 1971, seit 2000 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Heidelberg. Buchveröffentlichung: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik (2001). Aufsätze: „Transzendental-kritischer und metaphysischer Idealismus in den frühen Konzeptionen Fichtes und Schellings", in: K. Engelhard (Hg.), Aufklärung (2002), 91-112; „Hegels Ideenlehre und die dialektische Methode", in: A. F. Koch und F. Schick (Hg.), G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik (2002), 243-264. Schick, Friedrike, PD Dr. phil., geb. 1960, seit 1996 Assistentin, seit 2003 Oberassis-
am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen. Buchveröffentlichungen: Hegels Wissenschaft der Logik metaphysische Letztbegründungoder Theorie logischer Formen? (1994); Sache und Notwendigkeit. Studien zum Verhältnis von empirischer und begrifflicher Allgemeinheit (2005). Mitherausgeber: G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik (2002). Aufsätze zu Hegels Logik, Rechtsphilosophie und Anthropologie.
tentin
-
Stederoth, Dirk, Dr. phil., geb. 1968, seit 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Be-
Philosophie an der Universität Kassel. Buchveröffentlichung: Hegels Philosophie des subjektiven Geistes. Ein komparatorischer Kommentar (2001). Mitherausgeber: Kritik und Praxis. Zur Problematik menschlicher Emanzipation (1999); Die Zukunft der Geschichte. Reflexionen zur Logik des Werdens, darin: „Das Ende am Anfang. Bemerkungen zu Hegels Geschichtsbegriff' (2002). Aufsätze: „Der Begriff der Repressiven Entsublimierung' bei Herbert Marcuse" (1998); „Geschichten des Leibes. Philosophie und Leiblichkeit in China und Europa" (2000); „Verstand und Lebendigkeit. Anmerkungen zu Hegels zweitem Bewußtsein als solchem" (2002); „Der Geschmack der Freiheit. Über das Verhältnis von Ethik und Begehren im Ausgang von Kant" (2004); „Todesangst und Elixiere" (2004). reich Theoretische
Stekeler-Weithofer, Prof. Dr., geb. 1952, seit 1992 Professur für Theoretische Philosophie an der Universität Leipzig. Wichtigste Veröffentlichungen: Grundprobleme der Logik. Elemente einer Kritik der formalen Vernunft (1986); Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung (1992); Sinn-Kriterien. Die logischen Grundlagen kritischer Philosophie von Piaton bis Wittgenstein (1995); Was heißt Denken? (2004);
244
Hinweise zu
den
Autoren
Selbstbewußtseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie (2005); zus. mit F. Kambartel: Sprachphilosophie (2005). Herausgeber: Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung Bd. 9: Gegenwart (2004). Mitherausgeber: Enzyklopädie Philosophie {1999); Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie (seit 1996). Philosophie
des
Utz, Konrad, Dr. phil., geb. 20.6.1968, freier Dozent, Tübingen.
Wichtigste Veröffentlichungen: Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der „Wissenschaft der Logik" (2001); „Absolute Methode?", in: A. F. Koch, A. Oberauer und K. Utz (Hg.), Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik" (2003).
Personenverzeichnis
134 H. Albert, 122, 134f A Ambrose, 31
Fichte, J. G. 50f.,218 Frege, G. 85, 103, 105, 118 Fulda, H. F. 93, 97f.
Agrippa
Anselm v. Canterbury 38 Aristoteles 8, 10, 21, 46, 56f, 74, 80-85,
88-93, 96f, 116, 124-128,130f, 134f, 159,186,211,221,226 Arnauld, A. 85,97 Arndt, A. 21 Bacon, F. 160
Habermas, J. 106, 118
Bentham, J. 25 Black, M. 35,78 Brandom, R. B. 25f.,28f, 70 Brandt, R. 87f, 97 Bubner, R. 84, 92, 95, 97
Hagner, M.
194,204
Calderón, P. 76 Carnap, R. 27-29, 160 Damasio, A. R. 155 Davidson, D. 29, 76-79, 104, 118, 205, 215
Dewey, J. 26 Diogenes Laertius 134f. Düsing, K. 56, 68, 90, 97, 126, Essler, W. K. 154, 159
155
Hartmann, K. 125, 135, 202, 204 Hartmann, N. 21 Heede, R. 91,95 Heidegger, M. 86,98 Heinrich, K. 131, 135 Heinze,H.-J. 158 Herz, M. 83 Hesse, M. 78 Hubert, D. 29 Hölderlin, F. 50f, 71, 94, 98, 218
Bucher, T. 67f. W.
Gaunilo 38 Gillespie, C. M. 81,97 Goodman, N. 77-79
Grau, A. 69,79
Baumgarten, A. G. 86 Beißner, F. 50
Burbidge, J.
Gadamer, H.-G. 91,97 Gall, F. J. 155-158 Gamm, G. 91,97
135
Homburg, H.
150
Horstmann, R.-P. 85,97,219,227 Hösle, V. 10, 95, 98, 126, 134f, 180 Hume, D. 27, 30, 34, 132, 135, 153f. Iber, Chr. 119
Jaeschke, W. 16f.
246
Personenverzeichnis
James, W. 45 Jäsche, G. B. 84
Popper, K. 27-29, 153f, 160 Putnam, H. 72
Kant, I. 8, 10, 13, 25-27, 38f, 43, 51 f., 69, 71, 77f, 83-93, 96, 106, 181-186, 202,211-216,218-220 Kapp, E. 81,84,98 Koch, A. F. 205 Kripke, S. 72,231 Krohn, W. 67f, 124, 135, 149, 166, 180,
Quine, W.
189,204,221 Kruck,G. 107,118,120, 135,164,166,180 Krüger, L. 87f, 98 Kulenkampff, A. 91,98 Kwan, F.-W. 96,98
Lagrange, J.
L. 25
Lau,C.-F. 80, 90f.,97f. Leibniz, G. W. 38, 41, 93f, 98, 127 Lenk, H. 87,96,98 Linke, D. B. 158 Locke, J. 25,49
Lurija, A.
R. 156
Marx, K. 19 Marx, W. 91,98
Maxwell, J. C. 44 Mill, J. S. 137-139, 148, 149 Münte, T. F. 158 Newton, I. 40, 44
Nietzsche, F. 32 Novalis
(Hardenberg, F. v.)
27
Oberauer, A. 100 Oehler, K. 81 Parmenides 122
Patzig, G. 81,98, 125, 135,221 Peirce, C. S. 44
Pilatus 9 Piaton 28,
45f, 55, 60, 80-82, 89, 101,
V. O.
104, 110, 112,
Reich, K. 86f.,98 Ricoeur, P. 77f. Rödl, S. 28 Rohbeck, J. 22 Rorty, R. 31,69 Roth, G. 158 Rumsfeld, D. 161 Rüssel, B. 10,26, 101, 118 Sans, G. 217,223 Schäfer, R. 48
Schelling, F. W. J.
127
90
Schick, F. 49, 68, 107, 113, 118, 120, 125, 135, 137, 142, 149, 180, 187, 204-206.215, Schlösser, U. 232 Schnädelbach, H. 25 Sellars 28 Sextus Empiricus 130,134-136 Simon, J. 92, 97f. Sokrates 137f, 141, 144, 146, 149, 159, 183, 187 Spinoza, B. de 18,38,40,50 Stederoth, D. 147, 154, 161 Stegmüller, W. 122, 136, 160 Stein, G. 72 Stekeler-Weithofer, P. 26, 31, 35 Strawson, P. F. 96, 98
Tarski, A. 104 Theunissen, M. 120, 136 Tonelli, G. 86,99 Tooke, J. H. 25 Trendelenburg, A. 125f, 135f. Utz, K. 17, 184,204
118,232
Ploucquet, G.
25, 27-30, 34, 101 f., 118
Waibel, V. L. 218
Personenverzeichnis
Wieland, W. 90, 94f, 99 Wittgenstein, L. 39, 45 Wohlfart, G. 58,68
247
Wolff, Chr. 86 Wolff, M. 87,94,99 Wunderlich, F. 12