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German Pages 470 [476] Year 1970
Theunissen · Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat
Michael Theunissen
Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970
Archiv-Nr. 37 93 701
© 1970 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung · J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer · Karl J. Triibner • Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13 · Printed in Germany. Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drude: Thormann & Goetsch, Berlin 44
WILHELM WEISCHEDEL ZUM 65. GEBURTSTAG
VORWORT „ W a r d einmal, mit Grund, die Vermessenheit der Hegelsdien Lehre vom absoluten Geist hervorgehoben, so kehrt heute, da der Idealismus von allen und am meisten von den geheimen Idealisten diffamiert wird, an der Vorstellung von der Absolutheit des Geistes ein heilsames Korrektiv sich hervor." 1
Im Jahre seines 200. Geburtstages ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel gegenwärtiger denn je. Es gibt nicht nur eine an Tiefe und Umfang rasch zunehmende, in Ost und West weithin institutionalisierte Hegelforschung, sondern auch einen „lebendigen Hegelianismus", und selbst wo man ohne ihn auszukommen versucht, wird man sich ausdrücklich von ihm absetzen müssen. Sonst läuft man Gefahr, den Stand des philosophischen Bewußtseins zu unterbieten. In einem merkwürdigen Kontrast zu dieser Präsenz steht jedoch die Tatsache, daß die Lehre vom absoluten Geist, in der sich die Philosophie Hegels nach dessen eigenem Verständnis vollendet, der Verachtung, ja dem Gelächter preisgegeben ist. Was sie betrifft, meint man sogar einer Kritik überhoben zu sein. Auch darum wird dieses Buch nicht allzu viele Leser finden. Unpopulär ist es aber mehr noch insofern, als es ohne Rücksicht auf die fast allgemein gewordene Abneigung gegen „immanente Interpretationen" in seinem Hauptteil eine Textexplikation bietet, die in der Absicht, nichts unaufgeklärt zu lassen, keine Ausführlichkeit scheut. Mußte schon Hegel bezweifeln, ob der „laute Lärm des Tages" den denkenden Nachvollzug seiner Logik gestatte2, so darf ein Exeget, der sein System dermaßen detailliert auslegt, heute, da der Tageslärm seine maximale Lautstärke erreicht hat, noch weniger hoffen, sich Gehör verschaffen zu können. Aber es ist nun einmal so, wie Hegel es prophezeite: „Ein großer 1 2
A d o r n o (1), S. 5 5. S W I V 35 (Vorrede zur 2. Ausgabe).
VIII
Vorwort
Mann verdammt die Menschen dazu, ihn zu explizieren."* Ich gebe zu, daß ich unter den strapaziösen Folgen einer solchen Verurteilung besonders stark gelitten habe, wenn es galt, dem Duktus des Textes audi über Durststrecken hinweg zu folgen. Daß ich sie trotzdem auf mich genommen habe, geschah unter dem Eindruck einer zweifachen Notwendigkeit. Die Lehre vom absoluten Geist zentral in der Form eines eingehenden Kommentars zu dem ihr gewidmeten Abschnitt der Encyclopädie zu entfalten, schien mir erstens in Anbetracht der faktisch gegebenen Situation erforderlich. Treffend charakterisiert diese Situation das vielzitierte, aber kaum schon genügend beachtete Wort Hans-Georg Gadamers, daß wir erst lernen müßten, Hegel zu „buchstabieren". Wir besitzen eine Überfülle von Gesamtdarstellungen, aber die Zahl der Untersuchungen, die am Detail die Struktur des Gedankens aufzeigen, ist relativ klein. Zweitens liegt hier auch eine Wesensnotwendigkeit vor. Im Fortgang der Arbeit hat sich meine Überzeugung befestigt, daß das Wesen des Hegeischen Denkens zu einer vom Aufbau seiner literarischen Dokumentation geleiteten Analyse zwingt. Ein Denken, das sich dialektisch entwickelt, verlangt nach einer Auslegung, die den Prozeß seiner Entwicklung auf Schritt und Tritt begleitet. Es entzieht sich jedem Versuch, von seiner sukzessiven Selbstbestimmung zu abstrahieren. Insofern bleibt gültig, was Betty Heimann ausgesprochen hat: „Hegel zitieren heißt ihn mißverstehen und ihn mißbrauchen."4 Eines Mißbrauchs macht sich nämlich schuldig, wer seine Auslegung auf Zitate stützt, die er aus dem Kontext des sich dialektisch entwickelnden Denkens reißt. In der Zustimmung zu diesem Dictum liegt das Eingeständnis, daß auch die Zitate, die im ein- und im ausführenden Teil meines Buches vorkommen, für sich keine hinlängliche Begründungsfunktion ausüben können. Zureichend begründen lassen sich die dort vorgetragenen Interpretationen allein aus der Textexegese des Hauptteils. Die Grundidee des Buches vermag gleichwohl auch ein Leser zu erkennen, der auf das Studium des Kommentars verzichtet. Jedem mit der Philosophie Hegels und ihrer Wirkungsgeschichte Unvertrauten sei sogar empfohlen, desgleichen die historisch-kritische Einführung zu überschlagen und seine Lektüre mit der systematischen Einführung zu beginnen. Denn die erste Hälfte des einführenden Teils, die auch zuletzt geschrie* Karl Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Supplement zu Hegels Werken, Urkunden VIII., Aus der Berliner Periode. Berlin 1844, S. $55. 4 Heimann (48), S. X X I .
Vorwort
IX
ben wurde, setzt im Grunde die Kenntnis des Folgenden voraus. Ich habe mich darum lange gefragt, ob das dort Gesagte in anderer Form nicht eher am Sdiluß des Buches stehen sollte. Für den A n f a n g habe ich mich entschieden, weil die historisch-kritischen Reflexionen sich das Ziel gesteckt hatten, den Leser von der aktuellen Problemlage aus an Hegel heranzuführen. Dem Einsatz mit der systematischen Einführung hätte eine N a i v i t ä t angehaftet, die ich all denen nicht zumuten wollte, welche der Problematik des gegenwärtigen Denkens im allgemeinen und der zeitgenössischen Hegelrezeption im besonderen inne sind. Dennoch hat zumindest die Kritik der theologischen Kritik, vornehmlich gegen das Ende des Kapitels (S. 42—59),
den Charakter einer abschließenden
Stellungnahme. Eine gewisse Formelhaftigkeit, unter der das Kapitel leidet, ist durch die Knappheit des Raums bedingt, auf den ich hier, um nicht ein neues Buch schreiben zu müssen, die Darstellung meiner eigenen Position zusammengedrängt habe. V o n den sonstigen Fehlern des vorliegenden Interpretationsversuchs ist übrigens derjenige Mangel hervorzuheben, der sich aus der Eingeschränktheit der dem Begriff „historisch" verliehenen Bedeutung ergibt. Auch die als historisch-kritisch bezeichnete Einführung beschäftigt sich allein mit der Wirkungs- und, schon peripherer, mit der Entwicklungsgeschichte Hegels. Abgeschattet wird im ganzen Buch die Frage nach der historischen Herkunft der Hegeischen Begriffe und Doktrinen, nicht etwa weil sie belanglos wäre, sondern weil sie im Gegenteil wegen ihrer Bedeutsamkeit einer gesonderten Untersuchung bedürfte. Dem Leser wird auffallen, daß nach jener historisch-kritischen Einführung Einwände gegen Deutungen anderer Autoren hinter den Hinweisen auf Gemeinsamkeiten zurücktreten. In der T a t war es mir darum zu tun, mich unter diejenigen einzureihen, welche der vielerorts als maßgeblich geltenden Hegelauffassung der „Linken" längst den Boden entzogen haben. Als solch sinnesverwandte Interpreten speziell der Religionsphilosophie seien namentlich Bruaire und Chapelle im französischen, Fackenheim im englischen und Rohrmoser im deutschen Sprachraum genannt. Auch unter den zum Jubiläumsjahr erschienenen Werken, die ich nicht mehr verarbeiten konnte, stehen zwei in besonders engem Z u sammenhang mit der vorliegenden Untersuchung. Fetscher5 ergänzt meine Textexegese durch einen ebenfalls umfangreichen Kommentar zur ency5
Iring Fetscher, Hegels Lehre vom Menschen. Kommentar zu den 55 387 bis 482 der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften. Stuttgart—Bad Cannstatt 1970.
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Vorwort
clopädischen Lehre vom subjektiven Geist, und auch Küng e leistet in methodischer Hinsicht eine komplementäre Arbeit, indem er nämlich nicht den Weg einer „Explikation", einer buchstabierenden „Einzelanalyse der Texte" beschreitet, sondern den einer „Initiation" 7 , in welcher die nichtsdestoweniger an den Texten orientierte Auslegung ständig zur theologischen Diskussion der Sachprobleme fortschreitet. Im übrigen aber treffe ich mich zu meinem Glück mit wesentlichen Intentionen Küngs, und ich freue mich sagen zu dürfen, daß mein hartes Urteil über die bisherige Hegelkritik der Theologen, hätte ich seinen Entwurf einer an Hegel anknüpfenden Christologie schon gekannt, erheblich milder ausgefallen wäre. Zwar unterscheide ich ja ohnehin zwischen der kritisierten Kritik, die von außen an Hegel herankommt, und der von Küng beispielhaft demonstrierten Aneignung, die um einen Hegel von innen bittet. Aber zweifellos hat sich mit dem Erscheinen dieses Werkes die Landschaft der theologischen Hegelrezeption im ganzen verändert. Die dadurch geweckte Hoffnung nährt der Vortrag, den Pannenberg am 13. Juli 1970 im Rahmen des Stuttgarter Jubiläumskongresses gehalten hat8. Man wird einem Autor die persönlich motivierte Tendenz nicht verargen, neben seiner Verbundenheit mit anderen auch die Kontinuität mit sich selbst zu unterstreichen, vor allem dann nicht, wenn die äußeren Fakten, wie im gegebenen Falle, gegen ihn sprechen. Von einem, der sich zunächst mit Kierkegaard beschäftigt und sich dann dem dialogischen Denken zugewandt hat, war dieses Buch nicht ohne weiteres zu erwarten. Doch ist, was von Kierkegaard und den Dialogikern zu lernen war, darin eingegangen. Eingedenk der von Kierkegaard geltend gemachten Wahrheit, lese ich Hegel stellenweise sozusagen wider den Strich, und dies in dem Bestreben, ihn um seine Wirkungsgeschichte zu bereichern. Dialogik bleibt die entscheidende Korrekturinstanz, von der ich aller6
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Hans Küng, Menschwerdung Gottes. Eine Einführung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer künftigen Christologie. Freiburg i. Br. 1970. A. a. O., S. 7. Wolfhart Pannenberg, Die Bedeutung des Christentums in der Philosophie Hegels. Der These Pannenbergs, daß die üblicherweise von Theologen gegen Hegel vorgebrachten Einwände ihr fundamentum in re allein in der Hegeischen Annahme einer logisdien Notwendigkeit der göttlichen Handlungen haben, möchte idi besonders nachdrücklich zustimmen. Von philosophischer Seite hat Dareil E. Christensen die auch von mir betonte Partikularität der im Denken vollbrachten Versöhnung herausgearbeitet. Vgl. auch den von ihm herausgegebenen Sammelband Hegel and the Philosophy of Religion: The Wofford Symposium, The Hague 1970. Die Beiträge zum Stuttgarter Theologie-Kolloquium werden in den Kongreßakten der Internationalen Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegeischen Philosophie abgedruckt.
Vorwort
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dings glaube und stets geglaubt habe, daß sie ihrerseits der Berichtigung durch Dialektik bedürfe. K a n n sie doch aus sich selbst am wenigsten entwickeln, worum es ihr am meisten geht: eine echte Theologie. Ihr Gott ist entweder, als Glied einer Ich-Du-Beziehung, nicht das Absolute oder dadurch, daß er sich in das die Partner allererst konstituierende und insofern absolute „Zwischen" auflöst, kein wahrer Gott. D a ß sich allerdings mein Verhältnis zu Hegel im L a u f e der Zeit immer freundlicher gestaltet hat, will ich schon deshalb nicht leugnen, weil ein bestimmtes Stadium im Werdegang dieses Verhältnisses durch den 1964 veröffentlichten Aufsatz Die Dialektik der Offenbarung aktenkundig geworden ist. Heute würde ich einige Stücke der Theologie, die ich damals als Eigentum Schellings und Kierkegaards betrachtet habe, bereits im Ansatz Hegels sehen. Eben damit ist aber auch gesagt, daß mir heute wie damals dieselbe Sache wichtig ist. Gewandelt hat sich freilich nicht nur meine Ansicht über den geschichtlichen Ort dieser Sache, sondern auch die Methode. Von jenem A u f s a t z unterscheidet sich dieses Buch grundsätzlich vor allem durch den Abschied von einem Verfahren, das die Religionsphilosophie Hegels nach den Kriterien einer f ü r orthodox gehaltenen Theologie beurteilt. Sehr herzlich danke ich Herrn cand. phil. Rolf Hilbig. E r hat das Namenregister hergestellt, mir tatkräftig bei der Korrektur geholfen und außerdem manchen guten R a t erteilt. Mein D a n k gilt audi dem Verlag, der es ermöglicht hat, daß das Buch an der Feier des 200. Geburtstages seines Helden teilnehmen darf. Meinem Lehrer Wilhelm Weischedel kann ich es allerdings nur noch nachträglich auf den Gabentisch legen. Indessen hat die Widmung ohnehin einen über den aktuellen Anlaß hinausgehenden Sinn. Sie ist Ausdruck eines Dankes, der an die Öffentlichkeit so spät tritt, weil er in aller Freiheit gesagt sein wollte. Bern, im Juli 1970
Michael Theunissen
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort
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Einführender Teil: Exposition des Problems A. Historisdi-kritische Einführung 1. Kritik der politischen Kritik 2. Kritik der theologischen Kritik
3 27
B. Systematische Einführung χ. Philosophie als Geschichtsphilosophie 2. Geschichtsphilosophie als Religionsphilosophie
60 77
Hauptteil: Exegese des Textes χ. Die Sphäre des absoluten Geistes 2. Religion und Kunst 3. Die geoffenbarte Religion Exkurs I: Zur Hegel-Auslegung Bruno Bauers Exkurs II: Zur Hegel-Auslegung von David Friedrich Strauß 4. Religion und Philosophie
103 148 216 221 236 291
Ausführender Teil: Konstruktion des Philosophiebegriffs 1. 2. 3. 4. 5.
Reine Theorie und radikale Archäologie Praktisch werdende Theorie und radikale Eschatologie Einheit von Archäologie und Eschatologie Einheit von Theorie und Praxis Die Destruktion der antiken Ontologie und der Begriff einer interessierten Erkenntnis 6. Der Begriff einer interesselosen Erkenntnis und die Destruktion des christologischen Ansatzes
325 347 3 66 387 420 439
Literaturverzeichnis
449
Namenregister
457
Einführender Teil: EXPOSITION DES PROBLEMS
Α. HISTORISCH-KRITISCHE E I N F Ü H R U N G
1. Kritik der politischen Kritik Kaum je wurde an Hegel Kritik geübt, die nicht über kurz oder lang eines Besseren belehrt worden wäre. Wohl auch deshalb zieht man es neuerdings vor, nicht mehr, wie noch Kierkegaard, auf eigene Faust zu kritisieren, sondern — hegelisch genug! — im Namen einer Geschichte, die das System des absoluten Geistes dementiert hat. Nun kann eine Philosophie, die ihre eigene Zeit in Gedanken erfassen wollte, ihre Lebendigkeit zweifellos nicht anders als dadurch erweisen, daß auch wir mit ihrer Hilfe unsere Zeit zu begreifen vermögen. Dodi eben darum setzt sich ins Unrecht, wer meint, ihm hätte allein schon der schlimme Fortgang der Geschichte eine Wahrheit zugespielt, die er gegen Hegel so ausspielen dürfte, als spräche nicht gleichwohl auch dieser über ihn und seine Zeit eine Wahrheit aus. Vielleicht ist die seit Benedetto Croce geläufige Frage, was an Hegel der Gegenwart etwas bedeute, nicht ganz so abscheulich, wie sie in den Ohren Adornos klang, aber gewiß ist nach wie vor audi und mit noch größerem Ernst die „umgekehrte Frage" zu stellen, „was die Gegenwart vor Hegel bedeutet" 1 . Sollte Hegelkritik überhaupt möglich sein, dann nur so, daß sie sich derart vermittelt. Bevor man sie ins Auge faßt, bedarf es mithin einer an Hegel selbst orientierten Kritik der gegen ihn vorgebrachten Kritik. Diese wird, so scheint es, entweder verstummen oder zu einer solchen werden müssen, die zugleich Selbstkritik ist, weil sie mit wirklich unbestreitbarem Recht einzig monieren kann, was auch wir noch nicht bewältigt haben. Im theoretischen Kampf um die praktische Emanzipation des Menschen machen sich heute zwei Positionen ihren Führungsanspruch streitig. Die eine vertritt exemplarisch der „kritische Rationalismus" Poppers und seiner Schule, die andere ebenso beispielhaft der „orthodoxe Marxismus", 1
1·
Adorno (i), S. 13.
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Historisch-kritische Einführung
etwa in der früh schon von Lukäcs vorgetragenen Version. Der auf seine Orthodoxie pochende Marxismus macht die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft von deren Erkenntnis als Totalität abhängig. In der Überzeugung, daß dieser Totalentwurf auf Grund seiner theoretischen Unmöglichkeit praktisch nur totalitäre Folgen haben könne, beschränkt sich demgegenüber der kritisch sein wollende Rationalismus auf „Stückwerk-Technologie". Beide Positionen führen den zur Debatte stehenden Begriff der Totalität auf Hegel zurück. Hegel — das ist für Lukacs „der eigentliche Entdecker der Bedeutung der konkreten Totalität" 2 , und genau darum ist er für Popper ein weltweites Unglück. Es kann denn auch keine Frage sein, daß eine Theorie, die den Uberstieg von den Einzelerscheinungen zur Totalität der Gesellschaft vermeiden möchte, von Hegel am weitesten entfernt ist. Den hohen Grad der Entfernung bezeugt der Umstand, daß Popper, sofern er Wissen bloß als Wissen von abstrakten Aspekten kennt, die konkrete Totalität gar nicht zu Gesicht bekommt. Mit ihm brauchen wir uns darum hier nicht weiter zu beschäftigen. Aber auch die kritische Theorie des Marxismus trennt sich von Hegel, und zwar spätestens dort, wo dieser Totalität ihrerseits auf Absolutheit hin überschreitet. In der Kritik daran sind sich die sonst so feindlichen Lager einig. J a , da man gemeinhin für ausgemacht hält, daß Hegels Spekulieren über das Absolute im Sinne der metaphysischen Tradition Erste Philosophie sei und sonst nichts, zeigt sich hier der Koinzidenzpunkt aller gegenwärtigen Bestrebungen. Denn die Kritik der Ersten Philosophie, als einer Philosophie des schlechthin Ersten, verbindet allein noch, was affirmativ auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen ist. So reagiert Lukacs, um zunächst bei seinem Beispiel zu bleiben, auf die „BegrifTsmythologie" der Lehre vom absoluten Geist kaum weniger gereizt als Popper auf den „Holismus" 3 , eine Gereiztheit, die um so befremdlicher wirkt, als Marx jene Begriffsmythologie „endgültig erledigt" haben soll4. Einen dermaßen lebhaften Protest ruft der vermeintlich unaufgelöste Widerspruch hervor, der zwischen Totalität und Absolutheit herrscht. Während nämlich das Absolute sich durch Transzendenz auszeichnet, bildet die gesellschaftliche Totalität einen reinen Immanenzzusammenhang, und deswegen darf sich der Uberstieg zu ihr, als „Hinausgehen über die Unmittelbarkeit der Empirie", „zu keinem Versuch, über die Immanenz * Lukacs (83), S. 190; vgl. S. 206, 323 („Logik der Totalität"). s
Lukics (83), S. 328 ff.; (84), S. 622—6$ j, bes. S. 626.
4
Lukacs (83), S. 189.
Kritik der politischen Kritik
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des (gesellschaftlichen) Seins hinauszugehen, steigern" 6 . Die Kritik der Transzendenz des Absoluten ist aber politisch motiviert®. Sie wendet sich gegen die Bedrohung der zum revolutionären Handeln aufgerufenen Freiheit. Denn durch die Annahme einer transzendenten Macht wird „das Tun für den Täter selbst transzendent" 7 . Gewiß: Sofern Hegel zur konkreten Totalität vorstößt, trägt er von allen bürgerlichen Denkern am meisten dazu bei, „den von der Verdinglichung vernichteten Menschen gedanklich wiederherzustellen". Jedoch alles, was er auf diesem Wege erreicht, löst sich, so glaubt Lukacs, dadurch in ein „Nichts" auf, daß es der „Demiurg" ist, dem er die Erzeugung der Totalität anvertraut 8 . In Wirklichkeit freilich beginnen die Meinungsverschiedenheiten zwischen Hegel und dem orthodoxen Marxismus nicht erst an dieser Stelle. Der Marxismus fordert ja nicht nur die Erkenntnis der Gesellschaft als Totalität, er setzt auch voraus, daß die Totalität die Gesellschaft sei. Hegel hingegen hat, obwohl er die Gesellschaft als totale begreifen wollte, nie die Auffassung vertreten, die Totalität sei eine gesellschaftliche. Wir dürfen als seine Meinung sogar die betrachten, daß die Gesellschaft nur dann als Totalität erfaßbar sei, wenn man die Totalität nicht als Gesellschaft faßt. Und wir haben gleichfalls Grund zu der Vermutung, daß diese Einsicht ihn vor eben dem Fehler bewahrt hat, den eine allzu eifrige Kritik gern seiner Philosophie des Absoluten anlastet, nämlich das πρώτον ψεϋδος der πρώτη φιλοσοφία zu erneuern. Denn allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz nimmt die Gesellschaft heute den Platz ein, den einst der theologisch oder ontologisch bestimmte Gegenstand metaphysischer Ursprungsphilosophie innehatte. Mag man auch allseits den Abschied von jeder Form einer Ersten Philosophie beteuern, so gibt man die Gesellschaft doch für den selber unüberfragbaren Boden aus, auf dem allein eine sinnvolle Frage sinnvoll beantwortet werden kann. Eine analytische Philosophie, für welche die Sprache bloß im Horizont der Kommunikation erscheint, verhält sich da grundsätzlich kaum anders als die ausdrücklich als Gesellschaftstheorie auftretende Dialektik. Ein größerer Gegensatz zu Hegel läßt sich aber nicht denken. Seit seinen Anfängen bei David Friedrich Strauß und Bruno Bauer oszilliert der Linkshegelianismus zwischen einer Kritik, die Hegels BeLukacs (83), S. 346. • Unter politisdier Hegelkritik verstehen wir im vorliegenden Zusammenhang nur diese Kritik der Transzendenz des Absoluten. Für die Kritik an Hegels politisdier Praxis vgl. Theunissen (143). 7 Lukäcs (83), S. 328. 8 Lukäcs (83), S. 330.
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Historisch-kritische Einführung
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kenntnis zu einem transzendenten Absoluten tadelt, und einer Interpretation, welche dieses Bekenntnis wegerklärt. Da auch eine solche Interpretation, in unseren Tagen am nachdrücklichsten von Alexandre Kojeve und Roger Garaudy vertreten, politische Kritik der Philosophie des Absoluten bleibt, können wir an ihr nicht vorübergehen. Die beiden Franzosen stimmen mit Lukacs in der Hochschätzung der Totalitätskategorie überein, aber sie unterscheiden sich von ihm, sofern sie in Hegels Begriff vom Absoluten auch nur einen Ausdruck für die gesellschaftliche Totalität sehen. Nach Kojeve ist das „absolute Wissen" nichts als das die Totalität des Seins offenbarende Bewußtsein9 und der „Geist" oder die „absolute Idee" nur diese Totalität selber10, genauer gesagt, „die Menschheit in der Totalität ihrer raum-zeitlichen Existenz, d. h. in der Totalität der Weltgeschichte"11. Was Hegel durch eine derartige Gleichsetzung ausgeschaltet haben soll, ist genau die „christliche Idee der Transzendenz" 12 , die ihm nach Lukacs die volle Verwirklichung seiner emanzipatorischen Absicht verwehrt. Dabei hält sich die politische Bewertung der Transzendenz unverändert durch. Kojeve meint Hegel zu interpretieren, wenn er das Christentum, dessen Transzendenzgedanken die Theologie zum Theismus verfestigt, als diejenige Religion darstellt, die das Verhältnis von Herr und Knecht auf der Ebene der Beziehung zwischen Gott und Mensch verewigt; und da er aus Hegel einen Feuerbach macht, der die Anthropologie als das Geheimnis christlicher Theologie entdeckt, kann er dem konsequentesten „atheistischen System" der Philosophiegeschidite das Lob einer Befreiung des Menschen vom Zwang imaginierter Mächte erteilen18. Garaudy distanziert sich zwar von dieser Verwechslung Hegels mit Feuerbach, aber er berichtigt seine ausgiebig benutzte Vorlage nur insofern, als er für die Sache, die sich hinter dem Hegeischen Gottesbegriff verbirgt, statt des realen den „vollkommenen", selber göttlich gewordenen Menschen der Zukunft erklärt 14 . Das hindert ihn keineswegs, gleichermaßen pauschal wie Koj£ve zu behaupten, Hegel ersetze Gott durch den Menschen15, und darüber hinaus sogar der albernen Sentenz Koj^ves über Hegels eigenes Gottwerden 16 die allgemeinere Fassung zu geben: „der spekulative Philosoph tritt an die Stelle des Gottes der Theologen" 17 . All das braucht uns genausowenig zu interessieren wie der schlechterdings 9 10 11 12 13
Kojeve Kojive Kojeve Kojeve Kojeve
(68), (68), (68), (68), (68),
S. S. S. S. S.
34, 36, 45. 116,140. 101. 66; vgl. S. 74 f. 56 f., 64 f.
14 15
" 17
Garaudy (30), S. 422 f., 427 f. Garaudy (30), S. 205, 368. Kojeve (68), S. 86,109. Garaudy (30), S. 1 1 6 .
Kritik der politischen Kritik
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absurde Leitgedanke der Introduction ä la lecture de Hegel, wonach das Ende der Geschichte, welches allein ein absolutes als das die Totalität des Seins offenbarende Wissen ermöglicht, dadurch gegeben ist, daß Hegel zur Zeit Napoleons lebt und im Verstehen Napoleons mit diesem zusammen das mythische Ideal des Gottmenschen verwirklicht 18 . Unsere ganz besondere Aufmerksamkeit verdient aber das Buch Garaudys, weil es einerseits aus der Perspektive, die sich auch von unserem Standpunkt eröffnet, geschrieben ist und andererseits aus eben dieser Perspektive die hier zu kritisierende Position als sein zentrales Thema aufbaut. Aus dem unseres Erachtens einzig angemessenen Blickwinkel betrachtet Garaudy seinen Gegenstand, sofern er auf die Einheit der theologischen und der politischen Problematik abhebt 19 , wenn ihn auch sein Dogmatismus gelegentlich dazu verleitet, entgegen seiner eigenen Intention dann doch wieder zu sagen, Hegel übertrage seine ursprünglich politische Fragestellung bloß nachträglich in eine theologische Sprache. Unsere Zustimmung findet auch noch, daß er sich nicht mit der Ausführung und Begründung des Satzes begnügt, der Totalitätsbegriff sei der „wichtigste Begriff der Hegeischen Methode" 20 , welche er nach der schlechten Gewohnheit der Marxisten vom angeblich toten „System" trennt, sondern zur Explikation der These fortgeht, das mit diesem Begriff umrissene Hauptproblem kompliziere sich in der Entwicklungsgeschichte Hegels immer mehr21, wenn er auch unfähig ist, über die wahre Bedeutung der Komplikation Rechenschaft abzulegen. Denn dazu bedürfte es der Revision eben der Behauptung, die es zu kritisieren gilt, daß nämlich Gott auch für den kompliziert gewordenen Hegel „nur die totale Entfaltung der realen Welt" sei22. Angesichts der Identifikation Gottes mit dem vollkommenen Menschen der Zukunft — einer Identifikation, die Hegel zwar nicht mit Feuerbach, wohl aber mit Bloch verwechselt — kann kaum zweifelhaft sein, welche Totalität hier gemeint ist. Die Behauptung unterstellt Hegel die Lehre, „daß Gott nichts anderes ist als der in der Totalität seiner Geschichte erfaßte Mensch"23. In der Konsequenz der immer schon mitgebrachten Uberzeugung, daß diese Totalität ein reiner Immanenzzusammenhang sei, definiert Garaudy den Hegeischen Gott als einen ausschließlich weltimmanenten 24 . Damit will er mehr sagen als boß dies, daß bei Hegel faktisch „nicht mehr die geringste 18 18 20 21
Kojeve (68), S. 37, 68. Garaudy (30), S. n , 20, 22, 34,48, 94, 433. Garaudy (30), S. 184. Garaudy (30), S. 38 f., 65 ff.
21 28 24
Garaudy (30), S. 424. Garaudy (30), S. 291. Garaudy (30), S. 48 f., 233, 309.
Historisdi-kritisdie Einführung
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Spur von Transzendenz" vorkomme 25 . Darüber hinaus geht es ihm letztlich um den Nachweis der prinzipiellen Unvereinbarkeit des Hegeischen Denkens mit dem Transzendenzgedanken 28 . Indessen enthalten seine Argumente entweder logische Fehler oder Voraussetzungen, die auf ihre Richtigkeit erst noch zu prüfen wären. Der schlimmste logische Fehler unterläuft ihm, indem er durchweg die simple Unterscheidung zwischen der für Hegel allerdings unannehmbaren Getrenntheit Gottes von der Welt und seiner akzeptierten Unterschiedenheit einebnet. Was aber die unbefragten Voraussetzungen betrifft, so erhellt den theologisch-politischen Doppelaspekt des Problems, daß sie als solche oder mit umgekehrtem Vorzeichen audi die theologische Kritik bestimmen. Um zu beweisen, daß Hegel seine „Ablehnung der Transzendenz" mit „größtem Nachdruck" ausspreche, bemüht Garaudy besonders gern die Theorie der gegenseitigen Integration von Endlichem und Unendlichem 27 . Während eine um die Wahrung des Abstands besorgte Theologie aus dieser Theorie den Sdiluß zieht, daß Hegel das Endliche im Unendlichen aufgehen lasse, folgert Garaudy aus ihr im Gegenteil: „Das Unendliche ist nur die Unruhe des Endlichen" 28 . Ist aber auch die eine Folgerung so falsch wie die andere, so läßt sich doch diejenige Garaudys noch weniger verstehen; denn sie mißachtet den Vorrang, den Hegel, eben um die Dialektik der beiden Momente in Gang bringen zu können, dem Unendlichen vor dem Endlichen einräumt29. Gleichwohl ist es, wie auch sonst im orthodoxen Marxismus, gerade die Dialektik, die für die Unmöglichkeit göttlicher Transzendenz einstehen muß; „keine Denkform schließt", sagt Garaudy, „radikaler als die Dialektik alle göttliche Transzendenz aus, denn alles in ihr ist vermittelt" 80 . Statt eines neuen Arguments führt er damit aber nur die weitere Voraussetzung ein, die in der Annahme liegt, der dialektische Vermittlungsprozeß löse Unmittelbarkeit gänzlich in sich auf. Wie haltlos sie ist, werden wir sehen, wenn wir ihr bei der Kritik der theologischen Kritik wiederbegegnen. Die Untauglidikeit der sachlichen Mittel, mit denen Garaudy seine atheistische Interpretation zu stützen versucht, verrät aber nur, daß er in Wirklichkeit ganz andere Motive hat. Da nun einmal beschlossene Sache ist, Hegel in den Rang eines fortschrittlichen Denkers zu erheben, steht von vornherein fest, daß er gegen die Zumutung 25 M 28
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27 Garaudy (30), S. 322. Garaudy (30), S. 427; vgl. S. 291. 28 Garaudy (30), S. 232. Garaudy (30), S. 38, 286, 309. Sdion nach Glauben und Wissen steht darum „die Philosophie der Unendlichkeit der Philosophie des Absoluten näher als die des Endlichen" (GW IV 413). Garaudy (30), S. 368.
Kritik der politischen Kritik
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eines Absoluten, das die Totalität der Welt übersteigt, nichts als Abscheu empfinden könne. Denn die „Idee der Transzendenz" ist „religiöse Entfremdung" 31 und diese von allen Formen der Entfremdung die hartnäckigste, die das „totale Subjekt" in eins mit jenen schließlich aber doch überwinden muß32. Anders ist der Widerspruch nicht aufzulösen, der für den Hegel Garaudys zwischen der „Transzendenz Gottes" und der „Freiheit" besteht38. „Mag es sich", so glaubt Garaudy Hegel paraphrasieren zu dürfen, „um Dinge handeln, die sich seinem Wissen und seiner Macht entziehen, oder um einen transzendentalen Gott, der ihm seine eigene Tätigkeit, seine Initiative und damit die Quelle seiner Wirksamkeit sowie sein Ziel nimmt: die Tätigkeit des Menschen wäre in jedem Falle nur noch ein Schatten und eine Illusion." 34 Es handelt sich da um denselben Widerspruch, auf den Lukacs mit den oben zitierten Worten abzielt, daß unter der Bedingung der Transzendenz „das Tun für den Täter selbst transzendent" würde. Zwar weist Garaudy den von Lukacs erhobenen Vorwurf zurück, Hegel habe sich in einen solchen Widerspruch verstrickt, aber die sympathetische und die antipathetisdie Deutung sind sich nichtsdestoweniger darin einig, daß den transzendenten Gott zu verneinen habe, wer im Ernst die Freiheit des Menschen bejaht. Der orthodoxe Marxismus unserer Tage macht hiermit immer noch die Alternative geltend, die sich schon bald nach Hegels Tod in der Scheidung der rechten und der linken Schule manifestiert hat. Es sdieint aber an der Zeit zu sein, diese Alternative zu durchbrechen. Nach der Erledigung des kritischen Geschäfts werden wir zu zeigen versuchen, daß das revolutionär-emanzipatorische Interesse in die Hegelsdie Philosophie durch eben das Christentum kommt, welches auch dem Verständnis dieser Philosophie gemäß einen die Totalität durchdringenden und zugleich übersteigenden Gott verkündet. Auf Grund mangelnder Einsidit in diesen Tatbestand ist auch die Diskussion noch offen, zu der Joadiim Ritter und Jürgen Habermas durch ihre verschiedenen Interpretationen von Hegels Stellung zur Revolution angeregt haben. Nach Ritter gibt es „keine zweite Philosophie, die so sehr und bis in ihre innersten Antriebe hinein Philosophie der Revolution ist wie die Hegels" 36 . Für sich genommen, ist dieser Satz insofern zweideutig, als er den Unterschied zwischen einer Theorie, welche revolutionäre Praxis nur zum Objekt hat, und einer selber revolutionären und sidi damit 81 82 33
Garaudy (30), S. 77. Garaudy (30), S. 397. Garaudy (30), S. 1 9 1 .
84 38
Garaudy (30), S. 295. Ritter (120), S. 18.
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Historisdi-kritisdie Einführung
in Praxis aufhebenden Theorie unausgesprochen läßt. In der Absicht, ihm seine Zweideutigkeit zu nehmen, möchte Habermas ihn „um eine weitere These ergänzen: um nicht Philosophie als solche der Herausforderung durch die Revolution zu opfern, hat Hegel die Revolution zum Prinzip seiner Philosophie erhoben"36. Worauf die Ergänzung hinauswill, wird deutlich, wenn Habermas am Ende erklärt, der „alte" Hegel habe seine — als Theorie im „griechischen Sinne" begriffene — Philosophie „der Praxis ganz überhoben"37. Die Frage nach Recht und Unrecht der von Ritter und der von Habermas vertretenen Position läßt sidi nur klären, wenn man beide bereits in ihrem prinzipiellen Ansatz korrigiert. Die Pointe der Ritterschen Deutung liegt in der kühnen Behauptung, Hegel könne in ungebrochener Einheit sowohl die onto-theologische Metaphysik der Griechen fortführen wie auch Revolutionstheorie betreiben, weil er das in seiner ständigen Anwesenheit göttliche Sein ohne weiteres mit dem vergänglichen Geschehen seiner Zeit identifiziere: „Hegel setzt die traditionelle metaphysische Theorie unmittelbar und als diese mit der Erkenntnis der Zeit und der Gegenwart gleich."38 Indessen gelingt es Ritter nicht, die unmittelbare Identität einsichtig zu machen, und es kann ihm schon deshalb nicht gelingen, weil die Identität, wenn es sie gäbe, jedenfalls nicht unmittelbar sein dürfte. Habermas wiederum baut seine Argumentation auf der Grundlage auf, auf welcher auch der orthodoxe Marxismus vonLukacs bis Garaudy sein Gedankengebäude errichtet. Der Praxis überhebt der spätere Hegel all sein Philosophieren nach Habermas dadurch, daß er das Handeln den revolutionären Subjekten gleichsam entreißt und an jenen „Weltgeist" delegiert, den Habermas — und auch darin folgt er Lukacs — als das im Sinne Hegels schlechthin Absolute mißversteht39. Die Delegationsthese variiert aber bloß das orthodox marxistische, undialektische und darum falsche Schema einer abstrakten Entgegensetzung von menschlicher Freiheit und göttlicher Transzendenz. Eine Korrektur sowohl der Habermas'schen wie auch der Ritterschen Deutung brauchen nicht erst wir zu besorgen. Hegel selbst bringt sie an, indem er im Blick auf das mit Tod und Auferstehung Christi angebrochene Gottesreich sagt: „Dies ist das revolutionäre Element, durch welches der Welt eine ganz andere Gestalt gegeben ist." 40 Es gilt nur noch 88 87 40
M Habermas (41), S. 89. Ritter (120), S. 13. Habermas (41), S. 9 8 , 1 0 6 . " Habermas (41), S. 103 ff. Siehe dazu unten, S. 392 f S W X V I 298; ähnlich die Randnotiz in A R 1 6 1 .
Kritik der politischen Kritik
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auszuführen, daß es dieses revolutionäre Element ist, welches Hegel — um mit Habermas zu reden — auch zum „Prinzip seiner Philosophie" macht, daß sein Denken — in der Sprache Ritters ausgedrückt — „Philosophie der Revolution" ist, durch welche das Christentum der Welt eine ganz andere Gestalt gegeben hat. Sieht man die Sache so, dann tritt das Unrecht, aber auch das Recht hervor, das beide Interpretationen für sich beanspruchen können. Der theologisch-politisdie Doppelaspekt alles Hegelschen Philosophierens würde ja tatsächlich ohne die Voraussetzung, daß für Hegel das universale Thema seines Denkens mit den scheinbar partikulären Gegenständen seiner speziell politischen Analysen in gewisser Weise eins ist, nicht hinreichend verständlich. Aber diese Einheit so zu denken, wie sie gedacht werden muß, wenn sie nachvollziehbar sein soll, ist ausschließlich unter der weiteren Bedingung möglich, daß jenes Generalthema nicht das der griechischen Metaphysik, sondern das der christlichen Theologie ist. Das „Göttliche" der Griechen ist ungeschichtlich und muß deswegen, soll es Gegenstand Hegelscher Philosophie sein, mit dem geschichtlichen Geschehen in eine Einheit zusammengezwungen werden, die sich in ihrer Unvermitteltheit auch dem Denken nicht vermitteln läßt. Die vom christlichen Glauben bezeugte Offenbarung hingegen besitzt von sich aus eine Geschichtlichkeit, welche die notwendige Vermittlung mit Weltgeschichte zuläßt. Desgleichen legitimiert der theologische Sinn des Hegeischen Revolutionsprinzips in beschränktem Maße auch die von Habermas vorgelegte Deutung. Denn als richtig erweist sich, worauf Habermas vornehmlich abhebt: daß Hegel die grundlegende Revolution als eine bereits objektiv gegebene Realität betrachtet, die nicht erst durch menschliche Subjekte gesetzt werden muß. Sofern aber die menschlichen Subjekte nach Hegel sehr wohl aufgefordert sind, diese Revolution auch in der Welt zu verwirklichen, enthüllt sich zugleich die Unwahrheit der Alternative, welche die Freiheit des Menschen und die Transzendenz Gottes auseinanderreißt. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit Hegels Lehre vom absoluten Geist. Diese Lehre ist mit der Theorie der durch das Christentum in die Welt gekommenen Revolution aufs engste verknüpft. Denn der absolute Geist ist nach Auskunft der Texte, die wir zu interpretieren haben, nichts anderes als der in Christus offenbarte Gott. Wir werden deshalb so verfahren müssen, daß wir uns zunächst dieses Sachverhalts versichern, um eine tragfähige Basis zu schaffen, von der aus wir im einzelnen erkunden können, wie die als Lehre vom absoluten Geist zu definierende Philosophie Hegels am revolutionären Impetus des Christen-
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Historisch-kritische Einführung
turns teilnimmt 41 . V o m absoluten Geist in der vorwegnehmend umschriebenen Bedeutung dieses Begriffs handelt aber lediglich das voll ausgebildete System. Die Frühschriften liegen infolgedessen außerhalb unseres Arbeitsgebietes. Als Titel für ein gesondertes Lehrstück taucht der Terminus „absoluter Geist" erst im Rahmen der Jenenser Metaphysik
auf 4 2 ,
deren Reinschrift nach den Forschungen von Heinz Kimmerle aus dem Jahre 1804 stammt. Der „absolut freie Geist" ist dann audi der Gegenstand des Schlußabschnitts der Jenenser
Philosophie
des Geistes
von
1805/06, w o bereits Kunst, Religion und Philosophie, wie später in der Encyclopädie,
als „Gestalten" dieses Geistes erscheinen43. Schon M a r x hat
vorgeschlagen, die Phänomenologie
des Geistes von 1 8 0 7 so einzuteilen,
daß sich dort ebenfalls mit der Philosophie auch Kunst und Religion dem absoluten Geist unterordnen 44 . Lukacs 45 und Garaudy 4 6 haben diese Einteilung aufgegriffen. Unter der Voraussetzung ihrer Angemessenheit können wir annehmen, daß Hegels Lehre vom absoluten Geist, um 1804 entworfen, seit dem darauf folgenden Jahre im wesentlichen den systematischen A u f b a u hat, den ihre ausgearbeitete und für uns verbindliche Fassung in den drei Ausgaben der Encyclopädie
von 1 8 1 7 , 1 8 2 7 und 1 8 3 0
aufweist. Das darf aber nicht über einen aus unserer Sicht gravierenden 41
Wie Garaudy Hegels „politisch-theologisches Grundproblem" (30, S. 48) analysiert, so arbeitet audi Rohrmoser (122), allerdings in der Beschränkung auf die Jugendschriften, den „theologisch politischen Ansatz der Hegeischen Philosophie" (S. 25), die „innere Zusammengehörigkeit der politischen und religiösen Thematik im Ansatz seiner Philosophie" (S. 41) heraus. Im Unterschied zu Garaudy nimmt er jedodi zugleich die von uns für richtig befundene Position ein. Soweit die vorliegende Untersuchung die politischen Implikationen der Lehre vom absoluten Geist freizulegen versucht, kann man von ihr sagen, daß sie am späteren Werk zu demonstrieren beabsichtige, was Rohrmoser an den Jugendschriften aufgezeigt hat. In dieser Hinsicht bestätigt sie die Ergebnisse der in Subjektivität und Verdinglichung geleisteten Arbeit. Umgekehrt fühlt sich ihr Verfasser durch die Linien bestätigt, die Rohrmoser seinerseits in Richtung auf Hegels späteres Werk ausgezogen hat. Danach anerkennt gerade die Gesellschaftstheorie des ausgebildeten Systems die „Forderung nach der Realisierung der Freiheit auch im Politischen als eine Forderung des Religiösen selber" (S. 41). Diese Anerkenntnis beruht aber auf der Erkenntnis, daß Versöhnung „ihre Mitte und ihren innersten Grund der Ermöglichung" im christlichen Glauben findet (S. $4). Auch als die im gesellschaftlichen Leben zu vollbringende kann sie nur sein, was sie ist, wenn sie vom „göttlich gewirkten Heilsereignis" ausgeht (S. 82). 42 Jen. LMN 172—186. 43 Jen. Realph. 263—273. 44 Karl Marx, Die heilige Familie. In: K. Marx/F. Engels, Werke II, Berlin 1958, S. 62 f. 45 Lukics (84), S. 579—65$. 4 ® Garaudy (30), S. 21J—296.
Kritik der politischen Kritik
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Unterschied hinwegtäuschen. Der „absolute Geist" von 1804, wie später die „absolute Idee" abgeleitet aus der Einheit von Theoretischem und Praktischem, hat seinen Ort innerhalb der „Metaphysik der Subjektivität", einer Subjektivität, die unleugbar menschliche Züge trägt. Und auch in der Phänomenologie ist er noch nicht ganz aufgetaucht aus dem Element des menschlichen Bewußtseins. Zur vollendeten Fassung seiner Lehre vom absoluten Geist kommt Hegel also erst auf dem Wege einer allmählichen Überwindung des anfänglichen Subjektivismus. Diese Genesis fällt aber mit der Entwicklung zusammen, in deren Verlauf sich der christologische Ansatz immer klarer herausbildet. Hegel kann den Begriff des absoluten Geistes auf den Gott mit Entschiedenheit erst anwenden, nachdem er sich entschlossen hat, den Gott einzig noch auszulegen von dem Gottmenschen her, mit dessen Menschlichkeit das Moment gegeben ist, das jener Begriff anfänglich weithin auch mittraf 47 . Nun ist am absoluten Geist nidit nur der Geist, sondern auch das Absolute zu beachten. Um das Absolute aber kreist das Denken Hegels, noch bevor es sich im Begriff des absoluten Geistes ausspricht, nämlich seit seiner ersten philosophischen Publikation, der 1801 erschienenen Schrift Differenz des Fichte'schen und Schelling'sehen Systems der Philosophie. Das Absolute ist sogar das Hauptthema Hegels während seiner ganzen, zunächst stark von Schelling beeinflußten Dozententätigkeit in Jena (1801 bis 1807). Und zwar ist dieser Begriff von Anbeginn bar aller Elemente, die zu einer Vermengung der von ihm intendierten Sache mit der menschlichen Subjektivität verleiten könnten. Kristallisiert sich darin doch der Gegenentwurf gegen den subjektiven Idealismus Fichtes, der das Absolute verfehlt, weil er statt dessen bloß ein „subjektives Subjektobjekt" aufstellt48. Es verhält sich aber keineswegs so, daß sich erst der Begriff des absoluten Geistes auf den Gegenstand des christlichen Glaubens zubewegte und daß demgegenüber der Begriff des Absoluten im Verhältnis zum Christentum neutral wäre. Günter Rohrmoser ist mit guten Gründen der verbreiteten Ansicht entgegengetreten, als habe Hegel sich in Jena von der Theologie auch inhaltlich distanziert. Nach seiner Auffassung hat Hegel in diesen Jahren trotz einer gewissen Enttheologisierung seiner Terminologie seine religiös motivierte Arbeit vielmehr intensiv fort47
Immerhin artikuliert schon die Geistphilosophie von 1805/06 den für die Encyclopädie maßgeblichen Unterschied von absolutem Geist und absolutem Wissen, indem sie das „Ich als solches" bloß für ein »Wissen des absoluten Geistes" ausgibt (Jen. Realph. 272). «* A R 167 — SW X V I 300. IM " s SW II 572. K o j i v e (68), S. 191—234. 1,s Garaudy (30), S. 93 f., 110 f., 290 f., 420 f. 157
158
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tisch1" verwirklichten Umschlag der Negation des Negativen in die Position höheren, verklärten Lebens. Christus ist auferstanden, weil sein Tod ein Moment des göttlichen Lebens war, die letztmögliche Radikalisierung der Negativität des Urteils, das im ewigen Insichsein des dreieinigen Gottes begründet ist und mit der Erschaffung der Erscheinung erstmals gefällt wurde. Vor aller Philosophie stellt nach Hegel schon der Glaube das Leben des Gottmenschen auf Erden vor als „sich in das Urteil setzend und in den Schmerz der Negativität ersterbend"; schon der Glaube weiß: „dieser Tod ist daher sein Erstehen als Geist"167. Die Phänomenologie, der die letzten Worte entnommen sind, gibt darüber hinaus bereits ziemlich präzise die Bestimmungen des Extrems an, mit dem der Tod das in γ / ι Vorausgesetzte vermittelt: „Der Tod des göttlichen Menschen als Tod ist die abstrakte Negativität, das unmittelbare Resultat der Bewegung, die nur in die natürliche Allgemeinheit sich endigt. Diese natürliche Bedeutung verliert er im geistigen Selbstbewußtsein ( . . . ) ; der Tod wird von dem, was er unmittelbar bedeutet, von dem Nichtsein dieses Einzelnen verklärt zur Allgemeinheit des Geistes, der in seiner Gemeinde lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht." 168 Hegel kontaminiert hiermit Ostern und Pfingsten, die Auferstehung und die Ausgießung des Heiligen Geistes, durdi die sich nach seiner Lehre allererst eine Gemeinde bilden konnte. Auf gleiche Weise verfährt er in unserem Text. Aber noch deutlicher als mit den soeben zitierten Worten sagt er da, womit der Tod des Gottmenschen dessen unmittelbare Einzelheit vermittelt. Die „Einheit der allgemeinen und einzelnen Wesenheit" ist die Identität, die als unmittelbare oder an sich seiende vorausgesetzt war. Nur ist 1ββ
leT 188
Wie Hegel den Tod Christi als historisches Faktum anerkennt — er ist als „natürlicher Tod" nicht nur vorgestellt, sondern eben damit auch wirklich „ausgeführt" (AR i j 9 [Ms.]) —, so hebt er auch die Faktizität der Auferstehung hervor. Die Hörer seiner Vorlesung haben den Satz festgehalten: „Die Auferstehung gehört ebenso wesentlich dem Glauben an", und er selbst bemerkt hierzu in einem Heft von 1 8 2 1 : „Wie alles Bisherige in der Weise der Wirklichkeit für das unmittelbare Bewußtsein zur Erscheinung gekommen, so auch diese Erhebung" (SW XVI 300). Angesichts dessen kann die Behauptung E. Schmidts (126, S. 245), für Hegel sei die Auferstehung Christi irrelevant gewesen, nur Staunen erwecken. Die Religionsphilosophie Hegels ist im Gegenteil von Anfang bis Ende Auferstehungstheologie, und gewiß würde er seinen bekannten Ausspruch, die in der zeitgenössischen Theologie heimatlos gewordenen Dogmen hätten sich in sein Denken geflüchtet, gerade im Hinblick auf die Auferstehung heute mit noch viel mehr Schärfe wiederholen. Mit Recht weist Puder darauf hin, daß Hegel das erste Prinzip seiner Philosophie, den Umschlag der Negation der Negation ins Positive, nirgends als „ontologisches Gesetz" einsichtig zu machen, sondern allein an der Auferstehung zu demonstrieren vermochte (114, S. 36). SW II 592. SW II j97.
Die geoffenbarte Religion (§§ 567—570)
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diese Identität jetzt gesetzt. Ihr Gesetztsein erscheint als ihre Verdoppelung. Die Einheit der allgemeinen und einzelnen Wesenheit ist jetzt selber eine „allgemeine" und nach Art des einzelnen Selbstbewußtseins „für sich geworden". Doppelt ist jedodi auch die Logik des Schlusses, der das alles gehorcht. Sie ist einmal die des Daseinsschlusses und zum andern die des übergeordneten Schlusses der Notwendigkeit. Nach der Logik des Daseinsschlusses setzt das Besondere das Allgemeine, das selber kein Besonderes ist, als das Einzelne, das es ist; das Ergebnis der Vermittlung ist danach, in Analogie zu α, die „konkrete Einzelnheit" als der „Geist". Nach der Logik des Schlusses der Notwendigkeit hingegen muß die Besonderheit, die sie dem zur unmittelbaren Identität von Allgemeinheit und Einzelheit Zusammengewachsenen aufnötigt, im Resultat auch wieder herauskommen. Was sich so im ganzen ergibt, ist ein unaufgelöster Widerspruch. Ihn scheint Hegel in der Phänomenologie noch zu verdekken, wenn er schreibt: „Der vom Selbst ergriffene Tod des Mittlers ist das Aufheben seiner Gegenständlichkeit oder seines besondern Fürsichseins; dies besondre Fürsichsein ist allgemeines Selbstbewußtsein geworden. — Auf der andern Seite ist das Allgemeine eben dadurch Selbstbewußtsein, und der reine oder unwirkliche Geist des bloßen Denkens wirklich geworden."169 Indessen müssen wir das damit genetisch analysierte Phänomen der Urgemeinde gerade in der Orientierung am weiteren Gang der Phänomenologie als den Widerspruch betrachten, daß im allgemeinen Selbstbewußtsein, dem der eingemeindeten Menschen, auf Grund der Unvollendetheit jenes Aufhebungsprozesses sich das besondere Fürsichsein Jesu als besonderes erhält. Der Phänomenologie zufolge existiert die Gemeinde selber nämlich als der Widerspruch zwischen ihrem wahren Sein, das als solches der Leib Christi ist, und ihrem dahinter zurückbleibenden Bewußtsein, das Christus als den von ihr getrennten Anderen vorstellt170. Es ist auch diese abgetrennte Existenz, die in unserem Text das „für sich" meint. Auf die Kluft, welche die Urgemeinde so noch von der erwarteten Gottesherrsdiaft scheidet, verweist der eigentümliche Gebrauch des Ausdrucks „Idee". Hegel hat hier offensichtlich nicht so sehr die Realität im Auge, welche die Idee dem Begriff voraus hat, als vielmehr den Mangel an Realität, an dem audi sie im Vergleich mit der Wirklichkeit des Geistes selber noch leidet. Ist der ewige, also allgemeine, und in der Welt gegenwärtige, also einzelne Geist erst nur Idee, dann hat er sich noch nicht zu
"» SW II J97 f. "o SW II f.
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der ihm angemessenen Einzelheit des Begriffs erhoben, welche mit der Welt auch den Begriff überwindet. Wie aber die Phänomenologie aus dem Widerspruch der Gemeinde das absolute Wissen entwickelt 171 , so sieht die Encyclopädie in ihm den unvollkommenen Anfang, von dem der nachfolgende Prozeß, der Prozeß wirklicher Nachfolge, sich abzustoßen hat. 2) Der Tod steht, nach den angeführten Deutungen, im Mittelpunkt Hegeischen Denkens, und zwar so, daß er von da aus auch alle anderen Gegenstände dieses Denkens umfaßt. Etwas davon ist uns an γ/ι aufgegangen. Die volle Bedeutung des bezeichneten Sachverhalts enthüllt aber erst der Zusammenhang von γ/ι und γ/2. Denn der Tod, die Mitte von γ/ι, rückt audi in die von γ/2 und übergreift derart die beiden Sphären. Konzentrisch sind die Kreise, sofern der Tod einmal in demjenigen, der sich nun geschlossen hat, schon nach seiner späteren Bestimmung gegenwärtig ist und zum andern in dem, welcher sich neu eröffnet, nodi nach seiner früheren und gründenden Bestimmung wirkt. Das innerliche Absterben, das Hegel in γ/2 beschreibt, ist paulinisch als Mitsterben mit Christus gefaßt und das Sterben Christi, von dem er in γ/ι gesprochen hat, als innerliches Absterben172. Nicht daß der Tod des Sohnes aus diesem Grunde kein „natürlicher" Tod gewesen wäre! Bei uns gewöhnlichen Menschen zwar fallen leibliches Sterben und innerliches Absterben auseinander, aber in der Sicht Hegels nur deshalb, weil wir das letztere wegen unserer Sündigkeit nicht wirklich vollbringen, sondern bloß als die im Text vermerkte „Bewegung" auf ein unerreichtes Ziel hin ausführen. Beim Gottmenschen hingegen konnte der vom Leben umfangene Tod des Leibes in sich das Absterben sein, das ihn zum stellvertretenden Opfertod qualifiziert, weil das ihm vorausgegangene Leben seinerseits vom Tod umfangen war, als das schon wirklich vollbrachte Abgestorbensein von der „unmittelbaren Naturbestimmtheit", von der Besonderheit des „eignen Willens"; „dasjenige also, dem nicht das Fürsichsein, sondern das Einfache als das Wesen gilt, ist es, das sich selbst entäußert, in den Tod geht" 173 . Fassen wir, wozu uns die Heidelberger Encyclopädie ausdrücklich auffordert 174 , γ/2 zunächst als einen in sich selbst abgeschlossenen Reflexionsschluß auf, also nach dem Modell der Figur A(B)-E-B(A), dann präsentiert sich uns die Menschengattung als Träger der Vermittlungsfunktion, die der Tod auch in diesem Bereich übernommen hat. Sterbende Vgl. Hyppolite (58), S. 548. A R 158 f. (Ms.) — S W X V I 302; A R 195; S W X I I I 147. SWII591. 174 SW VI 307 (§ 470): Die Totalität ist hier „selbst noch in der Sphäre der Reflexion".
171 172
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im Sinne der mors mystica175 sind die einzelnen Subjekte. In der Sphäre der Besonderheit (ß) mißlang deren Vermittlung, weil sie sich in der Verselbständigung zum Bösen von der Allgemeinheit getrennt hatten, ohne welche die Mitte nicht vermitteln kann. Nun aber ist das eigentlich Vermittelnde eben diese Allgemeinheit, die Allmacht und Allgegenwart Gottes. Denn in der höheren Ordnung des Schlusses der Notwendigkeit füllt ja γ/2 die ganze Mitte aus, die in ihr die Allgemeinheit einnimmt. Das Verhältnis der beiden Mitten zueinander ist so zu denken, daß die Vermittlung oder Versöhnung, die den einzelnen Subjekten aufgetragen ist, die vom Absolut-Allgemeinen selbst geleistete Versöhnung voraussetzt. Die subjektive Versöhnung geschieht im Kultus, für dessen wesentlichstes Werk Hegel allerorts das im Absterben dargebotene Opfer selbstsüchtiger Partikularität erachtet; die Bedingung der Möglichkeit des Kultus aber liegt im Leben und Sterben Christi, in dem Gott sich als versöhnt gezeigt hat. In der Wendung des Textes: Die „objektive Totalität" dessen, was in γ/ι thematisch war, ist die „Voraussetzung" für den in γ/2 dargestellten Prozeß 17 ·. Den Erfordernissen des Reflexionsschlusses entsprechend, hat diese 175
179
Als triplex mors bezeichnet Ambrosius das Ganze des Todesphänomens, das sich in mors corporis, mors animae sive peccati und mors mystica auseinanderlegt (De bono mortis, c. II, 3, Opera omnia, ed. Migne, 1.1, p. 567; De XLII Mansionibus filiorum Israel, 1. c., t. II/2, p. 30). Die Begriffe des leiblichen und des Sündentodes faßt schon Philon unter dem Titel διττός θάνατος zusammen, wie nach ihm Augustin unter dem der duplex mors. Die mors mystica, durch deren Berücksichtigung Ambrosius diesen Titel erweitert, ist für ihn in offensichtlich bruchloser Einheit das biblische Mitsterben mit Christus und die in Piatons Phaidon (67 d—e) dem Philosophen empfohlene Einübung in den χωρισμός ψυχής άπό σώματος. Demgegenüber stellt sich Hegel eindeutig (!) auf den Boden der Bibel. Denn erstens löst sich das Absterben in seinen Augen nicht bloß vom Leib, sondern von der „unmittelbaren Naturbestimmtheit" des ganzen natürlichen Menschen, und zweitens traut er es nicht der autonomen Kraft des Individuums zu, das sich gerade auch seines „eignen Willens" entäußern soll, sondern allein „Gottes Gnade", die in „des Menschen Opfer" wirksam ist (BR 258 — SW XV 238). Angesichts dessen erübrigt sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit der oberflächlichen Kritik Reidingers, nach dessen Auffassung Hegel mit seinem ganz bibelfremden Begriff des inneren Absterbens lediglich darauf abzielt, „ein Bewußtsein zu gewinnen, das auf sidi selbst steht" (115, S. 52). Marsch (93, bes. S. 236—271) sieht den Kultus, der im dritten Teil der vorliegenden Arbeit unter dem Aspekt der weltlichen Versöhnungsrealisation erscheint, im Lichte der hier anklingenden Wiederholung des Sterbens Christi. Er deutet die Erinnerung an den Tod Gottes als „Schmerz über die Abwesenheit Gottes ( . . . ) in der aufgeklärten gesellschaftlichen Situation" (S. 241). Dabei geht auch er dem TheoriePraxis-Problem nach. Allerdings scheint sich aus unserer Darstellung eine gewisse Korrektur seiner Meinung zu ergeben, mit der Logifizierung der Dialektik von Entzweiung und Versöhnung habe Hegel seine frühere Nähe zur gesellschaftlichen Praxis in zunehmendem Maße preisgegeben.
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Voraussetzung als „an sich seiende" den Charakter der Allgemeinheit, den sie auch als die eigentlich vermittelnde Mitte besitzen muß, so wie sie als „ein Anderes und Angeschautes" noch auf das besondere Fürsichsein fixiert ist, das ihr sowohl die Identität der Extreme des Reflexionsschlusses als auch die vom Daseinsschluß hinterlassene Erbschaft aufprägen. Allgemeinheit und Besonderheit des vorausgesetzten Gegenstandes sind vereint, sofern dessen Anschauung — und das ist immer die eines Anderen — gleichwohl die „Anschauung der an sich seienden Wahrheit" ist, der gegenüber die endliche Unmittelbarkeit des einzelnen Subjekts „sich für sich als das Nichtige und Böse bestimmt", d. h. für ihr Selbstbewußtsein zu der Unwahrheit wird, zu der sie sich tatsächlich gemacht hat. Mit dem Aufheben der bösen Entzweiung hebt der Kultus, so scheint im Einklang mit allen Parallelstellen audi unser Text zu lehren, darüber hinaus die abstrakte Zweiheit des einzelnen Subjekts und seiner ihm objektiv vorgegebenen Wahrheit auf. Indessen darf man dabei Folgendes nicht vergessen, ι . Was dem einzelnen Subjekt ausschließlich als sein Tun erscheinen mag, enthüllt sich in der Tiefe der objektiven Realität als die Handlung eines Leidens, die in letzter Instanz auf das Absolut-Allgemeine zurückgeht. Die Mitte des Reflexionsschlusses und die Mitte des Schlusses der Notwendigkeit treffen sich nur unter der Bedingung, daß die vom Absolut-Allgemeinen ausgehende Vermittlung die dem Einzelnen aufgetragene ihrerseits vermittelt. Auch die im disjunktiven Schluß gesetzte „Wahrheit des hypothetischen Schlusses", den wir in der umfassenden Perspektive der Notwendigkeit vor uns haben, beruht nach der übereinstimmenden Auskunft der Kleinen und der Großen Logik darauf, daß das „Einzelne in der Bedeutung des unmittelbaren Seins ( . . . ) ebenso vermittelnd als vermittelt sei" 177 . Vermittelt kann das Tun des einzelnen Subjekts aber nur als das Leiden sein, das just die unmittelbare Einzelheit von ihm abstreift, in welcher es als alleiniger Vermittler aufzutreten hätte. 2. Daß die im Moment der Besonderheit (ß) gesollte Vermittlung faktisch zur Katastrophe wurde, muß, obzwar sich seine Faktizität selber aus der logischen Struktur des Reflexionsschlusses nicht konstruieren läßt, immerhin seiner Möglichkeit nach darin begründet sein; sonst wäre es jedenfalls dem Denken unmöglich, das Schuldigwerden mit Hilfe des Schlusses der Reflexion zu begreifen. In der Tat findet Hegel einen Anknüpfungspunkt in dem noch rein logischen Umstand, daß dieser Schluß, für sich genommen, nur „Blendwerk", „nur ein äußerlicher leerer Schein des Schließens 177 SW VIII 396 (Encyclopädie, § 191); SW V 168.
Die geoffenbarte Religion (§§ 567—570)
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ist" 178 . Über Zwisdienbestimmungen, die wir im vorliegenden Zusammenhang nicht zu beachten braudien, leitet die Logik den leeren Schein, der den Hintergrund der Schuld bildet, aus der bloß subjektiven Verfassung des Reflexionsschlusses ab179. Wenn der potentiell schuldhafte Schein nun auch dank der Vermittlertätigkeit des Absolut-Allgemeinen schwindet, so verharrt der Reflexionsschluß als solcher doch in der Subjektivität, die sich dem wirklichen Zusammenschluß des zu Vermittelnden in den Weg stellt. Insofern kann sich in ihm der Aufhebungsprozeß des Kultus noch nicht vollenden. Im Abarbeiten seiner unmittelbaren Naturbestimmtheit kann das einzelne Subjekt lediglich sich selbst entgegenarbeiten, und die Entfernung zwischen ihm und der objektiv vorgegebenen Wahrheit bleibt in dem Maße bestehen, in dem gerade die Selbstpreisgabe, durch die es die Allgemeinheit in sich zur Geltung bringt, das Ausbleiben der vollendeten Versöhnung bezeugt. Einzig dem, welcher diese beiden Einschränkungen berücksichtigt, geht der genaue Sinn des Satzteils auf, in welchem Hegel das Ziel des Reflexionsschlusses gegen das Endziel von γ/3 abhebt. Wohl spricht er von einem Sich-zusammenschließen, aber von einem Sich-zusammenschließen des Subjekts in „dem Schmerze der Negativität" und mit dem „Ansich" des von Christus gegebenen Beispiels. Demgemäß geht es audi nicht um das Vereintsein selber, sondern nur erst darum, „als vereint mit dem Wesen sich zu erkennen". Es ist merkwürdig genug, aber kaum von der Hand zu weisen: Das Erkennen kündet da von der Ohnmacht des Menschen, nicht von seiner Macht. D a ß es das Vereintsein erkennt, vermag nichts gegen die Negation des Vereintseins, die in seinem Abstand von der erkannten Sache liegt; es vermag nichts gegen die Herrschaft der Reflexion, die Hegel beim Namen nennt noch mit dem letzten Wort, das er dem Reflexionsschluß widmet. Die spekulativ umgestaltete Figur dieses Schlusses schreibt vor, daß das Extrem der Voraussetzung, einer besonderten Allgemeinheit, eine Besonderheit sei, die mit dem Allgemeinen zusammengegangen ist. Diese Besonderheit ist die des erkennenden Subjekts, welches sich eben dadurch, daß es sich als vereint mit dem Allgemeinen erkennt, davon auch wieder absondert. 3) Die Erkenntnis des Vereintseins geht erst in die wirkliche Einheit über, wenn das „Wesen" im Durchgang durdi die ebenso von ihm wie vom einzelnen Subjekt ausgehende Vermittlung, aber kraft der Initiative, die es nun ganz übernimmt, „sich als in wohnend im Selbstbewußtsein be178 179
S W V l J l f .
S W V 154.
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wirkt". Dann wird die „Einheit des Vermittelnden und des Vermittelten" 180 gesetzt, weil das Vermittelnde, für das der Begriff des Wesens die Allgemeinheit ausgibt, als die „wirkliche Gegenwärtigkeit" in allem eine Absonderung des zu Vermittelnden verwehrt. „Die Extreme, im Unterschiede von dieser Mitte, sind nur als ein Gesetztsein, dem keine eigentümliche Bestimmtheit gegen die Mitte mehr zukommt." 181 Wollte man im „Formalismus des Schließens", der hiermit wie „die Subjektivität des Schlusses und des Begriffes überhaupt aufgehoben" ist182, trotzdem fortfahren, so hätte man im Selbstbewußtsein die Besonderheit und im an und für sich seienden Geist die Einzelheit zu sehen. Aber das Selbstbewußtsein war ja schon durch die vorausgegangene Vermittlung, wenn auch nur in der Erkenntnis, mit der Allgemeinheit vereint worden, und den an und für sich seienden Geist kann Hegel ausdrücklich den allgemeinen nennen, weil seine Einzelheit die Existenz der Allgemeinheit selber ist. Näher betrachtet, schenkt das Absolut-Allgemeine dem Selbstbewußtsein die von diesem im Erkennen vorweggenommene Einheit mit ihm, indem es sich in der Besonderheit selber, die ja durch die neue Vermittlung ihrerseits in das andere Extrem der Einzelheit umschlagen muß, als diese Einzelheit setzt. Im vollendeten Schluß der Notwendigkeit ist „das vermittelnde Allgemeine auch als Totalität seiner Besonderungen, und als ein einzelnes Besonderes, als ausschließende Einzelnheit, gesetzt"189. Es ist dies die Einzelheit des religiös als heilig vorgestellten Geistes, der seine Stätte im Selbstbewußtsein aufschlägt. Indessen verzehrt die „Einheit seiner Fülle", von der bei der Vorschau auf γ in § 566 die Rede war und die als die Totalität seiner Besonderungen gleichermaßen die ganze Welt durchdringt, keineswegs alle Unterschiede. Sofern „eines und dasselbe Allgemeine in diesen Bestimmungen als nur in Formen des Unterschieds ist" 184 , bleibt Identität, was sie seit je war: Identität von Identität und Nichtidentität. Darauf zielte bei der Explikation des Geistes, als welcher Gott schon im Element der Allgemeinheit existiert, die „Vermittlung der sich aufhebenden Vermittlung" (§ 567). Nicht von ungefähr spricht Hegel auch jetzt wieder, bei der Analyse des sich in der Vollendung überwindenden Schlusses, von der „Vermittlung durch Aufheben der Vermittlung" 185 . Damit nämlich bezeichnet er den grundlegenden Sachverhalt, der nach der Seite der absolut objektiven Allgemeinheit bedeutet, daß diese sich „in ihrem bestimmten Unterschied und zugleich in 180 SWV168. 181 SWV 169. 184 SWV 169.
iss s w VIII 396 (Encyclopädie, § 191). 184 SW VIII 397 (Encyclopädie, § 191). 185 SW VIII 397 0Encyclopädie, § 192).
Die geoffenbarte Religion (§§ 567—570)
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der einfachen Identität des Begriffes gesetzt" hat188, und der nach der entgegengesetzten Seite vormaliger Subjektivität besagt, daß das Schließen „ein Zusammenschließen des Subjekts nicht mit Anderem, sondern mit aufgehobenem Andern, mit sich selbst" wird 187 . Getilgt ist demnach zwar die Verselbständigung zum Bösen, aber nicht die ursprüngliche Selbständigkeit des Geschöpfs. Denn daß der Mensch im aufgehobenen Andern sich mit sich selbst zusammenschließt, definiert ihn als „ein Gesetztsein, dem keine eigentümliche Bestimmtheit gegen die Mitte mehr zukommt", oder als die Erscheinung, die sich in ihren Grund zurücknimmt. Die logisch durch die Selbstaufhebung des Schlusses bedingte Kürze des literarischen Ausdrucks bringt nicht so sehr die in der vollendeten Einheit gesetzten Unterschiede zum Verschwinden als vielmehr eine davon ganz verschiedene Differenz, deren allerdings schon in y/i zu beobachtende Einebnung im Hinblick auf den Zweck der vorliegenden Untersuchung unsere Aufmerksamkeit erheischt. Sehr schön hat Gaston Fessard die merkwürdige /ndifferenz beschrieben, welche die Encyclopädie, in diesem Punkt weit entfernt von der ganz und gar historisch ausgerichteten Phänomenologie, gegenüber „der Zeit und der Geschichte" an den Tag legt188. Nach seiner bildlichen Darstellung überträgt sie die horizontale Linie der phänomenologisch entfalteten Zeitlichkeit auf die Vertikale einer Zeitlosigkeit, in der es die Unterschiede der temporalen Dimensionen nicht gibt. In der Tat: Unentschieden bleibt bereits, wie der in γ/2 skizzierte Prozeß, den Hegel andernorts für einen gleicherweise individual- wie weltgeschichtlichen erklärt, sich zum Lauf der Welt verhalte, und vergeblich auch wartet auf Antwort die Frage, wann denn nun die in γ/3 so bedenkenswert knapp umrissene Vollendung eintrete. Eben weil hier, wo der Begriff die Vorstellung kaum noch zu Wort kommen läßt, die Erstreckung der Geschichte in die Zeit einer strengen Epoche verfällt, wäre es völlig abwegig, die „wirkliche Gegenwärtigkeit des an und für sich seienden Geistes", die nur dessen alles erfüllende Anwesenheit meint, für unsere geschichtliche Gegenwart zu nehmen. Mit der Zukunft versinkt auch die zeitliche Gegenwart in das Dunkel des Unbeachteten. Gewiß finden sich im Gesamtwerk Hegels zahlreiche Äußerungen über den Anteil, den beide — Gegenwart und Zukunft — am „Reich Gottes" haben. Wollte man sie jedoch in den Kontext einarbeiten und dadurch das Schweigen brechen, das über γ/3 liegt, so würde man sich wider den Geist is· SWV169. IST sw VIII 397 (Encyclopädie, § 192). 188 Fessard (23), S. 40. 19 Theunissen, Hegel
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der Encyclopädie vergehen. Ein anderes freilich ist es, das darin Fehlende als solches festzustellen, um es auf einer neuen Gedankenebene nachzuholen. Das wird die Aufgabe des ausführenden Teils dieser Untersuchung sein. Die encyclopädische Fassung des dort zu konstruierenden Philosophiebegriffs abstrahiert, wie wir im noch ausstehenden Abschnitt des Kommentars sehen werden, gleichfalls in hohem Maße von Zeit. Die Konstruktion des Philosophiebegriffs muß infolgedessen über die Encyclopädie hinausgehen. Dennoch darf sie an ihr anknüpfen. Auch dies nämlich wird im folgenden noch deutlicher werden als bisher: daß die encyclopädische Lehre vom christlichen Vorstellen und von dessen Verhältnis zum begreifenden Denken die Materialien bereitstellt, die der geschichtlich orientierte Neuentwurf der Idee Hegelscher Philosophie verwenden kann.
4. Religion und Philosophie1 § sji
Diese drei Schlüsse, die den Einen Schluß der absoluten Vermittlung des Geistes mit sich selbst ausmachen, sind die Offenbarung desselben, welche dessen Leben in dem Kreislaufe konkreter Gestalten der Vorstellung expliziert. Aus ihrem Auseinandertreten und zeitlichen und äußerlichen Aufeinanderfolgen nimmt sich die Entfaltung der Vermittlung in ihrem Resultat, dem Zusammenschließen des Geistes mit sich selbst, nicht nur zur Einfachheit des Glaubens und der Gefühlsandacht zusammen, sondern auch zum Denken, in dessen immanenter Einfachheit ebenso die Entfaltung ihre Ausbreitung hat, aber gewußt als ein untrennbarer Zusammenhang des allgemeinen, einfachen und ewigen Geistes in sich selbst. In dieser Form der Wahrheit ist die Wahrheit der Gegenstand der Philosophie.
Die in der Encyclopädie ausgesparte Bestimmung des geschichtlichen Orts der Philosophie ist nur dann in angemessener Weise möglich, wenn man unter den drei Schlüssen nicht allein versteht, was Hegel in den verschiedenen Abteilungen von γ abhandelt, sondern darüber hinaus auch und vor allem die drei Momente, von denen γ — abstrakt gesprochen — neben α und β nur eines darstellt. Demgemäß wird man sagen müssen, daß das „Resultat" des umgreifenden Zusammenschlusses, in allerdings keineswegs differenzloser Identität, Thema von γ/3 wie von γ überhaupt war. Die Korrelation zwischen den drei Schlüssen und den drei Momenten der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ergibt sich im übrigen bereits daraus, daß jene Schlüsse die Offenbarung des Geistes sein sollen.
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19*
Der Abschnitt „Die Philosophie" beginnt in der Encyclopädie erst mit § J72. W i r schlagen ihm jedoch § 571 zu, weil dieser Paragraph mit den weiteren unter dem hier leitenden Gesichtspunkt der Beziehung von Philosophie und Religion eine Einheit bildet.
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Denn wie sidi uns gezeigt hat, operiert die Encyclopädie mit dem denkbar weitesten Offenbarungsbegriff, der als Manifestation Gottes außer der im Stadium gesetzter Einzelheit geschehenen Menschwerdung genauso das Sich-selbst-offenbarsein des absoluten Inhalts im Element der Allgemeinheit und die Erschaffung der Erscheinung in der Sphäre der Besonderheit gelten läßt. Was aber das Resultat des einen Schlusses betrifft, so verbietet seine Eingrenzung auf γ/ 3 der schlichte Gedanke daran, daß es zum Glauben und zur Gefühlsandacht in der Sidit Hegels kaum erst im Zustand der Vollendung kommt, die er im Gegenteil wohl eher mit dem Evangelium als Verwandlung des Glaubens in das Schauen fassen würde. Ihn auf den Gesamtkomplex von γ auszuweiten, gebietet umgekehrt die gleichermaßen simple Überlegung, daß es für Hegel die von der Menschwerdung eröffnete Epoche ist, in welcher die gläubige Vorstellung zur gläubigen Andacht fortschreitet. In dieser Epoche ist demnach jedenfalls auch das philosophische Denken zu lokalisieren, das die zeitliche Geschichte des absoluten Geistes mitgestaltet. Die logische Grundlage für eine derart doppelbödige Auffassung des Schlußsystems haben wir erarbeitet. Sie liegt in dem seinerseits logisch begründeten Verfahren Hegels, den in der Abfolge der drei Momente gegangenen Weg vom Daseinsschluß über den Reflexionsschluß zum Schluß der Notwendigkeit innerhalb des letzten Moments zu wiederholen. Im Mitgehen dürfte das zunehmende Zurücktreten der Vorstellung aufgefallen sein. Während des Ganges mag manchen zugleich die Möglichkeit einer völlig anderen Deutung der Schlüsse beirrt haben. Es ist ja durchaus nicht abgemacht, daß die drei Schlüsse nach den dialektisch vermittelten Extremen benannt sind. Ihre Bezeichnung als Momente der Allgemeinheit, der Besonderheit und der Einzelheit könnte sich ebensowohl nach der jeweils vermittelnden Mitte richten. Eine solche Annahme wäre sogar sehr sinnvoll, da es nach Hegel der Medius Terminus ist, der einen Schluß im ganzen charakterisiert. Dann aber entspräche dem Moment der Allgemeinheit der Schluß der Notwendigkeit, dem Moment der Besonderheit der des Daseins und dem Moment der gesetzten Einzelheit derjenige der Reflexion. Indem jetzt die Vorstellung wieder hervortritt, scheint diese Interpretationsmöglichkeit eine gewisse Aktualität zu bekommen. Für die Vorstellung verhält es sich nämlich tatsächlich so, daß Gott, sofern er als das Allgemeine das alles Umfangende ist, sich, den zunächst unmittelbar existierenden Einzelnen, mit jener Besonderheit vermittelt, die sie sich von vornherein nur als weltliche denken kann. Für sie, die Vorstellung, ist es dann auch die in ihre Besonderheit abgesonderte
Religion und Philosophie (§ 571)
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Welt, durch deren Vermittlung das schlechthin Allgemeine zum Einzelnen im Sinne des Geistes wird. Und schließlich sieht sie im Mittler selber, in Christus, den Einzelnen, der das Besondere mit dem Allgemeinen, die Welt mit Gott versöhnt. Dabei ist es vorstellendem Denken selbstverständlich, daß das Moment der Allgemeinheit, als die „Sphäre des reinen Gedankens", das Reich der Notwendigkeit ist; ebenso natürlich erscheint es ihm, daß Gott sich mit der Weltschöpfung auf die Ebene des Daseins begibt; und daß das christologische Stadium das der Reflexion ist, muß christlicher Vorstellung evident sein, da sie, die „nach endlichen Reflexionsbestimmungen" (§ j6y) verfährt, mit dem Eintritt in dieses Stadium gleichsam nach Hause kommt. Auch für das begreifende Denken besteht kein Anlaß, sich dieser Einteilung prinzipiell zu widersetzen. Denn es paßt zu der von ihm angeleiteten Selbstaufhebung des formallogischen Syllogismus, daß in allen Schlüssen jedes Extrem nicht nur das andere Extrem, sondern auch die Mitte ist. Als ein weiteres Zeichen des Einverständnisses darf man die Verbeugung werten, die der Begriff im äußerlich und innerlich zentralen Satz unseres Textes vor der Vorstellung macht. Zu den bedeutsamen Konsequenzen einer Kontamination der begriffsmäßigen und der vorstellungsmäßigen Lesart gehört ja neben der Tatsache, daß das für die Vorstellung Anfängliche für den Begriff das Ende wäre, namentlich der Umstand, daß das begreifende Denken dasselbe Stadium, in welchem das vorstellende seinen Reflexionscharakter wiedererkennt, als das ihm gemäße, als das der Existenz des Begriffs, anzuerkennen vermöchte. Dies würde nun mit der in § 571 behaupteten, allerdings historisch nicht detaillierten Gleichzeitigkeit von christlichem Glauben und philosophischem Denken übereinstimmen. Aber noch etwas anderes spricht für jene Kontamination. Nach Auskunft unseres Textes expliziert die Offenbarung, indem sie den einen Sdiluß der absoluten Vermittlung des Geistes mit sich selbst in die drei erläuterten Schlüsse auseinanderlegt, das Leben dieses Geistes zugleich „in dem Kreislaufe konkreter Gestalten der Vorstellung". Völlig zufriedenstellend funktioniert dieser Kreislauf allein dann, wenn Begriff und Vorstellung ineinandergreifen, also unter der Bedingung, daß das vorstellende Denken seine Arbeit da aufnimmt, wo das begreifende sie abschließt: im Bereich der Notwendigkeit. Wir haben in die Momente des Begriffs die Figuren der encyclopädischen Logik eingetragen, weil nur sie anschaulich vor Augen führen, wie der zweite Schluß den ersten und der dritte mit dem ersten auch den zweiten voraussetzt. Sie veranschaulichen das interne Voraussetzungsverhältnis durch die Synkopie des jeweils fol-
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genden Anfangsextrems mit dem vorausgegangenen Endextrem 2 : EBA — A E B — BAE. Nach Hegel setzen aber auch die beiden früheren Schlüsse den letzten voraus*. Erst dadurch wird das Ganze, als der in allen Schlüssen einige Schluß, „der Kreislauf der Vermittlung seiner Momente" 4 . Was man auch so ausdrücken kann: Das Rotieren des Ganzen, dessen Momente sich alle gegenseitig voraussetzen, kommt erst dadurch in Gang, daß das Ende des vom Begriff zurückgelegten Weges, der Schluß der Notwendigkeit, zum Anfang für die Vorstellung wird, die von ihm aus zum Schluß des Daseins und der Reflexion übergeht. Das gegenseitige Sich-voraussetzen der Momente, das deren Ganzheit in den von Hegel bejahten 8 Zirkel des Sich-selbst-voraussetzens drängt, setzt seinerseits die zirkelhafte Fortsetzung des Weges EBA — A E B — B A E in Richtung der Figuren B A E — EBA — A E B voraus. D a ß Hegel mit dem Wort vom Kreislauf an die generelle Charakteristik des Vorstellens (§ j 6 j ) , der gemäß dieses die Begriffsmomente „gegeneinander zu Voraussetzungen" macht, erinnern will, läßt sich kaum bezweifeln. In der Exegese von § 565 wurde das Gegeneinander aus der geheimen Mitwirkung des Begriffs erklärt, der noch im Vorstellen selber die Sukzessivität der „aufeinander folgenden Erscheinungen" in die Simultaneität der Momente des sich mit sich zusammenschließenden Geistes umbiegt. Erhärtet wird diese Erklärung durch die jetzt erörterte Lehre von der Teilnahme des Vorstellens an dem als Kreislauf definierten Schluß, der selber „der vollständige Begriff in seinem Gesetztsein" ist*. Der den vorliegenden Paragraphen einleitende Satz deckt auch die schon vermutete Bedingung der Möglichkeit einer solchen Teilnahme auf: Vor allem subjektiven Begreifen darf das Vorstellen auf eine in ihm waltende Begrifflichkeit vertrauen, weil die Offenbarung des Geistes dessen Leben im Kreislauf der vorgestellten Gestalten expliziert. Denn der Geist ist selbst der absolute Begriff, dessen eigentümliche Konkretheit auch die für sich abstrakten Gestalten der Vorstellung konkretisiert. Wie aber die Vorstellung den sie ermöglichenden Begriff, den absolut objektiven, auf ihre Weise reproduziert, so nimmt auch umgekehrt der Begriff, als subjektiver, die Vorstellung in sich auf. Es ist vornehmlich dieser Fundierungszusammenhang, den der Gedankengang des Paragraphen vorführt. In seine „Einfachheit" integriert das Denken, das Hegel 2
3 4
Hier nadi dem Vorbild der formalen Logik von Oberterm, Unterterm und dergleichen zu reden, wäre angesichts ihrer spekulativen Aufhebung sinnlos. 5 SW V 137. Kümmel (71), bes. S. 228 ff. SW VIII 383 0Encyclopädie, § 181). · SW V 170.
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zuletzt für das begreifende der Philosophie erklärt, das scheinbare Gegenteil: Die „Ausbreitung", zu der es bei der Entfaltung des in den Schlüssen dargestellten Prozesses der absoluten Selbstvermittlung des Geistes kommt. Die Ausbreitung ist mit dem „Auseinandertreten und zeitlichen und äußerlichen Aufeinanderfolgen" zwar nicht für sich, jedoch an sich identisdi, sofern sie nämlich die Form ist, die das begreifende Denken dem Außereinander und Nacheinander der Gestalten gibt. Die hauptsächlich als Sukzessivität erscheinende Mannigfaltigkeit eignet aber den Gegenständen der Vorstellung. Der nächste Paragraph sagt der religiös bestimmten Totalität ein „in der Vorstellung sich entfaltendes Auseinandergehen und Vermitteln des Entfalteten" nach. Mit jener Ausbreitung bringt sich also das Vorgestellte im subjektiven Begriff selber zur Geltung 7 . Gleichwohl stürzt das begreifende Denken hiermit keineswegs in die Heteronomie der Angewiesenheit auf Fremdes. Denn da die Vorstellung ihrerseits auf die Offenbarung des absoluten Begriffs angewiesen ist, empfängt dessen denkender Nachvollzug aus ihr nur, was seinem eigenen Objekt angehört. Andererseits ergeht sidi das begreifende Denken der Philosophie freilich ebensowenig in der dürren Autonomie einer selbstherrlichen Subjektivität. Einmal ist es ja die als souveräne Selbstmanifestation Gottes unverfügbare Offenbarung, auf die es auf dem Wege über die Vorstellung zurückzugehen hat; und zum andern ist der Weg über die Vorstellung unumgänglich. Weil die historischen Fakten, zu deren Mannigfaltigkeit der absolute Geist sich selbst herabläßt, die spezifischen Gegenstände des vorstellenden, nicht des begreifenden Denkens sind, bedarf dieses der von jenem geleisteten Vermittlung der absoluten Selbstvermittlung. Die Vorstellung muß erst nachgemacht haben, was der Inhalt ihr vorgemacht hat, damit der Begriff sein Werk in einer der Form des Inhalts angemessenen Gestaltung beginnen kann. Seine primäre Abhängigkeit von der Offenbarung und seine sekundäre Abhängigkeit von der Vorstellung verknüpft Hegel zu einer Einheit, indem er zum Subjekt des zentralen Satzes die „Entfaltung" wählt. Denn die Entfaltung meint die das Geistesleben in der Vorstellung ausbreitende, selbst vorstellungsmäßige Explikation, als deren eigenes Subjekt die Offenbarung fungiert. 7
Für die Tendenz der zwischen 1817 und 1830 vorgenommenen Umarbeitungen ist sehr aufschlußreich, daß dieser nunmehr tragende Gedanke in der Heidelberger Encyclopädie (SW VI 307, § 471) nodi gänzlich fehlt. Dort stehen sich die Mannigfaltigkeit des Vorgestellten und die Einfadiheit des Begriffenen noch unvermittelt gegenüber.
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Was die Form des Begriffs über die der Vorstellung hinaushebt und der des Inhalts völlig angleicht, ist dies, daß in sie mit der zeitlichen auch die sie begründende ewige Geschichte einfließt, die der Vorstellung nur im gebrochenen Widerschein der zeitlidien begegnet. Philosophisdies Denken verdankt seine immanente Einfachheit der transzendenten seiner Sache, die in sich einfach oder „ein untrennbarer Zusammenhang des allgemeinen, einfachen und ewigen Geistes in sich selbst" sein kann, weil sie die ewige, ihre Momente in die „Gleichzeitigkeit" des nunc stans versammelnde Geschichte des absoluten Geistes ist. Bei der Erörterung des Verhältnisses von Philosophie und Christentum heben die religionsphilosophischen Vorlesungen stets besonders auf diese Rüdeführung der zeitlidien Geschichte in ihren Ewigkeitsgrund ab. Demgegenüber zeichnet unser Text sich dadurdi aus, daß er die gegenläufige Bewegung, in weldier der Begriff die ewige Geschichte auf ihren zeitlichen Gehalt hin durchschaut, gleichermaßen hervorkehrt und so erst die ganze Wahrheit ausspricht. Er liefert damit auch erst den rechten Maßstab für die Beurteilung der Hegeischen Vorstellungskritik. Zweifellos richtet sich diese Kritik vornehmlich gegen das Verständnis der Geschichte im Horizont linear fortschreitender Zeit. Daß der vorstellende Mensch die von Christus, dem „anderen Selbst", an sich vollbrachte und seinem eigenen Selbst aufgegebene Versöhnung, wie es in § 570 der relativ unhistorischen Encyclopädie hieß, als „ein Anderes und Angeschautes" vor sich hinstellt, veranlaßt die geschichtsnahe Phänomenologie zu der temporal konkretisierenden Folgerung: „Seine eigne Versöhnung tritt daher als ein Fernes in sein Bewußtsein ein, als ein Fernes der Zukunft, wie die Versöhnung, die das andere Selbst vollbrachte, als eine Ferne der Vergangenheit erscheint"8. Dieser Satz enthält in nuce Hegels gesamte Vorstellungskritik. Darüber aber, wie er zu lesen sei, belehrt uns die ausgedeutete Stelle. Daß im philosophischen Denken der „Ausbreitung" ihr Recht widerfährt, besagt vor allem: Audi der Begriff nimmt die für die Vorstellung ausschlaggebende Erstreckung der geschichtlichen Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ernst. Was er am Vorstellen kritisiert, kann also nicht die Ausrichtung auf Vergangenheit und Zukunft als solche sein, sondern nur dies, daß derlei „ein Fernes" ist, entfernt nämlich aus dem untrennbaren Zusammenhang, in welchem für ihn selber die Zeitdimensionen sich wechselseitig durchdringen. Gegenstand seiner Kritik ist das vorstellende Bewußtsein, das die Vergangenheit, indem es sie vom Zukünftigen loslöst, 8
SWII600.
Religion und Philosophie (§ 5 7 2 )
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erledigt und das die Zukunft durch die Abtrennung vom Vergangenen zu einer unwirklichen Möglichkeit verflüchtigt. Begreifendes Denken entlarvt audi den Mechanismus, der zu derartigen Abstraktionen treibt: Weil die Gegenwart auf der Linie der sukzessiv fortschreitenden Zeit zu einem verschwindenden Punkt zusammenschrumpft, müssen Vergangenheit und Zukunft für den Inhalt aufkommen, den sie von sich aus nicht hat. Im Gegensatz dazu steht der Begriff seinerseits gewiß in einem betont freundlichen Verhältnis zur Gegenwart: „Das Jetzt des Genusses zerrinnt in der Vorstellung (...) teils in Vergangenheit, teils in Zukunft. Der Geist aber ist sich schlechthin gegenwärtig und fordert eine erfüllte Gegenwart" 9 . Indessen ist diese nicht ohne weiteres schon die „zeitliche Gegenwart" 10 . Freilich: Wir werden sehen, daß gerade auch die gegenwärtige Geschichtszeit dem Begriff ein allumfassendes Interesse abverlangt. Doch fällt auf sie, wenn sie sich dieses Interesses erfreuen darf, zunächst nur der Abglanz der immerwährenden Gegenwart, als die Hegel, wie wir noch sehen werden, die Wirklichkeit des Gottesreiches auslegt. Eben deshalb kann sie von Vergangenheit und Zukunft nicht genauso abgeschieden sein wie diese im Vorstellen von ihr. Denn ein Bild der Ewigkeit ist sie allein vermöge der Fülle, die ihr Vergangenheit und Zukunft mitteilen. Sie muß, wofern sie begriffen werden soll, diese Dimensionen in sich enthalten. Mithin ist das Begreifen der zeitlichen Gegenwart selbst schon das Bedenken einer Zukunft, die von einer lebendig aufbewahrten Vergangenheit herkommt. Für die Konstruktion des Philosophiebegriffs, welche die von der encyclopädischen Religionslehre verschwiegene Eschatologie aus dem Gesamtentwurf Hegels herauszulocken hat, besitzt diese Erkenntnis eine kaum zu überschätzende Bedeutung.
§ 5J2 Diese Wissenschaft ist insofern die Einheit der Kunst und Religion, als die der Form nach äußerliche Anschauungsweise der erstem, deren subjektives Produzieren und Zersplittern des substantiellen Inhalts in viele selbständige Gestalten, in der Totalität der zweiten, deren in der Vorstellung sich entfaltendes Auseinandergehen und Vermitteln des Entfalteten, nicht nur zu einem Ganzen zusammengehalten, sondern auch in die einfache geistige Anschauung vereint und dann darin zum selbstbewuß* A R 2 i j — S W X V I 3 4 0 ; siehe audi unten, S. 369 f. A R 2 3 1 (Ms.) — S W X V I 3 J 6 .
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Exegese des Textes (Encyclopädie §§ 553—577)
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ten Denken erhoben ist. Dies Wissen ist damit der denkend erkannte Begriff der Kunst und Religion, in welchem das in dem Inhalte Verschiedene als notwendig und dies Notwendige als frei erkannt ist. Die Auffassung, Philosophie sei die Einheit von Kunst und Religion, spricht Hegel auch andernorts aus. So sind nach seinen Vorlesungen über Ästhetik „in der Philosophie die beiden Seiten der Kunst und Religion vereinigt: die Objektivität der Kunst, welche hier zwar die äußere Sinnlichkeit verloren, aber deshalb mit der höchsten Form des Objektiven, mit der Form des Gedankens vertauscht hat; und die Subjektivität der Religion, welche zur Subjektivität des Denkens gereinigt ist" 11 . Indem Hegel die Philosophie als Synthese der Objektivität von Kunst und der Subjektivität von Religion begreift, gibt er zugleich den Gesichtspunkt an, unter dem er sie audi im gesamten ihr gewidmeten Abschnitt der Encyclopädie betrachtet: als höchste Vermittlung von Subjekt und Objekt. Statt daß man jedoch unseren Text nach dem Maßstab der anderen Stellen interpretieren dürfte, empfangen umgekehrt diese erst von ihm ihren rechten Sinn. Als Korrekturinstanz fungiert er für sie in zwiefacher Hinsicht. Erstens zerstört er den Schein einer Vereinigung gleichwertiger Momente, indem er die spezifische Art der in der Philosophie realisierten Einheit festlegt; und zweitens berichtigt er die irreführende Meinung, es sei die Kunst, welche allein für die Objektivität aufkomme, während Religion nur Subjektivität beisteuere. Nicht daß Philosophie Einheit von Kunst und Religion ist, interessiert den Verfasser der Encyclopädie im gegenwärtigen Zusammenhang, sondern inwiefern sie diese Einheit darstellt. Sie tut das in seinen Augen, sofern die zu philosophischer Einsicht gebrachte Religion ihrerseits schon die Totalität ausmacht, zu der mit ihr selbst, der Religion, imgleichen Kunst gehört. Religion ist nicht bloß eines der beiden Momente, welche Philosophie vereinigt, sondern ebenso in gewisser Weise bereits die Einheit selber. Diese These geht noch über die Erklärung von § 554 hinaus, wonach als Religion die Sphäre des absoluten Geistes „im Allgemeinen" bezeichnet werden könne. Denn dort war die Religion überhaupt gemeint und nicht speziell die geoffenbarte. Hier hingegen nimmt Hegel diejenige Religion auf, die er zuvor behandelt hat: die christliche. Auch dieser Einheitsgedanke ist allerdings schon vorbereitet worden: durch die Lehre, die Abfolge von ästhetischer Anschauung, " SWXII K2.
Religion und Philosophie (§ 572)
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christlich-religiöser Vorstellung und philosophischem Denken kehre implizit innerhalb der geoffenbarten Religion wieder. Nur sagt Hegel jetzt exakter, wie solche Lehre zu verstehen sei. Die Kunstanschauung geht in die Vorstellung ein. Das bedeutet jedoch keineswegs, daß die zwei Formen sich schlechthin deckten. Die Religion, im bestimmten Verstände des Textes genommen, ist mehr als Vorstellung, aber sie ist auch schon in der Form der Vorstellung mehr als eine äußerliche Anschauungsweise. Was Hegel in der Ästhetik dazu veranlaßt, dem objektiven Moment der Kunst die Religion als subjektives Moment gegenüberzustellen, ist die im Vorstellen geschehene Verinnerlichung jener äußerlichen Anschauungsweise. Was aber heißt Verinnerlichung? Sie besteht zunächst in der Zusammenfassung des in viele selbständige Gestalten zersplitterten Inhalts zu einem Ganzen; der Polytheismus griechischer Kunst wird zum trinitarischen Monotheismus. Die Totalisierung aber ergibt sich aus dem Übergang von der Unmittelbarkeit zur Vermittlung. Die Unmittelbarkeit ist es ja, die hinter allen angegebenen Charakteren der Kunst steht; die natürliche Unmittelbarkeit des subjektiven Produzierens entspricht nach § j6o durchaus derjenigen des äußerlichen Werks, das als solches wiederum nichts als eine sinnlich-unmittelbare Götterwelt zur Anschauung bringen kann. Und der durchgehende Zug derartiger Unmittelbarkeit ist die Partikularität: die Vereinzeltheit des Werks „von äußerlichem gemeinem Dasein", die Besonderheit des schaff enden Subjekts und die Beschränktheit der leiblich individuierten Göttergestalten. Zwar hat auch religiöse Vorstellung erst nur die Form der äußeren Vermittlung, die auf Grund ihrer Äußerlichkeit den Inhalt im „Auseinandergehen" seiner Elemente präsentiert; aber sie wäre nicht Vermittlung, würde sie die Mannigfaltigkeit nicht auch zur Einheit vermitteln. Der gewichtigste Unterschied von ästhetischer Anschauung und religiöser Vorstellung ist freilich mit alledem noch nidit benannt. Ihn zu artikulieren, überläßt Hegel dem nächsten Paragraphen, weil er im vorliegenden vorerst noch das Verhältnis der christlichen Religion zum philosophischen Denken bestimmen muß. Die äußerliche Anschauungsweise der Kunst ist in der Totalität der Religion „nicht nur zu einem Ganzen zusammengehalten, sondern auch in die einfache geistige Anschauung vereint und dann darin zum selbstbewußten Denken erhoben". Die hier vollzogene Zweiteilung dessen, was christliche Religion über die Vorstellung hinaus ist, entspricht genau der Dichotomie von § y 7 1 : die Entfaltung der Vermittlung nimmt sich „nicht nur zur Einfachheit des Glaubens und der Gefühlsandacht zusammen, sondern auch zum Denken". Beide Aussagen
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unterscheiden zwei Stufen der Vollendung christlicher Religion. Als einfache geistige Anschauung oder in der Einfachheit des Glaubens und der Gefühlsandacht vollendet christliche Religion sich rein als solche, in ihrem von außerreligiösen Formen noch ganz unberührten Fürsichsein. Als Denken hingegen vollendet sie sich so, daß sie sich zugleich übersteigt. Die Dialektik dieser nur in der Selbstüberwindung möglichen Vollendung ist die Dialektik des Übergangs, auf den Hegel schon in § $ 5 5 mit den Worten vorausgedeutet hat, in der Andacht sei der Glaube „in den Prozeß übergegangen, den Gegensatz zur geistigen Befreiung aufzuheben". Auf den zwei Stufen der Vollendung geschieht im wesentlichen „dasselbe" 12 , nämlich die Aufhebung der äußeren Vermittlung in eine neue Unmittelbarkeit. Die alle Vermittlung in sich aufhebende Unmittelbarkeit charakterisieren die Begriffe der Einfadiheit und der geistigen, nicht mehr äußerlichen Anschaulichkeit. Sie beziehen sich gleicherweise auf die Andacht und das Denken. Die Einfachheit kommt nach § 571 sogar in noch höherem Maße dem Denken zu, und dieses nimmt als die schließlich mit Aristoteles begriffene Theorie, als Schau, genauso an der Anschaulichkeit teil; soll doch die äußerliche Anschauung „darin", d. h. in der geistigen, zum selbstbewußten Denken erhoben sein. Das Denken aber soll, wie der vorige Paragraph bereits vermuten ließ, durchaus noch in die geoffenbarte Religion fallen. Und zwar ist religionsimmanent keineswegs bloß die dunkle Vorahnung eines Gedankens, den erst Philosophie entfaltete, ein noch verworrenes Denken. Denn „Religion hat den Inhalt auch explicite in der Form des Gedankens" 13 . Gewiß wäre es unangebracht, die Differenz zwischen dem selbstbewußten Denken der Religion und dem eigentlich philosophischen Denken nivellieren zu wollen. Doch ist es schwierig, ihr gerecht zu werden, ohne der von Hegel gerügten Abstraktheit zu verfallen. Wie weit Hegel selber von einer abstrakten Trennung entfernt war, bezeugt in unserem Text der bruchlose Ubergang zum letzten Satz: „Dies Wissen" meint zweifellos die anfangs erwähnte Wissenschaft der Philosophie, aber unmittelbar bezieht es sich kaum weniger eindeutig auf das selbstbewußte Denken der Religion. Auf ähnlich glatte Weise ging ja in § 571 die Charakteristik des Denkens, zu dem die Andacht weitertreibt, in den Schlußsatz über: „In dieser Form der Wahrheit ist die Wahrheit der Gegenstand der Philosophie". Thema ist hier wie dort eine Bewegung: das Philosophischwerden der Religion. GeofFenbarte Religion wird zur Philosophie, indem sie sich 12 18
SW XVII108. SW XVII95.
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selbst begreift. Darauf zielt das Attribut „selbstbewußt"; die geoffenbarte Religion wird sich in dem aus der Andacht hervorgehenden Denken ihrer selbst bewußt und somit zur Philosophie. Diese ist dasSich-selbst-begreifen oder „der denkend erkannte Begriff der Kunst und Religion", jener Religion, welche die ästhetische Anschauung in die Vorstellung aufhebt. „Die Philosophie denkt, begreift das, was die Religion als Gegenstand des Bewußtseins vorstellt, es sei als Werk der Phantasie oder als geschichtliche Existenz." 14 Bloß ein Werk der Phantasie ist der Gegenstand der Kunstanschauung, geschichtliche Existenz aber der Gegenstand christlich-religiöser Vorstellung. Das vorstellende Denken der geoffenbarten Religion verwandelt sich, wo Philosophie entsteht, in begreifendes Denken. So erscheint der Unterschied der Formen in der Abstraktion. Den Ubergang des vorstellenden in das begreifende Denken vermittelt aber das Denken der Andacht. Im Hinblick auf die Entwicklung des Christentums vom Vorstellen zur Andacht sagt Hegel in den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen: „Beide Stadien des religiösen Bewußtseins sind im philosophischen Denken in Einem vereint" 15 . Durch die Vereinigung von Vorstellung und Andacht wird Religion zur Philosophie, zum begreifenden Denken. Denn nur so bringt sie sich selbst vor sich, begreift sie sich in der Totalität ihrer Formen. Diese Einheit ist es denn auch, in der sich Objektivität und Subjektivität vereinen. Philosophie unterscheidet sich von christlicher Religion nicht dadurch, daß sie zu purer Subjektivität, womöglich im Rückgriff auf Kunst, Objektivität hinzubrächte. Vielmehr grenzt sie sich gegen ihre Herkunft lediglich insofern ab, als sie die schon in der geoffenbarten Religion realisierte Einheit von Objektivität und Subjektivität, deren Glieder dort jedoch noch in gewissem Maße auf Vorstellung und Andacht verteilt sind, zur Einheit desselben Aktes steigert: des Begreifens
§ 573 Die Philosophie bestimmt sich hienach zu einem Erkennen von der Notwendigkeit des Inhalts der absoluten Vorstellung sowie von der Notwendigkeit der beiden Formen, einerseits der unmittelbaren Anschauung und ihrer Poesie und der voraussetzenden Vorstellung, der objektiven und äußerlichen Offenbarung, andererseits zuerst des subjektiven Insichgehens, dann der subjektiven Hinbewegung und des Identifizier ens des Glaub ens mit der Voraussetzung. Dies Eru 15
SW XVII108. SW XVII109.
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Exegese des Textes (Encyclopädie §§ 553—577)
kennen ist so das Anerkennen dieses Inhalts und seiner Form und Befreiung von der Einseitigkeit der Formen und Erhebung derselben in die absolute Form, die sich selbst zum Inhalte bestimmt und identisch mit ihm bleibt und darin das Erkennen jener an und für sich seienden Notwendigkeit ist. Diese Bewegung, welche die Philosophie ist, findet sich schon vollbracht, indem sie am Schluß ihren eigenen Begriff erfaßt, d. i. nur auf ihr Wissen zurücksieht. Der Hauptzweck des vorigen Paragraphen war es, die spezifische Art der Einheit zu verdeutlichen, welche die Definition der Philosophie als Einheit von Kunst und Religion meint, und damit das von Hegel selbst andernorts beförderte MißVerständnis abzuwehren, als seien die vereinigten Momente gleichurspüngliche Glieder. Demgegenüber geht der hier wiedergegebene Paragraph, wenn auch nicht zentral, darauf aus, die in pauschalen Darstellungen vorgenommene Verteilung der Objektivität auf die Kunst und der Subjektivität auf die Religion zu differenzieren und so noch tiefer zu den wahren Wurzeln der philosophischen Subjekt-ObjektVermittlung vorzustoßen, als die sich jene Einheit realisiert. Die scheinbare Objektivität der Kunst decouvriert Hegel nun direkt als die bloße Unmittelbarkeit, die ebensowohl schlechte Subjektivität ist, die Subjektivität der Poesie im weiten Sinne des ποιείv, des nach § j6o mit Willkür belasteten Machens. Die Unmittelbarkeit der unmittelbaren Anschauung, in welcher Kunst produziert und rezipiert wird, ist noch gar nicht eigentlich Objekt; sie ist statt dessen im Grunde bloß das Sein, in dem weder Objektivität noch Subjektivität schon gesetzt ist und das deshalb mit dem Schein von jener auch den Keim von dieser enthält. Im Gegensatz hierzu besitzt die geoffenbarte Religion mit der absoluten Vorstellung ein Verhältnis zu wirklicher Objektivität. Es ist dieses Verhältnis, das die Vorstellung zu einer voraussetzenden qualifiziert. Die absolute Vorstellung setzt Objektivität als Faktizität der geschichtlichen Existenz voraus. Ihren Objektbezug unterstreicht Hegel, indem er der Poesie ästhetischer Anschauung die objektive und äußerliche Offenbarung entgegensetzt. Zwar ist deren Äußerlichkeit der einzige Rechtsgrund für ihre formale Zusammenstellung mit der äußerlichen Anschauungsweise der Kunst. Aber die Äußerlichkeit der Offenbarung unterscheidet sich wesentlich von der der Kunstanschauung. Sie kann nämlich nicht wie diese eine Projektion partikulär-subjektiver Innerlichkeit sein. Ist Offenbarung doch ein Tun des absoluten Geistes selber und somit für das menschliche Subjekt ein un-
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verfügbares Geschehen. Ihre Objektivität ist die der Absolutheit, in welche die Willkür des partikulären Subjekts nicht einzugreifen vermag. Sie allein definiert die hier zu bedenkende Äußerlichkeit und stellt diese mit in den Gegensatz zur Poesie der Kunstanschauung. Gerade weil die geoffenbarte Religion aber zur Vorstellung wirklicher Objektivität fortschreitet, löst sie auch die Bewegung wirklicher Subjektivität aus. Sie bringt die Dialektik von Objektivität und Subjektivität in Gang. Im Anschluß an die grundlegende Voraussetzung der faktischen Existenz des Offenbarungsgeschehens entfaltet sich diese Dialektik, wie schon § 571 erkennen ließ, in zwei weiteren Schritten. Zuerst zwingt die Konfrontation mit der Objektivität der Offenbarung das einzelne Subjekt zur Vertiefung in sich selbst; im Akt des „subjektiven Insichgehens" entdeckt der Mensch sich in der Unwahrheit, welche die Offenbarung der wirklichen Wahrheit mitoffenbart. Dann beginnt die subjektive Aneignung der Objektivität in der Andacht und im Kultus. Diese Handlung der „subjektiven Hinbewegung und des Identifizierens des Glaubens mit der Voraussetzung" ist das Ziel des dialektischen Prozesses, der in seiner Gesamtheit den Namen der geoffenbarten Religion trägt. In der Tat also impliziert, der in § 5 7 2 gemachten Andeutung gemäß, das Christentum in sich schon die beiden Momente, welche die Philosophie vermittelt, nur daß sie noch verschiedenen Formen anhängen und erst im Fortgang von der Vorstellung zur Andacht ihre vom Inhalt geforderte Einheit erweisen. Zugleich machen Hegels Ausführungen plausibel, warum er bisweilen die vereinfachende Formel gebraudien kann, der zufolge der Kunst Objektivität und der Religion Subjektivität zufällt. Eine solche Simplifikation ist möglich, weil die Kunst, wiewohl sie es noch nicht zu wirklicher Objektivität bringt, ihren Platz immerhin in derjenigen Sphäre hat, welche ihr die objektivierende Vorstellung der geoffenbarten Religion vorschreibt, während die objektiv begründete Bewegung der Subjektivität ausschließlich im christlich-religiösen Raum vor sich geht. Indessen stehen diese Ausführungen, wie gesagt, nicht im Zentrum des vorliegenden Paragraphen. Dessen Schwerpunkt liegt vielmehr auf der gleich zu Beginn gegebenen und hernach vervollständigten Bestimmung der Philosophie als „Erkennen von der Notwendigkeit des Inhalts der absoluten Vorstellung sowie von der Notwendigkeit der beiden Formen"; und die Ausführungen über Objektivität und Subjektivität in Kunst und Religion dienen nur der Erläuterung dieser Formen. Daß Hegel allerdings so viel Sorgfalt auf eine derartige Erläuterung verwendet, weist
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auf eine klare Priorität im Verhältnis der beiden Teile, aus denen die Bestimmung der Philosophie besteht: Im Rahmen des leitenden Gedankens gilt das Interesse wiederum den Formen stärker als dem Inhalt. Selbstverständlich tritt die Auffassung der Philosophie als Erkenntnis der Notwendigkeit des religiösen Inhalts keineswegs an sachlicher Bedeutung hinter dem Zusatz zurück, wonach philosophisches Denken auch die religiösen Formen als notwendig zu erkennen habe. Sie präzisiert ja nur die unzählige Male formulierte, auch in der langen Anmerkung zu unserem Text ausgesprochene These, „daß der Inhalt der Philosophie und der Religion derselbe ist" 18 , und es ist selbstverständlich, daß Hegel sie nicht so oft wiederholen würde, träfe sie in seinen Augen nicht den Kern der Sache. Doch steht sie im gegenwärtigen Zusammenhang eben deshalb mehr im Hintergrund, weil sie zuvor schon hinlänglich expliziert worden ist. Hingegen darf die Klärung des Bezugs von Philosophie und Religion nach der Seite der Form hier und jetzt insofern einen Vorrang beanspruchen, als mit ihr etwas zur Spradie kommt, was in dieser Entschiedenheit bisher noch nicht gesagt worden ist: daß nämlich die Aufhebung der christlichen Religion in die Philosophie auch im Verhältnis zur Form eine positive Seite hat. Nur allzu leicht erliegt ja der Interpret Hegels der Gefahr, die negativ-positive Doppelstruktur dieser Aufhebung ihrer Dialektik zu entkleiden, indem er sie als Aufbewahrung des Inhalts und Auflösung der Form versteht. Demgegenüber macht erstmals § 573 ganz bewußt, was es heißt, daß die Form in der mehrfachen Bedeutung des Wortes „aufgehoben" werden, also an ihr selbst das Schicksal der Dialektik von Auflösung und Aufbewahrung erfahren solle. Man könnte meinen, die religiöse Form, die sich in den „beiden Formen" des Vorstellens und des andächtigen Glaubens manifestiert, sei schon durch die Erkenntnis der Notwendigkeit des religiösen Inhalts aufgehoben. Denn sobald der Inhalt der absoluten Vorstellung als notwendig und zugleich frei erkannt wird, ist er nidit mehr der Inhalt der Vorstellung, sondern der des Begriffs; die Erkenntnis der freien Notwendigkeit des Inhalts hebt die Vorstellung in den Begriff auf. Gewiß. Aber damit ist eben nur der negative Aspekt der Aufhebung religiöser Form markiert. Der positive besteht in der Erkenntnis der Notwendigkeit, welche der Form selbst eignet. Was aber bedeutet: Erkenntnis der Notwendigkeit religiöser Formen? Es lassen sich mehrere solcher Notwendigkeiten aufführen, die jedoch von unterschiedlicher Relevanz für " SWX459.
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den Kontext sind. Zunächst fällt einem ein, daß die vorstellungsmäßige „Gestalt der Religion notwendig" ist, damit sie „alle Menschen" erreiche, auch die, welche auf dem Standpunkt des sinnlichen Bewußtseins oder des abstrakt reflektierenden Verstandes stehengeblieben sind17. Wiewohl Hegel die Philosophie auch zur Erkenntnis dieser Art von Notwendigkeit verpflichtet, ist indessen zu beachten, daß er sie an unserer Stelle durch das Erkennen der Notwendigkeit von Form und Inhalt geoffenbarter Religion geradezu definiert. Infolgedessen scheint er primär eine Notwendigkeit der religiösen Form für die Philosophie selbst im Blick zu haben. Von einer solchen verrät etwas bereits der Ausspruch der Phänomenologie, philosophisch werde nichts gewußt, „was nicht als gefühlte Wahrheit, als innerlich geoffenbartes Ewiges, als geglaubtes Heiliges (...) vorhanden ist" 18 . Auch ein Erkennen von der Notwendigkeit des Inhalts der absoluten Vorstellung ist Philosophie in dem Sinne, daß sie seine Notwendigkeit für sie selbst einsieht. Er ist für sie notwendig, weil er ihr geschichtlich vorgegeben sein muß. Geschichtlich vorgegeben muß ihr damit desgleichen die Form sein, welche die Religion dem Inhalt aufgeprägt hat. Diesen findet sie ja deshalb als historisches Faktum vor, weil die absolute Religion mitsamt ihrem Formenreichtum früher in der Zeit ist als das absolute Wissen19. Was sie vorfindet, ist immer schon ein von der Religion geformter Inhalt: nicht bloß Wahrheit, sondern „gefühlte" Wahrheit, nicht bloß das mit der objektiven und äußerlichen Offenbarung in die Zeit eingetretene Ewige, sondern ein „innerlich geoffenbartes" Ewiges, nicht bloß das objektiv in der Welt erschienene Heilige, sondern ein „geglaubtes" Heiliges. So soll Philosophie die Notwendigkeit der Form des Christentums sicherlich auch insofern erkennen, als sie einzusehen hat, daß sie ihr geschichtlich vorgegeben sein muß. Aber der Vergleich mit dem Inhalt enthüllt noch eine dritte Art von Notwendigkeit. Die Erkenntnis der Notwendigkeit des Inhalts ist letztlich Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang seiner Momente. Also muß sie den untrennbaren Zusammenhang erhellen, der zwischen den „beiden Formen" der Religion besteht. Verhält sich das so, dann ist nur zu fragen, inwiefern diese Erhellung eine Notwendigkeit für die Philosophie selbst aufdeckt. Antwort: Sofern philosophisches Denken in sich die Einheit, also der in höchstem Grade untrennbare Zusammenhang von absoluter Vorstellung und Andacht ist. Indem es den untrennbaren Zusammenhang dieser beiden 17
SWXVII113. SWII613. " SWII614. 18
20 Theunissen, Hegel
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Formen erhellt, begreift es die Religion. Aber es selbst ist gar nichts anderes als deren denkend erkannter Begriff. Audi diese Notwendigkeit hat geschichtlichen Charakter. Bei ihr aber handelt es sich nicht mehr bloß darum, daß die zum absoluten Wissen gediehene Philosophie einen von der absoluten Religion geformten Inhalt vorfindet. Bliebe es dabei, so wäre es ja möglich, daß sie die religiösen Formen lediglich als historische Gegebenheiten respektierte, ohne sie in sich zu integrieren; sie könnte sich mit dem Inhalt in der Abstraktion von seinen Formen zu schaffen machen. Nach der Sachlage, die sich jetzt ergeben hat, ist jedoch die Notwendigkeit so zu verstehen, daß die religiösen Formen zu Momenten ihrer eigenen geschichtlichen Genesis werden. Damit ist der positive Zug der Aufhebung offen zutage getreten. Die Philosophie hebt die religiösen Formen buchstäblich in sich selbst auf, dergestalt daß sie nur als deren Einheit ihr eigenes Wesen verwirklichen kann. Als negativ-positive Aufhebung ist Philosophie ein Dreifaches: das „Anerkennen" des religiösen Inhalts und seiner Form, die „Befreiung" von der Einseitigkeit der Formen20 und deren „Erhebung" in die absolute Form. Diese drei Begriffe bestimmen den dialektischen Gang von der unmittelbaren Positivität über die vermittelnde Negativität zu der damit vermittelten Positivität, die der vollendeten Aufhebung zukommt. Als Anerkennen nimmt philosophisches Erkennen sowohl den religiösen Inhalt wie auch seine Form zunächst einmal, allerdings auf eine vom Vorstellen verschiedene Weise, als vorgegeben hin. Dieses schlicht hinnehmende Ja schließt auch die Einsicht in die Notwendigkeit eines jedenfalls anfänglichen Voraussetzens ein, denn mit dem Anerkennen des Inhalts tut die Philosophie zunächst dasselbe wie die Vorstellung, die diesen Inhalt voraussetzt. Indessen anerkennt sie die religiöse Form nicht allein um des gemeinsamen Inhalts willen, sondern auch als constituens ihrer eigenen Form. Nur diese Interpretationshypothese erlaubt ein zureichendes Verständnis der weiteren Schritte des dialektischen Prozesses. Philosophie befreit sich von der Einseitigkeit, die gleichermaßen der Objektivität des Vorstellens wie der Subjektivität des andächtigen Glaubens anhaftet. Sie befreit sich davon aber gerade dadurch, daß sie diese Formen in sich vereinigt. Die Vereinigung der religiösen Formen — sie ist die „Erhebung derselben in die absolute Form". Denn als diejenige, die „sich selbst zum 20
In der Heidelberger Encyclopädie hieß es noch, Philosophie befreie sich von den Formen selber (SW VI 308, § 473). Die Änderung bestätigt die durchgehende Tendenz zur Vermittlung des Unterschieds von absoluter Philosophie und absoluter Religion.
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Inhalte bestimmt und identisch mit ihm bleibt", ist die absolute Form der Begriff. Der Begriff aber ist nichts anderes als Einheit von Vorstellung und Andacht. In gewisser Hinsicht wird der dritte Teil der vorliegenden Untersuchung ein einziger Kommentar zu dem Satz sein, mit dem Hegel den Grundgedanken von § 573 zu Ende führt: „Diese Bewegung, welche die Philosophie ist, findet sich schon vollbracht, indem sie am Schluß ihren eigenen Begriff erfaßt, d. i. nur auf ihr Wissen zurücksiehtDenn genau das wollen wir ja: zuschauen, wie die Philosophie — die Philosophie Hegels — ihren eigenen Begriff erfaßt. Worauf wir da zu achten haben, sei lediglich notiert: zunächst dies, daß Hegeische Philosophie ihren Begriff nur im Zurücksehen auf ihr Wissen erfaßt, und sodann das andere, daß Philosophie schlechthin mit der Bewegung zusammenfallen soll, in der sie Inhalt und Form des Christentums anerkennt, die Einseitigkeit der bestimmten Ausprägungen dieser Form überwindet und sie so in das nunmehr selber zu begreifende Begreifen erhebt. Zwischen dieser und jener Identifikation, der Gleichsetzung der Selbstexplikation Hegelscher Philosophie mit dem Zurücksehen auf ihr Wissen, herrscht — so wird sich uns zeigen — eine tief und weit ausstrahlende Spannung. Wie wir jedoch auch feststellen werden, lassen sich Recht und Grenzen des Zurücksehens ausschließlich unter der Bedingung angeben, daß man die Implikationen der These aufdeckt, die kritische, aber auf der grundsätzlichen Anerkennung beruhende21 Auseinandersetzung mit dem Christentum sei die Philosophie als solche und im ganzen. Allein — ist es denn überhaupt erlaubt, bei der Konstruktion des Philosophiebegriffs an einer Stelle anzuknüpfen, die zwar unseren Text, aber — wie es scheint — keineswegs schon die gesamte encyclopädische Lehre von der Philosophie abschließt? Und wenn ja — warum ist es erlaubt? Eine Antwort ermöglicht uns die Einsicht in das unhistorische Verfahren der Encyclopädie. Der letzte Satz von § 573 hat zwei, für Hegel in eine Einheit vermittelte Bedeutungen. Die Bewegung, von der er handelt, ist erstens die des in der Encyclopädie entwickelten Systems und zweitens der Gang der zur zeitlichen Geschichte des absoluten Geistes gehörigen Philosophie; in seinen Vorlesungen beschreibt Hegel, wie wir früher schon gesehen haben22, die Geschichte des post Christum natum 21
22
20»
Chapelle (18, bes. I, S. 7 f., 213; II, S. 10) betont sehr riditig, d a ß Hegel die U n mittelbarkeit des Glaubens mit der kritischen Reflexion der A u f k l ä r u n g verbinden wolle. Siehe oben, S . 78 f.
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hervorgetretenen Denkens in exakter Entsprechung zu den drei Stadien von Anerkennen, Befreien und Erheben 23 . Demgemäß ist der erwähnte „Schluß" sowohl das Ende der Encyclopädie wie audi die Vollendung der neuzeitlichen Philosophie im Hegeischen System. Getreu ihrer von Geschichte abstrahierenden Methode, begnügt sich die Encyclopädie jedoch mit dem Zurücksehen auf das in ihr ausgebreitete Wissen. Diese retrospektive Reproduktion des Systems leisten die vier noch folgenden Paragraphen. Was sie hingegen nicht leisten: das geschichtliche Erfassen des Philosophiebegriffs, das eben soll dessen „Konstruktion" im Rückgang auf ihre eigene Ausgangsbasis, auf § 573, versuchen.
§ 574 Dieser Begriff der Philosophie ist die sich denkende Idee, die wissende Wahrheit (§236), das Logische mit der Bedeutung, daß es die im konkreten Inhalte als in seiner Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit ist. Die Wissenschaft ist auf diese Weise in ihren Anfang zurückgegangen, und das Logische so ihr Resultat als das Geistige, daß es aus dem voraussetzenden Urteilen, worin der Begriff nur an sich und der Anfang ein Unmittelbares war, hiemit aus der Erscheinung, die es darin an ihm hatte, in sein reines Prinzip zugleich als in sein Element sich erhoben hat.
§ jyj
23
Es ist dieses Erscheinen, welches zunächst die weitere Entwicklung begründet. Die erste Erscheinung macht der Schluß aus, welcher das Logische zum Grunde als Ausgangspunkt und die Natur zur Mitte hat, die den Geist mit demselben zusammenschließt. Das Logische wird zur Natur, und die Natur zum Geiste. Die Natur, die zwischen dem Geiste und seinem Wesen steht, trennt sie zwar nicht zu Extremen endlicher Abstraktion, noch sich von ihnen zu einem Selbständigen, das als Anderes nur Andere zusammenschlösse; denn der Schluß ist in der Idee und die Natur wesentlich nur als Durchgangspunkt und negatives Moment bestimmt und an sich die Idee; aber die Vermittlung des Begriffs hat die äußerliche Form des Übergehens, und die Wissenschaft die des Ganges der Notwendigkeit, so daß nur
SW XVII
Iii;
vgl. Fackenheim
(22),
S.
165—184,
bes. S.
166.
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in dem einen Extreme die Freiheit des Begriffs als sein Zusammenschließen mit sich selbst gesetzt ist. § jj6
Diese Erscheinung ist im zweiten Schlüsse insoweit aufgehoben, als dieser bereits der Standpunkt des Geistes selbst ist, welcher das Vermittelnde des Prozesses ist, die Natur voraussetzt und sie mit dem Logischen zusammenschließt. Es ist der Schluß der geistigen Reflexion in der Idee; die Wissenschaft erscheint als ein subjektives Erkennen, dessen Zweck die Freiheit und es selbst der Weg ist, sich dieselbe hervorzubringen.
5 577 Der dritte Schluß ist die Idee der Philosophie, welche die sich wissende Vernunft, das Absolut-Allgemeine zu ihrer Mitte hat, die ύώ in Geist und Natur entzweit, jenen zur Voraussetzung als den Prozeß der subjektiven Tätigkeit der Idee und diese zum allgemeinen Extreme macht, als den Prozeß der an sich, objektiv, seienden Idee. Das Sich-U r teilen der Idee in die beiden Erscheinungen (§ f7jl6) bestimmt dieselben als ihre (der sich wissenden Vernunft) Manifestationen, und es vereinigt sich in ihr, daß die Natur der Sache, der Begriff, es ist, die sich fortbewegt und entwickelt, und diese Bewegung ebensosehr die Tätigkeit des Erkennens ist, die ewige an und für sich seiende Idee ύώ ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt. Hegels Ausführungen über die drei Schlüsse der Philosophie haben in der Literatur mehr Beachtung gefunden als alle übrigen Partien des hier zu kommentierenden Encyclopädie-Textes. Seitdem Lasson auf ihre systemtheoretische Relevanz hingewiesen hat 24 , sind sie mehrfach ausgedeutet worden, und gerade die neueren Interpreten der Religionsphilosophie wie Fessard25, Bruaire28, Splett27, Maurer 28 und Fadsenheim2* haben 24
Lasson (74), S. X I ff., (76), S. X X Y I ff. 27 Fessard (23), S. 37 ff. Splett (134), S. 81 ff. 2 28 * Bruaire (16), S. 83—112. Maurer (9$), S. 85—90. 28 Fackenheim (22), S. 75—115. Wegen der Dunkelheit unseres Textes stützt Fackenheim sich statt dessen auf den im wesentlichen inhaltsgleichen Zusatz von § 187 (SW VIII 391 f.). Nadi seiner Auffassung hält Hegel sich durch die gegenseitige Integration der „realistischen", „idealistischen" und „logischen" Vermittlung in der „Mitte" zwischen der Rechten, der zufolge er sein Ziel einer absoluten, allumfassenden Philo25
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ihnen ein besonderes Interesse gewidmet. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit vornehmlich auf zwei Punkte: einmal auf die Frage, wie und wo Hegel die in den verschiedenen Sdilußformen dargestellten Systementwürfe verwirklicht habe, und zum andern auf das Problem des Zusammenhangs zwischen diesen Sdllüssen der Philosophie und den Schlüssen der geoffenbarten Religion. Namentlich Bruaire will „die Syllogismen der absoluten Idee in Beziehung setzen zu denen der geoffenbarten Religion" 30 . In der Tat scheint dies die vordringlichste Aufgabe zu sein. Gleichwohl muß man sagen, daß die Konzentration auf die genannten Schwerpunkte die Bedeutsamkeit, die man den letzten Paragraphen der Encyclopädie zuspricht, in ein merkwürdiges Zwielicht rückt. Scheint man sich doch mit diesen Paragraphen nicht so sehr um ihrer selbst willen zu beschäftigen als vielmehr wegen ihrer Enthüllungen über das sdion vorher abgeschlossene System und zumal über dessen Vollendung in der Religionsphilosophie. Der Text reditfertigt eine solche Interessenrichtung durchaus. Hegel selber war der Eigensubstanz seiner syllogistischen Philosophie der Philosophie so wenig gewiß, daß er sie in der zweiten Ausgabe der Encyclopädie kurzerhand wegließ, und wenn er sie in der dritten dann doch wieder aufnahm, so verrät eben die Art, in der er es tat, seine Unsicherheit: Er verzichtete auf die eingreifende Veränderung, die nach der vorhergehenden Entfernung zu erwarten gewesen wäre. In scharfem Kontrast zu ihrer Berühmtheit steht denn auch die innere Dürftigkeit, die aus dem Umstand folgt, daß sie sich in der Reproduktion des Systems erschöpft. Davon hat am unverblümtesten Ernst Bloch gesprochen, zwar nicht mit direktem Bezug zu unserem Text, aber im Hinblick auf das sachlich entsprechende Ende der philosophiegeschichtlichen Vorlesungen31. Während Kunst und Religion — so stellt Bloch fest — sich durch die Reflexion auf ihren Begriff verändern, kommt im Falle der Philosophie durch diese Reflexion, da sie auf das System bloß zurückschaut, nichts Neues an den Tag. Schuld an der „Tautologie" der Systemreduplikation ist nach Bloch, daß die Philosophie Hegels auch an ihrem Ende in reiner Theorie verharrt, statt durch den Übergang in Praxis sich zu verändern. Richtiger wäre es, dafür einen Wesenszug jener Reflexion selber verantwortlich zu machen, nämlich eine Hingabe an den Inhalt, die als sophie nur auf Kosten der wirklichen Welt erreicht hat, und der Linken, die gleichermaßen irrtümlich annimmt, er habe die kontingente Welt menschlicher Erfahrung allein um den Preis einer Reduktion des philosophischen Denkens auf seine Endlichkeit retten können. Vgl. Theunissen (143), S. 84 ff. *> Bruaire (16), S. 111. 91 Bloch (11), S. 3J7—362.
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Abstraktion von Form und Funktion des Philosophierens die Frage nach dessen theoretischer oder praktischer Verfassung gar nicht erst aufkommen läßt. Diese Beschränkung auf den Inhalt ist nur ein anderer Aspekt der Einseitigkeit, mit der die encyclopädische Philosophie das Zurücksehen auf ihr Wissen einzig als Inventarisierung ihres eigenen Systems betreibt; die Abstraktion von der Form ergibt sich aus der Abstraktion von Geschichte. Da Philosophie im Zurücksehen auf ihr Wissen ihren Begriff erfassen soll, treten hier noch stärker die Grenzen hervor, die ihrer encyclopädischen Selbsterfassung gezogen sind. Bei der Konstruktion ihres Begriffs werden wir diese Grenzen nicht nur in Richtung auf ihre Geschichtlichkeit, sondern auch durch Erhellung ihrer Funktion zu überschreiten haben. Hingegen muß die Interpretation der vier letzten Encyc/o/räJ/e-Paragraphen den Rüdsschritt auf das fertige System so klar wie möglich vor Augen führen. Damit sind ihr die beiden folgenden Aufgaben gestellt: Sie hat zu zeigen, wie die Bewegung des Textes die Bewegung des ganzen Systems wiederholt, und sie ist zu dem Nachweis genötigt, daß die drei Schlüsse der Philosophie nicht etwa eine neue Wahrheit erschließen, sondern im Gegenteil ihre eigene Wahrheit in den drei Schlüssen der geoffenbarten Religion haben®8. Die Bewegung des vor uns liegenden Textes wiederholt die Bewegung des ganzen Systems, indem sie noch einmal den Weg durchläuft, auf welchem der Gedanke über die Logik hinaustreibt. Ihr in § 577 erreichtes Ende nimmt Hegel schon in § 574 vorweg: Das „Logische", in der ihm gewidmeten Wissenschaft selber deutlich als das „bloß" Logische apostrophiert oder als jene „allgemeine Weise" der absoluten Idee, in der alle besonderen Formen noch „eingehüllt" sind33 — dieses Logische entwickelt sich zum Geistigen. Das bedeutet des näheren: Die Idee enthüllt sich als 38
39
Vor allem hierdurch unterscheidet sie sich von der Deutung Bruaires. Denn nach Bruaire korrigieren umgekehrt die Schlüsse der Philosophie diejenigen der geoffenbarten Religion. Während in seiner Sicht die durch die drei Schlüsse der geoffenbarten Religion hindurchgehende Entwicklung nur den von der geschichtlichen Abfolge abhängigen Fortschritt im mensdilidien Bewußtsein vom dreieinigen Gott reproduziert, soll sich mit dem über den ersten Schluß der Philosophie hinaustreibenden Prozeß der innere Aufbau der Trinität selbst enthüllen, so daß da durch die im dritten Schluß beschriebene Konstitution des dreieinigen Gottes mit dem Glauben audi die Vernunft befriedigt wird. Von Bruaire und auch von Fessard trennen wir uns freilich insofern schon an einer früheren Stelle, als wir auch im folgenden, wie bei der Auslegung der Paragraphen 567—570, dem Begriff des Geistes eine von Schluß zu Schluß wechselnde Bedeutung geben. Hingegen legen Bruaire und Fessard diesen Begriff von vornherein und ein für allemal auf die dritte Person der Trinität fest. SW V 328; vgl. V 352.
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sich denkende Idee, die Wahrheit als wissende Wahrheit, die abstrakte Allgemeinheit als die im konkreten Inhalt der weltlichen Wirklichkeit bewährte Allgemeinheit. Daß Philosophie als ein „Kreis von Kreisen"84 in einem solchen Ende nur der vollkommenen Gestalt ihres Anfangs begegnet, soll wohl zugleich den Satz motivieren, sie erfasse ihren Begriff im Zurücksehen auf ihr Wissen; denn es ist das Zurückgehen, dem das Zurücksehen folgt. Vor allem aber versudit Hegel, das im Zurückgehen geschehende Hinausgehen über die Logik als notwendig zu erweisen. Wir können bei der Logik nicht stehenbleiben, weil wir die „Erscheinung" vorfinden, die nach § 568 der Gott erschaffen hat. Sie ist es, welche die „weitere", nämlich die über die Logik hinausgehende Entwicklung „begründet". Das System geht zunächst so über die Logik hinaus, daß es von ihr zur Naturphilosophie und von da aus zur Philosophie des Geistes fortgeht. Lasson hat recht: In § 575 sieht Hegel auf den Gang Ast Encyclopädie zurück. Und zwar gibt deren Verfasser einen durchaus kritischen Rückblick. Ja, er übt am encyclopädischen Systemaufbau selber bereits die Kritik, die der späte Schelling und viele andere vorgebracht haben. Nüchtern räumt er ein, was etwa Schelling ihm vorwirft35, daß Ausdrücke wie „sich entschließen" oder „sich frei entlassen" am Ubergang von der Logik zur Naturphilosophie, läßt man es beim encyclopädischen Systemaufbau bewenden, Freiheit in der Tat nur vortäuschen. Denn eine Wissenschaft, die sich mit der Aussage begnügt: „Das Logische wird zur Natur, und die Natur zum Geiste", setzt Freiheit tatsächlich erst ans Ende; und sie beraubt sich so selbst der Möglichkeit, das sie antreibende Problem des Faktums der Welt zu lösen. Indessen würde man die Selbstkritik als eine absurde Selbstzerstörung mißverstehen, wollte man annehmen, daß Hegel am Ende der Encyclopädie eben dieser Encyclopädie gänzlich den Rücken kehrte. Eine derartige Annahme steckt in der gleichfalls zuerst von Lasson vertretenen Auffassung, Hegel beschreibe in § 576 den Ansatz der Phänomenologie und in § 5 77 denjenigen der religionsphilosophischen Vorlesungen. Wenn man auch beide Entsprechungen kaum leugnen kann, muß man doch sofort hinzufügen, daß Phänomenologie und Religionsphilosophie allein in der Form thematisch werden, in der die Encyclopädie sie in ihren eigenen Ansatz integriert. Man muß Lasson durch Fakkenheim ergänzen, der die Encyclopädie gerade dem dritten Schluß zuordnet. Dabei braucht man sich durch nichts anderes als durch den ency" SWV3J1.
35
Sdiellings Werke, hrsg. v. M. Schröter, 6. Ergänzungsband, S. 124 f.
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clopädisdien Systemaufbau selber leiten zu lassen. In der Encyclopädie bildet die Phänomenologie das Kernstück der Philosophie des subjektiven Geistes, der die Natur voraussetzt und sich auf ihrem Boden zur objektiven und absoluten Allgemeinheit erhebt. Es ist der Vorzug des zweiten Schlusses vor dem ersten, daß in ihm der Geist vermittelt und nicht die Natur, die gar nicht vermitteln kann und als bloßer „Durchgangspunkt" audi nie vermittelt hat. Dodi ist sein eigenes Ungenügen, daß der in ihm vermittelnde Geist nur der subjektive ist. Philosophie vollendet sich erst, wenn sie sich in den Geist so tief hineinarbeitet, daß als das eigentlich Vermittelnde der absolute Geist zum Vorschein kommt. Mithin verweist der dritte Schluß auf die Religionsphilosophie, sofern sie ihrerseits das Herz der encyclopädischen Philosophie des absoluten Geistes ist. Die Bewegung unseres Textes wiederholt die Bewegung, in der zuvor schon die Philosophie des absoluten Geistes die ganze Philosophie wiederholt hat. Es ist dies die früher 38 an der systematischen Stellung der Religionsphilosophie abgelesene Wiederholung, die den Kreis zur Spirale erhöht, indem sie durch Berichtigung und Bewahrheitung allererst das Versprechen einlöst, das der anfängliche Entwurf gegeben hat. Einen rektifizierenden und verifizierenden Charakter besitzt die Wiederholung des Systems durch die Lehre vom absoluten Geist nach Aussage des Textes insofern, als sie die Ursprünglichkeit der Freiheit aufdeckt. Die Freiheit ist es, die das Geistige vom bloß Logischen unterscheidet. Sie nimmt aber, wie gesagt, im ersten Schluß den Schein an, als sei sie auf das Ergebnis beschränkt. Auch der zweite Schluß fixiert sie auf das Ende oder den „Zweck". Die dort vorausgesetzte Natur ist als solche genausowenig frei wie das vorher vorausgesetzte Logische, und auch der in die Mitte getretene Geist hat als subjektiver die Freiheit noch nicht in sich, sondern erst in seinem Ziel: in der Objektivität des Staates und der Absolutheit von Kunst, Religion und Philosophie. Hingegen enthüllt der dritte Schluß die Freiheit als Anfang sowohl im Sinne der alles vermittelnden Mitte wie auch im Sinne der Voraussetzung; Mitte ist da die dank ihrer Freiheit sich wissende Vernunft, die sich vom Schein der unfreien Notwendigkeit des Logischen befreit hat, und Voraussetzung ein Geist, dessen zur Tätigkeit der Idee geläuterte Subjektivität vom Absoluten selber mit Freiheit durchdrungen wurde. Von etwas Vorausgesetzem kann damit allerdings nicht mehr in der Bedeutung gesprochen werden, in der vormals davon die Rede war. Denn 36
Siehe diese Arbeit, S. 79 ff.
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daß die ursprüngliche Macht der Freiheit offenbar werde, schließt nach der objektiven Seite die Aufhebung der Erscheinung und nach der subjektiven die Aufhebung des voraussetzenden Urteilens in sich ein. Als ein voraussetzendes Urteilen, „worin der Begriff nur an sich und der Anfang ein Unmittelbares war", gibt sich vom Standpunkt einer entwickelteren Philosophie nicht allein das zu Beginn der Phänomenologie stattfindende Setzen des Gegenstands der sinnlichen Gewißheit zu erkennen, sondern auch das Setzen des Seins, mit dem die Logik anhebt. „Das Sein, das für den Anfang als solchen als abstrakte Affirmation erscheint, ist so vielmehr Vora«igesetztsein"37; es ist selber „der Begriff nur an sich"88, zu dem sich einzig das voraussetzende Urteilen einen Zugang verschaffen kann. Das voraussetzende Urteilen und die ihm entsprechende Erscheinung werden nun als aufgehoben gewußt, sobald Philosophie die Einsicht erweckt, daß die als freier Geist existierende Idee immer schon die Initiative übernommen hat. Immer schon hat die sidi wissende Vernunft, so weiß wahre Philosophie, die Erscheinungen in ihre Manifestationen, das Urteilen in ihr 5/cÄ-urteilen und das Voraussetzen in ihren eigenen Akt verwandelt, in jenen nämlich, durch den sie den subjektiven Geist zur Voraussetzung ihrer weltlichen Realisation ernennt. Das Voraussetzendsein des subjektiven Geistes wird zu dessen Vorausgesetztsein. Aber hört der subjektive Geist damit schlechterdings auf, voraussetzend zu sein? Muß nicht auch hier, im Falle der Aufhebung des voraussetzenden Urteilens, der Aufhebungsbegriff seinen positiven Sinn bewähren? Die Frage berührt die in der historisch-kritischen Einführung freigelegten Fundamente Hegeischen Philosophierens. Nach der vielfach zur Geltung gebrachten Meinung Hegels soll ja die Wiederholung der ganzen Philosophie durch die Philosophie des absoluten Geistes den Anfang zweifellos dergestalt einholen, daß sie das in ihm Vorausgesetzte wirklich setzt und infolgedessen als bloß Vorausgesetztes tilgt. Zweifeln jedoch kann man an der Ubereinstimmung dieser Meinung mit der von Hegel bedachten Sache89. Den ernsthaftesten Grund zum Argwohn wird der Vergleich der philosophischen Schlüsse mit denen der geoffenbarten Religion geben. Bevor wir ihn anstellen, mag ein gering37 38 39
SW V I I I 4 4 8 {Encyclopädie, § 238). SW VIII 2 0 1 (Encyclopädie, § 84). Die gegen jene Meinung festzuhaltende Sache Hegels stellt sich auch aus der theologischen Perspektive der vorliegenden Untersuchung so dar, wie Henrich (52, S. 34) sie sieht: „Der Schluß des Systems soll ( . . . ) die Einsicht in die Notwendigkeit eines Anfangs von unaufhebbarer Unmittelbarkeit begründen".
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fügigeres Argument immerhin von der Fragwürdigkeit der aufgeworfenen Frage überzeugen. Es ist der absolute Geist selber, der sich den subjektiven voraussetzt. Dessen Vorausgesetztsein dürfen wir mithin keineswegs so verstehen, als hinge der absolute Geist seinem Begriff und seiner ursprünglichen Realität nach von ihm ab. Wie nicht anders zu erwarten, greift Hegel mit dem letzten auf den ersten Paragraphen der Philosophie des absoluten Geistes zurück. Nach § 577 legt das Absolut-Allgemeine sich in den menschlichen Geist als den „Prozeß der subjektiven Tätigkeit der Idee" und die Natur als den „Prozeß der an sich, objektiv, seienden Idee" auseinander; nach §553 sind der subjektive und der objektive Geist der Weg, auf dem sich eine bestimmte, nämlich die weltliche Seite der Realität des absoluten Geistes ausbildet. Für diese und nur für diese Realität ist der subjektive Geist, der die Welt zum objektiven gestaltet, die Voraussetzung. Darin liegt aber, daß er seinerseits den Begriff und die ursprüngliche Realität des absoluten Geistes voraussetzen muß. Er muß den voraussetzen, der ihn sich, d. h. seiner weltvermittelten Selbstverwirklichung, voraussetzt, und kann nur als voraussetzender derart vorausgesetzt sein. Um darauf mit mehr Aussicht auf Evidenz zurückkommen zu können, müssen wir jetzt das Band sichtbar machen, das die in den Paragraphen 575—577 vorgeführten Schlüsse mit denen der Paragraphen 567—570 verknüpft. Wenn das ganze System die ihm angemessene Form erst dadurch findet, daß die Lehre vom absoluten Geist es wiederholt, dann hat der dritte Schluß der Philosophie, der diese Lehre formalisiert, die beiden vorhergehenden Schlüsse, welche die für sich unvollkommenen Systementwürfe nachbilden, zu korrigieren. Für eine solche Korrektur stellt die spekulative Logik insofern eine Möglichkeit bereit, als der vollendete Schluß der Notwendigkeit seine mit dem Daseinsschluß und mit dem Reflexionsschluß gegebenen Prämissen in sich aufnimmt. Soll der in § 577 beschriebene Schluß seine Aufgabe erfüllen, so muß er den in § 575 und den in § 576 skizzierten Schluß auf eine Weise in sich aufnehmen, die beide Prämissen durch die Berichtigung ihrer Fehler auf das Niveau der Philosophie des absoluten Geistes erhebt. Nun konzentriert sich diese Philosophie aber auf die Philosophie der geoffenbarten Religion, deren Geheimnis Hegel durch die drei Schlüsse der absoluten Vermittlung des Geistes mit sich selbst entschlüsseln zu können glaubt. Also besteht nicht nur ein besonders direkter Zusammenhang zwischen dem die Philosophie und dem die geoffenbarte Religion vollendenden Schluß. Vielmehr müssen darüber hinaus die beiden ersten Schlüsse der geoffenbarten Religion die
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Umrisse der Gestalt vorzeichnen, welche die entsprechenden Schlüsse von § j 7 j und § j 7 6 erst dadurch bekommen, daß der in § 577 entfaltete Schluß sie korrigiert. Da sie sich bereits auf dem Boden des absoluten Geistes befinden, geben sie für diese Korrektur den Maßstab ab. Daß die immanente Gedankenentwicklung in den letzten Paragraphen der Encyclopädie deren Gesamtentwicklung wiederholt, heißt demnach konkret: Die Selbstkorrektur der Philosophie reproduziert bloß die Bewegung, in der die Theorie der geoffenbarten Religion das System schon korrigiert hat. Methodisch ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, zunächst einmal zu untersuchen, wie die beiden ersten Schlüsse der geoffenbarten Religion die zur Vorläufigkeit herabgesetzten Schlüsse der Philosophie korrigieren, und erst dann deren Selbstkorrektur zu überprüfen. Sonst nämlich bliebe das Ziel im Dunkeln, das die Aufhebung der vorläufigen Systementwürfe in die „Idee der Philosophie" verfolgt. Was Hegel in seiner Philosophie des Christentums Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit nennt, bezeichnet er in seiner Philosophie der Philosophie als das Logische, die Natur und den Geist. Der Wechsel des Ausdrucks wird plausibel, wenn man sich erinnert, daß Hegel seine Behauptung der Identität des Inhalts von Christentum und Philosophie gelegentlich mit dem einschränkenden Zusatz versieht, philosophisches Denken beschäftige sich eingehender als religiöses Vorstellen mit den weltlichen Sphären von Natur und endlichem Geist. Die Änderung, die auf dem Wege vom Christentum zur Philosophie mit der Sprache vor sidi geht, ist also gewiß motiviert. Trotzdem wird man die Begriffe des Logischen, der Natur und des Geistes in die der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit übersetzen dürfen, und zwar im Hinblick darauf, daß die letzteren auch die Logik verwendet; fundiert die Logik doch beides gleichermaßen, die Philosophie der Philosophie nicht weniger als die der geoffenbarten Religion. Macht man aber vom Recht der Ubersetzung Gebrauch, so kann man fürs erste sagen: Derjenige Daseinsschluß, der den Gesamtaufbau der Encyclopädie durdileuchten soll, fällt hinter den Schluß von § 5 67 zurück, weil er seine Momente einseitig nach der Figur A-B-E- anordnet und nicht auch nach der Figur E-B-A. Durch diese Einseitigkeit projiziert er auf eine Gerade, was ein Kreis zu sein hätte. Der Schein der Geradlinigkeit gebiert wiederum den Schein der Unfreiheit des Ursprungs. Ihn aber löst im Lichte der geofFenbarten Religion der analoge Schluß auf, indem er die Einsicht gewährt, daß auch der „Ausgangspunkt" schon Geist ist. Außerdem läßt er erkennen, daß die Einzelheit des Geistes, bei dem
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der anfängliche Systementwurf ankommt, nicht die des endlichen Geistes sein kann, da sie ja in die göttliche Allgemeinheit eingehüllt bleibt. Hiermit bringt er die wichtigste Korrektur an: E r zerstört die Illusion, als könne Philosophie in der äußerlichen Form des „Obergehens" von der Logik direkt zur Faktizität der Welt gelangen. E r setzt den elementarsten Versuch, die Logik zu transzendieren, auf die Stufe einer Theologie herab, die sich, statt die Armut einer abstrakt logischen Allgemeinheit durch den Sprung in die weltliche Wirklichkeit des Menschengeistes kompensieren zu wollen, mit dem vorweltlichen Insichsein Gottes eben darum begnügen kann, weil sie dessen Allgemeinheit bereits als geistige Einzelheit begreift. Selbstverständlich verschont eine solche Rücknahme der zur Torheit werdenden Weltweisheit in die Erkenntnis Gottes genausowenig die Mitte. Als vermittelnde Besonderheit fungiert im ersten über die Logik hinausgehenden Systementwurf, so belehrt uns dessen religionsphilosophische Korrekturinstanz, in Wahrheit nicht die sichtbare Natur selber, sondern deren in die göttliche Allgemeinheit eingewickelter Keim. Und auch dadurch berichtigt der Schluß von § $67 den Schluß von § 575. Denn nach dem obersten Grundsatz der spekulativen Syllogistik kann überhaupt nur die Allgemeinheit vermitteln. Auch die Natur vermag also ihre Vermittlungsfunktion allein unter der Bedingung auszuüben, daß die A l l gemeinheit ihre Besonderheit umfängt. Zum zweiten ist deutlich zu sehen, wie der zur Interpretation von Weltschöpfung und Sündenfall herangezogene Reflexionsschluß den strukturell gleichgearteten Schluß der phänomenologisch verfahrenden Wissenschaft vom subjektiven Geist zurechtrückt. Aus dem Grundsatz, der das Vermögen zur Vermittlung ausschließlich der Allgemeinheit zuschreibt, folgt das Scheitern der Vermittlung, die nach § 568 der Menschengeist zu leisten hat. Denn in der Verselbständigung zum Bösen hat jeder einzelne Mensch sich von der göttlichen Allgemeinheit losgerissen. Dieses Scheitern spricht aber auch die Wahrheit über den Versuch des subjektiven Geistes aus, von sich aus die Natur mit dem Logischen zusammenzuschließen. A m Zusammenbruch des mit der Phänomenologie gewagten Systementwurfs hat Hegel es selber erfahren: Als bloß subjektiver kann der Geist die Natur mit dem Logischen nicht zusammenschließen. Oder vielmehr könnte ihm ein derartiger Zusammenschluß niemals gelingen, wäre die Natur nicht schon ohne sein Zutun mit dem Logischen zusammengeschlossen. In religionsphilosophischer Perspektive zeigt sich diese ursprünglichere Vermittlung als die Schöpfung, durch die der Gott in seinem Sohn sich selbst der Welt mitteilt, und der Syllogismus, der den Schöp-
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fungsvorgang reflektiert, wird dem darin geschehenden Zusammenschluß von Natur und Logos gerecht, indem er die Figur B-E-A mit der Figur A-E-B zur Deckung bringt. Daß das dort vorausgesetzte Allgemeine ein Besonderes ist, resultiert aus seiner eigenen Besonderung und nicht aus der Vermittlung des endlichen Geistes, so wie dieser auch daran, daß die dort herausgesetzte Welt mitten in ihrer Besonderheit ein göttlich Allgemeines birgt, keinerlei Verdienst hat. Auf solche Weise demonstriert der religionsphilosophische Reflexionssdiluß von einer anderen Seite dasselbe wie der auf die Theologie applizierte Schluß der Seinslogik: daß Wissenschaft die vom Logos durchwaltete Natur nicht abzuleiten vermag. Die Wissenschaft, welche die Form des „Ganges der Notwendigkeit" hat, verfehlt mit ihrem Ansatz bei einer bloß logischen Allgemeinheit die Faktizität der Natur, und der Wissenschaft, die als ein „subjektives Erkennen" erscheint, entzieht sich die ihr zuvorkommende Logizität der Natur, genauer gesagt: die Logizität der Natur als eine ihr zuvorkommende. Wie Fackenheim an Hand des Zusatzes von § 187 der Encyclopädie sehr schön dargelegt hat, zielt die durch die drei Schlüsse hindurchlaufende Bewegung auf die Einlösung des schon zu Beginn erhobenen Anspruchs ab, Natur als die zwischen den Extremen verharrende und sich zugleich in die Extreme entfaltende Mitte, d. h. in der Identität ihrer selbstseienden Wirklichkeit und ihrer Vernünftigkeit zu begreifen. Auch in der Schlußlehre des PhilosophieAbschnitts beginnt Hegel mit der Formulierung dieses Anspruchs: Natur soll einerseits als für sich existierende „zwischen dem Geiste und seinem Wesen" stehen und andererseits „an sich die Idee" sein, die selber in den Extremen existiert. Aber ebenso evident wie die Unerfüllbarkeit einer derartigen Forderung durch den ersten Systementwurf ist ihre Unerfüllbarkeit durch den zweiten. Dessen Versagen beruht darauf, daß auch er einseitig ist, daß er die Einseitigkeit der Figur B-E-A durch die Umkehrung der Extreme nicht aufhebt. Die undialektische Versteifung auf eine vermeintlich unumkehrbare Abfolge von Besonderheit, Einzelheit und Allgemeinheit ist der formale Ausdruck der Bewußtlosigkeit über eine Logizität der Natur, die sich nicht dem Erkenntnisakt des endlichen, sondern dem Schöpfungsakt des absoluten Geistes verdankt. Erst durch ihre religionsphilosophische Erneuerung erwacht die phänomenologische Reflexionsphilosophie aus dieser Bewußtlosigkeit. In eins damit geht ihr das Bewußtsein über die Weltlichkeit desjenigen Logischen auf, zu dem allein sie in Wahrheit hintendiert. Die selbständig hervorgetretene Phänomenologie sollte in ein absolutes Wissen
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einmünden, an das ohne weiteres die Logik anknüpft. Hingegen kann der am absoluten Wissen nicht mehr unmittelbar teilnehmende Geist, der als das Subjekt der encyclopädisch relativierten Phänomenologie auftritt, sich zum absoluten Geist nur durch die Vermittlung jener Allgemeinheit erheben, die der weltlichen Wirklichkeit von Recht und Staat einwohnt. Sofern aber die in die Encyclopädie aufgenommene Phänomenologie einen Teil der Philosophie des letztlich absoluten Geistes bildet40, schlägt sich in ihrer Integration bereits die Korrektur nieder, die ihr die Wiederholung auf der höheren Ebene der absoluten Geistphilosophie angedeihen läßt. Indem der zweite Schluß der geoffenbarten Religion nicht nur Β als Α setzt, sondern auch Α als B, macht er diese Korrektur aktenkundig. Die Selbstkorrektur des philosophischen Denkens, die in der ähnlidi verwandelnden Integration der Prämissen in die Konklusion von § 577 liegt, zieht nun aus der theologischen Berichtigung dieser Prämissen die nötige Konsequenz. Sie macht Ernst mit dem Grundsatz, daß allein das Allgemeine vermitteln kann. Zugleich hält sie fest, daß auch da, wo die Natur oder der endliche Geist zu vermitteln schien, faktisch das Allgemeine das Vermittelnde war. Der vollendete Schluß der Notwendigkeit (E-A-B) hat ja die an den Figuren E-B-A und A-E-B orientierten Schlüsse als Voraussetzungen für die Vermittlung seiner beiden Glieder A-E und A-B in sich aufgenommen. Seine Extreme, die Natur und den endlichen Geist, denkt Hegel nicht von ungefähr als „Prozeß" bzw. sogar als „Prozeß der subjektiven Tätigkeit". Da die Tätigkeit in seiner Sicht stets so etwas wie „Vermittlertätigkeit" bedeutet, muß er audi annehmen, daß eigentlich tätig jeweils nur das Vermittelnde sei. Jedes der beiden Extreme des dritten Schlusses ist also selbst Mitte. Es vermittelt aber, sofern es an der Allgemeinheit partizipiert. Entzweit doch das AbsolutAllgemeine sich selber in Geist und Natur, dergestalt daß es, wie es dem vollendeten Schluß der Notwendigkeit gebührt, als die beherrschende Mitte auch die Extreme mit sich durchdringt. Darum deklariert Hegel die Natur ungeachtet ihrer Besonderheit zum „allgemeinen" Extrem, und darum heißt es in der Erstfassung vom endlichen Geist, er sei „dies an ihm selbst, nicht die Voraussetzung, sondern die in sich zurückgekehrte Totalität zu sein"41. Der Logik zufolge beruht die Möglichkeit einer solchen Präsenz der Nach Lasson handelt der dritte Teil der Encyclopädie durchweg „von dem absoluten Geiste, und die Unterschiede, die er an diesem hervorhebt, fallen innerhalb der Manifestation des absoluten Geistes als solchen" (74, S. XIV). « SW V I 310 (§477). 40
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Mitte in den Extremen auf der ursprünglichen Zugehörigkeit der Extreme zur Mitte; diese muß in sich schon sein, wohinein sie sich entfaltet. Das bedeutet zunächst und vor allem: Dem Absolut-Allgemeinen muß in sich Einzelheit zukommen. „Es ist hier also ein Einzelnes die Mitte, aber nach seiner allgemeinen Natur; ferner ist ein anderes Einzelnes Extrem, welches mit jenem dieselbe allgemeine Natur hat." 42 Diese Ubereinkunft von Allgemeinheit und Einzelheit drückt der Begriff des Absolut-Allgemeinen aus. Obwohl Hegel in ihn die Allgemeinheit einzeichnet, die dem Logischen eignet, spricht er nicht mehr vom Logischen selber, weil an die Stelle des Logischen das Geistige, die „sich wissende Vernunft", getreten ist43. Damit korrigiert die Philosophie des absoluten Geistes alle ihr äußerlich vorgelagerte Philosophie am wesentlichsten. Was sie ihren unvollkommenen Antizipationen beizubringen hat, ist vornehmlich die Einsicht, daß zum Geist nur kommt, wer vom Geist ausgeht. Solche Belehrung wendet sich nicht nur an den, der den encyclopädischen Systemaufbau schon für die Idee der Philosophie nehmen wollte. Sie richtet sich auch an die Adresse eines subjektiven Erkennens, das zwar den „Standpunkt des Geistes selbst" einnimmt, aber diesen auf seine eigene, die endliche Subjektivität eingrenzt. Es gibt zwei Bedingungen für ein tragfähiges Fundament der Philosophie. Die eine verlangt, daß der Geist mehr als bloß „Ausgangspunkt" im transitorischen Sinne der encyclopädisch aufgefaßten Logik, nämlich der alles auf sich versammelnde Mittelpunkt sei, und die andere besteht in seiner Absolutheit. Allein dann, wenn der absolute Geist der allmächtige Ursprung ist, der von der Mitte aus auch noch die Voraussetzung setzt, kann an dem durch menschliche Tätigkeit und nicht zuletzt durch die Tätigkeit des Erkennens vermittelten Ende gleichfalls der absolute Geist stehen, als der „die ewige an und für sich seiende Idee sich ewig ( . . . ) betätigt, erzeugt und genießt". Die logische Regel, nach der die Immanenz der Mitte in den Extremen der Immanenz der Extreme in der Mitte bedarf, schreibt aber weiterhin vor, daß das Absolut-Allgemeine desgleichen Natur impliziere. Die Logik erklärt, im Schluß der Notwendigkeit sei „das Vermittelnde die objektive Natur der Sache"44. Dementsprechend heißt es in § 5 7 7 der Encyclopädie, in der Idee, welche als die sich denkende durchschaut worden ist, vereinige es sich, „daß die Natur der Sache, der Begriff, es ist, die sich fortbewegt und entwickelt, und diese Bewegung ebensosehr die « S W V 155; vgl. V I j 9 f . 43
Bruaire (16), S. 10$. ** SW V i2i.
Religion und Philosophie (§§ 574—577)
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Tätigkeit des Erkennens ist". Formallogisch betrachtet, macht Hegel sich hier zweifellos einer Äquivokation schuldig; die „Natur der Sache" ist nicht die äußere Natur, um die es offensichtlich zu tun war. Dennoch stellt er damit genau den Zusammenhang her, der nach dem Gesetz der spekulativen Dialektik herzustellen ist. In den vorläufigen Systementwürfen blieb das Verhältnis von „Nature-as-reproduced-in-thought" und „Nature itself" 45 ein unversöhnter Widerspruch. Die Pole dieses Verhältnisses ließen sich nicht vermitteln, weil sie in den abstrakten Gegensatz von bloßer Gedachtheit und rein äußerlicher Existenz auseinanderfielen. Dem dritten Schluß hingegen gelingt die Vermittlung, indem er die Wahrheit beider Seiten in der Mitte jener Objektivität sucht, die Faktizität und Vernünftigkeit zugleich ist. Umfangen von der Idee, wird die äußere Natur zur „Natur der Sache", weil sie ihre Wahrheit in der Objektivität des „Begriffs" hat, der als naturhaft entäußerter in der bewußtlosen Dunkelheit des Ansichseins denselben Prozeß seiner weltlichen Selbstverwirklichung vorantreibt, den der Menschengeist in der Helle des Erkennens und des davon geleiteten Handelns zu vollbringen hat. Der dritte Sdiluß, mit dem die Encyclopädie endet, vollzieht sich im Horizont der Philosophie des absoluten Geistes, in welchem alle drei Schlüsse der geoffenbarten Religion erscheinen. In bezug auf seinen Inhalt ist er darum auf keine Korrektur durch den ihm entsprechenden Religionsschluß angewiesen. Auch der dort erreichten Kongruenz der Figuren E-A-B und B-A-E paßt er sich an. Denn von vornherein weiß Hegel, was er anfangs in der Reihenfolge von Geist und Natur aufführt, als die sachliche Ordnung von Natur und Geist, in die er die Extreme dann auch ausdrücklich bringt. Der Wechsel verdeutlicht, daß Natur, sobald sie zur Natur der Sache wird, Geist ist und Geist, solange er für die Rückkehr der Totalität in sich bloß die Voraussetzung bildet, immer auch Natur. Wiewohl aber der dritte Schluß der geoffenbarten Religion die vollendete Philosophie nicht inhaltlich korrigiert, so liefert er doch den Maßstab für ihre Methode. Aus seiner Korrespondenz mit dem dritten Schluß der Philosophie geht hervor, daß diese sich nur christologisch vollenden kann. Aus der Entsprechung ist zu entnehmen, daß Philosophie sich der ursprünglichen Macht des absoluten Geistes auf keine andere Weise versichern kann als durch die Besinnung auf das Geschehen, in welchem der Gott sich als eben dieser Geist offenbart. Die Offenbarung Gottes in 45
21
Fackenheim (22), S. 88. Theunissen, Hegel
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seinem Sohn erweist sich als die methodische Grundlage eben der Philosophie des absoluten Geistes, die Hegel am Ende seiner encyclopädischen Systemdarstellung im Zurücksehen zusammenfaßt. Wenn es sidi aber tatsächlich so verhält, dann hat man noch mehr Grund zu der Annahme, daß auch diejenige Philosophie, die sich auf der Höhe ihres Begriffs befindet, auf eine dem Begriff angemessene und vom Vorstellen verschiedene Art voraussetzendes Denken ist. Denn sie muß den absoluten Geist so voraussetzen, daß sie das geschichtliche Faktum voraussetzt, welches ihr den Zugang zu ihrem wahren Inhalt allererst eröffnet.
Ausführender Teil: KONSTRUKTION DES PHILOSOPHIEBEGRIFFS
1. Reine Theorie und radikale Archäologie Das Denken., das rein für sich selbst ist, ist ein Denken dessen, was das Vortrefflichste an und für sich selbst ist; und je mehr das Denken rein für sich selbst ist, desto mehr ist es Denken des Vortrefflichsten. Der Gedanke denkt aber sich selbst durch Aufnahme des Gedachten. Er wird aber gedacht, indem er berührt und denkt; so daß der Gedanke und das Gedachte dasselbe ist. Denn das Aufnehmende des Gedachten und des Wesens ist der Gedanke. Er wirkt, insofern er hat, so daß jenes (das Wirken, die Tätigkeit) mehr göttlich ist als dasjenige, was die denkende Vernunft Göttliches zu haben meint. Die Theorie ist so das Genußreichste und Beste. Wenn nun Gott immer so wohl daran ist, als wir zuweilen, so ist er bewundernswürdig; wenn noch mehr, noch bewundernswürdiger. So ist er aber daran. Es ist aber auch Leben in ihm vorhanden. Denn die Wirksamkeit des Gedankens ist Leben. Er aber ist die Wirksamkeit; die auf sich selbst gehende Wirksamkeit ist dessen vortrefflichstes und ewiges Leben. Wir sagen aber, daß Gott ein ewiges und das beste Leben sei. Also kommt Gott Leben und beständiges und ewiges Dasein zu. Denn das ist Gott. Aristoteles, Met. X I I , 7. 1072 b 18—30 1 . D a ß Hegel sein System der philosophischen Wissenschaften mit diesem Zitat beschließt, ohne noch einmal das Wort zu ergreifen, ist seit je 1
N a d i der Übersetzung, die Nicolin und Pöggeler in ihrer Ausgabe der Encyclopädie (S. 496) „im Sinne Hegels und mit seinen Worten" geben (vgl. S W X V I I I 330 f.). V o n dieser Übersetzung weicht nur die oben stehende Wiedergabe des Zentralsatzes και ή θεωρία τό ήδιστον καΐ δριστον ab, indem wir „Spekulation" durch „Theorie" und „das Erfreulichste" durdi „das Genußreichste" ersetzen. Die Änderung kann sich auf Hegel berufen, der im Kontext seiner Paraphrase der Aristoteles-Stelle ήδονή mit „Genuß" übersetzt und statt „Spekulation" auch ausdrücklich „Theorie" sagt V SW X V I I I 330).
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
als ungewöhnlicher Ausdruck der Achtung vor den „wahrhaft spekulativen Ideen des Aristoteles"2 empfunden worden. Mit einem polemischen Seitenblick auf das übliche Gerede von der „Hybris" Hegels nennt ein jüngerer Gelehrter diese Geste sehr richtig „one of the most extraordinary examples of intellectual humility in the history of philosophy"®. Zu fragen ist nur: Wovor eigentlich verbeugt sich Hegel? Was hat nach seiner Auffassung die Stelle aus der Schrift Lambda mit dem Ende der Encyclopädie zu tun? Auf welchen Zusammenhang will er mit dem schweigenden Hinweis auf Aristoteles aufmerksam machen? Dieser Fragen meint man überhoben zu sein, weil man einer Antwort gewiß zu sein glaubt. Gemeinhin hält man für selbstverständlich, daß Hegel einen Fingerzeig auf die Identität von absolutem Geist und Aristotelischem Gott geben wollte. Eine solche Identität ist jedoch schlechterdings unmöglich. Sicherlich darf man Hegel die Absicht unterstellen, die Aufmerksamkeit des Lesers auch auf eine gewisse Beziehung zwischen dem Thema der dritten Abteilung seiner Geistphilosophie und dem Thema der zweiten Hälfte des oben wiedergegebenen Zitats hinzulenken. Aber im Vordergrund scheint nicht einmal diese Beziehung zu stehen. Was statt dessen als unmittelbarer Bezugspunkt anzusehen ist, kann eine von Herbert Marcuse angestellte Beobachtung lehren. Marcuse findet es bemerkenswert, daß Hegels eigener Text in der Encyclopädie mit dem Wort „genießt" endet4. Er verknüpft diesen Umstand mit dem Freiheitsgedanken, der die vier letzten Paragraphen durchzieht. Nach seiner — gewiß problematischen — Meinung entfaltet die Metaphysik von Aristoteles bis Hegel den Logos als „Logik der Herrschaft", jedoch so, daß sie an ihrem Anfang und an ihrem Ende zugleich die Uberwindung der Herrschaft in der vollkommenen Freiheit des Genusses antizipiert. Ihren Anfang soll sie eben mit Aristoteles genommen und ihr Ende mit Hegel erreicht haben. Wie immer es um diese Interpretation im einzelnen bestellt sein mag, jedenfalls öffnet sie uns die Augen für den direkten Übergang vom Genuß im Sinne Hegels zu dem Genuß, den nach Aristoteles die theoria bereitet. Unmittelbar hebt Hegel, wenn er zum Schluß Aristoteles anführt, nicht auf den theos, sondern auf die lustvolle theoria ab. Damit ist zugleich gesagt: Es steht nicht so sehr irgendeine Ähnlichkeit oder gar Identität des Inhalts zur Diskussion als eine Gemeinsamkeit der Formen, in denen Hegel und Aristoteles philosophieren. Nadidem in den 2 s 4
SW V 267; vgl. S W X V I I I 3 3 1 , 333. Weiss (150), S. 3. Marcuse (91), S. 1 1 6 .
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letzten vier Paragraphen der Encyclopädie die Reproduktion des Systeminhalts eine Aufklärung über die Form dieses Systems verhindert hat, holt Hegel das Versäumte auf dem Umweg über Aristoteles wenigstens andeutungsweise nach. Selbst in bezug auf die Form sollte das abschließende Zitat indes nicht zu voreiligen Versicherungen über die Nähe der beiden Denker verleiten. Hegel gibt lediglich zu verstehen, daß die Form seiner Philosophie mit derjenigen der Aristotelischen Metaphysik sehr viel gemein hat, aber es wäre unangebracht, seine Erinnerung an theoria so aufzufassen, als wolle sie die Form seiner Philosophie vollständig definieren. Uber die theoria kommt freilich auch der theos in das Blickfeld Hegels. Der Gott des Aristoteles ist so zwar nicht der unmittelbare, aber doch der mittelbare Bezugspunkt des Vergleichs, zu dem die Encyclopädie anregt. Um klar genug sehen zu können, in welcher Hinsicht er für die Philosophie des absoluten Geistes Bedeutung erlangt, müssen wir zunächst das Verhältnis von theoria und theos bei Aristoteles studieren und sodann das Bild betrachten, das Hegel sich davon macht. Die Konzeption des Stagiriten läßt sich wiederum nur unter der Bedingung begreifen, daß wir uns zuallererst die außerphilosophische und philosophische Tradition vergegenwärtigen, aus der sie herausgewachsen ist. Was fürs erste die außerphilosophische Uberlieferung betrifft, so ist festzuhalten, daß nicht zuletzt auch die etymologische Wurzel des Wortes theoria ins Numinose hinabreicht5. In ihr verbinden sich zwei Ausdrücke für Schauen (θεάομαι und όράω). Geschaut aber hat der theoros, der Vertreter griechischer Städte bei öffentlichen Festspielen, religiöse Kulthandlungen. Der sakrale Gegenstand des Schauens hat die Griechen veranlaßt, theoria faktisch falsch und dennoch sachangemessen von theos abzuleiten und „Schau" auch vom Wort her als „Anschauung Gottes" zu begreifen. Die voraristotelische Philosophie verfestigt diese theologische Auslegung. Voraussetzung hierfür ist ihr Gebrauch des Begriffs theoria, den sie zur Bezeichnung nicht einer Wissenschaft, sondern einer Lebenshaltung verwendet®. Der Begriff praxis ist ursprünglich ein Titel für das bloß menschliche, unbeständige und zeitverfallene Leben der alten Aristokratie, das nach äußeren Gütern, nach Macht, Reichtum, Schönheit und Gesundheit strebt, während der Begriff theoria primär das existentielle Ideal dessen meint, der sein Leben dem von Xenophanes entdeckten und von Anaxagoras erforschten nous, s β
Vgl. zum Folgenden Boll (14). Vgl. zum Folgenden Picht ( 1 1 3 ) .
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
dem unsichtbaren Gott angleicht. Der Gott aber fließt mit dem von ihm regierten Kosmos zusammen. In der gesamten voraristotelischen, explizit mit Xenophanes anhebenden Geschichte der philosophischen Theologie ist theoria oder das, was diesem Platonisch-Aristotelischen Begriff in der Sache entspricht, als Schau Gottes zugleich „Anschauung des Kosmos" 7 . Indessen kann allein der als ewig vorgestellte und sich in seinen harmonischen Bewegungen immer auf dieselbe Weise verhaltende Naturkosmos Gegenstand solchen Schauens werden. Als nicht des Schauens würdig hingegen gilt die geschichtlich bewegte, wechselvolle Menschenwelt. Piaton, der die theoria erstmals auf den Begriff bringt 8 , arbeitet sowohl den Unterschied dieser beiden Welten wie auch die in der umgreifenden Ewigkeit begründete Einheit von natürlichem All und göttlichem Geist besonders scharf heraus. Im Staat ( j o o b 8 — c 5) heißt es, der wahrhaft Philosophierende, der seine Betrachtung auf einen Kosmos richtet, in welchem — wie Wilhelm Wiegand übersetzt — „eine ewige Ordnung und Unwandelbarkeit herrscht", finde „gar keine Zeit, hinab auf das Treiben der Weltkinder zu blicken", und dem Timaios (89 d — 90 d) können wir entnehmen, wie der, welcher in der theoria sich dem Gott angleicht, in eins damit die „Bewegungen des Alls" nachbilden soll9. Wie beurteilt nun Aristoteles das Verhältnis von theos und theoria} Wenden wir uns mit dieser Frage an die Philologen, so können wir auf eine allgemein akzeptierte Antwort kaum hoffen. Die philologische Aristoteles-Rezeption unserer Tage befindet sich offenbar in einer Lage, welche derjenigen der philosophischen Hegel-Rezeption nicht unähnlich ist. Wie hier liegen auch dort die theologischen und die a - oder sogar antitheologischen Deutungen in einem bislang ungeschlichteten Streit. Auf der einen Seite wirkt noch der Versuch Werner Jaegers nach, die Kontinuität des Weges von der frühgriechischen Theologie zum Ansatz des Aristoteles aufzuzeigen 10 . Der entschiedenste Repräsentant dieser theologischen Richtung ist heute, ungeachtet seiner Distanz gegenüber Jaegers entwicklungsgeschichtlichen Thesen, Philip Merlan. Seinen Untersuchungen zufolge bildet Theologie bei Aristoteles nicht bloß den Sonderbereich einer metaphysica specialis, die von einer als metaphysica generalis verstandenen Ontologie abzugrenzen wäre. Denn der Gegenstand der Ontologie, das „Seiende als Seiendes", soll, sofern er mit der „ersten Substanz" 7 Pidit (113), S. 333. Festugi^re (24). 9 Vgl. Timaios 47 a—c und Habermas (43), S. 146 f. 10 Jaeger (61), bes. S. 200—236. 8
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identisch ist, auch mit dem Gott zusammenfallen 11 . Auf der anderen Seite herrscht die Tendenz Ingemar Dürings, die von Aristoteles erfolgreich betriebene Aufwertung der Physik aus einer Befreiung von der theologischen Tradition zu motivieren. Auch wo Düring eine, wie man annehmen sollte, für den Zusammenhang von theos und theoria so bedeutsame Doktrin wie die von Philoponos aufbewahrte Lehre des Dialogs über die Philosophie referiert, wonach die Menschen das höchste Stadium ihrer Bildung erreichten, „als sie ihre Aufmerksamkeit auf das Göttliche selbst und die gesamte überirdische und ganz unveränderliche Welt lenkten", glaubt er anmerken zu müssen, daß es „anachronistisch" wäre, „dies als die Theologie des Aristoteles zu bezeichnen" 12 . Indessen sind beide Positionen aus philologischen und philosophischen Gründen unhaltbar. Der Standpunkt Merlans ist in philologischer Hinsicht kaum zu halten, weil die Schrift Kappa, auf die er sich stützt, nach den vorliegenden Forschungsergebnissen als eine nacharistotelische Kompilation anzusehen ist13, und er läßt sich auch nicht philosophisch rechtfertigen, weil Aristoteles zwar das „Seiende als Seiendes" mit der „ersten Substanz", aber diese keineswegs mit dem Gott identifiziert 14 . Ebensowenig befriedigt der Standpunkt Dürings. Er kann schon darum nicht überzeugen, weil Düring in offensichtlich tendenziöser Weise Argumente durch willkürliche Werturteile ersetzt. Ein Beispiel hierfür ist die Art, wie er die eindeutige Aussage des Aristoteles, es gebe „drei theoretische Philosophien, die mathematische, die physikalische und die theologische" 15 , zu bagatellisieren versucht16. Die Theologie soll Aristoteles hier nur aufgeführt haben, „um die schöne Dreizahl zu erreichen", und um der „schönen Systematik willen". Von einer Begründung dieses Anwurfs findet sich keine Spur. Aber auch die Meinung, der Name „theologische Wissenschaft" erscheine in Anbetracht seiner Vereinzeltheit als ein „bloßer" oder „zufälliger Einfall", steht auf schwachen Füßen. Gewiß ist die Vereinzeltheit als solche, jedenfalls unter der Voraussetzung der Unechtheit von Kappa, nicht zu leugnen. Gleichwohl operiert, wer sich auf sie 11 12 18
14 15 18
Merlan (98), (96), S. 132—184, (97), S. 255. Düring (21), S. 110. A . Mansion (86), S. 353—366; S. Mansion (88), S. 198 f.; Düring (21), S. 278 f. Hauptbelegstelle für Merlan ist 1064 a 28—29: ΐίστι τις έπιστήμη τοΰ δντος fj δν καΐ χωριστόν. Auch Theiler, der Κ sonst für eine gut Aristotelische Schulernachschrift hält, betrachtet diese Gleichsetzung als ein „Versehen" (140, S. 271). Wie Düring richtig bemerkt (21, S. 595). Met. V I , 1.1026 a 18—19. Düring (21), S. 117.
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
beruft, mit einem Scheinargument. Kennzeichnet doch Aristoteles die Philosophie, um die es sich an der fraglichen Stelle handelt, vielerorts als die Wissenschaft von jenem Göttlichen, das in seinem Sprachgebrauch nach Dürings eigener Auffassung mit dem Gott gleichbedeutend ist". Wäre die „Argumentation" stichhaltig, so müßte man in Analogie zu ihr auch aus der Tatsache, daß Aristoteles die Philosophie des Seins nicht ausdrücklich eine „ontologische Wissenschaft" nennt, auf das Fehlen der Ontologie schließen, was sicherlich auch Düring für Unsinn erklären würde. Dessen antitheologische Interpretation ist aber trotz ihres hiermit aufgewiesenen Mangels an philologischer Fundierung für uns von Interesse, weil sie weitreichende Folgen für das Verständnis der Beziehung von theos und theoria hat. Daß Düring diese Beziehung auflösen möchte, geht ja schon aus seinem Versuch hervor, die Theologie aus dem Systemverband der theoretischen Wissenschaften auszuscheiden. Ganz deutlich wird dies aber erst an seiner Auslegung der Wendung τον θΐόν ϋεραπεύειν και θεωρεΐν in der Endemischen Ethik (VIII, 3. 1249 b 20). Nach seiner Ansicht besagt der Ausdruck: „unser reines Denken kultivieren" 18 . Das reine Denken soll seinerseits nichts als das rein menschliche „Gelehrtenleben" meinen, dessen Ruhe es zu schützen gilt. Um jedoch zu diesem Ergebnis zu kommen, muß Düring zwei Schritte tun, die beide fragwürdig sind. Anfänglich verdoppelt er den theos, indem er den „Gott in uns" abstrakt vom „Gott im Kosmos" abscheidet, und schließlich deutet er den „Gott in uns" in einen bloßen Menschengott um19. Der völlig unaristotelische Geist dieser Maßnahmen indiziert die speziell philosophische Unhaltbarkeit seiner Position. Als unausführbar erweist sich damit die Loslösung des Aristotelischen Theoriebegriffs von seiner theologischen Herkunftsgeschichte, in die ihn Merlan allzu unvermittelt integrieren will. Aus dem Dilemma, in das dergestalt eine den Philologen vertrauende Darstellung gerät, finden wir einen Ausweg, wenn wir einem von philosophischer Seite gegebenen Wink wenigstens ein Stück weit folgen. Joachim Ritter hat den Aristotelischen Theoriebegriff ausdrücklich unter dem Aspekt seiner Herkunftsgeschichte betrachtet20. Bei dieser Betrachtung hat sich herausgestellt, daß es Aristoteles weder um eine aufklärerische Emanzipation von der religiösen Überlieferung noch um deren unmittelbare 17
Düring (21), Düring (21), " Düring (21), 20 Ritter (119), 18
S. 214, 219. S. 453 f. S. 4$ 1—454. bes. S. 36—41, 44—48.
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Reproduktion ging. Seine originäre Leistung bestand nach Ritter in der Ausarbeitung einer Theorie, die zwar ebenfalls, wie in der Tradition, auf einer Lebenshaltung basiert, aber sich gleichwohl erst als Wissenschaft vollendet. Während seine Gedanken zur Anschauung Gottes im „theoretischen Leben" die religiöse Tradition seines Volkes fortsetzten, mache sein Konzept der „theoretischen Wissenschaft" das Neue aus, durch das Philosophie sich vom Volksglauben abhebe. Für das griechische Volk nämlich war, so meint Ritter, das Göttliche — zersprengt in die Vielheit je für sich existierender Götter — nicht nur in sich, sondern auch von der Welt getrennt. Theoretische Wissenschaft aber soll nach Aristoteles einsichtig machen, daß der Gott als das Göttliche die ganze Welt durchwalte. Nun läßt sich auf diese Weise vielleicht das Andersartige des philosophischen Glaubens gegenüber dem religiösen Glauben der Griechen definieren, doch sicherlich nicht das Neuartige der Aristotelischen gegenüber der früheren Philosophie. War doch auch schon für diese die theoria als Schau Gottes zugleich Anschauung des Kosmos. Gleichwohl hat Ritter ein Schema entworfen, mit dem man die Stellung des Aristoteles zur Tradition gut verstehen kann. In freier Abwandlung seines Ansatzes wollen wir uns diese Stellung nach Art derjenigen Hegels denken und als negativ-positive Aufhebung des religiösen Glaubens beschreiben. Die Analogie drängt sich sogar noch stärker auf, wenn wir den konkreten Vollzugsmodus solcher Aufhebung ins Auge fassen. Denn dann stoßen wir bei Aristoteles auf ein Verfahren, das mit Hegels Versöhnung von christlichem Glauben und philosophischem Denken durchaus vergleichbar ist. Es ist ja keineswegs so, daß Aristoteles die religiöse Vorstellung von der Weltabgeschiedenheit der Götter schlechterdings preisgäbe. Im Gegenteil: Auch sein Gott ist ein „Abgeschiedenes" (χωριστόν)21. In eins damit durchwaltet er allerdings tatsächlich das Universum, das in dieser seiner Göttlichkeit nun unter dem Titel des Seienden als solchen oder im ganzen (δν η Sv) auftritt. Aristoteles vermittelt also die vorphilosophische mit der philosophischen theoria des theos. Nur so ist zu begreifen, warum er die höchste unter den theoretischen Wissenschaften, die Erste Philosophie, einmal als Theologie und dann wieder als Theorie des Seienden als solchen bezeichnet. Sofern in diesen Begriff eben das überlieferte Philosophen! vom göttlich durchwalteten Kosmos eingeht, ist auch „Ontologie" 81
Met. V I , i . 1026 a 10—16. V g l . Düring (21, S. 207), der sogar die Ähnlichkeit des Aristotelischen Gottes mit den sorglos dahinlebenden Göttern Homers hervorhebt (S. 2 1 1 ; vgl. audi S. 26 f., 214). Z u r Bedeutung des Begriffs χωριστόν: S. Mansion (87), S. 128.
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
in einem weiteren Sinne theologisch. Darin liegt der unbedingte Primat der Theologie, die ja auch darum vorrangig als Erste Philosophie zu bezeichnen ist, weil sie die an diese Philosophie gestellte Bedingung der Unstofflichkeit ihres Gegenstandes am vollkommensten erfüllt 22 . Darin liegt ferner ein gewisses Recht des von Merlan vertretenen Standpunkts. Denn in der Tat wäre es ja, wenn wir die Sache richtig beurteilen, sinnlos, bei Aristoteles Ontologie von Theologie abtrennen zu wollen. Aber mit derselben Entschiedenheit muß man sagen, daß Merlans Gleichsetzung von Onto- und Theologie genau das verdeckt, was die Pointe der aneignend-verwandelnden Stellung des Aristoteles zur Tradition ausmacht. Zeichnet sich diese Stellung doch gerade dadurch aus, daß Aristoteles mit und in der Identität von Gott und Sein deren Differenz denkt, als den zur Göttlichkeit des Gottes selbst gehörigen Widerspruch von Weltimmanenz und Welttranszendenz, von Gegenwärtigkeit und Abgeschiedenheit. Daß der Gedanke der Abgeschiedenheit den Aristotelischen Theoriebegriff allseitig prägt, wird uns immer mehr zu Bewußtsein kommen. Hier wollen wir zunächst bloß festhalten, daß er die Grundlage abgibt für den Versuch, in der „Aufhebung" der religiösen Tradition die Bande zwischen theos lind theoria noch enger zu knüpfen, als das die Tradition je getan hat. Aristoteles radikalisiert die theologische Theorie der Theorie, indem er den Gott nicht nur zum „Objekt", sondern auch zum „Subjekt" einer derartigen Schau deklariert. Die Theorie, sagt er, gehört allein oder zumindest „am meisten" dem Gott selber zu23. Während der Mensch sie nur gelegentlich betreibt, verweilt der Gott seit je schon in ihr. Ja, auch wenn der Mensdi sie vollzieht, ist sie nichts eigentlich Menschliches, sondern etwas Göttliches, Abglanz vom Glänze Gottes. Das Leben des Gottes ist aber ein bios theoretikos, weil es abgeschieden ist. Allein in seiner Abgeschiedenheit vermag der Gott das sich selbst denkende Denken zu sein, die νόησις νοήσεως, welche als die ursprünglichste Theorie zu gelten hat. Und auch wo theoria im Menschen wiederkehrt, bedarf sie eines Vermögens, das gleichermaßen abgeschieden ist: des nous, der als etwas Göttliches von außen in den Menschen einbricht. Wir haben damit die Dinge vor uns gebracht, die auch Hegel rezipiert hat. Was die spezielle Doktrin der Beziehung von theos und theoria 28
Vgl. A. Mansion, der hieraus schließt, „daß diejenige philosophisdie Disziplin, die das Seiende als solches, in seiner ganzen Ausdehnung genommen, zu ihrem eigentlichen Gegenstand hat, sich nicht völlig mit der ersten Philosophie decken kann" (86, S.JI7)·
" Met. I, ι. 983 a 9—10; vgl. Eth. Nie. X, 8.1178 b 21—22.
Reine Theorie und Ardiäologie
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anlangt, so hat er deutlich gesehen, daß Aristoteles die Schau Gottes als eine selber göttliche auslegt, welche auch im Mensdben nur das Sich-vernehmen des göttlichen Grundes sein kann; und was das generelle Thema der Ersten Philosophie betrifft, so hat er es als die zwiefältige Einheit von abgeschiedenem Gott und göttlicher Welt erkannt. Natürlich hat er an Aristoteles und auch im Bereidi der Ersten Philosophie noch vieles andere entdeckt. Aber wenn wir hier von Rezeption sprechen, dann meinen wir ausschließlich den A k t , der das Fremde dem Eigenen anverwandelt; und als Hegels Eigenstes erscheint uns seine Lehre vom absoluten Geist. Diese Lehre aber greift vornehmlich eben zweierlei auf: den Entwurf eines Gottes, der ungeachtet dessen, daß er die Totalität des Wirklichen durchdringt, die Abgeschiedenheit des Ab-soluten hat24, und den Begriff einer Vernunft, die im Menschen die Absolutheit wiedererlangt, welche ihr als der vom theos selber getätigten theoria immer schon zukommt. In diesem Sinne rezipiert hat Hegel nun freilich, wie es scheint, vor alledem bereits die von Aristoteles gemachte Rezeptionsbewegung, der ein solches Konzept erst entsprungen ist. Das heißt: Die Aristotelische Figur seiner Lehre vom absoluten Geist entsteht dadurch, daß er in seiner Situation die Aufhebung der religiösen Vorstellung durdi deren Versöhnung mit dem philosophischen Denken wiederholt. Achten wir hierauf, dann zeigt sich zusammen mit der Nähe die Ferne. Es zeigt sich, daß die, Erneuerung der Rezeptionsbewegung nur die Form, nicht aber den Inhalt wiederholen kann. Findet sie doch unter Umständen statt, in denen ein völlig neuer Inhalt vorgegeben ist. Neu sind sowohl die Welt, welcher der Gott seine Göttlichkeit mitteilen soll, wie audi der Gott selber; und es muß einmal nachdrücklich betont werden, daß Hegel sich über die Verschiedenheit seines und des Aristotelischen Gottes genauso im klaren war wie über die Differenz zwischen der von ihm und der vom Stagiriten ins Göttliche erhobenen Welt. An Dürings Enttheologisierung des Aristoteles ist sicherlich so viel richtig, daß der Gott der Ersten Philosophie ein „abstraktes Prinzip" ist, welches nie der unbewegte Beweger, sondern immer nur das unbewegte Bewegende (τό πρώτον κινοΰν άκίνητον) genannt wird 25 . Düring wendet sich damit gegen die, wie er meint, über Jahrtausende ungebrochene Herrschaft einer interpretatio christiana. Hegel aber unterstreicht gerade das Unpersönliche des theos, indem er Mit anderen Worten sagt Janoska dasselbe, wenn er bemerkt, daß im Gefolge des Aristoteles audi Hegel den Gott als Individuelles und zugleidi Allgemeines deute (63, S. 67). » Düring (21), S. 209 ff. S4
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
auch in seinen philosophiegesdiichtlichen Vorlesungen die überkommene Rede vom unbewegten Beweger tunlichst vermeidet und statt dessen Ausdrücke wie „das Unbewegte, was bewegt" oder „das Prinzip des Unbewegten" wählt 26 . Er will so den Unterschied zu seinem Gott fixieren. Es handelt sich da für ihn um den Abstand, der „das Absolute" vom absoluten Geist trennt. Das stimmt mit seiner Auffassung überein, das Griechentum überhaupt sei nicht bis zum Geist, sondern nur bis zur Idee gekommen27. Der andere Gott offenbart sich aber auch in einer anderen Welt. Wie anders Hegel im Vergleich mit Aristoteles die Totalität des Wirklichen faßt, dessen Göttlichkeit nach wie vor darzutun ist, läßt er durchblicken, wenn er im Gedanken an die uralten Bemühungen um den Nachweis der Göttlichkeit der Natur sagt, es müsse „endlich an der Zeit sein, auch diese reiche Produktion der schöpferischen Vernunft zu begreifen, weichte die Weltgeschichte ist" 28 . An die Stelle des Naturkosmos tritt die geschichtliche Wirklichkeit. Dabei gehört beides — die Personalität des Gottes und die Geschichtlichkeit der göttlich durchwalteten Welt — im Verständnis Hegels zusammen. Im übrigen wird uns aufgehen, daß beides auch beides hervortreibt: die Revision der Ersten Philosophie, deren ontologische Bestimmung Hegel vollends in Theologie auflöst, nicht weniger als die korrelative Umformung der theoria, die ihn zunächst als die Form jener Philosophie interessiert. Doch das ist ein Vorgriff auf Hegel-Interpretationen, zu denen wir noch längst nicht gerüstet sind. Zunächst sollten wir Hegel, ohne über ihn selber zu sprechen, nur insoweit im Auge behalten, als wir uns auf die Form konzentrieren, die er nach unserer These mehr als den Inhalt Aristotelischen Denkens ins „absolute Wissen" zu integrieren versucht. Schauen wir näher hin, so werden wir gewahr, daß die hiermit gestellte Aufgabe, die wir anfangs als eine einzige betrachtet haben, faktisch in zwei A u f gaben zerfällt. Die im Menschen sich auf ihren göttlichen Grund zurückwendende theoria nämlich, die Hegel zum Zwecke einer indirekten Mitteilung über die Form seiner eigenen Philosophie herbeizitiert, hat er nicht als Lebenshaltung vor sich, sondern als das, was er nach herkömm28
"
28
S W X V I I I 326—332. Vgl. Gadamer (29), S. 177, 183. Obwohl Gadamer zu dem von unserer Sidit abweichenden Sdiluß kommt, daß Hegel zum „großen Beginn" der Metaphysik zurückkehre (S. 199), relativiert doch auch er den Aristotelismus Hegels, und z w a r mit dem Hinweis auf dessen Votum für die Platonische Dialektik und gegen die Aristotelische „Degradation der Dialektik zu einem bloßen vorbereitenden Hilfsmittel" (S. 174). Ph. Wg. I 48 (Ms.) — SW X I 42.
Reine Theorie und Archäologie
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lichem Sprachgebrauch, aber durchaus in Übereinstimmung mit der Sache „Metaphysik" nennt29. Nun ist die als Metaphysik bezeichnete „Erste Philosophie" nicht nur Theorie, sondern auch Wissenschaft, eben die höchste und würdigste unter den „theoretischen Wissenschaften", zu denen außerdem, weil auch sie mit dem Unwandelbaren oder wenigstens mit dem sich aus sich selbst Bewegenden zu tun haben, Mathematik und Physik gehören. Demnach können wir uns nicht damit begnügen, die Form zu untersuchen, welche die Metaphysik als Theorie hat. Wir müssen darüber hinaus vielmehr auch diejenige Form analysieren, die der Metaphysik eignet, sofern sie Wissenschaft ist. Der ihr als Wissenschaft zugehörigen Form nach bietet sich Aristotelische Metaphysik als eine Art „Archäologie" dar80. Sie ist die „theoretische Wissenschaft von den ersten Gründen und Ursachen" 31 . Gründe und Ursachen erforscht allerdings nicht nur die Metaphysik, sondern jede theoretische Wissenschaft, und nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische oder poietische Wissenschaft32. Die archäologische Ausrichtung 89
30
S1
32
Unbegründet mag die Behauptung Reiners sein, daß bereits Aristoteles selber oder Eudemos der heute so genannten Sammlung den Titel „Metaphysik" gegeben habe. Aber überzeugend ist seine von dieser Behauptung unabhängige These, der zufolge die Bezeichnung τά μετά τά φυσικά sich an der Aristotelischen Unterscheidung zwischen dem sachlich und dem für uns Früheren (πρότερον φύσει — πρότερον πρός ήμδς) ausrichtet. „Metaphysik" besagt danach, daß das so Betitelte in der Ordnung des Erkennens (τάξις πρός ήμδς) „nach" der Physik gerade darum kommt, weil es in der Sache „ v o r " ihr rangiert. Der Titel meint also dasselbe wie der Begriff πρώτη φιλοσοφία. Theophrast nennt die Metaphysik denn auch, was die folgenden Erörterungen über den Zusammenhang von Theorie- und Wissenschaftsform unterstützt, ή ύπέρ [ = περί] τών πρώτων θεωρία. Vgl. Reiner (117) und (116), bes. S. 144—149. Der hier verwendete Begriff der Archäologie und der später einzuführende Begriff der Eschatologie lehnen sich an eine Unterscheidung M a x Müllers (106, bes. S. 23 bis 28) an. Als eschatologisch bezeichnet Müller die formale Struktur der in die Zukunft vorgehenden Heilserwartung des „religiösen Offenbarungsglaubens", als archäologisch die „formal" oder „morphologisch" zu reflektierende Beschaffenheit des transzendental-ontologischen Rückstiegs der Philosophie „in die immerwährende Vergangenheit". Nach seiner Auffassung ist Philosophie schlechthin nur als eine derartige, von der Eschatologie strukturell unterschiedene Archäologie denkbar. Die Einheit dieser Bewegungsrichtungen existiert für ihn ausschließlich in der Existenz des konkreten Menschen, der seine Menschlichkeit nur dann verwirklicht, wenn er weder bloß Glaubender noch bloß Philosophierender ist, sondern beides, die Heilsfrage und die Ursprungsfrage, stellt. Demgegenüber verfolgt die vorliegende Untersuchung, die im übrigen von den Reflexionen Müllers stark beeinflußt ist, das Ziel, das Hegeische Denken als ein solches zu erweisen, das die Einheit von Archäologie und Eschatologie auch philosophisch realisiert. Met. I, 2. 982 b 7 — 1 0 : έξ απάντων ουν τών ε'ιρημένων έπΐ την αυτήν έπιστήμην πίπτει τό ζητοΰμενον δνομα - δει γάρ ταύτην τών πρώτων άρχών καΐ αίτιων είναι θεωρητικήν. Met. V I , 1. 1025 b 3 — 7 ·
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
ist also nicht das auszeichnende Merkmal der Metaphysik. Ja, in ihr liegt, so scheint es, nicht einmal das spezifisch Theoretische der theoretischen Wissenschaft. Vielmehr kennzeichnet sie die jetzt zunächst erfragte Wissenschaftlichkeit der Wissenschaft überhaupt. Indessen beansprucht allein die Metaphysik, die ersten Gründe und Ursachen freizulegen. Die ersten Gründe sind aber die gründlichsten, das eigentlich und schlechthin Gründende. Folglich hat Metaphysik als die einzige wirklich radikale Archäologie zu gelten, als diejenige, die den vielen Gründen selber auf den Grund geht, und sofern sie unter den theoretischen Wissenschaften eine bevorzugte Stellung einnimmt, ist es auch in der Sache begründet, daß in ihrer Definition die „theoretische Wissenschaft" und die „Wissenschaft von den ersten Gründen und Ursachen" eine enge Verbindung eingehen. Da die Wissenschaft im ganzen archäologisch ist und sich in der theoretischen Wissenschaft vollendet, welche ihrerseits auf Metaphysik hindrängt, gehören auf dem Boden der Wissenschaftlichkeit Theorie, vornehmlich metaphysische Theorie, und Archäologie ursprünglich zusammen. In radikal archäologischer Sicht erscheint nun jeder Gegenstand, sofern er Gegenstand der Metaphysik ist. Es gibt nicht einerseits den Gott und den göttlich durchwalteten Kosmos, das Seiende als solches oder in seinem wahrhaften Sein (ουσία)33, und andererseits noch, davon getrennt, die ersten Gründe und Ursachen. Diese vereinigen sich für die Erste Philosophie oder die Philosophie vom Ersten keineswegs zu einem selbständigen Gegenstand, der mit den andern in Konkurrenz träte. Es sind vielmehr der Gott und das göttliche Ganze, das Seiende als solches selber, die in metaphysischer Einstellung als erste Gründe und Ursachen begegnen. In Gott erblickt nicht erst das Mittelalter, sondern schon Aristoteles, sofern er ihn als das unbewegte Bewegende und als Ziel von allem begreift, die causa prima, und er kann sich sogar darauf berufen, daß die Menschen sich ausnahmslos über die gründende und verursachende Macht Gottes einig sind84. Desgleichen verfährt Metaphysik als „Ontologie" archäologisch. Wenn sie über das Seiende in seiner Seiendheit theoretisiert, so will sie dessen Gründe und Ursachen ausfindig machen85. Schlechterdings gründend zu sein, ist also die durchgehende Bestimmtheit des metaphysischen Gegenstandes, die er erst durch die metaphysische Theorie erlangt. Die theoretische Wissenschaft selbst ist es, die dem Seienden im 33 34 35
Zu dieser Grundbedeutung von ουσία vgl. S. Mansion (87), S. 116. Met. I, 2. 983 a 8—9: δ τε γαρ θεός δοκεϊ των αίτιων πδσιν είναι και αρχή τις. Met. XII, 1. 1069 a 18—19: Περί της ουσίας ή θεωρία· των γαρ ουσιών αί άρχαί καΐ τά αίτια ζητούνται.
Reine Theorie und Archäologie
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ganzen ein „archaisches" Aussehen verleiht. Unter ihrem Blick verwandelt sich alles, was ist, in Grund oder Gegründetes36. In der Metaphysik aber vollendet sich die theoretische Wissenschaft, weil sich in ihr diese Sicht aufs äußerste verschärft. Was immer sie schaut, zeigt sich ihr im Licht der ersten Gründe, des radikal Archaischen, und so ist sie in sämtlichen Forschungsrichtungen radikale Archäologie. Nach der formalen Betrachtung des Gegenstandes theoretischer Wissenschaft wollen wir nun in derselben „morphologischen" Einstellung deren Akt, das wissenschaftliche θεωρείν selber ins Auge fassen. Die maßgeblichen Aussagen hierüber finden sich im i. Buch der Metaphysik und im 10. Buch der Nikomacbischen Ethik. In der Metaphysik meint Aristoteles von der dort „gesuchten Wissenschaft", nur sie werde „um ihrer selbst willen" betrieben87. Wer Metaphysik treibt, ist auf keinen Gewinn aus, der seinem Tun äußerlich wäre. Nach metaphysischer Erkenntnis streben wir nicht wegen irgendeines fremden Nutzens 38 . Ja, nicht nur im Hinblick auf etwas anderes, auch in sich selbst ist metaphysische Erkenntnis „nutzlos" 39 . Eben auf ihrer Nutzlosigkeit aber beruht ihre Freiheit. Denn frei ist, was um seiner selbst und nicht um eines anderen willen existiert. So müssen wir sagen, daß von allen Wissenschaften allein die Metaphysik frei ist40. Diese Schlußfolgerung deckt sich völlig mit den Konsequenzen, die in der Nikomacbischen Ethik aus der Beschreibung des theoretischen Aktes gezogen werden. Auch da steht das Motiv des Selbstzwecks im Vordergrund. Wir theoretisieren einzig deshalb, weil wir theoretisieren wollen, und lieben diese Tätigkeit ausschließlich ihrer selbst wegen41. Da die ganze Ethik auf dem Begriff des „Zwecks" (τέλος) aufbaut, kann sie mit dessen Hilfe den negativen Aspekt des δι' αυτήν oder αυτής ενεκεν sogar noch schärfer umreißen, als das die Metaphysik tat. Nach ihrer fundamentalen These gehört es zur Wesensverfassung des theoretischen Aktes, „keinen anderen Zweck als sich selbst zu verfolgen" 42 . Aufschlußreich ist dabei vor allem das Wörtchen παρά. Es gibt schlechterdings nichts „neben" der ®e Phys. III, 4. 203 b 6: άπαντα γάρ ή άρχή ή έξ άρχής. 37 Met. I, 2. 982 b 27—28: μόνη γάρ αΰτη αύτής ένεκεν έστιν. 38 Met. I, 2. 982 b 24—25: δήλον ουν ώς δι" ούδεμίαν αυτήν ζητοΰμεν χρείαν έτέραν. " Met. I, 1.981b 19—20: μή πρός χρήσιν. 40 Met. I, 2. 982 b 25—27: ώσπερ δν&ρωπος, φαμέν, έλεύθερος ό αίιτοϋ ϊνεκα και μή άλλου ών, οΰτω καΐ αυτήν ώς μόνην έλευθέραν οΰσαν τών έπιστημών. 41 Eth. Nie. Χ, 7- 1177 b ι : μόνη δι' αυτήν. 4! Eth. Nie. Χ, 7· ιι77 b 20 '· παρ' αύτήν οΰδενός έφ'ιεσΰαι τέλους. 22
Theunissen, Hegel
Konstruktion des Philosophiebegriffs
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Schau, woran der Schauende interessiert wäre; sie hat kein „außerhalb" ihrer selbst befindliches Ziel. Von hier aus muß man zu begreifen versuchen, daß Aristoteles die Theorie einmal unter die praktischen Tätigkeiten subsumieren und dann doch wieder von der Praxis unterscheiden kann. Zu Beginn der Nikomachischen Ethik setzt er praxis so weit an, daß sie sich schließlich auf das Ganze des menschlichen Daseinsvollzugs erstreckt. Dieser Begriff umfaßt, wie unmittelbar einleuchtet, sämtliche Tätigkeiten des Menschen, auch die poietischen und die theoretischen. Die Einsicht aber, daß Theorie keinen von ihr verschiedenen Zweck hat, führt zur Differenzierung des Praxisbegriffs in eine weite und eine enge Bedeutung. Denn mit Ausnahme der Theorie sind durchaus alle menschlichen Tätigkeiten auf etwas „außer" ihnen (παρά) ausgespannt. Das gilt zunächst für die weder theoretischen noch poietischen „Handlungen", die durch den Kontrast gegen den Selbstzweck der Theorie zur Praxis nicht nur im engen, sondern audi im strengen Sinne werden. Während aus der Theorie nichts herausspringt, was „neben" das Theoretisieren selber gestellt werden dürfte, erstreben wir in der Handlung, der eigentlich so zu nennenden Praxis, sehr wohl ein ihr transzendentes Ziel43. Auf dem Boden der ihnen gemeinsamen Zweckdienlichkeit hebt sich von solcher Handlung die Herstellung (ποίησις) dadurch ab, daß ihr Ziel nicht nur jenseits ihres jeweiligen Vollzuges, sondern auch außerhalb des menschlichen Daseinsvollzugs überhaupt liegt. Das Herzustellende fällt als dingliches Werk (έργον) aus dem selber energetischen Gesamtzusammenhang der von einem Menschen in seinem Leben ausgeübten Tätigkeiten (ένέργειαι) heraus. Demgegenüber zweckt die Handlung zwar nicht auf sich selbst ab, jedoch auch auf eine Tätigkeit und am Ende auf das Glücken des Daseins im ganzen. Die Extreme sind also Theorie und „Poesie", während Praxis, wiewohl grundsätzlich vom selben Schlage wie die letztere, in gewisser Hinsicht doch auch die Mitte darstellt und auf Grund ihres weiten Begriffs sogar eine Vermittlungsfunktion besitzt. In einem Punkte nämlich haben Theorie und weitgefaßte Praxis eine Ähnlichkeit, die mehr beinhaltet als bloß den formalen Umstand, daß jene unter diese subsumiert werden kann. Beide sind Stätten des Glücks (ευδαιμονία). Als einem Schauenden wird dem Menschen nach Aristoteles in einem einzigen A k t zuteil, was er sonst nur im Ganzen seines Daseins realisiert (oder auch nicht): eben die Eudaimonie. 4S
Eth. N i e . X , 7 . 1 1 7 7 b 2 — 4 : οΰδέν γαρ άπ' α υ τ ή ς γίνεται παρά τό θεωρήσαι, άπό δέ τ ώ ν πρακτικών ή π λ ε ΐ ο ν η 'ελαττον περιποιούμεΰα παρά την πραξιν. V g l . Düring (21), S.453·
Reine Theorie und Ardiäologie
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Aus dem Vergleich von eigentlicher Praxis und Poiesis ergeben sich wichtige Hinweise auf das Verständnis des παρά, das den praktischen und den poietischen Tätigkeiten in je anderer Weise anhängt, der Theorie hingegen zu ihrem Glück abgeht. Allem voran ist festzuhalten, was die Negation des παρά nicht bedeutet. Sie will keineswegs besagen, daß es dem Schauenden in der Abstraktion vom Geschauten allein um das Schauen selber ginge. D a ß der A k t der Theorie nichts als sich selbst intendiert, macht ihn nicht auch zu seinem eigenen Gegenstand. Denn Zweck und Gegenstand sind klar auseinanderzuhalten. Die Theorie des Menschen hat, im Unterschied allerdings zu derjenigen Gottes, so gut wie Praxis und Poiesis einen von ihr verschiedenen und insofern „außerhalb" ihrer selbst befindlichen Gegenstand. Noch mehr: Der Schauende würde kaum alles um sich her vergessen, wäre er nicht viel tiefer als der Handelnde oder Herstellende in den Anblick des Gegenstandes versunken. Indem der Handelnde und der Herstellende einem bestimmten Ziel nachjagen, sind sie gerade auch unfähig, bei ihrem Gegenstand zu verweilen. Der Schauende hingegen ist kein Nabelbeschauer, sondern gebannt von der „Sadie selbst"; und das Interesse, das ihm die Sache selbst abverlangt, ist der Grund seiner Interesselosigkeit gegenüber allen Zweckbestimmungen, denen sie im Handeln und Herstellen unterworfen wird. Deshalb kann Aristoteles sagen, die praktischen und poietischen Wissenschaften seien durch den Vorsatz des Menschen motiviert, die theoretische Wissenschaft aber durch den Gegenstand 44 . Die Negation des παρά soll demnach zu verstehen geben, daß der Schauende nach nichts trachtet, was dem Geschauten durch eine andere Tätigkeit, sei sie praktischer oder poietischer Art, angetan werden könnte. Das seiner eigenen Tätigkeit äußerliche und darum abgeschattete Telos ist in der Wurzel jede Tätigkeit, durch die etwas praktisch vermittelt oder poietisdi verändert würde. Anders ausgedrückt: Im Hinsehen auf ihren Gegenstand sieht Theorie ab von praktischer oder poietischer Verwirklichung. Sie ist dem Funktionszusammenhang des menschlichen Daseins entnommen, in welchem sonst jede Tätigkeit umwillen einer anderen geschieht. Die Glückseligkeit der Vernunft, des theoretischen Vermögens, ist — so formuliert Aristoteles diesen Tatbestand im Vorgriff auf das „Absolute" — „abgesondert" 45 vom Glück der lang in die Zeit sich erstreckenden Selbstverwirklidiung menschlichen Daseins. Ja, die „voll-
44 45
22*
Ritter (119), S. 34. Eth. Nie. X , 8 . 1 1 7 8 a 22: κεχωρισμένη.
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
kommene Glückseligkeit" der Theorie 46 liegt in deren Abgesondertheit selber. Dieser Begriff der Abgeschiedenheit, der Losgelöstheit des -θεωρεΐν von allen Tätigkeiten praktischer oder poietischer Art, sagt von der Theorie dasselbe aus wie der Freiheitsbegriff des i . Buchs der Metaphysik. Nur wendet die Nikomachische Ethik, was die Metaphysik negativ bestimmt, ins Positive. Die Nutzlosigkeit, in welche die Freiheit dort gesetzt wird, enthüllt sich hier als die spezifische Würde der Theorie; gerade weil sie nutzlos ist, hat Theorie ihren Wert in sich selbst47. Auf die negative Charakteristik scheint sich das moderne Bewußtsein berufen zu können, wenn es Metaphysik als „bloße" Theorie abtut. Gleichermaßen dirigiert die positive Beschreibung noch unsere meist weniger geringschätzige, bisweilen vielleicht sogar achtungsvolle Rede von „reiner" Theorie. Indessen lokalisiert Aristoteles die Negation, als Negation von Negativem, auf dem Boden seines grundsätzlich affirmativen Konzepts. Theorie in seinem Sinne dürfen wir mithin wirklich als reine bezeichnen. Sie ist reine, d. h. vor allem anderen: von Praxis absehende Theorie. Um dem Begriff der Philosophie Hegels auf die Spur zu kommen, müssen wir nach der Beziehung zwischen solcher Reinheit und der archäologischen Verfassung theoretischer Wissenschaft fragen. Zuvor jedoch ist ein Einwand zu entkräften, der möglicherweise bereits gegen eine derartige Problemstellung erhoben wird. Man könnte deren Rechtmäßigkeit mit dem Argument anzweifeln, daß Aristoteles die Reinheit und die archäologische Tendenz von Verschiedenem prädiziert. Verhielte es sich so, dann wäre unsere Frage in der Tat unberechtigt. Indessen hat der Einwand nur einen Schein von Wahrheit für sich. Wohl macht die Suche nach den Gründen nicht das speziell Theoretische, sondern das Wissenschaftliche der theoretischen Wissenschaft aus, und wohl kennzeichnet die Zweckentbundenheit die Theorie schlechthin und nicht bloß die zur Wissenschaft ausgebildete. Aber wir haben doch schon festgestellt, daß die Suche nach den Gründen um so gründlicher wird, je wissenschaftlicher die Wissenschaft wird. Da die theoretischen Wissenschaften einen höheren Rang haben als die praktischen oder poietischen und unter ihnen selbst wiederum die Metaphysik am höchsten steht, ist diese auch die einzig radikale Archäologie. In genauer Parallele vollendet sich desgleichen die Reinheit des theoretischen Aktes, sofern er überhaupt wissenschaftlich qualifiziert ist, in der Metaphysik. Es ist wahr: Die Nikomachische Ethik beschäftigt sich nicht mit dem System der theoretischen Wissenschaften, ** Eth. Nie. X , 7 . 1 1 7 7 a 17: ή τελεία ευδαιμονία. 47 Eth. Nie. Χ , 8. 1178 b 31: αδτη γαρ καθ' αύτήν τιμία.
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sondern mit theoria als Lebenshaltung, mit dem bios tbeoretikos. Ihr Thema ist der im menschlichen Leben verwurzelte Akt, die „theoretische Tätigkeit" (ένέργεια θεωρητική). Verwurzelt aber ist diese Tätigkeit im Leben des Philosophen, und zwar des Philosophen im Aristotelischen Verstände, also desjenigen, der zuhöchst und zuletzt „Metaphysiker" ist48. Wenn mithin auch nicht die Gesamtheit der theoretischen Wissenschaften thematisch ist, so doch die vollkommenste von ihnen, und wenn diese auch nicht nach ihren Gegenständen, so doch nach ihrem Vollzug. Im ersten der Bücher, die von ihr selbst und ihren Gegenständen handeln, überträgt dann Aristoteles auf sie, was er über das Leben in der theoria ausgemacht hat. Danadi ist sie aber keineswegs bloß eine „zwecklose" Wissenschaft unter anderen. Vielmehr soll sie allein von allen Wissenschaften „um ihrer selbst willen" betrieben werden. Das stimmt damit überein, daß nur sie und keine andere Wissenschaft das „Seiende als solches" untersuchen soll. Daß der Theorie Treibende das Seiende im Absehen von praktischer und poietischer Verwirklichung um des Seienden selbst willen anblickt, heißt eben: Er sieht es als solches oder in dem, was es an ihm selbst ist, statt es im Horizont seiner Nützlichkeit und damit als das aufzufassen, was es für anderes sein mag. Das Seiende als solches — das ist der von sämtlichen Fremdbezügen losgelöste Gegenstand, und sein Selbstsein, das in dieser Losgelöstheit hervortritt, entspricht genau dem Abgesondertsein des Aktes, der ihn zur Gegebenheit bringt. Mithin ist diejenige Wissenschaft, die nach dem Seienden als solchem forscht, nicht bloß die radikalste Ardiäologie, sondern auch die reinste, von Praxis am konsequentesten absehende Theorie. Nur sie, die Metaphysik, bildet aber die Folie, von welcher sich der Begriff Hegelscher Philosophie abheben soll. Wichtig ist für uns darum allein die Tatsache, daß in der Aristotelischen Metaphysik die größtmögliche Radikalisierung des archäologischen Grundzugs der Wissenschaft und die absolute Vollendung des Selbstzweckcharakters der Theorie zusammentreffen. Dieses Zusammentreffen legitimiert nicht nur, sondern fordert geradezu die Frage nach dem umgreifenden Sinn, der Ardiäologie und reine Theorie verbindet. Die Verbindung wird sichtbar, wenn wir auf den temporalen Aspekt aditen. Im Absehen von praktischer Verwirklichung ist reine Theorie unbekümmert um Zukunft. Hat sie keinen anderen Zweck als sich selbst, so hat sie auch keine Zukunft. Denn da die Zwecke, von denen sie absieht, künftig zu realisieren wären, kann sie von ihnen nur dadurch absehen, 48
V g l . zu diesem Gebrauch des Titels ό φιλόσοφος A . Mansion (86), S. 3 2 2 ff.
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
daß sie den ganzen Zukunftshorizont abblendet. Das bedeutet positiv: Sie läßt sich an der Gegenwart genügen. Diese Genügsamkeit entspringt freilich keinem Verzicht auf Fehlendes; ist sie doch die Selbstgenügsamkeit eines schlechthin in sich befriedigten Zustands. Sie aber muß, wie jede Bestimmung des theoretischen Aktes, von dessen Gegenstand selber motiviert sein. Mithin haben wir die der reinen Theorie sich darbietende Gegenwart als eine ihrerseits selbstgenügsame zu verstehen. In der Tat leitet Aristoteles ja die Autarkie des Schauens aus der des Geschauten ab. Es ist der durch vollkommene Autarkie ausgezeichnete Gott, der schon dem lebensweltlichen, vorwissensdiaftlichen Schauen des Gegenwärtigen volle Befriedigung verschafft, und der selbstgenügsame Gott begründet dann audi die Selbstgenügsamkeit der Metaphysik als theologischer Wissenschaft. Desgleichen würde die Welt, welche die tbeoria nach der philosophischen Theologie der Griechen in eins mit dem Gott zu sehen bekommt, kaum vom Glanz des Göttlichen umgeben sein, wäre nicht audi ihre Gegenwart die ewige, der nichts mangelt. Sie ist der vom Wechsel menschlicher Geschichte unberührte Kosmos, der als solcher schon in Ordnung ist und nicht erst vom Menschen in Ordnung gebracht werden muß. Damit ist bereits das Entscheidende gesagt: Selbstgenügsam ist die Gegenwart all dessen, was reine Theorie erschaut, sofern sie selber zukunftslos ist. Ihre Autarkie verleugnet den Ausstand von Zukunft. Und erst dies, daß sie selber keine Zukunft benötigt, befreit die reine Theorie von der Notwendigkeit, sich um die Verwirklichung noch ausstehender Dinge zu sorgen. Das Absehen von Zukunft findet aber seine Entsprechung im Hinsehen auf Herkunft. Herkunftsforschung ist die archäologisch ausgerichtete Wissenschaft. In solcher Ausrichtung richtet sie sich rückwärts. Die Suche nach Gründen und Ursachen geht in die Vergangenheit. Als Form von Wissenschaft überhaupt hat „Archäologie" mit der Einzelwissenschaft gleichen Namens wenigstens diesen Bezug zur Vergangenheit gemein; der Begriff bezeichnet die regressive Methode, die vom Vorliegenden aus und auf dessen Wurzeln zurückgeht. Wo es sich allerdings um die onto-theologische Metaphysik handelt, da hat die Vergangenheit selber einen ontologischen Sinn. Die ontologisch qualifizierte Vergangenheit, die man wegen ihrer Nähe zur Anwesenheit mit Heidegger „Gewesenheit" nennen könnte, ist einerseits die älteste, die der ersten Gründe, und andererseits die allzeit gegenwärtige. Sie ist die Vergangenheit des frühesten Ursprungs, der aber das Entsprungene nicht aus sich entläßt, sondern immer in ihm anwesend bleibt. Das Wort αρχή verweist in seiner metaphysischen
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Doppelbedeutung von „Anfang" und „Prinzip" auf beides zusammen: auf die Frühe und die Gegenwärtigkeit des ontologisch Vergangenen; die Gründe, welche die Metaphysik aufzudecken versucht, liegen als erste dem Seienden auch bis zuletzt zugrunde. Sie begründen das Seiende in seinem Sein und lassen es als das, was es ist, ursprünglich und ständig aus sich hervorgehen. Sofern der in die älteste Vergangenheit zurückreichende Grund, den radikale Archäologie freilegt, zugleich Gegenwart ist, trifft er sich mit der Sache, in die sich reine Theorie versenkt. Mit der Gegenwart der Vergangenheit ist auch die Vergangenheit der Gegenwart gesetzt, und diese wiederum bedeutet Zukunftslosigkeit. Daß reine Theorie Gegenwärtiges nicht auf Zukunft hin überschreitet, drückt man nur mit anderen, affirmativen Worten aus, wenn man sagt: Sie erblickt es im Horizont seiner Vergangenheit. Ihre Schau kann mit ihrer Ausbildung zur Wissenschaft explizit Rückschau werden, weil sie von Hause aus keine Vorschau ist. Überspitzt formuliert: Sie kann mit ihrer Verwissenschaftlichung ausgesprochen „reaktionär" werden, weil sie im Festhalten von Gegenwart und im Fernhalten von Zukunft immer schon „konservativ" war. Ihre angestammt konservative Tendenz drängt sie dazu, sich in der regressiven Einstellung theoretischer Wissenschaft zu etablieren, deren Vollendung sie faktisch bereits im bios theoretikos vorweggenommen hat. Umgekehrt kommt Wissenschaft nur in der theoretischen zu sich selbst, weil ihre Rückschau das Gegenwärtige erst dann als beständig Bestehendes erfaßt, wenn sie von keiner Vorschau beirrt wird. Praktische und poietische Wissenschaften erfüllen ihren Begriff insofern noch nicht, als Rückschau und Vorschau einander beeinträchtigen. Der Satz, daß die vollkommen theoretische Wissenschaft, die Metaphysik, als Wissenschaft unbeeinträchtigte Rückschau sein kann, weil sie als reine Theorie keine Vorschau ist, läßt sich auch umkehren: Sie ist keine Vorschau, weil sie sich in der Rücksdiau erschöpft. Es liegt nicht viel daran, ob man die radikal archäologische Sicht der Aristotelischen Metaphysik aus deren rein theoretischer Verfassung oder diese aus jener ableitet. Denn in Wirklichkeit besteht hier gar kein einseitiges, sondern ein gegenseitiges Begründungsverhältnis. Richtiger noch: Zwischen radikaler Archäologie und reiner Theorie herrscht Gleichursprünglichkeit, und zwar in dem Sinne, daß sie sich dem gleichen Ursprung verdanken. Das Eine, das sie aufeinander verweist, ist die Erfahrung der Selbstgenügsamkeit des Gottes und der göttlich durchwalteten Welt. Es ist die Erfahrung, daß mit dem Gott auch die Welt, als wohlgeordneter Kosmos, schon so ist, wie
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sie sein soll. Daß das Philosophieren aus dieser Erfahrung den Schluß zieht, vollendet nur als reine, von allem praktischen Tun absehende Theorie sein zu können, ist plausibel; gibt es doch in einer fertigen Welt wesentlich nichts mehr zu tun. Sofern reine Theorie, wie wir gesehen haben, aus der Anschauung autarker Gegenwart für sich bereits ihre eigene Autarkie gewinnt, hat sie, um sein zu können, was sie ist, das archäologische Verfahren der Wissenschaft nicht nötig. Aber sie neigt sich von sich aus der Wissenschaft zu, weil diese ihren archäologischen Anlauf in der Reaktion auf dieselbe Erfahrung nimmt. Archäologie konstituiert sich wie reine Theorie als Antwort auf eine Welt, die eine bestehende, nicht noch ausstehende Ordnung zu sein scheint. Denn eine solche Welt weckt nicht das Interesse an ihrer Veränderung, sondern allein das bewundernde „Staunen" 49 und den Wunsch, ihre Entstehung zu begreifen. Sie veranlaßt zu einer Schau, die sie auf ihre Gründe hin durchschaut. So gibt ihre vollendet vorliegende Wirklichkeit Anlaß zur Ausbildung aller Wissenschaften. Insbesondere aber ruft sie die Metaphysik auf den Plan, die „theologische Wissenschaft". Denn sie verlangt nach der Erkundung desjenigen Ursprungs, der ihre Wohlgeordnetheit selber begründet. Als Urheber und Garant bestehender Ordnung ist Gott der erste unter den „ersten Gründen und Ursachen", auf welche die radikale Archäologie der Metaphysik zurückgeht. Die rückwärts gewandte Suche nach den ersten Ursachen ist Wissenschaft „von den Ursachen aus dem Grunde" 50 wohl auch insofern, als die ersten Ursachen jedes einzelnen Dings selber im göttlichen Grund als dem Ursprung des Ganzen wurzeln 51 . Daß die hiermit wohl hinreichend deutlich gewordene Rückwärtsgewandtheit nicht nur die gesamte Metaphysik des Aristoteles, sondern auch schon die Blickrichtung der Platonischen und letztlich der griechischen Metaphysik überhaupt kennzeichnet, ist in unserem Jahrhundert schon oft und in vielfältigen Wendungen ausgesprochen worden. Am nachdrücklichsten aber hat auf diesen Sachverhalt Kierkegaard hin4,1 80 51
Met. I, 2. 982 b 1 2 — 1 3 . Met. I, 3. 983 a 2 4 : των έξ ά ρ χ ή ς αίτιων. Es würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen, wollten wir eingehend begründen, daß und wie Aristotelische Metaphysik audi als Teleologie A r chäologie ist. Hingewiesen sei nur auf die Subsumtion des τέλος unter die άρχαί (Met. I, 3. 983 a 2 6 — 3 2 ) . Schon darin liegt: Soweit Aristotelische Metaphysik mit dem Telos Zukunft in den Blick nimmt, tut sie, w a s nach M a x Müller jegliche Philosophie tut: „auch im Bedenken der Zukunft nimmt sie diese strukturell und d. h. transzendental auf den ermöglichenden Ursprung zurück" (106, S. 2 j ) . Eine genauere Analyse des Problems hätte den ontologisdien Vergangenheitsbezug der Entelediie herauszuarbeiten. V g l . dazu U . Arnold (4), S. 1 4 1 — 2 4 0 .
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gewiesen, ein Denker, der vom Griechentum ebensoviel verstand wie vom Christentum. Was wir am Aristotelischen Begriff des Grundes abgelesen haben, das illustriert Kierkegaard am Platonischen Begriff der Erinnerung (άνάμνησις). Dieses Schlüsselwort der Metaphysik Piatons vergleicht er in jener leichtsinnig-tiefsinnigen Schrift, für die offiziell Constantin Constantius die Verantwortung trägt, mit der modernen „Kategorie" der Wiederholung und in den Vhilosophisdoen Brocken mit der christlichen und darum gleichfalls modernen „Kategorie" des Augenblicks. Wiederholung und Augenblick öffnen sich beide der Zukunft; jene beruht auf der Antizipation des je für mich noch ausstehenden Daseins, das ich nur im Einholen seines Vorentwurfs bewältigen kann, dieser ist die Stätte der Entscheidung für eine Ewigkeit, die, christlich gesehen, nur Zukunft sein kann. Hingegen wendet die Erinnerung sich der Vergangenheit zu. Für die Metaphysik der Anamnese ist meine ewige Seligkeit, wie die Brocken verlauten lassen, „nach rückwärts hin gegeben"52. Ähnlich heißt es schon in der Schrift über die Wiederholung: „Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn woran man sich erinnert, wird in rückwärtiger Richtung wiederholt, während die eigentliche Wiederholung Erinnerung nach vorn ist." 83 Constantin Constantius drückt den Gedanken der Rückwärtsgewandtheit gewiß dunkler, aber auch angemessener aus. Mehr als in den Brocken kommt nämlich in seinen Formulierungen der ontologische Sinn zur Geltung, den die Vergangenheit als Bestimmtheit des Gegenstandes griechischer Metaphysik hat. So in dem Satz: „Wenn die Griechen sagten, alles Erkennen sei Erinnern, dann behaupteten sie, das ganze Dasein, das ist, sei gewesen."64 Wo Erinnerung zur Form wahrer Erkenntnis überhaupt avanciert, da erscheint das erkannte Sein selbst als vergangen. Diese Vergangenheit ragt aber in die Gegenwart hinein; sie bildet den Untergrund des ganzen Daseins, das jetzt ist, und stellt das im erkannten Wesen aufbewahrte Gewesensein des Anwesenden selber dar. Man wird sich fragen müssen, ob Kierkegaard berechtigt war, solch archäologische Seinsauslegung dem Griechentum in allen seinen geistigen Erscheinungen zuzuschreiben. Unzweifelhaft hat er damit jedoch die formale Intention griechischer Metaphysik getroffen. Die Zusammengehörigkeit von radikal archäologischer Forschung und reiner Theorie dokumentiert sich nicht zuletzt in der Gleichzeitigkeit ihres histo52 6S 54
S. Kierkegaard, Samlede Vserker, Bd. I V , S. 183. S. Kierkegaard, Samlede Vaerker, Bd. III, S. 173. S. Kierkegaard, Samlede Vaerker, Bd. III, S. 190.
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rischen Auftretens. Die σοφίη des Xenophanes, Vorbild Aristotelischer Theorie, blüht auf im Gefolge einer Philosophischen Theologie, welche den Gott zum vernünftigen Urgrund der Welt erklärt. Und derselbe Piaton, der die Sache zweck- und damit zukunftsloser Theorie als erster auf den für Aristoteles maßgeblich gewordenen Begriff bringt, findet auch die ersten Worte für die Rückwärtsgewandtheit metaphysischer Erkenntnis.
2. Praktisch werdende Theorie und radikale Eschatologie Bevor wir auf Hegel zurückkommen, müssen wir uns, eben um seinen Begriff von Philosophie konstruieren zu können, die totale Antithese zur griechischen Metaphysik vergegenwärtigen. Deren historischer Gegensatz ist die radikale Eschatologie, die jenseits der Möglichkeit reiner Theorie liegt und, wenn sie in den durch diese Begriffe umgrenzten Geschichtsraum tritt, zwar keine notwendige, aber eine sinnvolle Verbindung mit der unmittelbar auf Praxis abzielenden und sich selbst in Praxis aufhebenden Theorie eingeht. Entsprechen sich auf der einen Seite radikale Archäologie und reine Theorie, so auf der anderen radikale Eschatologie und der Ausschluß der reinen Theorie, der, wie immer sein affirmatives Fundament im Ursprungsbereich definiert werden mag, jedenfalls auf dem Boden nachgriechischen Denkens zur direkten Umsetzung der Theorie in Praxis führt. Von griechischer Metaphysik unterscheidet sich jegliche Eschatologie zunächst einmal grundsätzlich durch ihre geschichtliche Seinsauslegung. Zwar ist audi sie und sie sogar noch mehr an einem Gott orientiert. Aber dieser Gott ist nicht das „unbewegte Bewegende" des Aristoteles, sondern bewegt von der alles umgreifenden Geschichte, die sich im Bund zwischen ihm und dem Menschen ereignet. Damit wird Welt ihrer entscheidenden Bestimmung nach zur geschichtlich-gesellschaftlichen Menschenwelt. Während diese für die metaphysische Anschauung der Griechen in ihrer Zeitlichkeit hinter der ewigen Ideenwelt an Bedeutung geradezu verschwindet und in ihrer Räumlichkeit vom wahren, himmlischen Weltraum unendlich relativiert wird, schließt die universale Reichweite ihrer Geschichtlichkeit in eschatologischer Sicht umgekehrt ein Reich zeitloser Ideen aus und den natürlichen Kosmos in die göttlich-menschliche Bundesgeschichte ein. Sein überhaupt erscheint als reale Geschichte und diese ihrerseits als eine solche, die von Gott gelenkt, aber von den Menschen in ihrer Welt auszutragen ist. Sie ist kein Kreislauf regelmäßig wiederkehrender Äonen, sondern ein Geschehen, das einmal ein endgültiges Ende haben wird. Kennzeich-
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nend für ein eschatologisch ausgerichtetes Bewußtsein ist die Gewißheit dieses endgültigen Endes der Geschichte. Freilich braucht das Ende kein absolutes Novum zu sein. Schon in der Zeit des noch ungetrübten Ursprungs der Eschatologie kann es durchaus als Wiederherstellung des Anfangs, Geschichte mithin als Rückkehr in ihren paradiesischen Ausgangspunkt gelten. Nur hat es stets den Charakter des Heils. Scharf hebt sich solches Heil von dem gegenwärtigen und lang schon bestehenden Unheil ab, in das die Menschen durch die Verletzung ihrer Bündnistreue gestürzt worden sind. Eschatologisch wollen wir, in Übereinstimmung mit dem größten Teil der einschlägigen Literatur, die wiederum bloß formal zu reflektierende Verfassung desjenigen Bewußtseins nennen, das aus der Gott und Welt umgreifenden Geschichte herauswächst und in der ihm wesentlichen Tendenz nach vorn auf das heilvolle Ende dieser Geschichte (τό έ'σχατον) gerichtet ist. Den Begriff der Eschatologie verwenden wir dementsprechend nicht als Titel für ein bestimmtes Lehrstück, sondern als Ausdruck für die darin abzuhandelnde Sache selber: die vortheologische Auslegung der Welt auf ihr geschichtliches Ende hin. Die derart objektiv verstandene Eschatologie soll entweder radikal oder gemäßigt sein. Unter einer radikalen Eschatologie verstehen wir die, welche den totalen Ausstand des Heils annimmt. Radikal ist demnach allein die jüdische Eschatologie. Gemäßigt ist hingegen die christliche, und zwar in allen ihren Erscheinungsweisen. Denn christliche Eschatologie geht davon aus, daß das Heil, obwohl seine vollkommene Realisation noch aussteht, in Christus schon erschienen ist. Mit Christus hat die Erfüllung der Verheißung bereits angefangen. Wer gläubig des Osterereignisses gedenkt, erwartet das Heil nicht mehr bloß von der Zukunft. Vielmehr begegnet es ihm in allen drei Dimensionen der Zeit, als vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges. Nach christlichem Glauben wird der Menschensohn zwar am Ende der Tage kommen, aber als einer, der schon gekommen ist und je heute kommt; seine Wiederkunft ist die „Zukunft des Gekommenen" 1 . Mithin trifft auch die theologische Lehrmeinung der „konsequenten Eschatologie", die in der Nachfolge Albert Schweitzers ausgebildet worden ist2, nicht das radikal eschatologische Bewußtsein in dem hier zugrunde gelegten Sprachgebrauch. Gewiß macht es einen großen Unterschied, ob das von Christus verkündigte Reich Gottes in eins mit dem realen Untergang dieser Welt für die nächste Zukunft erwartet oder zu innerlicher Gegen1 2
Kreck (69), bes. S. 81 ff.; ähnlich schon Stählin ( 1 3 5 ) . Schweitzer ( 1 3 0 ) , bes. S . 7 6 — 1 0 1 ; Werner ( 1 5 2 ) , bes. 3 6 — 7 9 .
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wart spiritualisiert wird; und die Schule Schweitzers deckt einen Tatbestand von unermeßlicher Tragweite auf, wenn sie darauf hinweist, daß erst die Enttäuschung über das Ausbleiben der Parusie bei Paulus und vollends bei Johannes jene Verinnerlichung motiviert habe, welche den Akzent von der Zukunft auf die Gegenwart verlegt. Aber genauso wie Paulus und Johannes sind doch die Synoptiker von der Gewißheit erfüllt, daß das Reich Gottes mit Christus bereits angebrochen ist. Diese mit dem christlichen Glauben identische Gewißheit stiftet eine Einheit, die tiefer reicht als die von der „konsequenten Eschatologie" herausgearbeiteten Differenzen. In ihr ist es auch begründet, daß die Differenzen, wie die neuere Forschung nachgewiesen hat3, sich keineswegs zu einem abstrakten Gegensatz verfestigen; selbst Johannes anerkennt mit der Rede von der Verborgenheit eine gewisse Zukünftigkeit, und umgekehrt sprechen die Synoptiker sogar recht deutlich von der Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes. Dessen totalen Ausstand konnten nur die annehmen, die auf den Messias noch warteten oder ihn in Jesus nicht zu erblicken vermochten, eben die Juden4. Zwar hat sich mit der Christianisierung keineswegs das Ganze des eschatologischen Bewußtseins verändert. Geblieben ist vor allem die Vorstellung vom unverfügbaren Kommen des Reichs Gottes. Nach jüdischer wie nach christlicher Auffassung führt nicht der Mensch das Ende der Geschichte herbei; vielmehr ist es Gott selbst, von dem das Eintreten des Heils abhängt. Aber jüdische Eschatologie unterscheidet sich, wie gesagt, von der christlichen, sofern sie das Heil allein von der Zukunft erwartet und nicht auch als eine in der Gegenwart lebendige Vergangenheit kennt. Für sie ist folglich die Gegenwart in einem Maße Unheil, in dem sie es für den Christen niemals sein kann. Eine durchweg unheilvolle Gegenwart aber lädt nicht zum Verweilen ein. Sie gibt keinen Anlaß zur Selbstbefriedigung durch reine Theorie. Denn wo sie ist, hätte eine Schau selbstgenügsamen Seins keinen Gegenstand. Unfähig, im interesselosen Anschauen des Bestehenden seine Seligkeit zu finden, eilt der vom gegenwärtigen Unheil aufgeschreckte Mensch der Zukunft entgegen, von der er sich das Heil erhofft. Dabei entsprechen A r t und Maß seiner Progressivität der Tiefe der Kluft, die sich ihm zwischen gegenwärtigem Unheil und zukünftigem Heil auftut. Weil keine schon vorliegende Offenbarung des Eschaton diese Kluft überbrückt, wendet sich das ganze Sinnen und Trach3 4
Conzelmann (19). Jepsen (6j), bes. Sp. 656; zum Problem des Ursprungs: Greßmann (37) und Höscher (56).
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ten des Menschen von der unheilvollen Gegenwart ab und der heilversprechenden Zukunft zu. Die Radikalität des ausschließlichen Nach-vornlebens antwortet der Härte des Gegensatzes, über den es hinwegzukommen gilt. Allerdings braucht das Nach-vorn-leben nicht notwendig auf die Umsetzung des radikal eschatologischen Bewußtseins in weltverändernde Handlung hinauszulaufen. Notwendig ist der Aussdiluß reiner Theorie. Daß aber an die Stelle reiner Theorie das Tätigwerden alles Sinnens und Trachtens tritt, ist nur eine, wenn audi die einzig vernünftige Möglichkeit, der faktisch eine andere gegenübersteht. Jüdische Eschatologie ist ja kaum weniger vielfältig als christliche. Die äußersten Extreme, zwischen denen sie sich ausspannt, sind die altjüdische Prophetie und die spätjüdische Apokalyptik. In der apokalyptischen Literatur von ι j o ante bis 100 post Christum natum herrscht eine dem praktischen Engagement sogar entgegengesetzte Tendenz vor. Zwar erreicht gerade hier das Gefühl gegenwärtigen Unheils einen kaum noch übersteigbaren Gipfelpunkt: Nach Esra und dem äthiopischen Henochbuch ist die Gegenwart eine Welt des Übels und der Finsternis5, nach der syrischen Baruchapokalypse so schlimm, daß es besser gewesen wäre, wenn man sie nicht erlebt hätte8. Aber weil die Hoffnung auf ein baldiges Ende der langen Leidenszeit schon so oft enttäuscht worden war, ergab man sich müder Resignation; nicht so sehr die N o t selber als der Verzug ihres Endes erstickte den Willen zum Handeln im Sumpf der Passivität 7 . Ein Anflug von eigener Initiative war allein in der Einsicht zu spüren, daß der Mensch wenigstens durch Buße und gute Werke das Kommen des Heils vorbereiten müsse. Indessen war selbst die Notwendigkeit solcher Umkehr umstritten; um den eschatologischen Glauben nicht zu verunsichern, wollte man den Eintritt des neuen Äons nicht unter Bedingungen menschlichen Tuns stellen8. Der ohnehin vom göttlichen Handeln abhängige Anbruch des messianischen Reichs schien um so gewisser, je mehr das Handeln des Menschen ausgeschaltet blieb. Wie ganz anders demgegenüber die Weissagungen der Propheten! Den wesentlichen Unterschied von Prophetie und Apokalyptik hat am eindringlichsten wohl Martin Buber geschildert9. Der Fatalismus der Apokalyptiker folgt, wie Buber ausführt, aus dem Determinismus ihrer Geschichtsauffassung: Weil Gott das Ende vorherbestimmt hat, kommt es 5 β 7
Esr. 4, 27; 14, 20; Hen. 90, 4 1 ; 108, 11. Bar. io, 6; 11, 7 ; 1 6 , 1 . V o l z (147), S. 6 ff.
8 9
V o l z (147), S. 103 ff. Buber (17), S. 49—74.
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auf die Entscheidungen seiner Kreaturen nicht mehr an. Diesem Determinismus steht auf Seiten der Prophetie die Überzeugung gegenüber, daß die Geschichte trotz ihrer unzweifelhaften Vollendung in einem endgültigen Ende grundsätzlich offen sei. Ihre Offenheit gründet aber in der Angewiesenheit der göttlichen Taten auf das Tun des Menschen. Nie sagen die Propheten voraus, es werde unabwendbar dies oder jenes geschehen, sondern stets machen sie die künftigen Ereignisse abhängig von der Antwort Israels auf den Anruf seines Herrn. Diese Erkenntnis gewinnt im Rahmen unserer Untersuchung größte Bedeutung. Wir haben festgestellt: Im ganzen Judentum wie auch im ganzen Christentum erwartet der Mensch das Eschaton von Gott; Gott ist es, der sein Reich unter den Menschen aufschlägt, nach unerforschlichem Ratschluß und in absoluter Freiheit. Deshalb betont die gesamte jüdische und christliche Eschatologie so stark, daß das Reich Gottes „kommt"; weil es von Gott ausgeht, ist es für den Menschen etwas auf ihn Zukommendes und nicht von ihm Ausgehendes. Damit ist sowohl im Judentum wie im Christentum die Möglichkeit des Quietismus gegeben. Aber weder im Judentum noch im Christentum schließt der Glaube an die Souveränität der göttlichen Heilstat die andere Möglichkeit der aktiven Reichsvorbereitung im weltverändernden Handeln aus. Ausgeschlossen ist bloß die Meinung, der Mensch könne das Eschaton aus eigener Macht herbeizitieren. Nach dem Konzept der ältesten Eschatologie wird jedoch das Heilswirken Gottes mitkonstituiert durch menschliches Handeln. Der Glaube jüdischer Propheten, die von ihnen vermittelte Ankündigung des Willens Jahves wende sich an die freie Entscheidung der Kinder Israels, räumt dieser eine konstitutive Funktion für die Verwirklichung des göttlichen Heilsplans ein10. In genauer spiegelbildlicher Entsprechung zieht die Passivität der Apokalyptiker auch den göttlichen Heilsplan in die Passivität herab 11 . Der Verzicht der Apokalyptiker auf reichsvorbereitendes Handeln läßt so Gott selber als handlungsunfähig erscheinen — denselben Gott, der das sehnlichst erwartete Reich herbeiführen soll. Nichts könnte besser als dies 10
11
Mit Bezug auf Leo Baeck berichtet Taubes (138), S. i j : „In der Einleitung zur Königung Gottes am A n f a n g des Jahres und am Sdiluß eines jeden Gottesdienstes betet die jüdische Gemeinde: ,Wir hoffen, daß wir die Welt verändern werden durdi die Herrschaft des Allmächtigen'". V o l z (147), S. 6: „Der menschliche Faktor, das aktive Handeln ist getilgt. Wie das ganze spätere Judentum redet die Apokalyptik mit Vorliebe in Passiven; hier handelt niemand mehr, sondern es geht wie durch eine Maschine. Es heißt nicht mehr: Gott hört das Schreien, sondern das Schreien kommt vor G o t t ; nicht: der Messias entscheidet über die Völker, sondern: haec supervenient gentibus ab eo (Bar 72 s ); nicht: er richtet gerecht, sondern: gerecht wird vor ihm gerichtet".
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die Wahrheit der Prophetie bezeugen. Gerade die Apokalyptik macht offenbar, daß die heilende Tat Gottes nur dann sein kann, was sie ist, wenn ihr das Tun des Menschen entgegenkommt. Hierin aber liegt der sachliche Vorrang der prophetischen vor der apokalyptischen Möglichkeit. Das Verhältnis von radikaler Eschatologie und entschlossenem Handeln, von endgeschichtlich orientiertem Nach-vorn-leben und heilsgeschichtlich motivierter Weltveränderung erweist sich auch e contrario als eine zwar faktisch nicht notwendige, aber wesensmäßig geforderte Korrelation. Auf sie deutet gleichermaßen die dialektische Zusammengehörigkeit von eschatologischer Aktivität und eschatologischer Passivität. Nur die Wucht des Anspruchs, mit welchem die Erwartung zukünftigen Heils den Menschen zum „rücksichtslosen", alles in sich aufzehrenden Handeln auffordert, vermag die Abgründigkeit des Fatalismus zu erklären, in den die endzeitlich gestimmte Welt versinkt. Solch Fatalismus resigniert vor eben jenem Anspruch und bezeugt so selber dessen Verbindlichkeit. Der Verzicht auf Handeln verrät sich selbst als einen abkünftigen Modus des Handelns. Seiner sachlichen Abkünftigkeit entspricht seine zeitliche. Die trotz ihrer Radikalität defiziente Eschatologie, die den Menschen zum passiven Zuschauer der über ihn hereinbrechenden Katastrophe des Weltuntergangs degradiert, ist ja auch die historisch späte, die im Wesenssinne ursprüngliche Eschatologie hingegen, die den Menschen zum weltverändernden Handeln verpflichtet, die zeitlich anfängliche. Man muß den Gang der Geschichte nicht für einen Verfallsprozeß halten, wenn man aus der Spätzeitlichkeit der Apokalyptik auf deren Wesensmangel schließt. Denn nicht die Späte als solche spricht gegen sie, sondern die Tatsache, daß sie außerjüdische, insbesondere persische Einflüsse, die an den Zeugnissen der alten Eschatologie noch nicht festzustellen sind, in sich aufgenommen hat. Auch das würde sie keineswegs herabsetzen, wäre nicht die einzige, ihrem Begriff angemessene, nämlich heilsgeschichtliche Eschatologie ausschließliches Eigentum Israels und seiner Folgen, so daß in diesem Fall die nationale Reinheit des historisch Anfänglichen zugleich die Echtheit des Sinnes verbürgt. Diejenige Handlung aber, auf die angelegt zu sein die sachliche Ursprünglichkeit der zeitlich anfänglichen Eschatologie ausmacht, ist durchaus auch und sogar vornehmlich politischer Natur. Die mit der allgemeinen Handlungsunfähigkeit verbundene Entpolitisierung der Reichserwartung im Spätjudentum hängt nicht zuletzt auch mit der Weltjenseitigkeit des Reichs zusammen, das eine ebenfalls weltjenseitige, himmlische Gestalt, der Gottessohn, gründen sollte. Je weniger das erhoffte Reich mit
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der Welt zu tun hat, in der wir leben, desto entbehrlicher erscheint ja jede Bemühung, nicht nur uns, sondern audi diese Welt zu bessern, ihre realen ökonomisch-politischen Verhältnisse zu verändern. Die Vorstellung der Weltjenseitigkeit des Gottesreidis zeitigt die Weltabgeschiedenheit des Lebens, durch das allein man sich, wenn überhaupt, auf dieses Reich präpariert. Indessen hatten die Israeliten sie erst aus ihrem persischen Exil mitgebracht; sie stammt offensichtlich aus der zoroastrischen Religion und hat im alten Judentum keine Wurzeln 18 . Das alte Judentum kannte nämlich nur ein irdisches Gottesreich, einen neuen Äon, in welchem der genauso irdische Messias aus dem Hause Davids hier auf Erden ein Regiment des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichten wird. Mit der Weltlichkeit des messianischen Reichs Gottes auf Erden ließ sich nun sehr wohl die Weltlichkeit politischen Handelns vereinbaren. Zwar nährte sich auch das politische, auf reale Weltveränderung abzweckende Handeln der ältesten Wortführer des jüdischen Volkes keineswegs von der Illusion, das Heil selber herbeizwingen zu können, wohl aber entsprang es aus der Einsicht, daß der Boden bereitet werden müsse, auf dem Gott seine Zelte aufschlagen wolle. So schreibt auch Ernst Benz: „Dieses messianische Reich ist ein irdisches Reich, und die Reichserwartung hat demnadi einen ausgesprochen politischen Charakter." 13 Mehr noch: Die Radikalität jüdischer Eschatologie, ihre „rücksichtslose" Vorwärtsgewandtheit, gebar, gleichsam als Mißgeburt, nicht nur die schlimme Radikalität einer späten Resignation, die aus Verzweiflung an der Möglichkeit des Handelns emporstieg, sondern audi die gute des Handelns selber. Das politische Handeln war radikal — das heißt: Es ging auf radikale Weltveränderung aus, es war revolutionär. Daß die Erwartung eines messianischen Reichs auf Erden älter ist als die Ahnung von einem weltjenseitigen Gesdiichtsende, soll übrigens nicht besagen, sie sei von dieser vollständig abgelöst worden. Im späten Judentum besaßen durchaus beide Eschatologien, die ältere und die jüngere, Geltung, wenn auch in verschiedenen Kreisen. Da die Apokalyptik eine Geheimwissenschaft war, die naturgemäß nur wenigen zugänglich sein konnte 14 , hing gerade das Volk auch noch im neutestamentlichen Zeitalter weithin der national gefärbten Vorstellung von einem weltlichen Gottesreich nach. So erklärt es sich, daß die Reichserwartung sich auch noch zur Zeit Jesu immer wieder 11 18 14
23
R. Otto (109), S. 141 ff., 160 ff. Benz (7), S. 1 1 . Funkenstein (28), S. 12. Theunissen, Hegel
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in politische Revolution umzusetzen versuchte15. Wurde doch Jesus selber, ungeachtet seiner eigenen Meinung von sich, als ein sich gegen den herrschenden Staat auflehnender Rebell hingerichtet. J a , in seiner geschichtlichen Umgebung kam das revolutionäre Element in der radikalen Eschatologie des Judentums zu eminenter Wirksamkeit. Der Grund leuchtet unmittelbar ein: „Die Erwartung eines irdischen Messias als des Begründers eines jüdischen Reiches wurde zum stärksten Impuls politischer Revolutionen vor allem gegen die hellenistische und römische Herrschaft." 18 Fremdherrschaft ist zweifellos eine besonders drückende Form des Unheils unserer Welt. Am Vergleich des gegenwärtigen Unheils mit dem verheißenen Heil entzündet sich die nach außen ausbrechende Flamme des radikal weltverändernden, revolutionären Handelns ebenso wie die innerlich verzehrende Glut der Resignation. Daß die Welt, die ewige und sich ewig gleichbleibende, heil und in Ordnung sei, das war die Annahme, die es den Griechen ermöglicht hat, in reiner Theorie „archäologisch" den Gründen solch selbstgenügsamen Seins nachzuforschen. Die Juden aber harren darauf, daß ihr Gott, ein gar nicht selbstgenügsamer, am „Ende der Tage" (Gen. 49,1) „zurechtbringt, was nicht in Ordnung ist" 17 . Nicht in Ordnung ist für sie die ganze gegenwärtige Welt, diese heillose Menschenwelt. Darum haben sie buchstäblich „keine Zeit" zur reinen Theorie. Aber sie finden ihre Befriedigung audi nicht darin, in einer eschatologischen Erwartung, die nur noch nach vorn strebt, jenem Ende entgegenzusehen. Wo sie dem Anspruch ihres Gottes entsprechen, da realisieren sie vielmehr ihr Unheilsbewußtsein in der revolutionären Tat, die zwar kaum die neue Ordnung schafft, aber immerhin mithilft, die alte, unheilvolle zu zerstören und sie als Unordnung zu entlarven. Sobald nun die radikale Eschatologie des Judentums in den geschichtlichen Strom einmündet, dessen Quelle im Land der Griechen und damit im Ursprungsbereich der Begriffe „Theorie" und „Praxis" liegt, erzeugt sie aus ihrem Geiste eine Theorie, die sich in revolutionäre Praxis aufhebt und so zugleich das klassische Reinheitsideal preiszugeben scheint, der15
14 17
Taubes ( 1 3 8 , S. 9 f.) wendet einen weiteren Begriff von „revolutionär" auch auf die A p o k a l y p t i k an. Nach seiner Auffassung könnte man ihr dieses Prädikat nur dann absprechen, wenn man es derjenigen Bewegung vorbehielte, die eine bestehende G e sellschaftsordnung durch eine bessere ersetzen will. Meint der Begriff der Revolution jedoch — und so möchte Taubes ihn definieren — den A k t , weldier der Totalität der Welt eine neue Totalität, d. h. eine schlechthin andere Welt, entgegensetzt, so kennzeichnet er gerade das Wesen der Apokalyptik. Benz (7), S. 1 2 . Jepsen (65), Sp. 658.
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gestalt jedoch, daß sie nicht nur einer von ihr unterschiedenen Praxis dient, sondern auch sich selbst als ein Moment der von ihr beförderten Praxis, der realen Weltveränderung begreift. Es ist freilich in der heutigen Lage weder angebracht noch notwendig, dies an Karl Marx zu demonstrieren. Angebracht erscheint eine Bezugnahme auf Marx darum nicht, weil die seit Jahrzehnten anhaltende Diskussion über dessen „jüdischen Messianismus" heute frei von ideologischen Vorurteilen kaum noch zu führen ist. Wie man weiß, ist die Behauptung des Ursprungs marxianischer Theorie-Praxis aus den Quellen des Judentums am uneingeschränktesten zunächst von Löwith aufgestellt und sodann, vornehmlich in den fünfziger Jahren, von westlicher Seite mit einer nicht unverdächtigen Emsigkeit angereichert worden. Das Vorhaben Löwiths war es, „die Wurzel des Kommunistischen Manifests in dem jüdischen Messianismus und Prophetismus aufzuspüren" 18 und das ganze marxistische Programm einer sich durch Aufhebung verwirklichenden Philosophie in einer „eschatologischen Perspektive" 19 neu sehen zu lehren. Dabei mußten von vornherein drei Tendenzen Argwohn erregen: erstens der Versuch einer „Reduktion" 20 des Marxismus auf eine obendrein noch sehr vage als „biblisch" bezeichnete Eschatologie, zweitens die negative Bewertung, wonach „der kommunistische Glaube eine Pseudomorphose des jüdisch-christlichen Messianismus ist" 21 , und drittens das starke Abheben auf inhaltliche Analogien, etwa zwischen der Ernennung Israels zum auserwählten Volk und dem weltgeschichtlichen Auftrag des Proletariats, zwischen dem letzten Gericht und der Weltrevolution, zwischen der Erbsündenlehre und der Kritik kapitalistischer Ausbeutung, zwischen dem Kampf der Kinder des Lichts mit den Kindern der Finsternis und der Erhebung der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker 22 — Analogien, die als solche nicht weniger bestreitbar als wahrscheinlich sind. Gleichwohl sind gerade sie besonders gern aufgegriffen worden 23 , so wie man freilich gegen sie auch die größten Bedenken angemeldet hat24. Über derlei Bedenken hinaus wendet sich die Opposition der Marxisten grundsätzlich gegen das Motiv, das sie hinter der Theologisierung von Marx genauso wie hinter der gleichzeitig betriebenen Anthropologisierung vermuten, nämlich die an unsere eigene Zeit adressierte Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sich durch ihre Projektion auf die Ebene unverbindlicher Ewig21 Löwith (80), S. 49. Löwith (80), S. 49. 22 Löwith (80), S. 41—48. " Löwith (80), S. 42. 20 Löwith (8o), S. 13. 2S Vgl. u. a. Wendland ( i j i ) , bes. S. 217 ff. 24 In jüngerer Zeit Zeltner (1J3), bes. S. 352—35 j .
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keit vom Leibe zu halten. Man wird einem solchen Ideologieverdacht ein fundamentum in re kaum absprechen können, und es dürfte auch kein Zufall sein, daß ein Theologe wie Helmut Gollwitzer, der als radikaler Sozialist an einer Konservierung des Bestehenden kein Interesse hat, in die Polemik gegen eine „Überanstrengung der Utopie durch den Messianismus" einstimmt25. Mittlerweile ist jedoch die Leugnung der eschatologisdien Komponenten des Marx'schen Denkens, wie strikte Verbote derartiger Auseinandersetzungen in östlichen Ländern dokumentieren, in eine Selbstverschleierung des Marxismus übergegangen. Und die ist um so peinlicher, als vor kurzem Untersuchungen veröffentlicht worden sind, die viel sorgfältiger vorgehen als frühere Publikationen zum selben Thema und an einer Verwurzelung von Marx in der radikalen Eschatologie des Judentums nicht den geringsten Zweifel mehr zulassen2®. Eben deshalb wäre eine erneute Behandlung des Gegenstands im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nur unangebracht, sondern auch unnötig; sie liefe auf eine unfruchtbare Wiederholung von Bekanntem hinaus. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann es uns aber auch nicht darum zu tun sein, auf diesem vielbeackerten Felde Verborgenes zutage zu fördern. Ist doch unsere einzige Absicht die, durch die Erhellung einer formalen Struktur Voraussetzungen für das Verständnis des Hegelschen Philosophiebegriffs zu schaffen. Die Affinität von radikaler Eschatologie und praktisch werdender Theorie wollen wir deswegen an einem Denken studieren, welches beide Momente auf eine so durchsichtige Weise enthält, daß es uns als exemplarisches Modell für einen seiner jüdischen Herkunft bewußt gewordenen Sozialismus überhaupt dienen kann. Exemplarisch in diesem Sinne ist das Denken Ernst Blochs. An ihm sei demonstriert, was sich prinzipiell auch an Walter Benjamin oder Georg Lukacs, ja sogar an Horkheimer, Marcuse und Adorno zeigen ließe27. Da allerdings zwisdien dem jüngeren und dem älteren Bloch gerade hinsichtlich seiner religiösen Haltung, auf die sich unsere Aufmerksamkeit zu konzentrieren hat, wesentliche Unterschiede bestehen, empfiehlt es sich, ss
Gollwitzer (34), bes. S. 5 6 — 1 1 9 .
*· Gedacht ist hier in erster Linie an Massiczek (94). A b e r audi Künzli (72) bringt, ungeachtet seiner problematischen Psychologisierungen, wichtige Informationen. Auch er deckt mehr auf als »pseudoreligiöse M o t i v e " im Sinne von Röhr ( 1 2 1 ) . 17 Entscheidend ist selbstverständlich nicht, daß die Genannten Juden sind. Doch hat Taubes ( 1 3 8 , S. 18 f.) keineswegs bloß facta bruta im Blick, wenn er mit dem H i n weis auf „die N a m e n von Moses Hess, K a r l M a r x , Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg, M a x Adler, Otto Bauer, Eduard Bernstein und Leo T r o t z k i " den erstaunlichen Anteil Israels an der „revolutionären Bewegung" illustriert.
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den Geist der Utopie (endgültige Fassung 1923) einerseits und Das Prinzip Hoffnung (1953—56) sowie das bislang letzte Hauptwerk Atheismus im Christentum (1968) andererseits gesondert zu behandeln. Mit dem Utopiebuch ereignet sich die Heimkehr des revolutionären Juden in das Land seiner Väter. Dabei offenbart sich beides: die jüdische Verfassung des Sozialismus und die sozialistische Tendenz des Judentums. Was diese Tendenz, den „Aufruf zur Revolte"28, betrifft, so hat Bloch sie später, im Prinzip Hoffnung und in der Atheismusabhandlung, noch schärfer herausgearbeitet, insbesondere durch den Hinweis auf die Befreiungstat von Moses, „dem frühesten Führer eines Volkes aus der Knechtschaft"20, durch die Entgegensetzung von kanaanäischem „Herrengott" und israelitischem „Exodusgott", der „bei den Propheten seine Herren- und Opiumfeindschaft bewährt"30, und sodann durch die Auslegung der Propheten selber, die nach Bloch „die ältesten Grundrisse von Sozialutopie" entworfen haben31. Vornehmlich in Atheismus im Christentum erscheint die revolutionäre Unruhe Israels jedoch nur als eine immer wieder unterdrückte, redaktionell vertuschte Gegentendenz gegen den „theokratischen" Grundzug einer volksfeindlichen Priesterreligion, als eine im „revolutionärste(n) Religionsbuch überhaupt"32 bereits faktisch geschehene „Enttheokratisierung", deren Spuren die Methode einer vollends enttheokratisierenden Bibelkritik freizulegen hat. Demgegenüber entdeckt der Geist der Utopie im Alten Testament nodi nicht so sehr in diesem Sinne „ein Doppeltes"33, „ein Zweierlei"34 als vielmehr die eher eindeutige „Erzeugung des Sozialismus"36, und zwar nicht nur des verborgenen älterer Zeiten, sondern auch des expliziten, antibürgerlich-modernen. Vor allem legt Bloch hier, richtunggebend für seine ganze spätere Arbeit, das Fundament frei, auf dem die praktisch werdende Theorie des jüdischen Sozialismus aufruht: die totale Vorwärtsgewandtheit des radikal esdiatologischen Heilswissens, das Rückschau als Selbstzweck ausschließt oder, wo es ihrer bedarf, in die Zukunftsvision integriert. Im jüdischen entdeckt das Utopiebuch den „auf die letzte Stunde hin gerichteten Glauben"36. Die letzte Stunde aber, das Eschaton fixiert es noch — und sein Verfasser will damit nicht nur Jüdisches objekthaft deuten, sondern unablösbar hiervon sich selbst interpretieren — als „metakosmischen Grenzpunkt" 3 '. Das „jüdische Grund» Bloch (13), S. 21. " Bloch (12), Bd. III, S. 3 3 1 . 30 Bloch (12), Bd. III, S. 337. 31 Bloch (12), Bd. II, S. j8. 32 Bloch (13), S. 104.
33 34 35 8e 37
Bloch Bloch Bloch Bloch Bloch
(13), S. 53. (13), S. i n . (9), S. 293. (9), S. 29J. (9), S. 3 58.
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gefühl", das der Geist der Utopie als seine eigene Gestimmtheit wiedererkennt, ist das „Gerichtetsein auf ein noch nicht daseiendes, messianisches Ziel über der Welt" 38 ; und nach der in manchen Zügen eher apokalyptischen als prophetischen Konzeption des Utopiebuchs soll auch der in ihm propagierte, wahrhaft humanistische Sozialismus das Individuum innerlich auf den katastrophalen Augenblick vorbereiten, in dem einst „die Mauern des Körpers, des Weltkörpers fallen" und „die Befestigungen des irdisch eingerichteten Reiches abgebrochen werden" 34 . Das Bekenntnis zur uneingeschränkten Zukunftsbezogenheit jüdischer Reichserwartung setzt dann auch genau die Grenze zwischen dem Ja und dem Nein zu Jesus. Was nämlich dem „marxistischen" Apokalyptiker an der Christologie, als deren repräsentativen Ausdruck er offensichtlich das Evangelium des Lukas betrachtet, unannehmbar erscheint, ist die Vorstellung, Jesus sei als der „absolute Messias" im Geschichtsprozeß die endgültige „Mitte", die den Ausstand des Eschaton durch „irdische Erfüllung" des verheißenen Heils relativiert; „so wichtig, so konstitutiv, so ungeheuer positiv ist schließlich der scheinbar rein negative Glaube an das noch nicht Erschienene"40. Geradezu geliebt hingegen wird Jesus als selber nach vorn weisender „Prophet des Unterwegs", als aufs Ende hin transzendierte und damit vom Schein ihrer Endgültigkeit befreite Mitte; „und das ernsthafte, unbeirrbar apokalyptische Gewissen des Judentums, das den falsch erhobenen, den in die Zeit eingestellten Messias durchaus verwarf, nimmt dergestalt, neuer Zeichen gewiß, den Christusimpuls hoch über aller Gesetzesfreude ins nah entbrannte messianische Bewußtsein" 41 . Wie Bloch selber den „Christusimpuls" in sein messianisches Bewußtsein aufgenommen hat, zeigt beispielhaft seine zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe des Utopiebuchs erschienene Monographie über Münzer, die er als eine „ C o d a " zu diesem Buch verstanden wissen will 42 . Beispielhaft deswegen, weil sie zeigt, wo Bloch das mit jüdischer Reichserwartung vereinbare, das nicht offizielle Christentum sucht: in jenen Gestalten, die selber schon die Endgültigkeit und Abgeschlossenheit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus geleugnet haben, in jenem breiten Traditionsstrom, den kirchlicher Dogmatismus zur Ketzergeschichte abgestempelt hat, im theologisch verdächtigen Chiliasmus und namentlich in den umstürzenden Folgen des Joachim von Fiore, zu denen der Geist der
»8 Bloch (9), S. 289. » Bloch (9), S. 353. 40 Bloch (9), S. 295.
41 42
Bloch (9), S. 296. Bloch (10), Nachbemerkung.
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Utopie, „geführt vom Gewissen des Reichs"43, mit seiner Erwartung einer „parakletisch durchdrungenen Kirche" 44 letztlich selber noch gehört. Den Glauben an den Sozialrevolutionären Auftrag des Messianismus ergänzt die Einsidit in die messianisdien Wurzeln des Sozialrevolutionären Programms. Aus der Erkenntnis, die Philosophie von Karl Marx sei „Nationalökonomie aus verzweifeltem Prophetismus und nur aus Prophetismus" 45 , erwächst zunächst, vorweggenommen in der Schrift über Münzer und in den späten Arbeiten keineswegs zurückgenommen, die Kritik am puren Ökonomismus und daraufhin das Bemühen, Marx „in das Wozu seines Prophetismus einzustellen" 48 . Dieses Bemühen zielt in erster Linie darauf ab, den Marxismus, durch die entideologisierte Wiederherstellung des allzu rasch abgebauten Uberbaus, zu einem Humanismus zu erweitern, der den prophetisch verheißenen Menschen in seiner Ganzheit und gerade auch in der geistig-seelischen Tiefe seines nicht gesellschaftlich bedingten Leidens begreift47. In eins mit dem vollen Humanismus intendiert aber das Utopiebuch noch so etwas wie eine Hegeische Aufhebung des Marx'schen Atheismus, in welchem es den Grund des ökonomistisch verkürzten Menschenbildes ahnt. Dem Atheismus von Marx, der „alles religiös umgehende Telos aus der Geschichte verbannte" und eben deshalb der Mystifizierung des Produktionsprozesses verfiel48, kann der junge Blodi nur als „vorläufiger Arbeitshypothese" 49 zustimmen, und er läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß er das Festhalten an dieser Hypothese für eine unglückliche Konsequenz hält, der er die glückliche Inkonsequenz einer „politischen Mystik" 50 vorzuziehen gedenkt. Was ihn dazu ermutigt, ist, scheinbar paradox, nicht ungebrochene Frömmigkeit, sondern die Erfahrung vom Tod Gottes: Es ist „in diesen Tagen, wo das verzweifelte Abendrot Gottes schon genugsam in allen Dingen steht, ( . . . ) kein besonderes philosophisches Verdienst, wenn der Marxismus atheistisch konsequent bleibt, um der Menschenseele nichts anderes als einen mehr oder minder eudämonistisch eingerichteten ,Himmel' auf Erden ohne die Musik zu geben, die aus diesem mühelos funktionierenden Mechanismus der Ökonomie und des Soziallebens zu ertönen hätte" 51 . Den Schein eines schlechten Paradoxes löst das Bild vom „Abendrot Gottes", das ihn erzeugt, audi wieder auf. Mit dem Abendrot Gottes geht der Tag der Geschichte selber zur Neige. Das Ende aller bisherigen 43 44 45
Bloch (9), S. 354. Bloch (9), S. 353. Bloch (9), S. 325.
46 47 48
Bloch (9), S. 328. Bloch (9), bes. S. 353. Bloch (9), S. 324.
» Bloch (9), S. 326. Bloch (9), S. 329. 51 Bloch (9), S. 327. eo
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Geschichte aber ist es, angesichts dessen das radikal eschatologische Denken, aus dem Gefühl der Endzeitlichkeit ohnehin zur Apokalyptik geworden, getreu seinem Ursprung „Entlastung und Geist, Marxismus und Religion" einen möchte „im Willen zum Reich" 52 . Die Enttäuschung marxistischer Naherwartung mag mitverursacht haben, daß der ausgereifte Bloch das apokalyptische Endzeitbewußtsein verabschiedet hat und daß aus seinen späteren Schriften dem Leser der längere Atem der Prophetie entgegenweht. Aber mehr nodi als dadurch unterscheiden sich diese Schriften vom Frühwerk insofern, als sie die humanistische Vollendung des Marxismus ohne Suspension der atheistischen Hypothese leisten wollen. Zwar kann es in Atheismus im Christentum heißen: „Wo Hoffnung ist, ist auch Religion", aber diese Religion hat nicht mehr den Charakter der Bindung, die Bloch nur noch als „repressive, regressive Rück-Bindung" auslegen kann 58 . Z w a r anerkennt das Prinzip Hoffnung mit der „Utopie in der Religion" auch die „Religion in der Utopie" 54 , aber nur noch als „Erbe"; aus der unmittelbaren Einheit von Religion und Marxismus wird ein sukzessives Nachfolgeverhältnis, und Atheismus wird doch wieder, wie schon bei Marx, zur notwendigen Bedingung des letztlich anzustrebenden Humanismus. Das Prinzip Hoffnung wiederholt die Feuerbachsche Anthropologisierung der Theologie im Geist der Utopie: Die geheime Sehnsucht einer mehrtausendjährigen Religionsgeschichte ist, so meint Bloch, gewiß nicht der platte Bourgeois, den Feuerbach in den viel zu weiten Mantel Gottes gesteckt hat, dafür aber um so mehr der zukünftige, im Ultimum erscheinende Mensch56, den man einen Ubermenschen bloß deshalb nicht nennen darf, weil der vorhandene ein Untermensch ist. Wie indessen vormals die Preisgabe des Atheismus aus der Radikalität apokalyptischer Eschatologie entsprang, so folgt nun der neue Atheismus, merkwürdig genug, aus der Radikalität prophetischer Eschatologie. Es ist die totale, zum äußersten Extrem gesteigerte, so noch nie dagewesene Vorwärtsgewandtheit, welcher der Gott zum Opfer fällt. Den endgültigen Abschied von Gott vermittelt die Entthronung des Schöpfergottes. Schon im Utopiebuch hat Bloch das wichtige Problem angeschnitten, wie sich mit dem uneingeschränkt zukunftsbezogenen Heilswissen der Juden die Rüdk« Bloch (9), S. 364. M Bloch (13), S. 23. M Bloch (12), Bd. III, S. 337—344. 58 Bloch (12), Bd. III, S. 389—406; vgl. (13), S. 351: „das unter Gott Gedachte wäre endlich Mensch geworden".
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schau auf eine göttlidie Weltschöpfung vereinbaren lasse. Die dort vorgetragene Lösung entspricht genau dem historischen Sachverhalt: Statt archäologische Metaphysik zu treiben, haben die Juden auch den Anfang auf das Ende hin, auch den Schöpfer im Lichte seiner noch ausstehenden Erlösungstat gesehen, so daß „selbst das Alpha, weit davon entfernt, fertig, unbeweglich, vorhistorisch zu sein, durchaus erst in dem zukünftigen, motorisch-messianisch zu erringenden Omega beschlossen steht"". Diese einzig angemessene Erklärung gibt auch noch das Prinzip Hoffnung; auch danach soll schon die Mosaische Schöpfungsgeschichte Gott wesentlich als Ziel vor sich haben und bei den Propheten, die von ihr im übrigen einen sparsamen Gebrauch machen, vollends in den Reichsgedanken integriert werden: „Erinnerung wird nun völlig Vorwegnahme", bloß scheinbar rückwärtsgewandte Antizipation des „Gottesreichs unter Menschen"57. In Atheismus im Christentum hingegen ist von einer derart bibelgerechten Auslegung des Schöpfungsberichts im eschatologischen Horizont kaum noch etwas übriggeblieben58. An ihre Stelle tritt mit verfälschender Ausschließlichkeit ein Verfahren, das Bloch allerdings auch schon im Prinzip Hoffnung ausgiebig praktiziert: Er sdiiebt die „Demiurg-Vorstellung der Genesis" auf ägyptischen Boden ab69 und erklärt den monotheistisch vorgestellten Jahve kurzerhand zum „Stammesgott der Keniter"60. Schon nach dem Prinzip Hoffnung fallen Deus Spes und Deus Creator, der „Gott vom Ende der Tage, mit Futurum als Seinsbeschaffenheit", dieser „End- und Omega-Gott" und „Gott als Anfang oder Ursprung" in eine genuin jüdische und eine verfremdete Sphäre auseinander81. Im Anschluß an Marcion82 zieht die Atheismusschrift hieraus die systematische Konsequenz, nämlich „daß ein Prinzip, welches in die so vorhandene Welt hereinführt, nicht auch das Prinzip sein kann, welches aus so vorhandener Welt auch leitend herausführt"es. So ruft denn Bloch, jetzt wie schon früher, gegen einen satanisierten „Demiurgen", nach dem Vorbild der Ophiten, die Paradiesesschlange als in Jesus reinkarnierte Heilandsschlange zu Hilfe64. Wo aber am Anfang kein Gott vorausgesetzt wird, da kann auch am Ende keiner herauskommen. Insofern besitzt das radikal eschatologische Denken jetzt die Konsequenz, die zu haben es sich einst « Bloch (9), S. 289. 57 Bloch (12), Bd. III, S. 338. 68 Darum macht sie mit Recht Gollwitzer (36, S. 27) gegen dieses Buch geltend. 58 Bloch (13), S. 60. «2 Bloch (13), S. 2 3 7 — 2 4 3 . 60 Bloch (13), S. 124. « Bloch (13), S. 61. 61 Bloch (12), Bd. III, S. 338. M Bloch (12), Bd. III, S. 3 7 0 — 3 7 9 ; (13), S. 1 1 6 f., 2 3 1 — 2 3 7 .
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geweigert hat. Aber unglücklich bleibt sie. Das Unglück besteht in der Verheißung vermeintlich höchsten Glücks, nämlich in der absurden Übersteigerung des geschichtsphilosophischen Optimismus, den Marx' Hoffnung auf „neue Menschen" stets genährt hat65. War der bürgerliche Mensch Feuerbachs zu klein, um den Gott vorbürgerlicher Religionen beherbergen zu können, so ist der nachbürgerliche Mensch der Blochschen Utopie zu groß, als daß er je zu erreichen wäre. Deshalb kann Bloch, indem er die glückliche Inkonsequenz marxistischer Theosophie verläßt, nur in die Zwieliditzone der Parusie des Gott gewordenen Menschen treten: Als Eschaton imaginiert utopische Phantasie den homo absconditus66, „das Ganz Andere der anthropologischen Tiefe" 67 , den durchaus neuen Gegenstand der alten, altjüdischen „Erwartung eines wirklich Ganz-Anderen, wovon die Erde einmal voll wird" 68 . Solch religiöser Atheismus will ein „Transzendieren ohne Transzendenz" 69 , „ohne jede Transzendenz von oben herab" 70 . Gerade darum glaubt Bloch ihn mit wahrem Christentum verbinden zu können: „der Atheist, der das unter Gott Gedachte als eine Anweisung zum unerschienenen Menscheninhalt begriffen hat, ist kein Antichrist" — so hieß es schon im Prinzip Hoffnung11, und das neuere Werk geht sogar von dem Axiom aus: „Nur ein Atheist kann ein guter Christ sein, gewiß aber audi: nur ein Christ kann ein guter Atheist sein"72. Denn nach der schon im dreibändigen Hauptwerk vertretenen Auffassung hat Jesus selber Jahve in sein Reich73 und damit in die Menschen aufgelöst, die des Reichs würdig sein werden 74 . Der im Sinne Hegels zu verstehende „Begriff" des Atheismus, seine Wahrheit, ist aber nichts anderes als „das Reich der Freiheit" 75 , das so, im Blick auf seinen „christförmig zuerst gebildeten Grundtext" 76 , längst vor der subjektiven Auflösung des Religionserbes in den Marxismus, die Nachfolge Jahves angetreten hat. Demgemäß hat Blochs Liebe zu Jesus nichts von ihrer früheren Glut verloren. Nach wie vor gilt sie dem Revolutionär aller Revolutionäre, der sich abwendet vom „alten 65 Vgl. Löwith (80), S. 41. ·« Bloch (12), Bd. III, S. 391; (13), S. 110. «7 Bloch (12), Bd. III, S. 399. 68 Bloch (13), S. HI. — Zur Problematik dieser Utopie: Moltmann (101), S. 316 ff. «» Bloch (13), S. 23. 70 Bloch (13), S. 21; vgl. 217, 243. — Zur Kritik der Blochsdien Vorstellung vom „Oben": Gollwitzer (36), S. 31 ff. 71 Bloch (12), Bd. III, S. 400. 74 Bloch (12), Bd. III, S. 364. 72 Bloch (13), S. 24; vgl. S. 231. « Bloch (12), Bd. III, S. 400. 73 Bloch (12), Bd. III, S. 369. 7« Bloch (13), S. 350.
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Zuhause und Gehorchen"77. Bloch scheut keine Mühe, um Jesus vor dem Verdacht einer Sanktionierung des Bestehenden zu schützen. Gleich zweimal schlägt er im Prinzip Hoffnung zur besseren Beherzigung des von kirchlicher Reaktion so gern zitierten Ratschlags, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist (Mark. 12, 17), die Lesart vor, die man auch schon bei Max Weber finden kann78, nämlich daß der Apokalyptiker Jesus, anders als später Paulus, derlei aus „Verachtung" gegen einen Staat gesagt habe, dessen Ende mit dem Gottesreich nahe herbeigekommen sei79. Zweimal audi verteidigt er da Jesus gegen den Verdacht, „mit feigem JenseitsPathos" platonisierend aus „dieser Welt" in eine ideale Hinterwelt geflüchtet zu sein: „ ,Diese Welt' ist gleichbedeutend mit der jetzt bestehenden, mit dem »gegenwärtigen Äon', dagegen ,jene Welt' mit dem künftigen Äon (so Matth. 12, 32; 24, 3). Gemeint ist folglich, mit dem Gegensatz dieser Begriffe, keine geographische Trennung von Diesseits und Jenseits, sondern eine zeitlidi-nachfolgende auf dem gleichen, hier befindlichen Schauplatz."80 Ganz richtig erblickt Bloch in dem unplatonischen Vorverständnis sowohl „dieser" wie „jener" Welt als Geschichte die formale Bedingung der Möglichkeit dafür, daß Jesus statt einer Sanktionierung die Revolutionierung des Bestehenden anstreben konnte. Das heilsgeschichtliche Weltverständnis fundiert das endgeschichtliche Bewußtsein: „Jesus ist in der Tat Eschatologie von Grund auf" 81 . Und an der Gewißheit des nahen Endes bisheriger Geschichte entflammt sich der Geist der Rebellion: der „Zug nach unten" ebenso wie der „Aufruhr nach oben"82. „Ein Rebell gegen Gewohnheit und Herrenmacht ist am Kreuz gestorben, ein Unruhestifter und Löser aller Familienbande (Matth. 10, 34—37; 12, 48), ein Tribun des letzten, apokalyptisch geschützten Auszugs aus Ägypten." 83 Eschatologie von Grund auf — das ist aber die radikale Eschatologie des Judentums. Die Subsumtion Jesu unter sie treibt zwangsläufig zu der schon im Utopiebuch84 energisch vorgebrachten, im Prinzip Hoffnung85 wiederholten und in der Atheismusschrift88 bis zur maßlosen Polemik gesteigerten Kritik an der paulinischen, angeblich „vorderasiatisch" beeinflußten Auslegung des Kreuzestods, wonach Jesus ihn freiwillig auf sich genommen hat, um stellvertretend für alle die Schuld der Welt zu büßen. 77
Bloch » Bloch 80 Bloch 81 Bloch 82 Bloch 83 Bloch 7
(13), (12), (12), (12), (12), (12),
78 S. 1 1 5 . M. Weber (148), S. 342. Bd. II, S. 62, und Bd. III, S. 365. Bd. II, S. 61 f.; vgl. Bd. III, S. 367. 84 Bd. III, S. 368. Bloch (9), S. 301 f., 303. 85 Bd. III, S. 364. Bloch (12), Bd. III, S. 366. st Bd. III, S. 367. Bloch (13), S. 102, 220 ff.
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Denn als Opfertod wäre das Sterben Jesu ja die Versöhnung, die das fürs Ende verheißene Heil in die vorhandene Wirklichkeit zurückverlegte und damit den Ausstand des Eschaton relativierte. Weil Hegel seine ganze Philosophie auf die durch Jesus an sich schon vollbrachte Versöhnung gründet, behandelt er auch die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung mit besonderer Sympathie. Weil hingegen Bloch, hineingestellt in die jüdische Tradition radikaler Eschatologie, Versöhnung allein für die Zukunft erwartet, kann er die „ Opfertodsmagie" des Apostels Paulus nur mit den Worten abtun: „der wirkliche Jesus starb als Rebell und Märtyrer, nidit als Zahlmeister" 87 . Als Konterrevolution abgetan wird damit in Wahrheit die spezifisch christliche Theologie, die „das wirklich Ausstehende eschatologischer Zukunft" durch „Vergegenwärtigung des Heils" relativiert 88 . Man hat Bloch vorgeworfen, daß er den Schöpfungsglauben bloß eintausche gegen eine hellenisierende Kosmosmetaphysik, die das Ziel — im wesentlichen nicht anders als die angefeindete „Metaphysik eines bereits Ab-soluten" 89 — eben doch in einem Grunde festmache·0. Wenn dem wirklich so ist — und die allzu unbekümmerten Anleihen am Materiebegriff des Aristoteles scheinen es zu bezeugen — , dann jedenfalls nur in dem Sinne, daß Bloch in diesem Punkt seine Intention verfehlt. Seine Intention nämlich, unmißverständlich zum Ausdruck gebracht durch die Alternative „Aut Logos aut Kosmos" 91 , zielt zweifellos darauf ab, die eigene Theorie der revolutionären Praxis aus der radikalen Eschatologie eines Judentums zu verstehen, dessen Propheten die Atheismusschrift auch noch von den „lediglich ankündenden und nicht anrufenden Propheten heidnisch-antiken Stils" mit dem Hinweis auf ihre unvergleichbare Zukunftsbezogenheit abhebt92. Als das ihm Fremde betraditet Bloch denn audi, was er mit gleicher Schärfe sieht: die komplementäre Verbindung von griechischer Archäologie und reiner Theorie 93 . Wie vor ihm Kierkegaard, so erläutert auch er den Vergangenheitsbezug metaphysischer Schau an der Platonischen Anamnesis94. D a ß er dafür außerdem das Aristotelische τί ήν είναι „im Sinne der abgeschlossenen Bestimmbarkeit, statuarischen Ausgeprägtheit" beansprucht, wird ihm neuere Forschung als Fehler vorrech-
Bloch (12), Bd. III, S. 366. »® Jäger (60), bes. S. 142 ff., 178. Bloch (13), S. 190. « Bloch (13), S. 245—307. 8» Bloch (13), S. 96. »2 Bloch (13), S. 137. 83 Bloch (12), Bd. I, S. 306—312, bes. S. 308 ff. M Bloch (11), S. 473—488 („Hegel und die Anamnesis"); vgl. den gleichnamigen Vortrag in Beiheft 1 (1964) der Hegel-Studien (S. 167—180). 87
88
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nen, aber der philologische Irrtum beeinträchtigt kaum die Richtigkeit der philosophischen Einsicht in den grundlegenden Sachverhalt, daß bei Piaton und Aristoteles „das Wissen nicht nur ( . . . ) schlechthin Schau, sondern der Gegenstand des Wissens schlechthin Ausgestaltetes, die Wesensheit schlechthin Ge-wesenheit sein mußte" 95 . Diese Feststellung trifft genau die für griechische Metaphysik konstitutive Beziehung von reiner Theorie und radikaler Archäologie: Dem Begriff des Wissens als Schau entspricht sinngemäß die Rückführung des Gewußten auf seine ontologische Vergangenheit. Unter dem „Bann dieses kontemplativen Antiquariums" ist audi neuzeitlicher Wissenschaft, sofern sie bewußt oder unbewußt griechische Metaphysik fortsetzt, dem Prinzip Hoffnung zufolge desto heimatlicher zumute, „je ferner die Objekte zeitlich zurückliegen, je adäquater also ihre Abgeschlossenheit zu der Ruhe der Kontemplation erscheint"*®. Bloch, wie kein anderer an Zukunft als absolutem Novum interessiert, macht kein Hehl daraus, daß ihm bei allem Respekt namentlich vor dem „Entwicklungsdenker Aristoteles" die Adäquanz von kontemplativer Ruhe und abgeschlossener Vergangenheit höchst inadäquat anmutet, unangemessen nämlich dem tiefsten Anspruch des Wissens, das in archäologischer Betrachtung keineswegs seine übergeschichtliche Norm anzuerkennen vermag. Die „falsche Wechselbeziehung zwischen Wissen und Vergangenheit"· 7 enthüllt ihm aber ihre Unwahrheit im Horizont von Marx. Denn in dessen Philosophie sieht er den historisch ersten Versuch, auf dem Heimatboden abendländischer Theorie das Gegenteil zu beweisen und Wissen auf Zukunft hinzuordnen. War für alles wissenschaftliche Denken vor Marx die Gegenwart nur Abschluß der Vergangenheit, so wird sie mit und nach ihm das Feld der in die Zukunft weisenden „Tendenz", deren Erforschung allein das Wissenwollen befriedigt. Das unter der Herrschaft griechischer Metaphysik absolutgesetzte „Wissen-Vergangenheits-Verhältnis" wird abgelöst durch das „Wissen-Tendenz-Verhältnis" 98 . Der Auswechslung des Gegenstands liegt freilich ein neuer Begriff des Wissens zugrunde: eben der Begriff einer sich in Praxis aufhebenden, mit ihrer revolutionären Verwirklichung selbst praktisch werdenden Theorie. „Zukunftswissenschaft" ist, sagt Bloch an derselben Stelle, marxistische Philosophie „zum Zweck der Handlung", und zwar so, daß ihr Futurismus und ihre unmittelbar praktische Abzweckung sich gegenseitig bedingen. » Bloch (12), Bd. I, S. 308. · · Bloch (iz), Bd. I, S. 308 f.
87 98
Bloch (12), Bd. I, S. 308. Bloch (12), Bd. I , S . 310.
3. Einheit von Archäologie und Eschatologie Hegeische Philosophie kommt her von Aristotelischer Metaphysik, und sie ist eingegangen in den Marxismus. Wo befindet sie sich zwischen der reinen Theorie, die sich in der Metaphysik vollendet, und der revolutionären, zu einem Moment der Praxis gewordenen Theorie marxistischer Prägung? In welchem Verhältnis steht sie einerseits zu der radikalen Archäologie, als welche die Griechen die höchste theoretische Wissenschaft betrieben haben, und andererseits zu der radikalen Eschatologie, aus welcher der revolutionäre Sozialismus hervorgegangen ist? Wollte man Bloch folgen, so hätte man sie gänzlich jener Metaphysik einzugliedern, die in der Anamnesis des Grundes das Noch-Nicht vergißt: „Hegels Philosophie kulminiert im Fixum: das .Offenbare' ohne Rest, ohne Gärung im Schoß künftiger Zeiten und Ungekommenheiten, gibt ihr das uneigentlidi Präsente und Geschlossene."1 In der Tat hat ja auch unser Kommentar zum Schlußabschnitt der Encyclopädie gezeigt, wie sehr Hegel darauf aus ist, den Geist in dem von Bloch abgewerteten Sinne als das „Absolutum" zu begreifen, das schon vor seiner weltlichen Verwirklichung für sich selbst Realität besitzt. Das Metaphysische eines solchen Rückstiegs in den Weltgrund scheint durch das pointierte Bekenntnis zu Aristoteles nur noch beglaubigt zu werden. Vergegenwärtigt man sich außerdem die Grenzen des Verständnisses, das Hegel dem alten Judentum entgegengebracht hat, so scheint sich eine Antwort auf die Frage zu erübrigen2. Und doch liegt hier ein Problem vor, über das alle bisherige Forsdiung 1 2
Bloch ( n ) , S. 3 6 3 ; in seinem Gefolge genauso Marsch (93), S . 2 3 6 , 2 5 4 . Sie erübrigt sich namentlich für H . Schmidt ( 1 2 8 ) , der z w a r ebenfalls davon ausgeht, daß Hegel statt des »in sich geschlossenen K o s m o s ' der Griechen »Wirklichkeit als Geschichte" erfuhr (S. 1 7 1 f., 1 7 7 f.), der aber gleichwohl f ü r sicher hält, daß diese Erfahrung nach dem Vorbild Aristotelischer Ursprungsmetaphysik ausgelegt und damit verdeckt wurde (bes. S. 1 7 4 , 284, 2 8 7 , 296). Seine Deutung beruht jedoch auf der fragwürdigen Annahme, Hegel, dessen Denkweg „im wesentlichen geradlinig" verlaufen sei (S. 288), habe die antichristlich und antijüdisch akzentuierte Griechenverehrung seiner Jugend nie wirklich relativiert (S. 292).
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allzu leichtfüßig hinweggeglitten ist. Es tritt ans Licht, sobald wir uns von unseren historischen Betrachtungen aus aufs neue der Stelle zuwenden, an der die Encyclopädie ihrerseits den geschichtlichen Ort des Systems umreißt. Nachdem Hegel das begreifende Denken als die Bewegung beschrieben hat, welche zunächst in eins mit dem Inhalt auch die Form des christlichen Glaubens anerkennt, sodann von der Einseitigkeit der Form befreit und diese schließlich in die absolute Form erhebt, fährt er, wie wir wissen, fort: „Diese Bewegung, welche die Philosophie ist, findet sich schon vollbracht, indem sie am Schluß ihren eigenen Begriff erfaßt, d. i. nur auf ihr Wissen zurücksiehtDaß Hegeische Philosophie, wo sie ihren eigenen Begriff zu erfassen versucht, nur auf ihr Wissen zurücksieht, weist sie als Erbin Aristotelischer Metaphysik aus; sie ist die Schau der reinen Theorie, die als solche Rückschau, Sehen in der Weise des Zurücksehens ist. Worauf aber sieht sie zurück? In geschichtlicher Perspektive auf das Wissen, das sie sich durch die Aneignung des Christentums erworben hat. Sie selbst ist nichts anderes als die Bewegung, in der sie das Christentum umformt. In dieser Bewegung verändert sie nicht nur die Form der christlichen Vorstellung, sie findet gleichzeitig auch ihre eigene Form. Ihre eigene Form kann sie nur in Entsprechung zu ihrem Inhalt finden. Ihr Inhalt fällt aber mit dem des Christentums zusammen. Wenn Hegel am Ende der Encyclopädie auf die Theorie des Aristoteles anspielt, so will er sicherlich etwas über die Form seiner Philosophie aussagen. Doch muß dieses Formelement dem Ganzen der Form angehören, die der Inhalt des Christentums seiner Philosophie aufprägt. Zu einer derartigen Annahme ist jedenfalls genötigt, wer voraussetzt, daß Hegel imstande gewesen ist, die Form mit dem Inhalt seines Denkens zu vermitteln3. Ist diese Voraussetzung richtig, dann muß man für die Meinung Hegels die halten, daß der Inhalt des Christentums selber eine der Form des Zurücksehens entgegenkommende Seite hat. An dieser Form wollen wir vorerst nur das archäologische, noch nicht das theoretische Moment beachten. Tun wir das, so kann uns nicht lange verborgen bleiben, daß Hegel sein archäologisch ausgerichtetes Denken eben in der christlichen Eschatologie festmacht. Und zwar ist christliche Esdiatologie in seiner Sicht für Archäologie empfänglich, weil sie keine radikale Eschatologie ist. Die Schwierigkeiten, mit denen Hegel bei der Darstellung des Judentums zu kämpfen hat, kommen s
E s wäre tatsächlich ein „Rückfall in vordialektisdie Aufklärungsdoktrinen", wenn Hegel meinte, „derselbe Inhalt könne in verschiedenen Formen erscheinen" (Puder [ 1 1 4 ] , S. 26). Eben diesen Rückfall, den Puder an ihm kritisiert, trauen w i r ihm nicht zu.
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vornehmlich aus seinem Unvermögen, den Glauben an den totalen Ausstand des Heils nachzuvollziehen. Dafür wird er aber auch nicht müde zu betonen, daß für die Christen das Heil schon erschienen sei. Nach seiner Auffassung konzentriert sich der von der Philosophie zu erhellende „Inhalt" des Christentums auf die Botschaft von der Ankunft des Heils. Das Heil besteht in der Versöhnung, aber die Versöhnung ist — das vor allem hört er aus der Verkündigung der Kirdie heraus — mit der Menschwerdung Gottes an und für sich schon Wirklichkeit geworden. Es ist die an und für sich schon seiende Wirklichkeit der Versöhnung, auf die er letztlich zurücksieht. Archäologie wird zum rückwärts gewandten Heilswissen. Sie ist nicht mehr selbständige Form einer selbständig auftretenden Metaphysik, sondern Moment eines Denkens, das im ganzen christliche Eschatologie expliziert4. Die volle Form der Hegeischen Philosophie werden wir hieraus zu entwickeln haben. Gegen dieses Vorhaben lehnt sich aber von vornherein die fast allgemeine Überzeugung auf, daß es eine wirkliche „Eschatologie" bei Hegel gar nicht gebe. Nach E. Schmidt „vermag Hegel eine eigentliche Eschatologie nicht zu bieten" 5 , und auch Traugott Koch geht über die sinngleichen Feststellungen, die man schon zu Hegels Lebzeiten und kurz nach seinem Tode getroffen hat, nur insofern hinaus, als er das „Fehlen der eschatologischen Erwartung", statt es bloß zu konstatieren, begründen möchte8. Das Fehlen selber leitet man aus der bestimmten Verfassung der Hegeischen Lehre vom Reich Gottes ab. Indessen sind die vorliegenden Untersuchungen über diese Lehre genauso vage wie die Behauptungen, die sich auf sie stützen. Ihre theologischen Verfasser werfen Hegel im wesentlichen zweierlei vor: einmal die Reduktion des Gottesreichs auf die Gegenwart und zum andern die Preisgabe des Glaubens an die Verborgenheit des gegenwärtigen Reichs. Nach H. Groos hat der „deutsche Idealismus im Grunde überhaupt keine Eschatologie", weil er dazu neigt, den „eschatologisch-zukünftigen" durch den „mystisch-gegenwärtigen" Begriff vom Reich Gottes zu verdrängen 7 . Aus demselben Motiv gibt denn auch E. Schmidt die Eschatologie Hegels für uneigentlich aus; „denn sie projiziert das eschatologische Futurum in das Präsenz unserer Existenz" 8 . 4
Es ist ein ermutigendes Zeichen, daß neuerdings auch Oelmüller (108, S. 288) die Andersartigkeit der Hegeischen Philosophie des Christentums gegenüber der „Metaphysik der Alten" hervorhebt. 5 E. Sdimidt (126), S. 256. • Koch (67), S. 21 f. 7 Groos (3 8), S. 287 ff. 8 E. Sdimidt (126), S. 2J7.
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Wenn Groos darüber hinaus behauptet, Hegel rücke den Staat in den Mittelpunkt des Gottesreichs9, so wiederholt er seinerseits nur ein gänzlich unbelegtes Urteil E. Hirsdis. Die mit der Inthronisation des Staates einhergehende „Verweltlichung des Reich-Gottes-Gedankens" bezeugt aber, wie Hirsch ausführt, daß Hegel die lutherische Scheidung der zwei Reiche nicht nur durch die Abblendung der Zukunft, sondern auch insofern aufweicht, als er dem in die Gegenwart hineinragenden Gottesreich die überweltliche Unsichtbarkeit nimmt10. Nun betont Hegel tatsädilich mit besonderer Eindringlichkeit: »Die Grundbestimmung in diesem Reiche Gottes ist die Gegenwart Gottes"11. Von geringerer Bedeutung scheint demgegenüber zu sein, daß er die Gegenwart als eine solche, die erst dem Begriff wirklich aufgeht, von der vorgestellten Zukunft abhebt12. Eines immerhin sei schon hier notiert: Wenn das Reich Gottes sich der Vorstellung als Zukunft darbietet, so erweist sich diese für Hegel durchaus als Realität. Nicht daß sie das Reich Gottes überhaupt als zukünftiges erfährt, moniert Hegel an der Vorstellung, sondern daß sie die Gegenwart in Vergangenheit und Zukunft auflöst. Sicherlich kritisch gemeint ist der Satz: „Die unendliche Forderung, Gott zu schauen, d. i. im Geiste seiner Wahrheit als einer gegenwärtigen bewußt zu werden, ist für das Bewußtsein als sinnlich anschauendes, als vorstellendes nicht in dieser zeitlichen Gegenwart." 13 Aber gleichwohl anerkennt Hegel im Kontext des Satzes die „Zukunft der Unsterblichkeit", an die allein sich die Vorstellung, zweifellos zu Unrecht, klammert. • Groos (38), S. 296. — Diese Behauptung halten wir für falsch, soweit sie sich auf das ausgebildete System, den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, bezieht. In der Jenenser Philosophie des Geistes von 1805/06 kann Hegel, scheinbar im Sinne von Groos, durchaus nodi sagen: „Der Fanatismus der Kirche ist, das Ewige, das Himmelreich als soldies auf Erden einführen zu wollen, d. h. der Wirklichkeit des Staates entgegen, Feuer im Wasser zu erhalten. Eben die "Wirklichkeit des Himmelreichs ist der Staat" (Jen. Realph. 270). Dodi selbst schon diese Fanatismuskritik läßt sich grundsätzlich so verstehen wie die entsprechende der Rechtsphilosophie (siehe dazu unten, S. 410 ff.), und was den letzten Satz betrifft, so wäre auch hier, wie wir es im folgenden mit Rücksicht auf spätere Aussagen tun, zwischen dem Himmelreich selbst und dessen Wirklichkeit, zwischen der Verweltlichung des Reichs Gottes und seiner — von Hegel tatsächlich geforderten — Verwirklichung in der Welt zu unterscheiden. 10 Hirsch (54), S. 25 f.; vgl. (55), S. 64. Die Darstellung Hirschs ist äußerst knapp gehalten. Eine etwas ausführlichere Beschreibung des vom jungen Hegel proklamierten Reich-Gottes-Begriffs gibt Geis (32), bes. S. 102 ff. Vgl. dazu auch Peperzak (112), S.6—11. 11 A R 170 — S W X V I 297. 12 Siehe dazu unten, S. 374 ff. 13 A R 178 (Ms.) — S W X V I 313. 24
Theunissen, Hegel
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Als eine solche Zukunft „bestimmt sich" nämlich das Reich Gottes, sofern es „der Zeit und Vergänglichkeit entrückt", ja, ihr „entgegen" ist. Wir werden auf dieses Verhältnis von Begriff und Vorstellung zurückkommen müssen. Was aber zunächst die dem Begriff entsprechende Gegenwart betrifft, so enthüllt sich ihr authentischer Sinn nur, wenn wir darauf achten, daß sie die Wahrheit nicht bloß der vorstellungsmäßigen Zukunft, sondern auch der vorstellungsmäßigen Vergangenheit sein soll. Wir erinnern uns des Wortes aus der Phänomenologie, wonach der noch im Vorstellen befangene Mensch seine Versöhnung, so wie er sie als ein „Fernes der Zukunft" betraditet, auch in eine „Ferne der Vergangenheit" verschwinden läßt. Die Vergangenheit ist die von Christus vollbrachte Versöhnung. Indem der Begriff ihr den Schein der Ferne nimmt, erhebt er sie zur Gegenwart, und diese Gegenwart ist es, die Hegel dem Reich Gottes zuschreibt. Um dessen gewahr zu werden, müssen wir uns vor Augen halten, daß Hegel eine durchweg eschatologische Christologie ausarbeitet. Das „Reich Gottes" ist nach seiner Auffassung der alleinige „Inhalt" der „Lehre" Christi. Wichtiger aber als dies ist in seinen Augen, daß es mit dem Leben des Menschensohnes in die reale Existenz getreten ist. Es bricht „durch dies Individuum in die Wirklichkeit herein", und zwar so, daß alle anderen Individuen seiner nur in der Nachfolge Jesu teilhaftig werden. „Dies Reich Gottes hat seine Verknüpfung mit den Individuen, die zu demselben gelangen sollen, durch jenes eine Individuum."14 Daß es gegenwärtig sei, heißt vor allem anderen: Es hat mit Christus bereits angefangen. Es ist nicht bloß zukünftig, weil die Wirklichkeit, die es in Christus angenommen hat, auch in die Gegenwart hineinzuwirken vermag. „Die Gemeinde ist das Reich Christi, dessen wirkender gegenwärtiger Geist Christus ist, denn dieses Reich hat eine wirkliche Gegenwart, keine nur zukünftige." 15 Von einer solchen Gegenwart dürfte man nach Hegel nicht sprechen, hätte Christus das Gottesreich bloß verkündigt. In Wahrheit aber darf man nicht nur, sondern muß man von ihr reden, weil „jenes eine Individuum" das von ihm verkündigte Reich zugleich in der Leibhaftigkeit seiner Existenz antizipiert hat. „Das Reich Gottes hat also seinen Repräsentanten, d. i. die Weise seiner Existenz, zunächst an diesem existierenden Menschen."18 Das Reich Gottes ist nach Hegel die Versöhnung „als Zustand ausgesprochen"17. Da die Versöhnung mit Christus erschienen und gewiß 14
A R i j 5 f. (Ms.) — S W X V I 294. " Ph. Wg. II 743 — SW X I 4 2 j .
» A R 157 (Ms.). A R 155 — SW X V I 288.
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geworden ist, hat audi das Reich Gottes für eine wirkliche Gegenwart zu gelten. In dieser Definition des Sinns seiner Gegenwart liegt keinerlei Gleichsetzung mit dem „Reich der Welt". Solange das Reich der Welt noch besteht, bleibt das Reich Gottes vielmehr von ihm qualitativ unterschieden. Das war Hegels nie preisgegebene Uberzeugung. Als er 1816 seine erste Heidelberger Vorlesung eröffnete, mahnte er seine Hörer, „neben dem Staate, der alles Interesse in sich verschlungen, auch die Kirche", „neben dem Reich der Welt ( . . . ) das Reich Gottes" im Herzen zu tragen18. Nach der glaubwürdigen Darstellung Franz Rosenzweigs hat sich diese Sicht allerdings mit der Ubersiedlung nach Berlin geändert19. Aber fallengelassen hat Hegel keineswegs die Scheidung der zwei Reiche, sondern lediglich die Vorstellung von ihrem Nebeneinander. Es ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlußreidi, daß sich seine Aussagen über die von Christus eingeleitete Revolution, über die revolutionäre Negation der bestehenden Welt stets an den Gedanken des Gottesreichs knüpfen 20 . „Dies Reich Gottes (...) hat also an sich die Bestimmung der Negation gegen das Vorhandene; das ist die polemische Seite, das revolutionäre Verhalten gegen die Bestimmtheiten in jener Äußerlichkeit, in dem Bewußtsein und Glauben der Menschen. ( . . . ) Es ist darum zu tun, die, denen das Bewußtsein der Versöhnung werden soll, aus der vorhandenen Wirklichkeit herauszuziehen, von ihnen die Abstraktion davon zu verlangen." 21 Unleugbar mischen sich in die Worte, mit denen Hegel die Abstraktion von der vorhandenen Wirklichkeit beschreibt, Anklänge an einen Platonischen Dualismus. Das Verwerfen der Welt, das mit dem Trachten nach dem Reidi Gottes gefordert ist, mutet bisweilen wie der Überstieg vom mundus sensibilis zum mundus intelligibilis an. So wenn Hegel sagt, das Reich Gottes, als das „himmlische Reich", sei eine „substanzielle intelligible Welt mit Hinwegwerfung alles Wertes, der in irdischen, weltlichen Dingen gesucht wird" 22 . Aber darüber vergißt er nicht, daß die polemische Spitze der evangelischen Verkündigung des Gottesreichs sich ganz konkret gegen den Staat richtet, in welchem die weltliche Wirklichkeit gipfelt. Wird das Kreuz „zum Panier, dessen positiver Inhalt zugleich das Reich Gottes ist", dann wird dieses „dem Staatsleben und bürgerlichen Sein 18
" !0 11
" 24*
S W X V I I 20. Rosenzweig ( 1 2 j ) , II, S. 3 2 f., 66 ff. Z u m biblischen Tatbestand vgl. Gollwitzer (35). A R i j o f . — S W X V I 288 £. Auch dem jungen Hegel erscheint nach H . Schmidt „Revolution als historischer Imperativ im Dienst des kommenden Gottesreiches" ( 1 2 8 , S. 162). A R 1 4 3 (Ms.).
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entzogen"23. Freilich: In den Augen Hegels ist die Spannung zwischen dem Reich Gottes und dem vom Staat verkörperten Reidi der Welt auf dem Wege der Entwicklung des Christentums immer geringer geworden. Aber diese Annahme, so fragwürdig sie auch sein mag, berechtigt niemanden zu dem Schluß, er habe den Unterschied der zwei Reiche selber leugnen wollen. Was sie verrät, ist ausschließlich der geschichtsphilosophische Optimismus, der zu hoffen wagt, das „christliche Prinzip" der Versöhnung werde in fortschreitendem Maße die Welt durchdringen. Am äußersten Horizont einer solchen Hoffnung scheint in der Tat die Möglichkeit einer völligen Uberwindung des Gegensatzes auf. Aber gerade von ihr hebt sich die Wirklichkeit der faktischen Differenz ab. Und zwar ergibt sich die Differenz für Hegel aus der inhaltlichen Bestimmtheit des Gottesreichs. Hegel bestimmt das Reich Gottes als „Heimat für den Geist", als das Element des „Heimischen der Subjektivität" 24 . Damit deutet er es nicht etwa in ein Reich des Menschen um. Er begreift es im Gegenteil als die „Wirklichkeit, in der Gott herrscht"25, in der Gott „zur Herrschaft gekommen ist" 26 . Eben die Herrschaft Gottes gehört wesentlich mit zum qualitativen Unterschied gegenüber dem Reich der Welt. Nicht trotz, sondern wegen ihrer ist das Gottesreich die Heimat der menschlichen Subjektivität. Denn die Herrschaft Gottes vernichtet jede Herrschaft von Menschen über Menschen. Die Heimat der menschlichen Subjektivität ist aber das Gottesreich in dem Sinne, daß in ihm kein Mensch über den anderen herrscht. „Die Subjektivität hat in diesem unendlichen Werte alle äußere Unterscheidung aufgegeben, der Herrschaft, der Gewalt, des Standes, selbst des Geschlechts, des Reichtums."27 Sie kommt in ihr heimisches Element, weil sie alles von sich abwerfen darf, was ihr als solcher äußerlich ist. Sie findet ihre Heimat, weil sie sich nicht mehr nach dem endlichen Wert zu verstehen braucht, den andere ihr beimessen, sondern im Bewußtsein des unendlichen Wertes existieren kann, den Gott selbst ihr zugesprochen hat. Nun beruht aber das System der bestehenden Welt auf den Rangunterschieden, 23 24 25 26
17
A R 161 f. (Ms.) — S W X V I 299. A R 143 f. (Ms.) — S W X V I 288 f. S W X V I 288. A R 1 j y . Dies widerlegt audi keineswegs der S a t z : „ M a n mag sich allerlei Vorstellungen vom Reiche Gottes machen, so ist es immer ein Reich des Geistes, das im Menschen realisiert und von ihm in die Existenz gesetzt werden soll" (Ph. W g . I jo). Wie unsere Ausführungen über Praxis zeigen werden, ist audi diese Realisation nur die subjektive Verwirklichung des schon absolut objektiv Wirklichen. A R 1 7 8 (Ms.) — S W X V I 3 1 3 .
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welche die Herrschaft von Menschen über Menschen etabliert. Deshalb kann unter seinen Bedingungen das Reich Gottes erst nur ein innerliches sein. Indem dieses Reich mit dem Leben Jesu in die Wirklichkeit getreten ist, konnte zunächst bloß der „unendliche Wert der Innerlichkeit" reale Existenz gewinnen28. Aber schon in seiner Innerlichkeit erhebt es sich über das Reich der Welt durch seine Absolutheit. Wo die weltlichen Relativitäten belanglos geworden sind und die einzelne Subjektivität unter dem Anspruch ihrer absoluten Bedeutung steht, da ist es allein die Gesinnung, „die einen Wert gibt, aber nicht die abstrakte Gesinnung, nicht diese oder jene Meinung, sondern die absolute Gesinnung, die im Reiche Gottes ihre Basis hat" 29 . Auf Grund dieser Absolutheit identifiziert Hegel das Reich Gottes, sofern es gegenwärtige Wirklichkeit hat, mit der Sphäre des absoluten Geistes. Die Differenz gegenüber dem Reich der Welt deckt sich mit dem Unterschied, der zwischen der Sphäre des absoluten Geistes und derjenigen des objektiven besteht. Die Sphäre des objektiven Geistes, in die auch der Staat fällt, befindet sich aber unterhalb der Sphäre des absoluten Geistes. Hegel trennt das Reich Gottes also nicht nur vom Staat, er setzt es auch weit über ihn, und zwar in die Region, der gegenüber es grundsätzlich nichts Höheres geben kann. Die Gewißheit des Reiches Gottes ist „eine Befriedigung nicht in der Moralität, Sittlichkeit, Gewissen, sondern eine solche, außerhalb deren nichts Höheres ist, das Verhältnis zu Gott selbst"80. Da die Sphäre des absoluten Geistes, die im ganzen die der Religion ist, sich in der selber religiös motivierten Philosophie vollenden soll, wirkt sich Hegels Lehre von den zwei Reichen unmittelbar auf seinen Philosophiebegriff aus. Seine Neigung, Philosophie von der Verpflichtung zur politischen Praxis zu entlasten, wird zwar letztlich nur aus einer inneren Korruption seines Christentumsverständnisses zu begreifen sein. Aber systemimmanent weiß sie sich durch die Schwierigkeiten gerechtfertigt, die der Übergang vom absoluten zum objektiven Geist verursacht. Denn vom System her erscheint dieser Ubergang als Rückfall in eine überwundene Sphäre. Ausdruck der Verlegenheit, in die Hegel durch diese Schwierigkeiten gerät, ist das in seiner Heidelberger Antrittsvorlesung konstatierte Nebeneinander von göttlichem und weltlichem Reich. Aus der Verlegenheit hilft ihm indessen der eschatologische Entwurf seiner Idee vom Reich Gottes. Soweit er sich an diesen Entwurf hält, ist ihm 88
A R 155 — SW X V I 291. » A R 15 j — SW X V I 2 9 1 . 30 A R 170 — S W X V I 2 9 6 f. 2
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klar, daß die Bibel an den Philosophen eine ähnliche Forderung stellt wie Piaton im Höhlengleichnis: nach dem Aufstieg aus der Höhle der Welt den Abstieg zu wagen. Die philosophische Grundlage einer solchen Forderung erblickt er in dem Wesensgesetz, dem zufolge das bloß Innerlidie sich zu entäußern, das Verborgene offenbar zu werden hat. So muß sich audi das mit Christus zur gegenwärtigen Wirklichkeit gewordene Reich Gottes, wiewohl an sich nicht von dieser Welt, weltliche Geltung verschaffen. Das liegt nach Hegel bereits im evangelischen Missionsauftrag. Die Jünger sind in die „Welt ausgegangen, um sie zur allgemeinen Gemeinde zu erheben und das Reich Gottes auszubreiten"81. Doch ist die Verwirklichung des Reichs Gottes in der Welt keineswegs die Verweltlichung dieses Reichs selber. Bei allem Streben, die Welt mit ihm zu durchdringen, bleibt seine eigene Unweltlichkeit erhalten. Als „ihr immanentes Leben" übersetzen die Jünger es in die Transzendenz der Welt32. Solange ihm überhaupt eine Welt gegenübersteht, muß das Reich Gottes diese Zweiheit in sich reproduzieren, indem es beides ist: Ort der Innerlichkeit und Quelle der Verinnerlichung des Äußeren. „Der innere Ort hat einerseits die Bestimmung, den Bürger des religiösen Lebens zu bilden, Gottes Geiste sich angemessen zu machen; andererseits ist dieser Ort der Ausgangspunkt für das weltliche Verhältnis und die Aufgabe für die christliche Geschichte."33 Das „Reich Gottes, die Gemeinde hat so ein Verhältnis zum Weltlichen"84, aber es könnte kein Verhältnis dazu haben, wäre es selber weltlich. Nur seine Andersartigkeit gegenüber der bestehenden Welt vermag ihm die Tendenz seiner weltlichen Verwirklichung vorzuzeichnen. Denn diese Realisation läuft darauf hinaus, in der Welt die herrschaftslose Freiheit, die jetzt bloß in der Innerlichkeit möglich ist, zum Prinzip des gesellschaftlichen Lebens zu machen. Dank der durch Christus erwirkten Aufhebung aller Herrschaftsverhältnisse wird so das Reich Gottes auch für die Welt zur „Wurzel wahrhaft allgemeinen Rechtes, der Verwirklichung der Freiheit" 35 . Diesem Recht und dieser Feiheit lassen sich durch keinerlei Gesellschaftsordnung Grenzen ziehen. Denn ihr Maßstab ist die innerlich bereits gegenwärtige Unbedingtheit, in der sie Christus praktiziert hat. Es ist, sagt Hegel, darum zu tun, daß sich aus dem Reich Gottes ein „vernünftiges weltliches Reich" hervorbilde, ein Reich, das der „Idee der Freiheit", der „Absolutheit des Rechtes gemäß" ist38. Indem Hegel für notwendig erachtet, daß die gegenwärtige WirklichS1 92 88
A R 1 8 1 (Ms.) — S W X V I 316. A R 181 (Ms.) — SW X V I 316. Ph. Wg. II 747 — SW X I 4 2 9 .
»4 A R 216 — SW X V I 341. A R 178 f. (Ms.) — SW X V I 313. 39 A R 201 (Ms.).
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keit des Reichs Gottes zur Wirksamkeit in der Welt werde, räumt er ihr zugleich eine gewisse Zukunftsdimension ein. Die dergestalt anerkannte Zukunft kommt allerdings, wie es zunächst scheint, nicht dem göttlichen Reich selber, sondern allein dem weltlichen Reich zu. Daß Hegel sich scheut, die für den Begriff seiende Gegenwart des Gottesreichs selber in die Zukunft zu verlängern, läßt sich aber aus einem Umstand erklären, der als das genaue Gegenteil der ihm nachgesagten Verweltlichung anzusehen ist. Auch ohne Rückgriff auf irgendwelche Äußerungen kann man ja die spezifische Zukunft des Gottesreichs von der Tendenz seines Wirksamwerdens in der Welt ablesen. Sie liegt im Zielpunkt der Bewegung, welche die Welt mit Freiheit durchdringt. Das Ende dieser Bewegung kann nur noch das mit der Vollendung des Gottesreichs ankommende Heil sein, weil es notwendig das Ende der Welt ist. Das Reich Gottes drängt nach Hegel nidit auf seine Verweltlichung, sondern auf die Aufhebung des Reichs der Welt. Denn die Weltlichkeit der Welt ist durch den Widerstand definiert, den sie ihrer Befreiung entgegensetzt. Die vollkommene Verwirklichung der Freiheit fällt also mit der Uberwindung der Welt zusammen. Nun gibt es das Auseinandertreten der Geschichte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur, solange es Welt gibt. Dieses Auseinandertreten macht die Gesdiichte zur Weltgeschichte, welche mit dem Aufhören von Welt ebenfalls aufhören muß. Und deshalb hat es in der Sicht Hegels keinen Sinn, dem Reich Gottes eine Zukunft beizulegen. Spricht man von der ihm eigenen Zukunft, dann denkt man in der Form der Vorstellung. Das bedeutet aber, daß man seinen Gegenstand in einer Form zu erfassen versucht, die mit der Erscheinung des Gegenstands verschwindet. Hat doch auch die Vorstellung, als das in die Zeit auseinandernehmende Bewußtsein von Welt, mit deren Überwindung ausgespielt. Konkret ist das der Fall, sofern die Uberwindung der Welt alle Trennungen aufhebt, welche die Vorstellung herstellt, nicht nur die zeitlichen, sondern auch die räumlichen. Wenn Hegel dieselbe Vorstellung, die das Reich Gottes in die Zukunft verlegt, der Verflüchtigung dieses Reichs in ein Jenseits bezichtigt, so macht er gegen das Jenseits nicht etwa ein Diesseits geltend, sondern die Vermittlung des Gegensatzes von Diesseits und Jenseits. Die Aufhebung der Welt ist nichts anderes als diese Vermittlung. In ihr ereignet sich demnach das Zu-sich-selbst-kommen des Begriffs, als dessen Loslösung von der Macht des Vorstellens. Durch diese Vorstellungsunabhängigkeit des Begriffs müßte Hegel die für das Ende der Zeit verheißene Schau Gottes von der hier und jetzt aufgegebenen Philosophie unterscheiden. Deren Endlichkeit beruht im wesentlichen darauf, daß sie nicht reiner,
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sondern auf die Vorstellung angewiesener Begriff ist. Als auf die Vorstellung angewiesener Begriff ist sie aber auch genötigt, die Gegenwart des göttlichen Reichs, in welchem sie ihre Heimat hat, in die Zukunft des weltlichen Reichs zu übersetzen. Damit gibt sie der Weltgeschichte nur wieder, was sie von ihr genommen hat, als sie sich die historische Vergangenheit des Christusgeschehens zur Gegenwart verklärte. Es handelt sich da aber tatsächlich um einen Ubersetzungsvorgang, der die mit der Endlichkeit gesetzte Gespaltenheit menschlicher Existenz bezeugt. Denn die weltlich werdende Philosophie tritt ja nicht bloß in einer identischen Geschichtssphäre von der Gegenwart in die Zukunft hinüber. Vielmehr ist schon die Gegenwart, deren sie sich mit ihrem Weltlichwerden annimmt, als zeitliche eine andere als die ewige, die sie in der Sphäre des absoluten Geistes genießt. Unter der Botmäßigkeit des Anspruchs, den sie als Explikation christlicher Vorstellung erfüllen will, zwingt sie beides zusammen: „zu erkennen, was unveränderlich, ewig, an und für sich ist" 37 , und „ihre Zeit in Gedanken" zu erfassen38. Die Erkenntnis der ewigen Wahrheit, für die Griechen nur erreichbar im Überstieg über die geschichtliche Wirklichkeit, verwandelt sich für sie in eine Besinnung auf den „Logos in Christo" 39 , welchen sie seinerseits als das ihre Zeit durchwaltende Grundgeschehen erfährt40. So ist sie als Erkenntnis der ewigen Wahrheit „Wissen des Substantiellen ihrer Zeit" 41 . Die in dieser Identität eingeschlossene Differenz bezeugt aber die Zweiheit der Reiche, denen sie angehört, sofern ihr Gottesdienst zugleich „Weltweisheit" sein soll42. Es ist nun freilich eben dieses Selbstverständnis der Hegeischen Philosophie, das keinen Glauben gefunden hat und dessen Angemessenheit das die Encyclopädie abschließende Aristoteles-Zitat selber in Zweifel zu ziehen scheint. Seit je steht es unter dem Verdacht der „Zweideutigkeit". Auf eine für die öffentliche Meinung gültige Weise formuliert diesen Verdacht Karl Löwith. Die Hegeische „Bestimmung Gottes als Geist oder Logos ist", schreibt Löwith, „dem am meisten philosophischen Evangelium Johannes entnommen; sie beruft sich aber nicht minder auf den sich selber denkenden Nous der Aristotelischen Metaphysik (XII, 7), mit deren Zitat Hegel seine Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, diese letzte Summe des Wissens schließt — als wäre der aristotelische Nous und der johanneische Logos ein und desselben Geistes" 43 . In einer SW X V I I 1 9 . « Maurer (95), S. 16. S W X V I I 35. «SWXVII85. 3» Gebhardt (31), S. 43. 42 Ph. Wg. II 924 — SW X I 5 $6. 43 Löwith (82), S. 19$. Zu Hegels Auslegung des Aristotelischen nous vgl. Weiss (150), n
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gewissen Opposition gegen eine solche Unterstellung haben wir die Vermutung ausgesprochen, daß der ausschließliche Inhalt der Hegeischen Philosophie tatsächlich und nicht nur nach ihrem Selbstverständnis der des Christentums sei und daß die Form, auf welche die Encyclopädie mit dem Hinweis auf die theoria des nous abzielt, lediglich ein Moment derjenigen Form darstelle, die Hegel aus dem spezifischen Inhalt seines Denkens selber schöpft. Was vorläufig nicht mehr als eine Vermutung ist, kann sich jedoch erst im jetzt zu leistenden Nachvollzug der durchweg eschatologischen Konzeption Hegelscher Philosophie wirklich erweisen. Bei diesem Versuch werden wir dort ansetzen, wo das nachzukonstruierende Denken als rückwärts gewandte Schau mit Aristotelisdier Metaphysik immerhin die größte Ähnlichkeit aufweist; der weitere Gang der Reflexion soll dann auf die Zukunftsperspektive hinlenken, welche die Analyse des Reich-Gottes-Begriffs bereits aufgerissen hat. Zunächst ist also zu zeigen, daß Hegel die Archäologie, die seinem Denken das Aussehen traditioneller Metaphysik gibt, faktisch in seine christliche Eschatologie einarbeitet und zur Erhellung jener Struktur verwendet, die ihm die göttliche Antizipation des Reichs Gottes vorgegeben hat. Im Zurücksehen bedenkt die Philosophie Hegels diejenige Wirklichkeit der Versöhnung, die ihr das Vorstellen als Vergangenheit offeriert und die sie begreifend in lebendige Gegenwart überführt. Sie bedenkt damit dreierlei. Rückwärts gewandt, beschäftigt sie sich erstens mit der Versöhnung, die als eine selber ständig gegenwärtige Vergangenheit im absoluten Geist immer schon vollbracht ist und von ihm stets aufs neue vollbracht wird. In einer Rückwärtsgewandtheit von einer anderen Art, die sich deutlicher gegen die Bewegungsrichtung Aristotelischer Metaphysik abhebt, wendet sie sich zweitens der Versöhnung zu, sofern diese in Christus erschienen und gewiß geworden ist. Zu den Fragen, die sie offen läßt, gehört in vorderster Linie das methodologische Verhältnis zwischen diesen beiden Seiten desselben Themas. Die Offenheit der Problematik beruht jedoch nicht auf Indifferenz, sondern auf der Scheu vor den Konsequenzen eines Ansatzes, den Hegel im Prinzip realisiert hat, indem ihm aufgegangen ist, daß die Griechen „weder in der Philosophie noch in der Religion zur Erkenntnis der absoluten Unendlichkeit des Geistes gelangt" sind, sondern daß „erst das Christentum (...) durch die Lehre von der S. 3 7 — 5 4 . Weiss ergänzt die vorliegende Arbeit durch die starke Berücksichtigung der Aristoteles-Interpretation, die Hegel in den Vorlesungen gegeben hat ( S W X V I I I 2 9 8 — 4 2 3 ) . Allerdings läßt er das Problem der Beziehung zum Christentum völlig beiseite.
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Menschwerdung Gottes und von der Gegenwart des heiligen Geistes in der gläubigen Gemeinde dem menschlichen Bewußtsein eine vollkommen freie Beziehung zum Unendlichen gegeben, und dadurch die begreifende Erkenntnis des Geistes in seiner absoluten Unendlichkeit möglich gemacht" hat44. Diesem Ansatz zufolge ist die Offenbarung des Versöhntseins Gottes in dessen Sohn die Erkenntnisgrundlage für die philosophisdie Enthüllung des Versöhnungscharakters der Wirklichkeit im ganzen. Sofern sie aber als die „Fülle der Zeit" zugleich deren Mitte ist, welche die antike Kunst zu ihrer Vor- und die moderne Philosophie zu ihrer Nachgeschichte qualifiziert, „erinnert" Hegel im Zurücksehen auf sie die zeitliche Geschichte des absoluten Geistes. Gleichfalls rückwärts gewandt, aber am weitesten entfernt von griechischer Metaphysik, beschreitet Hegel drittens im Gedanken noch einmal den Weg, den die Menschheit bis zu ihm hin gegangen ist, am Leitfaden der Frage, wie sie sidi ante Christum natum dem sittlichen Prinzip der Versöhnung, der Freiheit, angenähert und es post Christum natum in die Tat umgesetzt habe. Von griechischer Metaphysik am weitesten entfernt ist diese Betrachtung trotz der auch ihr eigentümlichen Rückwärtsgewandtheit, weil sie am ausdrücklichsten Weltgeschichte thematisiert. Sie ist es darüber hinaus auch, sofern sie vornehmlich abzielt auf die subjektive Realisation der durch Christus als objektiv bezeugten Versöhnung im religiös-politischen Geschichtsprozeß von der Reformation bis zur Napoleonischen „Aufhebung" der Französischen Revolution. Hegel verbindet den ersten Gesichtspunkt mit dem dritten, wenn er aus dem umrissenen Sachverhalt den Schluß zieht: „Die Philosophie ist insofern Theologie. Sie stellt die Versöhnung Gottes mit sich selbst und mit der Natur dar, daß die Natur, das Anderssein an sich göttlich ist und daß der endliche Geist teils an ihm selbst dies ist, sich zur Versöhnung zu erheben, teils in der Weltgeschichte zu dieser Versöhnung kommt, diese Versöhnung hervorbringt." 45 Die ungenaue Sprache der religionsphilosophischen Vorlesungen verdeckt, ob und inwiefern Hegel hier audi den zweiten Gesichtspunkt, die Offenbarung des Versöhntseins und damit des Geistes selber im Gottmenschen, berücksichtigt. Indem er die Versöhnung Gottes mit der Natur besonders erwähnt, verweist er nur auf seine Lehre, daß der absolute Geist das ihm scheinbar Fremde durch die ewige Rückkehr aus seiner Entäußerung immer schon aufgehoben habe; und die Zwei-
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S W X i o (Encyclopädie, § 377, Zusatz). A R 228 — S W X V I 354.
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teilung der dem endlichen Geist gewährten und von ihm dann audi hervorzubringenden Versöhnung soll bloß kenntlich machen, daß deren subjektive Realisation in der historischen Epoche nach Golgotha, als eine zum Menschsein selbst gehörige, einmal von jedem einzelnen und zum andern von der weltgeschichtlich fortschreitenden Gattung zu leisten sei. Doch eben in solcher Realisation denkt Hegel, seiner Hauptthese gemäß, als die Bedingung ihrer Möglichkeit stets das Ereignis der Menschwerdung mit. Den christlichen „Kultus", als den er ja sowohl die individualgeschichtliche wie die weltgeschichtliche Verwirklichung des objektiven Versöhnungsgeschehens bezeichnet, nennt er seinerseits ein „zweiseitiges Tun", das außer „des Menschen Opfer" nicht nur auch, sondern im Grunde „Gottes Gnade" ist, eine in sich „gedoppelte Tätigkeit", welche die Versöhnung als „in Gott selber vollbracht" voraussetzt und diese ihre Voraussetzung selber mit sich führt 46 . In und von Gott vollbracht aber wurde die Versöhnung nach Hegel erst dadurch, daß ihre Objektivität sich mit ihrer Erscheinung in Christus vollendet hat. Es wird in unseren Analysen noch ein schweres Gewicht auf die Feststellung fallen, daß es dieses Anundfürsichsein ist, auf das Hegel abhebt, wenn er nach jener Beschreibung des „Kultus" fortfährt: „was als mein Tun erscheint, ist Gottes Tun, und umgekehrt Gott nur durch meine Tätigkeit. Beides in einem ist die absolute Versöhnung. Diese ist dann freilich dem nur moralischen Standpunkt, z.B. dem Kants und Fidites entgegen; denn auf diesem soll das Gute immer erst realisiert werden mit der Bestimmtheit, daß es bei diesem Sollen bleibe, als ob es nicht schon an und für sich da wäre" 47 . Das Wörtchen „schon" drückt den formalen Charakter aus, der den drei bisher hervorgehobenen Momenten des nach Hegel philosophisch darzustellenden Inhalts gemeinsam ist: der im ewigen Insichsein des absoluten Geistes vorweggenommenen, der in Christus offenbar gewordenen und der seitdem subjektiv realisierten Versöhnung. Es bringt zur Sprache, was die Philosophie der Versöhnung in allen drei Richtungen zu einer „archäologisch" ausgerichteten Betrachtung macht. Indessen heißt Versöhnung Heil, und das Heil ist das Eschaton. Das Eschaton tritt bei Hegel unter dem Titel des „absoluten Endzwecks" oder „letzten Endzwecks der Welt" auf. Seine Philosophie der Versöhnung ist eine Lehre vom absoluten Endzweck. Sie ist also nach jenen drei Seiten ihres Bezugs zur Vergangenheit eine Archäologie des Eschaton. Im Kontext der oben angeführten Stellen faßt Hegel seine Kardinalthese vom mensch48 47
BRzj8 —SWXV238. BR 2j8 f. — SWXV 238.
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liehen Handeln als subjektiver Realisation der objektiven und absolut vollbrachten Versöhnung in die höchst bedeutsame Aussage, daß „der Kultus das Anundfürsichsein des letzten Endzwecks der Welt voraussetzt"48. Das Paradox der spezifisch christlichen Eschatologie könnte er kaum treffender formulieren: Das Anundfürsichsein des letzten Endzwecks der Welt ist das Schon-angekommensein des Kommenden. Als Archäologie des Eschaton lebt die Philosophie Hegels aus dem Geheimnis der christlichen Eschatologie, die den totalen Ausstand des Eschaton durch die Botschaft von dessen göttlicher Antizipation negiert. Wenn aber der Inhalt ihrer archäologischen Darstellung wirklich das Eschaton ist, dann kann ihre Form davon nicht unberührt bleiben. Denn das Eschaton kann, wie immer es auch gegeben sein mag, nur in eschatologischer Einstellung thematisch werden. Mithin ist die Philosophie Hegels auch ihrer Form nach als Archäologie zugleich Eschatologie. Wir haben so einen ersten Beweis dafür erbracht, daß sie keineswegs ihrem christlichen Inhalt eine griechische Form aufzwingt, sondern diese mit jenem in Anpassung an dessen eigene Verfassung vermittelt. Dabei ist festzuhalten, was wir bereits ausgemacht haben: Auch das archäologische Formelement rechtfertigt sich aus dem mit dem Gegenstand christlicher Eschatologie identischen Inhalt. Es verhält sich also nicht so, daß in eine Form, die als archäologische die der Aristotelischen Metaphysik sein müßte, vom christlichen Inhalt her bloß ein eschatologisches Element eingeflossen wäre. Vielmehr kann Hegel die archäologische Form, die ursprünglich die der griechischen Metaphysik war, allein deshalb auf den christlichen Inhalt anwenden, weil sie in diesem vorgebildet ist. Ihre Präfiguration auf dem eigenen Boden christlicher Eschatologie ist der ermöglichende Grund dafür, daß es Hegel gelingt, auf den christlichen Inhalt seiner Philosophie eine Form zuzuschneiden, in welcher Archäologie und Eschatologie zu einer vorher nie dagewesenen Einheit zusammengewachsen sind. Indessen ist diese Einheit, die sich in die drei Richtungen des vergangenen Versöhnungsgeschehens entfaltet, selbst bloß eine von drei Weisen, in denen Hegel das archäologische und das eschatologische Element zu einer einheitlichen Form von Philosophie komponiert. Wir haben gesagt: Aus der Kongruenz des Inhalts dieser Philosophie mit dem der christlichen Eschatologie folgt zunächst, daß Hegel es mit derjenigen Versöhnung zu tun hat, die ihm als eine in einem dreifachen Sinn gegenwärtige Vergangenheit vorgegeben ist. Er hat es mit ihr dergestalt zu tun, daß er sie 48
S W X V 2 3 9 ; ähnlich B R 234.
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darstellt und nichts anderes als sie darstellt. Aber die Darstellung der Versöhnung ist nach seinem Verständnis selber Versöhnung. In derselben Passage, in der er Philosophie als Darstellung der Versöhnung definiert, weist er dem Denken die Aufgabe zu, in einer Zeit, in der das unmittelbar-unreflektierte Zutrauen zur Glaubenswahrheit geschwunden und zwischen der Religion und dem Verstand ein Gegensatz aufgebrochen sei, „diesen Gegensatz durchzumachen, bis er zur Versöhnung kommt"; und er fügt dem hinzu: „Diese Versöhnung ist die Philosophie" 48 . Für eine bestimmte A r t von Versöhnung gibt er da sein eigenes Philosophieren aus. Was immer es sachlich mit solcher Versöhnung auf sich haben mag, evident ist jedenfalls das Formale, daß mit ihr Archäologie und Eschatologie in eine neue Einheit verschmelzen. Diese Einheit hat ebenso wie die erste die Bedeutung strenger Identität. Nur fällt die Identität jetzt noch genauer als vorher in den A k t des Philosophierens selber. Wohl hängen im zuerst betrachteten Fall das archäologische und das eschatologische Moment an der Darstellung des Inhalts und nicht an einem vom darstellenden A k t unabhängigen Objekt, aber auf die Seite des noematischen Gegenstands fallen sie da immerhin insofern, als mit dem archäologischen audi das eschatologische Moment aus der für die Darstellung konstitutiven Einstellung folgt, die der Gegenstand fordert: Die von Gott vollbrachte und partiell auch schon von den Menschen verwirklichte Versöhnung läßt sich als vergangene nur in archäologischer und als letzter Endzweck der Welt nur in eschatologischer Einstellung wahrnehmen, so zwar, daß die gegenständliche Identität der Vergangenheit des Schon-vollbrachtseins und der Zukünftigkeit des Endzwecks die Identität von archäologischer und eschatologischer Einstellung motiviert. Hingegen liegt im Sinn der Versöhnung, welche die Philosophie Hegels selber sein soll, die Subjektivität des Aktes. Sie ist ja keinswegs bloß der Abglanz der darzustellenden Versöhnung. Vielmehr ist sie dieser gegenüber etwas qualitativ Verschiedenes. Die darzustellende Versöhnung hat ihren Schwerpunkt in jener absolut-objektiven, die mit ihrer Offenbarung abgeschlossen wurde, und umfaßt die subjektive nur insoweit, als sie imgleichen schon vor dem Auftreten der Hegeischen Philosophie „hervorgebracht" worden ist und ihr als Objekt vorliegt. Darüber hinaus aber soll die Philosophie Hegels Versöhnung in dem Sinne sein, daß sie diese in ihrem aktuellen Vollzug zu leisten hat. Sie ist also in sich selbst Endzweck. Sie hat selber einen eschatologischen Charakter. Ihn aber hat sie in eins mit einer archäolo-
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A R 228 — S W X V I 3 54.
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gischen Verfassung, die ebenfalls dem subjektiven Vollzug des Denkens zusätzlidi zu seiner darstellenden Funktion eignet. Das Esdiatologische deutet in die Zukunft, das Archäologische in die Vergangenheit. Da in der hier zu beleuchtenden Perspektive beides dem Akt des Philosophierens selber zugehören soll, muß dessen Gegenwart einerseits für Zukunft geöffnet sein und andererseits Vergangenheit in sich aufbewahren. Diese dem gegenwärtigen Denken einwohnende, in ihm anwesende Vergangenheit ist dasjenige Denken, das es in der Zeit des Unglaubens mit der von Gott angebotenen Versöhnung zu versöhnen hat. Das zu versöhnende Denken wirkt als solches im versöhnenden nach. Gleichwohl wendet das versöhnende sidi ihm in einer Rückschau zu, die es zu der dem eschatologischen Charakter seines eigenen Vollzugs entsprechenden Archäologie qualifiziert. Das Denken, auf das sich die Versöhnungstätigkeit der Hegeischen Philosophie auf solche Weise richtet, ist die für sie vergangene und doch als untergeordnetes Moment in sie eingegangene Verstandesreflexion der „Aufklärung", die in der Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Christentum auf der Stufe negativer Befreiung stehengeblieben ist. Nach § 573 der Encyclopädie „sieht" ja die in Hegel ihren Begriff erfassende Philosophie auf die dem Glauben entfremdete Verstandesreflexion genauso „zurück" wie auf den Inhalt der „objektiven und äußerlichen Offenbarung", der den ganzen Prozeß des Kampfes um seine Form in Gang gebracht hat. Auch in diesem Punkt ist Hegeische Philosophie keine reine Archäologie im Sinne einer von der eschatologischen Problematik des christlichen Versöhnungsgeschehens losgelösten Metaphysik. Wie im ersten Aspekt der archäologisch-eschatologischen Doppelstruktur, so ist es auch im zweiten die je anders als Eschaton fungierende Versöhnung, die das archäologische Moment legitimiert. Das war in bezug auf die Darstellung des Inhalts der Fall, weil die dargestellte Versöhnung, wiewohl als letzter Endzweck der Welt Zukunft, doch schon angekommen ist; und das ist nun der Fall, weil die im subjektiven Denken zu vollziehende Versöhnung des Denkens mit jener objektiven Versöhnung auch in ihrer spezifischen Subjektivität die Vergangenheit enthält, deren Aufhebung allererst Platz schafft für die von ihr vorzubereitende Zukunft. Daß Hegel den Versöhnungsbegriff nicht allein für den Gegenstand, sondern auch für den Akt seines Denkens beansprucht, kann zureichend nur verstanden werden, wenn man beachtet, wie er die in ihm sich vollendende Philosophie in das Schema der subjektiven Realisation objektiver Versöhnung einzeichnet. Ihre Einordnung in den subjektiven Versöhnungsprozeß bildet das Fundament, über dem sich die Konstruktion der archäo-
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logisch-eschatologisdien Doppelstruktur des philosophischen Aktes erhebt. Diese Fundierung nimmt dem Anspruch auf die versöhnende Macht der Philosophie den Schein des Hybriden, das er ohne sie wirklich an sich hätte. Sie relativiert die Versöhnung, welche die Philosophie selber sein soll, sowohl in rückwärtiger Richtung wie in Richtung nach vorn. Was die noch gegenwärtige Vergangenheit betrifft, so enthüllt sich philosophische Versöhnung als Nachahmung der absolut vollbrachten, und was die schon gegenwärtige Zukunft anlangt, so erweist jenes Schema sie als Vorbereitung einer selber nicht mehr bloß philosophischen Versöhnung, die jedoch, als ein Schritt im subjektiven Versöhnungsprozeß, gleich ihr von dessen objektiver Grundlage abhängig bleibt. Die Orientierung des in bezug auf Philosophie verwendeten Begriffs der Versöhnung an der objektiv schon eingetretenen und bezeugten entlastet Hegel von dem Verdacht, sich zum Heiland der Welt aufwerfen zu wollen, und die Ausschau auf einen weiteren Schritt im Gange der subjektiven Versöhnung macht die Vorstellung zunichte, als deklariere der Begriff des Endzwecks, der im Versöhnungsbegriff unmittelbar enthalten ist, die Philosophie Hegels, die losgelöst von ihrem Fundament die uranfängliche Eröffnung des Heils zu sein scheint, nun auch noch zur endgültigen Heilserfüllung 50 . Das kennzeichnet ja gerade die spezifische Herkunft dieses Begriffs, daß er das weltgeschichtlich Letzte und zugleich ein Vergangenes oder Gegenwärtiges meinen kann, dem das Letzte noch bevorsteht. Wie er das Christusgeschehen als die objektive, so bezeichnet er die Philosophie als eine subjektive Antizipation des Esdiaton, und zwar als eine solche, die Hegel selber vom weltgeschichtlich Letzten abgrenzt. Hegel tut das, indem er immer wieder betont, was gegen sein Selbstverständnis Marx entlarven zu müssen glaubt, daß nämlich Philosophie die Versöhnung, die sie selber als die Form des begreifenden Denkens ist, auch nur im Denken hervorbringen könne: „es ist ihre Versöhnung eine Versöhnung nicht in der Wirklichkeit, sondern in der ideellen Welt" 51 . Durch die Hervorhebung ihrer Idealität reißt er die Kluft auf, die zwischen ihr und der in der Weltgeschichte schließlich anzustrebenden Verwirklichung des Reichs Gottes besteht. Denn das Wirksamwerden des Reichs Gottes in der Welt ist reale Versöhnung, genauer: diejenige Versöhnung, durch welche die w
Als Beispiel für dieses gängige Mißverständnis sei eine Äußerung von Gebhardt angeführt, der über Hegel schreibt: „Er erlebt die Verklärung Jesu als seine eigene und zieht damit das Esdiaton in sich hinein und vollzieht selbst die der Gnade Gottes am Ende der Zeit vorbehaltene Erlösung" (31, S. 44). « S W X V I I 83.
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Realität des objektiven Versöhnungsgeschehens sidi mittels der von ihr erwirkten Tätigkeit menschlicher Subjekte auf der Ebene weltlicher Wirklichkeit einholt. Im Vorblick auf die weltlich-reale Versöhnung kennzeichnet Hegel die philosophische durchaus als eine solche, die bloß in der ideellen Welt geschieht. Sie ist für ihn „nur eine partielle ohne äußere Allgemeinheit" 52 . Als eine nur partielle relativiert sie sich selbst im Verhältnis zur weltlich-realen Versöhnung, die allein als eine auch äußerlich allgemeine gelten könnte53. Die Einordnung der Philosophie in den Prozeß der subjektiven Realisation absolut-objektiver Versöhnung nimmt Hegel an unzähligen Stellen sowohl der religions- wie auch der geschichtsphilosophischen Vorlesungen vor. Wohl am ausdrücklichsten aber vollzieht er sie in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Es heißt dort: „Das Interesse, um das es sich jetzt handelt, ist, das Prinzip des Christentums ( . . . ) zum Prinzip der Welt zu machen; es ist die Aufgabe der Welt, diese absolute Idee in sich einzuführen, in sich wirklich zu machen, daß sie versöhnt werde mit Gott. Zuerst gehört dazu die Verbreitung der christlichen Religion, daß sie in die Herzen der Menschen komme ( . . . ) . Das Zweite ist, daß das Prinzip der christlichen Religion für den Gedanken ausgebildet werde, der denkenden Erkenntnis angeeignet werde, in dieser verwirklicht sei: so daß sie zur Versöhnung kommt, daß sie in sich habe die göttliche Idee, daß der Reichtum der Gedankenbildung der philosophischen Idee vereinigt werde mit dem christlichen Prinzip. ( . . . ) Das Dritte ist dann, daß die Idee der Wirklichkeit eingeimpft, immanent sei, daß nicht nur sei eine Menge von glaubenden Herzen, sondern daß aus dem Herzen vielmehr, wie Naturgesetz, so konstituiert werde Leben der Welt, ein Reich, — die Versöhnung Gottes mit sich sich vollbringe in der Welt, nicht als ein Himmelreich, das jenseits ist; sondern die Idee muß sich realisieren in der Wirklichkeit. ( . . . ) Mit anderen Worten, die Gesetze, Sitten, Staatsverfassungen, und was überhaupt zur Wirklichkeit des geistigen Bewußtseins gehört, soll vernünftig werden. Dies sind die drei Aufgaben."54 Besonders bedeutsam an derlei Aussagen ist in unserem Zusammenhang die Reihenfolge des zweiten und des dritten Schrittes der subjektiven Versöhnungsgeschichte. Aus ihr geht hervor, daß Philosophie die weltlich-reale Versöhnung, d.h. die vollkommene Verwirklichung von 58 5S
54
S W X V I 3 5 6 ; ähnlich A R 2 3 1 . Insofern läßt sich auch kaum rechtfertigen, was Adorno sagt: „Die philosophische Antezipation der Versöhnung frevelt an der realen" (1, S. 39). S W X I X 106 ff.
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Vernunft und Freiheit, als Zukunft vor sich hat. Demgegenüber wiegt der Umstand, daß die angeführte Passage im Kontext der Analyse mittelalterlichen Denkens steht, wenig. Hegel kann nicht nur nach den Regeln der formalen Logik auf seine eigene Philosophie anwenden, was er von der zur zeitlichen Geschichte des absoluten Geistes gehörigen Philosophie im allgemeinen sagt. Er darf sogar, was er faktisch auch tut, ganz speziell seine eigene Philosophie im Auge haben. Denn diese ist mehr als ein einzelner Fall des beschriebenen Denkens; sie ist die einzige Philosophie, die, zumindest nach ihrem Selbstverständnis, die geforderte Versöhnung im „Gedanken" leistet. Indem aber die Hegeische Philosophie mit der bloßen Idealität und Partikularität ihrer Versöhnungstätigkeit das darin liegende Noch-Nicht bekennt, setzt sie sich selbst in eine Beziehung zur Zukunft der vollkommenen Reichsverwirklichung in der Welt. Nicht nur in der Phänomenologie spricht Hegel seine Überzeugung aus, „daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist", eine Zeit, die das Denken auffordert, das in ihr gärende Neue durch reale Weltveränderung zu befördern: „Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung"65; noch in einer vermutlich 1829/30 gehaltenen Vorlesung sagt Hegel: „In solchen Zeiten, wo die politische Existenz sich umkehrt, hat die Philosophie ihre Stelle; und dann geschieht es nicht nur, daß überhaupt gedacht wird; sondern dann geht der Gedanke voran und bildet die Wirklichkeit um."" Daß diese Zukunflsbezogenheit der Philosophie, deren Begriff Hegel zu erfassen versucht, in dessen Werk dennoch so selten für sich allein hervortritt, ist in der Verbindung begründet, welche die Eschatologie auch hier mit der Archäologie eingeht. Die Zukunft, zu der sich das versöhnende Denken in ein Verhältnis setzt, ist das Esdiaton im strengsten Sinne, das jedenfalls für die Welt wahrhaft Letzte, das nicht mehr überholt werden kann, weil in ihm die objektive Versöhnung mit der subjektiven zur vollen Deckung gelangen soll. Im Sich-verhalten zu ihr ist also desgleichen Hegels Philosophie Eschatologie im strengsten Sinne. Doch glaubt sie Philosophie nur sein zu können, wenn sie in das prospektive Heilswissen des Christentums auch in dieser dritten Hinsicht die retrospektive Erkenntnis vormals griechischer Metaphysik integriert. Ihre archäologische Schau richtet sich nun freilich nicht, wie im ersten Fall, direkt auf die ursprünglich in und "
w
SWII18. System und Geschichte der Philosophie, hrsg. v. J . Hoffmeister, Leipzig 1940, S. 360.
25 Theunissen, Hegel
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v o n G o t t selbst vollbrachte Versöhnung und auch nidit, w i e im zweiten Fall, auf das mit dieser Versöhnung zu versöhnende Denken. Sie richtet sich unmittelbar statt dessen auf die je gegenwärtige Geschichtszeit und das darin w i r k s a m e Versöhnungsgeschehen. D e r ausgeprägtesten,
am
entschiedensten der Z u k u n f t zugewandten Gestalt des „christlich eschatologisdien Bewußtseins" 5 7 entspricht im Denken Hegels eine Archäologie, die als aktuelle Zeitdiagnose „das, w a s ist", auf seine Gründe zu durchschauen hat. U n d auch auf dieser Ebene ist die Einheit v o n Archäologie und Eschatologie echte Identität. D e n n eben damit, daß das versöhnende Denken die G r ü n d e aufspürt, welche f ü r den gegenwärtigen Z u s t a n d der W e l t verantwortlich zu machen sind, enthüllt es die Tendenzen, die aus der G e g e n w a r t in die Z u k u n f t treiben, so w i e es allerdings auch umgekehrt v o n der Voraussetzung ausgeht, daß die konkret geschichtliche Z u k u n f t , die als das unbewegte Phantasiebild einer E t h i k des abstrakten Sollens in dialektischer U m k e h r u n g der Zeitdimensionen nur das hypostasierte O b j e k t der v o n Vergangenheit gebannten Kontemplation widerspiegeln w ü r d e , philosophisch nicht anders als im immer auch rückschauenden Durchschauen der G r ü n d e gegenwärtiger Geschichtswirklichkeit a u f g e hellt werden kann 5 8 .
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88
Chapelle (18), I, S. 1 7 3 ; vgl. S. 130 f. und den ganzen Abschnitt „Scientia Dei et beatorum — Systeme de la Science" (S. 170—178). Hegel würde wohl in diesem Punkt Lukics zustimmen, der sehr richtig bemerkt: „Solange der Mensch sein Interesse — anschauend kontemplativ — auf Vergangenheit oder Zukunft richtet, erstarren beide zu einem fremden Sein, und zwischen Subjekt und Objekt ist der unüberschreitbare ,schädlidie Raum' der Gegenwart gelagert. Erst wenn der Mensch die Gegenwart als Werden zu erfassen fähig ist, indem er in ihr jene Tendenzen erkennt, aus deren dialektischem Gegensatz er die Zukunft zu schaffen fähig ist, wird die Gegenwart, die Gegenwart als Werden, zu seiner Gegenwart" (83, S. 392). Maurer (9$, S. 13) macht darauf aufmerksam, daß die Philosophie, die „ihre Zeit in Gedanken erfaßt", dem wahren, durchaus nicht reaktionären Sinn dieser Definition gemäß „auch die nächste Zeit" mit im Griff habe. Mit demselben Recht erklärt Fulda (27, S. 48), eine Philosophie, die wie die Hegeische das „Wissen des Substantiellen ihrer Zeit" sein wolle, werde „zur inneren Geburtsstätte einer späteren Wirklichkeit". Außerordentlich bedeutsam für unsere Sicht ist audi Marquards genaue Bestimmung des Gegenstandes der Hegelsdien Sollenskritik, die sich allein gegen die Trennung des Sollens von der Wirklichkeit wendet und in Verbindung mit der audi von H. Marcuse (90, bes. S. 1 1 , 17, 22, 28, 34 f.) nachdrücklich betonten Weigerung, „das Gegebene als Instanz zu akzeptieren" (92, S. 1 1 1 ) , durchaus Zukunft, als geschichtlich vermittelte, offenhält. Marquard definiert die Philosophie Hegels von hier aus als eine eigentümliche Art von Hermeneutik, und zwar als die „philosophische Bildung des Sinns für das sdion Erreichte als Empfindlichkeit gegen jede Form von Unterbietung des erreichten Stands" (92, S. 118).
4. Einheit von Theorie und Praxis Die Philosophie Hegels hat sich als eine dreifaltige Einheit von Archäologie und Eschatologie erwiesen. Nach unseren Ausführungen über die Verwandtschaft einerseits von radikaler Archäologie und reiner Theorie, andererseits von Eschatologie und revolutionärer Praxis müßte sie desgleichen Einheit von Theorie und Praxis sein. Daß sie sich in der Tat selber so versteht, beweisen zumindest drei Aussagekomplexe. i.Die Phänomenologie erklärt das „absolute Wissen", d.h. die sich in Hegel vollendende Philosophie, aus einer Vereinigung des „handelnden" Geistes mit der Religion als Bewußtsein vom absoluten Inhalt in der theoretischen Form der Vorstellung. Erst wenn das in der Religion Vorgestellte ins Handeln aufgenommen ist, kann man ihr zufolge sagen: „das Selbst führt das Leben des absoluten Geistes durch"1. 2. Die Logik betraditet die „absolute Idee" als „Identität der theoretischen und der praktischen"2. Hauptgegenstand ihres Schlußkapitels über die absolute Idee ist die Methode der Philosophie; die philosophische Methode aber sieht sie im Lichte jener Identitätsthese, welche sich ihr aus der vorangegangenen Beschreibung der theoretischen „Idee des Wahren" und der praktischen „Idee des Guten" ergeben hat. 3. Die Ästhetik deutet, was bereits bei der Exegese des encyclopädischen Textes erwähnt wurde, auch die Idee des Schönen und mit ihr die ganze von der Kunst aufgeschlossene Sphäre des „absoluten Geistes" als „Vereinigung" der Gesichtspunkte, die im „Theoretischen" und im „Praktischen" jeweils nur einseitig geltend gemacht werden3. Nach allen drei Zeugnissen4 ist die Absolutheit, die ihren angemessensten Ausdruck in der Philosophie Hegels findet, geradezu durch die Einheit von Theorie und Praxis definiert, derart daß von ihr jedenfalls so lange nicht die Rede sein kann, als es noch nicht zu dieser Einheit gekommen ist. 2 ^ W II 608. S W V 327. » SW X I I 1 6 1 — 1 6 6 . Vgl. zu den beiden letztgenannten vor allem Riedel (118).
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Konstruktion des Philosophiebegriffs „ E i n h e i t v o n T h e o r i e u n d P r a x i s " — das ist zunächst freilich bloß
ein leeres W o r t . E s d ü r f t e k a u m eine ernst z u nehmende Philosophie geben u n d je gegeben haben, die nicht auf irgendeine W e i s e theoretisch u n d praktisch zugleich w ä r e . S o l l die heute z u m S c h l a g w o r t herabgesunkene F o r m e l wirklich e t w a s sichtbar machen, dann m u ß genau bestimmt w e r den, w a s unter „ T h e o r i e " , w a s unter „ P r a x i s " u n d w a s schließlich unter der „ E i n h e i t " beider M o m e n t e z u verstehen sei. Z u r Kennzeichnung der spezifischen S t r u k t u r Hegelscher Philosophie taugt sie nur, w e n n sich auch der spezifisch H e g e l s d i e Sinn des Begriffes theoretisch-praktischer Einheit a u f k l ä r e n läßt 5 . W i e immer aber die Theorie, die P r a x i s und ihre Einheit z u definieren sein mögen —
aus der dreifachen Einheit, in welche die
Philosophie H e g e l s das ursprünglich griediische G r u n d w i s s e n u n d den ursprünglich jüdischen Heilsglauben auf dem B o d e n des Christentums z u s a m m e n z w i n g t , f o l g t nach der L o g i k unserer K o n s t r u k t i o n , daß diese Philosophie sidi als eine ebenso dreifaltige E i n h e i t v o n T h e o r i e u n d 5
Diese Aufklärungsarbeit ist zu einem guten Teil bereits geleistet worden. Eine kritische Analyse der Theorie-Praxis-Diskussion, die im Anschluß an Hegel in Gang gekommen ist und noch andauert, hat der Verfasser der vorliegenden Untersuchung, weil sie wegen ihres Umfangs deren Rahmen gesprengt hätte, aus dem obigen Kontext herausgelöst und verselbständigt (143). Sachlich gehört sie jedoch in den jetzt freizulegenden Zusammenhang. Auf sie sei darum an dieser Stelle verwiesen. Sie ergänzt die folgenden Erörterungen nicht nur durch eine ausführliche Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur, sondern auch und insbesondere durch die in dieser Auseinandersetzung geltend gemachte Deutung der politischen Jugendschriften und der Rechtsphilosophie Hegels. Die Beziehung zwischen den folgenden Erörterungen und der bisher veröffentlichten Literatur zum selben Thema hat den Charakter eines Komplementärverhältnisses. Einerseits lassen sich die politischen Implikationen der Hegeischen Theologie nur unter Berücksichtigung der anderen Aspekte, die das Problem von Theorie und Praxis bei Hegel hat, zureichend verstehen. Andererseits rückt der Gesamtkomplex allein aus theologischem Blickwinkel ins rechte Licht. Trotz der zahlreichen Versuche ist er noch nie angemessen erfaßt worden, weil alle bisherige Literatur seinen religionsphilosophischen Aspekt vernachlässigt hat. Das Folgende füllt also nicht nur eine thematische Lücke aus, es darf auch mit dem Anspruch auftreten, erstmals eine ganzheitliche Sicht der aus allen anderen Perspektiven notwendig verkürzten Sache zu ermöglichen. Was sodann das Verhältnis des hier behandelten Stoffs zu dem Material betrifft, das einmal in den politischen Jugendschriften und zum andern in der Rechtsphilosophie Hegels ausgebreitet ist, so ist klar, daß der mehr ideelle, aber nicht schon deswegen abstrakte Entwurf einer politischen Theologie seine Basis in den Realien der ökonomisch fundierten Gesellschaftslehre hat. Die Intention dieses Entwurfs bestätigt die von Fulda (27, S. 44 f.) in der Opposition gegen Habermas (41, bes. S. 96 ff.) vertretene These, daß der ältere Hegel sein frühes Konzept einer indirekt praktischen Theorie keineswegs revidiert habe. Ihre innere Verkehrung nötigt aber auch zu einer relativen Anerkennung des seit Haym (47, S. 357—391) immer wieder herausgestellten Umstands, daß die füi Hegels Spätzeit repräsentative Rechtsphilosophie Züge aufweist, die im Vergleich mit seinen progressiven Jugendschriften reaktionär genannt werden müssen.
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Praxis verwirklichen muß. Das Ergebnis unserer geschichtlichen Reflexionen läßt aber auch die Spannung ahnen, die in einem derartigen Denken zwischen dem theoretischen und dem praktischen Moment herrschen wird. Ist es doch die gemeinhin so genannte reine Theorie, die sich mit der radikalen Archäologie griechischer Metaphysik verbindet, und die revolutionäre, alles bloß Theoretische in sich aufsaugende Praxis, welche die gleichermaßen radikale Eschatologie des Judentums hervorgebracht hat. Allerdings müssen wir ständig im Auge behalten, daß das Christentum es ist, auf dessen Fundament die sich scheinbar ausschließenden Momente vereinigt werden sollen. Die Praxis verliert damit zwar nichts von ihrem revolutionären Charakter, wohl aber die Einseitigkeit ihrer Zukunftsorientierung, die mit der Archäologie auch das Fürsichsein der Theorie ausschloß. Die Botschaft von der göttlichen Antizipation des Eschaton erlaubt nicht nur, sondern fordert außer dem Nach-vorn-leben auch jenes „Zurücksehen", in welchem das empfangende Sehen der Theorie mit dem ergründenden Zurücksehen der Archäologie in eins fällt; und die Theorie darf zwar, wenn anders es sich wirklich um die Form ehemaliger Metaphysik handeln soll, mit ihrer Verpflanzung auf das Gebiet der christlichen Religion nichts von ihrer Reinheit einbüßen, aber da ihr Gegenstand nur noch der des Christentums selber sein kann, ist von vornherein anzunehmen, daß sich auch ihre Vollzugsart qualitativ verändert. Es ist auch nicht zu vergessen, in welchem genau umgrenzten Sinne wir die Platonisch-Aristotelische Theorie als reine bestimmt haben. Rein sollte sie insofern und nur insofern sein, als sie sich nicht in den Dienst einer ihr fremden Praxis stellt. Ihre Reinheit beruht ausschließlich auf der Nutzlosigkeit ihres Selbstzwecks, d. h. auf ihrer Freiheit von jeder Intention auf praktische Verwertung. Der Reinheitsforderung käme Hegeische Theorie mithin schon dann nach, wenn sie gegenüber aller über sie hinaustreibenden Praxis die Würde ihres Selbstzweckseins bewahrte. Daß sie darauf bedacht ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Nach der von Fulda® richtig gewürdigten Aussage der Rechtsphilosophie sind sowohl Religion wie auch Erkenntnis und Wissenschaft „wesentlich Selbstzwecke"7. Mit ungewöhnlich pathetischen Wendungen pflegt Hegel insbesondere die Negation zu beschwören, die in dieser positiven Charakteristik liegt: die Verneinung des fremden, des vom theoretischen Akt und dessen Gegenstand getrennten Zwecks. Das Wort von der „leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntnis", mit dem die in seinem 6 7
Fulda (27), S. 24 ff. SW V I I 3Jο (§ 270 Anm.).
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Todesjahr niedergeschriebene Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik ausklingt8, nimmt schon die Vorrede zur Erstausgabe von 1812 vorweg, mit der Erinnerung an „jene Einsamen, die von ihrem Volke aufgeopfert und aus der Welt ausgeschieden wurden, zu dem Zwecke, daß die Kontemplation des Ewigen und ein ihr allein dienendes Leben vorhanden sei, nicht um eines Nutzens, sondern um des Segens willen"9. Die Philosophie, so heißt es dann gar am Ende der religionsphilosophischen Vorlesungen, ist „ein abgesondertes Heiligtum und ihre Diener bilden einen isolierten Priesterstand, der mit der Welt nicht zusammengehen darf" 10 . Gewiß wird es große Schwierigkeiten bereiten zu erklären, wie solche Reinheit sich mit der Eingliederung der Philosophie in den geschichtlichen Prozeß der menschlichen Realisation objektiver Versöhnung vereinbaren lasse, und es wird bei diesem Erklärungsversuch auch ein Rest übrigbleiben, der einer anderen Motivation bedarf. Doch die grundsätzliche Notwendigkeit, dieses Problem zu lösen, macht Hegel selber deutlich, indem er die „Selbstzwecke" zugleich zu „Mitteln der Bildung und Gesinnung" erklärt 11 und den Schluß seiner Religionsphilosophie durch die Versicherung seiner Geschichtsphilosophie relativiert, Philosophie sei „nicht nur die Wahrheit an und für sich, als reine Wesenheit, sondern audi die Wahrheit, insofern sie in der Weltlichkeit lebendig wird" 12 ; und immerhin ist wenigstens die Möglichkeit einer mehrdimensionalen Lösung des Problems dadurch gegeben, daß, wie gesagt, die von Hegel offensichtlich beanspruchte Reinheit, da sie bloß die Dienstbarkeit für äußerliche Zwecke ausschließt, sehr wohl mit einer innerlichen Praxisbezogenheit der Theorie konvenieren könnte. Mustern wir nun zunächst die drei Beziehungen zur Praxis, die im dreifachen Verhältnis der archäologisch ausgerichteten Theorie Hegels zum Esdiaton der Versöhnung enthalten sind! Hegeische Philosophie hat sich uns fürs erste als archäologische Darstellung der schon vor ihr vollbrachten Versöhnung gezeigt, als eine Darstellung, deren Gegenstand sich selbst wieder in drei Aspekte auseinanderlegt: in die vom absoluten Geist immer schon vollzogene, die mit Christus erschienene und die seitdem in Menschentat umgesetzte Versöhnung. Als Darstellung dieser Versöhnung ist Hegeische Philosophie Theorie einer Praxis. Sie beschäftigt sich mit Praxis allerdings nicht schon deshalb, weil Versöhnung vom christlichen Glauben als Tätigkeit vorgestellt und als solche auch philosophisch 8
S W I V 35. » S W IV 14. 10 S W X V I 356; ähnlich A R 2 3 1 (Ms.).
"SWVII3J0. Ph. Wg. II 924 — S W X I $ 56.
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begriffen wird. Gleichwohl setzt die praktische Verfassung der vom Christentum verkündeten Versöhnung deren Tätigkeitscharakter voraus; die Versöhnung könnte nicht Praxis sein, wenn sie kein Tun wäre. Darum ist auch im Hinblick auf unser Thema bedeutsam, wie Hegel christlichen Kultus vom heidnischen unterscheidet: Für diesen soll die in jedem Fall subjektiv zu realisierende Versöhnung „von Haus aus vorhanden", für jenen hingegen „vollbracht" sein13; die mythische Fixierung auf die natürlich-statische Objektivität des Versöhntseins löst sich auf in die christliche Gewißheit von der geschichtlich-dynamischen Objektivität des Versöhnungsgeschehens. Dieses Geschehen konzentriert sich auf das Leben, Leiden und Sterben Jesu. Denn allein darin gibt es sowohl die absolute Objektivität, die dem kultischen Nachvollzug als bloß subjektiver Verwirklichung abgeht, wie auch die totale, den absoluten und den weltlichen Geschichtsprozeß umspannende Historizität, die in dieser Totalität der ewigen Versöhnungstat Gottes noch fehlt. Das Leben, Leiden und Sterben Jesu aber ist in einem genauen Sinne Praxis. Wir dürfen es Praxis im Sinne jener „Interaktion", jenes „kommunikativen Handelns" nennen, das Habermas von der Praxis als dem „instrumentalen Handeln" der „Arbeit" unterscheidet. Diese Unterscheidung auf Hegel anzuwenden, ist erlaubt, weil Habermas sie seinerseits, nachdem er sie von der Aristotelischen Praxis-Poiesis-Distinktion abgelesen hatte, bei Hegel wiedergefunden hat, und zwar bezeichnenderweise in dessen frühestem Entwurf einer Philosophie des absoluten Geistes14. Will man sie im besonderen an Hegels Auslegung der „evangelischen Geschichte" (Strauß) herantragen, so muß man freilich dem Begriff des kommunikativen Handelns, in freier Anlehnung an Jaspers15, eine Bedeutung geben, die er bei Habermas kaum hat: die des liebenden Kampfes, der Liebe, die in sich Kampf, und des Kampfes, der in sich Liebe ist. Kommunikatives Handeln in dieser konkreten Bedeutung ist nicht nur das restlos und vorbehaltlos im Medium des dialogischen Zwischen sich bewegende Leben, sondern auch das Sterben Jesu, das gerade nach Hegels orthodox-dogmatischer Exegese ein Liebes- und Opfertod ist. 13
B R 264 f. — S W X V 2 4 1 ; B R 2 7 7 — S W X V 2 5 4 f. Grundsätzlich lautet die Alternative, „daß entweder die Versöhnung vollbracht oder daß sie an und für sich da, von Haus aus vorhanden ist" ( B R 2 3 $ ) . Unter ihrem Gesichtspunkt wäre audi Hegels eigene Rede vom Anundfürsichsein der Versöhnung zu korrigieren.
14
Habermas (45), bes. S. 9 f., 2 3 — 3 7 ; vgl. zu der f ü r ihn fundamentalen Unterscheidung: Theunissen ( 1 4 2 ) , S. 2 0 — 2 7 . Jaspers (64), S. 3 5 1 ff.
18
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Soweit Hegelsche Philosophie Theorie einer solchen Praxis ist, hat sie es noch nicht allzu schwer, sich ihre Reinheit zu bewahren. Wohl wird man sich schon hier fragen müssen, wie es um die „leidenschaftslose Stille" einer Erkenntnis bestellt sein mag, welche die höchste Leidenschaftlichkeit des Kampfes und der Liebe vergegenwärtigt. Aber formal beurteilt kann audi die Theorie einer Praxis „reine" Theorie sein, weil die Praxis, sofern sie bloß als ihr Gegenstand fungiert, kein ihr transzendentes Ziel ist. Freilich entspricht der relativen Ungefährdetheit des Reinheitsanspruchs in diesem ersten Bezug die Äußerlichkeit, welche die Einheit von Theorie und Praxis da noch an sich hat. Denn selbstverständlich ist eine Theorie damit, daß sie Praxis zu ihrem Gegenstand macht, noch nicht selber Praxis. Die Einheit, mit der wir es vorerst allein zu tun hatten, ist nur die einer intentionalen Korrelation und noch keine Identität. Als Einheit von Theorie und Praxis im strengen Verstände der Identität enthüllt sich die Philosophie Hegels jedoch, sobald man den zweiten Aspekt ihrer archäologisch-eschatologischen Doppelstruktur betrachtet. In dieser zweiten Hinsicht schien sie uns die archäologische Bewegungsrichtung griechischer Metaphysik mit der eschatologischen Tendenz biblischer Heilserwartung dadurch zu vereinigen, daß sie als die auf die bisherige Philosophiegeschichte zurückgewandte Versöhnung des Denkens mit der vom absolut-objektiven Versöhnungsgeschehen gesetzten Wirklichkeit das Eschaton in sich selber wiederholt. Auf Grund der von ihr selbst geleisteten Versöhnung nimmt sie am christlichen Kultus als menschlicher Realisation der göttlichen Liebestat teil; sie ist nichts anderes als „ein fortwährender Kultus" 16 . Der christliche Kultus aber ist, als Verwirklichung des absolut-objektiven Versöhnungsgeschehens durch die menschlichen Subjekte, zunächst genauso ein Tun wie jenes Geschehen; er ist die „Tätigkeit des Aufhebens der Entzweiung" 17 . Sofern das Christentum die Religion des Geistes und der Geist lautere „Aktuosität" ist, kennt es Wirklichkeit überhaupt nur als Tätigkeit; der christliche Kultus kann menschliches Tun sein, weil schon die göttliche Versöhnung eine Handlung ist, und die göttliche Versöhnung kann Handlungscharakter haben, weil Gott selbst reine Tätigkeit ist: „er selbst ist nur seine Tat"16. Der christliche Kultus aber ist, schärfer pointiert, die selbstbewußte Tätigkeit der menschlichen Subjektivität. Als solche bildet er die wichtigste Gegeninstanz gegen die von Habermas vertretene These, Hegel dele" BR 236. » BR 22$ — SW X V 220. 18 SW X V I 1 9 8 ; A R 196: „seine Tat ist er selbst".
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giere menschliches Tun an den „Weltgeist" 19 . Nirgends betont Hegel so sehr wie in seiner Kultuslehre, daß „der Mensch nichts Passives" sei20, „weit davon entfernt, nur das passive Material" einer fremden, ihn in ihren Dienst nehmenden Macht zu sein21. Z w a r kann er die früher schon einmal angeführten Worte aussprechen: „was als mein Tun erscheint, ist Gottes Tun", aber man verbreitet nur die halbe Wahrheit und damit die Unwahrheit, wenn man die Fortsetzung des Zitats verschweigt: „und umgekehrt Gott nur durch meine Tätigkeit" 22 . Während die menschliche Tätigkeit im vorchristlichen Kultus weithin noch mit dem unreflektierten Vollzug des unmittelbaren Daseins zusammenfällt 23 , entfaltet sie sich im christlichen zum freien A k t des geistigen Selbstbewußtseins. Zum christlichen Kultus, den Hegel darum den geistigen nennt, gehört, „daß das Subjekt zum Bewußtsein seiner Unendlichkeit in sich gekommen ist; hier tritt dann die Religion und der Kultus ganz in das Gebiet der Freiheit"2*, ja, im Christentum gilt der Grundsatz: „alles, was der Mensch ist, ist in ihn, in seine Freiheit verlegt: er muß sich dazu machen"25. So ist für den rechten Vollzug des christlichen Kultus „das Moment der subjektiven Freiheit ausdrücklich gefordert" 28 . Diese Forderung bezieht sich nicht nur auf den individualgeschichtlichen, sondern auch auf den weltgeschichtlichen Prozeß des „Aufhebens der Entzweiung". Das Reich Gottes, dem die Weltgeschichte zustrebt und in dem sie mit der Aufhebung der Weltlichkeit nach Hegel schließlich vergehen wird, duldet als ein geistiges Reich keine Passivität. Im Gegenteil: Seine Verheißung fordert die menschlichen Subjekte zu aktiver Mitarbeit auf. Oder wie es in Hegels Notizen zu seinen Vorlesungen über absolute Religion heißt: „Reich Gottes ist der Geist. So sind die Subjekte in den Prozeß verwickelt." 27 Was natürlich andeutet: Die Subjekte, die menschlichen, sind in einen Prozeß verwickelt, der selber nicht bloß subjektiv ist. Ihr Tun ist nicht „selbsteigenes Tun" 28 , nicht die sich faktisch in Schein auflösende Tat, die auf der illusionären Meinung beruht, alle Wirklichkeit aus sich heraussetzen zu müssen. Vielmehr enthält die Gemeinde, die als der Träger des christlichen Kultus fungiert, „den unendlichen Gegensatz ( . . . ) des absolut an und für sich seienden Geistes und des subjektiven einzelnen Geistes; dieser in der Bestimmung als einzelnes Selbstbewußtsein ist das Extrem 2S BR 266 f. — SW X V 242 f. " Habermas (41), S. 103 ff. 20 BR 307. 24 BR 275 — SW X V 2j2. « BR 2j8 — SW X V 238. » BR 277; ähnlich SW X V 253. 22 BR258 — S W X V 238. 28 BR 307; ähnlich SW X V 257. 27 A R 182 (Ms.); ähnlich SW X V I 330. 28 A R 229 (Ms.) — SW X V I 3JJ: „selbsteigene Meinung".
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der formellen Freiheit" 29 . Sie enthält diesen Gegensatz so, daß sie, die ja der Leib Christi oder die Gegenwart Gottes in der Welt sein soll, ihn in die von ihr selbst verkörperte Einheit aufhebt; in ihrem Kultus verwirklicht sich „die Einheit des Subjekts und seines absoluten Objekts, des Reichs Gottes" 30 . Diese Einheit kommt zwar wesentlich, aber keineswegs allein dadurch zustande, daß „der Mensch sich seiner Subjektivität abtut" 81 . Gewiß wird Hegel nicht müde, seinen Hörern immer wieder einzuschärfen, das „Höchste" im Kultus sei das derart verinnerlichte Opfer 32 . Doch einmal konstituiert sich in der Aufopferung der partikulären Subjektivität gerade die freie der absoluten Einzelheit33, und zum anderen fordert jene Einheit in eins mit dem Absterben der eigenwilligen Besonderheit im menschlichen Subjekt gleichermaßen die Selbstpreisgabe der abstrakten, bloß an sich seienden Allgemeinheit im göttlichen Objekt: „Das ewige Opfer ist dies Sichzueigenmachen des Einzelnen, dies Vergehen des Ansichseins."34 Die Kierkegaardsche „Kategorie" der Aneignung darf überhaupt als derjenige Begriff gelten, der das kultische Tun am trefflichsten und am umfassendsten kennzeichnet. Daß aber in der Aneignung des göttlichen Versöhnungsgeschehens durch den Einzelnen das fremde Ansichsein verschwinde, ist ein analytischer Satz. Verschwinden kann es freilich nach Hegel nur so, daß die absolut objektive Versöhnung in die subjektive als deren Möglichkeitsbedingung eingeht. Dieses Begründungsverhältnis, das in mannigfachen Wendungen durchvariierte Hauptthema der Hegeischen Philosophie des Kultus, stellt die spezifische Gestalt der in der Gemeinde lebendigen Einheit von Subjekt und absolutem Objekt dar. „Nur vermittelst dieses Glaubens, daß die Versöhnung an und für sich und gewiß vollbracht sei, ist das Subjekt fähig und imstande, sich selbst in diese Einheit zu setzen."35 Die große Veränderung, die zwischen den Jugendschriften und den Berliner Vorlesungen mit Hegels Stellung zur christlichen Religion vor sich gegangen ist, besteht in erster Linie darin, daß Hegel, der die hier freigelegte Struktur menschlichen Handelns von Anbeginn vor Augen hatte, 2
» A R 219. A R 209 (Ms.); ähnlich S W X V I 338. 81 B R 236; ähnlich S W X V 253 f. 32 BR 236 f., 2J9, 271 — S W X V 244 f.; A R 178 (Ms.) — S W X V I 3 1 2 f. 83 SW X V 2 5 3 : „Da ist der Einzelne nur durch Aufhebung seiner unmittelbaren Einzelnheit, durch welche Aufhebung er die absolute Einzelnheit in sich erzeugt, und daher frei in sich selbst". Vgl. zur politischen Relevanz dieses Opferbegriffs: Rohrmoser (123), S. 242. 34 A R 2 1 3 ; ähnlich S W X V I 338. 35 A R 203 — S W X V I 329. 30
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im eschatologisdien Bewußtsein der Christen zunächst nur passive Erwartung entdecken konnte und erst später des aktiven Moments gewahr wurde, das er anfänglich — im Hinblick auf den jahrhundertelangen Religionsquietismus verständlich genug — gegen das Christentum ausspielen zu müssen meinte. Nach der Studie über „Die Positivität der christlichen Religion" vertraute die Urgemeinde einer völlig transzendenten, „durch ein göttliches Wesen zustande zu bringenden Revolution, wobei die Menschen sich ganz passiv verhielten", und daß sie nach dem Ausbleiben der Parusie sich damit begnügte, „jene Revolution des Ganzen am Ende der Welt zu erwarten", war dieser frühen Studie zufolge nur möglich, weil sie die Verwirklichung des Gottesreichs von vornherein „außerhalb der Grenzen menschlicher Macht gesetzt" hatte36. Hinter der Kritik solcher Passivität stand schon damals keineswegs eine Parteinahme für das ebenso einseitige Extrem eines subjektivistischen Aktivismus, sondern die Uberzeugung, die totale Revolutionierung der weltlichen Wirklichkeit müsse durchaus von Gott ausgehen und sei gleichwohl auf die Tätigkeit menschlicher Subjekte angewiesen37. Hinzugekommen ist im Laufe der Entwicklung des Hegeischen Denkens lediglich die Einsicht, daß eben die evangelische Lehre vom Reich Gottes dieser Überzeugung Ausdruck gibt. Das aber ist Hegel aufgegangen, als sich ihm der aktive Charakter des christlichen Kultus erschloß. Für die Einordnung seiner Philosophie in diesen Kultus schafft er die systematischen Voraussetzungen, indem er die Tätigkeit des Aufhebens der Entzweiung in das „innerliche und äußerliche Tun", in das „innere Handeln des Gemüts" und das „äußerliche, öffentliche Handeln" gliedert: „Wir werden aber den Kultus als dieses die Innerlichkeit wie die äußerliche Erscheinung umspannende Tun fassen, welches überhaupt die Wiederherstellung der Einheit mit dem Absoluten hervorbringt und damit audi wesentlich eine innere Umkehr des Geistes und Gemüts ist." 38 Zwischen den beiden Arten der Tätigkeit gibt es eine sowohl ideelle wie audi zeitliche Abfolge, die in der individuellen Geschichte und der Weltgeschichte dieselbe ist: Nachdem der christliche Kultus aus dem Übergang des Heilsgeschehens von der äußersten Äußerlichkeit des Karfreitags in die »· T J 224. 37 Das ist gerade audi der Stelle aus dem im Januar 1795 an Sdielling geschriebenen Brief zu entnehmen, die man gern zum Beweis des Gegenteils anführt: „Das Reich Gottes komme, und unsre Hände seien nidit müßig im Schöße!" (Briefe I 18). Denn andernfalls könnte Hegel kaum die Bitte um das Kommen des Gottesreidies wiederholen. 38 B R 229.
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Innerlichkeit der Ausgießung des Heiligen Geistes entstanden ist89, durchläuft er in sich die entgegengesetzte Bewegung vom Inneren ins Äußere40. Das äußerliche Tun ist „die Realisierung des Glaubens, des Geistigen der Gemeinde zur allgemeinen Wirklichkeit" 41 , sein „Hinausgehen in die wirkliche Welt", die nach ihrer wesentlichen Bestimmung die Sphäre von Staat und Gesellschaft ist42; „es ist nur darum zu tun, daß aus dem Schöße, Gesetze, Regiment der Kirche sidi ein freies, [daß] aus den ewigen Prinzipien [ein] privatrechtliches und politisches Leben sich hervorbilde" 43 . Die Philosophie aber gehört, betrachtet man sie zunächst für sich und im Absehen von ihrem Lebendigwerden in der „Weltlichkeit", zum innerlichen Tun. Genauer gesagt: Sie hat ihren Ort im Endstadium des innerlichen Tuns, dort, wo dieses vermöge seiner Vollendung auf dem Sprunge ist, in die weltverändernde Tat überzugehen. Darum kommt sie erst spät zum Zuge; in den frühchristlichen Jahrhunderten hat sie sidi noch nicht von ihrem vorchristlichen Ursprung gelöst, im Mittelalter noch nicht von der Bevormundung durch das kirchliche Dogma; und erst die radikale Verinnerlichung des Evangeliums durch die Reformation ermächtigt sie zu der beherrschenden Stellung, die sie im Ganzen des neuzeitlichen Geisteslebens einnimmt. Daß ihr in der Moderne überhaupt eine Macht zuwächst, die sie in der heidnischen Antike niemals besessen hat, hängt eben damit zusammen, daß das Christentum den im Griechentum vornehmlich der Kunst anvertrauten Kultus vergeistigt, indem es ihn verinnerlicht44. Wie es freilich überall und in jeder Hinsicht die härtesten Gegensätze in sich vereinigt, so ist verborgenerweise schon die anfängliche Verinnerlichung, was die reformatorische an den Tag bringt: das Gegenteil ihrer selbst, die im Missionsauftrag geforderte Entäußerung der Religion zum Handeln in der Welt. Was das für die politische Funktion der Philosophie bedeutet, braucht an dieser Stelle grundsätzlich nicht mehr und des näheren noch nicht erörtert zu werden. Ebensowenig wie das objektive Versöhnungsgeschehen selber dürfte man seine subjektive Verwirklichung schon insofern für Praxis halten, als sie ein Tun ist. Wir wissen indessen, daß Hegel den Kultus tatsächlich die „praktische" Seite der Religion nennt und ihn damit von der Vorstellung als der „theoretischen" Seite abhebt45. Nur darum kann er auf 39
A R 182; ähnlich SW X V I 330. BR 2 3 1 ; A R 176 ff. (Ms.) — SW X V I 309 ff. 41 4i A R 21 j — SW X V I 340. BR 231. « A R 201 (Ms.). « BR 277 — SW X V 2$3; A R 177 (Ms.) — SW X V I 312. « B R 2 2 5 f. — S W X V 220 f.
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ihn einen bereits praktisch qualifizierten Handlungsbegriff anwenden. Und zwar spricht er, wie wir gesehen haben, im Hinblick sowohl auf das äußerliche wie auf das innerliche Tun von Handlung. Mithin ist auch Philosophie Praxis. Oder besser: Sie ist Einheit von Theorie und Praxis. Denn obwohl Hegel die zwei Momente dieser Einheit zunächst auf die Vorstellung und den Kultus verteilt, ja gelegentlich sogar bemerken kann: „Beide Weisen, von denen die eine nur das objektive Bewußtsein festhält, die andere das reine Selbstbewußtsein, sind einseitig und heben sich jede an sich selbst auf" 46 , orientiert sich seine Grundkonzeption gerade nicht an dem Modell, an dem sich seine Analyse des theoretischen und praktischen Verhaltens sonst ausrichtet und das beiden Verhaltensweisen dieselbe aufhebungsbedürftige Einseitigkeit zuschreibt. Er konzipiert kein Höheres, in das sich Vorstellung und Kultus aufheben könnten. Vielmehr ist der Kultus selbst das Höhere, und dies eben deshalb, weil er als durchgehend praktische Tätigkeit in einer bestimmten Ausformung zugleich Einheit von Theorie und Praxis sein soll. Er gilt also nicht nur für das eine der zu vereinigenden Momente, sondern auch für die Vereinigung selber. Mit anderen Worten: In ihm konkretisiert sich die „absolute Idee", welche die Logik von der einseitig theoretischen und der einseitig praktischen Idee als deren Einheit unterscheidet. Allerdings folgen die religionsphilosophischen Vorlesungen auch schon bei der abstrakten Entgegensetzung von Vorstellung und Kultus dem Schema der Logik und der entsprechenden Partien in der Encyclopädie, soweit auch sie selbst die in ihrer Einseitigkeit aufgefaßte Praxis der einseitigen Theorie überordnen47. In ihrer Sicht verfährt die Vorstellung bloß theoretisch, weil das vorstellende Subjekt ganz in seinem Gegenstand aufgeht und nichts von sich weiß. Die Selbstvergessenheit ihres Subjekts, in der das einseitig Theoretische ihres Verfahrens liegt, macht zugleich ihre Unwahrheit aus48. Diese Unwahrheit überwindet der Kultus, indem er das Subjekt in eine Beziehung zum Gegenstand setzt, nämlich in die des Endlichen, das im Angesicht des Unendlichen seiner Endlichkeit gewahr wird. Doch wäre er nicht, was er ist: das Aufheben der Entzwei" 47
48
BR 22 9 . Zur Dialektik dieser Überordnung gehört, daß die untergeordnete Theorie gleichwohl die Funktion der — im Christlichen jedoch ihrerseits praktisch fundierten — Basis bekommt. Wie dessenungeachtet sogar außerhalb des Rahmens der politischen Theologie audi Praxis bisweilen bei Hegel als „Ausgangs-Pol" fungiert, zeigt Beyer (8, bes. S. 751). Eindringlicher noch hebt Sobotka (133, bes. S. 6 ff.) die zunädist wenigstens intendierte Ursprünglidikeit des „idealistischen" Praxisbegriffs hervor. B R 226.
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ung, wenn er den Gegensatz von Subjekt und Objekt nicht audi zur Einheit zurückführte. Beides, die im Bewußtwerden der Subjektivität geschehene Konstitution der Subjekt-Objekt-Differenz und deren Vermittlung, fällt noch in die vom theoretischen Verhalten geschiedene Praxis49. Einheit von Theorie und Praxis hingegen ist der Kultus erst dadurch, daß er die Vorstellung in sich bewahrt. „Der Kultus ist also gegen das erste Verhältnis, das als vorstellendes Bewußtsein von Gott als an und für sich Seiendem theoretisch ist, insofern das praktische, als es den Gegensatz des Bewußtseins als der Subjektivität und Gottes als der Objektivität aufhebt. Aber zugleich ist der Kultus auch theoretisch, insofern er nach Aufhebung des Gegensatzes die Vorstellung ebenso läßt, nur aber das Bewußtsein von Gott zum Selbstbewußtsein Gottes von sich selbst erhebt."50 Das ist nicht so zu verstehen, als würde außer der praktischen Tätigkeit zum Kultus irgendwo noch etwas Theoretisches gehören. Statt dessen meint Hegel, daß das „praktische Verhältnis", für das ihm der Kultus im ganzen gilt, zur Integration des theoretischen fortschreitet, ohne seine praktische Bestimmung zu verlieren. Der Kultus „erscheint als praktisches Verhältnis. Dieses aber in höherm Sinne ist wissende Geistigkeit"el, jene „geistige Lebendigkeit", als die Hegel die kultische Einheit von Theorie und Praxis bezeichnet52. Die angezielte Praxis selbst also ist „in höherm Sinne" eine solche Einheit. Daß aber Hegel dem Kultus überhaupt den Doppelsinn einer einseitig praktischen und einer theoretisch-praktischen Einstellung gibt, läßt sich im Rückgriff auf unsere Textexegese leicht erklären: In seiner eingeschränkten Bedeutung meint der Terminus „praktisches Verhältnis" den Kultus als die noch spezifisch religiöse Andacht und in seiner um den theoretischen Aspekt erweiterten Bedeutung ihn als die ins philosophische Denken übergegangene Andacht. Denn in der Philosophie fallen Vorstellung und Andacht, die als religiöse Haltungen verschiedene Stadien der Glaubensbewegung bezeichnen, ganz und gar zusammen, derart daß aus ihrer Einheit der Begriff hervorgeht. Also stellt die Philosophie denjenigen Kultus dar, in welchem sich Theorie und Praxis vereinigt haben. Was aber heißt in alledem „Praxis"? Bisher haben wir nur gehört, daß der Kultus praktisch sein soll, weil er ein Handeln ist. Wie die eigentümlich kultische Handlung sich zur Handlung überhaupt verhält, scheint Hegel zunächst auf traditionelle Art per genus proximum et differentiam specificam definieren zu wollen. Im allgemeinen handelt der Mensch so, 50
BR 227 f. BR 237 — S W X V 2 2 1 .
51 52
B R 238; ähnlich SW X V 222. BR237 —2J9·
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„daß dem Inhalt, der sein Zweck ist, die Form der Subjektivität, der Vorstellung genommen wird und er Objektivität erhält, zum objektiven Dasein gelangt"58. Die kultische Handlung hebt sich, so sieht es auf den ersten Blick aus, von jeder anderen bloß durch die Besonderheit ihres Zwecks ab. „Der Kultus nun ist auch Handeln, und zwar das Handeln, dessen Zweck, der sich ausführen, realisieren soll, der Glaube ist, die konkrete Totalität des Göttlichen und des Bewußtseins, des Geistigen und Natürlichen."54 Wenn sein Zweck indessen diese Totalität ist, so haftet ihm nicht die bloße Subjektivität an, die durch ihre Überführung ins objektive Dasein selbst erst zur objektiven Wirklichkeit würde. Dann nämlich zweckt er auf die in Christus erschienene und gewiß gewordene Einheit des Geistig-Göttlichen und des Natürlich-Mensdilidien ab. Die aber hat schon vor der menschlichen Subjektivität und ohne ihr Zutun eine absolut-objektive Realität. „Der Kultus will nicht am Gegenstande etwas verändern, sondern sein Zweck ist schon an und für sich die absolute Realität. Er braucht auch seinen Zweck nicht hervorzubringen, sondern hat ihn im Glauben und erhält nur das Geschäft, den Glauben wirklich zu machen."55 Damit erfüllt er genau die Anforderungen, welche die Logik im Übergang von der einseitig praktischen zur theoretisch-praktischen oder absoluten Idee an das Handeln stellt58. Er erweist sich als dasjenige Handeln, das sich von dem Schein befreit hat, als müsse sein Zweck erst noch hervorgebracht werden. So zeigt sich zugleich, daß er sich nicht per genus proximum et difFerentiam specificam definieren läßt. Denn er repräsentiert keinen Sonderfall von Handeln überhaupt. Das übrige Handeln unterscheidet sich vom kultischen in der betrachteten Hinsicht nur durch die Bewußtlosigkeit über die Struktur, die auch ihm zugrunde liegt, aber allein im kultischen gewußt wird. Mit Bezug auf ein praktisch qualifiziertes Tun kann Hegel darum sagen: „Alle Tätigkeit ist vermittelt; was hervorgebracht werden soll, muß an und für sich schon sein. Die Tätigkeit erteilt nur die Bestimmung des Fürsichseins; geistige Tätigkeit ist nur möglich unter der 53
" 55 58
B R 2 j 7 f. — SW X V 2 3 7 . BR 2j8 — S W X V 2 3 7 . BR 2 5 8 — SW X V 2 3 7 f. SW V 3 2 3 — 3 2 7 . Sowohl in seiner früheren ( 4 1 , S. 1 0 7 ) als audi in seiner späteren ( 4 4 , S. 3 J 2 ) Auslegung dieses zentralen Textes muß Habermas Hegels Kritik der „Voraussetzung des nicht ausgeführten Zweckes nach der wirklichen Ausführung des Zweckes", d. h. die Polemik gegen die Meinung, den an und für sich schon realisierten Zweck „durch subjektive Tätigkeit" selber erst realisieren zu müssen, fälschlicherweise für einen Angriff auf das weltverändernde Handeln als solches nehmen, weil er den christologischen Hintergrund abschattet.
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Voraussetzung des zu Setzenden." 87 Streng genommen, beruht jene Bewußtlosigkeit freilich doch auf einer inhaltlichen Differenz, nämlich darauf, daß der Zweck des nicht-kultischen Handelns, der als das Gute und auf Grund der Unbestimmtheit des Guten allerhand bestimmte Ziele unter sich befassen kann 58 , auch nicht unmittelbar der des kultischen Handelns ist, sondern ihn nur voraussetzt; das Schon-sein des eigentlichen Zwecks kann vergessen sein, weil er nicht direkt intendiert wird. Einzig der Kultus richtet sich unmittelbar auf die absolut-objektive Realität als auf den letzten Endzweck der Welt. Eben hiermit zeichnet er sich aber noch in einer anderen Hinsicht aus, welche man bei der Prüfung der Frage, inwieweit die jetzt diskutierte Einheit von Theorie und Praxis „reine" Theorie gewährleiste, berücksichtigen muß. Hegel sagt, Zweck des Kultus sei, unabtrennbar von der absolut-objektiven Realität des Versöhnungsgeschehens, der Glaube. Dieser aber ist nichts anderes als „der Begriff des Kultus" 59 . Mithin ist der Zweck der kultischen Handlung sie selbst; sie hat den reflexiven Charakter des Selbstzwecks. Die absolute Objektivität ihres Zwecks hat sich mit ihrer eigenen Subjektivität vermittelt, weil sie sich in der Gemeinde vollzieht, als die ihr absolutes Objekt gegenwärtig ist. Infolgedessen ist Hegeische Philosophie auch insofern, als sich in ihrem A k t Theorie und Praxis vereinigen, „reine" Theorie im formalen Sinne einer solchen, die keinen fremden Zweck intendiert. Als Theorie einer Praxis hat sie dem Anspruch einer derart formal gedachten Reinheit genügt, weil auch ihr eigener Gegenstand kein ihr fremder Zweck ist. Man könnte versucht sein, den Formalismus auf die Spitze zu treiben und zu sagen, eine aktmäßig praktische Theorie sei erst recht rein, da ja ihr eigener A k t am weitesten von einem fremden Zweck entfernt sei und sie sich auf die Praxis, die sie selber ist, gewiß nicht wie auf etwas von ihr Verschiedenes auszustrecken brauche. Aber dieses Argument formalisiert Praxis zu abstrakter Tätigkeit. So kann Aristoteles selber θεωρία den πράξεις zurechnen, wo immer er unter diesen nur ένέργειαι versteht. Hegel hingegen hat mehr im Auge als bloß die theoretische Praxis, die ihre praktische Qualität ihrem Tätigsein verdankt. Ihm schwebt eine praktische Theorie vor, die nicht bloß Tätigkeit, sondern Handeln sein soll. Und das Handeln hat einen Zweck, der gewöhnlich keineswegs mit ihm zusammenfällt. Deswegen würde die in ihrem Vollzug sensu stricto praktisch ausgerichtete Theorie AR 197; ähnlich SW X V I 332. SW V 322. » BR251 — S W X V 2 3 9 . 57
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mit dem Postulat formaler Reinheit in Konflikt geraten, wenn nidit der Kultus, der sie zur Praxis macht, in derselben Weise sich selbst Zweck wäre wie die sonst „rein" genannte Theorie. Als Handeln kann man nun freilich mancherlei bezeichnen. Insbesondere läßt der Begriff, solange man ihn nicht genauer bestimmt, offen, ob christlicher Kultus, mit Aristoteles ausgedrückt, im Grunde doch bloß eine A r t poiesis bzw. techne, d.h. in der Sprache von Habermas: das instrumentale Handeln der Arbeit, oder wirklich Praxis meint und ob er ferner, wenn letzteres der Fall sein sollte, mehr der von Heidegger aus der eudaimonistischen Ethik in Fundamentalontologie übersetzten, letztlich autistischen Selbstverwirklichung des jemeinigen Daseins oder dem von Habermas aus Aristoteles herausgelesenen, durchweg kommunikativen Handeln der Interaktion zuneigt. Die meisten Ausdrücke, mit denen Hegel das kultische Handeln umschreibt, gestatten keine eindeutige Beantwortung dieser Frage. Gelegentlich spricht er von „Aktion" 6 0 , aber dieses Wort meint kaum etwas Spezifischeres als der Handlungsbegriff selber61. Gern redet er audi von einem Hervorbringen 62 , aber worauf er es damit abgesehen hat, muß man selbst erst aus seiner Lehre vom Kultus eruieren. Der Terminus hat nämlich keine unabhängig vom Kontext festgelegte Bedeutung. Auch im Rahmen unseres Themas gültig ist allein der Hinweis der Encyclopädie (§ 444), wonach nicht bloß der praktische, sondern auch der theoretische Geist „hervorbringend" ist. Daraus folgt aber nur, daß der Terminus gleich umfassend ist wie der des Tuns; denn der Hinweis soll lediglich unterstreichen, daß theoretischer und praktischer Geist „nicht als passiv und aktiv zu unterscheiden" seien63. In keinem Fall kann der auf den Kultus angewandte Begriff des Hervorbringens dann die eingeengte Bedeutung Aristotelischer poiesis oder techne haben. Ebensowenig kann er auf eine von Grund auf schöpferische Produktion abzielen; denn im Sinne dieser Produktion braucht der Kultus ja, wie Hegel ausdrücklich versichert, seinen Zweck gerade „nicht hervorzubringen". Mit Bezug auf ihn möchte der Ausdruck ganz im Gegenteil anzeigen, daß die subjektive Realisation objektiver Versöhnung keine
61
es M
26
BR 258 — S W X V 238. D a ihm jedoch, wie wir sehen werden, durchaus die damit bezeichnete Augen steht, ist es ein Irrtum Beyers, zu meinen, bei Hegel nehme Praxis lich die konkrete Gestalt der Arbeit an, während ihm Praxis als Aktion sen blieb" (8, S. 752). A u d i hier rächt sich die künstliche Abblendung der philosophie. So BR 235 — S W X V 237. SW X 304. Theunissen, Hegel
Sache vor ausschließ„verschlosReligions-
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absolute Produktion ist. Wenn Hegel erklärt, daß schon „an und für sich vollbracht ( . . . ) ist, was am Individuum als solchem hervorgebracht werden soll" 84 , dann will er das Hervorbringen als das bezeugende Zutagefördern des Bestehenden verstanden wissen. Er verwendet den Begriff so zwar für die Charakteristik der sich im Kultus aufhellenden Handlungsstruktur, aber das Problem, ob kultische Handlung poietisch oder im strengen Sinne praktisch, instrumental oder kommunikativ sei, klärt er damit noch nicht. Indessen liegt die Lösung dieses Problems bereits in der Erkenntnis, daß das Christusgeschehen das kommunikative Handeln der Liebe und des Kampfes ist. Denn als imitatio Christi kann der Kultus keine andere Beschaffenheit haben; auch er muß kommunikatives Handeln sein. D a ß er sich dabei in der Substanz gegen das instrumentale Handeln der Arbeit abhebt, zeigt nichts deutlicher als die Transformation, die nach Hegel mit dem Arbeiten vor sich gehen muß, wenn es gleichwohl Bestandteil des Kultus werden soll. Als notwendig erfolgsgerichtetes Tun dient es an sich stets fremden Zwecken. In den Kultus kann es aber nur unter der Bedingung integriert werden, daß es sich als Selbstzweck etabliert. „So tritt das religiöse Arbeiten ein, welches Werke der Andacht hervorbringt, die nicht zu einem endlichen Zwecke bestimmt sind, sondern etwas sein sollen, das an und für sich ist." 65 Wobei das Anundfürsichsein des ergon auf den Selbstzweck der energeia verweist: „das Arbeiten als reines Hervorbringen und als perennierendes Schaffen ist der Zweck für sich selbst"®". Derart losgelöst von ihrem natürlidien Streben nach Effizienz, wird Arbeit zu einer besonderen Realisationsform dessen, was nach Hegel das „Höchste" des Kultus ist: das Abarbeiten der partikulären Subjektivität 87 . D a ß aber der Kultus „die praktische Tätigkeit des Subjekts an sich selbst ist, seine Subjektivität aufzugeben, zu entlassen"88, das macht ihn zur Liebe, die Hegel eben als das Abarbeiten der partikulären Subjektivität begreift89. Die in diesen Kultus integrierte Arbeit wird also zum sichtbaren Ausdruck der Liebe. Die alles umgreifende Bestimmung des Kultus als einer Liebestätigkeit, in welcher „der Mensch sich seiner Subjektivität abtut", kennzeichnet desgleichen die Philosophie. Denn: „Das Wahre zu wissen, dazu gehört, daß man sich seiner Subjektivität entschlage, der subjektiven Einfälle der einzelnen Eitelkeit, und sich mit dem Wahren beschäftige rein im Denken und nur nach dem objektiven Denken sich verhalte" 70 . Die Reinheit der A R ιοί. «« B R 270 — S W X V 248. «5 BR 270 — S W X V 248. «7 B R 258 — S W X V 238. «» A R 178 (Ms.) — SW X V I 312. M
M
B R 259 — SW X V 239.
7°
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reinen Theorie zeugt in diesem Sinne ebenso von der Liebe wie die Selbstzwecklidikeit der sich auf sich zurückbeugenden Arbeit. Freilich verwirklicht sich Liebe so noch nicht ohne weiteres in zwischenmenschlicher Kommunikation. In ihr wendet sich der Mensch zunächst dem Gott zu, der sich ihm immer schon zugewandt hat; als ein „zweiseitiges Tun" ist auch und vor allem Liebe ursprünglich die uns schon bekannte „gedoppelte Tätigkeit" des Kultus, in welcher die Reinigung des Menschen von seiner Partikularität der vorbildlich liebevollen Herablassung Gottes entgegenkommt. Aber in Hegels genuin neutestamentlicher Sicht impliziert die Liebe zu Gott diejenige zum Mitmenschen. Mithin muß sich die praktische Tätigkeit des Kultus durchweg auch im Medium humaner Intersubjektivität vollziehen. Schauen wir uns die drei von Hegel unterschiedenen Stadien subjektiver Versöhnung — die missionarische Verbreitung, die begriffliche Artikulation und die politische Verwirklichung des Christentums — daraufhin an, so erkennen wir Anfang und Ende des Kultus ohne Mühe als praktische Tätigkeiten, die an den Mitmenschen adressiert sind. Und zwar ist die unlösbar mit ihnen verbundene Intersubjektivität in der Wurzel nicht die private einer weltabschattenden Gemeinschaft, sondern die öffentliche der prinzipiell weltweiten Gesellschaft, so allerdings, daß den Missionsauftrag „Gehet hin in alle W e l t . . . " (Mark. 16,15) vollständig erst die politische Verwirklichung der christlichen Freiheitsidee erfüllt. Mit dieser Politisierung wird das Christentum zur realen Sittlichkeit 71 . Weil der Kultus in der politischen Realisation der Versöhnung gipfelt, ist „die Sittlichkeit der wahrhafteste Kultus" 72 . Damit ist sie zugleich der Höhepunkt jener hingebenden Liebe, in der sich der Geist aus seiner natürlichen Unmittelbarkeit herausarbeitet. „Die Bearbeitung der Subjektivität, die Reinigung des Herzens von seiner unmittelbaren Natürlichkeit, wenn sie durch und durch ausgeführt wird und einen bleibenden Zustand schafft, der ihrem allgemeinen Zweck entspricht, vollendet sich als Sittlichkeit, und auf diesem Wege geht die Religion hinüber in die Sitte, den Staat." 78 Offen zutage liegt, daß die derart vollkommene Ausführung des Liebesgebots in die Sphäre gesellschaftlicher Intersubjektivität fällt. Denn von früh an hat Hegel diese Sphäre als die der Sittlichkeit begriffen 74 . Die Frage ist nur, wie Philosophie sich zur Interaktion verhalte. Einerseits folgt aus dem Gesagten, daß ihre Teilnahme am subjektiven Versöhnungsprozeß sie auch an diejenige Liebe bindet, die immer entschie71 72
26»
A R 218 f. — S W X V I 343 f. BR 236.
73 74
BR 302 — SW X V 256. Habermas (45), bes. S. 16 ff.
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dener zum gesellschaftlichen Kampf wird. Andererseits hat für Hegel große Bedeutung, was er 1807 in einem Brief an Zellmann schreibt: „die Philosophie ist etwas Einsames" 75 . Man wird seinen Philosophiebegriff nur verstehen können, wenn man sieht, wie sich darin Einsamkeit mit Intersubjektivität vermittelt. Vom Phänomen selber läßt sich der einfache Sachverhalt ablesen, daß Einsamkeit Intersubjektivität insofern voraussetzt, als es zu ihr nur durch das nachträgliche Sich-abscheiden des Einzelnen von der ihn tragenden Gemeinschaft kommt. Die Einsamkeit Hegelscher Philosophie beruht auf der „Abgeschiedenheit des Geistes", welche aus der Abstraktion vom Kommunikationszusammenhang der umgebenden Welt resultiert. Aber sie geht darin nicht auf. Denn sie ist mehr und anderes als die Autarkie Aristotelischer Theorie. Die Autarkie des Aristoteles hat diese Struktur einer Unabhängigkeit von Anderen76, die gleichwohl der Polis als ihrer Herkunft verpflichtet bleibt. Hingegen ist die Einsamkeit, die Hegel der Philosophie nachsagt, über ihre negative Fundierung in der Intersubjektivität hinaus in sich selbst kommunikativ; der Kommunikationszusammenhang, von dem sie sich abscheidet, zieht sich zugleich durch sie hindurch. Philosophie löst sich von dem ihr zugrunde liegenden Miteinandersein, sofern sie Selbstreflexion ist; sich auf sich zurückwendend, wendet der Denkende sich von seiner Um- und Mitwelt ab. Sie nimmt aber trotzdem die Intersubjektivität in sich auf, weil ihre Selbstreflexion letztlich nicht die eines Einzelnen ist, sondern zu ihrem ursprünglichen Subjekt den in historischer Interaktion fortschreitenden Geist hat. Die immanente Intersubjektivität einsamer Philosophie gründet in deren Geschichtlichkeit und äußert sich somit zunächst als wachsame Offenheit für das geschichtliche Geschehen ihrer eigenen Zeit. Darum kann Hegel in demselben Brief, in dem er die Philosophie als etwas Einsames bezeichnet, gutheißen, daß sie „auf die Geschichte des Tages aufmerksam" werde77. Die Einheit von Einsamkeit und geschichtlicher Interaktion ist des näheren so zu verstehen, daß allein die Kontraktion des sich mit sich zusammenschließenden Geistes die Expansion des wirklich weltverändernden, revolutionären Handelns ermöglicht. „Alle Revolutionen, in den Wissenschaften nicht weniger als in der Weltgeschichte, kommen nur daher, daß der Geist jetzt zum Verstehen und Vernehmen seiner, um sich zu besitzen, seine Kategorien geändert hat, sich wahrhafter, tiefer, 75 76 77
Briefe I 137. Eth. Nie. X, 7. 1177 a 27—b 1. Vgl. Ritter (120), S. 19.
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sich, inniger und einiger mit sich erfassend."'8 So muß, damit aus der Autarkie des Aristoteles die Einsamkeit Hegels entstehe, ein umgekehrtes Begründungsverhältnis zur Geltung gelangen: Philosophische Selbstreflexion ist nicht mehr bloß in Intersubjektivität begründet, sondern wird ihrerseits zur Bedingung der Möglichkeit kommunikativen Handelns. Dessen Ermöglichung weist aber darauf zurück, daß hegelisch gedachte Philosophie nicht trotz, sondern wegen ihrer Einsamkeit auch in sich selbst erfüllt ist vom geschichtlichen Leben der Interaktion; gerade in ihrer Abgeschiedenheit ist sie die „innere Geburtsstätte des Geistes, der später zu wirklicher Gestaltung hervortreten wird" 79 . Eine weitergehende Klärung der Dialektik von Einsamkeit und Intersubjektivität Hegeischen Philosophierens können wir uns nur von der vollständigen Inbesitznahme des Gebietes versprechen, in das wir jetzt bereits eingedrungen sind. Um darüber genauere Auskunft zu bekommen, müssen wir in einem dritten Vorstoß diejenige Einheit von Theorie und Praxis untersuchen, die sich aus der eschatologischen Orientierung archäologischer Zeitdiagnose am „letzten Endzweck der Welt" ergibt. Die entsprechende Vereinigung des archäologischen Grundwissens mit dem eschatologischen Heilswissen beruht, wie wir früher festgestellt haben, auf der konstitutiven Funktion der philosophisdien Versöhnung für die politische. Von der politischen Versöhnung konnten wir, wo wir von der philosophischen sprachen, nicht abstrahieren, weil die gemeinsame Zugehörigkeit zum kommunikativen Handeln des Kultus den mit ihnen gegebenen Unterschied zwischen innerem und äußerem Handeln umgreift. Im Hinblick auf den dritten Aspekt der Beziehung von Theorie und Praxis sollten wir aus dem indirekt schon Angedeuteten nur ein Zwiefaches noch einmal herausheben. Einmal ist festzuhalten, daß es in der philosophischen und in der politischen Versöhnung prinzipiell um dasselbe geht, um die Verwirklichung der mit dem Christentum möglich gewordenen Freiheit. Die ideelle Freiheit unterscheidet sich wohl von der reellen wie die innerliche von der äußerlichen Handlung, doch nur weil beiden eine identische Substanz zugrunde liegt, kann der in der Phänomenologie beschriebene Fortschritt stattfinden, in welchem aus der „Freiheit im Gedanken", als dem noch unentfalteten „Begriff der Freiheit", die „lebendige Freiheit selbst" aufblüht80. Die identische Substanz aber ist der im Christusgeschehen vollbrachte Befreiungsakt der absoluten Ver78 79 M
S W I X (Encyclopädie, § 246, Zusatz). SW X V I I 86. SWII161.
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söhnung. „Das ist die Vernünftigkeit, diese Freiheit des Subjekts, daß es als Subjekt dies befreite ist und diese Befreiung durch die Religion erlangt hat, daß es nach seiner religiösen Bestimmung wesentlich frei ist; und diese Freiheit, die den Trieb und die Bestimmtheit hat, sich zu realisieren, ist die Vernünftigkeit. Es ist darum zu tun, daß diese Versöhnung auch in dem Weltlichen vollbracht sei." 81 Zum andern ist daran zu erinnern, daß der dem Christentum einwohnende Trieb zu seiner weltlichen, d. h. gesellschaftlichen Realisierung das Religiöse und das Weltliche in ein Verhältnis setzt, welches durch die Anstrengung der Subjekte faktisch zu bewältigen ist; „das Reich Gottes", so hieß es, hat ein „Verhältnis zum Weltlichen". Dieser Konnex sorgt dafür, daß auch die Philosophie, als Erscheinungsform des religiösen Kultus, ihre Hinordnung auf die politisch-soziale Wirklichkeit von sich aus herstellen muß. Es trifft sie „die Forderung der Einheit des Innersten mit der partikularen Weltlichkeit" 82 , und der dritte Aspekt der Vermittlung von Theorie und Praxis ist nichts anderes als diese durch ihre religiöse Basis garantierte Einheit. Die rein politische, aus der Einsamkeit ganz in die Öffentlichkeit tretende Praxis, deren Umrisse hiermit kenntlich werden, ist nicht vergangen, wie es — in einem allerdings auch nur relativen Sinne — die Praxis ist, welche die Philosophie Hegels zum Gegenstand ihrer Darstellung macht; ebensowenig ist sie gegenwärtig gleich derjenigen, die mit dem Vollzug des Philosophierens zusammenfällt; vielmehr steht sie, wo Versöhnung erst nur im Gedanken geschieht, als aufgegebene Zukunft je noch aus. Gewiß handelt der die Vorlesungen über den Begriff der Religion abschließende Text, den die Herausgeber der vorliegenden Ausgaben mit dem Titel „Verhältnis der Religion zum Staat" überschrieben haben83, auch und sogar am ausführlichsten von dem Staat, den eine Religion jeweils als bestehenden vorfindet. Gleichwohl ist er so angelegt, daß zum Ende hin immer stärker die Zukunft zur Sprache kommt. Mit Recht hat man gesagt, die Situationsanalyse, mit der nach der Revolution von 1830 die geschichtsphilosophischen Vorlesungen gekrönt wurden, sei „eine der wenigen Stellen, an denen Hegel überhaupt von der Zukunft spricht"84. Spürbar beunruhigt, vergegenwärtigt da der schon vom Schatten des Todes gestreifte Meister seinen Zuhörern den aktuellen und nirgends behobenen Widerstreit zwischen den Erfordernissen eines gegliederten Staatsgebildes und den unumschränkten Ansprüchen des Liberalismus, dessen Vertreter „das Prinzip der Atome, der Einzelwillen" ohne 81 82
A R 217 — SW X V I 342. A R 220.
83 84
BR302—311—SWXV256—267 Ritter (120), S. 2i.
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Rücksicht auf das Ganze geltend machen: „Mit diesem Formellen der Freiheit, mit dieser Abstraktion lassen sie nichts Festes von Organisation aufkommen". Hegels Furcht vor den zerstörerischen Auswirkungen der liberalistischen Revolutionsbestrebungen war zwar in seiner Sorge um die Festigkeit des vernünftig organisierten Staates begründet, aber er war keineswegs der Meinung, daß die Freiheit des subjektiven Willens um solcher Organisation willen unterdrückt werden müsse. Es ist im Gegenteil der Ausgleich beider Positionen, den er ins Auge faßt, wenn er seine Reflexionen über die neuerliche Revolution in Frankreich mit der Bemerkung abbricht: „Diese Kollision, dieser Knoten, dieses Problem ist es, an dem die Geschichte steht, und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat." 85 Ähnlich das Ende der Vorlesungen über den Begriff der Religion. Auch da geht Hegel auf die Julirevolution ein und auch da stellt er fest, die „Kollision", durch die sie entstanden ist und die sie ihrerseits reproduziert hat, sei „noch sehr weit davon, gelöst zu sein"86. Die Vorlesungen klingen dann aus mit dem Satz: „ A n diesem Widerspruch und an der herrschenden Bewußtlosigkeit desselben ist es, daß unsere Zeit leidet." 87 Den Standpunkt, den die geschichtsphilosophischen Vorlesungen mit dem Ausdruck „Liberalismus" umschreiben, nimmt in den religionsphilosophischen aber die Religion ein; die „letzte Revolution" war, so meint Hegel, „die Folge eines religiösen Gewissens, das den Prinzipien der Staatsverfassung widersprochen hat" 88 . Danach sind die an sich in der Idee der Freiheit übereinkommenden89 Mächte der Religion und des Staates im gegenwärtigen Zeitalter zum Gegensatz von „Gesetz" und „Gesinnung" auseinandergetreten90; der Staat bildet ein „Festes von Organisation" als die Totalität der positiven Gesetze, und die Religion nimmt sich des subjektiven Willens an, sofern sie der Hort der Gesinnung ist. In dieser Funktion kämpft sie für das Recht einer noch unbefriedigten, in keinem bestehenden Staat angemessen verwirklichten Freiheit. Die Analyse des Hegeischen Reich-Gottes-Gedankens hat ergeben, daß der Schlußabschnitt der Vorlesungen über die absolute Religion, der das Thema der ausklingenden Vorlesungen über den Begriff der Religion auf der höheren Ebene der realitätsgesättigten Idee fortführt, die vom 84
84 87 88
S W X I 563. Nichts am Kontext dieser Stelle läßt es notwendig ersdieinen, die Worte „in künftigen Zeiten", wie Habermas das tut (41, S. 89), als Hinweis auf eine ferne Zukunft zu deuten, von der Hegel sich aus Resignation entlasten möchte. 8» BR 303 — S W X V 257. BR 310 f. — S W X V 266. B R 311 — SW X V 267. B R 309 ff. — S W X V 264 ff. B R 310 — S W X V 266.
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Christentum verkündete Gleichheit aller Menschen nahezu radikalsozialistisch als die reelle Freiheit jedes Einzelnen auslegt, wie sie gleichfalls erst in einer zukünftigen Gesellschaftsordnung realisiert werden könnte. Bemerkenswert ist im selben Zusammenhang eine entschiedene Parteinahme für das „Volk", von dem Hegel ja sonst einen eher pejorativen Begriff hat. Die ungelöste Spannung, weldie die „zeitliche Gegenwart" durchherrscht, wird, wie Hegel betont, dadurch noch erhöht, daß die geistige Schicht sich losgelöst hat vom Volk. Die „spekulative Wahrheit" ist aber nicht bei denen zu finden, die „sich durch Reflexion geholfen" haben, sondern gerade im noch unaufgeschlossenen Schöße des Volkes, „das im Drange seines Innern sich nicht zu helfen weiß", bei der „Klasse, in deren Bildung die Wahrheit nur in der Vorstellung sein kann". Denn die „Armen" sind es, die, weil sie den „unendlichen Schmerz" und das Bedürfnis nach Erlösung am heftigsten empfinden, dem Evangelium am nächsten stehen91. Wie überall, so muß man natürlich auch im Hinblick auf die Freiheitsproblematik unterscheiden zwischen dem spezifisch religiösen und Hegels eigenem Standpunkt. Wohl ist Hegel so fest wie nur irgend möglich davon überzeugt, daß die radikale Freiheit des Christenmenschen im politischen Leben zu verwirklichen sei, doch weiß er zugleich, daß sie sich im Staat, wegen der Notwendigkeit ihrer Übereinkunft mit dem „Gesetz", nicht so realisieren läßt, wie sie aus der Innenperspektive reiner Religiosität erscheint. Seine eigene Position ist die der Vermittlung von Religion und Staat. Das ist genau die Position der „Wissenschaft", die seiner Rechtsphilosophie zufolge einerseits im Einklang mit der Religion die Subjektivität der Gesinnung hervorkehrt und andererseits im Bunde mit dem Staat auf der Objektivität eines gesetzlich geregelten Daseins beharrt92. So wie Philosophie die religiöse Vorstellung in den Begriff aufhebt, so hebt sie die religiöse Freiheit in die politische auf, und diese Aufhebung ist nur die äußere Seite desselben Geschehens, von dem jene die innere Seite darstellt. Da Philosophie indessen in einem weiteren Sinne selber zur Religion gehört, muß auch noch die philosophische Begründung der Freiheit religiös sein. In einer solchen Begründung besteht die Aufgabe, die ihr aus der Konfrontation mit dem zeitgenössischen Liberalismus erwächst. Den liberalistischen Anspruch auf subjektive Freiheit hat sie nicht zu verwerfen oder aufzuweichen, sondern im Gegenteil dadurch als berechtigt anzuer"
82
A R 230 f. (Ms.) — S W X V I 3 j j . S W V I I 3 $7 ff. (S 270 Anm.).
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kennen, daß sie ihn wahrhaft, d. h. durch den wirklich letzten Grund, begründet. „Wir sehen so gegenwärtig die Welt voll vom Prinzip der Freiheit, und dasselbe besonders auf die Staatsverfassung bezogen: diese Prinzipien sind richtig, aber, mit dem Formalismus behaftet, sind sie Vorurteile, indem die Erkenntnis nicht bis auf den letzten Grund gegangen ist; da allein ist die Versöhnung mit dem schlechthin Substantiellen vorhanhanden." 83 Weil der Formalismus aus der falschen Totalisierung menschlicher Subjektivität entsteht, kann Philosophie ihn aus der liberalistischen Gesinnung nur entfernen, indem sie die subjektive Freiheit auf die absolut objektive, auf die göttliche Subjektivität zurückführt: „geht sie aber bis auf den letzten Grund, so kommt sie zu dem, was als Höchstes, als Gott anerkannt ist" 94 . In concreto läuft die philosophische Freiheitsbegründung damit auf die Einsicht hinaus, daß reelle Freiheit heutzutage nur noch durch die menschheitliche Realisation der mit Christus in ihrer objektiven Wirklichkeit gewiß gewordenen Versöhnung zu erreichen sei. Die Objektivität, durch die sie die religiöse Subjektivität ergänzt, ist also nur sekundär die des Staates, in ihrer Wurzel aber die absolute Objektivität des christlichen Versöhnungsangebots. U m das Christentum mit dem Staat als dem weltlichen Ort der Versöhnungsrealisation zu vermitteln, braucht Philosophie es bloß an seinen eigenen Grund zu erinnern, an die in ihm selbst enthaltene Objektivität, die es sich nur so lange verdeckt, als es sidi auf die Subjektivität der Gesinnung reduziert. Sie erinnert es hiermit zugleich daran, daß sein eigener Grund den Staat mitbegründet — so wahr der absolute Geist zusammen mit dem subjektiven auch den objektiven umfängt und ermöglicht; „denn selbst Staat, Gesetze und Pflichten sind in ihrer Wirklichkeit ein Bestimmtes, das in eine höhere Sphäre als in seine Grundlage übergeht" 95 . Auf diese Weise macht Philosophie gegenüber einer Religion, die sich in der ihr zunächst angewiesenen Stellung subjektiver Innerlichkeit abkapselt, die Wahrheit der Religion selber geltend. „Das Wahre aber gegen dieses in die Subjektivität des Fühlens und Vorstellens sich einhüllende Wahre ist der ungeheure Uberschritt des Innern in das Äußere, der Einbildung der Vernunft in die Realität, woran die ganze Weltgeschichte gearbeitet, und durch welche Arbeit die gebildete Menschheit die Wirklichkeit und das Bewußtsein des vernünftigen Daseins, der Staatseinrichtungen und der Gesetze gewonnen hat." 96 • s BR 309 — SW X V 264. 94 BR 309 — SW X V 264. , 5 SW VII 350 {Rechtsphilosophie, § 270 Anm.). 94 SWVII3J2.
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Wir können jetzt den Unterschied zwischen der im engeren Sinn religiösen und der philosophischen Sicht des politischen Lebens ziemlich exakt angeben. Als Hort einer auf subjektive Freiheit bedachten Gesinnung, welche die positive Gesetzlichkeit des Bestehenden ständig auf zukünftige Möglichkeiten hin überschreitet, ist Religion in der bestimmten Gestalt der christlichen, genauer: der protestantischen, das schlechthin progressive Element. Was Philosophie aus dieser Zukunftsorientiertheit eliminiert, ist allein die Abstraktion, welche die künftigen Aufgaben als reines Sollen dem geschichtlich wirklichen Sein entgegensetzt und dieses so selber erst zur extremen Positivität herabsetzt. Philosophie richtet sich demnach kaum weniger entschieden an Zukunft aus als die dezidierte Gesinnungsreligiosität, aber um der Bewältigung der Zukunft selbst willen läßt sie, wie dies Odo Marquard mit Recht betont97, dem schon Geleisteten Gerechtigkeit widerfahren. In der Opposition gegen die subjektivistische Meinung, daß alles noch zu tun sei, artikuliert sie die Erkenntnis, daß wir nur deshalb noch etwas tun können, weil Wesentliches schon getan ist. Ihre so zu beschreibende Grunderkenntnis ist aber ursprünglich die des Christentums und braucht darum an die moderne Religiosität, auch wenn diese sie verleugnet, nicht von außen herangetragen zu werden. Späterer Erörterung muß die Frage vorbehalten bleiben, warum Hegel in der oben schon mehrmals zitierten Anmerkung zu § 270 der Rechtsphilosophie, wo er das „Verhältnis des Staats zur Religion" abhandelt, trotz alledem so erschreckend bedenkenlos gegen die letztere und für den ersteren Partei ergreift, und zwar unleugbar für den bestehenden, nicht für einen zukünftigen Staat. Aber gerade dieser Text bestätigt, daß es seine Überzeugung ist, ein sich selbst verstehendes Christentum treibe das politische Geschehen nach vorn. Auch die rechtsphilosophische Analyse des theologisch-politischen Doppelaspekts historischer Wirklichkeit differenziert, wie Hegels gesamte Religionsphilosophie, zwischen der ihrem Begriff unangemessenen und der ihm adäquaten Religion. Dementsprechend muß man in ihr die den Standpunkt des Gegners prinzipiell anerkennende Auseinandersetzung von einer in Bausch und Bogen verurteilenden Polemik absondern; jene wendet sich an den „Begriff", diese ist an die selbstentfremdete Faktizität der Religion adressiert. In ihrer Selbstentfremdung ist Religion nach dem genannten Text, was sie nach Marx durchweg ist: entweder ein höchst verdächtiges Trostmittel, das „für die Zeiten öffentlichen Elends, der Zerrüttung und Unterdrückung 97
Siehe oben, S. 386 Anm. 58.
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empfohlen und gesucht" wird, oder in sich selber eine Unterdrückungsmaschinerie, die „härteste Knechtschaft unter den Fesseln des Aberglaubens und die Degradation des Menschen unter das Tier" 98 . Die ihrem Begriff unangemessene Religion ist also gegenüber der begriffsgerechten nicht bloß etwa weniger vollkommen, sondern deren Gegenteil, und das ist es, was schlechterdings verbietet, „von der Religion ganz überhaupt zu sprechen"99. Dieser Widerspruch erstreckt sich sogar bis in das Christentum hinein. Hegel zieht es im vorliegenden Zusammenhang zwar vor, laut nur von „Ägyptern und Indern" zu reden, aber zweifellos zielt er audi und gerade auf den in seiner ganzen Philosophie des Rechts ungenannten Katholizismus. Audi die geschiditsphilosophische Betrachtung der JuliRevolution grenzt gegen den Konflikt mit dem liberalistischen Prinzip des subjektiven Willens den „Bruch von Seiten des katholischen Prinzips" ab100. Die Rolle des Liberalismus am Schluß der geschichtsphilosophischen Vorlesungen haben wir mit derjenigen der Religion am Ende des ersten Teils der religionsphilosophischen Vorlesungen verglichen; die Konfrontation mit dem Katholizismus nötigt uns jetzt, die Analogie zu präzisieren und das liberalistische Prinzip dem protestantischen zuzuordnen. Aufschieben müssen wir freilich nodi den Aufweis des Grundes dafür, daß das Christentum den Gegensatz von Progression und Reaktion in sich beherbergen kann. Wie immer solch immanente Widersprüchlichkeit aber auch zu motivieren sein mag, jedenfalls entspricht der in den geschichtsphilosophischen Vorlesungen beschriebene, in der Gegenwart auszufechtende Zweifrontenkrieg gegen das — gänzlich zu überwindende — katholische und das — von seiner Abstraktheit zu befreiende — liberalistische Prinzip der Abstufung rechtsphilosophischer Religionskritik in einen vernichtenden Angriff auf die schlechte Faktizität und eine klärende Grenzstreitigkeit mit dem Begriff der Religion. Diesem erweist Hegel seine Reverenz, indem er allem voran erklärt: „Die Religion hat die absolute Wahrheit zu ihrem Inhalt, und damit fällt »o S W V I I 3 4 9 . s» SW V I I 349. Bruaire schreibt sehr richtig: „Rien n'est plus Stranger a la pensee Ι^έΐίβηηβ que la notion d'une religion commune" (16, S. 48). Das sollten sidi audi die — vorzugsweise Barthianisdien — Theologen sagen lassen, die dem Philosophen, ausgehend von ihrer Unterscheidung zwischen Religion und Christentum, vorwerfen, dieses in jene aufgelöst zu haben. Hegel hat das Christentum nidit durdi Eingliederung in die Reihe der anderen Religionen relativiert, sondern im Gegenteil durch die Rückführung der anderen Religionen auf seine Substanz absolutgesetzt. Vgl. audi Rohrmoser (122), S. 20. 100 S W X I 563; vgl. B R 305 ff. — S W X V 260 ff.
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auch das Hödiste der Gesinnung in sie." 101 Indessen bewirkt seine Option für den bestehenden Staat, daß in seinem Bild einer an sich wesenskongruenten Religion deren progressive Leitlinien anarchistische Züge annehmen. Gerät der Staat in den Strudel des religiösen Gesinnungsradikalismus, so ist er „dem Schwanken, der Unsicherheit und Zerrüttung preisgegeben" 102 . Denn wenn die Religion, d. h. hier: das Christentum evangelischer Konfession, ihr Freiheitsprinzip in der weltlichen Wirklichkeit rein und bedingungslos durchzusetzen versucht, muß sie „alle Staatseinrichtungen und gesetzliche Ordnung als beengende ( . . . ) Schranken, und somit Privateigentum, Ehe, die Verhältnisse und Arbeiten der bürgerlichen Gesellschaft u. s. f. als der Liebe und der Freiheit des Gefühls unwürdig" erachten103. Eine derartige Anarchie ergibt sich für Hegel gerade daraus, daß die Religion als die „tiefste Vergewisserung" der Gesinnung104 die „Grundlage" des Staates bildet. Denn vermöge ihrer Reinheit und Absolutheit kann die Grundlage der allgemeinen Staatsidee stets gegen den vorhandenen, weltlich relativierten Staat aktiviert werden 105 . Faktisch kommt es zur Anarchie, sobald der Protestantismus sich in der spezifisch religiösen Form der Subjektivität — subjektiver Gesinnung und subjektiver Freiheit — festsetzt. Dann nämlich wird er zur totalen Negation vorgegebener Weltwirklichkeit. Die „negative und polemische Richtung gegen den Staat" 10 * und die „Zertrümmerung aller sittlichen Verhältnisse" sind „notwendige Konsequenzen der auf ihrer Form ausschließend bestehenden und sich so gegen die Wirklichkeit ( . . . ) wendenden Gesinnung der Religion" 107 . Mit deren schlechter Faktizität hat ein solcher „Fanatismus" 108 kaum etwas zu tun. Und doch kann Hegel ihn gegen die Religion „wahrhafter Art" 1 0 9 absetzen. Die Unwahrheit des religiösen Fanatismus ist aber die, in welche die Wahrheit des Begriffs selber umschlägt, wenn Religion auf dem ihr eigentümlichen Standpunkt stehenbleibt, und die wahrhafte Religion, die Hegel dagegen ausspielt, ist diejenige, die sich transzendiert. In beiden auf ihrem BegrifFsniveau denkbaren Fällen hält Religion Ausschau nach einer besseren Zukunft, in beiden „tritt sie aus dem Innern in das Weltliche und damit in das Gebiet des Staats herüber" 110 . Einen — allerdings gravierenden — Unterschied gibt es nur, sofern allein die Religion „wahrhafter A r t " — und das macht ihre Wahrhaftigkeit konkret aus — S W V I I 349. S W V I I 351. 10S S W V I I 3 5 1 f . 104 S W V I I 355. 101
103
10T
106 107
S W V I I 350. S W V I I 353. S W V I I 352.
SWVII3JI. »»SWVII353. 1 1 0 S W V I I 355. 1 0 8
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die Fremdheit des Elements realisiert, in das dieser „ungeheure Überschritt" führt, während die auf ihrer Form beharrende Religion in das Weltliche ohne ihre eigene Veränderung herübertreten möchte. Diese Starrheit ist ohne sdilimme Folgen und in gewissem Maße auch legitim, wenn das in die Religion hereinragende Weltliche sich noch nicht zu seiner vollen Weltlichkeit entwickelt hat, sondern auf die „Handlungen des Kultus" 1 1 1 im engsten Sinne eingegrenzt ist, d. h. auf den Gottesdienst in einem sakralen Sonderbereich. In den weitgefaßten Kultus hingegen, der als total weltliche Realisation der göttlichen Versöhnung definiert ist, kann Religion nicht unverändert übergehen, ohne zur Unwahrheit zu werden. Zu verwandeln hat sie sich, will sie sich darin wirklich vollenden, in Philosophie. Die von ihr geforderte Selbsttranszendierung ist zunächst ihre Aufhebung in den Begriff und sodann ihre Umsetzung in die genuin politische Praxis. Wir stoßen hier genau auf die Stelle, an welcher die gesuchte Einheit von Theorie und Praxis lokalisiert ist. Nur in der Form philosophischer Theorie kann Religion weltverändernde Praxis sein. Denn nur Philosophie vereint mit dem Selbstbewußtsein der Subjektivität, die sich „als subjektive Religiosität oder als theoretische Wissenschaft" artikuliert 112 , das Bewußtsein der „gedachten objektiven Wahrheit und Vernünftigkeit" 118 , welche als nicht mehr bloß gedachte, sondern wirkliche die weltliche Realität von Staat und Gesellschaft ist. Ein klares Eingeständnis dessen, daß sie mit diesem Verhältnis zum Staat einen Zukunftsbezug gewinnt, wird man von einem Text nicht erwarten können, der sie gewalttätig an das Bestehende verweist. Immerhin kommt ihr Zukunftsbezug indirekt dadurch mit an den Tag, daß seine Unterdrückung sidi an der parallelen Gewalttätigkeit manifestiert, mit der Hegel den Begriff der Religion auf deren unterste Ebene herunterzwingt. Auch ein Christentum, das sich auf sein eigentümliches Prinzip fixierte, wäre dem Begriff zufolge, den Hegel andernorts selber expliziert, immerhin mehr, als er im vorliegenden Zusammenhang einzuräumen bereit ist. Denn die Form prinzipiell vollendeter Religion umfaßt mit der Subjektivität durchaus auch die Objektivität der Vorstellung. Daß Hegel sie aber, noch bevor die Religion es faktisch tut, bereits im Gedanken auf reine Subjektivität und diese obendrein auf die Subjektivität des Gefühls reduziert, spiegelt in ungewollter Dialektik die entgegengesetzte Vereidigung der Philosophie auf eine weltlich vorhandene Objektivität wider. 111
SW V I I 35j. U2 SW V I I 3J7· 11S SW VII 360.
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Was als die tiefste Wurzel christlicher Religion und damit auch Hegelscher Philosophie freizulegen wäre: die als absolute Subjektivität erschienene Objektivität der Versöhnung, bleibt zugedeckt, und die Folge dieser Verdeckung ist, daß die Momente, die im göttlichen Versöhnungsgeschehen vereinigt sind, als schlechte Subjektivität und schlechte Objektivität in den Gegensatz von abstrakter Weltlosigkeit und verfestigter Weltlichkeit auseinanderfallen. Dränge die Untersuchung bis zu dieser Wurzel vor, so würde sie gewiß den Platz wahrnehmen, den das Bestehende, das rechtmäßig kaum als vollkommene Realisation der Versöhnung angesehen werden kann, in seiner eigenen Leere für die Zukunft wahrhaft realer Freiheit reserviert. Je enger man nun freilich die Philosophie Hegels an die politische Praxis als zukünftige Verwirklichung von Freiheit bindet, desto größer werden die Schwierigkeiten, die sich aus ihrem gleichzeitigen Bekenntnis zur reinen Theorie Aristotelischer Provenienz ergeben. Scheint doch die archäologische Rückwärtsgewandtheit reiner Theorie die Sorge um die praktische Bewältigung der weltgeschichtlichen Zukunft schlechterdings auszuschließen. Indessen hat Hegel einige Vorkehrungen getroffen, um sich gegen einen Konflikt mit seinem philosophischen Herkunftsbewußtsein abzusichern. Wichtig wird in dieser Hinsicht fürs erste die den jetzigen Überlegungen programmatisch vorangestellte Aussage, die religiös fundierte, vom objektiven Versöhnungsgeschehen ermächtigte Freiheit, der die Verweltlichung des Christentums im geschichtlichen Prozeß des Kultus aufgegeben ist, habe „den Trieb (...), sich zu realisieren". In strenger Konsequenz der Doktrin, der zufolge seine eigene Philosophie in diesen Prozeß integriert ist, nimmt er auch als Herzstück philosophischen Denkens einen derartigen Trieb an. Er tut das genau da, wo er das Verhältnis von Theorie und Praxis untersucht. Vornehmlich in dem von Gans redigierten Zusatz zu § 4 seiner Rechtsphilosophie, der von Anfang bis Ende diesem Verhältnis gewidmet ist, begreift er „das Denken als sich übersetzend ins Dasein, als Trieb sich Dasein zu geben" 114 . Jeden Zweifel an der Authentizität des hier Gesagten beseitigt seine Logik. Sie erklärt den Trieb zum Grundcharakter des Erkennens, der „Wahrheit als theoretischer Idee in ihrem eigentlichen Sinne" 1 1 5 ; und den Erkenntnistrieb faßt sie als innere Tendenz des Denkens zur Realisation in der Welt. „Der Trieb hat daher die Bestimmtheit, seine eigene Subjektivität aufzuheben, seine erst abstrakte Realität zur konkreten zu machen und sie mit dem 114 115
SWVII $1.
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Inhalte der von seiner Subjektivität vorausgesetzten Welt zu erfüllen."11® Ähnlich heißt es in den Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie, das mit Freiheit identische Denken existiere überhaupt „nur als wollend, d. h. Trieb seine Subjektivität aufzuheben, Beziehung auf Dasein, Realisierung seiner"117. Das marxistische Postulat eines Praktischwerdens der Theorie erfüllt die Philosophie Hegels, nach ihrer Selbstauslegung zu urteilen, dermaßen prompt, daß sie nicht erst nachträglich, durch einen atheoretischen Akt, praktisch wird, sondern ihr Praktischwerden in sich selber ist; philosophisches Denken im Stile Hegels ist seine weltliche Realisierung. Gerade dadurch aber wird der Zukunftsbezug — in einer anderen als der üblichen Bedeutung des Wortes — „vergegenwärtigt". Indem seine zukünftige Verwirklichung dem philosophischen Denken als Trieb schon einwohnt, relativiert sich die temporale Transzendenz, die ein gänzlich neu hinzutretender Akt dem theoretischen gegenüber hätte. Da allerdings auch so noch Zukunft im Spiel ist, muß der Versuch einer Vermittlung von zukunftsgerichteter und reiner Theorie auf ein weiteres Argument aus der Reihe der oben dargelegten Gedanken zurückgreifen. Zu einer solchen Vermittlung trägt die wiedergegebene Definition der spezifischen Struktur kultischen Handelns bei. Die Kluft zwischen dem gegenwärtigen Vollzug der Philosophie und deren zukünftiger Verwirklichung wird zweifellos schmaler, wenn einerseits das Denken selbst schon an dem Prozeß teilnimmt, der auf politisches Handeln hinausläuft, und wenn andererseits dieses Handeln an dem Selbstzweck partizipiert, der das Denken als reine Theorie ausweist. Als Moment im geschichtlichen Gang der Versöhnungsrealisation ist die Gegenwart der Philosophie eine Antizipation der Zukunft im Gedanken. Sofern die Zukunft aber von sich aus auf die Philosophie zugekommen ist, braucht diese nicht erst in sie hinauszugehen. Als Selbstzweck ist die politische Praxis, auf die ihre Integration in den Kultus sie verpflichtet, ihrerseits die in die Zukunft projizierte Gegenwart der reinen Theorie, und sofern das der Fall ist, fällt Philosophie mit ihrem Praktischwerden, auch wenn man auf dessen NochNidit abhebt, in kein fremdes Element. Doch selbstverständlich bleibt auch die im Philosophieren schon gegenwärtige und noch bei ihrem Eintreten philosophische, die als Selbstzweck mit der reinen Theorie vermittelte Zukunft trotz alledem, was sie ist. Hegel erläßt denn auch schließlich ein Dekret, das der philosophischen Theorie um ihrer Reinheit willen äußerste Zurückhaltung gegenüber der 118 117
SWV274. SW XIX 528 f.
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
Zukunft auferlegt. Er schreibt dem Umgang der Philosophie mit politischer Praxis jene Distanz vor, die in der Mittelbarkeit liegt. Seine um die Jahrhundertwende entstandenen Politica sprechen ja, wie Habermas richtig bemerkt hat118, der philosophischen Theorie ebenfalls eine bloß mittelbar praktische Wirkung zu, nämlich die einer allmählichen Veränderung des Bewußtseins der Herrschenden, nicht die eines direkten Ergreif ens der Massen im Sinne von Marx. Zwar erzeugt der „immer sich vergrößernde Widerspruch zwischen dem Unbekannten, das die Menschen bewußtlos suchen, und dem Leben, das ihnen angeboten und erlaubt wird", nicht nur das Bedürfnis der theorielos existierenden Bürger, „ein Bewußtsein über das, was sie gefangen hält, und das Unbekannte, das sie verlangen, zu bekommen", sondern in „gegenseitiger Annäherung" auch den Trieb der Theoretiker, „ins Leben aus ihrer Idee überzugehen" und das „Negative der bestehenden Welt aufzuheben"119. Aber alle Aktivität, in welche die Theorie umschlägt oder schon umgeschlagen ist, beschränkt sich auf die notwendigerweise mittelbare Hilfe, die sie für den Prozeß des Bewußtwerdens der Negativität des Bestehenden120 leistet. „Worüber die öffentliche Meinung heller oder dunkler durch Verlust des Zutrauens entschieden hat, darüber braucht es wenig, ein klareres Bewußtsein allgemeiner zu machen."121 Die zum tractatus theologico-politicus gehörigen Texte der Spätzeit bezeugen nun offensichtlich, daß der ausgereifte Hegel die derart mittelbar praktische Theorie keineswegs schlechterdings durch eine von Praxis völlig absehende ersetzt, sondern lediglich umakzentuiert. Selbst diejenigen Passagen der religionsphilosophischen Vorlesungen, die man gewöhnlich als Praxisverzichterklärung liest, scheinen noch für einen indirekten Einfluß der Philosophie auf das politische Handeln zu plädieren. Am wenigsten frei von Altersresignation ist der im vorliegenden Zusammenhang gern angeführte Schluß dieser Vorlesungen. Riedel ζ. B. erblickt in ihm eine „vollendete Abwendung der Philosophie von der geschichtlichen Welt" 122 und Heintel die Katastrophe des Auseinanderbrechens von Theorie und Praxis123. Tatsächlich endet Hegels Manuskript 118 119
120
181 122 123
Habermas (41), S. 98; (44), S. 354 ff. G. W. F. Hegel, Politische Schriften, hrsg. v. J . Habermas, Frankfurt am Main 1966, S. 16 (Einleitung zur Verfassungsschrift von 1799/1800). Vgl. a. a. O., S. 17: „Das Gefühl des Widerspruchs der Natur mit dem bestehenden Leben ist das Bedürfnis, daß er gehoben werde; und dies wird er, wenn das bestehende Leben seine Madit und alle seine Würde verloren hat, wenn es reines Negatives geworden ist". A . a . O . , S . 18. Riedel (118), S. 214. Heintel (49), S. 708 f.
Einheit von Theorie und Praxis
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mit der müden, schon wegen ihrer unaufgehobenen Negativität auffallenden Feststellung, wie es in der Welt zugehe, sei „nicht unsere Sache"124. Vermutlich hat er dieses Dictum jedoch im mündlichen Vortrag auf eine entscheidende Weise modifiziert. Denn die von Marheineke auf Grund autorisierter Kollegnachschriften veranstaltete Ausgabe schließt mit dem Satz: „Wie sich die zeitliche, empirische Gegenwart aus ihrem Zwiespalt herausfinde, wie sie sich gestalte, ist ihr zu überlassen und ist nicht die unmittelbar praktische Sache und Angelegenheit der Philosophie." 126 Das im Druck durch Sperrung hervorgehobene Wort „unmittelbar" soll offensichtlich darauf hinweisen, daß die der zeitlichen Gegenwart aufgegebene Praxis sehr wohl indirekt eine Angelegenheit der Philosophie sei. Die Art dieser Mittelbarkeit läßt sich aber nur aus dem dritten Aspekt der Einheit von Archäologie und Eschatologie verständlich machen. Hegeische Philosophie muß sich auch zur politischen Praxis der hic et nunc andrängenden Zukunft verhalten können, weil sie eschatologisch ausgerichtet ist auf den „letzten Endzweck der Welt", auf die Verwirklichung der mit Christus auch subjektiv möglich gewordenen Freiheit in Staat und Gesellschaft. Doch behält sie sogar in dieser extrem eschatologischen Ausrichtung den Charakter einer Archäologie, sofern sie den Zukunftshorizont, wie gesagt, allein durch die Ergründung der zeitgeschichtlichen Gegenwart ausleuchtet. Eine derartige, nur im ergründenden „Zurücksehen" vorausschauende Hermeneutik der historischen Situation stellt die moderne Gestalt dar, in die sich bei Hegel die reine Theorie Aristotelischer Metaphysik verwandelt. Zugleich zeichnen sich mit ihr die Umrisse einer indirekt praktisch werdenden Theorie ab. Hegel füllt die Umrisse mit anschaulichem Material aus, indem er die praktische Bedeutung der situationsdiagnostischen Hermeneutik auf den Begriff einer „Reformation" des Bewußtseins bringt 126 . Dieser Titel impliziert keineswegs schon eine Vorentscheidung für eine „Reform" und gegen eine „Revolution" 127 . Er zeigt vielmehr nur die Bewußtseinsveränderung an, 124 125 m 127
AR 231. SW X V I 3 $6. Vgl. H. Schmidt (128), bes. S. 165, 281, 290—295. Audi die in dem frühen Fragment über Württemberg (1798) ausgesprochene Warnung vor dem im Vergleich mit der rationalen Veränderung „viel fürchterlichem Ausbruch, in welchem dem Bedürfnisse der Verbesserung sich die Rache beigesellt", darf nicht ohne weiteres als reformistische Parteinahme gegen jede Art von Revolution gewertet werden, da der Verfasser das Wankende zwar „mit Ehre und Ruhe", aber doch „vollends wegschaffen" will (Politische Schriften, S. 12 f.)· Dazu meine Auseinandersetzung mit Haym (143), bes. S. 11 ff. Anders verhält es sich, wenn der späteste Hegel in seiner Schrift über die englische Reformbill (1831) den Versuch,
27 Theunissen, Hegel
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die notwendig ist, damit es überhaupt zu einer „vernünftigen" — sei es reformierenden, sei es revolutionierenden — Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse kommen kann. Und zwar muß die Veränderung in der Tiefe des Bewußtseins vor sich gehen, in dem und mit dem religiösen Fundament, auf das sich die politische Aktivität — mit oder ohne Wissen der Subjekte — stützt. „Es ist", sagt Hegel im Ubergang zur encyclopädischen Lehre vom absoluten Geist (§ 552), „nur für eine Torheit neuerer Zeit zu achten, ein System verdorbener Sittlichkeit, deren Staatsverfassung und Gesetzgebung derselben ohne Veränderung der Religion umzuändern, — eine Revolution ohne eine Reformation gemacht zu haben" 128 . Gemeint ist hier der Katholizismus, die „Religion der Unfreiheit", deren Fortbestehen den Schrecken der Französischen Revolution verschuldet hat, weil es verhinderte, daß die „Grundsätze der rechtlichen Freiheit", die so nur „abstrakt" gelten konnten, von einem dafür bereiten Bewußtsein interiorisiert wurden129. Aber keines Luthers, sondern einer selbst theologisch orientierten Philosophie hätte es bedurft, um die Voraussetzungen für ein Konkretwerden der abstrakten Freiheitsprinzipien zu schaffen130. Wie eine solche Philosophie dies angesichts des damals vorherrschenden Katholizismus durch die Kritik hätte tun müssen, welche die schlechte Faktizität der Religion an deren Begriff mißt, so hat sie die Reformation des Bewußtseins um 1830, in der Auseinandersetzung mit dem katholischen und. mit dem ursprünglich protestantischen Prinzip des Liberalismus, auch dadurch zu leisten, daß sie die Religion aus der Fixierung auf ihren Begriff löst und durch die Erinnerung an die ihr selbst zugrunde liegende Objektivität mit der weltlichen Objektivität von Staat und Gesellschaft vermittelt. In jedem Fall ist es ihre Aufgabe, „in die Tiefen des religiösen Geistes hinabzusteigen und ihn selbst zu seiner Wahrheit zu erheben"131; und in jedem Fall vermag diese Aufgabe allein sie, als der einzige Schnittpunkt von religiöser Gesinnung und staatlichem Gesetz, zu lösen. Die Gegenwartstheorie, die sie damit treibt, verfährt „statt einer Reform eine Revolution herbeizuführen", als eine G e f a h r heraufkommen sieht (Politische Schriften, S. 3 2 1 ) . Zweifellos wirkt sich hier die nach den französischen Ereignissen vom Juli 1 8 3 0 entstandene Angst vor der grundsätzlichen Infragestellung der bürgerlichen Gesellschaft aus. V g l . H . Marcuse (90, S. 2 1 9 f.) und die mehr psychologische Motivation bei H a y m (47, S. 4 5 6 flF.) und Rosenzweig ( 1 2 5 , II, S. 2 2 0 — 2 3 9 ) . 188 SWX440. " » S W X 4 3 9 f. 180 1S1
Z u diesem Hegeischen Postulat: Fulda (27), S. 53. SWX441.
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archäologisch in dem strengen Sinne, daß es der — freilich selber geschichtliche — Grund der geschichtlichen Gegenwart ist, auf den sie das zeitgenössische Bewußtsein und das bestehende Gesellschaftssystem zurückführt: das absolut objektive Versöhnungsgeschehen, welches das Bewußtsein zur gesellschaftlichen Verwirklichung seiner subjektiven Freiheit und das Gesellschaftssystem zur realen Befreiung der Menschen von entfremdender Herrschaft auffordert. Die Zukunftsperspektive aber liegt in dieser scheinbar bloß rückwärts gewandten Schau selber. Hegels Reformationsbegriff zielt auf die Aufklärungstendenz, die den immanenten Sinn seiner Philosophie qua Gegenwartstheorie definiert und nicht äußerlich zu ihr hinzukommt. Denn der Vergangenheitshorizont, der sich als Grund der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit auftut, deckt sich mit dem Zukunftshorizont, welcher als Anspruch an sie herantritt; die άρχή der göttlichen Versöhnungstat, von der die gegenwärtige Zeit herkommt, entläßt aus sich selber das εσχατον, auf das sie sich hinbewegen soll.
27»
5. Die Destruktion der antiken Ontologie und der Begriff einer interessierten Erkenntnis Nach Jürgen Habermas mußte Hegel, der „als erster Philosoph in diese Dimensionen überhaupt hineingeführt" hat, Theorie gleichwohl „der Mediatisierung durch historisches Bewußtsein und gesellschaftliche Praxis" entziehen; sein Ansatz zwang ihn zu einer — so betont Habermas — halb schon gewaltsamen „Umkehr" zur theoria der Griechen 1 . D a ß das Festhalten an reiner Theorie unter den geschilderten Umständen etwas Gewaltsames an sich hat, kann wohl niemand leugnen. Gewiß: Den mit griechischer theoria so unverträglich erscheinenden Trend zur Zukunft nimmt die bruchlose Verschweißung der Philosophie mit ihrer weltlichen Verwirklichung weitgehend in das Jetzt des aktuell vollzogenen Denkens zurück — aber der stets schon wirksame Trieb zur Realisation unterscheidet sich kaum weniger evident von der Realisation selber als einem noch ausstehenden Geschehen. Gewiß auch steht sogar dieses Geschehen nicht mehr vollständig aus, da ja bereits die Philosophie zu ihm als dem „kultischen" Handlungszusammenhang gehört, der durchweg und bis ans Ende der Welt die in der Tradition nur ihr zugesprochene Würde des Selbstzwecks besitzt — aber die umgreifende Einheit des Kultus entfaltet sich allein in der Differenz ihrer Momente, und deren gemeinsame Verfassung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das die Versöhnung realisierende Subjekt genötigt ist, von einem zum anderen Moment im Überschreiten des je Gegenwärtigen fortzugehen. Und was fürs letzte die Mittelbarkeit der Beziehung zur politischen Praxis anlangt: Sicherlich sorgt sie dafür, daß vom Noch-Nicht in die Philosophie bloß hineinscheint, was sich im Spiegel der unmittelbar angeschauten Gegenwart reflektiert — aber indirekt thematisch ist Zukunft auch so eben doch. In alledem und ungeachtet aller Vorkehrungen drängt sich die unabgeschlossene Weltgeschichte auf, und sie ist es, die es schwer macht, hier noch von 1
Habermas (41), S. 106.
Destruktion der antiken Ontologie
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reiner Theorie zu sprechen. Indessen erhebt sich die Frage, ob Hegel wirklich, wie Habermas zu glauben scheint, davor zurückschrickt, Philosophie mit historischem Bewußtsein und gesellschaftlicher Praxis zu durchsetzen, und aus Furcht vor einer solchen Historisierung seine Zuflucht zu der eigentlich schon überholten theoria griechischer Naturfrömmigkeit nimmt oder ob er nicht vielmehr ohne jede Umkehr zu sagen versucht, was nach dem endgültigen Abschied von den naturalistischen
Voraussetzungen
Platonisch-Aristotelischer Metaphysik und auf dem Boden universalen Geschichtsdenkens „reine Theorie" noch heißen kann. Wie unmittelbar einleuchtet, wäre die zweite Möglichkeit allein dann annehmbar, wenn sich zeigen ließe, daß Hegel die Ontologie, auf die sich die griechische Auffassung von reiner Theorie gründet, ausdrücklich destruiert. Genau das ist nun der Fall 2 . Die Destruktion der antiken Ontologie ist das negative Resultat des Weges, auf dem sich das einseitig theoretische und das entsprechend einseitig praktische Verhalten in die absolute Idee als Einheit von Theorie und Praxis aufhebt. In der Aufhebung, 2
Die folgenden Ausführungen stehen letztlich auch im Gegensatz zu allen Versuchen, die Philosophie Hegels überhaupt auf Ontologie zurückzuführen und insbesondere den Gang seiner Logik, mit dem frühen Marcuse (89, S. j), als „Entfaltung des Seinsbegriffs" auszulegen. Was oben als „Destruktion der antiken Ontologie" bezeichnet wird, führt Hegel ja gerade im Aufbau von Logik und Encyclopädie konkret durdi, indem er das Parmenideische Sein in die absolute Idee und schließlich in den absoluten Geist aufhebt. Auch die „objektive" Logik ist insofern schon nicht mehr Ontologie, sondern tritt, wie Hegel ausdrücklich betont (SW IV 65), „an deren Stelle". Im übrigen ließe sich desgleichen der Weg der Phänomenologie unter dem Gesichtspunkt jener Destruktion deuten. Unbestritten bleibt freilich das relative Recht einer Darstellung wie der Kruithofs (70), welcher auf die logisch-spekulative Lehre vom Sein den traditionellen Titel der Ontologie anwendet, ohne damit die Totalität des Hegeischen Denkens treffen zu wollen. Doch verändert bei Hegel, wie mit Recht Adorno hervorhebt, der „Sinn von Ontologie sich so eingreifend, daß es müßig dünkt, ihn, wie heute manche Hegelinterpreten es möchten, auf eine sogenannte Grundstruktur länger anzuwenden, deren Wesen es eben ist, nicht Grundstruktur, nicht ύποκεΐμεvov zu sein" (1, S. 21). Weit entfernt von dieser Einsicht scheint Rollwage (124) zu sein, der die im ganzen als Ontologie aufgefaßte Philosophie Hegels und vornehmlich dessen Ansatz einer „ontologisdi begründeten politischen Theorie" (S. 186) von der Aristotelischen Ontologie aus kritisieren will (vgl. S. 203 f.). Sein „Vergleich zwischen Aristoteles und Hegel" läuft hinaus auf eine „Konfrontation der aristotelischen Kategorien von Akt und Potenz (...) mit den entsprechenden hegelsdien Kategorien von Wirklichkeit und Möglichkeit" (S. 29). Die polemische Spitze dieser Konfrontation riditet sidi gegen die Tendenz Hegels, den Spielraum der Möglichkeit zugunsten einer universal determinierenden Geschichtswirklidikeit einzuschränken (vgl. bes. S. 191 f.). Wer wollte solch sattsam bekannten Determinismus leugnen? Eine andere Frage aber ist, ob es Rollwage gelingen kann, gegen ihn das Offene der geschichtlichen Zukunft ausgerechnet mit den Waffen des Aristotelischen Möglichkeitsbegriffs zu verteidigen.
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
die ja nur die verborgene Wahrheit des Bewußtseins vor dessen eigener Beschränktheit rettet, liegt, daß die reine im Sinne der praxislosen Theorie, die für sich so erscheint, an sich schon Praxis ist (und die nach ihrem Selbstverständnis reine Praxis Theorie). Mit anderen Worten: Hegel entlarvt die abstrakt reine Theorie, die sich durch Reinheit von Praxis unbefleckt erhalten möchte, als Schein. In Wirklichkeit ist sie nach seiner Überzeugung nicht, was zu sein sie vorgibt. Der Schein abstrakt reiner, von Praxis gereinigter Theorie entsteht aber aus dem objektivistischen Schein, den die Ontologie als Lehre von einer vermeintlich subjektunabhängigen Weltstruktur erzeugt. Er ist der Widerschein der illusionären Meinung, das Sein sei der menschlichen Subjektivität als in sich ruhender Naturkosmos vorgegeben. Diese von Habermas 3 vertretene These hat Hegel mehr oder weniger explizit vorweggenommen, und zwar eben in denjenigen Ausführungen, die dem Umschlag des scheinbar unvermittelten Gegensatzes von Theorie und Praxis in deren Einheit gewidmet sind. Wie der Habermas'schen Version, so hängt allerdings auch der Fassung, in der Hegel die vorläufig bloß angedeutete These vorträgt, etwas von der Problematik an, die nach der ihrerseits problematischen Darstellung Manfred Riedels sein gesamtes Verständnis griechischer theoria belastet4. Unleugbar verwischt er die ontologische Differenz, die nicht nur dieses oder jenes Seiende, sondern auch noch das Universum, als das naturalistisch vorgestellte Seiende im ganzen, vom Sein trennt; ja, er bezieht die abstrakt reine Theorie primär auf die einzelnen Dinge, und dies so, daß seine Kritik ihren Gegenstand nur unter der Bedingung einer solchen Korrelation trifft. Demgemäß richtet sich auch die abstrakt reine Praxis auf das je für sich in der Natur vorkommende Ding, was bedeutet: sie ist poiesis und damit gar nicht praxis im strengen Verstände; sie ist das instrumentale Handeln einer nach außen gewendeten Arbeit und nicht die sittliche Selbstverwirklichung der Subjektivität, geschweige denn das kommunikative Handeln weltgeschichtlich motivierter Interaktion. Erst mit der A u f lösung des Scheins, der eine wechselseitige Ausschließung von Theorie und Praxis vortäuscht, realisiert diese die ihr an sich immer schon zukommende Bedeutung einer sich im Medium der Sittlichkeit ausbreitenden Interaktion. Gleich groß ist die Verwandlung, die im selben Prozeß die Theorie durchmacht. D a ß sie im Sich-entgegensetzen gegen eine poietische Praxis, genauso wie diese, Einzelnem in einer naturalistisch verstandenen Welt zugewandt ist, verliert sich, sobald sie sich als eine höhere 3 4
Habermas (43), bes. S. 150, 1 5 4 , 1 6 4 ; vgl. dazu Theunissen (142), S. $ f. Riedel (118), bes. S. 38.
Destruktion der antiken Ontologie
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Form von Praxis weiß. Die relative Unrichtigkeit, die man Hegels Auslegung griechischer Theorie zu einem gewissen Teil nachsagen kann, läßt eines also mit Sicherheit unbeeinträchtigt: sein Konzept der sich als mittelbar praktisch wissenden Theorie, als der er sein eigenes Denken verstanden hat. Im übrigen wird man diese Auslegung nur dann umstandslos als Fehlinterpretation beurteilen können, wenn man die ontologische D i f ferenz, wie Riedel das tut, von Heidegger her in Aristoteles zurückverlegt. Diese Rückverlegung bringt aber kaum überwindliche Schwierigkeiten mit sich. Besdiäftigt sich doch die theoretische Wissenschaft in ihrer Vollendung nach Aristoteles mit jenem „Seienden als solchem", das wesentlich das göttlich durchwaltete Ganze der naturgegebenen Dinge meint. In ihrem Rahmen bedeutsam ist zweifellos der Unterschied des einzelnen Seienden und der schrankenlosen Allgemeinheit seines Seins, aber er hat durchaus auch für Hegels Theorie der Theorie konstitutive Bedeutung. Was man, ginge es um bloße Philosophiegeschichte, kritisch vermerken könnte, wäre freilich der unmittelbar vor Augen liegende, von Riedel gebührend betonte Umstand, daß sich zwischen Hegel und Aristoteles die neuzeitliche Metaphysik der Subjektivität von Descartes bis Kant schiebt: Die Allgemeinheit verschwindet im Subjekt, und die allein noch als seiend verbleibende Einzelheit vertrocknet zur sinnlich affizierenden Partikularität. Aber gerade dies zeigt, wie weit sich Hegel von der antiken Ontologie entfernt hat. Nicht nur, daß er sich im Absprung von ihr auf eine ganz andere Ebene erhebt. In dem neuen Boden wurzelt er sich auch so tief ein, daß es ihm kaum mehr gelingt, das Alte authentisch zu rekonstruieren. Wohl nicht zufällig entlarvt Hegel das falsche Bewußtsein der tbeoria am überzeugendsten in der Einleitung zur Naturphilosophie, also zur Philosophie desjenigen Seins, an dem sich die antike Ontologie orientiert. Die Sätze, mit denen die Untersuchung hier anhebt, markieren sogleidi das positive Ziel und die Methode der zu leistenden Destruktion. „Wir verhalten uns zur Natur teils praktisch, teils theoretisch. Bei der theoretischen Betrachtung wird sich uns ein Widerspruch zeigen, der uns ( . . . ) zu unserem Standpunkte leiten wird; dadurch, daß wir zur Auflösung des Widerspruchs das dem praktischen Verhältnis Eigentümliche hinzunehmen müssen, wird es sich zur Totalität integrieren und mit dem theoretischen vereinigen." 5 Die Methode der Destruktion ist die Auflösung des Widerspruchs, in welchem sich die Scheinhaftigkeit abstrakt reiner Theorie verrät, und ihr Ziel ist die Konstruktion des modernen Philoso5
SW I X 34 (Encyclopädisdie Einleitung in die Naturphilosophie, i . Zusatz).
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Konstruktion des Philosophiebegriffs
phiebegriffs aus der Verschränkung der Praxis mit einer Theorie, die sich durch ihre Reflexion auf ihre praktische Verfassung von ihrer Widersprüchlichkeit befreit. Im Verfolg dieses Ziels wendet sich Hegel zunächst der einseitigen Praxis zu. Er definiert sie als die Poiesis, die nach ihrer negativen Seite die spröde Selbständigkeit von den Dingen abarbeitet und nach ihrer positiven aus dem Naturwüchsigen etwas für den Menschen Nützliches herstellt. „Das praktische Verhalten zur Natur ist durch die Begierde, welche selbstsüchtig ist, überhaupt bestimmt; das Bedürfnis geht darauf, die Natur zu unserem Nutzen zu verwenden, sie abzureiben, aufzureiben, kurz sie zu vernichten." 8 Des näheren zeichnet sich eine derart poietische Praxis nach Hegel durch zwei Merkmale aus: Sie hat es erstens „nur mit einzelnen Produkten der Natur" zu tun, nicht mit der „Natur selbst" oder dem „Allgemeinen derselben", und sie macht die „natürlichen Dinge" zweitens „zu Mitteln ( . . . ) , deren Bestimmung nicht in ihnen selbst, sondern in uns liegt" 7 . Theoretisches Verhalten hingegen ist genau umgekehrt beschaffen. In umgekehrter Reihenfolge beschreibt Hegel denn auch die beiden Charakterzüge, die den Merkmalen einseitiger „Praxis" spiegelbildlich entsprechen. Beim theoretischen Verhalten ist „das Erste, daß wir von den natürlichen Dingen zurücktreten, sie lassen wie sie sind, und uns nach ihnen richten"; anders ausgedrückt: „im Theoretischen entlassen wir die Dinge frei" 8 . Im Verzicht auf alle Interessen, die ihnen je bestimmte Aspekte der Dienlichkeit vorschreiben würden, respektieren wir sie in ihrem unveräußerlichen Selbstsein, und erst dies, daß wir ihr eigenes „Mittelsein" negieren, erlaubt es uns, auch die Erkenntnis von ihnen als „Selbstzweck" aufzufassen. Das Zweite ist aber beim theoretischen Verhalten, „daß wir sie in etwas Allgemeines verwandeln" 9 ; und das geschieht nicht bloß manchmal oder aus subjektiver Willkür, sondern insofern immer und notwendig, als wir nur das Allgemeine der Dinge theoretisch erkennen können. Damit gerät Theorie in einen Widerspruch nicht bloß zu der von ihr getrennten Praxis, sondern auch zu sich selbst. Ihre „beiden Bestimmungen sind nicht nur den beiden praktischen entgegengesetzt, sondern wir finden das theoretisdie Verhalten innerhalb seiner selbst widersprechend, indem es unmittelbar das Gegenteil von dem zu bewirken scheint, was es beabsichtet"10. Das theoretische Verhalten kann seine Extreme nicht in * SW IX 3J (Encyclopädie, § 24J, Zusatz). S W I X 3 5 f. 8 SW IX 38 (Encyclopädie, § 246, Zusatz). • SW IX 38. 7
10
SW I X 39.
Destruktion der antiken Ontologie
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seiner eigenen Mitte vermitteln, sondern schlägt unmittelbar in sein Gegenteil um. Denn seine Intention auf die freie Selbständigkeit der Dinge verkehrt sich in deren gewaltsame Veränderung. Statt die Natur „zu nehmen, wie sie in Wahrheit ist, statt sie wahrzunehmen, machen wir etwas ganz Anderes daraus" 11 . Die parallele Erörterung des TheoriePraxis-Problems im Zusatz zu § 4 der Rechtsphilosophie nennt die Art solcher Veränderung beim Namen: „Indem ich einen Gegenstand denke, mache ich ihn zum Gedanken, und nehme ihm das Sinnliche: ich mache ihn zu etwas, das wesentlich und unmittelbar das Meinige ist"14. In einseitiger Theorie wird jedes Ding dergestalt zu etwas Anderem, daß es zu etwas Meinigem wird; die intendierte Objektivität enthüllt sich als Subjektivität, das angezielte Seiendsein als Gesetztsein. „Der Inhalt des Gedachten erhält wohl die Form des Seienden, aber dies Seiende ist ein Vermitteltes, durch unsere Tätigkeit Gesetztes."13 Hieraus folgt, daß die subjektunabhängige, die ohne subjektives Zutun allein aus sich existierende Objektivität, auf die das theoretische Verhalten zugeht, Schein ist. Das theoretische Verhalten kann nur so lange in seiner Einseitigkeit bestehen, als ihm dieser Schein verborgen bleibt. Doch kommt der Schein schon in der Sphäre des Gegensatzes von Theorie und Praxis an den Tag, zwar nicht durch das theoretische, aber durch das praktische Verhalten, das ja eine an sich seiende Objektivität dadurch, daß es die Dinge als Mittel zu Zwekken gebraucht, auf seine Weise, nämlich praktisch leugnet. „Die Schwierigkeit, d. i. die einseitige Annahme des theoretischen Bewußtseins, daß die natürlichen Dinge uns gegenüber beharrend und undurchdringlich seien, wird direkt widerlegt durch das praktische Verhalten, in welchem dieser absolut idealistische Glauben liegt, daß die einzelnen Dinge nichts an sich sind."14 So läßt sich der „wahrhafte Idealismus" durch die Praxis darüber belehren, daß die sich als unmittelbar gegeben aufdrängende Natur „nur Schein" und daß eben dies die „Wahrheit der Dinge" 1st15. In Schein löst sich hiermit desgleichen die Reinheit der abstrakt reinen Theorie auf. Ist sie doch bloß der Reflex des objektivistischen Vorverständnisses, das den Dingen ein imaginäres Selbstsein zuschreibt. Offenbart sich die Vermitteltheit der Natur durch das sie konstituierende Subjekt, so tritt zugleich die praktische Verfassung der Theorie her11
SWIX39.
« SWVIIJI. 13
14 15
SWVII 52. SWIX 42 (Encyclopädie, § 246, Zusatz) SWIX42.
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Konstruktion des PhilosophiebegrifFs
vor. In seiner Philosophie des Rechts geht Hegel gar so weit, aus der Destruktion des Objektivismus den Sdiluß zu ziehen: „Das Theoretische ist wesentlich im Praktischen enthalten" 16 . Enthalten ist es darin in dem Sinne, daß die Praxis, als die höhere Wahrheit, zugleich die Wahrheit über die Theorie ist. Dennoch ist die Praxis, sofern sie sich ihrerseits auf sidi fixiert, nicht das Höchste. Denn sie verfährt, wie Hegel in der Einleitung zur Naturphilosophie sich ausdrückt, „allzu idealistisch"17. Das soll besagen, daß sie gegen die scheinhafte Objektivität bloß die schlechte Subjektivität des Menschen eintauscht, welcher die Unmittelbarkeit als ein selber „unmittelbar äußerliches und damit sinnliches Individuum" 18 zerstört. Zerfällt die dem theoretischen Verhalten korrelative Objektivität in Schein, weil sie subjektlos ist, so die Subjektivität des praktischen Verhaltens, weil sie, die alle Unmittelbarkeit der umgebenden Natur vernichtet, im Festhalten an ihrer eigenen Unmittelbarkeit objektlos werden muß. Die unbedingt und unüberholbar wahre, über jeden Schein erhabene Wirklichkeit eignet demnach mit Notwendigkeit ausschließlich einer Subjektivität, die in sich absolute Objektivität ist, oder einer Objektivität, die als absolute Subjektivität existiert. Mit ihr würde sich auch die Möglichkeit einer Theorie eröffnen, die nicht ohne weiteres in ein praktisches Verhalten aufgeht, sondern in der Einheit mit einer ebenfalls geläuterten Praxis ihren spezifischen Anspruch auf eine nun nicht mehr abstrakte Reinheit allererst einzulösen vermöchte. Eine Erfüllung dieses Anspruchs scheitert ja auf der Naturbasis allein an der Subjektlosigkeit des theoretischen Objekts. Weil das Objekt abstrakt reiner Theorie subjektlos ist, hat es seine Allgemeinheit außer sich, in dem Subjekt, das es erkennt. Auf seine Allgemeinheit richtet sich das erkennende Subjekt aber in der Absicht, es als es selbst ans Licht zu bringen. Dieser Dienst am Selbstzweck der Dinge war es, der einer derartigen Theorie die Reinheit versprach, welche darauf beruhen soll, daß sie selber auch als Selbstzweck betrieben wird. Eine solche Reinheit ist Schein, weil das scheinbare Selbstsein der Dinge nichts als Außersichsein ist. Folglich versagt sie sich der Theorie auf Grund der Subjektlosigkeit ihres Objekts. Wäre das Objekt in sich selbst Subjekt, so könnte es auch als Allgemeinheit existieren, und die ihm zugewandte Theorie wäre in der Lage, seine Allgemeinheit wirklich als sein Selbstsein zu treffen und damit sich als konkret, d. h. wahrhaft reine w SWVII j2. SWIX42. 18 SW IX 35 (Encyclopädie, § 245). 17
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Theorie zu etablieren. Zugleich könnte Praxis die ihrem Wesen nach angemessene Ebene erreichen, auf der sich die wiederum verblendete Annahme erübrigte, als existiere der Zweck bloß im praktisch tätigen Subjekt und als sei die objektive Wirklichkeit das begrifflose Dasein, das der Ausführung des Zwecks noch harre. Denn als absolute Subjektivität enthielte die Objektivität auch den absoluten Endzweck alles Handelns. Ist sie aber selbst Zweck, so ist sie Selbstzweck und nicht mehr bloß Mittel. Auch Praxis wäre imstande, zum Selbstzweck zu werden, als die sittliche Selbstverwirklichung des Menschen durch ein Handeln, das dem in der Wirklichkeit liegenden, absolut objektiven und darum auch intersubjektiven Zweck nachkäme. Es ist in der Sache begründet, daß der hier bisher zugrunde gelegte Haupttext, als ein naturphilosophischer, dieses positive Ziel der Destruktion abstrakt reiner Theorie nur noch vage anvisieren kann. Wohl bringt er, was soeben die Objektivität genannt wurde, die als absolute Subjektivität existiert, noch andeutungsweise zur Sprache, und zwar unter dem Titel einer „Einheit des Allgemeinen und Besondern", und auch dies spricht er noch aus, daß das begreifende Erkennen, weldies eine solche Einheit, als das in die Äußerlichkeit hinausgesetzte „Innere des Innern", erfaßt, selber zu jener korrelativen Einheit von Theorie und Praxis wird, die wirkliche, vom Schein befreite Reinheit überhaupt erst ermöglicht. „Mit dem Erfassen dieses Innern ist die Einseitigkeit des theoretisdien und praktischen Verhaltens aufgehoben, und zugleich beiden Bestimmungen Genüge geleistet."19 Weiter kommt der Text jedoch deshalb nicht, weil die Theorie, die mit der Einsicht in ihre praktische Verfassung ihre konkrete Reinheit erst gewinnt, auf dem für Naturphilosophie unzugänglichen Boden faktischer Geschidite steht. Diesen Boden betritt mit dem Übergang zur absoluten Idee die Logik. Nachdem Hegel die absolute Idee darin zunächst, wie wir wissen, als „Identität der theoretisdien und der praktischen" definiert hat, gibt er sie für denjenigen Begriff aus, der „in seiner Realität nur mit sich selbst zusammengeht"20. Die Realität aber, in welcher dieser sich selbst erkennt, ist der „objektive Begriff, der als Person undurchdringliche, atome Subjektivität ist", die „sich wissende Wahrheit", welche „alle Wahrheit" und so audi nodi ihr Erkennen ist21. Im Hinblick auf diese Bestimmungen dürfen wir die Geistgestalt der absoluten Idee als den Christus dechiffrieren. An die Stelle des natürlichen 18
SW I X 47 Encyclopädie, § 246, Zusatz).
20
SWV327. SW V 327 f.
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Seins, dessen scheinbare Objektivität auch nur den Schein reiner Theorie produziert, setzt Hegel die geschichtliche Wirklichkeit, indem er Ontologie in Christologie verwandelt. Das ist der Grund dafür, daß, wie wir früher beobachten konnten, ausschließlich der christliche Kultus die Bedingungen erfüllt, welche die Logik an das von den komplementären Einseitigkeiten bloßer Theorie und bloßer Praxis erlöste Handeln stellt. Was uns befremdlich erschien, war das Konzept einer Philosophie, die als Moment im Prozeß des christlichen Kultus geschichtlich und dennoch Selbstzweck sein soll. Jetzt aber müssen wir mit Hegel sagen: Philosophie kann gerade dank ihrer Geschichtlichkeit Selbstzweck sein. Man hebt nur die negative Seite des Hegeischen Verfahrens heraus, wenn man sich auf die Aussage beschränkt, daß unter seinem Zugriff die objektivistische Ontologie des aus sich selbst seienden Naturkosmos zu Schein herabsinkt und mit ihr gleichermaßen die naturontologisch fundierte, im vermeintlich reinen Hinsehen auf das Seiende selbst vermeintlich reine Theorie. Man versichert sich auch vom Positiven nur der halben Wahrheit, wenn man die Destruktion der Naturontologie allein auf die Konstruktion einer Philosophie bezieht, die „Sein" als leere Anzeige auf die geschichtliche Wirklichkeit des absoluten Geistes deutet. Die volle Wahrheit, auf die Hegel hinauswill, tut sich erst mit der Erkenntnis auf, daß der Auszug von N a t u r in Geschichte, seiner Intention zufolge, die theoretische Reinheit rettet, die er scheinbar preisgibt. Bedingung der Möglichkeit dieser Rettung ist die im Wechsel von N a t u r und Geschichte sich durchhaltende Objektivität eines Objekts, das auch dann, wenn es die abstrakte SubjektUnabhängigkeit griechisch verstandener N a t u r verloren hat, eine schlechthin subjektbegründende Funktion ausübt und damit jeder wechselseitig konstituierenden Subjekt-Objekt-Dialektik zuvorkommt. Hegel übersetzt zwar die natürliche Objektivität der Ontologie in die geschichtliche der Christologie, aber er erhebt den Anspruch, so erst wirklich in die Absolutheit hinüberzusetzen, die der Naturkosmos sidi als sein Selbstsein unrechtmäßig angeeignet hat. Und insofern verbleibt er auf der Grundlage, derer reine Theorie bedarf. Die sich in Schein auflösende der antiken Ontologie und die sich vom Schein befreiende der christologischen Geschichtsphilosophie — sie beide intendieren Objektivität als die in ihrer Absolutheit schon seiende Wirklichkeit, die vom Subjekt nicht erst noch hervorgebracht werden muß; sie beide also sind ein Schauen in der archäologischen Form der Retrospektion, die als notwendige Bedingung reiner Theorie zu gelten hat. Aber die Differenz in der Identität liegt eben darin, daß das Absolute, für Aristoteles der im ewigen Naturkosmos gegen-
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wärtige Gott, nach Hegel in der Geschichte erscheint und sich darum bloßer Naturanschauung entzieht. Die Einleitung zu den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen erwähnt einmal die Vorstellung von der „Vollkommenheit der Philosophie" als eines abstrakt reinen „Schauens"; und in ihr heißt es ausdrücklich, eine solche Vorstellung sei „gegen die Natur des Geistes", sofern mit dem Geschauten auch das Schauen „außer der Zeit" und „nicht in die Geschichte" falle 22 . Das Siegel, mit dem Hegel die destruktiv-konstruktive Ableitung seines Philosophiebegriffs beglaubigt, ist seine Lehre vom Interesse. Die als ihr destruktives Moment in dieser Ableitung enthaltene Aufdeckung des objektivistischen Scheins, der alle naturontologisch fundierte theoria verblendet, nimmt, so haben wir gesehen, vorweg, was eine „kritische Theorie", die den auf halbem Wege stehengebliebenen Hegel angeblich weit hinter sich gelassen hat, für ihre eigene Leistung ausgibt. Hinter sich gelassen hat die im Anschluß an Marx zwischen Horkheimer und Marcuse diskutierte, von jenem in Zusammenarbeit mit Adorno fortentwickelte und am subtilsten von Habermas vorgetragene Theorie, die das Prädikat einer kritischen für sich beschlagnahmt, gewiß den Gedanken einer absoluten, subjektbegründenden Objektivität; kritisch zu sein, ist ihr wie audi der utopischen Philosophie Blochs zufolge unmöglidi, solange der Mensch das von ihm einzunehmende Letzte sich noch als ein Erstes voraussetzt. Die Frage ist nur, ob sie damit im Sinne eines tatsächlichen Fortschritts über Hegel hinausgegangen ist. Es drängt sich nämlich, was an dieser Stelle nicht noch einmal ausgeführt zu werden braucht28, die Vermutung auf, daß die dogmatische und keineswegs kritische Abweisung einer subjektbegründenden Objektivität genau in die Naturobjektivität hineintreibt, deren Bann gebrochen werden sollte. Nichts verweist darauf deutlicher als die von Habermas gegebene Analyse der erkenntnisleitendeii Interessen, von denen geleitet zu sein sich jede Erkenntnis eingestehen muß, die nicht dem Schein eines falschen Autonomiebewußtseins verfallen will. Denn die von diesen Interessen vorgegebenen Bezugssysteme aller überhaupt nur möglichen Erkenntnisweisen sollen „ihre Basis in der Naturgeschichte der Menschengattung" haben24. Man wird allerdings nicht sagen können, daß sie deswegen schlechterdings ungeschichtlich seien; denn Natur und Geschichte sind im marxistischen Begriff der Naturgeschichte vermittelt, und insofern wehrt sich Habermas zu Recht gegen das natu22
System und Gesdiidite der Philosophie, hrsg. v. J . Hoffmeister, S. $9 f. (Ms.). Vgl. zum Folgenden Theunissen (142), S. 13—34. ** Habermas (43), S. 1 6 1 . 88
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ralistische „Mißverständnis" seiner Interessenlehre. Aber die Einheit, in die er Natur und Geschichte aufhebt, ist doch dadurch wieder als Natur bestimmt, daß er sie nur aus der Dialektik eines Erkennens verständlich machen kann, das als Instrument der Selbsterhaltung diese zugleich transzendiert25. Das hier angelegte Deutungsschema ergibt sich aus einer bloß negativen und infolgedessen ohnmächtigen Korrektur der biologischen Anthropologie Gehlens: Selbsterhaltung ist, wiewohl die Art ihrer Realisation faktisch vergesellschaftet sein wird, zweifellos ein natürlicher Trieb, und so bleibt audi noch ihre Überschreitung negativ abhängig von Natur als der Basis jener Basis, für welche Habermas die Naturgeschichte erklärt. In solch indirektem Naturalismus mag mitbegründet sein, daß Habermas bei der Rekonstruktion der historischen Genesis seiner Erkenntnistheorie bis auf den InteressenbegrifF Kants und insbesondere Fichtes zurückgeht28, den Hegels hingegen gänzlich übersieht, und dies, obgleich er seinen Rückblick mit einer — übrigens ausgezeichneten — Interpretation der Hegelsdien Kantkritik eröffnet27. Während nämlich der Kantische InteressenbegrifF völlig ungeschichtlich und der Fichtesche nur latent geschichtlich ist, nimmt der Hegeische an der universalen Geschichtlichkeit teil, auf die Hegel philosophisches Denken verpflichtet hat. Eingefahren in die Bahnen seines naturalisierenden Konzepts, kommt Habermas gar nicht auf den Gedanken, Interesse auch dort zu suchen, wo eine als historische Hermeneutik konzipierte Philosophie es lokalisieren muß. Hegel greift aber nicht nur die Fichtesche Einsicht auf, daß Erkenntnis ohne Interesse undenkbar sei. Darüber hinaus verknüpft er diese Einsicht eben mit der Kritik des Naturobjektivismus, der einer praxislosen Theorie den Schein der Reinheit vorgaukelt. So erst schließt sich der Kreis der Idee, die das destruktive und das affirmative Moment der kritischen Theorie gleichermaßen antizipiert, ohne der Gefahr einer Renaturalisierung der Erkenntnis zu erliegen. Einen Kreis oder einen hermeneutischen Zirkel bildet desgleichen die Struktur, die nach Hegel die Interessiertheit als die Wahrheit erweist, welche offenbar wird, wenn die in naturaler Form fertig vorgefundene Wirklichkeit sich in Schein auflöst. Als den Funktionskreis des Handelns beschreibt die Phänomenologie sie in dem Abschnitt „Das geistige Tierreich und der Betrug, oder die Sache selbst". Hegel kommt da zu dem 25
Habermas (43), S. 161 f. · Habermas (46), S. 2 3 5 — 2 6 2 ; vgl. (42), S. 236 ff. 27 Habermas (46), S. 1 4 — 3 J . 2
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Schluß: „Das ans Handeln gehende Individuum scheint sich also in einem Kreise zu befinden, worin jedes Moment das andere schon voraussetzt, und hiermit keinen Anfang finden zu können, weil es sein ursprüngliches Wesen, das sein Zweck sein muß, erst aus der Tat kennen lernt, aber um zu tun, vorher den Zweck haben muß." 28 Wenn auch das Individuum gezwungen ist, den Zirkel zu durchbrechen und trotzdem „unmittelbar anzufangen", so entlarvt dieser Gewaltakt als Schein doch nicht den Zirkel, sondern die abgeschlossen vorliegende Wirklichkeit, deren zirkelhafte Einheit mit dem handelnden Subjekt vielmehr in jenem Interesse aufgeht, das zugleich als die Bedingung der Möglichkeit des Anfangenkönnens zu gelten hat; „das Interesse, welches das Individuum an Etwas findet, ist die schon gegebene Antwort auf die Frage: ob und was hier zu tun ist. Denn was eine vorgefundene Wirklichkeit zu sein scheint, ist an sich seine ursprüngliche Natur, welche nur den Schein eines Seins hat, — einen Schein, der in dem Begriff des sich entzweienden Tuns liegt — aber als seine ursprüngliche Natur sich in dem Interesse, das es an ihr findet, ausspricht"29. Das Interesse ist die Wahrheit über die scheinbar ohne das Subjekt schon fertige Wirklichkeit, weil diese sich in ihm als ein ganz und gar nicht fehlerhafter, sondern zutiefst vernünftiger Zirkel bezeugt, und ein solches Zeugnis des hermeneutischen Zirkels ist es, weil in ihm die — keineswegs naturalistisch verstandene — „Natur des Individuums", d. h. dessen Wesen, mit dem Wesen oder der „Natur der Sache" zusammenfällt. Hegel identifiziert die sich im Interesse bekundende „ursprüngliche Individualität" mit „der im Interesse vorhandenen Natur der Sache"80; die wahrhafte Wirklichkeit ist, so meint er, für das Individuum „die Sache selbst eben in dem Interesse, das es daran findet"31. Festgemacht ist die Einheit, in die sich die Natur des Individuums und die der Sache aufheben, im Begriff des Zwecks. Indem das Individuum an Wirklichkeit interessiert ist, enthüllt diese sich ihm als der Zweck, in dessen Verfolg es sowohl sein eigenes Wesen wie auch, sich mit der Wirklichkeit vermittelnd, das Wesen der Sache realisiert. „Was also vorhanden ist, sind vorgefundene Umstände, die an sich die ursprüngliche Natur des Individuums sind; alsdann das Interesse, welches sie eben als das seinige oder als Zweck setzt; endlich die Verknüpfung und Aufhebung dieses Gegensatzes im Mittel." 32 Mit besonderer Eindringlichkeit macht Hegel darauf aufmerksam, daß diese Struktur einer Handlung zukommt, die im SW II 307. » SW II 307. »» SW II 307. i8
SWII317. ' 2 SW II 3 07 f. 31
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engen und strengen Sinne Praxis ist und nidit wie technisdi-poietisches Tun ein von der Wirklichkeit abgespaltenes „Werk" aus sidi entläßt33. Das Mittel, zunächst nur ein „inneres", setzt sich zwar in der vermittelnden Ausführung des Zwecks — und „Mittel" bedeutet als Synonym für „Mitte" die zweckausführende Vermittlung selber und nicht bloß das Instrument zur Erlangung des Zwecks — als ein „Äußeres", aber dieses ist nur die „wirklich gewordene Individualität selbst"34. Beseitigt man aber die Schranken, die der angeführte Absdinitt der Phänomenologie in einer hier nicht zu diskutierenden Weise einem derartigen Handeln auferlegt, dann enthüllt sich als dessen Vorbild der christliche „Kultus". Audi Hegel ist, wie Habermas, davon überzeugt, „daß die Vermittlung von Subjekt und Objekt (...) anfänglich durch Interessen hergestellt ist"85. Aber in seiner Sicht umgreift der uranfänglidie „Interessenzusammenhang"36 Subjekt und Objekt, weil das Subjekt, das in seiner praktischen Selbstverwirklichung seinen Zweck ausführt, damit nur realisiert, was als absoluter Endzweck bereits in der Wirklichkeit liegt, in der ursprünglichen Wirklichkeit der absoluten Subjektivität, die in sich zugleich absolute Objektivität ist. Hegels spätere Interessenlehre braucht nur noch ins Positive zu wenden, was somit als die negative Einsidit der Phänomenologie festzuhalten ist: daß mit der vermeintlich komplett vorgefundenen Wirklichkeit sich auch das im Absehen von Praxis rein sein wollende Hinsehen auf das Selbstsein des Seienden in Schein auflöst. Die Encyclopädie (§ 475) faßt die sich daraus ergebende Konsequenz in den Satz: „Es kommt daher nichts ohne Interesse zu Stande". Denn nichts kann der Mensch — das ist an dieser Stelle zunächst gemeint — tun, ohne daß seine Subjektivität mit im Spiele wäre; in der illusionären Entäußerung an eine als subjektlos vorgestellte „Sadie selbst" kann er sich darüber wohl täuschen, doch faktisch ist ja, wie die Phänomenologie gezeigt hat, gerade die Sache selbst durch sein Interesse konstituiert. Demnach setzt alles Handeln, wie immer man es audi des näheren bestimmen mag, die Interessiertheit des Handelnden voraus; „nur durch dies, daß das Subjekt auf diese Weise auch in der uneigennützigsten Handlung ist, d. h. durch sein Interesse, ist ein Handeln überhaupt". Dabei definiert Hegel das Interesse als die Präsenz des Subjekts in der Sache, von der es zwar als die Tätigkeit ihres Hervorbringens zu unterscheiden, aber niemals wegzudenken ist. Eben der Umstand, daß die Sache selber das „Moment der subjektiven Einzelnheit und deren ss M
SW II 308. S W II 308.
85 M
Habermas (43), S. 160. Habermas (43), S. 163.
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Tätigkeit enthält", madit das Interesse aus37. Demzufolge muß man das „Handeln überhaupt", das ohne Interesse unmöglich ist, im weitesten Sinne als Tätigkeit überhaupt verstehen; notwendig interessiert ist nicht nur die in abstrakter Einseitigkeit betriebene Praxis, sondern schlechterdings alles Tun, und zwar als solches. Innerhalb dieses Gesamtbereichs des Vollzugs der Subjektivität hebt Hegel eine erste Differenz hervor, indem er aus der formellen Tätigkeit des Subjekts, das überall wirksam ist, die „Besonderheit des Handelnden" ausgrenzt, der seine partikulären Interessen verfolgt 88 . Was deren Sphäre übersteigt, unterscheidet sich von der Besonderheit jedoch keineswegs so, daß ihm nichts als die Leere der formellen Tätigkeit bliebe. Sofern diese sich über das Besondere der natürlichen Neigungen und Leidenschaften erhebt, wächst ihr durchaus eine eigene Bestimmtheit zu. Die mehr als bloß partikulären Interessen sind ihrer affirmativen Bestimmung nach solche des „Geistes". Die geistigen Interessen aber teilen sich in die praktischen und die theoretischen. „Die großen Interessen unseres Geistes können im Allgemeinen unter die zwei Gesichtspunkte des Theoretischen und Praktischen gebracht werden, deren jenes das Erkennen, dieses das Handeln betrifft." 89 Hier nun bedeutet „Handeln" offensichtlich nicht mehr „Handeln überhaupt", als die unqualifizierte Tätigkeit, welche mit der Subjektivität des Subjekts zusammenfällt, sondern Praxis. Und der Interessiertheit der Praxis steht diejenige der Theorie gegenüber. D a ß nichts ohne Interesse entstehe, soll demnach auch besagen: Es gibt keine uninteressierte Theorie. Obwohl Hegel im Zitat das Theoretische und das Praktische gegeneinander absetzt, gilt dieser Grundsatz nicht nur für die in ihrem Selbstverständnis praxislose, sondern auch für die ihrer praktischen Verfassung bewußte Theorie. D a Theorie und Praxis de facto in keiner ihrer beiden Konstellationen getrennt vorkommen, kann Hegel auch die Differenz von theoretischen und praktischen Interessen nicht verabsolutieren wollen, und daß er dies in der Tat nicht will, kommt in der vorsichtigen Formulierung zum Ausdruck, wonach die Interessen unseres Geistes „im Allgemeinen", d. h. in einer von der konkreten Einheit abstrahierenden Betrachtung, unter die — bloß methodisch ordnen-
S W X 376; vgl. Ph. Wg. I 82 (Ms.) — SW X I 50 f.: „Interesse' heißt [:] darin, dabei sein". 88 S W V I I 1 7 9 — 1 8 2 (Rechtsphilosophie, §§ 121—123). *· Berliner Schriften, hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 1956, S. 90; in SW X X 62 fehlt der Relativsatz. 87
28
Theunissen, Hegel
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den — „Gesichtspunkte" des Theoretischen und Praktischen gebracht werden „können". Ja, die mit Praxis eins gewordene Theorie ist, wie ohne weiteres einleuchten dürfte, in besonderem Maße interessiert. Denn einmal wird Theorie sich ihres Praxischarakters bewußt im Bewußtwerden ihres leitenden Interesses, das, wenn es offenbar ist, auch erst eigentlich ist, und zum andern erfüllt erst die Theorie, die ihre Identität mit Praxis durch Reflexion verwirklicht hat, den Anspruch, den Hegel sowohl an das Praktische wie auch an das Theoretische stellt: ein Interesse unseres Geistes zu sein. Ist es doch der Ubergang von Natur zu Geist oder genauer vom natürlichen zum selbstbewußten, letztlich absoluten Geist, den Theorie im reflektierenden Einholen ihres praktischen Seins vollzieht. Das Interesse, das die mit Praxis identische Theorie verfolgt, setzt sich von dem der abstrakt und damit bloß scheinbar reinen Theorie also nicht bloß durch seine Bewußtheit ab, sondern auch inhaltlich; seine Geistigkeit gibt ihm einen ganz anderen Stoff. Das ihm eigentümliche Material gewährleistet desgleichen seine Verschiedenheit vom Interesse der abstrakt reinen Praxis, welches ihm hinsichtlich der Bewußtheit vorausläuft. Auf eine selber noch formale Weise wird die inhaltliche Bestimmtheit des geistigen Interesses durch die erst in ihm hergestellte Synthese von Subjekt und Objekt definiert. Jene einseitige Praxis, die im Grunde nur Poiesis ist, hält sich ganz im Rahmen bloßer Subjektivität; sie verschafft der abstrakten Tätigkeit einen Inhalt allein durch die „Besonderheit des Handelnden". Immerhin hat sie im Vergleich mit der einseitigen Theorie den Vorzug, sich in Ubereinstimmung mit sich selbst zu befinden. Denn deren ironisches Schicksal ist es, pure Objektivität zu wollen und sich dennoch oder gerade deswegen in bloßer Subjektivität zu verfangen; die tatsächliche Subjektivität ihres Interesses folgt daraus, daß die als objektiv intendierte Allgemeinheit nirgends sonst als im Subjekt existiert. Freilich ist dieses Subjekt eben damit ein allgemeines und kein bloß besonderes. Insofern hat, auf dem gemeinsamen Wege zur Identität der absoluten Idee, nun wieder die einseitige Theorie einen Vorsprung vor der einseitigen Praxis. Denn über das partikuläre geht das geistige Interesse dadurch hinaus, daß es Allgemeinheit besitzt, und zwar zunächst die der Intersubjektivität, die Allgemeinsamkeit. Mit dem derart allgemeinen Interesse beschäftigen sich vornehmlich die Grundlinien der Philosophie des Redots und die rechtsphilosophischen Teile der Encyclopädie. Danach ermöglicht ζ. B. die „ständische Behörde" die Teilnahme aller Privatpersonen „an dem Allgemeinen der Interes-
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sen"40; entsprechend sollen die richterlichen und polizeilichen Gewalten das „allgemeine Interesse" in den Zwecken der bürgerlichen Gesellschaft geltend machen41. Aber da „die bürgerliche Gesellschaft der Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle ist" 42 , kann auch dieses allgemeine Interesse in Wahrheit nur das verallgemeinerte besondere sein; es ist der Inbegriff der „gemeinschaftlichen besonderen Interessen, die in die bürgerliche Gesellschaft fallen und außer dem an und für sich seienden Allgemeinen des Staats selbst liegen" 43 . Dem Staat gibt Hegel gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft vor allem deshalb so viel Gewicht, weil er die intersubjektive als die unwahre Allgemeinheit durchschaut und in diejenigen Schranken weisen möchte, die ihr die wahre, an und für sich seiende setzt. Generell beschreibt er das Verhältnis der beiden Allgemeinheiten so, daß die Unwahrheit der ersteren in der Abstraktheit liegt, über die eine Verallgemeinerung des Besonderen nicht hinauskommt, und die Wahrheit der letzteren in der Konkretheit, welche sich aus ihrer Vereinigung mit dem Besonderen ergibt. Mit der Betonung des „allgemeinen Staatsinteresses"44 intendiert Hegel die „Verknüpfung des allgemeinen und besonderen Interesses, weldie den Begriff und die innere Festigkeit des Staates ausmacht"46. Es ist die eigentümliche Dialektik dieser Intention, daß sie die Rettung des Besonderen just von derjenigen Allgemeinheit erwartet, die mit dem Überstieg über bloße Gemeinschaftlichkeit das Besondere schlechthin transzendiert: Der Staat soll den Einzelnen schützen können, weil er sich über den Konkurrenzkampf erhebt, in welchem die Individuen ihre Gemeinschaft durch gegenseitige Vernichtung realisieren49. Ein ähnlicher Kampf tobt zwischen den Völkern. Z w a r kann Hegel gegen die „besonderen Interessen der Individuen" das „Interesse des Volkes selbst" abgrenzen47, und die Möglichkeit hierzu gibt ihm das in seinen Interessenbegriff eingearbeitete Moment intersubjektiver Allgemeinheit. Aber sofern ein Volk immer nur ein je bestimmtes ist, wirkt sich audi in ihm die sich auf sich versteifende Besonderheit aus, die — nach Hegels Meinung sogar unabwendbar — zum Krieg mit anderen Völkern führt.
40 41 42 48 44 45 44
47
28*
SW X 420 (Encyclopädie, § $44). SW V I I 395 f. (Rechtsphilosophie, § 287). SW VII 396 (Rechtsphilosophie, § 289). SW V I I 396 (.Rechtsphilosophie, § 288). SW VII 396 (Rechtsphilosophie, § 289). SW VII401 (Rechtsphilosophie, § 294). Die gegenüber dem bestehenden Gesellschaftssystem kritische Funktion dieses Staatsbegriffs beleuchtet H. Marcuse (90), bes. S. 64,157 f. Ph. Wg. I 68.
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Ja, als ein „ausschließendes Eins, welches sich damit zu Anderen verhält" 48 , hat auch der Staat eine Individualität, welche die an und für sich seiende Allgemeinheit des Interesses, das er von seinen Bürgern fordert, mindestens in der weltgeschichtlichen Perspektive, in der er gleichsam von außen erscheint, zu einer doch wieder beschränkten Allgemeinheit herabsetzt49. Über den Staat treibt just dasjenige Prinzip hinaus, dank dessen er selber die bürgerliche Gesellschaft zu transzendieren vermag. Die potentielle Herrschaft, die er über die bürgerliche Gesellschaft ausübt, beruht letztlich darauf, daß er sich auf absolute Objektivität berufen kann. Der tiefstgreifende Unterschied zwischen seiner und der Allgemeinheit der bürgerlichen Gesellschaft ist der einer Intersubjektivität, die grundsätzlich auf dem Boden der Subjektivität verharrt, und einer wirklichen, dem Subjekt zuvorkommenden Objektivität. Hätten die Interessen des Staates keinen solchermaßen objektiven Charakter, dann wären sie nicht die „hohen Interessen der Wirklichkeit", die Hegel den „kleinen Interessen der Gemeinheit des alltäglichen Lebens" gegenüberstellt50. Indessen ist der Staat doch bloß die „absolute Macht auf Erden"61, bloß die irdische und infolgedessen relativierende Erscheinung der absoluten Objektivität, und insofern können sich die höchsten Interessen in ihm nicht befriedigen. Sie finden ihr Genüge noch nicht in der Sphäre des objektiven, sondern erst in der des absoluten Geistes. Das in dieser Sphäre waltende Interesse trifft sich mit dem des Staates auf dem Feld der Geschichte. Als Geschichtlichkeit enthüllt sich konkret, was der Gedanke der Vermittlung von Subjekt und Objekt formal angezeigt hat. So eng verflicht Hegel die wahren, die geistigen Interessen, die eine derartige Vermittlung leisten, mit der Geschichte, daß er geschichtslose mit interesseloser Existenz gleichsetzt: „Vor den Anfang der wirklichen Geschichte fällt (...) die interesselose, dumpfe Unschuld"52, so wie nach dem Ende des Stücks, das ein Volk auf historischer Bühne aufführt, eine „bedürfnislose Gegenwart" sein „tieferes Interesse" einschläfert53. Die Staaten vertreten ihre Interessen in der Weltgeschichte, und zwar so, daß sie sie gegeneinander verteidigen müssen, weil ihre Pluralität die Absolutheit des einen Interesses, das dem Staat als solchem entspräche, relativiert. Hingegen verfolgen griechische SW VII 366 (Rechtsphilosophie, § 271). SW VII 446 (Rechtsphilosophie, § 340). 60 SW X V I I 19 (Vorrede zur Geschichte der Philosophie). 51 SW VII 441 (Rechtsphilosophie, § 331). " SW VII 4 j o (Rechtsphilosophie, § 349). 53 Ph. Wg. I 67 f. 48 48
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Kunst, christliche Religion und moderne Philosophie das dank seiner unverschleierten Absolutheit einzige Interesse, welches ihnen zugrunde liegt, in der zeitlichen Geschichte des absoluten Geistes, die sich im Medium der Weltgeschichte, aber als ein von ihr verschiedenes Geschehen ereignet. Auch die Philosophie Hegels hat also ein Interesse. Sie hat sogar ein bestimmtes geschichtliches Interesse. Das „Interesse der Wissenschaft", sagt Hegel, ist „von ganz anderer Art, als die Interessen der alten Philosophie" 54 . Die historische Differenz ergibt sich gerade aus der Identität des Interesses, das den Gang der absoluten Geschichte in der Welt leitet. Denn im Unterschied zur griechischen Kunst gehört die „alte", d. h. griechische Philosophie nicht mit zu dieser Geschichte. Die aber ist, wie wir wissen, nach Hegel zentriert in der Offenbarung. Das eine Interesse, dem sie nachgeht, ist also die in Christus erschienene Versöhnung. Weil der christliche Kultus die Realisation des Versöhnungsprinzips den lebendigen Subjekten anvertraut und so den geschichtlichen Ort der Vermittlung von absoluter Objektivität und menschlicher Subjektivität bezeichnet, spielt in ihm das Interesse die „wesentliche Rolle" 45 . Dasselbe Interesse aber, welches das Handeln des gläubigen Subjekts bestimmt, dirigiert auch die am geschichtlichen Prozeß des Kultus teilnehmende Philosophie. „Diese Versöhnung, die geglaubt wird, auch im Denken hervorzubringen, ist das allgemeine Interesse der Wissenschaft." ίβ Genauer gesagt: Die zur Wissenschaft emporgebildete, die Hegeische Philosophie ist zunächst, ihrer speziellen Funktion gemäß, daran interessiert, dem „christlichen Prinzip" die begriffliche „Ausbildung" zu geben, die auf der von ihr repräsentierten Stufe des Kultus an der Zeit ist; „die Entwickelung, Ausbildung dieses Prinzips, daß es zum Bewußtsein des Gedankens kommt, ist das Interesse der modernen Philosophie" 57 . Aber in solch innerphilosophisches Interesse scheint notwendig bereits dasjenige herein, welches die auch für Hegelsches Philosophieren künftige Aufgabe anzeigt: das Interesse an der Verwirklichung des Versöhnungsprinzips in der Gesellschaft. Hat doch nach Hegel schlechthin allgemeine Gültigkeit, was er nicht von ungefähr gerade in seinen geschiditsphilosophischen Vorlesungen ausspricht: „Ich habe Interesse für etwas nur, insofern es mir noch verborgen oder für meinen Zweck notwendig, dieser aber noch nicht erfüllt ist."68 Interesse gibt es SW XIX 273. SW XIX 100. 5« SW XIX 274. 54
55 57 58
SWXVII141. Ph. Wg. 167.
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danach allein unter der Bedingung echter Zukunft. Mithin könnte auch die Philosophie Hegels keine wirklich interessierte Erkenntnis sein, wäre sie nidit in und mit der ideellen Versöhnung, die sie in der Gegenwart ihres Aktvollzugs je schon ist, ausgespannt auf die reale Versöhnung, die noch nicht erfüllt ist.
6. Der Begriff einer interesselosen Erkenntnis und die Destruktion des christologischen Ansatzes Indem Hegel seine Philosophie auf ein geschichtlich konkretes Interesse festlegt, bindet er sie zugleich an eine mit ihrer Gegenwart vermittelte Zukunft. Interessiert sein, so sahen wir, heißt: offen sein für Zukunft. Da aber das Interesse auf die ursprünglichste Weise der Philosophie selber einwohnen und keineswegs von außen zu dieser hinzukommen soll, ist die in ihm sich eröffnende Zukunft ganz gegenwärtig. Im Interessenbegriff vollendet sich die hier beschriebene Gedankenbewegung, sofern Hegel mit ihm sein Ziel einer Vermittlung von Gegenwart und Zukunft erreicht. Unüberwunden jedoch bleibt auch am Ziel der Abstand zwischen dem Engagement der indirekt praktisch werdenden Theorie und der „leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntnis", die Hegel, wie wir uns erinnern, noch kurz vor seinem Tode, in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik, beschworen hat. Denn die Leidenschaftslosigkeit der nur denkenden und nicht auch handelnden Erkenntnis ist Interesselosigkeit im Sinne eines bewußten Verzichts auf reale Veränderung. Auf sie trifft der originär Hegeische, im Ausgang von Geschichte entwickelte Begriff der Reinheit philosophischen Denkens nicht mehr zu. Sie ist vielmehr die Verfassung einer abstrakt reinen Theorie, welche nicht einmal in der Gebrochenheit des mittelbaren Bezugs praktisch werden will. Denn solche Abgeschiedenheit hat die Praxis außer sich. Schon in der Vorrede zur ersten Ausgabe der Logik tritt der „mit seinem reinen Wesen sich beschäftigende Geist" in einen unvermittelten Gegensatz zum „Geist des Praktischen"1. Was man der Logik immerhin noch zugestehen könnte, beansprucht aber desgleichen die Rechtsphilosophie, die es ja doch mit der wirklichen Welt und nicht bloß mit dem reinen Gedanken zu tun hat. In der Vorrede zu ihr wird sogar besonders deutlich, wie die Loslösung der Theorie von der Praxis die im Interessenbegriff geleistete Vermittlung zer1
SWIV13 ff.
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stört und zur Elimination der Zukunft aus der Gegenwart führt. Gewiß läßt sich in der Zeit, welche Philosophie zu erfassen hat, grundsätzlich auch die künftige unterbringen, aber Hegels faktisches Interesse geht da zweifellos auf die Leugnung seines Interesses an einer derartigen Zukunft. D a ß „Philosophie, weil sie das Ergründen des Vernünftigen ist, eben damit das Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen" sei2, das soll nun besagen: Sie hat sich um Zukunft überhaupt nicht zu kümmern. Im Unterschied zu den theologisch-politischen Bestimmungen des Philosophiebegriffs liegt dieser Definition nämlich die Annahme zugrunde, für die heute allein noch mögliche Philosophie sei nicht nur die absolut-objektive Verwirklichung der Vernunft, sondern auch deren subjektiv-objektive Realisation schon vergangen. Da die in der Sphäre des objektiven Geistes vorgehende Realisation göttlicher Vernunft durch die Menschen ein zunächst überweltliches Prinzip einer weltlichen Wirklichkeit einzubilden hat, nennt Hegel sie den „Bildungsprozeß" der Geschichte. Von der Philosophie aber behauptet er in der Vorrede zu seinem Berliner Werk: „Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemadit hat." 3 Die im begreifenden Denken aufzuklärende Gegenwart verliert ihre Zukunflsträchtigkeit, weil die Rechtsphilosophie die Umsetzung des evangelischen Wortes in die politische Tat, die nach dem religionsphilosophischen Schema des Kultus immer noch aussteht, einem vergangenen Geschehen nachsagt, welches im gegenwärtigen vermeintlich zum Abschluß gekommen ist. Wie Hegel in eine dermaßen reaktionäre Anschauung abgleiten kann, wird gerade von der progressiven Tendenz aus verständlich, die selbst noch die Vorrede zu seiner Philosophie des Rechts verfolgt. Die progressive Tendenz entspringt dem in der vorliegenden Untersuchung entfalteten theologisch-politischen Grundgedanken. Auf sie hat schon Franz Rosenzweig hingewiesen. „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig" 4 — dieser Leitsatz der Vorrede zielt in den Augen Rosenzweigs zuerst und vor allem auf die im Leben und Sterben Jesu antizipierte Wirklichkeit des Vernünftigen. Die Wirklichkeit des Vernünftigen begründet, so gesehen, die Vernünftigkeit des Wirklichen, und zwar sowohl deshalb, weil erst nach der Verwirklichung der Vernunft durch Christus die Wirklichkeit als vernünftig erkannt werden kann, wie 2 3 4
SWVII32. SW V I I 3 6. SWVII33.
Destruktion des christologisdien Ansatzes
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audi insofern, als eine derartige Erkenntnis das Handeln in Richtung auf die wirklich gewordene Vernunft voraussetzt5. Ein weiterer Aspekt des „zu innerst revolutionären Gedankens der Wirklichkeit des Vernünftigen"® ist nämlich der, daß diese Wirklichkeit, seitdem Christus sie vollbracht hat, an jeden Handelnden, noch ehe er zum Erkennenden wird, als „das zu Verwirklichende" herantritt7. Obwohl Rosenzweigs christologische Auslegung des Leitsatzes, in dessen Kontext Hegel ja ausdrücklich die für Piaton noch „bevorstehende Umwälzung der Welt" erwähnt, eine ungewöhnliche Überzeugungskraft besitzt, ist sie in der Literatur zu deren großem Schaden kaum ernsthaft aufgegriffen worden8. Nach wie vor gilt der Leitsatz, wo man ihn nicht in apologetischer Absicht wegerklärt, für sich schon als Ausdruck politischer Reaktion. Damit versperrt man sich aber zugleich den Zugang zu der woanders liegenden Stelle, an der nun wirklich Progression in Reaktion umschlägt. Das geschieht, wo immer Hegel das Gegebensein der göttlichen Versöhnung unmittelbar auf die Ebene der gesellschaftlidien Gegebenheiten seiner Zeit projiziert. Zunächst deckt er da überall die Kluft zu, die den gegenwärtig erreichten Stand des subjektiven Versöhnungsprozesses von der zukünftigen Verwirklichung des Gottesreichs in der über sich hinaustreibenden Welt trennt. Aber die Nivellierung dieser Differenz verweist auf die vorgängige Einebnung des qualitativen Unterschieds von göttlichem Beispiel und menschlicher Nachfolge, von absolut-objektiver und bloß subjektiv-objektiver Versöhnung. Dabei ist oft schwer zu sagen, wann Hegel sich ihrer schuldig macht und wann nicht. Noch die Gleichsetzung des Seins mit dem Sollen kann frei von ihr sein, unter der Bedingung nämlich, daß „Sein" die von Gott bereits vollbrachte Wirklichkeit der Vernunft meint. So wenn es heißt, Philosophie habe die Einsicht zu befördern, „daß die wirkliche Welt ist, wie sie sein soll, daß das wahrhafte Gute, die allgemeine göttliche Vernunft auch die Macht ist, sich selbst zu vollbringen" 9 . Noch die Verwandlung der Theodizee in Kosmodizee kann den grundlegenden Unterschied wahren, in dem Falle nämlich, daß die Welt durch die selber gottgewirkte Fortführung des Werkes gerechtfertigt wird, welches der Menschensohn begonnen hat. So 5
Rosenzweig (125), II, S. 79. Rosenzweig ( i 2 j ) , II, S. 79. 7 Rosenzweig (125), II, S. 176. Z u seiner Interpretation vgl. Theunissen (143), S. 22—28, bes. S. 2 j ff. 8 Zu den wenigen Ausnahmen gehört Fackenheim (22), S. 208, 220 ff.; vgl. audi Gebhardt (31), S. 43. • S W X I 67. 6
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in den Sätzen: „Die Philosophie will den Inhalt, die Wirklichkeit der göttlichen Idee erkennen und die verschmähte Wirklichkeit rechtfertigen. Denn die Vernunft ist das Vernehmen des göttlichen Werkes."10 Hingegen überschreitet Hegel die Grenze, die zwischen dem Versöhnungsangebot Gottes und der menschlichen Antwort verläuft, wenn er etwa am Schluß seiner Philosophie des Redits schreibt: „Die Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Willkür und die Wahrheit hat ihr Jenseits und ihre zufällige Gewalt abgestreift, so daß die wahrhafte Versöhnung objektiv geworden" ist 11 . Exemplarisch zeigt das Zitat den Zusammenhang zwischen der Rückverlegung einer als vollkommen gedachten Zukunft in die Gegenwart einerseits und der zum Zerrbild geratenden Verwechslung des fragmentarischen Abbilds objektiver Versöhnung mit seinem Urbild andererseits. Mit dieser Verwechslung gibt Hegel seinen genuin christologischen Ansatz preis, aber nicht so, daß er gänzlich aus ihm ausbräche, sondern dergestalt, daß er ihn in sich selbst verkehrt. Denn die Bedingung der Möglichkeit einer solchen Verkehrung liegt in nichts anderem als in der eigentümlichen Verfassung christlicher Eschatologie. Würde die Kirche nicht verkünden, daß das in seiner Vollendung noch ausstehende Eschaton dank seiner Antizipation durch Christus durchaus schon bestehe, Hegel könnte das „Bestehende" kaum mit seinem Glanz umkleiden. Er könnte die faktisch gegebene Welt, in verfälschender Umdeutung seines ursprünglichen Reichsbegriffs, kaum zum Reich Gottes verklären, hätte nicht das Reich Gottes mit der Welt in christlicher Sicht zumindest dies gemein, schon gegeben zu sein. Aber die Verabsolutierung desjenigen Moments, durch das sich christliche von jüdischer Eschatologie abhebt, zieht nicht nur Hegels Lehre vom Reich Gottes in Mitleidenschaft. Vielmehr wären von ihr aus letztlich alle Stücke des theologisch-politischen Traktats neu zu interpretieren. Die einen überzieht sie mit einer entstellenden Bedeutungsschicht, die andern macht sie überhaupt erst begreiflich. So bildet sie den Hintergrund, auf dem sich in der Anmerkung zu § 270 der Rechtsphilosophie die Verteidigung des bestehenden Staats gegen die Religion abspielt, wie Hegel denn ja auch im selben Text gegen eine Kirche polemisiert, die sich, in völliger Übereinstimmung mit seinem eigenen Aufruf von 1816, „als das Reich Gottes oder wenigstens als den Weg und Vorplatz dazu, den Staat aber als das Reich der Welt" betrachtet12. Was ferner die daraus 10 11 12
S W X I 68. S W V I I 4 5 6 (S 360). S W V I I 3j6.
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quellende Entstellung anlangt, so trifft sie vor allem den gesamten Komplex von Theorie und Praxis. Daß Hegel eine mittelbar praktisch werdende, ja vermöge ihrer Interessiertheit in sich schon praktische Theorie entwerfen und gleichzeitig an einer abstrakt reinen, angeblich interesselosen festhalten kann, läßt sidi wohl kaum anders als aus seiner Projektion der göttlichen Versöhnungswirklichkeit auf die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse verstehen. Genießt doch reine Theorie, wenn sie abstrakt wird, bloß die Hypostase einer göttlichen und deswegen ohne jeden Ausstand wohlgeordneten Welt. Auch was solchermaßen griechisch anmutet, ergibt sich aus einer Uberformung des diristologischen Ansatzes, welche ungeachtet dessen, daß sie auf einen Verrat am Evangelium hinausläuft, selber noch christologisch zu motivieren ist. Die seit den Linkshegelianern bis in unsere Tage immer wieder gerügte „Akkommodation" an das Bestehende, die der Hegeischen Rechtsphilosophie ein apologetisches Gepräge gibt, gipfelt bekanntlich in der Verherrlichung des Staates und des Monarchen, der an dessen Spitze steht. Gerade die kritiklose Sanktionierung des Staates und die Apotheose des Monarchen sind schon so häufig und so ausführlich dargestellt worden, daß es sich erübrigt, darauf in allen Einzelheiten einzugehen13. Angedeutet sei im folgenden nur, wie sie aus der mißbräuchlichen Anwendung einer an sich progressiven Theologie entstehen. Selbst das Ergebnis dieser Anwendung hat es angesichts seiner aufdringlichen Präsenz kaum nötig, noch eigens vergegenwärtigt zu werden. Siditbar genug sind vornehmlich die theologischen Prädikate, mit denen Hegel den Staat ausstattet. Verborgener indessen ist die Art ihrer Herkunft aus einer Theologie, in deren Mittelpunkt eine geschichtsphilosophische Christologie steht. Auf sie wird nur aufmerksam, wer mit Rosenzweig bereits den Leitsatz von der wirklich gewordenen Vernunft auf seinen diristologischen Sinn hin durchschaut hat. Allein er kann dann nämlich auch ermessen, was es bedeutet, daß es diese „wirkliche Vernünftigkeit" sein soll, die „als Staat existiert" 14 . Die Abirrung von der im Leitsatz ausgesprochenen Intention liegt auf der Hand. Sie wird noch deutlicher in der Rede von der Souveränität des Staates als dem „wahrhaften absoluten Endzweck". Den Begriff des absoluten Endzwecks verwendet Hegel ja zur Bezeichnung des Eschaton, das Gott mit Leben, Tod und Auferstehung seines Sohnes antizipiert hat. Wie er aber im Hinblick auf diese Antizipation stets hervorhebt, daß das 1S
14
Die für unseren speziellen Gesichtspunkt besonders wichtigen Details trägt Topitsch ( 1 4 4 , S. 3 7 ff.) zusammen. S W V I I 3 J 8 (§ 2 7 0 Anm.).
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Reich Gottes schon in der Gegenwart objektive Realität besitze, so ist es auch die „Wirklichkeit dieses Endzwecks", die jetzt desgleichen den Staat auszeichnen soll 15 . Vom Staat zum Monarchen geht die Rechtsphilosophie auf dem Wege des Gedankens über, daß die zum absoluten Endzweck erhobene Souveränität ausschließlich in der Person des Königs existiere16. Mit diesem Übergang tritt, was vorher mehr oder weniger im verborgenen geschah, vollends ans Licht: Der Monarch nimmt die Züge des Gottes an, der sich in Christus offenbart hat. Er ist der, welcher „alle Handlung und Wirklichkeit anfängt" 17 , ja, es macht seinen Begriff aus, „nicht ein Abgeleitetes, sondern das schlechthin aus sidi Anfangende zu sein" 18 , und das Wesen seiner Majestät ist jenes „letzte Insichsein" 1 ·, das die Encyclopädie dem absoluten Geist beilegt. Der absolute Geist erschließt sich in seiner ganzen Wahrheit allein der Philosophie; und so soll auch nur Philosophie wirklich fähig sein zum Verstehen des Monarchen. Aus einem Grunde, den wir noch aufdecken werden, verschärft Hegel sogar, wo es sich um den Monarchen handelt, den Absolutheitsanspruch der Philosophie. Was Gott betrifft, so sagt Hegel lediglich, daß das unspekulative Vorstellen ihn nicht erkennen könne, aber er spricht keineswegs davon, daß es ihn nicht erkennen dürfe; und hinter dem begreifenden bleibt das vorstellende Denken Gottes nicht etwa deshalb zurück, weil es seinen Gegenstand total verschleierte, sondern wegen seiner bloß partiellen Entdeckungsfunktion. In bezug auf den Monarchen hingegen folgert Hegel aus schlechterdings antidemokratischen Prämissen: „Deswegen darf auch nur die Philosophie diese Majestät denkend betrachten, denn jede andere Weise der Untersuchung, als die spekulative der unendlichen, in sich selbst begründeten Idee, hebt an und für sidi die Natur der Majestät auf." 20 Restlos offenbar wird im Übergang vom Staat zum Monarchen, genauer gesagt, der christologische Charakter des Projektionsprodukts. Wiewohl hier und da und vor allem eben dort, wo Hegel die Wirklichkeit der Vernunft verweltlicht, auch schon durch die Maske des Staates das Antlitz Christi hindurchscheint, wird man feststellen können: Im großen und ganzen spiegelt der Staat den väterlichen Gott und der Monarch den Sohn wider. Zunächst räumt Hegel diesem die Macht ein, auf welche der religiös SW V I I 438 (§ 328). — Eine gewisse strukturelle Ähnlithkeit mit dem oben geäußerten Verdacht hat die von Bruaire (16, S. 1 6 1 — 1 6 7 ) vertretene Auffassung, daß der Staat bei Hegel Surrogat für eine autoritative Kirche nach A r t der katholischen sei. " S W V I I 381 (§ 279). » SW V I I 390 (§ 281 Anm.)· 17 S W V I I 381 (§ 279). 20 SW V I I 390 (§ 281 Anm.)· 18 SW V I I 382 ( § 2 7 9 Anm.). 15
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vorstellende Mensch im Glauben an Jesus vertraut. Er verschafft ihm das Ansehen eines Heilands, der aus Gnade Sünden vergibt. „Aus der Souverainetät des Monarchen fließt das Begnadigungsrecht der Verbrecher, denn ihr nur kommt die Verwirklichung der Macht des Geistes zu, das Geschehene ungeschehen zu machen und im Vergeben und Vergessen das Verbrechen zu vernichten."21 Sodann überträgt Hegel auf den Monarchen auch die Bestimmungen, mit deren Hilfe sein eigenes, das begreifende Denken die spekulative Wahrheit des Gottmenschen expliziert; er erhebt ihn zu dem in § j 69 der Encyclopädie beschriebenen Paradox eines Ewigen, das ins zeitliche Dasein tritt, oder eines Allgemeinen, das in die Niederungen der Besonderheit hinabsteigt. „Dieses letzte Selbst des Staatswillens ist (...) unmittelbare Einzelnheit; in seinem Begriffe selbst liegt hiermit die Bestimmung der Natürlichkeit; der Monarch ist daher wesentlich als dieses Individuum, abstrahiert von allem anderen Inhalte, und dieses Individuum auf unmittelbare natürliche Weise, durch die natürliche Geburt, zur Würde des Monarchen bestimmt."22 Wie Hegel das auf der gleichen „Zusammensetzung" von Allgemeinheit und unmittelbarer Einzelheit beruhende Paradox der Menschwerdung Gottes das „schwerste Moment in der Religion" nennt23, so betont er denn auch in seiner Philosophie des Rechts, der Begriff des Monarchen sei der „schwerste Begriff für das Raisonnement"24. Dabei ist für das richtige Verständnis seiner Projektion bedeutsam, daß er derartige Analogien durchaus selber vor Augen hat und auch zur Sprache bringt. Hinsichtlich des zuletzt angedeuteten Punktes ist ihm zumindest die Isomorphic von objektivem und absolutem Geist gegenwärtig. Nachdem er das königliche Paradox der in die Faktizität geworfenen Idee dynamisch als Umschlag „vom Begriff der reinen Selbstbestimmung in die Unmittelbarkeit des Seins" ausgelegt hat, fügt er hinzu: „Im sogenannten ontologischen Beweise vom Dasein Gottes ist es dasselbe Umschlagen des absoluten Begriffes in das Sein, was die Tiefe der Idee in der neuern Zeit ausgemacht hat"25. Der Tiefe der Idee teilhaftig geworden ist die neuere Zeit dank des Christentums, dessen innerste Wahrheit, die Menschwerdung Gottes, von allen Gottesbeweisen der ontologisdie am tiefsten ergründet. Hegel dürfte sich also darüber im klaren gewesen sein, daß er die Geburt des Monarchen nach dem Modell der Inkarnation konstruiert. Ein solches Bewußtsein läßt sich freilich noch nicht dem Hin"2 SW VII 392 (§282). *2 SW VII 387(5 280). » AR 137 —SWXVI 285.
"!S SW VII 382(5 279 Anm.). SW VII 387 f. (§ 280 Anm.)·
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weis entnehmen, daß der im Monarchen sich verkörpernde Staat und der in Christus sich offenbarende Gott bloß „dasselbe" tun. Indessen sdireitet Hegel von der Einsicht in die Isomorphic zur Anerkennung des Fundierungszusammenhangs fort. Im Blick auf das ausschließlich dem Monarchen zustehende Begnadigungsrecht merkt er an: „Dies Recht gehört übrigens zu den Anwendungen oder Reflexen der Bestimmungen der höheren Sphäre auf eine vorhergehende." 28 Die Anmerkung enthält nichts Geringeres als das Eingeständnis, daß erst die Applikation der mit Christus gegebenen Versöhnung auf die durch Napoleon vorgegebene Weltwirklidikeit den Repräsentanten des darin mitgegebenen Staates zur versöhnenden Instanz hochstilisiert. Hiermit erweist sich nicht nur, daß die Projektion, um die es geht, kein taugliches Objekt ideologiekritischer Entlarvung ist; man braucht sich über sie keineswegs hinter Hegels Rücken zu verständigen. Nach den angeführten Aussagen hat sie vielmehr auch und vor allem eine ganz andere Richtung als diejenige Projektion, welche die Ideologiekritik seit Feuerbach und Marx an der Religionsphilosophie Hegels enthüllen möchte. Hegel projiziert nicht den weltlichen Herrscher an den Himmel, sondern umgekehrt den Himmel auf die Ebene der weltlichen Herrschaftsverhältnisse. An Schein und Verblendung aber übertrifft die wirklich Hegeische Projektion die vermeintlich Hegeische bei weitem. Und zwar zeigt sich ihre Unwahrheit an ihr selber. Das künstliche Abbild, das durch sie entsteht, spottet nämlich gerade in dem für Hegel wesentlichsten Belang, aber gleichwohl wider dessen Bemühung um möglidist täuschende Ähnlichkeit, der vorbildlichen Realität. U m den Monarchen unendlich über das Volk zu erheben, umgibt die Rechtsphilosophie ihn mit dem Nimbus völliger Irrationalität. Gewiß ist sie eifrig bestrebt, auch noch in bezug auf die „grundlose Unmittelbarkeit" 27 Parallelen zum christlichen Gott zu ziehen. Sie versucht dies, indem sie die religionsphilosophische Unterscheidung zwischen dem für den Verstand Unzugänglichen und dem für die Vernunft Offenbaren adoptiert. Unzugänglich soll die Art, wie der Monarch herrscht, nur f ü r die „reflektierende Verstandesbetrachtung" sein28, nidit für das vernünftige Denken, das sich ja sogar, wenn es zur Philosophie heranreift, in Sachen des Königs eine Monopolstellung erobert. Aber die Analogie löst sich bei näherem Zusehen in Luft auf. Denn die Irrationalität des Monarchen, den Hegel an die Spitze seines allzu » SW VII 392 (§ 282 Anm.)· 27 SW VII 3 89 (§ 281 Anm.). 28 SW VII 382 (§279 Anm.).
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realen Idealstaates stellt, ist die dezisionistische, die auch mit Vernunft, selbst mit der spekulativsten, nichts zu tun hat. Beim Monarchen liegt das „Letzte der Entscheidung"28, „dieses Letzte, was alle Besonderheiten in dem einfachen Selbst aufhebt, das Abwägen der Gründe und Gegengründe, zwischen denen sich immer herüber und hinüber schwanken läßt, abbricht, und sie durch das: Ich will, beschließt"30. Solch ein Wille ist zugleich Unwille gegen jede Legitimation durch Vernunft; er ist Willkür und soll es nach Hegel auch sein. Noch die „Erwählung" derer, welche die jeweils zur Entscheidung anstehenden Staatsangelegenheiten vor den Monarchen bringen, fällt, wie es ausdrücklich heißt, in dessen „unbeschränkte Willkür" 31 . So erlaubt Hegel dem König, was sein Gott nicht darf. Hat doch für ihn der christliche Gott gar keinen Willen, der sich dem Denken entzöge und in ihm selber etwas neben dem Denken wäre. Gegen einen göttlichen Willen, der „über aller Vernunft" ist, wendet sich Hegel aber, wie wir wissen, aus Sorge um die Freiheit des Menschen. Die Rationalität seiner Gottesauffassung kommt aus einem emanzipatorisdien Interesse. Es ist genau dieses Interesse, das sich mit der Verfälschung der von Gott angebotenen Versöhnung zum Versöhntsein bestehender Weltwirklichkeit in sein Gegenteil verkehrt. Nichts bezeugt den emanzipationsfeindlichen, reaktionären Staatskult, in welchem die Abirrung vom christologischen Ansatz endet, eindeutiger als die Irrationalität der Entscheidung, die Hegel in die Hände des weltlichen Herrschers legt. Für uns aber bleibt die Frage zurück, ob sich hier nicht die schlechte Dialektik enthüllt, in die der philosophische Glaube an einen rational vollkommen durchsichtigen Gott gerät. Indem er einem Menschen das Recht auf widervernünftige Willkür einräumt, scheint er selber das Unrecht aufzudecken, in das er sich gesetzt hat, als er den übervernünftigen Willen Gottes nicht wahrhaben wollte.
» S W V I I 381 (§ 279). w S W V I I 382 (§ 279 Anm.). » S W V I I 393 (§283).
LITERATURVERZEICHNIS I. Verzeichnis der benutzten
Textausgaben
Da von der einzigen Ausgabe, die den Namen einer kritischen verdient, bei der Abfassung der vorliegenden Arbeit erst ein einziger Band vorlag, mußte nach Ausgaben zitiert werden, die im Unterschied von der kritischen Hegels eigene Schreibweise nicht völlig beibehalten, sondern — abgesehen von einer wiederum verschieden starken Berücksichtigung einzelner Eigentümlichkeiten der Originalsprache — der je zu ihrer Erscheinungszeit maßgeblichen Orthographie folgen. Um der Einheitlichkeit willen wurden sämtliche Zitate weitgehend modernisiert. Nur zum Zwecke maximaler Vereinheitlichung ist auch, wo immer es möglich war, die Jubiläumsausgabe herangezogen worden. Aus sachlichen Gründen hingegen orientiert sich die Wiedergabe des Haupttextes (Encyclopädie, §§ 553—577) im allgemeinen an der Edition von Nicolin und Pöggeler. Was die besonders häufig angeführten Vorlesungen über die Philosophie der Religion und der Weltgeschichte angeht, so hat der V f . die von Lasson und H o f f meister besorgten Editionen vor der Jubiläumsausgabe bevorzugt, und zwar weil sie die authentischen Notizen gegen die Hörernachschriften abheben; Stellen aus Hegels Manuskript sind mit dem Zusatz „(Ms.)" versehen. Der V f . hat sidi aber bemüht, Zitate aus diesen Vorlesungen in beiden Ausgaben nachzuweisen; wo er gleichwohl bloß eine von beiden zitiert, wird der Leser in der Regel annehmen dürfen, daß die betreffende Stelle in der anderen Ausgabe fehlt oder nur in einer allzusehr abweichenden Fassung zu finden ist. Bei allen Zitaten aus Hegels Werken deuten die römischen Ziffern auf die Bandzahl, die arabischen auf die Seitenzahl hin. Die Einordnung der aus den Jahren 1802—1806 überlieferten Vorlesungsmanuskripte in die Entwicklungsgeschichte Hegels geschieht nach Heinz Kimmerle, Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften, in: Hegel-Studien IV (1967), S. 125—176. Hegels theologische Jugendschriften, hrsg. v. Hermann Nohl. Tübingen 1907 (zit.: T J ) . Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 4: Jenaer kritische Schriften, hrsg. v. Hartmut Buchner und Otto Pöggeler. Hamburg 1968 (zit.: GW). — Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe in 20 Bänden), hrsg. v. Hermann Glockner. Stuttgart 1927—1939 (zit.: SW). — Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie, hrsg. v. Georg Lasson. Hamburg 1967, Nachdruck der 1. Auflage von 1923 (zit.: Jen. LMN). — Jenaer Realphilosophie (Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes von 1805—1806), hrsg. v. Johannes Hoffmeister. Hamburg 1967, Nachdruck der „Jenenser Realphilosophie I I " von 1931 (zit.: Jen. Realph.). — System und Geschichte der Philosophie, hrsg. v. J . Hoffmeister. Leipzig 1940. — Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, hrsg. v. J . HofTmeister. Leipzig 1949. — Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), neu hrsg. v. Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler. Hamburg 1959. 29
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II. Verzeichnis der übrigen Literatur Aufgeführt sind hier ausschließlich Veröffentlichungen, auf die in der vorliegenden Untersuchung ausdrücklich Bezug genommen wird. Unter den fast unüberschaubar zahlreichen Arbeiten über Hegel hat der V f . manches Werk, das ungenannt bleibt, dennoch mit Gewinn gelesen; es scheint ihm unmöglich, darüber eine wirklich vollständige Rechenschaft abzugeben. Unberücksichtigt läßt die folgende Literaturliste auch die an Ort und Stelle mit den notwendigen Daten versehenen Werke klassischer Autoren. Sonst wird statt des Titels stets nur — in Klammern hinter dem Autorennamen — die Nummer angegeben, unter der die Publikation in der nachstehenden Liste erscheint. Angegeben ist die Auflage oder Ausgabe, nach der zitiert wird. Wo sie mit der Erstausgabe nicht identisch ist, steht deren Ersdieinungsjahr in Klammern vor Ort und Jahr der zitierten Auflage. Zur Ergänzung sei hingewiesen auf die vorzügliche Bibliographie bei Hans Küng, Menschwerdung Gottes (Eine Einführung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer künftigen Christologie), Freiburg i. Br. 1970, S. 671—696. 1. Adorno, Theodor W., Drei Studien zu Hegel. Frankfurt am Main 1963. 2. — Negative Dialektik. Frankfurt am Main 1966. 3. Albrecht, 'Wolfgang, Hegels Gottesbeweis. Eine Studie zur „Wissenschaft der Logik". Berlin 1958. 4. Arnold, Uwe, Die Entelechie. Systematik bei Piaton und Aristoteles. Wien/ München o. J . (Überlieferung und Auftrag II). 5. Backhaus, Gunther, Kerygma und Mythos bei David Friedrich Strauß und Rudolf Bultmann. Hamburg-Bergstedt 1956. 6. Barth, Karl, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte. Zollikon-Zürich 1947. 7. Benz, Ernst, Schöpfungsglaube und Endzeiterwartung. München 196$. 8. Beyer, Wilhelm R., Der Begriff der Praxis bei Hegel, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie V I (19j8), S. 749—776. 9. Bloch, Ernst, Geist der Utopie. (1918) Berlin 2 i923. 10. — Thomas Münzer als Theologe der Revolution. (1921) Berlin 21960. 1 1 . — Subjekt-Objekt. Erläuterungen zu Hegel. (1951) Frankfurt am Main 1i$6i. 11. — Das Prinzip Hoffnung. 3 Bände, Berlin 1954—1959. 13. — Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs. Frankfurt am Main 1968. 14. Boll, Franz, Vita Contemplativa. Festrede zum zehnjährigen Stiftungsfest der
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NAMENREGISTER Abraham ι ο ί Adler, Max 356 A . Adorno, Theodor W. 3, 24—yj, 39, 71 Α., 98 Α., io9 Α., 3j6, 384 Α., 421 Α., 429 Albredlt, Wolfgang 106 Α . Ambrosius 285 Α. Anaxagoras 327 Anselm 106 Aristoteles 28, 300, 32$—346, 347, 364 bis 367. 376Α., 377, 380, 389, 391, 400 f., 404 f., 414, 417, 421, 423, 428 Arnold, Uwe 344 A . Augustinus, Aurelius 285 A . Baader, Franz von 162 Backhaus, Gunther 237 A . Baeck, Leo 351 A . Barth, Karl 33, 39, 50 Α., 59 Α., 237 Α., 4 i i Α. Barudi 35° Bauer, Bruno 5, 221—224, 356 A. Bauer, Otto 356 A . Baur, Ferdinand Christian 34 A . Benjamin, Walter 27, 356 Benz, Ernst 353, 354 A . Bernstein, Eduard 356 A . Beyer, Wilhelm R. 397 Α., 401 Α . Bloch, Ernst 7, 27, 5 8 f., 104, 310, 336 bis 36366, 429 Boll, Franz 327 A . Bröcker, Walter 211 A . Bruaire, Claude 77 Α., 82 Α., ι ο 8 Α . , 132 Α., 220 Α., 235 Α., 236 Α., 254, 270 Α., 3°9 £·> 3 Γ Ι Α . , 3 2 °Α·., 4 γ ι Α · , 444 Α. Buber, Martin 35° Bultmann, Rudolf 237 Α . Chapelle, Albert 60 Α., 65 Α., 77 Α., 78 Α., 89 Α., 93 Α., 108/109 Α., ΐ 4 2 Α · , 214Α., 223Α., 233Α., 236Α., 241Α.,
242 Α., 247 Α., 249 Α., 250 Α., 254 Α., 268 Α., 269 Α., 272 Α., 28ο, 3 ° 7 Α · , 386Α. Chrysostomus 167 Conzelmann, Hans 349 Α. Cottier, Georges 34 Α., 280 Α . Croce, Benedetto 3 David 353 Descartes, Rene 423 Dilthey, Wilhelm 15 Düring, Ingemar 329 f., 338 A .
331 Α.,
333,
Engels, Friedrich 159 A . Esra 350 Eudemos 335 A . Fackenheim, Emil L. 48 Α., 50 Α., 308 Α., 3°9> 312, 3 i8 > 3 2 1 Α., 44i Α . Fessard, Gaston 94Α., 254 Α., 289, 309, 3ii Α. Festugiere, Andre Jean 328 A . Feuerbadi, Ludwig 6 f., 28, 34, 55, 189, 360, 362, 446 Fichte, Johann Gottlieb 13, 46, 57, 379, 430 Fischer, Ernst 211 A . Fulda, Hans Friedrich 90 Α., 115 Α., ι ι 6 Α . , 141, 144, 386 Α., 388 Α., 389, 4i8 Α . Funkenstein, Amos 353 Α . Gadamer, Hans-Georg 334 Α . Gans, Eduard 414 Garaudy, Roger 6—9, 10, 12, 98 Α., 271 Α., 28I Gebhardt, Jürgen 376 Α., 383 Α., 441 Α. Geis, Richard 369 Α . Girnus, Wilhelm 176 Α . Göschel, Carl Friedrich 222, 223 A .
Namenregister
458
Goethe, Johann Wolfgang von 125 Gollwitzer, Helmut 356, 361 Α., 362Α., 37i Α. Greßmann, Hugo 349 Α. Groos, Helmut 368 f. Gründer, Karlfried 167 Α. Habermas, Jürgen 9—11, 14, 57, 71 Α., 328 Α.,
j88—391,
393 Α.,
4 0 3 Α . , 4 ° 7 Α . , ύ,ΐ-6,
399 Α.,
401,
4^0—432
Hafis 100 Hamann, Johann Georg 167 Haym, Rudolf 2 3 3 Α., 388 Α., 4 1 7 / 4 1 8 Α. Heidegger, Martin 23, 28, 31, 34, 55, 109 Α., 342, 4 o i ,
423
Heimann, Betty 108 Α., 256 Α. Heintel, Erich 416 Henoch 350 Henrich, Dieter 22, 44 Α., 49, ι ο 6 Α., 2 i i Α., 3 1 4 Α. Herder, Johann Gottfried 196 Hess, Moses 356 A. Hirsch, Emanuel 369 Höscher, Gustav 349 A. Homer 189, 191, 331 A. d'Hondt, Jacques 170 A. Horkheimer, Max 356, 429 Husserl, Edmund 66 Hyppolite, Jean 284 A.
Lassalle, Ferdinand 356A. Lasson, Georg 65 Α., 309, 312, 319 Α. Liebrucks, Bruno 71 Α., 87 Α., 224 Α. Litt, Theodor 71 Α., 225 Α. Löwith, Karl 51 Α., 222 Α., 233 Α., 236 Α., 355. 3 6 * Α., 376 Lukacs, Georg 4—6> 9 f., 12, 98 Α., 148, 159
50 Α.,
Α
·» 356, 386 Α.
Lukas 58, 358 Luther, Martin 369, 4 J 8 Luxemburg, Rosa 356A. Mansion, Augustin 329 Α., 332 Α., 336 Α., 34i Α. Mansion, Suzanne 329 Α., 331 Α. Marcion 361 Marcuse, Herbert 326, 356, 386 Α.,418 Α., 421 Α., 429, 435 Α · Marheineke, Philipp 417 Markus 363, 403 Marquard, Odo 386 Α., 410 Marsch, Wolf-Dieter joA., 58 Α., 285 Α.,
Iljin, Iwan 108 A. Isaak 101
366 Α.
Marx, Karl 4, 12, 34, 355 f., 359 f., 362, 365. 383> 410, 416, 429, 446 Massiczek, Albert 356 A. Matthäus 363 Maurer, Reinhart Klemens 309, 376 Α.,
Jacobi, Friedrich Heinrich 131 Jäger, Alfred 364 A. Jaeger, Werner 328 Jähnig, Dieter 211 A. Jakob 101 Janoska, Georg 333 A. Jaspers, Karl 391 Jepsen, Alfred 349 Α., 3 J4 A. Joadiim von Fiore 358 Johannes 272, 349, 376 Kant, Immanuel
Koj^ve, Alexandre 6 f., 72 Α., io8A., 2 7 1 Α., 2 8 i Kreck, Walter 348 A. Kruithof, Jaap 421 A. Kümmel, Friedrich J3 Α., 232 Α., 294 Α. Küng, Hans 34 Künzli, Arnold 356 A. Kuhn, Helmut 156 A.
25,
106,
386 Α.
159A.,
169, 172, 202, 216, 379, 423,
165,
430
Kempski, Jürgen von 231 A. Kierkegaard, Seren 3, 28, 32, 34, 38, 51, 2 3 7 Α., 2 6 8 , 274, 28ο, 3 4 4 f., 3 6 4 , 3 9 4 Kimmerle, Heinz 12 Koch, Traugott 39—42, 2 5 9 Α., 368
Merlan, Philip 3 2 8 — 3 3 0 , 3 3 2 Mitchells, Kurt 211 A. Möller, Joseph 39 Α., 82 Α. Moltmann, Jürgen 362 A. Morawski, Stefan 211 A. Moritz, Karl Philipp 188 A. Moses 357, 361 Mueller, Gustav E. 88 Α., 211 A. Müller, Max 335 Α., 344 Α. Münzer, Thomas 358 f. Napoleon 7, 378, 446 Nietzsche, Friedrich 117
Namenregister Oelmüller, Willi 184 Α., i88A., 199 Α., 368 Α .
Otto, Rudolf 353 A. Pannenberg, Wolfhart 34, 39 Patoüka, Jan 165 Α., 2 i i A. Paulus 167, 2 j i , 349, 363 f. Peperzak, Adrien T . B . i j A . , 17Α., 369 Philon 285 A. Philoponos 329 Picht, Georg 327 Α., 328 Α. Piaton 285 Α., 328, 334 Α., 344—346, 364 f., 3 7 1 , 374, 389, 4 2 1 , 4 4 1 Plotin 41, 12$ Popper, Karl Raimund 3 f. Puder, Martin 217Α., 233 Α., 282 Α., 3
67A.
Reidinger, Otto 285 A. Reiner, Hans 335 A. Riedel, Manfred 387 Α., 416, 422 f. Ritter, Joachim 9 — n , 14, 330 f., 3 39 Α., 404 Α., 4o6 Α. Röhr, Heinz 356A. Rohrmoser,Günter 12 Α., 13, 14 Α., i j A . , 11 1 6 Α., 19 Α., 99 Α., 394 Α., 4 Α. Rollwage, Jürgen 421 Α. Rosenkranz, Karl 237 Rosenzweig, Franz 371, 418 Α., 440, 4 4 i Α., 443 Sdielling, Friedrich Wilhelm 13, 1$, 22, *4> 32> 36, 4°. 45 f·» 117. 188 Α., 223, 224 Α., 239. 3 I2 > 395 Α. Schiller, Friedridi von 202 Schmidt, Erik 35 Α., 84 Α., 224 Α., 240 Α., 267 Α., 2 7 3 Α., 282 Α., 368
459
Schmidt, Gerhart 8 j Α. Schmidt, Hans 366 Α., 371 Α., 417 Α. Schwarz, Balduin 211 Α. Schweitzer, Albert 348 f. Seeberger, Wilhelm 108 A. Siewerth, Gustav 109 A. Sobotka, Milan 397 A. Spinoza, Benedictus de 123 Splett, Jörg 62 Α., 242 Α., 309 Stählin, Gustav 348 A. Strauß, David Friedrich 5, 2j6—242, 2 4 3 , 246, 3 9 1
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