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German Pages 324 Year 2013
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 244
Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht Eine kritische Untersuchung der gegenwärtigen Rechtsprechungspraxis zum Problembereich der Selbsttötung und Selbstgefährdung
Von
Ines Matthes-Wegfraß
Duncker & Humblot · Berlin
INES MATTHES-WEGFRASS
Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 244
Der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht Eine kritische Untersuchung der gegenwärtigen Rechtsprechungspraxis zum Problembereich der Selbsttötung und Selbstgefährdung
Von
Ines Matthes-Wegfraß
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h.c. Heiner Alwart, Jena
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Wintersemester 2012/2013 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14202-6 (Print) ISBN 978-3-428-54202-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84202-5 (Print & E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis April 2013 berücksichtigt werden. Bei der Entstehung dieser Arbeit haben mich viele Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle aufrichtig danken möchte. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Heiner Alwart. Seine hervorragende Unterstützung, seine kritischen und konstruktiven Anmerkungen sowie sein persönliches Engagement bei der Betreuung haben entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ich danke zudem PD Dr. Edward Schramm für die außerordentlich zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Prof. Dr. Walter Pauly für seine Mitwirkung in der Prüfungskommission. Danken möchte ich auch der Doktorandenschule und dem Forschungszentrum „Laboratorium Aufklärung“, die mich während der Entstehung dieser Arbeit als Stipendiatin in vielfältiger Weise unterstützt und mir einen großzügigen Druckkostenzuschuss aus dem Landesprogramm „ProExzellenz“ des Freistaates Thüringen gewährt haben. Mein tiefster Dank gilt jedoch meiner Familie, denen ich diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit widme. Erfurt, im August 2013
Ines Matthes-Wegfraß
Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsproblem und Forschungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers sowie die Mitwirkung Dritter im Lichte der ständigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran . . . . . II. Die Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sowie der Mitwirkung daran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit des Dritten wegen einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbsttötung des Rechtsgutsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Strafbarkeit innerhalb der Konstellationen eigenverantwortlicher Selbsttötung und Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur eigenverantwortlichen Selbsttötung – der fehlende Bezug zum Protostrafrecht und zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Straffreiheit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung . . . . . . . . . III. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kritische Zusammenfassung und Fortgang der weiteren Untersuchung D. Die I. II. III. IV.
Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . Der vorrechtliche Verantwortungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konnexität von Recht und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eigenverantwortung als allgemeines Rechtsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Die verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips in Fällen der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Inhaltsübersicht
F. Die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und die Mitverantwortung des Dritten im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung der Selbsttötung und Selbstgefährdung im Rahmen der Tötungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten auf der Ebene des Straftatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Die notwendigen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips im strafrechtlichen Kontext . . . . . . . . . VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsproblem und Forschungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers sowie die Mitwirkung Dritter im Lichte der ständigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran . . . . . 1. Die Beurteilung der Straffreiheit der Selbsttötung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die strafrechtliche Bewertung der Mitwirkung an einer Selbsttötung in der Rechtspraxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die vorsätzliche Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sowie der Mitwirkung daran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nichtberücksichtigung der Eigenverantwortung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wende in der Rechtsprechung durch BGHSt 32, 262 . . . . . . . . . . 3. Die Selbstgefährdung als eigenständiges Rechtsinstitut in der ständigen Rechtsprechung seit 1984 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung durch den Konsum von Betäubungsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Selbstgefährdung und die Mitwirkung hieran außerhalb der Konstellationen der rauschmittelbedingten Todesfälle . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit des Dritten wegen einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbsttötung des Rechtsgutsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die strafbare Veranlassung von selbstgefährdenden Handlungen in den Konstellationen der sogenannten „Retterschäden“ . . . . . . . . . . . . . 2. Die strafrechtliche Bewertung der Veranlassung oder Ermöglichung einer fremden Selbstgefährdung sowie Selbsttötung im Bereich des BtMG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Strafbarkeit innerhalb der Konstellationen eigenverantwortlicher Selbsttötung und Selbstgefährdung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur eigenverantwortlichen Selbsttötung – der fehlende Bezug zum Protostrafrecht und zum Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Straffreiheit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. . . . . . . . . . 1. Die dogmatischen Voraussetzungen der Anwendung eines argumentum a maiore ad minus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung: die Unanwendbarkeit des argumentum a maiore ad minus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Teilnahmeargument der Rechtsprechung und die Straffreiheit der vorsätzlichen Anstiftung und Beihilfe zum Suizid. . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid im Kontext der fahrlässigen Täterschaft gem. § 222 StGB . . . . . . . . . a) Die Unzulässigkeit des Erst-Recht-Schluss-Argumentes von der Straffreiheit der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidmitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Stufenverhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . bb) Die Vergleichbarkeit von Vorsatz und Fahrlässigkeit hinsichtlich des Täterbegriffs als Voraussetzung der Wertungsübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Unzulässigkeit eines wertenden Rückgriffs von der Straffreiheit der Suizidmitwirkung auf die Straffreiheit der Selbstgefährdungsmitwirkung in Form eines Erst-Recht-Schlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kritische Zusammenfassung und Fortgang der weiteren Untersuchung D. Die I. II. III. IV.
Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . Der vorrechtliche Verantwortungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konnexität von Recht und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eigenverantwortung als allgemeines Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
E. Die verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips in Fällen der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Recht auf Selbsttötung und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Selbsttötung als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung . . . . aa) Die Selbsttötung als Verstoß gegen das Sittengesetz . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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bb) Die Selbsttötung im Lichte der verfassungsmäßigen Ordnung (1) Die Rechtspflicht zur Selbsterhaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Schutz des Suizidenten vor sich selbst. . . . . . . . . . . . (3) Der staatliche Schutzauftrag für das Leben als Grenze des Rechts auf Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Inanspruchnahme hilfeleistender Dritter und der indirekte Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Autonomie zur Fremdbestimmung. . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Recht auf Selbstgefährdung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Selbstgefährdung als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Schutz(-anspruch) des sich Gefährdenden. . . . . . . . . . . . . bb) Die Reichweite und die Grenzen des Selbstgefährdungsrechts im Kontext des Schutzauftrages für das menschliche Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Verbot (bestimmter Formen) der Selbstgefährdung zum Schutz der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Freiheit zur Selbstbestimmung und das indirekt paternalistische Mitwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts in den Konstellationen der Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und die Mitverantwortung des Dritten im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Leben als Individualrechtsgut und die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutz des menschlichen Lebens im Strafrecht . . . . . . . . . . . . b) Die (In-)Disponibilität des Rechtsguts Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung und die Pflichtwidrigkeit im Kontext der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung . . a) Die Verwirklichung von Unrecht durch den Suizidenten bzw. den sich Gefährdenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Realisierung strafrechtlichen Unrechts durch mitwirkende Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung der Selbsttötung und Selbstgefährdung im Rahmen der Tötungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Selbsttötung und die Selbstgefährdung als strafrechtlich (ir-)relevante Handlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Die fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung und Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Reduktion des Tatbestandes des § 212 StGB im Fall der eigenverantwortlichen Selbsttötung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ergänzung des Wortlautes des § 212 StGB als Konsequenz des Eigenverantwortungsprinzips und der verfassungsrechtlichen Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abweichende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: Die Entpönalisierung der Selbsttötung zur Zeit der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Pönalisierung der Selbsttötung unter dem Einfluss der Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Entpönalisierung des Suizides als Folge der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Selbstgefährdungshandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtmäßigkeit der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten auf der Ebene des Straftatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die vorsätzliche Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme am fremden Suizid aa) Die Schlüssigkeit des Teilnahmearguments . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abweichende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Straffreiheit der Teilnahme an einer Selbstgefährdung . . . . . . 2. Die fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Die notwendigen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips im strafrechtlichen Kontext . . . . . . . . . 1. Die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die objektive Komponente des Eigenverantwortungsprinzips . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Eigenverantwortungsprinzip und das Tatherrschaftskriterium . . .
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163 166 169 170 174 180 183 186
187 188 188 188 190 195 195 198 198 202 205 208 209 217 219 220
Inhaltsverzeichnis a) Die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium der straflosen Teilnahme am fremden Suizid von einer täterschaftlichen Fremdtötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Abgrenzung der fahrlässigen Suizidmitwirkung von einer Fahrlässigkeitstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Tatherrschaft im Kontext der Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Reichweite des Eigenverantwortungsprinzips in den Konstellationen der „Retterschäden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiverantwortliches Handeln trotz Rettungspflicht?. . . . . . . . . . . . b) Die Beschränkung des Eigenverantwortungsprinzips im Kontext der Brandstiftungs- sowie Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Eigenverantwortungsprinzip und das BtMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verkürzte Wirkungskraft des Eigenverantwortungsprinzips im Kontext der §§ 29 ff. BtMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Stellung des Individuums im BtMG – zur Schutzwürdigkeit des freiverantwortlichen Konsumenten . . . . . . . . . bb) Das legitime Rechtsgut der betäubungsmittelrechtlichen Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Frage der Strafbarkeit des an einer Selbstgefährdung oder Selbsttötung mitwirkenden Dritten nach §§ 29 ff. BtMG im Lichte des Eigenverantwortungsprinzips dd) Die Auswirkung der betäubungsmittelrechtlichen Strafbarkeit des Dritten auf die strafrechtliche Beurteilung der Mitwirkung innerhalb der Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Exkurs: Der widersprüchliche Umgang mit dem Eigenverantwortungsprinzip im Kontext der § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 46 StGB von Seiten der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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220 225 227 230 231 232 233 237 240 241 242 243 246
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255
257 263
G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. a. F. AG ähnl. Alt. Anm. APuZ ARSP Art. AT Aufl. ausf. BayObLG Bd. Begr. BGB BGBl. BGH BGHSt BMJ bspw. BT BT-Drs. BtMG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. DAR ders. d.h. dies. Diss. DJT
andere Ansicht am angegebenen Ort Absatz alte Fassung Amtsgericht ähnlich Alternative Anmerkung Aus Politik und Zeitgeschichte Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil Auflage ausführlich Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesministerium der Justiz beispielsweise Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Deutsches Autorecht derselbe das heißt dieselbe Dissertation Deutscher Juristentag
Abkürzungsverzeichnis DÖV DRiZ DVBl. DZS ebda EGMR erl. v. f. ff. FG FS Fußn. GA GdS gem. GG ggf. h. M. HRRS Hrsg. hrsg. v. insb. i. V. m. JA JbRSoz JÖR JR JRE Jura JuS JW JWE JZ krit. LG lit. LK-StGB Losbl. LPK-StGB m. Anm. MDR MedR MünchKomm-StGB
Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte erläutert von folgend fortfolgende Festgabe Festschrift Fußnote Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gedächtnisschrift gemäß Grundgesetz gegebenenfalls herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber herausgegeben von insbesondere in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik Juristenzeitung kritisch Landgericht littera (= Buchstabe) Leipziger Kommentar Loseblatt Lehr- und Praxiskommentar mit Anmerkung Monatszeitschrift für deutsches Recht Medizinrecht Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch
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16 m. w. Anm. m. w. Nachw. n. F. NJW NK Nr. NStZ NStZ-RR NVwZ NZV OLG Prof. RefE RegE RG RGSt Rn. S. SchiffObGer. SK-StGB s. o. Sp. SpuRt StGB str. StV StVO s. u. TSG
u. a. Urt. v. v. vgl. Vor/Vorb. z. B. ZIP ZIS zit. ZJS ZRP ZStW zust.
Abkürzungsverzeichnis mit weiteren Anmerkungen mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberlandesgericht Professor Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts Randnummer Satz/Seite/siehe Schifffahrtsobergericht Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch siehe oben Spalte Zeitschrift für Sport und Recht Strafgesetzbuch strittig Strafverteidiger Straßenverkehrsordnung siehe unten Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz) unter anderem Urteil vom von/van vergleiche Vorbemerkung zum Beispiel Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für das juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend
A. Einleitung I. Rechtsproblem und Forschungsziel Ein Betäubungsmittelkonsument stirbt an den Folgen einer Intoxikation.1 Welche strafrechtliche Verantwortung trifft denjenigen, der ihm die Betäubungsmittel verschafft oder die für den Konsum notwendigen Utensilien überlassen hat? Ein an einem illegalen Motorradwettrennen teilnehmender Fahrer stürzt infolge eines selbst herbeigeführten Fahrfehlers und verstirbt.2 Muss der überlebende Wettkampfteilnehmer für den Tod seines Kontrahenten strafrechtlich einstehen? Ein des Lebens Überdrüssiger erschießt sich mit einer zufällig vor ihm liegenden Waffe.3 Kann der Waffenbesitzer, der Waffe und Munition nicht ordnungsgemäß aufbewahrt hat, für den Tod des Suizidenten zur Rechenschaft gezogen werden? Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, wie zahlreich und höchst unterschiedlich die Sachverhalte sein können, die der Problembereich der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung umfasst. Trotz dieser Vielschichtigkeit besitzen alle diese Konstellationen eine Gemeinsamkeit: Es geht immer um den Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des sich Gefährdenden bzw. des Suizidenten und der Mitverantwortung des Dritten. Die Rechtsprechung versucht, diesen Konflikt innerhalb der strafrechtlichen Verantwortungszuschreibung mit Hilfe eines argumentum a maiore ad minus aufzulösen. Ausgehend von der Tatsache, dass eine eigenverantwortliche Selbsttötung nicht den Tatbestand eines Tötungsdeliktes verwirklicht, verweist sie auf die Straffreiheit des vorsätzlich Mitwirkenden.4 Wenn die vorsätzliche Teilnahme straffrei ist, müsse aus ihrer Sicht erst recht die fahrlässige Suizidmitwirkung straffrei sein, weil das durch fahrlässiges Verhalten verwirklichte Unrecht nicht so schwer wiegt wie das durch vorsätzliches Handeln realisierte.5 Da nun wiederum die Selbstgefährdung gegenüber der Selbsttötung ein Minus darstellt6 und schon die vorsätzliche und fahrlässige Mitwirkung an einer Selbsttötung nicht strafbar ist, muss dies 1 2 3 4 5 6
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
BGHSt 32, 262. BGHSt 7, 112. BGHSt 24, 342. statt vieler BGHSt 2, 150 (152). statt vieler BGHSt 24, 342 (343 f.). Lasson, ZJS 2009, 359 (360); ferner Puppe, GA 2009, 486 (489 f.).
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A. Einleitung
erst recht für die vorsätzliche und fahrlässige Mitwirkung an einer Selbstgefährdung gelten, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.7 Über diese dogmatische Argumentation avancierte der Grundsatz der Straflosigkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung zur ständigen Rechtsprechung. Es wird anerkannt, dass es die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers ist, die einer Verantwortungszuschreibung zum Dritten entgegensteht. Betrachtet man die Rechtsprechung allerdings eingehender, vermag vielleicht das Ergebnis, nicht aber die Argumentation zu überzeugen. So liegen, wie im Verlauf der Untersuchung aufgezeigt wird, die Voraussetzungen für einen Erst-RechtSchluss von der Straffreiheit der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidmitwirkung sowie von der Straffreiheit der Suizidmitwirkung auf die vorsätzliche und fahrlässige Selbstgefährdungsmitwirkung gar nicht vor. Die Straffreiheit des mitwirkenden Dritten kann nicht auf einem dogmatischen Rückschluss wie dem argumentum a maiore ad minus beruhen. Sie ist das Ergebnis mangelnden tatbestandlichen Unrechts. Dies wiederum beruht auf einer teleologischen Auslegung des Tatbestandes der Strafnorm, die ihren Ausgang nur in der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers haben kann. Aber warum lässt die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden die Tatbestandsmäßigkeit des § 212 bzw. § 222 StGB entfallen? Worauf gründet sich die Annahme, dass die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers eine strafrechtliche Verantwortungszuschreibung bei Dritten ausschließt? Wann sind hiervon Ausnahmen zu machen? Neben diesen strafrechtsdogmatischen Erwägungen fehlt den Ausführungen der Rechtsprechung des Weiteren die verfassungsrechtliche Bezugnahme. Die Rechtsprechung lässt innerhalb ihrer Argumentation außer Acht, dass die strafrechtliche Zuschreibung von Verantwortung in den Konstellationen der Selbstgefährdung und Selbsttötung auch eine verfassungsrechtliche Dimension hat. Dieser Bezug ist umso entscheidender, weil die Beschreibung der Verantwortungsbereiche und der Verantwortungsgrenzen innerhalb der Grundrechte letztlich für die strafrechtliche Wertung der Konstellationen der Selbstgefährdung und Selbsttötung bindend sind. Darüber hinaus führt die verfassungsrechtliche Verankerung zu der Erkenntnis, dass auf grundrechtlicher Ebene der Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Mitverantwortung nicht auf den Rechtsträger und den mitwirkenden Dritten beschränkt ist, sondern gleichermaßen zwischen dem Individuum und dem Staat ausgefochten wird. So gilt es nicht nur, die Reichweite der Selbstbestimmungsfreiheit des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden zu bestimmen und die Grenzen der Handlungsfreiheit des Dritten zu benennen, sondern auch zu klären, inwieweit der Staat zu einem Eingriff in diese 7
Vgl. statt vieler BGHSt 32, 262 (264 f.).
II. Gang der Untersuchung
19
Grundrechte legitimiert oder sogar verpflichtet ist. Insbesondere das staatliche Handeln muss dabei die Selbstbestimmungsfreiheit und die mit ihr einhergehende Eigenverantwortung des Einzelnen respektieren. Dieser kurze Einblick in die strafrechtliche und verfassungsrechtliche Reichweite der Frage nach der Strafbarkeit eines mitwirkenden Dritten macht deutlich, dass das zentrale und grundlegende Argument für die Verantwortungszuschreibung bei Konstellationen der Selbsttötung und Selbstgefährdung in der Eigenverantwortung des Rechtsträgers liegt. Eigenverantwortung wiederum ist nicht nur ein dem Strafrecht vorgelagerter, protostrafrechtlicher8, sondern sogar ein vorrechtlicher Begriff.9 Aber was ist Eigenverantwortung überhaupt? Und wie kann aus einem vorrechtlichen Verständnis von Verantwortung ein grundlegendes Rechtsprinzip werden? Welchen Inhaltes ist ein solches Eigenverantwortungsprinzip und welche Wirkung entfaltet es auf verfassungsrechtlicher und strafrechtlicher Ebene? Ziel der Untersuchung ist es, die Eigenverantwortung des Menschen als ein grundlegendes Rechtsprinzip zu formulieren.10 Gelingt es, die Verantwortung als ein Instrument des Rechts zur Regulierung der Freiheitssphären zu begreifen, lässt sich auch der bereits in der Verfassung angelegte Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Individuums und der Mitverantwortung des Dritten im Strafrecht lösen. Auf diese Weise gelingt es, eine dogmatisch überzeugende Begründung der Straffreiheit der Mitwirkung an einer Selbsttötung und Selbstgefährdung, die protostrafrechtlich und verfassungsrechtlich fundiert ist, zu erarbeiten sowie die Grenzen der Straffreiheit zu bestimmen.
II. Gang der Untersuchung Die Untersuchung beginnt in Kapitel B. mit einer Analyse der Rechtsprechung, um in den Problembereich der Konstellationen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und Selbsttötung einzuführen. Die in diesem Rahmen aufgezeigten Argumentationslinien der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur strafrechtlichen Wertung des Verhaltens des Rechtsgutsträgers und zur Frage 8
Zur Theorie des Protostrafrechts ausf. Alwart, JRE 11 (2003), 127 (128 ff.). Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 18. 10 Führ, Eigen-Verantwortung im Rechtsstaat, S. 53, 62 ff., will Eigenverantwortung als Begriff im Rahmen von rechtlichen Überlegungen und den Begriff Selbstverantwortung im ethischen Kontext gebrauchen und legt hierauf aufbauend der Eigenverantwortung eine Rechtspflicht und der Selbstverantwortung eine Tugendpflicht zugrunde. In den folgenden Ausführungen wird eine solche Differenzierung zwischen beiden Begriffen nicht vorgenommen. Eigenverantwortung und Selbstverantwortung werden als Synonyme verstanden, wobei hauptsächlich die Bezeichnung Eigenverantwortung gebraucht wird. 9
20
A. Einleitung
der Strafbarkeit des mitwirkenden Dritten werden anschließend in Kapitel C. dogmatisch und methodologisch eingehend untersucht. Durch die kritische Betrachtung lassen sich zum einen Fehlschlüsse aufzeigen, welchen die Rechtsprechung innerhalb ihrer Wertung und Argumentation unterliegt. Zum anderen führt diese Analyse zugleich zu der Erkenntnis, dass sich die strafrechtliche Wertung in Bezug auf die zu betrachtenden Sachverhalte der Selbstgefährdung und Selbsttötung maßgeblich an der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers orientieren muss. Dieser Einsicht folgend wird in Kapitel D. der Versuch unternommen, die Eigenverantwortung als ein grundlegendes Prinzip des Rechts zu formulieren. Ausgehend von der vorrechtlichen Bedeutung des Begriffs der Verantwortung werden dabei der Leitgedanke, der sich hinter dem Eigenverantwortungsprinzip verbirgt, herausgearbeitet und der Inhalt dieses Prinzip näher bestimmt. Im Anschluss hieran ist zu untersuchen, wie sich die durch das Eigenverantwortungsprinzip bewirkte Beschränkung der Verantwortungszuschreibung im Verfassungs- und Strafrecht konkret gestaltet. In Kapitel E. wird zunächst die Wirkung des Eigenverantwortungsprinzips auf den verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsträgers und der Mitverantwortung anderer in den Konstellationen der freiverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung betrachtet. In diesem Kontext gilt es insbesondere die Selbstbestimmungsfreiheit des Individuums sowie die Wechselbeziehungen zwischen der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen und den Interessen der Gemeinschaft zu verdeutlichen. Dies sind die Voraussetzungen für die Erarbeitung einer dogmatisch fundierten und materiell rechtlich überzeugenden Antwort auf die Frage nach der Strafbarkeit des Dritten. Unter Berücksichtigung der kritischen Analyse der Rechtsprechung und der verfassungsrechtlichen Erkenntnisse wird in Kapitel F. die Wirkung des Eigenverantwortungsprinzips im Straftatbestand und auf der Ebene des materiellen Unrechtsbegriffs herausgestellt. Des Weiteren gilt es, die Grenzen der Reichweite des Eigenverantwortungsprinzips in Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung am Beispiel der sogenannten „Retterschäden“ sowie im Kontext des BtMG aufzuzeigen. Die Abhandlung endet in Kapitel G. mit einer abschließenden Stellungnahme. Neben einer Zusammenfassung der gewonnenen Untersuchungsergebnisse soll ein Ausblick darüber gegeben werden, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser Untersuchung für weiterführende Diskussionen ableiten lassen, die mit den Konstellationen der Selbstgefährdung und der Selbsttötung verbunden sind, aber im Rahmen der vorliegenden Abhandlung nicht näher betrachtet werden.
II. Gang der Untersuchung
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So berühren die Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung sowie die mögliche Strafbarkeit mitwirkender Dritter, wie bereits angedeutet, eine Vielzahl strafrechtlicher Probleme, die im Rahmen einer solchen Abhandlung nicht alle bearbeitet werden können. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Untersuchung des Eigenverantwortungsprinzips, dessen Einfluss auf der grundrechtlichen Ebene und deren strafrechtsbegrenzender Wirkung innerhalb der Tötungsdelikte des StGB, § 306c StGB sowie der §§ 29 ff. BtMG. Die durch die Selbstgefährdung und Selbsttötung zugleich berührten Körperverletzungsdelikte nach §§ 223 ff. StGB sowie eine mögliche Unterlassensstrafbarkeit des mitwirkenden Dritten nach § 13 oder § 323c StGB werden hingegen nicht betrachtet. Auch auf eine eingehende Untersuchung der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB sowie der einverständlichen Fremdgefährdung und deren strafrechtliche Verortung soll im Folgenden verzichtet werden. Es kann zunächst einmal nur darum gehen, die Basis für eine überzeugende Lösung der Ausgangsprobleme zu schaffen.
B. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers sowie die Mitwirkung Dritter im Lichte der ständigen Rechtsprechung Die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltskonstellationen der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. einer Selbsttötung kommt einer Gratwanderung gleich. Kann der Rechtsgutsträger über das eigene Leben frei verfügen oder ist er vor seiner lebensgefährdenden oder -vernichtenden Entscheidung zu schützen? Sind der Suizident und der sich Gefährdende schutzwürdig und schutzbedürftig? Kann dem an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder an einer Selbsttötung mitwirkenden Dritten im Sinne des Strafrechts eine Verantwortung zugeschrieben werden? Schafft der Dritte strafrechtlich relevantes Unrecht, indem er Derartiges ermöglicht, hervorruft oder unterstützt? Die Rechtsprechung hat zur Beantwortung dieser Fragen ein rechtsdogmatisches Argumentations- und Begründungskonzept hervorgebracht, mit dessen Hilfe sie sich in der Lage fühlt, die Gratwanderung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums auf der einen und dem Schutz des Rechtsguts Leben auf der anderen Seite zu bewältigen. Im folgenden Kapitel wird zunächst dargelegt, welche Argumentationslinien sich im Verlaufe der Rechtsprechungsentwicklung herausgebildet haben, um so einen Zugang zum Problembereich der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung zu schaffen und ein Fundament für die weitere Untersuchung zu bereiten.
I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran Die Rechtsprechung orientiert sich in ihrer Beurteilung der Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung an der seit der Zeit des RG gefestigten strafrechtlichen Wertung der eigenverantwortlichen Selbsttötung,1 so dass das Augenmerk des folgenden Unterkapitels zunächst auf 1 Ähnl. Puppe, GA 2009, 486 (488); dies., ZIS 2007, 247 (249); ähnl. auch Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (249); ähnl. ferner Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 5 f.
I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran
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der höchstrichterlichen Würdigung des Suizides sowie des am Suizidgeschehen mitwirkenden Dritten liegt. Es sei zu Beginn darauf hingewiesen, dass im Kontext dieser Untersuchung nur die Begriffe „Suizid“ oder „Selbsttötung“ verwendet werden. Andere Bezeichnungen, wie „Selbstmord“2 oder auch „Freitod“3, sind ihrem Charakter nach nicht neutral, sondern indizieren zugleich eine bestimmte Wertung.4 So deklarierte bspw. die Kirche die Selbsttötung seit dem Mittelalter als „Selbstmord“, um damit der strikten religiösen Ablehnung und Verpönung einer solchen Tat Ausdruck zu verleihen: Mord ist ein Verbrechen.5 In wissenschaftlichen Auseinandersetzungen wählt man demgegenüber, wie auch hier vorgeschlagen, die Bezeichnung „Selbsttötung“ oder auch den Begriff „Suizid“ (sui caedere = sich töten)6, um sich von Beginn an um ein von Vorurteilen befreites, wissenschaftliches Arbeiten zu bemühen7.
1. Die Beurteilung der Straffreiheit der Selbsttötung durch die Rechtsprechung Schafft der Suizident strafrechtliches Unrecht? Sollte eine eigenverantwortliche Selbsttötung straffrei sein? Diese Fragen beschäftigen seit langer Zeit die Jurisprudenz und werden, wie die ausführliche Untersuchung in dieser Abhandlung aufzeigen wird, noch bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert. Der Gesetzgeber selbst vermag mit den bestehenden Regelungen im Strafgesetzbuch die Frage nach dem strafrechtlichen Unrechtsgehalt der Selbsttötung nicht eindeutig zu beantworten. In § 212 Abs. 1 StGB heißt es nur: „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.“ In Orientierung am Wortlaut des Totschlagsparagraphen könnte man die Strafbarkeit einer Selbsttötung sprachlich also durchaus bejahen, denn der 2
Vgl. hierzu Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, zu Fußn. 2 S. 46 f.; Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 241, Anm. 2 und Note I des Hrsg.; vgl. ferner Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 3; vgl. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 15 f.; Rehbach, DRiZ 1986, 241 (241); Rübenach, Wirtschaft und Statistik 2007, 960 (960). 3 Achenbach, Jura 2002, 542 (542, Fußn. 4); ferner Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 3; vgl. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 16; vgl. auch Rübenach, Wirtschaft und Statistik 2007, 960 (960). 4 Vgl. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 16 f. 5 Vgl. Rehbach, DRiZ 1986, 241 (242); s. auch den Exkurs zum rechtshistorischen Entwicklungsprozess von der Pönalisierung zur Entpönalisierung der Selbsttötung in Kapitel F. II. 2. a) cc) S. 169 ff. 6 Vgl. hierzu Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 266 ff. 7 Rübenach, Wirtschaft und Statistik 2007, 960 (960).
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Suizident, selbst ein Mensch, tötet streng genommen durch seine Suizidhandlung einen Menschen.8 Auf Grundlage der §§ 223 ff. StGB und im Sinne eines argumentum e contrario ist es auch nicht fernliegend, dass der Gesetzgeber durch die bewusste Nichtverwendung der Formulierung vom „anderen Menschen“ die Selbsttötung von dem Tatbestand des § 212 StGB umfasst wissen wollte.9 Untermauern ließe sich die so begründete Strafbarkeit der Selbsttötung mit der verfassungsrechtlich intendierten Höchstrangigkeit des menschlichen Lebens und dem im Strafrecht garantierten absoluten Lebensschutz.10,11 Man könnte argumentieren, dass es die Prinzipien des Verbotes der Quantifizierung und Qualifizierung menschlichen Lebens12 untersagen, irgendeinen Menschen, also auch sich selbst, zu töten.13 Die Rechtsprechung allerdings erkennt in dieser Argumentation einen Widerspruch zu den rechtsgeschichtlichen Wurzeln und zu dem teleologischen Verständnis dieses Normenkomplexes. So konstatierte bspw. bereits im Jahr 1936 das RG in einer Entscheidung: „Die Selbsttötung ist nicht mit Strafe bedroht. Bestraft wird die Tötung eines anderen Menschen, die Vernichtung eines fremden Lebens; auf diesem Grundgedanken beruhen die Bestimmungen über die Strafbarkeit von Tötungshandlungen. Die Strafbarkeit der Selbsttötung (. . .) würde auf einem anderen Grundgedanken beruhen, nämlich auf dem Gedanken, daß auch die Vernichtung des eigenen Lebens mit Strafe bedroht sein solle.“14
Diese Wertung, wonach die Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung mangels strafrechtlichen Unrechts entfällt, entspricht der heute gefestigten Rechtsprechung.15, 16 Die §§ 211 ff. StGB bezwecken den Schutz des Ein8 Vgl. hierzu z. B. Achenbach, Jura 2002, 542 (542); auch Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 18; ferner Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 35; Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (336); vgl. auch Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 31. 9 So z. B. Hoerster, NJW 1986, 1786 (1788); vgl. Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (565). 10 Zum Schutz des Lebens im Strafrecht vgl. statt vieler BGHSt 41, 317 (325); ferner Lorenz, JZ 2009, 57 (58, 62). 11 Eine ausführliche Darstellung zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Selbsttötung erfolgt in Kapitel E. I. 1. S. 91 ff. 12 Vgl. Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 29. 13 Zum Problem der „Absolutheit“ des Schutzes des Lebens im Verfassungs- und Strafrecht ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel F. I. 1. S. 144 ff. 14 RGSt 70, 313 (315); vgl. auch BGHSt 2, 150 (152). 15 Vgl. z. B. BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167 f.); 24, 342 (343); 32, 262 (263 f.). 16 Darüber hinaus lässt die fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung auch keinen Raum für eine eventuelle Versuchsstrafbarkeit im Sinne der §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB. Eine hierfür notwendige Sonderregelung, wie man sie bspw. bis zum Inkrafttreten des Suicide Act 1961 noch in England kannte, existiert im deutschen
I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran
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zelnen vor der Vernichtung seines Lebens durch andere, erfassen also nicht den Fall, dass der Rechtsgutsträger selbst Hand an sich legt.17 Die Rechtsprechung verneint das Unrecht der Selbsttötung allerdings nur in Konstellationen, in denen der Lebensmüde mit seiner suizidalen Handlung nicht die Rechtsgüter unbeteiligter Dritter beeinträchtigt. Sobald der Suizident die Rechtsgüter Außenstehender verletzt, eröffnet sich die Möglichkeit der Strafbarkeit auf der Grundlage des Unrechts, das die Rechtsgutsbeeinträchtigung zum Nachteil des Dritten hervorbringt. In diesem Sinne bestätigte bspw. der BGH in einem Fall, in dem ein 19-Jähriger versuchte, sich das Leben zu nehmen und in falscher Richtung, ohne Beleuchtung nachts auf der Autobahn fuhr und den Tod von drei Menschen verursachte sowie drei weitere Personen schwer verletzte, das Urteil der Ausgangsinstanz: Der Täter wurde wegen Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer vierjährigen Jugendstrafe verurteilt.18 Im Jahr 2010 befand das LG Mühlhausen einen Ehemann, der sich gemeinsam mit seiner Frau durch eine Gasexplosion im eigenen Haus das Leben nehmen wollte, der Tötung auf Verlangen an seiner verstorbenen Gattin sowie des fünffach versuchten Mordes an seinen Nachbarn für schuldig.19 Diese Entscheidungen machen deutlich, dass die Rechtsgüter anderer dem Zugriff des Suizidenten nicht schutz- und straflos preisgegeben sind.20 Zu resümieren bleibt, dass nach ständiger Rechtsprechung der Rechtsgutsträger durch seine Selbsttötung nicht den Tatbestand der Tötungsdelikte erfüllt, soweit er durch sein suizidales Verhalten nicht in die Rechte Dritter eingreift. Verwirrend an der gegenwärtigen Jurisdiktion bleibt allerdings, dass seitens des BGH immer noch der Standpunkt vertreten wird, dass der Suizid zwar mangels Tatbestandsmäßigkeit nicht strafbar, ein solcher aber sehr wohl als rechtswidrig zu werten sei. So erklärte der BGH im Anschluss an eine Entscheidung aus dem Jahr 1954, wonach das Sittengesetz den „Selbstmord“ streng missbillige21, noch im Jahre 2001: Strafrecht nicht. Vgl. Suicide Act 1961, CHAPTER 60 9 and 10 Eliz 2, 1 in Fußn. 26; s. hierzu auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 33. 17 RGSt 70, 313 (315); vgl. auch BGHSt 2, 150 (152). 18 BGH NStZ 2006, 503 (504 f.); ein anderes Beispiel formuliert Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 29 Fußn. 119: Der Suizident wirft sich vor einen Zug. 19 S. Götze, Urteil zu Gasexplosion auf Prüfstand, http://www.thueringer-all gemeine.de/startseite/detail/-/specific/Urteil-zu-Gasexplosion-auf-Pruefstand-146380 0992 (Stand: 26.01.2013). 20 Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 31; vgl. auch LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 21. 21 BGHSt 6, 147 (153): „Da das Sittengesetz jeden Selbstmord – von äußersten Ausnahmefällen vielleicht abgesehen – streng missbilligt, da niemand selbstherrlich über sein eigenes Leben verfügen und sich in den Tod geben darf, kann das Recht
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
„Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung (. . .) als rechtswidrig (. . .), stellt die Selbsttötung und die Teilnahme hieran lediglich straflos.“22
Inwieweit eine solche Charakterisierung der Selbsttötung als rechtswidrige Handlung mit der protostrafrechtlichen sowie verfassungsrechtlichen Wertung, die der strafrechtlichen Beurteilung der Selbsttötung zugrunde liegt, vereinbar ist, wird im Verlauf der Untersuchung noch eingehender untersucht.
2. Die strafrechtliche Bewertung der Mitwirkung an einer Selbsttötung in der Rechtspraxis Vielfach ist der Lebensmüde zur Realisierung seines Suizidvorhabens auf die Hilfe anderer Personen angewiesen. Der BGH stellte in diesem Zusammenhang klar, dass die Straffreiheit der Selbsttötung nicht zugleich ein Entfallen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit anderer Personen indiziert.23 Die vorsätzliche oder fahrlässige Mitwirkung bedarf einer eigenständigen strafrechtlichen Würdigung, welche es im Folgenden näher auszuführen gilt. a) Die vorsätzliche Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung Spezielle Normen, die wie bspw. in der Schweiz24 oder in Österreich25 sowie England26 die Verleitung zu einer Selbsttötung oder das Hilfeleisten bei einer Selbsttötung mit Strafe bedrohen, existieren im deutschen Strafrecht nicht.27 Vorsätzlich nimmt ein Dritter an einer fremden Selbsttötung nicht anerkennen, dass die Hilfspflicht des Dritten hinter dem sittlich missbilligten Willen des Selbstmörders zu seinem eigenen Tode zurückzustehen habe.“ 22 BGHSt 46, 279 (285). 23 Vgl. BGHSt 2, 150 (151). 24 Art. 115 schweizStGB: „Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“ 25 § 78 östStGB: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ 26 Suicide Act 1961, CHAPTER 60 9 and 10 Eliz 2, 1: „2. Criminal liability for complicity in another’s suicide. A person who aids, abets, counsels or procures the suicide of another, or an attempt by another to commit suicide, shall be liable on conviction on indictment to imprisonment for a term not exceeding fourteen years.“ 27 Vgl. hierzu Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (806 f.) m. w. Nachw.
I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran
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demnach teil, wenn er im Sinne der §§ 26, 27 StGB den Suizidentschluss des Rechtsgutsträgers hervorruft oder in Kenntnis des Suizidvorhabens dem Lebensmüden zur Verwirklichung seines Suizidvorhabens Hilfe leistet. Die Rechtsprechung musste sich insbesondere mit der Frage der strafrechtlichen Wertung der vorsätzlichen Suizidbeihilfe auseinandersetzen. So hatte das RG bspw. im Jahre 1936 im sogenannten „Schlingen-Fall“ zu entscheiden, ob sich der Angeklagte, der Ehemann, einer vorsätzlichen Tötung oder der Teilnahme an einer Selbsttötung strafbar gemacht haben könnte.28 Der Mann hatte seiner zum Suizid entschlossenen Frau auf deren Bitte hin einen Strick zu einer Schlinge geknotet und diese um einen Zaun gelegt. Die Frau steckte nur noch ihren Kopf durch die Schlinge, ließ sich fallen und verstarb. Das RG hegte keine Zweifel daran, dass der Ehemann seiner Frau vorsätzlich Hilfe zur Selbsttötung geleistet hatte, allerdings erklärte es weiter: „Die Beihilfe zu einer Selbsttötung ist aber nach dem geltenden Rechte nicht strafbar. Nach dem § 49 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer dem Täter zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens durch Rat und Tat wissentlich Hilfe geleistet hat. Frau W.s Tat – ihre Selbsttötung – ist nach dem geltenden Rechte keine strafbare Handlung; mithin ist die Beihilfe dazu auch nicht nach dem § 49 StGB strafbar.“29
Ganz ähnlich formulierte es auch der BGH im Jahre 1952 mit Blick auf die mögliche Strafbarkeit einer Ehefrau wegen aktiver Beteiligung am Suizid in einem Fall, in dem der Ehemann sich wegen häuslicher und ehelicher Zerwürfnisse erhängt hatte: „Eine Beihilfe zur Selbsttötung kennt das deutsche Strafrecht nicht. Es wendet sich nur gegen die Vernichtung fremden menschlichen Lebens, nicht des eigenen. Die Selbsttötung ist nach einhelliger Meinung keine Straftat, Beihilfe mangels einer strafbaren Haupttat ausgeschlossen (. . .).“30
Eine andere in diesem Zusammenhang oft zitierte Entscheidung ist der sogenannte „Fall Hackethal“ des OLG München31. Eine an unheilbarem, entstellendem, schmerzhaftem und tödlichem Gesichtskrebs erkrankte Patientin äußerte mehrfach den innigen Wunsch zu sterben und ersuchte bei den behandelnden Ärzten um Hilfe. Prof. H. ließ sich schließlich erweichen und händigte einem Kollegen unter genauen Anweisungen einen Becher mit hochdosiertem Kaliumcyanid aus. Den Anweisungen folgend übergab der Kollege schließlich das Gift der Patientin. Diese nahm den Becher in die Hände, trank ihn in kleineren Abständen aus und verstarb ohne erkenn28 29 30 31
RGSt 70, 313. RGSt 70, 313 (315). BGHSt 2, 150 (152). OLG München NJW 1987, 2940.
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
baren Todeskampf. Alle Beteiligten wurden wegen strafloser Beihilfe zur Selbsttötung freigesprochen.32 Neben den Sachverhaltskonstellationen der Beihilfe zur Selbsttötung sind höchstrichterliche Entscheidungen zur Frage der Strafbarkeit einer Anstiftung zum Suizid seltener. Als Beispiel kann hier der sogenannte „SiriusFall“ dienen, in dem der BGH zwischen bloßer strafloser Anstiftung zur Selbsttötung oder, was er letztlich überzeugend bejahte, strafbarer mittelbarer Täterschaft abzugrenzen hatte.33 Auch die moralisch höchst umstrittenen, aber unter dem Gesichtspunkt der Anstiftung zum Suizid straflosen Selbstmordforen aus dem Internet sollte man in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen.34 Diese exemplarisch angeführten Urteile und Beschlüsse beschreiben den Grundtenor der strafrechtlichen Wertung, der sich im Laufe der Jahre zur ständigen Rechtsprechungspraxis entwickelte. Die Rechtsprechung wertet die vorsätzliche Teilnahme am Suizid als straffrei.35 Sie stellt in ihrer Begründung darauf ab, dass die gesetzlich festgeschriebene Voraussetzung der limitierten Akzessorietät nach §§ 26, 27 StGB nicht erfüllt ist. Es fehlt in derartigen Konstellationen die Haupttat des anderen, denn die Selbsttötung erfüllt nach ständiger Rechtsprechung nicht den Tatbestand eines Tötungsdeliktes. Dieser Argumentationsgang zur Begründung der Straffreiheit der vorsätzlichen Anstiftung oder Beihilfe lässt sich in aller Kürze unter dem Begriff des „Teilnahmearguments“ zusammenfassen.36 b) Die fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung Verkennt der Dritte die Suizidabsicht des Rechtsgutsträgers und verschafft dem zur Selbsttötung Entschlossenen die Möglichkeit, sein Vorhaben zu realisieren, kann ihm allenfalls eine fahrlässige Veranlassung, Förderung oder Ermöglichung des Suizides vorgeworfen werden.37 32 OLG München NJW 1987, 2940 (2941 f.); zu der hier ebenfalls relevanten Problematik einer möglichen Unterlassungsstrafbarkeit vgl. in dieser Entscheidung S. 2942 ff. 33 BGHSt 32, 38 (41 ff.). 34 Vgl. Repke/Wensierski/Zimmermann, Der Spiegel 9/2001, S. 78 (78 ff.); ausf. zum Thema Suizidforen Prass, Suizid-Foren im World Wide Web, S. 3 ff. 35 Vgl. z. B. BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167); 19, 135 (137); 24, 342 (343 f.); 32, 262 (263 f.). 36 Vgl. bspw. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (306); Lasson, ZJS 2009, 359 (360); Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (769); Neumann, JA 1987, 244 (246); Schilling, JZ 1979, 159 (159 f.); Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 30; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 7.
I. Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die Beteiligung daran
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Da die Teilnahmevorschriften der §§ 26, 27 StGB nur für den Bereich der Vorsatzdelikte gelten38, konnte die Rechtsprechung zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung nicht auf das Teilnahmeargument zurückgreifen.39 Versuchte man zunächst noch, die Straffreiheit über die fehlende Sorgfaltswidrigkeit des Dritten herzuleiten40, schlug der 5. Strafsenat des BGH 1972 aus deliktssystematischer Sicht mit dem viel zitierten „Polizeipistolen-Fall“ einen neuen Weg ein41: „Wer mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mitverursacht, kann nicht bestraft werden, weil der Selbstmord keine Straftat ist. Dabei gehört zum Gehilfenvorsatz, dass der Gehilfe weiß oder zumindest damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, es werde zum Tod des Selbstmörders kommen. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewusster Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewusst, nimmt sie aber im Gegensatz zu jenem nicht billigend in Kauf. (. . .) Es geht nicht an, das mit einer solchen inneren Einstellung verübte Unrecht strafrechtlich strenger zu bewerten als die Tat desjenigen, der mit Gehilfenvorsatz dasselbe Unrecht bewirkt, nämlich den Tod eines Selbstmörders mitverursacht.“42
Der BGH begründet die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid, indem er die Wertung aus dem Bereich der vorsätzlichen Suizidteilnahme auf die vergleichbaren Fahrlässigkeitskonstellationen überträgt. Über diesen Rückgriff, der in der Wissenschaft als argumentum a maiore ad minus (auch argumentum a fortiori43) und als Argument der Widerspruchsfreiheit beschrieben wird, gelang es dem BGH, das im Bereich der vorsätzlichen Suizidbeteiligung entwickelte Teilnahmeargument auf die Sachverhaltskonstellationen der „fahrlässigen Teilnahme“ am Suizid entsprechend anzuwenden.44 Wenn schon das schwerer wiegende Unrecht der 37
LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 30. Vgl. statt vieler Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 992 ff.; LK-StGB/Schünemann, § 25 Rn. 219; ausf. hierzu Kapitel C. III. 2. a) S. 58 ff. 39 Zu dem Umstand, dass es hierbei nicht um die Frage der Strafbarkeit einer fahrlässigen „Mitwirkung“ vergleichbar der vorsätzlichen Teilnahme geht, sondern vielmehr um eine mögliche fahrlässige Täterschaft nach § 222 StGB ausf. Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 40 Vgl. z. B. RGSt 57, 172 (173 f.); ähnl. zur Selbstgefährdung z. B. BGHSt 7, 112 (114 f.). 41 s. Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 11. 42 BGHSt 24, 342 (343 f.); vgl. ferner LG Gießen NStZ 2013, 43 (44). 43 Das argumentum a maiore ad minus stellt dogmatisch einen Unterfall des argumentum a fortiori dar. Vgl. dazu Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 120 f. sowie Schwacke, Juristische Methodik mit Technik der Fallbearbeitung, S. 137. 44 Zust. bspw. Schünemann, JA 1975, 715 (720); vgl. auch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 342; vgl. auch Fußn. 45. 38
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
vorsätzlichen Beteiligung nicht strafbar ist, kann demnach das fahrlässige Unrecht der Beteiligung erst recht nicht strafbar sein.45 Der Grundtenor dieser Entscheidung wurde in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht immer konsequent eingehalten,46 aber spätestens mit dem Grundsatzurteil BGHSt 32, 262 zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist sie zur ständigen Rechtsprechung avanciert.47 In der Entscheidung zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung aus dem Jahre 1984, auf die im Verlauf der weiteren Untersuchung noch näher eingegangen wird, heißt es: „Eigenverantwortlich gewollte – erstrebte, als sicher vorhergesehene oder in Kauf genommene – und verwirklichte Selbsttötungen oder Selbstverletzungen unterfallen (weil das Gesetz nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe bedroht) nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdeliktes. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der – soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Deliktes geht – keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB ist. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann infolgedessen (wegen Fehlens einer Haupttat) nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden (. . .). Wer das zur Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlicher Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung nicht strafbar machen würde (. . .). Würde er wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung deshalb bestraft, weil er pflichtwidrig eine Bedingung für den voraussehbaren (oder vorausgesehenen) Erfolg gesetzt hat, verstieße eine solche Bestrafung gegen das in den Vorschriften der §§ 15 und 18 StGB zum Ausdruck kommende Stufenverhältnis der Schuldformen (. . .). In ihr läge (. . .) ein Wertungswiderspruch.“48
45 Vgl. statt vieler Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (245 f.); ders., JZ 2009, 399 (401); ders., NStZ 1984, 410 (411); ähnl. auch Bockelmann, ZStW 66 (1954), 111 (117); vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 35 m. w. Nachw.; Geppert, Jura 2001, 490 (491); Hirsch, H. J., JR 1979, 429 (430 ff.); Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 357; vgl. auch Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 11 m. w. Nachw.; Neumann, JA 1987, 244 (248) m. w. Nachw.; vgl. Schünemann, NStZ 1982, 60 (61 f.); SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 24; ferner Stree, JuS 1985, 179 (181). 46 So Geppert, Jura 2001, 490 (492); vgl. des Weiteren die Ausführungen in BGHSt 32, 367 (371): „Die Rechtsprechung hat bisher kein in sich geschlossenes rechtliches System entwickelt, nach dem die strafrechtliche Beurteilung der unterschiedlichen Fallgruppen, die sich bei aktiver oder passiver Beteiligung Dritter an den verschiedenen Stadien eines freiverantwortlich ins Werk gesetzten Selbstmordes ergeben, stets sachgerecht und in sich widerspruchsfrei vorgenommen werden kann (. . .).“ 47 Vgl. z. B. BGHSt 37, 179 (180 f.); 46, 279 (288 f.); 49, 34 (49 f.); BGH NJW 2000, 2286 (2287). 48 BGHSt 32, 262 (263 f.).
II. Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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3. Zusammenfassung In aller Kürze lässt sich die Rechtsprechungspraxis zu den Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbsttötung dahingehend zusammenfassen, dass eine Selbsttötung nicht den objektiven Tatbestand der Tötungsdelikte erfüllt. Die vorsätzliche Teilnahme am fremden Suizid ist straffrei, weil die Selbsttötung keine vorsätzliche Haupttat im Sinne der limitierten Akzessorietät darstellt. Dieses Teilnahmeargument wird über einen Erst-RechtSchluss und mit Verweis auf die Widerspruchsfreiheit des Rechts auf die Beurteilung der fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid übertragen, so dass auch diese im Ergebnis straffrei bleibt.
II. Die Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sowie der Mitwirkung daran Nachdem bisher die Sachverhaltskonstellationen der freiverantwortlichen Selbsttötung aus Sicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung betrachtet wurden, richtet sich das Augenmerk der folgenden Analyse auf die Wertung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der Mitwirkung hieran. Das Charakteristische der Selbstgefährdung ist, dass der Rechtsgutsträger um den Erfolg als mögliche Folge der risikoträchtigen Unternehmung weiß, sich der Gefahr aber trotzdem aussetzt oder sich ihr nicht entzieht.49 In Abgrenzung zur Selbsttötung, bei welcher der Suizident sich gezielt das Leben nimmt, geht der sich Gefährdende die Gefahr zwar bewusst ein, aber er will den Erfolg nicht.50 Man könnte die Selbstgefährdung also als eine Art fahrlässige Selbsttötung beschreiben.51 Bis 1984 existierte die Selbstgefährdung in der Rechtsprechung allerdings nicht als eigenständige Konstruktion.52 Es wurde nicht zwischen dem Institut der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der einvernehmlichen 49
Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 49; ausf. dazu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. Vgl. Herzberg, JA 1985, 265 (265); ähnl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (169 f.); vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 53 ff.; ausf. dazu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff., vgl. dort insb. Fußn. 13. 51 Vgl. hierzu Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 22, der klarstellt, dass der sich Gefährdende, weil er auf den Nichteintritt des Erfolges vertraut, bewusst fahrlässig und in aller Regel nicht bedingt vorsätzlich agiert; ähnl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 248; vgl. auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 120 ff. 52 Vgl. Frisch, W., NStZ 1992, 1 (1). 50
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Fremdgefährdung differenziert.53 Dass die Selbstgefährdung heute in der Rechtsprechung als eigenständige dogmatische Fallgruppe anerkannt wird, ist das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses um die Berücksichtigung des Opferverhaltens im Strafrecht.54
1. Die Nichtberücksichtigung der Eigenverantwortung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis 1984 Der Weg zur Anerkennung der Selbstgefährdung als ein eigenständiges Rechtsinstitut begann mit der Erkenntnis, dass die Eigenverantwortung des Opfers für die rechtliche Beurteilung der Strafbarkeit des Täters von Bedeutung ist.55 Diesen Gedanken hatte das RG erstmals 1923 im sogenannten „Memel-Fall“56 aufgegriffen, der aus heutiger Sicht als Fremdgefährdung zu qualifizieren wäre. Ein Fährmann hatte sich trotz Unwetters von den Opfern zu einer verhängnisvollen Flussüberfahrt überreden lassen, und das Gericht musste entscheiden, inwieweit sich die Eigenverantwortung der Opfer auf die mögliche Strafbarkeit des Fährmanns auswirkte. Auch wenn das RG dabei in seinen Entscheidungsgründen nicht explizit auf die Eigenverantwortung der Opfer rekurrierte, diskutierte es im Rahmen der möglichen Sorgfaltswidrigkeit57 des Fährmanns dem Grunde nach die Relevanz der Eigenverantwortung auf die strafrechtliche Verantwortungszuschreibung58: „Es kommt daher für die Frage, ob der Angeklagte fahrlässig gehandelt hat, darauf an, ob er durch sein Eingehen auf das Verlangen des Sch. und T. irgendwie pflichtwidrig gehandelt hat, ob er also, da ein von ihm übertretenes besonderes Rechtsverbot nicht in Frage steht, durch seine Handlungsweise die durch das menschliche Zusammenleben allgemein gebotene billige Rücksicht auf Gesundheit und Leben beider aus den Augen setzte. Diese Frage muss jedoch verneint werden. Nach der tatsächlichen Feststellung der Strafkammer ist die Überfahrt auf den eigenen Wunsch des Sch. und T. und lediglich in ihrem Interesse unternommen worden. Beide waren erwachsene und verständige Männer, die das Gefährliche der beabsichtigten Fahrt und in genau demselben Maße wie der Angeklagte übersahen. (. . .) Ein Verschulden würde hiernach den Angeklagten nur tref53
Vgl. Puppe, ZIS 2007, 247 (248). Ausf. hierzu auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 77 ff. 55 Ähnl. Puppe, ZIS 2007, 247 (247). 56 RGSt 57, 172. 57 Zu berücksichtigen ist, dass die Sorgfaltspflicht zu dieser Zeit noch als Element der Schuld angesehen wurde. Vgl. hierzu z. B. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 3 ff.; vgl. ferner Jescheck, ZStW 73 (1961), 179 (158 f.). 58 Ähnl. Frisch, W., NStZ 1992, 1 (1); vgl. auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 8. 54
II. Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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fen, wenn er bei der Ausführung des Unternehmens die ihm (. . .) obliegende Aufmerksamkeit und Sorgfalt vernachlässigt hätte. Dafür gewährt indessen der (. . .) Tatbestand keinen Anhalt.“59
Der Ansicht des RG, wonach die Eigenverantwortung des Opfers die Sorgfaltspflichtwidrigkeit ausschließen könne, folgte auch der BGH. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1955 zur Wettfahrt zweier Motorradfahrer, bei der einer der Kontrahenten infolge eines Fahrfehlers tödlich stürzte, erläuterte er unter Verweis auf den „Memel-Fall“60: „Nach dem geltenden Recht besteht zwar keine allgemeine Rechtspflicht, Dritte vor Gefahren oder Verletzungen zu schützen (. . .). Das menschliche Zusammenleben gebietet aber allgemein, eine billige Rücksicht auf Gesundheit und Leben anderer zu nehmen. In der Rechtsprechung ist es allerdings nicht als pflichtwidrig bezeichnet, wenn bei gemeinsamer gefährlicher Tätigkeit erwachsener und verständiger Menschen jemand in klarer Erkenntnis die Gefahr in Kauf nimmt und tödlich verunglückt, der andere aber seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht genügt (RGSt 57, 172; (. . .)). Dem stimmt der Senat zu. Wann bei gemeinsamer gefährlicher Tätigkeit die Mitwirkung an fremder fahrlässiger Selbstverletzung als pflichtwidrig zu bezeichnen ist, ist von den Umständen des Falles abhängig. Dabei sind besonders zu beachten: Das etwaige Einverständnis voll verantwortlich handelnder Personen mit der klar erkannten Gefahr; Anlass und Zweck des Unternehmens; die etwaigen Vorsichtsmaßnahmen sowie das Maß der Sorglosigkeit und die Größe der Gefahr.“61
Auch der BGH fragte nach einer die Sorgfaltspflichtwidrigkeit ausschließenden Eigenverantwortung des verunglückten Fahrers, bejahte im Unterschied zum „Memel-Fall“62 eine solche allerdings im vorliegenden Sachverhalt nicht: „Auch wenn K. ohne eine solche Behinderung oder Gefährdung infolge eigener Fahrfehler stürzte, war doch das mitwirkende Verhalten des Angeklagten pflichtwidrig.“63 „Die Wettfahrt mit den Krafträdern auf nächtlicher Straße war gefährlich und hatte keinen vernünftigen Sinn, zumal da um eine Runde Bier zwei Menschenleben aufs Spiel gesetzt wurden. K. fuhr ein Leichtrad und der Angeklagte eine schwere Maschine (. . .). K. war angetrunken, während der Angeklagte nur wenig Alkohol getrunken hatte und die Gefahr deutlicher übersah als K. K. hatte sich schon bei der ersten Fahrt denkbar unvernünftig und leichtsinnig verhalten. (. . .) Dass das Landgericht bei Würdigung dieser Umstände das Verhalten des Angeklagten als pflichtwidrig gewertet hat, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.“64 59 60 61 62 63 64
RGSt 57, 172 (173 f.); vgl. hierzu auch Fahl, JA 1998, 105 (106) m. w. Anm. RGSt 57, 172. BGHSt 7, 112 (114 f.). RGSt 57, 172. BGHSt 7, 112 (114). BGHSt 7, 112 (115).
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Außer im Rahmen der Sorgfaltspflichtverletzung gewann die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers für die Frage der Rechtswidrigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit der rechtfertigenden Einwilligung, an Bedeutung. So bspw. im sogenannten „Pockenarzt-Fall“, in dem der BGH die Verurteilung eines Mediziners u. a. wegen fahrlässiger Körperverletzung an dem Klinikseelsorger bestätigte.65 Der angeklagte Arzt hatte sich bei einer Studienreise nach Indien und Ceylon mit Pocken infiziert, begann nach seiner Rückkehr ohne Prüfung des Gesundheitszustandes in der Klinik zu arbeiten und steckte u. a. einen Klinikseelsorger an, der sich zur Betreuung der bereits erkrankten Patienten in die Quarantäne begab. Der Ausgangsinstanz folgend konstatierte der BGH, dass der Seelsorger sich, trotz seiner beruflichen Verpflichtung zum Beistand und zur Betreuung von Kranken, freiwillig in die Quarantäne begeben hatte.66 Die Straffreiheit des Arztes scheiterte letztlich aber daran, dass der Senat das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung zu dem Zeitpunkt, als sich der Klinikseelsorger in die Quarantäne begab, verneinte und die rechtfertigende Wirkung einer nachträglichen Einwilligung in die Infektion nicht anerkannte.67 Während der BGH die Eigenverantwortung des Opfers in den oben angeführten Fällen zumindest problematisierte, schenkte er ihr in den Sachverhaltskonstellationen, in denen der Rechtsgutsträger als Folge des Betäubungsmittelkonsums verstarb, kaum Aufmerksamkeit. So äußerte der BGH bspw. in seinen unveröffentlichten Urteilen vom 31.07.1979 sowie vom 03.06.1980, dass es der Strafbarkeit des Dritten nach § 222 StGB grundsätzlich nicht entgegenstehe, wenn der Rechtsgutsträger sich das Heroin selbst injiziere.68 In einem anderen Urteil aus dem Jahr 1981 erklärte er, dass ein Heroinhändler sich der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB schuldig gemacht hatte, obwohl der Verstorbene sich das Rauschgift selbst injiziert hatte, weil dem Dealer: „(. . .) bekannt ist oder er damit rechnen muss, dass der Käufer das Rauschgift injiziert, und (. . .) er von der Gefährlichkeit des überlassenen Stoffes gewusst hat oder – z. B. durch die eingehenden Darstellungen und Berichte in Presse, Rundfunk und Fernsehen – hätte wissen können (. . .).“69
Diese Entscheidungen zeigen beispielhaft, dass die Eigenverantwortung des Konsumenten bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Dealers seitens der Rechtsprechung keine Beachtung fand.70 65 66 67 68 69
BGHSt 17, 359. Ausf. BGHSt 17, 359 (360). Ausf. BGHSt 17, 359 (360). Holtz, MDR 1980, 984 (985). BGH NStZ 1981, 350.
II. Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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Der voranstehend angeführte Einblick in die Rechtsprechungspraxis verdeutlicht, dass die Eigenverantwortung des verletzten Rechtsgutsträgers durch die Rechtsprechung bis zur viel zitierten Wende im Jahre 1984 nicht oder nur unzureichend berücksichtigt und infolge dessen die Strafbarkeit der am Geschehen Beteiligten oftmals vorschnell bejaht wurde.71
2. Die Wende in der Rechtsprechung durch BGHSt 32, 262 Während die Rechtsprechung in Konstellationen der vorsätzlichen und fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid eine Strafbarkeit des Dritten ablehnte, bejahte sie in den heute der Selbstgefährdung zuzuordnenden Sachverhalten oftmals die Sorgfaltspflichtverletzung sowie Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit des mitwirkenden Dritten, wie es bspw. der „Motorradwettfahrt-Fall“72 verdeutlicht. Dass diese Praxis der Straflosigkeit der Teilnahme am eigenverantwortlichen Suizid auf der einen und der Strafbarkeit des Mitwirkens an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auf der anderen Seite ein Problem darstellte, rückte allmählich auch in das Bewusstsein der Rechtsprechung.73 So nahm sich der BGH im sogenannten „Jetrium-Fall“74 1978 erstmals dieses Missverhältnisses an. Unter Verweis auf den „Polizeipistolen-Fall“75, einer richtungsweisenden Entscheidung zur Beteiligungsproblematik im Bereich der Selbsttötung, führte der Senat aus: „a) Für den Fall des Selbstmordes hat der BGH bereits entschieden, dass derjenige, der fahrlässig den Tod eines Selbstmörders mitverursacht, nicht strafbar ist (BGHSt 24, 342). Die dort dargelegten Grundsätze will der Beschwerdeführer auf den hier gegebenen Fall der bewussten Selbstgefährdung übertragen wissen, da die beiden jungen Leute zwar nicht Selbstmord begehen wollten, aber den „freien Entschluss“ gefasst hätten, sich unmittelbar nacheinander zwei Ampullen Jetrium intravenös zu injizieren; um des Zieles eines besonders starken Rausches willen 70
Die Rechtsprechung problematisierte das selbstschädigende Verhalten des Rechtsgutsträgers allenfalls im Rahmen der Feststellung des Ursachenzusammenhangs des Handelns des Dealer, wobei man zutreffend argumentierte, dass die Selbstinjektion die Kausalität zwischen der Überlassung der Rauschmittel und dem Tod nicht unterbricht. Vgl. hierzu BGH NStZ 1983, 72; vgl. ferner BGH JR 1982, 341 (341) m. Anm. Loos; ausf. hierzu Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 10 ff.; vgl. auch Körner, BtMG, 6. Aufl., § 30 Rn. 82. 71 Vgl. hierzu die einführenden Worte bei Puppe, ZIS 2007, 247 (247); ähnl. auch Fahl, JA 1998, 105 (106). 72 BGHSt 7, 112. 73 So zutreffend Fahl, JA 1998, 105 (107); vgl. auch Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (246), der auf den Widerspruch in der damaligen Rechtsprechungspraxis hinweist. 74 BGH JR 1979, 429 m. Anm. Hirsch, H. J. 75 BGHSt 24, 342.
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
hätten sie die mit der falschen Injektionsart und der Überdosis verbundenen besonderen Risiken für Leib und Leben in Kauf genommen, also eindeutig den Vorsatz der Selbstgefährdung gehabt. b) Der Revision ist zuzugeben, dass es sich hier nicht um eine Frage der Einwilligung, sondern um eine anders gelagerte Frage der Rechtswidrigkeit handelt. Dabei kann für die Entscheidung dieses Falles dahingestellt bleiben, ob aus der genannten Entscheidung des BGH (a. a. O.) die allgemeine Folgerung gezogen werden kann, dass das freie und voll verantwortliche Handeln des sich selbst Gefährdenden dem nicht zugerechnet werden kann, der die Selbstgefährdung ermöglicht (. . .).“76
Obwohl der 1. Senat den Widerspruch zwischen der Selbstgefährdungsund Selbstverletzungsmitwirkung nicht auflöste, stellt diese Entscheidung einen wichtigen Schritt in der Rechtsprechungsentwicklung hin zu einer eigenständigen Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der Straffreiheit der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung dar. Die Wende in der Rechtsprechung77 zur Beurteilung der Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung brachte unter dem zunehmenden Druck der Lehre78 schließlich die Entscheidung im sogenannten „HeroinspritzenFall“79. Mit Verweis auf den „Polizeipistolen-Fall“80 bestätigte der BGH in seinen Entscheidungsgründen die ständige Rechtsprechungspraxis zur Selbsttötung und der Mitwirkung daran.81 Dies verdeutlicht der im Rahmen der Analyse der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung bereits zitierte Passus.82 Im Anschluss an diese Äußerungen folgten die richtungsweisenden Aussagen zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der Beteiligung an einer solchen: „Auch die eigenverantwortlich gewollte – erstrebte, als sicher vorhergesehene oder in Kauf genommene – und vollzogene Selbstgefährdung unterfällt nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungstatbestandes, gleichgültig, ob das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko sich realisiert (. . .) oder ob der „Erfolg“ ausbleibt. Wer lediglich den Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung (vorsätzlich oder fahrlässig) veranlasst, ermöglicht oder fördert, nimmt an einem Geschehen teil, das – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (. . .).“83 76
BGH JR 1979, 429 (429) m. Anm. Hirsch, H. J. Vgl. Roxin, NStZ 1984, 410 (411); ders., in: FS Gallas, S. 241 (246); s. hierzu Fußn. 96. 78 Statt vieler insb. Schünemann, NStZ 1982, 60 (62 f.) m. w. Anm.; krit. bereits Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (246). 79 BGHSt 32, 262. 80 BGHSt 24, 342. 81 BGHSt 32, 262 (263 f.). 82 S. Kapitel B. I. 2. b) S. 30. 77
II. Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
37
Was verbirgt sich hinter dieser Argumentation? Der BGH macht sich eine „doppelte Anwendung“84 des argumentum a maiore ad minus zu Nutze, mit deren Hilfe es gelingt, die Wertung der Straffreiheit vorsätzlicher Suizidmitwirkung auf die Konstellationen der Selbstgefährdung zu übertragen.85 Wenn die vorsätzliche Mitwirkung an einer Selbsttötung straffrei ist, muss die vorsätzliche Mitwirkung an einer bloßen Selbstgefährdung erst recht straflos sein, weil eine Gefährdung zu einer Verletzung ein Minus darstellt86 (erste Anwendung argumentum a maiore ad minus). Und wenn schon das schwerer wiegende Unrecht der vorsätzlichen Beteiligung an einer Selbsttötung nicht strafbar ist und aus diesem Grunde die fahrlässige Mitwirkung an einer Selbsttötung auch nicht strafbar sein kann87, muss dies auch für die vorsätzliche und fahrlässige Mitwirkung an einer Selbstgefährdung gelten, um Wertungswidersprüche zu vermeiden88 (zweite Anwendung des argumentum a maiore ad minus). Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass der 1. Senat in seiner Leitentscheidung auch die Weite der Entscheidung des „Polizeipistolen-Falles“89, in der die Grenzen oder Voraussetzungen der Straffreiheit der Mitwirkung am fremden Suizid nicht näher benannt wurden, korrigierte: „Die Strafbarkeit kann erst dort beginnen, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende (. . .).“90 83
BGHSt 32, 262 (264 f.). Vgl. Kuhli, HRRS 2008, 385 (386); auch Puppe, GA 2009, 486 (489 f.); vgl. Lasson, ZJS 2009, 359 (360); ähnl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 106. 85 Vgl. OLG Celle StV 2013, 27 (30) m. Anm. Rengier. 86 Statt vieler Puppe, GA 2009, 486 (489 f.); vgl. auch Fahl, JA 1998, 105 (107); vgl. ferner Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 360; vgl. zudem Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 87 Vgl. dazu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel B. I. 2. b) S. 28 ff., insb. Fußn. 45. 88 Vgl. statt vieler Roxin, NStZ 1984, 410 (411); ders., in: FS Gallas, S. 241 (246); ähnl. Dölling, GA 1984, 71 (77); ebenso Fahl, JA 1985, 105 (107); vgl. Geppert, Jura 2001, 490 (491); s. auch Kühl, StGB, Vor §§ 211 ff. Rn. 12 m. w. Nachw.; Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 360; Kuhli, HRRS 2008, 385 (386); vgl. ferner Neumann, JA 1987, 244 (248) m. w. Nachw.; vgl. auch Schünemann, NStZ 1982, 60 (62 f.) m. w. Anm.; SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79, 79 a; vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 165 m. w. Nachw.; Stree, JuS 1985, 179 (181). 89 BGHSt 24, 342. 90 BGHSt 32, 262 (265); bereits im „Jetrium-Fall“ verwies der BGH auf die Notwendigkeit der Einschränkung, BGH JR 1979, 429 (429) m. Anm. Hirsch, H. J.: „Die Garantenstellung des Arztes, der die Behandlung eines Patienten übernommen 84
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Entscheidend für die Bewertung der Strafbarkeit des an einer fremden Selbstgefährdung oder Selbsttötung Beteiligten ist nunmehr, wer zum Tatzeitpunkt Tatherrschaft über das Geschehen innehatte. Mit der Festlegung dieses Abgrenzungskriteriums wird deutlich, dass der BGH für die Gefährdungssituationen nunmehr anerkennt, dass es einen Unterschied in der rechtlichen Wertung ausmacht, ob jemand sich selbst gefährdet oder sich von einem anderen gefährden lässt.91 Was bewirkte diese Entscheidung letztlich? Zum einen bestätigte der BGH die ständige Rechtsprechung im Bereich der Suizidmitwirkung. Zum anderen erkannte er die Selbstgefährdung als eine von der Fremdgefährdung abzugrenzende, rechtsdogmatisch eigenständige Fallgruppe an.92 Unter Verweis auf die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und mit Rückgriff auf die Wertung im Bereich der Selbsttötung deklarierte der BGH die Mitwirkung an einer Selbstgefährdung als straffrei. Damit fand die eigenverantwortliche Selbstgefährdung Eingang in die höchstrichterliche Jurisdiktion.93
3. Die Selbstgefährdung als eigenständiges Rechtsinstitut in der ständigen Rechtsprechung seit 1984 Obgleich der BGH selbst keine vorbehaltlose Aufgabe seines bisherigen Standpunktes beabsichtigte94, gilt die Entscheidung im „HeroinspritzenFall“95 in der Wissenschaft als Neuorientierung, als eine Wende in der höchstrichterlichen Rechtsprechungspraxis96. Dass die Wissenschaft mit ihrer Einschätzung Recht behielt, bestätigte sich in zahlreichen späteren Entscheidungen, wie der nachfolgende Abschnitt verdeutlichen wird.
hat, unterscheidet den Fall grundlegend von dem Sachverhalt der Entscheidung BGHSt. 24, 342, deren Leitsatz insofern zu weit gefasst ist.“ 91 Vgl. Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (250). 92 Vgl. Puppe, ZIS 2007, 247 (248); vgl. auch Roxin, JZ 2009, 399 (399). 93 Frisch, W., NStZ 1992, 1 (2). 94 Vgl. BGHSt 37, 179 (181). 95 BGHSt 32, 262. 96 Roxin, NStZ 1984, 410 (411); ders., in: FS Gallas, S. 241 (246); vgl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (173); vgl. auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 106; vgl. auch Stree, JuS 1985, 179 (180); ähnl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 14; ähnl. auch Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 187; a. A. Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 15 f., die die eigentliche Wende erst in BGH, Urt. v. 09.11.1984 – 2 StR 257/84 vollzogen sieht.
II. Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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a) Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung durch den Konsum von Betäubungsmitteln Da sich der BGH in seiner Leitentscheidung zur freiverantwortlichen Selbstgefährdung mit einem Sachverhalt auseinanderzusetzen hatte, bei dem der Rechtsgutsträger durch den Konsum von Drogen den Tod fand, verwundert es nicht, dass sich insbesondere in diesem Deliktsbereich zahlreiche Urteile zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und der Frage der Strafbarkeit mitwirkender Dritter auffinden lassen. Bereits vier Monate nach der Entscheidung im „Heroinspritzen-Fall“97 bestätigte der BGH diese Linie in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt, bei dem infolge übermäßigen Drogen- und Alkoholgenusses einer der Beteiligten verstarb: „Entgegen der Auffassung der StA ist in der Rechtsprechung des BGH nicht schlechthin jedes Überlassen einer Einzelportion Heroingemisch an ein eigenverantwortlich handelndes Opfer, ohne dass der Täter das Risiko besser erkannte als dieses, als fahrlässige Tötung gewertet worden. In dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteil vom 14.2.1984 – 1 StR 808/83 (. . .) ist vielmehr ausdrücklich klargestellt worden, dass, wer die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung eines anderen ermöglicht (. . .), nicht ohne weiteres wegen eines Tötungstatbestands strafbar ist, wenn sich das mit der Gefährdung durch den anderen bewusst eingegangene Risiko verwirklicht.“98
Auch im viel zitierten „Stechapfeltee-Fall“99, in dem eines der späteren Opfer, trotz Warnungen vor der Gefährlichkeit der Pflanze seitens des Angeklagten, nach übermäßigem Konsum im nahe gelegenen Bodensee ertrank, verwies der Senat auf die Grundsatzentscheidung und bejahte den Freispruch von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung: „Die rechtliche Würdigung des Falles durch den Tatrichter entspricht im Ergebnis den Rechtsgrundsätzen, die im Senatsurteil vom 14.02.1984 – 1 StR 808/83 (. . .) dargestellt sind.“100
In zahlreichen weiteren Entscheidungen zu betäubungsmittelkonsumbedingten Todesfällen beriefen sich Gerichte sowie der BGH selbst auf die Grundsatzentscheidung, so bspw. in BGH NStZ 1985, 319101 oder im so97
BGHSt 32, 262. BGH NStZ 1984, 452 (452). 99 BGH NStZ 1985, 25; vgl. zu dieser Entscheidung auch die Fallbearbeitung bei Fahl, JA 1998, 105 (108 f.). 100 BGH NStZ 1985, 25 (26). 101 BGH NStZ 1985, 319 m. Anm. Roxin; vgl. ferner BGHSt 37, 179 (180 f.); 46, 279 (288); 49, 34 (39 f.) jeweils m. w. Nachw.; ähnl. in Bezug auf tödlich endenden Alkoholkonsum BGH NStZ 1987, 406. 98
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
genannten „Codein-Fall“ BayObLG StV 1997, 307102. Auch in neueren Entscheidungen, wie z. B. die des BGH vom 29.4.2009103 oder vom 11.1.2011104, hält man an den Maßstäben der Leitentscheidung von 1984 fest. Seit dem „Heroinspritzen-Fall“105 gilt der Konsum von Betäubungsmitteln als Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers, dessen Eigenverantwortlichkeit die strafrechtliche Verantwortung des am risikoträchtigen Geschehen mitwirkenden Dritten im Sinne einer Strafbarkeit nach §§ 211 ff. StGB ausschließt.106 b) Die Selbstgefährdung und die Mitwirkung hieran außerhalb der Konstellationen der rauschmittelbedingten Todesfälle Obwohl sich die neue Rechtsprechung zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung im Bereich der rauschmittelbedingten Todesfälle entwickelte, wurde die in diesem Deliktsbereich vollzogene Wende schnell auch für andere Sachverhaltskonstellationen relevant. Einer dieser Bereiche ist die Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers im Straßenverkehr. So entschied bspw. im September 1984 das OLG Stuttgart unter Rückgriff auf die Leitentscheidung BGHSt 32, 262: „Ermächtigt der Halter einen ihm bekannten, nach Besuch der Fahrschule wegen Nichtbestehens der Fahrprüfung nicht im Besitze einer Fahrerlaubnis befindlichen Dritten auf dessen Drängen zum Führen seines Kraftfahrzeuges, ist er jedenfalls dann für den infolge eines Fahrfehlers eingetretenen Tod des Fahrzeuglenkers strafrechtlich nicht verantwortlich, wenn er nicht über das bloße Ermöglichen der eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung hinaus Anhaltspunkte für besonders leichtfertiges oder vertrauensunwürdiges Verkehrsverhalten des Ermächtigten hat (. . .).“107
In einem anderen Fall musste das BayObLG darüber befinden, ob der Angeklagte für den tödlichen Sturz eines Skateboarders verantwortlich war, dem er es ermöglichte, sich an das Leichtkraftrad zu hängen. Unter Verweis auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers – der Skateboardfahrer war erfahrener und älter als der Angeklagte und wollte 102
Vgl. auch OLG Zweibrücken NStZ 1995, 89 (89 f.). BGH NJW 2009, 2611. 104 BGH NStZ 2011, 341. 105 BGHSt 32, 262. 106 Zur Strafbarkeit des Dritten nach den Normen des BtMG vgl. Kapitel B. III. 2. S. 45 ff. 107 OLG Stuttgart MDR 1985, 162; vgl. einen ähnlichen Fall, bei dem der Angeklagte dem führerscheinlosen Opfer auf dessen Wunsch ein defektes Moped überließ BayObLG NZV 1996, 461. 103
II. Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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sich auf eigenen Wunsch an das Leichtkraftrad hängen – sprach das Gericht den Angeklagten frei.108 Im Rahmen einer anderen Entscheidung aus dem Jahr 2008, bei dem in Folge eines illegalen Beschleunigungsrennens eines der beteiligten Fahrzeuge verunglückte und dabei der Beifahrer aus einem der Wagen zu Tode kam, musste sich der BGH mit der Frage der Abgrenzung der einverständlichen Fremdgefährdung von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sowie mit der grundsätzlichen strafrechtlichen Wertung beider Fallkonstellationen auseinandersetzen. In seinen Ausführungen zu den Entscheidungsgründen berief sich der BGH explizit auf das Grundsatzurteil BGHSt 32, 262.109 Neben der Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers im Straßenverkehr eröffnen zudem Sachverhalte, in denen dieser ungeschützten Sexualverkehr mit einem HIV-Infizierten hat, einen weiteren Anwendungsbereich für die eigenverantwortliche Selbstgefährdung und die diesbezügliche Frage der Strafbarkeit mitwirkender Dritter. Ließ der BGH 1988 in einem Fall, in dem ein HIV-Infizierter trotz mehrfacher Warnung des behandelnden Arztes und ohne Aufklärung seiner jeweiligen Sexualpartner mit verschiedenen Personen ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte, noch offen, ob die Grundsätze aus der Leitentscheidung BGHSt 32, 262 auch auf den sexuellen Umgang von HIV-Infizierten anwendbar sind110, bejahte das LG Kempten dies bereits ein Jahr später111. Das LG sprach den Angeklagten, der nur auf Drängen seiner minderjährigen Freundin und mit erheblichen Bedenken ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr ausgeübt hatte, vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung frei, weil im Anschluss an BGHSt 32, 262 seitens der Partnerin aufgrund der Mitherrschaft am Geschehen und ihres nachdrücklichen Interesses am ungeschützten Verkehr eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorlag.112 Das BayObLG teilte die Ansicht des LG im Berufungsverfahren.113 Mittlerweile entspricht die Anwendung der Grundsätze eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers im Bereich des Sexualverkehrs mit HIV-Infizierten der ständigen Rechtsprechungspraxis, wie bspw. eine Entscheidung des LG Würzburg aus dem Jahr 2007 verdeutlicht.114 108
BayObLG NZV 1989, 80 (80) m. Anm. Molketin. BGHSt 53, 55 (60 ff.). 110 BGHSt 36, 1 (17); s. auch Fischer, Th., StGB, § 222 Rn. 30 m. w. Nachw. 111 LG Kempten NJW 1989, 2068. 112 LG Kempten NJW 1989, 2068 (2069 f.). 113 BayObLG NStZ 1990, 81 (81 ff.). 114 Vgl. die ausführliche Darstellung des Urteils, eingebettet in das Problem der strafrechtlichen Wertung des Geschlechtsverkehrs eines HIV-Infizierten bei Jahn, M., JuS 2007, 772 (772 ff.). 109
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch eine weitere Gruppe von Sachverhaltskonstellationen, in denen die Grundsätze eigenverantwortlicher Selbstgefährdung von besonderer Relevanz sind. Gemeint sind sportliche Wettkämpfe sowie sportliche Aktivitäten im Allgemeinen, wie z. B. die Teilnahme an Expeditionen oder Bergtouren, bei denen der Sportler verunglückt.115 In diesem Zusammenhang sei auf den 8. Internationalen Zugspitz-Extremberglauf verwiesen. 2008 starben bei diesem Wettkampf zwei Läufer an Unterkühlung und Erschöpfung, weitere Teilnehmer brachen zusammen und mussten teilweise reanimiert werden.116 Das AG GarmischPartenkirchen hob im Prozess den Strafbefehl gegen den Veranstalter wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung auf und sprach ihn von allen Vorwürfen frei, weil sich die Verstorbenen und Verletzten eigenverantwortlich gefährdet hätten, indem sie die Regeln des Veranstalters, was z. B. die Bekleidung anbelangte, missachteten und trotz eisiger Kälte aus sportlichem Ehrgeiz weitergelaufen waren.117 Ein ähnlich tragischer Zwischenfall geschah erst kürzlich bei der Hovercraft-Weltmeisterschaft auf der Bleilochtalsperre in Thüringen. Ein 54-jähriger Fahrer stieß während des Rennens am 14.09.2012 kurz nach dem Start mit anderen Wettkampfteilnehmern zusammen und verletzte sich so schwer, dass er noch vor Ort verstarb.118 Eine weitere Fallgruppe aus dem Problemkreis der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung im Bereich des Sports umfasst die bewusste Einnahme von Dopingmitteln durch den Sportler. Grundsätzlich gilt, dass die das Doping fördernde Handlung von Ärzten oder Betreuern, z. B. das Verschreiben oder Verschaffen des Dopingmittels sowie des Injektionszubehörs oder das Überreden des Sportlers zum Doping mit dem Ziel der Leistungssteigerung, im Rahmen des § 222 StGB119 als bloße Beihilfe zu einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung einzustufen ist, sofern der Sportler sich das Dopingmittel selbst verabreicht und keine die Eigenverantwortung ausschließenden Defekte vorliegen.120 115 Vgl. auch die Aufzählung zu weiteren Anwendungsgebieten der Konstellation der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bei Fahl, JA 1998, 105 (111); vgl. ferner Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (571) zum Beispiel einer tödlich endenden Hochgebirgstour. 116 Ausf. zum Sachverhalt vgl. Kuhli, HRRS 2008, 385 (385) m. w. Nachw. 117 AG Garmisch-Partenkirchen, Urt. v. 01.12.2009 – 3 Cs 11 Js 24093/08 (BeckRS 2010, 24430); vgl. auch die Fallbearbeitung von Albrecht/Kaspar, JuS 2010, 1071 (1072 f.). 118 Jüttner, Hovercraft-WM in Thüringen, http://www.spiegel.de/panorama/markusfeulner-vater-bei-hovercraft-wm-in-thueringen-verunglueckt-a-856086.html (Stand: 26.01.2013). 119 Hiervon unberührt bleibt eine mögliche Strafbarkeit des Arztes oder Betreuers sowie des Sportlers nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a, b i. V. m. § 6a Abs. 1, 2a S. 1 AMG. s. hierzu Kapitel F. VI. 2. b) S. 263 ff.
III. Die Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit des Dritten
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4. Zusammenfassung Zu resümieren bleibt, dass die eigenverantwortliche Selbstgefährdung als selbstständige dogmatische Konstellation in der Rechtsprechung durch das Grundsatzurteil BGHSt 32, 262 anerkannt wurde. Angelehnt an die Selbsttötungskonstellationen, wird auch die vorsätzliche Teilnahme und fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung als straffreies Verhalten deklariert. Die Grundlage dieser Beurteilung ist die Anwendung des argumentum a maiore ad minus, welches es der Rechtsprechung ermöglichen soll, von der Straffreiheit der vorsätzlichen Suizidteilnahme auf die Straffreiheit der vorsätzlichen Selbstgefährdungsteilnahme und von der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung auf die Straffreiheit der fahrlässigen Selbstgefährdungsmitwirkung schließen zu können.
III. Die Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit des Dritten wegen einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbsttötung des Rechtsgutsträgers Ausgehend von der Grundsatzentscheidung zum „Heroinspritzen-Fall“121 entwickelte sich die zuvor beschriebene Spruchpraxis, wonach die vorsätzliche Teilnahme sowie die fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung straffrei sind. Während sich diese Auffassung in den Konstellationen der Selbstgefährdung als ständige, höchstrichterliche Rechtsprechung manifestierte, musste sich der BGH zugleich mit den Grenzen seiner Leitentscheidung auseinandersetzen.
120 Ahlers, Doping und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 109 ff.; krit. Fischer, Th., StGB, § 228 Rn. 23 ff. m. w. Nachw.; ausf. zur Frage der Strafbarkeit des Selbst- bzw. Eigendopings Bottke, in: FS Kohlmann, S. 85 (89 ff., 93 ff.); Greco, GA 2010, 622 (623 ff.); vgl. Hass/Prokop, SpuRt 1997, 56 (57 f.); ausf. auch Jahn, M., ZIS 2006, 57 (58 ff.); Linck, MedR 1993, 55 (57 ff.); Otto, SpuRt 1994, 10 (11 ff.); ferner Parzeller, DZS 2001, 162 (163 ff.); vgl. auch Turner, MDR 1991, 569 (572 f.); s. auch die Diskussion über die Einführung eines Dopingverbots als Straftatbestand bei Nolte, Sport und Recht. Ein Lehrbuch, S. 223 ff.; ausf. zum Begriff, der Geschichte und den Erscheinungsformen des Dopings im Sport Volkmer, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., Vor AMG Rn. 239 ff. 121 BGHSt 32, 262.
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
1. Die strafbare Veranlassung von selbstgefährdenden Handlungen in den Konstellationen der sogenannten „Retterschäden“ Eine Ausnahme vom Grundsatz der Straffreiheit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers macht der BGH bspw. in den Konstellationen der sogenannten „Retterschäden“ im Bereich der Brandstiftungsdelikte.122 Signifikant für diese Sachverhalte ist, dass das Opfer, bei dem Versuch, sich selbst oder andere Personen sowie Sachen vor dem Feuer zu retten, zu Tode kommt (§ 306c StGB).123 Der Retter agiert aus freien Stücken, so dass die Brandlegung bzw. Brandstiftung als eine Ermöglichung oder Veranlassung der fremden Selbstgefährdung zu werten wäre, was wiederum nach dem Grundsatzurteil BGHSt 32, 262 zu einem Ausschluss der Strafbarkeit des Brandstifters für die Folgen des risikoträchtigen Handelns des Retters führen müsste. Im Unterschied zu den bisher untersuchten Sachverhalten veranlasst der Brandstifter die Rettungsmaßnahmen aber nicht nur, sondern er fordert sie regelrecht heraus. Für den Brandstifter ist es vorhersehbar, dass im Falle eines Brandes andere Menschen versuchen werden, Sachwerte oder Personen aus den Flammen zu retten.124 In diesem Sinne konstatierte der BGH in seiner Entscheidung BGHSt 39, 322, in der ein 22-jähriger Mann beim Versuch, seinen kleineren Bruder oder andere Personen sowie Sachen aus dem brennenden Elternhaus zu retten, an einer Kohlenmonoxidvergiftung verstarb: „Die an einem Fall wie BGHSt 32, 262 ff. (. . .) entwickelte Rechtsprechung kann indes nicht schematisch auf Fälle übertragen werden, in denen durch ein deliktisches Verhalten eines Täters ein Dritter zu einer sich selbstgefährdenden Handlung veranlasst worden ist. (. . .) Einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedarf es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die nahe liegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft (. . .). Es ist 122 Vgl. auch Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 ff., der insoweit von „Retterunfällen“ spricht; eine ausf. Darstellung der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Rechtsprechung zum Problemkreis der „Retterschäden“ liefert Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 160 ff.; vgl. auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 33 ff. 123 Vgl. BGHSt 39, 322; OLG Stuttgart NJW 2008, 1971; vgl. hierzu auch Wrage, JuS 2003, 985 (990 ff.); vgl. ferner Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (201 ff.). 124 Vgl. etwa Alwart, NStZ 1994, 83 (84).
III. Die Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit des Dritten
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sachgerecht, diese sich in solchen Situationen gefährdenden Personen in den Schutzbereich strafrechtlicher Vorschriften einzubeziehen.“125
Weil der Brandstifter damit rechnen musste, dass im Falle eines Brandes andere Menschen versuchen zu helfen, war dem Angeklagten der Verweis auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung verwehrt, so dass er wegen einer fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB zu verurteilen war.126 Ausgehend von dieser Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1993 entspricht es gegenwärtig der ständigen Rechtsprechungspraxis, den Retter bzw. den Schutz seiner Rechtsgüter als vom Schutzbereich der §§ 222, 229 StGB mitumfasst zu betrachten.127 Das Gefährdungs- bzw. Verletzungsrisiko für die Rechtsgüter, welches einer Rettungshandlung anhängt, ist bereits der Brandlegung/-stiftung im Sinne der §§ 306 ff. StGB immanent.128 Demnach muss der Brandstifter sich diejenigen Folgen zurechnen lassen, in denen sich das typische Risiko der Rettungshandlung realisiert.129 Nur für von vornherein offensichtlich unvernünftige, unverhältnismäßige oder aussichtslose Rettungsmaßnahmen trifft ihn keine strafrechtliche Verantwortung.130
2. Die strafrechtliche Bewertung der Veranlassung oder Ermöglichung einer fremden Selbstgefährdung sowie Selbsttötung im Bereich des BtMG Eine weitere Einschränkung erfährt der Grundsatz der Straflosigkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung durch die Rechtsprechung im Betäubungsmittelrecht. Nach der Leitentscheidung BGHSt 32, 262 zum „Heroinspritzen-Fall“ musste der BGH klären, ob die durch die eigenverantwortliche Selbstgefährdung bewirkte Straffreiheit des Dritten innerhalb der Tötungsdelikte im BtMG, insbesondere im Kontext des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, ebenfalls eine Straffreiheit nach sich zieht oder nicht. Die Antwort hierauf fand er im 125
BGHSt 39, 322 (325). BGHSt 39, 322 (325 f.); zu beachten ist insofern, dass nach § 307 a. F., der dieser Entscheidung zu Grunde lag, eine Strafbarkeit für den Tod einer Person nur dann bestand, wenn diese sich zum Zeitpunkt der Brandstiftung bereits im Gebäude befand. Vgl. hierzu statt vieler Alwart, NStZ 1994, 83 (84); Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (775) m. w. Nachw.; Heine, in: Schönke/Schröder, § 306c Rn. 5; vgl. auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 21 f. 127 BGHSt 39, 322 (325). 128 Vgl. Alwart, NStZ 1994, 83 (84); s. auch Rudolphi, JuS 1969, 549 (557). 129 BGHSt 39, 322 (325 f.); OLG Stuttgart NJW 2008, 1971 (1972); ausf. hierzu Kapitel F. VI. 1. b) S. 240 f. 130 Ebda. 126
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Jahre 1990. Im vorliegenden Sachverhalt hatte der Angeklagte an verschiedene Abnehmer Heroin verkauft, dessen Konsum u. a. zum Tod einer dieser Personen führte.131 Der 4. Senat musste darüber befinden, ob der Angeklagte durch sein Verhalten auch § 30 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt hatte oder ob die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Konsumenten eine solche Strafbarkeit entfallen lasse würde. In den Entscheidungsgründen stellt der Senat Folgendes klar: „Für den Bereich der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes indes kann den Regeln über die bewusste Selbstgefährdung in den Fällen, in denen wie bei § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG der Tod eines Menschen oder die Gefahr von Gesundheitsbeschädigungen infolge des Genusses von Betäubungsmitteln Grund für erhöhte Strafe sind oder in denen es wie hier ganz allgemein um die strafschärfende Bewertung solcher Folgen geht, eine die Verantwortung des Täters eingrenzende Bedeutung nicht zukommen (. . .). Dies folgt aus dem anders gearteten Schutzzweck der Vorschriften des Betäubungsmittelrechts. (. . .) Schutzgut der betäubungsmittelrechtlichen Strafnormen sind nicht allein und nicht in erster Linie das Leben und die Gesundheit des einzelnen wie bei den §§ 211 f., 222, 223 ff. StGB. Vielmehr soll Schäden vorgebeugt werden, die sich für die Allgemeinheit aus dem verbreiteten Konsum vor allem harter Drogen und den daraus herrührenden Gesundheitsbeeinträchtigungen der einzelnen ergeben (. . .). Wegen ihrer abstrakten Gefährlichkeit für dieses komplexe und universelle, nicht der Verfügung des einzelnen unterliegende Rechtsgut sind die mannigfachen Formen des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt. Bei der Beurteilung der Tathandlungen als gefährlich ist aber der Aspekt der Selbstgefährdung denknotwendig eingeschlossen (. . .), weil der zu verhindernde Konsum in aller Regel eine Selbstgefährdung bedeutet. Dieser Gesichtspunkt kann daher zur Normeinschränkung nicht herangezogen werden.“132
Diese Entscheidung avancierte zur ständigen Rechtsprechung. Mittlerweile gilt es in der Jurisdiktion als gefestigt, dass der Grundsatz der Straflosigkeit der Mitwirkung an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung im BtMG eine Einschränkung erfährt.133 Eine solche ist, so wird argumentiert, legitim, weil dieser Grundsatz der Straffreiheit im Bereich der Körper- und Tötungsdelikte entwickelt wurde, die das Leben als Individualrechtsgut des Rechtsgutsträgers schützen, und das BtMG im Unterschied hierzu über die Interessen des Einzelnen hinausgehende Zwecke, nämlich den Schutz des überindividuellen Rechtsguts der Volksgesundheit, verfolgt.134 Diese Beschränkung gilt im Übrigen nicht nur in Sachverhaltskonstellationen, in denen der Angeklagte durch das Überlassen oder Verschaffen von 131
BGHSt 37, 179. BGHSt 37, 179 (181 f.). 133 Vgl. statt vieler Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 30 Rn. 97 ff. 134 So z. B. BGH NStZ 1992, 489; vgl. auch BGH NJW 2000, 2286 (2287). 132
III. Die Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit des Dritten
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Betäubungsmitteln eine fremde Selbstgefährdung ermöglicht, sondern auch für die Abgabe von Betäubungsmitteln zum Zwecke der Selbsttötung. Dies verdeutlicht bspw. die Entscheidung BGHSt 46, 279. Der Angeklagte hatte einer Schwerstkranken auf deren Wunsch hin Pentobarbital verschafft, ihr dieses in Wasser aufgelöst und zum Trinken überlassen. Die Frau verstarb. Der 5. Senat musste entscheiden, ob hierfür eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verstoßes gegen das BtMG in Betracht kommt, wenn zugleich eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Teilnahme am Suizid im Sinne der §§ 26, 27 StGB ausgeschlossen ist. Im Urteil heißt es: „Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der einhelligen Lehre die – theoretisch gegebene – Teilnahme an der Selbsttötung eines vollverantwortlich Handelnden mangels einer Haupttat straflos (. . .). Die Straflosigkeit seines Verhaltens unter dem vorstehend genannten Aspekt beschränkt sich jedoch auf eben diesen und erstreckt sich nicht etwa auf das vom Angeklagten begangene Betäubungsmitteldelikt, mit dem andere Rechtsgüter gefährdet wurden. Der Verordnungsgeber hat mit der Entscheidung, Pentobarbital in die Liste der Betäubungsmittel gem. § 1 Abs. 1 BtMG aufzunehmen, dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass ein Umgang mit diesem Betäubungsmittel für die Volksgesundheit grundsätzlich gefährlich ist.“135
Auf der Grundlage dieser Ausführungen bestätigte der BGH die Verurteilung des Angeklagten gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 lit. b BtMG.136 Nur § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erachtete der Senat, anders als die Staatsanwaltschaft, für nicht einschlägig, weil eine restriktive Auslegung dieser Norm, d.h. eine teleologische Reduktion unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten, geboten sei.137 Wenn der Rechtsgutsträger sich aus freien Stücken das Leben nehmen will und ihm der Angeklagte, wie im vorliegenden Fall, aus diesem Grund das Betäubungsmittel überlässt, könne von einer Leichtfertigkeit der Todesverursachung im Sinne eines besonderen Leichtsinns oder einer besonderen Gleichgültigkeit nicht die Rede sein.138 Diese „gewisse Einschränkung des Anwendungsbereiches“ des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG bestätigte der BGH in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 2000.139 In diesem konkreten Fall lehnte der BGH die Leichtfertigkeit einer Angeklagten, die dem später Verstorbenen Heroin verkauft hatte, ab, weil sie dem Konsumenten das Betäubungsmittel mit dem Hinweis überlassen hatte, dass das Heroin eine besonders hohe Wirkkraft besitze und man beim Konsum entsprechend vorsichtig sein sollte.140 135 136 137 138 139 140
BGHSt 46, 279 (284). BGHSt 46, 279 (283). BGHSt 46, 279 (288). Vgl. BGHSt 46, 279 (289 f.). BGH NJW 2000, 2286 (2287). BGH NJW 2000, 2286.
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B. Selbsttötung, Selbstgefährdung und die Mitwirkung im Lichte der Rspr.
Somit ist zu resümieren, dass nach ständiger Rechtsprechung in Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung, in denen der Tod des Rechtsgutsträgers infolge des Konsums von Betäubungsmitteln eintritt, das eigenverantwortliche Agieren des Rechtsgutsträgers zwar im Rahmen der Tötungstatbestände eine Straffreiheit des Dritten bewirkt, aber seine entlastende Wirkung im BtMG grundsätzlich nicht entfaltet, d.h. mit Ausnahme der restriktiven Auslegung des Merkmals der Leichtfertigkeit in § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG.
C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Strafbarkeit innerhalb der Konstellationen eigenverantwortlicher Selbsttötung und Selbstgefährdung Während die Analyse der Rechtsprechung im vorangegangenen Kapitel einen Überblick über die Fallkonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung eröffnet, soll die Untersuchung im folgenden Abschnitt um die dogmatische und methodische Schlüssigkeit und Richtigkeit der dargestellten Argumentation seitens der Gerichte erweitert werden. Diese kritische Betrachtung der Rechtsprechung ermöglicht es nicht nur, die Fehlschlüsse innerhalb der Argumentation aufzuzeigen, sondern eröffnet zugleich den Zugang zur Erkenntnis, dass die strafrechtliche Wertung der betrachteten Sachverhalte sich maßgeblich an der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers auszurichten hat.
I. Zur eigenverantwortlichen Selbsttötung – der fehlende Bezug zum Protostrafrecht und zum Verfassungsrecht Die Selbsttötung ist nicht vom Straftatbestand der Tötungsdelikte nach §§ 211 ff. StGB erfasst.1 Diese Wertung entspricht der ständigen Rechtsprechungspraxis und soll auch hier im Ergebnis nicht in Abrede gestellt werden. Zu kritisieren ist allerdings, dass seitens der Gerichte keine tiefer gehende Betrachtung der verfassungsrechtlichen Wurzeln stattfindet. Dies ist umso verwunderlicher, weil gerade der Rückgriff auf die grundrechtliche Wertung im Konflikt zwischen der Selbstbestimmung des Individuums und dem staatlichen Schutzauftrag für das Leben wichtige Rückschlüsse auf die strafrechtliche Beurteilung zulässt. Existiert in der Verfassung bspw. ein Recht auf Selbsttötung? Darf der Staat im Sinne seines Schutzauftrages für 1 Vgl. z. B. BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167 f.); 24, 342 (343 f.); 32, 262 (263 f.); vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 33 m. w. Nachw.; vgl. Herzberg, JA 1985, 131 (133); Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (336 f.).
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
das menschliche Leben den Rechtsgutsträger vor sich selbst schützen oder warum ist er hierzu nicht legitimiert? Begibt sich der Suizident unter Berücksichtigung des fundamentalen Charakters der Selbstbestimmungsfreiheit und mit Blick auf die religiöse und moralische Neutralitätspflicht des Staates nach Art. 4 GG in einen Widerspruch zum Sittengesetz, so wie es der BGH propagiert2? Noch schwerer als die nicht vorhandene verfassungsrechtliche Verankerung wiegt der fehlende Rückgriff auf das Protostrafrecht3. So äußert die Rechtsprechung zwar, dass die eigenverantwortliche Selbsttötung nicht vom Tatbestand der Tötungsdelikte umfasst sei, aber was ist Eigenverantwortung überhaupt? Warum lässt die Eigenverantwortung des Suizidenten die Tatbestandsmäßigkeit des § 212 StGB entfallen? Welche Bedeutung kommt ihr im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortungszuschreibung zu? Auf diese zentralen Fragen finden sich in der Judikatur keine Antworten, obwohl die Eigenverantwortung letztlich das Fundament ist, auf dem die Argumentation der Rechtsprechung und, wie noch zu zeigen sein wird, auch die grundrechtliche Wertung in diesem Problembereich beruhen. Obgleich der BGH mit seiner formalen Argumentationslinie zutreffend zur Straffreiheit der Selbsttötung gelangt, fehlt es der Begründung folglich an einer eingehenden materiellen Betrachtung des Problems.
II. Zur Straffreiheit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung In der Jurisdiktion wurde die Frage nach einer möglichen Strafbarkeit der Selbstgefährdung, anders als bei der Selbsttötung, nicht ernsthaft diskutiert. Eine solche soll im Rahmen der Untersuchung aber zumindest hypothetisch in Betracht gezogen werden, weil an die strafrechtliche Wertung der Selbstgefährdung letztlich auch die höchst problematische Frage der Strafbarkeit vorsätzlicher und fahrlässiger Mitwirkung an einer Selbstgefährdung anknüpft. Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung erkannte der BGH erst mit der Grundsatzentscheidung BGHSt 32, 262 als eigenes Institut an und konstatierte, dass die Selbstgefährdung als solche nicht unter die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte zu subsumieren sei.4 Ausgehend von den Überlegungen, dass die Selbsttötung tatbestandslos ist und eine Gefährdung ge2 3 4
Vgl. BGHSt 6, 147 (153); 46, 279 (285). Zur Theorie des Protostrafrechts ausf. Alwart, JRE 11 (2003), 127 (128 ff.). BGHSt 32, 262 (264 f.).
II. Zur Straffreiheit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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genüber einer Verletzung ein Minus darstellt, gelangte man zu der Überzeugung, dass, wenn schon die Selbsttötung straflos ist, unter Wertungsgesichtspunkten erst recht die Selbstgefährdung straflos sein müsse.5 Die Begründung der Straflosigkeit des sich Gefährdenden erschöpft sich somit in der Anwendung des argumentum a maiore ad minus. Ungeklärt bleibt dabei, auf welcher Grundlage die Rechtsprechung den Erst-Recht-Schluss anwendet.6 Eine Selbstgefährdung beschreibt Sachverhaltskonstellationen, in denen der Rechtsgutsträger sich bewusst einer Gefahr aussetzt, obwohl er das Risiko der Verletzung oder gar Tötung erkennt.7 Er begibt sich sehenden Auges in die Gefahr, will aber den Eintritt des Erfolges nicht.8 Ist es dann aber möglich, den Suizidenten, der zielgerichtet aus dem Leben treten will, mit dem sich Gefährdenden, der die mögliche Todesgefahr als Folge seines Handelns zwar erkennt, aber gerade nicht sterben will9, in dogmatischer Hinsicht zu vergleichen? Besteht zwischen den beiden Konstellationen tatsächlich ein Wertgefälle, wie es das Erst-Recht-Schluss-Argument beschreibt? Übergeht eine Gleichstellung, wie sie der Erst-Recht-Schluss bewirkt, nicht die Besonderheiten, die einer Selbstgefährdung im Unterschied zur Selbsttötung immanent sind?
1. Die dogmatischen Voraussetzungen der Anwendung eines argumentum a maiore ad minus Das argumentum a maiore ad minus beschreibt u. a. Konstellationen, in denen eine bestimmte Rechtsfolge desto eher ausbleibt, je geringer ein steigerungsfähiges Merkmal vorliegt.10 Voraussetzung für die Anwendung des argumentum a maiore ad minus ist aus methodischer Sicht also ein Ausgangssatz, der ein steigerungsfähiges Merkmal beinhaltet und der über eine komparative Regel einen Erst-Recht-Schluss begründet.11 In diesem Sinne gilt für die hier relevante Untersuchung Folgendes: 5
S. Kapitel B. II. 2., Fußn. 86, 88. Vgl. bereits die Äußerung von Frisch, W., NStZ 1992, 1 (5), wonach der ErstRecht-Schluss keine materiale Angabe über den Grund der Straflosigkeit liefert; ihm folgend auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 88. 7 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 49; vgl. auch Herzberg, JA 1985, 265 (265). 8 Vgl. Fahl, JA 1998, 105 (109); weitere Nachw. s. Fußn. 13. 9 S. Kapitel B. II., Fußn. 49. 10 Vgl. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 121; dies., NStZ 2012, 409 (410); vgl. auch Spendel, JuS 1974, 749 (750 f.). 11 Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 126 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch die späteren Ausführungen zum methodischen Vorgehen von Puppe in Kapitel C. IV. 1. S. 73 ff., Fußn. 125. 6
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
1. Ausgangssatz: Die Selbsttötung ist straffrei. 2. Einführung des komparativen Merkmals: Wer sich selbst tötet, verwirklicht vorsätzlich den Erfolgseintritt. 3. Mögliche komparative Regel: Je geringer das Risiko des Erfolgseintritts ist, desto eher bleibt die darauf abzielende Handlung straflos. 4. Konsequenz: Die Selbstgefährdung ist als bewusste Risikoschaffung straflos. 5. Erst-Recht-Schluss: Wenn die Selbsttötung straffrei ist, muss es erst recht die Selbstgefährdung sein. Soweit auf der Grundlage dieser Argumentation das Stufenverhältnis von Verletzung und Gefährdung zunächst folgerichtig scheint, vernachlässigt die voranstehende Betrachtung eine weitere, wichtige Voraussetzung zur Anwendung eines Erst-Recht-Schlusses. Dieser kann nur dann zum Einsatz kommen, wenn sich die miteinander ins Verhältnis zu setzenden Sachverhaltskonstellationen in nichts anderem unterscheiden als in dem einen steigerungsfähigen Merkmal.12 Bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass es zwischen den zu vergleichenden Konstellationen der Selbsttötung und Selbstgefährdung einen entscheidenden Unterschied gibt, der einer komparativen Regel der oben formulierten Art entgegensteht: Der Rechtsgutsträger geht im Rahmen einer Selbstgefährdung zwar die Gefahr bewusst ein, aber er beabsichtigt nicht die Risikoverwirklichung, also bspw. seinen Tod.13 Besonders deutlich hat Zaczyk den hier relevanten Unterschied zwischen Selbsttötung und Selbstgefährdung herausgearbeitet. Nach ihm besteht das Selbsttötungsgeschehen aus drei mitander verbundenen Elementen, nämlich dem Willen, der Handlung und dem Tod als Erfolg.14 Eine Selbsttötung zeichnet sich dadurch aus, dass der Suizi12
Vgl. dazu Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 127. Vgl. Fahl, JA 1998, 105 (109); vgl. auch Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 22; Frisch, W., NStZ 1992, 1 (5); vgl. Herzberg, JA 1985, 265 (270); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 379 ff. m. w. Nachw.; ähnl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (169); ähnl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 123; vgl. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 128; dies., Strafrecht AT, 2. Aufl., § 6Rn. 7; dies., ZIS 2007, 247 (249); dies., NStZ 2012, 409 (410); NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 183 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 195; ders., JR 2001, 246 (248); vgl. auch Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (565, 571); vgl. ferner Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 227. 14 Ausf. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 33 ff. 13
II. Zur Straffreiheit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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dent den Willen hat, sich das Leben zu nehmen, aus diesem Grund die Suizidhandlung vornimmt, um durch diese den gewollten Erfolg, seinen Tod, zu verwirklichen.15 Bei der Selbstgefährdung besteht dieser logische Zusammenhang nicht. Ein sich Gefährdender erkennt die Gefahr einer Handlung, hat den Willen, diese Handlung trotz des Risikos eines möglichen Erfolgseintritts vorzunehmen, will aber den Erfolg nicht.16 Mit anderen Worten: Der Wille umfasst die Gefahr der Risikoschaffung, nicht aber den tatsächlich eintretenden Erfolg.17 Letztlich beschreiben die Selbsttötung und die Selbstgefährdung hinsichtlich des Willenselements divergierende Situationen, mit der Konsequenz, dass sich eine Gleichstellung beider Konstellationen im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses anscheinend verbietet. Nun könnte man diesem Problem entgegentreten, wie es der BGH versucht: „Ohne rechtliche Bedeutung ist es, wenn der sich bewusst und eigenverantwortlich selbst Gefährdende hofft oder darauf vertraut, dass es nicht zum Eintritt des „Erfolges“ kommen werde. Mit dem gefährlichen, in seiner möglichen Tragweite überblickten Verhalten übernimmt er das Risiko der Realisierung der Gefahr (. . .).“18
Der BGH rekurriert auf das Institut der sogenannten Risikoeinwilligung aus dem Bereich der einverständlichen Fremdgefährdung und versucht, über dieses den Wertungsrückgriff von der vorsätzlichen Selbsttötung auf die fahrlässige Selbstgefährdung19 zu begründen.20 Dies leitet zu der relevanten Frage über, worin das Unrecht einer fahrlässigen Straftat eigentlich besteht, und daran angebunden, ob die Beseitigung des Handlungsunwertes für eine wirksame Einwilligung ausreicht. Muss und kann die Einwilligung in ein Risiko auch das fahrlässige Erfolgsunrecht beseitigen? Der Streit darüber, ob die Grundsätze des Rechtsinstituts der Einwilligung überhaupt im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte zur Anwendung kommen können, beschäftigte lange Zeit die Strafrechtsdogmatik, ist aber gegenwärtig kaum mehr von Bedeutung, so dass im Folgenden auf eine ausführliche Streitdarstellung verzichtet und nur auf die für die Selbst15 Ähnl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 33; ähnl. auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 20 f. 16 Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 53. 17 Ebda. 18 BGHSt 32, 262 (265). 19 Vgl. hierzu Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 22; s. auch Kapitel B. II., Fußn. 51. 20 Diese Ähnlichkeit erkennt auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 118 f.
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
gefährdungsproblematik relevanten Argumente eingegangen wird.21 Ausgangspunkt soll zunächst die Frage nach dem Verhältnis von Erfolgs- und Handlungsunrecht im Fahrlässigkeitsdelikt sein. Einige Vertreter der Lehre meinen, dass allein der Handlungsunwert, also die sorgfaltswidrige Gefährdung eines Rechtsguts, den Unwert der Fahrlässigkeitsdelikte konstituiert, so dass dem Erfolg bzw. dem Erfolgsunwert nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt.22 Bezogen auf eine mögliche rechtfertigende Einwilligung, sei es folglich unerheblich, dass der Wille des Rechtsgutsträgers nicht auch den Erfolg umfasst, weil er in die gefahrenträchtige Handlung einwilligt und so das Unrecht der Tat beseitigt.23 Überzeugender ist es allerdings, auch im Bereich der Fahrlässigkeit den Erfolgsunwert neben dem Handlungsunwert als gleichwertiges Unrechtselement zu begreifen, d.h., erst die Sorgfaltspflichtverletzung und der konkrete Erfolg zusammen begründen das Unrecht der Fahrlässigkeitsnorm.24 Auf dieser Grundlage lässt sich bspw. die Differenzierung zwischen fahrlässigen Erfolgs- und fahrlässigen Tätigkeitsdelikten nachvollziehen, deren wesentlicher Unterschied darin besteht, dass für die Strafbarkeit des Erfolgsdelikts der tatsächliche Eintritt des tatbestandlichen Erfolges zwingend ist, während bei Tätigkeitsdelikten die Handlung selbst den Strafgrund beschreibt.25 Auch wenn man die Fahrlässigkeitsdelikte oftmals als eine Art besondere Gefährdungsdelikte umschreibt,26 verlangt der Tatbestand des Fahrlässig21 Eine ausführliche Darstellung findet sich bspw. bei Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 24 ff.; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT/I, § 10 Rn. 88 ff., insb. Rn. 96 ff.; vgl. ferner Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (560 ff.); s. auch Schünemann, JA 1975, 435 (442 ff.); vgl. Tag, Der Körperverletzungstatbestand, § 9 S. 150 ff.; vgl. ferner Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 108 f., 112 ff. 22 Vgl. statt vieler Kaufmann, Armin, in: FS Welzel, S. 393 (410 f.); auch Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (560 ff., 574); zu diesem Streit ausf. ferner Freund, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 323 ff. 23 Vgl. Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (567). 24 Vgl. Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 94; ders., NStZ 2006, 266 (273); vgl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 76 f.; auch Hellmann, in: FS Roxin, S. 271 (276 f.); ferner Hirsch, H. J., ZStW 94 (1982), 239 (253 ff.); vgl. auch Krümpelmann, in: FS Bockelmann, S. 443 (443 ff.); vgl. Kühl, StGB, Vor § 13 ff. Rn. 18 ff., § 15 Rn. 36; auch NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 20 f.; ausf. Roxin, Strafrecht AT/I, § 10 Rn. 88 ff., insb. Rn. 96 ff.; Rudolphi, in: FS Maurach, S. 51 (69 f.); ausf. ferner Schünemann, in: FS Schaffstein, S. 159 (171 ff.); ausf. weiterhin Stratenwerth, in: FS Schaffstein, S. 177 (182 ff.); vgl. Tag, Der Körperverletzungstatbestand, § 9 S. 156 ff.; vgl. ferner LK-StGB/Vogel, § 15 Rn. 154, 180; vgl. auch Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 34 f., 37 f. 25 Vgl. die Übersicht bei Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 640; ähnl. Hohn, JuS 2008, 494 (495). 26 So z. B. Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (574).
II. Zur Straffreiheit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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keitsdeliktes in der Regel die Verwirklichung eines Erfolgs, während bei Gefährdungsdelikten die Schaffung einer abstrakten bzw. konkreten Gefahr für das Rechtsgut genügt.27 Folgt man der Ansicht, wonach sowohl der Erfolg als auch das sorgfaltswidrige Verhalten konstitutive Bestandteile des Unrechtstatbestands sind, muss sich bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten, wie bspw. der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB, die Einwilligung des Rechtsgutsträgers auf die Tötungshandlung und den tatbestandlichen Erfolg beziehen – eine bloße Einwilligung in die Handlung genügt zur Unrechtsbeseitigung nicht.28 Geppert stellt insofern zutreffend fest, dass die Einwilligung im Bereich der fahrlässigen Delikte das rechtsgutsbezogene Erfolgsunrecht und das personalpflichtwidrige Handlungsunrecht umfassen muss.29 Ist es demnach eine Fiktion, wenn man in der Risikoeinwilligung zugleich eine Einwilligung des Rechtsgutsträgers in den tatsächlichen Erfolg erblickt?30 Eine solche Schlussfolgerung ist abzulehnen, weil sie übersieht, dass das Rechtsinstitut der Einwilligung im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte nur entsprechend, d.h. unter Berücksichtigung der fahrlässigen Deliktsstruktur, zur Anwendung kommen kann. Die Besonderheit der Fahrlässigkeitsdelikte hat Stratenwerth ganz richtig in der Beziehung zwischen Handlung und Erfolg erkannt. Anders als beim Vorsatzdelikt, wo die Handlung auf den Erfolg ausgerichtet ist, zielt die sorgfaltswidrig fahrlässige Handlung nur auf das Risiko eines vorgegebenen Erfolges ab, so dass es ausreicht, wenn der Rechtsgutsträger in das Risiko des Erfolgseintritts einwilligt.31 27 Ähnl. Schünemann, in: FS Schaffstein, S. 159 (175); ähnl. Tag, Der Körperverletzungstatbestand, § 9 S. 157 m. w. Anm.; vgl. auch Krümpelmann, in: FS Bockelmann, S. 443 (445 f.), der im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte den Begriff der Gefährdetheit als Anknüpfungspunkt des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs und der Normzweckbestimmung benennt (S. 449); vgl. auch die Gegenüberstellung der Fahrlässigkeitsdelikte und der konkreten Gefährdungsdelikte bei Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 91. 28 Ausf. Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (973 ff.); ähnl. Hauck, GA 2012, 202 (214 f.); vgl. Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 674 m. w. Nachw.; Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 108. 29 Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (978 f.). 30 So Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 51 m. w. Nachw.; vgl. ferner Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 22 f., 51 f.; ähnl. auch Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (999); vgl. auch Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 227; krit. Dach, Zur Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 15 f.; krit. auch Weber, U., in: FS Baumann, S. 43 (45 f.). 31 Stratenwerth, in: FS Schaffstein, S. 177 (181); vgl. auch Hirsch, H. J., ZStW 94 (1982), 239 (254); ähnl. auch Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (977 f., 999), der über eine Differenzierung von voluntativen und kognitiven Elementen der Einwilligung in Fällen der Fremdgefährdung unter Bejahung beider Voraussetzungen eine Einwilligung annimmt, dann aber (im Widerspruch hierzu) an späterer Stelle
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Anwendbarkeit des Erst-Recht-Schlusses von der eigenverantwortlichen Selbsttötung auf die Selbstgefährdung? Über die Modifizierung der Einwilligung lässt sich durchaus eine Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Willensausrichtungen des sich Gefährdenden und des Suizidenten in der rechtlichen Wertung herstellen. Die Konstellationen der Selbstgefährdung und Selbsttötungen sind also vergleichbar, nicht aber von vornherein als gleich anzusehen. Voraussetzung des Erst-Recht-Schluss-Argumentes ist aber, wie bereits angeführt, dass neben dem steigerungsfähigen Merkmal keine weitere zusätzliche Bedingung eingreift. Die miteinander ins Verhältnis zu setzenden Konstellationen dürfen sich nur in einem steigerungsfähigen Merkmal unterscheiden.32 Um die Selbsttötung und Selbstgefährdung miteinander vergleichen zu können, bedarf es neben der Abstufung von Gefährdung und Verletzung aber auch des Instituts der Risikoeinwilligung.33 Diese notwendige Einwilligungsmodifizierung im Fahrlässigkeitsbereich ist wiederum eine zusätzliche, einschränkende Bedingung, die einem Erst-Recht-Schluss entgegensteht.
2. Zusammenfassung: die Unanwendbarkeit des argumentum a maiore ad minus Zu resümieren ist an dieser Stelle, dass die methodischen Voraussetzungen des argumentum a maiore ad minus nicht vorliegen. Dem Erst-RechtSchluss steht entgegen, dass eine Vergleichbarkeit der eigenverantwortlichen Selbsttötung und der Selbstgefährdung nur unter Berücksichtigung der Abstufung Gefahr/Verletzung und darüber hinaus über eine Modifizierung der Einwilligung in Form der Risikoeinwilligung möglich ist. Die Berücksichtigung dieser Modifizierungsnotwendigkeit ist wiederum unerlässlich, weil der sich gefährdende Rechtsgutsträger anders als der Suizident nur das Risiko bewusst eingeht, den hiermit verbundenen Erfolg, seinen Tod, aber gar nicht will. Diese differente Willensausrichtung steht einer Vergleichbarkeit im Sinne des argumentum a maiore ad minus entgegen. aufgrund des fehlenden voluntativen Elements die entsprechende Anwendung der Einwilligung auf die Selbstgefährdungskonstellationen verneint; ähnl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (945) und auch Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (777), welche meinen, die Risikoeinwilligung beseitige zwar das Handlungsunrecht, lasse aber das Erfolgsunrecht stehen und dieses für sich allein sei strafrechtlich unerheblich; vgl. auch Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 83 m. w. Nachw.; krit. hierzu Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (567); a. A. Roxin, JZ 2009, 399 (400). 32 Vgl. dazu Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 127 f. 33 Ähnl. auch die Argumentation von Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 116 ff., 119 f.
III. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung
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Damit bleibt die Frage bestehen, warum die eigenverantwortliche Selbstgefährdung nicht strafbar ist. Die Rechtsprechung bemüht sich über die Konstruktion eines Erst-Recht-Schlusses eine Antwort zu finden, dabei steckt diese, wie im Verlauf der weiteren Untersuchung noch aufgezeigt wird, bereits in der Bezeichnung der Konstellation selbst: Es ist die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden.
III. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung Die eigenverantwortliche Selbsttötung und die vorsätzliche sowie fahrlässige Mitwirkung an einer solchen sind straffrei. Dieses Ergebnis stellt auch die hiesige Untersuchung nicht in Frage. Kritisiert wird allerdings die strafrechtsdogmatische Begründung seitens der Rechtsprechung. Während das Teilnahmeargument im Rahmen der vorsätzlichen Teilnahme am Suizid aus dogmatischer Sicht noch überzeugt, weist vor allem die vom BGH präferierte Systematik im Bereich der fahrlässigen Suizidmitwirkung erhebliche Schwächen auf.
1. Das Teilnahmeargument der Rechtsprechung und die Straffreiheit der vorsätzlichen Anstiftung und Beihilfe zum Suizid Beschränkt sich die Mitwirkungshandlung auf eine bloße Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung, wäre eine Teilnehmerstrafbarkeit im Sinne der §§ 26, 27 StGB nur zulässig, wenn der Grundsatz limitierter Akzessorietät erfüllt ist. Obwohl der BGH die Selbsttötung als rechtswidriges Verhalten charakterisiert, wertet er diese nicht als tatbestandsmäßige Straftat im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, so dass die Voraussetzungen einer Teilnehmerstrafbarkeit nicht vorliegen.34 Diese Begründung der Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme am Suizid, das sogenannte Teilnahmeargument, ist das Resultat klassischer Gesetzesanwendung. Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Rechtsprechung den eigentlichen Grund für die Straffreiheit der Mitwirkung, der sich hinter dem Teilnahmeargument verbirgt, nicht näher benennt. Der materielle Grund der Straffreiheit der Suizidteilnahme ist, wie noch eingehend erörtert wird, die Eigenverantwortung des Suizidenten, die einer strafrechtlichen Verantwortung des Mitwirkenden entgegensteht. 34 Vgl. z. B. BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167); 19, 135 (137); 24, 342 (343 f.); 32, 262 (263 f.).
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2. Zur Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid im Kontext der fahrlässigen Täterschaft gem. § 222 StGB Die fahrlässige Mitwirkung am fremden Suizid ist nach ständiger Rechtsprechung straffrei. Begründet wird diese Wertung mit einem argumentum a maiore ad minus, wonach die fahrlässigen Handlungen als straffrei zu werten sind, die, wenn der Dritte vorsätzlich gehandelt hätte, nicht über eine bloße Beihilfe oder Anstiftung hinausgegangen wären.35 Die Notwendigkeit dieser Wertungsübertragung aus dem Bereich der vorsätzlichen Suizidteilnahme beruht aus Sicht des BGH auf der Erkenntnis, wonach das durch fahrlässiges Verhalten bewirkte Unrecht nicht so schwer wiegt, wie das durch vorsätzliches Handeln realisierte, so dass die Strafbarkeit der fahrlässigen Suizidmitwirkung einen Wertungswiderspruch zur Straffreiheit der vorsätzlichen Suizidteilnahme schaffen würde.36 Ob dieser Argumentationsgang und der Rückgriff auf den Erst-RechtSchluss dogmatisch überzeugend sind, ist allerdings zweifelhaft. Übergeht ein derartiger Wertungsrückgriff nicht die eigenständigen Strafbarkeitsvoraussetzungen der Fahrlässigkeit? Bedarf die Verneinung strafrechtlichen Unrechts nicht einer deliktsspezifischen Argumentation anhand der hier relevanten Fahrlässigkeitsmerkmale und damit mehr als eines pauschalen Verweises auf die Wertung einer (eventuell) vergleichbaren Sachverhaltskonstellation? a) Die Unzulässigkeit des Erst-Recht-Schluss-Argumentes von der Straffreiheit der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidmitwirkung Wie bereits herausgestellt, verlangt der Rückgriff auf das argumentum a maiore ad minus aus methodischer Sicht einen Ausgangssatz, der ein steigerungsfähiges Merkmal enthält.37 Dieses steigerungsfähige Merkmal erblickt die Rechtsprechung offensichtlich in einem Stufenverhältnis, das zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bestehen soll.
35 Vgl. z. B. BGHSt 24, 342 (343 f.); BGH NJW 2009, 2611 (2612); OLG Nürnberg NJW 2003, 454; vgl. auch Herzberg, JA 1985, 131 (135). 36 Statt vieler BGHSt 24, 342 (343 f.). 37 Vgl. das Vorgehen bei Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 124 ff.; ausf. hierzu bereits Kapitel C. II. 1. S. 51.
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aa) Das Stufenverhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit In der Rechtswissenschaft finden sich zahlreiche Vertreter, die das Verhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit als ein Plus-Minus-Verhältnis charakterisieren.38 Nach deren Ansicht ist jedem Vorsatzdelikt eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt immanent, so dass die Fahrlässigkeit eine Art notwendige Bedingung des Vorsatzes darstellt.39 Die Fahrlässigkeit ist folglich schon im Vorsatz enthalten.40 Puppe konstatiert, dass der Vorsatz lediglich ein Spezialfall der Fahrlässigkeit sei.41 Vorsatz wäre seiner Natur nach demgemäß Fahrlässigkeit, angereichert mit einem zusätzlichen kognitiven bzw. voluntativen Merkmal.42 Hardtung vergleicht das Verhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit in diesem Zusammenhang mit dem Stufenverhältnis eines Grundtatbestandes zur Qualifikation.43 Die Verneinung des Vorsatzes impliziert demnach die Fahrlässigkeit.44 Würde man diesen Ausführungen folgen und die Fahrlässigkeit als ein Minus zum Vorsatz begreifen, wäre ein Stufenverhältnis, wie es die Anwendung des Erst-Recht-Schlusses voraussetzt, gegeben. Allerdings lassen diejenigen, die ein solches Plus-Minus-Verhältnis zu konstruieren versuchen, außer Acht, dass die Fahrlässigkeit gegenüber dem Vorsatz aus dogmati38 Vgl. hierzu noch RGSt 41, 389 (391); vgl. ferner Freund, in: MünchKommStGB, Bd. I., 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 296 ff.; Hardtung, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 222 Rn. 1 f.; vgl. auch SK-StGB/Hoyer, Anh. zu § 16 Rn. 3 f.; Jakobs, GA 1971, 257 (260 f.); vgl. auch Mitsch, JuS 2001, 105 (107 f.); vgl. Schmidhäuser, JuS 1980, 241 (251); Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 5 Rn. 58. 39 Vgl. hierzu Herzberg, Jus 1996, 377 (380 f.); ders., GA 2001, 568 (570 f., 572 f.); ders., NStZ 2004, 593 (595 ff.); ders., in: FG 50 Jahre BGH, S. 51 (60 f.); vgl. auch Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 97 ff.; NKStGB/Puppe, § 15 Rn. 5; dies., in: FS Otto, S. 389 (398 f.); ähnl. auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 227, 259, welcher konstatiert, dass Vorsatz- und Fahrlässigkeitstäter die gleiche Verhaltensnorm verletzen. 40 So z. B. Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, S. 51 (63); vgl. Jakobs, GA 1971, 257 (260); ähnl. auch LK-StGB/Vogel, § 15 Rn. 19 f. m. w. Nachw. 41 NK-StGB/Puppe, § 15 Rn. 5; dies., in: FS Otto, S. 389 (398); vgl. auch Freund, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor § 13 Rn. 299, ähnl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 226, 229, der davon ausgeht, dass Fahrlässigkeit ein Surrogat gegenüber dem Vorsatz darstellt. 42 So z. B. Hardtung, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 222 Rn. 1 f.; vgl. SK-StGB/Hoyer, Anh. zu § 16 Rn. 4; vgl. hierzu die Darstellung bei Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (695). 43 Vgl. Hardtung, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 222 Rn. 1. 44 Vgl. Puppe, in: FS Otto, S. 389 (399); krit. zu dem zwingenden Schluss vom fehlenden Vorsatz auf die Fahrlässigkeit im Kontext eines Plus-Minus-Verhältnisses Feiler, Subjektive Zurechnung, S. 118 m. w. Anm.
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scher Sicht einer selbstständigen Strafbegründung bedarf, die spezifische, vom Vorsatz losgelöste Straftatbestandsvoraussetzungen erfordert.45 Während bspw. Vorsatz nach § 16 StGB die Kenntnis der Tatumstände voraussetzt, beschreibt die Fahrlässigkeit immer ein Nichtwissen hinsichtlich der Tatumstände.46 Ausgehend von dieser Ungleichartigkeit ist die von den Befürwortern des Plus-Minus-Verhältnisses beschriebene Immanenz der Fahrlässigkeit im Vorsatz abzulehnen.47 Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: Derjenige, der den Tod eines anderen als Folge seines Handelns im Sinne des dolus eventualis billigend in Kauf nimmt, kann nicht zugleich auf den Nichteintritt des Erfolges im Sinne einer bewussten Fahrlässigkeit hoffen. Ein Verhalten lässt sich nur als eines von beiden klassifizieren: vorsätzlich oder fahrlässig.48 Demnach kann zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit auch kein Stufenverhältnis, nachgebildet dem eines Grundtatbestandes zur Qualifikation, bestehen.49 Des Weiteren überzeugt auch das Argument, wonach das Plus-Minus-Verhältnis auf einer beim Vorsatz und bei der Fahrlässigkeit gleichermaßen vorliegenden Sorgfaltspflichtverletzung beruhe, nicht, weil die Sorgfaltspflichtverletzung sich nur auf sehr abstrakter Ebene als ein gemeinsames Merkmal begreifen lässt.50 Zwischen beiden Unrechtsformen bestehen aber erhebliche qualitative Unterschiede51, auf die untenstehend noch näher eingegangen wird. Die Fahrlässigkeit beschreibt gegenüber dem Vorsatz einen eigenständigen Unrechtsvorwurf.52 In der Konsequenz dieser Erkenntnisse ist der gegenwärtigen Rechtsprechung und der vorherrschenden Lehre zuzustimmen, die das Verhältnis der 45
Vgl. z. B. BGHSt 13, 162 (168); vgl. ferner Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (695). 46 Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (695 f.); vgl. ferner Feiler, Subjektive Zurechnung, S. 120 ff.; ähnl. Jähnke, in: GdS Schlüchter, S. 99 (100 f.); a. A. bspw. Schmidhäuser, JuS 1980, 241 (241 f., 251). 47 Ausf. Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 79; ders., in: FS Gallas, S. 241 (245 f.); vgl. auch Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 101; vgl. Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (695 f.); s. ferner Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 15 Rn. 3. 48 Ausf. Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (700). 49 Kretschmer, Jura 2000, 267 (267); Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (695 f.). 50 Ausf. Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 102 m. w. Nachw.; vgl. auch Jähnke, in: GdS Schlüchter, S. 99 (100); vgl. ferner Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (718 ff.); vgl. Schaffstein, NJW 1952, 725 (729); krit. gegenüber diesem Argument Feiler, Subjektive Zurechnung, S. 120. 51 Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 102. 52 Vgl. ausf. Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., § 15 Rn. 102 f.; vgl. Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 635.
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Fahrlässigkeit gegenüber dem Vorsatz als Aliud begreifen.53 Vorsatz und Fahrlässigkeit schließen einander begrifflich gegenseitig aus, sie sind kontradiktorische Gegensätze.54 Stehen Vorsatz und Fahrlässigkeit in diesem Sinne in einer Beziehung der Exklusivität bzw. Alternativität55, scheint ein Stufenverhältnis, wie es der Erst-Recht-Schluss dogmatisch voraussetzt, nicht vorzuliegen. Damit wäre die Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung durch einen Rückgriff auf das Teilnahmeargument unzulässig. Allerdings ist im Kontext des Verhältnisses von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu beachten, dass neben dem soeben abgelehnten begriffslogischen Stufenverhältnis auch ein von diesem losgelöstes normatives bzw. normativ-ethisches Stufenverhältnis existieren kann.56 Ist zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit eine solche normative Abstufung möglich? Ein normatives Stufenverhältnis setzt einen sich am Unwertgehalt orientierenden wertenden Vergleich fahrlässiger und vorsätzlicher Straftaten voraus.57 In diesem Sinne geht die Rechtsprechung davon aus, dass einer vorsätzlichen Rechtsgutsverletzung mehr Unwert und Schuld zuzusprechen sei als einer entsprechenden fahrlässigen Rechtsgutsverletzung, weil die innere Beteiligung beim Vorsatz größer ist.58 Während bei der Fahrlässigkeit nur eine „vermeidbare Vermeidepflichtverletzung“ vorliegt, begeht der Vorsatztäter eine „bewusste Vermeidepflichtverletzung“.59 Auf der Grundlage dieser wertenden Betrachtung bejaht die Rechtsprechung das normative Stufenverhältnis60 mit der Konsequenz, dass ein Täter bei Nichtnachweisbarkeit seines Vorsatzes wegen des weniger schwerwiegenden Fahrlässigkeitsvor53
Vgl. beispielhaft BGHSt 4, 340 (341, 344); vgl. Duttge, in: MünchKommStGB, Bd. I., 2. Aufl., § 15 Rn. 101 ff.; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 85; Feiler, Subjektive Zurechnung, S. 122; Kretschmer, Jura 2000, 267 (267) m. w. Nachw.; Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (695 f.); Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 79 f.; Schaffstein, NJW 1952, 725 (729); Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 15 Rn. 3; vgl. Zeiler, ZStW 53 (1934), 251 (252). 54 Vgl. hierzu die Kritik an der umgangssprachlichen Konnotation bei Puppe, in: FS Otto, S. 389 (398 f.); ferner NK-StGB/Puppe, § 15 Rn. 4. 55 Vgl. Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (700) m. w. Nachw. 56 Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 79 f. 57 Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 80; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 4. 58 Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 79 f.; vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 16 II 2 S. 146 f.; vgl. ferner Kretschmer, Jura 2000, 267 (267 f.); ausf. Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (710 ff.); vgl. auch Otto, in: FS Peters, S. 373 (378 f.); vgl. LK-StGB/Vogel, § 15 Rn. 8 ff. 59 Otto, in: FS Peters, S. 373 (379); ähnl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 93 f.; ähnl. auch Kindhäuser, Strafrecht AT, § 33 Rn. 2. 60 Vgl. bspw. BGHSt 32, 48 (57).
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wurfs bestraft werden kann.61, 62 Auf eben diese Wertung stellt der BGH auch ab, wenn er zur fahrlässigen Mitwirkung am Suizid ausführt: „Dabei gehört zum Gehilfenvorsatz, dass der Gehilfe weiß oder zumindest damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, es werde zum Tod des Selbstmörders kommen. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewusster Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewusst, nimmt sie aber im Gegensatz zu jenem nicht billigend in Kauf. (. . .) Es geht nicht an, das mit einer solchen inneren Einstellung verübte Unrecht strafrechtlich strenger zu bewerten als die Tat desjenigen, der mit Gehilfenvorsatz dasselbe Unrecht bewirkt, nämlich den Tod eines Selbstmörders mitverursacht.“63
Im Übrigen stellt die Annahme eines normativen Stufenverhältnisses unter gleichzeitiger Ablehnung eines begriffslogischen Stufenverhältnisses keinen Widerspruch dar. Während ein begriffslogisches Stufenverhältnis ein „Mehr oder Weniger“ beschreibt, vergleicht das normativ-ethische Stufenverhältnis zwischen „Schwächerem und Stärkerem“.64 Geht es bei dem Vergleich im begriffslogischen Stufenverhältnis um eine Klassifikation von Vorsatz und Fahrlässigkeit, definiert das normative Stufenverhältnis eine wertmäßige Stufenbeziehung, bezogen auf den unterschiedlichen Unwertgehalt vorsätzlichen und fahrlässigen Handelns.65 Zu resümieren bleibt, dass zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ein normatives Stufenverhältnis besteht. Dieses bildet das Fundament der Rechtsprechungsargumentation, wonach das fahrlässige Unrecht der Beteiligung nicht strafbar sein könne, wenn es schon das schwerer wiegende Unrecht der vorsätzlichen Teilnahme nicht ist.66 Doch kann das normative Stufenverhältnis eine derartige Wertungsübertragung von der vorsätzlichen Teil61
Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., § 15 Rn. 104. Relevant ist in diesem Zusammenhang, dass die Fahrlässigkeit keine Art „Auffangtatbestand“ zum Vorsatzdelikt darstellt. Vgl. Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 103; Kretschmer, Jura 2000, 267 (267); vgl. Otto, in: FS Peters, S. 373 (379); auch Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 4; anders noch BGHSt 4, 340 (341, 344) sowie BGHSt 17, 210 (212 f.). 63 BGHSt 24, 342 (343 f.); zur Abgrenzung des voluntativen und kognitiven Elements bei Vorsatz und Fahrlässigkeit vgl. ferner Feiler, Subjektive Zurechnung, S. 120 ff. 64 Vgl. BGHSt 32, 48 (56 f.). 65 Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (708, 712, 715 ff.). 66 Vgl. BGHSt 24, 42 (343 f.); 37, 179 (180 f.); 46, 279 (288 f.); 49, 34 (49 f.); BGH NJW 2000, 2286 (2287); zust. auch Bockelmann, ZStW 66 (1954), 111 (117); Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 342; vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 16 ff.; vgl. Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (245 f.); ders., JZ 2009, 399 (401); ders., in: FS Tröndle, S. 177 (186); Spendel, JuS 1974, 749 (751). 62
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nahme am Suizid auf die fahrlässige Mitwirkung im Sinne eines ErstRecht-Schlusses tatsächlich legitimieren? Das normative Stufenverhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist ein Konstrukt, das sich in der Rechtspraxis für Konstellationen herausgebildet hat, in denen das Gericht vom Ausschluss der Schuldlosigkeit zwar überzeugt ist, aufgrund der abgeschlossenen Beweiswürdigung jedoch nicht mit Sicherheit entscheiden kann, ob der Täter mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit gehandelt hat67. In derartigen Situationen kann der Angeklagte unter Berufung auf das normative Stufenverhältnis wegen des weniger schwerwiegenden Fahrlässigkeitsunrechts bestraft werden. Der Vergleich von Vorsatz und Fahrlässigkeit in normativ-ethischer Sicht beschreibt oder besser löst also ein Entscheidungsproblem.68 Dieses sagt allerdings nichts über die dogmatische Beziehung zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz aus.69 Obwohl das normativ-ethische Stufenverhältnis keinen unmittelbaren Einfluss auf die dogmatische Beziehung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit hat, ist die durch sie beschriebene qualitative Abstufung des Unrechts für die teleologische Auslegung der Reichweite einer Norm aber durchaus relevant. Folgt man dieser Überlegung, könnte ein Erst-Recht-Schluss auch an einem normativen Stufenverhältnis anknüpfen. Damit die Wertungsübertragung der Rechtsprechung im Bereich der fahrlässigen Suizidmitwirkung über das argumentum a maiore ad minus allerdings zulässig ist, dürften sich die vorsätzliche Suizidteilnahme und die fahrlässige Suizidmitwirkung außer hinsichtlich der qualitativen Unrechtskomponente, die das normative Stufenverhältnis beschreibt, nicht in einem weiteren Merkmal unterscheiden.70 Ob diese Voraussetzung des Erst-Recht-Schlusses in den hier diskutierten Konstellationen tatsächlich vorliegt, ist zweifelhaft.
67 Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (701 f., 710 ff.); vgl. auch Entscheidungen zur Wahlfeststellung: zum Verhältnis Diebstahl und Hehlerei vgl. RGSt 68, 257 (260 ff.); zum Verhältnis Meineid und fahrlässiger Falscheid vgl. BGHSt 4, 340 (341 ff.); zum Problem der Wahlfeststellung im Rahmen des § 330a a. F. (§ 323a n. F.) vgl. BGHSt 1, 275 (276 f.); 1, 327 (328 f.); zum Verhältnis Mittäterschaft und Beihilfe vgl. BGHSt 23, 203 (206 f.) m. w. Nachw.; zum Verhältnis Anstiftung und Beihilfe vgl. BGHSt 31, 136 (137 f.) m. w. Nachw. 68 Mylonopoulos, ZStW 99 (1987), 685 (710 ff.). 69 So Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 104; a. A. Herzberg, in: FG 50 Jahre BGH, S. 51 (63). 70 Vgl. dazu Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 127 f.; vgl. hierzu auch Kapitel C. II. 1. S. 51 ff.
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bb) Die Vergleichbarkeit von Vorsatz und Fahrlässigkeit hinsichtlich des Täterbegriffs als Voraussetzung der Wertungsübertragung Die Bedenken gegen eine Anwendung des Erst-Recht-Schlusses in Bezug auf die fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung knüpfen an den Umstand an, dass hier zwischen verschiedenen Formen der Beteiligung ein Wertungsvergleich konstruiert wird. Während die strafrechtliche Bewertung der fahrlässigen Mitwirkung nach einer fahrlässigen Täterschaft im Sinne des § 222 StGB fragt, betrifft die vorsätzliche Mitwirkung den Bereich der Teilnehmerstrafbarkeit nach §§ 26, 27 StGB.71 Lässt sich der Unwert einer fahrlässigen Täterschaft mit dem Unrecht einer vorsätzlichen Teilnahme vergleichen? Sind die fahrlässige Täterschaft im Sinne des § 222 StGB und die vorsätzliche Teilnahme Komponenten eines einheitlichen Beteiligungssystems? Nur wenn dies bejaht werden kann, ist ein ErstRecht-Schluss zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung ausgehend von der Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme zulässig. Will man feststellen, welches Beteiligungssystem im Bereich der Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikte anzuwenden ist, eröffnet sich ein weites Problemfeld der Strafrechtsdogmatik. Gemeint ist die Diskussion darüber, welcher Täterbegriff den Fahrlässigkeitsdelikten, für die hiesige Untersuchung spezifisch den begehungsneutralen Fahrlässigkeitsnormen72 wie z. B. § 222 StGB, im Vergleich zu den Vorsatzdelikten zugrunde liegt. Während für die Vorsatzdelikte entsprechend §§ 25 ff. StGB der restriktive Täterbegriff anerkannt ist73, besteht im Fahrlässigkeitsbereich Uneinigkeit darüber, ob der Einheitstäterbegriff in Verbindung mit dem extensiven Täterbegriff oder der restriktive Täterbegriff mit seinem Beteiligungssystem Gültigkeit besitzt.74 71
Vgl. Bock, Jura 2005, 673 (677); vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 159; vgl. ferner Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 ff. Rn. 112; vgl. Rotsch, Einheitstäterschaft statt Tatherrschaft, S. 197 f.; vgl. auch Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178); ähnl. ders., JZ 2009, 399 (401); ausf. Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 80 ff., insb. Rn. 81, 85; ferner van Els, NJW 1972, 1476 (1477). 72 Vgl. hierzu Rotsch, Einheitstäterschaft statt Tatherrschaft, S. 198, der von „begehungsneutralen Verursachungsdelikten“ spricht. 73 Statt vieler Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 7; SK-StGB/Hoyer, Vor § 25 Rn. 1 ff.; Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor § 25 Rn. 9 ff.; ausf. Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 14 ff.; LK-StGB/Schünemann, Vor § 25 Rn. 6 ff. jeweils m. w. Nachw. 74 Während die Differenzierung Teilnahmesystem/Einheitstäterbegriff Auskunft darüber gibt, ob zwischen verschiedenen Beteiligungsformen zu unterscheiden ist und welche Konsequenzen dies mit sich bringt, beschreiben der extensive und restriktive Täterbegriff die Reichweite der Straftatbestände. Vgl. hierzu Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 663; Kienapfel, JuS 1974, 1 (2); ferner Renzi-
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Die wohl überwiegende Ansicht in der Rechtswissenschaft differenziert im Bereich des Fahrlässigkeitsdeliktes nicht zwischen verschiedenen Beteiligungsformen (Einheitstäterbegriff), so dass grundsätzlich erst einmal jede Art der Erfolgsverursachung fahrlässiges Verhalten begründen kann (extensiver Täterbegriff).75 Damit ist zunächst jede Veranlassung, jedes Fördern oder Hilfeleisten, das sich bei vorsätzlicher Handlung als Teilnahme klassifizieren ließe, als fahrlässige Täterschaft zu qualifizieren. Selbst wenn man mit den Vertretern des funktionalen Einheitstäterbegriffs eine begriffliche Differenzierung zwischen verschiedenen Beteiligungsformen grundsätzlich anerkennt, hat diese keine Auswirkung auf die Strafbarkeit, weil alle Beteiligungsformen wert-, wesens- und haftungsmäßig als gleichrangige Täterschaftstypen zu werten sind.76 Demgegenüber fordern andere Rechtswissenschaftler auch im Bereich der fahrlässigen Delikte die Anerkennung des restriktiven Täterbegriffs mit seinem Teilnahmesystem.77 Nach dem restriktiven Täterbegriff genügt nicht schon jede Erfolgsverursachung zur Tatbestandsverwirklichung, sondern es bedarf eines konkreten, im Tatbestand beschriebenen Verhaltens und nur wer diese konkreten Handlungsmerkmale erfüllt, ist Täter im Sinne des kowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 11; vgl. weiterhin Roeder, ZStW 69 (1957), 223 (226); vgl. zur Differenzierung und Geschichte des Täterbegriffs auch Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 6 ff., 65; vgl. Zimmerl, ZStW 49 (1929), 39 (40 ff., 45 ff.), der von einer extensiven und restriktiven Interpretation der Tatbestände spricht. 75 Vgl. Freund, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 493 ff.; vgl. auch Frister, Strafrecht AT, Kap. 25 Rn. 5; vgl. auch Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 992 ff.; vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 100; vgl. Kienapfel, JuS 1974, 1 (2); vgl. Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (59); vgl. Pasedach, Verantwortungsbereich wider Volksgesundheit, S. 78; vgl. auch Roeder, ZStW 69 (1957), 223 (228); ferner Kindhäuser, Strafrecht AT, § 38 Rn. 3; vgl. auch Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178); Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 52 f., 62, 64 m. w. Nachw. (im Verlaufe seiner Abhandlung zur Konzeption der Risikoherrschaft im Fahrlässigkeitsbereich [s. Kap. F., Fußn. 485] stellt Schneider allerdings klar, dass der extensive Täterbegriff der Fahrlässigkeitsdelikte überholt sei, vgl. beispielhaft Kap. 5 Rn. 28, 37 ff., 141); zur Dogmengeschichte des Einheitstäterbegriffs ausf. Kienapfel, Der Einheitstäter im Strafrecht, S. 9 ff. 76 Kienapfel, JuS 1974, 1 (5); ders., Der Einheitstäter im Strafrecht, S. 25 f., 35; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 10. 77 Vgl. Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 667; Heine, in: Schönke/ Schröder, Vor § 25 Rn. 7a; Otto, in: FS Spendel, S. 271 (272 f.) m. w. Nachw.; ders., Jura 1990, 47 (48 f.); vgl. auch Pen˜a/Conlledo, in: FS Roxin, S. 575 (598 ff.); vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 259; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 108 ff.; vgl. auch Spendel, JuS 1974, 749 (756 f.), der von einer teleologischen Auslegung der Täterschafts- und Teilnahmeregeln im Fahrlässigkeitsbereich ausgeht und die Umdeutung der fahrlässigen Teilnahme in fahrlässige Täterschaft als Verstoß gegen jede teleologische Gesetzesauslegung begreift.
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
§ 25 StGB.78 Wenn die Straftatbestände in diesem Sinne ausschließlich täterschaftliches Verhalten erfassen, kann nur eine zusätzliche Normierung, wie sie der Gesetzgeber in §§ 26, 27 StGB geschaffen hat, ausnahmsweise eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe begründen.79 Die Regelungen zur Teilnahme haben folglich strafbarkeitskonstituierende Bedeutung, sie dehnen die Strafbarkeit, die eigentlich nur den Täter erfasst, aus.80 Im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte würde der restriktive Täterbegriff folglich eine Differenzierung zwischen der fahrlässigen Täterschaft und der „fahrlässigen Teilnahme“ bewirken und in letzter Konsequenz bliebe die „fahrlässige Teilnahme“ mangels einer den §§ 26, 27 StGB vergleichbaren Regelung straffrei.81 Würde man sich der zuletzt dargestellten Ansicht anschließen und den restriktiven Täterbegriff auch im Fahrlässigkeitsbereich anwenden, wäre ein Erst-Recht-Schluss von der Straffreiheit der vorsätzlichen Suizidteilnahme auf die Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung durchaus zulässig. Ein solcher restriktiver Täterbegriff in der Fahrlässigkeit, der von vornherein nur eine Strafbarkeit wegen täterschaftlichen Verhaltens erfassen würde82, ist allerdings abzulehnen. Es ist gerade die Besonderheit der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, dass sie auch die Fälle erfasst, welche sich im Bereich des Vorsatzdeliktes aufgrund der untergeordneten Rolle des Handelnden im Gesamtgeschehen nur als Teilnahme qualifizieren ließen.83 Wie bereits Roxin zutreffend konstatierte, lässt sich dem Wortlaut des § 222 StGB nicht entnehmen, dass die fahrlässige Mitwirkung aufgrund ihres „Teilnahmecharakters“ aus dem Bereich strafrechtlicher Verantwortlichkeit ausgenommen ist.84 Im Rahmen der begehungsneutralen Fahrlässigkeitsdelikte wie § 222 StGB lässt der Gesetzeswortlaut für die Strafbarkeit eine bloße Erfolgsverursachung ausreichen.85 Wenn jemand folglich den Tod eines 78
Vgl. Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (369). Vgl. Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (369). 80 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 11 f.; vgl. auch Detzer, Die Problematik der Einheitstäterlösung, S. 63 ff.; ähnl. auch Herzberg, ZStW 99 (1987), 49 (64); vgl. Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor § 25 Rn. 7; ferner Kienapfel, JuS 1974, 1 (2); vgl. Otto, in: FS Spendel, S. 271 (271 f.); vgl. auch Roeder, ZStW 69 (1957), 223 (226). 81 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 192; ferner Otto, JuS 1974, 702 (704). 82 Otto, Jura 1990, 47 (49); ders., JuS 1974, 702 (705); ders., Jura 1998, 409 (411 f.); vgl. auch Eschenbach, Jura 1992, 637 (644); vgl. ferner Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 Rn. 7a, 112; ausf. hierzu auch die Darstellung bei Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 113 ff. 83 Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (364). 84 Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178); ähnl. auch Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 78 (91); krit. Eschenbach, Jura 1992, 637 (643). 79
III. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung
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Menschen verursacht, ist er Täter einer fahrlässigen Tötung, auch wenn die Verursachungshandlung im Vorsatzbereich nur eine Teilnahme wäre.86 Die Reichweite der Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit ist demnach nicht identisch mit dem Haftungsumfang der vorsätzlichen Täterschaft.87 In diesem Sinne ist auch zu bedenken, dass die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gem. § 15 StGB eine gesetzliche Ausnahme, d.h. eine durch erhöhte Sorgfaltspflichtanforderung bewirkte Verschärfung der strafrechtlichen Haftung darstellt.88 Die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit kann hiernach weitreichender sein als die Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Handelns.89 Gegen dieses Wortlautargument zugunsten des Einheitstäterbegriffs wird angeführt, dass nicht schon die kausale Verursachung des Erfolges allein eine Fahrlässigkeitstäterschaft begründen könne, sondern hierfür ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten vorliegen muss.90 Zutreffend ist, dass die Formulierung in § 222 StGB „Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht“ eine Kausalität im Sinne einer Erfolgsverursachung nicht ausreichen lässt, sondern zwischen dem Erfolg und der Fahrlässigkeit eine Verbindung erfordert, die wiederum über die Sorgfaltspflichtwidrigkeit hergestellt wird. Die Sorgfaltspflichtwidrigkeit ist, wie Kienapfel es formulierte, eine Konturierung der Strafbarkeitsgrenzen auf Tatbestandsebene.91 Diese Konkretisierung des Verursachungsbegriffs läuft dem Einheitstäter85 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 100; vgl. auch Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 71; ders., MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 457 ff.; vgl. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 179; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 27; ders., in: FS Tröndle, S. 177 (178); vgl. Seier, JA 1990, 342 (343 f.). 86 Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (505); vgl. ferner Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 303 f.; Rotsch, Einheitstäterschaft statt Tatherrschaft, S. 198; Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (365 f., 369 f.). 87 So aber Otto, JuS 1974, 702 (705). 88 Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 343; a. A. LK-StGB/ Vogel, Vor § 15 Rn. 22 ff.; krit. auch Eschenbach, Jura 1992, 637 (643), der auf das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung für den Einheitstäterbegriff, vergleichbar dem § 14 Abs. 1 OWiG, verweist. 89 Vgl. Neumann, JA 1987, 244 (248); vgl. Seier, JA 1990, 342 (344); ähnl. auch Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 100. 90 Vgl. statt vieler Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 Rn. 112; ähnl. auch Otto, in: FS Spendel, S. 271 (274); ders., JuS 1974, 702 (705); vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 205; auch NK-StGB/Schild, § 25 Rn. 21 f.; Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 117 f. 91 Vgl. Kienapfel, JuS 1974, 1 (7); ähnl. auch Freund, in: MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 498 f.; vgl. ferner Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (243), der von einer „Limitierung der Fahrlässigkeitshaftung trotz einer auf eine Gefahrschaffung zurückführbaren Rechtsgüterverletzung“ spricht; vgl. Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 54 f.; auch Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (538 ff., 553 ff.).
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begriff nicht zuwider und sie ermöglicht eine Individualisierung der Verantwortung des Einzelnen92. Im Zusammenhang mit dem Wortlautargument verweisen die Kritiker des Einheitstäterbegriffs im Übrigen darauf, dass der Gesetzgeber durch die veränderte Ausdrucksweise in § 222 StGB „Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, (. . .).“ gegenüber § 212 StGB „Wer einen Menschen tötet, (. . .).“ die unmittelbare Täterschaft sprachlich genauer definieren wollte, was für den restriktiven Täterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich spreche.93 Auch dieses Argument kann nicht überzeugen, weil eine Verursachung, wie sie § 222 StGB fordert, vom Begriff her nicht nur ein unmittelbares, sondern auch ein mittelbares Bewirken des Erfolgseintritts erfasst.94 Würde man mit den Vertretern des restriktiven Täterbegriffs im Bereich der fahrlässigen Erfolgsdelikte nur denjenigen als Täter anerkennen, der entsprechend § 25 StGB den Erfolg unmittelbar verursacht,95 würde dies zugleich die Anerkennung einer Regressverbotslehre96 implizieren, die dogmatisch nicht überzeugen kann97. Bereits das RG98 und später auch der 92 A. A. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 67 ff.; ähnl. auch Bockelmann, Sonderheft zu ZStW 1957, 46 (47 f.). 93 Vgl. Otto, in: FS Spendel, S. 271 (275); ähnl. bereits Goltdammer, GA 1867, 15 (17); ähnl. auch Pen˜a/Conlledo, in: FS Roxin, S. 575 (599), die von der Zufälligkeit der anderslautenden Formulierungen ausgehen; vgl. ferner Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 111 f. 94 Vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 100; a. A. Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 78 (82): „Begehen einer Tat ist nicht gleich Bewirken des Erfolges, Handeln etwas anderes als bloßes Verursachen.“ 95 S. Fußn. 82. 96 Vgl. einige Vertreter dieser Lehre, mit jeweils eigenen Modifizierungen bzw. Nuancierungen Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (5 ff., 17 ff.); Naucke, ZStW 76 (1964), 409 (insb. 410 ff., 424 ff., 432 ff.); Otto, in: FS Maurach, S. 91 (95 ff.); ähnl. Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 2 f., 6 f., 42 ff.; ähnl. auch Schünemann, GA 1999, 207 (223 f.), der das Regressverbot zwar ausdrücklich ablehnt, es aber inhaltlich übernimmt und in die Sorgfaltspflichtverletzung verlagert. 97 Vgl. auch Freund, in: MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 410 ff., vgl. auch Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 78 (91 f.); vgl. auch Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 99 ff.; vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 85 f., 136 ff.; vgl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 77 ff.; vgl. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 179 ff.; Puppe, Strafrecht AT, 1. Aufl., § 5 Rn. 29.; dies., GA 2009, 486 (492); ausf. Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (177 ff.); ferner Schlüchter, JuS 1976, 378 (378 ff.); vgl. Spendel, JuS 1974, 749 (755). 98 RGSt 61, 318 (319): „Eine Ursache hört nicht deshalb auf, eine solche zu sein, weil außer ihr noch andere Ursachen mehr oder weniger zur Herbeiführung des Erfolges beigetragen haben. Die Revision behauptet eine sogenannte Unterbrechung des Ursachenzusammenhangs, weil durch Handlungen zurechnungsfähiger Dritter Zwischenursachen gesetzt worden seien, ohne die der rechtswidrige Erfolg nicht
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BGH99 haben sich zu Recht gegen diese Lehre vom Regressverbot ausgesprochen mit der Begründung, dass ein Kausalzusammenhang, der bei einer mittelbaren Ursachensetzung gleichermaßen vorhanden ist wie bei einer unmittelbaren Verursachung, nicht aufgrund eines Drittverhaltens, in den hier relevanten Fällen das Verhalten des Suizidenten, unterbrochen werden kann.100 Neben der Diskussion um die Auslegung des Wortlautes machen die Anhänger des restriktiven Täterbegriffs darauf aufmerksam, dass die Beteiligungsformen als solche eine phänotypische Struktur aufweisen, d.h., eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme schon im vorrechtlichen sozialen Bereich stattfinde, die demzufolge auch dem fahrlässigen Erfolgsdelikt immanent sein müsse.101 Dieser Aussage kann nur eingeschränkt zugestimmt werden. Im Sinne des allgemeinen, alltagssprachlichen Begriffsverständnis lässt sich, wie Spendel nachgewiesen hat, durchaus davon sprechen, dass man einen anderen fahrlässig in seinem Suizidentschluss bestärken oder den Suizidwunsch des anderen fahrlässig hervorrufen oder forcieren kann.102 So hat bspw. derjenige, der dem Rechtsgutsträger sorgfaltswidrig eine geladene Waffe überlässt und damit dessen Suizidentschluss auslöst, umgangssprachlich „fahrlässig zur Selbsttötung angestiftet“.103 Diese unspezifische Differenzierung der Beteiligungsformen aus dem sozialen Bereich kann allerdings eine strafrechtliche Kategorisierung und Wertung im Bereich der Fahrlässigkeit, vergleichbar der des Vorsatzbereiches, nicht indizieren.104, 105 eingetreten wäre. (. . .) Jedoch zu Unrecht.“; vgl. auch RGSt 64, 316 (317 ff.); 64, 370 (372 ff.). 99 So z. B. BGHSt 4, 360 (361 f.); 39, 322 (324). 100 Vgl. hierzu statt vieler Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (177); Schlüchter, JuS 1976, 378 (378) m. w. Nachw. 101 Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 119 ff., 126, 173; ähnl. Neumann, JA 1987, 244 (247); vgl. Otto, JuS 1974, 702 (704); ähnl. Bock, Jura 2005, 673 (680). 102 Vgl. Spendel, JuS 1974, 749 (752 f.) m. w. Nachw.; ähnl. Neumann, JA 1987, 244 (247); ähnl. Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 117 f., 120. 103 Ähnl. Spendel, JuS 1974, 749 (752); ähnl. ferner Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 119. 104 Vgl. Spendel, JuS 1974, 749 (752); ähnl. Detzer, Die Problematik der Einheitstäterlösung, S. 157 ff.; ähnl. hinsichtlich eines durch die Allgemeinüberzeugung bzw. durch die sozialen Vorgegebenheiten vorgeformten Täterbegriffs Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 15 S. 116 f. 105 S. hierzu auch Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 ff. Rn. 112, der die Bezeichnung „fahrlässige Teilnahme“ als terminologische Verwirrung strikt ablehnt; ähnl. auch van Els, NJW 1972, 1476 (1477), der konstatiert, dass im Strafrecht kein Platz für den Begriff der „fahrlässigen Teilnahme“ sei; vgl. auch die Kritik bei Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 76.
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
Zur Begründung der Geltung des Einheitstäterbegriffs im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte sei zudem auf die Ausführungen von Schlehofer hingewiesen. Dieser hat überzeugend dargelegt, dass ein restriktiver Täterbegriff bei den Fahrlässigkeitsdelikten zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen würde. So müsste bspw. derjenige, der zur Tötung eines anderen fahrlässig anstiftet, straflos bleiben, aber derjenige, der vorsätzlich zur Körperverletzung anstiftet und zugleich den Haupttäter fahrlässig zur Todesverursachung des Opfers bestimmt, würde wegen der Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 227, 18, 26 StGB gleich dem Haupttäter bestraft werden.106 Ähnliche Wertungswidersprüche konnte Schlehofer auch im Bereich der Beihilfe aufzeigen. So bleibt bspw. die Beihilfe, auch wenn sie gem. § 27 Abs. 2 StGB eine obligatorische Strafmilderung bewirkt, im Rahmen einer Erfolgsqualifikation mit Strafe bedroht.107 Eine grundsätzliche Straffreiheit der fahrlässigen Beihilfe im Sinne des restriktiven Täterbegriffs würde diese rechtliche Wertung unterlaufen.108 Nach diesen Erkenntnissen führt der Einheitstäterbegriff also im Fahrlässigkeitsbereich nicht zu der vielfach prognostizierten, unerträglichen Ausweitung der Strafbarkeit.109 Übrig bleibt damit der Einwand der Befürworter des restriktiven Täterbegriffs in der Fahrlässigkeit, wonach in einer einheitlichen Strafrechtsordnung nicht zwei verschiedene Täterbegriffe nebeneinander bestehen können.110 Dieser Aussage wäre nur dann beizupflichten, wenn Vorsatz und Fahrlässigkeit dogmatisch die gleichen Bezugspunkte aufwiesen, d.h. im Tatbestand übereinstimmen würden.111 Ein so indiziertes Plus-Minus-Verhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit besteht, wie erörtert, allerdings nicht.112 Fahrlässigkeit ist ein Aliud zum Vorsatz, weil sie eigene, selbstständige Strafbarkeitsvoraussetzungen erfordert, insbesondere hinsichtlich der subjektiven Unrechtskomponente.113 Sind Vorsatz und Fahrlässigkeit 106
Vgl. Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (371 f.). Vgl. Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (372). 108 Ebda. 109 So bspw. Otto, in: FS Spendel, S. 271 (274); ders., JuS 1974, 702 (705); ähnl. auch Spendel, JuS 1974, 749 (756). 110 Vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 226. 111 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 226, 229, der in der Fahrlässigkeit ein Surrogat zum Vorsatz sieht; krit. u. a. LK-StGB/Vogel, § 15 Rn. 154; s. auch Fußn. 41. 112 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel C. III. 2. a) aa) S. 59 ff. 113 Vgl. Kapitel C. III. 2. a) aa) S. 59 ff. Zur Differenzierung von objektiver Sorgfaltspflichtverletzung (Tatbestandsebene) und subjektiver Sorgfaltspflichtverletzung (Schuldebene) der wohl h. M.: vgl. Hirsch, H. J., ZStW 94 (1982), 239 (266 ff.); Kaufmann, Armin, in: FS Welzel, S. 393 (404 ff.); Maiwald, in: FS Dreher, S. 437 (450 ff.); NK-StGB/Puppe, Vor 107
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selbstständige Unrechtsformen, spricht nichts dagegen, den jeweiligen Unrechtsformen divergierende Täterbegriffe zugrunde zu legen. Zu resümieren bleibt somit, dass im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte der extensive Einheitstäterbegriff gilt. Eine Verengung der fahrlässigen Erfolgsverursachung im Sinne des restriktiven Täterbegriffs wäre systemwidrig.114 Für die strafrechtliche Wertung der fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid bedeutet dies, dass jede fahrlässige Mitwirkung, auch wenn sie sich bei vorsätzlichem Handeln des Dritten als Teilnahme im Sinne der §§ 26, 27 StGB darstellen würde, grundsätzlich vom Straftatbestand des § 222 StGB erfasst ist. Liegt den Fahrlässigkeitsdelikten der Einheitstäterbegriff und nicht der restriktive Täterbegriff aus dem Vorsatzbereich zugrunde, ist ein Erst-RechtSchluss im Sinne des argumentum a maiore ad minus unzulässig, weil sich die fahrlässige und vorsätzliche Suizidmitwirkung nicht nur hinsichtlich der Qualität des Unrechts als komparatives Merkmal, sondern zusätzlich noch bezogen auf die zu wertende Beteiligtenform unterscheiden. b) Zusammenfassung Folgt man, wie hier vorgeschlagen, im Bereich der Fahrlässigkeit dem Einheitstäterbegriff, ist der Rückgriff auf das argumentum a maiore ad minus zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung am Suizid verwehrt, auch wenn man ein normatives Stufenverhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit anerkennt. Nach dem Einheitstäterbegriff wird das Mitwirken des Dritten von vornherein als Fahrlässigkeitstäterschaft im Sinne des § 222 StGB diskutiert, so dass ein Wertungsrückgriff auf die vorsätzliche Suizidteilnahme, deren Straffreiheit an die fehlende Akzessorietät zur Haupttat anknüpft, unzulässig ist. Damit ist die Argumentation der Rechtsprechung zur Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung am Suizid zu verwerfen. Die Begründung, dass § 13 ff. Rn. 159 ff.; Rudolphi, JuS 1969, 549 (550 ff.); Schünemann, in: FS Schaffstein, S. 159 (160 ff.); ders., JA 1975, 511 (512 ff.); Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 15 Rn. 118 ff., 190; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 658. A. A., wonach subjektive Fähigkeiten und Fertigkeiten schon auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen sind: vgl. Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 95 ff.; Freund, GA 1991, 387 (404); Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 53 ff., insb. 64 ff.; vgl. Otto, JuS 1974, 702 (707 f.); Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 224 ff., 244; Stratenwerth, in: FS Jescheck, S. 285 (286 ff.). Eine vermittelnde Ansicht vertreten bspw. Roxin, Strafrecht AT/I, § 24 Rn. 56 ff. sowie LK-StGB/Vogel, § 15 Rn. 163; vgl. auch den Überblick bei Kaspar, JuS 2012, 16 (18). 114 Vgl. Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 (371).
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
auch das fahrlässige Ermöglichen oder Hilfeleisten bei einem eigenverantwortlichen Suizid im Ergebnis straffrei ist, muss sich aus dem Tatbestand des § 222 StGB, insbesondere den Merkmalen der Sorgfaltspflichtverletzung und des Schutzzwecks der Norm, ableiten lassen. Die notwendige teleologische Auslegung muss sich wiederum maßgeblich an der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers orientieren.
IV. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Die Rechtsprechungsanalyse hat gezeigt, dass seit dem Grundsatzurteil aus dem Jahre 1984, das durch zahlreiche spätere Entscheidungen und Beschlüsse bestätigt wurde, die Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung grundsätzlich als straffrei gewertet wird.115 Die Begründung dieser Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme sowie fahrlässigen Mitwirkung des Dritten beruht dabei auf einer „doppelten Anwendung“ des argumentum a maiore ad minus.116 Wenn demnach die vorsätzliche Teilnahme an einer Selbsttötung straffrei ist, muss es die vorsätzliche Teilnahme an einer bloßen Selbstgefährdung erst recht sein.117 Und wenn schon das schwerer wiegende Unrecht der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung nicht zu bestrafen ist, weil die vorsätzliche Suizidmitwirkung straffrei ist, muss dies aus Wertungsgesichtspunkten auch für die fahrlässige Mitwirkung an einer Selbstgefährdung gelten.118 Ist diese dogmatische Begründung der Straffreiheit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, die sich hinter den Ausführungen der Rechtsprechung verbirgt, im Anschluss an die bisherigen Erkenntnisse haltbar?
115 Statt vieler BGHSt 32, 262 (264 f.); ausf. hierzu Kapitel B. II. 2. S. 35 ff. sowie Kapitel B. II. 3. S. 38 ff. 116 Vgl. Kuhli, HRRS 2008, 385 (386); vgl. Lasson, ZJS 2009, 359 (360); auch Puppe, GA 2009, 486 (489 f.). 117 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel B. II. 2. S. 35 ff., dort insb. Fußn. 86, 88. 118 Ebda.
IV. Zur Frage der Strafbarkeit der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung
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1. Die Unzulässigkeit eines wertenden Rückgriffs von der Straffreiheit der Suizidmitwirkung auf die Straffreiheit der Selbstgefährdungsmitwirkung in Form eines Erst-Recht-Schlusses Die Ansicht der Rechtsprechung, wonach die vorsätzliche und fahrlässige Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung straffrei sei, weil es die Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung auch ist,119 basiert auf der Überlegung, dass die Selbstgefährdung gegenüber der Selbsttötung als besondere Form der Selbstverletzung ein Minus darstellt.120 An dieses komparative Merkmal Gefahr/Verletzung knüpft die Rechtsprechung den Erst-RechtSchluss an. Wie im Rahmen der Ausführungen zur Selbstgefährdung bereits erläutert, lässt sie hierbei allerdings außer Acht, dass sich die Konstellationen der Selbstgefährdung und Selbsttötung außer in der Abstufung Gefahr/ Verletzung auch hinsichtlich des Erfolgsverwirklichungswillens des Rechtsgutsträgers unterscheiden. Während der Suizident zielgerichtet auf seinen Tod hinwirkt, geht der sich Gefährdende zwar ganz bewusst ein Risiko ein, aber er will nicht, dass der Erfolg tatsächlich eintritt.121 Eine Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Willensausrichtungen beider Konstellationen in der rechtlichen Wertung lässt sich zwar über die Modifizierung der Einwilligung herstellen – sofern man die Risikoeinwilligung, wie hier vorgeschlagen, im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte anerkennt.122 Für die Anwendung eines Erst-Recht-Schlusses bedeutet dies allerdings, dass neben dem steigerungsfähigen Merkmal Gefahr/Verletzung für eine Vergleichbarkeit von Selbstgefährdung und Selbsttötung zusätzlich noch die Einwilligungsmodifikation hinsichtlich der Willenskomponente erforderlich ist. Das argumentum a maiore ad minus dient allerdings dem Zweck, einen Wertungsvergleich zwischen zwei Konstellationen zu ermöglichen, die sich nur in einem einzigen Merkmal unterscheiden.123 In letzter Konsequenz kann der Erst-Recht-Schluss daher nicht zur Anwendung kommen und der hierauf basierende Wertungsrückgriff von der Selbsttötung auf die Selbst119
Statt vieler BGHSt 32, 262 (263 ff.). Puppe, GA 2009, 486 (489 f.); ferner Lasson, ZJS 2009, 359 (360). 121 Vgl. statt vieler Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 22; vgl. Herzberg, JA 1985, 265 (270); ferner Puppe, ZIS 2007, 247 (249); NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 183 f.; vgl. auch Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (565, 571); ausf. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 33 ff.; ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. 122 Vgl. statt vieler Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (945); s. auch Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (777); vgl. auch Stratenwerth, in: FS Schaffstein, S. 177 (181); ausf. Kapitel C. II. 1. S. 53 ff. 123 Vgl. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 127 f. 120
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
gefährdung ist unzulässig.124 Dies gilt nicht nur für die Frage nach dem strafrechtlichen Unwertgehalt der Selbstgefährdung im Vergleich zur Selbsttötung, sondern gleichermaßen im Rahmen der Beurteilung der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung im Verhältnis zur Mitwirkung an einer Selbsttötung.125 Darüber hinaus wurde bereits herausgestellt, dass zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung die Voraussetzungen eines Erst-Recht-Schlusses von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Mitwirkung nicht vorliegen. Obgleich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ein normatives Stufenverhältnis besteht, so dass der qualitative Unterschied im Unrecht durchaus als komparatives Merkmal zu qualifizieren ist, verbietet sich die Anwendung eines dogmatischen Erst-Recht-Schlusses, weil die fahrlässige Mitwirkung und die vorsätzliche Teilnahme nach unterschiedlichen Beteiligungsformen fragen und dem Vorsatz wie der Fahrlässigkeit unterschiedliche Täterbegriffe zugrunde liegen. Wenn in diesem Sinne der Erst-Recht-Schluss von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidteilnahme unzulässig ist, vermag auch der hieran anknüpfende zweite Erst-Recht-Schluss von der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidteilnahme auf die Straffreiheit der fahrlässigen Selbstgefährdungsmitwirkung nicht zu überzeugen.
124
Ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. Ähnlich argumentiert auch Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 127 f. Zunächst stellt sie klar, dass eine Abstufung von Verletzung und Gefährdung möglich ist: „Ausgangssatz: Wer sich fahrlässig an einer fremden Selbstverletzung beteiligt, ist straflos. Einführung des komparativen Merkmals: Wer sich fahrlässig an einer fremden Selbstgefährdung beteiligt, beherrscht den Eintritt des Erfolges weniger als der, der sich fahrlässig an einer fremden Selbstverletzung beteiligt. Komparative Regel: In je geringerem Maße der Beteiligte den Kausalverlauf zum Erfolg beherrscht, desto eher bleibt er straflos. Konsequenz: Wer sich fahrlässig an einer fremden Selbstgefährdung beteiligt, ist straflos.“ Im Anschluss hieran lehnt sie aber die Anwendung eines Erst-Recht-Schlusses aufgrund der fehlenden Willenskomponente des sich Gefährdenden bezüglich des Erfolges zutreffend ab. Von der in dieser Abhandlung vertretenen Lösung unterscheiden sich die Ausführungen von Puppe allerdings insofern, dass sie zwar einen Erst-Recht-Schluss von den Konstellationen der Selbsttötung auf die Selbstgefährdung verneint, einen Erst-Recht-Schluss von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Mitwirkung an der Selbsttötung sowie von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Mitwirkung an der Selbstgefährdung anerkennt, weil ihrer Ansicht nach zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ein dogmatisches Plus-Minus-Verhältnis existiert. Vgl. hierzu Kapitel C. III. 2. a) aa) S. 59 ff., insb. Fußn. 41. 125
V. Kritische Zusammenfassung und Fortgang der weiteren Untersuchung
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2. Zusammenfassung Festzustellen bleibt, dass die Straffreiheit der vorsätzlichen und fahrlässigen Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung nicht, wie es die Rechtsprechung präferiert, auf einem Erst-Recht-Schluss beruht. Die Konstellationen der Selbstgefährdung bedürfen einer von der Selbsttötung dogmatisch losgelösten Begründung. Eine Antwort auf die Frage nach der strafrechtlichen Mitverantwortung des vorsätzlich oder fahrlässig Mitwirkenden für die eigenverantwortliche Selbstgefährdung knüpft auf proto(straf)rechtlicher Ebene an die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers an. Es ist die Eigenverantwortung, welche die teleologische Reichweite der strafrechtlichen Normen bestimmt, so dass es eines dogmatischen Konstrukts wie des Erst-Recht-Schlusses zur Wertung der Selbstgefährdungsmitwirkung nicht bedarf. Nicht der Erst-Recht-Schluss begründet die Straflosigkeit der Selbstgefährdung vergleichbar der Selbsttötung, sondern der Umstand, dass in beiden Konstellationen die gleichen protostrafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte in, wie noch aufgezeigt wird, unterschiedlicher Ausprägung maßgebend sind.126
V. Kritische Zusammenfassung und Fortgang der weiteren Untersuchung Die bisherige Analyse und kritische Betrachtung zu den Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung verdeutlichen, dass die Rechtsprechung ergebnisorientiert argumentiert. Sie versucht den Konflikt zwischen der Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten und der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden aufzulösen, indem sie sich formaler Konstruktionen wie des argumentum a maiore ad minus bedient. Die dogmatischen Voraussetzungen eines solchen Erst-RechtSchlusses von der Straffreiheit der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidmitwirkung sowie von der Straffreiheit der Suizidmitwirkung auf die der Selbstgefährdungsmitwirkung liegen aber, wie zuvor erörtert, nicht vor. Die Straffreiheit der vorsätzlichen wie fahrlässigen Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung oder Selbstgefährdung wird bereits auf protostrafrechtlicher Ebene durch die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers indiziert und durch die grundrechtliche Wertung vorgegeben. Dies erkennt auch der BGH, der sich in seinen Entscheidungen vereinzelt sogar ausdrücklich auf das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit oder der Selbstverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers127 beruft. Aber eine eingehendere Auseinander126
Ähnl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 392.
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C. Kritik an der höchstrichterlichen Rechtsprechung
setzung oder eine nähere Umschreibung, was im strafrechtlichen Sinne unter Eigenverantwortung konkret zu verstehen ist und welchen Inhalts ein solches Prinzip ist, findet nicht statt. Der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers kommt in der Rechtsprechung folglich nur eine sekundäre Bedeutung zu.128 Dieser Umstand macht es schließlich auch problematisch nachzuvollziehen, wann und inwieweit die Reichweite des Grundsatzes der Straffreiheit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung aus Sicht der Rechtsprechung zu begrenzen ist. Der formalen Argumentationsstruktur des BGH fehlt damit letzten Endes der materielle Bezug, es fehlt der Übergang zu einer materiellen Betrachtung des Problembereiches der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung. Die vorliegende Untersuchung bemüht sich, diesen fehlenden materiellen Bezug durch eine eingehende Betrachtung des protostrafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kontextes herzustellen und die den konkreten Rechtsanwendungen im Strafrecht vorgelagerten Dimensionen des Konfliktes zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und der Mitverantwortung des Dritten aufzuzeigen. Zu diesem Zweck gilt es zunächst zu untersuchen, was sich hinter dem Begriff der Eigenverantwortung im vorrechtlichen Sinne verbirgt. Was versteht man unter Eigenverantwortung? Welche Konsequenzen knüpfen an die Eigenverantwortung des Einzelnen an? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann in einem nächsten Schritt betrachtet werden, in welche Beziehung die Eigenverantwortung und das Recht zueinander zu setzen sind. Das Ziel der weiteren Untersuchung ist es, die Eigenverantwortung des Menschen als ein grundlegendes Rechtsprinzip zu formulieren und Antworten auf die voranstehenden Fragen zu finden. Es sind daher nicht nur die Wurzeln der Eigenverantwortung und deren Korrelation mit der Handlungsfreiheit sowie dem Prinzip der Selbstbestimmung zu betrachten. Vielmehr sollen der Leitgedanke, der sich hinter dem Prinzip der Eigenverantwortung verbirgt, herausgearbeitet und somit der Inhalt des Prinzips näher bestimmt werden. Im Rahmen der weiteren Untersuchung gilt es dann zu betrachten, wie sich die durch das Eigenverantwortungsprinzip bewirkte Beschränkung der Verantwortungszuschreibung im Verfassungs- und Strafrecht im Einzelnen gestaltet. Es soll eine Antwort darauf gefunden werden, wie der Konflikt zwischen der Mitverantwortung des Dritten und der Eigenverantwortung des Rechtsträgers unter Berücksichtigung des Rechtsprinzips der Eigenverantwortung materiell-rechtlich und dogmatisch überzeugend aufzulösen ist. 127
Vgl. etwa BGHSt 46, 279 (288). Ähnl. Herzberg, JA 1985, 131 (136), der davon spricht, dass dem Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz innerhalb der Strafbarkeitsdebatte nur sekundäre Bedeutung zukommt. 128
D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung Die strafrechtliche Verantwortungszurechnung beruht auf der Grundidee der Eigenverantwortung des Einzelnen, welche die Mitverantwortung des Dritten zurückdrängt. Die Grundlagen dieses Konzeptes finden sich allerdings nicht im Strafrecht, sondern vielmehr im vorstrafrechtlichen und sogar vorrechtlichen Bereich. Bereits der Begriff der Verantwortung ist ein dem Recht vorgelagerter.1 Es gilt folglich zu untersuchen, was sich hinter dem Begriff der Verantwortung verbirgt, bevor im nächsten Schritt aufzuzeigen ist, wie sich die Verantwortung in die Rechtsordnung einfügt. Ausgangspunkt der Begründung einer rechtlichen Verantwortung soll dabei der allgemeine Rechtsbegriff sein. Gelingt es, die Verantwortung als ein Instrument des Rechts zur Regulierung der Freiheitssphären zu begreifen, lässt sich hierauf aufbauend auch der bereits in der Verfassung angelegte Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Individuums und der Mitverantwortung des Dritten im Strafrecht lösen. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, die Eigenverantwortung des Individuums als ein dem Recht innewohnendes allgemeines Prinzip herauszustellen.
I. Der vorrechtliche Verantwortungsbegriff Losgelöst vom rechtlichen Verständnis beschreibt Verantwortung als normativer Begriff2 das „ver-antwortete“ Ablegen von Rechenschaft für zurechenbare Handlungen auf legitimes Befragen hin3. Anders formuliert, Verantwortung bedeutet, für etwas Rede und Antwort zu stehen.4 Sie lässt sich 1
Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 18. Zur Differenzierung des alltagssprachlichen Verantwortungsbegriffs in deskriptiv und normativ vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 19 ff. 3 Ott, Ipso Facto, S. 253. 4 Vgl. hierzu Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, S. 82; vgl. Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); vgl. auch Führ, Eigen-Verantwortung im Rechtsstaat, S. 43 ff.; vgl. Heidbrink, Information Philosophie 2000, 18 (18); ders., Kritik der Verantwortung, S. 59 ff.; vgl. auch die Ausführungen zum Begriff der Verantwortung in Abgrenzung zur Schuld bei Höffe, JbRSoz 14 (1989), 12 (14); vgl. ferner Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (38); vgl. Nida2
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D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung
in prospektive und retrospektive Verantwortung untergliedern. Die prospektive Verantwortung beschreibt, wer für etwas zuständig ist und wird daher auch als Aufgaben- oder Zuständigkeitsverantwortung bezeichnet.5 Die retrospektive Verantwortung fragt danach, ob eine Zuständigkeit angemessen wahrgenommen wurde und wird auch als Zurechnungs-, Imputations-, Rechtfertigungs-, Rechenschafts- oder Handlungsfolgenverantwortung bezeichnet.6 Die prospektive und retrospektive Verantwortung bestehen nicht losgelöst voneinander. Zwischen ihnen existiert eine Korrespondenzbeziehung7, d.h., ohne Aufgabenverantwortung kann es keine Rechenschaftsverantwortung geben8. Auch wenn die für diese Untersuchung besonders relevante retrospektive Rechenschaftsverantwortung vornehmlich an die negativen Folgen eines Tätig- und Untätigseins anknüpft9, ist Verantwortung grundsätzlich kein Wertungs-, sondern ein reiner Zuschreibungsbegriff.10 Voraussetzung einer solchen Verantwortungszuschreibung, auch Attribution oder A(d)skription genannt, sind die Fähigkeit des Einzelnen zur Handlung und die Einsicht in die Folgen, die das eigene Handeln mit sich bringt.11 Man kann nur für etwas verantwortlich sein, was man hätte vermeiden können.12 Demgemäß hat Verantwortung ihren Ursprung in der Handlungsfreiheit des Menschen.13, 14 Verantwortung ist das Korrelat menschlicher Freiheit.15 Rümelin, Verantwortung, S. 12, 23; vgl. auch van der Ven, in: Baumgartner/Eser, Schuld und Verantwortung, S. 31 (32 f.); Werner, in: Handbuch Ethik, S. 541 (541); Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310 f.). 5 Werner, in: Handbuch Ethik, S. 541 (542); vgl. Höffe, JbRSoz 14 (1989), 12 (15); vgl. Koch, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 17 (21). 6 Ebda. 7 Werner, in: Handbuch Ethik, S. 541 (542 f.). 8 Vgl. Höffe, JbRSoz 14 (1989), 12 (15). 9 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2309). 10 Ott, Ipso Facto, S. 253 f., 254. 11 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2309). 12 Vgl. die Ausführungen zur moralischen und strafrechtlichen Verantwortung bei Zippelius, JbRSoz 14 (1989), S. 257 (257 f.); vgl. auch Habermas, in: Müller/ Schmidt, Ich denke, also bin ich Ich?, S. 129 (129 f.); ähnl. Kaschube, Eigenverantwortung, S. 86: „Verantwortung (. . .) ist gekennzeichnet durch das Erleben von Willensfreiheit und eine gedankliche Einbeziehung der Handlungsfolgen.“; vgl. ferner Prechtl, in: Metzler Lexikon Philosophie, S. 645: „Die menschliche Willensfreiheit stellt die unabdingbare Voraussetzung für V. dar.“ 13 Ausf. Aebli, JbRSoz 14 (1989), 191 (191 f.); vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht auch Di Fabio, JZ 2004, 1 (6 f.); ähnl. ferner Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (55); vgl. ferner Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 25 ff., 53, wobei dieser weiterführend die These vertritt, dass man nicht nur Handlungen, sondern auch Überzeugungen und Einstellungen zu verantworten hat (zusammenfassend S. 29) und dass dem engen
I. Der vorrechtliche Verantwortungsbegriff
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Was bedeutet es also, wenn man von der Eigenverantwortung des Menschen spricht? Gensicke meint hierzu: „Der Wert Eigenverantwortung kann als ein Mix verschiedener Optionen verstanden werden: Der Wortteil „eigen“ verweist auf das Ego des Individuums, mit den Facetten der intellektuellen und gefühlsmäßigen Entfaltungsbedürfnisse, dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit – bis hin zum Egoismus. Die Verantwortung zieht dem Individualismus jedoch Grenzen; sie zielt auf die Zurechenbarkeit der Gedanken und Handlungen zum Individuum, das für diese einstehen muss.“16
Eigenverantwortung beschreibt folglich die Verantwortung für das eigene Handeln und das eigene Leben.17 Sie ist das Pendant zur Freiheit der individuellen Selbstbestimmung.18 Verantwortungsbegriff ein erweiterter Verantwortungsbegriff gegenüberzustellen ist, wonach der Mensch für das verantwortlich ist, was er durch Deliberation kontrollieren kann (zusammenfassend S. 67 f.); vgl. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 128; ähnl. Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 39, Kap. 4 Rn. 161; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 19 f. m. w. Nachw. 14 Dass der Mensch grundsätzlich ein zur Selbstbestimmung fähiges, freies Wesen ist, begründete bereits Kant. Nach ihm ist es der Wille des Menschen, der ihn zur Selbstbestimmung befähigt. Durch die Selbstbestimmung wiederum erfährt der Mensch seine Freiheit. Vgl. Kant, AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 446 ff.; ausf. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 20 ff.; zum kantischen Freiheitsverständnis innerhalb des Rechtsbegriffs Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 64 ff. Vgl. ferner die Analyse des kantischen Würdebegriffs bei Hruschka, ARSP 88 (2002), 463 ff., der ausgehend von Kants Differenzierung zwischen homo phaenomenon (der Mensch, wie er erscheint; auch animal rationale [das vernünftige Naturwesen]) und homo noumenon (der Mensch als geistiges Wesen) aufzeigt, dass der Mensch die Fähigkeit zur inneren Freiheit besitzt (S. 464, 466 f.). Nach Kant wird die Freiheit erst zugänglich, wenn man anerkennt, dass noch eine andere Stufe vor der Naturnotwendigkeit des Handelns existiert (S. 467 f.): der kategorische Imperativ als moralisches Gesetz und Erkenntnisgrund der Freiheit (S. 470). Gewissen (Stand der Richtigkeit, S. 471 f.) und moralisches Gefühl (die Empfänglichkeit für Lust und Unlust, S. 471 f.) sind konstitutiv für die Freiheit (S. 474). Sie sind identisch mit der Freiheit und nach Kant die Anlagen, die den Menschen zur Person machen (S. 476). Über die (moralische) Persönlichkeit wiederum kommt dem Menschen Würde zu (S. 477). Würde ist ein absoluter innerer Wert, aus dem ein Anspruch auf Achtung resultiert und derentwegen die Person nur Zweck an sich selbst sein kann (S. 477). 15 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (205); vgl. in diesem Zusammenhang auch Alwart, in: FS Hruschka, S. 357 (359 f.): „Der Einzelne wird also nicht deshalb für verantwortlich gehalten, weil er in einem empathischen Sinne frei wäre, sondern indem er für sein Tun oder Lassen zur Verantwortung gezogen wird, wird er unweigerlich als frei begriffen.“ 16 Gensicke, APuZ B 18 1998, 19 (20). 17 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115. 18 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); ähnl. auch Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverant-
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D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung
Erkennt man die Freiheit jedes Menschen zu selbstbestimmtem Handeln an, sind den eigenen Handlungsoptionen durch die Eigenverantwortung zugleich Grenzen gesetzt.19 So muss man einerseits dafür Rechnung tragen, dass durch die eigenen Handlungen die Freiheit der Mitmenschen nicht verletzt wird – man darf andere nicht schädigen.20 Andererseits verbietet es der Respekt vor der Freiheit der Mitmenschen auch, den zur Selbstbestimmung Fähigen zu bevormunden.21 Solange der Mensch selbstbestimmt agiert, kann er seine eigenen Entscheidungen treffen. Eine Ausnahme ist nur für den Fall geboten, wenn der andere nicht in der Lage ist, sich autonom für eine Handlung zu entscheiden und/oder die Konsequenzen seiner Handlungen nicht überblickt.22 Nur in diesen Situationen besteht gegenüber dem nicht zur freien Entscheidung Fähigen eine sogenannte stellvertretende Verantwortung.23 Will man das zuvor Dargestellte zusammenfassen, lässt sich Verantwortung als ein Versuch der Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft begreifen.24 Sie ist Ausdruck der Bestrebung, die Freiheitsbereiche, die sich aus dem Nebeneinander der verschiedenen individuellen Freiheitssphären ergeben, auszugleichen.25 Verantwortung hat folglich nur im sozialen Kontext Sinn.26 Problematisch ist allerdings, dass im sozialen Raum in aller Regel keine Alleinverantwortlichkeiten in dem Sinne existieren, dass die Handlung einer konkreten Person zu einer konkreten und absehbaren Folge führt.27 Vielwortung, S. 165 (165); ähnl. ferner Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 128. 19 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 117; zur Fähigkeit und Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung der Menschen als selbstbestimmte Wesen (ausgehend vom kantischen Freiheitsbegriff) ausf. Wolff, E. A., in: Hassemer, Strafrechtspolitik, S. 137 (162 ff.); vgl. ferner Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 23 f. 20 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 116; ähnl. auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 23 f. 21 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115. 22 Vgl. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2316). 23 Ebda. 24 So formuliert es Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (49) in Bezug auf die Begriffe der Verantwortung und des Rechts bei Kant und Hegel. 25 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise im folgenden Kapitel D. II. S. 81 ff. 26 Vgl. Prechtl, in: Metzler Lexikon Philosophie, S. 645; vgl. Führ, Eigen-Verantwortung im Rechtsstaat, S. 43, der Verantwortung als soziales Konstrukt bezeichnet; Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (54) m. w. Nachw.; vgl. ferner van der Ven, in: Baumgartner/Eser, Schuld und Verantwortung, S. 31 (36), der Verantwortung als Strukturelement der Gesellschaft begreift. 27 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2316).
II. Die Konnexität von Recht und Verantwortung
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mehr wirken im gesellschaftlichen Miteinander viele verschiedene Faktoren innerhalb eines komplexen Handlungsgefüges.28 So haben die eigenen Handlungen nicht nur für den Agierenden selbst Folgen, sondern das Handeln betrifft auch und vor allem andere Menschen. Aus dieser sozialen Komponente der Eigenverantwortung erwächst zugleich die zuvor beschriebene Grenze der eigenen Freiheit, die darin besteht, andere nicht zu schädigen. Dieses Gebot lässt sich als Mitverantwortung bezeichnen. In diesem Sinne soll im Folgenden unter der Eigenverantwortung die Verantwortung des Agierenden für die Folgen, die seine eigene Freiheitssphäre berühren, verstanden werden. Mitverantwortung wird als das Einstehen für die Folgen, die das eigene Handeln auf andere hat, definiert. Übertragen auf die hiesige Problemstellung, stehen sich also die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden und die Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten gegenüber. Nun stellt sich die für diese Abhandlung grundlegende Frage, in welchem Verhältnis Mitverantwortung und Eigenverantwortung zueinander stehen. Verdrängt die Eigenverantwortung die Mitverantwortung, wie zu Beginn des Kapitels behauptet, oder bleiben Eigenverantwortung und Mitverantwortung nebeneinander bestehen? Um hierauf eine Antwort zu finden, ist es notwendig, für die komplexen sozialen Handlungsgefüge, in denen die Menschen sich bewegen, Verantwortungsbereiche festzulegen.29 Den Versuch einer solchen Festsetzung unternimmt das Recht, indem es normative Maßstäbe formuliert, welche die Freiheitsbereiche der Menschen näher beschreiben und voneinander abgrenzen. Damit wird zugleich deutlich, dass der Rechtsbegriff und die Idee der Verantwortung des Menschen untrennbar miteinander verbunden sind. Wie diese Beziehung sich im Einzelnen darstellt, wird im nachstehenden Abschnitt ausgeführt.
II. Die Konnexität von Recht und Verantwortung Was ist Recht? Bereits Kant befasste sich in seiner Abhandlung zur Metaphysik der Sitten mit dieser Frage. Ausgehend von der Überlegung, dass das Recht ein äußeres Verhältnis zweier Personen voraussetzt, deren Handlungen unmittelbar oder mittelbar aufeinander einwirken,30 antwortete er: 28 Vgl. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2316). 29 Ebda. 30 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 230; ausf. Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (453, 464); allgemein zu den Grundlinien der kantischen Rechtsphilosophie s. Brugger, JZ 1991, 893 (894 ff.).
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D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung
„Das Recht ist (. . .) der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“31
Aus der Notwendigkeit der Willkürbegrenzung, die in den aufeinandertreffenden Handlungen verschiedener Personen zum Ausdruck kommt, leitet er eine staatliche Zwangsbefugnis ab, die der Reglementierung der äußeren Freiheit dient.32 Verallgemeinert man diesen Ansatz Kants, lässt sich das Recht als Inbegriff der vom Staat garantierten allgemeinen Normen zur Regelung des menschlichen Zusammenlebens definieren.33 Das Recht dient dazu, mittels allgemeiner Gesetze die Entstehung von Konflikten zu verhindern oder Konflikte zu lösen.34 Die Begrenzung der Freiheit (der Willkür) des Einzelnen ist allerdings nur dann legitim, wenn er durch seine Freiheitsausübung zugleich in die Freiheitssphäre anderer eingreift.35 Das Recht bemüht sich folglich um einen Ausgleich der aufeinandertreffenden Freiheitsbereiche durch Gesetze36 und stellt ein gegenseitiges Anerkennungsverhältnis her.37 In diesem Sinne beschränkt es auf der einen Seite die Freiheit des Einzelnen, garantiert ihm aber auf der anderen Seite für die Mitmenschen und den Staat verbindliche, subjektive Rechte, wie z. B. den Schutz des Lebens.38 Das Recht dient letztlich dazu, im äußeren Verhältnis 31 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 230; auch ders., Über den Gemeinspruch, S. 21: „Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetz möglich ist (. . .).“; vgl. hierzu Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (45); zur Kritik am kantischen Rechtsbegriff vgl. u. a. die Ausführungen bei Alwart, Recht und Handlung, S. 22 ff., insb. S. 26 f. 32 Vgl. Alwart, Recht und Handlung, S. 26; ausf. Brugger, JZ 1991, 893 (894 f.); ferner Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 181 ff.; ausf. auch Maatsch, Selbstverfügung, S. 218 f.; ausf. zur Herleitung des kantischen Rechtsbegriffs Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 62 ff. 33 Vgl. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, § 1 Rn. 4, 19; zu beachten ist, dass eine für alle Wissenschaftsbereiche gleichermaßen verbindliche Definition des Rechtsbegriffs nicht existiert, weil Recht ein komplexes Phänomen ist, dessen Explikation sich erst im Kontext des jeweiligen Forschungsaspektes ergibt, so zutreffend Dreier, R., NJW 1986, 890 (893). Eine umfassende Nachzeichnung der rechtsphilosophischen Entwicklung des Rechtsbegriffs ist im Kontext dieser Abhandlung nicht erforderlich. 34 Vgl. Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 254 (255); vgl. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, § 1 Rn. 4. 35 Vgl. Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 254 (255); vgl. Kühl, in: Handbuch Ethik, S. 486 (487). 36 Vgl. Kühl, in: Handbuch Ethik, S. 486 (487); ähnl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 161 f. 37 Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 196.
II. Die Konnexität von Recht und Verantwortung
83
der Menschen zueinander jedem größtmögliche und gleiche Freiheit zu gewährleisten.39 Wie verhalten sich nun Recht und Verantwortung zueinander? Im vorangegangenen Abschnitt wurde konstatiert, dass Verantwortung der Versuch sei, das Individuum und die Gesellschaft miteinander in Ausgleich zu bringen.40 Hierzu ist es notwendig, Verantwortungsbereiche festzulegen und voneinander abzugrenzen.41 Eine Verantwortungszurechnung erfordert allerdings immer einen normativen Bezugspunkt: „Jemand (Subjekt) verantwortet sich – retrospektiv – für etwas (Gegenstand) vor oder gegenüber jemandem (Instanz) unter Berufung auf bestimmte normative Standards (Normhintergrund).“42
Verantwortung bedarf hiernach eines ausgewiesenen evaluativen oder normativen Maßstabes, der die Zulässigkeit der in Frage stehenden Handlung oder Unterlassung bestimmt.43 Einen solchen normativen Maßstab bilden neben moralischen insbesondere rechtliche Normen.44 Das Recht ist der Inbegriff von normativen Verbindlichkeiten für das äußere Verhalten.45 Versteht man das Recht in diesem Sinne als Grundkonsens eines gemeinsamen Zusammenlebens, in dem jedem Individuum größtmögliche Freiheit garantiert ist und Interaktionen schadensfrei verlaufen sollen, beschreibt die prospektive Verantwortung im rechtlichen Sinne die Befolgung der vom Gesetz vorgegebenen Verhaltensnormen.46 Die Frage nach der retrospektiven Verantwortung, wie sie auch für das Strafrecht relevant ist, stellt sich hingegen immer erst dann, wenn Rechtsnormen übertreten oder spezifische Rechtsgüter verletzt wurden.47 38
Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 254 (255). So Brugger, JZ 1991, 893 (894); ähnl. Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (67); vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zur Aufgabe des Staates nach dem kantischen Rechts- und Staatsverständnis bei Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 94 ff.; vgl. ferner Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 137 m. w. Nachw. 40 Vgl. Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (49); s. hierzu Fußn. 24. 41 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2316). 42 Werner, in: Handbuch Ethik, S. 541 (543); vgl. Führ, Eigen-Verantwortung im Rechtsstaat, S. 47 ff.; vgl. Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 326 (326); ders., JbRSoz 14 (1989), 12 (27); ähnl. Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (40 ff.) m. w. Nachw.; s. auch Kaschube, Eigenverantwortung, S. 20 ff.; ähnl. auch Koch, in: Koch/ Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 17 (20 ff.); vgl. auch Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2314). 43 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310). 44 Ebda. 45 Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 254 (254). 46 Vgl. Lampe, JbRSoz 14 (1989), 286 (299). 47 Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (206). 39
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D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung
Nach den bisherigen Erkenntnissen lässt sich feststellen, dass Recht und Verantwortung einen inneren Zusammenhang aufweisen, miteinander verbunden – konnex – sind. Hieran schließt sich nun die Frage an, ob sich aus dieser Verbundenheit im nächsten Schritt ein Rechtsprinzip der Eigenverantwortung ableiten lässt.
III. Die Eigenverantwortung als allgemeines Rechtsprinzip Existiert ein allgemeines Prinzip der Verantwortung und liegt ein solches dem Recht zugrunde? Um hierauf eine Antwort zu finden, ist, wie die Zweiteilung der Frage erahnen lässt, zu differenzieren. Aus der Perspektive der Philosophie ist die Existenz eines allgemeinen Verantwortungsprinzips abzulehnen.48 Ein Prinzip im ontologischen Sinne ist immer ein Ersteres, aus dem eine Sache entweder besteht, entsteht oder erkannt wird.49 Anders formuliert, sind Prinzipien oberste inhaltliche Normen oder formale Gesichtspunkte, auf deren Grundlage sich die Gültigkeit einzelner Normen bestimmen lässt.50 In diesem Sinne kann Verantwortung kein Prinzip sein, weil sie keine rechtlichen Normen konstatiert, sondern von diesen nur Gebrauch macht.51 Recht und Verantwortung stehen folglich in einer Wechselbeziehung, einem, wenn man es so formulieren will, gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis: Verantwortung braucht die rechtlichen Normen als Maßstäbe der Zuschreibung, ist aber nicht in der Lage, rechtliche Normen aus sich heraus zu begründen, und Normen setzen in ihrer faktischen Geltung wiederum den Begriff der Verantwortung voraus, sind aber ihrerseits nicht in der Lage, den Verantwortungsbegriff zu begründen.52 Lehnt man ein allgemeines Prinzip der Verantwortung aus philosophischer Sicht ab, bleibt die Überlegung, ob, hiervon unberührt, ein allgemeines Prinzip der Eigenverantwortung im Recht existieren kann. Ein Rechtsprinzip ist ein richtunggebender Maßstab, ein allgemeiner Rechtsgedanke.53 48 Ott, Ipso Facto, S. 254; Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310). 49 Prechtl, in: Metzler Lexikon Philosophie, S. 482. 50 Ott, in: Handbuch Ethik, S. 474 (482). 51 Ausf. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310). 52 Ott, Ipso Facto, S. 254; Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310). 53 Ausf. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 458; ders., in: FS Nikisch, S. 275 (300); ausf. ferner Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 121 ff., wobei er nicht zwischen Rechtsprinzipien und Rechtsgrundsätzen differenziert; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 247 ff., der
III. Die Eigenverantwortung als allgemeines Rechtsprinzip
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Es ist selbst keine Norm, sondern vielmehr die ratio legis einer Norm54 und dient folglich als objektiv teleologisches Kriterium der Rechtsauslegung55. Kann es in diesem Sinne ein (straf-)rechtliches Eigenverantwortungsprinzip geben? Recht und Verantwortung haben ihren gemeinsamen Ursprung in der Freiheit des Menschen und seiner Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln.56 Recht steht unter der Bedingung der Freiheit57 und ist, rechtspositivistisch argumentiert, als Grundidee in der Menschenwürde (Art. 1 GG) und dem Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) normiert58. Die Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung ist folglich nicht nur als Fundament der Rechtsordnung, sondern zugleich als allgemeines Rechtsprinzip anzuerkennen.59 Wenn man nun die Verantwortung, wie in den vorangestellten Abschnitten erörtert, als das Korrelat der menschlichen Handlungsfreiheit begreift60, ist die Eigenverantwortung mit der Freiheit zur Selbstbestimmung substanziell verbunden. Aus dem Rechtsprinzip der Selbstbestimmung lässt sich folglich das Rechtsprinzip der Eigenverantwortung ableiten. Auf der Grundlage dieses Verständnisses lässt sich die Eigenverantwortung im Ergebnis als allgemeines Rechtsprinzip erfassen.61 ebenfalls Rechtsprinzipien mit Rechtsgrundsätzen gleichsetzt; ein Überblick zu den Diskussionen um Wesen, Funktion und Begründung von Rechtsprinzipien in Form einer Gegenüberstellung der Lehre Dworkins und Essers geben bspw. Pascua, in: Orsi/Seelmann/Smid/Steinvorth, Prinzipien des Rechts, S. 7 ff. und Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 33 S. 238 ff., 285 ff., 288 ff. 54 Larenz, in: FS Nikisch, S. 275 (300). 55 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 241. 56 Ähnl. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310). 57 Vgl. Brugger, JZ 1991, 893 (895). 58 Vgl. Brugger, JZ 1991, 893 (895); vgl. auch die Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Selbstverantwortungsprinzips bei Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (insb. S. 166 ff.). 59 Ähnl. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 291. 60 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (205). 61 Im Ergebnis zust. insb. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 18 ff.; ähnl. Duttge, in: FS Otto, S. 227 (238); vgl. auch Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (308) m. w. Nachw.; s. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 148; vgl. ferner Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (113), der 1972 davon sprach, dass das Eigenverantwortlichkeitsprinzip noch kein gesicherter Rechtsgrundsatz sei; vgl. ferner Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 1; vgl. auch Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 78 ff. Zur Anerkennung des Rechtsprinzips der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Privatrecht: Heinrich, Ch., Formale Freiheit, S. 350 f.; Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (168 ff.); Larenz, Methoden-
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D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung
Der Leitgedanke dieses Prinzips besteht dabei, wie bereits im Rahmen des vorrechtlichen Verantwortungsbegriffs dargelegt, zum einen im Schutz vor fremder Bevormundung und zum anderen in der Pflicht, für die Konsequenzen, die das eigene Handeln mit sich bringt, einzustehen.62 Ein so definiertes Rechtsprinzip der Eigenverantwortung liefert auch eine Orientierung für die Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage der Verantwortungszuweisung: Respektiert das Recht die Selbstbestimmungsfreiheit des Menschen und knüpft hieran eine Selbstverpflichtung des Rechtsträgers und den Schutz vor Bevormundung, verdrängt die Eigenverantwortung des Rechtsträgers die Mitverantwortung anderer. Denn eine retrospektive Mitverantwortung anderer für das selbstbestimmte Handeln des Rechtsträgers würde deren Zuständigkeit für das Wohl des Rechtsträgers im prospektiven Sinne voraussetzen.63 Beruht aber das Recht, wie zuvor dargestellt, auf dem Grundgedanken, jedem Individuum größtmögliche Freiheit zu garantieren64, wäre es widersprüchlich, einem anderen die Zuständigkeit für einen selbstbestimmt agierenden Rechtsträger aufzuerlegen. Eine solche Verantwortungszuweisung wäre eine Bevormundung des Rechtsträgers, die im Widerspruch zur Anerkennung und Respektierung der individuellen Selbstbestimmungsfreiheit stände. Im Ergebnis begrenzt also die Eigenverantwortung die Verantwortungszurechnung.65 Sie verdrängt die Mitverantwortung, indem sie eine rechtliche Zuständigkeit der anderen für die Folgen des selbstbestimmten Handelns des Rechtsträgers nicht entstehen lässt. In diesem Zusammenhang sind mit der Bezeichnung „anderer“ im Übrigen nicht nur die an einer fremden Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten gemeint, sondern auch der Staat. Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers obsiegt ebenso gegenüber der staatlichen Verantwortung, weil auch der Staat zur Respektierung des selbstbestimmten Handelns des Rechtsträgers verpflichtet ist. Während allerdings das Verhältnis zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsträgers und der Mitverantwortung des Dritten im strafrechtlichen Kontext insbesondere die Frage der retrospektiven Verantwortungszuweisung ins Auge fasst, betrifft das Verhältnis zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsträgers und der Verantwortung des Staates vorrangig die verfassungsrechtliche Frage danach, ob der Staat im Sinne einer prospektiven Zuständigkeitsverantwortung zum Schutz des Einzelnen legitimiert lehre, S. 458; Mayer-Maly, JbRSoz 14 (1989), 268 (insb. 277 ff.); Riesenhuber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 1 (1 f.). 62 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80. 63 Zur Korrespondenzbeziehung von prospektiver und retrospektiver Verantwortung vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 77 f. 64 S. Fußn. 39. 65 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115.
IV. Zusammenfassung
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oder gar verpflichtet ist. Wäre der Staat zu diesem Schutz legitimiert, könnte er seiner Verantwortung nachkommen, indem er dem Rechtsträger entgegen dessen Willen die Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung untersagt oder indem er die Mitwirkung hieran für strafbar erklärt. An dieser Stelle wird deutlich, wie eng der Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden und der Mitverantwortung des Dritten mit dem Freiheitsverständnis des Individuums im Verhältnis zum Staat verbunden ist. Wie sich diese Beziehungen konkret gestalten, wird im Verlauf der weiteren verfassungs- und strafrechtlichen Untersuchung eingehender betrachtet.
IV. Zusammenfassung Vorstehend wurde die Eigenverantwortung als ein allgemeines Rechtsprinzip herausgearbeitet. Es geht einher mit dem Prinzip der Selbstbestimmung und findet seine Wurzeln in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Menschen. Die Freiheit des Menschen und seine Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln bilden das Fundament von Recht und Verantwortung. Mit den Worten von Kant: „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“66
Eigenverantwortung als Rechtsprinzip verbürgt einerseits den Schutz vor fremder Bevormundung, soweit der Einzelne freiverantwortlich agieren kann.67 Andererseits verpflichtet sie auch, für die Folgen, die das eigene Handeln für den Rechtsträger und den Dritten mit sich bringt, einzustehen.68 Die Eigenverantwortung begrenzt die rechtliche Verantwortungszuschreibung.69 Die rechtliche Mitverantwortung wird durch die Eigenverantwortung des Individuums für die selbst herbeigeführten Handlungsfolgen verdrängt. Ausgehend vom in diesem Kapitel erarbeiteten Konzept eines Rechtsprinzips der Eigenverantwortung werden in der nachstehenden Untersuchung die Auswirkungen dieses Prinzips auf die grundrechtliche und strafrechtliche Diskussion um die Selbsttötung und Selbstgefährdung detailliert betrachtet. 66 67 68 69
Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 237. S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 79 f. S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 79 f. Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115.
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D. Die Konzeption eines Prinzips der Eigenverantwortung
Vorab ist allerdings klarzustellen, dass ausgehend vom vorrechtlichen Verantwortungsbegriff der Einzelne nur für sein eigenes Handeln und nicht für das Handeln anderer zur Verantwortung gezogen werden kann.70 Insofern ist S. Walther zu widersprechen, die auf Grundlage des Eigenverantwortungsprinzips auch ein Verantwortlichsein für das Handeln anderer als möglich erachtet.71 Dabei lässt sie außer Acht, dass Verantwortungszuschreibung, wie bereits erörtert, an die Freiheit zur Handlung und die Fähigkeit zur Folgenabschätzung anknüpft. Verantwortung hat ihren Ausgangspunkt folglich immer im eigenen Tun oder Nichtstun und in den dadurch bewirkten mittelbaren und unmittelbaren Folgen.72 Die Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums, auf die Walther sich beruft, vermag eine Ausnahme hiervon nicht zu begründen.73 Zudem sei darauf hingewiesen, dass rechtliche Verantwortlichkeit nur einen Teilbereich der sozialen Verantwortlichkeit abdeckt.74 Wie erörtert, setzt Verantwortungszuschreibung einen normativen Maßstab voraus. Dieser muss aber nicht zwingend eine Rechtsnorm sein.75 Definiert man eine Norm als eine (mehr oder weniger stark) generalisierte Handlungsanweisung76, gibt es auch zahlreiche moralische Normen, die den Wert oder die Zulässigkeit von Handlungen beschreiben.77, 78 Es existieren folglich verschiedene Sphären der Verantwortung, zwischen denen auch interdisziplinäre Konflikte auftreten können.79 Bspw. kann eine rechtliche Verantwortung für die Folgen eines Handelns abzulehnen sein und zugleich eine moralische Verantwortung des Agierenden bestehen. Derartige interdisziplinäre Konflikte tauchen insbesondere im Kontext der Selbsttötung und Selbstgefährdung auf.
70 Wie hier bspw. Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 40; a. A. Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 80 f. m. w. Nachw. 71 Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 80 f. 72 Vgl. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2309); s. auch Fußn. 12, 13. 73 So aber Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 80 f. 74 Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (38). 75 S. Fußn. 43. 76 Ott, in: Handbuch Ethik, S. 474 (474). 77 S. Fußn. 43. 78 Treffend ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Aebli, JbRSoz 14 (1989), 191 (196), wonach Werte und Normen und deren gesetzliche Konkretisierungen Produkte des menschlichen Handelns, menschlicher Lebenstätigkeiten sind. 79 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2318).
E. Die verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips in Fällen der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung Vorstehend konnte die Eigenverantwortung als ein allgemeines Rechtsprinzip formuliert werden. Die Haupterkenntnis dieses Prinzips ist, dass die Eigenverantwortung des Individuums eine Mitverantwortung anderer im rechtlichen Sinne verdrängt. Hierauf aufbauend gilt es im Folgenden zu untersuchen, wie sich diese Beschränkung der Verantwortungszuschreibung im Verfassungsrecht und Strafrecht konkret gestaltet. Wie ist nun also der Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Individuums und der Mitverantwortung des Dritten im Verfassungsrecht und im Strafrecht unter dem Eindruck des Eigenverantwortungsprinzips dogmatisch aufzulösen? Den strafrechtlichen Überlegungen im Kapitel F. vorangestellt ist dabei die verfassungsrechtliche Diskussion um die Konstellationen der Selbsttötung und Selbstgefährdung. Dies ist notwendig, weil der Konflikt zwischen der Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten und der Eigenverantwortung des Rechtsträgers bereits in den Grundrechten auftritt und zu bewältigen ist.1 Genauer gesagt, muss zunächst die prospektive Verantwortung des Staates2 gegenüber dem Suizidenten bzw. dem sich Gefährdenden betrachtet werden, bevor eine entsprechende Verantwortungszuweisung zwischen dem Rechtsträger und dem Dritten möglich ist. Dieses Abhängigkeitsverhältnis3 liegt darin begründet, dass eine Folgenverantwortung des Dritten, wie sie im Rahmen dieser Abhandlung diskutiert wird, an einen normativen Maßstab, d.h. an einer Strafnorm, anknüpfen muss4. Eine solche Norm, aus der eine retrospektive Verantwortung im Sinne einer Strafbarkeit 1 Vgl. in diesem Zusammenhang Roxin, JÖR 59 (2011), 1 (1), der zutreffend darauf hinweist, dass das Strafrecht sich am Maßstab der Menschwürde und der nachstehenden Grundrechte zu messen hat. Man kann also durchaus feststellen, dass die grundrechtliche Konfliktauflösung zwischen den Verantwortungsbereichen eine bindende Wirkung für die noch folgenden Strafbarkeitsüberlegungen entfaltet, weil das Strafrecht mit seinen Wertungen und Normen auf der Verfassung als grundlegender Wertordnung beruht. 2 Zu den Begrifflichkeiten s. Kapitel D. I. S. 77 f. sowie Kapitel D. III. S. 86 f. 3 S. hierzu nochmals Kapitel D. III. S. 86 f. 4 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. II. S. 83.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
des Dritten erwächst, kann ausschließlich vom Gesetzgeber und nur dann erlassen werden, wenn der Staat zum Schutz des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden verfassungsrechtlich legitimiert wäre. Eine derartige Legitimation setzt wiederum voraus, dass auf grundrechtlicher Ebene eine prospektive Zuständigkeitsverantwortung des Staates besteht. Die zuvor entwickelte Konzeption des Eigenverantwortungsprinzips legt indessen nahe, dass eine solche Zuständigkeitsverantwortung des Staates nicht existiert, was auch die Verantwortungszuweisung zum Dritten ausschließen würde. Wie sich dies im Einzelnen darstellt, wird unter Berücksichtigung des durch das Eigenverantwortungsprinzip implizierten (rechts-)philosophischen Vorverständnisses von Freiheit, Recht und Verantwortung im nachstehenden Abschnitt betrachtet.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes Die vorangegangene Untersuchung hat erwiesen, dass Recht und Verantwortung aus der Freiheit des Menschen hervorgehen.5 Ein solches Freiheitsverständnis liegt auch der Verfassung zugrunde. Das Grundgesetz denkt sich den Menschen als ein autonomes und selbstbestimmtes, von rechtlichen Zwängen losgelöstes Wesen.6 Über die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürde nach Art. 1 GG ist jedem Menschen das Recht zur individuellen Selbstbestimmung zuerkannt.7 Dabei umfasst die Freiheit zur Selbstbestimmung insbesondere individuelle Lebensentscheidungen, von denen letztlich auch die Frage der physischen Existenz nicht ausgeschlossen ist.8 5
Ähnl. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310); ausf. hierzu Kapitel D. S. 77 ff. 6 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (6); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 82; vgl. auch Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (166); vgl. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293). 7 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36 f.); 45, 187 (227); ausf. zur Reichweite des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit Degenhart, JuS 1990, 161 (161 ff.); vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 1 ff., 12 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 9 ff.; Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 27 ff. 8 Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293); ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 21 f.; zur Ansicht, dass Sterben ein Teil des Lebens ist, vgl. bspw. Anselm, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 136 (144 ff.); Laber, Der Schutz des Lebens, S. 119 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 239 f.; vgl. auch NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 41 f.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes
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Allerdings gilt diese Freiheit zur Selbstbestimmung nicht unbeschränkt. Wie bereits dargelegt, ist es die Aufgabe des Rechts, die Freiheitsbereiche der Einzelnen zu definieren und diese miteinander auszugleichen.9 Das Recht des einen endet dort, wo er in die Rechte eines anderen eingreift.10 Diesem Ausgleichsbedürfnis der Freiheitsansprüche muss allen voran die Verfassung Rechnung tragen.11 In den Worten des BVerfG: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. (. . .) Dies heißt aber: der Einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt.“12
Konkret werden die Grenzen der Handlungsfreiheit durch die Schrankentrias in Art. 2 Abs. 1 GG bestimmt, wonach die Ausübung der individuellen Selbstbestimmung nicht die Rechte anderer verletzen, gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen darf.13 Im Folgenden sollen die rechtliche Konkretisierung der Selbstbestimmungsfreiheit und die Wechselbeziehungen zwischen der Selbstbestimmungsfreiheit des Individuums und der Gemeinschaft in den Konstellationen der freiverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung verdeutlicht werden. Die Erkenntnisse zu Reichweite und Grenzen des Selbstbestimmungsrechts bilden die Grundlage zur dogmatischen Auflösung des Konflikts zwischen der Eigenverantwortung und Mitverantwortung in besagten Konstellationen.
1. Das Recht auf Selbsttötung und seine Grenzen Der Suizid sollte in erster Linie als Ausdruck einer höchstpersönlichen Entscheidung des Individuums, seinem Leben durch eigene Hand ein Ende 9 Vgl. Kühl, in: Handbuch Ethik, S. 486 (487); ähnl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 161 f.; ausf. hierzu Kapitel D. II S. 81 ff. 10 Vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 19; vgl. hierzu auch die Ausführungen zum vorrechtlichen Verantwortungsbegriff Kapitel D. I. S. 77 ff., insb. Kapitel C. II. 1., Fußn. 20. 11 Ähnl. Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 53; ähnl. auch Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 81. 12 BVerfGE 4, 7 (15 f.). 13 Für grundsätzliche Ausführungen zur Schrankentrias vgl. Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 52 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 19 ff.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
setzen zu wollen, und nicht nur als Vernichtung der vitalen Existenz begriffen werden. Diesem Grundgedanken folgend wird im nachstehenden Abschnitt untersucht, ob sich aus dem allgemeinen Selbstbestimmungsrecht ein Recht auf Selbsttötung ableiten lässt und wo die Grenzen eines solchen Rechts verlaufen. Die Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Selbsttötungsrechts geben Auskunft darüber, wem die rechtliche Verantwortung für einen freiverantwortlichen Suizid letztlich zuzuschreiben ist. a) Die Selbsttötung als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung Das Grundgesetz erlaubt die Selbsttötung nicht ausdrücklich, verbietet sie aber auch nicht.14 Von vornherein abzulehnen ist allerdings der Versuch, ein Recht auf Selbsttötung aus dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 1. Alt. GG abzuleiten.15 Obwohl Art. 2 Abs. 2 GG keine Lebenspflicht generiert, spricht der Wortlaut explizit nur von einem Recht auf Leben und nicht von einem Recht auf den Tod.16 Nun könnte man versuchen, ein Recht auf Selbsttötung innerhalb des Grundrechts auf Leben im Wege einer Analogie zum Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG, welches auch ein Recht zur Selbstverletzung umfasst, zu begründen.17 Im Gegensatz zu körperlichen Schädigungen ist aber eine Selbsttötung irreversibel, so dass eine vergleichbare Interessenlage als notwendige Bedingung einer analogen Auslegung nicht vorliegt.18 Es ist die Irreversibilität des Lebens, die jedwedem Vergleich mit anderen Grundrechten entgegensteht.19 Im Übrigen ist die Selbsttötung auch nicht als ne14 Vgl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 29; ebenso Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 19, 59; Lorenz, JZ 2009, 57 (60). 15 Vgl. dazu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 48 m. w. Nachw.; Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 69 ff.; Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften, S. 95 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 50; vgl. Lang, in: BeckOKGG, Art. 2 Rn. 58; s. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 11 f.; vgl. auch Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (337 f.); vgl. auch Schwabe, JZ 1998, 66 (69); a. A. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 82 ff. 16 Ausf. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (292); vgl. auch Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 34 ff., 51 ff.; vgl. Schwabe, JZ 1998, 66 (69); krit. gegenüber diesem Argument Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 69. 17 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (337) sowie Wassermann, DRiZ 1986, 291 (292). 18 Wassermann, DRiZ 1986, 291 (292); vgl. Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (337 f.). 19 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 173 ff.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes
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gative Grundrechtsausübung des Rechts auf Leben oder gar als Grundrechtsverzicht zu charakterisieren.20 Begreift man den Suizid als eine aktive Entfaltung der eigenen Persönlichkeit21, ist ein Recht auf Selbsttötung entweder aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG22 oder aus der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG23 herzuleiten.24 Die 20 Eine negative Grundrechtsausübung in Form eines Rechts auf Beendigung des Lebens, wie sie bspw. im Rahmen der Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG anerkannt ist, widerspricht dem über Art. 2 Abs. 2 GG garantierten Recht auf Leben, da es der Natur nach keine Handlungsdimension beinhaltet, sondern vielmehr eine Eigenschaft beschreibt. Vgl. Augsberg, JuS 2011, 28 (32); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 67 ff.; vgl. ferner Kunig, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 2 Rn. 50; Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 32; Schwabe, JZ 1998, 66 (67) m. w. Nachw.; vgl. ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 30 ff., 33 f.; a. A. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 126 ff. Vgl. unter dem Gesichtspunkt der völkerrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts die Ausführungen zu Art. 2 EMRK im Fall Pretty/Vereinigtes Königreich EGMR NJW 2002, 2851 (2853): „Ohne Verdrehung seines Wortlauts kann Art. 2 EMRK nicht so ausgelegt werden, dass er das diametral entgegengesetzte Recht enthält, nämlich das Recht zu sterben.“ Ginge man davon aus, dass ein Verzicht auf das Leben grundsätzlich zulässig wäre, würde ein solcher wegen der engen Verflechtung des Rechts auf Leben mit der Menschwürde scheitern. Vgl. hierzu Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 82 f.; vgl. ferner Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (42) m. w. Nachw., die die Verfügungsbefugnis bereits auf der Metaebene überzeugend ablehnen. Generell zum Problem der Differenzierung von negativer Grundrechtsausübung, Grundrechtsnichtausübung und Grundrechtsverzicht vgl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 35 f. m. w. Nachw. 21 BVerfGE 54, 148 (153); s. auch Fußn. 25. 22 So bspw. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 95 ff.; ferner Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 174 ff.; Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (42 f.). 23 Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 9, 42 ff., 55; vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 225 f.; auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 50; s. Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 1 I Rn. 157; ders., JZ 2007, 317 (319); Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (776 ff.); vgl. auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 83 ff., 142; s. auch Höfling, JuS 2000, 111 (114); vgl. auch Hufen, NJW 2001, 849 (851 f.); s. auch Lindner, JZ 2006, 373 (376 f.) m. w. Nachw.; ausf. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 234 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 32; Schwabe, JZ 1998, 66 (69); Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293); zur Notwendigkeit der Differenzierung eines „Rechts auf den eigenen Tod“ und des hier beschriebenen Rechts auf Selbsttötung vgl. Kapitel E. I. 1. b) S. 121 f. 24 A. A. bspw. BGHSt 19, 325 (331); a. A. auch Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 71 ff.; a. A. ferner Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 18: „Einem umfassenden Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Selbsttötung steht die verfassungsmäßige Ordnung entgegen.“; a. A. auch
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
Selbsttötung dient dem Suizidenten nicht dazu, seiner eigenen Identität Ausdruck zu verleihen, sondern hat ihren Schwerpunkt in der selbstbestimmten Handlung.25 Demnach ist das Recht auf Selbsttötung allein dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit zuzuordnen.26 Geht das Grundgesetz davon aus, dass der Mensch ein autonomes Wesen ist, so wie es die Menschwürde vorgibt, ist es nur konsequent, wenn er auch über sein Leben bzw. sein Lebensende frei entscheiden kann.27, 28 Wie eingangs beschrieben, gilt dieses Recht auf Selbstbestimmung allerdings nicht grenzenlos. Eine Beschränkung des Rechts auf Selbsttötung kann aber nur im Rahmen der Schrankentrias gem. Art. 2 Abs. 1 GG erfolgen. Lässt man die Konstellationen, in denen der Suizident nicht unmittelbar in die Rechte Dritter eingreift29, 30, einmal außen vor, wäre ein EinSax, JZ 1975, 137 (148 f.), der darauf verweist, dass man sein Leben oder seinen Tod rechtlich von niemandem einfordern könne und ein vermeintliches Recht auf den eigenen Tod nur ein „Reflex der Pflicht des Rechts als Recht, vor der Tatsache des Sterbens Halt zu machen“ sei. 25 Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 38 f. m. w. Anm.; vgl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 238 f.; a. A. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 174 ff.; zur Differenzierung von allgemeiner Handlungsfreiheit als Form aktiver Entfaltung und dem Selbstbestimmungsrecht als passive Entfaltung in Form der Respektierung der Privatsphäre s. Degenhart, JuS 1992, 361 (361) m. w. Nachw.; Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 23; vgl. ferner Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 128. 26 Vgl. Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (777); vgl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 38 f.; vgl. auch die Nachw. in Fußn. 23; a. A. Bernert-Auerbach, Das Recht auf den eigenen Tod, S. 236 ff., welche aus der Menschwürde ein „Nicht-Seins-Recht“ ableiten will; zur begründeten Ablehnung des Rechts auf Selbsttötung allein aus Art. 1 GG ausf. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 80 ff. insb. S. 86 ff.; a. A. ferner Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften, S. 83 ff. 27 Vgl. Anselm, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 136 (145 f.); vgl. auch Dreier, H., JZ 2007, 317 (319) m. w. Nachw.; vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 59 f.; ähnl. Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (393); ausf. auch Laber, Der Schutz des Lebens, S. 127 ff.; Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293). 28 Vgl. ferner die Ausführungen des EGMR zu Art. 8 EMRK im Fall Pretty/Vereinigtes Königreich EGMR NJW 2002, 2851 (2853): „Der Gerichtshof merkt an, dass die Fähigkeit, sein Leben so zu leben, wie man es selbstbestimmt hat, auch die Möglichkeit einschließen kann, Dinge zu tun, die für die Person körperlich oder seelisch schädlich oder gefährdlich sind.“; ebenso im Fall Haas/Schweiz EGMR NJW 2011, 3773 (3774). 29 Vgl. hierzu Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 112 ff.; vgl. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 13. 30 S. hierzu auch die in Kapitel B. I. 1. S. 25 geschilderten Fälle des LG Mühlhausen zur versuchten Selbsttötung eines Ehepaares durch eine Gasexplosion in ih-
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griff in das Recht auf Selbsttötung nur gerechtfertigt, wenn der Suizident seinerseits gegen das Sittengesetz oder die verfassungsmäßige Ordnung verstößt. aa) Die Selbsttötung als Verstoß gegen das Sittengesetz Das Sittengesetz31 beschreibt allgemein in der Gesellschaft anerkannte Werturteile.32 Es lässt sich als eine außerrechtliche Sozialordnung begreifen, die von der Mehrheit der Rechtsgemeinschaft hervorgebracht wurde und anerkannt wird.33 Doch sieht die Mehrheit der Gesellschaft eine Selbsttötung als sozial inadäquates und verwerfliches Handeln an? Verstößt der Suizid gegen die herrschende Sittlichkeitsvorstellung? Nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die gesellschaftliche Bewertung des Suizides hat sich seit der Zeit der Aufklärung gewandelt34 und sie ist und war schon immer sehr vielfältig35. Zweifelsfrei verschmähen noch heute die christlichen Religionen die Selbsttötung als Todsünde.36 rem Haus sowie des BGH zum Selbsttötungsversuch eines 19-Jährigen durch eine Geisterfahrt auf der Autobahn. 31 Zu dem Streit über Funktion und Zweck des Sittengesetzes im Rahmen der Schrankentrias ausf. Erbel, Das Sittengesetz, S. 116 ff. sowie 129 ff.; ausf. ferner Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 165 ff.; vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 45 ff. sowie Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 26. 32 Vgl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 52; vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293 f.). 33 Vgl. Duttge, NJW 2005, 260 (260); zum Problem der Bestimmbarkeit des mehrheitlichen Willens ausf. Erbel, Das Sittengesetz, S. 359 ff.; vgl. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 171; vgl. ferner Kunig, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 2 Rn. 27; krit. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 13 ff. 34 So Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293); zur Entpönalisierung des Suizides in der Aufklärung vgl. auch Kapitel F. II. 2. a) cc) S. 169 ff. 35 Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 228; Dölling, NJW 1986, 1011 (1014); vgl. auch Dreier, H., JZ 2007, 317 (318 f.); ferner Wellmann, JR 1979, 182 (183); krit. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 43; vgl. in Bezug auf § 216 StGB die einleitenden Worte von Böhmer, in: FS Geiger, S. 181 (181 f.). 36 Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, S. 580: „2280 Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen. 2281 Der Selbstmord widerspricht der natürlichen Neigung des Menschen, sein Leben zu bewahren und zu erhalten. Er ist eine schwere Verfehlung gegen die rechte Eigenliebe. Selbstmord verstößt auch gegen die Nächstenliebe, denn er zer-
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
Aber lässt sich aus diesem Empfinden der in Deutschland am häufigsten vertretenen Religion ein im rechtlichen Sinne verbindliches Sittengesetz formulieren? Ein solcher Rückschluss ist abzulehnen. Richtigerweise sollte man, wie Henkel es vorschlägt, zwischen autonomer Sittlichkeit, der Hochethik religiöser und weltanschaulicher Systeme sowie der Sittlichkeit der Sozialmoral differenzieren.37 Dabei stimmt die subjektive Wertvorstellung des Einzelnen nicht zwingend mit der Moralvorstellung einer bestimmten Religion überein.38 Des Weiteren sind religiöse oder weltanschauliche Werte nicht deckungsgleich mit der Sozialmoral, die ihrerseits teilweise in die Rechtsordnung einfließt.39 Normativ verankert ist die so vollzogene Trennung von Recht, Moral und Religion in Art. 4 Abs. 1, 2 GG, wonach der Staat gegenüber jedem Menschen bezogen auf Glauben und Weltanschauung zur Neutralität und Toleranz verpflichtet ist.40 Wenn Art. 4 GG jedem Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, sein Leben nach seinen individuellen moralischen oder religiösen Wertvorstellungen zu führen, garantiert es eine in der Menschenwürde verbürgte freie Entfaltung der Persönlichkeit, so dass jegliche staatliche Bevormundung, die diesen Kern berührt, unzulässig ist.41 Eine solche Bevormundung oder zumindest moralische Vorgabe wäre reißt zu Unrecht die Bande der Solidarität mit der Familie, der Nation und der Menschheit, denen wir immer verpflichtet sind. (. . .)“. Zur Positionierung der Evangelischen Kirche ausf. Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 112 ff.; vgl. auch Anselm, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 136 (136 ff.) sowie Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 110 ff.; krit. gegenüber der religiös-christlichen Begründung Hoerster, NJW 1986, 1786 (1787 f.); vgl. zudem die Auflistung andersdenkender Theologen und Kirchenvertreter bei Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften, S. 54 f. 37 Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 67 ff. 38 Vgl. Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, insb. S. 70 f., der darauf verweist, dass eine religiöse sowie profane Hochethik nur von einer begrenzten Anzahl von Menschen getragen wird und in der heutigen Gesellschaft ein Pluralismus hinsichtlich sittlicher Wert- und Zielsetzungen besteht; ähnl. Frisch, W., in: Leipold, Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft, S. 103 (109); ferner Neumann, JA 1987, 244 (253); vgl. Seher, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (52). 39 Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, insb. S. 78 ff., 84 ff., 87 ff. 40 Ähnl. Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 60; vgl. Duttge, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 36 (41 f.); vgl. Erbel, Das Sittengesetz, S. 262 f., 272 ff.; ähnl. Hoerster, NJW 1986, 1786 (1787 f.); Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 28; vgl. Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 131 ff.; vgl. ferner Sternberg-Lieben, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 65 (74); ähnl. ders., Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 104 ff.; auch Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 45.
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es aber, würde der Staat den Suizid als im religiösen oder moralischen Sinne sittenwidrig deklarieren.42 In einer pluralistischen Gesellschaft wie der heutigen ist eine moralische Ablehnung der freien Selbsttötung dementsprechend nicht erkennbar.43 Natürlich kann man eine gewisse gesellschaftlich intendierte Tabuisierung des Suizides auch in der heutigen Zeit nicht leugnen.44 Allerdings geht damit weniger ein moralischer Tadel einher, als vielmehr der Ausdruck von Erschütterung und Hilflosigkeit.45 Selbst wenn man, entgegen der hier vertretenen Ansicht, den Suizid auch heute nach vorherrschendem gesellschaftlichen Empfinden als moralisch verwerflich werten will, würde dies allein zur Begründung eines dem Suizid entgegenstehenden Sittengesetzes nicht genügen, weil die zuvor beschriebene Trennung von Recht und Moral grundsätzlich aufrechtzuerhalten ist.46 Natürlich kann dies keine strikte Trennung sein, weil Recht und Mo41 Ausf. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 142 ff., der allerdings die Selbsttötung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verankert (s. dazu die Ausführungen zu Fußn. 15, 20). 42 Ähnl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 305; zur fehlenden Legitimation des Staates, den Einzelnen durch Strafandrohung zu bestimmten religiösen, moralischen oder sonstigen Wertvorstellungen zu zwingen, s. bspw. SKStGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 1. 43 Vgl. Dölling, NJW 1986, 1011 (1014); ähnl. zur Frage der Gefahr für die öffentliche Ordnung Herzberg, JZ 1988, 182 (188); ähnl. Kutzer, ZRP 2012, 135 (136); ähnl. auch Neumann, JA 1987, 244 (253); vgl. auch Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 74; ferner Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 43 ff.; ebenso Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293 f.) m. w. Nachw.; a. A. Gallas, JZ 1960, 649 (653 f.); a. A. ferner Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 15 f., D 17 f.; a. A. ist ferner Juza, Imago Hominis 1999, 215 (216 ff.), der die Unsittlichkeit der Selbsttötung mit der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen sowie dem ihr implizierten Gemeinschaftsbezug begründet (S. 226) und die religiöse Ablehnung der Selbsttötung als Ausdruck einer allgemein-verbindlichen Forderung versteht, die durch die religiösen Gebote nur zur Ausdruck kommt (S. 222 f.). Selbstbestimmung ist seiner Ansicht nach Ausdruck des als gut Erkannten (S. 219), so dass die Anerkennung der Zulässigkeit der Selbsttötung gegen die natürliche Sittlichkeit verstoße (S. 223). 44 So zutreffend Kubiciel, JA 2011, 86 (91); anders Neumann, JA 1987, 244 (253), der von einer gesellschaftlichen Diskreditierung des Suizides spricht. 45 Ähnl. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 252 f.; vgl. ferner Frisch, W., in: Leipold, Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft, S. 103 (116) m. w. Nachw.; ähnl. auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 86; a. A. Kühl, JA 2009, 321 (324); ähnl. auch Dach, Zur Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 64. 46 So im Ergebnis auch Kühl, JA 2009, 321 (324); vgl. dazu auch Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 163 ff.; s. auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 28; ähnl. auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 104 ff.
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ral sich in einem bestimmten Wertehorizont gewissermaßen berühren, zum Teil auch überlappen, ohne jedoch deckungsgleich zu sein.47 Das Sittengesetz kann sich aber nur zum Inhalt machen, was die Verfassung selbst schützt, oder genauer, was die Sozialmoral und die Verfassungsethik schützen.48 Sozialmoral und Verfassungsethik wiederum kommen in den Elementarwerten der Verfassung zum Ausdruck, wie sie in den Grundrechten verankert sind.49 Nun wurde bereits festgestellt, dass die Entscheidung, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, als höchstpersönliche Entscheidung durch das allgemeine Selbstbestimmungsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG grundgesetzlich geschützt ist.50 Die Achtung der Würde eines jeden Menschen verlangt die Respektierung des freien Willens zum Suizid.51 Wenn aber das Grundgesetz die Entscheidung zum freiverantwortlichen Suizid als von der allgemeinen Selbstbestimmung umfasstes Recht wertet, wäre es widersprüchlich, die Selbsttötung im selben Atemzug als Verstoß gegen das Sittengesetz anzusehen.52 Darüber hinaus schafft der Suizident kein sittliches Unwerturteil, welches sich in einem über die Intimsphäre hinausgehenden Sozialbezug äußeren müsste, also darin bestünde, dass die Gemeinschaft in ihren Rechtsgütern gefährdet wäre.53 Den Sozialbezug könnte man zwar bspw. in der Inanspruchnahme des Sozialversicherungssystems und in der Entziehung der Arbeitskraft erblicken, aber darin einen rechtlich relevanten Schaden zu sehen, 47 Gründel, in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler, Schutz des Lebens – Recht auf Tod, S. 11 (41); vgl. auch die Ausführungen zu den „guten Sitten“ in § 228 StGB bei Duttge, NJW 2005, 260 (260 f.); vgl. ferner Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, insb. S. 87 ff.; vgl. Holl, JbRSoz 14 (1989), 38 (43 ff.), der die Trennung von Recht und Moral auf das Christentum zurückführt; vgl. zudem Jescheck, ZStW 73 (1961), 179 (208), der darauf verweist, dass aus der weitgehend bestehenden Übereinstimmung von Recht und Moral das Recht seine Überzeugungskraft gewinnt; vgl. auch Kühl, in: FS Puppe, S. 653 (653 ff.); ders., in: Handbuch Ethik, S. 486 (489). 48 Vgl. Erbel, Das Sittengesetz, S. 261 f., 263 f., 356 f.; ähnl. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 256.; ähnl. auch Dach, Zur Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 65. 49 Erbel, Das Sittengesetz, S. 119 f. m. w. Nachw. 50 Vgl. Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 1 I Rn. 157; s. auch Fußn. 23. 51 Ähnl. Anselm, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 136 (145 f.); ähnl. Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (412 f.); ähnl. ferner Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (393); vgl. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293). 52 Ähnl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 54; vgl. ferner Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 78 Fußn. 379; Zweifel an der Sittenwidrigkeit im Zusammenhang mit § 216 StGB hegt auch Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (573). 53 Ausf. Erbel, Das Sittengesetz, S. 310 f.; vgl. auch Bottke, GA 1983, 22 (26).
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes
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wäre verfehlt.54 Unbestreitbar wird die Gesellschaft „belastet“, wenn sie infolge einer Selbsttötung die Hinterbliebenen bzw. im Fall eines misslungenen Suizidversuchs den Sterbewilligen versorgen muss. Das ist aber, wie Hillgruber zutreffend ausführt, der „Preis der Freiheit, den der Sozialstaat zu zahlen hat.“55 Das Selbstbestimmungsrecht als elementares Grundrecht des Einzelnen kann hierdurch nicht in Abrede gestellt werden. Zu resümieren bleibt, dass die Selbsttötung nicht gegen das Sittengesetz verstößt. Wassermann ist zuzustimmen, wenn er zu dem Schluss kommt, dass die Selbsttötung heute keine moralische, sondern nur eine religiöse Verurteilung erfährt, die wiederum nicht Inhalt einer sittlich vorgegebenen Ordnung sein kann.56 Dass es nun Menschen geben mag, die sich durch eine Selbsttötung in ihrem sittlichen (vielleicht religiös geprägten) Empfinden gestört fühlen, steht dieser Einschätzung nicht entgegen, weil das persönliche Wohlsein des Einzelnen rechtlich nicht geschützt ist.57 Auch von der Tatsache, dass es konkrete Selbsttötungen geben mag, die aufgrund spezieller Umstände des Einzelfalls doch als unmoralisch und unsittlich angesehen werden können, ist nicht auf die generelle moralische Verwerflichkeit aller Suizide zu schließen.58 bb) Die Selbsttötung im Lichte der verfassungsmäßigen Ordnung Wertet man den Suizid nicht als Verstoß gegen das Sittengesetz, bleibt zu klären, ob das Recht zur Selbsttötung durch die verfassungsmäßige Ordnung 54 Vgl. hierzu Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 219 ff., 231; ausf. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 118 f. m. w. Nachw. (beachte aber die Ausführungen zu Fußn. 15, 20); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 258 ff.; vgl. Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (780); ähnl. auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 143; vgl. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 158 ff., 162 ff.; krit. Schwabe, JZ 1998, 66 (72 ff.); zur Berücksichtigung des Argumentes der sozialen Folgenlast vgl. auch die Ausführungen zur Begrenzung des Rechts zur Selbstgefährdung Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. 55 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 162; ähnl. auch Doehring, in: FS Zeidler, S. 1553 (1559); vgl. dazu auch Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 149 f. 56 Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293 f.) m. w. Nachw.; s. auch Fußn. 43. 57 Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 171 m. w. Anm.; vgl. auch Sternberg-Lieben, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 65 (74 ff.). 58 Neumann, JA 1987, 244 (253); vgl. aber hierzu auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 283 f., der die Möglichkeit diskutiert, dass eine Häufung von Gefühlsverletzungen durch Suizide zu einer Beeinträchtigung des sozialen Lebens führen kann, so dass dann die verfassungsmäßige Ordnung durch die Selbsttötung berührt sei.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
eine Beschränkung erfährt.59 Die verfassungsmäßige Ordnung beschreibt dabei die gesamte Rechtsordnung, umfasst also auch die Rechtsgüter der Allgemeinheit und die individuellen Rechtsgüter Dritter.60 Hierzu zählen insbesondere die Achtung des menschlichen Lebens nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und die hiermit verbundene staatliche Schutzpflicht für das Leben.61 (1) Die Rechtspflicht zur Selbsterhaltung Bevor die Frage aufgeworfen wird, ob der Staat aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag für das Leben dazu legitimiert ist, den Rechtsträger vor sich selbst zu schützen, und inwieweit die Freiheit zur Selbstbestimmung beschränkt werden kann, soll der Blick zunächst auf die Diskussion um die Existenz einer Pflicht zur Selbsterhaltung gerichtet werden. Die Generierung einer Pflicht des Einzelnen zur Selbsterhaltung liegt im Straf- wie Verfassungsrecht nahe, bedenkt man, dass das Leben zwar das Grundrechtsgut des Einzelnen darstellt, das Individuum aber wiederum Teil der Gesellschaft ist. Aus eben dieser gesellschaftlichen Eingebundenheit entstammt der Gedanke, dass der Einzelne sich nicht umbringen dürfe, weil ihm eine quasi gesellschaftlich intendierte Selbsterhaltungspflicht zukommt. Um feststellen zu können, ob eine solche Pflicht gegen sich selbst tatsächlich Bestandteil der Werteordnung des Grundgesetzes ist, muss zunächst untersucht werden, ob eine derartige Pflicht überhaupt besteht und von welcher Natur sie ist. Der Ursprung der Idee einer Selbsterhaltungspflicht wird Kant zugesprochen: „Die Selbstentleibung ist ein Verbrechen (Mord). Dieses kann nun zwar auch als Übertretung seiner Pflicht gegen andere Menschen (Eheleute, Eltern gegen Kinder, des Unterthans gegen seine Obrigkeit, oder seine Mitbürger, endlich auch gegen Gott, dessen uns anvertrauten Posten in der Welt der Mensch verläßt, ohne davon abgerufen zu sein) betrachtet werden; – aber hier ist nur die Rede von Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst, ob nämlich, wenn ich auch alle jene Rücksichten bei Seite setzte, der Mensch doch zur Erhaltung seines Lebens blos durch seine Qualität als Person verbunden sei und hierin eine (und zwar strenge) Pflicht gegen sich selbst anerkennen müsse.“62 „Das Subject der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt ver59
Vgl. Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43). Vgl. Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 55; ferner Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 19 ff., 22. 61 Vgl. Hufen, NJW 2001, 849 (855). 62 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 422. 60
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 101 tilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponiren, heißt die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) abwürdigen, der noch der Mensch (homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertrauet war.“63
Kant lehnt, wie diese Ausführungen zweifelsfrei dokumentieren, die Selbsttötung ab, weil derjenige, der selbst Hand an sich legt, gegen die Selbstzweckformel verstößt und ein Verbrechen gegen sich selbst und die Menschheit begeht.64 Doch kann man hieraus eine für das heutige Verfassungsrecht gültige Pflicht zur Selbsterhaltung ableiten? Feststeht, dass unser heutiges Verständnis vom Menschen als Individuum, so wie es das Grundgesetz vorgibt, maßgeblich von der kantischen Aufklärungsidee inspiriert wurde.65 Ob Kant in seinen Ausführungen zur Selbsttötung die Pflicht des Einzelnen tatsächlich als Rechtspflicht charakterisierte, ist allerdings höchst fraglich, wie folgend in aller Kürze aufgezeigt wird. Kant differenziert in seiner Pflichtenlehre zwischen Rechtspflichten (officia iuris) und Tugendpflichten (officia virtutis, s. ethica).66 Während Rechtspflichten die äußere Freiheit des Menschen durch äußeren Zwang in Form von Gesetzen reglementieren, beschreibt die Tugendpflicht die innere Freiheit.67 Wie bereits ausgeführt, begreift Kant das Recht als das äußere Verhältnis zweier Personen, deren Handlungen unmittelbar oder mittelbar aufeinander einwirken.68 Er leitet, wie bereits erwähnt, aus der Notwendigkeit der Begrenzung der Willkür, die in eben diesen aufeinandertreffenden Handlungen zum Ausdruck kommt, die staatliche Zwangsbefugnis zur Reglementierung der äußeren Freiheit ab.69 Im Rahmen der Tugendpflicht 63
Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 423. Ausf. Bähr, Der Richter im Ich, S. 261 ff.; ausf. Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 78 ff.; ausf. ferner Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (456 ff.); vgl. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 83; vgl. auch Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (45 f.). 65 Ähnl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 219; s. auch die Ausführungen zu den liberalen Botschaften Kants bei Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (451 ff.); vgl. aber ebenfalls die kritischen Äußerungen zur Umsetzung der kantischen Philosophie im Recht von Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 1 I Rn. 13 f. m. w. Nachw.; ders., JZ 2004, 745 (753 ff.). 66 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 239. 67 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 383; vgl. hierzu Alwart, Recht und Handlung, S. 26 f.; ausf. Kühl, in: FS Spendel, S. 75 (80 f., 86 ff.); Maatsch, Selbstverfügung, S. 200 m. w. Nachw.; vgl. auch Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 76 ff.; vgl. ferner Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 81 f. 68 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 230; ausf. Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (453, 464); vgl. hierzu auch Kapitel D. II. S. 81 ff. 64
102
E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
kann es folglich nur inneren Selbstzwang geben.70 Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen den Pflichten liegt zudem darin, dass die Intention, die zur Einhaltung der Rechtspflichten führt, völlig gleichgültig ist, während die Tugendpflichten sich gerade dadurch auszeichnen, dass die Intention zur Einhaltung zugleich der in der Pflicht zum Ausdruck kommende Zweck ist.71 Geht man mit Kant darin konform, dass der Mensch durch die Selbsttötung nicht nur sich, sondern auch die Menschheit in seiner Person verletzt, besteht der Zweck der Selbsterhaltungspflicht also in der Bewahrung der Menschheit in der eigenen Person.72 Da der Zweck der Erhaltung der Menschheit nicht nur den Inhalt der Pflicht festlegt, sondern zugleich auch die Intention beschreibt, die den Menschen vernünftigerweise zur Selbsterhaltung führen soll, liegt es nahe, diese Pflicht als eine Tugendpflicht zu begreifen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Kant das Recht der Menschheit in der eigenen Person als inneres Recht begreift, weil dieses innere Recht auch bei ihm nicht Bestandteil der Rechtslehre, sondern der Ethik ist und das innere Recht seine Bezeichnung allein dem Umstand verdankt, dass es der Rechtspflicht in seinen Eigenschaften ähnlich (aber eben nicht identisch) ist.73 Für die Verneinung einer Selbsterhaltungsrechtspflicht spricht im Übrigen (zumindest als Indiz) auch der Umstand, dass Kant die Selbsterhaltungsproblematik systematisch ausführlich im Rahmen der Tugendlehre und gerade nicht bei seinen Ausführungen zur Rechtslehre behandelt.74 Die Verneinung einer Rechtspflicht wird ferner auch dann nicht entkräftet, bejaht man die Möglichkeit des kategorischen Imperatives75 anders als Kant, der aufgrund der Widersprüchlichkeit des natürlichen menschlichen Selbsterhaltungstriebes die Selbsttötung nicht in einem formal logischen Imperativ verallgemeinern konnte76. Denn unabhängig davon, ob der kate69 Ausf. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 181 ff.; ausf. auch Maatsch, Selbstverfügung, S. 218 f. 70 Ebda. 71 Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 219; ausf. Maatsch, Selbstverfügung, S. 201 f. m. w. Nachw.; vgl. auch Kühl, in: FS Puppe, S. 653 (654 f.). 72 Ausf. Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (456 ff.). 73 Vgl. dazu Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 82; ferner Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (466); vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 215 f. 74 Vgl. Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (464); vgl. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 84; vgl. auch Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 76. 75 Ausf. Maatsch, Selbstverfügung, S. 169 ff. m. w. Nachw.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 103
gorische Imperativ als (die Vernunft leitender) moralischer Imperativ eine direkte und zwangsweise durchsetzbare Rechtspflicht begründen kann oder nicht77, steht der Annahme einer Rechtspflicht entgegen, dass Kant, wie zuvor beschrieben, für die Legitimation eines äußeren Zwanges ein Rechtsverhältnis im Sinne kollidierender Handlungen zweier Personen voraussetzt. Da die Selbsttötung allerdings nur das Innenverhältnis des Suizidenten zu sich selbst betrifft und gerade nicht die Freiheit anderer berührt, kann das Recht mit äußerem Zwang nicht eingreifen, so dass allein Selbstzwang zulässig wäre.78 Nun könnte man versuchen, die Tugendpflicht der Selbsterhaltung doch noch zur Rechtspflicht zu erheben, indem man bspw. dem Verbot von Eingriffen in fremde Freiheiten das zwingende Gebot rechtlichen Daseins gegenüberstellt.79 Doch eine solche Konstruktion kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der Selbsttötung tatsächlich kein Interaktionsverhältnis mehrerer Personen vorliegt.80 Die äußere Selbsttötungshandlung geht vom Suizidenten aus und betrifft allein diesen. Sie kollidiert nicht mit Handlungen Außenstehender, so dass andere durch die für die äußere Freiheit einzig relevante Suizidhandlung keine Beeinträchtigung erfahren. Die Selbsterhal76
Kant, AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 422: „Nun versucht er: ob die Maxime seiner Handlung wohl ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Seine Maxime aber ist: ich mache es mir aus Selbstliebe zum Princip, wenn das Leben bei seiner längeren Frist mehr Übel droht, als es Annehmlichkeit verspricht, es mir abzukürzen. Es frägt sich nur noch, ob dieses Princip der Selbstliebe ein allgemeines Naturgesetz werden könne. Da sieht man aber bald, daß eine Natur, deren Gesetz es wäre, durch dieselbe Empfindung, deren Bestimmung es ist, zur Beförderung des Lebens anzutreiben, das Leben selbst zu zerstören, ihr selbst widersprechen und also nicht als Natur bestehen würde, mithin jene Maxime unmöglich als allgemeines Naturgesetz stattfinden könne und folglich dem obersten Princip aller Pflicht gänzlich widerstreite.“; vgl. hierzu auch Bähr, Der Richter im Ich, S. 264 f.; ausf. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 172 ff., 182 ff. 77 Ausf. Maatsch, Selbstverfügung, S. 204 ff. 78 Vgl. Kühl, JA 2009, 321 (324); ferner Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (466); Maatsch, Selbstverfügung, S. 219 f.; ähnl. auch Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 73 ff.; ausf. auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 22 ff. 79 Ausf. Köhler, JRE 14 (2006), 425 (436 ff.); vgl. Baum, in: Stolzenberg, Kant in der Gegenwart, S. 213 (222 f.); auch Geismann, JRE 14 (2006), 3 (118 f.) m. w. Nachw.; vgl. auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 216 ff.; krit. Kubiciel, JZ 2009, 600 (604 f.). 80 Vgl. Joerden, in: Klemme, Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, S. 448 (466); vgl. auch Maatsch, Selbstverfügung, S. 219 f.; im Ergebnis auch Köhler, JRE 14 (2006), 425 (440 f.); ders., ZStW 104 (1992), 3 (20 f.); im Ergebnis zust. Vossenkuhl, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 275 (283 f.).
104
E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
tungspflicht kann nur als Tugendpflicht gedacht werden; der Konflikt zwischen dem Willen zu sterben und der Respektierung des Menschheitsrechts ist ein innerer, kein rechtlicher.81 Daher ist auch die Bezeichnung der Selbsterhaltungspflicht als „Rechtspflicht im Selbstverhältnis“82 widersprüchlich.83 Mit der Diskussion einer möglichen Rechtspflicht zur Selbsterhaltung eng verbunden sind im Übrigen die kollektivistischen Begründungsbemühungen84 eines Selbsttötungsverbots. Ausgehend von der Überlegung, dass die Gesellschaft nur fortbesteht, wenn der Mensch existiert, wird der Gesellschaft ein Selbsterhaltungsinteresse zugesprochen, dem der Einzelne wiederum nur durch die eigene Selbsterhaltung gerecht werden kann.85 Durch einen Suizid ist also mit anderen Worten der Bestand des Staates in Gefahr.86 Schmidhäuser führt dazu aus: „Ein Gemeinwesen, das sich selbst ernst nimmt, wird seine Existenz nicht in das Belieben aller einzelnen stellen können, sondern die Achtung vor dem Leben aller seiner Glieder auch gegenüber der Versuchung zum Selbstmord fordern müssen (. . .).“87
Aber auch derartig gesellschaftlich intendierte Rechtspflichten sind nicht mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar.88 Schon der unbeschränkbare Schutz der Menschenwürde macht deutlich, dass der Mensch Ausgangs- und Mittelpunkt allen rechtlichen Denkens sein muss.89 In Art. 1 81
Ähnl. auch die Überlegungen bei Vossenkuhl, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 275 (281 ff.). 82 Köhler, JRE 14 (2006), 425 (438); ders., ZStW 104 (1992), 3 (20 f.). 83 Vgl. hierzu auch Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 82 ff., 84 ff. Er weist nach, dass die Pflicht gegen sich selbst bei Kant ein Element der Tugendpflicht ist (S. 82) und nicht unter den naturrechtlichen Rechtsbegriff subsumiert werden kann (S. 83). Zudem stellt er unter Bezug auf Aristoteles und Schopenhauer heraus, dass eine Rechtspflicht gegen sich selbst nicht existiert (S. 84 ff., 90). 84 Vgl. Maatsch, Selbstverfügung, S. 43 ff.; vgl. ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 147 f. 85 Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (62 f.). 86 Ausf. zur Bestandsschutzthese Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 182 ff.; vgl. auch die Ausführungen bei Hauck, GA 2012, 202 (208) m. w. Nachw. 87 Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (817). 88 Vgl. Gallas, JZ 1960, 649 (654); s. auch Hoerster, NJW 1986, 1786 (1787): „Eine derartige Sichtweise ist jedoch mit einem modernen wissenschaftlichen Weltbild kaum vereinbar.“; vgl. Kaufmann, Arth., MedR 1983, 121 (124): „Gewiss, der einzelne ist der Gemeinschaft verpflichtet, aber nur solange er lebt; er ist der Gemeinschaft indessen nicht verpflichtet zu leben.“; vgl. ferner Kühl, Jura 2010, 81 (84); ausf. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337 f.); vgl. Schroth, GA 2006, 549 (560 f.).
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 105
Abs. 1 des Herrenchiemseer Entwurfs liest man, dass der Staat um des Menschen Willen da ist, nicht der Mensch um des Staates Willen.90 Ein von der Gesellschaft ausgehender Selbsterhaltungszwang ist mit dieser Idee unvereinbar, so dass im Übrigen auch der Versuch Klinkenbergs, den für die Begründung einer Rechtspflicht neben dem Suizidenten erforderlichen Außenstehenden in der „Gemeinschaft aller Rechtsgenossen“91 zu konstruieren, scheitern muss.92 Die Anerkennung einer Pflicht zum Leben wäre eine Missachtung des Individuums und eine Verletzung der Menschenwürde.93 Im Ergebnis kann die Selbsterhaltungspflicht bzw. das Selbstverfügungsverbot daher nur als Tugendpflicht gedacht werden.94 Die „Verbotenheit“ der Selbsttötung betrifft nicht die nach außen hin sichtbare Selbsttötungshandlung, sondern allein die hierin zum Ausdruck kommende subjektive Haltung des Suizidenten.95 Eine Pflicht gegen sich selbst im rechtlichen Sinne besteht nicht96 und kann folglich auch keinen Eingang in die Grundwerteordnung des Rechts finden. Eine Selbsterhaltungspflicht kann keine verfassungsrechtlich zu berücksichtigende Rechtspflicht sein.
89 Vgl. Böhmer, in: FS Geiger, S. 181 (187); vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 133; vgl. Dölling, GA 1984, 71 (85); vgl. auch Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 168 f.; vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 183 f.; s. auch Maatsch, Selbstverfügung, S. 44 f. m. w. Nachw.; vgl. auch Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 37 m. w. Nachw.; vgl. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 144, 216 ff. 90 Herrenchiemseer Entwurf, in: Dokumente zur neuesten deutschen Verfassungsgeschichte, S. 55; vgl. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 168 f.; vgl. auch Marx, Zur Definition des Begriffs Rechtsgut, S. 33 f.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 216 ff.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 115. 91 Klinkenberg, JR 1978, 441 (443 f.). 92 Vgl. dazu Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 217 f.; vgl. auch Wellmann, JR 1979, 182 (182). 93 Vgl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 94. 94 So z. B. Kühl, in: FS Spendel, S. 75 (90 f.); Vossenkuhl, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 275 (281); s. auch Fußn. 74, 80. 95 Ähnl. Vossenkuhl, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 275 (281 ff.); vgl. auch die Fragestellung bei Maatsch, Selbstverfügung, S. 203; s. auch Fußn. 78, 81, Kapitel F. I. 2. a), Fußn. 53. 96 Vgl. z. B. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbotes, S. 220; vgl. ferner v. Pfordten, Normative Ethik, S. 272 ff., der darüber hinaus bewiesen hat, dass Pflichten gegen sich selbst im rechtlichen Sinne grundsätzlich nicht existieren können, weil eine solche Rechtspflicht schon am Fehlen eines legitimen Pflichtenurhebers scheitert; s. auch Fußn. 94.
106
E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
(2) Der Schutz des Suizidenten vor sich selbst Auch wenn die Rechtsordnung keine Rechtspflicht zum Leben begründet, wird der Befürwortung eines Rechts auf Selbsttötung vielfach entgegnet, dass die Anerkennung eines Verfügungsrechts über das eigene Leben ein Widerspruch zur staatlichen Verpflichtung des Schutzes des menschlichen Lebens als Daseinsminimum sei.97 Das BVerfG versteht das Recht auf Leben als ein von der Menschenwürde ausgehendes, elementares und unveräußerliches Recht.98 Das Recht auf Leben bildet, weil es die physische Existenz schützt, die vitale Basis aller Freiheitsrechte.99 Es stellt innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar.100 Auf dieser Grundlage wird dem Staat ein Schutzauftrag für das menschliche Leben zugesprochen: „Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben zu schützen (. . .) Die Verfassung untersagt nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das Leben, sie gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem, es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. (. . .) Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG (. . .).“101
Dem Gesetzgeber kommt bei der Umsetzung der Schutzpflichten ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu.102 Kann der Staat demnach, 97 So Hauck, GA 2012, 202 (216); ähnl. auch Lorenz, JZ 2009, 57 (59 f.), der die Selbsttötung als Vernichtung und nicht als Entfaltung der Persönlichkeit begreift; gegen ein Recht auf Selbsttötung wendet sich ferner Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (338 ff.). 98 Vgl. hierzu z. B. BVerfGE 39, 1 (42); 45, 187 (254 f.); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 88, 203 (251); vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 173 f.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 9 m. w. Nachw.; ferner Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 44, 54 ff. m. w. Nachw.; krit. Kutscha, NVwZ 2004, 801 (802) m. w. Nachw.; krit. zur Frage der Immanenz der Menschenwürde im Recht auf Leben Lindner, DÖV 2006, 577 (580 ff.) m. w. Nachw.; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 25 m. w. Nachw. 99 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 173 f.; ferner Augsberg, JuS 2011, 28 (29). 100 BVerfGE 39, 1 (42). 101 BVerfGE 88, 203 (251); vgl. ferner BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); BVerfG NJW 1998, 2961 (2962); vgl. Augsberg, JuS 2011, 28 (29); ausf. hierzu Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 190 ff.; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 49; Lindner, JZ 2006, 373 (376); vgl. ferner Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 76 m. w. Nachw.; vgl. Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (42). 102 Vgl. Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. ferner Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Einl. Rn. 18; vgl. Lorenz, JZ 2009, 57 (59); ähnl. auch Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (397 f.); vgl. auch Faber, DVBl. 1998, 745 (751 f.); ähnl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 184 f.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 107
abgeleitet aus seinem Schutzauftrag für das menschliche Leben, den Lebensmüden zu seinem eigenen Schutz und gegen seinen Willen an der Selbsttötung hindern? Oder anders formuliert: Trifft den Staat eine prospektive Verantwortung103 für das Leben des Suizidenten? Ist er zum Schutz des selbstbestimmt agierenden Rechtsträgers legitimiert oder gar verpflichtet? Ein so bewirkter Eingriff wäre als paternalistisches Handeln des Staates zu charakterisieren. Paternalismus bezeichnet dabei Konstellationen, in welchen der Einzelne zunächst gegen seinen (mangelfreien) Willen vor einer Selbstschädigung geschützt wird.104 Unterschieden werden insofern der weiche und der harte (auch echte) Paternalismus, wobei nur Letzterer die Selbstschädigung dauerhaft untersagt.105 Gemeinsam ist beiden Formen paternalistischen Handelns, dass sich der Eingriff gegen den aktuellen Willen des Handelnden richtet, sich aber grundsätzlich am subjektiv zu bestimmenden, zukünftigen Willen des Betroffenen orientieren muss.106 Ob unter diesem Gesichtspunkt ein solcher Schutz des Suizidenten vor sich selbst legitimierbar ist, bleibt zu bezweifeln. Die allgemeine Handlungsfreiheit garantiert das Recht auf individuelle Lebensgestaltung bis hin zum Recht auf Selbsttötung.107 Den freiverantwortlich handelnden Suizidenten entgegen seinem ausdrücklichen Willen dauerhaft von der Selbsttötung abzuhalten, würde diese höchstpersönliche Selbstbestimmtheit des Individuums nicht nur beschränken, sondern sogar negieren.108 Der Staat würde das objektive Interesse an der Höchstrangigkeit des Lebens über den freien Willen des Einzelnen stellen und somit zwar im Sinne des Lebenserhaltungsinteresses von Gesellschaft und Staat109, nicht aber im Sinne des zukünftigen Willens des Individuums handeln.110 103
Vgl. hierzu nochmals Kapitel D. I. S. 77 ff. sowie D. III. S. 86 f. Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 289 (293); ausf. zur Begriffsbestimmung Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/ Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (11 ff.). 105 Vgl. Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 289 (294); vgl. auch Seher, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (52). 106 Vgl. Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (15); vgl. auch Kasachkoff, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 135 (135). 107 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) S. 92 ff., insb. Fußn. 23, 26. 108 Vgl. Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 74; vgl. ferner Frister, Strafrecht AT, Kap. 10 Rn. 15; ähnl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 229; ähnl. auch Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43). 109 Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294). 110 Ähnl. Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (15); vgl. dazu auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 34 f.; zum Problem, dass der Staat als externer Beobachter keinen Einblick in die individuellen 104
108
E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
Darüber hinaus dient der staatliche Schutzauftrag, abgeleitet aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte, dem Schutz des Grundrechts Leben.111 Würde man aus dem Schutzauftrag auch ein Recht des Staates zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst ableiten, wäre dies eine Verkehrung des Schutzauftrages, denn das Grundrecht Leben würde zu einer Grundpflicht umgewandelt.112 Der Schutz des Lebens darf aber nicht zu einer (Weiter-)Lebenspflicht werden.113 Dies verbietet bereits der Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, der explizit von einem Recht auf Leben spricht und nicht von einer Pflicht zum Leben.114 Wenn der Einzelne von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht, dann muss diese Entscheidung, soweit sie autonom getroffen wird, respektiert werden.115 Diese Erkenntnis folgt letztlich der Idee der Eigenverantwortung als Rechtsprinzip. Es wurde konstatiert, dass es der Leitgedanke des Eigenverantwortungsprinzips ist, für die Konsequenzen seines Handelns selbst einzustehen und (das ist für diesen Kontext das Entscheidende) dass der Einzelne grundsätzlich vor jeglicher Bevormundung von Seiten anderer geschützt ist.116 Dies gilt, wie bereits festgestellt, auch für das Verhältnis zwischen dem Rechtsträger und dem Staat.117 Den Staat trifft für die ErhalBeweggründe und das Innere des Einzelnen hat, so dass er letztlich auf objektive Maßstäbe zurückgreifen muss und sich ein Verbot der Selbsttötung folglich als ein Aufzwingen als herrschend geltender Lebensideale darstellen würde, ausf. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes, S. 160 ff. sowie Maatsch, Selbstverfügung, S. 46 ff. 111 Vgl. hierzu z. B. BVerfGE 49, 89 (141 f.); 92, 26 (46); zur Begründung der Schutzpflicht, abgeleitet aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte (in Abgrenzung zum Abwehrcharakter der Grundrechte) ausf. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, insb. S. 190 ff.; ausf. hierzu auch Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, insb. S. 51 ff.; vgl. ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 81 ff. 112 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 229; vgl. auch Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541 (546). 113 NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 3 m. w. Nachw.; zur Ablehnung einer solchen Weiterlebenspflicht vgl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 51; vgl. auch Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (778): „Denn die Verpflichtung zum Schutz sagt nichts darüber aus, was zu schützen ist.“; vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbotes, S. 220; auch Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (779) m. w. Anm.; ferner Stünker, DRiZ 2008, 248 (249); s. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294). 114 Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 34 ff., 51 ff. m. w. Nachw.; vgl. Schwabe, JZ 1998, 66 (69); vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (292). 115 Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. auch Hufen, NJW 2001, 849 (851); ähnl. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 246 f., 263 m. w. Nachw. 116 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115; ausf. hierzu Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 109
tung des Lebens des freiverantwortlich handelnden Suizidenten keine Zuständigkeit. Er ist im Sinne prospektiver Verantwortung118 weder zu einem Schutz des Einzelnen vor sich selbst legitimiert noch verpflichtet. Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers verbietet als Korrelat zur Selbstbestimmungsfreiheit119 eine derartige paternalistische Bevormundung.120 Andererseits hat der Suizident entsprechend dem Charakter der staatlichen Schutzpflicht, wie er im Kontext der Selbstgefährdung von besonderer Relevanz ist und dort eingehend besprochen wird, keinen Anspruch auf staatlichen Schutz.121 Eine die Schutzpflicht auslösende Interaktion liegt bei einer eigenhändig bewirkten Selbsttötung nicht vor.122 Der Rechtsträger muss die Folgen seines selbstbestimmten Handelns selbst tragen und kann von keinem anderen Rechenschaft verlangen. Im Ergebnis kann der Schutz vor sich selbst die Begrenzung eines so fundamentalen Gutes wie das der autonomen Selbstbestimmung also nicht legitimieren.123 Natürlich ist es richtig, dass, wie Di Fabio schreibt, in einer dem Leben zugewandten Gesellschaft ein Mensch, der aufgrund von Verzweiflung oder Verwirrtheit sein Leben aufgibt, zu schützen ist.124 Die Aufgabe, die dem Staat in derartigen Situationen zukommt, ist aber nicht der Schutz des Einzelnen vor sich selbst, sondern der Schutz vor jeglicher Form der Fremdbestimmung.125 117
Ausf. Kapitel D. III. S. 86 f. Vgl. hierzu Kapitel D. I. S. 77 ff. 119 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); vgl. Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (205); s. hierzu auch Kapitel D. I. S. 77 ff. 120 Vgl. bspw. BVerfGE 49, 286 (298): „Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität begreift und seiner selbst bewusst wird.“; ausf. hierzu Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (167 f.) m. w. Nachw. 121 Ausf. zu den charakteristischen Merkmalen einer staatlichen Schutzpflicht und des mit ihr einhergehenden Schutzanspruchs des Rechtsträgers Kapitel E. I. 2. aa) S. 124 ff., insb. S. 125. 122 Vgl. schon Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 123 Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43); ähnl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 230; ähnl. Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (395); vgl. ferner Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 142 ff. sowie Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 242 ff., die über die Anwendung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichtenlehre zu dem gleichen Ergebnis kommen; ausf. im Kontext der Tötung auf Verlangen Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 153 ff.; vgl. Roxin, JÖR 59 (2011), 1 (6 ff.); vgl. auch Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (113). 124 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 Rn. 48. 125 Statt vieler vgl. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 45, 124; ähnl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 90; ähnl. zur Strafbarkeit der 118
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
(3) Der staatliche Schutzauftrag für das Leben als Grenze des Rechts auf Selbsttötung Ermöglicht der Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dem Staat nicht, zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst einzugreifen, ist zu untersuchen, inwieweit dem Selbstbestimmungsrecht Grenzen gesetzt sind. (a) Die Inanspruchnahme hilfeleistender Dritter und der indirekte Paternalismus Dem Staat fehlt die Legitimation, das individuelle Selbstbestimmungsrecht zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst zu beschneiden. Ein derartiges direkt paternalistisches Eingreifen wäre, wie zuvor erörtert, verfassungswidrig.126 Aber umfasst das Recht zur Selbsttötung auch die Freiheit, die Hilfe anderer zur Verwirklichung des eigenen Suizidvorhabens in Anspruch nehmen zu können? Die Frage, die sich im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme hilfeleistender Dritter aufdrängt, ist die, ob der Staat zumindest zum indirekt paternalistischen Handeln legitimiert ist.127 Wäre ein Verbot der Mitwirkungshandlung rechtmäßig oder würde der Staat damit das Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten verletzen? Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist die Mitwirkung an einer Selbsttötung dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Dritten zuzurechnen. Im Unterschied zu dem Suizidenten, der selbst Hand an sich legt, greift der Dritte durch seine Mitwirkungshandlung aus objektiver Sicht128 immer in die Rechtssphäre des Suizidenten ein.129 Eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des Dritten auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 S. 1 1. Alt. GG, der dem Staat den Schutz des Lebens vor Fremdeingriffen auferlegt, scheint damit zunächst zulässig. Allerdings bewirkt der Eingriff in die Handlungsfreiheit des Dritten auch eine zunehmende mittelbare BeTötung auf Verlangen Hufen, NJW 2001, 849 (851); vgl. auch Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459 (467 f.). 126 Vgl. Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43); vgl. dazu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 127 Vgl. dazu Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (16, 18). 128 Aus der subjektiven Sicht des Suizidenten greift der Mitwirkende nicht in fremde Rechte ein, weil er nur unterstützend tätig wird. Diese subjektive Sichtweise kann allerdings nicht die Grundlage der rechtlichen Bewertung der Grundrechtskollision sein. 129 Zur Frage der Abgrenzung von Fremdtötung und Selbsttötung vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); vgl. auch Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (18).
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 111
schränkung des Suizidenten, weil dieser vielfach seinen Willen ohne die Hilfe anderer nicht umsetzen kann.130 Damit wäre es dem Staat möglich, über ein Verbot jeder Form der Mitwirkung, quasi durch die „Hintertür“, den Suizidenten doch vor sich selbst zu schützen und am Leben zu erhalten. Eine solche Entwertung des Selbstbestimmungsrechts verhindert aber die legitimatorische Abhängigkeit des indirekten vom direkten Paternalismus.131 Danach ist der indirekte Paternalismus nur zulässig, wenn zugleich der direkte Paternalismus gegenüber dem unmittelbar zu schützenden Rechtsgutsträger legitim wäre.132 Es wurde aber bereits bewiesen, dass der Schutz des Suizidenten vor sich selbst keine hinreichende Legitimation zur Begrenzung eines so fundamentalen Gutes wie dem der autonomen Selbstbestimmung sein kann.133 Wenn der Einzelne von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht, dann muss diese Entscheidung, soweit sie autonom getroffen wird, respektiert werden.134 Eine – wenn auch nur mittelbare – Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts käme damit einer Bevormundung gleich135, vor der Art. 2 Abs. 1 GG den Einzelnen gerade zu schützen versucht. W. Frisch formuliert es zutreffend wie folgt: „Solange wir eine Person als vollverantwortliches und zur verantwortlichen Entscheidung fähiges Individuum ansehen, können wir nicht zugleich Programme zum Schutz dieser Person vor sich selbst entwerfen. Denn solche Programme ziehen, wie immer sie formuliert sein mögen, die Fähigkeit der Person zu verantwortlichem Entscheiden in Wahrheit in manifester Weise in Zweifel – sie behandeln die Person so, als sei diese in bestimmter Hinsicht zur verantwortlichen Entscheidung eben nicht mehr fähig.“136
Der Staat kann die allgemeine Handlungsfreiheit des mitwirkenden Dritten, z. B. in Form der Pönalisierung der Mitwirkung, folglich nicht be130 Ähnl. Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (18); vgl. auch Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157. 131 S. v. Pfordten, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 193 (193). 132 Ebda. 133 Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43); ähnl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 230; ähnl. Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (395). 134 Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. auch Hufen, NJW 2001, 849 (851). 135 Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157; vgl. auch Puppe, Strafrecht AT, 1. Aufl., § 6 Rn. 6, die von der „Freiheit von Bevormundung durch fremde Vernünftigkeit“ spricht; ähnl. auch Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (779), der es als Ausfluss der Würde des Menschen versteht, nicht nach den Würdevorstellungen Dritter leben zu müssen; ähnl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 90. 136 Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 158.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
schränken, ohne zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten zu verletzen. Der Respekt vor der Selbstbestimmungsfreiheit und der Eigenverantwortung verbieten eine solche indirekte Bevormundung des Suizidenten. Dem Staat fehlt, entsprechend der Leitidee des Eigenverantwortungsprinzips137, die Zuständigkeit, ihm fehlt die verfassungsrechtliche Legitimation zum indirekten Schutz des Suizidenten gegen seinen freien Willen. Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers verdrängt also bereits auf der prospektiven Ebene die Verantwortung des Staates. Wenn der Staat nun keine Legitimation zum paternalistischen Eingreifen gegenüber dem Suizidenten besitzt, kann er den Dritten für die Ermöglichung der Selbsttötung oder das Hilfeleisten auch nicht zur Rechenschaft ziehen. Durch eine Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid würde der Staat dem Dritten eine Pflicht zur Bewahrung des körperlichen Wohls des Suizidenten auferlegen und ihn so zu dessen Vormund machen. Vor einer solchen fremden Bevormundung schützt den Suizidenten aber die mit der Selbstbestimmungsfreiheit einhergehende Eigenverantwortung, die dem Staat einen derartig paternalistischen Eingriff verbietet. Den Dritten trifft folglich im rechtlichen Sinne keine Mitverantwortung am Tod des Suizidenten, weil der Staat nicht zur Schaffung einer die Verantwortung des Dritten begründenden Norm legitimiert ist.138 In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass eine Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid nicht nur eine unzulässige Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit des Suizidenten wäre, sondern auch einen rechtswidrigen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Dritten darstellen würde. Einem solchen Eingriff fehlt die Verhältnismäßigkeit, genauer die Angemessenheit, weil der eigentliche Grund des Eingriffs nicht in der Person des Dritten liegt, sondern vielmehr das Ziel verfolgt, eine andere freiverantwortliche Person vor sich selbst zu schützen.139 Das eigentliche Zielobjekt des staatlichen Eingreifens ist nicht identisch mit dem Eingriffsobjekt, was bei elementaren Grundrechten wie der Handlungsfreiheit auf Seiten des Mitwirkenden sowie der Würde und dem Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten zur Verneinung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs führen muss. Im Ergebnis umfasst das Recht auf Selbsttötung also zugleich die Freiheit, sich der Hilfeleistung Dritter zur Umsetzung des Suizidentschlusses 137
Vgl. hierzu auch Kapitel D. III. S. 86. Vgl. hierzu die Überlegungen zum Abhängigkeitsverhältnis der prospektiven Verantwortung des Staates und der retrospektiven Verantwortung des Dritten zu Beginn dieses Kapitels S. 89 f. 139 Vgl. dazu die überzeugenden Ausführungen zur Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung bei Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156 f. 138
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 113
bedienen zu können.140 Die Eigenverantwortung des Suizidenten verdrängt eine prospektive Verantwortung des Staates und hiermit einhergehend eine Mitverantwortung des Dritten für den Suizid. (b) Die Autonomie zur Fremdbestimmung Eine andere Frage als die, ob der Suizident sich zur Verwirklichung seiner Selbsttötung auch der Hilfe Dritter bedienen kann, ist diejenige, ob das Recht zur Selbstbestimmung dem Einzelnen auch die Freiheit zur Fremdbestimmung eröffnet. Relevant wird dies immer in Situationen, in denen der Lebensmüde physisch oder psychisch nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft aus dem Leben zu treten. Er nimmt nicht nur die Hilfe anderer bei der Umsetzung seiner Suizidhandlung in Anspruch, sondern will sich von fremder Hand töten lassen. Gewährt das Recht auf Selbsttötung ein solches Recht auf Fremdtötung? Auch wenn die Selbstbestimmung und die Fremdbestimmung begrifflich nicht gleichbedeutend sind, kann die Fremdbestimmung doch auch Ausdruck einer selbstbestimmten Entscheidung sein. So ist es im Verfassungsrecht allgemeiner Konsens, dass der Rechtsträger in den Eingriff seiner Grundrechte einwilligen kann.141 Das strafrechtliche Pendant hierzu bildet das Institut der rechtfertigenden Einwilligung, wonach der Rechtsgutsträger frei über seine Rechtsgüter verfügen und gegenüber Dritten auf deren Schutz verzichten kann.142 Warum soll der Lebensmüde dann nicht auch die Freiheit besitzen, sein Leben in die Hände eines anderen zu legen? Mit der Pönalisierung der Tötung auf Verlangen in § 216 StGB spricht sich der Gesetzgeber gegen eine solche Freiheit aus. Fraglich ist, ob diese Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts legitim ist. Der Mensch ist ein autonomes Wesen, das die Fähigkeit zu freiverantwortlichem Handeln besitzt.143 Diese Freiheit zur Selbstbestimmung, die 140
A. A. bspw. SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 9, der ein Recht auf Sterben mit Hilfe Dritter trotz der Freiheit des Einzelnen zur selbstbestimmten Lebens- und Sterbegestaltung ablehnt. 141 Zur verfassungsrechtlichen Einwilligung (Grundrechtsverzicht) vgl. statt vieler Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Vorb. Rn. 129 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Art. 1 Rn. 36 f.; v. Münch/Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb Art. 1–19 Rn. 44. 142 Ausf. zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Einwilligung im allgemeinen Selbstbestimmungsrecht Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 17 ff. m. w. Anm. 143 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (6); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 82; vgl. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293).
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
Art. 2 Abs. 1 GG jedem Menschen garantiert, ist es auch, die einem staatlichen Eingreifen in Form des Schutzes des Einzelnen vor sich selbst entgegensteht. Wie zuvor erörtert, ist eine paternalistische Bevormundung des Einzelnen, egal, ob unmittelbar oder mittelbar über die Beschränkung der Handlungsfreiheit Dritter, mit dem Selbstbestimmungsrecht nicht vereinbar.144 Für eine mögliche Beschränkung der Freiheit zur Fremdbestimmung durch ein Verbot der Fremdtötung gilt dies gleichermaßen. Ein Verbot der Tötung auf Verlangen ist nicht mit einem paternalistischen Schutz des Lebensmüden vor sich selbst begründbar.145, 146 Würde § 216 StGB ein paternalistischer Normzweck zugrunde liegen, wäre er, weil die Fremdtötung dem ernstlichen Verlangen des Rechtsträgers entspricht, als Form aufgedrängten staatlichen Schutzes147 unzulässig. Die Strafnorm des § 216 StGB ist eine Ausformung des staatlichen Schutzauftrages. Weil sie zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Lebensmüden begrenzt, hängt deren Legitimität davon ab, dass der Zweck der Pönalisierung der Tötung auf Verlangen dem Schutz anderer oder der Allgemeinheit dient. Nun geht von einer Tötung im Einvernehmen mit dem Opfer keine konkrete Gefahr für das Leben anderer unbeteiligter Rechtsträger aus. Allerdings sind grundgesetzliche Schutzpflichten wie der Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schutzgutorientiert.148 Es genügt demnach, dass der Gesetzgeber eine von dem schädigenden Ereignis ausgehende Gefahr für die Rechtsgüter anderer, im Einzelnen noch nicht 144
Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 145 Kubiciel, JZ 2009, 600 (601); ausf. hierzu Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 79 ff.; ausf. Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 153 ff., 161; ausf. ebenso Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 107 ff.; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 86 ff., 179 f.; ausf. Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 57 ff.; krit. NK-StGB/Neumann, § 216 Rn. 1 ff. m. w. Nachw.; ebenso krit. v. Hirsch/Neumann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 71 (77 ff.). 146 A. A. bspw. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 263ff., der § 216 StGB als indirekt paternalistischen Eingriff gerechtfertigt sieht; Dölling, GA 1984, 71 (86); Hoerster, ZRP 1988, 1 (3); ders., NJW 1986, 1786 (1789); Jakobs, in: FS Kaufmann, S. 459 (467 ff.); vgl. Hirsch, H. J., in: FS Lackner, S. 597 (614 f.); ebenso ders., in: FS Welzel, S. 775 (779 f., 791 f.); vgl. ferner v. Pfordten, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 193 (199 f.); Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 33; Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 Rn. 2 ff., 8; Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (46); vgl. auch den Überblick zu den verschiedenen Ansichten bei Kühl, StGB, § 216 Rn. 1 m. w. Nachw. sowie Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (566 ff.). 147 Zum Begriff des aufgedrängten Grundrechtsschutzes vgl. statt vieler Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 228. 148 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 116 f.; ähnl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 202 f.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 115
individualisierbarer, Rechtsträger als gegeben sieht.149 Dem Gesetzgeber kommt bei der Umsetzung der Schutzpflichten insofern ein weiter Beurteilungsspielraum zu.150 Im Fall der Tötung auf Verlangen sieht er eine solche Gefahr darin begründet, dass durch eine Freigabe der Fremdtötung bei ernstlichem Verlangen auch Menschen getötet werden, die sich nicht freiverantwortlich für ihren Tod entschieden haben, so dass deren Recht auf Leben verletzt würde.151 Oft wird in diesem Zusammenhang geäußert, dass ein unbegrenztes Verfügungsrecht über das Leben den „generellen Lebensschutz relativieren, die Achtung vor dem Leben untergraben, Nützlichkeitserwägungen Raum geben (. . .) und (. . .) den Gefahren eines Missbrauchs nicht wirksam begegnen“152 könne. Zusammenfassen kann man diese Bedenken unter den Begriffen des Dammbruchargumentes oder „slippery slope“.153 Die Intention, die sich hinter diesen verbirgt, ist dabei keinesfalls neu. Bereits in einem Artikel im Reichsboten aus dem Jahre 1901 konstatierte man:154 „Hat der Mensch aus Nützlichkeitsgründen das Recht, sich das Leben zu nehmen, so ist damit das Nützlichkeitsprinzip so hoch gestellt, daß daneben die Moral völlig ihre Bedeutung verliert. Wenn das eigene Leben vor diesem Prinzip nicht mehr sicher ist, dann wird es auch bald das Leben des anderen nicht mehr sein; dann wehe den Kranken, die ihren Familien und Gemeinden zur Last fallen, wenn man mit der Dernburgschen Weisheit an sie herantritt und ihnen mit dem 149
Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 117 m. w. Nachw. Vgl. Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. ferner Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Einl. Rn. 18; vgl. Lorenz, JZ 2009, 57 (59); ähnl. auch Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (397 f.); vgl. auch Faber, DVBl. 1998, 745 (751 f.); ähnl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 184 f. 151 Statt vieler Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 195. 152 Kutzer, ZRP 2003, 209 (211); vgl. ferner Schockenhoff, Imago Hominis 2001, 23 (25 ff.). 153 Vgl. dazu Landau, ZRP 2005, 50 (51) m. w. Nachw.; vgl. ferner Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 247; ferner Herzberg, NJW 1996, 3043 (3044 f.); zu verschiedenen Typen und Strukturen des Dammbrucharguments vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 192 f.; s. auch Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 76 ff. Vgl. ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 167 ff., der das Dammbruchargument in vier Stufen unterteilt: 1. Sterbehilfe, die auf einer autonomen Entscheidung des Betroffenen beruht, führt zu Sterbehilfe an Personen, die nicht in der Lage sind, ihren Willen zu äußern (S. 169). 2. Sterbehilfe, die auf einer autonomen Entscheidung des Betroffenen beruht, führt zu nur scheinbar zum Wohle des Betroffenen erfolgten Tötungen (S. 169 f.). 3. Sterbehilfe für Menschen, die ihren Willen nicht äußern können, führt zu Sterbehilfe, die gegen den Willen des Betroffenen verstößt (S. 170). 4. Sterbehilfe, die gegen den Willen des Betroffenen verstößt, wird zu Sterbebeihilfe gegen ihr subjektives und objektives Interesse (S. 170 f.). 154 Ausf. Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 305 f. 150
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
Hinweis, daß der Zweck ihres Lebens erfüllt sei, das Messer oder den Strick mit dem deutlichen Hinweis: entweder du machst selbst Ende oder ich – darreicht.“155
Die Angst, auf welcher das Dammbruchargument sich gründet, ist letztlich die vor dem Verlust der Hochachtung des menschlichen Lebens. Hinter der Postulierung der Unantastbarkeit des Lebens steckt begrifflich nichts anderes als das Tötungstabu.156 Das gesellschaftliche Fremdtötungstabu beschreibt folglich den Anspruch, die Achtung vor fremdem Leben aufrechtzuerhalten.157 Ohne ausführlicher auf die Diskussion zur Legitimierung des § 216 StGB eingehen zu wollen158, ist darauf hinzuweisen, dass das Fremdtötungstabu und die zuvor dargestellten Überlegungen zum möglichen Dammbruch infolge der Straffreiheit der Tötung auf Verlangen nicht unumstritten sind. So wird bspw. gegen das Dammbruchargument eingewandt, dass es von rein spekulativer Natur sei.159 Die bloße Behauptung, dass etwa die fehlende Pönalisierung jeder Form der Beihilfe zur Selbsttötung, bezogen auf die Achtung des menschlichen Lebens, zu einem Werteverfall innerhalb der Ge155 Der Reichsbote, Nr. 42, 19. Feb. 1901, 1. Beil., zit. nach Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 305. 156 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbotes, S. 12 f., 187 m. w. Anm.; ähnl. auch Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (415). 157 Vgl. hierzu Dölling, in: FS Laufs, S. 767 (771 f., 773 f.) m. w. Nachw.; Duttge, GA 2001, 158 (171 ff., 173); vgl. auch Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (415), der die Unantastbarkeit des Lebens nicht nur als sittliche oder atavistische, sondern rechtliche Anschauung begreift; Herzberg, NJW 1996, 3043 (3047), der das Interesse daran, dass niemand ein Menschenleben auslösche, egal ob aus Mitleid oder auf Verlangen, als ein reales und starkes bezeichnet; vgl. ferner Hirsch, H. J., in: FS Welzel, S. 775 (779, 790); vgl. Landau, ZRP 2005, 50 (50 f.) m. w. Anm.; ähnl. Lindner, JZ 2006, 373 (378 f.); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 517 ff.; vgl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (159) m. w. Nachw.; ders., Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 53 f.; vgl. auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 114 ff. m. w. Nachw.; ähnl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (296). 158 Vgl. hierzu beispielhaft Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 236 ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1 m. w. Nachw.; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 19 f.; Kubiciel, JZ 2009, 600 (601 f.) m. w. Nachw.; ders., JA 2011, 86 (90); krit. ferner Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 29 ff., insb. S. 65 ff.; auch Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 168 ff.; ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 279 ff.; vgl. Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 110 ff., 163 ff.; vgl. Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 Rn. 2 ff. m. w. Nachw.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (566 ff.); vgl. ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 69 ff.; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 41 ff. 159 Vgl. Herzberg, NJW 1996, 3043 (3044 f.); vgl. auch Hoerster, NJW 1986, 1786 (1791); vgl. ferner Landau, ZRP 2005, 50 (51).
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 117
sellschaft führen würde160, bliebe mangels Gewissheit ein Verdacht. Derartige Mutmaßungen wären aus diesem Grund für sich allein nicht in der Lage, einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht zu legitimieren.161 Im Zusammenhang mit dem Fremdtötungstabu wird wiederum darauf hingewiesen, dass ein Tabu begrifflich die absolute Unantastbarkeit menschlichen Lebens fordert und ein solches absolutes Tötungstabu in der bestehenden Rechtsordnung nicht existiert.162 Dies beweist bereits die im Grundgesetz angelegte Relativierung des Grundrechts Leben.163, 164 Nur so erscheinen bspw. die über Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zulässige Tötung in Notwehr nach § 32 StGB und der finale Rettungsschuss gem. § 64 Abs. 2 S. 2 ThPAG nicht widersprüchlich.165 Trotz der skizzenhaft aufgezeigten Schwächen kann der Gesetzgeber die Angst vor möglichen Dammbrüchen sowie den Anspruch auf Hochachtung des menschlichen Lebens bei der Ausübung seines Beurteilungsspielraums berücksichtigen.166 Aufgrund seiner Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiheit bei der Umsetzung der Schutzpflicht hat er den Freiraum, verschiedenste Interessen in seine Überlegungen mit einzubeziehen.167 Deutlich wird in diesem Zusammenhang aber auch, dass, während §§ 211, 212 StGB grundrechtsgebotene Normen sind168, weil jede Fremdtötung gegen 160
Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 240. Ähnl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes, S. 249; zum Problem von Prognoseentscheidungen im Strafrecht vgl. ferner v. Hirsch/Wohlers, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 196 (208 f.) m. w. Nachw. 162 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 241. 163 Ähnl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 241 ff.; Lindner, DÖV 2006, 577 (585 ff.); Kutscha, NVwZ 2004, 801 (801 f.). 164 So verlangt zwar die Menschenwürde einen umfassenden Schutz des Lebens. Allerdings beschreibt dieser Schutz die Werthaftigkeit des Menschen an sich, so dass ein Wertungs- und Differenzierungsverbot, bezogen auf das Menschsein an sich, besteht, nicht aber eine Pflicht des Staates für den Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens postuliert wird. Ausf. Lindner, DÖV 2006, 577 (583 f.). Die Menschenwürde und das Recht auf Leben überlappen sich demzufolge im Grundrechtsschutzbereich nicht vollständig. Vgl. hierzu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 14 m. w. Nachw.; Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 1 I Rn. 67; Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 20, 118; Lindner, DÖV 2006, 577 (580). 165 Vgl. dazu Lindner, DÖV 2006, 577 (585 ff.); vgl. ferner Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 241 ff.; vgl. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 24; vgl. Kutscha, NVwZ 2004, 801 (802 f.); vgl. ferner Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 75. 166 Ähnl. Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. auch die Ausführungen zum Nichtraucherschutz bei Faber, DVBl. 1998, 745 (751 f.). 167 Vgl. BVerfGE NJW 1998, 2961 (2962); vgl. ferner Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 86 ff. 161
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
den Willen des Opfers ein von staatlicher Seite zu verhindernder Eingriff in das Lebensrecht des Opfers ist, der Gesetzgeber mit der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen über diesen grundrechtsgebotenen Minimalschutz hinausgeht.169 Der Erlass einer Norm wie § 216 StGB zum Schutz des Lebens ist folglich möglich, aber nicht zwingend.170 Dietlein bezeichnet den § 216 StGB aus diesem Grund auch als grundrechtsinspirierte Norm.171 Der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sind allerdings auch Grenzen gesetzt. Obwohl das Leben innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert172 darstellt, muss das Selbstbestimmungsrecht nicht von vornherein als nachrangiges Grundrecht hinter diesem zurücktreten.173 Gegen eine so indizierte Wertrangordnung des Grundgesetzes spricht, dass die Verfassung selbst keine Aussage über eine qualitative Abstufung der Grundrechte macht.174 Die staatliche Schutzpflicht für das Leben kann das Selbstbestimmungsrecht nicht von vornherein verdrängen.175 Sie tritt vielmehr in praktische Konkordanz zur Selbstbestimmung des Einzelnen, so dass beide unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit miteinander in Bezug zu setzen sind.176 Eine Norm wie § 216 StGB ist demnach nur dann rechtmäßig, wenn sie das Selbstbestimmungsrecht soweit wie möglich berücksichtigt und so wenig wie nötig begrenzt.177 Gegenüber stehen sich also das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und die von der Straffreiheit der Tötung auf Verlangen ausgehende Gefahr für das Leben von Menschen, die zu einer freien, selbst168
Vgl. Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 23 ff., insb. Rn. 26; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 57; zu Pönalisierungsgeboten im Allgemeinen s. Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Einl. Rn. 19 sowie Roxin, JÖR 59 (2011), 1 (9 f.). 169 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 128 f. 170 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100; ferner Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 64, 85; ähnl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (296 f.). 171 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 129 m. w. Nachw. 172 BVerfGE 39, 1 (42). 173 Vgl. hierzu Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 86. 174 Ausf. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 86 f., 229; allgemein zum Grundgesetz als (gesellschaftlich reflektierte) Wertordnung vgl. Di Fabio, JZ 2004, 1 (1 ff.) sowie Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 52; ders., JZ 2004, 873 (876 f.). 175 Hufen, NJW 2001, 849 (855). 176 Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 204; ebenso Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541 (546); ähnl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 114 f., 227; Grundsätzliches zur praktischen Konkordanz findet sich bei Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 2 Rn. 73; vgl. auch Schwacke, Juristische Methodik, S. 143 f. 177 Vgl. hierzu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 119
bestimmten Entscheidung nicht fähig sind.178 Während das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Leben zunächst gleichwertig erscheinen, sind sie es nicht mehr mit Blick auf die Folgen eines möglichen Eingriffs.179 Die Irreversibilität des Lebensverlustes gebietet letztlich präventive Maßnahmen, um die Freiverantwortlichkeit und die Achtung des menschlichen Lebens zu garantieren.180 Der Schutz des Lebens anderer vor irreversiblen Eingriffen überwiegt gegenüber der Selbstbestimmung. Der Gesetzgeber respektiert zudem das Recht auf Selbsttötung und erkennt die Freiheit des Einzelnen an, sich bei der Umsetzung seines Suizidwillens der Hilfe Dritter zu bedienen, so dass das Verbot der Fremdtötung eine verhältnismäßige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts darstellt. Darüber hinaus bringt der Gesetzgeber auch in § 216 StGB den Respekt vor der freiverantwortlichen Entscheidung des Lebensmüden zum Ausdruck, indem er die Norm als Privilegierung oder zumindest als Spezialfall gegenüber den übrigen Tötungstatbeständen181 ausgestaltet hat. Des Weiteren erkennt er auch ein Recht des Einzelnen auf menschenwürdiges Sterben an, so dass jeder selbst über die Art und Weise seines Todes verbindlich entscheiden kann.182 In diesem Sinne eröffnet der am Maßstab der Verhältnismäßigkeit orientierte Beurteilungsspielraum dem Gesetzgeber bspw. auch die Möglichkeit, in Situationen, in denen der Mensch nicht in der Lage ist, sich das Leben zu nehmen, und zu einem menschenunwürdigen Dahinsiechen verurteilt wäre, die aktive Sterbehilfe aufgrund eines eindeutigen Willens des betroffenen Rechtsträgers straffrei zu stellen.183 Als Bei178 Ausf. hierzu Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 186 ff., 194 ff. 179 Vgl. Landau, ZRP 2005, 50 (54). 180 Ausf. Landau, ZRP 2005, 50 (54); vgl. auch Lindner, JZ 2006, 373 (379 f.), der das Zweckverwirklichungsbedürfnis bejaht; zum Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers in diesem Bereich vgl. auch den RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 6. 181 Vgl. hierzu Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 7 m. w. Nachw.; Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 Rn. 66. 182 Vgl. z. B. BGHSt 32, 367 (378); 40, 257 (262); 42, 301 (305); 55, 191 (194 ff.); vgl. Böhmer, in: FS Geiger, S. 181 (187); vgl. ferner Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 47 ff.; vgl. NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 43; vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 1 Abs. 1 Thüringer Verfassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie auch im Sterben zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 183 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 100; ähnl. bereits Hoerster, ZRP 1988, 1 (3 f.); vgl. ferner Kutzer, ZRP 2003, 209 (211 f.); vgl. auch Lindner, JZ 2006, 373 (381 ff.), der zumindest bei Unzumutbarkeit des Weiterlebens einen grundrechtsgebotenen Dispens anerkennt; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 64; Wassermann, DRiZ 1986, 291 (296 f.). Vgl. in
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
spiel hierfür sei der Fall des in seinem brennenden Auto eingeklemmten Fahrers angeführt, der nicht mehr gerettet werden kann, aber auch nicht in der Lage ist, sich selbst zu retten.184 Zu denken ist auch an den dem Tod geweihten und an unerträglichen Schmerzen leidenden Patienten, der sich nicht selbst das Leben nehmen kann.185 Die Durchsetzung des Schutzanspruchs für das Leben wäre in derartigen Konstellationen unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Gesteht man dem Gesetzgeber im Bereich der Umsetzung der Schutzpflicht für das Leben einen Beurteilungsspielraum zu,186 lässt sich auch der so oft kritisierte Widerspruch der strafbaren Tötung auf Verlangen zur Straffreiheit der Mitwirkung am Suizid187 erklären. Wie der am fremden Suizid Mitwirkende greift derjenige, der die Tötungshandlung vornimmt, in die Rechtssphäre des Lebensmüden ein.188 Allerdings sieht der Gesetzgeber bei der Mitwirkung am freiverantwortlichen Suizid keine der Fremdtötung vergleichbare Gefahr für eine Entwertung der Achtung vor fremdem Leben. Durch die eigenhändig vollzogene Selbsttötung gefährdet der Suizident nur sein eigenes Leben. Das Selbstbestimmungsrecht des Lebensmüden ist folglich in derartigen Konstellationen schwerer zu gewichten als der grundgesetzliche Schutzauftrag für das Leben. Aus diesem Grund wäre auch der indirekt paternalistisch bewirkte Schutz des Suizidenten durch ein Mitwirkungsverbot, wie bereits erörtert, ein unverhältnismäßiger und damit rechtswidriger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Lebensmüden.189 diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Ott, in: Handbuch Ethik, S. 474 (477 f.), wonach zu jeder Norm eine Es-sei-denn-Klausel gehört, die sich auf legitime Ausnahmen bezieht, die ihrerseits entweder als Resultat eines Normenkonfliktes oder Ausdruck von Unzumutbarkeit zu verstehen sind. 184 Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 60; vgl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 297 f. 185 Vgl. statt vieler Kühl, StGB, § 216 Rn. 1; vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 298 f., 529 ff.; NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 127, § 216 Rn. 19; Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 ff. Rn. 52 jeweils m. w. Nachw. 186 Vgl. bspw. BVerfGE NJW 1998, 2961 (2962), wonach die Prioritätensetzung sowie die Auswahl der möglichen Mittel zum Schutz des menschlichen Lebens in Abwägung zum Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in den alleinigen Kompetenzbereich des Gesetzgebers und dessen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum fallen. 187 Ausf. hierzu Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 237 f.; Feldmann, GA 2012, 498 (501, 511); Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 ff. Rn. 2 m. w. Nachw.; ähnl. auch Kaufmann, Arth., MedR 1983, 121 (124). 188 Vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); vgl. ferner Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/ Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (18). 189 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 121
b) Zwischenergebnis Der Mensch besitzt die Freiheit, über sein Leben bzw. sein Lebensende frei entscheiden zu können. Das Recht zur individuellen Selbstbestimmung umfasst auch das Recht zur Selbsttötung. Solange der Suizident demnach freiverantwortlich agiert, ist seine Selbsttötung als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung zu respektieren.190 Das Eigenverantwortungsprinzip schützt den Suizidenten vor staatlicher Bevormundung und verdrängt bereits auf prospektiver Ebene eine Mitverantwortung des Staates.191 Ist der Staat wiederum verfassungsrechtlich nicht zum Schutz des Suizidenten legitimiert, fehlt ihm auch die Ermächtigung, den Dritten im strafrechtlichen Kontext zum Vormund des freiverantwortlich Agierenden zu ernennen und ihn für den Tod des Suizidenten in Form einer Strafbarkeit zur Verantwortung zu ziehen. Die Freiheit des Suizidenten zur Selbstbestimmung und die mit ihr korrelierende Eigenverantwortung lassen eine Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten nicht entstehen. Zugleich hat der vorstehende Abschnitt auch aufgezeigt, dass die in der Eigenverantwortung mitgedachte soziale Eingebundenheit des Rechtsträgers dessen Handlungsmöglichkeiten begrenzt. So kann dieser nicht in eine Fremdtötung einwilligen, weil in der Freigabe der Fremdtötung zugleich eine Gefahr für andere besteht, Rechtsgüter anderer aber nicht verletzt oder gefährdet werden dürfen.192 Der Gesetzgeber kann die Tötung auf Verlangen unter Verweis auf den Schutzauftrag für das menschliche Leben und die von einer Fremdtötung ausgehende Gefahr für die Rechtsgüter Dritter, möglicherweise nicht freiverantwortlich handelnder Personen, verbieten. In diesem Zusammenhang ist noch anzumerken, dass das Recht auf Selbsttötung begrifflich nicht gleichbedeutend ist mit dem Recht auf den eigenen Tod. Ein solches Recht auf den eigenen Tod würde neben der Selbsttötung zugleich die Freiheit zur Fremdtötung gewährleisten.193 Eine solche Freiheit zur Tötung auf Verlangen ist aber, wie erläutert, vom Gesetzgeber zum Schutz des Grundrechts Leben rechtmäßig untersagt. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert folglich „nur“ ein Recht auf Selbsttötung und, bedenkt man die Problematik der Patientenverfügung, ein Recht auf menschenwürdiges Sterben.194, 195 Mit dieser Freiheit geht aber, darauf sei noch hingewiesen, keine 190
Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); s. auch Fußn. 134. Vgl. hierzu Kapitel D. III. S. 86 f. 192 Vgl. hierzu Kapitel D. I. S. 80. 193 So zutreffend Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (336). 194 Ähnl. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (292), der statt der Formulierung vom „Recht auf den eigenen Tod“ die vom „Recht auf den selbstbestimmten Tod“ wählt. 191
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
Verpflichtung des Staates einher, dem Suizidenten die Selbsttötung oder auch die Mitwirkung durch Dritte zu ermöglichen. Das Recht auf Selbsttötung begründet keinen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat, sondern stellt nur ein Abwehrrecht dar.196
2. Das Recht auf Selbstgefährdung Nachdem vorstehend dargelegt wurde, welche Wechselbeziehung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums hinsichtlich seiner Selbsttötung und dem gesellschaftlichen sowie verfassungsrechtlichen Anspruch auf Achtung des menschlichen Lebens besteht, ist im Folgenden zu untersuchen, ob und in welchem Umfang das Selbstbestimmungsrecht auch eine Freiheit zur Selbstgefährdung gewährt. Welche Konsequenzen bringt das Rechtsprinzip der Eigenverantwortung für die verfassungsrechtliche Verantwortungszuschreibung in diesen Konstellationen mit sich? a) Die Selbstgefährdung als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung Die allgemeine Handlungsfreiheit verbrieft in Art. 2 Abs. 1 GG das Recht jedes Menschen zur allgemeinen Selbstbestimmung.197 Dieses umfasst das Recht zur individuellen Lebensgestaltung, welches wiederum nicht nur die Freiheit beinhaltet, sich das Leben zu nehmen, sondern auch, sich Gefahren aussetzen und Risiken eingehen zu können.198 Die Persönlichkeit eines Menschen entfaltet sich erst durch individuelle Entscheidungen und damit eventuell einhergehende Fehlschläge, die dem Menschen widerfah195
Ausgehend von der rechtsstaatlichen Überzeugung, dass das Selbstbestimmungsrecht bis zum Ende des Lebens zu achten ist (vgl. BGHSt 32, 367 (378); 40, 257 (262)), regelte der Gesetzgeber mit dem 3. BtÄndG (v. 29.07.2009 BGBl. I S. 2286 (Nr. 48), gültig ab 01.09.2009) in § 1901 a ff. BGB die Voraussetzungen und Reichweite einer Patientenverfügung. So ist es jedem Menschen möglich, über die Art und Weise seines Todes verbindlich selbst zu entscheiden. Ausf. zur Patientenautonomie statt vieler Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 27 ff. sowie NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 103 ff., 107 ff. 196 Vgl. hierzu Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 31; vgl. auch RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 7; offen auch der EGMR im Fall Haas/Schweiz EGMR NJW 2011, 3773 (3775). 197 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36 f.). 198 Vgl. hierzu Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 161; vgl. auch Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (777); NK-StGB/Puppe, Vor § 13 Rn. 192 m. w. Nachw.; ähnl. auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 168 f., 177.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 123
ren.199 Die Freiheit zur Selbstbestimmung umfasst folglich auch ein Recht zur Selbstgefährdung.200 Manche Selbstgefährdungen, aus denen die Gesellschaft einen Nutzen zieht, gelten sogar als sozialadäquat und, unter Berücksichtigung gesetzlicher Regelungen, als rechtlich zulässig.201 Als Beispiele für naturgemäß gefahrenträchtige, aber dem Interesse der Allgemeinheit dienende Lebensbereiche seien der öffentliche Straßenverkehr202 oder auch riskante Sportarten wie Boxen oder Formel 1-Rennen genannt. Hervorzuheben ist, dass das allgemeine Selbstbestimmungsrecht nicht nur das Recht auf eine vernünftige, sondern unter dem Einfluss der Menschenwürde auch auf eine unvernünftige, risikoträchtige Lebensführung umfasst.203 Typische selbstgefährdende Verhaltensweisen, wie bspw. der Alkoholkonsum204, das Rauchen205, auch der Konsum von Drogen206 oder das Betreiben von Extremsportarten207, sind Formen einer verfassungsrechtlich 199
Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 161. So z. B. BVerwGE 82, 45 (48 f.); vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 50 ff. m. w. Nachw.; Dreier, H., in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 I Rn. 31 m. w. Nachw.; auch Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 84 f.; ferner Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (776 ff.); Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 115 f.; Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 8; auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 179, obwohl sie die Freiheit zur Selbsttötung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuordnet (s. Fußn. 22); vgl. ferner Katz, Staatsrecht, Rn. 686; vgl. auch Schwabe, JZ 1998, 66 (69) m. w. Nachw.; vgl. Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43). 201 Zur Sozialadäquanz einer Handlung vgl. bspw. BGHSt 23, 226 (228); ausf. Eser, in: FS Roxin, S. 199 (203 ff.); vgl. Frister, Strafrecht AT, Kap. 10 Rn. 6 ff.; ausf. auch Hirsch, H. J., ZStW 74 (1962), 78 (87 ff., 93 ff.); vgl. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 ff. Rn. 73 m. w. Nachw.; ferner Rönnau, JuS 2011, 311 (311 ff.); vgl. auch Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (516 ff.). 202 Vgl. hierzu auch Roxin, ZStW 116 (2004), 929 (930). 203 Vgl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 223; Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 105 f.; vgl. Jahn, M., JuS 2009, 370 (370); ders., ZIS 2006, 57 (58 f.); auch Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (373); ferner Puppe, GA 2009, 486 (494); dies., Strafrecht AT, 2. Aufl., § 6 Rn. 3; NK-StGB/Puppe, Vor § 13 Rn. 192 f.; Steiner, NJW 1991, 2729 (2734); ähnl. zum Problem der unvernünftigen Einwilligung Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 524 ff.; vgl. ferner die Ausführungen zur Zulässigkeit unvernünftiger Selbstschädigungen im Kontext des kantischen Rechtsbegriffs bei Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 74 f. 204 Vgl. statt vieler BVerwG NJW 1991, 1317 (1318). 205 Vgl. statt vieler BVerfG NJW 1998, 2961 (2962). 206 Vgl. statt vieler BVerfGE 90, 145 (154, 171); zum Problem der Legitimierung der Strafnormen des BtMG s. auch Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. 207 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen bei Greco, GA 2010, 622 (625 ff.) zur Freiheit des Leistungssportlers zum Selbstdoping bzgl. seiner Gesundheit. 200
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
geschützten Selbstgefährdung.208 Jeder kann selbst entscheiden, welchen Gefahren er sich aussetzen will. Bois-Pedain fasst mit Bezug auf Feinberg treffend zusammen: „Ein Leben, das man nicht vergeuden oder verschleudern könnte, wenn man dies perverserweise eben tun wollte, wäre kein Leben, sondern nur die mechanische Umsetzung eines fremdbestimmten Schicksals, ein Marionettenspiel.“209
Allerdings ist auch die Freiheit zur Selbstgefährdung aufgrund der gesellschaftlichen Eingebundenheit des Individuums begrenzbar. Als Ausfluss des Rechts auf allgemeine Handlungsfreiheit kann das Recht zur Selbstgefährdung im Rahmen der Schrankentrias beschnitten werden. Hierbei kommt dem staatlichen Schutzauftrag für das menschliche Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung eine besondere Relevanz zu. aa) Der Schutz(-anspruch) des sich Gefährdenden Grundsätzlich erstreckt sich der aus dem Höchstwert des Lebens abgeleitete Schutzauftrag des Staates nicht nur auf den Schutz des Rechtsträgers vor konkreten Verletzungen durch Eingriffe des Staates oder von Seiten Dritter. Er umfasst auch den Schutz vor derartigen Gefährdungen des Lebens.210 Demnach drängt sich die Frage auf, ob der Staat aus dem Schutzauftrag für das menschliche Leben, anders als bei der Selbsttötung, zum Schutz des sich Gefährdenden vor sich selbst legitimiert ist. Hat der sich Gefährdende aus dem Schutzauftrag vielleicht sogar einen Anspruch auf staatlichen Schutz? Ein legitimes paternalistisches Agieren des Staates setzt voraus, dass der Eingriff mit dem Ziel erfolgt, dem zukünftigen Willen des Betroffenen gerecht zu werden.211 Im Rahmen der Selbsttötung wurde erörtert, dass der Schutz des Suizidenten vor sich selbst aus paternalistischer Sicht nicht legitimierbar ist, weil ein derartiges staatliches Eingreifen, das auf die dauerhafte Verhinderung der Selbsttötung abzielt, gerade nicht dem freien Willen 208 Ausf. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 17, 50 ff.; vgl. Steiner, NJW 1991, 2729 (2734). 209 Bois-Pedain, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 33 (38 f.). 210 Schulze-Fielitz, in: Dreier, H., Grundgesetz Kommentar, Art. 2 II Rn. 27, 29; vgl. ferner Augsberg, JuS 2011, 28 (29); vgl. Laber, Der Schutz des Lebens, S. 39 f. 211 Vgl. Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (15); Kasachkoff, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 135 (135).
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 125
des Suizidenten entspricht, sondern diesem zuwiderläuft.212 Anders liegt es bei der Selbstgefährdung. Ein sich Gefährdender sieht die Gefahr, er hofft aber auf den Nichteintritt des Erfolges, d.h., er will nicht sterben oder sich verletzen.213 Vielfach hätte der Verunglückte von seiner gefährlichen Unternehmung Abstand genommen, wenn er gewusst hätte, welche Konsequenzen auf ihn zukommen. In diesem Sinne könnte man versucht sein zu sagen, dass der Staat mit einem Verbot risikoträchtiger, lebensgefährlicher Handlungen im Sinne des zukünftigen Willens des Einzelnen und damit legitim agieren würde.214 Eine derartige Interpretation der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG scheitert aber daran, dass die eigenhändig bewirkte Selbstgefährdung die Schutzpflicht des Staates erst gar nicht auslöst.215 Das Charakteristische einer grundrechtlich abgeleiteten Schutzpflicht ist es, dass sie den Staat verpflichtet, ein Grundrecht gegenüber staatlichen und privaten Eingriffen zu schützen.216 Sie bezieht sich also immer auf mehrdimensionale Freiheitsprobleme und beschreibt Dreiecksverhältnisse (Staat – Störer – Opfer).217 Ein solches Dreiecksverhältnis liegt aber weder bei der eigenhändig bewirkten Selbsttötung noch bei der Selbstgefährdung vor, weil in beiden Konstellationen der Rechtsträger selbst die Verletzung bzw. Gefährdung bewirkt.218 Durch die eigenhändige Ausführung fehlt ein die staatliche Schutzpflicht auslösendes Interaktionsverhältnis.219 Aus dem staatlichen Schutzauftrag erwächst dem sich Gefährdenden folglich kein subjektives Recht auf Schutz, auch wenn er darauf vertraut oder hofft, dass die Gefahr sich nicht realisiert.220 Dieser Rückschluss von der Freiheit zur Selbstgefährdung auf die Verantwortung des Rechtsträgers steht abermals in der Tradition des Eigenverant212
Vgl. Ausführungen und Nachweise zu Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. Ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff., insb. Fußn. 13, 17. 214 Vgl. auch die Ausführungen von Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 219 ff. m. w. Anm., ähnl. wie dieser auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 194 f.; zutreffend ablehnend Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 248 f. m. w. Nachw. 215 Vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 199, 228 f.; vgl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 248. 216 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 228. 217 Ausf. hierzu Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 201 f., 206 f., 228; ihm folgend Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541 (546); vgl. ferner Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 75, 111; vgl. auch Faber, DVBl. 1998, 745 (747). 218 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 228 f.; vgl. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 248. 219 Vgl. hierzu auch Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 108 f. 220 Ausf. zur Herleitung eines subjektiven Rechts auf Schutz Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 133 ff.; ebenso Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, insb. S. 219 ff. 213
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
wortungsprinzips.221 Dem Recht zur Selbstgefährdung folgt die Eigenverantwortung des Rechtsträgers. Die Eigenverantwortung wiederum schützt vor fremder Bevormundung und verpflichtet den Rechtsträger, für die Folgen seines Handelns selbst einzustehen.222 Damit verdrängt sie die prospektive Verantwortung des Staates hinsichtlich der Folgen des risikoträchtigen Verhaltens.223 Den Staat trifft also keine Zuständigkeitsverantwortung. Er ist weder berechtigt noch verpflichtet, den sich Gefährdenden vor sich selbst zu schützen, weil in derartigen Situationen der Rechtsträger für sein Wohl selbst Sorge zu tragen hat. Gesteht das Recht dem Einzelnen die Freiheit zu gefährlichen Unternehmungen zu, muss er demnach, als Kehrseite dieses Selbstbestimmungsrechts, die Konsequenzen seines Handelns selbst tragen und zwar auch dann, wenn ihm die Folgen nicht willkommen sind.224 Gensicke ergänzt sein Verständnis von Eigenverantwortung225 daher wie folgt: „Der Wortteil „eigen“ verweist auf das Ego des Individuums, mit den Facetten der intellektuellen und gefühlsmäßigen Entfaltungsbedürfnisse, dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit (. . .). Die Verantwortung zieht dem Individualismus jedoch Grenzen; sie zielt auf die Zurechenbarkeit der Gedanken und Handlungen zum Individuum, das für diese einstehen muss. (. . .) Das so verstandene Kompositum entzieht dem Individuum die Möglichkeit, bei Risiken sofort nach weitgehender Absicherung oder bei Misserfolgen nach der Soforthilfe der Gruppe oder des Staates zu rufen.“226
Gegen den paternalistischen Schutz des Rechtsgutsträgers vor sich selbst lässt sich im verfassungsrechtlichen Kontext des Weiteren anführen, dass dem sich Gefährdenden keine Selbstschutzpflicht auferlegt werden kann. Wie im Rahmen der Diskussion um eine Selbsterhaltungspflicht in Konstellationen der Selbsttötung erwiesen, kann eine Pflicht zur Selbsterhaltung nicht als Rechtspflicht gedacht werden, weil sie mangels eines Interper221
Vgl. hierzu Kapitel D. III. S. 84 ff. Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115; ausf. hierzu Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. 223 Vgl. auch die Ausführungen zur fehlenden prospektiven Verantwortung des Staates gegenüber dem Suizidenten in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 108 f. 224 Ähnl. im Rahmen einer Entscheidung zum versorgungsrechtlichen Härteausgleich BVerfGE 60, 16 (39); vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 59 f.; auch Freund, GA 1991, 387 (401); vgl. Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 106; ähnl. im Rahmen seiner Ausführungen zur Abhängigkeit der autonomen Lebensführung von sozialen Ressourcen auch Heinig, Der Sozialstaat, S. 215; vgl. Hörnle, GA 2009, 626 (630); ähnl. auch Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende. Stellungnahme, S. 18; vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 68; auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 53 f.; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 103. 225 S. Kapitel D. I. S. 79. 226 Gensicke, APuZ B 18 1998, 19 (20). 222
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 127
sonalbezugs nicht mit äußerem Zwang durchsetzbar wäre.227 Zweifelsohne besteht ein gesellschaftliches Interesse an der Erhaltung des Individuums, weil von der Existenz des Einzelnen auch der Bestand der Gesellschaft und des Staates abhängt.228 Aber aus dem Selbsterhaltungsinteresse der Gesellschaft eine Pflicht zur Selbsterhaltung des Einzelnen abzuleiten wäre, wie ausführlich erörtert, eine Missachtung des Individuums und eine Verletzung der Menschenwürde sowie der Freiheit zur Selbstbestimmung.229 Zum anderen spricht auch die Ungewissheit hinsichtlich der Schadensverwirklichung oder seines Ausbleibens als Folge des risikobehafteten Verhaltens gegen die Legitimierung einer staatlichen Schutzpflicht.230 Es wäre mit Blick auf die verfassungsrechtliche Relevanz des Grundrechts auf Selbstbestimmung als Ausfluss der Autonomie und Würde des Menschen im höchsten Maße unverhältnismäßig, dieses Recht zur persönlichen Lebensgestaltung aufgrund einer pauschalen Vermutung präventiv einzuschränken. Es wäre zwar zu überlegen, ob sich als Legitimationskriterium paternalistischen Schutzes anstelle der Möglichkeit der Risikoverwirklichung eine Differenzierung zwischen vernünftiger und unvernünftiger Selbstgefährdung anbietet.231 Hiergegen ist aber einzuwenden, dass das Recht zur Selbstbestimmung nicht nur die Freiheit zur vernünftigen, sondern gerade auch zur unvernünftigen Gefährdung schützt.232 Im Übrigen ist fraglich, ob der Staat überhaupt berechtigt ist, eine Entscheidung darüber zu fällen, wann ein Verhalten als unvernünftige Selbstgefährdung zu werten ist und wann nicht. Mit einer solchen Entscheidung über die Vernünftigkeit einer Handlung geht immer eine moralische Wertung einher. Der Staat ist aber nach Art. 4 GG zur weltanschaulichen und religiösen Neutralität verpflichtet, so dass er nicht dazu legitimiert ist, dem Einzelnen derartige moralische Vorgaben bezüglich seiner Lebensgestaltung aufzudiktieren.233 In diesem Zu227 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 228 Ausf. zur Bestandsschutzthese Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 182 ff.; vgl. Hauck, GA 2012, 202 (208) m. w. Nachw.; vgl. hierzu Maatsch, Selbstverfügung, S. 43 ff.; vgl. ferner Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 147 f.; Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (62 f.). 229 Vgl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 94; a. A. Hoerster, ZRP 1988, 1 (3). 230 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 164. 231 Ähnl. Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (18 ff.); zur Fremdgefährdung Puppe, GA 2009, 486 (487). 232 S. Fußn. 203. 233 Vgl. Erbel, Das Sittengesetz, S. 262 f., 272 ff.; mit Verweis auf die philosophische Entwicklung vgl. Duttge, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 36 (41 f.); ähnl. auch Hoerster, NJW 1986, 1786
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
sammenhang sei zudem angemerkt, dass der Staat auch nicht über die tatsächlichen Möglichkeiten und Mittel verfügt, jeden Einzelnen zu jeder Zeit vor selbst heraufbeschworenen Gefahren zu schützen.234 Ein so verstandener Schutzauftrag wäre nicht realisierbar. bb) Die Reichweite und die Grenzen des Selbstgefährdungsrechts im Kontext des Schutzauftrages für das menschliche Leben Der staatliche Schutzauftrag für das menschliche Leben, der ein wesentliches Element der verfassungsmäßigen Ordnung verkörpert, stellt keine Legitimation zum Schutz des Rechtsträgers vor sich selbst dar. Allerdings kann der Staat, wie zu Beginn des Kapitels und im Rahmen der Begrenzung des Rechts auf Selbsttötung erörtert, die Freiheit zur Selbstbestimmung zum Schutz anderer Rechtsträger und zum Schutz der Allgemeinheit beschränken. (1) Das Verbot (bestimmter Formen) der Selbstgefährdung zum Schutz der öffentlichen Ordnung Wie bei der Begrenzung des Rechts zur Selbsttötung ist eine Beschränkung der Freiheit zur Selbstgefährdung nur zum Schutz Dritter vor Schäden und Gefahren, die von der Selbstgefährdung ausgehen, zulässig.235 In diesem Sinne ist es zwar ein legitimes Gemeinwohlanliegen, den Einzelnen davor zu schützen, sich selbst persönlichen Schaden zuzufügen.236 Allerdings hat der Gesetzgeber die Selbstgefährdung soweit wie möglich zu respektieren, selbst dann, wenn sie sich als Lebensgefährdung darstellt.237 Wann gefährdet oder verletzt nun der Rechtsträger durch sein selbstgefährdendes Verhalten die Rechte Dritter, so dass seinem Handeln von staatlicher Seite Grenzen zu setzen sind? Um diese Frage zu beantworten, (1787 f.); ähnl. Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 101; vgl. auch Sternberg-Lieben, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 65 (74); s. auch Kapitel E. I. 1. a) aa) S. 95 ff. 234 Vgl. Lorenz, JZ 2009, 57 (59). 235 Vgl. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 263 f.; krit. Doehring, in: FS Zeidler, S. 1553 (1556 ff.). 236 Vgl. dazu BVerfG NJW 1999, 3399 (3401) zur Frage der Organentnahme bei lebenden Personen; BVerfGE 60, 123 (132) zur Frage der Rechtmäßigkeit der Altersgrenze für eine personenstandsrechtliche Änderung im TSG; BVerfGE 22, 181 (219) zur Frage der Rechtmäßigkeit einer zwangsweisen Anstalts- und Heimunterbringung. 237 Vgl. Puppe, GA 2009, 486 (489, 495) m. w. Nachw.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 129
ist auf das Wesen des staatlichen Schutzauftrages zu verweisen. Der staatliche Schutzauftrag für das Leben ist, wie im Rahmen des Rechts zur Selbsttötung beschrieben238, schutzgutorientiert.239 Es genügt demnach, dass der Gesetzgeber für die Rechtsgüter anderer, noch nicht konkret individualisierbarer Rechtsträger eine von der schädigenden Handlung ausgehende Gefahr als gegeben erachtet.240 Er hat folglich einzuschätzen, ob aus einer bestimmten Form der Selbstgefährdung für die Rechtsgüter anderer Personen eine Gefahr, z. B. für deren Leib und Leben, erwächst. Bei der Realisierung des Schutzauftrages aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kommt dem Gesetzgeber wiederum ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu.241 Die Grenzen dieses gesetzgeberischen Freiraums ergeben sich allerdings aus der praktischen Konkordanz, in der sich das Recht zur Selbstgefährdung und der staatliche Schutzauftrag für das Leben gegenüberstehen.242 Der Staat muss bei seinen Eingriffen in die Selbstbestimmungsfreiheit immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Als Beispiel für eine legitime Begrenzung des Rechts auf Selbstgefährdung sei das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen oder Gaststätten genannt.243 Durch das Rauchen wird der Nichtraucher in seiner Gesundheit gefährdet. Der Staat ist berechtigt und verpflichtet, zum Schutz von Leben und Gesundheit des Nichtrauchers die Freiheit des Rauchers zum Tabakgenuss zu begrenzen, indem er ihm bspw. in öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen das Rauchen untersagt oder es nur in abgetrennten Bereichen zulässt.244 Auch die Anschnallpflicht im Straßenverkehr nach § 21a Abs. 1 StVO sowie die Helmpflicht für Motorradfahrer gem. § 21a Abs. 2 StVO stellen nach Ansicht des BVerfG eine rechtmäßige Begrenzung des Selbstgefähr238
Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 116 f.; ähnl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 202 f.; ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 240 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 117 m. w. Nachw. 241 Vgl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 184 f.; im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Tötung auf Verlangen vgl. auch Fußn. 102, 150. 242 Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 204; ebenso Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541 (546); ähnl. Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 114 f., 227. 243 Vgl. BVerfG NJW 1998, 2961 (2962); vgl. hierzu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 50, 82 f. m. w. Nachw.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 29/Rauchen m. w. Nachw. 244 Ausf. hierzu Faber, DVBl. 1998, 745 (747 ff.); ausf. ferner Jahn, R., DÖV 1989, 850 (850 ff.); vgl. auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 190 ff. 239
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
dungsrechts dar.245 Der Sicherheitsgurt- und der Helmverzicht bergen für die anderen Verkehrsteilnehmer bzw. Unfallbeteiligten die Gefahr erheblicher Schäden, welche die gesetzlichen Verpflichtungen des Ordnungswidrigkeitenrechts zu minimieren versuchen.246 Vorsicht ist in diesem Zusammenhang allerdings mit dem Argument der Sozialschädlichkeit selbstgefährdenden Verhaltens geboten. Die sozialen Folgelasten, die durch einen Unfall, bei dem der Fahrer keinen Helm trägt oder sich nicht angeschnallt hat, ausgelöst werden, können im Rahmen der normativen Umsetzung des Schutzauftrages durch den Gesetzgeber mit in die Überlegungen einbezogen werden, weil ihm ein entsprechender Beurteilungsspielraum zukommt. Aus dieser Einschätzungs- und Gestaltungsprärogative lässt sich auch die Berechtigung zu präventiven Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit ableiten.247 Allerdings ist hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Eingriffs zu bedenken, dass die Absicherung des Einzelnen durch den Sozialstaat nicht in eine Pflicht zur vernünftigen Lebensführung verkehrt werden darf.248 Das Selbstbestimmungsrecht verbietet jede Form paternalistischen Schutzes des Menschen vor sich selbst.249 Besonders kontrovers werden in diesem Zusammenhang auch die Strafnormen des BtMG diskutiert. Das erklärte Ziel des Gesetzgebers im BtMG ist es, den Einzelnen und die Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäu245
Zur Gurtpflicht vgl. BVerfG NJW 1982, 1276; zur Helmpflicht BVerfGE 59, 275 (277 ff.). 246 Vgl. zur Helmpflicht BVerfGE 59, 275 (279): „Ein Kraftradfahrer, der ohne Schutzhelm fährt und deshalb bei einem Unfall eine schwere Kopfverletzung davonträgt, schadet keineswegs nur sich selbst. Es liegt auf der Hand, daß in vielen Fällen weiterer Schaden abgewendet werden kann, wenn ein Unfallbeteiligter bei Bewußtsein bleibt.“; vgl. ferner zur Gurtpflicht BVerfG NJW 1982, 1276; ausf. auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 85; Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 263 f. 247 Ähnl. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 163. 248 Vgl. hierzu Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 229 m. w. Nachw.; ähnl. Doehring, in: FS Zeidler, S. 1553 (1557 ff.); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 258 ff.; vgl. im Zusammenhang mit der Legitimation der Strafnormen des BtMG Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (780); ähnl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 142 f.; vgl. auch Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 160 ff.; zum Problem der ökonomischen Folgelasten des Drogenkonsums Wang, Drogenstraftaten, S. 71 ff. sowie Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 216 ff.; vgl. auch Schwabe, JZ 1998, 66 (72 ff.); vgl. ferner Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 50 ff.; auch Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 149 f. 249 Kritisch sind aus diesem Grund auch die Überlegungen von Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 189 zu beurteilen, welche einen paternalistischen Schutz im Bereich des Straßenverkehrs für möglich hält, weil und wenn der Verkehrsteilnehmer die konkreten Risiken wegen der Komplexität des Verkehrsgeschehens nicht erkennt.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 131
bungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen.250 Die Zieldefinition des Schutzes des Einzelnen ist nach dem bisher Dargestellten allerdings unzulässig, versteht man diesen als Schutz des Individuums vor sich selbst. Der Mensch hat aus dem allgemeinen Selbstbestimmungsrecht auch die Freiheit zum Konsum von Betäubungsmitteln.251 Der Staat ist also weder berechtigt noch verpflichtet, den freiverantwortlichen Rechtsträger vor sich selbst bzw. den Folgen seines Drogenkonsums zu schützen.252 Aus diesem Grund ist auch der Konsum selbst nicht unter Strafe gestellt. Der Freiheit zum Drogenkonsum steht im Übrigen auch die Unbeherrschbarkeit der mit dem Konsum von Betäubungsmitteln verbundenen Risiken nicht entgegen.253 Die Gefahr einer in Folge des Konsums einsetzenden Beschränkung der Möglichkeit zur eigenen Freiheitsentfaltung, bspw. aufgrund einer späteren Betäubungsmittelabhängigkeit, hat der Rechtsträger als Konsequenz seiner Konsumentscheidung zu tragen. Einen staatlichen Schutz davor, sich gar nicht erst für oder gegen den Konsum von Betäubungsmitteln entscheiden zu können, würde abermals der Selbstbestimmungsfreiheit zuwiderlaufen.254 Der Staat kann demnach das Selbstbestimmungsrecht des Konsumenten, wie mehrfach ausgeführt, nur zum Schutz der Rechtsgüter Dritter beschränken.255 So sieht der Gesetzgeber bspw. eine Gefahr für Leib und Leben anderer bereits dann gegeben, wenn der Rechtsträger das Betäubungsmittel nicht mehr nur konsumiert, sondern im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erwirbt oder nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG besitzt.256 Der Er250
Ausf. zur Zielsetzung des BtMG BVerfGE 90, 145 (174 f.); BGHSt 37, 179 (182); vgl. BGH NStZ 1992, 489; BGH NJW 2000, 2286 (2287); vgl. Beulke/Schröder, NStZ 1991, 392 (393 f.); auch Wang, Drogenstraftaten, S. 140 f.; ferner Weber, K., BtMG, § 1 Rn. 1 f.; vgl. die Übersicht zu Äußerungen des Gesetzgebers sowie der Fachgerichte zum Rechtsgut des BtMG bei Rahlf, in: MünchKomm-StGB/ BtMG, Bd. V, Vor §§ 29 Rn. 6 ff., 12 f., 24. 251 Vgl. statt vieler BVerfGE 90, 145 (154, 171); s. auch Kapitel E. I. 2. a) S. 122 ff. 252 Ähnl. BVerfGE 90, 145 (195), das den Entschluss des Einzelnen, sich durch Rauschmittel gesundheitlich zu schädigen, allein in dessen Verantwortungsbereich sieht. Ob man im Rahmen der §§ 29 ff. BtMG noch von einem paternalistischen Agieren sprechen sollte, ist fraglich, weil es vordergründig um den Schutz der Allgemeinheit geht und nicht darum, im Sinne des zukünftigen Willens des Rechtsgutsträgers einzugreifen. Vgl hierzu bspw. Bois-Pedain, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 33 (33 f.). 253 Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 121; a. A. Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (26 ff.); ders., MDR 1992, 739 (740); Weber, U., in: FS Spendel, S. 371 (376). 254 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel F. VI. 2. a) aa) S. 243 ff. 255 Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel F. VI. 2. a) bb) S. 246 ff.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
werb oder Besitz sind an sich Vorbereitungshandlungen, welche den straflosen Konsum erst ermöglichen.257 Bei beiden Handlungen besteht aber nach dem Dafürhalten des Gesetzgebers bereits eine abstrakte Gefahr für das soziale Zusammenleben, weil zu jeder Zeit das Risiko besteht, dass die Betäubungsmittel an Dritte, ggf. nicht freiverantwortliche Personen, weitergegeben werden können.258 In diesem Zusammenhang ist zudem an die Verpflichtung des Staates zu denken, die Bürger vor den (abstrakten) Gefahren für ihre sonstigen Rechtsgüter, wie sie bspw. die Beschaffungsund Begleitkriminalität rund um die Betäubungsmitteldelikte mit sich bringen, zu schützen.259 Den staatlichen Beurteilungsspielraum im Bereich der Umsetzung des staatlichen Schutzauftrages anerkennend kann der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einer möglichen Strafnorm die vorgenannten Interessen zum Schutz der Rechte Dritter und zum Schutz der Allgemeinheit vor den negativen Folgen des Drogenhandels in seine Überlegungen mit einbeziehen.260 Entscheidend ist aber, wie bei allen anderen Beschränkungen des Selbstbestimmungsrechts, dass er die Verhältnismäßigkeit wahrt.261 So kommt bspw. der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in der 256 Zum Merkmal des Erwerbs bzw. Besitzes vgl. Rahlf, in: MünchKomm-StGB/ BtMG, Bd. V, § 29 Rn. 795 ff.; Kotz, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 29 Rn. 918 ff.; Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 1043 ff., 1167 ff.; vgl. auch Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 10 Rn. 4 ff. sowie § 29 Teil 13 Rn. 15 ff. 257 Vgl. Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 1786. 258 Ausf. dazu Allmers, ZRP 1991, 41 (42); vgl. Ebert, JZ 1983, 633 (634) m. w. Nachw.; vgl. auch Kotz, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 29 Rn. 904; Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 13 Rn. 2 f.; vgl. auch die Ausführungen zum Normzweck des Erwerbsverbotes bei Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 10 Rn. 1; vgl. Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 1165; im Ergebnis ablehnend Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 118, 126, 131; a. A. ferner Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (781 f., 785 f.), der in der abstrakten Gefahr eine bloße Vermutung zukünftigen strafbaren Verhaltens sieht, die letztlich zu einer Strafbarkeit wegen eines vermuteten bösen Willens, der im geltenden Strafrecht grundsätzlich keine Berücksichtigung finden darf, führt; a. A. Wang, Drogenstraftaten, S. 158 ff.; a. A. Köhler, MDR 1992, 739 (740); ders., ZStW 104 (1992), 3 (39 f.). 259 Vgl. hierzu BVerfGE NJW 2006, 1261 (1263), wonach das staatliche Wettmonopol für Sportwetten zur Bekämpfung von Spiel- und Wettsucht und zur Abwehr von Gefahren von Folge- und Begleitkriminalität legitime (Gemeinwohl-)Ziele sind; krit. hierzu Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 153, 160 ff., 211 f. 260 Ähnl. im Zusammenhang mit dem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers bei der Einschränkung der Freiheit zur Selbsttötung und Fremdtötung Hufen, NJW 2001, 849 (855); vgl. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 261 Ausf. zur Verhältnismäßigkeit BVerfGE 90, 145 (172 ff.).
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Straflosigkeit des Betäubungsmittelkonsums zum Ausdruck. Und auch in den Fällen des Erwerbs bzw. Sich-Verschaffens ist die Verhältnismäßigkeit durch die Vorschriften der §§ 29 Abs. 5, 31a, 37 BtMG, wie noch eingehender aufgezeigt werden wird, gewahrt.262 Die Normen des BtMG sind trotz aller Kritik im Ergebnis somit rechtmäßig. Die vorangestellten Beispiele zeigen, dass das Selbstbestimmungsrecht als fundamentales Grundrecht auch im Bereich der Freiheit zur Selbstgefährdung nicht unbeschränkt Geltung besitzt. Allerdings kann eine Einschränkung dieser Selbstgefährdungsfreiheit nicht zum Schutz des freiverantwortlichen Individuums vor sich selbst erfolgen, sondern nur zum Schutz der Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit. Dabei dient der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Maßstab der Legitimität staatlicher Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht. (2) Die Freiheit zur Selbstbestimmung und das indirekt paternalistische Mitwirkungsverbot Nachdem vorstehend betrachtet wurde, welche Beschränkung die Freiheit zur Selbstbestimmung durch die verfassungsmäßige Ordnung erfahren kann, soll der Blick darauf gerichtet werden, wo die Grenze der Selbstgefährdungsfreiheit in Bezug auf die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen Dritter liegt. Im Rahmen des Rechts zur Selbsttötung wurde dargelegt, dass die Freiheit zum Suizid auch die Freiheit umfasst, sich zur Verwirklichung des Suizidvorhabens der Hilfe Dritter bedienen zu können. Ein indirekt paternalistisches Agieren, also der Schutz des Suizidenten durch ein Verbot der Mitwirkung durch Dritte ist nicht rechtmäßig.263 Als Grund hierfür wurde die legitimatorische Abhängigkeit des indirekten vom direkten Paternalismus benannt.264 Eben diese Konnexität gilt auch für die Konstellationen der Selbstgefährdung. Wie oben herausgestellt, ist aus dem Schutzauftrag für das Leben weder eine staatliche Verpflichtung noch eine Berechtigung zum Schutz des sich Gefährdenden vor sich selbst ableitbar.265 Das Verbot jeg262
Vgl. BVerfGE 90, 145 (212); vgl. auch Hohmann, MDR 1991, 1117 (1117 f.); ferner Hohmann/Matt, JuS 1993, 370 (372); auch Köhler, MDR 1992, 739 (739); ähnl. Paeffgen, in: FG 50 Jahre BGH, S. 695 (715); ferner Roxin, NStZ 1985, 319 (320); vgl. hierzu die späteren Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 2. a) bb) S. 246 ff. 263 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 264 S. v. Pfordten, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 193 (193). 265 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
lichen lebensgefährlichen Handelns zum vermeintlich Besten des Rechtsträgers käme einer Negation des Selbstbestimmungsrechts gleich.266 Das Recht zur vernünftigen und unvernüftigen Selbstgefährdung ist Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG.267 Trifft den Staat keine Pflicht zum Schutz des sich Gefährdenden vor sich selbst, ist es unzulässig, wenn er über ein indirekt paternalistisches Mitwirkungsverbot den Dritten zum Vormund des Rechtsträgers ernennt.268 W. Frisch formuliert zutreffend: „Personen vor den Konsequenzen ihrer eigenen gefährlichen Unternehmungen zu bewahren, indem man Dritten bestimmte ermöglichende oder fördernde Handlungen verbietet, läuft auf eine Missachtung der Entfaltungsfreiheit der zu schützenden Opfer hinaus und erweist sich gegenüber einer verantwortlichen Person als indiskutable Bevormundung.“269
Vergleichbar den Konstellationen der Selbsttötung besitzt der Staat demnach nicht die verfassungsrechtliche Legitimation zum indirekten Schutz des sich Gefährdenden.270 Entsprechend dem Leitgedanken des Eigenverantwortungsprinzips271 verdrängt die freiverantwortliche Entscheidung des Rechtsträgers bereits auf der prospektiven Ebene eine Verantwortung des Staates. Als Konsequenz hieraus kann der Staat den Dritten dafür, dass er dem Rechtsträger die Möglichkeit zur Selbstgefährdung eröffnet hat, nicht zur Rechenschaft ziehen. Mangels Zuständigkeitsverantwortung ist der Staat nicht zur Schaffung einer die Verantwortung des Dritten begründenden Norm legitimiert. Eine solche Norm, welche die Ermöglichung einer fremden Selbstgefährdung unter Strafe stellt, würde der Eigenverantwortung des Rechtsträgers zuwiderlaufen, weil sie den Dritten verpflichten würde, für das Wohl des sich Gefährdenden Sorge zu tragen. Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers weist eine so konstituierte Mitverantwortung des Dritten allerdings zurück. Zu beachten ist darüber hinaus, dass ein ein indirekt paternalistischer Schutz des würde, auch ein verfassungsrechtlich nicht Handlungsfreiheit des Dritten wäre. Einem 266
Verbot der Mitwirkung, wie es sich Gefährdenden erfordern gerechtfertigter Eingriff in die solchen Eingriff, dessen Inhalt
Vgl. Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43). S. Fußn. 203. 268 Puppe, GA 2009, 486 (494); dies., ZIS 2007, 247 (248, 251); ähnl. auch Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (373 f.), der von einer „Enteignung der Organisationsfreiheit“ und der „Etablierung einer Bevormundungspflicht“ spricht; ähnl. ferner Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 289 (298) m. w. Nachw. 269 Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157. 270 Vgl. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 271 Vgl. hierzu auch Kapitel D. III. S. 86. 267
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 135
sich als allgemeines Verbot, anderen eine Selbstgefährdung zu ermöglichen, beschreiben ließe, würde es an der Verhältnismäßigkeit fehlen.272 Mit einem derartigen Verbot wäre das zwingende Gebot zur ständigen Risikoanalyse verknüpft.273 Ausgehend von der Tatsache, dass beinahe jedes Verhalten gefährliche Geschehensabläufe in Gang setzen bzw. durch andere in rechtsgutsgefährdender Weise ausgenutzt werden kann, würde ein solches Verbot die allgemeine Handlungsfreiheit des Dritten nicht nur beschränken, sondern aufheben.274 Kraatz spricht in diesem Zusammenhang von der Generierung eines allgemeinen Handlungsverbots.275 Resümieren lässt sich folglich, dass die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden eine prospektive Verantwortung des Staates verdrängt. Hierdurch und unter dem Eindruck des Eigenverantwortungsprinzips trifft auch den Dritten hinsichtlich der Folgen der risikoträchtigen Unternehmung keine rechtliche Verantwortung. (3) Die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts in den Konstellationen der Fremdgefährdung Soweit erwiesen ist, dass das Recht zur individuellen Selbstgefährdung auch die Freiheit umfasst, sich bei einem riskanten Vorhaben der Hilfe Dritter zu bedienen, stellt sich die Frage, ob das Recht zur Selbstgefährdung auch eine Freiheit zur Fremdbestimmung erfasst. Kann der freiverantwortliche Rechtsträger sich durch einen anderen gefährden lassen? Auch eine Fremdbestimmung kann Ausdruck einer selbstbestimmten Entscheidung sein.276 Aus diesem Grund herrscht im Verfassungsrecht weitgehend Konsens darüber, dass jeder Rechtsträger grundsätzlich in einen Eingriff in seine Grundrechte wirksam einwilligen kann.277, 278 Die freiver272 Vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157; ders., NStZ 1992, 1 (6); ähnl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 19. 273 Kraatz, Die fahrlässige Mittäterschaft, S. 279 m. w. Nachw. 274 Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 18 f.; Kraatz, Die fahrlässige Mittäterschaft, S. 279 m. w. Anm.; ähnl. auch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 344; ähnl. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 200. 275 Kraatz, Die fahrlässige Mittäterschaft, S. 279. 276 Vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 40 m. w. Anm.; hierzu auch Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (114 f.), der die Einwilligung in eine Fremdgefährdung als mittelbare Selbstgefährdung charakterisiert; ihm folgend Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 56. 277 S. Fußn. 141. 278 Zur strafrechtlichen Debatte um die Verortung der Einwilligung auf Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsebene vgl. Fiedler, Zur Strafbarkeit der einver-
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
antwortliche Preisgabe der Rechtsgüter ist Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung und zugleich Legitimation des Fremdeingriffs durch den Dritten.279 Ist demnach die Fremdgefährdung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung grundsätzlich gleichzustellen? Dieser Schlussfolgerung widerspricht, ganz zu Recht, die überwiegende Rechtsprechung280 und ein großer Teil der Lehre281. Es macht, wie im Zusammenhang mit der Entwicklung der Selbstgefährdung zu einem eigenständigen Rechtsinstitut ausgeführt, einen Unterschied in der rechtlichen Wertung aus, ob jemand sich selbst gefährdet oder sich von einem anderen gefährden lässt.282 Im Rahmen der Legitimierung der Tötung auf Verlangen wurde festgestellt, dass über § 216 StGB ein gesellschaftliches Fremdtötungstabu zum Ausdruck kommt, welches wiederum die Achtung vor fremdem Leben aufrechterhalten will.283 Neben dem Tabu der zielgerichteten Schädigung fremden Lebens, existiert auch ein Tabu der Gefährdung anderer.284 Der Schutzauftrag nach Art. 2 Abs. 2 GG ist darauf ausgerichtet, dass der Staat den Einzelnen nicht nur vor der Verletzung seiner Rechte, sondern auch deren Gefährdung bewahrt.285 Das Institut der Fremdgefährdung findet folglich seine Legitimation vergleichbar dem Verbot der Tötung auf Verlangen nicht in dem Schutz des Rechtsträgers vor den Folgen seiner Entscheidungen, sondern in dem Zweck der Abwendung einer Gefahr für ständlichen Fremdgefährdung, S. 15 ff.; Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 197 ff.; Kindhäuser, in: FS Rudolphi, S. 135 (137 ff.); vgl. Kühl, StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 10; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 32 ff. Rn. 33 ff.; Paul, Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, S. 81 ff., 109 ff.; s. ferner Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, insb. S. 116 ff.; ausf. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 59 ff. 279 Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 20 ff., der von einer Erweiterung des Freiheitsbereichs des Rechtsgutsinhabers spricht. 280 Vgl. bspw. BGHSt 49, 34 (39); 53, 55 (60 ff.); BGH NStZ 2003, 537 (537); vgl. ferner OLG Düsseldorf NZV 1998, 76 (77). 281 Vgl. Dölling, in: FS Gössel, S. 209 (213) m. w. Anm.; ders., in: FS Geppert, S. 53 (55); ders., GA 1984, 71 (80 f.); Fischer, Th., StGB, Vor § 13 Rn. 37; Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 1049 m. w. Nachw.; Hellmann, in: FS Roxin, S. 271 (271 ff.); Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 82 f. m. w. Nachw.; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 403, 427 ff.; ders., in: FS Puppe, S. 767 (777, 758) m. w. Anm.; auch Roxin, GA 2012, 655 (658). 282 Vgl. Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (250); vgl. auch Kapitel B. II. 2. S. 35 ff. 283 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 284 Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 59; vgl. ferner Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 50 f. 285 S. Kapitel E. 2. a) aa) S. 124 ff., insb. Fußn. 210; vgl. ferner BVerfGE 88, 203 (251) (vgl. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106).
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 137
das Leben nicht freiverantwortlich handelnder Menschen, die ihr Leben einem Fremdeingriff preisgeben, ohne die Risiken überblicken zu können. Eine Gleichstellung der Konstellationen der Fremdgefährdung mit denen der Selbstgefährdung verbietet sich daher. Auch wenn im Rahmen dieser Abhandlung auf eine umfangreiche Darstellung der strafrechtlichen Einordnung des Rechtsinstituts der einverständlichen Fremdgefährdung verzichtet wird286, sei an dieser Stelle auf Folgendes hingewiesen: Mit der zuvor herausgestellten grundsätzlichen Differenzierung zwischen Fremd- und Selbstgefährdung ist zwar noch keine Entscheidung über die rechtliche Einordnung der einverständlichen Fremdgefährdung vorgegeben.287 Erblickt man den Grund für die Ungleichbehandlung von Fremdgefährdung und Selbstgefährdung aber in dem Schutz für das menschliche Leben und will man einem Aufweichen des Achtungsanspruchs für das Leben entgegenwirken, ist es nur konsequent, die einverständliche Fremdgefährdung im Strafrecht nicht als Einverständnis- oder Zurechnungsproblem auf der Tatbestandsebene, sondern als Problem der rechtfertigenden Einwilligung zu betrachten.288, 289 Im nächsten Schritt stellt sich dann die Frage, ob § 216 StGB der Wirksamkeit einer Einwilligung in die eigene Lebensgefährdung entgegensteht.290 Gewichtet man, 286
Vgl. Kapitel A. II. S. 21. Vgl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 58. 288 Vgl. Fischer, Th., StGB, Vor § 13 Rn. 37 f.; vgl. auch Dölling, in: FS Gössel, S. 209 (213); vgl. Murmann, FS Puppe, 767 (775 f.); Kühl, StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 10; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 32 ff. Rn. 33 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 191 jeweils m. w. Nachw.; krit. Fiedler, Zur Strafbarkeit der einverständlichen Fremdgefährdung, insb. S. 59 ff.; a. A. Geppert, Jura 2001, 490 (493 f.) m. w. Nachw.; ders., ZStW 83 (1971), 947 (962 ff.); ferner Kretschmer, NStZ 2012, 177 (179 f.); Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (375 ff.); auch Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (169 ff.); ders., Jura 1984, 536 (540); Puppe, ZIS 2007, 247 (250) m. w. Nachw.; NK-StGB/Puppe, Vor § 13 Rn. 192 f.; vgl. auch Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (115); Schünemann, JA 1975, 715 (722 f.) m. w. Anm. Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (69 ff.); differenzierend etwa Roxin, JZ 2009, 399 (400 f.); ders., Strafrecht AT/I, § 11 Rn. 121 ff.; ders., in: FS Gallas, S. 241 (250, 252 f.); ders., GA 2012, 655 (663 ff.). 289 Grundsätzliches zum Institut der rechtfertigenden Einwilligung Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 197 ff.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 59 ff.; a. A., wonach die Einwilligung eine tatbestandsausschließende Wirkung besitzt Paul, Zusammengesetztes Delikt und Einwilligung, S. 81 ff., 109 ff.; Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, insb. S. 124 ff., 141 ff., 453; LK-StGB/Rönnau, Vor § 32 ff. Rn. 169 Schmidhäuser, Strafrecht AT, 5/106; s. auch Fußn. 278. 290 Gegen eine Übertragung der Wertung des § 216 StGB auf die Konstellationen der Fremdgefährdung wird eingewandt, dass § 216 StGB und das hierin zum Ausdruck kommende Tötungstabu sich ausschließlich auf die zielgerichtete Fremdtötung beziehe. § 216 StGB sei eine exzeptionelle Regelung und könne demnach nicht auf 287
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
wie hier vertreten, den Schutz des Lebens Dritter vor lebensgefährdenden Fremdeingriffen schwerer als das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsträgers, ist es nur folgerichtig, der Einwilligung in eine konkret lebensgefährdende Handlung ihre Wirksamkeit abzusprechen.291 Resümieren lässt sich, dass der Rechtsträger die Freiheit besitzt, sich selbst zu gefährden und sich bei seinen risikoträchtigen Unternehmungen der Hilfe Dritter zu bedienen. Seine Selbstbestimmungsfreiheit erfährt allerdings bei der einverständlichen Fremdgefährdung eine Grenze.292
die Fremdgefährdung übertragen werden. So z. B. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 49, 52 ff.; vgl. Frisch, W., NStZ 1992, 62 (66 f.) m. w. Nachw.; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 87 f. m. w. Nachw.; ferner Lasson, ZJS 2009, 359 (365 f.); vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 32 ff. Rn. 104 m. w. Nachw.; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 403, 427 ff.; ders., in: FS Puppe, S. 767 (783); Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 67 ff. m. w. Nachw.; NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 184; Puppe, GA 2009, 486 (489) m. w. Nachw.; Schaffstein, in: FS Welzel; S. 557 (570 ff.); Stratenwerth, in: FS Puppe, S. 1017 (1019 ff.); Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 229 ff.; Weber, U., in: FS Baumann, S. 43 (48). Dem ist nicht zuzustimmen. Wenn, wie Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 1049 ausführt, bspw. der Rechtsgutsträger einen anderen darum bittet, ihm das Betäubungsmittel zu injizieren, und der Konsument verstirbt, verwirklicht der Dritte durch sein Verhalten neben dem Tatbestand der fahrlässigen Tötung zugleich eine vorsätzliche Körperverletzung gem. §§ 223 f. StGB. Einer wirksamen Einwilligung in die der Tötung vorangegangenen Körperverletzung steht § 228 StGB entgegen. Die Einwilligung ist nach § 228 StGB nicht rechtmäßig, wenn sie gegen die guten Sitten verstößt, was nach dem BGH bei einer konkreten Lebensgefahr zu bejahen ist. Hinter dieser Wertung steckt wieder das Tabu der zielgerichteten Tötung eines anderen Menschen, wie es § 216 StGB zugrunde liegt. Diese Wertung wirkt im Sinne der Einheitstheorie von Körperverletzungs- und Tötungsdelikten auch auf die strafrechtliche Wertung der Fremdgefährdung nach § 222 StGB. Gleiches gilt, wenn der Täter nur eine fahrlässige Körperverletzung verwirklicht. Vgl. hierzu BGHSt 53, 55 (62 f.); Dölling, in: FS Gössel, S. 209 (214); ders., GA 1984, 71 (87 ff.); Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 1049; differenzierend Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (775 ff.) m. w. Nachw.; zur Anwendung des § 228 StGB im Rahmen der fahrlässigen Körperverletzung BGHSt 49, 34 (40 ff.); Murmann, in: FS Puppe, S. 767 (780 ff.); Weber, U., in: FS Baumann, S. 43 (47 f.). 291 Nach dem hier vertretenen Ansatz ist das Verhalten des Rechtsträgers, der sich gefährden lässt, erst und ausschließlich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Berücksichtigung der Freiverantwortlichkeit des Drogenkonsumenten im Kontext der Strafzumessung im BtMG Kapitel F. VI. 2. a) ee) S. 257 ff. 292 Vgl. auch die Ausführungen zur (In-)Disponibilität des Rechtsguts Leben in Kapitel F. I. 1. b) S. 147 ff.
I. Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Lichte des Grundgesetzes 139
b) Zwischenergebnis Auch im Bereich der Selbstgefährdung bestätigt sich, dass der Mensch zum einen ein autonomes und freies, aber zugleich ein gesellschaftlich gebundenes Individuum ist, dessen Handlungsfreiheit durch die Sozialbindung begrenzt wird.293 So gewährleistet die Verfassung über das Recht zur freien Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 1 GG jedem Rechtsträger ein Recht auf Selbstgefährdung.294 Nachgewiesen wurde zudem, dass eine an Vernünftigkeitserwägungen orientierte Beschränkung des Selbstgefährdungsrechts zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst verfassungswidrig wäre.295 Das Rechtsprinzip der Eigenverantwortung schützt den Einzelnen vor dieser staatlichen Bevormundung. Die Kehrseite des Schutzes vor fremder Bevormundung ist allerdings, dass der freiverantwortliche Rechtsträger keinen Anspruch gegenüber dem Staat dahingehend besitzt, dass dieser ihn von risikoträchtigen Unternehmungen abhält.296 Die mit der Handlungsfreiheit einhergehende Eigenverantwortung des Rechtsträgers verneint eine Zuständigkeit, eine Pflicht des Staates für das Wohl des Rechtsträgers und verdrängt somit die staatliche Verantwortung. Für die nachfolgende strafrechtliche Untersuchung ist weiterhin von besonderer Relevanz, dass die fehlende Zuständigkeitsverantwortung dem Staat nicht nur die Legitimation nimmt, den sich Gefährdenden unmittelbar, z. B. durch ein generelles Selbstgefährdungsverbot, sondern auch mittelbar, bspw. durch ein grundsätzliches Mitwirkungsverbot, vor sich selbst zu schützen. Der Staat darf nicht jede Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung verbieten, weil dies ein rechtswidriger Eingriff in die Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers und zugleich in die Handlungsfreiheit des Dritten wäre.297 Der Dritte darf, der Leitidee des Eigenverantwortungsprinzips folgend, nicht zum Vormund eines zur Selbstbestimmung fähigen Menschen gemacht werden. Auch an dieser Stelle schützt die Eigenverantwortung den sich Gefährdenden vor einer derartigen Unfreiheit. Der Staat kann das Recht zur Selbstgefährdung allerdings dann (und nur dann) begrenzen, wenn die selbstgefährdende Handlung zugleich Gefahren für die Rechtsgüter Dritter oder für die Allgemeinheit mit sich bringt, deren Schutz eine staatliche Reglementierung erforderlich macht.298 293 Vgl. BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (6); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 82; vgl. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293). 294 S. hierzu Kapitel E. I. 2. a) S. 122 ff. 295 Vgl. Kapitel E. I. 2. a) S. 122 f. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 296 S. Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 297 S. Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff.
140
E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
II. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, wie das Rechtsprinzip der Eigenverantwortung die grundrechtliche Diskussion um die Existenz, den Inhalt und die Reichweite des Rechts auf Selbsttötung und Selbstgefährdung maßgeblich beeinflusst. Es wurde herausgearbeitet, dass die Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG jedem Einzelnen ein Recht auf Selbsttötung und Selbstgefährdung gewährleistet. Dem Leitgedanken des Eigenverantwortungsprinzips folgend schützt die mit der Selbstbestimmungsfreiheit einhergehende Eigenverantwortung den Suizidenten und den sich Gefährdenden vor staatlicher Bevormundung. Der Gesetzgeber ist, wie ausführlich belegt, weder berechtigt noch im Sinne des Schutzauftrags für das menschliche Leben verpflichtet, den Rechtsträger vor sich selbst zu schützen. Ihm fehlt die prospektive Verantwortung, d.h. die Zuständigkeit zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst.299 Mit dem Schutz vor Bevormundung korrespondiert allerdings, wie es bei den Konstellationen der Selbstgefährdung besonders deutlich wird, auch die Versagung eines Schutzanspruchs des Rechtsträgers gegenüber dem Staat.300 Entsprechend dem Eigenverantwortungsprinzip muss der Rechtsträger für die Konsequenzen seines Handelns selbst einstehen. Die Zuschreibung der Verantwortung für die Selbsttötung und Selbstgefährdung hin zum Rechtsträger und weg vom Staat ist darüber hinaus für die Auflösung des Konfliktes zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsträgers und der Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten konstitutiv.301 Eine retrospektive Verantwortung des Dritten bedarf, wie erläutert, eines normativen Maßstabes, durch welchen dem Dritten die Mitwirkung an einem fremden Suizid bzw. einer Selbstgefährdung verboten wird.302 Eine solche Norm wäre als indirekt paternalistischer Schutz des Rechtsträgers zu qualifizieren und würde eine Verantwortungszuständigkeit des Staates für das Wohl des Rechtsträgers voraussetzen. Wie ausführlich erörtert, existiert eine solche (Zuständigkeits-)Verantwortung des Staates gegenüber dem Rechtsträger nicht. Die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich 298 S. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff. 299 Vgl. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 300 Vgl. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 108 f. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 125. 301 Vgl. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 302 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. II. S. 83.
II. Zusammenfassung
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Gefährdenden verdrängt die prospektive Zuständigkeitsverantwortung des Staates. Er kann also keine Norm schaffen, die eine Zuständigkeit des Dritten für das Wohl des Rechtsträgers im prospektiven Sinne konstatiert und an deren Missachtung eine strafrechtliche Verantwortung anknüpft. Das Eigenverantwortungsprinzip verbietet derartige Bevormundung, sei es durch den Dritten oder mittelbar durch den Staat. Um in diesem Zusammenhang eventuellen Unklarheiten vorzubeugen, sei auf Folgendes hingewiesen: Auch die Ablehnung einer Verantwortung des Dritten hinsichtlich des Suizides bzw. der Selbstgefährdung hat ihren eigentlichen Grund in der Eigenverantwortung des Rechtsträgers. Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers verdrängt, wie in Kapitel D. beschrieben, die Mitverantwortung des Dritten bereits auf vorrechtlicher Ebene, indem sie eine Zuständigkeit des Dritten nicht entstehen lässt.303 Diese Leitidee des Eigenverantwortungsprinzips muss aber rechtlich bzw. rechtsdogmatisch umgesetzt werden und das erfolgt über den zuvor aufgezeigten Rückschluss von der fehlenden staatlichen Legitimation auf die Unzulässigkeit einer rechtlichen Inverantwortungnahme des Dritten. Das so beschriebene Abhängigkeitsverhältnis304 zwischen der Verantwortung des Dritten und der staatlichen Verantwortung verdeutlicht im Übrigen, dass die Frage nach der Mitverantwortung des Staates und der Mitverantwortung des Dritten gegenüber dem Rechtsträger nicht grundsätzlich gleichzusetzen ist. Gemeinsam ist beiden, dass sie durch die Eigenverantwortung des Rechtsträgers verdrängt werden. Allerdings ist die Ebene des Konfliktes, auf der die jeweilige Mitverantwortung diskutiert wird, eine andere. Erst die Festlegung des staatlichen Verantwortungsbereiches im Kontext der Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers erlaubt Rückschlüsse auf die Reichweite der Verantwortung des Dritten hinsichtlich seiner Mitwirkung am suizidalen bzw. lebensgefährlichen Geschehen. Resümieren lässt sich, dass die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden eine Verantwortung des Staates im prospektiven Sinne verdrängt und hiermit zugleich eine Mitverantwortung des Dritten in Form einer Strafbarkeit zurückweist. Das Recht auf Selbsttötung und Selbstgefährdung und die Eigenverantwortung garantieren dem Rechtsträger größtmögliche Freiheit und schützen zugleich den mitwirkenden Dritten vor einer Beschränkung seiner Handlungsfreiheit durch strafrechtliche Verantwortungszuschreibung. Die Untersuchung hat zudem gezeigt, dass die Freiheit zur Selbstbestimmung zwar nicht grundsätzlich hinter den gesellschaftlichen Interessen zu303 304
Vgl. Kapitel D. III. S. 86. Vgl. bereits die einleitenden Bemerkungen zu diesem Kapitel S. 89 f.
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E. Verfassungsrechtliche Ausformung des Eigenverantwortungsprinzips
rücktreten muss, aber gleichsam durch sie beschränkt werden kann. Wie bereits der vorrechtliche Begriff der Eigenverantwortung und die Idee des Rechts an sich vorgeben, kann die Freiheit zur Selbstbestimmung nur so weit reichen, wie der Einzelnen nicht in die Rechte anderer oder in die Rechte der Allgemeinheit eingreift.305 Welche Bedeutung den vorstehenden Erkenntnissen für das Strafrecht zukommt, soll nun Gegenstand des folgenden und umfangreichsten Kapitels sein.
305 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff., Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff.
F. Die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und die Mitverantwortung des Dritten im Strafrecht Die Eigenverantwortung des Individuums stellt nicht nur ein vorrechtliches Konzept dar, sondern ist zugleich ein verbindliches Grundprinzip des geltenden Rechts. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Konflikt zwischen der Mitverantwortung und der Eigenverantwortung im rechtlichen Sinne – hinsichtlich des Schutzes vor Bevormundung – zugunsten und gleichzeitig – hinsichtlich der Alleinzuständigkeit für die Konsequenzen – zulasten des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden aufzulösen. Die Eigenverantwortung verdrängt die rechtliche Mitverantwortung anderer. Die Folgen des suizidalen und selbstgefährdenden Agierens sind im Lichte des Eigenverantwortungsprinzips allein dem Verantwortungsbereich des Rechtsträgers zuzuordnen. Was dies für das Strafrecht bedeutet, soll nachstehend eingehend betrachtet werden. Ziel dieses Abschnitts ist es, im Anschluss an die kritische Analyse der Rechtsprechung aus Kapitel B. und C., eine dogmatisch fundierte und materiell rechtlich überzeugende Antwort auf die Frage nach der Strafbarkeit des Dritten, der an einer Selbsttötung und Selbstgefährdung mitwirkt, zu erarbeiten.
I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht Ausgangspunkt der Betrachtung des strafrechtlichen Konflikts zwischen der Eigenverantwortung des sich Gefährdenden bzw. des Suizidenten und der Mitverantwortung des Dritten ist die Untersuchung des strafrechtlichen Unrechtsgehaltes der Selbsttötung und Selbstgefährdung im Rahmen des Rechtsgutsbegriffs. Die verfassungsrechtliche Wertung und das Eigenverantwortungsprinzip entfalten ihre Wirkung dabei insbesondere innerhalb der Charakterisierung des Lebens als strafrechtlich zu schützendem Rechtsgut und der Feststellung einer Rechtsgutsverletzung als Voraussetzung strafrechtlichen Unrechts. Gelingt es im Folgenden, den möglichen Unwertgehalt der Selbstgefährdung und Selbsttötung näher zu beschreiben, kann hierauf aufbauend eine Aussage zur Strafbarkeit des mitwirkenden Dritten getroffen werden.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
1. Das Leben als Individualrechtsgut und die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsträgers Einerseits eröffnen die Freiheit zur Selbstbestimmung und die damit einhergehende Eigenverantwortung dem Rechtsträger die Möglichkeit, sich das Leben zu nehmen oder dieses durch riskante Unternehmungen zu gefährden. Anderseits erfährt die Selbstbestimmungsfreiheit, wie voranstehend dargelegt, auch Beschränkungen. So umfasst das Recht zur Selbsttötung und Selbstgefährdung nicht die Freiheit, sich durch eine andere Person töten oder gefährden zu lassen. Ist das Leben nach diesen Erkenntnissen als ein Universal- oder ein Individualrechtsgut des Strafrechts zu deuten? Besitzt der Rechtsgutsträger unbeschränkte Dispositionsbefugnis über sein Leben oder ist dieses als ein indisponibles Rechtsgut zu definieren? a) Der Schutz des menschlichen Lebens im Strafrecht Als Legitimationsgrundlage strafrechtlicher Normen konnte sich im deutschen Strafrecht die Rechtsgutstheorie durchsetzen, wonach die strafrechtlichen Normen nur dann legitim sind, wenn sie dem Rechtsgüterschutz dienen.1, 2 Nach Birnbaum, Binding und Liszt, die den Begriff des Rechtsguts in die deutsche Strafrechtslehre ein- bzw. weiterführten3, ist der Schutzgegenstand des Strafrechts allein das von der Staatsgewalt gewährleistete materielle Rechtsgut.4 1 Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 289 (289) m. w. Nachw.; a. A. ist das BVerfG, dass in BVerfGE 90, 145 (187 ff.) sowie BVerfGE 120, 241 f. das Konzept des Rechtsgüterschutzes ablehnt; vgl. hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (24 f.) m. w. Nachw.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 13 ff. Rn. 10 a m. w. Nachw.; einen Überblick zu weiteren Legitimationsmöglichkeiten strafrechtlicher Normen findet sich u. a. bei Kleinig, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 145 (148) m. w. Nachw. 2 Der aktuelle Streit um die Reichweite des Rechtsgutsbegriffs wirkt sich in diesem Bereich des Kernstrafrechts nicht aus, so dass auf diese Diskussion im Rahmen der Untersuchung nicht näher eingegangen wird. Vgl. hierzu aber bspw. Alwart, in: FS Otto, S. 3 (12 ff.) sowie Nöckel, Grund und Grenzen, Rn. 41 ff. 3 Ausf. dazu Marx, Zur Definition des Begriffs Rechtsgut, S. 5 f. m. w. Nachw.; ausf. auch Sina, Die Dogmengeschichte, S. 19 ff., 41 ff., 47 ff.; zur Entwicklung des Rechtsgutsbegriffs vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 19 ff.; ferner Nöckel, Grund und Grenzen, Rn. 31 ff.; Rönnau, Jus 2009, 209 (210); auch Schünemann, in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (20 f.); vgl. Suhr, JA 1990, 303 (304 f.); ausf. Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (25 ff.); Wohlers, GA 2012, 600 (601 ff.). 4 Rönnau, Jus 2009, 209 (210); vgl. auch die umfassenden Literaturnachweise bei Kühl, StGB, Vorb. Rn. 4.
I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht
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Ausgehend von der bisherigen Untersuchung ist es die Aufgabe des Strafrechts, über eine Sicherung der Grundrechte das freie und friedliche Zusammenleben der Menschen zu garantieren.5, 6 Unter Rechtsgütern sind demnach, wie es Roxin zutreffend formuliert, „alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen zu verstehen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung der Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind.“7 In aller Kürze lässt sich der Begriff des Rechtsguts als ein strafrechtlich schutzwürdiges menschliches Interesse kennzeichnen.8 Im Strafrecht wird zwischen Individualrechtsgütern und Universalrechtsgütern, die auch als kollektive, überindividuelle oder universelle Rechtsgüter bezeichnet werden, differenziert.9 Individuelle Rechtsgüter beschreiben subjektive Rechte des einzelnen Individuums, Universalrechtsgüter schützen Interessen der Allgemeinheit. Welchem Typus ist nun das Leben zuzuordnen? 5
Vgl. Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 7; HK-GS/Rössner, Vor § 1 Rn. 18 m. w. Nachw.; vgl. auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 134, 145 m. w. Nachw.; ausf. SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 1; krit. aber Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 149 ff., 370 ff. 6 Vgl. hierzu aber auch Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (36 f.), der darauf hinweist, dass die grundgesetzlichen Aussagen, wie bspw. die verfassungsrechtlichen Generalklauseln es verdeutlichen, selbst vielfach unscharf formuliert und unbestimmt sind, was es kompliziert macht, hieraus eine eindeutige Rechtsgutsbestimmung für das Strafrecht zu gewinnen; ähnl. wie dieser auch Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder, Vor §§ 13 ff. Rn. 10 a. Das strafrechtliche Rechtsgut des Lebens ist aber in seiner Werthaftigkeit mit dem verfassungsrechtlichen Grundrecht des Lebens sowie dem allgemeinen Selbstbestimmungsrecht weitgehend identisch, so dass ein Rückgriff auf die Verfassung im Rahmen der teleologischen Auslegung der Selbsttötung (und dementsprechend Selbstgefährdung) möglich ist. So im Ergebnis Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (36); vgl. ferner Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 53 ff., wobei dieser darauf verweist, dass der verfassungsrechtliche Rückgriff nur zur Bestimmung einer staatlichen Schutzpflicht, nicht aber zur Auslegung bestehender Straftatbestände nutzbar ist. 7 Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 8; ders., JÖR 59 (2011), 1 (1); ähnl. Rudolphi, in: FS Maurach, S. 51 (61). 8 Hassemer, in: Philipps/Scholler, Jenseits des Funktionalismus, S. 85 (91); ausf. zum Begriff des Rechtsguts NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 116 ff., 143 f.; zur Kritik an den verschiedenen Definitionsversuchen des Rechtsguts vgl. Marx, Zur Definition des Begriffs Rechtsgut, S. 19 ff. m. w. Nachw.; auch Kahlo, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 26 (27 ff.); vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 129 ff.; vgl. auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 29 f.; ausf. Schünemann, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 133 (135 ff.); ferner Stuckenberg, GA 2011, 652 (654 ff., insb. 656 ff.); auch Suhr, JA 1990, 303 (305 f.). 9 Vgl. statt vieler Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 82 f.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Ausgehend von der verfassungsrechtlichen Wertung der Selbsttötung und Selbstgefährdung lässt sich das Leben im Strafrecht nicht als überindividuelles Rechtsgut charakterisieren.10 Das Leben ist zwar ein verfassungsrechtlicher Höchstwert, zu dessen Schutz der Staat nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet ist.11 Allerdings greift diese Schutzpflicht nicht gegenüber dem eigenverantwortlichen Rechtsträger, wenn dieser sein Leben durch Suizid beendet oder infolge einer riskanten Unternehmung ums Leben kommt.12 Das Recht zur individuellen Selbstbestimmung garantiert jedem die ihm schon von Natur aus zustehende Handlungsfreiheit. Diese Freiheit, die auch die Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens oder über die Durchführung lebensgefährlicher Vorhaben beinhaltet, müssen der Staat und die Gesellschaft in den zuvor aufgezeigten Grenzen respektieren.13 Das Leben und die Entscheidung über die eigene Lebensführung können mit Blick auf das heutige Menschenbild nicht – auch nicht teilweise – von der Person abgetrennt und mit einer überindividuellen Pflicht zur Achtung des eigenen Lebens belegt werden.14 Ausgangspunkt und Mittelpunkt des Rechts ist der Mensch, nicht die Gesellschaft.15 Ohne Zweifel existiert, wie bereits erwähnt, auf der Grundlage des Selbsterhaltungsinteresses der Gesellschaft ein Interesse an dem Fortbestand des Lebens jedes Einzelnen.16 Allerdings lässt sich hieraus weder eine Pflicht zur Selbsterhaltung ableiten, noch darf der Staat den Einzelnen gegen seinen Willen 10 Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 253; Dölling, GA 1984, 71 (85); vgl. Hoerster, NJW 1986, 1786 (1788); Kubiciel, JZ 2009, 600 (602 f.); vgl. Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (117); ausf. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 104 Fußn. 133; s. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 53; ebenso Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 72; krit. Hirsch, H. J., in: FS Welzel, S. 775 (776 ff.); a. A. Maurach/ Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/I, § 1 II Rn. 6; a. A. ferner Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (340), der den Tod nicht nur als individuelles, sondern zugleich soziales Ereignis begreift; a. A. auch Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (54 ff.). 11 BVerfGE 39, 1 (42). 12 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie in Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 13 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. sowie in Kapitel E. I. 2. a) bb) S. 128 ff. 14 Vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (338); vgl. auch Dach, Zur Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 37 f., 61 ff.; vgl. Kubiciel, JZ 2009, 600 (602 f.). 15 Vgl. Böhmer, in: FS Geiger, S. 181 (187); vgl. auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 133; auch Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 168 f.; ausf. auch Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 91 f. m. w. Nachw. 16 Vgl. Kapitel E. I. 2. a) aa), Fußn. 229.
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vor sich selbst schützen.17 Dieser Grundgedanke spiegelt sich auch in der personalen Rechtsgutslehre18 wider, wonach sowohl die Interessen des Einzelnen als auch die Interessen der Allgemeinheit nur ausgehend vom Individuum bestimmt werden.19 Der Rechtsgüterschutz dient der größtmöglichen freien Entfaltung des Individuums.20 Und in diesem Sinne wirkt auch das Eigenverantwortungsprinzip – als Absicherung der Selbstbestimmungsfreiheit.21 Im Ergebnis wäre es also widersprüchlich, würde man den Rechtsgutsträger an seinem Leben, dem wichtigsten und fundamentalsten Gut, das er besitzt, lediglich partizipieren lassen.22 Das Leben ist ein individuelles Rechtsgut. b) Die (In-)Disponibilität des Rechtsguts Leben Charakterisiert man das Leben als Individualrechtsgut, bleibt die Frage bestehen, ob dem Rechtsgutsträger eine unbeschränkte Dispositionsbefugnis darüber zugestanden werden muss oder ob und aus welchem Grund von einer Indisponibilität des Lebens auszugehen ist. Allein die Typisierung des Lebens als ein individuelles Rechtsgut sagt dabei noch nichts über die Dispositionsbefugnis aus, denn grundsätzlich kann dem Rechtsgutsträger trotz seiner Rechtsgutsinhaberschaft bspw. zum Schutz von Interessen der All17 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. und in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 18 Ausf. zur personalen Rechtsgutslehre und der in diesem Zusammenhang diskutierten monistischen sowie dualistischen Ausprägung NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 126 ff., 131 ff.; ausf. auch Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 68 ff.; vgl. auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 28 ff.; vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 149 ff.; vgl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 139 f., 145; vgl. Rönnau, JuS 2009, 209 (210 f.). 19 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 132. 20 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 134; vgl. auch Marx, Zur Definition des Begriffs Rechtsgut, S. 62; Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 7 ff.; vgl. ders., JÖR 59 (2011), 1 (1 f.). 21 Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbotes, S. 176. 22 Vgl. hierzu Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 131, der eine Sicherung der Interessen der Allgemeinheit am Rechtsgut Leben ablehnt, weil das Interesse der Allgemeinheit bereits in der Deklarierung des menschlichen Lebens als strafrechtlich zu schützendes Rechtsgut berücksichtigt und ihm in dem hohen Strafmaß ausreichend Ausdruck verliehen wird; a. A. NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 39; a. A. im Ergebnis auch Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 53; a. A. Roellecke, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 336 (340).
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gemeinheit die freie Verfügung über sein Rechtsgut versagt sein.23 Ist dies auch beim Rechtsgut Leben der Fall? Nachgewiesen wurde, dass, soweit der Rechtsgutsträger sich selbst das Leben nimmt oder dieses gefährdet, der Schutz der Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG greift und den Staat dazu verpflichtet, die Entscheidung des Rechtsträgers zu respektieren.24 Erkennt man in diesem Sinne dem Individuum ein Recht auf Selbsttötung und Selbstgefährdung zu, wäre es inkonsequent, zugleich eine absolute Unverfügbarkeit des Einzelnen über sein Leben zu generieren.25 Die Selbstbestimmungsfreiheit verbürgt grundsätzlich auch die Verfügungsbefugnis des Individuums über das eigene Leben.26 Allerdings hat die verfassungsrechtliche Untersuchung auch gezeigt, dass die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen über sein Leben nicht unbeschränkt gilt. Vielmehr ist eine Beschränkung des Freiheitsbereichs dann legitim, wenn der Rechtsträger durch sein Agieren in die Rechte anderer oder der Allgemeinheit eingreift.27 Auf dieser Grundlage wurde nachgewiesen, dass die Freiheit zur Selbstbestimmung über das eigene Leben in dem Verbot der Fremdtötung, umgesetzt in § 216 StGB, eine legitime Begrenzung erfährt.28 Diese Begrenzung beseitigt allerdings nicht die Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsinhabers, sondern schränkt sie insoweit nur zum Schutz der Allgemeinheit ein. Liegen die Voraussetzungen der Tötung auf Verlangen vor, bewirkt § 216 StGB, dass der Einwilligung in die eigene Tötung die Wirksamkeit fehlt, infolgedessen die Rechtswidrigkeit der Fremdtötung nicht beseitigt wird. Neumann weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die Nichtdispositivität des Lebens ausschließlich die Frage der Strafbarkeit des Dritten betrifft und nicht die Bedeutung des Rechtsguts zum Rechtsgutsinhaber.29 Nur unter Berücksichtigung dieses Drittbezuges ist im Übrigen auch der Aussage zuzustimmen, wonach das Leben im Strafrecht ohne Rücksicht auf das Lebensinteresse des Rechtsgutsträgers ge23 Vgl. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 53 m. w. Nachw.; vgl. auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 82 f. m. w. Nachw. 24 Ausf. hierzu die verfassungsrechtliche Untersuchung in Kapitel E. S. 89 ff. 25 Vgl. Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 61; vgl. ferner Kühl, Jura 2010, 81 (83 f.); ähnl. auch Kindhäuser, in: FS Rudolphi, S. 135 (144). 26 NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 18; wohl auch Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 47. 27 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff. 28 S. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 29 NK-StGB/Neumann, § 34 Rn. 18, 84.
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schützt sei.30 Das Leben ist nur gegenüber Dritteingriffen umfänglich31 geschützt und weder qualitativ noch quantitativ abstufbar.32 Zu resümieren bleibt, dass das Leben ein eingeschränkt disponibles Rechtsgut darstellt.33 Unter dem Eindruck des weiten Freiheitsbereiches des Rechtsgutsträgers scheint es zutreffender zu sein, statt von der absoluten Unverfügbarkeit des Lebens im Strafrecht von einer relativen Verfügungsfreiheit über das Leben zu sprechen.
2. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung und die Pflichtwidrigkeit im Kontext der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung Definiert man das Leben als ein eingeschränkt disponibles Individualrechtsgut, ist im nächsten Schritt zu betrachten, ob der Rechtsgutsträger durch seine Selbsttötung oder Selbstgefährdung strafrechtliches Unrecht begründet und welche Beziehung zwischen dieser Unrechtscharakterisierung und der Strafbarkeit des Mitwirkenden besteht. Hierauf aufbauend lassen sich die in der Rechtsprechungsanalyse kritisierten strafrechtsdogmatischen Überlegungen zur Strafbarkeit der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung und Selbstgefährdung einer sachgerechten Lösung zuführen. a) Die Verwirklichung von Unrecht durch den Suizidenten bzw. den sich Gefährdenden Strafrechtliches Unrecht bezeichnet den von der materialen Wertordnung des Rechts missbilligten Unwert einer Handlung.34 Die Elemente des Unrechts sind sowohl der Handlungsunwert als auch der Erfolgsunwert eines 30 Vgl. NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 3; vgl. ferner Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 27, 29. 31 Zur problematischen Bezeichnung der „absoluten“ Unantastbarkeit des Lebens vgl. die Ausführungen in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 117., dort insb. Fußn. 164. 32 Statt vieler NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 4 m. w. Nachw.; vgl. auch Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 27. 33 Vgl. hierzu Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 33, der auf die Möglichkeit der Differenzierung zwischen einer absoluten Indisponibilität des Lebens, welche von intersubjektiven Handlungsmodi unabhängig gilt, und einem Verbot der interagierenden Selbstverfügung in Form einer Handlungsdelegation verweist (vgl. hierzu aber auch S. 99 ff.). 34 Kühl, StGB, Vorb. Rn. 18.
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Verhaltens.35 Ob im konkreten Sachverhalt Handlungs- und Erfolgsunwert realisiert wurden, lässt sich wiederum über das Vorliegen einer Rechtsgutsbeeinträchtigung sowie einer Pflichtverletzung als konstitutive Bestandteile der Straftat36 feststellen. Eine Rechtsgutsbeeinträchtigung ist immer dann gegeben, wenn der Handelnde durch sein Agieren ein fremdes Rechtsgut verletzt oder gefährdet hat. Die Rechtsgutsbeeinträchtigung beschreibt folglich den Erfolgsunwert der Handlung.37 Kann der Rechtsgutsinhaber durch eine gegen sich selbst gerichtete Selbsttötungs- oder Gefährdungshandlung derartiges Erfolgsunrecht begründen? Verletzt der Suizident oder der sich Gefährdende sein Rechtsgut Leben? Anders als die Grundrechte, die dem Einzelnen gegenüber dem Staat einen Schutzanspruch vor Dritteingriffen gewährleisten und die so Freiheitssphären voneinander abgrenzen, dient das strafrechtliche Rechtsgut dem Staat zur Aufrechterhaltung sowie zum Schutz des gesellschaftlichen Zusammenlebens, losgelöst vom Freiheitsinteresse und individuellen Willen des Einzelnen.38, 39 Die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen ist also kein konstitutiver Bestandteil des Rechtsguts.40 Das Rechtsgut ist vielmehr ein Abbild des formellen staatlichen Regelungsinteresses, hier des grundrechtsgebotenen Minimalschutzes für das menschliche Leben, den die Verfassung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fordert.41 35 Kühl, StGB, Vorb. Rn. 20 m. w. Nachw.; ähnl. Jescheck, ZStW 73 (1961), 179 (208); vgl. hierzu auch die Ausführungen und Nachweise zum Problem des Erfolgsunwerts in den Fahrlässigkeitsdelikten im Rahmen der Diskussion um die Existenz einer Risikoeinwilligung in Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. 36 Vgl. hierzu BGHSt 2, 364 (368); s. statt vieler Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder, Vor §§ 13 ff. Rn. 8 m. w. Nachw.; a. A. u. a. Roxin, ZStW 116 (2004), 929 (929 ff.), der auf die Kategorie der Pflichtverletzung verzichtet und strafrechtliches Unrecht allein auf eine Rechtsgutsbeeinträchtigung zurückführt; ders., Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 107 f. 37 Vgl. Jescheck, ZStW 73 (1961), 179 (207). 38 Ausf. Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (54 ff.); ähnl. Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 5. 39 Eine andere Auffassung hinsichtlich Rechtsgutskonzeption und Rechtsgutsverletzung vertritt bspw. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26 f., insb. Fußn. 109. Dieser versteht Unrecht als Negation des Rechts und denkt die Rechtsgutsverletzung zugleich als Angriff auf die Personalität des Opfers und Minderung von dessen Freiheit. Wie dieser Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, insb. S. 196 ff. 40 So im Ergebnis auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 59 ff., 82, 91 f. 41 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 117 ff.
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Wenn der individuelle Wille des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden am Charakter des Lebens als strafrechtlichem Rechtsgut nichts ändert42, ist eben dieses Rechtsgut durch das suizidale bzw. selbstgefährdende Verhalten auch berührt43. Allerdings bewirkt die Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung keine Rechtsgutsverletzung, weil das durch den Willen des Rechtsträgers zum Ausdruck kommende fehlende individuelle Schutzinteresse das objektive Interesse des Staates am Schutz des menschlichen Lebens entfallen lässt.44 Wenn der Suizident nicht an seinem Leben festhalten bzw. der sich Gefährdende sein Leben durch gefährliche Unternehmungen riskieren will, muss der Staat ihm das Weiterleben nicht ermöglichen. Wie die verfassungsrechtliche Untersuchung gezeigt hat, fehlt ihm sogar die Legitimation dazu, den eigenverantwortlichen Rechtsträger von seinem Suizid bzw. seiner Selbstgefährdung abzuhalten.45 Die mit der Freiheit zur Selbstbestimmung korrelierende Eigenverantwortung des Rechtsträgers verdrängt eine derartige Verantwortung des Staates zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst. Hierauf aufbauend bewirkt die Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung im Strafrecht also keine Rechtsgutsverletzung. Im Übrigen mangelt es der Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung nicht nur an einer Rechtsgutsverletzung, sondern auch an der Pflichtwidrigkeit. Als pflichtwidrig ist eine Handlung zu bezeichnen, wenn sie gegen eine konkrete Verhaltensnorm, also eine strafrechtliche Rechtspflicht verstößt.46 Die allgemeine Norm, aus der jede Pflichtwidrigkeit resultiert, beinhaltet das grundsätzliche Verbot, in die Rechtsgüter anderer einzugreifen.47 Das Strafrecht soll demnach den Rechtsgutsträger vor Eingriffen von Seiten Dritter schützen.48 Wie bereits im Rahmen des Auslösens einer staatlichen Pflicht 42
Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbotes, S. 220. Vgl. Maurach, Deutsches Strafrecht BT, 2. Aufl., S. 16, der davon spricht, dass der Rechtsgutswert des Lebens erhalten bleibt und die Straflosigkeit der Selbsttötung aus der Tatbestandstechnik folgt. 44 Ausf. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzen des Tötungsverbotes, S. 219 ff.; vgl. Maurach, Deutsches Strafrecht BT, 2. Aufl., S. 16; vgl. auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 92; Sax, JZ 1975, 137 (146); a. A. z. B. Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (643 f.). 45 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 46 Vgl. Momsen, BeckOK-StGB, § 32 Rn. 7. 47 Ausf. hierzu im Rahmen der Problematik der Pflichtdeliktslehre Pariona, in: FS Roxin, S. 853 (857, 865). 48 Vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337) m. w. Anm.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 236 in Anknüpfung an Ulpian: „2) Thue niemanden Unrecht (neminem laede), und solltest du darüber auch aus aller Verbindung mit andern heraus gehen und alle Gesellschaft meiden müssen (Lex iuridica).“ 43
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zum Schutz des Rechtsträgers vor sich selbst näher ausgeführt, verbleiben der sich Gefährdende und der Suizident mit ihren Handlungen allerdings in ihren eigenen Rechtskreisen.49 Eine unrechtsbegründende Pflichtwidrigkeit ist somit mangels eines Eingriffs in fremde Rechtsgüter nicht gegeben. Diese Erkenntnis entspricht letztlich dem allgemeinen Grundgedanken des (Straf-)Rechts, wie er im Rahmen der Herleitung der Eigenverantwortung als Rechtsprinzip in Kapitel D. dargestellt wurde. Das Recht dient einerseits dem Zweck, dem Individuum einen bestimmten Freiheitsbereich zu gewährleisten und soll ihn andererseits vor Eingriffen in diesen Bereich schützen.50 Dem Recht liegt folglich immer ein Interpersonalverhältnis zugrunde51, setzt also, wie Kant es formulierte, das gegenseitige AufeinanderEinwirken von mindestens zwei Personen voraus52. Der eigenhändig vorgenommenen Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung fehlt aber ein derartiges Interagieren. Zaczyk fasst treffend zusammen: „Eine Selbstverletzung als solche ist kein Unrecht gegenüber dem verletzten Gut, denn sie weist nicht den dem Recht und damit auch dem Unrecht wesentlichen Interpersonalbezug auf.“53
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Erkenntnis, wonach Selbsttötung und Selbstgefährdung die für das Recht konstitutive Außenwirkung54 nicht aufweisen, bereits das Ergebnis der Frage nach der rechtlichen Relevanz und dem Unrecht einer freiverantwortlichen Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung beschreibt, aber keine Begründung hierfür liefert. Zutreffend erkennt F. Müller, dass sich jede Handlung notwendig in demselben Raum vollzieht, in dem sich andere Rechtsubjekte befinden, die die Handlung schon wegen deren äußerlichen Vollzugs wahrnehmen, so dass bei der Selbsttötung und Selbstgefährdung eine Intersubjektivität nicht von vornherein auszuschließen ist.55 Dieser Gedankengang wird noch nachvollzieh49 Vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); ähnl auch Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (412 f.); vgl. hierzu auch Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 125. 50 Vgl. statt vieler Brugger, JZ 1991, 893 (894); ausf. hierzu Kapitel D. II. S. 81 ff. 51 So bspw. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26 f., wobei er diese Erkenntnis an sein, hier nicht vertretenes, Freiheits- und Rechtsgutsverständnis anknüpft (s. Fußn. 39); ihm folgend Grünewald, GA 2012, 364 (364) m. w. Nachw.; vgl. ferner Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (55). 52 Vgl. Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 230; ausf. hierzu Kapitel D. II. S. 81 ff. 53 Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26; vgl. auch Grünewald, GA 2012, 364 (365); vgl. ferner Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (20 f.); auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 316. 54 Ebda. 55 Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 46 Fußn. 126; ähnl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 27: „In diesem Sinne also angebunden an
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barer, wenn man bedenkt, dass in jeder Konstellation der Selbsttötung oder Selbstgefährdung zu prüfen ist, ob der Rechtsgutsträger selbstbestimmt agierte oder ob seinerseits Mängel vorlagen, die ein freiverantwortliches Handeln ausschließen. Nur wenn der Suizident bzw. sich Gefährdende freiverantwortlich handelt, löst die Selbstbestimmungsfreiheit die Eigenverantwortung des Rechtsträgers und somit eine alleinige Zuständigkeit für die Folgen seines Handelns aus. Agiert der Rechtsgutsträger nicht freiverantwortlich, besteht aber die Pflicht des Staates zum Schutz des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden vor sich selbst, zu der er sonst nicht legitimiert wäre. Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die durch den Rechtsgutsträger eigenhändig bewirkte Selbsttötung sowie Selbstgefährdung – soweit sie freiverantwortlich erfolgen – weder eine Rechtsgutsverletzung noch eine Pflichtverletzung begründen. Sie lassen kein strafrechtliches Unrecht entstehen. b) Die Realisierung strafrechtlichen Unrechts durch mitwirkende Dritte Im Unterschied zur Selbsttötung und Selbstgefährdung, denen ein interpersonaler Bezug fehlt, ist ein solcher dann zu bejahen, wenn eine andere Person an dem Geschehen mitwirkt.56 Indem der Dritte den Erfolg, den Tod des Rechtsgutsträgers, zumindest mittelbar herbeiführt, greift er in den Rechtskreis des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden ein.57 Doch kann die Mitwirkung an einer Selbstgefährdung oder Selbsttötung, die ihrerseits kein strafrechtliches Unrecht darstellen, für den Dritten zu einer Strafbarkeit führen? Ist der mittelbare Eingriff in das Rechtsgut Leben zugleich eine Rechtsgutsverletzung? Wie bereits im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit der Argumentation der Rechtsprechung deutlich wurde, ist zur Beantwortung der Frage nach dem Unrechtsgehalt des Drittverhaltens zwischen der vorsätzlichen und fahrlässigen Mitwirkung zu differenzieren. Vorsätzlich wirkt der Dritte an einer Selbsttötung immer dann mit, wenn er den Plan des Rechtsgutsträgers erkennt, also weiß, dass der andere sich das Leben nehmen will und ihn bei der Realisierung dieses Vorhabens unterstützt, wie es bspw. im „Fall Hackethal“ des OLG München58 geschah. Des Weiteren kann die vordas Grundverständnis des Rechts als Konstitutionsbedingung von Sozialität, entbehrt ein selbstverletzendes Geschehen nicht jeder Rechtsqualität.“ 56 Vgl. Grünewald, GA 2012, 364 (365) m. w. Anm. 57 Vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); vgl. ferner Birnbacher, in: v. Hirsch/Neumann/ Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 11 (18); ähnl auch Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (412 f.). 58 OLG München NJW 1987, 2940; s. hierzu Kapitel B. I. 2. a) S. 27 f.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
sätzliche Mitwirkung des Dritten auch in dem Hervorrufen des Entschlusses zur suizidalen Handlung beim Rechtsgutsträger bestehen. Dies gilt gleichermaßen für die vorsätzliche Mitwirkung an einer Selbstgefährdung.59 Steht fest, dass der Dritte vorsätzlich an der Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitgewirkt hat, lässt sich diese im strafrechtsdogmatischen Sinne als Teilnahme, d.h. Anstiftung (§ 26 StGB) oder Beihilfe (§ 27 StGB), qualifizieren. Fraglich ist allerdings, ob derjenige, der dem Suizidenten oder sich Gefährdenden bei seinem Vorhaben beratend oder sonst Hilfe leistend zur Seite steht, Teilnahmeunrecht im Sinne der §§ 26, 27 StGB verwirklicht. Die ständige Rechtsprechung lehnt eine Strafbarkeit des vorsätzlich Mitwirkenden mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen der limitierten Akzessorietät nicht vorliegen.60 Ohne an dieser Stelle näher auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anstiftung und Beihilfe eingehen zu wollen61, lässt sich aus strafrechtsdogmatischer Sicht die Straffreiheit des Teilnehmers in der Tat mit dem fehlenden Unrechtsgehalt der Selbstgefährdung bzw. Selbsttötung erklären. Der Unwert der Teilnahme leitet sich aus dem Unwert der Haupttat ab (sogenannte akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie).62 Wenn aber der Rechtsträger durch die ris59 In Bezug auf die vorsätzliche Mitwirkung an einer Selbstgefährdung sei noch darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Mitwirkung, von der in diesem Zusammenhang immer wieder die Rede ist, nicht mit der Differenzierung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Mitwirkung gleichzusetzen ist. Wirkt der Dritte bewusst an einer fremden Selbstgefährdung mit, erkennt er die Gefahr des möglichen Erfolgseintritts für den Rechtsgutsträger im gleichen Maß wie dieser, geht also das Risiko der Verwirklichung des Erfolges ein, will aber wie der sich Gefährdende nicht, dass es tatsächlich zum Erfolgseintritt kommt. Eine vorsätzliche Teilnahme setzt voraus, dass der Dritte die Realisierung des Erfolges zumindest im Sinne des dolus eventualis billigend in Kauf nimmt. Fehlen derartige Anhaltspunkte im konkreten Einzelfall, wovon in der Mehrzahl der Konstellationen auszugehen ist, liegt kein vorsätzliches, sondern ein bewusst fahrlässiges Handeln vor. 60 BGHSt 2, 150 (152): „Eine Beihilfe zur Selbsttötung kennt das deutsche Strafrecht nicht. Es wendet sich nur gegen die Vernichtung fremden menschlichen Lebens, nicht des eigenen. Die Selbsttötung ist nach einhelliger Meinung keine Straftat, Beihilfe mangels einer strafbaren Haupttat ausgeschlossen (. . .)“; ausf. zur Teilnahme an einer fremden Selbsttötung Kapitel B. I. 2. a) S. 26 ff.; zur Straffreiheit der Teilnahme an einer fremden Selbstgefährdung auf der Grundlage des ErstRecht-Schlusses vgl. Kapitel B. II. 2. S. 35 ff. 61 S. hierzu Kapitel F. III. 1. S. 188 ff. 62 Vgl. Bockelmann, Sonderheft zu ZStW 1957, 46 (49 f.); ferner Frister, Strafrecht AT, Kap. 25 Rn. 28 m. w. Nachw.; Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor § 26, 27 Rn. 10 f., 16 f.; vgl. Kienapfel, JuS 1974, 1 (4); ders., Der Einheitstäter im Strafrecht, S. 27 f.; vgl. auch Kindhäuser, LPK-StGB, Vor §§ 25–31 Rn. 11 ff.; ausf. hierzu ferner Kühl, StGB, Vor §§ 25 ff. Rn. 8 m. w. Nachw.; a. A. Mayer, in: FS Rittler, S. 243 (254 ff.), der den Strafgrund in der Schuldteilnahme erblickt; wie dieser Less, ZStW 69 (1957), 43 (46 ff.); krit. zur
I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht
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kante oder suizidale Handlung kein Unrecht schafft, kann der Teilnehmende an dem fehlenden Unrecht nicht partizipieren.63, 64 Diese Schlussfolgerung entspricht auch der verfassungsrechtlichen Bewertung der Teilnahme an einem fremden Suizid oder einer fremden Selbstgefährdung. Die grundrechtliche Untersuchung hat gezeigt, dass eine Strafandrohung bezogen auf die Mitwirkungshandlung als ein unzulässiger, weil unverhältnismäßiger, Eingriff in die Handlungsfreiheit des Dritten zu qualifizieren wäre.65 Zugleich würde der Staat durch die Bestrafung des Teilnehmenden die Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers hinsichtlich seines Rechts auf Selbsttötung und Selbstgefährdung beschränken, ohne hierzu legitimiert zu sein.66 Die Teilnahme an einer fremden Selbsttötung oder Selbstgefährdung ist auf der Grundlage des geltenden Rechts somit straffrei zu stellen. Wie sind nun aber die Konstellationen zu bewerten, in denen der Dritte bspw. die Suizidabsicht des Rechtsgutsträgers nicht erkennt oder dem Gefährdenden unbewusst überhaupt erst die Möglichkeit zur lebensgefährlichen Unternehmung verschafft67, also fahrlässig agiert? Die bewusst oder unbewusst fahrlässige Mitwirkung stellt sich, anders als die vorsätzliche Beteiligung, nicht als Teilnahme im Sinne der §§ 26, 27 StGB dar.68 Vielmehr fragt § 222 StGB, der für die fahrlässige Ermöglichung oder sonstige Hilfeleistung in Betracht zu ziehen ist, nach einer fahrlässigen Tötungstäterschaft.69 Aus diesem Grund verbietet es sich auch, wie im Rahmen der kriSchuldteilnahmetheorie Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor § 26, 27 Rn. 4 f.); a. A. auch Schmidhäuser, Strafrecht AT, 10/9 ff., der das Teilnahmeunrecht von dem Unrecht der Haupttat ablöst; krit. zur reiner Verursachungstheorie Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., Vor § 26, 27 Rn. 8 f.; a. A. ferner Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 44 ff., der den Strafgrund der Teilnahme in der Solidarisierung mit dem fremden Unrecht sieht. 63 Vgl. Herzberg, ZStW 99 (1987), 49 (65, 68 f.). 64 Dies widerspricht auch nicht der Feststellung, dass ausgehend vom vorrechtlichen Verantwortungsbegriff der Einzelne nur für sein eigenes Handeln und nicht für das Handeln anderer zur Verantwortung gezogen werden kann (s. hierzu Kapitel D. IV. S. 88). Der Teilnehmer wird für eigenes Unrecht bestraft, nur dass dieses in der Herbeiführung oder Förderung eines fremden Unrechts besteht. So zutreffend Herzberg, ZStW 99 (1987), 49 (65). 65 Vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156 f.; s. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 66 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 67 Ähnl. LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 30. 68 Ausf. hierzu Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 69 Vgl. Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178); ähnl. ders., JZ 2009, 399 (401); vgl. auch Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 159; vgl. Heine, in: Schönke/ Schröder, Vor § 25 ff. Rn. 112; vgl. auch Rotsch, Einheitstäterschaft statt Tatherrschaft, S. 197 f.; vgl. van Els, NJW 1972, 1476 (1477).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
tischen Analyse der Rechtsprechung erörtert, zur Begründung der Straffreiheit fahrlässiger Mitwirkung über einen Erst-Recht-Schluss auf die fehlende Strafbarkeit der vorsätzlichen Teilnahme zu verweisen.70 Im Unterschied zum Teilnehmer, dessen Unrecht sich aus dem Unrecht der Haupttat ableitet, stellt sich bei der fahrlässigen Mitwirkung die Frage, ob der Handelnde eigenes, nämlich täterschaftliches Unrecht verwirklicht.71 Im Strafrecht geht es nicht nur um die Zurechnung von Erfolgen, sondern auch um die Zuschreibung von Verantwortung.72 Die Verantwortung des Einzelnen und das hinter ihr verborgene Freiheitsverständnis vom Individuum bilden das Fundament des Strafrechts.73 Nun wurde bereits herausgestellt, dass die mit der Handlungsfreiheit einhergehende Eigenverantwortung die rechtliche Verantwortungszuschreibung begrenzt.74 Der Leitidee des Eigenverantwortungsprinzips folgend bietet die Eigenverantwortung dem Einzelnen einerseits Schutz vor fremder Bevormundung und verpflichtet ihn andererseits, für die Konsequenzen des eigenen Handelns einzustehen.75 Für die verfassungsrechtliche Untersuchung ließe sich hieraus die Schlussfolgerung ableiten, dass die Eigenverantwortung des Rechtsträgers eine prospektive Verantwortung des Staates verdrängt, d.h., der Staat nicht zum Schutz des Rechtsträgers legitimiert ist.76 Fehlt dem Staat die Legitimation zu paternalistischem Eingreifen, kann er keine Norm erlassen, die den mitwirkenden Dritten für das Wohl des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden für zuständig erklärt und an die Missachtung dieser Pflicht eine Strafbarkeit knüpft. Mit einer solchen Norm bzw. einer solchen Normauslegung, wonach die fahrlässige wie auch vorsätzliche Mitwirkung an einer 70 Vgl. hierzu die Kritik in Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. sowie Kapitel C. IV. 1. S. 73 ff. 71 Vgl. Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178); vgl. ferner Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 159; s. auch Kapitel C. III. 2. a) bb), Fußn. 71. 72 Vgl. Lampe, JbRSoz 14 (1989), 286 (294). 73 Vgl. hierzu Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 138 (142): „Voraussetzung von Zurechnung ist zum einen die Annahme, dass die Welt durch Menschen grundsätzlich beherrschbar ist. Ohne diese Annahme wäre es nicht plausibel, einen Menschen dafür verantwortlich zu machen, dass sich bestimmte Vorgänge in der Außenwelt ereignet haben. Die zweite Voraussetzung ist eine inhaltsreiche Vorstellung von Person und Verantwortlichkeit. Ohne eine solche Vorstellung wäre es nicht plausibel anzunehmen, dass man gegenüber dem Verursacher eines Ereignisses in der Außenwelt Strafrechtsfolgen anordnen dürfe, welche diesem Verursacher einen Vorwurf machen oder ihn doch unter Berufung auf sein schädigendes Verhalten mit Rechtsnachteilen oder sonstigen Einbußen belegen.“ 74 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115. 75 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. 76 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff.
I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht
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fremden Selbstgefährdung oder Selbsttötung strafbar wären, würde der Staat die Selbstbestimmungsfreiheit des Suizidenten verletzen und dessen Eigenverantwortung missachten. Dem folgend ist im Strafrecht das Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung durch die Mitwirkungshandlung des Dritten zu verneinen. Obgleich der Dritte durch sein Handeln in den Rechtskreis des Rechtsgutsträgers eingreift, will der Suizident nicht an seinem Leben festhalten und der sich Gefährdende setzt sein Leben bewusst aufs Spiel, so dass das Freiheitsinteresse des Rechtsgutsträgers entfällt und der Staat weder verpflichtet noch berechtigt ist, das Leben des Suizidenten oder sich Gefährdenden zu schützen. Das objektive Interesse des Staates hinsichtlich des Schutzes des menschlichen Lebens tritt hinter der Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsgutsträgers und der mit ihr korrespondierenden Eigenverantwortung zurück.77 Der Dritte kann folglich für den Suizid bzw. die Selbstgefährdung strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers verhindert, dass der Dritte von staatlicher Seite aus zum Vormund erklärt wird. Im Ergebnis wird demnach durch die fahrlässige Veranlassung, Förderung oder Ermöglichung einer fremden Selbsttötung oder Selbstgefährdung kein die Strafbarkeit nach § 222 StGB begründendes Unrecht realisiert. Eine solche Strafbarkeit würde sich in einen eklatanten Widerspruch zum Eigenverantwortungsprinzip begeben. Dieses Ergebnis deckt sich letztlich auch mit den im Kontext der Selbstgefährdung und Selbsttötung relevanten Theorien zur Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutsträgers. Die Schutz- bzw. Strafwürdigkeit fragt danach, für welches Verhalten der Handelnde Strafe verdient, wann welches Verhalten bestraft werden sollte.78 Sie definiert also das strafrechtlich relevante Unrecht.79 Während die Strafwürdigkeit der Beschreibung der normativen Eigenschaft eines Verhaltens80 dient, berücksichtigt die Schutzbedürftigkeit81 Zweckmäßigkeitserwägungen82. Sie fragt danach, ob 77 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 78 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 51; ausf. zum Begriff der Strafbedürftigkeit und den verschiedenen Konzeptionen Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 26 ff., 90 ff., 202 ff. sowie Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 21 ff., 31 ff., 44, 56. 79 Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 30, 158 ff., 245 f. m. w. Nachw. 80 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 51 f.; ähnl. Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 35, 37. 81 Zur Abgrenzung zwischen Strafbedürftigkeit und Strafbedürfnis vgl. Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 25 f., 35 f.; ferner Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 51 ff.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
es als Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten überhaupt eines strafrechtlichen Verbotes bedarf und von welcher Intensität dieses sein sollte. Mit anderen Worten: Die Schutzwürdigkeit hebt einzelne Rechte, wie z. B. das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG, in den Rang eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Schutzbedürftigkeit entscheidet darüber, welche Rechtsgutsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes strafrechtliche Sanktionen erfordern.83 Unabhängig von der Diskussion, ob eine Differenzierung zwischen der Strafwürdigkeit und der Strafbedürftigkeit möglich und vor allem sinnvoll sei84, ist für den hiesigen Problembereich entscheidend, dass die Strafwürdigkeit zwar durchaus als ein methodisches Prinzip verstanden werden kann, aber kein rechtliches oder normativ-ethisches Prinzip darstellt.85 Wie bereits Alwart zutreffend konstatierte, verweist die Strafwürdigkeit auf einen Begründungszusammenhang, ist aber selbst keine Begründung dafür, wann eine Handlung strafbar sein sollte.86 Die Strafwürdigkeit dient vielmehr als eine Art Sammelbegriff von Prinzipien, die als Kriterien die Strafwürdigkeit bestimmen.87 Neben dem Gerechtigkeitsprinzip und dem Schuldprinzip88 sind auch das Grundrecht auf individuelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG89 und das Eigenverantwortungsprinzip90 zu diesen Kriterien zu zählen. Wie sind nun die Fälle der eigenverantwortlichen Selbsttötung oder Selbstgefährdung, an denen eine andere Person mitwirkt, zu beurteilen? Sind in derartigen Konstellationen auf Seiten des Rechtsgutsträgers die Schutzwürdigkeit und das Schutzbedürfnis vorhanden? 82 Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 35 f., 37; ausf. auch Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 53 ff. 83 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 174 f. 84 Vgl. auch die Ausführungen von Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 38 ff., der die Differenzierung zwischen Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit infolge der Ablehnung eines Implikationsverhältnisses zwischen beiden und aufgrund eines mangelnden Unterscheidungsbedürfnisses ablehnt; ebenso kritisch hinsichtlich der Abgrenzung beider Begrifflichkeiten äußerte sich bereits Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 55 ff. 85 Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 45 f., 48 f. 86 Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 45. 87 Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 46; vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 234 ff. 88 Vgl. hierzu Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 46 f. 89 Ausf. zur Bedeutung des Grundgesetzes für die Strafwürdigkeit Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 163 ff., der in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass die Strafwürdigkeit die verfassungsrechtliche Ordnung im Strafrecht repräsentiert (S. 199 f., 246). 90 Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 175, 180.
I. Die Auswirkungen der Eigenverantwortung auf das strafrechtliche Unrecht
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Unter dem Eindruck der bisherigen Untersuchung ist es konsequent, den sich tötenden oder sich selbst gefährdenden Rechtsgutsträger weder als schutzwürdig noch als schutzbedürftig zu betrachten.91, 92 Wenn der Rechtsgutsträger ein Recht zur Selbsttötung und Selbstgefährdung besitzt, dieses Recht darüber hinaus die Freiheit umfasst, sich bei der Realisierung seines Vorhabens der Hilfe Dritter zu bedienen und die mit der Rechtsausübung verbundene Eigenverantwortung jede Art von Bevormundung verbietet sowie jede Form von Mitverantwortung verdrängt, verdienen weder der sich Gefährdende oder der Suizident noch der Dritte für seine Mitwirkung am Geschehen eine Strafe. Die Selbsttötung und Selbstgefährdung lösen keine Schutzwürdigkeit oder Schutzbedürftigkeit aus. Kritischer sollte man in diesem Zusammenhang aber die Aussage bewerten, der Rechtsgutsträger verdiene keinen strafrechtlichen Schutz.93 Mit dieser Aussage soll inhaltlich nichts anderes ausgedrückt werden wie die soeben konstatierte fehlende Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutsträgers. Allerdings ist aus sprachlicher Sicht zu berücksichtigen, dass sich grundsätzlich keiner den Schutz seines Rechtsguts Leben „verdienen“ muss, zumal hinsichtlich des eigenen Lebens keine Rechtspflicht zur Selbsterhaltung oder Gesunderhaltung, sondern allenfalls eine diesbezügliche Obliegenheitspflicht94 des Rechtsgutsträgers existiert.
3. Zusammenfassung Der strafrechtliche Schutz des Lebens gewährleistet die individuelle Selbstbestimmung eines jeden Menschen. Nach dem Vorbild des Grundgesetzes ist das Leben als ein individuelles Rechtsgut des Strafrechts zu 91
Vgl. Schünemann, in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (31); ders., in: FS Faller, S. 357 (362); vgl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 35 f., 57 ff. 92 A. A. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 174 ff., der trotz eigenverantwortlichen Handelns des Opfers die Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit bejaht, so dass die Berücksichtigung des Opferverhaltens erst innerhalb der Strafzumessung erfolgt (S. 180 ff., insb. 184). 93 Vgl. Schünemann, NStZ 1986, 439 (439); ders., in: Schneider, Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, S. 407 (411); ders., in: v. Hirsch/Seelmann/ Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (31). 94 Vgl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 118 ff.; ferner auch Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 344 f.; vgl. Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (185); vgl. Hörnle, GA 2009, 626 (628 ff.); vgl. ferner Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 43 ff., 53 f.; auch Puppe, ZIS 2007, 247 (251); allgemein zum Begriff der Obliegenheit und deren Verhältnis zu Rechtsnormen und Pflichten vgl. Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 105 ff., 108 ff.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
qualifizieren.95 Unter dem Eindruck der Vorrangstellung des Selbstbestimmungsrechtes im verfassungsrechtlichen Kontext wurde erörtert, dass der Rechtsgutsträger grundsätzlich frei über sein Leben verfügen kann.96 Der Disponibilität sind nur insofern strafrechtlich Grenzen gesetzt, als der Rechtsträger nicht wirksam in die Fremdtötung durch Dritte einwilligen kann, weil er hiermit zugleich die Interessen der Allgemeinheit berührt. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen konnte sodann nachgewiesen werden, dass der sich Gefährdende oder der Suizident durch die gegen das eigene Leben gerichtete Handlung kein strafrechtlich relevantes Unrecht verwirklicht.97 Da der Rechtsgutsträger selbst kein berechtigtes Schutzinteresse bezüglich seines Lebens hat, ist der Staat zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst weder berechtigt noch verpflichtet. Die mit der Ausübung der Selbstbestimmung einhergehende Eigenverantwortung verdrängt eine prospektive Verantwortung des Staates hinsichtlich des Schutzes des Rechtsgutsträgers vor sich selbst bzw. des Schutzes vor mitwirkenden Dritten. Ausgehend von dem Umstand, dass die Selbsttötung und Selbstgefährdung kein strafrechtlich relevantes Unrecht entstehen lassen, wurde des Weiteren aufgezeigt, dass auch die vorsätzliche und fahrlässige Mitwirkung mangels Unrechts straffrei sind.98 Dass auch die Mitwirkung nicht als Unrecht im Sinne des Strafgesetzes zu qualifizieren ist, beruht darauf, dass der im Eigenverantwortungsprinzip verbürgte Schutz vor fremder Bevormundung zugleich eine Versagung des Schutzanspruchs des Rechtsträgers gegenüber dem Staat bewirkt.99 Der Rechtsgutsträger ist im strafrechtlichen Sinne weder schutzwürdig noch schutzbedürftig.100 Indem die Eigenverantwortung dem Staat eine rechtliche Zuständigkeitsverantwortung nimmt, verdrängt sie zugleich die strafrechtliche Verantwortung von Personen, die den Rechtsträger vorsätzlich oder fahrlässig bei seinem Suizidvorhaben oder seiner riskanten Unternehmung unterstützen. Der Dritte ist wegen seiner Mitwirkung nicht strafbar. Zu resümieren bleibt, dass weder die Selbsttötung sowie Selbstgefährdung noch die vorsätzliche oder fahrlässige Mitwirkung durch Dritte strafrechtlich relevantes Unrecht schaffen. Der Rückgriff auf das dem Protostrafrecht zuzuordnende Eigenverantwortungsprinzip und der Verweis auf die verfassungsrechtliche Konfliktauflösung zwischen Eigen- und Mitver95
Ausf. hierzu Kapitel F. I. 1. a) S. 144 ff. Ausf. hierzu Kapitel F. I. 1. b) S. 147 ff. 97 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 149 ff. 98 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff. 99 Ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 100 Vgl. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 157 f., insb. Fußn. 91. 96
II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung
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antwortung begründen die Straffreiheit des Rechtsgutsträgers und des Mitwirkenden. Wie sich diese Argumentation auf der Ebene des Straftatbestandes101 dogmatisch wiederfindet, ist in den folgenden Abschnitten eingehender zu untersuchen.
II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung der Selbsttötung und Selbstgefährdung im Rahmen der Tötungstatbestände Im vorhergehenden Abschnitt der Arbeit wurde dargelegt, dass eine Selbsttötung oder Selbstgefährdung den Rechtsgüterschutzbereich der Tötungstatbestände zwar berührt, aber das fehlende individuelle Schutzinteresse einer Rechtsgutsbeeinträchtigung und einer Pflichtwidrigkeit entgegensteht. Diese bisher gewonnenen Erkenntnisse müssen sich auch im allgemeinen Straftatbestand der hier relevanten Tötungstatbestände widerspiegeln. Demnach gilt es im Folgenden herauszuarbeiten, in welchen Merkmalen der Straftat und an welchen Stufen im Verbrechensaufbau sich das Obsiegen der Eigenverantwortung gegenüber der staatlichen Bevormundung sowie rechtlichen Mitverantwortung verorten lässt. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, eine methodisch sowie dogmatisch fundierte Begründung der Straffreiheit der Selbsttötung und Selbstgefährdung zu erarbeiten, weil diese das Fundament der weiterführenden dogmatischen Argumentation zur Straffreiheit der Mitwirkung des Dritten darstellt.
1. Die Selbsttötung und die Selbstgefährdung als strafrechtlich (ir-)relevante Handlungen Bevor eingehender erörtert wird, an welcher Stelle des Straftatbestandes der fehlende Unwertgehalt der Selbsttötungs- und Selbstgefährdungshandlung zum Tragen kommt, soll in aller Kürze die Frage aufgeworfen werden, ob der Selbsttötung oder Selbstgefährdung bereits die strafrechtliche Handlungsrelevanz auf vortatbestandlicher Ebene und nicht erst die Tatbestandsmäßigkeit abzusprechen ist.102 Der strafrechtliche Handlungsbegriff soll der Abgrenzung des strafrechtlich relevanten Verhaltens von strafrechtlich irrelevantem Verhalten die101
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die grundsätzlichen Ausführungen zum Sinn des Deliktsaufbaus auf Ebene des Straftatsystems bei Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 264 ff. m. w. Nachw. 102 Ähnl. die Überlegungen bei Hirsch, H. J., in: FS Welzel, S. 775 (780).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
nen.103 Eine strafrechtliche Handlung im Sinne des sozialen Handlungsbegriffs nach Jescheck ist ein vom freien Willen getragenes, zielgerichtetes und sozialerhebliches Verhalten.104 Sozialerheblich ist jedes Verhalten, das das Verhältnis des Einzelnen zur Umwelt betrifft und durch seine Auswirkungen berührt.105 Nun wurde bereits bewiesen, dass der Suizident und der sich Gefährdende nicht in die Rechte anderer eingreifen, sondern die Auswirkungen der Handlung sich ausschließlich auf den eigenen Rechtskreis erstrecken.106 Hieran anknüpfend wurde herausgestellt, dass der Suizid und die Selbstgefährdung aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Schutzpflicht des Staates, die den Rechtsträger vor den Konsequenzen seiner Entscheidung bewahren würde, auslösen.107 Auf strafrechtlicher Ebene führt dies zur Verneinung der unrechtsbegründenden Pflichtwidrigkeit.108 Ein für das Unrecht konstitutives Interpersonalverhältnis liegt nicht vor.109 An diese Erkenntnisse anknüpfend ist zu überlegen, ob bereits die Sozialerheblichkeit der Suizidbzw. Gefährdungshandlung abzulehnen wäre, so dass im Sinne des sozialen Handlungsbegriffs die Selbsttötung und Selbstgefährdung nicht als strafrechtlich relevantes Verhalten zu charakterisieren sind. Gegen diese Auslagerung bzw. Vorverlagerung der Selbsttötungs- und Selbstgefährdungsproblematik auf der dem Straftatbestand vorgelagerten Ebene des Handlungsbegriffs spricht allerdings, dass die Gründe, die zur Annahme der fehlenden Sozialerheblichkeit der Selbsttötung und Selbstgefährdung im Rahmen des sozialen Handlungsbegriffs anzuführen sind, mit den Überlegungen zum Vorliegen der Sozialschädlichkeit übereinstimmen. Die Sozialschädlichkeit ist zugleich Bestandteil der Rechtsgutsbeeinträchtigung und der Pflichtwidrigkeit, die wiederum im Bereich der Verbre103 Zu den Funktionen und den verschiedenen Formen des Handlungsbegriffs im Strafrecht vgl. statt vieler Kühl, StGB, Vor §§ 13 ff. Rn. 7; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 ff. Rn. 25 ff.; ausf. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 31 ff., 41 ff. jeweils m. w. Nachw. 104 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 23 VI. 1 ff. S. 222 ff.; vgl. Suppa, Der vernünftige Mensch im Strafrecht, S. 14; den sozialen Handlungsbegriff ablehnend v. Bubnoff, Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes, S. 152; auch Hirsch, H. J., ZStW 93 (1981), 831 (848 ff.); ders., ZStW 94 (1982), 239 (239). 105 Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 23 VI. 1 S. 224 m. w. Nachw.; zur Entwicklung des modernen Handlungsbegriffs ausf. Jescheck, ZStW 73 (1961), 179 (insb. 184 ff., 191 ff., 203 ff.). 106 Vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); ähnl auch Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (412 f.); vgl. hierzu auch Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 125. 107 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 108 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 109 Vgl. hierzu Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26; s. auch Fußn. 53.
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chenssystematik dem Tatbestand entsprechen.110 Mit anderen Worten: Der Tatbestand legt durch die Aufstellung konkreter Merkmale fest, welches Verhalten strafrechtliche Relevanz besitzt und welches nicht.111 Es besteht demnach keine Notwendigkeit, die Verneinung des Unwertgehalts der Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung auf einer vorgelagerten Ebene wie der des strafrechtlichen Handlungsbegriffs zu verorten, wenn und weil die hierfür notwendigen Wertungen Bestandteil der rechtlichen Auslegung des Straftatbestandes sind.112
2. Die fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung und Selbstgefährdung Ausgehend von der Erkenntnis, wonach der Tatbestand einer strafrechtlichen Norm mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung und der Pflichtwidrigkeit der Handlung korrespondiert113, ist eingehender darzulegen, an welchen Tatbestandsmerkmalen die Strafbarkeit der eigenverantwortlichen Selbsttötung und der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, wollte man dies ernsthaft in Betracht ziehen, konkret scheitert. a) Die Reduktion des Tatbestandes des § 212 StGB im Fall der eigenverantwortlichen Selbsttötung aa) Die Ergänzung des Wortlautes des § 212 StGB als Konsequenz des Eigenverantwortungsprinzips und der verfassungsrechtlichen Wertung „Eigenverantwortlich gewollte – erstrebte, als sicher vorhergesehene oder in Kauf genommene – und verwirklichte Selbsttötungen oder Selbstverletzungen unterfallen (weil das Gesetz nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe bedroht) nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdeliktes.“114
Diesem Leitsatz der ständigen Rechtsprechung ist zuzustimmen. Die eigenverantwortliche Selbsttötung ist nicht vom Tatbestand des § 212 StGB 110
Ähnl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 376. Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 270 m. w. Anm. 112 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die allgemeine Kritik am Nutzen eines solchen strafrechtlichen Handlungsbegriffs statt vieler Kühl, StGB, Vor §§ 13 ff. Rn. 7; ferner Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 ff. Rn. 35; NKStGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 58 ff. jeweils m. w. Nachw. 113 S. Fußn. 110. 114 BGHSt 32, 262 (263 f.); vgl. ferner BGHSt 2, 150 (152) sowie LG Gießen NStZ 2013, 43 (44). 111
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
erfasst. Der Grund hierfür liegt in der Notwendigkeit, den Wortlaut des § 212 StGB dahingehend zu ergänzen, dass das Tatobjekt und die Tathandlung sich nur auf die Tötung eines anderen Menschen beziehen.115 Die Begründung für diese teleologische Einschränkung des Totschlagstatbestandes findet sich im Eigenverantwortungsprinzip und in der verfassungsrechtlichen Wertung hinsichtlich der Selbstbestimmungsfreiheit des Menschen, auf deren Grundlage der Unwertgehalt der Selbsttötung zu verneinen ist. Im Verlauf der bisherigen Untersuchung wurde aufgezeigt, dass die Verfassung den Menschen als ein autonomes Wesen begreift, das zur Selbstbestimmung fähig ist.116 Rechtlich verankert ist dieses Freiheitsverständnis in dem Recht auf individuelle Selbstbestimmung in Art. 2 Abs. 1 GG, welches zugleich die Freiheit zur Selbsttötung umfasst.117 Wenn der Rechtsträger von diesem Recht Gebrauch macht, ist der Staat nicht dazu legitimiert, den Suizidenten gegen seinen Willen von der Selbsttötung abzuhalten. Ein so verstandener paternalistischer Schutz des Einzelnen vor sich selbst wäre eine Negierung der Selbstbestimmungsfreiheit.118 Übersetzt man diese Vorrangigkeit des Selbstbestimmungsrechts in das Strafrecht, muss in Konstellationen der Selbsttötung das objektive Interesse des Staates am Schutz des Lebens entsprechend Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinter dem Willen des Suizidenten, der kein Interesse am Weiterleben mehr hat, zurücktreten.119 In der Verfassung existiert keine Pflicht des Einzelnen zum Leben.120 Dieses Verdrängen des staatlichen Schutzauftrages im Verfassungs- und Strafrecht hat seinen Ursprung letztlich im Rechtsprinzip der Eigenverantwortung. Die Eigenverantwortung ist das Korrelat zur Selbstbestimmung.121 115 Vgl. statt vieler Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 33; Fischer, Th., StGB, Vor §§ 211–216 Rn. 10a; LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 21; Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 9; NK-StGB/Neumann Vor § 211 Rn. 36; Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 30 jeweils m. w. Nachw. 116 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (6); ausf. Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 82; vgl. Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (166); vgl. auch Wassermann, DRiZ 1986, 291 (293); ausf. hierzu Kapitel E. I. S. 90 ff. 117 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) S. 92 ff., dort insb. Fußn. 23, 26. 118 Vgl. Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 74; vgl. ferner Frister, Strafrecht AT, Kap. 10 Rn. 15; ähnl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 229; ähnl. auch Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43); ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 119 Vgl. Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 92; vgl. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 150 f. 120 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 121 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (205); s. hierzu Kapitel D. I. S. 77 ff.
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Sie schützt den Einzelnen vor fremder Bevormundung und verdrängt eine Verantwortung des Staates, indem sie dessen Zuständigkeit für das Wohl und den Schutz des Rechtsträgers verneint.122 Schon aus diesem Grund verbieten sich der Schutz des Suizidenten vor sich selbst im paternalistischen Sinne und die Missachtung des individuellen Willens zugunsten des staatlichen und gesellschaftlichen Interesses an der Höchstrangigkeit und Achtung des menschlichen Lebens. Im Ergebnis ist es also das Eigenverantwortungsprinzip, das eine teleologische Reduktion des Wortlautes des § 212 StGB und damit die Straffreiheit der Selbsttötung erfordert.123 Die Spezifizierung von Tatobjekt und Tathandlung auf einen anderen Menschen im Rahmen des § 212 StGB ist im Übrigen auch mit Blick auf den Interpersonalbezug des Rechts zwingend. Das Recht existiert, um das Zusammenleben der Menschen zu regeln, um die aufeinandertreffenden Freiheitsbereiche der Menschen miteinander in Ausgleich zu bringen.124 Es setzt wie die Zuschreibung von Verantwortung ein Interagieren der Menschen voraus. Dies gilt auch im Strafrecht. Das Strafrecht dient dem Schutz des Einzelnen vor Eingriffen in seine Rechtsgüter.125 Es ist seiner Struktur nach darauf ausgerichtet, dass es einen Täter und ein Opfer gibt, die in der Person nicht identisch sind,126 weil es erst dann zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen kann, die ein staatliches Eingreifen erfordert.127 122
Statt vieler vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115 ff.; für weitere Ausführungen und Nachweise vgl. Kapitel D. I. S. 77 ff. sowie Kapitel D. III. S. 84 ff. 123 In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass der Verzicht einer den Körperverletzungstatbeständen vergleichbaren Formulierung vom „anderen Menschen“ auch aus gesetzessystematischer Sicht unerheblich ist, weil derartigen Formulierungen nur eine Klarstellungsfunktion zukommt. So bspw. Kühl, JA 2009, 321 (324); vgl. Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 219 f., 222 f.; ähnl. NK-StGB/ Neumann, Vor § 211 Rn. 37; auch Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (336 f.). Die abweichende sprachliche Fassung des Wortlautes von § 212 StGB ist nur äußerlich und zufällig. So zutreffend Herzberg, JA 1985, 131 (133); vgl. ders., Täterschaft und Teilnahme, S. 107. 124 Vgl. Kühl, in: Handbuch Ethik, S. 486 (487); ähnl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 161 f.; ausf. hierzu Kapitel D. II. S. 81 ff. 125 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 126 Sachverhaltskonstellationen, in denen Opfer und Täter in der Person identisch sind, stellen eine Ausnahmeerscheinung im Gesetz dar. Ein Beispiel hierfür sind §§ 109, 109 a StGB, die auch nach Abschaffung der Wehrpflicht für den freiwilligen Wehrdienst Gültigkeit haben, wenn auch deren Anwendungsbereich minimiert wurde (Müller, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 2. Aufl., § 109 Rn. 7). Der Gesetzgeber weist im Straftatbestand ausdrücklich darauf hin, dass sich auch der Rechtsgutsinhaber selbst durch eine Selbstverstümmelung oder Täuschung zum Zwecke der Wehrpflichtentziehung nach §§ 109 f. StGB strafbar machen kann. Vgl. hierzu Bauer, Die Straftatbestände der Selbstverstümmelung und der Dienstentziehung
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
bb) Abweichende Ansichten Darüber, dass die eigenverantwortliche Selbsttötung im Ergebnis straffrei ist, herrscht Einigkeit. Eingebettet in die Diskussion einer möglichen Teilnehmerstrafbarkeit, ist allerdings umstritten, ob die Straffreiheit der Selbsttötung bereits auf der Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit des § 212 StGB, wie es hier vorgeschlagen wird, beruht. So vertritt bspw. Schmidhäuser die Ansicht, die Selbsttötung sei eine tatbestandliche und rechtswidrige Handlung.128 Weil der Unwertsachverhalt und der Unrechtsgehalt bei der Selbst- und der Fremdtötung identisch seien, könne nur ein übergesetzlicher Entschuldigungsgrund die Straffreiheit begründen.129 Seiner Meinung nach existiert eine Rechtspflicht zum Weiterleben, so dass schon aus diesem Grund die Selbsttötung als tatbestandsmäßig und rechtswidrig zu charakterisieren sei.130 Nach den Erkenntnissen der bisherigen Untersuchung zur eigenverantwortlichen Selbsttötung kann dieser Theorie Schmidhäusers allerdings nicht gefolgt werden.131 Bereits seine Grundthese, wonach die Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB und die Selbsttötung das gleiche strafrechtliche Unrecht verwirklichen, ist unzutreffend.132 Die verfassungsrechtliche Untersuchung hat erwiesen, dass die Tötung auf Verlangen eine zulässige, wenn durch Täuschung im deutschen Strafrecht, S. 35 ff.; vgl. Ebert, JZ 1983, 633 (633 f.); vgl. Herzberg, JA 1985, 131 (133); ders., Täterschaft und Teilnahme, S. 106 f.; vgl. Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 12; auch Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 46 ff., der insofern von einer Fallgruppe der Strafbarkeit fremdschädigender Selbstverletzung spricht; vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (336 f.); ferner Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (113), der klarstellt, dass nicht die Verstümmelung selbst, sondern vielmehr das Untauglich-Machen zur Nichterfüllung der Wehrpflicht bestraft wird; vgl. auch LK-StGB/Schroeder, § 109 Rn. 1 f.; krit. hinsichtlich der Tragfähigkeit des Verweises auf §§ 109 f. StGB im Kontext der Straffreiheit der Selbsttötung Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (566). 127 Vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337) m. w. Anm. 128 Ausf. dazu Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (813 ff.); ebenso Ebert, JZ 1983, 633 (636). 129 Vgl. Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (813). 130 Vgl. Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (817). 131 Vgl. hierzu auch die Stellungnahmen von Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 18; ders., GA 1983, 22 (26); auch Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (640 f.); vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 215 f.; ferner Dölling, GA 1984, 71 (76); vgl. Herzberg, JA 1985, 131, (132 f.); auch Hirsch, H. J., JR 1979, 429 (431); vgl. Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 100 f.; vgl. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 19; ferner Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (336 f.); vgl. Schilling, JZ 1979, 159 (160); vgl. SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 10; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 31 ff. 132 Vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337).
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auch nicht zwingend notwendige Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen darstellt.133 Es wurde erörtert, dass § 216 StGB nicht dem Schutz des Einzelnen vor sich selbst dient, sondern dazu bestimmt ist, die von einer Fremdtötung ausgehende Gefahr abzuwenden, dass durch die Freigabe der Fremdtötung auch Menschen getötet werden, die nicht freiverantwortlich den Tod wählen.134 Dieser Schutz des Lebens der anderen Menschen vor irreversiblen Eingriffen überwiegt gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, so dass § 216 StGB eine verhältnismäßige Einschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit darstellt.135 Für das Strafrecht bedeutet dies, dass, wenn der Rechtsgutsträger einem anderen die Tötungshandlung überlässt, der zur Tötung Bestimmte durch die unmittelbare Herbeiführung des Todes strafrechtliches Unrecht verwirklicht.136 Im Gegensatz hierzu verbleibt der Rechtsträger durch die Selbsttötung in seinem eigenen Rechtskreis, so dass der Staat aus der verfassungsrechtlichen Perspektive weder zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst noch zum Schutz der Rechte anderer zum Eingreifen legitimiert ist.137 Dieser Vorrang des Selbstbestimmungsrechts gegenüber den Interessen des Staates und der Gesellschaft an der Hochachtung des Lebens ist letztlich auch der Grund dafür, dass die Selbsttötung im Strafrecht keine Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellt und somit kein strafrechtlich relevantes Unrecht begründet.138 Zwischen einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und einer Fremdtötung im Sinne der Tötung auf Verlangen besteht ein für die Strafbegründung bedeutsamer Unwertsprung,139 den Schmidhäuser außer Acht lässt. 133 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 134 Vgl. statt vieler Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 195; ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 135 Ausf. hierzu Landau, ZRP 2005, 50 (54); vgl. auch Lindner, JZ 2006, 373 (379 f.); ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 118 ff. 136 A. A. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 16 f., 33, 35, der die Tötung auf Verlangen nicht als Fremdtötung im eigentlichen Sinne, sondern als arbeitsteilige Selbsttötung begreift, weil der Rechtsgutsträger nicht einem anderen die Verfügung über sein Leben überlasse, sondern seinen Untergang mit organisiere; zum Verhältnis von § 216 StGB zu den übrigen Tötungsdelikten vgl. u. a. RGSt 28, 200 (205 ff.); 53, 293 (294); ausf. Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 Rn. 1; ferner Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 1 f. m. w. Nachw.; auch v. Pfordten, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 193 (198). 137 Ausf. hierzu ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 138 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 149 ff. 139 Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 18; ders., GA 1983, 22 (26); ausf. auch Lorenz, JZ 2009, 57 (62 ff.); vgl. auch Schroth, GA 2006, 549 (564); ähnl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 216 f.: „Das Tötungsverbot dient nicht nur dazu, einzelne Menschen in individuellen Fällen vor dem Verlust
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Darüber hinaus ist auch die von Schmidhäuser postulierte Rechtspflicht zum Weiterleben, welche die Rechtsordnung dem Einzelnen seiner Ansicht nach auferlegt, abzulehnen.140 Wie bereits mehrfach ausgeführt, lässt sich eine solche Selbsterhaltungspflicht nur als Tugendpflicht, allenfalls noch als Obliegenheit141, nicht jedoch als Rechtspflicht charakterisieren.142 Die Verlagerung der Straffreiheit der Selbsttötung in einen – noch dazu übergesetzlichen – Entschuldigungsgrund, wie es Schmidhäuser vorschlägt, kann nach alldem nicht überzeugen.143 Eine andere, wenn auch nicht minder strittige Theorie zur Straffreiheit der Selbsttötung entwickelte Bringewat. Er versteht die Selbsttötung zunächst als strafbare Handlung im Sinne der §§ 211 ff. StGB, die aber auf der Grundlage eines allgemein anerkannten Gewohnheitsrechts strafrechtlich nicht zu verfolgen sei und so im Ergebnis straflos bleibe.144 Der Suizid ist nach Bringewat vom Tatbestand der Tötungsdelikte zwar erfasst, aber aufgrund von Gewohnheitsrecht verbietet sich eine Subsumtion unter diesen.145 Diese Konstruktion eines gewohnheitsrechtlichen Strafausschließungsgrundes ist, wie schon die Konzeption eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes von Schmidhäuser, abzulehnen. Zum einen bedarf es zur Begründung der Straffreiheit der Selbsttötung keines gewohnheitsrechtlichen Strafausschließungsgrundes, weil bereits die teleologische Reduktion des Tatbestandes die Straffreiheit der Selbsttötung belegt.146 Zum anderen missihres Lebens zu schützen, sondern auch dem kollektiven Zweck, die Achtung vor dem Rechtswert Leben in der Gemeinschaft zu schützen. Diese zweite Funktion besitzt das Verbot auch dann, wenn der Lebensmüde seine Tötung ausdrücklich und ernstlich verlangt. Denn auch in diesem Fall droht auf der Grundlage des objektiven Nichtschadensprinzips eine Rechtsgutsverletzung und mit ihr ein Achtungsschaden für den Rechtswert Leben.“ 140 Vgl. hierzu Bottke, GA 1983, 22 (26); Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (641 ff.); vgl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (306); ferner Müller, F., § 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung, S. 34 ff.; ausf. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337 ff.). 141 S. Fußn. 94. 142 Ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 143 Ausf. hierzu Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 55 ff.; ders., GA 1983, 22 (26 f.); vgl. ferner Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (642 f.); vgl. Herzberg, JA 1985, 131 (132 f.); s. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 19; s. auch Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (339 ff.); vgl. Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 33 m. w. Nachw.; vgl. weiterhin Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 36 f. 144 Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (644 ff.); vgl. hierzu Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 18. 145 Vgl. Herzberg, JA 1985, 131 (132); s. auch Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 17.
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achtet Bringewat in seiner Theorie, dass das Recht auf Selbsttötung durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. Diese Freiheit zur individuellen Bestimmung über das eigene Leben muss der Staat, wie ausführlich erörtert, im gesamten Recht respektieren.147 Die Pönalisierung der Selbsttötung, wie sie die Tatbestandsmäßigkeit zum Ausdruck bringen würde, ist hiermit nicht vereinbar. Sie begäbe sich darüber hinaus auch in Widerspruch zur rechtshistorischen Entwicklung hin zur Straffreiheit der Selbsttötung, wie im nachstehenden Exkurs deutlich werden wird.148 Bevor ein Einblick in die rechtshistorische Debatte zur Selbsttötung gegeben wird, sei noch auf Kohler hingewiesen, der sich ebenfalls gegen die Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung ausspricht. Er führt die Straffreiheit der Selbsttötung darauf zurück, dass eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, die darin bestehe, dass Täter und Opfer in der Person nicht identisch sind, nicht erfüllt sei.149 Im Verlauf der Untersuchung wurde dargelegt, dass das Konzept des Rechtsgüterschutzes im Strafrecht auf einer Interpersonalität beruht.150 Strafrecht dient dem Schutz der eigenen Rechtsgüter vor Eingriffen Dritter.151 Warum dieses elementare Charakteristikum des Rechts zu einer spezifischen objektiven Bedingung der Strafbarkeit erhoben wird und nicht bereits auf der tatbestandlichen Ebene wirkt, ist insofern nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ist auf die Gründe zu verweisen, die schon gegen die Ansätze von Schmidhäuser und Bringewat vorgebracht wurden. cc) Exkurs: Die Entpönalisierung der Selbsttötung zur Zeit der Aufklärung Die fast einhellige Ansicht, dass die Selbsttötung kein tatbestandliches Unrecht entstehen lässt, ist, worauf bereits hingewiesen wurde, das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses in der Gesellschaft und der Wissenschaft. Um dem Anspruch einer vollständigen Betrachtung der Selbsttötung im Kontext der Tötungsdelikte gerecht zu werden und zugleich die bishe146 Vgl. hierzu Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 16a; ders., GA 1983, 22 (27); vgl. auch Herzberg, JA 1985, 131 (132 f.); ausf. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (342 f.); ferner Schilling, JZ 1979, 159 (160). 147 Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. auch Hufen, NJW 2001, 849 (851); ähnl. Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 102; ähnl. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 246 f., 263 m. w. Nachw. 148 Vgl. BGHSt 32, 367 (371 f.); s. des Weiteren Kapitel F. II. 2. a) cc) S. 169 ff. 149 Kohler, GA 1902, 1 (6). 150 Vgl. bspw. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 26 f.; ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 151 Vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337) m. w. Anm.
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rige Argumentation zu belegen, erfolgt an dieser Stelle ein Abriss über die Debatte um die Pönalisierung und Entpönalisierung der Selbsttötung aus der rechtshistorischen Perspektive. Der Exkurs beschränkt sich auf die wichtigsten Entwicklungsschritte sowie die mit ihnen verbundenen wichtigsten Persönlichkeiten der Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie. (1) Die Pönalisierung der Selbsttötung unter dem Einfluss der Kirche Noch im römischen Recht zu Zeiten der Römischen Republik152 galt die Selbsttötung nicht als kriminelles Unrecht, der Suizid wurde nach stoischer Tradition als erlaubt und zum Teil sogar tugendhaft angesehen.153 So schrieb bspw. Seneca: „Es finden sich sogar Vertreter der Philosophie, die ein gewaltsames Lebensende für unerlaubt erklären und es für eine Sünde halten, sein eigener Mörder zu werden: man müsse des Ausgangs harren, den die Natur bestimmt hat. Wer so spricht, sieht nicht, dass er der Freiheit Weg versperrt. Wie hätte das ewige Gesetz besser verfahren können als so, dass es uns einen Eingang ins Leben gab, der Ausgänge aber viele.“154
Und auch nach Ansicht Ulpians, eines der einflussreichsten römischen Juristen, beruhe „das Recht der freien Disposition über Leben und Körper so sehr auf der ratio naturalis, dass selbst der Sklave nicht widerrechtlich handle, wenn er sich selbst töte oder verwunde.“155
Diese Zitate sollen als Beweis dafür dienen, dass die Selbsttötung zur Zeit der Römischen Republik grundsätzlich nicht als Verbrechen betrachtet 152 Erst mit der Errichtung des totalitären Staates kam es zu einer allmählichen Verpönung des Selbstmordes. Ausf. dazu Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 76 ff. bzw. 88 ff.; ferner Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 13 ff.; Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften, S. 63 f. 153 Ausf. hierzu Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, zu Fußn. 4 S. 47 f.; Dreier, H., JZ 2007, 317 (317); vgl. auch Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 22 f., 28; Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (63 f.) m. w. Nachw.; ausf. auch Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 23 ff.; vgl. Rehbach, DRiZ 1986, 241 (241 f.); ferner Schüttauf, in: Brudermüller/Marx/Schüttauf, Suizid und Sterbehilfe, S. 81 (82 ff.); vgl. ferner Wächter, Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 216 (265) auf der Grundlage seiner ausführlichen Darstellung ders., Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 72 (75–111) und 216 (216–266); a. A. Juza, Imago Hominis 1999, 215 (223), der in dem Rückgriff auf die antike Wertschätzung der Selbsttötung eine Ablehnung der Grundlagen des modernen Staates erblickt. 154 Seneca, Briefe an Lucilius, Brief 70 §§ 12–15, S. 267. 155 Zitiert nach Wächter, Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 216 (230).
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wurde.156 Es existierte kein Gesetz, welches den Suizid unter Strafe stellte, weil man in ihm die Freiheit des menschlichen Willens verwirklicht sah.157 Auch bei den Germanen war die Selbsttötung bis zum Aufkommen des Christentums ein fester gesellschaftlicher Bestandteil, der keine Pönalisierung erfuhr.158 Erst der Einfluss des kanonischen Rechts in der Zeit des aufkommenden Mittelalters, verbunden mit einer falschen Rezeption des römischen Rechts, führte zur Kriminalisierung des Suizides.159 Die Kirche wirkte gegen die durch die Stoa beeinflusste römische Denktradition und stigmatisierte die Selbsttötung als eine Auflehnung des Menschen gegen die Allgewalt Gottes.160 In diesem Zusammenhang war insbesondere das Wirken des Aurelius Augustinus (354–430) von Bedeutung. Da weder aus dem Alten noch aus dem Neuen Testament ein eindeutiges Verbot der Selbsttötung abzuleiten war, erklärte Augustinus, dass das Gebot „Du sollst nicht töten“ in entsprechender Auslegung der übrigen Gebote eben nicht nur die Tötung des anderen, des Nächsten, meint, sondern auch die Selbsttötung umfasst.161 Er schreibt: „Denn nicht umsonst kann man in den heiligen und kanonischen Büchern nirgends ein göttliches Gebot noch auch die Erlaubnis ausgesprochen finden, sich selbst das Leben zu nehmen, um das unsterbliche Leben zu erlangen oder irgend ein Übel zu meiden oder zu beseitigen. Vielmehr ist das Verbot hieher zu beziehen: „Du sollst nicht töten“, wie es im Gesetze heißt; um so mehr als nicht hinzugefügt ist: „deinen Nächsten“ wie bei dem Verbot des falschen Zeugnisses: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“. (. . .) Weder einen andern noch dich sollst du töten. Denn wer sich selbst tötet, tötet eben auch einen Menschen.“162 156
Eine Ausnahme galt für den Suizid von Soldaten und den Suizid von einem wegen einer mit Vermögensstrafe zu ahndenden Straftat Angeklagten, der sich umbrachte, um der Strafe zu entgehen. Vgl. dazu ausf. Wächter, Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 72 (97 ff., 102 ff.); s. auch Fußn. 152. 157 Knüppeln, Ueber den Selbstmord, S. 20 f., 29; vgl. auch Dreier, H., JZ 2007, 317 (317) m. w. Nachw. 158 Vgl. Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 3 f.; auch Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 22; vgl. auch Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 23; s. auch Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (64) m. w. Nachw. 159 Rehbach, DRiZ 1986, 241 (241); vgl. Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 4; Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 89; auch Dreier, H., JZ 2007, 317 (317 f.); ferner Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 23 ff., 29 f. 160 Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, zu Fußn. 4, S. 48 f.; zur Entwicklung der Pönalisierung der Selbsttötung in der Kirche vgl. Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 50 ff. 161 So Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 16; vgl. Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 18 f.; ausf. auch Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 48 f.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Im Anschluss an Augustinus erarbeitete auch Thomas von Aquin eine Argumentation, die noch jahrhundertelang die Grundlage der religiösen Verpönung des Suizides bildete.163, 164 Der „Selbstmord“ wurde zur schwersten und gefährlichsten aller Todsünden.165 Später folgte mit den Konzilen von Orléans (533) und Braga (561) die kirchenrechtliche Sanktionierung, die im 12. Jahrhundert in das kanonische Recht (Corpus Iuris Canonici) Eingang fand.166 Diese Pönalisierung der Selbsttötung durch die Kirche wirkte sich natürlich auf den gesellschaftlichen Umgang und die juristische Diskussion aus. Weil die Kirche zu dieser Zeit eine machtvolle Position innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges innehatte und so eine starke und nachhaltige Wirkung auf die Wahrnehmung und das Denken der Menschen und damit auch der Juristen der damaligen Zeit besaß167 und dem kanonischen Recht zudem eine entscheidende Vorbildwirkung für die Entwicklung des Strafrechts 162 Augustinus, in: Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften, Gottesstaat I, 20 S. 57 ff. 163 S. Thomas, Summe der Theologie, Bd. III: Der Mensch und das Heil, 64. Untersuchung, Fünfter Artikel, S. 304 (305 f.): „Ich antworte: Sich selbst zu töten, ist durchaus unerlaubt. Aus dreifachem Grunde. Zuerst einmal, weil naturhaft jedes beliebige Ding sich selbst liebt, und dazu gehört, dass jedes Ding naturhaft sich im Dasein erhält und dem Zerstörenden so großen Widerstand leistet, als es kann. Somit geht, daß einer sich selbst tötet, gegen die natürliche Neigung und gegen die Liebe, mit der jeder sich selbst zu lieben schuldet. Deswegen ist die Tötung seiner selbst immer Todsünde, da sie ja gegen das natürliche Gesetz und gegen die Liebe auftritt. Zweitens, weil jeder beliebige Teil mit dem, was er ist, dem Ganzen gehört. Nun ist aber jeder beliebige Mensch ein Teil der Gemeinschaft, und dergestalt gehört das, was er ist, der Gemeinschaft. Deswegen tut er dadurch, dass er sich selbst aus der Welt schafft, der Gemeinschaft ein Unrecht (. . .). Drittens, weil das Leben ein gewisses Geschenk ist, das göttlicherweise dem Menschen angewiesen und der Gewalt dessen untertan ist, „der tötet und lebendig macht“. Darum sündigt gegen Gott, wer sich selbst des Lebens beraubt, gerade wie, wer den Sklaven umbringt, gegen den Herrn sündigt, dem der Sklave gehört; und gerade wie derjenige sündigt, der sich das Gericht über eine Sache anmaßt, die ihm nicht übertragen ist. Denn allein an Gott gehört das Gericht über Tod und Leben (. . .).“ 164 S. hierzu Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 56; vgl. ferner Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften, S. 68 f. 165 Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (64 f.). 166 Vgl. Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 17; vgl. Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (65); vgl. auch Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 19 f.; vgl. auch Wächter, Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 634 (636 f.); zur Entwicklung der christlichen Ablehnung des Suizides und zum soziopolitischen Kontext Minois, Geschichte des Selbstmords, S. 50 ff. 167 Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, zu Fußn. 4, S. 50; vgl. auch Kubiciel, JA 2011, 86 (87).
II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung
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und Strafprozessrechts zukam, vermischten sich sittliche, moralische und rechtliche Motivationen innerhalb der juristischen Diskussion zur Strafbarkeit der Selbsttötung168. Dieser Entwicklungsprozess bewirkte, dass bis Mitte des 18. Jahrhunderts die Selbsttötung auch in der Rechtswissenschaft gemeinhin als strafbares Unrecht gewertet wurde.169 Sahen einige Gesetzbücher, wie bspw. die Constitutio Criminalis Carolina von 1532, nur vermögensrechtliche Konsequenzen (z. B. Vermögenskonfiskation und Unterbrechung der gesetzlichen Erbfolge) für die Selbsttötung eines in einem Strafverfahren bereits Angeklagten oder Verurteilten vor, der sich dem Strafverfahren oder der Strafvollstreckung entziehen wollte,170 wurde der Suizid in den Landesgesetzen der Territorien ausnahmslos als Verbrechen sanktioniert.171 Bisher nur in der Kirche geltende Richtlinien zum Begräbnis eines Selbstmörders wurden in das geltende staatliche Recht übernommen und in den Territorien zum Teil noch rigoroser praktiziert, als es die Kirche selbst forderte.172 In einer Kabinetts-Ordre von 1728, wiederholt im Edikt von 1731173, äußerte sich bspw. Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, ganz im Sinne dieser Zeit wie folgt: 168 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 241, Note II des Hrsg. 169 Vgl. Rehbach, DRiZ 1986, 241 (243) m. w. Nachw. 170 Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), hrsg. v. Radbruch, S. 90: „Straff eygner tödtung, Art. 135. Item wann jemandt beklagt vnd inn recht erfordert oder bracht würde, von sachen wegen, so er der überwunden sein leib vnd gut verwürckt hett, vnd auß forcht solcher verschuldter straff sich selbst ertödt, des erben sollen inn disem fall seins guts nit vehig oder empfengklich, sonder solch erb vnd gütter der oberkeyt der die peinlichen straff, buß, vnd fell zustehn, heymgefallen sein. Wo sich aber eyn person ausserhalb obgemelter offenbaren vrsachen auch inn fellen da er sein leib alleyn verwirckt, oder sunst auß kranckheyten des leibs melancolei, gebrechlicheyt jrer sinn oder ander dergleichen blödigkeyten selbst tödtet, der selben erben sollen deßhalb an jrer erbschafft nit verhindert werden, vnd darwider keyn alter gebrauch, gewonheyt oder satzung statt haben, sonder hiemit reuocirt, cassirt und abgethan sein, vnd inn disem vnd andern dergleichen fellen, vnser Keyserlich geschriben recht gehalten werden.“ 171 Vgl. Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 24 ff.; s. auch Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (68); vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 5; ausf. hierzu Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 31 ff. 172 Vgl. Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 18 f.; vgl. auch Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (65 ff.); ausf. Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 34 ff., 345 ff.; Rehbach, DRiZ 1986, 241 (243 f.); ausf. Wächter, Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 634 (646 ff.). 173 Vgl. Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 19; krit. dagegen Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 29 ff., 33 f.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
„Nachdem Wir höchstmissfällig angemercket, daß, ob zwar alle Göttliche und Weltliche Rechte den Selbst-Mord scharff verbiethen, dieses unmenschliche Laster dennoch, und Unserer deshalb verschiedentlich ergangenen schriftlichen Verordnungen ohnerachtet, eine Zeithero mehr zu- als abgenommen, dass Uns dannenhero solches bewogen, Unsere wegen Bestraffung eines so abscheulichen Verbrechens führende ernste Willens-Nennung, durch den Druck jedermanniglich bekannt machen zu lassen (. . .) Setzen also, ordnen und befehlen, Krafft dieses, daß derjenige, welcher sich selbst gewaltsamer weise das Leben nimmt, ohne Unterscheid, es möge der Selbst-Mord aus freyer Willkühr, oder aus anscheinender und vorgegebener Schwermuth geschehen seyn, vom Schinder oder Büttel, anderen zu desto grösserem Abscheu, und damit auch ein jeder so viel mehr Sorge und Acht auf die Seinigen und Angehörigen, welche schwermüthig zu seyn scheinen, nehmen möge, öffentlich weggeholet und verscharret (. . .) werden solle (. . .).“174
(2) Die Entpönalisierung des Suizides als Folge der Aufklärung Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann unter dem Einfluss der Aufklärung die Säkularisierung des Rechts und mit ihr erwachte die Diskussion über die Entpönalisierung der Selbsttötung.175 Allen voran in Frankreich wuchs die Kritik an der Sanktionierung von Suiziden.176 So führte z. B. Voltaire aus, dass eine Selbsttötung allenfalls gegen die Moral verstoße, nicht aber die Rechte Dritter oder des Staates verletze und deshalb kein Verbrechen sein kann, folglich eine Bestrafung jeglicher Grundlage entbehre.177 Der einflussreiche französische Jurist Marat verlangte unter Verweis auf das Prinzip der Persönlichkeit der Strafe die Entpönalisierung des Suizides, weil die Strafe eben nur Angehörige und nicht den zu strafenden Täter treffen könne.178 174 Friedrich Wilhelm I., Allgemeines Edict, wegen Bestraffung des SelbstMords, CCM: Theil 2, Abth. 3, No. LXIV. Sp. 159 f. 175 Ausf. Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 43 ff.; vgl. Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 91 ff.; zusammenfassend Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 50; vgl. auch Kubiciel, JA 2011, 86 (88); Rehbach, DRiZ 1986, 241 (244 ff.); vgl. Schüttauf, in: Brudermüller/Marx/Schüttauf, Suizid und Sterbehilfe, S. 81 (89 ff.); vgl. ferner die allgemeinen Ausführungen zur Strafrechtslehre in der Zeit der Aufklärung bei Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 25 ff. 176 Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 20 ff.; vgl. Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 31; ausf. Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 47 ff.; s. auch Minois, Die Geschichte des Selbstmords, S. 427 ff. 177 Voltaire, Preis der Gerechtigkeit und Menschenliebe, Fünfter Artikel Von dem Selbstmord, S. 24 ff.; vgl. auch Minois, Die Geschichte des Selbstmords, S. 335 ff. 178 Marat, Plan einer Criminalgesetzgebung, S. 54 (Die Strafen müssen persönlich sein) i. V. m. S. 82 (Über den Selbstmord): „Der Mensch ist nur durch sein Wohlergehen an die Gesellschaft gebunden. Wenn er in ihr nur Elend findet, steht es ihm also frei, sich von ihr loszusagen. Der
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Auch der schottische Aufklärer Hume deklarierte die Selbsttötung als ein natürliches Recht des Menschen.179 Nach ihm sei der Suizid weder eine Pflichtverletzung gegenüber Gott noch gegenüber der Gesellschaft oder dem Einzelnen selbst.180 Die Macht zur Selbsttötung ist seiner Ansicht nach keine Auflehnung gegen Gott, weil der Mensch den allgemeinen Gesetzen des Lebens unterstellt ist, nach denen er, durch die Fähigkeit eigene Entschlüsse zu treffen, das Schicksal verändern kann.181 Im Rahmen der rechtlichen Diskussion um die Entpönalisierung der Selbsttötung kam des Weiteren dem italienischen Strafrechtler und Rechtsphilosophen Beccaria eine große Bedeutung zu. Er kritisierte in seinem Werk „Dei Delitti e delle pene“ das bestehende Strafrechtssystem und es wurde zum Inbegriff einer säkularisierten und rationalen Kriminalpolitik.182 Beccaria hielt zwar den Selbstmord für eine Sünde, erkannte aber die Nutzlosigkeit der Bestrafung der Selbsttötung und lehnte sie aus eben diesem Grunde ab183: „Der Selbstmord ist ein Verbrechen, das keine im eigentlichen Sinne so genannte Strafe zulassen zu können scheint, da diese nur entweder Unschuldige oder einen kalten und unempfindlichen Körper treffen könnte. Wenn die Strafe nun ebenso wenig einen Eindruck auf die Lebenden macht, wie die Züchtigung einer Statue diese beeindruckt, so ist sie ungerecht und tyrannisch; denn die politische Freiheit der Menschen setzt notwendig voraus, dass die Strafen rein persönlich sind.“184
Anders als in Frankreich oder auch Italien setzte sich in Deutschland die Idee der Abschaffung der Strafbarkeit der Selbsttötung nur schwer durch.185 Mensch ist an das Leben nur durch seine Freude gebunden. Wenn er sein Dasein nur als Schmerz empfindet, steht es ihm also frei sich, von ihm loszusagen. Ohne Zweifel ist es für den Staat vorteilhaft, dass der Selbstmord nicht verbreitet ist (. . .). Den Leichnam eines Unglücklichen, der sich getötet hat, über den Anger zu schleifen, sein Andenken zu schänden, sein Vermögen zu beschlagnahmen, seine Familie zu entehren und zu ruinieren, das sind Akte einer Tyrannei.“; vgl. hierzu auch Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 26 f. 179 Ausf. dazu Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 75 ff.; vgl. Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 52 ff.; s. auch Minois, Die Geschichte des Selbstmords, S. 363 ff. 180 Hume, Dialoge über natürliche Religion, S. 154. 181 Hume, Dialoge über natürliche Religion, S. 147 ff. 182 Vgl. Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 54 ff.; ähnl. auch Sina, Die Dogmengeschichte, S. 7. 183 Vgl. ausf. Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 28 f. m. w. Nachw.; vgl. auch Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 31 f. 184 Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, S. 145, 149. 185 Ausf. dazu Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 34 ff.; ausf. auch Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 65 ff.; ausf. dazu auch Rehbach, DRiZ 1986, 241 (246) m. w. Nachw.
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So plädierte neben v. Pufendorf186 oder Thomasius187 auch Wolff als einer der einflussreichsten Rechtsphilosophen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts für die Strafbarkeit der Selbsttötung.188 Seiner Ansicht nach hat das Gemeinwesen grundsätzlich ein Interesse am Leben jedes Einzelnen, so dass der Mensch sein Leben der Gesellschaft nicht entziehen dürfe, sondern gegenüber dem Staat vielmehr eine Pflicht zur Selbsterhaltung habe.189 Doch selbst die strikte Ablehnung der Selbsttötung durch Kant, der im Suizid eine Verletzung der Selbsterhaltungspflicht des Einzelnen gegenüber der Menschheit erblickte190, konnte, getragen von dem neuen Leitbild des Menschen, das die Aufklärung hervorgebracht hatte, die Forderung nach der Entpönalisierung der Selbsttötung nicht aufhalten. Nach und nach sprachen sich auch deutsche Rechtsgelehrte und Philosophen für die Straffreiheit der Selbsttötung aus, was u. a. darauf zurückzuführen ist, dass man sich aktuellen (auch juristischen) Fragen nicht mehr von der theologischen Seite näherte, sich also eine säkularisierte Denkweise durchsetzte.191 So forderte bspw. Knüppeln die grundsätzliche Straflosigkeit der Selbsttötung, weil jegliche Bestrafung nutzlos und ungerecht sei, da sie sich allein gegen die Angehörigen und nicht den eigentlichen Täter richtet: „Alle Strafgesetze auf den Selbstmord, sind unnütz und ungerecht – unnütz, da der Selbstmord in den Landen am häufigsten begangen wird, wo die strengsten Gesetze gegen ihn sind – unnütz, da derjenige, der das Leben so verabscheut, daß er freiwillig den bitteren Kelch des Todes leert, sich durch keine Vorstellung, und durch keine Strafgesetze davon abhalten lässt (. . .) – ungerecht aber sind auch die Strafgesetze, da sie nicht den Selbstmörder, sondern seine Nachkommen treffen, da die Strafe ihre Wirkung ganz verfehlt, weil der Bewegungsgrund mangelt, der sie rechtfertigt – ungerecht ist es, die Familie deshalb zu beschimpfen, weil jemand aus ihrem Kreise tritt, der die Pflichten des Bürgers nicht mehr erfüllen kann – ungerecht ist es, daß der Staat sich mit dem Vermögen des Unglücklichen bereichern will, und dadurch seinen rechtmäßigen Erben ihr Erbe raubt – ungerecht ist, daß seine Bürger freiwillig die Last des Lebens abschütteln, und eine 186
S. v. Pufendorf, Über die Pflicht des Bürgers, Kap. 5 S. 60 f. Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrheit, II. Buch, II. Hauptstück, §§ 70–79 S. 140 f. 188 Ausf. hierzu Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 31; s. auch Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (71 f.); vgl. auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 6 f.; vgl. Kubiciel, JA 2011, 86 (87). 189 Wolff, Ch., Vernünftige Gedanken, § 370 S. 281 f. 190 Vgl. Kant, AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 422; vgl. hierzu auch die Klarstellung, dass es sich bei der von Kant propagierten Selbsterhaltungspflicht nicht um eine Rechtspflicht, sondern um eine Tugendpflicht handelt in Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 191 Vgl. Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (72 f.). 187
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Welt verlassen, wo Mangel und Elend ihnen jede Aussicht benimmt, die Freuden des Lebens zu geniessen.“192 „Der Selbstmörder ist der Verbannte, und der Tod die Handlung, durch die er das Band zerreißt, das ihn an die Gesellschaft knüpfte, (. . .), ihren Gesetzen unterwarf, und ihren Strafen aussetzte. Sobald dieses Band gerissen ist, ist er weder Bürger noch Unterthan mehr, er steht nicht mehr unter ihrer Herrschaft. Jede Handlung der Autorität, die diese über ihn ausübt, ist eine Gewaltthätigkeit, ist ein Missbrauch der Gewalt (. . .). Das sind die Gründe, die mich bewegen, den Selbstmord in die Klasse derjenigen Verbrechen, die nicht dürfen bestraft werden, zu setzen.“193
Auch v. Globig und Huster sprachen sich in ihrer Preisschrift gegen die Bestrafung der Selbsttötung aus. Der Staat könne dem freien Bürger den Ausgang aus der Welt nicht verbieten, zumal der Suizident dem Staat noch weniger schade als ein Auswanderer, der anders als der Suizident sein Vermögen nicht zurücklässt.194 Ebenso trat Hommel, der als erster deutscher Jurist die Straffreiheit der Selbsttötung forderte, dafür ein, dass man sich nur vor weltlichen Gerichten verantworten müsse, wenn man anderen Schaden zufügt, was bei einem Suizid nicht der Fall ist, so dass das Urteil über den Suizidenten allein Gott vorbehalten sei.195 In seinen Anmerkungen zur Übersetzung des Werkes „Dei Delitti e delle pene“ von Beccaria schreibt er: „Es mag die Tat allenfalls Sünde sein, nur kann ich, nach dem gegebenen deutlichen Merkmale eines politischen Verbrechens, es für ein solches nicht erkennen.“196
Im Anschluss an die rechtswissenschaftliche Diskussion zum Problem der Strafbarkeit der Selbsttötung setzte sich die Vorstellung der Entpönalisierung des Suizides auch auf der normativen Ebene, also in der Gesetzgebung durch. Allen voran waren die Maßnahmen von Friedrich II. (1712–1786) für die deutsche Gesetzgebung wegweisend.197 So vertrat er als Anhänger Voltaires die Ansicht, dass eine Sanktionierung der Selbsttötung durch und durch nutzlos sei und verstand die Möglichkeit des Einzelnen zur Selbsttötung nicht nur als Recht, sondern als Teil der sittlichen Würde des Men192
Knüppeln, Ueber den Selbstmord, S. 40 f. Knüppeln, Ueber den Selbstmord, S. 66 f. 194 S. v. Globig/Huster, Abhandlung von der Kriminal-Gesetzgebung, S. 193; einen ähnlichen Vergleich verwendet auch Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, S. 145 f. 195 Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 40; vgl. ferner Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 33. 196 Hommel, Des Herrn Marquis von Beccaria unsterbliches Werk, § XXXII, Fußn. o, S. 141. 197 So Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (73) m. w. Nachw. 193
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schen.198 Mit einer Kabinetts-Ordre von 1747 und einem Reskript aus dem Jahre 1751 hob Friedrich II. als erster europäischer Herrscher bestehende Sanktionen gegen Selbstmörder in Preußen auf und sorgte dafür, dass sein aufklärerisches Bestreben schließlich auch Eingang in das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794 fand, in dem zwar wie zu römischen Zeiten eine Vermögenskonfiskation, aber kein mit einer Kriminalstrafe belegter Tatbestand der (versuchten) Selbsttötung normiert war.199, 200 Auch Feuerbach, einer der bedeutendsten deutschen Rechtsgelehrten201, vertrat die Meinung, dass man den Suizid nicht bestrafen könne. Er sah zwar in der Selbsttötung ein strafrechtliches Unrecht verwirklicht, weil sich der einzelne Bürger durch die Selbsttötung dem Staat und damit seiner bürgerlichen Verpflichtung gegenüber dem Staat und der Gesellschaft entziehe.202 Allerdings lehnte er aus kriminalpolitischen Gründen eine Sanktionierung ab, weil die Strafe dem Grundsatz der Personalität folgt und wie sollte eine Strafe bei einer geglückten Selbsttötung den Toten noch abschrecken?203 So verwundert es nicht, dass Feuerbach in der Ausarbeitung des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813 keine Strafnorm für die Selbsttötung vorsah. Dem Bayerischen Strafgesetzbuch folgten weitere Landesgesetze, wie z. B. das Sächsische Kriminalgesetzbuch von 1838, in denen weder der Suizid noch dessen Versuch mit Strafe bedroht waren.204 198 Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 33; vgl. auch Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 32; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 27. 199 Hattenhauer/Benert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, S. 704 (Zweyter Theil, Zwanzigster Titel, Eilfter Abschnitt): „§ 803. Selbsmörder sollen zwar nach ihrem Tode nicht beschimpft werden; aber doch alles dessen, womit sonst das Absterben und Andenken andrer Leute von ihrem Stande oder Range geehrt zu werden pflegt, verlustig seyn. § 804. Leute, die sich selbst das Leben nehmen, um einer durch grobe Verbrechen verwirkten infamirenden Strafe sich zu entziehen, sollen nach Befinden des den Prozeß dirigirenden Gerichts, auf dem Richtplatze verscharrt werden. § 805. Ist bereits ein Strafurteil wider sie ergangen: so soll dasselbe an dem todten Körper, so weit es möglich, anständig, und zur Abschreckung Andrer dienlich ist, vollzogen werden.“ 200 Vgl. Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod, S. 19, 49 m. w. Nachw.; vgl. Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 44; ferner Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 52 f.; vgl. auch Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 136. 201 Zum Wirken Feuerbachs vgl. statt vieler Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 43 ff. m. w. Anm. 202 S. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 241. 203 Ausf. dazu Rehbach, DRiZ 1986, 241 (245 f.) m. w. Nachw. 204 Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 91 f.
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Schließlich findet sich auch im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 nach dem Vorbild des Bayerischen Strafgesetzes und des Allgemeinen Preußischen Landrechts keine Norm, welche die Selbsttötung oder deren Versuch pönalisierte.205 Hieran hat sich bis in die heutige Zeit nichts geändert. So kam bspw., anders als bei der Frage der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Verhältnis zur Straffreiheit der Suizidteilnahme, eine neuerliche Diskussion zur Pönalisierung der Selbsttötung weder im Rahmen der angestrebten Strafrechtsreform von 1904 bis 1927 auf noch war sie innerhalb der nationalsozialistischen Strafrechtsreform sowie im Vorfeld der großen Strafrechtsreform, die in den 1950er Jahren begann, von besonderer Bedeutung.206 Zu resümieren bleibt, dass sich in der Diskussion zur Entpönalisierung der Selbsttötung der Geist der Aufklärung durchsetzte, so dass konsequenterweise an eine strafrechtliche Sanktionierung der Selbsttötung oder des Selbsttötungsversuches nach unserem heutigen Rechtsverständnis nicht mehr zu denken ist.207 Durch die Aufklärung fand eine Entflechtung der durch die Kirche vorangetriebenen Vermischung moralischer und rechtlicher Wertungen statt, an deren Ende sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die „unmoralische“ Selbsttötung von der rechtlichen Würdigung des Suizides als Verbrechen abzugrenzen ist.208 Auffällig bleibt allerdings, dass trotz der Einigkeit über die Straffreiheit der Selbsttötung die Beurteilung der moralischen Zulässigkeit und die konkrete Begründung der Straffreiheit zur Zeit der Aufklärung sehr different waren. Gingen die meisten (Rechts-)Gelehrten davon aus, dass der legitime Strafzweck nicht (nur) einem abschreckenden, sondern (auch) einem präventiven Zweck dient und dass eine Sanktionierung der Selbsttötung dem Prinzip der Persönlichkeit der Strafe sowie dem Grundsatz der Nützlichkeit der Strafe widerspricht, waren es die Wenigsten, die, wie z. B. Friedrich II.209, die Möglichkeit der Selbsttötung als Recht des Menschen, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, verstanden.210 Die Mehrheit, auch der Juristen, charakterisierte die Selbsttötung als eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft und dem Staat (so z. B. Feuerbach211 oder Wieland212) und 205 Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 91 f.; vgl. auch Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 26. 206 Vgl. dazu ausf. Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 80 ff., 88 ff., 98 ff. 207 Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 45. 208 Vgl. dazu Wächter, Neues Archiv des Criminalrechts 10 (1829), 634 (653 f.). 209 S. Fußn. 198. 210 Vgl. Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 59. 211 S. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 241. 212 Wieland, Geist der peinlichen Gesetze, §§ 239 ff. S. 313 ff., der zwar erklärt, dass der Selbstmord kein Verbrechen ist, aber meint: „so bleibt er doch immer eine
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missbilligte den Suizid, wie Beccaria213 oder auch Knüppeln214, im moralischen und – damit eng verbunden – religiösen Sinne. Will man die rechtshistorische und rechtsphilosophische Entwicklung um die Selbsttötungsproblematik zusammenfassen, wird deutlich, dass sich der Gesetzgeber am Ende des Diskurses von Pönalisierung und Entpönalisierung für die Straffreiheit der Selbsttötung entschied. Angesichts der mit der Säkularisierung einhergehenden strikten Trennung moralischer und strafrechtlicher Verwerflichkeit seit der Aufklärung würde ein Normverständnis, nach dem die Selbsttötung von §§ 211 ff. StGB erfasst ist, dem Willen des historischen Gesetzgebers nicht gerecht. Schroeder ist beizupflichten, wenn er konstatiert, es sei „(. . .) unvorstellbar, dass der Gesetzgeber nach der eindeutigen Straflosigkeit des Selbstmordes seit der Aufklärungszeit die Strafbarkeit ohne ausdrückliche Bestimmung wieder eingeführt haben sollte.“215 Wenn Holzhauer anmerkt, dass in Zeiten, in denen der Grundsatz nulla poena sine lege noch nicht galt, nicht vom Nichterwähnen der Strafbarkeit des Suizides in den Gesetzesbüchern auf die Straffreiheit geschlossen werden könne216, so mag er damit vielleicht Recht haben, aber im Rahmen des heutigen rechtsstaatlichen Strafrechtssystems ist dieser Rückschluss problemlos möglich.217 b) Die fehlende Tatbestandsmäßigkeit der Selbstgefährdungshandlung Nachdem voranstehend aufgezeigt wurde, dass das Eigenverantwortungsprinzip und die Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts im Verfassungsrecht auf der Ebene des Tatbestandes des § 212 StGB eine teleologische schädliche Handlung, weil er dem Staat seine Bürger raubt, und (. . .) sehr leicht zur Nachahmung reizt.“ (§ 242, S. 317). 213 Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, S. 149: „Es ist somit erwiesen, daß ein Gesetz, welches die Untertanen in ihrem Lande gefangen hält, unnütz und unrecht ist. Ebenfalls ist folglich die Strafe für den Selbstmord; und deswegen ist dieser, mag es auch eine Schuld sein, die von Gott bestraft wird, da er allein auch nach dem Tode strafen kann, kein Verbrechen vor den Menschen; denn statt des Schuldigen trifft die Strafe seine Familie“; s. auch Fußn. 184; vgl. zudem Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 29. 214 Knüppeln, Ueber den Selbstmord, S. 41 ff.; vgl. ferner Fußn. 192 f.; vgl. auch Bernstein, Die Bestrafung des Selbstmords und ihr Ende, S. 38. 215 Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (566); ähnl. auch Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 170. 216 Holzhauer, in: Holzhauer/Saar, Beiträge zur Rechtsgeschichte, S. 60 (68 f.). 217 Vgl. hierzu Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 171; ähnl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 216 f.; ähnl. Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 19.
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Beschränkung bewirken, die letztlich die Straffreiheit der Selbsttötung begründet, soll im Folgenden in aller Kürze die – zumindest hypothetische – Frage218 nach einer Strafbarkeit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung betrachtet werden. Der sich Gefährdende agiert im Bewusstsein, dass die Unternehmung ein Risiko für das eigene Leben birgt, hofft aber darauf, dass sich dieses nicht verwirklicht.219 Fragt man nach einer Strafbarkeit des sich Gefährdenden, wäre folglich § 222 StGB die einschlägige Norm.220, 221 Warum wird eine solche Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch die Rechtsprechung nicht ernsthaft diskutiert? Weil der Rechtsgutsträger mit seinem risikoträchtigen Verhalten offensichtlich nicht die Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung und des Schutzzwecks des § 222 StGB erfüllt. Eine Sorgfaltspflichtverletzung beschreibt die Missachtung einer Verhaltensverbotsnorm durch den Täter.222 Die Rechtsnorm erlegt dem Einzelnen ein Maß an Sorgfalt auf, das im gesellschaftlichen Zusammenleben erwarten werden kann und muss.223 Worin soll aber die Sorgfaltspflicht des sich Gefährdenden bestehen? Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung wurde erörtert, dass die Gesellschaft durchaus ein legitimes Interesse an der Selbsterhaltung des Einzelnen haben kann.224 Allerdings lässt sich aus diesem Bedürfnis der Gesellschaft keine rechtsverbindliche Selbsterhaltungspflicht des Individuums ableiten.225 Eine solche würde die Frei218
Vgl. hierzu nochmals den Hinweis zu Beginn von Kapitel C. II. S. 50. Vgl. Fahl, JA 1998, 105 (109); vgl. auch Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 22; vgl. Herzberg, JA 1985, 265 (270); für weitere Nachw. s. Kapitel C. II. 1., Fußn. 13. 220 Vgl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 21; vgl. hierzu auch Kapitel B. II. S. 31. 221 Nur wenn der Rechtsgutsträger nach den Umständen des Einzelfalls sich des Erfolges nicht nur in Form eines Risikos bewusst ist, sondern seinen Tod als Erfolg ausnahmsweise sogar billigend in Kauf nimmt, wäre § 212 StGB einschlägig. Grundsätzlich verbietet es aber die Besonderheit der Selbstgefährdungsproblematik, einen solchen Ausnahmesachverhalt zur Regelkonstellation zu machen. Vgl. hierzu ausf. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 16 f., 21 ff. 222 Vgl. Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 643; Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 9, 15; Walther S., Eigenverantwortlichkeit, S. 22. 223 Vgl. Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (493); ausf. hierzu Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 1027 ff.; zur älteren Diskussion um die Sorgfaltswidrigkeit vgl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 57 ff., 86 ff. 224 Vgl. dazu BVerfG NJW 1999, 3399 (3401); BVerfGE 22, 181 (219); 60, 123 (132); s. auch Fußn. 236. 225 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. i. V. m. Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 219
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
heit zur Selbstbestimmung, die jedem das Recht zur individuellen Lebensgestaltung garantiert, negieren.226 Diesen Vorrang des Selbstbestimmungsrechts indiziert bereits das Eigenverantwortungsprinzip. Es ist die Eigenverantwortung des Rechtsträgers, die eine derartige staatliche und gesellschaftliche Bevormundung verbietet.227 Der Wille des Rechtsgutsträgers, eine risikoträchtige und lebensgefährliche Unternehmung vorzunehmen, ist zu respektieren.228 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Verantwortungszuschreibung, wie sie das Strafrecht bewirkt, einen Interpersonalbezug voraussetzt.229 Die Sorgfaltspflicht, die die Rechtsordnung dem Einzelnen auferlegt, beschreibt immer die Pflicht gegenüber einer anderen Person und deren Rechtsgütern.230 Sie regelt, wie herausgearbeitet, jenes Maß an Sorgfalt, das im gesellschaftlichen Zusammenleben erwartet werden kann und muss.231 Bereits im Zusammenhang mit der Feststellung, dass die Selbstgefährdung kein strafrechtlich relevantes Unrecht begründet, wurde nachgewiesen, dass ein solcher Interpersonalbezug bei der Selbstgefährdung nicht vorliegt, weil der Rechtsgutsträger in seinem eigenen Rechtskreis verbleibt.232 Im Übrigen ist die Selbstgefährdung auch nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Dieser beschreibt, welche Reichweite dem Tatbestand, bezogen auf das konkrete Rechtsgut, zukommt.233 Zu fragen ist danach, ob das konkrete Verhalten die Wertverletzung herbeiführt, welche die strafrechtliche Verhaltensumschreibung verhindern wollte.234 Rekurriert man auf die fehlende Interaktion in Konstellationen der Selbstgefährdung235 und lehnt man mit Verweis auf das Eigenverantwortungsprinzip eine staatliche Bevormundung in Form des Schutzes des sich Gefährdenden vor sich selbst 226
Ähnl. Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 94. Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. i. V. m. Kapitel D. III. S. 86. 228 Vgl. Puppe, GA 2009, 486 (489, 495) m. w. Nachw. 229 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 230 Ähnl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337) m. w. Anm. 231 Allgemein hierzu s. Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 643; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 342; vgl. auch Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (505); s. auch Fußn. 335 f. 232 Vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); ähnl auch Engisch, in: FS Mayer, S. 399 (412 f.); vgl. hierzu auch Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 125 sowie Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 233 Roxin, Strafrecht AT/I, § 11 Rn. 106; vgl. auch Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (493); Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 13, 15; ausf. zur Entwicklung der Lehre vom Schutzzweck der Norm Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 14 ff. 234 Altpeter, Strafwürdigkeit und Straftatsystem, S. 280 m. w. Nachw.; vgl. ferner Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 ff. Rn. 96 m. w. Nachw. 235 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 227
II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung
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ab236, wäre es widersprüchlich zu behaupten, § 222 StGB diene auch dem Zweck, tödliche Selbstgefährdungen zu verhindern. Im Ergebnis gebieten das Eigenverantwortungsprinzip und die hieran orientierte verfassungsrechtliche Wertung eine teleologische Reduktion des Tatbestandes, wie es bereits für die Selbsttötung im Rahmen des § 212 StGB festgestellt wurde. Die Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers ist vom Tatbestand der fahrlässigen Tötung nicht erfasst.237
3. Die Rechtmäßigkeit der eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung Der fehlende Unwertgehalt der Selbsttötung und Selbstgefährdung findet seine dogmatische Umsetzung auf der Ebene des Straftatbestandes in einer teleologischen Reduktion des Tatobjektes und der Tathandlung der jeweils einschlägigen Norm, die letztlich die fehlende Tatbestandsmäßigkeit begründen. Zum Abschluss der dogmatischen Untersuchung der Selbstgefährdung und Selbsttötung soll noch die bereits in Kapitel C. I. aufgeworfene Frage eingehender betrachtet werden, ob die eigenverantwortliche Selbsttötung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine rechtswidrige Handlung darstellt.238 Die Rechtswidrigkeit bezeichnet den Widerspruch zu den generellen Sollens-Anforderungen des Rechts.239 Diesen Widerspruch glaubt die Rechtsprechung bei der Selbsttötung darin zu erblicken, dass diese gegen das allgemein anerkannte Sittengesetz verstößt. Zur Erinnerung sei nochmals auf die in diesem Zusammenhang relevanten Entscheidungen des BGH verwiesen: „Da das Sittengesetz jeden Selbstmord – von äußersten Ausnahmefällen vielleicht abgesehen – streng missbilligt, da niemand selbstherrlich über sein eigenes Leben verfügen und sich in den Tod geben darf, kann das Recht nicht anerkennen, dass die Hilfspflicht des Dritten hinter dem sittlich missbilligten Willen des Selbstmörders zu seinem eigenen Tode zurückzustehen habe.“240 „Die Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung (. . .) als rechtswidrig (. . .), stellt die Selbsttötung und die Teilnahme hieran lediglich straflos.“241
Dieser Wertung des BGH kann nicht zugestimmt werden. Auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse ist die Charakterisierung des Suizides als 236
Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. Ähnl. LK-StGB/Jähnke, § 222 Rn. 21/Selbstgefährdung; vgl. auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 153. 238 Vgl. Kapitel C. I. S. 49 ff. 239 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 ff. Rn. 12. 240 BGHSt 6, 147 (153). 241 BGHSt 46, 279 (285). 237
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
rechtswidriges Verhalten nicht haltbar.242 Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung wurde herausgearbeitet, dass eine moralische Verurteilung der Selbsttötung in einer pluralistischen Gesellschaft wie der heutigen schwer vorstellbar ist.243 Darüber hinaus wurde ausführlich erörtert, dass das Sittengesetz sich nur zum Inhalt machen kann, was die Verfassung selbst schützen will.244 Da das GG die Achtung der Würde des Suizidenten und die Respektierung der Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung fordert, wäre es widersprüchlich, in der Selbsttötung zugleich einen Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung zu sehen.245 Für die Rechtmäßigkeit der Selbsttötung kann darüber hinaus wieder das fehlende Interpersonalverhältnis angeführt werden. Wenn der Suizident in seinem Rechtskreis verbleibt und nicht in die Rechte anderer eingreift, woran soll dann das Unwerturteil anknüpfen? Es existiert weder eine Rechtspflicht zur Selbsterhaltung, noch erleidet die Gesellschaft durch den Suizid einen strafrechtlich relevanten Schaden.246 Der Rechtsträger kann sich nicht in einen Widerspruch zur Rechtsordnung begeben, wenn er ein ihm zustehendes natürliches sowie über Art. 2 Abs. 1 GG garantiertes Recht ausübt und ihn allein die Konsequenzen sowie die Verantwortung für sein Handeln treffen. Dass der BGH noch immer an seiner Wertung festhält, wonach der Suizid gegen das Sittengesetz verstößt, lässt sich vermutlich auf den Konflikt zurückführen, mit dem sich schon die Juristen der Aufklärungszeit konfrontiert sahen: Die Selbsttötung muss im Ergebnis straffrei sein, aber eine generelle Legitimierung der Selbsttötung soll vermieden, moralische und gesellschaftliche Hürden sollen aufrechterhalten werden, um die Achtung des menschlichen Lebens als höchstes und wichtigstes Rechtsgut weiterhin zu bewahren.247 Dieser Widerstreit ist nachvollziehbar und auch in der verfassungsrechtlichen Diskussion von Relevanz, aber er kann nicht die Rechtswidrigkeit der Selbsttötung begründen. Im Konflikt zwischen der Achtung des menschlichen Lebens einerseits und der Respektierung des Selbstbestimmungsrechtes des Individuums an242
Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) aa) S. 95 ff. Vgl. hierzu u. a. Dölling, NJW 1986, 1011 (1014); ähnl. zur Frage der Gefahr für die öffentliche Ordnung Herzberg, JZ 1988, 182 (188); auch Neumann, JA 1987, 244 (253); für weitere Nachweise s. Kapitel E. I. 1. a) aa), Fußn. 43. 244 Vgl. Erbel, Das Sittengesetz, S. 261 f., 263 f., 356 f.; s. auch Kapitel E. I. 1. a) aa), Fußn. 48. 245 Ähnl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 54; s. Kapitel E. I. 1. a) aa), Fußn. 52. 246 S. Kapitel E. I. 1. a) aa) S. 98 f. 247 Vgl. Kubiciel, JZ 2009, 600 (601); vgl. Lind, Selbstmord in der Frühen Neuzeit, S. 139; ausf. im Rahmen der Debatte zur Beachtlichkeit des Willens eines Suizidpatienten Kühl JA 2009, 321 (324) m. w. Nachw. 243
II. Die dogmatische Umsetzung der nicht bestehenden Rechtsgutsverletzung
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derseits sehen einige Strafrechtler, darauf sei noch hingewiesen, die Lösung der Streitfrage um die Rechtswidrigkeit der Selbsttötung in der Lehre vom rechtsfreien Raum. Die Lehre vom rechtsfreien Raum umfasst u. a. Sachverhalte, die zwar rechtlich relevant und wertmäßig different sind, in denen die Rechtsordnung aber auf eine Wertung verzichtet, das entsprechende Verhalten also weder verbietet noch gebietet.248, 249 Neben dem rechtmäßigen und rechtswidrigen Verhalten wird eine zusätzliche Kategorie der unverbotenen Handlung eingeführt.250 Durch die Deklarierung der Selbsttötung als unverbotene Handlung soll es möglich sein, den Willen des Suizidenten in dieser höchstpersönlichen Daseinsfrage zu respektieren, ohne dabei rechtlich für legitim zu erklären, was moralisch verwerflich scheint.251 Das Ziel der Lehre vom rechtsfreien Raum ist es, wie Kaufmann am Beispiel der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs formuliert: „innerhalb des normativen Bereichs einen Bezirk auszusparen, der der eigenverantwortlichen, nicht durch Rechtsvorschriften gegängelten Entscheidung des Einzelnen überlassen bleibt, ohne aber dadurch die ethische Wertung zu tangieren“252.
Die Rechtsordnung „(. . .) soll sich vielmehr jeder Wertung enthalten, soll weder verbieten noch erlauben, sondern einen rechtsfreien Raum lassen, innerhalb dessen der einzelne zur freien sittlichen, allein vor dem eignen Gewissen zu verantwortenden Entscheidung aufgerufen ist, die das Recht zu respektieren hat, wie immer sie auch ausfällt.“253
Auch wenn diese Äußerungen dem bisherigen Tenor der Untersuchung ähneln, darf nicht vergessen werden, dass die Verfassung im Falle der Selbsttötung bereits eine Wertung vorgibt. Indem die Verfassung die freie Entscheidung zum Suizid als Element des Selbstbestimmungsrechts und zugleich Ausdruck der Autonomie des Individuums versteht, hat sie eine dem sonstigen Recht und damit auch Strafrecht zugrundeliegende Werteordnung geschaffen.254 Ein wertungsfreier Rechtsraum, wie ihn die Lehre vom 248 Ausf. Kaufmann, Arth., in: FS Maurach, S. 327 (336 f.); vgl. auch Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 16; vgl. ferner Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 49 ff., welche die Selbsttötung als rechtsfrei bezeichnet, allerdings die Bezeichnung vom Unverbotenen ablehnt (S. 51); ausf. zur Konzeption Kaufmanns s. Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 37 ff. 249 Ausf. zu den unterschiedlichen Ansätzen innerhalb der Lehre des rechtsfreien Raums Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 11 ff. 250 Vgl. dazu Gallas, JZ 1960, 649 (652 f.). 251 Vgl. Gallas, JZ 1960, 649 (654 f.). 252 Kaufmann, Arth., in: FS Maurach, S. 327 (332). 253 Kaufmann, Arth., in: FS Maurach, S. 327 (341). 254 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. S. 91 ff.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
rechtsfreien Raum schaffen will, liegt im Falle der Selbsttötung nicht vor, wenn man ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Selbsttötung anerkennt, das weder durch eine Selbsterhaltungspflicht noch einen paternalistischen Schutz vor sich selbst begrenzt wird.255 Der Respekt vor dem Willen des Suizidenten ist bereits Ausdruck einer wertneutralen Beurteilung der Selbsttötung,256 wie sie die Lehre vom rechtsfreien Raum fordert.257 Zu resümieren bleibt, dass die eigenverantwortliche Selbsttötung als im strafrechtlichen Sinne rechtmäßiges Verhalten zu charakterisieren ist.258 Gleiches gilt im Übrigen auch für die Selbstgefährdung. Eine solche kann zwar vernünftig oder unvernünftig, nicht aber rechtswidrig sein.
4. Zusammenfassung Im vorhergehenden Abschnitt der Arbeit wurde aufgezeigt, dass in Konstellationen der Selbsttötung und Selbstgefährdung das Rechtsprinzip der Eigenverantwortung, welches schon die verfassungsrechtliche Diskussion um die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen bestimmt, eine teleologische Reduktion der Tötungstatbestände indiziert. So entfällt die Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung aufgrund der Spezifizierung von Tatobjekt und Tathandlung, wonach § 212 StGB die Tötung eines anderen Menschen fordert.259 Und auch § 222 StGB dient nicht dem Zweck, lebensgefährliche 255
Ähnl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 37 ff.; ähnl. zum indizierten Schwangerschaftsabbruch als rechtsfreier Raum Hirsch, H. J., in: FS Bockelmann, S. 89 (99 f.); ähnl. auch Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 97 f., 103; ähnl. Wolter, NStZ 1993, 1 (8). 256 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 225 f.; zur Respektierung von unvernünftigen Entscheidungen des Rechtsgutsträgers in Konstellationen der Selbstgefährdung vgl. ferner Kapitel E. I. 2. a), Fußn. 203. 257 Vgl. zur grundsätzlichen Kritik an der Lehre vom rechtsfreien Raum Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 26 ff.; ausf. Hirsch, H. J., in: FS Bockelmann, S. 89 (92 ff.); vgl. auch Sax, JZ 1975, 137 (145 f.). 258 Vgl. Eser, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 392 (399); vgl. auch NK-StGB/ Neumann, Vor § 211 Rn. 40; Neumann, JA 1987, 244 (252 f.); vgl. ferner Schroth, GA 2006, 549 (566); vgl. SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 9; differenzierend Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 58 sowie Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 20 f. 259 Im Rahmen der Körperverletzungsdelikte nach §§ 223 ff. StGB ergibt sich im Unterschied zu §§ 211 ff. StGB bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, dass die körperliche Misshandlung und/oder Gesundheitsschädigung sich gegen eine andere Person richten muss. Hiervon macht der Gesetzgeber allerdings eine Ausnahme: Nach § 109 StGB, § 17 WStG ist die Selbstverstümmelung, ob nun vom Rechtsgutsträger oder einem Dritten durchgeführt und unabhängig davon, ob gelungen oder im Versuch stecken geblieben, strafbar, wenn sich der Betroffene mit der Verstümmelung dem Wehrdienst zu entziehen versucht. Vgl. statt vieler Müller, in:
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 187
Selbstgefährdungen zu unterbinden, so dass weder der Schutzzweck der Norm noch eine Sorgfaltspflichtverletzung von Seiten des sich Gefährdenden erfüllt sind.
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten auf der Ebene des Straftatbestandes Die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden verdrängt die Mitverantwortung des Dritten bereits auf vorrechtlicher Ebene, indem sie eine Zuständigkeit des Dritten für das Wohl des Rechtsträgers nicht entstehen lässt.260 Verfassungsrechtlich ließe sich die so begründete fehlende Verantwortung des Dritten damit erklären, dass die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden die prospektive Zuständigkeitsverantwortung des Staates verdrängt.261 Der Staat kann keine Norm schaffen, die eine Zuständigkeit des Dritten für den Rechtsträger im prospektiven Sinne konstatiert und an deren Missachtung eine Strafbarkeit anknüpft. Das Eigenverantwortungsprinzip verbietet derartige Bevormundungen. Für das Strafrecht wurde hieraus bereits geschlussfolgert, dass der Dritte durch seine Mitwirkungshandlung kein strafrechtliches Unrecht begründet.262 Es wurde herausgestellt, dass der Dritte durch sein Mitwirken durchaus in den Rechtskreis des Rechtsgutsträgers eingreift, aber der Staat weder verpflichtet noch berechtigt ist, das Leben des Suizidenten oder sich Gefährdenden zu schützen, weil der Suizident nicht an seinem Leben festhalten und der sich Gefährdende sein Leben bewusst aufs Spiel setzen will. Die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers verhindert folglich, dass der Dritte durch den Staat zum Vormund ernannt und für den Suizid bzw. die Selbstgefährdung strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden kann. Wie sich diese Erkenntnisse auf der dogmatischen Ebene des Straftatbestandes darstellen, wird in den nachstehenden Ausführungen eingehender untersucht. Ziel ist es, eine Begründung zur Straffreiheit der Mitwirkung an einer Selbsttötung und Selbstgefährdung zu erarbeiten, die proto(straf)rechtlich und verfassungsrechtlich fundiert ist. Damit soll der Übergang von der formalen Argumentationsstruktur des BGH zu einer materiellen Betrachtung des Problembereiches gelingen. Zudem gilt es aufzuzeigen, dass es weder MünchKomm-StGB, Bd. III, 2. Aufl., § 109 Rn. 1 ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, § 109 Rn. 1 ff.; vgl. auch Fußn. 126. 260 Vgl. Kapitel D. III. S. 86. 261 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 262 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung noch zur Feststellung der Straffreiheit der Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung eines argumentum a maiore ad minus bedarf.263
1. Die vorsätzliche Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung a) Die Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme am fremden Suizid Verwirklicht derjenige, der dem Suizidenten bei seinem Vorhaben beratend oder sonst Hilfe leistend zur Seite steht, Teilnahmeunrecht nach §§ 26, 27 StGB? Ausgehend davon, dass der Unwert der Teilnahme sich aus dem Unwert einer Haupttat ableitet (sogenannte akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie),264 wurde dies bereits verneint.265 Der Teilnehmende kann kein strafrechtlich relevantes Unrecht bewirken, weil bereits der Suizident durch sein Verhalten kein Unrecht schafft, an dem der Mitwirkende partizipieren könnte. aa) Die Schlüssigkeit des Teilnahmearguments Diesem Theorem entspricht auf der Ebene des Straftatbestandes die Voraussetzung der limitierten Akzessorietät der Teilnahme.266 Sie fordert für die Tatbestandsmäßigkeit und damit Strafbarkeit der Anstiftung oder Beihilfe das Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat eines anderen.267 Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt eine solche rechtwidrige Tat nur vor, wenn der andere durch sein Agieren den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, d.h. der Täter strafrechtswidrig und vor allem tatbestandsmäßig handelt.268 In den Sachverhaltskonstellationen, in denen die Frage der Strafbarkeit des vorsätzlich an einer Selbst263 Vgl. hierzu die Kritik an der Rechtsprechung in Kapitel C. II. S. 50 ff. sowie Kapitel C. IV. S. 72 ff. 264 Vgl. Bockelmann, Sonderheft zu ZStW 1957, 46 (49 f.); ferner Frister, Strafrecht AT, Kap. 25 Rn. 28 m. w. Nachw.; vgl. Kienapfel, JuS 1974, 1 (4); ders., Der Einheitstäter im Strafrecht, S. 27 f.; für weitere Nachw. s. Fußn. 62. 265 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff. 266 Zur Entwicklung der limitierten Akzessorietät im StGB vgl. Herzberg, ZStW 99 (1987), 49 (64 f.). 267 Vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 31 f.; vgl. auch Kühl, JA 2009, 321 (324). 268 Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 11Rn. 38 f.; Kühl, StGB, § 11 Rn. 18; Radtke, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 11 Rn. 107; NK-StGB/Saliger, § 11 Rn. 54 f.
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 189
tötung Teilnehmenden diskutiert wird, müsste die Selbsttötung des Rechtsgutsträgers diese Anforderungen erfüllen. Wie ausführlich erörtert, begründet eine eigenverantwortliche Selbsttötung aber kein strafrechtlich relevantes Unrecht.269 Das suizidale Verhalten des Rechtsgutsträgers ist nicht vom Tatbestand des § 212 StGB erfasst, weil das Eigenverantwortungsprinzip und der verfassungsrechtliche Vorrang des Selbstbestimmungsrechts eine teleologische Beschränkung der Tötungshandlung und des Tatobjektes erfordern.270 Damit fehlt es an der notwendigen Strafbarkeitsvoraussetzung der vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat, so dass die vorsätzliche Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung straffrei ist.271 Wie die Analyse in Kapitel B. gezeigt hat, gelangt die Rechtsprechung unter Berufung auf die limitierte Akzessorietät der Teilnahme ebenfalls zu einer Straffreiheit des vorsätzlich Mitwirkenden.272 Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang aber bereits, dass es dem sogenannten Teilnahmeargument an einem Bezug zu den protostrafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Indikatoren der strafrechtlichen Wertung fehlt.273 Diesen materiellen Bezug, den die formelle Argumentationslinie des BGH vermissen lässt, hat die vorliegende Untersuchung erbracht. Den Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und der Mitverantwortung des Dritten löst das Prinzip der Eigenverantwortung. Nach dem Leitgedanken dieses Rechtsprinzips begrenzt die Eigenverantwortung die rechtliche Verantwortungszuschreibung.274 Für den Rechtsträger bedeutet dies, dass er für die Konsequenzen seines riskanten Handelns selbst einzustehen hat.275 Die rechtliche Mitverantwortung anderer Personen wird von der Eigenverantwortung verdrängt. Dieses Leitprinzip bietet dem Rechtsträger auf grundrechtlicher Ebene Schutz vor einer Entwertung seines Selbstbestimmungsrechtes, indem es die unmittelbare Bevormundung in Form des Schutzes vor sich selbst sowie die mittelbare Bevormundung in Form einer Strafbarkeit des Mitwirkenden verbietet.276 Wenn 269
Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 149 ff. Ausf. hierzu Kapitel F. II. 2. a) aa) S. 163 ff. 271 Statt vieler Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 326 ff.; Kühl, JA 2009, 321 (324); Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 13 jeweils m. w. Nachw. 272 Vgl. z. B. BGHSt 2, 150 (152); 6, 147 (154); 13, 162 (167); 19, 135 (137); 24, 342 (343 f.); 32, 262 (263 f.); s. auch Kapitel B. I. 2. a) S. 26 ff. 273 Vgl. Kapitel C. I. S. 49 f. 274 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115. 275 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80 f. sowie D. III. S. 86. 276 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 270
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
der Einzelne von seinem Recht auf Selbsttötung Gebrauch macht, ist diese höchstpersönliche Lebensentscheidung zu respektieren.277 Für die Handlungsfreiheit des Dritten bringt das die Konsequenz mit sich, dass eine Pönalisierung der Mitwirkungshandlung am Suizid ein unverhältnismäßiger Eingriff wäre.278 Infolgedessen verbietet es sich im Strafrecht, dem Mitwirkenden, auch wenn er vorsätzlich agiert, die Verantwortung für die eigenverantwortliche Selbsttötung zuzuschreiben. Dieser Bezug zum Eigenverantwortungsprinzip und dessen Verankerung im Grundrecht der individuellen Selbstbestimmung zeigen im Übrigen auf, dass im Rahmen der limitierten Akzessorietät der Teilnahme nicht nur die Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung, sondern auch das Rechtswidrigkeitserfordernis des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu verneinen ist. Wie bereits herausgestellt wurde, kann die Selbsttötung nicht als Verstoß gegen das Sittengesetz und damit einhergehend auch nicht als rechtswidrige Handlung im Sinne des Strafrechts gewertet werden. Die Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung garantiert jedem Individuum ein Recht auf Selbsttötung und schützt vor einer kollektivistisch begründeten Selbsterhaltungspflicht, so dass es widersprüchlich wäre, in der Ausübung des Rechts zum Suizid zugleich einen Widerspruch zur Rechtsordnung zu erblicken.279 bb) Abweichende Ansichten Die vorstehende Begründung der Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung ist nicht frei von Kritik. So wendet sich bspw. Neumann gegen die hier präferierte Argumentation. Seiner Ansicht nach ist die Mitwirkung des Dritten nicht als Teilnahmehandlung im Sinne der §§ 26, 27 StGB zu qualifizieren, sondern vielmehr als eine Teilnahmehandlung im vorrechtlichen Sinne.280 Wenn die Teilnahme ein vertyptes Unrecht im vorrechtlichen Sinne ist, erfordert sie nach Neumann begriffslogisch eine Haupttat.281 Da die Selbsttötung aber auch 277
Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. auch Hufen, NJW 2001, 849
(851). 278 Vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156 f.; s. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 112. 279 Ausf. zur Selbsttötung im Kontext des Sittengesetzes Kapitel E. I. 1. a) aa) S. 95 ff. sowie zur Selbsttötung im Kontext der Rechtswidrigkeit Kapitel F. II. 3. S. 183 ff. 280 Neumann, JA 1987, 244 (246 f.); vgl. NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 44 m. w. Anm.; vgl. ferner Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (307); vgl. Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 222 f. m. w. Anm.; zust. auch Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 11. 281 Neumann, JA 1987, 244 (247).
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 191
im vorrechtlichen Sinne kein Unrecht begründen könne und somit keine Haupttat wäre, ist die Teilnahme am Suizid schon auf vorstrafrechtlicher Ebene als straffrei zu werten.282 Neumann stützt seine Argumentation auf die Annahme, dass die Rechtsprechung nicht vordergründig bemüht sei, die Verurteilung eines Mitwirkenden zu vermeiden, sondern dass sie vielmehr eine Stärkung der generellen Straflosigkeit der Suizidteilnahme im vorrechtlichen Sinne bezwecke.283 Infolgedessen erachtet es Neumann in den Konstellationen der vorsätzlichen Suizidteilnahme für erforderlich, eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche nach normativen Gesichtspunkten vorzunehmen284, die den strafrechtlichen Überlegungen möglichen tatbestandsmäßigen Verhaltens vorgelagert sind. Der Anwendungsbereich der gesetzlichen Beteiligungsregeln ist hiernach gar nicht erst eröffnet.285 Als Maßstab der normativen Abgrenzung auf der vorrechtlichen Ebene soll das Eigenverantwortlichkeitsprinzip dienen.286 Eine derartige Verlagerung der Begründung der Straffreiheit der Suizidteilnahme auf eine vortatbestandliche bzw. vorstrafrechtliche Ebene ist abzulehnen.287 Der vorsätzlich mitwirkende Dritte erfüllt mit seinem Verhalten tatsächlich mehrere Voraussetzungen der §§ 26, 27 StGB, so dass es nicht überzeugend ist, die Mitwirkungshandlung aus dem Anwendungsbereich der gesetzlich geregelten Teilnahmenormen herauszunehmen.288 Darüber hinaus scheint Neumann außer Acht zu lassen, dass das Eigenverantwortungsprinzip nicht auf einer den Normen vorgelagerten Ebene wirkt. Die Untersuchung in Kapitel D. hat gezeigt, dass das Eigenverantwortungsprinzip ein allgemeines Prinzip des geltenden Rechts ist.289 Als solches formuliert es einen Leitgedanken hinsichtlich der Verantwortungszuschreibungen, nämlich den, dass die Eigenverantwortung vor fremder Bevormundung schützt und zugleich die Mitverantwortung anderer verdrängt.290 Diese Leitidee gilt es innerhalb der Bestimmung grundrechtlicher Verantwortungsbereiche ebenso zu beachten wie bei der Zuschreibung strafrechtlicher Ver282
Neumann, JA 1987, 244 (247). Vgl. Neumann, JA 1987, 244 (246). 284 Vgl. Neumann, JA 1987, 244 (248 f.). 285 Vgl. Neumann, JA 1987, 244 (247); vgl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (307). 286 Vgl. Neumann, JA 1987, 244 (246 f., 248 f.); ähnl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (306, 308 ff.); vgl. auch Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 223 f. 287 Vgl. Kühl, JA 2009, 321 (324); krit. auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 34 f. 288 Herzberg, NStZ 1989, 559 (560). 289 S. Kapitel D. III. S. 84 ff. 290 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80 sowie D. III. S. 86. 283
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
antwortung. Das Prinzip der Eigenverantwortung ist ein richtungsgebender Maßstab, ein allgemeiner Rechtsgedanke.291 Als solcher dient er, wie bereits erörtert, als objektiv teleologisches Kriterium der Rechtsauslegung.292 D.h., das Eigenverantwortungsprinzip entfaltet seine Wirkung in den hier relevanten Konstellationen der Suizidmitwirkung erst auf der Straftatbestandsebene, nämlich bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall der Tatbestand der Strafnorm verwirklicht ist. Neben Neumann kritisiert insbesondere Schilling das Teilnahmeargument. Seiner Meinung nach müsste man sich gänzlich vom Teilnahmeargument verabschieden, weil jede Mitwirkung an einer Selbsttötung als täterschaftliche Verursachung des Todes des Rechtsgutsträgers im Sinne einer mittelbaren Täterschaft zu qualifizieren sei.293 Aus dem Umstand, dass der Rechtsgutsträger tatbestandlos agiert, leitet Schilling ab, dass dem Dritten Tatherrschaft zukäme. Hiernach wäre jede Suizidmitwirkung zugleich eine täterschaftliche Verkürzung fremden Lebens und der Rechtsgutsträger wäre letztlich das Werkzeug seiner eigenen Tötung.294 Zu einer Straffreiheit für den an einer fremden Selbsttötung mitwirkenden Täter käme man demzufolge nur noch, wenn die Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung vorlägen und dem steht § 216 StGB entgegen.295 Auch die Ausführungen Schillings können nicht überzeugen.296 Eine Handlung, die im rechtlichen Sinne nur den Anforderungen einer Teilnahme entspricht, kann nicht unter Verweis auf die Mitverursachung eines fremden Suizides zur Täterschaft aufgewertet werden.297 Eine so konstruierte Täterschaft übergeht das Eigenverantwortungsprinzip als ein dem Recht immanentes Grundprinzip.298 Wenn der Suizident eigenverantwortlich agiert, verdrängt die mit der individuellen Selbstbestimmungsfreiheit korrespondierende Eigenverantwortung die Mitverantwortung des Dritten.299 Inso291 Ausf. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 458; ders., in: FS Nikisch, S. 275 (300); s. auch Kapitel D. III. S. 84 ff., insb. Fußn. 53. 292 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 241. 293 Schilling, JZ 1979, 159 (163 ff., 166). 294 Schilling, JZ 1979, 159 (163 ff., 166 f.). 295 Schilling, JZ 1979, 159 (167); a. A. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 329; a. A. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 330, der darauf verweist, dass die Suizidmitwirkung kein Problem der Einwilligung sei, sondern entscheidend ist, dass das Verhalten des Dritten, d.h. die Eröffnung der Möglichkeit zum Suizid, rechtlich erlaubt ist. 296 Vgl. Bockelmann, ZStW 66 (1954), 111 (115 ff.); ausf. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 329 ff.; ders., GA 1983, 22 (27 ff.); Herzberg, JA 1985, 131 (134); vgl. Müller, Th., Die Lehre vom rechtsfreien Raum, S. 123. 297 Ähnl. Herzberg, JA 1985, 131 (134). 298 Ähnl. Herzberg, JA 1985, 131 (134); ausf. hierzu Kapitel D. III. S. 84 ff.
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 193
fern ist es auch nicht überzeugend, wenn Schilling dem Suizidenten, der freiwillig und gezielt aus dem Leben treten will, unvorsätzliches Handeln bescheinigt, ihm also einen Defektzustand unterstellt, um so eine Werkzeugqualität im Sinne der mittelbaren Täterschaft zu konstruieren.300 Eine solche Wertung würde die Selbstbestimmungsfreiheit und die Eigenverantwortung des Suizidenten missachten. Darüber hinaus berücksichtigt Schilling nicht, dass die bloß mittelbare Verursachung eines Erfolges zur Begründung der Tatherrschaft und damit Täterschaft nicht ausreicht.301 Roxin weist zutreffend daraufhin, dass eine solche Reduzierung der Täterschaft auf die schlichte Erfolgsverursachung die Anerkennung des Einheitstäterbegriffs im Vorsatzbereich bedingen würde, was dem durch die §§ 25 ff. StGB festgelegten restriktiven Täterbegriff mit seinem Beteiligungssystem zuwiderliefe.302 Neben Schilling und Neumann sei der Vollständigkeit halber an dieser Stelle (nochmals) auf die Theorien von Schmidhäuser und Bringewat hingewiesen. Beide fordern auf der Grundlage ihrer Bewertung der Selbsttötung die Strafbarkeit der Suizidteilnahme. Die Theorie von Schmidhäuser beruht auf der Annahme, dass der Unwertsachverhalt und der Unrechtsgehalt bei einer Selbsttötung der Gleiche sei wie bei einer Fremdtötung.303 Hieraus schlussfolgert er, dass der Suizid eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat sei, die nur aufgrund eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes nicht zu bestrafen ist.304 Diesen Gedanken weitergeführt, ist die Voraussetzung der limitierten Akzessorietät erfüllt, d.h., die Selbsttötung ist eine teilnahmefähige Haupttat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, so dass eine Strafbarkeit des Dritten wegen vorsätzlicher Teilnahme am Suizid nach §§ 26, 27 StGB vorliegt.305 299
Vgl. Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. Allenfalls kann man von einem unvorsätzlichen Verhalten im ganz strikt verstandenen deliktssystematischen Sinne sprechen. So zutreffend Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 336; ders., GA 1983, 22 (28); vgl. auch Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 154 f.; auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 32 f. Fußn. 44; vgl. Dölling, GA 1984, 71 (76 f.); vgl. ferner Herzberg, JA 1985, 131 (134); vgl. auch Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (307); krit. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 329. 301 Ausf. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 334 ff.; ders., GA 1983, 22 (28); krit. zu diesem Gegenargument Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 329 m. w. Anm. 302 Roxin, NStZ 1984, 70 (71); vgl. auch Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 40; zum restriktiven Täterbegriff im Bereich der Vorsatzdelikte in Abgrenzung zum Einheitstäter der Fahrlässigkeitsdelikte vgl. Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 303 Vgl. Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (813). 304 Ausf. dazu Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (813 ff.). 305 Dazu Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (819 f.). 300
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Bereits im Rahmen der Untersuchung der fehlenden Tatbestandsmäßigkeit des Suizides wurde festgestellt, dass derjenige, der eine Tötung auf Verlangen des Rechtsgutsträgers vornimmt, anders als der Suizident in einen anderen Rechtsbereich eingreift.306 Dies bewirkt in verfassungsrechtlicher Hinsicht, dass die Selbsttötung als Ausformung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen nach Art. 2 Abs. 1 GG zu respektieren ist, aber die Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB eine zulässige Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit darstellt.307 Zwischen einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und einer Tötung auf Verlangen besteht ein strafbegründungsbedeutsamer Unwertsprung.308 Wenn in diesem Sinne Schmidhäusers Konstrukt eines speziellen Entschuldigungsgrundes für den Suizid zu verwerfen ist, ist auch seine Begründung zur Strafbarkeit der Teilnahme an einer fremden Selbsttötung nicht haltbar. Gleiches gilt für die Ansicht von Bringewat. Er charakterisiert die Selbsttötung grundsätzlich als tatbestandsmäßig und gelangt über einen gewohnheitsrechtlichen Strafausschließungsgrund, der zugunsten des Suizidenten greifen würde, zur Straffreiheit. Zur Begründung der Strafbarkeit der Teilnehmer bedient er sich dann § 28 StGB. Nach Bringewat macht sich der vorsätzlich an einer Selbsttötung Mitwirkende gem. §§ 212, 28 Abs. 2 StGB strafbar, weil er nicht die erforderliche Opferqualität aufweise.309 Neben der bereits erörterten konzeptionellen Kritik an der Ansicht Bringewats310 unterliegt dieser in der Begründung der Teilnehmerstrafbarkeit einem Normenmissverständnis. Bringewat versucht die Strafbarkeitsvoraussetzung der Akzessorietät der Teilnahme zu umgehen, indem er auf § 28 Abs. 2 StGB zurückgreift.311 Der Fehlschluss Bringewats besteht darin, dass auch ein gewohnheitsrechtlicher Tatbestandsausschluss, wie er ihn fordert, zu einer Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit der Selbsttötung nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB führen würde, so dass letztlich keine teilnahmefähige Haupttat vorliegt, an die eine Strafbarkeit nach §§ 26 oder 27 StGB anknüpfen könnte.312 Bringewat verwendet § 28 Abs. 2 StGB, ähnlich wie 306
S. Kapitel F. II. 2. a) bb) S. 166 ff. Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 308 Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 18; ders., GA 1983, 22 (26); für weitere Nachweise s. Fußn. 139. 309 Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (644 ff., insb. 646 ff.); vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 17; vgl. Herzberg, JA 1985, 131 (133); ferner Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (306). 310 S. Kapitel F. II. 2. a) bb) S. 168 f. 311 Vgl. hierzu Herzberg, JA 1985, 131 (133); vgl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (306); vgl. auch Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 38 f. 312 Ausf. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (343). 307
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 195
§ 28 Abs. 1, als strafbegründende Norm, was zum einen die Regelung selbst überfordert313 und zum anderen gegen den Grundsatz nullum crimen sine lege nach § 1 StGB i. V. m. Art. 103 II GG verstößt314. cc) Zusammenfassung Zu konstatieren bleibt, dass die vorsätzliche Mitwirkung am Suizid als straffreies Verhalten zu qualifizieren ist. Diese Wertung wird durch das Eigenverantwortungsprinzip und durch den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten im verfassungsrechtlichen Kontext des Konflikts zwischen der Eigenverantwortung und der Mitverantwortung indiziert. Diese proto(straf)rechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben wiederum erfahren ihre dogmatische Umsetzung auf der Ebene des Straftatbestandes in der limitierten Akzessorietät der §§ 26, 27 StGB, deren Voraussetzung einer teilnahmefähigen Haupttat in Konstellationen der vorsätzliche Mitwirkung am fremden Suizid nicht erfüllt ist. b) Die Straffreiheit der Teilnahme an einer Selbstgefährdung Nachdem die Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme am fremden Suizid dogmatisch und insbesondere proto(straf)rechtlich nachgewiesen wurde, bleibt zu klären, welche Begründung der – im Ergebnis unbestrittenen – Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zugrunde liegt. In ständiger Rechtsprechung wird im Hinblick auf die Straffreiheit der Teilnahme an einer fremden Selbstgefährdung damit agumentiert, dass die Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung auch straffrei sei.315 Der Rückgriff von der Wertung der vorsätzlichen Suizidteilnahme auf die vorsätzliche Teilnahme an einer Selbstgefährdung basiert auf einem Erst-RechtSchluss, den die Rechtsprechung daran anknüpft, dass die Selbstgefährdung gegenüber der Selbsttötung ein Minus darstellt.316 Wie in Kapitel C. allerdings verdeutlicht, berücksichtigt die Rechtsprechung nicht, dass sich die Konstellationen der Selbstgefährdung und Selbsttötung außer in der Abstufung Gefahr/Verletzung auch hinsichtlich des Erfolgsverwirklichungswillens des Rechtsgutsträgers unterscheiden. Im Gegensatz zum Suizidenten geht 313 Ausf. Herzberg, JA 1985, 131 (133 f.); ähnl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (306). 314 Vgl. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (343). 315 Statt vieler BGHSt 32, 262 (263 ff.); s. hierzu Kapitel B. II. 2. S. 35 ff. sowie Kapitel B. II. 3. S. 38 ff. 316 Puppe, GA 2009, 486 (489 f.); ferner Lasson, ZJS 2009, 359 (360).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
der sich Gefährdende zwar bewusst ein Risiko ein, er will aber nicht, dass sein Tod tatsächlich eintritt.317 An dieser divergenten Willenskomponente scheitert in letzter Konsequenz die Anwendung des Erst-Recht-Schlusses, so dass der hierauf basierende Wertungsrückgriff von der Straffreiheit der Selbsttötung und der vorsätzlichen Suizidteilnahme auf die Straffreiheit der Selbstgefährdung und der vorsätzlichen Selbstgefährdungsteilnahme unzulässig ist.318 Wie lässt sich nun aber die Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme an einer Selbstgefährdung begründen? Die Antwort hierauf liefert das Prinzip der Eigenverantwortung. Nach diesem verdrängt die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden jede Form der Mitverantwortung.319 Im Rahmen des grundrechtlichen Konflikts zwischen dem staatlichen Schutzauftrag für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und dem Selbstbestimmungsrecht des sich Gefährdenden aus Art. 2 Abs. 1 GG bewirkt dieser Leitgedanke der Eigenverantwortung, dass der Staat weder zum Schutz des sich Gefährdenen vor sich selbst in direkt paternalistischer Form noch zur Aufstellung eines Mitwirkungsverbots des Dritten im Sinne eines indirekten Paternalismus legitimiert ist.320 Beide Formen der Bevormundung kämen einer Negation des Rechts zur Selbstgefährdung als Ausfluss der allgemeinen Selbstbestimmungsfreiheit gleich.321 Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers lässt die Zuständigkeitsverantwortung des Staates im prospektiven Sinne nicht entstehen. Überträgt man jene Erkenntnisse in das Strafrecht, führt dies zu dem Schluss, dass der Rechtsträger durch seine riskante Handlung kein Unrecht schafft. Wenn der Unwert der Teilnahme sich aber aus dem Unwert der Haupttat ableitet (sogenannte akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie)322 und die Selbstgefährdung kein Unrecht begründet, existiert kein Unrecht, an dem der Teilnehmende partizipieren kann.323 Übersetzt auf die Ebene des Straftatbestandes, findet man sich bei den Voraussetzungen der 317 Vgl. statt vieler Fischer, K., Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes, S. 22; vgl. Herzberg, JA 1985, 265 (270); ferner Puppe, ZIS 2007, 247 (249); NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 183 f.; vgl. auch Schaffstein, in: FS Welzel, S. 557 (565, 571); ausf. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 33 ff.; ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. 318 Ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. und Kapitel C. IV. 1. S. 73 ff., hier insb. Fußn. 125. 319 Vgl. hierzu Kapitel D. I S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. 320 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 321 Vgl. Wilms/Jäger, ZRP 1988, 41 (43). 322 S. Fußn. 62. 323 Vgl. Herzberg, ZStW 99 (1987), 49 (65, 68 f.); ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff.
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limitierten Akzessorietät nach §§ 26, 27 StGB wieder. Diese fordert eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Eine solche verkörpert die Selbstgefährdung nicht, weil sie zum einen ihrem Charakter nach eine Art fahrlässige Selbsttötung des Rechtsgutsträgers und somit bereits keine vorsätzliche Haupttat ist.324 Zum anderen hat die vorangegangene Untersuchung aufgezeigt, dass die Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbestand des § 222 StGB erfüllt und auch nicht als rechtswidriges Verhalten zu qualifizieren ist.325 Im Ergebnis bleibt die vorsätzliche Teilnahme an der Selbstgefährdung straffrei und das aus dem selben Grund wie die Teilnahme am Suizid.326 Es ist die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden, welche die Mitverantwortung des Teilnehmenden verdrängt. Auf rechtsdogmatischer Ebene lässt das Eigenverantwortungsprinzip die Legitimation des Staates in Form einer Zuständigkeitsverantwortung für den sich Gefährdenden nicht entstehen, so dass dem Staat zugleich die Berechtigung fehlt, den Dritten für das selbstgefährdende Verhalten des Rechtsträgers strafrechtlich in die Verantwortung zu nehmen. Diese aus der Wechselwirkung der Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung und der Eigenverantwortung resultierende Ähnlichkeit der Argumentationsstruktur zur Straffreiheit der Teilnahme an einer Selbsttötung ist es wohl auch, welche die Rechtsprechung zu einem, wie voranstehend aufgezeigt, weder notwendigen noch zulässigen Erst-Recht-Schluss verleitet.327
324 Vgl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 21; ferner Kindhäuser, LPKStGB, Vor §§ 25–31 Rn. 46. 325 Diese Schlussfolgerung greift im Übrigen auch für die Ausnahmekonstellationen, in denen der sich Gefährdende den Erfolg im Sinne eines dolus eventualis billigend in Kauf nimmt. Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel B. II. S. 31 und Kapitel F. II. 2. b) S. 181. 326 Im Zusammenhang mit der Frage der Strafbarkeit der Teilnahme an einer Selbstgefährdung sei noch darauf hingewiesen, dass eine vorsätzliche Mitwirkung nach §§ 26, 27 StGB voraussetzt, dass der Dritte den Erfolgseintritt beim sich Gefährdenden zumindest im Sinne des dolus eventualis billigend in Kauf nimmt (bspw. vergleichbar den Sachverhalten, in denen dem Opfer ein Denkzettel erteilt werden soll). Hierfür bedarf es aber konkreter Anhaltspunkte im Sachverhalt. Fehlen diese, wovon in der Mehrzahl der Konstellationen auszugehen ist, liegt ein bewusstes Handeln im Sinne der bewussten Fahrlässigkeit vor. Agiert der Dritte tatsächlich vorsätzlich, ist im Übrigen auf die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft besonderes Augenmerk zu legen. Es ist dann genau zu prüfen, ob auf Seiten des Dritten ein überlegenes Wissen über das gefährliche Geschehen vorhanden war und der Rechtsgutsträger zum Werkzeug seiner eigenen Selbstgefährdung gemacht wurde. Ausf. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 71 ff. 327 Ähnl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 392; vgl. auch Kapitel C. IV. 2. S. 75.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
2. Die fahrlässige Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung In den vorangegangenen Abschnitten dieses Kapitels wurde dargelegt, dass das Eigenverantwortungsprinzip im Rahmen der Frage nach einer möglichen Strafbarkeit der Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung nicht nur eine teleologische Reduktion der Tötungstatbestände indiziert, sondern gleichermaßen die Straffreiheit des vorsätzlich am Geschehen Beteiligten bewirkt. Neben der vorsätzlichen Teilnahme an einem Suizid oder einer Selbstgefährdung gibt es darüber hinaus zahlreiche Konstellationen, in denen der Dritte die Suizidabsicht des Rechtsgutsträgers nicht erkennt, wie bspw. im „Polizeipistolen-Fall“328 geschehen, oder dem Gefährdenden überhaupt erst die Möglichkeit zur lebensgefährlichen Unternehmung verschafft, wie man es bspw. dem Kontrahenten im „Motorradwettfahrt-Fall“329 zum Vorwurf machen kann.330 Nach den Erkenntnissen der bisherigen Untersuchung ist es nur folgerichtig, dass die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden bzw. Suizidenten auch die Mitverantwortung eines fahrlässig Mitwirkenden im strafrechtlichen Sinne verdrängt. Welche Wirkung das Eigenverantwortungsprinzip in derartigen Sachverhalten auf der Straftatbestandsebene des § 222 StGB entfaltet, soll nachstehend betrachtet werden. a) Die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung In der Rechtsprechungsanalyse wurde aufgezeigt, dass die fahrlässige Mitwirkung an einem fremden Suizid nach der ständigen Rechtsprechung straffrei ist. Argumentiert wird mit einem Erst-Recht-Schluss, wonach das durch fahrlässiges Verhalten bewirkte Unrecht nicht so schwer wiegt wie das durch vorsätzliches Handeln realisierte, so dass die fahrlässige Suizidmitwirkung straffrei sein muss, wenn es die vorsätzliche Suizidteilnahme auch ist.331 Bereits in Kapitel C. wurde aber herausgestellt, dass diese Argumentation zur Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung am Suizid zu verwerfen ist. Auch wenn man ein normatives Stufenverhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit anerkennt332, liegen die Voraussetzungen für einen Rückgriff auf ein argumentum a maiore nicht vor. Diese entscheidende Er328
BGHSt 24, 342. BGHSt 7, 112. 330 Ähnl. LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 30. 331 Statt vieler BGHSt 24, 342 (343 f.); ausf. hierzu Kapitel B. I. 2. b) S. 28 ff. 332 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel C. III. 2. a) aa) S. 59 ff. 329
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 199
kenntnis beruht darauf, dass im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte der Einheitstäterbegriff gilt, so dass, anders als bei der vorsätzlichen Mitwirkung, wo es um die Frage einer möglichen Teilnehmerstrafbarkeit nach §§ 26, 27 StGB geht, beim fahrlässigen Mitwirken von vornherein eine Fahrlässigkeitstäterschaft im Sinne des § 222 StGB zu diskutieren ist.333 Diese Verschiedenheit steht einem Wertungsrückgriff auf die vorsätzliche Suizidteilnahme, deren Straffreiheit an die fehlende Akzessorietät zur Haupttat anknüpft, entgegen.334 Für die auch hier präferierte Straffreiheit des fahrlässig an einer fremden Selbsttötung Mitwirkenden kann folglich kein Rückgriff auf die Wertung aus dem Vorsatzbereich, sondern allein der Umstand entscheidend sein, ob der Dritte den Tatbestand des § 222 StGB verwirklicht. Hat er eine für ihn verbindliche Sorgfaltspflicht missachtet, indem er einen eigenverantwortlichen Suizid hervorgerufen oder ermöglicht hat? Sorgfaltswidrig im Sinne des § 222 StGB handelt, wer bei objektiver Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und dadurch den Tod eines anderen Menschen verursacht hat.335 Der Inhalt und die Reichweite einer solchen Sorgfaltsnorm lassen sich im Rahmen einer wertenden Betrachtung336 danach bestimmen, wie sich ein besonnener und gewissenhafter Angehöriger des betreffenden Verkehrskreises in der konkreten Situation verhalten hätte.337 Versucht man eine dem Dritten obliegende Sorgfaltsanforderung für die Konstellationen der Mitwirkung am Suizid einmal zu formulieren, könnte diese lauten: „Du darfst einem anderen nicht die Möglichkeit zur Selbsttötung geben!“ oder aber „Du darfst den Suizid eines anderen weder hervorrufen noch veranlassen oder fördern!“. Eine solche Pflicht würde es dem Dritten auferlegen, die Schaffung jeder Möglichkeit zu vermeiden, die der lebensmüde Rechtsgutsträger zum Suizid ausnutzen könnte.338 Wären eine Sorgfaltspflicht dieses Inhalts und die hiermit einhergehende teleologische Auslegung des Tatbestandes im Sinne des 333 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. sowie Kapitel F. I. 2. b) S. 155 f. 334 Ebda. 335 Allgemein hierzu s. Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts, Rn. 643; Degener, Die Lehre vom Schutzzweck der Norm, S. 342; vgl. auch Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (505). 336 Vgl. Hörnle, GA 2009, 626 (633 f.); vgl. auch Rudolphi, JuS 1969, 549 (551). 337 Vgl. hierzu beispielhaft BGH NStZ 2003, 657 (658); BGH NStZ 2005, 446 (447); ausf. statt vieler Kühl, StGB, § 15 Rn. 37 ff. sowie NK-StGB/Puppe, Vor § 13 ff. Rn. 157 jeweils m. w. Nachw. 338 Vgl. Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 72; ähnl. Rudolphi, JuS 1969, 549 (551).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Schutzzwecks339 des § 222 StGB mit den bisherigen Erkenntnissen der Untersuchung vereinbar? Akzeptiert man die Eigenverantwortung als ein allgemeines Rechtsprinzip, muss der hierdurch vorgegebene Leitgedanke zur Abgrenzung der Verantwortungsbereiche auch im Rahmen der Beurteilung der fahrlässigen Mitwirkung an einem fremden Suizid Berücksichtigung finden. Das Eigenverantwortungsprinzip ist dementsprechend bei der Bestimmung der Reichweite des Tatbestandes des § 222 StGB und bei der notwendigen teleologischen Auslegung der Sorgfaltspflichtverletzung zu beachten.340 In diesem Sinne wurde herausgearbeitet, dass das Eigenverantwortungsprinzip einerseits Schutz vor fremder Bevormundung bietet und andererseits dem Einzelnen auferlegt, für die Konsequenzen des eigenen Handelns einzustehen.341 Das Prinzip der Eigenverantwortung begrenzt die rechtliche Verantwortungszurechnung342, indem es die Mitverantwortung anderer verdrängt.343 Übertragen auf den Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Suizidenten und der Mitverantwortung des Staates auf grundrechtlicher Ebene bewirkt dieser Leitgedanke zunächst, dass ein staatliches Eingreifen zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst im Sinne des Schutzauftrages für das Leben unzulässig ist.344 Zum anderen wurde herausgestellt, dass man sich auch mit einem Verbot der Mitwirkung am fremden Suizid, welches sich an den Dritten und nur mittelbar an den Suizidenten richtet, in Widerspruch zum Eigenverantwortungsprinzip begäbe.345 Dem Rechtsträger erwächst aus seinem Recht auf Selbsttötung nach Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit, sich zur Umsetzung des Suizidentschlusses der Hilfeleistung Dritter bedienen zu können, und damit einhergehend die Konsequenz, für dieses suizidale Geschehen im rechtlichen Sinne die alleinige Verantwortung zu übernehmen. Diese verfassungsrechtliche Wertung begründet letztlich auch, warum der Dritte durch die fahrlässige Ermöglichung oder Veranlassung auf Seiten des Suizidenten keine Rechtsgutsverletzung im strafrechtlichen Sinne verwirklicht. Wie erörtert, wird das formelle Regelungsinteresse, bezogen auf die Hochachtung des menschlichen Lebens, von der Selbstbestimmungsfreiheit 339
Zum Schutzzweck der Norm vgl. auch Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (493); Otto, in: FS Spendel, S. 271 (278 f.); Roxin, Strafrecht AT/I, § 11 Rn. 106; ferner Rudolphi, JuS 1969, 549 (551 f.); ferner Schünemann, JA 1975, 715 (715 ff.). 340 Vgl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 88. 341 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80. 342 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115. 343 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 77 ff. und Kapitel D. III S. 84 ff. 344 Vgl. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 345 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff.
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und der mit ihr korrespondierenden Eigenverantwortung des Suizidenten verdrängt.346 Der Suizident hat kein Interesse am Weiterleben, so dass es keines strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes bedarf. Diese durch das Eigenverantwortungsprinzip auf verfassungsrechtlicher und strafrechtlicher Ebene vorgegebene Wertung ist letztlich für die teleologische Auslegung des § 222 StGB bindend.347 Dementsprechend wäre eine Sorgfaltspflicht mit dem Inhalt „Du darfst den Suizid eines anderen weder hervorrufen noch veranlassen oder fördern!“ unzulässig.348 Den Dritten trifft keine Zuständigkeitsverantwortung im prospektiven Sinne hinsichtlich des Lebens des Rechtsgutsträgers. Legitim wäre allenfalls eine gegenüber dem Rechtsgutsträger bestehende Sorgfaltspflicht mit dem Inhalt: „Du darfst nicht den Tod eines nicht eigenverantwortlich Handelnden verursachen!“. Wenn demnach der Suizident eigenverantwortlich agiert, verletzt der ihn fahrlässig unterstützende Dritte keine Sorgfaltspflicht. Er ist nicht nach § 222 StGB strafbar, weil der Tatbestand der fahrlässigen Tötung nicht erfüllt ist. Dem Mitwirkenden kann im strafrechtlichen Sinne keine (retrospektive) Mitverantwortung an der Selbsttötung zugerechnet werden. Nur wenn auf Seiten des Suizidenten Defizite gegeben sind, die ein eigenverantwortliches Handeln ausschließen, würde der fahrlässig mitwirkende Dritte seine ihm gegenüber dem Rechtsgutsträger obliegende Sorgfaltspflicht verletzen und eine Strafbarkeit nach § 222 StGB käme, sofern die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, in Betracht. Nur dann trifft den Dritten – ganz im Sinne des Einheitstäterbegriffs – eine individuelle täterschaftliche Verantwortlichkeit am Tod des Rechtsgutsträgers. Zu resümieren ist, dass die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung nicht auf der Straffreiheit der vorsätzlichen Suizidteilnahme beruht, sondern vielmehr auf eine fehlende Sorgfaltspflichtverletzung zurückzuführen ist, die aufgrund der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers entfällt. Eine Gleichstellung der vorsätzlichen Teilnahme und der fahrlässigen Mitwirkung am Suizid lässt sich allenfalls insofern konstatieren, als sich in beiden Konstellationen die Zurechnung der Verantwortung für den Tod des Suizidenten am Eigenverantwortungsprinzip und an der durch dieses geprägten verfassungsrechtlichen Debatte um das Rechtsgut Leben, die Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung und die Handlungsfreiheit des Dritten orientiert.349 346
Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 155 ff. Ähnl. Lenckner, in: FS Engisch, S. 490 (506). 348 Ähnl. auch Roxin, in: FS Tröndle, S. 177 (178, 185 f.), der allerdings im Unterschied zum hier vertretenen Lösungsansatz das argumentum a maiore ad minus anerkennt. 349 Ähnl. auch Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 158 f. 347
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
b) Die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbstgefährdung Übrig bleibt die Frage nach einer möglichen Strafbarkeit wegen der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbstgefährdung, die, wie es bereits die Rechtsprechungsanalyse verdeutlicht, den Mittelpunkt der strafrechtlichen Diskussion in diesem Problembereich bildet.350 Zu Beginn sei abermals daran erinnert, dass zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbstgefährdung die Voraussetzungen für einen Erst-RechtSchluss nicht vorliegen. Bereits der Erst-Recht-Schluss von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidteilnahme ist, wie erörtert, unzulässig, weil die fahrlässige Mitwirkung und die vorsätzliche Teilnahme nach unterschiedlichen Beteiligungsformen innerhalb unterschiedlicher Täterbegriffe fragen.351 In der Konsequenz kann auch der hieran anknüpfende zweite Erst-Recht-Schluss von der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung auf die Straffreiheit der fahrlässigen Selbstgefährdungsmitwirkung, wie es der Argumentation der Rechtsprechung entspricht, nicht überzeugen.352 Die Straflosigkeit des fahrlässig Mitwirkenden kann nur die Konsequenz einer fehlenden Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nach § 222 StGB sein. Entscheidend ist demnach, ob der fahrlässig an der fremden Selbstgefährdung Mitwirkende durch sein Hilfeleisten, Fördern oder Veranlassen eine ihm gegenüber dem Rechtsgutsträger obliegende Sorgfaltspflicht missachtet hat.353 Vergleichbar den Konstellationen der fahrlässigen Selbsttötung ist zu prüfen, ob eine Sorgfaltspflicht existieren kann, die es dem Dritten untersagt, einem anderen die Chance zu eröffnen, sich selbst zu gefährden. Eine solche teleologische Auslegung des Tatbestandes hinsichtlich Sorgfaltspflichtverletzung und Schutzzweck des § 222 StGB stünde in Diskrepanz zu den bisherigen Erkenntnissen der Untersuchung zum Eigenverantwortungsprinzip. Nach diesem Prinzip korreliert mit der Handlungsfreiheit des Individuums immer auch eine Eigenverantwortung.354 Die Eigenverantwortung wiederum verpflichtet den Einzelnen, für die Konsequenzen seines Handelns selbst einzustehen und verdrängt somit die Mitverantwortung Dritter.355 350
S. Kapitel B. II. 3. S. 38 ff. Ausf. hierzu Kapitel C. III. 2. bb) S. 64 ff. 352 Ausf. hierzu Kapitel C. IV. 1. S. 73 ff. 353 Vgl. auch Puppe, ZIS 2007, 247 (250 ff.), die ebenfalls die Sorgfaltspflicht und den Schutzzweck der Norm zum Verorten der Selbstgefährdungsproblematik vorschlägt; ähnl. dies., Strafrecht AT, 1. Aufl., § 6 Rn. 5 f. 354 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 77 ff. 355 Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. 351
III. Die dogmatische Umsetzung der Straffreiheit des mitwirkenden Dritten 203
Diese Wechselbeziehung auf vorrechtlicher Ebene entfaltet seine Wirkung als allgemeiner Rechtsgedanke zunächst auf der Ebene der Verfassung. In diesem Sinne wurde herausgearbeitet, dass der sich Gefährdende aus dem staatlichen Schutzauftrag des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein subjektives Recht auf Schutz ableiten kann.356 Der Staat ist zum Schutz des sich Gefährdenden vor sich selbst weder verpflichtet noch legitimiert, obwohl der sich Gefährdende faktisch durchaus ein Interesse daran hat, von seinem gefährlichen Vorhaben abgehalten zu werden, immerhin hofft er darauf, dass das risikoträchtige Unternehmen folgenlos bleibt.357 Dem Recht auf Selbstgefährdung als Element der individuellen Selbstbestimmungsfreiheit folgt die Verantwortung, für die Konsequenzen des risikoträchtigen Verhaltens einstehen zu müssen.358 Diese ausschließliche Alleinverantwortung des Rechtsträgers besteht nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber dem fahrlässig mitwirkenden Dritten. Wenn der Rechtsträger von der Freiheit, Situationen, die ein Dritter unbewusst oder bewusst schafft, für lebensgefährliche und riskante Vorhaben zu nutzen, Gebrauch macht, trägt nur er die Verantwortung für die hieraus resultierenden Folgen.359 Er kann dem Mitwirkenden in rechtlicher Sicht keine Rechenschaft abverlangen. Dieser Effekt des Eigenverantwortungsprinzips setzt sich auch im Strafrecht fort. Es wurde bereits aufgezeigt, dass das Eigenverantwortungsprinzip zu einer Verneinung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des sich Gefährdenden führt.360 Die selbstbestimmte Entscheidung des Rechts356
Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. Ebda. 358 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 359 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 360 Ganz ähnlich argumentieren im Übrigen auch die Vertreter der sogenannten Viktimodogmatik. Zur Entwicklung dieser Lehre ausf. Schünemann, in: Schneider, Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, S. 407 (407 ff.); vgl. auch die Ausführungen zum Zweck der Viktimodogmatik als Einschränkung der StrafbarkeitsHypertrophie sowie zum Verhältnis der Viktimodogmatik zur Viktimologie von Schünemann, in: FS Faller, S. 357 (357 ff. sowie 371 f.); vgl. ferner Schüler-Springorum, in: FS Honig, S. 201 (202 ff.). Ausgangspunkt dieser Lehre ist der Grundsatz, dass der strafrechtliche Schutz gegenüber dem Selbstschutz des Rechtsgutsträgers subsidiär ist, so dass derjenige, der ein Interesse am Schutz seiner Rechtsgüter hat, aber ohne triftigen Grund keine Selbstschutzmaßnahmen ergreift, weder schutzwürdig noch schutzbedürftig ist. Vgl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 35 f., 57 ff.; vgl. Schünemann, in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (31 f.); ders., in: FS Faller, S. 357 (362); vgl. aber auch den Ansatz bei Hörnle, in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 36 (42 ff.), die eine flexible Rechtsfolgenlösung mittels einer einzuführenden Selbstschutzklausel im Allgemeinen Teil des StGB vorschlägt. Im Unterschied zu den Vertretern der Viktimodogmatik ist es allerdings nicht die Möglichkeit zum Selbstschutz, sondern der Respekt vor der risikoträchtigen Entscheidung des Rechtsgutsträgers und der hiermit korrespondierenden Eigenverantwortung, die eine Verneinung der strafrecht357
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gutsträgers zu einer lebensgefährlichen Unternehmung lässt das formelle Interesse des Staates, jenes Leben als Rechtsgut im Strafrecht zu schützen, zurücktreten. Obwohl der fahrlässig Mitwirkende in den Rechtskreis des sich Gefährdenden (mittelbar) eingreift, liegt mangels eines Schutzinteresses keine Rechtsgutsverletzung vor.361 Hieran muss sich auch die teleologische Auslegung des Tatbestandes des § 222 StGB innerhalb der Selbstgefährdungskonstellationen orientieren. Wie bei der fahrlässigen Mitwirkung am fremden Suizid bewirken das Eigenverantwortungsprinzip und die zuvor dargestellte verfassungsrechtliche Wertung eine Verneinung der Sorgfaltswidrigkeit für eine Handlung, die eine fremde Selbstgefährdung ermöglicht, fördert oder veranlasst. Sofern der Rechtsgutsträger eigenverantwortlich agiert, verwirklicht der mitwirkende Dritte keine Sorgfaltspflichtverletzung und sein fahrlässiges Verhalten ist nicht vom Schutzzweck des § 222 StGB erfasst. Eine Pflicht mit dem Inhalt „Du darfst einem anderen nicht die Möglichkeit eröffnen, sich selbst zu gefährden!“ wäre nicht nur eine unzulässige Begrenzung der Handlungsfreiheit des Dritten, sondern zugleich eine indirekte Bevormundung und somit unzulässige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des sich Gefährdenden.362 Zu resümieren bleibt, dass die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden auf Seiten des am risikoträchtigen Geschehen mitwirkenden Dritten keine Sorgfaltspflicht entstehen lässt, so dass die Voraussetzungen für eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 222 StGB nicht vorliegen. Diese Argumentation, wonach die Straffreiheit der fahrlässigen Selbstgefährdungsmitwirkung auf der mangelnden Sorgfaltspflichtverletzung beruht, ähnelt den früheren Urteilsbegründungen des BGH innerhalb dieser Konstellationen, wie es insbesondere die Entscheidung zum „Motorradwettlichen Verantwortung des Dritten bewirkt. Vgl. hierzu Puppe, GA 2009, 486 (494). Zur generellen Kritik an der Konzeption der Viktimodogmatik vgl. Ebert, JZ 1983, 633 (633 ff.); Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 121 ff.; vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 143 ff.; ausf. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, insb. S. 175 ff. (vgl. hierzu die Stellungnahme von Schünemann, NStZ 1986, 439 (441 f.) sowie ders., in: FS Faller, S. 357 (364 ff.)); krit. z. T. auch Hörnle, in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 36 (45 ff.); Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (371 f.); vgl. auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 136 f. 361 Vgl. zur Interessenabwägung in Konstellationen der Selbstgefährdung Ahlers, Doping und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 143; vgl. ferner Puppe, ZIS 2007, 247 (249) m. w. Nachw.; anders Frisch, W., NStZ 1992, 1 (5 f.) sowie ders., NStZ 1992, 62 (62), der zwar ebenfalls eine Interessenabwägung vornimmt, aber bereits die strafrechtliche Relevanz der Mitwirkungshandlung verneint. 362 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff.
IV. Zwischenergebnis
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fahrt-Fall“363 verdeutlicht. In seiner Begründung zu diesem Fall führte der BGH aus, dass die Pflichtwidrigkeit eines Handelns sich bspw. danach bestimmt, ob ein etwaiges Einverständnis der vollverantwortlichen Person vorlag, welchen Anlass und Zweck das Unternehmen hatte, wie groß die Gefahr eines Erfolgseintritts und von welchem Umfang die Sorglosigkeit der Mitwirkenden einzuschätzen war.364 Der BGH ging hierbei allerdings vom Bestehen einer allgemeinen Sorgfaltspflicht aus365 und diskutierte anhand der aufgelisteten Kriterien, ob der Mitwirkende die grundsätzlich gebotene Rücksicht auf das Leben anderer eingehalten hatte.366 Der hier präferierte Lösungsansatz verneint bereits eine derartige Sorgfaltspflicht gegenüber einem zur Selbstbestimmung fähigen Mitmenschen. Die vom BGH benannten Kriterien können insofern nur dazu dienen, Defizite auf Seiten des sich Gefährdenden, die einer Eigenverantwortung entgegenstünden, auszuschließen.367
IV. Zwischenergebnis In der kritischen Analyse der Rechtsprechung in Kapitel C. wurde bereits nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für einen Erst-Recht-Schluss zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung sowie zur Feststellung der Straffreiheit der Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung nicht vorliegen.368 Die voranstehenden Ausführungen haben aufgezeigt, dass es eines Rückgriffs auf das argumentum a maiore ad minus in den vorliegenden Konstellationen auch gar nicht bedarf. Die Straffreiheit der vorsätzlichen wie fahrlässigen Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung bzw. Selbsttötung liegt im Eigenverantwortungsprinzip sowie in dessen proto(straf)rechtlicher Leitidee und rechtlicher Wirkung in der Verfassung begründet. 363
BGHSt 7, 112. Vgl. BGHSt 7, 112 (115). 365 So RGSt 57, 172 (173); auch BGHSt 7, 112 (115), wobei der Senat klarstellt, dass dieser Rücksicht nicht der Charakter einer allgemeinen Rechtspflicht zukommt. 366 Vgl. BGHSt 7, 112 (115) im Anschluss an RGSt 57, 172 (173). 367 Im Übrigen erkennt auch die hier vorgeschlagene Begründung eine durch das menschliche Zusammenleben gebotene Rücksicht auf das Leben anderer an. Allerdings sollte man insofern nicht von einer allgemeinen Sorgfaltspflicht sprechen, sondern von einer allgemeinen (Tugend-)Pflicht zur Mitmenschlichkeit, deren Verletzung bei Vorliegen der Voraussetzungen eigenverantwortlichen Handelns des Rechtsgutsträgers keine strafrechtlichen Rechtsfolgen auslöst. Zur Differenzierung von Rechts- und Tugendpflichten vgl. Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. 368 Vgl. hierzu die Kritik an der Rechtsprechung in Kapitel C. II. S. 50 ff. sowie Kapitel C. IV. S. 72 ff. 364
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Verantwortung setzt, wie in Kapitel D. angedeutet, immer einen Dialog, einen sozialen Kontext voraus.369 Verantwortung ist im Recht immer die Aufgabe des Einen oder mehrerer Einzelner einem oder mehreren anderen gegenüber.370 Ein solcher, wie Neumann es nennt, Verantwortungsdialog hinsichtlich des Erfolges entsteht aber für die Konstellationen der fahrlässigen und vorsätzlichen Mitwirkung am fremden Suizid bzw. an der fremden Selbstgefährdung nicht.371 Die Eigenverantwortung lässt eine Mitverantwortung des Dritten nicht entstehen372, d.h., der Rechtsträger kann für die Folgen seiner freien Entscheidung von dem mitwirkenden Dritten keine Rechenschaft verlangen. Normativer Anknüpfungspunkt373 dieser Verantwortungszuschreibung ist die verfassungsrechtlich anerkannte Höchstrangigkeit der Selbstbestimmungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Auf der Ebene des Straftatbestandes bewirkt diese proto- und verfassungsrechtliche Wertung eine teleologische Reduktion des § 212 StGB hinsichtlich Tatobjekt und Tathandlung bzw. eine teleologische Auslegung des § 222 StGB bezüglich der Sorgfaltspflichtverletzung und des Schutzzwecks der Norm, so dass die Selbsttötung und Selbstgefährdung für sich keine tatbestandsmäßigen Verhalten darstellen.374 Lassen sich die Selbsttötung und Selbstgefährdung nicht als Haupttat im Sinne der limitierten Akzessorietät nach §§ 26, 27 i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB qualifizieren, kann hieran keine Strafbarkeit wegen der vorsätzlichen Mitwirkung durch einen Dritten anknüpfen.375 Der vorsätzlich an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung Teilnehmende bleibt straffrei. Gleiches gilt für die fahrlässige Ermöglichung, Förderung oder Veranlassung eines fremden Suizides bzw. einer fremden Selbstgefährdung. Berücksichtigt man in der teleologischen Auslegung des Schutzzwecks des § 222 StGB sowie der Sorgfaltspflichtverletzung die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers, sind diese Voraussetzungen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nicht erfüllt.376 Da bereits die teleologische Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips die fehlende Tatbestandsmäßigkeit begründet, lässt sich an dieser Stelle zudem feststellen, dass der Rückgriff auf die Kategorie der objektiven Zurechnung in diesem Problembereich nicht erforderlich ist, weil es neben dem Erfolgsunwert bereits am Handlungsunwert fehlt. 369
Vgl. hierzu Kapitel D. I. S. 77 ff., insb. Fußn. 26. S. van der Ven, in: Baumgartner/Eser, Schuld und Verantwortung, S. 31 (33 f.). 371 Neumann, GA 1996, 36 (38). 372 Vgl. hierzu Kapitel D. III. S. 86 sowie Kapitel D. I. S. 80. 373 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310); s. auch Kapitel D. II. S. 81 ff. 374 Ausf. hierzu Kapitel F. II. 2. S. 163 ff. 375 Ausf. hierzu Kapitel F. III. 1. S. 188 ff. 376 Ausf. hierzu Kapitel F. III. 2. S. 198 ff. 370
IV. Zwischenergebnis
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Es lässt sich somit resümieren, dass der materielle Grund, der sich hinter den strafrechtsdogmatischen Überlegungen und formalen Argumentationen zur Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung bzw. Selbsttötung verbirgt und der letztlich die Straffreiheit des Mitwirkenden begründet, seinen Ursprung im Eigenverantwortungsprinzip hat. An dieser Stelle sei nochmals daran erinnert, dass sich die Verantwortungszuschreibung der zuvor dargestellten Art nur auf das Recht, genauer das Strafrecht bezieht. Wie im Rahmen der Herleitung der Eigenverantwortung als Rechtsprinzip erörtert, gibt es neben der Verantwortungssphäre des Rechts auch andere Verantwortungssphären, die nebeneinander existieren, sich zum Teil berühren oder einander auch widersprechen.377 Ein Beispiel für diese konfligierenden Verantwortungssphären ist die Problematik der Selbsttötung und Selbstgefährdung. Den fahrlässig oder vorsätzlich an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung Mitwirkenden kann durchaus eine moralische Mitverantwortung am Tod des Rechtsgutsträgers treffen, auch wenn er rechtlich hierfür keine Rechenschaft ablegen muss. Im Zusammenhang mit der Selbsttötung weist bspw. Günzel treffend darauf hin, dass der Respekt vor dem freien Willen des Suizidenten, seinem Leben ein Ende zu setzen, nicht von der gesellschaftliche Verantwortung befreit, sich um den Lebensmüden zu bemühen.378 Am Rande sei schließlich noch auf eine weitere Konsequenz der hier vorgestellten Konzeption des Eigenverantwortungsprinzips hingewiesen. Insbesondere im Kontext der Selbsttötung taucht immer wieder die Diskussion auf, wie das Verhalten einer Person strafrechtlich zu werten ist, die einen freiverantwortlich handelnden Rechtsgutsträger mit Gewalt von seiner Selbsttötung abhält. Es stellt sich die Frage, ob sich der in das Geschehen Eingreifende einer Nötigung nach § 240 StGB strafbar macht. Die überwiegende Zahl der Rechtswissenschaftler wertet die Suizidverhinderung als nicht strafbar, weil sie die besondere Verwerflichkeit der Handlung des Eingreifenden nicht zu sehen vermögen.379 Nach dem hier vertretenen Verständnis von der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers kann dieser Wertung allerdings nicht gefolgt werden. Wenn man die Selbstbestimmungsfreiheit des Individuums und seine Eigenverantwortung derart stark 377
S. hierzu Kapitel D. IV. S. 88. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 103. 379 Statt vieler Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder, § 240 Rn. 32; Gropp/Sinn, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., § 240 Rn. 154 f.; Kühl, StGB, § 240 Rn. 20; Kutzer, ZRP 2012, 135 (137); HK-GS/Rössner/Putz, § 240 Rn. 33; LK-StGB/Träger/Altvater, § 240 Rn. 96 jeweils m. w. Nachw.; mit dem Problem der Nötigungsstrafbarkeit wegen einer Suizidverhinderung eng verbunden ist auch die Diskussion um die Unterlassensstrafbarkeit. S. hierzu die Ausführungen in Kapitel G. II. S. 282 ff. 378
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
gewichtet, wie hier präferiert, darf ein zur Selbsttötung entschlossener, freiverantwortlich agierender Rechtsgutsträger nicht gewaltsam von seinem Vorhaben abgehalten werden. Mit dem Versuch, den Suizid mit Zwang zu verhindern, maßt sich der Eingreifende gegenüber dem Rechtsgutsträger eine Vormundschaft an, die ihm die Eigenverantwortung des Rechtsträgers verbietet. Der Rechtsgutsträger wird in seinem Recht auf Selbsttötung beschränkt, er wird zum Weiterleben gezwungen. Der Eingreifende setzt sich bewusst über den freien Willen des Rechtsgutsträgers hinweg, so dass eine Verwerflichkeit der Nötigungshandlung zu bejahen ist. Die Verhinderung eines Suizides in Kenntnis der Eigenverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers ist folglich eine strafbare Nötigung nach § 240 StGB.380 Dem steht allerdings nicht entgegen, dass die Mitmenschen, wie im vorstehenden Absatz angesprochen, sich um den Lebensmüden bemühen können und versuchen sollten, ihn vom Wert des eigenen Lebens zu überzeugen.381
V. Exkurs: Die notwendigen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips im strafrechtlichen Kontext Die Erkenntnisse der bisherigen Untersuchung bedingen, dass der Rechtsgutsträger hinsichtlich der suizidalen bzw. lebensgefährlichen Unternehmung tatsächlich eigenverantwortlich gehandelt hat. Wann im strafrechtlichen Sinne von einem solchen eigenverantwortlichen Handeln auszugehen ist bzw. welche Umstände oder Defekte auf Seiten des Rechtsgutsträgers einer solchen Annahme entgegenstehen, darüber soll der folgende Exkurs einen Überblick geben. Im Verlauf der bisherigen Untersuchung wurde herausgestellt, dass die Eigenverantwortung die Fähigkeit des Einzelnen zur Handlung sowie die Einsicht in die Folgen, die das eigene Handeln mit sich bringt, voraussetzt.382 Verantwortung ist das Korrelat menschlicher Freiheit.383 Auf die380 Ähnl. Kaufmann, Arth., ZStW 73 (1961), 341 (367 f.), auch wenn er den Suizid im Unterschied zur hier vertretenen Auffassung als unsittliches Verhalten wertet; vgl. ferner Gallas, JZ 1960, 649 (655): „Eine Rechtsordnung, die auch vom Freiheitsgedanken bestimmt ist, kann den Dritten in einem solchen Fall nicht dazu legitimieren wollen, den Lebensmüden mit Brachialgewalt (und ohnehin ohne Aussicht auf dauernden Erfolg) zum Weiterleben zu zwingen.“; auch NK-StGB/Toepel, § 240 Rn. 180 f.; vgl. Wolter, NStZ 1993, 1 (8) jeweils m. w. Nachw. 381 S. Fußn. 378. 382 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2309); ausf. hierzu Kapitel D. I. S. 77 ff. 383 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (205).
V. Exkurs
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sem Freiheitsverständnis beruht auch unsere Verfassung, die sich den Menschen als ein autonomes und selbstbestimmtes, von rechtlichen Zwängen losgelöstes Individuum denkt.384 Positivrechtlich verankert ist diese Freiheit zur individuellen Selbstbestimmung, wie im verfassungsrechtlichen Abschnitt dieser Untersuchung ausführlich dargelegt, in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürde nach Art. 1 GG.385 Und auch im Strafrecht ist die Fähigkeit des Menschen zu einer freien Entscheidung386 eine konstitutive Bedingung für die Strafbarkeit eines konkreten Verhaltens.387 Doch wann agiert der zur Selbstbestimmung fähige Mensch tatsächlich frei? Wann gelangt das Eigenverantwortungsprinzip zur Anwendung?
1. Die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers Um auf eine Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers im Sinne des Eigenverantwortungsprinzips rekurrieren zu können, muss dieser zunächst freiverantwortlich gehandelt haben. Die Freiverantwortlichkeit fragt, als eine Art subjektive Komponente388, nach der Fähigkeit des Rechtsgutsträgers zum selbstbestimmten Handeln.389 Sie ist aus den konkreten Umständen des Sachverhaltes zu ermitteln ist. Welche Voraussetzungen an die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers im Strafrecht zu stellen sind, ist allerdings umstritten. 384 Vgl. statt vieler BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (6); für weitere Nachw. s. Kapitel E. I., Fußn. 7; ausf. hierzu die verfassungsrechtliche Untersuchung in Kapitel E. S. 89 ff. 385 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36 f.). 386 Für das Strafrecht ist es insofern entscheidend, dass der Mensch die Möglichkeit besitzt, freiwillig, d.h. aus einem eigenen Antrieb heraus, und bewusst, d.h. in Abschätzung der Folgen und Umstände, zu handeln. Nicht relevant ist hierfür, dass er frei von jeglicher Determination ist. So zutreffend Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 326 (327); zum Problem der Willensfreiheit vgl. exemplarisch Alwart, in: FS Hruschka, S. 357 (insb. 368 ff.); auch Habermas, in: Müller/Schmidt, Ich denke, also bin ich Ich?, S. 129 (129 ff.), Jäger, GA 2013, 3 (6 ff.) sowie Vanberg, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 45, insb. S. 57 ff., 61 ff. 387 Ähnl. in Bezug auf den Schuldgrundsatz im Strafrecht BVerfGE 123, 267 (413); vgl. hierzu Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (168) m. w. Nachw.; ähnl. auch Lampe, JbRSoz 14 (1989), 286 (290), der in diesem Zusammenhang von einer Freiheit im Sinne einer äußeren und inneren Handlungsfähigkeit des Täters spricht. 388 NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 45, der zwischen inneren und äußeren Kriterien differenziert. 389 Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 146; vgl. auch Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (308), die die Freiverantwortlichkeit als eine im Wesentlichen empirisch verifizierbare Anforderung an den Selbsttötungsentschluss begreifen; vgl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 171 f.; ähnl. Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 5 f. m. w. Nachw.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Nach den Vertretern der Exkulpationslösung ist die Selbstverletzung bzw. Selbstgefährdung nur dann als freiverantwortlich zu werten, wenn der Rechtsgutsträger schuldhaft agiert. D.h., nur wenn die Exkulpationsregeln nach §§ 19, 20, 35 StGB, § 3 JGG nicht zur Anwendung kommen, ist von einem freiverantwortlichen Handeln des Rechtsgutsträgers auszugehen.390 Wenn demnach der Rechtsgutsträger im Sinne der Exkulpationsregeln schuldhaft handelt, kann dem an der Selbstgefährdung bzw. Selbsttötung mitwirkenden Dritten keine strafrechtliche Verantwortung zugerechnet werden. Einen anderen Ansatzpunkt verfolgen die Anhänger der sogenannten Einwilligungslösung. Nach dieser ist nur dann von einem freiverantwortlichen Agieren des Rechtsgutsträgers auszugehen, wenn in Anlehnung an eine hypothetische Fremdverletzung die Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung erfüllt sind.391 Freiverantwortlich handelt der Rechtsgutsträger folglich nur, wenn er die Urteilskraft besitzt, die Bedeutung und Tragweite des Entschlusses zum Suizid bzw. zur risikoträchtigen Unternehmung verstandesgemäß zu überblicken.392, 393 Neben der Abwesenheit eventueller Willens- und Wissensmängel erfordert das Institut der Einwilligung auch ein gewisses Maß an Ernsthaftigkeit. In diesem Zusammenhang verweisen einige Vertreter auf die Überlegungen zum Ernsthaftigkeitsmaßstab der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB.394 390 Vgl. Achenbach, Jura 2002, 542 (543); Bottke, GA 1983, 22 (30 ff.); ders., Suizid und Strafrecht, Rn. 346 ff.; vgl. Charalambakis, GA 1986, 485 (489 ff.); vgl. Dölling, GA 1984, 71 (76, 78 ff.); ferner Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 178 ff.; auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 94 ff.; ausf. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (344 ff., 348 f.); ders., NStZ 1984, 70 (71); auch Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 38, 54 ff. m. w. Nachw.; vgl. Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 40 ff., insb. S. 45 ff.; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 30; ähnl. auch Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 36 f. 391 Vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 166 ff.; ausf. Herzberg, JA 1985, 336 (336 ff.); ders., JZ 1988, 182 (182 f.); ders., JuS 1988, 771 (774 f.); LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 26 m. w. Nachw.; Kühl, StGB, Vor § 211 ff. Rn. 13 a m. w. Nachw.; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor §§ 211–222 Rn. 29; Krey/ Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 363 f.; Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (174) m. w. Nachw.; ders., Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. D 63 f.; Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 200 ff.; Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 50; Sowada, JZ 1994, 663 (663); Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 189; s. auch Fußn. 394. 392 Vgl. statt vieler Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (941); LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 26; Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (174) jeweils m. w. Nachw. 393 Im Rahmen der Konstellationen der Selbstgefährdung ist in diesem Zusammenhang auf die Risikoeinwilligung als Modifizierung der rechtfertigenden Einwilligung im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte abzustellen. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel C. II. 1. S. 53 ff.
V. Exkurs
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Während die wohl überwiegende Lehre im Kontext der Bestimmung der Freiverantwortlichkeit zu Recht die Einwilligungslösung präferiert395, positioniert sich die Rechtsprechung hinsichtlich der Frage, welchem Lösungsansatz der Vorzug zu gewähren sei, nicht eindeutig und lässt so Raum für Spekulationen. Achenbach bspw. vermutet, dass der BGH sich der Exkulpationslösung bedienen würde und begründet dies mit der Entscheidung des BGH im „Polizeipistolen-Fall“ BGHSt 24, 342, in dem die Freiverantwortlichkeit der sich tötenden Frau trotz ihres BAK-Wertes von 1,45 ‰ bejaht wurde.396 Auch Scheffler, auf dessen Ausführungen Achenbach verweist, glaubt eine Zuwendung des BGH zur Exkulpationslösung zu erkennen. Er stützt diese Erkenntnis u. a. darauf, dass der BGH im „Jetrium-Fall“397 die – nach seiner Sicht höchst fragwürdige – Fähigkeit freiverantwortlichen Handelns durch Drogenabhängige bejaht.398 Demgegenüber erblickt Roxin in der „Sirius-Entscheidung“399 eine Anerkennung der Exkulpationslösung von Seiten des BGH.400 Tatsächlich lässt die Rechtsprechung in den Ausführungen zu den Entscheidungsgründen vielfach offen, ob der Exkulpations- oder der Einwilligungslösung der Vorzug zu gewähren sei.401 Als exemplarisches Beispiel 394 So fordert es bspw. Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 36 m. w. Nachw.; vgl. auch die Ausführungen von Herzberg, JA 1985, 336 (337, 340 ff.); s. ders., Täterschaft und Teilnahme, S. 35 ff.; krit. SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 13 ff.; krit. Sowada, JZ 1994, 663 (663 f.). 395 In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, ob überhaupt ein freier Wille zum Suizid existiert oder einem solchen immer ein pathologischer Zustand („präsuizidales Syndrom“) vorausgeht. Vgl. hierzu Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (368 f.); ders., ZStW 87 (1975), 623 (632 ff.); vgl. Duttge, in: Kettler/Simon/Anselm/Lipp/Duttge, Selbstbestimmung am Lebensende, S. 36 (43 f.); ausf. auch Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 175 ff.; dies., GA 2012, 498 (513 f.); vgl. Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, S. 159 f.; Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 153 ff.; ferner LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 27 ff.; ausf. Lauter, JWE 14 (2006), 241 (243 ff.); vgl. auch Roxin, in: Blaha/Gutjahr-Löser/Niebler, Schutz des Lebens – Recht auf Tod, S. 85 (98); s. auch die weiterführenden Literaturnachweise bei Schneider, in: MünchKommStGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 39 Fußn. 139; ähnl. Schockenhoff, Imago Hominis 2001, 23 (26); vgl. ferner Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 108 ff. 396 Achenbach, Jura 2002, 542 (543, Fußn. 11 sowie 544, Fußn. 23). 397 BGH JR 1979, 429 m. Anm. Hirsch, H. J. 398 Scheffler, JRE 7 (1999), 341 (366 f.). 399 BGHSt 32, 38. 400 Roxin, NStZ 1984, 70 (71); vgl. auch Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 205 m. w. Nachw. 401 Vgl. bspw. OLG München NJW 1987, 2940 (2941 f.); vgl. Ahlers, Doping und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 118 m. w. Anm.; vgl. hierzu auch Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 118 f.
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hierfür soll der berühmte „Stechapfeltee-Fall“402 dienen. In der Urteilsbegründung ist Folgendes zu lesen: „Unter diesen Umständen bestehen keine Bedenken, das Handeln der Fünfzehnjährigen in Bezug auf das in Kauf genommene begrenzte Risiko als eigenverantwortlich anzusehen. Hierfür ist erforderlich, daß der Jugendliche nach seinen geistigen Fähigkeiten und nach seiner sittlichen Reife im konkreten Fall in der Lage war, die Bedeutung der Handlung und ihrer möglichen Folgen zu erkennen und zu bewerten, insb. den Wert des gefährdeten Rechtsguts und die sittliche Bedeutung des Vorgangs zutreffend einzuschätzen (. . .). Von entsprechenden Kriterien gehen im Bereich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit Jugendlicher § 3 JGG und bei der Zustimmung Jugendlicher zur Verletzung eigener Rechtsgüter durch Dritte auch Rechtsprechung und Schrifttum aus (. . .).“403
Der Verweis auf die Schuldfähigkeit nach § 3 JGG lässt die Vermutung aufkommen, dass der BGH sich, ähnlich wie die Anhänger der Exkulpationslösung, zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit der Jugendlichen an den strafrechtlichen Schuldregeln orientiert. Eine eindeutige Positionierung der Rechtsprechung hinsichtlich der Exkulpationslösung ist indes fraglich, berücksichtigt man die Äußerungen des Senates, die den oben zitierten Ausführungen vorausgehen: „Nach den Feststellungen besteht kein Zweifel, daß die Jugendlichen den Stechapfeltee freiwillig getrunken haben, daß sie seine Wirkung gekannt haben, daß sie sich durch den Genuß des Getränks berauschen wollten und hierbei die mit dem Rausch verbundenen – üblichen und vorübergehenden – körperlichen Beeinträchtigungen in Kauf nahmen. Es blieb ihrer eigenen, von Willensmängeln und Fremdeinflüssen freien Entscheidung überlassen, vom angebotenen Tee viel, wenig oder gar nichts zu trinken. Anhaltspunkte dafür, daß sie die Situation verstandesmäßig nicht bewältigen oder willensmäßig nicht beherrschen konnten, liegen nicht vor.“404
Mit diesen Gedanken begibt sich der BGH über das Maß, das für die Prüfung der reinen Schuldfähigkeit erforderlich ist, hinaus. Im Grunde fragt er danach, ob die Heranwachsenden die nötige Einwilligungsfähigkeit hatten, also ernsthaft willens waren, das mit dem Teekonsum verbundene Risiko einzugehen. Dies lässt Zweifel daran aufkommen, dass sich der BGH im Rahmen seiner Rechtsprechung die Exkulpationslösung als Maßstab der Freiverantwortlichkeit zu eigen macht.405 Vielmehr nähert er sich bei der Feststellung der Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers der Einwilligungslösung an.406 Sicher ist bei all dieser Spekulation, dass das Nichtvor402
BGH NStZ 1985, 25. BGH NStZ 1985, 25 (26). 404 BGH NStZ 1985, 25 (26). 405 Vgl. in diesem Zusammenhang BGHSt 32, 38 (41 f.); s. auch Feldmann, Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 206. 406 Vgl. Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, Rn. 364. 403
V. Exkurs
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liegen von Defekten nach §§ 19, 20, 35 StGB sowie § 3 JGG eine Mindestvoraussetzung für ein freiverantwortliches Handeln darstellt, d.h., bei derartigen Defekten würden auch die Anhänger der Einwilligungslösung eine entsprechende Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers ablehnen.407, 408 Betrachtet man die Kontroverse um die Voraussetzungen der Freiverantwortlichkeit eingehender, scheint sich die Diskussion von den verschiedenen Lösungstheorien auf die Bestimmung der Mängel in Form von Wissens- oder Willensdefiziten409, die die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers ausschließen, verlagert zu haben. In diesem Sinne ist es, bezogen auf die Willensfreiheit des Rechtsgutsträgers, zum einen erforderlich, dass dieser aus freien Stücken agiert, also nicht gezwungen wird, sich zu gefährden oder selbst zu töten. Wird er zu einer risikoträchtigen Unternehmung oder einer Selbsttötung durch einen Dritten nach § 240 StGB genötigt, handelt er nicht frei. Der Dritte führt durch seine Einwirkung eine Art Verantwortlichkeitsdefizit herbei.410 Als Beispiel für ein derartiges Defizit kann der „Schweinedarm-Fall“ des RG dienen, der von einem Meister handelte, der seinen Lehrling gezwungen hatte, ein ungereinigtes Stück Schweinedarm zu verzehren.411 Ein anderer Fall ist derjenige der Hildegard Hoefeld. Die Eltern zermürbten ihre 14 ½ jährige Tochter solange, bis diese in den Main sprang, um sich das Leben zu nehmen.412 Von einer Willensfreiheit und damit einhergehender Freiverantwortlichkeit der Tochter konnte hier nicht die Rede sein.413 Das zweite Einschränkungskriterium neben der Willensfreiheit ist die Wissensfreiheit des Rechtsgutsträgers. Voraussetzung für ein freiverantwortliches Handeln ist demnach, dass der Suizident bzw. der sich Gefährdende 407
Vgl. Ahlers, Doping und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 118. Diese Überlegung verdeutlicht auch, warum im Ergebnis die Einwilligungslösung vorzugswürdig ist. Die Exkulpationslösung ist in ihren Kriterien zu Lasten des Rechtsgutsträgers zu eng, weil Defizite, welche die Ernsthaftigkeit und damit Wirksamkeit des Willensentschlusses bereits beseitigen, noch längst keine Defekte im Sinne der §§ 19, 20, 35 StGB sowie § 3 JGG darstellen. Auf eine ausführliche Streitdarstellung kann in dieser Abhandlung verzichtet werden. Vgl. hierzu die Ausführungen der verschiedenen Vertreter, die in Fußn. 390, 391, 394 aufgezählt sind. 409 Ausf. statt vieler Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 267 ff., 433 ff.; ausf. zur Problematik der Willensmängel in der rechtfertigenden Einwilligung Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 183 ff. 410 Kindhäuser, LPK-StGB, Vor §§ 211–222 Rn. 37 ff. 411 RGSt 26, 242 (242 f.). 412 Zu dieser Entscheidung des Schwurgerichts Frankfurt a. M. vgl. Lange, R., Der moderne Täterbegriff, S. 32 f.; vgl. Spendel, JuS 1974, 749 (751); vgl. auch Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 193; vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (544). 413 Ebda. 408
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die Tragweite seines Verhaltens vollends überblickt. Der BGH formulierte dies in seiner Leitentscheidung BGHSt 32, 262 folgendermaßen: „Die Strafbarkeit kann erst dort beginnen, wo (. . .) der Beteiligte kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende (. . .).“414
Diese Wendung vom überlegenen Sachwissen findet sich in zahlreichen Entscheidungen wieder.415 So bspw. im bereits erwähnten „SkateboardFall“416. Das BayObLG musste entscheiden, ob der 17 Jahre alte Angeklagte für den tödlichen Sturz eines Skateboarders verantwortlich war, dem er es ermöglicht hatte, sich an das Leichtkraftrad zu hängen. Der verunglückte Skateboardfahrer war mehr als sieben Jahre älter als der Angeklagte, erfahrener und hatte eine angesehene Stellung im Verein.417 Damit besaß er im Gegensatz zum Angeklagten das erforderliche Sach- und Risikowissen, so dass der Angeklagte mit Verweis auf die Freiverantwortlichkeit des Verunglückten freizusprechen war.418 Anders entschied der BGH im sogenannten „Obstschnaps-Fall“419. Die Verstorbene hatte innerhalb von einer viertel bis halben Stunde mindestens 500 ml Obstschnaps getrunken, der ihr vom Angeklagten nachgeschenkt worden war. Das hatte nicht nur zu einem BAK- Wert von 4,65 ‰, sondern auch zu einem akuten Herz-Kreislaufversagen geführt. Der Angeklagte wusste, dass seine minderjährige Freundin im Umgang mit alkoholischen Getränken unerfahren war.420 Dennoch hatte er den Eindruck erweckt, die gleiche Menge Schnaps zu trinken, so dass die Freundin davon ausgehen konnte, dass keine ernstliche gesundheitliche Gefahr drohe, solange der alkoholerfahrene Begleiter mithalte.421 Hieraus leitete der BGH ein überlegenes Sachwissen und Risikobewusstsein des Angeklagten ab und verneinte die Freiverantwortlichkeit der Verstorbenen, auch wenn sie nicht zum Trinken des Obstschnapses gezwungen worden war.422, 423 414
BGHSt 32, 262 (265). Vgl. z. B. BGH NJW 2000, 2286 (2287); BGH NStZ 1986, 266 (267); BayObLG StV 1997, 307 (307); BayObLG NJW 1995, 797; gegen den Terminus des überlegenen Sachwissens wendet sich u. a. Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (377 f.); krit. auch Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 126; ferner auch Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (57 f.). 416 BayObLG NZV 1989, 80 m. Anm. Molketin. 417 BayObLG NZV 1989, 80 (80) m. Anm. Molketin. 418 BayObLG NZV 1989, 80 (80) m. Anm. Molketin. 419 BGH NStZ 1986, 266. 420 BGH NStZ 1986, 266 (267). 421 Ebda. 422 Ebda. 423 In einem anderen Fall hatte der Angeklagte einem 13-Jährigen Schnaps und Biermixgetränke verkauft, der schließlich mit einer akuten Alkoholintoxikation ins 415
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Diese Entscheidung erinnert an einen vor wenigen Jahren in der Öffentlichkeit viel diskutierten Fall des Wetttrinkens zwischen einem Gastwirt und einem Jugendlichen.424 Der Gastwirt hatte im Unterschied zu seinem Kontrahenten statt Alkohol zunächst lediglich Wasser zu sich genommen, was der Jugendliche allerdings nicht bemerkte. Dieser hatte mindestens 45 Tequila getrunken und war verstorben. Aufgrund der „unfairen Spielregeln“ verneinte das zuständige Landgericht die Freiverantwortlichkeit des Jugendlichen und verurteilte den Gastwirt infolge des überlegenen Wissens wegen Körperverletzung mit Todesfolge.425 Ein anderer Fall aus dem Bereich des Konsums von Betäubungsmitteln, in dem der BGH ein überlegenes Sachwissen bejahte, ist die Entscheidung BGH NJW 2009, 2611. Hier hatte der Angeklagte Kokain und reines Heroin verwechselt und dem Käufer Letzteres ausgehändigt, der infolge des Konsums verstorben war. Der BGH bejahte auf Seiten des Konsumenten einen rechtserheblichen Irrtum, infolge dessen er die tatsächliche Gefahr nicht hatte überblicken können, so dass der Angeklagte mangels Freiverantwortlichkeit des Verstorbenen u. a. wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB zu verurteilen war.426 Zu resümieren ist, dass ein überlegener Wille oder überlegenes Sachwissen auf Seiten des Dritten die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers ausschließen und somit das Eigenverantwortungsprinzip nicht zur Anwendung gelangt. Weiß derjenige, der an einem risikoträchtigen Unternehmen mitwirkt, dass der Rechtsgutsträger verkennt, in welche Gefahr er sich begibt, oder hat er diesen Umstand vorsätzlich herbeigeführt, kommt eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB in Betracht.427 Als Beispiel hierfür dient der berühmte „Sirius-Fall“428 des BGH. Der Angeklagte hatte durch Erzählungen derart Krankenhaus eingeliefert worden war. Das AG Saalfeld verurteilte den Verkäufer wegen einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB, weil ihm als Erwachsenen gegenüber dem minderjährigen Geschädigten insoweit überlegenes Sachwissen zukam, als für ihn ohne Weiteres vorhersehbar war, dass der Minderjährige die Gefahr des Alkoholverzehrs unterschätzte. Vgl. hierzu AG Saalfeld NStZ 2006, 100 (101). 424 LG Berlin, Urt. v. 21.07.2009– (532) 18 Ju Js 272/08 Ks (9/08) (unveröffentlicht; vgl. Pressemitteilung beck online: becklink 284720); das Urteil ist nach der Verwerfung der Revision durch den BGH mit Beschluss v. 24.03.2010 – 5 StR 29/10 (BeckRS 2010, 07492) rechtskräftig. 425 Krit. Lange, J./Wagner, NStZ 2011, 67 (68 f.). 426 BGH NJW 2009, 2611 (2611 f.). 427 Ausf. dazu Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 71 ff.; vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 37; auch Fischer, Th., StGB, Vor §§ 211–216 Rn. 20 ff. jeweils m. w. Nachw. 428 BGHSt 32, 38.
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auf sein Opfer eingewirkt, dass der Frau, die im Begriff war, sich das Leben zu nehmen, gar nicht bewusst war, dass sie sterben wird.429 Durch seine Täuschung hatte der Angeklagte überlegenes Sachwissen besessen, so dass der BGH ihn nicht wegen strafloser Beihilfe zur versuchten Selbsttötung freisprach, sondern der versuchten Tötung in mittelbarer Täterschaft für schuldig befand.430, 431 Von einer die Verantwortung des Täters ausschließenden Eigenverantwortung des Opfers konnte hier nicht die Rede sein, weil die für die Ausübung der Selbstbestimmungsfreiheit konstitutive Freiverantwortlichkeit nicht vorlag. Verkennt der Dritte den Umstand, dass er die Tat besser überblickt als der Rechtsgutsträger selbst, ist zu prüfen, ob ihm zumindest eine Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen der Fahrlässigkeit nachzuweisen ist.432 Eine solche Sorgfaltswidrigkeit kommt im Übrigen auch dann in Betracht, wenn der Dritte dem Opfer nur suggeriert, das Risiko vollständig zu überblicken.433 Indem er den Rechtsgutsträger in Sicherheit wiegt, verhindert er, dass das Opfer die Gefahr im vollen Umfang erkennt. Als Beispiel hierfür kann die Entscheidung des LG Waldshut-Tiengen434 angeführt werden. Der Zuschauer eines Mountainbike-Rennens, welcher sich hinter der vorgegebenen Absperrung befunden hatte, war infolge des Sturzes eines Fahrers von dessen Mountainbike am Kopf getroffen worden und daraufhin verstorben. Das LG verneinte hier eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seitens des Zuschauers mit der Begründung, dass der Veranstalter durch die Absicherung der Gefahrenstelle mittels Absperrband den Zuschauern die Unbedenklichkeit des Aufenthaltsorts suggeriert hatte und ein Zuschauer sich im Gegensatz zu den Organisatoren des Rennens keinen Überblick über die Gefahrenlage hatte verschaffen können.435 Innerhalb der Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung stellt es im Übrigen keinen die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers ausschließenden Mangel dar, wenn der sich Gefährdende auf das Ausbleiben des Erfolges hofft.436 Relevant ist, dass der Rechtsgutsträger 429
BGHSt 32, 38 (39 f.). BGHSt 32, 38 (41 f.); vgl. zur Problematik der Irrtümer auf Seiten des Opfers die ausf. Darstellung Charalambakis, GA 1986, 485 (495 ff.). 431 Diese Sachverhalte, in denen der Dritte das Opfer täuscht, sind von den Konstellationen abzugrenzen, in denen der Mitwirkende durch den Rechtsgutsträger selbst getäuscht wird. Dazu später mehr. 432 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 37; Fischer, Th., StGB, Vor §§ 211–216 Rn. 22 jeweils m. w. Nachw. 433 Vgl. OLG Karlsruhe (SchiffObGer.) NZV 1996, 325 (326). 434 LG Waldshut-Tiengen NJW 2002, 153. 435 LG Waldshut-Tiengen NJW 2002, 153 (154); vgl. hierzu auch Duttge, NStZ 2006, 266 (272). 430
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die ihm drohende Gefahr erkennt.437 S. Walther fordert in diesem Sinne eine Art sachgedanklichen Mitbewusstseins des Rechtsgutsträgers, wonach dieser weiß, dass es jederzeit und nur vom Zufall abhängig ist, ob es zu einem bestimmten Erfolgseintritt kommt oder ein solcher ausbleibt.438 So gefährdet sich der Rechtsgutsträger immer dann und nur dann bewusst, wenn er die risikoträchtige Unternehmung vollends überblickt.439 Wenn der Rechtsgutsträger das Geschehen allerdings nicht oder nicht vollständig erfasst, sich also unbewusst der Gefahr aussetzt, liegt eine unbewusste Selbstgefährdung vor, die beim Dritten die Möglichkeit einer Strafbarkeit im Rahmen der mittelbaren Täterschaft oder einer Strafbarkeit im Fahrlässigkeitsbereich eröffnet.440 In derartigen Konstellationen wird die Verantwortung des Dritten nicht nach dem Eigenverantwortungsprinzips verdrängt, weil eine Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers nicht besteht.
2. Die objektive Komponente des Eigenverantwortungsprinzips Die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung des Eigenverantwortungsprinzips.441 Die Leitidee von der Eigenverantwortung des Menschen knüpft, wie zu Beginn der Konzeption der Eigenverantwortung als Rechtsprinzip heraus436 BGHSt 32, 262 (265); ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 437 Vgl. Herzberg, JA 1985, 265 (270); Jahn, M., ZIS 2006, 57 (59); Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (174); vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 191. 438 Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 103; ganz ähnl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (169), der ein „Verletzungsbewusstsein“ fordert; krit. gegenüber dem Gefährdungsbewusstsein im Rahmen der Fremdgefährdung Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 23. 439 Zwischen unbewusster und bewusster Selbstgefährdung differenzieren u. a. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 153 f., 180 f. m. w. Anm.; ähnl. Dach, Zur Einwilligung bei Fahrlässigkeitsdelikten, S. 4; ähnl. auch Herzberg, JA 1985, 265 (265 ff.); ähnl. ferner Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 32 f. 440 Vgl. hierzu Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 180 ff., 226 f., der in diesem Zusammenhang auch von einem Irrtum über die Gefahrenfreiheit spricht (vgl. S. 153); ähnl. Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 49; ähnl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 62. 441 Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 146; ebenso Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (308), welche die Freiverantwortlichkeit als eine im Wesentlichen empirisch verifizierbare Anforderung an den Selbsttötungsentschluss bezeichnen und von der Eigenverantwortlichkeit als eine normative Zuständigkeit abgrenzen, die der Kennzeichnung von Verantwortlichkeitsregeln dient; vgl. ferner Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 5 f. m. w. Nachw.; vgl. auch Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 171 f.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
gestellt, an das freie Handeln des Einzelnen an.442 Neben der Freiheit, deren Maßstab die Freiverantwortlichkeit ist, muss der Einzelne auch handeln. Erforderlich ist folglich, dass die Eigenverantwortung in einem objektiven Element sichtbar wird.443 Der Rechtsgutsträger muss also selbst tätig werden. An dieser Stelle sei an die verfassungsrechtliche Verankerung des Eigenverantwortungsprinzips erinnert: Es ist die Unmittelbarkeit der gegen sich selbst gerichteten Handlung des Rechtsträgers, der nur seinen Rechtskreis berührt, die den Vorrang der Selbstbestimmungsfreiheit begründet und jede Form staatlicher Bevormundung zum Schutz des Suizidenten oder sich Gefährdenden vor sich selbst verdrängt.444 Fehlt es an dieser Unmittelbarkeit, bewirkt also das Handeln einer anderen Person unmittelbar den Erfolgseintritt, ist der Gesetzgeber dazu legitimiert, derartige Eingriffe von Seiten Dritter zum Schutz des menschlichen Lebens im Sinne des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu pönalisieren, so wie er es bspw. mit der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB bezweckt.445 Diese objektive Komponente gilt es auch im Strafrecht zu beachten. Damit das Eigenverantwortungsprinzip zur Anwendung gelangen kann, muss dementsprechend der Rechtsgutsträger den Erfolgseintritt unmittelbar herbeigeführt haben. Das Unmittelbarkeitskriterium erklärt im Übrigen auch die Strafbarkeit des Mitwirkenden in Sachverhaltskonstellationen, in denen der Rechtsgutsträger seinen Todeswunsch nicht offenbart und so den anderen zu seinem Werkzeug der eigenen Selbsttötung oder Selbstgefährdung macht.446 Beispielhaft sei hier der Fall des Zivildienstleistenden erwähnt, der einen Schwerstbehinderten auf dessen Wunsch in Folie einhüllte und in einem Müllcontainer ablegte, wo dieser verstarb.447 Als weiteres Beispiel lässt sich ein Fall des OLG Nürnberg anführen. Ein Ehemann forderte seine Frau mit den Worten „Hab’ keine Angst, da gibt es keine Patronen!“ auf, 442
Vgl. Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2309); ausf. hierzu Kapitel D. I. S. 77 ff. 443 Vgl. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, S. 146 f. 444 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff., Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff., Kapitel E. I. 2. a) bb) S. 128 ff. 445 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff. 446 S. auch die vergleichende Darstellung der Verleitung zum Suizid durch Täuschung im deutschen und spanischen Strafrecht bei Conde, ZStW 106 (1994), 547 (insb. 556 ff.). 447 BGH NJW 2003, 2326, der einen Freispruch des Zivildienstleistenden ablehnte, weil die Gefährdungsherrschaft nicht beim Opfer lag, so dass eine grundsätzlich nach § 222 StGB strafbare Fremdgefährdung vorlag (S. 2327 ff.).
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mit einer Pistole auf Stirn und Schläfe zu zielen und abzudrücken.448 Die waffenunkundige Frau verkannte, dass sich eine Patrone im Lauf befand, die ihren Mann, wie von ihm geplant, tötete. In beiden Fällen fehlt es an der Unmittelbarkeit der Erfolgsherbeiführung, so dass eine prospektive wie retrospektive Verantwortung des „Mitwirkenden“ hinsichtlich des fremden Rechtsguts Leben bestehen bleibt. Der Umstand, dass das Opfer sterben wollte, hebt das Unrecht der Tötung nicht auf.449 Die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers kann das verwirklichte Unrecht und damit die Verantwortung des Täters allenfalls begrenzen.
3. Zwischenergebnis Die voranstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass auf das Eigenverantwortungsprinzip im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortungszurechnung nur dann rekurriert werden kann, wenn der Rechtsgutsträger freiverantwortlich agiert und er seinen Tod unmittelbar herbeigeführt hat. Die Freiverantwortlichkeit und Unmittelbarkeit sind allerdings nur Kriterien, welche die Anwendung des Eigenverantwortungsprinzips begründen. Die hinter dem Eigenverantwortungsprinzip verborgene Leitidee, wonach die Mitverantwortung von der Eigenverantwortung verdrängt wird, ist ihrer Natur nach „nur“ ein Auslegungskriterium, das innerhalb der strafrechtlichen Wertung Berücksichtigung finden muss.450 Besondere Relevanz entfaltet das Eigenverantwortungsprinzip dabei im Kontext der Abgrenzung der Fremdtötung bzw. Fremdgefährdung von der bloßen Mitwirkung an einer Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung, die sich nach Ansicht der Rechtsprechung dogmatisch am Kriterium der Tatherrschaft orientiert. Welche Wirkung das Eigenverantwortungsprinzip auf das Tatherrschaftskriterium hat, zeigt der folgende Überblick.
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OLG Nürnberg NJW 2003, 454 (455). So bspw. Herzberg, NStZ 2004, 1 (7 f.); ders., in: FS Puppe, S. 497 (503 ff.), der noch ein weiteres Beispiel anführt, wonach ein Autofahrer aus Unachtsamkeit einen auf der Straße liegenden Suizidenten totfährt (vgl. S. 507); a. A. Duttge, in: FS Otto, S. 227 (245 f.); Engländer, Jura 2004, 234 (236 f.); a. A. ferner Kühl, Jura 2010, 81 (82) m. w. Nachw.; a. A. auch Roxin, in: FS Otto, S. 441 (442 ff.); Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/I, Rn. 65 a; differenzierend Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 (400 f.). 450 Vgl. hierzu Kapitel D. III. S. 84 f. 449
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
4. Das Eigenverantwortungsprinzip und das Tatherrschaftskriterium a) Die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium der straflosen Teilnahme am fremden Suizid von einer täterschaftlichen Fremdtötung Die Tatherrschaft ist ein Kriterium zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme und dient somit der Begrenzung von Verantwortungsbereichen im Strafrecht. Da das Eigenverantwortungsprinzip die Verantwortungszuschreibung in den Konstellationen der Selbsttötung und Selbstgefährdung sowie der Mitwirkung hieran maßgeblich bestimmt, wird deutlich, dass die Überlegungen zur Tatherrschaft in den hier relevanten Fallkonstellationen der Abgrenzung strafloser Suizidteilnahme von strafbarer Fremdtötung nicht losgelöst vom Eigenverantwortungsprinzip vorgenommen werden können. Vielmehr ist es geboten, sich bei der Bestimmung der Tatherrschaft an der Eigenverantwortung als grundlegendem Rechtsprinzip zu orientieren.451 Zu Beginn sei erwähnt, dass „die“ Tatherrschaft452 als Kriterium zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Rahmen der Vorsatzdelikte in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, anders als in der Lehre453, nicht immer anerkannt war.454 So bestimmte der BGH im Anschluss an die Ent451 Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 ff. Rn. 71; ganz ähnl. auch Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 32 ff., 35, der allerdings die objektive Zurechnung als zu berücksichtigende dogmatische Kategorie benennt. 452 Vgl. Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 ff. Rn. 62 ff., der zum einen darauf hinweist, dass es nicht „die eine“ Tatherrschaftslehre gibt, sondern viele verschiedene Ausprägungen und der zum anderen einen Überblick über die verschiedenen Ansätze bietet. Zur Entwicklung der Tatherrschaftslehre vgl. auch die Ausführungen von Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, insb. §§ 2–14 S. 4 ff.; ferner Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 16 ff.; zu den unterschiedlichen Konzeptionen der Tatherrschaftslehren vgl. des Weiteren die Abhandlung von Schild, Tatherrschaftslehren, 2009. 453 Vgl. statt vieler Heine, in: Schönke/Schröder, Vor § 25 ff. Rn. 62 ff. m. w. Nachw.; vgl. SK-StGB/Hoyer, § 25 Rn. 10 ff.; Joecks, in: MünchKommStGB, Bd. I, 2. Aufl., § 25 Rn. 34; Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, § 25 Rn. 825 ff., 844 ff.; Kühl, StGB, Vor §§ 25 ff. Rn. 4, 6; LK-StGB/Schünemann, § 25 Rn 32 ff. 454 Die folgenden Ausführungen zum Problem der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme sind stark verkürzt und nur auf den Bereich der Mitwirkung an fremder Selbsttötung bezogen. Eine ausführliche Auflistung und Wertung der relevanten Urteile und Beschlüsse zur Abgrenzung der Beteiligungsformen lieferte bereits Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 14 S. 90 ff. und § 43 S. 558 ff.; ausf. ferner Johannsen, Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung,
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scheidungspraxis des RG455 die Trennungslinie zwischen den Beteiligungsformen zunächst mit Hilfe der subjektiven Theorie (auch Animus-Theorie), wonach allein der Willen des Handelnden darüber entscheiden sollte, wer als Täter und wer als Gehilfe bzw. Anstifter zu qualifizieren sei.456 Relevant war, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat als eigene wollte, ob er einen Tatherrschaftswillen oder ein sonstiges eigenes Interesse an der Tat besaß.457 Dass diese rein subjektive Betrachtung nur einen begrenzten Nutzen hatte, zeigte sich insbesondere in den Konstellationen, in denen der Angeklagte nicht nur im Vorfeld unterstützend tätig geworden war, sondern auch am konkreten Tatgeschehen aktiv mitgewirkt hatte.458 Besonders deutlich tritt dieses Problem in den Fallgruppen des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes hervor.459 Der BGH selbst stellte fest, dass der § 216 StGB tatbestandlich eine Unterordnung des Täters unter den Willen des Lebensmüden voraussetzt und folglich die Orientierung am Willen des Handelnden in den Fällen, in denen beide Tatbeteiligte ihrem Leben gemeinsam ein Ende setzen wollen, zur Feststellung der Täterschaft „nicht geeignet ist, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten“460. Hieraus schlussfolgerte der BGH im sogenannten „Gisela-Fall“: „Sieht man von einer nach subjektiven Merkmalen ausgerichteten Entscheidung ab, dann kann es allein darauf ankommen, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat. Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe.“461 S. 22 ff., 51 ff.; Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 25 Rn. 17 ff.; Schild, Tatherrschaftslehren, S. 83 ff. 455 Vgl. beispielhaft RGSt 74, 84; s. auch Überblick zur Rechtsprechung des RG bei Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 25 StGB Rn. 18 f. 456 Vgl. statt vieler BGHSt 18, 87 (89 ff.); Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 149 f.; Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 58; vgl. SK-StGB/Hoyer, § 25 Rn. 4 ff.; ausf. Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 25 StGB Rn. 6 ff.; ausf. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 14 S. 90 ff. 457 Vgl. beispielhaft den sogenannten „Badewannen-Fall“ RGSt 74, 84 (85) sowie den „Hammerteich-Fall“ BGHSt 13, 162 (166); zu Letzterem s. auch BGHSt 19, 135 (138); ausf. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 14 S. 101 f. 458 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; vgl. LK-StGB/Jähnke, § 216 Rn. 11; vgl. auch NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 47. 459 Vgl. die kritische Darstellung bei Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (160 ff.); vgl. auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 43 S. 567 ff.; ders., NStZ 1987, 345 (346). 460 BGHSt 19, 135 (138 f.); vgl. auch Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 (399). 461 BGHSt 19, 135 (139 f.); vgl. auch BGH GA 1986, 508 (508 f.).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Auch wenn, wie insbesondere Roxin wiederholt betonte, die Äußerungen der Rechtsprechung zur Abgrenzung der Beteiligungsformen nicht immer einheitlich und zum Teil auch konträr sind,462 lässt sich konstatieren, dass diese zur sogenannten „normativen Kombinationstheorie“463 tendiert, die in sich subjektive und objektive Kriterien derart vereint, dass der Täterwille aus den Gesamtumständen der Tat, also insbesondere der Tatherrschaft, zu ermitteln ist.464, 465 Der mitwirkende Dritte ist folglich nur dann strafloser Teilnehmer, wenn er die Tat nicht beherrscht, der Suizident also das Geschehen in den Händen hält und somit Zentralgestalt des Geschehens ist.466 Objektive Voraussetzung467 hierfür ist die Herrschaft nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat, d.h., der Täter hat den Erfolg unmittelbar bewirkt bzw. sein Tatbeitrag ist für das Gesamtgeschehen wesentlich.468, 469 Subjektiv bedarf es eines Täterwillens, d.h., der Täter muss sich seines zentralen 462 Vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 43 S. 642 ff.; ferner Schild, Tatherrschaftslehren, S. 88. 463 Zum Begriff der normativen Kombinationstheorie vgl. Heine, in: Schönke/ Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 87 ff.; SK-StGB/Hoyer, § 25 Rn. 6; vgl. ferner Johannsen, Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung, S. 128 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 14 S. 96, § 43 S. 644; krit. gegenüber dem Begriff Schild, Tatherrschaftslehren, S. 84 f., 88. 464 Vgl. Beckert, Strafrechtliche Probleme, S. 150 f.; ausf. Bringewat, Grundbegriffe des Strafrechts Grundlagen, Rn. 672 f.; Johannsen, Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung, S. 32; vgl. ferner Schild, Tatherrschaftslehren, S. 91; Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 123 f.; vgl. Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 166 ff.; krit. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 43 S. 642 ff.; vgl. ferner die Ausführungen zu BGHSt 53, 55 (60 f.) in Kapitel F. V. 4. c) S. 227 ff. 465 Dies lässt sich auch anhand von Entscheidungen außerhalb des Problemkreises der Abgrenzung der Selbsttötung von einer Fremdtötung belegen. Vgl. hierzu bspw. BGHSt 8, 393 (395 f.); ein Überblick findet sich zudem bei Heine, in: Schönke/ Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 87 ff. sowie LK-StGB/Schünemann, § 25 Rn. 22 f., 28; ausf. ferner Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 14 S. 96 ff. 466 Statt vieler Joecks, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 25 Rn. 13 m. w. Nachw.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 6 S. 25 f.; vgl. hierzu Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 28 m. w. Nachw. 467 Zur Differenzierung der Tatherrschaft in ein objektives und subjektives Element ausf. Pen˜a/Conlledo, in: FS Roxin, S. 575 (586 ff.). 468 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rn. 26 sowie Krey/Esser, Deutsches Strafrecht AT, § 25 Rn. 829 jeweils m. w. Nachw. 469 Ausf. zur Vereinbarkeit der Strafbarkeit mehrerer Beteiligter nach § 25 StGB mit dem Eigenverantwortungsprinzip Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 3 Rn. 37 ff. Er stellt zutreffend fest, dass sich die Handlungsfreiheit und folglich auch die Verantwortung nicht auf das Verhalten einer anderen Person erstrecken (Rn. 40). Ist aber die Handlungsfreiheit der anderen Person, bspw. durch Willens- oder Wissensmängel, beschränkt, erweitert sich der eigene Verantwortungsbereich (Rn. 40); vgl. hierzu auch die Ausführungen zur stellvertretenden Verantwortung in Kapitel D. I. S. 80.
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Tatbeitrages bewusst sein.470 In aller Kürze lässt sich Tatherrschaft als das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandlichen Geschehensablaufes definieren.471 Will man in den hier relevanten Konstellationen die straffreie Teilnahme am fremden Suizid von einer Fremdtötung abgrenzen, muss bei der Feststellung, ob der Rechtsgutsträger oder der Dritte Tatherrschaft innehat, das Eigenverantwortungsprinzip berücksichtigt werden. Orientiert an den Voraussetzungen, die an eine Eigenverantwortung des Rechtsträgers zu stellen sind, kann dieser nur dann die Zentralgestalt des Geschehens sein, wenn er zum einen freiverantwortlich agiert und er zum anderen seinen Tod unmittelbar selbst bewirkt.472, 473 Besondere Relevanz entfaltet hierbei die Freiverantwortlichkeit. Wird der Rechtsgutsträger zum Suizid gezwungen oder unterliegt er sonst einem relevanten Willens- oder Wissensdefizit, kann von einem vorsätzlichen Agieren im Sinne des animus auctoris, wie es eine Selbsttötung erfordert, nicht mehr die Rede sein, so dass in letzter Konsequenz dem Rechtsgutsträger keine Herrschaft am Geschehen zukommen kann. Als Beispiel aus der Rechtsprechungspraxis zur Abgrenzung der vorsätzlichen Teilnahme am fremden Suizid von einer strafbaren Fremdtötung sei an den bereits erwähnten „Fall Hackethal“ erinnert, in dem das OLG München den Arzt sowie die sonstigen Mitwirkenden wegen strafloser Beihilfe zum Suizid freisprach.474 In seiner Begründung verwies das OLG darauf, dass die Aushändigung des Giftes an die schwerkranke Patientin ihr nur die Möglichkeit eröffnet hatte, sich das Leben zu nehmen.475 Die Patientin hatte den Giftbecher selbstständig ausgetrunken und bis zuletzt die freie 470
Ausf. hierzu Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 29 S. 315 ff.; vgl. zudem Pen˜a/Conlledo, in: FS Roxin, S. 575 (586) m. w. Anm., die auf die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten des subjektiven Elements, insb. im Kontext des Finalismus, verweisen. 471 Vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 47.; vgl. Pen ˜ a/ Conlledo, in: FS Roxin, S. 575 (586). 472 Vgl. statt vieler BGHSt 19, 135 (139 f.), der zur Abgrenzung strafloser Suizidbeihilfe von § 216 StGB konstatiert, dass nicht nur die Beherrschung des Gesamtgeschehens, sondern insb. die Herrschaft im konkret todbringenden Moment für die Abgrenzung signifikant ist. 473 In diesem Zusammenhang sei auch auf die Fallkonstellationen hingewiesen, in denen von den Beteiligten geplant war, dass der Dritte dem Suizidenten nur beim Sterben behilflich sein sollte, der Sterbewillige aber an einem unerkannten Defekt leidet. Entscheidend ist, wer das Geschehen tatsächlich beherrscht, nicht, wer es beherrschen sollte oder wollte. Vgl. hierzu BGHSt 2, 150 (156); ferner LK-StGB/ Jähnke, Vor § 211 Rn. 30; krit. aber BGHSt 13, 162 (166). 474 OLG München NJW 1987, 2940 (2941 f.); s. Kapitel B. I. 2. a) S. 27 f. 475 OLG München NJW 1987, 2940 (2942); ähnl. auch BGH NJW 2001, 1802.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Entscheidung darüber behalten, ob sie das Gift einnimmt oder nicht, so dass allein sie das zum Tode führende Geschehen beherrschte.476 Anders entschied der BGH bspw. im sogenannten „Scophedal-Fall“ oder „Erbonkel-Fall“.477 Der Angeklagte spritzte seinem im Sterben liegenden Onkel, der sich zuvor Scophedal injiziert hatte, aus Angst, der Selbstmordversuch würde misslingen, das Medikament (absprachegemäß) nach und beschleunigte den Todeseintritt um mindestens eine Stunde.478 Der BGH sprach sich zutreffend für eine Strafbarkeit aus und erklärte: „Das LG ist (. . .) mit Recht davon ausgegangen, daß der Angekl. nicht etwa Beihilfe zu dem freiverantwortlich ins Werk gesetzten Selbstmord des Onkels geleistet hat, als er ihm die tödliche Injektion gab. Der Onkel lag zu diesem Zeitpunkt „in tiefer Bewußtlosigkeit“, hatte also jede Möglichkeit der Beeinflußung des Geschehens verloren. Die Tatherrschaft lag damit ausschließlich beim Angekl.; der weitere Verlauf hing – wie er wußte – allein von seinen Entscheidungen ab. Auch wenn er mit seinem Verhalten den früher geäußerten Wunsch des Onkels erfüllen und sich dessen Selbsttötungswillen unterordnen wollte, war er damit Täter und nicht nur Gehilfe bei einer fremden Tat.“479
Ähnlich gelagert war auch ein Fall aus der jüngeren Vergangenheit. Der Angeklagte hat seine Ehefrau, nachdem diese einen erneuten epileptischen Anfall erlitten hatte, auf ihr vermeintliches Verlangen hin zunächst mit dem Hammer bewusstlos geschlagen und sie anschließend mit mehreren Messerstichen in den Hals getötet.480 Auch hier lag die Tatherrschaft allein beim Ehemann. Es lässt sich resümieren, dass die Tatherrschaft unter Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips die Abgrenzung einer vorsätzlichen Teilnahme an einer fremden Selbsttötung von einer täterschaftlichen Fremdtötung bzw. Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB ermöglicht.481 476
Ebda. BGH NJW 1987, 1092. 478 BGH NJW 1987, 1092; vgl. auch die weiteren Fallbeispiele bei Herzberg, NStZ 1989, 559 (561). 479 BGH NJW 1987, 1092 (1092); zust. statt vieler Schneider, in: MünchKommStGB, Bd. III, 1. Aufl., § 216 Rn. 48 f. 480 Ausf. zu diesem Fall BGH NStZ 2012, 85. 481 Statt vieler BGHSt 19, 135 (137 f.); vgl. auch Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (574). Verzichtet wird an dieser Stelle auf eine ausführliche Darstellung der Diskussion um die konkrete Formulierung des Abgrenzungskriteriums im Rahmen des § 216 StGB. Ausf. hierzu Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 11; Fischer, Th., StGB, § 216 Rn. 4 ff.; NK-StGB/Neumann, § 216 Rn. 5 ff.; Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 27 ff. jeweils m. w. Nachw. Hinzuweisen ist im Kontext der Fälle einseitig fehlgeschlagener Doppelselbstmordversuche, wie bspw. BGHSt 19, 135 (137 ff.) oder dem vergleichbaren Fall des 477
V. Exkurs
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b) Die Abgrenzung der fahrlässigen Suizidmitwirkung von einer Fahrlässigkeitstäterschaft Wie verhält es sich nun mit der Abgrenzung der straflosen fahrlässigen Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung von einer Strafbarkeit wegen einer Fahrlässigkeitstäterschaft nach § 222 StGB? Die Rechtsprechung bedient sich auf der Grundlage ihres Erst-Recht-Schlusses zur Abgrenzung fahrlässiger Täterschaft von strafloser fahrlässiger Mitwirkung ebenfalls des Tatherrschaftskriteriums. Die fahrlässige Mitwirkung ist folglich nur dann straffrei, wenn dasselbe Handeln sich bei Vorsatz nur als Beihilfe zum Suizid darstellen würde.482 Wie mehrfach erläutert, liegen die Voraussetzungen RG, in dem ein Liebespaar durch Aufdrehen der Gashähne aus dem Leben treten wollte (Merkel, JW 1921, 579), aber noch auf die Diskussion um die Möglichkeit der mittäterschaftlichen Zusammenwirkung des Suizidenten und des Dritten. Insb. Herzberg vertrat lange Zeit die Ansicht, dass es für die grundsätzliche Anwendung des § 25 Abs. 2 StGB in derartigen Fällen nicht relevant sei, dass als mittäterschaftlicher Tatbeitrag neben einer Fremdtötung eine Selbsttötung vorliegt. Vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 74 ff.; ders., JA 1985, 131 (137, Fußn. 19); anders erst später ders., JuS 1988, 771 (775); ders., NStZ 1989, 559 (560); ders., NStZ 2004, 1 (3). Der Sinn und Zweck der Mittäterschaft ist es, dass ein arbeitsteiliges Vorgehen bezogen auf die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale den Tätern nicht zugutekommen soll. So Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (574); vgl. Frister, Strafrecht AT, Kap. 25 Rn. 15; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 27 S. 277 ff. Eine wechselseitige Tätigkeitsanrechnung (Kühl, StGB, § 25 Rn. 9; Küper, JZ 1979, 775 (786)) ist im Falle der Mitwirkung am fremden Suizid allerdings gerade nicht möglich. Das fehlende Unrecht auf Seiten des Suizidenten kann das mittäterschaftliche Unrecht des Dritten nicht vervollständigen, weil die Selbsttötung kein strafrechtliches Unrecht darstellt. Vgl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 331 f.; ähnl. Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 271; ähnl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 32 f.; Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 (398); ähnl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (307); ähnl. LK-StGB/Jähnke, § 216 Rn. 13; vgl. NK-StGB/Neumann, Vor § 211 Rn. 50; vgl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (160); vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 104; Roxin, NStZ 1987, 345 (347); ders., Täterschaft und Tatherrschaft, § 43 S. 568; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (574 f.); ähnl. auch Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 134. Diese normteleologische Besonderheit des § 216 StGB steht im Übrigen nicht nur einer analogen Anwendung des § 25 Abs. 2 StGB entgegen (ähnl. Hohmann/König, Pia, NStZ 1989, 304 (307); Roxin, NStZ 1987, 345 (347); ders., Täterschaft und Tatherrschaft, § 43 S. 568), sondern sollte auch zu einem Verzicht auf die irreführende Bezeichnung einer „quasi-mittäterschaftlichen Zusammenwirkung“ führen. Diese findet sich bspw. bei Chatzikostas, Die Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 38, 269, 275 f.; Herzberg, JuS 1988, 771 (775); vgl. Kühl, Jura 2010, 81 (83); ähnl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (165); vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 43 S. 568; ferner Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (575). 482 Vgl. z. B. BGHSt 24, 342 (343 f.); BGH NJW 2009, 2611 (2612); OLG Nürnberg NJW 2003, 454; vgl. ferner Herzberg, JA 1985, 131 (135); vgl. Martin, JuS 2003, 408 (409).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
für einen Erst-Recht-Schluss von der vorsätzlichen Suizidteilnahme auf die fahrlässige Suizidmitwirkung allerdings nicht vor.483 Die Frage, die sich hieran anschließt, ist, ob das Tatherrschaftskriterium innerhalb der Fahrlässigkeitsdelikte zur Anwendung kommen kann. Das Eigenverantwortungsprinzip erfordert in Konstellationen der fahrlässigen Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung ein Korrektiv im Straftatbestand. Dies erfolgt innerhalb der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit der Mitwirkung und der Vorhersehbarkeit des Suizides.484 Innerhalb dieser Kriterien sind die Voraussetzungen für die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers zu berücksichtigen, d.h., er muss freiverantwortlich agieren und seinen Tod unmittelbar herbeiführen. Eine mögliche fahrlässige Täterschaft des Dritten gem. § 222 StGB kommt immer dann und nur dann in Betracht, wenn dieser durch sein Verhalten den Erfolgseintritt unmittelbar bewirkt, d.h. den Lebensmüden direkt tötet, oder wenn er den Tod nur mittelbar herbeiführt, aber die Voraussetzungen der Freiverantwortlichkeit auf Seiten des Rechtsgutsträgers nicht vorliegen. Ob das Eigenverantwortungsprinzip als Kriterium zur Haftungsbeschränkung genügt oder das Tatherrschaftskriterium bzw. eine an die Eigenart der Fahrlässigkeitsdelikte angelehnte modifizierte Form der Risikoherrschaft im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte zur Anwendung kommen muss485, ist für die hiesige Untersuchung nicht von Belang. Auf eine ausführliche Streitdarstellung dieses Grundsatzproblems kann an dieser Stelle daher verzichtet werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Diskussion um die Anwendbarkeit des Tatherrschaftskriteriums ihren Ausgangspunkt in den unterschiedlichen Täterbegriffen der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte nimmt.486 Erkennt man, wie zuvor geschehen, im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte den Einheitstäterbegriff an, ist es nur konsequent, das Tatherrschaftskriterium – auch außerhalb der hier diskutierten Konstellationen – abzulehnen.487 483
Ausf. hierzu Kapitel C. III. 2. a) S. 58 ff. Krit. hierzu Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 insb. Rn. 62 ff. 485 So aber Otto, in: FS Spendel, S. 271 (276 ff.); ders., Jura 1990, 47 (48 f.); ders., Jura 1998, 409 (411 f.); Pen˜a/Conlledo, in: FS Roxin, S. 575 (600 ff.); auch Renzikowski, HRRS 2009, 347 (350); ähnl. ders., Restriktiver Täterbegriff, S. 272 ff.; ausf. Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 5 Rn. 1 ff., zusammenfassend Rn. 142 f., 193; Walther, S., Eigenverantwortlichkeit, S. 144 ff., 174; ähnl. Welp, JR 1972, 426 (428). 486 Vgl. hierzu Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 487 Bockelmann, ZStW 66 (1954), 111 (117), der ausführt, dass die Besonderheit der Fahrlässigkeit gerade in der fehlenden Tatherrschaft besteht; ders., Sonderheft zu ZStW 1957, 46 (60); vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 47 f.; vgl. Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 78 (90 ff.); vgl. auch Kühl, 484
V. Exkurs
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Zudem ist fraglich, ob das Eigenverantwortungsprinzip oder, wie bspw. Otto und Schneider allgemeiner formulieren, das Verantwortungsprinzip488 die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium erfordert. Das Rechtsprinzip der Eigenverantwortung besagt, dass der Einzelne nur für sein eigenes Handeln und die hieraus resultierenden Folgen die Konsequenzen tragen, d.h. Verantwortung übernehmen muss.489 Vorgaben darüber, wie diese Abgrenzung der Verantwortungsbereiche strafrechtlich realisiert wird, macht das Prinzip aber nicht. D.h., auch wenn die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium von Täterschaft und Teilnahme im Vorsatzbereich an die Leitidee des Eigenverantwortungsprinzips anknüpft, muss dies nicht auch im Fahrlässigkeitsbereich gelten.490 c) Die Tatherrschaft im Kontext der Selbstgefährdung Der Leitentscheidung zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung im sogenannten „Heroinspritzen-Fall“ lässt sich, bezogen auf die Abgrenzung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung von der strafbaren einverständlichen Fremdgefährdung491, nur folgende Aussage entnehmen: „Die Strafbarkeit kann erst dort beginnen, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende (. . .).“492
Darüber hinaus verweist der BGH in seinen Entscheidungsgründen wiederholt auf die allgemeinen Ausführungen Jähnkes zur Abgrenzung von Selbstverletzung und Fremdverletzung im Leipziger Kommentar, so dass anzunehmen ist, dass der BGH auch im Rahmen der Differenzierung zwiStGB, Vor §§ 25 ff. Rn. 2; NK-StGB/Puppe, Vor § 13 Rn. 179; Puppe, Strafrecht AT, 2. Aufl., § 6 Rn. 6; dies., Strafrecht AT, 1. Aufl., § 5 Rn. 31; dies., GA 2009, 486 (491 ff.); vgl. Stratenwerth, in: FS Puppe, S. 1017 (1019); vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (538 ff., 556 ff.); zum Begriff der Finalität sowie der Finalstruktur der bewussten Fahrlässigkeit im Unterschied zum Vorsatz vgl. die ausführliche Darstellung bei Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, § 22 S. 181 ff. m. w. Nachw. 488 Otto, in: FS Spendel, S. 271 (276, 278); Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, u. a. Kap. 3 Rn. 38; vgl. hierzu auch Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 83 ff. m. w. Nachw. 489 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. 490 A. A. statt vieler Otto, in: FS Spendel, S. 271 (281 f.); Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 65, 136, 161, 291. 491 Vgl. hierzu nochmals die Ausführungen und Nachweise zur Ungleichwertigkeit von Selbstgefährdung und Fremdgefährdung in Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff. 492 BGHSt 32, 262 (265); vgl. LK-StGB/Jähnke, § 222 Rn. 21/Selbstgefährdung.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
schen Selbstgefährdung und Fremdgefährdung auf die allgemeinen Regeln der Teilnahmelehre zurückzugreifen und folglich die Tatherrschaft als Abgrenzungskriterium angewendet sehen will.493 Dies bestätigt sich in einer aktuelleren Entscheidung über ein tödlich endendes Beschleunigungsrennen vom 20.11.2008, in welcher der BGH sich zur Frage der Abgrenzung der verschiedenen Sachverhaltsgruppen wie folgt äußerte: „Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beihilfe an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -schädigung und der – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdschädigung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. (. . .) Dies gilt im Grundsatz ebenso für die Fälle fahrlässiger Selbst- bzw. Fremdgefährdung. Dabei bestimmt sich auch hier die Abgrenzung zwischen der Selbst- und Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den Geschehensablauf, die weitgehend nach den für die Vorsatzdelikte zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien festgestellt werden kann (. . .).“494
Ähnlich argumentierte bereits 1998 das OLG Düsseldorf in einem Fall sogenannten „Autosurfens“ mehrerer Freunde. Der auf dem Dach befindliche Jugendliche hatte sich nicht mehr festhalten können und war während der Fahrt so schwer gestürzt, dass er fortan pflegebedürftig war. Das OLG bejahte hier eine Fremdgefährdung, weil allein der Angeklagte, der zum Zeitpunkt des Sturzes das Fahrzeug führte, die Herrschaft über das Geschehen innehatte.495 Hiernach wäre im Übrigen auch der berühmte „MemelFall“ heute der Fallgruppe der einverständlichen Fremdgefährdung zuzuordnen, weil allein der Fährmann den Kahn durch die Fluten lenkte und folglich die Herrschaft über das Geschehen bei ihm lag.496 Wie bereits im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung ausgeführt, ist die Fremdgefährdung ein Problem der rechtfertigenden Einwilligung und führt grundsätzlich zur Strafbarkeit, weil eine wirksame Einwilligung seitens des Rechtsgutsträgers in die konkrete Lebensgefahr an der Wertung des § 216 StGB scheitern muss.497 Ein wichtiger, wenn auch nur begrifflicher Unterschied zu den Konstellationen der Selbsttötung ist der, dass der BGH im Zusammenhang mit der 493 Vgl. LK-StGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 22 sowie § 216 Rn. 11; s. auch Ahlers, Doping und strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 112 ff.; vgl. Altvater, NStZ 2004, 23 (25); ferner Fischer, Th., StGB, Vor § 13 Rn. 37; Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 88a ff. m. w. Nachw.; vgl. Otto, in: FS Tröndle, S. 157 (169); vgl. hierzu auch die Wertung von Schneider, St., Das Täterschaftsattribut der Risikoherrschaft, Kap. 4 Rn. 50 ff. 494 BGHSt 53, 55 (60 f.); dem folgend OLG Celle StV 2013, 27 (29) m. Anm. Rengier. 495 OLG Düsseldorf NZV 1998, 76 (77); vgl. hierzu auch BGH DAR 1959, 300. 496 RGSt 57, 359; s. auch Kapitel B. II. 1. S. 32 ff. 497 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff., insb. Fußn. 288 ff.
V. Exkurs
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Selbstgefährdung nicht (immer) von Tatherrschaft als solcher, sondern (auch) von Gefährdungsherrschaft spricht.498 Im Grunde fragen beide Begriffe, sowohl der der Tatherrschaft als auch der der Gefährdungsherrschaft, danach, wer in der Gesamtbetrachtung die Herrschaft über das zum Erfolg führende Geschehen innehatte. In diesem Sinne entschied der BGH in dem Aufsehen erregenden Fall eines Zivildienstleistende, der einen Schwerstbehinderten auf dessen Wunsch in Müllsäcke gehüllt und in einen Container gesteckt hatte, wo dieser erstickt war, mit Verweis auf das Tatherrschaftskriterium, dass das Geschehen allein in den Händen des Angeklagten lag.499 Auch wenn ihm das Opfer exakte Vorgaben erteilt und die eigentliche Suizidabsicht verschwiegen hatte, hatte letztlich der Zivildienstleistende die konkreten Gefährdungshandlungen vorgenommen.500 Eine ähnliche Begründung findet sich auch im sogenannten „Sadomaso-Fall“, wo der Angeklagte seine Lebensgefährtin im Rahmen eines Fesselspieles so schwer am Kehlkopf verletzt hatte, dass diese später verstarb.501 Obwohl seine Lebensgefährtin die Durchführung des Fesselspiels in dieser Art verlangt und ihm entsprechende Anweisungen erteilt hatte, qualifizierte der BGH das Verhalten des Angeklagten u. a. als fahrlässige Tötung nach § 222 StGB, weil dieser allein die maßgebliche Tatherrschaft über das Geschehen besaß, indem er auf das am Bett fixierte Opfer mittels eines Metallrohres einwirkte.502 In einem weiteren Sachverhalt hatte der BGH u. a. darüber zu befinden, ob die Verabreichung von Heroin bei einem Mann, der sich selbst das Heroin nicht mehr spritzen konnte und den Angeklagten um Hilfe bat, als Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 Abs. 1 StGB oder als straflose Beihilfe zur Selbstgefährdung zu werten ist. In der Entscheidung heißt es: „Maßgebliches Abgrenzungskriterium (. . .) ist (. . .) die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. (. . .) Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte das Injizieren des Heroins bei M. eigenhändig vornahm, und insbesondere, weil dieser sich die Spritze nicht selbst setzen konnte, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei täterschaftliches Handeln angenommen.“503
Eine Strafbarkeit des Dritten ist demgemäß nur dann ausgeschlossen, wenn der Rechtsgutsträger sich das Rauschmittel selbst injiziert, die Mitwirkungshandlung des Dritten folglich auf das Beschaffen und Überlassen der Betäubungsmittel oder auf das Überlassen der zum Konsum notwendi498 499 500 501 502 503
Vgl. BGH NJW 2003, 2326 (2327). BGH NStZ 2003, 537 (538); s. auch Fußn. 431. Ebda. BGHSt 49, 166. BGHSt 49, 166 (169). BGHSt 49, 34 (40).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
gen Utensilien, wie es bspw. in der Leitentscheidung BGHSt 32, 262 der Fall war, beschränkt ist, weil der Konsument letztlich durch seine eigene Hand stirbt.504 Der Rechtsprechung ist in den vorangestellten Entscheidungen im Ergebnis beizupflichten. Allerdings ist auch in den Konstellationen der Selbstgefährdung, die im Fahrlässigkeitsbereich zu verorten ist, zweifelhaft, ob, wie im vorhergehenden Abschnitt zur Abgrenzung der fahrlässigen Suizidmitwirkung von der täterschaftlichen Fremdtötung dargelegt, auf das Tatherrschaftskriterium zu rekurrieren ist.505 Konsequenter wäre es, im Rahmen Abgrenzung der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung von einer täterschaftlichen Fremdgefährdung auf das Eigenverantwortungsprinzip als Maßstab bzw. Kriterium abzustellen, an dem sich die normative Erfolgszurechnung im Fahrlässigkeitsbereich orientiert. Nach diesem hat der Mitwirkende den Tod des Rechtsgutsträgers nur dann zu verantworten, wenn er die riskante Handlung, die zum Erfolgseintritt führt, unmittelbar vornimmt oder der Rechtsgutsträger unbewusst agiert, also infolge von Wissens- oder Willensdefiziten nicht weiß, dass er sich gefährdet bzw. im welchem Umfang er sich gefährdet.506
5. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben einen Überblick darüber gegeben, wann im strafrechtlichen Sinne von einem eigenverantwortlichen Handeln des Rechtsgutsträgers auszugehen ist. Es wurde aufgezeigt, dass das Eigenverantwortungsprinzip nur zur Anwendung gelangen kann, wenn der Rechtsgutsträger freiverantwortlich agiert und er den Erfolg unmittelbar bewirkt.507 Darüber hinaus wurde deutlich, dass das Eigenverantwortungsprinzip wie jedes Rechtsprinzip ein Auslegungskriterium ist, das es innerhalb 504
Statt vieler BGH NJW 2000, 2286 (2287); BayObLG StV 1997, 307; BayObLG NJW 1995, 797 (798). 505 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. V. 4. b) S. 225 ff. 506 Unter Rekurs auf das Eigenverantwortungsprinzip ist im Übrigen die „fahrlässige Mittäterschaft“ bzw. die Mittäterschaft beim Fahrlässigkeitsdelikt (zu dieser begrifflichen Differenzierung vgl. Fischer, Th., StGB, § 25 Rn. 24) für die hier untersuchten Konstellationen abzulehnen. Für allgemeine Ausführungen vgl. Bottke, GA 2001, 463 (470 ff., insb. 473 ff.); Gropp, GA 2009, 265 (insb. 273 ff.); vgl. auch Günther, H.-L., JuS 1988, 386 (386 Erläuterung 3., 387); ausf. auch Fischer, Th., StGB, § 25 Rn. 24 ff.; Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff. Rn. 115 f.; Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 1005 m. w. Nachw.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 63 I. 3. a) S. 676 f., § 63 II. 3. S. 679; Kindhäuser, LPKStGB, Vor §§ 25 ff. Rn. 45 f.; Kühl, StGB, § 25 Rn. 13; Puppe, GA 2004, 129 (131 ff.). 507 Vgl. Kapitel F. V. 1. S. 209 ff. sowie Kapitel F. V. 2. S. 217 ff.
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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der strafrechtlichen Wertung zu beachten gilt. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Einblick in das Verhältnis zwischen dem Eigenverantwortungsprinzip und der – zumindest für den Vorsatzbereich als Abgrenzungskriterium geltenden – Tatherrschaft gegeben.508
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips Der strafrechtliche Konflikt zwischen der Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten und der Eigenverantwortung des sich Gefährdenden bzw. des Suizidenten lässt sich über das Eigenverantwortungsprinzip auflösen. Die Eigenverantwortung knüpft an die Freiheit zur Selbstbestimmung an und bewirkt, dass der Rechtsgutsträger für die Folgen seiner risikoträchtigen Entscheidung selbst einzustehen hat und vom mitwirkenden Dritten keine Rechenschaft verlangen kann.509 Die Eigenverantwortung verdrängt die Mitverantwortung des Dritten, indem sie verhindert, dass dieser durch den Staat zum Vormund ernannt und für den Suizid bzw. die Selbstgefährdung strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden kann. Hierauf aufbauend scheitert die Strafbarkeit der vorsätzlichen Mitwirkung an einem fremden Suizid bzw. einer fremden Selbstgefährdung dogmatisch an der limitierten Akzessorietät der Teilnahme nach §§ 26, 27 StGB, deren Voraussetzung einer teilnahmefähigen Haupttat bei einer allein dem Verantwortungsbereich des Rechtsgutsträgers zuzuordnenden Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung nicht erfüllt ist.510 Die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung ist insbesondere in der fehlenden Sorgfaltspflichtverletzung des Dritten gegenüber dem Rechtsgutsträger begründet, die aufgrund der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden entfällt.511 Im Rahmen der Herleitung der Eigenverantwortung als allgemeines Rechtsprinzip und im Verlauf der bisherigen Untersuchung wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass ein Rechtsprinzip keine verbindliche Norm, sondern eine Art richtungsgebender Maßstab, ein teleologisches Kriterium ist, das der Rechtsauslegung dient.512 Ein solches Kriterium kann nicht in jeder Situation gleichermaßen zur Anwendung gelangen. Mit anderen Worten: Auch das Eigenverantwortungsprinzip ist Beschränkungen unterworfen. 508
Vgl. Kapitel F. V. 4. S. 220 ff. Vgl. hierzu Kapitel D. III. S. 86 sowie Kapitel D. I. S. 80. 510 Ausf. hierzu Kapitel F. III. 1. S. 188 ff. 511 Ausf. hierzu Kapitel F. III. 2. S. 198 ff. 512 Vgl. hierzu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240; Larenz, in: FS Nikisch, S. 275 (300); vgl. auch die weiteren Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. III. S. 84 ff., insb. Fußn. 53 ff. 509
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
Die Analyse in Kapitel B. hat gezeigt, dass die ständige Rechtsprechung den Grundsatz der Straffreiheit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung zum einen im Bereich der „Retterschäden“513 und zum anderen im Rahmen der Strafnormen des Betäubungsmittelrechts514 einschränkt. Im nachstehenden Abschnitt sind diese beiden Konstellationen eingehender zu untersuchen. Betrachtet wird dabei nicht nur, inwieweit das Eigenverantwortungsprinzip in den durch den Dritten verwirklichten Tatbeständen des BtMG oder der Brandstiftungsdelikte eine Beschränkung erfährt. Es gilt darüber hinaus zu analysieren, ob und in welchem Umfang ein Verbot der Ermöglichung oder Förderung der Selbstgefährdung oder Selbsttötung, wie es sich bspw. aus dem BtMG oder den Brandstiftungsdelikten ergibt, als Beschränkung auf die durch das Eigenverantwortungsprinzip vermittelte Straffreiheit des Dritten im Kontext der Tötungsdelikte zurückwirkt.
1. Zur Reichweite des Eigenverantwortungsprinzips in den Konstellationen der „Retterschäden“ In der Rechtsprechungsanalyse wurde dargelegt, dass seit BGHSt 39, 322 der Grundsatz der Straffreiheit der Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und Selbsttötung in den Sachverhaltskonstellationen der sogenannten „Retterschäden“ eine Beschränkung erfährt.515 Weil der Brandstifter damit rechnen muss, dass im Falle eines Brandes andere Menschen versuchen zu helfen, er also die Rettungshandlung durch sein pflichtwidriges Verhalten herausfordert, ist dem Angeklagten der Verweis auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung verwehrt.516 Der Retter bzw. der Schutz seiner Rechtsgüter vor typischen, mit der Rettungshandlung verbundenen Verletzungsrisiken ist vom Schutzbereich der §§ 222, 229 sowie des § 306c StGB mit umfasst.517 Die strafrechtliche Verantwortungszuschreibung für Schäden des Retters, die er infolge seiner Rettungsbemühungen erleidet, birgt allerdings einige Probleme, auf die der BGH in seiner Grundsatzentscheidung zu den „Retterschäden“ nicht eingegangen ist. So drängt sich bspw. in derartigen Sachverhaltskonstellationen die Frage auf, ob der Retter tatsächlich freiverantwort513
S. Kapitel B. III. 1. S. 44 f. S. Kapitel B. III. 2. S. 45 ff. 515 Vgl. BGHSt 39, 322 (325); ausf. Kapitel B. III. 1. S. 44 f. 516 Vgl. statt vieler BGHSt 39, 322 (325 f.). 517 Vgl. Alwart, NStZ 1994, 83 (84); s. auch Rudolphi, JuS 1969, 549 (557); ausf. Kapitel B. III. 1. S. 44 f. 514
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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lich agiert.518 Zweifel hieran äußerte bereits das OLG Stuttgart.519 Es musste 2008 darüber entscheiden, ob dem angeklagten Brandstifter der Tod zweier Feuerwehrmänner, die bei den Löscharbeiten infolge einer Kohlenmonoxidvergiftung ums Leben gekommen waren, zuzurechnen war. Im Gegensatz zum BGH stützte das Gericht die Strafbarkeit des Angeklagten darauf, dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung in derartigen Situationen gar nicht vorläge, weil die Retter, die nach § 323c StGB oder aus einer Garantenstellung oder beruflicher Pflicht heraus zur Durchführung von Rettungsmaßnahmen verpflichtet sind, nicht im eigentlichen Sinne freiwillig handeln würden.520 Ist diese Schlussfolgerung des OLG zutreffend? Würde man dies bejahen, dürfte man die Konstellationen der „Retterschäden“ nicht als eigenverantwortliche Selbstgefährdung, sondern müsste sie als Fremdgefährdung charakterisieren, mit der Konsequenz, dass die strafrechtliche Verantwortung im Sinne der §§ 222, 229 StGB sowie des § 306c StGB beim Brandstifter liegt. Eine Einschränkung, eine Reduktion des Eigenverantwortungsprinzips521 wäre unnötig, weil dessen Anwendungsbereich nicht berührt wäre.522 a) Freiverantwortliches Handeln trotz Rettungspflicht? Eine einheitliche Antwort auf die Frage, ob ein Retter im rechtlichen Sinne freiverantwortlich agiert, existiert nicht.523 So stellen bspw. einige Rechtswissenschaftler entsprechend dem OLG Stuttgart darauf ab, dass kein vollständig freiwilliger Handlungsentschluss des Retters vergleichbar den Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung vorliegen könne, weil die Rettung ein aus einer Garantenstellung, aus § 323c StGB oder aus einer beruflichen Pflicht resultierendes Gebot sei.524 Der Brandstifter drängt den Retter in eine Situation, in der er sich mit der prinzipiel518 Zu der Diskussion, ob man im konkreten Fall BGHSt 39, 322, trotz einer Blutalkoholkonzentration von 2,17 ‰, noch von einer Freiverantwortlichkeit des 22-Jährigen sprechen kann, vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (777); auch Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., § 15 Rn. 155 ff.; vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (663 f.). 519 OLG Stuttgart NJW 2008, 1971. 520 OLG Stuttgart NJW 2008, 1971 (1972). 521 So Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (776); vgl. ferner Alwart, NStZ 1994, 83 (84); auch Derksen, NJW 1995, 240 (240). 522 So i. E. bspw. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 76. 523 Ausf. zu den in der Literatur vertretenen Lösungsvorschlägen zum Problem der Freiverantwortlichkeit des Retters Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Fluchtund Verfolgerverhalten, S. 241 ff.; vgl. insofern auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 34 f. 524 OLG Stuttgart NJW 2008, 1971 (1971 f.).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
len Hilfeleistungspflicht, unter gleichzeitiger Abwägung potentieller Gefahren aus der Rettungshandlung und, im Falle der Fehleinschätzung, des Risikos eigener Strafbarkeit konfrontiert sieht.525 Der Retter wird durch das pflichtwidrige Handeln des Brandstifters in eine Situation gebracht, in der er sich verpflichtet sieht, der gebotenen Rettungspflicht nachzukommen, so dass nicht von einem freien Rettungsentschluss gesprochen werden könne.526 Nach dieser Ansicht löst der Brandstifter eine Art Selbstgefährdungspflicht des Retters aus.527 Andere wiederum erkennen die Freiverantwortlichkeit des Retters grundsätzlich an, machen aber hiervon eine Ausnahme, wenn ein besonderes Näheverhältnis, vergleichbar den Situationen des § 35 StGB, vorliegt. Unfreiwillig, „determiniert“, handelt der Retter demgemäß immer dann, wenn er Rettungsbemühungen unternimmt, um eine ihm nahestehende Person vor dem Tod zu bewahren, weil der erforderliche freiheitsrelevante Handlungsspielraum fehle.528 Bernsmann und Zieschang schlussfolgern hieraus, dass nur in Situationen, in welchen professionelle Retter agieren oder Personen, die sich zufällig am Brandort aufhalten, von einer Freiverantwortlichkeit des Retters auszugehen ist.529 Ähnlich argumentiert auch Radtke. Er versucht die Freiverantwortlichkeit des Retters über die Intensität der gesetzlich vorgegebenen Handlungspflicht zu bestimmen und differenziert entsprechend dem Grad der Rettungspflicht.530 Anders als Bernsmann und Zieschang geht er allerdings davon aus, dass der Retter, sobald eine ganz konkrete Pflicht zur Durchführung einer gebotenen Rettungshandlung besteht, unabhängig davon, ob die Pflicht aus Beruf, persönlicher Nähe oder § 323c StGB resultiert531, aufgrund des von der rechtlichen Pflicht aus525
Meindl, JA 1994, 100 (103). Vgl. Amelung, NStZ 1994, 338; vgl. auch Geppert, Jura 1998, 597 (602); ähnl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 481 f.; ähnl. ferner Puppe, Jura 1998, 21 (30); SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 80; krit. hingegen Bernsmann/ Zieschang, JuS 1995, 775 (779). 527 Derksen, NJW 1995, 240 (241); ähnl. Amelung, NStZ 1994, 338, der von einem „rechtswidrigen Handlungszwang“ spricht. 528 So Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779). 529 Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779); ihnen folgend Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 74 ff.; vgl. hierzu Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 300, der in diesem Zusammenhang von einem Konzept der in Extremsituationen widerlegbaren Freiheitsvermutung spricht. 530 Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 320, 294 ff., 298 ff.; ders., in: MünchKomm-StGB, § 306c Rn. 20 f.; ders., ZStW 110 (1998), 848 (879 f.); vgl. auch Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I., 2. Aufl., § 15 Rn. 157; vgl. ferner Heine, in: Schönke/Schröder, § 306c Rn. 6 f. 531 Die Typenbildung nach dem Grund der bestehenden Rettungspflicht ist insofern nur für die Bestimmung der Reichweite und des Umfangs der Rettungspflicht in der konkreten Hilfssituation erforderlich, nicht aber für die Annahme der Freiver526
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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gehenden Handlungsdrucks grundsätzlich unfrei handelt, so dass eine Zurechnung zum Verantwortungsbereich des Brandstifters möglich ist.532 Diese Ansichten können nicht überzeugen. Zwar ist die Notlage, die das Ergreifen der Rettungsmaßnahmen überhaupt erst notwendig macht, durch das pflichtwidrige Handeln des Dritten erst eingetreten.533 Allerdings ist im Rahmen der Diskussion, wer die strafrechtliche Verantwortung für die Retterschäden trägt, zwischen der Freiheit des Retters zur Vornahme der Rettungshandlung und der Reichweite der Verantwortung des Dritten für die Folgen seines pflichtwidrigen Handelns zu differenzieren. In diesem Sinne kann die Pflicht zur Durchführung von Rettungsbemühungen nicht einen Ausschluss der Freiheit des Retters bewirken, weil eine Pflicht ihrem Charakter nach immer eine Freiheit des Pflichtigen voraussetzt.534 D.h., der Retter hat die Möglichkeit, sich zu entscheiden, ob er seiner Rettungspflicht nachkommt oder entgegen dem Gesetz seine Rettungspflicht nicht erfüllt.535 Nimmt er die gebotene Rettungspflicht wahr, handelt er im rechtlichen Sinne pflichtgemäß. Diese Feststellung pflichtgemäßen Verhaltens ist nur möglich, weil der Retter bezüglich der Entscheidung zur Erfüllung seiner Rettungspflicht freiverantwortlich handelt.536 Dieser Einsicht folgend verbietet es sich zum einen, die Rettungspflicht einer – der Nötigung vergleichbaren – unwiderstehlichen Gewalt gleichzusetzen und hierauf die Unfreiheit des Retters zu stützen.537 Zum anderen beseitigt auch ein besonderes Näheverhältnis im Sinne des § 35 StGB die grundsätzliche Freiheit des antwortlichkeit des Retters. Vgl. hierzu Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (212 ff.); Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 303 f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen bei Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 481 ff., der eine zusätzliche Gruppe der nicht gebotenen, aber sozial erwünschten Rettungshandlungen einführt; vgl. hierzu auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 81 ff. 532 Ausf. Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (212 ff., 215): „Die Existenz einer Rettungspflicht hebt die Autonomie des Retters, zu retten oder nicht, auf“; vgl. ferner Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 299 f.; ähnl. Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 84, der ebenfalls zwischen privaten und professionellen Rettern unterscheidet (S. 32 ff., 53 ff.) und bei Bestehen einer gebotenen Rettungspflicht die Freiwilligkeit mangels Entscheidungsfreiheit des Retters verneint; s. auch Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 475. 533 Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 164; vgl. auch Fußn. 543. 534 Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 156, 181 m. w. Anm. 535 Vgl. Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 188, der die Voraussetzung der libertas iuris in der Möglichkeit des Subjektes zur Regelerfüllung und zum Regelverstoß sieht; s. auch Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 213; ähnl. auch Günther, K., StV 1995, 77 (80), der die Entscheidungsfreiheit des Retters mit dessen fehlender Qualität als Quasi-Werkzeug begründet. 536 Ausf. dazu Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 181 f. 537 Ausf. dazu Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 178 ff.
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Retters nicht, weil er sich trotz des Näheverhältnisses immer noch für oder gegen die gebotene Rettungshandlung entscheiden kann.538, 539 Hinzuweisen ist an dieser Stelle der Vollständigkeit halber auch auf die Ansicht Roxins. Dieser geht mit seiner Kritik so weit, aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die den Retter treffenden Handlungsgebote generiert, die Forderung abzuleiten, dass man die strafrechtliche Verantwortung für die Schäden des Retters nicht auf den Brandstifter abwälzen dürfe.540 Auch diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Der durch die Garantenstellung, Berufspflicht oder § 323c StGB vermittelte „staatliche Zwang“ beeinträchtigt nicht die Entscheidung des Retters dahingehend, ob er seiner Rettungspflicht nachkommt oder nicht.541 Das Recht erwartet zwar vom Helfer, dass er die rechtlich richtige Entscheidung zur Durchführung der gebotenen Hilfeleistung trifft, aber diese Entscheidung ist letztlich frei.542 Da538 Die insofern zweifelsohne bestehende besondere emotionale Herausforderung aufgrund der familiären oder familienähnlichen Situation ist erst im Rahmen der Grenzziehung strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Brandstifters zu berücksichtigen. S. hierzu Fußn. 563. 539 Nicht überzeugend ist in diesem Zusammenhang der Rekurs auf ein zweigeteiltes Verständnis des Freiheitsbegriffs, wie es Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 187, 189 als Begründung der strafrechtlichen Verantwortungszuschreibung zum Brandstifter anführt. Hinsichtlich der Verantwortung differenziert er zwischen der Zurechnung der Verantwortung für die Pflichtwidrigkeit des Geschehens und der Verantwortungszuschreibung für das pflichtgemäße Rettungsverhalten (S. 185 ff.). Auf Seiten des Retters liegt nach seiner Ansicht aufgrund der Freiheit zur Regelerfüllung bezüglich der Rettungshandlung eine regelerfüllend-freie und damit für ihn pflichtgemäße Handlung vor (S. 194 f.). Im Kontext der Verantwortungszurechnung der Pflichtwidrigkeit des Brandstifters soll der Retter aber keine Freiheit zum Regelverstoß besitzen, seine Teilhabe am Geschehen sei nicht regelverstoßend-frei (S. 194 f., 201). Dem Brandstifter, der regelverstoßend-frei und pflichtwidrig agiert, kann folglich die unfreie Teilhabe des Retters am Geschehen trotz eigenverantwortlicher Selbstgefährdung zugerechnet werden (S. 187, 194 f.). Einem solchen zweigeteilten Freiheitsverständnis, wie es Biewald vertritt, mangelt es an einem einheitlichen rechtlichen Beurteilungsmaßstab, der es ermöglicht, ein Verhalten nachvollziehbar als unfrei oder frei zu charakterisieren. Die Entscheidung des Retters zu seiner Rettungshandlung kann nur entweder frei oder unfrei sein, nicht aber beides. Ausf. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 228 f.; ferner Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 554, 577. 540 Roxin, in: FS Gallas, S. 241 (247); ders., in: FS Honig, S. 133 (142 f.). 541 Zum Fehlen einer freiheitsausschließenden Wirkung bei rechtmäßig hoheitlichem Zwang vgl. Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 192 f.; ähnl. auch Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 476 f. 542 Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 213, 215; a. A. Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (212), wonach die mit der Nichterfüllung der Rettungspflicht einhergehende Strafandrohung die formale Freiheit des Retters aufhebt; vgl. ferner Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 294 f. (s. auch Fußn. 532); ähnl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 37.
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rüber hinaus ist zu bedenken, dass nicht der Gesetzgeber die Selbstgefährdungssituation für den Retter schafft, sondern der Brandstifter durch sein pflichtwidriges Handeln.543 Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass der Retter grundsätzlich freiverantwortlich agiert, so dass die Sachverhaltskonstellationen der „Retterschäden“ als eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu charakterisieren sind. Im Folgenden ist dementsprechend eingehender zu betrachten, ob und inwieweit das Eigenverantwortungsprinzip, so wie es die ständige Rechtsprechung befürwortet, eine Einschränkung erfahren muss. b) Die Beschränkung des Eigenverantwortungsprinzips im Kontext der Brandstiftungs- sowie Tötungsdelikte Wenn das Handeln des Retters als freiverantwortlich zu charakterisieren ist und er sich mit der Durchführung der Rettungsmaßnahme eigenverantwortlich selbst gefährdet, ist zu klären, ob und aus welchem Grund der Dritte trotzdem für die Schäden des Retters strafrechtlich einzustehen hat. In BGHSt 39, 322 begründet der Senat die Strafbarkeit des Brandstifters mit der pflichtwidrigen Verursachung der Selbstgefährdung des Retters, was einerseits den Schutzzweck des § 222 StGB erweitert und andererseits den Grundsatz der Straffreiheit der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung beschränkt. Um entscheiden zu können, ob und inwieweit diese Argumentation überzeugend ist, muss zwischen der Ausweitung des Schutzbereiches zugunsten des Retters im Rahmen des § 222 StGB und im Kontext des § 306c StGB, der zum Zeitpunkt der Entscheidung 1993 nach § 307 a. F. StGB nicht einschlägig war544, differenziert werden.545 Zunächst ist die Erweiterung des Schutzbereichs des heute geltenden § 306c StGB auf die freiverantwortlich herbeigeführten „Retterschäden“ zu betrachten. Einer solchen Erweiterung ist im Ergebnis zuzustimmen. Allerdings genügt zur Begründung der strafrechtlichen Zurechnung der „Retterschäden“ zum Brandstifter entgegen dem Eigenverantwortungsprinzip der Hinweis auf die Schaffung eines einsichtigen Rettungsmotives546 durch die 543 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (665); ferner auch Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (211 f.) (beachte aber Fußn. 543); vgl. auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 37 f., 56 f.; ähnl. auch Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (81). 544 Vgl. auch Kapitel B. III. 1. S. 44 f. 545 Ähnl. die Kritik bei Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (73). 546 Vgl. hierzu Alwart, NStZ 1994, 83 (84); vgl. auch Wrage, JuS 2003, 985 (990 ff.); zur zeitlich und räumlich erforderlichen Konnexität vgl. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 224 ff.
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Brandlegung bzw. Brandstiftung nicht.547 Und auch der Verweis darauf, dass dem Brandstifter der Erfolg der Rettungshandlungen zugute käme, ist als Begründung der Schutzzweckerweiterung nicht hinreichend.548, 549 Die Erweiterung des Verantwortungsbereiches des Brandstifters beruht vielmehr auf der aus der Veranlassung der Rettungshandlung resultierenden Schutzwürdigkeit des Retters.550 Im Rahmen der Frage, ob durch das selbstgefährdende Verhalten des Rechtsgutsträgers und durch die Mitwirkung des Dritten strafrechtliches Unrecht verwirklicht wird, wurde festgestellt, dass der sich tötende oder sich selbst gefährdende Rechtsgutsträger weder schutzwürdig noch schutzbedürftig ist.551 Diese Schlussfolgerung beruht darauf, dass der Rechtsgutsträger ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht zur Selbstgefährdung innehat und dieses Recht auch die Freiheit umfasst, sich bei der Realisierung seines Vorhabens der Hilfe Dritter bedienen zu können.552 Diese Selbstbestimmungsfreiheit korreliert mit der Eigenverantwortung des Rechtsträgers, welche wiederum jede Form von Mitverantwortung verdrängt.553 Hieraus begründet sich die Straffreiheit des an einer Selbstgefährdung beteiligten Dritten hinsichtlich seiner Mitwirkung am risikoträchtigen Geschehen. Was unterscheidet die so beschriebenen „typischen“ Selbstgefährdungskonstellationen von den Fällen der „Retterschäden“? Die Andersartigkeit der Konstellationen der „Retterschäden“ besteht darin, dass das pflichtwidrige Verhalten des Brandstifters den Retter in die Si547 Ähnl. Duttge, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 2. Aufl., § 15 Rn. 157; ähnl. Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (77 f., 80 f.); ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 478 f.; ferner NK-StGB/Neumann, § 222 Rn. 10; vgl. auch Puppe, ZIS 2007, 247 (251 f.); vgl. auch Sowada, JZ 1994, 663 (665); Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 164, 232. 548 Vgl. neben BGHSt 39, 322 (325 f.) auch Meindl, JA 1994, 100 (104). 549 Ob das Ausbleiben des Erfolges auf einen glücklichen Zufall zurückgeht oder auf die Rettungsbemühungen einer anderen Person, ist für die strafrechtliche Anrechnung beim Täter nicht relevant, zumal auch die Pflicht des Brandstifters, die schweren Folgen seines Tuns abzuwenden, durch die Hilfeleistung des Retters nicht aufgehoben wird. So zutreffend Derksen, NJW 1995, 240 (241); vgl. Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (73 f.); ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 478 f.; s. auch Sowada, JZ 1994, 663 (664); vgl. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 164 f.; überholt insofern die Argumentation von Günther, K., StV 1995, 77 (80 f.). 550 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (664); ähnl. auch Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (77 ff.), der aber das Verbot der Schaffung derartiger Situationen nicht erst als Problem der Zurechnungslehre ansieht, sondern als ein der Zurechnung vorgelagertes Problem. 551 Vgl. Schünemann, in: v. Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 18 (31); ders., in: FS Faller, S. 357 (362); s. auch Fußn. 91. 552 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 157 ff. 553 Ebda.
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tuation versetzt, eine von der Rechtsordnung gebotene Hilfeleistungspflicht entweder im Sinne des § 323c StGB oder als Garant nach § 13 StGB wahrnehmen zu „müssen“.554 Diese Hilfeleistungsverpflichtung beseitigt zwar die Freiverantwortlichkeit des Retters nicht, an sie knüpft aber ein Schutzanspruch des Retters an, nicht pflichtwidrig in derartige Situationen, in denen er sich für oder gegen eine gebotene Rettungsmaßnahme entscheiden muss, gebracht zu werden.555 Der Retterschaden ist demnach als Erfolg vom Unrecht der deliktischen Handlung des Brandstifters umfasst, weil die Pflichtwidrigkeit der Brandstiftung zugleich eine Missachtung des rechtlich gebotenen Schutzanspruchs des Retters darstellt.556 Der Retter ist folglich im strafrechtlichen Sinne schutzwürdig und schutzbedürftig.557 Im Unterschied zu den „typischen“ Selbstgefährdungskonstellationen bewirkt dies, dass eine Zuständigkeit des Brandstifters im Sinne prospektiver Verantwortung für die Rechtsgüter des Retters entsteht und dass an eine Missachtung der Schutzpflicht eine Strafbarkeit im retrospektiven Sinne anknüpft. Auf der dogmatischen Ebene bewirkt dies eine Erweiterung des Schutzbereiches sowie eine entsprechend erweiterte Auslegung der Sorgfaltspflicht im Rahmen des Straftatbestandes des § 306c StGB. Bewirkt die Schutzwürdigkeit des Retters eine Erweiterung des Schutzbereiches des § 306c StGB, bleibt zu klären, ob dies gleichermaßen für den Tatbestand der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB gilt. Der BGH bejaht dies in der Grundsatzentscheidung zutreffend.558 Erkennt man die grundsätzliche Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Retters an, beschränkt sich dieser Schutzanspruch559 nicht nur auf die Brandstiftungsdelikte. Vielmehr müssen diese Schutzwürdigkeit und dieses Schutzbedürfnis auch im Rahmen der Reichweite des Schutzzwecks der fahrlässigen Tötung berücksichtigt werden. Verfassungsrechtlich ließe sich argumentieren, dass der Staat im Gegensatz zu den „typischen“ Selbstgefährdungskonstellationen verpflichtet ist, das Leben und körperliche Wohl des Retters vor den Folgen des pflichtwidrigen Verhaltens des Brandstifters zu schüt554
Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 231. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 232; ähnl. auch Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (77 f., 80 f.); ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 478 f.; ferner Puppe, ZIS 2007, 247 (251 f.); vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (665); a. A. Biewald, Regelgemäßes Verhalten, S. 205. 556 Vgl. Krümpelmann, in: FS Bockelmann, S. 443 (450); Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 232 ff., der insofern den Begriff der „normativen Korrespondenz“ einführt (S. 235). 557 So i. E. auch SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 81, der allerdings im Unterschied zu der hier vertretenen Ansicht die Freiverantwortlichkeit des Retters ablehnt (s. Fußn. 526). 558 BGHSt 39, 322 (325 f.). 559 S. Fußn. 554–556. 555
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zen.560 Die Bedenken gegen ein direktes und indirektes paternalistisches Eingreifen in das Selbstbestimmungsrecht des sich Gefährdenden, wie sie bisher erwogen wurden, greifen angesichts des Schutzanspruchs des Retters in diesen Konstellationen nicht.561 Eben deshalb wird das Eigenverantwortungsprinzip auch innerhalb der Tötungsdelikte, genauer auf der tatbestandlichen Ebene des § 222 StGB, in seiner Reichweite beschränkt. Verwehrt die Schutzwürdigkeit des Retters in den Konstellationen der „Retterschäden“ den Rückgriff auf das Eigenverantwortungsprinzip, ist es im Übrigen auch schlüssig, dass die Verantwortungszuschreibung zu Lasten des Brandstifters nicht unbegrenzt erfolgen kann. Ohne im Einzelnen auf die Probleme dieses Grenzbereiches eingehen zu wollen, die sich zumeist mit der Diskussion um die Freiwilligkeit des Retters überschneiden562, muss die Ausdehnung des Schutzbereichs dort enden, wo der Retter nicht mehr schutzwürdig und schutzbedürftig ist.563 Nach Ansicht der Jurisdiktion ist dies richtigerweise dann der Fall, wenn der Retter von vornherein offensichtlich unvernünftige, unverhältnismäßige oder aussichtslose Rettungsmaßnahmen vornimmt und hierbei zu Schaden kommt.564 c) Zusammenfassung In den voranstehenden Ausführungen konnte aufgezeigt werden, dass in den Sachverhaltskonstellationen, in denen der Retter Rettungsmaßnahmen vornimmt und hierdurch zu Schaden kommt, der Leitgedanke des Eigenverantwortungsprinzips eine Einschränkung, eine Reduktion erfährt.565 Im Unterschied zu den sonstigen Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung entfällt die Schutzwürdigkeit des Retters nicht. Der 560
Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 562 Vgl. insofern auch Fußn. 530. 563 Vgl. BGHSt 39, 322 (325 f.), der die Grenze bei einem „von vornherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch“ zieht; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 2008, 1971 (1972); vgl. Derksen, NJW 1995, 240 (241); vgl. Frisch, W., in: FS Nishihara, S. 66 (84 ff.); ausf. auch Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 63 ff., 180 ff., 189 ff.; krit. Amelung, NStZ 1994, 338; krit. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (777 f., 779); krit. auch Günther, K., StV 1995, 77 (81); krit. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 162 ff., 191, 216 ff., 238 ff.; vgl. auch Sowada, JZ 1994, 663 (665 f.), der den Wertungsmaßstab des § 34 StGB zur Risikoabwägung heranzieht; speziell zum Problem der Reichweite des Schutzes von Berufsrettern vgl. OLG Stuttgart NJW 2008, 1971 (1972); Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 302 f.; vgl. Thier, Zurechenbarkeit von Retterschäden, S. 75 ff., 163 ff., 180 ff.; ferner Wrage, JuS 2003, 985 (990 f.). 564 Vgl. BGHSt 39, 322 (325 f.). 561
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Brandstifter muss auch über die Schäden, die dem Retter infolge der Rettungsmaßnahmen widerfahren, Rechenschaft ablegen und im strafrechtlichen Sinne Verantwortung übernehmen. Ein Verweis auf die Eigenverantwortung des Retters ist dem Brandstifter verwehrt. Die Eigenverantwortung des Retters tritt hinter die Verantwortung des Brandstifters, für die Folgen seines pflichtwidrigen Verhaltens einstehen zu müssen, zurück. Dies gilt für die strafrechtliche Wertung des Drittverhaltens innerhalb der Tötungs- und der Brandstiftungsdelikte gleichermaßen.
2. Das Eigenverantwortungsprinzip und das BtMG Überlässt jemand einem anderen einen Stoff nach § 1 BtMG i. V. m. Anlage I bis III, macht er sich in aller Regel wegen der unerlaubten Abgabe oder (in qualifizierter Form) der Veräußerung von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG schuldig.566 Konsumiert der Abnehmer das Betäubungsmittel unmittelbar, kommt immerhin noch eine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 6 lit. b i. V. m. § 13 BtMG in Betracht.567 Verstirbt der Konsument, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob auch die Erfolgsqualifikation des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG verwirklicht oder der Tod zumindest nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB strafschärfend zu berücksichtigen ist. Das Problem derartiger Konstellationen besteht allerdings darin, dass der Konsum durch den Rechtsgutsträger in den meisten Fällen als eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu qualifizieren ist. Einer Strafbarkeit wegen der leichtfertigen Verursachung der Todesfolge nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG bzw. der strafschärfenden Berücksichtigung des Todes im Rahmen der Strafzumessung steht somit die durch das Eigenverantwortungsprinzip indizierte Straffreiheit der Ermöglichung der Selbstgefährdung im Sinne der Tötungsdelikte gegenüber. Die Jurisdiktion sieht in dieser ungleichen Wertung keinen Widerspruch. In der Rechtsprechungsanalyse wurde erläutert, dass der Grundsatz der Straflosigkeit der Mitwirkung an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung aus Sicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung im BtMG eine Einschränkung erfährt.568 In seiner Begründung verweist der BGH auf die unterschiedlichen Rechtsgüterschutzbereiche: Während die Tötungs- und Kör565 Vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (776); auch Derksen, NJW 1995, 240 (240) sowie Alwart, NStZ 1994, 83 (84), welche allerdings die Bezeichnung „Reduktion“ nicht gebrauchen. 566 Zur Definition des Veräußerns bzw. der Abgabe vgl. statt vieler Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 921, 971. 567 Zur Verbrauchsüberlassung durch Nichtärzte statt vieler Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 1341 ff., insb. 1346 ff. 568 S. Kapitel B. III. 2. S. 45 ff.
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perverletzungsdelikte, in denen das Eigenverantwortungsprinzip wirkt, nur Individualrechtsgüter schützen, verberge sich hinter den Normen des BtMG neben dem Schutz der Interessen des Einzelnen auch und vor allem das Universalrechtsgut der Volksgesundheit.569 Während also der Dritte aufgrund seiner Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung oder Selbstgefährdung im Kontext der Tötungsdelikte straffrei bleibt, kann er zugleich wegen Verstoßes gegen das BtMG unter strafschärfender Berücksichtigung der Todesverursachung verurteilt werden. Nachstehend ist zu untersuchen, ob eine derartige Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips im BtMG tatsächlich rechtmäßig ist. Zudem ist zu betrachten, ob und in welchem Umfang das Verbot der Ermöglichung einer Selbstgefährdung oder Selbsttötung durch Betäubungsmittel nach §§ 29 ff. BtMG auf die Auslegung der Tötungstatbestände zurückwirken könnte. Ausgangspunkt für diese Überlegungen muss allerdings zunächst die Frage sein, welche Rechtsgüter die §§ 29 ff. BtMG schützen bzw. welche Rechtsgüter sie zu schützen legitimiert sind. a) Die verkürzte Wirkungskraft des Eigenverantwortungsprinzips im Kontext der §§ 29 ff. BtMG Die Rechtsprechung bezieht sich in ihrer Begründung der Einschränkung des Eigenverantwortungsprinzips innerhalb der betäubungsmittelrechtlichen Normen auf den Willen des Gesetzgebers.570 Nach diesem bezweckt das BtMG den Schutz des Einzelnen sowie der Bevölkerung in ihrer Gesamtheit vor den von den Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren.571 Diese Zieldefinition ist allerdings, wie im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ausführungen zur Legitimität der Normen des BtMG bereits erwähnt, nur teilweise rechtmäßig.
569 BGHSt 37, 179 (182); 46, 279 (284); vgl. auch BGH NStZ 1992, 489; BGH NJW 2000, 2286 (2287). 570 Vgl. hierzu BT-Drs. 17/7627, S. 2; vgl. auch die Übersicht zu Äußerungen des Gesetzgebers sowie der Fachgerichte zum Rechtsgut des BtMG bei Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, Vor §§ 29 Rn. 6 ff., 12 f., 24. 571 Ausf. zur Zielsetzung des BtMG BVerfGE 90, 145 (174 f.); BGHSt 37, 179 (182); vgl. BGH NStZ 1992, 489; BGH NJW 2000, 2286 (2287); vgl. Beulke/Schröder, NStZ 1991, 392 (393 f.); auch Wang, Drogenstraftaten, S. 140 f.; ferner Weber, K., BtMG, § 1 Rn. 1 f.
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aa) Die Stellung des Individuums im BtMG – zur Schutzwürdigkeit des freiverantwortlichen Konsumenten Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung wurde bereits herausgearbeitet, dass ein paternalistischer Schutz des Individuums vor sich selbst unzulässig ist.572 Den Einzelnen davor zu schützen, sich selbst persönlichen Schaden zuzufügen, ist zwar ein legitimes Gemeinwohlanliegen.573 Allerdings hat der Einzelne aus dem allgemeinen Selbstbestimmungsrecht ein Recht zur Selbstgefährdung, aus welchem sich auch die Freiheit zum Konsum von Betäubungsmitteln ableiten lässt.574 Der Gesetzgeber muss die Selbstgefährdung soweit wie möglich respektieren,575 so dass er weder berechtigt noch verpflichtet ist, den freiverantwortlichen Rechtsträger vor sich selbst bzw. den Folgen seines Drogenkonsums zu schützen.576 Aus diesem Grund ist auch der eigentliche Konsum von Betäubungsmitteln im BtMG nicht unter Strafe gestellt. Hiergegen wird der Einwand erhoben, dass die Normen des BtMG den Einzelnen bereits im Vorfeld möglicher konkreter Schädigungen durch Betäubungsmittel schützen sollen. So sieht bspw. Zaczyk den Sinn der betäubungsrechtlichen Verbote darin, dem Einzelnen erst gar nicht die Möglichkeit zu eröffnen, sich den Gefahren des Rauschgifts auszusetzen.577 Seiner Ansicht nach soll der Rechtsgutsträger im rechtlichen Sinne darauf vertrauen können, dass ihm ein Dritter die Gefahrenquelle „Betäubungsmittel“ gar nicht erst zugänglich macht.578 Eine so indizierte Schutzwürdigkeit des Konsumenten ist, denkt man an die Konstellationen der sogenannten „Retterschäden“ zurück, nicht ganz fernliegend. Für die Sachverhalte, in denen sich der Retter beim Versuch, Rettungsmaßnahmen vorzunehmen, verletzt oder zu Tode kommt, macht der BGH zutreffend eine Ausnahme vom Eigenverantwortungsprinzip und erweitert den Schutzbereich des § 306c sowie § 222 StGB.579 Der Grund der strafrechtlichen Verantwortungszurechnung trotz der Freiverantwortlich572 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. 573 Vgl. BVerfGE 22, 181 (219); 60, 123 (132); s. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1), Fußn. 236. 574 Statt vieler BVerfGE 90, 145 (154, 171); s. Kapitel E. I. 2. a) S. 122 ff. 575 Vgl. Puppe, GA 2009, 486 (489, 495) m. w. Nachw. 576 Ähnl. BVerfGE 90, 145 (195); s. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1), Fußn. 252. 577 Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 60 f.; zust. LK-StGB/Jähnke, § 222 Rn. 11/Betäubungsmittel. 578 Ebda. 579 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel B. III. 1. S. 44 f. sowie Kapitel F. VI. 1. b) S. 237 ff.
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keit des Retters beruht auf dessen Schutzwürdigkeit.580 Durch das pflichtwidrige Verhalten des Brandstifters versetzt er den Retter in die Situation, eine von der Rechtsordnung gebotene Hilfeleistungspflicht wahrnehmen zu „müssen“.581 Hieran knüpft ein Schutzanspruch des Retters an, nicht pflichtwidrig in derartige Situationen, in denen er sich für oder gegen eine gebotene Rettungsmaßnahme entscheiden muss, gebracht zu werden.582 Aber fordert auch derjenige, der Betäubungsmittel veräußert, abgibt oder überlässt, den Abnehmer zu deren Konsum heraus und damit zum Eingehen gesundheitlicher und ggf. lebensgefährlicher Risiken? Ist der freiverantwortlich agierende Betäubungsmittelkonsument schutzwürdig? Versteht man den Menschen als ein zur Selbstbestimmung fähiges Wesen, welchem nicht nur die Freiheit zur vernünftigen, sondern gerade auch zu einer unvernünftigen und risikoträchtigen Lebensführung zukommt, besitzt der Einzelne auch die Freiheit zum Konsum von Drogen.583 Die mit dieser Freiheit korrelierende Verantwortung verdrängt wiederum die staatliche Mitverantwortung, d.h., der Staat ist, wie in der verfassungsrechtlichen Untersuchung dargestellt, weder berechtigt noch verpflichtet, den Rechtsgutsträger vor sich selbst zu schützen.584 Die mit der eigenhändig bewirkten Selbstgefährdung einhergehende Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers löst eine Schutzpflicht des Staates nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gar nicht aus.585 Die Normen des §§ 29 ff. BtMG können folglich auf Seiten des Konsumenten kein rechtliches Vertrauen dahingehend entstehen lassen, dass ihm gar nicht erst die Möglichkeit zur Selbstgefährdung durch Betäubungsmittel eröffnet wird.586 Worin liegt nun aber der Unterschied zwischen dem freiverantwortlich handelnden Retter, der als schutzwürdig gilt, und dem sich durch den Konsum von Betäubungsmitteln selbst gefährdenden Rechtsgutsträger, der aufgrund seiner Eigenverantwortung nicht schutzwürdig ist? Während der Retter auf eine vom Brandstifter pflichtwidrig geschaffene Gefahr reagiert, entscheidet sich der Konsument, nachdem der Dritte ihm die Betäubungsmittel pflichtwidrig ausgehändigt hat, erst noch dafür, diese zu sich zunehmen, so 580
Ausf. Kapitel F. VI. 1. b) S. 237 ff. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 231. 582 Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 232; s. auch Fußn. 555. 583 Vgl. bspw. Steiner, NJW 1991, 2729 (2734); ferner Puppe, GA 2009, 486 (494); vgl. hierzu auch Kapitel E. I. 2. a) S. 122 ff. 584 S. Fußn. 575 f.; ausf. auch E. I. 2) a) bb) (1) S. 128 ff. 585 Vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 199, 228 f.; vgl. auch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers, S. 248; ausf. Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 586 Vgl. Neumann, GA 1996, 36 (39), der wiederum auf den fehlenden „Verantwortungsdialog“ zwischen dem Rechtsgutsträger und dem Dritten verweist. Vgl. hierzu Kapitel F. IV. S. 205 ff. 581
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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dass er nicht nur reagiert, sondern agiert.587 Der Dritte schafft durch die Abgabe der Betäubungsmittel eine Gefahrenquelle, deren Gefahrenpotential der Rechtsgutsträger durch den Konsum erst eröffnet.588 Während die Rettung als eine Art „Selbstaufopferung“ oder „Selbstgefährdung im Fremdinteresse“589 zu begreifen und der Retter aus diesem Grund schutzwürdig ist, handelt der Betäubungsmittelkonsument einzig und allein im Selbstinteresse. Das Agieren und die daraus resultierende Eigenverantwortung für die eintretenden Folgen stehen der Schutzwürdigkeit des Rechtsgutsträgers entgegen. Anders als bei einem Retter existiert auf Seiten des Betäubungsmittelkonsumenten kein Schutzanspruch. Die Schutzwürdigkeit lässt sich im Übrigen auch nicht mit dem Verweis auf eine möglicherweise später einsetzende Betäubungsmittelabhängigkeit und den hiermit verbundenen Verlust der Fähigkeit zum selbstbestimmten Handeln begründen.590 Nach Köhler impliziere der Konsum von Betäubungsmitteln zugleich eine Negation der Freiheitsentfaltung und eben diese Ermöglichung bzw. Förderung des Selbstbestimmungsverlustes müsse strafbar sein.591 Haffke meint in diesem Zusammenhang sogar, dass die Einbuße von Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung kein „Privatthema“ sei, weil beides „Konstruktionselemente“ einer funktionierenden Gesellschaft sind.592 Allerdings wurde bereits im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung darauf hingewiesen, dass der Schutz davor, sich gar nicht erst für oder gegen den Konsum von Betäubungsmitteln entscheiden zu können, der Selbstbestimmungsfreiheit zuwiderlaufen würde.593 Gesteht das Recht dem 587 Vgl. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 182, 184; ferner Walther, S., StV 2002, 366 (368 f.). 588 So zutreffend Walther, S., StV 2002, 366 (368), die in diesem Zusammenhang auch von der Schaffung einer „Anknüpfungsgefahr“ seitens des Dritten spricht; vgl. auch Neumann, GA 1996, 36 (39 f.). 589 Vgl. Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 189. 590 Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 121; s. auch Fußn. 253. 591 Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (26 ff.), der den Konsum als „unvernünftig-freiheitswidrige Selbstverletzung“ (zum Begriff s. S. 18 ff.) ansieht und diese aufgrund der Gemeingefährlichkeit bestimmter Drogen einem Willensmangel gleichstellen will (S. 28); vgl. auch ders., MDR 1992, 739 (740). Vgl. in diesem Zusammenhang auch die kritischen Ausführungen von Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 96 ff. zum Konstrukt eines sogenannten „autonomieorientierten Paternalismus“, dessen Zweck in der Sicherung der Autonomie durch paternalistisches Eingreifen besteht; allgemein zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit eines Konsumenten vgl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 197 ff., 203. 592 Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (785). 593 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 131.
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Einzelnen über das Selbstbestimmungsrecht die Freiheit zu riskanten und lebensgefährlichen Unternehmungen wie dem Betäubungsmittelkonsum zu, muss er die Konsequenzen seiner Entscheidung im Sinne des Eigenverantwortungsprinzips selbst tragen und zwar auch dann, wenn ihm die Folgen wie bspw. die Drogenabhängigkeit nicht willkommen sind.594 Solange der Rechtsgutsträger zum Zeitpunkt des Konsums freiverantwortlich agiert, ist er im strafrechtlichen Sinne weder schutzwürdig noch schutzbedürftig. bb) Das legitime Rechtsgut der betäubungsmittelrechtlichen Normen Kann das BtMG nicht dem Schutz des Einzelnen vor sich selbst dienen, bleibt als Zweck der Legitimation nur noch der Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit. Welche Interessen verbergen sich hierhinter? Wie bereits in Kapitel E. erläutert, bezweckt der Gesetzgeber mit den betäubungsmittelrechtlichen Strafnormen zum einen den Schutz von Menschen, die sich wie z. B. Jugendliche nicht freiverantwortlich für den Konsum von Betäubungsmitteln entscheiden können.595 Zum anderen verfolgt er das Ziel, mit Hilfe des BtMG die soziale Sicherheit sowie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung zu schützen.596 So soll das BtMG 594
Ähnl. im Rahmen einer Entscheidung zum versorgungsrechtlichen Härteausgleich BVerfGE 60, 16 (39); vgl. Eschweiler, Beteiligung an fremder Selbstgefährdung, S. 59 f.; auch Freund, GA 1991, 387 (401); vgl. Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 106; ähnl. im Rahmen seiner Ausführungen zur Abhängigkeit der autonomen Lebensführung von sozialen Ressourcen Heinig, Der Sozialstaat, S. 215; vgl. Hörnle, GA 2009, 626 (630); ähnl. auch Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende. Stellungnahme, S. 18; vgl. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 68; auch Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 53 f.; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen, S. 103. 595 S. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 131 ff.; vgl. insofern auch Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (781); Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 143 f.; Köhler, MDR 1992, 739 (740); Roxin, NStZ 1985, 319 (320), die aber alle zu dem Schluss gelangen, dass, wenn das BtMG nur diejenigen, die nicht die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Handeln besitzen, also insbesondere Kinder und Jugendliche, schützen solle, das Eigenverantwortungsprinzip grundsätzlich auch im BtMG Anwendung finden muss. Dass dies nicht der Fall ist, zeigen die nachstehenden Ausführungen. 596 Ausf. Wang, Drogenstraftaten, S. 53 f.; ähnl. auch Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 89; a. A. Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (783, 785 ff.), der den Schutz der Gesellschaft vor Nachahmungsgefahr und die Umsetzung vorbildlicher sozialer Umgangsformen ablehnt und im geltenden BtMG ein Feindstrafrecht verwirklicht sieht, das den Einzelnen seiner Mündigkeit beraubt; a. A. ferner Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 143, der zwischen Vertrauensrechtsgütern zum Schutz der Freiheitsräume von Individuen (S. 133 ff., 116 ff., 124 ff.) und staatlichen Funktionsrechtsgütern zum Schutz staatlicher Rahmenbedingungen (S. 133 ff., 119 ff. 135 f.) unterscheidet und der Volksgesundheit als Mischform den Charakter eines kollektiven Rechtsguts abspricht (S. 142 f.); krit. auch Hohmann/Matt,
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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bspw. die medizinische Versorgung der Bevölkerung sichern.597 Zudem sollen nach Maßgabe internationaler Abkommen die sozialschädlichen Folgen des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln und die Korrumpierung der Gesellschaft durch finanzstarke kriminelle Vereinigungen verhindert werden.598 Auch trifft den Staat eine Verpflichtung dahingehend, die Bürger vor den Gefahren eventueller Beschaffungs- und Begleitkriminalität zu schützen.599 Dies zusammenfassend verbergen sich hinter dem Schutz der Allgemeinheit durch die betäubungsmittelrechtlichen Normen das Ziel, die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft600 zu erhalten und der Schutz möglicherweise nicht freiverantwortlich agierender Rechtsträger. Ausgehend von der Differenzierung zwischen Individualrechtsgütern und Universalrechtsgütern601 liegt den Regelungen des BtMG folglich ein die Interessen der Allgemeinheit schützendes Universalrechtsgut602 zugrunde.603 JuS 1993, 370 (373), die, gemessen am Kriterium der qualifizierten Sozialschädlichkeit, eine bloße Gesellschaftsgefährlichkeit nicht überschritten sehen. 597 Vgl. BGH NStZ 1986, 320 (321); auch BT-Drs. 17/7627, S. 2; vgl. Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, Vor §§ 29 Rn. 1 f.; ferner Weber, K., BtMG, § 1 Rn. 1. 598 Vgl. statt vieler BVerfGE 90, 145 (174 f., 192 f.); vgl. BT-Drs. 17/7627, S. 3; vgl. ferner Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, Vor §§ 29 Rn. 14 ff.; ausf. hierzu Weber, K., BtMG, § 1 Rn. 2 ff. m. w. Nachw.; krit. zur Umsetzung internationaler Verpflichtungen über geltende Straftheorien Haffke, ZStW 107 (1995), 761 (790); vgl. hierzu die weiteren Nachweise bei Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 34; krit. auch Schünemann, GA 2003, 299 (307 ff.), der durch die Globalisierung des Strafrechts durch internationale Abkommen die Gefahr sieht, dass das Strafrecht nicht dem Rechtsgüterschutz, sondern vielmehr der Durchsetzung bestimmter Gesellschaftskonzepte dient (vgl. S. 308). 599 Vgl. BVerfGE NJW 2006, 1261 (1263); s. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 131 ff., insb. Fußn. 259. 600 So Beulke/Schröder, NStZ 1991, 392 (394); vgl. auch BVerfGE 90, 145 (175): „Mit dieser Zielsetzung dient das Betäubungsmittelgesetz Gemeinschaftsbelangen, die vor der Verfassung Bestand haben.“; vgl. auch BVerfGE NJW 2006, 1261 (1263), wonach das staatliche Wettmonopol für Sportwetten zur Bekämpfung von Spiel- und Wettsucht und zur Abwehr von Gefahren von Folge- und Begleitkriminalität legitime (Gemeinwohl-)Ziele sind; vgl. Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 129 f.; krit. zum Begriff der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (124) und Hobbing, Strafwürdigkeit der Selbstverletzung, S. 81 ff.; krit. ferner Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 154. 601 Vgl. hierzu Kapitel F. I. 1. a) S. 144 f., insb. Fußn. 9. 602 Zur verfassungsrechtlichen Legitimität von Universalrechtsgütern und abstrakten Gefährdungsdelikten vgl. statt vieler Hassemer, ZRP 1992, 378 ff., der u. a. kritisiert, dass das Strafrecht zum innenpolitischen Instrument (sola oder prima ratio statt ultima ratio) wird und der Rechtsgüterschutz sich durch die zu unbestimmten Universalrechtsgüter sowie die abstrakten Gefährdungsdelikte, die mit einer Redu-
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Problematisch ist allerdings, dass der Staat durch die Pönalisierung des Betäubungsmittelhandels in §§ 29 ff. BtMG zugleich die Selbstbestimmungsfreiheit des Konsumenten einschränkt. Dieser mittelbare Eingriff in den Freiheitsbereich des Einzelnen wird besonders am Beispiel der Strafbarkeit des späteren Konsumenten wegen des Erwerbes von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG oder des Besitzes nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG deutlich. Der Erwerb oder Besitz werden zu strafbaren Vorbereitungshandlungen des an sich straflosen Konsums erklärt.604 Ebenso stellen das in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG enthaltene Verbot der Abgabe sowie Veräußerung oder das in § 29 Abs. 1 Nr. 6 lit. b i. V. m. § 13 BtMG vorgesehene Überlassungsverbot von Betäubungsmitteln durch Dritte, die hierzierung der Bestrafungsmerkmale gleichzusetzen sind, zum Institutionenschutz wandelt (S. 381); ein Überblick hierzu findet sich auch bei Wang, Drogenstraftaten, S. 60 ff.; ferner Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 68 ff.; zu den Problemen und der Vereinbarkeit von Kollektivrechtsgütern mit der personalen Rechtsgutslehre ausf. Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 93 ff., die das Rechtsgut der Volksgesundheit im Ergebnis als zielgerichtete Schaffung gesunder Lebenswelten versteht, welche sich auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Individuums vollzieht und es ermöglicht, Dritten die Schaffung von Gesundheitsrisiken zu verbieten (S. 138). 603 Ob man die soeben aufgezeigten Ziele unter dem Begriff der Volksgesundheit zusammenfassen sollte, ist hingegen strittig, kann aber für die hiesige Untersuchung dahinstehen. Kritisiert, darauf sei noch hingewiesen, wird an dem Begriff insbesondere, dass ein Kollektivrechtsgut der Volksgesundheit gar nicht existieren könne, weil es die Gesundheit eines Volkes als solche nicht gebe, sondern nur die Gesundheit eines jeden Einzelnen. So bspw. Schünemann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 221 (232); vgl. Greco, GA 2010, 622 (623 f.); vgl. Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 86; auch Hoyer, StV 1993, 128 (129); vgl. Köhler, ZStW 104 (1992), 3 (27 f.); ders., MDR 1992, 739 (739 f.), der das Rechtsgut der Volksgesundheit als nicht mit einer freiheitlichen Verfassung legitimierbar ansieht; ferner Paeffgen, in: FG 50 Jahre BGH, S. 695 (696 ff.); Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 153, 158; ähnl. auch Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 144; vgl. Roxin, Strafrecht AT/I, § 2 Rn. 34 ff., 46; ähnl. Wohlers/Went, in: v. Hirsch/Neumann/ Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 289 (299 f.). Beizupflichten ist dem insofern, dass der Begriff der Volksgesundheit als Umschreibung der gesetzgeberischen Zielsetzung nicht optimal gewählt ist. Allerdings reicht er über einen bloßen Sammelbegriff für die Gesundheit vieler weit hinaus. So auch Beulke/Schröder, NStZ 1991, 392 (394); a. A. Köhler, MDR 1992, 739 (739); a. A. auch Paeffgen, in: FG 50 Jahre BGH, S. 695 (705). Das Universalrechtsgut der Volksgesundheit lässt sich folglich als eine Art Sammelbezeichnung der dem BtMG zugedachten Schutzinteressen verstehen. Vgl. Wang, Drogenstraftaten, S. 55, 81; anders Weber, K., BtMG, § 1 Rn. 7 f., der das soziale Zusammenleben als zusätzliches Universalrechtsgut neben dem der Volksgesundheit begreift; krit. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 153, die im Rechtsgut der Volksgesundheit ein „Hyper-Rechtsgut“ konstruiert sieht. 604 Vgl. Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 1786.
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durch den Konsum erst ermöglichen, einen mittelbaren Eingriff in die Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers dar. Dies zeigt, wie das Verbot des Umgangs mit Betäubungsmitteln als eine Art Reflex auch den Konsumenten vor sich selbst schützt.605, 606 Doch ist eine derartige Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen zum Schutz der Allgemeinheit rechtmäßig? Wie bei der verfassungsrechtlichen Legitimation der Tötung auf Verlangen ausführlich dargestellt, besitzt der Staat bei der Umsetzung seiner Schutzpflichten einen weiten Beurteilungsspielraum.607 Es fällt folglich in seine Einschätzungsprärogative, wenn er bspw. im bloßen Besitz oder Erwerb von Betäubungsmitteln bereits eine abstrakte Gefahr für andere, unter Umständen nicht freiverantwortlich handelnde Menschen erblickt.608 In diesem Sinne sind auch das Bemühen, gegen den Missbrauch von Betäubungsmitteln vorzugehen sowie die Bekämpfung der Betäubungsmittelabhängigkeit609 nachvollziehbare und auch legitime Gemeinwohlanliegen, die der Staat im Rahmen seines Beurteilungsspielraums berücksichtigen kann. Wie die Ausführungen zu § 216 StGB allerdings auch deutlich gemacht haben, müssen die sich gegenüberstehenden Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abgewogen werden.610 Der Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers steht insofern die Aufrechterhaltung 605 Vgl. Wang, Drogenstraftaten, S. 124 m. w. Nachw.; ähnl. Ebert, JZ 1983, 633 (634); ähnl. auch Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit, S. 117 f.; ferner Helgerth, JR 1993, 418 (421); ähnl. Mitsch, Rechtfertigung und Opferverhalten, S. 45 f., der im Rahmen seiner Ausführungen zum Selbstschutz aus viktimologischer Sicht eine Konstellation der Pflicht zum Selbstschutz zugunsten Dritter, z. B. der Allgemeinheit, beschreibt und ausführt (S. 46): „Die Norm bezweckt nicht den Selbstschutz, sondern Fremdschutz durch Selbstschutz. Der Selbstschutz ist nicht das Ziel, sondern das Mittel zur Erreichung des Ziels, dem die Norm gewidmet ist.“; vgl. auch Schmitt, in: FS Maurach, S. 113 (125): „Sein erstes Ziel ist es, dem Drogenmissbrauch generell entgegenzutreten; erst danach folgt die Rücksichtnahme auf die Gesundheit des einzelnen, die durch Drogen gefährdet oder geschädigt werden kann.“; krit. zum Begriff des Schutzreflexes als strafrechtsdogmatischem Kunstgriff Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 85 f. 606 A. A. Hohmann, MDR 1991, 1117 (1118); ferner Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 193, 196; auch Schünemann, in: v. Hirsch/Neumann/Seelmann, Paternalismus im Strafrecht, S. 221 (232), der von einem Schleichweg spricht, den eigenverantwortlichen Rechtsträger doch noch zu bevormunden. 607 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 608 Vgl. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 131 f., insb. Fußn. 259. 609 Vgl. BGH NStZ 1986, 320 (321); auch BT-Drs. 17/7627, S. 2; vgl. Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, Vor §§ 29 Rn. 1 f.; ferner Weber, K., BtMG, § 1 Rn. 1. 610 Ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft, die hier als Sammelbegriff für die zuvor aufgezählten Interessen dienen kann, gegenüber. Wie in Kapitel E. bereits vorweggenommen, wahrt der Gesetzgeber mit den §§ 29 ff. BtMG die Verhältnismäßigkeit. Er respektiert das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG, indem er den eigentlichen Konsum nicht pönalisiert. Ausdruck der Verhältnismäßigkeit gegenüber dem freiverantwortlichen Rechtsträger sind darüber hinaus, wie im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung bereits erwähnt, die Vorschriften der §§ 29 Abs. 5, 31a, 37 BtMG.611 Nach diesen kann612 das Gericht über § 29 Abs. 5 BtMG im Rahmen der Strafzumessung von einer Strafe absehen613 oder das Gericht und/oder die Staatsanwaltschaft können gem. §§ 31a, 37 BtMG von der Verfolgung bzw. Anklageerhebung Abstand nehmen614. Das Absehen von Strafe nach § 29 Abs. 5 BtMG für denjenigen, der nur geringe Mengen Betäubungsmittel besitzt oder erwirbt, aber wegen der abstrakten Gefährdung der Allgemeinheit trotzdem Unrecht verwirklicht, ist Ausdruck der Respektierung des Selbstbestimmungsrechts zum Konsum.615 Im Unterschied dazu ermöglicht § 31a BtMG als Verfahrensvorschrift die Einstellung der Strafverfolgung in Sachverhalten, in denen beim Täter nur eine geringe Menge des Betäubungsmittels gefunden wurde, die zum Eigenverbrauch bestimmt war, nur eine geringe Schuld des Täters feststellbar ist und das öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung ausnahmsweise fehlt.616 Darüber hinaus ist im Rahmen der Interessenabwägung zu bedenken, dass die §§ 29 ff. BtMG auch den Schutz möglicherweise nicht freiverantwortlich handelnder Menschen bezwecken, so dass wie bei § 216 StGB die Freiheit zur Selbstbestimmung hinsichtlich des Umgangs mit Betäubungsmitteln mit Blick auf die irreversiblen Folgen für das Leben hinter dem präventiven Schutz dieses Gutes zurücktritt.617 611 Vgl. BVerfGE 90, 145 (212); vgl. Hohmann, MDR 1991, 1117 (1117 f.); ferner Hohmann/Matt, JuS 1993, 370 (372); auch Köhler, MDR 1992, 739 (739); ähnl. Paeffgen, in: FG 50 Jahre BGH, S. 695 (715); ferner Roxin, NStZ 1985, 319 (320); s. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 131 f. 612 Zum Ermessensspielraum vgl. z. B. BVerfG, Beschluss v. 11.07.2006 – 2 BvR 1163/06 (erhältlich in beck online: BeckRS 2006, 27486). 613 Ausf. dazu Weber, K., BtMG, § 29 Rn. 1788 ff. 614 Zur Abgrenzung von § 29 Abs. 5 und § 31a sowie §§ 153 ff. StPO vgl. Weber, K., BtMG, § 31a Rn. 16 ff. 615 Vgl. BVerfGE 90, 145 (189 ff.); vgl. hierzu auch Patzak, in: Körner/Patzak/ Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 28 Rn. 1. 616 Ausf. auch Kotz, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 31a Rn. 11 ff.; ausf. ferner Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 31a Rn. 12 f., 17 ff. 617 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 118 f.
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Resümieren lässt sich dementsprechend, dass in den Strafnormen des BtMG eine legitime Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit des eigenverantwortlichen Konsumenten zum Ausdruck kommt, die dem Schutz der Allgemeinheit dient. cc) Die Frage der Strafbarkeit des an einer Selbstgefährdung oder Selbsttötung mitwirkenden Dritten nach §§ 29 ff. BtMG im Lichte des Eigenverantwortungsprinzips Liegt den betäubungsmittelrechtlichen Strafnormen der Schutz der Allgemeinheit zugrunde, stellt sich die Frage, ob und inwieweit das Eigenverantwortungsprinzip im BtMG berücksichtigt werden kann. Bewirkt die Eigenverantwortung des Konsumenten auch eine Straflosigkeit des den Konsum ermöglichenden Dritten im Sinne der §§ 29 ff. BtMG?618 Zu Beginn des Kapitels wurde dargelegt, dass der freiverantwortliche Konsument nicht schutzwürdig ist.619 Der Konsum von Drogen ist Ausdruck seiner Selbstbestimmungsfreiheit und dennoch macht sich der mitwirkende Dritte, der die Betäubungsmittel überlässt oder verkauft, nach Ansicht des BGH gem. §§ 29 ff. BtMG schuldig, obwohl gleichzeitig eine Strafbarkeit für diese Handlungen nach dem StGB verneint wird. Widerspricht die Zurechnung der Verantwortung zum Dritten im BtMG also dem Eigenverantwortungsprinzip? Das Eigenverantwortungsprinzip ist ein teleologisches Kriterium, das der Rechtsauslegung dient.620 Es ist eine Orientierungshilfe für die Zuschreibung von Verantwortung hinsichtlich der Folgen selbstgefährdenden oder auch suizidalen Handelns. Allerdings hat die Verantwortungszuschreibung ihren Ausgangspunkt nicht in einem Rechtsprinzip wie dem Eigenverantwortungsprinzip. Verantwortung und die Zurechnung von Verantwortung haben ihren Ursprung immer in einem normativen Anknüpfungspunkt.621 Mit anderen Worten: Erst innerhalb der Anwendung und Auslegung gesetzlicher Regelungen kann das Eigenverantwortungsprinzip zur Anwendung kommen. Dieser innere Zusammenhang zwischen Norm, Verantwortung und Rechtsprinzip erklärt schließlich auch, wieso das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb des BtMG nicht die gleiche unrechtsausschließende Wirkung entfaltet wie innerhalb der Tötungsdelikte: Die Fragen nach der Strafbarkeit 618
So bspw. Hohmann, MDR 1991, 1117 (1118). S. Kapitel F. VI. 2. a) aa) S. 243 ff. 620 Vgl. die Ausführungen Nachweise in Kapitel D. III. S. 84 f. 621 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310); s. auch Kapitel D. II. S. 81 ff. 619
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
des mitwirkenden Dritten im Rahmen der Tötungsdelikte und innerhalb des BtMG haben differente Anknüpfungspunkte. Ausgangspunkt der bisherigen Untersuchung der strafrechtlichen Wertung der Mitwirkung im Sinne des § 222 StGB bzw. §§ 212, 26, 27 StGB war, dass der Staat durch die Pönalisierung der Mitwirkungshandlung den Rechtsgutsträger vor sich selbst zu schützen versucht. Die mit dem Recht auf Selbstbestimmung einhergehende Eigenverantwortung verdrängt allerdings die prospektive Verantwortung, d.h. die Legitimation des Staates zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst.622 Aus diesem Grund kann er auch den mitwirkenden Dritten im Rahmen der Tötungsdelikte, die allein das eingeschränkt disponible Individualrechtsgut Leben schützen, nicht für das Wohl des Rechtsträgers zuständig erklären und hieran eine Strafbarkeit knüpfen.623 Die betäubungsmittelrechtlichen Normen hingegen dienen nicht dem Schutz des Einzelnen vor sich selbst.624 Sie sind nur insofern legitim, als dass sie den Schutz der Allgemeinheit bezwecken.625 Eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsgutsträgers ist, sowohl hinsichtlich der Strafbarkeit des Rechtsgutsträgers außerhalb des bloßen Konsums als auch hinsichtlich der Strafbarkeit des Dritten wegen der Ermöglichung des Konsums, zum Schutz der öffentlichen Ordnung rechtmäßig.626 Das bedeutet zugleich, dass nicht nur der normative Ausgangspunkt, sondern die Perspektive der Verantwortungszurechnung im BtMG eine andere ist als bisher: §§ 29 ff. BtMG pönalisieren das Verhalten des Dritten nicht als Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung, sondern knüpfen an den Unwert an, den der Dritte durch die Gefährdung der Allgemeinheit realisiert.627 622
Vgl. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 623 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff. sowie Kapitel F. III. S. 187 ff. 624 Vgl. in diesem Kapitel F. VI. 2. a) aa) S. 243 sowie Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 625 Ebda. 626 Die betäubungsmittelrechtlichen Normen stellen im Übrigen auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Dritten dar (s. Kapitel E. I. 2. bb) (2) S. 133 ff.). Der Dritte schafft, wenn er durch sein Verhalten den Tatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG verwirklicht, nicht nur irgendeinen gefährlichen Geschehensablauf, sondern einen verbotenen. Den Normen des BtMG liegt kein pauschales „Gefährdungsermöglichungsverbot“ zugrunde, sondern sie knüpfen an die Gefahren an, die der Umgang mit Betäubungsmitteln für die Allgemeinheit mit sich bringt, und stellen somit eine legitime Beschränkung der Handlungsfreiheit des Dritten dar. Vgl. insofern auch BVerfGE 90, 145 (172). 627 Ein durch die Reduktion des Eigenverantwortungsprinzips bewirkter gesetzessystematischer Bruch im BtMG liegt folglich nicht vor. So aber noch in der 6. Aufl. Körner, BtMG, 6. Aufl., § 30 Rn. 88; ferner auch Hohmann, MDR 1991, 1117
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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Es lässt sich folglich feststellen, dass das Eigenverantwortungsprinzip der Strafbarkeit des mitwirkenden Dritten nach den §§ 29 ff. BtMG nicht entgegensteht.628 Eine zumindest abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit besteht auch dann, wenn der Dritte die Betäubungsmittel an einen freiverantwortlichen Konsumenten abgibt, so dass die Eigenverantwortung nicht das ausschlaggebende Kriterium für eine Strafbarkeit im Sinne der §§ 29 ff. BtMG sein kann.629 Letztlich sind es also die differenten normativen Bezugspunkte oder, wie es der BGH ausdrückt, die andersartigen Rechtsgüterschutzbereiche630, die im Betäubungsmittelrecht eine grundsätzliche Reduktion des Eigenverantwortungsprinzips bewirken. Es gibt allerdings auch Kritiker, die bezweifeln, dass die beschränkte Wirkung des Eigenverantwortungsprinzips für alle betäubungsrechtlichen Normen gleichermaßen gilt. So äußern sich einige Rechtswissenschaftler dahingehend, dass § 29 Abs. 3 Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht, wie die übrigen Normen, die Allgemeinheit, sondern nur Individualrechtsgüter des Konsumenten schützen.631 Würde man dem folgen, entfiele die Andersartigkeit, die es bisher erlaubte, die Mitwirkung an einer Selbstgefährdung, die nach den Tötungsdelikten straffrei ist, im BtMG unter Strafe zu stellen. Wenn die §§ 29 Abs. 3 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nur das individuelle Rechtsgut Leben schützen, gelangt das Eigenverantwortungsprinzip zur Anwendung, so dass der Tod bzw. die Lebensgefährdung aufgrund der Eigenverantwortung des sich Gefährdenden dem Dritten nicht zugerechnet werden könnte.632 Eine solche Differenzierung der geschützten Rechtsgüter innerhalb der Strafnormen des BtMG vermag indes nicht zu überzeugen. Begreift man (1117), der von dogmatischen Friktionen als Folge der Außerkraftsetzung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips im Nebenstrafrecht spricht. 628 A. A. noch in der 6. Aufl. Körner, BtMG, 6. Aufl., § 30 Rn. 88; vgl. statt vieler auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 222 ff., 233 f., 238, welche die „Volksgesundheit“ als Rechtsgut ablehnt und unter Verweis auf die Selbstbestimmungsfreiheit des Konsumenten nicht nur zu einer Strafbarkeit des Konsumenten für die Vorbereitungshandlungen und den Konsum entsprechend § 222 StGB gelangt, sondern entgegen §§ 29 ff. BtMG auch die Straffreiheit des Dritten verlangt, wenn es sich bei den überlassenen Betäubungsmitteln um eine geringe Menge handelt. 629 Ähnl. Rudolphi, JZ 1991, 571 (573 f.); ferner Weber, U., in: FS Spendel, S. 371 (378). 630 Vgl. BGH NStZ 1992, 489; vgl. auch BGH NJW 2000, 2286 (2287). 631 So Hohmann, MDR 1991, 1117 (1117 f.); vgl. auch Nestler-Tremel, StV 1992, 272 (275 f., 277 f.); vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 30 Rn. 82; vgl. auch Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 109; ferner Puppe, Jura 1998, 21 (29). 632 Ähnl. Hohmann, MDR 1991, 1117 (1118).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
§ 29 Abs. 1 BtMG als Grundtatbestand, dessen Verwirklichung die Grundlage der Anwendung des § 29 Abs. 3 Nr. 2 bzw. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG darstellt, ist es aus systematischer Sicht nur konsequent, das Unrecht der Strafschärfung auf die Gefährdung der Allgemeinheit zu beziehen. Eine Verlagerung des Schutzbereiches vom Universalrechtsgut auf das Individualrechtsgut Leben findet nicht statt.633 Vielmehr nehmen die vom Umgang mit Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren, die im Bereich des § 29 Abs. 1 BtMG noch von abstrakter Natur sind, innerhalb der § 29 Abs. 3 Nr. 2 bzw. § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG konkrete Gestalt an.634 Der erhöhte Unrechtswert der § 29 Abs. 3 Nr. 2 sowie § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG knüpft folglich an die Intensivierung der Gefährdung der Allgemeinheit, vermittelt über die Lebensgefährdung des Konsumenten, an.635 Nicht überzeugend ist in diesem Zusammenhang das Argument des BGH, wonach das selbstgefährdende Agieren des Betäubungsmittelkonsumenten und damit die Gefährdung seines individuellen Rechtsguts Leben den Normen des BtMG bereits immanent sei.636 Hiernach sei die Ermöglichung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung in Form des Betäubungsmittelkonsums ein wesentliches Element der Strafbegründung nach §§ 29 ff. BtMG, so dass die Eigenverantwortung nicht zugleich eine Begrenzung der Strafbarkeit im Sinne eines durch das Eigenverantwortungsprinzip vermittelten Tatbestandsausschlusses bewirken könne.637 Eine solche Argumentation wäre nur dann folgerichtig, wenn die Normen des BtMG zugleich dem Schutz des eigenverantwortlich agierenden Konsumenten vor sich selbst dienen würden. Eine solche Rechtsguts- bzw. Schutzausrichtung widerspricht aber, wie mehrfach aufgezeigt, dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsträgers. Die Perspektive des BtMG richtet sich auf 633 Vgl statt vieler Beulke/Schröder, NStZ 1991, 392 (394); auch Franke/Wienroeder, BtMG, § 30 Rn. 35; vgl. Otto, Jura 1991, 443 (444); auch Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 30 Rn. 97 (a. A. noch Körner, BtMG, 6. Aufl., § 30 Rn. 88); ferner Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 119; vgl. Rudolphi, JZ 1991, 571 (573 f.); auch Weber, U., in: FS Spendel, S. 371 (378), der das Opfer als Repräsentant des Rechtsguts der Volksgesundheit begreift; krit. Nestler-Tremel, StV 1992, 272 (274). 634 Vgl. bspw. Otto, Jura 1991, 443 (444), welcher die schwere Folge der Selbstgefährdung als Indiz für die Schwere der Gefahr wertet, die der Täter durch sein Handeln mit Betäubungsmitteln begründet hat; vgl. ferner Rahlf, in: MünchKommStGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 121, 141; vgl. Weber, K., BtMG, § 30 Rn. 146. 635 So zutreffend Rudolphi, JZ 1991, 571 (574); vgl. ferner SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 79 a; ähnl. auch BGHSt 37, 179 (182); a. A. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 60. 636 So BGHSt 37, 179 (182); dem folgend Beulke/Schröder, NStZ 1991, 392, (393 f.); vgl. ferner Duttge, NStZ 2001, 546 (548); Fahl, JA 1998, 105 (110) m. w. Anm.; auch Otto, Jura 1991, 443 (444) m. w. Anm. 637 Ebda.
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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die Gefährdung der Allgemeinheit, wie sie der Handel und Umgang mit Betäubungsmitteln hervorbringt, nicht aber auf die Ermöglichung einer freien Selbstgefährdung oder auch Selbsttötung. Zu resümieren ist folglich, dass das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb der betäubungsmittelrechtlichen Normen eine gesetzesspezifische Wirkungsbegrenzung erfährt. Der Dritte, dessen Mitwirkung darin besteht, den Drogenkonsum durch das Überlassen von Betäubungsmitteln zu ermöglichen, ist nach §§ 29 ff. BtMG zu bestrafen. dd) Die Auswirkung der betäubungsmittelrechtlichen Strafbarkeit des Dritten auf die strafrechtliche Beurteilung der Mitwirkung innerhalb der Tötungsdelikte Wenn die Ermöglichung des Betäubungsmittelkonsums nach §§ 29 ff. BtMG strafbar ist, stellt sich die Frage, ob diese Strafbarkeit mit Verweis auf die gebotene Einheit der Rechtsordnung in das StGB zurückwirkt638. Indiziert die Strafbarkeit des Dritten wegen der Verursachung des Todes des Konsumenten infolge der Abgabe oder der Überlassung von Betäubungsmitteln nach §§ 29 ff. BtMG eine Strafbarkeit desselben wegen einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB? Die Befürworter eines solchen Rückschlusses berufen sich insbesondere darauf, dass der Dritte durch sein Verhalten im BtMG und im StGB die gleiche Sorgfaltsnorm verletze, nämlich das Verbot des Handelns mit Betäubungsmitteln.639 Wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Beteiligung an einer Selbstgefährdung, hier den Umgang mit Betäubungsmitteln, ausdrücklich verbietet, gelte dieses Verbot für das gesamte Strafrechtssystem und beschränke sich nicht nur auf das BtMG.640 Es wäre demnach widersprüchlich, gekünstelt, würde man den Dritten nach den Normen des BtMG bestrafen, innerhalb der Tötungsdelikte des StGB aber zu einer Straffreiheit desselben gelangen.641 Auch wenn diese Argumentation auf den ersten Blick überzeugend scheint, ist ihr nicht zuzustimmen. Die Einheit der Rechtsordnung wird durch die unterschiedliche strafrechtliche Bewertung der Mitwirkungshandlung des Dritten innerhalb des BtMG und des StGB nicht gestört. Straf638 So z. B. Puppe, Jura 1998, 21 (29 f.); Weber, U., in: FS Spendel, S. 371 (375 ff.). 639 Puppe, Jura 1998, 21 (29). 640 Puppe, Jura 1998, 21 (30); NK-StGB/Puppe, Vor § 13 Rn. 247. 641 Weber, U., in: FS Spendel, S. 371 (378 f.); vgl. auch LK-StGB/Jähnke, § 222 Rn. 11/Betäubungsmittel, Rn. 21/Selbstgefährdung; ähnl. auch Kubink, in: FS Kohlmann, S. 53 (57).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
rechtliche Verantwortlichkeit ist, wie im voranstehenden Abschnitt bereits erläutert, immer Verantwortlichkeit unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt642, der über die Norm bzw. den Schutzzweck der Norm zu ermitteln ist. Die Reichweite einer Norm wiederum orientiert sich an den zu schützenden Rechtsgütern. Jeder Norm liegen unterschiedliche Rechtsgüter und mit ihnen unterschiedliche grundrechtliche Zielsetzungen und Abwägungen zugrunde. Wenn die Tötungsdelikte nach §§ 211 ff. StGB ausschließlich die Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit, die Normen des BtMG aber die Allgemeinheit schützen, stimmen die Schutzzwecke beider Regelungsbereiche nicht überein.643 Wie bereits festgestellt, pönalisieren die §§ 29 ff. BtMG das Verhalten des Dritten nicht unter dem Aspekt der Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung, sondern knüpfen die Strafbarkeit an die Gefährdung der Allgemeinheit an, die der Dritte durch den Handel mit Betäubungsmitteln schafft.644 In der Strafbarkeit des Dritten nach §§ 29 ff. BtMG und der gleichzeitigen Verneinung strafrechtlichen Unrechts nach § 222 StGB liegt folglich kein Widerspruch.645 Die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden lässt auf Seiten des am risikoträchtigen Geschehen mitwirkenden Dritten keine Sorgfaltspflicht hinsichtlich des disponiblen, individuellen Rechtsguts Leben646 entstehen, so dass die Voraussetzungen für eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 222 StGB nicht vorliegen.647 Die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden verdrängt die Mitverantwortung des Dritten. Genauer gesagt, verdrängt die Eigenverantwortung die prospektive Zuständigkeitsverantwortung des Staates, so dass er den Dritten nicht für das Wohl des Rechtsträgers im prospektiven Sinne für zuständig erklären und hieran eine 642 BGHSt 32, 262 (266): „Ohne Einfluss auf die rechtliche Beurteilung ist es, dass das Betäubungsmittelgesetz die Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung der eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung (. . .) mit Strafe bedroht. Aus solchen Strafandrohungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dem tatbestandlichen Bereich, für den sie gelten, eine Verurteilung des „Teilnehmers“ wegen fahrlässiger Tötung auch in Frage kommt, wenn der „Erfolg“ die Realisierung eigenverantwortlich gewollter und vollzogener Selbstgefährdung ist. Ein unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Tötung nicht tatbestandsmäßiges Geschehen kann nicht deshalb unter diesem Gesichtspunkt tatbestandsmäßig werden, weil der „Teilnehmer“ einen Beitrag leistet, der nach einem anderen Tatbestand strafbar ist. Strafrechtliche Verantwortlichkeit ist Verantwortlichkeit unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt nach den dafür geltenden normativen Voraussetzungen.“. Vgl. auch BGH NJW 2000, 2286 (2287). 643 S. Fußn. 630. 644 Ausf. hierzu Kapitel F. VI. 2. a) cc) S. 251 ff. 645 Vgl. Rudolphi, JZ 1991, 571 (573). 646 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 1. b) S. 147 ff. 647 Ausf. hierzu Kapitel F. III. 2. b) S. 202 ff.
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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strafrechtliche Verantwortung anknüpfen kann.648 Dies zu umgehen, indem man den Konsumenten als Repräsentanten der Allgemeinheit ausweist, um so die „Volksgesundheit“ mit in den Schutzbereich der Tötungsdelikte aufnehmen zu können,649 wäre nicht nur ein gesetzessystematischer Widerspruch, sondern würde letztlich die Selbstbestimmungsfreiheit und die mit ihr einhergehende Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers unterlaufen. Das Eigenverantwortungsprinzip verbietet derartige Bevormundungen. Der zur freien Selbstbestimmung fähige Konsument ist hinsichtlich seines Rechtsguts Leben nicht schutzwürdig und der Dritte für seine Mitwirkung am risikoträchtigen Geschehen innerhalb der Tötungsdelikte nicht strafbar. Zu bedenken ist des Weiteren, dass in Konstellationen der vorsätzlichen Teilnahme an einer Selbstgefährdung die einzige Möglichkeit, den Dritten im Rahmen der Tötungsdelikte zu bestrafen, darin bestünde, das Unrecht der bloßen Teilnahme über die Verbotenheit des Handels mit Betäubungsmitteln zu einem täterschaftlichen Unrecht zu erhöhen. Einen solchen Übergang der Tatherrschaft auf den Dritten zu konstruieren, setzt wiederum die Schutzwürdigkeit des Rechtsgutsträgers voraus und eben diese ist mit Verweis auf seine Eigenverantwortung hinsichtlich des Rechtsguts Leben zu verneinen. Im Ergebnis lässt sich somit feststellen, dass die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung des Dritten im Rahmen der betäubungsmittelrechtlichen Strafnormen nicht zugleich eine Einschränkung des Eigenverantwortungsprinzips innerhalb der Tötungsdelikte bewirkt. Eine Strafbarkeit des Dritten nach §§ 29 ff. BtMG steht nicht in Widerspruch zu einer Straffreiheit des an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Mitwirkenden im Rahmen der Tötungsdelikte. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für die Sachverhaltskonstellationen der Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung. ee) Exkurs: Der widersprüchliche Umgang mit dem Eigenverantwortungsprinzip im Kontext der § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 46 StGB von Seiten der Rechtsprechung Nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfährt das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb der betäubungsmittelrechtlichen Normen eine Einschränkung. Eine solche Beschränkung indiziert begrifflich in Abgrenzung zur Nichtanwendung zugleich, dass das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb des BtMG nicht vollständig aufgehoben ist. Welche Ausnahmen die Rechtsprechung von der grundsätzlichen Wirkbegrenzung macht 648 649
Ausf. hierzu Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. So bspw. Weber, U., in: FS Spendel, S. 371 (375, 378 f.).
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
und inwiefern das Prinzip außerhalb der Tatbestandsebene in den betäubungsmittelrechtlichen Normen Berücksichtigung finden kann bzw. muss, wird im Folgenden kursorisch dargestellt. In der Rechtsprechungsanalyse wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung von der durch sie befürworteten Beschränkung des Eigenverantwortungsprinzips im Rahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG eine Ausnahme macht.650 Notwendig sei eine „gewisse Einschränkung des Anwendungsbereiches“651, d.h. eine teleologische Reduktion der Norm unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers.652 Anknüpfungspunkt dieser Reduktion ist das Merkmal der Leichtfertigkeit. D.h., obwohl die Eigenverantwortung des Konsumenten einer Anwendung der Erfolgsqualifikation dem Grunde nach nicht entgegensteht, fordert der BGH die restriktive Auslegung des Leichtfertigkeitsmerkmals des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit der Folge, dass der erhöhte Unrechtsgehalt unter Rückgriff auf die Idee der Eigenverantwortung des Konsumenten entfällt.653 Es drängt sich die Frage auf, ob ein solches Vorgehen – erst das Eigenverantwortungsprinzip beschränken und es im Nachgang als restriktives Auslegungskriterium zur Unrechtsbegrenzung heranziehen – nicht widersprüchlich ist. Ein erhöhter Strafrahmen, wie ihn § 30 BtMG mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren vorsieht, erfordert eine restriktive Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen, weil nur der tatsächlich verwirklichte schwere Unrechtsgehalt die festgesetzte Strafhöhe rechtfertigt. Folglich sollte neben den erfolgsqualifikationstypischen Tatbestandsvoraussetzungen654 auch das Leichtfertigkeitserfordernis des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG streng ausgelegt werden. Bedarf es an dieser Stelle eines Rückgriffs auf das Eigenverantwortungsprinzip? Leichtfertig handelt derjenige, der aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit heraus, die tödliche Folge seines Verhaltens außer Acht lässt.655 Der erhöhte Unwertgehalt und das hieran angepasste Strafmaß des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG speisen sich also nicht allein aus der durch die Abgabe bzw. Überlassung der Betäubungsmittel bewirkten Todes650
S. hierzu Kapitel B. III. 2. S. 45 ff. BGH NJW 2000, 2286 (2287). 652 Vgl. BGHSt 46, 279 (288). 653 Vgl. BGHSt 46, 279 (289 f.); ferner BGH NJW 2000, 2286 (2287). 654 Ausf. hierzu Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 30 Rn. 92 ff.; ferner Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 134 ff.; Weber, K., BtMG, § 30 Rn. 126 ff. 655 BGHSt 33, 66 (67); 46, 279 (289); vgl. auch Heinrich, B., Strafrecht AT, Rn. 1005 m. w. Anm.; ferner Kühl, StGB, § 15 Rn. 55. 651
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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verursachung, sondern vor allem aus der besonderen Rücksichtslosigkeit bzw. Gleichgültigkeit des Täters. Das Tatbestandserfordernis der Leichtfertigkeit beschränkt den Anwendungsbereich der Erfolgsqualifikation folglich im ausreichenden Maße. Wenn innerhalb des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit und Gleichgültigkeit vorliegen muss, das in den konkreten Umständen des Einzelfalls deutlich wird, ist eine weitere teleologische Reduktion über das Eigenverantwortungsprinzip nicht notwendig. Welche Konsequenzen haben diese Erkenntnisse für die in der Rechtsprechungsanalyse aufgezeigten Entscheidungen? In dem Fall, in dem darüber zu entscheiden war, ob die Angeklagte, die dem später Verstorbenen Heroin mit dem Hinweis verkauft hatte, dass dieses eine besonders hohe Wirkkraft habe und man beim Konsum entsprechend vorsichtig sein müsse,656 ist dem Senat, der die Leichtfertigkeit nach § 30 Abs. 1 BtMG verneinte, im Ergebnis zuzustimmen. Allerdings war die Leichtfertigkeit nicht deswegen abzulehnen, weil der Konsument freiverantwortlich agiert hatte, sondern weil der Angeklagten aufgrund ihrer ausdrücklichen Warnung keine besondere Gleichgültigkeit oder ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit nachgewiesen werden konnten. Der Angeklagten war nur eine fahrlässige Todesverursachung vorzuwerfen, die von § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, anders als in § 18 StGB, nicht erfasst ist, so dass im konkreten Fall die Voraussetzungen der Erfolgsqualifikation nicht erfüllt waren. Ähnliches gilt im Übrigen auch für eine Entscheidung des BGH von 2001. In diesem konkreten Fall hatte der Angeklagte ein sehr starkes Heroingemisch veräußert, aber darauf hingewiesen, dass das Heroin aufgrund des hohen Wirkstoffgehaltes nur in Kleinstmengen „gesnieft“ und nicht injiziert werden sollte. Eine Leichtfertigkeit des Angeklagten hinsichtlich des Todes von einem der Abnehmer war auch hier wegen des Warnhinweises und nicht aufgrund der Freiverantwortlichkeit des Konsumenten zu verneinen.657 Näher ist in diesem Zusammenhang noch auf das Urteil BGHSt 46, 279 einzugehen, dessen Besonderheit darin bestand, dass der Angeklagte durch das Überlassen des Betäubungsmittels Pentobarbital den Suizid einer Schwerstkranken ermöglicht hatte. Davon ausgehend, dass das Tatbestandsmerkmal der leichtfertigen Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG auch vorsätzliches Handeln erfasst,658 ist zu überlegen, ob die besondere Konstellation der Suizidmitwirkung im Gegensatz zu den bisher be656
BGH NJW 2000, 2286. BGH NStZ 2001, 205 (205 f.) m. Anm. Hardtung. 658 Vgl. BGHSt 46, 279 (289); s. Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 149 f. m. w. Nachw.; ferner Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 18 Rn. 3 m. w. Anm.; vgl. auch Weber, K., BtMG, § 30 Rn 176. 657
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
trachteten Selbstgefährdungskonstellationen eine teleologische Reduktion des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG im Lichte des Eigenverantwortungsprinzips erfordert.659 Der Senat begründete eine solche zum einen damit, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Erfolgsqualifikation Konstellationen, in denen ein Schwerstkranker sein Leben mit Hilfe von Betäubungsmitteln beenden will, nicht gesehen habe.660 Zum anderen würde mit Blick auf die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten die durch den Gesetzgeber in § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG geschaffene Unrechtsdimension, an die das hohe Strafmaß anknüpft, nicht erreicht.661 Aus diesem Grund sei ausnahmsweise trotz vorsätzlichen Agierens des Angeklagten, der Tatbestand der Erfolgsqualifikation nicht erfüllt.662 Dem ist nicht zuzustimmen. Zwar eröffnen das allgemeine Selbstbestimmungsrecht und die Menschenwürde über Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG jedem Einzelnen die Freiheit zum Suizid und der Staat ist verpflichtet, den Sterbewillen des Schwerstkranken zu respektieren.663 Anders als bei der Frage nach der Strafbarkeit des vorsätzlich an einem eigenverantwortlichen Suizid Mitwirkenden im Sinne der Tötungsdelikte, wo die Straffreiheit insbesondere auch auf eben diesem Respekt vor dem Suizidenten und dem fehlenden Unrecht der Selbsttötung beruht, beschreibt § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG aber kein Teilnahmeunrecht im Sinne der §§ 26, 27 StGB. Anders als innerhalb der Tötungsdelikte liegt der Schwerpunkt der strafrechtlichen Wertung im BtMG nicht auf der Partizipation des Dritten an einer fremden Selbsttötung, sondern darauf, dass er durch die Überlassung oder Abgabe von Betäubungsmitteln den Tod eines anderen Menschen als eigenes, täterschaftliches Unrecht verwirklicht hat. Dass die Einnahme von Betäubungsmitteln für den Sterbewilligen im Vergleich zu anderen Selbsttötungsmethoden, wie dem Erschießen oder Erhängen, eine wesentlich schmerzärmere und hinsichtlich des tatsächlichen Todeseintritts weniger risikoträchtigere Möglichkeit der Lebensbeendigung darstellt, ändert hieran nichts.664 Der Umstand, dass der Konsument sich freiverantwortlich das Leben nimmt, vermag die Ablehnung des im Tatbestand verwirklichten § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht zu begründen. Dem BGH ist allerdings insofern zuzustimmen, dass die Konstellationen, in denen die Abgabe eines Betäubungsmittels zur Ermöglichung einer Selbsttötung, obwohl sie den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erfül659 660 661 662 663 664
Ebenso Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 151. BGHSt 46, 279 (289). BGHSt 46, 279 (290). BGHSt 46, 279 (289). Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) S. 92 ff. Ähnl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 30 Rn. 99.
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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len und somit einen erhöhten Unrechtsgehalt aufweisen, in ihrer Unrechtsdimension nicht mit sonstigen Sachverhalten, die der Gesetzgeber durch die Erfolgsqualifikation erfassen wollte, vergleichbar sind. Anders als der BGH meint665, kann dem allerdings durch die Anwendung der Strafmilderung nach § 30 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen werden.666 § 30 Abs. 2 BtMG ermöglicht eine Verkürzung des Strafrahmens auf bis zu drei Monate Freiheitsstrafe, was wiederum dem Gericht die Chance bietet, diese im Einzelfall zur Bewährung gem. § 56 Abs. 1 StGB auszusetzen oder sogar von einer Strafe nach § 60 StGB abzusehen. Folgt man der hier dargestellten Ansicht, hätte der Angeklagte aus der Entscheidung BGHSt 46, 279 als Sterbebegleiter nicht nur gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1, 6 lit. b BtMG, sondern auch nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, unter Berücksichtigung der Möglichkeit zur Strafmilderung nach Abs. 2, verurteilt werden müssen. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass entgegen der Rechtsprechung des BGH die Freiverantwortlichkeit des verstorbenen Konsumenten das Merkmal der Leichtfertigkeit in § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht beseitigt. Bereits eine restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Erfolgsqualifikation ermöglicht die vom BGH für notwendig erachtete Restriktion des Anwendungsbereiches. In besonderen Konstellationen, wie bspw. der Mitwirkung an einer Selbsttötung, kann dem verminderten Unwert über den § 30 Abs. 2 BtMG Rechnung getragen werden. Diese Wertung fügt sich im Übrigen auch in die Spruchpraxis der Rechtsprechung zur Strafzumessung innerhalb der betäubungsmittelrechtlichen Normen ein. So stellt bspw. die fahrlässige Verursachung des Todes des Konsumenten aus Sicht des BGH einen innerhalb der Strafzumessung zu berücksichtigenden strafschärfenden Umstand dar. Der Tod des Konsumenten wird als eine verschuldete Auswirkung der Tat im Sinne § 46 Abs. 2 StGB betrachtet.667 Dies begründet der BGH damit, dass der Gesetzgeber den Tod des Konsumenten in der besonderen Schuldform der Leichtfertigkeit bereits in § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG straferschwerend berücksichtigt, so dass dies auch für minder schwere Schuldformen, wie z. B. die fahrlässige Verursachung, zu gelten hat.668 Aus diesem Grund ist die Todesverursachung nicht nur ein „neutraler“ Umstand, sondern ein Straferschwerungsgrund. Dies gilt nach Ansicht des BGH im Übrigen auch für die Sachver665 BGHSt 46, 279 (290): „Zudem spiegelt der Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG von zwei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe – selbst eingedenk des Ausnahmestrafrahmens von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe für minder schwere Fälle (§ 30 Abs. 2 BtMG) – eine vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte Unrechtsdimension, hinter der Fälle der vorliegenden Art von vornherein zurückbleiben.“ 666 So bspw. Weber, K., BtMG, § 30 Rn. 283. 667 Vgl. BGH NStZ 1992, 489. 668 Vgl. BGH NStZ 1992, 489.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
haltskonstellationen, in denen die Leichtfertigkeit des Täters nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG unter Verweis auf die Freiverantwortlichkeit des Verstorbenen abzulehnen ist.669 Dem ist dahingehend zuzustimmen, dass die Todesverursachung eine außertatbestandliche670 und fahrlässig herbeigeführte Folge darstellt. Eine solche kann als strafschärfender Faktor nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden.671 Was der BGH aller669 Vgl. statt vieler Franke, in: MünchKomm-StGB, Bd. I, 1. Aufl., § 46 Rn. 71; LK-StGB/Theune, § 46 Rn. 151; ferner Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 149 m. Nachw. 670 Zum Begriff der außertatbestandlichen Folgen vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 151 f.; vgl. auch Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 46 Rn. 9. 671 Vgl. hierzu Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 563; vgl. hierzu auch LKStGB/Theune, § 46 Rn. 151. Welche Anforderungen § 46 Abs. 2 S. 2 StGB an das geforderte Verschulden hinsichtlich der Auswirkungen der Tat stellt und inwieweit auf §§ 15, 16 und/oder § 18 StGB zurückgegriffen werden kann, ist höchst strittig. Einige lassen auch im Rahmen von Vorsatzdelikten eine Vorhersehbarkeit der außertatbestandlichen Folge im Sinne einer Fahrlässigkeit genügen. So BGHSt 3, 179 (180); BGH NStZ 1986, 85 (86) m. Anm. Berz; BGH StV 1987, 100; vgl. auch die ausf. Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung bei Frisch, W., GA 1972, 321 (324 ff.) sowie Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 152 ff., 158 ff.; vgl. ferner Fischer, Th., StGB, § 46 Rn. 34; Frisch, W., ZStW 99 (1987), 751 (755); Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 172 f.; bereits Spendel, NJW 1964, 1758 (1764); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 559 m. w. Nachw.; s. auch den Überblick bei LK-StGB/Theune, § 46 Rn. 157 ff. Andere hingegen fordern eine entsprechende Anwendung der §§ 15, 16 StGB, so dass im Rahmen der Vorsatzdelikte nur vorsätzlich herbeigeführte außertatbestandliche Folgen berücksichtigt werden können. So insb. Stree/ Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 Rn. 26 b; krit. Puppe, in: FS Spendel, S. 451 (453, 464). Gegen die zweite Ansicht, die sich insb. an den Regelbeispielen des § 243 StGB mit dessen subjektiven (vorsatzähnlichen) Element orientiert (vgl. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 Rn. 26b), spricht im Falle der auf Betäubungsmittelkonsum zurückzuführenden Todesfälle die Nähe der außertatbestandliche Folgen zur Erfolgsqualifikation des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Ausf. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 164 f.; Frisch, W., GA 1972, 321 (334 ff.). Wenn eine außertatbestandliche Folge in die Nähe einer im Gesetz normierten Erfolgsqualifikation rückt, ohne diese tatbestandlich zu verwirklichen, ist die Normierung immerhin ein Indiz dafür, dass diese Folge ein vom Grundtatbestand abzugrenzendes, erhöhtes Unrecht begründet, so dass entsprechend § 18 StGB die wenigstens fahrlässige Verursachung für eine strafschärfende Wertung genügt. Ausf. hierzu Frisch, W., GA 1972, 321 (334 ff.), der als Indiz für die Reichweite der durch das Grunddelikt geschützten Folgen als gesetzliche Anhaltspunkte die Erfolgsqualifikationen und die Gefährdungsdelikte benennt sowie für den Fall, dass keine gesetzlichen Anhaltspunkte auffindbar sind, auf den Schutzzweck der Norm und den tatbestandlich vorgegebenen Gefahrenkreis zurückgreift. Im Unterschied zur vorherrschenden Lehre wendet Frisch allerdings nicht ausschließlich § 18 StGB an, sondern nur ergänzend zu §§ 15, 16 StGB; dieser „Doppelspurigkeit“ folgend vgl. Bruns, Das
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
263
dings anscheinend außer Acht lässt, ist, dass nicht nur der Tod, sondern auch die Eigenverantwortung des Konsumenten Eingang in die Strafzumessung finden muss. Vergleichbar den Konstellationen, in denen der Dritte vorsätzlich an einer fremden Selbsttötung mitwirkt und aufgrund der Eigenverantwortung des Suizidenten eine Strafmilderung im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG geboten ist, muss im Rahmen der fahrlässigen Todesverursachung die Freiverantwortlichkeit als strafmildernder Faktor berücksichtigt werden. Innerhalb der Strafzumessung ist dem strafschärfenden Umstand der fahrlässigen Todesverursachung folglich die Eigenverantwortung des Konsumenten gegenüberzustellen. b) Zusammenfassung Die voranstehende Untersuchung hat ergeben, dass das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb der betäubungsmittelrechtlichen Normen eine gesetzesspezifische Wirkungsbegrenzung erfährt. Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass die betäubungsmittelrechtlichen Normen nach §§ 29 ff. BtMG anders als die Tötungsdelikte nicht dem Schutz des Individualrechtsguts Leben, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren, die vom Handel mit Betäubungsmitteln für die Gesellschaft und die unter Umständen nicht freiverantwortlich agierenden Menschen ausgehen, dienen. Der Umgang mit Betäubungsmitteln seitens des Rechtsgutsträgers außerhalb des bloßen Konsums sowie die Ermöglichung des Konsums durch das Überlassen von Betäubungsmitteln von Seiten Dritter sind zum Schutz der öffentlichen Ordnung pönalisiert.672 §§ 29 ff. BtMG bestrafen das Verhalten des Dritten folglich nicht als Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung, sondern knüpfen die Strafbarkeit an den Unwert an, den der Dritte durch die Gefährdung der Allgemeinheit realisiert.673 Der normative Ausgangspunkt und damit die Perspektive der Verantwortungszurechnung im BtMG Recht der Strafzumessung, S. 164 f.; ähnl. auch Helgerth, JR 1993, 418 (421); a. A. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, § 46 Rn. 27, die auf die erheblichen Bedenken gegen § 18 StGB verweisen; krit. auch Puppe, in: FS Spendel, S. 451 (452 f.); krit. auch Hoyer, StV 1993, 128 (130). Im Übrigen weist die fahrlässige Todesherbeiführung auch das von § 46 Abs. 2 StGB geforderte erhöhte Maß an Unrecht auf. Vgl. Helgerth, JR 1993, 418 (421); ebenso Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 30 Rn. 125; vgl. auch Rahlf, in: MünchKomm-StGB/BtMG, Bd. V, § 30 Rn. 176. Hierdurch wird auch keine Haftungserweiterung zu Lasten des Täters begründet, denn der erhöhte Unwertgehalt der Todesverursachung ist bereits dem Schutzzweck der §§ 29 ff. BtMG immanent. Ausf. Frisch, W., GA 1972, 321 (332 ff.); a. A. Hoyer, StV 1993, 128 (130), krit. ferner Puppe, in: FS Spendel, S. 451 (454 f.). 672 Ausf. Kapitel F. VI. 2. a) bb) S. 246 ff. 673 Ausf. Kapitel F. VI. 2. a) cc) S. 251 ff.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
sind also andere als bei der Frage der Verantwortungszurechnung innerhalb der Tötungsdelikte des StGB. Die unterschiedliche strafrechtliche Bewertung der Mitwirkungshandlung des Dritten im Kontext der Tötungsdelikte und des BtMG stellt somit keinen Widerspruch dar, weil sie das Resultat ungleicher Rechtsgüterschutzbereiche und Unrechtsperspektiven ist. Dass das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb des BtMG aber nicht vollständig aufgehoben ist, sondern im beschränkten Umfang fortwirkt, hat der Exkurs deutlich gemacht.674 So ist die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden bzw. des Suizidenten als unrechtsmindernder Umstand auf der Ebene der Strafzumessung durchaus zu berücksichtigen. Allgemeiner lässt sich die Erkenntnis des voranstehenden Abschnitts dahingehend formulieren, dass die durch die Mitwirkungshandlung verwirklichten Straftaten nicht in der Lage sind, das Prinzip der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers innerhalb der Tötungsdelikte zu durchbrechen, weil das den Normen immanente Unrecht, welches sich aus dem jeweiligen Rechtsgüterschutzbereich ableitet, nicht identisch ist. Diese Schlussfolgerung, wonach der Verbotenheit der Handlung keine unrechtsbegründende Rückwirkung auf die Wertung der Mitwirkungshandlung innerhalb der Tötungsdelikte innewohnt, hat auch in sonstigen Konstellationen Geltung, in denen durch das deliktische Agieren des Dritten die Möglichkeit zur Selbstgefährdung eröffnet wird. So findet bspw. eine differente, am Normzweck orientierte Bewertung des Verhaltens des Dritten auch in den Doping-Fällen statt: Der Arzt, welcher dem freiverantwortlich agierenden Sportler Dopingmittel überlässt, verwirklicht im Kontext des § 222 StGB kein Unrecht,675 ist aber zugleich nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a, b i. V. m. § 6a Abs. 1, 2a S. 1 AMG strafbar.676 Als weiteres Beispiel für derartige Sachverhalte ließen sich illegale Wettfahrten mit tödlichem Ausgang, ähnlich dem „Motorradwettfahrt-Fall“ BGHSt 7, 112, anführen.677 So indiziert bspw. eine mögliche Strafbarkeit 674 Insofern ist der Feststellung von Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 126 zu widersprechen, wonach statt von einer Beschränkung besser von einer Unanwendbarkeit des Eigenverantwortungsprinzips im BtMG gesprochen werden solle. 675 Vgl. hierzu Kapitel B. II. 3. b) S. 42. 676 Vgl. hierzu die Übersicht strafrechtlich relevanter Normen beim Doping bei Parzeller, DZS 2001, 162 (163 ff., insb. 165 f.) m. w. Anm.; ausf. zur Strafbarkeit nach den Normen des AMG Volkmer, in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 95 AMG Rn. 83 ff.; das Eigendoping des Sportlers ist im Übrigen straffrei, s. hierzu Kapitel B. II. 3. b) S. 42; a. A. Timm, GA 2012, 732 (741). 677 Unter Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips würde der Angeklagte in BGHSt 7, 112 heute nicht mehr nach § 222 StGB verurteilt werden kön-
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
265
des überlebenden Wettkampfteilnehmers nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB i. V. m. § 5 StVO678 keine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne der Tötungsdelikte, sofern die Voraussetzungen eigenverantwortlichen Handelns auf Seiten des Rechtsgutsträgers vorliegen.679 Während der überlebende Kontrahent eines „wilden Rennens“680 der Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB schuldig wäre, kann ihm nach dem Prinzip der Eigenverantwortung im Kontext des § 222 StGB für den Tod des Verunglückten keine Verantwortung zugerechnet werden.681 Das normative Moment, an welchem sich die Verantwortungszuschreibung innerhalb von § 222 sowie § 315c StGB orientiert, ist aufgrund der Verschiedenartigkeit der Rechtsgüterschutzbereiche ein anderes.682 Eine weitere Gruppe von Sachverhalten, bei denen sich die Frage stellt, ob und in welchem Umfang ein durch den Dritten verwirklichter Rechtsverstoß die rechtliche Bewertung seines Verhaltens im Rahmen des § 222 StGB nen, sofern man trotz eines BAK von 1,5 ‰ die Freiverantwortlichkeit des verunglückten Fahrers anerkennt. Dass es unvernünftig ist, zwei Menschenleben für eine Runde Bier aufs Spiel zu setzen oder dass der verunglückte Fahrer schon im ersten Rennen unvernünftig gefahren war sowie der Umstand, dass der Angeklagte eine leistungsstärkere Maschine gefahren hatte, kann eine Strafbarkeit nach § 222 StGB nicht begründen. Wie mehrfach ausgeführt, umfasst das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auch das Recht zur unvernünftigen Selbstgefährdung. Wenn keine Zweifel an der Freiverantwortlichkeit des Verunglückten bestehen, hatte dieser als Kehrseite seines Rechtes zur unvernünftigen Selbstgefährdung für die Konsequenz, hier den tödlichen Sturz, der auf seinen eigenen Fahrfehler zurückzuführen war, einzustehen. Die Eigenverantwortung des Verunglückten steht einer Sorgfaltspflichtverletzung auf Seiten seines Kontrahenten entgegen. 678 Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch § 29 Abs. 1 StVO sowie § 7 und § 1 Abs. 2 StVO. 679 Ähnl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 139 f.; a. A. sind bspw. Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (994) oder auch Weber, U., in: FS Baumann, S. 43 (49). 680 Zu diesem Begriff vgl. bspw. OLG Bamberg NStZ-RR 2011, 256 (256); vgl. Janker, in: StVR, § 29 Rn. 2. 681 Allerdings sollte im Rahmen der Strafzumessung nach § 315c StGB auf eine differenzierte Unrechtsbemessung geachtet werden. In diesem Sinne kann über § 46 StGB der Tod des Wettkampfteilnehmers dem Dritten als verschuldete Auswirkung der Tat straferschwerend zugerechnet werden, aber diesem ist die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers als strafmindernder Umstand gegenüberzustellen. Vgl. hierzu Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 315c Rn. 45; s. ferner die Ausführungen zum BtMG in Kapitel F. VI. 2. a) ee) S. 257 ff. 682 Vgl. BGHSt 6, 232 (234), wonach § 315c StGB nicht nur Leib und Leben des einzelnen Verkehrsteilnehmers, sondern auch die Allgemeinheit schützt; anders hingegen BGHSt 23, 261 (263 f.), wonach dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs Vorrang einzuräumen ist; vgl. hierzu ferner Burmann, in: StVR, § 315c Rn. 1; vgl. Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (984 ff.); ebenso LK-StGB/König, P., § 315 Rn. 4 f.; auch Kühl, StGB, 315c Rn. 1 m. w. Nachw.; ferner Sternberg-Lieben/ Hecker, in: Schönke/Schröder, § 315c Rn. 2 m. w. Nachw.
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F. Die Eigenverantwortung und Mitverantwortung im Strafrecht
beeinflusst, ist die, in denen der Rechtsgutsträger sich das Leben durch die Schusswaffe des Dritten nimmt bzw. infolge des unvorsichtigen Hantierens mit der Waffe zu Tode kommt. Als Beispiel für Ersteres kann der bereits in der Rechtsprechungsanalyse eingeführte „Polizeipistolen-Fall“683 aus dem Jahr 1972 dienen.684 Das WaffG erlegt dem berechtigten Waffenbesitzer eine Vielzahl von Verpflichtungen im Umgang von Waffen und Munition auf. Gem. § 1 WaffG dient es dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. In diesem Sinne sind auch die §§ 34, 36 WaffG zu verstehen, über die man u. a. zu verhindern versucht, dass Waffen in die falschen Hände gelangen und andere Menschen dadurch zu Tode kommen.685 Beide Normen stellen an den Waffenbesitzer ein hohes Maß an Verantwortung, weil er persönlich dafür Sorge zu tragen hat, dass seine Waffe nicht nur ordnungsgemäß erworben wird, sondern dass vor allem eine unberechtigte Nutzung durch Dritte ausgeschlossen ist.686 Insbesondere mit § 36 WaffG, der auch in den hier diskutierten Fällen der Selbstgefährdung oder Selbsttötung einschlägig sein sollte, formuliert der Gesetzgeber eine Garantenpflicht zur sicheren Aufbewahrung.687 Folglich schützt das WaffG über die öffentliche Sicherheit (im Sinne des allgemeinen Polizeirechts) nicht nur den Bestand des Staates sowie seiner Einrichtungen, sondern auch die Individualrechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens.688, 689 Dieser im 683
BGHSt 24, 342. Vgl. auch Kapitel B. I. 2. b) S. 28 ff. 685 Gade/Stoppa, WaffG, § 36 Rn. 5 m. w. Nachw. 686 Gade/Stoppa, WaffG, § 34 Rn. 2, § 36 Rn. 4 f. 687 Gade/Stoppa, WaffG, § 36 Rn. 6. 688 Gade/Stoppa, WaffG, § 1 Rn. 4; vgl. Heinrich, in: MünchKomm-StGB/ WaffG, Bd. V, § 1 Rn. 1 f. sowie Vor §§ 51 ff. WaffG Rn. 1; a. A. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 145 f., der im WaffG ausschließlich einen vorverlagerten Individualrechtsgüterschutz verwirklicht sieht. 689 Eben diese Schutzausrichtung ermöglicht es, auch den Waffenbesitzer in Konstellationen, in denen bspw. ein Nichtberechtigter mit der Waffe auf einen Unbeteiligten schießt und diesen tötet, wegen einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen zu verurteilen. Als Beispiel hierfür kann der sogenannte „Gaststätten-/Jäger-Fall“ dienen, aufgeführt bei Frister, Strafrecht AT, Kap. 10 Rn. 14 bzw. Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 (400). Des Weiteren sei in diesem Zusammenhang auf die Verurteilung des Vaters des Amokschützen von Winnenden wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung durch Unterlassen verwiesen. Im Rahmen der Revision äußerte sich der 1. Strafsenat des BGH wie folgt (BGH, Beschluss v. 22.03.2012 – 1 StR 359/11, S. 14): „Die Strafkammer hat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zutreffend neben den Verstößen gegen das Waffengesetz auch fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung bejaht. (. . .) Schon diese unzulängliche Sicherung von Waffen und Munition unter Verstoß gegen die spezifischen waffenrechtlichen Aufbewahrungspflichten kann den Vorwurf der Fahrlässigkeit für Straftaten begründen, die vorhersehbare Folge einer ungesicherten Verwahrung sind.“ 684
VI. Die Begrenzung des Eigenverantwortungsprinzips
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WaffG angelegte, vorverlagerte Individualrechtsgüterschutz690 lässt sich allerdings nicht auf die Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbsttötung innerhalb des § 222 StGB übertragen. Einer solchen Schlussfolgerung steht entgegen, dass das WaffG zwar dem Schutz des menschlichen Lebens dient, aber gerade nicht den Zweck erfüllt, Selbsttötungen oder den selbstgefährdenden Umgang mit Waffen zu verhindern.691 Entscheidet sich der Rechtsgutsträger dafür, die Waffe trotz der damit verbundenen Gefahren zu gebrauchen, steht die mit der selbstbestimmten Entscheidung korrelierende Eigenverantwortung einer Schutzwürdigkeit entgegen. Ein freiverantwortlich agierender Rechtsgutsträger kann aus den §§ 34, 36 WaffG kein Vertrauen darauf ableiten, dass der Staat ihn vor seiner unvernünftigen Entscheidung schützt und der Staat wiederum ist nicht legitimiert, den Suizidenten bzw. sich Gefährdenden vor sich selbst zu schützen. Bestehen keine Zweifel hinsichtlich der Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers, ist eine Verurteilung des Waffenbesitzers wegen einer fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB, unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit nach dem WaffG, aufgrund der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden abzulehnen.
690 691
Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 144 f. (beachte auch Fußn. 688). Vgl. Otto, in: FS Spendel, S. 271 (280).
G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick Die vorliegende Untersuchung beschäftigte sich mit der Frage, wie der Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden und der Mitverantwortung des hieran mitwirkenden Dritten strafrechtlich aufzulösen ist. Es wurde ausführlich dargelegt, dass das zentrale und grundlegende Argument für die Zuschreibung der Verantwortung bezüglich der Folgen des suizidalen und riskanten Unternehmens die Eigenverantwortung des Rechtsträgers ist. In den voranstehenden Kapiteln wurde die Eigenverantwortung als ein dem Strafrecht vorgelagerter Begriff1 herausgestellt und aus dem vorrechtlichen Verständnis von Verantwortung ein Rechtsprinzip der Eigenverantwortung konzipiert. Es wurde darlegt, welche Leitidee dem Eigenverantwortungsprinzip zugrunde liegt und welche Wirkung es in der Verfassung und im Strafrecht entfaltet. So gelang es letztlich, die Straffreiheit des an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten nicht nur formell und streng dogmatisch, sondern auch im materiellen Sinne zu begründen. Die wesentlichen Erkenntnisse der Abhandlung werden im Folgenden noch einmal abschließend zusammengefasst.
I. Abschließende Stellungnahme Ein Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Idee von der Eigenverantwortung des Menschen als ein Prinzip des geltenden Rechts herauszustellen. Dies ist ausgehend von dem vorrechtlichen Verantwortungsbegriff gelungen. Es wurde festgestellt, dass die Verantwortung ihren Ursprung in der Handlungsfreiheit des Menschen hat.2 Sie ist das Korrelat menschlicher Freiheit.3 Unsere Rechtsordnung denkt sich den Menschen als ein freies, als ein zur Selbstbestimmung fähiges Wesen.4 Ihr liegt folglich ein Rechtsprinzip der Selbstbestimmung zugrunde, aus dem sich das Prinzip der Eigenverantwortung ableitet.5 Die Eigen1
Vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 18. Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. 77 ff. 3 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); Kaufmann, F.-X., JbRSoz 14 (1989), 204 (205). 4 Vgl. BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (6); s. auch Kap. E., Fußn. 6. 5 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. III. S. 84 ff. 2
I. Abschließende Stellungnahme
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verantwortung lässt sich als ein Pendant zur Freiheit der individuellen Selbstbestimmung begreifen.6 Der Leitgedanke eines solchen Eigenverantwortungsprinzips besteht zum einen im Schutz des Rechtsträgers vor fremder Bevormundung und zum anderen in der Pflicht, für die Konsequenzen, die das eigene Handeln mit sich bringt, einzustehen.7 Die Eigenverantwortung begrenzt also die Verantwortungszurechnung.8 Sie verdrängt die Mitverantwortung, indem sie eine rechtliche Zuständigkeit der anderen für die Folgen des selbstbestimmten Handelns des Rechtsträgers nicht entstehen lässt.9 Dies beruht auf der folgenden Überlegung: Will das Recht jedem Individuum größtmögliche Freiheit garantieren10, wäre es widersprüchlich, einem anderen im Sinne prospektiver Verantwortung die Zuständigkeit für einen selbstbestimmt agierenden Rechtsträger aufzuerlegen. Fehlt es an einer prospektiven Verantwortung, kann hieran auch keine retrospektive Mitverantwortung anknüpfen, weil zwischen den beiden eine Korrespondenzbeziehung11 besteht, d.h., ohne Aufgabenverantwortung kann es keine Folgenverantwortung geben12. Die so erarbeitete Konzeption des Eigenverantwortungsprinzips folgt der vorrechtlichen Idee von Verantwortung, wonach die Achtung der Freiheit des Individuums eine Respektierung der Entscheidung des Einzelnen verlangt.13
Rechtsprinzipien sind allerdings keine Normen, sondern objektiv teleologische Kriterien der Rechtsauslegung.14 Auch das Eigenverantwortungsprinzip wirkt folglich erst im Rahmen der Festlegung von Verantwortungsbereichen. Verantwortung selbst braucht wiederum normative Anknüpfungspunkte.15 Die normativen Maßstäbe, nach denen sich der Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden und der Mitverantwortung des Dritten auflösen lässt, sind zum einen die strafrechtlichen Normen und zum anderen die Grundrechte. Es wurde herausgestellt, dass die Frage nach der Strafbarkeit des Dritten im Kontext der Tötungsdelikte be6 Bierhoff, in: Koch/Kaschube/Fisch, Eigenverantwortung für Organisationen, S. 47 (48); ähnl. auch Hillgruber, in: Riesenhuber, Das Prinzip der Selbstverantwortung, S. 165 (165); ähnl. ferner Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung, S. 128. 7 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. III. S. 86. 8 Vgl. Nida-Rümelin, Verantwortung, S. 115. 9 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. III. S. 86. 10 So bspw. Brugger, JZ 1991, 893 (894); s. auch Kapitel D. II., Fußn. 39. 11 Werner, in: Handbuch Ethik, S. 541 (542 f.); ausf. hierzu Kapitel D. I. S. 77 f. 12 Vgl. Höffe, JbRSoz 14 (1989), 12 (15). 13 S. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80, insb. Fußn. 20. 14 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. III. S. 84 f., insb. Fußn. 53 ff. 15 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. II. S. 81 ff., insb. Fußn. 42 f.
270
G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
reits auf der verfassungsrechtlichen Ebene gelöst wird. In diesem Zusammenhang wurde auch aufgezeigt, dass die Frage nach der Verantwortungszuweisung zwischen dem Suizidenten bzw. dem sich Gefährdenden und dem Dritten im Strafrecht eng mit dem Freiheitsverständnis des Individuums im Verhältnis zum Staat verbunden ist.16 Es wurde konstatiert, dass zwischen der staatlichen Verantwortung für den Rechtsträger und der Verantwortung des Dritten eine Art Abhängigkeitsverhältnis besteht.17 Dieses beruht darauf, dass eine Folgenverantwortung des Dritten in Form einer Strafbarkeit eines normativen Anknüpfungspunktes bedarf, welcher eine Zuständigkeit für das Wohl des Rechtsträgers festlegt und an die Missachtung dieser Pflicht eine Strafbarkeit anknüpft. Eine solche Norm, aus der eine retrospektive Verantwortung des Dritten erwächst, kann nur durch den Gesetzgeber und nur dann erlassen werden, wenn dem Staat gegenüber dem Suizidenten bzw. dem sich Gefährdenden eine Verantwortung zum Schutz zukommt. Im Rahmen dieser grundrechtlichen Kollision des staatlichen Schutzauftrags für das menschliche Leben mit dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsträgers und der Handlungsfreiheit des mitwirkenden Dritten entfaltet das Eigenverantwortungsprinzip nun seine Wirkung. Nach dessen Leitidee lässt die Eigenverantwortung des Rechtsträgers eine Verantwortung des Staates für den Schutz des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden nicht entstehen, so dass eine Verantwortungszuweisung hinsichtlich der Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung zum mitwirkenden Dritten nicht möglich ist. Im Einzelnen lassen sich die Verantwortungsbereiche innerhalb der Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbsttötung auf verfassungsrechtlicher Ebene folgendermaßen bestimmen: Das Recht zur individuellen Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG umfasst auch ein Recht auf Selbsttötung.18 Der Mensch besitzt als ein freies und autonomes Wesen auch die Freiheit, über sein Leben und sein Lebensende zu entscheiden. Im Anschluss hieran stellte sich die Frage, ob der Staat zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst, abgeleitet aus dem Schutzauftrag für das menschliche Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, legitimiert ist. Würde man aus dem Schutzauftrag auch ein derartiges paternalistisches Recht des Staates ableiten, käme dies einer Verkehrung des Schutzauftrages gleich, denn das Grundrecht Leben würde zu einer Grundpflicht umgewandelt.19 Es wurde erörtert, dass eine solche Pflicht gegen sich selbst im Sinne einer Rechtspflicht zur Selbsterhaltung bzw. eine rechtlich verbindliche Weiterlebenspflicht nicht existieren.20 Den freiverantwort16
S. Kapitel D. III. S. 86 ff. Vgl. hierzu die einleitenden Worte zu Kapitel E. S. 89 f. 18 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) S. 92 ff. 19 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 229; s. Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 17
I. Abschließende Stellungnahme
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lich handelnden Suizidenten entgegen seinem ausdrücklichen Willen dauerhaft von der Selbsttötung abzuhalten, würde die Selbstbestimmtheit des Individuums negieren.21 Vor einer derartigen paternalistischen Bevormundung seitens des Staates schützt den Rechtsträger das Eigenverantwortungsprinzip.22 Die Eigenverantwortung fordert vom Staat die Respektierung einer Suizidentscheidung. Der Staat ist nicht dazu legitimiert, den freiverantwortlichen Suizidenten vor sich selbst zu schützen. Die mit der Selbstbestimmungsfreiheit korrespondierende Eigenverantwortung verdrängt folglich die prospektive Verantwortung des Staates. Ist der Staat nicht zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst legitimiert, fehlt ihm auch die Ermächtigung, den Dritten für seine Mitwirkung in Form einer Strafbarkeit zur Verantwortung zu ziehen.23 Eine Strafbarkeit des Dritten würde dessen Zuständigkeit für das Wohl des Rechtsträgers im prospektiven Sinne voraussetzen. Der Staat würde demnach den Suizidenten mittelbar vor sich selbst schützen, indem er den Dritten zum Vormund des Rechtsträgers ernennt. Ein Verbot der Suizidmitwirkung wäre folglich nicht nur ein Eingriff in die Handlungsfreiheit des Dritten, sondern würde auch eine Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit des Suizidenten bewirken.24 Vor einer solchen Bevormundung schützt den Rechtsgutsträger das Eigenverantwortungsprinzip. Der Staat ist nicht zur Schaffung einer die Verantwortung des Dritten begründenden Norm legitimiert, weil die Eigenverantwortung des Suizidenten eine prospektive Verantwortung des Staates für dessen Leben verdrängt.25 Auf diesem Weg ist dogmatisch belegt, was das Eigenverantwortungsprinzip bereits indiziert: Den Dritten trifft im rechtlichen Sinne keine Mitverantwortung am Tod des Suizidenten.
Auch auf die Diskussion um die Existenz und Reichweite eines Rechts auf Selbstgefährdung und bei der Beantwortung der Frage nach der Verantwortungszurechnung innerhalb dieser Konstellationen hat das Eigenverantwortungsprinzip maßgeblichen Einfluss. Es wurde aufgezeigt, dass die Freiheit zur Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur ein Recht auf Selbsttötung, sondern auch ein Recht auf Selbstgefährdung umfasst.26 Dieses Recht birgt nicht nur die Freiheit zur vernünftigen, sondern auch zur unvernünftigen, risikoträchtigen Lebensführung.27 20
Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) bb) (1) S. 100 ff. So zutreffend Freund, Strafrecht AT, § 5 Rn. 74; ferner Frister, Strafrecht AT, Kap. 10 Rn. 15; s. auch Kapitel E. I. 1. a) bb) (2), Fußn. 108. 22 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 23 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 24 Vgl. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157. 25 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 26 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) S. 122 ff. 27 Vgl. statt vieler Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 223; s. auch Kapitel E. I. 2. a), Fußn. 203. 21
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G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
Auch wenn es in Anbetracht der Tatsache, dass der sich Gefährdende zwar das Risiko seines Todes eingeht, aber den Eintritt des Erfolges nicht will28, nahe liegt, dem Staat eine Pflicht zum Schutz des Rechtsträgers vor sich selbst aufzuerlegen, steht einer solchen das Eigenverantwortungsprinzip entgegen. Gesteht man dem Einzelnen die Freiheit zu gefährlichen Unternehmungen zu, muss er, als Kehrseite seines Selbstbestimmungsrechts, die Konsequenzen seines Handelns selbst tragen und zwar auch dann, wenn ihm die Folgen nicht willkommen sind.29 Die Eigenverantwortung bewirkt eine Alleinzuständigkeit des sich Gefährdenden für die Folgen seiner Entscheidungen und verdrängt die Mitverantwortung des Staates. D.h., der sich Gefährdende hat keinen Schutzanspruch gegenüber dem Staat, weil dieser nicht verpflichtet und auch nicht berechtigt ist, den sich Gefährdenden vor sich selbst zu schützen.30 In diesem Kontext wurde auch aufgezeigt, dass die dogmatischen Voraussetzungen eines subjektiven Rechts gegenüber dem Staat in den Konstellationen der Selbstgefährdung nicht vorliegen. Weil der Rechtsträger die lebensgefährliche Handlung selbst bewirkt, fehlen ein die staatliche Schutzpflicht auslösendes Interaktionsverhältnis und damit das erforderliche Dreiecksverhältnis (Staat – Störer – Opfer), die den Staat zum Eingreifen legitimieren würden.31 Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers verdrängt bereits auf der prospektiven Ebene eine Verantwortung des Staates und dies hat auch für die rechtliche Wertung des mitwirkenden Dritten Konsequenzen.32 Fehlt dem Staat nämlich die Zuständigkeitsverantwortung, ist er nicht zur Schaffung einer Norm, welche die Ermöglichung einer fremden Selbstgefährdung unter Strafe stellt, legitimiert. Darüber hinaus liefe eine solche Norm der Eigenverantwortung des Rechtsträgers zuwider, weil sie den Dritten verpflichten würde, für das Wohl des sich Gefährdenden Sorge zu tragen. Die Eigenverantwortung des Rechtsträgers weist eine solche prospektive Verantwortung des Dritten allerdings zurück.
Als Resümee der verfassungsrechtlichen Untersuchung konnte festgestellt werden, dass die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden eine prospektive Verantwortung des Staates und hiermit einhergehend eine Mitverantwortung des Dritten verdrängt.33 Das Recht auf Selbstgefährdung und Selbsttötung nach Art. 2 Abs. 1 GG garantiert dem Rechtsträger größtmögliche Freiheit. Die mit der Selbstbestimmung einhergehende Eigenverantwortung schützt ihn vor fremder Bevormundung und weist ihm im rechtlichen Sinne eine Alleinzuständigkeit für die Folgen seines Handelns zu. Darüber hinaus schützt die Eigenverantwortung des Rechtsträgers auch den Dritten vor einer Beschränkung seiner Handlungs28
Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. Ausf. Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff., insb. Fußn. 224. 30 Vgl. hierzu wiederum Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 31 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz, S. 228 f.; s. auch Kap. E., Fußn. 216 ff. 32 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 33 S. auch Kapitel E. II. S. 140 f. 29
I. Abschließende Stellungnahme
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freiheit in Form einer strafrechtlichen Verantwortungszuschreibung. Die Folgen des suizidalen und selbstgefährdenden Agierens sind im Lichte des Eigenverantwortungsprinzips allein dem Verantwortungsbereich des Rechtsträgers zuzuordnen. Die so erarbeiteten Erkenntnisse zum Eigenverantwortungsprinzip und dessen Wirkung in der Verfassung bilden die Grundlage der strafrechtlichen Bewertung vorsätzlicher und fahrlässiger Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung. Der verfassungsrechtliche und protostrafrechtliche Bezug zu den den Rechtsanwendungen im Strafrecht vorgelagerten Dimensionen des Konfliktes zwischen der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und der Mitverantwortung des Dritten bilden den materiellen Bezug, welcher der formalen Argumentationsstruktur der Rechtsprechung zu diesem Problembereich fehlt.34 So hat die vorliegende Untersuchung aufgezeigt, dass die Straffreiheit der vorsätzlichen Teilnahme an einer Selbsttötung dogmatisch mit dem Verweis auf die fehlenden Voraussetzungen der limitierten Akzessorietät der Teilnahme zu begründen und dass das fehlende Teilnahmeunrecht letztlich auf die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers zurückzuführen ist.35 Das Erfordernis der limitierten Akzessorietät verlangt für die Teilnehmerstrafbarkeit im Sinne der §§ 26, 27 StGB eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Die Selbsttötung des Rechtsgutsträgers erfüllt diese Voraussetzung allerdings nicht.36 Die Selbsttötung begründet selbst kein strafrechtlich relevantes Unrecht.37 Der Rechtsgutsträger verwirklicht durch seinen Suizid weder eine Rechtsgutsverletzung noch begeht er eine Pflichtverletzung. Es wurde erörtert, dass das Rechtsgut Leben ein Abbild des formellen Regelungsinteresses des Staates ist, bezogen auf den grundrechtsgebotenen Minimalschutz für das menschliche Leben. Die Selbsttötung berührt also grundsätzlich das über die Tötungstatbestände geschützte Rechtsgut und dennoch tritt keine Rechtsgutsverletzung ein. Der Grund hierfür liegt in der Selbstbestimmungsfreiheit des Suizidenten und der hiermit verbundenen Eigenverantwortung. Diese verdrängen, wie die verfassungsrechtliche Untersuchung dargelegt hat, die Legitimation des Staates zum Schutz des Suizidenten vor sich selbst. Das objektive Schutzinteresse des Staates tritt folglich auch im Kontext des Rechtsgüterschutzes hinter das fehlende individuelle Lebensinteresse des Rechtsgutsträgers zurück, so dass eine Rechtsgutsverletzung zu verneinen ist.38 Da der 34
Vgl. Kapitel C. V. S. 75 f. Ausf. hierzu Kapitel F. III. 1. a) S. 188 ff. 36 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. I. 2. a) S. 149 ff. sowie Kapitel F. II. 2. S. 163 ff. 37 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. 38 Vgl. Maurach, Deutsches Strafrecht BT, 2. Aufl., S. 16; s. auch Kapitel F. I. 2. a), Fußn. 43. 35
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G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
Suizident in seinem Rechtskreis verbleibt, fehlt es im Übrigen an einem für die Pflichtwidrigkeit und das strafrechtliche Unrecht relevanten Interpersonalbezug.39 Strafrechtlicher Schutz ist immer auf den Schutz der Rechtsgüter vor Eingriffen von Seiten Dritter ausgerichtet.40 Dass der Suizident durch seine Selbsttötung kein strafrechtliches Unrecht verwirklicht, spiegelt sich auch auf der Straftatbestandsebene wider. Der Wortlautes des § 212 StGB ist im Wege der teleologische Reduktion auf die Tötung eines anderen Menschen auszulegen.41 Diese Reduktion ist notwendig, weil den Staat, wie ausführlich belegt, aufgrund der Eigenverantwortung des Suizidenten keine Verantwortung zum Schutz desselben trifft und ihm folglich auch die Legitimation zum Erlass einer die Selbsttötung pönalisierenden Norm fehlt.42 Die Spezifizierung von Tatobjekt und Tathandlung innerhalb des § 212 StGB beruht also letztlich auf dem Eigenverantwortungsprinzip. Die Selbsttötung ist im Übrigen entgegen der Ansicht des BGH auch nicht als rechtswidrige Handlung zu werten.43 Die Selbsttötung kann in einer pluralistischen Gesellschaft wie der heutigen nicht als moralwidriges Verhalten oder als Verstoß gegen das Sittengesetz gewertet werden, insbesondere weil die Verfassung dem Einzelnen ein Recht auf Selbsttötung garantiert.44 Überdies lässt sich ein Rechtsverstoß des Suizidenten schwer begründen, wenn man bedenkt, dass dieser mit der Selbsttötung in seinem eigenen Rechtskreis verbleibt und folglich kein Anknüpfungspunkt für das Unwerturteil gegeben ist.
Stellt die Selbsttötung keine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat dar, liegen die Voraussetzungen der §§ 26, 27 StGB nicht vor und der vorsätzlich mitwirkende Dritte ist im Ergebnis straffrei. Der am suizidalen Geschehen Teilnehmende kann kein strafrechtlich relevantes Unrecht verwirklichen, weil bereits der Suizident durch sein Verhalten kein Unrecht schafft, an dem der Mitwirkende partizipieren könnte.45 Hinter dieser Wertung verbirgt sich abermals das Eigenverantwortungsprinzip. Denn wenn der Rechtsgutsträger von seinem Recht auf Selbsttötung Gebrauch macht, ist diese höchstpersönliche Lebensentscheidung zu respektieren.46 Das Eigenverantwortungsprinzip bietet dem Rechtsträger auf grundrechtlicher Ebene Schutz vor einer Entwertung seines Selbstbestimmungsrechtes, indem es ihn vor einer unmittelbaren Bevormundung des Staates in Form des Schutzes vor sich selbst sowie der mittelbaren staatlichen Bevormundung in Form einer Strafbarkeit 39
Ausf. hierzu Kapitel F. I. 2. a) S. 151 f. Vgl. bspw. Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (337). 41 Ausf. hierzu Kapitel F. II. 2. a) aa) S. 163 ff. 42 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 43 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. II. 3. S. 183 ff. 44 Ausf. hierzu Kapitel E. I. 1. a) aa) S. 95 ff. 45 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff. 46 Vgl. Wassermann, DRiZ 1986, 291 (294); ähnl. auch Hufen, NJW 2001, 849 (851). 40
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des Mitwirkenden schützt.47 Infolgedessen verbietet es sich im Strafrecht, dem Mitwirkenden, auch wenn er vorsätzlich agiert, die Verantwortung für die eigenverantwortliche Selbsttötung zuzuschreiben.
Der an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung Mitwirkende verwirklicht im Ergebnis kein Teilnahmeunrecht und ist für sein Verhalten nicht strafbar. Diese Wertung wird durch das Eigenverantwortungsprinzip und durch den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten im verfassungsrechtlichen Kontext des Konflikts zwischen der Eigenverantwortung und der Mitverantwortung indiziert. Strafrechtsdogmatisch erfüllt der am Suizid vorsätzlich mitwirkende Dritte nicht die Voraussetzungen der limitierten Akzessorietät der §§ 26, 27 StGB. Der Verweis auf die fehlenden Voraussetzungen der limitierten Akzessorietät und die dahinter verborgene protostrafrechtliche und verfassungsrechtliche Vorrangigkeit der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers begründen darüber hinaus auch die Straffreiheit des vorsätzlich an einer fremden Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten. Ein Erst-Recht-Schluss von der Straffreiheit der vorsätzlichen Suizidteilnahme ist nicht notwendig und auch nicht zulässig.48 Anders als die Rechtsprechung und große Teile der Lehre meinen, liegen die Voraussetzungen eines argumentum a maiore ad minus nicht vor. Neben der Abstufung Gefahr/Verletzung beschreiben die Selbsttötung und Selbstgefährdung hinsichtlich des Willenselementes divergierende Situationen.49 Während der Suizident seinem Leben zielgerichtet ein Ende setzen will, geht der sich Gefährdende eine Gefahr bewusst ein, will aber nicht, dass der Erfolg tatsächlich eintritt.50 Eine Vergleichbarkeit der Selbsttötung und Selbstgefährdung hinsichtlich der subjektiven Komponente wäre über das Institut der Risikoeinwilligung zwar möglich51, neben der Abstufung Gefahr/Verletzung wäre diese Einwilligungsmodifikation allerdings eine zusätzliche Bedingung, die einem Erst-Recht-Schluss, der Situationen vergleicht, die sich in nur einer einzigen Komponente unterscheiden52, entgegensteht.
Die vorsätzliche Teilnahme an der Selbstgefährdung bleibt straffrei, weil die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden die Mitverantwortung des Teilnehmenden verdrängt. Wenn der Rechtsgutsträger durch seine riskante Handlung kein Unrecht schafft, kann der Teilnehmende an diesem fehlenden Unrecht nicht partizipieren.53 47 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 48 Ausf. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. 49 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel C. II. 1. S. 51 ff. 50 Ausf. Kapitel C. II. 1. S. 51 ff., insb. Fußn. 13, 17. 51 S. hierzu Kapitel C. II. 1. S. 53 ff. 52 Vgl. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 127 f. 53 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff.
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Die Eigenverantwortung lässt die Legitimation des Staates in Form einer Zuständigkeitsverantwortung für den sich Gefährdenden nicht entstehen, so dass dem Staat zugleich die Berechtigung fehlt, den Dritten für das selbstgefährdende Verhalten des Rechtsträger strafrechtlich in die Verantwortung zu nehmen.54 Übersetzt auf die Ebene des Straftatbestandes, liegen die Voraussetzungen der limitierten Akzessorietät nach §§ 26, 27 StGB nicht vor.55 Die Selbstgefährdung verkörpert keine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5. Sie ist ihrem Charakter nach eine Art fahrlässige Selbsttötung, so dass ihr bereits die Vorsatzqualität fehlt.56 Darüber hinaus erfüllt der Rechtsgutsträger durch eine selbstgefährdende Handlung offensichtlich nicht den Tatbestand des § 222 StGB. Ausgehend von der Freiheit des Einzelnen zur Selbstgefährdung und der hiermit korrelierenden Eigenverantwortung muss § 222 StGB teleologisch so interpretiert werden, dass die Norm nicht dem Zweck dient, lebensgefährliche Selbstgefährdungen zu unterbinden.57 Weder der Schutzzweck der Norm noch eine Sorgfaltspflichtverletzung, die zudem ein Interpersonalverhältnis voraussetzt, sind durch die Selbstgefährdung verwirklicht. Im Übrigen ist auch die Selbstgefährdung nicht als rechtswidriges Verhalten zu werten.58
Im Ergebnis ist die vorsätzliche Teilnahme an der fremden Selbstgefährdung straffrei, weil die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden die Mitverantwortung des mitwirkenden Dritten verdrängt. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wurde sodann erläutert, welche Wirkung das Eigenverantwortungsprinzip auf die strafrechtliche und vor allem strafrechtsdogmatische Bewertung der fahrlässigen Mitwirkung an einer Selbsttötung und Selbstgefährdung hat. Nach den bisherigen Erkenntnissen war es folgerichtig, die fahrlässige Mitwirkung straffrei zu stellen. Dass die Eigenverantwortung des sich Gefährdenden bzw. Suizidenten und warum die Eigenverantwortung die Mitverantwortung eines fahrlässig mitwirkenden Dritten verdrängt, lässt sich wiederum mit dem Eigenverantwortungsprinzip und der verfassungsrechtlichen Wirkung des Leitgedankens begründen. In diesem Sinne wurde festgestellt, dass die Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung auf eine fehlende Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne des § 222 StGB zurückzuführen ist, die aufgrund der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers entfällt.59 Entgegen 54
Ausf. Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. sowie Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff. Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. III. 1. b) S. 195 ff. 56 Vgl. Frisch, P., Das Fahrlässigkeitsdelikt, S. 21; s. Kapitel F. II. 2. b) S. 180 ff. 57 Ausf. hierzu Kapitel F. II. 2. b) S. 180 ff. 58 S. Kapitel F. II. 3. S. 183 ff. 59 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. III. 2. a) S. 198 ff. 55
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der Rechtsprechung ist auch hier ein Erst-Recht-Schluss von der Straffreiheit der vorsätzlichen Suizidteilnahme zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Mitwirkung nicht nötig und abermals nicht zulässig.60 Die Voraussetzungen eines Erst-Recht-Schlusses von der vorsätzlichen auf die fahrlässige Suizidmitwirkung liegen nicht vor. Folgt man im Bereich der Fahrlässigkeit dem Einheitstäterbegriff, ist der Rückgriff auf das argumentum a maiore ad minus verwehrt.61 Nach dem Einheitstäterbegriff wird das Mitwirken des Dritten von vornherein als Fahrlässigkeitstäterschaft im Sinne des § 222 StGB diskutiert und diese andersartige Perspektive steht einem Wertungsrückgriff auf die vorsätzliche Suizidteilnahme, deren Straffreiheit an die fehlende Akzessorietät zur Haupttat anknüpft, entgegen.62 Die fahrlässige Mitwirkung an einer fremden Selbsttötung ist straffrei, weil der Dritte durch sein Handeln keine ihm gegenüber dem Rechtsgutsträger obliegende Sorgfaltspflicht verletzt.63 Eine Pflicht mit dem Inhalt: „Du darfst einem anderen nicht die Möglichkeit zur Selbsttötung geben!“ ist mit dem Eigenverantwortungsprinzip nicht vereinbar. Der selbstbestimmten Entscheidung folgt die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers und diese verdrängt wiederum die Mitverantwortung eines Dritten. Der Dritte verwirklicht durch sein Verhalten kein strafrechtliches Unrecht. Obwohl er durch sein Handeln in den Rechtskreis des Rechtsgutsträgers eingreift, ist der Staat weder verpflichtet noch berechtigt, das Leben des Suizidenten vor diesem Eingriff zu schützen, weil der Suizident nicht an seinem Leben festhalten will und diese Entscheidung zu respektieren ist.64
Demgemäß kann der Staat dem an einer Selbsttötung mitwirkenden Dritten keinen Fahrlässigkeitsvorwurf machen und ihn für die Folgen des suizidalen Geschehens zur Verantwortung ziehen. Verantwortung hierfür trägt allein der Rechtsgutsträger. Nichts anderes gilt im Übrigen für die strafrechtliche Wertung der fahrlässigen Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung. Die Straflosigkeit des fahrlässig an einer Selbstgefährdung Mitwirkenden ist das Resultat einer fehlenden Tatbestandsmäßigkeit nach § 222 StGB, die abermals ihren Ursprung in der Eigenverantwortung des sich Gefährdenden hat.65 Vergleichbar den Konstellationen der fahrlässigen Selbsttötung war zu prüfen, ob eine Sorgfaltspflicht existieren kann, die es dem Dritten untersagt, einem anderen die Chance zu eröffnen, sich selbst zu gefährden. Nur wenn der Dritte durch sein Hilfeleisten, Fördern oder Veranlassen eine ihm gegenüber dem Rechtsgutsträger 60 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 61 Ausf. Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 62 Ausf. Kapitel C. III. 2. a) bb) S. 64 ff. 63 Vgl. die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. III. 2. a) S. 198 ff. 64 Ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. sowie Kapitel F. I. 2. b) S. 153 ff. 65 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. III. 2. b) S. 202 ff.
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obliegende Sorgfaltspflicht missachtet, käme eine Strafbarkeit in Betracht. Eine derartige Sorgfaltspflicht lässt die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers aber nicht entstehen.66 Eine solche wäre nicht nur eine unzulässige Begrenzung der Handlungsfreiheit des Dritten, sondern zugleich eine indirekte Bevormundung seitens des Staates und somit unzulässige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des sich Gefährdenden.67 Dem Recht auf Selbstgefährdung folgt die Verantwortung, für die Konsequenzen des risikoträchtigen Verhaltens einstehen zu müssen.68 Den fahrlässig mitwirkenden Dritten trifft hierfür keine Verantwortung.
Wie die vorsätzliche Teilnahme an einem fremden Suizid bzw. einer fremden Selbstgefährdung bleiben auch die fahrlässige Ermöglichung, Förderung oder Veranlassung straffrei. Weder der Schutzzweck des § 222 StGB noch eine Sorgfaltspflichtverletzung sind seitens des Dritten als Voraussetzungen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit erfüllt. Es lässt sich folglich resümieren, dass der materielle Grund, der sich hinter den strafrechtsdogmatischen Überlegungen und formalen Argumentationen zur Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung bzw. Selbsttötung verbirgt und der letztlich die Straffreiheit des vorsätzlich wie fahrlässig am Geschehen Mitwirkenden begründet, seinen Ursprung im Eigenverantwortungsprinzip hat. Die Eigenverantwortung verdrängt die Mitverantwortung anderer, so dass vom Dritten keine Rechenschaft für den Suizid bzw. die tödlich endende Selbstgefährdung verlangt werden kann. Der Rechtsgutsträger ist im strafrechtlichen Sinne weder schutzwürdig noch schutzbedürftig69 und eine Strafbarkeit des Dritten somit zu verneinen. Selbstbestimmungsfreiheit und Eigenverantwortung des Individuums genießen innerhalb der Verfassung und des Strafrechts eine hohe Wertigkeit. Die Eigenverantwortung begründet eine Art Vorrangigkeit des Willens des Rechtsträgers gegenüber den staatlichen Interessen, indem sie ihn vor fremder Bevormundung schützt. Allerdings wurde im Verlauf der Untersuchung auch dargelegt, dass das Eigenverantwortungsprinzip keine unbegrenzte Ausübung der Selbstbestimmungsfreiheit verbürgt.70 Im Recht geht es immer um einen Ausgleich der aufeinandertreffenden Freiheitsbereiche.71 Jedem soll größtmögliche und gleiche Freiheit zuteilwerden.72 Um dies zu erreichen, garantiert der Staat verbindliche subjektive Rechte, beschränkt aber 66
Ausf. Kapitel F. III. 2. b) S. 202 ff. Ausf. Kapitel E. I. 2. a) bb) (2) S. 133 ff. 68 Ausf. Kapitel E. I. 2. a) aa) S. 124 ff. 69 Vgl. hierzu Kapitel F. I. 2. b) S. 157 f., insb. Fußn. 91. 70 Ausf. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff., Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. sowie Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff. 71 Vgl. Kühl, in: Handbuch Ethik, S. 486 (487); vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. II. S. 81 ff. 72 So Brugger, JZ 1991, 893 (894); s. auch Kapitel D. II., Fußn. 39. 67
I. Abschließende Stellungnahme
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auch die Freiheit des Einzelnen.73 Bereits das vorrechtliche Verständnis von Verantwortung hat aufgezeigt, dass die Freiheit des einen dort endet, wo er in die Rechte eines anderen eingreift.74 In diesem Sinne wurde herausgestellt, dass die in der Eigenverantwortung mitgedachte soziale Eingebundenheit des Rechtsträgers dessen Handlungsmöglichkeiten dahingehend begrenzt, dass dieser nicht in eine Fremdtötung einwilligen kann. Der Gesetzgeber kann die Tötung auf Verlangen (nur) unter Verweis auf den Schutzauftrag für das menschliche Leben und die von einer Fremdtötung ausgehenden Gefahr für die Rechtsgüter Dritter, möglicherweise nicht freiverantwortlich handelnder Personen, verbieten.75 Der präventive Schutz des Lebens überwiegt gegenüber der Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers.76 Darüber hinaus kann der Staat auch das Recht zur Selbstgefährdung begrenzen, wenn das Verhalten des Rechtsträgers zugleich Gefahren für die Rechtgüter Dritter oder für die Allgemeinheit mit sich bringt, deren Schutz eine staatliche Reglementierung erforderlich macht.77 Eine solche Reglementierung erachtet er bspw. auch in den Konstellationen der Fremdgefährdung für notwendig.78 In den Fällen der Tötung auf Verlangen sowie der Fremdgefährdung tritt im Übrigen die für das Strafrecht besonders relevante Tatsache hervor, dass ein Rekurs auf das Eigenverantwortungsprinzip innerhalb der rechtlichen Wertung und der hierdurch indizierte Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit nicht nur eine Freiverantwortlichkeit des Rechtsträgers, sondern auch eine unmittelbare Erfolgsherbeiführung durch diesen bedingen.79
Die Relativierung der Vorrangstellung der Selbstbestimmungsfreiheit des Rechtsträgers aufgrund der sozialen Eingebundenheit liegt bereits im Charakter des Eigenverantwortungsprinzips als allgemeinem Rechtsprinzip begründet. Ein Rechtsprinzip ist keine verbindliche Norm, sondern ein teleologisches Kriterium, das der Rechtsauslegung dient.80 Das Eigenverantwortungsprinzip ist demnach keine starre Regel und kann nicht in jeder Konstellation gleichermaßen zur Anwendung kommen. 73
Höffe, in: Lexikon der Ethik, S. 254 (255); vgl. Kapitel D. II. S. 81 ff. Vgl. hierzu auch die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 77 ff., insb. Fußn. 20 sowie Kapitel E. I. S. 90 f., insb. Fußn. 10. 75 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 76 Ausf. Landau, ZRP 2005, 50 (54); vgl. auch den RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 6; s. Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b), Fußn. 180. 77 S. Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. 78 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) bb) (3) S. 135 ff. 79 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. V. S. 208 ff. 80 Vgl. hierzu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240; Larenz, in: FS Nikisch, S. 275 (300); vgl. auch die weiteren Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. III. S. 84 ff., insb. Fußn. 53 ff. 74
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Einen „Einbruch“ erlebt das Eigenverantwortungsprinzip bspw. in den Konstellationen der „Retterschäden“, in denen dem Brandstifter zu Recht ein Verweis auf die Eigenverantwortung des Retters verwehrt ist.81 Der Brandstifter muss auch über die Schäden, die dem Retter infolge der Rettungsmaßnahmen widerfahren, Rechenschaft ablegen. Er ist nach § 222 StGB und § 306c StGB strafbar, obwohl der Retter sich freiverantwortlich82 in die Gefahr begeben hat. Im Unterschied zu den sonstigen Konstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung entfällt die Schutzwürdigkeit des Retters nämlich nicht.83 Das pflichtwidrige Verhalten des Brandstifters versetzt den Retter in die Situation, eine von der Rechtsordnung gebotene Hilfeleistungspflicht wahrnehmen zu „müssen“.84 Hieran knüpft ein Schutzanspruch des Retters, nicht pflichtwidrig in derartige Situationen, in denen er sich für oder gegen eine gebotene Rettungsmaßnahme entscheiden muss, gebracht zu werden.85 Die so begründete Schutzwürdigkeit des Retters bewirkt eine Beschränkung des Eigenverantwortungsprinzips.
Eine divergierende Berücksichtigung des Eigenverantwortungsprinzips ist des Weiteren im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung des an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten nötig, wenn der Dritte mit seinem Verhalten neben den Tötungstatbeständen weitere Strafnormen berührt. Verantwortung knüpft immer an einen normativen Bezugspunkt an.86 Das Verhalten des Dritten kann also innerhalb der Tötungstatbestände mit Verweis auf das Eigenverantwortungsprinzip durchaus straflos sein, gleichzeitig aber unter einem anderen rechtlichen Aspekt eine Strafbarkeit begründen. Eine gesetzesspezifische Wirkungsbegrenzung erfährt das Eigenverantwortungsprinzip bspw. innerhalb der betäubungsmittelrechtlichen Normen.87 Der Strafbarkeit des mitwirkenden Dritten gem. §§ 29 ff. BtMG steht das Eigenverantwortungsprinzip nicht entgegen, obwohl dasselbe Verhalten im Rahmen der Tötungsdelikte straffrei bleibt. Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass die betäubungsmittelrechtlichen Normen nach §§ 29 ff. BtMG anders als die Tötungsdelikte nicht dem Schutz des Individualrechtsguts Leben88, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren dienen, die vom Betäubungsmittelhandel für die Ge81
Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 1. S. 232 ff. Ausf. Kapitel F. VI. 1. a) S. 233 ff. 83 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 1. b) S. 237 ff. 84 So treffend Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 231. 85 Strasser, Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten, S. 232; s. auch Kapitel F. VI. 1. b), Fußn. 555. 86 Wimmer, in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 2309 (2310); s. Kapitel D. II. S. 81 ff. 87 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 2. a) cc) S. 251 ff. 88 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 2. a) aa) S. 243 ff. 82
I. Abschließende Stellungnahme
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sellschaft und die unter Umständen nicht freiverantwortlich agierenden Menschen ausgehen89. Eine Strafbarkeit des mitwirkenden Dritten nach § 222 StGB bzw. §§ 212, 26, 27 StGB ist zu verneinen, weil der Staat den Dritten im Rahmen der Tötungsdelikte, die allein das (eingeschränkt) disponible Individualrechtsgut90 Leben schützen, nicht für das Wohl des Rechtsträgers als zuständig erklären und an eine Missachtung der Pflicht eine Strafbarkeit knüpfen kann.91 Die mit dem Recht auf Selbstbestimmung einhergehende Eigenverantwortung verdrängt die Legitimation des Staates zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst. Die betäubungsmittelrechtlichen Normen hingegen dienen nicht dem Schutz des Konsumenten vor sich selbst, sondern dem Schutz der Allgemeinheit. Die §§ 29 ff. BtMG knüpfen ihre Strafbarkeit an den Unwert an, den der Dritte durch die Gefährdung der Allgemeinheit realisiert.92 Eine solche, zumindest abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit besteht auch dann, wenn der Dritte die Betäubungsmittel an einen freiverantwortlichen Konsumenten abgibt. Die divergierende strafrechtliche Wertung des Dritten innerhalb des StGB und des BtMG beruht im Ergebnis auf den unterschiedlichen normativen Bezugspunkten, d.h. den andersartigen Rechtsgüterschutzbereichen93, an denen sich die Verantwortungszuschreibung zu orientieren hat.94 Die Eigenverantwortung des Konsumenten kann demnach die Strafbarkeit nach §§ 29 BtMG nicht beseitigen und andersherum wirkt die Einschränkung des Eigenverantwortungsprinzips innerhalb des BtMG nicht auf die rechtliche Wertung der grundsätzlich straffreien Mitwirkung an einer Selbstgefährdung oder Selbsttötung im Kontext der Tötungsdelikte zurück95.
Diese differente, am Normzweck orientierte Bewertung des Verhaltens des Dritten ist im Übrigen auch für sonstige Konstellationen erforderlich, in denen durch ein deliktisches Agieren des Dritten die Möglichkeit zur Selbstgefährdung oder Selbsttötung eröffnet wird.96
89 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 2. a) bb) (1) S. 128 ff. sowie Kapitel F. VI. 2. a) bb) S. 246 ff. 90 Ausf. hierzu Kapitel F. I. 1. S. 144 ff. 91 Ausf. Kapitel F. III. S. 187 ff. 92 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 2. a) cc) S. 251 ff. 93 Vgl. BGH NStZ 1992, 489; vgl. auch BGH NJW 2000, 2286 (2287). 94 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 2. a) cc) S. 251 ff. 95 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel F. VI. 2. a) dd) S. 255 ff. 96 Ausf. hierzu Kapitel F. VI. 2. b) S. 264 ff.
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G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
II. Ausblick Die in dieser Untersuchung herausgestellte Leitidee eines dem Recht zugrunde liegenden Eigenverantwortungsprinzips strahlt auch auf Problembereiche um die Konstellationen der Selbsttötung und Selbstgefährdung aus, die in dieser Abhandlung nicht eingehender erörtert worden sind. Auf zwei davon soll deshalb zum Abschluss noch kurz eingegangen werden. Bspw. lässt sich durch einen Rekurs auf das Eigenverantwortungsprinzip die kontrovers diskutierte Frage der Unterlassensstrafbarkeit eines Garanten im Bereich der Mitwirkung am freiverantwortlichen Suizid beantworten. Die immer noch vorherrschende höchstrichterliche Rechtsprechung erklärt die Mitwirkung an einem freiverantwortlichen Suizid für straffrei, proklamiert aber zugleich die Strafbarkeit des Mitwirkenden nach §§ 216, 13 bzw. §§ 212, 13 StGB, sofern der Suizident das Bewusstsein verliert und der Dritte seiner Garantenpflicht nicht nachkommt.97 Den in dieser Wertung verborgenen Widerspruch zwischen der straflosen aktiven Suizidteilnahme einerseits und der Unterlassungstäterschaft andererseits versucht der BGH zu entkräften, indem er darauf verweist, dass mit dem Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizident die Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens verloren hat, so dass das weitere Geschehen nur noch vom Verhalten des Garanten abhängt.98, 99 Diese Tatherrschaft auf Seiten des Garanten soll eine Unterlassensstrafbarkeit begründen, wenn der Garant seiner Pflicht gegenüber dem Suizidenten zur Lebensrettung nicht nachkommt.100 Die freiverantwortliche Entscheidung des Rechtsgutsträgers, aus dem Leben zu treten, steht der Unterlassensstrafbarkeit nach Ansicht des BGH nicht entgegen.101 Diese Rechtsprechungspraxis ist mit dem in dieser Untersuchung entwickelten Konzept des Eigenverantwortungsprinzips und dem Respekt vor 97 Vgl. statt vieler BGHSt 2, 150 (152 ff.); 13, 162 (166); 32, 367 (372 ff.); BGH NStZ 1984, 452 (452); differenzierend OLG München NJW 1987, 2940 (2942 f.); eine Übersicht zur Auffassung der Rechtsprechung findet sich bspw. bei LK-StGB/ Jähnke, Vor § 211 Rn. 23 f. m. w. Nachw. 98 BGHSt 32, 367 (375). 99 Zur Kritik am Tatherrschaftskriterium und an der Widersprüchlichkeit der Garantenstrafbarkeit vgl. Bottke, Suizid und Strafrecht, Rn. 77a, 414; ders., GA 1983, 22 (33); Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 43; ferner Otto, JuS 1974, 702 (709 f.); Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 95 f., S. 100 f. m. w. Nachw.; Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 68, 73, 77; SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 22. 100 BGHSt 32, 367 (375). 101 Vgl. BGHSt 6, 147 (153); offen BGHSt 32, 367 (375 f.); a. A. OLG München NJW 1987, 2940 (2943 f.).
II. Ausblick
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der Selbstbestimmungsfreiheit des Suizidenten nicht vereinbar. Eigenverantwortung verlangt von dem Rechtsträger einerseits, für die Folgen seines Handelns und für sein Leben einzustehen, und schützt ihn andererseits vor jeder Form fremder Bevormundung.102 Zu einer solchen Bevormundung zwingt die Rechtsprechung den Garanten, wenn sie ihm entgegen dem Willen des Suizidenten eine Rettungspflicht auferlegt. Eine so konstruierte Strafbarkeit missachtet die mit der Selbstbestimmungsfreiheit einhergehende Eigenverantwortung des Suizidenten. Wie aufgezeigt, verdrängt die Eigenverantwortung des Suizidenten eine prospektive Zuständigkeit des Staates, d.h., der Staat ist nicht zum Schutz des Suizidenten legitimiert.103 Er kann demnach auch keine Norm hervorbringen, welche eine Pflicht des Dritten für das Wohl des Suizidenten beschreibt und deren Missachtung eine retrospektive Verantwortung in Form einer Strafbarkeit folgt.104 Die selbstbestimmte Entscheidung des Lebensmüden ist auch und erst recht im Stadium der Bewusstlosigkeit, in der sich der Rechtsträger nicht mehr äußern bzw. wehren kann, zu respektieren.105 Im Lichte des Eigenverantwortungsprinzips bleibt folglich auch der mitwirkende Dritte straffrei, dem grundsätzlich eine Garantenstellung gegenüber dem Suizidenten zukommt.106 Die Garantenstellung kann, wie Otto zutreffend konstatiert, gegenüber dem freiverantwortlichen Suizidenten keine „Vormundschaftsstellung“ begründen.107 Die Eigenverantwortung des Suizidenten verdrängt die Mitverantwortung des Garanten.108 102 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel D. I. S. 80 sowie Kapitel D. III. S. 86. 103 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (2) S. 106 ff. 104 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (a) S. 110 ff. 105 Ähnl. Bottke Suizid und Strafrecht, Rn. 77a; ders., GA 1983, 22 (23 f.); vgl. Charalambakis, GA 1986, 485 (504); ferner Fischer, Th., StGB, Vor §§ 211–216 Rn. 25; vgl. Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 97. 106 Vgl. bspw. Charalambakis, GA 1986, 485 (504); Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 39, 41; Fischer, Th., StGB, Vor §§ 211–216 Rn. 25; LKStGB/Jähnke, Vor § 211 Rn. 24 (beachte aber auch Rn. 27, 29); Kühl, StGB, Vor § 211 Rn. 15; Otto, JuS 1974, 702 (709 f.); ders., Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. 65 f.; vgl. auch Roxin, in: FS Dreher, S. 331 (347 ff.); Schneider, in: MünchKomm-StGB, Bd. III, 1. Aufl., Vor § 211 ff. Rn. 74, 77; vgl. SK-StGB/Sinn, § 212 Rn. 19 ff.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 258 ff.; vgl. Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht, S. 47 jeweils m. w. Nachw.; krit. Herzberg, JA 1985, 177 (178 ff.); ders., JZ 1988, 182 (183 ff.); a. A. Frisch, W., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156 Fußn. 19, 177; ferner Schmidhäuser, in: FS Welzel, S. 801 (821 f.). 107 Otto, Recht auf den eigenen Tod? Gutachten D für den 56. DJT, S. 65 f.
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G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
Diesem Respekt vor der freiverantwortlichen Entscheidung des Einzelnen über sein Leben verschließt sich im Übrigen auch der BGH nicht völlig, wie sich in der neueren Entscheidung BGHSt 55, 191 zum Abbruch lebenserhaltener Maßnahmen aufgrund des Patientenwillens zeigt.109 Dass er seinen Standpunkt zur Frage der Unterlassungsstrafbarkeit dennoch nicht aufgibt, ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich der BGH im Kontext der Selbsttötung alten Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen verpflichtet sieht, die heute keine Gültigkeit mehr haben.110 Zu guter Letzt können die Erkenntnisse dieser Untersuchung auch für die Debatte um den Gesetzesentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung fruchtbar sein.111 Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht folgende Änderung des Strafgesetzbuchs vor: „§ 217 Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung (1) Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine ihm nahestehende Person ist.“112
Ziel ist es, der Kommerzialisierung der Suizidhilfe entgegenzutreten, bei der nicht die Beratung des Lebensmüden, sondern die rasche Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses aus kommerziellen Gründen im Vordergrund steht.113, 114 108 Mit vergleichbarer Begründung ist auch die von der Rechtsprechung befürwortete Strafbarkeit des Dritten nach § 323c StGB (vgl. statt vieler BGHSt 6, 147 (153 ff.); 13, 162 (169); 32, 367 (375)) abzulehnen. Vgl. bspw. Charalambakis, GA 1986, 485 (505 f.); Eser, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 211 ff. Rn. 39 ff.; Kutzer, ZRP 2012, 135 (136 f.); Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, S. 98 f.; vgl. auch SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 323c Rn. 8 m. w. Nachw. Nichts anderes kann im Übrigen für die strafrechtliche Wertung von Garanten innerhalb der Sachverhaltskonstellationen der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung gelten, wie bspw. SK-StGB/Rudolphi/Stein, § 323c Rn. 7a konstatieren. 109 BGHSt 55, 191 (194 ff., insb. 198 ff.). 110 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) aa) S. 95 ff. 111 Zu diesem Entwurf vorausgegangenen Gesetzesvorschlägen s. den RefE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 4; vgl. auch die Ausführungen im RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 2; vgl. ferner Feldmann, GA 2012, 498 (502 ff.); vgl. auch Lorenz, MedR 2010, 823 (823). 112 RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 3. 113 Vgl. RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 1, 5 f.
II. Ausblick
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Unabhängig von der Frage der konkreten tatbestandlichen Ausgestaltung115 ist eine derartige Normierung durchaus zulässig. Im Rahmen der Überlegungen zur Rechtmäßigkeit des § 216 StGB als Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts wurde dargelegt, dass ein Verbot der Tötung auf Verlangen keine notwendige, aber eine mögliche, eine grundrechtsinspirierte Norm ist.116 § 216 StGB ist das Ergebnis des gesetzgeberischen Beurteilungs- und Umsetzungsspielraums bezüglich des staatlichen Schutzauftrages für das menschliche Leben.117 Erkennt man dies an, ist es nur konsequent, dem Gesetzgeber die Legitimierung zum Erlass einer Norm, welche die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung pönalisiert, zuzusprechen. Im Rahmen seines Beurteilungsspielraums innerhalb der Wahrnehmung des Schutzauftrages für das menschliche Leben kann der Gesetzgeber die von gewerbsmäßiger Sterbehilfe ausgehende abstrakte Gefahr für das Leben unter Umständen nicht freiverantwortlich agierender Rechtsträger zum Anlass eines strafrechtlichen Verbotes nehmen.118 Die von der Regierung vorgesehene Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Mitwirkung am fremden Suizid ändert im Übrigen nichts an der Straffreiheit der „normalen“, nicht kommerziellen Sterbehilfe.119, 120 Anders lau114 Vgl. in diesem Kontext auch die Vorstellung verschiedener Sterbehilfegesellschaften in Deutschland und der Schweiz sowie die Ausführungen zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der gewerbsmäßigen Sterbehilfe bei Gottwald, Die rechtliche Regulierung von Sterbehilfegesellschaften, S. 35 ff., 207 ff., 255 f. 115 Ausf. RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 10 ff.; krit. zu den Kriterien der Gewerbsmäßigkeit und Absicht vgl. Freund/Timm, GA 2012, 491 (492 ff.). 116 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 129 m. w. Nachw.; s. auch Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b), Fußn. 170. 117 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) bb) (3) (b) S. 113 ff. 118 So zutreffend RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 6; vgl. hierzu auch die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) aa) (bb) (3) (b) S. 113 ff.; zum Problem der Sterbehilfe als Beruf im Sinne des Art. 12 GG vgl. Lorenz, MedR 2010, 823 (824 ff.); krit. hierzu Feldmann, GA 2012, 498 (509), die eine generelle Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid befürwortet (s. Fußn. 121); krit. ferner Verrel, JA 2012, I (Editorial), der den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu einer solchen Regelung anerkennt, aber auch darauf verweist, dass eine Norm wie § 217 eine symbolische sei, die sich an dem Ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts messen lassen müsse; vgl. des Weiteren Vöhringer, Tötung auf Verlangen, S. 296. 119 So ausdrücklich RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, S. 7, 11, 14. 120 Hingewiesen sei an dieser Stelle auf den Alternativentwurf von Freund/Timm, GA 2012, 491 (495):
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G. Ergebnis der Untersuchung und Ausblick
tende Normvorschläge von Seiten einiger Rechtswissenschaftler, welche auch die Verleitung zur Selbsttötung unter Strafe stellen wollen,121 sind, wie diese Untersuchung aufgezeigt hat, weder mit der Handlungsfreiheit des Dritten noch mit der Selbstbestimmungsfreiheit des Lebensmüden vereinbar.122 Die Eigenverantwortung des Suizidenten verdrängt die Mitverantwortung des an der Selbsttötung mitwirkenden Dritten in verfassungsrechtlicher wie strafrechtlicher Hinsicht.
„§ 217 Unerlaubte Veranlassung oder Förderung einer Selbsttötung Wer die Selbsttötung eines anderen oder deren Versuch veranlasst oder fördert, obwohl er nach den Umständen nicht davon ausgehen darf, dass die Entscheidung zur Selbsttötung unter keinen wesentlichen Willensmängeln leidet, wird . . . bestraft.“ Eine derartige Normierung hätte nach der hier vorgestellten Untersuchung, welche die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers als Voraussetzung der Eigenverantwortung im Rahmen der teleologischen Auslegung berücksichtigt, allenfalls eine klarstellende Funktion. Vgl. hierzu insb. Kapitel F. III. 2. a) S. 198 ff. 121 So bspw. Feldmann, GA 2012, 498 (516 f.); dies., Die Strafbarkeit der Mitwirkungshandlung, S. 616 ff. 122 Vgl. hierzu die Ausführungen und Nachweise in Kapitel E. I. 1. a) aa) (bb) (3) (a) S. 110 ff.
Thesen Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht die Frage, wie der Konflikt zwischen der Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden und der Mitverantwortung des hieran mitwirkenden Dritten strafrechtlich aufzulösen ist. Die Beantwortung der Frage basiert auf der Annahme, dass das zentrale und grundlegende Argument für die Zuschreibung der Verantwortung bezüglich der Folgen des suizidalen und lebensgefährlichen Unternehmens die Eigenverantwortung des Rechtsträgers ist. Diese Grundannahme lässt sich durch die nachstehenden Thesen und Unterthesen präzisieren und legitimieren: 1. Dem Recht liegt ein Rechtsprinzip der Eigenverantwortung zugrunde, das auf einem vorrechtlichen Verständnis von Verantwortung beruht und seinen Ursprung in der Handlungsfreiheit des Menschen hat. 2. Eigenverantwortung begrenzt die rechtliche Verantwortungszurechnung. Sie verdrängt die Mitverantwortung, indem sie eine rechtliche Zuständigkeit der anderen für die Folgen des selbstbestimmten Handelns des Rechtsträgers nicht entstehen lässt. 3. Die Frage nach der Verantwortungszuweisung zwischen dem Suizidenten bzw. dem sich Gefährdenden und dem Dritten im Strafrecht ist eng mit dem Freiheitsverständnis des Individuums im Verhältnis zum Staat verbunden. Die staatliche Verantwortung für den Rechtsträger und die Verantwortung des Dritten beziehen sich zwar auf unterschiedliche Verantwortungsebenen, zwischen ihnen besteht aber eine Art „Abhängigkeitsverhältnis“. 4. Die Eigenverantwortung des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden verdrängt eine prospektive Verantwortung des Staates und hiermit einhergehend eine Mitverantwortung des Dritten im verfassungsrechtlichen Sinne. a) Die individuelle Selbstbestimmungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG umfasst auch ein Recht auf Selbstgefährdung und Selbsttötung. b) Die mit der Selbstbestimmung korrespondierende Eigenverantwortung schützt den Rechtsträger vor staatlicher Bevormundung und weist ihm im rechtlichen Sinne eine Alleinzuständigkeit für die Folgen seines Handelns zu. Sie fordert vom Staat die Respektierung der
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Thesen
individuellen Entscheidung und verdrängt dessen prospektive Verantwortung für das Leben des Rechtsträgers. Der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen kommt eine Vorrangstellung zu. c) Ist der Staat verfassungsrechtlich nicht zum Schutz des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden vor sich selbst legitimiert, fehlt ihm die Ermächtigung, den Dritten für seine Mitwirkung in Form einer Strafbarkeit zur Verantwortung zu ziehen. Darüber hinaus würde eine solche Strafnorm den Dritten verpflichten, für das Wohl des sich Gefährdenden bzw. des Suizidenten Sorge zu tragen, und eine solche prospektive Verantwortung des Dritten weist die Eigenverantwortung des Rechtsträgers zurück. 5. Liegt aus der Perspektive der Verfassung die Verantwortung für die Folgen des suizidalen bzw. lebensgefährlichen Geschehens allein beim Rechtsträger, ist dieser im strafrechtlichen Sinne weder schutzwürdig noch schutzbedürftig, so dass die vorsätzliche und fahrlässige Mitwirkung an einer freiverantwortlichen Selbsttötung und Selbstgefährdung im Kontext der Tötungsdelikte straffrei sind. a) Zur Begründung der Straffreiheit der fahrlässigen Suizidmitwirkung und zur Feststellung der Straffreiheit der Mitwirkung an einer fremden Selbstgefährdung ist ein argumentum a maiore ad minus weder notwendig noch liegen die Voraussetzungen für derartige Erst-RechtSchlüsse vor. b) Die vorsätzliche Teilnahme an einer Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung bleibt straffrei, weil dogmatisch die Voraussetzungen der limitierten Akzessorietät der Teilnahme nicht erfüllt sind und weil der Dritte aufgrund der Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers kein Teilnahmeunrecht verwirklicht. Der an der Selbsttötung oder Selbstgefährdung vorsätzlich Teilnehmende kann kein strafrechtlich relevantes Unrecht verwirklichen, da bereits der Rechtsgutsträger durch sein suizidales bzw. selbstgefährdendes Verhalten kein Unrecht schafft, an dem der Dritte partizipieren könnte. Die Selbsttötung bzw. Selbstgefährdung sind keine Haupttaten im Sinne der §§ 26, 27 i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, weil sie ihrerseits weder tatbestandsmäßige noch rechtswidrige Handlungen sind. Selbsttötung und Selbstgefährdung sind als höchstpersönliche Entscheidungen des Rechtsgutsträgers zu respektieren, so dass sich eine Bevormundung des Rechtsgutsträgers in Form des Schutzes vor sich selbst verbietet. Die Eigenverantwortung lässt eine Zuständigkeitsverantwortung des Staates für den Rechtsgutsträger nicht entstehen, so dass dem Staat zugleich die Berechtigung fehlt, den vorsätzlich mitwirkenden Dritten strafrechtlich in die Verantwortung zu nehmen.
Thesen
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c) Die fahrlässige Ermöglichung, Förderung oder Veranlassung einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung ist straffrei, weil weder der Schutzzweck des § 222 StGB noch eine Sorgfaltspflichtverletzung seitens des Dritten als Voraussetzungen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit erfüllt sind. Die Eigenverantwortung des Rechtsgutsträgers lässt eine Sorgfaltspflicht des Dritten für das Wohl des Suizidenten bzw. sich Gefährdenden nicht entstehen. Eine solche wäre nicht nur eine unzulässige Begrenzung der Handlungsfreiheit des Dritten, sondern zugleich eine indirekte Bevormundung seitens des Staates und somit eine unzulässige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten bzw. des sich Gefährdenden. Der Staat kann dem an einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten keinen Fahrlässigkeitsvorwurf machen. 6. Auch wenn die Eigenverantwortung eine Vorrangigkeit des Willens des Rechtsträgers gegenüber den staatlichen Interessen begründet, garantiert sie keine unbegrenzte Ausübung der Selbstbestimmungsfreiheit. Bereits das vorrechtliche Verständnis von Verantwortung und die Grundidee des Rechts zeigen, dass die Freiheit des einen dort endet, wo er in die Rechte eines anderen eingreift. Die soziale Eingebundenheit legt dem Individuum folglich Beschränkungen auf, die auch das Eigenverantwortungsprinzip nicht zu verhindern vermag. 7. Das Eigenverantwortungsprinzip ist dem Charakter eines Rechtsprinzips entsprechend keine allgemein verbindliche und starre Regelung, sondern dient als teleologisches Auslegungskriterium. Sie kann nicht in jeder Konstellation gleichermaßen Anwendung finden. Da Verantwortung immer an normative Maßstäbe anknüpft, kann es zu gesetzesspezifischen Wirkbegrenzungen des Eigenverantwortungsprinzips kommen. Das Verhalten des Dritten kann also innerhalb der Tötungstatbestände mit Verweis auf das Eigenverantwortungsprinzip durchaus straflos sein, gleichzeitig aber unter einem anderen rechtlichen Aspekt eine Strafbarkeit begründen. Die voranstehenden Thesen verdeutlichen, welche Wirkung das Eigenverantwortungsprinzip in der Verfassung und im Strafrecht entfaltet. Unter Berücksichtigung der Leitidee und des Charakters dieses grundlegenden Rechtsprinzips gelingt es, die Straffreiheit des an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung oder Selbstgefährdung mitwirkenden Dritten nicht nur formell und streng dogmatisch, sondern auch in einem übergreifenden materiellen Sinne zu begründen.
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und
Gründe
rechtlicher
Verantwortlichkeit,
Sachwortverzeichnis Akzessorietät, limitierte 28, 31, 57, 71, 154, 188 ff., 193 ff., 197, 199, 206, 231, 273, 275 ff. Aliud-Verhältnis 59 ff., 70 Argumentum a maiore ad minus 17 f., 29, 37, 43, 51 ff., 56 f., 58, 63, 71 f., 73, 75, 188, 198, 205, 275, 277, 288 Aufgabenverantwortung 78, 269 Betäubungsmittel 17, 34, 39 f., insb. 45 ff., 130 ff., 215, 229 f., 232, insb. 241 ff., 280 f. Dammbruchargument 115 f. Determination 209 Doping 42, 123, 264 EGMR 93 f., 122 Eigenverantwortung, insb. 79 ff., 86 f. Einheitstäterbegriff 64 ff., 193, 199, 201, 226, 277 Entpönalisierung 169 ff. Erfolgsunwert 54, 149 f., 206 Erst-Recht-Schluss 51 ff., 58 ff., 73 ff., 156, 196 f., 198, 202, 205, 225 f., 275, 277 Freitod 23 Freiverantwortlichkeit 119, 209 ff., 233 ff., 245, 261 ff., 267, 279 Fremdbestimmung 109, 113 ff., 135 ff. Fremdgefährdung, einverständliche 21, 31 ff., 41, 53, 135 ff., 219, 227 ff., 279 Fremdtötung 113 ff., 136 f., 148 f., 160, 166 f., 193 f., 219, 220 f., 279
Gefährdungsherrschaft 229 Handlungsbegriff 161 ff. Handlungsunwert 53, 54 f., 149 f. Heroinspritzen-Fall 36, 38 ff., 43, 45, 227 Indisponibilität 147 ff. Individualrechtsgut 46, 144 ff., 149, 159, 252, 254, 263, 280 f. Interaktionsverhältnis 83, 103 f., 109, 125, 182, 272 Interpersonalbezug 152, 153, 162, 165, 169, 182, 184, 274, 276 Irreversibilität des Lebens 92, 119, 167, 250 Jetrium-Fall 35 f., 211 Kommerzialisierung der Sterbehilfe 284 Memel-Fall 32, 33 f., 228 Menschenwürde 85, 90, 96, 104, 106, 123, 127, 134, 177 f., 184, 209, 260 Mitverantwortung, insb. 81, 86 f. Motorradwettfahrt-Fall 17, 33, 35, 198, 204 f., 264 Nötigung 207 f., 213, 235 Paternalismus 107, insb. 110 ff., 133 ff., 196, 240, 243, 270 f. Personale Rechtsgutslehre 146 f. Pflichtenlehre 101 ff. Plus-Minus-Verhältnis 59 ff.
Sachwortverzeichnis Polizeipistolen-Fall 29, 35 ff., 198, 211, 266 Protostrafrecht 26, 50, 75 f., 189 f., 273, 275 Recht auf den eigenen Tod 121 f. Recht auf Selbstgefährdung, insb. 122 ff. Recht auf Selbsttötung, insb. 92 ff. Rechtsbegriff 81 ff. Rechtsgutsbeeinträchtigung 25, 149 ff., 158, 161, 162 f., 163, 165, 167 Rechtsgutsbegriff 144 ff. Rechtspflicht 33, insb. 100 ff., 106, 126 f., 151, 159, 166, 168, 184 Rechtsprinzip 84 ff., 230, 269, 279 Retterschäden 20, 44 f., insb. 232 ff., 243 f., 280 Risikoeinwilligung 49 ff., 56, 73 f. Schutzauftrag 106 ff., 110 ff., 128 ff., 140, 164, 196, 200, 270 f., 279, 285 Schutzbedürftigkeit 157 ff., 160, 203, 238 ff., 246, 278 Schutzpflicht 106 ff., 114 ff., 125 ff., 146, 162, 239, 244, 249 f., 272 Schutzwürdigkeit 145, 157 ff., 160, 203, 238 ff., 243 ff., 251, 257, 267, 278, 280 Selbstbestimmungsfreiheit, insb. 92 ff., 122 ff. Selbsterhaltungspflicht 100 ff., 126 f., 146 f., 159, 167 f., 181, 184, 186, 190, 270 Selbstmord 23, 25, 29, 35, 95, 172, 175, 177, 180, 183, 224 Sirius-Fall 28, 211, 215 Sittengesetz 25, 95 ff., 183 f., 190, 274 Sozialmoral 96 ff. Sozialschädlichkeit 130, 162 f., 247 Stechapfeltee-Fall 39, 212
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Stufenverhältnis, begriffslogisches 59 ff. Stufenverhältnis, normatives 61 ff., 71, 198 Suizidverhinderung 207 f. Täterbegriff, extensiver, insb. 64 ff. Täterbegriff, restriktiver, insb. 64 ff., 193 Tatherrschaftskriterium 220 ff. Teilnahmeargument 28 f., 31, 57, 188 ff. Tötung auf Verlangen 21, 25, 113 ff., 136, 148 f., 166 f., 179, 194, 210, 249, 279, 285 Tötungstabu 116 f., 136 f. Tugendpflicht, insb. 101 ff., 168 Universalrechtsgut 145, 242, 247, 254 Unrechtsbegriff 149 ff. Unterlassensstrafbarkeit 21, 282 ff. Verantwortung, prospektive, insb. 77 ff., 86 f., 89 f. Verantwortung, retrospektive, insb. 77 ff., 86 f., 89 f. Verantwortungsbegriff, insb. 77 ff., 86 f., 89 f. Verantwortungssphäre 88, 207 Verfassungsmäßige Ordnung 99 ff., 128 ff. Verursachungstheorie, akzessorietätsorientierte 154, 188, 196 Viktimodogmatik 203 Volksgesundheit 46 f., 246 ff. WaffG 265 ff. Zuständigkeitsverantwortung 78, 86 f., 89 f., 126, 134, 139, 140 f., 160, 187, 196 f., 201, 256 f.