Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges [1 ed.] 9783428518968, 9783428118960

Der "gerechte Krieg" und seine widersprüchliche Bewertung - hochaktuelles wie klassisches Thema der Politische

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Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges [1 ed.]
 9783428518968, 9783428118960

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 140

Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges Von

Jan-Andres Schulze

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JAN-ANDRES SCHULZE

Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 140

Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges

Von

Jan-Andres Schulze

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 19 Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-11896-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die leicht veränderte Fassung einer Arbeit, die im Herbst 2004 von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität angenommen wurde. Großer Dank gebührt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Peter Cornelius Mayer-Tasch, dessen Wissen, Ideenreichtum und Aperçues begeistern, meiner mich allewege unterstützenden und liebenden Familie, also meinen Eltern, meiner Frau und meiner Tochter, und meinen Freunden. München, im Sommer 2005

Jan-Andres Schulze

Inhaltsverzeichnis 1. Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Der Analyserahmen des Irak-Krieges 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges . . . . . . . . . . . . . . 14 1.3 „Prima Cathedra de Salamanca“ – Francisco de Vitoria . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.4 Zeitgenössische Kritiker und Erneuerer der Lehre des gerechten Krieges . 27 2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung . . . . . . . . . . . . 2.1.1 „Quis iudicabit“ – Vereinigte Staaten oder Vereinte Nationen? . . . 2.1.2 Kaiser, Papst oder Fürst? – die Lösung Vitorias. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Verteidigung des Lebens und der Habe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der Tyrann und die humanitäre Intervention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung . . . . . .

31 31 31 39 47 48 53 65

3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung. . . . 76 3.1 Wiederkehr und Symbiose „illegaler Kombattanten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.1.1 Vom maritimen Flibustier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.1.2 . . . über den tellurischen Partisanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.1.3 . . . zum Terroristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.2 Die Bekämpfung der „hostes generis humani“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.2.1 Die Renaissance der Renaissance – moderne Söldner. . . . . . . . . . . . 91 3.2.2 Das luftgestützte Massaker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.2.3 Die Gefangennahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung . . . . . . . . . . . . . . 105 3.3.1 Der gerechte Krieg und seine Mutation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.3.2 Die Mediatorie des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.4 Der Standpunkt der Theorie des gerechten Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.1 Ritterliche Ehre und Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4.2 Hegung in der Epoche des gerechten Feindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4.3 Ehre als normatives Moment soldatischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5. Epilog oder die Zukunft des gerechten Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 5.1 Die Lehre Francisco de Vitorias in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 5.2 Der Irak-Krieg und die Chancen einer Theorie des gerechten Krieges . . . 167 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

1. Prolog 1.1 Der Analyserahmen des Irak-Krieges 2003 Im „Physiologus“, einer um 200 nach Christus in einheitlicher Form redigierten Sammlung von 48 symbolisch-narrativen „Tier“-Darstellungen, findet sich die Erzählung eines Vogels, Phönix genannt, der alle fünfhundert Jahre nach Heliopolis fliegt, sich dort selbst verbrennt, innerhalb dreier Tage wieder heranwächst, zu seinem Heimatort zurückkehrt, um fünfhundert Jahre später wiederzukehren.1 Viele Indizien sprechen dafür, daß der „Phoenix wieder fliegt“, der „Knoten von Ursachen“2 wiederkehrt und die Kriege im zivilisatorischen Altersstadium der Staaten, der „sterblichen Götter“3, starke Parallelen zu den Kriegen der fünfhundert Jahre zurückliegenden frühen Neuzeit, der Entstehungsphase der Staaten, aufweisen. Das 16. Jahrhundert war ebenso eine Zeit des Umbruchs, gekennzeichnet durch die Auflösung der mittelalterlichen Sozialstruktur, den Niedergang der Universalmächte des Kaiser- und Papsttums, den Wandel der Raumordnung, Religionskriege und den Kampf um überseeische Räume.4 Staatliche Souveränität – Ausschließlichkeit der Staatsgewalt im Inneren, Unabhängigkeit nach außen – hatte sich aufgrund kirchlichen und imperialen Universalismus’ auf der einen und feudalen und urbanen Partikularismus’ beziehungsweise Territorialismus’ auf der anderen Seite noch nicht herausgebildet. Erst der Zusammenbruch der Universalmächte des Mittelalters und das Erwachen einer neuen Gläubigkeit, die den Einzelnen ohne Vermittlung der Kirche in eine unmittelbare Beziehung zu Gott setzte,5 gestattete auch dem Fürsten analog den Durchgriff auf den einzelnen Untertanen.6 In der gegenwärtigen Phase des Staates treten nun wieder neben der Privatisierung staatlicher Kernaufgaben zunehmend personale Sonderrechte 1

Vgl. Zimmermann 2004, S. 1. Nietzsche 1990, Also sprach Zarathustra, Der Genesende, S. 303. 3 Vgl. Hobbes 1965, S. 137. Die Titelseite der ersten englischen Ausgabe des Leviathan von 1651 trägt noch unter dem magnus homo, dem Leviathan, das aus dem Buche Hiob übernommene Motto „non est potestas super terram quae comparetur ei“, vgl. Schmitt 1995 L, S. 25. 4 Vgl. Grewe 1988, S. 269. 5 Vgl. Ebd., S. 202. 6 Vgl. Weber 1992, S. 12. 2

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1. Prolog

und Körperschaften zwischen das vom Staat beanspruchte Rechtsetzungsund Vollstreckungsmonopol.7 Unterschiedliche hoheitliche Inhaber einer „potestas indirecta“, verschiedenen Rechtsordnungen verpflichtet, bestimmen das Bild: Zwischenstaatliche Organisationen, multinationale Konzerne, Parteienstrukturen in allen öffentlichen Bereichen und die Verselbständigung von Verfassungsorganen sind offensichtliche Anzeichen einer Mediatisierung des Staates. Ein weiterer verstärkender Faktor ist die Europäische Union, die partiell an den lockeren Verband vielfältiger geistlicher und weltlicher Territorien des Heiligen Römischen Reiches mit durchlässigen Grenzen erinnert.8 Auf die staatliche Souveränität9 wirkt auch die Ausdehnung des globalen Völkerrechts, dessen Regelungsgegenstände rapide anwachsen, zunehmend die eigentlich „interventionsfreie“ „domaine réservée“ der Staaten10 und das Individuum selbst sind.11 Der umgrenzte, geographische Standort wird mehr und mehr durch Techniken bagatellisiert, die ehemals die absolutistische Ordnung zur Herausbildung einer zentralisierten Staatlichkeit nicht nur im Verwaltungs- und Finanzsystem entwickelte.12 Politisch-staatliche Grenzen korrespondieren nicht mehr mit den Aktionsräumen internationaler Wirtschaftsunternehmen. Ein Kennzeichen, das die Epoche nach 1492 charakterisiert und bereits die blühende und übergreifende Geldwirtschaft der Renaissance auszeichnet. Zu jener individualistisch und städtisch geprägten Zeit gehören „schmale Gassen und steile Dächer“13, analog zu den gigantischen Hochbauten moderner Wirtschaftsmetropolen. Der steigende Einfluß des Stadtbürgertums erschüttert in der Renaissance die gemeinschaftliche Ständeordnung durch das Prinzip des freien Wettbewerbes.14 Die Staaten sind auch gegenwärtig gefährdet, nur bloße „Agenten der jeweils durchsetzungsfähigsten gesellschaftlichen Interessen“15 zu werden und sich gegenüber den „technisch-ökonomischen Rationalitätsvorstel7

Crefeld 1999, S. 458. Vgl. Grewe 1988, S. 86. 9 Souveränität bedeutet nach einer Definition des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Den Haag das Recht, sich zu Rechtsnormen verpflichten zu können, denen man unterworfen sein will, vgl. Schmid 1959, S. 77. 10 Vgl. Ipsen 1999, S. 37. 11 Vgl. Crefeld 1999, S. 424. 12 Vgl. Ohler 2000, S. 11. „Buchdruck, Straßen, Eisenbahnen, Fernmeldeverkehr und Schreibmaschinen, neue Waffensysteme zählen zu den wichtigsten Werkzeugen, mit deren Hilfe der Arm des Staates auch den letzte Quadratkilometer des Gebietes und jeden einzelnen Einwohner erreichte,“ Crefeld 1999, S. 416. 13 Spengler 1997, S. 665. 14 Vgl. Truyol 1947, S. 15. 15 Mayer-Tasch 1986, S. 13. 8

1.1 Der Analyserahmen des Irak-Krieges 2003

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lungen der transnationalen Gesellschaft das Maß an souveräner Unabhängigkeit und Eigenständigkeit“16 nicht mehr bewahren zu können. Der durch die Informationsrevolution verstärkten Internationalisierung der Märkte stehen Fragmentierung und Refeudalisierung der Staaten und Gesellschaften gegenüber. Unabhängig davon, ob am Ende eine universale, auf der Expansion von Finanz-, Arbeits- und Informationsmärkten beruhende Globalisierung dionysischen Typs oder eine parzellierende, apollinische Regionalisierung die Oberhand behält; beide Entwicklungen wirken sich ähnlich auf die einzelnen Staaten aus.17 Globale Antagonismen begleiten die Entwicklung – Rationalismus und Fundamentalismus, Pazifismus und Terrorismus.18 Dem Bedeutungsverlust des Raumes im Zeitalter globaler Transfers und Echtzeitkommunikation folgt eine Aufwertung von Kultus und Religion, den „Maßnahmen gegen die Zeitlichkeit“ in der Illusion der Permanenz.19 Kulturellzivilisatorische Trennungslinien verlaufen plötzlich wieder zwischen westlich-abendländischem Christentum einerseits und dem Islam andererseits. Denn im Gegensatz zu den Individualisierungseffekten des technischen Fortschritts stellen Religionen für den Menschen immer noch ein existentielles, geistiges Gut dar und wirken sinnstiftend.20 Verstärkte Migration sowie Kultur- und Zivilisationstransfers zeigen sich insofern immer konfliktträchtiger und führen zu segregierten Zonen.21 Auf die Durchlässigkeit der im Sinne von „excipere“ ausnehmenden Grenzen droht der grenzenlose Ausnahmezustand, dessen Urform der Krieg ist,22 die Auflösung der großen staatlichen Strukturen, deren tragender Grund die Aufgabe war, einen Frieden zu wahren, der nicht Krieg ist. Diese Entwicklungen hinterlassen ihre Spuren auch in der Kriegführung unserer Zeit.23 Denn jede Staatsverfassung steht in wechselseitiger Beziehung zur ihrer Herresstruktur, respektive der jeweiligen Kriegführung, was auch umgekehrt gilt.24 Die Gedankenwelt des bis vor kurzem als Nestor 16

Ebd., S. 15. Vgl. Crefeld 1999, S. 433. 18 Vgl. Vad 1996, S. 49. 19 Sofsky 1996, S. 220. 20 Frei nach Salomonis 11,14, wonach ein Volk ohne Religion und Weissagung „wild und wüst“ wird, vgl. Mayer-Tasch 2000a, S. 42. 21 In Frankreich, Deutschland und Großbritannien beispielsweise leben heute über 10 Millionen Menschen, die sich zum islamischen Glauben bekennen, vgl. Crefeld 1999, S. 440. 22 Adam 1990, S. 98. 23 Der Völkerrechtler Wilhelm G. Grewe stellt einen Zusammenhang zwischen den Epochen der Völkerrechtsgeschichte mit den Epochen der Wehrverfassungsgeschichte fest, vgl. Grewe 1988, S. 210. 17

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1. Prolog

westlicher Militärstrategie verehrten Carl von Clausewitz beruht noch auf der Annahme, daß vorwiegend Staaten und Regierungen Krieg führen. Wo aber kein Staat (mehr) ist bzw. seine Souveränität stark eingeschränkt ist, dort sind auch die trinitarischen Grundlagen des zwischenstaatlichen Kriegsbegriffes Clausewitz’ – Regierung, Heer und Volk – erschüttert.25 Seit dem Jahr 1945, in dem 76 Konflikte festgestellt wurden, ist die Gesamtzahl kontinuierlich auf 218 im Jahr 2003 angestiegen, wovon 21 Konflikte als ernste Krisen und 14 als Kriege gelten; nur ein einziger – nämlich der dritte Golfkrieg – entspricht einem zwischenstaatlichen Krieg.26 Zunehmend bestimmen private Akteure die bewaffnete Auseinandersetzung, löst sich das „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“27 innerhalb des Staatsgebietes auf. Daher konstatiert der israelische Militärexperte Crefeld die Auflösung des „Teufelspakts“28 aus dem 17. Jahrhundert, nach dem der Staat seinen Bürgern eine weit höhere Sicherheit bieten konnte, wenn diese sich im Gegenzug und bei Bedarf bereit erklären, sich in dessen Namen zu opfern. Diesen Wandel berücksichtigt auch der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler in „Die neuen Kriege“. Nach Münkler sind diese „neuen Kriege“: [. . .] ein Gemengelage aus privaten Bereicherungsbestrebungen, Expansionsbestrebungen benachbarter Mächte, Interventionen zur Rettung und Verteidigung bestimmter Werte, ein inneres Ringen um Macht, Einfluß und Herrschaftspositionen, wobei nicht zuletzt auch religiös-konfessionelle Bindungen eine Rolle spielen.29 [. . .] [Sie sind] vor allem durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet, die sie zugleich deutlich von den Staatenkriegen der vorangegangen Epoche unterscheiden: Zum einen durch Privatisierung und Kommerzialisierung, also das Eindringen privater, eher von wirtschaftlichen als von politischen Motiven geleiteter Akteure in das Kriegsgeschehen, und zum anderen durch Asymmetrisierung, das heißt durch das Aufeinanderprallen prinzipiell ungleichartiger Militärstrategien und Politikrationalitäten, die sich, allen gerade in jüngster Zeit verstärkt unternommenen Anstrengungen zum Trotz, völkerrechtlichen Regulierungen und Begrenzungen zunehmend entziehen.30

Münkler sieht Parallelen des gegenwärtigen Kriegsbegriffes in dem des Dreißigjährigen Krieges, „auch und gerade weil er unter den Bedingungen einer noch nicht zum Abschluß gekommenen Verstaatlichung der sozio-poli24 25 26 27 28 29 30

Fiedler 1985, S. 29. Crefeld 2001, S. 85. HIIK 2003. Weber 1992, S. 6. Crefeld 1999, S. 449. Münkler 2003a, S. 9. Ebd., S. 57.

1.1 Der Analyserahmen des Irak-Krieges 2003

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tischen Ordnung ausgetragen wurde.“31 Tatsächlich hat bis dato weder der staatliche Krieg vollständig abgedankt, noch ist der nichtstaatliche Krieg allgemein an seine Stelle getreten.32 Daneben bestehen Zwischenformen von „Krieg als Aktion“ und „Krieg als Zustand,“33 und die Rekurrierung auf die Gerechtigkeit eines Krieges scheint eine gesteigerte Relevanz zu erfahren. Der Analyserahmen dieser Arbeit setzt daher mehr als 100 Jahre vor dem Dreißigjährigen Krieg an, in einer Zeit, in der anläßlich der spanischen Conquista in Süd- und Mittelamerika die theologisch-ethische Theorie des gerechten Krieges eine letzte große Ausarbeitung durch den spanischen Spätscholastiker Francisco de Vitoria fand. Die Arbeit möchte aufzeigen, daß bzw. inwiefern die Bedingungen wiederkehren, unter denen sich Vitorias Theorie des gerechten Krieges entwickelte. Ferner soll verdeutlicht werden, daß die Begründung der Kriegshandlung und die Art der Kriegshandlung interdependent sind und die Begründung des Krieges selbst eine katalysatorische Wirkung auf die Kriegführung hat. Es wird überdies darlegt, daß das „spanische Zeitalter“,34 Auftakt der modernen Staatenwelt, bereits Komponenten mit sich führt, die letztlich für eine Hegung des Krieges in der klassischen Völkerrechtsepoche relevant sind und daher auch für die gegenwärtige „Altersphase“ der Staatenwelt von Relevanz sein können. Durch den Vergleich analoger Dilemmata in differenten historischen Erfahrungen soll daher der enge Zusammenhang zwischen einer theoretischen Aufschlüsselung des jeweiligen Kriegsbegriffes zweier völkerrechtlichen Epochen und der jeweiligen Staatenpraxis herausgearbeitet werden. Hierzu wird eine stichprobenartige Auswahl einer Reihe von historisch-politischen Fragen zur Untersuchung der „Operation Iraqi Freedom“, deren Kampfhandlungen am 20.03.2003 ihren Anfang nahmen und von alliierter Seite am 01.05.200335 für beendet erklärt wurden, herangezogen. Die Kapitel werden in der Hauptsache von folgenden Fragen strukturiert: 1. Auf welche Lehren und Grundlagen können sich die Vereinigten Staaten berufen, wenn sie die Führung eines gerechten Krieges beanspruchen? 2. Sind im Irak-Krieg die maßgeblichen Kriterien eines „ius ad bellum“, des Rechts auf einen Krieg, sowohl des geltenden Völkerrechts als auch 31

Ebd., S. 88. So Rothe 2003, S. 136. 33 Unterscheidung in Schmitt 1996 BdP, Corollarium 2, S. 102. 34 Ebd., S. 7. 35 Die Einstellung der Kampfhandlungen wurde verkündet, nicht aber das Ende des Kriegszustandes, womit nach wie vor Kriegsrecht und nicht Friedensvölkerrecht gilt, vgl. Steinkamm 2003/05/16. 32

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1. Prolog

die Lehren der theologischen Theorie des gerechten Krieges, insbesondere die relevanten Relectiones des Francisco de Vitoria, berücksichtigt worden? 3. Wie verhält es sich mit dem „ius in bello“, dem Recht im Kriege bzw. dem begrenzenden, hegenden Verhalten der Kriegsparteien? 4. Welche Kennzeichen des Kriegsbegriffs der spanischen Völkerrechtsepoche haben eine Aufnahme in die darauf folgende Epoche der Kabinettskriege gefunden und eine Hegung des Krieges bewirkt, die ggf. beispielgebend für die gegenwärtige Kriegführung sein könnte? 5. Welche Bedeutung besitzt die Lehre des gerechten Krieges in der Gegenwart?

1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges Moralische Einstellungen zum Krieg36 lassen sich in vier grundlegende Kategorien einteilen.37 Nach dem Pazifismus ist jeder Krieg moralisch verwerflich. Der Realist wiederum hält moralische Analysen für unerheblich, da es in Kriegen sowieso nur um Macht und Eigennutz geht. Die Anhänger von Heiligen Kriegen oder Kreuzzügen sind dagegen überzeugt, daß Gott – oder eine säkulare Ideologie, die ein oberstes Ziel verfolgt – die Tötung von Nichtgläubigen autorisiert. Die Idee gerechter Kriege jedoch geht davon aus, daß Waffengewalt nicht beliebig und willkürlich angewandt werden darf, sondern wahre und zutreffende Kriegsgründe zur Legitimation und Beschränkung der Kriegführung herangezogen werden müssen.38 Eine einheitliche Theorie des gerechten Krieges existiert aber nicht, wohl aber mehrere Theoretiker, hauptsächlich scholastische Theologen, die Kriterien für einen gerechten Krieg entwickelt und ausdifferenziert haben, so daß eine Destillierung von Übereinstimmungen aus den jeweiligen Werken möglich ist. Der römische Staatsmann und Philosoph Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) gilt als Begründer der Lehre des gerechten Krieges, denn er schreibt: Kriege sind ebenso zu beurteilen wie Gewalttaten eines einzelnen, sie sind Übergriffe in die Rechte eines anderen und widerstreiten einer natürlichen Rechtsordnung.39 [. . .] Ein wahrhaft sittlicher Staat unternimmt einen Krieg überhaupt nur 36 Unter Krieg wird im Nachstehenden eine durch organisierte (Herrschafts-)Verbände angewandte Waffengewalt verstanden, vgl. Ipsen 1999, S. 27. 37 Vgl. American Values 2002b. 38 Vgl. Schneider 2000, S. 55. 39 Cicero 1958, S. 88.

1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges

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zu seiner Selbsterhaltung oder in Erfüllung einer durch ein Schutz- und Trutzbündnis übernommenen Verpflichtung. Jeder ohne Grund vom Zaun gebrochene Krieg ist ein Unrecht. Denn gerechterweise läßt sich ein Krieg nur führen zur Abwehr und zur Strafe für einen widerrechtlichen feindlichen Überfall. Außerdem muß ein Krieg, um als gerecht angesehen zu werden, vorher angekündigt und formell angesagt sein. [. . .] Unser Volk hat sich die Weltherrschaft errungen durch Wahrung der Rechte seiner Bundesgenossen. [. . .] Wenn einem ruchlosen Angreifer das Handwerk gelegt und er durch Unterwerfung gebessert wird, so ist das nicht nur gerecht, sondern sogar nützlich und ersprießlich für den Unterworfenen selbst. Oder sehen wir nicht, daß die Natur selbst, was schwach ist, zu seinem Besten unter die Herrschaft des Starken zwingt?40

Der römische Krieg schafft Frieden, den römischen Frieden (pax Romana), in dem der Krieg ruhen wird und der Friede sich zur Milde neigt, wie Vergil in Aeneis I. schreibt: „aspera tum positis mitescent saecula bellis; cana Fides et Vesta, Remo cum fratre Quirinus iura dabunt; dirae ferro et compagibus artis, claudentur Belli potae.“41 Deswegen sind dem römischen Imperium weder in Raum noch Zeit Grenzen gesetzt: „his ego nec metas rerum nec tempora pono, imperium sine fine dedi.“42 Gerecht sind also einerseits Kriege, die gegen einen Angreifer oder einen Herausforderer um die imperiale Herrschaft „pro salute“, zum Heil des römischen Volkes, geführt werden und zum anderen diejenigen, die das römische Volk „pro fide“, aus Treue zu seinen Verbündeten führt. Die Bündnisse, die ein „humanitäres“ Interventionsrecht zugunsten des Verbündeten enthalten, mit denen Rom laut Cicero die „Weltherrschaft“ erringen konnte, werden durch die fetiales, ein besonderes Priester-Kollegium, abgeschlossen. Das Rom oder seinen Bundesgenossen zugefügte Unrecht resultiert zunächst in einer Wiedergutmachungsforderung der fetiales, die bei Ablehnung mit dem Wurf eines eisernen Speers über die Grenze des Feindeslandes – gleichzeitig ein Symbol der Besitzergreifung – den Krieg erklären; Krieg und Kriegserklärung sind also sakrale Akte.43 Dadurch wird dem Gegner zwar eine gewisse „aequitas“ zugesprochen, durch die er sich vom Räuber unterscheidet,44 doch das Verhalten im Kriege wird kaum normiert, weswegen im Mittelalter dieser Normal- oder Naturzustand des Krieges als „bellum Romanum“ bezeichnet wird.45 40

Ebd., S. 90 f. „Krieg wird ruhn und die Welt, die verrohte, neigt sich zur Milde. Fides, die graue, und Vesta, Quirinus mit Remus geben Gesetze: die Pforten des Kriegs, die grausigen, werden dicht verschlossen mit Riegeln aus Erz,“ Vergil 2001, S. 42. 42 Ebd., S. 42. 43 Vgl. Uhle-Wettler 2001, S. 17. 44 Straub 1976, S. 31. 45 Stephan 1998, S. 100. 41

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1. Prolog

Die „pax Romana“ ist folglich mit der Aufrechterhaltung der (göttlichen) Ordnung verbunden. Seit dem Edikt von Mailand im Jahre 313 wird das Christentum im römischen Imperium offiziell geduldet, im Jahre 399 von Kaiser Theodosius zur römischen Staatsreligion erklärt.46 Eine Störung der Einheit zwischen „imperium“/„regnum“ und „sacerdotium“ bedeutet daher nicht nur einen ernsthaften Eingriff in das Heil und die Harmonie der Christenheit,47 sondern auch in den Frieden als allgemeines Zielgut, für den die platonische Ständeordnung48 Vorbild ist. In Folge dessen liegt es fast das gesamte Mittelalter hindurch bei der römisch-katholischen Kirche zu bestimmen, wer der öffentliche Feind, Störer des Friedens und Widersacher ist.49 Der als Kirchenvater geltende Bischof von Hippo, Aurelius Augustinus (354–430 n. Chr.) ist Zeitzeuge des Kampfes um Rom, denn bereits im Jahre 410 erobert der Gotenkönig Alarich Rom. Augustinus schreibt bezüglich der zu erhaltenen Friedensordnung: Der Friede also des Leibes ist der geordnete Zusammenklang der Teile, der Friede der vernunftlosen Seele die Ruhe der Triebe, der Friede der vernünftigen Seele der geordnete Einklang von Erkenntnis und Tat, der Friede zwischen Leib und Seele das geordnete Leben und das Wohlergehen des Lebenden, der Friede zwischen dem sterblichen Menschen und Gott der in Glauben geordnete Gehorsam unter dem Gesetz, der Friede unter den Menschen die geordnete Eintracht, der Friede im Haus die im Befehlen und Gehorchen geordnete Eintracht der Bewohner, der Friede im Staat die im Befehlen und Gehorchen geordnete Eintracht der Bürger, der Friede des himmlischen Staates die wunderbar geordnete Eintracht der Gemeinschaft im Genuß Gottes und im wechselseitigen Genuß in Gott; der Friede aller Dinge aber ist die Ruhe der Ordnung. Ordnung aber ist die Verteilung gleicher und ungleicher Dinge, da jedes den ihm gemäßen Platz erhält.50 [. . .] Diesen Frieden suchen die mühevollen Kriege, und diesen Frieden erwirbt der Sieg, der für so glorreich gilt. Und wenn die siegen, die in der gerechten Sache kämpfen, wer sollte einen solchen Sieg nicht froh begrüßen, der den erwünschten Frieden bringt.“51

Doch bis zum dritten Jahrhundert nach Christus sind die meisten Christen radikal pazifistisch eingestellt, denn der Aufruf Jesu zum Gewaltverzicht 46 Vgl. Mayer-Tasch 2001, S. 122. In diese Richtung zielt bereits das Religionsedikt Theodosius’ vom 27. Februar 380. 47 Vgl. Raddatz 2001, S. 87. 48 „[. . .] daß von ihren drei Ständen ein jeder das Seine tun wird [. . .] ganz wie die drei Hauptsaiten eines Instrumentes [. . .] dasjenige Handeln als gerecht und schön, das die Haltung wahrt,“ Platon 1991, S. 192 ff. 49 Schwab 2002, S. 669. 50 Augustinus 1951, Vom Gottesstaat, XIX, 9–13, S. 316. „Pax omnium rerum tranquillitas ordinis.“ Augustinus 2001, S. 78. 51 Augustinus 1951, Vom Gottesstaat, XV, 4, S. 292.

1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges

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wird zusammen mit dem fünften Gebot und den prophetischen Visionen vom kommenden Friedensreich als absolutes Tötungs- und Kriegsverbot verstanden. Die Frage nach der Berechtigung von Kriegen tritt angesichts der bald erwarteten Wiederkehr Christi in den Hintergrund,52 birgt aber dadurch die Gefahr einer „eschatologischen Lähmung“.53 Augustinus, der das Anwachsen der römischen Macht als Lohn für die ständige Pflege der Gerechtigkeit auffaßt,54 versucht daher, den Krieg für die Christen als sittliche Leistung und notwendige Pflicht denkbar zu machen.55 Bereits 314 auf der Synode zu Arles, bei der es unter anderem um eine Auseinandersetzung mit den sektenähnlichen Donatisten geht, die ihre Forderungen mit Gewalttaten und der Gefährdung der gesamten gesellschaftlich-politischen Ordnung durchzusetzen trachten,56 wird entschieden: „Über die, welche im Frieden die Waffen wegwerfen, ist beschlossen worden, sie nicht zur Kommunion zuzulassen.“57 Fortan dürfen „fromme Christen für die irdische Stadt kämpfen, für den Frieden des Imperiums – in diesem Fall ganz wörtlich für die pax Romana,“58 so Michael Walzer. Augustinus rechtfertigt das Soldatentum seinerseits mit der Berufung auf Lukas 3/14, in der Johannes der Täufer die ihn befragenden jüdischen Soldaten etwa nicht zur Quittierung ihres Dienstes auffordert, sondern ihnen anempfiehlt, sich mit ihrer Löhnung zufriedenzugeben, weil der Kriegsdienst nur eine Sünde wäre, wenn man der Beute wegen in den Krieg ziehe.59 Wenn die christliche Lehre, so Augustinus, den Krieg vollständig verbieten würde, wäre aber der Rat erteilt worden, die Waffen wegzuwerfen und sich ganz und gar des Kriegsdienstes zu enthalten.60 Ebenso vermag Augustinus Paulus’ Römerbrief 13,4 anzuführen:61 „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. [. . .] Thust du aber Böses, so fürchte Dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses thut.“ Des weiteren führt er Apostelgeschichte 25,11 an: „Habe ich aber jemand Leid gethan, und des Todes wert gehandelt, so weigere ich mich nicht zu sterben.“ 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Vgl. Engelhardt 1980, S. 73. Schmitt 1997 NdE, S. 29. Vgl. Straub 1976, S. 36. Straub 1976, S. 30. So Grewe 1988, S. 135. Zitiert nach Grotius 1950, 1., 2., X., 11., S. 81. Walzer 2003, S. 31. Zustimmend zitiert bei Grotius 1950, 1., 2., X., 5., S. 79. Zitiert nach Vitoria 1952 DJB, S. 121. Zitiert nach Grotius 1950, 1., 2., VII., 2., S. 66.

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1. Prolog

Demnach gibt es Verbrechen, welche mit dem Tod bestraft werden können, was wiederum eine Analogie zum Krieg als Kampf gegen viele und bewaffnete Verbrecher ermöglicht.62 Die Frage nach dem „bellum iustum“ und nach der Rechtsstellung bzw. „Qualität“ des Feindes ist bei Augustinus eingebettet in den Kampf zwischen dem Reich der Irdischgesinnten („civitas terrena“) und dem Gottesreich („civitas dei“):63 Wir finden also in der Gemeinschaft auf Erden zwei Formen, eine, die ihre eigene Gegenwart erweist, und eine andere, die mit ihrer Gegenwart dem himmlischen Staat als Vorbild dient. Dem irdischen Staat werden seine Bürger geboren von der durch die Sünde verderbten Natur, dem himmlischen Staat von der Gnade, die von der Sünde die Natur erlöst. [. . .] Der irdische Staat [. . .], der hat hienieden sein Gut, dessen er sich teilnehmend freut, wie man eben Freude an solchen Dingen haben kann. Und da es kein solches Gut ist, das, die es lieben, nicht beengte, darum ist dieser Staat zumeist wider sich selbst geteilt durch Streit, Krieg und Kampf und durch die Sucht nach Siegen, die Verderben bringend und selber nur vergänglich sind.64

Sünde und irdische Güter sind Anlaß für Kriege der Verderbten: „Kampf also herrscht zwischen Bösen und Bösen untereinander und ebenso zwischen Bösen hier und Guten dort; Kampf aber zwischen Guten und Guten, wenn sie vollkommen sind, ist ausgeschlossen.“65 Die Entscheidung und die Befugnis des Rechts zum Kriege („ius ad bellum“) spricht Augustinus in „Contra Faustum“ nur den höchsten Fürsten, den „princepes“ (erstes Kriterium), zu: „Ordo naturalis mortalium paci accomodatus hoc poscit, ut suscipiendi belli auctoritas atque consilium penes principes sit.“66 Der Ausnahmezustand von der „tranquillitas ordinis“ – der Krieg als Apokalypse ist Untergang und Enthüllung67 – offenbart die „auctoritas“ des Papstes, denn nur er vermag den „princeps“ zu legitimieren, die gerechte Ordnung durch Beauftragung eines die Rechtsverletzung Heilenden wiederherzustellen. Der zulässige gerechte Grund („iusta causa“, zweite Bedingung) reicht bei Augustinus von der Zurückeroberung bis zur Bestrafung. In „Contra Faustum“ umreißt er auch die dritte Bedingung, die rechtmäßige Absicht („recta intentio“), die nur gegeben ist, wenn sie frei von den von ihm aufgezählten Merkmalen ist: 62

Vgl. Grotius 1950, 1., 2., VII., 13., S. 70. Vgl. Ipsen 1999, S. 29. 64 Augustinus 1951, Vom Gottesstaat, XV, 4, S. 292. 65 Augustinus 1951, Vom Gottesstaat, XV, 5, S. 294. 66 Zitiert nach Vitoria 1952 DJB, S. 126, „Die natürliche Ordnung, die dem Frieden dient, verlangt, daß die Macht und der Entschluß zur Kriegführung auf Seiten der Fürsten liegt.“ 67 Vgl. Adam 1990, S. 100. 63

1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges

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Was ist am Kriege zu tadeln? Ist es die Tatsache, daß darin Menschen getötet werden – die doch alle eines Tages sterben müssen –, damit die Sieger in Frieden leben? Das am Kriege zu beanstanden oder zu verabscheuen, ist kleinmütig und hat mit Gottesfurcht wenig zu tun. Berechtigte Einwände gegen den Krieg sind die in ihm hervortretenden Gesinnungen, wie Lust zu schaden, grausame Rachgier, Unversöhnlichkeit, Vergeltungswut, Eroberungssucht.68

Die göttliche Ordnung zu erhalten und damit den Antichristen,69 das Böse, aufzuhalten, der selbst im trügerischen Frieden droht,70 ist Teil des vom Papst gekrönten Kaisers, der zur Herrschaft über ein bestimmtes Land und sein Volk die durch die Kaiserkrone hinzutretende Leistung des „katéchon“, des Aufhalters des Antichristen, zu erfüllen hat.71 Sofern er dieser Aufgabe gerecht wird, genießt er als römischer Kaiser mehr „dignitas“,72 sein Sieg kommt einem göttlichen Urteil gleich.73 Der Kat-échon-Begriff kennt kaum eine Hegung, da er seinen fürchterlichen Antagonisten, den „Antichristen“, bereits in sich trägt.74 Zu den Missionen des „kat-échon“ gehören die von der Kirche propagierten oder unterstützten Kriege gegen Heiden und Häretiker, vor allem aber 68

Zitiert nach Engelhardt 1980, S. 77. 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher, 2,4–9: „Der da ist der Widersacher und sich überhebet über alles, das Gott oder Gottesdienst heißet, also daß er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott. [. . .] Und was es noch aufhält, wisset ihr, daß er offenbaret werde zu seiner Zeit. Denn es reget sich schon bereits das Geheimnis der Bosheit, allein daß der es jetzt aufhält, muß hinweg gethan werden; Und alsdann wird der Boshaftige offenbaret werden, welchen der Herr umbringen wird mit dem Geist seines Mundes, und wird sein ein Ende machen durch die Erscheinung seiner Zukunft, des, welches Zukunft geschieht nach der Wirkung des Satans mit allerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wundern.“ Alle Bibelzitate aus: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, nach der deutschen Übersetzung D. Martin Luthers. Stereotyp-Ausgabe der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft Berlin, 1895. 70 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher 5,3: „Denn wenn sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen.“ 71 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 31. 72 „Dignitas“ ist als Synonym von „auctoritas“ zu sehen, so Agamben 2004, S. 98. Durch die ordnungsgemäße Ausgührung der „Schirmvogtei“ erst hat der Kaiser Anteil an der „auctoritas“. 73 .„Nam et cum iustum geritur bellum, pro peccato e contrario dimicatur; et omnis victoria, cum etiam malis provenit, divino iudico victos humiliat vel emendans peccata vel puniens,“ so Augustinus 2001, De civitate dei, XIX, 15, S. 80. 74 Auf dem Höhepunkt des Kampfes zwischen Kaiser und Kirche wurde Kaiser Friedrich II. von der Kirche betitelt als „Fürst der Tyrannei, Zerstörer der kirchlichen Lehre und Verderber der Geistlichkeit, Umstürzler des Glaubens, Lehrer der Grausamkeit, Erneuerer der Zeiten, Zersplitterer des Erdkreises und Hammer der ganzen Welt [. . .] Rottet aus Namen und Leib, Samen und Sproß dieses Babyloniers.“, zitiert nach Diwald 1999a, S. 705. 69

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1. Prolog

die vom Ende des 11. bis zum 13. Jahrhundert durchgeführten Kreuzzüge zur Befreiung der heiligen Stätten von islamischer Herrschaft. Wenn der Kreuzfahrer auszieht, um Jerusalem, den heiligen Mittelpunkt mystischer Kosmarchie,75 den Mächten der Finsternis zu entreißen, dann handelt es sich, wenn vom Papst so erklärt, um einen heiligen Krieg.76 Der Kreuzzug des Kat-échon ist eine Intervention ins Heilige Land zugunsten der dort bedrängten Christen und zur Befreiung des Grabes Christi, wie im November 1095 Papst Urban II. während der Synode zu Clermont-Ferrand ausführt: In aller Eile müßt ihr euren Brüdern, die im Orient leben, helfen, die eure Hilfe benötigen, wegen der sie schon mehrere Male aufgeschrieen haben. Diese Angelegenheit betreffend, ermahne ich mit demütiger Bitte – nicht ich, sondern der Herr – euch, die Herolde Christi, alle, von welcher Klasse auch immer, beide, Ritter und Fußvolk, beide, reich und arm, in zahlreichen Erlassen, danach zu streben, diese gottlose Rasse aus den christlichen Ländern zu verjagen, bevor es zu spät ist. [. . .] Laßt diesen, die es gewohnt sind, Privatkriege zu führen, verschwenderisch gerade gegen Gläubige, in einen Kampf gegen die Ungläubigen vorangehen. [. . .] Nun, laßt diese, die bisher als Plünderer lebten, Soldaten Christi sein; nun, laßt die, die früher gegen Brüder und Verwandte stritten, mit Recht Barbaren bekämpfen; jetzt, laßt die, die unlängst für einige wenige Silberstücke gemietet wurden, ihren ewigen Lohn gewinnen.77

Hier wird außerdem deutlich, wie sehr das an sich streng geregelte Fehdewesen als Selbsthilferecht zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen einen (bürger)kriegsähnlichen Charakter angenommen hatte und der Papst sich durch seinen Aufruf eine Befriedung erhofft. Die Kirche versucht infolgedessen einen Gottesfrieden „pax dei“ durchzusetzen, indem es in der Hauptsache um räumlich-personale Erfassung und Beschränkung der Fehdeobjekte geht, wie den Schutz der Geistlichen, der Wehrlosen, Witwen, Waisen, Pilger, Armen und der Kirchen.78 Friede ist kein raumloser, normativistischer Allgemeinbegriff, sondern stets als Reichsfrieden, Landfrieden, Kirchenfrieden, Stadtfrieden, Burgfrieden, Marktfrieden oder Dingfrieden konkret verortet.79 Die „treuga dei“ als zeitliche Beschränkung soll ein absolutes Fehdeverbot erwirken, etwa für die Fastenzeit, während des Osterfestes, von Himmelfahrt bis Pfingsten, in der Adventszeit oder von Samstagabend bis Montagmorgen.80 Bei Friedensbruch sind Buß- und Leibesstrafen vorgesehen wie Blendung, Hand- und Fußverlust, Schadensersatz, Exkommunikation, Verfluchung und Verban75 76 77 78 79 80

Rein 1931, S. 52. Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 27. Zitiert nach Dendl 1999, S. 35. Vgl. Schneider 2000, S. 55. Schmitt NDE 1997, S. 28. Vgl. Uhle-Wettler 2001, S. 39.

1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges

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nung aus der Kirchengemeinde, Ausschluß vom Sakramentenempfang und Verweigerung der kirchlichen Bestattung.81 Die Kirche verbietet einerseits den Adligen das Austragen von Fehden, andererseits aber beansprucht sie deren Hilfe zum eigenen Schutz oder auch zur Durchsetzung der Friedensgebote,82 was den Aufstieg des „miles Christianus“ bedingt, der im Namen der Kirche einen gerechten Krieg führen konnte. Die Doppelfunktion der Kirchenfürsten als Geistliche und politisch-militärische Herrscher verdeutlicht der siebzig Meter lange Wandteppich von Bayeux, auf dem Herzog Wilhelms Bruder, Bischof Odo von Bayeux, in der Schlacht von Hastings 1066 mit schwingender Keule dargestellt ist.83 Später schränkt Friedrich Barbarossa das Fehdewesen mit dem Gesetz des Reichslandfriedens ein, nach dem nur gebürtigen Rittern – „milites natione legitimi“ – der gerichtliche Zweikampf erlaubt ist, Friedensbrecher mit der Todesstrafe bedroht84 und Bauern ausdrücklich das Tragen von Lanze und Schwert verboten wird.85 Solange aber eine umfassende Ächtung der Fehde nicht gelingt, gibt es auch keinen Unterschied zwischen Krieg und Fehde, werden Kriegserklärungen der Könige und Absagen der Ritter mit denselben Formen und Formeln der Erklärung der Feindschaft und des Bewahrens der Ehre vorgenommen.86 Erst mit dem allgemeinen Fehdeverbot des Wormser Landfriedens von 1495, durch den durch die erstarkenden Territorialherren vorgenommen Ausbau der Gerichtsbarkeit,87 gelingt die Scheidung des Krieges als „militärisch ausgetragener Rechtsstreit“ in den äußeren Krieg und den inneren Krieg, der nurmehr als „bößlich bevehden“ von „Raubschlössern und Mordkuhlen“88 charakterisiert wird.89 Im Jahre 1269 aber, mitten im von Fehden und Kriegen belasteten Interregnum (1254–1273), schreibt der Dominikaner „doctor angelicus“ Thomas von Aquin (1225–1274) seine „summa theologica“ mit dem Kernsatz, daß das höchste Ziel politischen Handelns der Frieden ist,90 in dem jeder Mensch auf Gott hin leben und das Heil erlangen kann: 81

Vgl. Fleckenstein 2002, S. 103. Vgl. Winter 1979, S. 48. 83 Vgl. Fleckenstein 2002, S. 76. Die Keule ersetzt das ansonsten gebräuchliche Schwert, denn „wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen (Matthäi 26,52).“ 84 Wies 1998, S. 42. 85 Zotz 2002, S. 179. 86 Vgl. Grewe 1988, S. 97. 87 Hierzu Ohler 2000, S. 9. 88 Vgl. Sprandel 2000, S. 68. 89 In der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V., der Carolina, ist nach § 129 die Fehde nur noch auf Befehl des Kaisers erlaubt, vgl. Sprandel 2000, S. 60. 82

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1. Prolog

Der Christusglaube ist der Anfang und die Ursache der Gerechtigkeit.91 [. . .] Der Friede ist auf einem Umwege das Werk der Gerechtigkeit, insofern er nämlich ein Hindernis beseitigt.92 [. . .] Da der Friede in der Ruhe der Ordnung besteht, so begehrt alles notwendig nach Frieden, insoweit es ruhig und ohne Hindernis zu dem zu kommen verlangt, wonach es begehrt.93

Das ethische Richtbild der legalen Gerechtigkeit94 verpflichtet bei Thomas den Einzelnen auf das Gemeinwohl, das sich qualitativ von der Summe der Einzelwohle unterscheidet.95 Die Aufrechterhaltung der auf das Ewige ausgerichteten christlichen Ordnung und die Beseitigung von Unrecht ist bindendes Ziel. Das eigentlich Verbrecherische einer Unrechtstat, welche den gerechten Krieg impliziert, liegt weniger in der Verletzung materieller Rechte als in dem Ärgernis zur Sünde, das anderen gegeben wird.96 Gemäß Röm. 13,4 handelt die Obrigkeit als Gottes Gehilfe, „Gerichtsvollstrecker für den, der Böses tut“, schützt Unschuldige und bestraft Schuldige, die vom Bösen abgeschreckt und wieder auf ihr Heil hingeordnet werden sollen. Thomas von Aquin beschränkt das „ius ad bellum“ der zum Krieg berechtigenden Fürsten streng auf drei räumliche Machtbereiche:97 Dazu, daß ein Krieg gerecht ist, wird dreierlei erfordert. Zuerst einmal die Gewaltsame des Oberhauptes, auf dessen Gebot hin Krieg zu führen ist. Es fällt nämlich nicht in den Bereich einer Privatperson, einen Krieg in Bewegung zu setzen; denn sie kann ihr Recht beim Gericht der Obrigkeit verfolgen. [. . .] Da nun aber die Sorge für das öffentliche Gemeinwesen dessen Häuptern anvertraut ist, so ist es ihre Sache, das Gemeinwesen der Stadt oder des Herrschaftslandes oder der Provinz, die ihnen untertan ist, zu schützen.98 90

Zu Aquins Lebzeiten fanden drei Kreuzzüge statt: Der 5. Kreuzzug 1128– 1229, der 6. Kreuzzug 1248–1254 und der 7. Kreuzzug 1270, vgl. Beestermöller 1990, S. 173. 91 Aquin 1985, II-II, q. 104, 6, 3, S. 430. 92 Aquin 1985, II-II, q. 29, 3, S. 150. 93 Aquin 1985, II-II, q. 29, 2, S. 148. 94 Aquin unterscheidet innerhalb der Gerechtigkeit die tauschende, austeilende und die legale Gerechtigkeit. Während die Tauschgerechtigkeit sich auf das Verhältnis der einzelnen Privatpersonen untereinander bezieht, regelte die austeilende Gerechtigkeit das Verhältnis der Gemeinschaft zum Einzelnen, die legale Gerechtigkeit das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft., vgl. Aquin 1985, II-II, q. 61, 1, S. 283 ff. 95 Vgl. Piper 1954, S. 18. 96 Beestermöller 1990, S. 227. 97 Die Praxis der Ritterfehde – der ebenso ein gerechter Grund wie auch eine Ankündigung, die Absage, zueigen ist – zeigt, daß tatsächlich nur dem Adel und den ihm gleichgestellten Grundherrn und genossenschaftlichen Verbänden der Waffengang erlaubt war, vgl. Grewe 1988, S. 95. Zudem empfiehlt Thomas von Aquin eine zeitliche Begrenzung der Kriegführung: „Liegt die Notwendigkeit vor, zum Schutze des Staates an den Feiertagen den Krieg zu führen, so ist es erlaubt; sonst aber nicht,“ Aquin 1985 II-II, q. 40, S. 192.

1.2 Bedeutende Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges

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Gerechte Gründe zur Kriegführung liegen bei Thomas vor, wenn eine Verletzung des Rechts geschehen ist, die objektiv zurechenbar und gewiß ist und wenn eine offenkundige Weigerung der Gegenseite vorliegt, das Recht friedlich wiederherzustellen,99 also „jene bekriegt werden, die Bekriegung wegen einer Schuld verdienen.“100 Thomas legt außerdem für das Kriterium „recta intentio“ für den Kriegführenden verbindlich fest, [. . .] daß die Absicht rechtbeschaffen ist: in ihr soll nämlich erstrebt werden, daß Gutes gefördert oder Übles verhütet wird. [. . .] Es kann aber auch der Fall sein, daß zwar die Krieg ansagende Gewaltsame rechtmäßig und die Ursache gerecht ist, gleichwohl aber wegen verwerflicher Absicht der Krieg zum unerlaubten wird.101

Ein Verstoß hiergegen wäre beispielsweise Eroberungsgier, denn theoretisch ist im Mittelalter ebenso wie nach der gegenwärtigen Völkerrechtslage die Eroberung nicht anerkannt: „Wer in der Fehde die Gewere des Gegners angreift, übt nicht mehr Fehde, sondern Entwerung, Gewalt ân Recht“,102 womit der Friedensbrecher zum Feind des Landes wird. Die „richtige Absicht“ ist beschränkt auf die Wiederherstellung einer rechtmäßigen Ordnung, denn „diejenigen, welche gerechte Kriege führen, haben den Frieden im Sinn.“103 Ein die rechtschaffende Absicht widerspiegelnder Krieg ist frei von Gier zu schaden, Grausamkeit im Rächen, friedehasserischem und unversöhnlichem Geist, Wildheit im Wiederangriff und Herrschsucht:104 Geht nämlich seine Absicht hauptsächlich auf das Übel desjenigen, an dem er die Strafsache nimmt, und findet sie darin ihre Stillung, so ist das ganz und gar unerlaubt: denn die Freuung am Übel eines anderen fällt in den Bereich des Hasses, welcher der Liebe widerstreitet, die wir allen Menschen schuldig sind. [. . .] Es darf nämlich nicht der Mensch gegen einen anderen deswegen sündigen, weil dieser vorher gegen ihn gesündigt hat: das hieße, sich vom Bösen besiegen zu lassen.105

Obwohl Zahl und Ordnung der Kriterien für einen gerechten Krieg in den unterschiedlichen Theorien variieren, läßt sich eine Übereinstimmung hinsichtlich dreier Hauptkriterien – legitime Autorität, gerechter Kriegsgrund und rechte Absicht – feststellen.106 98

Aquin 1985 II-II, q. 40, 1, S. 188. Vgl. Wehberg 1953, S. 13. 100 Aquin 1985, II-II, q. 40, 1, S. 188. 101 Aquin 1985, II-II, q. 40, 1, S. 189. 102 Zitiert nach Grewe 1988, S. 152. 103 Aquin 1985, II-II, q. 40, 1, S. 190. 104 Aquin 1985, II-II, q. 40, 1, S. 189. 105 Aquin 1985, II-II, q. 108, 1, S. 433. 106 So letztlich auch Beestermöller 2003a, S. 32. 99

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1. Prolog

1.3 „Prima Cathedra de Salamanca“ – Francisco de Vitoria Am 23. Dezember 1933 wird in Montevideo feierlich festgestellt. The Seventh International Conference of American States resolves to recommend that a bust of the Spanish theologian, Francisco de Vitoria, be placed in the Headquarters of the Pan American Union, in Washington, as a tribute to the professor of Salamanca who, in the sixteenth century, established the foundations of modern law.107

Etwa 450 Jahre früher, im schicksalhaften Jahre 1492 – das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt – wird Francisco de Arcaya y Compludo in einem baskischen Gebirgsstädtchen namens Vitoria in der Provinz Alava geboren.108 1502 tritt er zu Burgos in den Dominikanerorden ein, der vor allem Träger der Mission in der Neuen Welt wird. Von 1506 bis 1523 lebt er, bis zur Erlangung des Doktorgrades, im St. Jakobs-Kloster in Paris. Danach lehrt er drei Jahre am Kolleg San Gregorio zu Valladolid, um sodann bis zu seinem Lebensende die „Catedra prima de theologia“ der Universität Salamanca zu übernehmen. Obgleich er nichts veröffentlicht, geht die „Schule von Salamanca“, die als Meilenstein der Spätscholastik gilt, auf seine Lehrtätigkeit zurück.109 Dabei wird Vitoria stark von den Lehren des heiligen Thomas beeinflußt. Sein flämischer Mitbruder und Lehrer Peter Crockaert, der 1509 in Paris die „Summa Theologica“ des Thomas von Aquin als Lehrbuch einführt, gibt mit ihm gemeinsam den zweiten Teil der theologischen Summe heraus.110 Aus den Prinzipien des Aquinaten schöpft Vitoria lebenslang seine völkerrechtlichen Weisheiten.111 Vitorias besonderes Interesse gilt moraltheologischen Fragen, insbesondere der Beurteilung der Kolonisation in der Neuen Welt. Wie hoch sein Rat geschätzt wird und wie bedeutend sein Einfluß ist, wird daraus ersichtlich, daß Karl V. ihn um Richtlinien für die Christianisierung Amerikas bittet, aber andererseits auch 1539 in einem Brief an den Prior des Klosters San Esteban in Salamanca ein Einschreiten gegen die Verbreitung von Vitorias Ansichten fordert.112 Mit der aus diesem Jahr 1539 stammenden Doppel-Vorlesung „De Indis et de jure belli“ liefert Vitoria dennoch einen bahnbrechenden wissenschaftlichen Beitrag zur kolonial-ethischen Diskussion und erwirbt in vieler Augen den Anspruch, Begründer der Völker107 108 109 110 111 112

Zitiert nach Scott 1939, S. 313. Soder 1955, S. 6. Am 12. August 1546 starb Vitoria. Vgl. Justenhoven 1991, S. 9. Ebd., S. 9. Vgl. Hadrossek 1952, S. XII. Vgl. Grewe 1988, S. 282.

1.3 „Prima Cathedra de Salamanca“ – Francisco de Vitoria

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rechtswissenschaft zu sein.113 In diesen Vorlesungen diskutiert Vitoria die grundsätzliche Frage nach den in Betracht kommenden Rechtstiteln der Landnahme der Spanier in der Neuen Welt und stellt sieben „tituli non idonei nec legitimi“ ebenso vielen „tituli legitimi“ gegenüber. Die Ehrung Vitorias, die ihm durch „The Seventh International Conference of American States“ zuteil wurde, ist unter anderem den Bemühungen des amerikanischen Völkerrechtlers James Brown Scott (1866–1943) zu verdanken, zweimaliger Präsident des Institut de Droit International, der „Weltakademie“ des Internationalen Rechts mit Sitz in Genf.114 Scott begründet die „Los Angeles Law School“, ist Ordinarius der juristischen Fakultät der „University of Illinois“ und der „Columbia University“, Delegierter der zweiten Haager Konferenz (1907) und der „Paris Peace Conference“ (1919). Er gibt das „American Journal of International Law“ und zwei völkerrechtliche Standardwerke heraus, nämlich „The Spanish Origin of International Law. Francisco de Vitoria and his Law of Nations“ (Oxford, 1934) und „Law, the State and the International Community“ (New York, 1939). Für Scott gilt Francisco de Vitoria nicht nur als maßgeblicher Schöpfer des Völkerrechts, sondern gar als ein Visionär der völkerrechtlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts: It was obvious to him that nations, large and small, must have relations one with another, and he therefore thought of them as a constituting society of states, an international community which existed because of the coexistence of the states. And just as a state possessed the power to make laws for the government and well-being of its citizens, so this international commonwealth possessed, in Vitoria’s opinion, a right to legislate for the good of society as a whole.115 [. . .] for he employs the term ius gentium [. . .] in the sense of the law applicable among nations.116 [. . .] he replaced a broken Christendom by the international community.117 [. . .] And just as the Permanent Court of International Justice at The Hague is in harmony with Vitoria’s conception of a federal community of states, so also would be a series of inferior international courts set up in different regions of the world for the settlement of disputes relating particularly to the regions in question, with the right to appeal from such courts to the Permanent Court of International Justice at The Hague. Then indeed the international community which Vitoria foresaw would be governed by justice and the passionless administration of law.118

Zu Recht stellt der Völkerrechtsgelehrte Hans Wehberg Mitte des 20. Jahrhunderts eine seit Anfang des Jahrhunderts aufkommende Renaissance der 113 114 115 116 117 118

Hadrossek 1952, S. XIV. Vgl. DroitInt 2004. Scott 1939, S. 322. Ebd., S. 316. Ebd., S. 312. Scott 1939, S. 323.

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1. Prolog

Lehren der Scholastiker fest.119 Und Paul Hadrossek konstatiert im Vorwort des zweiten Bandes der „Klassiker des Völkerrechts“: Die verdienstvollen Arbeiten des international anerkannten Völkerrechtslehrers James Brown Scott haben Vitoria seit mehr als drei Jahrzehnten neue Wirkungsmöglichkeiten verschafft. Die Generation der Schüler Scotts ist zweifelsohne mittelbar an der internationalen Rechtspraxis der Jahre nach dem zweiten Weltkrieg beteiligt.120

Vitorias Einstufung als Begründer des modernen Völkerrechts bleibt nicht unwidersprochen. Stellvertretend für die Gegenstimmen sei Otto Kimminich genannt, der den niederländischen Rechtsgelehrten Hugo Grotius für den eigentlichen Vater des Völkerrechts hält, „ein Titel, auf den er mehr Anspruch hat als die oben erwähnten spanischen Moraltheologen,“121 da in seinem zu Anfang des 17. Jahrhunderts geschaffenen Werk „De jure belli ac pacis libri tres“ die Rechtszustände des Krieges wie auch des Friedens ohne moralische Wertung nebeneinander stehen, was eine Hegung des Krieges vereinfache. Gerade der berechtigte Einwand Kimminichs macht Vitorias Lehre für die Gegenwart so interessant, denn seit Ende des zwischenstaatlichen „Ius Publicum Europaeum“, dessen Rechtsgebäude Grotius noch mit entwirft, stehen die Rechtszustände des Krieges und des Friedens nicht ohne moralische Wertung nebeneinander. Vitorias „relectiones“ aber verkörpern geradezu den Kulminationspunkt der moraltheologischen Lehre des gerechten Krieges in einer Zeit schwindender Macht der tradierten „völkerrechtlichen“ Autorität.122 Die Lehre Vitorias ist gleichzeitig auch ein Wendepunkt, da sich in ihr bereits ein deutlicher Ansatz von beiderseits als gerecht anzusehenden Kriegführenden findet, was für die normative Maßstäbe berücksichtigende Betrachtung des vierten Teiles dieser Arbeit von erheblicher Relevanz ist.123

119

Vgl. Wehberg 1953, S. 18. Hadrossek 1952, S. XXVI. 121 Kimminich 1980, S. 212. 122 Das sich herausbildende Staatensystem des 16. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch die beherrschende Vormachtstellung Spaniens und den Kampf der Franzosen, Niederländer und Engländer gegen die Bildung einer spanischen Universalmonarchie mit globalem Anspruch, was ggf. Parallelen zur Gegenwart eröffnet, vgl. Grewe 1988, S. 43. 123 Dieser Ansatz hat wenig später durch den bedeutenden Theologen und Völkerrechtler Francisco Suárez (1548–1617), dessen Lehrer Mancio ein Schüler Vitorias war, eine deutlichere Ausformung erfahren. Bei Suárez zeichnet sich eine „Gemeinschaft der Staaten“ ab, wobei Krieg nur vorliegt, „wenn er zwischen zwei Fürsten oder zwei ‚Staaten‘ ausgetragen wird“ – „Pugna exterior, quae exteriori paci repugnat, tunc proprie bellum dicitur, quando est inter duos principes, vel duas respublicas,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 114. 120

1.4 Kritiker und Erneuerer der Lehre des gerechten Krieges

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1.4 Zeitgenössische Kritiker und Erneuerer der Lehre des gerechten Krieges Zur Beantwortung der diese Arbeit strukturierenden Grundfragen werden analog zu einer Anmerkung des Hugo Grotius [. . .] Aussprüche der Philosophen, Geschichtsschreiber, Dichter, ja selbst der Redner benutzt, nicht, weil Ihnen unbedingt zu vertrauen ist, denn die Parteien pflegen mit ihren Beweisen nur ihrer Sache zu dienen, sondern weil, wenn viele aus verschiedenen Zeiten und allen Orten dasselbe als gewiß behaupten, dies auf einen allgemeingültigen Grund hinweist.124

Recht häufig wird dabei auf Arbeiten und Aussagen von Michael Walzer und Carl Schmitt rekurriert werden, die jeweils im Banne des Vietnamkrieges und der Gegenwart beziehungsweise angesichts des Ersten und Zweiten Weltkrieges entstehen. Der Erste Weltkrieg, der zwar noch als begrenzter Kabinettskrieg mit begrenzten Zielen beginnt,125 begründet bereits mit den Pariser Vorortverträgen die Strafwürdigkeit des Besiegten und zeigt damit Ansätze eines neuen, diskriminierenden Kriegsbegriffes. Hatte sich nach dem Westfälischen Frieden eine Ordnung der Gleichheit der Fürsten herausgebildet, die durch die moralfreie Betrachtung des Krieges im Sinne der Staatsraison eine Diskriminierung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten erreicht, so liegt der alliierten Anklage, Deutschland hätte die „internationale Moral“ und „die Heiligkeit der Verträge“ verletzt, bereits eine neue Gerechtigkeitsvorstellung zugrunde. Eine internationale Gerichtsbarkeit eines Staates über einen anderen anerkannten Staat oder über das anerkannte Staatsoberhaupt eines anderen souveränen Staates kennt das europäische Völkerrecht bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Doch in Artikel 227 des Versailler Vertrages wird der deutsche Kaiser wegen Verletzung der internationalen Moral und der Heiligkeit der Verträge angeklagt126 und die Strafzumessung in das Ermessen von Richtern gestellt, was den internationalrechtlichen Grundsatz des „Nullum crimen, nulla poena sine lege“ verletzt. Ferner sollen nach Artikel 228 Versailler Vertrag die wegen einer gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges verstoßenden Handlung angeklagten Deutschen vor alliierte Militärgerichte gestellt werden,127 nicht wie bisher vor die jeweils zuständigen staatlichen Gerichte.

124 125 126 127

Grotius 1950, Vorrede, 40, S. 39. Crefeld 2001, S. 76. Hobbing 1919, S. 102. Ebd,, S. 102.

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1. Prolog

Mitte des 20. Jahrhunderts kommentiert dies der Völkerrechtler und sozialdemokratische Vizepräsident des deutschen Bundestages Prof. Dr. Carlo Schmid: Es ist interessant, daß die Moralisierung des Kriegsbegriffes, die auf Initiative der USA mit dem ersten Weltkrieg einsetzte, Friedensschlüsse produziert hat, die eher Gerichtsurteilen gleichen als Vereinbarungen über die Grundlegung des künftigen Verhältnisses der beteiligten Staaten. Auch der „Diktatfriede“ ist daraus entstanden: Mit einem Rechtsbrecher verhandelt man nicht; man spricht ihm sein Urteil.128

In der Rede des dem Briand-Kellogg-Pakt von 1928 namengebenden französischen Außenministers kommt die den neuen Kriegsbegriff auszeichnende moralische Gerechtigkeitsvorstellung erneut zum Ausdruck: Von nun an wird der Staat, der es wagen würde, die Verurteilung aller Paktunterzeichner herauszufordern, sich der sicheren Gefahr aussetzen, daß sich allmählich und freiwillig eine Art von allgemeiner Solidarität gegen ihn bildet, deren furchtbare Folgen er bald zu spüren bekäme.129

Daher stellt Carl Schmitt – der als der führende Staatsrechtslehrer der Weimarer Zeit, Kulturkritiker und Geschichtsphilosoph gilt130 – fest, daß [. . .] zur Totalität eines Krieges vor allem seine Gerechtigkeit gehört. Ohne sie wäre jeder Totalitätsanspruch ebenso eine leere Prätention, wie umgekehrt der gerechte Krieg großen Stils heute von selbst der totale Krieg ist. [. . .] Damit hat sich die Frage des gerechten Krieges in einer ganz anderen Weise erhoben, als sie von scholastischen Theologen oder von Hugo Grotius gemeint war.131

Über das „ius ad bellum“ monopolisierende und verschleiernde „System von Genf und Versailles“ und den moralisierenden Gerechtigkeitsbegriff schreibt Schmitt: Der Genfer Völkerbund hebt die Möglichkeit von Kriegen nicht auf, sowenig, wie er die Staaten aufhebt. Er führt neue Möglichkeiten von Kriegen ein, erlaubt Kriege, fördert Koalitionskriege und beseitigt eine Reihe von Hemmungen des Krieges dadurch, daß er gewisse Kriege legitimiert.132 [. . .] Was wir auf Grund unserer völkerwissenschaftlichen Betrachtung verneinen, ist nicht das Ziel einer wirklichen Völkergemeinschaft, sondern nur eine bestimmte durch ihre unklare und unwirkliche Vermengung von Genfer Völkerbund und universaler Weltordnung gekennzeichnete Methode. Deren Institutionalisierungen, Föderalisierungen und Konkretisierungen der Entscheidung über Recht und Unrecht eines Krieges halten wir für einen Irrweg. Sie sind für uns auch nicht etwa „besser als nichts“; sie stehen einer wirklichen Gemeinschaft der Völker schlimmer als nichts im Wege.133 128 129 130 131 132 133

Schmid 1959, S. 75 f. Zitiert nach Kastner 1999. Quaritsch 1995, S. 9. Ebd., S. 1 f. Schmitt 1927 P, S. 83. Schmitt 1988 DK, S. 52.

1.4 Kritiker und Erneuerer der Lehre des gerechten Krieges

29

Angesichts dieser Entwicklungen diagnostiziert Carl Schmitt: Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. [. . .] Der Staat als das Modell der politischen Einheit, der Staat als der Träger des erstaunlichsten aller Monopole, nämlich des Monopols der politischen Entscheidung, dieses Glanzstück europäischer Form und occidentalen Rationalismus, wird entthront. Aber seine Begriffe werden beibehalten.134

Schmitts pointierte Aussagen haben unter anderem Ausstrahlung auf die „Realistische Schule“ der Theorie der Internationalen Politik, in der sich die Ablehnung internationaler Organisationen als wirkungsvolle Friedensstifter wiederfindet.135 Aus diesen Gründen scheinen Schmitts Aussagen zur Erfassung des gegenwärtigen Kriegsbegriffs und der von den USA als handlungsunfähig charakterisierte Zustand des Sicherheitsrates von großer Bedeutung. Als ein Vertreter der verbreiteten und zunehmenden Strömung, die Lehre des gerechten Krieges den Bedingungen unserer Zeit anzupassen,136 gilt Michael Walzer, der „geachtetste politische Theoretiker der Vereinigten Staaten.“137 Michael Walzer wird 1937 in New York geboren. Nach Lehrtätigkeiten in Princeton und Harvard ist er von 1962 bis 1980 Professor für Politikwissenschaft am „Institute for Advanced Study“ (School of Social Science) an der „Princeton University“ in New Jersey und an der Harvard University. Seit 1990 ist er Professor auf Lebenszeit am „Institute for Advanced Study“ in Princeton. Die Wiederkehr der Lehre des gerechten Krieges sieht Walzer wie folgt begründet: In einem Krieg um „Herzen und Köpfe“, statt um Land und Ressourcen, wird Gerechtigkeit zum Schlüssel für den Sieg. Die Lehre des gerechten Krieges präsentierte sich wieder einmal als die weltliche Lehre, die sie auch ist. Und hier, so meine ich, liegt die tiefste Ursache für den heutigen Triumph der Lehre.138 [. . .] It was, for example, a matter of great importance to all of us in the American anti-war movement of the late 1980s and early 1970s that we found a moral doctrine ready at hand, a connected set of names and concepts that we all knew [. . .] Without this vocabulary, we could not have thought about the Vietnam war as we did.139

Außerdem, so Walzer, ist die Lehre des gerechten Krieges eine Lehre „radikaler Verantwortung“, 134 135 136 137 138 139

Schmitt 1996 BdP, S. 10. Vgl. Noack 1993, S. 286. Grewe 1988, S. 788. Nachwort von Otto Kallscheuer in Walzer 2003, S. 182. Walzer 2003, S. 37. Walzer 2000, Preface, S. XVII f.

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1. Prolog

[. . .] denn sie hält politische und militärische Führer zuerst für das Wohlergehen ihres eigenen Volkes, dann aber auch für das der Männer und Frauen auf der anderen Seite für verantwortlich. Ihre Befürworter widersetzen sich denen, die nicht realistisch über die Verteidigung ihres eigenen Landes nachdenken, und auch jenen, die die Menschlichkeit ihrer Gegner nicht anerkennen wollen. Sie betonen, daß es Dinge gibt, die selbst seinem Feind anzutun moralisch verboten ist. Sie bestehen aber auch darauf, daß kämpfen an sich nicht moralisch verboten sein kann.140

Walzer plädiert in seinen Werken für eine Ethik der Kriegführung, die Begrenzung von Kriegszielen und für grundlegende Schutznormen für Nicht-Kombattanten. Ein Think-Tank namens „American Values“, dem Walzer angehört, führt diesen Sachverhalt in Rezipierung der klassischen Kriterien des gerechten Krieges näher aus: The just war tradition, developed over a period of 1500 years, says that ethical standards can and should be applied to the activity of war. The ends of war, and the means deployed to achieve them, must be based on justice. [. . .] These include rightful cause, proper authority, the intention to pursue peace and justice, and the use of force only after other reasonable alternatives have been considered and found wanting. These ideas also set forth the requirements for waging war justly, including proportionality of response and a clearly positive balance of benefits over costs.141

Doch Walzer konstatiert auch Grenzen der Theorie des gerechten Krieges: Die Medien sind allgegenwärtig, und die ganze Welt schaut zu. Unter diesen Bedingungen kann Krieg nicht mehr dasselbe sein. Bedeutet das aber, daß er gerechter sein muß, oder nur, daß er gerechter aussehen muß?142 [. . .] When U.S. soldiers went into Grenada and Panama in the 1980s, the brief engagement were remarkably similar to nineteenth- and early twentieth-century colonial skirmishes. [. . .] The idea of „humanitarian intervention“ has been in the textbooks of international law for a long time. [. . .] Ever since the Spaniards conquered Mexico in order to stop the Aztec practice of human sacrifice (among other reasons), the term has evoked mostly sarcastic comments.143

So wird im Folgenden mittels der hier kurz vorgestellten Denker und ihrer Theorien das Netz geknüpft werden, mit dem sich der Kriegsbegriff der „Operation Iraqi Freedom“ einfangen läßt.

140 141 142 143

Walzer 2003, S. 42. American Values 2002b, S. 1. Walzer 2003, S. 39. Walzer 2000, Preface to the third edition, S. XI.

2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg 2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung 2.1.1 „Quis iudicabit“ – Vereinigte Staaten oder Vereinte Nationen? Die Lehre des gerechten Krieges sieht in ihrem ersten Kriterium, der „auctoritas princeps“, vor, daß das Recht zum Krieg nur jenen Gewalten zustehen möge, die keinen Richter über sich haben, also keinem übergeordneten Staatsverband angehören.1 Doch Artikel 2, 4 der UN-Charta schränkt die Möglichkeit der legitimen Gewalten, der Staaten, hinsichtlich des „ius ad bellum“ ein, man könnte zugespitzt gar von einem „ius contra bellum“ sprechen: Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

Dieses Gewaltverbot ist von keinem Staat je in Frage gestellt worden, weswegen man sich beim Einsatz bewaffneter Gewalt auf die beiden Ausnahmen dieses kategorischen Verbotes beruft. Dies ist zum einen das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht (Artikel 51 UN-Charta), das gilt, bis der Sicherheitsrat eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung feststellt (Artikel 39 UN-Charta) und die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen trifft (Artikel 40 ff. UN-Charta). Eine weitere Ausnahme ist die vom Sicherheitsrat autorisierte Gewaltanwendung (Artikel 42 ff. UNCharta), die aber auch als schwerwiegender Eingriff in die Staatensouveränität gesehen wird. Als maßgebliches Gremium trägt der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und die internationale Sicherheit (Artikel 24, Absatz 1 UN-Charta). In Kapitel VII der UN-Charta wird dem Sicherheitsrat die Befugnis eingeräumt, über das Vorliegen einer Friedens1

Vgl. Schneider 2000, S. 56.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

bedrohung, eines Friedensbruches oder einer Angriffshandlung zu entscheiden und bei Bedarf Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, wobei der Sicherheitsrat einen Staat als Angreifer zu bezeichnen vermag, unabhängig davon, ob der bewaffnete Konflikt als Krieg deklariert wurde. Der Sicherheitsrat kann des weiteren dritten Staaten, die nicht angegriffen worden sind, das Recht zum militärischen Handeln geben, da der Sicherheitsrat selbst keine nach Artikel 43 UN-Charta zuständige „Peace keeping Force“ zur Durchsetzung des Gewaltverbotes besitzt,2 wobei die Durchführung militärischer Zwangsmaßnahmen dann weitgehend bei den Staaten liegt, die die stärksten Truppenkontingente stellen.3 Nach den Anschlägen in New York am 11. September 2001 stellt der Sicherheitsrat in den Resolutionen 1368 und 1373 eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch die Terroranschläge fest, was das in Kapitel VII der UN-Charta niedergelegte Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung auslöst und alle Staaten dazu aufruft, „dringend zusammenzuarbeiten, um die Täter, Drahtzieher und Förderer dieser terroristischen Anschläge vor Gericht zu bringen.“4 Der von der US-Administration als Bedrohung des Friedens und Hort des Terrorismus aufgefaßte Irak veranlaßt den Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, im Laufe des Jahres 2002 zu folgenden Aussagen: I want to take a few minutes to discuss a grave threat to peace, and America’s determination to lead the world in confronting that threat. The threat comes from Iraq. It arises directly from the Iraqi regime’s own actions – its history of aggression and its drive toward an arsenal of terror. [. . .] It is seeking nuclear weapons. It has given shelter and support to terrorism, and practices terror against its own people. The entire world has witnessed Iraq’s eleven-year history of defiance, deception and bad faith. [. . .] Terror cells and outlaw regimes building weapons of mass destruction are different faces of the same evil.5 [. . .] As Americans, we want peace – we work and sacrifice for peace. But there can be no peace if our security depends on the will and whims of a ruthless and aggressive dictator.6 2 So werden im zweiten Golfkrieg nach herrschender Meinung die UN-Mitgliedsländer durch die Resolution 678 autorisiert, „to restore peace and international security in the area“, alle ihnen notwendig erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen, um die völkerrechtswidrige Besetzung Kuwaits rückgängig zu machen und den „status quo ante“ wiederherzustellen. Die Anordnung militärischer Zwangsmaßnahmen auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta hängt daher von der Bereitschaft einzelner Staaten ab, der UNO entsprechende Truppenkontingente zur Verfügung zu stellen, vgl. Vad 1996, S. 67. 3 Resolution des Sicherheitsrates 678. 4 Zitiert nach Löw 2004, S. 547. 5 Bush 2002/10/07. 6 Bush 2002/10/07.

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

33

Diese Bedrohung aufgreifend fordert Bush im September 2002 vor der Generalversammlung der UNO den Sicherheitsrat zum baldigen Handeln auf: Iraq has answered a decade of U.N. demands with a decade of defiance. All the world now faces a test, and the United Nations a difficult and defining moment. Are Security Council resolutions to be honoured an enforced, or cast aside without consequence? Will the United Nations serve the purpose of its founding, or will it be irrelevant? [. . .] If the Iraqi regime wishes peace, it will immediately and unconditionally forswear, disclose, and remove or destroy all weapons of mass destruction, long-range missiles, and all related material. If the Iraqi regime wishes peace, it will immediately end all support for terrorism and act to suppress it, as all states are required to do by U.N. Security Council resolutions. If the Iraqi regime wishes peace, it will cease persecution of its civilian population, including Shi’a, Sunnis, Kurds, Turkomans, and others, again as required by Security Council resolutions. If the Iraqi regime wishes peace, it will release or account for all Gulf War personnel whose fate is still unknown. It will return the remains of any who are deceased, return stolen property, accept liability for losses resulting from the invasion of Kuwait, and fully cooperate with international efforts to resolve these issues, as required by Security Council resolutions. If the Iraqi regime wishes peace, it will immediately end all illicit trade outside the oil-for-food program. It will accept U.N. administration of funds from that program, to ensure that the money is used fairly and promptly for the benefit of the Iraqi people. If all these steps are taken, it will signal a new openness and accountability in Iraq. And it could open the prospect of the United Nations helping to build a government that represents all Iraqis – a government based on respect for human rights, economic liberty, and internationally supervised elections.7

Der amerikanische Kongreß gibt Bush aufgrund der wohl unmittelbaren bedrohlichen Lage am 2. Oktober 2002 mit der Joint Resolution 46 Rükkendeckung: The President is authorized to use the Armed Forces of the United States as he determines to be necessary and appropriate in order to (1) defend the national security of the United States against the continuing threat posed by Iraq; and (2) enforce all relevant United Nations Security Council Resolutions regarding Iraq.8

Die Sicherheitsratsresolution 1441 vom 8. November 2002, die vom Irak bedingungslos angenommen wurde, versucht noch einmal, den Frieden in der Region im Rahmen des Systems kollektiver Sicherheit zu erhalten. In dieser Resolution wird mißbilligt, daß die in den vorausgegangenen Resolutionen geforderte internationale Überwachung, Inspektion und Verifikation von Massenvernichtungswaffen und ballistischen Flugkörpern seit Dezember 1998 nicht mehr stattgefunden habe, daß die Regierung des Irak ihren Verpflichtungen, den Terrorismus und die Beendigung der Unterdrückung 7 8

Bush 2002/09/12. KJR 2002/10/02.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

der Zivilbevölkerung betreffend, nicht nachgekommen sei.9 Bei weiteren schwerwiegenden Verletzungen der Duldungs- und Offenbarungspflichten drohen dem Irak „serious consequences“, über deren Art und Auslegung Unklarheit besteht. Viele Staaten und Völkerrechtler sind der Ansicht, daß über die „serious consequences“ nur der Sicherheitsrat zu entscheiden hätte,10 weil weder die Gewaltanwendung nach Kapitel VII noch ein Staat zu militärischen Sanktionsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat konkret autorisiert würde. Von amerikanischer Seite wird dagegen geltend gemacht, daß sprachliche Hinweise der Resolution 1441 auf einen fortgeltenden Automatismus der Resolutionen 67811 und 68812 schließen lassen und damit eine Gewaltanwendung legitimieren. Eine einvernehmliche Einschätzung der Berichte des Vorsitzenden der UN-Waffen-Inspektoren und des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde scheitert. Da die USA eine Lähmung des Sicherheitsrates befürchten, stellt US-Präsident Bush drei Tage vor dem Waffengang gegen den Irak als nunmehr bevollmächtigter „Anwalt von Recht und Gerechtigkeit“13 fest: The United States of America have the sovereign authority to use force in assuring its own national security. That duty falls to me, as commander-in-Chief, by the oath I have sworn, by the oath I will keep. Recognizing the threat to our country, the United States Congress voted overwhelmingly last year to support the use of force against Iraq. [. . .] The United Nations Security council has not lived up to its responsibilities, so the will rise to ours.14

Die Vereinigten Staaten berufen sich unter anderem auf Artikel 51 UNCharta, das Recht auf Selbstverteidigung gegen unmittelbare terroristische 9

Vgl. Steinkamm 2003/05/16. Der Münchner Völkerrechtler Armin Steinkamm hält die Resolution 1441 für einen Waffengang unter der Vorbedingung für ausreichend, daß der Sicherheitsrat die nicht uneingeschränkte Kooperation des Irak mit den Waffeninspekteuren feststellt. 10 So Riklin 2003/03/23, S. 3; Simma 2003/01/27; Blumenwitz 2003b, S. 13. 11 Zur Wiederherstellung Kuwaits autorisiert die Resolution „Member States [. . .] to restore international peace and security in the area“. 12 „Gravely concerned by the repression of the Iraqi civilian population [. . .] which led to a flow of refugees [. . .] which threaten international peace and security in the region.“ 13 In diesem Sinne Beestermöller 2003c, S. 69: „In particular, the President of the United States is advancing for his country the claim to be the advocate and promoter of justive in international relations by announcing itself to be authorized to assess whether the Security Council has forfeited its monopoly of legitimising force and that therefore the United States can mandate itself on behalf of world public opinion in a subsidiary manner to wage war with such authority as originally rested with the Security Council.“ 14 Bush 2003/03/17.

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

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Anschläge und auf das Recht auf präventive Selbstverteidigung, mit dem Hinweis, daß eine derartige Gewaltanwendung nicht das Gewaltverbot der UN-Charta verletze, da sie sich nicht gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit eines Staates (Artikel 2, Absatz 4 UN-Charta) richte.15 Bei einem nicht militärischen, subversiven „act of aggression“, wofür sich der Irak durch die Unterstützung von Terroristen und der Produktion von Massenvernichtungswaffen womöglich zu verantworten hätte, kann gemäß Artikel 39 UN-Charta aber allein der Sicherheitsrat feststellen, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt, und Maßnahmen beschließen bzw. mandatieren, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wahren oder wiederherstellen. Es bleibt dennoch zu berücksichtigen, daß die Weiterentwicklung moderner Massenvernichtungswaffen, die aufgrund ihrer Schnelligkeit und Reichweite zu einer maximalen Koinzidenz von Angriff und Verteidigung beziehungsweise Gegenangriff führen müssen, die Kluft zwischen vorgreifendem Militärschlag und Prävention verringert haben, so daß kaum noch ein strategischer Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung besteht.16 Die amerikanische „National Security Strategy“ vom September 2002 und US-Präsident Bush sehen für diesen Fall vor: To forestall or prevent such hostile acts by our adversaries, the United States will, if necessary, act preemtively. The United States will not use force in all cases to preempt emerging threats, nor should nations use pre-emption as a pretext for aggression.17 [. . .] America will act against such emerging threats before they are fully formed.18 [. . .] We recognize that our best defense is a good offense.19 [. . .] In leading the campaign against terrorism, we are forging new, productive international relationships and redefining existing ones in ways that meet the challenges of the twenty-first-century. [. . .] The alliance [NATO] must be able to act wherever our interests are threatened, creating coalitions under NATO’s own mandate, as well as contributing to mission-based coalitions.20

Hier unterscheiden die Vereinigten Staaten zwischen „preventive“ und „pre-emptive selfdefense“: Während erstere die vom geltenden Völkerrecht nicht gedeckte militärische Aktion gegenüber nicht unmittelbar bevorstehenden oder nicht beweisbaren Bedrohungen ist, soll letztere die in einer unverschuldeten Notlage erlaubte Selbstverteidigung sein.21 Folglich könn15 16 17 18 19 20 21

Vgl. Beestermöller 2003a, S. 18. Vgl. Walzer 2003, S. 175. NSS 2002, Kapitel V, S. 15. NSS 2002, Vorwort des Präsidenten, S. 2. NSS 2002, III, S. 6 f. NSS 2002. VIII, S. 25. Vgl. Blumenwitz 2003a, S. 314.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

ten die Vereinigten Staaten die Rechtsfigur des Notstands für sich beanspruchen, wonach ein Verstoß gegen das Völkerrecht ausgeschlossen ist, wenn eine Handlung die einzige Möglichkeit ist, ein wesentliches Interesse, wie es die Selbstverteidigung darstellt, gegen eine schwere und unmittelbare Gefahr zu bewahren, und sie nicht wesentliche Interessen eines Staates oder der Staatengemeinschaft beeinträchtigt.22 Sollten dennoch wesentliche Interessen eines Staates oder auch der Staatengemeinschaft durch die Notstandshandlung betroffen werden, so gilt nach Michael Walzer der „Utilitarismus des Ausnahmezustands“: [. . .] demzufolge Unschuld bei der Verfolgung des größten Gutes der größten Zahl nur ein gegen andere Werte abzuwägender Wert ist. [. . .] Der „äußerste Notfall“ bezeichnet solche seltenen Augenblicke, in denen der negative Wert, den wir der drohenden Katastrophe zuweisen – und den wir gar nicht anders als zuweisen können –, die Moral selbst abwertet und uns die Freiheit verleiht, alles militärisch Notwendige zu tun, um die Katastrophe abzuwenden.23

Analog zu Carl Schmitt suspendiert hier der Staat kraft seines Selbsterhaltungsrechtes das Völkerrecht,24 die beiden Elemente des Begriffes „Rechts-Ordnung“ treten einander gegenüber. Somit birgt der Ausnahmezustand als Apokalypse die Enthüllung des Souveräns, denn „in der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.“25 Nach Schmitt bedeutet die Souveränität des Rechts, des „nomos basileus“, ohnehin nur die Souveränität der Menschen, welche die Rechtsnormen setzen und handhaben:26 Denn ein Gesetz kann sich nicht selber anwenden, handhaben oder vollstrecken; es kann sich weder selbst interpretieren, noch definieren, noch sanktionieren; es kann auch nicht – ohne aufzuhören, eine Norm zu sein – selber die konkreten Menschen benennen oder ernennen, die es interpretieren und handhaben sollten.27

Die alles entscheidende Frage des „quis iudicabit?“28 darf gerade in einer „Rechtsordnung ohne zentrale vollziehende Gewalt und ohne obligatorische Gerichtsbarkeit“29, wie sie das UN-Völkerrecht darstellt, nicht außer acht gelassen werden. Denn „jede juristische Zurechnung ist eine Zurechnung 22

Ebd., S. 321. Walzer 2003, S. 64 ff. 24 Vgl. Schmitt 1993 VL, S. 109. 25 Schmitt 1996 PT, S. 21. 26 Vgl. Schmitt 1996 BdP, S. 66. 27 Schmitt 1993 ARD, S. 14. 28 Bodin, Hobbes und Pufendorf behandeln bereits diese Grundfrage, ob und wann der Souverän Gesetze ändern oder durchbrechen kann; „Die Frage, auf die es ankommt, ist immer: quis iudicabit.“, so Schmitt 1993 VL, S. 49. 29 Hillgruber 2003, S. 254. 23

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

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auf eine auctoritas hin oder benötigt die Zwischenschaltung einer qualifizierten auctoritas.“30 Folglich bedeutet Souveränität über den Vorraum (sicherheits-)politischer Macht31 die Erlangung der Definitions- und Interpretationshoheit über (völker-)rechtliche Begriffe, denn bei jenen entscheidenden Begriffen kommt es darauf an, [. . .] wer sie interpretiert, definiert und anwendet; wer durch die konkrete Entscheidung sagt, was Frieden, was Abrüstung, was Intervention, was öffentliche Ordnung und Sicherheit ist. Es ist eine der wichtigsten Erscheinungen im rechtlichen und geistigen Leben der Menschheit überhaupt, daß derjenige, der wahre Macht hat, auch von sich aus Begriffe und Worte zu bestimmen vermag. Caesar dominus et supra grammaticam: der Kaiser ist Herr auch über die Grammatik.32

Die Weltgeschichte scheint schon zu allen Zeiten ein Kampf um Worte und Begriffe zu sein,33 in dem der Sieger die rückwirkende Definition von Angriff und Verteidigung vornimmt,34 denn „klugen Menschen sind die Worte Rechenpfennige.“35 So werden auch eher die am „Status quo alter“ interessierten Mächte geneigt sein, sich auf Rechtsverfahren einzulassen, als diejenigen Mächte, die sich durch den Status quo beschwert fühlen.36 Dementsprechend ist die gegenwärtige internationale Ordnung durch eine „DreiKlassen-Gesellschaft“37 gekennzeichnet: a) Staaten, für die das Gewaltverbot der UN-Charta unbedingte Gültigkeit hat, b) Staaten, die Ausnahmen aufgrund ihres Status als Atommächte durchsetzen können, für die das UNSystem allenfalls eine „potestas imperfecta“ ist c) und Staaten, die die Definitionsmacht darüber besitzen, was als Ausnahme akzeptiert werden kann. Carl Schmitt notiert bereits im Jahre 1932: Solange ein Volk in der Sphäre des Politischen existiert, muß es, wenn auch nur für den extremsten Fall – über dessen Vorliegen es aber selbst entscheidet – die Unterscheidung von Freund und Feind selber bestimmen. Darin liegt das Wesen seiner politischen Existenz.38 Hat es nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zu dieser Unterscheidung, so hört es auf, politisch zu existieren [. . .] Diese Aufgabe übernehmen in einer solchen Lage andere Nationen und üben auf diese Weise politische Herrschaft aus.39 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Fueyo 2002, S. 215. Vgl. Schmitt 1994 MuM, S. 17. Schmitt 1932 VFI, S. 202. Vgl. Schmitt 1933 RSB, S. 218. Lutz 2003, S. 126. Hobbes 1965, S. 26. Schmid 1959, S. 92. Vgl. Münkler 2003b, S. 134. Schmitt 1996 BdP, S. 50. Ebd., S. 53.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

Vier Jahre vor Schmitts Feststellung faßt den Sachverhalt der amerikanische Vorbehalt zum Briand-Kellogg-Pakt von 1928 zusammen. Dieser verpflichtet ursprünglich die Signatarstaaten, „daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.“40 Doch die amerikanische Regierung ergänzt: Every nation is free at all times and regardless of treaty provisions to defend its territory from attack or invasion and it alone is competent to decide whether circumstances require recourse to war in self-defence. If it has a good case, the world will applaud and not condemn its action.41

Zwischen 1945 und 1990 haben die USA 52mal, Großbritannien 76mal, Frankreich 45mal und die Sowjetunion 42mal Militär als außenpolitisches Mittel eingesetzt – keineswegs stets vom Sicherheitsrat beauftragt.42 Der Sicherheitsrat kann faktisch der von einer Großmacht beanspruchten Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nicht widersprechen, da ein diesbezüglicher Beschluß am Vetorecht scheitern wird43 und demzufolge eine Anklage aufgrund des Verbrechens der Aggression gegen eines der Sicherheitsratsmitglieder unwahrscheinlich ist.44 Die meisten Vetos seit den sechziger Jahren haben die USA eingelegt, gefolgt von Großbritannien und Frankreich. Unter den Veto-berechtigten Sicherheitsratsmitgliedern ist indes kein Land, das islamisch geprägt ist. Es läßt sich offenbar nicht ausschließen, es ist vielmehr bewußt so konzipiert,45 daß der Sicherheitsrat weder in begründeten Fällen ein notwendiges Handeln unterläßt,46 noch eine Militäraktion sanktioniert, in der es nur um die Durchsetzung bestimmter Machtinteressen geht.47 Dadurch wird der Mißerfolg in der Konfliktlösung durch die UN „Teil des Systems“, so der langjährige Leiter der Friedensmission der UN in Afghanistan, Norbert Heinrich Holl.48 Wiederholen sich jedoch entsprechende Präzedenzfälle, so hat dies einen schleichenden Wandel der UN-Ordnung unter vermeintlicher Wahrung der Legalität zur Folge, der Krieg – „polemos panto¯n men pate¯r esti“49 – wird Schöpfer eines neuen, internationalen (Gewohnheits-)Rechts, einer neuen 40

Randelzhofer 1998, S. 487. Zitiert nach Blumenwitz 2003a, S. 318. 42 Uhle-Wettler 2001, S. 132. 43 Blumenwitz 2003a, S. 307. 44 Vgl. Ipsen 1999, S. 201. 45 In Analogie zu Donoso Cortes will die Staatengemeinschaft zwar „einen Gott, aber er soll nicht aktiv werden können; sie will einen Monarchen, aber er soll ohnmächtig sein,“ zitiert nach Schmitt 1996 PT, S. 64. 46 Vgl. Hillgruber 2003, S. 250. 47 Vgl. Beestermöller 2003a, S. 36. 48 Holl 2002, S. 33. 41

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

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Ordnung. Sind die USA daher Völkerrechts-Rebell, ein im Wortsinne „DenKrieg-wieder-Aufnehmender“,50 der das „zwischenstaatliche Fehdewesen“ und die Staatenanarchie wieder etabliert?51 Die Übertragung von Gehorsam und Gewalt ist unmittelbar an die Gegenleistung „Schutz“ gebunden.52 Handelt es sich dann bei der UNO um eine Institution, die Gehorsam verlangt, ohne schützen zu können, was bei sich ändernder Bedrohungslage eine notwendige „Refeudalisierung“ des internationalen Systems nahezu notwendig macht?53 Da der Einfluß der Vereinigten Staaten im Sicherheitsrat und ihre Mitwirkung auf das Völkerrecht zu schwinden scheint – dies wäre eine Erklärung für den Rückzug der USA aus manchen UN-Institutionen – bleibt den Vereinigten Staaten vielleicht gar nichts anderes übrig, als die vermeintliche Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates durch Umgehung des Völkerrechts zu kompensieren, um ihre Sicherheit zu wahren? 2.1.2 Kaiser, Papst oder Fürst? – die Lösung Vitorias Ähnlichen Herausforderungen, wie sie die UNO gegenwärtig bestehen muß, hatten sich die völkerrechtlichen Autoritäten der „respublica Christiana“ im 16. Jahrhundert – Kaiser und Papst – inmitten der sich etablierenden Staaten zu stellen. Das Papsttum mittelalterlicher Prägung verliert mehr und mehr seine übernationale und einigende Führerstellung, als Papst Clemens 1309 Avignon zum neuen Papstsitz wählt und die folgenden Päpste nur noch Wunschkandidaten des französischen Königs sind.54 Das ganze Mittelalter hindurch wogt der Kampf der Universalmächte um die die Kontinuität des „corpus morae et politicum“55 schaffende „auctoritas“, in der sich die Legitimität des politischen Ursprungs, der „Pathos der grundlegen49 Heraklit: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, zitiert nach Crefeld 2001, S. 318. 50 Vgl. Mayer-Tasch 1991, S. 15. 51 In diesem Sinne ist auch die anläßlich des Irak-Krieges aufgestellte Forderung von Gerhard Beestermöller zu verstehen. Beestermöller hält einen Waffengang ohne UN-Mandat, eine Selbstautorisierung, nur dann für legitim, wenn sie sich nach generalisierbaren Standards richtet und der Fortentwicklung des Völkerrechts dienlich ist, denn andernfalls etabliere sie wieder eine Staatenanarchie, vgl. Beestermöller 2003a, S. 64. 52 Vgl. Schmitt 1995 L, S. 127. 53 „If states in such cases were to be allowed to decide on the basis of partisan considerations when they wished to act against threats to the peace and when not to do so then this would precisely be, not an act of subsidiary enforcement of law but the return of the feudal system in international relations,“ Beestermöller 2003c, S. 70. 54 Vgl. Crefeld 1999, S. 76. 55 Hierzu Agamben 2002, S. 102.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

den Idee des Zusammenlebens“,56 als ein Kontinuum von Dauer und Tradition57 widerspiegelt. Der römische Papst beansprucht traditionell „auctoritas“, da jede Macht von Gott als dem Ursprung aller Dinge kommt, wie bereits der Brief von Gelasius I. an Kaiser Anastasius, der noch in Kirchenfragen oberster Gesetzgeber war, im Jahre 494 belegt: Zwei sind es, erhabener Kaiser, von denen in erster Linie diese Welt regiert wird, die geheiligte Autorität der Bischöfe und die königliche Gewalt. Von ihnen ist die Last der Bischöfe umso schwerer, als sie auch selbst für die Könige der Menschen vor Gottes Gericht Rechenschaft ablegen müssen. Denn ihr wißt es, allergnädigster Sohn: Wohl überragt Ihr an Würde das ganze Menschengeschlecht, dennoch beugt ihr fromm den Nacken vor den Verwaltern der göttlichen Dinge und erwartet von Ihnen die Mittel zum Seelenheil58

Der Kaiser steht hiernach geistlich unter, aber weltlich über der Kirche,59 seine Macht ist die „potestas“, die vom Volk abgeleitete Macht über die an die Magistratur übertragenen Befugnisse. Papst und Kaiser sind also „diversi ordines“,60 wobei der Kaiser als weltlicher Führer der Christenheit an der Spitze des Abendlandes steht und dem Papst nur bei Vakanz der höchsten weltlichen Instanz subsidiäre Gerichtsbarkeit zukommt.61 Doch in den 27 Thesen des „Dictatus papae“ von 1075 stellt Papst Gregor VII. klar, daß er der oberste Herr der Welt ist: „1. quod Romana ecclesia a solo Domino sit fundata. 2. quod solus Romanus pontifex iure dicatur universalis.“62 Innozenz III. (1160–1216) tat den entscheidenden Schritt und behauptete in einer Dekretale, daß die päpstliche Gerichtsbarkeit in allen Fällen Platz zu greifen habe, in denen ein Moment der Sünde in Betracht komme, ganz besonders aber dann, wenn es sich um ein Vergehen gegen den Frieden handele.63 Hier zeichnet sich bereits die „plenitudo potestatis“ ab, die unbe56

Fueyo 2002, S. 217. Schmitt 1993 VL, S. 75, Anm. 58 Mirbt 1895, S. 27. „Duo quippe sunt, imperatur auguste, quibus principaliter mundus hic regitur: auctoritas sacrata pontificum, et regalis potestas. In quibus tanto gravius est pondus sacerdotum, quanto etiam pro ipsis regibus hominum in divino reddituri sunt examine rationem. Nosti etenim, fili clementissime, quod licet praesideas humano generi dignitate, rerum tamen praesulibus divinarum devotus volla submittis, atque ab eis causas tuae salutis expectas.“ 59 Der Kaiser vermag innerhalb seiner Hoheit über die Temporalien der Reichskirchen die Regalienleihe vorzunehmen, womit der belehnte Bischof die Befugnis erhält, Regierungshandlungen vorzunehmen, Verfügungen zu treffen, die Vasallen des Stifts zu belehnen oder von ihnen den Treueid einzufordern, vgl. Baethgen 1920, S. 184 f. 60 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 30. 61 Vgl. Baethgen 1920, S. 172. 62 Mirbt 1895, S. 62. 63 Dekretale Novit: c. 13 X de iudiciis II, 1: „Licet autem hoc modo procedere valeamus super quodlibet criminali peccato [. . .] precipue tamen, quum contra 57

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

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grenzte Macht des Papstes, die analog zum Kairos das Ewige in das Zeitliche einbrechen läßt. Da „auctor“ derjenige ist, der die Tat eines anderen oder eine Rechtssituation vermehrt oder perfektioniert,64 ist der Kampf um die metarechtliche „auctoritas“ letztlich ein Ringen um diejenige Legitimierungskraft, die eine normativ-rechtliche „potestas“ suspendieren oder reaktivieren kann, und das nicht nur im Ausnahmefall des Krieges. Die „auctoritas“ ist das, was vom Recht bleibt, wenn das Recht vollständig suspendiert wird.65 Dies ist für die Beurteilung Vitorias bei der Auffindung der wahren und eigentlichen Titel, die der spanischen Landnahme in „Westindien“ zugrunde liegen, von großer Bedeutung, „denn da jene Barbaren – ich werde dies gleich ausführen – dem menschlichen Recht nicht unterworfen waren, dürfen ihre Angelegenheiten nicht auf der Grundlage menschlicher Gesetze“66 beurteilt werden. Den Titel kann demnach nur die wahre und eigentliche „auctoritas“ liefern. Vielleicht, nimmt Vitoria an, könnte der Kaiser Herr der Welt sein und damit den Titel für die Conquista liefern. Hierin kann er sich auf eine den Kaiser über den Papst erhöhende Argumentationslinie berufen, die von Kaiser Barbarossa,67 über Marsilius68 und Bartolus de Sassoferato69 bis zu dem Juristen Miguel de Ulzurrun – ein Zeitgenosse – reicht. Ulzurrun konstatiert 1525 in seinem Karl V. gewidmeten Buch, der Kaiser solle in weltlichen Angelegenheiten der Stellvertreter Gottes auf Erden sein, seine Gewalt sei ihm unmittelbar von Gott gegeben70 und nicht durch die Vermittlung des pacem peccatur, que est vinculum caritatis, de qua Christus specialiter precepit apostolis: in quamcunque domum intraveritis, primum diciate pax huic domui,“ zitiert nach Baethgen 1920, S. 219. 64 Agamben 2004, S. 90. 65 Ebd., S. 95. 66 Vitoria 1997 DI, S. 382 f. 67 Bereits im 12. Jahrhundert, als der Kaiser- und Reichsgedanke durch Friedrich Barbarossa und Otto von Freising als Fortsetzung des altrömischen Imperiums gedeutet wird, ist nicht mehr in erster Linie die Schwertgewalt der Kirche Inhalt des Kaisertums, vgl. Grewe 1988, S. 64. 68 Marsilius von Padua (1280–1343) erklärt in „Defensor pacis“, daß Kaiser und Papst vor Gott die Verantwortung für den Frieden haben, aber der Auftrag des Papstes nur geistlich zu verstehen sei. Seine Berufung auf die Gesetzgebungskompetenz des Volkes dient der Abwehr päpstlicher Machtansprüche und der Förderung des Kaisers, vgl. Mayer-Tasch 1991, S. 83. 69 Bartolus de Sassoferrato (1314–1357) leitet aus dem römischen Recht ab, daß der Kaiser de iure Herr der ganzen Welt sei, es aber de facto eine Vielzahl unabhängiger Königreiche und sonstiger weltlicher Gewalten gäbe – womit er gleichzeitig den Grund für die Rechtstheorie des Territorialstaates der Frühneuzeit legt, vgl. Grewe, S. 68.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

Papstes geschaffen.71 Doch Vitora richtet sich letztendlich gegen einen hierarchischen und unitären Universalismus des Kaisers und verwirft, daß die neuentdeckten Kolonialvölker automatisch dessen „subditi“ seien: Nach menschlichem Recht steht jedenfalls fest, daß der Kaiser nicht der Herr des Erdkreises ist. Er könnte es nur auf Grund eines Gesetzes sein. Ein solches Gesetz gibt es aber nicht. Wenn es ein solches Gesetz gäbe, so hätte es keine Kraft, weil das Gesetz eine Gesetzgebungsgewalt voraussetzt. Wenn vor Erlaß des Gesetzes der Kaiser eine Gesetzgebungsgewalt auf der Welt gehabt hat, so konnte ein solches Gesetz diejenigen nicht binden, die ihm nicht unterworfen waren. Wie feststeht, hat aber der Kaiser weder durch legitime Nachfolge noch durch Schenkung noch durch Tausch oder Kauf noch durch einen gerechten Krieg noch durch Wahl oder auf andere rechtmäßige Weise eine solche Gewalt. Daher war der Kaiser niemals Herr der Welt.72

Nun aber könnte der Papst Herr der Welt und damit berechtigt sein, so Vitoria, den Rechtstitel für die weltliche Landnahme zu liefern. Bernhard von Clairvaux (1090–1153) schreibt in diesem Sinne an an Papst Eugen III.: Wer dir das weltliche Schwert abstreitet, scheint mir das Wort des Herrn nicht genügsam zu beachten: Stecke Dein Schwert in die Scheide! [. . .] Würde nämlich das weltliche Schwert dich nichts angehen, so hätte der Herr, als die Apostel sagten: Hier sind zwei Schwerter!, nicht geantwortet: Es ist genug!, sondern: Es ist zuviel! Beide Schwerter gehören also der Kirche, das geistliche und das weltliche. Das weltliche soll für die Kirche, das geistliche von der Kirche gezogen werden, das eine von der Hand des Priesters, das andere von der Hand des Soldaten, aber doch auch auf den Wink des Priesters und auf Befehl des Kaisers.73

Dieser Argumentation folgen später beispielsweise Heinrich von Susa,74 Papst Innozenz IV.75 und Papst Bonifatius VIII.76. Die Unfehlbarkeit päpst70 Karl V. wurde von seinen Ministern mit „Sacra Caesarea Majestas“ angesprochen, Brandi 1979, S. 162. 71 Vgl. Höffner 1947, S. 36. 72 Vitoria 1952 DI, S. 57 f. 73 Zitiert nach Höffner 1947, S. 18. 74 Für Heinrich von Susa (1194–1271), Kardinal von Ostia, genannt Hostiensis, verfügt der Papst als Haupt der Kirche, Rechtsnachfolger des Römischen Reiches und Stellvertreter Christi, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben wurde, über die höchste Gewalt in geistlichen und weltlichen Belangen, vgl. Straub 1976, S. 37. 75 Für Innozenz IV. (1195–1254), den „Juristenpapst“, ist der Papst letztlich der Vertreter Gottes auf Erden. Er stellt ihn an das Ende einer Reihe von Vikaren, denen Gott die zu Anfang von ihm selbst gehandhabte ungeteilte Gewalt über Geistliches und Weltliches übertragen hat und die sich von Noah über die Patriarchen, Richter, Könige und Priester zu Christus und von da zu Petrus und seinen Nachfolgern erstreckt, vgl. Baethgen 1920, S. 178 f. Von Papst Innozenz IV., bei dem Hostiensis öfter weilte, stammt die kanonische Festlegung der rechtschöpferischen Gewalt des Papstes, der „potestas condendi canones“ als „iudex ordinarius“ auch über die Heiden und Juden sowie das Absetzungsrecht der Kaiser und aller anderen Personen, vgl. Dempf 1962, S. 443.

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

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licher Urteile – veritas facit legem – soll dem Papst in jedem Fall die Rolle des Schiedsrichters zukommen lassen.77 Ganz konkret auf den Fall der Entdeckungen der Neuen Welt anzuwenden wäre das „Constitutum Constantini“, das die Vergabe von Neuentdekkungen zugunsten des heiligen Vaters regelt, denn „in Iduaea, Graecia, Asia, Thracia, Africa et Italia vel diversis insulis nostram largitatem eis concessimus, ea prorsus ratione, ut per manus beatissimi patris nostri Silvestri pontificis successorumque eius omnia disponantur.“78 Doch Vitoria negiert und wendet sich gegen die Vertreter der Papalidee und die Kurialisten, der Papst sei [. . .] weder der staatliche noch der weltbürgerliche Herr des ganzen Erdkreises. [. . .] Wenn Christus, unser Herr, nicht die weltliche Gewalt gehabt hat, [. . .] so ist der Ansicht des heiligen Thomas zu folgen, daß der Papst sie noch viel weniger hat, der sein Stellvertreter ist. [. . .] Durch die Worte des Herrn an Petrus: „Weide meine Schafe“, wird genügend dargetan, daß es sich um die geistliche und nicht um die weltliche Macht handelt. Er zeigt damit, daß sie nicht auf der ganzen Erde vorhanden ist. Denn der Herr sagt selbst, daß erst am Ende der Zeiten „eine Herde und ein Hirt sein werde“. Daraus folgt in genügender Weise, daß in der Gegenwart noch nicht alle als Schafe derselben Herde angehören. [. . .] Angenommen, der Papst hätte eine solche weltliche Macht auf dem Erdkreis, so könnte er sie nicht den weltlichen Fürsten geben. Das geht daraus hervor, daß sie nicht notwendigerweise mit der päpstlichen Gewalt verknüpft wäre. Der Papst könnte dieses Recht nicht vom Amte des höchsten Priesters trennen und seine Nachfolger dieser Macht berauben, weil der nachfolgende Papst nicht weniger Rechte haben kann als der vorhergehende.79

Wenn aber weder Kaiser noch Papst Herren der Welt sind, so müßte aus der vitorianischen Argumentation gefolgert werden, dann würde damit auch die Grundlage der spanisch-portugiesischen Expansion vernichtet, nämlich das Edikt Papst Alexander VI. „Inter caetera divinae“ vom 4. Mai 1493.80 76 Die Bulle „Unam sanctam“ von 1302 sichert Papst Bonifatius VIII. die Gewalt beider Schwerter zu: „Uterque ergo est in potestate ecclesiae spiritalis scilicet gladius et materialis. Sed is quidem pro ecclesiae, ille vero ab ecclesia exercendus [. . .] Oportet autem gladium esse sub gladio et temporalem authoritatem spiritali subici potestati,“ Mirbt 1895, S. 89. 77 Vgl. Schneider 2000, S. 58. 78 Zimmermann 2000, S. 3. 79 Vitoria 1952 DI, S. 61 f. 80 „Unter anderen, der göttlichen Majestät wohlgefälligen und Uns am Herzen liegenden Werken ist dieses gewiß das wichtigste: daß in unserer Zeit vor allem der katholische Glaube und die christliche Religion gefördert und überall verbreitet und bestärkt werden; daß für das Heil der Seelen gesorgt werde, daß die barbarischen Völker unterworfen und zum wahren Glauben bekehrt werden. [. . .] Wir erkennen weiterhin, daß Ihr seit langem Eure ganze Seele und alle Eure Bemühungen diesem Zwecke gewidmet habt – wie es in unserer Zeit durch die Befreiung des Königs-

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

Doch Vitoria ergänzt, der Zweck der geistlichen Macht sei „die ewige Glückseligkeit, der Zweck der staatlichen Macht ist die politische Glückseligkeit. Daher steht die weltliche Macht unter der geistlichen.“81 Dem Papst steht also in denjenigen „zeitlichen Dingen und Königtümern“82 Macht zu, die „zur Ausübung der geistlichen Lenkung“83 nötig und für eine auf das ewige Heil hingeordnete Friedensordnung84 relevant sind.85 Da aber alle jene Barbaren nicht nur sündig sind, sondern sich auch außerhalb der Gnade befinden, so steht die Zurechtweisung und Leitung jener den Christen zu; ja es scheint sogar, daß sie hierzu verpflichtet sind. [. . .] Die Christen haben in den Ländern der Barbaren das Recht, zu predigen und das Evangelium zu verkünden.86 [. . .] Lehret alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.87

In diesem Sinne erklärt sich die Bedeutung der Bulle Alexander VI. als Lehensurkunde mit der Lehnspflicht der Missionierung – nicht aber als Schenkung –, was auch die lehnsrechtlichen Formeln der Urkunde „donamus, concedimus et assignamus“ untermauern.88 Es handelt sich also nicht um eine Teilung der Welt, sondern um ein Abkommen über die Teilung des Ozeans,89 also der Verkehrs- und Entdeckungsstraßen, die ein Hinausgreifen reichs Granada vom Joche der Sarazenen zur Ehre des Namens Gottes bezeugt ist; Wir fühlen Uns daher bewogen und halten es für Unsere Pflicht, Euch aus eigenem Willen und zu Euren Gunsten das zu gewähren, wodurch Ihr in die Lage versetzt werdet, mit täglich wachsender Kraft zur Ehre Gottes und für die Ausbreitung christlicher Herrschaft Euer heiliges und preiswürdiges, dem unsterblichen Gott so wohlgefälliges Werk fortzusetzen. [. . .] Weiterhin verbieten Wir bei Strafe der ipso facto eintretenden Exkommunikation latae sententiae für den Übertretungsfall jedermann, welchen Standes oder Grades, welcher Ordnung oder Stellung er auch immer sein möge, und sei er selbst kaiserlichen oder königlichen Ranges, es zu wagen, ohne Eure oder Eurer vorgenannten Erben und Nachfolger besondere Erlaubnis zum Zwecke des Handels oder aus irgendwelchen anderen Gründen zu jenen aufgefundenen oder aufzufindenden, entdeckten oder zu entdeckenden Inseln westlich oder südlich einer vom arktischen bis zum antarktischen Pol in einer. Entfernung von 100 Meilen westlich und südlich von einer der gemeinhin unter dem Namen Azoren und Cap Verden bekannten Inseln zu ziehende Linie – ohne Rücksicht darauf, ob die besagten Festländer oder Inseln in Richtung gen Indien oder in Richtung auf andere Weltgegenden aufgefunden sind oder noch aufgefunden werden – zu reisen,“ Delgado 1991, S. 68 ff. Im lat. Original Mirbt 1895, S. 107. 81 Vitoria 1952 DI, S. 63. 82 Vitoria 1997 DRC, S. 699. 83 Vitoria 1952 DI, S. 65. 84 Vitoria 1952 DJB, S. 159. 85 Hierzu Justenhoven 1991, S. 105. 86 Vitoria 1952 DI, S. 105. 87 Ebd., S. 19. 88 Vgl. Höffner 1947, S. 162 f. 89 Rein 1931, S. 89.

2.1 „Legitima auctoritas“ – die Berechtigung zur Kriegführung

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aus der im übertragenen Sinne „hermetischen Einfriedung“90 des „hortus conclusus“ der „respublica Christiana“ ermöglichen. Eine Regelung dieser Frage war unumgänglich geworden, da bereits seit 1341 die Kanarischen Inseln als Sprungbrett nach Afrika Streitobjekt zwischen Kastilien und Portugal waren, was erst 1479 im Vertrag von Alcáçovas zugunsten Spaniens abschließend geregelt werden konnte.91 Der Papst, so bestärkt Vitoria, kann ergo zu Recht [. . .] den Fürsten, die sich um eine Herrschaft streiten und sich deshalb in Kriege stürzen, ein Richter sein, über das Recht der Parteien entscheiden und einen Spruch erlassen, den die Fürsten anzunehmen verpflichtet sind, damit keine so großen geistigen Übel entstehen. [. . .] Aus diesem Grunde kann er manchmal Könige absetzen und auch neue einsetzen, wie es zuweilen geschehen ist. Kein wahrhaft gläubiger Christ wird diese Macht des Papstes leugnen.92

Für die Einhaltung des Vertrages beziehungsweise den Schutz vor „Konkurrenten“ – der Papst kann die Lehnspflicht der Missionierung für ein bestimmtes Gebiet nur „den Spaniern übertragen und allen anderen untersagen.“93 – sorgt die Androhung des Kirchenbannes, „excommunicatio latae sententiae“. Die Drohung des Kirchenbannes betrifft aber auch diejenigen Spanier, die den Lehnsvertrag durch mißliches Verhalten brechen, wie es beispielsweise ein kontraproduktives Missionierungsverhalten darstellt: „Nisi pacta servet excommunicator!“94 Der spanische Staat stiftet im 16. Jahrhundert – vielleicht auch aus diesen Gründen – etwa 70 000 Kirchen, 400 Klöster, Schulen und Universitäten in Südamerika.95 Mit der legitimen Beauftragung Spaniens besteht nun aber ein Rechtstitel zur Mission, der jedoch noch nicht zur Herrschaft berechtigt: Die göttliche Vorsehung hat gewollt, daß die Herrschaft der Welt nicht auf die gleiche Weise entstehen solle, wie Saul und David ihre Herrschaft von Gott emp90

Mayer-Tasch 1998b, S. 52. Vgl. Zöllner 1988, S. 92. 92 Vitoria 1952 DI, S. 65. 93 Vgl. Vitoria 1952 DI, S. 105. 94 Zitiert nach Grewe 1988, S. 117. 95 Vgl. Höffner 1947, S. 250. Das Verhältnis zwischen spanischem Königtum und Papst ist nämlich problematisch. Seit dem 14. Jahrhundert erheben die Könige von Aragon Abgaben auf den Klerus und engen die kirchliche Gerichtsbarkeit ein. Als Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien den Thron der vereinigten spanischen Reiche besteigen und Granada für die Christenheit zurückgewinnen, erhalten sie zwar den Ehrentitel „Los Reyes Cathólicos“, aber ihrem lexikographischen Motto „Eine Herrschaft – ein Reich – eine Religion“ gemäß, vereinheitlichen sie im Jahre 1486 trotz beträchtlicher Widerstände der Kurie die Inquisition und schaffen einen zentral für ihren gesamten Herrschaftsbereich zuständigen Generalinquisitor, vgl. hierzu Hassinger 1957, S. 9. 91

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

fangen hätten, sondern aus anderem Recht folgen solle, beispielsweise aus dem Rechte eines gerechten Krieges oder aus einem anderen Grund.96

Gerechte Kriege können aber nur diejenigen führen, die „Richter in eigenen Angelegenheiten [sind], weil sie keine höheren Richter über sich haben“97, die einem vollkommenen Gemeinwesen vorstehen, [. . .] das von sich aus ein Ganzes bildet, in dem kein Teil eines anderen Gemeinwesens liegt, das aber über eigene Gesetze, eine eigene Ratsversammlung sowie über eigene Beamte verfügt.98 [. . .] Daraus geht hervor, daß andere Prinzen oder Fürsten, welche nicht einen vollendeten Staat leiten, sondern nur Teile eines anderen Staates sind, den Krieg nicht erklären oder führen können.99

Interessanterweise stellt hier Vitoria nicht nur die weitreichende „potestas indirecta“100 des Papstes wieder her, sondern vereint in dem zur Mission ermächtigten Spanien die „auctoritas princeps“, König Carlos I., mit dem universalen Kaisertum, da Carlos I. als Karl V. Kaiser ist.101 Womit Karl V. faktisch doch der weltliche Herr der Welt wird, sofern er die vom Papst mandatierte Exekutivfunktion ordnungsgemäß erfüllt. Damit sind die traditionellen Grundlagen der „respublica Christiana“ in einer Zeit des Überganges vollständig wiederhergestellt.102 Vitoria negiert keinesfalls die völkerrechtlichen Autoritäten, die legitimierende und beauftragende „auctoritas“ des Papstes wie auch die exekutive „potestas“ des König/Kaisers. Die Vereinigten Staaten stellen ebenso weder die UNO in Gänze noch den Grundsatz des umfassenden Gewaltverbots in Frage. Doch ob eine Legitimation des Waffenganges schaffende Beauftragung durch die „Universalmacht Sicherheitsrat“ vorliegt, gilt zumindest als umstritten.103 96

Vitoria 1952 DI, S. 53. Ebd., S. 143. 98 Vitoria 1997 DJB, S. 553. 99 Vitoria 1952 DJB, S. 129. 100 Josef Soder hält Vitoria für einen „Bahnbrecher“ der Lehre der „Potestas indirecta in temporalibus“, vgl. Soder 1955, S. 49. Nach Vitoria formulierte Suárez: „Man unterscheidet sodann in der vorliegenden Frage gewöhnlich eine doppelte Unterordnung, nämlich die direkte und die indirekte. Direkt heißt jene, die innerhalb der Grenzen der gleichen Gewalt liegt; indirekt jene, die nur aus der Hinordnung auf ein höheres, einer übergeordneten und erhabeneren Gewalt zugeordnetes Ziel hervorgeht,“ Suárez 1965, defensio fidei, lib. 3 cap.5, S. 83. 101 In der päpstlichen „Ordnung der christlichen Könige“ von 1504 wird der französische König zwar an erster Stelle unter den christlichen Königen genannt, vor ihm aber steht noch der Repräsentant des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, vgl. Mayer-Tasch 2000b, S. 45. 102 Hier ist der Annahme zuzustimmen, daß die Rechtstitel des spanischen Völkerrechtszeitalters päpstliche Investitur und das Prinzip der frühesten Entdeckung sind, vgl. Grewe 1988, S. 300. 97

2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel

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Sollten die der US-Administration zugänglich gemachten Informationen tatsächlich auf eine Bedrohung der nationalen Sicherheit und zur Annahme eines Ausnahmezustandes, eines Notstandes, geführt haben, so könnte aufgrund der nicht zu jeder Zeit funktionierenden Mechanismen des Sicherheitsrates dennoch eine berechtigte Inanspruchnahme des „ius ad bellum“ vorliegen., was im Folgenden geprüft wird.

2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel Während im Kriterium der „auctorias princeps“ die überhaupt nur zur Kriegführung berechtigte „Stelle“ ermittelt wird, liefert der gerechte Grund als das zweite klassische Kriterium der Lehre des gerechten Krieges die entscheidende Legitimation für einen Waffengang. Bei der Erwägung der zu einem Waffengang berechtigenden Gründe, des erlittenen Unrechts,104 ist eine Abwägung vorzunehmen, denn zur [. . .] Kriegserklärung genügt nicht ein Unrecht jeder Art und jeder Größe.105 [. . .] Zu einem gerechten Krieg ist eine große Sorgfalt erforderlich, um die Gerechtigkeit und die Kriegsgründe zu prüfen und auch die Gründe des Gegners anzuhören, wenn sie nach Billigkeit und Gerechtigkeit verhandeln wollen.106 [. . .] Man muß verhindern, daß aus dem Kriege nicht größeres Übel hervorgeht als das, was durch denselben Krieg vermieden werden soll.107

Denn die Herstellung von Frieden und Sicherheit muß das höchste Ziel jeden Krieges sein, da nur Friede und Sicherheit des Gemeinwesens108 zu einem gedeihlichen Zustand und Wohl führen.109 Daher führt Vitoria auch 103 Die von amerikanischer Seite als Mandatierung verstandene Resolution 678 ist nach Meinung einiger Völkerrechtsgelehrter keine Grundlage für eine Selbstautorisierung, denn nur dem Sicherheitsrat obliegt die Feststellung eines Bruchs des Friedens bzw. die Festlegung der darauf aufbauenden Maßnahmen, der Bedingungen für einen Waffenstillstand und der Abrüstungsauflagen, vgl. Beestermöller 2003a, S. 22. 104 Vgl. Vitoria 1952 DJB, S. 131. Francisco Suárez in seinen 1621 posthum erschienen, aber bereits 1584 als Vorlesung gehaltenen Werk „De triplici virtute theologica, Fide, Spe et Charitate“ sehr konkret: „Kein Krieg kann gerecht sein, wenn nicht ein rechtmäßiger und zwingender Grund vorliegt. Diese These ist sicher und einsichtig. Dieser gerechte und hinreichende Grund ist aber ein erlittenes schweres Unrecht, das anders als durch einen Krieg nicht geahndet oder wiedergutgemacht werden kann,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 143. 105 Vgl. Vitoria 1952 DJB, S. 131. 106 Ebd., S. 137. 107 Ebd., S. 151. 108 Vitoria 1997 DJB, S. 547 f. 109 In diesem Sinne auch Gerhard Beestermöller, Direktor des bei Hamburg beheimateten Instituts für Theologie und Frieden. Beestermöller definiert in seiner

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

an: „Jemand für eine zukünftige Sünde zu töten, ist unerträglich. [. . .] Lasset das Unkraut wachsen; ihr könntet beim Sammeln des Unkrauts auch den Weizen mit ausreißen!“110 Kriegführung ist für Vitoria zulässig an erster Stelle zur Verteidigung des Lebens und der Habe, „zweitens zur Wiedererlangung der weggenommenen Sachen, drittens zur Ahndung des zugefügten Unrechts und viertens zur Herstellung des Friedens und der Sicherheit.“111 Zur Verfolgung und Ahndung von Unrechtstaten sind selbst Angriffskriege statthaft,112 denn es ist dem, [. . .] der einen gerechten Krieg führt, alles, was zur Erlangung des Friedens und der Sicherheit notwendig ist, erlaubt.113 [. . .] Nachdem der Sieg gewonnen ist, die Sachen zurückgegeben und Friede und Sicherheit wiederhergestellt sind, darf auch das von den Feinden zugefügte Unrecht geahndet und gegen die Feinde vorgegangen werden, um sie für dieses Unrecht zu bestrafen.114

Zusammengefaßt darf der Krieg nach Vitoria keine Schäden oder Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel (Verhältnismäßigkeit); zudem müssen sich die Mittel, die friedlich eine Konfliktlösung vorsehen, als undurchführbar erwiesen haben (ultima ratio). 2.2.1 Die Verteidigung des Lebens und der Habe Die die amerikanische Sicherheit bedrohende Annahme und damit die Selbstverteidigung implizierenden Vorwürfe gegen den Irak lauten zusammengefaßt: kantisch bestimmten Präliminarethik als friedensbedrohlichen Staat denjenigen, dessen öffentlich geäußerter Wille eine Maxime verrät, nach welcher, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht würde, kein Friedenszustand unter den Völkern ermöglicht, sondern der Naturzustand verewigt werden würde. Gegen einen solchen Staat ist vorzugehen, wenn dieser sich in seinem friedengefährdenden Verhalten qualitativ von allen anderen unterscheidet, oder wenn gegen alle jene, die Frieden in gleicher Weise verletzten, auch vorgegangen wird, vgl. Beestermöller 2003a, S. 68 ff. 110 Ebd., S. 153. 111 Vitoria 1952 DJB, S. 159. 112 In der Enzyklika „Pacem in Terris“ (1963) von Johannes XXIII. wird in Teil III/127 der Krieg nicht mehr als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte betrachtet. So hält beispielsweise nach der Aufgabe der Lehre des gerechten Krieges die deutsche Bischofskonferenz nurmehr eine „gerechte Verteidigung“ für statthaft im „Hinblick auf den Grenzfall einer fundamentalen Verteidigung des Lebens und der Freiheit der Völker, wenn diese in ihrer elementaren physischen und geistigen Substanz bedroht oder sogar verletzt werden,“ so in DBK 1995, S. 323. 113 Vitoria 1952 DJB, S. 133. 114 Ebd., S. 135.

2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel

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It is seeking nuclear weapons. It has given shelter and support to terrorism, and practices terror against its own people. The entire world has witnessed Iraq’s eleven-year history of defiance, deception and bad faith. [. . .] Terror cells and outlaw regimes building weapons of mass destruction are different faces of the same evil. [. . .] Saddam Hussein is a homicidal dictator who is addicted to weapons of mass destruction. [. . .] Saddam Hussein has held numerous meetings with Iraqi nuclear scientists, a group he calls his „nuclear mujahideen“ – his nuclear holy warriors.115

Bereits während der Kuba-Krise von 1962 wurden die Quarantäne-Maßnahmen der US-Regierung zum Teil damit begründet, daß eine die Selbstverteidigung rechtfertigende Situation vorliege, wenn ein feindlicher Nachbarstaat wie Kuba Atomwaffen erhalte.116 Durch die Weiterentwicklung von Trägerraketen und Massenvernichtungsmitteln muß heutzutage bereits eine Selbstverteidigungssituation vorliegen, wenn ein nicht benachtbarter Staat im Besitz von Massenvernichtungswaffen ist und diese auch gewillt ist einzusetzen.117 Dies gibt auch der amerikanische „Just-war-theory“-Spezialist John Langan SJ, Professor am Kennedy Institute of Ehtics der Georgetown University Washingtion, zu Bedenken: A requirement that we must wait until an attack has actually begun seems unrealistic in a time when missiles can deliver destructive payloads within minutes and when terrorists can launch attacks from unexpected directions which reach their targets as a nearly perfect surprise. Some have claimes that the mere possession of weapons of mass destruction by a rogue state or by a terrorist group constitutes an intolerable threat to the security of the United States or its allies; in this view it is even argued that possession should be regarded as equivalent to use

Scott Ritter, ehemaliger amerikanischer UN-Waffeninspekteur im Irak zwischen 1991 und 1998, stellt zutreffend fest, daß es sich bei Saddam Hussein und seiner Regierung um ein brutales Regime handle, „das seine Mißachtung des Völkerrechts und der Menschenrechte hinreichend demonstriert hat.“118 Immerhin hat der Irak im Krieg gegen den Iran als auch gegen die Kurden Massenvernichtungswaffen (MVW) eingesetzt.119 Offensichtlich macht angesichts dieser Gefahr eine Pflichtverletzung bei der Eindämmung dieser Gefahr seitens des UN-Sicherheitsrates, sei es durch ein Tun oder Unterlassen,120 eine Selbstautorisierung und die umfassende Rückschlagsdrohung geradezu lebensnotwendig, wie es auch US-Präsident Bush feststellt: 115 116 117 118 119 120

Bush 2002/10/07. Vgl. Grewe 1988, S. 786. Langan 2003, S. 52. Ritter 2003, S. 95. Vgl. Beestermöller 2003a, S. 15. Ebd., S. 60.

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We believe in the mission of the United States. One reason the U.N. was founded after the Second World War was to confront aggressive dictators, actively and early, before they can attack the innocent and destroy the peace.121 [. . .] Had we failed to act, Security Council resolutions on Iraq would have been revealed as empty threats, weakening the United Nations an encouraging defiance by dictators around the world.122 [. . .] To forestall or prevent such hostile acts by our adversaries, the United States will, if necessary, act preemtively.123 [. . .] The United States of America is withdrawing from this almost 30 year old treaty [ABM124]. I have concluded the ABM treaty hinders our government’s ability to develop ways to protect our people from future terrorist or rogue state missile attacks.125

Doch die Existenz wie auch die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen im Irak könnte für die Vereinigten Staaten kalkulierbar gewesen sein. Der damals stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz räumt im Mai 2003 gegenüber dem britischen Magazin „Vanity Fair“ ein, daß die Anmahnung irakischer Massenvernichtungswaffen im Irak in erster Linie politische Gründe hatte: The truth is that for reasons that have a lot to do with the U.S. government bureaucracy we settled on the one issue that everyone could agree on which was weapons of mass destruction as the core reason.126

US-Waffeninspekteur Scott Ritter ist bereits vor dem Waffengang im Irak davon überzeugt, daß der Irak 90 bis 95 Prozent seiner Massenvernichtungswaffen und auch die industrielle Infrastruktur zur Herstellung von Atomwaffen zerstört habe.127 Die für die Atomwaffenherstellung wichtigen Gaszentrifugenanlagen hätten nicht heimlich erneuert werden können, da sie aufgrund der entstehenden Hitze und der leicht ortbaren Gammastrahlung nicht unentdeckt geblieben wären.128 Versteckte Kampfstoffe würden aber binnen fünf Jahren unbrauchbar und würden zerfallen. Alle chemische Kampfstoffe produzierenden Fabriken wären 1998 gesprengt worden, als das letzte Inspektionsteam aufgrund nachrichtendienstlicher Aktivitäten einiger UNSCOM-Inspekteure seitens des Irak zum Abzug aufgefordert 121

Bush 2003/03/26. Bush 2004/01/20. 123 NSS 2002, Kapitel V, S. 15. 124 Bereits 1981 ziehen sich die USA nach der israelischen Bombardierung des irakischen Forschungsreaktors „Osiraq“ vorübergehend aus der Internationalen Atomenergieorganisation zurück, bis deren Direktor, der nachmalige Chefinspektor im Irak, Hans Blix, den USA versicherte, die Rechte Israels nicht zu beschränken, vgl. Siedschlag 2003, S. 294. 125 Bush 2001/12/13. 126 Zitiert nach Palm 2003/05/30. 127 Vgl. Ritter 2003, S. 41 ff. 128 Ebd., S. 46. 122

2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel

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wurde.129 Nach dem Abzug der Inspekteure greifen die USA und Großbritannien in der „Operation Desert Fox“ mit Kampfbombern und Marschflugkörpern etwa einhundert Ziele im Irak an,130 unter anderem vermutete Massenvernichtungslager. Ein Regime wie das des Irak, das nicht unbedingt für seine moralischen Vorbehalte in der Kriegführung bekannt ist und dessen Überlebenshoffnung angesichts des Waffenarsenals der Alliierten im Frühjahr 2003 deutlich beeinträchtigt hätte werden sollen, würde aber höchstwahrscheinlich nicht zögern, den eigenen Untergang mit einer größtmöglichen Zerstörung durch Massenvernichtungswaffen zu begleiten, was einen Kriegsgang auf Seiten der Alliierten enorm „verteuert“ hätte. Dementsprechend merkt John Langan an: If deterrence is a reasonably reliable means of preventing Saddam Hussein from engaging in hostile acts against his neighbors, then it is rash to conclude that his acquisition of weapons of mass destruction will lead to his using these weapons, unless of course our own hostility to him is so manifest and so intense that he concludes that he is bound to be destroyed in any event and so he might as well take as many Americans and Israelis with him as possible. Our threats may, contrary to our stated intentions, make the use of weapons of mass destructions more rather than less attractive to him.131

Die Vermutung einer nicht nachweislichen, aber potentiell möglichen Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an Terroristen132 sowie ein unmittelbar und gegenwärtig drohender Angriff des Irak auf die USA sind offensichtlich nicht präzise festzustellen gewesen.133 Aber „wegen eines zukünftigen Vergehens kann niemand bestraft werden, wenn er sonst nicht des Todes schuldig ist,“ so Francisco Suárez.134 Hugo Grotius ergänzt ein wenig später, zu einer Zeit, in der freilich weitreichende Atomwaffen noch nicht denkbar waren: Daß die Möglichkeit, Gewalt zu erleiden, schon das Recht, Gewalt zu gebrauchen, gebe, ist ohne allen gerechten Grund. Das menschliche Leben ist so, daß eine vollkommene Sicherheit niemals vorhanden ist.135 [. . .] Denn damit die Verteidigung gerecht ist, muß sie notwendig sein, wenn bei dem anderen nicht nur 129 Dies bewegt Missions-Chef Richard Butler wiederum, einseitig und ohne Informierung des Sicherheitsrates die Inspekteure abzuziehen, vgl. Ritter 2003, S. 75 ff. 130 Vgl. Münkler 2003b, S. 24. 131 Langan 2003, S. 53. 132 „Many of the details of the present situation are unknown even to specialists on Iraqi affairs and U.S. military planning,“ Langan 2003, S. 50. 133 So auch Steinkamm 2003/05/16. 134 Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 193. 135 Grotius 1950, 2., 1., XVII., S. 145.

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die Macht, sondern auch die Absicht vorliegt; und zwar muß diese Absicht mit solcher Gewißheit feststellbar sein, wie das in menschlichen Dingen überhaupt möglich ist.136

Der Think-Tank amerikanischer Intellektueller „American Values“ konkretisiert: Pre-emption can be morally justified only in rare circumstances – when the attack is likely to be imminent, the threat is grave, and preventive means other than war are unavailable. Expanding this narrow and exceptional option into a broad doctrine at the center of U.S. foreign policy is inconsistent with the just war tradition. [. . .] For example, the new doctrine might appear to license India in the use of force against Pakistan, with the intention of pre-empting the possibility of Pakistani action. [. . .] As long as our demand is Iraq’s compliance with United Nations-approved disarmament requirements stemming from that conflict, including requirements against developing, stockpiling or using weapons of mass destruction, the U.S. doesn’t need a new doctrine called pre-emption to justify an increased use of force. The relevant issue is enforcement, not pre-emption. [. . .] Specifically, there seems to be little or no credible evidence indicating that Iraq is about to launch an attack against the U.S. or any other country. Evidence of Iraq’s complicity in the attacks of September 11 appears so far to be thin and inconclusive. While Iraq’s government is certainly brutal and repressive, there is no evidence, so long as no-fly zones over Iraq are enforced, that Iraq’s government is currently in a position to engage in widespread killings of Kurds or Shiites living in Iraq.137

Nach wie vor ist Francisco de Vitorias Forderung aktuell, nach der „eine große Sorgfalt erforderlich [ist], um die Gerechtigkeit und die Kriegsgründe zu prüfen und auch die Gründe des Gegners anzuhören, wenn sie nach Billigkeit und Gerechtigkeit verhandeln wollen.“138 Darüber hinaus bedroht das „unilateral enforcement of the collective will“ nicht nur die konstitutiven Grundlagen der kollektiven Sicherheit,139 sondern kann auch in einer die möglichen präventiven und preemptiven Interventionen vorgreifenden Gegenproliferation und Rüstungsspirale resultieren. Das Recht auf Prävention könnte auch von anderen Staaten in Anspruch genommen werden.140 Bereits Suárez hatte vermerkt, daß es keinen Kriegsgrund gibt, „der ausschließlich christlichen Fürsten zukommt.“141 Die Vereinigten Staaten können sich auf einen weiteren gerechten Grund für die „Operation Iraqi Freedom“ berufen, einen, der bereits aus dem Namen der Operation hervorgeht: Die Befreiung des Irak von einem Tyrannen. 136 137 138 139 140 141

Grotius 1950, 2., 22., V., 1., S. S. 384. American Values 2002b, S. 2. Vitoria 1952 DJB, S. 137. Vgl. Blumenwitz 2003b, S. 13. Vgl. Rühl 2002. Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 159.

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2.2.2 Der Tyrann und die humanitäre Intervention Es könnte sich bei der „Operation Iraqi Freedom“ um eine humanitäre Intervention gegen einen Tyrannen zur Befreiung des irakischen Volkes handeln, denn US-Präsident Bush stellt fest: Throughout history, freedom has been threatened by war and terror; it has been challenged by the clashing wills of powerful states and the evil designs of tyrants.142 [. . .] We agree that the Iraqi dictator must not be permitted to threaten America and the world with horrible poisons and diseases and gases and atomic weapons. [. . .] This same tyrant has tried to dominate the Middle East, has invaded and brutally occupied a small neighbor, has struck others nations without warning, and holds an unrelenting hostility toward the United States. [. . .] The dictator of Iraq is a student of Stalin, using murder as a tool of terror and control, within his own cabinet, within his own army, and even within his own family.143 [. . .] This is a guy that cut the tongues out of dissidents and let them bleed in town squares.144 [. . .] Our victory will mean the end of a tyrant who rules by fear and torture.145 [. . .] and we will not stop until Saddam’s corrupt gang is gone.146 [. . .] the rule of one of history’s worst tyrants147 [. . .] Saddam Hussein can leave the country, if he’s interested in peace. You see, the decision is his to make.148

Schon im Zeitalter der Religionskriege wird die Intervention zum Schutz bedrängter Glaubensbrüder praktiziert, im 18. Jahrhundert gibt es dann die Intervention zur Erhaltung des politischen Gleichgewichts.149 Im 19. und 20. Jahrhundert schließlich erringt das Prinzip der „revolutionären Intervention“ zur Unterstützung der Völker, die sich von ihren „Tyrannen“ befreien wollten, an Bedeutung. Dessen Widerpart ist die „Legitimitätsintervention“, kraft derer die Heilige Allianz bei systemgefährdenden Verfassungsänderungen intervenieren will. Zur Abwehr einer solchen Legitimitätsintervention beschließen die USA übringens im Jahre 1832 die Monroe-Doktrin.150 Der Begriff der „humanitären Intervention“ kommt aus dem 19. Jahrhundert und wird in erster Linie als Recht von Einzelstaaten vor allem mit der Verteidigung individueller Freiheiten gegen Übergriffe durch andere Regierungen begründet.151 In der Gegenwart versteht man unter einer humanitären Intervention militärische Maßnahmen eines oder mehrerer Staaten zum 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151

NSS 2002, Vorwort des Präsidenten, S. 3. Bush 2002/10/07. Bush 2003/05/03. Bush 2003/03/31. Bush 2003/04/10. Bush 2003/05/03. MOT 2003/03/16. Vgl. Grewe 1988, S. 765. Schmid 1959, S. 82. Vgl. Grewe 1988, S. 765.

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Schutze von Bevölkerungsteilen eines anderen Staates vor Menschenrechtsverletzungen oder Völkermord, die – eine Mindermeinung verlangt dies nicht – vom Sicherheitsrat autorisiert worden sind.152 Davon abzugrenzen sind nun die Rettung eigener Staatsangehöriger von fremdem Territorium sowie Hilfsmaßnahmen humanitärer Organisationen. Trotz der in Artikel 1, Absatz 3, Artikel 55 und 56 der UN-Charta niedergelegten Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Förderung der Menschenrechte benennt die UN-Charta keine allgemeingültigen menschenrechtlichen Fundamentalnormen, die für eine humanitäre Intervention ausschlaggebend wären. Generell ist nach Artikel 2, Absatz 4 das Gewaltverbot und nach Artikel 2, Absatz 7 ein Interventionsverbot gegeben, das gewohnheitsrechtlich für die Beziehungen der Staaten untereinander gilt. Die humanitäre Intervention durch den Sicherheitsrat ist hingegen eine zulässig durchgeführte Zwangsmaßnahme nach Artikel 42 der UN-Charta zur Verwirklichung der erga omnes geltenden menschenrechtlichen Mindeststandards. Befürworter der humanitären Intervention ohne UN-Mandat sehen eine solche als zulässig an, wenn alle friedlichen Mittel zum Schutze der potentiellen Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Völkermord erfolglos geblieben sind, das UN-System nicht helfen konnte und der Einsatz bewaffneter Gewalt im Verhältnis zum Ziel der Rettungsaktionen steht.153 Es könne, so der Völkerrechtler Knut Ipsen, eine Gleichrangigkeit von Friedenswahrung, Schutz der Internationalen Sicherheit und Achtung der Menschenrechte innerhalb der Ziele der UN-Charta festgestellt werden, wobei in Ausnahmen der übergesetzliche Notstand gelte.154 Wenn der UN-Sicherheitsrat ein Eingreifen zum effektiven Schutz der elementaren Lebensinteressen von Volksgruppen oder ganzen Staaten verwehrt, muß die einseitige Prävention – ein Handeln „praeter intentionem legi“ – eine zulässige Option bleiben.155 Ambrosius von Mailand hatte bereits im vierten Jahrhundert festgestellt:„Wer nicht gegen das Unrecht, das seinem Nächsten droht, soweit er kann, kämpft, ist ebenso schuldig wie der, der es diesem antut.“156 In diesem Sinne argumentiert auch US-Präsident Bush: 152

Ipsen 1999, S. 942. Vgl. Ipsen 1999, S. 943. 154 Zitiert nach Schmidt 2002, S. 122. 155 Vgl. Herdegen 2004/01/12. So auch Armin Steinkamm: „Indessen kann auch die Zustimmung des Rats entbehrlich sein, wenn ein dem Völkerrecht nicht adäquates Veto eingelegt wird, wie dies zum Beispiel bei den Vetos von Rußland und China gegen die humanitäre Intervention der NATO im Kosovo-Konflikt gegen Serbien 1999 der Fall war,“ Steinkamm 2003/05/16. 153

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The lives of Iraqi citizens would improve dramatically if Saddam Hussein were no longer in power, just as the lives of Afghanistan’s citizen improved after the Taliban. [. . .] On Saddam Husseins’s orders, opponents have been decapitated, wives and mothers of political opponents have been systematically raped as a method of intimidation, and political prisoners have been forced to watch their own children being tortured. [. . .] America is a friend of the people of Iraq. Our demands are directed only at the regime that enslaves them and threatens us. When these demands are met, the first and greatest benefit will come to Iraqi men, women and children. The oppression of Kurds, Assyrians, Turkomans, Shi’a, sunnis and others will be lifted.157 [. . .] The Army special Forces define their mission in a motto „To liberate the oppressed“. Generations of men and women in uniform have served and sacrificed in this cause. Now the call of history has come once again to all in our military and to all in our coalition. We are answering that call. We have no ambition in Iraq except the liberation of its people.158

Der Think-Tank „American Values“ hat in seinem offenen Brief „What We’re Fighting For – A letter from America“, den mehr als 60 hochrangige Intellektuelle wie beispielsweise Amitai Etzioni, Samuel Freedman, Francis Fukuyama, Samuel Huntington und Michael Walzer unterzeichneten, festgestellt: The primary moral justification for war is to protect the innocent from certain harm. Augustine, whose early 5th century book, The City of God, is a seminal contribution to just war thinking, argues (echoing Socrates) that it is better for the Christian as an individual to suffer harm rather than to commit it. But is the morally responsible person also required, or even permitted, to make for other innocent persons a commitment to non-self-defense? For Augustine, and for the broader just war tradition, the answer is no. If one has compelling evidence that innocent people who are in no position to protect themselves will be grievously harmed unless coercive force is used to stop an aggressor, then the moral principle of love of neighbor calls us to the use of force.159 [. . .] We are united in our conviction – and are confident that all people of good will in the world will agree – that no appeal to the merits or demerits of specific foreign policies can ever justify, or even purport to make sense of, the mass slaughter of innocent persons.160 [. . .] We fight to defend ourselves, but we also believe that we fight to defend those universal principles of human rights and human dignity that are the best hope for humankind.161

In seinem Kommentar zur Summe des heiligen Thomas unterscheidet Vitoria zwei Arten tyrannischer Herrschaft. Zum einen handelt es sich um einen Tyrannen, der grundlos die Unterwerfung anderer Staaten zum Ziel 156 157 158 159 160 161

Zitiert nach Engelhardt 1980, S. 74. Bush 2002/10/07. Bush 2003/03/26. American Values 2002a, S. 7 ff. Ebd., S. 1. Ebd., S. 10, in diesem Sinne auch Walzer 2003, S. 71.

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hat, sich also dort zum Fürsten macht, wo er nicht durch Übereinkunft zum Regenten eingesetzt worden ist, zum anderen handelt es sich um einen Tyrannen, einen „hostis populi“, der den Staat zum eigenen Vorteil und nicht zum Vorteil des Staates verwaltet.162 Einen in diesem Sinne apostrophierten Befreiungskrieg führt zu Vitorias Zeit der Hidalgo Hernán Cortéz – unter der Schar der rohen Conquistadoren der wohl glänzendste und gebildetste.163 In seinen „cartas de relación de la conquista de Méxiko“ an Karl V., erschienen zwischen 1522 und 1532 in Sevilla, Toledo, Nürnberg und Köln,164 entwirft er mit Moteczuma das Bild eines ungerecht herrschenden Tyrannen, der seinen ohne ermächtigende Legitimation, ja gegen den Befehl des Adelantado von Kuba Diego Velázquez,165 geführten Krieg in Mexiko gegenüber Carlos I./Karl V. rechtfertigen soll. So sind die Indios der Provinz Cempoal nach Cortéz Darstellung [. . .] mit Gewalt und erst seit kurzem Untertanen jenes Herrn Moteczuma geworden, aber als sie durch mich Kenntnis von eurer Majestät und Dero großer Macht erhielten, verlangten Sie, Vasallen Eurer Hoheit und meine Freunde zu werden. Sie baten mich um Schutz gegen jenen großen Herrn, der sie mit Gewalt und Tyrannei unterdrücke und ihre Kinder raube, um sie zu schlachten und seinen Götzen zu opfern.166 [. . .] Der Kazike Olintetl nahm mich sehr freundlich auf. Nachdem ich ihm den Grund meiner Ankunft eröffnet hatte, fragte ich ihn, ob er Vasall von Moteczuma sei oder irgendeinem anderen Verbande angehöre. Darauf antwortete er verwundert: „Gibt es denn jemand, der nicht Vasall des Moteczuma ist?“167

Zum einen wird Moteczuma durch die Darlegung seiner umfassenden Herrschaft unterstellt, er wolle „señor del mundo“ sein,168 zum anderen gibt Cortéz gleich Begründungen für einen gerechten Krieg nach dem Muster einer humanitären Intervention: Die Verteidigung von frisch gewonnen Bundesgenossen Spaniens, die Befreiung der Provinzen eines Tyrannen, der seinen Idolen Menschen opfert, Unschuldige verfolgt und damit gegen das Naturrecht verstößt. Diesen zur Intervention berechtigenden Gründen 162

„Dies aber ist der Unterschied zwischen dem legitimen König und dem Tyrannen, weil der Tyrann seine Staatsregierung nach seinem eigenen Gutdünken und Vorteil einrichtet [. . .] dann heißt das, die Bürger zu Sklaven machen,“ Vitoria 1952 DJB, S. 131. Zur Unterscheidung von Tyrann „quoad exercitionem“ und Tyrann „quoad usurpationem“ vgl. auch Mayer-Tasch 2000b, S. 39. 163 So jedenfalls Rein 1931, S. 100. 164 Vgl. Lustig 1999/01/30, S. 2. 165 Vgl. Cortéz 1975, S. 27. 166 Cortéz 1975, S. 44. 167 Ebd., S. 49. 168 Vgl. Straub 1976, S. 58.

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scheint sich wenige Jahre nach Niederschrift der „cartas“ auch Vitoria in seinen Vorlesungen anzuschließen, denn er sieht scheinbar eine Berechtigung zur Intervention [. . .] in der Tyrannei der Herren selbst bei den Barbaren oder in ihren tyrannischen Gesetzen [. . .], welche den Unschuldigen Unrecht zufügen, z. B. weil sie unschuldige Menschen als Opfer darbringen oder Nichtverurteilte töten, um ihr Fleisch zu essen. Ich sage auch, daß ohne die Autorität des Papstes die Spanier die Barbaren von jedem ruchlosen Brauch oder jeder ruchlosen Gewohnheit abhalten können, weil sie die Unschuldigen vor dem ungerechten Tode bewahren können. Dies folgt daraus, weil „Gott jeden beauftragt hat, für seinen Nächsten zu sorgen“, und alle diese sind unsere Nächsten. Daher kann jeder Beliebige sie vor solcher Tyrannis und Unterdrückung befreien.169

Daraus wird in der Gegenwart häufig auf ein Interventionsrecht globalen Ausmaßes geschlossen. Das „Delikate“ dieser Vermutung erkennt J. B. Scott: „So, too, inhumane treatment meted out to the natives by their government might also constitute a just ground for intervention in native affairs by the Europeans, on the delicate and flexible plea of humanity.“170 Doch nicht jedes „inhumane treatment“ kann bei Vitoria eine Intervention rechtfertigen. Widersprüchliche, nach dem Muster scholastischer Erkenntnissuche getätigte Aussagen pflastern Vitorias Weg zu einer konkreteren Aussage. Für ein generell eher weit zu interpretierendes Interventionsrecht spricht, daß die christlichen Herrscher die Barbaren mit Krieg überziehen können, weil diese Menschenfleisch essen und Menschen opfern, denn, „[. . .] es ist erlaubt, einen Unschuldigen zu schützen, auch wenn er dies selbst nicht wünscht, ja auch wenn er sich dagegen ausspricht – vor allem, wenn er Unrecht leidet, in dem er sein Recht nicht abtreten kann.“171 Allerdings findet sich diese Aussagee unter der Überschrift „Welche Befugnisse die Herrscher [sic] gegenüber den Barbaren in zeitlichen und politischen Angelegenheiten haben“,172 behandelt daher eine Art Besatzungsrecht nach beendetem Krieg, was eine Erlaubnis zur Intervention doch stark einschränkt. Denn wenn die einheimischen [. . .] Herren selbst oder aber die Menge [. . .] die Bekehrung verhindern, indem sie die zu Christo Bekehrten töten oder auf andere Weise bestrafen oder andere durch Drohungen oder Terror abschrecken, [. . .] können die Spanier zugunsten derjenigen, welche unterdrückt werden und Unrecht erdulden, Krieg führen.173 169 170 171 172 173

Vitoria 1952 DI, S. 111. Scott 1939, S. 320. Vitoria 1997 DI, S. 503. Hierzu auch Höffner 1947, S. 259. Ebd., S. 489. Ebd., S. 107.

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Daß die Indianer einem anderen moralischen Kodex folgen als die Christen, ist außerdem für Vitoria kein Verurteilungsgrund, da ihre „Verirrungen“ aus ihrer Tradition resultieren:174 [Die] christlichen Fürsten können, auch unter der Autorität des Papstes, die Barbaren nicht abhalten, gegen das Naturgesetz Verstöße zu begehen und sie aus diesem Grunde nicht bestrafen,175 [. . .] weil sie nicht eindeutig davon überzeugt werden können, daß sie Schlechtes tun, und folglich können sie auf rechtlichem Wege nicht verurteilt werden. Und weil niemand bestraft werden kann, ohne verurteilt worden zu sein, können jene Leute von Sünden dieser Art aus jenem Grunde weder auf dem Kriegswege noch durch eine andere Form der Verfolgung abgebracht werden.176

Daher ist weder eine Intervention noch eine Bestrafung, auch keine privatrechtliche, statthaft, denn „die Todsünde verhindert noch nicht das Privateigentum und das wahre Herrschaftsrecht. [. . .] Der Unglaube ist kein Hindernis dafür, daß jedermann wahrer Herr ist.“177 Andererseits scheint sich eine Interventionspflicht gar aus folgender Sentenz Vitorias herzuleiten:178 Siebtens wird dies aus dem Zweck und dem Wohle des ganzen Erdkreises bewiesen. Kurz gesagt, die Welt kann sich nicht in einem glücklichen Zustand befinden, es wäre sogar die schlechteste Bedingung aller Dinge gegeben, wenn Tyrannen, Straßenräuber und Räuber ungestraft Unrecht zufügen und die Guten und Unschuldigen unterdrücken könnten, und es den Unschuldigen umgekehrt nicht gestattet wäre, gegen die Schädiger strafend vorzugehen.179

Doch findet sich diese Darlegung unter der Rubrik „Den Christen ist der Kriegsdienst und das Kriegführen erlaubt“ und will dies vielmehr anhand der Aufzählung der Ausnahmen im Sinne des von Cicero überlieferten Satzes „Pirata hostis generis humani“180 verdeutlichen. Bereits der für Vitorias Thesen relevante Thomas von Aquin widmet sich diesen besonders das Gemeinwesen Schädigenden: Ähnlicher Weise wäre auch, wann einer jemanden gegen dessen Willen in seinem Vermögen schädigt, das Tun größer als das Leiden, wenn ihm allein jener Vermögenswert entzogen würde: denn er selbst, der den andern geschädigt hat, litte in seinem Vermögen gar keinen Schaden. Deswegen wird er damit gestraft, daß er vielfältig zurückerstattet: denn er hat auch nicht bloß eine private Person 174 175 176 177 178 179 180

Vgl. Vitoria 1997 DT, S. 355. Vitoria 1952 DI, S. 85. Vitoria 1997 DT, S. 355. Vitoria 1952 DI, I, 6–7, S. 33 f. Vgl. hierzu Justenhoven 1991, S. 72 f. Vitoria 1952 DJB, S. 123. Vgl. Grewe 1988, S. 355.

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geschädigt, sondern den Staat, indem er die Sicherheit seines Schutzes durchbrochen hat.181

Zum anderen ist bei Vitoria ein Widerstandsrecht gegen den Tyrannen selbst für das versklavte Volk mit deutlichen Auflagen gespickt, was natürlich Folgen für ein eventuelles Interventionsgebahren benachbarter Fürsten hat: [. . .] daß die Gesetze, die dem Staate zukommen, verbindlich sind, selbst wenn sie von einem Tyrannen erlassen sind – nicht weil der Tyrann sie erlassen hat, sondern weil die Gemeinschaft ihnen zustimmt; es ist in der Tat sicherer, die von dem Tyrannen erlassenen Gesetze zu beobachten, als gesetzlos zu leben. Und sicher würde offensichtliches Unglück über den Staat kommen, der weder Urteile noch Rechtssprüche gegenüber Missetätern fällte, wenn Fürsten das Königreich besetzten, unter dem nichtigen Vorwand, der Tyrann sei kein rechtmäßiger Richter gewesen. Dies würde dann eintreten, wenn die Gesetze des Tyrannen nicht verpflichteten.182

Eine Lösung verspricht Vitorias Zitat unter der Rubrik „Bestrafung des ungerechten Feindes“, daß „die Fürsten nicht nur Gewalt gegen ihre Untertanen, sondern auch gegen Fremde haben, um sie von jedem Unrecht zwangsweise abzuhalten, und dies kraft Völkerrecht und im Namen der Autorität des ganzen Erdkreises.“183 Es handelt sich zwar wiederum um ein „Besatzungsreglement“ bzw. eine Äußerung gegen die „hostis generis humani“, doch mit Hilfe eines anderen Zitats läßt sich auf die Stellvertretung der „Autorität des ganzen Erdkreises“184 und damit die einzige Stelle schließen, die Interventionen legitimieren kann: Wenn zum Beispiel ein Krieg der Spanier gegen die Franzosen aus ansonsten gerechten Gründen unternommen und im übrigen für das Königreich der Spanier nützlich wäre, dennoch mit großen Übeln und Opfern für die Christenheit geführt wird, weil zum Beispiel die Türken in der Zwischenzeit christliche Provinzen erobern, dann wäre von einem derartigen Krieg abzulassen.185 181

Aquin 1985, II-II, q. 61, 4, 3, S. 289. de potestate civili, 12., zitiert nach Truyol 1947, S. 44. 183 Vitoria 1952 DJB, S. 135. 184 Meines Erachtens wird auch in folgendem Zitat durch das Wort „Welt“ auf die „Autorität des ganzen Erdkreises rekurriert, macht doch die Welt erst das Naturrecht und die es anzuwendende Instanz aus: „Wenn der Staat gegen die Seinen diese Macht besitzt, so besteht kein Zweifel, daß die Welt sie gegenüber irgendwelchen gefährlichen Menschen und Taugenichtsen ausüben kann, allerdings nur die Fürsten. Daher können die Fürsten die Feinde sicherlich bestrafen, welche dem Staate Unrecht zugefügt haben; und besonders die Feinde, welche dem Staate einen Schaden zugefügt haben; wenn der Krieg formgerecht und aus gerechtem Grunde unternommen worden ist, sind die Feinde dann genau wie ihrem eigenen Richter dem Fürsten unterworfen.“ Vitoria 1952 DJB, S. 135. 185 Zitiert nach Justenhoven 1991, S. 92. 182

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

Ein Krieg gegen die Christenheit oder ein Krieg unter Christen, der der gesamten Christenheit schadet, ist also eo ipso ungerecht, eine Sünde, ein Vergehen gegen den Frieden und muß damit den Papst und seine Schiedsgerichtsbarkeit ins Spiel bringen, der allein dazu befugt ist, Titel zur Mission oder Intervention zu vergeben.186 Vitoria schwebt kein Interventionsrecht jeden „Staates“ im Sinne „einer allgemein-humanitären Gewissenspflicht“ vor,187 denn für Vitoria als Moraltheologen gilt wie für Thomas, daß Moralität nicht primär Selbstvollzug von Freiheit, sondern Gesetzesgehorsam ist, wobei normative Vorgaben der Freiheit vorgeordnet, nicht aber nachgeordnet sind. Zunächst besteht nur eine Beauftragung der Spanier durch die „völkerrechtliche“ Autorität des Papstes zur gewaltfreien, humanitären Missionierung, mit dem Ziel, die „ordo naturalis“ durch den „orbis christianorum“ zu vollenden.188 Erst aus dem „Fehlverhalten“ der Indianer ergibt sich die militärische Intervention und der konkrete Rechtstitel der spanischen Conquista: Alles, was wir oben gesagt haben, wird auch dadurch bestätigt, daß die Gesandten nach dem Völkerrecht unverletzlich sind, und die Spanier die Abgesandten der Christen sind. Die Barbaren sind daher verpflichtet, sie wenigstens wohlwollend anzuhören und sie nicht zurückzuweisen.189 [. . .] Wenn die Barbaren, seien es die Herren selbst oder aber die Menge, die Spanier daran hindern, das Evangelium frei zu verkünden, so können die Spanier, nachdem sie sich zuerst mit Hilfe von Vernunftgründen bemüht haben, Ärgernis zu vermeiden, auch gegen ihren Willen predigen und sich Mühe geben, jene Völker zu bekehren, und, wenn es notwendig ist, deswegen Krieg beginnen und ihn ins Land tragen, bis sie die Möglichkeit und Sicherheit, das Evangelium zu verkünden, erreicht haben. Dieselbe Entscheidung hat zu gelten, wenn sie zwar das Predigen zulassen, aber die Bekehrung verhindern, indem sie die zu Christo Bekehrten töten oder auf andere Weise bestrafen oder andere durch Drohungen oder Terror abschrecken.190 [. . .] Es ist für sie [die Indianer] eine Notwendigkeit, um das ewige Heil zu erlangen, an Christum zu glauben und sich taufen zu lassen.“191

Die Spanier haben nicht nur ein naturrechtliches, sondern auch ein von der völkerrechtlichen Autorität verliehenes Recht [. . .] in jene Länder einzuwandern und sich dort niederzulassen, sofern sie das tun, ohne den Barbaren damit ein Unrecht zuzufügen, und sie können von ihnen nicht 186

Vgl. Truyol 1947, S. 74. Dies verneint auch Grewe 1988, S. 215. 188 Erst jetzt gilt die Aussage des spanischen Völkerrechtlers Antonio Truyol y Serra, daß bei Vitoria ein gerecht Kriegführender „im Auftrage der internationalen Gemeinschaft als Richter“ intervenieren dürfe, vgl. Truyol 1947, S. 52. 189 Vitoria 1952 DI, S. 103. 190 Ebd., S. 107. 191 Ebd., S. 79. 187

2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel

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daran gehindert werden. [. . .] Jeder konnte im Anfang des Bestehens der Erde, als alles für alle gemeinsam war, nach seinem Belieben in jedes beliebige Land wandern und umherreisen. [. . .] Es scheint daher, daß nach dem Naturrecht unter den Menschen ein Freundschaftsverhältnis besteht.192 [. . .] Wenn irgend etwas bei den Barbaren, sowohl den eigenen Bürgern wie den Fremden, gemeinsam ist, dann dürfen die Barbaren die Spanier nicht von der Gemeinschaft und Teilnahme daran ausschließen, [. . .] als die Christen dies gegen Christen könnten.193

Friedlicher Verkehr und wirtschaftlicher Austausch sollen die Missionierung fördern – nicht Unterdrückung und Krieg – und als Endziel die Eingliederung der Barbaren in die christliche Völkerfamilie ermöglichen. Dabei dürfen die Barbaren den Handel sogar mit Regelungen beschränken, die allerdings nicht weitergehender als die zwischen christlichen Staaten sein dürfen. Wird allerdings der Handel zu Unrecht durch die Barbaren beschwert oder gar durch Barbaren-Fürsten der für die Missionierung wichtige Handel mit den Spaniern verboten,194 [. . .] so fügen sie ihnen ein Unrecht zu. Wenn es daher zur Aufrechterhaltung des Völkerrechts notwendig ist, Krieg zu führen, so können sie dies zulässigerweise tun,195 [. . .] sie sowohl berauben, in Gefangenschaft abführen, ihre früheren Herren absetzen und auch neue einsetzen.196

In der Konsequenz handelt es sich also um eine von der völkerrechtlichen Autorität legitimierte „humanitäre Intervention“ zum Schutz eigener Bürger oder Christen im fremden „Staatsgebiet“. Dies ist unter anderem auch ein Beweggrund der Kreuzzüge, denn Papst Urban II. forderte im November 1095 während der Synode zu Clermont-Ferrand: „In aller Eile müßt ihr euren Brüdern, die im Orient leben, helfen, die eure Hilfe benötigen, wegen der sie schon mehrere Male aufgeschrieen haben.“197 Der Kreuzzug scheint damit Vorläufer der humanitären Intervention mit Mandat der völkerrechtlichen Autorität zu sein.198 Mißbräuchliche Behauptung einer „humanitären Intervention“ durch Provozierung eines bestimmten Verhal192

Ebd., S. 93 f. Ebd., S. 97. 194 Vgl. Ebd., S. 97. Hier bleibt sich Vitoria in seiner Argumentation nicht treu, denn wenn Beschränkungen statthaft sind, wie sie christliche Staaten untereinander praktizieren, dann dürfte auch eine am Handelsausschluß orientierte Beschwerung, wie sie beispielsweise der Vertrag von Tordesillas im Hinblick darauf vorsieht, erlaubt sein. 195 Ebd., S. 101. 196 Ebd., S. 103. 197 Zitiert nach Dendl 1999, S. 34. 198 Vgl. hierzu Beestermöller 2003b, der Bestandteile der „humanitären Intervention“ in der thomistischen „Summa“ nachweist. 193

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

tens des Gegners ist Vitoria bereits bekannt, denn die Spanier belassen es nicht bei freundlich-frommer Missionierung: Von Zeichen und Wundern oder von Beispielen religiösen Lebens hörte ich bisher noch nichts, sondern von vielen ärgerlichen und grausamen Handlungen und vieler Unfrömmigkeit. [. . .] Der Krieg ist [. . .] kein Beweismittel für die Wahrheit des christlichen Glaubens.199

Eine Variante der „humanitären Intervention“ findet sich in der Verquickung von „ius protectionis sociorum“ mit „ius interventionis contra tyrannos“: [. . .] wenn nämlich die Barbaren selbst untereinander legitime Kriege führen, so hat der Teil, der Unrecht erduldet hat, das Recht, Krieg zu führen und kann die Spanier zu Hilfe rufen [. . .] Es steht tatsächlich auch fest, daß, hauptsächlich auf diesen Grund gestützt, die Römer ihr Reich ausgedehnt haben, indem sie nämlich Hilfe für Bundesgenossen und Freunde gewährten und bei dieser Gelegenheit gerechte Kriege führten, wobei sie nach dem Kriegsrecht dadurch in den Besitz neuer Gebiete kamen.200

Hier, wo die Bezugnahme auf Cicero sich verdeutlicht, gilt der von Thomas zitierte Psalm 81,4: „Rettet den Armen und befreit den Dürftigen aus der Hand des Sünders.“201 Die Dürftigen sind insbesondere die bereits zum Christentum Bekehrten. Natürlich kann auch ein Volk bereits im Land befindliche Truppen einer Besatzungsmacht gegen eingesetzte oder weiterhin agierende Tyrannen-Fürsten um Hilfe ersuchen. Außerdem nennt Vitoria einen dritten „Sonderfall“ der Interventionslegitimation, den freiwilligen „Ruf“ nach Herrschaftsübernahme, eine Variation des zuvor genannten Interventionstyps. Wenn Völker [. . .] in eigener Erkenntnis der klugen Verwaltung und der Menschlichkeit der Spanier aus freien Stücken die Herrschaft des Königs von Spanien anerkennen wollten. [. . .] Denn ein jeder Staat kann sich seinen Herrn bestellen. Hierzu ist auch nicht die Zustimmung aller notwendig, sondern es dürfte die Zustimmung der Mehrheit reichen.202

50 Jahre nach Vitorias „relectiones“ erklärt Francisco Suárez, daß eine Intervention zugunsten eines Dritten nur möglich ist, wenn dieser [. . .] selbst rechtmäßig gegen das Unrecht einschreiten könnte und dies auch beabsichtigt. [. . .] Fehlt aber die Absicht des ungerecht Angegriffenen, dann kann sich kein Dritter in die Sache einmischen, weil der, der das Unrecht begangen hat, nicht dem Willen jedes Beliebigen unterworfen ist, sondern nur des Beleidigten. Daher ist die Meinung derer völlig falsch, die behaupten, die souveränen Könige 199 200 201 202

Vitoria 1952 DI, S. 81 f. Ebd., S. 113. Aquin 1985 II-II, q. 40, ebenso Vitoria DJB 1952, I, 2, S. 121. Vitoria 1952 DI, S. 113.

2.2 „Iusta causa“ – gerechte Gründe und Rechtstitel

63

hätten die Befugnis, jegliches Unrecht in der ganzen Welt zu bestrafen; so würde alle Ordnung und die Unterscheidung der Rechtsbereiche verwischt.203

Und Grotius erklärt, daß selbst „die Bundesgenossen zwar einer den anderen vor Unrecht zu schützen haben, aber nicht davor, daß die Bürger innerhalb eines verbündeten Staates einander kein Unrecht zufügen.“204 Für Kritiker der humanitären Intervention ist selbige überhaupt kein völkerrechtlich sanktioniertes Handeln, sondern das Gegenteil davon: Eine Intervention verstoße gegen das für die UN-Charta konstitutive Interventionsverbot und sei einer der Hauptgründe für Friedensbruch, Friedensgefährdung und Sicherheitsgefährdung, die der Sicherheitsrat feststelle.205 Gegebenenfalls sollen mit dem Hinweis, es handele sich um eine humanitäre Intervention, die nachteiligen Folgen der Deklaration eines Kriegszustands vermieden werden.206 Überhaupt würde die Rangordnung der UN-Charta mit der Ächtung von Krieg und Gewalt zwischen den Staaten an der Spitze und der darunter befindlichen Sicherung und Förderung der Menschenrechte – ein in erster Linie innerstaatliches Problem – umgekehrt werden.207 Es wäre nach wie vor umstritten, ob sich die Völkerrechtsgemeinschaft tatsächlich durch ein gemeinsames geistiges Band verbunden fühle und sich auf ein gemeinsames Fundament allgemein anerkannter sittlicher Normen und Werte gründen könne,208 aus denen sich wiederum globale Interventionsrichtlinien ergäben. Deswegen habe das moderne Völkerrecht Fragen der Gerechtigkeit von denen des legitimen Gewaltgebrauchs abgekoppelt.209 Den Schutz der Menschenrechte überall in der Welt mit Waffengewalt verteidigen zu wollen, wo sich diese Rechte noch nicht durchgesetzt haben, und damit den Menschenrechtsschutz über das Gewaltverbot zu stellen, hieße aber, das Recht bewußt gegen die Moral auszuspielen.210 Die Herstellung der Menschenrechte der einen durch die Verletzung der Menschenrechte der anderen sei eine „contradictio in adiecto“.211 Bereits Thomas von Aquin gibt zu bedenken: Der Herr hat befohlen, vom Ausreißen des Unkrauts abzusehen, damit der Weizen geschont wird, das sind die Guten. Das geschieht nun, wann die Bösen nicht getötet werden können, ohne daß zugleich auch die Guten getötet werden: entweder 203 204 205 206 207 208 209 210 211

Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 145. Grotius 1950, 1., 3., XXI, 6., S. 109. Vgl. Weber 1999/07/07, S. 4. Vgl. Pradetto 1999, S. 34. Paech 2000, S. 80. Kritisch hierzu Grewe 1988, S. 757. Vgl. Beestermöller 2003a, S. 33. Vgl. Pradetto 1999, S. 35. Vgl. Beestermöller 2003b, S. 161.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

weil sie unter den Guten verborgen sind oder weil sie viele Gefolgsleute haben, so daß sie ohne Gefahr für die Guten nicht aus der Welt geschafft werden können, wie Augustinus Contra Parmen (3,2) sagt. Darum lehrt der Herr, die Bösen eher leben zu lassen und die Strafvergeltung bis zum letzten Gericht zu verschieben, als daß die Guten zugleich getötet werden.212

Die humanitäre Intervention sei im doppelten Sinne asymmetrisch, denn sie setze ein allgemeines Machtgefälle aus Gründen der Erfolgsaussicht voraus.213 Die Bereitschaft der Staaten, in Konflikten zu intervenieren, bei denen ihre nationalen Interessen nicht oder kaum tangiert werden, sei nicht sehr hoch, was letztlich auch den Charakter der Mission präge und Michael Walzer ergänzen läßt: When crimes are being committed that „shock the moral conscience of mankind“, I argue, any state that can stop them, should stop them – or, at the very least, has the right to do so.214 [. . .] Clear examples of what is called „humanitarian intervention“ are very rare. Indeed, I have not found any, but only mixed cases where the humanitarian motive is one among several.215

Toni Blair behauptet: „Die UN-Menschenrechtserklärung ist ein schönes Dokument. Merkwürdig aber ist es, wie sehr die Vereinten Nationen sich dagegen sträuben, sie auch durchzusetzen.“216 Dabei hatte der Sicherheitsrat gerade in punkto Irak zum ersten Mal mit der Resolution 688 von 1999 durch die Einrichtung eines „Save Haven“ für die Kurden die interne Situation eines Staates zum Anlaß genommen, das absolute Prinzip der Nichteinmischung in interne Angelegenheiten eines Staates gem. Artikel 2, Absatz 7 UN-Charta zu durchbrechen.217 Wer die humanitäre Intervention als Nothilfe ohne Mandat, selbst bei einer Ablehnung des Sicherheitsrates, fordere,218 der entziehe dem Sicherheitsrat den Status einer Rechtsinstitution und damit der Nothilfe ihre rechtliche Basis,219 so Otfried Höffe, da diese in Analogie zur innerstaatlichen Verfahrensweise immer einer nachträglichen Rechtsüberprüfung unterliegen müsse: „Polizei“ heißt nämlich eine Zwangsmacht, die im Namen einer öffentlichen Gewalt und nach strengen Regeln einer vorgegebenen Rechtsordnung agiert und ge212

Aquin 1985, II-II, q.64, 2, S. 302. Schmidt 1995, S. 3. 214 Walzer 2000, Preface to the third edition, S. XII. 215 Walzer 2000, S. 101. 216 Blair 2004/3/5. 217 Paech 2003, S. 38. 218 „Notrechte, deren Realisierung von der Überprüfung und Zustimmung einer unbeteiligten, höherrangigen Entscheidungsinstanz abhinge, wären keine mehr – eine begriffliche und normative contradictio in adiecto;“ Merkel 2003, S. 31 ff. 219 Vgl. Beestermöller 2003b, S. 165. 213

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung

65

gen deren Einsatz, sofern er mißbräuchlich ist oder mit falschen Mitteln oder auch nur unverhältnismäßig erfolgt, Rechtsmittel offenstehen.220

Die Durchsetzung universeller Menschenrechte mittels Intervention – die USA selbst sind seit 2001 nicht mehr in der UN-Kommission für Menschenrechte vertreten – sollte von einer Mandatierung durch die völkerrechtliche Autorität oder zumindest von einem Hilferuf einer durch partielle Zustimmung des Volkes legitimierten autochthonen „Befreiungsfront“ abhängen.221 Michael Walzer verschärft die Auflagen an diese „Befreiungsfront“: „Counter Intervention is morally possible only on behalf of a government (or a movement, party, or whatever) that has already passed the self help test.“222 Doch trotz der vielfältigen Hilfestellung der im Ausland lebenden oppositionellen Iraker und des im Oktober 1998 verabschiedeten „Iraq Liberation Act“, der 97 Millionen Dollar für die Unterstützung der irakischen Opposition vorsah,223 ist es den Vereinigten Staaten nicht gelungen, eine nationale Befreiungsfront aufzubauen. Die Verletzung grundlegender Menschenrechte im Irak – vor und nach dem Krieg – sind global betrachtet keine einmaligen Vorgänge. Die Durchsetzung von Werten als „Vorgriff auf einen künftigen kosmopolitischen Zustand“224 ist ein Ziel ohne Ende und das Recht, Menschenrechtsverletzungen mit militärischen Mitteln zu verhindern, kann aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes der UN-Charta nicht nur für die westliche Welt, also weitgehend demokratische Staaten, reserviert werden.

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung Nach der „auctoritas princeps“ und der „iusta causa“ ist die „recta intentio“, die richtige Absicht des zur begründeten Kriegführung Berechtigten, das dritte zu prüfende Kriterium. Die richtige Absicht muß die von „cupiditas“, „crudelitas“ und „libido dominandi“225 freie Wiederherstellung einer vom erlittenen Unrecht geheilten,226 friedlichen227 Ordnung zum Ziel haben, einer Ordnung, in der „die im Befehlen und Gehorchen geordnete Eintracht der Bürger“, die „wunderbar geordnete Eintracht der Gemeinschaft 220 221 222 223 224 225 226 227

Höffe 2003, S. 26. So Blumenwitz 2003a, S. 323. Walzer 2000, S. 99. Vgl. Rudolf 2003, S. 268. Hillgruber 2003, S. 255. Vgl. Straub 1976, S. 35. Vitoria 1997 DIB, S. 547 f. Aquin 1985, II-II, q. 104, 6, 3, S. 430.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

im Genuß Gottes“ und „die Verteilung gleicher und ungleicher Dinge, da jedes den ihm gemäßen Platz erhält“, gewährleistet ist.228 Eine sich mehr zufällig nach Kriegsende einstellende „gerechte Friedensordnung“ nach einem Mängel in drei Kriterien des gerechten Krieges aufweisenden Waffengang kann die damit vorliegende Ungerechtigkeit nicht heilen.229 Demnach kann der Fall gegeben sein, daß, so Vitoria, „die Krieg ansagende Gewaltsame rechtmäßig und die Ursache gerecht ist, gleichwohl aber wegen verwerflicher Absicht der Krieg zum unerlaubten wird.“230 Dies impliziere auf der Gegenseite eine erlaubte Selbstverteidigung, womit „der gerechte Grund des Krieges auf beiden Seiten der Kriegführenden gegeben [wäre], und infolgedessen wären alle unschuldig [. . .] und es läge darin ein Widerspruch, was ein gerechter Krieg wäre231 [. . .] und der Krieg könnte niemals beigelegt werden.“232 Ob der Kriegführung eines Fürsten eine richtige Absicht zugrunde liegt, läßt sich unter anderem daran erkennen, wie er in Friedenszeiten sein Amt verwaltet, in welchem Maße er also zur Aufrechterhaltung der gerechten Ordnung durch seine Taten und insbesondere seine Wahrhaftigkeit beiträgt, denn „die Wahrhaftigkeit ist ein Teil der Gerechtigkeit angesichts dessen, daß sie mit ihr wie eine der Haupttugend nachgeordnete Tugend verknüpft ist.“233 Der Wahrhaftigkeit stehen gegenüber: „[. . .] erstens die Lüge; zweitens die Verstellung oder Heuchelei; drittens die Prahlerei und das entgegengesetzte Laster.“234 Die Lüge ist teuflische235 „Todsünde, da die Schädigung des Nächsten Todsünde ist und aus der bloßen Absicht einer Todsünde einer schon die Todsünde begeht.“236 228

Vgl. Augustinus 1951, Vom Gottesstaat, XIX, 9–13, S. 316. „Ob man den Irak-Krieg eines Tages einen gerechten Krieg nennen wird, hängt also von seinem Ergebnis ab. Wenn es gelingt, dort die erste arabische Demokratie zu installieren – schon der Versuch ist nicht ohne Wirkung auf Syrien, den Iran und Saudi-Arabien geblieben – wird das ‚Urangate‘ [gefälschte Unterlagen über den angeblichen Uran-Erwerb des Irak] als die Nebensache dastehen, die es ist“, so irrtümlich Miriam Lau in der Welt vom 22.07.2003. Hier gilt: „For just war theory, however, the question about any proposed use of force is not whether it leaves the world better off in some respect, but whether there is indeed a specific just cause for a particular country or group of countries to use force against an aggressor or against a country which is doing great harm or is about to do so,“ Langan 2003, S. 51. 230 Aquin 1985, II-II, q.40, S. 189. 231 Vitoria 1952 DJB, S. 129 f. 232 Ebd., S. 142. 233 Aquin 1985, II-II, q.109, S. 437. 234 Aquin 1985, II-II, q.110, S. 437. 235 In Johannis 8,44 ist der Teufel der Vater der Lüge: „Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eignen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselbigen.“ 236 Aquin 1985, II-II, q.110, S. 439. 229

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung

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Die Anwendung der Lüge ist im Bereich des „ius ad bellum“ strikt verboten, als Kriegslist, also im Bereich des „ius in bello“, ist sie seit Grotius unter gewissen Bedingungen zulässig, aber generell ist es auch hier edler und christlicher, „seinen Feind und den Unbekannten nicht [zu] belügen.“237 Die Heuchelei ihrerseits ist eine Verstellung, „mit der einer die Rolle spielt, die er nicht hat. [. . .] Die Heuchelei, mit der einer nicht für Heiligkeit Sorge trägt, sondern bloß dafür, heilig zu scheinen, ist Todsünde,“238 so Thomas von Aquin. Die richtige Absicht – einhergehend mit dem Gebot zur Wahrhaftigkeit und dem Verbot zur Heuchelei – spielt auch beim Amtsantritt der Mitglieder des amerikanischen Repräsentantenhauses eine Rolle, denn diese müssen bei Amtsantritt schwören, den Eid auf die Verfassung ohne Mentalreservation zu leisten und zu erfüllen.239 Eine das richtige Ziel – die Wiederherstellung der Ordnung und die Bestrafung des dagegen verstoßenden Sünders – verfolgende „recta intentio“ liegt womöglich auch den Entscheidungen der US-Regierung zugrunde, denn US-Präsident Bush stellt fest: „Had we failed to act, Security Council resolutions on Iraq would have been revealed as empty threats, weakening the United Nations and encouraging defiance by dictators around the world.“240 Die durch den Waffengang beabsichtigte Stärkung der Vereinten Nationen könnte sich bereits durch das in Friedenszeiten vorangegangene Verhalten der USA gegenüber der UNO ergeben, weswegen eine Beleuchtung der Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den Institutionen der UNO geboten erscheint. Die Hauptaufgabe des IGH als objektivster internationaler Instanz ist die zwischenstaatliche Streitbeilegung. Grundvoraussetzung ist die Anerkennung seiner Gerichtsbarkeit. Bereits 1986 nehmen die USA ihre Unterwerfungserklärung für den Internationalen Gerichtshof zurück,241 denn der IGH 237 Grotius 1950, 3., 1., XX., 1., S. 432. Der heilige Thomas formuliert scharf: „Wie bereits gesagt, ist es dem Krieger oder dem Heerführer gestattet, aus dem Hinterhalt tätig zu sein, indem er klug verbirgt, was er tun muß, nicht aber, indem er in betrügerischer Weise eine Falscherei begeht: ‚denn auch dem Feinde gehört sich die Treue gewahrt‘, wie Tullius 3. De Offic. (29) sagt,“ Aquin 1985, II-II, q. 72, 3. 238 Aquin 1985, II-II, q.111, S. 441. 239 „Do you solemnly swear that you will support and defend the Constitution of the United States against all enemies, foreign and domestic; that you will bear truth faith and allegiance to the same; that you take this obligation freely, without any mental reservation or purpose of evasion; and that you will well and faithfully discharge the duties of the office on which you are about to enter. So help you God,“ zitiert nach Riklin 2001, S. 18 f. 240 Bush 2004/01/20. 241 Vgl. Schneider 2000, S. 61. Der „Conally-Vorbehalt“ der Vereinigten Staaten entzieht bereits alle Streitigkeiten „with regard to matters which are essentially

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

hatte in seinem Urteil im Rechtsstreit der USA mit Nicaragua unterstrichen: „Die Vereinigten Staaten mögen ihre eigene Einschätzung hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte in Nicaragua haben, jedoch kann die Anwendung von Gewalt keine geeignete Methode sein, die Achtung der Menschenrechte zu überwachen oder zu sichern.“242 Da den IGH vor und nach dem Irak-Krieg auch kein Gutachtenantrag „über jede Rechtsfrage“ gemäß Artikel 96 Absatz 1 UN-Charta durch die Generalversammlung oder den Sicherheitsrat erreicht hat, ist er zu einer Beurteilung der Lage zwischen den USA und dem Irak nicht imstande gewesen. Der Internationale Strafgerichtshof wiederum, dessen Aufgaben die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und des unrechtmäßigen Angriffskrieges sind,243 kann sich eines Falles nur annehmen, wenn dieser vom UN-Sicherheitsrat überwiesen wird oder wenn Tatort- oder Täterstaat Vertragsparteien sind oder die Zuständigkeit ad hoc anerkennen. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes beinhaltet zudem, daß vor dem Strafgerichtshof nur diejenigen Taten angeklagt werden können, die sich ereignet haben seit dem Inkrafttreten des Statutes im Mai 2002. Während der Irak dem Statut erst gar nicht beitritt, ziehen auch die Vereinigten Staaten am 6. Mai 2002 ihre Unterschrift unter das Statut zurück: We will take the actions necessary to ensure that our efforts to meet our global security commitments and protect Americans are not impaired by the potential of investigations, inquiry, or prosecution by the International Criminal Court (ICC), whose jurisdiction does not extend to Americans and which we do not accept.244

Am 2. August 2002 tritt der „American Servicemember Protection Act“ in Kraft, der amerikanischen Regierungsstellen und Behörden die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof verbietet und den USPräsidenten ermächtigt, notfalls militärisch die vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagten amerikanischen Staatsbürger zu befreien.245 Mit der Sicherheitsratsresolution 1422 des Jahres 2002 wird zudem eine Immunität für diejenigen Soldaten beschlossen, die an friedenserhaltenden Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta teilnehmen und aus Staaten within the domestic jurisdiction“ der Zuständigkeit des IGH. Da dieser Vorbehalt mit der Entscheidung des Staates verknüpft wird, selbst zu bestimmen, welche Streitgegenstände im Bereich des „domaine réservé“ liegen, bleibt die Zuständigkeit letztendlich vollständig der einzelstaatlichen Entscheidung vorbehalten, womit die Kompetenz-Kompetenz nicht beim IGH, sondern bei der Streitpartei liegt, vgl. Ipsen 1999, S. 1031. 242 Zitiert nach Paech 2000, S. 84. 243 Vgl. Baratta 2000, S. 983. 244 NSS 2002, IX., S. 31. 245 Vgl. Löw 2004, S. 574.

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung

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kommen, die das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes nicht ratifiziert haben, und somit ein Zweiklassenrecht für Soldaten etabliert.246 Die US-Administration scheint sich eher von völkerrechtlichen Bindungen zu befreien247 und der Herausbildung einer Weltrechtsordnung mit entsprechenden Institutionen entgegenzuwirken,248 als die UNO und ihre Institutionen zu stärken, was aufzeigt, daß Recht nur so viel wert ist wie das Bewußtsein der Rechtsanwender.249 Da offensichtlich eine nur durch UNOInstitutionen gewährleistete Friedensordnung nicht im Interesse der Vereinigten Staaten ist, stellt sich die Frage nach der von Ihnen präferierten Friedensordnung und deren Erscheinungsbild. Die „National Security Strategy“ und US-Präsident Bush beschreiben den gewünschten Frieden, das heraufziehende „Zeitalter der Sekurität“,250 wie folgt: We fight, as we always fight, for a just peace.251 [. . .] The cause we serve is right, because it is the cause of all mankind.252 [. . .] Our aim is a democratic peace. [. . .] We will extend the peace by encouraging free and open societies on every continent.253 [. . .] We will actively work to bring the hope of democracy, development, free markets, and free trade to every corner of the world. [. . .] The concept of „free trade“ arose a moral principle even before it became a pillar of economics. [. . .] Free markets and free trade are key priorities of our national security strategy.254 [. . .] My administration is promoting free and fair trade to open up new markets for America’s entrepreneurs and manufacturers and farmers – to create jobs for American workers.255 [. . .] Today, the distinction between domestic and foreign affairs is diminishing. In a globalized world, events beyond America’s borders have a greater impact inside them.256 [. . .] International flows of investment capital are needed to expand the productive potential of these economies.257 [. . .] 246 Theißen 2003/01/07. Der Wendung des ehemals Kombattanten von Nichtkombattanten diskriminierenden Kriegsbegriffes zu einer Diskriminierung der menschlichen Qualität des gesamten Gegners folgt hier eine weitere Diskriminierung. 247 Vgl. Beestermöller 2003a, S. 90. 248 Ohne Androhung von Gewalt kann aber die „Lehrgewalt“ ein zur eigenen Richtung fest entschlossenes Land nicht zwingen, der „orthodoxen“ Interpretation treu zu bleiben, hier verbleibt nur die „brüderliche Zurechtweisung“, vgl. Freund 2002, S. 485. 249 Mayer-Tasch 1994, S. 99. 250 Schmitt 1991 TDN, S. 62. 251 NSS 2002, Overview of America’s International Strategy, S. 1. 252 Bush 2004/01/20. Der Deckname der amerikanischen Invasion in Panama 1989 legitimiert sich selbst mit „Operation Just Cause“, vgl. Walzer 2003, S. 101. 253 NSS 2002, Vorwort des Präsidenten, S. 2 ff. 254 NSS 2002, VII., S. 23. 255 Bush 2004/01/20. 256 NSS 2002, IX., S. 31. 257 NSS 2002, VI., S. 17 ff.

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

We will strengthen our own energy security and the shared prosperity of the global economy by working with our allies, trading partners, and energy producers to expand the sources and types of global energy supplied, especially in the Western Hemisphere, Africa, Central Asia and the Caspian region.258

US-Präsident Bush fordert direkt nach dem vermeintlichen Ende der Kampfhandlungen im Irak vor Absolventen der Hochschule in Columbia im Mai 2003 die Errichtung einer Freihandelszone im Nahen Osten. Er habe die Vision von zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite in Wohlstand und Frieden, die die Avantgarde für eine langsame Ausweitung der Freihandelszone auf die arabische Welt bilden könnten.259 Die Menschen, so scheint es, „führen Kriege, um ihren Frieden einzuführen,“260 wie es der französische Philosoph Julien Freund ausdrückt. Das von der US-Administration favorisierte Paradigma des „Liberalen Friedens“ gewinnt in der internationalen Politik immer mehr an Bedeutung.261 Es geht davon aus, daß transnationaler Handel und Investitionen die Demokratisierung politischer Systeme fördert, was wiederum als Hauptfaktor internationalen Friedens angesehen wird. Es ist der Handelsgeist, der bereits für Kant „mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt“262 und Tocqueville resümieren läßt: Je mehr sich die Gleichheit in mehreren Ländern zugleich entwickelt und ihre Bewohner zu Handel und Industrie treibt, desto ähnlicher werden nicht nur ihre Neigungen, sondern auch ihre Interessen vermengen und verquicken sich so, daß keine Nation es wagen kann, eine andere zu unterdrücken, weil alles Elend, das sie einer anderen zufügt, auf sie selber zurückfallen würde. Alle betrachten den Krieg schließlich als ein Unglück, das für Sieger und Besiegte gleich groß ist.263

So sind im „Liberalen Frieden“ die erhöhten Kosten, insbesondere die Opportunitätskosten entgehenden Handels, im Falle eines Krieges kausal für die Einhaltung des Friedens. Das diesem Gedankengang zugrundliegende rationale Kalkül des „homo oeconomicus“ läßt allerdings den potentiellen Gewinn im Falle eines Sieges unberücksichtigt, kann sich doch gerade deswegen der Krieg als lohnende Investition erweisen. Zudem scheint das Paradigma des „Liberalen Friedens“, das kleine Beispiel zeigt es schon, in seinen wesentlichen Annahmen und impliziten Normen stark an einen bestimmten Kulturkreis gebunden zu sein. 258 259 260 261 262 263

NSS 2002, VI., S. 20. Vgl. Bush 2003/05/09. Freund 1976, S. 29. Darlegung und Kritik des Paradigmas bei Rotte 2002, S. 380 ff. Kant 1946, S. 39. Tocqueville 1985, S. 299.

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung

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Indem der „Liberale Frieden“ eine typisch westliche Denkweise des Menschen unterstellt – die materiell ausgerichtete, rational optimierte Kosten-Nutzen-Analyse – nimmt er aus kulturtheoretischer Sicht das Ergebnis schon vorweg: Die Verwestlichung anderer Kulturen.264 Nicht-westliche Kulturen aber, insbesondere jene, denen das Paradigma des „Liberalen Friedens“ nicht einleuchtet, könnten auf die Gefährdung ihrer Identität durch Inkulturation, Migration und ausländische Kapitalströme gewaltbereit reagieren. Denn jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz, so Carl Schmitt, „verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren.“265 Damit würde der „Liberale Friede“ selbst zum Förderer antimaterialistischer und antiwestlicher Ideologien, self-fulfillingprophecy und Fundament für einen Kampf der Kulturen. Ein friedlicher Wettbewerb konvertierbarer Waren hat seine Grenzen, denn nicht alle Interessen und Werte sind meß- und austauschbar, insbesondere existentielle Werte. Sollte man die Anschläge des 11. September – die erste „globalisierte Fehdeansage“266 der Geschichte – als Anfrage werten, „ob die Gegenseite bereit ist, die zunächst nur einmalig verursachten Kosten ein zweites und ein drittes Mal in Kauf zu nehmen,“267 so beweisen die Reaktionen der Vereinigten Staaten, daß Opportunitätskosten und Kosten-Nutzen-Kalküle des „Liberalen Friedens“ keine Rolle spielen. Bereits im 19. Jahrhundert mischt sich in den Vereinigten Staaten der Wunsch nach Marktöffnung mit der „manifest destiny“, einer aus ursprünglich religiösen Missionsgedanken säkularisierten Schicksalsbestimmung des demokratischen Sendungsbewußtseins.268 Ebenso wie sich Spanien im 16. Jahrhundert die Verbreitung des christlichen Evangeliums zum Ziel setzt, so segeln im 19. Jahrhundert die Yankee-Clipper-Schiffe „unter der MonroeDoktrin und der zu ihr gehörenden Maxime der „Freiheit der Meere“ handeltreibend durch die ganze Welt. Und überallhin folgten ihnen amerikanische Missionare, die sich die Verbreitung des amerikanischen Evangeliums der sozialen Demokratie zur Aufgabe gemacht hatten.“269 1856 durchbricht das Geschwader des amerikanischen Commodore Matthew Calbraith Perry die über 200 Jahre währende 264

Vgl. Rotte 2002, S. 402 f. Schmitt 1996 BdP, S. 37. 266 Maier 2004, S. 43. 267 Münkler 2003a, S. 179. 268 Vgl. Brocker 2003, S. 121. Zudem belegt das Interventionsverhalten der Vereinigten Staaten im 19. und 20. Jahrhundert bereits die Relevanz innenpolitischer Krisen für ein außenpolitisches militärisches Engagement, vgl. Rotte 2003, S. 392 f. 269 Lerner 1965, S. 100. 265

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

strenge Abschottung Japans nach außen („sakoku“) mit Zwang. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führt der amerikanische Präsident McKinley die „Politik der offenen Tür“ in die Außenpolitik ein,270 deren Grundgedanke darin besteht, die Kolonialreiche und alle sonstigen Einflußzonen der europäischen Mächte durch den Ruf nach gleichen Chancen aufzubrechen. Amerikanische Politiker und Finanziers verlassen sich auf ihre Kapital- und Wirtschaftskraft, die sich, so ihre berechtigte Hoffnung,271 unter den Bedingungen des uneingeschränkten Wettbewerbs am besten gegen die Konkurrenz durchsetzen würden.272 Auch in diesem Kontext eröffnet sich die Clausewitzsche Sentenz: „Der Eroberer liebt stets den Frieden. Er würde gern widerstandslos in unser Gebiet einziehen.“273 Als „Trojanisches Pferd“274 des „Liberalen Friedens“ steht auf den Ministerkonferenzen der Welthandelsorganisation ebenso die Marktöffnung, die Ende der 90er Jahre durch das „Multilaterale Abkommen über Investitionen“ (MAI) forciert werden sollte. Im MAI sollten sich die unterzeichnenden Länder dazu verpflichten, ausländische Investitionen genauso wie einheimische Investitionen zu behandeln, womit sie im Extremfall das Recht verloren hätten, für sich selbst Ausnahmeregelungen zum Schutz der eigenen Kultur zu beschließen oder ausländischen Unternehmen Vorschriften über eine kulturell angepaßte Realisierung ihrer Projekte zu machen. Das MAI scheiterte letztlich am Einspruch Frankreichs, nicht zuletzt, weil eine Schwächung der politischen Gestaltungsmacht der Nationalstaaten zugunsten einer wachsenden Macht der Multinationalen Unternehmen drohte und eine schleichende Aushöhlung der Souveränität die Nationalstaaten zu Subsystemen der Weltwirtschaft und ihrer Akteure degradiert hätte.275 270

Vgl. Bavendamm 1998, S. 78. Vgl. Benoist 2001, S. 135. 272 In dieser Zeit erklärt, am 9. Januar 1900, erklärt Senator Beveridge vor dem US-Kongreß: „Gott hat uns zur Organisation der Welt bestimmt mit dem Auftrag, da Ordnung zu schaffen, wo das Chaos herrscht. Er hat den Glauben an den Fortschritt in unsere Herzen gepflanzt, um uns die Kräfte zu geben, die Reaktion in der ganzen Welt zu schlagen. Er hat uns geschickt gemacht in allen Künsten der Regierung, damit wir diese Kunst an den wilden und senilen Völkern betätigen können. Wenn es eine solche Kraft nicht gäbe, wie wir sie darstellen, müßte die Welt in Barbarei und Nacht zurückfallen. Und innerhalb unserer Rasse hat Gott das amerikanische Volk gekennzeichnet als sein erwähltes Volk, das bei der Erneuerung der Welt die führende Rolle spielen soll,“ zitiert nach Wellems 1983, S. 60. 273 Zitiert nach Hornung 1976, S. 105. 274 Vgl. Mayer-Tasch 1998a, S. 8. 275 Vgl. Merk 1998. In der „Draft General Council Decision“ der WTO vom 31. Juli 2004 findet sich unter Punkt 27 der Ruf nach „substantial improvements in market access“. 271

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung

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Ein kaufmännischer bürgerlicher Geist bemächtigt sich auch des katholischen Ritterstandes im spanischen „Siglo de Oro“.276 Kämpferischer Nationalstolz und leidenschaftlicher Eifer für den Glauben der Väter einerseits sowie Goldgier andererseits sind die zwei Gesichter der spanischen Seele und bilden die Grundkräfte im Spanien des 16. Jahrhunderts.277 In dem im mehrfachen Sinne „Goldenen Zeitalter“ verbinden sich Kreuzzugsidee und Idee der Weltentdeckung.278 Der Jesuit José de Acosta (1539–1600), der von 1571 bis 1586 als Missionar in Peru weilte, stellte resigniert fest: „Was gibt es denn sonst für einen Grund, in die entlegendsten Gegenden vorzudringen? Warum setzen sich die Menschen den endlosen Weiten des Ozeans und den ungeheuren Strapazen aus? Doch nur – um es ganz bescheiden auszudrücken – weil sie glauben, dadurch reich zu werden.“279 Bartolomé de Las Casas (1474–1566), Bischof von Chiapas und Schützer der Indios, stellt resiginiert fest: Christus, der Herr, wollte die Länder jenseits des Meeres betreten; und er hat unsere Schiffe des Fährdienstes gewürdigt; des Herrn Schiffsleute und des Herrn Apostel sollten wir sein, und aus den Fährschiffen haben wir Kaufschiffe und Piratenflotten gemacht und aus den Aposteln Mordbrenner und Räuber.280

So wie die Forderung nach (einseitiger)281 Marktöffnung sich auf Empfehlungen der von den Vereinigten Staaten dominierten Weltbank und des IWF stützen kann,282 so gilt auch für das „Siglo de Oro“ das Recht auf freien Handel und Mission ganz konkret nur für die vom Papst mit einem Lehen, dem Missionsauftrag, versehenen Völker, wie Vitoria beschreibt: Wenn dies an sich allgemein und allen erlaubt ist, so kann doch der Papst diese Angelegenheit den Spaniern übertragen und allen anderen untersagen. [. . .] Er kann den anderen nicht nur das Predigen, sondern auch das Handeltreiben untersagen, wenn hierdurch die Verkündigung der christlichen Religion gefördert wird, weil er die weltlichen Angelegenheiten regeln kann, wenn er damit die geistlichen fördert. [. . .] Überdies haben die spanischen Fürsten als erste von allen durch ihre Initiative und auf ihre Kosten diese Seereise unternommen und haben auf diese Weise glücklich die Neue Welt entdeckt; deshalb ist es gerecht, daß anderen jene Reise untersagt wird und die Spanier den Vorteil dieser Entdeckung allein genießen.283 276

Ebd., S. 64. Höffner 1947, Einleitung, S. 2. 278 Der Wahlspruch Kaiser Karl V. hieß „plus ultra!“, vgl. Rein 1931, S. 152. 279 Zitiert nach Höffner 1947, S. 112. 280 Schneider 1967, S. 158. 281 Die USA seien schon lange vor den Terroranschlägen des 11. September zu protektionistischen Maßnahmen zurückgekehrt, so Gray 2004, S. 79. 282 Dies behauptet der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski 2003, S. 49. 283 Vgl. Vitoria 1952 DI, S. 105. 277

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2. „Ius ad bellum“ – das Recht zum Krieg

Doch soll im 16. Jahrhundert der geforderte Freihandel nicht im Namen oder für eine abstrakte Menschheit284 gelten und als Ergebnis den Weltfrieden bringen. Praktisch dient er den Erfordernissen königlich-kaiserlicher Politik in Europa. Theoretisch – nach Vitoria – soll er strikt zweckgebunden der Missionierung dienen, Mittel zum Zweck sein. Eine Friedensordnung, die den Handel zum Ziel hat, wäre dem Theologen Francisco de Vitoria sicher zutiefst suspekt gewesen. Die Suche der Conquistadoren nach einem „El Dorado“285 weicht gegenwärtig dem Wunsch nach Inbesitznahme des immer knapper werdenden „El Dorado Negro“286 – unter dem Irak befinden sich die zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Letztere würden dem, der darauf Zugriff hat, eine gewisse Unabhängigkeit vom wahabitischen Regime der Saudis bescheren. George W. Bush wurde mit massiver Unterstützung der Energieindustrie zum Präsidenten gewählt, der Vizepräsident, der Verteidigungsminister, die Sicherheitsberaterin und der zivile Statthalter Bagdads sind alle direkt und indirekt mit der Erdölindustrie verbunden.287 Dementsprechend gestaltete sich die Auftragvergabe im Irak. Die „Durchprivatisierung“ – Straßenbau, Wasser- und Energieversorgung – wird hauptsächlich an US-Firmen vergeben. Insbesondere Haliburton, deren Ex-Chef US-Vizepräsident Cheney ist, und der Baukonzern Bechtel, in der Ex-Außenminister George Shultz eine Führungsposition einnimmt, profitieren.288 Frieden, so Oswald Spengler, sei „nichts anderes [. . .] als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln: der Versuch des Besiegten, die Folgen des Krieges in der Form von Verträgen abzuschütteln, der Versuch des Siegers, sie festzuhalten.“289 Die offensichtlichen Verflechtungen der amerikanischen Energieindustrie mit der US-Administration und die deutliche Vorteilnahme durch den IrakKrieg scheinen die Faktoren „Wahrhaftigkeit“ und „Heuchelei“ hinsichtlich der wahren Beweggründe zum Krieg bzw. den Faktor „Begierde“ des 284

Straub 1976, S. 51. Die in Europa im 16. Jahrhundert durch den Überfluß an Gold und Silber aus der „Neuen Welt“ ausgelöste Teuerung kommentierte Jean Bodin zu seiner Zeit: „La principale cause qui enchérit toutes choses en quelque lieu que ce soit est l’abondance de ce qui donne estimation et prix aux choses,“ Jean Bodin: „Response au paradoxe de monsieur de Malestroit“,1568; zitiert nach Hassinger 1957, S. 231. 286 Die starke Nachfrage nach dem schwarzen Öl treibt nach dem Irak-Krieg zu Mitte 2004 in Amerika, China und in anderen Ländern mit kräftigem Wirtschaftswachstum nach einhelliger Meinung der Marktbeobachter den Preis nach oben und belastet die Aktienmärkte, Fischer 2004/06/06. 287 Vgl. Riklin 2003/03/23, S. 2. 288 Vgl. Löw 2004, S. 591. 289 Spengler 1933, S. 25. 285

2.3 „Recta intentio“ – die Wiederherstellung einer gerechten Ordnung

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Kriteriums „recta intentio“ des gerechten Krieges zu belasten. Ähnliches gilt freilich für die Conquista und erinnert ein wenig an die im Frühjahr 1528 geschlossenen Verträge Karl V. mit den Welsern, die die Finanzierung einer großangelegten Conquista in Venezuela übernehmen und dafür die Ausbeutung ausgedehnter Landstriche zugesprochen erhalten.290 Heinrich Ehinger, Faktor der Welser in Saragossa, 1530 Argentier und Tesorero Karls des V. sorgt dann im Rahmen dessen dafür, daß sein Bruder Ambrosius erster Gouverneur von Venezuela wird.291 Da bei der Gerechtigkeit eines Krieges „bald nach der Ursache, bald nach der Wirkung“292 unterschieden wird, also einerseits nach der Legitimierung von Gewalt, dem „ius ad bellum“, andererseits nach der Limitierung von Gewalt, dem „ius in bello“, gilt die weitere Untersuchung der Hegung und Limitierung des Krieges.

290 291 292

Vgl. Hassinger 1957, S. 224. Brandi 1979, S. 281. Grotius 1950, 2., 23., XIII., 1., S. 394.

3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung „Recta intentio“ bedeutet nicht nur „richtige Absicht“, wie sie als Bestandteil der Kriterien des „ius ad bellum“ kennzeichnend für das im vorangegangenen Kapitel behandelte Friedensziel ist. „Recta intentio“ kann vielmehr auch mit „richtige Anstrengung“1 übersetzt werden und damit auf die zulässigen Mittel verweisen, mit denen der herzustellende Friede erreicht und eine sittliche Kriegführung gesichert werden soll, also letztlich als theologisch-ethisches Synonym für das „ius in bello“ gelten. Suárez äußerte sich bereits in dieser Weise: Damit ein Krieg sittlich erlaubt ist, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein, die auf drei Hauptpunkte zurückgeführt werden können: 1. Er muß von der rechtmäßigen Gewalt geführt werden. 2. Ursache und Rechtsgrund müssen gerecht sein. 3. Die rechte Art der Kriegführung muß eingehalten werden, das rechte Verhalten bei Beginn, Fortführung und Sieg, wie in den folgenden Abschnitten erläutert wird. Die Begründung dieser allgemeinen Schlußfolgerung ist folgende: Mag auch der Krieg nicht an sich unsittlich sein, so gehört er doch wegen der vielen Leiden, die er mit sich bringt, zu den Unternehmungen, die oft sittlich schlecht ausgeführt werden. Er bedarf daher vieler besonderer Umstände, damit er sittlich gut werde.2 [. . .] Drei Zeitabschnitte sind zu unterscheiden: der Kriegsbeginn, die Fortführung des Krieges vor dem errungenen Sieg und die Zeit nach dem Sieg.“3

Nur partiell ist die Zeit nach dem Irak-Krieg Bestandteil dieser Untersuchung, der „Grad der Sittlichkeit“ während der Führung des Krieges jedoch und die Wiederkehr einiger zu Zeiten Vitorias die Kriegführung bestimmender Kombattantenformen, nunmehr im „neuen Gewand“, werden im Folgenden behandelt werden.

1 „Anstrengung“ ist im Deutschen eine etymologische Wurzel von „Krieg“; vgl. Grimm 2004, Band 11, Sp. 2212, S. 31. 2 Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 125. 3 Ebd., S. 175.

3.1 Wiederkehr und Symbiose „illegaler Kombattanten“

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3.1 Wiederkehr und Symbiose „illegaler Kombattanten“ 3.1.1 Vom maritimen Flibustier . . . Die „Operation Iraqi Freedom“ wurde unter anderem als Maßnahme des weltweiten Krieges gegen den Terrorismus, also gegen illegal Kriegführende, angekündigt: Iraq has sent bomb-making and document forgery experts to work with al Qaeda. Iraq has also provided al Qaeda with chemical und biological weapons training. And an al Qaeda operative was sent to Iraq several times in the late 1990s for help in acquiring poisons and gases.4 [. . .] Terror cells and outlaw regimes building weapons of mass destruction are different faces of the same evil.5

Wichtig scheint in diesem Zusammenhang die Symbiose einiger bereits schon zu Vitorias Zeiten präsenter „Outlaw“-Kombattanten zu sein, die im Terroristen der Gegenwart gipfelt. Kriegskonventionen und Kriegführung haben wie jedes andere Recht ihren Ursprung unter anderem in der jeweiligen Kultur.6 Aus dem römischen Recht stammt die Differenzierung zwischen regulärem Kriegsgegner, dem „hostis“, und den Banditen sowie Piraten,7 von Cicero ist der Satz „Pirata hostis generis humani“ überliefert.8 Nach einer aktuellen Definition ist Seeräuberei jede rechtswidrige Gewalttat, Freiheitsberaubung oder Plünderung, die für private Zwecke von der Besatzung oder den Fahrgästen eines privaten Schiffes gegen ein anderes Schiff oder gegen Personen und Vermögenswerte an Bord dieses Schiffes begangen wird, wobei das „private Motiv“ auch schon „in der Verfolgung einer persönlichen Sichtweise eines bestimmten Problems“9 für vorliegend angesehen wird. Ziel des mit „animus furandi“10 versehenen Räubers der Meere ist also der die Privatschatulle aufbessernde „Fischzug“. Erstaunlich ist, daß auf4

Bush 2003/02/08. Bush 2002/10/07. 6 Crefeld 2001, S. 143. Wie Arnold Gehlen ausführt: „Kultur ist ihrem Wesen nach ein über Jahrhunderte gehendes Herausarbeiten von hohen Gedanken und Entscheidungen, aber auch ein Umgießen dieser Inhalte zu festen Formen, so daß sie jetzt, gleichgültig gegen die geringe Kapazität der kleinen Seelen, weitergereicht werden können, um nicht nur die Zeit, sondern auch die Menschen zu überstehen,“ Gehlen 1986, S. 24. Zu dieser Formen ausprägenden Kultur gehört die militärische Kultur. 7 Ziegler 2004, S. 38. 8 Vgl. Grewe 1988, S. 355. 9 Ipsen 1999, S. 773 f. 10 Schmitt 1994 VdA, S. 55. 5

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

grund des zumeist unpolitischen, weil privaten Charakters der Piraterie, dennoch eine weltweite Feinderklärung gelingt, nach Carl Schmitt der Inbegriff des Politischen, und eine Bestrafung gemäß dem Weltrechtsprinzip11 impliziert, also durch jeden Staat, unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Piraten oder vom Begehungsort. Der Pirat als gewöhnlicher Verbrecher ist also außerhalb der auch ihm zukommenden Menschenrechte kein geschützter Kombattant. Dies verschärft den viele Elemente eines Vernichtungskrieges aufweisenden Seekrieg, denn im Seekrieg ist es schwierig, zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu unterscheiden. Der Niederländer Hugo Grotius – die Niederlande sind als protestantische Seemacht Gegenspieler des spanischen Weltreiches – schreibt zu Ende des 16. Jahrhunderts über die Piraterie: See- und Straßenräuber, die keinen Staat bilden, können sich nicht auf das Völkerrecht berufen.12 [. . .] Denn diese verbinden sich zum Verbrechen; jene aber sind zum Genuß des Rechts zusammengetreten. [. . .] Kriegsfeinde sind die, welche gegen uns oder gegen welche wir einen Krieg öffentlich beschließen. Alle anderen sind Straßenräuber und Diebe.13

Da See- und Straßenräuber gar nicht das geforderte Kriterium der „auctoritas princeps“ erfüllen, greifen die für gerechte Kriege notwendigen Gebräuche daher [. . .] weder bei einem Krieg gegen die Straßenräuber, noch bei einem Krieg gegen die eigenen Untertanen.14 [. . .]. Die alte natürliche Freiheit bleibt aber dort gültig, wo keine Gerichte bestehen, wie auf offener See. Hierauf kann man es beziehen, daß Cajus Cäsar als Privatperson die Seeräuber, welche ihn gefangen hatten, mit einer zusammengerafften Flotte verfolgte und ihre Schiffe teils verjagte, teils versenkte und daß er als Prokonsul gegen die gefangenen Seeräuber nicht gerichtlich vorging, sondern auf das Meer zurückkehrte und sie da kreuzigen ließ. Dasselbe gilt für Wüsten oder sonstige Gegenden, wo Nomaden leben.15 [. . .] Wegen Vernachlässigung sind Könige und Beamte haftbar, wenn sie zur Verhinderung der See- und Straßenräuberei nicht die in ihrer Macht stehenden Mittel, wie sie sein sollten, anwenden.16

Andererseits entsteht zu Grotius’ Zeit im Jahre 1602 die auf privatisierte Handels- und Kapergewinne ausgerichtete „Generale Neederlandsche Geoctroyierte Oostindische Companie“, die aufgrund der Mißachtung der Verträge von Tordesillas und der Bulle „Inter caetera divina“ von Spaniern mit 11 12 13 14 15 16

Vgl. Ipsen 1999, S. 579. Grotius 1950, 2., 18., II., 3., S. 310. Grotius 1950, 3., 3., I., 1., S. 439. Grotius 1950, 3., 3., XI., 1., S. 445. Grotius 1950, 2., 20., VIII., 5., S. 333. Grotius 1950, 2., 17., XX., 1., S. 307.

3.1 Wiederkehr und Symbiose „illegaler Kombattanten“

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einiger Berechtigung als Piratenunternehmung bezeichnet wird. Als 1603 der holländische Admiral Heemskerck ein portugiesisches Handelsschiff kapert, wird Hugo Grotius durch die Kammer der Ost-Indischen Compagnie der Provinz Zeeland gebeten, er möge eine Verteidigungsschrift über das Beuterecht verfassen, von der das 12. Kapitel „Mare liberum sive de iure quod Batavis competit ad indicana commercia, dissertatio“ im Jahre 1609 zur Stützung der niederländischen Ansprüche auf freien Handel mit Indien anonym erscheint.17 Hierin wird die Verbindlichkeit päpstlicher „Schenkung“ verworfen.18 Des weiteren wird das Meer zum Gemeingebrauch erklärt, was hinsichtlich der Wortwahl „Schenkung“ – die wahre Bedeutung der Bulle „Inter caetera divinae“ wurde oben erläutert – eine Spitze gegen den Papst, hinsichtlich des durch die Bulle geregelten Handels- und Schiffahrtswesens ein Angriff gegen Spanien und hinsichtlich der Fischerei ein Affront gegen England ist.19 Hatten die Päpste noch in christlichem Interesse gefordert, daß der Krieg zwischen europäischen Fürsten nicht auf die Missionsgebiete übertragen werden sollte, weil dadurch das heilige Werk gestört würde,20 gibt der einstige Sklavenhändler und Kaperfahrer, „Medienstar“ und „Meisterdieb der unbekannten Welt“,21 von den Spaniern furchtsam „Dragontea“ genannt, Sir Francis Drake (1539–1596) das Gegenteil bekannt: „No peace beyond the line.“ Doch die „Linie“ war nicht nur durchlässig, was der von Drake im Jahre 1587 vorgenommene Angriff auf die spanische Flotte im Hafen von Cádiz beweist, sondern führt auch ganz entgegen des abgrenzenden Charakters einer Linie zur Undifferenzierbarkeit von nationalem Seeheldentum und Piraten- bzw. Verbrechertum. Der Unterschied zwischen einem Piraten und einem Korsaren des Typus Drake besteht darin, daß der Korsar die Unterstützung der regulären Kriegsflotte zum Ziel hat, sich aber aus der priva17

Hofmann 1995, S. 54. Dies hatte bereits Vitoria dargelegt, denn „der Papst könnte dieses Recht nicht vom Amte des höchsten Priesters trennen und seine Nachfolger dieser Macht berauben, weil der nachfolgende Papst nicht weniger Rechts haben kann als der vorhergehende,“ Vitoria 1952 DI, S. 63. Außerdem kann der Papst aus keinem Grunde „eine kirchliche Pfründe, gleich welcher Art, ohne den Fehltritt der Simonie verkaufen. Der Schluß wird bewiesen. Denn in einer Pfründe findet man nur drei Dinge: das Amt, das Recht, die Erträge zu bekommen, sowie die Erträge selbst. Der Papst kann aber das zweite nur durch das erste verleihen, weil das Einkunftsrecht, wie gesagt, nur im Hinblick auf das Amt zusteht. Aber sowohl das erste als auch das zweite ist ein geistliches Gut. Also kann der Papst sie nicht verkaufen,“ Vitoria 1997 DS, S. 257. 19 Vgl. Grewe 1988, S. 312. 20 Rein 1931, S. 165. 21 Ebd., S. 181. 18

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

ten Handelsschiffahrt rekrutiert, was die englische Bezeichnung „privateer“ verdeutlicht.22 Der „privateer“ hat im Gegensatz zum Piraten einen Kaperbrief, eine Ermächtigung seiner Regierung und darf die Flagge seines Landes führen. Das französische Äquivalent zum englischen „privateer“ ist der flibustier.23 Der Bekannteste, Jean Fleury, bringt 1523 eine von Hernán Cortéz mit dem Goldschatz des Moteczuma nach Spanien gesandte Flottille auf. In der kurzen Zeit, in der Frankreich nicht mit Spanien Krieg führt, erhalten die „flibustiers“ ihre Kaperbriefe von England und Holland.24 Die „Internationalität“ der Ermächtigungsmöglichkeit spiegelt sich auch in den „flibustiers“ von Tortuga, den „frères de la côte“, wieder, die sich aus Schmugglern und Seeräubern aller Nationalitäten zusammensetzen und sich im Kampf gegen Spanien vereinen. Die Spanier bezeichnen die Küstenbrüder zugleich als „outlaws“ und Ketzer, nämlich als „corsarios luteranos“ und Vitoria formuliert vorsichtig: Es „sind die Kaperbriefe [. . .] gefährlich und können Gelegenheit zum Rauben geben.“25 In seinem Bericht an Philipp II. erklärt Admiral Menéndez de Avilés 1565 weniger vorsichtig, er habe Krieg mit Feuer und Blut geführt und die Piraten und Ketzer vernichtet.26 Die „Küstenbrüder“ bekommen infolgedessen in Gestalt der spanischen „Guarda Costas“ einen eigentümlichen Typus zum Gegner, der ein Spiegelbild ihres eigenen Wesens ist. Die „Guarda Costas“ setzen sich nämlich aus unbesoldeten Seeleuten zusammen, die der spanischen Marine nicht angehören müssen und sich aus den Prisen bezahlt machen, die sie aufbringen.27 Diese maritime Söldnertruppe und ihre gegnerischen flibustiers, deren Leben im 20. Jahrhundert romantisch als „Ausweg aus den Fesseln der europäischen Zivilisation, eine Gasse zur ursprünglichen Freiheit und Ungebundenheit des kraftvollen Mannes“28 verklärt wird, verdeutlichen, wohin diese Ungebundenheit und Freiheit in der Kriegführung führen mußte. Bis zur Abschaffung der Kaperei auf der Pariser Konferenz von 1856 nehmen staatlich ermächtigte Private aktiv am Seekrieg teil,29 die eigentliche Hauptzeit des „privateers“ und des französischen „flibustiers“ währt 22

Vgl. Grewe 1988, S. 364. „Flibot“ ist das kleine, leichte und wendige Boot, vgl. Neukirchen 2000. 24 Vgl. Neukirchen 2000. 25 Vitoria 1952 DJB, S. 157. 26 Rein 1931, S. 173. 27 Vgl. Grewe 1988, S. 363. 28 Rein 1931, S. 207. 29 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 286. US-Präsident Lincoln erklärt 1861 die südstaatlichen Kaper zu Piraten und fordert die Seemächte auf, diese auch so zu behandeln, vgl. Grewe 1988, S. 675. 23

3.1 Wiederkehr und Symbiose „illegaler Kombattanten“

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aber nur rund 150 Jahre, etwa vom Beginn des Kampfes protestantischer Mächte gegen Spanien bis zum Frieden von Utrecht.30 Das Gesicht der Piraterie hat sich gegenwärtig nochmals gewandelt. Die offensichtlich relevantere Form – im Vergleich zu der nach wie vor existenten Seeräuberei – ist die Wirtschaftspiraterie,31 also wirtschaftskriminelle Netzwerke, die eine symbiotische Beziehung mit dem globalen Markt eingehen, um die Erträge ihres kriminellen Tuns im Rahmen ihrer Schattenwirtschaft, zu der auch die Drogenökonomie gehört, zu realisieren.32 So ging auch bereits ein „war on drugs“ dem globalen Krieg gegen den Terrorismus voraus. 3.1.2 . . . über den tellurischen Partisanen . . . Die Kriege der frühen Neuzeit sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß dem Feind, da Burgen schwer angreifbar sind, primär ein nachhaltiger Schaden durch großflächige Verwüstung zugefügt werden soll.33 Trotz „der ungeheuren Schlachten, die gerade in die Lebensjahre Machiavellis fallen (Agnadelto, Ravenna, Novara, Creazzo, Marignano, Bicocca, Pavia; Machiavelli starb 1527) lebt die Epoche doch ganz in dem Gedanken der Ermattungsstrategie,“ so der bekannte Militärhistoriker Hans Delbrück.34 In dieser auch Abnutzungsstrategie35 genannten Variante wählt der Feldherr mehrere kleine Schlachten, die das Ausbluten der feindlichen Wirtschaft zum Ziel haben sollen, während die Niederwerfungsstrategie davon ausgeht, die feindliche Streitmacht insgesamt anzugreifen, zu zerstören und den Besiegten zu unterwerfen. Bereits der spanische Nationalmythos der „Höhle von Covadonga“ erzählt von einer Variante der Abnutzungsstrategie. Das überaus starke Heer des Mauren El-Horr wird im Jahre 718 in eine Felsschlucht gelockt und durch die wenigen Gefolgsleute des Fürsten Pelayo mit Hilfe von Pfeilen, 30

Vgl. Schmitt 1993 LuM, S. 41. Wie zudem der Ende 1997 vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Markenverband sowie 15 Gründungsunternehmen ins Leben gerufene „Aktionskreis Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie e. V. (APM)“ mitteilt, sind immer mehr Industriezweige in zunehmendem Maße von der Verletzung ihrer gewerblichen Schutzrechte betroffen. Kernbestandteil der APM-Aktivitäten ist die Einleitung und die Koordinierung von Ermittlungen gegen Rechtsverletzer im In- und Ausland. Vgl. APM 2004/09/23. 32 Vgl. Lock 2003/10/12, S. 3. 33 Vgl. Münkler 2003a, S. 65. 34 Delbrück 1920, S. 128 f. 35 Regling 1983, S. 18. 31

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

Felslawinen und herabstürzenden Baumstämmen vollständig vernichtet.36 Im 16. Jahrhunder scheuen die spanischen Conquistadoren ebenso wie bereits die Kreuzfahrer im Heiligen Land37 die große Schlacht, attackieren lieber mit unerwarteten Blitzangriffen aus der Deckung, was ihnen letztlich den Erfolg über einen zahlenmäßig selbst um das Vielfache überlegenen Gegner beschert.38 Hernán Cortéz beispielsweise bricht 1519 mit nur 508 Offizieren und Soldaten, 16 Pferden, zehn Bronzekanonen, vier Feldschlangen, 32 Armbrüsten und 13 Büchsen nach Mexiko auf.39 Die ungewohnte Bewaffnung40 und aufgelockerte Kampfweise der spanischen Hidalgos führt ob ihrer Andersartigkeit zum schnellen Zusammenbruch des Kommunikationssystems Moteczuma – während zur selben Zeit auf dem europäischen Kriegsschauplatz das Fußvolk mit Feuerwaffen41 und die Artillerie den Stand des ritterlichen „Hidalgos“ und seine schwer gerüstete Reiterei verdrängt.42 Knapp 300 Jahre später entsteht erneut aus der in der Conquista praktizierten aktiven und subversiven Form der Abnutzungsstrategie gegenüber einem überlegenen Gegner eine passive Variante, unter anderem in Spanien. Der Antagonist der nationalen Freiwilligenheere und ihrer Besetzungen wurde der die Niederlage seines eigenen Heeres nicht akzeptierende, „hundertprozentige Parteigänger“43 – der Partisan. Die „Partisane“, eine Stoßwaffe mit breiter, zweischneidiger Spitze und zwei Flügelstangen zum Parieren, die von Bauern recht leicht aus Sensen angefertigt werden konnte,44 verdeutlicht bereits den zivilen Ursprung und die Irregularität dieser Waffe und des sie Führenden.45 Ihren Aufschwung erlebte die Kampfweise des Partisanen mit der Ausweitung der Kriege im Zuge der Französischen Revolution in der Vendée (1793–1796), in Spanien (1808–1814), Tirol (1809) und in Rußland (1812) 36

Vgl. Brinkmann 2001, S. 481 ff. Vgl. Nicolle 2004, S. 105. 38 Schmitt 1992, S. 226. 39 Cortéz 1975, S. 28. 40 Pferde, Fleischerhunde etc., vgl. Wantoch, S. 157. 41 Die spanischen Infanteristen sind die qualitativ beste Truppe dieser Gattung in Europa, die mit Gabelstütze versehenen Arkebusen der Basken schießen 200 m weit und durchschlagen jede Ritterrüstung, vgl. Hassinger 1957, S. 81. 42 Vgl. Fiedler 1985, S. 7. Die spanische Infanterie verdankt übrigens ihre Entstehung der kahlen Landschaft Spaniens, die sich nicht zur Aufzucht einer großen Anzahl schwerer Kavalleriepferde eignet, vgl. Howard 1992, S. 74. 43 Carl Schmitt in Schickel 1993, S. 24. 44 Vgl. Zierer 1953, S. 310. 45 Friedrich Barbarossas Reichslandfrieden von 1152 hatte bereits ausdrücklich den Bauern das Tragen von Lanze und Schwert untersagt, vgl. Zotz 2002, S. 179. 37

3.1 Wiederkehr und Symbiose „illegaler Kombattanten“

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gegen die Franzosen. Nach Carl Schmitts bekannter Definition sind die Eigenschaften des Partisanen Irregularität, gesteigerte Mobilität, gesteigerte Intensität des politischen Engagements und tellurischer Charakter, also die Verbindung mit Heimat, Boden, autochthoner Bevölkerung und der geographischen Eigenart des Landes.46 Der Krieg, in dem der Partisan auftritt, ist der Staats- und Volkskrieg, für den bereits Friedrich Engels in den Elberfelder Reden festhält: „Dazu bedarf es keines stehenden Heeres, da es ein leichtes sein wird, jedes fähige Mitglied der Gesellschaft auch neben seinen übrigen Beschäftigungen so weit in der wirklichen, nicht parademäßigen Waffengewandtheit zu üben, als zur Verteidigung des Landes nötig ist.“47 Die Kampfform des Partisanen ist immer an der Armee des Gegners48 und damit – wenn diese regulär ist – an der Wiedererlangung von Regularität49 orientiert. Bei der Erlangung von Regularität ist der „außerstaatliche, interessierte Dritte“50 von Bedeutung, denn er vermag dem Partisanen völkerrechtliche Legitimation durch politische Anerkennung zu verschaffen und dessen ökonomische und organisatorische Grundlage zu verbessern. Während für den kämpfenden Soldaten der traditionellen, regulären Truppe sein reguläres Gegenüber kein privater, verhaßter Feind ist, sondern nur ein öffentlicher Feind, „hostis, nicht inimicus“,51 leitet sich aber der Strategiebegriff jeder Guerilla- und Befreiungsbewegung aus dem Begriff einer wirklichen Feindschaft her.52 Diese steht graduell zwischen der absoluten Feindschaft der den letzten Krieg gegen den Krieg53 Führenden, die ob des nahenden Friedensreiches keinerlei Hegung kennen,54 und der gehegten Feindschaft55 des Ius Publicum Europaeum. Der Partisan ist aufgrund seiner „passiven“ Tellurität eine Insel in der durch „andersgeartete, weltaggressive Ziele“56 bewirkten Beschleunigung der Kriegführung. Der tellurische Faktor zeigt die berechenbare Begrenzung der Partisanentätigkeit auf, nämlich die Durchsetzung politischer Ziele – wie beispielsweise den Abzug der Besatzungsmacht – innerhalb eines begrenzten Territoriums, 46

Vgl. Schmitt 1995 TdP, S. 26. „Zwei Reden in Elberfeld“, 1845, zitiert nach Treptow 1984, S. 109. 48 Rothe 2003, S. 77. 49 Vgl. Schickel 1993, S. 26. 50 Ebd., S. 77. 51 Schmitt 1996 BdP, S. 29, vgl. auch Schwab 2002, S. 680; ebenso Schmitt 1996 BdP, S. 104 ff. 52 Vgl. Schmitt 1995 TdP, S. 63. 53 Schmitt 1996 BdP, S. 37. 54 Schmitt 1995 TdP, S. 56. 55 Ebd., S. 96. 56 Ebd., S. 77. 47

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das er für die Seinigen beansprucht. Bis dahin aber gilt ein „no peace inside the line“. Der Partisan verschärft den Krieg nicht räumlich, sondern zeitlich, indem er den Krieg „über das normale Maß hinaus“ verlängert. Dies gelingt ihm als Träger eines zumeist national-ideologischen Mythos, des „geheimen Bewegers menschlichen Handelns“,57 der spontan Massenkräfte mobilisiert und Räsonnements oder Zweckmäßigkeitserwägung negiert.58 Das mythisch-politische Leitmotiv vermag ruhende Energien anzuspornen, den Einzelnen zu mobilisieren und damit den Mangel an Waffenmaterial wettzumachen, was sich letzten Endes als entscheidende Komponente erweist.59 Aus der moralischen Legitimität des politischen Mythos wiederum erwächst die Totalität der Kriegführung und daraus die weitgehende Aufhebung der tradierten Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten.60 In einem Krieg regulärer Soldaten gegen Partisanen kann praktisch jeder harmlose Zivilist bei Nacht ein potentieller Guerillero oder Franktireur sein.61 Der Partisan bewegt sich daher in dem für den Besatzer fremden Land wie ein Fisch im Wasser und taucht wie ein solcher bei Gefahr unter. Er lebt in und von seinem Revier, Plünderung eingeschlossen. Sein Kampf ist verdeckt und gilt der Sicherheit der feindlichen Soldaten, die als infanteristische Besatzer die den Krieg gewinnenden Maschinen ablösen, denn man kann zwar das Töten, noch nicht aber das Besetzen lückenlos technisieren. Neben dem feindlichen Soldaten ist dessen Logistik Ziel des Partisanenkampfes, weswegen der Partisan sich bevorzugt blockadeähnlicher Methoden als typischer Kampfweise von Seemächten gegenüber dem Lande bemächtigt: Während sich der Behemoth – das Landtier, hier die reguläre Truppe des Besatzers – bemüht, den Leviathan – das Seetier, hier der fischgleiche Partisan – mit den Hörnern zu zerreißen, hält der Leviathan dem Landtier Maul und Nase zu, so daß es weder essen noch atmen kann.62 Typisch für den subversiven Kampf des Partisanen ist die behauptete oder tatsächlich vorliegende Unkenntnis völkerrechtlicher Schutzvorschriften, was letztlich auch auf der Gegenseite die Auseinandersetzung verschärft.63 Kata57

Schmitt 1996 GLP, S. 80. Lieber 1991, S. 907. 59 Vgl. Beaufre 1973, S. 234. 60 Vgl. Mayer-Tasch 1972, S. 15. 61 Vgl. Regling 1983, S. 194. 62 Vgl. Schmitt 1993 LuM, S. 17. 63 So hatte der britische General Sir John Ardagh auf der Haager Friedenskonferenz von 1899 den ansonsten geächteten Einsatz von Dum-Dum-Geschossen unter anderem damit verteidigt, daß in einem zivilisierten Krieg jeder verwundete Soldat sofort jegliche Kampfhandlungen unterließe: „Es ist ganz anders bei den Wilden. 58

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lysatorisch wirken ebenso automatische Gewehre und moderne Leichtmunition, die leicht zu tragen und anzuwenden sind und nur noch wenig Geschick benötigen. Munitionsverschwendung, jahrzehntelang die Todsünde des Soldaten, wird läßliches Übel. Treffen, jahrhundertelang größter Stolz des Soldaten, ist aufgrund der hohen Wirksamkeit automatischer Waffen nunmehr der Wahrscheinlichkeitsrechnung überlassen.64 Der Partisanenkampf erreichte im 20. Jahrhundert seinen Höhepunkt im Zweiten Weltkrieg, in dem sich regulär kämpfende Truppen jenseits des Völker- und Staatsbegriffs bildeten, genannt sei hier die Waffen-SS, die wiederum eine Steigerung innerhalb der irregulären Gegenbewegungen zur Folge hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte eine Einschränkung der bis zum Ende des Krieges völkerrechtlich zulässigen65 und daher üblichen standrechtlichen Erschießung illegaler Kombattanten. Diese Schwächung der Monopolstellung der regulären Truppe, in Verbindung mit international sich rekrutierenden Freiwilligenheeren regulärer wie irregulärer Art, geht einher mit der politischen Phase der „Entstaatlichung“. Während die Verstaatlichung des Krieges mit der Zunahme offener Schlachten und einer strikten Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten verbunden ist, verliert in der Phase der politischen „Entstaatlichung“ auch die alles auf eine Karte setzende Kraftanstrengung, die Entscheidungsschlacht, die „zum moralischen und dann psychischen Zerfall des einen oder des anderen führt,“66 zugunsten einer subversiven Abnutzungsstrategie an Bedeutung. Dies scheint die eingangs erwähnte Interdependenz von Staatsverfassung, Herresstruktur und Kriegführung zu belegen. Die „Operation Iraqi Freedom“ verdeutlicht die ironische Konsequenz, daß der eine weitgehend reguläre Kriegführung betreibende Sieger an der einzigen Art der Kriegführung gehindert wird, die noch kraftvoller ist als die seine, am Partisanenkrieg. Der Besiegte als vermeintlich „Wehrloser“ wird immun gegenüber Nuklearwaffen und dem High-Tech-Potential westlicher Kriegführung.67 Während zu Beginn der Waffenhandlungen die Strategie der Vereinigten Staaten mittels des in zwischenstaatlichen Kriegen des 20. Jahrhunderts praktizierten Blitzkrieges einen panzergestützten Durchstoß der Kampflinie und damit eine Beschleunigung des Krieges vorsieht, wirkt die irreguläre Tätigkeit der schiitischen und sunnitischen Partisanen als dauAuch wenn er zwei- oder dreimal getroffen ist, hört er nicht auf, vorwärts zu marschieren, ruft nicht die Sanitäter, sondern geht weiter, und bevor irgendjemand Zeit hat, ihm zu erklären, daß er die Entscheidungen der Haager Konferenz handgreiflich verletze, schneidet er einem den Kopf ab,“ zitiert nach Stephan 1998, S. 80. 64 Keegan 1991, S. 365. 65 Vgl. Mayer-Tasch 1972, S. 12. 66 Keegan 1991, S. 353. 67 Tzabar 2003, S. 25.

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erhafte Friktion des endgültigen Sieges bis heute.68 Die alliierten Verbände im Irak werden auch gegenwärtig in heftige Städtekämpfe – in Nasiriyah, in Bagdad etc. – verstrickt, die viele Militärbeobachter bereits zu Anfang des Krieges erwartetet hatten. Das harte Durchgreifen der Besatzungstruppen wirkt dabei katalysatorisch auf die durch den Partisanen bewirkte Erschütterung des „Prinzips der ritterlichen Kriegführung als moralische Ordnung im Inhumanen“69 und führt zu einem vermehrten Zulauf auf Seiten der Partisanen. Die Kühnheit der Verzweifelten ist aber genauso zu fürchten, so bereits Hugo Grotius, wie „die Bisse der sterbenden Raubtiere.“70 3.1.3 . . . zum Terroristen Der Terrorist ist nach völkerrechtlicher Auffassung kein Kombattant im Sinne des Kriegsrechts, so daß sich jeder Staat mit dem ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen des Polizei- und Strafrechts schützen kann.71 Folgerichtig charakterisiert die National Security Strategy: „Terrorism will be viewed in the same light as slavery, piracy, or genocide.“72 Jede konkrete Ordnung und Gemeinschaft hat spezifische Orts- und Rauminhalte, die ihr inneres Maß und ihre innere Grenze mit sich bringen.73 Mit der Frontlinie im zwischenstaatlichen Krieg erreicht die jeweilige nationale Rechtsordnung ihre Geltungsgrenze, scheidet Freund von Feind, womit dieser ortbar, unterscheidbar ist. Nur wo eine Grenze ist, kann es logisch eine Überschreitung bzw. Öffnung in Richtung des Ausgegrenzten geben. Mit der durch Fortschritt und Globalisierung bewirkten Deterritorialisierung, der Entgrenzung, tritt vermehrt die Steigerung des Partisanen auf, der Kombattantentyp des Terroristen. Weit mehr noch als den Partisanen zeichnet diesen eine Mobilität im Sinne eines rapiden Wechsels, auch in der Art des Auftretens, und eine Grenzenlosigkeit, auch in der Wahl der Mittel, aus. Sind noch im Mittelalter 68 Der Umbau der konventionellen Armeen des Westens resultiert unter anderem aus der schon weit früher beobachteten Lehre. Das Pendel zwischen Tarnung und Beweglichkeit auf der einen Seite sowie Panzerung und schwere Waffen auf der anderen Seite schlägt gegenwärtig wieder in in Richtung des ersten aus. Die Bundeswehr sieht eine Verringerung der Kampfpanzer von 1800 auf voraussichtlich 400 Leopard II vor und damit einen Umbau der Landesverteidigung zu einer „Interventionsarmee“ schnell verlegbarer Truppen, die damit auch auf den subversiven Kampf besser vorbereitet sind, vgl. Krüger 2004/01/18. 69 Stephan 1998, S. 81. 70 Grotius 1950, 3., 25., V., 1., S. 598. 71 Vgl. Blumenwitz 2003a, S. 313. 72 NSS 2002, III, S. 6. 73 Vgl. Schmitt 1991 VG, S. 81.

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Kriege durch Zonen gekennzeichnet, in denen nicht gekämpft werden sollte – Hausfrieden, Marktfrieden, Burgfrieden, Dingfrieden, Kirchenfrieden und Landfrieden74 – so gefährdet gegenwärtig der Terrorismus potentiell jeden Raum zu jeder Zeit und hebt damit nahezu Ortung und Ordnung auf. Nachdem bereits in den totalen Kriegen des 20. Jahrhunderts „mehr Räume als einzelne Menschen unter Feuer genommen wurden“,75 ist der Terrorismus die konsequenteste Form des totalen Krieges in der Gegenwart. Michael Walzers Befürchtung hat der Terrorismus als Leitlinie übernommen: One might argue, I suppose, that any official is by definition engaged in the political efforts of the (putatively) unjust regime, just as any soldier, whether he is actually fighting or not, is engaged in the war effort [. . .] If their [civilians] support for the government or the war were allowable as a reason for killing them, the line that marks off immune from vulnerable persons would quickly disappear.76

Ist der Krieg im zwischenstaatlichen Völkerrecht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, so wird er beim islamischen Terroristen, der sich innerweltlichen Instanzen nicht mehr rechenschaftspflichtig fühlt, wieder zur Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln. Bereits am 13. Mai 1981 richtet der Türke Mehmet Ali Agca auf dem Petersplatz seine Schußwaffe gegen Papst Johannes Paul II. und verletzt ihn schwer. Er begründet sein Attentat damit, daß der Papst der „oberste Kriegsherr der Kreuzritter“ sei.77 Die im November 1990 erfolgte Stationierung der internationalen Allianz des Zweiten Golfkrieges in der Nähe der heiligen islamischen Stätten Mekka und Medina erzürnt zu jener Zeit einen wohlhabenden Saudi namens Osama bin Laden,78 dessen terroristische Organisation Al-Qaida im Jahr 2003 bekanntgibt: We „should have made clear to the West that a person has only three options: become a Muslim, live under the rule of Islam, or be killed.“79 Dies verdeutlicht, daß der islamische Terrorismus der AlQaida keine erfüllbaren Forderungen eines territorial faßbaren Kollektivs verkörpert, nichts, durch dessen Bewilligung man, wie der Publizist Rüdiger Altmann über den Kalten Krieg feststellte, „die Abwesenheit des Krieges so lange bewahren [kann], bis der Friede möglich sein wird.“80 74 75 76 77 78 79 80

Vgl. Schmitt 1991 VG, S. 82. Jünger 1997, S. 323. Walzer 2000, S. 202. Vgl. Conzemius 2002/08/18. Vgl. Ritter 2003, S. 34. American Values 2003, S. 1. Altmann 2002, S. 417.

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Der giha¯d des Islam, auf den sich Al-Qaida gerne beruft, weist wie der von ihm beeinflußte Kreuzzug81 der „respublica Christiana“ eine hierokratische Instanz auf. Doch während für den christlichen Kreuzritter der Kreuzzug ein „mandatierter“ Auftragskrieg des Papstes ist, besteht für den Muslim eine permanente Verpflichtung zur „Anstrengung“, wie giha¯d in pazifistischer Verharmlosung häufig gedeutet wird, was aber – im Deutschen ist „Anstrengung“ etymologische Wurzel von „Krieg“82 – den wahren Charakter dieser Tätigkeit nicht verdecken kann. Denn der g˘iha¯d ist genaugenommen eine Aufforderung, die Waffe im persönlichen Kampf gegen Ungläubige einzusetzen, um sich die Ewigkeit zu sichern.83 Giha¯d, genauer „‚giha¯d fı¯ sabı¯l Alla¯h‘, bedeutet ‚die Ausbreitung des Islam auf dem Wege Gottes‘ oder ‚für Gott‘.“84 Da die Erde aus dem Reich des Friedens, da¯r al-isla¯m, und dem Reich des Krieges – da¯r al-harb, das Gebiet, das noch nicht islamisch ist – besteht, ist die Aufgabe des giha¯d die „Befriedung“ aller nichtislamischen Gebiete.85 Dabei ist zumindest der historische giha¯d nicht per se mit terroristischen Methoden gleichzusetzen, was der offene, ritterliche Ritus der Schlacht bei Badr belegt, in der von Mohammeds Kriegern drei ebenbürtige Kämpfer der Koraischiten herausfordern, sich einander vorstellen und als würdige Gegner anerkennen.86 Heutzutage aber agiert der islamische Terrorist als humanoider Tarnkappen-Bomber unauffällig, ist aber selbst im Ausland durch Satellitenfernsehen, Telekommunikation und moderne Elektronik „in seinem Dorf“.87 Während der Partisan analog zu Mao Fisch in „eigenen Gewässern“ ist, ist der islamische Terrorist ein fremder, aber als „Planktonfresser“ getarnter Fisch in fremden Gewässern, was ein gesteigertes Ausbildungsniveau im Vergleich zum Partisanen erfordert. Wenn der Planktonfresser seinen wahren Charakter durch das „bewußte Töten Unschuldiger, die zufällig am falschen Ort sind“,88 offenbart, kommt dies für die den Tod nicht aus eigener Auseinandersetung aufhaltungsfähigen Opfer aus „heiterem Himmel“ – und soll im übertragenen Sinne auch für den nach jenseitigem „Gewinnstreben“ blickenden Attentäter enden. Dies macht die Sicherung von Rückzugsmöglichkeiten und Fluchtwegen praktischerweise obsolet. 81 82 83 84 85 86 87 88

So Rajewsky 1980, S. 37. Grimm 2004, Band 11, Sp. 2212, S. 31. Vgl. Rajewski 1980, S. 24. Ebd., S. 19 f. Ebd., S. 27. Vgl. Huizinga 1961, S. 92. Vgl. Horx 2002, S. 345. Walzer 2003, S. 158.

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Die Vernetzungsstruktur islamischer Terrororganisationen ähnelt nicht nur aufgrund des steigenden Ausbildungsniveaus immer mehr einer internetgestützten89 Unternehmensholding mit Franchise-Nehmern, was auf ein merkwürdiges Paradoxon hinweist. Ohne die wirtschaftliche, kapitalistische Ordnung, ohne die Globalisierung, die sie eigentlich ablehnt, wäre diese Terror-Unternehmensholding nicht denkbar. Denn der Anschlag der Terroristen muß bekannt werden, die Terrororganisation braucht einen „Verwendungsnachweis“90, damit weitere Unterstützungsleistung im Rahmen einer Spende für die Sache Allahs eingefordert werden kann. Das Bekenntnis der Organisation zu einem Attentat, die Verbreitung der „Botschaft“ des Terrors, muß über den massenmedialen Markt und die Reihen des Feindes die eigenen Leute erreichen. Da die „Öffentlichkeit“ der westlichen Informationsgesellschaften immer neuere, stärkere Reize verlangt – denn die Zahl der Medien, der Informationen und Publikationen und auch des wissenschaftlichen Wissens nehmen exponentiell zu91 – steigert sich der Kampf um den in Geld umsetzbaren Aufmerksamkeitsmarkt. Dies hat nicht nur zur Reaktivierung des in der Frühen Neuzeit bekämpften individuellen Beuterechts und der Lösegeldforderung für Gefangene im Krieg geführt, sondern reicht von Erpressung und Geiselnahme über Entführung mit Enthauptung bis zur planmäßigen Kindererschießung. Sollte aber die westliche Berichterstattung „versagen“ oder „versiegen“, werden qua „freie Mitarbeit“ Enthauptungsvideos angefertigt und arabischen Sendern zugespielt. Der islamische Terrorist will und muß sich also einer doppelten Memetik versichern, zum einen der der säkularen Medienindustrie, zum anderen derjenigen Allahs, an dessen Thron er als Glaubenskämpfer mit dem Sonderstatus des Blutzeugen im Ausnahmezustand, des islamischen Märtyrers, gelangen möchte. Während der christliche Märtyrer gemacht wird, kann sich der islamische Glaubenskämpfer aktiv zu einem solchen machen,92 eine Passiv-Aktiv-Unterscheidung, die auch die Kombattantenform des Partisanen von der des Terroristen trennt. Den vom Terrorismus heimgesuchten Gesellschaften und Völkern droht mehr und mehr, daß sie die Sphäre des Politischen verlassen, die nach Schmittscher Definition in der Unterscheidung von Freund und Feind besteht, also in der Bestimmbarkeit des Gegners, was gerade beim Terroristen aufgrund seiner perfekten Tarnung kaum mehr möglich ist. Aktive Präven89 So Gray 2004, S. 106. Die „topographische Verkehrsmetaphorik“ (Schroer 2001/08/27, S. 3) des Internet – Datenmeer, Navigator, Surfer etc. – erinnert nicht zufällig an das Element des Piraten oder Flibustiers. 90 Münkler 2003b, S. 37. 91 Vgl. Rötzer 1998, S. 87. 92 Vgl. Maier 2004, S. 108 ff.

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tion ist schwierig, dennoch muß der Staat alles daran setzen, zumindest seine passive Kernkompetenz – das Feld der inneren Sicherheit – zurückgewinnen. Da der Terrorismus aber potentiell jeden Raum gefährdet, ist auch ein jeder potentieller Feind, so daß der Staat mit Überwachungstechniken kontert,93 die nicht an geographischen und privaten Grenzziehungen haltmachen und im Ergebnis nicht nur eine weitere Aushöhlung der Nationalstaatlichkeit bewirken, sondern auch den permanenten Ausnahmezustand erklären. Dabei geht es um nichts weniger, als den Restbestand staatlicher Strukturen zu sichern, denn, so Carl Schmitt, wer nicht die Macht hat zu schützen, hat auch nicht das Recht, Gehorsam zu verlangen.94 Der kriegserfahrene, israelische Militärexperte Martin van Crefeld stellt fest, daß kriegführende Parteien, die sich zu Beginn der Auseinandersetzung stark voneinander unterscheiden, irgendwann ihre Methoden an die des Gegners angleichen, während die ursprünglichen Kriegsgründe bei lang andauerndem Kampf in Vergessenheit geraten.95 Angesichts dieser Interdependenz, die Kriegführung wie politisches System betrifft, scheint die introjizierte96 Pleonexie westlicher Gesellschaften gefährdet, denn sie stirbt, wenn man sie nicht verteidigt, sie ist aber ebenso tot, wenn man sie durch die zwingende Identifizierung und Ausscheidung des Heterogenen rigide verteidigt. Angesichts dieser unglaublichen Herausforderung ist die Änderung von nationalen Wehrverfassungen und weltweit geltenden Konventionen nicht mehr unmöglich. Der amerikanische Terrorismus-Experte Walter Laqueur fordert eine „Änderung des internationalen Kriegsrechts: Die heute geltenden Konventionen entstanden in einer Zeit, die von der heutigen Situation sehr verschieden war. Wenn eine solche Aktualisierung nicht erfolgt oder, was durchaus möglich ist, wenn keine internationale Vereinbarung zu erreichen ist, werden Staaten eine solche Anpassung des Kriegsrechts einseitig vornehmen.97

93 Vielleicht wird bald schon das Individuum „nicht sicher sein, daß es wirklich allein ist. Wo es auch sein mag, ob es schläft oder wacht, arbeitet oder ausruht, im Bad oder im Bett liegt, es kann ohne Vorwarnung und ohne sein Wissen überwacht werden,“ vgl. Orwell 2002, S. 263. Der USA Patroit Act („Uniting and Strenghtening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act“) vom 26.10.2001 legt durch seinen Eingriff in eine Vielzahl von Gesetzen diese Vermutung nahe. 94 Vgl. Schmitt 1994 MuM, S. 15. 95 Crefeld 2001, S. 285. 96 Vgl. Marcuse 1998, S. 30 ff. 97 Laqueur 2004/05/05.

3.2 Die Bekämpfung der „hostes generis humani“

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3.2 Die Bekämpfung der „hostes generis humani“ 3.2.1 Die Renaissance der Renaissance – moderne Söldner Setzt ein Staat Söldner ein oder entsendet er Terroristen, so ist dies nach Artikel 3 der von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Aggressionsdefinition völkerrechtswidrig, was das Nicaragua-Urteil des IGH von 1986 bestätigt. Die Frage der Zurechnung ist allerdings problematisch, da eine solche effektiv und tatsächlich nur gegeben ist, wenn der Staat nach Artikel 8a des Entwurfs der International Law Commission wesentlichen Einfluß auf die Aktionen der illegalen Privaten nehmen kann.98 Dieser schwierige Nachweis begründet gleichzeitig den Vorteil eines globalen Einsatzes von Söldnern, die nicht nur im „Kampf gegen den Terrorismus“ eine kostengünstige Hilfe für „overstretched national armed forces“ sind, sondern sämtliche internationale Konventionen unterlaufen können, weil diese für sie nicht gelten können, da sie selbst keinerlei derartige Verträge unterzeichnet haben, ja als Nicht-Staaten gar nicht unterzeichnen können.99 Beim Söldnereinsatz sterben zwar Menschen, aber keine Soldaten einer regulären Streitmacht. Während Regierungen im besten Falle ihrem Parlament verantwortlich sind, sind private Firmen dies eigentlich nur gegenüber ihren Aktionären. Das Söldnerwesen ist typisch für Handelsstaaten, in denen das Kriegshandwerk selbst zum Gegenstand des Handels wird. Es erlebt seine Blütezeit in der durch die Geldwirtschaft und die Erschütterung der auf Tradition beruhenden legitimen Fürstengewalt100 gekennzeichneten Renaissance. Die persönliche Verpflichtung des Lehnsdienstes wird zu dieser Zeit zunehmend durch Geldleistungen ersetzt, das sogenannte „scutagium“, welches die Bezahlung von Söldnern ermöglicht. Städte und Städtebünde – die ganze Epoche ist städtisch geprägt – führen nun mit eigenen Heeren und Flotten Krieg.101 Als sich das einfache Volk und die Bauernschaft an den italienischen Städteunruhen beteiligen, bedeutet dies den Triumph der „condottieri“102 aus den Adelsfamilien der Gonzaga, Visconti und Sforza oder den der erfolgreichen Bankiers wie der Medici.103 Die Städte eroberen ihr Umland, 98

Vgl. Blumenwitz 2003a, S. 313. Ruf 1998, S. 5. 100 Vgl. Weber 1992, S. 16. 101 Vgl. Grewe 1988, S. 81. 102 „condotta“ = geführte Schar, Jähns 1885, S. 202; ebenso wurde der Soldvertrag „condotta“ genannt, Fiedler 1985, S. 16. 103 Vgl. Crefeld 1999, S. 94. 99

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

um sich ein landwirtschaftliches Hinterland und einen Absatzmarkt zu verschaffen. Das Anwerben von Söldnern ist eine auf einer Kosten-NutzenKalkulation beruhende Kapitalanlage,104 weswegen intensiv vor einer Schlacht geprüft wird, ob der Feind überhaupt zu schlagen ist105 oder ob es sinnvoller erscheint, die Schlacht nicht zu wagen. Politische Grenzen spielen bei der Rekrutierung von Söldnern keine Rolle, denn mit der Indienststellung von Kriegern aus fremden Ländern, Verbannten oder Heimatlosen, sind Vorteile verbunden. Sie können nicht mit anderweitigen, territorial naheliegenden Bindungen in Konflikt geraten und bringen in vielen Fällen eine überlegene Kriegstechnik mit. Wenn sie keine Christen sind, brauchen sie sich auch nicht an die kirchlichen Vorgaben zu halten, wie beispielsweise die sizilianischen Sarazenen zu Zeiten des Stauferkaisers Friedrich II., die hinsichtlich der auf dem Laterankonzil des Jahres 1137 verhängten Androhung der Exkommunikation bei Gebrauch von Armbrust und Bogen gleichgültig sind.106 Zudem sind weder der Geist der mittelalterlichen Ritterethik, Ehr- und Pflichtgefühl, noch strengste Strafandrohungen in der Lage, die militärische Zucht in den meist nur für kurze Zeit und einen bestimmten Zweck angeworbenen Söldnerheeren aufzurichten.107 Bereits die auf Friedrich Barbarossas viertem Italienfeldzug 1167 angeworbenen „Brabanzonen“ verstoßen gegen ritterliche Gesetze, als sie auf dem Rückmarsch in der Champagne und im Gebiet des Erzbischof von Reims plündern.108 Der Aufstieg des Söldnertums scheint daher zumindest partiell mit Disziplinlosigkeit und dem Gebrauch von verbotenen oder unehrenhaften Waffen in Zusammenhang zu stehen. Fehlende militärische Disziplin und eine durch „Zeitarbeitsverträge“ nur lockere Bindung an den „Arbeitgeber“ resultiert letztlich darin, daß die Condottieri und ihre Söldner häufig wenig geneigt sind, Leib und Leben zu riskieren. Denn so wie der Söldner über den Soldvertrag hinaus keine Bindungen an den Kriegsherrn anerkennt, so sieht sich dieser keinen sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Pflichten den Söldnern gegenüber schuldig.109 Tatsächlich bleiben bei Ablauf eines Soldvertrages die Soldaten sich selbst überlassen, füllen Siechenhäuser, betteln oder organisieren sich als Banden. So wird das Ziel des Condottiere der Scheinsieg – man lebt schließlich vom Krieg.110 Über diese „Verewiger“ des Krieges resümiert Machiavelli, dessen Sympathie einem Bürgerheer aus Landeskindern gilt: 104 105 106 107 108 109

Vgl. Papke 1983, S. 115. Vgl. Fiedler 1985, S. 9. Jähns 1885, S. 200. Oestreich 1957, S. 300. Zotz 2002, S. 179. Papke 1983, S. 118.

3.2 Die Bekämpfung der „hostes generis humani“

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Söldner und Hilfstruppen sind unnütz und gefährlich. Ein Fürst, der sich auf sie verläßt, ist nie sicher. Sie sind uneins, ehrgeizig, undiszipliniert, treulos, tapfer unter Freunden, feig gegen Feinde und haben weder Gottesfurcht noch Redlichkeit. [. . .] nur der Sold knüpft sie an den Dienst, und dieser ist nicht groß genug, um ihnen zum Tode für Dich Last zu machen.111

Als Machiavelli dies niederschreibt, hatten sich die Condottieri bereits gegen die eingedrungenen Spanier, Deutschen und Franzosen als chancenlos erwiesen.112 Am 6. Mai 1527 nimmt das meuternde Heer Frundsbergs, die unbezahlten spanisch-deutschen Söldnerscharen, Rom und plündern es in entsetzlicher Weise.113 Auch Hernán Cortéz ist, wenn man so will, ein Condottiere, denn die Eroberung Mexikos beschließt er nicht als regulärer Soldat mit königlichem Auftrag oder entsprechendem Vertrag, der capitulación, weswegen er sich durch seine Lageberichte, den „cartas de relación de la conquista de Méxiko“ königliche Legitimation und Belohnung erhofft. Grotius kommentiert das Söldnerwesen knapp einhundert Jahre später: So wie aber die Kriegsbündnisse unerlaubt sind, bei welchen zu jedem Kriege ohne Unterschied Hilfe versprochen wird, so ist auch keine Lebensweise verwerflicher als die derjenigen, welche ohne Rücksicht auf die Sache, sondern nur um des Soldes willen Kriegsdienste leisten und bei denen der Satz gilt „Dort ist das Recht, wo der Sold am höchsten ist“. Es wäre nicht so schlimm, wenn sie nur ihr Leben verkauften und nicht auch das anderer Unschuldiger; dadurch sind sie schlechter als der Henker; denn es ist schlechter, ohne Recht als mit Recht zu töten.114

Wie in der Entstehungszeit der Condotta bildet sich auch gegenwärtig ein System länderübergreifender Stadtregionen heraus, die einander ähneln: In 50 Jahren wird es mehr als 100 Mega-Cities mit einer Einwohnerzahl von über fünf Millionen geben und in 25 Jahren werden zwei Drittel der Menschheit in Städten leben.115 Dabei fällt auf, daß die globale Stadt bereits heute mit vielen Regelungsproblemen behaftet ist, wobei vor allem gesellschaftliche und ethnische Konflikte das Zusammenleben der Einwohner der Metropolen belasten.116 Zwischen 1990 und 1994 sind in den USA 110 So antwortet der im 14. Jahrhundert erfolgreiche Söldnerführer John Hawkwood auf den Gruß zweier Minoriten-Mönche „Friede sei mit Euch!“ mit „Und möge Euch Euer Almosen nehmen!“ und erläutert dies folgendermaßen: „Wie meint Ihr Gutes zu reden, wenn Ihr mir wünscht, daß ich Hungers sterben soll? Wißt Ihr denn nicht, daß ich vom Kriege lebe und Friede mich aufzehren würde. Wie ich aber vom Kriege lebe, so ihr von Almosen,“ zitiert nach Jähns 1885, S. 205. 111 Machiavelli 2000b, S. 437. 112 Vgl. Münkler 2003a, S. 95. Das Ereignis geht als „Sacco di Roma“ in die Geschichte ein. 113 Frauenholz 1927, S. 73. 114 Grotius 1950, 2., 25., IX., 2., S. 409. 115 Laskowski 2001, S. 261.

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etwa 120000 Menschen ermordet worden, davon überdurchschnittlich viele direkt in der Innenstadt; das entspricht dem Zweifachen der amerikanischen Kriegsopfer im gesamten Vietnamkrieg.117 Es entstehen mehr und mehr „gated communities“, einhergehend mit einer wachsenden Nachfrage nach privatisierten Sicherheitsunternehmen, die sich wiederum aus den durch die Umstrukturierung der Armeen in den 90er Jahren weltweit etwa sechs Millionen entlassenen Soldaten und Hunderttausenden von Geheimdienstmitarbeitern speisen. Daraus resultiert zweierlei. Zum einen führt die auch im Militärbereich zunehmende Neigung zum „outsourcing“, verbunden mit der „Freikaufmentalität postheroischer Gesellschaften“,118 immer mehr zu stehenden Söldnerheeren. Das US-Militär bedient sich unter anderem kanadischer Indianer, die, weil sie mit einer Aufenthaltsgenehmigung angeworben werden, „greencard soldiers“ genannt werden.119 Zum anderen ist das entlassene Militärpersonal der 90er Jahre ein willkommenes Potential für die „globalen Reise120-Unternehmen“.121 Deren Angebotspalette reicht von bewaffneten Operationen, Militärberatung, Lageanalyse, logistischer Unterstützung bis zu Wiederaufbaumaßnahmen.122 Mittlerweile sind insgesamt 90 Militärdienstleister mit etwa acht Prozent jährlichen Wachstums in weltweit 110 Ländern tätig, von denen Sandline, als Nachfolgeunternehmen von Executive Outcomes, und Military Professional Resources Incorporated (MPRI) mit Sitz in Alexandria/Virginia die bekanntesten sind. MPRI wird 1988 vom Ex-Generalstabschef der US-Armee Carl Vuono begründet und hat bereits Exil-Iraker vor dem Irak-Krieg 2003 im ungarischen Stützpunkt Tascar trainiert. Der Militärdienstleister behauptet nicht ohne Stolz, mit mehr Generälen pro Quadratmeter aufwarten zu können als das Pentagon und kann insgesamt auf mehr als 12000 ehemalige US-Militärs zurückgreifen.123 Im Bereich „Logistik und Transport“ ist Kellogg, Brown & Root, eine Tochter des ehemals von Dick Cheney geleiteten Ölkon116

Vgl. Ebd., S. 231. Lock 2003/10/12, S. 14. 118 Vgl. Münkler 2003a, S. 238 f. 119 Vidal 2004. 120 „Reise“ ist eine im 16. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung für „Aufbruch zum Kriege“ oder „Kriegszug“, vgl. Grimm 2004, Band 14, Sp. 718, S. 46. 121 Das russische Flugzeugunternehmen Sukhoi bietet beispielsweise Kampfflugzeuge samt Piloten und Bodenpersonal an und kämpfte Ende der 90er Jahre auf beiden Seiten der sich bekriegenden Staaten Äthiopien und Eritrea, vgl. Kanzleiter 2003, S. 178. 122 Vgl. Ruf 1998, S. 5. 123 Vgl. Kanzleiter 2003, S. 182. 117

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zerns Halliburton, weltweit tätig. 2002 bauen sie das Gefängnis auf Guantanamo Bay. Vinell wiederum, auch mit einigen tausend Männern am Golf vertreten, ist eine Tochtergesellschaft der Carlyle Group, hinter der der ehemalige Außenminister James Baker, der britische Ex-Premier John Major und George Bush, Vater von George W. Bush, stehen.124 DynCorp hat den Aufbau der irakischen Polizei übernommen, führt Sprühflüge gegen KokaPlantagen in Kolumbien durch und stellt die Leibgarde des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai.125 Während bei der Operation „Desert Storm“ von 1991 nur 2% des US-Expeditionskorps Beschäftigte einer „Private Military Company (PMC)“ sind, sind es im Irak-Krieg 2003 etwa 10%.126 Am 25.07.2003 meldet der in London beheimatete „telegraph“, daß das internationale Kriegsverbrecher-Tribunal in Sierra Leone der britischen Firma Northbridge Services Group grünes Licht gegeben habe, den liberischen Präsidenten Charles Taylor zu arrestieren. „How they get their money“, so der „Chief of Investigation“ des Gerichts, Alan White, „is their own business.“ Alleine daran scheitert das Unternehmen, denn es findet sich kein Financier für die 3 Millionen britische Pfund schwere Aufgabe. Wenn Ex-US-Außenminister Henry Kissinger diagnostiziert, daß der 11. September „mit der Privatisierung der Außenpolitik durch Nicht-Regierungsgruppen, die heimlich oder direkt von traditionellen Staaten unterstützt werden, eine neue Herausforderung“127 bringt, dann scheint diese Herausforderung seitens der Vereinigten Staaten mit ähnlichen Mitteln beantwortet worden zu sein. Die Ordnung, die Söldner und Terroristen verbindet, ist paradoxerweise die Wirtschaftsordnung, die dem einen Auskommen oder Gewinnstreben im „Sicherheitsbereich“ offeriert, dem anderen die geeignete mediale VerkaufsPlattform für die religiös-ideologisch begründete Destruktion menschlichen Lebens bietet. Die Finanzierung beider erfolgt nicht mittels fester Besoldung innerhalb eines Beamten- oder Angestelltenverhältnisses, sondern ist auftragsabhängig. Weitere Beute verspricht die globale Schattenwirtschaft, weswegen der Kampf gegen den Terrorismus auch ein Kampf gegen die Schattenwirtschaft und das Bankgeheimnis ist, damit aber zwangsläufig die Freiheit des Marktes einschränken muß. Sind Flibustiers der Widerpart der Conquistadoren, ideologisch-nationale Partisanen die Antagonisten der Kriegsfreiwilligen, so sind materiell moti124

Oberndorfer 2003/03/23. Misser 2003/04/22. 126 Kanzleiter 2003, S. 176. Die „Welt“ vom 21.09.2004 berichtet unter „Krieg als Geschäft – Die Söldner der Moderne“, daß 20000 „contractors“ von „PMCs“ im Irak eingesetzt sind. 127 Kissinger 2003/05/04. 125

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vierte Söldner und religiös ausgerichtete Terroristen völkerrechtswidrige Komplementäre der nationalen (Berufs)Heere, die im Rahmen globaler Terrorbekämpfung und der unteilbaren Sicherheit von Europa und Nordamerika128 ihr Land „auch am Hindukusch“ verteidigen und dafür sorgen, „daß Menschenrechte eingehalten werden“.129 Hatte im Mittelalter der „Zug des Adels auf den Berg“130 eine Symbiose von Name und Ort in der „Stammburg“ und damit eine Verortung, eine lokale Fesselung des Kriegertums bewirkt, so scheint sich mittlerweile der Zusammenhang zwischen Herkunft, tradierter Waffe und Einsatzgebiet vollständig aufzuheben. Terrorist und Söldner besitzen im Vergleich zum Partisanen keine starke tellurisch-ideologische Bindung. Sie kommen scheinbar aus dem Nichts, werden abgesetzt, erfüllen ihren Auftrag – Liquidierung, Kidnapping, Waffenhilfe – und verwischen ihre Spuren. Die Erlangung eines (realisierbaren) politischen Zieles ist nicht Voraussetzung ihrer Gewaltanwendung. Der schweizerische Major von Dach verdeutlicht bereits zu Mitte des vergangenen Jahrhunderts, daß die Bekämpfung des subversiven Krieges nur subversiv erfolgen kann: Der subversive Krieg steht heute vollwertig neben Atomkrieg und Kampf mit konventionellen Streitkräften. [. . .] Es ist leichter, die Bildung subversiver Kräfte zu verhindern als nachträglich solche zu vernichten. [. . .] Die Vernichtung subversiver Kräfte kann nur durch Angriff erfolgen. [. . .] Zehn kleine Angriffe sind wertvoller als eine einzige Großaktion. [. . .] Die eigene Beweglichkeit muß größer sein als diejenige der subversiven Kräfte.131

Ein die Konflikte verschärfendes Moment ist die mit der globalen Deterritorialisierung einhergenden Teilnahme nicht zentralisiert gelenkter, genuin Unbeteiligter, aber interessierter Dritter, Privater, hinzu. Etwa 100 deutsche Freiwillige haben beispielsweise auf kroatischer Seite, 100 Griechen auf serbischer Seite und etwa 3.000 Mujaheddin auf bosnischer Seite in den jugoslawischen Kriegen der 90er Jahre gekämpft.132 Im Irak-Krieg nahmen und nehmen Mujaheddin/Fedajin diverser nationaler Herkünfte teil. Die sich vor Ausbruch der Kriegshandlungen dem Irak zur Verfügung stellenden menschlichen „Schutzschilde“ sind deren nach Muster eines „sit-ins“ agierende, pazifizierte und passive Variante.

128

Vgl. Artikel 27, „Neues Strategisches Konzept“, Statut der NATO, 1999, in Nato 1999, S. 8. 129 Struck 2004/01/21. 130 Fleckenstein 2002, S. 88. 131 Dach 1989, S. 193 ff. 132 Kanzleiter 2003, S. 179.

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3.2.2 Das luftgestützte Massaker Das Massaker an Zivilisten – nicht nur das von Terroristen verursachte – wird gegenwärtig als Instrument der Kriegführung wiederbelebt. Bereits 1921 schreibt der „Prophet der Luftstreitkräfte“, der italienische General Giulio Douhet, in „Il dominio dell’aria“: Wer auf Leben und Tod kämpft – und anders kann man heutzutage nicht mehr kämpfen –, hat das heilige Recht, alle vorhandenen Mittel zu benutzen, um nicht selbst zugrunde zu gehen. Sich in den Untergang des eigenen Volkes zu schicken, um nicht gegen irgendwelche papierenen Konventionen zu verstoßen, wäre Wahnsinn. Die Einschränkungen, welche scheinbar mit Bezug auf sogenannte barbarische und verbrecherische Kriegsmittel gemacht werden, sind nur eine Lüge internationalen Charakters.133

Der britische Militärschriftsteller Cyril Falls ergänzt am 16.3.1943 in einem Artikel der „Illustrated London News“ kritisch: Der totale Krieg erweitert die Ziele außerordentlich, die der Gegner anzugreifen nützlich findet. Unter diesen Umständen verliert das Wort Zivilist seine Bedeutung. Wenn der gesamte politische Körper im Krieg ist, muß jeder Schlag zählen – auf welchen anatomischen Teil immer er treffen mag. Dies hängt bis zu einem gewissen Grad mit der Natur des totalen Krieges zusammen. Zuerst wurde erklärt, Munitionsfabriken seien ein legitimes Ziel; der nächste Schritt war, daß alle Fabriken als Ziel erklärt wurden; dann wurde entschieden, daß durch die Zerstörung der Wohnhäuser in der Nähe der Fabriken eine weitere Unterbrechung der Arbeit gesichert würde. Wir können annehmen, daß hierauf jemand die Vernichtung von Kinderheimen, Schulen und Mütterheimen verlangen wird, weil hierdurch die Leistung der Arbeiter weiter zurückgehen werde.134

Die Stellungnahmen von Douhet und Falls verdeutlichen nicht nur die Aufhebung von Front und Hinterland, sondern auch den Weg von der Diskriminierung der Kombattanten von Nichtkombattanten zur Ausdehnung des Feindbegriffes und der Diskriminierung der menschlichen Qualität des gesamten Feindes. Die Diskriminierung des gesamten Feindes erlaubt dann in Fällen der groben Waffenungleichheit die Anwendung des eigenen überlegenen Waffenpotentials.135 Mit der Weiterentwicklung der Waffen und der totalen Diskriminierung des ganzen Feindes wird dieser, wie der italienische Philosoph Giorgio Agamben beschreibt, zum „homo sacer“, jemand, „der getötet werden kann, aber nicht geopfert werden darf.“136 Nach Agamben ist Souverän derjenige, 133 134 135 136

Zitiert nach Wallach 1972, S. 330. Zitiert nach Wellems 1983, S. 227. Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 298. Agamben 2002, S. 81.

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der diese „Verbannten“137 bestimmt und dem gegenüber alle Menschen potentiell zwischen Tier und Mensch stehende „homines sacri“ sind.138 Die souveräne Macht schafft hier das nackte Leben,139 das sich zwar außerhalb der Sphäre des Politischen und des Religiösen befindet, dadurch aber paradoxerweise politischer ist als alle anderen.140 Das nackte Leben wird auf dem Operationstisch des souveränen „Chirurgen“ ausgebreitet und anschließend das therapeutisch Erforderliche definiert. Die Opfer eines chirurgischen Schlages, eines „surgical strike“, sollen dann exakt und ohne Überlebenschance eliminiert werden. Die dennoch Überlebenden sollen durch „shock and awe“, „Furcht und Ehrfurcht“, konditioniert werden, was aufgrund der religiösen Konnotation an ein Autodafé erinnert, das „Furcht vor der geheimnisvollen Macht der Inquisition und einen heilsamen Abscheu vor der Ketzerei einzuflößen“ hatte und „äußerlich soweit wie möglich eine Darstellung des jüngsten Gerichts“141 sein sollte.142 Die luftgestützten Hinrichtungskommandos, deren Waffen nur dem Unkraut gelten und damit „daisy cutter“143 heißen, haben keine Ähnlichkeit mehr mit ihren terranen Pendants, die noch mit einer Mischung aus scharfer Munition und Platzpatronen ausgestattet wurden, damit sich die Exekutoren über die unehrenhafte Schändlichkeit ihres Mordens hinwegtäuschen konnten. Waffen und Art der Kriegführung entstehen aber nicht im leeren Raum, sie prägen Vorstellungen von der Natur des Krieges, wie er zu führen sei, und sind gleichzeitig selbst ein Produkt dieser Vorstellungen.144 Während der Soldat westlicher Armeen als analoges Medium digitalisierter Maschinen aufs Schlachtfeld zieht, entdeckt ein bestimmter Terroristentypus den 137 Italienisch „abbandonato“; „bandito“ meint sowohl „ausgeschlossen, verbannt“ als auch „für alle offen, frei“, vgl. Ebd., S. 39. 138 Ebd., S. 115. 139 Ebd., S. 190. 140 Vgl. Ebd., S. 193. 141 So Lea 1992, S. 358. 142 Hier gilt, was Michael Walzer zum Einsatz von Atomwaffen festhält: „This distinction is only plausible, however, if one renders a judgment not only against the leaders of Japan but also against the ordinary people of Hiroshima and insists at the same time that no similar judgment is possible against the people of San Francisco,“ Walzer 2000, S. 264. 143 Ein Grundgedanke der Verkündigung des Jasaja in 40,6–8 ist die Vergänglichkeit des Irdischen, daß der Mensch wie eine Blume ist, die einen Tag blüht, am nächsten aber abgemäht wird: „Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorret, die Blume verwelket [. . .] aber das Wort unseres Gottes bleibet ewiglich.“ Es scheint, daß der „Daisy Cutter“ hier eine Katalysator-Funktion übernehmen möchte. 144 Crefeld 2001, S. 61.

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menschlichen Körper als Waffe des totalen Krieges, der die Tötungsdistanz zum Opferkörper auf ein Minimum schrumpfen läßt. Dem Selbstmordattentäter, der die Technik mit seinem menschlichen Körper tarnt und verbirgt, um sie distanzfrei unter Verlust seines Lebens zu verwenden, steht das vermählende Umgeben des Menschen mit der Technik gegenüber, die dessen Tötungskapazität aber auch dessen Schutzschirm gleichzeitig vervielfacht. Die Asymmetrie des „David-Goliath-Verhältnisses“ zweier Gegner, von militärischer Supermacht gegen einen technologisch rückständigen Gegner, ist keine moderne Erfindung, denn teure Plattenharnische und Schmiedkunst standen schon häufig gegen Dreschflegel und Mistgabel. Doch in diesem Fall ist die Intensität der Asymmetrie ganz besonders ausgeprägt. Heutzutage können einige Geschwader moderner Jagdbomber innerhalb eines Tages soviel Tonnen Sprengstoff abwerfen, wie eine ganze Division verschießt – zudem kostet dies nur den siebenten Teil an Personal und birgt weniger Gefahr für die eigenen Soldaten.145 Auf dem Display eines dieser nüchternen Kampf-Artefakte mutieren menschliche Wesen und ihre Behausungen zum Pixel. Das Ausmaß zwischenmenschlicher Distanz scheint unmittelbar proportional zur Reichweite der Waffen zu sein und für den „Waffensystemmanager“ mit einer Art innerer Teilnahmslosigkeit verbunden.146 Es gehört noch bis vor kurzem zu den Erklärungen westlicher Gesellschaften, das Töten im Kriege für Soldaten damit erträglich zu machen, indem man erklärt, daß sie ja derselben Todesgefahr ausgesetzt seien wie ihre Gegner.147 Den mindestens 100.000 gefallenen irakischen Soldaten des zweiten Golfkrieges stehen 148 getötete Amerikaner gegenüber;148 auf jeden irakischen Versuch, eine der vorrückenden, weit voneinander getrennten Kolonnen anzugreifen, erfolgen sofort vernichtende Luftangriffe,149 unter anderem mit F-117 „Stealth“-Bombern. Im dritten Golfkrieg sterben zwischen 11.000 und 15.000 Iraker, ein Drittel davon sind Zivilisten, während es bei „Desert Storm“ etwa 15% gewesen sein sollen, so die Angaben der Wissenschaftler des „Project on Defense Alternatives (PFD)“ mit Sitz im Bundesstaat Massachussetts.150 Die Vereinigten Staaten, die bis zum deklarierten Ende der Kampfhandlungen im Mai 2003 138 gefallene Soldaten beklagen, wenden im Irak-Krieg Napalm-Brandbomben, Streubomben und Uran145

Vgl. Steinhoff 1975, S. 145. Sofsky 1996, S. 186 bezieht sich explizit auf Flugzeugbesatzungen und Artilleristen. 147 Vgl. Keegan 1991, S. 375. 148 Vgl. Münkler 2003b, S. 95. 149 Luttwak 2003, S. 255. 150 Vgl. PDA 2003. 146

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Munition an,151 was letztlich das Abwälzen personaler „Opferkosten“ vom Intervenierenden auf Dritte, nämlich Zivilisten, bedeutet.152 Die Kampfmodi „postheroischer Gesellschaften“153 manifestieren sich bereits im Zweiten Weltkrieg, als die USA die besonders verlustarme Strategie der Mehrfachbombardierung entwickeln, bei der die feindlichen Stellungen in mehreren Wellen solange bombardiert werden, bis sich kein Widerstand mehr regt, erst dann greifen die Bodentruppen in die Kämpfe ein.154 Die von Michael Walzer scharf kiritiseriten „Rules of Engagement“ regeln das Verhalten der US-Streitkräfte im Vietnam-Krieg wie folgt: (1) A village could be bombed or shelled without warning if American troops had received fire from within it. [. . .] (2) Any village known to be hostile could be bombed or shelled if its inhabitants were warned in advance, either by the dropping of leaflets or by helicopter loudspeaker. [. . .] (3) Once the civilian population had been moved out, the village and surrounding country might be declared a „free fire zone“ that could be bombed and shelled at will. It was assumed that anyone still living in the area was a guerrilla or a „hardened“ guerrilla supporter.155

Eine ehrenvolle Auseinandersetzung muß ein Minimum von Möglichkeiten eines Sieges für beide Gegner beinhalten. Krieg beginnt nicht dort, wo manche Menschen anderen das Leben nehmen – dies liegt auch beim Mord vor –, sondern dort, wo sie bereit sind, ihr eigenes zu riskieren. Die Tapferkeit, die nach Thomas von Aquin von der Gerechtigkeit abhängig ist,156 entsteht erst, wenn sie von der „maß-gebenden“ Klugheit „in-formiert“ wird, die innere Form erhält.157 Tapferkeit setzt Verwundbarkeit voraus, denn ohne Verwundbarkeit gibt es keine Möglichkeit zur Tapferkeit – ein Engel beispielsweise kann nicht tapfer sein, weil er nicht verwundbar ist.158 Bloßes „Abknallen“ wird man weder als gerecht noch tapfer, noch als Kampf zwischen Kombattanten verstehen können.159 Wenn die Welt nur 151 „USA warfen im Irak geächtete Brandbomben ab“, Süddeutsche Zeitung vom 09.08.2003. 152 Vgl. Merkel 2003, S. 50. 153 Münkler 2003b, S. 140. 154 Voigt 2002, S. 321. 155 Zitiert nach Walzer 2000, S. 189 f. 156 „Die Klugheit hat unter den Angeltugenden die Führerschaft inne, ihr folgt die Gerechtigkeit, in der Reihe dann der Starkmut, hinter dem die Tugend der Mäßigung steht,“ so Aquin 1985, II-II, q.123, 12, S. 456. 157 Pieper 1954, S. 44. Ferner: „Die kriegerische Tugend kann Kunst sein, sonach sie gewisse Regeln hat, gewisse äußere Dinge richtig zu gebrauchen [. . .] Die Ausübung des Kriegsdienstes gehört zur Tapferkeit, seine Richtleitung aber an die Klugheit, zumal sonach sie dem Heerführer innewohnt,“ Aquin 1985, II-II, q. 50, 4, 3, S. 230. 158 Pieper 1954, S. 29.

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noch aus zwei Klassen bestünde, aus jener, die Bomben werfen läßt,160 und jener, die bombardiert wird, dann wird es moralisch heikel, so Michael Walzer.161 Das Töten Wehrloser führt nicht zur Herausbildung der Merkmale eines „Kämpfers“, sondern eher zu sadistischen Formen. Da glücklicherweise die meisten Menschen nicht so beschaffen sind, daß sie sich lange als Sadisten aufführen könnten,162 verweigern die Anständigsten ihren Dienst, wie „Die Welt“ am 23.12.2003 von neun israelischen Kampfpiloten und 13 Generalstäblern berichtet, die nicht mehr an der luftgestützten Liquidierung und „an der Unterdrückungsherrschaft in den besetzten Gebieten, an der Verneinung für Menschenrechte für Millionen Palästinenser“ teilnehmen wollen. Einen ehrenvollen Kampf kann es nur mit einem gleichberechtigten Gegner geben, die Bekämpfung eines bis zur Unkenntlichkeit als Verbrecher diskriminierten Feindes verlangt wie die Vertilgung von Ungeziefer Schädlingsbekämpfer und deren Methodik.163

159 Bereits Herodot führte an, daß die Perser zwar töten, aber nicht sterben wollten, vgl. Stephan 1998, S. 155. 160 Die technischen Entwicklungen von unbemannter Drohnen führen dazu, daß über den „Schlachtfeldern“ immer häufiger unbemannte Flugzeuge kreisen, die sowohl aufklären als auch zukünftig kämpfen können, vgl. Krüger 2003/07/27. 161 Walzer 2003, S. 115. 162 Vgl. Crefeld 2001, S. 259. 163 Der „Enthauptungsschlag“ (Dekapitation) mittels „smart bombs“, wie er am 20. März 2003 gegen 3.30 Uhr gegen das Zentrum Bagdads gerichtet ist (vgl. Münkler 2003b, S. 19), wird nach Artikel 23, Absatz 1b der Haager Landkriegsordnung als „heuchlerischer Tötungsversuch“ gewertet und ausdrücklich untersagt (vgl. Blumenwitz 2003a, S. 322). Und das, so Michael Walzer, aus guten Gründen: „Denn es sind die führenden Politiker des gegnerischen Staates, mit denen wir eines Tages über den Frieden werden verhandeln müssen.“(Walzer 2003, S. 167) „Regime change can be one consequence of a just war, but waging a war primarily to get rid of a foreign leader, even a dangerous one, could set a dangerous precedent and is generally inconsistent with just war principles,“ vgl. American Values 2002b, S. 1. Doch ist dies alles nicht neu, wie ein Auszug aus Thomas Morus „Utopia“ beweist: „Sofort, nachdem daher der Krieg erklärt ist, sorgen sie dafür, daß heimlich und zu gleicher Zeit eine große Anzahl mit ihrem Staatssiegel versehener Proklamationen an den bekanntesten Orten des feindlichen Landes angeheftet werden, worin ungeheure Summen als Belohnung für denjenigen ausgesetzt werden, der den Fürsten des feindlichen Volkes aus dem Leben schafft, dann geringere, obwohl immer noch sehr bedeutende, für die einzelnen hervorragenden Häupter beim Feinde, die in jenen Schriftstücken desgleichen geächtet sind,“ Morus 1896, S. 131 f. Schon vor Kriegsbeginn präsentierten die USA eine Liste mit mehr als 2000 Namen führender Iraker, deren Strafbarkeit erwiesen war oder sich aber an ihrem Verhalten während der Kampfhandlungen erweisen sollte, vgl. Koydl 2003/02/27.

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3.2.3 Die Gefangennahme Gegenwärtig sind Rechtsbegriffe und Kriegskonventionen im Fluß. Der Versuch, sich der durch Konventionen geschaffenen Regulierung gewaltsamer Auseinandersetzungen zu entziehen, ist nicht neu und trifft – mal mehr, mal weniger – auf viele kriegführende Nationen zu. So brennen spanische Conquistadoren ihren Gefangenen mit heißen Eisen ein „G“ für Guerra ein164 und lassen sie in den Bergwerken zu Tode schuften, was schon die Wandlung des Sklavenstatus oder aber die „Unverkäuflichkeit“ des unehrenhaften Gefangenen verdeutlicht.165 „Das Lager als der reine Raum der Ausnahme öffnet sich, wenn der die Regel suspendierende Ausnahmezustand beginnt,“166 so der italienische Philosoph Giorgio Agamben. Diese Institutionalisierung und Fortdauer des Ausnahmezustands gegenüber einem als unmenschlich diskriminierten Feind zeigt offenbar, daß Befreiung ohne Repression nicht denkbar ist. Augenblicklich werden in amerikanischen Lagern Menschen gefangen gehalten, denen der Status des „prisoner of war“ nicht zugebilligt wird. Bei den sogenannten „illegalen Kombattanten“, einer „Modifikation“ geltenden Völkerrechts, handelt es sich um festgenommene Kämpfer, die kein bleibendes und von weitem erkennbares Unterscheidungszeichen während der Auseinandersetzung geführt haben. Noch im Vietnam-Krieg werden die in der Regel keine Unterscheidungszeichen führenden und verdeckt agierenden Vietcong als Kriegsgefangene behandelt.167 Dem III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen und dem IV. Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten sind „illegale Kombattanten“ fremd, denn wenn die Person nicht die Merkmale eines Kombattanten trägt, so unterliegt sie als Zivilperson automatisch dem IV. Genfer Abkommen und erhält damit den Status einer Zivilperson. Die Schaffung einer neuen Kategorie stellt zwar wesentliche Grundsätze des humanitären Völkerrechts zur Disposition, doch scheint dies eine Reak164

Cortéz 1975, S. 130. Grotius berichtet über die Stellung des „servus“ im Altertum, „daß die Feldherren die Gefangenen zu versteigern und dadurch zu erhalten (servare) und nicht zu töten pflegten,“ vgl. Grotius 1950, 3., 7., V., 1., S. 481. 166 Agamben 2002, S. 177. Auch General Eisenhower erklärt 1945 die eingesammelten deutschen Soldaten als „disarmed enemy forces“ und nicht als „prisoners of war“, läßt diese auf den Rheinwiesen mit Stacheldraht umzäunen und isolieren, was vermutlich etwa 30.000 Hunger- und Seuchentote zur Folge hatte, so Jörg Friedrich in der „Welt“ vom 30.06.2004. Ein Kriegsende mit dem Irak ist bis dato nicht deklariert worden. Dies hätte aber unter anderem umfassende Regelungen, die Kriegsgefangenen betreffend, zur Folge. 167 Heinegg 2003/04/08. 165

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tion auf die einen weiteren Aspekt asymmetrischer Kriegführung darstellende Vernachlässigung militärischer Konventionen seitens der „illegalen Kombattanten“ zu sein. Dies muß zwangsläufig eine bewußte Aufhebung der Diskriminierung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten, den Zivilisten, zur Folge haben. Im Frühjahr 2003 – vor dem Irak-Krieg – sind bereits weltweit rund 3.000 Terrorverdächtige in Haft, vielfach an Orten, die keiner rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen wie in Guantanamo, Diego Garcia, der von den USA gemieteten und gemeinsam mit England genutzten Insel im Indischen Ozean, dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram in der Nähe von Kabul, auf Flugzeugträgern der US-Marine und an anderen Orten befreundeter Staaten.168 Im April 2003 werden auf Guantanamo 660 Männer aus 42 Ländern, dabei etliche Jugendliche unter 16 Jahren, festgehalten.169 Da Guantanamo Bay kein US-Territorium ist, können nach amerikanischer Lesart den Verdächtigen die Garantien der amerikanischen Verfassung vorenthalten werden170 – „no peace beyond the line“. Doch ließen sich auf Guantanamo mehrere Rechtsregime anwenden,171 so daß Ende Juni 2004 der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten feststellt, daß den Gefangenen in Guantanamo das Recht auf Gehör vor einem amerikanischen Gericht, insbesondere zu den Gründen ihrer Inhaftierung, zustehe. Die Tatsache aber, „daß häufig den anderen das Menschsein abgesprochen wird, verschiebt den Konflikt auf das Niveau einer zwischenartlichen Auseinandersetzung. Dem biologischen Normenfilter, der destruktive Aggressionen auch beim Menschen hemmt, wird ein kultureller Normenfilter überlagert, der zu töten gebietet,“172 so der Verhaltensforscher Irenäus Eibl168

Heinz 2004, S. 36. AP 2003/04/23. 170 Löw 2004, S. 576. 171 Vgl. Zayas 2003/12/29: Nach den von den Vereinigten Staaten ratifizierten internationalen Abkommen über bürgerliche und politische Rechte sowie nach der Konvention gegen Folter genießen Gefangene das Recht auf Widerspruch gegen ihre Inhaftierung, auf einen Rechtsbeistand, ein geregeltes Verfahren und menschenwürdige Behandlung. Nach Artikel 5 der zum humanitären Völkerrecht zählenden Dritten Genfer Konvention genießt bei Zweifeln ob des Status’ einer Person diese den Schutz des Abkommens, bis deren Rechtsstellung durch ein zuständiges Gericht festgestellt worden ist. Schließlich kommen die Verfassung der Vereinigten Staaten und die „Bill of Rights“ zum Zuge, da beide ihren Geltungsbereich nicht auf Gebiete beschränken, die sich formell im Hoheitsbereich der Vereinigten Staaten befinden, so daß auch amerikanische Militärbasen im Ausland nicht ausgenommen sind, wie das Bezirksgericht des Staates New York in der Ausweitung der „Bill of Rights“ auf die in Guantánamo internierten haitianischen Flüchtlinge bereits früher bewies. 172 Eibl-Eibesfeldt 1997, S. 147. 169

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Eibesfeldt. Verstärkt durch die erwähnten katalysatorischen Effekte erfährt – über das Gebot des Tötens hinaus – die „endlose Pein der Hölle, deren Sinnen nicht der Tod ist, sondern der Schmerz, das immerwährende Sterben“173 eine neue Bedeutung. Ausnahmslos alle Mächte, die versucht haben, einen „low intensity war“ – wie er auch in seiner gesteigerten Form durch den Terrorismus praktiziert wird – zu unterdrücken, haben systematisch gefoltert und Terrorakte verübt, so der renomierte israelische Militärhistoriker van Crefeld.174 Scheinbar nurmehr unbeseelte Feindeshüllen werden zu den Menschen völlig entpersonalisierenden Opferpyramiden aufeinandergeschichtet und die sämtlicher Schutzhüllen und Feindesehre entkleideten Körper auf Zelluloid gebannt.175 Der wegen Folterungen in Abu Ghraib angeklagte Steven Stefanowicz erklärt in einer vereidigten Aussage für die Ermittlungen der US-Streitkräfte, diese Praxis sei von Soldaten des militärischen Geheimdienstes und Mitarbeitern seiner eigenen Firma, CACI International, angeordnet worden.176 CACI ist eine „Private Military Company“, hat ihren Hauptsitz in Arlington/Virginia und beschäftigt knapp 10.000 Mitarbeiter. Im Irak wirkt die Firma im Auftrag der Streitkräfte an den Vernehmungen der irakischen Häftlinge mit, was die Tendenz zum „outsourcen“ – auch der Folter – belegt. Angesichts dessen kommt Giorgio Agamben zu dem pessimistischen Resultat, daß es von den Lagern keine Rückkehr mehr zur klassischen Politik gebe, denn diese verwischen unwiederbringlich die Unterscheidung zwischen dem biologischen Körper und dem politischen Körper.177 Das Liberale Friedensparadigma, das scheinbar „den Himmel als Ergebnis von Handel und Industrie“178 wünscht, suspendiert sich selbst, angesichts der terroristischen Herausforderungen und einer womöglich letzten Entscheidungsschlacht, eines „Kriegs gegen den Krieg“.179

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Sofsky 1996, S. 87. Crefeld 2001, S. 58. 175 Braucht die Menschheit etwa wieder – wie im 16. Jahrhundert – eine „Constitutio Criminalis Carolina“, um die Folter durch ein strenges Regelwerk zu vereinheitlichen und unter strenge Auflagen zu stellen? 176 AL 2004/06/16. 177 Agamben 2002, S. 197. 178 Schmitt 1991 TDN, S. 60. 179 Schmitt 1996 BdP, S. 37. 174

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3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung 3.3.1 Der gerechte Krieg und seine Mutation Im Spanien des 16. Jahrhunderts ist die Kirche der zentralistische Faktor der Staatseinheit gegen alle inneren zentrifugalen Kräfte der aufstandslüsternen Provinzen, die „Granden“ und die „Cortez“.180 Religiöse und nationale Bestandteile sind ebenso notwendige Ingredienzien des amerikanischen „melting pot“. Zum „National Day of Prayer and Remembrance“ erklärt der „Chief Preacher“ George Bush hierokratisch: „In whereof, I have hereunto set my hand this thirteenth day of September, in the year of our Lord two thousand one, and of the Independence of the United States of America the two hundred and twenty-sixth.“181 Während sich einstmals in Europa der Staat vor den zerstörerischen Glaubenskämpfen und damit vor der Religion schützt,182 entstehen die Vereinigten Staaten, in denen die Religion vor dem Staat rangiert, als bewußte Antithese zu Europa. Die Vereinigten Staaten begründen sich unter Einschluß eines rigorosen Staatsminimalismus als „Model of Christian Charity“, als „God’s chosen people“, und über den Gräbern der im Sezessionskrieg Gefallenen formuliert Abraham Lincoln 1863 die religiös-politische Leitidee der „nation under God“.183 Die sogenannte „Neue Religiosität“ in den Vereinigten Staaten konzentriert sich eher am Programm einer Zivilreligion, die aufgrund der disparaten, religiös fragmentierten Gesellschaft auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner möglichst vage bleiben muß.184 Die religiöse und moralische Aufladung der amerikanischen Gesellschaft zeigt Auswirkungen auf das Rechtsdenken, welches Recht und Moral viel weniger unterscheidet und im Gegensatz zu Europa deutlich den Rachegedanken kennt.185 Der Think-Tank „American Values“ beschreibt dies wie folgt: We are a nation which deeply respects religious freedom and diversity, including the rights of nonbelievers, but one whose citizens recite a Pledge of Allegiance to „One nation, under God“, and one that proclaims in many of its courtrooms and inscribes on each of its coins the motto, In „God We Trust“. [. . .] We seek to separate church and state for the protection and proper vitality of both.186 [. . .] The 180 181 182 183 184 185 186

Vgl. Wantoch, S. 89. Bush 2001/09/13. Vgl. Haller 2003, S. 26. Brocker 2003, S. 124. Vgl. Zöller 2003, S. 25. Vgl. Haller 2003, S. 27. AmericanValues 2002a, S. 5.

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columnist Ann Coulter wrote in the aftermath of September 11 that we should invade their countries, kill their leaders and convert them to Christianity. [. . .] Her comments are widely reported in the Islamic world as those of a prominent U.S. opinion leader. Franklin Graham, the son and ministerial heir of the famous evangelist Billy Graham, said on national television that Islam is a very evil and wicked religion. Jerry Vines, the former president of the Southern Baptist Convention, the nation’s largest Protestant denomination, says that the Prophet Mohammed was demon-possessed. Jerry Falwell, another evangelical leader, recently called the Prophet a terrorist. These and similar comments are tailor-made for alQa’ida’s purposes.187

Dementsprechend, so Samuel Huntington, neigen die Amerikaner aufgrund ihrer religiösen Prägung vermehrt dazu, Problemstellungen vor dem Horizont von Gut und Böse zu erörtern.188 Wenn das Böse dabei auftritt wie die „Schlange in der Bibel, in aller Regel als diabolus ex machina“,189 dabei Ordnungen verletzt und zerstört werden, und Ungleichgewichte entstehen, dann scheint dieser apokalyptische Ausnahmezustand auch eine die westliche Staatenwelt gefährdende Frontstellung zu offenbaren, wie George Bush feststellt: America will hold to account nations that are compromised by terror including those who harbor terrorists – because the allies of terror are the enemies of civilization.190 [. . .] New deadly challenges have emerged from rogue states and terrorists.191 [. . .] These states [. . .] display no regard for international law, threaten their neighbors, and callously violate international treaties to which they are party; are determined to acquire weapons of mass destruction, [. . .] sponsor terrorism around the globe; and reject basic human values and hate the United States and everything for which it stands.192 [. . .] States like these, and their terrorist allies, constitute an axis of evil, arming to threaten the peace of the world.193 [. . .] The reasons for our actions will be clear, the force measured, and the cause just.194 [. . .] Some worry that it is somehow undiplomatic or impolite to speak the language of right and wrong. I disagree. Different circumstances require different methods, but not different moralities.195 [. . .] No nation can be neutral in this conflict.196 [. . .] Freedom and fear, injustice and cruelty, have always been at war, and we know that God is not neutral between them. [. . .] Every nation, in every region, now has a decision to make. Either your are with us, or you are with the 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196

Ebd., S. 2. Vgl. Huntington 2004/03/29. Rötzer 1995, S. 14. NSS 2002, Vorwort des Präsidenten, S. 2 ff. NSS 2002, V, S. 13 f. NSS 2002, V, S. 14 f. Bush 2002/01/29. NSS 2002, V., S. 16. NSS 2002, II., S. 3. Bush 2001/11/6.

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terrorists.197 [. . .] Our responsibility to history is already clear: to answer these attacks and rid the world of evil.198 [. . .] The conflict was begun on the timing and terms of others. It will end in a way, and at an hour, of our choosing. [. . .] This is not, however, just America’s fight. And what is at stake is not just America’s freedom. This is the world’s fight. This is civilization’s fight. This is the fight of all who believe in progress and pluralism, tolerance and freedom.199 [. . .] Our cause is just, the security of the nations we serve and the peace of the world. And our mission is clear, to disarm Iraq of weapons of mass destruction, to end Saddam Hussein’s support for terrorism, and to free the Iraqi people.200 [. . .] When freedom takes hold, men and women turn to the peaceful pursuit of a better life. American values and American interests lead in the same direction: We stand for human liberty.201

Die Schurkenstaaten der Achse des Bösen werden dabei wie folgt determiniert: These states: brutalize their own people and squander their national resources for the personal gain of the rulers; display no regard for international law, threaten their neighbors, and callously violate international treaties to which they are party; are determined to acquire weapons of mass destruction, along with other advanced military technology, to be used as threats or offensively to achieve the aggressive designs of these regimes; sponsor terrorism around the globe; and reject basic human values and hate the United States and everything for which it stands.202

Schurkenstaaten finden sich bereits in Form der sieben durch Gottes Spruch verdammten Völkerschaften im Alten Testament203 wieder, gegen die die Israeliten mit der Vollstreckung beauftragt wurden: „Du sollst nicht ihren Frieden noch ihr Bestes suchen dein Leben lang ewiglich.“204 Selbst Grotius kennt so etwas wie Schurkenstaaten, denn „von solchen Menschen, die Barbaren und schon mehr Tiere als Menschen sind, kann mit Recht gesagt werden [. . .] der Krieg gegen sie sei natürlich.“205 Die Unterscheidung von Barbaren- und Schurkenstaaten, die Beschwörung der Zivilisation, ist ein Mythos, so der Soziologe Wolfgang Sofsky, „in dem sich die Moderne selbst anbetet,“206 und der nicht zuletzt über den zu opfernden Schurkenstaaten eine neue Zeitlichkeit und Gemeinschaft zu konstituieren vermag. 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206

Bush 2001/09/20. NSS 2002, III., S. 5 f. Bush 2001/09/20. Bush 2003/03/22. Bush 2003/05/01. NSS 2002, S. 14. 5. Buch Mose VII, 1.ff. 5. Buch Mose XXIII, 6. Grotius 1950, 2. 20., XL., 3., S. 355. Sofsky 1996, S. 228.

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Die Avantgarde der Zivilisation, die „Koalition der Willigen“,207 verweist, wie ehedem die Monroe-Doktrin, auf das eine Zwischenstellung einnehmende, der Perfektibilität bedürftige, der letzten Entscheidung entfliehende „alte Europa“. Zur Abwehr europäischer Kolonialmächte und zur Bestärkung der Ansrpüche des „legitimen Erben“ auf das spanische Kolonialreich in Amerika stellt bereits der amerikanische Präsident Monroe in seiner Jahresbotschaft an den Kongreß vom 2. Dezember 1823 dem „alten Europa“ der Monarchien das System der Vereinigten Staaten als ein Regime der Freiheit entgegen: „The political system of the allied powers is essentially different, in this respect, from that of America [. . .] we should consider any attempt on their part to extend their system to any portion of this hemisphere, as dangerous to our peace and safety.“208 Etwa 100 Jahre später, am 5. Oktober 1937 verlangt US-Präsident Franklin D. Roosevelt in der „Quarantänerede“ vom 5. Oktober 1937 eine scheinbar in der Tradition der Monroe-Doktrin stehende „aktive“ Mitwirkung der USA bei der Eindämmung der „gegenwärtigen Schreckensherrschaft und internationalen Gesetzlosigkeit“ und führt hierin eine neue Unterscheidung zwischen „friedliebenden“ und „kriegerischen“ Nationen“ ein.209 Im Oktober 1939 weiten die Vereinigten Staaten in der Erklärung von Panama210 die Drei-Meilen-Sicherheitszone zum Schutze der Neutralität amerikanischer Staaten auf Dreihundert Seemeilen aus.211 Das Leih- und Pachtgesetz von 1941 führt dann zur endgültigen Beseitigung der Neutralität und „turns The White House into G.(ods) H.(ead) Q.(uarter) for all of the wars of the world.“212. Der amerikanische Think-Tank „American Values“ stellt anläßlich des Irak-Krieges 2003 in seinem offenen Brief „What We’re Fighting For – A letter from America“ fest: „Yet reason and careful moral reflection also teach us that there are times when the first and most important reply to evil is to stop it.“213 207

NSS 2002, Overview of America’s International Strategy, S. 3. Zitiert nach Blindow 1999, S. 77. 209 Vgl. Junker 1988, S. 37. 210 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 257. 211 Der einflußreiche Geostratege und Präsident der US-Kriegsmarineschule, Alfred Thayer Mahan (1840–1914), bemerkt schon früh: „Für jede Nation, die an der Küste liegt, ist das Meer auch Grenze, und die nationale Macht hängt zu einem großen Ausmaße davon ab, wie weit sie diese Grenze hinausschieben kann,“ vgl. Wallach 1972, S. 320. 212 So der republikanische Senator Vandenberg zu diesem Gesetz in seiner Rede vor dem US-Kongreß, zitiert nach Junker 1988, S. 141. „Crusade in Europe“ hießen dann auch die Memoiren von US-Präsident Dwight D. Eisenhower, vgl. Stürmer 2003/05/08. 213 American Values 2002a, S. 6. 208

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Die Trennung zwischen Gut und Böse, Barbaren und Zivilisation, die notwendigerweise eine Über- und Unterordnung impliziert, weil mit ihr die unterlegenen Völker auf eine höhere Stufe der Entwicklung innerhalb des Friedens geleitet werden würden, wurde zu jeder Zeit für eine imperiale Politik genutzt.214 Bereits für die Griechen liegen jenseits des ihnen zugänglichen Horizonts die „barbaroi“, und auf den Karten des Imperium Romanum sind die unbekannten Gebiete des Südens mit „hic sunt leones“ gekennzeichnet.215 Zu einer Unterscheidung zwischen Barbaren und Christen, zwischen der Neuen Welt einerseits und dem christlichen-katholischen Europa andererseits, führt auch das Edikt des Papst Alexander VI. „Inter caetera divinae“ von 1493 und die zwischenstaatlich vereinbarte Demarkationslinie „Raya“ des Vertrages von Tordesillas von 1494 zwischen dem König und der Königin von Kastilien, Leon, Aragonien, Sizilien, Granada usw. und des Königs von Portugal und Algarve. Jenseits des an den Kanarischen Inseln von Ptolemäus gezogenen Nullmeridians216 beginnt die Neue Welt, für deren Rechtslage unter anderem das spanische „requerimiento“ entscheidend ist. In dieser Schrift über Glauben und Rechtstitel Spaniens, die den Indios verlesen werden soll, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich der rechtmäßigen Herrschaft der Kirche, des Papstes und des Königs freiwillig zu unterwerfen, heißt es:217 Wenn ihr das aber nicht tut und böswillig zögert, dann werden wir, das versichern wir euch, mit Gottes Hilfe gewaltsam gegen euch vorgehen, euch überall und auf alle nur mögliche Art mit Krieg überziehen, euch unter das Joch und unter den Gehorsam der Kirche und Seiner Majestät beugen, eure Frauen und Kinder zu Sklaven machen, sie verkaufen und über sie nach dem Befehl Seiner Majestät verfügen. Wir werden euch euer Eigentum nehmen, euch schädigen und euch Übles antun, soviel wir nur können, und euch als Vasallen behandeln, die ihrem Herrn nicht gehorsam und ergeben, sondern widerspenstig und aufsässig sind. Wir bezeugen feierlich, daß das Blutvergießen und die Schäden, die daraus erwachsen, allein euch zur Last fallen, nicht Seiner Majestät, nicht mir und nicht diesen Rittern, die mit mir gekommen sind. Alles, was ich euch hier gesagt und gefordert habe, bitte ich den anwesenden Notar schriftlich zu beurkunden.218

Demgemäß antwortet Hernán Cortéz auf die Klagen eines Kaziken über die unbotmäßige Behandlung, „sie müßten erkennen, daß sie allein die 214

Straub 1976, S. 15 ff. Vgl. Dicke 2002, S. 16. 216 Vgl. Rein 1931, S. 73. 217 Der Islam kennt auch ein requerimiento, in dem der Gegner in der Regel vor der Schlacht zur Annahme des Islam aufgefordert wird, um ihm den Tod zu ersparen. Noch der sudanesische Kalif Abdulla¯hi fordert in dieser Weise Ende des 19. Jahrhunderts Königin Viktoria von England und den türkischen Sultan auf, den Islam anzunehmen, vgl. Rajewski 1980, S. 24. 218 Zitiert nach Meyn 1987, S. 474. 215

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Schuld an allem trügen, was sie erlitten hätten.“219 Die Unzivilisiertheit der Barbaren zeigt sich für Cortéz, in dem die Indianer gefangene Spanier opfern,220 Menschenfresserei betreiben,221 ja selbst die indianischen Verbündeten unmenschliche Züge aufweisen.222 Cortéz aber entbindet dies seinerseits nicht von den geltenden Kriegsregeln, jedenfalls in seinen Briefen an Karl V., weil er der Nachwelt das Bild eines „miles Christianus“ hinterlassen möchte.223 Aber auch Cortéz Gegner haben einen Barbarenbegriff, wenn auch einen abweichenden. So kann beispielsweise bei den Azteken nur derjenige Nicht-Eigene, der Feind, den Göttern geopfert werden, der zugleich ehrenvoll geachtet ist, denn es vermindert die Gabe, wenn die Geopferten nicht auch von besonderer Güte sind. Die nicht geachteten, die ungerechten Feinde, die kulturell oder geographisch weit Entfernten, nennen sie „tenime“ (Barbaren) oder „popoloca“ (Wilde).224 Den Rechtstiteln Spaniens in der Neuen Welt und damit auch einer Einstufung der Indianer widmet sich der einflußreiche Hofhistoriker Kaiser Karl V., Juan Gines de Sepffllveda (1490–1571), in seiner Schrift „Democrates secundus alter sive de justis belli causis apud Indios“. Danach sind die Indianer ihrer Natur nach Sklaven, Barbaren, rohe und grausame Gestalten, lehnen die Herrschaft der Klugen und Mächtigen ab, verzehren Menschenfleisch, bringen Menschen als Opfer dar und beten Dämonen an.225 Das erste Gesetz sei daher, Ordnung auf Erden zu schaffen; erst wenn sie begründet sei, gelte die Forderung des christlichen Lebens.226 Die Kirche könne den Auftrag Christi, das Evangelium aller Welt zu verkünden, nur er219

Cortéz 1975, S. 56. Ebd., S. 155: „Außerdem fanden wir in allen Türmen und Tempeln noch die Spuren des Blutes unserer Brüder und Kameraden, ein so jammervoller Anblick, daß alle unsere vergangenen Leiden dadurch erneuert wurde.“ 221 Ebd., S. 158: „[. . .] bis jetzt hätten sie keinen Hunger, wenn er sich aber einstellen sollte, würden sie uns und die von Tlaxcala auffressen.“ 222 Ebd., S. 150: „[. . .] es starben sechstausend Männer, Weiber und Kinder, da unsere Indianer an nichts dachten als an Totschlagen rechts und links.“ 223 Vgl. Straub 1976, S. 94. 224 Vgl. Todorov, S. 213. 225 „Neque uero id ago, ut Paganos doceam, non esse veros rerum suarum, quas iuste bonisque artibus parauerint Dominos, nec enim ut supra dixi, id arbitror esse verum, sed ut intelligatur, eos esse dignos, qui suis bonis propter abusum a Christianis auctoritate publica priventur. Et propter Idolorum cultum, quo lex divina et naturalis violatur, in simili causa esse, atque eos, qui crimen admiserunt bonorum publicatione sancitum, nondum tamen id sententia iuducis est declaratum, qui iuste possunt rebus suis, donec damnati et exuti fuerint, uti, in criminibus enim huiusmodi, quae bello sunt vindicanda ipsa belli indicto es pro declaratione iudiciaria [. . .] Quoniam qui iusto bello quacumque ex causa suspecto victi fuerint, hi et ipsi et eorum bona victorum capientiumque fiunt. hinc enim servitus civilis nata est,“ Sepffllveda 1984, S. 90. Vgl. auch Konetzke 1971, S. 8 f. 220

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füllen, wenn die Ungläubigen vorher den Christen unterworfen würden.227 Die Herrschaft in der „Neuen Welt“ gebühre den Klugen und Gerechten,228 also den Spaniern, denn Spanien überrage alle Völker an Stärke, Humanität und Gerechtigkeit, vor allem aber übertreffe es alle im Eifer um die Religion, und deshalb sei es selbstverständlich, daß sich die Barbaren den Spaniern unterordnen müßten, die sich ihnen gegenüber wie Kinder zu Erwachsenen verhielten, ja mehr Affen als Menschen seien. Die Barbaren könnten zwar die Herrschaft Spaniens ablehnen, doch könnten sie auch mit Gewalt gezwungen werden, diese anzunehmen, auf Grund des Naturrechts und der christlichen Nächstenliebe, die dazu verpflichtet, sich um den zurückgebliebenen Menschen zu sorgen.229 Während sich Sepffllveda in größerem Umfang auf das Alte Testament stützt,230 den strafenden Gott und die strengen Gebote des Deuteronomiums, bezieht Vitoria seinerseits die meisten Aussagen aus dem Neuen Testament.231 So spricht Vitoria den Indianern auch keinesfalls die Vernunftseinsicht ab, denn Vernunft ist ja geradezu die Vorbedingung der Glaubensannahme, nur Menschen, keine Tiere, können getauft werden. Vernunft und Teilhabe der Indianer am göttlichen Logos werden für Vitoria dadurch bewiesen, daß sie „eine gewisse Ordnung in ihren Angelegenheiten haben. Sie bilden Völkerschaften, in denen Ordnung herrscht, sie kennen die Einrichtung der Ehe, sie haben Richter, Herren, Gesetze, Handwerker, Geldaus226 „Victori Ergo bello iusto, si summo iure nitatur, hostem interficere, in seruitutem redigere, et bonis multare licet, nisi obsit contraria conseutudo, ut inter Christianos [. . .] Cuncta ad bonum publicum, et dettendos iniustos homines referre [. . .] Cum hostium culpa vel natura postulabat, oppidis agrisque mulctabant, quasdam etiam funditus delebant,“ Sepffllveda 1984, S. 94 f. Vgl. auch Schneider 1967, S. 119. 227 Vgl. Engelhardt 1980, S. 90. 228 „Barbaros istos tanquam ministros, sed libros quodam ex herili et paterno temperato imperio regendos, et pro ipsorum, et temporis conditione tractandos. Nam temporis progressu cum idem fuerint humaniores facti, et probitas morum, ac Religio Christiana cum imperio confirmata, liberius erunt, liberaliusque tractandi,“ Sepffllveda 1984, S. 120. 229 „Itaque non abhorret, nec a iustitia, nec a Religione Christiana horum quibusdam per oppida vel pagos viros probos Hispanos iustos, et prudentes praeficere, praesertim eos, quorum opera in ditionem redacti fuerint, qui eos humanis probisque moribus instituendos, et Christiana Religione, quae non vi aliter, quam exposuimus, sed exemplis, et persuasione tradenda est, initiandos, atque imbuendos erudiendosque curent,“ Sepffllveda 1984, S. 122. Vgl. hierzu auch Straub 1976, S. 17. 230 Das neue Gesetz aber ist ein Gesetz der Liebe und führt damit näher zu Gott als „das Alte, das ein Zuchtmeister ist,“ Aquin 1985, II-II, q. 107,1, S. 508. „Mit der Ankunft Christi (durch den der Zustand der Kirche gewandelt wurde) wurden die Rechtsgebote des Alten Gesetzes hohl,“ Aquin 1985, II-II, q. 104, 3, S. 504. 231 Runde 2002/02/07, S. 14.

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leiher, was alles den Gebrauch der Vernunft voraussetzt.“232 Die naturrechtliche Begründung von Vitorias Ansicht führt sich auf Röm. 2, 14 f. zurück: „Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur thun des Gesetzes Werk, sind dieselbigen, dieweil sie das Gesetz nicht haben, ihnen selbst ein Gesetz, als die da beweisen, des Gesetzes Werk sei beschrieben in ihren Herzen, sintemal ihr Gewissen ihnen zeuget, dazu auch die Gedanken, die sich unter einander verklagen, oder entschuldigen.“ Die Staaten der Heiden sind ebenso rechtmäßig wie die der Christen, denn „alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und man darf nichts verwerfen.“233 Wenn die Indianer „geistlos und dumm scheinen mögen, so glaube ich, daß das von der schlechten und barbarischen Erziehung herkommt, da man ja auch bei uns viele Angehörige des Bauernstandes sieht, die sich nicht viel von den wilden Tieren unterscheiden.“234 Sofern die Indianer den Aufenthalt der Fremden und die Missionspredigt gestatten, so Vitoria, darf ihre Souveränität, ihre Freiheit und ihr Eigentum nicht angetastet werden. In dieser Forderung besteht dann auch die „große sittliche Leistung der spanischen Theologen und Juristen im 16. Jahrhundert“,235 deren Ziel eine Hegung der Conquista ist. Die Vermutung aber, daß Vitoria keine Unterscheidung der Völkerrechtssubjekte vornehme, gar die Kriege zwischen Christen und „Kriegern islamischen Glaubens“ als beiderseits gerecht einstufe,236 ist nicht nachvollziehbar. Die in diesem Sinne interpretierte Sentenz Vitorias,237 die sich unter der Überschrift „[. . .] quod princeps credat se habere iustam causam. Ad hoc sit prima propositio: Non semper hoc satis est“ findet, scheint mehr vom Bild des interreligiösen, synkretistischen Dialoges der Gegenwart geprägt zu sein. Christliche Abkömmlinge von Juden und Mauren dürfen zu Vitorias Zeit bis zur vierten Geschlechterfolge nicht in religiöse Orden aufgenommen werden, Ämter und Würden dürfen nur nach dem Nachweis unverfälschten Blutes, „limpieza de sangre“, bekleidet werden.238 So unterscheidet Vitoria auch an anderer Stelle zwischen den Indianern als „Leuten, die niemals irgendein Unrecht begangen haben“ und den zu einem Kreuzzug berechtigen232

Vitoria 1952 DI, S. 45. Vitoria 1997 DT, S. 319. Hierdurch werden die Indianer „Völkerrechtssubjekte im vollen Sinn des Wortes“, so Soder 1955, S. 51. 234 Vitoria 1952 DI, S. 45. 235 Straub 1976, S. 167. 236 So Runde 2002/02/07, S. 5. 237 „[. . .] andererseits auch die Türken und Sarazenen gerechte Kriege gegen die Christen führen; sie glauben nämlich, hierdurch ihren Gehorsam gegen Gott zu beweisen.“ Vitoria 1952 DJB, 20, S. 137. 238 Vgl. Höffner 1947, S. 70. 233

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den „Sarazenen und Juden, den ewigen Feinden der christlichen Religion“,239 womit er sich an eine Unterscheidung des Tommaso de Vio Cajetanus (1469–1534) anlehnt.240 Nach der Lehre Cajetans, die im 16. Jahrhundert weit verbreitet ist, teilen sich die Ungläubigen in jene, die tatsächlich und rechtlich den christlichen Fürsten unterworfen sind – wie die Juden, Häretiker und Mauren – und die unabhängigen Ungläubigen in ehemals christlichen, nunmehr verlorenen Gebieten, die als Feinde der Christen bezeichnet werden.241 Eine dritte Gruppe ist weder tatsächlich noch rechtlich untertan. Das sind diejenigen, die zu keiner Zeit Teil des Römischen Imperiums gewesen sind und die deswegen weder von Königen, Kaisern oder der römischen Kirche mit Krieg überzogen werden dürfen. Gesetzt den Fall, Hernán Cortéz weiß von dieser Unterscheidung, so geht er der Annahme, daß diejenigen Völker, deren Eroberung er sich widmet, niemals Untertanen des Römischen Imperiums, der „respublica Christiana“ gewesen sind, offensichtlich mit Bedacht aus dem Wege. Er versucht vielmehr darauf hinzuweisen, daß es sich bei ihnen nicht um unschuldige Ungläubige eines fremden Kontinents handelt, sondern um ehemalige, vom Glauben abgefallene Christen. Bereits an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert wird behauptet, alle Städte seien einmal christlich gewesen, denn die Lehre der Apostel habe sich nach dem Zeugnis der Bibel in der ganzen Welt verbreitet.242 Sollte es sich also bei den Bewohnern der Neuen Welt um Häretiker handeln, so würde die Unterscheidung des Aquinaten relevant: „Ungläubige, die niemals den Glauben angenommen haben, wie die Juden und die Heiden, sind in keiner Weise zum Glauben zu nötigen; aber die ungläubigen Irrgläubigen und Abgefallenen sind zu zwingen, daß sie erfüllen, was sie versprochen haben.“243 Der Häretiker ist eine besondere Gefahr. Ihm ist zwar die Botschaft des Evangeliums bekannt, doch er stellt mit seiner Häresie im Namen der individuellen Freiheit das Interpretationsmonopol und damit die Einheit der Körperschaft Kirche244 in Frage und ist daher eine Gefahr für die von Gott gegebene „tranquillitas ordinis.245 239

Vitoria 1997 DI, S. 405. Vitoria 1952 DI, S. 79: „Wenn daher von den Barbaren kein Unrecht vorangegangen ist, hat man auch keinen Grund zu einem Gerechten Krieg gegen sie [. . .] Auch Cajetan legt dies klar und deutlich fest.“ 241 Ebd., S. 47. 242 Vgl. Hehl 2004, S. 246. 243 Aquin 1985, II, 2, q 10, 8, S. 53. 244 Vgl. Freund 2002, S. 475 ff. 245 Augustinus 2001, S. 78. 240

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

Während des Aufenthaltes von Cortéz in Tenochtitlán soll Moteczuma seinen Vasallen erklärt haben: Ihr wißt auch von euren Vorfahren, daß wir ursprünglich keineswegs Kinder dieses Landes sind, sondern aus einem fernen Lande, geleitet von einem Anführer, der sie hier zurückließ. [. . .] So entfernte er sich wieder, ließ aber sein Wort zurück, daß er dereinst mit großer Macht wiederkehren oder andere senden werde, um sie zu bändigen und in seinen Dienst zu zwingen. Nach allem aber, was dieser Feldherr [Cortéz] uns von seinem Herrscher [Karl V.], der ihn hierher entsandt, und nach der Himmelsgegend, aus der er gekommen ist, berichtete, halte ich es für gewiß, daß jener Herr der von uns Erwartete ist, besonders da er uns versichert, daß er schon drüben Kunde von uns gehabt habe.246 [. . .] Ihr braucht Euch um nichts zu sorgen, denn Ihr befindet Euch in Eurem Hause und in Eurer Heimat.247

Daß sich die Spanier in ihrer ehemaligen Heimat befinden, scheinen selbst aztekische Mythen zu belegen. Der Gott Quetzalcóatl, der nach der Überlieferung weiße Haut und einen Bart gehabt haben soll, soll sich Jahrhunderte zuvor an der Küste Mexikos nach Westen eingeschifft und seine Wiederkehr versprochen haben. Nach dem aztekischen Kalender, der auf einem 52jährigen Zyklus beruht, konnte diese Prophezeiung nur in den Jahren 1363, 1415, 1467 oder 1519 in Erfüllung gehen.248 Cortéz, hellhäutig und bärtig, landet 1519 in Mexiko. Wenn aber die Herrschaft des Moteczuma auf Ursupation beruhen würde, so würden die Spanier Land betreten, das einst von ihren gemeinsamen Herren abgefallen war, in dem sie jetzt die Gerechtigkeit erneuern und die Conquista als Reconquista fortsetzen können. Als Cortéz angesichts des indianischen Götzendienstes Moteczuma über den christlichen Gott aufklärt, antwortet jener, sie hätten ihm bereits gesagt, daß sie nicht Kinder dieses Landes seien und sich in einigen Dingen irren könnten, weil sie solange von ihrem Ursprungsland entfernt seien.249 Die Mexikaner sollen also nach Cortéz nicht nur Rebellen gegen den legitimen Herrscher sein, sondern auch einstmals dem christlichen Glauben angehört haben. Verstärkt wird diese Annahme durch zeitgenössische Darstellungen der Verbindung der Alten und Neuen Welt. Analog zu „Atlantis“ in Platons „Timaios“ erwähnt selbst Bartolomé de Las Casas in seiner „Historia de las Indias“ die mythen- und sagenumwobenen Hesperiden, die er in den karibischen Inseln der Neuen Welt ausmacht. Diese Inseln wären schon um 1650 vor Christus Eigentum des spanischen Königs Hesperus XII. gewesen und seien nun durch göttliche Gerechtigkeit wieder zurückerstattet worden.250 Wenig spä246 247 248 249

Cortéz 1975, S. 86. Ebd., S. 76. Vgl. Schmitt 1992, S. 220. Vgl. Cortéz 1975, S. 94.

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

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ter nimmt Grotius in seiner „Dissertatio altera de Origine Gentium Americanarum“ an, daß die Indianer Nordamerikas norwegischen und alt-germanischen Ursprungs sind – was sprachliche Ähnlichkeiten, Monogamie und Glaube an die Unsterblichkeit der Seele beweisen würden –, während die Indianer Südamerikas, mit Ausnahme der Peruaner, aus Äthiopien stammten, da ihnen die Taufe geläufig wäre.251 Der Bezug auf die christliche Tradition und Äthiopien eröffnet aber ein weiteres Argument, das Cortéz für sich ins Feld führen kann, nämlich die Legende vom Priester Johannes, auf dessen Hilfe man im Mittelalter und Spätmittelalter bei der Wiedergewinnung des Heiligen Landes hofft. Der sagenumwobene Priester Johannes taucht zum ersten Mal in der Chronik Ottos von Freising im Bericht des Bischofs Hugo von Gabala auf, der mitteilt, daß um 1141 nach Christus ein mächtiger christlicher Herrscher, Preste Gianni genannt, im Osten bei der alten Stadt Ekbatana ein muslimisches Heer unter dem Fürsten Semiard besiegt habe.252 25 Jahre später soll ein lateinischer Brief dieses Herrschers zunächst Kaiser Manuel von Byzanz, später auch Kaiser Friedrich Barbarossa das Angebot einer Allianz im Kampf gegen die Muslime angeboten haben: Moi, Prêtre Jean, par vertu et pouvoir de Dieu et de Notre Seigneur Jésus-Christ, seigneur des seigneurs, à Manuel, gouverneur des Roméens [. . .] Je suis le souverain des souverains et je dépasse les rois de la terre entière par les richesses, la vertu et la puissance. Soixante-douze rois sont mes tributaires. Je suis dévot chrétien et partout nous défendons et secourons de nos aumônes les chrétiens pauvres placés sous le pouvoir de notre clémence [. . .] Notre magnificence domine sur les trois Indes et notre territoire s’étend de l’Inde ultérieure, où repose le corps de saint Thomas, jusqu’au désert de Babylone, proche de la tour de Babel.253

Selbst in der Bulle „Inter caetera divinae“ könnte auf das Reich dieses christlichen Herrschers rekurriert worden sein: „[. . .] mit der Maßgabe jedoch, daß keine der westlich oder südlich der besagten Linie gefundenen oder zu findenden, entdeckten oder zu entdeckenden Inseln und Festländer sich im tatsächlichen Besitze eines christlichen Königs oder Fürsten befindet.“254 Man vermutet das Reich von Johannes in Indien, später legt man sich auf Äthiopien fest. Tatsächlich erreicht Vasco da Gama im März 1498 an der afrikanischen Ostküste die Stadt Moçambique, wo sich die Portugiesen nach dem „Erzpriester Johannes“ erkundigen und die Eingeborenen von einem sagenhaften Reich berichten, das im Norden Moçambiques 250 251 252 253 254

Vgl. Straub 1976, S. 72. Vgl. Gelderen 2001, S. 13. Kropp 2003. Zitiert nach Eco 2001, S. 1. Delgado 1991, S. 68 ff.

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

liegt und große Städte entlang der ganzen Küste besitzt.255 Im Hafen von Melinde treffen die Portugiesen wenig später vier Schiffe „indischer Christen“, deren Spur nach Äthiopien führt. Tatsächlich kommt es zwischen Portugal und der äthiopisch-christlichen Kaiserin Elleni und ihrem Nachfolger Lebna-Dengel zu einem Gesandtenaustausch und der 1521 von Portugal erlassenen „Carta das nova que vieram a el Rey Nosso Senhor do desobrimento do Preste Joham“, deren Folge die Umkehrung des Mythos ist: Portugal hilft dem von einer muslimischen Invasion bedrängten Äthiopien.256 Cortéz könnte also mit den Andeutungen in seinen Briefen auf mehrere, seinen Zeitgenossen explizit bekannte Sachverhalte rekurrieren, ohne daß er sie ausdrücklich erwähnen muß. Dabei suggeriert er, daß es sich bei den Einwohnern der Neuen Welt sowohl um gegen den legitimen weltlichen Herrscher sich auflehnende Rebellen als auch gleichzeitig um vom Glauben abgefallene Häretiker handelt. Nun aber muß seine ohne königlich-kaiserliche Ermächtigung durchgeführte Expedition geradezu legitim sein, ja geradewegs zur (Re)Conquista werden, in der abermals der Schutzherr der spanischen Kirche, der heilige Jakob der Ältere, Sohn des Zebedäus, als „Matamoros“ mit in die Schlacht zieht.257 Der heilige Jakob – „Santiago“ – hatte bereits hoch zu Ross mit Banner und Schwert den Kampf bei Clavijo (843) gegen die Sarazenen für die Christen entschieden. Allein die Benennung der Eingeborenen Südamerikas als „Indis“ verdeutlich aber deren Einordnung, denn „Inder“ wurden zu dieser Zeit, unter Bezugnahme auf den Apostel Thomas – der im Jahre 52 nach Christus Indien erreicht und zwanzig Jahre später das Martyrium erleidet258 – alle Christen jenseits der muhammedanischen Welt genannt.259 Das katholische Spanien markiert dementsprechend sein Ausbreitungsgebiet nicht nur durch Benennung südamerikanischer Städte nach Heiligen wie nach Santiago. Der Ritter des „Ordens vom heiligen Jakobus“, Don Hérnan Cortéz, schlägt aufgrund der Ähnlichkeit der eroberten Gebiete zu Spanien und des dargestellten Abfalls – fast auch in Vorwegnahme des einheitliche Gesetze rechtfertigenden „Esprit général“ Montesquieus – für die Benennung der neuen Gebiete vor: Nach allem, was ich über die Ähnlichkeit dieses Landes mit Spanien gesehen und vernommen habe, sowohl in der Fruchtbarkeit und in der Größe als auch in der zuweilen vorkommenden Kälte und vielen anderen Dingen, schien mir am angemessensten, dieses Land Neuspanien zu nennen, und so habe ich ihm im Namen 255 256 257 258 259

Vgl. Meyn 1992, S. 180. Kropp 2003. Vgl. Zöllner 1988, S. 53. Paikada 2003. Vgl. Rein 1931, S. 70.

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

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Eurer Majestät diesen Namen beigelegt. Ich bitte Eure Hoheit untertänig, zu geruhen und zu befehlen, daß es so genannt werde.260

Erst mit der großen kolonialen Gesetzgebung von 1542, der „coloniaje“,261 die auf das Drängen vieler Kirchenmänner – auf Vitoria und Las Casas und natürlich auf die Bulle „Sublimis Deus“262 (1537) Papst Pauls III. – zurückzuführen ist, entfernt man sich vom kreuzzugartigen Charakter der (Re)Conquista Südamerikas. Langsam werden aus den eroberten Ländereien ordentliche spanische Provinzen, die man in Kultur, Religion, Verwaltung und Wirtschaftsordnung dem Mutterlande anzugleichen sucht.263 Es werden „Audienzas“, unabhängige Gerichts- und Verwaltungsbehörden, errichtet, Erzbischöfe als Stellvertreter der Vizekönige eingesetzt und eine vom Indienrat beschlossene Indianer- und Arbeiterschutzgesetzgebung auf den Weg gebracht.264 Damit kann der „Staatsgedanke einen Sieg über die rücksichtslose Ausbeutung gewinnen“.265 Wenn die Indianer in Mittel- und Südamerika erhalten geblieben sind, so verdanken sie es dem christlichen Gewissen der spanischen Kolonialethik, die ein Verbot der Kinderarbeit, der Frauenzwangsarbeit und der Ausbeutung forderte, „lange bevor die soziale Bewegung im Abendland ähnliche Forderungen aufstellte“.266 Damit unterscheidet sich die spanische Seemacht auch vom katholischen Portugal, das, seemachtgemäß und den handelspolitischen Zielsetzungen entsprechend, zunächst nur Handels- und Flottenstützpunkte in Küstenstreifen in Besitz nimmt.267 Die Spanier aber bringen eine Ordnung, „die Kirche erhebt sich als die Erde aus diesem Meer der Welt,“268 wie Alois Dempf in anderem Zusammenhang schreibt. 260

Cortéz 1975, S. 139. Vgl. Grewe 1988, S. 166. 262 „Aus dem Verlangen, in diese Angelegenheit Ordnung zu bringen, bestimmen und erklären Wir mit diesem Schreiben und kraft Unserer apostolischen Autorität, ungeachtet all dessen, was früher in Geltung stand und etwa noch entgegensteht, daß die Indios und alle anderen Völker, die künftig mit den Christen bekannt werden, auch wenn sie den Glauben noch nicht angenommen haben, ihrer Freiheit und ihres Besitzes nicht beraubt werden dürfen; vielmehr sollen sie ungehindert und erlaubterweise das Recht auf Besitz und Freiheit ausüben und sich dessen erfreuen können. Auch ist es nicht erlaubt, sie in den Sklavenstand zu versetzen. Alles was diesen Bestimmungen zuwiderläuft, sei null und nichtig. Die Indios aber und die anderen Nationen mögen durch die Verkündigung des Wortes Gottes und das Beispiel eines guten Lebens zum Glauben an Christus eingeladen werden,“ Delgado 1991, S. 71. 263 Vgl. Höffner 1947, S. 136. 264 Rein 1931, S. 131 f. 265 Ebd., S. 127. 266 Höffner 1947, S. 159. 267 Vgl. Hinrichs 1992, S. 239. 268 Dempf 1962, S. 182. 261

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

Erst die Franzosen und Engländer269 beginnen in ihrem Kampf um eine „gleichberechtigte Kolonialverteilung“ wieder „Linien“ zu fordern, hinter denen alles erlaubt sein soll, was Francis Drake als „no peace beyond the line“ zusammenfaßt.270 Vitoria weicht jedoch auch einmal von seinen kolonialethischen Ansichten zu Ende seiner Vorlesung „De Indis“ ab, allerdings unter scharfen Auflagen: Ich meinerseits wage nicht, ihn [den Rechtstitel] anzuerkennen, aber auch nicht gänzlich abzulehnen. Dieser Rechtstitel lautet: Die genannten Barbaren seien, wie bereits gesagt, nicht vollständig ohne Vernunft, aber sie unterschieden sich so wenig von den vernunftlosen Wesen, daß sie anscheinend nach unseren humanen und staatsbürgerlichen Anschauungen nicht geeignet seien, einen legitimen Staat zu gründen und zu verwalten. [. . .] Man könnte daher sagen, daß in ihrem Interesse die spanischen Fürsten die Verwaltung der Barbaren übernehmen und für ihre Städte Präfekten und Verwalter einsetzen, sowie ihnen neue Herren geben könnten, vorausgesetzt, daß es für sie vorteilhaft wäre. [. . .] Man kann dies auch auf den Grundsatz der Nächstenliebe stützen, da jene Menschen unsere Nächsten sind und wir verpflichtet sind, für ihr Wohl zu sorgen. Wie ich gesagt habe, könnte man dies anerkennen, ohne daß es weiterer Beweise bedürfte, allerdings mit der Einschränkung, daß es nur zum Nutzen und Besten jener Menschen und nicht zum Vorteil der Spanier geschieht.271

Eine Idee von der auf Zivilisation beruhenden Vormundschaft findet sich ebenso bei der Errichtung internationaler Mandate nach dem Ersten Weltkrieg in Artikel 22 der Völkerbundakte: Auf die Kolonien und Gebiete, die infolge des Krieges aufgehört haben, unter der Souveränität der Staaten zu stehen, die sie vorher beherrschten, und die von Völkern bewohnt sind, die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Verhältnissen der modernen Welt selbst zu leiten, finden nachstehende Grundsätze Anwendung. Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation, und es erscheint zweckmäßig, in diese Akte Sicherheiten für die Erfüllung dieser Aufgabe aufzunehmen. Der beste Weg, diesen Grundsatz praktisch zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschrittenen Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande und bereit sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen: diese Vormundschaft hätten sie als Beauftragte des Bundes und in dessen Namen zu führen.272

So kennt auch die UNO nach Kapitel XII UN-Charta ein internationales Treuhändersystem, nach dem die Treuhandgebiete zur Gewährung des poli269 270 271 272

Vgl. 1997 Schmitt NdE, S. 35. Zitiert nach Diwald 1980, S. 217. Vitoria 1952 DI, S. 115 f. Hobbing 1919, S. 11.

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

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tischen, wirtschaftlichen, sozialen und „erzieherischen“ Fortschritts der Einwohner (Artikel 76 UN-Charta) und zur Wahrung des Weltfriedens unter Verwaltung und Beaufsichtigung gestellt werden können.273 Der Irak, der bis zum Ersten Weltkrieg zum Osmanischen Reich gehört, ist selbst bis 1932 britisches Mandat. Der an den britischen Vorbehalt zum kriegsächtenden Kellogg-Pakt von 1928274 erinnernde britisch-irakische Bündnisvertrag vom 30. Juni 1930 beschert Großbritannien durch die darin enthaltende Formel der „vollständigen Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit“275 des Irak, zu deren Wahrung sich das britische Empire ermächtigt, eine immerwährende, verdeckte Interventionsmöglichkeit. Hierbei geraten allerdings die vertraglichen Regelungen für den Frieden – lateinisch „pax“, von „pangere“, einen Vertrag schließen – zur Farce. Wird allerdings nach dem Ende von Kampfhandlungen erst gar kein Friedensvertrag geschlossen, wie nach dem zweiten Golfkrieg, so gestatten scheinbar, wie von den Alliierten gegenüber dem Irak angeführt, ehemalige Resolutionen des Sicherheitsrates – entgegen einem „perpetua oblivio et amnestia“276 – auch nichtmandatierten Staaten zugunsten der Zivilisation Eingriffe, was eine nochmalige Verschärfung des vormals zumindest vertraglich festgehaltenen Interventionsrechts bedeutet. Die die Intervention jederzeit gestattende Charakterisierung einiger Staaten oder Staatengruppen als „Schurkenstaaten“ oder „Achse des Bösen“, als „hostes generis humani“, widerspricht dem obersten Grundsatz der Charta der Vereinten Nationen, nämlich der souveränen Gleichheit aller Mitglieder (Artikel 2, Absatz 1 UN-Charta). Tatsächlich ist von Anfang an die Unterstellung, der Irak arbeite mit der die Inkarnation des Bösen darstellenden Al-Qaida zusammen, heftig umstritten,277 weil auch diese Annahme Grundlage der – gewaltsamen – Durchset273

Vgl. Randelzhofer 1998, S. 17. „[. . .] daß es gewisse Gebiete auf der Welt gibt, deren Wohlfahrt und Unversehrtheit ein besonderes und lebenswichtiges Interesse für unseren Frieden und unsere Sicherheit darstellt. Die Regierung Sr. M. hat sich in der Vergangenheit bemüht, Klarheit zu schaffen, daß eine Einmischung hinsichtlich dieser Gebiete von ihr nicht geduldet werden könne; ihr Schutz gegen jeden Angriff stellt für das britische Reich einen Akt der Selbstverteidigung dar. Es muß darüber völlige Klarheit herrschen, daß die Regierung Sr. M. den neuen Vertrag nur annimmt, wenn völliges Einverständnis darüber besteht, daß er ihrer Handlungsfreiheit in dieser Hinsicht keinen Abbruch tut,“ zitiert nach Grewe 1988, S. 693. 275 Vgl. Grewe 1988, S. 687. 276 Im Westfälischen Frieden sichern sich die Parteien „ewiges Vergessen und Verzeihen“ zu, wobei die rechtliche Formulierung „amnestia“ religiöse Begriffe wie absolvere oder condonare ablöste, vgl. Ohler 2000, S. 7. 277 „In regard to the accusation that Iraq supported the terrorist organization AlQaeda, the U.S. still owes us any convincing evidence on that score. By contrast, it 274

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

zung der Resolutionen 688 und 1373 ist.278 Offensichtlich aber kehrt die Idee von der auf Zivilisation beruhenden Vormundschaft in Form von Interventionen wieder, deren Begründung entweder in der Vernichtung des barbarischen Bösen, dem Krieg gegen den Terrorismus, liegt, oder aber die Hilfe für die von den Parteigängern des Bösen Unterdrückten zum Ziel hat. Dies sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Zu diesen zum Kreuzzug der Zivilisation tendierenden Interventionen hatte Carl Schmitt geäußert: Das Wesentliche aber ist die präzise Erkenntnis, daß gerade die Pseudo-Religion der absoluten Humanität den Weg zu einem unmenschlichen Terror öffnet.279 [. . .] Menschheit ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansion und ihrer ethisch-humanitären Form, ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus. [. . .] Wenn das Wort Menschheit fällt, entsichern die Eliten ihre Bomben und sehen sich die Massen nach bombensicherem Unterstand um.280 [. . .] Der Begriff Mensch bewirkt ja nur scheinbar eine allgemeine Neutralisierung der Gegensätze unter den Menschen. In Wirklichkeit trägt er einen mit dem schrecklichsten Tötungspotential geladenen Gegenbegriff in sich, den des Unmenschen. [. . .] [Für diesen] aber gibt es keine Todesstrafe mehr. Es gibt überhaupt keine Strafe mehr, sondern nur noch Ausrottung und Vernichtung.281 [. . .] Den Krieg als Menschenmord verfluchen und dann von den Menschen zu verlangen, daß sie Krieg führen und im Kriege töten und sich töten lassen, damit es nie wieder Krieg gebe, ist ein manifester Betrug.282 [. . .] Wir durchschauen heute den is a well-known and undisputed fact that Al-Qaeda only came about at all with strong support from the United States,“ Beestermöller 2003c, S. 74. Der revolutionäre Islam und das säkular-nationalistische Baath-Projekt waren scharfe ideologische Feinde, so Beestermöller 2003a, S. 21. Der Irak hatte gar Gesetze, die Anhänger des Wahabbismus mit der Todesstrafe bedrohten, behauptet Ritter 2003, S. 67. Die amerikanische „Nationale Kommission zu Terrorangriffen auf die Vereinigten Staaten“ läßt in ihrem Mitte Juni 2004 veröffentlichen Bericht verlauten, daß es niemals glaubwürdige Beweise für die Kooperation des Irak mit Al-Qaida hinsichtlich vermuteter Angriffe auf die USA gegeben hat, vgl. Krauel 2004. 278 In der Offenbarung des Johannes (16,16) findet kurz vor der Wiederkehr Christi ein letzter Kampf des Guten mit dem Bösen an einem Ort namens Armageddon statt, wobei Babylon hier als Sitz des „Anti-Christen“ ausgemacht wird. Dem englischen General Allenby ist 1918 von der englischen Krone der Titel „Lord of Armageddon“ verliehen worden, nachdem er nahe der als Armageddon ausgemachten Festung Megiddo – heute in Israel gelegen – mit Hilfe der Araber die Türken entscheidend besiegen konnte, vgl. ZDF 2002/01/03. Erst vor wenigen Jahren wurde das historische Babylon durch Saddam Hussein wieder errichtet, weswegen dem in Kat-échon-Manier vorgehenden Bezwinger des modernen Babylon der bereits 1918 verliehene Titel „Lord of Armaggedon“ ebenso zustehen könnte. vgl. ZDF 2002/01/03. 279 Schmitt 1950 DC, S. 108. 280 Schmitt 1991 G, S. 283. 281 Schmitt 1950 DC, S. 111. 282 Schmitt 1996 BdP, S. 94.

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

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Nebel der Namen und der Worte, mit denen die psycho-technische Maschinerie der Massensuggestion arbeitet. Wir kennen sogar das geheime Gesetz dieses Vokabularismus und wissen, daß heute der schrecklichste Krieg nur im Namen des Friedens, furchtbarste Sklaverei nur im Namen der Freiheit und schrecklichste Unmenschlichkeit nur im Namen der Menschheit möglich ist.283

Zwischen dem absolut Guten und dem absolut Bösen aber scheint keine Neutralität mehr möglich. Die Engel, die bei der kosmischen Auseinandersetzung zwischen Gott und Luzifer neutral geblieben sind, wurden zur Strafe auf die Erde verbannt284 – „vae neutris“.285 Krieg wird damit „auf der gerechten Seite nur Rechtsverwirklichung, Exekution, Sanktion, internationale Justiz oder Polizei; auf der ungerechten Seite [. . .] Widerstand gegen rechtmäßiges Vorgehen, Rebellion oder Verbrechen, jedenfalls etwas anderes als die überkommene Rechtsinstitution ‚Krieg‘.“286 Je fester die Überzeugung von moralischer Rechtschaffenheit, desto müheloser die Strategie gegen die Barbaren, die qua definitionem Verewiger des Naturzustands sind, des Kampfes aller gegen alle, und daher die zivilisierten Staaten zu einem Eingreifen, einer Beseitigung des Naturzustandes, nötigen. Widerstand gegen weltinnenpolitische „Polizeiaktionen“ muß daher illegitim erscheinen,287 auch weil der Barbar durch Widerstand seiner Chance auf Zivilisierung entrinnt. Die Diskriminierung des Gegners und die Beseitigung der Neutralität sind wiederum zwei Seiten derselben Medaille. Der französische Staatspräsident Chirac mußte sich dementsprechend als Protagonist des „alten Europa“, der „Achse der Drückeberger“, als „schleimiger Wurm“ von der englischen „Sun“ bezeichnen lassen.288 Möglicherweise muß das Böse, so vermutet der Medienwissenschaftler Florian Rötzer, selbst produziert werden, um Denk- und Lebensformen weiterzuentwickeln289 – oder anderslautende Hintergründe des Krieges unkenntlich zu machen. US-Präsident Bushs religiöse Bezugnahmen gelten – abgesehen von seiner eigenen tiefen Gläubigkeit – als Zugeständnis an das christlich-konservative Wahlspektrum.290 Die Dogmen der amerikanischen Außenpolitik bestimmen neo-konservative und wirtschaftsliberale Protagonisten291 – besonders letztere sind soziomoralischen und religionspolitischen Fragen eher moderat zugeneigt. Doch ist das der Ansatzpunkt, der 283 284 285 286 287 288 289 290 291

Schmitt 1929 ZNE, S. 150. Vgl. Hauf 2003, S. 103. Schmitt 1988 DK, S. 40. Ebd., S. 42. Vgl. Adam 2003/02/27. Krönig 2003/03/27. Vgl. Rötzer 1998, S. 144. Vgl. Brocker 2003, S. 133. Ebd. 2003, S. 142.

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

das Paradigma des „Liberalen Friedens“ erneut in den Blickpunkt rückt. Zwischen der Gegenwart und dem Fortschritt des globalen „Liberalen Friedens“ steht nur noch die Überwindung der Feinde dieses letzten (Fort)Schritts. Nur scheinbar widerspricht sich die Annahme, daß einerseits das nationale wirtschaftliche Interesse den Krieg zugunsten des Handels verbietet, andererseits aber auch den Krieg implizieren kann, wie der Nationale Sicherheitsberater Präsident Clintons, Anthony Lake, ausführt: „One circumstance, which may call for the use of force or military force, is [. . .] to defend our key economic interests.“292 Das Dilemma löst sich, indem der durch wirtschaftliche Interessen der Vereinigten Staaten determinierte Krieg erst den globalen Handels-Frieden komparativer Kostenvorteile schafft, die globale „pax americana“, in der die Friedensgöttin Eirene ein Füllhorn in den Händen hält, das Symbol des Reichtums. Dies erinnert partiell an das Konzept der „pax Romana“, über die Vergil behauptet: „Krieg wird ruhn und die Welt, die verrohte, neigt sich zur Milde. Fides, die graue, und Vesta, Quirinus mit Remus geben Gesetz: die Pforten des Kriegs, die grausigen, werden dicht verschlossen mit Riegeln aus Erz“293 Wenn wissenschaftlich-technologischer Fortschritt einer die Geschicke der Welt bestimmenden Nation gleichbedeutend mit ethischem und politischem Fortschritt ist und die Verknüpfung von Krieg und wirtschaftlichen Interessen globalen Frieden bringt, dann ist der Krieg die Fortsetzung der Politik und die wiederum die Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln. Dem letzten Krieg zwischen der absoluten Humanität der Zivilisation und den barbarischen Schurkenstaaten würde damit, der Weissagung des Jesaia gemäß,294 der globale „Liberale Frieden“, die „säkulare Erlösung“, der globale „homo oeconomicus“ folgen. Die Kreuzzugsmetaphorik vermag dabei das Eigene zu homogenisieren, zu kanalisieren und mobilsieren, wie schon Peter von Amiens im ersten Kreuzzug mit der Rekrutierung von Armen, Bauern und zügellosen Gesel292 Zitiert nach Rose 1996, S. 65. Thomas Hobbes hatte bereits angeführt: „Nicht etwa, daß der Mensch ausschließlich nach immer größerem Wohlbehagen strebte oder mit seiner geringen Macht nicht zufrieden sein könnte, er kann nur seine gegenwärtige Macht und die Mittel, die ihm jetzt Glück schenken, nicht sichern, ohne immer mehr zu erwerben,“ Hobbes 1965, S. 77. 293 Vergil 2001, S. 42. 294 Weissagung Jesaia 34,2 und 2,4: „Denn der Herr ist zornig über alle Heiden und grimmig über all ihr Heer; er wird sie verbannen und zum Schlachten überantworten [. . .] Und er wird richten unter den Heiden, und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Eicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andre ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen.“

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

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len, die sich nicht um die Absprachen im Kriege kümmeren295 – ein wichtiges Moment –, aufzeigt. 3.3.2 Die Mediatorie des Krieges Vitoria und auch noch Grotius stellen ihren Ausführungen in augustinischer und aquinatischer Tradition die Beantwortung der Frage voran, warum es Christen überhaupt gestattet sein könnte, Gewalt anzuwenden. Hierzu äußert sich Vitoria wie folgt: So könnte es den Anschein haben, als wären Christen Kriege überhaupt untersagt. Es scheint ihnen nämlich verboten zu sein, sich zu verteidigen, gemäß jenem Wort: Verteidigt euch nicht, Geliebteste, sondern gebt dem Zorn Raum (Röm. 12,19). Und der Herr sprach im Evangelium: Wenn Dich jemand auf die eine Backe geschlagen hat, dann halte ihm auch die andere hin. Im selben Kapitel steht: Ich aber sage euch: Widersteht dem Bösen nicht. Ferner: Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.296 [. . .] Christen ist es erlaubt, Kriegsdienst zu leisten und Krieg zu führen.297 [. . .] Der Schluß wird bewiesen, wie Augustinus ihn beweist, aus den Worten Johannes des Täufers: Schlagt niemanden, tut niemandem Unrecht! Wenn die christliche Lehre also, so Augustin, Kriege überhaupt mißbilligte, wäre den Heilsuchenden im Evangelium vielmehr der Rat gegeben worden, die Waffen wegzuwerfen und sich dem Kriegsdienst völlig zu entziehen. Es wurde ihnen aber gesagt: Schlagt niemanden, seid zufrieden mit eurem Sold. [. . .] Der Schluß wird zweitens mit der Begründung bewiesen, die Thomas II-II, q.40, a.1 gibt: Man darf gegen Übeltäter und aufsässige Bürger im Inneren Waffengewalt anwenden und das Schwert ziehen, gemäß jenem Wort: Nicht ohne Grund trägt sie (die Obrigkeit) das Schwert. Als Dienerin Gottes ist sie nämlich Richterin zum Zorn für den, der Schlechtes tut. [. . .] Drittens war der Krieg unter dem Naturgesetz erlaubt, wie an Abraham offenkundig ist, der gegen die vier Könige kämpfte (Gen 14,1–17). [. . .] Viertens läßt sich der Beweis auch für den Angriffskrieg führen, d.h., für einen Krieg, in dem man nicht nur angegriffen wird, sondern in dem man auch Strafe für widerfahrenes Unrecht einfordert. Dies wird mit der Autorität Augustins bewiesen (Buch der 83 Fragen) und steht im Kapitel Dominus (23, q.2): Als gerecht pflegt man solche Kriege zu bezeichnen, die Unrecht ahnden, wenn ein Volk oder eine Bürgergemeinde büßen muß, die es verabsäumte, das von den eigenen Leuten begangene Unrecht zu ahnden, oder zurückzugeben, was zu Unrecht weggeschafft wurde. [. . .] Fünftens läßt sich ein entsprechender Beweis für den Angriffskrieg auch deswegen erbringen, weil ein Verteidigungskrieg nicht angemessen geführt werden kann, ohne daß man gegen die Feinde vorgeht, die bereits Unrecht verübt oder dies versucht haben. [. . .] Sechstens wird der Satz bewiesen, weil das Ziel des Krieges der Friede und die Sicherheit des Gemeinwesens ist. [. . .] 295 296 297

Fleckenstein 2002, S. 123. Vitoria 1997 DIB, S. 545. Ebd., S. 545.

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

Ein letzter Beweis läßt sich erbringen, weil im Bereich des Sittlichen, wie schon oft gesagt wurde, das Beispiel der Heiligen und Guten das grundlegende Argument bildet. Es gab aber viele solcher Leute, die nicht nur in einem Verteidigungskrieg das Vaterland und ihre Güter schützten, sondern auch durch einen Angriffskrieg Unrechtstaten verfolgten, die die Feinde ihnen zugefügt oder dies auch nur versucht hatten.298

Die Prüfung der legitimierenden Gründe des Krieges stehe nur den Fürsten zu, denn [. . .] andere niedriger gestellte Leute, die beim Fürsten oder Staatsrat nicht zugelassen oder gehört werden, sind nicht verpflichtet, die Kriegsgründe zu prüfen. Sie können vielmehr im Vertrauen auf die Ansicht der höher Gestellten zulässigerweise ins Feld ziehen. Es geht dies erstens daraus hervor, daß es nicht geschehen kann und nicht tunlich ist, die Gründe für Staatsgeschäfte jedem aus dem Volke bekannt zu geben. [. . .] Für einen Menschen dieser Art muß es daher, wenn er nicht das Gegenteil festgestellt hat, als ein genügendes Beweismittel für die Gerechtigkeit des Krieges angesehen werden, daß er auf Grund eines Beschlusses des Staatsrates und der Staatsgewalt geführt wird. Es bedarf für ihn keiner weiteren Prüfung.299

Eine Ausnahme, die die Verweigerung des Kriegsdienstes erlaubt, ist nur gegeben, wenn „so starke Beweismittel und Indizien für die Ungerechtigkeit des Krieges sprechen, daß auch für Untertanen jener Art, die den Krieg führen, die Unwissenheit nicht entschuldigt wird.“300 Allerdings können diese Beweise nicht x-beliebige Vertreter aus der Mitte des Volkes ins Feld führen, denn nur [. . .] Senatoren und Prinzen, überhaupt alle, die zum Staatsrat oder zum Rat des Fürsten zugezogen werden, sei es, daß sie berufen sind oder von selbst kommen, sollen und müssen den Kriegsgrund darauf prüfen, ob er nicht etwa ungerecht ist. [. . .] Der Krieg soll daher nicht nach der alleinigen Ansicht des Königs, auch nicht nach der Meinung weniger, sondern nur nach der Ansicht vieler weiser und ehrenhafter Männer geführt werden.301

In diesem Sinne erklärt auch der ansonsten über gerechte Gründe und Rechtstitel mit Vitoria uneinige Sepffllveda: In bona Republica Leopolde, quae triplici genere continetur, non est militum, aut omnino popularium officium de rebus ad Rempublicam pertinentibus, quarum in primis bellum est deliberare, sed Principes, aut summorum magistratuum iussis, ac decretis obtemperare, ut docent gravissimi Philosophi. Ubi enim Populares sibi de summis rebus deliberationem vindicant, non ea proprie Respublica est, sed aberratio Reipublicae, et hic status Popularis nominatur iniustus, et civitati perniciosus.302 298 299 300 301 302

Ebd., S. 547 f. Vitoria 1952 DIB, S. 139 f. Ebd., S. 141. Ebd., S. 139. Sepffllveda 1984, S. 110.

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

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In der Gegenwart scheint eine Nichtbeteiligung bzw. eine ungenügende Zustimmung des Volkes an einer gegebenenfalls existentiellen Entscheidung, wie sie ein Krieg darstellt, genauso undenkbar wie eine „basisdemokratische“ Abstimmung in dieser Frage. Angesichts dessen muß den Massenmedien die vermittelnde, mediatorische Funktion der „weisen und ehrenhaften Männer“ Vitorias und die Prüfung der Legitimität eines Krieges zukommen. Massenmedien besetzen den „Korridor zur Seele des Machthabers“303 – unwesentlich, ob die politische Klasse oder das Volk als Souverän gilt – und bestimmen „prophetisch“304 die psychische und moralische „Raya“ der Entscheidung. Was von den Medien nicht aufgegriffen wird, existiert nicht, weil es weder individuell noch kollektiv wahrgenommen und erinnert wird.305 Das Stimulieren der kollektiven Aufmerksamkeit durch geeignete Signale schafft eine gemeinsame Realität306 oder eine kollektive Halluzination. Aufmerksamkeit ist das maßgebliche Kriterium, ob etwas in der Öffentlichkeit ankommt. Wobei Öffentlichkeit nur ein anderes Wort für das ist, was bereits Aufmerksamkeit und damit Eingang in die dadurch selbstreferentiellen Medien gefunden hat.307 So unterscheidet man bereits zwischen „information-rich“ und „information-poor“, letztere als die vom Medien-Souverän ausgemachte Form des frühneuzeitlichen Barbaren innerhalb der Zivilisation. Die für den Kriegsbegriff entstehende Problematik umreißt Michael Walzer folgendermaßen: „Die Medien sind allgegenwärtig, und die ganze Welt schaut zu. Unter diesen Bedingungen kann Krieg nicht mehr dasselbe sein. Bedeutet das aber, daß er gerechter sein muß, oder nur, daß er gerechter aussehen muß?“308 Wer den Inhalt der Bilder bestimmt, bestimmt die Phantasie der Menschen, so der französische Philosoph Paul Virilio in einem Beitrag für die Zeitung „Le Monde Diplomatique“.309 Die „Operation Iraqi Freedom“ initiiert folgerichtig ein neues „Wettrüsten“ um die Ressource Aufmerksamkeit, um den „beteiligt-unbeteiligten Zuschauer [. . .] einer feminisierten Öffentlichkeit“,310 der zwar den Nervenkitzel des Außeralltäglichen möchte, die „gedämpfte Angstlust“,311 aber nur in bemessener Dosierung, die „vollkommene Sicherheit des Genusses“ ohne 303

Schmitt 1994 MuM, S. 18. Prophetes (griech.): an Stelle von jemandem sprechen, vgl. Mayer-Tasch 2000a, S. 36. 305 Vgl. Rötzer 1998, S. 69. 306 Ebd., S. 79. 307 Vgl. Baruzzi 1999, S. 98. 308 Walzer 2003, S. 38. 309 Vgl. Scheffran 1999, S. 145. 310 Bolz 1999. 311 Vgl. Sofsky 1996, S. 108. 304

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

die „Gefahr eines gewaltsamen Todes“, wie Hegel bereits über den „bourgeois“ feststellt312 und wie auch auf die als „Aufmerksamkeitswaffe“ zu betrachtenden freiwilligen menschlichen Schutzschilde paßt. Damit einhergehend ist die Inszenierung ritterlicher Kampfführung und ein „essentiell pazifistisches Vokabularium“313 der Berichterstattung. Kriegsvorbereitungen heißen nun verharmlosend Drohkulisse, Bombardierung ziviler Ziele ist „collateral damage“, chancenlose Exekution ist ein „surgical strike“, Angriff heißt Entwaffnung und Besetzung nunmehr Befreiung. Aufgrund des erheblichen Aufmerksamkeitswertes von Kriegen, verbunden mit hohen Einschaltquoten und dadurch immensen Werbeeinnahmen für die Medien, berücksichtigten nahezu alle Regierungen mittlerweile den sogenannten „CNN-Faktor“.314 Schon Libyen wurde 1986 zur besten Sendezeit bombardiert.315 US-Präsident Bush äußert sich zu den Herausforderungen, die die Revolution auf dem Informationssektor für die Kriegführung bedeutet: Just as our diplomatic institutions must adapt so that we can reach out to others, we also need a different and more comprehensive approach to public information efforts that can help people around the world learn about and understand America. [. . .] This is a struggle of ideas and this is an area where America must excel.316 [. . .] It may include dramatic strikes, visible on TV, and covert operations, secret even in success.317 [. . .] To cut through the barriers of hateful propaganda, the Voice of America and other broadcast services are expanding their programming in Arabic and Persian – and soon, a new television service will begin providing reliable news and information across the region.318

Der amerikanische Politikwissenschaftler und ehemalige Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski kommentiert dies wie folgt: Der massive, aber nicht greifbare Einfluß, den die USA durch die Beherrschung der weltweiten Kommunikationssysteme, der Unterhaltungsindustrie und der Massenkultur sowie durch die durchaus spürbare Schlagkraft seiner technologischen Überlegenheit und seiner weltweiten Militärpräsenz ausüben, verstärkt dieses Vorgehen noch. [. . .] Die Sprache des Internet ist Englisch, und ein überwältigender Teil des Computer-Schnickschnacks stammt ebenfalls aus den USA und bestimmt somit die Inhalte der globalen Kommunikation nicht unwesentlich. [. . .] Da der 312

Hegel 2002, S. 445. Vgl. Schmitt 1996 BdP, S. 77. 314 Crefeld 1999, S. 432. Berühmt geworden ist die Live-Berichterstattung des CNN-Reporters Peter Arnette während des 2. Golfkrieges, der seinen Zuschauern den Bombenhagel auf Bagdad live vor Augen führt. 315 Vgl. Chomsky 2002, S. 42. 316 NSS 2002, IX., S. 31. 317 Bush 2001/09/20. 318 Bush 2004/01/20. 313

3.3 Interdependenz von Kriegführung und Kriegsbegründung

127

American way of life in aller Welt mehr und mehr Nachahmer findet, entsteht ein idealer Rahmen für die Ausübung der indirekten und scheinbar konsensbestimmten Hegemonie der Vereinigten Staaten.319

Ideale Voraussetzungen, wie der Münchner Rechts- und Politikwissenschaftler Peter Cornelius Mayer-Tasch in anderem Zusammenhang formulierte, „um nationalem Machtstreben koloniale Dynamik zu verleihen und das Wertesystem der Aufklärung über den ganzen Globus zu verbreiten“.320 Die direkte Entfesselung der Gewalt in den neuen Kriegen, so Herfried Münkler, „ist nicht zuletzt die Folge einer Kombination von Kalaschnikow und Hollywood, einfachster russischer Waffentechnik und exzessiver Gewaltdarstellung in amerikanischen Spielfilmen.“321 Die kontrollierte Berichterstattung der „embedded reporter“ im Irak-Krieg verdeutlicht, daß das zeitgemäße Genre der Berichterstattung zwischen Faktum und Fiktion, die „Faktion“, eine virtuelle Wirklichkeit generiert.322 Eine solche Inszenierung ist die Befreiung der Jessica Lynch, einer Soldatin, die bis zur letzten Patrone gekämpft haben soll und danach angeblich mit mehreren Schußverletzungen von den Irakern gefangen worden war. „It was a classic joint operation done by some of our nation’s finest warriors, who are dedicated to never leaving a comrade behind. We did have the opportunity to have a combat camera crew with the assault force,“323 kommentiert Brigadier General Vincent Brooks die durch Spezialeinheiten durchgeführte nächtliche Befreiung Lynchs aus einem irakischen Krankenhaus. Irakische Truppen hatten aber die Klinik längst verlassen, in die die in Wahrheit durch einen Autounfall mit ihrem Lastwagen verletzte Jessica Lynch eingeliefert worden war.324 Der Meister der Faktion, der irakische Informationsminister Mohammed Aseed al-Sahhaf, avanciert im Westen gar zur umschwärmten Kultfigur der Lüge.325 Die zum Teil völkerrechtswidrigen Lügen und Inszenierungen setzen sich fort in den durch das irakische Fernsehen veröffentlichten Fotos gefallener amerikanischer Soldaten, den durch amerikanische Raketen füsilierten blutbeschmierten Leichen der Saddam-Söhne und den Köpfungssze319

Brzezinsiki 2003, S. 46 f. Vgl. Mayer-Tasch 1987, S. 43. 321 Münkler 2003a, S. 118. 322 Vgl. Ash 2003/06/07. 323 CENT 2003/04/02. 324 TRD 2003/06. 325 „Comical Ali“ gibt beispielsweise lächelnd vor laufender Kamera und unüberhörbarem Gefechtslärm bekannt, er garantiere dreifach, daß es keine amerikanischen Soldaten in Bagdad gebe, denn diese würden an den Mauern Bagdads bereits Selbstmord begehen, vgl. TRD 2003/06. 320

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

nen der Fedajin-Kommandos, bei denen die gefangenen Geiseln grausam füsiliert werden. In dem als Schlacht zwischen Gut und Böse inszenierten Irak-Krieg des Jahres 2003, je nach Kontinent und politischem Lager mit wechselnder Besetzung in der Schurkenrolle, werden bevorzugt jene Nachrichten vervielfältigt, die das vorherrschende Bild bestätigen. Die Kriegsberichterstattung aller Seiten besitzt eher Katalysator- denn Wächterfunktion. Dies ist sicher nichts Ungewöhnliches, denn bereits im Mittelalter werden im Vorfeld der Kreuzzüge Bilder gezeigt, die zum einen den Messias zeigen, wie er von einem Araber durchbohrt wird, und zum anderen einen Muslim auf einem Araberhengst, der in der Grabeskirche auf das Grab des Messias uriniert.326 Zum Auftakt des Zweiten Golfkrieges behauptet die Krankenschwester „Nayirah“, in Wahrheit die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington, vor dem amerikanischen Kongreß, daß irakische Besatzer mit Gewehren in Krankenhäuser eingedringen, Säuglinge aus den Brutkästen holen und auf den kalten Boden werfen bzw. verkaufen – dies alles unter Anweisung der PR-Agentur Hill&Knowlton.327 Die Grenzen von Realität und Fiktion beziehungsweise Simulation brutaler Gewalt verschwimmen immer mehr. Anfang 2004 erobert ein neues Computerspiel „Kuma: War – Uday and Qusay’s Last Stand, Experience the toughest fighting of the war“ den US-Markt, das aktuelle Kampffronten auch in Zukunft möglichst schnell aufbereiten will und als erste Mission die Liquidierung der Hussein-Söhne anbot.328

3.4 Der Standpunkt der Theorie des gerechten Krieges Die Theorie des gerechten Krieges prüft in ihrem das „ius ad bellum“ abschließenden Kriterium der „recta intentio“ die richtige Gesinnung, ein Kriterium, das die gleiche Wertigkeit besitzt, wie die vorangegangenen Kriterien. Ist aber auch dieses Kriterium erfolgreich passiert, so impliziert dies dennoch nicht, wie von Suárez bereits ausgeführt, daß der gerecht Kriegführende „sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge“329 in Kauf nehmen darf, nur weil er die rechte Gesinnung habe und aus Gutem automatisch Gutes erwachse. Denn der Gebrauch von Vernunft330 kann infolge von 326

Hehl 2004, S. 237. Vgl. Kleinsteuber 2003. 328 Rötzer 2004/03/08. 329 Weber 1992, S. 71. 330 „Keiner zweifelt deswegen, daß zum Bereich von sittlichem Gut gehört, daß die Handlungen der äußeren Glieder durch die Richtschnur der Vernunft gerichtet 327

3.4 Der Standpunkt der Theorie des gerechten Krieges

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Liebe und Haß aufgehoben werden,331 so daß „jemand den Gebrauch der Vernunft bei einem Gegenstand oder Objekt haben kann und bei einem anderen nicht, zum Beispiel bei dem Gegenstand der Gerechtigkeit und nicht bei dem Gegenstand der Mäßigkeit.“332 Die Unterscheidung von Legitimierung und Limitierung von Gewalt, wie sie also das „ius ad bellum“ und „ius in bello“ vornehmen, eröffnet Parallelen zu der vom Sozialökonomen und Soziologen Max Weber getroffenen Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Im Gegensatz zum Gesinnungsethiker rechnet der Verantwortungsethiker mit den „durchschnittlichen Defekten der Menschen [. . .] er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns abzuwälzen“, wie es der Gesinnungsethiker ggf. mit einem „deus vult“333 tun könnte. Verantwortungsethisch könnte demnach der handeln, der der Limitierung der Kriegshandlungen zumindest den gleichen Wert zumißt, wie der Legitimierung des Krieges überhaupt, denn die Art der Kriegführung kreditiert oder diskreditiert erst den ihr nachfolgenden Frieden: „Item du solt dich hueten vor dem krieg, man sicht im das haupt wohl, aber nit die fuesz.“334 Für eine Mäßigung des Krieges ist die rechte Willensverfassung der beteiligten Fürsten ausschlaggebend, die frei sein muß von persönlichem Hass, vielmehr vom gerechten Zorn auf die sündhafte Unrechtstat geleitet werden soll, getreu Röm. 12,19: „Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn [Gottes].“ Der gerechte Zorn findet sich bereits bei Platon: Wie aber, wenn einer glaubt, daß ihm Unrecht geschehe? Da kocht es doch in ihm, und er entrüstet sich und kämpft für das, was ihm gerecht scheint, und trotz Hungern und Frieren und anderen solchen Leiden harrt er aus und bleibt Sieger: Er läßt vom Edlen nicht ab, bis er entweder verwirklicht hat oder tot ist, oder bis er, wie der Hund vom Hirten, von seiner eigenen Vernunft zurückgerufen und besänftigt wird.335

Auch Aristoteles ist der Ansicht, [. . .] wer nicht zürnt, wo er soll, gilt als einfältig, und ebenso, wer es nicht tut, wie und wann und wem er es soll. Ein solcher scheint keine Empfindungen und werden. Da, wie oben gesagt, die sinnenhafte Begehr der Vernunft gehorchen kann, so gehört deswegen zur Vollkommenheit von sittlichem oder menschlichem Gut, daß gerade auch die Leidebewegungen der Seele durch die Vernunft geregelt sind,“ Aquin 1985, I-II, q. 24, 3, S. 172. 331 Vgl. Vitoria 1997 R, S. 119. 332 Ebd., S. 123. 333 Antwort der Menge beim Aufruf Papst Urbans II. 1095 in Clermont, ebenso als Schlachtruf der Kreuzzüge verwandt, vgl. Dendl 1999, S. 36. 334 Grimm 2004, Band 11, Sp. 2222, S. 23. 335 Platon 1991, IV. Buch, S. 190.

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

keinen Schmerz zu kennen; da er nicht zürnt, wird er sich nicht wehren. Doch ist es sklavisch, sich Beschimpfungen gefallen zu lassen und die Seinigen nicht dagegen zu schützen. [. . .] Wer nun zürnt, worüber er soll und wem er soll und ferner wie, wann und wie lange er soll, wird gelobt.336

Und der heilige Thomas fügt hinzu: Da der Gegenstand des Hasses das Übel unter dem Berede von Übel ist, der des Zorns dagegen unter dem Berede von Gut, so ist der Haß viel schlechter und schwerwiegender als der Zorn. [. . .] Deswegen geht der Zorn auf eben die, womit Ahndung aufzulegen schlägt in die Gerechtigkeit: einen verletzen gehört aber zur Ungerechtigkeit. Beiderseits her, sowohl von der Ursache her, als welche die von dem zweiten angetane Verletzung dasteht, als auch von der Ahndung her, wonach der Erzürnte begehrt, liegt auf der Hand, daß der Zorn in dasselbe Behör fällt, wie Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit.337 [. . .] Der Tapfere nimmt zur Wirke der Tapferkeit den Zorn auf, freilich nicht jeden, sondern einen durch die Vernunft bemessenen.338 [. . .] Jedwedes Ding hat naturhafter Weise einen Haß gegen das, was ihm entgegen ist, insoweit es sein Gegensatz ist. Die Feinde sind nun aber uns entgegengesetzt, insofern sie Feinde sind. Weswegen wir schuldig sind, das in ihnen zu hassen: es soll uns nämlich mißfallen, daß sie uns feind sind. Sie sind uns aber nicht entgegengesetzt, insoweit sie Menschen sind und fähig der Glückseligkeit. Und dem gemäß sollen wir sie lieben.339

Der gerechte Zorn ist neben Vernunft und Begierde in der Seele das Dritte, „ein Gehilfe des Vernünftigen von Natur“, die „ursprünglich häufigste und auffälligste Form der Bewußtwerdung“340 eines Unrechts. Der gegen die sündhafte Unrechtstat kriegführende Fürst soll sich aber so betrachten, als ob „er zwischen zwei Staaten zu Gericht zu sitzen hat [. . .] nicht so sehr in seiner Eigenschaft als Ankläger als in seiner Eigenschaft als Richter hat er das Urteil zu fällen.“341 Die dem Besiegten auferlegte Strafe darf aus diesen Gründen nicht „Größe und Art des Unrechts überschreiten. Ebenso sind die Strafen zu beschränken und in weitem Umfang Gnade zu gewähren.“342 Denn ein Mensch handelt, so Vitoria, durch jede so schwache Liebeshandlung verdienstlich und wird durch sie größeren Ruhm haben.343 336 337 338 339 340 341 342 343

Aristoteles 2002, 1125, aI, 5, S. 193. Aquin 1985, II-I, q.46, 6+7, S. 287 f. Aquin 1985, II-II, q.123, 10, S. 456. Aquin 1985, II-II, q. 25, S. 120. Reiner 1964, S. 24. Ebd., S. 171. Vitoria 1952 DJB, S. 169. Vitoria 1997 ACD, S. 69.

3.4 Der Standpunkt der Theorie des gerechten Krieges

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In diesem Kontext ist Carl Schmitt zu widersprechen, denn er behauptet, daß [. . .] im gerechten Krieg der gerechten Seite jedes Mittel erlaubt sein sollte. Der Zusammenhang des gerechten mit dem totalen Krieg wird hier bereits sichtbar. In den Kriegen der konfessionellen Parteien des 16. und 17. Jahrhunderts hatte sich dann auch der ebenso wichtige Zusammenhang des gerechten und totalen Krieges mit dem inneren Bürgerkrieg gezeigt.344

Der gerechte Krieg aber ist der die durch Rechtsbruch gestörte Ordnung wiederherstellende und weitgehend gehegte Waffengang, in dem mindestens ein Kombattant von der völkerrechtlichen Autorität anerkannt ist und niemand den erwiesenen Feinden der Raumordnung zuzurechnen ist. Ein Kreuzzug hingegen ist ein „totaler Krieg“ gegen einen Feind der Raumordnung, der diese Feindschaft durch Übergriffe auf die in der Peripherie der Ordnung lebenden Menschen erwiesen hat oder aber gegen einen Feind innerhalb der Raumordnung, der mit dem äußeren Feind der Raumordnung verbündet ist, und damit die Einheit der Raumordnung – im Falle der „respublica Christiana“ auch das jenseitige Heil der Menschen – gefährdet. Dem Hegungsfaktor der „recta intentio“ gelten die den kreuzzugsartigen Bereicherungsfeldzug der Conquista „Westindiens“ sehr kritisch widerspiegelnden Vorlesungen des Francisco de Vitoria. Indem Vitoria im Rahmen seiner „relectiones“ versucht, durch Aufzeigen „wahrer Rechtstitel“ und gebotenem Verhalten im Kriege dessen Hegung zu ermöglichen, steht er zwischen den Spielarten des „christlichen Radikalismus“,345 dem Pazifismus und dem Kreuzzug. Bei Vitoria darf der gerecht Kriegführende alles tun, „was zur Verteidigung des öffentlichen Wohles notwendig ist.“346 Dieser „Freibrief“ erhält aber sogleich seine Normierung: Man muß verhindern, daß aus dem Kriege nicht größeres Übel hervorgeht als das, was durch denselben Krieg vermieden werden soll.347 [. . .] Es ist zur Ahndung des Unrechts nicht immer zulässig, alle Schuldigen zu töten. [. . .] Dies wäre gegen das öffentliche Wohl, das doch das Ziel des Krieges und des Friedens ist. [. . .] Man muß alles von den Feinden erlittene Unrecht, den zugefügten Schaden und alle anderen Verbrechen in Rechnung stellen und von dieser Überlegung aus zur Ahndung und Bestrafung schreiten. In diesem Sinne stellt Cicero die These auf, daß gegen Schuldige nur soweit eingeschritten werden darf, als Billigkeit und Menschlichkeit es gestatteten.348 [. . .] daß selbst auch im Kriege gegen die Türken 344 345 346 347 348

Schmitt 1997 NdE, S. 113. Vgl. Walzer 2003, S. 32. Vitoria 1952 DJB, S. 133. Ebd., S. 151. Ebd., S. 160 f.

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3. „Ius in bello“ – Periodizität und Interdependenzen der Kriegführung

nicht erlaubt ist, Kinder zu töten, [. . .] Frauen, [. . .] Bauern, [. . .] Fremde und Gäste, [. . .] Kleriker und Ordensleute.349

Außerdem ist es verboten, Waffen einzusetzen, die nicht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten diskriminieren: So scheint es mir nicht erlaubt, um wenige Schuldige niederzukämpfen, viele Unschuldige durch Anwendung von Feuer, Wurfgeschossen der Belagerungsgeschütze oder auf andere Weise zu töten, wodurch Unschuldige wie Schuldige unterschiedslos betroffen würden. Es scheint mir endlich auch niemals erlaubt zu sein, Unschuldige zu töten, auch nicht nebenbei und unabsichtlich, außer wenn ein gerechter Krieg auf andere Weise nicht verfolgt werden und nicht geführt werden kann.350

Damit läßt Vitoria eine Ausnahme von seinen strengen Vorschriften zu, doch scheint dieser Vorbehalt eher rhetorischer Natur zu sein, denn selbst im Kreuzzug gegen die Türken ist es ja nicht erlaubt, Kinder und Frauen etc. zu töten. Vitoria fordert angesichts der Conquista eine Verhältnismäßigkeit der Kriegführung, wie es auch schon Thomas als Forderung der „caritas“ tat. Die Nichteinhaltung der Verhältnismäßigkeit der Kriegführung stellt eine verwerfliche Absicht dar, womit ein anfänglich gerechter Krieg sein charakterisierendes Attribut verliert.351 Angesichts manigfaltiger Faktionen bei der Inszenierung „sauberer“ Kriegführung gewinnt ein normativer Appell zur Limitierung der Kriegführung an die im Kriege Handelnden immer mehr an Bedeutung.

349 350 351

Ebd., S. 151. Ebd., Nr. 37, S. 153. Aquin 1985, II-II, q.40, S. 189.

4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre? Die Parallelen, die sich zwischen der spanischen Völkerrechtsepoche und des ihr eigenen Kriegsbegriffs im Vergleich zur Gegenwart aufzeigen lassen, machen eine Beleuchtung derjenigen Faktoren interessant, die sich für die Ablösung des Kriegsbegriffes der spanischen Völkerrechtsepoche verantwortlich zeichneten und in der darauffolgenden Epoche eine weitgehende Hegung ermöglichten. Das sich daraus ergebende Substrat kann womöglich eine die Vergangenheit in die Zukunft einbringende Wandlung des gegenwärtigen Kriegsbegriffes bewerkstelligen. In früheren Phasen, in denen Imperien auseinanderfielen und feudale Strukturen aus ihnen hervorgingen, ist Friede stets nur konkret verortbar. Sollte in der Gegenwart die Erosion der Staatlichkeit dazu führen, daß der Staat seine Schutz- und Sicherheitsfunktion nicht mehr wahrnehmen kann, so müßte dies auch eine „Refeudalisierung“ des Friedens zur Folge haben. Denn wenn der Staat seine Schutz- und Sicherheitsfunktion nicht mehr erfüllt, so entfällt laut Carl Schmitt jede Gehorsamspflicht1 und das Individuum gewinnt seine natürliche Freiheit wieder. Eine Vielzahl bewaffneter Akteure – staatliche, kommerzielle, ideologisch-ethnische – produzieren bereits heute für eine Vielzahl von Nachfragern Sicherheit. Sollte sich diese Tendenz ausweiten, so wird dies die „Auflösung des Teufelspakts“2 zwischen Staat und Bürger beschleunigen. Das einzelne Individuum wird sich darauf nur noch demjenigen unterwerfen, „welchen sie fürchten, oder unter einen anderen, von dem sie Schutz erhoffen“, so Thomas Hobbes.3 Diese „Refeudalisierung“, momentan nur Kennzeichen von „failed states“, hat Folgen für den Kriegsbegriff.4 Gegenwärtig führen bereits nicht nurmehr Staaten, sondern ebenso ethnische und religiöse Gruppierungen Kriege und „Globalplayer“ beteiligen sich mittels Söldnern5 an den zu er1

Schmitt 1995 L, S. 113. Crefeld 1999, S. 449. 3 Hobbes 1948, S. 134, ebenso Grotius 1950, 1., 4., XII., 3., S. 121. 4 Im Mittelalter erfahren die Menschen Schutz und Sicherheit aus personalen Freundschafts- und Treuebeziehungen, vgl. Beestermöller 1990, S. 64. 5 „Dozens of British and American oil workers who have spent over more than two weeks as hostages on four offshore Nigerian oil rigs were last night being helicoptered ashore after agreement was reached between their union, the rig owners, 2

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

wartenden Verteilungskämpfen beziehungsweise an der Sicherung der Bodenschätze, zu denen auch bald nicht verseuchte Böden zählen werden. Die faktische Wechselwirkung zwischen westlichem Universalismus und planetarischem Wunsch nach Wohlstand für alle, zwischen rechtlicher und materieller Gleichheit, politischer Freiheit und ungehinderter Konsumentfaltung ist angesichts demographischer Probleme sowie des zunehmenden Gefälles zwischen reichen und armen Regionen die Quelle von Konflikten, in denen die existentielle „seinsmäßige Negierung eines anderen Seins“6 überwiegt. Ungeachtet der Existenz von Kriegskonventionen und der Einrichtung von Kriegsverbrechertribunalen7 läuft die gegenwärtige Entwicklung auf eine Aufkündigung der Begrenzung von Gewaltanwendungen hinaus, was die „Eigenlogik der Waffentechnik“8 verstärkt. Ist angesichts dessen die Zukunft des Kriegsbegriffes, in Abwandlung einer leninistischen Sentenz, die Renaissance der Renaissance plus Technisierung?9 Der berechtigte Wunsch, angesichts dieses Szenarios die immer zügelloser werdende Gewalt generell zu beseitigen, ignoriert, so Wolfgang Sofsky, die „Leidenschaften, welche die Menschen vorantreiben: der Triumph des Überlebens, die Souveränität der Überschreitung, die Begierden der Selbstentgrenzung.“10 Ein auf die Bergpredigt und Matthäi 5,3911 verweisender Pazifismus übersieht, daß hier nur die seelische Bereitschaft gefordert wird, Transocean, and the Nigerian government. The breakthrough in the talks came after two planeloads of mercenaries reportedly set off for Nigeria from Britain to rescue the oil workers,“ Guardian 2003/05/03. 6 Schmitt 1996 BdP, S. 33. 7 Zudem dürfte der Regularitätsbegriff der Genfer Konvention den meisten Kombattanten unterschiedlichster Herkunft, Kultur und Bildung unbekannt sein. 8 Adam 2003/02/05. 9 Diese Zukunft scheint eine Strophe aus „Der Krieg“ von Stefan George bereits vorwegzunehmen, George 1971, S. 57: Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein – Nur viele untergänge ohne würde . . . Des schöpfers hand entwischt rast eigenmächtig Unform von blei und blech – gestänk und rohr. Der selbst lacht grimm wenn falsche heldenreden Von vormals klingen der als brei und klumpen Den bruder sinken sah – der in der schandbar Zerwühlten erde hauste wie geziefer . . . Der alte Gott der schlachten ist nicht mehr. Erkrankte welten fiebern sich zu ende In dem getob. Heilig sind nur die säfte Noch makelfrei verspritzt – ein ganzer strom. 10 Sofsky 1996, S. 63. 11 „Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar“.

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Schweres zu ertragen, wenn es unbedingt notwendig ist,12 Pazifismus also die Folge einer Güterabwägung ist – und für den Christen im weitestgehenden Fall bis zum Märtyrertum führt. Für den, der aus Feigheit bei gebotener Verteidigung nicht handelt, gilt Johannes 12, 25: „Wer sein Leben liebt, der wird’s verlieren.“ Der Versuch, dem Krieg auszuweichen, bringt ihn mitten in die Gesellschaft.13 Eine völlig pazifizierte Welt wird eschatologische Verheißung bleiben müssen, denn es wird erst dann keine kriegerischen Beziehungen zwischen den Menschen mehr geben, so Julien Freund, wenn sie alle an nichts mehr glauben werden – „an diesem Tag aber wird nicht der Friede herrschen, sondern der Tod, das Ende allen Lebens.“14 Doch könnte die Anerkennung der fortwährenden Auseinandersetzung um Selbsterhaltung, Macht und Einfluß unter bestimmten Umständen eine Hegung von Konflikten bewerkstelligen. Ein gehegter15 Krieg setzt zum einen sich den gleichen Rang anerkennende Feinde16 wie auch gewisse Selbstbeschränkungen auf beiden Seiten voraus, damit man von einem „Krieg als Kulturfunktion“17, von einer agonalen Haltung18 beider Kriegsparteien sprechen kann. Für die für beide Seiten attraktive Einhaltung der Hegung des Krieges spricht das oftmals schwankende Kriegsglück, das mal dem Sieger, mal dem Besiegten winkt und damit dem Sieger das gleiche androht, was er gegen den Besiegten tat.19 Ein solches Verhalten wäre vorausschauend, geradezu „weise“, entspricht ergo der in Platons „Staat“ geäußerten Forderung des Sokrates, daß die Wächter-Soldaten von Natur aus weisheitsliebend, mutig, rasch und stark sein sollten.20 Die Wächter-Weisheit erkennt man des weiteren unter ande12

Pieper 1954, S. 63. Allein das Wort „Gewalt“ und seine diversen Bedeutungen belegen, daß „polemos panto¯n men pate¯r esti“ – Amtsgewalt, Gewalttätigkeit, legitimer Zwang gegen Rechtsbrecher, Kontrolle über ein Gebiet etc, vgl. Grimm 2004, Bd. 6, Sp. 4910, 71. 14 Freund 2002, S. 492. 15 Die „Hegung“ geht auf eine altnordische Tradition zurück, nach der das Schlachtfeld mit Haselruten, genau wie der Platz des Zweikampfes und der des Gerichtes, abgesteckt wurde, vgl. Cram 1955, S. 1. 16 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 116 ff. 17 Huizinga 1961, S. 91. Erst die Verhinderung des Kultus führt zu den Ausschreitungen einer eskalierenden Wildheit des Kampfes. 18 Cram 1955, S. 179. In dem man die bewaffnete Handlung weitestmöglich der Logik des Tauschs entzieht und der Logik des Unentgeldlichen zuordnet, vermag eine agonale, spielhafte Hegung der Kriegshandlung sich durchzusetzen. 19 So schon Diodor von Sizilien in „Bibliothe ¯ ke¯“, vgl. Grotius 1950, 3., 4. XIII., 1., S. 453. 20 Platon 1991, 2. Buch, S. 91. 13

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rem dadurch, daß der Wächter zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. „Wie Du weißt,“ so Platon, „sind die klugen Hunde von Natur aus so geartet.“21 Um bei Platons Beispiel zu bleiben: Zwischen Hunden führt das Sich-auf-den-Rücken-Legen des Unterlegenen zu einer auf Instinkt beruhenden Hemmung auf Seiten des angreifenden Feindes.22 Die Instinktreduktion des Menschen macht es aber notwendig, daß weitere Faktoren als nur der Instinkt für eine Hegung sorgen müssen. Da das Streben nach Geltung und Anerkennung durch Leistung und Tüchtigkeit, tapfere Taten und Bewährung seit jeher den Menschen die Ehre – etymologisch unter anderem von „êr“, das glänzende, leuchtende Metall – als sittliche Forderung erscheinen läßt,23 könnte diese auch zukünftig ein wichtiger Faktor in der Begrenzung von Konflikten werden.24 In der Begriffsreihe Moral-Ehre-Recht deckt grundsätzlich jeder vorstehende Begriff den Umfang des folgenden, aber nicht umgekehrt: Die vollkommene Moral gebietet von sich aus, was Ehre und Recht fordern, die vollkommene Ehre, was das Recht verlangt, das Recht aber hat den geringsten Umfang, es ist das ethische Minimum.25 Das Recht erwirkt äußere Zwecke (Handlungen) durch äußere Mittel (Gesetze), die Sittlichkeit (Moral) innere Zwecke (Gewissensreinheit) durch innere Mittel (Sanktionen), die Ehre erreicht äußere Zwecke durch äußere und innere Mittel.26 So steht die Ehre in der Mitte der Begriffsreihe, da sie weder nur die reine Innerlichkeit des moralischen Vorwurfs, noch ausschließlich die staatliche Gewalt rechtlicher Sanktionen besitzt. Die Ehre selbst wiederum scheidet sich in objektive Ehre – die Wertschätzung durch andere –, die direkte subjektive Ehre – die Wertschätzung seiner selbst – und die indirekte subjektive Ehre, die die Wertschätzung der objektiven Ehre meint. Die direkte subjetive Ehre „heißt Selbstschätzung, Selbstachtung, Selbstgefühl, Stolz; wenn die Schätzung unter dem wahren Werthe bleibt: Bescheidenheit, Demuth; wenn sie den wahren Werth übersteigt: Selbstüberschätzung, Dünkel, Hochmuth,“27 wie es der Offizier und Philosoph Eduard von Hartmann (1843–1906) definiert. Äußere und innere Ehre sind eng miteinander verbunden, da der Maßstab der inneren Ehre, der Ehrenhaftigkeit, meist von der äußeren gewonnen wird.28 21 22 23 24 25 26 27 28

Ebd., S. 90. Eibl-Eibesfeldt 1997, S. 52. Reiner 1956, S. 35. So auch Münkler 2003a, S. 236. Ehmann 2000/11/22, S. 9. Vgl. Ebd., S. 10. Hartmann 1890, S. 590. Reiner 1956, S. 98.

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Der einzelne Mensch kann sich im Zusammenleben mit anderen nur halten, wenn diese ihn in seinem Dasein achten als einen, der ebenso Mensch und daher daseinsberechtigt ist.29 Die Sanktionierung von Infragestellung individueller Ehre wie auch die Ehrverfehlung – „[. . .] ich glaub’, ein jeder müßt’ mir’s anseh’n“, wie Leutnant Gustl in Arthur Schnitzlers Erzählung denkt30 – ist seit Negierung der Ehrenhändel der Rechtsordnung aufgetragen, die aber auch das agonale Element reduziert.31 Das trifft cum grano salis auch auf die als „Duelle im Großen“ ausgefochtenen Kriege zu, denen sich das kommende Kapitel widmet.

4.1 Ritterliche Ehre und Kriegführung Die Verknüpfung von ritterlichen Tugenden und Ehre trägt bereits im Mittelalter maßgeblich dazu bei, die Gewalt im Kriege zu begrenzen.32 In einem weit verbreiteten Schwertsegensgebet in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts heißt es: Segen für das Schwert, mit dem soeben jemand umgürtet wurde. Erhöre, so bitten wir dich, Herr, unsere Gebete und mache dieses Schwert deiner wert, womit dein Diener sich zu umgürten wünscht, indem du es mit der rechten Hand deiner Majestät segnest, damit es zur Verteidigung und zum Schutz von Kirchen, Witwen, Waisen und allen, die Gott dienen, gegen die Wildheit der Heiden gereichen kann, und damit es anderen Feinden Angst, Schrecken und Entsetzen einflößt.33

Damit wird das Schwert Ausdruck der Herrschaft, des Schutzes und des Beistands Gottes und zugleich die Anwendung des Schwertes normiert.34 Christliche Ritter sollen sich nach der von Bernhard von Clairvaux 1128 für die Templer verfaßten Schrift „Ad milites templi de laude novae militiae“ nicht von Rache- und Besitzgier leiten lassen, sondern mit Disziplin, Gehorsam und in Armut für die Sache Christi kämpfen:35 29

Ebd., S. 26. Schnitzler 2002, S. 190. 31 Vgl. Huizinga 1961, S. 101. Erschüttert fehlende Koordination oder Subordination den Rechtsbegriff, dann „schwindet mit dem letzten formellen Rest der Spielhaltung auch jede Kultur überhaupt, und die Gemeinschaft sinkt bis unter die Schwelle der archaischen Kultur hinab,“ so Huizinga 1961, S. 102. 32 Bei einem (gerichtlichen) Zweikampf wird zudem einem nicht enden wollenden Regreß dadurch vorgebeugt, daß nach dem Kampf, bei dem auf möglichst gleiche Chancenverteilung geachtet wird, sowohl der Sieger gerechtfertigt ist, als auch in gewisser Weise der Besiegte, der nach mittelalterlicher Auffassung durch den Beweis der Selbstaussetzung Tapferkeit und Ehrenhaftigkeit beweist, vgl. Reiners 1956, S. 60. 33 Zitiert nach Winter 1979, S. 49. 34 Fleckenstein 2002, S. 107. 35 Vgl. hierzu Heutger 2004, S. 140. 30

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Man könnte sagen, diese ganze Gemeinschaft sei ein Herz und eine Seele: auch so, daß ein jeder seinem Willen in keiner Weise folgt, sondern mehr sich bemüht, dem Befehlenden zu gehorchen. [. . .] Bei ihnen gibt es überhaupt kein Ansehen der Person; dem Besseren und nicht dem Adeligeren erweist man die Ehre. Sie kommen einander in Ehrenbezeugungen zuvor, sie tragen gegenseitig ihre Lasten, um so das Gesetz Christi zu erfüllen. [. . .] Den Kampf, und nicht die Pracht, den Sieg, und nicht den Ruhm haben sie im Sinn; sie mühen sich mehr Furcht zu erregen als Bewunderung. [. . .] Ihnen fehlt, wie man sieht, keines von beiden, weder die Sanftmut des Mönches noch die Tapferkeit des Kriegers.36

Die Tugenden des „miles Christianus“ setzen sich „buchstabengetreu“ zusammen aus magnanimus, ingenuus, largifluus, egregius und strenuus (= miles).37 Die „auctoritas“ der Kirche schafft es letztlich, das Kriegertum durch „Überhöhung der Wirklichkeit“38 mit einem neuen Geist zu erfüllen und damit den „Gefühlswert des Rittertitels“39 in einem solchen Maße zu steigern, daß nunmehr selbst der Adel nach diesem Titel verlangt – nicht zuletzt, weil das Privileg des Kampfes und des Waffentragens nur dem Ritter zugebilligt wird. Ritterliche Tugenden umfassen auch die Beschränkung auf bestimmte Waffen, auf Lanze, Schwert, Streitkolben und Streitaxt. Um einige Blankwaffen – wie um die Heilige Lanze, Rolands Schwert Durendal oder Arthus’ Exkalibur – ranken sich Mythen, in denen die magische Waffe nur einem untadeligen, ritterlichen Charakter ihre wahre Kraft offenbarte. Bogen und Armbrust gelten als unehrenhaft40 und bleiben den auxilia“ vorbehalten, also denjenigen Einheiten, die den niedersten sozialen Schichten oder „halbzivilisierten“ Völkern entstammen.41 Auf dem Laterankonzil des Jahres 1139 wird unter Androhung der Exkommunikation endgültig verboten, die „Gott so verhaßte Kunst“ der Armbrust- und Bogenschützen gegen Christen anzuwenden.42 Interessanterweise scheinen sowohl die Hinterhältigkeit43 als 36

Clairvaux 1990, S. 283 f. Mutig, freimütig, freigiebig, ehrenvoll und entschlossen, genannt in der Ritterpromotion des Grafen Wilhelm II. von Holland (1234–1256). Vgl. hierzu Winter 1979, S. 60. 38 Fleckenstein 2002, S. 17. 39 Winter 1979, S. 23. 40 In der „Ilias“ wird Paris aufgrund seiner bevorzugten Waffen, des Bogens, als Schwächling bezeichnet und Euripides bezichtigt Herakles der Feigheit, weil dieser es vorziehe, aus der Ferne zu schießen, statt in der vordersten Front Mann gegen Mann zu kämpfen, wo ihn ein Speer hätte treffen können, vgl. Crefeld 2001, S. 126. 41 Ebd., S. 127. 42 Vgl. Bartlett 1996, S. 83. 43 Vgl. Stephan 1998, S. 131. Kettenpanzer und Helme bieten keinen Schutz gegen die Bolzen der Armbrust. Ludwig VI. von Frankreich wird von einem Armbrustgeschoß verwundet, der englische König Richard Löwenherz sogar getötet, vgl. Bartlett 1996, S. 83. 37

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auch die Tödlichkeit dieser Distanzwaffe der Makel zu sein.44 Der Ritter vermeidet nämlich, den ehrbaren Gegner der anderen Seite zu töten. Während der ein Jahr andauernden Auseinandersetzungen nach der Ermordung Karls des Guten 1127 in Flandern, an denen mehr als tausend Ritter teilnehmen, gibt es scheinbar nur sieben Tote.45 Die Lebensweise der Ritter verlangt scheinbar einerseits, Krieg möglich bleiben zu lassen, um sich nicht „wegzurationalisieren“, andererseits, eine Eskalation des Krieges zu vermeiden, um nicht das Überleben des gesamten Standes zu gefährden.46 Dies erinnert auf den ersten Blick an das Söldnerwesen, doch hatte und hat das Söldnertum eine als maßgeblich zu bezeichnende wirtschaftliche Komponente, während dem Ritterstand eine religiöshonorable Komponente innewohnt, bei der man um so mehr Ehre im Kampf ernten kann, je mehr Ehre dem Gegner zukommt und je öfter man gegen ihn antritt.47 Für diese Einstellung ist es typisch, daß Ort und Zeit des Aufeinandertreffens vereinbart und Geländeausnutzung als unritterlich abgelehnt wird. Selbst den obersten Befehlshabern ist der Ehre wegen schon im Anmarsch zur Schlacht eine Position an der Spitze wichtig, da sie diese zur Auswahl von besonders ausgezeichneten Gegnern befähigt.48 Noch Karl V. kämpft 1535 vor den Mauern von Tunis in vorderster Front, wobei mehrere Pferde unter ihm ihr Leben ließen. Schwedenkönig Gustav Adolf fällt 1632 bei Lützen, als er mit wenigen Gefolgsleuten seiner rechten Flanke zu Hilfe eilt.49 Diese heroische Individualität bedingt allerdings auch eine Unfähigkeit des Ritters, sich in einen taktischen Gefechtskörper einzuordnen.50 Die Schlacht von Crézy (1346), in der der französische König dem englischen zwei Plätze zur Schlacht und vier Tage Vorbereitungszeit anbietet,51 aber insbesondere die Schlacht von Azincourt (1415) markieren den stetigen Untergang des Ritterstandes. Die bei Azincourt ihre englischen Pendants suchenden Attacken der französischen Ritter versiegen im dichten Pfeilfeuer der in überhöhter Flankenstellung postierten englischen Langbogen-Schützen. Die bleiben nahezu unbehelligt, da die französischen Ritter 44 Gegen „unehrenhafte“ Nichtchristen finden daher beide Waffen Anwendung. Der im Gemälde von Arnold Böcklin auf einem weißen Pferd reitende apokalyptische Reiter, der zumeist mit Jesus gleichgesetzt wird, hat einen Bogen in der Hand. 45 Vgl. Stephan 1998, S. 99. 46 Ebd., S. 128. 47 Vgl. Fleckenstein 2002, S. 178. 48 Außerdem werden die ersten Waffengänge als wirksame Vorzeichen eines Gottesurteils, später des Schicksals, gedeutet, vgl. Huizinga 1961, S. 93. 49 Vgl. Crefeld 1999, S. 137. 50 Vgl. Fiedler 1985, S. 184. 51 Huizinga 1961, S. 99.

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einen Kampf mit den geächtete Waffen führenden, sozial niederen Bogenschützen als unwürdig empfinden.52 Diesem taktischen Nachteil, den die Ehre den Rittern vorschreibt, opfern sie ihre Siegchancen bis zum endgültigen Untergang. Die Feuerwaffe beschleunigt den Untergang des Rittertums: Der Schwertstreich, tausendfach geübt, verfeinert und so abgestimmt, daß er trotz Parade des Gegners trifft, ist dem Musketenschuß hoffnungslos unterlegen.53 Dem Bedeutungsverlust des Ritterstandes entspricht das Phänomen der sogenannten „Placker“, räuberischer Ritter-Söldner, die, in den Diensten der Städte oder auch in eigener Sache, den Untergang ihres Standes durch eine nomadisierende Kriegführung auf Kosten der Landbevölkerung beschleunigen.54 Doch die Tugendskala der ritterlichen Ethik und Lebenshaltung, Ehre, Treue, Zucht, Tapferkeit, Großmütigkeit, die „milite“ und „erbärmde“ und das Ideal der Selbstbeherrschung gegen die Weiblichkeit – „mâze“ oder „mensura“ genannt – können ihre normative Wirkung weit über den Bedeutungsverlust des Rittertums erhalten.55 Das übernationale Rittertum der mittelalterlichen christlichen Welt besitzt noch im Spanien des 16. Jahrhunderts eine verpflichtende Kraft. Der spanische Hidalgo bleibt „ewiger Ritter“,56 selbst als das übrige Europa durch die Renaissance bürgerlich zu werden beginnt,57 was zwei bedeutende Geschehnisse der spanischen Geschichte verdeutlichen. Als sich dem spanischen Königspaar Ferdinand und Isabell am Vormittag des 2. Januar 1492 der Zug des unterlegenen Maurenkönigs Boabdil nähert, überreicht Boabdil den Schlüssel von Granada mit den Worten: „Erhabener und mächtiger König, dir gehören wir; und dieses, Herr, sind die Schlüssel zu jenem Paradies. [. . .] Wir vertrauen darauf, daß du großzügigen und mildtätigen Gebrauch von deinem Siege machen wirst.“58 Daraufhin um52

Vgl. Keegan 1991, S. 113. Keegan 1991, S. 377. 54 Ritter sind als landsässige Landedelleute von der Landbevölkerung abhängig, wie Ulrich von Hutten schreibt: „Die uns ernähren, sind bettelarme Bauern, denen wir unsere Äcker und Wiesen verpachten. Der Erwerb, der daraus eingeht, ist im Verhältnis zur Arbeit, die er kostet, schmal: doch wird alle Mühe angewandt, um ihn reich und ergiebig zu machen, denn wir müssen sorgsame Hausväter sein,“ zitiert in Gräter 1988, S. 29. 55 Vgl. Grewe 1988, S. 80. 56 Die den Orden von Alcántara (1156 gegründet), Calatrava (1158 gegründet) und Santiago (1161 entstanden, 1175 bestätigt) beitretenden Ritter legten die Mönchsgelübte ab und verpflichteten sich, auf ewig gegen die Ungläubigen zu kämpfen, vgl. Zöllner 1988, S. 47. 57 Vgl. Wantoch 1927, S. 74. 58 Zitiert nach Brinkmann 2001, S. 488. 53

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armt Ferdinand seinen muslimischen Feind Boabdil und spricht ihm ob seiner Niederlage tröstende Worte zu. Als sich 44 Jahre später, im Frühjahr 1536, der französische König Franz I. im Frühjahr 1536 Savoyens bemächtigt, fordert Karl V. vor Papst, Kardinalskollegium und den Gesandten Frankreichs, zur Vermeidung größeren Blutvergießens und zum Beweis, daß seine Sache die bessere und Gott ihr gnädig sei, Franz I. zum ritterlichen Zweikampf heraus.59 Dieser Vorschlag, charakteristisch für die Rittergesinnung des Kaisers, der am liebsten nur Edelmann und höfischer Ritter gewesen wäre,60 wird von Papst Clemens VII. abgelehnt. Da kann es nicht verwundern, daß sich Don Hérnan Cortéz in seinen Briefen an Karl V. als glänzenden „miles Christianus“ darstellt, stets gerecht und mit Milde handelnd, Eintracht und Frieden stiftend: Ich brachte es auch dahin, daß die von Cholula und von Tlaxcala wieder Freunde wurden.61 [. . .] ließ den Gefangenen die geraubten Dinge zurückgeben und beschenkte sie für die bereits verzehrten Hühner mit spanischen Hemden.62 [. . .] Die Heerführer [der feindlichen Indianer] und ihre Leute fochten so brav, daß jene nicht in das Quartier eindringen konnten, das allerdings auch sehr fest war. Als ich indessen einmal angekommen war, kam ich auch bald hinein und zugleich mit mir ein solcher Schwarm von Eingeborenen, daß es unmöglich war, die Überrumpelten zu schützen.63 [. . .] Und es wurde wohl offenbar, daß Gott es war, der für uns kämpfte, da inmitten solcher Menge Volkes, solch tapferer und geschickter und mit mannigfachen Trutzwaffen versehener Streiter, wir dennoch so frei ausgingen.64

Im letzten Satz des Zitats wird die Interdependenz verdeutlicht, daß der tugendhafte Kampf für die Ehre Gottes eine Wechselwirkung mit der persönlichen Ehre des tapferen Kämpfers besitzt.65 59

Vgl. Hassinger 1957, S. 159. Brandi 1979, S. 14. 61 Cortéz 1975, S. 64. 62 Ebd., S. 29. 63 Ebd., S. 134. 64 Ebd., S. 52. 65 „Der Christ rühmt sich, wenn er einen Ungläubigen tötet, weil Christus zu Ehren kommt. Wenn ein Christ stirbt, offenbart sich die Hochherzigkeit des Königs, da der Ritter zu Belohnung geführt wird,“ Clairvaux 1990, S. 277. „Ist aber die Absicht des Ahndenden vornehmlich auf irgendein Gut gerichtet, das man durch die Bestrafung des Sünders erreicht, z. B. auf die [. . .] Wahrung der Gerechtigkeit und die Ehre Gottes, so kann die Ahndung bei Wahrung der sonstigen gehörigen Umstände erlaubt sein,“ so Aquin 1985, II-II, q. 108, S. 433. „Die Liebe der Freundschaft aber sucht das Gut des Freundes [. . .] Das ist auch die Weise, in der man von einem sagt, er eifere für Gott, sobald einer dem Können gemäß versucht, zurückzuweisen, was gegen die Ehre oder den Willen Gottes ist,“ Aquin 1985, I-II, q. 28, 4, S. 198. 60

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Vielleicht ist auch aus diesen Gründen dem Spanien dieser Zeit als dem Bollwerk des Katholizismus eine stolze Tapferkeit und ein äußerst empfindliches Ehrgefühl zueigen, ein Ehrgefühl, „das niemals danach fragt: ‚werde ich Erfolg haben?‘, sondern allein: ‚wie muß ich mich verhalten, damit ich vor Gott und den Menschen bestehen kann?‘“66 Der Dichter Juan Ruiz de Alarcón y Mendoza verdeutlicht das ritterliche Ehrgefühl des Spaniers „dessen Zeit, dessen Lebensform und Daseinseinstellung windschief ins Unendliche von der Entwicklungslinie des übrigen Europa abweicht:“67 „Die Ehre, die in edlen Herzen wohnt, bewährt sich in des Lebens schweren Lagen.68 [. . .] Nur einen tapf’ren Gegner zu besiegen, macht es mir wert, den Degen zu entblößen.69 [. . .] Ehre bringt den Tod durch einen Helden.“70 Die Symbiose zwischen Gläubigkeit, Ehre und ritterlichem Kampf spiegelt sich auch in den Biographien einer maßgeblichen Avantgarde des „Siglo de Oro“, die allesamt Ähnlichkeiten mit den an der Wende zum 16. Jahrhundert populären Romanzen und Ritterromanen über die Taten des Königssohnes Amadis de Gaula71 aufweisen. Lope de Vega beispielsweise beteiligt sich an der Fahrt der Armada Philipps II. gegen England und wird in späteren Jahren Geistlicher und Mitglied der Inquisition.72 Pedro Calderón de la Barca, der letzte große Dramatiker des „Siglo de Oro“, wird nach dem Studium Offizier, nimmt an mehreren Feldzügen teil und betont als Hofdichter und Hofkaplan, daß die Ehre zwar Eigentum der Seele, diese aber Eigentum Gottes sei.73 In diese Zeit fällt das vom Konzil von Trient 1563 erlassene Duellverbot: „Der abscheuliche Brauch der Duelle, der durch die Machenschaften des Teufels eingeführt wurde, damit durch den blutigen Tod der Körper zugleich auch das Verderben der Seelen bewirkt werde, soll überall in der Christenheit mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.74 Noch knapp 30 Jahre zuvor hatte Francisco de Vitoria die eher überraschende Äußerung getätigt: Auch der Privatmann kann jeden Verteidigungskrieg unternehmen und führen. Dies ist klar, denn Gewalt darf mit Gewalt zurückgewiesen werden.75 [. . .] Zur 66

Vgl. Hassinger 1957, S. 302. Wantoch 1927, S. 112. 68 Alarcón 1634, S. 283. 69 Ebd., S. 282. 70 Ebd., S. 330. 71 Vgl. Zöllner 1988, S. 150. 72 Vgl. Ebd., S. 156. 73 Ebd., S. 159. 74 „Destabilis duellorum usus, fabricante diablol entroductus, ut cruenta corporum morte, animarum quoque perniciem lucretur, ex christiano orbe penitus exterminetur,“ zitiert nach Garscha 1996, S. 49. 67

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Vermeidung von Schmach und Schande kann z. B. der, der einen Faustschlag erhält, mit dem Schwerte sofort zurückschlagen, und zwar nicht, um Rache zu nehmen, sondern wie gesagt, um die Unehre und Schande zu vermeiden.76

Das in der Tradition der „treuga dei“ stehende Duellverbot der Kirche negiert die bei Vitoria erlaubten77 Privatkriege und Duelle und deutet damit auf eine Gewaltmonopolisierung hin. Die Zeit des Übergangs und Wandels wird wunderbar durch den von Miguel de Cervantes Saavedra (1547–1616) geschaffenen Held Don Quijote dargestellt, über den der Dichter zu Anfang schreibt: Zuletzt, da es mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen: nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen und durch die ganze Welt mit Roß und Waffen zu ziehen, um Abenteuer zu suchen und all das zu üben, was, wie er gelesen, die fahrenden Ritter übten, das heißt jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen und sich in Gelegenheiten und Gefahren zu begeben, durch deren Überwindung er ewigen Namen und Ruhm gewinnen würde.78

So kündigt sich in jener Zeit zum einen die das „Ius Publicum Europaeum“ konstituierende absolutistische Staatensouveränität an,79 zum anderen manifestiert sich ein Wandel des persönlichen Ehrbegriffs, der gleichzeitig eine wichtige Bewahrung und Erhöhung ist,80 denn, so Suárez, [. . .] verschiedene Arten von Unrecht können Ursache für einen gerechten Krieg sein. [. . .] Drittens, wenn eine grobe Verletzung des guten Namens oder der Ehre vorliegt. Wir fügen noch hinzu: Es kann ein hinreichender Grund sein, daß ein 75

Vitoria 1952 DJB, S. 125. Ebd., S. 127. 77 Darüber empört sich Grotius: „Es ist aber merkwürdig, daß, obgleich Gott seinen Willen in dem Evangelium so klar ausgesprochen hat, dennoch Theologen, und zwar christliche Theologen, die Tötung nicht nur für zulässig halten zur Abwehr des Backenstreiches, sondern auch nach seinem Empfang, und obgleich der Schlagende davonläuft. Sie gestatten es, damit der Geschlagene seine Ehre wieder gewinne. Allein mir scheint dies weder fromm noch vernünftig,“ Grotius 1950, 2., 1., X., 2., S. 141. 78 Cervantes 1961, S. 23 f. 79 Wenn es, so Suárez, „[. . .] einen gemeinsamen Gerichtshof und eine übergeordnete Gewalt gibt, ist es gegen das Naturrecht, sein Recht eigenmächtig mit Gewalt erzwingen zu wollen. [. . .] Ein Kennzeichen souveräner hoheitlicher Gewalt ist es, wenn es bei solchen Fürsten oder Gemeinwesen einen Gerichtshof gibt, bei dem alle Prozesse dieses Machtbereiches endgültig entschieden werden und keine Berufung an ein höheres Gericht möglich ist,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 127 f. 80 Das Duellverbot führte meiner Ansicht nach nicht zur Substitution durch die „corrida de toros“ oder der Conquista als „lohnendere Aufgabe“, wie Garscha 1996, S. 49 behauptet. 76

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

solches Unrecht zwar nicht dem Fürsten selbst, wohl aber seinen Untertanen zugefügt wird; denn der Fürst hat für den Schutz des Gemeinwesens und seiner Untertanen Sorge zu tragen.81 [. . .] Wenn ein Krieg von beiden Seiten frei gewollt ist, aber ohne gerechten Grund [. . .] so scheint doch – im Hinblick auf die Kriegführenden selbst – keine Ungerechtigkeit vorzuliegen. [. . .] Schließlich entsteht auch im Duell, das von beiden Seiten frei gewollt ist, keine Verpflichtung zur Wiedergutmachung, und es ist auch kein Akt der Ungerechtigkeit, da es von beiden Seiten frei gewollt ist.82

Zudem hatte bereits vor dem kirchlichen Duellverbot eine bedeutende Verknüpfung von Humanität und Religion83 mit ritterlichem Geiste eine Weiterführung des „miles Christianus“ ermöglicht, für die Suárez selbst und der Begründer seines Ordens, Iñigo de Loyola, stehen. Loyola, Bewunderer von Ritterromanen und Teilnehmer zahlreicher Ehrenhändel,84 gibt nach seiner Verwundung in Pamplona 1521 seine Offizierslaufbahn auf und gründet 1534 die „Compañia des Jesffls“ in Paris, die 1540 von Papst Paul III. durch die Bulle „Regimini militantis ecclesiae“ betätigt wird. Loyola hatte übrigens in Paris Matheus Ory und Johannes Benoît als Lehrer, beides Nachfolger und Schüler von Francisco de Vitoria.85 Der im Innersten immer soldatisch gesinnte Loyola sieht einen auf Lebenszeit gewählten General als Lenker seines Ordens vor, was eine einheitliche Führung gewährleisten soll und die im übertragenen Sinne in die Tradition der Templer einreiht, dergemäß niemand seine Position in Aufstellung und Schlacht verlassen darf.86 Damit ist die „Compañia des Jesffls“ auch ein erfolgreiches Muster für die bevorstehende Epoche der stehenden Heere87 und der sich ebenso durch „Kadavergehorsam“ auszeichnenden methodisch-linearen Kriegführung, die die im Stile eines „Duells im Großen“ ausgefochtenen Kriege auszeichnet. 81 „Tertium, gravis laesio in fama, vel honore . . .,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 145. 82 Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 199. 83 Die Verknüpfung von Humanität und Religion in der „Societas Jesu“ sieht Montesquieu 2001, 4. Buch, 6. Kapitel, S. 140. 84 Vgl. Hassinger 1957, S. 252 ff. 85 Vgl. Soder 1955, S. 15 f. 86 Hinter das aufgepflanzte Ordensbanner, den Beausant, darf während der Schlacht nicht zurückgewichen werden, vgl. Nicolle 2004, S. 98. 87 Die Idee der Errichtung stehender Heere, finanziert durch Kontributionen der Bevölkerung, hebt der Herzog von Friedland, Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, endgültig aus der Taufe. Wallenstein führt zudem eine drakonische Disziplin unter seinen Soldaten ein, denn „sine qua bella nihil aliud quam magna sunt latrocinia,“ vgl. Diwald 1999b, S. 266. Die Zahl der Plünderer, die an den Bäumen hingen, noch bevor die Armee zu erstenmal zugeschlagen hatte, ging in die Dutzende, so Diwald 1999b, S. 294.

4.2 Hegung in der Epoche des gerechten Feindes

145

4.2 Hegung in der Epoche des gerechten Feindes Der kreuzzugsartige Dreißigjährige Krieg zeigt trotz aller überlieferten Grausamkeiten auch Rudimente ritterlicher Ehre. So zieht die Garnison des holländischen Breda unter Trommelwirbel, fliegenden Fahnen, mit vollen Waffen und persönlichem Besitz durch das Ehrenspalier der Spanier unter Ambrosio di Spinola,88 wobei die feindlichen Kommandanten sich ob ihrer Tapferkeit gegenseitig beglückwünschten.89 Diese „belle capitulation“ ist Gegenstand des Bildes „Las Lanzas – la Rendición de Breda“, das von Diego Rodríguez de Silva Velázquez im Jahre 1635 angefertigt wird. In der kaiserlichen „Responsio ad Propositionem Suecicam“ des 15. September 1645, den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden, heißt es, daß dieser „Convent, nicht von des Krieges gerechter Sache zu disputieren [habe], sondern vielmehr zu freundlicher und gütlicher Hinlegung desselben angestellet“ sei.90 Es soll ein dauerhaft, christlicher Frieden errungen werden, eine Erneuerung gegenseitiger Freundschaft der Ehre und des Ruhmes des anderen, was ein gegenseitiges Vergessen und allgemeine Amnestie für alle während des Krieges begangenen schädigenden Handlungen beinhaltet.91 Dies charakterisiert die auf das spanische Zeitalter des Völkerrechts folgende französische Völkerrechtsepoche, die zugunsten der Staatsräson auf religiöse oder ideologische Begründungen der Kriege weitgehend verzichtet.92 Doch die spanische Völkerrechtsepoche ist, frei nach der hegelschen Definition in „Wissenschaft der Logik“, in dreifacher Bedeutung in der klassischen, französischen Völkerrechtsepoche des „Droit public de l’Europe“93 aufgehoben. Erstens wird die scharfe Bestimmung des gerechten Grundes zugunsten eines auf Staatsräson begründeten Interesses vernichtet, was bereits Niccolò Machiavelli (1469–1527) einleitet, denn sich [. . .] selbst bereichern, den Feind zugrunde richten, war stets der Zweck derer, welche einen Krieg beginnen, und daß es so ist, liegt in der Natur der Dinge. Nur 88

Crefeld 2001, S. 112. Auch bei der Übergabe Memmingens am 25. November 1647 zieht die schwedische Besatzung nach Begräbnis ihrer Toten in mustergültiger Ordnung mit Waffen und Bagagewagen durch das Spalier der Bayern, wobei die gegnerischen Kommandanten, Enkevoer und Przyemski, nebeneinander stehend den Ausmarsch abnehmen, vgl. Höfer 1998, S. 125. 90 Zitiert nach Steiger 2000, S. 242 f. 91 Vgl. Steiger 2000, S. 244. 92 Vgl. Grewe 1988, S. 44. 93 Vgl. Grewe 1988, S. 47. 89

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

darum sucht man den Sieg, nur darum strebt man nach Zuwachs an Besitz, um seine Macht zu heben, die des Gegners zu schwächen.94

Der kluge Fürst darf einen gerechten Grund vortäuschen und [. . .] sein Versprechen nie halten, wenn es ihm schädlich ist, oder die Umstände, unter denen er es gegeben hat, sich geändert haben.95 [. . .] Es ist ein so außerordentlicher Unterschied zwischen der Art, wie man wirklich lebt und wie man leben sollte, daß alle, welche bloß darauf sehen, was geschehen sollte, und nicht auf das, was wirklich geschieht, eher ihren Untergang als ihre Erhaltung erleben. Es ist daher unvermeidlich, daß ein Mann, der überall rein moralisch handeln will, unter so vielen anderen, die nicht so handeln, früher oder später zugrunde gehen muß. Es ist also notwendig, daß ein Fürst, der sich behaupten will, auch lernen müsse, nicht gut handeln zu können, um erforderlichenfalls hiervon Gebrauch zu machen.96 [. . .] Wo es sich um Sein oder Nichtsein des Vaterlandes handelt, darf nicht in Betracht kommen, ob etwas gerecht oder ungerecht, menschlich oder grausam, löblich oder schändlich, man muß vielmehr mit Hintansetzung jeder Rücksicht die Maßregeln ergreifen, die ihm das Leben retten und die Freiheit erhalten.97 [. . .] Jeder notwendige Krieg ist gerecht.98

Der in Oxford lebende italienische Emigrant Albericus Gentilis (1552– 1608) formuliert hinsichtlich der „iusta causa“ den Kampfruf dieser Zeit: „Silete theologi in munere alieno!“99 Die Wahrheit wird nun in den Bereich persönlicher Glaubensüberzeugung zurückdrängt.100 „Am Ende ist der physische Grund doch stärker als der moralische,“101 so der Preußenkönig Friedrich II., „Machiavell [sic] sagt, eine selbstlose Macht, die zwischen ehrgeizigen Mächten steht, müßte schließlich zugrunde gehen. Ich muß leider zugeben, daß Machiavell recht hat.“102 Der zum Kriege berechtigende Rechtstitel wird nun nicht mehr der theologischen, sondern der dynastisch-genealogischen Sphäre entnommen.103 Bereits an der Schwelle zur klassischen Völkerrechtsepoche gesteht Hugo Grotius den Fürsten das uneingeschränkte Recht zum Krieg als auch die Beurteilung der Gerechtigkeit eines Krieges zu: Auch kann selbst bei einem gerechten Krieg aus äußeren Umständen kaum entnommen werden, welches die rechte Art ist, sich zu schützen, das Seine wieder zu erlangen oder Strafen zu vollstrecken; deshalb besteht die Ansicht, daß dies 94

Machiavelli 1934, S. 307. Machiavelli 2000b, S. 454 f. 96 Ebd., S. 447. 97 Machiavelli 2000a, S. 384. 98 Machiavelli 2000b, S. 484. 99 Schmitt 1997 NdE, S. 92. 100 Vgl. Beestermöller 2003b, S. 142. 101 Friedrich II. 1912 ZG, S. 13 f. 102 Friedrich II. 1912 PT, S. 160. 103 Vgl. Papke 1983, S. 187. 95

4.2 Hegung in der Epoche des gerechten Feindes

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dem Gewissen der kriegführenden Parteien überlassen bleiben muß und von keinem Dritten entschieden werden darf.104

Dies bedeutet zweitens, daß das erste Kriterium des gerechten Krieges – die „auctoritas princeps“ – bewahrt wird.105 Auf den französischen Geschützen steht „ultima ratio regis“ geschrieben, „letztes, entscheidendes Mittel der Könige“,106 was verdeutlicht, daß das „Droit public de l’Europe“ mehr eine Ordnung der Souveräne („ius inter reges“) denn zwischen Völkern („ius inter gentes“) ist. „Gefährlich ist’s, wenn ein Fürst seine Untertanen an den Gedanken gewöhnt, daß religiöse Überzeugungen eine gerechte Sache seien, die Waffen dafür zu erheben: das heißt, mittelbar die Klerisei zum Herrn über Krieg und Frieden machen, zum Schiedsrichter über Herrscher und Volk.107 [. . .] Über Königen gibt’s keinen Gerichtshof mehr, keine Obrigkeit hat über ihre Händel ein Urteil zu fällen, so muß denn das Schwert über ihre Rechte und die Stichhaltigkeit ihrer Beweise entscheiden,“108 so Friedrich II. Durch den auf beiden Seiten „gerechten“ Krieg der Fürsten werden Friedensregelungen vereinfacht und die Rechtsfigur der „Neutralität“ kann sich nach und nach herausbilden.109 Das dritte und nahezu wichtigste „hegelsche Moment“ ist die im „Ius Publicum Europaeum“ vorgenommene Erhöhung der „richtigen Absicht“ in ihrer Bedeutung für das „ius in bello“. Sie äußert sich nunmehr als Forderung an die Ehre des legitimen Herrschers, sich an eine disziplinierte Kriegführung nach den Regeln der methodischen Gefechtsführung zu halten.110 Die persönliche Ehre des Soldaten ist von nun an weniger mit der Ehre Gottes verbunden als mit der Ehre des von Gott eingesetzten, absolutistischen Monarchen.111 Vielleicht erinnert deswegen die ausgezackte, tuchbezogene und spitze Grenadiermütze, die Anfang des 18. Jahrhunderts mit der Uniformierung als äußeres Kennzeichen des Kombattanten eingeführt wird, an die Mitra, das Kennzeichen der einstmalig die Gerechtigkeit im Kriege beurteilenden Autorität, die nun auf den „Eigner“ des stehenden Söldner104

Grotius 1950, 3., 4., IV., S. 449. Für Albericus Gentilis sind „hostis, quo cum geritur bellum et qui aequalis alteri est“, zitiert nach Grewe 1988, S. 248. 106 Vgl. Kimminich 1980, S. 212. 107 Friedrich II. 1912 AM S. 87. 108 Friedrich II. 1912 AM, S. 111 ff. 109 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 115. 110 So ist nicht nur die Reduzierung der Kriterien des gerechten Krieges auf die „auctoritas princeps“ das Zeichen des „Ius Publicum Europaeum“, wie dies Carl Schmitt sieht (vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 115 ff.). Sondern eben auch eine Hervorhebung und Steigerung des den Krieg begrenzenden Teiles der „recta intentio“. 111 Ersichtlich in den kolorierten Darstellungen bei Knötel 2000, S. 14. 105

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

heeres übergeht und sich in seinem Heer ausdrücken soll. Damit ist die „richtige Absicht“ aber nicht nur den kriegführenden Fürsten aufgegeben, sondern auch jedem einzelnen Soldaten, dessen die richtige Absicht widerspiegelnde Kriegführung bereits in Friedenszeiten qua Disziplin und straffem Exerzieren trainiert wird, was Friedrich II. so kommentiert: Die Disziplin hält den Soldaten in Schranken und zwingt ihn zu vernünftiger und geregelter Lebensführung, hält ihn von jeder Gewalttat, von Diebstahl, Trunkenheit und Spiel zurück und nötigt ihn, beim Zapfenstreich in seinem Quartier zu sein. In einem gut disziplinierten Heere muß es ehrbarer zugehen als in einem Mönchskloster.112

Überkonfessionalität113 und die Forderung nach „militaris disciplina“ zeichnen auch den Leidener Professor Justus Lipsius aus, der mit seinem Schüler Moritz von Oranien als Schöpfer der den Geist des Jesuitentums und des Calvinismus atmenden Oranischen Heeresreform gilt.114 Aufgrund ihres Erfolges im Existenzkampf der nördlichen Niederlande nehmen sich nahezu alle europäischen Mächte diese Heeresreform zum Vorbild ihrer Heeresstrukturierung.115 Für das Militärwesen verlangt Lipsius ständiges Exerzieren, scharfe Durchordnung in Heeresaufbau und Befehlsgebung, Beispielgebung durch Lohn und Strafe und – in Anlehnung an die Stoa, aber auch an die ritterlichen Tugenden – geistig-sittliche Selbstzucht durch Gläubigkeit, Selbstbeherrschung, Mäßigung und Sichfernhalten.116 So werden die seit Untergang des Rittertums vom spanischen „miles Christianus“ durch die Zeit geretteten Tugenden aufgegriffen und für den einfachen Soldaten, den „miles perpetuus“117, als verbindlich erklärt und damit eine Brücke zwischen verschiedenen Epochen geschlagen. Die eine unbewegliche Gemütsstärke und heroische Akzeptanz erfordernde Gleichberechtigung von Krieg und Frieden118 scheint die diese Völ112

Friedrich II. 1912 PT, S. 173. Lipsius ist längere Zeit Jesuit, lehrt aber auch an der calvinisten Hochschule zu Leiden und wird im Jahre 1597 zum Hofhistoriographen des spanischen Königs Philipp II. ernannt, vgl. Lipsius 1998, S. 427. 114 Vgl. Oestreich 1957, S. 300. 115 So Oestreich 1957, S. 304. 116 Vgl. Oestreich 1957, S. 306. 117 Vgl. Papke 1983, S. 158. 118 In seinem 1584 erschienenen an die Stoa angelehnten Werk „De Constantia“ schreibt Lipsius: „Was ist es dann erstaunlich, wenn Gott der Allmächtige bisweilen seine Sichel zur Hand nimmt und auf diesem ins Kraut geschossenen Feld etliche überzählige Tausend mit Pest oder Krieg wegnimmt? [. . .] Meiner Meinung nach sollte es von Zeit zu Zeit eine sturmfreie Zeit und manche Windstille geben, bald aber mögen auch wieder die Wirbelwinde von Kriegen und Stürmen der Tyranneien hereinbrechen. Wer wollte wünschen, daß diese Welt gleichsam ein totes Meer ohne 113

4.2 Hegung in der Epoche des gerechten Feindes

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kerrechtsepoche prägende Auffassung des Krieges als Duell119 zweier Fürsten zu befördern.120 So ist zwar das seine Regeln mit mechanischer Präzision exekutierende Duell innerstaatlich verboten und der Fürst Quell jenes Rechts, der Fürst ist aber zugleich auch die Ausnahme der Regel, in dem er sich sowohl innerstaatlich121 als auch zwischenstaatlich das Recht hierzu vorbehält.122 In der sich am Duell orientierenden, streng reglementierten methodischen Kriegführung muß der militärische Führer jeder Lage mit festgelegten Formen „more geometrico“ Herr werden.123 Begriffe wie „Operationslinie“, „Operationsbasis“, „innere und äußere Linie“124 zeigen die geometrisch-abstrakte Vorstellung einer Kriegführung mittels fester Regeln. Der von späteren Kritikern wie Clausewitz als „lächerliche Künstelei“ verspottete Formalismus setzte jedoch ein gewaltiges Maß an Ausbildungszeit, Übung in Aufmarsch, Ansatz der Kräfte und Disziplin während der Schlacht voraus.125 Der hohe Ausbildungaufwand trägt unter anderem zur Errichtung dauerhaft stehender Heere bei und ermöglicht so die Überführung der Soldaten in eine Plünderungen vorbeugende, geordnete wirtschaftliche Lage.126 Dies führt in der Folge dazu, daß Personen, die nicht Mitglieder der Streitkräfte sind, unter Androhung harter Strafen verboten wird, sich am Krieg zu beteiligen,127 was weitgehende Auflösung des Kriegsunternehmertums bedeutet.128 allen Wind, ohne alle Bewegung sein sollte?“ Lipsius 1998, S. 243 f. Bei Lipsius wird das stoische Fatum wiederbelebt, das einstmals von Augustinus durch die Schöpfungsordnung Gottes ersetzt wurde, vgl. Soder 1955, S. 108. 119 Grotius betont unter anderem, daß „bellum“ „aus dem alten Wort duellum“ hergeleitet wird, vgl. Grotius 1950, 1., 1., II., 1., S. 47. 120 In Albericus Gentilis (1552–1608) bedeutendem Werk „De iure belli libri tres“ von 1588 taucht dieser Gedanke auf, vgl. Ipsen 1999, S. 31. 121 So bekennt Friedrich II.: „Ich würde mir ein verständiges, maßvolles Benehmen zur Regel machen, um keinen Anlaß zu Händeln zu geben. Wenn man mich aber ohne meine Schuld reizte, so wäre ich gezwungen, dem Brauche zu folgen, und ich würde mir wegen der Folgen die Hände in Unschuld waschen,“ Friedrich II. 1912 DM, S. 273. 122 Vgl. hierzu Müller 1996, S. 14. 123 Es gibt auch „leichte Truppen“ für den „Kleinen Krieg“ mit freierer Operationsführung, diese werden aber von den Linientruppen verachtet, weil sie nicht offen „dem Feind die Stirn“ bieten und die kämpfende Truppe List, Überraschung und Deckung als heimtückisch empfand, vgl. Regling 1983, S. 59. 124 Vgl. Regling 1983, S. 4. 125 Vgl. Ebd., S. 54. 126 Frauenholz 1927, S. 122. 127 Das Bürgertum ist – auch aus wirtschaftlichen Gründen – vom Militärdienst freigestellt, weswegen Friedrich II. summa summarum zu dem Schluß kommt: „[. . .] es gibt keine schönere und nützlichere Kunst als die Kriegskunst, wenn sie von anständigen Menschen geübt wird. Unter dem Schutze der edlen Vaterlandsverteidiger

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

Die propagierte Schonung des eigenen und fremden Landes führt bei der Truppe zur reinen Magazinverpflegung, hemmt aber damit große operative Unternehmungen,129 und läßt dadurch demjenigen Feldherrn großen Ruhm zukommen, der sein operatives Ziel möglichst schnell und mit geringen eigenen Opfern erreicht. Der Feind soll unter Aufsparung eigener Kräfte an den Verhandlungstisch gebracht werden, wofür manchmal schon ein geschicktes Manöver, die bloße Demonstration von Stärke, genügt. Die moderne Auffassung, daß es die Aufgabe einer Armee sei, den Gegner zu vernichten, ist auf die Epoche des „Ius Publicum Europaeum“ und das sie auszeichnende Mißtrauen gegenüber allen Leidenschaften130 wie auch der Moral131 nicht anwendbar. Solange die Gegner alle ein vergleichbar strukturiertes Kriegswesen aufweisen und nach dem gleichen taktischen System kämpfen, wird nicht nur eine strenge Diskriminierung von Kombattanten und Nichtkombattanten erreicht, sondern auch eine die Hegung bewerkstelligende Kalkulierbarkeit der gegnerischen Handlungen. Dazu gehört auch, daß alle wichtigen Fragen des Krieges direkt von den jeweiligen Souveränen und den engsten Vertrauten ihrer Kabinette – nicht mehr Theologen, sondern in der Hauptsache Juristen132 – entschieden werden. Anlaß dieser „Kabinettskriege“133 im klassischen Völkerrecht sind zumeist dynastische Erbstreitigkeiten,134 die, in der Sprache der Theorie des gerechten Krieges, präventive Interventionen gegen unrechtmäßige Thronfolger und potentielle Tyrannen135 nach sich ziehen und die Aufrechterhaltung der Ordnung des Gleichgewichts gewährleisten.136 Friedrich II. beschreibt dies zusammenfassend wie folgt: bestellt der Landmann seine Felder; die Gesetze werden von den Gerichten aufrechterhalten; der Handel blüht, und alle Berufe werden friedlich betrieben.“ Friedrich II. 1912 MT, S. 246. 128 Crefeld 2001, S. 282. 129 Vgl. Frauenholz 1927, S. 130. 130 Regling 1983, S. 145. 131 Die Forderung nach existentieller Vernichtung des Feindes ergibt sich erst aus einer falschen Moralisierung, behauptet Carl Schmitt am 22.12.1928 in einem Brief an Hermann Heller, vgl. Noack 1993, S. 120. 132 Papke 1983, S. 34. 133 Vgl. hierzu Regling 1983, S. 13. 134 Koselleck 2002, S. 561. 135 Vgl. Vitoria 1952 DJB, S. 131; vgl. Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 203. 136 Seit dem Frieden von Utrecht (1713) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gilt das Gleichgewicht der europäischen Mächte als Grundlage und Garantie des europäischen Völkerrechts, vgl. Luttwak 2003, S. 237. Gewahrt wird das Gleichgewicht durch England, das sich gegen jede hegemoniale Großmacht verbündet, um gleichzeitig seine maritimen Ambitionen voranzutreiben.

4.2 Hegung in der Epoche des gerechten Feindes

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Die Ruhe Europas ist in erster Linie bedingt durch die Erhaltung jenes weisen Gleichgewichts, das darin besteht, daß dem Übergewichte einzelner Herrscher die vereinigten Kräfte der anderen Mächte die Waage halten. Jede Störung dieses Gleichgewichtes beschwört die Gefahr einer allgemeinen Umwälzung herauf.137 [So gibt es Angriffskriege] die ihre Rechtfertigung in sich tragen. [. . .] Es sind die vorbeugenden Kriege, wie sie Fürsten wohlweislich dann unternehmen, wenn die Riesenmacht der größten europäischen Staaten alle Schranken zu durchbrechen und die Welt zu verschlingen droht. [. . .] Besser also zum Angriffskriege zu schreiten, solange man noch zwischen Ölzweig und Lorbeer zu wählen hat, als bis zu dem Zeitpunkt zu warten, wo alles so verzweifelt steht, daß eine Kriegserklärung nur noch einen kurzen Aufschub der völligen Knechtung und des Untergangs bedeutet.138

Im Gleichgewicht der Mächte, der Kalkulierbarkeit des Gegners und seiner am Duell orientierten Kriegführung, in der Propagierung ritterlicher Tugenden für den Kampf und unbedingter militärischer Disziplin für den Soldatenstand liegen bestimmte Garantien, die den Begriff des gerechten Feindes dieser Epoche auszeichnen.139 Durch die Anerkennung des Kampfes wird auch seine Begrenzung möglich,140 angesichts dessen Jean-Jacques Rousseau noch behauptet, der Krieg sei [. . .] keineswegs eine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat, bei der die einzelnen nur zufällig Feinde sind, nicht als Menschen, nicht einmal als Staatsbürger, sondern als Soldaten; nicht einmal als Angehörige des Vaterlandes, sondern als seine Verteidiger.141

Ein Vertreter der Übergangszeit zwischen der Epoche der Kabinettskriege und der der Volkskriege ist der preußische General Carl von Clausewitz. Zu seiner Zeit gerät die überkommene geistige, politische und ökonomische Ordnung durch die aktive Teilnahme der Völker am politischen Geschehen und die Umbildung ganzer Staaten unter Zerschlagung historisch gewachsener Formen ins Wanken.142 Die ausgeklügelte Kriegskunst der europäischen Militärs wird ja bereits im amerikanischen Unabhängigkeitskampf erschüttert, in dem jeder aufgefordert ist, als Partisan gegen die regulären Truppen zu kämpfen. 137

Friedrich II. 1912 AM, S. 110. Ebd., S. 111 ff. 139 Cum grano salis gilt für den Soldaten der Epoche der Aphorismus Nietzsches: „Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. [. . .] Ihr müßt stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge eures Feindes auch eure Erfolge,“ Nietzsche 1990, Vom Krieg und Kriegsvolke, S. 167 f. 140 So auch Rothe 2003, S. 57. 141 Rousseau 1948, S. 54 f. 142 Vgl. Hahlweg 1957, S. 184. 138

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

„Braddock, as a British soldier, had acquired a good degree of skill in the science of war, as carried on in Europe, but knew nothing of the modes of Indian warfare. Washington explained to him their mode of attack,“ so ein amerikanisches Schulbuch.143 Die „Tirailleurtaktik“ wird in der Französischen Revolution geradezu zum ideologisch begründeten Kampfstil der bürgerlichen Freiheitsbewegung.144 Während der frühe Clausewitz angesichts napoleonischer Erfolge ein glühender Anhänger145 dieses entfesselten Volkskriegs ist, befindet er später geradezu in Umkehr seiner früheren Ansichten, der Krieg sei [. . .] eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.146 [. . .] Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört.147 [. . .] Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf. [. . .] Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, um so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein.148 [. . .] [Der Krieg ist] eine wunderbare Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elementes, dem Haß und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeit und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeugs, wodurch er dem bloßen Verstand anheimfällt. Die erste dieser drei Seiten ist mehr dem Volke, die zweite mehr dem Feldherrn und seinem Heer, die dritte mehr der Regierung zugewendet.149

Haß und Feindschaft werden bei Clausewitz streng von Kriegführung und politischer Ebene geschieden, die den Zweck des Krieges und damit die anzuwendenden Mittel definieren. Haß und Feindschaft sind aber nach Clausewitz dem Volk zuzuschreiben, was in Zeiten der „leveé en masse“, der Wehrpflicht und Aushebung von Zivilisten, natürlich auch den Krieg mehr und mehr charakterisiert. Die demokratische Revolution besteht darin, wie Tocqueville kritisch festhält, „auf allen Schlachtfeldern die größere Zahl entscheiden zu lassen“,150 was die Anzahl der Gefallenen erhöht und das Pendel in Richtung 143 Aus dem Schulbuch „A History of the United States“ von J. Olney, 1836. – zitiert nach Kotte 2001, S. 561. 144 Regling 1983, S. 160. 145 Vgl. Stephan 1998, S. 182. 146 Clausewitz 1963, S. 22. 147 Ebd., S. 216. 148 Ebd., S. 22. 149 Ebd., S. 23. 150 Tocqueville 1985, S. 301.

4.3 Ehre als normatives Moment soldatischen Handelns

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Vernichtungskrieg ausschlagen läßt. Das Erwachen des Volkes und der Volkskrieg als „barbarischste Form der Kriegführung“151 erschüttern den Begriff des absolutistischen Staates152 und seine ihm gemäße, ja gemäßigte, Kriegführung.153

4.3 Ehre als normatives Moment soldatischen Handelns Für die Hegung zukünftiger Konflikte scheint eine Revitalisierung einiger die klassische Völkerrechtsepoche auszeichnender Faktoren von Relevanz: Ein gewisses Gleichgewicht der Mächte, die erfolgreiche Exklusion des Volkes vom Kriege154 durch „Stellvertretung“ oder „Repräsentation“ eines Berufssoldatentums, die strikte Diskriminierung von Kombattanten und Nichtkombattanten durch die Scheidung von öffentlicher und privater Feindschaft,155 und eine durch Soldatenehre weitgehend gewährleistete Handlungsbegrenzung im Kriege.156 Doch, dies sei vorab bemerkt, wird eine die Eskalation eindämmende Kriegführung nur zwischen kulturell ähnlichen Gegnern zu bewerkstelligen sein,157 die die gleichen „Spielregeln“158 anerkennen und durch Selbstbindung159 die Freiheit ihrer Kriegführung ein151

Regling 1983, S. 194. „Seit der Französischen Revolution wurde das Prinzip der Volkssouveränität zu einem sich unaufhaltsam ausbreitenden Dogma,“ Mayer-Tasch 2000b, S. 44. 153 Vgl. hierzu Schmitt 1991 VG, S. 11. 154 Am 15. Februar 2003, wenige Wochen vor Beginn der „Operation Iraqi Freedom“, beteiligten sich weltweit über elf Millionen Menschen an Anti-Kriegs-Protesten, vgl. Seibert 2003, S. 26. Das betrifft aber nicht die kriegerische Auseinandersetzung, das „ius in bello“, sondern das „ius ad bellum“. 155 Schmitt 1996 BdP, S. 29. 156 Zu berücksichtigen ist, daß der Kampf von Angesicht zu Angesicht die Gewalttätigkeit vermindert, so Keegan, S. 383. Das Laserschwert aus „Starwars“ zeigt eine interessante Zukunftsvariante der die menschliche Distanz verringernden und damit das Töten verändernden Waffe. 157 Nicht zuletzt scheint die Ausbildung und Herstellung von Gerechtigkeit nur „be-grenzt“ möglich, Gerechtigkeit tut nämlich, „was einem anderen zuträglich ist, sei es dem Regenten oder jenem, der derselben Gemeinschaft angehört,“ Aristoteles 2002, 5. Buch, 1130, a4, S. 206. Oder wie Arnold Gehlen ausführt: „Das Wunderwerk eines hochdifferenzierten und zugleich unnachgiebigen Ethos ist übrigens im Anfang stets das Zuchtresultat kleiner und übersehbarer Gemeinschaften, es verliert auch diese Anfangsbedingung nie ganz,“ Gehlen 1986, S. 72. Zu beachten ist in diesem Kontext aber auch der die Hegung vernachlässingende Bürgerkrieg, der Streit zwischen (kulturell ähnlichen?) Brüdern. 158 Der „Sachverhalt“, das politische und militärische Ziel, darf nicht mit allen Mitteln erreicht werden, sondern nur innerhalb gegenseitig festgelegter Verhaltensformen, vgl. Gehlen 1986, S. 38. 159 „Eine Gesinnung in strengem Sinne ist ein ‚mitverpflichteter‘ Komplex von Ideen, Gefühlen, Affekten und Verhaltensbereitschaften, der von außen, vom tätigen 152

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

schränken wollen. Zudem scheinen die Digitalisierung der Verkehrswege sowie die virtuellen Netzwerke von Menschen und Unternehmen offensichtlich zu einer Erosion der Staaten zu führen, jener „schicksalhaften Mächte“,160 die den Raum jahrhundertelang strukturiert haben161 und cum grano salis auch für einen einheitlichen Kriegsbegriff stehen. In Wahrheit hat die „Korrelation von geographischer Lage und soziopolitischer Ordnung“162 nicht an Bedeutung verloren. Bereits Montesquieu fordert, daß der Gemeingeist eines Volkes – zusammengesetzt aus Klima, Religion, Gesetzen, Staatsmaximen, Beispielen aus der Geschichte, Sitten und Lebensstil –,163 sich im Geist der Gesetze widerspiegeln müsse. Denn jede konkrete Ordnung und Gemeinschaft hat spezifische Orts- und Rauminhalte, die ihr inneres Maß und ihre innere Grenze mit sich bringen,164 die Impermeabilität, Sichtbarkeit und Öffentlichkeit165 bedeuten und das im Menschen archetypisch angelegte Bedürfnis nach Gelassenheit, Ordnung, Mitte und Maß166 gewährleisten. Erkenntnisse sind, wie Johann Gottfried Herder feststellte, „des Namens nicht wert, wenn uns die Empfindungen mangeln, aus denen sie wurden, und die sie noch immer in ihrem Schoße, wenn auch geheim, enthalten.“167 Einem globalen Interventionsverhalten steht diametral eine raumhafte „apollinische Selbstbeschränkung“ gegenüber, die aber, so Michael Walzer, allein dazu in der Lage ist, eine Friedenslösung herbeizuführen: Keine Lösung, die nicht lokal gefunden wird, ist stabil. Auch ist die Chance gering, daß eine nicht lokal zustandegekommene Regelung auf Einigkeit beruht.168 [. . .] Interventionen werden [. . .] wohl am besten von Nachbarländern ausgeführt, da diese in gewisser Weise mit der lokalen Kultur vertraut sind.169 [. . .] Wo die Handeln und Unterlassen her vorgeformt sein muß, der durch konsequente Kontrolle der Motivbildung herangeführt und entwickelt wird und so schließlich die Person von der Motivbildung überhaupt entlastet, also nur noch Anwendungsfälle motiviert. Diese durchaus asketische Tendenz, in der man sich sozusagen zu einem Baustein im Ordnungsgefüge macht, ist dem modernen Subjektivismus sehr verhaßt,“ Gehlen 1986, S. 72. 160 Maresch 2000/12/15, S. 4. 161 Selbst der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah versichert, jeder Staat sei besser als Chaos, vgl. Wieland 2004/03/14. 162 Mayer-Tasch 1994, S. 50. 163 Vgl. Montesquieu 2001, S. 266 ff. 164 Vgl. Schmitt 1991 VG, S. 81. 165 Schmitt 1996 PT II, S. 41. 166 Vgl. Mayer-Tasch 1994, S. 79. 167 Johann Gottfried Herder in „Vom Erkennen und Empfinden“ (1775), zitiert in Herder 1942, S. 171. 168 Walzer 2003, S. 84. 169 Ebd., S. 85.

4.3 Ehre als normatives Moment soldatischen Handelns

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zu beendenden Maßnahmen und Praktiken auf breite Unterstützung stoßen, von lokalen Strukturen und Kulturen lebendig erhalten werden, wird jede potentiell erfolgreiche Intervention nicht den „rein und raus“-Test bestehen.170

Der Völkerrechtler Matthias Herdegen wendet sich gegen eine Absolutierung eines jedes Regime schützenden Gewaltverbots, fordert aber, daß Präventivmaßnahmen möglichst nur unter dem Dach regionaler Systeme durchgeführt werden.171 Ein Kriterium, das der Kriegskoalition im Irak kaum eine Stütze gibt172 und kulturell bedingten Mißverständnissen des Intervenierenden entgegenwirken würde.173 Der kollegiale Zusammenschluß kultureller Einheiten in – an einem Gleichgewicht orientierten – Großräumen174 oder Transnationalstaaten mit militärischem Interventionsverbot raumfremder Dritter175 wäre ein dritter Weg aus der „Zeit staatlicher Ohnmacht“176, der Völker und Staaten nicht gänzlich vernichtet, sondern „aufhebt“.177 Angesichts der „verheerenden Folgen der Bevölkerungsexplosion, Armutsmigration, sich rasant beschleunigender Urbanisierung, ethnischer und religiöser Feindseligkeiten und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“178 könnte ein Grundgerüst von kulturell determinierten Großräumen Stabilität garantieren.179 Dementsprechend fordert auch der Tübinger Philosoph Otfried Höfe, daß 170

Ebd., S. 86 f. Herdegen 2004/01/12. Der Sicherheitsrat kann gemäß Artikel 52 UN-Charta „Regionale Abmachungen oder Einrichtungen zur Behandlung von die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betreffenden Angelegenheiten“ und Artikel 53 UN-Charta regionale Abmachungen zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen unter seiner Autorität in Anspruch nehmen. 172 Schon 1998, als Großbritannien und die USA aufgrund des Abzugs der UNSCOM-Mission einen Waffengang gegen den Irak planen, versagt Bahrein die Nutzung von Stützpunkten, lehnt der saudische Verteidigungsminister Militärschläge gegen den Irak ab, bezeichnet der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate die Drohungen als schlecht und abstoßend und erklärt, der Irak stelle für seine Nachbarn keine Bedrohung dar, vgl. Chomsky 2002, S. 59. 173 Salutschüsse anläßlich einer Hochzeit im Irak wurden seitens der Amerikaner als Angriff gedeutet, woraufhin die Hochzeitsgesellschaft von Hubschraubern aus mit Bordkanonen und Raketen beschossen wurde, vgl. „Die Welt“ vom 23.09.2003: „Ich will das Blut der Besatzer trinken. Der Hass der Iraker auf die USA ballt sich in Falludscha, Zentrum des Widerstandes.“ 174 Denn das Wilsonsche Modell einer juristischen Weltordnung gleicher Staaten ist durch den Untergang des Gleichgewichts der Mächte nach Ende des „Kalten Krieges“ auch im zweiten Anlauf gescheitert, so der Völkerrechtler Norman Paech 2003, S. 43. 175 Hierzu Schmitt 1991 VG, S. 49. 176 Ebd., S. 13. 177 Schmitt 1939 NuN, S. 333. 178 Brzezinski 2003, S. 279. 171

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

[. . .] die großregionale Zwischenstufe, die zwischen den Einzelstaaten und der globalen Ordnung, heranzuziehen ist. Denn es ist keineswegs rechtsethisch verwerflich, im Gegenteil nach dem Subsidiaritätsprinzip sogar geboten, trotz der Universalität der Pflicht zur Nothilfe Abstufungen im Grad der Verantwortlichkeit [. . .] anzuerkennen.180 [. . .] Und darüber hinaus errichte man eine globale Ordnung, die sich [. . .] um all die Probleme kümmert, die zwischen den Großregionen auftauchen.181

Die nur in Ausnahmefällen vorzunehmende Intervention regionaler „Feuerwehren“ nach dem Prinzip „cuius regio, eius interventio“ würde die „Gemengelage von erlaubten und nicht erlaubten Kriegen“182 bzw. Interventionen eindämmen183 und einem „imperial overstretch“ entgegenwirken, wie ihn beispielsweise das Spanien des 16. Jahrhunderts durch seine Kriege an der Peripherie des die „Neue Welt“ und Europa umfassenden Reiches erleiden mußte.184 Mit der Schaffung kulturell determinierter Großräume wäre eine erste Möglichkeit geschaffen, einen die Kontingenz der Hegung des Krieges reduzierenden intraimperialen Ehrbegriff für das Soldatentum wiederzubeleben.185 Denn der Verfall des ständisch-soldatischen Ehrbegriffes beginnt 179

Letztlich sind die USA alleine schon ein solcher Großraum. Die künstlich konstruierte Jefferson-Hartley-Karte von 1783, nach deren Muster die Erweiterung der Vereinigten Staaten geschah, symbolisiert allerdings weniger eine „kulturelle Rücksichtnahme“, sondern ist mehr eine „gigantisch und geschichtlich präzedenzlose Parzellierung eines ganzen Kontinents [. . .] Matrix des Privateigentums [. . .] und ihrer Verallgemeinerung und nimmt Konzepte eines Weltstaates voraus“, so Schlögel 2003, S. 186 ff. 180 Höffe 2003, S. 22. 181 Ebd., S. 26. 182 Schmitt 1988 DK, S. 44 Anm. 183 In diesem Kontext ist Cora Stephans Schlußfolgerung beizupflichten, die angesichts des gehegten Kampfes griechischer Hopliten, die als wehrpflichtige Bauern geradezu als Urbeispiel terraner Verwurzelung gelten können, die entgegengesetzte „Grenzenlosigkeit“ und das „freie Land“ als wahren Feind des gehegten Krieges ausmacht, vgl. Stephan 1998, S. 59. 184 Die Vereinigten Staaten sind mittlerweile der größte Schuldner der Welt. Ob die unter anderem aus der Verlagerung der Industrieproduktion nach China resultierende Verschuldungsfalle der USA den Irak-Krieg zum Auftakt einer Auseinandersetzung zwischen China und den USA um Bodenschätze werden läßt, kann hier aber nicht diskutiert werden. 185 „Man kann die Frage auch so stellen: wie ist es einem instinktentbundenen, dabei aber antriebsüberschüssigen, umweltbefreiten und weltoffenen Wesen möglich, sein Dasein zu stabilisieren? Darauf gibt es eine sichere negative Antwort: der Weg über das Bewußtsein durch Lehre, Bildung oder Propaganda genügt nie,“ so Gehlen 1986, S. 42. Und weiter: „Der Imperativ formuliert Sitten, Rechtsvorschriften, ethische Gebote, praktische Sachanweisungen usw. – d.h. er setzt immer eine Instanz voraus, die zu Anweisungen berechtigt ist, letzten Endes also Institutionen, die solche Instanzen definieren,“ Gehlen 1986, S. 29.

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mit dem zu Ende des 18. Jahrhunderts entstehenden Volkskrieg, in dem die soldatische Ehre für das ganze Volk verbindlich wird.186 Sie geht auf das Kollektivsubjekt „Nation“ über, steigert sich dort zu grotesken Formen, einhergend mit dem Vernichtungskrieg, ehe sie, wie Staat und Nation durch den Chauvinismus diskreditiert,187 langsam erodiert, egalisiert und in das Belieben des Einzelnen gestellt wird. Die Ambivalenz und Interdependenz zwischen dem soldatischen Ehrbegriff und den Anforderungen moderner Militärführung bezeugt die Charakterisierung des Offizierskorps der Vereinigten Staaten, dessen Vorteile sich laut Professor Hans Herzfeld dadurch begründen, daß es [. . .] seinem Wesen nach von jeder Beeinflussung durch feudalistisch-aristokratisches Erbe geschützt war, so daß es dem amerikanischen Offizier relativ leicht wurde, die Anforderungen einer modernen Kriegführung in der Welt von Technik und Wirtschaft des Massenzeitalters zu erfüllen.188

Die „Kriegführung in der Welt der Technik des Massenzeitalters“ hat ihre eigenen Bedingungen, die sich auch unter dem Stichwort „Eigenlogik 186 Mit der Öffnung des Soldatenstandes für die staatstragende Schicht des Bürgertums gerät die soldatische Standesehre in Konkurrenz mit dem bürgerlichen Ehrbegriff, der durch wirtschaftliche Wertmuster wie vernünftige Haushaltsführung, Sparsamkeit, Fleiß und Arbeit geprägt ist, so Vogt 1997, S. 56. Hierunter leidet auch die ritterliche Auffassung von Turnier beziehungsweise Duell, wie Joseph Conrads Erzählung belegt: „Napoleon I., dessen Karriere den Charakter eines Duells gegen ganz Europa hatte, liebte keine Duelle zwischen den Offizieren seiner Armee. Der große Soldatenkaiser war kein Säbelraßler und hatte wenig Respekt vor Traditionen. [. . .] Zum Erstaunen und zur Bewunderung ihrer Kamieraden führten während der Jahre allgemeinen Gemetzels zwei Offiziere wie wahnwitzige Künstler, die noch versuchen, pures Gold zu vergolden oder einer Lilie Farben aufzutragen, einen persönlichen Kampf. Sie waren Offiziere der Kavallerie, und ihre Verbindung mit dem kühnen, aber eigensinnigen Tier, das Männer ins Gefecht trägt, scheint besonders passend,“ so Conrad 1989, S. 163. Die Rekurrierung auf die Kavallerie als Erbe des Ritterstandes ist an dieser Stelle sicher kein Zufall. Doch für den Wandel im Duell gleichsam wie für die Kriegführung im Ganzen steht der Emporkömmling Feraud, der sich mit Zivilisten duelliert und damit partiell gegen den Grundsatz der Gleichrangigkeit der Gegner verstößt, zudem jede Vermittlung mit seinem über lange Jahre immer wieder zu Duellen herausgeforderten adeligen Gegner D’Hubert ablehnt: „Was für Manieren! Was für eine schreckliche Entstellung der Männlichkeit! Nichts kann eine solche Unmenschlichkeit hervorrufen als der blutige Wahn der Revolution, der eine ganze Nation vergiftet hat,“ Conrad 1989, S. 241. Der Sinn des ritterlichen Duells weicht hier dem auf Neid und Unversöhnlichkeit beruhenden andauernden Regreß, dessen alleiniger Sinn die existentielle Ausschaltung des Gegenüber ist. 187 Ein umfassender Angriff auf die ständische, ritterlich-soldatische Ehre stellt die Vereinnahmung dar, daß der Soldat „nur noch dem Reich und seinem Führer“ sich zugehörig fühlen solle, und seine alleinige Ehre „Deutschland“ heißen möge und dies mit unbedingtem Gehorsam auf den Führer selbst zu beeiden war, vgl. Ziegler 1940, S. 53 f. 188 Herzfeld 1958, S. 22.

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

der Waffentechnik“189 wiederfinden. Sie beinhaltet unter anderem, daß die Gefahr zwischenmenschlicher Distanz und Teilnahmslosigkeit proportional zur Reichweite der Waffen ansteigt190 und die vernichtende Wirkung der Waffen nicht selten die Diskriminierung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten aufhebt und „Kollateralschäden“ in Kauf nimmt. Ein soldatischer Ehrbegriff, der sich nicht im bürgerlichen, „technisch-handwerklichen“ Ehrbegriff der Waffensystembedienung erschöpft, steht scheinbar, so die implizite Aussage von Profesor Herzfeld, den „Anforderungen einer modernen Kriegführung in der Welt von Technik und Wirtschaft des Massenzeitalters“ entgegen. Grund genug, die mögliche Beschaffenheit eines die Hegung des Krieges ermöglichenden ständischen Ehrbegriffes zu ergründen, der sowohl ritterliche Tugenden als auch Disziplin und geregelte Kriegführung, wie sie die klassische Völkerrechtsepoche aufweist, widerspiegelt. Die erste Hürde, die ein solcher Ehrbegriff zu nehmen hätte, liegt bereits in den häufig als lobenswerte Errungenschaften moderner demokratischer Gesellschaften bezeichneten Phänomenen des Relativismus und Egalitarismus. Eine spezifische Standesehre aber, so Max Weber, beruhe stets auf Vergleichung und Vorzug, Distanz und Exklusivität,191 die Ehre „bedarf nicht weniger einer gewissen Enge und Solidarität des Kreises.“192 Eine Standesehre hinge von der Unähnlichkeit und Ungleichheit unter den Menschen ab und muß um so schwächer werden, je schwächer diese Ungleichheiten würden, stellt Tocqueville fest.193 Diese Fakten machen es „postheroischen“ Gesellschaften schwer, einer charakterlichen Haltung permanent Lob oder Tadel zu erteilen, und damit Bürgern einen unterschiedlichen Grad an Ehre zuzuerkennen.194 Doch hat eine Wiederbelebung der Ehre Vorteile auch für die politischen Entscheidungsträger, denn die die Ehrung Vornehmenden aktivieren das „Grundmodell des Gabentauschs“.195 Hier vermehrt der Ehrende zunächst das symbolische Kapital des Geehrten durch den Akt der Ehrung, was allerdings voraussetzt, daß der Ehrende selbst symbolisches Kapital einbringen kann: „Eine Ehrung durch Beliebige und bei Kleinigkeiten wird er vollkommen übersehen, denn sie ist seiner nicht wert,“ so Aristoteles über den 189

Adam 2003/02/05. Sofsky 1996, S. 186 bezieht sich explizit auf Flugzeugbesatzungen und Artilleristen. 191 Vgl. Weber 1980, S. 537. 192 Simmel 1907, S. 749. 193 Vgl. Tocqueville 1985, S. 279. 194 Ebd., S. 267. 195 Vgl. Vogt 1997, S. 238. 190

4.3 Ehre als normatives Moment soldatischen Handelns

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Großgesinnten und Tugendhaften.196 Als Gegengabe aber strahlt die Ehre des Geehrten auch auf den Ehrenden aus. Zudem kann der Ehrende eine gewisse Haltung und Verpflichtung des Geehrten erwarten, etwa in Form von „Korruption und gemeines Banausentum“197 ausschließender Loyalität oder einem geschuldeten, ehrenvollen Verhalten im Kriege. Zudem ist die Bezahlung in der ideellen Währung Ehre ein Rezept für „schlanke Haushalte“, wie bereits der Preußenkönig Friedrich II. erkennt.198 Das durch Ehrzuwachs erzeugte Verhalten vermag zudem selbst in denjenigen Zeiten stabil zu bleiben, in denen es keine unhinterfragt geltende Werthorizonte mehr gibt199 und die Verhaltenssicherheit angesichts des Zerfalls von Institutionen abbröckelt.200 Das sich angesichts dieser Kontinuität die Streitmacht zum „Staat im Staat“ entwickelt, ist nicht zu erwarten, da das Soldatentum immer auch ein „ins Militärische übersetztes Spiegelbild der Zeit“201 ist. Ein Hindernis für die Weiterentwicklung beziehungsweise Herausbildung eines neuen soldatischen Ehrbegriffes ist die von Prof. Herzfeld angesprochene „Kriegführung in der Welt von Technik und Wirtschaft des Massenzeitalters“. Technisch-ökonomische Umwälzungen verändern die Politik202 und mit ihr – falls der Krieg die Fortsetzung der Politik ist – die militärische Kultur als Fortsetzung der politischen Kultur.203 Das auf den „Sicherheitsmarkt“ drängende Söldnertum mit seinem spezifischen soldatischen „Laboralismus“204 muß eine andere Art der Kriegführung als die durch Ehre und Verantwortungsethik geprägte zur Folge haben.205 Privatisierte 196

Aristoteles 2002, 1123, aI, 10, S. 188. Weber 1992, S. 21. 198 „Uns fehlen die Mittel zur Belohnung aller Offiziere, die sich ausgezeichnet haben. [. . .] Ämter, Ehren, Belohnungen, die man abwechselnd verleiht, spornen und feuern die Talente an. Lob, das dem Verdienst gezollt wird, erweckt in den Herzen des Adels edlen Wetteifer, treibt ihn dazu an, den Waffenberuf zu ergreifen und sich Kenntnisse zu erwerben, verschafft ihm Auszeichnungen und Vermögen. Die Offiziere verachten und von ihnen fordern, daß sie mit Ehren dienen, ist ein Widerspruch,“ Friedrich II. 1912 PT, S. 164 ff. 199 Selbst in Zeiten, in denen die Gesellschaft nur noch eine „Loseblattsammlung von Individuen“ ist, so Vogt 1997, S. 380. 200 Vgl. Gehlen 1986, S. 43. 201 Papke 1983, S 157. 202 Vgl. Weber 1980, S. 539. 203 Vgl. Walzer 2003, S. 109. 204 Im Laboralismus verbindet sich der Liberalismus mit der durch die Begierde des Mehr-haben-wollens bestimmten Freiheit zur und Freiheit in der Arbeit, vgl. Baruzzi 1993, S. 131. Insbesondere die von der Kriegsbeute und damit vom unmittelbaren Erwerb durch Krieg abhängige Soldateska verstärkt die Gefahr, Freiheit in der Arbeit als Vorgehen ohne „Arbeitsethos“ und Rücksichtnahme zu interpretieren. 197

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4. Hegung des Krieges – eine Frage der Ehre

Soldaten können selbstverständlich auch ehrenvoll handeln, doch allein ihre Berufswahl impliziert nicht das Erheischen von Ehre oder den Schutz ihrer Gesellschaft oder Heimat, sondern – „bellum se ipse alet“ – den Broterwerb, der, je effizienter umso besser, nicht per se an traditionelle und ehrenhafte Normen gebunden sein muß. Nach Max Weber steht aber der reine Broterwerb, die Prätention des nackten Besitzes, mit der Ehre in schroffem Widerspruch, denn der Markt kennt kein Ansehen der Person, nur sachliche Interessen beherrschen ihn.206 Fast schon das Paradigma des „Liberalen Friedens“ vorausahnend, beschreibt der Soziologe und Philosoph Georg Simmel den Zusammenhang wie folgt: [. . .] je mehr hier das Geld selbst zum alleinigen Interessenzentrum wird, je mehr man Ehre und Überzeugungen, Talent und Tugend, Schönheit und das Heil der Seele dagegen eingesetzt sieht, eine um so spöttischere und frivolere Stimmung wird diesen höheren Lebensgütern gegenüber entstehen, die für dasselbe Wertquale feil sind wie die Güter des Wochenmarkts, und so schließlich auch einen „Marktpreis“ erhalten. Der Begriff des Marktpreises für Werte, die ihrem Wesen nach jede Schätzung außer der an ihren eigenen Kategorien und Idealen ablehnen, ist die vollendete Objektivierung dessen, was der Zynismus in subjektivem Reflex darstellt.207

Es wäre sicherlich für das Verhalten der Soldaten in zukünftigen Konflikten förderlich, wenn die Gemeinschaften wieder eine gewohnheitsbildende Vorstellung davon erlangten, daß ihren Soldaten ein auf Ehre beruhendes Ansehen zuteil werden muß. Die BVerfG-Entscheidung vom 25.08.1994 – 2 BvR 1423/92 „Soldaten sind Mörder“ bestärkt bei allen zutreffenden Einschränkungen und Erläuterungen des BVerfG die Sicht, daß Soldaten generell, wenn auch nicht im speziellen Fall der Bundeswehr, die für Mord qualifizierenden Motive unterstellt und sie damit kriminalisiert werden können.208 Dort „wo Jemand zu Unrecht einem Andern die Ehre der erfüllten Pflicht abspricht, behandelt er ihn als mit Unehre belastet, von der dieser sich frei gehalten hat.“209 In diesem Fall muß die Ehre der Beschwerten durch anständige Vereinbarungen wiederhergestellt, die Ehrlichen gelobt 205 Bei Söldnern ist noch viel weniger als bei regulären Soldaten gegeben, daß ihre Gehorsamspflicht nur so weit reicht, wie die Rechtmäßigkeit der geforderten Maßnahme erwiesen ist, vgl. hierzu Hippel 1957, S. 221. So ist auch Juan Gines de Sepffllveda beizupflichten, wenn er behauptet „qui militi considerandum esse ait, num quod iubetur, sit contra legem Dei,“ Sepffllveda 1984, S. 108. 206 Vgl. Weber 1980, S. 535 ff. 207 Simmel 1907, S. 527. 208 Das Urteil behandelt Cora Stephan und kommentiert zutreffend: „Die Kriege, die sie führen, mögen kriminell sein. Die ‚ausführenden Organe‘ sind es nicht,“ Stephan 1998, S. 82. 209 Binding 1890, S. 31.

4.3 Ehre als normatives Moment soldatischen Handelns

161

und die Ehrlosen zumindest geschnitten werden, sonst bleiben die Ehrlichen die Dummen.210 Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Einsatzort des Soldaten sich räumlich nicht allzu weit von der ihn ehrenden Gemeinschaft entfernen sollte, da diese dadurch die Plausibilität des Einsatzes verlieren könnte. Deutlich wird, daß einer Revitalisierung des soldatischen Ehrbegriffes große Hürden entgegenstehen, die das Ansinnen nahezu unmöglich erscheinen lassen. Sollte aber nicht einmal der Versuch gewagt werden, wird sich die Kriegführung der nahen Zukunft nach anderen Maßstäben bemessen als denen der Ehre und des Einsatzes für die ehrende Gemeinschaft. Wollte man Religion beziehungsweise Ideologie unter dem Begriff Moral subsumieren, so wäre die hierarchische Begriffsreihe Moral-Ehre-Recht charakteristisch für den gerechten Krieg des 16. Jahrhunderts. Die Begriffsreihe Ehre-Recht-Moral stünde stellvertretend für die Kriege des „Ius Publicum Europaeum“ und Moral-Recht-Ehre für den Kriegsbegriff des 20. Jahrhunderts und des gegenwärtigen „militärischen Humanismus“211. Angesichts dessen erscheint es von Interesse, wie die Lehre Francisco de Vitorias in der Gegenwart gesehen wird und welche Optionen eine Lehre des gerechten Krieges in Gegenwart und Zukunft hat.

210 211

Ehmann 2000/11/22, S. 18. So benennt dieses Phänomen Kohout 2002, S. 352.

5. Epilog oder die Zukunft des gerechten Krieges 5.1 Die Lehre Francisco de Vitorias in der Gegenwart Der einflußreiche amerikanische Völkerrechtsgelehrte James Brown Scott befindet, daß Francisco de Vitoria das heutige Weltbild bereits insofern mitgeschöpft habe, als daß er die mittelalterliche Auffassung, wonach nur die Staaten der Christenheit eine internationale Gemeinschaft gebildet hätten, zugunsten einer Gemeinschaft aller Staaten ohne Unterschied von Geographie, Rasse oder Religion aufgegeben hätte:1 It was obvious to him that nations, large and small, must have relations one with another, and he therefore thought of them as a constituting society of states, an international community which existed because of the coexistence of the states. And just as a state possessed the power to make laws for the government and well-being of its citizens, so this international commonwealth possessed, in Victoria’s opinion, a right to legislate for the good of society as a whole2 [. . .] for he employs the term ius gentium [. . .] in the sense of the law applicable among nations.3

Doch ist Vitorias „ius gentium“ nicht als Gesetz zwischen den Nationen definiert, sondern als die bei allen Völkern festzustellende natürliche Vernunft: Was durch die Natur der Sache selbst gerecht ist, gehört zum Naturrecht. Was recht ist durch Gesetzeskraft oder kraft einer privaten Vereinbarung und nicht durch die Natur der Sache selbst, gehört zum positiven Recht.4 [. . .] Das, was die natürliche Anschauung bei allen Völkern darstellt, wird Recht der Völker genannt.5

Vitoria scheint sich hierbei direkt auf die Definition der Institutionen des Gaius zu beziehen – „Quod naturalis ratio inter omnes homines constituit, vocatur ius gentium“ –, wobei er nur „inter omnes homines“ durch „inter omnes gentes“ ersetzt.6 Das Naturrecht ist für Vitoria erste und oberste Quelle des Völkerrechts. Wenn das Völkerrecht seinerseits „nicht immer aus dem Naturrecht hergeleitet werden kann, scheint es doch ausreichend, 1 2 3 4 5 6

Vgl. hierzu auch Höffner 1947, S. 241. Scott 1939, S. 322. Ebd., S. 316. Zitiert nach Truyol 1947, S. 28. Vitoria 1952 DI, S. 93. Vgl. Grewe 1988, S. 46.

5.1 Die Lehre Francisco de Vitorias in der Gegenwart

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wenn es die Zustimmung des größeren Teiles der ganzen Erde hat.“7 Die in diesem Kontext erhobene Mehrheitsregel nach „Zustimmung des größeren Teiles“ erscheint auf den ersten Blick revolutionär, angesichts des im Oktober 1522 durch Carlos I. niedergeschlagenen Aufstands der Communeros, die zu dieser Zeit die bedeutendste und breiteste Bewegung gegen den spanischen Absolutismus ist.8 Doch trägt die Formulierung Vitorias ganz den Duktus des politischen Aristotelismus, in dem der Begriff Mehrheit durch Anzahl, aber insbesondere auch durch die Bedeutung der sie bildenden Personen bestimmt ist.9 Außerdem gilt es zu berücksichtigen, daß eine Mehrheitsregel in denjenigen Fällen „unmenschlich und unvernünftig ist“10 und ergo keine Gesetzeskraft erlangen kann, in denen gegen natürliches und göttliches Recht verstoßen wird. Denn das im Lichte der „lex aeterna“ – der „Vernunft der göttlichen Weisheit“11 – auf den Menschen ausstrahlende „lex naturalis“, das natürliche Sittengesetz, verpflichtet den Menschen unabhängig von positiven Satzungen.12 Vitorias Völkerrechtsgemeinschaft ist also eine universale, naturrechtliche Ordnung, die – aufgrund des zu erlangenden Seelenheils der ganzen Menschheit13 –, erst durch die übernatürliche Gemeinschaft des „orbis Christianorum“ als pars pro toto14 (orbis) und das Hinzutreten einer für alle verbindlichen völkerrechtlichen Autorität, der römisch-katholischen Kirche als des Leibes des „transzendenten Archon“,15 vollendet und eine Völkergemeinschaft im eigentlichen Sinne wird. Die Aufgabe des Papstes ist es, „für die Ausbreitung des Evangeliums auf der ganzen Welt zu sorgen.“16 Auch ein Staat mit nur geringer christlicher Bevölkerung muß sich an den Zielen des christlichen Glaubens orientieren, denn selbst wenn nur „ein Teil der Barbaren zu Christo bekehrt ist und ihre Fürsten sie mit Gewalt oder durch Furcht zum Götzendienst zurückbringen wollen, so können die Spanier [. . .] die Herren absetzen.“17 Allein vor diesem Hintergrund erklärt sich Vitorias Annahme, daß die ganze Welt gewis7

Vitoria 1952 DI, S. 99. Vgl. Zöllner 1988, S. 141 f. 9 Vgl. Mayer-Tasch 1991, S. 82. 10 Vitoria 1952 DI, S. 95. So bereits Aquin 1985, II, 2, q 95, 3, S. 474. 11 Aquin 1985, II, 2, q 93, 1, S. 445. 12 Vgl. Vitoria 1952 DI, S. 92. Näher dazu Grewe 1988, S. 110. 13 Das könnte bereits das Kreuz als symbolische „axis mundi“ aussagen, in dem sich Lebensbaum und mythische Mitte – Omphalos – bündeln, vgl. Adam 2001, S. 164. 14 Vgl. Truyol 1947, S. 52. 15 Dempf 1962, S. 82. 16 Vitoria 1952 DI, S. 105. 17 Vitoria 1952 DI, S. 109. 8

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5. Epilog oder die Zukunft des gerechten Krieges

sermaßen einen „Staat“ bildet,18 wobei ein Staat ein vollkommenes Gemeinwesen ist, dem es an nichts fehlt, das „von sich aus ein Ganzes bildet, in dem kein Teil eines anderen Gemeinwesens liegt, das aber über eigene Gesetze, eine eigene Ratsversammlung sowie über eigene Beamte verfügt.“19 Dies verdeutlicht bereits, daß Vitoria nicht einen säkularen Weltstaatenbund nationaler Einzelstaaten im Sinne hat, wie James Brown Scott vermutet: „[. . .] this international commonwealth possessed, in Vitoria’s opinion, a right to legislate for the good of society as a whole“.20 Doch erreicht die Welt so etwas wie Staatsqualität durch den Hinzutritt der das naturrechtliche Interpretationsmonopol21 für die ganze Welt besitzenden Kirche, die ihrerseits bereits eine „Staatsqualität“ auszeichnet, denn sie verfügt über eine eigene Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Zwangsgewalt – und ist damit in rechtlicher Hinsicht vollkommen. Damit fällt allein der römisch-katholischen Kirche die Aufgabe zu, die Legitimität der Eroberungen ihrer mit der Mission belehnten Spanier und die Stellung der auch unter der Heilsfürsorge Gottes22 befindlichen Einheimischen im Lichte der „lex aeterna“ festzustellen. Die abendländische Kircheneinheit ist zwar zu Vitorias Zeit empfindlich getroffen, aber das „extra Ecclesiam nulla salus“ gilt noch weit über die Kirchenspaltung hinaus.23 Daher kann bei Vitoria weder von einem als säkularen, zwischenstaatlichen Völkerrecht noch von einer „ratio status“, einer Autonomie der Politik im Sinne Machiavellis, die Rede sein.24 Die Ansicht der Neuzeit, daß der Staat die „Quelle“ des Rechts sei, verbunden mit der 18 „Habet enim totus orbis, qui aliquomodo est una respublica, potestatem ferendi leges aequas et convenientes omnibus quales sunt in jure gentium,“ so Vitoria in „De potestate civile“, zitiert nach Soder 1955, S. 54. Justenhoven 1991 (S. 64) und Soder 1955 (S. 53 f.) betonen zwar, damit sei nicht direkt ein Überstaat gemeint. Soder sieht in der „Gemeinschaft aller Völker“ die „Möglichkeit einer politischen Einheit mit einem gemeinsamen Oberhaupt“ gegeben, vgl. Soder 1955, S. 63. Dies ist zutreffend, erlaubt aber sogar noch eine in dieser Arbeit vorgenommene Konkretisierung. 19 Vitoria 1997 DJB, S. 553. 20 Scott 1939, S. 322. 21 Die enge Verknüpfung zwischen Rechtswissenschaft und Theologie – die bis ins 17. Jahrhundert andauert – hat ihren Grund in der beherrschenden Stellung des „ius divinum“, weswegen dem „Vicarius dei“ eine höchste Rechsetzungsbefugnis und Richtlinienkompetenz zukommt, vgl. Grewe 1988, S. 111. 22 Die Verschiedenheit der Menschen in natürlicher Begabung, sittlichem Wert und Gnade, ist urkatholische Lehre und schlägt sich ebenso im biblischen Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg nieder (Matthäi 20, 1–16), vgl. Höffner 1947, S. 303. 23 Vgl. Hassinger 1957, S. XVI. 24 Das verneinen auch Hadrossek 1952, S. XXV, Justenhoven 1991, S. 70 und Soder 1955, S. 127.

5.1 Die Lehre Francisco de Vitorias in der Gegenwart

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Meinung, daß der Staat aus einem „souveränen Willen“ den Inhalt des Rechts nach Belieben schaffe und ein Interesse unabhängig von Vernunft, Glaube und Recht habe, ist auf das Spanien Vitorias noch nicht anwendbar. Ebensowenig kennt man eine Reduzierung des Glaubens auf die Privatsphäre,25 denn in Spanien ist die Religion öffentliches Leben, und Politik ist Religion.26 Noch im Jahre 1767, als der spanische König Karl III. vom Balkon seines Schlosses dem Volke eine Bitte gewährt, fordert die Menge nicht etwa Steuernachlässe, sondern die Rückkehr der Jesuiten.27 Selbst Francisco Franco y Bahamonde (1892–1975) gibt noch vor, „por la gracia de Dios“ zu regieren, wie es spanische Münzen belegen.28 So ist Vitoria auch kein allein einem säkularen Bildungsideal verpflichteter Gelehrter, seine Vorlesung, sein Appell ist der eines Beichtvaters, der seinen Beichtkindern, den weltlichen Entscheidungsträgern, aber auch anderen Gelehrten Maßstäbe von Gerechtigkeit und Sünde nahebringt und an ihr Gewissen appelliert.29 In diesem Sinne empfiehlt Las Casas, der zum Wohle der Indios die „Avisos y reglas para confesores de españoles“ (Ermahnungen und Regeln für die Beichtväter von Spaniern) verfaßte, während des Disputs zu Valladolid 1542 mit Sépulveda hinsichtlich der zu erlassenen Schutzverordnungen für die Indianer eine strenge Gewissenserforschung. Dementsprechend appelliert Las Casas an den „dominus et monarcha totius orbis“30 Karl V.: Jetzt mußt du es tun und zeigen, daß du allein Gottes, nicht der Menschen und deines Reiches Diener bist und ein König, weil dein Sinn höher ist als der anderer Menschen. Frage niemanden, frage nur dich selbst; frage dein Leiden und deine Sorge und deine Not; frage deine Liebe und dein Gewissen. Menschenstimmen können dir nicht antworten; aber wenn du lauschen willst, Herr, so vernimmst du vielleicht die Stimme des Lenkers der Geschichte, der dich und deine Krone und dein Land in diesem Augenblick als Werkzeug gebrauchen und sein Reich ausbreiten will durch dich.31

Noch bei Grotius – der als Urheber eines Säkularisierungsprozesses in der Jurisprudenz angesehen wird,32 aber als stark von der spanischen Schule 25

Vgl. Justenhoven 1991, S. 77. Unter spanischem Einfluß bestärkte das Tridentinum (1545–1563) die Auffassung, daß der Mensch nicht selbst zur sittlichen Vollkommenheit gelangen könne, sondern der priesterlichen Nachhilfe bedürfe, also abhängig sei, vgl. Wantoch 1927, S. 103. 27 Vgl. Wantoch 1927, S. 48. 28 Vgl. Mayer-Tasch 1991, S. 70. 29 Vgl. Wehberg 1953, S. 13. 30 Justenhoven 1991, S. 64. 31 Schneider 1967, S. 157. 32 Vgl. Hoffmann-Loerzer 1971, S. 170. 26

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5. Epilog oder die Zukunft des gerechten Krieges

beeinflußt gilt33 – gibt es einen „Vorbehalt“ des Evangeliums.34 Dies spiegelt sich in seiner religiös motivierten35 Konzeption des „ius gentium et naturae“, des Menschheitsrechts, das „ganz von Religion und der alten Ordnung durchdrungen ist.“36 Sein Hauptwerk „De iure belli ac pacis libri tres“37 ist den Staatsmännern gewidmet, die [. . .] gleichsam mit einem Blick die verschiedenen Arten der Streitfälle und Grundsätze, wonach sie zu entscheiden sind, übersehen können.38 [. . .] Ich füge hinzu, daß alle Christen die Glieder eines Körpers sind, von dem jedes die Schmerzen und Übel der anderen mitempfinden soll. Dies gilt sowohl für den Einzelnen wie für die Völker als solche.39 [. . .] Möge Gott, der dies alles allein vermag, dies in die Herzen derer einschreiben, in deren Hand die Sache der Christenheit gelegt ist, möge er ihren Geist mit der Kenntnis des göttlichen und menschlichen Rechts ausstatten, damit sie sich immer bewußt bleiben, daß Gott sie als seine Diener zur Regierung der Menschen ausgewählt hat, die ihm die liebsten Geschöpfe sind.40

Als „christianitas afflicta“,41 als bedrängte, aber trotz konfessioneller Gegensätze christliche Völkergemeinschaft empfindet sich die Christenheit dieser Epoche. Noch die Friedensverträge zu Münster und Osnabrück erfolgten „ad divini numinis gloriam et Christianae reipublicae salutem“.42 So wird man J.B. Scotts Feststellung über Vitoria nicht ohne weiteres zustimmen können: „[. . .] he replaced a broken Christendom by the international community.43 [. . .] the international community which Vitoria foresaw would be governed by justice and the passionless administration of law.“44 Ein Völkerrecht der Staaten zeichnet sich erst, wenn man so will, einige Zeit später bei Francisco Suárez ab.45 Der spanische Völkerrechtler Antonio Serra Truyol befindet zu Recht, es sei ein 33

Vgl. Grewe 1988, S. 222. 668mal hat Grotius aus dem Alten und Neuen Testament zitiert, HoffmannLoerzer 1971, S. 99. Zum Vorbehalt des Evangeliums vgl. Grotius 1950, Vorrede, 12., S. 33. 35 Hoffmann-Loerzer 1971, S. 28. Grotius Schrift „De veritate religionis Christianae“ wird eines der meistverbreiteten Bücher seiner Zeit, vgl. Link 1983, S. 3. 36 Vgl. Ottenwälder 1950, S. 119. 37 Der volle Titel lautet: „Hugonis Grotii de iure belli ac pacis libri tres, in quibus ius naturae et gentium item ius civile singulorum populorum leges civitatum explicantur.“, Hoffmann-Loerzer 1971, S. 27. 38 Grotius 1950, Vorrede, 59, S. 44. 39 Grotius 1950, 2., 15., XII., S. 284. 40 Grotius 1950, 3., 25.,VIII., S. 598. 41 Grewe 1988, S. 169. 42 Zitiert nach Ziegler 2004, S. 37. 43 Scott 1939, S. 312. 44 Ebd., S. 323. 34

5.2 Der Irak-Krieg und die Chancen einer Theorie des gerechten Krieges 167 [. . .] vergebliches Bemühen, wollte man auf dem weiten Ährenfeld der Vitorianischen Lehre eine Nachlese nach besonderen Grundsätzen und Standpunkten, so großartig sie auch seien, halten, indem man sie vom philosophischen und theologischen Nährboden trennte, auf dem sie blühen und von dem sie ihren Saft und ihre Kraft erhalten, und der kein anderer ist als die christliche Auffassung von der Welt und dem Menschen. Dieses enge Band hat man in unseren Tagen nicht genügend beachtet.46

Die Umdeutung der Lehre Vitorias zu einem die Gegenwart spiegelnden, formal-säkularen Rechtsordnungsentwurf universaler Menschenrechte – unter Aufgabe der materiellen Bestimmung durch das katholische Christentum – erinnert wahrscheinlich nicht zufällig an die These Max Webers47 von der Entstehung des Kapitalismus, wonach dessen religiöse Wurzel – die rastlose, weltliche Berufsarbeit als höchstes asketisches Mittel – langsam abstarb und utilitaristischer Diesseitigkeit Platz machte.

5.2 Der Irak-Krieg und die Chancen einer Theorie des gerechten Krieges Ideen sind Träger von sozial konstituiertem Sinn, sie ordnen die Welt, machen Orientierung erst möglich.48 Was sie für die Allgemeinheit als „universell“ auffassen läßt, ist die Interpretation ihrer Lehrgewalt, einer „auctoritas“, die ihre „Gläubigen“ veranlassen kann, diese Idee als Wahrheit anzuerkennen.49 Das spanische Weltreich des 16. Jahrhunderts entspringt einem solch ideellen, im Kampf mit dem Islam gewachsenen Sendungsbewußtsein.50 In ihm verbinden sich religiöse, soziale und nationale Erwartungen mit einem universalen Machtanspruch, damit endlich „unum ovile et unus pastor“ in der Welt sei und die Völker in Eintracht und christlichem 45 Bei Suárez liegt zumindest ein Krieg dann vor, „wenn er zwischen zwei Fürsten oder zwei ‚Staaten‘ ausgetragen wird“ – „Pugna exterior, quae exteriori paci repugnat, tunc proprie bellum dicitur, quando est inter duos principes, vel duas respublicas,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 114. Während bei Augustinus, Aquin und Vitoria (Augustinus contra Faustum; Aquin II-II, q.40, 1; Vitoria 1952 DJB, S. 126) das erste Kriterium eines gerechten Krieges mit „auctoritas princeps“ benannt wird, heißt es bei Suárez: „Primum, ut sit a legitima potestate,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 124. Hier scheint sich bereits das nach dem Augsburger Religionsfrieden nicht mehr die „legitima auctoritas“ in den Vordergrund stellende völkerrechtliche „Prinzip der Effektivität“ niederzuschlagen, das wenig später gegen Spanien in punkto Gebietserwerb selbst ins Feld geführt wurde. Zum Prinzip der Effektivität als „Waffe“ gegen Spanien Grewe 1988, S. 313 f. 46 Truyol 1947, S. 9. 47 Vgl. Weber 2000, S. 183. 48 Vorländer 1997, S. 69. 49 Vgl. Freund 2002, S. 491. 50 Hassinger 1957, S. 80.

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5. Epilog oder die Zukunft des gerechten Krieges

Frieden unter spanischer Herrschaft miteinander zu leben vermögen.51 Treffend beschreibt Hans Wantoch in seiner kulturpolitischen Studie: Leidenschaftlich entflammt sich der Spanier nur für das Irreale, das in der Zeit zerfällt, das im Raum sich nicht einordnet, für die Transzendenz einer Idee, mag sie religiös, mag sie politisch sein.52 [. . .] nicht die Leistung galt, die persönliche Tüchtigkeit, sondern das erstarrte Schema der gottgewollten Abhängigkeiten, in die alle Schichten vom König bis zum Bauern gebunden waren. [. . .] Die Renaissance aber ist Kult des Menschen, des Individuums und seines Werkes. Die Renaissance ist Ökonomie des Menschen und Menschenökonomie. Sie kennt nichts Höheres als ihn, nichts Größeres als das Ich und dessen Leistung.53 [Doch Spanien] war nicht Selbstzweck und Menschenzweck. Seine Existenz leitete es selber von übersinnlichen, außer und über ihm stehenden, ethischen Kategorien her.54

Die Spanier schaffen in der Neuen Welt ein Spiegelbild ihrer Verhältnisse55 und versuchen ihre christliche Kultur zu exportieren, frei nach Carl Schmitt, „Felder einzusäen und feste Linien einzugraben.“56 Privaten Abenteurern und Conquistadoren spanischer Abstammung wird durch die straffe Gesetzgebung der „coloniaje“, die die Kolonisation beim Staat monopolisiert, der Kampf angesagt. Doch den Spaniern gelingt es nicht, das Reich Gottes auf Erden mit Gewalt zu errichten, denn das Reich Gottes ist eine eschatologische Größe.57 Der Turmbau zu Babel hätte ihnen dabei bereits eine Warnung sein müssen, denn Gott hatte den Turmbau nicht wegen des Hochmuts der Erbauer gestoppt, sondern weil diese statt der anregenden Vielfalt der Sprachen und Bräuche die sterile Einheit bevorzugten und damit Gott selbst, der sich als der Eine in der Dreiheit offenbart, durch ihre Sucht nach Monokultur angriffen.58 Die großen Gegenspieler der spanischen Weltmacht sind die puritanischen Engländer und Holländer. Holländer und Engländer bedienen sich für ihre Kolonialgründungen wieder Privatunternehmungen,59 im Gegensatz zu 51

Vgl. Straub 1976, S. 15 ff. Wantoch 1927, S. 8. 53 Ebd., S. 100 f. 54 Ebd., S. 100 f. 55 Vgl. Zöllner 1988, S. 105. 56 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 13. 57 Höffner 1947, S. 305. Eine von Philipp IV. berufene Kommission scheint diesen Gedanken aufzugreifen, denn sie lehnt die Schiffbarmachung des Tajo und Manzanares mit der Begründung ab, daß der Mensch nicht das verbessern dürfe, was Gott aus seinem unerforschlichen Ratschluß heraus unvollendet ließ, vgl. Zöllner, S. 136. 58 Brieskorn 2004, S. 24. Ein Fakt, den auch Hans Maier aufgreift, wenn er den 11. September als Attentat auf die babylonischen Türme unserer Zivilisation bezeichnet, Maier 2004, S. 9. 59 Vgl. Höffner 1947, S. 131. 52

5.2 Der Irak-Krieg und die Chancen einer Theorie des gerechten Krieges 169

der sich verstaatlichenden Kolonisation der Spanier. Ziel dieser privaten Handelskompanien ist es, den spanischen und portugiesischen Handel empfindlich zu stören und in die Kolonien der beiden Mächte einzubrechen,60 ohne daß das europäische Mutterland sich automatisch mit im Kriege befinden und die neuen Territorien als Staatsgebiet übernehmen muß.61, Diese Privatunternehmen sind entweder „Joint-stock companies“, beruhend auf dem Grundkapital zahlreicher Mitglieder, oder aber vom Staat konzessionierte und privilegierte Korporationen, sogenannte „chartered companies“, durch die sich beispielsweise die englische Besiedlung Nordamerikas durch die Puritaner vollzieht.62 Eine „chartered company“, also eine „staatlich konzessionierte Freibeutergesellschaft auf Aktien“63, ist auch die im März 1602 gegründete „Generale Neederlandsche Geoctroyierte Oostindische Companie“, die sich zur weltweit dominierenden Handelsgesellschaft jener Zeit entwickelt.64 Die Gegenwart kennt auch wieder die mit „gewerblichen Kaperbriefen“65 ausgestatteten „globalplayer“, die die Anker lichten und in einem anderen Erdteil vor Anker gehen,66 ausgestattet mit den Repressalien des Friedens, „lettres de marque et de représailles“,67 und jederzeit in der Lage, das zum 60 Dies symbolisiert wunderbar eine Münze, die 1602 anläßlich der niederländischen Aufbringung der spanischen Galeone Sant Jacob geprägt wurde. Sie zeigt das spanische Pferd, das von der westlichen auf die östliche Hälfte der Erdkugel springt, nach dem Motto des Königs Philips II. von Spanien „Non sufficit orbis“, und einen seeländischen Löwen, der hinterher springt und das Motto „Quo saltas insequar“ führt, vgl. Beelen 2002, S. 9. 61 Vgl. Grewe 1988, S. 352. Ziel ist nicht die Übernahme von Verwaltungsverantwortung in der „Neuen Welt“, sondern der durch gewaltsame Unterstützung erzwungene Handel. Daher findet es Grotius auch ungerecht, „sich fremdes Gebiet anzumaßen unter dem Vorwand, daß man es entdeckt habe. Dies gilt selbst dann, wenn der Inhaber des Gebietes schlecht, dem Götzendienst ergeben oder beschränkten Geistes ist. Denn entdecken kann man nur das, was niemandem gehört,“ Grotius 1950, 2., 22., IX., 1., S. 384. 62 Vgl. Grewe 1988, S. 347. 63 Rein 1931, S. 198. Daß diese „Privaten“ „Schlechtigkeiten dabei begehen würden, konnte man nicht voraussehen“, so Grotius 1950, 2.,17., XX, 2., S. 308. 64 Luther und Calvin triumphierten nicht im Abendland, sondern auf der Hohen See, so Diwald 1980, S. 213. Und der Völkerrechtler James Brown Scott ergänzt: „It must be admitted, however, that the interest of countries other than Spain in the Western World was almost wholly material. [. . .] As was to be expected, the question soon arose, whether God or Mammon should control the destinies of the Western World. The Dominicans were naturally opposed to Mammon and protested against the illtreatment of the Indians at the hands of the gold-seeking conquistadores,“ Scott 1939, S. 311 f. 65 Mayer-Tasch 1998a, S. 7. 66 Vgl. Schmitt 1993 LuM, S. 95. 67 Bodin, zitiert nach Grewe 1988, S. 237.

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Teil unter Schutz privater Sicherheitsdienste „offshore“ angesammelte Kapital zu neuen „Ankerplätzen“ zu bewegen.68 Die „Entstofflichung der Weltwirtschaft“69 und die Überlagerung zahlreicher Kultursprachen70 erschüttert das Prinzip des „quius economia, eius regio“.71 Die Diskriminierung der sich der völligen Marktöffnung verweigernden Staaten führt den vermeintlich überwundenen Raum durch die Hintertür wieder ein. Der „Liberale Frieden“, so würde Thomas von Aquin konstatieren, ist eine „contradictito in obiecto“, denn „wahrer Friede schließt Eintracht ein und tut etwas hinzu [. . .] der Mensch [aber] hat [. . .] kein befriedetes Herz, solange für ihn, wenn er auch etwas hat, das er will, doch noch etwas zu wollen übrig bleibt, was er gleichzeitig nicht haben kann.“72 Diese Entwicklung begleitet eine Wiederkehr des theologischen Jargons, wie sich durch die Reden des US-Präsidenten belegen läßt. Doch das moderne „Empyreum“ findet sich, den „grenzenlosen Veränderungs- und Glücksmöglichkeiten des natürlichen diesseitigen Daseins des Menschen“73 gemäß, entweder in einem durch technischen Fortschritt und Handel erwirkten Frieden oder in einem säkularen, technologisch akzeptierten Format der Körperlosigkeit.74 1996 schreibt John Perry Barlow, Internetpionier und Begründer der „Electronic Frontier Foundation“ der USA, über den „Cyberspace“: Ours is a world that is both everywhere and nowhere, but it is not where bodies live. We are creating a world that all may enter without privilege or prejudice accorded by race, economic power, military force, or station of birth. We are creating a world where anyone, anywhere may express his or her beliefs, no matter how singular, without fear of being coerced into silence or conformity.75

Wurde das Konzept der Überwindung der körperlichen Beschränkung einst für theologisch möglich gehalten, so wird es nun als technologisch und wirtschaftlich machbar wahrgenommen – „silete theologi!“, auch auf dieser Bühne. Die angesichts des Internets erhoffte Ankunft des fiorischen Zeitalters des Heiligen Geistes, das ermöglichen soll, Kriege nur noch virtuell mittels „Viren“ und „Würmen“, „Trojanern“, „Sniffern“ und „Mailbombs“ 68 Militärinterventionen der Gegenwart gleichen in ihrem Operationsstil ihren wirtschaftlichen Komplementären: Hoch moderne und mobile Kräfte infiltrieren, destruieren und fördern – in Analogie zur Krebspathologie – „Metastasen im fremden „Fleisch“, bevor sie sich wieder einschiffen, vgl. Mayer-Tasch 1994, S. 67. 69 Laskowski 2001, S. 119. 70 Bergstraesser 1957, S. 106. 71 Schmitt 1997 NdE, S. 171. 72 Aquin 1985, II-II, q.29, S. 147 f. 73 Schmitt 1996 BdP, S. 93. 74 Vgl. Wertheim 2002, S. 26. 75 Barlow 1996.

5.2 Der Irak-Krieg und die Chancen einer Theorie des gerechten Krieges 171

auszufechten, vernachlässigt zum einen die unterschiedlichen Zugangsbedingungen der Vernetzung, zum anderen die nach wie vor nicht virtuelle, sondern reale Verortung der „Kathedralen“ des „diesseitigen Glaubens“, der Kraftwerke und der „Pilgerpfade“ der Energie. Es fragt sich angesichts des Aufenthalts des Menschen beim Menschen76 und der Legitimation irdischen Besitzindividualismus,77 ob sich also hinter dem neu entdeckten theologischen Jargon nicht nur die Anbetung der Mittel statt der letzten Zwecke verbirgt. Das wäre, so Augustinus, „ein Merkmal des Weltstaates, daß man hier Gott und Götter verehrt, um mit ihrer Hilfe die Herrschaft auszuüben in Siegen und irdischem Frieden und sie auszuüben um ihrer selbst willen, aus Herrschsucht, nicht aus liebender Fürsorge.“78 Allerdings ist es fraglich, ob eine objektive menschliche Instanz ohne Prägung und Eigeninteresse existiert, die diesen schweren Vorwurf zweifelsfrei festzustellen vermag.79 Die beurteilende Instanz sollte laut Suárez in ihrem „Urteilsspruch immer der wahrscheinlicheren Auffassung folgen; denn er ist ein Akt der austeilenden Gerechtigkeit, bei der der Würdigere zu bevorzugen ist; der aber ist der Würdigere, auf dessen Seite mit größerer Wahrscheinlichkeit das Recht steht.“80 Die Gefahr subjektiver Parteinahme ist bei keiner Entscheidung zu vermeiden, denn Leben ist Werturteil, „atmen heißt urteilen“,81 was auch für die Beurteilung der „iusta causa“ und der „recta intentio“ eines Krieges gilt. Es stellt sich damit aber nicht nur die Frage des „quis iudicabit?“, sondern auch die des Zugangs zum Machthaber – „quis insusurrabit?“82 Darum geht es sowohl in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates vom 5. Februar 2003, in der US-Außenminister Collin Powell neue Beweise gegen den Irak präsentiert und wenige Tage später Hans Blix diese Beweise verwirft, als auch im Disput zu Valladolid vor Karl V. im Jahre 1550. Die Chancen des Theologen im Spanien des 16. Jahrhunderts, sich mit seinen Forderungen durchzusetzen, sind weitaus größer als die des vor Ge76

Vgl. Baruzzi 1999, S. 108. Vgl. Mayer-Tasch 1987, S. 45. 78 Augustinus 1951, Vom Gottesstaat, S. 297. 79 Der Völkerrechtler Hans Wehberg, ehem. Generalsekretär des „Institut de Droit International“, kritisiert, „daß über das Vorliegen der iusta causa keine objektive Instanz entschied, sondern derjenige Souverän, der einen gerechten Krieg zu führen unternahm (Wehberg 1953, S. 15) [. . .] Freilich müssen wir zugeben, daß auch gegen den Sanktionskrieg die gleichen Gründe wie gegen den bellum iustum, der von einem einzelnen Staate geführt wird, geltend gemacht werden können,“ (Wehberg 1953, S. 20 f.). 80 Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 163. 81 Vgl. Camus 1997, S. 15. 82 „Wer wird einflüstern?“. 77

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richt oder einer Anhörung auftretenden Juristen oder Politikers der Gegenwart. Die Beziehung eines Beichtvaters zur konkreten Situation des Beichtkindes ist aber auch heute eine andere als die eines Juristen zu seinem Klienten.83 Vitoria verdeutlicht dies mit seiner Wendung gegen die Juristen:84 Zweitens sage ich, daß es sich hier nicht um eine Entscheidung für Rechtskundige oder wenigstens nicht für Rechtskundige allein handelt; denn da jene Barbaren – ich werde dies gleich ausführen – dem menschlichen Recht nicht unterworfen waren, dürfen ihre Angelegenheiten nicht auf der Grundlage menschlicher Gesetze, sondern müssen auf der Grundlage göttlicher Gesetze untersucht werden. In diesen Gesetzen sind die Rechtskundigen nicht so erfahren, daß sie von sich aus derartige Fragen entscheiden könnten. Und da es um die Instanz des Gewissens geht, fällt es den Priestern, d.h., der Kirche, zu, eine Entscheidung zu fällen. Daher wird Dt 17,18 dem König vorgeschrieben, eine Abschrift des Gesetzes aus der Hand des Priesters in Empfang zu nehmen. Ich weiß nicht mit hinreichender Sicherheit, ob zur Erörterung und Entscheidung des besagten Problems jemals Theologen bestellt wurden, die man in einer so bedeutenden Angelegenheit in würdiger Weise anhören könnte.85 [. . .] Wenn es keine anderen Rechtstitel gäbe als die [von Juristen] genannten, so wäre man wahrlich schlecht beraten im Hinblick auf das Heil der Fürsten oder mehr noch derjenigen, deren Aufgabe es ist, sie sichtbar zu machen; denn die Fürsten werden dem Rat der anderen folgen, weil sie von sich aus dies nicht prüfen können. „Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber Schaden nähme an seiner Seele“.86 [. . .] Man muß immer in den Dingen, die das ewige Heil betreffen, denen glauben, die die Kirche als Lehrer eingesetzt hat, und in zweifelhafter Sache ist deren Schiedsspruch Gesetz.87

Während der Appell eines Theologen heutzutage nur wenig Wirkungskraft haben wird,88 vermag die religiöse Autorität im Spanien des 16. Jahrhunderts unter Hinweis auf das jenseitige Heil das Diesseits konkret zu beeinflussen – einer der größten Schüler und Verehrer Vitorias ist beispiels83

Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 79 f. Noch zu Mitte des 13. Jahrhunderts – als Weltgeschehen primär Heilsgeschichte und die jeweilige Ordnung durch göttlichen Ratschluß vorbestimmt war – sprach der englische Franziskaner Roger Dacon den Juristen jeglichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ab, ihre Laienkunst des ius civile sei im Vergleich zur Philosophie eine „ars mechanica“, während allein die Kleriker „sapientia“ erlangen könnten, vgl. Walther 1997, S. 1. 85 Vitoria 1997 DI, S. 382 f. 86 Vitoria 1952 DI, S. 91. 87 Ebd., S. 23. 88 Die „postsäkulare pluralistische Gegenwart“ zeichnet sich zwar durch einen undogmatischen Umgang mit der Religion aus, doch die Bedrohung durch den islamischen Terrorismus vermag vielleicht der Frage, was nach dem Tode kommen könnte, wie auch kirchlichen Lösungsvorschlägen hinsichtlich des eskalierenden Terrorismus neue Relevanz zu verleihen. 84

5.2 Der Irak-Krieg und die Chancen einer Theorie des gerechten Krieges 173

weise Dominicus de Soto, Theologieprofessor in Salamanca und zeitweise Beichtvater Karls V.89 Denn der gerecht Kriegführende kann trotz der Ungewißheit des „abgründigen Gottesgerichtes“90 darauf vertrauen, daß seine Wahrhaftigkeit hinsichtlich der Entscheidung zum Kriege in den Richterspruch Christi am Ende der Zeiten eingeht, daß „ein jeder, je nachdem, wie er sich im Leibe betrug, Gutes oder Schlechtes empfange“91 und dem Bösen „Leib und Seele verderben mag in der Hölle“ (Matthäi 10,11). Nicht umsonst belegen Bibelzitate und Schriften der Kirchenväter die verschiedenen Ausformungen der scholastischen Lehre des gerechten Krieges, verdeutlichen damit die subjektive Schuld, die Sünde, mit der sich ein Zuwiderhandelnder belädt. Kriege in ihren rechtfertigenden Bedingungen und anzuwendenden Methoden zu begrenzen, kann die Theorie des gerechten Krieges so lange erfüllen, wie sie auf einem Wertesystem, das als objektiv gültig anerkannt ist, basiert.92 Sobald aber die Einheit der Ordnung durch die Reformation und damit die Ordnung auf das Heil selber erschüttert wird, sinkt die Autorität des Papstes. Die Strafen für den Friedensbrecher – Buß- und Leibesstrafen, Exkommunikation, Verfluchung und Verbannung aus der Kirchengemeinde, Ausschluß vom Sakramentenempfang und Verweigerung der kirchlichen Bestattung93 – können nun nicht mehr „den Wildbach der Macht“ eindämmen, „wenn er sich blutrot über die streitenden Völker ergießt.“94 Aus dem Frieden der „respublica Christiana“ wird ein „repos de la Chrestienté“95, verbunden mit der Forderung nach Freiheit von spanisch-habsburgischer Vormacht, aus der Gnade Gottes in Krieg und Frieden wird das säkulare Glück, aus dem die Dezision erfordernden Einbruch des Ewigen in das Zeitliche – dem Kairos – die Gelegenheit.96 89

Vgl. Soder 1955, S. 15. Cram 1955, S. 7. „Wie gar unbegreiflich sind seine [Gottes] Gerichte und unerforschlich seine Wege,“ Römer 11,33. 91 Vitoria 1997 ACD, S. 71. 92 Vgl. Beestermöller 2003a, S. 32. 93 Fleckenstein 2002, S. 103. 94 Truyol 1947, S. 95. 95 Steiger 2000, S. 221. 96 Machiavelli analysiert, daß die Fürsten – analog zum „unbewegten Beweger“ – „dem Glück bloß die Gelegenheit dankten, die ihnen den Stoff darbot, aus dem sie die Form bildeten, welche ihnen die beste schien. Ohne diese Gelegenheit wäre ihre Vortrefflichkeit ohne Wert gewesen, und ohne diese Vortrefflichkeit hätten sie die Gelegenheit entwischen lassen. [. . .] Die Gelegenheit war es, welche diese Männer groß und zu Helden machte, und ihre Klugheit, welche sie diese Gelegenheit zum Glücke und zum Glanze ihres Vaterlandes erkennen ließ,“ Machiavelli 2000b, S. 415 f. 90

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5. Epilog oder die Zukunft des gerechten Krieges

Auf den ersten Blick ist der Kampf um die Übertragung des christlichen Glaubens auf die Indianer mit der weltweiten Durchsetzung der individualistischen Konzeption der Menschenrechte vergleichbar,97 wie auch die gegenwärtige Machtlosigkeit des UN-Sicherheitsrates an die schwindende „auctoritas“ des Papstes im 16. Jahrhundert erinnert.98 Zudem ähnelt die Debatte um die Zulässigkeit der humanitären Intervention – die, wie aufgezeigt, Gefahr läuft, zu einem Kreuzzug zu degenerieren – der Diskussion um die Rechtstitel und zulässigen Mittel der Conquista. So finden sich in der aktuellen Auseinandersetzung Übereinstimungen mit den Auffassungen Vitorias, die sich zwischen Suárez, der die Meinung derer für völlig falsch erklärt, „die behaupten, die souveränen Könige hätten die Befugnis, jegliches Unrecht in der ganzen Welt zu bestrafen; wo würde alle Ordnung und die Unterscheidung der Rechtsbereiche verwischt“99 und Sepffllveda positionieren, dessen erstes Gesetz ist, Ordnung auf Erden zu schaffen, weswegen die Herrschaft nicht den Barbaren, sondern den Klugen und Gerechten gebühre.100 Stellvertretend für das Ergebnis einer kleinen Umfrage, die der Verfasser unter Völkerrechtsgelehrten, zumeist Mitgliedern des Institut de Droit International, vorgenommen hat, stehen die Antworten des niederländischen Völkerrechtlers Hein Schermers, Universität Leiden, und des deutschen Richters am Internationalen Gerichtshof, Bruno Simma. So sieht Professor Schermers keine Ähnlichkeiten in der gegenwärtigen Diskussion um die humanitäre Intervention mit der der theologischen Debatte der spanischen Spätscholastiker.101 97

Vgl. Utz 1999, S. 1. Die die Exekutivfähigkeit ironisierende Frage Stalins, die er dem französischen Außenminister Laval 1935 stellte, als der ihn zur Dämpfung sowjetischer Kirchenfeindlichkeit bewegen wollte – „Wieviel Divisonen hat der Papst?“ – ließe sich auch auf die UNO und den Sicherheitsrat anwenden. Dem Sicherheitsrat ist aber die verunsichernde Pointe verwehrt, die Papst Pius 1953 nach dem Ableben Stalins gab: „Nun wird er sehen, wieviel Divisionen Wir haben!“ Zitiert nach Diwald 1983, S. 213. 99 Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 145. 100 Sepffllveda 1984, S. 120. 101 „I do not see a return of the theological debate of the Spanish Scholastik in any comparable way. Therefor the present situation as well as the people who decide (with their different backgrounds) differ too much. The crusades were meant to rectify a situation which was unacceptable to a particular group of people (the Christians could not accept that the Holy Land was occupied by non-Christians). Humanitarian intervention is good in principle. It shows that the world accepts responsibility for the suffering of people, or at least loyalty with such people. The problem is how to decide whether humanitarian intervention is needed in a particular case. If that decision can be taken by one particular group, then there is indeed a danger of a (kind of) crusade, but if the world-community decides, the intervention can be a blessing.“ 98

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Professor Simma hingegen kann gewisse Parallelen feststellen.102 Schermers verwirft dies mit dem Argument, daß gegenwärtige Situation und Entscheidungsträger im Vergleich zum 16. Jahrhundert zu unterschiedlich seien. Gleichzeitig befürwortet er die humanitäre Intervention, sieht aber gleichwohl das Problem der Entscheidung, des „quis iudicabit“, also unter welchen Bedingungen eine Intervention zulässig sei. Eine Mandatierung durch die Weltgemeinschaft „can be a blessing“, so Schermers, eine Entscheidung durch eine bestimmte Gruppe oder Einzelne „is indeed a danger of a (kind of) crusade.“ Damit bestätigt Schermers, daß bei der humanitären Intervention mit dem Menschen der absoluten Humanität die andere Seite desselben Begriffs, der Inhumane, der Unmensch, als spezifisch neuer Feind der oder des Intervenienten erscheint.103 Dieser gewisse Automatismus droht aber auch der mit weltgemeinschaftlichem Auftrag, also mit breitem Rückhalt intervenierenden Truppe, es sei denn, sie wäre an dem im vorangegangenen Kapitel umrissenen Ehrbegriff orientiert. Der Einwand Schermers, daß die gegenwärtige Situation angesichts unterschiedlicher Hintergründe und Motivationen nicht mit der der Spätscholastik zu vergleichen ist, vernachlässigt die Kraft der „politischen und wirtschaftlichen Religionen,“ angesichts derer Michael Walzer mit Recht fordert: Humanitäre Interventionen sind nicht um der Demokratie, der freien Marktwirtschaft, der ökonomischen Gerechtigkeit, freiwilliger Vereinigungen oder irgendwelcher anderer gesellschaftlicher Praktiken oder Einrichtungen willen erlaubt, die wir für die Länder anderer Leute erhoffen oder sogar fordern können.104 [. . .] The defense of rights is a reason for fighting. I want to stress again, and finally, that it is the only reason. The legalist paradigm rules out every other sort of war. Preventive wars, commercial wars, wars of expansion and conquest, religious crusades, revolutionary wars, military interventions – all these are barred and barred absolutely.105

In der Antwort auf die Umfrage des Verfassers konkretisiert dies Michael Walzer hinsichtlich der „Operation Iraqi Freedom“ wie folgt: Maybe it was a war for democracy, and a war of that sort might well be a political version of a crusade for Christianity or Islam, with all the dangers that crusading warfare brings. But I take just war theory to be an alternative to the idea of a 102 „In Beantwortung Ihrer mail vom 17. Juni möchte ich Ihnen heute sagen, daß ich zögere, auf Ihre Fragen zu antworten, weil ich zu einer gründlichen Befassung damit keine Zeit habe und eine kurze Antwort immer in Gefahr einer terrible oversimplification ist. Aber in den Rechtfertigungen kürzlich vorgenommenen humanitären Interventionen und der Operation Iraqi Freedom sehe ich zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit den Argumenten der spanischen Spätscholastiker bzw. der Gelehrten, die damals etwa von Suárez bekämpft worden sind.“ 103 Vgl. Schmitt 1997 NdE, S. 72. 104 Walzer 2003, S. 84. 105 Walzer 2000, S. 72.

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crusade: just war is not holy war. As Vitoria says, „Difference of religion cannot be a cause of just war“. Nor can difference of politics.

Walzer legt hier in Recipierung vitorianischer Argumente nahe, daß die humanitäre Intervention der „Operation Iraqi Freedom“ ebenso wie die Conqusita hinter den Forderungen der Theorie des gerechten Krieges zurückbleibt. Selbst wenn die Vereinigten Staaten – ob der Traumatisierung durch den 11. September 2001106 und der unklaren Faktenlage hinsichtlich des Vorhandenseins von Massenvernichtungswaffen im Irak – von einer interessengeleiteten107 Selbstverteidigungssituation ausgegangen zu sein schienen, bei der auch die kostenintensive Aufrechterhaltung ihrer den Irak in Schach haltenden Drohkulisse eine Rolle gespielt haben mag,108 so hätten weitere Wege zur Wahrung des Friedens und des Völkerrechts offen gestanden.109 Beispielsweise die Einberufung der UNO-Generalversammlung zu einer in einer Empfehlung mündenden Debatte nach Vorbild der während der Korea-Krise auf Antrag des US-Außenministers Dean Acheson verabschiedeten UN-Resolution 377(V) „Uniting for Peace“.110 Die Suspendierung der UN-Ordnung vor Ausschöpfung ihrer sich bietenden Möglichkeiten und Rechtswege wirkt verfrüht,111 was UN-Generalse106

„The attack on New York and Washington was a striking demonstration of America’s vulnerability to weapons of mass destruction, and it probably created a broad willingness in the general public to use force against those who would bring harm to our shores or who would threaten our allies,“ Langan 2003, S. 51. Wobei die Anschläge des 11. September – die mit Teppichmessern erwirkte Entführung von Linienflugzeugen – nicht unbedingt die Verwundbarkeit der Vereinigten Staaten für einen Angriff durch Massenvernichtungswaffen offenbarten. 107 Der ehemalige Verteidigungsminister William S. Cohen in seinem „Annual Report to the President and the Congress im Jahre 1999: „Nevertheless, both U.S. national interests and limited resources argue for the selective use of U.S. forces [. . .] U.S. vital national interests include: Protecting the sovereignty, territory, and population of the United States; Preventing the emergence of hostile regional coalitions or hegemons; Ensuring uninhibited access to key markets, energy supplies, and strategic resources; Deterring and, if necessary, defeating aggression against U.S. allies and friends; Ensuring freedom of the seas, airways, and space, as well as the security of vital lines of communication,“ Cohen 1999, Chapter 1. 108 Vgl. Steinkamm 2003/05/16. 109 Vgl. Paech 2003, S. 41. 110 „[. . .] in allen Fällen, in denen eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorzuliegen scheint und in denen der Sicherheitsrat mangels Einstimmigkeit der Ständigen Mitglieder seine Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit nicht wahrnimmt, die Frage unverzüglich von der Generalversammlung behandelt wird, mit dem Ziel, den Mitgliedern geeignete Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu geben, die im Falle eines Friedensbruches oder einer Angriffshandlung erforderlichenfalls auch den Einsatz von Waffengewalt einschließen können,“ vgl. UfP 1950/11/03.

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kretär Kofi Annan summa summarum bestätigt.112 Es scheint der aliierten Koalition an der geforderten Sorgfalt gefehlt zu haben, die nötig ist, „um die Gerechtigkeit und die Kriegsgründe zu prüfen und auch die Gründe des Gegners anzuhören, wenn sie nach Billigkeit und Gerechtigkeit verhandeln wollen.“113 Die „richtige Absicht“ ist, wie bereits dargelegt, die Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der rechtmäßigen Ordnung,114 denn „diejenigen, welche gerechte Krieg führen, haben den Frieden im Sinn.“115 Dem Faktor „Wahrhaftigkeit“, der die „richtige Absicht“ verdeutlicht, stehen insbesondere gegenüber: „erstens die Lüge; zweitens die Verstellung oder Heuchelei; drittens die Prahlerei und das entgegengesetzte Laster.“116 Bis heute konnten keine Massenvernichtungswaffen im Irak aufgespürt werden.117 Die hinsichtlich des Krieges zu bemerkende Involvierung und Vorteilnahme118 der Energiewirtschaft der Vereinigten Staaten legt zudem den 111

Damit würde aber die geltende Ordnung suspendiert werden. Die Theoretiker der Lehre des gerechten Krieges gestatten nicht mal die Suspendierung der Ordnung zu ihrer Wiederherstellung aufgrund der inhärent geltenden göttlichen und naturrechtlichen Gesetze. Die Conquista hatte ihr Mandat durch das Lehen des Papstes im Jahre 1493 erhalten. In dem auf die Umfrage des Verfassers freundlicherweise zugesandten Artikel schreibt der italienische Völkerrechtler Paolo Picone: „Questa valutazione di radicale illiceità si basa comunque, a nostro avviso, è il caso di sottolinearlo nuovamente, non solo e/o non tanto sulla sola mancanza di autorizzazione all’uso della forza da parte del Consiglio di sicurezza dell’ONU, ma sul fatto di non essere in alcun modo giustificabile, date le considerazioni svolte in precedenza, sulla base del diritto internazionale generale,“ Picone 2003, S. 378. 112 In einem Interview für BBC World Service, veröffentlicht am 16. September 2004, erklärte Kofi Annan: „And I hope we do not see another Iraq-type operation for a long time [. . .] Well, I’m one of those who believe that there should have been a second resolution because the Security Council indicated that if Iraq did not comply there will be consequences. But then it was up to the Security Council to approve or determine what those consequences should be [. . .] Yes, I have indicated it is not in conformity with the UN Charter, from our point of view and from the Charter point of view it was illegal,“ BBC 2004/09/16. 113 Vitoria 1952 DJB, S. 137. 114 Papst Johannes Paul II. ergänzt zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2004: „Die geschichtlichen Ereignisse lehren uns, daß der Aufbau des Friedens nicht von der Achtung einer sittlichen und rechtlichen Ordnung absehen kann, gemäß dem antiken Sprichwort: ‚Serva ordinem et ordo servabit te‘. Das internationale Recht muß der Vorherrschaft des Gesetzes des Stärkeren den Boden entziehen. Sein Hauptwerk besteht darin, die materielle Stärke der Waffen durch die moralische Stärke des Rechts zu ersetzen,“ zitiert nach ZENIT 2003/12/17. 115 Aquin 1985, II-II, q. 40, 1, S. 190. 116 Aquin 1985, II-II, q.110, S. 437. 117 Winston Churchills behauptete einstmals, daß die Wahrheit im Kriege so wertvoll sei, daß sie von einer Leibwache von Lügen umstellt werden müsse, zitiert nach Kremp 2003/07/16.

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Verdacht der „verderbten Sinnesweise“ nahe, „falls sie nämlich nicht um der Gerechtigkeit willen, sondern der Beute wegen hauptsächlich kämpfen.“119 So könnte letztlich der von Vitoria und Thomas umrissene Fall gegeben sein, [. . .] daß zwar die Krieg ansagende Gewaltsame rechtmäßig und die Ursache gerecht ist, gleichwohl aber wegen verwerflicher Absicht der Krieg zum unerlaubten wird.120 [. . .] Was an sich erlaubt ist, kann durch den Hinzutritt weiterer Umstände als schlecht erkannt werden, denn etwas kann aus der Sache selbst heraus gut sein, aber durch die äußeren Umstände schlecht werden.121

Zudem muß ein die rechtschaffende Absicht widerspiegelnder Krieg im Bereich des „ius in bello“ frei sein von Gier zu schaden, Grausamkeit im Rächen, friedehasserischem und unversöhnlichem Geist, Wildheit im Wiederangriff und Herrschsucht.122 Die aufgezeigte Wiederkehr „alter“ „outlaw“-Kombattantenformen in „neuen“ Kriegen erinnert nicht nur an den scharfen Gegensatz der französischen „frères de la côte“ und der spanischen „Guarda Costas“, sondern auch an die generell damit einhergehende und von beiden Seiten in eskalierender Manier betriebene Steigerung des Krieges zum „Kreuzzug“. Die damit verbundene Aufkündigung von Konventionen des „ius in bello“ führt zu einer Verletzung der geforderten Verhältnismäßigkeit der Kriegführung als auch des Grundsatzes, daß der Waffengebrauch nicht Schäden und Wirren mit sich bringen darf, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel.123 Die zunehmende Privatisierung auf dem Sicherheits- und Verteidigungssektor scheint diesbezüglich beschleunigend zu wirken, so daß der ThinkTank „American Values“ feststellt: „Violence that is free-lance [. . .] is never morally acceptable: In just war theory, the main goal of the legitimate authority requirement is to prevent the anarchy of private warfare and warlords.“124 Andererseits hat die „auctoritas princeps“, wie auch im 16. Jahr118 Diese Vorteilnahme würde allerdings nach Vitorias Theorie dann nichtig werden, wenn „[. . .] glaubhaft wird, daß der Krieg ungerecht ist, dann wird er von dem Augenblick dieser Kenntnis der Ungerechtigkeit an verpflichtet, alles, was er sich angeeignet hat, aber noch nicht verbraucht hat, d.h. insoweit es ihn reicher gemacht hat, zurückzuerstatten, nicht aber das, was er verbraucht hat, weil die Rechtsregel gilt, daß der, dem kein Verschulden zur Last fällt, auch keinen Verlust haben soll.“ Vitoria 1952 DI, S. 147. 119 Aquin 1985, II-II, q. 61, 8, 1, S. 322. 120 Aquin 1985, II-II, q. 40, S. 189. 121 Vitoria 1952 DI, S. 109. 122 Aquin 1985, II-II, q. 40, 1, S. 189. 123 Vgl. Beestermöller 2003a, S. 47. 124 American Values 2002a, S. 18.

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hundert praktiziert, die Legitimation, sich zugunsten ihrer gerechten Sache feil bietender Militärdienstleister zu bedienen, deren Handlungen ihr allerdings zugerechnet werden müssen und ihre besondere Verantwortung für das „ius in bello“ verdeutlichen. Zuzustimmen ist dem Hamburger Völkerrechtler Hajo Schmidt, wenn er konstatiert: Zur Überprüfung in Anspruch genommener Gewalt- und Kriegslegitimationen jedoch bilden die in der Entwicklungsgeschichte der bellum-iustum-Tradition erarbeiteten Prinzipien ein umfassendes heuristisches und im Einzelfall auch normativ-inhaltlich bedenkenswertes Instrumentarium.125

Anderer Ansicht sind Klaus Dicke126 und Herfried Münkler, der befindet, daß das Konzept des „gerechten Krieges“ auf die jetzige Situation der asymmetrischen Verhältnisse der Kriegführenden nicht anwendbar ist.127 Offensichtlich nimmt Münkler hierbei an, daß das Vorliegen gleicher Chancen materielle Bestimmung der Lehre des gerechten Krieges ist, eine Annahme, die aber vielmehr auf die Kriege des „Ius Publicum Europaeum“ zutrifft. Chancengleichheit ist kein Kriterium der klassischen Lehren des gerechten Krieges,128 gerade deswegen läßt sich die Lehre hervorragend auf die asymmetrischen Interventionen und Kriege der Gegenwart anwenden. Im Jahre 1980 vermerkte der Völkerrechtsgelehrte Otto Kimminch: [. . .] daß so, wie vor 350 Jahren das Völkerrecht die Lehre vom gerechten Krieg überwand, in absehbarer Zukunft die Lehre vom gerechten Krieg das Völkerrecht – und damit das Fundament des Weltfriedens – überwinden wird. Dies wird geschehen, wenn es nicht gelingt, den friedlichen Wandel so wirksam durchzusetzen, daß das Gewaltverbot der UNO-Satzung keine hohle Phrase bleibt.129

Tatsächlich bedroht nicht die Theorie des gerechten Krieges den Weltfrieden, sondern die Wiederkehr derjenigen Determinanten von Krieg und 125

Schmidt 2002, S. 116, Fn. 16. In „historischer, grammatischer, systematischer und teleologischer Auslegung ist die Philosophie der Charta mit der Logik des gerechten Krieges schlechthin unvereinbar,“ Dicke 2003, S. 114. 127 Vgl. Suchsland 2003/04/23, S. 2. 128 Bei Suárez findet sich gar das Gegenteil, so antwortet er auf die cajetanische Sentenz, der aktive Teil müsse mächtiger sein, um den passiven überwinden zu können: „Aber diese Bedingung scheint mir nicht schlechthin notwendig zu sein. Erstens, weil sie, menschlich gesprochen, fast unmöglich ist. Zweitens, weil es häufig im Interesse des Gesamtwohles des Staates liegt, nicht eine so große Gewißheit abzuwarten, sondern es auch bei einigen Zweifeln zu wagen, ob man die Feinde besiegen kann. Drittens, weil es sonst einem weniger mächtigen Fürsten nie erlaubt wäre, dem mächtigeren den Krieg zu erklären, weil er die Gewißheit, die Cajetan fordert, nicht erreichen kann,“ Suárez 1965, de charitate, disp. 13: de bello, S. 153. 129 Kimminich 1980, S. 221. 126

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Kriegführung, die erst eine Theorie des gerechten Krieges zum Ausgleich nötig machten. Die Lehre des gerechten Krieges ist ja ein sinnvolles theologisch-ethisches Korrektiv mit der Aufgabe, die normative Kraft des Faktischen einzuengen. Wie das gespannte Verhältnis zur mohammedanischen Welt „der letzte außenpolitische Kitt des corpus Christianum“130 gewesen ist, so scheint die kreuzzugsähnliche Diktion der Waffengänge im Irak die Antithese des islamischen Terrorismus auf dessen religiösem Gebiet zu sein und der Kitt der in atomisierte Individuen zerfallenen westlichen Gesellschaften. Die Hemmung, einen Mitmenschen zu töten, so der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, [. . .] ist in allen Kulturen ausgeprägt, und will man sich über sie hinwegsetzen, wie etwa im Krieg, dann bedarf es besonderer Indoktrinierung, damit die mitmenschlichen Appelle, die Mitgefühl wecken, nicht wahrgenommen werden.131

Doch werden, solange die Weltgeschichte noch nicht abgeschlossen ist, Kriegsparteien immer versuchen, einen am Kreuzzug orientierten Kriegsbegriff zu implementieren. Hiergegen können sowohl die Theorie des gerechten Krieges als auch die Orientierung des Soldaten an einem soldatischen Ehrbegriff ein wirksames Korrektiv bilden.

130 131

Vgl. Höffner 1947, S. 53. Eibl-Eibesfeldt 1997, S. 123.

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Personenverzeichnis Agamben, Giorgio 19, 39, 41, 97, 102, 104 Alexander VI., Papst 43–44, 109 Annan, Kofi 177 Aquin, Thomas von 21–24, 43, 55, 58, 60, 62–63, 67, 100–101, 115– 116, 122–123, 130, 132–133, 170, 178 Ardagh, Sir John 84 Aristoteles 129–130, 153, 158–159 Augustinus, Aurelius 16–19, 64, 66, 113, 123, 149, 167, 171 Barlow, John Perry 170 Beestermöller, Gerhard 22–23, 34–35, 38–39, 47, 49, 61, 63–64, 69, 120, 133, 146, 173, 178 Blair, Toni 64 Blix, Hans 50, 171 Brooks, Vincent 127 Brzezinski, Zbigniew 73, 126, 155 Bush, George W. 32–35, 49–50, 53– 55, 67, 69–70, 74, 77, 95, 105–107, 126 Cajetanus, Tommaso de Vio 113 Cervantes Saaavedra, Miguel de 143 Cicero, Marcus Tullius 14–15, 58, 62, 77, 131 Clairvaux, Bernhard von 42, 137–138, 141 Clausewitz, Carl von 12, 149, 151– 152 Cortéz, Hernán 56, 80, 82, 93, 102, 109–110, 113–117, 141

Crefeld, Martin van 10–12, 27, 39, 77, 90–91, 98, 101, 104, 126, 133, 138–139, 145, 150 Delbrück, Hans 81 Drake, Francis 79, 118 Eibl-Eibesfeld, Irenäus 103–104, 136, 180 Freund, Julien 70, 135 Friedrich II., preußischer König 19, 92, 146–151, 159 Gelasius I., Papst 40 Gentilis, Albericus 146–147, 149 Grotius, Hugo 17–18, 26–28, 51–52, 63, 67, 75, 78, 86, 93, 102, 107, 115, 123, 133, 135, 143, 146–147, 149, 165–166, 169 Hartmann, Eduard von 136 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 126 Hidalgo 56, 140 Höffe, Ottfried 64–65, 156 Höffner, Joseph 42, 44–45, 57, 73, 112, 117, 162, 164, 168, 180 Huntington, Samuel 55, 106 Ipsen, Kurt 10, 14, 18, 38, 54, 68, 77–78, 149 Johannes Paul II., Papst 87, 177 Justenhoven, Heinz-Gerhard 24, 44, 58–59, 164–165 Kant, Immanuel 70 Kimminich, Otto 26, 147, 179 Kissinger, Henry 95

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Personenverzeichnis

Las Casas, Bartolomé de 73, 114, 117, 165 Lipsius, Justus 148 Loyola, Iñigo 144 Lynch, Jessica 127 Machiavelli, Nicoló 81, 92–93, 145– 146, 173 Mayer-Tasch, Peter Cornelius 10–11, 16, 39, 41, 45–46, 56, 69, 72, 84–85, 125, 127, 153–154, 163, 165, 169– 171 Montesquieu, Carles-Loius de Secondat, Baron de Brède et de 144, 154 Moteczuma 56, 80, 114 Münkler, Herfried 12, 37, 51, 71, 81, 89, 93–94, 99–101, 127, 136, 179

Sépulveda, Juan Gines de 110–111, 124, 160, 174 Simma, Bruno 34, 174–175 Simmel, Georg 158, 160 Sofsky, Wolfgang 11, 99, 104, 107, 125, 134, 158 Spengler, Oswald 10, 74 Steinkamm, Armin 13, 34, 51, 54, 176 Suárez, Francisco 26, 46–47, 51–52, 62–63, 76, 128, 143–144, 150, 166– 167, 171, 174, 179 Tocqueville, Alexis de 70, 152, 158 Truyol y Serra, Antonio 10, 59–60, 162–163, 166–167, 173 Urban II., Papst 20, 61

Platon 16, 129, 135–136 Priester Johannes 115 Ritter, Scott 49–50 Ritterstand 49–50, 87, 120 Roosevelt, Franklin D. 108 Rousseau, Jean-Jacques 151 Schermers, Hein 174–175 Schmid, Carlo 28 Schmitt, Carl 9, 13, 17, 19–20, 27– 29, 36–40, 69, 71, 77–78, 80–84, 86–87, 90, 97, 104, 108, 114, 118, 120–121, 125–126, 131, 133–135, 146–147, 150, 153–156, 168–170, 172, 175 Scott, James Brown 25–26, 162, 164, 169

Vergil Maro, Publius 15, 122 Virilio, Paul 125 Vitoria, Francisco de 13–14, 17–18, 24–26, 41–48, 52, 55–62, 65–66, 73–74, 79–80, 111–113, 117–118, 123–124, 129–132, 142–144, 150, 162–164, 166–167, 172–173, 176– 178 Walzer, Michael 17, 27, 29–30, 35– 36, 55, 64–65, 69, 87–88, 98, 100– 101, 125, 131, 154, 159, 175–176 Wantoch, Hans 82, 105, 140, 142, 165, 168 Weber, Max 9, 12, 63, 91, 128–129, 158–160, 167 Wehberg, Hans 23, 25–26, 165, 171 Wolfowitz, Paul 50

Sachwortverzeichnis Abnutzungsstrategie 81–82, 85 Al-Qaida 87–88, 120 American Servicemember Protection Act 68 AmericanValues, Think-Tank 14, 30, 52, 55, 87, 101, 105, 108, 178 Auctoritas princeps 18–19, 31, 37, 39–41, 46, 65, 78, 138, 147, 167, 174, 178 Ausnahmezustand 11, 18, 36, 89–90, 102, 106 Azincourt, Schlacht von 139 Barbaren 20, 41, 44, 57–58, 60–62, 107, 109–111, 113, 118, 121, 125, 163, 172, 174 Bellum iustum 18, 171 Briand-Kellog-Pakt von 1928 28, 38, 119 Condottiere 92–93 Conquista 56, 93 Crézy, Schlacht von 139 Dekapitation 101 Duell 144, 149, 151, 157 Ehre 21, 44, 133, 136–143, 145, 147, 153, 157–161 Fehde 21, 23 Flibustier (Piraten) 77 Folter 103–104 Generale Neederlandsche Geoctroyierte Oostindische Companie 78, 169 Gerechter Zorn 123, 129–130

Gerechtigkeit 13, 17, 22, 28–29, 34, 47, 52, 63, 66, 75, 100, 111, 114, 124, 129–130, 141, 146–147, 153, 165, 171, 175, 177–178 Gesinnungs- und Verantwortungsethik 129 Gewaltverbot 31, 35, 37, 54, 63, 179 Giha¯d 88 Globalisierung 11, 86, 89 Guantanamo 95, 103 Guarda Costas, maritime Söldner Spaniens 80, 178 Häresie 19, 113, 116 Hegung des Krieges 13–14, 19, 26, 75, 83, 112, 131, 133, 135–136, 145, 150, 153, 156, 158 Humanitäre Intervention 53–54, 61, 63–64, 174–176 Illegale Kombattanten 102 Inter caetera divinae, Lehnsurkunde 43, 78–79, 109, 115 Internationaler Gerichtshof 67, 103, 143, 147, 174 Internationaler Strafgerichtshof 68 Ius Publicum Europaeum 26, 83, 143, 147, 150, 161, 179 Iusta causa 18, 47, 65, 110, 146, 171 Kaperbriefe 80 Kat-échon 19, 120 Korsaren 79 Kreuzzug 20, 22, 61, 88, 112, 120, 122, 131–132, 174, 178, 180

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Sachwortverzeichnis

Mandatierung der bewaffneten Handlung 39, 54, 61, 64, 118–119, 177 Massaker 97 Massenmedien, Rolle der 125 Massenvernichtungswaffen 33, 35, 49–51, 155, 176–177 Menschenrechte 49, 54, 63, 65, 68, 78, 96, 101, 167, 174 Monroe-Doktrin 53, 71, 108 Mythos 84, 107, 116 Naturrecht 56, 59, 61, 143, 162 Neutralität 108, 121, 147 Niederwerfungsstrategie 81 Partisanen 82–84, 88, 151 Pax dei 20 Pax Romana 15–17 Pazifismus 11, 14, 131, 134 Phönix 9 Private Military Company 95 Recta intentio 18, 23, 65, 67, 75–76, 128, 131, 147, 171 Renaissance 10, 25, 91, 134, 140, 168 Requerimiento 109 Respublica Christiana 39, 45–46, 55, 88, 105, 113, 131, 164, 173 Ritterstand 20–21, 49–51, 116, 137– 141, 143 Rules of Engagement der US-Armee in Vietnam 100 Schuld 23, 110, 149, 173 Schurkenstaaten 107, 119, 122

Selbstverteidigung 32, 34–35, 48–49, 66, 119 Selbstverteidigung, präventive 52 Sicherheitsrat 31–35, 38–39, 46–47, 54, 63–64, 68, 155, 174, 176 Siglo de Oro 73, 142 Söldner 91–93, 95–96, 140 Souverän 36, 97, 125, 171 Souveränität 9–10, 12, 36–37, 72, 112, 118, 134 Staatsräson 145 Sünde 17–18, 22, 40, 48, 60, 165, 173 Tapferkeit 100, 130, 137–138, 140, 142, 145 Terrorismus 86, 88–89, 96 Tranquillitas ordinis 16, 18, 113 Treuga dei 20, 143 Treuhändersystem 118 Tyrannen 53, 56, 59 United States National Security Strategy 2002 35, 50, 53, 68–70, 86, 106–108, 126 Versailler Vertrag 27 Veto, Sicherheitsrat 38, 54 Völkerbund 28 Volkskrieg, napoleonische Ära 151 Zivilisation 80, 107–109, 118–120, 122, 125, 168